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German Pages 357 [360] Year 1846
Der
Inbegriff der
Rechtswissenschaft oder
Juristische Encyclopädie und Methodologie.
Von
D r . K . TI». Putter, orienti. Professor der Rechte an der Königl. Universität zu Grcifswald.
D i e G e s c h i c h t e l e h r l das R e c h i , D i e W i s s e n s c h a f t b e g r e i f ! es.
Berlin, Verlag
von
G.
164«. Reimer.
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t.
D i e juristische Encyclopädie und Methodologie soll — nach dem natürlichen Wortsinn iv XVXXM oder ¿yxvxXioq natdsla xal (is&odoXoyia — ein gemeinfasslicher Unterricht im Rechte und in der Rechtserkenntniss seyn, also ein Inbebegriff der ganzen Rechtswissenschaft, woraus das W e s e n , das Ziel und der W e g derselben deutlich erkannt werden mag. *) In neuerer Zeit hat man diesen Unterricht in zweioder dreierlei Weisen gegeben : entweder in einer kurzen Aufzählung und Beschreibung der Haupttheile der R e c h t s gelahrtheit — sogenannte ä u s s e r e Encyclopädie; oder in sogenannter i n n e r e r Encyclopädie den ganzen Stoff oder doch den Hauptinhalt, die wichtigsten Rechtsgesetze und Lehren selbst zusammengedrängt; oder endlich beides mit einander zu verbinden gesucht in sogenannter g e m i s c h t e r *) Bei den alten Hellenen liiess iyxvxko! naiJtla bekanntlich der gemeinfasslicho Unterricht in den gemeinen (Schul-) Kenntnissen — lyxixha finty/uma. In neueren Sprachen wird E n c y c l o p a e d i e auch für vollständige Sammlungen von Kenntnissen einer gewissen Art gebraucht.
IV
Vorwort.
E n c y c l o p ä d i e . W e n n das gelänge, w ü r d e d e r Zw eck dieser A n - und Einleitung allerdings erreicht zu seyn scheinen. Allein die D e u t s c h e Rechtsgelahrtheit ist so O gross D und reich, dass der eigentliche Stoff und I n h a l t , die R e c h t s g e s e t z e und L e h r e n kaum in den sämmtlichen auf sechs Halbjahre vertheilten Vorträgen o d e r bändereichen W e r k e n mitgetheilt und aufgenommen werden k a n n , ein A u s z u g aber oder F ü n f t e l s a f t (Quintessenz) der einzelnen Disciplinen für den Anfänger noch viel unverständlicher seyn muss, als die einzelnen rechtswissenschaftlichen V o r lesungen oder W e r k e , weil diese doch die L e h r e n in ihrer vollständigen Entwicklung und ganzen Breite mit allen G r ü n d e n , Beweisen und Beispielen darlegen. D a r u m aber, weil solche innere und gemischte E n c y clopädie nicht gemeinfasslich seyn kann, darf sich die E i n leitung in die Rechtswissenschaft doch auch nicht auf die äussere, blosse Uebersicht und Inhaltsanzeige der zu h ö renden Vorlesungen beschränken. W e n n das Ziel ein äusserliches, irdisches, und d e r W e g im R a u m zu d u r c h laufen w ä r e , so m ö c h t e es vielleicht g e n ü g e n , so von aussenher darauf hinzuweisen und die S t u f e n oder A b folge des Zuerlernenden nebst den etwaigen H ü l f s - oder F ö r d e r u n g s m i t t e l n anzugeben. — A b e r eine solche äusserliche Anweisung w ü r d e nicht nur äusserst geistlos und sehr langweilig, sondern auch wenig geeignet seyn den Z w e c k zu erfüllen. D e r Z w e c k der Encyclopäpie und Methodologie ist aber kein grerin^erer als die akademische F r e i h e i t — der o O eigenen W a h l und E n t s c h e i d u n g , der Selbstbestimmung in den rechtswissenschaftlichen Arbeiten auf der Universität zu begründen. Z u r freien S e l b s t b e s t i m m u n g g e h ö r t aber nicht nur die verfassungsmässige Unabhängigkeit des Rechtsbeflissenen in der W a h l der L e h r e r und d e r A b f o l g e
Vorwort.
T
der Vcorlesungen, welche man hören, der Bücher, welche man Uesen will; sondern auch die Fähigkeit sie zu g e brauchten, die wirkliche und nahrhafte Selbstbestimmung d. h. dlie Bestimmung des Willens — nicht durch Zufall oder {Fremden Willen und Rath oder eigne Laune oder äusserlliclie B e w e g g r ü n d e , sondern durch sich selbst, d.i. durch eignes vernünftiges Denken, durch freien vernünftigen Emtschluss. Um sich daher zur Erlernung des Rechts überhaupt und für eine besondere Art derselben so selbstbestimmien, vernünftig entschliessen zu können, bedarf es der vernünftigen Einsicht, der wahrhaften Erkenntniss des eigentlichen innersten W e s e n s des Rechtes und der verschiedenen L e h r - und Lern weisen desselben. Diese vernünftige Einsicht soll und niuss die juristische Encyclopädie und Methodologie gewähren und kann es, wenn sie der allgemeine Inbegriff der Rechtswissenschaft oder wissenschaftlicher Unterricht — Lehre des Rechts und der Rechtserkenntniss ist Denn die Wissenschaft gehl auf das W e s e n der Dinge (wie Aristoteles in Metaph. X U . Auf. sagt) und erkennt die W a h r h e i t , indem sie- Gehalt und Gestalt, Bestand und Bewegung derselben durch vernünftiges Denken und Nachdenken erforscht und ihre G r ü n d e und Ursachen erfasst und begreift, dass diese allgemeine vernünftige Gedanken und Begriffe sind und, dass die D i n g e in ihrer natürlichen Entwicklung und G e staltung, in ihrem gegenseitigen Verhalten lind Bewegen den allgemeinen Gesetzen der Vernunft mit derselben N o t w e n d i g k e i t folgen, wie das Denken mit seinen B e griffen, Schlüssen und Urtheilen. S o hat nun auch die Rechtswissenschaft das innerste W e s e n des Rechtes ergründet tund hegrili'en: Sie hat die natürliche Entstehung und Entfaltung des Rechtes zu gemeinsamer Ordnung, Verfassung und Gesetzen der S t a a t e n , seiu« Erhebung
VI
Vorwort.
zur heilsamen Allgewalt über die Völker und F ü r s t e n sorglich erforscht und verzeichnet, sie hat der allgemeinen Begriff, Grund und Zweck des Hechts in dun allgemeinen vernünftigen Willen gefunden und festgestellt und aus der unbefangenen Vergleichung beider iire vollständige Uebereinstimmung: dass diese wirkliche Gestalt und Gewalt des Rechts in Staat und Gesetz dem allgemeinen vernünftigen Rechtsbegriff, — ihre geschichtliche Entwicklung und Entfaltung dem allgemeinen vernünftigen D e n k gesetz folgt, und damit nicht nur die N o t w e n d i g k e i t des R e c h t s , sondern auch ihre eigene Wahrheit erkannt und begründet, — begriffen. D a sich nun das innen: W e s e n des Rrchts in der Rechtswissenschaft als ein allgemeines, verninftiges: mit Nothwendigkeit gedachtes und gewordenes uid s e i e n d e s offenbart hat, so muss es möglich seyn, einen allgemeinen Inbegriff der Rechtswissenschaft zu geben, woraus das innerste W e s e n des Rechts und die sicherste Lernweise desselben zumal und zugleich erkannt werden mag und muss, ehe man sich auf die einzelnen juristischen Disci]»Iinen mit Erfolg legen kann. Die grösstcn, geistvollsten und gebildetsten Gelehrten sind davon am innigsten überzeugt gewesen. *) *) Darum schrieb G. W. L e i b n i t z , dun das Orjkel »einer Zeit, die Pariser Akademie, obgleich er ein Deutscher s e v , als Genie anerk a n n t e , eine Nova metliodus d i s c c u d a e d o c e n d a e q u e jirisprudenliae in z w e i Theilen, e i n e m allgemeinen und e i n e m besendern juristis c h e n , worin sich eine tiefe wissenschaftliche Auffassung d e s Recht e s nicht verkennen lässt. Hätte er darnach gelehrt, s o w ü r d e die Kechtsgelahrlheit vielleicht schon damals einen b e d e u t e n d e n Um- und Aufs-chwung g e n o m m e n haben. Dan. N e t t e l b l a d t mc:nte in s e i n e m S v s t e m a elementare universae jurisprudentiae das Beste g e g e b e n zu haben, w a s er w u s s t c und J. St. P ü t t e r ' s Entwurf (1757) und Neuer Veisuch einer juristischen Encyclopadic u n d Methodologie, Gott ITC"
Vorwort.
vn
D erallgemeine I n b e g r i f f der R e c h t s w i s s e n s c h a f t miss die R e c h t s w i s s e n s c h a f t in s i c h b e g r e i f e n u m d b e g r e i f e n l e h r e n : er niuss also den w e s e n t l i c h e m l i h a l t derselben — in der ihr w e s e n t l i c h e n — w i s s e n s c h a f t l i c h e n F o r m erfassen und darstellen. h a t die R e a t s w i s s e n s c h a f t vielleicht nicht minder gefördert, als seine g r o s s e n W r k e die Erkennlniss des Deutschen R e i c h s - und Staatsrechts. Dagegei sind die jurist. Encyclopädieen u n d Methodologieen von A . J . T h i l b a i t 1797 und von C. F. M ü h l e n b r u c h 1807 fest unbeachtet v o r ü b e r g e g n g e n , — gewiss nicht darum allein, weil sie wie Leibnilz als Jüngliing geschrieben, und Albr. H ü m m e l s Encyclopödie des gesammtera p>sitiven Rechts, 4. Bde. Giesscn 1804, scheint e b e n s o sehr w e g e n s eirer philosophischen Schulspraclie wie w e g e n d e r speculativ-philo>so|bischen Gedanken keinen rechten Eingang gefunden zu haben. Am niesten sind, erst S c h o t t ' s , dann H u g o ' s und neuerdings F a l c k ' s Eicyclopädie benutzt worden, worin das Stoffliche ü b e r w i e g e n d hervertritt, die Wissenschaft aber nicht zu ihrem Rechte d e r Alleinherrsdiafl kommt. Da n u n derselbe Stoff in derselben Art u o d Abfolge - nir vollständiger und also auch verständlicher in den akad e m i s c h e n Vorlesungen initgethcilt w i r d , so ist diese und die juristische E n c c l o p ä d i e und Methodologie ü b c i h a u p l als e t w a s unpraktisches, uniöthiges und unnützes in jüngster Zeit fast ganz in Abgang gekonmen. Es bedarf jetzt einer praktischen Encyclopädic u n d Mclhodologi.', wolchc d e n Kechtsheflissenen gleich im Anfang u n d Eingang dii richtige Einsicht in das eigentliche W e s e n des Rechts und in die N o t w e n d i g k e i t d e r Rechtswissenschaft g e w ä h r t , d a s s nicht die Kinntniss d e r Gesetze clc. allein, s o n d e r n vielmehr sein vernünftige) Wissen und Denken ihn in den Stand setzt, als Richter, Anwalt o d e Staats- u n d Geschäftsmann das Rechte zu thun, — d a s s n u r die Wi>senschaft praktisch ist. Das weiss Jeder, d a s s der noch kein Arzt ist, der einige o d e r viele Krankheitsfälle heilen s e h e n u n d die Mittel v e i s s , w o n a c h dieser o d e r j e n e r Kranke g e n e s e n ist, — und d e r noch kein F e l d h e r r , der in vielen Kriegen und Schlachten mitgefochtcn, s o n d e r n dass j e n e r die Arzenei- dieser die Kriegswisscnschafl ir.ne haben muss, um auch n u r — Erfahrungen machen zu können. Alein in Staat uud Recht, wie in Kirche und Religion w ä h n t Jeder ohne Weiteres mitreden und tliun zu können, w e n n e r n u r eine ausscrtichc Kcnntniss ihrer Einrichtungen uud Lehren hätte.
Tili
Vorwort.
E r geht daher nothwendig, weil das Begreifen ohne Begriff unmöglich ist, von dem allgemeinen B e g r i f f d e s R e c h t e s aus, der im e r s t e n A b s c h n i t t gesucht und entwickelt werden muss. Dann ist — im z w e i t e n A b s c h n i t t , in der a l l g e m e i n e n W e l t r e c h t s g e s c h i c h t e die natürliche E n t stehung, Entfaltung und Gestaltung des Rechtes in den Sitten und Gewohnheiten, in den Gesetzen und Einrichtungen der Völker und Staaten zur lebendigen Anschauung zu bringen und — im d r i t t e n A b s c h n i t t der g e g e n w ä r t i g e R e c h t s z u s t a n d besonders in Deutschland darzustellen; worauf dann — i m v i e r t e n A b s c h n i t t Begriff und W e s e n der Rechtswissenschaft als der E i n heit des wirklichen R e c h t e s und des allgemeinen vernünftigen Willens mit der Methodologie den Beschluss macht. Diese Eintheilung und Abfolge liegt so sehr in der Natur der S a c h e , dass sie im Allgemeinen in jeder juristischen Encyclopädie und Methodologie stattfindet und insbesondere zur B e g r ü n d u n g und Bewährung der praktischen, historisch-dogmatischen Jurisprudenz schlechthin Zur Rechtfertigung des Neuen, nothwendig erscheint. dieser Darstellung etwa Eigenthümlichscheinenden, mögen einige Erläuterungen dienen. I. D e r Begriff des Rechts steht an der Spitze aller juristischen Encyclopädieen. In den altern ist er gleich in seiner Entfaltung zum Naturrechts-System oder in seiner Abtheiluug zu göttlichem Recht, welches in das Vern u n f t - oder N a t u r - R e c h t und die geotfenbarten Gebote Gottes zerfällt, und menschlichem oder positivem Rechte. D i e Neueren haben sich zumeist auf eine Beschreibung oder Umschreibung — äusserliche Definition — beschränkt, woraus man sich wohl eine Vorstellung vom Deutschen Preussischen u. a. Rechte aber nicht die Einsicht gewinnen
K
Vorwort.
kann, was recht und das Hecht ist. Diese Einsicht aber soll u n d muss der Begriff gewähren, n e n n er zum Begreifen, z u r wahrhaften Erkenntniss des Hechts und der R e c h t s wissenschaft dienen soll. Nun hat aber die wissenschaftliche Begriffsbestimmung ihre grossen Schwierigkeiten; Sie kurzweg aus der Philosophie zu entlehnen, ist höchst bedenklich, weil die Anfänger der grössten Mehrzahl nach die Philosophie auch erst anfangen sollen und daher die philosophische Begriffsbestimmung nicht begreifen noch verstehen würden. D e r Unterricht muss sich auch hier an das schon Bekannte anschliessen D a h e r ist hier ein neuer Versuch gemacht worden, den Sinn und Begriff des W o r tes Hecht zunächst sprachlich zu ermitteln und dann auch wissenschaftlich zu entwickeln und festzustellen, im mündlichen Vortrage hat sich diese W e i s e stets bewährt; und die Zuhörer sogleich mit der Wichtigkeit und Schwieri
älteren
Philosophen
ausserhalb
Hellas.
1. T h a i e s : W a s s e r u n d Dä-
T h e I) e n.
Seine E r h e b u n g
Die
monen
-177
2 . P y l h a g o r a s : Harmonie u n d Zahl
-178
3a E l e a l e n : S e y n und Nichts - 1 7 9
. . .
§ 164 3b Ileraklit: W e r d e n . . .-180 S p a r t a — f r o m m , g o t t s e l i g . - 1 6 5 4. E m p e d o k l e s : F r e u n d s c h a f t - 1 8 1 Athen — gottcsfiirchlig: A n a x a g o r a s (Verstand) - 1 8 2 R ü c k g a n g des Gottesbewusstseyns
B. D i e A t h e n .
Philosophen.
- 166 1. P r o t a g o r a s : M e n s c h - M a a s s § 1 8 3
xxIV
Uebersicht.
2 . Die Sophisten: der natür-
b ) Senalus (aucior) .
liche Mensch — Maass . § 1 8 4 3. Sokrates: der kende Mensch
. §20G
r ) Consules
-207
selbstden-
d) Magistratus Pop. Rom - 2 0 8
.
e) Praetor Vrb. et P e r . . - 2 0 9
.
. -185
4 . Dessen J ü n g e r : Gut ? .
.
. -186
5. Plato:
f ) Tribuni Plebis
.
. -210
Hoher Werth dieserVerfassung - 211
a) Politik
- 1S7 4.
Die
gemeine
Volksherr-
b) Welt« u.Goltesweisheit - 1 8 8 6 c h a f t u . d i e Z w i n g h e r r s c h a f t 6. Aristoteles
•
.
* 1 8 9 ! Grund und A n l a s s .
. . .
.
.
. §212
.
. - 213
a) Politik
- 1 9 0 [ Die streitigen Aecker.
b) Eihik
- 1 9 1 ; Ursache: Armuth und Reichthum
4. Durchdringung des Natur-
can. 6. höchstes Gericht fUr die Kircheozucht
b)Die geistlichen u. weltnoden u. Reichstage
Nicaen. 32.>
2.1in M o r g c n l S n d i s e i l e n
- 29.3
lichen Getreuen. — Sy-
Provinzial-Synode Conc.
- 294
a) Künigl. Macht u. Herrschaft
Einlluss der Staatsverfassung I.Allg.:
Röm. Boden
- 2S2
staats und der Gefolgeschaft - 2 9 7 a) Fränkische liirchenordnunjr
- 298
Uebersicht. b) U n t e r g a n g des
Natur-
ß)
staats 5. Das
XXVII
§.299
christliche
Weltreich
300
Fränkischen Staatskirche . - 3 0 1 .
. .- 3 0 2
erblichen
Fürsten
- 312
II. Die R ö m i s c h e K i r c h e . 1 . R e c h t d e r Kirche
Zweiter Vom
Zerfall
Zeitraum. des
frieden Das
heilige
ewigen L a n d -
888-1495.
geistliche
Rtiin. und
Reich
R e c h t u n d Reich
. - 314
.
. - 315
.
.- .
III. Kaiser
und
. §.313
l'ahst.
.
.
.
.
- 317
weltliche 3. Sieg ilber die W e l t — d u r c h .
. §.303
kreten
den Geist
- 318
IV. Kirchlichkeit d e r W e l t . - 304
1. in R e c h t , S i t t e u . S i n n e s a r t , Kreuzzüge — Künigr. J e r u salem, Geisll. R i t t e r o r d e n
Epoche. und
.
g e n die W e l t
das
Die beiden H ä l f t e n o d . E p o c h e n • 3 0 5
Lehnreich
.
i m 2. Ihr Gegensatz u. Streit ge-
Die P s e u d o - I s i d o r i s c h e n De-
Erste
.
1 . E r h e b u n g der R ü i n . Kirche - 3 1 6
Mittelalter. Das
.
2. Glauben und W e r k e
Carolingischen 3 . V e r f a s s u n g
W e l t r e i c h s bis z u m
. • . §.311
schen V e r f a s s u n g , d e r K ö n i g gewähllvon
S t r e i t d e r Griechischen u . d e r .
heim-
Vehme
3 . U m k e h r u n g der Carolingi-
Getreuen
Grund und Folge
Die heilige liche
Kirche.
Von A r n u l f bis Albrecht I. u . Verl u s t des heil. L a n d e s 8 S 8 — 1 2 9 8 .
2. V e r l u s t des heil. L a n d e s . - 3 2 0
Zweite Kirche
U n t e r g a n g der W e l t — des G e t r e u e n rechts
- 319
und
Epoche. bürgerliche
Ge-
sellschaft.
§ . 3 0 6 Vom V e r l u s t des heil. L a n d e s bis z u m
U m w a n d l u n g der Deutschen G a u v e r f a s s u n g und Reichs-
e w i g e n L a n d f r i e d e n 1 2 9 8 — 149.».
§.321 Sinter in F ü r s t e n i h l i m e r . - 3 0 7 des k i r c h l i c h e n W e l t r e i c h s . - 3 2 2 1
Das Deutsche Reich.
1 . V e r f a s s u n g : Heerschild
. • 308
I. Die christliche 1. Christliche
.
.
.
. • 30 • Kirchenrecht . . . - 470 ristisch-philologischen Hermeneutik §491 4. - Strafrecht . . • . -471 5. - Prozess • . * . * 472 a) Non ratio sed proWie mllssen die Gesetze ausmulgatio facit legein . - 4 9 2 gelegt u. angewandt werden? - 4 7 3 b) aus dem System des Justinian. Rechts« . - 4 9 3 Romanisten c. Civilisteu « - 4 7 4 c) aus der Geschichte » - 4 9 t Germanisten c. Romanisten - 4 7 5 Romanisten c. Germanisten -476 Hohes Verdienst d.Romanisten - 4 9 5 Plan * . . » . , . - 477 Sieg Uber die alten Civilisten - 496 Neue Gegner . . » t . - 4 9 7 I. Altcivilistische Methode. Praktische Grundansicht der b) die Germanisten. alten Civilisten . . . . §478 Interpretation Weise und Regeln -479 A . Corpus iuris in complexu receptum -480 B. Nur die Gesetze gelten . >481 C. Interpretatio ex ratione legis -482 a) cessante legis ratione, cessat lex . . . . -483 . b) interpretatio stricta « - 4 8 4 c) interpretatio restrictiva - 4 8 5 d) interpretatio exfensiva - 4 8 6 Daher verschiedenes, streitige's Recht . . . . . . . -487 II. Philologisch und historisch richtige Auslegung
Deutsches Recht im Civilrecht - 493 Corpus iuris civilis durch Gewohnheit eingerührt . . - 4 9 9 ConsuetUdo optima Iegum in-
térpres. . . » » . . -500 Die Gewohnheit verändert die Unrechten Gesetzé, . . . - 5 0 1 auch die Romischen Gesetze in Rom u. in Deutschland; - 5 0 1 daher das alte Civilrecht wahres Gem. Deutsches Recht in Romischen Gesetzen. . - 5 0 3 Corpus iuris civ. nicht das Deutsche Gesetzbuch . . • 504 Entgegnung der Romanlsteh über Gewohnheit ; * . - 5 0 5 Communis doctoruul opinio 4) der Romischen Gesetze. schon ROmisch . . » . - 500 Gelehrte GrUndansicht der RoWesentliche Verschiedenheit manisten « < . . . , §488 derselben Gesetze im SyA» Corpus iuris in complexu stem dès Römischen und für Römische Recht« < . -489 des Givilrechts . . t . - 5 0 / 8 . aufgenommen und rein Kein rein Römisches, kein anzuwenden . . . . « - 4 9 0 rein Deutsches Gesetz . 4 • 608 *
Ueberticht.
XXXIV GemeinesDeutschesCivilrecht,
Gesetzgebungsrecht d.
heutiges Romisches Recht § 5 0 9
3 8 Deutschen Staaten § 5 2 6 Allgetn. Bedtlrfniss und Ver-
ID. Historisch-dogmatische
langen d .Deutschen Volkes • 6 2 7 Begründung. zunächst Eines Handelsrechts
Rechtsfindung und
im Zollverein
1 . Rangordnung der Gemeinen
. . . .
»528
Deutschen Rechtsquellen in
Allgemeine Wichtigkeit desGe-
dem Gemeinrechtlichen Ge-
meinen Deutschen Rechts
richtsgebrauch. a) scheinbare
. . .
b) wirkliche
.
.
§ 510
- 529
Vierter Abschnitt.
§ 5 1 1 - 5 1 2 V o n der R e c h t s w i s s e n s c h a f t
c) wahre u. nothwendige § 5 1 3 2 . Begründung
und Methodologie. - 5 1 4 Einl. Von der Schwierigkeit d.
. . . .
a) Uebereinstimmung des Autors u.Gesetzes . b) als Wirkliche Gewohnheit
Rechtsgelahrtheit . -515
.
.
«517
ß. Umfang aus d. System -
—
3 . System -Dogmatik. -518
Gründliche historisch-dogmatische Erkenntnis»
.
-619
.
.
der wissenschaftliche 1 . Wirklichkeit
.
538
tSrsles Hauptstück. Wissenschaft. § 539 - 5 4 0
a) Hellenische Philosophie § 5 4 1 b) C h r i s t e n t h u m . . .
Unerhebliche
c) Alexandrinische
.
.
- 523
a. Von der möglichen
Platoniker etc.
Unwissenschaftlichkeit - 5 2 4 ß. von den alten Landesrechten
. . . .
f. von dem souveränen
-535
2 . Geschichte derselben. • 521
.
- 534
.
Plan
Erhebliche Bedenken dagegen * 5 2 2 .
.
3 . Einheit beid.imSy8tem- 5 3 7
- 5 2 0 1 . Begriff und Wesen
4 . E i n aVgemeinesDeutsches Gesetzbuch
wie zur Wahrheit Oberhaupt
Von der
sichert doch nicht vollkommen, sondern nur
-530 -531
2 . Vernunftiges Denken - 5 3 6
System des gegenwärtigen Rechts
. .
Ermunterung der Berufenen - 5 3 2 • 5 1 7 W e g zur Rechtserkenntniss, - 5 3 3
a . Bestand in Sitte und Gewohnheit
.
Warnung Unberufener
- 542
Neu.
.
• 543
d) Volkerwanderungssturm-544 e) Mittelalter
-525
a . Scholastiker ß. Mystiker
.
.
.
-545
.
.
-546
Uébersicht.
XXXV
f ) Wiedieraifleben dee Wissenselhafen
a. Ars — Wissenschaft System? . . . . § 567 a. Piatto. ¡'.Cieeron. Poß. Eintheilungender klass. puly-IPhi. y. P.Ramus § 517 Juristen . . . . . - 568 ¡ . Baca» v/erulam. t. Jay. Natürliche Gliederung - 5 6 9 cob Btfhn . . . . - 548 ¿. Grosse Kunst und Verg) neue IPhlosophie. dienst der ICti . . - 5 7 0 a . R. Desartes . . - 549 c) Valentinian III. s. g. Ci/?.Spinoza.j\Malebranche - 5 5 0 tirgesetz - 571 ¿ . Leibniti c. Newton. d) Justinian'sGesetzgebung J. J . Lock 551 und Bearbeitungsverbot; Tbom i. J. Hobbes. (Basiliken) . . . , - 5 7 2 &. H. Grotus. ». Sam. e) Im Abendlande (BoKthius) - 573 (v.)Pufeidorf. . f - 5 5 3 f ) Glossatoren . . . - 574 *. Christ. (Frhr.v.) Wolf - 5 5 3 , g)Cpmmentatoren(Scribenten- 575 |i. Neuere Riilosophie i h) historisch-kritische Methode (Cuias) . . . • 576 a . J . Kan: 551 i ) Rainische Methode . - 5 7 7 ß. J. 6. Ffchte . . .555 i) Naturrechte. Schmalz - 5 5 6 Compendien—(Struv) Axiomatische Methode: (Heineccius) k) Neueste Philosophie. Matbemat: Wolf , . . , - 5 7 8 a . Schellin; . . . . - 557 ß . Hegel . . . . - 5 5 8 Historisch-dogmatische Methode: (J. St. Putter). . . - 5 7 9 Zweites Hauplttück. V o n d e r R e c h t s w i s s e n s c h a f t . Historische Gründlichkeit — dogmatische Freiheit . . - 580 1. Begriff und Wesen . § 559 Neue philosophische Dogmatik a) allgemeine Möglichkeit (Hegel) - 581 — VernUcftigkeit. . - 5 6 0 Notwendigkeit derselben . -682 b) Wirklichkeit — RechtsDrittes Hauptstück. Gelahrtheit . . . -561 M e t h o d o l o g i e d- R e c h t s w i s c) Wahrheit — Rechtswissenschaft. senschaft . . . . - 562 Reclitsgelahrtheit u.Wissenschaft583 2. Geschichte der Rechtswissenschaft - 563 Erfordernisse. a) HellenischePolitiker §561-565 1. Natürliche Sittlichkeit . - 5 8 4 2. Gesunder und gebildeter b) Römiiche Juris conVerstand - 585 sulti - 566
Uebersieht.
XXXVI
- 586 XI. Kirchenrecht
3. Logik
I. Der akademische Unterricht. Gang, Gehalt u. Gestall desselb. § 5 8 7 A. Begriff und Wesen. 1. Encyclopädie U.Methodologie - 5 6 8 B.
Privatrecht.
XII. Straftecht
-597 .
.
.
.
- 598
XIII. Gemeiner deutscher Critninal-Prozess
. . . .
- 598
XIV. Landesrechte U. Process - 5 9 9 XV. Europäisches Völkerrecht - 6 0 0
- 589 D. XVI. Juristische LitterärGeschichte -601 IT. Institutionesu. Antiquitates a) Römisches
. . . .
iuris Romani
. . . .
- 5 9 0 E. Andere Vorlesungen (came-
III. Historia iuris Romani . - 5 9 0
ralistische etc.) . . , " • -
IV. Pandecten
-591
a ) Philosophische . . .
V. Esegetica
'592
b) Deutsches. VI. Deutsche Staats- u. Rechtsgeschich te
, . . . . -
VI(. Deutsches Privatrecht V W . Gemeines Deutsches vilrecht
.
.
.
,
.
.
-594 C|-
Prozess
695 • 595
Oeffentliches Recht.
X. Deutsches Staats- und Bundesrecht
.
in sechs
.
.
-604
Halb-
jahren 593
IX. Gemeiner Deutscher ClvilC.
b) Geschichtliche Studienplan
603 - 603
- 605
II. Von der Benutzung der Vorlesungen. 1. Nutzen
606
2. Benutzung) a) regelmässiger Besuch b ) Nachschreihen .
.
-.607 .
wenig
gegen
sein G e w i s s e n als g e g e n d a s G e -
s e t z urtheilai o d e r Recht s p r e c h e n !
Das Natürlichste und d a s
Gewöhnlich« ist nun freilich, d a s s die G e s e t z e in verfassungsoder
geselHTiässiger W e i s e v e r b e s s e r t
werden.
Aber,
wenn
d i e s nun nicht g e s c h i e h t ? , w e n n die h ö c h s t e und g e s e t z g e b e n d e O b r i g k e i t in S t a a t e
die
alten,
ihr selbst
vortheilhaften
oder
vortheilhaftöheinenden G e s e t z e und R e c h t e nicht a b ä n d e r n m a g ? 5.
Im Leben d e r Völker pflegen s o l c h e Entwicklungsknoten
d e s vergangenen und d e s w e r d e n d e n R e c h t e s mit d e m S c h w e r t e z e r h a u e n , in Blute gelöst o d e r auch f e s t e r g e z o g e n zu w e r d e n . S i e g e h e n durch E m p ö r u n g zur Gesetzlosigkeit und in Zwingherrschaft
über,
bis
sich
dann allmählig
in
d e r allgemeinen
R u h e und Ordnung d e r Furcht vor d e m Gewaltigen ein n e u e r b e s s e r e r Rcchtszusland entwickelt und feststellt. 6.
Im d e n k e n d e n
Geiste
dagegen
führt
dieser
Zweifel
und Zwiespalt d e s unmittelbaren und d e s verständigen R e c h t s b e w u s s t s e y n s . aufs N e u e zu d e r alten F r a g e :
W a s ist R e c h t ?
w a s ist das r e c h t e , w a h r e R e c h t ? und d a m i t z u d e r h ö c h s t e n : w a s ist w a h r ? w a s ist W a h r h e i t ? und wie ist sie z u e r k e n n e n ? Wahrheit ist die vollkommne Uebereinstimmung o d e r Einheit d e r allgemeinen Möglichkeit d e s vernünftigen D e n k e n s und Gedankens,
des B e g r i f f s
mit d e r vernünftigen
des D i n g e s oder gedachten Wenn
dieser
eine Sache ist,
Gegenstand
s o kann
g a r im Begriff a u f g e h t ; * )
Wirklichkeit
Gegenstandes. ein
irdisches
es u n g e w i s s s e y n , denn
sinnliches
Ding,
o b e r ganz und
e s bleibt noch etwas zurück,
*) Eigentlich wird die Sache als solche als Gegenstand sinnlicher Wahrnehnung nicht begriffen, sondern nur nach Merkmalen vorge-
6 was unserem Denken undurchdringlich ist, der Stoff, die Materie im Gegensatz zum Denken und zu Gott. Das Recht aber ist nicht sinnlich, körperlich, sondern geistig — Geist von unserem Geiste, wie aus dem Denken und Gedanken hervorgegangenes Ding und selbst Gedanke. Es muss daher, weil es ganz und gar im Gedanken und Denken besteht und aufgeht, durch Denken und Nachdenken vollkommen erkannt, begriffen werden können. 7. Wir haben also, um das wahre Recht zu finden, die allgemeine Möglichkeit des vernünftigen Denkens und Gedankens, den Begriff des Rechts mit der vernünftigen Wirklichkeit des Rechts, wie es sich in der Geschichte und Gegenwart mit höchster Macht und Gewalt in den Völkerslaalen geltend gemacht hat, mit einander zu vergleichen, und aus der wissenschaftlichen Einheit beider die Wahrheit und Notwendigkeit des Rechtes zu erkennen. Daher bestimmen wir I. Den B e g r i f f d e s R e c h t s , — im ersten Abschnitt, zeigen dann II. die W i r k l i c h k e i t d e s R e c h t e s in der Geschichte,— im zweiten Abschnitt und in der Gegenwart, besonders im Gemeinen Deutschen Rechte, — im dritten Abschnitt auf und JH. die Uebereinstimmung beider in d e r s c h a f t , — im vierten Abschnitt.
Rechtswissen-
stellt und bezeichnet, b e g r i f f e n wird sie nur sofern sie einen vernünftigen Zweck — also — Gedanken in sich hat oder gegenständlicher Gfcdankc ist.
Erster
Abschnitt.
Begriff des Rechts. Ginleitung: Ueber die Ermittelung des Begriffs des Hechts. 8. D e r Begriff kann als der einfache Ausdruck des Begriffenen eigentlich nur das Endergebniss des Begreifens scyn. Da jedoch jeder wissenschaftliche Unterricht von dem Begriff des zu Erkennenden ausgehen muss, weil nur, wenn aus ihm als Haupt- und Obersatz alle folgenden Lehr- und Hechtssätze hergeleitet worden, das gesammte Recht zu der wissenschaftlichen gegliederten Einheit — zum Systeme erhoben wird, so scheint der Begriff eben nur aufgestellt und vorläufig auf Treu und Glauben angenommen werden zu können. Und so ge6chiebts gewöhnlich: Man pflegt den Begriff des Rechts von Altersher aus dein Römischen Corpus juris, oder bei dem liefern wissenschaftlichen Streben der neuern Zeit aus der Philosophie zu entlehnen, oder auch selbst nach eigner Ansicht aufzustellen. Es ist jedoch ein gar zu arger Uebelstand von einem unbegriffenen Begriff als Haupt- und Grundsatz auszugehen. Denn dem Anfänger muss es nicht nur unheimlich in solcher Wissenschaft werden, sondern diese bleibt ihm natürlich eben so unbegreiflich wie der Grundbegriff, bis er das
8 ganze Material und System durchgearbeitet und verstanden hat. Begreifen wird er den Begriff und das System erst bei der zweiten Durcharbeitung. 9. Der Begriff des Rechts muss also gleich hier klar und deutlich bestimmt, gemeinfasslich entwickelt und begründet werden. Die philosophische Begriffsbestimmung und Begründung wäre ohne Zweifel die beste, weil allein erschöpfende und befriedigende. Allein zu ihrem Verständniss würde e i n e ' philosophische Vorbildung erforderlich sein, wie sie bei dem Anfanger der Rechtswissenschaft in der Regel nicht vorauszusetzen ist. Dürfen wir hier nun aber auch noch keine philosophische Begriffsbestimmung unternehmen, so können und müssen wir doch fragen: Was heisst, was bedeutet das Wort Recht? 10. Und auf diese Frage dürfen wir eine klare und bestimmte Antwort erwarten, wenn wir 1) die Bedeutung des Wortes Recht im deutschen g e b r a u c h feststellen,
Sprach-
2) den W o r t s i n n von Recht nach Wurzel, Stamm und Entwicklung ermitteln und 3) die Uebereinstimmung beider in der wissenschaftlichen B e g r i f f s b e s t i m m u n g erkennen. Denn der allgemeine Sprachgebrauch entspringt und entspricht dem Gemeingefühl des Volks, der Gegenwart; das Sprachgeselz, woraus der Wortsinn sich entwickelt, entspringt und entspricht dem natürlichen, nach ewig nothwendigen — wenn auch ihm selbst noch unbekannten — Vernunftgesetzen denkenden und sprach- und rechtbildenden Verstände des Volkes und seiner Geschichte. Die Einheit Beider, welche sich aus ihrem scheinbaren Gegensatz und Widerspruch heraustreibt, muss daher das Vernünftige — den Begriff ergeben.
9
Erstes Spraclgebräuchliche
Hauptstiick. B e d e u t u n g von
Hecht.
Im Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens unterscheiden sich dni Bedeutungen von Recht. 11. V4 Ein R e c h t , ' welches einem Menschen zusteht (s. g. Recht im subjectiven Sinne) ist eine nötigenfalls durch das Gericht mit Gewalt zu schützende und geltend zu machende Befigniss etwas zu thun oder zu unterlassen oder zu fordern, das. ein Anderer etwas thue oder unterlasse. Diese andere Seite des Rechtsverhältnisses wird gewöhnlich P f l i c h t oder V e r p a c h t u n g , richtiger O b l i e g e n h e i t und V e r b i n d l i c h k e i t genannt. 12. 2) Das R e c h t , welches in einem Lande gilt, (s. g. Recht im oljectiven Sinne) ist die Gesammtheit oller Gesetze, Ordnungen ind anderer Regeln und Vorschriften, wonach die Menschen in ihren gegenseitigen oder Rechtsverhältnissen sich richten und gerichtet werden sollen (das s. g. positive Recht). 13. 3) R e c h t (als Eigenschaftswort) bedeutet endlich auch d a s R e c h t o — Richtige — Gute — Zweckmässige — Wahre. Dem Rechten in diesem Sinne wird das positive, geltende und jedes einzelne (subjective) Recht nicht selten gegenüber und entgegengestellt in der Frage: ob dies Recht und das Landesrecht auch recht sey? Das allgemeine Rechlsbewusstseyn oder Rechtsgefiih] jedes Menschen und jedes Volkes stellt diese unabweisliche Forderung an das Recht und jedes Recht, dass es recht sey und die Sprache unterstützt und bestärkt sie, indem sie für alle drei Gedanken nur Ein Wort gebraucht. Wir haben daher zu untersuchen, welchen Sinn der Grundgedanken sie mit demselben ausdrückt.
10
Zweites
Hauptstück.
W o r t s i n n v o n R E C H T in s p r a c h l i c h c r geschichtlicher Entwicklung.
und
14. Das Wort R E C H T stammt von Richten her, dessen Ergebniss, Grundlage und Endzweck es ist. Ein offenbarer Widerspruch: denn wenn auch das Recht als die Grundlage alles Richtens und das einzelne Recht, als seine Feststellung und Ausführung, dessen Endzweck und Ergebniss anerkannt werden mag, 60 kann das Recht selbst, wonach gerichtet wird, doch nicht erst das Ergebniss des Richtens seyn. In der That ist auch gerichtet worden, ehe das — Wort Recht vorhanden war und nur dieses das Wort ist neu. Die alten Deutschen gebrauchten statt dessen ursprünglich das alte Wort E oder A auch A e w a oder E w a , wovon noch unser Ehe, echt, Ehre etc. stammt und welches freilich alles umfasst, was recht ist in den gegenseitigen Verhältnissen nicht nur der Menschen zu einander, sondern auch zu der Gottheit (z. B. de olle und d e neue E d. h. das alle und das neue Testament) gleichwie das Römische: Jus und das Hellenische "E9og. Das Wort Recht ist wirklich erst ein Ergebniss des Richtens wie das Römische: A e q u i t a s , welches von aequare gleichen = gleichmachen = richten herstammt. 15. Das . R i c h t e n wird ursprünglich bei den alten Deutschen dem Könige oder seinem Gewaltboten und Beamten, dem Grafen, Vogt etc. beigelegt, der davon auch allein R i c h t e r heisst; weil er berufen ist, das Unrechte nach d e m R e c h t c auszugleichen oder das bestehende vorliegende Verhällniss dem Rechte zu gleichen, gleichzumachen. Er bediente sich dazu, wo Recht und Friede gebrochen worden — zur Strafe der Verbrecher des S c h a r f - oder N a c h r i c h t e r s . Das Recht aber musste sich der Königliche Richter im allen Ding oder Thing, d.i. Gericht w e i s e n lassen von denDingleulen, Schöffen oder Urtheilern. Diese wiesen ihm das Recht,
Ii indem siie las vorliegende Rechtsverhältnis mit dem Rechtsgesetz vcergichen und die Uebereinstimmong oder den Unterschied fffistlellten und aussprachen, wie e r aufzuheben sey. 16. itzt, wo fast alle Staaten Gesetzbücher oder Sammlungen Hialsn, scheint diese Vcrgleichung gar leicht, — ist's aber nicht. Denn es sind nicht für alle einzelnen Fälle Gesetze ge;ge>en noch auch zu geben. Die zur Entscheidung einzelner Fille erlassenen Gesetze erweisen sich bald als die allerunzweckmässigsten, weil dieser selbe Fall mit allen seinen eigenthüimliihen Beziehungen selten oder nie in gleicher Weise wieder vorlommL Die Gesetze müssen vielmehr einfache und allgemeine legein seyn, weil sie alle Fälle dieser Gattung unter sich befassen sollen. Wenn sie aber einfach und allgemein simd, lässt sich auch das einzelne Gesetz nicht so unmittelbar (nechanisch) auf den einzelnen Fall anwenden o d e r draufpassen weil eben kein Rechtsfall oder Verhältniss einfach und allgenuin, sondern j e d e r ein besonderer und e i g e n t ü m licher — aus diesen oder jenen Beziehungen zusammengesetzter ist. *) 17. Veil nun diese verschiedenen Beziehungen, wodurch j e d e r einzdne Fall seine bestimmte Eigcnthümlichkeit erhält, unter versciiedene allgemeine Gesetze fallen, so müssen diese alle zugleich und zusammen angewandt werden, was schon darum grosse Schwierigkeiten zu haben pflegt, weil die Gesetze als algemeine sich einander in ihrer Allgemeinheit ausscbliessen, — nicht so — als allgemeine neben und mit einander zur Anwendung kommen können. Es muss vielmehr aus allen diesen Gesetzen (oder eigentlich aus dem gesammten Rechte) die Rechtsregel für diesen Fall oder diese Art von Fällen erst gebildet werden, welche aus allen soviel enthält wie der Rechtsfall selbst. Wie schwer dies ist, zeigt sich in den Urtheilsgründen vieler nach Gesetzen erkennenden Ge*) Aristotel. Eth. Nie. V. 14 (8) Alttov ¿"ort , das Indische sam. Sie bilden Indisch: Samaja die Zeit — also Naturgesetz, Hellenisch: evyratu das Sprachgesetz (avyray/xa), Römisch: constitutio das Staatsgesetz. Deutsch Gesetz das Sanggesetz und allgemein Gesetz verhält sich zu Satz, wie Gebälk zu Balken, wie Geblüt zu Blut, wie Gehege zu Hegen, wie Gerippe zu Rippe etc.
15
Drittes Hauptstiich. W i s s e n s c h a f t l i c h e B e g r i f f s b e s t i m m u n g von Recht. 23. Die so eben sprachlich gefundene Begriffsbestimmung von Recht und Rechtsgesetz möchte für den nächsten Zweck einer allgemeinen vorläufigen Erkenntniss vielleicht genügen, — wenn sie nicht mit dem gewöhnlichen Sprachgebrauch der das Rechtsgesetz zunächst als Staatsgesetz, als Vorschrift der höchsten Gewalt auffasst, im Widerspruch stände. Denn als Staatsgesetz oder Gebot erscheint das Rechtsgesetz als freie Willensbeslimmung der höchsten oder Staatsgewalt, welche den Willen der Unterthanen bestimmt und nötigenfalls zwingt — also ihre Freiheit zu thun und zu unterlassen beschränkt. Wenn dagegen das Recht oder Rechtsgesetz als vernunftnothwendige Ordnung gefasst wird, so erscheint dasselbe ebenso auch als Willensbeschränkung und — Bestimmung iur die höchste und Staatsgewalt und somit — a l l e menschliche Freiheit vernichtet, soweit das Rechtsgesetz reicht. Dies war denn auch noch vor Kurzem die gewöhnliche Ansicht der Gelehrten, wie der Ungelehrten. Man tröstete sich über den Verlust der Freiheit damit, dass es nun doch einmal nicht anders seyn könne, wenn die Menschen in Gesellschaft leben wollten und dass man dafür ja Sicherheit der Person und des Eigenlhums eingetauscht habe, worauf am Ende doch alles Glück, auch das Gedeihen der Künste und Wissenschaften und so vieler anderer guten Sachen beruhe. In unserer Zeit mag man sich daran nicht mehr genügen lassen, sondern verlangt ausser oder zu allen diesen Lebensgütern — auch die Freiheit, als das höchste Gut und Recht. „Der Mensch ist freigeschaffen, ist frei! „Und wär' er in Ketten geboren!" 24. Es fragt sich nun, wie verträgt, oder wie verhält sich die menschliche Freiheit zu der Notwendigkeit des Rechtes? Da die Freiheit wesentlich in der S e l b s t b e s t i m m u n g
16 des Willens besteht, die Notwendigkeit des Rechtes aber wesentlich vernünftige oder Vernunflnothwendigkeit ist, so können wir diese Frage auch so ausdrücken: Wie verhält sich der Wille zur Vernunft, zu dem Denken nach (vernunft)notwendigen Gesetzen? Was ist wollen? Wollen ist setzen, vorsetzen und durchsetzen eines Zweckes, eines zu Bewirkenden oder zu Bewerkstelligenden. Dies Setzen und Vorsetzen ist die That des Denkens, oder aus sich herausstrebendes Denken, der Zweck selbst ist Gedanke der Veränderung, der — That, welche das Mittel zur Verwirklichung, ausgeführter Wille ist. Die That verhält sich also zum Willen, wie der Wille zum Denken: der Wille ist auch Denken aber werkthätiges, praktisches Denken. Der Wille muss etwas („setzen, vorsetzen und durchsetzen") wollen. Wrenn der Wille gar Nichts (thun oder setzen) will, so ist er nicht Wille sondern nur Gedanke — des Willens oder auch theoretisches Denken des Denkens als Wollens oder auch Wille des Denkens. 25. Ist nun aber das Wollen auch Denken, so ist der Wille, indem er durch das Denken bestimmt wird, nicht von einem Andern, Fremden abhängig oder bestimmt sondern nur von oder durch sich selbst bestimmt, also fr eil Denn die Freiheit ist die Selbstbestimmung, welche die Unabhängigkeit von allem Andern schon voraussetzt und in sich begreift. Jeder Mcnsch ist nun zwar freigeschaffen, — aber Keiner frei geboren. Er ist frei geschaffen, d. h. er hat die Freiheit zu seinem Wesen, Grund und Zwecke, indem er seiner Natur nach d e n k e n d * ) und somit fähig und berufen ist, sich selbst d. i. seinen Willen durch sein Denken zu bestimmen. Aber in diesem Sinne freigeboren wird der Mensch nicht Denn, obgleich er schon als neugebornes Kind, wie Mensch so auch
*) Der wundersame Tiefsinn und Verstand der deutschen Sprache zeigt sich auch i n : M e n s c h , welches a . h . d . menisco, Indisch, manuschi von man denken, manami, /uuytschnitt.
Weltrechtsgeschichte.
res göiulih - menschlichen reitet. **)
Gesetzes
in
I. Hauptstück. Christo
Jesu
29
vorbe-
Auif liesem ewigen Giund der rechten Wahrheit erbaut sich dais leue wahre Recht und das vernünftig sittliche Reich des sellbsbewussten Geistes: der f r e i e S t a a t . P l a n . 47T. Diese drei Stufen: 1) des Urrechts und des Naturstaais, 2) des Feistaats und des menschlichen Rechts und 3) des chrisllichei Rechts und des freien Staats — sind nun in den drei H;au|tslücken möglichst kurz aber doch so ausführlich darzustellen, dass die nothwendige Entwicklung des Rechts und der Freihiit klar und deutlich erkannt werden mag.
Erstes
Hauptstück.
Vom Urrcclit und Naturstaat. 4 8 . Grund und Urquell des Rechts und alles gemeinsamen Lebens im Recht ist die L i e b e . Sie erscheint zwar zunächst als natürlicher Trieb zur Begattung und zur Fortpflanzung des Menschengeschlechtes, dem thierischen Instinkte ähnlich. Aber sie ist doch in Wahrheit vernünftig, wie und weil der Mensch nicht mit Instinkt begabt, sondern nur denkend-ver-
*) Wenn der Name des Herrn Jesu in staats- und rechtswissenschaftlichen Entwicklungen genannt wird, argwohnt man gewöhnlich, der Verfasser möchte die Schwäche seiner wissenschaftlichen Begründung und Bewährung unter dem starken Hort oder dem Mantel des Glaubens verbergen oder verstecken wollen — „dem Leser ins Gewissen schieben." Hier soll aber auch kein Glauben in dem Sinn von „für wahr annehmen oder gelten lassen" gefordert, sondern Alles so dargestellt und bewiesen w e r d e n , dass es vernünftig eingesehen und begriffen und als wahr erkannt und anerkannt werden kann und muss.
30
Urrecht und Naiurstaal.
Familienrecht.
nünftig ist. — wenn gleich nur vernünftiges G e f ü h 1: o d e r u n • m i t t e l b a r e s B e v v u s s t s e y n der Einheit d e r Unterschiedenen. Denn in der Familie, welche durch die Liebe begründet lind erhalten wird, fühlt und will, denkt also auch jedes Glied nicht für sich allein sondern auch für die Anderen — also vernünftiges und vernünftig: für ihr Leben und Wohlseyn in dieser natürlichen Gemeinschaft, welche eben dadurch zur vernünftigen — sittlichen Gemeinschaft erhoben und als solche, die natürliehe Grundlage aller rechtlichen Gemeinschaft wird. F a m i l i e n Hausfrieden.
r e c h
t-
Besitz.
49. Das Recht und die Ordnung, welche in und mit der natürlichen Familien-Gemeinschaft zugleich entsteht und da ist, erscheint zwar auf dieser ersten niedrigsten Stufe der Rechtsbildung und Vernunft auch noch hart und roh und keineswegs unseren Begriffen von Liebe, Ehe und Familie entsprechend. Denn der Mann ist H e r r , das Weib seine M a g d , ihre Kinder Beider D i e n e r . Aber der Mann und Vater schützt und ernährt die Scinigen auch durch seine Jagd oder Fischfang etc. Sie alle arbeiten und leben für einander und v e r t e i d i gen Jeder ein Jedes mit eigner Leibes- und Lebensgefahr, — sie sind und fühlen sich einig. 50. Diese ersten, n u r in d e r F a m i l i e l e b e n d e n Menschen erscheinen uns a b e r dennoch als Wilde, als vom Geist abgewandte, entfremdete, schier thierähnliche, weil sie selbst nur auf die Befriedigung ihrer natürlichen Triebe und Bedürfnisse, besonders des Hungers bedacht sind. Indess ist ihnen doch das Gesetz der Liebe, in welcher sie miteinander leben, alsbald so sehr zur Sitte und anderen Natur geworden, dass es sich auf die Släte ihres Daseyns überträgt: die Höhle, die Hütte, das Haus heiligt, befriedet. Auch die rohesten Wilden halten den H a u s f r i e d e n heilig: lassen den Fremden, der ohne Feindseligkeit in ihre Hütte kommt, an ihrer Gemeinschaft und ihrem Mahle theil nehmen und schonen selbst des Todfeinds.
II. Abschnitt.
Weltrechtsgeschichte.
I. Hauptstück.
31
D e r H a u s f r i e d e n i s t d a s e r s t e R e c h t o d e r allgemeine Gesetz des freien vernünftigen Willens Aller. 51. An den Hausfrieden schliesst sich dann die S i c h e r h e i t des B e s i t z e s der im Hause befindlichen Sachen und der — Thiere, die in und an das Haus gewöhnt, — Hauslhiere geworden sind. Ho
r d e n r e c h t.
Hürden frieden.
Eigenthura und Vertrag.
52. Wenn also der Besitz der Hauslhiere gesichert ist, fangen die nun zusammenbleibenden — H o r d e n , wo sich das Land dazu eignet, an, sich auf Viehzucht zu legen. Sie können nun nicht mehr so leicht in die Gefahr kommen Hunger und Noth zu leiden, wie die grossen J ä g e r - und Fischerfamilien, welche sich trennen müssen, wenn das Wild etc. selten wird, dass es nicht mehr fiir Alle zureicht. Ihre gemeinschaftlichen W o h n - oder Lagerplätze — Hürden, sind nun ebenso befriedet, wie sonst das einzelne Haus, der Hausfriede erweitert sich zum H ü r d e n f r i e d e n , während er für die einzelnen Familien und Hütten mit ihrem Hab und Gut fortbesteht und noch erhöht und bestärkt wird. 53. Der H ü r d e n f r i e d e n ist eine höhere Stufe der Hechts- und Vernunftentwicklung. Die Gemeinschaft ist: 1) an sich eine höhere; nicht sowohl, weil sie grösser als vielmehr, weil sie freier, — nicht so ganz wie die Familie durch die Natur und die Verwandtschaft hervorgerufen, bedingt and bestimmt, sondern durch den freien Willen der Genossen zusammengehalten, als solche von Allen gewollt, gesetzt ist und Alle und Jeder mit eigner Leibes- und Lebensgefahr Allon und Jeden gegen äussere Feinde vcrlheidigt etc. 54. 2) Dann hat sie auch eine freiere, vernünftigere — ihr nothwendige O r d n u n g und E i n h e i t : einen Oberen und Anführer des Zugs und im Kampfe, der schon nicht mehr immer der Altvater, sondern der Erfahrenste, Tüchtigste, Tapferste seyn soll und muss, und daher auch oft gewählt wird;
Hordenrecht.
32
Hürdenfrieden.
weil die Wohlfahrt der Horde, ihre Sicherheit und der Sieg gegen andere Horden und Feinde zumeist von seiner Umsicht abhängt. 55. 3) Endlich ist zur Erhaltung des inneren Friedens der Hürde und der Horde ein G e r i c h t nothig, welches nicht wie in der Familie der Hausherr und Vater nach Liebe und Belieben entscheidet, sondern nach dem Rechte urtheilen soll, und daher, wo Glieder verschiedener Familien in Streit gerathen, nur aus dem oder den Obern bestehen kann. D a s R e c h t a b e r , w e l c h e s s i c h in d e r H o r d e u n d Hürde durch und als a l l g e m e i n e n Willen g e s e t z t h a t , k a n n im A l l g e m e i n e n a l s E i g e n t h u m b e z e i c h net werden. 56. Der ausschliessliche Gebrauch und Genuss der Sachen und Thiere, welcher durch den Hausfrieden als B e s i t z herausgetreten und wie dieser durch die Sitte und die eigne Kraft der Hausgenossen gesichert war, wird durch die allgemeine Anerkennung aller die Horde bildenden Familien und Genossen und durch ihren Schutz desselben gegen die Angriffe jedes Anderen — durch den Hürdenfrieden zum R c c h t des ausschliesslichen Gebrauchs — z u m E i g e n t h u m an diesen Sachen und Thieren. 57. Zu diesem Gebrauchsrecht gehört auch die Veräusserung — die Auf- und Hingebung des Eigenthums: des Willens und der Sache, des Thieres also die Entlassung, Tödtung und Vernichtung desselben und die Ueberlassung — Uebergabe an einen Anderen, der sie fortan haben soll und will: also V e r t r a g . Am gewöhnlichsten mag der Tauschvertrag seyn, dass Jeder dem Andern etwas — das Eigenthurn einer Sache — (Kuh etc) überlässt und dafür ein anderes Eigenthum (Vieh etc.) erhält. Aber nicht nur in diesem, sondern auch in der Schenkung, wo nur einer gibt und ein anderer empfangt und in jedem anderen Vertrag erscheinen zwei Willen als berechtigt und einig: bethätigen und erkennen sich auch gegenseitig als frei. 58.
Diese gegenseitige Anerkennung der Freiheit und
Hordenrecht.
Hürdenfrieden.
33
des Eigenthums macht sich besonders auch in den Leihverträgen geltend, wodurch Einer dem Andern seine Sache z. B. seinen Stier zum vorübergehenden Besitz, zum einmaligen Gebrauch überlässt; denn das Thier etwa wegen dieser freiwilligen LJeberlassung des Besitzes — als Eigenlhum — behalten zu wollen, wird von dem wirklichen Eigenthiimer nicht nur, sondern auch von dem Anderen and an seiner Statt von dem G e r i c h t als S c h e i n r e c h t als U n r e c h t anerkannt und ausgesprochen und beseitigt: das Recht durch Rückgabe des Eigenthums hergestellt. 59. Ausser diesem einfachen Unrecht, welches auch auf Irrlhum und Missverständniss beruhen kann, kennen sie aber auch das Verbrechen und die Strafe. V e r b r e c h e n ist gewaltsame Verletzung des Rechts, wodurch der Hürdenfrieden gebrochen wird, also jede widerrechtliche Verletzung des Eigenthums : Besitzergreifung oder Zueignung von Sachen oder Vieh, welche einem andern Genossen als Eigenthum gehören, mit Gewalt (Raub) oder List (Diebstahl) und jede gewaltthätige Störung des Hausfriedens, welchen der Hürdenfrieden ebenso zum wirklichen Rechte erhoben hat. 60. Die S t r a f e , welche über den verbrecherischen Genossen vom Hordengerichte verhängt wird, ist in der Regel dieselbe, welche den äusseren fremden feindlichen Angreifer bei und in der Vertheidigung des Hauses oder der Hürde oder des Viehs trifft, nämlich: der Tod! Später ist Sühne möglich und wird unter Vermittlung des Gerichts in Vieh geleistet. 61. Wenn nun daneben die Verletzung und die Tödtung eines Genossen in oder ausser der Hürde n i c h t als Verbrechen betrachtet und bestraft wird, sondern der eignen Abwehr und der Blutrache der Familie überlassen — Privatsache — ist, so kann uns das — von unserem Standpunkt aus — schier noch befremdlicher erscheinen, als dass es bei den Horden, welche die Wüste durchziehen, Recht und Pflicht der Söhne ist, ihre alten Eltern zu tödten, wenn sie zu schwach sind, dem Zuge zu folgen; denn wir sehen den Grund ein, dass sie in der Wüste zurückbleiben und sich selbst überlassen, küm3
34
II. Abschnitt.
Weltrechttgeschickte.
I.
Hauptstück.
merlich verdursten oder verhungern müssten. Allein auf dieser Stufe der Rechtsentwicklung und Bildung ist das Eigenthum wirklich und nothwendig das höchste Recht, seine Verletzung das höchste Verbrechen: nicht sowohl deshalb, weil das Vieh, das Werkzeug etc. zum Lebensunterhalt des einzelnen Nomaden nothwendig ist, denn als Lebensmittel müsste es ihm selb e r geringer erscheinen, als d e r Zweck: das Leben selbst, noch auch weil das gemeinschaftliche Leben in und mit der Horde dadurch bedingt ist, denn die Hirten trennen sich, wenn die Weide nicht zureicht — um der Erhaltung des Viehes willen, sondern diese Erscheinung hat ihren Grund in d e m Wesen des Nomaden, dass er in diese Sache seinen Willen, sein thätiges Denken, sein Ich gelegt und daher in und an ihm sein Selbstbewusstseyn, das Bewusstseyn seines Willens, seiner Freiheit und — Geistigkeit hal. Glaube
der Horden.
Zauberei.
62. Dieses höhere geistige Selbstbewusstseyn kommt dann auch sogleich in dem G l a u b e n dieser rohen Naturvölker, welcher gewöhnlich Naturreligion genannt wird, in der That a b e r weder Religion d. h. Beziehung zu einem Höheren noch natürlich, sondern geistigen Wesens und Ursprungs ist, und am wenigsten als Religion Anbetung oder Verehrung der Natur aufgefasst werden darf, da ihr Glaube im Gegentheil auf der Geringschätzung der Natur und der eigenen Selbstachlung beruht. *) Sie glauben nämlich, wie die einzelnen natürlichen Dingo Holz, Vieh, Wild etc. so auch Wind, Wetter und andere Naturkräfte mit ihrem Willen und Befehl b e h e r r s c h e n , zu ihrem Dienste zwingen, — z a u b e r n — zu k ö n n e n * * ) und
•) Vgl. Rosenkranz, die Naturrcligion. (Iserlohn, 1831.) **) Es ist ein grosser Irrthum, w e n n manche ältere Reisende berichtet haben, die Wilden b e t e t e n z. B, zu dem Fluss, den sie überschreiten, durchschwimmen wollten: Sie b e s c h w ö r e n ihn, d . h . bedrohen ihD, schlagen ihn-auch wohl mit Ruthen, trommeln, lär-
Glaube der Horden.
Zauberei.
35
2) dass nach dem Todo der Menschen der guto und böse Wille und Sinn — d i e t h ä t i g e S e e l e f o r t d a u e r e und den Ueberlebenden wohl- und wehethue, Nutzen und Schaden — Krankheit und Tod bringen können. (Werwolf, Vampir etc.) Schon Herodot II. 32, 3 3 balle von solchen Zaubervölkern in Afrika gehört, welche in neuerer Zeit wiedergefunden worden. Auch die Sagen und Geschichten der Nordischen Völker sind voll davon, namentlich sollen die Finnen gar zaubermächtig gewesen seyn. Jede Familie pflegt einen Zauberer in sich zu haben, der dann für die anderen Genossen mitdenkt, dessen Willensmeinung gilt und entscheidet, ob die Familie etwas — dies oder jenes — unternehmen oder unterlassen soll etc. Wenn sich bei den Nomaden-, Hirten-, Reiterund Räuberhürden ein höherer Glauben findet, so haben sie ihn von h ö h e r g e b i l d e t e n — in Staaten lebenden — Völkern entlehnt. 6 3 . Auf dieser ersten und untersten Stufe der Rechtsund Glaubcnsbildung sind die geistesarmen Völker, welche unter der drückenden Sonne des Gleichers im heissen Sande der Wüste von Oase zu Oase ziehen und diejenigen, welche in dem ewigen Eise und Schnee am Nordpol mit ihren Rennthieren und Hunden umherirren, Jahrtausende lang stehen geblieben. Das Land lässt die Bildung nicht aufkommen und nicht einmal fortbestehen, weil die Menschen immerfort und men etc. S o ist es auch mit den s. g. Fetischen und Amuletten etc.: sie sind nicht Götzen oder höhere W e s e n , sondern Knechte, Mittel, wodurch der Mensch etwas erreichen will, und die er daher, w e n n sie nicht wohldienen, sich unzweckmässig e r w e i s e n , wegwirft, wie Zauberstäbchen und Trommel, wenn die Beschwörung vollbracht ist. Doch kann diese auch durch blosse Worte und Geberden vollbracht werden, wodurch sich der Zauberer ausser sich setzt — in Ekstase, dass ihm nur das abstrakte, unbestimmt allgemeine Bcwusstseyn seines Willens bleibt. Nur in verderbten Staaten und unsittlichen Völkern, welche aufdieso niedrigste Stufe z u r ü c k g e f a l l e n , findet sich die Zauberei mit dem Aberglauben und Gebet an höhere unsiltlichc Mächte verbunden. Der s. g. Naturmensch fühlt sich schon über die Natur erhaben und als ihr Herr.
3*
36
II. Abschnitt.
Weltrechtsgeschichte.
I.
Hauptstück.
ängstlich mit der Noth des täglichen Lebensunterhalts zu ringen haben, — nichts anders denken nnd sagen können, als dass und was sie essen mögen. Zu einer höheren Rechts- und Vernunftbildung scheinen die Horden als solche d. h. so lange sie das umherschweifende Hirten- und J ä g e r - , Reiter- und Räuberleben fortsetzen, sich aus eigner Kraft nicht emporschwingen zu können; wenigstens sind die uns jetzt noch oder wieder bekanntgewordenen Horden unter der glühenden Sonne des Gleichers und am eisigen Nordpole, so weit unsere Kunde von ihnen reichen mag, auf derselben untersten Stufe der Gesittung und Sittlichkeit, so wie des Rechts und des Glaubens stehen geblieben. N a t u r s t a a t e n . 64. Neben ihnen — oft im Verkehr, gewöhnlich im Streite mit diesen stets wilden Horden finden sich edlere höher gebildete Völker, welche Ackerbau und Gewerbe getrieben und S t a a t e n gebildet haben, so weit die Geschichte sie kennt. 65. Die E n t s t e h u n g d e r ä l t e s t e n S t a a t e n liegt aber weit über unsere beglaubigte Geschichte hinaus, und die heiligen Sagen der Völker enthalten so viel offenbar unmögliches und erweislich unrichtiges, dass aus ihnen nur weniges mit höchster Vorsicht entnommen werden mag. Kaum einige dunkle Spuren von einem früheren anderen Aufenthalte und Zustande, von einer andern Heimath und Lebensweise des Volkes, eine halbverlorne Kunde von Zügen und Kriegen ist uns von ihnen überkommen. Aber, wenn wir auch noch weniger oder gar nichts von dem Ursprung und Bildungsgang der urältesten Völker und Staaten wüssten, so könnten wir doch schon daraus, dass sie selbst kein verständiges Bewusstseyn oder Gedächtniss von dem Ursprung ihres Rechtes hahen, den allgemeinen Schluss ziehen, dass ihre Rechte und Staaten ohne ihr Vorwissen und Wollen natürlich entstanden und erwachsen, — naturwüchsig — N a t u r s t a a t e n sind.
Naturstaalen
37
Ihre eigentümliche Beschaffenheit im Gegensatz zu den anliken Freistaaten rechtfertigt diese Auflassung und die wesentliche Verschiedenheit dieser Staaten und Rechte lässt sich als natürliche Stufenfolge und Fortschritt der natürlichen Rechts- und Vernunftbildung erkennen. Hierzu kommt noch, dass die Abfolge der Bildung dieser Staaten in der Zeit wie im Raum von Morgen nach Abend (wie später von Mittag nach Mitternacht) aufsteigt. 66. Demgemäss kann die Entstehung der Urstaaten und ihr Unterschied oder Fortschritt in Rechts- und Vernunltbildung als eine vernünftige Naturgeschichte aufgefasst werden. 67. 1) Die erste A n s i e d l u n g der Hirten-Horden und Familien mag zunächst dadurch veranlasst worden seyn, dass die Menschen, nachdem sie das Getreide, — vielleicht zuerst durch ihre kornfressenden Hausthiere, — kennen und schätzen gelernt und gesehen haben, wie es aus den verstreuten Körnern in neuer, reicher Fülle zu bestimmten Zeiten emporwächst, den Saamen in den Schlamm des ausgetretenen Stroms gestreut und zur Ernte anfangs vielleicht mit ihren Heerden aus den Bergen zurückgekehrt, dann, als sie sich zureichend erwies, gleich in der Nähe geblieben sind und sich feste Hütten gebaut haben. Gewiss ist, dass die ältesten Ackerbauländer von solchen regelmässig austretenden Flüssen durchströmt sind und, dass der zurückgebliebene Schlamm vom Anfang der geschichtlichen, wie auch in unserer Zeit reichliche Ernten gibt. Wenn sich nun die Horden ansiedeln, so haben und behalten sie zunächst ihr Hordenrecht; aber der Hürdenfrieden wird zum L a n d f r i e d e n , der nicht nur Haus und Hof nebst den Hausthieren, sondern auch den Acker und die Ackergeräthschaften umschliesst und schützt; so dass das Eigenthum erweitert und sicherer wird, zumal die Verbältnisse selbst klarer und dem Gericht bekannter, das Gericht gerechter und stärker wird, je länger und enger sich das Volk zu gemeinsamem Leben im Rechte zusammenschliesst und sich des Rechts bewusst wird. Dagegen tritt die persönliche Kraft, Körperstärke
38
II. Abschnitt.
Weltrechlsgeschichte.
I.
Hauptstück.
und Mutb, j e länger das Volk in Ruhe und Frieden fortlebt, desto mehr in den Hintergrund — gegen die allgemeine sittliche Grundlage der Gemeinschaft, die Familienordnung und Sitte, welche sich nun im Gesammtieben des Volkes als Staatsverfassung und Rechtsgesetz geltend macht. So bilden sie denn F a m i l i e n s t a a t e n , und das ist das Ziel und Ende ihres Fortschritts, -denn zu höherer Sittlichkeit und Erkenntniss gelangen sie nicht, obwohl ihre äussere Bildung und Gesittung (Civilisation) so lange und soweit sich entwickelt bis sie sich mit der Natur des Landes in Einklang gesetzt, d. h. sieb dieselbe, soweit es zur Befriedigung ihrer natürlichen und der durch die Befriedigung und durch die Gesittung, Lebensweise und Meinung hervorgebrachten künstlichen Bedürfnisse nöthig ist, möglichst unterthänig und dienstbar gemacht haben. 68. 2) Zu einer höheren Stufe aber steigen die so gesitteten und gebildeten Ackerbau-Völker empor, wenn sie sich ganz oder theilweis — etwa wegen Uebervölkerung ihrer gegenwärtigen Wohnsitze — in ein anderes Land übersiedeln. Durch die U e b e r s i e d e l u n g , welche, wenn das erkorene Land schon von anderen Völkern bewohnt ist, oder b e d e u t e n den Horden als Weide und Jagdplatz dient, selten ohne Kampf und Krieg stattGnden m a g , lockeren sich die Bande d e s Familicnstaats und Rechts, wie die der natürlichen Familie, wenn die Kinder das Vaterhaus verlassen; weil die eigne Thot und Thätigkeit zur Begründung und Erhaltung eines eignen Hauswesens vorwaltet und überwiegt. Wie die Familie, indem die erwachsenen, selbstständigen Glieder derselben verschiedene Gewerbe und Erwerbszweige ergreifen und treiben, zur bürgerlichen Gesellschaft auseinander geht, so entsteht diese durch die Mehrheit und Theilung der Geschäfte, auch bei einem sich übersiedelnden Volke, und e r s t a r r t , weil das natürlich sittliche Gefühl und Recht der Familie Uberwiegt u n d w e i l d a h e r die Gewerbe in den Familien erblich werden, zum — Kastenstaat. Auch der Kastenstaat erhält sich, nachdem er sich mit der Natur seines Landes in Einklang gesetzt, stets auf derselben
Nalurslaaten.
39
Stufe der Rechtsbildung und Vernunft. Wie wohl diese nun allerdings reicher und höher ist, als die vorige, so erscheint sie doch schon in der Form mangelhaft, dass ihrem Kastenstaate die E i n h e i t fehlt. 69. 3) Der weitere Fortschritt ist durch neue — stärkere Bewegung bedingt und zwar zunächst durch U e b e r s i e d l u n g eines k r i e g e r i s c h e n durch den Krieg zum Heere umgestalteten V o l k e s in das eroberte Land eines schon gebildeten Volkes und die Verbindung beider zu E i n e m Staate, dessen Adel und Herrscher das erobernde Volk und sein Fürst ist, und dem ganzen Gemeinwesen zum Zweck der Verteidigung gegen äussere Feinde die staatliche Einheit der Heeresordnung gibt, zum H e e r s t a a t . Die Staats- und Rechtsbildung ist desto höher und besser, je gebildeter die mit einander verbundenen Völker schon waren und je fester und inniger sie sich in dem neuen Staate vereinigen. 70. Die Völker, welche zuerst in der Welt solche Naturstaaten gebildet und daher, weil sie in dieser Form zu ihrer Zeit die reichste Fülle des Geistes besassen und bethätigten, die ihnen bekannte Welt beherrscht haben, erscheinen als weltgeschichtliche und als Weltreiche, 1) durch Ansiedluug der Horde ist der F a m i l i e n s t a a t des Chinesischen Reichs 2) durch Uebersiedlung eines Familienstaats in ein anderes Land, der K a s t e n s t a a t in I n d i e n , A e g y p t e n , C h a l d ä a etc. entstanden; 3) durch Krieg und durch Verbindung -eines kriegerischen Familienstaats mit dem Kastenstaat hat sich d e r H e e r s t a a t d e s M e d i s c h - P e r s i s c h e n W e l t r e i c h s gebildet; durch Verbindung und Vermischung eines Heerstaats mit Familienstaaten, mit Kastenstaaten und mit anderen Heerstaaten d i e a b e n d l ä n d i s c h e n N a t u r s t a a t e n in H e l l a s u n d I t a l i e n . Es gibt auch noch Vor- und Zwischenstufen dieser drei Hauptgestalten des Naturstaais, die wir hier jedoch nur im Vorbeigehen erwähnen können, wo sie eintreten.
40
IL Abseht. I.
Weltrechtsgeschichte.
I. Hptst.
Nalurslaaten.
D e r F a m i l i e n s t a a t in C h i n a .
71. Das Chinesische V o l k ist nach einer sehr alten und ganz wahrscheinlichen Nachricht bald nach der grossen Flulh (2300 a. Chr. n.) von den Wild- und Weidereichen Bergen in das grosse fruchtbare Blachfeld (Houan 34° 43' N. B. und 130° 15' O.L.) hinabgezogen, welches von zwei Riesenströmen (Hoangho und Kiang: der gelbe und der blaue) umflossen und jetzt (seit Konfutsee 500 a. Chr.) von 15 Landschaften umgeben ist, welche Europäischen Königreichen vergleichbar sind. 72. Die N a t u r d e s L a n d e s ist ebenso sehr geeignet, eine schnelle Entwicklung hervorzurufen, als sie auf einer bestimmten Stufe festzuhalten: Im Norden, Süden, Westen ist es von hohen, fast unübersteiglichen Gebirgen, im Osten vom Weltmeer umgeben, welches hier nirgends von der Küste ab, sondern immer wieder zu ihr zurückfuhrt. Die einzige Seite, woher wilde Reiter- und Räuberhorden eindringen mochten, ward früh (c. 300 a. Chr. n.) durch die ungeheure Chinesische Mauer geschlossen. 73. So konnte das Chinesische Volk, geschützt gegen fremde und fremdartige Einflüsse, sich ungestört zu seiner höchsten Blüthe und Bildung entwickeln und entfalten, und seine Freiheit: Verfassung und Recht.bis auf unsere Tage bewahren; denn die Eroberung des Landes durch die Mongolischen Horden im 13. Jahrhundert und durch die MandschuTatarn im 17. Jahrhundert, halte zwar den Wechsel der herrschenden Familie zur Folge, aber keine wesentliche Veränderung, weil die Eroberer ganz in Recht und Sitte der Unterworfenen eingegangen sind. Sie konnten und mussten darin eingehen, weil sie hier im Familienstaat ausgesprochen und ausgebildet vorfanden, was ihnen selbst im dunkeln Gefühl als nothwendig vorgeschwebt, was sie selbst durch ihre Niederlassung werden mussten. *) K. Ritter, Erdkunde IV. TbL 2. Buch; Asien. 3. Band. §. 81. Anna. 1 und 2.
I. Der Familienstaat
in China.
41
74. Die V e r f a s s u n g des Reiches ist die F a m i l i e n O r d n u m g , s e i n R e c h t die natürliche F a m i l i e n s i t t e und K i n d e s i l i a b e (Pietät): aber als rechtliche Ergebenheit. Es nennt sitch auch das Reich der hundert Familien. (Daraus soll das ganzze Volk bestehen und nur 100 Namen seyn.) D e r K a i s e r ist Selbst- und Alleinherrscher, Wie der Herr und Vatter im Hause und wird auch All- und Altvater oder Grossvatter genannt, seine Statthalter, Beamten von ihren Untergebenien Väter. Er übertrifft aber auch — nicht nur nach der Meinung, sondern nach dem Gesetze und gewöhnlich auch in der Wirklickheit ¡alle seine Unterthanen ebensoweit an Weisheit, Tugend und Geschicklichkeit wie der Vater seine Kinder. Indess hat er zu se;iner Unterstützung in allgemeinen Reichsangelegenheiheiten seinen h o h e n R a t h , der aus den Präsidenten der fünf höchsten Behörden und den Prinzen seines Hauses besteht. Für die einzelnen V e r w a l l u n g s z w e i g e : Finanzen, Krieg, Justiz, Piolizet, Ceremoniecn, Auswärtige Angelegenheiten und zur Aufsicht der Beamten und Gnadensachen, sind eigene Collégien amgeordnet : Hapu, Pingpu, Hingpu, Kongpu, Lipu Lejpu. Um dem Kaiser die höchste Macht und Gewalt und seinen Gesetzen und Geboten die buchstäblichste Ausführung zu sichern, sind die Beamten des Reichs und der Provinzen nicht nur einander strenge untergeordnet, sondern auch aufs sorgfältigste beaufsichtigt. Jeder Beamte hat sowohl über sich selbst und seine Mitbeamten, als über seine Untergebenen regelmässig an den Kaiser zu berichten, und ausserdem M i t dieser noch viele heimliche Späher und Aufseher. Die B e a m t e n „ Q u o a n g " s. g. Mandarinen sind vor ihrer Anstellung aufs strengste geprüft und nach ihren bewiesenen Kenntnissen in 10, nach anderer Zählung 14, Rangklassen geordnet. 75. Einen andern, 'als diesen geistigen — Beamten oder Verdienst-A.del gibt es im Chinesischen Volke nicht. Denn die erblichen Vorzüge, welche die zahlreichen Mitglieder der kaiserlichen Familie und die Nachkommen des Weisen Konf u - t s e c (Coinfucius) geniessen, sind unbedeutend und beziehen
42
II. Abschn. Weltrechttgetchichie.
I. Bptst.
Naiurttaalen.
sich namentlich nicht auf Staatsäroter. Auch der Slammesuntcrschied der Mandschu-Tatarn und der eingebornen Chinesen und, dass jene meistens Krieger sind, begründet keine andere Verschiedenheit, als dass die Chinesen mit einem Stocke, die Tatarn mit einer Peitsche (Kantschu) gezüchtigt werden. Dio Kriegsbefehlshaber stehen den Staatsbeamten gleichen Rangs im Ansehn nach. 76. Obgleich das Chinesische Volk in (iOO) Familien zerfällt, welche sich jährlich wenigstens einmal zur Feier der Ahnen versammeln, so ist doch zum Zweck der Regierung das L a n d eingetheilt, dessen kleinster Bezirk aber wieder dem F a m i l i e n h a u p t untergeben. Der F a m i l i e n v a t e r ist allen seinen Kindern von Staatswegen zum Herrn und Gebieter gesetzt, aber auch für alle verantwortlich; insbesondere auch für die ordentliche Bearbeitung des Ackerlandes etc. von dessen Ertrag dem Kaiser etwa ein Zehntel als Steuer zu entrichten ist. 77. Sonst hat jeder Chinese sicheres und freies E i g e n t h u m an seinem Grund und Boden und behält es, wenn er denselben verpfändet, obgleich der Gläubiger die Steuerzahlung übernehmen muss. Auch der Tatar darf sein Landl e h e n verpfänden. Ueber sein bewegliches Vermögen kann der Hausherr frei verfügen, darf aber seine Kinder nicht enterben. Eine strenge P o l i z e i sorgt für die Sicherheit, besonders der Städte. Doch sind auch hier die Diebe schlauer. . 78. D a s C h i n e s i s c h e R e c h t erscheint in dem „Kaiserlichen Gesetzbuch Ta-Tsing-Leu Lee" *) überhaupt als Strafrecht oder eigentlich als väterliches Zuchtrecht. Denn alle Vergehen, mit Ausnahme der Verbrechen gegen die Familienhäupter und die Staats-Väter und einiger anderen, welche erst Kaung-Hi (1679) der allgemeinen S i c h e r h e i t wegen durch seine Li zu Halssachen erhoben, werden mit einer genau bestimmten Anzahl Prügel (mit Bambus oder Kantschu) geahndet *) Aus dem Chinesischen ins Englische von S t a u o t o n , Französische von S t . C r o i x übersetzt.
ins
I.
Der Familienstaat
in
China.
43
und hal sih der Gezüchtigte kniefällig für die Mühe zu bedanken, welche sich der Vorgesetzte um seine Erziehung — Besserung gegeben. Reiche und Vornehme m ü s s e n die geringen Prügel - Strafen mit Geldsummen abkaufen, welche mit dem Bange s t e i g e n . Arme erhatten die Schläge nicht in d e r ganzen gesetzlichen Anzahl; sondern statt 2 0 nur 5, statt 30 nur 10, statt 40 nur 15 u. s f. Die untenstehende Tabelle*) giebt eine Uebersicht der Strafen für die gewöhnlichen Verbrechen g(gcn das Eigenthum und der mit Reichlhum und Rang steigoiden Strafsummen.
II. Abschn. Weltrechtsgetchichte. I. Hptst. Naturstaaten. S t r a f e n für V e r b r e c h e n g e g e n d a s E i g e n t h u m , CA
0*«_i o» e? Betrügeo er aP rei. e s 10
er
£
Bestechung! für Er- Unerlaub- laubtes. tes.
« 5 ; Verun» o* K o> treuung W i r k liche s> a. von oo E Staats- Schläge. B f*B> gut. a StockDicke lj' - 1 '
20—
1 Unze S ilber = 2 i T hlr. p. Crt,
30-
1 -
5
10
10
40-
— 20
15
50-
— 30
20
60—
—
70
— 50
80-
—
60
II -
20
1—
90
—
70
21 -
30
6-10
-
80
31 — 40
11 -
— 100
100
60+1
StockDicke 2'-14'
40 I od. minder 1-
10 1 od. minder
a
20
25
—
1
30
—
2,5
35
15
—
5,0
40
41 — 50
1 6 — 20
—
7,5
20
5
70+14
— 200
5 1 - 60
2 1 — 25
— 10,0
25
80+2
— 300
6 1 - 70
2 6 - 30
— 12,5
30
90+24
— 400
71 -
80
3 1 — 35
— 15/0
35
— 500
8 1 - 90
3 6 — 40
— 17,5
40
2000
91 - 1 0 0
41 -
— 20,0
40
2500
101 - H O
46 — 50
— 25
40
3000
111 - 1 2 0
5 1 — 55
— 30
40
100+3
u.so fort 100 auf
45
ewig
Strang
121 -
80
85
120 b. U n terbeamte Enthauptung.
-
80
45
I. Der Familienstaat in China. Abkaufs summe. Rangklassen. OD Gelehrte | o»
A e n n e r e Wohlhab
Beamte Beamte ' privatim. im Amt.
8—7
6-5
4
3 - 1
1 Gehalt.
1
0,45
0,50
0,75
0/60
0,75
1,00
2
-
0,75
1,00
>,24
6
-
0,90
1,24
3,00
9
1,20
3,00
3,50
12
1,35
3,50
4,00
1. Rang-
1,50
4,00
4,50
2.
1,65
4,50
5,00
3.
-
1,80
5,00
Absez-
4.
-
3,60
7,50
I 1 Mona
: stufe. -
zung. 5,40
10,0
7,20
12,5
i
15,0
9,00
17,5
10,8 4 Jahr.
I
—
14,4
20,0
5 Jahr.
—
25,0
18,0 1 1 1 fl
720 1200
1 1200
)
1
)
!
i i
1200
1500
2400
3000
2000
2500
4000
5000 12,000
1
7200
46
II. Abtchn.
Weltrechtsgeschicht«.
I. Hptst.
Naturstaaten.
79. In der F a m i l i e ist die Gewalt des Hausherrn schier unbeschränkt; denn während kein Staatsbeamter an dem ärmsten Verbrecher ohne ausdrückliche Bestätigung des Kaisers ein Todes- oder ein Verbannungsurtheil vollziehen darf; kann der Vater seinen Sohn, o h n e Angabe eines Grundes, zu Tode prügeln lassen, es genügt dem Gericht, dass d e r Vater unzufrieden ist. Nächst dem Hausvater hat seine H a u p t f r a u das höchste Ansehen. Auch die Kinder der übrigen K e b s - W e i ber haben sie vor der eigenen Mutter zu ehren. Die übrigen höhern Verwandten Oheime, werden nach dem Verhältniss zu dem Vater geschätzt, feierlich begrüsst etc., namentlich auch durch lange und tiefe Trauer g e e h r t , welche beim Tode des Vaters und der Mutter drei Jahre dauert und selbst die Staatsgeschäfte der höchsten Beamten ruhen lässt. Der älteste Bruder, welcher, wenn die Geschwister beim Tode des Vaters zusammenbleiben, an die Spitze der Familie tritt, hat als Hausherr fast dieselben Rechte, w i e d e r Vater; obgleich das Erbe und der Erwerb Allen gemein ist, und auch eine Erbtheilung stattfinden k a n n , in Folge deren denn Jeder für sich erwirbt und besitzt.*) Der Mangel an Ehrerbietung u n d die Beleidigung gegen höhere Verwandten wird aufs strengste bestraft u n d , wenn Hausväter oder Mütter von den Ihrigen ermordet w e r d e n , geräth das ganze Reich in Schrecken und Entsetzen. Der Mörder wird gliedweis zerstückelt (Strafe der Messer), sein Haus zerstört, alle seine Kinder und Weiber hingerichtet, die Obrigkeiten vom Districtsvorsteher bis zum Statthalter zur Rechenschaft gezogen und bestraft, weil sie solch unnatürliches Verbrechen nicht verhindert, das Ungeheuer nicht vorher erkannt und unschädlich gemacht haben 80. Diese grosse Achtung vor den sittlichen und häuslichen Liebesbanden und die aufmerksame P o l i z e i , welche die Ordnung, Sicherheit und Sitten in dem ungeheuren Reiche überwacht, haben den Chinesen von jeher viele Bewunderer *) Ueber das Erbrecht s. G a n s Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwickelung. Berlin 1824, Bd. I. 2. Capitel, Seite 98.
Der Chinesische Glaube. gewonnen. uns
das
Man
wusste
Wichtigste
und b e a c h t e t e
ist,
dass
das
47
a b e r nicht, w a s
ganze
Reich
und
für
Recht
wesentlich in und auf d e r sittlichen Willensthätigkeit d e s Kais e r s b e r u h t ; d a s s nicht nur, wie uns erzählt w i r d ,
das ganze
R e i c h in Unordnung g e r ä t h , w e n n d e r K a i s e r e i n e k u r z e Zeit in
der
kein
strengsten
Aufsicht und R e g i e r u n g
B e a m t e r und kein
nicht — durch
die
Chinese
seine
wohlbegründete
nachlässt,
Pflicht thut,
indem
wenn
F u r c h t vor d e r
er
gesetzli-
c h e n S t r a f e dazu gezwungen wird, * ) s o n d e r n : die Sitten und G e b r ä u c h e , worin d a s g e s a m m t e , auch d a s gesellige L e b e n d e r Chinesen — e r s t a r r t
ist, und d a s R e c h t , w e l c h e s
dies
Reich
und die Familien zusammenhält und trägt, ist nur darum und nur insofern R e c h t und G e s e t z für die Chinesen, weil d e r Kais e r e s will und g e b i e t e t . — Unterthanen
der
E r selbst a b e r , und Willkür; alles nur
letzte
der'Kaiser,
er
nach
Des
Grund
Sitte
wider
gebieten
und
weil e r wohl fühlt,
gut
ist,
nothwendig
aller
dass
er
sio
Rechte.
nach L a u n e
die S i t t e , —
dio Sitte zum G e s e t z , und
Wille ist für s e i n e
will und thut nichts
mag n i c h t s der
Kaisers
d e s R e c h t s und
halten.
sondern
Er
erhebt
dass sie r e c h t heilig
und
—
aufrecht
haiton soll und m u s s ! Der 81. Stufe, völker,
Die
Chinesische
Chinesen
stehen
Glaube.
grösstenteils
auf
wie die nomadischen und die nnangesiedelten denn
sie
fürchten
sich
vor dem
derselben Zauber-
Einlluss d e s
bösen
Willens ihrer F e i n d e als Willens, v o r d e r Einwirkung d e r s c h a r fen E c k e d e s N a c h b a r h a u s e s auf ihre W a n d und b e s o n d e r s vor den b ö s e n Geistern o d e r Gespenstern.
A b e r die L i e b e d e r v e r s t o r b e -
nen Eltern und Voreltern hat eine b e s t i m m t e Gestalt g e w o n n e n
*) Von der Sittlichkeit oder vielmehr Unsittlichkeit der Chinesen zeugt ausser den bekannten Betrügereien, Unterschleifen und andern ThatsacheD das Sprüchwort Nicht der Kaufmann betrügt den Käufer mit schlechter—anderer Waare oder Zahlung, sondern er sich selbst.
48
II. Abschn.
Weltrechtsgeschichte.
I. Hptst.
Naturstaaten.
im A h n e n d i e n s t , wozu sich die Familien jährlich in ihren Ahnensälen versammeln, und die höchste Zaubermacht ist auf den Kaiser übergegangen. „Er — der Grund und Erhalter der sittlichen Welt- und Lebensordnung — ist das Herz und der Beweger der ganzen natürlichen Welt." Sonne, Mond und Sterne bewegen sich und leuchten nach seinem Gesetz und Gebot, Regen, Wind und Donnerwetter gehorchen seinen Befehlen. Diesem allen und auch den Strömen, dem Meer, der Pest und der Hungersnoth etc. hat er die Dschin, die Seelen von Menschen, welche in ihrem Leben die rechte Sitte und Mitte nicht gehalten haben, als Vorsteher und Leiter gesetzt und ihnen seinen Willen in einem eigenen Gesetzbuche (dem Kalender) vorgeschrieben, dessen Uebertretung ihre Absetzung und andere Strafen nach sich zieht; während solche — unvorhergesehene Naturerscheinungen, wie a u s s e r ordentliche Dürre oder Nässe und daraus folgender Misswachs, Hungersnoth und Pest ein Zeichen ist, dass Kaiser und Reich sich nicht wohlverhalten haben, und daher Busse und Reue bewirkt.*) 82. Der K a i s e r ist daher auch für alle**) seine Unterthanen das h ö c h s t e W e s e n . Sie dürfen bei hoher Strafe seinen Eigennamen nicht aussprechen oder schreiben. Der Kaiser selbst aber erkennt für sich, den Selbstherrscher und Regierer der Well, doch ebenso eine höchste Macht über sich — den H i m m e l (Tiän) verehrt er kindlich als d i e M a c h t d e s M a a s s c s oder Gesetzes in Gebet und Gebot.***) Der Himmel, ist nichts, als diese leere Abstraclion die *) Vergleiche die Nordischen Geschichtcn von Königen, die w e gen Misswachs etc. von ihren Unterthanen erschlagen worden und die Sitte Afrikanischer Völker ihre Könige nicht natürlich sterben, also von der Natur tödten zu lassen, sondern sie todt zu schlagen, damit nicht mit dem Könige die Welt untergehe. Als Zwischenstufe die Afrikanischen Aschanti, deren König unter seinen Ministern auch Wind-, Regen-, Gewitlermacher hat und die Thybetanischen Lama. **) Jetzt giebt es aber auch viele Bflddhisten in China. ***) Er allein betet zum Himmel! und er gebietet, was — Sitte ist vgl. vor. §.
Der Chinesische Glaube.
49
¿vvctfus vofiov oder ¿vvctfitt vopog die Möglichkeit des Gesetzes, welcher die Thätigkeit evsqyeia des Kaisers erst Wirklichkeit und Wahrheit gibt.*) Dieser heisst daher auch der Himmelssohn (Tiän-tzö). Obwohl es allen Unterthanen des Kaisers aufs strengste verboten ist, dem Himmel zu opfern, so hat sich doch das Nachdenken auch des Himmels oder doch des Maasses bemächtigt und seine Ergebnisse allein verdienen den Namen der — C h i n e s i s c h e n W i s s e n s c h a f t . 83. Die Ho-tu, Strichlein, welche Fohi vom Rücken des Drachenpferdes abgeschrieben und erklärt im Y-King — enthalten ganz abstracte Verstandesbestimmungen, und die Weisheit des grossen K o n - f u - t s e besteht wesentlich in einer einfachen Haustafel oder Familien-Moral. 84. Aber L a o - T s ö , bei dem sich Konfucius selbst Raths erholt haben soll, hat wirklich philosophirt, vernünftig über das Vernünftige — das Recht nachgedacht und daher Vernünftiges gefunden. Sein Werk heisst T a o - k i n g , * * ) seine Jünger T a o - t s e , welche sich dem T a o - t a o gewidmet: 1 ) Ohne Namen ist Tao das Princip des Himmels und der Erde, mit Namen die Mutter des Weltalls. 2) Tao hat das Ein, das Ein hat die Z w e i , die Zwei haben die Drei hervorgebracht und die Drei die ganze Welt. 3 ) Das Höchste, das Ursprüngliche und das Letzte, und das Erste, der Ursprung aller Dinge ist das Nichts: d. h. natürlich nicht: g a r n i c h t s : sondern das gedachte Nichts oder das reine — gedachte Sein (nicht: Seycndes als Dascyendes, oder Etwas) welches dem reinen, — Nichts
*) Der Inhalt oder vielmehr die Leerheit des Himmelsgedankens erhellt aus den Worten des weisen Erklärers des Konfulse des D s c h u h i : „Es w ä r e unziemlich zu sagen, dass es im Himmel Jemand gebe, der da bestrafe und belohne, aber eben so unziemlich zu behaupt e n , dass Nichts vorhanden s e i , was die höchste Bestimmung über die W e s e n hst." **) King ist Buch, Tao nach A b e l - R e m u s a t etwa loyo(, aber es heisst auch Maass und m e s s e n ; T a o - t a o , also Maass oder Messer des Masses, Gesetzes, das Denken des Gesetzes und z w a r gesetzliches Denken Gesetzes oder Denkens.
4
50
II. Abschn.
Weltrechtsgeschichte.
I. Hplst.
Xaturslaaten.
bestimmtes denkenden — Denken — Tao — gleich ist. Dies ist freilich nur der Anfang d e r Philosophie (Hegel Encyclopädie §. 86, 8 7 , 88). „Sie steht noch auf der ersten Stufe*) — wie Staat und Recht in China. 85. Die S p r a c h e der Chinesen steht auch nicht höherSie besteht aus lauter einsilbigen Wörtern, welche ohne Biegung neben einandergestellt bald Haupt-, bald Bei-, bald Zeitworts-Stelle einnehmen. Dasselbe Wort kann ausserdem 4 — 8erlei Bedeutung haben, welche ihm durch laute, und leise schnarrende oder lispelnde etc Aussprache gegeben wird In der Schriftsprache, welche in 80,000 Zeichen mit 52 Schlüsseln besieht, ist es ebenso: ein Zeichen kann sechserlei Sinne haben. Daher sind die alten Bücher so schwer zu lesen und zu verstehen. Die neuen Staatsschriften sollen jedes Wort in doppelten Zeichen ausdrücken. Hieraus erklärt es sich, dass wer auch nur einige tausend Zeichen lesen und schreiben kann, für einen Gelehrten gilt. 86. Die Chinesische G e s c h i c h t s c h r e i b u n g ist einfache — chronikenartige — Erzählung des Geschehenen. Die D i c h t k u n s t , welche ihre Feinheiten haben soll, hält sich in dem engen Kreise der kindlichen und Geschlechts - Liebe und Intriguc. Ihre S t e r n k u n d e ist kümmerlich und — von den Griechen zu ihnen verirrt. 87. Nur im G e w e r b l i c h e n , was sich im Lauf der Zeit, gleichsam von selbst vervollkommnet, besitzen sie grosse Geschicklichkeiten. D i e K u n s t dagegen steht, wie die Wissenschaft auf der Stufe der Kindheit. Malerei ohne Licht und Schatten. II. D e r K a s t e n s t a a t in I n d i e n (Chaliläa und Aegypten). 88. Die L ä n d e r , wo sich der Kastenslaat findet, sind sämmtlich von regelmässig übertretenden, das umliegende Land überschwemmenden und mit fruchtbarem Schlamm bedecken*) Hegel Gesch. der Philos. 1. S. 144.
II.
Der
Kastenstaat.
51
den Strömen durchflössen. Seine volle Entwickclung und weltgeschichtliche Bedeutung scheint er aber nur in Aegypten und Indien erlangt zu haben. 89. A e g y p t e n steht China am nächsten, nicht nur in der rohen Kunst und Wissenschaft und in der Zeichenschrift: Hieroglyphen, sondern auch durch das — freilich verdunkelte Gedächtniss uralter Zeiten. Die lange Reihe d e r Dynastien scheint zum grossen Theile noch dem Familienstaate angehört zu hab e n ; a b e r es lässt sich schwerlich jemals ermitteln, mit welchem Königshause oder Stairme der Kastenstaat begonnen hat. Nur so viel scheint ausser Zweifel, dass das in geschichtlicher Zeit herrschende Volk aus einem andern schon wohlcultivirten Lande eingewandert ist. Auch die C h a l d ä i s c h e n Sagen deuten darauf hin, dass die Bildung von auswärts ins Land gekommen und bei dem I n d i s c h e n Kastenstaate bleibt kaum ein Zweifel, dass das edle Volk von den Bergen in das Gangesthal hinabgestiegen und sich dort erst in Kasten gegliedert und verfestigt hat. Denn in dem Tempel von Jagarnath in Orissa, welcher freilich schon einem höhern Glauben angehört, als der chinesische ist, beten die Mitglieder aller sonst so streng geschiedenen Kasten mit und neben einander. Die Indische Sprache ist von allen — alten und neuen — vielleicht die schönste, in ihren Formen vollkommenste und reichste, und wobl geeignet zum Ausdruck der höchsten und tiefsten Gedanken, — sie selbst schon der lebendige Ausdruck eines edeln, reichgebildeten Geistes, der sich denn auch in den grossen Helden- und Lehrgedichten der Inder ausspricht Daher und weil uns die eigenen Schriftwerke der Inder ü b e r ihre Sittenund Sinnesart, über ihre Lebens- und Denkweise die beste Auskunft geben, soll diese zweite Stufe des Naturstaates hier an dem I n d i s c h e n K a s t e n s t a a t dargestellt werden. 90. Die Hauptquelle, woraus wir die Kenntniss des Indischen Rechts schöpfen, ist die Manawa Dharmafastra d. b. Manu's Gesetzbuch.*) *) Trefflich übersetzt von William Jones, ins Deutshe von Hüttner, der die Glosseme auch mit gesperrten Leitern drucken lassen.
4 *
52
II.Abschn.
Weltrechtsgeschichte..
I. Bptst.
Naturstaaten.
In diesem Gesetzbuche ist allerdings manches so wunderlich phantastische Zeug enthalten, dass man schon daraus schliessen muss, dass es nicht unmittelbar aus dem lebendigen Rechte geschöpft, sondern von frommen Gelehrten so gefasst worden ist, wie es nach ihrer Meinung seyn — sollte und — in der guten alten Zeit — gewesen seyn musste. Gleichwohl ist es für unsere Zwecke ganz brauchbar, weil es in der Hauptsache, in allem Wesentlichen nicht so erdacht seyn kann, sondern wirkliches Recht wiederzugeben scheint, zumal die andern Nachrichten mit der Dharmafastra darin übereinstimmen. 91. Die alle i n d i s c h e V e r f a s s u n g lässt das ganze Volk in v i e r erbliche Berufsslände oder K a s t e n zerfallen, welche schier wie verschiedene Arten von Menschen gegen und neben einander stehen. 4 . Der denkende Stand der B r a h m a n e n , Gelehrte. Priester und Staatsbeamte; 2. Der Kriegerstand der K s c h a t r y a , Schützer, welchem der König durch Geburt angehören muss; 3. Der Handels- und Gewerbsstand der V a i s j a , welcher Landwirthe, Kaulleute, Schiffer und die andern Geschäftsleute umfasst, welche „schnellgeistig sind, Geld und Gut — Reichthum zu erwerben" und Steuer zahlen. 4. Der Diener-Stand d e r S u d r a ; Bediente, Ackcrknechte und Handwerker aller Art, also das arme und gemeine Volk. Von ihnen sind gänzlich verschieden und geschieden die P a r i a , eine verworfene und verachtete Art von Menschen, dio sich von gefallenem Vieh und dergl. nähren und wahrscheinlich Ueberbleibsel der allen Ureinwohner des Landes sind. Ein Uebergang von einer Kaste zur andern ist nicht möglich; sondern ihre Vermischung ist verboten und stralbar. Die daraus erzeugten Kinder sollten ursprünglich, wie diejenigen, welche das Kastenrecht verwirkt haben, als Schandala unter die Parias Verstössen werden. Indess ist dieses Gesetz nicht streng gehalten worden und schon früh dahin gemildert, dass jeder nur seine erste oder Hauptfrau aus seiner Kaste wäh-
II.
Der
Kastenslaat.
53
len soll. Aus dieser Vermischung erklären sich die spätem Hindus (Code of Gentoo-law: Vorrede) die Entstehung der neuern 35 oder 3 6 Kasten. 9 2 . Der K ö n i g , welcher, wie oben bemerkt, von Geburt ein Krieger oder Kriegerfürst — (Patikschatrija) sein muss (Manu IV. 82) hat die höchste G e r i c h t s b a r k e i t und R e g i e r u n g des ganzen Volkes. Er soll sich aber zu seiner Berathung und Unterstützung aus den B r a h m a n e i l acht Minister wählen, und über jede, über j e zehn, j e hundert und j e tau • send Städte Vorsteher setzen, die er nach ihrem Amte mit den Einkünften eines Dorfs, einer Stadt etc. besoldet und durch heimliche Kundschafter beaufsichtigt. 93. Die K ö n i g l i c h e n E i n k ü n f t e bestehen zumeist in Grundsteuern, welche die drei untern Klassen mit 1/4, '/& — V i 6 des Ertrags ihm zu entrichten haben.*) Von den Brahnianen soll er keine Abgaben erheben, sondern sie vielmehr auch durch Geschenke ehren. Dann werden auch von den Handelswaaren geringe Zölle etc. erhoben. 9 4 . Daraus wird auch das K r i e g s h e e r erhalten, welches in der aus dem Schachspiel bekannten Ordnung aufgestellt und zum Schutz des Landes und des Königs fechten soll. 95. Den Guten soll der König ihren gerechten Lohn, den Bösen gerechte Strafe bereiten und besonders im G e r i c h t nach der strengsten Gerechtigkeit urtheilen. 9 6 . Er hat überhaupt die G e s e t z e a u f r e c h t z u e r h a l t e n und zu vollziehen. Verändern darf er sie ebensowenig wie vernachlässigen. Wo aber kein Gesetz vorhanden ist s o l l e r die S i t t e und das H e r k o m m e n der Landschaft und des Standes zur Richtschnur nehmen und sogar die Rechte
•) Man hat geglaubt daraus schliessen zu dürfen, dass der König Eigenthümer alles Grundes und Bodens g e w e s e n und deswegen Herr des Landes genannt worden s e i , aber der gelehrte Jaimi sagt ganz richtig, ,.dass damit nur sein Recht zu strafen und zu belohnen b e zeichnet werden solle," wie bei uns.
54
II. Abschn.
Weltrechtsgeschichte.
I. Hptst.
Nalurstaalen.
und G e b r ä u c h e d e r einzelnen Familien anerkennen und gellen lassen. 9 7 . I n d e r F a m i l i e soll auch nicht Willkür herrschen, sondern d a s Gesetz: die Ehe soll nur zwischen nichtblutsverwandten Kastengenossen u n d nicht aus Liebe geschlossen w e r den. „Aus solcher freigewollten Ehe (Gandharva und Asura) w ü r d e n n u r schlechtgeistige Kinder: G r a u s a m e , Lügner entspriessen können." D e r Hausvater besitzt z w a r g r o s s e Macht und Gewalt ü b e r Weiber und Kinder, wie ü b e r das Gesinde, a b e r sein Nachlass fallt an seine rechten, natürlichen und gesetzlich bestimmten E r b e n , an seine nächsten Verwandten, zunächst an seine Kinder. Und e r e r b t e s Gut darf Niemand ohne Zustimmung seiner S ö h n e veräussern. 98. Diese strenge O r d n u n g d e s gemeinsamen Lebens im Rechte, welche sich ohne Zweifel natürlich — etwa in d e r oben (68.) angedeuteten Art entwickelt und durch Jahrhundertlange ungestörte Beobachtung so sehr befestigt und verhärtet hat, erhält für die Kastenvölker dadurch eine noch g r ö s s e r e Heiligkeit, d a s s sie Staat und Kasten wie die Welt als göttliche S c h ö p f u n g , das ganze Recht als göttliche Offenbarung ansehen. „Die Welt ist nach d e m heiligen Urveda geschaffen." Der Glaube der Kastenvölker, — 99. dass die e w i g e , unsichtbare Gottheit den Staat und das Recht wie die Welt und ihre Ordnung geschaffen, scheint das h ö h e r e Gottesbewusstseyn vorauszusetzen. In d e r That a b e r ist dieses aus dem Rechte und Rechtsgefühl entsprungen und z w a r mit N o t w e n d i g k e i t ! Wie nämlich alle natürlichsittliche Menschen, d. h. alle, welche das Rechte zu fühlen und zu thun pflegen, ohne seinen Ursprung und seine Geschichte zu k e n n e n , nicht umhin k ö n n e n , i h r Recht, weil es für s i e nothwendig — i h r e n Verhältnissen und i h r e r Vernunft d u r c h a u s angemessen und entsprechend ist — für s c h l e c h t h i n nothwendig, f ü r das a l l e i n rechte und w a h r e Recht u n d w e g e n seiner Unabänder-
Der Glaube der Kastenvölker.
55
liebkeit durch menschlichen Willen - der sich ihm vielmehr unterordnen und fügen soll — für s c h l e c h t h i n u n v e r ä n d e r l i c h , und somit für e w i g zu halten, so mussten die Inder und anderen Kastenvölker, sobald sie — wenn auch in dunkler, gefuhlsmässiger Weise über den Ursprung des Staats und Rechts nachzudenken begannen, dafür einen anderen höheren — als den menschlichen — Willen suchen, weil alle Menschen, auch der König, d e r sogar nicht einmal der ersten Kaste angehört, "sondern geringer an Werth ist, als der geringste Brahm a n , dem Rechtsgesetz und Gebote unterthan und gehorsam sind. Diese höchste, allbestimmende, unwiderstehliche Macht und Gewalt, welche das Rechtsgesetz und Pflichtgebot (Dharma) über Alle und Jeden ü b t , führt sie mit Nothwendigkeit auf den Gedanken, (der zunächst nur Gefühl, unmittelbares ße« wusstseyn ist), dass dies Gesetz und Gebot von einem allmächtigen, allgewaltigen Wesen gedacht, gewollt und gesetzt seyn müsse, wie sie selbst ihre Beschlüsse denken, wollen und gebieten. Sie müssen dieses Wesen für das höchste halten, weil sein Wille der höchste ist, und für allgewaltig und allthutig, weil derselbe immer und überall herrscht und verwirklicht ist und wird. 100. Der Gedanke d e r Gottheit ist also noch sehr abstrakt allgemein, nur höchstes Wesen, mit gesetzlichem Denken, S e y n , Wollen und Thun oder a l l t h ä t i g e s G e s e t z . Daher erklärt sich einer Seils die unbestimmte, inhaltslose Bezeichnung derselben in den heiligen Büchern und Gebeten der Inder: das E s - T a d und O m * ) , Sat das Wesen, Brahma das Grosse, Avijaka das Unsichtbare, doch auch: Nuvilkalpa das Unerschaf*) Dies sin (f «iQlrfüai. Plut. Arist. 22. **) Plut. Perikl. 7, in fine: aus der Komödie.
90
ll.Absch.
Weltrechtsgeschichte.
II.Hptst.
Freistaaten.
Freund als Feind erwürgt, und, als ihm bei seiner Verurteilung der siegreichen Feldherren bei den Arginusen vorgehalten ward, nicht ihm, sondern der Heliäa gebühre das Urtheil, schrie es wüthend auf: „Das sey ja ungeheuer, das Volk nicht tbun zu lassen, was ihm beliebe", und erklärte damit auch ausdrücklich seine Willkür zum höchsten und einzigen Gesetz und Recht. Um deswillen ward die unrechte Willkür — zwar nicht recht — aber es war doch sein Recht, denn es hatte die höchste Gewalt — wie sein Gesetz, und — sie widerfuhr ihm. Auf den Hermokiden-Prozess folgte die Herrschaft der Vierhundert, die ohne Volksversammlung regierten und auf die unrechtliche und ungerechte Verurtheilung der Arginusischen Sieger die Zwingherrschaft der Dreissig unter Sparta's Schutz und Oberhoheit. Zwar ward die Stadt bald wieder frei und die alte (solonische?) Verfassung durch neue Gesetze unter Archon Euklides wiederhergestellt und befestigt, aber die alte Kraft und Herrlichkeit war mit der alten Bürgertugend und Sittlichkeit für immer v e r s c h w u n d e n . C.
Uebrige Hellenische
Staaten.
160. Gleiches Geschick halten nicht nur die kleineren Hellenischen Freistaaten, welche erst Bundesgenossen der Alhenäer, dann zinspflichtig und endlich ihre Unterthanen geworden, weil sie statt der Krieger und Schiffe lieber Geld als Beisteuer gegeben um sich dem reichlohnenden Gewerbe und Handelsverkehr und dem fröhlichen Lebensgenüsse gänzlich zu ergeben. Sie gelangten aber nicht sowohl durch diese enge Verbindung mit Athen als auch und vornehmlich durch eigne innere Entwicklung zu demselben Ziele, und, wenn sie durch die Alhenäische und die eigne Willkür noch nicht ganz entsinnlicht waren, so ging die letzte Spur edler Freiheit und Selbstständigkeit im Peloponesischen Kriege und unter der Spartischen Herrschall zu Grunde. I C i . Denn die Spartiatischen Feldherren und Gewalt-
C. Uebrige Hellenische Staaten.
D. Theben.
91
boten pflegten mit grober Rauhheit alles für den Staat zu fordern und ohne Scheu und Schaam für s i c h zu nehmen und zu vergeuden. Und s i e waren nicht die einzigen, welche gegen die strenge Spartiatensitte und Zucht sündigten, sondern auch die Heergesellen gaben sich dem üppigen Wohlleben hin, welches die Fülle des Reichthums und der Verfeinerung (Civilisation) der befreundeten und unterthänigen Inseln und Städte ihnen reichlich bot und bereitete. So verdarben Sparla's beste Krieger, der Kern des Volkes, die Gleichen an Leib und Seele. Denn nicht nur entnervt kehrten sie in die rauhe, harte Vaterstadt zurück, sondern auch voll inneren Grimms wider die übermässig strenge Kriegszucht und Lebensweise, der sie sich doch fügen und g e r n zu fügen s c h e i n e n mussten. Daraus entstand jener arge, widrige Heuchelschein, der der Sittlichkeit um so verderblicher ist, je mehr die lüderliche Gesinnung der zur Schau getragenen Tugend und Sittenstrenge widerspricht. Sparta bewahrte gleichwohl durch seine Verfassung und die Zucht der herben Ephoren nicht nur die alte Form und Gestalt altdorischcr Sitte und Tugend sondern auch die alte Ilcldenkraft und Tapferkeit und durch sie die Freiheit des Staates am längsten, — nicht auch seine Herrschaft und Obmacht. Jene hat es durch seine Willkür und Härte wie sein Ansehen durch den verrätherischen Frieden des Anlalkidas mit dem Persischen Grosskönig verwirkt. D.
T Ii e b e n.
162. Sparta's Obmacht aber ward durch die Tugend und Tapferkeit der Thebäer P e l o p i d e s und E p a m i n o n d a s in den Schlachten bei Leuktra und bei Mantinea gebrochen. Thebens Obmacht überlebte jedoch seine zwei Helden nicht lange und Athen trat wieder an die alte Oberstelle. Aber auch Athen konnte sich in seiner wiedergewonnenen Oberherrschaft nicht behaupten, sondern musste seinen unterthänigen Bundesgenossen auf Persischen Einspruch die Freiheit verstauen.
92
II.Abschn.
Weltrechtsgeschichte.
II.Hptst.
Freistaaten.
163. Sie genossen dieses Glückes nicht lange, wenn anders Willkürherrschaft des Haufens, der Reichen oder des Mächtigsten Glück oder Freiheit zu nennen ist. In ihrem Streit und Krieg um den Goltesraub und Frevel am delphischen lleiligthum kam die allgemeine sittliche Verderbniss zu Tage und zur Strafe: ihre Freiheit ward d e r grösseren Arglist und einichen Macht des Makedonen-Königs P h i l i p p u s zum Raube, der die endlich mühsam vereinten Hellenen in der Schlacht bei Chäronea besiegte und sich zu ihrem obersten Heerführer gegen die Perser aufwarf. Der Hellenische Krieg und Sieg ü b e r das Perserreich ward bekanntlich seinem Sohne A l e x a n d e r zu Theil. Gr bewies allerdings die höhere Macht und Würdigkeit der verständigen, selbstbewussten Hellenischen Geistesbildung über das naturwüchsige Weltreich und Recht des Morgenlands. Da a b e r die Herrschaft und Verbreitung derselben eine ganz neue eigenthümliche Entwicklung des Rechts und des Gottesbewusstseyns heraufluhrt, so ist nicht hier, sondern unten (252 ff.) davon zu reden. Vom G l a u b e n d e r f r e i e n
Hellenen.
164. Der alte Hellenische Glaube (&so, ßiinöv lärt dlxawv, xai oi% w; aXXo n yirot oy ßifotov Itn iov dixaiov. Tavtov aQa Jixaioy xai tmuxis, xai üfifoi» anovdalaiv oyiuiv xQiinoy TO lutiixii. IIonl di TJJP nnogiav, on TO inuixes dtxaiuy fitv (an, ov TO xatd vhpov di, all' tnaQvoqStofia rofitftov Jixaiov. A'nov «T on o ftiy vojuo( xa&' '¿Xov neis, mqi ivltov — vielleicht ist es nimmer gelungen.
III.Zetir.
l.Ep.
Deutsche Reichsgesetze
235
In das K i r c h e n r e c h t kam eine noch grössere Spaltung durch die Reformation Dr. M. Luthers, welcher das Corpus juris canonici bekanntlich verbrannte und — aus seiner Kirche verbannte. Sie hat ihr eigenes Evangelisches Kirchenrecht in sich selbst ausgebildet und für die Rechte der Evangelischen Kirche in Deutschland sind die Reichsabschiede und Friedeoschlüsse allgemeine Gesetze — Gemeines deutsches Recht. Nächstdem aber haben die Wahlcapitulationen, welche die Churfiirsten den Kaisern seit Carl V. vorlegten, für das S t a a t s r e c h t die grössle Redeutung. Erste Epoche: Von Errichtung des Reichskammergerichts bis auf den Westphälischen Frieden 1495 — 1648. 427. Der natürliche Gegensatz, welcher zwischen dem echtrömischen Rechte, wie es in den Justinianischen Gesetzbüchern enthalten ist, und dem deutschen Rechte stattfindet, trat gleich Anfangs in dem Verlangen des Reichskammergerichts nach neuen Gesetzen zur Abstellung der schlechten (Deutschen) Gewohnheiten und später besonders in den Gelehrten-Schulen und Schriften hervor. Allein, wenn auch Kaiser und Reich auf einzelne Anträge eingingen, und z. B. das Erbrecht erst der Enkel neben den Söhnen, dann der Geschwister Kinder neben den Geschwistern nach Römischen Rechten anerkannten, so geht doch die allgemeine Richtung unverkennbar auf die Verbindung und Vereinigung beider Rechte hin 428. Die P e i n l i c h e oder H a l s g e r i c h t s o r d n u n g , wcichc von einem Ungelehrtcn: Johann zu Schwarzenberg zunächst für das Bisthum Bamberg entworfen und von dem Reichstage nachgesehen und gebessert, von Carl V. als Halsgerichtsordnung des deutschen Reichs publicirt worden, enthält zwar viele selbstständige Gesetze, verweist aber die Schöffen in allen schwierigen Fällen an den Rath der Rechtsverständigen d. h. der Juristen, Doctoren, Universitätslehrer.
236 III. Abs. Das Gem. Deut. Recht.
/ . Hptst. Aeuss.
Getchichte.
Die Universitätsgelehrten kamen durch ihre und andere Anfragen allerdings mit d e r Praxis in Berührung, vergönnten aber dem geltenden Rechte, welches sie freilich meistentheils nicht einmal kannten, so wenig Einfluss auf ihre Erkenntnisse, dass sie selbst die Halsgerichtsordnung nicht einmal berücksichtigten, weil dies deutsche Gesetz für die schlechten, dummen Laien wäre. 429. Sie legten sich zum Theil sogar auf eignes selbstständiges Studium der Römischen Gesetze und erregten durch deren Anwendung — im Römischen Sinne — immer wieder die heftigsten Beschwerden und Klagen. In Frankreich ist der grosse C u j a s in der Erforschung und Erkenntniss des echtrömischen Rechtes am freisten und weitesten fortgeschritten. Er hat a b e r selbst in seinem Vaterlande keine Rechts-Schule hinterlassen, weil die Ergebnisse seiner Arbeiten — im Gericht — nicht zu brauchen waren. 430. Die Deutschen Rechtsgelehrten, Geschäftsmänner und Richter sowohl als Advokaten, welche zumeist mit deutschrechtlichen Verhältnissen und Geschäften zu thun hatten, wandten sich auch immer wieder auf den so wohl angebahnten Weg der Glossatoren und Commentatoren zurück. Sie legten der Glosse grosses Ansehen bei, grösseres den Commentaren, besonders des Bartolus (de Saxoferato -j- 1359) und des Baldus (de Ubaldis f 1400) „Dominorum in jure civili;" und schritten noch weiter — in der Ausgleichung des einheimischen und des fremden Rechts fort, indem sie die Deutschen Rechte zum Theil im Corpus juris wiederfanden wie die deutschen Stock- und Stammgüter in den Justinianischen Familien-Fideicommissen etc., andere aber als jura singularia oder für privilegia erklärten und gelten liessen, wie die Ausschliessung der Frauen des hohen Adels von dem Landerbe (ex. Bonif. cap. 2 de Pact. in VI 1. 18). 431. Ungeachtet dessen fühlte das Deutsche Volk schmerzlich den Einfluss der Römischen G e s e t z e und des Kanonischen P r o z e s s e s , dessen weitläuftige Schriftsätze und vielfältige Rechtsmittel die Entscheidung Jahrelang hinzogen und
III. Zeitr
l.Ep.
Formelbiicher, Laienspiegel
etc.
237
sehr kostbar machten, während das öffentliche und mündliche Verfahren, wie es im ganzen deutschen L a n d - und Lehnrecht bis dahin üblich gewesen, kurz, bündig und wolfeil war. 432. Weil sich diese Uebelstände alsbald herausstellten, so haben sich die Churfürslen von Sachsen (auch für die Herzogthümer): 1559 und von Brandenburg: 1586, Erzherzog von Oesterreich: 1530, Herzog von Würtemberg: 1495 ihr altes Privilegium de non appellando (ex Aur. Bulla« c. X.), nachdem vielleicht einige Appellationen vorgekommen, erneuern lassen, — Böhmen blieb stets frei — Chur-Pfalz aber und die geistlichen ChurPirsten von Cöln, Trier und Mainz erhielten dasselbe nur bis zu einer gewissen Summe (500 dann 1000 fl.) Diese süddeutschen Länder — fränkischen Rechts blieben also dem Reichskammergericht und den Gemeinen — geschriebenen Rechten unterworfen, zumal auch die Hofgegerichte darnach urtheilten. Nun beschwerten sich zwar die Stände, besonders die Ritterschaft über die Vernachlässigung und Verachtung ihrer alten Rechte und Gewohnheiten. Allein sie beruhigten sich, als diese, wenn auch unter wesentlichem Einflüsse des Römisch-Kanonischen Rcchts in Landesordnungen, Landrechten und Gerichtsordnungen, verzeichnet wurden, — um so eher, j e unerträglicher die bunte Wirrniss der vielerlei Gewohnheiten, Observanzen etc. in den Rechsstreitigkciten der Unterthanen j e d e s Fürstenthums sich erwiesen. Auch die freien Reichsstädte nahmen daher mit ihren alten Sladtrcchten Reformationen vor, wobei durch die Gelehrten ebenfalls mehr Römisches Recht hineinkam. Alle aber e r kannten das Römisch-Kanonische Recht als Grundlage und Gemeines Recht an. 434. Schon vorher a b e r hatte sich die allgemeine Hinneigung dieser Länder fränkischen Rechts — und damit dessen Wahlverwandschaft — zum Römischen Rechte in dem Beifall und Gebrauch kundgegeben, welchen der stark römelnde L a i e n s p i e g e l v o n U l r i c h T e n g l c r (1508—1540 fast jährlich neu gedruckt) und sogar S e b . B r a n d s : R i c h t e r l i c h K l a g s p i e g c l , überall gefunden.
238 III. Abs. Da» Gem. Deut Recht.
I.Hptst.
Aeuss.
Geschichte.
435. Im nördlichen Deutschland fanden dagegen die neuen Rechtsbücher weniger Beifall; „ d e r ausgedehnte Gebrauch des Sachsenspiegels, welcher durch Bearbeitung des neueren geltenden Rechts mit Bezugnahme auf dessen Inhalt und durch neuere Stadtrechte, die zu Mittelgliedern zwischen dem altern Rechte, welches e r darstellte und dem neueren Gebrauch dienten *), eine Stütze seiner Anwendung erhalten hatte, möchte als der Hauptgrund hievon anzusehen sein" (Eichhorn: Rechtsgeschichle. §. 443). Indessen machte sich auch hier, — in den Ländern Sächsischen Rechtes — das Bedürfniss neuer Landesgesetzgebung gellend. Nicht nur war die unendliche Menge und Verschiedenheit der einzelnen Gewohnheiten, Observanzen in Städten und Gerichten höchst beschwerlich sowohl zu beweisen als anzuwenden, sondern auch das Sachsenrecht insgemein war dadurch ungewiss und schwankend geworden, dass der Sachsenspiegel durch die Römisch — gelehrten Glossen — oft ziemlich gewaltsam — mit dem Gemeinen kaiserlichen und Reichsiecht in LJebcieinstimmung gebracht worden, die Mehrzahl der Urlheiler aber selbst gelehrte Juristen und nur zu geneigt war, die Bestimmungen desselben ebenso — Römisch kanonischrechtlich zu deuten. 436. So wird es erklärbar, dass C h u r b r a n d c n b u r g nicht nur das reichsgesetzlich gebotene Römische Erbrecht der Geschwister-Kinder annahm und die Erbfolge der Ehegatten neu ordnete in der Constitutio Joachimica 1527, sondern auch Uberhaupt statt des Gemeinen Sachsenrechts das Gemeine Kaiserliche Recht einführte. (Corpus Constitut. Marchicarum ed. Mylius.) 437. C h u r s a c h s e n aber behielt zwar den Sachsenspiegel für sich und die H e r z o g t ü m e r bei, setzte diesen jedoch durch Constitutionen und Decisionen (Codex Augusteus) immer mehr *) Die oben 400 - 404 genannten Land- und Sladtrechte gehören zum Theil hierher: besonders aber auch das S ä c h s i s c h e Weichbild.
Hl.Zeitr.
i.Ep.
Deulsch-Uöm.
Landesgesetze.
239
mil den Reichsgeselzen und Rechten in Einklang ( z . B . im liergwerksrecht) und nahm die Gemeinrechtliche Gerichtsordnung an. Daher eutstand allmählig unter stetem Einfluss der Universitäten, wo Niemand Deutsches oder Sachsenrecht lehrte, und der gelehrten Richter, welche sie bildeten, ein neues sonderbares Recht, welches mit dem Sachsenspiegel nicht mehr gemein hat, als mit dem Corpus iuris civilis, wohl a b e r mit dem Gemeinen Römisch-Deutschen Civilrecht, wie es in den Pandekten - Vorlesungen gelehrt wurde, im Wesentlichen besonders in den allgemeinen Grundsätzen übereinstimmte. 438. Unter diesen Umständen, da nicht nur die Reichsgerichte und die Juristen-Facultäten, welche immer häufiger Rechtsbelehrungen und Urtheile zu geben halten, sondern auch die Hof- und Obergerichte der meisten Länder das Gemeine Deutsche Civilrecht ihren Erkenntnissen zum Grunde legten und die Deutschen Gewohnheiten, wo sie sich nicht abweisen Hessen, aus und nach demselben deuteten, kann es kaum noch Wunder nehmen, dass atn Ende dieser Epoche kein Rechtsgclehrter mehr zweifelte, dass das Römisch Kanonische Recht ganz und allein in Deutschland gelte, das Gemeine Deutsche— Civil — Recht scy. Denn man merkte nicht, dass das Deutsche Recht ein Uauptbestandthcil dieses juris civilis ausmachte, weil man es, soweit es noch galt, in die Römischen Gesetze hineingedeutet hatte; sondern glaubte, Lothar II. habe das Römische Recht gleich förmlich im Reiche eingerührt. 439. Es gehörte der edle gebildete Geist und — von der Praxis unbefangene Sinn eines Herrmann C o n r i n g dazu, den geschichtlichen Ursprung und Entwicklungsgang des Deutschen Rechts zu entdecken und ( d e origine iuris germanici 1645} zu beweisen. Schon vor ihm hat Hugo de Groot sein grosses v ö l k e r rechtliches Werk: II. Grotii de jure belli et pacis libri III 1623 herausgegeben und damit die neue Wissenschaft — des Völkerrechts begründet. 440. I m K i r c h e n r e c h t e aber halten die Katholischen Ca-
240 III. Abs. Das Gem. Deut. Recht I.Hptst.
Aeuss. Geschichte.
nonisten, da sie das Concilium Tridentinum nicht interpretiren durften, nur wenig, die Evangelischen fast gar Nichts geleistet. Sie mochten sich nicht vom corp iur. canonici losreissen und sind daher mit Recht papizanles genannt worden. Das grosse kirchengeschichlliche Werk der Centuriatores Magdeburgenses und die Annales ecclesiastici von ßaronius sind jedoch auch kirchenrechtsgeschichtlich und daher auch für das Kirchenrecht von grösster Bedeutung. Zweite
Epoche:
Vom Westphälischen Frieden bis auf Friedrich II. 1648—1740. 441. Welch ein wichtiges Gesetz d e r W e s t p h ä l i s c h e F r i e d e n (I. P. 0 . et. M.) für das Deutsche Reich und Recht, insbesondere Pur die Rechte der Reichsstände und Landesherren und für die Rechte der Evangelischen und der Katholischen Landeskirchen war, ist oben (340} angedeutet. 442. Nächst dein ist der J ü n g s t e R e i c h s - A b s c h i e d (R. I. N) von 1654, besonders als ein Versuch zur Verbesserung des Gemeinen Civil - Prozesses zu erwähnen und, dass fortan der Reichstag permanent ward. 443. Wichtiger und erfolgreicher aber ist die w i s s e n s c h a f t l i c h e T h ä t i g k e i t der Rechtsgelehrten, welche nun zu dem Bewusstseyn gekommen sind, dass nicht das rein Römische Recht, wie man es durch Cujas kennen gelernt in Deutschland gelte, sondern dass das Gemeine Recht auch und nicht wenig Deutsche Grundstoffe enthalte. 444. So bearbeitete S c h i l t e r (Praxis iuris Rom. in foro Germanico) das Römische Recht wie es in Deutschland gelle. D. M e v i u s in commentariis iuris Lubecensis das Lübische Recht, wie es in den Schwedisch-Pommerschen Städten galt. — B. C a r p z o w , auch als Civilis! durch seine Praxis rerum civilium berühmt, hat die Halsger.-Ordn. Carl V. bei den Gelehrten zu Ehren und zur Anwendung gebracht gegen die vielen schweren Verbrecher, welche das Deutsche Land in Folge
III. Zeitr.
3. Ep.
Neue
Gesetzbücher.
241
des 30 jährigen Krieges heimsuchten. Er soll 2 4 , 0 0 0 Todesurtheile, die aus ganz Deutschland ihm zur Durchsicht und Billigung vorgelegt wurden, unterschrieben h a b e n und a m 30. Aug. 1CG6 sanft und selig gestorben seyn. 445. Bedeutender noch Air das geltende Gemeine Recht war S a m . S t r y k : Usus modernus p a n d e c t a r u m , weil darin das wirklich geltende Recht aus seinen Deutschen Quellen g e schöpft und daher bei weitem mehr Deutsch als Römisch e r schien. Gleichwohl missbilligte und bestritt e r den C h r . T h o m a s i u s , seinen Zuhörer in Erfurt und s p ä t e m Collegen in Halle, welcher dem Römischen Rechte in möglichst vielen Lehren die Gültigkeit absprach und auf ein gründliches Studium d e s Deutschen Rechtes drang. Schüler von ihm s i n d : 446. G e o r g B e y e r , der 1707 zu Wittenberg die ersto selbstständige Vorlesung ü b e r „das D e u t s c h e Privatrecht d. h. diejenigen Stücke d e s geltenden R e c h t s , welche in den Pandekten nicht vorgetragen w ü r d e n " hielt, und — 4 4 7 . J. G. H e i n e c c i u s . Er b e a r b e i t e t e d a s Römischo und das Deutsche Recht geschichtlich und wissenschaftlich mit so grosser Gründlichkeit, d a s s seine L e h r b ü c h e r noch heuto b r a u c h b a r und beliebt sind (1718 f 41). 4 4 8 . Mehr in Stryk's Weise schrieb 1704 J. H. B o t h m e r ein Lehrbuch d e r P a n d e k t e n , welches ein Jahrhundert lang gebraucht ward. Den grössten Ruhm a b e r hat e r sich durch sein unsterbliches W e r k : J u s e c c l e s i a s t i c u m P r o t e s t a n t i u m , u s u m m o d e r n u m j u r i s c a n . juxta Seriem Decretal. ostendens Hai. 1714 etc. fünf Voll. 4., dem das Jus Parochiale 1703 vorangegangen w a r , e r w o r b e n , weil e r das Evangelische Kirchenrecht gründlich g e w u s s t , begriffen und dargestellt hat. Dritte
Epoche:
von Friedrich I. bis zur Auflösung d e s heil. Rom Reichs 180G. 449.
Ungeachtet durch
die o b e n g e n a n n t e n Rechtslehrer
und Schriftsteller eine b e s s e r e ,
richtigere
Erkenntniss g e w o n -
16
242 III• Abs. Das Gem. Deut. Recht. I. Hptst. Aeuss. Geschichte. nen und verbreitet war, so lehrten doch neben ihnen noch Viele unter gleichem und grösserem Beifall und Zulauf nach der alten Weise fort, und in den Gerichten verblieb es nach wie vor bei dem Gemeinen Deutschen Civil-Recht, nur dass die neueren Autores, zumal solche, die das L a n d e s r e c h t hinein verarbeitet hatten, im Zweifel den Ausschlag gaben, d. h., wenn eine communis Doctorum opinio nicht zu erweisen war; denn d i e s e war das eigentliche Gemeine Recht. 450. Indess gab es doch fast keinen Rechtssatz, worüber nicht eine abweichende Meinung auf Grund des echtrömischen Gesetzes oder des Landesrechtes oder des Gerichtsgebrauch oder der Ansicht irgend eines Autors vorgebracht werden konnte (jus controversum von Coccii von Böhmer etc.), daher waren die Chikanen masslos, und auch ohne solche die Prozesse schier endlos, denn die Rechtsmittel nicht nur gegen jedes Urtheil, sondern auch gegen alie Zwischenerkenntnissc und Bescheide waren zahllos, der ganze Rechtszustand vollkommen trostlos. Das Recht hatt' eine wächsero Nase! die ein guter Advokat und — ein schlechter Richter nach Belieben drehen kann. 4 5 ! . Daher war Friedrich II. alsbald (31.Dec. 174G) bedacht dieser Unordnung und Ungebühr zu steuern, und liess schon 1749 das „Project des Corporis juris Fridericiani veröffentlichen d. i. S. K. Maj. in Preussen in der Vernunft und Landes - Verfassungen gegründete Land - Recht, worin das Römische Recht in eine vernünftige Ordnung und richtiges Systema gebracht, die Genach den dreyen Objectis juris neral-Principia, welche in der Vernunft gegründet sind, bey einem j eden Ob jede festgesetzet und die nöthigen Conclusiones als soviele Gesetze daraus deducirt, alle Subtilitäten und FicHönes, nicht weniger was auf den Teutschen Statum nicht applicable ist, ausgelassen: alle zweifelhafte Jura, welche in den Römischen Gesetzen vorkommen oder von denen Doctoribus gemacht worden, decidirt
III. Zeitr. 3 Ep. Nette Gesetzbücher. und solchergestalt Ein Jus in allen Dero Provintzen
certum statuirt
243
und universale wird." Dieses
Project entsprach jedoch den Erwartungen durchaus nicht, und blieb d a h e r , auch als der König nach 3 0 Jahren wieder auf die Gesetzgebung zurückkam, ganz unbeachtet. Er befahl am 14. April 1780 dem Grosskanzler Graf v. Carmer unter Zuziehung der geschicktesten und redlichsten Männer eine neue Prozessordnung und ein neues allgemeines Gesetzbuch auszuarbeiten, welches allen Unterthanen verständlich — Deutsch und deutlich und so vollständig seyn sollte, dass der Richter lür jeden vorkommenden Fall die Entscheidung darin finde. Da nun „der Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches" (1784 — 88) nicht nur den Justiz-Collegien, den Landständen und vielen berühmten Rechtsgelehrten und Praktikern zur Begutachtung mitgetheilt, sondern auch j e d e r Rechts- und Sachverständige öffentlich aufgefordert und durch Preise angespornt worden, sich darüber zu äussern ; dann alle eingegangenen Erinnerungen mehrfach gründlich geprüft und damit das Gesetzbuch neu ausgearbeitet wurde, so konnte dasselbe erst 20. März 1701 publicirt werden. Es ward aber nochmals, ehe die Gesetzeskraft eingetreten, suspendirl und erst nach einer nochmaligen Umarbeitung als: A l l g e m e i n e s L a n d r e c h t für die Preussischen Staaten am 5. Febr. 1794 promulgirt. Nur mit dem ersten Theil dieses Corpus iuris Fridericiani, der P r o z e s s - O r d n u n g war der grosse König selbst 1781 zu Stande gekommen. 452.. Aehnlich erging es seiner würdigen Zeitgenossin, der Kaiserin Maria Theresia von Oesterreich.- Sie ordnete 1753 die Bearbeitung des Römischen Rechts zu einem Oesterreichischen Gesetzbuch an und liess den Entwurf 1767 umarbeiten. Aber nur die A l l g e m e i n e Gerichtsordnung für die Österreich-deutschen Elblande ward 1781 unter Josephll. vollendet, d a s B ü r g e r l i c h e G e s e t z b u c h erst 1811. 453. In B a i e r n gelang die neue Gesetzgebung am schnellsten und wohl auch am besten, weil man das grosse Werk Einem tüchtigen so gelehrten als geübten Juristen, dem F r e i h e r r n v. K r e i t t m a y r überwies, der das wirklich gel16*
244 III. Abs. Das Gem. Deut. Recht. I.Hptst.
Aeuss.
Geschichte.
tende, sowohl gemeine als statutarische ;,Recht aus seiner fast unübersehbaren Weitschichtigkeit und höchst beschwerlichen Unordnung in solchc Gestalt und Enge gebracht — dass es auch jeder, — desto leichtcr begreifen, behalten und befolgen k a n n , — im „ C o d e x M a x i m i l i a n e u s B a v a r i c u s c i v i l i s oder neu v e r b e s s e r t und ergänzt churbairîsches L a n d r e c h t , M ü n c h e n 1756. Schon 1753 war d e r C o d . M a x . B a v . j u d i c i a r i u s und der C o d . Max. B a v . c r i m i n a l i s 1751 erschienen. 454. In anderen Ländern beschränkte man sich auf einzelne Entscheidungen und Gesetze. Allein selbst die besten, wie die C h u r s ä c h s i s c h e n Constitutionen 1572 und Decisionen von 1G66 und 1746 — vermehrten' den ungeheuren Stoff nur noch, dessen Erlernung und Beherrschung ohnehin schier unmöglich schien. 455. Endlich ist noch des französischen Gesetzbuches, C o d e c i v i l zu gedenken, welches in den an Frankreich abgetretenen Ländern sofort eingeführt wurde. Es beruhte hauptsächlich auf den Coutumes de Paris, berücksichtigte aber auch das ihnen ohnehin schon beigemischte Römische Recht, welches bis zu seiner Einführung in den pays de droit écrit gegolten. Daher fand seine Einführung in jenen Gegenden des fränkischen und gemeinen Rechts kaum so grosse Schwierigkeit als in den französischen pays d e droit écrit; und jetzt wollen sie weder dies bürgerliche noch das Straf-Gesetzbuch, noch das öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren wieder anfgeben. 456. In dem übrigen Deutschland galt nach wie vor das Gemeine Deutsche bürgerliche und Strafrecht und Gerichtsverfahren, natürlich nächst den örtlichen und ländlichen Rechten, Statuten und Gewohnheiten und den Landesrechten und Gesetzen. Inzwischen war es schon längst zweifelhaft geworden, was eigentlich das Gemeine Deutsche Recht überhaupt und das Civil-Recht insbesondere s e y , ob Römisches und Kano-
III. Zeit. 3 . E p , Gemeine Deutsche Recht-Gewohnheiteu.
245
nisches und Deutsches Recht oder alles zusammen und zugleich als Mischung? 457. Auf den Universitäten ward das Gemeine Deutsche Civil-Recht zwar meist noch nach den alten Lehrbüchern auf die alte Weise — in den Pandekten gelehrt. Allein nur wenige Professoren hielten sich streng an die Ueberlieferung. Man fand die alte Auslegung fehlerhaft und w a r immer mehr darauf b e d a c h t , das Römische Civil-Recht, welches ja doch anerkanntermassen das Gemeine bürgerliche Recht Deutschl a n d s sey, rein und richtig aus den Quellen zu schöpfen. Den Usus modernus überliess man den Vorlesungen über das Deutsche PrivatrechL Dieses ward jedoch nicht als Gemeines Recht anerkannt, weil die Quellen, woraus es geschöpft w a r d , nicht die gemeinrechtlichen: nicht die beiden Corpora iuris mit ihren gelehrten und gerichtsgebrauchlichen Auslegungen waren, sondern theils Landes- und Stadtrechte, theils allgemeine Gewohnheiten seyn sollten. Von jenen liess sich a b e r leicht nachweisen, dass k e i n Land- oder Stadlrecht, wenn es auch Kaiserlich- oder Reichsrecht geheissen, jemals im ganzen Deutschland gegolten und den anderen ward Bestand und Gültigkeit — s i e g r e i c h bestritten, wiewohl in der Reichshofrathsordnung von 1654 in Tit. I. §. 15. Die rechtmässigen Observationes und Gebrauch rieben den Kaiserlichen Rechtcn als Gemeines Recht ausdrücklich aufgerührt sind. 458. Da also dieser Grund unhaltbar ist, das Daseyn und die Geltung der rechtmässigen Observationes und Gebrauch oder — allgemeiner Deutscher Gewohnheiten gesetzlich feststeht, so müssen die Deutschen Reichs- und Landesgerichte, welchen Leichtsinn und Staarsinn sonst doch nicht Schuld gegeben werden kann, wohl einen anderen triftigem Grund gehabt haben, dem Deutschen P r i v a t - R e c h t die Anerkennung und Anwendung als Gemeines Deutsches Civil-Recht zu versagen. In der Tbat hatten sie einen solchen triftigen und — sehr naheliegenden Grund in der augenscheinlichen Verschiedenheit des s. g. Deutschen Privatrechts von den Gemeinen Deutschen Civilrechtsregeln, welche in den Autoribus
246 III. Abs. Das Gem. Deut. Recht. I.Hptst.
Aeuss.
Geschichte.
enthalten und von den Gerichten seit Jahrhunderten gebraucht und angewandt waren. 459. Aus demselben Grunde verwarf der Gemeine deutsche Gerichtsgebrauch auch die neuen Rechtslehren der Romanisten. Da sie unmittelbar aus dem als Kaiserliches und Reichs-Rechtsbuch anerkannten Corpus juris civilis hergenommen und philologisch-richtig begründet waren, so konnte man j e n e formellen Gründe noch weniger als gegen das Deutsche Privatrecht geltend machen: man erkannte und erklärte sie daher für — schöne Theorie, die jedoch nicht praktisch sey, weil eben das praktische Recht a n d e r s : — h e u t i g e s Römisches Recht oder Gemeines Deutsches Civil-Recht war. 460. Die Deutschen Reichs- und Landesgerichte liessen nach wie vor nur die Corpora juris civilis und canonici nebst Glossen, Commentaren und Autoren als Kaiserliches und Gemeines Deutsches Recht gelten und betrachteten d i e Deutschen Gewohnheiten, welche nicht in den Autoren und im Gerichtsgebrauch feststanden, als Landes-, Standes-, Orts- und Gerichtsobservanzen, welche, wie die Privilegia, „ f ü r sie geb r a c h t " d. h angeführt und erwiesen werden müssten. Daher haben die Civilisten, deren Vorträge und Schriften das Gemeine Deutsche Civil-Recht enthielten und überlieferten, wie sie ihre Lehrsätze und Rechtsrcgeln auch aus den echten Quellen begründen mochten, im heil. Rom. Reich nicht nur beim Reichskammergericht und Reichshofrath, sondern auch bei den höchsten L a n d e s - und anderen Gerichten, wo nicht nach Landesrecht zu sprechen w a r , allezeit das höchste Ansehen — die Autorität gehabt. Es ist ein grosser Schaden für die Rechtspflege, dass sich die Civilisten neuerdings immer mehr auf das Civil-RoclA iRömischen Ursprungs beschränkt haben. 461. Die reichste Sammlung der Gelehrten - Meinungen und Auslegungen der in den Deutschen Gerichten geltenden Römischen Gesetze enthält C h r . F r . v. G l ü c k , Ausführliche Erläuterung der Pandekten nach Uellfeld 1 7 0 0 — 1 8 3 1 34 Rande fortgesetzt
III. Zeilr. 3. Ep. Gemeine Deutsche Recht, Lehrbücher.
247
von M ü h l e n b r u c h 1832 vom 35 — 5 6 B a n d e — aber noch unvollendet. Das beste und angesehenste Lehr- und Handbuch des Gemeinen Deutschen Civil-Rechts — Römischen Ursprungs ist A. F r . J u s t . T h i b a u t : System des Pandekten-Rechts 1803 — (8. Ausgabe 1834). Da sie nun nicht das ganze Gemeine Deutsche bürgerliche Recht enthalten, so bedarf es zur Ergänzung noch des Gemeinen Deutschen Privat-Rechts oder Gemeinen Deutschen Land- und Lehn-Rechts. Ein solches zu schreiben unternahm J u s t . F r i e d . R u n d e : Grundsätze des allgemeinen Deutschen Privatrechts, Gött. 1791 — (8. Aufl. 1828). und Andere neben und nach ihm; allein wie verdienstlich ihre Werke auch sind, gemeinrechtliche Geltung — Autorität — haben sie sich im heil. Rom. Reich Deutscher Nation nicht zu gewinnen vermocht. 462. Minder gehemmt durch den Gegensatz und Widerstreit der fremden und der einheimischen Rechte, Gesetze und Gewohnheiten und daher erfolgreicher waren die Arbeiten in den übrigen Theilen des Gemeinen Deutschen Rechts. Für das G e m e i n e D e u t s c h e L e h n r e c h t und für das G e m e i n e D e u t s c h e K i r c h e n r e c h t gab es gar treffliche Lehrbücher von G. L. B o e h m e r , Principia iuris feudalis 1775 (7. Aufl. 1805.) und Principia iuris canonici 1774 (7. Aufl.). Im G e m e i n e n D e u t s c h e n S t r a f r e c h t hat Ans. (v.) F e u e r b a c h Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, Gött. 1801 (11. Aufl. 1 8 3 2 ) , eine neue Bahn gebrochen, worauf er und seine Genossen wacker fortgeschritten sind. Das D e u t s c h e R e i c h s - u n d L a n d e s - S t a a t s r e c h t ist von J. St. P ü t t e r ( f 1807) neu begründet und vollendet. H ä b e r l i n ' s Handbuch enthält s e i n e Lehren. Das E u r o p ä i s c h e V ö l k e r r e c h t endlich ist von E m e r . de V a t t e l Droit des gens Londr. 1758 (oft aufgelegt) wesentlich gefordert und fortgebildet, nächst ihm G. F. de M a r t e n s
248 III. Abs. Das Gem. Deut. Recht. I.Hplst.
Aeuss. Geschichte.
Précis du droit des gens. Göu. 1789. und 2. édit. entièrement refondue 1801. 463. Die äussere Rechtsgeschichte des heil. Rom. Reichs Deutscher Nation entscheidet den oben (457) angedeuteten Zweifel über das Wesen des Gemeinen deutschen Rechtes am sichersten und besten. Sie lässt das Gem. deutsche Recht als einen starken Strom erkennen, welcher aus sehr verschiedenen, zum Theil sehr weit entfernten, zum Theil verdeckten, inneren Quellen zusammengeflossen, als eine Vermengung und Mischung von Deutschem, Kanonischem, Römischem und abermals Deutschem Rechte, deren Grund und Wesen allerdings ursprünglich und eigentlich Deutsch — Deutsche Gewohnheit ist, welches jedoch theils in der F o r m v o n G e s e t z e n und zwar deutschen Reichsgesetzen, Friedensschlüssen und anderen Verträgen und von zwei Lateinischen Gesetzbüchern: dem Corpus iuris canonici nebst dem Concilia Tridentino und dem Corpus iuris civilis nebst den Longobardischen L'ehnsgewohnheiten: Libris Feudorurn, t h e i l s in d e r F o r m d e s G e w o h n h e i t s r e c h t s und zwar des Gerichtsgebrauchs vornehmlich der Reichs- und höchsten Landes-Gerichte und des Juristen Rechts — der communis doctorem opinio erscheint; oder wie es in der Reichshofraths Ordnung von 1654 TiL I. §. 15. „zuforderst Unsere Kaiserl. Wahl-Capitulation, Reichsabschied (1594, 1600, und 1654) Religion- und Prophan Frieden und den jüngsten Münster- und Ossnabrüggischen FriedenSchluss nach Anweisung des 17. Art. §. 1 und 2. wie auch jedes Stands, Lands, Orts nnd Gerichts — sonderlich die gebührliche allegirte und probirte Privilégia, gute Ordnungen und Gewohnheiten und in Mangel derselben die Kayserliche Rechten und rechtmässige Observationes und Gebrauch." U e b e r s i c h t d e r G e m e i n e n D e u t s c h e n u n d R|eiclisR e c h t s q u e l l e n und A u f ü h r u n g s w e i s e (Citirart) derselben. 464. i. Von den Reichsgesetzen, Friedensschlüssen anderen Verträgen des Kaisers und der Stände
und
III. Zeitr.
3. Ep. Gemeine Deutsche Rechtsquellen.
249
sind die wichtigsten in der inneren und der äusseren Rechtsgeschichte vorgekommen; hier mögen einige Abkürzungen bemerkt w e r d e n , womit man sie anzuführen, zu citiren pflegt: die Goldne Bulle A. B. oder G. B., die peinliche oder Halsgerichtsordnung Kaiser Carls V. 1532 C. C. C. d. h. Constitutio Criminalis Carolina auch Karoline Art. 20 etc. Der Augsburg. Beligionsfrieden 1555, Pax Rel. August. — Der Passauer Vertrag 1562. Pactum Passav. Der Westphäl. Frieden 1648, I. P. 0 . el M. d. i. Instrumentum Pacis Osnabrucensis et Monasteriensis. Die Reichs-Kammergerichtsordnung, R. K. G. 0 . oder O. C. Die Reichs-Hofrathsordnung, R. H. R. 0 Die Reichsabschiede mit der Jahreszahl, R. A. 1526 etc, Der Jüngste Reichs-Absch. von 1654, Ree. Imp. Nov. — Sammlungen derselben von Verschiedenen, die wichtigsten in S c h m a u s s Corpus iuris publici S. R. J. academicum und in E m m i n g h a u s Corp. jur. publici et privati academicum 1824. (1842). II. Das Corpus iuris canonici Gregor» P. XIII. jussu editum (1582) enthält vier ofBcielle und zwei Privat-Sammlungen. 1) C o n c o r d i a d i s c o r d a n t i u m c a n o n u m oder D e c r e t u m G r a t i a n i (cc. 1150.) hat drei Theile. a. Prima Pars besteht aus 101 D i s t i n c t i o n e s , welche in cañones zerfallen. Man citirt z. B. can. 7 D. XL. b. Secunda Pars enthält 36 C a u s a e (Rechtsfdlle), in welchen die Rechtsfragen unterschieden w e r d e n , um sie mit Cánones zu beantworten. C i t i r : can. 3. C. III. qu. 1. oder 3. III. qu. 1. NB. Causa XXXIII. qu. 3 giebt einen Tractatus de p o e n i t e n t i a in 7 Distinctiones, die ohne Angabe der C. 33. qu. 3. aber mit dem Zusatz de poen. citirt werden, z. B. can. 3. D. V. de poenit. c. Pars tertia ist eine Nachlese zu dem Vorigen in 5 D i s t i n c t i o n e s , welche nach der Ueberschrift der ersten de consecratione citirt werden: z. B. can. 2. D. III. d e cons.
250 III. Abs. Das Gem. Deut. Recht. I. Hptst. Aeuss.
Geschichte.
Die Alten, Glossatoren, Commentatoren und viele Autoren citirten bloss mit den Anfangswörtern, die obigen Cánones z. ß. can. Ante omnia peto, can. Redingtegranda, can. Contrarium, can. Rogationes etc., die man dann im Index Canonum Decreti aufsuchen kann, welchen alle Corpp. jur. canonici enthalten ausser Freiesleben Corp. jur. can. 2) D e c r e t a l i u m G r e g o r i i P. IX. l i b r i q u i n q u é (1234) gewöhnlich Extra genannt und X. geschrieben, weil sie die extra nicht im decretum enthaltenen Gesetze aufgenommen*). Die Bücher zerfallen in Xitel, die Titel in Capitel, welche bisweilen noch in Paragraphen abgetheilt sind. Man citirt: Cap. 8. X. de cons. et äff. (IV. 14.) oder c. 8. de cons. et äff. 3) L í b e r S e x t u s B o n i f a c i i P. VIII, 1298, hat ebenfalls 5 Bücher, welche ebenso mit Titelrubrik und Capitelzahl aber mit Beifügung in Vito citirt werden, z.B. Cap.2. de pactis in 6. 4) C l e m e n t i n a r u m s. C l e m e n t i s P. V. D e c r e t a lium l i b r i q u i n q u é , sind ebenso abgetheilt. Man citirt: Clem. un. de jurej L. II. 9. Diese vier officiellen Sammlungen bilden das s. g. Corpus iuris canonici clausum. 5) E x t r a v a g e n t e s J o a n n i s P. XXII. Zwanzig Decretabas in 14 Titel gebracht. 6) E x t r a v a g a n t e s C o m m u n e s , in den gewöhnlichen 5 Büchern zusammengestellt, wovon jedoch das 4te de Sponsalibus aus Mangel an Gesetzen über Ehesachen — leer ist — vacat. Beide werden in der Regel wie von den Alten alle Decretales und jetzt noch alle päbstlichen Bullen, die im Bullarium Romanum gesammelt sind, mit den Anfangswörtern cicitirt, z, B. Joann. XXII. Bulla Execrabilis; aber auch *) Der Hauptinhalt der 5 Bücher ist in einem alten Versus raenoorialis so a n g e g e b e n ; l ü d e * , Judicium, Clerus, Sponsalia, Crimen.
HI. Zetir.
3.Ep.
Gemein Deutsche Rechtsquellen.
cap. un. Extrav. Joann. XXII. de praeb. (3). in Cap. 4. Ext. Com. de praeb. (III. 4 ) . NB
251
Es findet sich auch
Man unterscheide wohl dies Extrav oder Extr. Joan, und Ext. Com. von dem X (sprich Extra), womit die Decretales Gregors IX. bezeichnet werden.
Die beste Ausgabe des Corpus juris can. ist von Aem. Richter Lips. 1839. 4. 8% Thlr. Demnächst die von J. H.Boehmer Halae 1747. 4., endlich von den Fatres Pithoei. foL Die neueste Ausgabe des Concilii Tridentini ist auch von Aem. Richter. 4. 1 Thlr. Die Ausgabe von Gallemart— oft aufgelegt — hat die authentischen Erklärungen der Rom. Cardinalscongregation beigefügt. 466. III. Das C o r p u s i u r i s c i v i l i s , die Gesetzsammlung Kaiser Justinians I. besteht aus: 1) I n s t i t u t i o n u m l i b r i q u a t u o r , welche in Titel zerfallen, die Titel in Principium und Paragraphen. Man citirt z. B. §. 1. J. de palr. pot. I. 9. Im Alterthum mit dem Anfangswort §. Nuptiae J. de P. P. 2 ) D i g e s t o r u m l i b r i q u i n q u a g i n t a in Titeln, Fragmenten der alten Jurist. Schriften, welche oft auch in Paragraphen abgetheilt sind. Man citirt, Lex 5 §. 6. D. de jure dot. (23. 2.) oder L. 5. §. 6. D. de jure dot. oder L. 5. §. 6. 77. de jure dot. Die Alten oft L. Profectitia §. 1. pater ff. de jure dot. Das ff bedeutet Digest, und scheint ein verzogenes D zu seyn. Die histor. Juristen schreiben: Fragm. Fr. 5. §. 6. D. de jure dot. oder ohne D. II. ff.: Fr. 5. §. 6. de jure dot. 3) C o d i c i s l i b r i d u o d e c i m , sind ebenfalls in Titel abgetheilt, welche die Constitutiones enthalten. Man citirt: L. 2 2 C. mandati (IV. 35). sonst auch L. Per diversas, C. mandati, jetzt const. 22 C. mandati *). *) Das Citiren mit blossen Zahlen z. B. §. 1. J. I. 9. fr 6 §. 3, D. XXIII, 3 Const. 22. C. IV, 35. wie manehe Neuern, auch F. Mackeldey es beliebt, ist nicht zu empfehlen, da die Zahlen leicht zu verschreiben und schwer zu behalten sind.
252 III. Abs. Das Gem. Deut. Recht. I. Hptst. Aeuss. Geschichte. 4) N o v e l l a e — haben die Glossatoren in IX. collationes abgelheilt und Aulhenticum genannt — im Gegensatz zur Epitome Juliani. Wir citiren nach der Zahl, welche in unsern Ausgaben anders ist, als in den alten glossirten Nov. 118. cap. 1. Die Alten dagegen: Auth. de heredit. ab. ut. §. Si quis Coli. IX. Tit. 1. Mit dem Worte A u t b e n t i c a oder A u t h . bezeichnet man jetzt nur die aus den Novellen Justinians und späterer, auch deutscher Kaiser in den Codex aufgenommenen Gesetze z. B. Autb. Si qua miilier (C. ad SC. Vellej (4.29)) Auth. Habita (C. ne filius pro patre (4. 13)). Die C o n s u e t u d i n e s oder l i b r i F e u d o r u m d u o h a t ten die Glossatoren den Justinianischen Novellen als decima Collatio angehängt. Man citirt: II. F. 26 §. 4., sonst auch mit dem Anfangswort, z. B. Si quis. 467. IV. D i e W e r k e d e r G e l e h r t e n werden in der Regel mit ihrem Titel und dem Namen des Verfassers angeführt. In der Glosse werden die Aussprüche, berühmter aller Lehrer oft mit einzelnen Buchstaben, gewöhnlich dem ersten des Namens bezeichnet, z. B. M. für Martinus, seltner des Beinamens z. B. 0 . A. d. h. Os Aureum für Bulgarus.
Zweites
Hauptstüch.
Anwendung der gemeinrechtlichen Gesetze, Regeln, Gewohnheiten. 468. Nach Auflösung des beil. Römischen Reichs Deutscher Nation ward zunächst deswegen gegen die Anwendbar-
II. Hpst. Anwendung der Gemeinreckls-Gesetze.
253
kcit oder fernere Gültigkeit des Gemeinen Deutschen Rechtes Zweifel erhoben, weil dasselbe als Kaiserliches Reichsrccht mit dem Reiche und allem kaiserlichen Rechte über die Länder der bisherigen Reichsstände, — nun souveränen deutschen Fürsten erloschen s e y : und dadurch sogar althergebrachte, wohlerworbene Rechte bedroht. Indess erinnerte man sich alsbald nicht nur, dass die wohlerworbenen Rechte fortbestehen, wenn auch die Gesetze, wonach sie erworben sind, aufgehoben werden, sondern auch, dass das Kaiserliche und Gemeine deutsche Recht weder durch Kaiser und Reich eingeführt noch Tür die Reichs - Verhältnisse allein gesetzliche Kraft und Geltung habe, dass es vielmehr d u r c h G e w o h n h e i t im R e i c h und in den R e i c h s l a n d e n Eingang gefunden. Aber allerdings hatten die deutschen Untcrlhanen den kaiserlichen Schutz ihrer wohlerworbenen Rechte und die kaiserlichen und gemeinen Deutschen Rechte ihren stärksten Hort und Träger an dem Reichskammergericht verloren. Dies hatte auf die Behandlung und Gestaltung des Gemeinen Deutschen Rechtes alsbald den wesentlichsten Einfluss. Denn, da die Landesgerichte, auch wenn sie nicht auf eigene abgeschlossene Landesgesetzbücher, sondern auf das Gemeine Deutsche Recht verpflichtet waren, doch immer zunächst nach den ihnen bekannten Landesrechten lind Gewohnheiten zu erkennen hatten und pflegten, so fiel die Erhaltung und Fortbildung des reinen gemeinen Rechtes den J u r i s t e n - F a c u l t ä t e n anheim, wciche nicht blos die künftigen Richter, Sachwalter etc. unterrichteten, sondern auch im Namen und Auftrag aller gemeinrechtlichen Gerichtshöfe urtheilten, wenn ihnen diese aus eigner Bewegung oder auf Antrag der Parteien die Acten zusandten. Sie aber wendeten sich, seit der Widerhalt, welchen das Gemeine Deutsche* Recht an den Reichsgerichten gehabt hatte, weggefallen war und, als die alten Civilisten, welche das geltende Gemeine Recht mit jenen in den fremden Gesetzbüchern fanden, nllmahlig ausstarben, immer zahlreicher und entschiedener der historisch und philologisch richtigen Erkenntniss der allen Rechte und Gesetze
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III. Abschnitt. Das Gemeine Deutsche Recht.
zu. Sie lehrten und gebrauchten namentlich die r i c h t i g verstandenen R ö m i s c h e n G e s e t z e , woraus die Civilisten die freilich ganz anders lautenden — gemeinrechtlichen Regeln hergeleitet, als G e m e i n e s D e u t s c h e s C i v i l r e c h t , indem sie gründlich nachwiesen, dass „die Neuern" diese Gesetze falsch ausgelegt, missverstanden und missdeutet hätten. 469. Auf die übrigen Rechtstheile halte diese philologisch-historische Kunst und Gelehrsamkeit geringeren Einfluss als auf das Civil-Recht; denn das alte R e i c h s und R e i c h s s t a n d s und - l a n d s r e c h t war mit dem heil. Rom. Reich zu Grunde gegangen, die meisten neuen Staaten erhielten neue Verfassungen, Ginrichtungen und Gesetze, welche sich nicht sowohl auf das geschichtliche Recht als auch und vielmehr auf die gegenwärtigen Bedürfnisse, Verhältnisse und Befugnisse gründeten. Die historisch philologische Methode konnte also keine recht erfolgreiche Anwendung darauf finden, obgleich der Deutsche Bnnd seine Schiedsgerichte oder Austrägal-Instanzen angewiesen hat, in Ermangelung anderer Normen auf die ältere Reichsordnung und Weise zurückzugehen. 470. Der K i r c h e n r e c h t s w i s s e n s c h a f t hat sie auch noch keine erquickliche Frucht gebracht. Die Katholische Kirche bat allerdings ihr altes historisches Recht festgehalten und fortgebildet, allein sie liebt und gestattet die philologisch-historische Erklärung, Entwicklung und Gestaltung desselben nicht, weil sie mit ihrer streng dogmatischen Auffassung und Darstellung der geschichtlichen Thatsachen, Rechte und Ordnungen gar zu leicht in Widerspruch geräth. Die Geschichte des Evangelischen Kirchenrechts ist wie das Evangelische Kirchenrecht selbst, nicht ohne innigen Evangelischen Glauben und nicht ohne wissenschaftliche Bildung darzustellen und zu begreifen. Es harrt noch der Bearbeitung. 471. Aehnlich verhält es sich mit dem S t r a f r e c h t . Allein dieses hat schon im Anfang unseres Jahrhunderts seinen wissenschaftlichen Bearbeiter gefunden, der die richtig verstandenen alten Strafgesetze Kaiser Karls V. und des Corpus iuris durch Geschichte und Philosophie mit dem gegenwärtig
III. Iptst. Anwendung der Gemeinrechtlichen Gesetze.
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geltendeen Rechte in Einklang zu bringen suchte und daher sogleich» leifall und Gingang bei den Gerichten und viele Nachfolgei fand. 4 7 2 . Auch den Civil und den C r i m i n a l - P r o z e s s hat die historiscch-|hilologische Bearbeitung, welche ihm zu Theil geworden,, ncht verändert; weil man die Entwicklung und Umgestaltung des gerichtlichen Verfahrens durch die Kirche im Mittelalter und durch Deutsche Gewohnheit und Gesetze nicht verkennten mochte. Vielleicht aber hat die alte Rechtsgeschicbte) nit dazu beigetragen, dass man dies geheime schriftliche V