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German Pages [312] Year 2006
Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Herausgegeben von Gerhard Besier Band 31
Vandenhoeck & Ruprecht
Uwe Backes
Politische Extreme Eine Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart
mit 12 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 10: 3-525-36908-5 ISBN 13: 978-3-525-36908-1
© 2006, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt I.
Einführung
1. 2. 3. 4.
Bedeutung der Thematik Forschungsstand Vorgehensweise Aufbau
7 15 19 22
II.
Extreme, Mitte, Mischverfassung im griechischen Altertum
27
1. 2.
Voraristotelisches Denken Mesoteslehre und Mischverfassungstheorie des Aristoteles
27 38
Extreme, Mitte, Mischverfassung in der antiken und mittelalterlichen Platon- und Aristotelestradition
55
1. 2.
Antike Mittelalter
55 61
IV.
Extreme und Mischverfassungstradition vom Frühhumanismus zum Zeitalter der demokratischen Revolutionen
73
III.
7
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Frühhumanismus England Europäischer Kontinent Montesquieus „gouvernement modéré“ John Adams und die amerikanische Mischverfassung Extreme soziale Kräfte Französische Revolution und Rechts-Links-Dichotomie Extreme als Topos der frühen Revolutionskritik
73 80 83 86 92 94 100 103
V.
Extreme Ideologien im politischen Laboratorium des 19. Jahrhunderts
109
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Revitalisierung und Ausbreitung der Rechts-Links-Geographie Juste milieu-Theorien in Frankreich, England und Deutschland Ultraismus und Extremismus „Extrematische“ Parteien Extremisten und Civil War Extremisten in der britischen Kronkolonie Indien
109 112 121 127 130 134
VI.
Extremismus im beginnenden „Zeitalter der Extreme“
137
1 2.
Revolution in Russland Extremismus und italienischer Faschismus
137 149
6
Inhalt
3. 4.
Extreme in der politischen Sprache der Weimarer Republik Extreme in Hitlers Schriften und Reden der „Kampfzeit“
155 161
VII.
Extrembegriffe in der politischen Sprache deutscher Ideokratien
167
1. 2. 3.
Zur politischen Sprache der Ideokratie NS-Regime SED-Regime
167 168 177
VIII.
Extremismus als Bestandteil der offiziellen/offiziösen Sprache der Bundesrepublik Deutschland
189
1. 2. 3. 4.
Extremismus und antitotalitärer Gründungskonsens Extremismus in den frühen Verfassungsschutzberichten Radikalismus oder Extremismus? Deutsche Terminologie im internationalen Kontext
189 193 197 200
IX.
Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
203
1. 2.
Extremismus und frühe Totalitarismusdiskussion Import des Extremismusbegriffs in die westdeutschen Geistes- und Sozialwissenschaften Extremismus oder Radikalismus? Extremismus, Autoritarismus, Dogmatismus Extremismus und Fundamentalismus Rechts- und Linksextremismus Extremismus der Mitte? Heterogene Extremismusbegriffe
209 217 222 223 225 229 231
Politischer Extremismus: Bilanz, Begriffsbestimmung und Ausblick
233
1. 2. 3. 4.
Bilanz der Begriffsgeschichte Begriffsbestimmung Formen des politischen Extremismus Ausblick
233 238 240 248
XI.
Anhang
251
1. 2. 3. 4. 5.
Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Personenverzeichnis
251 275 301 303 305
3. 4. 5. 6. 7. 8. X.
203
I.
Einführung
1.
Bedeutung der Thematik
„Das Zeitalter der Extreme“ hat der englische Sozialhistoriker Eric Hobsbawm seine erstmals 1994 erschienene Bilanz zum „kurzen 20. Jahrhundert“ betitelt.1 Als „Extreme“ erscheinen die Exzesse der Inhumanität, denen mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 der Weg bereitet wird. Ob es sich um die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“2 handelte oder eher von einer katalysatorischen Wirkung auf Bedingungsfaktoren aus dem 19. Jahrhundert zu sprechen ist,3 sei dahingestellt. Jedenfalls wurde erstmals in der Geschichte die zivile Gesellschaft Krieg führender Staaten, vor allem aber des an mehreren Fronten agierenden Deutschen Reiches, in ihrer Gesamtheit in den Dienst eines kollektiven Kampfes auf Leben und Tod gestellt. Die gigantischen Materialschlachten des „totalen Krieges“, wie ihn der „Generalquartiermeister“ Erich Ludendorff später mit programmatischer Absicht beschrieb,4 führten die europäischen Nationen an die äußerste Grenze ihrer materiellen Leistungsfähigkeit. Aufgrund des Krieges und seiner Folgen wurden unzählige Menschen in ihrer Existenz gefährdet. Millionen von Soldaten verloren ihr Leben, viele kehrten verstümmelt und innerlich gebrochen in ihre Heimat zurück – unfähig, sich jemals wieder in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren. Das im Laufe von Jahrhunderten herausgebildete Institutionengefüge der konstitutionellen Staaten mit seinen Machtkontrollen und Rechtsverbürgungen geriet unter dem Ansturm neuartiger, bald als „totalitär“ bezeichneter politischer Extrembewegungen ins Wanken. Mit dem Ersten Weltkrieg traten die von Hans-Peter Schwarz porträtierten politischen „Monster“ wie Hitler, Lenin und Stalin auf den Plan – bereit, für ihre hybriden politischen Visionen Hunderttausende, ja Millionen von Menschenleben zu opfern.5 Ohne den Ersten Weltkrieg hätte es die Russische Revolution nicht gegeben und wohl auch nicht den Oktoberputsch der Bolschewiki in Sankt Petersburg. Unter Lenin und Trotzki begannen die neuen Herrscher im Kreml mit einer historisch beispiellosen „Säuberung“ der russischen Gesellschaft von all jenen sozialen „Schädlingen“, die als Hindernis für das große Ziel der Weltrevolution galten.6 Der Bruch mit der Geschichte und der Übertritt in das neue Reich des Sozialismus/Kommunismus rechtfertigten eine mitleidlose Abrechnung nicht nur mit 1 2 3 4 5 6
Vgl. Hobsbawm, Zeitalter der Extreme. So die bekannte Formulierung von George F. Kennan. Siehe dazu Mommsen, Urkatastrophe Deutschlands. Ferner: Hirschfeld/Krumeich/Renz/Pohlmann (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Vgl. Reimann, Der Erste Weltkrieg. Vgl. Ludendorff, Der totale Krieg. Vgl. Schwarz, Das Gesicht des Jahrhunderts. Dass die Stalinschen Exzesse in jeder Hinsicht nur eine Fortsetzung und Steigerung der Leninschen waren, zeigt auf breiter Quellengrundlage: Werth, Ein Staat gegen sein Volk.
8
Einführung
all jenen, die sich dem großen Projekt verweigerten oder sich ihm offen entgegenstellten, sondern auch mit den ideologisch definierten „objektiven Feinden“, die aufgrund ihrer sozialen Rolle und Funktion als historisch „überholte“ Schichten und „parasitäre“ Gruppen zu vernichten waren.7 Dieses Ziel wurde kaum bemäntelt. Einer der für die Leninsche Säuberungsideologie aufschlussreichsten Texte („Wie soll man den Wettbewerb organisieren“), der den Bruch der Bolschewiki mit moralischen Grundnormen der jüdisch-christlichen wie der humanistischen Tradition klar vor Augen führt, fand Aufnahme in die offizielle Ausgabe der Lenin-Werke. Zur „Erreichung des gemeinsamen, einheitlichen Ziels“ forderte der Revolutionsführer: die „Säuberung der russischen Erde von allem Ungeziefer, von den Flöhen – den Gaunern, den Wanzen – den Reichen usw. usf. An einem Ort wird man zehn Reiche, ein Dutzend Gauner, ein halbes Dutzend Arbeiter, die sich vor der Arbeit drücken (ebenso flegelhaft wie viele Setzer in Petrograd, besonders in den Parteidruckereien), ins Gefängnis stecken. An einem anderen Ort wird man sie die Klosetts reinigen lassen. An einem dritten Ort wird man ihnen nach Abbüßung ihrer Freiheitsstrafe gelbe Pässe aushändigen, damit das ganze Volk sie bis zu ihrer Besserung als schädliche Elemente überwache. An einem vierten Ort wird man einen von zehn, die sich des Parasitentums schuldig machen, auf der Stelle erschießen.“8 Mit der Bildung der Kommunistischen Internationale im Frühjahr 1919 setzten die Versuche des „Zentrums der Weltrevolution“ ein, die Arbeiterbewegungen der europäischen Staaten den Direktiven Moskaus zu unterwerfen. Die Bemühungen der Komintern-Sektionen, ihren Einfluss zu stärken und ihre revolutionären Ziele voranzutreiben, führten in Ländern wie Deutschland und Italien zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen bis hin zu Aufstandsversuchen.9 Der in Italien im Jahr 1919 von einem der führenden Vertreter des Vorkriegssozialismus, Benito Mussolini, gegründete fascio di combattimento verstand sich in erster Linie als Kampfbund gegen die Gefahr des Bolschewismus.10 Auch in Deutschland rekrutierten sich aus den Reihen der aus dem Krieg zurückgekehrten, verrohten und enttäuschten Frontkämpfer militant-nationalistische Formationen, die in paramilitärischen Verbänden gegen die „rote Gefahr“ zum Einsatz kamen, sich blutige Auseinandersetzungen mit linksextremen Kampfverbänden lieferten und mit terroristischen Aktionen gegen Systemrepräsentanten in Erscheinung traten.11 Sie gewannen ihre Identität zu einem Gutteil aus der Abwehr der „roten Bestie“,12 entwickelten neue stilistische und propa7 Vgl. zu diesem Begriff Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 654–661. 8 Lenin, Wie soll man den Wettbewerb organisieren (7.–10. Januar 1918), S. 413. Vgl. zur Interpretation vor allem: Colas, Säubernde und gesäuberte Einheitspartei. 9 Siehe nur Eliasberg, Ruhrkrieg; Koch-Baumgarten, Aufstand der Avantgarde; Petracchi, La Russia revoluzionaria. 10 Vgl. nur Gentile, Storia del Partito Fascista, S. 63; Payne, A History of Fascism, S. 89. 11 Vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik; Wirsching, Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg?, S. 478–481. 12 Zitiert nach Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 619.
Bedeutung der Thematik
9
gandistische Ausdrucksformen, die mit dem „Marsch auf Rom“ ins Bewusstsein der Zeitgenossen drangen. Der Faschismus und seine Ableger in anderen europäischen Ländern wurden mit der Verbindung von charismatischem Führerkult und palingenetischem Ultranationalismus13 trotz der offenkundigen Anleihen bei Sozialismus und revolutionärem Syndikalismus zur Inkarnation einer neuen extremen Rechten.14 Zu ihr stieß auch der Gefreite des Ersten Weltkriegs Adolf Hitler, dessen rechtsextremistische, rabiat antisemitische Bewegung 1933 in Deutschland die Macht übernahm, das bereits autoritär verformte Weimarer Verfassungssystem hinwegfegte und ein Regime errichtete, das mit seiner offiziell verbindlichen, religionsähnlichen Ideologie, dem absoluten Gestaltungsanspruch der Einheitspartei, den gesellschaftlich mobilisierenden Massenorganisationen, ihrem Kommunikationsmonopol, dem umfassenden Repressionsapparat und den Konzentrationslagern, wesentliche Parallelen zu dem der Sowjetunion aufwies.15 1939 verbündeten sich die beiden totalitären Staaten gegen die westlichen Demokratien, um ihre jeweiligen Einfluss-Sphären im östlichen Europa abzustecken. Die kurze Phase der Zusammenarbeit zwischen den ideologischen Antagonisten endete mit Hitlers Angriff auf die Sowjetunion und dem Beginn eines rassenideologisch begründeten Eroberungs- und Vernichtungsfeldzuges im Osten, der nach dem Kriegseintritt der USA in die systematische, industriell organisierte Eliminierung des europäischen Judentums mündete.16 Worauf die „Endlösung der Judenfrage“ hinauslief, konnte erahnen, wer die Kriegsreden des Reichspropagandaministers aufmerksam verfolgte. In der bekannten Sportpalastrede vom 18. Februar 1943, in der Joseph Goebbels nach dem Ende der 6. Armee in Stalingrad den „totalen Krieg“ propagierte, fungier13 Vgl. Griffin, The Nature of Fascism, S. 26. Zu der von Ernst Nolte (ders., Der Faschismus in seiner Epoche, S. 51) angestoßenen Diskussion siehe Eatwell, Zur Natur des „generischen Faschismus“, mit weiteren Literaturangaben. 14 Hobsbawm blendet die Wechselwirkung der Extreme aus, wenn er der „Oktoberrevolution“ das Verdienst zuerkennt, die Welt vor einer dauerhaften Etablierung autoritärer und faschistischer Systeme bewahrt zu haben (Hobsbawm, Zeitalter der Extreme, S. 22). Man muss keine Folgenotwendigkeit zwischen den Exzessen des Nationalsozialismus und des Stalinismus unterstellen, um zu der Einsicht zu gelangen, die Hobsbawm an anderer Stelle wie folgt formuliert: „Der Aufstieg der radikalen Rechten nach dem Ersten Weltkrieg war zweifellos eine Antwort auf die Gefahr – und in der Tat auch auf die Realität – einer mächtigen sozialen Revolution und einer starken Arbeiterklasse, und besonders auf die Oktoberrevolution und den Leninismus. Ohne diese hätte es keinen Faschismus gegeben.“ Hobsbawm, Zeitalter der Extreme, S. 162. Als Folgenotwendigkeit ist Ernst Noltes Behauptung eines „kausalen Nexus“ zwischen „Gulag“ und „Auschwitz“ im „Historikerstreit“ gedeutet worden. Vgl. Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will, S. 46 und die in demselben Band dokumentierten kontroversen Sichtweisen. Siehe auch: Nolte, Der europäische Bürgerkrieg, S. 548. Siehe zur Kontroverse um die Interaktionen und Wechselbeziehungen der Extreme aus größerer Distanz: Furet/ Nolte, „Feindliche Nähe“; Kailitz, Deutungskultur; Nipperdey / Doering-Manteuffel / Thamer (Hg.), Weltbürgerkrieg der Ideologien. 15 Vgl. zu diesen Charakteristika u. a. Bracher, totalitäre Erfahrung. 16 Vgl. Benz, Holocaust.
10
Einführung
te das „internationale Judentum“ als „Dämon des Verfalls“, der sein zerstörerisches Werk im kapitalistischen System der USA ebenso betrieb wie im bolschewistischen Russland. Nur der Nationalsozialismus war in dieser Optik willens und in der Lage, die jüdische Machtgier in ihre Schranken zu weisen, den drohenden Untergang des Abendlandes abzuwenden. Dazu bedurfte es indes einer Bündelung aller verfügbaren Energien und einer rücksichtslosen Anwendung aller geeigneten Mittel: „Das Radikalste ist heute gerade radikal, und das Totalste ist gerade total genug, um zum Siege zu führen! [Bravo-Rufe, Beifall.]“17 Das „Radikalste“ und „Totalste“ schloss den Völkermord mit ein, den Reichsführer-SS Heinrich Himmler vor den Einsatzführern der SS als herkuleisches Werk höherer Moral würdigte. Das Extrem wurde in diesem ausgewählten Kreis offen angesprochen: die „Ausrottung des jüdischen Volkes“, und in völliger Verkehrung traditioneller moralischer Grundbegriffe als „niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“18 in den Rang einer Heldentat erhoben. Das nicht zuletzt aufgrund wirtschafts-, sozial- und außenpolitischer Erfolge bis in die erste Kriegsphase von der Zustimmung breiter Bevölkerungskreise getragene NS-Regime19 brachte aber nicht nur Tod und Elend über die Juden und andere Völker, sondern mündete auch in einen historisch beispiellosen Akt der Selbstzerstörung. Über die Vernichtung von Millionen von Menschenleben hinaus führte der Krieg zur Verwüstung der deutschen Städte und zur Vertreibung von Millionen Deutscher aus ihrer Heimat. Das im Osten entstehende Machtvakuum wurde in kürzester Zeit von der mit den Westmächten verbündeten Sowjetunion ausgefüllt. Sie dehnte ihr totalitäres Herrschaftsgefüge auf weite Teile Ost- und Mitteleuropas aus. Im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands wichen die unmittelbar nach Kriegsende entstandenen Ansätze eines Mehrparteiensystems rasch einer kommunistischen Diktatur mit Einheitspartei, gelenkten Massenorganisationen, verbindlicher Ideologie, Kommunikationsmonopol sowie umfassendem Überwachungs- und Repressionssystem. Das Ende des SED-Regimes und der anderen kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa wurde erst durch die Veränderungen in der Sowjetunion ermöglicht. Der mit dem Namen der Gewerkschaft Solidarność verbundene Umbruch in Polen mit seiner Signalwirkung und die unter den Stichworten Glasnost und Perestrojka eingeleiteten Reformen des 1985 an die Macht gelangten neuen Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, machten den Weg frei für den Fall des Eisernen Vorhangs, die Systemtransformation in Ostmitteleuropa und damit für die Beendigung der europäischen und deutschen Teilung. Die zweite Jahrhundertzäsur datiert Hobsbawm allerdings mit Recht erst auf das Jahr 1991, da ein gelungener Putsch von Armee, KGB und Parteikadern in Moskau wohl manches von dem wieder rückgängig gemacht hätte, was in den 17
Goebbels, Rede auf der Kundgebung des Gaues Berlin der NSDAP (Berlin, Sportpalast, 18. Februar 1943), S. 187. 18 Himmler, Rede des Reichsführers-SS bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943 (Dokument 1919–PS), S. 145. 19 Vgl. Kershaw, Hitler. 1936–1945; ders., Hitler-Mythos.
Bedeutung der Thematik
11
Jahren zuvor in Richtung auf mehr Demokratie und Rechtssicherheit innerhalb des Satellitengürtels der Sowjetunion erreicht worden war. Der Untergang der UdSSR kann insofern als ein historisch beispielloser Vorgang gelten, als niemals zuvor eine Weltmacht auf der Höhe ihrer militärischen Schlagkraft untergegangen war, ohne dass sie zuvor eine militärische Niederlage erlitten hatte. Wer vom 20. Jahrhundert als von einem Zeitalter der Extreme spricht und dabei nicht nur – wie Hobsbawm – Exzesse der Inhumanität ins Visier nimmt, sondern auch die Isomorphien bestimmter politischer Ideologien und Bewegungen, mag den Eindruck erwecken, als hätten sich die Extreme erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs entfaltet, als sei im 21. Jahrhundert nur noch mit letzten Zuckungen und einem endgültigen Ableben zu rechnen. Den extremistischen, vielfach als totalitär bezeichneten Regimen waren aber in ihrem Entstehungsprozess weit zurückreichende ideologische Strömungen vorausgegangen.20 In den 1840er Jahren hatte in Europa eine intensive Auseinandersetzung mit dem neuen Phänomen des „Kommunismus“ begonnen, das sich in der Theorie bis zu den großen Utopien eines Platon, Morus, Campanella, in der gelebten Wirklichkeit bis zu asketischen, persönliche Besitzlosigkeit kultivierenden religiösen Gemeinschaften der Spätantike (wie den Essenern am Toten Meer oder den Therapeuten am nordägyptischen Mareotis-See) zurückverfolgen ließ.21 Wesentliche geistesgeschichtliche Wurzeln lagen in radikal-aufklärerischen Ideen, wie sie etwa von Helvetius, Holbach, Morelly und Mably vertreten worden waren. Ideenhistoriker wie Jacob Talmon sahen in Jean-Jacques Rousseaus Konzept des „allgemeinen Willens“ eine Wurzel des Linkstotalitarismus. In Verbindung mit einer „zum Extrem geführten Volkssouveränität“22 habe die Idee eines rationalen, vorbestimmbaren Gemeinwohls politische Vorstellungen begünstigt, wie sie die Jakobiner in der Französischen Revolution zeitweilig umzusetzen suchten. Die Entwicklung der Französischen Revolution ließ sich als ein wechselhaftes Ringen zwischen stärker pragmatischen Anhängern eines sozialen Kräftegleichgewichts und den Verfechtern der reinen Revolutionsideale beschreiben, wie sie während der „Terreur“ und in den Ideen François Noël Babeufs zum Ausdruck gekommen waren. Der jakobinische „Tugendterror“ und der Babeufsche Agrarkommunismus galten Talmon als „die beiden frühesten Ausdrucksformen des modernen politischen Messianismus“.23 Als Babeufs „Verschwörung der Gleichen“ aufgedeckt wurde, musste er seine Pläne nebst einigen seiner Getreuen mit dem Leben büßen. Aber die Faszination des Kommunismus endete damit nicht. 1828 sorgte die Buchveröffentlichung eines Mitverschworenen (Philippo Buonarotti), in der die Geschichte des menschheitsbeglückenden Unternehmens nachgezeichnet war, für neue Anhänger.24 Gleiches galt für Etienne Cabets Musterstaat Ikarien, in dem die Menschen nach 20 21 22 23 24
Vgl. Bracher, Zeit der Ideologien. Vgl. Schulz, Art. „Communismus“ (1846). Talmon, Die Ursprünge der totalitären Demokratie (Band I), S. 42. Ebd., S. 225. Vgl. Buonarroti, Babeuf und die Verschwörung für die Gleichheit (1828).
12
Einführung
den Plänen des „Diktators“ Ikar und dank der umfassenden, rationalen Planung eines weisen „Komitees“, von vielen Leiden erlöst, ein sorgenfreies Leben in Frieden, Gesundheit und Wohlstand führten.25 Ideen dieser Art fanden bei den in Paris lebenden deutschen Handwerkern Anklang und wurden von dem christlich inspirierten Schneidergesellen Wilhelm Weitling u. a. in der Schweiz und im deutschen Sprachraum bekannt gemacht.26 Die kritische Rezeption der anspruchsvollen sozialistischen Systeme Saint-Simons, Fouriers und Owens’ erreichte in den Jahren vor der 1848/49er Revolution einen ersten Höhepunkt.27 In den Jahrzehnten danach erteilten Karl Marx und Friedrich Engels diesem „utopischen Sozialismus“ eine Absage,28 suchten den Kommunismus wissenschaftlich zu untermauern, versahen ihn vor allem mit einem geschichtsphilosophischen, auf Hegels Dialektik rekurrierenden, und ökonomischen Fundament, grenzten die Lehre zugleich scharf vom Anarchismus ab. Lange bevor der Kommunismus durch Lenins Aneignung und doktrinäre Ausformung der MarxEngelsschen Ideen, deren Kanonisierung nach der Oktoberrevolution und die außerordentliche Machtentfaltung der Sowjetunion Weltgeltung erlangte, waren also die ideologischen Fundamente gelegt. Das galt nicht weniger für die neue extreme Rechte, die sich nach dem Muster des italienischen Faschismus in vielen Staaten der Welt zu entfalten begann. Karl Popper rekurrierte in seiner ideengeschichtlichen Herleitung totalitärer Ideologien auf Platons Idealstaat, den er als einen politisch-programmatischen Entwurf deutete. Zugleich hob er dessen hierarchisch-antiegalitäre und rassistische Tendenzen hervor. Denn der Gemeinbesitz an Frauen, Kindern, Hab und Gut verbinde sich mit einer kastenähnlichen Separierung von Herrschern / Wächtern und Dienern sowie der Idee einer aristokratisch-kriegerischen, von Philosophenkönigen geführten Herrenrasse, die ihre Erbsubstanz durch eugenische Zuchtwahl erhalte, der Sorge um den Broterwerb enthoben sei und einen Alleinanspruch auf Waffentragen und Erziehung genieße.29 Jacob Talmon setzte in seiner ideengeschichtlichen Herleitung weit später an. U. a. deutete er Johann Gottlieb Fichtes geschlossenen Handelsstaat als ein Modell, in dem nationalistische und sozialistische Elemente zu einer neuartigen Synthese fanden.30 Hannah Arendt hat in ihrem Werk über die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft die tief ins 19. Jahrhundert zurückreichenden geistesgeschichtlichen Wurzeln von Antisemitismus, Nationalismus und Rassenimperialismus nachzuzeichnen versucht.31 25 Cabet, Voyage en Icarie. Die erste Version erschien 1839 unter Pseudonym in der Form eines Reiseberichts. 26 Siehe vor allem Bluntschli/Seiler, Die Kommunisten in der Schweiz (1843). 27 Vgl. nur Grün, Die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien (1845). 28 Vgl. die Selbstdarstellung bei: Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft (1880). 29 Vgl. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band I, S. 99. 30 Vgl. Talmon, Politischer Messianismus, S. 152–174. 31 Vgl. Arendt, Elemente und Ursprünge, Teile I („Antisemitismus“) und II („Imperialismus“).
Bedeutung der Thematik
13
Wie der Vergleich mit den Programmen einer monarchisch-absolutistischen Rechten zeigt, brachen diese Ideen in mancherlei Hinsicht mit den traditionellen Legitimationsmustern autokratischer Herrschaft, dem Gottesgnadentum ebenso wie patriarchalischen Auffassungen. Bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatten sich ideologische Formen entwickelt, die der extremen Rechten durch die Adaptation ursprünglich „linker“ Elemente neue Attraktivität verliehen. Das galt bereits für den Bonapartismus, der nicht ohne Erfolg traditional-dynastische mit demokratisch-plebiszitären Legitimitätsquellen zu vereinen suchte.32 Der integrale Nationalismus eines Maurice Barrès ließ die liberal-emanzipatorischen Impulse dieser Ideologie hinter ihren autoritärimperialen Tendenzen zurücktreten.33 In Deutschland gewannen durch die Rezeption der Evolutionstheorie Darwins biologistische, „eugenische“ und rassenantisemitische Doktrinen an Einfluss,34 die dem Ultramonarchismus im Allgemeinen fremd waren, weit eher einer auf der Linken verbreiteten positivistischen Wissenschaftsgläubigkeit entsprangen.35 Besonders in Frankreich und Italien nahm die autoritär-nationalistische Strömung Elemente des revolutionären Syndikalismus auf und schuf so eine wichtige Voraussetzung für die Herausbildung des Faschismus.36 Wer mithin das 20. Jahrhundert als „Zeitalter der Extreme“ beschreibt, darf die weit in die Ideen- und Realgeschichte zurückreichenden Wurzeln nicht übersehen. Ebenso unangemessen wäre es, verbände man das Ende der bipolaren Ost-West-Konfrontation und den Beginn des 21. Jahrhunderts mit allzu großen Hoffnungen auf ein Ende der Extreme. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben der Weltöffentlichkeit die Gefahr eines „dritten Totalitarismus“ vor Augen geführt, der sich von seinen beiden säkularen Vorgängern im 20. Jahrhundert nicht zuletzt durch seine – anachronistisch anmutende – religiös-fundamentalistische Orientierung unterscheidet.37 Der Islamismus hat im Iran, im Sudan und in Afghanistan (zeitweilig) regimebildende Kraft entfaltet, und es ist höchst ungewiss, ob sich Gilles Kepels Prophezeiung eines Niedergangs des politischen Islams bewahrheiten wird.38 Die Lebenskraft der Fundamentalismen dementiert Francis Fukuyama, der angesichts des epochalen Umbruchs von 1989/90 das „Ende der Geschichte“ im Sinne eines weltweiten, irreversiblen Siegeszugs von freiheitlicher Demokratie und Marktwirtschaft ausgerufen hatte.39 Zudem wäre es kaum angebracht, die beiden Großtotalitarismen des 20. Jahrhunderts ein 32 Vgl. Bluche, Le bonapartisme; Hammer/Hartmann (Hg.), Le bonapartisme; Rémond, Les droites en France, S. 99–121. 33 Vgl. Sternhell, Maurice Barrès. 34 Vgl. Puschner/Schmitz/Ulbricht (Hg.), Handbuch der „Völkischen Bewegung“. 35 Vgl. Gasman, The Scientific Origins of National Socialism, S. XIX; Schwartz, Sozialistische Eugenik; Weikart, Socialist Darwinism. 36 Vgl. Sternhell, La droite révolutionnaire. 37 Vgl. Bauer, Der dritte Totalitarismus; Tibi, Der neue Totalitarismus. 38 Vgl. Kepel, Schwarzbuch des Dschihad. Dazu kritisch: Tibi, Vom klassischen Djihad zum terroristischen Djihadismus. 39 Vgl. Fukuyama, Ende der Geschichte.
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Einführung
für allemal totzusagen. So feiern intellektuelle Bemühungen, die Ausbreitung liberaler Demokratie und Marktwirtschaft in Anlehnung an Marx und Lenin imperialismustheoretisch zu deuten, in radikal-globalisierungskritischen Milieus eine gewisse Renaissance.40 Da dort „undogmatisches“ Denken in Mode ist, gewinnt auch der Anarchismus neue Attraktivität.41 Vordenker einer sogenannten Neuen Rechten entlarven Faschismus, Kommunismus und Liberalismus als gleichermaßen totalitär.42 Währenddessen werden Autokraten und extremistische Intellektuelle nicht müde, neue – gefährliche – Wege aus einer unheilen Welt zu weisen. Ist es überhaupt realistisch, von einem möglichen Ende der politischen Extremphänomene auszugehen? Sind die damit verbundenen Denk- und Verhaltensweisen nicht tief in der menschlichen Psychostruktur verankert? Können die autokratischen Systeme nicht ältere „Rechte“ als die Verfassungsstaaten für sich beanspruchen? Und waren konstitutionelle Formen nicht über Jahrhunderte hinweg eher residuale Größen?43 Konnten sich die weithin dominierenden autokratischen Strukturen nicht auf Mentalitäten und Legitimierungsformen stützen, die schon für die Staaten der Frühzeit kennzeichnend waren? Zur Beantwortung solcher Fragen vermag eine Wort- und Begriffsgeschichte der politischen Extreme beizutragen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich mit dem sprachlichen Ausdruck eine Geschichte grundsätzlicher Reflexion mit existentiellen Erfahrungen der Inhumanität, Fremdbestimmung und Repression verbindet. Wenn dies zutrifft, dürfte es lohnend sein, Fragen wie den folgenden näher nachzugehen: Wann hat sich der Begriff des politisch Extremen herausgebildet? Erfasst er vornehmlich Bestrebungen des demokratischen Zeitalters? Oder lässt er sich historisch weiter zurückverfolgen? Gibt es – wie bei vielen Schlüsselbegriffen der neuzeitlichen Sprache – einen antiken Ursprung? Welche Vorstellungs- und Erfahrungswelt lag ihm zugrunde? Lassen sich Zusammenhänge mit der Tyrannislehre und der konstitutionellen Tradition feststellen? Wenn ja, auf welche Weise wirkten die entsprechenden Denk- und Deutungsmuster dann auf die Herausbildung des neuzeitlichen Verfassungsstaates ein? Überlebten sie die epochale Zäsur der demokratischen Revolutionen? In welchen Formen kristallisierten sie sich? Sind die heute gebräuchlichen Extrembegriffe die Erben einer weit älteren Terminologie?
40 Vgl. nur Hardt/Negri, Empire; Holloway, Die Welt verändern. Siehe dazu Moreau/ Steinborn, Bewegung der Altermondialisten. 41 Ein neuer Reader zur Rolle politischer Ideologien enthält mit gutem Grund ein Anarchismus-Kapitel mit einem Beitrag Noam Chomskys: ders., Powers and Prospects. Siehe auch: Ward, Anarchism. 42 Vgl. nur Benoist, Demokratie, S. 32; ders., Communisme et nazisme, S. 133–140. 43 Vgl. nur Rüstow, Ortsbestimmung der Gegenwart.
Forschungsstand
2.
15
Forschungsstand
Als ich mich als Doktorand vor mehr als zwanzig Jahren mit dem politischen Extremismus zu beschäftigen begann, war über die Wort- und Begriffsgeschichte der Extreme wenig bekannt. In der üppigen deutschsprachigen Literatur, die in den siebziger Jahren angesichts des Terrorismus der RAF und der regen Aktivitäten rechts- und linksextremer Organisationen die Bücherregale füllte, fanden sich dazu nur wenige Hinweise. Kein einziger Zeitschriftenaufsatz war zum Thema publiziert worden. Auch im angelsächsischen und frankophonen Raum fehlte es an entsprechenden Untersuchungen. Immerhin konnte man Einträgen in Handbüchern und Lexika wichtige Informationen entnehmen. Am ergiebigsten waren die großen etymologischen Wörterbücher der englischen und französischen Sprache, der Oxford English Dictionary und der Trésor de la Langue Française. Der Oxford English Dictionary wies das 19. Jahrhundert als den Zeitraum der Prägung des Extremismusbegriffs aus. Er finde sich zuerst in der englischen Tagespresse. Für den deutschen Sprachraum wurde vermutet, er gehe auf Friedrich Rohmers Parteienlehre aus dem Jahr 1844 zurück, wo zwar nicht vom Extremismus, aber von der Bedeutung der politischen Extreme des „Radikalismus“ und „Absolutismus“ die Rede sei.44 Der „Trésor“ datierte die früheste Verwendung des französischen Wortes „extrémiste“ auf das Jahr 1915, also die Anfangsphase des Ersten Weltkriegs. Allerdings war die französische Unterscheidung zwischen „extrême gauche“ und „extrême droite“ bekanntermaßen schon im 19. Jahrhundert gebräuchlich, ließ sich in ihren Anfängen auf die Neuordnung der politischen Geographie im Zuge der Französischen Revolution zurückführen. Auch für die anderen europäischen Staaten war anzunehmen, dass „Extremismus“ aus der älteren Vokabel „extrem“ hervorgegangen war. Manfred Funke fasste den Forschungsstand zu Beginn der achtziger Jahre in einem Eintrag für das von Wolfgang W. Mickel herausgegebene Handlexikon zur Politikwissenschaft zusammen und rekurrierte dort auf die lateinischen Vokabeln „extremus“ und „extremitas“, die „jener höchsten Marginalität“ Ausdruck verliehen, „die sich ergibt aus ihrem Verhältnis zum Mess- oder Bezugspunkt“.45 Er verwies auf Formulierungen wie „extremitas mundi“, das Ende der Welt, und entsprechende Wendungen in anderen Sprachen wie im Italienischen „estremo supplicio“ (Todesstrafe), im Englischen „extreme unction“ (letzte Ölung) oder im Französischen „Extrême-Orient“ (Ferner Osten) und vermutete, im lateinischen Adjektiv „extremus“ stecke die griechische Wurzel „trema“ (die Öffnung, Schneise), so dass ein Extremer derjenige sei, „welcher aus der Befestigung der Polis herausgeht, somit auch ihrer Binnenwerte nicht mehr teilhaftig ist.“46 In
44 Vgl. Nieke, Extremismus, S. 883. 45 Funke, Art. „Extremismus“, S. 133. 46 Ebd., S. 133 f.
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Einführung
Deutschland habe sich der Begriff „extrem“ allerdings erst im 18. Jahrhundert eingebürgert. Wer in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre daranging, die Geschichte der Begriffe weiter aufzuhellen, hatte es angesichts dieses eher rudimentären Wissensstandes nicht schwer, über den in den einschlägigen Wörterbüchern und Lexika ausgebreiteten Informationsstand hinauszugelangen. So zeigte eine Überprüfung der ersten Einträge des Oxford English Dictionary aus den Jahren 1846 und 1850, dass es sich hierbei keineswegs um Artikel der englischen Tagespresse handelte, sondern um US-amerikanische Quellen. Die Spur führte auf die Jahre vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges zurück, und es zeigte sich, dass damals die am weitesten voneinander entfernten Standpunkte in der Sklavereifrage als „extremist“ eingestuft worden waren. Ende der achtziger Jahre ging ich davon aus, die ersten Verwendungen von „Extremist“ und „Extremismus“ seien in den Vereinigten Staaten von Amerika zu suchen. Zehn Jahre später wurde ich eines Besseren belehrt, als ich während eines Gastsemesters an der Katholischen Universität Eichstätt in den Beständen der alten theologischen Bibliothek das Supplement eines im 19. Jahrhundert weit verbreiteten Handwörterbuchs der philosophischen Wissenschaften aus dem Jahr 1838 zur Hand nahm. Unter dem Stichwort „Extrem“ fand sich folgender Eintrag: „Extremisten heißen die, welche keine richtige Mitte anerkennen wollen, sondern sich nur im Extremen gefallen. Gewöhnlicher sagt man aber Ultraisten.“47 Wie der Fund bewies, waren die politischen Auseinandersetzungen des deutschen Vormärz begriffsgeschichtlich bedeutsam. Der Hinweis auf das Stichwort „Ultraismus“ machte es erforderlich, dessen Geschichte und Bedeutung näher auszuleuchten. Wie sich zeigen sollte, blieb es nicht lange die gebräuchlichere Wendung. Aber auch „Extremismus“ bürgerte sich in Deutschland nicht ein. Die Rede war eher von den „Extremen“, der „äußersten“ oder „extremen“ Rechten und Linken, mehr aber noch von den „Radikalen“ und vom „Radikalismus“. Man musste also prüfen, in welchem Verhältnis die Kategorien des „Extremen“ und „Radikalen“ zueinander standen. Der Ursprung von „Radikalismus“ als politischer Vokabel schien im England der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu liegen.48 Das Wort von der radical reform hatte spätestens mit der Wahl von John Wilkes, eines entschiedenen Verfechters einer „Ultra-Radical Reform“49 des Wahlrechts, die Runde gemacht und Eingang in die politische Sprache jenseits des Atlantiks gefunden.50 In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts galten insbesondere die Anhänger der demokratischen Philosophie Jeremy Benthams als „Radikale“. In romanischen Ländern wurde die Formel bald von links-liberal und republikanisch ausgerichteten Parteien über47 48 49 50
Krug, Allgemeines Handwörterbuch, Band 5 als Supplement. Erste Abtheilung, S. 394. Vgl. Wende, Art. „Radikalismus”, S. 113–133; Williams, Keywords, S. 209–211. Maccoby, English Radicalism, S. 15. Vgl. Young, Introduction, S. 9 f.
Forschungsstand
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nommen. Daran erinnern noch heute (links-)liberale Parteien, die das Attribut „radikal“ im Namen führen. In Frankreich verbindet sich das Wort „radikal“ bis in die Gegenwart so sehr mit einer aufklärerisch-republikanischen Programmatik, dass andere Bedeutungen keine Rolle spielen. So schrieb ein Historiker des französischen Radikalismus, Gérard Baal, lapidar: „Im Englischen wie im Deutschen hat das Wort ‚radikal‘ eine extremistische Konnotation behalten, die in Frankreich verloren gegangen ist.“51 Diese Tradition, aber auch der lateinische Wortstamm erklären, warum sich antidemokratische und/oder antikonstitutionelle Bewegungen mit der Selbstbezeichnung „radikal“ leichter taten als mit dem pejorativ besetzten Etikett „extrem“ – oder gar „extremistisch“. In der englischsprachigen Welt dient das Attribut „radikal“ nicht selten als Selbstbezeichnung von Bewegungen, die entschieden emanzipatorische Ziele verfolgen, den Menschen aus allen überkommenen Zwängen befreien wollen und eine historisch präzedenzlose, alle bisherige Geschichte „überwindende“ politisch-soziale Zukunft herbeisehnen.52 Gerne wird darauf verwiesen, ein an den Wurzeln der Dinge ansetzendes politisches Konzept könne nicht generell von Übel sein. Insofern führte die Begriffsgeschichte von „Radikalismus“ auf ein Nebengleis, trug nichts Wesentliches zur Aufhellung der Wort- und Begriffsgeschichte der politischen Extreme bei. Ein anderer bedeutungsverwandter Begriff erwies sich als älter und traditionsreicher: „Fanatismus“. Über seine Geschichte fehlt es nicht an gründlichen Untersuchungen.53 Erhellend ist ein Eintrag im Zedlerschen Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste aus dem Jahr 1735. Dort heißt es: „Fanatici, von dem Lateinischen Wort fanum, ein heydnischer Tempel. Mit diesem Namen sind erstlich von denen Heyden selbst die Priester der Cybele und Bellona benennet worden, als welche beyde Namen bey denen meisten heyden eine Gottheit bedeuten. Jene stelleten sich, als wären sie ganz ausser sich selbsten, und voll des Geistes der Göttin, deswegen sie den Kopf sehr schüttelten, dass ihnen die Haare zerstreuet herumgeflogen, und dann schwatzten sie verschiedenes, so sie vor göttliche Offenbarungen wollten gehalten wissen.“54 Das hier gezeichnete Bild ist historisch verbürgt. Der aus Lydien stammende Kult um die Göttin Kybele war mit orgiastischen Riten und Feiern verbunden. Die Göttin mit dem Löwengespann schenkte nicht nur Fruchtbarkeit, sondern trat zugleich als Dämon in Erscheinung, „der in den Menschen eingehen und ihn mit wildem Wahn erfüllen konnte.“ In Pessinus, der kleinasiatischen Hauptkultstätte, wurde „die heilige Raserei durch die insana aqua des Gallosflusses hervorgerufen [...] mit Tympana, Kymbala (Handpauken und Tamburins [...]), Krotala (Klappern), Hörnern und Flöten stachelte man die Erregung an [...], 51 Baal, Histoire du radicalisme, S. 3. Siehe auch Avril, Radicalisme. 52 Zahlreiche Beispiele bietet folgender Band: Button, The Radicalism Handbook. 53 Vgl. vor allem die ausgezeichnete Begriffs- und Ideengeschichte von Colas, Civil Society and Fanaticism. 54 Zedler, Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Band 9, S. 212.
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dann schwang man sich unter wildem Geheul, das Haupt und die langen, aufgelösten Haare schüttelnd [...], den Leib mit Geißeln [...] schlagend, die Arme mit scharfen Messern verwundend, in wildem Wirbeltanz bis zur Ermattung [...] herum, oft ging es dabei weithin über Berge und Täler [...]; einmal hören wir auch von einem Priester, der in heiliger man…a von Pessinus nach Sardeis zieht [...]. Männer und Frauen [...] gaben sich in gleicher Weise dieser Ekstase hin, oft sprechen die Quellen ausdrücklich von entmannten Priestern.“55 Nach der Zedlerschen Enzyklopädie wurden die „Fanatiker“ bei den Griechen oft „Eutheos“ genannt, „nachdem aber, weil auch die Heyden selbst den hierzu gebrauchten Betrug leicht gemercket, und deswegen die Fanatici und Bellonarii jedermann zum Gespött worden, so sind von denen alten Christen alle diejenigen genennet worden, welche denen Götzen gedienet, und mithin selbigen eine Gottheit zugeschrieben; um welcher Ursache willen in denen alten Frantzösischen Chroniken dem Könige Clodonaeo, vor seiner Bekehrung der Name eines Fanatici beigelegt wird. Nachmahls hat man unter denen Christen solche Personen mit diesem Wort angedeutet, welche sich unmittelbarer göttlicher Offenbarungen und daher rührender sonderbarer Wissenschafften gerühmt, um des willen solcher Name Ventino Weigelo, dem Urheber derer Rosenkreutzer und Jacob Böhmen nebst deren Anhange beygelegt worden. In Frankreich hat man das Wort von denjenigen gebraucht, welche daselbst nach der Wiederruffung des Edikts von Nantes der Reformirten Lehre beigepflichtet, und sonderlich von denen, welche in denen Sevenischen Gebürgen, oder in anderen Gegenden, die Waffen zu Vertheidigung ihres Glaubens ergriffen, weil sich würcklich einige unter ihnen befunden, welche sich dergleichen Offenbarungen rühmten.“56
Die Wort- und Begriffsgeschichte von „Fanatismus“ ließ es nahe liegend erscheinen, auch bei den politischen Extremen besondere Aufmerksamkeit auf die religiösen Auseinandersetzungen in Europa zu richten, die ja in vielerlei Hinsicht die politisch-parteilichen Konflikte des 19. und 20. Jahrhunderts vorwegnahmen. Und in der Tat war, wie sich zeigen sollte, selbst die Extremismusformel nicht erst im 19. Jahrhundert aufgekommen, sondern in Deutschland bereits im frühen 17. Jahrhundert verwendet worden. Lagen also die Ursprünge des Konzepts in der Zeit der religiösen Bürgerkriege? Oder musste man historisch noch weiter zurückgehen? In meiner Dissertation von 1987 hatte ich noch die Auffassung vertreten, die „Extremismusvokabel“ gehöre „im Gegensatz etwa zu ‚Demokratie‘ oder ‚Tyrannis‘ – nicht zu den Begriffen mit langer, bedeutungsschwerer Tradition.“57 Diese Feststellung stand allerdings in einem Spannungsverhältnis zu folgender Bemerkung: „Der im abendländischen politischen Denken wurzelnde Topos der ‚Mitte‘ zwischen den Extremen, verbunden mit der Vorstellung der ‚Mäßigung‘ im Gegensatz zur Verabsolutierung bestimmter Ideen, ist in die antike Lehre von der ‚gemischten Verfassung‘ eingegangen, hat im neuzeitlichen Konstitutionalismus weitergewirkt 55 Vgl. Schwenn, Art. „Kybele“. 56 Zedler, Universal-Lexicon, S. 212. 57 Backes, Politischer Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten, S. 55.
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und sich schließlich in derjenigen Staatsform niedergeschlagen, die wir heute unter dem Typusbegriff des ‚demokratischen Verfassungsstaates‘ zusammenfassen.“58 Diese Aussage erscheint zutreffend und hat sich im Laufe der späteren Recherchen erhärten lassen. Auf diese Spur gestoßen war ich in den achtziger Jahren durch einen Hinweis meines Doktorvaters Erwin Faul und den Essay des Heidelberger Politikwissenschaftlers Martin Gralher, in dem vor allem die Kategorien der „Mitte“, „Mischung“ und „Mäßigung“ im abendländischen Denken beleuchtet wurden.59 Die „Extreme“ spielten darin ebenfalls eine, wiewohl marginale, Rolle. Eine Fährte führte zur Ethik und Politik des Aristoteles, in denen die Kategorie des „Extremen“ höchst bedeutsam ist. Diese Zusammenhänge waren von Gralher skizzenhaft aufgezeigt, nicht aber systematisch untersucht worden. Der Begriffshistoriker musste das historische Terrain in vielen Bereichen neu erkunden. Wesentliche Einsichten verdanke ich einer Anzahl von Untersuchungen zur Geschichte der Mischverfassung, insbesondere den Arbeiten von G. J. D. Aalders, James M. Blythe, Daniel Höchli, Hans Joachim Krämer, Wilfried Nippel und Alois Riklin.60
3.
Vorgehensweise
Wo der Begriffshistoriker nicht auf einen Schatz lexikalischer Funde zurückzugreifen vermag, bleibt ihm geradezu detektivische Kleinarbeit nicht erspart. Wäre die gesamte relevante Literatur in digitalisierter Form verfügbar, fiele es leichter, die Entwicklung der politischen Sprache nachzuzeichnen. Hier stehen wir inmitten einer kommunikativen Revolution, die gewiss in wenigen Jahrzehnten begriffsgeschichtliche Recherchen wesentlich erleichtern dürfte. Mit der Digitalisierung klassischer Werke der Literatur ist bereits ein Anfang gemacht. Doch sind weite Teile der seit der Erfindung des Buchdrucks erschienenen Bücher und Zeitschriften nicht einmal nach Titeln bibliographisch erfasst. Dies gilt für die deutsche, französische, italienische, spanische oder russische Literatur indes in weit höherem Maße als für die englische. Wo der Begriffshistoriker nicht auf umfangreichen Vorarbeiten aufzubauen vermag, ist er gezwungen, das politische Schrifttum systematisch zu durchkämmen. So sind Mengen an Buch- und Zeitschriften-Literatur in diesem Band nicht aufgeführt, in denen der erhoffte Fund wider Erwarten ausblieb. Das Untersuchungsfeld erfuhr im Laufe der Recherchen insofern eine Einengung, als sie sich auf die Verwendung der Worte „extrem“ und „Extremismus“ konzentrierten, während eine Reihe bedeutungsverwandter Wendungen vernachlässigt wurde. Dies ist auch insofern zu rechtfertigen, als die Wort- und Begriffsgeschichte von 58 Ebd. 59 Vgl. Gralher, Mitte – Mischung – Mäßigung. 60 Aalders, Die Theorie der gemischten Verfassung im Altertum; Blythe, Ideal Government and the Mixed Constitution; Höchli, Der Florentiner Republikanismus; Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles; Nippel, Mischverfassungstheorie; Riklin, Machtteilung.
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„Radikalismus“ und „Fanatismus“ besser erforscht ist. Aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte aus arbeitsökonomischen Gründen eine Grenze gezogen werden müssen. Zudem geht es im Folgenden um die politischen Extreme. Zwar wird deren Verflochtenheit mit gedanklichen Figuren in anderen Themenbereichen deutlich; die damit verbundene begriffshistorische Entwicklung (etwa im Bereich der Logik, Mathematik und Physik) ist jedoch weitgehend ausgeblendet. Ließ sich das Untersuchungsfeld auf diese Weise eingrenzen, blieb es in anderer Hinsicht weit: Da die Begriffsgeschichte der politischen Extreme, wie sich zeigen sollte, mit der Ideengeschichte Alteuropas untrennbar verbunden ist, kam eine Einengung auf die deutsche politische Sprache nicht in Frage. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu dem monumentalen, in vielerlei Hinsicht vorbildhaften Unternehmen der von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck inaugurierten „Geschichtlichen Grundbegriffe“, das gegen Ende der sechziger Jahre in Angriff genommen wurde und mit dem Erscheinen des letzten Bandes in den neunziger Jahren einen Abschluss gefunden hat. Die Bände der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ begreifen die Geschichte politischer Begriffe oder Konzepte nicht als ein der Realgeschichte übergestülptes, blutleeres sprachliches Raster, sondern als Produkt menschlichen Geistes in der permanenten Verarbeitung der Veränderungen der sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Welt. Die Analyse des politischen Sprachgebrauchs und der damit in verschiedenen historischen Epochen verknüpften Inhalte soll Aufschluss über die tieferen strukturellen Veränderungen bieten, denen die deutsche Gesellschaft im Laufe der Jahrhunderte unterworfen war. Dabei wird dem Verhältnis von Begriffs- und Gesellschaftsgeschichte besondere Bedeutung beigemessen. Insbesondere geht es um die Frage, in welcher spezifischen Weise verschiedene soziale Gruppen und Schichten ihre politische Umwelt wahrnehmen und reflektieren, welcher deskriptiver und analytischer Kategorien sie sich dabei bedienen und wie sie diese inhaltlich füllen. Insbesondere vier Prozessen begriffsgeschichtlicher Veränderung gilt dabei besondere Aufmerksamkeit: erstens der Verzeitlichung, das heißt der Frage, in welcher Weise die Zeitgenossen Ereignisse in einen größeren historischen Kontext einordnen, in welchen Zeithorizonten sie denken, welche Periodisierung sie vornehmen, welche Ereignisse sie als einschneidend wahrnehmen, ob sie ein teleologisches Geschichtsbild entwerfen, sich Geschichte als zielgerichtet vorstellen oder eher in Kreisläufen denken. Den zweiten Prozess stellt die Demokratisierung dar. Gemeint ist die Öffnung politischer Diskussionen für Gruppen und Schichten der Bevölkerung, die von ihnen bis dahin ausgeschlossen worden waren. Von besonderem Interesse ist die Frage, in welcher Weise sich die neuen Kommunikationsteilnehmer der sprachlichen Kategorien bis dahin elitär abgeschlossener Zirkel bedienen. Der dritte Prozess betrifft die Ideologisierbarkeit, d. h. die Anreicherung traditionaler begrifflicher Kategorien mit umfassenden Deutungen von Geschichte, Gegenwart und Zukunft, die dem Bedürfnis nach
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Orientierung in einer Welt dienen, die aus überkommenen Sinnhorizonten heraustritt, sich pluralisiert, sozial und geistig schwerer überschaubar wird und in zunehmendem Maße Ambiguitätstoleranz erfordert. Der vierte Prozess schließlich ist die Politisierung, d. h. der Einsatz von Fakten, Argumenten und Sinngehalten in der politischen Auseinandersetzung mit Kontrahenten. Sprachliche und analytische Kategorien der akademischen Sprache verwandeln sich in Kampfbegriffe, werden mit pejorativen oder positiven Konnationen versehen, nehmen eine euphemistische oder dysphemistische Färbung an. Alle vier Prozesse: Verzeitlichung, Demokratisierung, Ideologisierbarkeit und Politisierung, sind oft eng miteinander verbunden, beeinflussen und durchdringen einander wechselseitig.61 Dieser vor allem von Reinhart Koselleck entwickelte Ansatz war für die Arbeit in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung. So geht es nicht allein um eine ideengeschichtliche „Höhenwanderung“. Vor allem in jenen Teilen, die sich mit der Zeit nach der Französischen Revolution auseinandersetzen, ist versucht worden, die politische Publizistik in ihrer Breite zu erfassen und die verschiedenen ideologischen Strömungen einschließlich der eher randständigen zu berücksichtigen. Die Intensität der Rezeption ist dabei wichtiger als der wissenschaftliche oder literarische Wert einer Publikation. Auf diese Weise wird versucht, unterschiedliche Perzeptionen historisch-politischer Ereignisse angemessen zu erfassen. Besonderes Augenmerk gilt der spezifischen Form der Aneignung des politischen Begriffs durch verschiedene politische und soziale Kräfte, sei es als (pejorative) Fremdbezeichnung, sei es als (ins Positive gewendete) Selbstbezeichnung. Wo die Dichte begriffsgeschichtlicher Diskurse zunahm, insbesondere in den Wendezeiten, in denen sich der Fluss der Geschichte beschleunigt, sich Traditionsbrüche ereignen und Neuartiges zur Entfaltung gelangt, bedurfte es einer minuziösen Rekonstruktion der Kommunikationsprozesse. Für solche Perioden wurde daher die Presse intensiv ausgewertet. Dies betrifft vor allem den amerikanischen Bürgerkrieg, die Russische Revolution und die Jahre des Aufstiegs der faschistischen Bewegung. In der vielsprachigen Anlage, dem Interesse für Konzeptualisierungsformen und reziproke Perzeptionen nimmt die Untersuchung methodologische Anregungen der englischen Ideenhistoriker John Pocock und Quentin Skinner auf. Beide Autoren haben kein ähnlich monumentales Werk wie die „Geschichtlichen Grundbegriffe“ hervorgebracht, ihre Form der Begriffs- und Ideengeschichte jedoch in einer Vielzahl einsichtsvoller Studien demonstriert, die von ihnen und ihren Schülern verfasst worden sind. Die englischen Begriffshistoriker teilen eine Reihe von Merkmalen mit der Göttinger Schule, unterscheiden sich von dieser jedoch durch die Betonung der Relevanz unterschiedlicher Diskurse, d. h. von Denk-, Rede- und Deutungsweisen, die nicht allein soziologisch determiniert sind, sondern unterschiedliche politische Sichtweisen, Interessen61
Vgl. Koselleck, Einleitung. Siehe dazu Richter, Appreciating a Contemporary Classic.
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lagen und Instrumentalisierungsbedürfnisse zum Ausdruck bringen. Ein wichtiges Beispiel ist die Unterscheidung einer Whig- und einer Tory-Lesart der britischen Geschichte. Diese ist nicht so sehr schichtenspezifisch bestimmt, sondern in erster Linie durch den Gegensatz von Hof- und Country-Partei entstanden. So lässt sich anhand der Geschichte des Mischverfassungsdiskurses zeigen, wie sich das ursprüngliche „Whig-Konzept“ zur offiziellen Lesart der britischen Monarchie entwickelte.62 Auch wenn dieser Ansatz seine Spuren hinterlassen hat, handelt es sich doch auf weiten Strecken um ein in detektivischer Kleinarbeit zusammengetragenes wort- und begriffsgeschichtliches Puzzle. Nicht jeder Fund ließ sich ideengeschichtlich angemessen verorten. Der begriffshistorische „Kriminalist“ hat nicht immer das Glück, auf eine wichtige Spur zu treffen, die zu weiteren Funden führt. Oft entdeckt er Belegstücke, die sich nicht in einen größeren Überlieferungszusammenhang fügen. Manche Fährte endet im Niemandsland. Nur langsam entsteht aus Einzelfunden ein Mosaik. Dabei war stets der Versuchung zu widerstehen, „sperrige“ Bausteine zusammenzuzwängen, Zusammenhänge zu konstruieren, wo sie in Wirklichkeit kaum bestanden. Ob dies gelungen ist, mag der Leser entscheiden.
4.
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Die Untersuchung setzt in der Antike ein (Kapitel II). Die Kategorie des Extremen wird schon in der voraristotelischen Philosophie in politische Zusammenhänge gestellt. Maßethik und Messkunst gewinnen im Spätwerk Platons eine eminent politische Bedeutung. Die Kategorien der Mesoteslehre und Mischverfassung entfaltet die Politologik des Aristoteles systematisch. Dies wird ausführlich dargestellt. Kapitel III behandelt die antike und mittelalterliche Rezeptionsgeschichte, arbeitet vor allem die Bedeutung der Extreme im Rahmen der Mischverfassungslehre heraus, die eng mit dem Aristotelismus verknüpft war. Die in der Scholastik begründete aristotelische Lehrtradition transportierte die begrifflichen Kategorien und Konzepte weiter. Kapitel IV verfolgt diesen Überlieferungsweg vom Frühhumanismus der oberitalienischen Stadtstaaten bis zur Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika, wo vor allem John Adams die Mischverfassungslehre lebendig hielt. Wie sich zeigen lässt, bot die Mischverfassungslehre mit der ihr zugrunde liegenden Annahme einer natürlichen sozialen Interessendivergenz günstige Voraussetzungen für die Anerkennung des über Jahrhunderte hinweg verfemten Parteiwesens. War der Aristotelismus in Europa bis ins 18. Jahrhundert eine dominante Strömung der politischen Ideengeschichte, lässt sich anhand des deutschen Vormärzliberalismus zeigen (Kapitel V), dass von einem Traditionsbruch keine 62 Vgl. Pocock, Machiavellian Moment, S. 361 ff. Siehe dazu Richter, The History of Political and Social Concepts, S. 124–142.
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Rede sein konnte. Die Kategorie einer „rechten Mitte“ zwischen den Extremen war nach der 1830er Revolution in Frankreich zur Devise des Bürgerkönigtums geworden und hatte auch in England (unter anderen politischen Rahmenbedingungen) Anklang gefunden. Die Juste Milieu-Theorie baute auf der neuen Rechts-Links-Topographie auf, wie sie sich seit der Französischen Revolution auf dem europäischen Kontinent ausgebreitet hatte. Die aristotelische Unterscheidung „gemäßigter“ und „extremer“ Positionen verband sich mit der RechtsLinks-Unterscheidung zu einem zweidimensionalen politischen Koordinatensystem. Einen Schwerpunkt der Darstellung bildet das „Zeitalter der Extreme“. Wie sich zeigen wird, fand der Extremismusbegriff, der in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits in den Jahren des Bürgerkriegs gebräuchlich war, erst im Weltkrieg weite Verbreitung, und zwar als abwertende Bezeichnung für das politische Projekt der Bolschewiki in Russland, das man als Bedrohung für die ganze abendländisch-verfassungsstaatliche Tradition wahrnahm. Die Ausbreitung der Extremismusvokabel von 1917 an wird in einer umfangreichen Auswertung der englischen, französischen, italienischen und deutschen Presse rekonstruiert (Kapitel VI). Fand sie anfänglich fast ausschließlich für die extreme Linke Verwendung, schloss sie nach dem „Marsch auf Rom“ bald die neue extreme Rechte ein, die sich in Italien herausgebildet hatte und in vielen anderen europäischen Ländern Ableger und Nachahmer fand. „Extremismus“ etablierte sich als – im weitesten Sinne – liberales Stigmawort für jene Strömungen, die den im Laufe des 19. Jahrhunderts gewachsenen „konstitutionellen“ Konsens in Frage stellten. Doch in welcher Weise bediente sich die extreme Rechte und Linke selbst des auf sie gemünzten Vokabulars? Wie man vom Begriff des „Fanatismus“ weiß, wendeten ihn die Nationalsozialisten ins Positive. „Fanatischer Eifer“ wurde zum Qualitätsmerkmal des überzeugten politischen Kämpfers. Lässt sich dieser terminologische Bruch mit dem Vokabular der verfassungsstaatlichen Tradition auch für die Kategorie des „Extremen“ nachweisen? Dieser Frage wird in den Kapiteln VI und VII nachgegangen. Auch ist zu prüfen, ob die extreme Linke in ähnlicher Weise verfuhr. Hat dies Spuren in der Propaganda der beiden Diktaturen in Deutschland hinterlassen? Welche Termini gebrauchten die ideokratischen Regime für die Bezeichnung politischer Antagonisten? Wies die Sprache des SED-Regimes in dieser Hinsicht Ähnlichkeiten mit der des Nationalsozialismus auf? Oder wurden die Begriffe der Tradition lediglich mit anderen Inhalten gefüllt – wie dies auch für die pleonastischen Wendungen „Volksdemokratie“ und „Volksrepublik“ galt? Was die Zeit nach 1945 angeht, steht die Entfaltung des Extremismuskonzepts in der wissenschaftlichen Diskussion im Mittelpunkt. Von Amerika ausgehend, breitete es sich in den westeuropäischen Staaten aus. Im westlichen Deutschland fand es Eingang in die Terminologie der „streitbaren Demokratie“ und nahm insofern einen offiziellen /offiziösen Charakter an (Kapitel VIII). Allerdings dauerte es einige Zeit, bis sich eine einheitliche Begrifflichkeit heraus-
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bildete. Die wissenschaftliche Diskussion, die in Kapitel IX nachgezeichnet wird, blieb dagegen naturgemäß durch konkurrierende Konzepte und Terminologien gekennzeichnet. Dazu trug auch der teilweise kryptopolitische Charakter der – oft hochgradig emotionalisierten – Auseinandersetzungen mit den als extremistisch geltenden Kräften bei. Das X. Kapitel fasst die Ergebnisse der Begriffsgeschichte zusammen und mündet in systematische Betrachtungen zur Konzeptualisierung des Extremismusbegriffs. Es vermisst den so umzirkelten Definitionsbereich, entwickelt eine Typologie und schließt mit einem Ausblick zur Bedeutung der politischen Extreme in absehbarer Zukunft. Die in diesem Band ausgebreiteten Funde sind das Ergebnis jahrelanger Recherchen. Für wertvolle Unterstützung schulde ich daher vielen Dank. Die Anfänge liegen in den Trierer Jahren, und wie kein anderer hat seither Eckhard Jesse den Entstehungsprozess mit kritischem Rat und freundschaftlicher Hilfe begleitet, sich noch dazu der Mühe unterzogen, die nach und nach entstandenen Teile minuziös zu redigieren. Eine erste Phase intensiver Arbeit wurde durch ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von HumboldtStiftung ermöglicht. So konnten in den Jahren 1997/98 intensive Recherchen in den Pariser Bibliotheken, vor allem in der damals noch in der rue Richelieu befindlichen Bibliothèque Nationale und im Musée Social betrieben werden. Ohne die Unterstützung von Stéphane Courtois, Marc Lazar, Patrick Moreau und Pascal Perrineau, des Direktors des Centre d’étude de la vie politique française, wäre dieser Aufenthalt nicht so produktiv verlaufen. Marc Tournier bot mir an, die Frankreich betreffenden Ergebnisse in der Zeitschrift „Mots“ des Laboratoire de lexicométrie politique an der Ecole normale supérieure de Fontenay/Saint-Cloud zu veröffentlichen, was mich zu weiteren Nachforschungen anspornte.63 Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglichte mit einem Heisenberg-Stipendium zwei Aufenthalte in Washington D. C. und London, wo die begriffsgeschichtlichen Recherchen für den angelsächsischen Sprachraum in der Library of Congress und der British Library fortgetrieben werden konnten. Darüber hinaus danke ich all jenen Kollegen und Freunden wie Bernard Bruneteau, Dominique Colas, Stefan Donth, Lothar Fritze, Florian Hartleb, Hans-Christof Kraus, Gerhard Lindemann, Elizaveta Liphardt, Konrad Löw und Paul Lucardie, die von der „Manie“ des Verfassers wussten und eigene Funde zur Sammlung beisteuerten. Maria H. Dettenhofer war so freundlich, die Antike betreffende Kapitel kritisch unter die Lupe zu nehmen. Nach dem Wechsel an das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung endete die produktive Phase nach kurzer Zeit in einem Strudel mutwilliger, rufschädigender Querelen. Der Ärger zweier überwiegend verpfuschter Jahre wurde jedoch mit einem neuen Pariser Forschungsaufenthalt vergolten, den ich diesmal vor allem für Recherchen in der fabelhaften Bibliothèque de Documentation Contemporaine in Paris-Nanterre nutzte, auf deren 63 Vgl. Backes, Extrême, Extrémité, Extrémisme.
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Schätze mich Stéphane Courtois aufmerksam gemacht hatte. Er lud mich ein, meine Funde in seinem Seminar auszubreiten. Nach der Rückkehr aus Paris hat sich das Hannah-Arendt-Institut allmählich wieder zu einer produktiven Forschungsstätte entwickelt. Dies ist nicht zuletzt Gerhard Besier zu danken, der mich zur Fortführung und zum Abschluss meiner Recherchen ermutigte. Am Hannah-Arendt-Institut haben mich viele unterstützt. Henrik Steglich und Andreas Geißler besorgten als studentische Hilfskräfte zum Teil entlegene Literatur und redigierten Texte. Hannelore Georgi war bei der Übersetzung russischer Texte, Francesca Piombo bei italienischen Schriften behilflich. Andreas Geißler und Eik Welker haben Literaturverzeichnis und Register erstellt, Walter Heidenreich und Christine Lehmann die Datenträger in gewohnt professioneller Manier und mit kritischem Blick in Form gebracht. Markus Edlinger, Kerstin Eiselt, Katja Friedrich, Julia Gerlach, André Gottschling, Hanka Kliese, Christian Körber, Katharina Reimann, Hannes Schramm, Martin Schramm, Thomas Schubert und Michael Werner trugen während mehrwöchiger Praktikumsaufenthalte vor allem mit der Sichtung politischer Zeitschriften zum Gelingen der Studie bei. Die Mitglieder der Redaktion, u. a. Gerhard Besier, Lothar Fritze und Mike Schmeitzner, haben sich den Mühen der Lektüre unterzogen und mich mit kritischem Blick vor manchem Fehler bewahrt. Für alle unentdeckt gebliebenen Irrtümer trägt allein der Verfasser die Verantwortung.
II.
Extreme, Mitte, Mischverfassung im griechischen Altertum
1.
Voraristotelisches Denken
Die Extreme haben die Menschen stets angezogen und abgestoßen, fasziniert und entsetzt. Die Grenzen des Alltäglichen, Durchschnittlichen, Althergebrachten zu überwinden und die Dinge bis zum Äußersten, bis zur letzten Konsequenz zu treiben konnte als Stachel der Erneuerung und des Fortschritts, ebenso aber als Gefahr für das Bestehende, Erreichte und Bewährte, gesehen werden. Für die politische Tradition und Sprache des okzidentalen Konstitutionalismus bestimmend wurde die aristotelische Mesoteslehre. Eine als Inbegriff der Tugend geltende Mitte bildete das Zentrum eines Kontinuums, dessen Extrempunkte mit Maßlosigkeit und Entartung gleichgesetzt wurden. Die Mesoteslehre ging auf vielfältige geistige Traditionen bereits der vorsokratischen Zeit zurück. Im vierten Buch der Politik, wo von den Vorzügen einer aus demokratischen und oligarchischen Elementen gemischten „Politie“ die Rede ist, zitiert Aristoteles Phokylides von Milet (um 550 v. Chr.): „Das Mittlere ist bei weitem das Beste, ein Mittlerer möchte ich im Staate sein.“1 Wer die Vielzahl der literarischen Zeugnisse ab dem 6. vorchristlichen Jahrhundert Revue passieren lässt, in denen die Einhaltung des rechten Maßes und einer Mitte zwischen extremen Denk- und Verhaltensweisen als „Norm für das Wollen und Handeln, für die Beherrschung der Triebe und Affekte, kurz für alle Seiten des vielgestaltigen menschlichen Lebens“2 empfohlen wird, gelangt zu dem Schluss, dass Aristoteles mit seiner Lehre von der Mitte und den Extremen einer Grunderfahrung von Generationen griechischer Dichter und Denker Ausdruck verlieh. Das Einhalten einer richtigen Mitte in allen Lebensdingen galt als Kennzeichen des Hellenentums, Maßlosigkeit, etwa in Gestalt grausamer Rache, prunkender Prachtentfaltung oder hemmungsloser Trinkgelage, als Charakteristikum der Barbarei. Die Empfehlung des Maßhaltens und der rechten Mitte zwischen den Extremen „ist seit Hesiod ein Grundbestandteil der griechischen Lebensweisheit. Sie wird mehreren der sieben Weisen in den Mund gelegt und in Delphi in Stein gehauen; der Dichter der böotischen Bauernmoral predigt sie ebenso oft und so eindringlich wie der adelsstolze Gnomiker Theognis und wie Pindar, der Dichter des aristokratischen Sportes. Dann wieder ertönt sie in mannigfachen Variationen von der tragischen Bühne.“3 1 2 3
Pol. IV 1295b 34. So in Zusammenfassung eines umfangreichen dichterischen und philosophischen Quellenfundus: Kalchreuter, Mesotes, S. 44. Ebd.
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Extreme, Mitte, Mischverfassung im griechischen Altertum
Der Maßgedanke durchzieht die von dem athenischen Gesetzgeber Solon (ca. 640–561 v. Chr.) erhaltenen literarischen Fragmente. Dike ( D…kh), die Göttin der Wahrheit und des Rechts, verkörpert das Prinzip der guten Ordnung, der Eunomie ( eÙnom…a), gegen die Hybris im Sinne von Herrsch-, Hab- und Geltungssucht. Angemessenes Handeln bewahrt demgegenüber eine Mitte, ein meson ( mšson) zwischen Zuviel und Zuwenig.4 Eine charakteristische Stelle findet sich in der großen Staatselegie: „Aber sie selbst, die Bürger, verlockt von der Gier nach dem Golde, wollen der glänzenden Stadt Macht vernichten im Wahn; ruchlos ist die Gesinnung der Führer des Volkes, doch denen hat schon das Schicksal bestimmt wegen solch frevelnden Muts endlose Leiden zu dulden; sie wissen ja niemals die Lüste maßvoll zu zügeln und nie sich zu bescheiden beim Mahl.“5 Das Nachdenken über das rechte Maß und dessen Überschreitung kennzeichnet die Problematik, die „für Solon und seine Zeit bewusst im Mittelpunkt steht: die Gewinnung einer neuen Lebensnorm durch die Kraft der inneren Erkenntnis“.6 Der Maßgedanke bestimmt auch die von Herodot überlieferte Begegnung Solons mit Krösos, der sich nicht nur für den reichsten und mächtigsten, sondern zugleich für den glücklichsten Menschen hält. Der lydische Potentat wird von Solon nach dem gemeinsamen Rundgang durch die prachtvollen Schatzkammern in folgender Weise belehrt: „viele Menschen, die gewaltig reich sind, sind unglücklich, vielen aber, die nur mäßig zu leben haben, geht es wohl.“7 Die politisch-ethische Idee einer Mitte zwischen den Extremen, wie sie sich in der frühen Dichtung und Geschichtsschreibung niedergeschlagen hat, dürfte in einer unentwirrbaren Wechselbeziehung mit Denkformen entstanden sein, die in die exakten, sich seit dem vierten Jahrhundert ausdifferenzierenden Wissenschaften mündeten. Die noch heute gebräuchlichen Begriffe „Hyperbel“ und „Ellipse“ für bestimmte Kegelschnitte, die auf einen Mittelpunkt ausgerichtet sind, entstammen der pythagoräischen Geometrie und Musiktheorie. Die geometrische Proportion ist aus dem Werk des Mathematikers Archytas von Tarent (420–350 v. Chr.) bekannt. Er spricht davon, wenn geometrische Flächen folgendem Verhältnis entsprechen: 2 : 4 = 4 : 8.8 Diese Relation bringt indes noch ein viel älterer, von den Pythagoräern stammender Begriff zum Ausdruck: Harmonie (¡rmon…a ). Die Pythagoräer hatten erkannt, dass sich die Saitenlängen der Musikinstrumente für die Oktaven wie 1 : 2 : 4 verhielten. Die Entdeckung 4 5 6 7 8
Vgl. Wolf, Griechisches Rechtsdenken, Band I, S. 207–210. Solon, Staatselegie, S. 17. Vgl. Jaeger, Paideia, S. 204. Herodot, Historien, I 32. Vgl. Laue, Maß und Mitte, S. 45. Die Druckschrift gleichen Titels (Münster/Osnabrück 1960) bietet lediglich eine Inhaltsangabe. Im Folgenden wird nur auf die maschinenschriftliche Langfassung Bezug genommen.
Voraristotelisches Denken
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des Verhältnisses zwischen Tonhöhe und Saitenlänge führte zur Entwicklung einer mathematischen Proportionslehre, die mithin ihren Ursprung in der musikalischen Harmonielehre hat.9 Ähnliche Überlegungen gewannen begreiflicherweise für die Kunst hohe Bedeutung. Die Methode, die Polyklet (zweite Hälfte des 5. Jh. v. Chr.) in seinem Kanon zur Bestimmung des Schönen empfiehlt, besteht darin, eine „mittlere Linie“ („mšson“)10 zu finden und die Teile des Kunstwerks harmonisch aufeinander abzustimmen. Solche Forderungen übten Einfluss auf die Rhetorik aus. Isokrates (436–338 v. Chr.), der seine Athener Rednerschule wenige Jahre vor Platons Akademiegründung ins Leben gerufen hatte, empfahl dem Herrscher, seine Worte und Handlungen stets genau zu bedenken, niemals „über das Ziel hinauszuschießen“ und „die goldene Mitte [...] eher in einem Zuwenig als in einem Zuviel zu finden“.11 Der Gedanke der richtigen Mitte und der Vermeidung der Extreme war bereits im 5. vorchristlichen Jahrhundert aus der Naturphilosophie in die Medizin eingeflossen.12 So plädierte etwa Hippokrates (geb. um 460 v. Chr. auf der Insel Kos, gest. um 377 v. Chr. in Larissa, Thessalien) für die Einhaltung des rechten Maßes bei der Nahrungsaufnahme, erörterte die Probleme zu großer Feuchte oder Trockenheit, Hitze oder Kälte. Für jede menschliche Konstitution gebe es „das richtige Maß der Ernährung und die angemessene Zahl von körperlichen Anstrengungen“. Wenn „das richtige Verhältnis zwischen Nahrung und Übung sich nur ein kleines bisschen verschiebt, so muss der Körper im Lauf der Zeit vom Übermaß des einen überwältigt werden und in Krankheit verfallen.“13 Mittels neuer Heilverfahren sollten die natürlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen des Menschen in ein Gleichgewicht gebracht werden. Es kann nicht erstaunen, dass die in so vielen Wissensbereichen wirksame Mesotesidee in mannigfachen Formen Eingang in die griechische Literatur fand. Vom reichen Fundus der in griechischen Tragödien ausgebreiteten Weisheiten seien zwei besonders markante Stellen aus den Werken der bedeutenden Dramatiker Sophokles und Euripides herausgegriffen. In Sophokles’ (496–406/405 v. Chr.) Ödipus auf Kolonos bilden Mitte und Maß Richtpunkte einer allgemeinen Lebensregel. So mahnt der Chor: „Wer sich längeren Lebens Frist wünscht und mehr als das Mittelmaß will, der frönt einer Narretei: das, wie ich weiß, offenbart zuletzt sich. 9 10 11 12
Vgl. ebd., S. 46 f. Polykleitos, Kanon Vors. 40 A 3. Zitiert nach ebd., S. 47. Isokrates, Rede an Nikokles, S. 26 (II, 33). Zu diesem Fragekreis ausführlich: Müri, Maßgedanke, S. 183–201; Laue, Maß und Mitte, S. 101–112. 13 Hippokrates, Die Regelung der Lebensweise, S. 231 (Erstes Buch, VI 471 f.). Siehe weitere Nachweise bei Kalchreuter, Mesotes, S. 35–38.
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Denn viel haben die mancherlei Tage dann hinterlassen, was näher steht der Betrübnis; doch Frohes findest du nirgends mehr, wenn jemand übers Maß hinaus weiterschreitet. Aber der Helfer, allen gemeinsam, Hades, das Schicksal, sobald ohne Festlied sanglos und klanglos er tritt in Erscheinung, ist es der Tod: Vollendung.“14 Die hier zum Ausdruck gelangende Maßethik durchzieht das dramatische Werk des jüngeren Tragödien-Dichters Euripides (480–406 v. Chr.). Eine charakteristische Passage findet sich in einem Chorlied des Antiopefragmentes, wo es um Ausgeglichenheit im Liebesleben geht: „Glücklich diejenigen, die maßvoll der Aphrodite und mit gesundem Sinn teilhaftig werden, genießend der Ruhe vor wildem Liebesrasen. Denn Eros spannt zwiefach die Geschosse der Liebe, eines zu seliger Lust, das andere zu zerstörender Qual; möge ich ihn scheuchen aus meinem Gemach! Möge mir maßvoll werden die Liebe und heilig das Sehnen! Möge ich teilhaben an der Aphrodite, doch meiden die maßlose Liebe! Verschieden geartet sind die Menschen, doch immer klar ist das wahrhaft Gute. Zuchtvolle Erziehung trägt mächtig bei zur Tugend. Scham ist Weisheit, sie bringt den reich vergeltenden Lohn, mit Klarheit zu schauen, was Pflicht ist; ruhmvoll ist das. Etwas Großes Ordnung in der Brust lebt, so mehrt sich das Staatswohl.“15 Das aidos (a„dèj), eine von moralischem Empfinden geleitete Scheu (Scham), vermittelt die Kraft zum Maßhalten und lenkt zur Tugend. Sittlich vorbildhaftes Verhalten besteht darin, das richtige Maß (metriotes – metriÒthj, metrion – mštrion) zwischen Zuviel (hypermetron – Øpermštron, hyperbole – Øperbol») und Zuwenig (elatton – ™latton, endeia – œndeia) zu finden. Zwischen der Logik und sprachlichen Fassung dieser Terminologie und der Demokrits sind auffällige Parallelen festgestellt worden. Dies mag insofern wenig erstaunen, als die Tragödiendichter von den Philosophen diskutierte Themen literarisch verarbeiteten. Der zentrale Begriff der nur in Fragmenten erhaltenen Ethik Demokrits (geb. um 460 v. Chr., Schüler des Leukippos von Milet) ist die Euthymie ( eÙqum…a ), eine heitere Gemütsverfassung, die erreicht, wer die Lüste, Begierden und Mühen („tarachai“) des Körpers auf ein natürliches Maß bringt. Denn jedes Zuviel („hyperbole“, „pleon“) und Zuwenig („elleip14 Sophokles, Oidipus auf Kolonos, S. 359 (1212–1223). 15 Zitiert nach Laue, Maß und Mitte, S. 19.
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sis“, „ellaton“) schlage in sein Gegenteil um, so dass die Seele erschüttert werde. Das aidos leite ihn zum Maßhalten an, lasse ihn einen ausgeglichenen Seelenzustand finden.16 Die Betonung der körperlichen Begierden bei der Entwicklung pathologischer Störungen zeigt den Einfluss der Medizin auf das Denken Demokrits, der im engen Austausch mit Ärzten wie Hippokrates stand. Seine individualethische Lebenslehre ist daher als eine „Diätetik der Seele“17 bezeichnet worden. Ohne Zweifel hat Demokrit die Philosophie Platons (427–347 v. Chr.) mit seiner Seelenlehre und der Verbindung naturwissenschaftlicher mit ethischer Reflexion beeinflusst.18 Allerdings geht die verfassungstheoretische Applikation des Maßgedankens nicht auf Demokrit zurück, obschon sie zu dessen Lebzeiten längst geläufig war. Ein frühes Zeugnis findet sich in den Eumeniden des Aischylos (525–456 v. Chr.). Anarchie und Despotie verkörpern die unter allen Umständen zu meidenden politischen Extreme: „Weder drum ohne Herrn Noch der Herren Knecht zu sein, Sei dein Wunsch! Mittlerem Maß stets den Preis Leiht ein Gott, derweil andres Anders er ansieht.“19 Oder an anderer Stelle: „Nicht obrigkeitslos noch Tyrannenknecht zu sein, Rat Bürgern ich als ihres Strebens höchstes Ziel.“20 Auch dem Chronisten des peloponnesischen Krieges, Thukydides (ca. 455– 397 v. Chr.), war das Mesotesmodell in seiner Anwendung auf die Verfassungslehre bekannt. Im VIII. Buch lobt er die Athener mit einer aus der Medizin entlehnten Ausdrucksweise. Sie hätten im Sommer 411 nach dem Sturz der Oligarchen eine „metr…a“ und „xÚgkrasij“21 zwischen der Herrschaft Weniger und Vieler verwirklicht. Verfassungstheoretische, naturwissenschaftliche und ethische Gedankenelemente hat Platon in den Dialogen der Politeia zusammengeführt. Eine Schlüsselstelle findet sich im 8. Buch des Dritten Hauptteils, wo von den vier Hauptformen der schlechten Verfassungen und Seelenzuständen und der Transformation der Demokratie in die Tyrannis die Rede ist:
16 17 18 19 20 21
Vgl. ebd., S. 5 f. So Müri, Maßgedanke, S. 185. Siehe auch Laue, Maß und Mitte, S. 210. Vgl. zu dieser Frage Stark, Aristotelesstudien, S. 96 f. Aischylos, Eumeniden, S. 221 (525–530). Ebd., S. 231 (696 f.). Vgl. Laue, Maß und Mitte, S. 32. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, S. 1236 (VIII 97,2). Vgl. Müri, Maßgedanke, S. 194; Laue, Maß und Mitte, S. 32.
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„Dieselbe Krankheit, sprach ich, an welcher die Oligarchie, wenn sie davon betroffen wird, zugrunde geht, diese, wenn sie sich auch hier einstellt, wo sie, weil jedem alles freisteht, noch weit häufiger und heftiger wird, verknechtet die Demokratie. Und in der Tat, das Äußerste [ ¥gan ] zu tun in irgend etwas, pflegt immer eine große Hinneigung zum Gegenteil zu bewirken bei der Witterung, bei den Gewächsen, bei den lebendigen Körpern und ebenso auch nicht weniger bei den Staaten. [...] Also auch die äußerste Freiheit [ ¥gan ™leuqer…a ] wird wohl dem einzelnen und dem Staat sich in nichts anderes umwandeln als in die äußerste Knechtschaft [ ¥gan doule…an metab£llein ]. [...] So kommt denn wahrscheinlich die Tyrannei aus keiner anderen Staatsverfassung zustande als aus der Demokratie, aus der übertriebensten Freiheit die strengste und wildeste Knechtschaft [ tÁj ¢krot£thj ™leuqer…aj doule…a ple…sth te kaˆ ¢griwt£th ].“22
Die von Platon verwendeten Ausdrücke ¥gan („sehr“, „gänzlich“, „übermäßig“), ple‹ston („der höchste Grad“), ¢griwthj („Wildheit“, „Heftigkeit“) und ¢krot£thj (von ¥kron – „Spitze“, „Gipfel“, „äußerste Höhe“) bezeichnen in ihrer Gesamtheit ein quantitatives wie qualitatives Überschreiten. In subtilen philologischen Untersuchungen ist nachgewiesen worden, wie die Begrifflichkeit dieser Betrachtungen mit der Normstruktur der platonischen Prinzipienlehre korreliert. Die dabei verwendeten Kategorien einer Mitte ( mšson) zwischen Überfluss (hyperbole) und Mangel (elleipsis) haben in der platonischen Seinslehre einen zentralen Ort.23 In der Politeia finden sie ihren Ausdruck insbesondere in einer der vier Grundtugenden im Staat, der Besonnenheit/sophrosyne ( swfrosÚnh ), die dem privaten wie dem öffentlichen Handeln Richtung geben soll, dem Vernünftig-Maßvollen den Weg bereitet und das gedeihliche Zusammenleben der verschiedenen sozialen Schichten ermöglicht.24 Der Gedanke des Maßhaltens und der Mitte ist auf diese Weise mit dem Ideal der Philosophenherrschaft verknüpft. Die Maßlosigkeit wiederum bildet die Hauptursache für die Entartung der realen Verfassungen, der Timokratie, Oligarchie und Demokratie, und das Abgleiten in die schlechteste von allen, die Tyrannis.25 Doch wird die Idee einer Mitte zwischen den Extremen erst in den späteren Schriften mit der Idee einer ausgleichenden Mischung zwischen gegensätzlichen Verfassungselementen verknüpft. Der Abstieg aus den luftigen Höhen des Idealstaats in die Niederungen der realen Polis-Welt wird überwiegend mit den tiefen politischen Enttäuschungen erklärt, die Platon auf seinen drei Reisen nach Syrakus erfahren habe.26 Ohne Zweifel gewinnt die Erwägung zweit- und drittbester verfassungspolitischer Lösungen in den späten Werken, vor allem dem Politikos und den Nomoi, hohe Relevanz. Der Gedanke einer Mitte zwischen den Extremen rückt durch die Einführung der Mischverfassung ins Zentrum der Betrachtung. 22 23 24 25 26
Politeia VIII 563e–564a (Hervorhebungen nicht im Original). Vgl. Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, vor allem S. 244–379. Vgl. Politeia IV 430d–432a. Politeia VIII–IX 545c–576b. Die Echtheit insbesondere des Platon zugeschriebenen 7. autobiographischen Briefes wird heute überwiegend bejaht. Vgl. zur Frage der Authentizität: Fritz, Platon in Sizilien; Trampedach, Platon. Für Fiktion hält den Inhalt des Briefes: Annas, Platon, S. 373.
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Die hier entfaltete Terminologie wird besonders gut greifbar an einer Stelle im Politikos, wo Platon zwei Arten der Messkunst ( metrhtik» ) unterscheidet. Die relative Form des Messens besteht darin, ein Mehr oder Weniger, Größer oder Kleiner zu bestimmen, die absolute hingegen definiert ein Zuviel ( plšon, Ùperb£llon ) und Zuwenig ( šlatton ) über einen festen Messpunkt, also ein Drittes, das in der „Mitte zwischen zwei äußersten Enden“ („tÕ mšson ¢pJk…sqh tîn ™jc£twn“27) angesiedelt ist. Die absolute Art des Messens kommt in der Rangordnung politischer Formen zum Ausdruck, die Platon – in deutlicher Abkehr von der Idealstaatskonzeption der Politeia – im Politikos entfaltet. Der einzig richtigen, durch die Philosophenherrschaft gekennzeichneten idealen Verfassung, die man aber, „wie einen Gott unter Menschen, aus allen anderen Staatsverfassungen aussondern“28 muss, stehen hier die empirisch vorfindbaren Staatsverfassungen gegenüber.29 Sie werden nach zwei Kriterien eingeteilt: der Zahl der Herrschenden und der Differenzierung in gesetzliche und gesetzlose. Platon unterscheidet – von der Terminologie der Politeia abweichend – Königtum, Aristokratie und geordnete Demokratie als gesetzliche, Tyrannis, Oligarchie und anarchische Demokratie als gesetzlose Formen. Das auf diese Weise systematisch entfaltete Sechserschema der Verfassungsformen war im 5. Jahrhundert aus der älteren Dreiteilung (Einherrschaft, Mehrherrschaft, Vielherrschaft) hervorgegangen und hatte ansatzweise schon die Verfassungsdebatte Herodots geprägt.30 Dem besten Staat, wie ihn Platon in der Politeia beschrieben hat, kommt das Königtum am nächsten, aber nicht nur über die ungesetzlichen, sondern auch über die gesetzlichen Staaten fällt Platon ein vorwiegend negatives Urteil. Deren Gesetzeskonformität führt zur Erstarrung und zur mangelnden Anpassung an sich verändernde Verhältnisse,31 und jede Abweichung von den einmal festgelegten Regeln mündet in die Anarchie. Der wahre Politiker scheut sich daher nicht vor der Übertretung der Gesetze, doch wenn er dies ohne Wissen um die im Idealstaat zu verwirklichende Norm tut, zieht die Revolution nur noch mehr in den Strudel der Extreme und der Anarchie hinein. Erst angesichts dieses Dilemmas schreibt Platon der gesetzlichen Ordnung einen Eigenwert zu. In den Nomoi wird die Notwendigkeit des Gesetzes mit der Veranlagung der in der Gegenwart lebenden Menschen begründet, denen Einsicht und Selbstbeherrschung fehle und die zu Habgier und Selbstsucht neigten. Angesichts der Unmöglichkeit, den Idealstaat mit den auf Erden lebenden un27 Politikos 284e. Vgl. zur Interpretation dieser Stelle ausführlich: Raeder, Platons philosophische Entwicklung, S. 349; Laue, Maß und Mitte, S. 25. 28 Politikos 303b. 29 Vgl. Politikos 291a, f., 293e, 297c, 300c, f., 303b, f. Siehe auch zum Folgenden Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, S. 201–220. 30 Vgl. Herodot, Historien, III 80–83. Siehe dazu ausführlich Bleicken, Zur Entstehung der Verfassungstypologie, S. 149–172; Romilly, Le classement des constitutions d’Hérodote à Aristote, S. 80–99. 31 Vgl. Politikos 294b–297d.
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zulänglichen Wesen zu errichten, rückt die Mischverfassung als realistische Alternative ins Blickfeld. Im dritten Buch leitet Platon die Entstehung der Mischverfassung geschichtsphilosophisch ab. Aus der ursprünglichen patriarchalischen Familien- und Stammesherrschaft gehen zunächst Aristokratie und Königtum und danach alle übrigen Formen hervor. Die dorische Wanderung führt zum dreigeteilten peloponnesischen Großreich von Argos, Sparta und Messene, das in einem Herrschaftsvertrag zwischen Bürgern und Königen eine aus Demokratie und Monarchie gemischte Verfassung erhält und somit eine vierte, höhere Entwicklungsstufe verkörpert. Während Argos und Messene infolge der Charakterschwäche der Herrscher in der Tyrannis versinken, erweist sich die – göttlich inspirierte32 – Mischverfassung Spartas als dauerhaft. Hier wurde das „rechte Maß“ („mštrion“33) in der Machtzuteilung getroffen, der Einfluss des Königtums durch das Prinzip der Kollegialität (Doppelkönigtum), den Senat und die Ephoren begrenzt und ein System von Gewichten und Gegengewichten etabliert. Da „das Königtum aus den erforderlichen Bestandteilen gemischt [ sÚmmeiktoj ] war und das rechte Maß [ mštron ] bewahrte“, wurde das Abgleiten in eine „Tyrannenherrschaft“34 vermieden. „Das objektive, von allen eigennützigen Interessen befreite Gesetz, das ausschließlich die Arete und Eudämonie des Menschen zum Ziel hat und ohne das alle Gemeinwesen über kurz oder lang zugrunde gehen, war in der ausgleichenden Verbindung und wechselseitigen Überwachung aller Teilinteressen in Annäherung verwirklicht.“35 In der folgenden historischen Betrachtung klärt sich der Begriff des Maßes (mštrion ). Nach Platon sind Monarchie und Demokratie die „Mütter“ aller übrigen Verfassungen. Die Monarchie ist bei den Persern, die Demokratie bei den Athenern auf die Spitze („¥kron“36) getrieben. Will man aber „Freiheit und Freundschaft im Bunde mit Einsicht“37 zur Entfaltung bringen, müssen beide Formen miteinander verbunden werden. In einem gut gemischten Staat bilden die in beiden Verfassungen zum Ausdruck gelangenden Werte eine Synthese. Jede Abweichung von dieser Synthese verfehlt das richtige Maß. Sobald eines der Elemente „bis zum Äußersten“ („™p… dš tÕ ¥kron“38) getrieben wird, versinkt die Monarchie in der Knechtschaft, die Demokratie hingegen in der Anarchie. Platons Ausführungen liegt ein Verfassungskontinuum zugrunde, das sich von der Tyrannis über Oligarchie, Königtum, Aristokratie und gesetzliche Demokratie bis zur gesetzlosen, in die Anarchie abgleitenden Volksherrschaft erstreckt. Die aus verschiedenen Elementen gemischten Formen sind „nicht nur funktional auf die Extreme bezogen, sondern gehen gleichsam material durch Verdichtung und Verdünnung aus ihnen hervor.“ Das Optimum liegt genau in 32 33 34 35 36 37 38
Vgl. Nomoi III 691d. Nomoi III 691e. Nomoi III 692a–b. So Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, S. 207 f. Nomoi III 693d. Ebd. Nomoi III 701e.
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Abbildung 1: Kontinuum der Staatsverfassungen nach Platon Quelle: Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, S. 210.
der Mitte („mšson“39) zwischen den Extremen der Demokratie und der Monarchie. Dort vereinen „sich die beiderseitigen Vorzüge in Gestalt einer Wertsynthese [...], während die Nachteile zurückbleiben [...]. In der normativen Synthese sind nicht nur die Grenzformen in gewissem Sinne anwesend, sondern auch alle Zwischengebilde, insofern sie sich dort untereinander ausgleichen“.40 Im Inneren des Kontinuum sind die besseren, am Rande die schlechteren Verfassungen angesiedelt. Die Reihenfolge wird nicht von der Zahl der Herrschenden, sondern von der Machtintensität bestimmt: „Konzentration und Dispersion der Macht ist das Gesetz, nach dem sich alle denkbaren empirischen Verfassungen zueinander verhalten. Beiderseits der richtigen Mitte, in der alle mehr oder weniger positiv aufgehoben sind, staffeln sich zuerst die nur in der Vereinzelung problematischen Abarten, dann – mit wachsender Entfernung – die eigentlichen Entartungen graduell ab.“41 Machtbalance und Interessenausgleich werden in der Mischverfassung Platons durch eine kunstvolle Verteilung der Kompetenzen auf unterschiedliche Institutionen bewirkt. Platon erwähnt für Sparta die Einrichtungen des Doppelkönigtums, des Senats und des Ephorats.42 Die Mischverfassung der Nomoi kennt den siebenunddreißig-köpfigen Rat der Gesetzeswächter,43 daneben eine Nächtliche Versammlung,44 der u. a. die zehn ältesten Gesetzeswächter, der Leiter des Erziehungswesens (der oberste Beamte im Staat) und verdiente Priester angehören, den obersten Staatsgerichtshof aus zwölf Beamten (euthynen) für die Oberaufsicht über alle Behörden und das Religionswesen als Verkörperung des monarchisch-aristokratischen Elements45 sowie Rat (boulé) und Volksversammlung als demokratische Elemente.46 Die Verschränkung der Kompetenzen und verschiedene Formen der Wahl unterstreichen die Bedeutung der Verfassungsmischung. In einem Brief, der etwa zur gleichen Zeit wie die Nomoi abgefasst ist, hat Platon diesen Aspekt nochmals deutlich benannt: Er weist auf den spartanischen Gesetzgeber Lykurg hin, der angesichts der Entstehung der Tyrannis in Argos 39 40 41 42 43 44 45 46
Nomoi VI 756e. Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, S. 208 f. Ebd., S. 211. Vgl. Nomoi III 691d–712e. Siehe die Bilanz von Ideen- und Realgeschichte bei: Riklin, Machtteilung, S. 33–54. Vgl. Nomoi VI 752d–755b. Vgl. Nomoi XII 961a–961c. Vgl. Nomoi XII 945b–948b. Vgl. Nomoi VI 756c–758.
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und Messene für die Kontrolle des Königtums durch Ephorat und Gerusie (Ältestenrat) plädierte, und rät dazu, jede Tyrannei in ein gesetzliches Königtum zu überführen. Denn „Abhängigkeit und Freiheit im Übermaß sind beide sehr schlecht, im rechten Maß sehr gut.“ Das Vermeiden der Extreme und das Einhalten des rechten Maßes bringt die Menschen in Einklang mit der göttlichen Weltordnung: „Maßvoll ist die Abhängigkeit gegenüber Gott, maßlos gegenüber den Menschen. Gott aber ist für besonnene Menschen das Gesetz, für unbesonnene die Lust“.47 Eine Annäherung an die Prinzipien des Idealstaates wird unter den Bedingungen irdischen Daseins durch die Mischverfassung ermöglicht. Sie hebt die negativen Wirkungen der extremen Verfassungselemente wechselseitig auf und besitzt einen ausgeprägten Kompromisscharakter.48 Einerseits ist ein Zwietracht säendes Übermaß an Vermögen und Gütern abzulehnen, andererseits Armut als Ursache der Knechtschaft zu vermeiden.49 Einerseits soll die Familienbindung der Menschen erhalten, andererseits verhindert werden, dass diese dem Gemeinwohl mit Gleichgültigkeit begegnen.50 Einerseits kontrolliert die staatliche Bürokratie weite Lebensbereiche, andererseits muss die individuelle Initiative einen Freiraum behalten. Einerseits wird der Staat durch die Partizipation einer relativ breiten Bürgerschaft auf eine demokratische Grundlage gestellt, andererseits bewahrt der Gedanke der Elitebildung und der Belohnung herausragender Kenntnisse und Leistungen seinen zentralen Rang. Ein ausgeklügeltes Wahlverfahren mit Losentscheid und Kompetenztest gewährleistet das Einhalten einer angemessenen Mitte zwischen monarchischer und demokratischer Verfassung.51 Die Mischverfassung fügt sich in die Wertstruktur der späteren Mesoteslehre ein. Hans Joachim Krämer hat deren Begrifflichkeit in einer zweidimensionalen Darstellung zum Ausdruck gebracht. Das mšson verkörpert in der Vertikalen (axiologische Dimension) die Idee des Guten ( ¢gaqÒn ) und findet seine verfassungstheoretische Entsprechung in der gemischten ( meikt» ) Verfassung. Sie bildet die Mitte der Horizontalen (ontologische Dimension). Dort verkörpern die extremen ( ¥kron), über das rechte Maß ( kairÒj / mštrion ) hinausschießenden ( Úperbol» ) Verfassungsformen, die Knechtschaft ( doule…a ) der Despotie/Tyrannis einerseits, die Anarchie ( an-arc…a ) der gesetzlosen Demokratie ( anom…a dhmokrat…a ) andererseits, einen Zustand moralischer Minderwertigkeit ( kakÒn ). Die Mischverfassung bringt die Grundideen der extremen Verfassungselemente zu einem temperierenden Ausgleich. Deren Kompromisscharakter kann
47 Achter Brief 354e–355a. Vgl. auch Nomoi IV 716d. Die Bedeutung des Achten Briefes hebt hervor: Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, S. 213. 48 Vgl. Annas, Platon, S. 393. 49 Vgl. Nomoi V 728e–729a. 50 Vgl. Nomoi V 729c–d. 51 Vgl. Nomoi VI 756d.
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Abbildung 2: Die Wertstruktur der platonischen Mischverfassungskonzeption Quelle: Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, S. 214.
indes nicht über die radikalen Züge hinwegtäuschen, die aus dem Idealstaatsentwurf der Politeia erhalten bleiben. Die ökonomische Grundlage des Staates mit Sklaverei und vorwiegend agrarischer Wirtschaftsweise (der korrumpierende Einfluss handeltreibender Hafenstädte ist Platon ein Dorn im Auge) bleibt erhalten. Das Ziel tugendhaften Lebens der Bürger im Interesse größtmöglichen Glücks erfordert eine strenge Erziehung52 ebenso wie ein System umfassender Kontrollen und Eingriffe, das alle Lebensbereiche – von der Geburtenregelung und „Rassenauslese“53 über die Nahrungsaufnahme, den Erwerb von Gütern, das Reisen oder die Zulässigkeit öffentlicher Äußerungen bis zur Freizeitgestaltung54 – erfasst. Für Nonkonformisten ist kein Platz. Atheisten beispielsweise werden entweder umerzogen oder, falls dies nicht fruchtet, getötet.55
52 Vgl. Nomoi VI 764c–766b, VII 788–789b, 804c–806c. 53 Jäger, Paideia, S. 840. Die „eugenische Zuchtwahl“ zur Behebung der „rassischen Degeneration“ bildet einen Eckstein in der Argumentation Poppers, der Platon wegen seiner Idealstaatskonzeption als Ahnherr des Totalitarismus deutet: Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band I, S. 27. Eine sich insbesondere auf das Spätwerk stützende, großangelegte „Ehrenrettung“ Platons stammt von: Levinson, In Defense of Plato. Eine ausgewogene Würdigung auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes bietet: Hüttinger, Platon, S. 15–32. 54 Vgl. nur Nomoi V 740d, 742a–b, VI 779e, VII 795e–797a, XII 950d–951c. 55 Vgl. Nomoi X 909a–d.
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2.
Extreme, Mitte, Mischverfassung im griechischen Altertum
Mesoteslehre und Mischverfassungstheorie des Aristoteles
Platons Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.) hat kritisch an das Werk seines Lehrers angeknüpft. In den Schriften des Aristoteles findet sich kaum eine analytische oder ethische Kategorie, die nicht bereits bei Platon zu finden wäre. Allerdings hat der Schüler die zu Unklarheiten führende dialogische Form der Darstellung aufgegeben, seine Gedanken in strenger Systematik entfaltet, nahezu alle Wissensgebiete durchdrungen und nach Disziplinen geordnet. Er löst sich von der ontologisch-theologischen Ideenlehre, stellt seine Betrachtungen auf eine breite empirische Grundlage. So lässt sich Aristoteles mit einigem Recht als der eigentliche Begründer der praktischen Philosophie bezeichnen.56 Die Gegenüberstellung von Mitte und Extremen durchzieht das gesamte Werk. In der Metaphysik hat Aristoteles die begriffliche Logik entfaltet. Mitte und Extreme sind stets aufeinander bezogen, bilden im Unterschied zum Widerspruch einen konträren Gegensatz. Denn „zwischen den zwei Gliedern des Widerspruchs“ gibt es „kein Mittleres“, während „das bei den Gegensätzen möglich ist“.57 Daher bilden die – später als kontradiktorisch bezeichneten – Oppositionen wahr/falsch, sein/nicht-sein usw. keine Extreme, anders als die konträren wie etwa schwarz/weiß oder gut/schlecht. Denn als Extreme gelten die äußersten Punkte eines Kontinuums. Sie werden durch jene Dinge einer Gattung gebildet, die zueinander den „größten Unterschied“58 aufweisen. Extreme können daher nur von Bestandteilen einer Gattung gebildet werden, während Dinge, die unterschiedlichen Gattungen angehören, unvergleichbar sind und „keinen Übergang in einander“59 haben. Das Mittlere muss daher derselben Gattung angehören wie die Extreme.60 In diesem Sinne findet sich die begriffliche Unterscheidung auch in der Syllogistik. In der Ersten Analytik heißt es: „Wenn drei Begriffe sich so zueinander verhalten, dass der letzte in dem mittleren ganz enthalten ist und der mittlere in dem ersten ganz entweder enthalten ist oder nicht enthalten ist, dann muss sich notwendig für die Eckbegriffe ein vollkommener Schluss ergeben. ‚Mittleres‘ nenne ich dabei, was selbst in einem anderen, und anderes in ihm, ist, was denn auch der Anordnung nach in diese Mitte tritt. ‚Außen‘ nenne ich erstens, was selbst in einem anderen enthalten ist, zweitens, in welchem ein anderes enthalten ist.“61 Für „der letzte“ verwendet Aristoteles das Wort œscatoj, für die 56 Vgl. zur Kontroverse um die Kontinuität/Diskontinuität zwischen den Lehren Platons und Aristoteles’ vor allem Bien, Die Grundlegung, S. 18–57, 113–119. Als Begründer der „Politologik“ würdigt Aristoteles in einem brillanten Essay: Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, S. 87–156. 57 Aristoteles, Metaphysik, 1055b 2. 58 Ebd. 1055a 4. 59 Ebd. 1055a 6–7. 60 Vgl. auch ebd. 1057a 19–1057b 32. 61 Aristoteles, Erste Analytik/Zweite Analytik, 25b 32–40. Vgl. auch zum Vorstehenden: Weber, Extreme, Sp. 1199.
Mesoteslehre und Mischverfassungstheorie
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Positionen „außen“ steht hier ¥kra (Spitze, Gipfel). Aus zwei Prämissen geht ein Schluss-Satz hervor, z. B. „alle Griechen sind Menschen“ (Prämisse 1), „alle Menschen sind sterblich“ (Prämisse 2), folglich gilt: „alle Griechen sind sterblich“ (Konklusion). Als Mittelbegriff (später terminus medius) gilt jener Prädikator, der in beiden Prämissen vorkommt, „Außenbegriffe“ (später termini extremi) werden die jeweils ober- und unterhalb des Mittelbegriffs angeordneten Prädikatoren genannt. In der Topik behandelt Aristoteles die Stellung des Mittelbegriffs zwischen konträren Gegensätzen und sein Verhältnis zu den Extremen (¥kra ). Im vierten Buch etwa, wo es um die Bestimmung der „Seinsgattungen“ und „Eigentümlichkeiten“ geht, soll man Folgendes prüfen: „Gibt es zu etwas sowohl eine gegenteilige Gattung wie auch Art, und gibt es bei den einen Bestimmungen etwas in der Mitte Stehendes, bei den anderen dagegen nicht. Wenn es nämlich bei den Gattungen etwas Vermittelndes gibt, dann auch bei den Arten, und wenn bei den Arten, dann auch bei den Gattungen, wie das bei ‚Gut-sein‘ und ‚Schlecht-sein‘ (als Gattungen) und ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Ungerechtigkeit‘ (als Arten) der Fall ist: In beiden Fällen gibt es ein Mittleres.“62 Mitte und Extreme spielen in dieser begriffslogischen Verknüpfung eine zentrale Rolle in der Ethik und Politik des Aristoteles. Beide Bereiche bilden in seinem Werk eine untrennbare Einheit. Persönliche Lebensführung und Verhalten in der Polis sind Gegenstand einer sich auf die menschlichen Angelegenheiten beziehenden Wissenschaft, wobei die Politik die Ethik sachlich ergänzt, „um die Philosophie über die menschlichen Dinge zur Vollendung zu bringen“.63 Die Ethiken, vor allem sein reifes Alterswerk, die Nikomachische Ethik, stellen insofern eine unerlässliche Grundlage für das Verständnis der „Politik“ dar. Ethik und Politik bilden die beiden untrennbaren Bestandteile praktischer Philosophie. Ihre Erkenntnisse sollen dazu beitragen, das Verhalten der Menschen positiv zu beeinflussen. Die Ethik dient dazu, „wertvolle Menschen“64 heranzubilden, die „Politik“ lehrt, wie ein „gutes Leben“ der Menschen im Staat organisiert werden kann. Die enge Verknüpfung der Ethik mit den methodologischen und naturwissenschaftlichen Schriften zeigt sich dort, wo mathematische Fachausdrücke auf das Gebiet der Ethik angewendet werden. So erläutert er in der Nikomachischen Ethik die Proportionalität des Mittleren zwischen zwei gleich weit entfernten Enden65 oder zieht die arithmetische Proportion für die Definition der Verteilungsgerechtigkeit heran: Wenn als Extremwerte zehn und zwei angenommen werden, ist die Mitte sechs. „Mitte“ ( mšson ) wird also genannt, was von zwei 62 Aristoteles, Topik, IV 123b 10–20. Vgl. auch Krämer, Arete bei Platon und Aristoteles, S. 344. 63 Aristoteles, Nikomachische Ethik, X 9, 1181b 15 (im Folgenden abgekürzt als: EN). 64 EN II 1103b 29. 65 Vgl. EN V 1131b 13. Vgl. Laue, Maß und Mitte, S. 45; Gralher, Mitte – Mischung – Mäßigung, S. 91 f.
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Enden (Extremen, ¥kra ) gleich weit entfernt ist.66 Wird Verteilungsgerechtigkeit als Mitte zwischen einem Unrecht durch Bereicherung (Person A bereichert sich bei Person B um ein Gut C) und einem Unrecht durch Beraubung (Person B verliert an Person A ein ihm zustehendes Gut C) definiert, so führt A minus C zu B plus C, also der Wiederherstellung eines gerechten Zustandes.67 Sieht man die beiden ungerechten Zustände A + C und B – C als Extreme und ordnet ihnen die arithmetischen Werte 10 und 2 zu, so wird die Gerechtigkeit im arithmetischen Mittel sechs erreicht. Die Mitte 6 ist um den Wert 4 jeweils gleich weit von den Extremwerten entfernt. Die Anwendung der arithmetischen (und geometrischen) Proportion auf den Begriff der Gerechtigkeit (dikaiosyne) kann jedoch leicht in die Irre führen. Aristoteles selbst weist ausdrücklich darauf hin, die Gerechtigkeit sei zwar „eine Form des mittleren Verhaltens, aber nicht im selben Sinn wie die anderen ethischen Vorzüge, sondern, weil sie einen Mittelwert festsetzt, während die Ungerechtigkeit auf die Extreme gerichtet ist.“68 Denn es geht bei der Gerechtigkeit – anders als bei den anderen Tugenden – nicht „um die Grundhaltung handelnder Subjekte [...], sondern um das Gerechte, das von Handlungen und dadurch erreichten Zuständen ausgesagt wird“.69 Das Ziel der Ethik besteht darin, jene Qualitäten, Tugenden ( ¢retai ), zu bestimmen, die der Mensch in der Polis erwerben und dank derer er handelnd Einfluss nehmen kann. Die Nikomachische Ethik widmet sich ausführlich der Erörterung dieser Qualitäten, und zwar zum einen in den Büchern II-V den Vorzügen des Charakters, „ethische Tugenden“ ( ºqika… ¢retai ) genannt, zum anderen in Buch VI den Vorzügen des Verstandes, den „dianoetischen Tugenden“ ( dianohtikai ¢retai ).70 Dabei wird gezeigt, dass die Tugend auf dem Gebiet der Affekte und Handlungen als eine Mitte zwischen Übermaß und Mangel bestimmt werden kann. Aristoteles belegt dies zunächst anhand der Nahrungsaufnahme und des Sporttreibens: Wer zuviel isst und trinkt, schädigt seine Gesundheit ebenso wie derjenige, der eine zu geringe Menge an Nahrung zu sich nimmt. Wer keinen Sport treibt, vermag seine Körperstärke nicht zu entfalten, wer es hingegen im Übermaß tut, schwächt seine Konstitution ebenfalls. Hier wird der Einfluss des Maßdenkens der Mediziner sichtbar.71 Aristoteles wendet das Modell aber auch auf charakterliche Eigenschaften wie die Tapferkeit an. Dort gibt es gleichermaßen ein Zuviel („hyperbole“) und ein Zuwenig („elleipsis“): „Wer vor allem davonläuft und sich fürchtet und nirgends ausharrt, wird ein Feigling. Wer überhaupt vor nichts Angst hat und auf alles losgeht, der 66 Vgl. EN II 1106a 30–36. Für die Überprüfung der griechischen Diktion wurde hier und an allen übrigen Stellen die folgende Ausgabe herangezogen: Aristoteles, Opera omnia, Bände I und II. 67 Vgl. EN V 1129a 3–1133b 30. 68 EN V 1133b 14. 69 So Ernst A. Schmidt, Anm. 29 zu Buch V. 70 Vgl. EN II 1103a 14–16. 71 Vgl. EN II 1104a 13 f. Siehe dazu ausführlich Wehrli, Ethik und Medizin, S. 36–62.
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wird ein sinnloser Draufgänger. [...] So wird denn besonnenes und mannhaftes Wesen durch das Zuviel und das Zuwenig zerstört, dagegen bewahrt, wenn man der rechten Mitte folgt.“72 Was für charakterliche Stärken und Schwächen dieser Art gilt, lässt sich insofern generalisieren, als „das Zuviel und das Zuwenig der sittlichen Minderwertigkeit“ zugeordnet werden kann, „dagegen die Mitte der sittlichen Tüchtigkeit“.73 Bei der Erörterung der richtigen Reaktionsformen (wie beim Empfinden von Lust und Unlust, dem Nehmen und Geben von Geld, der Ehre und Unehre, der Zornesregung) verwendet Aristoteles statt der Kategorien „Zuviel“ und „Zuwenig“ die zusammenfassende Bezeichnung „Extreme“ ( ¥kra ) im Sinne der äußersten Enden eines Kontinuums. Dabei gelte, dass „überall die Mitte unser Lob verdient, während die Extreme weder richtig sind noch Lob verdienen, sondern Tadel“.74 Das Verhältnis der Mitte zu den Extremen und der Extreme untereinander wird in der Nikomachischen Ethik begrifflich genau bestimmt. Die Kategorien bilden zueinander einen Gegensatz: „Die Extreme stehen im Gegensatz zur Mitte und zu sich selbst, die Mitte wiederum zu den Extremen. Wie nämlich das Gleiche im Verhältnis zum Kleineren größer erscheint, im Verhältnis zum Größeren dagegen als kleiner, so weisen die Grundhaltungen der rechten Mitte gegenüber dem Zuwenig ein Mehr, gegenüber dem Zuviel ein Weniger auf, und zwar im Bereiche des Handelns wie in dem der irrationalen Regungen. So erscheint der Tapfere gegenüber dem Feigen als sinnloser Draufgänger, gegenüber dem Draufgänger als feige.“75 Das Wechselverhältnis und seine Bestimmung sind also situationsabhängig. Die Gegensätze sind zudem unterschiedlich stark ausgeprägt: „Dabei ist am schärfsten der Gegensatz zwischen den Extremen ausgebildet, viel stärker als ihr Gegensatz zur Mitte. Denn die Extreme sind voneinander weiter entfernt als von der Mitte, so wie der Abstand von groß und klein, klein und groß beträchtlicher ist als beider Abstand vom Gleichen. Ferner gilt: zwischen der Mitte und einigen Extremen ist immerhin eine Ähnlichkeit vorhanden, so zwischen dem sinnlosen Draufgängertum und der Tapferkeit oder zwischen Verschwendungssucht und Großzügigkeit; zwischen den Extremen dagegen ist größte Verschiedenheit.“76 Die mesotes ist bei Aristoteles nicht im Sinne einer „Mittelstraße“77 zu verstehen, seine Ethik keine „Moral der Mittelmäßigkeit“. Denn die Tugend er72 EN II 1104a 21–24: „tÁj ØperbolÁj kaˆ tÁj ™lle…yeoj, ØpÕ d tÁj mesÒtetoj sèzetai.“ 73 EN II 1106b 35–37. 74 EN II 1108a 14–16. 75 EN II 1180b 25–28. 76 EN II 1108b 29–1109a 2. 77 So das oft wiederholte Fehlurteil Immanuel Kants: Metaphysik der Sitten, S. 283 (II. Tugendlehre, 405). Treffend die Kritik von: Höffe, Ausblick, hier S. 281. Siehe zur Diskussion um den philosophischen Gehalt der Mesoteslehre auch: Wolf, Über den Sinn; Urmson, Aristotle’s Doctrine of the Mean.
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scheint nur der Seinsform nach als ein Mittleres, dem Wert nach jedoch als ein Höhepunkt: Sie ist „nach ihrer Substanz und ihrem Wesensbegriff Mitte; insofern sie aber das Beste ist und alles gut ausführt, ist sie ein Äußerstes [¢krÒ thj]“.78 Die Tugend weist also eine ontologische und eine axiologische Dimension auf. Marie Luise von Kohoutek hat diese Zweidimensionalität in folgender Weise graphisch dargestellt:79
Abbildung 3: Axiologische und ontologische Dimension der Mesoteslehre Quelle: Kohoutek, Differenzierung, S. 56.
Die Einflüsse von Volksethik und Medizin auf diese Konzeption sind somit zweitrangig, bedeutender erscheint demgegenüber die Auseinandersetzung mit den begrifflichen Kategorien der platonischen Ontologie. Jedoch löst die aristotelische Phänomenologie der Verhaltensformen die Wertbegründung von der ontologischen Basis Platons. „Während Platon die traditionelle Bewertung der ‚Gerechtigkeit‘ als Inbegriff der Tugenden übernimmt und ontologisch fundiert, schiebt Aristoteles diesen umfassenden Gerechtigkeitsbegriff beiseite, um sich ausgehend von der im Sprachgebrauch gegebenen Mehrdeutigkeit des Begriffes ‚Gerechtigkeit‘ ausführlich der ‚partikularen Gerechtigkeit‘ zuzuwenden.“ Hier unterscheidet er zwischen einer „verteilenden“ und einer „ausgleichenden“ Gerechtigkeit (iustitia distributiva, iustitia commutativa). Bei der verteilenden Gerechtigkeit geht es um Gleichverteilung von Gütern. Der Ungerechte verletzt also die Gleichheit. „Somit ist klar, dass es auch ein Mittleres zwischen (den Extremen) der Ungleichheit gibt. Das ist das Gleiche. Denn bei jeder Art von 78 EN II 1107a 7–9; Aristoteles, Opera Omnia, Band II, S. 20. Vgl. Hartmann, Wertdimensionen, S. 193; Schilling, Ethos der Mesotes, S. 6–10. 79 Vgl. Kohoutek, Differenzierung, S. 56; Schilling, Ethos der Mesotes, S. 23.
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Handeln, wo es ein Mehr und ein Weniger gibt, gibt es auch das Gleiche. Wenn nun das Ungerechte Ungleichheit bedeutet, so bedeutet das Gerechte Gleichheit. Das ist eine allgemein verbreitete Annahme, für die kein Beweis verlangt wird. Nachdem aber das Gleiche ein Mittleres ist, muss das Gerechte wohl ein Mittleres sein und eine Beziehung aufweisen, und zwar auf bestimmte Personen. Und sofern es ein Mittleres ist, muss es ein Mittleres von etwas sein, nämlich zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig liegen; sofern es ein Gleiches ist, muss es dies für zwei Glieder, sofern es aber ein Gerechtes ist, muss es dies für bestimmte Personen sein.“80 Die folgende Betrachtung zur Quantifizierung der Gerechtigkeit orientiert sich ganz am Modell des Tauschhandels. Dabei sucht Aristoteles nachzuweisen, dass die Gerechtigkeit als „ethische Tugend“ ähnlich gelagert ist wie die übrigen Tugenden. Die „Verwirklichung der Gerechtigkeit“ liegt nämlich in der „Mitte zwischen Unrecht-tun und Unrecht-erleiden“. „Denn das eine bedeutet, dass man ein Zuviel, das andere, dass man ein Zuwenig hat. Die Gerechtigkeit aber ist eine Form des mittleren Verhaltens, aber nicht im selben Sinn wie die anderen ethischen Vorzüge, sondern, weil sie einen Mittelwert festsetzt, während die Ungerechtigkeit auf die Extreme gerichtet ist. Und die Gerechtigkeit ist eine Grundhaltung, die über den gerechten Mann folgende Aussage gestattet: er verwirklicht grundsätzlich aus freier Entscheidung das Gerechte, und gibt es eine Verteilung, wo seine eigene Person und eine zweite oder zwei andere Personen in Frage stehen, so verfährt er grundsätzlich nicht so, dass er von dem fraglichen Wert sich selbst den Hauptteil und dem anderen die kleinere Menge – und bei nachteiligen Dingen umgekehrt – zuteilt, sondern er gibt im Sinne der Proportion gleiche Anteile; und handelt es sich um zwei andere Personen, so verfährt er in entsprechender Weise. Die Ungerechtigkeit aber ist im Gegensatz dazu auf das Unrecht gerichtet, d. h. auf das Zuviel und das Zuwenig, sowohl bei Vorteil als auch bei Nachteil, unter Verletzung der Proportion. Daher ist die Ungerechtigkeit gleichbedeutend mit dem Zuviel und dem Zuwenig, eben weil sie die Ursache des Zuviel und des Zuwenig ist, und zwar, wenn es sich um die eigene Person handelt, des Zuviel an schlechthin Vorteilhaftem und des Zuwenig an Nachteiligem. Handelt es sich um andere Personen, so läuft es im Ganzen auf dasselbe hinaus, nur dass die Verletzung der Proportion nach der einen oder nach der anderen Seite erfolgen kann, wie es sich eben trifft. – Die ungerechte Tat hat zwei Folgen: wo das Zuwenig ist, haben wir das Unrecht-erleiden; wo das Zuviel ist, das Unrecht-tun.“
Ungerechtigkeit liegt in beiden Fällen im Bereich der Extreme, Gerechtigkeit hingegen in der Mitte. Angesichts dieser von der platonischen Position abweichenden Begründung ethisch wertvollen Verhaltens stellt sich das Normproblem. „Norm für ethisches Handeln ist nun nicht mehr das Ewige und Unveränderliche, sondern ‚der Umsichtige‘ als Repräsentant der praktischen Umsicht und Klugheit sowie ‚der Gute‘ bzw. ‚der treffliche Mensch‘, der als Paradigma Richtschnur und Maß für die Richtigkeit ethischen Handelns abgibt. Ethisch wertvolles Handeln ist auf die praktische Umsicht als Garanten für die Wahl der richtigen Mittel bezogen, aber 80 EN V 1131a 8–10.
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nicht an die theoretische Einsicht in die Struktur des Seins gebunden. Mögen auch Formulierungen wie: die Festlegung der Arete als Mitte erfolge so, ‚wie es der Umsichtige bestimmen würde‘ oder ‚wie die rechte Vernunft es gebietet‘ oder überhaupt nur ‚wie es sein muss‘ auffallend vage klingen, so liegt darin doch nicht ein normzersetzender sophistischer Relativismus, sondern der Versuch, vorphilosophische Lebenserfahrungen und Traditionen, aus ethographischem und medizinischem Denken erwachsene wissenschaftliche Vernunft und Elemente der platonischen Philosophie vermittelnd zu verbinden.“81 Die Tugendlehre des Aristoteles bewegt sich also in der Mitte zwischen einer „relativistischen Kasuistik und der platonischen Hinordnung auf ein an sich Gutes“.82 Die Nikomachische Ethik schließt mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, die „Polisverfassungen“ zu untersuchen, um herauszufinden, „welche Momente die Polisgemeinden und welche deren Verfassungen – jede für sich genommen – erhalten und zerstören“, um auf diese Weise jene Verfassungsform zu bestimmen, die den „besten Zustand“83 gewährleistet. Zwar hat Aristoteles bereits in der Ethik eine – von der der Politik leicht abweichende – Typologie der Staatsformen entfaltet,84 doch ist hier das Verhältnis zu den Kategorien der Mitte und der Extreme nicht näher bestimmt. In der Politik wird dies dann zu einem zentralen Thema. Im vierten Buch hebt Aristoteles die Verknüpfung der ethischen mit der politisch-institutionellen Ebene ausdrücklich hervor: „Wenn in der Ethik richtig gesagt wurde, dass das glückliche Leben das in der Ausübung seiner Tugend ungehinderte sei und dass die Tugend eine Mitte sei, so muss das mittlere Leben das beste sein, das heißt die Mitte erreichen, die eben jeder erreichen kann. Und diese selben Bestimmungen müssen auch für die Güte oder Schlechtigkeit einer Verfassung oder eines Staates gelten. Denn die Verfassung ist sozusagen das Leben des Staates.“85 Den Staat (polis) und seine Verfasstheit grenzt Aristoteles zunächst streng vom Hausstand (oikos) ab. „Während der Hausstand gleichsam eine Einheit bildet, weil alle dem Hausherrn unterworfen sind, besteht der Staat aber nicht nur aus vielen Menschen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind. Aus ganz Gleichen entsteht kein Staat.“86 Daher kritisiert Aristoteles im zweiten Buch ausführlich die in der Politeia von Platon/Sokrates zur Förderung staatlicher Einheit empfohlene Güter-, Kinder- und Frauengemeinschaft.87 Der Staat (im eigentlichen Sinne, als politischer, nicht als despotischer Verband) besteht also aus einer Vielheit in ihren Interessen und Auffassungen divergierender Bürger, die wiederum durch die Teilhabe an den öffentlichen Angele81 82 83 84 85 86 87
So Flashar, Aristoteles, S. 340. Ebd., S. 341. EN X 1181b 23. Vgl. EN VIII 1160b 5 ff. Pol. IV 1295a 35–37. Pol. II 1261 a 23. Vgl. Pol. II 1261 9 ff. Vgl. zur Bedeutung dieser Unterscheidung: Arendt, Vita activa, S. 31–38; Spahn, Oikos und Polis, S. 529–564.
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genheiten, insbesondere an der beratenden und richterlichen Gewalt, definiert sind;88 Frauen, Sklaven und Fremde/Metöken gehören also nicht dazu. Zudem schränkt Aristoteles die Definition des Bürgers insofern ein, als dessen Stellung in den verschiedenen Staatsformen sehr unterschiedlich sein kann. Wenn man den Bürger etwa durch die Teilnahme an der Regierung bestimmt, so kann davon im strengen Sinne nur in der Demokratie die Rede sein: „In einzelnen Verfassungen gibt es kein Volk, und man redet von keiner Volksversammlung, sondern nur von Ratsversammlungen, und die Rechtsprechung vollzieht sich durch verschiedene Behörden“.89 In der Praxis hängt das Bürgerrecht meist davon ab, ob es die Vorfahren besaßen. Was die Typologie der Staatsverfassungen angeht, lehnt sich Aristoteles eng an Platon an. Er unterteilt sie zunächst in qualitativer Hinsicht nach dem Staatsziel oder Staatsethos. Alle Verfassungen, die „das Gemeinwohl berücksichtigen“, sind „im Hinblick auf das schlechthin Gerechte richtig; diejenigen aber, die nur das Wohl der Regierenden im Auge haben, sind allesamt verfehlt“.90 Wie Platon unterteilt er die Staatsverfassungen außerdem nach einem quantitativen Kriterium, je nachdem ob einer, mehrere oder viele regieren. So unterscheidet er bei den am Gemeinnutz orientierten Verfassungen zwischen Königtum, Aristokratie und Politie, bei den lediglich dem Eigennutz der Herrschenden verpflichteten Entartungsformen (Parekbasen) zwischen Tyrannis, Oligarchie und Demokratie.91 Der Unterschied gegenüber Platon besteht nicht nur in der unterschiedlichen Benennung der gesetzlichen Vielherrschaft als „Politie“ (eine verwirrende Bezeichnung, da er sie auch für die Verfassung schlechthin verwendet), sondern auch in deren Hervorhebung als beste, weil angemessen gemischte, der Bürgertugend am ehesten förderliche Verfassung. Auf diese Verfassung konzentriert sich das vierte Buch. Und hier findet die in der Ethik entwickelte Begriffssystematik im Sinne einer Bestimmung der Tugend als Mitte zwischen Extremen vorzugsweise ihre Anwendung. Die Politie wird als „eine Mischung [ m…xij ] von Oligarchie und Demokratie“92 vorgestellt. Dann unterscheidet Aristoteles „drei Prinzipien der Zusammensetzung und Mischung“.93 Die erste besteht darin, dass gesetzliche Bestimmungen oligarchischer wie demokratischer Art verbunden werden. Aristoteles erläutert dies am Beispiel der Rechtsprechung: „In den Oligarchien werden die Wohlhabenden bestraft, wenn sie nicht mit zu Gericht sitzen, aber die Armen erhalten keinen Sold, bei den Demokratien erhalten umgekehrt die Armen einen Sold, aber die Reichen keine Strafe. Das Gemeinsame und Mittlere ist die Kombination von beiden, und das ist die Eigenart der Politie.“94 88 89 90 91 92 93 94
Vgl. Pol. III 1275a 22 f.; 1275b 18–21. Pol. III 1275b 6–8. Pol. III 1279a 17–20. Pol. III 1279b 4f. Pol. IV 1293b 34. Pol. IV 1294a 35. Pol. IV 1294a 36–1294b 1.
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Die zweite Art besteht darin, dass zwischen demokratischen und oligarchischen Regelungen eine „Mitte“ genommen wird. Ein Beispiel ist der Zensus bei der Wahl zur Volksversammlung, der hoch (oligarchische Lösung), niedrig (demokratische Lösung) oder auf mittlerem Niveau (Lösung der Politie) angesetzt werden kann.95 Eine dritte Form der Mischung erhält man dann, wenn Kombinationen von Regelungen aus der oligarchischen und demokratischen Gesetzgebung verbunden werden: „So scheint es etwa demokratisch zu sein, dass die Amtsstellen ausgelost werden, oligarchisch, dass dies durch Wahl geschieht; demokratisch, dass dies ohne Rücksicht auf die Steuereinschätzung geschieht, oligarchisch, dass dies mit einer solchen Rücksicht geschieht. Im Sinne der Aristokratie und der Politie ist es also, aus beiden etwas zu nehmen, aus der Oligarchie, dass die Beamten zu wählen sind, aus der Demokratie, dass die Steuereinschätzung keine Rolle spielt.“96 Bei allen drei Formen geht es um eine Verteilung von Ämtern und Kompetenzen auf unterschiedliche staatliche Gewalten, und zwar in einer Weise, dass dem Geist und den hervorstechenden Tugenden der Demokratie wie der Oligarchie entsprochen wird. Eine gute Mischung erkennt man daran, „dass man denselben Staat ebensogut so wie anders benennen kann; wenn man das tut, wie es geschieht, so eben darum, weil die Mischung gut erfolgt ist. So geht es ja auch der Mitte, weil in ihr die beiden Extreme sichtbar werden.“97 Als Beispiel nennt Aristoteles die Verfassung Spartas, in der demokratische Elemente wie die gemeinschaftliche Kindererziehung, die Volkswahl der Geronten, die Beteiligung am Ephorat und oligarchische wie die Wahl aller Ämter oder die in den Händen Weniger liegende höchstrichterliche Gewalt verbunden seien.98 Die Unterscheidung dieser Mischungsarten soll jedoch nicht zu der Annahme verleiten, es ließe sich so etwas wie eine perfekte Zusammensetzung erreichen. Denn die Frage nach der besten Verfassung könne nicht von einer Tugend ausgehen, „die über durchschnittliches Maß ist, oder von einer Bildung, die guter Anlage und glücklicher äußerer Umstände bedarf, noch von einer Verfassung, wie man sie sich wünschen mag, sondern von dem Leben, das die Mehrzahl zu führen vermag, und einer Verfassung, die sich die Mehrzahl der Staaten aneignen können“.99 Wenn man von dem in der Ethik aufgestellten Grundsatz ausgehe, „dass das glückselige Leben das in der Ausübung seiner Tugend ungehinderte sei und dass die Tugend eine Mitte sei, so muss das mittlere Leben das beste sein, das heißt die Mitte erreichen, die eben jeder erreichen kann. Und diese selben Bestimmungen müssen auch für die Güte oder Schlechtigkeit einer Verfassung oder eines Staates gelten. Denn die Verfassung ist sozusagen das Leben des Staates.“100 95 96 97 98 99 100
Pol. IV 1294b 2–5. Pol. IV 1294b 6–12. Pol. IV 1294b 14–18. Vgl. Pol. IV 1294b 19–39. Pol. IV 1295a 25–31. Pol. IV 1295a 36–1295b 1.
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Diese Überlegungen leiten zu einer Betrachtung der soziologischen Gegebenheiten in den Aristoteles bekannten Staaten über. Er unterteilt die Bürgerschaft nach Armen, Reichen und Inhabern mittlerer Vermögen (mšsoi). Auch hier gilt den Mittleren gegenüber Armen und Reichen der Vorzug. Denn „in solche Verhältnissen gehorcht man am leichtesten der Vernunft. Schwierig ist es dagegen, wenn man übermäßig schön, kräftig, adlig oder reich ist, oder umgekehrt übermäßig arm, schwach und gedemütigt. Die einen werden leicht übermütig und schlecht im Großen, die andern bösartig und schlecht im Kleinen; die einen tun im Übermut unrecht, die andern in Boshaftigkeit.“101 Aristoteles geht hier in seiner Betrachtung über die Vermögensverhältnisse hinaus und bezieht andere Eigenschaften wie äußeres Erscheinungsbild, Körperkraft und Herkunft ein. Generell gilt: Wer sich eines Übermaßes von Glücksgütern, von Stärke, Reichtum, Anhang und dergleichen mehr erfreut, wird „weder gehorchen wollen noch es können (dies fängt bei ihnen schon in der Kindheit an, denn wegen ihres Luxus sind sie auch in der Schule undiszipliniert); wer aber übermäßige Not leidet, ist zu wenig stolz. So können die einen nicht herrschen, sondern nur in sklavischer Weise gehorchen, die andern lassen sich überhaupt nicht regieren, und wenn sie selbst regieren, so tun sie es despotisch.“102 Auf diese Weise entstehe kein Staat von Freien, sondern einer von Herren und Knechten. Die für das Zusammenleben von Freien so wichtige Tugend der Freundschaft kann dann nicht gedeihen. Wie man sieht, verbindet Aristoteles bei der Begründung der Vorzüge einer auf die Mittleren gegründeten Gesellschaft sozial-ökonomische mit psychologischen Reflexionen. Ein auf breitem Mittelstand basierender Staat ermöglicht am ehesten freiheitliche Verhältnisse. Auch die Existenz des Staates ist dort am besten gesichert, denn Bürger dieser Art „begehren nicht nach fremdem Besitz, wie die Armen, noch begehren andere nach dem ihrigen, wie es die Armen den Reichen gegenüber tun.“103 In einer sich wesentlich auf den Mittelstand gründenden Gemeinschaft bestehen die besten Voraussetzungen für die Etablierung einer guten Verfassung. Denn in solchen Staaten, „in denen die Mitte stark und den beiden Extremen überlegen ist, oder doch wenigstens dem einen Extrem“, gibt die Mitte „den Ausschlag und verhindert die Übertreibung nach der andern Richtung“. Wo hingegen Reiche oder Arme überwiegen, „da entsteht entweder die äußerste Demokratie oder eine reine Oligarchie oder aus beiden Extremen eine Tyrannis [ dÁmoj œscatoj g…gnetai ½ Ñligarc…a ¥kratoj ½ turannˆj ].“104 Die Attribute œscatoj und ¥kratoj firmieren als austauschbare Bezeichnungen für krasse Ausartungen. Ein auf breitem Mittelstand basierender Staat bleibt davon verschont: Denn dort „gibt es bei den Bürgern am wenigsten Aufstände und Streitigkeiten. Aus 101 102 103 104
Pol. IV 1295b 9–11. Pol. IV 1295b 13–24. Pol. IV 1295b 29–31. Pol. IV 1295b 39–1296a 1 f. Vgl. zur Tyrannislehre: Mandt, Tyrannis und Despotie.
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demselben Grunde sind auch die großen Staaten freier von Revolutionen, weil auch da die Mitte zahlreich ist. Bei den kleinen dagegen kann leicht der Zerfall in zwei Parteien eintreten, so dass keine Mitte bleibt, sondern alle nur arm oder reich sind. Ebenso sind die Demokratien sicherer als die Oligarchien und dauerhafter eben wegen der Mittleren“.105 Als Bestätigung dieser Auffassung führt Aristoteles an, auch die besten Gesetzgeber seien aus dem bürgerlichen Mittelstand106 hervorgegangen. Er erwähnt Solon, Lykurg und Charondas, den Gesetzgeber der Katanäer auf Sizilien. Wenn der Mittelstand zu schmal sei, folge daraus, dass entweder Demokratien oder Oligarchien entstünden, denn dann dominiere jeweils „dasjenige Extrem, das die Oberhand hat, entweder die Besitzenden oder das Volk“.107 Im zwölften Kapitel des vierten Buches erörtert Aristoteles knapp die allgemeinen sozialen Interessenlagen in den poleis, um doch wieder zum Ausgangspunkt, der Hervorhebung der Bedeutung eines breiten Mittelstandes, zurückzukehren: „Wo aber die Zahl der Mittleren beide Extreme überwiegt oder auch nur das eine, da wird die Verfassung dauerhaft sein können. Denn es besteht keine Gefahr, dass sich einmal die Reichen mit den Armen gegen sie verbinden könnten. Niemals werden die einen den andern dienen wollen, und sie werden auch niemals eine Verfassung finden (falls sie eine solche suchen), die den Interessen beider Teile besser gerecht würde als eben diese. Denn untereinander abwechselnd herrschen werden sie nicht wollen wegen des gegenseitigen Misstrauens. Am zuverlässigsten ist aber immer der Schiedsrichter, und dieser steht in der Mitte.“108 In den folgenden Kapiteln löst sich die Betrachtung von der Frage nach dem besten Staat, um wertneutral die verschiedenen institutionellen Gestaltungsformen und Kompetenzverteilungen in den Oligarchien und Demokratien, also dem Gros der nach Aristoteles empirisch vorfindbaren Staaten, zu erörtern. Dabei wird noch einmal deutlich, nach welchen Gesichtspunkten Mischungen verschiedener – extremer – Grundformen möglich sind. So unterscheidet Aristoteles zwischen der beratenden, entschließenden und rechtsprechenden Gewalt,109 und die Verfassungen lassen sich danach unterscheiden, wer Inhaber dieser Gewalten ist und wie sie ausgeübt werden. Dann werden die verschiedenen staatlichen Ämter behandelt, deren Zahl, Zuständigkeit, Übertragungsdauer und Bestellungsmodi von Verfassung zu Verfassung variieren.110 Und schließlich geht es um das Gerichtswesen, wo ebenfalls die Möglichkeiten der institutionellen Ausgestaltung detailliert erörtert werden. Das fünfte Buch ist den Ursachen politischer Umwälzungen ( metabola… ) gewidmet, wobei auch hier verschiedene Staatsformen, vorzugsweise Aristokra105 106 107 108 109 110
Pol. IV 1296a 7–17. Vgl. Pol. IV 1296a 19. Pol. IV 1296a 29 f. Pol. IV 1296b 37–1297a 7. Pol. IV 1297b 35–1299a 2. Pol. IV 1299a 3–1300b 11.
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tie /Oligarchie, Demokratie und Politie, behandelt werden. Aristoteles hebt noch einmal die Bedeutung des rechten Maßes bei der institutionellen und personellen Ausgestaltung hervor. Denn es gibt eine zentrale Ursache für die metabole, den Verfassungswandel: das Verfehlen der richtigen „Mitte. Denn vieles, was demokratisch zu sein scheint, zerstört die Demokratie, und vieles Oligarchische die Oligarchie. Solche Leute meinen, das einzig Richtige sei das Fortschreiten zum Extrem, und sehen nicht, dass etwa eine Nase von der unvollkommenen Geradheit etwas zur Habichtnase oder Stumpfnase abweichen kann, aber dennoch schön und anziehend bleibt, dagegen nicht mehr, wenn sie bis zum Extrem weitergeht.“111 Hier wird wieder die Analogie der geometischen Proportion und ihre Anwendung in der Kunst ins Feld geführt. Ebenso können Demokratien und Oligarchien stabil sein, wenn sie nicht zu stark vom Modell der besten Verfassung abweichen. „Wenn man aber die eine oder die andere extrem durchführt, dann wird man die Verfassung zuerst verschlechtern und schließlich überhaupt zugrunde richten.“112 Der Gesetzgeber muss also stets die Gefahr des Abgleitens ins Extrem vor Augen haben und ihr durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken. Im zehnten Kapitel des fünften Buches behandelt Aristoteles die Ursachen für den Untergang des Königtums und der Tyrannis. An mehreren Stellen hebt er die Gemeinsamkeiten von Tyrannis und „extremer Demokratie“ hervor.113 Der Gedanke wird später näher ausgeführt: „Was ferner in der vollendeten Demokratie geschieht, ist alles auch tyrannisch, die Frauenherrschaft im Haus, damit sie über die Männer berichten, und zu demselben Zweck die Großzügigkeit den Sklaven gegenüber. Denn Sklaven und Frauen geben dem Tyrannen nichts zu fürchten, und wenn es ihnen gut geht, werden sie zwangsläufig sowohl der Tyrannis wie auch der Demokratie gegenüber loyal sein. Denn auch das Volk will Alleinherrscher sein. Darum wird auch der Schmeichler bei beiden geschätzt, in der Demokratie der Volksführer (der Volksführer ist ja der Schmeichler des Volks) und bei den Tyrannen diejenigen, die sich demütig und eben als Schmeichler benehmen.“114
Im folgenden sechsten Buch erörtert Aristoteles die Frage, unter welchen Voraussetzungen die verschiedenen Arten der Demokratie und Oligarchie erfolgreich etabliert werden können. Auch hier kommt er auf die „extremste Form der Demokratie“ zu sprechen, „an der alle Gruppen teilhaben“115 und wo einem möglichst großen Anteil der Bevölkerung das Bürgerrecht zuerkannt werde. Wieder wird die extreme Demokratie dicht bei der Tyrannis verortet, was seinen Ausdruck insbesondere in der „Unkontrolliertheit“116 der Sklaven, Weiber und Kinder finde.
111 112 113 114 115 116
Pol. V 1309b 19–16. Pol. V 1309b 34 f. Vgl. Pol. V 1312b 5 und 35. Pol. V 1313b 33–41. Pol. VI 1319b 3. Pol. VI 1319b 29.
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Im siebten Buch kommt Aristoteles nach den überwiegend empirisch-analytisch angelegten Ausführungen zu den verschiedenen Verfassungsformen auf die normative Frage nach dem besten Staat zurück. Zunächst legt er nochmals die dafür anzulegenden geistigen Maßstäbe offen. Der beste Staat muss tugendhaftes Handeln ermöglichen und somit die Grundvoraussetzungen für das Erreichen eines sinnhaft-erfüllten Lebens schaffen.117 Bei den Überlegungen, welchen Normen ein solcher Staat zu entsprechen hat, ist das richtige Maß zwischen einem Zuviel und Zuwenig ausschlaggebend. So darf der Staat weder zu klein noch zu groß sein. Das vernünftige Ausmaß der Bürgerschaft endet dort, wo die Bürger „einander nach ihren Qualitäten“ nicht mehr kennen, da dann das erforderliche Wissen fehlt, um „gerecht zu urteilen und die Ämter dem Würdigsten geben zu können“.118 Bei der Beschaffenheit des Landes ist darauf zu achten, dass „die Einwohner großzügig und maßvoll in Muße leben können“. Dabei sind die „Extreme“ der Lebenshaltung: „Ärmlichkeit“ wie „Luxus“,119 von Übel. Was die Veranlagung der Bürger angeht, werden die griechischen Stämme gerühmt. Sie bewohnen nicht nur geographisch eine „Mitte“120 zwischen den kalten Regionen des europäischen Nordens und den heißen des asiatischen Südens, sondern verbinden auch deren Vorzüge in glücklicher Mischung.121 Denn die Völker des Nordens sind tapfer, aber geistig und künstlerisch unbegabt, die Völker des Südens kreativ, aber furchtsam. Nur die Griechen sind mutig und intelligent zugleich.122 Auch im Temperament halten sie eine richtige Mitte. Aristoteles zitiert Euripides: „Wer über das Maß geliebt hat, hasst auch über das Maß“.123 Was für die Temperamente gilt, trifft auch auf den Städtebau zu: Es empfiehlt sich, eine Mitte zwischen extremen Formen einzuhalten. So propagiere Hippodamos von Milet zwar geradlinige Häuser und Straßen, doch die ältere verwinkelte Stadtanlage habe im Krieg Vorteile: Die Angreifer verirren sich im HäuserLabyrinth. Eine Kombination beider Anlageformen ist daher empfehlenswert.124 Die Baukunst stellt bei der Erörterung der Voraussetzungen für den besten Staat jedoch nur einen Nebenaspekt dar. Von zentraler Bedeutung ist demgegenüber die Erziehung, auch wenn sie – anders als bei Platon – die institutionelle Dimension nicht überflügelt. Die Erziehung ist das Medium, um junge Menschen zur Tugend und damit zu guten Bürgern zu formen. Die Mesoteslehre wird in diesem Zusammenhang am Ende des 8. Buches nochmals bemüht. Dort ist von der Rolle der Musik im Schulunterricht die Rede. Aristoteles unterscheidet zwischen drei Tonarten, in denen Melodien zum Ausdruck kommen 117 118 119 120 121 122 123 124
Pol. VII 1323a 14–1324a 4. Pol. VII 1326b 15. Pol. VII 1326b 36. Pol. VII 1327b 30. Vgl. Pol. VII 1327b 36. Vgl. Pol. VII 1327b 31. Pol. VII 1328a 16. Vgl. Pol. VII 1330b 26 f.
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(sie sollten mehr als ein Jahrtausend später die Grundlage des Gregorianischen Chorals bilden): Die „mixo-lydische“ ist eher traurig und gedrückt, die „phrygische“ reißt zur Begeisterung hin und die „dorische“ versetzt in eine „gefasste[n] Mittellage“.125 Daher favorisiert Aristoteles – anders als Sokrates, der laut Politeia die phrygische empfohlen habe126 – die „dorische“, da sie „am ruhigsten ist und am meisten männlichen Charakter zeigt. Da wir ferner die Mitte zwischen den Extremen loben und behaupten, dass man sie zu suchen habe, so hat eben die dorische Harmonie diese Natur im Verhältnis zu den anderen, und so sollen denn auch die jungen Leute vorzugsweise mit dorischen Liedern unterrichtet werden.“127 Aber, fügt er dann hinzu, bei dieser Wahl dürfe man nicht nur das „Passende“, sondern auch das „Mögliche“ ins Auge fassen. So kommt er zu einem überraschenden Schluss und greift auch hier, ganz am Ende des achten Buches noch einmal den Gedanken der „Mitte“ auf: Wenn es eine Tonart gebe, „die dem Knabenalter entspricht, weil sie bildend und zugleich disziplinierend wirkt, so mag dies von allen Harmonien am meisten die lydische sein. Demnach soll man diese drei Grundsätze für die Erziehung festhalten: das Maß, das Mögliche und das Passende.“128 Wie man sieht, wendet Aristoteles die gedankliche Figur der Mitte zwischen den Extremen auf nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens an. Sie durchzieht sein Werk von der Metaphysik und Analytik über die Topik und Ethik bis zur Politik, die wiederum die Gesamtheit sozialer Beziehungen und ihrer natürlichen Grundlagen umfasst. In der Ethik wird der gedanklichen Figur eine ontologische und eine axiologische Dimension zugewiesen: Mitte und Extreme lassen sich nicht nur empirisch-analytisch in allen Lebensbereichen erfassen und vermessen; ihnen wird auch eine Wertdimension zugeordnet. Die Mitte steht dann für die Tugend, das richtige Maß, die Extreme hingegen sind der Inbegriff aller Laster. In der Politik wird die ethische Unterscheidung auf den Bereich der Herrschaftsformen übertragen. Die beste Verfassung, die Politie, realisiert ein tugendhaftes Mittleres durch Mischung von Elementen, die in reiner, voll ausgeprägter Form von Übel sind. Das gilt für eine krasse Ungleichverteilung gesellschaftlicher Besitzstände (Übergewicht der Ober- und Unterschichten) und des daraus resultierenden politischen Einflusses ebenso wie für institutionelle Regelungen, die die Gewaltenverteilung und Ämterordnung der Polis nach den Rändern gravitieren lassen, statt sie im Interesse der mesoi maßvoll auszugleichen. Auf den ersten Blick erstaunt, dass Aristoteles eine gute Form aus der Mischung zweier schlechter hervorgehen lässt. Wäre es im Rahmen der aristotelischen Argumentation nicht plausibler, die „Politie“ als eine Mischung aus Aris125 126 127 128
Pol. VIII 1340b 1–5. Vgl. Pol. VIII 1342a 34. Pol. VIII 1342b 14–17. Pol. VIII 1342b 31–34.
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Extreme, Mitte, Mischverfassung im griechischen Altertum
tokratie und Demokratie zu beschreiben? Man hat vermutet, Aristoteles verwende im vierten Buch die Begriffe „Demokratie“ und „Oligarchie“ eben in einem wertneutralen Sinn.129 Eine andere Erklärung könnte darin bestehen, dass die Extreme an sich zwar von Übel sind, durch Mäßigung und eine angemessene Mischung aber zu einem positiven Gesamtergebnis geführt werden. Denn die Mitte steht den Extremen näher als die Extreme untereinander, und indem sie einen Ausgleich zwischen den Extremen bewirkt, kommen in ihr deren Grundinhalte in temperierter Form zur Geltung. Herrschen in einer Verfassung die extremen Kräfte vor, ist Instabilität die Folge. Die Extreme sind die Verursacher des Verfassungswandels, der metabole.130 Eine Stabilisierung der Verfassungsverhältnisse erfordert den Ausgleich der Extreme durch maßvolle, situationsgerechte Mischung sozialer und politisch-institutioneller Elemente. Die Inhalte des Extremen und der Mitte sind dabei im Einzelnen wandelbar insofern, als es zwar der Idee nach, nicht aber in der Wirklichkeit eine perfekte Lösung des Problems gibt. Auf der Grundlage der gegebenen Verhältnisse (zu denken ist an die Verschiedenheit der räumlichen, klimatischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen) muss der Staatsmann aus dem ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsrepertoire situations- und sachgerechte Lösungen finden, die nicht in allen Fällen gleich ausgeprägten Extreme in unterschiedlichen Arrangements zum Ausgleich bringen. Der Gedanke von institutionellen checks and balances wird bei Aristoteles angedeutet, aber nicht systematisch entfaltet.131 Er unterscheidet zwar drei Gewalten, entwickelt jedoch kein Programm zur Verhinderung von Machtkonzentration durch Aufgabenteilung und wechselseitige Kontrolle. Die Argumentation kreist um den Ausgleich (extremer) sozialer Interessen durch verschiedene Modi der Ämtervergabe und Kompetenzenverteilung. Auf diese Weise werden faktisch Gewalten-Dekonzentration und -Kontrolle erreicht. Die am weitesten auseinander liegenden Verfassungsformen sind die despotische Tyrannis und die vom „Pöbel“ beherrschte Demokratie. Beide Extreme stellt Aristoteles mehrfach auf eine Stufe. Wenn die Herrschaft der Vielen zum tyrannischen Regiment einer Mehrheit über die Minderheit degeneriert, entsteht ein ähnliches Klima der Furcht, des Misstrauens, der Bespitzelung, der Schmeichelei, der demagogischen Verführung und Aufwiegelung der Menge, wie es von jenen Varianten der Einherrschaft bekannt ist, die vom legitimen Königtum am weitesten entfernt sind.
129 Vgl. Riklin, Aristoteles und die Mischverfassung, S. 342. 130 Vgl. dazu auch Ryffel, METABOLH POLITEIWN, S. 160–170. 131 Vgl. Aalders, Theorie der gemischten Verfassung, S. 61; Höchli, Florentiner Republikanismus, S. 105; Kluxen, Herkunft, S. 133; Löwenstein, Verfassungslehre, S. 34; Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 57 f.; Panagopoulos, Essays on the History, S. 13; Vile, Constitutionalism, S. 22 f.
Mesoteslehre und Mischverfassungstheorie
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An dieser Stelle zeigt sich wiederum die Übereinstimmung mit der Verfassungsskala, wie sie Platon zuletzt in den Nomoi entwickelt hatte. Auch in der Begrifflichkeit hat Aristoteles an seinen Lehrer angeknüpft. Für die Begriffsgeschichte der Extreme ist die Durchdringung der aristotelischen Lehren mit den begrifflichen Kategorien Platons insofern von Bedeutung, als sich platonische und aristotelische Rezeptionsstränge oft unentwirrbar verschlingen. Darüber hinaus sind die nicht durch Platon und Aristoteles „hindurchgegangenen“ Einflüsse insbesondere der griechischen Volksethik und Medizin in Rechnung zu stellen.
III. Extreme, Mitte, Mischverfassung in der antiken und mittelalterlichen Platon- und Aristotelestradition 1.
Antike
Von einer platonisch-aristotelischen Rezeptionsgeschichte von Mesoteslehre und Mischverfassungstheorie kann insofern die Rede sein, als die begrifflichen Kategorien des Aristoteles größtenteils den Werken seines Lehrers entstammen. Die Vorzüge hochentwickelter Systematik, enzyklopädischer Breite und empirischer Fundierung erklären ein gewisses Übergewicht des aristotelischen Werkes. Doch ist die Mischverfassungslehre nicht immer durch Aristoteles „hindurchgegangen“. So hat der griechische Schriftsteller Polybios (ca. 200–120 v. Chr.), dessen Bedeutung für die Ideengeschichte der Mischverfassungstheorie kaum überschätzt werden kann, in seinen Historien mit der Lehre vom natürlichen Kreislauf, der Anakyklosis ( ¢nakÚklwsij ), der sechs Verfassungsformen (Tyrannis, Königtum, Oligarchie, Aristokratie, Demokratie und Ochlokratie)1 vor allem an die Verfassungszyklen-Lehre Platons angeknüpft. Nicht zuletzt die neue Bezeichnung „Ochlokratie“ für die Entartungsform der Herrschaft der Vielen deutet allerdings auf andere Einflüsse hin, vermutlich der peripatetischen Schule. Die Politik des Aristoteles hat Polybios wohl nicht gekannt. Der Mesotes-Gedanke tritt bei ihm hinter der neuen, dogmengeschichtlich hoch bedeutsamen Vorstellung eines Gleichgewichts und einer wechselseitigen Durchdringung und Kontrolle (später: „checks and balances“) der Verfassungselemente zurück.2 Das Bild von der Mitte und den Extremen findet dabei keine Anwendung.3 Mit der Gleichgewichtsidee wird erklärt, warum auch gemischte Verfassungen einem Prozess der Entartung unterworfen sein können. Hier ist jedoch möglich, was bei den reinen Formen zum Umschlag in eine andere Verfassung führt: die Restabilisierung der Mischverfassung durch die Herstellung eines neuen Gleichgewichts zwischen den Verfassungselementen. Im Unterschied zu Platon und Aristoteles werden die Grundelemente aller drei Verfassungstypen: Monarchie, Aristokratie und Demokratie, in eine Balance gebracht. Das Übergewicht des Volkes hatte in Karthago das Gleichgewicht zerstört, während in Rom das aristokratische Element, dessen Bedeutung Polybios hervorhebt, in Gestalt des Senats neben dem monarchischen Element der Konsulen und dem
1 2 3
Vgl. Polybios, Geschichte, VI 3 f. Vgl. Fritz, Theory, S. 184–219; Graeber, Lehre von der Mischverfassung; Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 142–153. Siehe auch Taeger, Archaeologie, S. 128–133. Teilweise überholt ist: Zillig, Theorie von der gemischten Verfassung. Vgl. auch die im Polybios-Lexikon für die „akra“ und „eschata“ (nebst wortverwandten Wendungen) angegebenen Fundstellen, die sich kaum auf politische Gegenstände beziehen: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Polybios-Lexikon, Band 1, Lieferung 1, Sp. 41–46, Band 2, Lieferung 2, Sp. 1003 f.
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Extreme, Mitte, Mischverfassung
demokratischen der Volkstribunen wie der Volksgerichtsbarkeit stark ausgeprägt war,4 was letztlich Roms Sieg im Machtkonflikt erkläre. Der Sprachgebrauch des Polybios kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die auf Aristoteles fußende Traditionsbildung für die Begriffsgeschichte der politischen Extreme von herausragender Bedeutung war. Stärker als Platon in seinem Spätwerk hatte sich Aristoteles von der rein normativen Frage nach dem besten Staat gelöst und sich auf die empirische Formenvielfalt der Poleis in der ihm bekannten Welt eingelassen. Die Fülle der Quellen, die insbesondere in der von Aristoteles angelegten Sammlung von 158 Staatsverfassungen (bis auf die athenische sind sie allesamt verschollen) ausgebreitet wurde, die breite, systematische Entfaltung des Stoffes und dessen Durchdringung mittels der in Metaphysik, Analytik, Topik und Ethik entwickelten Kategorien erklären die herausragende Bedeutung des Werkes für die Nachwelt. Allerdings weist die Rezeptionsgeschichte Brüche und Lücken auf. Erhalten sind nur die für die Lehre verfassten „esoterischen“ Schriften („Pragmatien“), während alle bereits zu Lebzeiten des Aristoteles publizierten „exoterischen“ Werke verloren gegangen sind. Die für die Nachwelt bewahrten Lehrschriften erscheinen zudem rezeptionsgeschichtlich problematisch, da sie einen sehr unterschiedlichen Bearbeitungszustand erreichten und nach dem Tod des Philosophen von Schülern zusammengestellt wurden. Dies gilt auch für die Bücher der „Politik“, die erkennbar unvollständig (das Werk endet am Schluss abrupt) sind und deren genaue Anordnung umstritten ist. Die Verwaltung der Lehrschriften oblag zunächst Aristoteles’ Schüler Theophrast (ca. 372–286 v. Chr.), unter dessen Leitung der Peripatos (auch Lykeion genannt), dem zeitweilig um die 2 000 Schüler angehört haben sollen, einen Höhepunkt erreichte.5 Theophrast vermittelte in den ethischen Vorlesungen eine Lehre vom sittlichen Verhalten des Menschen und übernahm dabei die Mesoteslehre. In seinem bekanntesten Werk, den Charakteren, skizzierte er in teilweise erheiternder Weise, aber mit hoher Genauigkeit der psychologischen Beobachtung Formen menschlichen Fehlverhaltens, wie sie Aristoteles in der Nikomachischen Ethik als extreme Entartungen einem als tugendhaft geltenden Mittleren entgegengesetzt hatte. Im Einzelnen behandelt werden die Unaufrichtigkeit, die Schmeichelei, die Redseligkeit, das bäuerliche Wesen, die Gefallsucht, die Bedenkenlosigkeit, die Geschwätzigkeit, die Gerüchtemacherei, die Unverschämtheit, die Kleinlichkeit, die Flegelei, die Aufdringlichkeit, die Übereifrigkeit, die Gedankenlosigkeit, die Selbstgefälligkeit, der Aberglaube, das Nörglertum, der Argwohn, das anstößige Benehmen, die Abgeschmacktheit, die kleinliche Eitelkeit, die Knauserigkeit, die Prahlsucht, das hochfahrende Wesen, die Feigheit, die politische Anmaßung, das Bildungsphilistertum der Betagten, die Schmähsucht, der Hang zum schlechten Umgang und der Geiz.6 Die Cha4 5 6
Polybios, Geschichte, VI 51 5 ff. Vgl. dazu auch Aalders, Theorie der gemischten Verfassung, S. 97. Vgl. Wehrli/Wöhrle/Zhmud, Peripatos, S. 498. Vgl. Theophrast, Charaktere.
Antike
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rakterbeschreibungen wurden in der Lehre verwendet und dürften für pädagogische Zwecke bestimmt gewesen sein. Sie haben später Einfluss auf Seneca und Plutarch ausgeübt.7 Auch die wesentlichen Inhalte der aristotelischen Politik mit der Lehre von der aus Oligarchie und Demokratie gemischten besten Verfassung hat Theophrast vermittelt.8 Nach dessen Tod erbte der vermutlich einzige noch lebende Aristoteles-Schüler, Neleus, die aristotelischen Lehrschriften. Nachdem er wider Erwarten nicht zum Schulleiter ernannt worden war, nahm er sie in seine Heimatstadt Skepsis mit und vermachte sie an seine Nachkommen. Deren Interesse an Philosophie war gering; sie ließen die Schriften verwahrlosen, so dass sie erst zwei Jahrhunderte später wieder entdeckt wurden.9 Dies ist einer der Gründe, warum die Lehrschriften bis ins 1. vorchristliche Jahrhundert weithin unbekannt blieben bzw. sich auf Fragmente und wenige Abschriften stützten, wie sie etwa die Bibliothek von Alexandria erworben hatte. Noch Cicero kannte von Aristoteles lediglich die (heute allesamt verschollenen) publizierten Dialoge und den von Theophrast vermittelten Stoff.10 Erst zu Beginn des 1. vorchristlichen Jahrhunderts spürte Apellikon von Teos die Schriften in Skepsis auf und brachte sie nach Athen. Als Sulla 86 v. Chr. Athen erobert hatte, soll er die Bibliothek des verstorbenen Apellikon nach Rom gebracht haben, wo er den griechischen Gelehrten Tyrannion, der mit Cicero in Verbindung stand, beauftragte, die Manuskripte zu sichten und zu ordnen. Hinzu kamen Abschriften aristotelischer Werke, die Lucullus in seiner Kriegsbeute aus Kleinasien nach Rom gebracht hatte. Auf der Grundlage dieses Materials und vermutlich zahlreicher weiterer verfügbarer Schriften, etwa aus den Beständen der alexandrinischen Bibliothek und des Lykeions in Athen, hat schließlich Andronikos von Rhodos, ein Schüler des Tyrannion und vermutlich Schulhaupt des Peripatos, spätestens in den Jahren 40 bis 20 v. Chr. in Rom eine Aristoteles-Gesamtausgabe erstellt, die bis heute die Basis der gesamten Aristoteles-Überlieferung bildet. Die Textsammlung ergänzte Andronikos durch ein umfangreiches Kommentarwerk, das ihn „zum Begründer der spätantiken Aristotelesinterpretation werden ließ und wesentlich dazu beitrug, dass die exoterischen Schriften des Aristoteles allmählich durch die Lehrschriften verdrängt wurden und schließlich verloren gingen.“11 Das Werk des Andronikos ermöglichte eine erste Aristoteles-Renaissance in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts.12 Die Philosophie des Aristoteles und des Peripatos hat indes bereits vor der editorischen und kommentatorischen Tätigkeit des Andronikos in vielfältiger 7 8 9
Vgl. Wehrli/Wöhrle/Zhmud, Peripatos, S. 530. Vgl. ebd., S. 535. Vgl. zur komplizierten, nur teilweise rekonstruierbaren Überlieferungsgeschichte: Moraux, Aristotelismus, S. 18. 10 Vgl. Düring, Aristoteles, S. 250–312. 11 Wehrli/Wöhrle/Zhmud, Peripatos, S. 593. 12 Siehe dazu Moraux, Aristotelismus, Band 1.
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Extreme, Mitte, Mischverfassung
Weise Niederschlag im Werk des römischen Staatsmannes und Gelehrten Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) gefunden. Allerdings ist er in der Tugendlehre stärker von der Stoa als vom Peripatos beeinflusst worden.13 Die Stoa zieht die Mitte zwischen Gütern und Übeln, so dass mittlere Handlungen solche sind, die weder als tugendgemäß noch als lasterhaft gelten können.14 Wenn Cicero in De officiis davor warnt, im Zorn zu strafen, weil man dann die Mitte zwischen Zuviel und Zuwenig verfehle, interpretiert er die Mitte als Mittelmäßigkeit, nicht aber als Inkarnation der Tugend, wie sie die Peripatetiker zu Recht empfohlen hätten.15 In seiner – fragmentarisch überlieferten – Schrift De re publica, die im Jahr 55 begonnen und 51 veröffentlicht wurde, hat Cicero die Mischverfassungslehre auf die römische Verfassungsgeschichte bezogen. Ohne Zweifel war er von Polybios beeinflusst, der viele Jahre in Rom gelebt hatte und dessen Historien bekannt waren.16 Ciceros Bild der Mischverfassung entspricht aber mit der ihr innewohnenden soziologischen und ethischen Dimension in mancherlei Hinsicht eher den im Peripatos kursierenden Versionen. Die Einrichtung der Mischverfassung aus Elementen der Monarchie (regnum), Aristokratie (civitas optimatium) und Demokratie (civitas popularis) vollzog sich demnach in mehreren Stufen: Unter König Servius Tullius wurde die Volksversammlung in Gestalt der Zenturiatskomitien eingerichtet, die Republik mit der Schaffung des Konsulats und der Provokation, dem Recht auf einen ordentlichen Prozess vor einem vom Volk legitimierten Gericht, etabliert, mit der Begründung des Volkstribunats schließlich eine vollständige Mischverfassung erreicht.17 In ihr kommen drei Prinzipien zur Geltung: die caritas, die Fürsorge für die Untertanen, wird durch die Konsulen, das consilium, die Beratung, durch die Optimaten des Senats, die Freiheit (libertas) schließlich durch das Volkstribunat gewährleistet. Die Verbindung der Verfassungselemente verhindert das Abgleiten in jene Exzesse, die für die Degeneration der reinen Formen charakteristisch sind. Cicero spricht hier nicht von den „Extremen“, wohl aber davon, dass „alles Übermäßige [omnia nimia], wenn es in einem Wetter, den Fluren oder den Körpern zu üppig war, meist in sein Gegenteil [in contraria fere convertuntur]“ umschlägt: „und besonders geschieht das bei den Staaten, und die allzu große Freiheit [nimiaque illa libertas] schlägt für Völker und Privatleute in allzu große Knechtschaft [nimiam servitutem cadit] aus. Daher entsteht aus dieser letzten Freiheit [hac maxima libertate] der Tyrann [tyrannus] und jene ungerechteste und härteste 13 Vgl. Dieter, Zum Begriff der Moderatio bei Cicero, S. 69–81; Gigon, Cicero und Aristoteles, S. 143–162. 14 Vgl. Klingeis, Tugendprinzip, S. 33–49, 142–172, 269–288, VIII (1921), S. 1–14, 83– 112, hier VII, 35. 15 „numquam enim iratus qui accedet ad poenam mediocritatem illam tenebit, quae est inter nimium et parum, quae placet Peripateticis et recte placet, modo ne laudarent iracundiam et dicerent utiliter a natura datam.“ Cicero, De officiis, S. 78 (I 89). 16 Vgl. Aalders, Theorie der gemischten Verfassung, S. 109. 17 Cicero, De Re Publica, II 39–59. Vgl. Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 154 f.; ders., Cicero, S. 59.
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Knechtschaft.“18 Die Rede ist auch von den „Fehlern“ und „Lastern“ („facile in contraria vitia convertuntur“, „magnis principum vitiis“19), die aus der mangelnden sozialen Integration der Volksteile entstehen. Den „Umschlag“ („conversio“) von einem zum anderen Übel verhindert die aus den einfachen Formen ausgeglichen und maßvoll gemischte („aequatum et temperatum ex tribus primis rerum publicarum modis“20) Verfassung. An die Terminologie der Mesoteslehre hat Cicero auch in seiner Abhandlung über die letzten Ziele menschlichen Handelns (De finibus bonorum et malorum) angeknüpft. Hier setzt er sich in einem Dialog, der im Jahr 79 in der Athener Akademie geführt worden sei, kritisch mit dem Glücksbegriff der Epikuräer und Stoiker auseinander und gelangt zu dem Schluss, die Peripatetiker (in Wirklichkeit handelt es sich im Wesentlichen um die Ethik des Antiochos aus Askalon21) hätten die richtige mittlere Bestimmung des menschlichen Glücks gefunden, wenn sie es weder als von äußeren Gütern völlig unabhängig (Stoiker) noch von ihnen vollkommen abhängig (Epikuräer) ansähen. Eher der epikuräischen Besonnenheit, der sophrosyne, nahe steht Horaz (65– 8 v. Chr.), wenn er in seinen Oden einen „goldenen Mittelweg“ empfiehlt. Die bekannteste Stelle lautet: Auream quisquis mediocritatem diligit, tutus caret obsoleti sordibus tecti, caret invidenda sobrius aula. Jeder, der den goldenen Mittelweg einschlägt, auf Sicherheit bedacht, wird nicht aus schmutzigem Geiz sein Haus verfallen lassen, wird nicht, besonnen wie er ist, sich Neider schaffen durch einen Prachtbau.22 Die „Definitionen“, die Horaz für die aequa mens zwischen entgegengesetzten Haltungen gibt, entsprechen der platonisch-aristotelischen Unterscheidung zwischen hyperbole, meson und elleipsis und dürften ein Beleg dafür sein, wie sehr diese allgemeines Bildungsgut geworden war. Dafür spricht auch die Satire I,2. Sie beginnt mit einer Reihe von Typen, die Fehlverhalten vermeiden wollen und dabei in das entgegengesetzte Extrem fallen: „Meidet der Dummkopf ein Laster, verfällt er ins Gegenteil schließlich (dum vitant stulti vitia, in contraria currunt).“ Daraus lässt sich schließen: „Maß und Mitte – sie fehlen (nil medium est).“23 In ähnlicher Weise wird im Brief I,18 das angemessene Betragen eines 18 19 20 21 22 23
Cicero, De Re Publica, I 68. Ebd., I 69. Ebd., I 69. Vgl. Gawlick/Görler, Cicero, S. 1040. Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden, S. 104 f. (II,10). Q. Horatius Flaccus, Satiren – Briefe. Sermones – Epistulae, S. 18 f. (I,2 24, 28).
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Freundes als Mitte zwischen Plumpheit und Schmeichelei bestimmt und gesagt, Tugend sei die Mitte zwischen zwei Lastern und halte sich von diesen zurück: „virtus est medium vitiorum et utrimque reductum“.24 Trotz dieser Bezugnahme „wäre es falsch zu sagen, Horaz schwanke zwischen Peripatos und Epikur. Nicht er koppelt in diesem Punkt die Lehre der beiden Schulen, sondern diese berühren sich hierin selbst.“25 Der griechische Historiker Dionysios von Halikarnassos (um Christi Geburt) gibt in seinen Antiquitates Romanae eine Rede des Brutus nach der Vertreibung der römischen Könige wieder, in der eine Mischung aus Monarchie, Oligarchie und Demokratie zur Vermeidung extremer Staatsverhältnisse („polite…an ¥kraton“26) empfohlen wird. Hier könnte er von Cicero, aber auch von Polybios beeinflusst worden sein, da seine Darstellung des Verfassungskreislaufs dem der Anakyklosis-Lehre ähnelt. Allerdings ist die Abfolge der Verfassungen nicht so streng fixiert. Demokratie wie Aristokratie können zur Tyrannis entarten, und die Pöbelherrschaft muss keinen Rückfall in das Gewaltregime der Urmonarchie zur Folge haben.27 Die weitere Rezeption des Begriffs der Extreme, soweit sie mit der Mischverfassungslehre einherging, wurde von der Verfassungsentwicklung des römischen Imperiums geprägt. Sie war in den griechischen Poleis als Lösung für das Problem der besten Verfassung entstanden. Unter den Bedingungen des Prinzipats konnte sie – abgesehen von historischer und rein theoretischer Reflexion – „nur dazu dienen, die tatsächlich bestehende Verfassung als eine gemischte zu preisen, wobei eine ziemlich willkürliche und gewaltsame Interpretation“28 des römischen Kaiserreiches unvermeidlich war. Nachklänge finden sich im biographischen Werk Plutarchs (ca. 45–125 n. Chr.), wo die Mischverfassung und der Begriff der Extreme gelegentlich in historischen Betrachtungen auftauchen. Bei der Darstellung der Auseinandersetzungen mit der Partei des aristokratischen athenischen Politikers Kimon charakterisiert Plutarch die von Perikles gemeinsam mit Ephialtes betriebene Entmachtung des Areopags (462/61 v. Chr.) zugunsten der Volksversammlung und der Volksgerichte als ein Abgleiten in die „¥kraton dhmokrat…an“.29 In der panegyrischen Vita Lycurgi begegnet der Ausdruck „gemischt“ häufiger im Sinne von „gemäßigt“ und im Gegensatz zu „extrem“. Die Dauerhaftigkeit der Verfassung Spartas wird auf ihren gemischten Charakter zurückgeführt. Die Mesoteslehre klingt an, wenn Plutarch die Einrichtung der Gerusie in der Mitte
24 Ebd., S. 208 (I,18 9). 25 Lefèvre, Horaz, S. 210. 26 Dionysius of Halikarnassus, Roman Antiquities, S. 306 (VII, 55,2). Vgl. den Hinweis bei Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 25. 27 Dionysius of Halikarnassus, Roman Antiquities, VII 56 f. Vgl. Aalders, Theorie der gemischten Verfassung, S. 119. 28 Aalders, Theorie der gemischten Verfassung, S. 120. 29 Plutarch, Lives, Band II, S. 450 (XV, 2).
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(„™n mšsw“30) zwischen Königen und Volk verortet. Auch in der ethischen Beurteilung der Mischverfassung Spartas, die der Gerechtigkeit gedient habe, wird das geistige Erbe Platons und Aristoteles’ sichtbar.
2.
Mittelalter
Mit Plutarch versiegen die Quellen zum Begriff der politischen Extreme für einige Jahrhunderte. Im Zuge der lebhaften Kommentatorentätigkeit, die im 2. nachchristlichen Jahrhundert einen Höhepunkt erreichte, als Alexander von Aphrodisias den bereits unter Marc Aurel eingerichteten Lehrstuhl für peripatetische Philosophie in Athen bekleidete, standen die vielfach verwertbaren logischen Schriften (das sogenannte „Organon“) im Mittelpunkt.31 Bis ins hohe Mittelalter galt Aristoteles überwiegend als Logiker, und die „Extreme“ begegnen hier vor allem als Elemente des Syllogismus, der in den Etymologiae Isidor von Sevillas (ca. 560–636) in folgender Weise definiert wird: „Syllogismus igitur est propositionis et adsumptionis confirmationisque extrema conclusio aut ex ambigentis incerto, aut ex fiducia conprobantis.“32 Die Kirchenväter gaben in den ersten Jahrhunderten bei der Indienstnahme der griechischen Philosophie Platon den Vorzug, weil sie dessen (in einer geschlossenen göttlichen Weltordnung verankerte) Ideen als dem Christentum näher stehend betrachteten.33 Dabei konzentrierte sich das Interesse auf die Ethik. Der Gedanke der mediocritas virtutis drang tief in die christliche Ethik ein, vermischt allerdings mit neuplatonischen und stoischen Elementen.34 Von Hieronymus (ca. 342–420) an, der in seinen Schriften eine auf dem aristotelischen Tugendbegriff basierende Ethik entwickelte, lässt sich eine lange Reihe christlicher Theologen aufführen, die einer in der Mitte angesiedelten temperantia und moderatio an den äußersten Enden zu verortende vitii gegenüberstellen. Von den extrema, wie sie Adelard von Bath (ca. 1080–1160) aus der Schule von Chartres benennt (bei der Einpflanzung in den Körper habe die Seele die Aufgabe erhalten, für Maß und Mitte zu sorgen: „ut extrema superfluitatis et diminutionis irascens corrigere mediumque tenere cupiditate affectaret“35), ist dabei allerdings nicht immer die Rede. Die Ethik der Mitte und des Maßes prägte den Policraticus und Entheticus des englischen Humanisten und Abälard-Schülers John of Salesbury (1115–1180). Das angemessene Verhalten fand auch er in der Mitte zwischen den Extremen: 30 Pluarch, Vitae Parallelae, S. 172 (92.16). Siehe dazu auch die Hinweise bei: Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 22 und Aalders, Theorie der gemischten Verfassung, S. 124–126. 31 Vgl. Flashar, Aristoteles, S. 449. 32 Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum, Band 1, II ix 1. 33 Vgl. Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode, S. 93. 34 Vgl. Hermanns, Mäßigung. 35 Adelard von Bath, De eodem, L.c. 15,31. Vgl. Hermanns, Mäßigung, S. 36.
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Extreme, Mitte, Mischverfassung
„Temperiem mediae faciunt extrema, iubetque Ut medium teneat, qui bonus esse cupit.“36 Die Tugendlehre wurde allerdings vielfach nicht auf den Bereich des Politischen im engeren Sinne angewendet. Das galt auch für die Aristoteles-Rezeption, die Mitte des 7. Jahrhunderts mit der Berufung des Aristoteles-Kommentators Stephanos nach Byzanz / Konstantinopel einsetzte. Innerhalb der AristotelesRezeption der syrischen und arabischen Welt spielte die Politik ohnehin keine Rolle, wiewohl dieser Überlieferungsstrang wesentlich zum Eindringen des Aristotelismus in die gelehrte Welt des europäischen Mittelalters beitrug, insbesondere nachdem viele griechisch-arabische Gelehrte in den Westen gegangen waren – in das im 9. Jahrhundert von den Arabern besetzte Sizilien und später in das Kalifat von Cordoba, wo vor allem Ibn Rušd (Averroës, 1126–1198) als bedeutendster orientalischer Vermittler des Aristotelismus an die Scholastik wirkte. Die islamischen Philosophen wussten von der Existenz einer aristotelischen politischen Wissenschaft, kannten aber die Politik selbst nicht.37 Das trifft auf einen Autor nicht zu, der neben Augustinus die Frühscholastik wohl am stärksten beeinflusst hat. Der Aristoteles-Übersetzer und -Kommentator Boëthius (480–524) entstammte einer der einflussreichsten und begütertsten Familien Roms, hatte eine gründliche Ausbildung genossen, möglicherweise in Athen studiert und verfügte, was in der damaligen Zeit im lateinischen Westen bereits selten war, über ausgezeichnete Kenntnisse der griechischen Sprache. Er war mit den Werken Platons und Aristoteles’ umfassend vertraut. Boëthius beabsichtigte, die gesamten Werke der beiden Philosophen ins Lateinische zu übersetzen und zu kommentieren. Doch der Plan blieb weitgehend uneingelöst – zum einen, weil er am Hof Theoderichs Karriere machte, bis ins höchste Amt, das des Kanzlers, aufstieg, zum anderen, weil er in Ungnade fiel und im Alter von 44 Jahren, vermutlich Opfer einer Intrige, wegen angeblicher Konspiration mit Byzanz hingerichtet wurde. So konnte Boëthius nur die ersten logischen Abhandlungen des Aristoteles, die Kategorienschrift und den Traktat über den Satz, ins Lateinische übertragen und kommentieren. Das war der wesentliche Grund, warum die mittelalterliche Aristoteles-Rezeption in so hohem Maße von den arabischen Quellen abhängig blieb. Es fehlten „die aristotelischen Realwissenschaften, die Seelenlehre, Biologie, Physik, Poetik, aber auch die Metaphysik, die Ethik und die Politik. Aristoteles galt daher für sechs Jahrhunderte primär als Logiker. Da die Logik die am besten dokumentierte philosophische Disziplin war, erhielt sie für das Denken des frühen Mittelalters paradigmatische Funktion. Wissenschaftlich denken, das hieß: die Logik des Aristoteles auf ein gegebenes Feld anwenden.“38 36 John of Salesbury, Etheticus, v. 751 f (M. 199, 981). Zitiert nach Hermanns, Mäßigung, S. 45, mit weiteren Belegen. 37 So erwähnt der persische Philosoph Avicenna (Abu ’Ali al-Husayn Ibn Sina; 980–1035) eine „Politik“ des Aristoteles, geht aber nicht auf deren Inhalt ein. Vgl. Butterworth, Lehren, S. 146. 38 Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, S. 48. Siehe auch Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode, S. 148–177.
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Allerdings wusste man von Boëthius u. a., dass es auch eine aristotelische Politik gab. Boëthius hatte nämlich die Wissenschaften systematisiert, in „theoretische“ und „praktische“ eingeteilt. Zu den praktischen zählte die sciencia politica als philosophia moralis mit den Teildisziplinen Ethik, Ökonomik und Politik. An diese Auffächerung knüpften Cassiodorus (ca. 490–583), Isidor von Sevilla, Hugo von St. Victor (gest. 1141 in Paris) und Gundissalinus (bezeugt bis 1182, Toledo) im Wesentlichen an.39 Die Politik des Aristoteles selbst wurde aber erst im 13. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt, und zwar gleich zweifach. Zunächst entstand eine unvollständige Version (translatio imperfecta), vermutlich zwischen 1255 und 1261. Ihr Verfasser könnte ebenso wie im Falle der zweiten, vollständigen Übersetzung (vor 1267; translatio completa) der flämische Dominikaner Willem van Moerbeke (ca. 1215–1286) gewesen sein, dessen Autorschaft bei der zweiten Übersetzung unbestritten ist.40 Bald darauf entstanden die ersten Kommentare. Albert von Köln (Albertus Magnus, ca. 1193– 1280) verfasste einen Kommentar im Rahmen des Studium generale bei den Kölner Dominikanern, sein Schüler Thomas von Aquin (1225–1274) kommentierte die Politik während seines Aufenthaltes im Pariser Dominikanerkloster St. Jacques in den Jahren 1269 bis 1272. Es war kein Zufall, dass beide Kommentatoren dem Dominikanerorden angehörten. Der 1216 von dem kastilischen Adligen Dominikus gegründete Orden wollte in Abkehr von klösterlicher Weltabgeschiedenheit predigend in die Welt ziehen, in öffentlichen Vorträgen und Gesprächen den Menschen Gottes Wort nahe bringen. Dies setzte gründliche theologische und philosophische Studien voraus. Bereits 1217 hatte Dominikus sieben Ordensbrüder zum Studium an die Universität Paris geschickt. Dort und in Bologna entstanden die ersten Häuser. Zu den drängendsten geistig-religiösen Problemen der Zeit zählte „die Frage nach der Vereinbarkeit von Evangelium und Aristoteles, von Glauben und Wissen. Die Frühscholastik des 12. Jahrhunderts hatte sich der Dialektik als einer exegetischen Methode bedient; aber durch die Schule von Chartres und die philosophische Häresie eines Amalrich von Bène war auch der Inhalt des antiken Denkens zur Diskussion gestellt worden. Das war möglich, seitdem man im Abendland nicht mehr nur den von Boëthius übersetzten Aristoteles, seine logischen und sprachlogischen Schriften zur Hand hatte. Aus Sizilien und durch die Übersetzerschule von Toledo, vor allem durch Gerhard von Cremona, erhielt man seit etwa 1150 den neuen Aristoteles der Metaphysik, der Ethik und der Naturwissenschaften und fand hier ein geniales und geschlossenes Gebäude aller Wissenschaften, eingeteilt nun aber nicht nach den Prinzipien der göttlichen Weltschöpfung, sondern nach den Gegenständen der sinnlichen Welt und den Grundsätzen der rationalen Abstraktion.“41 Dieser neue Aristoteles war aller39 Vgl. auch zum Folgenden: Flüeler, Rezeption, S. 2 f.; Grabmann, Die mittelalterlichen Kommentare. 40 Vgl. zur Frage der Datierung und Autorschaft die komplizierte Beweisführung bei: Flüeler, Rezeption, S. 15. 41 Borst, Bewegungen, S. 544.
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dings schwer zugänglich. Die lateinischen Übersetzungen stützten sich nicht auf die griechischen Originale und waren voller Arabismen und Hebraismen. Die Kommentare erschienen an vielen Stellen dunkel und unverständlich. Der beste stammte von dem bereits erwähnten spanisch-islamischen Gelehrten Averroës, dessen Schriften nach seinem Tod 1198 mitübersetzt wurden. Hierbei handelte es sich jedoch um eine glaubensgefährdende Erbschaft, da „die Mohammedaner den Aristoteles im Licht des Islams und ihres Neuplatonismus auslegten; sie akzentuierten Sätze wie den, dass die Materie der Welt nicht geschaffen und also ewig, aber die menschliche Einzelseele nicht unsterblich sei – eindeutig unchristliche Lehren. Was sollte dann aber aus der Universität werden, die auf Aristoteles schwor und sich eben mühsam ihren Raum der Lehrfreiheit erkämpfte?“42 Albert von Köln erkannte den überragenden geistigen Rang der aristotelischen Schriften, wie sie ihm nicht zuletzt in den arabischen Kommentaren entgegentraten. Er fasste den Entschluss, die Philosophie des Aristoteles, der ihm als ein „princeps peripateticorum“ und „archidoctor philosophiae“43 galt, der gelehrten Welt des Westens in umfassender Weise zugänglich und einsehbar zu machen. Er wollte zur Versachlichung der erregt geführten theologischen Kontroversen beitragen. Er hatte begriffen, dass christliche Glaubenslehre und kirchliche Herrschaft ins Wanken geraten mussten, wenn man das Wissensbedürfnis einer sich wandelnden Gesellschaft missachtete. Albert leitete – mit anderen – nach den päpstlichen Aristoteles-Verboten von 1210 und 1231 eine Wende ein: „Dabei hatte er schon die größte Mühe, seine Ordensgenossen zu überzeugen, dass man die Schriften der Heiden vorurteilslos prüfen müsse. Zuweilen stöhnte er – mitten in einem Kommentar – über den Obskurantismus seiner Ordensbrüder und verteidigte sich mit folgender Überlegung: Er wollte nicht philosophische Argumente an die Stelle des Hl. Geistes und der Wunder setzen, sondern als Argumente zweiter Ordnung gebrauchen.“ Die Philosophen bestünden nämlich darauf, jeden Satz eingehend auf Stimmigkeit zu prüfen, bevor sie bereit seien, seine Geltung zu akzeptieren. „Aber da gebe es Leute, die in ihrer Unwissenheit jeden Gebrauch der Philosophie bekämpften, ‚vor allem bei den Dominikanern, wo ihnen keiner Widerstand leistet. Wie Tiere gehen sie gegen das an, was sie nicht kennen.‘ Die Kulturfeindlichkeit innerhalb der religiösen Reformbewegung des 13. Jahrhunderts zurückgedrängt und dem Studium der Philosophie ein Heimatrecht in der theologischen Ausbildung gegeben zu haben, ist eines der Verdienste Alberts. Studium der Philosophie – das hieß von da an vor allem das Studium des Aristoteles.“44 Ob Albert seinen Kommentar zur Politik des Aristoteles früher verfasst hat als sein Schüler Thomas, ist umstritten. Ohne Zweifel war sein Wirken für die Rezeption der aristotelischen Politik bahnbrechend. Von 1228 an hatte er als Lektor in Köln, der damals größten deutschen Stadt, gewirkt und war nach ei42 Ebd., S. 544 f. 43 Zitiert nach Honnefelder, Bedeutung, S. 256. 44 Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, S. 317 f.
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ner Lehrtätigkeit in Paris in den Jahren 1245 bis 1248 wiederum dorthin zurückgekehrt, um das Studium generale der Dominikaner aufzubauen. Seine Kölner Forschungs- und Lehrtätigkeit unterbrach er von da an nur noch einmal, in den Jahren 1260–62, als er Bischof von Regensburg war. In Deutschland gab es zu dieser Zeit „noch keine Universität; für die nächsten hundert Jahre spielte sich intellektuelles Leben fast ausschließlich bei den Dominikanern ab, mit Köln als Zentrum, und in ständigem Austausch mit Paris. Nicht, als habe Köln sich mit Paris oder mit Oxford messen können, aber mit Albert und Eckhart, mit Dietrich von Freiberg und Berthold von Moosburg hat es bedeutende Denker hervorgebracht. So wurde Köln für fast ein Jahrhundert ein drittes Zentrum der intellektuellen Welt des Westens.“45 Von der Jahrhundertmitte an bemühte sich Albert, dem lateinischen Westen alle Werke des Aristoteles zu erschließen. Er paraphrasierte die aristotelischen Schriften, fügte an strittigen Stellen Exkurse ein. „Er erklärte, bei diesen Paraphrasen gebe er nicht seine Theorien, sondern die der Aristoteliker wieder. Doch gab er oft genug diese Zurückhaltung auf, um die Partei der Peripatetiker zu ergreifen.“46 So erläuterte Albert ausführlich und zustimmend die in der Nikomachischen Ethik entfaltete Mesoteslehre. Die Doppelnatur des Extremen arbeitete er klar heraus: Einerseits manifestierte es sich auf der Seinsebene in Gestalt der lasterhaften Gegenpole (Übermaß und Mangel) eines als vorbildhaft geltenden „mittleren“ Verhaltenstyps („Virtus autem medietas est duarum malitiarum: unius quidem secundum superabundantiam dictae, alterius autem secundum defectum“47), andererseits kennzeichnete es auf der Sollensebene die Tugend selbst: „Virtutem ergo esse in medio, causa est virtutem esse in extremo secundum bonum et optimum“.48 Die Tugend als axiologisches „Extrem“ war indes für die Terminologie der Politik ohne Bedeutung, da hier die Extreme ausschließlich als Gegenpole, Aberrationen, Übertreibungen in Bezug auf ein Mäßigung zum Ausdruck bringendes Mittleres in Erscheinung traten. Allenfalls konnten die Extreme durch Mischung in einer Mitte zum Ausgleich gebracht werden – ein im IV. Buch breit entwickelter49 und von Albert ausführlich kommentierter Gedanke: „mixtas esse bene, id est, quia extrema in medio bene mixta sunt“.50 Albert zog den Vergleich mit dem Begriff des Neutrums bei den Grammatikern und der ausgleichenden Wirkung verschiedener Winde im Wettergeschehen. Danach erläuterte er ausführlich die von Aristoteles beschriebene Kombination oligarchischer und demokratischer Elemente in der Verfassung Spartas. 45 Ebd., S. 317. 46 Ebd. 47 Alberti Magni ratisbonensis episcopi, ordinis praedicatorum, Opera Omnia, volumen septimum Ethicorum Lib. X, S. 179 (Lib. II, Tract. II, Caput V). 48 Ebd. Vgl. zu dieser Stelle auch Schilling, Mesotes, S. 5. 49 Vgl. Pol. IV 1294b 14–18. 50 Alberti Magni ratisbonensis episcopi, ordinis praedicatorum, Opera Omnia, volumen octavum Politicorum Lib. VIII, S. 366 (Lib. IV, Cap. 7; Hervorhebung im Original).
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Nicht weniger ausführlich kommentierte er die Ausführungen zur besten Verfassung, in der weder Reiche noch Arme, sondern viele mittlere Existenzen dominieren.51 Hier werden die Auswüchse („per excessum extremorum“52) vermieden, die einerseits aus den despotischen Neigungen weniger Macht- und Besitzgieriger („servorum et despotorum civitas: quod est contra rationem civitatis“53), andererseits aus der Zügellosigkeit der in extremer Armut („in extrema paupertate“54) Dahinvegetierenden hervorgehen. Tragen dagegen viele Besitzer mittlerer Vermögen das Gemeinwesen („civitates [...] in quibus multi cives sunt medii inter divites et pauperes“55), lassen sich die Gefahren der allesamt zur Tyrannis abgleitenden „extremae politiae“56 bannen. Albert reicherte dieses Gedankengebäude mit biblischen Weisheiten an und stellte es auf diese Weise in den Dienst christlicher Ethik und Weltauffassung. Nicht nur Albert, auch sein Schüler Thomas von Aquin kommentierte die aristotelischen Schriften.57 An der Pariser Artistenfakultät hatte es heftige Auseinandersetzungen um den Averroismus gegeben, besonders um die Frage der Einzigartigkeit des Intellekts, die Negation der Willensfreiheit mit Berufung auf die Bewegung der Gestirne, die Ewigkeit der Welt, die Leugnung des Anfangs der Welt, die Unmöglichkeit körperlicher Qualen nach dem Tod im Höllenfeuer, die Unwissenheit Gottes um die Taten der Einzelmenschen usw. Für die Auseinandersetzungen mit den Thesen der Averroisten benötigte Thomas detailliertere Kenntnisse der aristotelischen Schriften. Bereits in Italien hatte er sich für die Aristoteles-Übersetzungen des brabantischen Dominikaners Willem van Moerbeke interessiert. Durch seine lateinischen Übersetzungen wurden die Schriften und antiken Kommentare zugänglich. In Paris kommentierte Thomas fast alle wichtigen Texte des Aristoteles, darunter auch Ethik und Politik. Da er lediglich die ersten drei Bücher der Politik behandelte, spielen dort die Extreme keine Rolle. Dagegen stehen sie in den Kommentaren zur Nikomachischen Ethik erwartungsgemäß im Mittelpunkt. Aus der Vielzahl einschlägiger Passagen sei nur jene wiedergegeben, wo die Doppelgestalt des Extremen erläutert wird. Die Tugend ist auf der ontologischen Ebene ein Mittleres, auf der axiologischen hingegen ein Äußerstes: „secundum obiecta autem medium competit virtuti, extrema autem vitiis. Et ideo philosophus dixit quod secundum rationem boni, virtus est in extremo, sed secundum substantialem speciem est in medio.“58 51 Vgl. Pol. IV 1295b 1 ff. 52 Alberti Magni ratisbonensis episcopi, ordinis praedicatorum, Opera Omnia, volumen octavum Politicorum Lib. VIII, S. 377 (Lib. IV, Cap. 9). 53 Ebd. 54 Ebd., S. 379. 55 Ebd., S. 378. 56 Ebd., S. 380. 57 Vgl. auch zum Folgenden: Chenu, Werk; Grabmann, Thomas von Aquin; Schilling, Staats- und Soziallehre. 58 Thomas von Aquin, Opera omnia, Band 4, S. 159 (053 CTC Ib2 Ic7 n. 9).
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Der Einfluss der aristotelischen Ethik und Politik ist aber nicht nur in den Kommentaren greifbar. Bereits in der noch in Rom begonnenen Summa theologiae und im Fürstenspiegel De regimine principum finden sich zahlreiche Verweise auf beide Werke. Wie bei Aristoteles ist es das „Endziel der zu gemeinsamem Leben vereinigten Gesellschaft, nach der Tugend zu leben“.59 Die Mitte der Tugend aber erreicht, wer ein Übermaß an Vergnügungen meidet: „Sic enim superfluitate vitata facilius ad medium virtutis pervenietur.“60 Diese Feststellungen findet man gegen Ende des fragmentarisch überlieferten Traktats De regimine principum ad regem Cypri, verfasst für den König des Kreuzfahrerstaates auf Zypern. Hier behandelt Thomas praktische Fragen – wie diejenige, welche Gesichtspunkte der König im Auge behalten solle, wenn er geeignete Orte zur Errichtung von Städten und befestigten Plätzen auswählt. Da „übergroße Annehmlichkeiten der Landschaft den Menschen im Übermaß zum Vergnügen locken, was wieder für den Staat größten Schaden bedeutet, ist es notwendig, sie mit Maß [moderate] zu genießen“.61 Auch in der Verfassungslehre des Aquinaten ist der aristotelische Einfluss spürbar. Zwar plädiert er für das Königtum, empfiehlt aber, die Kompetenzen des Monarchen wirksam zu beschränken. So ist es keineswegs ausreichend, auf die charakterliche Eignung des Prätendenten zu achten. Vielmehr ist „die Verwaltung des Königreiches auf eine Weise einzurichten, dass bereits durch die Verfassung dem König jede Gelegenheit, eine Gewaltherrschaft aufzurichten, entzogen wird. Zugleich muss seine Macht so eingeschränkt werden [temperetur potestas], dass er gar nicht imstande ist, sich leichthin der Tyrannei zuzuwenden.“62 Das mit einer Tyrannei verbundene Äußerste an Willkür, Gewalt und Grausamkeit wird hier als excessus bezeichnet. Vieles spricht dafür, dass Thomas an die Beschränkung des Königtums durch aristokratische und demokratische Elemente dachte. So heißt es in der 105. Untersuchung der Summa theologiae nach einer kurzen Rekapitulation zur Staatsformenlehre des Aristoteles: „Die beste Fürstenordnung in einem Staate oder in einem Reiche ist daher die, worin Einer der Tugend gemäß an die Spitze gestellt wird, der allen vorsteht; und unter ihm stehen etliche, die der Tugend gemäß Führerschaft haben; und doch gehört eine solche Führerschaft an alle, sowohl weil sie aus allen erwählt werden können, als auch weil sie ja aus allen erwählt werden. Das ist nämlich die beste Staatsbestellung, dass sie ein gutes Miteinander aus Königtum hat, insoweit Einer an der Spitze steht, und aus der Bestherrschaft (aristocratia), insoweit viele der Tugend gemäß in Führerschaft stehen; und aus der Volksherrschaft (democratia), insofern weit aus dem Volk die Fürsten erwählt werden können und die Wahl der Fürsten ans Volk gehört.“ 59 Thomas von Aquin, Herrschaft der Fürsten, S. 53 (I xiv); „finis esse multitudinis congregatae vivere secundum virtutem“; ders., De regimine principum ad regem Cypri, S. 17 (I xiv). 60 Ebd., S. 23 (II iv). 61 Ebd., S. 70 (dt.), S. 23 (lat., II iv). 62 Ebd., S. 22 (dt.), S. 7 (lat., I vi). Vgl. zu dieser Stelle vor allem: Blythe, Ideal Government, S. 49–59; Matz, Nachwort, S. 84. Siehe auch: Goertz, Staat und Widerstandsrecht; Turchetti, Tyrannie, S. 267–274.
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Die Bedeutung dieser Ausführung wird durch die Berufung auf die „dem göttlichen Gesetz“63 gemäße Mischverfassung der Israeliten unter Moses und seinen Nachfolgern unterstrichen.64 Thomas von Aquins Schüler Ptolemäus von Lucca hat das Fragment seines Lehrers fortgeführt.65 Unter dem gleichen Titel sind im 13. und 14. Jahrhundert mehrere Abhandlungen erschienen (u. a. von Aegidius Romanus, Petrus de Alvernia, Engelbert von Admont und Jean Quidort), in denen die Mischverfassung als eine reale Gestaltungsoption aufgegriffen wird. Die stärkste Tendenz in Richtung auf eine unbeschränkte Monarchie zeigt der Philipp IV. („der Schöne“) von Frankreich gewidmete, um 1278 entstandene Fürstenspiegel des Augustiner-Eremiten Aegidius Romanus (auch Egidius Colonna oder Giles de Rome; ca. 1243–1316), der zwischen 1269 und 1272 Thomas von Aquins theologische Vorlesungen in Paris gehört hatte und dort später (von 1285 bis 1291) selbst lehrte. Die Loslösung des Monarchen vom positiven Recht bedeutet nicht Schrankenlosigkeit.66 Er ist an das Naturrecht gebunden, dem Gemeinwohl verpflichtet und unterliegt den klassischen Tugendpflichten, nicht zuletzt der Mäßigung („temperantia“67). Ausführlich setzt sich Aegidius mit den Ursachen und Formen der Tyrannis auseinander, die in aristotelischer Tradition als die schlimmste aller Herrschaftsformen gilt. Sie kann aus der Monarchie hervorgehen, wenn diese einer „intentionem perversam“ folgt, ebenso aber auch aus der ins Extrem fallenden Oligarchie: „tyrannidem esse oligarchiam extremam idest pessimam“.68 Die Verknüpfung der aristotelischen Verfassungslehre mit einer Erörterung der Tugendpflichten in der Art des Fürstenspiegels findet sich ebenfalls in Engelberts von Admont (ca. 1250–1331) Abhandlung De regimine principum. Engelbert setzte sich jedoch im Gegensatz zu Aegidius, dessen Abhandlung er kannte,69 systematisch mit den verschiedenen Formen der Mischverfassung auseinander und zog diese auch als reale Gestaltungsformen (neben dem gemäßigten Königtum) in Erwägung.70 Engelbert war vermutlich im Alter von 17 Jahren in den Konvent des steirischen Benediktiner-Klosters Admont eingetreten und hatte die logischen und naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles bereits während seines Studiums in Prag (1271–1274) kennengelernt. Diese Kenntnisse erweiterte er an der Universität in Padua, wo ihn die „laikale Prägung der
63 Thomas von Aquin, Summe der Theologie, S. 505 f. (105. Untersuchung, Erster Artikel). 64 Vgl. dazu auch: Tierney, Aristotle, S. 2. 65 Vgl. Ptolemy of Lucca, On the Government of Rulers. Die Extreme spielen in diesem Werk keine Rolle. 66 Vgl. zu dieser Frage Blythe, Ideal Government, S. 70 f.; Lambertini, A proposito della ‚costruzione‘, S. 315–370; Turchetti, Tyrannie, S. 274–276. 67 Egidio Colonna, De Regimine Principum, S. 475 (II. Pars, Lib. III, Cap. IX). 68 Ebd., S. 469 (II. Pars, Lib. III, Cap. VII). 69 Vgl. Ubl, Engelbert von Admont, S. 70. 70 Vgl. Blythe, Ideal Government, S. 118–138.
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Gesellschaft und die republikanische Verfassung der Kommune“71 beeinflusst haben dürften. Nach dem Wechsel an die Dominikanerhochschule (1281–1285) machte er sich mit der damals noch im Ruch der Häresie stehenden thomistischen Theologie vertraut, die sein Weltbild prägen sollte.72 Die nach seiner Rückkehr aus Italien entstandene, 1290 abgeschlossene Abhandlung De regimine principum besticht in den ersten beiden Kapiteln durch eine systematische, mit Beispielen aus Geschichte und Gegenwart illustrierte Erörterung der mathematisch möglichen Mischverfassungen, wobei er von vier einfachen, „natürlichen“ Grundformen („Olicratia, Democratia, Aristocratia & Monarchia sint simplices & quasi naturales species regiminis Politici“73 – die Aristokratie unterscheidet sich als Tugendregiment von den anderen Formen der Minderheitsherrschaft) ausgeht und daher Mischungen aus zwei, drei und vier Elementen kennt.74 Die Terminologie der Mesoteslehre erscheint zum einen bei der ethischen Grundlegung, wo Engelbert das moralisch Richtige als eine Mitte zwischen extremen Verhaltensformen bestimmt: „Medium autem in moralibus est id, quod ordinatur in finem ut effectivum ipsius finis, & habet ista duo extrema, scilicet principium inchoationis & finem intentionis. Rectum autem est, cujus medium non exit ab extremis. Ergo Rectum in moralibus similiter erit, quando medium, id est, illud quod est effectivum ipsius, non disconvenit, nec contrariatur principio inchoationis & fini intentionis.“75 Zum anderen ist sie Bestandteil der Tugendlehre, die in den Hauptteilen IV-VII zur Unterweisung des Königs oder Fürsten breit entfaltet wird. So lässt sich die Hochherzigkeit (magnanimitas) – beispielsweise – als eine Mitte zwischen Großspurigkeit (pompositas) und Kleinlichkeit (pusillanimitas) beschreiben: „Quoniam autem circa omnem actum moralem attenduntur duae extremitates & medium, circa quod est virtus solum, aliorum itaque actuum extremitates & media sunt in rebus secundum rationem, Magnanimitatis vero extrema sunt in animo, non in rebus. Et sunt duae: Pompositas & pusillanimitas.“76 Auf individualethischer Ebene entfaltete Engelbert dieses Thema später breit und griff dabei auf Cicero und Seneca, vor allem aber auf die Nikomachische Ethik zurück. In dem zwischen 1306 und 1313 zu datierenden77 Speculum virtutum übernahm er die Terminologie der Mesoteslehre. Schlüsselstellen finden sich in den Kapiteln VI und VII des 4. Teiles, in denen die Mitte zunächst arithmetisch als Mittelpunkt zwischen den Extremen einer Strecke bestimmt wird.78 Danach wendet Engelbert die mathematische Figur auf die Erörterung der Tu71 Vgl. Ubl, Engelbert von Admont, S. 15. 72 Vgl. Kucher, Der Bildungsgang; Baum, Engelbert von Admont; Schmidinger, Romana Regia Potestas; Ubl, Engelbert von Admont. 73 Vgl. Engelbert von Admont, De regimine principum, S. 18 (Tractatus I, Cap. VI). 74 Vgl. ebd., Tractatus I, Cap. VI–IX. 75 Ebd., S. 8 (Tractatus I, Cap. I; Hervorhebungen im Original). 76 Ebd., S. 194 (Tractatus VII, Cap. III). 77 Vgl. Ubl, Einleitung, S. 1–91; ders., Zur Entstehung der Fürstenspiegel, S. 499–548. 78 Vgl. Speculum virtutum IV, Cap. VI, 10 ff.
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genden an, zunächst auf die Freigebigkeit (liberalitas) als eine Mitte zwischen Verschwendungssucht (prodigalitas) und Geiz (avaricia): „Medium autem contrariatur extremis et extrema contrariantur medio, ut liberalitas contraria est prodigalitati et avaricie et econverso prodigalitas et avaricia contrariantur liberalitati.“79 Wie bei Aristoteles werden anschließend alle weiteren Tugenden auf diese Weise behandelt und terminologisch eingeordnet.80 Für die Rezeptionsgeschichte der politischen Extreme war die Übertragung des lateinischen Aristoteles in die europäischen Nationalsprachen von großer Bedeutung. Eine erste Übersetzung ins Französische stammte von Pierre de Paris; sie ist verloren gegangen.81 Die zweite Übertragung nahm Nicole de Oresme (ca. 1320–1382) vor. Oresme war einer der faszinierendsten Denker des 14. Jahrhunderts.82 Obwohl er in Paris Theologie studiert hatte, wurde er vor allem durch seine naturwissenschaftlichen, mathematischen und ökonomischen Studien bekannt. Er entwickelte eine heliozentrische Theorie des Sonnensystems und begründete mit seinem Lehrer Jean Buridan eine Bewegungsphysik, deren Sätze erst von Newton revidiert wurden. Er schrieb auch die erste zusammenhängende Analyse über Entstehung und Eigenschaften des Geldes. Oresme übersetzte und kommentierte im Auftrag des französischen Königs Karl V. wichtige aristotelische Schriften aus dem Lateinischen ins Französische und versah die Texte mit umfangreichen Kommentaren.83 Sie sollten der Unterrichtung des Monarchen und seiner Ratgeber dienen und bei der Lösung praktischer politischer Fragen helfen. In einem der Nikomachischen Ethik angehängten Glossar definierte Oresme den Begriff extrême: „Extreme oder Extremitäten sind die äußersten Enden, die Grenzen der Dinge. Aber besonders auf dem Gebiet der Moral sind Extreme die Erscheinungsbilder und Handlungen, die außerhalb des Mittleren der Tugend liegen – im Sinne eines Zuviel, einer Überfülle oder eines Zuwenig, eines Mangels. In diesem Sinne sagt man, dass die Tugend in der Mitte liegt und die Laster in den Extremen.“84 Die Extreme als am weitesten entfernte Abschweifungen vom Mittelweg der Tugend: Diese Formel war gleichsam die Quintessenz des 2. Buches der Nikomachischen Ethik. 79 Ebd., IV, Cap. VII („De comparatione et distantia medii ad extrema et extremorum ad invicem“), 15 f. 80 Vgl. etwa ebd., V, Cap. III; VIII, Cap. VII; IX, Cap. IX; X, Cap. II; X, Cap. XII. 81 Vgl. Blythe, Ideal Government, S. 203, Anm. 1. 82 Vgl. Gautier-Dalché, Oresme, S. 7–80; Quillet, Nicole Oresme, S. 81–91; dies. (Hg.), Autour de Nicole Oresme; Mittelstraß, Oresme, S. 1089–1091; Piron, Nicolas Oresme. 83 Vgl. Shahar, Nicolas Oresme, S. 203–209. 84 Oresme, Le livre de éthique, S. 544: „Extremes ou extremités sont les bouz des fins, les termes des choses. Mais en special en matiere moral, extremes sont les habiz et operacions qui sont hors le moien de vertu en trop et en superhabondance ou en peu et en deffaute. Et pour ce dit l’en que la vertu est moienne et que les vices sont extremes.“ Vgl. in Text und Kommentar vor allem die Passagen auf den S. 169–172. Eine Kritik der von Menut erstellten Edition leistet: Knops, Etudes. Oresme scheint das Wort aber nicht als erster benutzt zu haben. Vgl. Meißner, Maistre Nicolas Oresme, S. 51–66; Taylor, Les néologismes chez Nicole Oresme, S. 727–736.
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In seinen Kommentaren zur Politik knüpfte Oresme an die moralphilosophische Definition des Extremen an und übertrug den Begriff – wie es der Konzeption des Werkes entsprach – auf die soziale und politisch-institutionelle Ebene.85 Als extrem galten nun auch die äußersten Abweichungen vom Ideal der gut gemischten Verfassung (wie Tyrannis und Ochlokratie) und die einseitige Berücksichtigung der Interessen der Unter- oder der Oberschichten. Eingehend setzte er sich mit der „Entartung“ („transgression“86) der drei guten Formen auseinander, erläuterte die Hierarchie der fehlerhaften („vicieuses“) und verdorbenen („corrumpues“87) Regime, bei denen die Demokratie wegen des geringeren Machtmissbrauchs das kleinste Übel darstelle. An strittigen Stellen griff er auf die Kommentare Alberts zurück, erörterte sorgfältig das Für und Wider. Eines dieser Probleme betraf die Entstehung der besten Verfassung aus zwei Entartungen. Wie könne man sich vorstellen, dass etwas Gutes aus Schlechtem hervorgehe? Oresme bediente sich des Bildes einer Medizin, die aus zu bitteren oder süßen Stoffen bestehe, mit deren Mischung aber Heilwirkung entfalte. Auf eben solche Weise lasse sich eine gute Verfassung aus den konträren Elementen für sich genommen schädlicher Verfassungsformen komponieren: „De .ii. choses nuisibles et contraires est composée une chose moienne, bonne et profitable, si comme l’en fait selon medicine de .ii. choses dont l’une est trop froide et l’autre est trop chaude ou dont l’une est trop amere et l’autre trop douce.“88 Durch den Ausgleich der Extreme würden die in ihnen enthaltenen „guten“ Elemente zur Entfaltung gebracht. Oresme kommentierte ausführlich die sozial-integrative Dimension der aristotelischen Mischverfassung. Eine gute Verfassung mußte auf einer breiten Mittelstandsbasis ruhen. Wo die Extreme der Reichen und der Armen gemeinsam oder eine dieser beiden Gruppen allein dominierten, herrschten ungünstige Voraussetzungen für tugendhafte, Stabilität verbürgende Verhältnisse: „Car la ou la multitude des moiens surmonte et est plus puissante que ne est la multitude des .ii. extremes, ce est assavoir des riches et des povres ensemble on que une de ceste seule, illeques est policie legal.“89 Oresme behandelte die Mischverfassung nicht nur theoretisch, sondern illustrierte seine Ausführungen auch mit Beispielen aus den Verfassungsverhältnissen seiner Zeit. So empfahl er eine Beschränkung der königlichen Gewalt durch eine Vertretungskörperschaft, „parlement“90 genannt, und mahnte für die Kirche eine gemischte Verfassungsform an. Denn unbeschränkte Macht in der Hand eines Einzelnen sei von Übel. Sicher war Oresme elitär in der Frage, welcher Teil der Bevölkerung Anteil an der Monarchie beschränkenden Gewalt ha85 Vgl. Oresme, Le livre de politiques, insbesondere S. 182, 185, 190. Siehe dazu auch Grignaschi, Nicolas Oresme, S. 95–125. 86 Oresme, Le Livre de Politiques, S. 166 (IV, chap. 2). 87 Ebd., S. 167 (IV, chap. 2). 88 Ebd., S. 180 (IV, chap. 12). Siehe dazu auch: Blythe, Ideal Government, S. 227. 89 Oresme, Le Livre de Politiques, S. 190 (IV, chap. 17). 90 Ebd., S. 274 (VI, chap. 6).
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ben solle. Aber in mancherlei Hinsicht ging er weiter als andere Anhänger einer gemischten Verfassung seiner Zeit. Mit der Idee eines gemischten Kirchenregimes hat er Einfluss auf die konziliarische Bewegung (etwa Jean Gerson und Pierre d’Ailly) ausgeübt. Seine Kommentare zur Politik des Aristoteles bildeten einen „important milestone between Thomas Aquinas and the conciliar, Florentine, and English theories of limited government and mixed constitution, to be developed in the next several centuries.“91
91 Vgl. Blythe, Ideal Government, S. 207. Siehe auch: Dempf, Sacrum Imperium, S. 538; Düring, Von Aristoteles bis Leibniz, S. 307.
IV. Extreme und Mischverfassungstradition vom Frühhumanismus zum Zeitalter der demokratischen Revolutionen 1.
Frühhumanismus
Der Aristotelismus erwies sich geistesgeschichtlich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein als wirkungsmächtige Strömung.1 Wenn ihm die Scholastik auch zu einer Blütezeit verhalf, löste er sich doch bald aus der theologischen Umklammerung. Einen Beitrag dazu hatte bereits der Averroismus geleistet, der u. a. an der Pariser Artistenfakultät lebhaft diskutiert worden war.2 Solche Tendenzen fanden in der Frührenaissance und im Bürgerhumanismus der norditalienischen Stadtstaaten eine Fortsetzung.3 Dante Alighieri (1265–1321) eröffnet zwar den Reigen der großen florentinischen Staatsdenker, nimmt aber insofern eine besondere Stellung ein, als er der Universalmonarchie des Heiligen Römischen Reiches verbunden blieb, ihr gar eine „quasi-sakrale Funktion“4 zuschrieb. Allerdings ließ er in diesem Rahmen anderen Gestaltungsformen Raum und trat in seiner Streitschrift Monarchia dem weltlichen Machtanspruch der Kirche entgegen. Die Werke des Aristoteles bildeten die geistige Grundlage, doch brach Dante mit dessen verfassungspolitischem Programm in mehrerlei Hinsicht5 : Er begriff die „menschliche Gattung“ („genus humanum“) universal und sah ihre Freiheit („libertas“) nur „unter der Herrschaft des Monarchen“ gesichert: „Nur dann nämlich wird den entarteten Staatsverfassungen – d. h. der Demokratie, der Oligarchie und der Tyrannei, die den Menschen zur Knechtschaft zwingen, wie demjenigen klar ist, der sie alle prüft – der richtige Weg gezeigt; und nur dann regieren die Könige, Aristokraten, die man Optimaten nennt, sowie die Eiferer für die Freiheit des Volkes in angemessener Weise.“6 Der Mesoteslehre begegnet man in dem Werk dennoch auf Schritt und Tritt. In der strengen Abfolge von Syllogismen, mit denen bewiesen werden soll, dass 1 2 3 4 5 6
Vgl. den Überblick bei: Düring, Aristoteles, S. 250–312, sowie den noch immer lesenswerten Beitrag von Maier, Lehrgeschichte, S. 15–52. Vgl. Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, S. 335 ff. Vgl. vor allem Ullmann, Medieval Foundations. Bielefeldt, Von der päpstlichen Universalherrschaft zur autonomen Bürgerrepublik, S. 99. Vgl. Miethke, Der Weltanspruch des Papstes, S. 397. „tunc enim solum politie diriguntur ablique – democratie scilicet, oligarchie atque tyrampnides – que in servitutem cogunt genus humanum, ut patet discurrenti per omnes, et politizant reges, aristocratici quos optimates vocant, et populi libertatis zelatores; quia com Monarcha maxime diligat homines, ut iam tactum est, vult omnes homines bonos fieri: quod esse non potest apud oblique politizantes.“ Dante Alighieri, Monarchia, S. 97 (I, xii 9).
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die „Fähigkeit, dem Reich Autorität zu verleihen, gegen die Natur der Kirche ist“, wird die Stellung des Menschen als Mitte zwischen Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit bestimmt: „Wenn also der Mensch eine gewisse Mitte zwischen Vergänglichem und Unvergänglichem einnimmt und jede Mitte an der Natur der Extreme teilhat, ist es notwendig, dass der Mensch beide Naturen besitzt.“7 Aus dieser Feststellung leitet Dante zwei streng voneinander zu trennende menschliche Ziele und Lebensbereiche ab: die des irdischen und die des ewigen Lebens. Die Ziele des irdischen Lebens verfolgt der Mensch mithilfe der Vernunft, gestützt auf die Philosophie, die des ewigen Lebens durch den Glauben mithilfe des Heiligen Geistes. Damit ist der Autoritätskreis der Kirche beschränkt, die Trennung von Staat und Kirche logisch begründet.8 Als früher Vertreter des Florentiner Bürgerhumanismus9 ist nach Dante Leonardo Bruni (1370–1440) zu nennen, Schüler Coluccio Salutatis, der von 1375 bis 1406 Kanzler der Republik Florenz war und in dessen Fußstapfen er 1410 trat. In dieser Zeit stieg die Stadt am Arno zum politischen und kulturellen Zentrum Italiens auf, das Künstler und Gelehrte von überall anzog. Die Mundart der Stadt, ein toskanischer Dialekt, wurde zur Nationalsprache Italiens, Florenz zur Wiege der italienischen Nationaldichtung. In Florenz entwickelte sich das erste moderne Staatswesen mit einem differenzierten Ämtergefüge, einem ausgeklügelten Rechtssystem, Vorformen der Gewaltenteilung und einem pluralistischen Spektrum politisch-sozialer Kräfte. Kulturell stieg Florenz zu einer Weltmacht auf. Im 14. und 15. Jahrhundert entstand ein Gutteil der Plätze, prunkvollen Kirchen, stolzen Regierungsgebäude, Bürgerpaläste und Loggien, die die Touristen noch heute bewundern. In der Stadt sammelten sich unermessliche Reichtümer. Frühzeitig war es den Florentinern gelungen, den expandierenden Geldverkehr über ein eigenes Banksystem zu leiten. In der ganzen damals bekannten Welt hatten Florentiner Geschäftsleute und Tuchfabrikanten ihre Filialen und Agenturen. Leonardo Brunis politisches Denken orientierte sich am Vorbild der griechischen Poleis. Florenz sollte sich zu einem Athen der neuen Zeit entwickeln. In seiner Historia florentini populi deutete er die Verfassung der Stadt als regimen mixtum im Sinne der aristotelischen Verfassungstradition. Er übersetzte die Nikomachische Ethik und die Politik des Aristoteles neu, um den scholastischen Texten eine humanistische Lesart entgegenzustellen.10 Dabei traten Mesoteslehre und Mischverfassungstheorie erneut in den Mittelpunkt. So beschrieb Bruni 7 „Si ergo homo medium quoddam est corruptibilium et incorruptibilium, cum omne medium sapiat naturam extremorum, necesse est hominem sapere utranque naturam.“ Dante Alighieri, Monarchia, S. 243 f. (III xv 5). 8 Vgl. dazu den Kommentar von Ruedi Imbach. In: Dante Alighieri, Monarchia, S. 330– 334, sowie Ley, Dante Alighieri, S. 95–106. 9 Zur Bedeutung des „civic humanism“ vgl. vor allem: Baron, Crisis, S. 191–269. Zur Kritik an diesem Konzept siehe Skinner, Foundations, Band 1, S. 71–84. 10 Vgl. ebd., S. 64–75; Pocock, Machiavellian Moment, S. 89–91; Schmitt, Aristotle, S. 67 f.
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in seinem Kommentar zur „Politik“ die verschiedenen Möglichkeiten der Mischung von Staatsformen, den dabei eintretenden Ausgleich der Extreme, die Entstehung der Tyrannis u. a. „ex extrema populari licentia“,11 aus extremer Freizügigkeit der Volksmenge, die Bedeutung von „mediocritas“ und „temperantia“ und der Vermeidung des Übermaßes (excessus) wie des Mangels (defectus).12 Mit Salutati und Bruni beginnt die lange Reihe florentinischer Staatsmänner, die wichtige Beiträge zur Begründung eines neuzeitlichen Republikanismus leisteten. Am wirkungsmächtigsten war gewiss Niccolò Machiavelli (1467–1527), aber in seiner vorwiegend von Polybios inspirierten Mischverfassungskonzeption kehrten die aristotelischen Kategorien, die ihm gewiss ebenfalls bekannt waren, nicht allesamt wieder.13 Anders war dies bei einem seiner jüngeren Diskussionspartner in den Orti Oricellari, Antonio Brucioli (1487–1566). Brucioli hing als junger Mann republikanischen Ideen an, beteiligte sich 1522 an der misslungenen Verschwörung gegen die Medici, floh ins Exil und verfasste dort u. a. einen Dialogo della Republica, den er in den Jahren 1538 und 1544 (nach kurzzeitiger Rückkehr in die Heimatstadt nach der Vertreibung der Medici 1527, erneuter Verbannung aufgrund der Sympathien des Bibelübersetzers und -kommentators für den deutschen Reformator Martin Luther) im venezianischen Exil, von der Inquisition bedrängt, seinen kärglichen Lebensunterhalt vermutlich mit Spitzelberichten für Cosimo I. aufbessernd,14 mit nicht unwesentlichen Veränderungen neu herausgeben sollte. Bruciolis Dialog bietet ein Beispiel dafür, dass sich die aristotelische Mesotesethik auch mit einer ungemischten Verfassungskonstruktion verbinden ließ. Mit Aristoteles wird die Tugend als eine mittlere Haltung zwischen lasterhaften Extremen („essa virtù una certa laudibile mediocrità, che i viziosi estremi fugge“15) bestimmt. Und ebenso erfasst er die sozialen Kräfte, deren Prädominanz über die Art der Verfassung entscheidet: die Reichen („ricchi“), die Armen („poveri“) und die Mittleren („mediocri“). Der Verfassungsentwurf sieht aber keine institutionelle Balancierung der sozialen Kräfte im Rahmen eines regimen mixtum vor, sondern gründet sich auf eine restriktive Zuteilung bürgerlicher Partizipationsrechte: Arme wie Reiche sind davon ausgeschlossen.16 Eine breite Volksbasis wird durch eine nivellierte Mittelschichtengesellschaft gesichert, in
11 Bruni, Politicorum, S. 62 („Annotationes ad Cap. Decimum“). 12 Vgl. ebd., S. 62 („De optima republica / partibus ciuitatis / mediocritate / excessu atque defectu. Cap. XI“). 13 Vgl. Münkler, Machiavelli, S. 374–380. 14 Vgl. zu Leben und Werk Höchli, Republikanismus, S. 388–400; Landi, Nota critica, S. 551–588; Skinner, Foundations, Band 1, S. 153. 15 Brucioli, Dialogo VI, 112 (411). Die Bestimmung der Tugend als „mediocrità“ zwischen lasterhaften Extremen zieht sich leitmotivisch durch die Dialoge. Vgl. etwa ders., Dialogo XI, 283 (162); ders., Dialogo XII, 289 (44 f., 51 f., 65, 68, 71); ders., Dialogo XXII, 421 (42, 54), 429 (281). 16 Vgl. ausführlich Höchli, Republikanismus, S. 398 f.
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Extreme und Mischverfassungstradition
der die mediocri eine u. a. durch Ämterrotation und sich überschneidende Amtszeiten kontrollierte Herrschaft ausüben. Trotz der realistischen Intentionen kann der Republikentwurf Bruciolis vor dem Hintergrund der Florentiner Verhältnisse seine idealistischen Züge nicht verbergen. Der religiöse Humanist war offenkundig nicht nur von Aristoteles, sondern auch von der Utopia des Thomas Morus (1478–1535) beeinflusst.17 Stärker an den realen politischen Verhältnissen orientierte sich das politische Denken des letzten bedeutenden Staatsdenkers der Republik Florenz, Donato Giannotti (1492–1573). Sein Werk Della Repubblica fiorentina, das er nach deren Untergang im Jahr 1530 und der erneuten Machtübernahme der Medici schrieb, verrät ebenfalls die aristotelische Schulung. Das platonisch-aristotelische Sechserschema der Staatsformen wird mit der Anakyklosis-Lehre des Polybios verknüpft, die Notwendigkeit einer Mischverfassung mit der Instabilität der gemeinwohlorientierten reinen Formen begründet. Ganz aristotelisch wirkt auch hier die soziologische Untermauerung der Mischverfassung: „In jeder Stadt gibt es Bewohner verschiedener Art; überall findet man Vornehme und Reiche – mit anderen Worten Grandi – einerseits, Arme und Niedrige andererseits, sowie Mediocri, die an beiden Extremen Anteil haben. Auf diese drei Gruppen trifft man allenthalben, wobei hier die eine, dort die andere größer ist. Entsprechend ihrer Verschiedenheit sind auch ihre Neigungen mannigfaltig und verschieden. Weil sie die übrigen an Adel und Reichtum übertreffen, wollen die Grandi befehlen – nicht jeder für sich, sondern alle zusammen. Sie beanspruchen eine Regierungsform, in der sie allein die Befehlsgewalt innehaben. Sodann gibt es unter ihnen stets einen, der die Einzelherrschaft anstrebt und allein befehlen möchte. Die Armen kümmern sich nicht darum, befehlen zu können, fürchten aber die Arroganz der Grandi und wollen deshalb nur den Gesetzen gehorchen, die allen ohne Unterschied befehlen. Es genügt ihnen, frei zu sein, und frei ist, wer allein den Gesetzen gehorcht. Die Mediocri haben dieselbe Neigung wie die Armen; sie streben ebenfalls nach Freiheit. Das Glück ist ihnen aber etwas gewogener, weswegen sie neben der Freiheit noch Ehre begehren. Wir können somit sagen, dass in jeder Stadt einige nur Freiheit (libertà) begehren, andere zur Freiheit hinzu noch Ehre (onore); wieder andere streben nach Größe (grandezza), entweder für sich allein oder zusammen mit anderen.“18
Die Einrichtung einer stabilen politischen Ordnung erfordert eine angemessene Interessenvertretung der Armen, der Reichen wie der Mittleren. Dies lässt sich am besten in einem „stato misto“ realisieren. Vorzugsweise geeignet für die Einrichtung einer gemischten Verfassung sind jene Städte, in denen die Mediocri überwiegen. Dieser Gedanke ist ebenso aristotelisch wie die Verknüpfung mit der Tugendlehre: Wenn die Mediocri in der Mehrzahl sind, können sich weder die Reichen gegen die Armen noch die Armen gegen die Reichen erheben, „denn in beiden Fällen müsste die aufbegehrende Gruppe die Mediocri fürchten. Je größer deren Anzahl ist, desto besser
17 Vgl. Albertini, Staatsbewusstsein, S. 83. 18 Giannotti, Die Republik Florenz, S. 141 (III 82 f.).
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Frühhumanismus Soziale Schichten
Interessen
Organe
Mischverfassung
Plebei Popolari Mediocri Grandi
Ruhe
–
–
Popolari Mediocri Grandi
Ruhe Freiheit
Großer Rat
Demokratisches Element
Mediocri Grandi
Ruhe Freiheit Ehre
Senat
Oligarchisches Element
Grandi
Ruhe Freiheit Ehre Größe
Collegio Principe
Monokratisches Element
Abbildung 4: Giannottis Mischverfassung Quelle: Alois Riklin, Donato Giannotti, S. 55.
kann man in der betreffenden Stadt die besagte Ordnung errichten. Laut Aristoteles liegt die Tugend nämlich im mittleren Maß begründet. Daraus folgt, dass das gemäßigte Leben vollkommen und gut ist, das davon abweichende jedoch unvollkommen und schlecht. Da die Mediocri weder ausnehmend reich und vornehm, noch besonders arm und niedrig sind, führen sie dieses vollkommene Leben.“19 Dagegen neigen die Grandi und der Plebs zum Extrem, die einen zur Prunk- und Herrschsucht, die anderen zu Kleinmütigkeit und knechtischer Gesinnung. Eine gemischte Verfassung bewirkt also nicht nur einen Interessenausgleich, sondern bringt auch jene Tugenden hervor, die ein gutes Leben ermöglichen. Die Interessen werden bei Giannotti auf die staatlichen Institutionen verteilt, die wiederum in unterschiedlichem Umfang an der Erfüllung von vier Staatsfunktionen beteiligt sind: Wahlen, Außen- und Sicherheitspolitik, Gesetzgebung und Rechtsprechung. Dabei unterscheidet er nochmals drei Phasen im Entscheidungsprozess: Consultazione, Deliberazione und Esecuzione. Der „stato misto“ ist durch ein komplexes, gewaltenkontrollierendes Geflecht von sozialen Interessen, Staatsorganen, Funktionen und Entscheidungsphasen gekennzeichnet.20 Die Pläne der Exilrepublikaner blieben auf dem Papier. Sie erhielten keine Gelegenheit, ihr republikanisches Stabilisierungsprogramm in die Tat umzusetzen. Als Giannotti 1573 hochbetagt in Rom starb, waren die Medici noch immer an der Macht. Sein Werk blieb fast zwei Jahrhunderte lang unveröffentlicht.
19 Ebd., S. 144 (IV 85). 20 Vgl. Riklin, Donato Giannotti, 53–62; ders., Machtteilung, S. 141–181.
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Extreme und Mischverfassungstradition
Erst 1721 sollte eine erste Ausgabe in Venedig erscheinen.21 Giannottis ausgeklügelte Gewaltenteilungslehre hat daher ideengeschichtlich keine Rolle gespielt.22 Als erfolgreiches Beispiel republikanischer Dauerhaftigkeit konnte Florenz zudem kaum dienen. Dies galt weit eher für Venedig, das seine als republikanisch geltende Verfassung mit bewundernswerter Stabilität im Inneren und außerordentlicher Machtentfaltung nach außen verband, über Jahrhunderte hinweg eine hegemoniale Stellung im Mittelmeer behauptete und das Zentrum eines weltweiten Handelsimperiums bildete. Wie viele andere florentinische Denker vor ihm widmete Giannotti daher auch der Republik Venedig eine Schrift, die allerdings nur fragmentarisch erhalten ist und deren Ausführungen zur Mischverfassung vermutlich in den verschollenen Teilen zu finden waren. Die Charakterisierung Venedigs als Mischverfassung geht zumindest in das 15. Jahrhundert zurück. Felix Gilbert fand den frühesten Nachweis in einem Fragment Pier Paolo Vergerios, in dem Venedig zwar als Aristokratie bezeichnet, jedoch zugleich auf die in seiner Verfassung enthaltenen demokratischen und monarchischen Elemente hingewiesen wird: „Venetorum respublica optimatum administratione regitur. Ideoque aristocratiam greco vocabulo licet appellare quae inter regium popularemque principatum media est. Hec vero et tanto est melior quod, quoniam utrique ladabilium extremorum participat, ex omni genere laudabilis recte politice simul commixta est.“23 Für die Wahrnehmung Venedigs als Mischverfassung weitaus bedeutsamer war das vielgelesene Venedig-Buch des Venezianers Gasparo Contarini (1483– 1542). De Magistratibus et Republica Venetorum wurde vermutlich in den Jahren 1523/24 verfasst und erschien erstmals 1543. Leopold von Ranke zufolge war Contarini der „namhafteste Gründer“ der Lehre von der Mischverfassung Venedigs.24 In seiner Darstellung verkörpert der Doge das monarchische, der Große Rat das demokratische Prinzip. Zwischen diesen beiden Extremen steht als ausgleichende Mitte das optimatische Element, das durch Senat, Zehnerrat und Savii (Vorberater) verkörpert wird. Contarini beruft sich hier nicht auf Aristoteles, sondern auf Platons Timaios, wo Gott Wasser und Luft als Mitte (meson) und Verbindung zwischen den extremen Elementen (eschaton) Feuer und Erde erschafft.25
21 Vgl. zu den Editionen Höchli, Übersetzung, 119; ders., Der Florentiner Republikanismus, S. 703–772. 22 Vgl. die Analyse von Riklin, Donato Giannotti, S. 55–62. 23 De republica veneta fragmenta, 468. Siehe auch den Hinweis bei: Riklin, Die venezianische Mischverfassung, 265. 24 Vgl. Riklin, Die venezianische Mischverfassung, S. 264; ders., Machtteilung, S. 113– 140. 25 „qui in Veneta ciuitate, cuius repub. Mixta esse dixi ex region, populari & optimatiu statu, referut optimatium statum: ac media queda sunt quibus extremae partes, status scilicet popularis, magnu consilium, ac princes qui Regis personam gerit, inuice uinciuntur. Sic inquit Plato in Timeo extrema elementa, terram ac igne medijs elementis uin-
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Drei Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Contarinis Buch hat Jean Bodin (1529–1596) dessen Deutung Venedigs als Mischverfassung entschieden widersprochen. Sie war nicht mit der Lehre von der Unteilbarkeit der Souveränität vereinbar. Nach seiner Auffassung lag die Souveränität in der gesetzgebenden Gewalt, also beim Großen Rat. Folglich musste Venedig als reine Aristokratie gelten. In ähnlicher Weise suchte Bodin nachzuweisen, dass die in der Vergangenheit von Platon, Aristoteles, Polybios und anderen Autoren als Mischverfassungen bezeichneten Regime (wie vor allem Sparta und Rom) in Wirklichkeit nur einen einzigen wahren Souveränitätsträger aufwiesen, also als demokratisch, aristokratisch oder monarchisch zu gelten hätten.26 Aristoteles habe sich selbst widersprochen, wenn er einerseits Platon dafür kritisiere, dass er eine Mischung aus Demokratie und Tyrannis empfehle, andererseits aber selbst eine aus mehreren Verfassungen zusammengesetzte Form propagiere: „En quoy Aristote dispute contre soy-mesme: car si la meslange de deux Republiques est vicieuse, à sçauoir des deux extremités, qui font en toute autre chose le moyen, encores plus vicieuse sera la meslange de trois.“27 Trotz dieser Kritik bediente sich Bodin des Bildes von der Mitte zwischen den Extremen bei der vergleichenden Erörterung der Vor- und Nachteile verschiedener Staatsformen. Für eine Aristokratie sprach folgendes Argument: „Car s’il est ainsi qu’en toutes choses la médiocrité est louable, & qu’il faut fuir les extremités vicieuses, il s’ensuit bien que ces deux extremités vicieuses estans reiectees, il se faudra tenir au moyen, qui est l’Aristocratie“28 – nämlich zwischen Demokratie und Monarchie. Aber nach Abwägung aller Vor- und Nachteile erhielt die „monarchie bien ordonnee“29 schließlich doch den höchsten Rang. Im Übrigen kehrten die Extreme bei der Erörterung der „harmonische Gerechtigkeit“30 wieder. So brach Bodin zwar mit der Mischverfassungstradition, nahm jedoch die Kategorien der Mesoteslehre in seine Souveränitätsdoktrin auf.
26 27 28 29 30
ciri: sic in diapason cosonantia extremae uoces medijs diatessaron ac diapente uovibus inuicem metuntur.“ Contarini, De magistratibus, S. 96. Vgl. Platon, Timaios I 7 31b– 32c. Vgl. Bodin, Les six livres de la République, S. 260 f. (II 1). Siehe dazu Riklin, Die venezianische Mischverfassung, S. 274. Bodin, Les six livres de la République, S. 253 (II 1). Vgl. Aristoteles, Politik, II 1266a 1–5. Bodin, Les six livres de la République, S. 951 (VI 4). Ebd., S. 973 (VI 5). „Et tout ainsi que deux simples en extremité de froideur & de chaleur sont autant de poisons, et neantmoins composés & temperés l’vn avec l’autre, font vne medecine fort salutaire: aussi ces deux proportions de gouuernement Arithmetique et Geometrique“. Ebd., S. 1021 (VI 6).
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2.
Extreme und Mischverfassungstradition
England
Lewes Lewkenor übersetzte Contarinis Venedig-Buch ins Englische. Die Publikation (1599) trug dazu bei, das gebildete britische Publikum mit der aristokratisch-republikanischen Mischverfassungstradition bekannt zu machen.31 Das Werk musste umso mehr beeindrucken, als es kein abstraktes Modell entwarf, sondern die lebendige Verfassung eines mächtigen Handelsimperiums von staunenswerter Stabilität beschrieb. Zudem hatte England, das sich im Krieg mit Spanien befand und große Anstrengungen zur „Befriedung“ der rebellischen Iren unternehmen musste, in den 1590er Jahren eine schwere soziale und ökonomische Krise durchlaufen. Angesichts der ungelösten Sukzessionsfrage verschärften sich auch am Hof die Spannungen zwischen rivalisierenden Gruppen, die verschiedene institutionelle Lösungen anboten. So dürfte Lewkenor mit seiner Übersetzung nicht nur die Absicht verfolgt haben, die Neugier des englischen Publikums mit Blick auf fremde Länder zu befriedigen. Die Mischverfassung bildete ein Gegenmodell zum elisabethanischen System mit seinen absolutistischen Tendenzen. Die Hervorhebung des „Machiavellian Moment“ und der damit verbundenen Stärkung des „civic humanism“ während und nach der englischen Revolution32 führte in der Forschung zu einer Unterschätzung humanistischer Traditionen und des Mischverfassungsdiskurses der vorrevolutionären Zeit. Aber schon der Hofjurist John Fortescue (1394–1476) hatte in seiner Schrift über The Difference between Absolute and Limited Monarchy (ca. 1471) in aristotelisch-thomistischer Tradition zwischen dem dominium regale, der absoluten Monarchie, dem dominium politicum, der Republik, und dem dominium politicum et regale, einer gemischten Form, unterschieden und für die zuletzt genannte plädiert.33 Was das folgende Jahrhundert angeht, lässt sich die Bedeutung der Rezeption des antiken Humanismus und der Mischverfassung auf breiter Quellengrundlage nachweisen.34 Eines von vielen Beispielen: Der Bischof von Rochester und Winchester, John Ponet (ca. 1514–1556), berief sich in A Shorte Treatise of politike pouuer (1556) auf die Mischverfassung: „wher all together, that is, a king, the nobilitie, and comones, a mixte state: which men by long continuanaunce haue indged tu the best sort of all. For wher that mixte state was exerciced, ther did the comon wealthe longest continue.“35 Allem Anschein nach überwog im 16. Jahrhundert die Tugendlehre Ciceros die des Aristoteles. Doch 31
32 33 34 35
Contarini, The commonwealth. Siehe zur Übersetzung und ihrer Bedeutung: Peltonen, Classical Humanism, S. 102–118 und die zurückhaltendere Einschätzung der wirkungsgeschichtlichen Bedeutung bei Pocock, The Machiavellian Moment, S. 320–330. Siehe auch Skinner, Foundations, Band 1, S. 141 f. Vgl. Pocock, The Machiavellian Moment. Vgl. Fortescue, Governance of England, chap. I. Vgl. Zur Bedeutung des Werkes Vile, Constitutionalism, S. 37 f. Vgl. vor allem Nippel, Mischverfassungstheorie; Peltonen, Classical Humanism. Ponet, A Shorte Treatise (unpaginiert).
England
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wurde auch die Politik bereits früh in englischer Sprache verbreitet, wobei die Übersetzungen und Kommentare des französischen Renaissance-Humanisten Louis Le Roy als Vorlage dienten.36 In den Auseinandersetzungen um Jakob I. gehörte die Mischverfassung zum Argumentationsarsenal der Jakobiten (Berufung auf eine Königsautorität und Volksfreiheit verbindende „balanced constitution“) wie der Antiabsolutisten.37 Am Vorabend des Bürgerkriegs nahm Charles I. selbst in seiner Answer to the Nineteen Propositions zur Deutung des Königreiches im Sinne eines „mixed government“ Zuflucht.38 Nach Ausbruch der Kampfhandlungen erlangte die Lehre herausragende Bedeutung: „jetzt war der Zusammenbruch des alten Systems offensichtlich geworden, die Frage nach dem Inhaber der souveränen Gewalt konnte nicht länger offen bleiben. Jetzt, da das gesamte politische System zur Disposition stand, wurde die Diskussion über die vorgeblich gemischte englische Verfassung zum zentralen Thema“. Sie fand einen vorläufigen Abschluss aber erst nach der Glorious Revolution, als sich die Lesart von der Souveränität des King-in-Parliament durchsetzte und die „Auffassung, England habe eine gemischte Verfassung“,39 zum Gemeinplatz wurde. Einen bedeutenden theoretischen Beitrag zur englischen Verfassungsdiskussion in der Zeit des Bürgerkriegs leistete der puritanische Geistliche Philip Hunton (1604–1682) mit seinem im Mai 1643 anonym veröffentlichten Treatise of Monarchy. Im Vorwort der Erstausgabe heißt es: „I write not this Discourse to forment or heigthen the wofull dissention of the Kingdome, but if possible to cure, or at least to allay it [...]. If any condemn me for any thing here, it must be for endeavouring a thanklesse Moderation ’twixt two Extremes.“40 Er wollte mit seinem Plädoyer für eine „moderate or limited monarchy“ zwischen den Anhängern der reinen Königs- und der ungeteilten Parlamentssouveränität vermitteln. Die Lösung bestand darin, dem King-in-Parliament Souveränität zuzuschreiben, ihn also als Teil eines aus drei Elementen bestehenden, in den parlamentarisch repräsentierten „estates“ zum Ausdruck kommenden Herrschaftsverbandes zu deuten. Er beschrieb eine gemischte Monarchie, „in which three estates are constituted to the end that the power of one should moderate and restrain from excess the power of the other“.41 Gegen Hunton richtetete Sir Robert Filmer aus Kent, der in den Jahren 1643–45 von der Parlamentspartei gefangengehalten worden war, sein 1648 veröffentlichtes Pamphlet The Anarchy of a Limited or Mixed Monarchy,42 mit 36 Aristotle, Politiqves. Vgl. Peltonen, Classical Humanism, S. 112. 37 Vgl. Peltonen, Classical Humanism, S. 123 f. 38 Vgl. Goldie, Absolutismus, hier 309; Mendle, Dangerous Positions; Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 258–265; Vile, Constitutionalism, S. 39. 39 Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 167 f. 40 Hunton, A Treatise of Monarchy. Zitiert nach Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 276. 41 Hunton, A Treatise of Monarchy, Chapter III, Section I. Vgl. Nippel, Mischverfassungstheorie, S. 277. 42 Filmer, The Anarchy.
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dem er die Absurdität der Mischverfassungskonzeption nachzuweisen suchte. In einer vier Jahre später veröffentlichten Schrift rückte er dem Urheber der Mischverfassungstheorie zu Leibe. U. a. verwarf er Aristoteles’ Deutung der Politie als „perfect forme [...] made of two imperfect“ in einem Wortspiel als „rather a confounding then compounding of government“.43 Filmers Positionen waren durch die politische Entwicklung inzwischen an den Rand gedrängt worden. Der Chefpropagandist der unter Oliver Cromwell ausgerufenen Republik, John Milton, rechtfertigte im Eikonoklastes (1649) die Hinrichtung Charles I. mit Berufung auf die demokratische Ursprungsgewalt des Volkes und das Widerstandsrecht. Hätte der König gut regiert, wäre es nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen: „For besides that in good Government they [Tumults] happ’n seldomest, and rise not without couse, if they prove extreme, and pernicious, they were never counted so to Monarchy, but to Monarchical Tyranny, and extremes one with another are most Antipathy. If then the King so extremely stood in fear of Tumults, the inference will endanger him to be the other extreme.“44 Die „errors also of this Government had brought the Kingdom to such extremes“45 rechtfertigten in Miltons Augen den Tyrannenmord. Ein anderer Republikaner hat später gegen Filmers einflussreichen Versuch Front gemacht, das „natürliche“ und „göttliche“ Recht des absoluten Königtums aus der auf Urvater Abel zurückgehenden patriarchalischen Ursprungsgewalt abzuleiten. Inzwischen war Filmers Hauptwerk Patriarcha (1680) erschienen, das „Flaggschiff des Royalismus im 17. Jahrhundert“.46 Algernon Sidney (1622– 1683) zeigte in seinen Discourses Concerning Government nicht zuletzt auf der Grundlage der aristotelischen Ethik und Politik die Überlegenheit der Mischverfassung auf und warnte vor den Gefahren eines unzureichend kontrollierten Königtums, in der Hoffnung, „that the people did not suffer extremities by the vices or infirmities of kings“.47 Sidney hatte nach dem Ende des Bürgerkriegs die Sache der Exilrepublikaner unterstützt, inzwischen aber seine Meinungen gemäßigt. Dennoch musste er selbst „extremities“ von Seiten der Monarchie erleiden. Als er seine „Discourses“ abgeschlossen hatte, wurde er noch im selben Jahr (1683) wegen angeblicher Verwicklung in den Rye House Plot, einen republikanischen Aufstandsplan, hingerichtet.48 Die Deutungskämpfe um die Mischverfassung mündeten bald in einen weitgehenden Konsens auf konstitutionell-monarchischer Grundlage. Die herrschende Lehrmeinung spiegelte sich etwa in Lord Bolingbrokes (1678–1751) einflussreicher Dissertation upon parties, die 1739 in London erschien und in der die freiheitssichernde Wirkung einer spezifischen Mischung aus monarchischen, 43 44 45 46 47 48
Filmer, Observations, S. 8. Milton, Eikonoklastes, S. 31 f. Ebd., S. 42. So Goldie, Absolutismus, S. 313. Sidney, Discourses, S. 448 (III 22). Vgl. Goldie, Absolutismus, S. 334 f.
Europäischer Kontinent
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aristokratischen und demokratischen Elementen beschworen wurde. Einfache Regierungsformen führten demgegenüber notwendigerweise zum systematischen Machtmissbrauch: „By simple Forms of Government I mean such as lodge the whole Supreme Power, absolutely and without Controll, either in a single Person, or in the principal Persons of the Community, or in the whole Body of the People. Such Governments are Governments of arbitrary Will, and therefore of all imaginable Absurdities the most absurd. [...] Absolute Monarchy is Tyranny; but absolute Democracy is Tyranny and Anarchy both. If Aristocracy be placed between these two Extremes, it is placed on a flippery Ridge, and must fall into one or the other, according to the natural Course of human affairs.“49 Eine ähnliche Deutung findet sich in einem Essay des schottischen Liberalen David Hume (1711–1776), der zwei Jahre später erschien. Die vielgerühmte Freiheit der Presse führte Hume auf „our mixt form of government“ zurück, „which is neither wholly monarchical, nor wholly republican. It will be found, if I mistake not, a true oberservation in politics, that the two extremes in government, liberty and slavery, commonly approach nearest to each other; and that, as you depart from the extremes, and mix a little of monarchy with liberty, the government becomes always the more free.“ Sowohl eine rein monarchische als auch eine rein republikanische Regierung, wie sie in Holland vorzufinden sei, neige zur Beeinträchtigung individueller Freiheit. Daher erscheine es als „evident, that the two extremes of absolute monarchy and of a Republic, approach near to each other in some material circumstances.“50
3.
Europäischer Kontinent
Während das Ringen zwischen König und Parlament in England zugunsten einer konstitutionellen Monarchie entschieden wurde, die als Mischverfassung zu interpretieren am Ende des 17. Jahrhunderts nahezu Gemeingut geworden war, entwickelte sich das Mischverfassungskonzept auf dem europäischen Kontinent, wo sich der Absolutismus ausbreitete, zu einem Deutungsmuster politischer Dissidenz. In Deutschland bezog der calvinistische Jurist Johannes Althusius (1557–1638), Professor in Herborn und danach Ratssyndikus in Emden, gegen Bodin und den Absolutismus Stellung, orientierte sich an der Reichsverfassung, der genossenschaftlichen Praxis der Schweizer Stadtkantone und der republikanischen Verfassung der nördlichen Niederlande. Durch absolute Gewalt, schrieb er in seiner 1603 erschienenen Politica, „werden die Königreiche zu Räuberbanden“.51 Er berief sich auf Aristoteles und Augustinus. Am Bodinschen Souveränitätsdogma hielt Althusius zwar fest, doch lag die Souveränität (jus majes-
49 Bolingbroke, A dissertation, S. 159 f. (Letter XII). 50 Hume, Liberty of the press, S. 10 f. 51 Althusius, Politik, S. 197 f. (XIX § 10).
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tatis) bei ihm unteilbar beim Volk, von dem sie an verschiedene Ämter delegiert werden konnte. Die Verwaltung des Staates erfolgte durch gewählte Volksbeauftragte, die „Ephoren“, die die Rechte der politischen Gemeinschaft gegenüber dem Inhaber der höchsten Gewalt vertraten, und den von ihnen gewählten Summus Magistratus. Alle Glieder der Gemeinschaft schuldeten Gott und den Gesetzen des Dekalogs Achtung. Bei seiner befürwortenden Darstellung der gemischten Verfassung berief sich Althusius u. a. auf Aristoteles und Gasparo Contarinis Beschreibung der Republik Venedig. Die Kunst bestehe darin, die Macht im Staat zu regulieren: „Die Macht ist nämlich sicherer, die den Kräften ein Maß setzt, über bereitwillige Untertanen herrscht und durch Gesetze umschrieben ist, so dass sie sich nicht überhebt, zum Verderben der Untertanen auswirkt und zur Tyrannei wird.“52 Althusius hielt am Königtum als bester Ordnung fest,53 begrenzte es aber durch ein aristokratisches und ein demokratisches Element: „Fehlbildungen und verderbte Formen, die aus dem Zuviel oder Zuwenig dieser drei Arten entstehen, sind nicht als eigenständige Formen anzusehen, sondern als Abarten und Abirrungen“.54 Die gut gemischte Verfassung lag in einer gedachten Mitte zwischen den Extremen. In Deutschland setzte sich der Absolutismus erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in den meisten der sich etablierenden Territorialstaaten durch. In Frankreich dagegen hatte der Prozess politischer Machtkonzentration früher begonnen und bereits unter Heinrich IV. (1589/93–1610) ein neues politisches System entstehen lassen. Die Protestanten waren an einer starken, sie schützenden Zentralgewalt interessiert und schlossen sich dem absolutistischen Lager an. Erst nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 setzte eine Welle der Absolutismuskritik ein, inspiriert vom ständischen Volkssouveränitätsdenken der Monarchomachen. Gegen solche Tendenzen richtete sich die Politique tirée de Propres paroles de l’Ecriture Sainte des Hofideologen Ludwigs XIV., Jacques-Bénigne Bossuet (1627–1704). Dessen Schüler François Fénelon (1651– 1715) ging andere Wege.55 Aus christlicher Sicht verteidigte er die Rechte der Person gegen absolute Herrschaft.56 Die Ermahnungen und Ratschläge, die Fénelon in seinem Examen de conscience sur les devoirs de la royauté an den präsumptiven Thronerben des alternden Ludwig XIV., den Herzog von Burgund, richtete (vermutlich in den Jahren 1709/10), lesen sich mit ihrer Kritik am Luxus, an der verschwenderischen Lebensführung, am Günstlingswesen und am Eroberungsgeist wie eine Anklageschrift gegen das absolutistische Regime des Sonnenkönigs. In der langen Liste an Gewissensfragen, die der Autor seinem Leser stellt, findet sich auch die folgende: „Wissen Sie [...], worin die Anarchie besteht, worin eine willkürliche 52 53 54 55 56
Ebd., S. 197 (XIX § 9). Vgl. auch Dreitzel, Absolutismus, S. 26. Althusius, Politik, S. 421 (XXXIX § 2). Vgl. Schmittlein, Bossuet-Fénelon; Engrand, Fénelon. Vgl. zur Wirkungsgeschichte: Cherel, Fénelon au XVIIIe siècle; Hillenaar (Hg.), Fénelon.
Europäischer Kontinent
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Herrschaft und worin ein durch Gesetze geregeltes Königreich, die Mitte zwischen den beiden Extremen?“57 Die monarchische Gewalt sollte durch die Generalstände und eine unabhängige Justiz wirksam begrenzt werden. Angesichts der Brisanz der Ausführungen über die monarchischen Pflichten behielt ihr Adressat sie bis zu seinem frühen Tod streng unter Verschluss, und der erste Versuch einer Veröffentlichung im Jahr 1734 wurde von dem zuständigen Ministerium unterbunden. Erst 1775 konnte der Text in Frankreich, mit der Genehmigung Ludwigs XVI., erscheinen.58 Fénelon entfaltete seine politischen Gedanken nie systematisch. Der Erziehungsroman Les Aventures de Télémaque (1699), in dem eine tugendhafte, dem Wohl Aller dienende Agrarutopie im Phantasieland „Salente“ entwickelt wird, enthält zwar eine ins Einzelne gehende Gesellschaftskritik, konstruiert aber kein gegenständlich-realistisches Staats- und Regierungsmodell. Und die im November 1711 gemeinsam mit dem Herzog von Chevreuse auf dessen Schloss in Chaulnes/Picardie entworfenen Regierungspläne („plans de gouvernement“) für seinen zum Kronprinzen aufgestiegenen Schüler, den Herzog von Burgund, bestehen lediglich aus einer Liste politischer Empfehlungen. Der Schotte Andrew Michael Ramsay („Chevalier de Ramsay“; 1686–1743), den Fénelon 1710 in Cambrai auf den „rechten Weg“ des katholischen Glaubens zurückgeführt und protegiert hatte, veröffentlichte 1719 einen – in den folgenden Jahren mehrfach, mit wechselnden Titeln und verändertem Inhalt, aufgelegten – Essai sur le gouvernement civil „nach den Prinzipien“ Fénelons, eine Interpretation, in der sich Ideen des Meisters mit denen Ramsays mischten.59 Er enthielt Vorschläge, wie eine „zivile Regierung“ möglich sei, Menschen sich der Ordnung fügten, ohne „sich als Sklaven zu fühlen“.60 Einen vollkommenen Staat gebe es nicht, stets aber müsse ein Gleichgewicht zwischen Regierenden und Regierten gefunden werden. Denn hemmungsloses Machtstreben der „Souveräne“ führe zum „Despotismus“, grenzenloses Freiheitsstreben der „Untertanen“ hingegen zur „Anarchie“.61 In dieser Situation habe sich Rom am Ende des Konsulats befunden. Die Plebejer fürchteten die tyrannische Entartung der patrizischen Macht ebenso wie die Patrizier die anarchischen Folgen ungebremster Volksgewalt: „Zwischen diesen beiden Extremen konnte ein im Übrigen so weises Volk keine Mitte finden.“62 57 „Savez-vous [...] ce que c’est que l’anarchie; ce que c’est que la puissance arbitraire, et ce que c’est que la royauté réglée par les lois, milieu entre les deux extrémités?“ Fénelon, Examen de conscience sur les devoirs de la royauté, 977. Siehe dazu: GallouédecGenuys, La conception du Prince; Hobert, Fénelon als Denker; Hübinger, Fénelon als politischer Denker; Mohr, Fénelon und der Staat. 58 Vgl. Le Brun, Notice; Faille, Autour de l’examen. 59 Vgl. Molino, Ramsay ou Fénelon? 60 Ramsay, Essai sur le Gouvernement civil, S. 3. Vgl. zur Person: Baldi, Verisimile; Henderson, Chevalier Ramsay; Schiffmann, Andreas Michael Ramsay. 61 Vgl. ebd., S. 1. 62 „Entre ces deux extrêmitez un Peuple d’ailleurs si sage ne pût trouver le milieu“. Ebd., S. 112.
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In einer gut gemischten Verfassung vermöge das monarchische Element das demokratische wie das aristokratische in angemessenen Grenzen zu halten. „Das Königtum ist dann wie der Drehpunkt eines Hebels, der die beiden Extreme, indem er sich dem einen oder dem anderen von ihnen nähert, im Gleichgewicht hält.“63 Wenn Ramsay auf diese Weise die Möglichkeit einer stabilen Mischverfassung mit starker monarchischer Spitze ausdrücklich anerkannte, war er doch zugleich bemüht, die französischen Herrschaftsverhältnisse nicht zu delegitimieren. Daher räumte er ein, eine gemischte Regierung sei keineswegs immer besser als eine reine Monarchie. Im Schlussteil seiner Abhandlung unterstrich er die Notwendigkeit einer „souveränen, unmittelbar von Gott abgeleiteten Macht“64 und wandte sich entschieden gegen die Theorie von der „Ursprungsgewalt des Volkes“.65
4.
Montesquieus „gouvernement modéré“
1727 trug Ramsay im Pariser Club de l’Entresol, einem vom Abbé Pierre-Joseph Alary 1720 gegründeten Diskussionszirkel, der die Behandlung heikler politischer Fragen nicht scheute, aus einer neuen Ausgabe seines zum Bestseller gewordenen Erziehungsromans Voyages de Cyros vor. Unter den Zuhörern befand sich Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689– 1755), der sich zu dieser Zeit bereits als Autor der Lettres Persanes einen Namen gemacht hatte, eines fiktiven Briefwechsels, in dem er der absolutistischen Gesellschaft Frankreichs einen Spiegel vorhielt.66 Sein Hauptwerk De l’Esprit des Lois sollte 1748 erscheinen und der anti-„despotischen“ und gemäßigt-egalitären Strömung der Aufklärung ein ganzes Arsenal von Ideen und Konzepten liefern. Im Zentrum stand die Unterscheidung zwischen moderaten und extremen Herrschaftsformen. Die Abgrenzung von der Antithese des Extremen erfolgte durch die nähere Bestimmung des Prinzips der „modération“/Mäßigung und seiner Anwendung auf die Staatsformenlehre. Eine Vorform der Unterscheidung fand sich bereits in den Persischen Briefen, die später systematisch entfaltete Ideen oftmals in knapper erzählerischer Form vorwegnahmen und wo häufig von der „douceur“ (Sanftheit) und „dureté“ (Härte) gesetzlicher Regelungen, institutioneller Vorkehrungen und Regierungsmethoden die Rede war.67 Den Begriff gouvernement modéré führte Montesquieu bereits in den Considérations sur les causes de la grandeur des Romains und den frühen Pensées, einer Sammlung von Lesefrüchten und Gedankensplit63 „La Royauté est comme le point d’appui d’un levier, qui en s’approchant de l’un ou de l’autre de ces deux extrêmitez les tient dans l’équilibre.“ Ebd., S. 154. 64 Ebd., S. 181. 65 Vgl. S. 182 f. 66 Vgl. Desgraves, Montesquieu, S. 132. 67 Vgl. Montesquieu, Lettres Persanes (1721), S. 252 (Lettre LXXX), 313 (Lettre CXXII), 327 (Lettre CXXXI).
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tern, ein.68 Doch entfaltete er das Begriffspaar modéré/extrême erst im Esprit des Lois systematisch. Offenbar spielte dabei das Kategoriensystem der aristotelischen Schriften eine wesentliche Rolle. Wie stark diese Lektüre durch das anschauliche Beispiel der englischen Verfassungsverhältnisse an Überzeugungskraft und Gegenständlichkeit gewonnen hatte, dürfte schwer zu beurteilen sein. Immerhin hat Montesquieu das berühmte 6. Kapitel des 11. Buches nach seiner Rückkehr aus England konzipiert und es später in den Esprit des Lois eingefügt.69 Dort hatte er sich mit der Verfassungstheorie vertraut gemacht. Zwei Verfechter der Mischverfassungslehre kannte er persönlich. Lord Bolingbroke hatte 1724 sechs Monate auf seinem Landgut La Brède verbracht, und mit David Hume führte er einen regen Briefwechsel. Wichtiger als der Austausch mit beiden dürfte das unmittelbare Studium des politischen Lebens in London gewesen sein. Er unterhielt Kontakte zu Angehörigen der politischen Hauptlager, Whigs und Tories, konnte aufgrund guter Beziehungen Debatten beider Kammern im Parlament verfolgen und überzeugte sich von dem großen Einfluss der englischen Presse auf die öffentliche Meinung.70 Für die theoretische Durchdringung dieser Erfahrungen scheint aber die Kenntnis der englischen Verfassungsdiskussion nicht so bedeutsam gewesen zu sein wie das Studium der Klassiker. 1734 erstand Montesquieu die beiden verfügbaren Ausgaben der Politik des Aristoteles, nämlich die französische Erstübersetzung Nicole Oresmes und die kommentierte Übertragung des Hellenisten Louis Le Roy, in die Claude de Seyssels Deutung der französischen Monarchie im Sinne einer Mischverfassung eingeflossen war.71 Aus diesen Werken entnahm er die Vorstellung der Tugend als einer Mittelzone zwischen extremen Grundhaltungen und die Übertragung dieses Modells auf die Politik im Konzept der gemischten Verfassung, die Mäßigung durch Machtkontrolle und den Ausgleich entgegengesetzter sozialer Kräfte bewirkt. Wie bei Aristoteles sind bei Montesquieu Ethik und Politik eng verzahnt. Das Prinzip der Mäßigung/modération, das Montesquieu zum Leitgedanken seines Werkes erhebt, bezieht sich auf Politik und Moral gleichermaßen: „Ich sage es, und es scheint mir, als hätte ich dieses Werk nur verfasst, um dies zu beweisen: Der Geist der Mäßigung muss der des Gesetzgebers sein; und das politisch Gute, wie das moralisch Gute, findet sich stets zwischen zwei äußersten Enden.“72 68 Vgl. Montesquieu, Considérations sur les causes de la grandeur des Romains (1734), S. 119 (chap. IX); ders., Mes Pensées, S. 1151–1153 (Nr. 631–633). 69 Vgl. Shakleton, Montesquieu, S. 238. 70 Vgl. Desgraves, Montesquieu, S. 228 f. 71 Vgl. Seyssel, La Grand’ Monarchie, S. 13 „Comme ceste moderation et refrenation de la puissance absolute des roys, est à leur grand honneur et proffit“. Siehe dazu Kuhfuss, Mäßigung und Politik, S. 133, 170 f., 185. Zum historischen Hintergrund: Fenske, Der moderne Verfassungsstaat, S. 110–112. 72 „Je le dis, et il me semble que je n’ai fait cet ouvrage que pour le prouver: l’esprit de modération doit être celui du législateur; le bien politique, comme le bien morale, se
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Extreme und Mischverfassungstradition
Das ethische Fundament hinderte Montesquieu ebenso wenig wie Aristoteles, die reale Vielfalt der Verfassungen und deren mannigfache räumliche, soziale und kulturelle Bedingungsfaktoren auf nüchtern-differenzierte Weise zu erörtern. Betrachtungen naturwissenschaftlicher Art mündeten indes oft in ethische Reflexionen. So verband er die Tugendlehre mit einer Klimatheorie, wie sie sich in ähnlicher Form im 8. Buch der Politik des Aristoteles findet. Allerdings hatte Aristoteles das gemäßigte, kulturfördernde Klima Griechenlands den ungünstigen Bedingungen heißer wie kalter Regionen entgegengesetzt. Montesquieu hingegen pries die vorteilhaften Wirkungen nordländischer Kargheit: Die „gotische“ Urform des von ihm favorisierten „gemäßigten Staates“ (gouvernement modéré) entstammt den kalten Wäldern Germaniens. Die „heißen Länder“ nämlich zeigen einen „extremen“ Hang zur Vergnügungssucht,73 während die Kälte Durchblutung, Herz und Hirn stärkt, Ernsthaftigkeit, Tapferkeit, Leistungsfähigkeit und Ausdauer fördert, zugleich aber die emotionale Erregbarkeit dämpft. Wer diese natürlichen Zusammenhänge bedenkt, muss sich daher nicht wundern, dass „die Feigheit der Völker der heißen Klimaten sie fast immer zu Sklaven gemacht und der Mut der Völker der kalten Klimaten diese frei erhalten hat.“74 Die „extreme Knechtschaft“ Asiens75 erklärt Montesquieu zum einen damit, dass dort die Kälte der „tartarischen“ Hochebenen und die Hitze des Südens unvermittelt aufeinander stießen, wodurch klimabedingt Eroberervölker unmittelbar mit leicht zu verknechtenden Stämmen konfrontiert gewesen seien und diese versklavt hätten. In Europa dagegen seien ähnlich starke Völker aufeinander getroffen. Und die Eroberer aus dem Norden, die „Goten“, hätten im Gegensatz zu den „Tartaren“ überall freie Staatsformen errichtet.76 Zum anderen habe die großräumige Gliederung Asiens die Bildung sehr ausgedehnter Reiche begünstigt, die nur despotisch zu beherrschen seien, während die feinere geographische Gliederung Europas der politischen Freiheit Auftrieb verschafft habe.77 In ähnlicher Weise stellte Montesquieu Zusammenhänge zwischen der Bodenbeschaffenheit, der Bevölkerungsdichte, der Verwendung von Geld, der Religion, den Sitten und Gebräuchen und der Etablierung gemäßigter oder extremer Herrschaftsverhältnisse her. Wie die Tyrannis im Werk des Aristoteles ist die Despotie bei Montesquieu Tummelfeld der Extreme. In despotischen Staaten herrscht „ein extremer Ge-
73 74 75 76 77
trouve toujours entre deux limites.“ De L’esprit des lois, Buch XXIX, Kap. 1, S. 865). Siehe auch Kuhfuss, Mäßigung und Politik; Riklin, Montesquieus freiheitliches Staatsmodell. Buch XIV, Kap. 2, S. 476 (La „sensibilité pour les plaisirs [...] sera plus grande dans les pays tempérés; dans les pays chauds, elle sera extrême“). Buch XVII, Kap. 2, S. 523 („Il ne faut donc pas être étonné que la lâcheté des peuples des climats chauds les ait presque toujours rendus esclaves, et que le courage des peuples des climats froids les ait maintenus libres“). Vgl. Buch XVII, Kap. 4, S. 529. Vgl. Buch XVII, Kap. 5, S. 528. Vgl. Buch XVII, Kap. VI.
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horsam“,78 muss der Wille des Herrschers bedingungslos befolgt werden. Allenfalls die Religion begründet Ausnahmen von dieser Regel: Man töte sogar den Vater, wenn es der Despot anordne, trinke aber keinen Wein, wenn dies religiöse Gebote streng untersagten. Der „extreme Gehorsam“ ist in den Despotien Erziehungsziel; Beratung, Diskussion, Einwände und Zweifel gegenüber den Befehlen des Herrschers sind verpönt.79 Wegen der „extremen Knechtschaft“80 sind Abgabenerhöhungen per definitionem unmöglich. Die Frauen werden als Besitz ihres Herrn betrachtet und in extremer Weise wie Sklavinnen gehalten.81 In einem Staat, in dem „extreme Unterordnung“82 Frieden heißt, muss man die Frauen einschließen, da sich ihre Intrigen anderenfalls für die Ehemänner verhängnisvoll auswirken. Während in gemäßigten Monarchien die Vertretung der Stände der Verfassung Festigkeit verleiht und Unzufriedenheit in der Bevölkerung nur selten zu „Exzessen“ führt, nimmt der Aufruhr in Despotien, wenn er einmal ausgebrochen ist, stets „extreme“83 Formen an. In der Despotie kommen die Extreme zur vollen Entfaltung. Zugleich sind extreme Lösungen eine Gefahr für alle anderen Staatsformen, insbesondere dann, wenn die Grundprinzipien, auf denen sie beruhen, überdehnt werden. Von der (direkten) Demokratie heißt es, sie werde in ihrer Existenz gefährdet, sobald sich ein Geist der Ungleichheit oder ein „Geist extremer Gleichheit“84 ausbreite. Eine „geregelte Demokratie“ zeige sich darin, dass die Staatsbürger und die Inhaber des gleichen Amtes untereinander vor dem Gesetz gleich seien. Die „extreme Freiheit“85 und Gleichheit des Naturzustandes sei von der mit der „Tugend“ vereinbaren Freiheit ebenso weit entfernt wie die Knechtschaft. Sobald die Demokratie darangehe, die Inhaber der Staatsämter ihrer Funktionen zu entkleiden, kippe sie um in den „Depotismus aller“.86 Wer „extreme Wege“87 wie die gleiche Aufteilung des Landbesitzes beschreite, begünstige die Korruption. Bald erkaufe man sich sogar Wählerstimmen. „Kleine Tyrannen“ etablierten sich, aus deren Mitte ein großer Tyrann hervorgehe und die dekadent gewordene Demokratie durch den „Despotismus eines einzelnen“88 ersetze. Die Aristokratie verdirbt durch die Erblichkeit des Adels und die damit verbundene Ausbreitung einer „extremen Korruption“. Wenn sich die Großen nicht mehr an die Gesetze halten, entsteht ein „despotischer Staat“ mit „meh-
78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88
Buch III, Kap. 10, S. 259 („une obéissance extrême“). Vgl. Buch IV, Kap. 3, S. 265. Buch XIII, Kap. 13, S. 467. „Elles doivent être extrêmement esclaves.“ Buch VII, Kap. IX, S. 341. Buch XVI, Kap. 9, S. 515. Buch V, Kap. 11, S. 290. Buch VIII, Kap. 2, S. 349, 351. Buch VIII, Kap. 3, S. 352. Buch VIII, Kap. 6, S. 354. Buch V, Kap. 7, S. 281. Buch VIII, Kap. 2, S. 351.
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reren Despoten“.89 Extreme Freiheit verdirbt die Tugend ebenso wie extreme Knechtschaft. In den „extrem absoluten Monarchien“ verraten die Historiker die Wahrheit, weil sie diese nicht sagen dürfen. In „extrem freien Staaten“ verraten sie sie, weil die Gesellschaft in Parteiungen zerfällt und jeder zum Sklaven der Vorurteile seiner „Faktion“90 wird. Die Freiheit der Wissenschaft ist mithin nur in einem Staat gesichert, wo die Interessenvertretung der sozialen Gruppen gewährleistet und die Macht institutionell kontrolliert wird. Die gewaltenbalancierende Mischverfassung Montesquieus, sein „gouvernement modéré“, verteilt die als gleichrangig geltenden sozialen Kräfte (Wahlvolk, Adel, König) in einer Weise auf Zweikammerparlament, Regierung und Gerichte, dass keine der drei Gewalten ausschließlich in den Händen einer einzigen sozialen Kraft oder eines einzigen Staatsorgans liegt und jede soziale Kraft an jeder der drei Gewalten beteiligt ist.91 Mit Montesquieus Werk erhielten die Gedanken der Mäßigung, Verfassungsmischung und Gewaltenkontrolle neue Aktualität. Das Werk machte Furore. Bereits zwei Jahre nach seinem Erscheinen konnte Montesquieu von 22 Editionen berichten.92 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Ausgleich zwischen den Extremen ein wichtiges Thema aufklärerischer Zirkel. Denis Diderot (1713–1784) erläuterte in der Encyclopédie ausführlich die Kategorien der aristotelischen Ethik: „Ce milieu écarte également d’homme de deux points opposés & extrêmes, à l’un desquels il pèche par excès, & à l’autre par défaut.“93 Voltaire (1694–1778) empfahl die Betrachtung der Extreme als eine Methode, um zu einem angemessenen Standpunkt in einer strittigen Angelegenheit zu gelangen. Wer sich etwa frage, ob es nützlich sein könne, in der Bevölkerung verbreiteten Aberglauben zu nähren, müsse sich nur die schlimmsten der auf diese Weise hervorgerufenen Exzesse vor Augen führen: „voyez surtout ce qu’il y a de plus extrême dans cette funeste matière, la Saint-Barthélemy, les massacres d’Irlande, les croisades.“94 So beantworte sich die Frage wie von selbst. Der Traité des Extrêmes (1767) aus der Feder eines jungen Autors, PierreNicolas Changeux (1740–1800), fand wohlwollende Aufnahme bei so einflussreichen Persönlichkeiten wie d’Alembert, Condillac und Condorcet. Der Beitrag zum Stichwort „Extrem“ in den Supplementen der Encyclopédie stützte sich im Wesentlichen darauf.95 Doch nahm der Autor weder auf Montesquieu noch auf
89 Buch VIII, Kap. 5, S. 353. 90 Buch XIX, Kap. 27, S. 583. 91 So lautet das Resümee einer minuziösen Untersuchung insbesondere des England-Kapitels bei: Riklin, Machtteilung, S. 276 f. Siehe auch ders., Montesquieus freiheitliches Staatsmodell; Brühlmeier, Verfassungstheorie; Chaimowicz, Freiheit und Gleichgewicht, S. 62–72. 92 Vgl. Riklin, Machtteilung, S. 269. 93 Diderot, Œuvres Complètes, S. 81. 94 Voltaire, Extrême, S. 53. 95 V.A.L., Art. „Extrême“.
Montesquieus „gouvernement modéré“
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die aristotelische Tradition Bezug, obgleich er sich davon bewusst oder unbewusst inspirieren ließ. Stattdessen wollte er in den Spuren Descartes wandeln und eine neue, auf der Zurückweisung der Extreme basierende Menschenwissenschaft begründen. In der menschlichen Natur begegneten sich die Extreme, ohne sich zu berühren, und die Realität finde sich „nur in der Mitte zwischen diesen Extremen“.96 Wenn er die Wahl der „Mitte“ zwischen „Exzess“ und „Mangel“ empfahl, griff er auf Formulierungen zurück, wie sie sich schon in Oresmes Kommentar zur Nikomachischen Ethik fanden. Doch dehnte der Autor das ethische Prinzip in seinen sehr abstrakten Ausführungen auf die Sphäre aller Wissenschaften wie Physik, Biologie, Theologie, Politik und Ökonomie aus. In Deutschland waren „Extreme“ und „Mäßigung“ ebenfalls ein wichtiges Thema der Aufklärungsdiskussion. So hat sich – um nur ein prominentes Beispiel zu nennen – der Kameralist Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717– 1771) in seinen späteren Werken eingehend mit dem Geist der Gesetze befasst, Kritik im Einzelnen geübt, wesentliche Gedankengänge jedoch übernommen. Justi hatte das Buch in Wien kennengelernt, wo er in der Zensurkommission gegen jesuitischen Widerstand für seine Zulassung eingetreten war.97 Spuren hinterließ die Lektüre aber erst Jahre später. Unter dem Montesquieuschen Einfluss entwickelte sich Justi von einem Anhänger des polizeistaatlich-aufgeklärten Absolutismus zu einem „konsequenten Anhänger des Liberalismus“.98 Noch aus den Vergleichungen der Europäischen mit den Asiatischen und andern vermeintlich Barbarischen Regierungen (1762) war keine grundsätzliche Ablehnung unbeschränkter Monarchie herauszulesen. Justi verteidigte die Allmacht der chinesischen Dynastien gegen den Despotismus-Vorwurf Montesquieus, feierte das Inka-Reich wegen seiner „guten Policey“ gar als vorbildhafte Ordnung.99 Dagegen begründete das Misstrauen gegenüber unbeschränkter Macht in den Betrachtungen über Natur und Wesen der Staaten (1760, zweite Auflage 1771) das Urteil über die „aus allen drey einfachen Regierungsformen“ zusammengesetzten „vermischten Regierungformen“100 (nach der Art Englands). Das Prinzip der Mäßigung müsse jede weise Regierung leiten: „Sie soll ihre Gewalt aus eigner Bewegung mäßigen, gesetzt, dass sie durch die Grundgesetze des Staats nicht eingeschränket ist; weil alle uneingeschränkte und ungemäßigte Gewalt allzu heftige und schädliche Wirkungen hervorbringet und denen Menschen allemal erschrecklich wird. Alle heftige Gewalt verzehret sich selbst durch ihre eigene Schwere und durch die Unmäßigkeit ihrer Wirkung; allein, ein mäßiger
96 Changeux, Traité des Extrêmes, Band 1, S. VI. Siehe auch die – wohlwollende – Besprechung des Werkes in: Journal de Trévoux ou Mémoire pour servir à l’Histoire des Sciences et des Arts, 67 (1767), S. 440–453. 97 Vgl. Wilhelm, Der deutsche Frühliberalismus, S. 125. 98 So Dreitzel, Absolutismus, S. 104. 99 Vgl. Justi, Vergleichungen, S. 52 f., 493–549. 100 Justi, Natur und Wesen, S. 217.
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Extreme und Mischverfassungstradition
Gebrauch der Macht ist anhaltend, dauerhaftig und Gott und Menschen angenehm.“101
5.
John Adams und die amerikanische Mischverfassung
Mit der spezifischen Verbindung von Mischverfassungslehre und Gewaltenteilungsdoktrin hat Montesquieu großen Einfluss auf die demokratischen Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ausgeübt. Nach einer Analyse der Zitierhäufigkeit wichtiger Autoren war Montesquieu in der Zeit der Gründung der USA der mit Abstand am meisten bemühte Autor, bei den Federalists wie bei den Antifederalists.102 Obwohl die Federalists beanspruchten, eine „unmixed Republic“ im Sinne eines nicht-ständischen, nicht-hereditären, nicht-monarchischen Systems zu schaffen,103 griffen sie doch in vielfältiger Weise auf Montesquieus Gedanken zurück. Die Mischverfassungslehre wurde in der Revolution und den nachrevolutionären Richtungskämpfen am vehementesten von John Adams vertreten (1735– 1826), der den Staat Massachusetts im Kontinentalkongress vertreten und gemeinsam mit Benjamin Franklin, Thomas Jefferson, Roger Sherman und Robert Livingstone die Unabhängigkeitserklärung ausgearbeitet hatte. 1796 gewann er gegen Jefferson das Rennen um die Präsidentschaft und regierte zwölf Jahre lang in Washington. John Adams war vermutlich der Gebildeteste der Founding Fathers. Seine gesammelten Werke umfassen zehn dickleibige Bände. In seiner Frühschrift, den Thoughts on Government (1776), war bereits der Kern seiner staatspolitischen Überzeugungen enthalten. Ausführlich hat er sie in der dreibändigen, während seiner Gesandtschaft in London entstandenen Defence of the Constitution of Government of the United States of America (1787/88) niedergelegt, der „einzige Versuch zu einer großangelegten ‚Politik‘, den die Amerikanische Revolution hervorgebracht hat“.104 Hier verteidigte er die Mischverfassung und das Zweikammerparlament nach der Art seines Heimatstaates Massachusetts gegen Auffassungen, wie sie von Turgot vorgetragen worden waren. In der amerikanischen bikameralen Gewaltenteilung erblickte dieser eine überflüssige Nachahmung der englischen Verfassung und vertrat die Auffassung, eine sich selbst regierende Nation müsse die Staatsgewalt in einem kollektiven Körper zusammenfas101 Ebd., S. 330. 102 Vgl. Lutz, The Relative Influence, S. 194 f. 103 Vgl. Publius (Madison), Federalist Nr. 14, S. 115: „Wenn Europa das Verdienst zukommt, diesen wichtigen politischen Mechanismus [der Repräsentation, U.B.] entdeckt zu haben, durch dessen Wirken der Wille der größten politischen Körperschaft vereinigt und seine Kraft auf jedes Ziel gerichtet werden kann, das dem Gemeinwohl dient, dann kann Amerika das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, diese Entdeckung zur Grundlage von unvermischten und großräumigen Republiken gemacht zu haben.“ Siehe zur Interpretation: Bose, Republik und Mischverfassung, S. 89 f. 104 So Gebhardt, Krise, S. 26.
John Adams und die amerikanische Mischverfassung
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sen. In seiner Widerlegung bot Adams die gesammelten politischen Erfahrungen der westlichen Freiheitstradition von der Antike über die norditalienischen Stadtrepubliken bis zu den Verfassungen Englands, der Niederlande und der Schweiz auf. Dabei schöpfte er ideengeschichtlich aus einer Vielfalt von Quellen:105 Platon, Aristoteles, Polybios, Cicero, Machiavelli, Guicciardini, Thomas Smith, John Milton, Harrington, Sidney, Locke, Bolingbroke, Burlamaqui, Montesquieu, Hume, Blackstone, Adam Smith, DeLolme, reihte lange Zitate aneinander, gab Quellen sinngemäß wieder und kommentierte, um immer wieder sein Credo zu wiederholen, dass einfache Verfassungsformen stets von Übel seien, nur eine gewaltenteilige Mischverfassung Freiheit und Stabilität verbürgen könne.106 In den ausgebreiteten Zitatenschätzen und sinngemäßen Paraphrasierungen zur Geschichte der Mischverfassung kehren die Extreme häufig wieder, stets als Gegenpole einer durch Mischung verbürgten gemäßigten Verfassung. Um nur ein Beispiel anzuführen: Bei der Wiedergabe der Gefahren, die einer Republik wie Florenz drohten, beruft er sich auf Guiccardini, wenn er Lehren für die Gegenwart zieht: „These things, at all times dangerous in such a government, will be much more so at present, because it is the nature of mankind, when they fly from one extreme, in which they have been held by violence, to rush with greater violence, without stopping at the mean, to the other extremity. Thus, he who escapes from a tyranny, if unrestrained, precipitates himself into an unbridled licentiousness, which also may most justly be called a tyranny“.107 Die hier beschworene Gefahr des Übergangs von einem zum anderen Extrem ließ die antike Lehre vom Verfassungskreislauf anklingen. Doch das für Adams charakteristische Bestreben, die verfassungspolitischen Lösungen der Gegenwart aus dem Erfahrungsschatz der alten Welt zu schöpfen, wurde nicht von allen Gründern der amerikanischen Demokratie geteilt.108 Die fundamentale Neuartigkeit der Vermählung von Demokratie und Repräsentativsystem betonten nicht zuletzt jene, denen die Traditionen der Mesoteslehre und Mischverfassungskonzeption nicht so lebendig vor Augen standen wie John Adams. Für manche stand Adams in dem Verdacht, ein verkappter Monarchist zu sein. Ohne Zweifel relativierte seine Sicht den verfassungspolitischen Unterschied zwischen Großbritannien und den USA. Die britische Verfassung firmierte in seiner Staatsformen-Typologie als monarchische Republik. Das war in den Augen jener, die nicht in den Kategorien des regimen mixtum dachten, ein Pleonasmus. Adams hob jedoch die gewaltenbalancierende Mischverfassung beider Systeme hervor. Als Republik galt jedes System, in dem die Legislative in mehr als einer Hand lag. Dies traf auf Großbritannien wie auf die USA zu. Die Beteiligung der Exekutive an der gesetzgebenden Gewalt war, wie er in einem Brief 105 Vgl. auch Chinard, Polybius. 106 Vgl. Nolte, Aristotelische Tradition; Riklin, John Adams; Thompson, Spirit of Liberty, insbesondere S. 174–249; Walsh, The Political Science. 107 Adams, Defence of the Constitution, S. 111. 108 Vgl. Nolte, Aristotelische Tradition, 231 f.
94
Extreme und Mischverfassungstradition
an Roger Sherman richtig stellte, keinesfalls ein „extreme not to be imitated by a republic“.109
6.
Extreme soziale Kräfte
In Europa war die Berührung der Extreme lange vor Ausbruch der Französischen Revolution eine geflügelte Wendung. Die viel zitierte Kapitelüberschrift aus Louis Sébastien Merciers (1740–1840) Tableau de Paris (1788) – „Les extrêmes se touchent“ polemisierte gegen die angebliche Sittenähnlichkeit der sozial Hoch- wie Tiefgestellten („Les grands & la canaille se rapprochent dans leurs moers“110) – wurzelte tief in aristotelischer Ideentradition, der „gesellschaftlichpolitische[n] Normalphilosophie des vorrevolutionären Europas“.111 Merciers Bonmot findet sich im Übrigen fast wortgleich in den „Pensées“ Blaise Pascals (1623–1662): „Ces extrémités se touchent“,112 wenn auch mit anderem Sinngehalt. Der Philosoph meinte die beiden Fähigkeiten, die gesamte Ausdehnung der sichtbaren Welt und die letzten Prinzipien der Dinge zu erfassen. An anderer Stelle heißt es: „Die extreme Geisteskraft wird ebenso des Wahnsinns geziehen wie der extreme Geistesmangel. Nichts als das Mittelmaß ist gut.“113 In ähnlicher Weise berief sich Michel de Montaigne (1533–1592) auf die „Mittelstraße“114 (zwischen dem Hass gegen den Schmerz und der Liebe zum Vergnügen), wie sie Platon in den Nomoi empfohlen habe. Die Kategorien der Mesotesethik waren – ob sie sich mit einem politisch-institutionellen Arrangement verbanden oder nicht – allgemeines Bildungsgut geworden. Aristotelische wie stoische Überlieferungsstränge flossen in die Textgattung der „Fürstenspiegel“ ein, wo die Einhaltung des Mittelwegs zum geflügelten Wort geworden war: „Man pfleget zu sagen Zu wenig oder zu viel ist des Teuffels Ziel: Die Mittel-Stras die beste was Medio tutissimus ibis.“115 109 Adams, Three Letters, S. 428. Vgl. auch Thompson, John Adams, S. 188 f. 110 Mercier, Tableau de Paris, Kap. 348. Ein Beispiel für die spätere literarische Beliebtheit des bon mot bietet der Gesellschaftsroman von: Jeanne Mussard, Les extrêmes se touchent, Cluny 1872, der allerdings nichts zur inhaltlichen Auffüllung der Formel beiträgt. 111 Bien, Revolution. 112 Pascal, Pensées, S. 4 (Artikel I). 113 Ebd., S. 73 (Artikel VI, 14): „L’extrême esprit est accusé de folie, comme l’extrême défaut. Rien que la médiocrité n’est bon.“ 114 Montaigne, Mäßigung, S. 213 (III. Buch, X. Hauptstück). 115 Löhneyß, Aulico Politica, S. 410 f. (8. Capitel). Ein anderes, für die Begriffsgeschichte der Extreme eindrucksvolles Beispiel aus dem englischen Sprachraum: Anonym [John Ford, Dramatiker], The Golden Meane. Siehe auch Singer, Fürstenspiegel.
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Die Reformation hatte keinen Bruch mit der aristotelisch-thomistischen Tradition herbeigeführt. Zwar war Martin Luther (1483–1546) mit der Scholastik hart ins Gericht gegangen, wo der „blind heydnischer meyster Aristoteles“116 regiere, der in seiner Schrift De anima die Sterblichkeit der Seele verkünde;117 und an der Universität Wittenberg waren die Positionen der „erst 1518 berufenen humanistischen Aristoteliker bei eintretendem Stellenwechsel“118 nicht neu besetzt worden. Philipp Melanchthon (1497–1560) urteilte in der ersten Ausgabe der Loci communes (1521) im jugendlichen Übermut, die Lehre des Aristoteles bestehe „im allgemeinen in einer Streitlust, so dass ihm unter den Schriftstellern der Moralphilosophie nicht einmal der letzte Platz gebührt.“119 Aber im Zuge des Aufbaus der reformatorischen Universität setzte sich der Schüler, Mitstreiter und Nachfolger Luthers, begnadete Gräzist und Altphilologe, intensiv mit den Werken des so gescholtenen auseinander. In den später entstandenen Ethik-Kommentaren behandelte er eingehend die Kategorien der Tugendlehre (Mäßigung/Mitte – „mediocritate“, Extreme – „moderatione ab extremis recedens“, „omnes immoderatae actiones in utramque partem nocent naturis“120). Durch die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wurde der Ethik als jenem Teil der göttlichen Gesetze, die dem bürgerlichen Zusammenleben gewidmet seien, ein eigener Ort zugewiesen. Maß und Mitte des Aristoteles fanden so – mit Zustimmung Luthers – Eingang in die reformatorische Lehre.121 Das Interesse Melanchthons an verfassungspolitischen Fragen erwachte später und erreichte nie die Intensität der philosophisch-theologischen Bemühungen. Doch konnte man dem Thema schon angesichts der Notwendigkeit einer Klärung des Verhältnisses von Religion und Staat nicht ausweichen. In den Commentarii in aliquot politicos libros Aristotelis (1530) schenkte er den komplexen Erörterungen über die Formen der Mischverfassung schon deswegen keine Beachtung, weil er lediglich die ersten drei Bücher kommentierte.122 Später plädierte er für eine mittlere Verfassungslösung zwischen Monarchie und Demokratie. Die freie Reichsstadt Nürnberg, die sich machtpolitischer Ränke enthielt und ihren Rang der Förderung von Wissenschaft, Kunst und Handwerk verdankte, bot das Modell eines Staates, „in dem viele Weise und Gute ihre Pläne vergleichen und in gemeinsamem Geist mit gleichem Eifer und Treue den Staat regieren“.123 Die Wertschätzung des tugendhaften Mittelweges hinderte Melanchthon indes nicht daran, die von Erasmus empfohlene, von einigen Fürsten des Reiches betriebene via media zwischen den Konfessionen zu verdammen.124 116 117 118 119 120 121 122 123 124
Luther, An den christlichen Adel, S. 154. Vgl. auch Dieter, Luther und Aristoteles. Scheible, Melanchthon, S. 91. Siehe auch ders., Art. Melanchthon, S. 371–410. Melanchthon, Loci communes, S. 61 (2,35). Melanchthon, Enarrationes, S. 311 (secundum librum, caput II: „De mediocritate“). Vgl. Scheible, Melanchthon neben Luther, S. 164 f. Vgl. Melanchthon, Commentarii. Vgl. ders., Widmungsvorrede. Siehe dazu Scheible, Melanchthon, S. 93. Vgl. Melanchthon, De officio principum, S. 394 (Randnr. 245). Siehe dazu ausführlich Estes, Melanchthon’s Confrontation.
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Die ethische Unterscheidung zwischen „gemäßigten“ und „extremen“ Verhaltensweisen ließ sich leicht zur Charakterisierung von Akteursgruppen verwenden. So fand die Mesoteslehre Eingang in die Selbstdefinitions- und Abgrenzungsbemühungen der Konfessionen, die jeweils bemüht waren, die eigene Dogmatik als heilsverbürgenden Mittelweg, die abweichende Sichtweise des „Ketzers“, „Häretikers“ oder „Antichristen“ hingegen als in die Hölle führende extreme Aberration darzustellen. Ein frühes Beispiel für die religiöse Personalisierung der Mesoteskategorien findet sich in einer Streitschrift des Bischofs von Winchester, Stephen Gardiner (ca. 1483–1555), des führenden Kirchenrechtlers in England, der in den religiösen Auseinandersetzungen eine konservative Haltung einnahm und sich entschieden von der „new scoole of extremites“125 abgrenzte, den Verfechtern eines radikal-reformatorischen Standpunktes in der Auseinandersetzung um die Prädestinationslehre und die Rolle des persönlichen Urteils in der Bibelauslegung. Solchen „Extremisten“ drohte während der Herrschaft der katholischen Tudor-Königin Maria I. (1553–1558) der Scheiterhaufen.126 Das Einhalten einer goldenen Mitte reklamierten die einander befehdenden Lager jeweils für sich. Ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Art aus katholischer Warte stellt eine gegenreformatorische Streitschrift des spanischen Jesuiten F. Joanne Gonzales de Leon aus den Jahren 1635/36 de extremis Haereticorum erroribus dar, in der die „Veritas Catholicorum circa efficaciam divinae gratiae“ zwischen den extremen „Haereses Pelagianorum“ und den „Haereses Calvinistarum & Lutheranorum“,127 also den Irrlehren der Pelagianer wie der Calvinisten und Lutheraner, angesiedelt wurde. In ähnlicher Weise suchte eine gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges (1647) in London erschienene Schrift die sixteene Golden Meanes der anglikanischen Kirche von 31 fehlerhaften theologischen Lehrmeinungen des „Old Extreme“128 (der Papstkirche) und 32 nicht weniger verfehlten Auffassungen des „New Extreme“ (des Puritanismus) abzugrenzen.129 125 Gardiner, Declaration. Der Oxford English Dictionary (Band 3, Oxford 1961, S. 476) verzeichnet die Gardiner-Stelle als Erstnachweis der altertümlichen, inzwischen nicht mehr gebräuchlichen, mit „extremist“ synonymen Bezeichnung. Siehe zur Person und zum historischen Hintergrund: Muller, Stephen Gardiner; Smith, Tudor Prelates; Skinner, Foundations, Band 2: The Age of Reformation, S. 84. 126 Vgl. MacCulloch, Die zweite Phase, S. 33. 127 Gonzales de Leon, Controversiae, S. 249. 128 Thirty and two Extremes of these times discovered and reduced to sixteene Golden Meanes, tending to the reducing of strayers the stablishing of Waverers, and the uniting of Judgements and Hearts together in the Truth, London 1647 (British Library 669. f. 11. [66.]). 129 Dieser Topos kehrt später häufig wieder. Siehe etwa: Smyth [Lord Bishop of Exeter], The Tendency to Extremes; The Via Media. An Ecclesiastical Chart, showing that the Church of England holds the middle place of Truth between the two extremes of Sectarian Error and Popish Heresy, Haselbury, Juni 1843; Garbett, Protestant Truth; its position between the two Extremes of Infidelity and Popery, being a sermon, preached in the episcopal chapel, Gray’s Inn Lane, on Sunday Evening, November 17, London 1850.
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Abbildung 5: Thirty and two Extremes of these times discovered and reduced to sixteene Golden Meanes Quelle: British Library, 669.f.11.(66.), London 1647.
Die Härte der religiösen Auseinandersetzungen und die politisch-militärische Organisation der Streitparteien im Dreißigjährigen Krieg wirkte auch auf die politische Sprache ein, die sich der aristotelischen Gegenüberstellung von tugendhafter Mitte und lasterhaften Extremen bediente, um die vom eigenen Standpunkt am weitesten entfernten Positionen zu stigmatisieren. In einer solchen Atmosphäre ist die abwertende Parteibezeichnung „Extremisten“ in die an Latinismen reiche deutsche Gelehrtensprache des 17. Jahrhunderts eingeführt worden. Das Wort findet sich (erstmals?130) in einem Briefwechsel des Calvinisten Ludwig Camerarius (1573–1651), Sohn des mit Melanchthon befreundeten Nürnberger Patriziers, Altphilologen, Theologen und Pädagogen Joachim Camerarius (1500–1574), der die reformatorische Hohe Schule in Nürnberg aufgebaut, die Universität Tübingen reformiert hatte und u. a. als Kommentator der Politik des Aristoteles (mit eingehender Würdigung der Mesoteslehre) hervorgetreten war.131 Ohne Zweifel eignete sich der Sohn einen Teil der umfassenden humanistischen Bildung des Vaters an, auch wenn er eine andere Laufbahn einschlug und eine calvinistisch-kämpferische Gesinnung entwickelte, die sich von der friedfertigeren, auf konfessionellen Ausgleich bedachten Haltung des ReforDoch fehlte es auch nicht an Versuchen, einen Mittelweg zwischen den Extremen zu finden: Beaulieu, Take heed of both Extremes; T.A. [Thomas Aiton, Minister of the Gospel at Alyth], The Original Constitution of the Christian Church: Wherein the Extremes on either Hand are Stated and Examined. To which is added an Appendix containing The Rise of the Jure Divino Prelatists; and an Answer to their Arguments, by Episcopal Divines, Edinburgh 1730. 130 Die Stelle wird als erster lexikographischer Beleg von „Extremismus“ verzeichnet: Deutsches Wörterbuch, S. 2535. 131 Vgl. Camerarius, Politicorum et oeconomicorum Aristotelis interpretationes et explicationes accuratae, S. 89, 161, 178.
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mationshumanisten unterschied.132 Ludwig Camerarius begleitete den kurpfälzischen „Winterkönig“ 1618/19 in sein böhmisches Abenteuer, wirkte Jahre im diplomatischen Dienst der Kurpfalz und wurde 1626 vom Schwedenkönig Gustav Adolf mit der Führung seiner Gesandtschaft bei der Regierung der Generalstaaten im Haag betraut. In den Briefen an seinen Nürnberger Landsmann Lukas Friedrich Behaim firmierten die Jesuiten als „discipuli des Teufels“, der böse Geist des Krieges, in ihrer Unversöhnlichkeit und Hartnäckigkeit die Hauptschuldigen an der Verwüstung des Reiches. Die Kurpfalz dagegen war ganz zu Unrecht beschuldigt worden, an der Entfesselung des Krieges entscheidend mitgewirkt zu haben: „Mann hat die arme Chur Pfaltz vnd die Union vor diesem beschuldiget, alß ob sie das Reich in ein newes modell hetten gießen vnd versetzen wollen, da sie doch (wie ich mit Gott vnd meinem gewissen bezeigen kann) keinen andern scopum gehabt, alß libertatem religionis, die observantz vnd execution der Keys. Capitulatioon vnd legum fundamentalium, wie auch in Beheim des Mayestatsbrieffs, so dann ins gemein eine vnpartheyische iustitiam, welches alles durch Drieb der Jesuiten vnd anderer Extremisten vmbgestossen worden.“133 Zum ersten Mal scheint Camerarius den Ausdruck „Extremisten“ in einem Brief vom April 1646 benützt zu haben, wo der Hoffnung Ausdruck verliehen wird, Gott werde es nicht zulassen, dass „die Extremisten den Frieden noch länger hindern“.134 Auch hier dürfte in erster Linie an die Speerspitze der Gegenreformation, die Jesuiten, gedacht gewesen sein.135 In der Logik des religiösen Bürgerkrieges musste das Extreme wie ein Geschwür ausgebrannt werden, um den kranken Körper zu heilen. Mit dem Bösen selbst konnte es keinen substantiellen Kompromiss geben. Eine zwingende Konsequenz der Mesoteslehre war dies indes nicht. In ihrer soziologischen Anwendung konnte sie vielmehr auch die Auffassung stützen, es sei ein Ausgleich zwischen den Interessen der extremen sozialen Gruppen zu finden. Anklänge einer solchen Interpretation fanden sich etwa in Giannottis Beschreibung der florentinischen Verfassungsverhältnisse, wo institutionelle Vorkehrungen die Integration der extremen Gruppen der Popolari und Optimati bewirkten. Bereits vor Giannotti hatte Machiavelli, auch er Anhänger einer Mischverfassung, in den Istorie Fiorentine eine wichtige Differenzierung vorgenommen. Er unterschied zwischen eigensüchtigen Gruppierungen auf der Grundlage von Bestechung, Patronage und Rechtsbeugung einerseits und solchen, die auf eine offene, belebende, machtbegrenzende Konkurrenz um öffentliche Ämter hinausliefen, andererseits.136 In seinen von Polybios inspirierten Betrachtungen zum 132 Vgl. Schuber, Art. „Camerarius, Ludwig“. Siehe zum Vater: Stählin, Art. „Camerarius, Joachim“. 133 Camerarius an Behaim, Groningen, 9./19. Mai 1648, S. 231. 134 Camerarius an Behaim, Groningen, 18./28. April 1646, S. 209. 135 Vgl. Zur Jesuitenphobie Camerarius’: Ernstberger, Einleitung, S. 16. 136 Vgl. Machiavelli, Geschichte von Florenz, S. 420–422 (VII. Buch). Siehe auch zum Folgenden den grundlegenden Beitrag von: Faul, Verfemung, S. 60–80.
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republikanischen Rom würdigte er den Machtkonflikt zwischen Volk und Adel als eine Ursache der römischen Freiheit, denn „gute Gesetze“ seien durch „Parteikämpfe, die viele unüberlegt verurteilen“,137 entstanden. Anders als Aristoteles, der die Mittleren stärken, die extremen sozialen Gruppen hingegen schwächen wollte, setzte Machiavelli in seinem Mischverfassungsmodell auf eine Balance der Extreme, der Grandi und des Popolo. Die Zwietracht zwischen diesen beiden sozialen Segmenten hatte einst die Freiheit Roms gesichert: „e che e’ non considerino come e’ sono in ogni republica due umori diversi, quello del popolo, e quello de’ grandi; e come tutte le leggi che si fanno in favore della libertà, nascano dalla disunione loro, come facilmente si può vedere essere seguito in Roma“.138 In der Mischverfassung Machiavellis sollte eine mit „quasi-monarchischen Kompetenzen ausgestattete Integrationsgestalt“139 das Gleichgewicht der extremen Kräfte bewirken. Auch in seiner Denkschrift über die Reform des Staates von Florenz stellte er daher fest: „Die, welche eine Republik konstituieren, müssen drei verschiedenen Klassen von Menschen, die in allen Städten sind, Raum geben, nämlich den ersten, den mittleren und den letzten [cioè primi, mezzani e ultimi].“140 Montesquieu knüpfte an das Parteienverständnis Machiavellis an, wenn er in seinen Betrachtungen über die Ursachen für die Größe Roms bemerkte, ein „Corps Politique“ zeichne sich im Gegensatz zum „asiatischen Despotismus“ dadurch aus, dass „alle Parteien, wie entgegengesetzt sie uns auch erscheinen mögen, um das Gemeinwohl der Gesellschaft streiten, so wie die Dissonanzen in der Musik in einem Gesamtakkord zusammenlaufen.“141 Dies schloss die Vertretungen aller, für sich genommen, „extremen“, sozialen Interessen ein. Allerdings ist in dem berühmten 6. Kapitel des XI. Buches von De l’esprit des lois, in dem er die britische Insel wegen ihrer gewaltenteiligen Ordnung als Hort politischer Freiheit würdigte, von der Rolle der Parteien auffallenderweise keine Rede. Dabei hatte der Parteienkampf gerade in den Jahren von Montesquieus England-Aufenthalt (1729–1731) besonders heftig getobt und die Institutionalisierung einer – gegen Regierung und Parlamentsmehrheit gerichteten – parlamentarischen Opposition begonnen. Dies dürfte seine Erklärung darin finden, dass Montesquieu auch in der Wahrnehmung von Parteien und Opposition unter dem Einfluss der Walpole-Gegner um Lord Bolingbroke stand.142 Diese trugen durch ihre politische Praxis zwar maßgeblich zur Etablierung des parlamentarischen Wechselspiels zwischen Oppositions- und Regierungspartei bei, griffen jedoch in ihrer Verfassungstheorie auf ständisch-dualistische Vorstellun137 Machiavelli, Discorsi, S. 19 (I 4). 138 Ders., Discorsi. In: ders., Opere, a cura di Corrado Vivanti, S. 193–525, hier 209 (I 4). Siehe dazu Aristoteles, Politik, V 1302b. 139 Münkler, Machiavelli, S. 379. 140 Machiavelli, Denkschrift, S. 351; ders., Discursus, S. 738 (Randnr. 14). Siehe dazu auch Münkler, Machiavelli, S. 379 f. 141 Montesquieu, Considérations, S. 679 f. 142 Vgl. dazu ausführlich: Kluxen, Gewaltentrennung; Shackleton, Separation of Powers.
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gen aus der Common Law-Tradition zurück, die dem Entwicklungsstand des politischen Systems nicht mehr gerecht wurden. Bolingbrokes Oppositionslehre atmete zum Teil noch den Geist des Widerstandsrechts.143 Das Übergewicht der Walpole-Regierung im Parlament sah er als eine traditionsfremde und zu beseitigende Anomalie an, „government by a party“ müsse zum „government by a faction“144 entarten – also zur Regierung im Sinne eigensüchtiger Interessen. Eine Generation später trat Edmund Burke als wortgewaltiger Verteidiger des Parteiwesens auf, dessen freiheitssichernde Wirkung er gegenüber den Ansprüchen der Krone auf Überparteilichkeit der Regierung hervorhob: „Die Behauptung der Unparteilichkeit ist eine parteiliche Behauptung“.145 Parteien waren ihm legitime Interessenorganisationen zur Förderung des Gemeinwohls. Es ist gewiss kein Zufall, dass Verfechter der Mischverfassung zu einer allmählich positiveren Beurteilung des Parteiwesens und politischer Interessenvielfalt beitrugen, während ausgesprochene Gegner dessen traditionelle Verfemung weltanschaulich untermauerten. Dafür ist Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) ein herausragendes Beispiel, hängen bei ihm doch die Ablehnung von Repräsentation, Gewaltenteilung und intermediären Instanzen eng zusammen, da sie dem Ideal einer Identität von Regierenden und Regierten widersprechen.146 Die Frage nach der politisch-theoretischen Bewertung von Parteiungen wurde umso dringlicher, je stärker sie im Zuge der Auflösung der ständischen Gesellschaft als wichtige gesellschaftliche Kräfte in Erscheinung traten. Dies betraf nicht nur die „gemäßigten“, sondern auch die „extremen“ politischen Kräfte.
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Französische Revolution und Rechts-Links-Dichotomie
Im 18. Jahrhundert formierten sich – auch als Ergebnis des mit der Aufklärung verbundenen Säkularisierungsprozesses – jene weltanschaulichen Strömungen, die die Geschichte des 19. Jahrhunderts bestimmen sollten. Ihre organisatorische Verfestigung wurde durch die Französische Revolution gefördert, in der sich auch die Sprachkonvention einer politisch-taxonomischen Unterscheidung in „Rechte“ und „Linke“ herausbildete. Das Aufkommen der Unterscheidung von „rechts“ und „links“ im Sinne antithetischer politischer Richtungsbegriffe wird gemeinhin auf die Assemblée nationale zurückgeführt. Zwar fand das Wortpaar schon viel früher in der Sprache parlamentarischer Gremien Verwendung: In der französischen Übersetzung des von Edward Chamberlayne verfassten, seinerzeit vielgelesenen englischen Werkes über The Present State of England (viele Ausgaben seit 1669) wird die 143 Vgl. Jäger, Art. „Opposition“, S. 476; ders., Politische Partei und parlamentarische Opposition, S. 75–155. 144 Zitiert nach Jäger, Art. „Opposition“, S. 478. 145 Burke, Speech on Fox’s East India Bill (1783), S. 336. Vgl. Krockow, Edmund Burke, S. 73. 146 Vgl. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, S. 59 (II, 3).
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Sitzordnung des englischen Oberhauses aus der Perspektive des in der Mitte residierenden Königs beschrieben und näher ausgeführt, welche Amts- und Würdenträger „A la main droite“ und welche „A la main gauche“147 ihren Platz einnehmen. Aber mit dieser Einteilung verband sich keine geistig-politische Geographie; bezeichnenderweise wandte sie der Autor nur auf das ausschließlich ständisch zusammengesetzte House of Lords und nicht auf das House of Commons mit seinen Parteigegensätzen an. Mit Recht wird demnach das Aufkommen der Rechts-Links-Unterscheidung im Sinne politischer Richtungsbegriffe auf die französische Nationalversammlung von 1789 zurückgeführt. Nicht einmal eine bewusste Anlehnung an den älteren stände-parlamentarischen Sprachgebrauch ist bislang nachgewiesen worden.148 In der neuen Ära blieb die Sitzordnung nicht länger das Spiegelbild festgefügter gesellschaftlicher Hierarchien, sondern brachte bald die Dynamik politisch-ideologischer Auseinandersetzungen zum Ausdruck. Die Spaltung in zwei gegnerische Lager der Nationalversammlung – „le côté gauche“ mit entschieden revolutionärer Stoßrichtung und „le côté droite“ mit zurückhaltenderen, der Monarchie freundlich gesinnten Vorstellungen – trat den politischen Beobachtern spätestens im August/September 1789 während der Diskussionen um die Menschenrechte und das königliche Veto deutlich vor Augen.149 In der von Philippe Buchez und Pierre Roux-Lavergne 1834 veröffentlichten Parlamentsgeschichte wird die Sitzung vom 28. August 1789 als Startdatum für die Rechts-Links-Gruppierung der Nationalversammlung genannt.150 Auf diese Weise habe sich das Stimmverhalten rascher erfassen lassen. Andere Historiker nennen die Sitzung vom 11. September, in der die Nationalversammlung mit 575 gegen 325 Stimmen zugunsten eines aufschiebenden Vetorechts des Königs votierte.151 Spätestens jetzt hatte sich die Rechts-Links-Aufstellung etabliert. Bald wurden die räumlichen Adjektive „links“ und „rechts“ substantiviert. Man sprach nun einfach von „la droite“ und „la gauche“ und machte innerhalb dieser Lager wiederum Flügelgruppen aus: „l’extrémité gauche“ und „l’extrémité droite“.152 Im „Moniteur“, dem offiziellen parlamentarischen 147 Chamberlayne, L’Estat présent de l’Angleterre, S. 59. Der erste Teil des Werkes erschien 1669, der zweite Teil, aus dem die Zitate stammen, wurde erst der dritten Auflage von 1672 hinzugefügt. Vgl. die Angaben in folgendem Werk: S.L., Art. „Chamberlayne, Edward“, S. 8 f. Auf das Werk Chamberlaynes wird verwiesen bei: Mackenzie, Les relations, S. 82; Mönch, Wortschatz, S. 54 f. 148 Marcel Gauchet vermutet, es handele sich um die Neuerfindung einer alten Unterscheidung: ders., La droite et la gauche, S. 396. 149 Vgl. die bei Gauchet angeführten Belegstellen: ebd., S. 398 f. Siehe dazu auch: Retat, Partis et factions, S. 82 f.; Brasart, Paroles, S. 102–104. 150 Vgl. Buchez/Roux-Lavergne, Histoire parlementaire. Zitiert nach Rémond, Les droites en France, S. 389. 151 Vgl. Defrasne, La gauche en France; Petitfils, La droite en France. 152 Vgl. die Belege bei: Frey, Les transformations du vocabulaire français, S. 46; Gauchet, La droite et la gauche, S. 399 und 461, Anm. 14; Brunot, Histoire de la langue française, S. 769 f.
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Debattenorgan, war 1791 aber auch von „l’extrémité du côté gauche“, „l’extrémité de la partie gauche“ und „l’extrémité de la partie droite“153 die Rede. Die Begriffsbildung erfolgte im Zuge einer sich überstürzenden revolutionären Entwicklung, die unbekannte Sachverhalte schuf, für die neue Worte gefunden werden mussten. Den politischen Extremen galt eine Vielzahl von Neologismen. Um die Übertriebenheit („exagérés“) oder Überzogenheit („exaltés“) einer politischen Position zu kennzeichnen, setzte man „ultra“ vor eine Parteibezeichnung. So war von den „ultra-royalistes“, „ultra-constitutionnels“, „ultrapatriotes“ und „ultra-révolutionnaires“ die Rede.154 In ähnlicher Weise konnte das alte, seines religiösen Inhalts entleerte Attribut „fanatique“ auf politische Strömungen wie den „fanatico-royalisme“ angewendet werden.155 Eine zerstörerische, mörderische Tendenz ließ sich durch das aus dem Lateinischen entlehnte Suffix „-icide“ (z. B. „liberticide“, „républicide“), eine entschiedene Gegnerschaft durch das Präfix „anti-“ („antiaristocrate“, „anticonstitutionnel“, „antidémocratique“, „antipolitique“, „antirévolutionnaire“) kennzeichnen.156 Selbst der so modern klingende „Alarmismus“ („alarmiste“) war Bestandteil der revolutionären Sprache – etwa zur Bezeichnung jener Jakobiner, die unentwegt Alarm schlugen, um eine Rechtfertigungsgrundlage für ihr blutiges Handwerk zu schaffen.157 Der „modérantisme“ derer, die sich dem Treiben der „enragés“ widersetzten, stand dagegen bei entschiedenen Republikanern in schlechtem Ruf. Über einen dieser Gemäßigten („modéré“) hieß es im „Républicain“ vom 28. Februar 1793, er scheine von einem schändlichen, die Freiheit zerstörenden „Moderantismus“ infiziert.158 Schon wegen der Verkehrung der traditionellen politischen Kategorien konnten sich die neuen Sprachkonventionen im Zuge einer turbulenten Revolutionsentwicklung nicht fest etablieren. Die Machtübernahme der Jakobiner hatte eine rigorose Beschneidung des als legitim geltenden politischen Spektrums zur Folge. Während der napoleonischen Herrschaft fand die Unterdrückung des politischen Pluralismus unter gewandelten „Vorzeichen“, wenn auch in milderen Formen, ihre Fortsetzung.
153 Zitiert nach Gauchet, La droite et la gauche, S. 461, Anm. 14. 154 Vgl. Frey, Les transformations du vocabulaire français, S. 34. 155 Vgl. ebd., S. 35. Siehe zu diesem, umfassend dokumentierten, Wortgebrauch auch: Serge Bianchi, „Fanatique(s)/Fanatisme. 156 Vgl. Frey, Les transformations du vocabulaire français, S. 30, 34. 157 Ebd., S. 105 f. 158 „Il me paraît infecté de ce coupable modérantisme qui [...] voudrait assassiner la liberté“. Zitiert nach ebd., S. 154.
Extreme als Topos der frühen Revolutionskritik
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Extreme als Topos der frühen Revolutionskritik
Die Rechts-Links-Unterscheidung war in der Französischen Revolution mit der alten Unterscheidung zwischen „gemäßigt“ und „extrem“ verknüpft worden. Eine politisch-geographische Dimension verband sich mit einer politisch-ethischen. Die platonisch-aristotelischen Wertbegriffe lebten darin fort. Die Benennung des „Extremen“ wurde zu einem Topos der französischen wie außerfranzösischen Revolutionskritik. Bereits vor der Machtübernahme der Jakobiner 1793 hatten Beobachter auf diese Weise Bedenken geäußert, die nicht zu den unversöhnlichen Gegnern der Ideale von „liberté, égalité, fraternité“ zu zählen waren. Der englische Politiker Edmund Burke sah sich durch das Plädoyer eines nonkonformistischen Geistlichen, Richard Price, für das Recht des Volkes, sich eine neue Verfassung zu geben, zu einer Grundsatzkritik der französischen Vorgänge veranlasst. In seinen Reflections on the Revolution in France (1790) hob er die Tatsache hervor, dass tragende Kräfte der Revolution jeden Kompromiss mit den vorrevolutionären Zuständen ablehnten und das Land politisch ganz aus neuen Prinzipien aufbauen wollten. Nach Burkes Überzeugung musste jede Lösung scheitern, die keine Verbindung mit dem Gewachsenen und Bewährten einging. Gegen das republikanische Frankreich plädierte er für „a mixed and tempered government to either of the extremes“159 und zitierte Aristoteles mit der Beobachtung, „that a democracy has many striking points of resemblance with tyranny“.160 Von der reinen Republik zur puren Tyrannei war aus dieser Sicht der Weg nicht weit. Der Umschlag von einem zum anderen Extrem stand auch im Mittelpunkt der Revolutionskritik des preußischen Liberalen Wilhelm von Humboldt (1776– 1835). In seinen Ideen über Staatsverfassung, veröffentlicht 1791 nach Verabschiedung der neuen französischen Verfassung, erklärte er die Entstehung einer schrankenlosen Freiheit mit der Schrankenlosigkeit des vorherigen „Despotismus“: „Die Menschheit hatte an einem Extrem gelitten, in einem Extrem musste sie ihre Rettung suchen.“161 Auf ähnliche Weise bemühte Christoph Martin Wieland (1733–1813), Professor der Philosophie in Erfurt und Prinzenerzieher in Weimar, in dem von ihm herausgegebenen literaturkritischen Organ Teutscher Merkur den Topos vom Umschlag des einen Extrems ins andere, wenn er 1790 davor warnte, man werde „einen Demokratischen Despotismus an die Stelle des Aristokratischen und Monarchischen“162 setzen. Im September 1792, nach der Abdankung des Königs, kommentierte er die Gründung der französischen Republik und äußerte in einer historischen Betrachtung tiefe Skepsis mit Blick auf deren Stabilisierungschancen. Die Geschichte der griechischen Poleis schien
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Burke, Reflections, S. 136. Ebd., S. 137. Humboldt, Ideen über Staatsverfassung, S. 84. Wieland, Unparteiische Betrachtungen, S. 488.
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Extreme und Mischverfassungstradition
zu beweisen, dass ein Staat niemals mit Erfolg von einer Monarchie in eine „reine Demokratie“ verwandelt worden war: „Denn die so genannten Königreiche der heroischen Zeit, wie das von Argos, Mycän, Sicyon, Megarä, Athen, Theben usw., aus denen sich alle die kleinen Republiken des alten Griechenlands nach und nach bildeten, wird [wegen der geringen Größe, U.B.] hier wohl niemand gegen mich anführen wollen. Und selbst diese gingen nicht von einem Extrem ins andere über. Es waren kleine Embryonen noch unentwickelter bürgerlicher Gesellschaften, aus Demokratie, Aristokratie und Monarchie gemischt, worin sich die Edeln und das Volk der Könige entledigten, und das gemeine Wesen so lange zwischen Aristokratie und Demokratie herum trieb, bis endlich die letztere das Übergewicht bekam, und dadurch den Verlust der Freiheit von innen und der Unabhängigkeit von außen beschleunigte.“163
Zudem sei eine Demokratie „ohne Tugend, ohne Mäßigung, ohne Reinheit der Sitten“164 undenkbar, eben diese Voraussetzungen fehlten in einem so dekadenten, in Luxus schwelgenden Land wie Frankreich völlig. Was „für einen ungeheuern Sprung“ müsste daher ein Volk wie das französische tun, „um von seinen dermaligen Angewohnheiten auf einmal zum andern Extrem, zur demokratischen Tugend, überzugehen?“165 Optimistischer als Wieland beurteilte der 1790 aus dem absolutistisch regierten Oldenburg ins revolutionäre Paris gereiste Kanzleirat und Schriftsteller Gerhard Anton von Halem (1752–1819) den Verlauf der Revolution; „manche Extreme würden vermieden, weniger Leidenschaft ins Spiel gekommen, und der König nicht gleichsam isolirt in der Mitte der Nation geblieben seyn, wären nicht die Repräsentanten der Nation vom Hofe in der Freyheit ihrer Deliberation gestöhret worden.“166 Von Halem meinte vor allem die Bedrängung der Nationalversammlung durch königliche Truppen im Frühsommer 1789. Exzesse des „Pöbels“ waren auch auf das Agieren der Staatsmacht zurückzuführen, konnten nicht allein den Revolutionären angelastet werden. Grundsätzlich im Sinne der Revolution argumentierte der weltgereiste Schriftsteller und Demokrat Georg Forster (1754–1794) in einem Brief an seinen Schwiegervater Christian Gottlob Heyne vom 12. Juli 1791. Die zu erwartende Unvollkommenheit einer neuen Ordnung dürfe nicht dazu führen, dass jede „Abscheulichkeit“ der alten in Kauf genommen werde. Da alle menschlichen Dinge unvollkommen seien, könne auch vom neuen Frankreich nichts Vollkommenes erwartet werden. Zudem ließen sich Fehler korrigieren; die „guten Einrichtungen“ seien „offenbar im Übergewicht, und wenn das Böse an den Tag kommt und wirklich eine ebenso arge Zerrüttung droht, als der zeitherige Despotismus und Aristokratismus, wem wird es zuzuschreiben sein als der bittern Notwendigkeit, dem unvermeidlichen Gesetze der Natur, vermöge dessen es unmöglich ist, ohne in andere Extreme zu gehen, die Wirkung eines Extrems auf163 164 165 166
Wieland, Die Französische Republik, S. 524 (Hervorhebung im Original). Ebd., S. 534. Ebd., S. 535 (Hervorhebung im Original). Halem, Blicke auf einen Theil Deutschlands, S. 303.
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zuheben? Kein Fehler, kein Irrtum, kein Missbrauch ist, dessen die Nationalversammlung beschuldigt werden kann, wovon nicht der Fluch auf den vorhergehenden Despotismus zurückfällt.“167 Wer in dieser Weise den Umschlag von einem Extrem ins andere zum Naturgesetz erhob, konnte vom Schreckensregiment der Jakobiner nicht allzu überrascht sein. Doch auch in Forsters Briefen verdüsterte das Treiben der „Ultrarevolutionäre“168 das Bild der Revolutionsschilderungen in der zweiten Jahreshälfte 1793 zunehmend. Viele Beobachter, die das Revolutionsgeschehen bis dahin mit grundsätzlicher Sympathie betrachtet hatten, revidierten nun ihre Ansichten. Die Französische Revolution schien endgültig ins Extrem gefallen. Diese Gefahr hatte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George Washington (1732–1799), klar erkannt, als er in einem Brief an den Marquis de Lafayette vom 10. Juni 1792 die Notwendigkeit kühler Vernunft betonte, um eine tragfähige verfassungspolitische Lösung zu finden: „The just medium cannot be expected to be found in a moment, the first vibrations always go to the extremes, and cool reason, which can alone establish a permanent and equal government, is as little to be expected in the tumults of popular commotion, as an attention to the liberties of the people is to be found in the dark Divan of a despotic tyrant.“169 Tyrannis und zügellose Volksmenge boten gleichermaßen ungünstige Bedingungen für die Sicherung politischer Freiheit. Die Terrorherrschaft der Jakobiner blieb im 19. Jahrhundert der Inbegriff des politisch Extremen. Von ihrer offiziellen Proklamation am 5. September 1793 bis zum Sturz Robespierres am 27. Juli 1794 hatte sie Hunderttausende von Opfern gefordert. Nach der erfolgreichen Zurückdrängung der österreichischen, britisch-hannoverschen und spanischen Restaurationsarmeen hatte sich der Terror im Inneren umso stärker entfaltet und umso hemmungsloser gegen alle tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Republikfeinde gewütet.170 Vor allem in der Hauptstadt und in den Zentren revolutionärer Auseinandersetzung wie Lyon, Lille, Nantes oder Marseille konnte sich niemand mehr sicher fühlen. Furcht und Schrecken breiteten sich aus. Wo die Guillotine die von den Revolutionstribunalen Verurteilten nicht schnell genug töten konnte, griff man zu Massenerschießungen oder verlud die Opfer auf Kähne, die in Flüssen wie der Rhone oder der Loire versenkt wurden. Besonders blutig war die Unterdrückung des „weißen“ Widerstandes in der Vendée. Ein bedeutender Teil der Bevölkerung wurde ausgelöscht. Die Schrecken und Gräueltaten brannten sich tief in das Bewusstsein der Zeitgenossen ein. Die Exzesse und Extreme der Revolution wurden bald zum Gegenstand grundsätzlicher Auseinandersetzung. Einer der frühesten Beiträge dieser Art stammte von der Tochter des Genfer Bankiers und letzten Finanzministers Lud167 168 169 170
Forster an Heyne, 12. Juli 1791, S. 653. Forster an Therese Forster, Paris, 19./20. Dezember 1793, S. 764. Washington an den Marquis de Lafayette, 10. Juni 1792, S. 54. Vgl. zu den Ereignissen Furet, La République jacobine.
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Extreme und Mischverfassungstradition
wigs XVI., Jacques Necker. Anne-Louise Germaine de Staël (1766–1817) hatte anfänglich zu den Anhängern der Revolution gehört, sich jedoch entsetzt von den immer gefährlicher werdenden Verhältnissen in Paris abgewandt, sich auf ihr Landgut Coppet bei Genf zurückgezogen und Reisen unternommen, bevor sie 1795 wieder in die französische Landeshauptstadt zurückkehrte, in der nun das gemäßigte Direktorium an der Regierung war. Hier setzte sie sich mit der vorausgegangenen Schreckensperiode auseinander, beschrieb die verschiedenen Strömungen und die Dynamik ihrer Entwicklung, die Ausrichtung der politischen Flügel, die Psychologie ihrer Polarisierung, ihre Gegensätze, aber auch schon gewisse Parallelen: „Es sind leichtgläubige Geister, die sich mal für, mal gegen die alten Irrtümer begeistern; und ihre ungezügelte Gewaltneigung vermittelt ihnen das Bedürfnis, sich am Extrem aller Ideen zu orientieren, um so dem eigenen Urteil und Charakter zu entsprechen. [...] Man hat oft im Lauf der Revolution Frankreichs gesagt, Aristokraten und Jakobiner führten dasselbe Wort, seien ebenso absolut in ihren Meinungen und befleißigten sich je nach Situation eines ebenso intoleranten Führungsstils. Diese Bemerkung muss als die einfache Konsequenz ein und desselben Prinzips gelten. Die Leidenschaften lassen die Menschen einander ähnlich werden, wie das Fieber unterschiedliche Temperamente in den gleichen Zustand wirft.“171
In ähnlicher Weise charakterisierte der mit Staël langjährig befreundete Liberale Benjamin Constant (1767–1830) die Pendelschläge von einem zum anderen Extrem, wenn man – wie in der Revolution während der Jakobinerherrschaft geschehen – den Weg des Rechts verlasse und zu Willkürmaßnahmen greife.172 Nach seiner Auffassung hatte die „Demagogie“ der Jakobiner dem „Despotismus“ Napoleons Tür und Tor geöffnet. Im einen wie im anderen Fall entpuppte sich das Dogma von der „Souveränität des Volkes“ als ein „instrument de tyrannie“, wurde die Macht konzentriert, nicht kontrolliert und balanciert. In beiden Extremen äußerte sich ein tyrannischer Wille: „Les extrémités se sont trouvées d’accord parce qu’au fond, dans les deux extrêmes, il y avait volonté de tyranniser“.173 Ein anderer Verfechter der Mischverfassung, John Adams, betrachtete rückblickend die in der Französischen Revolution hervortretende Neigung, heraus171 Staël-Holstein, De l’influence des passions, S. 143 (Kap. VII: De l’esprit de parti): „Ce sont des esprits crédules, soit qu’ils se passionnent pour ou contre les vieilles erreurs; et leur violence, sans arrêt, leur donne le besoin de se placer à l’extrême de toutes les idées, pour y mettre à l’aise leur jugement et leur caractère. [...] On a dit souvent, dans le cours de la révolution de France, que les aristocrates et les jacobins tenaient le même langage, étaient aussi absolu dans leurs opinions, et, selon la diversité des situations, adoptaient un système de conduite également intolérant. Cette remarque doit être considérée comme une simple conséquence du même principe. Les passions rendent les hommes semblables entre eux, comme la fièvre jette dans le même état des tempéraments divers“. 172 Constant, Réactions politiques, S. 89, 95. Siehe zum historischen Hintergrund: Barudio, Madame de Staël; Gauchet, Constant; Todorov, Benjamin Constant. 173 Constant, De la souveraineté, S. 14 f.
Extreme als Topos der frühen Revolutionskritik
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ragende Persönlichkeiten und ihren Anhang zu beseitigen, um vermeintlich das Gemeinwohl gegen sie zu schützen, als einen authentischen Ausdruck der Autokratie. Mit der Eskalation der revolutionären Ereignisse war ein herausragender Kopf nach dem anderen in den Korb unter der Guillotine gefallen. Und nachdem Mirabeau, Marat, Brissot, Danton, Robespierre und viele andere aus dem Weg geräumt waren, hatten sich die verbleibenden Köpfe nur retten können, indem sie sich in die Arme eines einzigen Herausragenden flüchteten, des Eroberers Napoleon.174 Eine freiheitliche Lösung konnte folglich nicht in der Beseitigung politischer Vielfalt, sondern nur in deren angemessener Balancierung bestehen. Das Hervortreten von Parteiführern mit ihrem Anhang war für Adams ein Ausdruck naturgegebener menschlicher Pluralität. Mesoteslehre und Mischverfassungstheorie vermochten so den Weg zu einem positiven Verständnis des lange Zeit verfemten Parteiwesens zu bahnen. Die Parallelisierung der Extreme entsprach strukturell einer religionspsychologischen Interpretationsfigur, wie sie sich mit der traditionsreichen Formel „fanatisme“ verband. Dieser Begriff war lange Zeit auf religiöse Gegenstände beschränkt geblieben, in der Französischen Revolution jedoch auf politische Strömungen ausgedehnt – und damit gerade auf diejenigen Gruppierungen angewendet worden, die den religiösen Furor mit einem sich dem Gegenspieler annähernden Eifer bekämpften.175
174 Vgl. Adams, Review, S. 546 f. 175 Vgl. Schalk, Exempla, S. 73; Spaemann, „Fanatisch“ und „Fanatismus“.
V.
Extreme Ideologien im politischen Laboratorium des 19. Jahrhunderts
1.
Revitalisierung und Ausbreitung der Rechts-Links-Geographie
Die in der ersten, „konstitutionellen“ Phase der Französischen Revolution vollzogene Verbindung der aristotelischen Mesoteskategorien mit den neuen politischen Richtungsbegriffen „rechts“ und „links“ lebte am Ende der napoleonischen Ära nur langsam wieder auf. Zu Beginn der Restaurationsepoche wirkte die Erlahmung des politischen Lebens noch fort. Die aus dem Empire stammenden Abgeordneten der Kammer von 1814 „waren so sehr gewöhnt, sich dem Willen des Kaisers zu fügen, dass bei Abstimmungen, obwohl sie offen erfolgten, unterschiedliche Meinungen äußerlich nicht erkennbar waren.“1 Nach den Wirren der Hundert Tage änderte sich dies aber rasch. Die im ersten Jahr der Revolution entfaltete neue politische Geographie fand in der parlamentarischen Sitzordnung ihr Spiegelbild. Schon vor 1820 unterschied man ein Kontinuum von der „extrême droite“ über „droite modérée“ und „centre droite“ bis zu „centre gauche“, „gauche modérée“ und „extrême gauche“.2 Die Flügelbezeichnungen „extrême droite“ und „extrême gauche“ fanden aber erst von den 1830er Jahren an Eingang in die Lexika.3 In der politischen Sprache sind sie bis heute fest verankert geblieben – als neutrale Termini, als pejorative Fremdbezeichnungen (des gegnerischen Lagers)4 und sogar – wenn auch selten – als positive Selbstbezeichnungen.5 Daneben war weiterhin von den „extrémités“ die Rede. Die französischen Parlamentsprotokolle des 19. Jahrhunderts sind voll von „rumeurs aux extrémités“, „murmures aux extrémités“, „exclamations négatives aux extrémités“.6 1 2 3 4 5
6
Mönch, Wortschatz, S. 54. Ebd., S. 57. Vgl. Boiste, Dictionnaire, S. 244 f., 302, 340; Duclerc/Paguerre, Dictionnaire Politique, S. 394. Vgl. z. B.: Wilbert, Qu’est-ce que le côté droit? Siehe z. B. Dupont, Lettre d’avis. Siehe folgende Zeitungen: L’extrême droite. Journal du droit et des principes vrais, Directeur: Adrien Peladan, Nîmes, 1875–1877 (wöchentlich); L’Avenir de Beziers. Organe de la Démocratie Radicale Extrême Gauche, paraissant trois fois par semaine, Bézier, 1881/1882; L’Extrême-gauche (Alliance radicale-socialiste), paraissant le dimanche, Dir. Emile Brousse, Saint-Mandé (Seine) 1883; L’Extrême-gauche, Vincennes 1883/1884; La Démocratie du Midi. Journal Radical Extrême-Gauche, paraissant tous les dimanches, Béziers 1886; Le Courrier de Béziers et de l’arrondissement. Journal politique, littéraire et commercial, dann: Organe de la démocratie radicale extrême-gauche et socialiste révisionniste, dann: Organe radical socialiste. Hebdomadaire, dann: bihebdomadaire, Béziers 1891–1893; L’Extrême-gauche, Lyon 1904; Germinal. Journal Républicain d’Extrême-Gauche, Carpentras 1912/1913 (Autoren u. a. Edouard Daladier und Edouard Herriot); Le Cri du peuple du Sud-Est. Hebdomadaire, dann: Hebdomadaire d’extrême-gauche, Lyon 1920–1921. Vgl. Thiers, Discours parlementaires – mit zahlreichen Belegen.
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Extreme Ideologien
Abbildung 6: „Rechte“ und „Linke“ in der parlamentarischen Sitzordnung der Restauration Quelle: Bibliothèque nationale de France.
Revitalisierung und Ausbreitung der Rechts-Links-Geographie
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Die französische Terminologie strahlte mit der Ausbreitung des Konstitutionalismus auf andere europäische Staaten aus. Die Rechts-Links-Unterscheidung ließ sich wiederum mit den überkommenen Attributen „extrem“ und „gemäßigt“ verbinden. Sie fand schließlich auch in England und den USA eine Heimat, wo sie auf die dort seit langem etablierten, in die Zeit vor der Französischen Revolution zurückreichenden Zweiparteiensysteme angewendet wurde. Die französische Terminologie mit ihrer weiten Auffächerung kam allerdings meist in einfacheren Formen zur Anwendung, weil für eine derart subtile Kategorienbildung nicht in gleichem Maße Bedarf bestand wie in Ländern mit komplexen Parteien- und Koalitionsbildungen.7 Deutschland und Italien mit ihren Mehrparteiensystemen ähnelten dem französischen Ursprungsland in dieser Hinsicht mehr. In Italien fand die französische Terminologie in der Deputiertenkammer des Königreiches Sardinien-Piemont (ab den 1850er Jahren) Anwendung.8 In Deutschland etablierte sich die neue politische Geographie nicht erst mit Bildung der Zentrumspartei,9 deren Namensgebung die Existenz einer „Linken“ und „Rechten“ voraussetzte. Vielmehr war sie schon im Paulskirchenparlament 1848/49 fester Bestandteil der politisch-parlamentarischen Sitzordnung und Sprache. In Gottfried Eisenmanns Darstellung und Dokumentation über die „Parteyen der teutschen Reichsversammlung“ wurde die „Partey Milani“ als „aeußerste Rechte“ der „aeußersten Linken“ entgegengesetzt. Dazwischen siedelte er das „Casino“ als „Rechte im engen Sinne“ an, den „Landsberg“ als „Rechtes Centrum“ und den „Württemberger Hof“ als „Linkes Centrum“.10 Die Liberalen unterschiedlicher Schattierungen, die die überwältigende Mehrheit bildeten, verstanden sich als „Mitte“ zwischen den Extremen – des Absolutismus wie des „Radikalismus“. Die parlamentarische Rechts-Links-Unterteilung war im liberalen Südwesten erstmals praktiziert worden. Als die badischen Abgeordneten bei der Eröffnung des Landtags von 1843 „ihre Sitzplätze im Halbkreis des Verhandlungssaales nach den verschiedenen politischen Richtungen gesondert einnahmen“, fand eine Premiere der deutschen Landtagsgeschichte statt. „In dieser, der Pariser Deputiertenkammer nachgebildeten politischen Sitzordnung von ‚links‘ nach ‚rechts‘ traten die in der Entstehung begriffenen Fraktionen der Kammer zum ersten Mal auch äußerlich in Erscheinung, und selbst die Kammerberichte sprachen bei Zwischenrufen nun schon von Einwürfen aus der ‚Rechten‘ – womit die regierungsfreundliche Gruppe gemeint war – oder von der ‚Linken‘, der liberal-radikalen Opposition.“11 Damit war ein längerer Prozess der Fraktions- und Lagerbildung zu einem vorläufigen Abschluss gelangt. Noch 1822 hatte sich ein 7 Vgl. Laponce, Left and Right, S. 52. Siehe auch Backes/Jesse, Rechts-Links-Unterscheidung; Decker, Jenseits von rechts und links?; Eatwell, Rise of ‚Left-Right‘ Terminology; Hoff, Rechts und Links; Rossi-Landi, Le chassé croisé; Slama, Les chasseurs d’absolu. 8 Vgl. Laponce, Left and Right, S. 53. 9 Wie Laponce, Left and Right, anzunehmen scheint (S. 54). 10 Eisenmann, Parteyen, S. 8, 13, 19, 24, 38. 11 So Kramer, Fraktionsbindungen, S. 50 f. (Hervorhebungen im Original).
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Extreme Ideologien
liberaler badischer Abgeordneter darüber beklagt, es gebe „keine rechte und keine linke Seite, heute spricht der gegen die Regierung, morgen jener, heute der Freund gegen den besten Freund, je nach der individuellen Ansicht.“12 Das hinderte die Liberalen allerdings nicht daran, sich bei nahezu jeder Gelegenheit von den „Ultra’s zur Rechten und zur Linken“13 abzugrenzen.
2.
Juste milieu-Theorien in Frankreich, England und Deutschland
Das Gebot, ein „juste milieu“ zwischen den Extremen zu suchen, war – lange, bevor es zu einer Regierungsmaxime erhoben wurde – fest in der aristotelischen Tradition verankert. Ein Beispiel aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bietet die anonym veröffentlichte Schrift des Abbé Jérôme Besoigne, der in den heftigen Auseinandersetzungen um den Einfluss der Jansenisten an der Pariser Faculté des Arts für Mäßigung plädierte und „das Laster des Extremen“ anprangerte. Es bestehe darin, „die Dinge bis zum Äußersten zu treiben und das eine Exzess zu begehen, um das andere zu vermeiden“.14 Die Idee des „juste milieu“, des „golden mean“, der „richtigen Mitte“ war in nachnapoleonischer Zeit Gegenstand heftiger politischer Richtungskämpfe. Revolution und Reaktion hießen die Extreme, zwischen denen ein gangbarer Weg zu finden sei. Die Schrecken der Revolution hatte die Jakobinerherrschaft auch denen vor Augen geführt, die von der Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung des Ancien Régime überzeugt waren. Dies galt gleichermaßen für die Gruppe der „Doctrinaires“, die sich in Paris ab 1817 um den Liberalen PierrePaul Royer-Collard (1763–1845) gebildet hatte – vermutlich eine Fremdbezeichnung aus ultrakonservativer Warte, die eine Spitze gegen die Vorliebe für Prinzipien, Theorien und Doktrinen enthielt.15 Zu ihnen stieß bald darauf François Guizot (1787–1874), der das intellektuelle Profil nach 1820 prägen sollte. RoyerCollard war 1793 Mitglied des Konvents gewesen und nur knapp dem Terror entkommen, Guizots Vater hatte sein Leben auf der Guillotine beendet.16 Vor diesem Erfahrungshintergrund verteidigten und romantisierten sie die von Ludwig XVIII. gewährte Charte von 1814, maßen der Restauration die Aufgabe zu, die Revolution zu beenden, eine stabile konstitutionelle Ordnung zu schaffen und einen Rückfall in das Ancien Régime zu verhindern.17 Sie dachten anerkennend an die verfassungspolitischen Entwürfe der Kammer der Hundert Tage zu12 Verhandlungen der badischen Zweiten Kammer, 1822, Band 8, S. 145 f. Zitiert nach Kramer, Fraktionsbindungen, S. 42. 13 Welcker, Encyclopädie, S. XXVI. 14 Anonym (Abbé Jérôme Besoigne), Juste Milieu. Qu’il faut tenir dans les disputes de religion, o. O., 25. Aug. 1735 („le vice de l’Extrême, qui consisteroit à outrer les choses, et à donner dans un excès pour en éviter un autre“). 15 Vgl. Spuller, Royer-Collard, S. 135. 16 Vgl. auch zum Folgenden: Starzinger, Middlingness, S. 20–35. 17 Vgl. Rosanvallon, Guizot.
Juste milieu-Theorien in Frankreich, England und Deutschland
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rück, die sich gleich weit entfernt von den „partis extrêmes“ gehalten, weder einem „despotisme impérial“ noch den „violences révolutionnaires“18 gehuldigt habe. Sie plädierten für einen Mittelweg der „modération“19 zwischen denen, die die Prinzipien der Revolution in Bausch und Bogen verdammten, wie denen, die alle ihre Prinzipien verteidigten. Mit der Ablehnung des Begriffs der „Souveränität“ im Sinne jeglicher Konzentration der Staatsgewalt – sei es in den Händen eines Einzelnen, sei es inmitten der großen Volksmenge – verbanden sie das Plädoyer für ein aus demokratischen und monarchischen Elementen gemischtes System: die konstitutionelle Monarchie. In ihr erblickten sie einen realistischen, reformorientierten Mittelweg zwischen den Extremen. Guizot wandte sich aber zugleich dagegen, extreme Positionen zu unterdrücken. Wenn man die alten Jakobiner schreien lasse, verspielten sie von selbst ihren Kredit: „Retranchez les ultrà, répète-t-on chaque jour, et vous n’aurez plus d’ultrà-libéraux à redouter. [...] Laissez là les homme décriés, les vieux jacobins, et les ultrà obtiendront bien moins de crédit.“20 Wie Vincent E. Starzinger gezeigt hat, fanden die Konzepte der „Doctrinaires“ auch auf der britischen Insel Anklang, obwohl sich die dortigen politischen Verhältnisse erheblich von den französischen unterschieden. Er stellte erstaunliche Analogien zwischen den Juste milieu-Ideen und denen des „Whiggism“ der Reform Bill-Ära fest.21 Wie eine Auswertung der Berichterstattung in der gemäßigt-liberalen „Edinburgh Review“ zeigt, genossen die Ideen der „Doctrinaires“ hier große Sympathie. Francis Jeffrey (1773–1850), der Gründer des reformorientierten Magazins, das zum Vorbild vieler anderer werden sollte, definierte die Whigs als eine „middle party, between the two extremes of high monarchical principles [...] and extremely popular principles.“22 Einer der führenden Parteirepräsentanten, Henry Brougham (1778–1868), griff vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Parlamentsreform zu dem Mittel, die High-Tory Principles mit den Positionen der legitimistischen Ultras in Frankreich auf eine Stufe zu stellen.23 Zugleich setzte er sich kritisch mit den Theorien der „Radikalen“ um Jeremy Bentham auseinander, die auf utilitaristischer Grundlage für die Bündelung der politischen Kräfte in einer Kammer plädierten, um eine „Interessenidentität“ zwischen Regierenden und Regierten zu erreichen. Demgegenüber hob Brougham die Bedeutung der „balances and checks“ in einer „mixed constitution“ hervor. Der tiefere Sinn der „checks“ bestand für ihn darin, die Extreme gegeneinander auszubalancieren: „The efficacy of the
18 Guizot, Mémoires, Band 1, S. 95 f. 19 Ebd., S. 157. 20 Guizot, Gouvernement, S. 232. Siehe zum zeitgenössischen Sprachgebrauch auch folgende Schrift: Des Ultra en 1818, et de la note secrète, par le Chev. De N., Paris 1818. 21 Starzinger, Middlingness, S. 4. 22 Zitiert nach ebd., S. 9. 23 Vgl. Brougham, High-Tory Principles, S. 510. Siehe zur Person: Stewart, Henry Brougham.
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checks always consists in the general reluctance of all parties to risk the consequences of driving matters to extremities.“24 Die Juli-Revolution in Frankreich trug zur Bildung der Whig-Regierung Earl Greys bei, in der Brougham als Lord Chancellor zu den treibenden Kräften des Reform Act von 1832 und des Abolition of Slavery Act von 1833 zählte. In Paris rückte nun Guizot in hohe Regierungsämter auf. Die Devise der „Doctrinaires“, die Extreme zu vermeiden, wurde zur Maxime des „Bürgerkönigtums“. Louis-Philippe erklärte seinen Regierungskurs mit folgenden Worten: „Wir werden uns in der rechten Mitte zu halten suchen – gleich weit entfernt von den Exzessen der Volksgewalt wie der königlichen Gewalt“. Den „Freunden der Freiheit“25 versprach er, das revolutionäre Chaos einzudämmen und zugleich jedem Missbrauch im Gesetzesvollzug entschieden entgegenzuwirken. Je mehr Verfassungstheorie und -praxis auseinanderklafften, umso heftiger entspannen sich die Kontroversen um die Legitimität des „juste milieu“. Anhänger riefen die Montesquieusche Verpflichtung des Gesetzgebers auf das Prinzip der „modération“ in Erinnerung, verteidigten das Regime als einzig gangbaren Weg „entre les deux extrêmes“26 – den Exzessen der Volksgewalt wie der absoluten Monarchie. Der junge Publizist Adolphe Thiers (1797–1877), der in den Revolutionstagen den Kontakt mit Louis-Philippe unterhalten hatte, danach zum Minister ernannt worden war und in den folgenden Jahrzehnten eine große Rolle in der französischen Politik spielen sollte, mahnte zur Besonnenheit, habe man doch von vornherein damit rechnen müssen, dass die neue Regierung die Erwartungen der „Extremen aller Gattungen“27 enttäuschen werde. Selbst gemäßigte Liberale, jeglicher Extreme abhold, gingen bald auf Distanz zur Regierungspraxis Louis-Philippes. Der Marquis de Lafayette schrieb in einem Brief an den badischen Liberalen Karl von Rotteck (1775–1840), das „juste milieu“ sei weder gerecht, noch halte es die Mitte ein.28 Jenseits des Rheins hatte man die politische Entwicklung in Frankreich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die Leser gut informierter Blätter wie der Augsburger Allgemeinen Zeitung wurden eingehend über die politischen Rich24 Brougham, Balances and Checks, S. 7. Vgl. Starzinger, Middlingness, S. 32. In späteren Jahren hat Brougham ein umfassendes Werk zur Geschichte und Funktionsweise der britischen Mischverfassung vorgelegt: Brougham, British Constitution. 25 Le Moniteur Universel, Nr. 31 vom 31. Jan. 1831: „Nous chercherons à nous tenir dans un juste milieu également éloigné des excès du pouvoir populaire et des abus du pouvoir royal“. 26 Anonym (Régis-Jean-François Vaysse de Villiers), Le juste milieu en toutes choses, et surtout en politique, Paris 1832, S. 3. Siehe in diesem Sinne auch: Dosquet, JusteMilieu. 27 „On devait prévoir que cette monarchie, transaction définitive entre tous les systèmes et tous les partis, blesserait les extrêmes en tout genre, les disposerait à se coaliser ou fournir en commun leur part de sophismes et de déclamations.“ Thiers, Monarchie, S. I. 28 „Le juste milieu, ce qui n’est ni juste ni milieu“. Marie-Joseph de Lafayette an Karl von Rotteck, Lagrange. Die deutschen Wortführer des vormärzlichen Liberalismus äußerten sich ebenfalls kritisch zum Regime Louis-Philippes, auch wenn sie den Begriff der „Mitte“ für sich reklamierten. Siehe nur Rotteck, Vorwort.
Juste milieu-Theorien in Frankreich, England und Deutschland
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tungen der Pariser Deputiertenkammer, die der „rechten Seite (der Ultra’s)“ wie der „linken Seite“,29 informiert. Hier wie dort entsprach es dem Selbstverständnis des liberalen Bürgertums, seinen politischen Weg zwischen den Extremen konservativer oder gar absolutistischer Rückwärtsgewandheit einerseits und utopisch-egalitärer Zukunftsgläubigkeit andererseits zu suchen. Die Geschichte der europäischen Revolutionen bot zahlreiche Beispiele dafür, dass die Machtübernahme eines Extrems die des nächsten begünstigte. In seiner Schrift Teutschland und die Revolution hatte der rheinische Publizist Joseph Görres (1776–1848) 1819 den typischen Verlauf revolutionärer Umwälzungen als ein Wechselbad extremer Tendenzen beschrieben. So hatten in Frankreich „Girondisten, Jacobiner, Cordeliers sich vertrieben, und in den Niederlanden den Geusen, bald die Bilderstürmer sich angeschlossen, weil immer die Raserei der vorigen Stufe der Folgenden als eine kalte Lauigkeit erscheint; bis endlich Schritt vor Schritt die ganze Leiter menschlichen Frevels durchlaufen, alles Bestehende gestürzt, alles Feste zerschmettert, alles Hohe geschleift, aller Besitz gewechselt ist. Wenn aber nun in solcher Weise die Natur in anarchistischem Wüthen sich erschöpft, tritt als nothwendiger Gegensatz wieder die Herrschaft der Einheit ein, die anfangs die ermüdeten Kräfte leicht bezwingt, dann aber, da das im Innersten aufgeregte Leben große Widersprüche und die heftigsten centrifugalen Richtungen geweckt, nothwendig scharf und eng die Masse zusammengreifend, nach und nach sich zum höchsten Despotismus steigert, und wieder eine andere entgegengesetzte Stufenfolge von Freveln durchläuft, bis endlich eine äußere oder innere Catastrophe, nun ein ganzer Umlauf vollendet ist, die Extreme wieder gegen die Mitte lenkt.“30
Im Gegensatz zu seinen späteren Jahren und trotz erster Ansätze einer konservativ-romantischen Wendung31 war Görres ein Verfechter liberaler Reformen – und zugleich ein entschiedener Gegner einer mit unkalkulierbaren Risiken verbundenen Revolution à la française. Das Staatsschiff zwischen den Extremen hindurchzusteuern setzte den sicheren Blick für das politisch Mögliche, den Ausgleich zwischen den verschiedenen sozialen Kräften, deren institutionelle Balancierung und Bändigung voraus. Statt dessen neigten die extremen Richtungen dazu, ein politisches Prinzip – etwa das der Gleichheit, das der Freiheit oder das der Ordnung und Sicherheit – bis zur äußersten Konsequenz zu treiben, die Unterschiedlichkeit der sozialen Interessen zu ignorieren und das historisch Gewachsene zugunsten eines gedachten Idealzustands zu zertrümmern. Später berief sich der Kasseler Liberale Friedrich Murhard (1778–1853) auf Görres. Es laufe für die Völker im Grunde ziemlich auf eins hinaus, ob „sie monarchisch oder demokratisch despotisirt“ würden: 29 „Blike auf die politischen halbperiodischen Schriften der Franzosen“. In: Augsburger Allgemeine Zeitung, Beilage Nr. 149 vom 28. November 1818, S. 594. 30 Görres, Teutschland, S. 101. Die konstitutionelle Monarchie hat Görres auch in späteren Jahren als Mittelweg zwischen Despotie und Anarchie verteidigt. Vgl. ders., Weltlage, S. 16. Siehe dazu auch: Dieter J. Weiß, Joseph von Görres (1776–1848). In: Heidenreich (Hg.), Politische Theorien, S. 139–154. 31 Vgl. Heuvel, German Life, S. 241–251.
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Extreme Ideologien
„Denn ob der Despotismus einer reinen Demokratie ohne Furcht und Sorge, weil die Strafe, wo Viele sündigen, die Schuldigen nie erreicht, und ohne Scheu und ohne Scham, weil die Menge, nach eignem Maßstab richtend über Gut und Bös und sich selbst im Schlechtesten den Beifall nicht vorenthaltend, durch kein Gefühl von Schande und keine Furcht vor der Meinung sich zurückhalten lässt, angetrieben von wilden Demagogen und verführt von nichtswürdigen Sykophanten, mit wüthender Blutgier jede Gewaltthätigkeit ausübt, oder ob der Despotismus, von der unbeschränkten Willkür eines Einzelnen ausgegangen – wie in der reinen oder absoluten Monarchie der Fall ist – sich durch das Organ verworfener Werkzeuge der Tyrannei von Oben nach Unten hin verbreitet, muss, wie im Erfolg völlig gleichgeltend, so auch im Grunde gleich verwerflich erachtet werden.“
Wenn die „Ultramonarchisten, als geschworene und unversöhnliche Feinde der Demagogen, den Demokratismus in dem gehässigsten Lichte darzustellen“ suchten, so geschehe dies „nur zu oft, um blos ein anderes Extrem, nehmlich das entgegengesetzte, an dessen Stelle zu setzen.“32 Nicht nur reformorientierte Köpfe wie Görres und Murhard, sondern auch eher restaurativ gesonnene Geister suchten aus dem Horror der Extreme politisches Kapital zu schlagen. Der im preußischen Außenministerium um engen Anschluss an die Linie Metternichs bemühte Friedrich Ancillon (1767–1837)33 veröffentlichte 1828 eine Essaysammlung Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen, wo der stark vom (aufgeklärten) Absolutismus geprägte preußische Status quo in das milde Licht eines zurückhaltend-reformorientierten politischen Versöhnungsprogramms getaucht wurde.34 Die Anerkennung, die der Leipziger liberale Staatslehrer Karl Heinrich Ludwig Pölitz (1772–1838) den Gedanken Ancillons in einem Nekrolog zollte („moderata durant“35), resultierte aus der geistigen Übereinstimmung mit dem von ihm propagierten Reformsystem, dessen Grundeinsicht darin bestand, dass „die Wahrheit in den meisten Fällen in der Mitte zwischen den beiden Extremen liegt“,36 also der Revolution auf der einen, der Reaktion auf der anderen Seite. Diese Milde in der Beurteilung war bei Vertretern des gemäßigten Liberalismus nach 1830 kaum noch anzutreffen. Die Pariser Juli-Ereignisse hatten einen neuen reformerischen Elan bewirkt. Eine zweite Verfassungswelle erreichte das nördliche und östliche Deutschland.37 Die Zeit zwischen 1830 und 1848 glich einem geistigen Laboratorium, in dem sich die Frühformen der großen ideologischen Strömungen bildeten, deren Auseinandersetzungen das 19. Jahrhundert
32 Murhard, Art. „Absolutismus“, S. 156 (Hervorhebungen im Original). Siehe zur Person: Weidemann, Friedrich Murhard; Schäfer, Friedrich Murhard. 33 Vgl. Fouquet, Ancillon, S. 265 f. 34 Vgl. Ancillon, Vermittlung. Im Todesjahr Ancillons erschien eine französische Übersetzung: Ancillon, Juste Milieu. 35 Pölitz, Friedrich Ancillon, S. 313. 36 Ders., Staatswissenschaften, S. VIII. Vgl. zu Pölitz’ Staatslehre: Connerton, Pölitz, S. 58; Stolleis, Geschichte, 165 f. Siehe zur liberalen Kritik an Pölitz’ System: Wolgast, Art. „Reform, Reformation, S. 350 f. 37 Vgl. vor allem: Boldt, Verfassungsgeschichte; Fehrenbach, Verfassungsstaat; Grimm, Verfassungsgeschichte.
Juste milieu-Theorien in Frankreich, England und Deutschland
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durchzogen und deren Herrschaftspraxis das 20. Jahrhundert in besonderem Maße prägte. Ancillon galt nun vor allem aufgrund seines politischen Verhaltens38 als hemmungsloser Opportunist, der sich zunächst (vor allem in seinem Tableau des révolutions du système politique de l’Europe) als Verfechter „des durch die Reformation und die englische Revolution ausgebildeten, von Kant, Pütter und Häberlin wie von Montesquieu vertheidigten und dann in den Freiheitskriegen von den Fürsten und den Völkern anerkannten liberalen Systems“ profiliert, als Vertreter der „Reactionspartei“ aber in Preußen Karriere gemacht und die einstigen Prinzipien verraten habe. In seinem Werk über die Vermittlung der Extreme in den Meinungen, urteilte Karl Theodor Welcker (1790–1869) im Staatslexikon, huldige er einem „mit der Wahrheit nach Belieben spielenden Justemilieu“.39 Gleichwohl bestand das große Thema der gemäßigten Liberalen in der Vermittlung zwischen den entgegengesetzten Prinzipien „des göttlichen Rechtes und der Volkssouveränität“, wie sie die „extremen Theile des teutschen Vaterlandes“40 kompromisslos forderten. In den Extremen erblickten sie in erster Linie zerstörerische Kräfte, so sehr sich diese in ihren Motiven und Zielen unterschieden. Im Rückblick konnte man die Zeit ab dem Ende der napoleonischen Herrschaft wie der aus Tirol stammende Marburger Liberale Sylvester Jordan (1792–1861) charakterisieren: „Seit dem Befreiungskriege (1812–1815) waren bekanntlich die beiden extremen Parteien, die Reactionäre und Revolutionäre [...] im Kampfe miteinander begriffen, wie schon beide zur Verwirklichung ihrer Pläne und Wünsche an jenem Kriege thätigen Antheil genommen hatten. Die Reactionspartei war seitdem bemüht, die ‚gute alte Zeit‘ mittelst der Vernichtung aller, während der französischen Oberherrschaft eingetretenen Neuerungen wieder zurückzuführen, die Vergangenheit zur Gegenwart auf- und auszuputzen, was man restauriren nannte; die Revolutionspartei dagegen nicht weniger eifrig thätig, um Deutschland durch gewaltsame Zerstörung der, während jener Zeit noch übrig gebliebenen älteren Staatsformen und Institute in ein nagelneues, ideales Eldorado umzuwandeln. Mann kann hier, um Missverständnisse vorzubeugen, die Bemerkung nicht unterdrücken, dass im Grunde beide extreme Parteien zugleich revolutionär und reagirend sind, indem die Reactionäre in Bezug auf das bestehende Neue zerstörend, und gegen die Ausbreitung desselben hemmend, die Revolutionäre aber in Bezug auf das noch übrig gebliebene Alte vernichtend und hinsichtlich des Restituirens des Historischen widersträubend thätig sind, und beide sich nur nach den Beweggründen, Richtungen und Zwecken von einander unterscheiden.“41
38 Vgl. dazu etwa Haake, Ancillon. 39 Welcker, Art. „Ancillon“, S. 520 (Hervorhebung im Original). Siehe auch die Kritik Friedrich von Gagerns: ders., Die rechte Mitte. Siehe zur Person Welckers vor allem: Müller-Dietz, Leben; ders., Karl Theodor Welcker; ders., Freiburger Einfluss; Wild, Karl Theodor Welcker. 40 Münch, Rückblicke, S. 14. 41 Jordan, Selbstvertheidigung, S. 13. Siehe in diesem Sinne bereits: ders., Versuche, S. 6–12. Siehe zur Person: Kleinknecht, Sylvester Jordan.
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Extreme Ideologien
Dem Strudel der von den Extremen erzeugten destruktiven Energien konnte nur entgehen, wer die in ihnen zum Ausdruck kommenden Prinzipien in einer Weise miteinander verband, dass diese sich wechselseitig hemmten und zu einem maßvollen Ausgleich gebracht wurden. Die gemäßigten Liberalen waren daher allesamt Anhänger einer Mischverfassung, wenn auch die Auffassungen darüber auseinander gingen, in welcher Art die Mischung erfolgen solle. Karl von Rotteck (1775–1840), der Wortführer des gemäßigten Liberalismus im Vormärz, favorisierte eine Mischung aus Monarchie und Demokratie, unter Betonung des demokratischen Elements. Der norddeutsche Liberale Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), der Württemberger Paul Achatius Pfizer (1801–1867) und der Hesse Karl Theodor Welcker orientierten sich demgegenüber an der englischen Verfassung mit ihrer Verbindung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente.42 Für die Gegenwart galt die konstitutionelle Monarchie als geeigneter Kompromiss. Doch schloss dies republikanische Lösungen (in gemischten Formen) für die Zukunft keineswegs aus.43 Karl von Rotteck hatte das Vorwort zum ersten Band des Staats-Lexikons genutzt, um sich in programmatischer Weise vom „juste milieu“ Louis-Philippes abzusetzen und dennoch eine angemessene Mitte zwischen den Extremen des Absolutismus und des republikanisch-direktdemokratischen „Radikalismus“ zu definieren.44 Dabei gab er gleichsam eine Zusammenfassung der politischen Programmatik der Vormärzliberalen: „Wir haben in den voranstehenden Blättern den Geist und Charakter der ächten Staatslehre, sonach auch die Aufgabe oder Richtung unseres Staatlexikons als die ‚richtige Mitte‘ zwischen zwei entgegengesetzten Extremen verfolgend bezeichnet. Dadurch aber wollten wir keineswegs sagen, dass wir dem unter dem omineusen Namen ‚juste milieu‘ bekannten Systeme huldigen. Nein! eine Mitte zwischen gerade und krumm, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Recht und Unrecht wollen wir nicht; denn eine solche wäre wirklich krumm, unwahr und unrecht. Die Mitte, welche wir suchen, ist die zwischen zwei entgegengesetzten Curven zu zeichnende, mithin die gerade Linie, die Mitte zwischen zwei entgegengesetzten Lügen, mithin die Wahrheit, die Mitte zwischen entgegengesetztem Unrecht, mithin das Recht selbst. [...] Unsere richtige Mitte ist ein Regierungssystem, welches zuvörderst den Frieden mit dem Ausland aufrichtig erstrebt [...]; sodann in Bezug auf diese letzten, den Revolutionen allerdings entgegen strebt, doch nicht durch Schrecken und nicht durch Täuschung oder macchiavellistische Kunst und nicht durch Niederhaltung der geistigen und moralischen Volkskraft, sondern durch Befreundung mit dem Volksgeist, durch Achtung der Volksstimme und jener der Volksvertreter, durch Offenheit, durch treues Festhalten an der Verfassung und an allen durch sie den Bürgern gewährleisteten, überhaupt an allein ihnen vernunftmäßig zustehenden Rechten. Sie ist also ein Regierungssystem, welches die verständige öffentliche Meinung zu gewinnen sucht und nur in der Uebereinstimmung mit derselben ein zuverlässiges Bollwerk erkennt gegen die Anfeindung verbrecherischer Beschwörer oder böswilliger Parteien, ein System, welches die Publicität nicht nur nicht scheut, sondern liebt, befördert und als Palladium alles Rechtes und aller Freiheit ehrt.“ 42 Vgl. Bleek, Friedrich Christoph Dahlmann; Kraus, Rezeption; Wilhelm, Verfassung. 43 Vgl. Backes, Liberalismus, S. 123–129. Siehe auch: Schöttle, Politische Theorien. 44 Vgl. zum „Radikalismus“: Wende, Radikalismus. Zur Bedeutung des Staatslexikons siehe vor allem: Brandt, „Staats-Lexikon“; Zehntner, Staatslexikon.
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Dabei sei all das zu unterstützen, was „die Lauterkeit der Volksrepräsentation, mithin die Freiheit der Wahlen heilig hält und schirmt“, hingegen zu unterlassen, „was nur durch Zwang gegen die Mehrheit eines verständigen Volkes“45 ausgeübt werden könne. Damit formulierte Rotteck programmatische Leitlinien, über deren Bedeutung unter gemäßigten Liberalen weithin Einigkeit bestand. Die richtige Mitte war unter den obwaltenden Bedingungen durchaus mit einem Zensuswahlrecht vereinbar. Wie Rotteck den Staats-Lexikon-Lesern erläuterte, gab es Befürworter eines unbeschränkten Wahlrechts an beiden Polen des politischen Spektrums. So fänden sich „Anhänger des Absolutismus (wie namentlich die Wortführer der Karlisten im neuesten Frankreich), welche das allgemeine Stimmrecht fordern, offenbar darum, weil sie auf die politische Unmündigkeit der Mehrzahl des Volks in den untern Classen zählen und deren Stimmen durch List, Bethörung oder Bestechung nach ihren Interessen lenken zu können hoffen. Was die Karlisten in Frankreich begehren, kann nicht wohl vom Guten sein; doch liegt hierin abermal ein Beweis, dass die Extreme sich berühren; denn die exaltirten Republikaner führen hier mit den Karlisten eine und dieselbe Sprache.“46 Die von Rotteck benannten strukturellen Gemeinsamkeiten der Extreme dienten der Bestimmung einer mittleren Linie, die politischen Realismus in der Beurteilung der Folgen gesetzgeberischer Maßnahmen für sich reklamierte. Wer ohne auf die Konsequenzen zu achten, nur auf der Grundlage eines Prinzips – sei es traditioneller Legitimität, sei es unbedingter Gleichheit – programmatische Forderungen erhob, ging aus dieser Sicht unkalkulierbare Risiken ein. Die gemäßigt-liberale Kritik am „juste milieu“ zielte mehr auf dessen Praxis als auf die ihm zugrunde liegende Theorie. Weiter gingen Vertreter „radikaler“, (direkt-)demokratischer Positionen. Beißenden Spott vergoss der Darmstädter Demokrat Wilhelm Schulz (1797–1860) im Noth- und Hilfsbüchlein für vorsichtige liberale Esser und Trinker (1844): „Endlich wurde zur Versöhnung der feindseligen Ansichten eine weise Mitte erkoren. Dieses Justemilieu ist der Maulesel, der legitime Spross des Pferds und der Eselin, der nicht ganz die väterliche Beweglichkeit, wohl aber den vollen Mutterwitz geerbt hat.“47 Und: „An der Ausdünstung des Staatskörpers riecht die Nase der Polizei, ob monarchische, aristokratische und demokratische Elemente verfassungsmäßig gemischt sind.“48 Der Spötter, der dem gemäßigten Flügel der „Demokraten“ zuzurechnen war und eng mit den Staats-Lexikon-Herausgebern Rotteck und Welcker zusammengearbeitet hatte,49 griff bei seiner Beschreibung der Ereignisse der Französi45 Rotteck, Vorwort (1835), S. XXI f. (Hervorhebungen im Original). Siehe für eine ähnliche Position: Schwarz, Gedanken. Siehe zum Verfassungsverständnis Rottecks: Brandt, Karl von Rotteck; Ehmke, Karl von Rotteck; Jobst, Staatslehre. 46 Rotteck, Art. „Abgeordnete“, S. 104 (Hervorhebungen im Original). Siehe auch ders., Art. „Census“, S. 154. 47 Schulz, Noth- und Hilfsbüchlein, S. VIII f. 48 Ebd., S. 3. 49 Vgl. Backes, Liberalismus, S. 91 f. Zur Person ausführlich: Grab, Dr. Wilhelm Schulz.
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schen Revolution allerdings selbst auf das Bild von den „extremen Parteien“50 zurück. Von fundamentaler Art war die Kritik in der Retrospektive Heinrich Bernhard Oppenheims (1819–1880): „Man konstruirt die konstitutionelle Monarchie als dialektische Vermittelung der Extreme. Aber läge die Mitte nicht wo anders, wenn nur die Extreme verschoben würden? – Es wird erzählt, dass Odilon Barrot einmal zu Louis-Philippe gesagt habe: ‚Wir sind auch Juste Milieu, wenn nur die Mitte etwas mehr nach Links verlegt würde.‘ – ‚Mit Ihrer Erlaubniß‘, antwortete der höfliche Monarch, ‚lassen wir sie, so sie ist!‘ – Als ob es von der Mitte abhinge, auf welchem beliebigen Punkt sie sich befinden will! Je nach den veränderten Parteien verändert sich auch die centrale Staatsweisheit; bald heißt sie konstitutionelle, bald demokratische, bald landständische Monarchie. [...] Wenn es wirklich nur, mit Ancillon, auf eine ‚Vermittelung der Extreme‘ ankäme, so hätten allerdings die entschiedeneren Parteien Recht gehabt, ihre ‚Forderungen‘ bis zum äußersten Extrem hinaufzuschrauben, um etwas mehr von der Vermittelung für sich zu gewinnen. Aber gerade die Vermittler machen der Demokratie den Vorwurf, dass sie Alles durch ihre unbändige Leidenschaft, durch die Unangemessenheit ihrer Forderungen verdorben habe.“51
Zielte diese Argumentation auf die Relativität der Positionsbestimmung anhand der in konkreten historischen Situationen auszumachenden Extreme, gelangte der Linkshegelianer Arnold Ruge (1802–1880) zu einer anderen Bewertung. Er maß den Extremen in den Kämpfen der Parteien, sofern diese auf der Grundlage „eines Princips“ ausgetragen würden, eine vorwärtstreibende Rolle zu: „und da sollte denn doch schon die gemeinste Erfahrung beweisen, dass ein Extrem immer mit Nothwendigkeit das andere hervorruft, ja dass nur dort überhaupt Entwicklung und Leben existirt, wo noch Gegensätze auszugleichen sind, wo es Kampf kostet und Überwindung. [...] Politisches und religiöses Interesse herrscht nur dort, wo Meinungen unausgeglichen sich gegenüberstehen. Es wird dort allein eine Form der Freiheit geschätzt und geschützt, wo sie als ruhiger Niederschlag aus der Gährung der Parteien hervorgeht.“52 Die „nothwendigen Extreme“ sind nach Ruge unverzichtbarer Teil der „Gravitation des Weltsystems“ und der Geschichte, die durch den Zusammenprall der Gegensätze im „steten Fortschritt“53 gehalten werde. Dieser Sichtweise lag das Hegelsche Geschichtsverständnis zugrunde, das den „Geist“ als „Einheit“ und „Mitte“ der „Extreme“ begriff, die Wechselwirkung der in „Staatsmacht“ und „edelmütige[m] Bewusstsein“ zum Ausdruck kommenden „Extreme“54 erfasste. Im aristotelisch geprägten Verständnis der gemäßigten Liberalen waren die Extreme Entartungen, kein notwendiger Bestandteil politischer Pluralität. Die hegeliani50 Schulz, Art. „Revolution“, S. 555. 51 Oppenheim, Kritik. Siehe zur Person: Hentschel, Bestrebungen; Klenner, Oppenheim. 52 Ruge, Kritik, S. 1175 f., 1177–1180, 1181 f., hier 1179. Vgl. dazu Walter, Demokratisches Denken, S. 236–238. 53 Ruge, Kritik, S. 1180. 54 Hegel, Phänomenologie, S. 286 f. (BB. Der Geist, 454–456). Vgl. zur zeitgenössischen Auseinandersetzung mit den Thesen Hegels: Günther, Juste-Milieus.
Ultraismus und Extremismus
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sche Parteitheorie Ruges maß ihnen hingegen die zentrale Rolle eines Motors des historischen Fortschritts zu.
3.
Ultraismus und Extremismus
Die von Rotteck konstatierte strukturelle Übereinstimmung der Extreme brachte in den vormärzlichen Auseinandersetzungen vor allem der Begriff „Ultraismus“ zum Ausdruck. Mit dessen Inhalt hatte sich der Leipziger Philosoph Wilhelm Traugott Krug wie kaum ein anderer in einer reichen politischen Publizistik auseinandergesetzt. Der 1770 in Radis bei Wittenberg als Sohn eines Landwirts geborene Krug55 war 1809 aus Königsberg, wo er als Nachfolger Immanuel Kants gelehrt hatte, an die Universität Leipzig gekommen. Hier entfaltete er eine unermüdliche Publikationstätigkeit. Aus der Perspektive eines liberalen Protestantismus56 nahm er zu vielen Themen der Zeit engagiert Stellung. So war er der erste in Deutschland, der sich 1821 nach dem Aufstand Ypsilantis in einer Publikation mit der griechischen Befreiungsbewegung gegen die türkische Fremdherrschaft solidarisierte.57 Als Vorkämpfer eines gemäßigten Liberalismus machte er sich über die Grenzen Sachsens hinaus einen Namen. Er schrieb zahllose Rezensionen, leitete zeitweilig die Redaktion der von ihm und dem Verleger Friedrich Arnold Brockhaus 1818 gegründeten Zeitschrift „Hermes“ und beteiligte sich mit Beiträgen an den „Jahrbüchern der Geschichte und Staatskunst“ (1828–1838) seines publizistisch ebenso regen Leipziger Kollegen Pölitz. Krugs ab 1834 erschienene Gesammelte Schriften umfassen zwölf Bände. Darin nicht enthalten sind die Autobiographie und die sechs Bände des von ihm allein konzipierten Allgemeinen Handwörterbuches der philosophischen Wissenschaften. Sein auf dem Rationalismus der Aufklärung und der Erkenntniskritik Kants basierendes, zwischen Idealismus und Realismus/Materialismus vermittelndes System eines „transzendentalen Synthetismus“ entwickelte er in der Fundamentalphilosophie (1803, 3. Auflage 1827), der Rechtslehre (1817), 55 Siehe zur Biographie Krugs vor allem: Holz, Art. „Krug, Wilhelm Traugott“; Prantl, Art. „Krug, Wilhelm Traugott“, S. 220–222; Riedel, Art. „Krug, Wilhelm Traugott“. Ein Schüler Krugs veröffentlichte nach dem Tod des Lehrers eine Würdigung, die viel biographisches Material ausbreitet: Vogel, D. Wilhelm Traugott Krug. Krug selbst beschrieb seine „Lebensreise“ erstmals 1825: Urceus, Meine Lebensreise. In sechs Stazionen, Leipzig 1825. Eine fortgeschriebene Autobiographie erschien im Todesjahr: Krug’s Lebensreise in sechs Stationen, von ihm selbst beschrieben, nebst Franz Volkmar Reinhard’s Briefen an den Verfasser, Leipzig 1842. Eine wichtige biographische Quelle bildet die umfangreiche Korrespondenz Krugs mit dem Dresdner Theologen, Altphilologen und Schriftsteller Karl August Böttiger, die in der Sächsischen Landesund Universitätsbibliothek Dresden aufbewahrt wird (Mscr. Dresd. h. 37, 4°, Bände 112, 113). 56 Siehe zu Krugs theologischer und kirchenpolitischer Position ausführlich: Graf, Theonomie, S. 52–76. 57 Vgl. Heyer, Krug, S. 67–75; Löschburg, Krug, S. 208–222.
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der Tugendlehre (Aretologie, 1818) und der Religionslehre (1819).58 Seine Staatsauffassung hat er – über die zahlreichen politischen Schriften hinaus – vor allem in der Rechtslehre (Dikäologie, 1817) und der Dikäopolitik oder neue Restauration der Staatswissenschaft mittelst des Rechtsgesetzes (1824) dargelegt.59 In den Jahren 1813 und 1830 war Krug Rektor der Universität Leipzig. Die Universitätsreform von 1830 mit der Abschaffung der seit 1409 bestehenden Nationeneinteilung des akademischen Lehrkörpers und der Studentenschaft trug seinen Stempel.60 Das besonnene und beherzte Agieren während der Unruhen vom September 1830 brachte ihm den Respekt der Leipziger Bürgerschaft ein.61 Bereits 1820/21 hatte er die Universität in der Ständeversammlung vertreten.62 Auf die Beratungen zur Sächsischen Verfassung nahm er 1831 publizistisch Einfluss. Die Universität entsandte ihn in die Erste Kammer des neuen Landtags, in der er sich vor allem für die Zulassung von Frauen zu den Landtagsdebatten, die Pressefreiheit63 und die rechtliche Gleichstellung der Juden engagierte. Krug schloss sich in der Aretologie der von Kant geübten Kritik an der aristotelischen Tugendethik als „Mittelmaass im Handeln“64 an. Doch hielt ihn dies nicht davon ab, den liberalen Weg konstitutioneller Reform als richtige Mitte zwischen den Extremen mit Entschiedenheit zu verteidigen. Intensiv setzte sich Krug mit den extremen Ideologien seiner Zeit auseinander. Den „rechten“, „reaktionären“ Ultraismus unterzog er 1817 erstmals eingehender Kritik. Im Jahr zuvor war der einleitende Teil der auf sechs Bände angelegten Restaurazion der Staats-Wissenschaft Carl Ludwig von Hallers (1768–1854) erschienen.65 Der Berner Patrizier hatte darin eine am Vorbild des mittelalterlichen Lehnswesens orientierte Patrimonialtheorie entwickelt, die den Monarchen schlicht als Träger einer den gesamten Staatsverband umspannenden Grundherrschaft begriff. Diese – angeblich – „natürliche“ und ursprüngliche Ordnungsform diente als Folie für ein antimodernistisches Gegenprogramm zu den „verfehlten“ Theorien der Aufklärung mit dem Konzept der „bürgerlichen Gesellschaft“, den naturrechtlichen Vertragstheorien sowie den Prinzipien der Volkssouveränität, der Repräsentation, der Gewaltenteilung, ja jeglicher Form der „künstlichen“, weil von Menschenhand stammenden „Gesetzlichkeit“.66
58 59 60 61 62 63 64 65 66
Vgl. dazu vor allem: Kemper, Gesunder Menschenverstand. Vgl. dazu vor allem: Fiedler, Anschauungen. Vgl. Zwahr, Universitätsreform, S. 141 f.; ders., Revolutionen, S. 94–100. Vgl. Reinhardt, Unruhen, S. 37–43; Schlechte, Vorgeschichte, S. 61 f.; Hammer, Volksbewegung, S. 123–143. Vgl. zur sächsischen Landtagsgeschichte: Matzerath, Landstände; ders., Landtagsgeschichte. Vgl. Franke, Zensur, S. 8 f. Vgl. Krug, Aretologie, S. 84. Haller, Restaurazion. Vgl. zur politischen Theorie Hallers u. a. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 59– 64; Martin, Weltanschauliche Motive; Reinhard, Streit; Weilenmann, Untersuchungen.
Ultraismus und Extremismus
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Als Adam Müller (1779–1829), kaiserlich-österreichischer Regierungsrat und Generalkonsul in Leipzig,67 das Werk in den von ihm herausgegebenen Deutschen Staatsanzeigen, dem Sprachrohr der Politik Metternichs, in den höchsten Tönen pries, griff Krug zur Feder, um die historisch-politischen Triebkräfte zu beschreiben, die dem modernen Konstitutionalismus in wechselhaftem Ringen allmählich den Weg gebahnt hatten. Dabei ironisierte er den Umstand, dass sich die Restaurateure über den Ursprung des „Übels“ nicht einig seien und daher darüber stritten, wie weit das Rad der Geschichte zurückzudrehen sei. So kritisiere Müller an Haller, die Fehlentwicklung liege nicht 200, sondern 300 Jahre zurück, sei nämlich „durch die unselige Reformazion im sechzehnten Jahrhunderte“ entstanden: „Darum müsse man nicht bloß politisch, sondern auch kirchlich restauriren und, was natürlich daraus folgt, die Hierarchie, intensiv und extensiv, ebenso wohl als die Politarchie auf den Fuß wider herstellen, auf welchem sie vor dem sechzehnten Jahrhunderte bestand – wobei leider die Kleinigkeit vergessen worden, wie man das anzufangen habe, ohne einigen Millionen Menschen die Köpfe abzuschlagen, um ihnen ganz neue aus der restaurirenden Staats- und Kirchenfabrik aufzusetzen.“ Im Vergleich zu solch phantastischen Plänen erschienen Krug die „französischen Restauratörs“ weit weniger „begehrlich“, da sie sich damit begnügten, die Zustände vor Ausbruch der Revolution wiederherzustellen. Sie verdienten es mithin, „eher Citras als Ultras“68 genannt zu werden. Seine Geschichtliche Darstellung des Liberalismus alter und neuer Zeit (1823) suchte zu zeigen, dass die Prinzipien des Liberalismus und Konstitutionalismus nicht erst im Zuge der Aufklärung entwickelt worden waren, sondern bis in die Antike zurückreichten. Dabei kritisierte er den Ultraismus der Restaurateure, warnte aber zugleich vor ähnlichen Gefahren am linken Flügel des politischen Spektrums. Denn der Liberalismus nähere sich „in einer Zeit der Extreme“69 durch Übersteigerung der eigenen Prinzipien seinem ideologischen Antipoden strukturell an. Er schieße bei aller grundsätzlichen Berechtigung dann über das Ziel hinaus, „wenn er gar nichts Positives anerkennen, mithin selbst alle Schranken der Willkür durchbrechen und alles plötzlich umgestalten will. Er wird dann allerdings revolutionär und heißt mit Recht Ultraliberalismus, Jakobinismus, Sankülotismus, Radikalismus, Karbonarismus“.70 Der „Antiliberalismus“ wiederum fordere mit Recht, „dass man das Bestehende mit Achtung und Schonung behandle, dass man nicht statt des Aberglaubens den Unglauben, und statt des unbedingten Gehorsams die Zügellosigkeit predige. Unrecht hat er dagegen, wenn er das Bestehende bloß darum, weil es besteht, und das Alte bloß darum, weil es alt ist, mit solcher Hartnäckigkeit festhält, dass er auch die dring67 Vgl. Müller-Schmid, Adam Müller. 68 Krug, Staatswissenschaft, S. 327. Vgl. zur Auseinandersetzung Krugs mit Haller und Müller auch: Fiedler, Anschauungen, S. 32–37. 69 Krug, Darstellung des Liberalismus, S. 325. 70 Ebd., S. 376.
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lichste Abändrung und augenscheinlichste Verbesserung desselben nicht zulassen will, wenn er also die Menschheit in religiöser oder politischer oder gar in beiderlei Hinsicht in unauflösliche Fesseln zu schlagen und so die Knechtschaft des blinden Glaubens und Thuns zu verewigen sucht.“ Auf diese Weise verwandle sich der Antiliberalismus in „eine Art von Ultraismus, weil er sich auf das andre Äußerste wirft, und kann als solcher mit Recht ein Ultraroyalismus, Illiberalismus, Servilismus, Obskurantismus oder Imperfektibilismus genannt werden.“71 Dem liberalen wie dem antiliberalen Ultraismus sei eine Tendenz zur Gewaltanwendung gemeinsam: „Da die Extreme sich immer berühren, so zeigen auch die Ausartungen des Liberalismus und seines Gegentheils darin eine gewisse Ähnlichkeit, dass sie sich beiderseits durch gewaltsame Maßregeln geltend machen wollen und ebendadurch ihre Verwerflichkeit selbst beurkunden. [...] Daher sehen wir oft das traurige Schauspiel in der Geschichte, dass Revoluzionen und Gegenrevoluzionen abwechseln und die eine immer wieder vernichtet, was die andre geschaffen hat.“72 Langfristig, sagte Krug voraus, werde der Liberalismus mit seinen Prinzipien Übergewicht gewinnen, der Antiliberalismus jedoch immer fortbestehen. Der Liberalismus tue sogar gut daran, dem Antiliberalismus sein Existenzrecht nicht grundsätzlich zu bestreiten. Denn ohne „Antagonismus giebt es kein wahres Leben in der Welt“. Die Natur habe dafür gesorgt, „dass es der Thesis nicht an der Antithesis fehle. Es wird daher immer Menschen geben, die den Liberalen entgegenwirken, theils um diese zur Thätigkeit zu reizen, damit sie nicht selbst einschlummern, theils aber auch um sie im Zaume zu halten, damit sie nicht unbändig werden und ihrer Kraft eine zerstörende Richtung geben.“73 Auf diese Weise begründete Krug die prinzipielle Legitimität eines weitgespannten politischen Pluralismus. Nicht dem „echten“, sondern dem ultraistisch überspitzten Liberalismus sagte Krug eine Tendenz zur Vernichtung der Antagonisten nach. Den Anlass zu einer Generalabrechnung mit dem Ultraliberalismus boten republikanische, monarchiefeindliche Tendenzen, wie sie auf dem Hambacher Fest zu Tage getreten waren. Nach eigenem Bekunden hatte Krug seine Schrift, in der er vor dem „Unheil“ warnte, das unausweichlich sein werde, wenn man fortfahre, „sich nach dem Extreme zu bewegen“,74 größtenteils noch vor den repressiven Beschlüssen des Deutschen Bundes vom 28. Juni 1832 verfasst.75 Ein „falscher“ oder „Ultraliberalismus“ in diesem Sinne mache „die Willkür zu seinem Prinzipe“76 und verletze das geltende Recht, gefährde den Frieden, propagiere eine „unbedingte“ Pressefreiheit, die „nothwendig zur Pressfrechheit“77 führe, setze 71 72 73 74 75 76 77
Ebd., S. 377. Ebd., S. 377. Ebd., S. 398. Ders., Der falsche Liberalismus, S. 334. Vgl. ebd., S. 335. Ebd., S. 338. Ebd., S. 367.
Ultraismus und Extremismus
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nicht auf Reformen, sondern auf die Revolution und verfehle auf diese Weise „Maß und Ziel“. Dem hielt Krug das alte deutsche Sprichwort entgegen: „Zu wenig und zu viel Ist aller Narren Ziel.“ Das „Treffen der richtigen Mitte“78 sei, wie schon Aristoteles erkannt habe, ohne Zweifel schwierig. Doch müsse man sich stets darum bemühen. Was dies konkret bedeute, erläuterte Krug am Beispiel des Republikanismus, wie er auf dem Hambacher Fest vertreten worden war. Er sei keineswegs ein grundsätzlicher Gegner republikanischer Prinzipien. Wer indes in einem monarchischen Staat lebe, müsse zunächst versuchen, das Bestehende durch Reformen zu verbessern, statt den Status quo in Bausch und Bogen zu verwerfen. Denn damit werde alles Erhaltenswerte ebenso aufs Spiel gesetzt und ein unkalkulierbares Risiko eingegangen: „Um also das Gewisse, das wir schon besitzen, nicht gegen ein Ungewisses, das wir erst mit großen Opfern an Gut und Blut erkaufen sollen, hinzugeben: vertheidige ich das Bestehende, die monarchische Staatsform, und widerstehe allen denen, welche sie umwerfen und in eine republikanische verwandeln wollen.“79 Die Abkehr vom aristotelischen Mittelweg erschien bei Krug nicht nur in Gestalt des politischen, sondern auch des moralischen Ultraismus. Dieser sei entweder „zu streng oder zu schlaff in seinen Forderungen“.80 In der Schrift über den Kampf zwischen Konservativen und Destruktiven griff er auf die Nikomachische Ethik zurück: „Denn alles Böse bewegt sich in Extremen, wie schon Aristoteles in seiner Ethik bemerkt. [...] Wer daher einem von jenen beiden Extremen huldigt, dessen natürliches Gefühl für Recht und Billigkeit, dessen Achtung gegen die Vernunftgesetze wird nach und nach immer schwächer. Am Ende überredet er sich wohl gar, alles sei gut, was seinem Zwecke diene“.81 Die beiden politischen Extrempositionen bezeichnete er hier als schrankenlos „Konservative“ und „Destruktive“. Sie neigten beide zum „politischen Absolutismus“.82 Die richtige Mitte dazwischen bildeten wiederum die „Reformativen“ oder – wie sie „der Engländer“ nenne – die „Reformers“.83 Diese scheuten sich nicht, etwas Überholtes durch „allmähliches Verbessern“ zu zerstören, seien aber zugleich darauf bedacht, all jenes zu erhalten, was „durch innere Güte und äußere Zweckmäßigkeit der Erhaltung werth“84 sei. Auf die Ebene der Staatsformlehre hat Krug das Bild von der Mitte und den Extremen nicht übertragen, obwohl er für eine gemischte Verfassung plädierte. Diese bezeichnete er als „Synkratie“ – das Gegenteil der in jeder Form abzu78 79 80 81 82 83 84
Ebd., S. 377. Ebd., S. 379. Vgl. zum Republikanismus eines Teiles der „Hambacher“: Hüls, Wirth. Krug, Art. „Ultraismus“, S. 260. Ders., Kampf zwischen Konservativen und Destruktiven, S. 202. Ebd. Ebd., S. 204. Ebd., S. 203.
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lehnenden „Autokratie“. Die synkratische Monarchie war der synkratischen „Polyarchie“85 vorzuziehen. Ob monarchisch oder „polyarchisch“: In einer Synkratie wurde die oberste Staatsgewalt von Mehreren unter Mitwirkung des Volkes in rechtlich gebundener und kontrollierter Form ausgeübt. Der aus dem Mittelalter überkommenen ständischen Vertretung, wie sie in Sachsen über die Zeit des Absolutismus hinweg Bedeutung bewahrt hatte, brachte Krug hohe Wertschätzung entgegen. Doch hielt er – auch aufgrund der ernüchternden Erfahrungen, die er als Universitätsvertreter mit dem schwerfälligen Kuriensystem der Ständeversammlung gemacht hatte – eine Reform an Haupt und Gliedern für erforderlich. Bei der Bestellung der Abgeordneten wollte er überholte Privilegien (etwa des Adels und der christlichen Kirchen) abschaffen, keineswegs jedoch eine völlige politische Gleichberechtigung aller sozialen Gruppen zulassen. Es entsprach verbreitetem liberalen Denken, die Individuen durch die Verankerung von Grund- und Abwehrrechten vor dem Zugriff des Staates zu schützen, die bürgerlichen Aktivrechte jedoch auf mündige und wirtschaftlich unabhängige Männer zu beschränken und folglich Frauen ebenso auszuschließen wie all jene, „die für Lohn und Brod einem Herrn dienen oder gar von Almosen leben [...] so lange sie in diesem Zustande beharren“.86 Die von Krug propagierte „synkratische Monarchie“ verfügte über eine Einkammer-Volksrepräsentation mit neuständischer Zusammensetzung.87 Das Zensuswahlrecht sollte eine „dynamische“ (keinesfalls „mathematische“) Volksvertretung nach dem „Werthe und Range gewisser Klassen von Staatsbürgern“88 (gedacht war neben der Geistlichkeit und einem reformierten „Herren- und Ritterstand“ auch an selbständige Gewerbetreibende, Gelehrte und Bauern) hervorbringen. Das Parlament war keineswegs als bloßes Beratungsorgan gedacht. Ohne seine Zustimmung sollte weder ein Gesetz verabschiedet, noch das Budget bewilligt werden können.89 Zudem war „Publizität“ der Debatten oberstes Gebot. Politische Opposition war dabei selbstverständlich, in parteiförmig organisierter Form jedoch schädlich.90 Krug teilte insofern die (mit der Forderung nach Assoziationsfreiheit eigentümlich kontrastierende) Parteienskepsis vieler Liberaler seiner Altersgruppe.91 „Ultraistische“ Vereinigungen strebten in der Logik der Krugschen Terminologie zur „Autokratie“. In einem späten Supplement seines mehrbändigen „Allgemeinen Handwörterbuchs der philosophischen Wissenschaften“ (1838)92 85 86 87 88 89 90
Vgl. ders., Dikäopolitik, S. 455–494; siehe auch schon ders., Das Repräsentativsystem. Krug, Dikäopolitik, S. 393 f. Vgl. zur Einordnung: Brandt, Repräsentation, S. 223–226. Krug, Das Repräsentativsystem, S. 297. Vgl. ebd., S. 307–317. Siehe dazu auch Böckstiegel, Volksrepräsentation, S. 60–69. Vgl. Krug, Ueber Opposizions-Parteien. Siehe dazu auch: Jäger, Art. Opposition, S. 492 f. 91 Vgl. Backes, Liberalismus und Demokratie, S. 375–409. 92 Das Werk gilt als „das bedeutendste philosophische Handbuch des 19. Jahrhunderts“: Wolters, Art. „Krug Friedrich, Wilhelm Traugott“, S. 503.
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sprach er von den „Extremisten“: „Extremisten heißen die, welche keine richtige Mitte anerkennen wollen, sondern sich nur im Extremen gefallen. Gewöhnlicher sagt man aber Ultraisten.“93 Ob Krug diese Wendung geprägt oder aus den politischen Diskussionen der Zeit entnommen hat, geht aus dem kurzen Vermerk nicht hervor. Es handelte sich nicht um einen gängigen Ausdruck der politischen Sprache des Vormärz. Allem Anschein nach hat Krug in keiner anderen Publikation die Ismus-Bildung Extremismus verwandt. Wie in der Zeit der Religionskriege luden die Polarisierung und Ideologisierung der öffentlichen Debatten, die Intensität der Auseinandersetzung mit den politischen „Extremen“ und die wachsende Tendenz, diese als strukturelle Einheit wahrzunehmen, zu einer derartigen Wortbildung ein, auch wenn mit der Ultraismusformel bereits eine synonyme Formel gebräuchlich war.
4.
„Extrematische“ Parteien
„Ultraismus“ blieb noch eine Zeitlang politischer Schlüsselbegriff. Für das ganze 19. Jahrhundert konnte keine zweite deutschsprachige Quelle eruiert werden, in der von „Extremisten“ oder „Extremismus“ die Rede ist. Nach dem politischen Gezeitenwechsel der 1848/49er Revolution scheint „Ultraismus“ an Bedeutung verloren zu haben. Ob die relative Beruhigung der politischen Auseinandersetzungen dazu beitrug, sei dahingestellt: Jedenfalls sprach man nun häufiger wieder schlicht von den „extremen Parteien“, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz die politischen Gegensätze pointiert zum Ausdruck brachten.94 Eine andere Ismus-Bildung führte indes Friedrich Rohmer mit seiner Parteienlehre (1844) ein. Hier war nicht nur von „extremen“, sondern bedeutungsgleich auch von „extrematischen“ Parteien die Rede. In den Altersstufen des Mannes und den damit verbundenen überwiegenden Geisteshaltungen sah Rohmer das naturwüchsige Fundament des Parteiwesens. Dem Kindesalter entspreche der Radikalismus, dem Alter der Absolutismus. Dazwischen lägen die beiden „vernünftigen“ Formen: der Liberalismus als Ausdruck des jüngeren, der Konservatismus als Ausdruck des reiferen Mannesalters. Radikalismus wie Absolutismus galten als gleichermaßen unfruchtbare Extreme. Beide gegensätzliche Bestrebungen hätten stets Recht und Unrecht zugleich: „Als die französische Revolution den Despotismus der absoluten Zeiten umstürzte, hatte sie Recht gegen ihn, denn die Menschheit bedurfte der Rache; gleichzeitig trug sie Unrecht in sich, denn sie pflanzte nur neuen Despotismus an die Stelle des al93 Krug, Allgemeines Handwörterbuch, S. 394. 94 Vgl. nur Bernhardi, Verfassung; Droysen, Extreme; Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Denkschrift; Radowitz, Kampf der Extreme; Werro, Les partis extrêmes; Der extreme Liberalismus. Seine Irrtümer und sein dem Werk der Einigung Deutschlands verderblicher Einfluss. Nach den Erlebnissen der letztverflossenen fünfzig Jahre kritisch beleuchtet von einem Siebenziger, Wiesbaden 1881.
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ten. Wenn die absolute Partei in Deutschland über die zerstörende Tendenz der Radikalen, über die Hambachiaden in früherer, über die Bubenhaftigkeit der Literatur in jetziger Zeit klagt, so hat sie Recht dem Radikalismus gegenüber, aber Unrecht in sich, denn ohne sie wären die Hambachiaden lächerlich und der Unfug der Presse wirkungsloser gewesen.“95 Die Extreme standen Rohmer zufolge in einem Wechselverhältnis zueinander: „Das eine Extrem ruft beständig das andere hervor. Der Radikalismus in Deutschland erzeugt falsche Bundesbeschlüsse, diese wiederum ihn, und so fort.“ Der Radikalismus beute den Absolutismus aus, der Absolutismus gebe diesem nach. Ein echtes Bündnis zwischen beiden erschien unmöglich, allenfalls eine „Vereinigung gegen dritte“.96 Einen Ausgleich konnte es nicht geben. Der „Kampf der Extreme ist seiner Natur nach ein unendlicher, und kann nur durch Intervention der männlichen Prinzipien entschieden werden“. Ein „vollkommener Zustand“ ist erst dann erreicht, „wenn die extremen Parteien nur mittelbar, als Trabanten, im Zuge stehen; während der organische Kampf zwischen den männlichen selbst vollzogen wird. In diesen liegen die bestimmenden Ideen der Menschheit; aus ihrer Reibung quillt der Segen hervor. Ein beständiger Krieg der Mittelstufen gegen die Extreme würde die Menschheit zerfleischen und liegt außerhalb der Natur.“97 Die „Phasen der Zeitentwicklung“ bestimmten, ob die „männlichen“ oder die extremen Parteien Übergewicht gewönnen. In „blühenden Zeiten“ dominierten die „männlichen“, in „extrematischen erzeugt sich jene Nothwendigkeit einer Vermittlung der Extreme, jenes Bedürfnis eines durchgreifenden und doch versöhnenden Princips, wovon unsere Zeit so voll ist.“98 Die dem Knaben- und Greisenalter entsprechenden Parteien korrespondierten mit spezifischen Charakteren: „Die extrematischen Parteien bestehen in der Wirklichkeit aus extrematischen Personen“, und diese bündeln in sich unvorteilhafte Eigenschaften, die bei Konservativen und Liberalen allenfalls in gemischter Form auftreten: „ein Radikaler, ein Absolutist der nämlichen Art fällt allen Fehlern seiner Stufe anheim und zeigt nur sie, ohne sie durch das Gegengewicht einer großen Qualität zu ersetzen.“99 Rohmers Parteienbuch zählte zu den ersten seiner Art in deutscher Sprache. Es wurde daher intensiv rezipiert und hat mit seiner Terminologie Spuren hinterlassen. Vermutlich war der Historiker Heinrich von Sybel von Rohmer beeinflusst, wenn er in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1847 über die „politischen Parteien der Rheinprovinz“ von „extrematischen“ oder „extremetischen“100 Parteien sprach. Mit diesen Formeln brachte Sybel die Anhänger der einander entgegengesetzten Flügel auf einen Nenner, die des Feudalismus auf der äußersten 95 96 97 98 99 100
Rohmer, Lehre von den politischen Parteien, S. 304 f. Ebd., S. 305. Ebd., S. 307 f. Ebd., S. 309 f. Ebd., S. 313. Sybel, Parteien, S. 4, 45.
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Rechten, die des Kommunismus auf der äußersten Linken. Bei aller Verschiedenheit ähnelten sie sich in der doktrinären Form ihres Wirkens, die ihre Anhänger über die Grenzen der europäischen Staaten hinweg einander ähnlicher erscheinen lasse als das unübersichtliche, variantenreiche, unterschiedlichsten Bedingungen angepasste Lager der „Constitutionellen“. Gemeinsam sei ihnen auch, dass sie zwischen sich und dem entgegengesetzten Standpunkt keine vermittelnde Position zuließen: „Wie die historisch-politischen Blätter kein Drittes übrig lassen zwischen strenger Katholizität und reinem Atheismus, so bleibt hier nur die Wahl zwischen der communistischen oder der mittelalterlichen Praxis. Entweder die blutdürstigen égalitaires oder die rheinische Autonomie“.101 Die kritische Auseinandersetzung mit einem Vertreter der äußersten Rechten führte Sybel zu folgender Einsicht: „Wenn man aus der Auflösung des Feudalstaates nur entrinnen könne, indem man dem Despotismus einer Cabetistengemeinde anheimfiele, dann könnte man in Versuchung gerathen, dem Redner eine innere Berechtigung seines Standpunktes zuzugestehn. Nur dass man sich stets dabei erinnerte, eine ebenso starke Berechtigung gebührte auch dem Cabetisten. Denn jeder von ihnen stellt eines der beiden Extreme dar, in deren gegenseitiger Aufhebung die Wahrheit erst gefunden werden kann. Der Feudale übertreibt die Freiheit des Einzelnen, gerade so wie der Cabetist die Allmacht der Gesammtheit. Die wahre Aufgabe aller Politik ist aber das Gleichgewicht zwischen beiden Kräften, eine Berechtigung nämlich der Staatsgewalt, welche für die Betreibung der nationalen Angelegenheiten ausreicht, ohne die individuelle Rechtssphäre zu vernichten. Je mehr eine einzelne Staatsform sich diesem Gleichgewicht nähert, je weniger sie also im Sinne des Extremen, auf Consequenz Anspruch macht, für desto vollkommener muss sie erachtet werden.“102
Von den „extremen“, nicht von den „extremetischen“ oder „extrematischen“ Parteien sprach der Staatsrechtler Johann Caspar Bluntschli (1808–1881), der in Zürich zu Beginn der 1840er Jahre zeitweilig mit Rohmer im Rahmen seiner liberal-konservativen Partei kooperiert hatte, „welche grundsätzlich die Extreme des Radikalismus und des Absolutismus zu bekämpfen sich anschickte“.103 Bluntschli trug später mit angesehenen, auflagenstarken Handbüchern zur Verbreitung der Rohmerschen Parteienlehre bei. Er übernahm die Rohmersche Parteienpsychologie mit ihrer Bewertung der „extremen“ Parteien als Kräfte des politischen Abstiegs: „Zur Führung des Staates sind nur die männlichen Parteien, nur die Liberalen und die Konservativen berufen, nicht aber die beiden extremen Parteien, die Radikalen und die Absolutisten. Dem Wahne, dass der Radikalismus nur der entschlossene, konsequente Liberalismus sei, tritt die Lehre ebenso entgegen, wie der Annahme, dass der Konservatismus in seiner höchsten Potenz zum Absolutismus werde. Sie dringt vielmehr auf Unterscheidung zwischen den beiden Parteien der aufsteigenden Entwicklung, dem knabenhaften Radikalismus und dem jugendlich-männlichen Liberalismus und ebenso zwischen den beiden Parteien der absteigenden Entwicklung, dem Konservatismus und dem Ab101 Ebd., S. 44. 102 Ebd. 103 Bluntschli, Art. „Friedrich und Theodor Rohmer“, S. 648.
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solutismus; und verlangt Unterordnung der Radikalen unter die Liberalen, der Absolutisten unter die Konservativen.“
Rohmers psychologische Einsichten bestätigten Bluntschlis politische Überzeugungen: „Nur wenn Liberale und Konservative die Leitung haben, herrscht der Geist über die Masse und der Charakter über die Erregbarkeit.“104
5.
Extremisten und Civil War
Nur wenige Jahre nach dem Erscheinen der Sybelschen Schrift tauchte die Extremismusformel erstmals in einer amerikanischen Veröffentlichung auf. In den zu dieser Zeit ganz von den kulturellen Einflüssen Europas bestimmten Staaten dominierte allerdings die Bezeichnung „ultraism“. In den 1830er Jahren hatten strategische Auseinandersetzungen zu heftigen Diskussionen in der Antisklavereibewegung, vor allem der puritanisch geprägten Neuenglandstaaten, geführt. Der Gegensatz zwischen den Nordstaaten, in denen die Sklaverei, ohnehin von untergeordneter ökonomischer Bedeutung, allmählich aufgegeben worden war, und den großagrarisch geprägten Südstaaten mit ihren Baumwollpflanzungen verschärfte sich.105 Aus der Sicht ihrer entschiedenen Gegner widersprach die Sklaverei christlichen Prinzipien und den in der Bill of Rights verankerten Freiheitsrechten. Was war angesichts der empörenden Zustände im Süden zu tun? War es erlaubt, die eigenen Ziele notfalls unter Anwendung von Gewalt zu verfolgen? Oder konnte dies unter keinerlei Umständen gerechtfertigt werden? Insbesondere die konsequenten Pazifisten galten als Ultras: „Non-resistance was in some ways the most ‚ultra‘ of all the nineteenth-century ‚ultraisms‘“.106 Zu Beginn der 1830er Jahre, als William Lloyd Garrison (1805–1879) in Boston das publizistische Flaggschiff der Antisklavereibewegung gründete, war das Gebot der Gewaltlosigkeit unangefochten; doch schloss dies Prinzipienfestigkeit und Kompromisslosigkeit in der Verfechtung der eigenen Ziele nicht aus. So machte Garrison in einem programmatischen Grundsatzbeitrag anlässlich des Erscheinens der ersten Ausgabe des Liberator den Verzicht auf jede „Mäßigung“ zur Tugend: „I will be as harsh as truth, and as uncompromising as justice. On this subject, I do not wish to think, or speak, or write, with moderation. No! no! Tell a man whose house is on fire, to give a moderate alarm; tell him to moderately rescue his wife from the hands of the ravisher; tell the mother to gradually extricate her babe from the fire into which it has fallen; – but urge me not to use moderation in a cause like the present.“107 104 Bluntschli, Art. „Parteien, politische“, S. 726 (Hervorhebungen im Original). 105 Vgl. Besier/Lindemann, Im Namen der Freiheit, S. 94–107; Gara, Who was an abolitionist?; Mayer, All on Fire; Perry, Abolitionism; Thomas, Liberator. 106 Demos, Antislavery, S. 502. 107 Garrison, To the public.
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Garrisons Position verbot jede Konzession an die Befürworter einer schrittweisen, allmählichen Überwindung der Sklaverei. Im „Liberator“ hieß es: „there is no more mischievous and unfounded than the gradual abolition of slaveholding.“108 Wer sich auf das aristotelisch-thomistische Mäßigungsgebot berief, galt als „lau-warm“ und halbherzig: „Speaking of emancipation, Mr. D. said, ‚no extreme which has reference to this subject will do – the middle course is the only safe one.‘ Now here, we say, is a fatal heresy. There is no neutral ground between right and wrong – liberty and oppression – truth and error. The slaveholders are either guilty or not guilty: if guilty, they are without excuse – if not guilty, why allude to them at all? [...] There is no middle road in this business.“109 Diese Haltung trug Garrison und seinen Anhängern die Etikettierung als „Zealots, fanatics, political incendiaries“110 ein. Zudem stellte man die „AntiSlavery Fanatics“111 mit den bedingungslosen Sklaverei-Anhängern auf eine Stufe. Im Zentrum der Argumentation stand einmal mehr der mangelnde Möglichkeitssinn der Verfechter einer sofortigen, bedingungslosen Preisgabe der Sklaverei. Zum einen würden die ökonomischen Folgen für die Sklavenhalter und die Plantagenwirtschaft nicht bedacht, zum anderen konnte eine übergangslose Freilassung die davon betroffenen Sklaven ins soziale Elend stürzen.112 Daher plädierten viele grundsätzliche Sklavereigegner für eine „gradual abolition“. Die radikalen Abolitionisten dagegen mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, mit ihren unrealistischen Forderungen die Position der ebenso realitätsblinden Sklavereianhänger zu stärken: „Here, indeed, extremes have met. The ultra abolitionist and the ultra sklaveholder are riding the same hobby“.113 „Ultraism“ erschien insofern wie kein anderer Begriff geeignet „to designate the tendency to extremes at the present day“.114 Dessen Anhänger jedoch rühmten sich ihrer Prinzipientreue. Es sei Mode geworden, den „ultraism“ als ein „gefährliches Monster“ anzuprangern. Doch die Ultraisten befänden sich in bester Gesellschaft: „Columbus was an ultraist. [...] Our Pilgrim Ancesters were all ultraists. [...] Franklin was an ultraist. [...] We like ultraists. They should all be treated with respect. They are pioneers.“115 Die spannungsreiche Atmosphäre der beiden Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges bewirkte eine Radikalisierung der politischen Sprache. Kom108 109 110 111 112
Calculator, Emancipation (Hervorhebung im Original). „A Brief Criticism“. In: The Liberator, 3 (1833) 7, S. 26 f. (Hervorhebungen im Original). „To the Senate and House of Representatives“. In: The Liberator, 4 (1834) 7, S. 25. „Anti-Slavery Fanatics“. In: The Liberator, 4 (1834) 25, S. 97. Zur Beurteilung dieser Frage äußerst aufschlussreich sind die durch Unabhängigkeit des Urteils gekennzeichneten Beobachtungen Friedrich von Raumers, der die USA Anfang der 1840er Jahre bereiste: Raumer, America, Kap. XII: „The Races of Mankind and Slavery“. 113 „The Ultra Abolitionists“. In: The Liberator, 13 (1843) 19, S. 73. Das Zitat stammt aus folgender Schrift: Cooke, Essay, S. 12. 114 „From the Haverhill Gazette“. In: The Liberator, 12 (1842) 7, S. 24. 115 „From the Mercantile Journal“. In: The Liberator, 11 (1841) 21, S. 84 (Hervorhebung im Original). Dass die Abolitionisten „moderation“ nicht in jeder Form ablehnten, zeigt: Zinn, Abolitionists. Siehe auch folgenden Reader: Kraut (Hg.), Crusaders.
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promisslose Sklavereianhänger wie -gegner griffen zunehmend zum Mittel der Gewalt. Wahlkampfkundgebungen wurden zum Schauplatz heftiger Zusammenstöße der politischen Lager, mündeten nicht selten in wechselseitiges Niederschreien und handgreifliche Auseinandersetzungen. Der bekannte Anwalt und ehemalige Präsidentschaftskandidat Daniel Webster (1782–1852) scheint in diesem Zusammenhang als erster von den „Extremisten“ gesprochen zu haben. Er hob auf die Heftigkeit verbaler Auseinandersetzungen und die Gefährdung des Zusammenhalt der Union ab, als er 1850 in einer Senatsrede klagte: „There are outrageous reproaches in the North against the South, and there are reproaches as vehement in the South against the North. Sir, the extremists of both parts of this country are violent; they mistake loud and violent talk for eloquence and for reason.“116 Webster war gegen eine Ausweitung der Sklaverei, verteidigte aber zugleich die rechtmäßige Auslieferung in die Nordstaaten geflüchteter Sklaven. Die Verhärtung der Fronten in der Sklavereifrage beschrieb der Landschaftsarchitekt Frederick Law Olmsted (1822–1903) in seinen Reiseberichten aus den Sklavenstaaten, die in den USA und England zahlreiche Leser fanden. Durch ihre mangelnde Kompromissfähigkeit und die Verbreitung wechselseitiger Feindbilder hätten die „Extremisten“ beider Lager wesentlich zur Unterminierung der Vertrauensbasis zwischen Norden und Süden beigetragen: „Very little candid, truthful, and unprejudiced public discussion has yet been had on this vexed subject of slavery. The extremists of the South esteem their opponents as madmen, or robbers; and invariably misrepresent, misunderstand, and, consequently, entirely fail to meet their arguments. The extremists of the North esteem the slave-holders as robbers and tyrants, willfully and malevolently oppressive and cruel.“117 Allerdings hätten auch die Gemäßigten durch den Versuch der Unterdrückung extremer Agitation zu diesem Klima beigetragen. Denn nur die Möglichkeit freier, ungehemmter Diskussion könne verlorenes Vertrauen wiederherstellen. Was Kompromissbereite lange Zeit befürchtet hatten, trat 1860/61 ein. Nach der Wahl des Slavereigegners Abraham Lincoln zum Präsidenten erklärte am 28. Dezember 1860 mit South Carolina der erste der Südstaaten den Austritt aus der Union.118 Ihm schlossen sich bis zum Juni 1861 nach und nach alle anderen an. In den Kongress-Debatten vom Winter 1860/61 kam die politische Polarisierung offen zum Ausdruck. Für die politische Sprache dieser aufgewühlten Zeit bilden die Erinnerungen und Reden des demokratischen Abgeordneten Samuel S. Cox (1824–1889) eine ausgezeichnete Quelle.
116 Webster, Constitution, S. 358. Websters Äußerung wird als Erstnachweis aufgeführt in: A Dictionary of American English, Band 2, S. 915. Vgl. zur Person: Poore, Congressional Directory, S. 688; Smith, Defender. 117 Olmsted, Journey, S. 177. 118 Vgl. Williams, Lincoln and the radicals; Dumond, Antislavery Origins.
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Cox war 1860 für den Columbus-District (Ohio) in den Kongress gewählt worden,119 wo führende Vertreter des Südens gleich zu Beginn der Sitzungsperiode ihre Sezessionspläne vortrugen und begründeten. Er gehörte zu denen, die sich um einen Kompromiss bemühten und auf diese Weise für die Erhaltung der Union kämpften. Doch alle Anstrengungen wurden von den „calamities which were pressed by extremists, North and South“,120 zunichte gemacht. Auf der einen Seite standen die Ultraabolitionisten, auf der anderen die „heresies of the ultra Calhoun School“,121 also die Anhänger des 1850 verstorbenen John C. Calhoun, der das Subordinationsverhältnis von Slave und Master als patriarchalische Schutzgemeinschaft mit biblischen Argumenten zu legitimieren gesucht hatte. Auch hier untergrub die Interaktion der „immoderation and violence“122 produzierenden Extreme die Kompromissbildung, was Cox gar zu der Annahme einer möglichen stillen Komplizenschaft veranlasste: „Extremes thus meet. Extremes north have aided, if not conspired with, extremes south, in the work of disintegration“.123 Als Extremisten galten nicht nur die Sklaverei-Ideologen des Nordens und Südens, sondern auch die „Friedensdemokraten“, die wegen ihres Erkennungszeichens, einem Kupferpfennig, bald „copperheads“ genannt wurden.124 Sie formierten sich innerhalb der demokratischen Partei des Nordens während der Sezessionskrise von 1860/61, begegneten dem Ausbruch des Bürgerkriegs teils skeptisch, teils ablehnend, erklärten den Erhalt der Union zum obersten Ziel und waren dafür bereit, dem Süden in der Sklavereifrage bedeutende Konzessionen zu machen. Der Lincoln-Gegner Clement Vallandigham galt als ihr bedeutendster Wortführer. Mit „silberner Zunge“ und „jesuitischer Feder“ habe er seine Sache verfochten, hieß es in einem Rückblick der New York Times nach Ende des Bürgerkriegs.125 „Extremismus“ erlebte insofern eine Bedeutungsverschiebung. Denn Kompromissunfähigkeit war Vallandigham kaum vorzuwerfen. Über die Haltung zu den konstitutionellen Inhalten der Bundesverfassung sagte die Formel ohnehin wenig aus. Die Ultraabolitionisten beriefen sich mit Entschiedenheit auf deren demokratische Grundsätze. Die Sklaverei-Anhänger wiederum konnten zwar als Gegner universeller Menschengleichheit gelten, waren aber nicht per se Gegner freiheitssichernder Institutionen. Vom Bürgerkrieg an etablierte sich der Extremismusbegriff als fester Bestandteil der politischen Sprache. Bald wurde er auf andere Streitthemen ausgedehnt. In den 1880er Jahren galten, um nur ein Beispiel zu erwähnen, die puritani119 120 121 122 123 124 125
Vgl. zur Person: Poore, Congressional Directory, S. 348. Cox, Congress, S. 21. Ebd., S. 20. Ebd., S. 188. Ebd., S. 189 (Rede vom 6. Januar 1861). Vgl. zu dieser Bezeichnung Coleman, „Copperhead“, S. 263 f. „The Extremists at Work“. In: New York Times vom 22. Januar 1867, S. 4 („Silvery tongues and Jesuitical pens“).
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Extreme Ideologien
schen Temperenzler und Prohibitionisten ebenso wie ihre entschiedenen Kontrahenten als „Extremisten“. Gegen die Lizenzpflicht für den Handel alkoholischer Getränke machten „liquor dealers“ und „prohibitionists“ gleichermaßen Front: „They appear on the same side in the committee room, and on some points they urge the same arguments – that high license has been a failure where already tried, that beer is responsible for most of the drunkenness, and so forth. It is just this extremism, which makes any effective control of the traffic in liquors so nearly hopeless in this country.“ Die Prohibitionisten verglichen sich selbst mit den Gründern der Republikanischen Partei: „They are much more like the extreme Abolitionists who would not vote for a Free Soil or a Republican candidate, and who denounced those two parties hardly less vigorously than they did the advocates of the extremism of slavery.“126 Mit ihrem Eifer erwiesen sie der Sache selbst einen Bärendienst.
6.
Extremisten in der britischen Kronkolonie Indien
Im britischen Empire des ausgehenden 19. Jahrhunderts erfreute sich die traditionelle Unterscheidung zwischen „moderate“ und „extreme“ weiter Verbreitung. Ebenso geläufig war die Unterscheidung zwischen „extreme Left“ und „extreme Right“, insbesondere in der Presse-Berichterstattung über die Entwicklung in Frankreich.127 Von „extremists“ oder „extremism“ war jedoch in diesem Zusammenhang keine Rede.128 Allem Anschein nach fanden diese Bezeichnungen erst durch die Indienberichterstattung zu Beginn des 20. Jahrhunderts Eingang in die politische Publizistik. Der aufmerksame Leser der Londoner Times konnte gelegentlich Berichte über die Gewalttaten von Sikh-„Fanatics“ lesen.129 Das Aufkommen der neuen Bezeichnung war aber mit dem Erstarken des Hindu-Nationalismus und der Person Bal Gangadhar Tilaks (1856–1920) eng verbunden. Tilak entstammte der angesehenen Kaste der Chitpavan-Brahmanen und wurde schon als Kind durch die Erzählungen seines Großvaters mit den hinduistischen Traditionen des Dekkan-Hochlandes vertraut gemacht.130 Die britische Herrschaft in Indien erschien ihm – im Gegensatz zu nicht wenigen seiner Altersgenossen – in jeder Form illegitim. Bezeichnenderweise lehnte er es nach dem Abschluss seines juristischen Studiums in Poona ab, in den Regierungsdienst einzutreten. Stattdessen wirkte 126 The American, 13 (1887) 341 (19. Februar), S. 276. Vgl. zum historischen Hintergrund: Clark, Prohibition. 127 Vgl. zum Beispiel „The Left“. In: Times (London) vom 28. Oktober 1873; „Prolongation of Marshal Macmahon’s Powers“. In: Times (London) vom 5. November 1873, S. 5. 128 In einem Brief des Präsidenten der US-amerikanischen „Fenian Brotherhood“ war in einem nicht-politischen Kontext 1865 von „these days of extravagance and extremeism“ die Rede: Roberts, Fenians, S. 2. 129 „Indian Fanatics“. In: Times (London) vom 14. Oktober 1871, S. 12. 130 Vgl. Klimkeit, Hinduismus, S. 226–242.
Extremisten in der britischen Kronkolonie Indien
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er im Erziehungswesen, beteiligte sich an der Gründung der Deccan Education Society und des Fergusson College. Der „gemäßigten“ Mehrheit des 1885 ins Leben gerufenen Indian National Congress, der in seinen Anfängen vor allem auf administrative Reformen zielte, stand er ablehnend gegenüber. Als 1897 zwei britische Offiziere in Poona ermordet wurden, traf ihn der Vorwurf, mit der von ihm mitgegründeten hindu-nationalistischen Zeitschrift „Kesari“ („der Löwe“) zum Hass auf die Regierung angestachelt zu haben. Als „Extremist“ (in Anführungszeichen) firmierte Tilak allem Anschein nach erstmals in einem Polizeibericht aus dem Jahr 1895: „Another bone of contention between the parties was the holding of the Social Conference in the National Congress Mandup. Tilak took a prominent part and on behalf of the ‚Extremists‘ urged that the principles of the social reformers, who mostly belong to the ‚Moderate‘ party, are antagonistic to the teachings of the Hindu religion and not acceptable to the masses“.131 Die von Tilak repräsentierte hindu-nationalistische Bewegung unterschied sich in vier Punkten von den Positionen der „Gemäßigten“:132 Erstens betonte sie die Größe und Erhabenheit der indischen Geschichte und Kultur, die das Fundament für die Gestaltung der Gegenwart bilde. Zweitens machte sie Front gegen die „Bettelei“ des Nationalkongresses, die nicht zum Ziel führen werde. Stattdessen müsse man auf die eigene Stärke vertrauen, die unveräußerlichen Rechte einklagen und bereit sein, dafür auch große Leiden und Opfer in Kauf zu nehmen. Erklärtes Ziel war drittens die Selbstregierung (Swaraj), das viertens durch die Gewinnung der breiten Masse der Bevölkerung zu erreichen sei. Tilak nahm 1896 eine Hungersnot zum Anlass, um seine Anklagen gegen die Regierung zu formulieren. Von nun an stand er als „Feind Nr. 1“ auf der „schwarzen Liste“ der Briten. Zu einer weiteren Zuspitzung des Konflikts und zur Ausbreitung der Extremismusformel in der britischen und indisch-probritischen Presse (als Fremdbezeichnung) kam es ab 1905. Angesichts der unter Lord Curzon vorgenommenen, in der Bevölkerung und bei den indischen Eliten hoch umstrittenen Teilung Bengalens schloss sich Tilak den auf Unabhängigkeit zielenden, aktivistischen Kräften im Nationalkongress an, rief zum Boykott britischer Waren auf.133 In den Jahren 1906 bis 1908 tobte der Machtkampf zwischen „Gemäßigten“ und 131 Government of Bombay, Source Material, S. 205. 132 Vgl. Majumdar, History, S. 427 f. Siehe zum intellektuellen Hintergrund: Varma, Political Thought, S. 202–280; Inamdar, Political Ideas. 133 „The Unrest in Bengal“. In: The Times (London) vom 15. Oktober 1906, S. 8; „India. The National Congress“. In: The Times (London) vom 16. Dezember 1907, S. 5; „Disorderly Scenes at the National Congress“. In: The Times (London) vom 27. Dezember 1907, S. 7; „The Indian National Congress. The Split at Surat“. In: The Times (London) vom 30. Dezember 1907, S. 3 („Meeting of the Extremists“); „The Indian National Congress“. In: The Times (London) vom 27. Januar 1908, S. 4; „The National Congress“. In: The Times (London) vom 10. Dezember 1908, S. 5. Vgl. zu diesen Auseinandersetzungen: Ripathi, Extremist Challenge; Rothermund, Willensbildung, S. 47–70.
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Extreme Ideologien
„Extremisten“. Vor allem die Presse des englischen Mutterlandes und der britisch-indischen Regierung nahestehender Kreise charakterisierte die radikalen Unabhängigkeitskämpfer als „extremists“. Nicht nur die Unbedingtheit ihrer Ziele (Abschüttelung der britischen Vormacht), sondern auch die Neigung zu brachialen Methoden wurde mit der Wendung zum Ausdruck gebracht. Das politische Engagement Tilaks endete 1908 vorläufig, als er wegen Rädelsführerschaft in einer Aufstandsbewegung zu einer Haftstrafe verurteilt und nach Mandalay in Oberbirma verbannt wurde.134 Dort verfasste er sein großes Werk, einen zweibändigen Kommentar zur Bhagavad-Gita. Nach seiner Entlassung 1914 beteiligte er sich in gemäßigten Formen am politischen Leben Indiens, wo er heute als einer der Väter der Unabhängigkeit verehrt wird.
134 Eine Dokumentation zum Tilak-Prozess enthält zahlreiche Presseartikel aus den Jahren 1906 bis 1908 und vermittelt einen guten Einblick in den zeitgenössischen Sprachgebrauch: Full and Authentic Report of the Tilak Trial. Siehe ferner die Nachweise in: The Oxford English Dictionary, Band III, S. 476.
VI. Extremismus im beginnenden „Zeitalter der Extreme“ 1.
Revolution in Russland
„Extremismus“ taucht im „Trésor de la langue française“ in der Zeit vor 1917 nur ein einziges Mal – in adjektivischer Form – auf. In einem Brief aus dem Jahre 1915 bekannte der Lyriker und Philosoph Paul Valéry (1871–1945): „Ma nature est extrémiste, changeante“.1 Dies war psychologisch, nicht politisch zu verstehen. Zwei Jahre später wurde die Vokabel wie auf einen Schlag zum Schlüsselwort der politischen Publizistik. Die Termini „extrémiste“ und „extrémisme“ fanden mit der russischen Februarrevolution (März nach dem gregorianischen Kalender) 1917 größte Verbreitung. Die Pariser Presse gebrauchte sie2 vor allem zur Qualifizierung der revolutionären, die provisorische Regierung kompromisslos bekämpfenden und zur sofortigen Beendigung des Krieges neigenden „Maximalisten“ („Bolschewisten“, „Leninisten“).3 Ihre Ideen entstammten der radikalen Zimmerwalder Linken und der strategischen Konzeption Wladimir Iljitsch Uljanows, genannt Lenin (1870–1924), der zu Beginn der Revolution noch in ärmlichen Verhältnissen im schweizerischen Exil lebte, nach seiner Rückkehr nach Russland aber bald eine wichtige Rolle spielen sollte. 1 2
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Paul Valéry an A.A. Coste (1915). Siehe auch Trésor de la Langue Française, Band 8, S. 536. Vgl. „Le gouvernement provisoire veut calmer les extrémistes“. In: Le Matin vom 27. März 1917, S. 3; „L’entretien du général Kornilow avec les extrémistes“. In: Le Matin vom 28. März 1917, S. 3; „Campagne des extrémistes contre M. Milioukow“. In: Le Matin vom 5. Mai 1917, S. 3; „Un mouvement des extrémistes à Cronstadt“. In: Le Matin vom 4. Juni 1917, S. 2; „Une victoire sur les extrémistes“. In: Le Matin vom 4. Oktober 1917, S. 1; „La révolution maximaliste“. In: Le Matin vom 10. November 1917, S. 3; „Les extrémistes attaquent le Kremlin“. In: Le Matin vom 20. November 1917, S. 1; „L’agitation extrémiste et le gouvernement“. In: Le Figaro vom 6. Mai 1917, S. 2. – „Les manifestations extrémistes à Petrograd“. In: L’Humanité vom 3. Juli 1917, S. 3; „Les extrémistes et l’opinion“. In: L’Humanité vom 7. Juli 1917, S. 3; „Le gouvernement contre les extrémistes“. In: L’Humanité vom 8. Juli 1917, S. 1; „La note de M. Milioukoff et les extrémistes“. In: L’Action Française vom 5. Mai 1917, S. 2. Das Wort „Maximalismus“ geht vermutlich auf den Erfurter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie (1891) zurück. Dort forderte eine Strömung, den politischen Kampf auf der Grundlage eines Maximalprogramms zu führen, während eine andere für ein – reformistisches – Minimalprogramm plädierte. In Russland sprach man in der sozialrevolutionären Partei ab der Revolution von 1905 von „Maximalismus“. Bolschewismus und Maximalismus bildeten zwei verschiedene Strömungen, doch vermischten sie sich in der Folgezeit häufig miteinander. Daher war der Gebrauch des Wortes „maximalisme“ nicht einheitlich. Nach der Oktoberrevolution bezeichnete man damit auch von den Bolschewiki unabhängige Formationen der extremen Linken. Vgl. z. B. Reed, Zehn Tage, S. 21. Siehe zur Geschichte des Wortes: Bongiovanni, Massimalismo; Gayman, Maximalisme.
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Möglicherweise stand eine Anzahl französischen Journalisten bei der Einführung der neuen Formeln unter dem Einfluss der Sprache englischer Nachrichtenagenturen. Dort waren sie seit langem eingeführt.4 Jedoch hatte sich das Organ der gemäßigten französischen Linken, „L’Humanité“, der Formel schon einige Zeit zuvor bedient. Salomon Grumbach (1884–1952), ein aus dem Elsass stammender sozialdemokratischer Journalist, der nach Kriegsbeginn in die Schweiz gegangen war, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen,5 hatte – unter dem Pseudonym „HOMO“ – in seinem Bericht über die zweite Zimmerwalder Konferenz in Kienthal (24. bis 29. April 1916) die Konflikte und heftigen Polemiken in den Monaten vor der Konferenz zwischen den eher Gemäßigten und dem ultra-linken Flügel nachgezeichnet. Als „extrêmistes“ (in dieser heute unüblichen Schreibweise) firmierte die Gruppe um Robert Grimm (1881– 1951), den Vertreter der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz.6 Sie habe in Kienthal ihrem Wunsch nach einer Spaltung der Internationale Ausdruck verliehen. Aufgrund dieser Kämpfe sei das Ergebnis der Konferenz mager gewesen. Dies erkläre wahrscheinlich auch, „weshalb die Extremisten die Abstimmung über die Prinzipienerklärung bestimmt haben, die sich im Übrigen gut dazu eignet, um eine klare Trennungslinie zwischen den demokratischen und den ‚absolutistischen‘ Sozialisten zu ziehen.“7 Nach dem Ausbruch der Revolution in Sankt Petersburg stand in den Pariser Blättern die Frage im Vordergrund, ob die neuen Kräfte die Lage im Inneren stabilisieren und den Krieg mit Energie weiterführen könnten. Angesichts der in allen Schichten der russischen Bevölkerung verbreiteten Friedenssehnsucht beobachtete man mit großer Besorgnis die Kräfteverhältnisse und das Verhalten der aktivistischen Gruppierungen. Am 21. März berichtete „L’Humanité“ mit einer gewissen Zufriedenheit: „Die Extremisten haben sich unter dem Druck der gemäßigteren Elemente bereit gefunden, den Straßenbahnbetrieb wieder aufzunehmen“8 und die entstandenen Schäden zu beseitigen. Die Arbeiter seien in ihrer großen Mehrheit willens, zur Normalität zurückzukehren. Liberalen Beobachtern galten die Bolschewiki frühzeitig als Verfechter gefährlicher extremistischer Positionen. Der englische Botschafter in Sankt Peters4
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Siehe bereits „Russian Prospects of the New Ministry“. In: Daily Chronicle vom 20. März 1917, S. 2 („substantial concessions to the extremists“); Harold Williams, Likelihood of Revolutionary Regime. In: Daily Chronicle vom 26. März 1917, S. 3 („the Council of Workmen’s and Soldiers’ Deputies [...] was largely at the mercy of the Extremists“). Die Bezeichnung „extremist“ für die radikalen Revolutionäre in Russland findet sich auch häufig in der damaligen Diplomatensprache. Vgl. z. B. Buchanan, My Mission, S. 129, 137, 219; George, War Memoirs, S. 1120. Vgl. „Salomon Grumbach“. In: Internationales Biographisches Archiv, Nr. 36 vom 25. August 1952. Vgl. zu Grimms Rolle u. a. Jost, Altkommunisten, S. 47. L’Humanité vom 11. Mai 1916, S. 1. Verwendung finden noch zwei Schreibweisen: „extrêmiste“ und „extrémiste“. Dies zeigt die Neuheit und Unsicherheit des Sprachgebrauchs. Siehe auch Grumbach, L’erreur; ders., Brest-Litowsk. In beiden Schriften ist von „Maximalisten“, nicht aber von „Extremisten“ die Rede. L’Humanité vom 21. März 1917, S. 2.
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burg, George Buchanan (1854–1924), hielt die – auf den Parteitag der russischen Sozialisten in London (1903) zurückgehenden – Bezeichnungen „Bolschewiki“ (Mehrheitssozialisten) und „Menschewiki“ (Minderheitssozialisten) für abwegig. Stattdessen sei es angemessener, zwischen „extremists“ und „moderates“ zu unterscheiden.9 Die Wahrnehmung der Bolschewiki als Bedrohung verband sich vielfach nicht so sehr mit dem ideologischen Profil dieser Richtung als mit deren Haltung in der Kriegsfrage. Sie bot zu mancherlei Verdächtigungen Anlass. Am 28. März präsentierte „L’Humanité“ den ehemaligen Chefredakteur der „Prawda“, Tschernomasow, als agent provocateur der zaristischen Geheimpolizei Ochrana.10 Das sozialistische Parteiblatt berief sich dabei auf einen Bericht des Korrespondenten des „Petit Parisien“ in Petrograd, des Schriftstellers Jean Schopfer (1868–1931), der unter dem Pseudonym „Claude Anet“ schrieb.11 Anet kolportierte Gerüchte, wonach Tschernomasow aus Geheimfonds Geld erhalten habe. Dabei kennzeichnete er die „Prawda“ als „journal des extrémistes“.12 Lenin selbst bezog sich auf diesen Artikel in seinem letzten vor der Abreise verfassten Beitrag und führte den Ausdruck vermutlich in die russische Sprache ein.13 Im „Petit Parisien“ werde der ehemalige zaristische Lockspitzel „Tschernomasow als ‚früherer Redakteur der extremistischen sozialdemokratischen Zeitung Prawda‘ bezeichnet“. Dies zeige, „wie heimtückisch und niederträchtig die Kampfmethoden der Regierung Gutschkow-Miljukow“14 seien. Obgleich Lenin in dem Appell des Sowjets der Arbeiterdeputierten, der von einer aus „gemäßigten Elementen“ zusammengesetzten Regierung gesprochen hatte, nur eine „rein liberale, unmarxistische Charakterisierung“15 zu erkennen vermochte, wies er später zugleich die Bezeichnung seiner Bewegung als Ausdruck eines politischen „Extremismus“ entschieden zurück.16
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Buchanan, My Mission, S. 137. L’Humanité vom 28. März 1917, S. 3. Vgl. Qui êtes-vous?, S. 13. Anet, Révolution, Band 1, S. 111 (25. März) (Hervorhebung im Original). Bei dem Buch handelt es sich um eine Sammlung von Artikeln, die Tag für Tag im „Petit Parisien“ erschienen waren. Siehe auch L’Action Française vom 26. März 1917, S. 1. 13 Dies widerspricht nicht unbedingt der Aussage, die Wörter „Extremismus“ und „Extremist“ seien in der russischen Sprache erst „seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt“. So Černych, Istoriko-çtimologičeskij, S. 444. 14 Lenin, Machenschaften, S. 376. Lenin zitiert die Formulierung Claude Anets „de l’ancien rédacteur d’un journal extrémiste“. In der russischen Version heißt es: „áûâøèì ðåäàêòîðîì ýêñòðåìèñòñêîé [...] ãàçåòû“. Lenin, Werke (Polnoe sobranie sočinenij), Band 31 (März–April 1917), S. 81. 15 Lenin, Briefe aus der Ferne, S. 329. 16 Lenin, Drei Krisen, S. 169. In der russischen Version benutzte Lenin nicht das Wort „çkstremistskoj“, sondern „krainost“ für die Menschewiki und Bolschewiki, die mit ihrem radikalen/kompromisslosen Verhalten der Konterrevolution in die Hände arbeiteten: „ñâîèìè êðàéíîñòÿìè ïîìîãàþò êîíòðpåâîëþöèè“. Lenin, Werke (Polnoe sobranie sočinenij), Band 32 (Mai–Juli 1917), S. 430.
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Die Ankunft Lenins in Sankt Petersburg galt als „die gefährlichste Probe“, die der russischen Revolution bevorstehe.17 Der französische Botschafter, Maurice Paléologue (1859–1944), ein Diplomat der alten „Schule der Salons“,18 war mit Blick auf die Revolution und ihre Auswirkungen von tiefer Skepsis erfüllt. Gegenüber den vom Auswärtigen Ausschuss und der SFIO-Fraktion der Französischen Nationalversammlung entsandten, einige Tage zuvor eingetroffenen sozialistischen Abgeordneten Marcel Cachin, Ernest Lafont und Marius Moutet malte er die Gefahr einer Stärkung der extremen Strömungen mit grellen Farben an die Wand: „Die russische Revolution ist in ihrem Wesen anarchisch und destruktiv. Sich selbst überlassen kann sie nur in die furchtbare Demagogie des Pöbels und der Soldateska münden, in den Bruch aller nationalen Bindungen, in den völligen Zusammenbruch Russlands. Mit der dem russischen Charakter eigenen Übersteigerung wird sie rasch ins Extrem fallen: Sie ist dazu verurteilt, in Verwüstung und Barbarei zu entarten, in Schrecken und Absurdität. Sie ahnen nicht die Wucht der Kräfte, die entfesselt werden [...]. Die Unterstützung, die sie den Extremisten bieten, wird die finale Katastrophe beschleunigen.“19 Die drei sozialistischen Deputierten zeigten – entgegen den Befürchtungen des Botschafters – keinerlei Neigungen zur Unterstützung der Leninisten. Nach Ausbruch des Krieges hatten sie eine bedingte Zusammenarbeit mit einer Regierung der nationalen Verteidigung befürwortet und später die Zimmerwaldianer kompromisslos bekämpft. Sie hatten daher in Sankt Petersburg einen schweren Stand. Die Führung der russischen Sozialdemokraten, vor allem die in ihr vertretenen ultra-revolutionären Kräfte, brachte ihnen abgrundtiefes Misstrauen entgegen. Sie wurden verdächtigt, die Sache der Revolution hintertreiben zu wollen.20 Ein über die Lage in Petersburg wohlinformierter Beobachter, der Korrespondent der englischen Zeitung „Daily Chronicle“, war sich darüber im Klaren, dass es nicht nur bei den Bolschewiki, sondern auch im Lager der Menschewiki und Sozialrevolutionäre zahlreiche Parteigänger eines sofortigen Friedensschlusses gab. Der linke Flügel der Sozialrevolutionäre erschien ihm ebenso „extremistisch“ wie die Partei Lenins, neigte doch auch dieser zur gewaltsamen Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“.21 Die französische Delegation befand sich folglich in einer schwierigen Lage. Cachin (1869–1858), der zwei Jahre später zu den Gründern der französischen Kommunistischen Partei gehören sollte, hielt zu diesem Zeitpunkt die These Lenins für „perfide“,22 man müsse die Revolution rücksichtslos vorantreiben und auf diese Weise das Deutsche Reich in die Knie zwingen. Er hoffte, die Arbeiter Petersburgs, „gut genährt und hoch bezahlt“, würden unter diesen Bedin17 18 19 20 21
Paléologue, Russie, S. 305. Siehe z. B. das ungünstige Urteil bei: Kerenski, Révolution, S. 337. Ebd., S. 306. Siehe Peschanski (Hg.), Cachin, S. 85 (Montag, 16. April 1917). Williams, Spirit, S. 11. Siehe auch das Urteil des deutschen Historikers Gustav Mayer: Lademacher (Hg.), Zimmerwalder Bewegung, S. 518–520. 22 Peschanski (Hg.), Cachin, S. 98 (Freitag, 20. April 1917).
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gungen nicht den „Extremisten“23 folgen. Gegen Ende seines Aufenthaltes in Russland hatte er den Eindruck, die eigene Mission sei nicht ohne Wirkung geblieben. Die gemäßigten Kräfte erschienen ihm gestärkt. Die bolschewistische Gefahr werde überschätzt: „Jetzt ist Lenin verbraucht. Das Gleiche wird für alle extremen Theorien gelten.“24 Paléologue, der Ende April als Botschafter zurücktreten musste – vor allem wegen seiner Skepsis gegenüber der Revolution und seiner mangelnden Popularität bei den neuen Kräften in Sankt Petersburg25 –, schätzte die Situation anders ein. Ihm erschien der Einfluss Lenins weit größer. Dieser sammle unter seinem Kommando „alle Besessenen der Revolution“.26 Sein Bild vom Führer der Bolschewiki war wenig schmeichelhaft: „Utopist und Fanatiker, Prophet und Metaphysiker, bar jeglichen Begriffs des Unmöglichen und des Absurden, verschlossen gegenüber jedem Gerechtigkeits- und Mitleidsgefühl, gewaltsam und machiavellistisch, verrückt vor Hochmut, stellt Lenin einen kühnen und kalten Willen, eine schneidende Logik, eine außergewöhnliche Fähigkeit zu Befehl und Gefolgschaft in den Dienst seiner messianischen Träume. [...] Er fordert die revolutionäre Diktatur der Arbeiter- und Bauernmassen; er predigt, das Proletariat habe kein Vaterland, und ruft mit seiner ganzen Willensenergie die Niederlage der russischen Armeen herbei. Wenn man seinen Chimären einige aus der Realität gewonnene Einwände entgegenhält, antwortet er mit dem großspurigen Ausspruch: ‚Umso schlimmer für die Realität!‘ [...] Diese Person ist umso gefährlicher, da man sie als züchtig, nüchtern, asketisch beschreibt. So wie ich ihn mir vorstelle, vereint er in sich Eigenschaften eines Savonarola und Marat, eines Blanqui und Bakunin.“27
Im Mai 1917 stieg das öffentliche Interesse an der Person Lenins in Frankreich sprunghaft. In der Zeitschrift der im Genfer Exil wirkenden Zimmerwaldianer, „Demain“, dem Forum des „literarischen Defätismus“,28 beklagte sich der Initiator des Organs und spätere Mitgründer der Dritten Internationale, Henri Guilbeaux (1885–1938), nicht nur in den bürgerlichen Blättern, sondern auch in den „sogenannten sozialistischen“ verwende man Attribute wie „extremistisch“, „besessen“, „demagogisch“ oder „anarchistisch“ zur Bezeichnung der russischen Revolutionäre und der „Parteigänger des deutschen Friedens“.29 Später spottete er rückblickend über die „pantouflards jusqu’auboutistes“,30 die zum Äußersten entschlossenen Pantoffelhelden, die im behaglichen Café du 23 Ebd., S. 105 (Samstag, 21. April 1917). Während seiner Reise von Paris nach Petersburg verwandte Cachin häufig das Attribut „extrémiste“ für die Zimmerwalder Linke und die Anhänger Lenins. Siehe z. B. ebd., S. 48 (Montag, 2. April 1917), S. 54 (Mittwoch, 4. April 1917), S. 73 (Freitag, 13. April 1917), S. 87 (Dienstag, 17. April 1917). 24 Ebd., S. 137 (Mittwoch, 2. Mai 1917). 25 Vgl. Stillig, Februarrevolution, S. 69–73. 26 Paléologue, Russie, S. 307. 27 Ebd., S. 308. 28 So das Urteil eines „Jusqu’au boutiste“: Maxe, Zimmerwald, S. 72. 29 Guilbeaux, Révolution. In: Demain, 2 (1917) 13 (Mai), S. 3. 30 Guilbeaux, Soviets, S. 11. Guilbeaux rechnete nun scharf mit der UdSSR ab, die Elend und Sklaverei über das russische Volk gebracht habe und die Welt mit Krieg überziehe (S. 171).
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commerce tapfer für die Fortsetzung des Krieges um jeden Preis kämpften. Alexander Lozowski (Geburtsname: Solomon Abramowitsch Dridzo, 1878– 1952), der spätere Generalsekretär der Roten Gewerkschafts-Internationale in Moskau, damals Emigrant in Paris, gewerkschaftlich aktiv und Herausgeber eines russischsprachigen prokommunistischen Blattes, verteidigte Lenin im „Journal du Peuple“ – unter dem Pseudonym S. Drudzo – und wandte sich gegen die Qualifizierung des russischen Revolutionärs als „extrême extrémiste“.31 Indes bestätigte er die Befürchtungen der Lenin-Gegner mit folgender Aussage in der Mai-Nummer der Metallarbeiter-Zeitschrift: „Wir sind für die Revolution bis zum Letzten, das heißt für die Revolution, die bis an die extreme Grenze des Realisierbaren geht.“32 Der Literatur-Nobelpreisträger Romain Rolland (1866– 1944) notierte nach der Lektüre des „Drudzo“-Artikels im „Journal du Peuple“ biographische Informationen über den „chef du ‚bolchevisme‘, tendance extrêmiste du marxisme russe“33 in sein Tagebuch. Während die Formeln „extrémiste“ und „extrémisme“ in der liberalen Presse verwendet wurden, um politische Gegner unterschiedlicher Observanz negativ zu etikettieren, suchten die so Angegriffenen, ihnen einen neutralen oder gar positiven Sinn zu unterlegen. Im Mai 1916 war in Paris „Le Populaire“ gegründet worden, die Zeitung jener sozialistischen Minderheit, die den „jusqu’au-boutisme“ der Union sacrée ablehnte und für einen Frieden ohne Sieger und Besiegte eintrat. Dort bezeichnete ein Vertreter des sozialistischen Parteiverbandes der Seine, Louis-Oscar Frossard (1889–1946), später einer der Befürworter des Anschlusses an die Komintern,34 Lenin illusionslos als „le chef des extrémistes“35 und als eine Kraft, mit der jede Regierung künftig rechnen müsse. Die zahlreichen, den Bolschewisten und ihren Kundgebungen feindlich gesonnenen Kommentare von Presseagenturen bewiesen, dass diese ihre Wünsche mit der Realität verwechselten. Der russische Revolutionär Michail Kalinin (1875– 1946), der später Staatsoberhaupt der Sowjetunion werden sollte, ging einen
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S. Drudzo, Lénine. In: Journal du Peuple vom 14. Mai 1917, S. 1. Eine Biographie zur Person Lozowskis liegt nicht vor. So verschieden die Schreibweisen des Namens, so unterschiedlich sind zum Teil die biographischen Angaben. Vgl. zu den Ungereimtheiten die geschichtswissenschaftliche Diplomarbeit von Gomolinski, Alexandre Lozovsky; Tosstorff, Profitern, S. 717–725. Siehe darüber hinaus folgende Literatur: Art. „Lozovsky“, S. 318 f.; Kießling, Partner, S. 196 f., 204 f.; Redlich, War, S. 5, 8, 146; Rapoport, Hammer, 149 f. L’Union des Métaux, Nr. 67/Mai 1917. Siehe die Zitate und Kommentierungen bei: Merrheim, Amsterdam, S. 6. Die Formel „Révolution jusqu’au bout“ knüpfte an die damals kursierende Redensart vom „jusqu’au boutisme“ an. Gemeint waren die (bedingungslosen) Kriegsbefürworter. Siehe in diesem Sinne: Guilbeaux, ... et demain? In: Demain, 1 (1916) 1 (Januar), S. 1–3. Rolland, Journal des années de guerre, S. 1190. Siehe auch die Eintragung auf S. 1179. Vgl. Erklärung Cachins und Frossards auf der Kongress-Sitzung vom 22. Juli. In: Die Kommunistische Internationale, 2 (1920) 13, S. 266 f. Frossard, Révolution. In: Le Populaire. Journal-Revue hebdomadaire de propagande Socialiste & Internationaliste, Nr. 48 vom 14. bis 20. Mai 1917, S. 3.
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Schritt weiter. In „Demain“ schrieb er im Juni 1917, das Attribut „extrémiste“36 bezeichne jenen Sozialismus, der den eigenen Prinzipien unerschütterlich treu geblieben sei. Bei den Kräften der Union sacrée hielt sich die Angst vor einem Separatfrieden. Rüstungsminister Albert Thomas (1878–1932) bereiste anlässlich seiner Mission nach Petersburg das Land und hielt zahlreiche Reden, in denen er seine Zuhörer von der Notwendigkeit der Weiterführung des Krieges zu überzeugen suchte. Vielen „missfiel seine impulsive Art, die nervöse Gereiztheit und sein äußeres Erscheinungsbild mit dem buschigen, rothaarigen Bart, den struppigen Haaren und den spöttischen Augen hinter den funkelnden Brillengläsern.“37 Die Reaktionen waren mitunter feindselig. Claude Anet berichtete ausführlich über den Aufenthalt in Kiew. Thomas habe dort fünf Reden gehalten. Dass er Patriot sei, werde ihm von internationalistischen Kreisen des neuen Russland als Verbrechen ausgelegt. Er wolle, dass die Verbündeten den deutschen Imperialismus in die Knie zwängen. „Hier werden diese Hammel wütend, wenn man ihnen von Krieg spricht. Sie ertragen nicht die Vorstellung, dass man Deutschland schaden will, dem Vaterland des Sozialismus, der Wiege des Marxismus“. Thomas sei in einer Versammlung „von zwei Extremisten“38 rüde behandelt worden. Optimistischer schätzte der belgische Sozialist Émile Vandervelde (1866– 1938) die Situation ein. Anfang Mai trat er in Begleitung von Louis de Brouckère und Henri de Man eine Reise durch Russland an. Delegierte versicherten ihnen, es sei falsch, wenn viele in Frankreich glaubten, die Russen dächten an einen Separatfrieden. Dies werde nicht nur von den Gemäßigten abgelehnt. Selbst bei den „zimmerwaldiens“, sogar bei den „extrémistes“39 begegne man dieser Haltung – oder zumindest bei denen, die nicht im Solde Deutschlands stünden. Dieses Urteil sollte sich als wenig realistisch erweisen. Das Verlangen nach einem sofortigen Friedensschluss war in der von Entbehrungen gezeichneten Bevölkerung weit verbreitet. Die Bolschewiki profitierten davon. Im Rückblick kritisierte Claude Anet die Haltung Kerenskis gegenüber der bolschewistischen Gefahr. Dieser habe die Vorstellung nicht ertragen können, gegen die revolutionären Brüder vorzugehen. Im Juli hätte er den Sieg nutzen müssen. Aber was war geschehen? „Die wegen bewaffneter Erhebung festgenommenen Extremisten, die man eigentlich hätte erschießen müssen, wurden nach und nach wieder 36 Kalinine, Révolution. In: Demain, 2 (1917) 15 (Juli), S. 160. Trotz des anderen Vornamenskürzels dürfte es sich um den damaligen Redakteur der „Prawda“, das spätere Staatsoberhaupt der Sowjetunion, Michail Kalinin (1875–1946), handeln. Vgl. Internationales Biographisches Archiv 03/1965 vom 11. Januar 1965. 37 Stillig, Februarrevolution, S. 27. 38 Anet, Révolution, Band 1, S. 241 (23. Mai). Siehe auch: Thomas, Journal de Russie. In: Les Cahiers du monde russe et soviétique, 14 (1973) 1–2, S. 93–204 und die Einführung von Sinanoglou, ebd., S. 86–92. 39 Vandervelde, Trois aspects, S. XII.
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freigelassen.“40 Es war der Putsch des Generals Kornilow, der den Zerfall des Februarregimes beschleunigte, einen Aufstand der Sowjets provozierte, die Bolschewiki befreite und sie wieder entscheidend stärkte.41 Im November (Oktober nach russischem Kalender) schließlich waren die schwärzesten Befürchtungen Wirklichkeit geworden: „Lenin und Trotzki, die terroristische Diktatur zweier Männer, die sich befähigt fühlen, Petersburg und Russland zu führen. [...] Es ist blanker Wahn! [...] Der Hochmut der beiden maximalistischen Prokonsulen kennt keine Grenzen. [...] Wir haben unsere Besten aus Frankreich geschickt: Cachin, Moutet, Lafont, Ch. Dumas, Albert Thomas [...] Was haben diese großen Meister bewirkt? Trotz ihrer Intelligenz, ihres guten Willens und ihrer Mühen muss man antworten: nichts.“42 Das Urteil des britischen Botschafters Buchanan fiel kaum günstiger für die neuen Kräfte an der Macht aus: „The Government is now in the hands of a small clique of extremists, who are bent on imposing their will on the country by terroristic methods.“43 In Deutschland fanden die Formeln „Extremismus“ und „extremistisch“ erst im Revolutionsjahr 1917 Eingang in die Sprache der Journalisten, die sie aus den Berichten der englischen, französischen, italienischen und niederländischen Korrespondenten übernahmen.44 Wie auf der anderen Seite des Rheins galt der russische Revolutionär Lenin als Verkörperung des „extremen Elements“. Aber im Gegensatz zu Frankreich hoffte man, vor allem auf militärischem Gebiet von
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Anet, Révolution, Band 2, S. 216 (6. November). Vgl. Ferro, Révolution, S. 547; Pipes, Russische Revolution, Band 2, S. 222 f. Anet, Révolution, Band 2, S. 277–278 (18. November). Buchanan, Mission, S. 218. Siehe z. B. folgende Artikel: „Der Rat der Arbeiter und Soldaten“. In: Vorwärts vom 25. März 1917, S. 1; „Tagung im Taurischen Palast“. In: Vorwärts vom 22. März 1917, S. 1 (beide beziehen sich auf Informationen des „Daily Chronicle“-Korrespondenten „Harald William“; korrekter Name: Harold Williams); „Die provisorische Regierung erlässt zahlreiche Aufrufe, um den ‚Extremisten‘ Vernunft zu predigen“. In: Leipziger Volkszeitung vom 27. März 1917, S. 2 (stützt sich auf einen Artikel der Pariser Zeitung „Le Temps“); „Die Kundgebung der Maximalisten“. In: Frankfurter Zeitung, Morgenblatt vom 7. Juli 1917, S. 2 (nennt als Quelle: „Telegraaf“, Den Haag); „Die Schlacht in Petersburg gegen Lenin“. In: Germania, Beilage vom 29. Juli 1917 (der Autor zitiert eine lange Passage aus „La Stampa“, Turin); „Die Unsicherheit in Petersburg“. In: Germania vom 11. September 1917, S. 1 (Quelle: „Le Temps“, Paris); „Wie steht es um Kornilow?“. In: Vorwärts vom 18. September 1917 (Quelle: Informationen einer holländischen Nachrichtenagentur); „Die Extremisten in der Mehrheit“. In: Germania vom 16. November 1917, S. 1 (der Artikel bezieht sich auf einen Bericht des „Daily News“-Korrespondenten Arthur Ransome); „Die konterrevolutionäre Bewegung in Russland“. In: Grenzboten, 76 (1917) 35, S. 257–268, hier 258 (Quelle: russische Zeitungen). – Die deutsch-schweizerische Presse vermied den Neologismus offenbar noch konsequenter. Artikel der „Neuen Zürcher Zeitung“ über die Ereignisse in Russland bezogen sich häufig auf die Berichte der Mailänder Presse und übersetzten das Wort „estremisti“ konstant mit „Extreme“. Vgl. z. B. „Die Lage in Russland“. In: NZZ, 1. Abendblatt vom 13. April 1917, S. 1; „Die Lage in Russland“. In: NZZ, 2. Morgenblatt vom 19. April 1917, S. 1.
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dessen Wühlarbeit zu profitieren.45 Nachdem das Ziel eines raschen Sieges verfehlt worden war, zielte die Politik des Auswärtigen Amtes darauf, die Mitgliedsstaaten der Entente zu spalten und mit einem der Verbündeten einen Separatfrieden zu erreichen. Ins Jahr 1915 gingen die Pläne zurück, um die revolutionären und „pazifistischen“ Strömungen in Russland zu stärken. Nachdem sich die Option einer Verständigung mit dem Zaren als unrealistisch erwiesen hatte und in Russland die Revolution ausgebrochen war, vollzog man eine strategische Kurskorrektur und zielte nun auf die Stimulierung der extremen Kräfte.46 Der Einfluss der „Friedensfreunde äußerster Linken“47 wurde als beträchtlich erachtet. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, wie diese so effektiv wie möglich zu fördern seien. Reichskanzler Theobald von BethmannHollweg (1856–1921) setzte sich so im April 1917 persönlich dafür ein, dass die Zimmerwaldianer mit Lenin an der Spitze die nötigen Visa für die berühmte Durchquerung Deutschlands im angeblich „plombierten Waggon“ erhielten.48 Die Hoffnung, der Extremismus Lenins werde eine grundlegende Veränderung der politischen Rahmenbedingungen bewirken und einen für Deutschland günstigen Friedensschluss ermöglichen, entflammte auch die Vorstellungswelt eines Teiles der Linken. In dieser Weise dachten die Kreise um den Sozialisten, Agenten, erfolgreichen Spekulanten und Geschäftsmann Alexander Helphand („Parvus“; 1867–1924), der die Revolutionierungspolitik des Auswärtigen Amtes angestoßen und organisiert hatte. Mit ministerieller Unterstützung hatte er 1915 die Zeitschrift „Die Glocke“ ins Leben gerufen, die sich ideologisch auf der Linie der regierungstreuen Gruppe der SPD-Reichstagsfraktion bewegte, einem stark national gefärbten Sozialismus huldigte und zu deren Autoren u. a. Heinrich Cunow, Eduard David, Kurt Haenisch, Paul Lensch und August Winnig zählten.49 Was der Schriftsteller Otto Flake (1880–1963), als Wehrpflichtiger zu dieser Zeit bei der politischen Abteilung in Brüssel tätig,50 dort einige Wochen nach der Oktoberrevolution vortrug, lief auf eine Apotheose des Extremismus hinaus. Zunächst wischte er den Gedanken an eine Krompromisslösung vom Tisch: „Ein Vermittler? Ach, aus diesem Stadium ist der Streit lange herausgewachsen; ein Vermittler appelliert an letzte Gefühle, die geblieben sind; ein Vermittler söhnt aus – da ist nichts auszusöhnen, da ist ein Halt zu sprechen durch einen, der die Wahrheit erkennt und sie in die Welt ruft: Ihr habt Euch so tief einge45 Vgl. Denkschrift des Grafen Brockdorff-Rantzau, S. 48. Siehe dazu auch: Scheidemann, Graf Brockdorff-Rantzau, S. 294–333. 46 Vgl. zur dieser deutschen politischen Linie das Resümee bei: Kielmansegg, Deutschland, S. 490–513. Siehe ferner: Zechlin, Friedensbestrebungen. 47 Vgl. Das Telegramm der deutschen Botschaft in Stockholm an das Berliner Ministerium vom 20. März 1917. 48 Vgl. Zeman (Hg.), Germany, S. VII–XI; Scharlau/Zeman, Freibeuter; Hahlweg (Hg.), Lenins Rückkehr. Siehe das Resümee zum Forschungsstand bei: Pipes, Russische Revolution, Band 2, S. 96–98. 49 Vgl. Sigel, Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe; Ribhegge, August Winnig, S. 85–114. 50 Vgl. Reinhardt, Art. „Flake, Otto“.
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lassen, dass Ihr die Ordnung, in der Ihr lebtet, zerstört habt“.51 Wo aber lag dann der Weg aus den Orgien der Gewalt? Flake sah ihn in einem positiv verstandenen „Fanatismus“: „Dieser Frieden wird nur aus dem reinen Willen, dem Fanatismus, dem Befehl und Gebot geboren werden, aus einem Zustand des Denkens, dem der Zusammenbruch der Gesellschaft gleichgültig ist; es sei denn etwa, dass er sie sogar beschleunigt und voll Unerbittlichkeit vollends herbeiführt.“ Das gelobte Land des Fanatismus war Russland, das „Land des Extremen, Radikalen und Äußersten“. In diesem Land wirkte einer, „der zwei Dinge zu Ende dachte, den Krieg und den urchristlichen Gedanken: er knüpft sie zusammen, indem er den einen durch den andern erzwingt.“ Gemeint war Lenin, und Flake wusste wohl, dass der russische Revolutionär kein Christ „im kirchlichen Sinne“52 war. Aber Lenin verstand sich als Sozialist und fungierte in der Sicht Flakes als Träger einer Heilsmission: „Die Phantasie der Völker wartet wie ein lebender Muttermund auf den Namen, der sie befruchten wird. [...] Nur ein Sozialist kann ähnliches versuchen, und es verschlägt wenig, dass die Sozialisten aller Länder versichern, dass sie seinen Extremismus nicht anerkennen oder nicht für anwendbar in ihren Völkern halten: Dieser Extremismus hätte seine Aufgabe erfüllt, wenn aus ihm, dem Zentrum des äußersten Drucks, der Friede käme. Auch Kerenski war Sozialist; er wollte bewahren und zusammenhalten, darum versagte er: Aeußerstes kommt nur aus Aeußerstem.“53 In der Hoffnung auf Frieden durch „Radikalisierung“ traf sich Flake mit dem strategischen Kalkül der Reichsregierung, die Hoffnung auf den Sozialismus trennte ihn von ihr. In den Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg blieben die Bolschewisten in Frankreich „die“ Verkörperung des Extremismus. Die große französische Enzyklopädie „Larousse du Xxème siècle“ behandelte noch 1930 „Extremismus“ und „Maximalismus“ als Synonyme.54 In den innersozialistischen Auseinandersetzungen hatte der Begriff bei der Abgrenzung von den Methoden und vom Politikverständnis der Bolschewiki eine gewisse Rolle gespielt. Eine Anzahl derer, die das Revolutionsprojekt anfänglich mit Enthusiasmus begrüßt und von ihm einen weltweiten Wandel in Richtung auf mehr soziale Gerechtigkeit erhofft hatten, war bald darauf auf Distanz zum moskowitischen Kommunismus gegangen. Bewirkt hatten den Gesinnungswandel die zunehmenden Versuche des selbsternannten „Zentrums der Weltrevolution“, die Arbeiterbewegungen der europäischen Länder den Direktiven der im Frühjahr 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale zu unterwerfen. 51 52 53 54
Flake, Lenin. In: Die Glocke, 3 (1917) 35 (1. Dez.), S. 358. Ebd., S. 359. Ebd., S. 360. Augé, Larousse, Band 3, S. 378. Der erste lexikographische Eintrag findet sich in: Augé, Larousse Mensuel Illustré, Band 4, S. 414: „extrêmisme n. m. Tendance à adopter les idées extrêmistes ou à prendre les décisions extrêmes: L’extrêmisme en politique, en sciences, en philosophie.“ – „extrêmiste adj. et n. Qui propose une doctrine en la poussant jusqu’à des limites extrêmes: Des pragmatistes Extrêmistes. Favorables aux idées ou aux opinions extrêmes: les tendances Extrêmistes en politique.“
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Zu den kritischen Stimmen zählte die des führenden Metallgewerkschafters Alphonse Merrheim (1871–1923). Im Gewerkschaftsblatt „L’information ouvrière et sociale“ wandte sich der ehemalige Zimmerwaldianer im Juni 1920 gegen den „demagogischen Strudel der extremen Rechten wie der extremen Linken“55 : „Wir protestieren gegen die Extremisten der Politik und der Gewerkschaftsbewegung, weil sie weder Prinzipien noch Programme haben, sondern nur Hass gegen die Aktivisten, gegen die sie nicht müde werden, ihr Gift und ihre Verratsvorwürfe zu richten.“56 Auf dem CGT-Kongress in Orléans nahm Merrheim eine klar antibolschewistische Position ein: Lenin wolle die Diktatur in die Welt tragen, um sein autokratisches Regime in Russland zu festigen. Er habe das intellektuelle Leben seines Landes erstickt und mit seinen 31 Bedingungen den Geist der Gewerkschaftsbewegung verraten, dem revolutionären Syndikalismus den Krieg erklärt.57 Im Vorwort zu dem Buch Max Hoschillers „Le mirage du soviétisme“ (Das Trugbild des Sowjetismus, 1921) prangerte er den von einem Teil der Arbeiterschaft um Lenin entwickelten Personenkult an und verglich dieses Verhalten mit dem Enthusiasmus, der einst dem rechtspopulistischen General Boulanger entgegengebracht worden war: „Im Mystizismus der Anbeter Lenins habe ich die gleichen Gefühle wiedergefunden, die vor rund zwanzig Jahren die französischen Arbeitermassen hinter dem Federbusch und dem Schwanz des schwarzen Rosses des Generals Boulanger herziehen ließen.“58 Merrheim unterlag im Konflikt um die Haltung gegenüber der bolschewistischen Revolution, wie er auf den CGT-Kongressen der Jahre 1920 und 1921 offen ausgetragen worden war.59 Gleichwohl blieb er bis zu seinem frühen Tod der Sprecher einer starken antibolschewistischen Minderheit innerhalb der Gewerkschaften. Ein exzellenter Kenner der Arbeiterbewegung und der Geschichte der sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, der Jurist und Ideenhistoriker Maxime Leroy (1873–1957), der mit Merrheim und Victor Griffulhes die CGT-Statuten ausgearbeitet, bei der Redaktion der Charte von Amiens (1906) mitgewirkt und die Regierung Clemenceau in Arbeitskämpfen juristisch beraten hatte, in seinen letzten Lebensjahren Mitglied der Académie des Sciences morales et politiques,60 machte die Parallelisierung Merrheims in seinem Buch Les techniques 55 Merrheim, Ce qui paralyse. In: L’information ouvrière et sociale, Nr. 224 vom 13. Juni 1920, S. 1. 56 Ebd., S. 2. 57 Vgl. die Polemiken zwischen Ludovic-Oscar Frossard und Merrheim: Confédération Générale du Travail. 21ème congrès national corporatif, S. 348–393. Siehe dazu Papayanis, Alphonse Merrheim, S. 136–140. 58 Merrheim, Préface, S 21. 59 Vgl. Merrheim, Ceux que l’on accuse. In: L’Atelier vom 11. September 1920, S. 3; ders., Outrager la vérité. In: L’Atelier vom 18. Sept. 1920, S. 3. Auch auf dem folgenden CGTKongress hielt Merrheim an seinen Positionen fest: Confédération Général du Travail, 22ème congrès national corporatif, S. 220–241. Dabei griff er indes nicht mehr auf die Extremismusformel zurück. 60 Vgl. Bonnefous, Maxime Leroy; In memoriam Maxime Leroy; Racine, Art. „Leroy, Maxime Auguste“; Schnur, Maxime Leroy.
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nouvelle du syndicalisme (1921) erstmals zum Gegenstand systematischer Erörterung. Eines der Kapitel mit dem Titel „L’extrémisme“ begann mit der Feststellung, der Extremismus sei seit der Russischen Revolution zu einem der geläufigsten Worte des politischen Vokabulars geworden.61 Der Bolschewismus war Hauptgegenstand der theoretischen Schlussfolgerungen des Autors. Leroy kennzeichnete Lenin und seine Parteigänger als „abstrakte Geister“, die grenzenlos an die generelle Gültigkeit und die Realisierbarkeit ihrer Ideen glaubten. Den „roten“ Extremismus der Bolschewiki verglich er mit dem „weißen“ der Ultramonarchisten. Wie diese übersähen die Anhänger Lenins, dass die sozialen Divergenzen die Folge einer „Vielfalt von Interessen, Milieus, Religionen und Regionen“ seien. „Tausenderlei Moral und Vernunftgründe“ gingen aus dieser Diversität hervor. Die „extremistische Ideologie“ wolle mit alledem „tabula rasa“62 machen, die natürliche Pluralität durch eine von der Logik diktierte Einheit ersetzen. Der Tod der Freiheit sei die Folge: „Die zu logischen Geister sind autoritär, und vom Autoritarismus zur Grausamkeit führt nur ein kurzer Weg, den alle von ihrem Glauben erfüllten Autoritären leichten Herzens beschreiten.“63 Nach Leroy mündete die reine Logik, angewandt auf das Feld der Politik, geradewegs in den Terror. Das extremistische „Credo“ sei religiöser Natur; die häufige Verwendung von Begriffen wie „Schisma“, „Verrat“ und „Dissidenz“64 zeige dies. Wenn Lenin in seinem Werk über den „linken Radikalismus“ die Notwendigkeit von Kompromissen hervorhebe, sei dies – entgegen den Beteuerungen seiner Apologeten – eine List, nicht aber das Plädoyer für die Annäherung an eine andere, gleichermaßen als legitim geltende Position. Bezeichnenderweise mache Lenin Zugeständnisse an seine unversöhnlichsten Gegner, während er die geringste Abweichung im sozialistischen Lager gnadenlos bekämpfe. Jedes zur Erreichung eines Zieles geeignet erscheinende Mittel gelte als gerechtfertigt. Das beweise die moralische Inferiorität Lenins.65 Lenin selbst verstand sich keineswegs als Extremist. Ohne sich des Wortes zu bedienen, prangerte er die „Kinderkrankheit“66 seiner Gegner in den kommunistischen Strömungen Westeuropas an. Leroy charakterisierte Lenin als einen „Talleyrand im Westentaschenformat“. Aus diesem Blickwinkel konnte er – im Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen – feststellen: „Keinerlei Extremismus: Lenin gibt den Extremismus der allgemeinen Verachtung preis“.67 Der Schriftsteller H. G. Wells (1866–1946), der während seines Aufenthalts in Moskau im September 1920 ein langes Interview mit Lenin geführt hatte, nahm dessen „Antidogmatismus“ für bare Münze. Dieser habe sich in der jüngsten Zeit wunderbar entwickelt und so subtile wie tiefdringende Analysen „gegen die 61 62 63 64 65 66 67
Vgl. Leroy, Les techniques nouvelles, S. 92. Ebd., S. 94. Ebd., S. 95. Ebd., S. 96. Ebd., S. 97. Lenin, Der „linke Radikalismus“. Leroy, Préface, S. XIX–XX.
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Extravaganzen seiner eigenen Extremisten“68 verfasst. Gleichwohl erkannte auch Wells die befremdliche Synthese zwischen einer unleugbaren strategischen Flexibilität und einem unbeweglichen marxistischen Dogmatismus: „Bis heute scheint die gesamte bolschewistische Regierung ihre Handlungen in Einklang zu bringen mit ihren Glaubensüberzeugungen, die ihre Anhänger mit einem absolut religiösen Fanatismus anerkennen.“69
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Jene politischen Strömungen und Gruppierungen, die während des 19. Jahrhunderts die „extreme Rechte“ verkörpert hatten, wurden in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg kaum als „Extremisten“ bezeichnet. Merrheim und Leroy hatten diese Parallele gezogen, aber die als Gegenstand punktueller Vergleiche dienenden Ultramonarchisten standen nicht im Mittelpunkt. Die Hauptgefahr für die Freiheit war der Bolschewismus. Dieses Bild begann sich zu wandeln, nachdem der ehemalige Sozialist Benito Mussolini (1883–1945) mit seinem spektakulären „Marsch auf Rom“ im Herbst 1922 an die Schaltstellen der Macht gelangt war. Der bis dahin als politisches Phänomen noch wenig wahrgenommene Faschismus rückte nun mehr und mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Trotz der offenkundigen ideologischen Anleihen beim revolutionären Syndikalismus und Sozialismus wurde er bald zur Inkarnation der neuen extremen Rechten. In diesem Sinne griff die antifaschistische italienische Opposition auf die Extremismusformel zurück. Wie in Deutschland waren in Italien die Neologismen „estremismo“ und „estremisti“ unter dem Einfluss französischer und englischer Nachrichtenagenturen und Journale in die politische Sprache gelangt. In der großen konservativen Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera“ beispielsweise tauchten die „estremisti“ (in Anführungszeichen) erstmals in einem Artikel vom 1. April 1917 auf, der Informationen des „Daily Telegraph“-Korrespondenten in Sankt Petersburg verarbeitete.70 Später wurden die Lenin-Leute regelmäßig als Verkörperung eines Extremismus erwähnt, der einen Separatfrieden und damit den autokratischen preußischen Militarismus begünstige.71 Der Berichterstatter der sozialistischen Tageszeitung „Avanti“, der vom März 1917 an mit großem Wohlwollen über die „pazifistischen“ Kräfte in Russland berichtet hatte, beklagte den 68 69 70 71
Ebd., S. 106. Ebd., S. 163. „Il programma degli ‚estremisti‘“. In: Corriere della Sera vom 1. April 1917, S. 1. Siehe z. B.: „Il movimento dei partiti in Russia e le tendenze per il futuro regime. La mossa dei socialisti tedeschi. Ammonimenti agli estremisti“. In: Corriere della Sera vom 10. April 1917, S. 2; „Un grande convegno di soldati. Reazione contro gli estremisti“. In: Corriere della Sera vom 15. April 1917, S. 1; „Monito di Brussilow agli estremisti“. In: Corriere della Sera vom 18. April 1917, S. 2; „Dov’è Lenin?“. In: Corriere della Sera vom 22. Juli 1917, S. 1 (Lenin als „capo estremista“).
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„rabiaten Tonfall“ von Journalen wie „Le Temps“ (damals die angesehenste französische Tageszeitung), „Times“ und „Corriere della Sera“, die auf impertinente Weise das Werk der von ihnen so genannten „Extremisten“, „Demagogen“ oder „Anarchisten“ anschwärzten. Beim Lesen der diversen Depeschen in italienischen, französischen und englischen Zeitungen begreife man, dass die Regierung und die führenden Kreise der Liberalen und Konservativen alles Menschenmögliche unternähmen, um in den anderen sozialen Klassen und beim Heer Unterstützung gegen die als „extremistisch“72 bezeichneten Tendenzen im Arbeiterrat von Sankt Petersburg zu finden. Während es die sozialistische Parteizeitung in den folgenden Monaten sichtlich mied, die Bezeichnung „estremisti“ für Lenin und seine Anhänger, denen man Sympathie entgegenbrachte, zu benutzen, prangerte „Il Popolo d’Italia“, das interventionistische Organ Mussolinis, die „estremisti russi“ als „agenti della Germania“ an.73 Später interpretierte der künftige „Duce“ die von den Leninisten unterstützten Juli-Unruhen als das „infame Verratsmanöver der Extremisten im Dienste Deutschlands“.74 Als im August 1917 eine Delegation des allrussischen Sowjet Italien besuchte, wurde sie in einer Provinzstadt von LeninAnhängern mit „Viva Lénine!“-Rufen begeistert begrüßt. Mussolini kommentierte diese angesichts der Situation in Russland naive Reaktion mit der Bemerkung, der „Extremismus“ sei dort „der vorherrschende Seelenzustand bei den sozialistischen Parteigängern“.75 Wenige Monate später, nach dem Staatsstreich Lenins und Trotzkis, sprach er von der Bildung „di uno stabile regime estremista“.76 Die deutsch-österreichische Offensive gegen Italien (gipfelnd im italienischen Debakel von Caporetto) sei von der „russischen militärischen Untätig72 Junior, I partiti politici in Russia mentre si sviluppa la rivoluzione. In: Avanti vom 12. April 1917, S. 1: „rabbioso tono dei vari ‚Temps‘, ‚Times‘ e ‚Corriere della Sera‘, dalla loro ostinazione nel denigrare l’opera degli ‚estremisti‘, ‚demagoghi‘ o ‚anarchici‘. [...] Attraverso i vari dispacci dei giornali italiani, francesi ed inglesi si poteva capire che il Governo ed i circoli dirigenti dei liberali e conservatori facevano tutto il possibile per trovare nelle altre classi sociali e nell’esercito un appoggio contro le tendenze ‚estremiste‘ del Consiglio operaio“. Siehe auch F. Ciccotti, Le ‚alcune difficoltà‘ russe. In: Avanti vom 17. April 1917, S. 1. 73 „Nella Russia“. In: Il Popolo d’Italia vom 13. April 1917, S. 1. Siehe auch „I graduatori del progresso“. In: Il Popolo d’Italia vom 15. April 1917, S. 1; „Il germanofilo Lenin“. In: Il Popolo d’Italia vom 1. Mai 1917, S. 1; „L’Internazionale di Lenine“. In: Il Popolo d’Italia vom 22. Juli 1917, S. 1. 74 Mussolini, Da Stürmer a Lenine. In: Il Popolo d’Italia vom 25. Juli 1917, S. 4. Abdruck in: ders., Opera Omnia, S. 74: „infame opera di tradimento compiuta dagli estremisti ai servizi della Germania“. Siehe auch: ders., Duplice colpo! Il Tramonto di Zimmerwald. In: Il Popolo d’Italia vom 9. Juli 1917, S. 4 (Opera Omnia, Band IX, S. 29–35, hier 29); ders., Viva Kerensky! In: Il Popolo d’Italia vom 26. Juli 1917, S. 4 (Opera Omnia, Band IX, S. 77 f., hier 78). 75 Ders., Impudenza e mistificazione. In: Il Popolo d’Italia vom 13. Aug. 1917, S. 4 (Opera Omnia, Band IX, S. 109–112, hier 109): „lo stato d’animo predominante fra i tesserati“. 76 Ders., Avanti, il Mikado! In: Il Popolo d’Italia vom 11. November 1917, S. 4 (Opera Omnia, Band X, S. 41–43, hier 41).
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keit“ begünstigt worden: „die Machtübernahme der russischen Extremisten kann den Separatfrieden bedeuten“.77 Die Formel „estremismo“ wurde nicht zu einem Schlüsselwort der am 23. März 1919 in einem Saal an der Mailänder Piazza San Sepolcro gegründeten „fasci italiani di combattimento“. Allerdings benutzten sie die Faschisten der ersten Stunde gelegentlich als Kampfbegriff gegen die extreme Linke. In einer Proklamation des Zentralkomitees der „fasci di combattimento“ an die Adresse des „proletariato italiano“ (27. April 1920) hieß es: „Arbeiter! [...] Der Generalstreik von Turin, gewollt von den Betrügern des sozialistischen Extremismus und endend nach zwanzig Tagen mit der größten Niederlage des Proletariats, muss Euch eine Mahnung sein.“78 Die Worte „extrémisme“/„estremismo“ und „extrémiste“/„estremista“ blieben in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg in Italien – wie in Frankreich – eng mit dem äußersten linken Flügel des politischen Spektrums verknüpft. In Vergleichen zwischen Kommunismus und Faschismus firmierten die ersten zuweilen als „extrémistes de gauche“, die letzten hingegen als „forcenés de droite“79 (Rasende von rechts), ohne dass ein einheitlicher begrifflicher Nenner existierte. Auf der Pariser Friedenskonferenz hatte der englische Premierminister David Lloyd-George (1863–1945) Anfang 1920 davor gewarnt, die Volksmassen in die „Arme der Extremisten“80 zu treiben. Gemeint waren die Bolschewiki, die mit Gründung der Komintern im März 1919 begonnen hatten, die Weltrevolution gezielt voranzutreiben. Besonders besorgt äußerte sich Lloyd George über die Situation in Deutschland, wo die extreme Linke den Aufstand geprobt, Räteregierungen in München und Bremen zeitweilig die Macht übernommen hatten. Ein Übergang Deutschlands zum „Spartakismus“ konnte eine Bedrohung für die westlichen Demokratien hervorrufen. Auch in Italien, wo große Teile der sozialistischen Arbeiterbewegung mit dem bolschewistischen Revolutionsprojekt sympathisierten, waren die Risiken unübersehbar. Dem Parteitag der Sozialisten vom Oktober 1919 hatten die mit der Russischen Revolution sympathisierenden „massimalisti“ (Maximalisten) ihren Stempel aufgedrückt. Die Sozialistische Partei Italiens erklärte als einzige in Europa den Anschluss an die III. Internationale und verabschiedete ein neues Parteistatut mit der Forderung nach der gewaltsamen Eroberung der Macht und der Errichtung einer „Dikta-
77 Ebd. (Opera Omnia, Band X, S. 42); „l’avvento al potere degli estremisti russi può significare la pace separata“. 78 Il Comitato Centrale dei Fasci di Combattimento, I Fasci Italiani di Combattimento al Proletariato Italiano. In: Il Popolo d’Italia vom 27. April 1920, S. 6 (Mussolini, Opera Omnia, Band XIV, S. 426) „Lavoratori! [...] Lo sciopero generale di Torino, voluto dai mistificatori dell’estremismo socialista e finito dopo ventotto giorni nella più grande disfatta del proletariato, dev’essere un monito per voi.“ Siehe auch Il Popolo d’Italia vom 14. August 1921, S. 8 (Opera Omnia, Band XVII, S. 98 f. 79 So Bourdeau, Préface, S. 11. 80 Die Rede Lloyd-Georges ist abgedruckt bei: Francesco Nitti, L’Europa senza pace, Florenz 1921, S. 93–97, Zitat hier 96 f.
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tur des gesamten Proletariats“.81 Die revolutionär-sozialistische Gewerkschaft Confederazione Generale del Lavoro (CGL) erhielt in den Jahren 1919/1920 enormen Mitgliederzulauf. 1919 wurden 1663, 1920 1881 Streiks in der Industrie, 1919 208, 1920 189 Streiks der gewerkschaftlich organisierten Landarbeiter gezählt. In den Monaten September bis November 1919 kam es in Mittelund Süditalien zu einer Welle von Landbesetzungen. Im Jahr darauf folgten zahlreiche Fabrikbesetzungen. Bei den Sozialisten war die Überzeugung verbreitet, es sei nur eine Frage der Zeit, bis in Italien eine Revolution ähnlich wie in Russland ausbrechen werde.82 Angesichts dieser Situation waren weite Teile des konservativen und liberalen Bürgertums auf die Gefahr von links fixiert, neigten dazu, sie bei weitem zu überschätzen. Die Extremismusformel blieb über mehrere Jahre hinweg für den Bolschewismus reserviert. Noch 1923 definierte ein italienisches Wörterbuch die „franko-italienischen Neologismen“ „estremismo“ und „estremisti“ als Synonyme für „i socialisti dogmatici, intransigenti, contrari alla Guerra in modo assoluto“.83 Doch schon vor Erscheinen des Lexikons hatten viele um Freiheit und Eigentum bangende Beobachter ihre Besorgnis auf die neue, durch die kommunistische Bedrohung mit ausgelöste Gefahr des italienischen Faschismus ausgedehnt. In den Anfängen der von Mussolini gegründeten „fasci“ war in den liberalen Kreisen Italiens noch die Neigung verbreitet, den Faschismus mit seiner nebulösen Ideologie und dem sich chamäleonhaft verändernden Erscheinungsbild als ein durch den Philobolschewismus ausgelöstes Übergangsphänomen zu betrachten. Man war geneigt, ihm als Gegengewicht positive Wirkungen nicht ganz abzusprechen, und trug mit dieser Haltung dazu bei, dem Faschismus eine gewisse Respektabilität zu verschaffen. Die sich in den Jahren 1920 bis 1922 rasch an Zahl und Intensität steigernden Überfälle und Bluttaten der paramilitärischen „squadre d’azione“ beurteilten viele Beobachter allzu milde, während sie gleichzeitig dazu tendierten, die Gewalt der extremen Linken zu dramatisieren. Als die Faschisten nach dem schlecht organisierten Generalstreik im August 1922, der die Linke viele Sympathien gekostet hatte, die Hauptquartiere der Sozialisten und Gewerkschaften in Livorno, Genua und anderen großen Städten verwüsteten, Druckereien zerstörten, das Gebäude der Zeitung „Avanti“ in Mailand in Brand setzten und die dortige sozialistische Regierung vertrieben, reagierte die konservative und liberale Presse zurückhaltend, teilweise sogar lobend.84 Die Abwehrhaltung gegen die Faschisten nahm erst zu, als diese in vielen Kommunen systematisch Druck auszuüben begannen, gewählte Vertretungen absetzten und selbst die Stadträte übernahmen. Nach dem geschickt inszenierten Propagandacoup des „Marsches auf Rom“ wurde vielen anfänglichen Duldern und Verteidigern auf liberaler Seite der unumschränkte Machtanspruch der Bewegung deutlich. 81 82 83 84
Vgl. Gentile, Storia, S. 63; Petracchi, La Russia. Vgl. Payne, History of Fascism, S. 89. Siehe die Definition von „Estremista“ in: Panzini, Dizionario Moderno, S. 217. Vgl. Craig, Geschichte, S. 435.
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Politische Gegner des Faschismus griffen – neben den Neologismen „totalitario“ und „totalitarismo“85 – auf die Extremismusformel zurück, um diesen als antikonstitutionelle Bewegung zu stigmatisieren und mit dem Bolschewismus auf eine Stufe zu stellen.86 Einer der Pioniere der Totalitarismuskonzeption87 leistete in seiner Auseinandersetzung mit dem Faschismus einen wichtigen Beitrag zur Entfaltung des Extremismusbegriffs. Gemeint ist der 1871 im sizilianischen Caltagirone geborene katholische Priester Luigi Sturzo. Er war viele Jahre Bürgermeister seiner Heimatstadt gewesen, als er an der Jahreswende 1918/19 nach dem Vorbild der deutschen Zentrumspartei die Volkspartei („Partito Popolare“) ins Leben gerufen hatte. Die Gründung war möglich geworden, nachdem das von Papst Pius IX. angesichts des Triumphes der italienischen Nationalbewegung mit ihrer strikt laizistischen Haltung formulierte „Non expedit“, also das parteipolitische Betätigungsverbot für Katholiken, insbesondere Kleriker, faktisch außer Kraft getreten war. Schon bei den Parlamentswahlen vom 16. November 1919 zog die Volkspartei mit 20,6 Prozent der Stimmen und 100 Sitzen in die Abgeordnetenkammer ein, und so wurde Sturzo für einige Jahre eine der führenden politischen Gestalten Italiens.88 Nach dem „Marsch auf Rom“ fiel ihm für kurze Zeit die Rolle des bedeutendsten Gegenspielers Mussolinis zu. Sturzo hatte die Faschisten von Anfang an illusionslos beurteilt und die Naivität der sogenannten „clericofascisti“ kritisiert. Zugleich warnte er vor egalitärutopischen Sozialexperimenten, die am linken Flügel seiner ungewöhnlich weitgefächerten Partei ebenfalls Anhänger hatten. Wenn Sturzo in der Parteizeitung „Il Popolo Nuovo“ am 26. August 1923 die Prinzipien seines „centrismo“, seines zentristischen Kurses, erläuterte, war das eine Richtungsbestimmung nach außen wie nach innen. Der Text ist für Sturzos antiextremistisches /antitotalitäres Freiheitsverständnis aufschlussreich. Das politische Programm des „centrismo“ sei „temperato e non estremo“,89 weil es sich auf eine christliche Ethik gründe und die Möglichkeit eines Zustandes der Vollendung und eines absoluten Guten auf Erden grundsätzlich bestreite. Weder Sozialisten noch Faschisten teilten diese Weltsicht: „Die Sozialisten sagen: das Übel rührt von der bürgerlichen Verfasstheit der Gesellschaft; man muss sie beseitigen, danach wird die neue Ordnung kommen: Sie sind Extremisten, weil sie zu einer absoluten Auffassung gelangen. Die Faschisten sagen: die Nation wird nur gedeihen, wenn sie in ihren Grundlagen, ihrem Denken, ihrem sozia85 Vgl. Petersen, La nascita; ders., Entstehung; Goetz, Ursprung; ders., Totalitarismus; Brudny, Le totalitarisme. Siehe zur Konzeptgeschichte vor allem: Bruneteau, Les totalitarismes; Gleason, Totalitarianism; Huttner, Totalitarismus; Möll, Gesellschaft; Traverso (Hg.), Le totalitarisme. 86 Vgl. Amendola, Il governo di domani (22. Juli 1922), S. 4. Siehe auch ders., Il Mezzogiorno e la crisi politica italiana (1. Okt. 1922), S. 177, wo er von der Notwendigkeit spricht, „sfuggire ai pericolosi estremi“. 87 Siehe dazu: Schäfer, Luigi Sturzo. 88 Vgl. Durand, Italien, S. 474–483. 89 Sturzo, Il nostro „centrismo“, S. 243.
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Extremismus im beginnenden „Zeitalter der Extreme“
len Leben ‚faschisiert‘ ist: Sie neigen zu einem Absolutum und sind also wie jene ‚Extremisten‘. Mögen wir die einen aus purer Bequemlichkeit auch Extremisten der Linken, die anderen Extremisten der Rechten nennen, und zwar in Bezug zur bürgerlichen Gesellschaft, so entspricht die ‚monopolistische‘, ‚absolutistische‘, ‚extremistische‘ Tendenz doch der Natur ihrer Bewegung.“90
Sturzo war weit davon entfernt, die ideologischen Unterschiede der Extrembewegungen zu ignorieren. Aber die „Gewohnheit“, sie ihren vorwiegenden sozialen Trägergruppen gemäß an den beiden einander entgegengesetzten Flügeln des politischen Spektrums zu verorten, täuschte nach seiner Auffassung doch über die wesentliche Gemeinsamkeit hinweg. Sie lag darin, dass beide inhaltlich so unterschiedlichen Strömungen die eigene Weltsicht verabsolutierten und die Legitimität jeder anderen bestritten. Sie dehnten die Sphäre des Politischen auf alle Lebensbereiche aus, ließen nichts Privates mehr zu und wollten das ganze Leben der Menschen nach den Maximen ihrer Doktrin bestimmen. Mit dem historisch Gewachsenen und den verschiedenen sozialen Kräften konnte es daher keinen substantiellen Kompromiss geben. Die ganze Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen erschien als zu beseitigender Wildwuchs; ein Daseinsrecht hatte nur, was den unverrückbaren Prinzipien einer allumfassenden Weltanschauung entsprach. Das Streben nach dem großen, in sich schlüssigen, alle Lebensbereiche durchdringenden und nach einem Ideal formenden politischen Zustand, einer Art Idealstaat, lehnte Sturzo aus zwei Gründen ab. Erstens widerspreche es dem christlichen Glauben, Perfektion im Diesseits zu suchen. Zweitens zeige die Geschichte, dass ein solches Unterfangen zum Scheitern verdammt sei. Sturzo führte dann eine wichtige Unterscheidung ein. Das Streben nach dem Absoluten im Diesseits nannte er einen „estremismo programmatico e finalistico“. Der Extremismus war also bereits in seiner programmatischen Zielsetzung begründet. Davon zu unterscheiden sei der aus diesem Ziel entspringende „estremismo di metodo“.91 Gemeint war der instrumentelle Aufwand, der getrieben werden muss, um ein so hohes Ziel zu erreichen. Das Streben nach idealen Verhältnissen erschien ihm als Ausdruck von Hybris, die daraus abzuleitende Autorisation zu opferreichem Handeln als lodernde politische Gefahr. Sturzo plädierte daher für einen grundsätzlichen Revolutionsverzicht und für die Ächtung der Gewalt als legitimes Mittel der Politik.92 90 Ebd., S. 244 (Hervorhebungen im Original): „I socialisti dicono: il male viene dall’ordinamento borghese della società; bisogna abbatterlo, dopo verrà il novus ordo: essi sono estremisti, perché arrivano ad una concezione assoluta. I fascisti dicono: la nazione potrà prosperare solo quando sarà ‚fascistizzata‘ negli ordinamenti, nel pensiero, nella vita sociale; essi tendono ad un assoluto e quindi sono anch’essi ‚estremisti‘. Chiamiamoli per pura comodità gli uni estremisti di sinistra, gli altri estremisti di destra, e ciò in riferimento alla società borghese; ma la tendenza ‚monopolista‘, ‚assolutista‘, ‚estremista‘ è nella natura del loro movimento.“ 91 Ebd. 92 In seinen späteren Schriften hat Sturzo den Begriff „estremismo“ oft auf Faschismus wie Bolschewismus angewendet. Vgl. z. B. Sturzo, Pensiero antifascista, S. 90. In der Verwendung war er nicht konsequent. Mitunter reservierte er den Terminus für den gewaltsamen Flügel des Faschismus. Vgl. ders., L’Italie et le fascisme, S. 90, 121, 186, 218.
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Der Antiextremist Sturzo musste noch im gleichen Jahr auf Weisung des Vatikans sein leitendes Parteiamt niederlegen. Pius XI. stand dem politischen Engagement des Priesters ablehnend gegenüber, das Verhältnis des Vatikans zur Volkspartei hatte sich nach der Machtübernahme Mussolinis auch aus strategischen Gründen abgekühlt.93 Im Oktober 1924 verließ Sturzo Italien. Erst 1946 sollte er – nach vielen Jahren im Exil in London und New York –in seine Heimat zurückkehren, nun als großer alter Mann des katholischen italienischen Antifaschismus. Im Exil hatte er zu den führenden Verfechtern der Totalitarismuskonzeption gehört, mit der Faschismus und Bolschewismus auf eine Vergleichsebene gestellt wurden. Mehrere Monographien waren aus der Reflexion über die Grundlagen von Kirche und Staat hervorgegangen. Sturzo gilt heute neben Jacques Maritain als einer der bedeutendsten Vertreter des christlichen Personalismus.94 Seine Leistungen auf dem Gebiet der politischen und soziologischen Theorie sind eingehend gewürdigt worden,95 doch scheint sein Beitrag zur Entfaltung des Extremismusbegriffs unbeachtet geblieben zu sein. Dies ist so erstaunlich nicht, da die Überlegungen von 1923 in den späteren systematischen Werken nicht mehr aufgegriffen wurden. Stattdessen fungierte „Totalitarismus“ als Schlüsselwort in der Auseinandersetzung mit den ideologischen Extrembewegungen.96
3.
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Zur Zeit der Weimarer Republik erreichte die Extremismusformel in Deutschland keine so weite Verbreitung wie in Frankreich, Italien oder den angelsächsischen Ländern. In den Presseberichten deutscher Tageszeitungen über die russische Revolution tauchte sie bezeichnenderweise vor allem dann auf, wenn Informationen ausländischer Korrespondenten verwertet wurden.97 Auch be93 Vgl. Molony, Emergence. 94 Vgl. Belardinelli, Philosophie. Die maßgebliche Biographie stammt von: Gabriele De Rosa, Luigi Sturzo, Turin 1977. Siehe auch: Moos, Luigi Sturzo; Caponigri, Luigi Sturzo; Luigi Sturzo nella storia d’Italia. 95 Vgl. Timasheff, Sociology of Luigi Sturzo; Campanini, Luigi Sturzo. 96 So schrieb Sturzo das erste Buch dieses Titels über den „totalitären Staat“: Sturzo, El estado totalitario. Siehe zu Sturzos Rolle bei der Verbreitung dieses Begriffs u. a. Huttner, Totalitarismus, S. 36–39. 97 Vgl. zum Beispiel „Georg Plechanow“ (russische Quelle). In: Frankfurter Zeitung, zweites Morgenblatt vom 17. April 1917, S. 3; „Die Kundgebung der Maximalisten“ (niederländische Quelle). In: Frankfurter Zeitung, zweites Morgenblatt vom 7. Juli 1917, S. 2; „Die Schlacht in Petersburg gegen Lenin“ (italienische Quellen). In: Germania, Beilage vom 29. Juli 1917; „Die Unsicherheit in Petersburg“ (französische Quelle). In: Germania vom 11. September 1917, S. 1; „Wie steht es um Kornilow?“ (niederländische Quelle). In: Vorwärts vom 18. September 1917; „Ein englisches Urteil über die neue Regierung“ (englische Quelle). In: Frankfurter Zeitung, erstes Morgenblatt vom 11. Oktober 1917, S. 2; „Die Extremisten in der Mehrheit“ (englische Quelle). In: Germania vom 11. November 1917, S. 2.
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gegnet man dem Ausdruck in Übersetzungen französischer Bücher von Deutschlandexperten wie Henri Lichtenberger98 oder von in Paris lebenden russischen Emigranten.99 Berichteten Frankreichkenner über die Politik des Nachbarlandes, übernahmen sie gelegentlich den dortigen Sprachgebrauch, transformierten ihn ins Deutsche. So unterschied Eugen Quendt in einem Bericht über den Sozialistenkongress von Tours (Dezember 1920) zwischen der „gemäßigten“ und der „extremistischen“, an Moskau orientierten Richtung.100 Auch in der frühen Presseberichterstattung zum italienischen Faschismus wurde die in Italien verbreitete Bezeichnung „estremisti“ zuweilen ins Deutsche übertragen. Das Ergebnis der italienischen Parlamentswahlen vom Mai 1921 fasste die „Frankfurter Zeitung“ mit folgenden Worten zusammen: „Die Extremisten der Rechten wie der Linken, Fascisten wie Kommunisten, haben eine entscheidende Niederlage erlitten“.101 Die von dem Russlandkorrespondenten der „Frankfurter Zeitung“, Alfons Paquet, geprägte Wendung vom „revolutionären Totalismus“102 Lenins fand kein Echo. Paquet bezeichnete damit den Versuch der Bolschewiki, ein neues Imperium „demokratischer Republiken“ in Europa und Asien zu gründen. Der Neologismus hatte Ähnlichkeit mit dem fünf Jahre später in Italien geprägten Terminus „Totalitarismus“, der dazu diente, einen neuen, mit den altgriechischen Staatsformbezeichnungen „Tyrannis“ und „Despotie“ nicht angemessen zu erfassenden Regimetyp zu benennen. Die Mehrzahl der deutschen Autoren sprach von den „Extremen“ oder verwandte den Begriff „Radikalismus“ für die Bezeichnung des rechten wie des linken Flügels des politischen Spektrums.103 Diese Terminologie war in Frankreich und den anderen romanischen Ländern unüblich, hatte sich dort doch der mit
98 Vgl. Lichtenberger, Deutschland und Frankreich, z. B. S. 36, 39, 42, 51, 71 f. Das französische Original: Lichtenberger, L’Allemagne d’aujourd’hui. 99 Vgl. z. B. Landau-Aldanow, Lenin und der Bolschewismus, S. 17 (Vorwort der ersten französischen Ausgabe von 1919). 100 Vgl. Quendt, Sozialisten und Kommunisten. Siehe für eine (spätere) englische Quelle: Churchill, Nach dem Kriege, S. 69, 73. 101 „Die Wahlen in Italien“. In: Frankfurter Zeitung vom 18. Mai 1921 (Abendblatt), S. 1. Siehe dazu auch: Funk, Italien, S. 263. 102 „Aber der revolutionäre Totalismus Lenins sucht bereits zwischen diesen Republiken und jenen anderen ‚Volksstaaten‘, die die Petersburger Regierung in ganz Europa und Asien entstehen sehen möchte, den spezifisch ideologischen Kitt zu bilden.“ Paquet, Die Wendung des imperialistischen Russland, S. 861. Siehe auch ders., Im kommunistischen Russland, S. 111. 103 Siehe z. B.: Bernstein, Wesen und Aussichten; Rohrbach, Revolution in Russland; „Die Revolution in Russland“. In: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, 159 (1917), 81, S. 575–598; Nieder, Radikalismus; Meusel, Radikalismus; Plessner, Grenzen der Gemeinschaft. Siehe auch die Sammlung von Wahlplakaten bei: Buchstab/Kaff/Kleinmann (Hg.), Keine Stimme dem Radikalismus. Der Titel der LeninSchrift „Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ (deutsche Ausgabe Berlin/Hamburg 1920) lautet in der italienischen Version: L’estremismo, malattia infantile del comunismo, Mailand 1920. Dies zeigt sehr klar den Unterschied im Sprachgebrauch.
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der Radikalismusformel verbundene, auf den Liberalismus des 19. Jahrhunderts verweisende ältere Sinngehalt behauptet.104 „Extremismus“ wurde im akademischen Sprachgebrauch gelegentlich als analytische Kategorie neben „Radikalismus“ verwendet. Davon zeugt ein Beitrag des katholischen Theologen Franz Keller (1873–1944), Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Der Artikel im „Staatslexikon“ (1931) zog eine klare Trennungslinie zwischen Radikalismus und Extremismus. Radikalismus als eine bis zu den Wurzeln der Dinge vordringende „Geisteseinstellung“ sei sehr wohl mit dem Bestreben nach einer schrittweisen Veränderung des Bestehenden vereinbar. „Extremismus“ hingegen „gleicht nur darin dem R., dass er wie dieser radikale Änderungen bestehender Verhältnisse fordert, aber im Unterschied vom R. bleibt er bei diesen grundstürzenden Forderungen stehen. Er stellt bezüglich ihrer Verwirklichung die Alternative ‚Alles od. nichts‘ u. fühlt sich, da sofortige ganze Erreichung des Zieles unmöglich ist, von der schrittweisen mühsamen Veränderung der Verhältnisse entbunden. Der Extremismus ist die Flucht vor der lastenden Verantwortung schöpferischen Tuns, er ist eine weit verbreitete Krankheit auf allen praktischen Lebensgebieten. Extremismus ist daher überall, wo er sich zeigt, abzulehnen, da er zerstört ohne aufzubauen. Besonders schädlich wirkt er sich aus auf dem Gebiet der Politik, der Wirtschafts- u. Sozialethik, wo er sich paart mit dem Rigorismus.“105
Diese akademische Differenzierung war jedoch keineswegs aus dem vorherrschenden Sprachgebrauch der Zeit gewonnen. Die regimekritischen bis -feindlichen Flügel wurden meist mit dem Attribut „radikal“ versehen und zugleich an den Enden des politischen Spektrums verortet. Ein anschauliches Beispiel bietet eine Parlamentsrede Reichskanzler Gustav Stresemanns (1878–1929) vom 22. November 1923 über die französische Deutschlandpolitik und deren Wirkung auf die deutsche Politik: „Der französische Ministerpräsident hat kürzlich die Aufmerksamkeit der deutschen Reichsregierung auf die Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland gelenkt und seiner Besorgnis über radikale Tendenzen, die sich in Deutschland ausbreiten, Ausdruck gegeben, und zwar, wie es wohl genannt war, über radikale Tendenzen nationalistischer Art. Es wäre töricht, leugnen zu wollen, dass die Entwicklung in Deutschland dem Extrem zutreibt. Das zeigen neben den Erscheinungen des öffentlichen Lebens auch die Wahlen, die stattgefunden haben, die überall ein Zuströmen des Volkes zu diesem Extrem erkennen lassen. Aber Art und Ursache dieser Entwicklung liegen auch vollkommen klar. Wenn der Herr französische Ministerpräsident und die französische Politik aufrichtig den Wunsch hätten, die Stabilität der deutschen Verhältnisse auf der Basis konstitutioneller Demokratie zu sichern, so läge es in ihrer Hand am ehesten, einer Entwicklung zum Extrem und zum Radikalismus in Deutschland den Boden zu entziehen. (Sehr richtig! In der Mitte.) Welches sind denn schließlich die Grundlagen dieser Erscheinungen? Das Elend der Verhältnisse treibt die Menschen zum Extrem. Der Kommunismus zieht seine stärksten Stützen aus dem sozialen Elend, und der Rechtsradikalismus 104 Vgl. Wende, Radikalismus; Backes, Liberalismus, S. 55–60. Siehe für Frankreich auch: Avril, Radicalisme; Kayser, Les grandes batailles. 105 Keller, Art. „Radikalismus“.
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zieht seine stärksten Stützen aus der Politik fortgesetzter nationaler Demütigungen, denen dieses Deutsche Reich und denen bisher jede deutsche Regierung, unbeschadet ihrer politischen Einstellung, ausgesetzt gewesen ist.“106
Radikalismus und Extreme gingen hier Hand in Hand. Die republikfeindliche Haltung der Kommunisten wurde zugleich mit jener der „Rechtsradikalen“ auf eine Stufe gestellt. Über die Wechselwirkung der Flügel hatte sich die linksliberale „Vossische Zeitung“ in einem frühen Beitrag zum Thema (17. Oktober 1922) unter der Überschrift „Fascisten und Kommunisten“ geäußert: „Die Kommunisten haben sich wieder einmal als die besten Helfer und Freunde der Rechtsradikalen erwiesen und bewährt.“107 Die Rede war von kommunistischen „Versammlungssprengern“, die systematisch in Parteilokale der politischen Gegner eindrangen. Zu den „Rechtsradikalen“, die von der „Empörung über die Brutalitäten“ profitierten, zählte der Autor zum einen die „Deutschnationalen“. Diese hätten einen Antrag auf Verschärfung des Versammlungsrechts in den Reichstag eingebracht und die Situation ausgenutzt, um mit der Reichsregierung abzurechnen. „Hinter dieser parlamentarischen Aktion“ sah der Autor jene Gruppen am Werk, „die in dem italienischen Fascismus ihren Lehrmeister erblicken. Sie fordern, dass die Deutschnationale Volkspartei die Parlamente, wenn sie die angekündigten Agitationsanträge ablehnen, verlasse und ‚im Land alle die Kräfte sammeln, die sich ihres Deutschtums bewusst sind, die bereit sind, für Volk und Vaterland alles zu opfern‘.“ Offenkundig solle „die Kommunistenangst dazu benutzt werden, zunächst die Stellung der Regierung zu untergraben und so den Boden für weitere faschistische Experimente vorzubereiten.“ Der Autor verwies auf die Vorgänge in Italien und hob die „Seelenverwandtschaft“ der deutschen und italienischen „Fascisten“ hervor: „Die deutschen Fascisten sind gegenüber ihren italienischen Meistern ebenso unterwürfig, wie die deutschen Kommunisten gegenüber ihren bolschewistischen Lehrern und Brotherren.“ Dass nicht nur Anhänger der NSDAP, sondern auch der „Deutschnationalen Volkspartei“ (DNVP) mit Mussolinis Kurs in Italien sympathisierten, zeigte die Reichstagsrede des deutschnationalen Abgeordneten Oskar Hergt (1869–1967) vom 20. November 1923. Hergt plädierte dafür, die Besorgnis des Auslandes um die Stabilität in Deutschland durch die Bildung einer autoritären Regierung zu zerstreuen: „Das deutsche Volk ist, wenn es überhaupt jemals eine parlamentarische Regierung ertragen könnte, heute noch längst nicht dazu reif.“108 Angesichts einer Regierung, wie sie der DNVP vorschwebe, werde die Furcht des Auslands vor einem „überextremen Radikalismus“ schwinden, da diese sich
106 Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, Band 361, 392. Sitzung vom 22. November 1923, S. 12180. 107 J. E., Fascisten und Kommunisten. In: Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) vom 17. Oktober 1922, S. 1 f. 108 Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode, Band 361, 391. Sitzung vom 20. November 1923, S. 12174.
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„von einem solchen extremsten Radikalismus“109 vollkommen freihielte. Trotz der unfreiwilligen Komik dürfte dieses Spiel mit den Begriffen „extrem“ und „radikal“ kaum dazu beigetragen haben, Beobachtern von außen ihre Besorgnis zu nehmen. Dem Krisenjahr 1923 mit Putsch- und Aufstandsversuchen von links und rechts folgte eine Periode relativer Stabilisierung, in der die republikfeindlichen Kräfte an Resonanz verloren. Dies änderte sich erneut mit der Weltwirtschaftskrise 1929/30. Wieder standen die „Radikalen“ und „Extremen“ im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die politische Sprache der republiktragenden Kräfte veränderte sich dabei jedoch gegenüber den krisenhaften Kinderjahren der Weimarer Republik kaum.110 Das Anwachsen der politischen Flügel steigerte die Heftigkeit öffentlicher Auseinandersetzungen. Radikalismus-Warner prallten auf Radikalismus-Werber. Aus unzweifelhaft republiktreuer Perspektive erläuterte der preußische Innenminister Karl Severing (1875–1952) den österreichischen Lesern die politische Lage in Deutschland. Die Folgen der Kriegsniederlage und der Weltwirtschaftskrise bildeten den „Nährboden des Radikalismus“. Kommunisten und Nationalsozialisten hatten ihren Zulauf „nicht ihren Programmen zu verdanken, denn die sind utopisch oder verwirrt, er ist vielmehr der Ausdruck einer Verzweiflungsstimmung, die auf etwas anderes drängt, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, ob dieses ‚Andere‘ auch zugleich etwas ‚Besseres‘ ist.“ Obwohl diese Stimmung die „seelische Verfassung weiter Kreise des deutschen Volkes“ präge und die Krisengeschädigten „fast restlos den radikalen Parteien anheimgefallen“ waren, suchte der preußische Politiker die Sorge des Auslandes vor einem Abgleiten seines Landes ins Chaos zu zerstreuen. Zwar habe die „Agitation der radikalen Parteien [...] nicht unerhebliche Spannung herbeigeführt.“ Doch sei die „rohe Propaganda von Kommunisten und Nationalsozialisten [...] mit ihren Formen der Bedrohung und der Nötigung darauf angelegt, den Gegner und die indifferenten Massen einzuschüchtern und eine Kraft vorzutäuschen, die der Stärke des Parteiapparats und dem Anhang in den Wählermassen nicht entspricht.“ Die zuständigen Regierungen seien fest entschlossen, der „Verwilderung der politischen Sitten“ Einhalt zu gebieten. Einen Bürgerkrieg müsse man keinesfalls befürchten. Die große Mehrheit wolle „keine Katastrophen, sondern friedliche Aufbauarbeit“. Deutschlands Lage werde noch auf absehbare Zeit schwierig bleiben, doch habe das deutsche Volk „sein Selbstvertrauen, seine Schaffenskraft und den Glauben an eine bessere Zukunft nicht verloren.“111
109 Ebd., S. 12173. 110 Einen guten Eindruck von der Sprache der parlamentarischen Auseinandersetzung mit Kommunismus und Nationalsozialismus vermitteln die in folgendem Band dokumentierten Reichstags- und Landtagsreden: Schönhoven/Vogel (Hg.), Frühe Warnungen. 111 Severing, Kampf gegen den Radikalismus. Siehe zum historischen Hintergrund wie zur Terminologie auch: ders., Lebensweg, Band II.
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In anderer Weise verteidigte Thomas Mann (1875–1955) den Staat von Weimar gegen das politische „Obskurantentum“ des „Radikalismus“. Zwar war den Kommunisten immerhin zuzubilligen, dass sie die Funktion eines sozialen „Gewissens-Korrektivs“ erfüllten, während das „Hakenkreuzlertum“ lediglich als „Aufruhr des Ressentiments“ gelten könne. Beide Bewegungen stimmten jedoch darin überein, dass sie bloße „Surrogate einer wahrhaft gläubigen religiösen Weltsicht“ seien. Wie auch immer man zu ihnen stehe: „sie schöpfen den Sinn des Lebens nicht aus. Ihn zu finden, ihn in neuer Formulierung als Ziel zu setzen, ist die Arbeitsaufgabe des geistigen Europas.“112 Dieser Arbeitsaufgabe hatten sich romantisch-restaurative Konservative in eier Weise angenommen, die den politischen Intentionen Manns und Severings kaum entsprach. Aus dieser Perspektive konnte man die Parallelen zwischen Bolschewismus und Faschismus herausarbeiten und in ihnen den „gleichen Willen der Weltentwicklung und des tatsächlichen Fortschritts“ am Werk sehen. Wilhelm Schramm (1898–1984) plädierte dafür, den gegen den Individualismus der „liberalistisch-parlamentarischen Entwicklung“113 gerichteten Willen aufzunehmen. Doch konnte das „in ein faschistisches und in ein kommunistisches Bekenntnis“ gespaltene Deutschland „weder unter dem einen noch unter dem anderen Extrem seine Einheit finden“,114 sondern nur durch eine neuartige „Synthese“, die Verwirklichung einer „christlichen ‚Mitte‘“.115 Die „Weltrevolution“ war unausweichlich, musste aber durch eine „radikale Politik“ in konstruktive Bahnen gelenkt werden: „Eine Generalumstimmung ist nötig, die das Weltbild des Freisinns und seinen falschen Individualismus, der vielleicht gestern am Platz war, gänzlich ausmerzt und überwindet. Dazu muss zuerst im Geistigen wieder ein allgemeines, universales, in sich geordnetes Weltbild geschaffen werden – eine ‚Theorie‘, eine umfassende Lehre, die klare Ordnungsprinzipien gibt. Eine innere Kolonisation muss Hand in Hand mit einer radikalen ‚inneren Mission‘ in Deutschland vor sich gehen, die eine neue Gemeinschaft bildet, auf die ja schon alle Versuche von der Romantik an (vor allem Fichtes ‚Geschlossener Handelsstaat‘) über Sozialismus und Kommunismus bis zum heutigen Nationalsozialismus zielen.“116 Die „radikale Politik“ war gedacht als „radikale Synthese zwischen Individualismus und Sozialismus“, die „beide in dem wahren Radikalismus des Maßes und der Mitte“117 überwinde. Die politische Ordnung der Zukunft bestand in einem christlichen Ständestaat, einer vom Gebot der Nächstenliebe beseelten Gemeinschaft der Gläubigen. Dem „Radikalismus des Maßes und der Mitte“ setzte man in einer von ideologischen Krisen und innerparteilichen Konflikten geprägten Sozialdemo112 Georg, Unfruchtbarkeit des Radikalismus. 113 Schramm, Radikale Politik, S. 41. Siehe zur Person: Mohler, Konservative Revolution, S. 448 f. 114 Ebd., S. 45 f. 115 Ebd., S. 46. 116 Ebd., S. 82. 117 Ebd., S. 83.
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kratie118 das Plädoyer für einen „Positiven Radikalismus“ entgegen. In den „Neuen Blättern für den Sozialismus“ plädierte der Schriftleiter des sozialdemokratischen, im intellektuellen Profil indes sehr eigenständigen Organs, August Rathmann (1895–1995), dafür, die auf einer „marxistischen Wirtschaftsanalyse fußende Wissenschaft“119 zu nutzen, um den „Einfluss liberalen Geistes und der Wirtschaft“120 zurückzudrängen, sich mit „positiv radikaler Haltung“ auf das „Ziel einer neuen Lebensordnung zu besinnen“.121 Gemeint war wohl nicht die Überwindung der parlamentarischen Demokratie, sondern eine grundlegende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Die gleichermaßen gegen Individualismus und Materialismus gerichtete „Protestbewegung des Nationalsozialismus“122 musste an dieser Aufgabe scheitern, weil ihr „negativer Radikalismus“ nur Scheinlösungen bot, aber keine wirksamen Rezepte, um die Welt zu „heilen“.123 Die Hoffnung des Autors trog, wenn er meinte, die sich „im Nationalsozialismus äußernde tiefe Erschütterung breitester, bisher von der Politik kaum berührter Volksmassen“ werde „der sozialistischen Politik der nächsten Jahre eine große Chance“124 bieten. Stattdessen übernahmen diejenigen das Ruder, die dem „kranken Volkskörper“ eine Radikalkur anderer Art zu verabreichen gedachten.125
4.
Extreme in Hitlers Schriften und Reden der „Kampfzeit“
Die Nationalsozialisten verstanden sich als Verfechter eines positiven Radikalismus, ja eines positiven Extrems. Dies lässt sich anhand der politischen Sprache Adolf Hitlers (1889–1945) zeigen, der sich im Zuge des Wiederaufbaus seiner Partei nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch vom November 1923 vom „Trommler“ zum unangefochtenen „Führer“ der NS-Bewegung entwickelte. Die überlieferten Zeugnisse lassen vom Jahr 1924 an eine klare Linie erkennen. Hitler hatte in der Landsberger Haft viel gelesen, den ersten Band von Mein Kampf verfasst, die eigenen politischen Ideen dabei gefestigt, rationalisiert und systematisiert. An der so gewonnenen „Weltanschauung“ hielt er im Wesentlichen bis zum Ende unbeirrbar fest.126 118 119 120 121 122 123 124 125 126
Vgl. Schulz, Von Brüning zu Hitler, S. 349–351; Martiny, Entstehung. Rathmann, Positiver Radikalismus, S. 2. Ebd., S. 1. Ebd., S. 7. Ebd., S. 2. Ebd., S. 6. Ebd. Vgl. aus nationalsozialistischer Sicht: Weiß, Gefahr des Radikalismus. Vgl. Kershaw, Hitler, S. 277–330. Hitlers „Weltanschauung“ wird im Zusammenhang analysiert bei: Syring, Hitler; Zitelmann, Hitler. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Vorstellungswelt anderer Protagonisten arbeitet präzise heraus: Kroll, Utopie. Das gesamte Ideenspektrum der antiliberalen Rechten vermisst: Breuer, Ordnungen der Ungleichheit. Darüber hinaus nach wie vor lesenswert: Sontheimer, Antidemokratisches Denken.
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Eine besonders aussagekräftige Passage findet sich im letzten Kapitel des ersten Bandes von Mein Kampf, wo Hitler den Charakter der nationalsozialistischen Bewegung beschreibt. Die „Nationalisierung der Massen“ wird als zentrale Aufgabe bezeichnet. Sie könne „niemals erfolgen durch Halbheiten, durch schwaches Betonen eines sogenannten Objektivitätsstandpunktes, sondern durch rücksichtslose und fanatisch einseitige Einstellung auf das nun einmal zu erstrebende Ziel. Das heißt also, man kann ein Volk nicht ‚national‘ machen im Sinne unseres heutigen Bürgertums, also mit soundso viel Einschränkungen, sondern nur nationalistisch mit der ganzen Vehemenz, die dem Extrem innewohnt. Gift wird nur durch Gegengift gebrochen, und nur die Schalheit eines bürgerlichen Gemüts kann die mittlere Linie als den Weg ins Himmelreich betrachten.“127 Die nationalsozialistische Lehre galt demnach als Extrem, das im Sinne eines Gegengiftes die Heilung des kranken „Volkskörpers“ bewirken sollte. Hätte Hitler diesen Gedanken zu Ende gedacht, wäre er vermutlich vor ihm zurückgeschreckt, denn ein Gegengift wirkt bekanntlich nur in geringer, genau bemessener Menge. Stattdessen war es seine Absicht, die Deutschen möglichst allesamt zum Nationalsozialisten zu bekehren, was – um im Bild zu bleiben – bedeutet hätte, sie durch Überdosis zu töten. Im zweiten Band von Mein Kampf, entstanden in den Jahren 1925/26, bestimmte Hitler das politische Extrem auf eine Weise, die den Widerspruch dieser Metapher vermied. In einer Art nationalsozialistischer Tugendlehre wurde zwischen drei „große Klassen“ unterschieden. Die erste bestehe aus dem „Extrem des besten Menschentums [...], gut im Sinne aller Tugenden, besonders ausgezeichnet durch Mut und Opferfreudigkeit“.128 Ihr gegenüber stand das „Extrem des schlechtesten Menschenauswurfs, schlecht im Sinne des Vorhandenseins aller egoistischen Triebe und Laster“. Die Tugend lag demnach in einem der Extreme, die Mitte dagegen wurde von einer sozialen „Klasse“ repräsentiert, die „weder strahlendes Heldentum noch gemeinste Verbrechergesinnung“ an den Tag legte. Diese sozialethische Typologie verknüpfte Hitler mit einem historischen Entwicklungsschema: „Zeiten des Emporstiegs eines Volkskörpers zeichnen sich aus, ja existieren nur durch die absolute Führung des extrembesten Teiles. Zeiten einer normalen, gleichmäßigen Entwicklung oder eines stabilen Zustandes zeichnen sich aus und bestehen durch das ersichtliche Dominieren der Elemente der Mitte, wobei die beiden Extreme sich gegenseitig die Waage halten, beziehungsweise sich aufheben. Zeiten des Zusammenbruchs eines Volkskörpers werden bestimmt durch das vorherrschende Wirken der schlechtesten Elemente.“129 Die zuletzt zitierte Passage ist im Text durch Kursivsatz als inhaltlich besonders bedeutsame Sentenz hervorgehoben. Der Nationalsozialismus ist hier kein Gegengift, sondern ein die Tugend verkörpern127 Hitler, Mein Kampf, S. 371 (Buch I, Kapitel 12: „Die erste Entwicklungszeit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“). Siehe dazu den Kommentar von: Zehnpfennig, Hitlers Mein Kampf. 128 Ebd., S. 580 f. 129 Ebd., S. 581.
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des Extrem, das die laue, halbe, willfährige Mitte überragt und den schärfsten Gegensatz zum anderen Extrem, der Inkarnation des Lasters, bildet. Die Mitte trete „nur dann fühlbar in Erscheinung“, „wenn die beiden Extreme selbst sich in gegenseitigem Ringen binden“. Wenn eines der Extreme siegt, ordnet sich die Mitte unter oder leistet zumindest keinen Widerstand: „denn kämpfen wird die Masse der Mitte selber niemals“. Hitlers Hass auf das Bürgertum fand seinen Ausdruck im „Hass auf das Prinzip der Mitte“.130 Der Weltkrieg hatte in den Augen Hitlers das Gleichgewicht der von ihm beschriebenen drei Klassen „insofern gestört, als man – bei Anerkennung aller Opfer der Mitte – dennoch feststellen muss, dass er zu einer fast vollständigen Ausblutung des Extrems des besten Menschentums führte“.131 Die Schwächung des einen Extrems ließ das entgegengesetzte in die Höhe schnellen: „schwerer wogen nun als früher die Elemente der Gemeinheit, der Niedertracht und der Feigheit, kurz die Masse des Extrems des Schlechten.“ Durch unsinnige Gesetze und den Verzicht auf die Anwendung des Kriegsrechts war u. a. bewirkt worden, dass das Extrem der Schlechtigkeit den Krieg wohlbehalten überstanden hatte. „Dieser wohlkonservierte Abschaum unseres Volkskörpers hat dann die Revolution gemacht, und er konnte sie nur machen, weil das Extrem bester Elemente ihm nicht mehr gegenüberstand: – es war nicht mehr am Leben.“ Nicht das deutsche Volk, sondern „das lichtscheue Gesindel seiner Deserteure, Zuhälter usw.“132 hatte demnach die Weimarer Republik hervorgebracht. Als Organisator und Drahtzieher fungierte „der internationale Jude“.133 Die Revolution war von einer „Minderheit schlechtester Elemente [...] gemacht worden, hinter die sofort die gesamten marxistischen Parteien traten. Die Revolution selbst hat ein scheinbar gemäßigtes Gepräge, was ihr die Feindschaft der fanatischen Extremisten zuzieht. Diese beginnen mit Handgranaten und Maschinengewehren herumzuknallen, Staatsbauten zu besetzen, kurz, die gemäßigte Revolution zu bedrohen. Um den Schrecken einer solchen weiteren Entwicklung zu bannen, wird ein Waffenstillstand geschlossen zwischen den Trägern des neuen Zustandes und den Anhängern des alten, um nun gemeinsam gegen die Extremisten den Kampf führen zu können. Das Ergebnis ist, dass die Feinde der Republik damit ihren Kampf gegen die Republik als solche eingestellt haben und mithelfen, diejenigen niederzuzwingen, die selbst, wenn auch aus ganz anderen Gesichtspunkten heraus, ebenfalls Feinde dieser Republik sind.“134
Das ungleiche Bündnis von Republikanern und rechten Republikgegnern bewirkte eine Neutralisierung der Extreme: „Allmählich verbluteten die spartakistischen Barrikadenkämpfer auf der einen Seite und die nationalistischen Fanatiker und Idealisten auf der anderen, und in eben dem Maße, in dem diese beiden Extreme sich gegenseitig aufrieben, siegte, wie immer, die Masse der Mit130 131 132 133 134
Zehnpfennig, Hitlers Mein Kampf, S. 217. Hitler, Mein Kampf, S. 581. Ebd., S. 583. Ebd., S. 585. Ebd., S. 591.
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te.“ So konnte der „Korruptionsschlamm“135 der Weimarer Republik erhärten, das Regime an Stabilität gewinnen. Mit der nationalsozialistischen Bewegung jedoch war das im Weltkrieg weitgehend vernichtete positive Extrem neu erstanden, um das deutsche Volk aus dem jüdisch-marxistischen Parteiensumpf hinauszuführen. Diese Terminologie und Geschichtsdeutung kehrte in den Reden der „Kampfzeit“ häufig wieder. Auf einer NSDAP-Versammlung in Plauen/Vogtland empfahl Hitler seiner Bewegung, „den Weg des Extremen“ zu gehen. „Weltgeschichte“ sei „nicht durch Halbheiten gemacht worden. [...] Unsere Bewegung soll Menschen heranziehen, die bereit sind, für ihr Ideal rücksichtslos einzutreten bis zum letzten.“136 Später hieß es, die Ausformung eines neuen „Volkskörpers“ erfordere das „Herausarbeiten eines neuen nationalen Gedankens, der Extreme zusammenzufassen vermag, eine neue Form des nationalen Gedankens, in der eines Tages auch die große Armee des internationalen Proletariats ihre Erlösung und ihr Heil erblickt.“137 Das zielte auf die Arbeiterschaft, die für den Nationalsozialismus zu gewinnen war. Aber auch mit Teilen der Arbeiterbewegung gab es gewisse Gemeinsamkeiten. Sie hatten die Verwerflichkeit des nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Systems erkannt: „Sieben Jahre nach 1918 können wir sagen, dass wir Stück um Stück gesunken sind. Das ist ein Zeichen, dass in Deutschland etwas nicht stimmen muss. Nur die beiden Extreme von links und von rechts sagen, dass dagegen Front gemacht werden muss.“138 Überdies konnten ideologische Bausteine des entgegengesetzten Extrems in einer neuartigen Verbindung fruchtbar gemacht werden. Die Aufgabe der nationalsozialistischen Bewegung bestand darin, zwei „Gedankenwelten“ zusammenzuführen: die des nationalen Bürgertums und des „internationalen Marxismus, diese zwei Extreme will der Nationalsozialismus vereinigen.“139 Der Nationalsozialismus bedeutete somit auch einen Bruch gegenüber der herkömmlichen politischen Rechten. Daher sagte Hitler den „heutigen Lagern von rechts und links“140 gleichermaßen den Kampf an. Die neue ideologische Synthese zwischen rechts und links, die der Nationalsozialismus zu verkörpern beanspruchte, war indes nicht mit einem Mittelweg zu verwechseln. Wie schon in Mein Kampf wandte sich Hitler in einer Rede vom Februar 1928 explizit gegen den „so viel gepriesene[n] Mittelweg zwischen rechts und links [...]. Die Weltgeschichte werde nicht durch Mittelwege gemacht,
135 Ebd., S. 592. 136 Hitler, Rede auf NSDAP-Versammlung in Plauen i.V. (11. Juni 1925). In: ebd., S. 90 f. 137 Hitler, Die soziale Sendung der Nation. Rede auf NSDAP-Versammlung in Stuttgart (16. Dezember 1925). In: ebd., S. 259. 138 Hitler, Rede auf NSDAP-Versammlung in Altenburg (11. April 1926). In: ebd., S. 371. 139 Hitler, Freiheit und Brot. Rede auf NSDAP-Versammlung in Dörflas (26. Juni 1927), S. 394 f. 140 Ebd., S. 402.
Extreme in Hitlers Schriften und Reden der „Kampfzeit“
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sondern durch entschiedenen Kampf. Die Geschichte kenne keine Halbwahrheiten.“141 Nach Hitlers Auffassung verfügte der Nationalsozialismus mit seiner „Weltanschauung“ über einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber allen politischen Konkurrenten. So nahm er in einer Ansprache vom 4. November 1925 das „komödienhafte[n] Vorgehen“ der republiktreuen Parteien aufs Korn. Ihnen bleibe es verwehrt, „massensuggestive eruptive Evolutionen der Volksseele“142 hervorzubringen, da ihr Programm ja „maßvoll bürgerlich, gedämpft radikal“ sei. Dagegen verkörpere der Nationalsozialismus eine „neue Weltanschauung“, eine neuartige Verbindung aus sozialistischen und nationalistischen Elementen. Als Sozialisten kämpfe man „fanatisch für die Rechte der Menschen“, als „Nationalisten bis zum Äußersten“ stimuliere man wie in den antinapoleonischen Befreiungskriegen „den fanatischen Willen und den heiligen Glauben“143 des Volkes. Mit der Weltwirtschaftskrise erhielt die NS-Bewegung Rückenwind. Nun wurden konkrete Überlegungen zu den Möglichkeiten einer Machtübernahme auf legalem Weg angestellt. In einem seiner Beiträge für den „Illustrierten Beobachter“ setzte sich Hitler mit dem Problem der inneren Heterogenität der österreichischen Heimwehr auseinander und zog Konsequenzen für die NS-Bewegung. Angesichts der Instrumentalisierung der Heimwehr durch die „bürgerlichen Parteien“ ermahnte er die Parteigenossen: „Und nie vergessen, dass jede Auflösung des Marxismus parallel die Auflösung der bürgerlichen Parteiwelt mit sich bringen muss! Wir sind nicht ein Teil des Parteilebens der Nation, sondern wir müssen uns zu dem extremen Bekenntnis durchringen, dass die Nation unsere Bewegung ist!“144 Das für unerlässlich erachtete „extreme Bekenntnis“ umschloss die Identität von Bewegung und Nation, die keinen Entfaltungsraum für andere Parteien ließ. Das Parteiwesen stand für das „Extrem der Verzweiflung“, der Nationalsozialismus für das positive „Extrem des Glaubens“.145 Darüber hinaus gab es ein negatives „Extrem des Glaubens“: den Marxismus. Marxismus und Nationalsozialismus waren die „zwei Extreme, zwischen denen zerrieben wird, was sich in der Mitte befindet. [...] Alles, was dazwischen liegt, wird entweder ausgelöscht oder wird sich nach dem einen oder anderen Extrem bewegen müssen“.146 Hitler hielt diese Linie bis zur Machtübernahme konsequent bei. In einem programmatischen Aufsatz für die Zeitschrift „Deutschlands Erneuerung“ fasste er im Herbst 1933 nochmals die wesentlichen Punkte seines Weltbildes zusammen. Demnach war die Novemberrevolution dem „Eindringen einer Lehre 141 Hitler, Ein Kampf um Deutschlands Freiheit. Rede auf NSDAP-Versammlung in Kulmbach (5. Februar 1928), S. 667 f. 142 Hitler, Rede auf NSDAP-Versammlung in Braunschweig (4. November 1925), S. 209. 143 Ebd., S. 210. 144 Hitler, Politik der Woche (Illustrierter Beobachter, 31. Mai 1930), S. 214. 145 Hitler, Ein neues Kampfjahr bricht an (Illustrierter Beobachter, 3. Januar 1931), S. 170. 146 Hitler, Rede auf NSDAP-Versammlung in Kaiserslautern (16. April 1931), S. 307.
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in unser Volk“ zuzuschreiben, „die in ihren Schlusswirkungen zur Ursache auch unseres jetzigen namenlosen Elends geworden ist, des Marxismus. Der wesentlichste Grundzug dieser von einigen Juden erfundenen, den schlechteren Eigenschaften der Menschen entgegenkommenden Lehre ist die Leugnung des Wertes der Persönlichkeit. An Stelle des nun einmal aristokratischen Prinzips der Natur setzt der Marxismus die Masse, ihre ‚Fabrikware‘, wie Schopenhauer die Majoritäten heißt. An Stelle der Person tritt die Zahl.“147 Die Zerstörung der Persönlichkeit führe zu einer allmählichen Vergiftung des Volkskörpers, ein Prozess der in Deutschland weit vorangeschritten sei: „Das internationale Judentum, die Rassentuberkulose der Völker zerstört mit Hilfe der marxistischen Lehre langsam, aber unbeirrbar sicher die Grundpfeiler unseres Volkes, seiner Rasse und Kultur. In den verschiedensten Spielarten, als Sozialdemokratie, U.S.P.D. und K.P.D. bis weit hinein in die Reihe des sogenannten ‚Bürgertums‘, herrscht in Politik, Kultur und Wirtschaft die marxistische Lehre.“ Alle Versuche, die zur Abwendung dieser verderblichen Entwicklung von national-konservativen Kreisen gegen Ende der Weimarer Republik angewendet worden seien, hätten nur deren Hilflosigkeit dokumentiert. Überhaupt sei das Unterfangen „irrsinnig“, „durch staatliche Machtmittel eine Seuche zu bekämpfen, die nur durch ein stärkstes Extrem zu vernichten ist. Der marxistische Internationalismus wird nur gebrochen durch einen fanatisch extremen Nationalismus von höchster sozialer Ethik und Moral.“148
Mit dem Nationalsozialismus war somit das rettende Extrem auf der politischen Bühne erschienen, dessen Eingreifen allein den drohenden Untergang abzuwenden vermochte. Ein negatives Extrem konnte erfolgreich nur mit einem positiven bekämpft werden. Dieses Extrem war am 30. Januar 1933 an die Schalthebel der Macht gelangt.
147 Hitler, Warum musste ein 8. November kommen?, S. 645. 148 Ebd., S. 653.
VII. Extrembegriffe in der politischen Sprache deutscher Ideokratien 1.
Zur politischen Sprache der Ideokratie
Die beiden Autokratien in Deutschland: das NS- und das SED-Regime, lassen sich – so groß ihre Unterschiede in vielerlei Hinsicht auch waren – als Ideokratien von anderen Formen nicht-demokratischer Systeme abgrenzen. Vermutlich hat der konservative Hallenser Historiker Heinrich Leo (1799–1878) in seiner Naturlehre des Staates dieses Wort geprägt – für jene Regime, die sich – ähnlich den schon aus dem Altertum bekannten Theokratien – ganz in den Dienst einer fanatischen Heilslehre stellten.1 Im 19. Jahrhundert trug Johann Caspar Bluntschli zur Verbreitung des Begriffs bei,2 der in den Diskussionen um die als „totalitär“ geltenden Systeme des 20. Jahrhundert eine gewisse Rolle spielen sollte.3 In jüngster Zeit haben ihn Autoren wie Peter Bernholz, Jaroslaw Piekalkiewicz und Alfred Wayne Penn wiederbelebt, um die an einer „monistischen“ Weltanschauung orientierten Herrschaftsgebilde auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.4 Die politische Sprache der Ideokratien orientiert sich an den Leitlinien einer Staatsideologie mit großer Reichweite der Aussagen sowie exklusivem Deutungs- und Erklärungsanspruch. Die offizielle Kommunikation ist durch ein System von Sprachregelungen mit mehr oder weniger genau definierten Begriffen gekennzeichnet. Die Ideologie- und Propagandazentrale bemüht sich unablässig, den Menschen die Formeln und Lesarten der Staatsideologie gleichsam „einzutrichtern“, Einheit und Reinheit der weltanschaulichen Auslegungen gegen „Verfälschungen“ und „Abweichungen“ zu verteidigen. Wer unerwünschte Meinungen öffentlich äußert, dem drohen drakonische Strafen. Rundfunk, Presse, Buch- und Zeitschriftenwesen unterliegen strengen Kontrollen. Was die Begriffsgeschichte der politischen Extreme angeht, so erhalten die mit ihnen verbundenen Inhalte einen jeweils spezifischen Ort in den Dogmensystemen und Definitionen der Ideokratien. Allerdings sind auch hier bedeutende Unterschiede zwischen NS- und SED-Regime von vornherein in Rechnung zu stellen.5 Das NS-System war weitaus stärker auf die „Weltanschauung“ des 1 2 3 4 5
Vgl. Leo, Studien und Skizzen. Siehe zur Begriffsprägung: Dierse, Ideologie, S. 143. Zur Bedeutung Leos und seiner Staatslehre: Krägelin, Heinrich Leo; Maltzahn, Heinrich Leo; Stolleis, Geschichte, S. 149. Bluntschli, Ideokratie und Theokratie, S. 289. Vgl. Gurian, Totalitarianism, S. 123. Siehe zur Totalitarismuskonzeption Gurians: Hürten, Waldemar Gurian. Vgl. Bernholz, Ideology; ders., Ideocracy and totalitarianism; Piekalkiewicz/Penn, Politics of Ideocracy. Siehe zur Forschungsdiskussion vor allem: Heydemann/Oberreuter (Hg.), Diktaturen; Linz, Regime; Pohlmann, Deutschland; Schmiechen-Ackermann, Diktaturen im Vergleich.
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„Führers“ ausgerichtet. Dem SED-Regime lag (insbesondere nach dem Tod der revolutionären Kultfiguren Lenin und Stalin) ein ideologisches System zugrunde, das den Formalisierungsgrad der NS-Ideologie bei weitem übertraf, zumal diese während der vergleichsweise kurzen Zeit ihrer politisch-praktischen Wirksamkeit nicht annähernd die Einheit und Geschlossenheit des Marxismus-Leninismus Moskauer Prägung erreichte. Die folgende begriffsgeschichtliche Rekonstruktion orientiert sich für das NSSystem vor allem an den nahezu vollständig überlieferten und sorgfältig edierten Reden und Aufzeichnungen seines Chefpropagandisten, Joseph Goebbels, der über den gesamten Zeitraum hinweg in engstem Kontakt mit Hitler stand. Was die politische Sprache und Propaganda des SED-Regimes betrifft, ist das Dogmengebäude des Marxismus-Leninismus grundlegend. Aussagekräftige Quellen stellen vor allem die offiziellen ideologischen Kompendien sowie die jeweils aktuellen Auslegungen und Legitimierungsbemühungen des SED-Theorieorgans „Einheit“ dar.
2.
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In der Ausgabe von Meyers Lexikon aus dem Jahr 1937 hieß es unter dem Stichwort „Extremismus“: „Anschauungen und Handlungen radikaler Politiker (Extremisten); von seinen Gegnern wurde der Nationalsozialismus, um ihn herabzusetzen, als E. bezeichnet.“6 Sofern sich die Nationalsozialisten wie ihr „Führer“ als Inkarnation eines positiven Extrems empfanden,7 konnten sie diese Etikettierung nur als Ehrentitel begreifen. Überdies ließen sie kaum eine Gelegenheit verstreichen, um den eigenen Willen zur Radikalität und zu einer bis zum Äußersten gehenden politischen Entschlossenheit zu dokumentieren. Was für die „Kampfzeit“ anhand der Schriften und Reden Hitlers gezeigt werden konnte, belegen für die Zeit nach der „Machtergreifung“ insbesondere die Reden des Chefpropagandisten des „Dritten Reiches“, Joseph Goebbels (1897– 1945). Sie sind im Unterschied zu den Hitler-Reden umfassend dokumentiert und lassen sich überdies anhand der inzwischen vollständig edierten GoebbelsTagebücher sinnvoll ergänzen. Das Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März 1933 deutete Goebbels im „Angriff“ als umfassende Ermächtigung für das radikale Programm der nationalsozialistischen Bewegung: „Der Reichskanzler hat in all seinen Reden vor dem 5. März immer wieder betont, dass er dem Volke keine Illusionen machen wolle, dass er es ablehne, zu lügen und zu schwindeln, dass er vier Jahre Zeit nötig habe, um Deutschland nach innen und außen wieder aufzurichten, dass es notwendig sei, in diesen vier Jahren zu arbeiten und zu handeln und auch nicht vor radikalen Einschnitten in Geschwüre des öffentlichen Lebens zurückzuschrecken. Keiner konnte im Zweifel darüber sein, dass diese Regierung entschlossen 6 7
Meyers Lexikon, Band 3, Sp. 1210. Vgl. Kapitel VI, Abschnitt 4 in diesem Band.
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war, den Marxismus jeder Art mit Stumpf und Stil aus Deutschland auszurotten, dass sie die Absicht hatte, den gesamten Staats- und Wirtschaftsapparat umzubauen, die Verwaltung zu säubern, die Atmosphäre von dem Pestgeruch der parteipolitischen Korruption zu reinigen. Alles das war klar, offen und unmissverständlich ausgesprochen worden. Und dafür hat das deutsche Volk Hitler und seinen Männern freies Feld gegeben.“8
Als Berliner Studenten am 10. Mai 1933 kurz vor Mitternacht vor der Universität einen Scheiterhaufen entzündeten, um aus den Bibliotheken entfernte, von „Juden, Marxisten“ oder anderen „undeutschen“ Autoren verfasste Bücher „zersetzenden“ Inhalts ostentativ zu verbrennen, würdigte der hinzugekommene Reichspropagandaminister den Vorgang als einen symbolischen Akt, mit dem signalisiert werde, dass das „Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“ nun zu Ende sei. Man habe sich am 30. Januar nicht erträumen können, „dass so schnell und so radikal in Deutschland aufgeräumt werden könnte.“9 Radikalität und Kompromisslosigkeit firmierten als Qualitätsbeweise einer Bewegung, die ihre „Weltanschauung“ unverwässert zur Grundlage des Staates machen wollte: „Wenn man uns entgegenhält: Ihr seid radikal!, – dann können wir nur zur Antwort geben: Haben wir denn je behauptet, dass wir nicht radikal wären? [Heiterkeit.] Wenn man uns sagt: Ihr seid gegen die Juden!, – dann können wir nur zur Antwort geben: Ja, habt Ihr denn angenommen, wir wären für die Juden? [Heiterkeit.] Wenn man uns sagt: Ihr seid zu rigoros! Ihr seid zu deutlich! Ihr macht ja keine Kompromisse!, – dann können wir nur zur Antwort geben: Wir haben darüber ja in unserer Oppositionszeit auch niemals einen Zweifel gelassen. Und ich glaube, deshalb hat das deutsche Volk uns seine Gefolgschaft geliehen. Das Volk will das. Das Volk ist der Kompromisse satt! Das Volk will reinen Tisch!“10 Nach der Etablierung des Regimes verschoben sich die Prioritäten. Zu „radikale“ Forderungen konnten nun die Bevölkerung verunsichern und die Glaubwürdigkeit des Systems untergraben. Innerparteiliche Auseinandersetzungen verursachte die Frage, wem Vorrang gebühre: dem soeben eroberten Ämtergefüge des Staates oder der Partei? Minister wie Bauernführer Walter Darré zeigten sich – aus der Sicht der NSDAP-Führung – renitent, verteidigten die Autonomie ihrer Ressorts gegen Eingriffe der Partei.11 Parteirepräsentanten hingegen bestanden auf ihrem Vorrang. Im Sommer und Herbst 1934 erlebte der Konflikt einen Höhepunkt. Goebbels betonte mit Hitler die Prädominanz der Partei, hielt aber im Sinne effizienter Regierung und Administration die Funktionsfähigkeit des staatlichen Institutionengefüges ebenfalls für wichtig. Am 27. Oktober 1934 notierte er in sein Tagebuch: „‚die Partei befiehlt dem Staate‘. Der Satz ist nun bald totgeraten. Wenn er jetzt ins gegenläufige Extrem über8 Goebbels, Das Volk will es!, S. 1. 9 Ders., Ansprache auf der Kundgebung der Deutschen Studentenschaft „wider den undeutschen Geist“ (Berlin Opernplatz, 10. Mai 1933), S. 108. 10 Goebbels, Ansprache auf der Massenkundgebung des Gaues Hamburg der NSDAP (Hamburg, Platz vor der Eulenburg im ehemaligen Zoo, 16. Juli 1933), S. 119 (Hervorhebungen im Original). 11 Vgl. zu diesem Konflikt: Diehl-Thiele, Partei und Staat.
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schlägt, so sind die Extremisten daran schuld.“12 Als „Extremisten“ firmierten mithin die Verfechter einer Extremposition in der Frage des Verhältnisses von Partei und Staat. Die Rede war daneben aber auch vom „heillosen Extremismus“13 eines sektiererischen Irrläufers wie Ludendorff. Konflikte dieser Art traten auch in späteren Jahren auf. Anlässlich der sogenannten „Pfaffenprozesse“ gegen katholische Priester äußerte sich Goebbels im August 1937 enttäuscht über das Verhalten Roland Freislers, weil sich dieser zu sehr an juristischen Normen orientiere: „Das war einmal ein ganz Radikaler. Und heute? Ein Jurist wie alle anderen.“14 Zuviel Radikalismus bemängelte er bei Reichsinnenminister Wilhelm Frick. Dieser habe eine „unkluge Rede über Minderheitenfragen“ gehalten: „Er kriegt manchmal einen Radikalkomplex. Das erlaubt ihm dann wieder, ein Jahr lang Bürokrat zu sein.“15 Mit dem Radikalismus konnte man es also auch übertreiben: Göring lasse sich „nicht durch die Hyperradikalen in der Partei beeinflussen“.16 Später war von den „Holzhammermethoden vieler Überradikaler“17 die Rede. Eine gewisse Mäßigung in den programmatischen Aussagen widersprach nicht der grundsätzlichen Radikalität der nationalsozialistischen „Weltanschauung“: „Da kennen Sie das Volk schlecht, wenn Sie glauben, mit so radikalen Forderungen das Volk auf die Dauer auf Ihre Seite zu bringen. Das ging, als wir noch in der Opposition standen und keine Macht besaßen. Da lief das Volk hinter uns her, weil es sich sagte: Die Nazis, die reden nicht nur, sondern wenn die die Macht haben, tun sie das! Wenn Sie heute aber Forderungen aufstellen und Sie können sie nicht erfüllen und Sie werden sie deshalb auch nicht erfüllen, dann werden Sie auf die Dauer das Volk nur unruhig und unsicher machen. Und auch die eigenen Parteigenossen. Es ist ja nicht notwendig, dass wir unsere eigenen Parteigenossen radikaler machen, als sie ohnehin schon sind! Sondern es ist richtig, dass wir die Millionen Menschen, die der Partei noch fern stehen, allmählich an unsere an sich radikalen Ziele heranziehen.“18
Ein Beispiel dafür boten die Judengesetze: „Es reicht auch nicht aus, wenn unsere Parteigenossen die Judengesetze, die gestern angenommen worden sind, ver12 Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 3/II, S. 126 (27. Oktober 1934). 13 Ebd., S. 288 (12. Dezember 1936). Den eher seltenen Begriff „Extremismus“ hatte Goebbels auch schon in der „Kampfzeit“ verwendet. Im Juli 1924 hatte er die BebelMemoiren gelesen und war beeindruckt vom Aufstieg aus kleinen Verhältnissen zum „gefürchteten Sozialistenführer“. In seinen Anfängen war der Bebelsche Sozialismus gesund, da er den „damals allmächtigen Liberalismus“ bekämpfte. „Er war auch vaterländisch gesinnt“. Dann aber wurde er „jüdisch verseucht“. Der Bolschewismus dagegen blieb „gesund in seinem Kern. Was wir heute sehen, ist Krippenjagd, Unfähigkeit, Unreife und Feigheit. Diese phantastischen extremistischen Führer des deutschen Kommunismus gehen am deutschen Spießer zu Grunde.“ Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 1/I, S. 162 (7. Juli 1924). 14 Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 4, S. 267 (16. August 1937). 15 Ebd. 16 Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 6, S. 174 (5. November 1938). 17 Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 8, S. 409 (7. November 1940). 18 Goebbels, Wesen, Methoden und Ziele der Propaganda (Sondertagung der Gau- und Kreispropagandaleiter anlässlich des 7. Reichsparteitags der NSDAP, Nürnberg, Apollo-Theater, 16. September 1935), S. 247 (Hervorhebungen im Original).
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stehen, sondern das Volk muss sie verstehen. Denn wir wollen ja keine Parteiregierung sein, sondern wir wollen eine Volksregierung sein.“19 Zu radikale Forderungen der Propaganda konnten weitere unerwünschte Wirkungen haben. Ein Beispiel für eine geschickte Rücknahme der Radikalität stellte in den Augen des Reichspropagandaministers die Führerrede vom 15. September 1935 dar. In vertrautem Kreis gab er sie wie folgt wieder: „Wir hoffen, dass – äh, mit diesen Judengesetzen nun die Möglichkeit besteht, ein erträgliches Verhältnis zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk herbeizuführen und – [Heiterkeit]. Das nenne ich Geschick! Das ist gekonnt! Wenn man aber gleich dahinter gesagt hätte: So, das sind die heutigen Judengesetze; Ihr sollt nun nicht glauben, dass das alles ist, im nächsten Monat – da ist gar nichts mehr dran zu ändern –, nächsten Monat kommen die nächsten, und zwar so, bis Ihr bettelarm wieder im Getto sitzt –, ja, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Juden die ganze Welt gegen uns mobilmachen. Wenn Sie ihnen aber eine Chance geben, eine geringe Lebensmöglichkeit, dann sagen sich die Juden: Ha, wenn die jetzt im Ausland wieder anfangen zu hetzen, dann wird’s noch schlimmer; also Kinder, seid doch mal still, vielleicht geht’s doch! [Heiterkeit, Beifall.]“20
In diesem Sinne schloss man nun gelegentlich Kompromisse, die an sich zwar als faul erschienen, auf lange Sicht aber der Herbeiführung von Zuständen dienen sollten, die Kompromisse überflüssig machten. So wurden Propagandisten ermahnt, die – allzu pflichtversessen – kompromisshaftes Verhalten in der genannten Form öffentlich kritisierten: „Denn Sie dürfen davon überzeugt sein: auf die Dauer wird das nicht geduldet, dass die Menschen, die nun zu der undankbaren Aufgabe verurteilt sind, hier und da einen Kompromiss zu schließen, weil es anders gar nicht geht, – dass diese Menschen dann deshalb in der Öffentlichkeit angegriffen werden.“21 Gegenüber den Propagandisten der Bewegung wurde indes nicht Kompromissorientierung, sondern äußerste Radikalität als Leitlinie definiert. Die Propaganda des Nationalsozialismus sollte sich am Extrem orientieren, weil seine „Weltanschauung“ revolutionär sei und das Durchschlagende und Bahnbrechende beim Volk die größte Wirkung erziele: „Darum hat die Propaganda nicht nur aggressiv, sondern sie hat auch revolutionär zu sein. Sie muss sich der Mittel bedienen, die durchschlagend wirken. Und durchschlagend wirkt beim Volk immer das Extrem. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, in einer satten Gemütlichkeit über die Dinge zu parlamentieren.“22 Nationalsozialismus und Bolschewismus galten gleichermaßen als Extreme. Das positive Extrem hatte die welthistorische Aufgabe, die negative Antithese auszutilgen: „Eine Versöhnung zwischen beiden Extremen kann es nicht geben.
19 20 21 22
Ebd., S. 247 (Hervorhebungen im Original). Ebd., S. 249 (Hervorhebungen im Original). Ebd., S. 254 (Hervorhebungen im Original). Ebd., S. 234 (Hervorhebung im Original).
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Der Bolschewismus muss vernichtet werden, wenn Europa wieder gesunden soll.“23 Extremismus war auch im Umgang mit den Juden vonnöten. Im April 1938 notierte Goebbels zynisch in sein Tagebuch: „Wir werden Berlin den Charakter eines Judenparadieses nehmen. Jüdische Geschäfte werden als solche gekennzeichnet. Jedenfalls gehen wir jetzt radikaler vor. Der Führer will sie allmählich alle abschieben. Mit Polen und Rumänien verhandeln. Madagaskar wäre für sie das Geeignete.“24 Nach der „Reichskristallnacht“ erstattete Goebbels „dem Führer Bericht. Er ist mit allem einverstanden. Seine Ansichten sind ganz radikal und aggressiv. Die Aktion selbst ist tadellos verlaufen. 17 Tote. Aber kein deutsches Eigentum beschädigt.“25 Wenige Tage später traf man sich zur Konferenz bei Göring, um das Ergebnis zu bilanzieren und über die „Judenfrage“ zu beraten: „Heiße Kämpfe um die Lösung. Ich vertrete einen radikalen Standpunkt. Funk ist etwas weich und nachgiebig. Ergebnis: die Juden bekommen eine Kontribution von einer Milliarde auferlegt. Sie werden in kürzester Frist gänzlich aus dem wirtschaftlichen Leben ausgeschieden. [...] Noch eine ganze Reihe anderer Maßnahmen geplant. Jedenfalls wird jetzt tabula rasa gemacht. Ich arbeite großartig mit Göring zusammen. Er geht auch scharf heran. Die radikale Meinung hat gesiegt.“26 Mit Bildung der „Achse“ Rom-Berlin verbesserte sich das Verhältnis zu den zuvor oft kritisierten italienischen Bündnispartnern. Goebbels lobte in seinem täglichen Diktat Mussolinis „sehr kluge und radikale Aktion gegen Wucher und Schieberei“27 oder charakterisierte den in Deutschland weilenden Roberto Farinacci als „Faschist der ersten Stunde, ein radikaler Polemiker, gänzlich unangefressen von liberalen Gedankengängen“.28 Auch in der Öffentlichkeit kehrte die unverblümte Sprache der Kampfzeit wieder. Die nach dem Hitler-Stalin-Pakt eingestellte antibolschewistische Propaganda ertönte erneut. In einer Rede in Linz verdammte Goebbels, was man zuvor selbst praktiziert hatte: Wenn England mit dem Bolschewismus paktiere, werde es selbst der Unterlegene sein, so wie die bürgerlichen Kräfte unterlagen, wenn sie sich mit marxistischen Kräften einließen: „die Radikalen fressen immer die weniger Radikalen, das ist eine alte Geschichte. Das war ja auch bei uns so [Heiterkeit]. Noch niemals hat ein schlapper Kerl einen starken aufgefressen, sondern das war immer umgekehrt: Nicht die Schakale fressen die Löwen, sondern die Löwen die Schakale. [...] Und wenn heute das englische Plutokratenlager eine Vereinbarung mit dem Bolschewismus abschließt, um in dieser widernatürlichen Bettgemeinschaft eine Ret23 Goebbels, Der Bolschewismus. Rede auf dem Parteikongress in Nürnberg 1936, München 1936, S. 10. 24 Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 5, S. 269 f. (23. April 1938). 25 Goebbels, Tagebücher, Teil I, Band 6, S. 182 (11. November 1938). 26 Ebd., S. 185 (13. November 1938). 27 Goebbels, Tagebücher, Teil II, Band 1, S. 384 (9. September 1941). 28 Ebd., S. 392 (10. September 1941).
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tung des englischen Weltreiches zu versuchen, so ist das ein untauglicher Versuch an einem untauglichen Objekt.“29 Angesichts des Millionenheeres der (vor allem russischen) Kriegsgefangenen war ebenfalls Radikalismus angesagt: „Ernähren können wir die in unserer Hand befindlichen etwa 3½ Millionen Gefangenen ja doch nicht. Die Bevölkerung ist für ein radikales Vorgehen gegen sie durchaus zu haben“.30 Dagegen plädierte Goebbels im Umgang mit der katholischen Kirche aus opportunistischen Gründen für eine Vertagung auf die Nachkriegszeit. Auch Bormann habe, schrieb er am 18. August 1941 in sein Tagebuch, begonnen, „allmählich einzusehen, dass er in mancher Beziehung zu scharf vorgeht und der Radikalismus auf diesem Gebiet wenigstens in der Jetztzeit mehr Schaden als Nutzen stiften kann.“31 Anders war das in der „Judenfrage“. Hier kam nach dem Angriff auf die Sowjetunion die Zeit für eine „radikale Lösung dieses Problems“.32 Auch die Bevölkerung schien bereit, eine solche Politik zu akzeptieren.33 Einige Monate darauf hieß es nochmals: „Jetzt ist die Situation reif, die Judenfrage einer endgültigen Lösung zuzuführen. Spätere Generationen werden nicht mehr die Tatkraft und auch nicht mehr die Wachheit des Instinkts besitzen. Darum tun wir gut daran, hier radikal und konsequent vorzugehen.“34 Dass diese Lösung auf Massenvernichtung hinauslief, wurde im Tagebuch wenig später angedeutet: „An den Juden wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das sie aber vollauf verdient haben. Die Prophezeiung, die der Führer ihnen für die Herbeiführung eines neuen Weltkriegs mit auf den Weg gegeben hat, beginnt sich in der furchtbarsten Weise zu verwirklichen. Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalität obwalten lassen. Die Juden würden, wenn wir uns ihrer nicht erwehren würden, uns vernichten. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen der arischen Rasse und dem jüdischen Bazillus. Keine andere Regierung und kein anderes Regime könnte die Kraft aufbringen, diese Frage generell zu lösen. Auch hier ist der Führer der unentwegte Vorkämpfer und Wortführer einer radikalen Lösung“.35 Judentum und Bolschewismus bildeten im Weltbild des Nationalsozialisten eine untrennbare Einheit. Der mitleidlose Kampf gegen das Judentum hatte nicht zuletzt in der Grausamkeit des Bolschewismus seine Rechtfertigungsgrundlage: „Der Bolschewismus ist eine Teufelslehre, und wer einmal unter ihrer Geißel gelitten hat, der möchte nichts mehr damit zu tun haben. Die Leiden, die das russische Volk unter dem Bolschewismus hat ausstehen müssen, sind 29 Goebbels, Ansprache auf der Großkundgebung des Gaues Oberdonau der NSDAP zum 4. Jahrestag des „Anschlusses“ (Linz, Südbahnhofhalle, 15. März 1942), S. 100 f. 30 Goebbels, Tagebücher, Teil II, Band 2, S. 241 (6. November 1941). 31 Goebbels, Tagebücher, Teil II, Band 1, S. 254 (18. August 1941). 32 Ebd., S. 218 (12. August 1941). 33 Vgl. ebd., S. 254 (18. August 1941). 34 Goebbels, Tagebücher, Teil II, Band 3, S. 432 (7. März 1942). 35 Ebd., S. 561 (27. März 1942).
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überhaupt unbeschreiblich. Dieser jüdische Terrorismus muss aus ganz Europa mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Das ist unsere historische Aufgabe.“36 Angesichts der besorgniserregenden Entwicklung an der Ostfront mahnte Goebbels im Jahr 1942 unablässig eine „Radikalisierung unserer Kriegsführung“37 an. Die Katastrophe von Stalingrad bewirkte eine „forcierte Steigerung des Unüberbietbaren“38 in der an Superlativen ohnehin reichen, auf Monumentalität zielenden Sprache. Nun galt es noch mehr als zuvor, den Kampfgeist der Bevölkerung anzustacheln und die Entschlossenheit zur Mobilisation aller Kräfte und Energien für den Kriegseinsatz nach außen zu dokumentieren. Für einen „totalen Krieg“ hatte sich Goebbels ab dem Winter 1941/42, als der Vorstoß der deutschen Verbände in der Eiseskälte des russischen Winters zum Erliegen gekommen war, bei Hitler und den Führungszirkeln von Partei und Staat energisch eingesetzt. Nach dem Untergang der 6. Armee musste man an der Ostfront das Schlimmste befürchten. „Totaler Krieg“ lautete daher bereits das Losungswort der Sportpalastrede vom 30. Januar 1943, dem 10. Jahrestag der Machtübernahme. Hoffnungen im Lager der Alliierten auf einen baldigen Zusammenbruch begegnete Goebbels mit der Feststellung einer „totalen Bereitschaft unseres Volkes zur Konzentration seiner Kräfte“. Aus der Nation dringe der „Schrei nach totalster Kriegsanstrengung“39 nach draußen. Er lobte den „fanatischen Kampfeswillen“, zollte der „fanatischen Entschlossenheit“40 der ganzen Bevölkerung seinen Respekt. Propagandistisch noch effektvoller war die Sportpalastrede vom 18. Februar 1943, zu deren zehn abschließenden Fragen an die aufgepeitschte Menge im dichtgefüllten Saal bekanntlich diejenige nach der Befürwortung des „totalen Krieges“ zählte: „Wollt Ihr den totalen Krieg? [Stürmische Rufe: ‚Ja!‘ Starker Beifall.] Wollt Ihr ihn [Rufe: ‚Wir wollen ihn!‘], wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können? [Stürmische Rufe: ‚Ja!‘ Beifall.]“41 Im Hintergrund der mit Hakenkreuzfahnen geschmückten Rednertribüne hing das einzige Spruchband in der eher nüchtern gestalteten Halle: „Totaler Krieg – kürzester Krieg“.42 Durch die Aufbietung aller Kräfte, die Indienstnahme der gesamten Gesellschaft, der Frauen und Heranwachsenden eingeschlossen, sollte die Kriegswende herbeigeführt werden. Die Rede war gespickt mit übersteigerten, positiv konnotierten Superlativen: Um die „töd-
36 Ebd., S. 320 (15. Februar 1942). 37 Ebd., S. 506 (20. März 1942), siehe auch ebd., S. 496 (19. März 1942). 38 Beetz, Totalitäre Rhetorik, S. 185. Siehe zur Bedeutung von Superlativen und Elativen in der Goebbelsschen Propagandasprache auch: Beißwenger, Totalitäre Sprache, S. 38– 40. 39 Goebbels, Rede auf der Kundgebung zum 10. Jahrestag der Machtübernahme (Berlin, Sportpalast, 30. Januar 1943), S. 161 (Hervorhebungen im Original). 40 Ebd., S. 160 f. (Hervorhebungen im Original). 41 Goebbels, Rede auf der Kundgebung des Gaues Berlin der NSDAP (Berlin, Sportpalast, 18. Februar 1943), S. 205. 42 Vgl. Moltmann, Goebbels’ Rede, S. 29.
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lichste Bedrohung“43 durch den Bolschewismus und das mit ihm verbündete „internationale Judentum“ zu meistern, erschienen äußerste Anstrengungen unausweichlich: „Das Radikalste ist heute gerade radikal, und das Totalste ist gerade total genug, um zum Siege zu führen! [Bravo-Rufe, Beifall.]“44 Mit einem verräterischen, vom Publikum begeistert aufgenommenen Versprecher wurde dem „Judentum“, der „Inkarnation des Bösen“, dem „Dämon des Verfalls“, dem „Träger eines internationalen kulturzerstörerischen Chaos“45 die Vernichtung angekündigt: „Deutschland jedenfalls hat nicht die Absicht, sich dieser jüdischen Bedrohung zu beugen, sondern vielmehr die, ihr rechtzeitig, wenn nötig unter vollkommener und radikalster Ausrott-, -schaltung des Judentums, entgegenzutreten! [Starker Beifall, wilde Rufe, Gelächter.]“46 In den später verbreiteten Druckfassungen der Rede war nur von „radikalster Ausschaltung“ die Rede. In der Originalvertonung ist der „radikalere“ Versprecher zu vernehmen, dessen Wortlaut ausländische Korrespondenten wiedergaben47 und der dem Geschehen im Osten, dem mörderischen Handwerk der Einsatzgruppen und der Tötungsmaschinerie der Vernichtungslager, entsprach. Zum Äußersten entschlossene Radikalität erschien als eine Tugend, über die der Nationalsozialismus im Unterschied zu seinen „schwächlichen“ liberalen Kontrahenten verfügte und die ihn dazu befähigte, dem auf eine „internationale, bolschewistisch verschleierte kapitalistische Tyrannei“48 zielenden Treiben der Juden Einhalt zu gebieten, den Untergang des Abendlandes abzuwenden. Die Rede bewirkte nicht den erhofften Stimmungswandel in der Bevölkerung. Doch trugen „der Trotz und die Entschlossenheit, die durch Goebbels’ Rede im Sportpalast heraufbeschworen worden waren, unterstützt durch zusätzliche drakonische Repression, dazu bei, jede Aussicht auf einen Zusammenbruch an der Heimatfront auszuschließen. Dies wiederum sollte dazu führen, dass sich der Untergang des Regimes weitere zwei Jahre lang dahinschleppen sollte, während ein anhaltender Kampf mit dem Rücken zur Wand gegen eine immer unüberwindlichere Übermacht Tod und Verwüstung ins Maßlose steigerte.“49 In der von Niederlagen und Rückzugsgefechten geprägten letzten Kriegsphase blieb der Hass auf „den Juden“ konzentriert, der die Verantwortung für alle Übel der Welt trage. Er war auch in der Ablehnung von Fanatismus und Radikalität Antipode des Nationalsozialismus. Nur dem „satten Bürger gilt der Fanatiker als unbequemer, überspannter Phantast, Radikalist und Revolutionär“. Reichsorganisationsleiter Robert Ley beschuldigte „den Juden“ im „Angriff“ 43 Goebbels, Rede auf der Kundgebung des Gaues Berlin der NSDAP (Berlin, Sportpalast, 18. Februar 1943), S. 183. 44 Ebd., S. 187. 45 Ebd., S. 182 (Hervorhebung im Original). 46 Ebd., S. 183 (Hervorhebungen im Original). 47 Vgl. Fetscher, Joseph Goebbels, S. 101, FN 10. 48 Goebbels, Rede auf der Kundgebung des Gaues Berlin der NSDAP (Berlin, Sportpalast, 18. Februar 1943), S. 177. 49 Kershaw, Hitler 1936–1945, S. 734.
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vom 23. Februar 1943, „den Fanatismus in Verruf zu bringen. Der Jude liebt den Kompromiss, denn beim Feilschen um Meinungen kann er sich als jüdischer Makler betätigen. Der Jude lebt von der Toleranz, denn ohne sie wäre er längst ausgerottet. Der Jude ist faul und feige, verbrecherisch und feige, deshalb hasst er den Fanatiker, der diese Untugenden als unwürdig und verabscheuungswürdig verurteilt.“50 Die Deutschen sollten Fanatiker und Radikale werden, um im „Endkampf“ das „internationale Judentum“ zu besiegen. Ungeschminkte „rassenhygienische“ und eliminatorische Radikalität prägte mehr als zuvor die NS-Propaganda der letzten Kriegsjahre: „Die gänzliche Ausschaltung des Judentums aus Europa ist keine Frage der Moral, sondern eine Frage der Sicherheit der Staaten! [Beifall.] Der Jude wird immer so handeln, wie es seinem Wesen und seinem Rasseinstinkt entspricht; er kann gar nicht anders. Wie der Kartoffelkäfer die Kartoffelfelder zerstört – ja, zerstören muss, so zerstört der Jude die Staaten und Völker! Dagegen gibt es nur ein Mittel, nämlich: radikale Beseitigung der Gefahr! [Bravo-Rufe, Beifall.]“51 Zuletzt beschuldigte Hitler in einer Proklamation zum Parteigründungstag vom 24. Februar 1945 die „feigen bürgerlichen Kompromissparteien“, der „jüdisch-bolschewistischen Völkervernichtung“ keinen entschlossenen Widerstand geleistet zu haben. Was Bolschewismus bedeute, müssten nun bereits „einzelne Gebiete im Osten unseres Reiches am eigenen Leibe“ erfahren. „Was dort unseren Frauen, Kindern und Männern von dieser jüdischen Pest zugefügt wird, ist das grauenhafteste Schicksal, das ein Menschengehirn sich auszudenken vermag.“ Angesichts dieser Bedrohung gebe es „nur ein Gebot: Mit äußerstem Fanatismus und verbissener Standhaftigkeit auch die letzte Kraft einzusetzen, die ein gnädiger Gott den Menschen in schweren Zeiten zur Verteidigung seines Lebens finden lässt. Was dabei schwach wird, fällt, muss und wird vergehen.“52 Angesichts der nahenden Niederlage verwirrten sich die Begriffe vollends. Ein physisch wie psychisch angegriffener Goebbels notierte am 8. April 1945 in sein Tagebuch, er sei nun zum ersten Mal aus der „gemäßigten Reserve“ herausgetreten und habe in Leitartikeln eine „radikale Sprache“ gesprochen: „Es hat jetzt gar keinen Zweck mehr, um die Dinge herumzureden. Man muss sie mit Namen nennen, auch auf die Gefahr hin, dass das Ausland daraus vorerst einmal Nutzen für sich schöpft.“53 Die „radikale Sprache“ galt der Einsicht in die Unabwendbarkeit der Niederlage und fand ihren Ausdruck u. a. in einem Aufruf zum Partisanenkampf („Werwolf“), der noch in den letzten Kriegswochen Tausenden das Leben kosten sollte. Der nationalsozialistischen Umwertung der Werte im Namen einer imperialistischen Rassenideologie entsprach eine Umdeutung der Begriffe, eine ent50 Ley, Fanatiker des Glaubens!, S. 1 f. 51 Goebbels, Rede auf der Kundgebung der NSDAP anlässlich der Verleihung von Ritterkreuzen des Kriegsverdienstkreuzes (Berlin, Sportpalast, 5. Juni 1943), S. 235 (Hervorhebungen im Original). 52 Zitiert nach Domarus, Hitler, Band II/2, S. 2204 f. 53 Goebbels, Tagebücher, Teil II, Band 15, S. 686 (8. April 1945).
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schiedene Absage an die Normen und Kategorien der aristotelischen Freiheitstradition. Der Dresdener Romanist Victor Klemperer diagnostizierte kurze Zeit nach Kriegsende die Deutungsumkehrung, die der Fanatismusbegriff unter dem Nationalsozialismus erfahren hatte: „dass der Nationalsozialismus auf Fanatismus gegründet ist und mit allen Mitteln die Erziehung zum Fanatismus betreibt, so ist fanatisch während der gesamten Ära des Dritten Reiches ein superlativisch anerkennendes Beiwort gewesen. Es bedeutete die Übersteigerung der Begriffe tapfer, hingebungsvoll, beharrlich, genauer: eine glorios verschmelzende Gesamtaussage all dieser Tugenden, und selbst der leiseste pejorative Nebensinn fiel im üblichen LTI-Gebrauch des Wortes fort.“54 Was für den „Fanatismus“ gilt, trifft für die Kategorien des Radikalen und Extremen ebenfalls zu. Radikalismus und zum Äußersten entschlossener politischer Wille galten als Qualitätsmerkmale, Kompromissbereitschaft, Mäßigung und Mitte hingegen als Ausdruck einer überwundenen, dekadenten Welt. Das Lob des Extrems bewies die Tiefe des Kulturbruchs, den die Nationalsozialisten in den zwölf Jahren ihrer Herrschaft vollzogen.
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Das SED-Regime konnte weder den offiziellen oder offiziösen Sprachgebrauch der „kapitalistischen“, „bürgerlichen“, „reaktionären“ Weimarer Republik noch den Duktus der NS-Propaganda übernehmen. Die Faszination des Extremen hätte Nahrung aus der Marxschen Kritik an der Hegelschen Staatslehre ziehen können. Für Marx implizierte die Versöhnungslehre Hegels, der die Stände als vermittelndes Element zwischen den Extremen der Regierung und des Volks gedeutet hatte, den Irrtum, „dass die Entschiedenheit wirklicher Gegensätze, ihre Bildung zu Extremen, die nichts anderes ist als sowohl ihre Selbsterkenntnis wie ihre Entzündung zur Entscheidung des Kampfes, als etwas möglicherweise zu Verhinderndes oder Schädliches gedacht wird“.55 Doch die übermächtigen Sprachkonventionen der aristotelischen Tradition und der Extremismus des NSRegimes verhinderten allem Anschein nach, dass die SED den Extremen in ihrer politischen Sprache und Propaganda eine konstruktive Rolle zuerkannte. Mehr als von den Kämpfen der Vergangenheit war die SED-Propaganda überdies von einer neuen politischen Konstellation geprägt: dem Ost-West-Konflikt und der Auseinandersetzung mit dem anderen deutschen Staat im Westen. Dies fand nicht zuletzt im theoretischen Organ, der „Einheit“, im ersten Heft vom Februar 1946 noch als „Monatsschrift zur Vorbereitung der Sozialistischen Einheitspartei“ tituliert, seinen Niederschlag, aus dem die im Gründungsjahr
54 Klemperer, Notizbuch eines Philologen, S. 66. Siehe dazu auch Bergsdorf, Politik und Sprache, S. 75 f.; Schmitz-Berning, Vokabular, S. 224–229. 55 Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts (1843), S. 293.
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erkennbaren Spuren mangelnder Geschlossenheit rasch verschwanden.56 Die politisch-ideologische Frontstellung gegen den deutschen Weststaat gründete auf dem Selbstverständnis der KPD/SED, mit der „Diktatur des Proletariats“ und damit der Herrschaft der großen Volksmassen das unter den Bedingungen des „Aufbaus des Sozialismus“ historisch mögliche Maximum an Demokratie zu erreichen. Die „bürgerliche Demokratie“ des „Westens“ stützte sich demgegenüber auf die „Macht der Monopole“, also kleiner Minderheiten, die es unter Anwendung raffinierter Manipulationsmethoden und mit Hilfe verschiedener Parteien verstanden, die eigenen Interessen gegen diejenigen der großen Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen. Alle Parteien Westdeutschlands, mit Ausnahme der an Ostberlin und Moskau orientierten KPD und allenfalls der linken SPD-Basis, galten aus dieser Sicht als „antidemokratisch“. Das schlechte Abschneiden der KPD bei der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag im August 1949 lief aus dieser Sicht auf „eine Verstärkung der Position der antidemokratischen deutschen monopolistischen Kräfte“ hinaus, die sich anschickten, „unter der Oberherrschaft des amerikanischen Imperialismus ihre Macht erfolgreich“57 aufzurichten. Ost- und Westdeutschland standen einander aus SED-Sicht nahezu wie Himmel und Hölle gegenüber. Walter Ulbricht (1893–1973) umriss dieses manichäische Propagandabild auf der II. SED-Parteikonferenz wie folgt: „In Ostdeutschland wurden nach der Befreiung durch die Sowjetarmee die Lehren aus der Katastrophe gezogen, in die der Hitlerfaschismus Deutschland getrieben hatte. Die demokratischen und friedliebenden Kräfte betrieben eine Politik des Friedens, des Wiederaufbaus der Friedenswirtschaft und der Freundschaft zu den anderen Völkern. In Westdeutschland hingegen wurde mit Hilfe der amerikanischen, englischen und französischen Okkupationsmacht die Herrschaft der Monopolherren und der faschistischen Bürokraten wiederhergestellt, die hitlersche Revanchepolitik wiederaufgenommen, der Haß gegen andere Völker entfacht und eine Politik der Kriegsvorbereitungen durchgeführt.“58 Die Ereignisse vom 16./17. Juni 1953 in Ostberlin und vielen anderen Orten der DDR waren aus SED-Sicht das Ergebnis der Wühlarbeit westlicher Imperialisten und Saboteure, keineswegs eine Volkserhebung. Ein Aufstand mit Massenbeteiligung war im Staat der „Arbeiter und Bauern“ ein Ding der Unmöglichkeit. In der Dämonologie der SED-Propagandisten stand die Niederschlagung des 17. Juni 1953 in historischer Kontinuität zum heroischen Kampf gegen das NS-Regime: „Die Ereignisse des 17. Juni haben bewiesen: Die Mittel und Methoden der faschistischen Provokateure waren die gleichen wie die der
56 Vgl. Lokatis, Falsche Fragen an das Orakel? 57 Schirdewan, Wahlen zum Bundestag, S. 874. 58 Ulbricht, Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Referat und Schlusswort auf der II. Parteikonferenz der SED, Berlin, 9. bis 12. Juli 1952, S. 18.
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SA- und SS-Banditen. Der faschistische Putsch hatte nicht das Geringste mit einem Streik oder einem Volksaufstand gemein.“59 Mit dem „faschistischen Putschversuch“ hatte die Adenauer-Regierung als Büttel US-amerikanischer Kapitalinteressen den Versuch unternommen, die „friedliche Verständigung der Deutschen untereinander“ zu hintertreiben, die westdeutsche Bevölkerung über die Verhältnisse im anderen Teil Deutschlands zu täuschen und sich einen Vorwand zu schaffen „zur Durchführung von Provokationen und zur weiteren Verschärfung des Terrors gegen alle patriotischen und demokratischen Kräfte in Westdeutschland“.60 Gemeint war in erster Linie die westdeutsche KPD, gegen die im Oktober 1951 – parallel zum Antrag gegen die rechtsextremistische SRP – wegen des Verdachts der „Verfassungswidrigkeit“ ein Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt worden war. Sie wurde als entschlossene Verteidigerin der „im Grundgesetz festgelegten demokratischen Rechte und Freiheiten der westdeutschen Bevölkerung“ präsentiert. „Verfassungswidrig“ sei nicht sie, sondern die „Aufrüstung und Kriegsvorbereitung“61 betreibende Politik der AdenauerRegierung. Die Charakterisierung der SED-„Bruderpartei“ im Westen, der KPD, als parteipolitische Ausprägung des „Radikalismus“ wurde folgerichtig zurückgewiesen. Ein Kommentator des KPD-Verbots konstatierte im SED-Theorieorgan „Einheit“ 1956 entrüstet: „Was hier von der Bonner und Karlsruher Reaktion als verbotswürdiger ‚Radikalismus‘ bezeichnet wird, ist nichts anderes als die Position der Demokratie schlechthin.“62 Propagandistisch geschickt wurde die SPD mit ins Boot der „Demokraten“ genommen und die Vermutung ausgesprochen, „alle gegen die Adenauer-Politik orientierten politischen Kräfte“63 seien nun von einem Verbot bedroht. Die „bürgerlichen Parteien“ charakterisierte der Autor als eine Art Interessenkartell, das „der autoritären Herrschaft der Monopolisten, Bankherren und Großgrundbesitzer, also der Diktatur einer verschwindend kleinen Minderheit, die trügerische Fassade eines demokratischen, vom Volkswillen getragenen Regimes“64 verschaffe. In ihren führenden Rängen fänden sich „immer mehr prominente Nazigrößen und alte Faschisten“;65 mit dem Aufbau der neuen „Wehrmacht unter der Führung der alten Hitler-Generale und -Offiziere“ entstehe ein „Stoßtrupp der faschistischen Reaktion gegen die sozialen und politischen Bewegungen der Arbeiterklasse“.66 Auf diese Weise 59 Ausschuss für deutsche Einheit, Wer zog die Drähte? Der Juni-Putsch 1953 und seine Hintergründe, S. 55. 60 Verner, Bundestagswahlen in Westdeutschland, S. 1005. Siehe auch „Der Zusammenbruch des faschistischen Abenteuers“. In: ND vom 19. Juni 1953, S. 1. 61 Polak, Prozess gegen die KPD, S. 707. 62 Neumann, Verbot der KPD, S. 811. 63 Ebd., S. 810. 64 Neumann, Funktion der bürgerlichen Parteien, S. 272. 65 Ebd., S. 273. 66 Ebd., S. 272.
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wurde der „Radikalismus“-Vorwurf implizit umgekehrt und gegen das politische System der Bundesrepublik gewendet. Allerdings gebrauchten die SED-Propagandisten die Radikalismusformel kaum in diesem Sinn. Stattdessen griffen sie auf pejorative Bezeichnungen wie „reaktionär“, „konterrevolutionär“ oder gar „faschistisch“ zurück. „Konterrevolutionär“ waren innere Feinde vom Schlage der „Harich-Gruppe“, die mithilfe „imperialistischer Sabotagezentralen“ wie dem „Ostbüro der SPD“ die „Liquidierung der Staatsmacht der DDR“67 betrieben habe. Damit waren sie zu Kollaborateuren der „Bonner Ultras“ geworden, die nach der Stabilisierung ihrer Macht zur Vorbereitung einer militärischen Aggression übergingen: „Die Nazigeneralität arbeitete militärische Pläne zur gewaltsamen Eroberung der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik aus, um sich so einen Ausgangspunkt für die Durchsetzung ihrer weitergesteckten Ziele der imperialistischen Aggression gegen die östlichen Nachbarvölker Deutschlands zu schaffen. Die Bürgerkriegsvorbereitungen der Bonner Ultras erreichten im Sommer 1961 ihren Höhepunkt und wurden von der Deutschen Demokratischen Republik – gestützt auf das gesamte sozialistische Lager unter Führung der Sowjetunion – durch die Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls zum Scheitern gebracht.“68 Die SED-Propaganda gegen die „Bonner Ultras“ hatte in den Wochen nach dem Mauerbau einen Höhepunkt erreicht. Ulbricht zufolge war der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, „im Graben der faschistischen Ultras“69 gelandet. Brandt hatte die Vorgänge in Berlin in scharfer Form kommentiert, von der „Sperrwand eines Konzentrationslagers“70 gesprochen, die nun mitten durch Berlin verlaufe. Für die SED war der Bonner Staat, in Kooperation mit der „Brandt-Wehner-Clique“,71 in die „klerikal-militaristische Diktatur der aggressivsten und reaktionärsten Gruppen des westdeutschen Monopolkapitals“ verwandelt worden. Die „Adenauer-Strauß-Partei“ setze die „Politik Hitlers“72 fort und habe „entscheidend zur Restauration des Bonner Neonazismus“73 beigetragen. Bereits im Juli 1947 hatte das SED-Theorieorgan „Einheit“ eine harsche Kritik an einem Buch von Herbert Gross veröffentlicht, in dem sich der Düsseldorfer „Handelsblatt“-Herausgeber gegen eine staatskontrollierte Wirtschaft ausgesprochen und die Planwirtschaft sowjetischen Typs als abschreckendes Exempel vorgeführt hatte. Der Autor sah eine enge Verwandtschaft mit den von Konrad 67 „Die Verbrechen der Harich-Gruppe“. In: ND vom 9. März 1957, S. 4. 68 Schmidt/Schröder, Angriff der Ultras, S. 132 f. 69 Ulbricht, Rede auf einer Wahlversammlung der Nationalen Front des demokratischen Deutschland in Ost-Berlin (25. August 1961), S. 233. 70 Brandt, Erklärung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin (13. August 1961), S. 13. 71 Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV. Reihe, Band 7/1, S. 133. 72 Ebd., S. 138. 73 Ebd., S. 139. Siehe auch Schnitter, Bonner Ultras.
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Adenauer verfassten „Leitsätzen christlicher Sozialpolitik“, die in seinen Augen auf eine Restauration des Kapitalismus und Imperialismus hinausliefen und insofern – getreu der Formel Georgi Dimitroffs, wonach der Faschismus als „offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“74 firmierte – die Bezeichnung „Neofaschismus“ verdiente.75 Mit der ökonomiezentrierten Neofaschismusformel wurden alle „bürgerlichen Kräfte“ einschließlich der „rechten SPD-Führer“ erfasst, die dem Monopolkapitalismus in die Hände arbeiteten. Zwischen der CDU / CSU und der 1964 gegründeten NPD ließ der Begriff nur graduelle Unterschiede zu: „Die offen nationalistische Entwicklung in Westdeutschland drückt sich auch im Entstehen und Wirken der direkt neofaschistischen Nationaldemokratischen Partei (NDP) [!] aus. Bei aller Beachtung der Tatsache, dass sie den Nationalismus besonders laut und aggressiv verkündet und ihr Einfluss in einer Reihe von Städten und Gebieten der Bundesrepublik bedrohlich zugenommen hat, wäre es jedoch falsch, zu übersehen, dass der Hauptträger der neuen nationalistischen Welle die herrschende Partei in der Bundesrepublik, die CDU/CSU, ist. Dabei besteht zwischen ihr und der NDP gewissermaßen ‚Arbeitsteilung‘, bei der die letztere den offenen Nationalismus um zwei Töne stärker verkündet, damit ihn die CDU/CSU massenwirksam um einen Ton erhöhen kann.“76 Angesichts der NPD-Wahlerfolge in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre erfuhr diese Lesart eine weitere Zuspitzung: „Die gegenwärtige Hauptkraft des westdeutschen Neonazismus und der westdeutschen Faschisierung ist die CDU/CSU (besonders die Kräfte um F. J. Strauß), deren Filiale und Ableger besonderer Art die NPD darstellt.“77 „Neofaschismus“ und „Neonazismus“ erschienen als Synonyme. Im Zuge der neuen Ostpolitik, deren Grundzüge schon während der Großen Koalition sichtbar wurden, nahm die Kritik an den „rechten SPD-Führern“ und am „Sozialdemokratismus“ – er galt indes weiter als „Position der Reaktion, der Negation der Demokratie, der imperialistischen Konterrevolution“78 – mildere Formen an, während die feindselige Haltung gegenüber der bald darauf oppositionellen CDU/CSU erhalten blieb, zeitweilig gar eine Steigerung erfuhr. Ein Kommentator meinte gar, der 16. Bundesparteitag der CDU (3. bis 7. November 1968 in Westberlin) sei „im Stile faschistischer Reichsparteitage“79 abgehalten worden. Nach Bildung der sozial-liberalen Koalition verfestigte sich diese Sichtweise. Wenn „bestimmte Kreise der westdeutschen Monopolbourgeoisie 74 75 76 77 78 79
„Der Faschismus und die Arbeiterklasse. Bericht des Genossen Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale“ (17. Aug. 1935). In: Pirker (Hg.), Komintern und Faschismus, S. 187. Vgl. Stasch, Theorie des Neofaschismus. Neubert, Nationalismus in Westdeutschland, S. 1175. Schröder, Neonazismus, S. 209. Heyden, Weltanschauliche Grundlagen, S. 150. Siehe auch: Richter/Wrona, Ideologie des Sozialdemokratismus; Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Hg.), Ideologie des Sozialdemokratismus. Hoeft, Parteitag, S. 79.
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gegenwärtig eine sozial-liberale Variante der Machtausübung in Gestalt der Brand/Scheel-Regierung stützen“, bedeute dies „natürlich nicht, daß die extrem reaktionäre Strömung [...] ihre politische Bedeutung verloren hat. Solange das imperialistische System besteht, bleibt die Errichtung extrem abenteuerlicher, reaktionärer und aggressiver Regimes mit all ihren Grausamkeiten und Leiden für die Werktätigen eine ernste Gefahr.“80 Ulbricht sah das „Auftreten der Neonazis und der extrem reaktionären Kräfte der CDU/CSU“81 in engem Zusammenhang. In der Ära Honecker und im Zuge der Entspannungsbemühungen der siebziger Jahre erfuhren Feinddefinitionen und stigmatisierende Terminologie eine Abmilderung, ohne sich jedoch grundsätzlich zu verändern. Vor allem die öffentlichen Provokationen offen neonationalsozialistisch hervortretender Gruppierungen boten permanent Gelegenheit, vor der Gefahr des „Neofaschismus“ zu warnen. Angesichts des Oktoberfest-Attentats in München (September 1980) hieß es: Zwar stehe die „Ablösung der bürgerlich-parlamentarischen Herrschaftsform der Monopolbourgeoisie durch die Errichtung der offen terroristischen Diktatur der reaktionärsten und aggressivsten Elemente des Monopolkapitals nicht vor der Tür. Doch die geschichtlichen Erfahrungen lehren eindringlich, wie verhängnisvoll es ist, die rechtsextremistischen Gefahren für den Bestand der bürgerlichen Demokratie zu verharmlosen und zugleich die Kommunisten und andere Linkskräfte, die konsequent gegen Faschismus und Krieg, für Demokratie und sozialen Fortschritt kämpfen, als Feinde der Demokratie zu diffamieren und zu verfolgen.“82 Die Formeln „Neofaschismus“ und „Rechtsradikalismus“ blieben ökonomisch determiniert, weitgehend an den Auslegungen und Sprachregelungen der Komintern ausgerichtet. DDR-Faschismusforscher betonten noch in der ersten Hälfte der achtziger Jahren unverdrossen die Gültigkeit der „klassischen“ Faschismusdefinition Dimitroffs.83 Wurden Bezeichnungen wie „Rechtsradikalismus“, „Ultrarechte“ oder „Rechtsextremismus“84 verwendet, so in der Regel im Interesse einer variierenden stilistischen Gestaltung oder in Anlehnung an fremde Terminologien, ohne diese mit einem eigenen marxistisch-leninistischen Gehalt zu füllen. Griff man auf den Begriff „Radikalismus“ als „Bezeichnung für extreme (sowohl rechte wie auch ‚linke‘) politische Strömungen“ zurück, durfte der Hinweis auf die Unterschiedlichkeit des „Klassencharakters“ und die verschiedene Haltung zum „gesellschaftlichen Fortschritt“85 nicht fehlen. 80 81 82 83
Herrmann, Formierung, S. 1088. Ulbricht, Bemerkungen zu den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD. Ullrich, Ist der Neofaschismus in der BRD eine reale Gefahr?, S. 1314. Siehe nur Weißbecker / Wimmer, Wesen und Erscheinungsformen des Faschismus, S. 488. 84 Siehe etwa Birch/Hillmann, Krise im Herrschaftssystem des USA-Imperialismus, mit dem Abschnitt „Der Rechtsextremismus und seine Bindungen zur herrschenden Klasse“, S. 1178 f.; Herrmann, Zur Formierung, S. 1097–1100. 85 Art. „Radikalismus“. In: Meyers Neues Lexikon, Band 6, S. 789.
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Die SED-Sprache besaß zahlreiche pejorative Begriffe für eine von der marxistisch-leninistischen „Generallinie“ abweichende Linke: Während „rechte“ Abweichungen etwa mit Etiketten wie „Revisionismus“, „Opportunismus“, „Sozialdemokratismus“, „Versöhnlertum“ bedacht wurden, erhielten „linke“ Abweichungen Attribute wie „ultralinks“, „anarchistisch“, „trotzkistisch“, „maoistisch“ usw. Die damit verbundenen „schädlichen“ Tendenzen brachte der Begriff „Linksradikalismus“ zum Ausdruck. Dieser Begriff besaß eine eigene ideologische Basis in Lenins Schrift über den „linken Radikalismus“ als „Kinderkrankheit im Kommunismus“.86 Im „Linksradikalismus“ verbanden sich nach dieser Lesart ungehemmte revolutionäre Leidenschaft mit der Unfähigkeit zu einer den jeweiligen Realitäten entsprechenden, strategisch durchdachten Politik. In ihm kamen u. a. marxistische Auffassungen zum Ausdruck, die von Lenin – etwa in seinen Auseinandersetzungen mit Mach und Pannekoek – bekämpft worden waren. Lenins Schrift galt insbesondere als „Handbuch der marxistisch-leninistischen Strategie und Taktik“. In den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution war der „Linksradikalismus“ – verbunden mit „Doktrinarismus, Dogmatismus und Sektierertum“ – „zum Haupthindernis für die innere Konsolidierung der jungen kommunistischen Parteien bei ihrer Entwicklung zu proletarischen Massenparteien“ geworden. Auf der Grundlage der Erfahrungen „im Kampf mit dem kleinbürgerlichen, halbanarchistischen Revolutionarismus“ deckte Lenin den Klassencharakter des „extremen Revolutionarismus“ auf und legte dessen Unfähigkeit zur „Ausdauer, Organisiertheit, Disziplin und Standhaftigkeit“87 offen. Dabei hob er die Notwendigkeit einer straff organisierten, geschlossen handelnden Partei der Berufsrevolutionäre hervor und unterwies in der Kunst taktischer Kompromisse im Klassenkampf. „Linksradikale“ waren demnach Leninkritiker, die Grundeinsichten der marxistisch-leninistischen Strategie und Taktik mit Füßen traten.88 Der Vorwurf des „Linksradikalismus“ traf Rätekommunisten, Anarchisten und Anarchosyndikalisten ebenso wie Trotzkisten und Maoisten. In den siebziger und achtziger Jahren wurde zwischen dem Linksradikalismus „nichtproletarischer Kräfte“ und „linksopportunistischen“ Erscheinungen in Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung differenziert.89 Der zuletzt genannten Gruppe gehörten auch unorthodoxe Marxisten an, die Lenin in „verfälschender“ Weise interpretierten oder den marxistischen Charakter seiner Lehren in Zweifel zogen.90 Anstatt von „Links86 Vgl. Lenin, Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus. 87 „Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“. In: Wörterbuch des Wissenschaftlichen Kommunismus, S. 235. Siehe auch „Radikalismus“. In: Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin (Ost) 1986, S. 783 f. 88 Vgl. nur Albrecht, Marxismus. 89 Vgl. etwa Gerns/Steigerwald/Weiß, Opportunismus heute, S. 32 f.; Harder, Klassenkampf. 90 Vgl. Adamo, Antileninismus; Steigerwald, Marxistische Klassenanalyse; Wingert, Die marxistisch-leninistische Lehre.
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radikalismus“ war oft von „Ultralinken“,91 gelegentlich auch vom „Linksextremismus“92 die Rede, ohne dass Bedeutungsunterschiede sichtbar wurden. „Linksradikalismus“, „Linksextremismus“ und „Gauchismus“ (in Frankreich) galten als „Synonyme“.93 Diesen Formen des „kleinbürgerlichen ‚linken‘ Revolutionarismus“,94 dessen Linkssein fragwürdig erschien und Anführungszeichen erforderlich machte, bescheinigte man ein häufiges „Schwanken von einem Extrem ins andere“.95 „Linksradikalismus“ war aus marxistisch-leninistischer Sicht zwar abzulehnen, keineswegs aber in gleichem Maße verdammenswert wie „Rechtsradikalismus“ oder „Neofaschismus“. So konnte der Sekretär des Zentralkomitees der (illegalen) KPD, Josef Schleifstein, der als ML-Experte in der DDR eine Blitzkarriere gemacht hatte und in die Bundesrepublik übergesiedelt war,96 um die neue DKP aufzubauen, anlässlich einer Tagung in Frankfurt am Main im „revolutionären Mai“ 1968 den „prachtvollen Kampfgeist“ der „politisch aktiven Kräfte in der studentischen Jugend“ preisen, für eine Verständigung und gemeinsame Aktionen werben und zugleich deren „Linksradikalismus“ aus der überlegenen Warte abgeklärter marxistisch-leninistischer Dialektik kritisieren: „Das gilt besonders für linksradikalistische und anarchistische Theorien, die eine Beteiligung an Parlamentswahlen und an der parlamentarischen Tätigkeit ablehnen, es gilt für die Verabsolutierung bestimmter Kampfmethoden der sogenannten direkten Aktion, für die Stellung zu Fragen der Organisation, der Tradition, für rein mechanistische Auffassungen vom Antiautoritären und vom Antiinstitutionalismus. Der Marxismus geht an die Fragen der Kampfformen wie an alle anderen gesellschaftlichen Erscheinungen nicht doktrinär, sondern konkrethistorisch und dialektisch heran.“97 An Ost-Berlin orientierte Kommunisten hatten daher grundsätzlich zwischen „den Ideologen und Führungskräften der linksradikalen Sekten, die bewusst den Pfad eines pseudorevolutionären Antikommunismus und Abenteurertums beschritten, und den irregeleiteten Mitläufern“ zu unterscheiden, „die aus politischer Unerfahrenheit in solche Gruppen hineingeraten waren, jedoch aktiv gegen das imperialistische System kämpfen wollten. Die revolutionären Potenzen dieser einfachen Mitglieder linksradikaler Sekten gilt es auch heute für den gemeinsamen Kampf um Frieden und Sozialismus fruchtbar zu machen.“98 Als eine in diesem Sinne wirkende Kraft präsentierte sich die bald darauf „neu konstituierte“ DKP, die das politische Potential der studentischen Protest91 Nörenberg, Planwirtschaft, S. 9. 92 Vgl. Autorenkollektiv unter der Leitung von Norbert Madloch, Links-Radikalismus, S. 17. 93 „Linksradikalismus“. In: Wörterbuch des Wissenschaftlichen Kommunismus, S. 237. 94 Ebd. 95 Autorenkollektiv unter der Leitung von Norbert Madloch, Links-Radikalismus, S. 18. 96 Vgl. zur Person: Baumgartner, Schleifstein. 97 Schleifstein, Gedanken zur Bewegung der studentischen Jugend in Westdeutschland, S. 913. 98 Weichold, Götterdämmerung, S. 232.
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bewegung ausnutzen wollte. Angesichts des schon 1969 offenbar gewordenen Grenzen ihrer Mobilisationsfähigkeit (das von der DKP mitinitiierte Wahlbündnis „Aktion Demokratischer Fortschritt“ hatte bei der Bundestagswahl lediglich 0,6 Prozent der Stimmen erreicht) stellte ein besorgter „Einheit“-Leser die Frage, ob die marxistisch-leninistischen Hoffnungen in das weitere Anwachsen des linken Protestes nicht übertrieben seien. Genosse Helmut Hesselbarth antwortete: Die Studentenbewegung sei die Folge der „durch den staatsmonopolistischen Kapitalismus erzeugten und vertieften Widersprüche, die sich im Hochschulbereich auf spezifische Weise äußern. Solange diese Widersprüche existieren und zunehmen, solange wird mit großer Sicherheit auch die Studentenbewegung fortdauern.“ Allerdings habe „der ultralinke Radikalismus immer deutlicher seine Unfähigkeit bewiesen, die studentischen Energien in einen wirklichen, nicht utopischen Kampf für eine antiimperialistische, demokratische Hochschulerneuerung zu lenken. Im Gegenteil, er hat diese Energien von diesem Kampf abgedrängt. Das hat zur Enttäuschung unter den protestierenden Studenten, zum Einflussschwund des Linksradikalismus und zur inneren Krise des SDS beigetragen. [...] Angesichts dieser Tendenzen wird es immer dringlicher, daß innerhalb der Studentenbewegung eine wirklich marxistische Theorie, Strategie und Taktik an Einfluss gewinnt“.99 Der „Linksradikalismus“ war aufgrund seiner „illusionären“ Politik nicht nur zum Scheitern verdammt; er spielte dem „Großkapital“ auch in die Hände: „Schon ein kurzer Überblick über die Erfahrungen der Klassenkämpfe der sechziger Jahre macht deutlich, daß die Großbourgeoisie im Kampf gegen den gesellschaftlichen Fortschritt besonders auf den rechten und ‚linken‘ Opportunismus baut. Unter sozialistischen Phrasen agierende Vertreter des Sozialdemokratismus und Revisionismus wie auch des Maoismus und anderer Formen des ‚linken‘ Radikalismus sollen das erreichen, was den direkt antisozialistisch auftretenden Ideologen der Großbourgeoisie bisher nicht gelungen ist. Selbst der Trotzkismus, eine durch die Geschichte längst entlarvte konterrevolutionäre Spielart des ‚linken‘ Opportunismus, wird aufpoliert und als Instrument des Antikommunismus eingesetzt.“100 Auch zehn Jahre später hatte sich an dieser Situation wenig geändert. Auf dem X. SED-Parteitag wurde daher eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Linksradikalismus angemahnt: „Von offensiver Position aus müssen die verleumderischen Angriffe bürgerlicher, revisionistischer und ultralinker Ideologie gegen den realen Sozialismus, gegen seine Politik des Friedens und gegen die kommunistische Weltbewegung zurückgewiesen und mit überzeugenden Argumenten widerlegt werden.“101 Dieser Aufgabe wid-
99 „Zur Rolle der Studentenbewegung in Westdeutschland“. In: Einheit, 25 (1970), S. 115 f., hier 115. Siehe auch Hesselbarth, Aufbruch der Studenten in der kapitalistischen Welt, S. 1354–1366. 100 Heyden, Das antikommunistische Wesen des heutigen Trotzkismus, S. 211. 101 X. Parteitag der SED. 11. bis 16. April 1981 in Berlin. Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den X. Parteitag der SED, S. 92.
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meten sich u. a. junge Sozialwissenschaftler an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und an universitären Fakultäten.102 Linksradikale fungierten als Instrument des Antikommunismus, Rechtsradikale hingegen bildeten dessen ideologische Speerspitze. Vom Rechtsradikalismus oder Rechtsextremismus – beide Formeln standen in den achtziger Jahren nebeneinander – ging daher die eigentliche Gefahr aus. „Rechtsradikalismus“ war eine zentrale Kategorie bei der propagandistischen Auseinandersetzung mit den tragenden politischen Kräften der „BRD“, vor allem der CDU/CSU. Zwischen den Unionsparteien und dem „Neonazismus“ und „Neofaschismus“ der NPD gab es nur eine graduelle Differenz. Die CDU/CSU operierte „trotz des Geredes von der Partei der ‚Mitte‘ im politischen Raum der Rechten bzw. des extrem militanten Antikommunismus“, und so konnte man zugespitzt formulieren: „Die CDU/CSU verkörpert selbst in starkem Maße den Neonazismus.“ Sie unterhalte daher ein „positiveres Verhältnis“ zur NPD, „als es etwa zwischen der Zentrumspartei und den Nazis bestanden hat und bestehen konnte. Heute ist nicht nur eine Partei sozusagen nach rechts gerutscht, sondern das ganze Parteiensystem, wozu die Politik der sozialdemokratischen Führer erheblich beigetragen hat.“103 In den siebziger Jahren differenzierte sich dieses Bild. Ludwig Elm setzte sich an der Universität Jena intensiv mit den „Traditionen und Tendenzen des Konservatismus in der BRD“104 auseinander. In einem von ihm herausgegebenen Band wurden die Ergebnisse dieser Forschungen zu Anfang der achtziger Jahre in folgender Weise zusammengefasst: „Nach einer Periode des Entstehens verschiedener postnazistischer kleiner Organisationen trat in der BRD mit der NPD eine symptomatische Aktivierung des Faschismus ein. Sie wurde durch die verstärkt revanchistische Politik der in dieser Zeit regierenden CDU/CSU hervorgerufen, was zum anderen mit dem Zusammenbruch des ‚Wirtschaftswunders‘ in diesem Land verbunden war. Die Aktivierung der neofaschistischen Kräfte in der BRD, die ‚Hitlerwelle‘, die sich in der BRD ausweitet und teilweise eine offene Nazismusnostalgie auslöst, zwingt zu einer Rückbetrachtung und löst ernsthafte Befürchtungen aus. Die Sympathisantenschar der extremen Rechten hat sich deutlich verjüngt, ihre Tätigkeit hat an Stärke gewonnen, ist aggressiver geworden als in den Vorjahren, und sie gewinnt an Breite. Gleichzeitig simplifizieren offizielle politische Kreise die im Neofaschismus verborgene Gefahr und behaupten, dass angeblich nicht die geringste Gefahr für die innere Sicherheit bestehe.“105
Auch in dieser differenzierteren Form gewann der Leser den Eindruck von einem allmählichen Abdriften des westdeutschen Systems in Richtung Faschismus. Greller zeichnete Arno Winkler die politische Lage: „Die gefährlichen Umtriebe neofaschistischer Kräfte in der BRD haben in den letzten Jahren lawinen102 Vgl. nur Pabst, Linksradikalismus; Schadow, Marxistisch-leninistische Politökonomische Auseinandersetzung; Weichold, Probleme des Linksradikalismus. 103 Weißbecker, Neonazismus, S. 849. 104 Elm, Traditionen und Tendenzen, S. 861–878. 105 Knobelsdorf, Entwicklungstendenzen des modernen Rechtsextremismus, S. 106.
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artig zugenommen. Die Weltöffentlichkeit wird durch immer neue Tatsachen alarmiert, die beweisen, dass sich die neofaschistischen Tendenzen im gesellschaftlichen Leben der BRD verstärken. Neofaschistische Organisationen und Gruppen schießen wie Pilze aus der Erde.“106 Die offiziellen Berichten des westdeutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz traf der Vorwurf,, „Rechtsextremismus und Neonazismus als einen lediglich von den Linken aufgebauten ‚braunen Popanz‘“ und den „Linksextremismus“ (in Anführungszeichen) irreführenderweise als „die Hauptgefahr für den Bestand der Bundesrepublik darzustellen.“107 Solche Propagandabilder fanden über die Zeitschriften und Verlage (allen voran Pahl-Rugenstein in Köln) im Umkreis der DKP weite Verbreitung auch in Westdeutschland. Die „Bruderpartei“ konnte beim westdeutschen Wähler zwar keinerlei Anklang finden, aufgrund ihrer Alimentierung aus Ost-Berlin (noch für das Jahr 1990 waren Transferleistungen in Höhe von 67,9 Mio. DM vorgesehen108) jedoch rege Einflusstätigkeit entfalten. Eine stattliche Anzahl von Intellektuellen und staatlich alimentierten Professoren bewegte sich im ideologischen Kielwasser Ost-Berlins. Besondere Aufmerksamkeit und Anerkennung genossen die Schriften des Marburger Politikwissenschaftlers Reinhard Kühnl, dessen Faschismusbegriff starke Ähnlichkeiten mit dem der SED aufwies. Seine Schrift über „Die von F.J. Strauß repräsentierten politischen Kräfte und ihr Verhältnis zum Faschismus“ erntete viel Lob im SED-Organ „Einheit“: „Kühnl wählt für seine Beweisführung, dass es durchaus rechtens ist, Strauß und Hitler in Verbindung zu bringen, die Methode, ständig Haltung und Politik von Franz Josef Strauß einerseits mit den rechtsextremen Kräften der 20er und 30er Jahre zu vergleichen – wie sie etwa in der Harzburger Front vereinigt waren – und andererseits mit den neofaschistischen Kräften in der BRD wie NPD oder ‚Deutsche Volksunion‘.“109 Die „Harzburger Front“ trieb auch den Münchener Publizisten, Altkommunisten und ehemaligen KZ-Häftling Kurt Hirsch um, der den Kampf gegen den Rechtsextremismus mit heftigen Angriffen auf die Unionsparteien verband.110 Der von ihm ins Leben gerufene „Pressedienst Demokratische Initiative“ (PDI) diente diesem Zweck. Aufklärung über die Tätigkeit tatsächlicher oder vermeintlicher „Rechtsradikaler“ (in meist alarmistischem Ton und mit großinquisitorischen Attitüden) ging stets mit Attacken gegen CDU und CSU, mitunter auch gegen „rechte“ Sozialdemokraten einher.111 Zu Beginn der neunziger Jahre 106 107 108 109 110 111
Winkler, Neo-Faschismus in der BRD, S. 5. Weißbecker, Faschismus in der Gegenwart, S. 267. Vgl. Moreau, Kommunismus. Hoeft, Strauß und Barzel, S. 633. Vgl. Hirsch, Kommen die Nazis wieder?, S. 174. Vgl. etwa: PDI (Hg.), Die Union und der Neonazismus. Verharmlosung als Methode, PDI-Sonderheft Nr. 13; PDI-Blick nach rechts, Sonderausgabe Nr. 5, August 1982; Köhler, Union konkret, PDI-Blick nach rechts, Sonderausgabe Nr. 10, München, Februar 1983; Kühnl, Der Einfluss rechtsradikalen Gedankenguts auf die Arbeitnehmer, PDIBlick nach rechts, Sonderausgabe Nr. 7, München, September 1982.
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gelangten Informationen an die Öffentlichkeit, wonach Kurt Hirsch von der HVA-Abteilung X („Desinformation“) als Inoffizieller Mitarbeiter geführt worden sei. Wie sich später bestätigte, hatte das Ministerium für Staatssicherheit via Hirsch (IM „Helm“) „Ausarbeitungen der Abteilung X zur rechtsextremen Szene über verschiedene Buchprojekte in die westdeutsche Öffentlichkeit“112 transportiert. Mit dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ war diese Form der Einflusstätigkeit ebenso zu Ende gegangen wie die spezifische Form der Auseinandersetzung mit dem „kapitalistischen System der BRD“.113 In der SED-Propaganda hatte das – für den Nationalsozialismus charakteristische – Selbstverständnis, Ausdruck eines „positiven Extrems“ zu sein, keine Rolle gespielt. Die politischen Extreme existierten aus Ost-Berliner Sicht jenseits des „antifaschistischen Schutzwalls“. Innerhalb von vier Jahrzehnten schwächte sich der Rechtsextremismusvorwurf allerdings ab, verschoben sich die Adressaten. Etwas vereinfachend lässt sich folgender Ablauf feststellen: In den fünfziger und sechziger Jahren traf der Rechtsextremismusvorwurf („Rechtsradikalismus“, „Neofaschismus“, „Neonazismus“) die SPD kaum weniger als CDU und CSU. In den siebziger Jahren verminderten sich die Attacken gegen die regierende Sozialdemokratie nicht zuletzt im Zeichen der Entspannungspolitik, während die nun oppositionelle Union bevorzugtes Angriffsziel blieb. In den achtziger Jahren wandelte sich das Bild am stärksten. CDU und CSU gelangten auf Bundesebene wieder an die Regierung, halfen Ost-Berlin bei der Vermittlung von Milliardenkrediten, während die SPD mit der SED im Interesse der „gemeinsamen Sicherheit“ über ein Ideologiepapier verhandelte.114 Vor allem das in Moskau verkündete „neue politische Denken“ führte zu größerer Zurückhaltung in der Anwendung der Propagandaformeln,115 wenn sich diese selbst auch nicht wesentlich wandelten. Gegenüber den „Linksradikalen“ hatte man ohnehin stets mildere Töne angeschlagen. Hier standen die Zeichen nun vollends auf Dialog und Kooperation,116 sofern die betreffenden Gruppierungen nicht als „feindlichnegative Kräfte“ auf dem DDR-Territorium agierten.117 Wie weit das Wohlwollen in der Praxis gehen konnte, erfuhr man erst nach dem Ende des SED-Staates: Im westlichen Deutschland strafverfolgte, inzwischen kampfesmüde RAFTerroristen hatten im „Staat der Arbeiter und Bauern“ eine Art politisches Asyl gefunden.118 112 Knabe, Stasi im Westen, S. 112. 113 Auf bescheidenerem Niveau fanden sie eine Fortsetzung in den politischen Bemühungen der DKP und ihrer Gesinnungsgenossen innerhalb der PDS. Vgl. nur Moreau / Lang, Linksextremismus. 114 Vgl. „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“. In: Einheit, 42 (1987), S. 771–780. 115 Dies betraf auch das heftig befehdete Totalitarismuskonzept. Vgl. Jesse, Die „Totalitarismus-Doktrin“, S. 458–483. 116 Vgl. nur Madloch, Vorwort. In: Autorenkollektiv unter der Leitung von Norbert Madloch, Links-Radikalismus, S. 5–8. 117 Wie die KPD/ML. Vgl. Wunschik, Die maoistische KPD/ML. 118 Vgl. Peters, Tödlicher Irrtum, S. 537–591.
VIII. Extremismus als Bestandteil der offiziellen/ offiziösen Sprache der Bundesrepublik Deutschland 1.
Extremismus und antitotalitärer Gründungskonsens
In den westlichen Zonen des von den Siegermächten besetzten Deutschlands begann der Wiederaufbau freiheitlich-demokratischer Strukturen auf kommunaler Ebene, begleitet von den Verfassungsberatungen der Länder.1 Hier wie zwei Jahre später bei den Verfassungsberatungen zur Gründung eines als Provisorium gedachten Weststaates war die Frage des Demokratieschutzes von zentraler Bedeutung. Die neue deutsche Demokratie sollte nicht das Schicksal der alten erleiden. Die traumatischen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und die Vorgänge in der Sowjetischen Besatzungszone, die die Verhandlungen begleiteten, ließen in dieser Frage einen parteiübergreifenden antitotalitären Konsens entstehen, dem sich jedoch die Abgeordneten der KPD entzogen. Von „Konsens“ kann insofern nur unter Ausschluss der kommunistischen Minderheit die Rede sein, die in den ersten Nachkriegsjahren von der Vitalität des „Antifaschismus“ und ihrem Widerstand gegen das NS-Regime profitierte.2 Sie war daher in vielen Landesparlamenten und Landesregierungen (zumeist Allparteienkoalitionen) vertreten, verlor aber – vor allem wegen ihrer Anbindung an Ost-Berlin und Moskau und der Vorgänge in der Sowjetischen Besatzungszone – bereits vor der Einleitung des Verbotsverfahrens (1951) an Einfluss.3 Allgemeinbegriffe für jene Kräfte, gegen die man sich zu schützen hatte, mied die juristisch geprägte Verhandlungssprache der Zeit überwiegend. Allenfalls war die Rede davon, das entstehende Grundgesetz dürfe nicht die Hand „zu seiner eigenen Totalbeseitigung oder -vernichtung“ bieten, „insbesondere dazu, dass eine revolutionäre antidemokratische Bewegung mit demokratischen Mitteln auf scheinbar ‚legalem‘ Weg die hier normierte demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung ins Gegenteil verkehrt“.4 Auf diese Weise wurde die Aufnahme einer „Ewigkeitsgarantie“ in das Grundgesetz (später Art. 79,3 GG) begründet. An welche revolutionär-antidemokratischen Bestrebungen gedacht war, zeigt beispielsweise das Plädoyer des SPD-Abgeordneten Rudolf Katz im Organisationsausschuss des Parlamentarischen Rates für die Möglichkeit des Verbots von Parteien mit „verfassungswidriger“ Haltung: „Wir dürfen nicht vergessen, hinter uns liegen 12 Jahre Diktatur, und die Gespenster derartiger Parteien spuken in gewissen Volksgruppen noch sehr lebendig herum. Wir haben damit zu rechnen, dass in Kürze verkappte Diktaturparteien der Kommunisten und National1 2 3 4
Vgl. Eschenburg, Besatzung. Vgl. Backes/Jesse, Antiextremistischer Konsens; Jesse, Antiextremistischer Konsens. Vgl. Klocksin, Kommunisten im Parlament; Backes / Jesse, Politischer Extremismus, S. 142–145. Kommentar zur Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Dezember 1948, Drucksache 374. Zitiert nach Scherb, Demokratieschutz, S. 193.
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Extremismus als Bestandteil der offiziellen / offiziösen Sprache
sozialisten auftauchen werden; in gewissen Formen sind sie vielleicht heute schon da. Daher halte ich eine Bestimmung für notwendig, die ein sofortiges Einschreiten gegen solche Parteien zulässt“.5 In den Beratungen zur Regelung des „Gesetzgebungsnotstandes“ warnte Johannes Brockmann (Zentrum) vor einer „Radikalisierung“: „Extreme Parteirichtungen neigen dazu, die Arbeit der Regierung unmöglich zu machen“. Entsprechende verfassungsrechtliche Bestimmungen sollten dazu dienen, „der Flucht der Parteien aus der Verantwortung einen Riegel vorzuschieben“.6 Die Furcht, dass „radikale Entwicklungen eintreten“7 könnten, war allgegenwärtig. Die im Grundgesetz verankerte „streitbare Demokratie“ beruhte auf dem in diesen Äußerungen zum Ausdruck kommenden Demokratieschutzdenken. Es sollte auch auf behördlicher Ebene seinen Niederschlag finden. Als die westlichen Militärgouverneure im April 1949 im sogenannten „Polizeibrief“ an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates der künftigen Bundesregierung die Gründung eines Inlandsnachrichtendienstes gestatteten, war von einer „Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten“8 die Rede. In erster Linie ging es ihnen um die zunehmende Gefahr kommunistischer Infiltration. In den parlamentarischen Beratungen zum Verfassungsschutzgesetz war aber auch an andere Formen der „Gegenpropaganda antidemokratischer Kräfte“9 gedacht. Als der KPD-Abgeordneten Fisch es für sinnlos erklärte, einen „auf Geheiß ausländischer imperialistischer Herren“10 zustande gekommenen Staat zu schützen, entgegnete der SPD-Abgeordnete Otto Heinrich Greve, der dem Parlamentarischen Rat angehört hatte: „Meine Damen und Herren! Schutz der Verfassung heißt Schutz der Demokratie. Dass auf diesem Gebiet die Herren Fisch und Genossen eine andere Auffassung haben als die Mehrheit dieses Hauses, sollte uns nicht wundern. [...] Jawohl, Herr Fisch, Sie haben gefragt, was wir schützen wollen. Wir wollen uns vor Ihnen und Ihren Gegenspielern auf der politischen Rechten mit unserer Verfassung und mit dieser Demokratie schützen, Herr Fisch!“11 Die „notwendigen Mittel gegen alle Feinde der Demokratie“,12 von links wie von rechts, seien anzuwenden. Darüber waren sich die Redner der Regierungs5 Protokoll der 6. Sitzung des Kombinierten Ausschusses vom 24. September 1948, S. 174. 6 24. Sitzung des Ausschusses für Organisation des Bundes, 1. Dezember 1948, S. 851. 7 So Walter Strauß (CDU), der diese Furcht für überzogen erachtete: „wenn das einmal eintritt, ist das ganze Grundgesetz Makulatur“. 10. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof, 11. Januar 1949, S. 1546. 8 Schreiben der Militärgouverneure vom 14. April 1949 an den Parlamentarischen Rat über die Regelung der der Bundesregierung auf dem Gebiet der Polizei zustehenden Befugnisse, S. 669. Vgl. dazu Badura, Legitimation, S. 28. 9 So der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ritter von Lex: Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode, 65. Sitzung vom 1. Juni 1950, S. 2387. 10 Ebd., S. 2390. 11 Ebd., S. 2391. 12 Ebd., S. 2392.
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parteien und der SPD-Opposition ebenso einig wie über die Notwendigkeit, die freiheitliche Demokratie im Denken der breiten Bevölkerung zu verankern. Es entsprach dem Stabilitätstrauma der Gründergeneration des westdeutschen Staates, wenn der Erste Deutsche Bundestag unmittelbar nach seiner Konstituierung einen „Ausschuss zum Schutz der Verfassung“ ins Leben rief, der – unter dem Vorsitz des SPD-Abgeordneten Walter Menzel – seine Arbeit aufnahm und durch die Beobachtung „subversiver und staatsfeindlicher Strömungen“13 einen Beitrag dazu leisten sollte, dass ein Rückfall in die Fehler von Weimar vermieden würde. Man war entschlossen, gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen notfalls mit den Mitteln des Strafrechts und den im Grundgesetz verankerten repressiven Instrumenten vorzugehen. Die dezidierte Abwehrbereitschaft nach links und rechts kam in einem Erlass des Bundesministers des Innern vom 19. September 1950 über die „Politische Betätigung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung“ zum Ausdruck: „Der Beschluss der Bundesregierung stellt klar, dass die Teilnahme von Beamten, Angestellten und Arbeitern im unmittelbaren und mittelbaren Bundesdienst an Bestrebungen oder Organisationen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, mit der Treuepflicht gegen die Bundesrepublik nicht vereinbar ist. Darunter fallen in gleicher Weise links- und rechtsradikale Bestrebungen oder Organisationen“. In einer Richtlinie des Hessischen Innenministers vom 19. Oktober 1950 zu demselben Problemkreis wurde die Mitgliedschaft in „der KPD oder einer totalitären rechtsradikalen Organisation oder einer ihrer Tarnorganisationen“14 als Verletzung der Treuepflicht bezeichnet. Mit Gesetz vom 27. September 1950 war das Bundesamt für Verfassungsschutz ins Leben gerufen worden. Seine Aufgabe bestand in der „Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über Bestrebungen, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben.“15 Nach einer schwierigen Startphase (Affäre John) entwickelte es eine systematische Beobachtungstätigkeit, die vor allem auf den „Rechts-“ und „Linksradikalismus“ zielte, wie es in Anlehnung an den noch aus Weimarer Zeit stammenden vorherrschenden Sprachgebrauch hieß. Der Inhalt dieser Begriffe orientierte sich am Tatbestand der Verletzung der Normen der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, also an der 13 Protokoll des Ausschusses zum Schutz der Verfassung, 3. Sitzung vom 22. November 1949, S. 5. Zitiert nach Schiffers, Verfassungsschutz, S. 15. 14 Erlass des Bundesministers des Innern vom 19. September 1950; Richtlinien des Hessischen Ministers des Innern vom 19. Oktober 1950, zitiert nach dem Abdruck bei: Erhard Denninger (Hg.), Freiheitliche demokratische Grundordnung. Materialien zum Staatsverständnis und zur Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik, Band II, Frankfurt a. M. 1977, S. 509 f., hier 509; 511 f., hier 511. 15 Bundesgesetzblatt, Nr. 42/1950, S. 682.
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„Verfassungsfeindlichkeit“ und „Verfassungswidrigkeit“ mit Bezug auf den im Grundgesetz geschützten Kernbestand als unverzichtbar geltender Werte und Spielregeln. Diese Maßstäbe wurden in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der SRP und der KPD geschärft. Das Gericht konnte auf die Arbeit des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zurückgreifen, der das strafrechtliche Delikt der „Staatsgefährdung“ mit dem Versuch der Beseitigung der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ verbunden und fünf inhaltliche Grundsätze formuliert hatte.16 Auf dieser Basis wurde die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ im SRP-Verbotsurteil als eine Ordnung bestimmt, „die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit“ darstelle. Zu deren „grundlegenden Prinzipien“ wurden „mindestens“ gerechnet: „die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“.17 Schlüsselbegriff war die vom Gericht zu prüfende „Verfassungswidrigkeit“ der Partei, nicht der „Radikalismus“. Doch griff das Gericht bei der Charakterisierung der „demokratiefeindlichen“ Haltung der SRP auf diesen Begriff zurück. Bereits eine „oberflächliche Betrachtung der Führerschicht, des organisatorischen Aufbaus, des Programms und des Auftretens der SRP in der Öffentlichkeit legt die Vermutung nahe, dass es sich bei ihr um den Versuch einer Neubelebung rechtsradikaler Ideen handelt, wie sie sich zuletzt im Nationalsozialismus manifestiert haben. Die Beweisaufnahme hat diesen Eindruck bestätigt.“18 Im KPD-Verbotsurteil vier Jahre später wurde vom Attribut „linksradikal“ keinerlei Gebrauch gemacht. Aber auch hier bildete die Kategorie der „Verfassungswidrigkeit“ den juristischen Maßstab, abgeleitet wiederum vom Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ des Grundgesetzes, dessen Schöpfer eine „verfassungsrechtliche Entscheidung“ zugunsten der „streitbaren Demokratie“19 getroffen, Lehren aus dem „Aufkommen der ‚totalitären‘ Parteien nach dem ersten Weltkrieg“20 gezogen und die „Möglichkeit der Ausschaltung verfassungsfeindlicher politischer Parteien“21 eröffnet hätten.
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Vgl. Schiffers, Bürgerfreiheit, S. 179 f. BVerfGE 1/1952, S. 12 f. Siehe auch: Sattler, Bedeutung. BVerfGE 1/1952, S. 23. BVerfGE 14/1956, S. 139. Ebd., S. 137. Ebd., S. 139.
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Die Radikalismusvokabel fand auch in der Folgezeit keinen Eingang in die verfassungsjuristische Terminologie, obschon sie sich dort sinngemäß als Ausdruck „verfassungsfeindlicher“ oder „-widriger“ Bestrebungen gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ wiederfand. Die Sprache der Juristen erfordert spezifischere Tatbestandsbeschreibungen und meidet Allgemeinbegriffe dieser Art. Auch das weit ältere amerikanische Verfassungsrecht kennt „extremism“ nur im Sinne konkreter Tatbestände, hier zudem stärker eingeengt auf den Versuch einer gewaltsamen Beseitigung der konstitutionellen Ordnung. Statt von „extremism“ ist die Rede von „subversion“, „insurrection“ oder „sedition“.22 Auch hier ist die Grenzziehung zwischen verfassungskonformen und verfassungsfeindlichen Äußerungen/Handlungen nicht immer leicht zu ziehen, wie die auf den Fall des Sozialisten Charles Schenck (1919) zurückgehende Entscheidung des Justice Oliver Wendell Holmes zeigt, der eine Interpretation von extremen Verlautbarungen im Sinne der Verfassungsfeindlichkeit vom Vorhandensein einer „clear and present danger“ abhängig machte.23 Der deutsche Verfassungsgeber ging mit der Verankerung einer „wehrhaften“, „abwehrbereiten“ oder „streitbaren Demokratie“ vor dem Hintergrund der Weimarer Erfahrungen einen anderen Weg. Ermöglicht wurde eine Beobachtung „verfassungsfeindlicher“ Bestrebungen unabhängig von deren strafrechtlicher Relevanz („Vorverlagerung“ des Verfassungsschutzes).24 Damit sollte einer „Legalitätstaktik“ politischer Extremisten, wie sie die Nationalsozialisten zu Beginn der dreißiger Jahre mit Erfolg praktiziert hatten, ein Riegel vorgeschoben werden.
2.
Extremismus in den frühen Verfassungsschutzberichten
Das im November 1950 gegründete Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln folgte in den ersten Jahren seiner Arbeit folgenden, vom Bundesinnenministerium ausgegebenen Richtlinien: „a) Feststellung der kommunistischen und rechtsradikalen Infiltration von Behörden, insbesondere der BRD, b) Klärung der Absichten der Kommunistischen Partei und ihrer Hilfsorganisationen und der Neugründung getarnter Organisationen, c) Klärung der illegalen Tätigkeit der KP, d) Überwachung östlicher Geheimer Nachrichtendienste innerhalb der BRD [...] g) Überwachung der legalen und illegalen Tätigkeit rechtsradikaler Organisationen, insbesondere der verbotenen“.25
22 Vgl. nur die Stichworte in: Hall (Hg.), Oxford Companion. 23 Vgl. Ragan, Justice. 24 Vgl. zur frühen staatsrechtlichen Auslegung dieser Doktrin: Jahrreiss, Demokratie; Scheuner, Verfassungsschutz. Siehe zum Konzept auch: Backes/Jesse, Politischer Extremismus, S. 461–488. 25 Zitiert nach Jaschke, Streitbare Demokratie, S. 124. Siehe zur Entstehungsgeschichte: Imle, Vorbehalt.
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Allerdings trat man in den ersten Jahren nicht mit Verfassungsschutzberichten an die Öffentlichkeit. Vielfach überwog noch das tradierte Verständnis des klassischen „Geheimdienstes“, der in erster Linie die Regierung zu informieren und Material zur Vorbereitung von Exekutivmaßnahmen (insbesondere das Verbot verfassungsfeindlicher Vereine und Parteien) zu beschaffen habe. Erst nach der antisemitischen Schmierwelle der Jahre 1959/60, die so wenige Jahre nach dem Krieg für Aufsehen gesorgt und die bundesdeutsche Politik nicht zuletzt gegenüber dem Ausland unter Rechtfertigungszwang gestellt hatte, erschienen erste Publikationen zur Information der Allgemeinheit. Einen in deutscher und englischer Sprache veröffentlichten Bericht über die antisemitischen Vorfälle gab die Bundesregierung 1960 heraus.26 Das Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlichte 1962 einen ersten Report zum „Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik“.27 Insbesondere ging es um die Beobachtung und Abwehr „rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen“ im Jahr 1961. Im folgenden Jahr erschien erneut ein Bericht dieser Art, da der des Vorjahres im „In- und Ausland starke Resonanz gefunden“ habe: „Dieser Bericht hat dazu beigetragen, die Wachsamkeit der demokratischen Kräfte gegenüber rechtsradikalen Bestrebungen zu schärfen und gleichzeitig irrige Vorstellungen über Ausmaß und Einfluss dieser Kräfte zu berichtigen. Seine Wirkung auf die rechtsradikalen Kräfte selbst hat gezeigt, dass durch eine Offenlegung ihrer zahlenmäßigen Schwäche und organisatorischen Zerstrittenheit die Zerfallserscheinungen in diesen Gruppen erheblich beschleunigt werden.“28 Berichte dieser Art erschienen auch in den folgenden Jahren in ähnlicher Weise.29 Sie behandelten die „Träger rechtsradikaler Bestrebungen“, zeichneten die „Entwicklung des organisierten Rechtsradikalismus“30 nach, warfen einen Blick auf „nichtorganisierte“ Formen „rechtsextremer Auffassungen“31 (u. a. Buchautoren, Journalisten, Pamphletisten), dokumentierten die „Auflagenentwicklung der rechtsradikalen Presseorgane“,32 analysierten die Argumentationsweise der „rechtsextremen Verlautbarungen“,33 etwa die „rechtsextreme Agitation zum Thema Kommunismus“,34 und widmeten den „Auswirkungen des internationalen Faschismus im Bundesgebiet“35 ein eigenes Kapitel. Dargestellt wur26 The Anti-Semitic and Nazi Incidents from 25 December 1959 until 28 January 1960. White Paper of the Government of the Federal Republic of Germany. 27 Bericht nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden. Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik. Ein Erfahrungsbericht. 28 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1962, S. 3. 29 Vgl. Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1963. 30 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1964, S. 3. 31 Ebd., S. 9. 32 Ebd., S. 8. 33 Ebd., S. 9. 34 Ebd., S. 11. 35 Ebd., S. 13.
Extremismus in den frühen Verfassungsschutzberichten
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den Gesetzesverletzungen von Mitgliedern „rechtsextremer Vereinigungen“36 ebenso wie die Maßnahmen des Staates „gegen Träger nationalistischer und antisemitischer Bestrebungen“.37 Die Behörde vermittelte darin eine positive Bilanz ihrer Tätigkeit: „Der Selbstreinigungs- und Aufbauprozess im Bundesgebiet hat den rechtsradikalen Splitterparteien und Vereinigungen von Jahr zu Jahr mehr Boden entzogen. Diese Entwicklung dauert an. Durch Rückschläge und Wahlniederlagen kompromittiert, dazu aufgesplittert und miteinander zerstritten, sind diese Gruppen zu einer lästigen Randerscheinung im politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland abgesunken. Eine akute Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung bilden sie in diesem Zustande und unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht. Sie bedürfen der weiteren intensiven Überwachung, zumal sie sich teils zu tarnen versuchen, teils aber auch zunehmend antidemokratische Tendenzen zeigen, je mehr sie durch den Verlust gemäßigt denkender Anhängerkreise zu Restgruppen fanatischer Sektierer werden.“38
Diese Untersuchungsfelder und Diagnosen veranschaulichen die sprachliche Variationsbreite im Umgang mit den verfassungsfeindlichen Bestrebungen von rechts. „Rechtsradikalismus“ blieb der Terminus technicus. Er wurde zunächst nur vage umrissen. Erst der Bericht für das Jahr 1965 schenkte ihm nähere Aufmerksamkeit. „Rechtsradikalismus“ sei „kein juristischer Begriff. Das Wort gehört zur politischen Umgangssprache unserer Tage. Es wird dort zur Bezeichnung verschiedenartiger Erscheinungsformen eines übersteigerten Nationalismus verwendet. Jede weitere Ausdeutung des Begriffes zwingt zur politischen Standortbestimmung. Das wird besonders deutlich, wenn man die ideologischen und politisch-taktischen Grundlagen betrachtet, von denen aus die antidemokratischen Kräfte von links und rechts zum Thema Rechtsradikalismus agitieren.“ Um dieser Zwickmühle zu entgehen, wurde im Folgenden der übergreifende Begriff „Radikalismus“ definiert. Er umfasse in „Staaten mit freiheitlicher demokratischer Verfassung“ solche „Bestrebungen [...], die tragende Prinzipien und Institutionen der Rechts- und Staatsordnung anzugreifen, sie zu beseitigen oder sie zumindest in Frage zu stellen“39 versuchten. Im folgenden Bericht, der sich schwerpunktmäßig mit der bei Landtagswahlen erfolgreichen NPD beschäftigte, wurden die Bemühungen um Begriffsklärung intensiviert. Die NPD habe die Kennzeichnung als „rechtsradikal“ für unzutreffend erklärt. „Um diesem Einwand zu begegnen, soll deshalb zunächst dargetan werden, von welchen Begriffsmerkmalen die Staatsschutzorgane bei dieser Kennzeichnung ausgehen.“40 Nach einem Verweis auf die in der Wissenschaft aufgezeigten Definitionsprobleme folgte ein Katalog ideologischer Merkmale, darunter „Ausgeprägter Nationalismus und damit verbundene Feindseligkeit gegen fremde Gruppen“, 36 37 38 39
Ebd., S. 15. Ebd., S. 19. Ebd., S. 23. Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1965, S. 3. 40 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1966, S. 3.
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Extremismus als Bestandteil der offiziellen / offiziösen Sprache
„Irrationales, völkisches Gedankengut und Vokabular, meist verbunden mit Antisemitismus“, „Kompromisslosigkeit in der politischen Auseinandersetzung, Intoleranz und Diffamierung gegenüber Andersdenkenden, Elitebewusstsein“41 usw. Mit dem letzten Punkt wurde ein Merkmal angeführt, das für „kommunistische Tätigkeit“ ebenso typisch war. Ein erster Bericht zu dieser Thematik war 1965 erschienen.42 Einen Schwerpunkt bildeten die Aktivitäten der 1956 verbotenen, illegal operierenden KPD, der SED, FDJ und SEW sowie sonstiger „sowjetzonaler Organisationen“. Nähere Aufmerksamkeit galt dem Einfluss kommunistischer Vereinigungen auf die in der Bundesrepublik lebenden „Gastarbeiter“ und den kommunistisch beeinflussten Organisationen, zu denen die „Deutsche Friedens-Union“, der „Bund der Deutschen“, verschiedene Vereinigungen der „Friedensbewegung“ und die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ gerechnet wurden. Weder hier noch in der abschließenden „Gesamtbeurteilung“ war jedoch von „linksradikalen Bestrebungen“ die Rede. Dies galt auch für die folgenden Berichte zu den Jahren 1965 bis 1967.43 Zentraler Bezugspunkt blieb der „real existierende Sozialismus“ der DDR. Es bedurfte wohl deshalb keines Begriffs auf höherer Abstraktionsebene. Neben „rechtsradikal“ war auch das Attribut „rechtsextrem“ von Beginn der öffentlichen Berichtstätigkeit an verwendet worden – mit zunehmender Tendenz. Im Bericht für das Jahr 1967 hieß es erstmals, die Begriffe „rechtsradikal“ und „rechtsextrem“ seien „im wesentlichen synonym“.44 Damit deutete sich ein terminologischer Wandel an. Im gleichen Jahr erschien der Kommunismus-Bericht unter der Überschrift „Linksradikalismus in der Bundesrepublik“,45 und ebenso unsystematisch wie für den anderen Flügel des politischen Spektrums fanden die Attribute „linksradikal“ und „linksextrem“ darin nebeneinander Verwendung. Worin die definitorischen Merkmale des einen wie des anderen Begriffs bestanden, blieb unklar. Der Bericht für das Jahr 1968 trieb die Konfusion auf die Spitze. Die beiden Hauptkapitel trugen die Überschrift „Rechtsextreme Bestrebungen“ sowie „Kommunistische und andere linksextreme Bestrebungen“. In den Unterabschnitten wurden nichtsdestotrotz der „unverändert rechtsradikale Charakter der NPD“, „Rechtsextreme Strömungen in der Ostemigration“, „Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund“ oder „Kontakte des SED zu ausländischen linksradikalen Organisationen“46 behandelt, ohne dass ein überzeugender Grund für die unterschiedliche Benennung ersichtlich war. 41 Ebd., S. 4. 42 Die Kommunistische Tätigkeit in der Bundesrepublik im Jahre 1964. 43 Vgl. Die Kommunistische Tätigkeit in der Bundesrepublik im Jahre 1965; Die Kommunistische Tätigkeit in der Bundesrepublik im Jahre 1966. 44 Erfahrungen aus der Beobachtung und Abwehr rechtsradikaler und antisemitischer Tendenzen im Jahre 1967, S. 4. 45 Linksradikalismus in der Bundesrepublik im Jahre 1967. 46 Bundesministerium des Innern (Hg.), Verfassungsschutz, S. 5, 7, 39, 44, 51, 98.
Radikalismus oder Extremismus?
3.
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Radikalismus oder Extremismus?
Es dauerte mehrere Jahre, bis die Terminologie vereinheitlicht wurde. In der wissenschaftlichen, publizistischen und politischen Auseinandersetzung mit NPD und APO hatte der Extremismusbegriff allmählich Übergewicht erlangt. Doch dürfte ein politischer Grund für den Wandel der offiziellen Sprache entscheidend gewesen sein. Nach Bildung der sozial-liberalen Koalition, die „mehr Demokratie wagen“ wollte, schien es aus Regierungssicht nicht länger opportun, jede Form linker Fundamentalkritik am Status quo mit dem Radikalismusbegriff ins verfassungsrechtliche Abseits zu rücken. Die Verwendung der Extremismusvokabel ermöglichte es, Verfassungsfeindschaft von einer im Rahmen der Verfassung legitimen Radikalkritik am Status quo begrifflich abzuheben. Dahinter stand das Kalkül, bei aller notwendigen Abgrenzung müsse der Versuch unternommen werden, Teile der studentischen Protestbewegung politisch zu integrieren. Diese politische Absicht prägte die Auseinandersetzung um die Anwendung des Prinzips der Treuepflicht für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, an deren unveränderte Gültigkeit ein Beschluss der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 28. Januar 1972 erinnert hatte.47 Gegner sprachen meist vom „Radikalenerlass“, Anhänger eher vom „Extremistenbeschluss“. Die eine Formel unterstellte eine politische Hexenverfolgung, die andere betonte die verfassungsrechtliche Korrektheit.48 Auf Seiten der Union überwog gegenüber der von anarchistischen und marxistischen Ideen inspirierten studentischen Protestbewegung das Motiv der Ab- und Ausgrenzung. Hier hielt man länger an der älteren Diktion fest. Diese Einstellung äußerte sich etwa in einer Rede des CDUAbgeordneten Alfred Dregger im Hessischen Landtag vom 9. März 1972: „Wenn wir radikale Parteien und Organisationen ohne Verbot allein politisch bekämpfen wollen, dann ist dreierlei unentbehrlich: 1. die Solidarität der Demokraten, 2. die kompromisslose Abgrenzung der Demokraten von den Radikalen, 3. entschlossenes Handeln der Demokraten bei der Auseinandersetzung mit den Radikalen.“ Dregger mahnte Äquidistanz gegenüber den politischen Flügeln an: „Diese drei Voraussetzungen waren gegeben, als es darum ging, die NPD wieder aus den Parlamenten herauszubringen. Das führte zum Erfolg. Es wäre sehr schlimm, wenn diese Voraussetzungen bei der Bekämpfung der Linksradikalen nicht gegeben wären. Dafür gab und gibt es Symptome.“49 Aus Dreggers Perspektive mochte die Unterscheidung zwischen Radikalen und Extremisten als Wortklauberei erscheinen und eine schleichende Preisgabe des Äquidistanzgebots signalisieren. Die Frontlinien im terminologischen Streit der Jahre 47 Vgl. Borgs-Maciejewski (Hg.), Radikale, S. 9. 48 Vgl. zur Terminologie etwa: Braunthal, Loyalität; Frisch, Extremistenbeschluss; Jesse, Streitbare Demokratie; Koschnick, Abschied; Schönbohm (Hg.), Verfassungsfeinde. Verwaltungsjuristischer Terminologie folgend handelte es sich zweifelsfrei um einen „Beschluss“, da kein neues Recht geschaffen worden war. 49 Hessischer Landtag, 7. Wahlperiode, 35. Sitzung vom 9. März 1972, S. 1913.
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1972/73 verliefen indes uneinheitlich; mit „Radikalen“ und „Extremisten“ ging es wüst durcheinander, und nicht immer deutete die Verwendung der einen oder der anderen Parole auf die Zugehörigkeit zu diesem oder jenem politischen Lager hin.50 Erst 1973 kam es zu einer offiziellen Sprachklärung auf Bundesebene. Das Bundesinnenministerium wechselte Anfang der siebziger Jahre die Terminologie im Umgang mit „verfassungsfeindlichen“ Bestrebungen. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1973 wurde der Begriff „radikal“ durch „extremistisch“ ersetzt. Bundesinnenminister Werner Maihofer, FDP-Politiker und angesehener Rechtsphilosoph, begründete dies wie folgt: „Der Begriff ‚extremistisch‘ trägt [...] der Tatsache Rechnung, dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine bestimmte nach allgemeinem Sprachgebrauch ‚radikale‘, das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind ‚extremistisch‘ und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den [...] Grundbestand unserer freiheitlich rechtsstaatlichen Verfassung richten.“51 In ähnlicher Weise markierte Maihofer die begriffliche Differenz in einem Redebeitrag im Deutschen Bundestag in der Debatte um die Treuepflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes am 15. November 1974. Innerhalb der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes sei auch eine „radikale Kritik an unserer bestehenden Gesellschaftsordnung und geltenden Staatsverfassung“ nicht per se mit „Verfassungsfeindlichkeit gleichzusetzen“: „Es muss gerade in einer freiheitlichen Ordnung, um der Lebenskraft eben dieser Freiheit willen, in jeder nachwachsenden Generation immer wieder neu ein radikales Durchdenken über die Sinnerfülltheit und Zeitgemäßheit der gesellschaftlichen Verhältnisse geben. Auch wenn ich als Liberaler etwa ein solches radikales Nachdenken über eine ‚Vergesellschaftung der Produktionsmittel‘ mit allen politischen Leidenschaften bekämpfen würde, sie macht doch einen solchen Radikalen, der über das öffentlich nachdenkt, was nach Art. 15 unserer Verfassung mit einfacher Mehrheit des Bundestages jederzeit beschlossen werden könnte, nicht zu Extremisten, zum Verfassungsfeind.“ Die Grenze zwischen Radikalismus und Extremismus werde erst dann überschritten, wenn jener verfassungsrechtliche „Kernbestand“ verletzt sei, den das Bundesverfassungsgericht mit dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung umrissen habe: „Wer diese Grundwerte bekämpft, ist eben nicht nur Radikaler, sondern Extremist. Er stellt sich außerhalb des Bodens unseres Grundgesetzes“.52 In einem wenig später erschienenen Lexikon-Beitrag definierte Maihofer den Extremismusbegriff wie folgt: „Als politischen Extremismus [...] bezeichnen wir 50 Dies veranschaulicht die Dokumentation von Borgs-Maciejewski (Hg.), Radikale. 51 Verfassungsschutzbericht (VSB) 1974, S. 4. Vgl. dazu auch Jesse, Verfassungsschutzberichte. 52 Deutscher Bundestag, 7. Wahlperiode, 132. Sitzung vom 15. November 1974, S. 8960.
Radikalismus oder Extremismus?
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verfassungsfeindliche Bestrebungen im Kampf gegen unsere ‚freiheitlich demokratische Grundordnung‘, sei es durch politische Parteien (Art. 21 GG), sei es durch politische Vereinigungen (Art. 9 GG), sei es durch unorganisierte politische Aktivitäten von einzelnen oder Gruppen (Art. 18 GG). Extremistische Bestrebungen richten sich dabei nicht notwendig gegen den Gesamtbestand unserer Verfassung, noch einfach gegen irgendwelche Einzelbestimmungen unseres Grundgesetzes, sondern gegen jenen Kernbestand unserer Staatsverfassung, den wir ‚freiheitliche demokratische Grundordnung‘ nennen.“53 Für den Inhalt dieses Begriffs wurde auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Damit war eine offizielle Terminologie umrissen, die für die kommenden Jahrzehnte Bestand behalten sollte. Die Verfassungsschutzberichte des Bundes (und der Länder, sofern diese eigene Berichte veröffentlichten) unterteilten „Extremismus“ in „Rechts-“ und „Linksextremismus“. Hinzu kamen die Aktivitäten „ausländischer Extremisten“ („Sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern“54). Zeitweilig erhielt der „Terrorismus“ – vor allem aufgrund der Herausforderung durch die spektakulären Geiselentführungen der RAF – ein eigenes Kapitel.55 Der politische Einfluss auf die Berichte kam u. a. in der Reihenfolge der Kapitel zum Ausdruck. In den siebziger und frühen achtziger Jahren folgten die „linksextremistischen Bestrebungen“ den „rechtsextremistischen“, ab dem Bericht für das Jahr 1982 war das umgekehrt. Nach dem Regierungswechsel von 1998 wiederholte sich das Spiel. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble behielt nach Bildung der Großen Koalition 2005 die von seinem Amtsvorgänger Otto Schily eingeführte Reihenfolge bei.56 An der Terminologie hat die Symbolik der Kapitelreihenfolge nichts geändert. Die Anfang der siebziger Jahre vorgenommene kategoriale Unterscheidung von Extremismus und Radikalismus wurde beibehalten. In einer Broschüre des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 1999 hieß es unmissverständlich: „Als ‚extremistisch‘ werden die Bestrebungen bezeichnet, die gegen den Kernbestand unserer Verfassung – die freiheitliche demokratische Grundordnung – gerichtet sind. Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz.“57 Nach dem Aufbau von Verfassungsschutzbehörden in den beigetretenen östlichen Ländern wurde dort die im Bund geltende Terminologie übernommen. 53 Maihofer, Politische Kriminalität, S. 367. 54 In dieser Form bereits im VSB 1971, S. 86, wo ansonsten noch von „rechts-“ und „linksradikalen Bestrebungen“ die Rede war. 55 So z. B. im Bericht für das Jahr 1978: VSB 1978, S. 112–125. 56 Vgl. VSB 2005. 57 Bundesamt für Verfassungsschutz (Hg.), Verfassungsschutz, S. 25.
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Extremismus als Bestandteil der offiziellen / offiziösen Sprache
So hieß es in dem ersten öffentlichen Verfassungsschutzbericht für den Freistaat Sachsen: „Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen beobachtet rechts-, links- und ausländerextremistische Bestrebungen, Spionagetätigkeiten und fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungs- und Abwehrdienste der ehemaligen DDR. [...] Eine Bestrebung ist nur dann rechts- oder linksextremistisch, wenn sie die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen will oder zumindest Anhaltspunkte darauf hindeuten.“58 Der im Jahr 2006 veröffentlichte Bericht ergänzte die üblichen Kapitel „Rechtsextremistische Bestrebungen“, „Linksextremistische Bestrebungen“, „Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern“ um gesonderte Ausführungen über „Islamistische/islamistisch-terroristische Bestrebungen und Verdachtsfälle“, ordnete überdies die zuvor getrennt behandelte „Politisch motivierte Kriminalität“ den Bereichen „Rechts-“ und „Linksextremismus“ zu. Eine terminologische Unsicherheit kam in der bereits im Bericht für das Jahr 2004 verwendeten Formulierung zum Ausdruck: „Fundamentalismus und Extremismus sowie Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat eine stetige Herausforderung.“59 Mit dem Begriff „Fundamentalismus“ wird der insbesondere nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ins allgemeine Bewusstsein gerückten Gefährdung durch einen islamistischen Terrorismus Rechnung getragen. Die Erweiterung des Berichts um ein Islamismus-Kapitel dürfte auch der Tatsache Rechnung tragen, dass „Fundamentalismus“ nicht nur bei „ausländischen“ Extremisten anzutreffen ist.
4.
Deutsche Terminologie im internationalen Kontext
Aufgrund der hohen Aufmerksamkeit, die Verfassungsschutzberichte erregen – nicht zuletzt eine bis in die Gegenwart nachwirkende Folge der doppelten Diktaturvergangenheit – hat deren Terminologie den öffentlichen Sprachgebrauch wesentlich geprägt. Diese Praxis mit dem System der „Vorverlagerung“ des Demokratieschutzes im Rahmen des Konzepts der „streitbaren Demokratie“ hat nach dem Ende des „real existierenden Sozialismus“ vor allem in der Tschechischen Republik Schule gemacht, wo seit 1999 Verfassungsschutzberichte („Informace o problematice extremismu na území české republiky“) veröffentlicht werden, bei denen zwischen rechts- (Pravicový extremismus) und linksextremen Gruppierungen (Levicový extremismus) unterschieden wird.60 Einen anderen Weg gehen Österreich und die Schweiz insofern, als der Staats-/Verfassungsschutz hier nicht „vorverlagert“ ist, sich also auf strafrecht58 Staatsministerium des Innern/Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (Hg.), Verfassungsschutzbericht 1993, S. 15. 59 VSB 2005, S. 17. 60 Vgl. zuletzt Ministerstvo vnitra ČR Odbor bezpečnostní politiky (Hg.), Informace o problematice extremismu na území české republiky v roce 2004.
Deutsche Terminologie im internationalen Kontext
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lich relevante, insbesondere gewaltorientierte Bestrebungen konzentriert. Die Terminologie der seit einigen Jahren veröffentlichten Berichte unterscheidet sich von der deutschen allerdings nur geringfügig. Auch hier wird zwischen „Rechts-“ und „Linksextremismus“ unterschieden. In Österreich kommt der „Extremismus und Terrorismus mit Auslandsbezug“ hinzu. Der schweizerische Staatsschutzbericht spricht generell vom „gewalttätigen Extremismus und Terrorismus“.61 Der Bericht des niederländischen Inlandsnachrichtendienstes orientiert sich ebenfalls am Gewaltkriterium, zeichnet sich aber zugleich durch eine von den deutschsprachigen Ländern abweichende, wenig konsistente Terminologie aus. So ist beim „Politiek gewelddadig activisme“ zwar von „Extreem rechts“, nicht jedoch von „Extreem links“ die Rede. Stattdessen wird der „Links activisme“62 behandelt. Berichte dieser Art existieren weder in Frankreich noch in Großbritannien. In beiden Ländern fehlt es daher auch an einer entwickelten offiziellen Terminologie mit Bezug auf verfassungsfeindliche Bestrebungen. In Frankreich gelangen Daten der Renseignements Généraux mit Extremismus-Bezug nur durch die Berichte der seit 1986 im Regierungsauftrag tätigen „Commission nationale consultative des droits de l’homme“ alljährlich an die Öffentlichkeit. Sie beziehen sich ausschließlich auf Akte des „Rassismus“, der „Xenophobie“ oder des „Antisemitismus“.63 In Großbritannien hat die Auseinandersetzung mit dem Islamismus in wenig integrierten Einwanderungsgemeinschaften zu einer Rückbesinnung auf die Grundwerte der Verfassungsordnung geführt. In einer offiziellen Verlautbarung unter dem Titel „Preventing Extremism Together“ hieß es im Oktober 2005: „Addressing the problem of extremist acitivity within communities in the UK has never been more important. Wether it is people planning terrorist attacks or attempting to subvert British values of democracy, tolerance and free speech, the Government is committed to tackling extremism head on.“64 Die offizielle US-amerikanische Sprachpraxis, insbesondere des Inlandsnachrichtendienstes FBI, orientiert sich ebenfalls am Gewaltkriterium, verwendet den Extremismusbegriff jedoch nicht als systematische Kategorie. Stattdessen ist vom „domestic terrorism“65 die Rede. Das Spektrum der Berichterstattung reicht von Al Qaida über den Ku Klux Klan bis zum „animal rights and environ61 62 63 64 65
Vgl. zuletzt Bundesministerium für Inneres/Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (Hg.), Verfassungsschutzbericht 2005; Bundesamt für Polizei (UHg.), Bericht innere Sicherheit der Schweiz 2004, S. 17. Vgl. Algemene Inlichtingen- en Veiligheidsdienst (Hg.), Jaarverslag 2004, S. 6. Vgl. zuletzt die Präsentation des Berichts für 2004: http://www.commission-droits-homme.fr/binInfoGeneFr/affichageDepeche.cfm?iIdDepeche=138 (10. Nov. 2005). Government of the United Kingdom/Home Office (Hg.), Preventing Extremism Together. Places of Worship, S. 2. Vgl. die Definition in folgendem Bericht: U.S. Department of Justice/FBI (Hg.), Terrorism 2000/2001, S. IV.
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Extremismus als Bestandteil der offiziellen / offiziösen Sprache
mental extremism“.66 „Extremism“ fungiert als beschreibende, nicht als terminologisch-analytische Kategorie. Dies gilt in ähnlicher Weise für die Berichte jener „watch dog“-Organisationen, die in eigener Regie das politische Vorfeld extremistischer Kriminalität ausleuchten und dabei – dies ist typisch für die USA67 – zum Teil eng mit Regierungsbehörden zusammenarbeiten. Erwähnt sei nur die von jüdischen Organisationen getragene Anti-Defamation League, die ständig über den „Extremism in America“, insbesondere rechtsextreme und islamistische Gruppierungen, berichtet.68 Die Terminologie und Beobachtungssystematik der deutschen Verfassungsschutzbehörden stellt also in der demokratischen Welt eine Besonderheit dar, wenngleich sie nicht in jeder Hinsicht aus dem internationalen Rahmen fällt. Dies gilt ebenso wenig für die Maßstäbe der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, an denen sich der offizielle Extremismusbegriff orientiert. Unterschiede lassen sich insbesondere mit Blick auf den Beobachtungsradius der als „extremistisch“ geltenden Gruppierungen feststellen. Dieser ist bei den am Gewaltkriterium orientierten Staaten im Allgemeinen enger gezogen, auch wenn die exakte Grenze zur Gewaltorientierung – wie etwa die Debatte um „fighting words“ und „hate speeches“ zeigt69 – nicht immer leicht zu bestimmen ist.
66 67 68 69
Ebd., S. 26. Vgl. Michael, Right-Wing Extremism, S. 167–169. Siehe http://www.adl.org/main_Extremism/default.htm (13. Dezember 2005). Vgl. nur Bird, Racist Speech; Brugger, Verbot; Walker, Hate Speech; Zimmer, Hate Speech.
IX. Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert 1.
Extremismus und frühe Totalitarismusdiskussion
Wie in Kapitel VI gezeigt werden konnte, gehen die ersten Versuche einer systematischen Konzeptualisierung des Extremismusbegriffs in das erste Jahrzehnt nach der Russischen Revolution zurück – in eine Zeit, als die neuartige, radikale Herausforderung der in weiten Teilen Europas im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierten liberal-konstitutionellen Ordnung unübersehbar wurde. Maxime Leroy und Luigi Sturzo leisteten dazu erste Beiträge aus einer – im weitesten Sinne – liberalen Perspektive. Beide griffen in ihrer Kritik an den antidemokratischen/antiliberalen Bewegungen und Ideologien auf Interpretamente zurück, die in ihren Grundzügen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert fester Bestandteil der politischen Deutungskultur geworden waren. Die intellektuelle Vertrautheit mit einer die Flügelpositionen des pluralen politischen Spektrums in ihren Analogien und Isomorphien erfassenden Perspektive dürfte indes dazu beigetragen haben, dass die Anstöße Leroys und Sturzos in den Debatten der folgenden Jahrzehnte keine zentrale Rolle spielten. Luigi Sturzo übte mit dem von ihm entfalteten Totalitarismusbegriff zwar großen Einfluss aus; seine Ausführungen zum Extremismus blieben hingegen weithin unbeachtet. Immerhin griffen nicht wenige Autoren im Zuge der seit den dreißiger Jahren intensiver werdenden internationalen Totalitarismusdebatte auf das ältere, strukturell ähnliche Extremismuskonzept zurück. Dazu gehörten frühere Kommunisten wie Franz Borkenau (1900–1957), der sich unter dem Eindruck des Hitler-Stalin-Paktes zu einem Anhänger des Totalitarismuskonzepts wandelte und in seiner vielgelesenen Schrift The Totalitarian Enemy aus dem Jahr 1940 mit den „antagonistic fanaticisms“1 ins Gericht ging, die er wegen ihrer fundamentalen Gemeinsamkeiten als „Brown Bolshevism“ und „Red Fascism“2 charakterisieren zu können glaubte. Das Attribut „extremistisch“ wurde hier allerdings in einer relativierenden Form verwendet. Borkenau charakterisierte damit Verfechter jeglicher Extrempositionen. Demnach gab es „Extremisten“ der NSDAP ebenso wie der „liberalen Bourgeoisie“.3 Eher in aristotelischen Bahnen bewegte er sich, wenn er auf die englische Freiheitstradition verwies: „traditional English liberty always consisted in checking extremes. For no extreme is compatible with liberty“.4 Der Nationalsozialismus 1
2 3 4
Borkenau, Totalitarian Enemy, S. 11. Vgl. zur geistigen Entwicklung Borkenaus: LangeEnzmann, Borkenau. Zum historischen Hintergrund: Gleason, Totalitarianism, S. 90, 229; Jones, The Lost Debate, S. 118–124; ders., The path from Weimar communism to the Cold War; Möll, Gesellschaft und totalitäre Ordnung, S. 77 f. Borkenau, Totalitarian Enemy, S. 13. Vgl. ebd., S. 22, 241. Ebd., S. 250.
204
Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
war in dieser Perspektive durch das Abgleiten „extremer Formen der Mobherrschaft“ in „extreme Formen autokratischer Tyrannei“5 gekennzeichnet. Auf diese Weise suchte Borkenau die spezifische Massenbasis der NS-Bewegung im Unterschied zu traditionellen Formen der „Autokratie“ wie des Regimes der Tudors in England zu erfassen. Der Bolschewismus wiederum hatte sich nach seiner Auffassung unter Stalin von seinen internationalistisch-messianischen Ursprüngen entfernt und zu einem „extrem nationalistischen“ Regime entwickelt, der „most extreme form of totalitarianism“.6 Das Herrschaftssystem der „bolschewistischen Extremisten“7 konnte man in diesen Jahren auch aus „ultralinker“ Warte einer Fundamentalkritik unterziehen. Der Rätekommunist Otto Rühle (1874–1943), Gefährte Leo Trotzkis im mexikanischen Exil, deutete den „Totalitarismus“ unter Stalin zudem nicht als vorrangiges Resultat „nationalistischer“ Entartung, sondern als Ausfluss des Leninismus, der die Rätebewegung, „antizentralistisch, antiparlamentarisch und antigewerkschaftlich“8 im Kern, verraten und stattdessen eine „Diktatur über das Proletariat“9 errichtet habe. Für eine rätekommunistische Totalitarismuskritik war Rühles Schrift wegweisend. Was den liberal-demokratischen Ideenkreis angeht, erlangten indes Veröffentlichungen des deutschen Staatsrechtlers Karl Loewenstein (1891–1973) aus den dreißiger Jahren größere Bedeutung. Loewenstein war 1933 aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die Lehrbefugnis an der Universität München entzogen worden, und nach seiner Übersiedlung in die USA hatte ihn am Political Science Department des Amherst College (Mass.)10 die Frage beschäftigt, mit welchen gesetzlichen Maßnahmen sich die europäischen Demokratien vom Ende des Ersten Weltkriegs an womöglich erfolgreicher gegen den Ansturm „extremistischer“, umstürzlerischer Bewegungen zur Wehr gesetzt hatten als die unglückliche Republik von Weimar. Seine Studie Militant Democracies and Fundamental Rights (1937) enthielt die Formel im Namen, deren deutsche Übersetzung später das Verfassungsverständnis der zweiten deutschen Demokratie zum Ausdruck bringen sollte.11 1938 erschien eine Fortführung dieser Untersuchung in der „Columbia Law Review“ unter dem Titel Legislative Control of Political Extremism in European Democracies. Sie konnte im Jahr darauf mit Unterstützung der „Revue du Droit public“ in französischer Sprache publiziert werden.12 Eine Zusammenfassung in deutscher 5 Ebd., S. 151: „There exists a very close connection between the extreme forms of mob rule and the extreme forms of autocratic tyranny“. 6 Ebd., S. 231. 7 Rühle, Brauner und Roter Faschismus, S. 20. Siehe zu Rühles politischer Entwicklung: Schmeitzner, Roter und brauner Faschismus? 8 Rühle, Brauner und Roter Faschismus, S. 41. 9 Ebd., S. 42. 10 Vgl. zur Würdigung von Leben und Werk: Ooyen, Verfassungstheorie. 11 Loewenstein, Militant Democracy. 12 Loewenstein, Legislative Control; ders., Contrôle legislative.
Extremismus und frühe Totalitarismusdiskussion
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Sprache war im April 1937 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen. Der Leser erfuhr, in welcher Weise die europäischen Demokratien in ihrer Staatsschutzgesetzgebung auf die „Kampfeinstellung des internationalen Kommunismus wie Fascismus“ reagiert hatten. Es gebe „kein Land in der zusammengeschmolzenen Gruppe europäischer Demokratien [...], das nicht politische Bewegungen aufweise, die vom Standpunkt der herrschenden demokratischen Staatsauffassung als staatsfeindlich zu gelten haben.“13 Die „Staatsfeindlichkeit“ im Sinne demokratischer Grundprinzipien begründete die Einstufung der entsprechenden Bewegungen als „extremistisch“. Mit einer „Entwicklung zur militanten Demokratie“ hatten viele europäische Länder den Wirkungskreis der „extremistischen Parteien“14 mit Erfolg beschränkt. Aber auch in Lateinamerika waren Verfassungsschutz-Gesetze entwickelt worden. Loewenstein fungierte während des Krieges als Rechtsberater eines interamerikanischen Ausschusses („Emergency Committee for Political Defense“) in Montevideo (Uruguay), um „im Interesse einer einheitlichen Abwehr der totalitären Bestrebungen die einschlägige Gesetzgebung aller 21 amerikanischen Republiken“15 zu koordinieren. Das Ergebnis dieser Arbeit war eine zweibändige Dokumentation zur Staatsschutzgesetzgebung, die sich unter anderem eingehend mit den gesetzlichen Maßnahmen zur Eindämmung der „Doctrinas extremistas, revolucionarias o disolventes“16 befasste. Zu den „doctrinas extremistas“ rechnete man anarchistische, kommunistische, nationalsozialistische und faschistische Ideen. Wie die Dokumentation zeigte, betraf die Staatsschutzgesetzgebung allerdings weit stärker den Links- („las doctrinas del extremismo izquierdista“17) als den Rechtsextremismus. Die „propaganda extremista“ war in Staaten wie Bolivien und Peru zum Terminus technicus der Staatsschutzgesetzgebung geworden.18 Andere Länder unterbanden die Einwanderung von Personen, die „extremistischen Doktrinen“19 anhingen, entzogen einschlägig in Erscheinung getretenen Ausländern das Aufenthaltsrecht oder versahen die Bildung extremistischer Ausländervereinigungen („associaciones de extranjeros con fines políticos extremistas“20) mit rechtlichen Sanktionen. Loewenstein gehörte nach 1945 zu den Gründern der westdeutschen Politikwissenschaft und dürfte mit seiner Terminologie nicht ohne Einfluss geblieben sein. Allerdings passte er sich der jeweiligen Sprachkultur, in der er sich publizierend bewegte, pragmatisch an. In einem zu Beginn der fünfziger Jahre veröffent13 Anonym (Karl Loewenstein), Der Staatsschutz in den europäischen Demokratien. In: NZZ, Nr. 659 vom 13. April, S. 1 und Nr. 662 vom 14. April 1937, S. 2, Zitat Nr. 659. 14 Ebd., Nr. 659. 15 Loewenstein, Kommunismus, S. 9. 16 Comité Consultativo de Emergencia para la Defensa Política (Hg.), Legislación, Band II, S. 103. 17 Ebd., Band I, S. 45. 18 Vgl. ebd., Band II, S. 105 f. 19 Vgl. ebd., Band I, S. 582. 20 Ebd., Band II, S. 365.
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lichten Beitrag über den „Kommunismus und die amerikanische Verfassung“ wies er auf seine früheren Publikationen zum Staats- und Verfassungsschutz mit folgenden Worten hin: „Der Verfasser hat ein gut Teil seiner wissenschaftlichen Bemühungen und praktischen Arbeit der gesetzlichen Bekämpfung des politischen Radikalismus gewidmet.“21 Kurze Zeit später erschien in einer Festschrift für Karl Jaspers22 Hannah Arendts (1906–1975) Aufsatz Ideologie und Terror (1953), der 1955 Eingang in die deutsche Ausgabe ihrer Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft fand. Hier ist „Extremismus“ eng mit der Denkstruktur totalitärer Ideologien verknüpft. Diese erheben einen „Anspruch auf totale Welterklärung“,23 machen sich auf diese Weise „unabhängig von aller Erfahrung“24 und begründen jenes zirkuläre, von absolut geltenden Prämissen deduzierende Denken, das in die „Tyrannei des zwangsläufigen Schlussfolgerns“25 mündet. „Dies Zwangsfolgern ist der Extremismus, der allem ideologischen Denken eignet und an dem gemessen freies und kontrolliertes Denken an mangelnder Radikalität zu leiden scheint. Die ‚Radikalität‘ totalitärer Ideologien ist nur der Extremismus des Ärgsten und hat mit echter Radikalität gar nichts zu tun.“26 Ende der dreißiger Jahre hatte der Extremismusbegriff Eingang in die Revolutionsforschung gefunden. Der Harvard-Historiker Crane Brinton (1898– 1968) stellte in seinen vergleichenden Betrachtungen zu den Verlaufsmustern von Revolutionen (1938) – vor allem in England, den USA, Frankreich und Russland – den Kampf zwischen „Gemäßigten“ und „Extremisten“ ins Zentrum. Die amerikanische fiel nach Brinton insofern aus dem Rahmen, als „ihr der Sieg der Extremisten über die Gemäßigten fehlt“.27 Normalerweise werde die erste Revolutionsperiode von den Gemäßigten, die folgende „kritische“28 von den Extremisten bestimmt. „Nach einiger Zeit, die in Russland kurz, in England und Frankreich länger war, kam es zu einer Kraftprobe zwischen den Gemäßigten und den Extremisten, die in vieler Hinsicht der alten Auseinandersetzung zwischen der früheren Regierung und den Revolutionären ähnelte. Die Gemäßigten erlitten eine Niederlage. Sie mussten emigrieren, sie wurden verhaftet und hingerichtet, günstigstenfalls tauchten sie irgendwo unter und gerieten in Vergessenheit. Die Extremisten ergriffen nun die Macht.“29 Brinton verwandte die Ausdrücke „Extremisten“ und „Radikale“ synonym, etwa wenn er eine Linksverschiebung in den Revolutionen konstatierte: „Nach jeder Krise neigen die Sieger dazu, sich in einen rechten Flügel, der an der Macht ist, und ei21 Loewenstein, Kommunismus, S. 9. 22 Offener Horizont, S. 229–254. 23 Arendt, Ideologie. Siehe zum Totalitarismuskonzept Arendts vor allem: Canovan, The Leader and the Masses; Whitfield, Into the Dark. 24 Ebd., S. 719. 25 Ebd., S. 723. 26 Ebd., S. 729. 27 Brinton, Revolution, S. 43. 28 Ebd., S. 142. 29 Ebd., S. 178 f.
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nen linken, der opponiert, zu spalten. Bis zu einem bestimmten Stadium endet jede Krise mit dem Sieg der radikalen Opposition.“30 Die Gemäßigten sind „meist bessere oder zumindest normalere Menschen als ihre radikalen Gegner“, aber sie erleiden nicht wegen ihres größeren Idealismus, sondern aufgrund ihres höher entwickelten Realismus Schiffbruch, da sie „mehr nach dem ‚gesunden Menschenverstand‘“31 vorgehen. In der Krise wird ein „Mann mit einem gehörigen Schuss von fanatischem Idealismus zum Führer“. Die Extremisten empfinden „intensiven, andauernden und unbequemen Hass für Gruppen ihrer Mitmenschen“, und sie drängen alle Gemäßigten mit Gewalt aus den die Revolution vorantreibenden Organisationen. „Die Disziplin, Monomanie und Zentralisation der Führung, die zu den Kennzeichen der siegreichen Extremisten gehören, werden zuerst in den revolutionären Gruppen der illegalen Regierung entwickelt und vervollkommnet.“32 Der „Fanatismus“ der Extremisten „ist derselbe wie der religiöse. Die Bolschewisten und Jakobiner waren so überzeugt wie die Kalvinisten, dass sie allein recht hatten und ihr Programm das einzig mögliche war. Alle Radikalen waren bereit, sich einzusetzen, Ruhe und Sicherheit zu opfern, sich der Disziplin zu unterwerfen und ihre Persönlichkeit in der Gruppe aufgehen zu lassen.“33 Auf dem von den Extremisten bestimmten Höhepunkt trägt die Revolution einen „asketisch-puritanischen Zug“.34 Die „strenggläubigen, siegreichen Extremisten sind also Kreuzritter, Fanatiker, Asketen, die das Himmelreich auf Erden herbeiführen wollen.“35 Einander ähnlich sind auch die „Eschatologien dieser revolutionären Religionen“. „In der englischen Revolution machten die extremen wie auch die gemäßigten christlichen Eschatologien ihren Einfluss geltend. Die Millennisten erwarteten die Wiederkunft Christi von Jahr zu Jahr. Die Regierung der Heiligen stand vor der Tür. Die Jakobiner hatten weniger konkrete Vorstellung vom Himmel. Er war jedenfalls auf Erden darzustellen – in Gestalt der Tugendrepublik Robespierres. [...] Der russische Himmel ist die klassenlose Gesellschaft, die kommen wird, sobald das Fegefeuer der proletarischen Diktatur die irdische Misere des Klassenkampfes langsam liquidiert hat.“36 Der Millenarismus ist eine der wichtigsten Triebkräfte des Terrors. Ihm fallen gerade die „überzeugungstreuen, charaktervollen Extremisten“37 zum Opfer. Durch den Versuch, „im Handumdrehen ein Leben ohne die üblichen Laster durchzusetzen“, werden die Menschen überfordert. So kommt es zu einer Wende: „Politische Propaganda, die die Züge der Besessenheit trägt, scheint einen Sättigungspunkt zu besitzen, nach dessen Überschreitung sie sich gegen ihre Urheber auswirkt.“38 Die „extremistischen Versu30 31 32 33 34 35 36 37 38
Ebd., S. 179. Ebd., S. 208. Ebd., S. 212. Ebd., S. 220. Ebd., S. 254. Ebd., S. 265. Ebd., S. 269 f. Ebd., S. 291. Ebd., S. 256.
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che“,39 die „Gewohnheiten, Gefühle, Neigungen“ der Menschen zu ändern, scheitern. Schließlich übernimmt ein Tyrann die Macht, kommt es zu einer Lockerung der Sitten, gewinnen die Kirchen wieder an Einfluss. In Brintons Typologie war Lenin der Erzextremist, Stalin bloß dessen tyrannisch-machiavellistischer Nutznießer. Vermutlich haben Crintons Betrachtungen Richard Löwenthal (1908–1991) beeinflusst, der in den Jahren 1959/60 einen Forschungsaufenthalt am Russian Research Center der Harvard Universität verbracht und dort einen später mehrfach nachgedruckten, vielgelesenen Beitrag über Totalitäre und demokratische Revolution verfasst hatte. Allerdings hob er anders als Brinton die Besonderheit der „totalitären“ Revolution in Russland im Vergleich zu den demokratischen Umwälzungen des Westens hervor. Bis zum Beginn der zwanziger Jahre hatte die Russische Revolution demnach einen ähnlichen Verlauf genommen wie die demokratischen des Westens. Zunächst war eine „Doppelherrschaft“ mit neuen Organen der „revolutionären Demokratie“ entstanden, die der provisorischen Regierung gegenübertraten. Es folgte „der Sturz der Gemäßigten mit Hilfe dieser neuen Organe durch die Extremisten“. Diese schritten „ohne Rücksicht auf traditionelle Vorstellungen und angestammte Rechte zur Durchführung des revolutionären Programms mit den Methoden der Diktatur.“ Nach der Entstehung eines zentralisierten Herrschaftsapparats und dem Ausbruch erbitterter Konflikte „unter den Führern der extremistischen Diktaturpartei“40 nahm die Revolution jedoch einen anderen Weg. Der „Thermidor“ und der Sturz der Extremisten blieb aus, ihr Drang, „die Revolution permanent zu machen“,41 ungebrochen. Im Gegensatz zu Hannah Arendt, die den Totalitarismus über die „Extreme des Grauens“ definiert hatte, vertrat Löwenthal daher die These, auch die Sowjetunion nach Stalin trage „die entscheidenden Merkmale der totalitären Machtstruktur und Dynamik“.42 Im Rahmen des dominierenden Totalitarismusdiskurses blieb „Extremismus“ überwiegend eine untergeordnete begriffliche Kategorie, mit der bestimmte Eigenschaften totalitärer Akteure und deren Rolle in revolutionären Transformationsprozessen beschrieben werden konnten. Wenn sich „Extremismus“ als wissenschaftliches Konzept aus der Totalitarismusdiskussion herauslöste und eine eigenständige Rolle gewann, hatte das mehrere Gründe. Die zeitweilige Fixierung auf den als „totalitär“ geltenden Autokratietyp löste sich – begleitet von zunehmender Kritik am Totalitarismuskonzept43 – von den sechziger Jahren an 39 Ebd., S. 364. 40 Löwenthal, Revolution. Zitiert nach dem Abdruck bei: Seidel/Jenkner (Hg.), Totalitarismusforschung, S. 367. In abgewandelter Form war der Beitrag in der Zeitschrift „Commentary“ erschienen: Löwenthal, Totalitarianism. Siehe zur historischen Einordnung: Backes, Vom Marxismus zum Antitotalitarismus. 41 Ebd., S. 378. 42 Ebd., S. 361. Allerdings sah er die totalitäre Dynamik in der ersten Hälfte der sechziger Jahre an ihr Ende gekommen. Siehe ebd., S. 379 (Nachtrag 1966). 43 Siehe zur Forschungsentwicklung etwa die Beiträge in folgenden Bänden: Seidel / Jenkner (Hg.), Totalitarismusforschung; Jesse (Hg.), Totalitarismus.
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allmählich auf und lenkte die Aufmerksamkeit der Forschung wieder stärker auf die Vielgestaltigkeit der global bei weitem vorherrschenden nicht-konstitutionellen politischen Systeme. So ließen sich antiliberale/antidemokratische Gruppierungen, Parteien, Bewegungen an den Rändern des pluralistischen Kräftegefüges demokratischer Verfassungsstaaten kaum allesamt als „totalitär“ einstufen, zumal es sich als schwierig erwies, von der Art der – noch dazu oftmals durch „Mimikry“ verschleierten – Systemkritik/Systemfeindschaft auf die für den Fall einer Machtübernahme zu erwartende Herrschaftspraxis zu schließen. Die von der Charakteristik der Diktaturen der iberischen Halbinsel und Lateinamerikas ausgehenden Forschungen arbeiteten die Besonderheiten eines „autoritären“, weder demokratischen noch totalitären, Regimetyps heraus.44
2.
Import des Extremismusbegriffs in die westdeutschen Geistes- und Sozialwissenschaften
„Extremismus“ und „Totalitarismus“ waren Bestandteile des Vokabulars politischer Emigranten, deren Werke im Nachkriegsdeutschland vielfach starke Beachtung fanden. Allgemein spielte der Theorieimport aus den USA bei der Ausbreitung des Extremismusbegriffs in den westdeutschen Geistes- und Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle. Einen frühen Beitrag dazu leistete etwa der Psychologe Peter R. Hofstätter (1913–1994) mit seiner einflussreichen Einführung in die Sozialpsychologie (1954). „Extremisten“ oder „Radikale“ – beide Begriffe erschienen synonym – waren hier die Inhaber von Meinungen, die stark vom durchschnittlichen Einstellungsprofil einer Bezugsgruppe abwichen. Hofstätter rezipierte empirisch-quantifizierende Forschungsergebnisse angelsächsischer Kollegen und stellte den Zusammenhang zwischen extremen Standpunkten und Überzeugungsstärke heraus: „Wo die Verteilung der Meinungen einer Gruppe bezüglich eines Themas weit variiert, ist die Überzeugungsstärke der Vertreter mittlerer Anschauungen verhältnismäßig gering, die der Vertreter extremer Standpunkte verhältnismäßig groß.“45 „Es sind die Radikalen, die ihrer Sache ganz sicher sind, und es dürfte nur selten einen ‚Gemäßigten‘ geben, der so nachdrücklich von seiner Anschauung überzeugt ist wie die Extremisten.“46 Extremismus erschien als Unfähigkeit zu facettenreicher Wirklichkeitswahrnehmung und abwägendem Urteil, an anderer Stelle als nonkonforme Resistenz angesichts des Uniformierungsdrucks der Bezugsgruppe.47 Bereits Mitte der zwanziger Jahre hatten die von Hofstätter verwendeten, ins Deutsche übertragenen Begriffe und Konzepte Eingang in die amerikanische Politische Psychologie und Meinungsforschung gefunden. Auf einer Kooperati44 45 46 47
Vgl. wegweisend: Linz, Totalitarian and Authoritarian Regimes. Hofstätter, Sozialpsychologie, S. 193 f. Ebd., S. 195. Vgl. Hofstätter, Gruppendynamik, S. 71–91.
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onstagung der American Political Science Association und der American Psychological Association in Washington trugen Floyd H. Allport und D. A. Hartman im Dezember 1924 Forschungsergebnisse zur Messung der Motivation „atypischer Meinungen“ vor, die in den folgenden Jahrzehnten eine Vielzahl von Studien inspirierte. Es herrsche im Allgemeinen Übereinstimmung, worin eine „radikale Sichtweise“ bestehe („radikal“ im Gegensatz zu „reaktionär“), doch gebe es auch einen „radical type of personality“? Zur Identifikation des Persönlichkeitstyps entwickelten die Autoren standardisierte Fragebögen und Einstellungsskalen, die es ermöglichten, das Meinungsspektrum mit Blick auf strittige Themen zu erfassen – wie die Stellung zum Völkerbund, die Eignung des Präsidentschaftskandidaten Coolidge, die Kontrolle des Supreme Court, die Aufhebung der Prohibition oder das Verbot des Ku Klux Klan. Die „Extreme“ der auf diese Weise ermittelten Meinungsskala wurden nach dem üblichen RechtsLinks-Spektrum als „radikal“ oder „reaktionär“ gekennzeichnet. Als „Extremisten“48 galten die Inhaber von Positionen mit starker Abweichung vom Meinungsdurchschnitt der untersuchten Gruppen. In Tiefeninterviews mit einer Anzahl von „Radikalen“ und „Reaktionären“ ermittelten die Autoren Gemeinsamkeiten in den Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. „fehlende Übereinstimmung mit dem konventionellen Moral-Kode“49), aber auch auffallende Differenzen zwischen den Extremgruppen: Die „Reaktionäre“ wurden als eher „tough-minded“ und „extrovertiert“, die „Radikalen“ als überwiegend „tender-minded“ und „introvertiert“ charakterisiert. Diese aus der Philosophie50 und Psychoanalyse stammenden Persönlichkeitsattribute spielten in den folgenden Jahrzehnten eine wichtige Rolle in der empirischen sozialpsychologischen Forschung zum „Radikalismus“ und „Extremismus“. Einflussreich waren die Arbeiten Hans Jürgen Eysencks (1916–1997) an der Universität London. Hier wurde der Zusammenhang zwischen dem „Radikalismus“ der „extreme left“, der „tender-mindedness“ und Introvertiertheit in Frage gestellt.51 „Faschisten“ und „Kommunisten“ erwiesen sich in den Untersuchungen Eysencks vielmehr als gleichermaßen „tough-minded“, d. h. beide waren nicht bereit, die eigene Position in Frage zu stellen, neigten folglich dazu, anderen den eigenen Standpunkt zu oktroyieren. Eine eindimensionale Darstellung des Einstellungsraumes, die „Faschisten“ und „Kommunisten“ an den extremen Enden einer Skala positionierte, wurde dieser Gemeinsamkeit nicht gerecht. Eysenck schlug daher vor, sich den Einstellungsraum zweidimensional zu denken (siehe Abbildung 7).
48 Allport/Hartman, Measurement, S. 740. 49 Ebd., S. 749. 50 Die Unterscheidung zwischen „tender-minded“ und „tough-minded“ geht zurück auf: James, Pragmatism, S. 12. 51 Vgl. bereits Eysenck, Social Attitudes.
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Abbildung 7: Zweidimensionale Darstellung des politischen Einstellungsraumes nach Eysenck
Die eine Achse erstreckte sich zwischen den Polen „radikal“ und „konservativ“, wobei „radikal“ also die „extreme Linke“, „konservativ“ hingegen die „extreme Rechte“ markierte. Die Pole der anderen Achse nannte er „autoritär“ und „demokratisch“. „Kommunisten“ und „Faschisten“ unterschieden sich demnach nur in ihrer Einordnung auf der Rechts-Links-Achse, nicht aber in ihrer Entfernung zum „Autoritarismus“-Pol der zweiten Dimension.52 In Eysencks Terminologie gab es demnach eine „autoritäre“ wie „demokratische“ extreme Linke und Rechte. Die Bezeichnung „Radikalismus“ blieb für die extreme Linke reserviert. Eysencks Positionierung von „Kommunisten“ und „Faschisten“ entsprach nicht wort-, aber sinngemäß dem Deutungsmuster des Totalitarismuskonzepts, das in den fünfziger Jahren besonders in den USA, Großbritannien und Deutschland geistiges Gemeingut wurde. Die analogisierende Betrachtung der politischen Extreme war dessen fester Bestandteil. Das galt indes nicht für unter der Ägide der emigrierten Frankfurter Sozialwissenschaftler Theodor W. Adorno (1903–1969) und Max Horkheimer (1895–1973) entstandene Studien. Bei ihrer Bestimmung der Authoritarian Personality war die Auseinandersetzung mit den Bewusstseinsinhalten und Persönlichkeitsmerkmalen von Faschisten/Nationalsozialisten bestimmend. Wenn vom „Über-Ich des Extremisten“ die Rede war, ging es um den rabiaten Antisemi52 Vgl. Eysenck, Psychology, S. 111.
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ten, der aufgrund „stereotyper Beschuldigungen“53 sein gnadenloses Todesurteil über „die Juden“ als Kollektiv verhängt. „Antidemokratisches“ Denken wurde kaum bei Kommunisten gesucht. Diese nahm man eher gegen die „irrationale“ Gleichsetzung von Faschisten und Kommunisten bei Antikommunisten in Schutz. In diesem Sinne ergaben sich „Korrelationen zwischen Antisemitismus und Antikommunismus“54 bei den US-amerikanischen Probanden. Diese Schieflage unterzog der Chicagoer Soziologe Edward A. Shils (1910– 1995) einer scharfsinnigen Kritik. Er skizzierte die Entwicklung der britischen und amerikanischen intellektuellen Kultur im Umgang mit dem Bolschewismus, dessen totalitäre Züge auch wegen der allgemein akzeptierten Rechts-LinksDichotomie nicht wahrgenommen worden seien. Erst allmählich habe man die Analogien zwischen Faschismus und Bolschewismus erkannt, die lange Zeit als zwei vollkommen voneinander getrennte Welten gegolten hätten: ihre gemeinsame Feindschaft gegenüber bürgerlichen Freiheitsrechten und politischer Demokratie, die Verachtung parlamentarischer Institutionen, des Individualismus und privaten Unternehmertums, ihre manichäische Weltsicht, ihr Hang zum Konspirativen und zu Verschwörungstheorien: „all of these showed that the two extremes had much in common“.55 Nach Beginn der Kampfhandlungen mit Nazideutschland war im Bewusstsein vieler Amerikaner zum Problem geworden, was in der Zeit des Friedens kaum Beachtung gefunden hatte: die Illoyalität bestimmter politischer Gruppierungen. So hatte etwa John Roy Carlson das Lesepublikum mit seinem Report über die Aktivitäten der Nazi Underworld of America schockiert. Konnte es deutschen Agenten in Verbindung mit ihren amerikanischen Handlangern gelungen sein, in sicherheitsrelevante Zonen einzudringen? Und wie war es diesbezüglich mit dem anderen Extrem bestellt? Für skeptische Zeitgenossen erschien klar: „The political ethics of American Communists still are about as low as anything ever observed in these parts, including the Ku Klux Klan.“56 Während des Krieges war eine Diskussion über die Abwehrfähigkeit der Demokratie geführt worden. Hatte sich der Westen angesichts des Aufstiegs der extremistischen Bewegungen in den zwanziger und dreißiger Jahren nicht allzu lange passiv verhalten? An der wesentlich von Karl Loewenstein angestoßenen Debatte um die Notwendigkeit einer „Militant Democracy“ hatten sich zahlreiche Autoren beteiligt.57 Nach Kriegsende begünstigte das Auseinanderfallen der Anti-HitlerKoalition die zeitweilig verdrängte Einsicht, dass die Gefahr nicht nur von der extremen Rechten, sondern auch von der extremen Linken ausging.
53 Adorno, Studien, S. 150. Der Band enthält Adornos Beiträge aus folgender Studie: ders./Frenkel-Brunswik/Levinson/Sanford, Authoritarian Personality. 54 Ebd., S. 277. 55 Shils, Authoritarianism, S. 28. 56 Carlson, Under Cover, S. 520. Siehe mit ähnlichem Tenor: Sayers/Kahn, Sabotage. 57 Vgl. nur Lerner, It is Later than you Think. Siehe auch ders., Grundmuster. Siehe zu dieser Diskussion ausführlich: Boventer, Grenzen, S. 59–66.
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Für wissenschaftliche Beobachter wie Shils waren die Analogien der Antagonisten unübersehbar. Daher bewiesen die – in vielerlei Hinsicht verdienstvollen und inspirierenden – Studien zur Authoritarian Personality mit ihrer Beschränkung auf die extreme Rechte nur, dass Vorurteile zählebig seien. So konnte Shils anhand zahlreicher Merkmale, die in der „F-Skala“ zur Identifikation Faschismus-typischer Einstellungen eingesetzt worden waren, die Überlappung mit Bolschewismus-typischen Charakteristika wie der Forderung nach bedingungslosem Parteigehorsam oder nach Reinerhaltung der marxistisch-leninistischen Lehre zeigen. Adorno und seine Mitarbeiter haben diese Kritik am Frankfurter Institut für Sozialforschung später aufgegriffen und Skalen entwickelt, um „Linksradikale mit autoritärem Charakter“58 zu identifizieren. Edward Shils benannte in seiner Kritik an den sozialpsychologischen Studien der Adorno-Schule noch einen anderen Schwachpunkt: Die Autoren der Authoritarian Personality hätten einen zu direkten Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein autoritärer Persönlichkeitsmerkmale und der Entstehung autoritärer Bewegungen unterstellt. Wie nativistische Zirkel in den USA zeigten, seien hochgradig autoritäre Einstellungen nicht selten mit der Unfähigkeit gepaart, sich einer straffen Organisationsdisziplin zu fügen. Zudem biete die freiheitliche demokratische Gesellschaft Raum für eine Vielfalt sozialer Rollen, in denen sich unterschiedliche Persönlichkeitstypen ausleben könnten.59 Mit einem besonderen Aspekt der sozialen und politischen Verfasstheit pluralistischer Gesellschaften setzte sich Shils in einem zwei Jahre später erschienenen, vielbeachteten Buch über die „Qual der Geheimhaltung“ (The Torment of Secrecy) auseinander.60 Vor dem Hintergrund der Aktivitäten Senator McCarthys und des Senatskomitees zur Aufdeckung von „Un-American Activities“ analysierte er auf subtile Weise das prekäre Gleichgewicht von Öffentlichkeit, Privatheit und Geheimhaltung und dessen Bedrohung durch den politischen „Extremismus“ – das Schlüsselwort der Analyse. Shils legte die Voraussetzungen für die Sicherheitshysterie und Kommunismusphobie offen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den USA um sich gegriffen habe. Das Bemühen um die Wahrung des technischen Wissens zum Bau der Atombombe war der wesentliche Grund für die gesteigerte Bedeutung staatlicher Geheimhaltung ebenso wie für die intensive Spionagetätigkeit der Sowjetunion, die Sicherheitslücken einer an weitgehende Publizität im politischen Raum gewöhnten Gesellschaft auszunutzen verstand. Zugleich gab es eine in den dreißiger Jahren entstandene linke „Intelligenzia“, die ein rosiges Bild vom Sowjetkommunismus malte und durch den Hitler-Stalin-Pakt nur vorübergehend in ihren Illusionen gestört worden war. Die Irrationalität der Wahrnehmung des „kommunistischen Extremismus“61 wurde von der Irrationalität der „extremistischen Antikommu58 59 60 61
Freyhold, Autoritarismus, S. 19. Vgl. Shils, Authoritarianism, S. 48 f. Siehe zur Würdigung von Person und Werk: Moynihan, Introduction. Shils, Torment of Secrecy, S. 15.
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nisten“62 übertroffen, die überall kommunistische Gefahren lauern sahen. Mit ihrer Sichtweise vermochten sie an die xenophoben Stimmungen amerikanischer „Nativisten“ anzuknüpfen, deren „Hyperpatriotismus“ sich aus den Identitätsproblemen von Einwanderern erklärte, die auf den Assimilationsdruck, dem sie selbst unterworfen seien, mit verstärkten Abgrenzungsbemühungen gegenüber Neueinwanderern reagierten. Shils beschrieb die brisante Mischung aus Fremdenfeindlichkeit, Isolationismus, „extremist, paranoid anti-Semitism“,63 „extremist anti-revolutionism“,64 Populismus und christlichem Fundamentalismus, wie sie besonders im Mittleren Westen anzutreffen sei. Für Shils gefährdete das Wechselspiel der Extremismen die Offenheit der pluralistischen Gesellschaft. „Extremismus“ und „Pluralismus“ standen in einem antithetischen Verhältnis zueinander: „Pluralism“ erschien „konservativ“ im Vergleich zum „revolutionary extremism“, liberal hingegen gegenüber dem „reactionary extremism“.65 Nur im Kontrast zu den „Extremen der Entfremdung von sozialer Ordnung und geordnetem Wandel“ biete sich der Pluralismus als eine in sich geschlossene Position dar. In Wirklichkeit beruhe er aber auf Konflikt und Diversität, Wandel und Kritik, gewähre einer Vielfalt von Interessen, Meinungen und Anschauungen Raum. Allerdings müssten diese mit einer gewissen Mäßigung vertreten werden. Liberale und „Radikale“ hätten angenommen, „revolutionaries and Communists“ seien ihre Verbündeten, während Konservative sich in dem Glauben wiegten, man könne mit „Fascists, Nazis, nativistfundamentalists and McCarthyites“66 Allianzen schmieden. Das überkommene Rechts-Links-Schema verführe zu solch irrtümlichen Annahmen. In Wirklichkeit verlaufe die politische Trennungslinie anders: Der Pluralismus beruhe nämlich auf der Überzeugung, dass die Vertreter legitimer politischer Alternativvorstellungen trotz aller Differenzen untereinander mehr gemeinsam hätten als mit den Konzepten „apokalyptischer Politiker“.67 Shils gelangte zu folgender Feststellung: „the really crucial dividing line in politics is between pluralistic moderation and monomaniac extremism“.68 Die Antithese von „Pluralismus“ und „Extremismus“ hat später Seymour M. Lipset in eine begriffliche Systematik gebracht. In einem gemeinsam mit Earl Raab verfassten Werk zur Entwicklung des Rechtsextremismus in den USA – The Politics of Unreason (1970) – wurde Extremismus als Verstoß gegen das Regelwerk freiheitlicher Demokratie definiert: „extremism means going beyond the limits of the normative procedures which define the democratic political process“.69 Den Kern dieses Prozesses bilde ein Pluralismus an Ideen, Interessen 62 63 64 65 66 67 68 69
Ebd., S. 132. Ebd., S. 91. Ebd., S. 95. Ebd., S. 225. Ebd., S. 228. Ebd., S. 226. Ebd., S. 227. Lipset/Raab, Politics of Unreason, S. 5.
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Abbildung 8: Zusammenhang zwischen sozialökonomischer Schichtung und politischer Ideologie nach Seymour M. Lipset
und Anschauungen. Dagegen sei der Extremismus „monistisch“,70 setze das manichäische Weltbild absolut und lasse neben sich keine anderen Auffassungen zu. Er huldige dem „simplism“,71 propagiere einfache Lösungen für hochkomplexe Probleme und sehe überall geheimnisvolle Mächte am Werk, die sich gegen die Kräfte des Guten verschworen hätten. Lebhafte Diskussionen und viele Missverständnisse löste Lipsets Formel vom Extremismus der Mitte aus. Ihm lag eine marxistisch inspirierte („Basis“ und „Überbau“) Theorie über den Zusammenhang zwischen den sozialökonomischtechnologischen Strukturen moderner Gesellschaften und der Entstehung bestimmter politisch-ideologischer Strömungen zugrunde.72 Ober-, Mittel- und Unterschichten konnten demnach freiheitliche wie extremistische Ideologien hervorbringen. Die freiheitliche Ideologie der Oberschichten war der Konservatismus, die extremistische der traditionelle Autoritarismus. Die freiheitliche Ideologie der Unterschichten fand sich beim (demokratischen) Sozialismus, deren extremistische Varianten im Lager des Kommunismus und Peronismus. Als freiheitliche Ausprägung der Ideologie der Mittelschichten firmierte schließlich der Liberalismus, als deren extremistische („Extremismus der Mitte“) Entartung der Faschismus.73 Lipset suchte diese Theorie durch Daten zur Anhänger- und 70 Ebd., S. 6. 71 Ebd., S. 7. 72 Vgl. Bereits Lipset, Socialism, S. 173. Siehe auch ders., Social Stratification; ders., Democracy. 73 Vgl. Lipset, „Faschismus: die Linke, die Rechte und die Mitte (1959). Der Beitrag ist lebhaft rezipiert und in mehreren Sprachen nachgedruckt worden. Siehe etwa: ders.,
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Wählerschaft der verschiedenen politischen Lager zu untermauern. Für den deutschen Nationalsozialismus hat später vor allem Jürgen W. Falter in wahlsoziologischen Analysen eine breitere Schichtenstreuung und einen weniger ausgeprägten „Mittelschichtenbauch“ der NS-Bewegung nachgewiesen.74 Die Arbeiten von Lipset und anderen amerikanischen Sozialwissenschaftlern übten starken Einfluss auf die westdeutschen Disziplinen aus, insbesondere als in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die Wahlerfolge der NPD am rechten und die Studentenbewegung am linken Flügel des politischen Spektrums für Furore sorgten. Beim Theorieimport aus den USA wie bei der Ausbreitung des Extremismusbegriffs spielte die methodisch weit fortgeschrittene Kölner Sozialwissenschaft unter der Ägide Erwin K. Scheuchs (1928–2003) eine zentrale Rolle. In dem unter Mitarbeit von Hans D. Klingemann verfassten Beitrag zur Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften suchte Scheuch die Entstehung des „Rechtsradikalismus“ auf Strukturähnlichkeiten moderner Industriegesellschaften zurückzuführen. Dabei wurden verschiedene sozialpsychologische wie soziologische Erklärungsansätze (der „Authoritarian Personality“ Eysencks wie der Systemtheorie Talcott Parsons) integriert. „Rechtsradikalismus“ war der zentrale Terminus, doch wurde der Extremismusbegriff synonym verwendet und zugleich die Kategorie des „Linksextremismus“ eingeführt. „Extremismus“ (bedeutungsgleich mit „Radikalismus“) meine „die grundsätzliche Ablehnung der gegenwärtigen Gesellschaftsform und ihrer politischen Organisation als untragbar, ja als böse unter Verweis auf einen alternativen und effizienteren Organisationstyp der Gesellschaft“.75 Das Aufkommen extremer Massenbewegungen führten die Autoren auf die grundlegenden Veränderungen sozialer Beziehungen (Verdrängung von „Primär-“ durch „Sekundärbeziehungen“) in der Industriegesellschaft zurück und erklärten auf dieser Grundlage die Unterschiede zwischen linken und rechten Varianten des Phänomens. Die Anziehungskraft „speziell der totalitären und extremistischen Massenbewegungen“ beruhe vor allem auf „ihrem Versprechen, gleichzeitig die Effizienz des durch Sekundärbeziehungen charakterisierten Gesellschaftstyps (= ‚moderne‘ Gesellschaft) zu steigern und die Geborgenheit einer durch Primärbeziehungen bestimmten Gesellschaft (= traditionelle Gesellschaft) wiederherzustellen und zu vergrößern.“ Die „rechte“ und die „linke“ Variante ließen sich dabei in folgender Weise unterscheiden: „‚Links‘ nennen wir diese extremistischen politischen Bewegungen, wenn die gegenwärtige Gesellschaft durch Verweis auf eine zukünftige Idealsituation bekämpft wird, deren wesentliches Vollzugsorgan die Bewegung Gleichgesinnter bleiben soll. Ferner wird ein neuartiges Erklärungsschema für die Ursachen der gegenwärtigen Zustände angeboten (z. B. Ausbeutung „Faschismus“ – rechts, links und in der Mitte (englische Originalausgabe: ders., Political Man); ders. Der „Faschismus“, die Linke, die Rechte und die Mitte (1967). 74 Vgl. zusammenfassend Falter, Hitlers Wähler. 75 Scheuch, Theorie des Rechtsradikalismus, S. 22.
Extremismus oder Radikalismus?
217
durch Besitzer von Produktionsmitteln).“76 „Rechts“ seien solche Bewegungen hingegen dann, „wenn sie die Gegenwart durch eine (verbesserte) Wiederherstellung vergangener Organisationsformen und Werte bekämpfen und Erklärungsschemata aus der Vergangenheit (z. B. biologistisches Denken) anbieten.“77
3.
Extremismus oder Radikalismus?
Die Theorie des „Rechtsradikalismus“ verband sich mit einer Bestimmung des „Rechtsextremismus“, wobei die Begriffe austauschbar erschienen.78 Der zunächst im Kölner Institut für vergleichende Sozialforschung bevorzugte Schlüsselbegriff „Rechtsradikalismus“79 wich bald dem des „Rechtsextremismus“. So präsentierte Scheuch die NPD in einem Aufsatz aus dem Jahr 1970 als „rechtsextreme Partei“ (im Text zugleich als „rechtsextremistische“),80 erörterte in einem Band über „Neue Linke und alte Rechte“ die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von „Rechts-“ und „Linksextremismus“81 und überschrieb seinen weit ausholenden, material- und gedankenreichen Grundsatzbeitrag für den von Richard Löwenthal und Hans-Peter Schwarz herausgegebenen Jubiläumsband zum 25jährigen Bestehen der zweiten deutschen Demokratie wie folgt: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik. Der Schlüsselbegriff „Radikalismus“ war durch „Extremismus“ ersetzt. In einer Fußnote distanzierte sich Scheuch von einer marxistischen Fundamentalkritik am Extremismusbegriff und hob die Bedeutung der vergleichenden Forschung seit den dreißiger Jahren hervor: „‚Politischer Extremismus‘ und insbesondere ‚Totalitarismus‘ sollten in den dreißiger und vierziger Jahren Gemeinsamkeiten der damaligen kommunistischen, faschistischen und nationalsozialistischen Regime, Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Abweichung vom Modell einer parlamentarischen Demokratie, begrifflich abbilden. Inzwischen lässt sich die Begrifflichkeit abgelöst vom damaligen historischen Bezug fassen. ‚Extremismus‘, besser ‚politischer Extremismus‘, soll heißen die Zurückweisung der Wertvorstellungen einer freiheitlichen und demokratischen politischen Ordnung.“82 Scheuch berief sich auf eine in seinem Institut entstandene Dissertation von Thomas A. Herz83 und die Studie von Lipset/Raab mit der Gegenüberstellung 76 Ebd. 77 Ebd., S. 23. 78 Vgl. zur Terminologie und zum wissenschaftlichen Ertrag auch: Arzheimer / Falter, Pathologie. 79 Vgl. nur „Projekt Rechtsradikalismus: Analysen zur Wählerschaft der NPD“. In: Jahrbuch der Universität zu Köln, 3 (1968), S. 371–373. 80 Vgl. Scheuch, NPD. 81 Scheuch, Erlösungsbewegungen, S. 130. 82 Scheuch, Politischer Extremismus, S. 462. 83 Vgl. Herz, Soziale Bedingungen, S. 43 f.
218
Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
von „pluralism“ und „monism“.84 Auf diese Weise wurde „politischer Extremismus“ als Entstehungprodukt hochdifferenzierter Gesellschaften bestimmt und die definitorische Anbindung an einen – vieldeutigen, politisch umkämpften – Demokratiebegriff vermieden: „Vereinfacht formuliert, bedeutet Extremismus ein Verständnis der politischen Ordnung und der darauf zielenden Aktionen als Aufhebung des Zustandes, der Politik zum Konflikt zwischen Gruppen, Werten und Interessen werden lässt. Vorausgesetzt wird bei diesem Verständnis von Extremismus die Existenz einer hochdifferenzierten Gesellschaft. Die Differenziertheit bewirkt jene politischen – und auch allgemein sozialen – Zustände, für die der Extremismus als antithetisch verstanden wird.“85 Unausgesprochen knüpfte Scheuch wiederum an die „Theorie des Rechtsradikalismus in modernen Industriegesellschaften“ und den sozialhistorischen Prozess der Verdrängung von „Primär-“ durch „Sekundärbeziehungen“ bzw. von „gemeinschaftlichen“ durch „gesellschaftliche“ Relationen an. Dem von Scheuch stillschweigend vorgenommenen Austausch des Schlüsselbegriffs „Radikalismus“ durch „Extremismus“ folgten indes nicht einmal die Mitarbeiter des Kölner Instituts für vergleichende Sozialforschung unisono. Scheuchs (damaliger) Mitarbeiter Hans D. Klingemann und Franz U. Pappi hielten in einer theoretisch und methodisch anspruchsvollen Wahlstudie zur Landtagswahl 1970 in Hessen am Radikalismusbegriff fest und führten zugleich den Extremismusbegriff ein, indem sie beide Termini kategorial unterschieden. Sie hatten beim Vergleich von Wähler-Einstellungen festgestellt, dass die DKP-Wähler im Unterschied zu denen der NPD die „Demokratie“ im Sinne der Ausdehnung demokratischer Rechte („Demokratisierung“) bejahten, zugleich aber – wie die der NPD – zur Billigung „undemokratischer“ Methoden (wie Gewaltanwendung als Mittel der Politik) neigten. Daher unterschieden sie zwischen einem „norm-“ (methoden-) und einem „wertorientierten“ (zielorientierten) Demokratiebegriff. „Radikalismus“ wurde als Ablehnung demokratischer Methoden, „Extremismus“ als Negation demokratischer Werte definiert.86 Die DKP war nach diesem Begriffsverständnis radikal, aber nicht extremistisch, die NPD hingegen radikal und extremistisch zugleich. Dieses Begriffsverständnis wurde später in einer von dem Mannheimer Sozialwissenschaftler Max Kaase theoretisch und methodisch untermauerten Infratest-Studie zum Politischen Protest in der Bundesrepublik übernommen.87 Kaase fasste es zu Beginn der achtziger Jahre wie folgt zusammen: „Die Zielund Wertdimension wird über die Links-Rechts-Einstufung operationalisiert und als politischer Extremismus bezeichnet. Linksextremismus beinhaltet nach die84 85 86 87
Vgl. Lipset/Raab, Politics of Unreason, S. 428. Scheuch, Politischer Extremismus, S. 462. Vgl. Klingemann/Pappi, Politischer Radikalismus, S. 73–75. Vgl. Politischer Protest in der Sozialwissenschaftlichen Literatur. Eine Arbeit der Infratest Wirtschaftsforschung GmbH; Politischer Protest in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zur sozialempirischen Untersuchung des Extremismus. Eine Arbeit der Infratest Wirtschaftsforschung GmbH.
Extremismus oder Radikalismus?
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sem Verständnis ein radikaldemokratisches, egalitäres Verständnis von Politik, während Rechtsextremismus einer antidemokratischen, antiegalitären Position entspricht. [...] Die Mittel- oder Normdimension bezieht sich dagegen auf die Zustimmung bzw. Ablehnung institutionalisierter politischer Verfahrensweisen und wird in ihrem antiinstitutionellen Pol als politischer Radikalismus bezeichnet. Darunter fällt insbesondere die Anwendung von Gewalt gegen Personen und Sachen im politischen Prozess.“ Diese terminologische Differenzierung habe sich allerdings „bisher noch nicht durchsetzen können, sehr zum Nachteil der begrifflichen Präzision“. Ein Grund dafür sei die verbreitete verfassungsrechtliche Interpretation des Extremismus im Sinne politischer Aktivitäten „gegen den Kernbestand der Verfassung“, wohingegen „Radikalismus“ auf die „Verfolgung radikaler politischer Ziele innerhalb des Rahmens der gegebenen Verfassung“88 bezogen werde. Das war die Terminologie, die u. a. Bundesinnenminister Werner Maihofer vertreten und zur Grundlage der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden gemacht hatte.89 Die von Kaase benannte Differenz in der Begriffsverwendung galt allerdings nicht nur im Vergleich mit der staatsrechtlichen Terminologie. Auch in der sozialwissenschaftlichen Diskussion wurden die Begriffe aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen, Ansätze und Näherungsweisen in verschiedener Weise gefasst. In einer pluralen Wissenschaftslandschaft dürfte dies bei einer so komplexen, politisch zudem umkämpften Materie auch kaum anders zu erwarten sein. Den Diskussionsstand gegen Ende der siebziger Jahre spiegelte ein Sammelband des Bonner Zeithistorikers Manfred Funke, der durch eine Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung weite Verbreitung erlangte. Funke arbeitete in seiner Begriffsbestimmung Strukturmerkmale extremistischer Ideologien wie deren absoluten Wahrheitsanspruch und „Heilsgewissheit“,90 die Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, die Verachtung von Kompromissen und die offene oder verdeckte Gewaltbereitschaft heraus. Zugleich betonte er die Zeitgebundenheit des Phänomens: „Extremismus als zu bestimmendes spezifisches Maß hochlabiler Distanz zwischen einer Norm und dem Verlangen ihrer Vernichtung tritt auf als verbale Setzung unmittelbar zum wertenden Subjekt, ist folglich nicht losgelöst von Zeit und Raum zu klassifizieren“.91 Es handele sich nicht um eine Erscheinung „mit unveränderbarem Wesenskern und abtrennbaren Attributen“, sondern um ein Bündel von Merkmalen. Der Extremist befinde sich im „Prozess zentrifugaler Distanzierung von der Mitte jener Schwerkraft, die das reale Sozialsystem ordnet und gestaltet“.92 Diese Relativität von „Mitte“ und „Extremen“ in unterschiedlichen historisch-politischen Konstellationen bewegte sich in einem Spannungsfeld zur Begriffsbestimmung des Berliner Politikwissenschaftlers und „Futurologen“ 88 89 90 91 92
Kaase, Linksextremismus, S. 219. Vgl. dazu Kap. VII, Abschnitt 3. Funke, Extremismus und offene Gesellschaft, S. 21. Ebd., S. 18. Ebd., S. 19.
220
Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
Ossip K. Flechtheim in demselben Band. Den „Radikalismus“ hob er positiv vom „Extremismus“ ab. In der Frage nach dem politisch Möglichen sah er die entscheidende Differenz: „Im Gegensatz zum Extremismus bleibt aber der humane und demokratische Radikalismus auch in seiner sozialistischen Spielart sich stets dessen bewusst, dass es zwar nötig sein mag, an die Stelle der bestehenden Gesellschaftsordnung eine radikal neue zu setzen, dass aber auch diese neue Gesellschaft nur in einigen wichtigen Aspekten neu sein kann, in anderen dagegen der Tradition der Geschichte verhaftet bleiben muss. Die neue Gesellschaftsformation mag besser, humaner, demokratischer sein als die alte Ordnung – aber auch sie wird kein vollkommenes Reich der Freiheit und des Glücks sein. Während der Extremist an einen absoluten und totalen Bruch zwischen allen Klassengesellschaften der Vergangenheit und der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft der Zukunft glaubt, die daher auch mit allen Mitteln erkämpft werden muss – ohne Rücksicht auf die Kosten und ohne Ansehen der Opfer –, glaubt der selbstkritisch-rationale Radikale, dass auch die bessere Gesellschaft von morgen immer noch im Zeichen letzter menschlicher Unzulänglichkeit und natürlicher Begrenztheit stehen wird.“93
Je kühner der Radikalismus seine Visionen entwickele, desto „humaner müssten die Mittel“ sein. Auch hierin unterscheide er sich „vom rechten wie vom linken Extremismus. Dieser ist seinem Wesen nach extrem, illusionär und realitätsblind, subjektivistisch und dogmatisch, aber auch elitär und autoritär.“94 Daher gebühre der „Mitte“ gegenüber den Extremen der Vorzug, weil die „Mitte“ „schon seit Aristoteles an den Vorrang der kühlen Überlegung gegenüber der blinden Emotion, der rationalen Hypothese gegenüber der dogmatischen These, des nüchternen Kompromisses gegenüber dem wilden Vernichtungskampf“95 erinnere. Die begriffliche Differenzierung Flechtheims hat sich in der Forschung ebenso wenig durchgesetzt wie diejenige Klingemann/Pappis und Kaases. Allerdings hat man verschiedentlich an die Unterscheidung zwischen einer Wert- und einer Methodendimension der (freiheitlichen) Demokratie angeknüpft. Die Terminologie des Antwerpener Politikwissenschaftlers Cas Mudde kehrt die Klingemann / Pappische Unterscheidung von Extremismus und Radikalismus ins Gegenteil: „Radikalismus“ wird für jene Gruppierungen reserviert, die demokratische Methoden (wie freie Wahlen) akzeptieren, demokratische Werte (wie Pluralismus) jedoch negieren.96 „Extremismus“ hingegen umfasse beides: die Negation demokratischer Methoden und Werte. Diese Begrifflichkeit ähnelt der jener Autoren, die von „Radikalismus“ dann sprechen, wenn sich eine Gruppierung zwar im Dunstkreis des Extremismus bewegt, aber dessen Definitionsmerkmale nicht voll erfüllt. Viele „rechtspopulistische“ Parteien werden auf diese Weise als „radikal“, nicht aber als „extremistisch“ eingestuft.97 An dieser 93 94 95 96 97
Flechtheim, Extremismus, S. 59 f. Vgl. auch ders., Radikalismus. Ebd., S. 60. Ebd., S. 61. Vgl. Mudde, Politischer Extremismus. Vgl. etwa Betz, Postmodern Politics, S. 126–132 („From Right-Wing Radicalism to Right-Wing Extremismus?”); Funke, Rechtsextremismus, S. 13; Lepszy/Veen, „Repub-
Extremismus oder Radikalismus?
221
Terminologie hat der Berliner Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke kritisiert, „Radikalismus“ werde zum „unverbindlichen catch-all-term [...] zur Bezeichnung aller Strömungen rechts des etablierten Konservatismus“.98 Aber auch die Umkehrung, wie sie Hans-Uwe Otto und Roland Merten in einer Studie zur rechtsextremen Gewalt vorgenommen haben,99 überzeuge nicht: „Gewalttätig gleich rechtsradikal, ohne Gewalt ‚nur‘ rechtsextrem, ‚Rechtsradikalismus‘ als Steigerungsform von ‚Rechtsextremismus‘?“100 Was Jaschke moniert, findet sich in der Anwendung auf den entgegengesetzten politischen Flügel bei den französischen Politikwissenschaftlern Jean Chiche und Dominique Reynié, die eine „harte“ „extreme Linke“ von einer „weichen“ „radikalen Linken“ abheben. Alle diese Unterscheidungen resultieren aus dem Umstand, dass der Superlativ „Extremismus“ Probleme bereitet, wenn es darum geht, Abstufungen innerhalb eines Spektrums systemfeindlicher Phänomene vorzunehmen. Dieser Problematik ist auch der Verfasser nicht entgangen, der Ende der achtziger Jahre vorschlug, auf die Verwendung der Radikalismusvokabel in wissenschaftlichen Analysen zu verzichten.101 Aufgrund der positiven Konnotierung im Sinne einer „an die Wurzel“ einer Fehlentwicklung vordringenden Problemlösung und angesichts des in romanischen Ländern vorherrschenden, auf liberale und demokratische Strömungen des 19. Jahrhunderts zurückweisenden Sprachgebrauchs seien Missverständnisse unvermeidlich, werde er zur Bezeichnung antiliberaler/antidemokratischer Strömungen verwendet. Stattdessen wurde empfohlen, sich in diesem Kontext auf den Schlüsselbegriff „Extremismus“ zu beschränken und ihn im Sinne einer Antithese zum demokratischen Verfassungsstaat inhaltlich zu bestimmen. Bei der Definition des politischen Extremismus lasse sich eine definitio ex negativo von einer definitio ex positivo unterscheiden.102 Die erste Form der Begriffsbestimmung gehe von einer Minimaldefinition des demokratischen Verfassungsstaates aus, erfasse „Extremismus“ mithin durch die Ablehnung fundamentaler Werte und Spielregeln (vor allem Menschenrechte, Grundrechtssicherung, Pluralismus, Gewaltenteilung), die zweite Form dagegen bestimme die geistige Physiognomie der Extremismen durch die Herausarbeitung charakteristischer Denkstrukturen wie „offensive und defensive Absolutheitsansprüche“, „Dogmatismus“, „Utopismus und kategorischer Utopie-Verzicht“, „Freund-Feind-Stereotype“, „Verschwörungstheorien“, „Fanatismus und Aktivismus“. Das auf diese Weise gewonnene Analyseraster bildete die Grundlage einer gemeinsam mit Eckhard Jesse erarbeiteten, erstmals 1989 erschienenen, ursprünglich dreibändigen, in aktualisierten Versionen später mehrfach aufgelegten, auch
98 99 100 101 102
likaner“, S. 3 f.; Minkenberg, Rechte, S. 34; Pekonen, New Radical Right; Stöss, Rechtsextremismus, S. 12. Jaschke, Rechtsextremismus, S. 27. Vgl. Otto/Merten, Rechtsradikale Gewalt, S. 19. Jaschke, Rechtsextremismus, S. 27. Vgl. Backes, Politischer Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten, S. 68. Vgl. ebd., S. 103 f. Siehe zur Kritik: Everts, Extremismus; Leggewie/Meier, Republikschutz; Pfahl-Traughber, Extremismus.
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Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
von der Bundeszentrale für politische Bildung vertriebenen Gesamtdarstellung zum politischen Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland.103 In demselben Jahr wurde ein „Jahrbuch Extremismus & Demokratie“ ins Leben gerufen, das sich seither der Dokumentation und Analyse aktueller Entwicklungen des Rechts- und Linksextremismus in Deutschland und anderen Demokratien widmet.104
4.
Extremismus, Autoritarismus, Dogmatismus
Die sozialwissenschaftliche Extremismus/Radikalismus-Diskussion der siebziger und achtziger Jahre schöpfte in vielfältiger Weise aus dem Reservoir der (vorwiegend psychologischen) Autoritarismusforschung. Die von der AdornoSchule angestoßenen Diskussionen wurden in einer Vielzahl empirischer Studien fortgeführt. „Autoritarismus“ bezeichnete dabei einen durch spezifische Einstellungen charakterisierten Persönlichkeitstyp, der Anfälligkeit für autokratische Lösungen begründe.105 Milton Rokeachs Konzept des „Dogmatismus“ baute auf den Arbeiten der Berkeley-Gruppe auf, wandte sich aber von deren psychoanalytischer Orientierung ab. Stattdessen griff der Autor auf Ansätze der Gestaltpsychologie zurück.106 Im Mittelpunkt seiner Theorie stand die Unterscheidung zwischen „open“ und „closed mind“.107 Personen mit „geschlossenen“, dogmatischen Orientierungssystemen neigten dazu, die Meinungen von Autoritären kritiklos zu übernehmen, und erwiesen sich in bestimmten Situationen als unfähig, die für eine angemessene Handlung erforderlichen Charakteristika differenziert wahrzunehmen. „Autoritarismus“ und „Dogmatismus“ wurden lange Zeit überwiegend auf der „rechten“ Seite des politischen Spektrums erforscht. Die ideologiegeschichtlich banal klingende Annahme einer Korrelation von „Autoritarismus“ und
103 Vgl. Backes/Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Band 1: Literatur, Band 2: Analyse, Band 3: Dokumentation, Köln 1989. Letzte Ausgabe: Uwe Backes / Eckhard Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik, Neuausgabe Berlin 1996. 104 Bei Redaktionsschluss lagen folgende Bände vor: Backes/Jesse (Hg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bände 1–6, Bonn 1989–1994, Bände 7–17, Baden-Baden 1995–2005. Ausführliche Informationen bietet die Jahrbuch-Webseite: http://www.tuchemnitz.de / phil / politik / sys / jahrbuch / jahrbuch_extremismus_&_demokratie.html (30. Aug. 2005). 105 „Autoritarismus“ in diesem Sinne ist also nicht mit dem in der vergleichenden Diktaturforschung verwendeten Begriff des „autoritären Systems“ zu verwechseln. Vgl. Linz, Regime. 106 Vgl. zur Kritik Roghmann, Dogmatismus und Autoritarismus, S. 83 ff.; Keiler/Stadler (Hg.), Erkenntnis oder Dogmatismus? Siehe zur Forschungsentwicklung: Lederer, Jugend und Autorität. 107 Vgl. Rokeach, Open and Closed Mind; ders., Dogmatism.
Extremismus und Fundamentalismus
223
Kommunismus blieb meist ausgeblendet.108 Erst nach dem Ende des „realen Sozialismus“ hat man sich dieser Frage verstärkt zugewendet. So kamen Gerda Lederer und Angela Kindervater zum Ergebnis, dass zu Beginn der neunziger Jahre untersuchte Schulklassen in Russland und im östlichen Deutschland höhere Autoritarismus-Werte aufwiesen als im westlichen Deutschland.109 Für Russland wurden zudem positive Korrelationen zwischen prokommunistischen Einstellungen und Autoritarismus ermittelt.110 Vor diesem Hintergrund haben Jeff Greenberg und Eva Jonas Ansätze entwickelt, um die „ideological rigidity“ extrem-rechter wie extrem-linker Orientierungen vergleichend zu untersuchen.111 Sie weichen damit von jener Terminologie ab, die der kanadische Psychologe Bob Altemeyer bevorzugt. Als „rechter“ Autoritarismus firmiert demnach jede Form der blinden Unterwürfigkeit gegenüber Autoritären – gleichgültig, ob diese aus wirtschafts- und sozialpolitischer Perspektive als „rechts“ oder „links“ einzustufen sind. Nach Altemeyer gelten die Unterstützer des Tiananmen-Massakers in Peking ebenso als Rechtsautoritäre wie russische Hardliner, die der Kommunistischen Partei ihre alte Monopolstellung zurückerobern wollen.112
5.
Extremismus und Fundamentalismus
Lange vor dem 11. September 2001 geriet der politisch-religiöse „Fundamentalismus“ verstärkt ins Blickfeld. Der Fundamentalismusbegriff entstammt dem amerikanischen Protestantismus der 1920er Jahre und verbindet sich mit religiösen Erweckungsbewegungen, die aus unverrückbaren, oft in „heiligen Schriften“ kodifizierten „fundamentals“ einen exklusiven politischen Gestaltungsanspruch ableiten, den Menschen in seiner ganzen Existenz beanspruchen und einem rigiden Regelsystem unterwerfen.113 Von der islamischen Revolution im Iran 1979 an breitete sich der Begriff aus und fand auf politisch-religiöse Phänomene aller Kulturkreise Anwendung. Als ein zentrales Merkmal des Fundamentalismus gilt die Forderung nach der Einheit von Staat und Religion. Allerdings wurde der Begriff auf säkulare Formen des „Aufstands gegen die Moderne“114 ausgedehnt. Thomas Meyer entwickelte Ende der 1980er Jahre eine umfassende Typologie der Fundamentalismen, deren Definitionsbereich sich auf Phänomene erstreckte, die andere Autoren unter die Begriffe „Extremismus“ oder „Radikalismus“ gefasst hatten. Christian J. Jäggi und David J. 108 Eine der wenigen Ausnahmen bildet die – seinerzeit heftig befehdete – Allensbacher Studie von: Noelle-Neumann/Ring, Extremismus-Potential. 109 Vgl. Lederer/Kindervater, Internationale Vergleiche. 110 Vgl. McFarland/Ageyev/Abalakina-Paap, Authoritarianism; McFarland, Communism. 111 Vgl. Greenberg/Jonas, Psychological Motives. 112 Vgl. Altemeyer, Authoritarian Specter, S. 10. 113 Vgl. zur Wortgeschichte: Art. „fundamentalism“. In: The Oxford English Dictionary, Band VI, 2. Auflage Oxford 1989, S. 267; zur Begriffsgeschichte: Barr, Fundamentalismus. 114 Meyer, Fundamentalismus.
224
Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
Krieger bezogen in ihre Darstellung ebenfalls säkulare Ideologien ein. So nahmen sie die Kategorien eines „marxistischen“ und „grünen“, d. h. radikal-ökologischen, Fundamentalismus auf.115 Eine solche Begriffsausweitung ergibt sich, „wenn man unter ‚Fundamentalismus‘ aus der Perspektive einer wissenschaftlichen oder philosophischen Weltanschauungsanalyse gewisse allgemeine strukturelle Eigenheiten von Weltanschauungen versteht, die unabhängig von den oft so verschiedenen Inhalten weltanschaulicher Gedankengebilde aufweisbar sind.“116 Diese Perspektive kennzeichnet etwa die Ideologiekritik des von Karl Popper begründeten „kritischen Rationalismus“, wie sie in der Gegenwart u. a. von Hans Albert und Kurt Salamun vertreten wird.117 Die dabei verwendeten begrifflichen Etiketten variieren von „fundamentalistisch“ über „totalitär“ bis „extremistisch“ und „antidemokratisch“. Notwendige Bedingungen für die Kennzeichnung von Überzeugungssystemen als „fundamentalistisch“ sind nach Salamun: „Absoluter und ausschließlicher Wahrheitsanspruch“, „Elitär-autoritäres Erkenntnisideal“, „Monistisches Totalitätsstreben“, „Starke Tendenz zum Alternativ-Radikalismus“.118 Im Unterschied zu diesem Wortgebrauch reserviert Hans-Gerd Jaschke den Fundamentalismusbegriff vorwiegend für jene Extremismen, die sich der überkommenen Rechts-Links-Unterscheidung entziehen.119 Und das Fundamentalismus-Projekt der American Academy of Arts and Sciences hat unter der Leitung von Martin E. Marty und R. Scott Appleby den Terminus auf solche Strömungen beschränkt, denen ein Leben im Jenseits nicht fremd ist. Zur Kritik an der Verwendung der Fundamentalismusformel bemerken sie: „Nach Alternativen befragt, nennen die Gelehrten Adjektive wie ‚neo-traditionalistisch‘, ‚extremistisch‘, ‚radikalreformistisch‘ und ‚ultra-orthodox‘, um Glaubens- und Verhaltensmuster zu beschreiben, die von Fernseh- und Rundfunksendern und Politikern schlicht als Fundamentalismus bezeichnet werden.“120 Anders als Appleby/Scott sehen manche Autoren „Fundamentalismus“ als eine Form des Rechtsextremismus oder „Faschismus“. Der liberale evangelische Theologe Karl Eduard Bornhausen beschrieb in einem Beitrag aus dem Jahr 1923 wohl als erster die Verbindung rechtsextremer Ideologeme mit religiösen Inhalten u. a. am Beispiel des Ku Klux Klan.121 Doch gehen wenige Autoren so weit wie Walter Laqueur, der die Fundamentalismen pauschal der extremen Rechten zugeschlagen oder sie gar allesamt unter die Kategorie „Klerikalfaschismus“ subsumiert hat.122 Weniger kontroversenträchtig dürfte dagegen sein, 115 Vgl. Jäggi/Krieger, Fundamentalismus. 116 Salamun, „Fundamentalismus“, S. 36. 117 Vgl. Popper, Historizismus; ders., Gesellschaft; Albert, Gewissheitsbedürfnis; Salamun, Der holistische Grundzug. Siehe dazu auch: Fritze, Kritik des totalitären Denkens; Backes, „Totalitäres Denken“. 118 Salamun, „Fundamentalismus“, S. 37–43. 119 Vgl. Jaschke, Fundamentalismus. 120 Marty/Appleby, Herausforderung, S. 10. 121 Bornhausen, Faszismus. Siehe den Hinweis bei: Laqueur, Faschismus, S. 225. 122 Vgl. Laqueur, Faschismus, S. 251–259.
Rechts- und Linksextremismus
225
wenn bestimmte religionsähnliche Ausprägungen der extremen Rechten wie bei Stefan Breuer in einer Studie über den George-Kreis als „fundamentalistisch“ etikettiert werden.123
6.
Rechts- und Linksextremismus
Neben dem „Fundamentalismus“ behauptete sich die klassische Unterscheidung nach den Richtungsbegriffen „rechts“ und „links“. Allerdings sah sich diese Differenzierung mit einer Grundsatzkritik konfrontiert, wie sie im westlichen Deutschland vor allem im Gefolge der 68er-Bewegung vorgetragen wurde. Während die analytische Tauglichkeit des „Rechtsextremismus“-Begriffs (allerdings unter Verwendung verschiedener Etikettierungen) aus dieser Warte unangefochten war und ist, galt die Existenz eines „Linksextremismus“ als zweifelhaft. Denn: „Linke wollen die Erweiterung der Autonomie des Einzelnen, den Fortschritt der Emanzipation sozialer Gruppen oder Klassen von rational nicht mehr legitimierbarer Herrschaft, neue erweiterte Formen der Beteiligung aller an den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen – dies alles unter Benutzung eines optimal als rational ausweisbaren Instrumentariums; Rechte wollen die Einordnung des Individuums in haltende natürliche Gemeinschaften, die Bindung der sozialen Gruppen an einer hierarchische gestuften Ordnung der Gesellschaft, die Stabiliserung von Entscheidungsstrukturen, die durch Individuum und Gesellschaft verordnete Institutionen bestimmt werden – dies alles mit einem Instrumentarium, das überrationale Bezüge in den Vordergrund zu rücken ermöglicht.“124 Helga Grebings Definition der Linken ließ den „realen Sozialismus“ als irrelevante Entartungsform erscheinen, die dem „progressiven“ Projekt keinerlei Legitimitätsprobleme bereitete. Dieses Begriffsverständnis unterschied sich vom marxistisch-leninistischen, wie es von Seiten der SED und ihrer westlichen Bündnispartner vertreten wurde, durch die implizite Ausklammerung eines „Linksradikalismus“ im Sinne einer strategischen (aktionistischen, revolutionär-enthusiastischen) Abweichung von der „real-sozialistischen“ Orthodoxie.125 Die von Lenin angeprangerte „Kinderkrankheit“ firmierte bei italienischen Gesinnungsfreunden mitunter schlicht als „Extremismus“,126 unter Umgehung der im romanischen Kontext anders konnotierten Radikalismusformel. 123 Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus. 124 Grebing, Linksradikalismus, S. 8 f. Siehe zur Kritik auch: Pfahl-Traughber, Politischer Extremismus. 125 Vgl. dazu ausführlich Kap. VI in diesem Band. Außerdem: Wörterbuch des Wissenschaftlichen Kommunismus, S. 237 f. 126 Vgl. etwa Tronti, Extremismus. Diesem Begriffsverständnis sind auch folgende Schriften verpflichtet: Bravo, Critica dell’estremismo; ders., L’estremismo. In Frankreich war in diesem Zusammenhang meist vom „gauchisme“, in Portugal vom „esquerdismo“ die Rede. Vgl. nur Biard, Dictionnaire; Ruas, Art. „Extremismo“.
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Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
Eher im Gefolge Grebings entzog der Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss einem „Linksextremismus“ das fundamentum in re. In einer – ideen- und materialreichen – Betrachtung zur Struktur und Entwicklung des westdeutschen Parteiensystems firmierten Parteien wie die NPD als „antidemokratisch“, Parteien wie die an Moskau und Ostberlin orientierte DKP hingegen als „antikapitalistisch“. Da die „Existenz- und Erfolgsbedingungen Antikapitalistischer und Antidemokratischer Parteien [...] augenscheinlich sehr verschieden“ seien und ihnen konträre Herrschaftskonzepte zugrundelägen, erweise sich die „Sammelbezeichnung ‚extremistische Parteien von rechts und links‘“ als „wenig hilfreich“.127 Aus dieser Perspektive erschien es konsequent, wenn Stöss dem Problem der Demokratiekompatibilität in seinen Arbeiten zum Rechtsextremismus überragende Bedeutung beimaß, während er im Falle der PDS „die Frage der Verfassungsfeindlichkeit“ für „nachrangig“128 erklärte. Anders als Helga Grebing und Richard Stöss argumentierte Wolfgang Wippermann. Das Extremismuskonzept suggeriere eine „Ähnlichkeit zwischen Rechts- und Linksextremismus [...], die es nicht in der Realität, sondern nur in den Büchern der sogenannten ‚Extremismusforscher‘ gibt. Tatsächlich werden damit die Schwächen der Faschismus und Kommunismus vergleichenden und weitgehend identifizierenden Totalitarismustheorie nur reproduziert und zugleich gesteigert, zumal auf wirkliche Vergleiche zwischen Rechts- und Linksextremismus, wie dies die Totalitarismustheoretiker noch getan haben, verzichtet wird. Statt dessen werden Rechts- und Linksextremismus nur durch ihre angeblich gemeinsame Ablehnung der Demokratie definiert und identifiziert.“129 Wippermann stellte somit die in komparativen Analysen konstatierte „Ähnlichkeit“ der beiden Formen in Frage, räumte aber implizit die Möglichkeit eines wissenschaftlich fruchtbaren Vergleichs ein. Kritik dieser Art wurde von der Schwierigkeit einer sinnvollen Grenzziehung zwischen den dichotomischen Richtungsbegriffen begünstigt. Zu deren begrifflicher Präzisierung unterbreitete der Turiner Rechtsphilosoph Norberto Bobbio (1909–2004) Mitte der 1990er Jahre einen vielbeachteten Vorschlag. Dabei kommt den politischen Extremen eine tragende Rolle zu. Das Gegensatzpaar bringe die konträre Haltung zum Ideal der Gleichheit zum Ausdruck – allerdings nicht in dem Sinne, dass die einen es rundweg ablehnen, die anderen es hingegen ohne Abstriche auf alle Lebensfragen anwenden. Eine solche Sichtweise wäre schon deshalb zu simpel, weil der Gleichheitsbegriff mit Blick auf die Art der zu verteilenden Güter, den Modus des Verteilens und den Umfang des Empfängerkreises sehr verschiedene Auslegungen zulasse.130 Linke oder „Egalitarier“ sind nach Bobbio all jene, „die, ohne zu verkennen, dass die Menschen 127 Stöss, Einleitung, S. 304. Ähnlich argumentieren: Butterwegge, Rechtsextremismus, S. 64–78. 128 Neugebauer/Stöss, Die PDS, S. 13. 129 Wippermann, Verfassungsschutz, S. 269. Siehe auch ders., „Doch ein Begriff muss bei dem Worte sein“. 130 Vgl. Bobbio, Rechts und Links, S. 76.
Rechts- und Linksextremismus
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ebenso gleich wie ungleich sind, eher dem größere Bedeutung beimessen, was sie gleich statt ungleich macht, um sie zu beurteilen und ihnen Rechte und Pflichten zu übertragen“; als Rechte oder „Nichtegalitarier“ hingegen gelten all jene, „die, von der gleichen Feststellung ausgehend, um desselben Zieles willen dem größere Bedeutung beimessen, was die Menschen ungleich statt gleich macht“.131 Die Linke sei mithin geneigt, Ungleichheiten als Folge veränderbarer sozialer Zustände zu interpretieren und auf ihre Beseitigung zu dringen, während sich die Rechte viel eher bereit zeige, „das Natürliche und diese zweite Natur zu akzeptieren, die sich in Gewohnheit, in Tradition, in der Kraft des Vergangenen ausdrückt“.132 Das unterschiedliche Verhältnis zum Gleichheitsprinzip bietet nach Bobbio den Schlüssel für die Unterscheidung der politischen „Rechten“ und „Linken“. Die von ihm verwendeten Komparative („größer“, „eher“) deuten schon darauf hin, dass die Verortung von Gruppe A und Gruppe B in diesem Sinne nicht in absoluter, sondern nur in relativer Weise möglich ist: Gruppe A betont das, was die Menschen einander gleich erscheinen lässt, bei der Beurteilung der Übertragung von Rechten und Pflichten stärker als Gruppe B – oder umgekehrt. Die Verortung auf der Rechts-Links-Achse ist umso schwieriger, je ähnlicher sich die betreffenden Gruppen in ideologisch-programmatischer Hinsicht sind. In einem politischen System, in dem sich die maßgeblichen Kräfte um die Mitte drängen, müssen Etikettierungen im Sinne der Richtungsbegriffe besonders fragwürdig erscheinen. Dagegen liegt die Vermutung nahe, dass Bobbios Kriterium bei der Unterscheidung politischer Ideen und Akteure in den zentrifugalen Randbereichen der politischen Kräftefelder pluralistischer Gesellschaften leichter und überzeugender anzuwenden ist. Bobbio hat die Frage der Unterscheidung von Links- und Rechtsextremismus zwar nicht gesondert behandelt, er widmet dem Gegensatzpaar „extrem“ und „gemäßigt“ jedoch große Aufmerksamkeit. Diese Unterscheidung gehorche einem anderen Prinzip als die zwischen „rechts“ und „links“. Das den Begriffen „extrem“ und „gemäßigt“ zugrunde liegende Ideal sei historisch mindestens von ebenso großer Bedeutung wie das der Begriffe „rechts“ und „links“. Orientierten sich die Richtungsbegriffe am Prinzip der Gleichheit, betreffe die Antithese „extrem“ und „gemäßigt“ das Prinzip der Freiheit und somit die Unterscheidung „zwischen freiheitlichen Doktrinen und Bewegungen einerseits und autoritären Doktrinen und Bewegungen andererseits“.133 Nach Bobbio muss mithin eine autoritäre Linke und Rechte von einer freiheitlichen Linken und Rechten unterschieden werden. Bobbios Unterscheidung erinnert an die zweidimensionale Darstellung des politischen Raumes bei Hans Jürgen Eysenck zu Beginn der 1950er Jahre und mündet wie diese in eine Vierteilung der geistigpolitischen Topographie. 131 Ebd., S. 78. 132 Ebd., S. 79. 133 Ebd., S. 83.
228
Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
Abbildung 9: Zweidimensionale Darstellung des politischen Raumes nach Norberto Bobbio
Die vier Bereiche des Koordinatenkreuzes werden von Bobbio in folgender Weise beschrieben: 1. die „extreme Linke“ umfasse jene „egalitären und zugleich autoritären Bewegungen, deren wichtigstes Beispiel das Jakobinertum“134 gewesen sei; 2. die „linke Mitte“ (man könnte auch von der „gemäßigten Linken“ sprechen) sei durch „egalitäre und zugleich freiheitliche Doktrinen und Bewegungen“135 bestimmt, wie sie beispielsweise die Sozialdemokratie kennzeichneten; 3. die „rechte Mitte“136 (oder gemäßigte Rechte) beherberge demokratisch-konservative Parteien, die freiheitlich, aber antiegalitär seien; 4. die „extreme Rechte“137 schließlich bilde das Sammelbecken des antiliberalen Antiegalitarismus; bekannteste historische Beispiele seien Faschismus und Nationalsozialismus. Bobbios knappe Definitionsformel der „extremen Rechten“ lautet: „antiliberaler Antiegalitarismus“, die der „extremen Linken“ „antiliberaler Egalitarismus“. Die extreme Rechte ist demnach durch die Negation des „Freiheits-“ wie des „Gleichheitsprinzips“, die extreme Linke nur durch die Negation des Freiheitsprinzips gekennzeichnet. Der gemeinsame Nenner besteht folglich in der Negation des „Freiheitsprinzips“. 134 135 136 137
Ebd., S. 84. Ebd. Ebd. Ebd., S. 85.
Extremismus der Mitte?
7.
229
Extremismus der Mitte?
Nach platonisch-aristotelischer Terminologie liegt die Mitte zwischen den Extremen; Extreme und Mitte bilden zudem eine Antithese. Ein „Extremismus der Mitte“ erscheint insofern als paradox. Dennoch fand die Wendung in den 1990er Jahren Verbreitung, zum Teil in kritisch-polemischer Absicht. Zumeist diente der Begriff nicht als analytische Kategorie, wie sein buntschillernder Inhalt beweist. Versteht man den „Extremismus der Mitte“ im Sinne Seymour M. Lipsets sozialstrukturell, also als „Extremismus des Mittelstandes“, steht er keineswegs in notwendigem Gegensatz zur aristotelischen Tradition. Zwar empfahl der Philosoph im Interesse politischer Stabilität und Freiheitssicherung eine mittelschichtenzentrierte Gesellschaft, da ihm eine Deprivation der Mittleren als weniger wahrscheinlich erschien als die der Unteren und Oberen. Dies schloss eine solche Entwicklung aber nicht grundsätzlich aus. Wenn sie indes eintrat, war ein Verfassungswandel die logische Konsequenz. In unsere Zeit übertragen bedeutet dies: Fallen die breiten Mittelschichten der Gesellschaft ins politische Extrem, kommt es unweigerlich zur Systemtransformation. Lipsets These vom Faschismus als Extremismus der Mitte (sprich: des Mittelstandes) war bereits in den 1930er Jahren sinngemäß verfochten worden. Lipset verwies auf den amerikanischen Nationalökonomen David J. Saposs. In einem Essay über „The Rôle of the Middle Class in Social Development“ hatte er die Ideologien des Sozialismus und Faschismus einander gegenübergestellt und behauptet: „Fascism being the extreme expression of middle-classism or populism, it also is the exact counterpart of communism, which may be described as the extreme expression of socialism.“138 In ähnlicher Weise hatte der deutsche Soziologe Theodor Geiger nach der Reichstagswahl vom September 1930 die „Panik im Mittelstand“139 als ursächlich für den enormen Stimmengewinn der NSDAP bezeichnet. Aufgrund ihrer sozialen Lage seien Teile des alten und neuen Mittelstandes anfällig für extreme ideologische Strömungen geworden. Lipsets These vom „Extremismus der Mitte“ ist von der historischen und sozialwissenschaftlichen Forschung mit erheblichen Einschränkungen versehen worden. Nach Auffassung des Historikers Heinrich August Winkler erfolgte die Wählerbewegung vom Liberalismus zum Nationalsozialismus keineswegs so unvermittelt wie von Lipset angenommen.140 Und die Wahlforschung stellte den behaupteten engen Zusammenhang zwischen Mittelschichtenvotum und NSDAP-Aufstieg in Frage.141 Diese Arbeiten haben es jedoch nicht verhindern können, dass die Wendung vom „Extremismus der Mitte“ vor allem angesichts 138 Saposs, Rôle, S. 395. 139 Geiger, Panik im Mittelstand, S. 637–654. Ein Nachdruck des Beitrags findet sich in folgendem Band: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Reader. 140 Vgl. Winkler, Extremismus der Mitte?, S. 186. 141 Vgl. Falter, Hitlers Wähler; ders., Radikalisierung.
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Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
der Welle fremdenfeindlicher Gewalttaten zu Beginn der 1990er Jahre Karriere in der politischen Publizistik machte. Allerdings wiesen selbst Autoren, die der Bezeichnung erkenntnisaufschließende Funktionen nicht absprechen wollten, auf deren Vieldeutigkeit hin. Wolfgang Kraushaar unterschied vier Bedeutungsvarianten. „Extremismus der Mitte“ beziehe sich: 1. auf die „Kennzeichnung der sozialen Herkunft“ fremdenfeindlicher Täter, 2. auf die Benennung einer unterstellten „Komplizenschaft zwischen Tätern und Politikern, besonders zwischen rechtsradikalen Drahtziehern und staatlichen Behörden“, 3. auf die „Charakterisierung moderner rechtspopulistischer Parteien“ und 4. auf die „Analyse reaktualisierter rechtskonservativer Ideologien“.142 Die Gemeinsamkeit dieser Kritik besteht in folgendem Sachverhalt: Autoren, die sich der Linken zurechnen, machen die „Mitte der Gesellschaft“ für das Erstarken „der Rechten“ verantwortlich. Die meist polemischen Beiträge haben einen unleugbaren und zugleich banalen Sachverhalt auf ihrer Seite: Entwicklungen an den Flügeln des politischen Spektrums (gemessen an der Entfernung politischer Positionen vom Mainstream und vom verfassungspolitischen Grundkonsens) vollziehen sich in einer dynamischen Wechselbeziehung mit den systemprägenden Strömungen und dominierenden sozialen Kräften. Die Bedeutung der mit der Bezeichnung „Extremismus der Mitte“ umrissenen Problemlagen ist insofern nicht zu leugnen. Wer dies anerkennt, mag dennoch zugleich die Form der Etikettierung der Problemlagen in Zweifel ziehen, da sie die ohnehin zu beklagende Begriffsverwirrung auf die Spitze treibt. Bezeichnenderweise löste die vielfach von weit links vorgetragene Kritik am rechten Flügel ein Echo aus. So geißelte der ehemalige Burschenschaftler und „Junge Freiheit“-Autor Hans-Ulrich Kopp Anfang der 1990er Jahre den „Liberal-Extremismus“, der die Leitlinien deutscher Politik bestimme. Der „LiberalExtremismus“ steuere auf eine multikulturelle Gesellschaft zu, unterminiere auf diese Weise die „Identität des deutschen Volkes“, hofiere „asoziale und kriminelle Minderheiten“, dränge die „Mehrheit der Anständigen an den Rand“, treibe Außenpolitik unter Missachtung völkerrechtlicher Normen und komme „Maximalforderungen unfreundlicher Nachbarstaaten hemmungslos entgegen, während die ostdeutschen Landsmannschaften und volksdeutschen Minderheiten kurzerhand übergangen“143 würden. Kopp erhielt für seine Meinungsäußerung viel Applaus bei „nationalen Revolutionären“. Jürgen Riehl konstatierte in dem rechtsextremen Organ „Recht und Wahrheit“ lapidar: Aus „der Sicht der ‚demokratischen‘ Systembewahrer sind alle Forderungen nach revolutionärer Umgestaltung extrem“.144 Die Rede vom „Liberal-Extremismus“ hat seither die 142 Kraushaar, Extremismus, S. 26. 143 Kopp, Begegnung, S. 2. Siehe in diesem Sinne auch: Schüßlburner, Liberalextremismus. 144 Riehl, Kampf.
Heterogene Extremismusbegriffe
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Runde gemacht und Eingang in die politische Propagandistik von Rechtsaußenparteien gefunden. Sowohl die repressive Seite der bundesdeutschen Gesellschaft (etwa im Umgang mit „rechten“ Tabubrüchen145) wie deren permissive Züge (die „Bluttat von Erfurt“ als Konsequenz eines von den „68er“-„Verausländerungsextremisten“146 angeblich hervorgerufenen Werteverlusts147) ließen sich auf diese Weise etikettieren.
8.
Heterogene Extremismusbegriffe
Wie der – skizzenhafte, keineswegs Vollständigkeit beanspruchende – Überblick zur terminologischen Entwicklung innerhalb der Extremismusdiskussionen des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, unterschieden sich die Autoren nicht nur in der Verwendung der von ihnen jeweils favorisierten Bezeichnungen, sondern auch in der inhaltlichen Abgrenzung ihres Gegenstandsbereichs. So stehen mehrere Extremismusbegriffe nebeneinander. Ein schon in den frühen Konzeptbildungen Leroys und Sturzos vorzufindender Definitionsansatz besteht darin, „Extremismus“ über eine Anzahl struktureller Merkmale der zugrunde liegenden ideologischen Systeme zu bestimmen. Den Kern bildet ein politischer Absolutheits- und Monopolanspruch, der gegnerische Anschauungen nicht neben sich duldet, einem pluralen Spektrum von Interessen und Meinungen also keinen Raum bietet. In diesem Sinne hoben Lipset/Raab den „monism“ der Extremismen hervor. Der amerikanische Sozialphilosoph Robert Nozick arbeitete acht (mögliche) Merkmale des Extremismus heraus, die sich nicht auf die Inhalte, sondern auf die Form der entsprechenden Doktrinen beziehen: die (1) Hervorhebung einer „certain objectivity“ und „impersonal validity“, (2) die zentrale Funktion eines „enemy who is absoluteley evil“, (3) die Unfähigkeit zum Kompromiss, (4) die Bereitschaft zur Anwendung „extremer Mittel“, (5) das Bestehen auf einer sofortigen und vollständigen Realisierung der eigenen Ziele, (6) das organisierte Vorgehen, (7) die Neigung, eine extreme Position ständig weiterzutreiben und (8) die ihnen zugrunde liegende spezifische Persönlichkeitsstruktur.148 In ähnlicher Weise hat der Verfasser Elemente einer „definitio ex positivo“ benannt.149 Diese Art der Definition bildet die Kehrseite einer Begriffsbestimmung, die „Extremismus“ im Sinne der Ablehnung von Mindestbedingungen demokratischer Verfassungsstaaten (oder „liberaler Demokratien“, um den in den USA üblichen, damit weitgehend bedeutungsgleichen Terminus zu verwenden) begreift. Insofern Pluralismus und institutionelle Machtkontrollen das Herz des 145 146 147 148 149
Schwab, Burschenschaften. So der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Apfel, Volksgemeinschaft. Vgl. REP-Pressemitteilung vom 27. April 2002. Vgl. Nozick, Characteristic Features, S. 296–299. Vgl. Backes, Politischer Extremismus, S. 103.
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Entwicklungslinien des Extremismuskonzepts im 20. Jahrhundert
Verfassungsstaates bilden, ist eine solche „definitio ex negativo“ nur die andere Seite der Medaille. Eine engere Definition baut auf diesem Grundverständnis auf, beschränkt „Extremismus“ jedoch auf eine bestimmte Analyseebene. So haben Hans D. Klingemann und Franz U. Pappi, wie erwähnt, vorgeschlagen, „Extremismus“ auf die Ablehnung demokratischer Werte zu beziehen, die Negation demokratischer Methoden hingegen als „Radikalismus“ zu bezeichnen. Diese analytische Aufteilung lag bereits Luigi Sturzos Unterscheidung zwischen Methoden- und Programmextremismus zugrunde. Doch erfasste Sturzos „Extremismus“ beide Dimensionen. Von solchen analytischen Differenzierungen grundsätzlich verschieden ist ein relativistischer Wortgebrauch, der für jede beliebige Strömung die Unterscheidung „gemäßigter“ und „extremistischer“ Positionen erlaubt. Crane Brintons Revolutionstheorie ist dafür ein Beispiel. Gleiches gilt für Giovanni Sartoris Parteienlehre, die Antisystemparteien durch das Ausmaß ihrer Distanz zu einer fluktuierenden ideologisch-politischen Mitte bestimmt.150 Eine solche Haltung geht aber nicht zwingend mit der Ablehnung von Grundprinzipien des politischen Systems einher. Relativistisch in diesem Sinne ist auch die Bestimmung des „Extremismus“ für die Inhaber einer Außenseiterposition im Kommunikationsprozess.151 Nach einer derartigen Definition müssen liberale Regimegegner in Diktaturen in aller Regel als „Extremisten“ gelten. Der relativistische Extremismusbegriff gerät dann in einen Widerspruch zu einem an Minimalbedingungen „liberaler Demokratie“ orientierten Verständnis. Damit völlig unvereinbar ist ein Extremismusbegriff, der an Lenins Revolutionstheorie anknüpft. Er erfasst in erster Linie eine als verfehlt geltende strategische Orientierung der „Linksradikalen“. Deren politische Endziele werden hingegen geteilt. Links- und Rechtsextremismus (oder Rechtsradikalismus) sind aus dieser Perspektive mithin um Welten voneinander getrennt. Noch weiter entfernt sich der „positive“ Extremismus Hitlers und Goebbels von der verfassungsstaatlichen Tradition. Er bricht nicht nur mit dem konstitutionellen Projekt einer Domestizierung der Staatsgewalt, sondern erteilt auch dem Ethos fundamentaler Menschengleichheit eine schallende Absage.
150 Vgl. Sartori, Party Systems, S. 132 f. Siehe dazu die Kritik von: Kailitz, Politischer Extremismus, S. 16. 151 Vgl. in diesem Sinne Agassi, Logic of Consensus.
X.
Politischer Extremismus: Bilanz, Begriffsbestimmung und Ausblick
1.
Bilanz der Begriffsgeschichte
Der Begriff des politischen Extrems wurzelt in der altgriechischen Maßethik. In jeder Handlungssituation gibt es eine Mitte (mesotes) zwischen Zuviel (hyperbole) und Zuwenig (elleipsis), Über- und Untermaß. Ein elaboriertes System begrifflicher Kategorien findet sich in den mittleren und späten Schriften Platons. Platon verband die Maßethik mit der Verfassungslehre. Sein Staatsformen-Kontinuum erstreckte sich zwischen den Extremen der Despoteia/Tyrannis und der anomischen/gesetzlosen Demokratie (im Sinne der Pöbelherrschaft). Dazwischen lagen Oligarchie, Basileia (Königtum), Aristokratie und gesetzliche Demokratie. Die Mitte (meson), zugleich Maß (metrion) und Tugendhaftigkeit (arete) verbürgend, wurde durch eine Mischung (meikte) und den Ausgleich für sich genommener schädlicher (kakon), extremer (akron) Verfassungselemente erreicht. Die ontologisch-phänomenologische Dimension der Staatsformen-Unterscheidung war auf diese Weise mit der normativ-axiologischen Dimension der Mesoteslehre verbunden. Aristoteles löste die platonischen Begriffe aus ihrem theologisch-ontologischen Rahmen, bettete sie in eine umfassende wissenschaftliche Systematik ein und verlieh ihnen einen politisch-realistischen Zuschnitt. In der Nikomachischen Ethik bestimmte er die Tugend oder sittliche Tüchtigkeit (arete) als Mitte (meson) oder Mittleres (mesotes) zwischen einem Zuviel (hyperbole) und einem Zuwenig (elleipsis), die als äußerste Enden, Extreme (akron, eschaton) eines Handlungskontinuums gedacht wurden. In der Politik führte er die ethische Mesoteslehre mit dem Konzept der Mischverfassung zusammen. Die Interessen der Ober- und Unterschichten sollten in einer von den Mittleren (mesoi) getragenen Gesellschaft ausgeglichen und mittels einer kunstvollen Komposition politisch-institutioneller Gestaltungselement aus verschiedenen Verfassungsformen zum Ausgleich gebracht werden. Unter der Bedingung des Menschenmöglichen empfahl Aristoteles die aus „oligarchischen“ und „demokratischen“ Elementen gemischte „Politie“ als relativ beste Staatsform, in der die Devise von der Meidung der Extreme in eine Stabilität wie Bürgerfreiheit gleichermaßen gewährleistende Verfassung mündete. Der Aristotelismus hat mit seiner Verbindung von ethischer Mesoteslehre und politischer Mischverfassungstheorie die Ideengeschichte des Verfassungsstaates – nicht zuletzt durch die Vermittlung der Scholastik und des Humanismus – geprägt. Der Republikanismus der norditalienischen Stadtstaaten und später der Vereinigten Staaten von Amerika vermochte daran ebenso anzuknüpfen wie der monarchische Konstitutionalismus Großbritanniens. Die Extreme waren Träger menschlichen Fehlverhaltens ebenso wie der ihm zugrunde liegenden Maximen
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Politischer Extremismus
und sozialen Kräfte. Extreme standen für Entpluralisierung und Gewaltenkonzentration, die Mitte für Pluralismus und Gewaltenkontrolle. Zwei Hauptformen des Extremen waren zu unterscheiden: Entpluralisierung und Gewaltenentfesselung konnten durch die despotische Willkür eines Einzelnen ebenso bewirkt werden wie durch das anarchische Wüten der Massen. Diese beiden Typen des Extremen hatte bereits Platon seiner zweidimensionalen Begrifflichkeit zugrunde gelegt.1 Aristoteles nahm die Unterscheidung auf. Nicht zuletzt die Jakobinerherrschaft dokumentierte später ihre unveränderte Relevanz. Die ontologisch-axiologische Zweidimensionalität der platonisch-aristotelischen Mesotes- und Mischverfassungslehre bot logische Anknüpfungsmöglichkeiten an die neue politische Taxonomie, die sich im Zuge der Französischen Revolution herausbildete. Sie behielt die Unterscheidung „extremer“ und „gemäßigter“/„mittlerer“ Formen bei und verband diese mit den neuen, der parlamentarischen Sitzordnung entsprechenden Richtungsbegriffen „rechts“ und „links“. Die beiden traditionellen Extreme erhielten nun gewissermaßen ihren Platz an den Enden des politischen Kontinuums. Mit der Ausbreitung der Rechts-Links-Unterscheidung wurden die alten Begriffe weitertransportiert, auch wenn sie sich vielfach vom Mischverfassungsdiskurs lösten, der im 19. Jahrhundert seine Bedeutung als zentrales Medium der Selbstdeutung des Konstitutionalismus zum Teil verlor. Der „Ismus“ „Extremismus“ fand mehrfach Eingang in die politische Sprache, ohne sich zunächst dauerhaft als eigene begriffliche Kategorie zu etablieren. Das galt für sein Auftauchen im Zeitalter der Religionskriege ebenso wie für seine Einführung in die Terminologie des deutschen Vormärz. In beiden Fällen handelte es sich um Zeiten politischer Polarisierung, in denen die überkommenen Worte und Wendungen nicht auszureichen schienen, um ein als existenzbedrohende Gefahr wahrgenommenes Phänomen zu bezeichnen. Das traf auch für die Russische Revolution von 1917 zu, mit der sich „Extremismus“ dauernd in der politischen Sprache – zunächst der westlichen Staaten – etablierte. In Frankreich und England wurde „Extremismus“ zum Schlagwort,2 mit dem allerdings zunächst mehr die Angst vor dem drohenden Separatfrieden als die Furcht vor den Folgen der politischen Radikalität der Bolschewiki zum Ausdruck gelangte. „Extremismus“ blieb eine Zeitlang auf die „extreme Linke“ beschränkt, wurde nach dem „Marsch auf Rom“ aber auf die neue Formation der „extremen Rechten“, den Faschismus, ausgedehnt. Damit gewann der Begriff die vergleichende Perspektive der platonisch-aristotelischen Kategorien zurück. Geistige Isomorphien der Extreme hatten liberale Beobachter wie Madame de Staël und Benjamin Constant schon in den ersten Jahren nach der Französischen Revolution herausgearbeitet. Im 19. Jahr-
1 2
Vgl. Abbildung 1, S. 35. Vgl. zum Terminus Schottmann, Politische Schlagwörter, der allerdings weder „Radikalismus“ noch „Extremismus“ im Lexikon der Schlagwörter aufführt.
Bilanz der Begriffsgeschichte
235
hundert war es üblich geworden, die Extreme des politischen Spektrums aus der Sicht des Konstitutionalismus zu parallelisieren, neben den unübersehbaren Unterschieden die Analogien und Strukturähnlichkeiten herauszuarbeiten. An der mit dem Extremismusbegriff seit seiner Einführung in die wissenschaftliche Diskussion zu Beginn der 1920er Jahre untrennbar verbundenen komparativen Dimension haben sich immer wieder Kontroversen entzündet. Wer die Begriffsgeschichte der politischen „Extreme“ und des „Extremismus“ Revue passieren lässt, vermag eine Reihe struktureller Merkmale zu benennen. „Extrem“ und „Extremismus“ bezeichnen ein Äußerstes. Über das Extrem hinaus gibt es nichts mehr; Extreme sind nicht steigerbar, verkörpern etwas Unüberbietbares, Unüberschreitbares. Die Aussagen „A ist extremer als B“ oder „C ist der extremste Wert“ widersprechen somit der dem Begriff innewohnenden Logik. Extreme kann man sich räumlich als Enden einer Strecke, ebenso gut aber als Grenzlinie einer kreisförmigen Fläche oder gar als Oberfläche einer Kugel denken. Ob in ein-, zwei- oder dreidimensionaler Betrachtung: In allen diesen Fällen lässt sich eine „Mitte“ bestimmen, die von den Extrempunkten gleich weit entfernt ist. Das Prinzip der Äquidistanz ist also dem Bild von der Mitte und den Extremen inhärent. Die Extreme einer Strecke sind die am weitesten voneinander entfernten Punkte. Sowohl das Verhältnis der beiden Extreme zueinander als auch das der Mitte zu den Extremen lässt sich als gegensätzlich denken. Die Extreme bilden dann Antithesen; zugleich steht die Mitte zu den beiden Extremen in einem antithetischen Verhältnis. Allerdings ist die eine antithetische Beziehung schroffer ausgeprägt als die andere. In der aristotelischen Tradition bildet die Mitte nämlich zugleich einen Punkt des Ausgleiches zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig. In ihr kommen Eigenschaften in abgemildeter Form zum Ausdruck, die in den Extremen voll ausgeprägt sind. Die Mitte, oft mit der Gleichgewichts- und Waagemetapher verknüpft, verkörpert das Prinzip der Mäßigung. In der Tugendlehre steht die Mitte für ein sittlich angemessenes Verhalten, das weder über- noch untertreibt, weder über das Gebotene hinausschießt, noch weit hinter ihm zurückbleibt. Tugendhaftes Verhalten ist die Bedingung für ein Telos, das der einzelne in und mit der staatlichen Gesellschaft zu erreichen vermag: Maßvolles, tugendhaftes Leben ermöglicht die Eudämonie, die Entfaltung menschlichen Glücks. In der Politik hat Aristoteles das Bild von der Mitte und den Extremen auf die Staatsformenlehre übertragen. Der Mitte entspricht die Politie, die nach aller Erfahrung unter der Bedingung des Menschenmöglichen beste Verfassung. Sie schafft ein solides Fundament für das erfolgreiche Streben nach Tugendhaftigkeit und Glückseligkeit. In ihr sind Grundprinzipien und Bestandteile verschiedener Staatsformen, insbesondere der Oligarchie und der Demokratie, in einer Weise gemischt, dass die mittleren Schichten dominieren, das Miteinan-
236
Politischer Extremismus
der einer Vielheit sozialer Kräfte ermöglicht, der Interessenausgleich institutionell kanalisiert und die Macht wirksam kontrolliert wird. Mit seiner Beschreibung und Empfehlung der Politie, der Mischverfassung, hat Aristoteles in kritischer Weiterentwicklung des platonischen Spätwerks maßgeblich zur Begründung der abendländischen Verfassungsstaatstradition beigetragen.3 Das Bild von der Mitte und den Extremen war über Jahrhunderte eng damit verknüpft. Die Extreme korrespondieren als Inbegriff des unbedingt Abzulehnenden mit negativen Verfassungsbegriffen wie „Tyrannis“ oder „Despotie“, die pejorativ konnotiert sind und eine Abwehrhaltung zum Ausdruck bringen.4 Negative Verfassungsbegriffe sind zumeist Fremdbezeichnungen, d. h. sie dienen zur Etikettierung von politischen Meinungen, Handlungsformen und Akteuren, von denen man sich scharf abgrenzt. Sie sind daher auch stets Mittel in politischen Auseinandersetzungen, also Kampfvokabeln, die im Rahmen einer Benennungsstrategie („Naming“)5 der abwertenden Kennzeichnung politischer Kontrahenten dienen. Sie sind Stigmaworte,6 mit denen politische Legitimitätsgrenzen markiert, Unwerturteile ausgesprochen, Gefahren benannt werden. Die Zurschaustellung des Extremen ist Teil von Normalisierungsdiskursen7, in denen die Mehrheitsgesellschaft ihre Normalität und Mitte permanent reflektiert. In Normalisierungsdiskursen gelangen oft kulturelle Machtkämpfe zum Ausdruck, in denen politisch missliebige Kontrahenten an den Pranger gestellt werden. Nicht immer sind die Werte des systemnotwendigen politischen Minimalkonsenses tatsächlich verletzt. Die Verwendung des Stigmaworts „Extremismus“ von Seiten einer politischen Mehrheitskultur schafft das, was Reinhart Koselleck eine „asymmetrische“ Sprachsituation genannt hat:8 Die Bezeichneten können die ihnen zugedachte Etikettierung nicht hinnehmen, distanzieren sich von der Fremdbezeichnung, bezweifeln die Tragfähigkeit ihres Inhalts, streichen ihren denunziatorischen Charakter heraus und bestreiten ihre wissenschaftliche Begründungsfähigkeit. Mitunter werden gar juristische Auseinandersetzungen um die Verwendung politischer Stigmaworte geführt. So hat der französische Front national (FN) des Nationalpopulisten Jean-Marie Le Pen gegen die Einstufung als
3
4 5 6 7 8
Dolf Sternberger bemerkt gar: „Jegliches Verständnis des Verfassungsstaates, aller ‚Konstitutionalismus‘, wie die Angelsachsen sagen, auch der spätmittelalterliche und der neuzeitliche, ist aus aristotelischer Wurzel erwachsen.“ Ders., Drei Wurzeln der Politik, S. 105. Im Gegensatz zur Begriffsgeschichte der Extreme ist die der „Tyrannis“ und „Despotie“ gut erforscht. Vgl. nur Mandt, Art. „Tyrannis, Despotie“; dies., Das klassische Verständnis: Tyrannis und Despotie; Turchetti, Tyrannie et tyrannicide. Vgl. Adler, Naming and Adressing, S. 93–166. Vgl. zu diesem Begriff Hermanns, Brisante Wörter. Vgl. Link, Versuch über den Normalismus. Vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 211–259. Siehe auch Richter, Aristoteles, S. 24.
Bilanz der Begriffsgeschichte
237
„extrême droite“ durch die Presse prozessiert, da die Vokabel Gewalttätigkeit suggeriere.9 Anders als im Falle des FN wählen die negativ Etikettierten gelegentlich eine andere Strategie, indem sie den Sinn des Etiketts ins Gegenteil verkehren. Aus einer negativen Fremdbezeichnung wird dann eine positive Selbstbezeichnung. Ein Beispiel aus den Monaten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: Die Herausgeber einer „gut-französischen extremistischen Wochenzeitung“ („Hebdomadaire extrémiste bien français“) teilten ihren Lesern hocherfreut mit, der „Extremismus“ sei in Frankreich glücklicherweise mächtiger als im Lande des unglücklichen Liebknecht: „Heureusement que notre extrémisme est plus puissant qu’au pays de l’infortuné Liebknecht“.10 Eine andere Sprachstrategie der Stigmatisierten besteht darin, den Spieß umzudrehen und die negative Fremdbezeichnung auf die Bezeichnenden anzuwenden. Mit dieser Absicht wird die Wendung vom „Extremismus der Mitte“ gelegentlich bemüht.11 Die Strategie der Wiederherstellung von Symmetrie in der Sprachsituation hat indes nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Bezeichneten oder Bezeichnenden über gesellschaftliche Definitionsmacht verfügen. Die Begriffsgeschichte der „Extreme“ und des „Extremismus“ belegt deren Variabilität und Kontextabhängigkeit, die im äußersten Fall so weit führen kann, dass als Ausdruck einer „goldenen Mitte“ gilt, was zuvor als extrem bekämpft worden war. Die an das Bild von der Mitte und den Extremen geknüpften Inhalte waren häufigen Veränderungen unterworfen und umfassen schon deshalb widersprüchliche Ideen und Anschauungen, weil die politischen Kontrahenten den auf sie gemünzten Begriff zuweilen aufgreifen und mit anderen Bedeutungen füllen. In der für die historische Ausformung des Verfassungsstaates wirkungsmächtigen aristotelischen Tradition drückt das Bild von der Mitte und den Extremen indes keine solche Beliebigkeit aus. Die Substanz des Extremen entspringt einem Konsens über das unbedingt Abzulehnende. Der Konsens in der Negation verengt das Spektrum der als legitim geltenden Wahlmöglichkeiten, lässt aber zahlreiche Wege zum als gut erachteten Ziel zu. Der Inhalt des Konsenses über das unbedingt Abzulehnende läßt sich auf vier Punkte bringen: 1. Pluralismus statt Monismus: Der Staat vereint eine Vielheit von Menschen und Menschengruppen, deren Interessen und Anschauungen verschieden, aber gleichermaßen legitim sind. Er kann weder in seinem institutionellen Aufbau noch in seinen Kommunikations- und Entscheidungsprozessen ausschließlich nach den Maximen eines Einzelnen oder einer Gruppe geformt sein. 2. Gemeinwohlorientierung statt egoistischer Interessenwahrnehmung: Eine legitime Ordnung muss 9 Vgl. Canu, Schutz der Demokratie, S. 32. 10 Arcille, Militants! In: Le Titre Enchaîné, Nr. 3 vom 21. Januar 1919, S. 1. Siehe in diesem Kontext auch die wertneutrale Verwendung der Vokabel bei: Tchernoff, L’extrême-gauche, S. 4 („républicains extrémistes“, „fractions extrémistes“). 11 Allerdings nicht immer. Siehe nur: Kraushaar, Extremismus der Mitte. Zur Logik einer Paradoxie.
238
Politischer Extremismus
der Idee eines „bonum commune“ verpflichtet sein. Unter der Bedingung einer Pluralität Gleichrangiger sind verschiedene Interessen und Anschauungen zu berücksichtigen. Ein so verstandenes „bonum commune“ beinhaltet also kein umfassendes A priori-Gemeinwohl.12 3. Gesetzesstaat statt Willkürstaat: Eine politische Ordnung muss Regeln vorsehen, die von allen, auch den jeweils Regierenden, zu beachten sind. Ohne ein System wirksamer Machtkontrollen (Machtteilung, Machtbegrenzung, Kompetenzverteilung) ist dies nicht dauerhaft zu gewährleisten. Und schließlich 4. Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung: Entscheidungen sind nur dann anerkennungswürdig, wenn zumindest eine faire Chance bestand, sich an deren Zustandekommen zu beteiligen. Das politische System muss Machtbeteiligung ermöglichen, d. h. Verfahren für den kontrollierten Konfliktaustrag und einen unter Pluralitätsbedingungen organisierten Willensbildungs- und Entscheidungsprozess nach den sich jeweils ergebenden Mehrheiten vorsehen.
2.
Begriffsbestimmung
Wie die Begriffsgeschichte lehrt, muss, wer von „Extremen“ oder „Extremismus“ im Rahmen einer wissenschaftlichen Terminologie sprechen will, die Begriffe bis zu einem gewissen Grad dekontextualisieren, von ihren changierenden historischen Inhalten ablösen – es sei denn, er erklärte die Relativität zum zentralen Inhalt. Dies widerspräche indes ihrer begriffsgeschichtlichen Tradition als Gegenpole einer politischen „Mitte“, die durch „Mischung“ von Verfassungselementen Gewaltenstreuung und sozialen Interessenausgleich bewirkt. Die meisten Schlüsselbegriffe der historisch-politischen Sprache sind in unterschiedlichen Kontexten verwendet, von diversen politischen Strömungen vereinnahmt und für politische Auseinandersetzungen instrumentalisiert worden. Doch käme kaum jemand auf die Idee, das Wort „Demokratie“ deshalb preiszugeben, weil es in so vielen begriffshistorischen Bedeutungen schillert. Wenn für alle missbrauchten Worte neue Wendungen erfunden werden müssten, entstünde eine für Uneingeweihte rätselhafte, artifizielle Sprache, die mehr als Kommunikationsbarriere denn als Kommunikationsmittel diente. So führt kein Weg daran vorbei, Begriffe mit bunt schillernden historisch-politischen Inhalten so zu definieren, dass sie dem verbreiteten Verständnis weitestgehend Rechnung tragen und zugleich hohe Trennschärfe gewinnen. Angesichts der herausragenden Bedeutung des aristotelischen Erbes für die Geschichte des abendländischen Konstitutionalismus liegt es nahe, „Extremismus“ als Antithese des Verfassungsstaates zu bestimmen. Eine Dichotomie Extremismus / Verfassungsstaat ergänzt das Begriffspaar Autokratie / Verfassungsstaat, das Karl Loewenstein in seiner Verfassungslehre terminologisch entfaltet 12 Vgl. zu der auf die Neopluralismuskonzeption Ernst Fraenkels zurückreichenden Kontroverse vor allem: Detjen, Pluralismus; Sutor, Traditionelles Gemeinwohl.
Begriffsbestimmung
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hat.13 Das zentrale Unterscheidungskriterium bildet die Frage nach der Teilung und Kontrolle der Macht. Extremismus wäre demnach das – willentliche oder unwillentliche – Streben nach „Autokratie“ (oder „Diktatur“) im Sinne der Konzentration und mangelnden Kontrolle staatlicher Gewalt. Verfassungsstaat und Extremismus lassen sich nicht nur auf der Ebene des staatlichen Institutionengefüges, sondern auch anhand der Struktur und Organisation des Machtprozesses bestimmen. Die bekannte Minimaldefinition des Verfassungsstaates von Robert A. Dahl bestimmt diesen als „Polyarchie“, als ein System, in dem ein Wettbewerb um Einfluss, Macht und Ämter mit friedlichen Mitteln ausgetragen wird.14 Ein solches System setzt die Existenz mehrerer, miteinander konkurrierender Parteien und Interessengruppen (Pluralismus), die Legitimität politischer Opposition, institutionelle Mechanismen zur Regelung des Wechselspiels von Mehrheiten und Minderheiten (wie Wahlen und Parlamente) und die Geltung einer Reihe fundamentaler Freiheitsverbriefungen der Bürger gegen Übergriffe der Staatsgewalt wie auch zur Teilhabe (Partizipation) an den politischen Angelegenheiten (wie Meinungs-, Vereinigungs-, Versammlungsfreiheit) voraus. Machtkontrolle und Polyarchie / Pluralismus bedingen einander wechselseitig. Ohne ein funktionierendes, gewaltenkontrollierendes Institutionengefüge gibt es keinen auf Vielfalt basierenden Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, kann Konkurrenz nicht friedlich ausgetragen werden. Extremismus zielt demgegenüber auf „Monismus“ und „Monokratie“ im Sinne der Durchsetzung eines gebündelten Machtanspruchs, der Konkurrenz nach Möglichkeit ausschaltet, politische Vielfalt und Opposition nicht duldet, jedenfalls unschädlich zu machen sucht, politischen Wechsel unterbindet, autonomes Engagement von Gruppen und Einzelpersonen zumindest dann behindert und unterdrückt, wenn es den Ambitionen der Machthaber im Wege steht. Der Begriff des Bürgers gehört somit zur Welt der Verfassungsstaaten. Im Wirkungsbereich politischer Extreme gibt es neben den Mächtigen nur Untertanen. Extremismus als Antithese des Verfassungsstaates lässt sich über die institutionelle und politisch-prozedurale Ebene hinaus über die Struktur des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses näher bestimmen. Während der Verfassungsstaat dem „forum type“ entspricht, wo mithin Staatsfragen als öffentliche Anliegen gelten, die im Austausch verschiedener Meinungen, auf einem „Marktplatz politischer Ideen“, in Debatte und Beratung, argumentativ und diskursiv, transparent, für jeden zugänglich und einsehbar erörtert werden, zielt Extremismus auf den „palace type“,15 wo Nichtöffentlichkeit in Staatsangelegenheiten die Regel ist, Mitsprache und Diskussion unerwünscht sind und die Herrschaftsstrategie auf die sorgfältige Bewahrung der „arcana imperii“ achtet, die hinter den Mauern der Schaltzentralen abhörsicher und nur für kleine, ausgewählte Kreise zugänglich sind. 13 Vgl. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 26–29. 14 Vgl. Dahl, Polyarchy, S. 5. Siehe dazu auch: Merkel, Systemtransformation, S. 31–34. 15 So die Unterscheidung von: Finer, The History of Government, Band III, S. 1567 f.
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Politischer Extremismus
Der Hang der Extremismen zum „Palast“ wiederum lässt sich auf Gemeinsamkeiten in ihrer gedanklichen Morphologie zurückführen. Der Drang zur Monokratie/Gewaltenkonzentration und zum Monismus wird durch einen exklusiven Wahrheits-, Deutungs- und Gestaltungsanspruch hervorgerufen, der sich auf „höhere Einsichten“, „unanfechtbare Autoritäten“ und/oder die Kenntnis der „Gesetze der Geschichte“ (Historizismus) beruft,16 sich gegenüber Kritik immunisiert und daher zum Dogmatismus neigt. Das Erkenntnis- und Deutungsmonopol verbietet die Anerkennung konkurrierender Entwürfe, begründet geistige „Koexistenzunfähigkeit“.17 Die Pluralität der Meinungen, Interessen und Lebensentwürfe verhindert aus dieser Sicht die unbedingt anzustrebende Einheit, Eintracht und Harmonie. Extremistische Ideologien entwickeln ein machtpolitisches Uniformisierungsprogramm. Was dem eigenen politischen Entwurf nicht entspricht, wird hinweginterpretiert, für illegitim erklärt, nötigenfalls ausgemerzt. Extremistische Ideologien entfalten eine bipolare, manichäische Weltsicht, die geistig Abweichendes dem „Reich des Bösen“ zuweist und somit eine klare Freund-Feind-Unterscheidung begründet. Sozialpsychologisch lässt sich ein solches Denken als Folge von Ambiguitätsintoleranz interpretieren,18 der Weigerung, die Heterogenität und Vieldeutigkeit der Welt, die Kompliziertheit der Lebensverhältnisse und die Konflikthaftigkeit der Gesellschaft als Tatsachen anzuerkennen und konstruktiv umzusetzen.19 Mit dem Streben nach Gewaltenkonzentration, nach monistischer Vereinheitlichung und Abschließung der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse untergraben Extremismen nicht nur die Bürgerfreiheit: Sie unterminieren auch die Bürgergleichheit im Sinne der altgriechischen Isonomie und Isegorie, also der Gleichheit vor dem Gesetz, der Gleichberechtigung und dem Recht der freien Rede und Stellungnahme in die Allgemeinheit betreffenden Angelegenheiten.20 Extremismus zielt demnach – zumindest in seiner Wirkung (nicht unbedingt in seinen Intentionen) – auf die Hierarchisierung von Regierenden und Regierten, Herrschenden und Beherrschten, politisch „Eingeweihten“ und Unwissenden.
3.
Formen des politischen Extremismus
Aus den verschiedenen Aspekten einer sich an der Antithese zum Verfassungsstaat orientierenden Begriffsbestimmung von „Extremismus“ lassen sich Kriterien für eine sinnvolle Gliederung des Definitionsbereiches gewinnen. Eine erste Möglichkeit dieser Art ergibt sich aus der Interpretation des modernen Verfassungsstaates als regimen mixtum. Das „extrem-demokratische“, nach tota16 Vgl. Popper, Elend des Historizismus. 17 Von „ideologiepolitisch koexistenzunfähigen Geltungsansprüchen“ spricht: Lübbe, Heilsmythen, S. 286. 18 Siehe dazu Reis, Ambiguitätstoleranz. 19 Vgl. auch Salamun, Demokratische Kultur, S. 154. 20 Vgl. Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 289 ff.
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ler Bürgergleichheit, permanenter und unmittelbarer bürgerlicher Machtausübung drängende Element wird durch „monarchische“ und „aristokratische“ checks and balances etwa im Interesse rascher Regierungsentscheidung, qualifizierter Beratung in Parlamenten oder richterlichen Schutzes vor Übergriffen des Volkswillens auf elementare Freiheitsrechte begrenzt. Die Mischverfassung schafft insbesondere ein Gleichgewicht zwischen Bürgerfreiheit und Bürgergleichheit. Die Warnung vor der extremen Demokratie einer von Demagogen aufgewiegelten Volksmenge ist seit Platon und Aristoteles ein wiederkehrender Topos der Ideengeschichte. Der moderne Verfassungsstaat bedarf der monarchischen und aristokratischen Gegengewichte nicht weniger als der antike. Denn in ihm ist im Gefolge der Revolutionen in Amerika und Frankreich das Prinzip der Gleichheit gegenüber dem älteren Konstitutionalismus noch stärker zur Geltung gekommen. Die Gruppe der Vollbürger wurde schrittweise auf alle erwachsenen Staatsangehörigen ausgeweitet. Das Ethos fundamentaler Menschengleichheit, aus antiken Quellen (insbesondere der Stoa) entsprungen, von Christentum, Humanismus und Aufklärung kanalisiert, hat die noch für Aristoteles selbstverständliche kategoriale Ungleichbehandlung von Frauen, Sklaven, Fremden allmählich überwunden und den Verfassungsstaat auf eine breite Volksbasis gestellt. Der demokratische Verfassungsstaat bildet eine spannungsreiche Synthese aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen. Er ist daher oft als eine complexio oppositorum beschrieben worden.21 Alois Riklin hat – in kritischer Anknüpfung an Dolf Sternberger – die Bedeutung der Mischverfassungstradition für die Entfaltung des abendländischen Konstitutionalismus erneut ins Bewusstsein gerufen.22 Die Einsicht in die Mischnatur des Verfassungsstaates ermöglicht es, Formen des politischen Extremismus nach der jeweiligen Hauptstoßrichtung zu unterscheiden. Wird das demokratische Element in einer Weise überdehnt, dass die Bürgerfreiheit in Gefahr gerät? Oder soll die Freiheit bestimmter Bürger zu Lasten der Bürgergleichheit gehen? Nach den Dimensionen Bürgergleichheit und Bürgerfreiheit kann man eine antidemokratische von einer antikonstitutionellen Stoßrichtung unterscheiden. Die eine unterhöhlt die Bürgergleichheit – etwa in Gestalt des Axioms menschlicher Fundamentalgleichheit, das in Gestalt der Menschenrechtsidee die ethische Grundlage des Verfassungsstaats der Gegenwart bildet. Die andere zielt auf das machtkontrollierende Regelwerk, das die Bürgerfreiheit sichern soll. Carl J. Friedrich hat die Entstehung des modernen Verfassungsstaates als einen Prozess des Zusammenwachsens von Demokratie (im Sinne von Gleichheit und Volkssouveränität) und Konstitutionalismus (Pluralität sicherndes, macht-
21 Vgl. etwa Kägi, Rechtsstaat und Demokratie; Kielmansegg, Die „Quadratur des Zirkels“; Laufer, Widersprüche im freiheitlichen demokratischen System. 22 Vgl. Riklin, Machtteilung; Sternberger, Die neue Politie.
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Politischer Extremismus
kontrollierendes Institutionengefüge) beschrieben.23 Für eine Extremismusdefinition erwächst aus dieser analytischen Unterscheidung allerdings ein Problem. Ist die Kombination von Antikonstitutionalismus und Antidemokratismus eine notwendige Bedingung, um von Extremismus zu sprechen? Oder reicht eine der beiden Dimensionen aus? Theoretisch lassen sich die beiden Dimensionen zu drei idealtypischen Formen kombinieren. Zu unterscheiden wäre demnach zwischen demokratischem Antikonstitutionalismus, konstitutionellem Antidemokratismus und antikonstitutionellem Antidemokratismus (bzw. antidemokratischem Antikonstitutionalismus; Typ 4, demokratischer Konstitutionalismus, bildet die Antithese der drei anderen).24 Die erste Form stünde für eine Ideologie/Bewegung, die das Ethos fundamentaler Menschengleichheit bejaht, das gewaltenkontrollierende Gefüge des Verfassungsstaates jedoch ablehnt. Dies dürfte auf alle kommunistischen und anarchistischen Doktrinen zutreffen, sofern man ihr radikal-egalitäres Selbstverständnis ernst nimmt. Die zweite Form träfe auf die Politie des Aristoteles zu, ein Verfassungsstaat auf der Grundlage der Sklaverei – ein Muster, das sich noch in vielen nordamerikanischen Republiken der Gründerzeit findet und die innenpolitischen Auseinandersetzungen der USA bis ins 20. Jahrhundert hinein geprägt hat. Für die Gegenwart denkt man an Anhänger einer Apartheid auf konstitutioneller Grundlage (wie im früheren Südafrika). Die dritte Form findet sich in Hitlers Weltanschauung und der anderer führender Nationalsozialisten: die radikale Negation des Ethos fundamentaler Menschengleichheit zugunsten eines völkischen Rassismus, verbunden mit der Propagierung des totalen Führerstaates, der das System bürgerlicher Freiheitssicherung in einem Prozess der „Gleichschaltung“ beseitigt.25 Reservierte man „Extremismus“ für die Kombination beider Dimensionen, schlösse man Ideologien/Bewegungen aus dem Definitionsbereich aus, die auf die Beseitigung des Verfassungsstaates oder auf Exklusion von Bevölkerungsteilen aus wesentlichen grundrechtlichen Schutzbereichen zielen. Für eine historische Betrachtung zur Herausbildung demokratischer Verfassungsstaaten (den Prozess der Demokratisierung des konstitutionellen Staates) und ihrer politischen Antipoden ist es höchst bedeutsam, beide Dimensionen zu trennen. Ihre Unterscheidung ist auch für die Gegenwartsanalyse von großer Bedeutung. Aber es widerspräche weitgehend dem heutigen Verständnis, wollte man „Extremismus“ für die Kombination von Demokratie- und Konstitutionalismusfeindschaft reservieren. Eine Extremismusdefinition, die nur eine der beiden Dimensionen verlangt, hat indes ihren Preis. Im strengen Sinne handelt es sich nämlich nicht mehr um 23 Vgl. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit. 24 Vgl. zu dieser Typologie auch: Backes, Liberalismus und Demokratie, S. 46 f. 25 Beide Elemente sind zentral, auch wenn die ideologischen Konzepte der NS-Führung weit heterogener und erheblich weniger ausformuliert waren als das Ideengebäude des Marxismus-Leninismus. Siehe vor allem: Ackermann, Heinrich Himmler; Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus; Höver, Joseph Goebbels; Kroll, Utopie als Ideologie; Syring, Hitler; Zehnpfennig, Hitlers „Mein Kampf“; Zitelmann, Hitler.
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ein ausschließlich antithetisches Verhältnis, sobald nur eine der beiden Dimensionen vorliegt, Antidemokratismus also mit konstitutionellen Orientierungen oder – umgekehrt – Antikonstitutionalismus mit demokratischen Werten verknüpft ist. Firmieren solche ideologischen Verbindungen als „Extremismus“, handelt es sich auch nicht mehr um ein Äußerstes, Unüberbietbares. Vielmehr rücken die jeweiligen Überzeugungssysteme auf der „Freiheitsachse“ zwischen einer gedachten Mitte und den Extremen ein Stück in Richtung Mitte. Auf diese Weise entsteht ein politischer Raum, in dem zwischen extremen und „extremeren“ (oder „weicheren“ und „härteren“) Formen zu unterscheiden ist – eigentlich eine contradictio in adjecto. Wer dennoch an der Definition von Extremismus im Sinne des Vorliegens nur einer der beiden Dimensionen festhält, muss sich dieser Problematik bewusst sein und ihr bei der Analyse politischer Ideologien Rechnung tragen. Ohnehin lassen sich die Dimensionen „Antidemokratismus“ und „Antikonstitutionalismus“ nochmals untergliedern. So könnten beim „Antikonstitutionalismus“ weitere Teilbereiche wie Antiparlamentarismus, Antiliberalismus (im Sinne der Beschränkung oder Suspendierung von Freiheitsrechten) oder Antipluralismus (wie Antiparteienaffekte, Interessengruppen-Prüderie) benannt werden. Beim Antidemokratismus wäre etwa zwischen einem Antiegalitarismus mit Blick auf einzelne Freiheitsrechte (z. B. Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen) und dem Verhältnis zur Idee der Volkssouveränität zu unterscheiden. Eine Extremismusdefinition sollte in jedem Fall so gefasst sein, dass die Negation zumindest einer Dimension, ohne die der demokratische Verfassungsstaat seinen Namen nicht verdiente, zur Bedingung gemacht wird. Dazu zählen das Ethos fundamentaler Menschengleichheit als Wertgrundlage ebenso wie der politische Pluralismus von Parteien und Verbänden, die damit verbundene Autonomie bürgerlichen Engagements, die Legitimität politischer Opposition, die Abhaltung periodischer Wahlen (bei denen die üblichen Grundsätze eines demokratischen Wahlrechts gelten) sowie eine Reihe unverzichtbarer Grundrechte (wie Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit) und deren Gewährleistung durch ein gewaltenbalancierendes Institutionengefüge (u. a. Rechtmäßigkeit der Regierung, parlamentarische Kontrolle, Unabhängigkeit der Justiz). Die Unterscheidung der beiden Dimensionen Antidemokratismus und Antikonstitutionalismus hat viel mit Norberto Bobbios zweidimensionaler Unterteilung des politischen Raumes gemeinsam. Die Unterscheidung zwischen Extremismus / Autokratie und Verfassungsstaat orientiert sich am Prinzip der (individuellen) Freiheit, die zwischen „rechts“ und „links“ am Prinzip der Gleichheit. Beide Dimensionen werden nicht als Parallelen, sondern als sich überkreuzende Achsen gedacht.26 Neben einer gemäßigten, verfassungsstaatlich orientierten Rechten und Linken gibt es demnach auch eine extreme, autokratische Herrschaftsformen begünstigende Rechte und Linke. 26 Vgl. Bobbio, Rechts und Links, S. 76.
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Politischer Extremismus
Bobbios zweidimensionale Aufteilung des politischen Raumes kann mit den oben eingeführten Dimensionen „Antidemokratismus“ und „Antikonstitutionalismus“ verknüpft werden. Auf diese Weise tritt ein geistig-politischer Traditionszusammenhang zu Tage, erfährt die „Freiheitsachse“ mit einem Katalog von Werten und institutionellen Verfahrensregeln eine Konkretisierung. Wie Abbildung 10 zeigt, lässt sich der politische Raum zweidimensional erfassen, indem man zwischen einer Konstitutionalismus- und einer Demokratieachse unterscheidet. Die Extrem-Pole der Konstitutionalismus werden als „anarchisch“ und „totalitär“ bezeichnet. Der „anarchische“ Antikonstitutionalismus negiert jegliche Form staatlicher Ordnung, der „totalitäre“ entwickelt einen alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden, die Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem auflösenden staatlichen Allmachtanspruch. Die Extrem-Pole der Demokratieachse heißen „extrem-egalitär“ und „antiegalitär“. „Demokratie“ erfasst hier also in erster Linie die Gleichheitsdimension. Folgt man Bobbios plausibler Einordnung auf der Gleichheitsachse, so ist diese mit der herkömmlichen Rechts-Links-Dimension identisch.
Abbildung 10: Formen des politischen Extremismus im zweidimensionalen politischen Raum (Antidemokratismus/Antikonstitutionalismus)
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Auf der Konstitutionalismus-Achse geht es um Machtkontrolle und Pluralitätssicherung, also um Bürgerfreiheit, auf der Demokratie-Achse um das Verhältnis zu den Prinzipien der Bürgergleichheit und Volkssouveränität. Die extreme, zu autokratischen Lösungen tendierende Rechte und Linke gleichen sich im Antikonstitutionalismus, unterscheiden sich aber in ihrer Einstufung auf der Demokratie-Achse. Dem Selbstverständnis gemäß kann man den MarxismusLeninismus nach diesem Schema als „demokratischen Antikonstitutionalismus“, den Nationalsozialismus als „antidemokratischen Antikonstitutionalismus“ bezeichnen. Allerdings sind dies nur grobe Einordnungen. Die verschiedenen ideologischen Varianten (Leninismus und Stalinismus unterscheiden sich ebenso wie der Nationalsozialismus Hitlers und Rosenbergs) wären im Einzelnen genauer zu beschreiben, indem die begrifflichen Kluster „Antidemokratismus“ und „Antikonstitutionalismus“ in der bereits beschriebenen Weise in ihre Einzelbestandteile aufgelöst werden. Der Anarchismus nimmt in dieser Darstellung eine eigene Position ein. Als Anarchokommunismus verbindet er eine „extrem-egalitäre“ mit einer anarchisch-staatsfeindlichen Orientierung. Im Übrigen fehlt es nicht an der ideologischen Verbindung von Antiegalitarismus und Anarchismus; nur ist sie praktisch nahezu bedeutungslos geblieben und hat daher auch keine Aufnahme in das Schaubild gefunden. Der politisch-religiöse Fundamentalismus27, der an den Rändern aller Weltreligionen, insbesondere im islamischen Kulturkreis in den letzten Jahrzehnten an politischer Bedeutung gewonnen hat, führt indes vor Augen, dass die beiden Dimensionen Antikonstitutionalismus und Antidemokratismus keineswegs ausreichen, um das Spektrum politischer Extremismen auf der Ebene ihres ideologisch-programmatischen Selbstverständnisses angemessen zu erfassen. Offenkundig ist das Verhältnis zum Egalitätsprinzip und mithin die Einstufung auf der Gleichheits-Achse für diese Formen nicht entscheidend. Wichtiger erscheint eine andere Konfliktlinie, die von der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion und Staat bestimmt ist.28 Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, kann man sich den politischen Raum wiederum zweidimensional denken, indem die Demokratie-Achse durch eine Religions-Achse ersetzt wird (siehe Abbildung 11). Die Extrempole dieser Achse lassen sich als Religionsfeindschaft und Theokratie bezeichnen. Was die Religionsfeindschaft angeht, wäre an Ideologien zu denken, die jede Form des Jenseitsglaubens als intellektuellen Angriff auf die Vernunft verdammen und seinen Anhängern mit Intoleranz begegnen. Ein Beispiel für die Verbindung von Religionsfeindschaft und totalitärem Antikonstitutionalismus bietet der Kommunismus Lenins und Stalins mit der systematischen Tötung von Priestern, der Zerstörung oder Entweihung von Gotteshäusern, der „Gottlosenbewegung“ und anderen Exzessen. Charakteristischerweise entfließt die Religionsfeindschaft einer Staatsideologie, die wie die Staatsreligion der 27 Der Begriff erfasst nicht die von Martin Riesebrodt erfassten Formen eines „Fundamentalismus der Weltflucht“. Vgl. ders., Fundamentalismus, S. 21. 28 Vgl. zu dieser Frage auch: Backes/Jesse, Islamismus, S. 201–214.
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Abbildung 11: Formen des politischen Extremismus im zweidimensionalen politischen Raum (Konstitutionalismus/Fundamentalismus)
Theokratie einen Absolutheitsanspruch (auf überlegene Rationalität) erhebt. Auch hier berühren sich die Extreme. Der wesentliche Unterschied liegt in der radikalen Diesseitigkeit der religionsfeindlichen Ideologie, die zur Jenseitigkeit einer politisch-fundamentalistischen Theologie in scharfem Kontrast steht. Herrschaftsstrukturell dürfte sich die Theokratie dem religionsfeindlichen Totalitarismus umso mehr annähern, je wortgetreuer der Anspruch einer Gottesherrschaft auf Erden in die Tat umgesetzt wird. Die Herrschaft der Taliban in Afghanistan kam dieser Verbindung nahe. Um die Eigenständigkeit der drei Dimensionen politischer Extremismen im geistig-politischen Raum zu verdeutlichen, bietet sich eine dreidimensionale Darstellung mit einer Konstitutionalismus-, einer Demokratie- und einer Fundamentalismus-Achse an (siehe Abbildung 12). Je bedingungsloser bestimmte Organisationen in ihrem ideologisch-programmatischen Selbstverständnis nach den Extrempolen im geistig-politischen Raum streben, umso ausgeprägter dürfte ihre Neigung sein, die absolut gesetzten, mit exklusivem Wahrheits-, Deutungs- und Gestaltungsanspruch vorgetragenen Ziele unter Aufbietung aller verfügbaren Mittel durchzusetzen. Die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Erkenntnis- und Prognosefähigkeit mündet in Verbindung mit dem Anspruch, eine Katastrophe abzuwenden, die Welt „wie-
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Abbildung 12:Formen des politischen Extremismus im dreidimensionalen politischen Raum (Konstitutionalismus /Demokratie/Fundamentalismus)
der ins Lot“ zu bringen und/oder eine neue Welt zu schaffen, in eine intellektuelle Selbstermächtigung zu opferreichem Handeln.29 Die hohen, als sakrosankt geltenden Ziele lassen den Einsatz von Gewalt, im Extremfall sogar den Massenmord, legitim erscheinen. Allerdings wäre es verfehlt, die Anwendung von Gewalt oder illegaler Methoden als Definitionsmerkmal politischer Extremismen anzusehen. Die Frage der Gewaltanwendung und des Normbruchs kann – unabhängig von der jeweiligen ideologisch-programmatischen Orientierung – aus der Perspektive unterschiedlicher strategischer Kalküle verschieden beantwortet werden. Das politische Verhalten der NSDAP zu Beginn der 1930er Jahre zeigt, dass extremistische Ideologie und Gewaltpraxis nicht notwendigerweise Hand in Hand gehen. Die Legalitätstaktik machte sich das verbreitete relativistische Demokratieverständnis des Weimarer Staates zunutze. So konnte Goebbels freimütig ankündigen: 29 Zur Denkweise extremistischer „Täter mit gutem Gewissen“ siehe vor allem: Fritze, Täter mit gutem Gewissen; ders., Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung, S. 151 f.
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Politischer Extremismus
„Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.“30 Die Ausprägung der Ideologie lässt mithin keinen zwingenden Schluss auf das strategische Verhalten zu. Kann demgegenüber in stringenter Weise von der ideologisch-programmatischen Struktur auf den nach einer Machtübernahme zu erwartenden Autokratie-Typ geschlossen werden? Hier ist Vorsicht angebracht, da die Prozesse der Transformation und Autokratie-Etablierung in hohem Maße von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen, den institutionellen Voraussetzungen und den sozial-ökonomischen wie kulturellen Rahmenbedingungen abhängen. Gleichwohl lassen sich aus der Ideologie einer politischen Bewegung politische Grundintentionen und Legitimierungsformen ableiten, die der zu erwartenden Regimeausprägung eine Richtung geben. So ist in der Ideologie des Marxismus-Leninismus die kommunistische Erziehungsdiktatur ebenso angelegt wie die charismatische Führerdiktatur in den Doktrinen des Faschismus und Nationalsozialismus. In ähnlicher Weise kann aus dem politisch-religiösen Fundamentalismus auf theokratische Züge einer erfolgreichen Autokratie-Etablierung geschlossen werden. Lassen sich auch Indizien für eine Beantwortung der Frage nach der „autoritären“ oder „totalitären“ Ausprägung der Autokratie finden? Aus dem Grad der Ausprägung und Konfiguration der Strukturmerkmale extremistischer Ideologien dürften Rückschlüsse auf den Grad der zu erwartenden Entpluralisierung und „Durchherrschung“ einer Gesellschaft möglich sein. Die Erfahrung der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts legt den Schluss nahe, dass eine utopistische Gläubigkeit die Wahrscheinlichkeit totalitärer Herrschaftspraxis erhöht, da die Utopie eine Rechtfertigungsgrundlage für eine rigorose Transformation, „Gleichschaltung“ und „Säuberung“ der Gesellschaft zu liefern vermag.
4.
Ausblick
Eine Definition von Extremismus im Sinne der Ablehnung grundlegender Werte und Spielregeln des demokratischen Verfassungsstaates läuft keineswegs darauf hinaus, Extremismus lediglich als Konsequenz von Negationen und Reaktionen zu sehen. Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass Verfassungsstaaten erst mehrere Tausend Jahre nach der Entstehung der ersten Hochkulturen an den Ufern der großen Ströme Euphrat, Tigris und Nil entstanden sind. Ein auf Gewaltenkonzentration, Monismus, Monokratie zielendes Denken kann sich so30 Goebbels, Was wollen wir im Reichstag (30. April 1928), S. 71.
Ausblick
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mit auf „ältere Rechte“ berufen und zudem auf die weltweite Dominanz nichtkonstitutioneller Formen der Staatlichkeit über viele Jahrhunderte hinweg verweisen. Daher war es so abwegig nicht, wenn eine der aufwändigsten intellektuellen Unternehmungen im Zeitalter der revolutionären Umbrüche in Amerika und Frankreich dem Nachweis der „Naturwüchsigkeit“ des grundherrlichen Patrimonialismus und der lediglich residualen Bedeutung des Republikanismus galt.31 Die Autokratien sind älter als die Verfassungsstaaten, haben deren Entwicklung begleitet und sich bis in die Gegenwart im globalen Maßstab – trotz aller Demokratisierungswellen32 – behauptet. Dabei sind die Ideokratien oder Weltanschauungsdiktaturen mit ihren totalitären Zügen inzwischen eher eine Ausnahmeerscheinung, während jene Formen, die der aristotelischen Beschreibung der Tyrannis in vielen Punkten entsprechen, bei weitem die Mehrzahl bilden. Unter den Autokratien der Gegenwart befinden sich nicht wenige, die – wie das theokratische System im Iran oder der „Sultanismus“33 – zum Teil archaische Züge tragen. Nachdem die schönsten Blütenträume der Transitologie der neunziger Jahre zerstoben sind, hat die vergleichende Systemforschung sich zudem neuer „hybrider“ Regime angenommen, die typische Merkmale der Autokratie mit denen des Verfassungsstaates verbinden.34 Neben lebenskräftigen Autokratien fehlt es nicht an intellektuellen Strömungen, die den Verfassungsstaat delegitimieren und neue, abenteuerliche Wege weisen. So deuten radikale Globalisierungskritiker die Ausbreitung liberaler Demokratie und Marktwirtschaft in Anlehnung an Marx und Lenin imperialismustheoretisch.35 Der historisch nicht mit Unterdrückungsregimen belastete Anarchismus entwickelt neue Attraktivität.36 Vordenker einer sogenannten „Neuen Rechten“ entlarven Faschismus, Kommunismus und Liberalismus als gleichermaßen totalitär.37 Und nachdem die in den achtziger Jahren herumgereichte „dritte Universaltheorie“ Muammar Al-Gaddafis gnädig der Vergessenheit anheim gefallen war, erlangten die „Meilensteine“ des ägyptischen Muslimbruders Sayyid Qutb in islamistischen Kreisen den Status einer politischen Offenbarung.38 Der Islamismus behindert in terroristischen wie nicht-terroristischen Varianten freiheitliche Entwicklungen.39 Auch in anderen Kulturkreisen hat der Faktor Religion unverhofft die Ausformung politischer Ideologien be31 32 33 34 35 36 37 38 39
Gemeint ist Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft. Siehe Huntington, The Third Wave. Vgl. Chehabi/Linz (Hg.), Sultanistic Regimes. Vgl. etwa Bendel/Croissant/Rüb (Hg.), Zwischen Demokratie und Diktatur; Carothers, The End of the Transition Paradigm. Vgl. nur Hardt/Negri, Empire; Holloway, Die Welt verändern. Siehe dazu Moreau/ Steinborn, Die Bewegung der Altermondialisten. Vgl. Noam Chomsky, Powers and Prospects. Siehe auch: Ward, Anarchism. Vgl. nur Benoist, Demokratie, S. 32; ders., Communisme et nazisme, S. 133–140. Vgl. Al Qathafi, The Green Book; Milestones (Ma’alim fi al-tariq). Vgl. Kepel, Das Schwarzbuch des Dschihad. Dazu kritisch: Tibi, Vom klassischen Djihad zum terroristischen Djihadismus.
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günstigt, die auf „ganzheitliche“, jeden anderen Gestaltungsanspruch als illegitim zurückdrängende Herrschaftsweisen zielen.40 Es liefe auf eine wenig sinnvolle Einengung des Begriffs hinaus, sähe man Extremismus lediglich als Reaktion auf den Totalitarismus des 20. Jahrhunderts. Eine weltgeschichtliche Betrachtung kann mit guten Gründen zu der Schlussfolgerung gelangen, dass autokratische Systeme und auf deren Etablierung gerichtete extremistische Bestrebungen anthropologisch ebenso fest verankert sind wie jene Denkweisen und Weltbilder, die verfassungsstaatliche Lösungen begünstigen. Die in alten konsolidierten Demokratien (wie in Großbritannien) verbreitete Neigung, Extremismen als marginale Minderheiten zu sehen, mag auf manche skurrile Spezies zutreffen, zeugt insgesamt aber von einer gewissen Überheblichkeit, die rasch verfliegt, sobald man sich die historisch-politische Bedingtheit des „Experimentes der Freiheit“41 ins Bewusstsein ruft. Die Herausforderung durch politische Extremismen auch für die Zukunft ernst zu nehmen, heißt indes nicht, einem Alarmismus und Exorzismus das Wort zu reden. Wenn der oft in polemischen Kontexten verwendeten Formel vom „Extremismus der Mitte“ eine gewisse Berechtigung zugesprochen werden kann, so in dem Sinne, dass politische Mitte – im Sinne der systemtragenden Strömungen demokratischer Verfassungsstaaten – und Extremismen (sofern sie nicht als „lunatic fringe“ gänzlich marginal sind) zumeist in einer dynamischen Wechselbeziehung zueinander stehen. Extremismen zählen nach aller Erfahrung in gewisser Weise zum „Normalhaushalt“ offener Gesellschaften. Ihr Reüssieren weist oft auf Schwächen und Versäumnisse der politischen Mehrheitskultur hin. Kritik aus extremistischer Warte mag vielfach überzogen sein, enthält mitunter aber auch einen wahren Kern. Der Extremismus ist – wie das Gefängnis – in mancherlei Hinsicht ein Spiegelbild sozialer Entwicklungen, lässt Rückschlüsse auf den Zustand der Mehrheitsgesellschaft zu. Die Mesoteslehre vermittelt die Einsicht, dass die Mitte etwas von den Extremen enthält. Diese überdehnen jene Prinzipien, die in temperierter und balancierter Form von Nutzen sein mögen. Vor allem politische Extremismen, die im Rahmen der Legalität agieren, können – wie Gifte, die in geringen Dosen Heilwirkung entfalten – auf diese Weise Anstöße für Kurskorrekturen vermitteln, auf vernachlässigte Problembereiche hinweisen und letztlich – neben ihren desintegrierenden Effekten – integrative Wirkungen zeitigen. Die Freunde des Verfassungsstaates sollten sich daher vor einem manichäischen Kreuzzugsdenken hüten, das unter dem Vorsatz schonungsloser Extremismusbekämpfung zu den Verhaltensmustern des Antipoden führte. Denn eine Mitte, die ihre Maximen bis zur letzten Konsequenz treiben will, wird selbst extrem.
40 Vgl. nur Besier/Lübbe (Hg.), Politische Religion und Religionspolitik; Weinberg/Pedahzur (Hg.), Religious Fundamentalism. 41 So lautet die Problemstellung bei: Kielmansegg, Das Experiment der Freiheit.
XI. Anhang 1.
Quellenverzeichnis
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252
Anhang
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3.
Abkürzungsverzeichnis
ADB AöR APO APuZ ARSP BRD BVerfGE CDU CGL CGT CSU DDR DFG DKP DNVP FBI FDJ FDP FN GG HVA HZ
Allgemeine Deutsche Biographie Archiv des öffentlichen Rechts Außerparlamentarische Opposition Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Bundesrepublik Deutschland Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Christlich Demokratische Union Deutschlands Confederazione generale del lavoro Confédération générale du travail Christlich Soziale Union Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Kommunistische Partei Deutschnationale Volkspartei Federal Bureau of Investigation Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei Front national Grundgesetz Hauptverwaltung Aufklärung Historische Zeitschrift
302 IM JöR KGB Komintern KPD KPdSU KZ LTI MEW ML NDB NPD NS NSDAP NZZ PDI PDS PVS RAF REP SED SEW SDS SFIO SPD SRP SS UdSSR UK US USA VfZ ZfG ZfP
Anhang Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Komitee für Staatssicherheit der UdSSR Kommunistische Internationale Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Konzentrationslager Lingua Tertii Imperii Marx-Engels-Werke Marxisten-Leninisten Neue Deutsche Biographie Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zürcher Zeitung Pressedienst Demokratische Initiative Partei des Demokratischen Sozialismus Politische Vierteljahresschrift Rote Armee Fraktion Die Republikaner Sozialistische Einheitspartei Deutschland Sozialistische Einheitspartei Westberlins Sozialistischer Deutscher Studentenbund Section Française de l’Internationale Ouvrière Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Reichspartei Schutzstaffel Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Kingdom United States United States of America Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Politik
Abbildungsverzeichnis
4.
303
Abbildungsverzeichnis Seite
Abbildung 1: Abbildung 2:
Kontinuum der Staatsverfassungen nach Platon Die Wertstruktur der platonischen Mischverfassungskonzeption Abbildung 3: Axiologische und ontologische Dimension der Mesoteslehre Abbildung 4: Giannottis Mischverfassung Abbildung 5: Thirty and two Extremes of these times discovered and reduced to sixteene Golden Meanes Abbildung 6: „Rechte“ und „Linke“ in der parlamentarischen Sitzordnung der Restauration Abbildung 7: Zweidimensionale Darstellung des politischen Einstellungsraumes nach Eysenck Abbildung 8: Zusammenhang zwischen sozialökonomischer Schichtung und politischer Ideologie nach Seymour M. Lipset Abbildung 9: Zweidimensionale Darstellung des politischen Raumes nach Norberto Bobbio Abbildung 10: Formen des politischen Extremismus im zweidimensionalen politischen Raum (Antidemokratismus/ Antikonstitutionalismus) Abbildung 11: Formen des politischen Extremismus im zweidimensionalen politischen Raum (Konstitutionalismus/Fundamentalismus) Abbildung 12: Formen des politischen Extremismus im dreidimensionalen politischen Raum (Konstitutionalismus/Demokratie/Fundamentalismus)
35 37 42 77 97 110 211 215 228 244 246 247
Personenverzeichnis
5.
305
Personenverzeichnis
Seitenangaben mit Stern beziehen sich auf eine Fußnote.
Abälard, Pierre 61 Adams, John 22, 92, 93, 106 Adelard von Bath 61 Adenauer, Konrad 181 Adorno, Theodor W. 211 Aegidius Romanus (Egidio Colonna, Giles de Rome) 68 Ailly, Pierre d’ 72 Aischylos 31 Alary, Pierre-Joseph 86 Albert von Köln (Albertus Magnus) 63–66 Albert, Hans 224 Alembert, Jean-Baptiste le Rond d’ 90 Alexander von Aphrodisias 61 Allport, Floyd H. 210 Altemeyer, Bob 223 Althusius, Johannes (Johannes Althaus) 83, 84 Amalrich von Bène 63 Ancillon, Friedrich 116, 117 Andronikos von Rhodos 57 Anet, Claude (d. i. Schopfer, Jean) Antiochos aus Askalon 59 Apellikon von Teos 57 Appleby, R. Scott 224 Archytas von Tarent 28 Arendt, Hannah 12, 206, 208 Aristoteles 19, 22, 27, 38–57, 61–67, 70, 72, 74–76, 79, 80, 82–84, 87, 88, 93, 95, 97, 125, 233–236, 241, 242 Augustinus von Hippo 62, 83 Averroës (Ibn Rušd) 62, 64, 73 Avicenna (Abu ’Ali al-Husayn Ibn Sina) 62* Baal, Gérard 17 Babeuf, François Noël 11 Barrès, Maurice 13 Behaim, Lukas Friedrich 98
Bentham, Jeremy 113 Bernholz, Peter 167 Berthold von Moosburg 65 Besoigne, Jérôme 112 Bethmann-Hollweg, Theobald von 145 Blackstone, William 93 Bluntschli, Johann Caspar 129, 130, 167 Bobbio, Norberto 226–228, 243, 244 Bodin, Jean 79 Boëthius, Anicius Manlius Severinus 62, 63 Böhme, Jacob 18 Bolingbroke, Henry St. John 82, 87, 93, 99, 100 Borkenau, Franz 203 Bornhausen, Karl Eduard 224 Bossuet, Jacques-Bénigne 84 Boulanger, Georges Ernest JeanMarie 147 Brandt, Willy 180 Breuer, Stefan 225 Brinton, Crane 206, 208, 232 Brissot, Jacques Pierre 107 Brockmann, Johannes 190 Brouckère, Louis de 143 Brougham, Henry 113, 114 Brucioli, Antonio 75, 76 Bruni, Leonardo 74, 75 Brunner, Otto 20 Buchanan, George 139, 144 Buchez, Phillippe 101 Buonarotti, Philippo 11 Buridan, Jean 70 Burke, Edmund 100, 103 Burlamaqui, Jean-Jacques 93 Cabet, Etienne 11 Cachin, Marcel 140
306 Calhoun, John C. 133 Camerarius, Joachim 97 Camerarius, Ludwig 97, 98 Campanella, Tommaso 11 Carlson, John Roy 212 Cassiodorus, Flavius Magnus Aurelius 63 Chamberlayne, Edward 100 Changeux, Pierre-Nicolas 90 Charles I., König von England, Schottland und Irland 81, 82 Charondas 48 Chiche, Jean 221 Cicero, Marcus Tullius 57–60, 69, 80, 93 Clodonaeo 18 Concorcet (Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de) 90 Condillac, Étienne Bonnot de 90 Constant, Benjamin 106, 234 Contarini, Gasparo 78–80, 84 Conze, Werner 20 Coolidge, Calvin 210 Cox, Samuel S. 132, 133 Cromwell, Oliver 82 Cunow, Heinrich 145 Curzon, George Nathaniel, Lord 135 Dahl, Robert A. 239 Dahlmann, Friedrich Christoph 118 Dante Alighieri 73, 74 Danton, Georges-Jacques 107 Darré, Walter 169 Darwin, Charles 13 David, Eduard 145 DeLolme, Jean Louis 93 Demokrit 30, 31 Diderot, Denis 90 Dietrich von Freiberg 65 Dike, Göttin der Wahrheit und des Rechts 27 Dimitroff, Georgi 181 Dionysios von Halikarnassos 60 Dominikus (Domingo de Guzman) 63 Dregger, Alfred 197 Dumas, Alexandre 144
Anhang Eckhart von Hochheim (Meister Eckhart) 65 Eisenmann, Gottfried 111 Elm, Ludwig 186 Engelbert von Admont 68, 69 Engels, Friedrich 12 Ephialtes 60 Euripides 29, 30 Eysenck, Hans Jürgen 210, 211, 216, 227 Falter, Jürgen W. 216 Farinacci, Roberto 172 Fénelon, François 84, 85 Fichte, Johann Gottlieb 12, 160 Filmer, Robert 81, 82 Fisch, Walter 190 Flake, Otto 145, 146 Flechtheim, Ossip K. 220 Forster, Georg 104 Fortescue, John 80 Fourier, Charles 12 Franklin, Benjamin 92 Freisler, Roland 170 Frick, Wilhelm 170 Friedrich, Carl J. 241 Frossard, Louis-Oscar 142 Fukuyama, Francis 13 Funke, Manfred 15, 219 Gaddafi, Muammar Al- 249 Gardiner, Stephen 96 Garrison, William Lloyd 130, 131 Geiger, Theodor 229 Gerhard von Cremona 63 Gerson, Jean 72 Giannotti, Donato 76–78, 98 Gilbert, Felix 78 Goebbels, Joseph 9, 168–170, 172– 175, 247 Gorbatschow, Michail 10 Göring, Hermann Wilhelm 170, 172 Görres, Joseph 115, 116 Grebing, Helga 225, 226 Greenberg, Jeff 223 Greve, Otto Heinrich 190 Grey, Charles (Earl Grey) 114 Griffulhes, Victor 147
Personenverzeichnis Grimm, Robert 138 Gross, Herbert 180 Grumbach, Salomon 138 Guicciardini, Francesco 93 Guilbeaux, Henri 141 Guizot, François 112–114 Gundissalinus, Dominicus 63 Gustav II. Adolf, König von Schweden 98 Häberlin, Carl Friedrich 117 Haenisch, Kurt 145 Halem, Gerhard Anton von 104 Haller, Carl Ludwig von 122, 123 Harich, Wolfgang 180 Harrington, James 93 Hartman, D.A. 210 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 12, 177 Heinrich IV., König von Frankreich 84 Helphand, Alexander (Pseudonym: „Parvus“) 145 Helvetius, Claude Adrien 11 Hergt, Oskar 158 Herodot 28, 33 Herz, Thomas A. 217 Herzog von Burgund 84, 85 Herzog von Chevreuse 85 Heyne, Christian Gottlob 104 Hieronymus, Kirchenvater 61 Himmler, Heinrich 10 Hippodamos von Milet 50 Hippokrates 29, 31 Hirsch, Kurt 187, 188 Hitler, Adolf 7, 9, 161–165, 168, 169, 174, 176, 187, 242 Hobsbawm, Eric 7, 9*, 10, 11 Hofstätter, Peter R. 209 Holbach, Paul Henri Thiry Baron d’ 11 Holmes, Oliver Wendell, Justice 193 Honecker, Erich 182 Horaz 59, 60 Horckheimer, Max 211 Hoschiller, Max 147 Hugo von St. Victor 63 Humboldt, Wilhelm von 103
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Hume, David 83, 87, 93 Hunton, Philip 81 Isidor von Sevilla 61, 63 Isokrates 29 Jäggi, Christian J. 223 Jakob I., König von England 81 Jaschke, Hans-Gerd 221, 224 Jaspers, Karl 206 Jefferson, Thomas 92 Jeffrey, Francis 113 Jesse, Eckhard 221 John of Salesbury 61 John, Otto 191 Jonas, Eva 223 Jordan, Sylvester 117 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 91 Kaase, Max, 218–220 Kalinin, Michail 142 Kant, Immanuel 117, 121, 122 Karl V., Kaiser 70 Katz, Rudolf 189 Keller, Franz 157 Kepel, Gilles 13 Kerenski, Alexander 143 Kimon 60 Kindervater, Angela 223 Klemperer, Victor 177 Klingemann, Hans D. 216, 218, 220, 232 Kohoutek, Marie Luise von 42 Kopp, Hans-Ulrich 230 Kornilow, Lawr Georgijewitsch 144 Koselleck, Reinhart 20, 21, 236 Krämer, Hans J. 36 Kraushaar, Wolfgang 230 Krieger, David J. 224 Krösos, König von Lydien 28 Krug, Wilhelm Traugott 121–127 Lafayette, Marie-Joseph Motier, Marquis de 105, 114 Lafont, Ernest 140, 144 Le Pen, Jean-Marie 236 Le Roy, Louis 81, 87
308 Lederer, Gerda 223 Lenin, Wladimir Iljitsch 7, 14, 137, 139–142, 144–148, 150, 156, 183, 208, 232, 245, 249 Lensch, Paul 145 Leo, Heinrich 167 Leon, F. Joanne Gonzales de 96 Leroy, Maxime 147–149, 203, 231 Leukippos von Milet 30 Lewkenor, Lewes 80 Ley, Robert 175 Liebknecht, Karl 237 Lincoln, Abraham 132 Lipset, Seymour M. 214–217, 229, 231 Livingstone, Robert 92 Lloyd-George, David Earl 151 Locke, John 93 Louis-Philippe, König von Frankreich („Bürgerkönig“) 114 Loewenstein, Karl 204–206, 212, 238 Löwenthal, Richard 208, 217 Lozowski, Alexander (Geburtsname: Solomon Abramowitsch Dridzo) 142 Lucullus, Lucius Licinius 57 Ludendorff, Erich 7, 170 Ludwig VIII., König von Frankreich Ludwig XIV., König von Frankreich 84 Ludwig XVI., König von Frankreich 85, 106 Ludwig XVIII., König von Frankreich 112 Luther, Martin 75, 95 Lykurg 35, 48 Mably, Gabriel Bonnot de 11 Mach, Ernst 183 Machiavelli, Niccolò 75, 93, 98, 99 Maihofer, Werner 198 Man, Henri de 143 Mann, Thomas 160 Marat, Jean Paul 107 Maria I., Königin von England 96 Maritain, Jacques 155
Anhang Mark Aurel, Marcus Aurelius Antonius, röm. Kaiser 61 Marty, Martin E. 224 Marx, Karl 12, 14, 177, 249 McCarthy, Joseph 214 Melanchthon, Philipp 95 Menzel, Walter 191 Mercier, Louis Sébastien 94 Merrheim, Alphonse 147, 149 Merten, Roland 221 Metternich, Graf Klemens Wenzel Lothar Nepomuk von (Fürst Metternich) 123 Meyer, Thomas 223 Mickel, Wolfgang W. 15 Milton, John 82, 93 Mirabeau, Honoré-Gabriel-Victor du Riqueti, Comte de 107 Montaigne, Michel de 94 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de 86–88, 90–93, 99, 117 Morelly, Abbé 11 Morus, Thomas 11, 76 Moutet, Marius 140, 144 Mudde, Cas 220 Müller, Adam 123 Murhard, Friedrich 115, 116 Mussolini, Benito 8, 149, 150, 152, 155, 172 Napoléon (I.) Bonaparte 107 Necker, Jacques 106 Neleus 57 Nolte, Ernst 9* Nozick, Robert 231 Olmsted, Frederick Law 132 Oppenheim, Heinrich Bernhard 120 Oresme, Nicole 70, 71, 87, 91 Otto, Hans-Uwe 221 Owen, Robert 12 Paléologue, Maurice 140, 141 Pannekoek, Anton 183 Pappi, Franz U. 218, 220, 232 Paquet, Alfons 156 Parson, Talcott 216
Personenverzeichnis Pascal, Blaise 94 Penn, Alfred Wayne 167 Perikles 60 Petrus de Alvernia 68 Pfizer, Paul Achatius 118 Philipp IV., König von Frankreich 68 Phokylides von Milet 27 Piekalkiewicz, Jaroslaw 167 Pierre de Paris 70 Pindar 27 Pius IX., Papst 153 Pius XI., Papst 155 Platon 11, 22, 29, 31–35, 37, 38, 42, 44, 45, 50, 53, 55, 56, 61, 62, 78, 79, 93, 94, 233, 241 Plutarch 57, 60, 61 Pocock, John 21 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig 116, 121 Polybios 55, 56, 58, 60, 76, 79, 93, 98 Polyklet 29 Ponet, John 80 Popper, Karl 12, 37*, 224 Price, Richard 103 Ptolemäus von Lucca 68 Pütter, Johann Stephan 117 Pythagoras von Samos 28 Quendt, Eugen 156 Quidort, Jean 68 Raab, Earl 214, 217, 231 Ramsay, Andrew Michael 85, 86 Ranke, Leopold von 78 Rathmann, August 161 Reynié, Dominique 221 Riehl, Jürgen 230 Robespierre, Maximilien de 105, 107 Rohmer, Friedrich 15, 127–130 Rokeach, Milton 222 Rolland, Romain 142 Rotteck, Karl von 114, 118, 119, 121 Rousseau, Jean-Jacques 11, 100 Roux-Lavergne, Pierre 101 Royer-Collard, Paul 112 Ruge, Arnold 120, 121
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Rühle, Otto 204 Saint-Simon, Henri de 12 Salamun, Kurt 224 Salutati, Colluccio 74, 75 Saposs, David J. 229 Sartori, Giovanni 232 Schäuble, Wolfgang 199 Schenck, Charles 193 Scheuch, Erwin K. 216–218 Schily, Otto 199 Schleifstein, Josef 184 Schopenhauer, Arthur 166 Schopfer, Jean (Pseudonym „Claude Anet“) 139, 143 Schramm, Wilhelm 160 Schulz, Wilhelm 119 Schwarz, Hans-Peter 7, 217 Seneca, Lucius Annaeus 57, 69 Servius Tullius, römischer König 58 Severing, Karl 159 Seyssel, Claude de 87 Sherman, Roger 92, 94 Shils, Edward A. 212–214 Sidney, Algernon 82, 93 Skinner, Quentin 21 Smith, Adam 93 Smith, Thomas 93 Sokrates 44, 51 Solon 27, 28, 48 Sophokles 29 Staël, Anne-Louise Germaine de 106, 234 Stalin, Josef 7, 208, 245 Starzinger, Vincent E. 113 Stöss, Richard 226 Strauß, Franz Josef 181, 187 Stresemann, Gustav 157 Sturzo, Luigi 153–155, 203, 231, 232 Sulla, Lucius Cornelius 57 Sybel, Heinrich von 128, 129 Talmon, Jacob L. 11, 12 Theognis von Megara 27 Theophrast 56, 57 Thiers, Adolphe 114
310 Thomas von Aquin 63, 64, 66–68, 72 Thomas, Albert 143, 144 Thukydides 31 Tilak, Bal Gangadhar 134–136 Trotzki, Lew Dawidowitsch 7, 144, 150, 204 Tyrannion 57 Ulbricht, Walter 178, 180, 182 Vallandigham, Clement 133 Vandervelde, Émile 143 Vergerio, Pier Paolo 78 Voltaire (d. i. François-Marie Arouet) 90
Anhang Washington, George 105 Webster, Daniel 132 Wehner, Herbert 180 Weigel, Valentin 18 Weitling, Wilhelm 12 Welcker, Karl Theodor 117–119 Wells, Herbert George 148 Wieland, Christoph Martin 103, 104 Wilkes, John 16 Willem van Moerbeke 63, 66 Winkler, Arno 186 Winkler, Heinrich August 229 Winnig, August 145 Wippermann, Wolfgang 226
Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Band 30: Babett Bauer Kontrolle und Repression Individuelle Erfahrungen in der DDR 1971–1989. Historische Studie und methodologischer Beitrag zur Oral History 2006. 492 Seiten mit 2 Abb., gebunden ISBN 10: 3-525-36907-7 ISBN 13: 978-3-525-36907-4 Babett Bauer analysiert in einer doppelten Perspektive den Zusammenhang von Diktaturerfahrung und individueller Identitätsstiftung in der DDR. Zeitzeugeninterviews werden mit Akten des Staatssicherheitsdienstes in direkte Beziehung gesetzt und subjektive Lebenswirklichkeiten aus dem »realsozialistischen« Alltag der Diktatur vor dem Hintergrund staatlicher Kontrolle und Repression nachgezeichnet. So entfaltet sich ein Spektrum unterschiedlichster Typen der Erfahrung und des Umgangs mit staatlichen Unterdrückungsmechanismen, das vom Arrangement über erzwungene Anpassung und Kompromissbildung bis hin zu kollektiver Systemopposition und konsequenter Systemablehnung reicht. Anhand ausgewählter Einzelfälle zeigt die Autorin, mit welchen Mitteln und Methoden der Staatssicherheitsdienst arbeitete und wie sich dies auf die Lebensgeschichten der Betroffenen bis heute auswirkt
Band 29: Uwe Backes / Eckhard Jesse (Hg.) Gefährdungen der Freiheit Extremistische Ideologien im Vergleich 2006. 592 Seiten, gebunden ISBN 10: 3-525-36905-0 ISBN 13: 978-3-525-36905-0 Die Autoren des Bandes setzen sich mit dem Niederschlag politischer Ideologien in den Diskursen, Visionen, Programmen und propagandistischen Bemühungen extremistischer Organisationen auseinander. Die Beiträger erfassen differenziert die charakteristischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der rechten und linken Extremismen, nutzen aber auch den politisch-religiösen Fundamentalismus als Vergleichsobjekt. Trotz einer Pluralität der Sichtweisen ist allen Autoren eine Definition von Extremismus gemeinsam, die sich aus der Negation von Demokratie herleitet. So geraten auch »weiche« Formen von Extremismus in den Blick, die mit dem »harten« Extremismus Gemeinsamkeiten aufweisen, ohne alle seine Merkmale zu erfüllen. Mit Beiträgen von Kai Arzheimer, Uwe Backes, Harald Bergsdorf, Florian Hartleb, Eckhard Jesse, Steffen Kailitz, Jürgen P. Lang, Miroslav Mareš, Patrick Moreau, Cas Mudde, Herbert L. Müller, Viola Neu, Armin PfahlTraughber, Monika Prützel-Thomas, Eva Steinborn, Tom Thieme, Andreas Umland, Johannes Urban.
Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Band 28: Gerhard Besier / Hermann Lübbe (Hg.) Politische Religion und Religionspolitik Zwischen Totalitarismus und Bürgerfreiheit 2005. 415 Seiten, gebunden ISBN 10: 3-525-36904-2 ISBN 13: 978-3-525-36904-3
»... schließt die vorgestellte Untersuchung eine wichtige Forschungslücke zur Frühgeschichte des FDGB und bietet zahlreiche neue Informationen zur programmatischen und organisatorischen Entwicklung des Gewerkschaftsbundes.« sehepunkte
Band 25: Thomas Widera Dresden 1945–1948
Analysen europäischer und amerikanischer Strategien der Religionspolitik erklären Konfliktpotenziale und Chancen der Pluralisierung.
Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft 2004. 469 Seiten, gebunden ISBN 10: 3-525-36901-8 ISBN 13: 978-3-525-36901-2
Band 27: Frank Hirschinger »Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter«
»Widera gelingt es mit seiner eindrucksvollen Arbeit, das jahrzentelang von der SED propagierte Trugbild von der ›antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in der SBZ‹ für sein Untersuchungsgebiet detailreich zu widerlegen.« Zeitschrift des Forschungsverbundes
Kommunistische Parteisäuberungen in SachsenAnhalt 1918–1953 2005. 412 Seiten, gebunden ISBN 10: 3-525-36903-4 ISBN 13: 978-3-525-36903-6 Die Studie untersucht anhand zahlreicher, vielfach erstmals veröffentlichter Dokumente das Vorgehen der Säuberungs- und Sicherheitsorgane in Partei und Staat in Sachsen-Anhalt vor und nach 1945.
Band 26: Stefan Paul Werum Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) 1945 bis 1953 2005. 861 Seiten mit 63 Tab., gebunden ISBN 10: 3-525-36902-6 ISBN 13: 978-3-525-36902-9
Band 24: Michael Richter Die Bildung des Freistaates Sachsen Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90 2004. 1184 Seiten mit 16 Abb., 8 Karten und einem Dokumententeil auf CD, gebunden ISBN 10: 3-525-36900-X ISBN 13: 978-3-525-36900-5 Die Studie untersucht die Entstehung des Freistaates Sachsen im Zuge der deutschen Einheit 1989/90. »Wahrlich eine Pionierarbeit für die Erforschung des innerdeutschen Vereinigungsprozesses.« Das Parlament