Der Gesetzlichkeitsgrundsatz im Lichte einer verfassungskonformen Straftatlehre [1 ed.] 9783428589470, 9783428189472

Die Arbeit befasst sich mit dem nunmehr seit Jahrhunderten existierenden Gesetzlichkeitsgrundsatz. Der Umgang mit dem Ge

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German Pages 188 Year 2023

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Der Gesetzlichkeitsgrundsatz im Lichte einer verfassungskonformen Straftatlehre [1 ed.]
 9783428589470, 9783428189472

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 313

Der Gesetzlichkeitsgrundsatz im Lichte einer verfassungskonformen Straftatlehre

Von

Janis-Titus Krahl

Duncker & Humblot · Berlin

JANIS-TITUS KRAHL

Der Gesetzlichkeitsgrundsatz im Lichte einer verfassungskonformen Straftatlehre

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 313

Der Gesetzlichkeitsgrundsatz im Lichte einer verfassungskonformen Straftatlehre

Von

Janis-Titus Krahl

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h.c. dupl. Georg Freund, Marburg

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18947-2 (Print) ISBN 978-3-428-58947-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mama

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg im Wintersemester 2022/2023 als Dissertation angenommen. Ein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. dupl. Georg Freund, der nicht nur zum Gelingen der Arbeit maßgeblich beigetragen hat, sondern mich auch über meine komplette Studienzeit begleitet hat und mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Einen besseren akademischen Lehrer kann man sich wohl kaum wünschen! Frau Professorin Dr. Stefanie Bock danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachten sowie die schnelle Erstellung des Gutachtens. Von ganzem Herzen bedanken möchte ich mich zudem bei meiner wundervollen Freundin Lisa. Nicht nur für die akribische Durchsicht der Arbeit, sondern darüber hinaus auch für die jederzeitige Unterstützung, Aufmunterung und Nähe. Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch meine Mama sowie mein Bruder, die mich in jeder erdenklichen Lebenssituation uneingeschränkt unterstützt und mir meinen – wenn auch nicht gradlinigen – akademischen Werdegang erst ermöglicht haben! Marburg, im März 2023

Janis Krahl

Inhaltsverzeichnis A. Einführung in die Problematik und Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . 15 I. Grund und Zweck von Schuldspruch und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Absolute Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Präventive Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 b) Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Restitutive Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Die Ebene der Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Legitimation von Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Legitimer Zweck – Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 aa) Perspektivische Bestimmung der Verhaltensnormlegitimation . . . . . . . 31 bb) Möglicher Adressat einer Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c) Erforderlichkeit und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Konkretisierung von Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Die Ebene der Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Rechtsnatur der Sanktionsnorm im Verhältnis zur Rechtsnatur des Strafgesetzes 41 2. Legitimation von Sanktionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Hinblick auf die Sanktionsnorm . . . . . . 46 b) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsgrundsatzes – Zur verfassungsrechtlichen Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Maßgeblicher Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Inhaltliche Anforderungen an die Bestimmtheit – Zum genauen Gegenstand des gesetzlich Bestimmten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Das Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Das Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4. Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

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Inhaltsverzeichnis

D. Vermeintliche und tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz . . . 84 I. Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Verfassungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Würdigung und Stellungnahme auf der Grundlage einer zutreffenden normentheoretischen Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässige Brandstiftung . . . . . . . . 92 c) Unerlaubter Umgang mit Dopingmitteln, unerlaubte Anwendung von Dopingmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F. 94 bb) Gesetz gegen Doping im Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Begehungsgleiche (sog. „unechte“) Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Verfassungskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Die herrschende Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Stellungnahme und kritische Würdigung der vorgebrachten Argumente . . . . 106 III. Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Verschleifungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Wahlfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Die unterschiedlichen Facetten der sog. „Wahlfeststellung“ und ähnliche „Rechtsfiguren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Die Rechtsprechung der obersten Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Die Auffassung des 2. Senats des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Die Auffassung der übrigen Strafsenate sowie des Großen Senats für Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Zur Verfassungswidrigkeit der Wahlfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Straftheoretische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Zur Relevanz der fehlenden Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . 134 b) Praktische Probleme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Konstellationen, in denen eine eindeutige Verurteilung möglich ist . . 137 bb) Konstellationen, in denen eine eindeutige Verurteilung nicht möglich ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Rettungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 d) Abhilfe durch eine an § 2b RStGB angelehnte Norm? . . . . . . . . . . . . . . . . 141 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Inhaltsverzeichnis

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V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . 143 1. Arten der Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Einfache Blankettstrafgesetze mit statischer bzw. dynamischer Verweisung 146 b) Qualifizierte Blankettstrafgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) BVerfGE 143, 38 – Rindfleischetikettierungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) BVerfGE 153, 310 – Knorpelfleisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der Blankettstrafgesetze sowie kritische Würdigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . 151 a) Zur Verfassungsmäßigkeit der einfachen Blankettstrafgesetze . . . . . . . . . . 151 b) Zur Verfassungsmäßigkeit der qualifizierten Blankettstrafgesetze . . . . . . . 155 c) Zur Rechtsprechung des Bundverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) BVerfGE 143, 38 – Rindfleischetikettierungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) BVerfGE 153, 310 – Knorpelfleisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 d) Fazit zur Verfassungsmäßigkeit der Blankettstrafgesetze . . . . . . . . . . . . . . 164 E. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 F. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

A. Einführung in die Problematik und Gang der Arbeit „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ So beschreibt Art. 103 Abs. 2 GG einen der Grundpfeiler des deutschen Strafrechts. Aber auch über das nationale Strafrecht hinaus ist die besondere Bedeutung dieses Satzes anerkannt und unbestritten.1 Etwa in Art. 25 Abs. 1 der spanischen Verfassung sowie Art. 25 Abs. 2 der italienischen Verfassung finden sich ähnliche Formulierungen. Weniger eindeutig als die Anerkennung der herausragenden Bedeutung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes ist allerdings der Umgang mit eben jenem. Als gefestigt lassen sich wohl allein vier seiner Ausprägungen ansehen. Namentlich handelt es sich um den Bestimmtheitsgrundsatz, das Rückwirkungsverbot, das Analogieverbot sowie das Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Die Grundlage zahlreicher Diskurse bildet hingegen die Frage, an wen sich die genannten Grundsätze richten und wie genau sie inhaltlich auszuformen sind. Dasselbe gilt für die Frage, wie sich der Gesetzlichkeitsgrundsatz verfassungsrechtlich – über die Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG hinausgehend – herleiten lässt. Auch dies ist bis heute nicht abschließend geklärt. Der Grund für den mannigfaltigen Meinungsaustausch dürfte dabei insbesondere auf die besondere Bedeutung des Grundsatzes zurückzuführen sein. Insoweit ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung aus allen denkbaren Blickwinkeln natürlich zu begrüßen. Allerdings darf dies auch nicht dazu führen, dass die mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz tatsächlich einhergehenden formellen Bindungen entweder überdehnt oder aber in der entscheidenden Hinsicht aufgeweicht werden. Anders ausgedrückt sollte das Wesentliche nicht aus den Augen verloren werden. Leider sind solche (gegenläufigen) Tendenzen – vor allem im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz – in den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, aber auch innerhalb der Literatur nicht selten zu erkennen. Insofern ist es trotz jahrzehntelanger wissenschaftlicher Aufarbeitungen zur Ausräumung von vorhandenen Missverständnissen angezeigt, die allein relevanten Aspekte klar herauszuarbeiten. Für die Bestimmung des Wesentlichen bedarf es dabei im Grunde nicht mehr als der Beachtung der relevanten normentheoretischen Grundlagen. Die Ratio des Gesetzlichkeitsgrundsatzes, die Adressatenfrage sowie die inhaltlichen Anforderungen lassen sich ohne weiteres sachgerecht herleiten, wenn man ihnen ein schlüssiges und verfassungskonformes Straftatkonzept zu Grunde legt. Dementsprechend werden im weiteren Gang der Arbeit zunächst die notwendigen Elemente dargestellt, deren es 1 S. dazu etwa Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 2; Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 114; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 17; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 69 f.

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A. Einführung in die Problematik und Gang der Arbeit

für einen rechtsstaatlichen Strafeinsatz bedarf. In einem zweiten Schritt werden auf der Basis der herausgearbeiteten Grundlagen der Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsgrundsatzes näher beleuchtet sowie die Ausprägungen mit Inhalt gefüllt und die Adressatenfrage beantwortet. Im letzten Teil der Arbeit werden die daraus gewonnenen Erkenntnisse exemplarisch auf Strafgesetze und „Rechtsfiguren“ angewandt, die im Verdacht stehen, gegen Art. 103 Abs. 2 GG zu verstoßen.

B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen Das Strafrecht ist ein Bestandteil des öffentlichen Rechts.2 Dementsprechend bedarf jeglicher Einsatz von Strafe der Legitimation. Denn die Bestrafung stellt stets einen gewichtigen Eingriff in grundrechtlich verankerte Rechtspositionen dar. Insofern wird das Strafrecht auch als „schärfstes Schwert“ des Staates bezeichnet.3 Abgesehen von den speziellen formellen Anforderungen, die für das Strafrecht geschaffen wurden4, ist jeder Eingriff und damit auch der Einsatz von Strafe an den verfassungsrechtlichen Begrenzungen zu messen, die für hoheitliches Handeln gelten.5 Im Zentrum steht dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Strafe muss demnach ein legitimes Ziel – einen legitimen Zweck – verfolgen und zur Erreichung dieses Ziels (Zwecks) geeignet, erforderlich und angemessen sein.6 Dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für den Einsatz von Strafe gilt, konstatierte auch das Bundesverfassungsgericht in einer frühen Entscheidung7: „Aus den allgemeinen Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, folgt für das Strafrecht, daß die angedrohte Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zu dem Verschulden des Täters stehen muß“.8 Bevor man allerdings Überlegungen anstellt, wie eine angemessene Reaktion im Einzelfall beschaffen sein muss, gilt es zunächst zu klären, welches legitime Ziel mit dem Einsatz von Schuldspruch und Strafe genau verfolgt wird.

2 Das ist sachlich unbestritten. Die „Verselbstständigung“ erklärt sich nur historisch und aufgrund der besonderen Bedeutung des Strafrechts; vgl. Roxin/Greco, AT, § 1 Rn. 5; ferner Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 7 f.; Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 27. 3 Der Begriff taucht etwa auf in BVerfGE 39, 1, 45; ähnlich BVerfG – 2 BvR 1985/19 = BVerfG NJW 2020, 2953; Hassemer, NJW 2008, 1137, 1142; Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 876; Kuhlen, in: Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 429; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 92; etwas zurückhaltender etwa Appel, Verfassung und Strafe, S. 19 f. 4 Gemeint sind hier insbesondere Art. 103 GG sowie Art. 104 GG. 5 S. BVerfGE 45, 187, 253 f.; BVerfGE 117, 71, 89 f.; ferner etwa Roxin/Greco, § 1 Rn. 5; Hecker, in: Schönke/Schröder, Vor § 1 Rn. 30 ff.; Rostalski, Tatbegriff, S. 77 ff. 6 S. dazu etwa Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 2. 7 Vgl. Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 23. 8 BVerfGE 6, 389, 439.

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

I. Grund und Zweck von Schuldspruch und Strafe Mit dieser Frage befassen sich die sog. „Straftheorien“. Im Grunde stehen sich nach wie vor zwei Konzepte innerhalb der Rechtswissenschaft gegenüber. Die sog. „absoluten Straftheorien“ und die „relativen Straftheorien“. Beide Theorien weisen zwar besondere Erscheinungsformen und Spielarten auf, sie lassen sich aber im Wesentlichen wie folgt umschreiben: 1. Absolute Straftheorien Bei den auf Kant9 und Hegel10 zurückgehenden absoluten Straftheorien11 steht allein die Vergeltung der begangenen Tat im Vordergrund. Mit Schuldspruch und Strafe soll das verwirklichte Unrecht gerecht ausgeglichen werden. Das setzt voraus, dass die Strafe in ihrer Dauer und Härte der Schwere der Straftat entspricht.12 Mit anderen Worten: Es gilt das alte Talionsprinzip – Auge um Auge, Zahn um Zahn. Im Kern ist der Gedanke der gerechten Vergeltung bzw. die angemessene Reaktion auf einen Normverstoß – wie sich noch zeigen wird13 – auch durchaus berechtigt.14 Nicht zuletzt haben die fundierten Darstellungen durch die Philosophie des deutschen Idealismus, die die geschichtliche Entwicklung des deutschen Strafrechts sehr geprägt haben, dazu geführt, dass der Vergeltungsgedanke noch immer im Bewusstsein der Gesellschaft vertreten ist.15 Dennoch sind die absoluten Straftheorien in ihrer Reinform mit dem geltenden Recht nicht zu vereinen.16 Die Begründer der absoluten Straftheorien erkennen keine Zweckerwägung im Sinne einer zukunftsorientierten 9 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 195 ff.; allgemein zu den absoluten Straftheorien Roxin/ Greco, AT, § 3 Rn. 2 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 9 ff.; Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 51 ff.; Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 269 ff. 10 Hegel, Grundlinien, § 97, 99 f. Hegel kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie Kant. Allerdings verwirft er das Talionsprinzip und ersetzt es durch den Gedanken der Wertgleichheit von Verbrechen und Strafe; s. Hegel, Grundlinien, § 101; vgl. dazu Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 4. 11 Eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der absoluten Straftheorien gerade auch in neuerer Zeit findet sich bei Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 6a ff.; Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 273. 12 Vgl. Roxin/Greco, AT § 3 Rn. 2. 13 S. dazu unten S. 46 ff. 14 I. d. S. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 11; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 109; Radtke, in: MüKoStGB, Vor § 38 Rn. 33; auch in der Rechtsprechung wird die Berechtigung anerkannt. So heißt es etwa in BGHSt 24, 134: „Von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten inhaltlich lösen“. Vgl. dazu Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 6. 15 Zum Einfluss der Philosophie des deutschen Idealismus auf das Strafrecht s. ebenfalls Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 3 ff.; Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 52; vgl. dazu auch Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 269. 16 I. d. S. etwa Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 11; Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 57; Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 8; Haas, Strafbegriff, S. 235 ff.

I. Grund und Zweck von Schuldspruch und Strafe

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Prävention an.17 Vielmehr geht es einzig und allein um den vergangenheitsbezogenen, repressiven Unrechts- und Schuldausgleich.18 Strafe wäre demnach auch dann zu verhängen, wenn es an jeglichem sozialen Nutzen fehlen würde.19 Damit wird die Strafe zum Selbstzweck. Ein Selbstzweck kann jedoch nicht als Legitimationsgrund dienen, um in verfassungsrechtlich verankerte Rechtspositionen einzugreifen. Eine Eingriffsbefugnis besteht nur dann, wenn die verfassungsrechtlichen Begrenzungen eingehalten werden, wofür jedenfalls ein legitimer Zweck notwendig ist. Die bloße zweckfreie Übelszufügung beim Täter stellt keinen solchen Zweck dar. Genau genommen fehlt es nicht nur an der Legitimität des Zwecks, sondern die absolute Straftheorie ist vielmehr von jeglichem Strafzweck losgelöst. Auch die Idee der Herbeiführung einer absoluten Gerechtigkeit kann an dem Legitimationsdefizit der absoluten Straftheorien nichts ändern. Denn dazu ist der Staat weder berechtigt noch ist es ihm überhaupt möglich.20 Es bleibt damit festzuhalten, dass sich in den absoluten Straftheorien zwar berechtigte Aussagen finden, sie aber dennoch aufgrund des fehlenden sozialen Nutzens mit dem geltenden Recht nicht im Einklang stehen und damit abzulehnen sind. 2. Präventive Straftheorien Ein anderes Konzept liegt den sog. „präventiven Straftheorien“ zu Grunde. Die Aufgabe der Strafe liege darin, den Täter oder die Gesellschaft von künftigen Straftaten abzuhalten.21 Im Gegensatz zu den absoluten Straftheorien weisen sie damit keinen vergangenheitsbezogenen, repressiven Charakter auf. Sie zeichnen sich vielmehr durch eine ausschließlich vorbeugende, also zukunftsbezogene, Zielrichtung aus. Der Grundgedanke aller präventiven Lehren fand sich bereits bei Platon: „Kein kluger Mensch straft, weil gesündigt worden ist, sondern damit nicht gesündigt

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Zur Kritik daran näher Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 4. Zu diesem nicht tragfähigen Strafgrund und zum Folgenden s. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 9. 19 In diesem Kontext ist das bekannte Inselbeispiel Kants einzuordnen: „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflöste (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinanderzugehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Thaten werth sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volk hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat, weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ (Kant, Metaphysik der Sitten, S. 199). 20 I. d. S. Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 8; vgl. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 306 f. 21 Vgl. Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 274 ff.; Radtke, in: MüKoStGB, Vor § 32 Rn. 34; Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 11 ff. sowie 21 ff.; kritisch zu den präventiven Strafzwecklehren Rostalski, Tatbegriff, S. 36 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 24 ff. 18

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werde“.22 Aus diesem Grundgedanken wurden die zwei heute noch anzutreffenden Konzepte der Spezial- und Generalprävention entwickelt. a) Spezialprävention Für die spezialpräventive Theorie – die vor allem auf Franz von Liszt23 zurückgeht – steht die jeweilige Person des Täters im Vordergrund. Ziel der Strafe ist die Einwirkung auf die gefährliche Person, um künftige Straftaten zu vermeiden und die Gesellschaft damit vor dem Täter zu schützen.24 Erreicht werden könne dies durch drei verschiedene Formen der Einwirkung: Die Besserung, die Abschreckung sowie die Unschädlichmachung des Täters.25 Auf den ersten Blick mag dieser Ansatz plausibel sein; immerhin wird im Gegensatz zur absoluten Straftheorie überhaupt ein Strafzweck genannt. Allerdings sind gegen das Konzept der Spezialprävention erhebliche Bedenken anzumelden. Der spezialpräventiven Theorie liegt kein Maßstab zu Grunde, der eine schuldangemessene Bestrafung sicherstellt.26 Ein notorischer Dieb, der immer wieder kleine Diebstähle begeht, erwiese sich als „unverbesserlich“, sodass er bei konsequenter Umsetzung des Konzepts lebenslang eingesperrt werden müsste. Hingegen dürfte man einen vollständig ungefährlichen und resozialisierten Mörder überhaupt nicht sanktionieren. Die drei möglichen Einwirkungen sind für ihn nicht zielführend. Dass sich eine völlig überzogene Strafe ebensowenig wie eine vollkommen unangemessen milde Strafe von Verfassungs wegen nicht legitimieren lässt, liegt auf der Hand.27 Damit taugt die Spezialprävention schon im Ansatz nicht, um einen legitimen Strafzweck hervorzubringen. Dennoch ist der Gedanke der Sicherung der Gesellschaft vor einer gefährlichen Person sicherlich nicht illegitim. Allerdings ist die Strafe das falsche Mittel, um den mitunter legitimen Sicherungszweck zu realisieren. Vielmehr lässt sich der Sicherungsgedanke in das System der Maßregeln der Besserung und Sicherung und damit in das Gefahrenabwehrrecht

22 Das Zitat ist zu finden bei Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 11. Es stammt von Seneca unter Berufung auf die überlieferten Auffassungen Platons; ähnlich Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 59. 23 v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1 ff.; ausführlicher zum Marburger Programm Liszts Frisch, ZStW 94 (1982), 565 ff.; Naucke, ZStW 94 (1982), 525 ff. 24 Vgl. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 13; Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 11 ff.; Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 60 ff. 25 Zu diesen Möglichkeiten s. Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 12; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 13; Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 60 ff. 26 Zur Problematik der Findung eines schuldangemessenen Ausgleichs s. Roxin/Greco, AT, § 1 Rn. 16; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 15 f.; Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 65; Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 284; die im Text folgenden Beispiele samt Konsequenzen sind zu finden bei Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 15 ff.; zustimmend Roxin/ Greco, AT, § 3 Rn. 16. 27 Zur Begründung s. S. 46 ff.

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einflechten.28 Vor diesem Hintergrund ist auch die Theorie der Spezialprävention als legitimer Strafzweck zu verwerfen. b) Generalprävention Einem ähnlichen Schicksal unterliegt auch die sog. „Theorie der Generalprävention“.29 Sie rückt von der Einwirkung auf den einzelnen Täter ab und widmet sich der Beeinflussung der Allgemeinheit.30 Zweck der Strafe sei nicht die Abwendung einer von der Person des Täters ausgehenden Gefahr, sondern es gehe allein darum, potentiellen Tätern die Nachteile aufzuzeigen, die eine Straftatbegehung mit sich bringe. Ein präventiver Schutz gelinge nur, wenn das angedrohte unausbleibliche Übel, das auf eine Straftat folgt, größer sei, als der sinnliche Antrieb zur Straftat. Die Verhängung der Strafe nach begangener Tat dient nach dem Konzept der Androhungsgeneralprävention nur noch dazu, die Ernsthaftigkeit der Übelsandrohung aufzuzeigen.31 Der Abschreckungsgedanke32 wird auch als „negativer Aspekt“ der Generalprävention bezeichnet. Neben dem negativen Aspekt wird der Generalprävention auch noch ein „positiver“ Aspekt zugeschrieben. Die Bestrafung des Einzelnen stärke das Vertrauen in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung.33 Zwar weist die Generalprävention gewisse Vorteile im Gegensatz zur Spezialprävention auf34; dennoch taugt auch sie nicht als legitimer Strafzweck. Wie der Spezialprävention fehlt es der Generalprävention an einem akzeptablen Maßstab für die Feststellung der Strafhöhe, denn sie ist von einem bestimmten Zustand in der 28

Zum Stellenwert der Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie zu ihrem Unterschied zur Strafe s. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 98 ff. 29 Die Theorie der Generalprävention wurde im Wesentlichen von Paul Johann Anselm von Feuerbach entwickelt. Eine Zusammenfassung der Theorie ist in seinem Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts unter § 13 zu finden. 30 Allgemein zur Generalprävention s. etwa Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 21; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 18; Kinzig, in: Schönke/Schröder, Vor § 38 Rn. 3 ff.; Joecks/Erb, in: MüKoStGB, Einl. Rn. 67 ff. 31 I. d. S. Feuerbach, Lehrbuch, S. 38; vgl. Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 21; Jakobs, AT, 1/27. 32 Dieser Aspekt soll auch für die Herleitung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes relevant sein. Denn die Abschreckung könne nur gelingen, wenn die verbotene Handlung vor der Tat möglichst exakt im Gesetz festgelegt sei. Fehle es an einem Gesetz oder sei es zu undeutlich, so könne keine Abschreckungswirkung eintreten, da niemand wissen könne, ob sein Verhalten nun Strafe nach sich ziehe oder nicht. I. d. S. etwa Roxin/Greco, § 5 Rn. 22; unter Einbeziehung des „positiven Aspekts“ Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 14; ihm zustimmend Dannecker, FS Roxin, 2011, S. 285, 294 f.; krit. dazu Freund, FS Wolter, S. 35 f.; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 134 ff. sowie unten S. 52 ff. 33 Vgl. Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 288; Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 26; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 19; Radtke, in: MüKoStGB, Vor § 38 Rn. 35. 34 Die Generalprävention verfolgt im Sinne ihrer „positiven“ Ausprägung (Stärkung des Normbewusstseins) im Grunde den richtigen Ansatz. Allerdings tut sie das in einer verfassungsrechtlich nicht akzeptablen Weise. Dazu sogleich im Text.

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Gesellschaft abhängig.35 Konsequenterweise müsste die Bestrafung unterbleiben oder zumindest verschwindend gering ausfallen, wenn sich die den Täter umgebende Gesellschaft durch eine besondere Rechtstreue auszeichnet und daher der Abschreckung nicht bedarf. Hingegen müsste eine drastische Strafe verhängt werden, wenn die Gesellschaft – aus welchen Gründen auch immer – einen hohen sinnlichen Antrieb zur Straftat verspürt. In jedem Fall passt die Strafe – wie auch bei der Theorie der Spezialprävention – nicht zur Intensität des berechtigterweise erhebbaren Vorwurfs. Der mit der Strafe erhobene Vorwurf ist entweder zu gering oder überzogen. Zudem besteht nach diesem Konzept der Generalprävention die Gefahr, dass die Person des Täters als Objekt staatlichen Handels benutzt wird, um mit einer drakonischen Strafe die „Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung“36 zu sichern. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist dann ebenfalls nicht mehr ausgeschlossen.37 Damit genügt auch die Theorie der Generalprävention den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. 3. Restitutive Straftheorie Nach alldem ist die Frage nach dem legitimen Strafzweck noch immer nicht zufriedenstellend und vor allem auch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügend geklärt. Die traditionellen Straftheorien vermögen es nicht, einen legitimen Strafzweck hervorzubringen. Trotz großer Beliebtheit in der Strafrechtswissenschaft können auch die sog. „Vereinigungstheorien“38 an dem gefundenen Ergebnis nichts ändern. Vielmehr bedarf es einer Weiterentwicklung der traditionellen Theorien. Als eine Fortentwicklung der positiv-generalpräventiven Lehre 35

Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 20. Neben der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung und der Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung finden sich noch weitere Termini wie etwa Einübung der Rechtstreue, Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung oder kurz: Integrationsprävention. Dieser Begriff wurde wohl zuerst verwendet von Roxin, FS Bockelmann, S. 279, 306 f.; vgl. Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 27 mit Fn. 95 sowie Schäfer/Sander/van Gemmeren, Strafzumessung, S. 809. 37 So Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 20; Rostalski, Tatbegriff, S. 37, 39, 46, wonach der Einwand einer unzulässigen Instrumentalisierung im Raum steht, sofern der Einzelne einer Maßnahme unterzogen wird, die im Interesse Dritter erfolgt. Werde dem Betreffenden Strafe auferlegt, um Dritte von künftigen Straften abzuhalten – sei es im Wege der Abschreckung oder der Stärkung ihres Normbewusstseins – ist dies aber ersichtlich der Fall. Der Einzelne verkomme in einem solchen straftheoretischen System zum reinen Mittel zum Zweck. Seine Subjektqualität werde nicht in dem Maße geachtet, wie es die Verfassung eines freiheitlichen Gemeinwesens verlange. 38 Die Vereinigungstheorien möchten mehrere Strafzwecke miteinander kombinieren. Dadurch sollen die aufgezeigten Schwächen der verschiedenen Theorien ausgeglichen und zu einer in sich stimmigen Theorie zusammengefasst werden. Auf dieser Linie liegt auch der Bundesgerichtshof mit seiner „Spielraumtheorie“. Zum ebenfalls bestehenden Legitimationsdefizit der Vereinigungstheorien s. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 22 f.; krit. gegenüber der „Spielraumtheorie“ etwa Frisch, ZStW 99 (1987), 349, 362 f. 36

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lässt sich die sog. „Restitutive Straftheorie“ bezeichnen.39 Nach ihr dienen Schuldspruch und Strafe ausschließlich als angemessene, missbilligte Antwort auf die begangene Straftat, die als solche das beeinträchtige Recht wiederherstellt.40 Nach diesem Konzept ist zwar der Ansatzpunkt vergangenheitsbezogen, jedoch wird ein zukunftsbezogener legitimer Zweck verfolgt: Die Wahrung des verhaltenswirksamen Geltungsanspruchs des Rechts.41 Ihre Legitimation bezieht die restitutive Straftheorie nicht nur aus der strikten Einhaltung des staatlichen Aufgabenbereichs, sondern auch aus dem nach Art und Intensität mit Schuldspruch und Strafe erhobenen Vorwurf, der bei der Entscheidung für das spezifische Eingriffsmittel der (staatlichen) „Strafe“ stets zutreffen muss. Der Aufgabenbereich des Staates umfasst im hier interessierenden Kontext den Schutz der Daseins- und Entfaltungsbedingungen des Einzelnen, die durch eine Straftat zukunftswirksam beeinträchtigt werden.42 Die Erkenntnis, dass der Staat Einzelne zu schützen hat, lässt sich auf staatstheoretische Erwägungen zurückführen. Schon Hobbes sah den Staat als ein Gebilde an, dem sich dessen Bürger in Form eines Gesellschaftsvertrags unterwerfen und die damit einhergehenden Freiheitsbeschränkungen gegen den Schutz und die Sicherheit vor dem im Naturzustand herrschenden Recht des Stärkeren und dessen Willkür eintauschen.43 Um diese Aufgaben erfüllen zu können, muss der Staat immer dann aktiv werden, wenn die Freiheiten der Bürger untereinander kollidieren und die Freiheitsentfaltung des einen mit einer Freiheitsbeschränkung des anderen einhergeht. Diesen immer wieder auftretenden Interessenkonflikt angemessen aufzulösen und die berechtigten Interessen seiner Bürger zu schützen, ist die Hauptaufgabe des Staates. Kurzum: Der Aufgabenbereich des Staates bezieht sich vor allem auf den Rechtsgüterschutz seiner Bürger.44 Allerdings greift es zu kurz, wenn daraus der Schluss gezogen wird, dass damit auch dem Einsatz von Strafe der unmittelbare Schutz von Rechtsgütern – etwa des

39 Die Bezeichnung als restitutive Straftheorie findet sich erstmals in der 3. Auflage von Freunds Lehrbuch zum Allgemeinen Teil. Der Sache nach lag das Konzept der restitutiven Straftheorie, welches in Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen herausgearbeitet wurde, allerdings auch schon den vorherigen Auflagen zu Grunde. 40 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 6; der Sache nach bereits Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 80 ff.; ders., in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 72. 41 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 6. 42 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 2; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 40; ähnlich Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 1; Hecker, in: Schönke/Schröder, Vor § 1 Rn. 30; Jakobs, AT, 1/ 10 ff. 43 Hobbes, Leviathan, S. 95 f., 131 ff.; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 58; ausführlich zum Gesellschaftsvertrag und mit weiteren Nachweisen Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42, 81; zur Wichtigkeit der Abkehr vom Naturzustand Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 78; Rostalski, Tatbegriff, S. 18 f. 44 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 40.

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Lebens, der Freiheit oder des Eigentums – als legitimer Zweck zu Grunde liegt.45 Denn der tatsächliche Schutz von solchen Rechtsgütern (Leben, Freiheit, Eigentum etc.) des Einzelnen kann durch den Einsatz von Strafe nicht erreicht werden. Dem Schuldspruch und der Verhängung von Strafe ist immanent, dass sie stets zu spät ansetzen.46 Die Beeinträchtigung (Verletzung oder Gefährdung) des konkreten Rechtsguts ist zum Zeitpunkt des Schuldspruchs schon endgültig eingetreten. Durch die Bestrafung des Täters können weder Verletzungen geheilt werden noch werden bereits eingetretene Gefahren zurückgenommen. Will man unmittelbaren Rechtsgüterschutz betreiben, müssen die Rechtsgüter noch unverletzt bzw. unbeeinträchtigt vorliegen, woraus wiederum folgt, dass der unmittelbare Schutz solcher Rechtsgüter anders als durch den Einsatz von Strafe sichergestellt werden muss.47 Die erforderliche Sicherstellung gelingt durch das Aufstellen von Ver- und Geboten – also mittels Verhaltensnormen.48 Bei den Verhaltensnormen handelt es sich um eine den Sanktionsnormen vorgelagerte Normebene.49 Diese sind keine spezifisch strafrechtlichen Normen, sie kommen ebenso etwa im Zivilrecht vor und sind für unser angemessen geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben unerlässlich.50 Denn Verhaltensnormen statuieren rechtlich bindende Ver- oder Gebote, die das menschliche Verhalten reglementieren. Dadurch wird für jeden Bürger in bestimmten Situationen eine rechtsverbindliche Pflicht begründet, eine bestimmte güterschädigende Aktivität zu unterlassen oder etwas Bestimmtes für den Güterschutz zu tun. Nur mit derartigen Verhaltensnormen lässt sich – im Rahmen des faktisch Möglichen – einigermaßen sicherstellen, dass rechtlich relevante Interessen für die Zukunft vor Beeinträchtigungen geschützt sind. So dient etwa das auf der Basis abstrakt-genereller Wertentscheidungen – etwa zum (hohen) Rang menschlichen Lebens51 – kontext- und adressatenspezifisch konkretisierte Tötungsverbot dazu, unmittelbaren Lebensschutz zu gewährleisten.52 45 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 82 mit Fn. 102; ders., in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 65 ff.; i. d. S. auch Radtke, in: MüKoStGB, Vor § 38 Rn. 1. 46 So etwa Rostalski, Tatbegriff, S. 17 f.; Hassemer, NStZ 1989, 553, 558; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 66; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29. 47 Vgl. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 66. 48 Rostalski, Tatbegriff, S. 17; Oetker, ZStW 17 (1987), 493, 495; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 29; dies., GA 2020, 617, 618; Freund, GA 2010, 193, 195. 49 So schon Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 155 ff.; Freund, in: MüKoStGB, § Vor 13 Rn. 66 ff. 50 S. dazu Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 87 ff.; zur Bedeutung der vorstrafrechtlichen Normenordnung auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 28 ff., 78 ff.; Rostalski, Tatbegriff, S. 18 ff.; Frisch, NStZ 2016, 16 f. 51 Die Aussage „Du sollst nicht töten“ ist noch gar keine Verhaltensnorm, sondern bringt lediglich eine abstrakt-generelle Bewertung des Rechtsguts Leben (als im Grundsatz schutzwürdig) zum Ausdruck. Ausführlicher dazu unten S. 29 ff., 83 f. 52 Vgl. Rostalski, Tatbegriff, S. 17; Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 618; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 66.

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Damit der Einsatz von Strafe mit einem verfolgten Rechtsgüterschutzzweck legitimiert werden kann, gilt es also, ein Rechtsgut zu finden, welches – anders als Leib, Leben, Eigentum etc. – durch Schuldspruch und Strafe noch vor einem drohenden Schaden gerettet werden kann. In diesem Zusammenhang erlangt der verhaltenswirksame Geltungsanspruch des Rechts grundlegende Bedeutung. Denn der taugliche Adressat einer Verhaltensnorm bringt durch seinen Verhaltensnormverstoß zum Ausdruck, dass genau die kontext- und adressatenspezifisch konkretisierte Norm, die er übertreten hat, für ihn nicht gilt. Er teilt der Gemeinschaft durch einen Verstoß in konkludenter Form mit, dass die Norm zum Zeitpunkt der Übertretung für ihn keine Gültigkeit hat.53 Daran könnte selbst die ausdrücklich vorgenommene Bekundung nichts ändern, dass er das nicht wolle. Zwar tangiert die Normbrüchigkeit des Einzelnen die rechtliche Geltungskraft der Norm für die Gemeinschaft nicht. Dennoch muss genau dies zum Schutz der tatsächlich verhaltenswirksamen Normgeltung auch verdeutlicht werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass diese für das Zusammenleben höchst bedeutsame verhaltenswirksame Anerkennung der Normgeltung einen Schaden erleidet oder gar verfällt.54 Hier tritt nun das Strafrecht auf den Plan. Es ist die Aufgabe des Strafrechts, auf den Kommunikationsakt mittels einer angemessenen Antwort zu reagieren. Die Antwort erfolgt in Form von Schuldspruch und Strafe.55 Damit drückt die Gemeinschaft ihren passenden Widerspruch gegenüber dem Täter aus, der für sich entschieden hat, die Verhaltensnorm und damit das Recht nicht wahren zu müssen. Mit der Antwort bestätigt die Gemeinschaft zugleich, dass sie trotz des Verhaltens des Täters an der entsprechenden Verhaltensnorm mit ihren Wertungsgrundlagen festhalten will.56 Zudem wird durch die angemessene Antwort sichergestellt, dass der Täter nur genau dafür zu Rechenschaft gezogen wird, was er auch zu verantworten hat. Präventive Elemente bleiben unberücksichtigt, soweit es um die Bestimmung des Inhalts und der Intensität der angemessenen Missbilligung des Normverstoßes geht.57 Schuldspruch und Strafe bilden damit exakt die Antwort auf die begangene Straftat, die der Täter verdient hat. 53

Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 31 f.; eine andere Ansicht vertritt Herzberg, GA 2016, 737, 744 f., der wohl eher faktisch als normativ argumentiert und mit zwei Beispielen aufzuzeigen versucht, dass dem Täter eine Beschädigung der Normgeltung gar nicht im Sinne sei. Zudem bestehe die Gefahr eines Normgeltungsschadens ohnehin nicht. Dies zeigen Statistiken und langjährige Erfahrungen mit den Verboten, etwa des Diebstahls. 54 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 82 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 32 ff.; Frisch, NStZ 2016, 16, 18; ders., GA 2015, 65, 77 f. 55 Zur Relevanz des Schuldspruchs s. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 65 ff.; Freund/ Rostalski, JZ 2015, 716 ff.; sowie unten S. 129, 132; die Relevanz verkennend Stuckenberg, JZ 2015, 714 f. 56 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 32 ff. 57 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 8, 35. Die Bestätigung des Rechts erfolgt auf Kosten des Täters im Interesse aller Bürger und damit auch des Täters selbst. Eine unzulässige Instrumentalisierung liegt darin nicht, weil sich die Intensität des Vorwurfs allein nach Inhalt und Ausmaß des begangenen Verhaltensnormverstoßes richtet.

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

Resümieren wir kurz: Der Rechtsgüterschutz i. S. des Schutzes von Rechtsgütern wie etwa von Leib und Leben trägt die Legitimation von Strafe nicht unmittelbar; denn der Schutz dieser vom Täter konkret beeinträchtigten Rechtsgüter kann durch die Sanktionierung in Form von Schuldspruch und Strafe nach begangener Tat nicht mehr sichergestellt werden. Zum unmittelbaren Schutz dieser Rechtsgüter taugen nur Verhaltensnormen, auf deren Wirkung die Rechtsordnung vor der Tatbegehung setzen muss. Immerhin hat die staatliche Reaktion mit Schuldspruch und Strafe auf den Schutz der betroffenen Rechtsgüter einen mittelbaren Einfluss. Unmittelbar schützen Schuldspruch und Strafe die auch für die Zukunft unverzichtbare verhaltenswirksame Anerkennung der Normgeltung und damit als Rechtsgut das Recht selbst in seiner das angemessen geordnete Zusammenleben gestaltenden Funktion. Das Strafrecht bietet also nur einen sekundären Schutz.58 Man spricht insoweit auch vom „akzessorischen Charakter“ des Strafrechts.59 Sollen Rechtsgüter wie Leib und Leben geschützt werden, bedarf es der Aufstellung von Ver- und Geboten. Der einzelfallbezogenen Sanktionsnorm, die Schuldspruch und Strafe nach begangener Tat als Rechtsfolge(n) anordnet, liegt als zu schützendes Rechtsgut demgegenüber ausschließlich die verhaltenswirksame Geltungskraft der Verhaltensnorm (mit ihren verfassungsrechtlichen Wertungen) zu Grunde, die mittels Schuldspruch und Strafe bestätigt bzw. wiederhergestellt wird. Die Unterscheidung zwischen Verhaltensnorm und Sanktionsnorm mag zwar auf den ersten Blick „banal“ erscheinen;60 dennoch wird ihr, obwohl sie von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis des Strafrechts ist, nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt.61 Sie ist von grundlegender Bedeutung für die Bestimmung des strafrechtlich zu untersuchenden Verhaltens. Wenn das Rechtsgut durch Einhaltung der Verhaltensnorm hinreichend geschützt ist, fehlt für die Bestrafung des Bürgers jedwede Grundlage.62 Ebenso verhält es sich, wenn sich eine Verhaltensnorm nicht begründen lässt. Dann fehlt es schon an einem rechtlich fehlerhaften Verhalten. Voraussetzung einer jeden Bestrafung ist demnach der (hinreichend gewichtige) Verstoß gegen eine rechtlich kontext- und adressatenspezifisch legitimierte Verhaltensnorm, die zu bilden und zu befolgen war.63

58 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 66; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 51; Rostalski, Tatbegriff, S. 16; Frisch, NStZ 2016, 16, 17. 59 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50 ff.; Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 618. 60 So etwa Tiedemann, NJW 1993, 23, 26; vgl. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 77; vgl. ferner Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 47. 61 Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 47; i. d. S. auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 24. 62 So auch Heinrich, Strafschärfung, S. 40. 63 S. dazu Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 78; dies., GA 2018, 264, 266; Frisch, GA 2017, 364, 371; Rostalski, GA 2016, 73, 75.

II. Die Ebene der Verhaltensnormen

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II. Die Ebene der Verhaltensnormen 1. Legitimation von Verhaltensnormen Verhaltensnormen regulieren unser gesellschaftliches Miteinander. Auch wenn die durch die Einhaltung der Verhaltensnormen gewonnene Freiheit keineswegs unterschätzt werden darf64, stellen sie trotz allem einen mitunter empfindlichen Eingriff zumindest in unsere allgemeine Handlungsfreiheit dar. Wie alle staatlichen Eingriffe müssen Verhaltensnormen damit vier Kriterien erfüllen, um dem verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen: Sie müssen ein legitimes Ziel (einen legitimen Zweck) verfolgen und zu dessen Erreichung darüber hinaus geeignet, erforderlich und angemessen sein.65 Zur Klarstellung sei auch im Kontext der Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit darauf hingewiesen, dass die beiden schon mehrfach angesprochenen Normebenen strikt voneinander zu trennen sind.66 Entgegen einigen Stimmen67 ist die Bildung einer Bewertungseinheit von Verhaltens- und Sanktionsnormen, um anschließend einen „Gesamteingriff“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen, zum Scheitern verurteilt.68 Dass das nicht sinnvoll gelingen kann, zeigen schon die obigen Überlegungen zum zugrundeliegenden Rechtsgut der jeweiligen Normen. Während der legitime Zweck der primären Normebene dem Rechtsgüterschutz i. S. des unmittelbaren Schutzes von Rechtsgütern wie Leib oder Leben gewidmet ist, liegt der legitime Zweck auf der sekundären Normebene in der Restitution des beeinträchtigten Rechts. Dementsprechend ist auch der Abwägungsvorgang im Rahmen der Angemessenheit ein völlig anderer: Auf der Verhaltensnormebene gilt es, den immer wieder auftauchenden Konflikt der kollidierenden Güter und Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Demgegenüber muss auf der Sanktionsnormebene eine angemessene Sanktionsanordnung auf den begangenen Verhal-

64 Verhaltensnormen dienen jedem von uns als Garant für ein friedliches Zusammenleben. Sie gewährleisten uns Schutz vor der permanenten Unsicherheit, der Willkür des Stärkeren ausgesetzt zu sein. Dies kann als eine wesentliche Errungenschaft des modernen Staates gesehen werden. In diesem Sinne Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 78. S. dazu auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42, 64; Rostalski, Tatbegriff, S. 18, 64 f. 65 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 27; Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 269; dies., GA 2020, 618, 620. 66 Hierzu und auch zum Folgenden Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 86; Frisch, Verhalten, S. 77 sowie Fn. 33; Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 36; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 24 f. 67 S. dazu etwa Kaspar, Präventionsstrafrecht, S. 211 ff., 218 f., 224 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 90 f.; krit. gegenüber einer getrennten Prüfung wohl auch Gierhake, Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 191. 68 I. d. S. auch Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 626; Walther, Vollrausch, S. 33; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 25. – Speziell zur Notwendigkeit eines legitimen Zwecks als klarem Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung s. LeisnerEgensperger, JZ 2021, 913 ff.

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tensnormverstoß gefunden werden. Eine Vermengung beider Normtypen würde also entweder das eine oder das andere Ziel verfehlen. Bezugspunkt der Angemessenheitsprüfung im Rahmen der Sanktionsanordnung kann aber letztlich nur die konkrete Straftat sein, auf die sie sich bezieht.69 Anderenfalls besteht wiederum die Gefahr, dass der Täter über oder unter Gebühr bestraft wird, nicht aber dafür, was ihm tatsächlich angelastet werden kann. Insofern ist der vorher festgestellte Verstoß gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm elementar für die Beantwortung der Frage, ob und wie darauf mit Schuldspruch und gegebenenfalls mit weiteren Sanktionen zu reagieren ist.70 Ohne eine saubere Trennung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormebene fehlt es damit schon am unverzichtbaren Bezugspunkt, um eine angemessene Sanktionsüberlegung anzustellen. Dem Vorgehen mittels einer Bewertungseinheit stehen aber nicht nur normentheoretische, sondern auch logische Überlegungen entgegen.71 Hält der Bürger die ihm gegenüber legitimierte Verhaltensnorm ein, so bleibt es bei der Einschränkung seiner Freiheit durch die Verhaltensnorm. Einen weiteren Eingriff in Form von Schuldspruch und Strafe hat er dann nicht zu befürchten. Es bleibt bei nur einer Freiheitsbeschränkung. Ebenfalls bei nur einer Freiheitsbeschränkung verbleibt es aber auch, wenn der Bürger die legitimierte Freiheitsbeschränkung nicht hinnimmt und gegen die Verhaltensnorm verstößt, die er einzuhalten hat. Dann steht zwar eine Beschränkung durch Schuldspruch und Strafe im Raum, eine Freiheitsbeschränkung durch die Verhaltensnorm hat er aber gerade nicht erfahren, wurde diese ja von ihm mit seiner unberechtigten Freiheitsanmaßung nicht geachtet. In beiden Fällen fehlt es damit an einer doppelten Einschränkung der Rechte, welche aber als Bezugspunkt der Angemessenheitsprüfung im Sinne der „Bewertungseinheit“ notwendig wäre. Es bleibt also festzuhalten, dass die Freiheitsbeschränkung entweder aus der Einhaltung der Verhaltensnorm oder aus der Sanktionierung eines Verstoßes gegen eben diese Verhaltensnorm resultiert. Die Beschränkungen treten damit nur alternativ, niemals aber kumulativ auf, womit sich auch eine Zusammenfassung als „Bewertungseinheit“ erledigt, denn es gibt schlicht nichts, was man zusammenfassen könnte. Demnach muss es dabei bleiben, dass die konkretisierte Verhaltensnorm einerseits und die konkrete Sanktionsanordnung andererseits ihrer eigenständigen und differenzierten Beurteilung und rechtlicher Legitimation bedürfen. a) Legitimer Zweck – Rechtsgutsbegriff Kaum ein rechtlicher Begriff wird mit einer solchen Inbrunst bei gleichzeitig ebenso hoher Abstraktheit diskutiert wie der des Rechtsguts. Das dürfte wohl auch 69

Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 626. Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 626. 71 S. dazu und zum Folgenden Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 626; Walther, Vollrausch, S. 35; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 25. 70

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daran liegen, dass der Begriff des Rechtsguts sowohl für die Reichweite der bereits bestehenden Strafvorschriften als auch für die Schaffung neuer Strafvorschriften von wesentlicher Bedeutung ist.72 Die klassische Rechtsgutslehre versucht, dem Strafgesetzgeber durch die Herausarbeitung eines greifbaren und jedem zugänglichen, plausiblen und verwendungsfähigen Kriteriums einen Leitfaden an die Hand zu geben, was er zum Schutzgut einer Strafnorm erheben darf.73 Der Gesetzgeber sei damit auf die vorgegebenen strafrechtlichen Schutzgüter beschränkt; was nicht dem Rechtsgüterschutz diene, könne nicht legitimiert werden.74 Eine als allgemein anerkannt zu bezeichnende Definition, was Rechtsgüter sein können, ist allerdings trotz erheblicher Anstrengungen bislang zu vermissen. Vielmehr gibt es innerhalb der Rechtslehre eine Fülle an Definitionsvorschlägen75, die hier freilich nur lückenhaft dargestellt werden können. So wird das Rechtsgut etwa definiert als „vergeistigter ideeller Wert“,76 als „soziale Funktionseinheit, ohne die unsere staatliche Gesellschaft in ihrer konkreten Ausprägung nicht lebensfähig wäre“,77 oder als „Gegebenheit oder Zwecksetzung, die für eine freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind“78. Ob sich aus diesen Vorschlägen tatsächlich eine Begrenzung bestehender oder zukünftiger Strafvorschriften extrahieren lässt, mag man schon aufgrund der Abstraktheit bezweifeln.79 Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsgutslehre und ihre Ziele bislang nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für Strafgesetze anerkannt.80 Vielmehr stellt es sich in dem sog. „Inzest-Beschluss“ mit einer bemerkenswerten Entschlossenheit sogar gegen die Rechtsgutslehre.81 Die Leistungsfähigkeit der Rechtsgutslehre fehle schon aufgrund der Uneinigkeit über den Begriff des 72 Allgemein zur Bedeutung des Rechtsguts s. etwa Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 109 ff.; Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 2 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 21 ff.; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 45 ff.; Eisele, in: Schönke/ Schröder, Vor § 13 Rn. 9 ff.; Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 349 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 137 ff. 73 S. dazu Hassemer/Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 115; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 21 f.; Engländer, ZStW, 127 (2015), 616. 74 Vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 21 f. sowie Hassemer/ Neumann, in: NK-StGB, Vor § 1 Rn. 115 jeweils m. w. N. 75 Eine Aufzählung findet sich etwa bei Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 3 sowie bei Engländer, ZStW 127 (2015), 616, 620. 76 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 2 Rn. 10. 77 I. d. S. Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 16. 78 Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 7. 79 S. dazu Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 3; ähnlich Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 349, 357. 80 Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 86. 81 So konstatierte das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 120, 224, 241 f., dass Strafnormen von Verfassungs wegen keinen darüber hinausgehenden, strengeren Anforderungen hinsichtlich der mit ihnen verfolgten Zwecke unterliegen. Insbesondere ließen sich solche nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten.

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Rechtsguts. Lege man den Rechtsgutsbegriff im Sinne eines „normativen“82 Verständnisses zu Grunde, so reduziere sich der Begriff auf die Wiedergabe der ratio legis und könne damit keine Leitfunktion für den Gesetzgeber übernehmen.83 Hingegen würde der „neutralistische“84 Begriff zu einer verfassungswidrigen Einengung der gesetzgeberischen Kompetenz führen. Denn es sei nach der grundgesetzlichen Ordnung Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, sowohl die Strafzwecke als auch die mit den Mitteln des Strafrechts zu schützenden Güter festzulegen.85 Eine Begrenzung liege – wie sonst auch – nur in der Verfassung selbst, wobei dem Gesetzgeber ein erheblicher Ermessensspielraum zustehe.86 Aber auch in der Literatur wird zum Teil scharfe Kritik geäußert.87 Bei all der kritischen Auseinandersetzung mit der Rechtsgutslehre und damit auch mittelbar mit der Reichweite des deutschen Strafrechts darf man eines nicht aus dem Blick verlieren: Jeder Einsatz von Schuldspruch und Strafe stellt einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte Einzelner dar. Dass es dafür eines legitimen Zwecks bedarf steht außer Frage. Nach dem hier vorgestellten Konzept geht es bei der Frage um das Rechtsgut in erster Linie um nicht mehr, aber auch nicht weniger, als um die Bestimmung eines legitimen Zwecks der Verhaltensnorm.88 Die verschiedenen Konzepte stehen sich damit keineswegs unversöhnlich gegenüber. Vielmehr gilt es, die Frage nach dem Rechtsgut im richtigen Kontext einzuflechten, ist doch der Begriff des Rechtsguts mit dem des legitimen Zwecks einer Verhaltensnorm (und auf Sekundärebene dem des legitimen Zwecks einer Sanktionsnorm) deckungsgleich.89 Dem ganz entsprechend hilft auch die Loslösung von der Rechtsgutslehre sachlich nicht weiter, denn das Problem wird damit nur verschoben.90 Abermals geht es damit 82

Eine andere Bezeichnung ist der sog. formelle Rechtsgutsbegriff. S. dazu Engländer, ZStW 127 (2015), 616, 620; Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 1b. 83 BVerfGE 120, 224, 241. 84 Die Bezeichnung als neutralistisch stimmt mit der Bezeichnung des materiellen Rechtsgutsbegriffs überein. S. dazu Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 1c; Engländer, ZStW 127 (2015), 616, 620. 85 Auf dieser Linie liegt auch Stuckenberg, der in GA 2011, 653, 658 f. von einer nachgerade verstörenden Demokratieferne spricht und weiter ausführt, dass so unerfreulich es auch sein mag, so dürfe es doch verfassungsrechtlich kaum zu begründen sein, einer Parlamentsmehrheit zu verbieten, bloß unmoralisches Verhalten pönalisieren zu wollen. 86 BVerfGE 27, 18, 30; BVerfGE 39, 1, 46; BVerfGE 120, 224, 242. 87 Swoboda, ZStW 122, (120) 24, 37, die die Fähigkeit der Rechtsgutslehre, verbindliche kritische Maßstäbe aus eigener Kraft zu schaffen, als „Lebenslüge“ bezeichnet. 88 Es gilt also auch in dem hier interessierenden Kontext sauber zwischen den Rechtsgütern der Verhaltensnorm und den Rechtsgütern der Sanktionsnorm zu unterscheiden. Dies bemängelt auch Frisch, NStZ 2016, 16, 22 f., wenn er darauf hinweist, dass sich die Verfechter der Rechtsgutsdoktrin meist sofort der Legitimation und Grenzen der Pönalisierung zuwenden, ohne zu überprüfen, ob das Verhalten (als Rechtsüberschreitung) überhaupt verboten werden kann. 89 I. d. S. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 45; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 29 f. 90 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 45.

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im Grunde zunächst gar nicht um eine strafrechtliche Problematik, sondern um eine der primären Normenordnung, nämlich um die der Legitimation einer Verhaltensnorm.91 Die eigentlich entscheidende Frage ist damit, welchen legitimen Zweck (welches Rechtsgut) die konkrete Verhaltensnorm im jeweiligen Zeitpunkt schützt.92 Dass man die aufgeworfene Frage nicht pauschal beantworten kann, ist offensichtlich. Die Suche nach einem allgemeingültigen Rechtsgutsbegriff muss man damit als gescheitert ansehen. Insofern ist den Kritikern der Rechtsgutslehre durchaus zuzustimmen. Allerdings ist eine allgemeine Bestimmung auch gar nicht notwendig. Denn es lässt sich wohl kaum in Abrede stellen, dass die gesellschaftlichen Anschauungen wandelbar und damit dynamisch sind.93 Was als Rechtsgut anzusehen ist und was nicht, steht nicht unverrückbar fest. Vielmehr bestimmt die konkrete Rechtsordnung selbst – auch und gerade unter Berücksichtigung ihrer Verfassung –, was zu einem konkreten Zeitpunkt als Rechtsgut anzusehen ist.94 Über eines dürfte allerdings Einigkeit herrschen. Legitim kann der Zweck einer Verhaltensnorm nur sein, wenn ihr etwas Schützenswertes zu Grunde liegt.95 Darunter fallen zweifelsfrei die Freiheits- und Entfaltungsbedingungen des Einzelnen. Denn genau dies ist die Aufgabe des Staates: Die Sicherstellung eines angemessen geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens bei größtmöglicher Freiheitsentfaltung eines jeden.96 Was dafür, neben Lebens- und Gesundheitsschutz, Eigentumsschutz und Freiheitsschutz notwendig ist, bestimmt nun wiederum die konkrete Rechtsordnung selbst.97 Dadurch lassen sich auch die durch die gesellschaftliche Veränderung neu hervorgebrachten Güter ohne weiteres schützen.98 Die Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffes liegt damit zuvörderst auf der primären Normebene, genauer: Bei der Legitimation von Verhaltensnormen.99 Auch wenn der Kern der Verhältnismäßigkeitsprüfung in der Abwägung der kollidierenden Güter und Interessen liegt, so bildet der Rechtsgutsbegriff als legitimer Zweck der Verhaltensnorm dennoch den Anknüpfungspunkt für die Verhältnismäßigkeitsprü-

91

I. d. S. Frisch, NStZ 2016, 16, 22 f. S. dazu Freund/Rostalski, GA 2020, 618, 624 mit Fn. 41; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 37 ff., 45 ff., 60 ff. 93 Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 30 f. 94 So Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 46. 95 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 46. 96 S. dazu Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 87 ff.; zur Bedeutung der vorstrafrechtlichen Normenordnung auch Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 28 ff., 78 ff.; Rostalski, Tatbegriff, S. 18 ff.; Frisch, NStZ 2016, 16 f. 97 Zum legitimen Schutz der genannten Rechtsgüter s. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 54. 98 Legt man ein solches Verständnis zu Grunde, kann der Rechtsgutsbegriff durchaus als dynamisch angesehen werden. 99 Frisch, NStZ 2016, 16, 22 f.; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 29. 92

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fung und ist damit nicht nur Grundvoraussetzung für die Schaffung einer jeden Verhaltensnorm, sondern auch Grundvoraussetzung jeglicher Sanktionierung.100 Allerdings darf man die Erwartung auch nicht zu hoch stecken, die darauffolgende Enttäuschung liegt in der Natur der Sache. Vor allem sollte man sich davon verabschieden, dass der Rechtsgutsbegriff das Strafrecht bzw. den strafrechtlichen Gesetzgeber im direkten Zugriff unmittelbar beschränken könne.101 Eine durchaus bedeutsame mittelbare Beschränkung ergibt sich bei dem hier vorgestellten Konzept insbesondere durch die Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen fast automatisch. Denn der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass die von ihm auf strafgesetzlicher Ermächtigungsgrundlage vorgesehene Sanktionierung einen legitimen Zweck verfolgt. Damit bleibt dem Strafgesetzgeber von vornherein „nur“ die Möglichkeit, die Bildung von konkreten Sanktionsnormen durch das zuständige Strafgericht vorzusehen, die die Geltungskraft legitimer Verhaltensnormen (mit ihren Wertungsgrundlagen) schützen. Die einzige – freilich wichtige – Aufgabe, die dem Strafgesetzgeber zukommt, ist damit der mittelbare Schutz von Gütern, die die konkrete Rechtsordnung als schützenswert erachtet.102 Genau darin ist auch die mittelbar strafbarkeitsbegrenzende Wirkung des Rechtsgutsbegriff zu sehen.103 Der Gesetzgeber ist allerdings nicht dazu ermächtigt, jeglichen Verhaltensnormverstoß unter Strafe zu stellen, sondern nur solche, die dafür hinreichend gewichtig sind.104 Legt man dieses Konzept zu Grunde, so stehen die verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Gesetzgebers und der bezweckte Rechtsgüterschutz ohne weiteres in Einklang. Darauf sollte sich auch das Bundesverfassungsgericht zurückbesinnen.105 Die kritische Auseinandersetzung mit den Zielen, die ein Strafgesetz verfolgt, ist gerade im Hinblick auf die vielfach unkritisch attestierte besonders verhaltensleitende und beeinflussende Wirkung von Strafgesetzen dringend notwendig, um einen möglichen Missbrauch eben dieser Wirkungen durch den strafrechtlichen Gesetzgeber zu vermeiden. Fassen wir noch einmal kurz zusammen: Eine direkte Begrenzung der Reichweite strafrechtlicher Gesetzgebung aus dem Rechtsgutsbegriff ziehen zu wollen, ist nicht nur unnötig, sondern auch gar nicht möglich. Eine verfassungskonforme Beschränkung ergibt sich bei richtigem Verständnis aus dem strafrechtlichen System 100

Zum Verhaltensnormverstoß als Grundvoraussetzung eines jeden strafbaren Verhaltens s. etwa Rostalski, GA 2016, 73, 75 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50 ff.; Frisch, GA 2017, 364, 371. 101 I. d. S. auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 31; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 60. 102 I. d. S. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 50, 87 f. 103 I. d. S. Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 29. 104 Zu den Begrenzungen, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf der Ebene der Sanktionsnormen mit sich zieht, s. ausführlich unten S. 46 ff. 105 Krit. gegenüber der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 32.

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selbst heraus: Die konkrete Rechtsordnung bestimmt, welche Rechtsgüter sie als schützenswert erachtet und die daher einer Verhaltensnorm als legitimer Zweck dienen. Dem Strafgesetzgeber obliegt es nun, innerhalb seiner Einschätzungsprärogative eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Bildung einzelfallbezogener Sanktionsnormen zu schaffen, um so zu bestimmen, ob und wie auf einen Verhaltensnormverstoß zu reagieren ist.106 Für das Strafrecht nimmt der Rechtsgüterschutzgedanke damit einen mittelbaren Stellenwert ein – eben durch die Legitimation von einzelfallbezogenen Sanktionsnormen, denen eine rechtsgüterschützende konkretisierte Verhaltensnorm zu Grunde liegen muss.107 b) Geeignetheit Verhaltensnormen dienen durch das Aufstellen von rechtlich verbindlichen Geboten und Verboten dem präventiven Schutz von Rechtsgütern. Dafür geeignet sind sie bereits, wenn sie dem verfolgten Zweck zumindest förderlich sind.108 Immerhin scheiden vollkommen ungeeignete „Verhaltensnormen“ aus. Nicht legitimierbar ist es zum Beispiel, jemandem Verhaltensweisen aufzuerlegen, zu deren Umsetzung er gar nicht im Stande ist.109 Es gilt der Grundsatz „ultra posse nemo obligatur“.110 Er sagt aus, dass Unmögliches von der konkreten Person in der konkreten Situation nicht verlangt werden darf. aa) Perspektivische Bestimmung der Verhaltensnormlegitimation Aus dem oben genannten Grundsatz ergibt sich auch unzweifelhaft die maßgebliche Adressatenperspektive. Verhaltensnormen sollen verhaltensleitend wirken, um güterschädigende Verhaltensweisen des Adressaten zu unterbinden. Das können sie aber nur, wenn die Verhaltensnormanforderungen vom Adressanten in der konkreten (!) Situation bestimmt und befolgt werden können. Erkenntnisse, die der Betroffene erst nach dem relevanten Zeitpunkt erlangt, können für die Legitimation von Verhaltensnormen damit ebenso wenig relevant sein, wie die eines allwissenden

106 Dabei ist zu beachten, dass das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes bereits vorgegeben ist. Der Strafgesetzgeber kann dieses Gewicht nicht manipulieren. Die Reaktion muss stets eine angemessene sein. Dazu unten S. 44 sowie Freund, in: MüKoStGB, § 97 AMG Rn. 2 m. w. N. zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Schaffung von Strafgesetzen als Ermächtigungsgrundlagen für die Bildung einzelfallbezogener Sanktionsnormen durch das Strafgericht. 107 I. d. S. auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 31. 108 S. dazu BVerfGE 30, 250, 263 ff.; BVerfGE 65, 116, 126; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/ Scholz, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 114. 109 S. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 56 ff.; ders., in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 179; Rostalski, Tatbegriff, S. 74 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 28 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 67 f. 110 Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 29.

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Beobachters.111 Die Auferlegung einer in dem Zeitpunkt – mangels Kenntnis der relevanten Umstände – nicht zu befolgenden Verhaltensweise ist schlicht sinnlos. Das Sinnlose aber lässt sich niemals legitimieren.112 Das bedeutet freilich nicht, dass der Beurteilungsmaßstab bei der Legitimation von Verhaltensnormen ein Subjektiver ist.113 Den Maßstab gibt stets das Recht vor. Der von den Verhaltensnormen bezweckte Rechtsgüterschutz wäre unmöglich umzusetzen, wenn auch vermeidbare – genauer: rechtlich zu beanstandende – Irrtümer für den potentiellen Normadressaten zu einem Verlust der Bindungswirkung führen würden. Dem unachtsamen Bürger würde man damit letztendlich einen Freibrief zur Güterschädigung ausstellen. Die Bindungswirkung der Verhaltensnorm entfällt nur, wenn der potentielle Normadressat die relevanten Umstände aufgrund eines rechtlich nicht zu beanstandenden Irrtums verkennt.114 Eine andere Betrachtungsweise würde wiederum dazu führen, dass man dem Betreffenden etwas abverlangt, wozu er nicht im Stande ist. Um dem intendierten Rechtsgüterschutz bestmögliche Entfaltung zu verleihen, wäre es indes ebenso verfehlt, rechtlich relevante Güterschädigungsmöglichkeiten, die aus der maßgeblichen Perspektive ex ante anzunehmen sind, als erlaubt anzusehen, nur weil sich im Nachhinein herausstellt, dass die Gefahr doch nicht bestand. Selbst wenn ein solcher Fall eintreten sollte, kann dies für die Legitimation von Verhaltensnormen schon mit Blick auf die zu vermeidende Möglichkeit der Güterbeeinträchtigung nicht von Belang sein.115 Besteht also bei angemessen rechtlicher Betrachtung aus der Perspektive des Normadressanten eine ernsthafte Schädigungsmöglichkeit, so ist er rechtlich verpflichtet, sich auf diese Schädigungsmöglichkeit einzustellen und sein Verhalten entsprechend normgemäß auszurichten. Eine andere Sichtweise verhindert nicht nur, dass die aus der maßgeblichen Perspektive durchaus bestehende Möglichkeit der Güterschädigung aus der Welt geschafft wird, sie führt vielmehr zu Gegenteiligem. Der Normadressat könnte trotz berechtigter Gefahrenannahme dazu motiviert werden, etwa seine Hilfe unter der Vorstellung der sich ex-post schon noch herausstellenden Harmlosigkeit zu unterlassen. Eine solche Motivationslage darf keineswegs aufkommen, denn mit jeder risikobehafteten Entscheidung steigt die Chance, dass letztendlich doch die Rechtsgüter anderer in Mitleidenschaft gezogen werden.116 111

S. dazu Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 179 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 28 ff. 112 Mit ähnlichen Worten schon Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, 1885, S. 158: „Das Sinnlose aber versucht kein Vernünftiger“. 113 S. dazu Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 182; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 67; Rostalski, Tatbegriff, S. 74 f. 114 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 55 f.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 67. 115 Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 30 ff.; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 58; ders., in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 203. 116 I. d. S. Rostalski, Tatbegriff, S. 76; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 68.

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Aus dem Gesagten ergibt sich, dass als angemessene Perspektive für die Verhaltensnormlegitimation einzig die Sachlage in Betracht kommt, die sich dem Betreffenden in der konkreten Situation darbietet. Diese ist anhand rechtlicher Kriterien zu beurteilen.117 Nur so lässt sich sicherstellen, dass dem potentiellen Normadressaten nichts Unmögliches abverlangt wird, er aber auch nicht hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, sondern ihm genau das abverlangt wird, was im Hinblick auf ein funktionierendes Rechtsgüterschutzkonzept notwendig und angemessen ist: Die Vermeidung von Schädigungsmöglichkeiten, die der Betroffene erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. bb) Möglicher Adressat einer Verhaltensnorm Um die Frage nach dem tauglichen Adressaten von Verhaltensnormen beantworten zu können, muss man sich erneut auf ihre Wirkungsbedingungen zurückbesinnen. Damit die in den Verhaltensnormen enthaltenen Ge- und Verbote ihre verhaltensmotivierende Wirkung entfalten können, ist es zumindest notwendig, dass der potentielle Normadressat die Fähigkeit hat, die abgegebenen Appelle tatsächlich zu hören. Fehlt es schon an dieser Fähigkeit, so geht jedweder Normbefehl ins Leere und ist mithin für den Rechtsgüterschutz nicht im Geringsten förderlich.118 Mit anderen Worten: Die Verhaltensnorm ist dann ungeeignet, ihre angestrebten Belange zu erreichen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Idee der strafrechtlichen Verantwortung von juristischen Personen als verfehlt angesehen werden.119 Richtig ist, dass die juristische Person in der Rechtswelt als eigenes Rechtssubjekt angesehen wird und ihr insofern Rechte gewährleistet und Pflichten auferlegt werden. Entgegen verbreiteter Ansicht lässt dies aber gerade keine Rückschlüsse auf die Fähigkeit juristischer Personen zur Normbildung und Normbefolgung zu.120 Eine Verhaltensnorm übertreten und damit ihre Geltungskraft in Frage stellen kann nur, wer für sich einen freien und – in diesem Fall fehlerhaften – Willen bilden

117

Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 28 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 68. Freund/Rostalski, GA 2018, 265, 268; Rostalski, Tatbegriff, S. 104. 119 Eingehend dazu Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 46 ff. et passim; Rostalski, Tatbegriff, S. 407 ff. 120 Anders Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11, 16 f.; Ehrhardt, Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, S. 187, 194, 196; weitere Nachweise bei Mulch, Strafe und andere Maßnahme, S. 56 mit Fn. 194. Zu den verschiedenen Argumentationsstrukturen für die Einführung einer Verbandsstrafe samt Kritik s. Roxin/Greco, AT, § 8 Rn. 60 ff.; zur Kritik am „Zurechnungsmodell“ s. Rostalski, Tatbegriff, S. 409 f. sowie Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 70 ff. Der Gedanke der Bestrafung juristischer Personen lag auch der Entwurfsbegründung des Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Bezug auf § 30 OWiG zu Grunde, BT-Drs. 10/318 S. 40. Dazu ausführlich Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 90 ff. 118

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und umsetzen kann.121 Dazu ist die juristische Person als Konstrukt des Rechts aber gerade nicht in der Lage. Allein durch den Verbund von Personen zu einer eigenen Rechtspersönlichkeit wird kein Geschöpf mit kognitiven Fähigkeiten erschaffen.122 Vielmehr ist die juristische Person insofern stets auf ihre Organe und Vertreter angewiesen. Lediglich diese Personen haben die Möglichkeit, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden und auf dieser Basis die richtigen Entscheidungen zu treffen und ihr Verhalten normgemäß auszurichten.123 Zuzugestehen ist sicherlich, dass das Zusammenwirken von vielen geringen Fehlleistungen einzelner natürlicher Personen zu einer großen Gefahr werden kann und eine strafrechtliche Reaktion als dringend notwendig erscheint. Jedoch rechtfertigen solche Erwägungen nicht das Abrücken von den Grundvoraussetzungen rechtsstaatlichen Strafens.124 Mangels Adressatenfähigkeiten der juristischen Person fehlt es auch an einer Infragestellung der Geltungskraft einer Verhaltensnorm. Der Einsatz von Strafe wäre damit als zweckgebundenes Mittel mit spezifischem (Vorwurfs-)Inhalt völlig verfehlt.125 Nicht anders verhält es sich mit Blick auf Schuldunfähige. Denn auch in diesem Fall fehlt das zwingend notwendige personale Verhaltensunrecht.126 Der Betroffene muss in der Lage sein, sich gegen die Rechtsordnung zu stellen, obwohl ihm die Wahl zwischen Recht und Unrecht offensteht. Schuld muss damit verstanden werden als die dem selbstbestimmten Wesen Mensch inhärente Fähigkeit zur freien Entscheidung zwischen Recht und Unrecht.127 Kurzum: Die Fähigkeit zum Andershandeln. Der Schuldunfähige aber besitzt diese Fähigkeit gerade nicht. Der Vorwurf, ein etwa an Verfolgungswahn leidender Geisteskranker hätte sich in der konkreten Situation anders verhalten können und müssen, lässt sich wohl nur schwer erheben. Ihm gegenüber kann die Verhaltensnorm ihre verhaltensleitende Wirkung nicht entfalten. In diesem Kontext geht es nicht darum, dass vorhandene Normen nur nicht erkannt und befolgt werden können. Die entsprechenden Normen entstehen vielmehr erst durch

121

Vgl. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 147; ders., in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 59 Rn. 34; Rostalski, Tatbegriff, S. 408; Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 51 f.; Freund, GA 2010, 193, 197; der Sache nach auch Frisch, GA 2017, 364, 371. 122 I. d. S. Rostalski, Tatbegriff, S. 408; Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 54; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 60. 123 I. d. S. Roxin/Greco, AT, § 8 Rn. 59; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 145: Die juristische Person ist wie ein „hilfloses Kind“ auf die natürliche Person angewiesen, da nur diese in der Lage ist, „die Welt nach rechtlichen Gesichtspunkten zu gestalten“. 124 So auch Rostalski, Tatbegriff, S. 407. 125 Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 75, 80. 126 I. d. S. Frisch, GA 2017, 703, 705 f. 127 I. d. S. BVerfGE 109, 133; BVerfGE 123, 267, 413; BGHSt 2, 194, 200; Rostalski, Tatbegriff, S. 102; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 137 ff.; s. dazu Radtke, GA 2011, 636, 640 f.; ders., in: MüKoStGB, Vor § 38 Rn. 19 ff., 31; zum Schuldprinzip im Allgemeinen s. BVerfGE 25, 269, 285; Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7 ff.

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eine vom Adressaten in der jeweiligen Situation vorgenommene Konkretisierung.128 Dem Schuldunfähigen fehlt es demnach nicht nur an der Fähigkeit des Erkennens und der Befolgung der „Verhaltensnorm“, er ist schon kein tauglicher Adressat einer ihm gegenüber geltenden Verhaltensnorm. Mangels eines tauglichen Adressaten ist die Verhaltensnorm damit auch in diesem Fall schon ungeeignet, ihren legitimen Nutzen zu erfüllen. Diesen Überlegungen kann nicht entgegenhalten werden, dass gegenüber Personen mit entsprechender Fähigkeit zur Normbefolgung eine Verhaltensnorm hätte legitimiert werden können.129 Gegen eine nur hypothetische Norm kann auch nur hypothetisch verstoßen werden. Schuldspruch und Strafe trägt ein solch hypothetischer Verstoß freilich nicht.130 Vor diesem Hintergrund muss die Trennung von Unrecht und Schuld als verfehlt angesehen werden. Hierbei handelt es sich keineswegs um eine Vermengung von „Vorwurfsgegenstand“ und „Vorwurfsgrund“. Vielmehr fehlt es bereits mangels Verhaltensnormverstoßes am Unrecht, auf das sich ein irgendwie geartetes Bewusstsein beziehen könnte. Das sog. schuldlose Unrecht ist somit strafrechtlich gesehen eine contradictio in adiecto.131 Es bleibt daher dabei: Wer ohne Schuld handelt oder unterlässt, verstößt gegen keine ihm gegenüber legitimierbare Verhaltensnorm. c) Erforderlichkeit und Angemessenheit Die Erforderlichkeit einer Verhaltensnorm setzt voraus, dass sie das relativ mildeste Mittel zur Erreichung des ihr mit ihr verfolgten Zwecks ist.132 Im Rahmen der Verhaltensnorm ist die Prüfung der Erforderlichkeit vor allem dann relevant, wenn sich der gewünschte Nutzen auch durch eine weniger stark belastende Verhaltensnorm erzielen lässt.133 Denn dann ließe sich nur diese legitimieren. Jede weitere Beschränkung der Handlungsfreiheit wäre unnötig und daher nicht legitimierbar. Mit der Begründung einer Verhaltensnorm geht stets eine Freiheitsbeschränkung des potentiellen Normadressaten einher. Jedenfalls die allgemeine Handlungsfrei-

128 S. dazu Freund/Rostalski, GA 2018, 264 ff.; dies., GA 2020, 617, 620; sowie ausführlich unten S. 36 ff. 129 S. zu diesen Überlegungen Greco, GA 2009, 636 ff. 130 Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 267. 131 Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 267; Rostalski, Tatbegriff, S. 102 ff. 132 Zur Erforderlichkeit im Allgemeinen s. BVerfGE 77, 78; BVerfGE 90, 145; Klatt/ Meister, JuS 2014, 193, 195; Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 115. 133 S. dazu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 73 ff.

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

heit134 aus Art. 2 I GG streitet mit dem jeweils zu schützenden Rechtsgut, etwa Leib, Leben oder Eigentum. Damit muss auch die Einschränkung, die mit einer Verhaltensnorm – als Bestandteil eines staatlichen Eingriffs – einhergeht, zu dem angestrebten Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Für die Feststellung der Angemessenheit bedarf es einer Abwägung der kollidierenden Interessen. Kurzum: Notwendig ist eine Güter- und Interessenabwägung. Nur wenn die Prüfung ein eindeutiges Überwiegen des durch die Verhaltensnorm geschützten Rechtsguts ergibt, kann die Legitimation im Hinblick auf die erwünschte faktische Wirksamkeit gelingen.135 Durch die genaue Bestimmung der im Wege der Güter- und Interessenabwägung herausgearbeiteten Verhaltensregeln ergibt sich ein System, welches den potentiellen Normadressaten nicht über Gebühr einschränkt, gleichzeitig aber den Schutz der anerkannten Rechtsgüter – nach den Vorstellungen der jeweiligen Rechtsordnung – bestmöglich sicherstellt.136 Zudem entledigt sich das System jeglicher Starrheit, denn es ermöglicht ohne weiteres neue Rechtsgüter, die aus der gesellschaftlichen Entwicklung entstanden sind, in die Abwägung miteinzubeziehen.137 Als Produkt der Abwägung ergibt sich im maßgeblichen Verhaltenszeitpunkt eine eindeutige Aussage darüber, ob das Verhalten im konkreten Einzelfall dem Recht entspricht oder aber (Verhaltens-)Unrecht ist. 2. Konkretisierung von Verhaltensnormen Dass ein von der rechtlichen Verhaltensordnung abweichendes und rechtlich missbilligtes Verhalten eine Anwendungsvoraussetzung von Strafgesetzen ist, kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden.138 Nicht ganz unberechtigt ist allerdings die Frage Herzbergs, wo die Verhaltensnormen zu finden sind.139 Auch Herzberg zitiert das in diesem Kontext häufig genannte „Verbot“ „Du sollst nicht töten“. Allerdings meint Herzberg, dass es sich dabei nicht um eine rechtliche Verhaltensnorm handele, sondern um eines der Zehn Gebote des Alten Testaments. Eine verhaltensleitende

134 S. zu diesem Aspekt und zu den möglicherweise weiteren betroffenen Grundrechten Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 55 mit Fn. 56. 135 S. dazu Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 58; Freund, GA 1991, 387, 390 ff., 396 ff. 136 Einen lückenlosen Schutz der Rechtsgüter kann und soll es nicht geben. Auch hochrangige Rechtsgüter wie das Leben sind nicht vollumfänglich geschützt. Man denke etwa an den Straßen- und Luftverkehr, in dem sehenden Auges erhöhte Risiken für das Leben in Kauf genommen werden. Es handelt sich um ein einkalkuliertes bzw. um ein sog. „erlaubtes Risiko“. S. zu diesem und weiteren Beispielen Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 155 f. sowie Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 51 ff., § 2 Rn. 13 ff. 137 So auch Heinrich, Strafschärfung, S. 45. 138 Anders aber Herzberg, GA 2016, 737 f., wobei Frisch Herzbergs Kritik nicht als Infragestellung der Notwendigkeit eines Verstoßes gegen die rechtliche Verhaltensordnung überhaupt deutet (Frisch, GA 2017, 364, 371 Fn. 36). 139 Herzberg, GA 2016, 737 ff.

II. Die Ebene der Verhaltensnormen

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Wirkung entfalte es freilich genauso wenig wie der ebenfalls im Alten Testament festgelegte Beschneidungsbefehl.140 Die Aussage ist teilweise zutreffend. Denn bei dem „Verbot“ „Du sollst nicht töten“ handelt es sich noch gar nicht um eine Verhaltensnorm, die Verbindlichkeit im konkreten Kontext beansprucht, sondern nur um eine zum Ausdruck gebrachte abstrakt-generelle Bewertung menschlichen Lebens als im Grundsatz schützenswert.141 Ausschließlich mit solch abstrakten Vorprodukten arbeiten allerdings genau diejenigen, die aus dem jeweiligen Strafgesetz ganz bestimmte Ver- oder Gebote ableiten möchten.142 Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass etwa das Totschlags- bzw. Tötungsverbot in § 212 I StGB bzw. § 222 StGB enthalten sei.143 Die Sanktionierung des Totschlags oder der fahrlässigen Tötung impliziere damit den darin liegenden Verhaltensnormverstoß. Ein Verhaltensnormverstoß sei damit keine Anwendungsvoraussetzung einer Straftat; vielmehr sei diese selbst der Verhaltensnormverstoß.144 Einem solchen Verständnis ist zu widersprechen: Selbst, wenn man zugestehen würde, dass in § 212 StGB I bzw. § 222 StGB die „Verhaltensnorm“ „Du sollst nicht töten“ enthalten wäre145, so bleibt dennoch die Frage offen, welche verhaltensleitende Wirkung sich daraus im konkreten Zeitpunkt für den jeweils Betroffenen ergeben soll. Das Herantragen von abstrakten „Normbefehlen“ („Du sollst nicht töten“), die viel zu allgemein gehalten sind, hilft den potentiellen Adressaten nicht im Geringsten weiter. Denn eine letztendliche Entscheidung darüber, wie er sich im konkreten Zeitpunkt zu verhalten hat, ist in solchen Vorprodukten mitnichten enthalten.146 Wenn sich aber aus dem abstrakten „Normbefehl“ noch gar keine konkreten Konsequenzen für den Betroffenen ergeben, dann kann das Arbeiten mit abstrakten Vorprodukten nicht zielführend sein. Das Versagen einer solchen Vorgehensweise ist im Grunde auch eindeutig. Denn wie sich der Betreffende im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt zu verhalten hat, ist das Ergebnis einer Güter- und Interessenabwägung, mithin einer Legitimation, die der eigenständigen Wertung bedarf.147 Das kann durch abstrakte – viel zu ungenaue – „Normbefehle“ nicht gelingen. Das Missverständnis, aus Strafgesetzen Verhaltensnormen ableiten zu können, fußt erneut auf der nicht oder zumindest nicht hinreichend beachteten Trennung der 140

Das Beispiel ist zu finden bei Herzberg, GA 2016, 737, 747. Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 265, 267 f.; dies., GA 2020, 617, 620. 142 Vgl. Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 265. 143 Zu einem solchen Konzept Herzberg, GA 2016, 737 ff.; vgl. Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 265. 144 Herzberg, GA 2016, 737. 145 I. d. S. wohl etwa Dannecker, FS Otto, S. 25, 31: „Die Regelungen des Allgemeinen Teils haben jedoch andere Funktionen als die Tatbestände des Besonderen Teils, welche die Verhaltensnormen statuieren“. 146 I. d. S. Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 271. 147 I. d. S. Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 272. 141

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

beiden Normebenen. Wie auch schon im Rahmen der Diskussion um das Rechtsgut besteht die Gefahr, dass der stets zu begründende Verhaltensnormverstoß materiell nicht legitimiert wird.148 Beispielhaft149 ist in diesem Kontext der – glücklicherweise – mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig angesehene § 217 StGB zu nennen.150 Unkritischer Gesetzespositivismus ging von Folgendem aus: Das dort beschriebene Verhalten sei bis zum Inkrafttreten der Norm im Dezember 2015 rechtlich erlaubt, wenn auch ethisch umstritten gewesen. Durch die Schaffung des § 217 StGB habe sich die Sachlage geändert. Denn nun existierte eine Rechtsnorm, die die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung verböte.151 Ein solches Verständnis bringt die Folgen der Vermischung der beiden Normebenen offen zu Tage. Denn die Argumentation setzt abermals zu spät an: Zunächst gilt es zu begründen, warum ein Verhalten rechtlich verboten ist. Der notwendige Argumentationsaufwand lässt sich nicht mit einem Verweis auf das vom Strafgesetzgeber geschaffene Strafgesetz erbringen.152 Denn eines dürfte klar sein: Durch die bloße Schaffung eines Strafgesetzes schlägt ein völlig harmloses Verhalten nicht in ein schädliches und Rechte anderer beeinträchtigendes Verhalten um. Auch nach der vermeintlichen Strafbewehrung bleibt das Verhalten völlig harmlos. Es wurde schlicht ein verfassungswidriges Strafgesetz geschaffen, denn es fehlt an einem legitimen Zweck – dem Schutz einer legitimen Verhaltensnorm (mit ihren Wertungsgrundlagen). Genau hier liegt der entscheidende Vorteil der aufgezeigten Normentheorie. Sie ermöglicht die Überprüfung der gesetzgeberischen Tätigkeit. Wer versucht, aus den Strafgesetzen vermeintliche Verbote herauszulesen, der unterliegt der Gefahr, mögliche gesetzgeberische Willkür zu verteidigen.153 Indessen ist stets darauf zu achten, Verhaltensnormen – unter Beachtung der entsprechenden Legitimationsbedingungen – sachlich zu begründen! So auch bei dem genannten Beispiel der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Wenn sich eine Verhaltensnorm im Hinblick auf den Aspekt des Le148

Zu dieser Vermutung s. Freund/Rostalski, GA 2018, 264 f. Ein weiteres Beispiel bildet § 173 Abs. 2 S. 2 StGB, der den Beischlaf unter leiblichen Geschwistern pönalisiert. In seiner aktuellen Fassung genügt § 173 Abs. 2 S. 2 StGB nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, denn es fehlt schon an einem legitimen Zweck. Weder eugenische noch moralische Gründe rechtfertigen ein Verbot. Ebenso wenig rechtfertigt der Schutz von Ehe und Familie das Inzestverbot. Als Legitimationsbasis in Betracht kommt lediglich der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Es ist durchaus möglich, dass Geschwister in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis stehen und der jeweils Abhängige den Beischlaf nicht freiwillig vollzieht. Dennoch kann eine dieses Rechtsgut schützende Verhaltensnorm nicht § 173 Abs. 2 S. 2 StGB zu Grunde liegen, denn weder der Wortlaut noch die Systematik deutet auf eine solche Differenzierung hin. Zum Ganzen ausführlich Hassemer, NJW 2008, 1142 ff.; Hörnle, NJW 2008, 2085 ff.; Rostalski, RPhZ, 2018, 157, 169; dies., Gesinnung und Straftat, S. 70; dies., Tatbegriff, S. 94 f.; Greco, ZIS 2008, 234, 235. 150 BVerfGE 153, 182. 151 So wohl Herzberg, in GA 2016, 737, 747. 152 Freund/Rostalski, GA 2022, 541, 544 ff. 153 I. d. S. Rostalski, Tatbegriff, S. 85; Freund/Rostalski, GA 2020, 618, 623. 149

II. Die Ebene der Verhaltensnormen

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bensschutzes nicht legitimieren lässt und es sich damit um eine erlaubte (!) Beihilfe zu einer freiverantwortlichen Selbsttötung handelt, dann kann die Bereitschaft zur mehrfachen Beihilfe materiell-rechtlich nicht dazu führen, dass das Verhalten unerlaubt wird. Warum sich ein erlaubtes Verhalten durch die wiederholte Vornahme zu einem Unerlaubten entwickeln soll, bleibt völlig im Dunkeln. Wer einmal in die Luft springt, der begeht kein Unrecht. Auch bei zehnmaligem Wiederholen ändert sich das gefundene Ergebnis keineswegs, selbst dann nicht, wenn der Gesetzgeber aus unerfindlichen Gründen ein darauf bezogenes Strafgesetz schaffen sollte. Umgekehrt verliert ein legitimes Verbot seinen rechtlichen Charakter ebenso wenig, wenn das entsprechende Strafgesetz gestrichen wird. Man kann nur hoffen, dass jeder Bürger auch nach einer hypothetischen Streichung von § 316 StGB das von dieser Strafvorschrift unabhängige Verbot, sich im berauschten Zustand am Straßenverkehr zu beteiligen, als für sich rechtlich bindend erachtet.154/155 Zudem existieren unzählige Verhaltensweisen, die einen schadensträchtigen Verlauf nach sich ziehen (können), ohne dass ein entsprechendes Gesetz im Strafgesetzbuch zu finden ist.156 So etwa im Fall der bloß fahrlässigen Sachbeschädigung oder in Fällen, in denen fahrlässig eine Gefahr im Hinblick auf Leib oder Leben eines anderen geschaffen wird, aber glücklicherweise eine Vollendung ausbleibt. Wer hier davon ausgeht, die fahrlässige Sachbeschädigung oder das Schießen auf eine Person, die sich außerhalb der gewöhnlichen Reichweite befindet, so dass ein Treffer damit im höchsten Maße unwahrscheinlich ist, sei nicht verboten und damit rechtlich nicht bindend, sondern nur eine bloße moralische Anstößigkeit, der zeigt ein wohl eher defizitäres Verständnis unserer Rechtsordnung. Um zu der von Herzberg aufgeworfenen Frage zurückzukehren: Verhaltensnormen sind im Grunde nirgends zu finden; jedenfalls schwirren sie nicht in der Luft herum oder sind irgendwie niedergeschrieben. Die Antwort auf die Frage ergibt sich erneut, wenn man sich auf die Funktion von Verhaltensnormen zurückbesinnt. Sie sollen ihren potentiellen Normadressaten dazu motivieren, sich rechtlich einwandfrei zu verhalten. Wenn aber abstrakte „Normbefehle“ dazu nicht in der Lage sind, so bedarf es zwingend einer Konkretisierung. Diese Konkretisierung kann nur vom

154 Ein anderes Verständnis liegt wohl der Annahme Kaspars, Präventionsstrafrecht, S. 355 zu Grunde, der Verhaltensnormen nur dann einen rechtlichen Eingriff in die individuelle Freiheit attestiert, wenn die Möglichkeit einer Sanktionierung im weitesten Sinne stillschweigend in die Betrachtung einbezogen wird. Der Eingriff bestehe daher aus der untrennbaren Einheit aus Verhaltensnorm und den vom Grundrechtsträger antizipierten Folgen. – Krit. zu dieser Annahme Freund/Rostalski, GA 2020, 618, 622. Zum Verhältnis von Pflicht und Zwang s. Kaufmann, Bindings Normentheorie, S. 53. S. dazu auch Freund/Rostalski, GA 2022, 541, 546 ff. 155 Anders wohl Herzberg, ZIS 2021, 420, 421 „Das tut fast allein die Befürchtung, bestraft zu werden und die Fahrerlaubnis zu verlieren. Wäre der Mann aus irgendwelchen Gründen fest überzeugt, der Polizei nicht zu begegnen, so würde er sich ans Steuer setzen“. 156 Zur Einordnung und Unterscheidung von erlaubten, rechtlich missbilligten, strafbewehrten sowie definitiv strafbaren Verhaltensweisen s. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 79 ff.

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

potentiellen Normadressanten selbst vorgenommen werden.157 Denn nur er hat im verhaltensrelevanten Zeitpunkt die Kenntnis über all die Umstände, die für die Entscheidung über die rechtliche Bewertung des Verhaltens von Bedeutung sind. Schon die Bildung der konkretisierten „kontext- und adressatenspezifischen“ Verhaltensnorm ist damit die zunächst zu vollbringende Aufgabe ihres Normadressanten.158 Bei der Bildung der Verhaltensnorm ist ihr Normadressat aber keineswegs auf sich allein gestellt. Ihm steht eine Vielzahl von Anhaltspunkten zur Verfügung, an denen er sich bei der Normbildung orientieren kann. Diese Konkretisierungshilfen (!) können auch durchaus durch Dritte von außen an ihn herangetragen werden.159 Klassisches Beispiel einer solchen Orientierungshilfe und Vorwertung der Rechtsordnung ist das von der zuständigen Behörde aufgestellte geschwindigkeitsbegrenzende Verkehrsschild.160 Dieses kann und muss der potentielle Normadressat nutzen, um die Konkretisierung vorzunehmen. Die Konkretisierung misslingt allerdings etwa dann, wenn das Verkehrsschild unbefugt entfernt wird und auch sonst für den Normadressaten keinerlei Möglichkeit bereitsteht, um die Konkretisierung vorzunehmen. Erweist sich die Konkretisierung als unmöglich, so bleibt es wiederum bei dem abstrakten Vorprodukt, welches keinerlei verbindliches rechtliches Ge- oder Verbot auslöst. Mitunter können damit erhebliche Probleme bei der Normbildung bzw. -konkretisierung auftreten. Selbst wenn der potentielle Normadressat grundsätzlich dazu in der Lage ist, kann die Konkretisierung, wie im oben genannten Beispiel, aufgrund von Umständen des Einzelfalls misslingen. Die auftretenden Konkretisierungsprobleme stimmen mit den Problemen, die sich im Hinblick auf die Bestimmung des „subjektiven“ Fahrlässigkeitsvorwurfes stellen, vollkommen überein.161 3. Zwischenfazit Mindestvoraussetzung für den Einsatz von Schuldspruch und Strafe sowie deren Legitimation ist der Verstoß gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm, die zu bilden und zu befolgen war. Ihre rechtliche Legitimation zieht die Verhaltensnorm aus dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes. Dies gilt allerdings nur, wenn der verfolgte Rechtsgüterschutz mit einer verhältnismäßigen Freiheitseinschränkung des Be157 Freund/Rostalski, GA 2020, 618, 619; dies., GA 2022, 541, 547 ff.; Freund, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 59 Rn. 26. 158 Diese Aufgabe kann weder die juristische Person noch der Schuldunfähige erfüllen. 159 Das Bereitstellen von Konkretisierungshilfen ist die in diesem Kontext einzig zulässige Aufgabe der Exekutive. Sie ist gerade nicht dazu ermächtigt, spezifische Tatbestandskriterien zu konkretisieren. S. dazu Freund/Rostalski, GA 2017, 443, 449 f.; dies., AT, § 2 Rn. 47. Zu diesem wichtigen Aspekt im Kontext der Blankettstrafgesetze s. S. 155 ff. 160 Zu diesem Beispiel und zum Folgenden Freund, in: MüKoStGB, Vor § 95 AMG Rn. 56 ff.; Freund/Rostalski, GA 2018, 264, 272; dies., AT, § 5 Rn. 48 ff. 161 S. dazu etwa Duttge, in: MüKoStGB, § 15 Rn. 105 ff., 114 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 5 Rn. 23 ff., 48 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, § 15 Rn. 35 ff.

III. Die Ebene der Sanktionsnormen

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troffenen einhergeht. Die Verhaltensnorm muss demnach für den legitimen Zweck des Rechtsgüterschutzes geeignet, erforderlich und angemessen sein. Um den Rechtsgüterschutz als Grundvoraussetzung einer jeden Verhaltensnorm und die Freiheitsbeschränkung in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, bedarf es im Kollisionsfall einer Güter- und Interessenabwägung. Diese Abwägung und damit letztendlich auch die Bildung der Verhaltensnorm wird dem Bürger nicht schon im Vorfeld abgenommen oder durch einen fiktiven Dritten durchgeführt. Vielmehr ist es die ureigene Aufgabe ihres potentiellen Adressaten – einem Adressaten, der zum Andershandeln fähig ist – diese eigenständig, freilich mittels Konkretisierungshilfen zu bilden. Um die Abwägung sachgerecht durchführen zu können, ist es notwendig, nur solche Umstände einzubeziehen, die dem Betroffenen im konkreten Zeitpunkt zur Verfügung standen. Weder die Einbeziehung nachträglich gewonnener Erkenntnisse noch die Zugrundelegung von (rechtlich zu beanstandenden) individuellen Fehlleistungen dienen einem angemessenen Abwägungsvorgang. Denn entweder würde es zu einer Überforderung des Betroffenen führen oder der Rechtsgüterschutz würde in nicht angemessener Weise betrieben. Erst im Anschluss an den Verstoß gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm tritt das Strafrecht auf den Plan. Dem Einsatz von Schuldspruch und Strafe obliegt einzig und allein die Aufgabe, die durch die Übertretung in Frage gestellte Verhaltensnorm (mit ihren Wertungsgrundlagen) vor ihrem Verfall, zumindest aber vor ihrer Schwächung zu schützen. Dies geschieht durch Schuldspruch und möglicherweise weitere Sanktionen, mit dem bzw. denen der Staat als rechtlich verfasste Gemeinschaft dem Täter mitteilt, dass trotz Übertretung der Verhaltensnorm noch an dieser (bzw. ihren Wertungsgrundlagen) festgehalten wird. Ein solch zweistufiges Vorgehen ist nicht im Geringsten ein normentheoretisches Geplänkel, sondern bietet zum einen ein flexibles und klares System und zum anderen ist es unverzichtbar, um den Einsatz von Strafe überhaupt erst in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden Weise zu legitimieren.

III. Die Ebene der Sanktionsnormen 1. Rechtsnatur der Sanktionsnorm im Verhältnis zur Rechtsnatur des Strafgesetzes Für die Bestimmung der Rechtsnatur von Sanktionsnormen muss zunächst zwischen den abstrakt-generellen Strafbarkeitsbestimmungen der Strafgesetze und den auf ihrer Grundlage von den zuständigen Strafgerichten gebildeten einzelfallbezogenen Sanktionsnormen (mit den als deren Rechtsfolge ausgesprochenen konkreten Sanktionsanordnungen) unterschieden werden.162 Während das Strafgesetz allein die Ermächtigungsgrundlage darstellt, ermöglicht einzig die Sanktions162 Dazu und zum Folgenden ausführlich Freund/Rostalski, GA 2022, 541, 544 ff.; Freund/ Bünzel, Elemente, S. 8 ff.

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

norm die Anordnung, dass für den konkreten Einzelfall die Rechtsfolge in Form eines bestimmten Schuldspruchs und regelmäßig auch eines ganz bestimmten zusätzlichen Strafübels eintreten soll. Die Unterscheidung zwischen Strafgesetz und Sanktionsnorm ist insoweit wichtig, als das Strafgesetz aufgrund seiner Abstraktheit gerade nicht in der Lage ist, eine Entscheidung für eine konkrete Person in einer konkreten Situation zu treffen. Für die Feststellung, dass sämtliche Merkmale eines Strafgesetzes sowie alle sonstigen Sanktionsvoraussetzungen im konkreten Fall erfüllt ist, ist das Strafgesetz selbst wenig hilfreich. Diese Funktion kann nur im Zusammenhang mit der Bildung der einzelfallbezogenen und stets entsprechend konkretisierten Sanktionsnorm seitens der zuständigen Strafgerichte erfüllt werden. Allein in ihr finden sich sämtliche materiellen und formellen Voraussetzungen, die für den konkreten Einzelfall von Relevanz sind. Soweit alle notwendigen Voraussetzungen sachlich begründet wurden, enthält die Sanktionsnorm, die auf der Basis des einschlägigen Strafgesetzes gebildet wurde, als Rechtsfolge die Anordnung von Schuldspruch und bestimmter Strafe. Strafgesetz und Sanktionsnorm sind somit inhaltlich nicht deckungsgleich, auch wenn die Bezeichnungen zumindest teilweise synonym verwendet werden.163 So ordnet etwa § 212 Abs. 1 StGB – als Beispiel für ein Strafgesetz – in abstraktgenereller Form an, „Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft“. Dabei handelt es sich aber nach dem bisher Gesagten keineswegs um eine fertige Sanktionsnorm, aus der sich eine konkrete Sanktionsanordnung im Einzelfall ergeben würde.164 Davon abgesehen, dass dem Gesetzgeber eine solche Regelung mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung ohnehin untersagt wäre165, lässt sich dem genannten Paragrafen gerade nicht entnehmen, ob sämtliche Voraussetzungen für einen entsprechenden Schuldspruch erfüllt sind und wie genau die betreffende Person im Einzelfall zu bestrafen ist.166 Die Festlegung eben dieser entscheidenden Kriterien ist dem Strafgesetzgeber weder möglich noch ist sie notwendig.167 Seine Aufgabe erstreckt sich vielmehr allein auf die Statuierung von abstrakten Merkmalen für eine Vielzahl zukünftiger Fälle, anhand deren das zuständige Strafgericht eine einzelfallbezogene Sanktionsnorm bilden und daraufhin eine entsprechende Entscheidung im Einzelfall

163 Zudem ist die Unterscheidung auch für das Verständnis des Bestimmtheitsgrundsatzes von Bedeutung. Der Bestimmtheitsgrundsatz bezieht sich allein auf die Strafgesetze, da allein diese die Strafbarkeit abstrakt-generell bestimmen. Zu den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes s. ausführlich unten S. 70 ff. 164 Vgl. Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 620; dies., GA 2018, 264, 273. Generell zur Bedeutung gesetzlicher Tatbestände s. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 68 ff. 165 Aufgrund der Intensität strafrechtlicher Grundrechtseingriffe muss die Legitimation des Eingriffs zumindest von zwei Staatsgewalten abgesichert sein. Ausführlich dazu S. 61 ff. sowie die in Fn. 266 genannten Autoren. 166 Freund, in: Grundlagen und Konzepte des Strafrechts, S. 175, 177 f. 167 S. dazu im Kontext der Fahrlässigkeit noch unten S. 88 ff.

III. Die Ebene der Sanktionsnormen

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treffen kann.168 Aus dieser verfassungsrechtlich verankerten Aufgabenverteilung ergibt sich zudem, wer – jedenfalls primärer – Adressat von Strafgesetzen ist: Es sind die zuständigen staatlichen Organe.169 Die Annahme, dass zumindest auch der Bürger Adressat von Strafgesetzen sei, gründet auf der Vorstellung, dass in den Strafgesetzen abstrakte Strafandrohungen gegenüber dem Bürger enthalten seien.170 Zu einem solchen Verständnis dürften insbesondere diejenigen gelangen, die dem „Abschreckungsgedanken“ für die Legitimation von Strafe Gewicht beimessen. Diese Annahme ist allerdings problematisch. Auch hier dürfte das problematische Verständnis auf einer unsauberen Trennung zwischen der Verhaltens- und Sanktionsnormebene gründen. Lediglich Verhaltensnormen richten sich – wie bereits dargelegt – in direkter Form an den Einzelnen, der sie zu bilden und zu befolgen hat. Sanktionsnormen hingegen sind niemals vom Bürger, sondern nur von den dazu berufenen staatlichen Organen auf strafgesetzlicher Grundlage zu bilden und anzuwenden. Sie schützen auch nicht etwa unmittelbar das Rechtsgut, dessen Schutz die Verhaltensnorm im Auge hat. Durch einzelfallbezogene konkrete Sanktionsnormen nach begangener Tat wird primär nur eines geschützt: Die Geltungskraft der rechtlich legitimierten Verhaltensnorm (mit ihren Wertungsgrundlagen), gegen die verstoßen worden ist.171 Die Strafgesetze sind damit ein Ausdruck dessen, welche abstrakt-generellen Merkmale nach Auffassung der Gesellschaft, vertreten durch den parlamentarischen Gesetzgeber, ein Verhaltensnormverstoß aufweisen muss, damit eine strafrechtliche Reaktion erfolgen kann, und ermächtigen die zuständigen Organe gegen eben diese Art von Verhaltensnormverstößen das Strafrecht einzusetzen.172 Ob ein Verhaltensnormverstoß vorliegt, entscheidet nicht das Strafgesetz, sondern richtet sich nach den Legitimationsbedingungen für Verhaltensnormen. Das Strafgesetzt setzt den Verhaltensnormverstoß voraus und legt nur fest, welche abstrakt-generellen Eigenschaften der Verstoß aufweisen muss, damit das Strafgesetz Anwendung finden kann. Das soeben Gesagte bedeutet freilich nicht, dass durch die im Strafgesetz angedrohte Strafe nicht auch ein mittelbarer Rechtsgüterschutz erreicht werden kann.173 Sicherlich wird es potentielle Straftäter geben, die sich durch die abstrakte Strafandrohung abschrecken lassen und so von ihrem verbotenen und strafbewehrten Verhalten absehen. Zur Legitimation des strafenden Eingriffs kann die Androhungsprävention allerdings nichts beitragen. Denn verfassungsrechtlich darf natürlich nur eine solche Strafe angedroht werden, die mit dem Gewicht des jeweiligen Verhaltensnormverstoßes übereinstimmt. Ein Negativbeispiel – welches Einzug in 168

I. d. S. Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 620. Rostalski, Tatbegriff, S. 53 f.; dies., RphZ 2018, 157,162; Schmidhäuser, GS Martens, 231, 241; ders., AT, 3/10 ff.; Freund/Rostalski, GA, 2022, 541, 542. 170 Dazu und zum Folgenden Rostalski, Tatbegriff, S. 53 f.; dies., RphZ 2018, 157, 162 mit Fn. 20; Freund/Rostalski, GA, 2022, 541, 547 ff. 171 Dazu bereits oben S. 20 ff. 172 I. d. S. Rostalski, Tatbegriff, S. 55. 173 S. dazu Herzberg, ZIS 2021, 420, 421. 169

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

das Strafgesetzbuch gefunden hat – bildet insoweit etwa § 164 Abs. 3 StGB, die qualifizierte falsche Verdächtigung. Strenger bestraft werden soll hiernach derjenige, der die falsche Verdächtigung begeht, um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe zu erlangen.174 Gemäß dem Willen des Gesetzgebers sollte die strengere Bestrafung die präventive Wirkung des Strafgesetzes erhöhen.175 Die abstrakte Strafandrohung sollte mithin einen weiteren Anreiz zum normkonformen Verhalten liefern. Unabhängig von der fehlenden empirischen Belegung dieser Wirkung taugt sie indessen zur Legitimation der Strafe nicht. Zwar kommt dem Gesetzgeber bei der Einschätzung des Gewichts einer Straftat ein gewisser Spielraum zu, jedoch muss diese sich – wie die Strafe selbst – im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen befinden. In Bezug auf § 164 Abs. 3 StGB stellt sich nun die Frage, ob die Erlangung einer Strafmilderung nicht ein eher nachvollziehbares Motiv ist, als es etwa die bloße boshafte falsche Verdächtigung ist.176 Dieser Umstand müsste sich demnach – wenn überhaupt – sogar strafmildernd, darf sich aber jedenfalls nicht strafschärfend auswirken. An diesem Beispiel zeigt sich, dass präventive Überlegungen im Strafmaß nicht als Anreiz zum normkonformen Verhalten missbraucht werden dürfen. Nach dem Menschenbild des Grundgesetzes und jeder freiheitlichen Rechtsordnung muss die Motivation zum richtigen Verhalten bereits durch die Legitimationsgründe der Verhaltensnorm selbst erreicht werden.177 Zudem darf auch ein weiterer Aspekt nicht missverstanden werden: Aus der fehlenden Adressateneigenschaft der Bürger folgt nicht, dass mit den abstrakt-generellen Strafgesetzen noch keinerlei Beeinträchtigung einhergeht.178 Das Bestehen der Strafvorschriften bewirkt, dass der Bürger bei einschlägigem Verhalten im Grundsatz mit einer Bestrafung rechnen muss. Über ihm schwebt das Damoklesschwert des Strafrechts. Selbst bei verfassungswidrigen Strafgesetzen, wie etwa § 217 StGB, lässt sich nicht in Abrede stellen, dass die davon potentiell Betroffenen ein eigentlich erlaubtes Verhalten vermeiden, weil sie zumindest faktisch befürchten müssen, dafür bestraft zu werden. Jedenfalls eine mittelbare Beeinträchtigung durch das Strafgesetz ist damit anzunehmen. Umso wichtiger ist es, bereits das Strafgesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Freilich ändert dieser Umstand

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S. zu diesem Beispiel Freund, in: MüKoStGB, §§ 1 – 4 AntiDopG Rn. 140; Freund/ Rostalski, GA 2022, 541, 549. 175 S. dazu Zopfs, in: MüKoStGB, § 164 Rn. 44. 176 Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 79. 177 S. dazu bereits der Unterschied zwischen verbotenem und strafbewehrtem Verhalten sowie oben S. 37 ff. 178 Dieser Ansicht dürfte auch das Bundesverfassungsgericht sein, wenn es eine Verfassungsbeschwerde auch ohne konkrete Sanktionsanordnung als zulässig erachtet. S. dazu BVerfGE 81, 70, 82 f. Zur Verfassungsbeschwerde im strafrechtlichen Kontext s. Badura/ Kranz, ZJS 2009, 382 ff.

III. Die Ebene der Sanktionsnormen

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nichts an der eigentlichen Funktion von Strafgesetzen. Die Beeinträchtigung ist lediglich ein Nebeneffekt, der durch ihre Existenz hervorgerufen wird.179 Strafgesetze sind damit trotz möglicher mittelbarer Beeinträchtigungen des Bürgers lediglich abstrakt-generelle Ermächtigungsgrundlagen für die Bildung einer einzelfallbezogenen Sanktionsnorm als Entscheidungsnorm, die wiederum eine konkrete Sanktionsanordnung zum Inhalt hat.180 Sie unterscheiden sich nicht von anderen Ermächtigungsgrundlagen, wie sie etwa im Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesländer zu finden sind. Inhalt der Strafgesetze ist damit nur, dass unter bestimmten Voraussetzungen auf eine bestimmte Verhaltensweise mit Schuldspruch und Strafe reagiert werden soll.181 Sobald die jeweiligen Voraussetzungen einer konkreten Sanktionsanordnung vorliegen, der Täter also in diesem umfassenden Sinn den Tatbestand des Strafgesetzes (rechtswidrig und hinreichend schuldhaft – genauer: endgültig missbilligt und durch einen hinreichend gewichtigen Verhaltensnormverstoß) erfüllt hat182, wird die Rechtsfolge der vom Strafgericht – auf strafgesetzlicher Ermächtigungsgrundlage – zu bildenden einzelfallbezogenen konkreten Sanktionsnorm ausgelöst. Die Feststellung, ob der Angeklagte tatsächlich das entsprechende Strafgesetz erfüllt hat und damit die Rechtsfolge in Form von Schuldspruch und Strafe ausgelöst hat, ist nun wiederum Sache der Strafgerichte. Sie allein dürfen und müssen darlegen, ob die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind.183 Genauer: Sie müssen dem Angeklagten überzeugungskräftig darlegen, dass er tatsächlich gegen eine ihm gegenüber kontext- und adressatenspezifisch legitimierbare Verhaltensnorm verstoßen hat und dieser Verstoß die strafgesetzlich abstrakt-generellen Eigenschaften aufweist sowie gegebenenfalls, ob die im Strafgesetz festgelegte Fehlverhaltensfolge eingetreten ist.

179 Zum Verhältnis von Funktion und Begleiterscheinung eines Strafgesetzes s. Rostalski, Tatbegriff, S. 56 f. 180 Schmidhäuser, AT, 3/10; Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 618; dies., GA 2018, 264, 273; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 69 mit Fn. 108; Rostalski, Tatbegriff, S. 55, 83; dies., RphZ 2018, 157, 162. 181 Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 618; dies., AT, § 1 Rn. 50. 182 Freund/Rostalski, GA 2020, 617,618. Verfehlt ist damit im Grunde auch die Bezeichnung, der Täter habe gegen ein Strafgesetz verstoßen. Das ist ihm gar nicht möglich. Vielmehr verstößt er gegen eine ihm gegenüber rechtlich legitimierte Verhaltensnorm. Der Verstoß ist zur Erfüllung (!) des Gesetzes notwendig. Zu dem den Strafgesetzen zu Grunde liegenden Konditionalprogramm s. Freund, GA 1999, 509; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 68; Heinrich, Strafschärfung, S. 41. 183 Rostalski, Tatbegriff, S. 80 f.

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2. Legitimation von Sanktionsnormen Dass Schuldspruch und Strafe einen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen darstellen, liegt auf der Hand.184 Die Rechtsfolge der Sanktionsnorm dürfte regelmäßig die tiefgreifendste Beeinträchtigung sein, die der Staat gegenüber seinen Bürgern vornehmen kann. Von dieser Basis aus versteht es sich von selbst, dass auch auf der Ebene der Sanktionsnormen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine entscheidende Rolle spielt. Dass auch auf der Verhaltensnormebene bereits eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattgefunden hat, macht eine erneute verfassungsrechtliche Überprüfung auf der Ebene der Sanktionsnorm nicht etwa überflüssig.185 Wie auch die Verhaltensnormen müssen Sanktionsnormen einen legitimen Zweck erfüllen, zu dessen Erreichung sie geeignet, erforderlich und angemessen sind. a) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Hinblick auf die Sanktionsnorm Der legitime Zweck von Sanktionsnormen wurde schon mehrmals aufgezeigt. Er beläuft sich auf die Sicherung der Geltungskraft von Verhaltensnormen (mit ihren Wertungsgrundlagen).186 Für die Sicherung der Normgeltung durch Schuldspruch und Strafe nach begangener Tat ist es notwendig, dass der Schuldspruch samt gegebenenfalls weiteren Sanktionen sowohl bei der Allgemeinheit als auch bei dem Angeklagten mit Akzeptanz rechnen kann.187 Wird auf den begangenen Normverstoß zu krass oder zu milde188 reagiert, besteht sogar die Gefahr, dass die Normgeltung wegen der Fehlreaktion einen Schaden erleidet, statt bestätigt bzw. geschützt zu werden. Es bedarf demnach einer staatlichen Reaktion, die mit dem vom Täter tatsächlich Verbrochenen übereinstimmt – indem er also genau so weit in seinen Rechten beschnitten wird, wie es für die Restitution der übertretenen Verhaltensnorm als des verletzten Rechts notwendig ist. Mit anderen Worten: Ausschließlich eine dem konkreten Normverstoß gerecht werdende – also traditionell formuliert: schuldangemessene – Reaktion kann den angestrebten Zweck in legitimer Weise erfüllen.

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Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 620; dies., AT, § 1 Rn. 28 ff. I. d. S. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 31 ff., 74 ff.; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 97. 186 Der mit der Strafandrohung möglicherweise einhergehende Anreiz zum normkonformen Verhalten ist ein erwünschter Nebeneffekt des Strafgesetzes. 187 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 107; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 58. I. d. S. auch Reus, Risikogesellschaft, S. 88 ff.; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 115; Heinrich, Strafschärfung, S. 47 ff. 188 Teilweise werden Überlegungen angestellt, ob eine Bestrafung, die hinter dem eigentlich begangenen Unrecht zurückbleibt, aus präventiven Gründen gestattet sein sollte. S. dazu Roxin/Greco, AT, § 3 Rn. 54; krit. dazu Frisch, FS Kaiser, S. 765, 786. 185

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Um eine solche schuldangemessene Reaktion gewährleisten zu können, wird oftmals das verfassungsrechtliche Schuldprinzip (Nulla poena sine culpa) bemüht.189 Aus dem Schuldprinzip wird abgeleitet, dass die Strafe lediglich dann anzuwenden ist, wenn der mit der Strafe einhergehende rechtliche Tadel gegenüber dem Täter berechtigt ist.190 Um einen Verstoß gegen das Schuldprinzip vermeiden zu können, muss demnach zunächst einmal festgestellt werden, dass überhaupt ein hinreichendes Maß an personalem Unrecht vorhanden ist, um die Bestrafung legitimieren zu können.191 Das notwendige personale Fehlverhalten – oder auch die notwendige Schuld192 – fehlt offensichtlich bei Kindern (§ 19 StGB) oder bei psychisch kranken Personen (§ 20 StGB) – also bei Schuldunfähigen. Allerdings kann es auch bei grundsätzlich schuldfähigen Personen an einem hinreichend gewichtigen Verhaltensnormverstoß fehlen, um die „scharfe Waffe“ des Strafrechts einzusetzen.193 So etwa in Fällen der leichtesten Fahrlässigkeit oder bei bagatellhaften Fehlverhaltensweisen.194 Erst wenn ein hinreichend gewichtiges Fehlverhalten vorliegt, gilt es in einem zweiten gedanklichen Schritt, die Strafe nach ihrer Intensität an das Maß der Schuld anzupassen.195 Diese Vorgehensweise ist sicherlich richtig; allerdings bedarf es im Grunde keines Verweises auf das Schuldprinzip. Eine strafbarkeitslimitierende Wirkung kommt ihm nur mittelbar zu.196 Denn eine (strafrechtliche) staatliche Maßnahme, die sich nicht genau an der Schuld des Täters orientiert, ist bereits weder geeignet noch erforderlich und schon gar nicht angemessen. Der unzulässige Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen ergibt sich nicht erst durch den Verstoß gegen das Schuldprinzip. Schon der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist in der Lage, die strafbarkeitsbegrenzende Funktion zu übernehmen, wenn seine Prüfung im Hinblick auf das personale Fehlverhalten des Täters konkretisiert wird. Bei dem verfassungsrechtlichen Schuldprinzip handelt es sich letztendlich „nur“ um eine konkrete Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.197 An der konsequenten Wahrung des Schuldprinzips ändert dieser Befund freilich nichts.198 189 Der verfassungsrechtliche Rang wird dem Schuldprinzip auch ohne ausdrückliche Verankerung im Grundgesetz zugestanden; grundlegend BVerfGE 20, 323, 331. 190 S. dazu Roxin/Greco, § 3 Rn. 51; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 59. 191 Das personale Fehlverhalten spielt damit nicht nur für das „Wie“ des Einsatzes von Schuldspruch und Strafe eine Rolle, sondern auch für das „Ob“. 192 Zur unterschiedlichen Begrifflichkeit s. Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 4 mit Fn. 6 sowie die dort genannten weiteren Nachweise. 193 S. dazu Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 1, 6, 19 ff. 194 Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 23. 195 Zur Aufteilung des Schuldgrundsatzes in die Strafbegründungsschuld und die Strafzumessungsschuld s. Radtke, in: MüKoStGB, Vor § 38 Rn. 15. 196 So auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 127 f. 197 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 88; Reus, Risikogesellschaft, S. 89; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 415, der freilich davon ausgeht, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip das Schuldprinzip nicht ersetzen könne. Grundlegend zum Verhältnis von Schuldprinzip und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Frisch, NStZ 2013, 249 ff. 198 I. d. S. wohl auch Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 43.

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Abermals im Zentrum der Verhältnismäßigkeitsprüfung steht damit die Bestimmung der angemessenen Reaktion. Dennoch lohnt es sich, auch auf die anderen Aspekte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – die Geeignetheit und Erforderlichkeit – einen Blick zu werfen. Ihrem legitimen Zweck förderlich und damit geeignet sind Sanktionsnormen im hier interessierenden Zusammenhang, wenn sie der Wiederherstellung der verhaltenswirksamen Normgeltung dienen. Ihre Eignung dazu lässt sich grundsätzlich nicht anzweifeln. Durch den Schuldspruch und gegebenenfalls ein weiteres Strafübel drückt die Gesellschaft aus, dass sie weiterhin an der Normgeltung festhalten will und das Verhalten des Angeklagten nicht toleriert. Die Freiheitsbeschränkung, die mit der Sanktion einhergeht, dient als Ausgleich zu jener Freiheit, die sich der Angeklagte durch die Übertretung der Verhaltensnorm – im Widerspruch zur Rechtsordnung – genommen hat.199 Dies kann allerdings nur gelingen, wenn auch schon im Rahmen der Geeignetheit die oben aufgezeigten Kriterien beachtet werden: Der erhobene persönliche Vorwurf muss genau mit dem begangenen Unrecht übereinstimmen. Liegt der erhobene Vorwurf – wie auch immer geartet – neben der Sache, so ist er nicht in der Lage und damit ungeeignet, die verhaltenswirksame Geltung der verletzten Norm wiederherzustellen.200 Sind Schuldspruch und Strafe allerdings korrekt abgefasst, so ist die Zweckdienlichkeit der Sanktionsnorm stets zu bejahen.201 Etwas schwieriger scheint die Beantwortung der Frage nach der Erforderlichkeit einer Sanktionsnorm zu sein. Durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist der Staat zur Erfüllung des legitimen Zwecks verpflichtet, das mildeste Mittel unter allen gleich geeigneten zu wählen. Dieser Aspekt wird speziell für das Strafrecht auch unter der Bezeichnung des ultima ratio-Prinzips diskutiert.202 Eine weitergehende Bedeutung als der allgemeine Grundsatz der Erforderlichkeit kommt dem Prinzip allerdings nicht zu.203 Wenn das Strafrecht nur als letztes Mittel auf den begangenen Normverstoß eingesetzt werden soll, so muss vorrangig überprüft werden, ob nicht auch eine mildere Maßnahme zur Verfügung steht. Bei der Suche muss beachtet werden, dass es sich um ein milderes gleich geeignetes Mittel handelt, welches dieselbe spezifische Aufgabe wie der Einsatz von Strafe verfolgt.204 Damit müsste 199 S. dazu Rostalski, Tatbegriff, S. 78; T. Rostalski, Alternativ legitimierte Verhaltensnormen, S. 42 200 Zur notwendigen Akzeptanz s. bereits oben S. 46. 201 So auch Reus, Risikogesellschaft, S. 90. 202 Zum ultima ratio-Prinzip s. etwa Frisch, Verhalten, S. 77 f., 143 f.; Kindhäuser, ZStW 129 (2017), 382 ff.; Hassemer, NJW 2008, 1137, 1138, 1142, 1144; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 92; aus jüngerer Zeit BVerfG – 2 BvR 1985/19 = BVerfG NJW 2020, 2953. 203 I. d. S. etwa Gärditz, JZ 2016, 641, 643 ff.; Landau, ZStW 121 (2009), 965, 972; Reus, Risikogesellschaft, S. 96; anders etwa Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 346 f. 204 Darauf weist mit Nachdruck Rostalski, Tatbegriff, S. 79, 84 hin. Unter keinen Umständen dürfe der Zusammenhang zur funktionellen Ausrichtung von Strafe in einem frei-

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das alternative Mittel ebenfalls einen persönlichen Vorwurf der Normbrüchigkeit enthalten und den staatlichen Tadel zwecks Verhinderung eines Normgeltungsschadens in gleicher Weise ausdrücken. Als ungeeignet erweist sich damit bereits jede private Maßnahme.205 Zum einen liegt schon die Kompetenz, die präzise Antwort auf den begangenen Verhaltensnormverstoß zu verfassen, ausschließlich bei den staatlichen Gerichten und zum anderen müssen sich staatliche Maßnahmen nur mit anderen staatlichen Maßnahmen messen lassen. Auch bei zivilrechtlichen Urteilen handelt es sich nicht um eine mildere ebenso effektive Maßnahme. Denn etwa die Auferlegung eines zu zahlenden Schadensersatzes verfolgt ausschließlich das Ziel, einen angemessenen Ausgleich zwischen den streitenden Parteien herzustellen. Bei zivilrechtlichen Urteilen fehlt es vollständig an einem persönlichen Vorwurf, die Verhaltensnormordnung nicht geachtet zu haben.206 Da die verschiedenen Rechtsgebiete völlig unterschiedliche Ziele verfolgen, kann auch in diesem Verhältnis ein Vergleich der Eingriffsintensität nicht stattfinden. Mit der strafrechtlichen Zielsetzung übereinstimmend ist allerdings – in Teilen – das Ordnungswidrigkeitenrecht. Soweit mit den entsprechenden Vorschriften des Ordnungswidrigkeitenrechts auf einen begangenen Verhaltensnormverstoß reagiert werden soll, kommt ein Vergleich mit dem „großen“ Strafrecht prinzipiell in Betracht.207 Ob das Ordnungswidrigkeitenrecht oder das Strafrecht das erforderliche Mittel ist, hängt nun wiederum vom Gewicht des begangenen Verhaltensnormverstoßes ab. Denn die Gewichtung des Verhaltensnormverstoßes bestimmt, welche Bedeutung die Infragestellung der Normgeltung für das Recht hat und regelt damit zugleich das staatliche Reaktionsbedürfnis. Für die Bestimmung des erforderlichen Mittels gilt daher Folgendes: Je gewichtiger der Verhaltensnormverstoß ist, desto intensiver muss auch die staatliche Reaktion sein. Bedarf es im Hinblick auf das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes der staatlichen Reaktion in Form von Schuldspruch und Strafe, um den zu erwartenden Normgeltungsschaden zu verhüten,

heitlichen Rechtsstaat aufgehoben werden. S. dazu zudem Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 125; Reus, Risikogesellschaft, S. 93. 205 Hierunter fallen etwa berufsrechtliche Sanktionen, die von Privaten ausgesprochen werden. Aber selbst, wenn ein Berufsverbot gem. § 70 StGB von einem staatlichen Gericht ausgesprochen wird, kann es sich nicht um eine weniger belastende, aber gleich geeignete Maßnahme handeln. Denn dem staatlichen Berufsverbot liegen präventive Erwägungen zu Grunde, die mit dem Zweck der Strafe nicht übereinstimmen. S. dazu ausführlich Rostalski, Tatbegriff, S. 79 ff. Solch präventive Überlegungen finden ihren legitimen Anwendungsbereich in den Maßregeln der Besserung und Sicherung. Ein persönlicher Vorwurf ist aber gerade nicht notwendig. S. hierzu Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 98 ff. 206 Rostalski, Tatbegriff, S. 79; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 126. Zur Notwendigkeit des personalen Vorwurfs s. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 105. 207 I. d. S. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 348; Rostalski, Tatbegriff, S. 82; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 126.

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so ist das Strafrecht das einzig und allein geeignete und erforderliche Mittel.208 Denn charakteristisch für das Strafrecht ist seine besonders hohe Eingriffsintensität. Damit wird aber zugleich auch in einer unvergleichlichen Weise das Festhalten an der Geltungskraft der Verhaltensnorm (mit ihren Wertungsgrundlagen) bekundet. Durch den Einsatz von Schuldspruch und Strafe kann somit besonders gravierenden Beeinträchtigungen der verhaltenswirksamen Normgeltung entgegengetreten werden. Aus der mit der Eingriffsintensität zugleich wachsenden Effektivität (Schutz der Normgeltung) darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass es generell kein milderes, gleich effektives Mittel gebe. Denn die Suche nach dem erforderlichen Mittel muss stets am Grad des Fehlverhaltens gemessen werden.209 Ohne einen solch konkreten Bezug böte die Erforderlichkeit keinerlei limitierende Wirkung. Fehlt es an einem hinreichend gewichtigen Verhaltensnormverstoß, so schießt der Einsatz von Schuldspruch und Strafe über das Ziel hinaus. Vielmehr reicht in Fällen weniger gravierender Fehlverhaltensweisen bereits der Einsatz des Ordnungswidrigkeitenrechts aus, um das verletzte Recht wiederherzustellen. Des Einsatzes des Strafrechts bedarf es in einem solchen Fall nicht, da die Norm nicht in dem für das Strafrecht notwendigen Maß in Frage gestellt wurde oder aber eine nicht hinreichend gewichtige Norm betroffen ist. Eine zu weitgehende Maßnahme ist aber niemals geeignet und schon gar nicht erforderlich, um den verfolgten legitimen Zweck zu erreichen. Insoweit bestimmt das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes nicht nur die Angemessenheit der staatlichen Reaktion, sondern ist auch für die Beantwortung der damit untrennbaren Frage nach der Geeignetheit und Erforderlichkeit des staatlichen Mittels unverzichtbar.210 Die Beurteilung, ob der Verstoß gegen die von der Sanktionsnorm erfassten Verhaltensnormen derart gewichtig sein kann, dass es des Einsatzes des Strafrechts bedarf, ist die Aufgabe des Gesetzgebers, die er innerhalb seiner Einschätzungsprärogative bewältigen muss.211 Es bleibt festzuhalten, dass, sobald – in hinreichend gewichtigem Maße – gegen eine Norm verstoßen wurde, die derart essentiell für ein gedeihliches und friedliches Zusammenleben ist, dass darauf strafrechtlich reagiert werden muss, der Einsatz von Strafe das einzig überhaupt geeignete Mittel bleibt, um die erforderliche Wiederherstellung des verletzten Rechts zu bewirken. Bei allen Verhaltensnormverstößen, die unter dieser Schwelle liegen, muss bei Bedarf auf das Ordnungswidrigkeitenrecht als milderes Mittel zurückgegriffen werden. 208 Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 126; Reus, Risikogesellschaft, S. 94 f. 209 Zutreffend Reus, Risikogesellschaft, S. 96 f.; Mulch, Strafe und andere Maßnahmen, S. 40. 210 Reus, Risikogesellschaft, S. 96. 211 Sicherlich unterliegt auch der Gesetzgeber wiederum den Vorgaben der Verfassung. Er muss sicherstellen, dass die durch die auf Grundlage des Strafgesetzes gebildete Sanktionsnorm abgesicherte Verhaltensnorm derart gewichtig ist, dass der Einsatz von Schuldspruch und Strafe überhaupt erforderlich ist. Zur materiellrechtlich angemessenen Lösung der Geringfügigkeitsfälle s. Freund/Rostalski, AT, § 4 Rn. 6, 19 ff., 28 f.

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b) Angemessenheit Nachdem im Einzelfall ausgemacht ist, ob das Strafrecht oder das Ordnungswidrigkeitenrecht anzuwenden (erforderlich) ist, stellt sich die Frage, wie die Sanktionierung konkret auszugestalten ist. Entscheidend ist freilich auch hier primär das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes bzw. das Maß an personalem Fehlverhalten. Für die Bestimmung dieser Kriterien sind verschiedene Faktoren ausschlaggebend. Eine erste Orientierung bietet die abstrakte Bedeutung des verletzten Rechtsguts.212 Der Täter, der gegen das Tötungsverbot verstößt, weist ein höheres Maß an personalem Verhaltensunrecht auf als derjenige, der „nur“ die Körperintegrität, sonstige Persönlichkeitsinteressen oder Sachwerte nicht achtet. Dass sich dieser Aspekt in der staatlichen Antwort wiederfinden muss, liegt auf der Hand. Allerdings bereitet die Schaffung einer abstrakten Rangordnung bisweilen Schwierigkeiten213, sodass weitere Kriterien notwendig sind, um das Gewicht des Fehlverhaltens zu bestimmen.214 Ein weiterer Faktor, der das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes entscheidend mitbestimmt, liegt in der fahrlässigen oder vorsätzlichen Tatbegehung. Dass diese Wertung auch im Sinne des Gesetzgebers ist, zeigt schon die nur eingeschränkte Strafbarkeit fahrlässiger Verhaltensweisen sowie ihr relativ mildes Strafmaß. Die sachliche Begründung für die vom Gesetzgeber durchaus zutreffend vorgenommene Differenzierung liegt in dem qualitativen Unterschied zwischen fahrlässigen und vorsätzlichen Verhaltensweisen. Sie stehen zueinander in einem Plus-Minus-Verhältnis.215 Beiden Verhaltensweisen ist zunächst gemein, dass der Täter gegen eine ihm gegenüber legitimierte, zu bildende und zu befolgende Verhaltensnorm verstoßen haben muss. Mit anderen Worten: Gemeinsame Voraussetzung beider Verhaltens-

212 Die Frage nach der abstrakten Wertigkeit stellt sich auch im Rahmen der Abwägung des § 34. Zur dortigen und damit auch hier relevanten Einordnung s. etwa Erb, in: MüKoStGB, § 34 Rn. 138 ff.; Roxin/Greco, AT, § 16 Rn. 29; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34 Rn. 23 ff.; Momsen/Savic, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 9 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 3 Rn. 68. 213 S. dazu etwa Jakobs, AT, 13/20, der aus dem Gewicht der beteiligten Güter lediglich eine Leitlinie abstrahiert. 214 Zu weiteren Aspekten, die für die Angemessenheit der staatlichen Sanktion entscheidend sein können s. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 74 ff.; Meier, in: MüKoStGB, § 46 Rn. 202 ff.; Bußmann, in Matt/Renzikowski, § 46 Rn. 10 ff.; Heinrich, Strafschärfung, S. 83; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 116 ff. 215 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 299; ders., FS Küper, S. 63, 80; ders., FS Herzberg, S. 225, 228; Freund/Rostalski, AT, § 7 Rn. 39; Rostalski, Tatbegriff, S. 101; dies., GA 2016, 79, 82; Puppe, in: NK-StGB, § 15 Rn. 5; dies., NK-StGB, Vor § 13 Rn. 154; Frisch, Verhalten, S. 40; der Sache nach Hardtung, in: MüKoStGB, § 222 Rn. 1. Ein Aliud-Verhältnis annehmend etwa BGH NJW, 1953, 1721; Duttge, in: MüKoStGB, § 15 Rn. 101 ff.; ders., FS Kohlmann, S. 13, 28; Jescheck, AT, § 54 I 2; Maurach/Gössel/Zipf, AT, § 42 Rn. 45 ff.; Roxin, AT, 4. Aufl. § 24 Rn. 79 f.; Fischer, StGB, § 15 Rn. 21; Safferling, Vorsatz, S. 192; Rengier, AT, § 52 Rn. 2; Ast, Handlung und Zurechnung, S. 191 f.

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weisen ist die rechtlich missbilligte Schaffung oder Nichtabwendung einer Gefahr.216 Der entscheidende Unterschied liegt nun in der Art und Weise, wie der Täter gegen die Verhaltensnorm verstoßen hat. Gegenüber dem Fahrlässigkeitstäter lässt sich allein der Vorwurf erheben, er habe nicht die notwendige Aufmerksamkeit aufgebracht, um die Legitimationsgründe der entsprechenden Verhaltensnorm korrekt zu erfassen. Objektiv bewegt er sich zwar nicht mehr innerhalb dessen, was die Rechtsordnung ihm gestattet, dies geschieht allerdings nur aufgrund seiner irrtumsbehafteten Vorstellungen. Damit bleibt die begründete Hoffnung bestehen, dass man den Fahrlässigkeitstäter durch das Aufzeigen aller relevanten Umstände zum Andershandeln motivieren könnte.217 Das Verhaltensunrecht des Fahrlässigkeitstäters ist damit relativ betrachtet als eher geringfügig einzustufen. Es kann mitunter so geringfügig sein, dass sich der Einsatz des Strafrechts überhaupt nicht legitimieren lässt.218 Gänzlich anders verhält es sich im Hinblick auf den Vorsatztäter.219 Ihm gegenüber kann die Herantragung aller relevanten Informationen nichts mehr bewirken, denn er hat die möglichen Folgen seines Verhaltens bereits gedanklich durchgespielt. Dem Vorsatztäter sind alle Legitimationsgründe der Verhaltensnorm in vollem Umfang bekannt. Dennoch entscheidet er sich dafür, seine eigenen Verhaltensmaximen über die der geltenden Rechtsordnung zu stellen. Er übertritt die Verhaltensnorm gewissermaßen sehenden Auges, obwohl ihm die Möglichkeit zum Andershandeln ohne weiteres offenstand. Das Unrecht vorsätzlichen Verhaltens ist damit im Verhältnis zum fahrlässigen Verhaltensunrecht ein spezifisches Mehr.220 Der qualitative Unterschied zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsfällen zeigt sich bei Zugrundelegung des hier vorgestellten Konzepts, wenn man erneut einen Blick auf die spezifische Rechtsgüterschutzaufgabe des Strafrechts bzw. der Sanktionsnormen wirft.221 Die staatliche Reaktion soll der Infragestellung der Normgeltung entgegentreten und einen angemessenen Ausgleich schaffen. Durch seine uneingeschränkte Kenntnis aller Legitimationsgründe der Verhaltensnorm stellt der Vorsatztäter im Verhältnis zum Fahrlässigkeitstäter die Verhaltensnormgeltung in 216

S. dazu bereits oben S. 36. Rostalski, Tatbegriff, S. 101; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 156 f.; i. d. S. auch Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 298; Freund/Rostalski, AT, § 7 Rn. 38; dies., JZ 2020, 241, 243; Groß, Gesetzliche bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 119. 218 Zu denken ist hier etwa an die fahrlässige Beeinträchtigung von Sachgütern. Zum Spezialfall der fahrlässigen Sachgüterbeeinträchtigung gem. § 306d s. Radtke, in: MüKoStGB, § 306d Rn. 1 ff. 219 S. dazu und zum Folgenden Freund/Rostalski, AT, § 7 Rn. 38; dies., JZ 2020, 241, 243; Rostalski, Tatbegriff, S. 101. 220 Freund/Rostalski, AT, § 7 Rn. 39; neuerdings auch Roxin/Greco, AT, § 24 Rn. 80. „Vorsatz = Fahrlässigkeit + X“. 221 S. dazu und auch zum Folgenden Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 296 ff.; ders., FS Küper, S. 63, 80; Freund/Rostalski, AT, § 7 Rn. 36 ff.; Rostalski, Tatbegriff, S. 99 ff.; Heinrich, Strafschärfung, S. 85 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 97 ff.; T. Rostalski, alternativ legitimierte Verhaltensnormen, S. 45 ff. 217

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einem besonders gravierenden Maß in Frage. Entsprechend empfindlicher muss damit auch die staatliche Antwort auf das Verhalten des Täters ausfallen. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass die uneingeschränkt bewusste Freiheitsanmaßung des Vorsatztäters seitens des Rechts ernster zu nehmen ist und deshalb in der staatlichen Reaktion besondere Berücksichtigung finden muss. Neben einer sachlichen Begründung bietet die Annahme eines Plus-Minus-Verhältnisses zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zudem einen entscheidenden prozessualen und damit praktischen Vorteil. Sie ermöglicht die Verurteilung nach dem Fahrlässigkeitsdelikt bei fehlender Nachweisbarkeit des Vorsatzes.222 Bei Annahme eines Aliud-Verhältnisses ergibt sich zwangsläufig ein Verstoß gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz. Daran vermag auch das sog. „normative Stufenverhältnis“ nichts zu ändern.223 Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass das individuelle Fehlverhalten den primären Vorwurfsgegenstand bilden. Dennoch dürfte weitestgehend unbestritten sein, dass – unter Einbeziehung verschiedener Termini224 – auch die spezifischen Fehlverhaltensfolgen für eine angemessene Sanktion von Relevanz sind. Dies gilt nicht nur für das „Ob“, sondern auch für das „Wie“ der Bestrafung. Die spezifischen Fehlverhaltensfolgen bilden dabei einen sekundären, zum entsprechenden Tadel passenden zusätzlichen Strafgrund. Nur eine untergeordnete Rolle kann ihnen schon deshalb zukommen, da sie stets vom vorangegangenen Fehlverhalten abgeleitet werden.225 Spezifische Fehlverhaltensfolgen ohne vorheriges Verhaltensunrecht sind im strafrechtlich relevanten Sinne undenkbar. Besonders deutlich wird die sekundäre und akzessorische Rolle der Fehlverhaltensfolgen im Bereich der Tötungsdelikte.226 Trotz der immer identischen Fehlverhaltensfolge (Tod eines Menschen) ist die Divergenz zwischen dem angedrohten Strafmaß eines Mordes und einer fahrlässigen Tötung erheblich. Das Gewicht des begangenen Verhaltens222

S. dazu Puppe, in: NK-StGB, § 15 Rn. 5; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 299. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 299. Ausführlich unten S. 119 ff. Zum sog. „normativen Stufenverhältnis“ vgl. etwa Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 35 ff. 224 Vertreter der dualistischen Unrechtskonzeption ordnen die spezifischen Fehlverhaltensfolgen als „Erfolg“ ein. S. dazu etwa Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 81 ff.; Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht, S. 67 ff.; Jakobs, Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 120 ff. Hingegen sehen die Vertreter einer extrem monistisch-subjektiven Unrechtskonzeption die spezifischen Fehlverhaltensfolgen als „objektive Strafbarkeitsbedingung“ an. S. dazu etwa Lüderssen, ZStW 85 (1973), 288, 291 f.; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 135 ff., 205 ff. Weitere Nachweise für die jeweiligen Ansichten sind zu finden bei Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 57 ff. 225 S. dazu Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 327. 226 Als weiteres Beispiel aus dem geltenden Recht lasst sich zudem die nur geringfügige Divergenz der Strafandrohung zwischen Versuchs- und Vollendungstat anführen. Obwohl die Taten im Hinblick auf die Fehlverhaltensfolgen vollständig konträr sind, unterscheidet sich der abstrakte Strafrahmen lediglich anhand einer fakultativen Strafmilderung gem. §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB. Dies unterstreicht die Bedeutung des individuellen Fehlverhaltens. Dazu ausführlich Heinrich, Strafschärfung, S. 104 ff. 223

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B. Rechtsstaatliches Strafen – Verfassungsrechtliche Anforderungen

normverstoßes bleibt damit der entscheidende Faktor für die Bestimmung der angemessenen Strafhöhe. Die Annahme der Bestrafungsrelevanz solch spezifischer Fehlverhaltensfolgen ist im Ergebnis zwar durchaus zutreffend, allerdings bedarf sie gleichwohl eines gewissen Begründungsaufwands. Denn die individuelle Infragestellung der Verhaltensnormgeltung erfolgt bereits durch das spezifische Fehlverhalten des Täters.227 Der drohende Schaden an der Normgeltung steht damit bereits ohne Berücksichtigung der spezifischen Fehlverhaltensfolgen im Raum. Er ist von den Geschehnissen, die sich in der Außenwelt tatsächlich abspielen, völlig unabhängig.228 Ganz im Gegenteil erscheint es auf den ersten Blick als schreiende Ungerechtigkeit, dass die Bestrafung teilweise von im Grunde zufällig eintretenden, spezifischen Fehlverhaltensfolgen abhängig gemacht wird. Denn der Täter wird nach der Abgabe des Schusses regelmäßig keinen Einfluss mehr auf den Ausgang seines Fehlverhaltens haben. Ob die Kugel trifft oder das Ziel aus welchen Gründen auch immer verfehlt, liegt nicht mehr in der Hand des Schützen. Oftmals hängt der Eintritt der spezifischen Fehlverhaltensfolgen damit vollkommen vom Zufall ab. Insoweit wird auch vom sog. „Glück-Pech-Strafrecht“ gesprochen.229 In besonders anschaulicher Weise zeigt sich das Ausmaß des „GlückPech-Strafrechts“ im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte. Bleibt der fahrlässige Verhaltensnormverstoß folgenlos, so scheidet eine Strafbarkeit mangels passender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage aus. Eine ähnliche Situation lässt sich innerhalb der abstrakten bzw. konkreten Gefährdungsdelikte feststellen. Auch hier wirkt sich der Eintritt der spezifischen Fehlverhaltensfolgen enorm auf das angedrohte Strafmaß aus. Allerdings liegen sämtliche in diese Richtung gehenden Bedenken im Grunde neben der Sache.230 Denn der Eintritt der spezifischen Fehlverhaltensfolgen ist genau das Ergebnis, welches der Täter durch das Ingangsetzen des schadensträchtigen Verlaufs von Rechts wegen zu vermeiden hatte.231 Aus diesem Grund muss es sich auch gerade um spezifische Fehlverhaltensfolgen handeln. Die Vermeidung eben dieses schadensträchtigen Verlaufs muss der Legitimationsgrund für die vom Täter übertretene Verhaltensnorm gewesen sein. Realisiert sich eine Gefahr, die nicht von der Verhaltensnorm umfasst war, so können dem Täter die Verhaltensfolgen nicht angelastet werden. Andererseits hat er für die Realisierung der von ihm geschaffenen spezifi227 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 323; Freund/Carrera, ZStW 118 (2006), 76, 82; Rostalski, Tatbegriff, S. 111. 228 Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 61; Reus, Risikogesellschaft, S. 98. 229 S. dazu Freund, FS Frisch, S. 677, 681; ders., in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 323 m. w. N. 230 Berechtigt ist allerdings die Frage, ob nicht auch etwa der folgenlose fahrlässige Verhaltensnormverstoß ebenso zu bestrafen ist wie der, bei dem die spezifischen Fehlverhaltensfolgen zufälligerweise eingetreten sind. Allerdings fehlt es für eine Bestrafung an dem passenden Strafgesetz. Es gilt der Grundsatz nullum crimen sine lege. S. dazu Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 331; Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 70. 231 Dazu und zum Folgenden Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 69; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 330; Rostalski, Tatbegriff, S. 112.

III. Die Ebene der Sanktionsnormen

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schen Gefahr die volle Verantwortung zu tragen. Daran vermag auch die Zufallskomponente nichts zu ändern. Vielmehr umfassen die Legitimationsgründe der Verhaltensnorm auch gerade die Vermeidung eben dieses Zufalls.232 Die legitime Berücksichtigung der Fehlverhaltensfolgen auch auf der Ebene der Strafzumessung lässt sich wiederum aus dem hier vertretenen Strafzweck ableiten. Die Entstehung des drohenden Normgeltungsschadens ist zwar von den Fehlverhaltensfolgen unabhängig, jedoch kann der Schaden durch den Eintritt eben dieser gesteigert werden. Denn der individuelle Angriff auf die Normgeltung ist für die Außenwelt sichtbar gemacht und damit in einer besonders nachdrücklichen Weise kommuniziert.233 Damit steigt zugleich auch das staatliche Reaktionsbedürfnis auf den begangenen Verhaltensnormverstoß, was sich letztlich auf das konkrete Strafmaß auswirkt. Die Einbeziehung spezifischer Fehlverhaltensfolgen ist damit für die angemessene strafrechtliche Reaktion durchaus von Bedeutung, allerdings darf sie auch nicht überstrapaziert werden. Primärer und entscheidender Anknüpfungspunkt für die Bestimmung einer angemessenen Sanktionierung ist weiterhin der individuelle Verhaltensnormverstoß.

232

I. d. S. auch Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 69; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 330; Rostalski, Tatbegriff, S. 112. 233 Rostalski, Tatbegriff, S. 112; Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 69; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 96 ff.; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 131.

C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz Neben der materiellen Bindung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet sich noch ein weiterer verfassungsrechtlich verankerter Grundsatz, der das gesamte Strafrecht dominiert.234 Gemeint ist der in Art. 103 Abs. 2 GG und wortgleich in § 1 StGB niedergeschriebene Gesetzlichkeitsgrundsatz. Er statuiert, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Hieraus resultiert eine strenge formelle Bindung der staatlichen Strafgewalt.235 Schon von Liszt attestierte dem Gesetzlichkeitsgrundsatz, das „Bollwerk des Staatsbürgers gegenüber der staatlichen Allgewalt zu sein“.236 Ob von Liszts Annahme auch in der heutigen Zeit noch zutrifft, erscheint aufgrund der zahlreichen Aufweichungen237 und – teils evidenten – Verstößen238 gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz wohl eher als fraglich. Einigkeit besteht darüber, dass der Gesetzlichkeitsgrundsatz seine die staatliche Strafgewalt begrenzende Wirkung durch verschiedene Ausprägungen entfaltet. Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen ist zunächst, dass es überhaupt eines formellen Gesetzes bedarf, damit der Staat mittels Schuldspruch und Strafe in die Grundrechte seiner Bürger eingreifen darf.239 Über diesen Aspekt hinaus werden dem Gesetzlichkeitsgrundsatz üblicherweise vier weitere Teilaspekte zugesprochen: Das Rückwirkungsverbot, das Analogieverbot, das Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung sowie das Bestimmtheitsgebot.240 Feuerbach241 goss die Teilas234 Ähnlich Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 1; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 3 f.; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 1. 235 BVerfGE 95, 96, 130 ff.; BVerfGE 105, 135, 153; BVerfGE 126, 170, 194 ff.; BVerfG NJW 2019, 2837, 2838 f.; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 31 f.; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 63; Kunig/Saliger, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Art. 103 Rn. 35. 236 v. Liszt, Aufsätze und Vortrage, Bd. 2, S. 80. 237 Etwa Kargl, JZ 2005, 503, 505 attestiert dem Gesetzlichkeitsgrundsatz, dass er praktisch nicht mehr existiere. Zu den Aufweichungen seitens des Bundesverfassungsgerichts s. S. 70. 238 Das gilt etwa für die Anwendung der sog. echten Wahlfeststellung, s. dazu ausführlich S. 129 ff. oder aber für die strafbegründende Wirkung sog. qualifizierter Rückverweisungsklauseln. S. dazu BVerfGE 153, 310 sowie unten S. 155 ff. 239 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, 79. EL, Art. 103 Abs. 2 Rn. 178, bezeichnet dies als „den Kern“ von Art. 103 Abs. 2 GG. 240 S. dazu etwa Kuhlen, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 429, 431; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 200 f.; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 3; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 1; Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 114 f. 241 Feuerbach, Lehrbuch, S. 41 (§ 20).

C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

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pekte des Gesetzlichkeitsgrundsatzes erstmals in die lateinische Formel „nullum crimen, nulla poena sine lege scripta242, praevia243, certa244, stricta245“. Eine trennscharfe Unterscheidung aller Teilaspekte ist nicht möglich. Vielmehr überlagern sich die verschiedenen Facetten und sind teilweise voneinander abhängig.246 So ist etwa das Bestimmtheitsgebot eng mit dem Analogie- und Rückwirkungsverbot verknüpft. Denn ein sehr präzise abgefasstes Gesetz würde keinerlei formelle Begrenzung entfalten, wenn es den Strafgerichten freistehen würde, den Wortlaut des Gesetzes durch eine vom Wortlaut abweichende Rechtsanwendung zu umgehen. Umgekehrt wäre das Analogieverbot wertlos, wenn die Rechtsanwendung auf einem völlig unbestimmten und konturenlosen Gesetz beruhen würde. Ganz ähnlich verhält es sich im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot. Das Rückwirkungsverbot hätte nur wenig Nutzen, wenn das einschlägige Gesetz ohnehin so weit gefasst wäre, dass jegliche Art von Verhaltensnormverstößen von ihm umfasst wären. Erst in ihrem Zusammenspiel ergeben sich genaue Anforderungen für den Einsatz strafender Grundrechtseingriffe. Es bedarf einer auf parlamentarischem Wege geschaffenen Ermächtigungsgrundlage247, die hinreichend bestimmt ist und bereits vor der jeweiligen Straftat in Kraft getreten war. Kehrseite dieser strengen formellen Gesetzesbindung ist die bewusste Inkaufnahme von Strafbarkeitslücken. Fehlt es an einer den Vorgaben des Gesetzlichkeitsgrundsatzes genügenden Ermächtigungsgrundlage, so muss eine Bestrafung ausbleiben, und zwar auch dann, wenn das Verhalten im Grunde als strafwürdig anzusehen ist. Auswirkung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes ist letztlich ein lückenhaftes bzw. fragmentarisches Strafrecht.248

242

Bezieht sich auf das Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Bezieht sich auf das Verbot rückwirkender Strafbegründung. 244 Beschreibt das Bestimmtheitsgebot. 245 Umschreibt das Analogieverbot. 246 S. dazu und zum Folgenden Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 201 ff.; ähnlich Kuhlen, FS Otto, S. 89, 92. 247 Zur Rechtsnatur des Strafgesetzes als abstrakt-generelle Ermächtigungsgrundlage für die Bildung von einzelfallbezogenen konkreten Sanktionsnormen durch das Strafgericht bereits oben S. 34 f. sowie Freund/Rostalski, GA 2022, 541, 544 ff. 248 Zutreffend formuliert Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 114, dass der Staat seiner eigenen Strafgewalt Fesseln anlegt. Zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts s. Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 63; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 94; Maiwald, FS Maurach, S. 9 ff. 243

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

I. Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsgrundsatzes – Zur verfassungsrechtlichen Herleitung Trotz jahrhundertelangem249 Bestehen und ebenso langer wissenschaftlicher Aufarbeitung ist die Ratio des Gesetzlichkeitsgrundsatzes bis heute nicht abschließend geklärt. Die Herleitungen reichen unter anderem von dem Prinzip der Demokratie und Gewaltenteilung über das Schuldprinzip bis hin zur Menschenwürde.250 Die wohl überwiegender Auffassung sieht den Gesetzlichkeitsgrundsatz als eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips an.251 Das Bedürfnis nach einer besonderen Ausprägung des bereits für jegliches staatliche Handeln geltenden Rechtsstaatsprinzips ergibt sich wiederum aus der besonderen Eingriffsintensität, die mit dem Einsatz von Schuldspruch und Strafe einhergeht. In einem solch grundrechtssensiblen Bereich muss in besonderer Weise sichergestellt werden, dass der staatliche Eingriff den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit entspricht. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht in Art. 103 Abs. 2 GG eine besondere Ausprägungsform des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips.252 Es misst dem Gesetzlichkeitsprinzip eine „Doppelfunktion“ zu und hebt die Gewaltenteilung sowie einen generellen Vertrauensgrundsatz hervor: Zum einen solle der Gesetzlichkeitsgrundsatz sicherstellen, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheide.253 Der Gesetzgeber übernehme mit der Entscheidung über strafwürdiges Verhalten die demokratisch legitimierte Verantwortung für eine Form hoheitlichen Handelns, die zu den intensivsten Eingriffen in die individuelle Freiheit zählt. Art. 103 Abs. 2 GG enthalte einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehre, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen. Zum anderen gehe es um den Schutz des Normadressaten. Dieser solle vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Es solle sichergestellt sein, dass „jedermann sein Verhalten auf die Strafrechtslage eigenverantwortlich einrichten kann und keine unvorhersehbaren staatlichen Reaktionen befürchten muss“.254 Dafür bedürfe es einer Strafvorschrift,

249 Zur geschichtlichen Entwicklung s. Birkenstock, die Bestimmtheit von Straftatbeständen mit unbestimmten Gesetzesbegriffen, S. 76 ff.; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 4 ff. 250 Einen Überblick mit jeweils weiteren Nachweisen bezüglich der einzelnen Herleitungen findet sich etwa bei Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, § 1 Rn. 1; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 3, 30. 251 S. dazu etwa Degenhart, in: Sachs, Kommentar zum GG, Art. 103 Rn. 53; SchulzeFielitz, in: Dreier, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 17; Heger, in: Lackner/Kühl/ Heger, § 1 Rn. 1; Fischer, StGB § 1 Rn. 1; Schreiber, Gesetz und Richter, S. 213 f.; Freund, FS Wolter, S. 35, 37. 252 BVerfGE 95, 96, 131 f.; BVerfGE 126, 170, 194 ff. 253 Zum Folgenden s. BVerfGE 126, 110, 170, 194 ff. 254 BVerfGE 105, 135, 153.

I. Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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der die ihr jeweils vorausgesetzte Verhaltensnorm deduktiv so konkret entnommen werden könne, dass der Bürger sein Verhalten daran ausrichten könne.255 Während der Aspekt der Gewaltenteilung für die Ratio des Gesetzlichkeitsgrundsatzes eine entscheidende Rolle einnimmt, vermag die sog. „subjektive“ Seite der „Doppelfunktion“ – der Vertrauensgrundsatz – nicht zu überzeugen. Nicht nur praktische, sondern auch gerade normentheoretische Bedenken sprechen gegen die Akzentuierung des Vertrauensgrundsatzes. Grundvoraussetzung eines jeden rechtsstaatlich zugesicherten Vertrauensschutzes ist zunächst dessen Schutzwürdigkeit.256 Unter welchen Bedingungen das Vertrauen als schutzwürdig anzusehen ist, hängt sicherlich vom jeweiligen Einzelfall ab und muss stets im Kontext der zu beurteilenden Sachlage bestimmt werden. Allerdings mutet es schon fast ein wenig zynisch an, wenn man etwa dem Täter, der offensichtlich gegen eine ihm gegenüber legitimierte Verhaltensnorm verstoßen hat und der sich damit verboten verhält, ein schützenswertes Vertrauen auf Straffreiheit bescheinigen möchte. Sollte der Täter in einem solchen Fall etwa mangels bestehendem oder hinreichend bestimmtem Strafgesetz dennoch straffrei bleiben, so dürfte es sich auch für den Betroffenen selbst eher um eine glückliche Fügung, statt um ein ernsthaftes Vertrauen handeln. Insbesondere bei Tätern, die bewusst nach Strafbarkeitslücken suchen und diese ausnutzen, bleibt die Frage offen, wodurch in einem solchen Fall die Schutzwürdigkeit entstehen soll. Die Sanktionierung an ein vermeintlich schutzwürdiges Vertrauen zu knüpfen, ist damit nicht nur wenig zielführend257, sondern birgt bei konsequenter Anwendung auch die Gefahr, dass der Betreffende bei mangelndem schutzwürdigem Vertrauen schuldig gesprochen wird, obwohl die Voraussetzungen des jeweiligen Strafgesetzes nicht erfüllt sind.258 Hingegen müssen die formellen Begrenzungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes gerade in den Fällen geachtet werden, in denen eine Verurteilung gerecht erscheint.

255

Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 8. Dies betont zutreffend Freund, FS Wolter, S. 35, 36; krit. auch Hassemer/Kargl, in: NKStGB, § 1 Rn. 10. Zur Schutzwürdigkeit des allgemeinen – in Art. 20 GG enthaltenen – Vertrauensgrundsatzes s. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 159; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 94 ff.; BVerfGE 36, 363, 398 ff.; zu allgemeinen Schutzwürdigkeitserwägungen bezüglich § 48 VwVfG s. Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, § 48 Rn. 28 f., 139 ff. 257 I. d. S. auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 136. 258 Mit solchen Argumenten wird im Grunde die Strafbarkeit der sog. „Echten Wahlfeststellung“ begründet. Die Anerkennung der Wahlfeststellung als verfassungsgemäß erscheint äußerst zweifelhaft, wenn doch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 127, 170, 197 selbst konstatiert: „Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung [die des Gesetzgebers] zu korrigieren. Sie müssen in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr gedeckt sind, zum Freispruch gelangen und dürfen nicht korrigierend eingreifen. Dies gilt auch dann, wenn infolge des Bestimmtheitsgebots besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, obwohl sie ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten.“ Dazu unten S. 129 ff. 256

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

Zudem erscheint es schon fragwürdig, ob Strafgesetze überhaupt eine Orientierungsfunktion übernehmen können. Dem Betreffenden wird es wohl kaum möglich sein, allein anhand der Lektüre eines Strafgesetzes zu bestimmen, ob sein Verhalten im konkreten Einzelfall gegen eine Verhaltensnorm verstößt oder nicht.259 Abgesehen von rein tatsächlichen Problemen, die die juristische Terminologie betreffen und zu mehr Verwirrung als Orientierung führen dürften260, kann die gewünschte Wirkung auch aus normentheoretischen Gründen nicht eintreten. Warum eine Orientierungswirkung durch den bloßen Gesetzestext nicht gelingen kann, wurde bereits im Rahmen der Konkretisierung von Verhaltensnormen dargelegt.261 Im Grunde handelt es sich um dasselbe Sachproblem. Zur Erinnerung ist nochmals auf Folgendes hinzuweisen: Selbst wenn man den Deduktionsgedanken zugrundelegt, lässt sich aus § 212 Abs. 1 StGB maximal die Aussage „Du sollst nicht töten“ ableiten. Das ist indessen noch keine umsetzbare Verhaltensnorm. Ein konkreter Befehl, wie der Betreffende sein Verhalten auszurichten hat, um nichts Verbotenes zu tun, ist darin keineswegs enthalten. Dafür bedarf es eines komplexen Abwägungsprozesses, den der Betreffende in der konkreten Situation eigenständig vorzunehmen hat. Genau dieser Abwägungsprozess ist es letztlich auch, auf den er in berechtigter Weise vertrauen darf. Kommt er zu der Einschätzung, dass sich eine Verhaltensnorm nicht legitimieren lässt und durfte er auch von dieser Einschätzung ausgehen (!), so hat er keinerlei strafrechtlichen Tadel zu befürchten.262 Denn dann fehlt es an einem Verhaltensnormverstoß als der Grundvoraussetzung einer jeden Sanktionsnorm. Der geforderte angemessene Vertrauensschutz ist damit nicht (vermeintlich durch den Gesetzlichkeitsgrundsatz vorgegeben) auf der Strafgesetzebene, sondern auf der Verhaltensnormebene anzusiedeln. Werden die Legitimationsbedingungen kontextund adressatenspezifischer Verhaltensnormen beachtet, muss auch ohne den Gesetzlichkeitsgrundsatz niemand befürchten, vom Strafrecht „überrascht“ zu werden.

259 Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass eine gewisse Zuordnung durchaus möglich ist. Sicherlich lässt sich aus § 222 StGB entnehmen, dass eine Bestrafung droht, sofern gegen eine Verhaltensnorm verstoßen wurde, die fremdes Menschenleben schützen soll, und es aufgrund der Übertretung zum Tod eines Menschen gekommen ist. Entscheidend ist aber, ob ein solcher Verstoß im konkreten Einzelfall überhaupt vorliegt. Darüber gibt das Strafgesetz keine Auskunft. 260 I. d. S. Wessing/Krawczyk, NZG 2010, 1121, 1122; ähnlich Kuhlen, FS Otto, S. 89, 94; zur Mehrdeutigkeit der Sprache s. Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 207 ff.; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 48. 261 Dazu bereits oben S. 36 ff. I. d. S. wohl auch Ortiz de Urbina Gimeno, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 87, 90 f., wenn er betont, dass die Mehrheit der Bürger in den Rechtsordnungen der komplexen Gesellschaften einen über die sozialen Normen gehenden Zugang zur Gesetzmäßigkeit haben, wobei auf völlig rationale Weise eher ein besonderes Augenmerk auf die Verfolgungsrichtlinien gelegt wird, welche faktisch in der fraglichen Rechtsordnung bestehen, als auf die anscheinend in den Gesetzestexten enthaltenen Botschaften und deren Bestimmtheitsgrade. 262 Ähnlich Freund, FS Wolter, S. 35, 36; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 136.

I. Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

61

Ein ganz ähnliches Urteil muss im Hinblick auf den schuldprinziplichen Erklärungsansatz gefällt werden. Auch hier wird mit der Prämisse gearbeitet, dass in dem Strafgesetz ein konkreter Verhaltensbefehl enthalten sei. Nur so lässt sich erklären, warum es für die Erhebung eines Schuldvorwurfes eines vor der Tat existierenden und hinreichend bestimmten Strafgesetzes bedürfe.263 Sicherlich ist die Vorhersehbarkeit für die Verwirklichung strafrechtlichen Unrechts von Relevanz. Allerdings hat die Vorhersehbarkeit keine Auswirkungen auf die Ebene der Strafgesetze, sondern ausschließlich auf die vorstrafrechtliche Normebene. Sofern der Betroffene die Legitimationsgründe der Verhaltensnorm kennt oder doch zumindest hätte erkennen können und müssen, lässt sich ein Verbot ihm gegenüber legitimieren. Eines Gesetzes bedarf es für die Erfassung eben dieser Legitimationsgründe nicht, sodass der Aspekt der Vorhersehbarkeit von der strafrechtlichen Gesetzlichkeit im Grunde völlig unabhängig ist. Dementsprechend handelt es sich auch schon um eine unpräzise Formulierung, wenn von der Kenntnis des Verbots die Rede ist. Denn entscheidend ist nicht, ob der Betroffene das Verbot kennt oder zumindest kennen kann, sondern dass die Einsicht in die Gründe, die das Verbot rechtfertigen, vorhanden oder gewinnbar ist.264 Letztendlich sind damit sämtliche Erklärungsansätze zu verwerfen, die ihre Begründung auf eine durch Strafgesetze vermittelte – wie auch immer geartete – Orientierungsfunktion oder Vorhersehbarkeit stützen. Sie operieren mit einem Postulat der Erkennbarkeit der strafrechtlichen Bewertung, das sich nach allem Bisherigen nicht halten lässt. Wie bereits angedeutet – und vom Bundesverfassungsgericht zutreffend bestätigt – dient der Gesetzlichkeitsgrundsatz vielmehr der Verdeutlichung und Verfestigung der Gewaltenteilung. Der bereits aus Art. 20 Abs. 2 GG ableitbare Grundsatz der Gewaltenteilung steht mit dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in engster Verbundenheit und stellt im Wesentlichen sicher, dass die Staatsgewalten jeweils verschiedenen Zweigen der Staatsorganisation angehören.265 Daraus resultiert eine wechselseitige Kontrolle und Begrenzung der staatlichen Machtausübung, die für das Strafrecht in besonderem Maße von Bedeutung ist.266 Gerade in solch empfindlichen Bereichen sollen Grundrechtseingriffe nur durch das Zusammenspiel von

263 So etwa Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 116; krit. dazu Grünwald, ZStW 76 (1964), 1, 11. 264 Rostalski, Tatbegriff, S. 89. 265 S. dazu Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 79 Rn. 145; Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 205 ff. 266 Die gegenseitige Kontrolle kennzeichnet die Gewaltenteilungskonzeption des Grundgesetzes. S. dazu BVerfGE 30, 1, 27 f.; Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 212; Freund, FS Wolter, S. 35, 37 f.; Grünwald, ZStW 76 (1964), 1, 14 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 32 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 67 ff.; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 20 f.

62

C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

mindestens zwei Staatsgewalten vollzogen werden.267 Dabei erbringt jede von ihnen einen notwendigen, aber für sich genommen nicht hinreichenden Beitrag. Erst durch ihr Zusammenwirken wird die notwendige Legitimationsbasis geschaffen und die Ergebnisrichtigkeit der Entscheidung in angemessener Weise abgesichert. Darin liegt auch der Grund, warum die Bestrafung eines Täters, der offensichtlich eine legitimierte Verhaltensnorm übertritt, ausbleiben muss, sofern es an einer passenden Ermächtigungsgrundlage fehlt. Sicherlich wäre es dem Strafgericht in derartigen Fällen ohne weiteres möglich, auch ohne entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ein sachgerechtes Urteil auszusprechen. Ebenso – zumindest theoretisch – möglich wäre es für den Gesetzgeber, bestimmte konkrete Gesetze für begangene Straftaten zu schaffen und eine angemessene Bestrafung anzuordnen. Einer solchen Vorgehensweise steht allerdings die Gewaltenteilung und an sie anknüpfend auch der Gesetzlichkeitsgrundsatz mit guten Gründen entgegen. Zum einen wäre die funktionsadäquate Staatsorganisation gefährdet, wenn die jeweiligen Entscheidungen nicht mehr dort getroffen werden würden, wo die höchste Sachkompetenz anzutreffen ist.268 Zum anderen fordert der Grundsatz der Gewaltenteilung, dass gewisse rechtsstaatliche Standards eingehalten werden. Dazu gehört insbesondere, dass die gesetzgebende Gewalt bei einem unmittelbar demokratisch legitimierten Organ liegt. Dem ganz entsprechend kann einzig und allein das Parlament die notwendige Legitimation aufweisen, um Entscheidungen über das „Ob“ der Strafbarkeit zu treffen.269 Ihm obliegt es, als unmittelbarem Vertreter des Volkes, die wesentlichen Grundentscheidungen selbst zu treffen.270 Dass dazu auch die Schaffung von Strafvorschriften gehört, dürfte nicht in Abrede zu stellen sein. Der Gesetzgeber hat damit lediglich die Aufgabe, abstrakt-generelle Merkmale festzulegen, bei deren Vorliegen in zukünftigen Fällen mit Strafe reagiert werden soll.271 Mit anderen Worten beschränkt sich die gesetzgeberische Zuständigkeit ausschließlich, aber immerhin auf die Schaffung von Ermächtigungsgrundlagen, auf die die Strafgerichte die Sanktionierung stützen können. Seine Aufgabe ist es gerade nicht, über bereits begangene Straftaten konkret zu urteilen. Vielmehr fällt die Überprüfung, ob die vom Gesetzgeber vorgegebenen abstrakten Merkmale vorlie267 S. dazu und zum Folgenden Freund, FS Wolter, S. 35 ff.; völlig zutreffend auch Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 11. 268 S. dazu BVerfGE 68, 1, 86; BVerfGE 95, 1, 15; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 79 Rn. 146; Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 207 ff. 269 Ortiz de Urbina Gimeno, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 87, 88; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 71; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 20. Zum Legitimationszusammenhang s. Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 156 ff. Zu einem Verstoß gegen diesen Grundsatz s. unten S. 155 ff. 270 BVerfGE 41, 251, 260; BVerfGE 45, 400, 417 f.; BVerfGE 98, 218, 251; BVerfGE 116, 24, 58; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 95 AMG Rn. 59; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 71 ff.; Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S.46; Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, S. 40; Vogel/Bülte, in: LK-StGB, Vor § 15 Rn. 42. 271 I. d. S. Perron, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 211.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

63

gen, ausschließlich in den Tätigkeitsbereich der Judikative. Soweit das Strafgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erwiesenermaßen vorliegen, hat es auf der Basis der von ihm gebildeten Sanktionsnorm eine konkrete Sanktionsanordnung zu treffen und den Angeklagten schuldig zu sprechen. Die formelle Legitimation für ihre staatlichen Handlungen zieht die Judikative aus Art. 20 Abs. 3 GG.272 Hieraus folgt eine strenge Bindung der rechtsprechenden Gewalt, ihren Entscheidungen stets die verfassungsmäßige Rechtsordnung zu Grunde zu legen.273 Schuldspruch und Strafe müssen sich damit stets innerhalb des vom Gesetzgeber abgesteckten Spielraums bewegen. Aus dem Zusammenspiel zwischen Judikative und Legislative ergibt sich ein komplexes, die wechselseitige Kontrolle ermöglichendes System, welches die rechtsstaatlichen Standards für intensive Grundrechtseingriffe sicherstellt. Der Gewährleistung dieses, für das Strafrecht in besonderem Maße wichtigen Systems, dient der Gesetzlichkeitsgrundsatz.274 Der dritten Staatsgewalt – der Exekutive – kommt im hier interessierenden Kontext nur eine untergeordnete Rolle zu. Sie darf weder an der Schaffung der Ermächtigungsgrundlagen noch an der konkreten Sanktionsanordnung unmittelbar mitwirken. Sicherlich leistet auch sie einen wesentlichen Beitrag, um den Ausspruch von Schuldspruch und Strafe zu ermöglichen, allerdings auf der Ebene der Verhaltensnormen und zwar bei der Konkretisierung eben dieser.275 276

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes Wie bereits festgestellt, werden dem Gesetzlichkeitsgrundsatz üblicherweise vier Aspekte zugesprochen. Im Folgenden sollen diese vier Aspekte im Interesse der besseren Übersicht voneinander getrennt dargestellt werden, auch wenn sich die Facetten zum Teil überlagern. 1. Bestimmtheitsgrundsatz Die Strafbarkeit muss gesetzlich bestimmt sein. So schreibt es das Grundgesetz in Art. 103 Abs. 2 GG vor. Eine nähere Erläuterung, was unter der Bestimmtheit zu verstehen ist, findet sich freilich nicht. Das Grundgesetz hinterlässt der Rechts-

272

Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 79 Rn. 154. Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 292. 274 Ähnlich Freund, FS Wolter, S. 35, 37; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 139. 275 Dazu bereits oben S. 40 f. 276 Zur Sonderstellung der Staatsanwaltschaft im Gewaltenteilungsgefüge s. Rostalski, Tatbegriff, S. 198 ff. m. w. N. 273

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

wissenschaft damit einen Begriff, der seinerseits reichlich unbestimmt ist.277 Die dem Begriff der Bestimmtheit immanente Unbestimmtheit dürfte auch der Grund sein, warum die Verfassungsmäßigkeit eines Strafgesetzes nur allzu oft aufgrund von mangelnder Bestimmtheit in Frage gestellt wird.278 Denn die Frage, ob eine Strafvorschrift dem Gebot der Bestimmtheit gerecht wird, hängt offensichtlich davon ab, wie man den Begriff der Bestimmtheit selbst auffasst. Das „Bestimmen“ lässt sich sehr unterschiedlich mit Inhalt füllen. Im weitesten Sinne bedeutet „Bestimmen“ nicht mehr als einen bloßen Befehl, etwas anzuordnen.279 Für den hier interessierenden Kontext würde das zunächst nur zur Folge haben, dass die Strafbarkeit überhaupt gesetzlich angeordnet sein muss. Ein solches Verständnis steht außer Diskussion. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob man dem Bestimmtheitsgebot darüber hinaus noch den Befehl entnimmt, die gesetzlich angeordnete Strafbarkeit möglichst präzise abzufassen, zu fixieren bzw. „festzulegen“.280 Auch dies ist im Grunde allgemein anerkannt.281 Allerdings ist eben nach wie vor nicht geklärt, welche genauen Anforderungen das Präzisionsgebot für die Schaffung eines Strafgesetzes nach sich zieht. Klar dürfte wiederum sein, dass die Präzisionsanforderungen nicht derart hoch gesteckt werden dürfen, dass die gesetzliche Bestimmtheit zu einer Utopie wird.282 Hingegen ist aber auch einer vollständigen Aufweichung des Bestimmtheitsgrundsatzes sowie dem für viele naheliegenden Einschlagen eines Mittelwegs283 entgegenzutreten. Kompromisse sollten in einem solch sensiblen Bereich nicht eingegangen werden; müssen sie aber auch nicht, wenn die vom Bestimmtheitsgebot verlangte Präzision ihrerseits präzise herausgearbeitet wird. Die notwendige Konkretisierung kann im Grunde nur anhand der Ratio des Gesetzlichkeitsgrundsatzes vorgenommen werden.284 Letztlich beurteilt sich damit auch die Bestimmtheit von Strafgesetzen vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung. Besinnt man sich nun zudem einmal mehr auf die Unterscheidung von Verhaltens- und 277 S. dazu etwa Kuhlen, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 429, 433; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 47; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 126; Schünemann, in: LK-StGB, § 266 Rn. 24. 278 S. dazu Schuster, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 79, 88; Fischer, StV, 2010, 95. Die Bestimmtheit wird etwa dem Mord, der Nötigung oder der Untreue abgesprochen. Darüber hinaus werden gar ganze Deliktstypen als zu unbestimmt angesehen, etwa die Fahrlässigkeitsdelikte oder die „unechten“ Unterlassungsdelikte. Die Aufzählung ist zu finden bei Kuhlen, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 429, 432. 279 S. dazu etwa Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 14a. 280 Zu den Anforderungen an die Präzision S. 70. 281 S. dazu eingehend Nickel, Problematik, S.159 ff.; ferner Herzberg, Symposium für Bernd Schünemann, 2005, S. 31, 36 f. 282 Jakokbs, AT, 4/1 ff.; Schmidhäuser, GS Martens 1981, 231, 241. 283 So bezeichnet Kuhlen, FS Otto, S. 89, 95 die Gangart der Praxis. 284 Dies versucht auch das Bundesverfassungsgericht unter Zugrundelegung der angenommenen Orientierungsfunktion, wenn es fordert, dass Trageweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände für den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen. S. dazu BVerfGE 105, 135, 153.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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Sanktionsnormen zurück, so lässt sich nicht nur der Adressat des Bestimmtheitsgrundsatzes festlegen, sondern auch die zu erfüllenden Präzisionsanforderungen erhalten klare Konturen. a) Maßgeblicher Adressat Nach traditionell-strafrechtlichem Verständnis richtet sich der Bestimmtheitsgrundsatz ausschließlich an den Gesetzgeber.285 Davon scheint das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Gewaltbegriff des § 240 Abs. 1 StGB abgerückt zu sein, wenn es dem ersten Absatz der Norm die Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG attestiert, aber dennoch aufgrund einer „entgrenzenden“ richterlichen Auslegung zu einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot kommt. Durch die höchstrichterliche Auslegung des Gewaltbegriffs lasse sich nicht mehr mit ausreichender Sicherheit vorhersehen, „welches körperliche Verhalten, das andere psychisch an der Durchsetzung ihres Willens hindert, verboten sein soll und welches nicht“.286 Man fragt sich allerdings, ob für das vom Bundesverfassungsgericht angestrebte Ergebnis tatsächlich eine Ausweitung des Adressatenkreises notwendig ist. Das Gericht bemängelt hier eine den Wortlaut des Strafgesetzes überschreitende287 Auslegung. Eine Vorgehensweise, die den Strafgerichten – nach klassischem Verständnis – ohnehin durch das Analogieverbot untersagt ist.288 Genau genommen handelt es sich aber auch nicht um eine analoge Gesetzesanwendung.289 Denn letztlich dürften die Voraussetzungen einer Analogie im Regelfall nicht gegeben sein, da der Gesetzgeber mit Hilfe des Wortlautes bewusst die äußerste Grenze des Anwendungsbereichs des Strafgesetzes festgelegt hat. Eine planwidrige Regelungslücke lässt sich damit regelmäßig nicht begründen. Kommt es in einem solchen Fall dennoch zu einer Verurteilung, so erfolgt diese schlicht ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und widerspricht damit schon dem grundlegenden Verbot „keine Strafe ohne Gesetz“. Dies dürfte im Grunde auch dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, wenn es vielfach darauf hingewiesen hat, dass das „Analogieverbot“ nicht im engeren – technischen – Sinne zu verstehen sei, sondern vielmehr jede Anwendung der „Sanktionsnorm“ ausgeschlossen ist, die über

285 Vgl. Amelung, NJW 1995, 2584, 2587; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 14; Schuster, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 79, 87; Kuhlen, FS Otto, S. 89, 100; ders., HRRS, 2012, 114 ff.; Kuhlen regt freilich zu einem anderen Verständnis an. S. dazu auch Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 79 f. 286 BVerfGE 92, 1, 18; BVerfGE 126, 170, 197 f. 287 Oder auch „entgrenzende“. 288 So auch Kuhlen, FS Otto, S. 89, 101. 289 S. dazu und zum Folgenden Freund, FS Küper, S. 63 ff.; i. d. S. auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, 145.

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

den gesetzlichen Inhalt der „Sanktionsnorm“290 hinausgeht.291 Jedenfalls lässt sich festhalten, dass der Bestimmtheitsgrundsatz nicht auf die Judikative ausgeweitet werden muss, um einer sog. „entgrenzenden“ Auslegung entgegenzutreten.292 Noch deutlicher wird das Bundesverfassungsgericht in der nachfolgenden Entscheidung zur Bestimmtheit des Untreuetatbestands: Art. 103 Abs. 2 GG verwehre es den Gerichten, durch eine fernliegende Interpretation oder ein Normverständnis, das keine klaren Konturen mehr erkennen lässt, dazu beizutragen, bestehende Unsicherheiten über den Anwendungsbereich einer Norm zu erhöhen, und sich damit noch weiter vom Ziel des Art. 103 Abs. 2 GG zu entfernen. Vielmehr sei die Rechtsprechung gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen.293 Den Strafgerichten obliege ein sog. „Präzisierungsgebot“, also eine Handlungsanweisung, aktiv an der Bestimmtheit von Strafgesetzen mitzuwirken. Letztlich werde erst durch das Zusammenspiel von Gesetzgeber und Strafgerichten die notwendige Bestimmtheit erreicht, sodass auch erst durch dieses Zusammenspiel festgelegt werde, was strafbar ist.294 Sicherlich richtig ist, dass ein verfassungsgemäßer Umgang mit strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen nur durch das – vom Bundesverfassungsgericht angesprochene – arbeitsteilige Zusammenwirken gelingen kann. Allerdings beläuft sich die Aufgabe der Strafgerichte nicht darauf, an der Konkretisierung von Strafgesetzen mitzuwirken. Diese müssen schon für sich genommen, den Bestimmtheitsanforderungen genügen. Aufgabe des zuständigen Strafgerichts ist es ausschließlich, auf der Grundlage des Strafgesetzes eine einzelfallbezogene konkrete Sanktionsnorm zu bilden und in diesem Zusammenhang zu klären, ob die Voraussetzungen dieser Sanktionsnorm gegeben sind – also insbesondere festzustellen, ob der Täter in seinem konkret-individuellen Fall tatsächlich gegen eine Verhaltensnorm verstoßen hat und ob dieser Verstoß die vom Strafgesetz vorausgesetzten abstrakt-generell Eigenschaften besitzt bzw. ob gegebenenfalls der Erfolgssachverhalt eingetreten ist. Die anhand der Ermächtigungsgrundlage gebildete konkrete Entscheidungsnorm ist durchaus verallgemeinerungsfähig.295 Allerdings gilt sie selbstverständlich nicht für zukünftige Fälle, die möglicherweise ganz anders gelagert sind. Eine Orientierungsfunktion übernehmen die Gerichte wiederum „nur“ insoweit, als ihre Be290

Um terminologisch korrekt zu sein, hätte das Bundesverfassungsgericht seine Ausführungen auf das Strafgesetz und nicht auf die Sanktionsnorm beziehen müssen. – Zur wichtigen Unterscheidung zwischen abstrakt-generellem Strafgesetz und einzelfallbezogener Sanktionsnorm s. bereits oben S. 41. 291 BVerfGE 71, 108, 115; BVerfGE 73, 206, 235; BVerfGE 126, 170, 197. 292 So auch Kuhlen, FS Otto, S. 89, 101. 293 BVerfGE 126, 170, 198 f.; wiederholt in BVerfG NJW 2015, 2949, 2954. 294 Kuhlen, FS Otto, S. 89, 103; ähnlich Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 28. Zum Präzisierungsgebot s. auch Brodowski, die Evolution des Strafrechts, S. 631 ff. 295 Freund/Rostalski, GA 2020, 617, 621; Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 42, 242.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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gründung der Verhaltensnormübertretung für die Bildung zukünftiger Verhaltensnormen herangezogen werden kann und muss. Es verhält sich damit ganz ähnlich wie bei den von der Exekutiven herausgegebenen Orientierungshilfen.296 Zur Verdeutlichung eignet sich die – auch im Kontext des Rückwirkungsverbots – häufig diskutierte Unsicherheit beim Führen eines Fahrzeugs (§ 316 StGB). In diesem Zusammenhang spielen die von der Rechtsprechung aufgestellten Grenzen der absoluten und relativen Fahrunsicherheit eine gewichtige Rolle.297 Liegt eine absolute Fahrunsicherheit vor, so wird unwiderleglich vermutet, dass die betroffene Person nicht mehr in der Lage ist, ihr Fahrzeug sicher zu führen.298 Dogmatisch handelt es sich dabei um eine prozessuale Beweisregel, die derart durch wissenschaftliche Erkenntnisse abgesichert ist, dass jeglicher Gegenbeweis ausgeschlossen ist.299 Derzeit – nach mehrmaligem Herabstufen300 – liegt der Grenzwert bei einer BAK von 1,1 %. Er setzt sich zusammen aus der unwiderlegbaren Fahrunsicherheit bei einer BAK von 1,0 % sowie einem Sicherheitszuschlag von 0,1 %. Liegt die BAK unter diesem Grenzwert, so müssen weitere Bedingungen erfüllt sein, damit der Nachweis einer rauschbedingten Fahrunsicherheit gelingen kann. Die hierfür relevanten Tatsachen sind vielseitig, wobei die sog. „Ausfallerscheinungen“ neben der BAK das wichtigste Indiz sind. Hingegen sei eine rauschbedingte Fahrunsicherheit ausgeschlossen, wenn die BAK unter 0,3 % verbleibe.301 Durch die formelhaft festgelegte Rechtsprechung sei eine neue Quelle entstanden, die „bestimmte“ Strafbarkeitsvoraussetzungen festlege. Insoweit komme der Rechtsprechung eine gesetzesergänzende bzw. strafunrechtskonstituierende Funktion zu.302 Denn letztlich unterscheide der Bürger nicht, ob die Strafbarkeitsgrenze 296

S. dazu oben S. 40. S. dazu Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 51; Krahl, NJW 1991, 808; vgl. auch Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 41. 298 Pegel, in: MüKoStGB, § 316 Rn. 33; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 316 Rn. 7; Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 315c Rn. 19. 299 BVerfG, NJW 1990, 3140 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, § 315c Rn. 6c; Pegel, in: MüKoStGB, § 316 Rn. 33; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 316 Rn. 8; Zieschang, in: NKStGB, § 316 Rn. 22; aus jüngerer Zeit BGH NJW 2015, 1834. 300 Der Grenzwert wurde durch BGH NJW 1954, 159 auf 1,5 % festgesetzt. Durch die Entscheidungen BGH NJW 1967, 116 und BGH NJW 1990, 2393 wurde er zunächst auf 1,3 % und später auf 1,1 % herabgesetzt. 301 So wohl BGH 28. 04. 1961 – 4 StR 51/66; OLG Köln NZV 1989, 357; Zieschang, in: NK-StGB, § 316 Rn. 29. Eine andere und wohl zutreffende Ansicht vertreten etwa Janker, NZV 2001, 197; Pegel, in: MüKoStGB, § 316 Rn. 66; Fischer, StGB, § 316 Rn. 31. 302 S. hierzu und zum Folgenden mit jeweils ähnlicher Argumentation Leite, GA 2014, 220, 231 ff.; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 51 ff.; Krahl, NJW 1991, 808 f.; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 40 f.; Straßburg, ZStW 82 (1970), 948 ff.; Hüting/Konzak, NZV 1991, 255 ff.; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 61a ff.; Schilling, NJW 2012, 1849, 1853; Neumann, ZStW 103 (1991) 331, 334 ff.; Paeffgen/Zabel, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 63; wohl auch Albrecht, FS Dencker, S. 1, 6 ff.; Böse, JURA 2011, 617, 620 f. Auf den Vertrauensgrundsatz abstellend Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 3 Rn. 31, die im Ergebnis aber dennoch gegen eine Ausweitung sind. 297

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

vom Gesetzgeber oder von der Rechtsprechung gezogen wird. Erst durch die Rechtsprechung sei das normative Tatbestandsmerkmal der Fahrunsicherheit derart konkretisiert, dass die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlicher Strafeingriffe gewährleistet sei. Tragendes Argument ist damit auch an diesem Punkt die Gewährleistung des Vertrauensschutzes.303 Unbesprochen bleibt bei all dem freilich wieder die Frage nach der Schutzwürdigkeit des Vertrauens. Ist demjenigen, der mit einer BAK von 1,0 % ein Fahrzeug führt, tatsächlich ein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend zuzusprechen, dass er nicht als absolut fahruntüchtig angesehen werden kann und damit die Regelwirkung nicht eintreten kann? Ist dem „ungeübten“ Trinker mit 0,2 % tatsächlich ein schutzwürdiges Vertrauen zuzugestehen, dass er nicht aufgrund von § 316 StGB verurteilt werden kann, obwohl eine Fahrunsicherheit durchaus gegeben sein kann? Das möchte ich an dieser Stelle bezweifeln. Fraglich ist zudem, welche genauen Anforderungen eine solche richterliche Konkretisierung erfüllen muss, damit tatsächlich von einem konkretisierten Strafgesetz oder genauer, von einer konkretisierten Strafbarkeitsbestimmung die Rede sein kann. Sollte derselbe Maßstab wie für den Gesetzgeber gelten oder bedarf es eines strengeren Maßstabs? Jedenfalls dürfte klar sein, dass zumindest im Regelfall eine erweiterte Orientierungsfunktion für den Bürger einhergehen muss. Nur dann ließe sich sinnvollerweise – unter Zugrundelegung des Konzepts des Vertrauensschutzes – von einer Konkretisierung sprechen. Ob sich eine solche gesteigerte Orientierung durch die Rechtsprechung tatsächlich erreichen lässt, ist äußerst zweifelhaft. Um bei dem eben aufgeworfenen Beispiel zu bleiben: Bei den festgelegten Grenzwerten handelt es sich ausschließlich um Beweisregeln. Sie können – so in der Vergangenheit mehrmals geschehen – beliebig nach oben oder unten verändert werden, solange nur bewiesen bleibt, dass der Betroffene tatsächlich rauschbedingt in seiner Fahrsicherheit eingeschränkt war. Von solch wandelbaren Umständen geht aber sicherlich keine für den Bürger verlässliche Berechenbarkeit aus. Freilich wird genau dieses Ergebnis als nicht akzeptabel angesehen und es wird versucht, über den Gesetzlichkeitsgrundsatz eine Korrektur zu erreichen.304 Art. 103 Abs. 2 GG hindere die Gerichte daran, Sachverhalte rückwirkend unter den Tatbestand des § 316 StGB zu subsumieren, die bisher aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als strafrechtliches Unrecht gewertet worden sind. Der Vertrauensgrundsatz gebiete es, eine täterbelastende Rechtsprechungsänderung mit rückwirkender Kraft zu untersagen. Auch das Bundesverfassungsgericht liegt wohl neuerdings auf dieser Linie, wenn es konstatiert, dass die besondere Mitwirkungs303 BVerfGE 126, 170, 199; BVerfG NJW 2015, 2949, 2954; zur Entstehung des Vertrauensschutzes Kuhlen, HRRS 2012, 114 ff. 304 S. dazu etwa Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 61a ff.; Krey/Esser, AT, § 3 Rn. 74; Krahl, NJW 1991, 808 f.; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 51 ff.; Schmitz, in MüKoStGB, § 1 Rn. 40 f.; Paeffgen/Zabel, in: NK-StGB, Vor § 32 Rn. 63; wohl auch Degenhart, in: Sachs, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 73. Eine andere Ansicht vertreten etwa Hecker, in: Schönke/Schröder, § 2 Rn. 7; Jakobs, AT 4/80 ff.; Rengier, AT, § 4 Rn. 17; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 128 ff.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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pflicht der Strafgerichte sich auch in über die allgemeinen Grundsätze des Vertrauensschutzes hinausgehenden Anforderungen an die Ausgestaltung von Rechtsprechungsänderungen niederschlagen könne.305 Einem solchen Verständnis ist zu widersprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem früheren Urteil306 völlig zutreffend festgestellt, dass die Strafbarkeit nicht an bestimmte Promillegrenzen geknüpft ist. Ausschlaggebend ist allein, ob der Betroffene aufgrund von Alkoholgenuss unfähig war, ein Fahrzeug sicher zu führen. Die gesteckten Grenzen zielen einzig und alleine darauf ab, dem Betroffenen beweisbar darzulegen, dass er nicht in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu führen und damit der Erfolgssachverhalt bei einer BAK von 1,1 % unwiderleglich eingetreten ist. Die Ausweitung des Rückwirkungsverbots auf Rechtsprechungsänderungen würde zugleich eine Ausweitung des Vertrauensgrundsatzes auf die Nichtnachweisbarkeit von begangenen Taten bedeuten. Ein Vertrauensschutz dahingehend, dass eine materiell-rechtlich klar konturierte Tat nicht nachgewiesen werden kann, existiert allerdings nicht. Dies gilt für die „gesetzesergänzende“ Auslegung, wie auch für die sonstigen Auslegungen durch die Rechtsprechung gleichermaßen.307 Abgesehen vom Vertrauensschutz zieht ein solches Verständnis noch eine Reihe weiterer Folgeprobleme mit sich.308 Fraglich ist schon, woher die Rechtsprechung ihre Legitimation ziehen sollte, um einzelne strafbarkeitskonstituierende Voraussetzungen zu schaffen. Selbst wenn man eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips mit dem Argument ablehnt, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage sei, ein „bestimmtes“ Gesetz zu schaffen und eine Verlagerung der Aufgabe auf die Rechtsprechung seinen Kompetenzbereich damit nicht verletzen könne309, so bleibt die Legitimationsfrage dennoch ungeklärt. Nur weil der Gesetzgeber vermeintlich seiner Aufgabe nicht nachkommt, legitimiert dies nicht die Judikative zum Handeln. Gerade bei der Frage, wer die „wesentlichen“ Entscheidungen zu treffen hat, dürfte es allgemein anerkannt sein, dass diese Aufgabe uneingeschränkt dem Gesetzgeber

305

BVerfGE 126, 170, 199. BVerfG NJW 1990, 2833. 307 Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 47, 48 beschreiben zutreffend (freilich in einem anderen Kontext), dass gerichtliche Entscheidungen immer nur ein Auslegungsergebnis sind, sie also niemals die normative Verbindlichkeit von Gewohnheitsrecht haben werden. I. E. auch Rössner, in: NomosHK-GS, § 1 Rn. 2 ff. […] „Denn wenn auch manche Auslegungsergebnisse in der Praxis ,wie Gesetze‘ angewendet werden, unterscheiden sie sich von ihnen doch immer dadurch, dass die Gerichte an sie nicht wie an Gesetze gebunden sind, sondern jederzeit von ihnen abweichen und besserer Einsicht Raum geben können.“ 308 Das erkennt auch Kuhlen, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 429, 436 ff. an. 309 I. d. S. wohl Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 157. „Ist der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich legitimer Weise nicht in der Lage, eine nähere Regelung zu treffen, kann eine Verlagerung der Aufgabe an den Rechtsanwender seinen Kompetenzbereich nicht verletzen“. 306

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

zukommt. Den Strafgerichten ist es damit schon von Verfassungs wegen nicht gestattet, strafbarkeitskonstituierend tätig zu werden.310 Nimmt man den in Art. 103 Abs. 2 GG besonders hervorgehobenen Grundsatz der Gewaltenteilung ernst, muss es dabei bleiben, dass das Gericht ausschließlich feststellt, dass gegen eine legitimierte Verhaltensnorm verstoßen wurde und dieser Verstoß die von § 316 StGB vorausgesetzten abstrakt-generellen Eigenschaften aufweist. Eine Konkretisierung der entsprechenden Strafbarkeitsbestimmung kann und darf von der Judikative nicht vorgenommen werden. Diese bleibt dem Strafgesetz vorbehalten. Vielmehr klärt die Judikative durch ihre Rechtsprechung lediglich, welche Fallkonstellationen die vom Strafgesetz vorausgesetzten abstraktgenerellen Eigenschaften aufweisen. Für die Adressatenfrage des Bestimmtheitsgrundsatzes bedeutet das Gesagte demnach Folgendes: Ausschließlicher Adressat des Bestimmtheitsgrundsatzes ist nach wie vor allein der Gesetzgeber. Es muss sichergestellt sein, dass der Gesetzgeber über das „Ob“ der Strafbarkeit entscheidet. Ist eine Strafvorschrift derart unbestimmt, dass ihr die gesetzgeberische Strafintention nicht entnommen werden kann, so entscheidet der im Einzelfall urteilende Strafrichter eben über jenes „Ob“ und urteilt damit ohne eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage. Damit versteht es sich auch von selbst, dass der Richter eine Verurteilung nur auf ein hinreichend bestimmtes Gesetz stützen darf.311 Eine Ausweitung des Bestimmtheitsgrundsatzes auf den Rechtsanwender ist dafür allerdings nicht notwendig.312 Es gilt wiederum schlicht der allgemeine Grundsatz: Keine Strafe ohne Gesetz. Eine richterliche „Ausbesserung“ unbestimmter Strafgesetze kommt nicht in Betracht. b) Inhaltliche Anforderungen an die Bestimmtheit – Zum genauen Gegenstand des gesetzlich Bestimmten Der Richter solle nichts anderes als der Mund des Gesetzes sein. So umschrieb einst Montesquieu313 seine Vorstellung vom Begriff der Gesetzesbestimmtheit. Abgesehen von dem klaren Verstoß gegen die Gewaltenteilung ist ein solches Verständnis auch faktisch nicht umsetzbar. Es ist dem Gesetzgeber schlicht nicht möglich, jedwedes strafbare Verhalten in den Gesetzestext in rein deskriptiver Form aufzunehmen.314 Dies gesteht auch das Bundesverfassungsgericht315 zu, wenn es 310

So auch Freund, in: MüKoStGB, Vor § 95 AMG Rn. 58; Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 129; Kuhlen, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 429, 439; Roxin, AT, 4. Aufl. § 5 Rn. 61; Hoyer, in: SK-StGB, § 266 Rn. 8. 311 Völlig zutreffend insoweit Kuhlen, FS Otto, S. 89, 91 f. 312 I. d. S. wohl aber Kuhlen, FS Otto, S. 89, 91 f.; ihm zustimmend etwa Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 47. 313 Montesquieu, De l’Esprit des loix (1748), liv. XI chap. VI S. 327; vgl. Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 26. 314 S. dazu Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 134; Freund, Revista de Estudios de la Justicia 2019, 1, 7.; ders., FS Küper, S. 63, 64 f.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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urteilt, dass der Strafgesetzgeber in der Lage sein müsse, der Vielseitigkeit des Lebens Herr zu bleiben. Bei der Ausformulierung des Strafgesetzes bis ins letzte naturalistische Detail bestünde die Gefahr, dass Gesetze zu starr und kasuistisch würden und damit den Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Andererseits soll das Strafgesetz aber derart genau bestimmt sein, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Zur Lösung des Sachproblems tragen solch formelhafte Ausführungen nicht sehr viel bei, bleibt doch wiederum offen, wann das gebotene Maß an gesetzlicher „Bestimmtheit“ erreicht ist.316 Insbesondere „wertausfüllungsbedürftige“ Begriffe oder generalklauselartige Formulierungen unterliegen immer wieder dem Vorwurf der Unbestimmtheit.317 Mit ihnen einher gehe eine Vagheit, die für den Gesetzgeber aber unerlässlich sei, da nur sie eine gerechte Entscheidung im Einzelfall sicherstellen könnten.318 Im Grunde wird dadurch aber das Postulat nach weitestgehender Bestimmtheit im selben Atemzug wieder relativiert.319 Das Dilemma des Bestimmtheitsgrundsatzes tritt in dem soeben aufgezeigten Spannungsverhältnis zwischen der Einzelfallgerechtigkeit und der größtmöglichen Bestimmtheit offen zu Tage. Zur Auflösung des Spannungsverhältnisses werden zahlreiche Ansätze angeboten. Sie reichen von der strikten Anwendung des Bestimmtheitsgebots und der damit einhergehenden Verfassungswidrigkeit von nicht unerheblichen Teilen des deutschen Strafrechts320, über Abwägungsprozesse321 im Einzelfall bis hin zur richterlichen Konkretisierung im Sinne einer „nachträglichen Heilung“ eines an sich zu unbestimmten Strafgesetzes.322 Das Bundesverfassungsgericht möchte zudem die Bestimmtheitsanforderungen an den Strafrahmen knüpfen.323 Die Anforderungen an 315 Dazu und zum Folgenden BVerfGE 11, 234, 237; BVerfGE 28, 176, 283; BVerfGE 126, 170, 195 f. 316 Ähnlich Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 140. 317 S. dazu Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 69. 318 Der Sache nach BVerfGE 92, 1, 12; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 40; Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 114, 133. 319 Krit. Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 50. 320 Dazu Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 17 ff.; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 49 f.; Kuhlen, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 429, 432. 321 Zum Vorschlag, dass Generalklauseln zulässig sein sollen, wenn die Gründe für die Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit die Belange der Rechtssicherheit überwiegen Lenckner, JuS 1968, 304, 305. Mit ähnlichen Argumenten wird zum Teil vertreten, das Bestimmtheitsgebot sei nur noch ein Optimierungsgebot, dessen Durchschlagskraft im Widerstreit mit anderen geltenden Prinzipien zu bestimmen ist. S. dazu Dannecker/Schuhr, in: LK, § 1 Rn. 195 f.; Albrecht, FS Dencker, 2012, S. 1, 5. 322 BVerfGE 125, 170, 196 ff.; krit. dazu etwa Kuhlen, FS Otto, S. 89, 104; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 140 ff.; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 70b. Zur Kritik am Präzisierungsgebot s. bereits oben S. 65. 323 BVerfGE 14, 245, 251; BVerfGE 26, 41, 43; BVerfGE 126, 170, 196.

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

die Bestimmtheit stiegen mit der Intensität des Grundrechtseingriffs. Je schwerwiegender der Eingriff sei, desto erheblicher seien die Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit.324 Ein solcher Ansatz kann allerdings nicht überzeugen. Denn der Bestimmtheitsgrundsatz muss für sämtliche Strafgesetze gleichermaßen gelten. Anderenfalls würde man dem Strafrichter im Einzelfall die Entscheidung überlassen, ob ein Gesetz – gemessen an seinem abstrakten Strafrahmen – noch bestimmt sei oder nicht. Durch einen solchen Abwägungsprozess wäre die durch Art. 103 Abs. 2 GG abgesicherte Gewaltenteilung aufgehoben.325 Letztlich würde wiederum die Entscheidung über das „Ob“ der Strafbarkeit in der Hand des Strafrichters liegen, wenn es ihm offenstehen würde, bei Delikten mit geringer Strafandrohung die Anforderungen an die Bestimmtheit derart zu reduzieren, dass auch Verhaltensweisen darunter fallen, die von dem Strafgesetz im Grunde nicht mehr eindeutig umfasst sind.326 Generell muss im Hinblick auf den Gesetzlichkeitsgrundsatz gelten, dass eine wie auch immer geartete Abwägung nicht stattfinden darf. Die Abwägung zwischen Einzelfallgerechtigkeit bzw. kriminalpolitischem Bestrafungsbedürfnis und den verschiedenen Facetten des Gesetzlichkeitsgrundsatzes hat bereits der Verfassungsgesetzgeber vorgenommen und sich eindeutig für Letzteres entschieden.327 Ein sachgerechter Umgang mit den inhaltlichen Anforderungen an die Gesetzesbestimmtheit und damit auch mit der Auflösung des oben aufgezeigten Spannungsverhältnisses lässt sich letztlich nur durch eine strikte Orientierung an der Ratio des Bestimmtheitsgrundsatzes erreichen. Als Ausprägung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes dient sicherlich auch der Bestimmtheitsgrundsatz der Gewährleistung der Gewaltenteilung.328 Das, was vom Begriff der Bestimmtheit zu erwarten ist, korrespondiert mit der Aufgabe, die dem Gesetzgeber als Adressat des Bestimmtheitsgrundsatzes zukommt.329 Ihm allein obliegt es, über das „Ob“ der Strafbarkeit zu 324 S. dazu etwa Jarass, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 20 Rn. 83 f.; Dannecker/Schuhr, in: LK, § 1 Rn. 186. 325 I. d. S. Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 114, 134; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 70; Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, S. 58; Schünemann, Nulla poena sie lege?, S. 32. 326 Mit Recht weist Duttge, FS Kohlmann, S. 13, 28 darauf hin, dass auch die Handlungsfreiheit in einem nicht akzeptablen Maße eingeschränkt wäre, würde man die Bestimmtheitsanforderungen einer Norm an ihre angedrohte Strafe knüpfen. 327 Ähnlich Freund, FS Wolter, S. 35, 43; Frister, NK-StGB, Nach § 2 Rn. 76; krit. auch Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 72; Krahl, Die Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz, S. 326 ff., 337; Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, S. 59. Zu Überlegungen einer etwaigen Einschränkbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG s. Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 208 ff. m. w. N.; Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 2 mit Fn. 9. 328 Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 147; die Gewaltenteilung als Teilaspekt erkennen etwa Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 47; Hecker, in: Schönke/ Schröder, § 1 Rn. 16 an. 329 Ähnlich Freund, FS Küper, S. 63, 64; ders., Revista de Estudios de la Justicia 2019, 1, 6 f.; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 148.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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entscheiden. Diese Aufgabe erfüllt der Gesetzgeber durch die Schaffung abstraktgenereller Anordnungen, mit denen bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden. Gleichzeitig muss allerdings sichergestellt sein, dass die Judikative anhand der abstrakt-generellen Regelungen eine einzelfallbezogene Entscheidung in Form einer konkreten Sanktionsanordnung treffen kann. Dafür müssen die abstrakt-generellen Regelungen des Gesetzgebers derart genau umrissen sein, dass die Strafgerichte diesen entnehmen können, unter welchen Voraussetzungen die Strafbarkeitsanordnung eingreifen soll. Für die Festlegung der zu erfüllenden Gesetzesbestimmtheit ist nun einmal mehr die Trennung der beiden Normebenen von herausragender Bedeutung.330 Wenn Mindestvoraussetzung eines jeden strafbaren Verhaltens der Verstoß gegen eine legitimierte Verhaltensnorm ist, die zu bilden und zu befolgen war, so muss auch genau diese Mindestvoraussetzung in dem Strafgesetz enthalten sein.331 Um dies zu erfüllen, ist es wiederum nicht notwendig, alle denkbaren Verhaltensweisen mit ihren empirischen Erscheinungsformen in der Strafvorschrift im Einzelnen aufzuzählen. Dadurch würden die Strafvorschriften eine nicht mehr praktikable Länge erhalten und so erheblich versteifen, dass sachwidrige Ergebnisse zu erwarten wären.332 Ohnehin wäre es sachwidrig, eine Anforderung an den Gesetzgeber zu stellen, die er unmöglich erfüllen kann. Ob im Einzelfall der von der Strafvorschrift vorausgesetzte Verhaltensnormverstoß vorliegt, kann mit der gebotenen Begründung nur vom jeweils zuständigen Strafgericht geklärt werden.333 Der Bestimmtheitsgrundsatz fordert damit vom Gesetzgeber „nur“, aber immerhin, dass mit der Schaffung der Strafvorschrift klar und eindeutig festgelegt wird, welche Art von Verhaltensnorm durch die auf strafgesetzlicher Ermächtigungsgrundlage zu bildende Sanktionsnorm geschützt sein soll.334 Das Strafgesetz selbst bestimmt damit nur die abstrakt-generellen Eigenschaften, die ein von ihm erfasster Verhaltensnormverstoß besitzen muss – nicht dagegen, ob im Einzelfall überhaupt ein Verhaltensnormverstoß vorliegt. Die Bestimmung der relevanten Art der Verhaltensnorm bzw. des entsprechenden Verhaltensnormverstoßes lässt sich leicht dadurch erreichen, dass sich die erforderlichen Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnorm ausdrücklich oder zumindest durch eine Rechtskonkretisierung dem Strafgesetz entnehmen lassen. Als Legitimationsgrund bedeutsam ist 330 So auch Freund, FS Wolter, S. 35, 41 ff.; ders., in: MüKoStGB, Vor § 95 AMG Rn. 56; ders., FS Rössner, S. 579, 583; Reus, Risikogesellschaft, S. 174; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 150. 331 Ähnlich Freund, Revista de Estudios de la Justicia 2019, 1, 6 f. 332 So auch Heinrich, Strafschärfung, S. 61; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 148. Dazu auch Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 18. 333 Freund, ZStW 112 (2000) 665, 667; ders., FS Küper, S. 63, 65; Freund/Rostalski, GA 2022, 541, 559 f. 334 S. dazu und zum Folgenden Freund, FS Küper, S. 63, 64 f.; ders., FS Wolter, S. 35, 39 f.; ders., Revista de Estudios de la Justicia 2019, 1, 6 f.; ders., FS Rössner, S. 579, 582 ff.; Rostalski, Tatbegriff, S. 93 f.; dies., RphZ 2018, 157, 167.

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

insbesondere das spezifische Rechtsgut, das durch die Einhaltung der Verhaltensnorm geschützt werden soll.335 Kurzum bedeutet das, dass das Strafgesetz offenbaren muss, welches Rechtsgut die von ihm abgesicherte Verhaltensnorm schützt.336 Daneben erlangt auch eine etwaige Sonderverantwortlichkeit des Normadressaten als zusätzlicher Legitimationsgrund Bedeutung. Notwendig ist damit eine Verknüpfung zwischen Sanktions- und Verhaltensnorm. Dies ergibt sich letztlich auch schon aus dem verfassungsrechtlich unverzichtbaren legitimen Zweck von Schuldspruch und Strafe: Lässt sich der Strafvorschrift (als der Ermächtigungsgrundlage für die Bildung der Sanktionsnorm) nicht entnehmen, auf welche Art von Verhaltensnorm sie Bezug nimmt, so verfehlt sie ihren legitimen Zweck, der in der Absicherung der Verhaltensnormgeltung liegt.337 Sind hingegen die erforderlichen Legitimationsgründe der Verhaltensnorm dem Strafgesetz eindeutig zu entnehmen, ist eine ausreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage geschaffen, die es den Strafgerichten ermöglicht, eine Entscheidung für den konkreten Einzelfall zu treffen. Nicht mehr und nicht weniger bedarf es, um die Gewaltenteilung abzusichern und damit letztlich auch dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht zu werden.338 Viele Strafgesetze erfüllen diese Voraussetzungen unproblematisch; die vom Gesetzgeber unter Strafe gestellten Fälle lassen sich größtenteils ohne weiteres herauslesen.339 Als Beispiel340 mag § 212 Abs. 1 StGB dienen, der eindeutig Verhaltensnormen schützt, die den Schutz menschlichen Lebens verfolgen. Ebenso bestimmt § 223 Abs. 1 StGB unzweifelhaft, solche Verhaltensweisen zu bestrafen, die gegen Verhaltensnormen verstoßen, die sich dem Schutz der Körperintegrität verschrieben haben (sofern alle sonstigen Sanktionsvoraussetzungen vorliegen). Nicht anders verhält es sich im Hinblick auf § 222 bzw. § 229 StGB. Auch hier sind die erforderlichen Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnormen klar bestimmt. § 222 StGB ist in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass (bei Er335 Freund/Rostalski, GA 2022, 541, 557; Rostalski, Tatbegriff, S. 93; i. E. ähnlich Roxin/ Greco, AT, § 5 Rn. 75; Roxin, Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 135 ff., der die hinreichende Bestimmtheit eines Strafgesetzes annimmt, wenn sich ihm ein klarer gesetzgeberischer Schutzzweck entnehmen lässt. 336 Freund, FS Rössner, S. 579, 587. 337 Freilich reicht die bloße Bezugnahme auf eine Verhaltensnorm nicht aus, um die Verfassungsmäßigkeit des Strafgesetzes zu sichern, sofern die in Bezug genommene Verhaltensnorm ihrerseits illegitim ist. Denn dann wird eine Verhaltensweise unter Strafe gestellt, die vor dem Hintergrund der Verfassung nicht verboten ist. Eine Strafbewehrung kommt damit von vornherein nicht in Betracht. Zu diesem Aspekt s. Freund, FS Rössner, S. 579, 585; Rostalski, Tatbegriff, S. 94. 338 Ähnlich Freund, Revista de Estudios de la Justicia 2019, 1, 6 f. 339 I. d. S. auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 147; Freund, FS Rössner, S. 579, 586. 340 Zu diesem und zu den folgenden Beispielen s. im Wesentlichen Freund, FS Küper, S. 63, 64 f.; ders., FS Wolter, S. 35, 39; ders., Revista de Estudios de la Justicia 2019, 1, 6 f.; ders., FS Rössner, S. 579, 584; ders., ZStW (112) 2000, 665, 676; Rostalski, Tatbegriff, S. 93 f.; dies., RphZ 2018, 157, 167; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 148 ff.; Reus, Risikogesellschaft, S. 174.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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füllung aller sonstigen Voraussetzungen) eine Sanktionierung zu erfolgen hat, wenn es aufgrund eines Verstoßes gegen eine Verhaltensnorm, die (bei gegebener Sonderverantwortlichkeit) dem Lebensschutz diente, zum Tod eines Menschen gekommen ist. Durch die klare Benennung des Verhaltensnormtyps hat der Gesetzgeber die ihm vom Bestimmtheitsgrundsatz auferlegte Aufgabe vollständig erledigt. Er hat eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, welche es den Strafgerichten ermöglicht, eine Verurteilung im konkreten Fall vorzunehmen, da die Reichweite der entsprechenden Strafbarkeit in abstrakt-genereller Form exakt festgelegt ist. Unschädlich für die gebotene Bestimmtheit der beiden Strafgesetze ist es damit auch, dass der Gesetzgeber nicht festgelegt hat, unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten als fahrlässig in dem Sinne zu qualifizieren ist, dass es überhaupt gegen eine Verhaltensnorm verstößt. Die Feststellung, dass eine gewisse schädigende Verhaltensweise als fahrlässig zu qualifizieren ist, ist die Aufgabe der Strafgerichte. Sie müssen begründet darlegen und beweisen, dass der Täter (fahrlässig) gegen eine Verhaltensnorm verstoßen hat, die dem Schutz eines fremden Lebens oder der Körperintegrität eines anderen gedient hat. Dass es bei der Bestimmung des tatbestandsspezifischen Verhaltensnormverstoßes zu mitunter komplexen Konkretisierungsproblemen kommen kann, liegt in der Natur der Sache. Sie sind schlicht der „Vielseitigkeit des Lebens“ geschuldet und nicht zu vermeiden. Die Frage, – um bei einem bekannten Beispiel zu bleiben – ob sich der Autofahrer bei einem Fahren mit 65 km/h innerhalb einer geschlossenen Ortschaft einen Fahrlässigkeitsvorwurf gefallen lassen muss, obwohl das Ortschild entfernt wurde, ist auf der Ebene der Verhaltensnormen anzusiedeln. Die hier vorzunehmende Konkretisierung steht keineswegs in unmittelbarem Zusammenhang mit der gesetzlichen Bestimmtheit der Fahrlässigkeitsdelikte. Vielmehr finden sich solche Konkretisierungsprobleme quer über alle Deliktstypen verteilt und das in unzähligen Fällen. Die eindeutige Bestimmtheit eines Strafgesetzes lassen sie allerdings unberührt. Nach alldem lässt sich bezüglich des Gesetzlichkeitsgrundsatzes Folgendes festhalten: Sinn und Zweck des Gesetzlichkeitsgrundsatzes und damit auch des Bestimmtheitsgrundsatzes ist die Absicherung der bereits in Art. 20 Abs. 2 GG angelegten Gewaltenteilung. Der immer wieder akzentuierte Aspekt des Vertrauensschutzes lässt sich auf der Basis des hier vertretenen Konzepts angemessen auf der Verhaltensnormebene erzielen. Wer berechtigt davon ausgeht, dass sich eine Verhaltensnorm ihm gegenüber in der konkreten Situation nicht legitimieren lässt, der hat keinerlei strafrechtliche Sanktionierung zu befürchten. Ein präzise abgefasstes Strafgesetz ist dafür nicht notwendig. Dementsprechend muss auch die Adressatenfrage des Bestimmtheitsgrundsatzes beantwortet werden. Primärer Adressat des Bestimmtheitsgrundsatzes ist (weiterhin) ausschließlich der Gesetzgeber. Eine gar strafbarkeitskonstitutive Konkretisierung des Strafgesetzes vorzunehmen, ist der Judikative nicht nur verfassungsrechtlich untersagt, sondern ist auch aus normentheoretischen Gründen nicht durchführbar. Der Gesetzgeber muss exklusiv für die Entscheidung über das „Ob“ der abstrakt-

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

generell bestimmten Strafbarkeit zuständig bleiben. Diesen rechtsstaatlichen Standard einzuhalten, ist das Mindestmaß, welches der Grundsatz der Gewaltenteilung fordert. Aufgabe der Rechtsprechung ist es lediglich, auf der Basis der abstraktgenerellen Ermächtigungsgrundlage des Strafgesetzes eine einzelfallbezogene konkrete Sanktionsnorm zu bilden und eine konkrete Strafbarkeitsanordnung auszusprechen, sofern deren Tatbestandsvoraussetzungen vollständig (!) erfüllt sind. Auch der sachliche Gewährleistungsgehalt des Bestimmtheitsgrundsatzes richtet sich nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Sachlich abgesichert sein muss „lediglich“, dass die strafbarkeitskonstitutive Entscheidung beim Gesetzgeber liegt und es den Strafgerichten ermöglich wird, auf der Basis der so geschaffenen Ermächtigungsgrundlage eine Entscheidung im konkreten Einzelfall zu treffen. Dafür bedarf es nicht mehr und nicht weniger als der exakten Festlegung der erforderlichen Legitimationsgründe der Verhaltensnorm, auf die sich das jeweilige Strafgesetz (im Falle eines Verhaltensnormverstoßes) bezieht. Soweit diese – insbesondere das spezifische Rechtsgut der in Bezug genommenen Verhaltensnorm – zumindest durch Rechtskonkretisierung dem Strafgesetz eindeutig zu entnehmen sind, ist auch die Möglichkeit des Ausspruchs von Schuldspruch und Strafe gegeben. Fehlt es daran, ist das Strafgesetz unbestimmt und als Ermächtigungsgrundlage für die Bildung einer einzelfallbezogenen Sanktionsnorm untauglich.341 Entsprechendes gilt, wenn ein Strafgesetz zwar eindeutig auf eine bestimmte Verhaltensnorm Bezug nimmt, die sich aber bereits als solche unter keinen Umständen rechtfertigen lässt (illegitim ist). Das Strafgesetz geht dann vollkommen ins Leere. Die sicherlich in einer Vielzahl von Fällen auftauchenden Konkretisierungsprobleme sind wiederum auf der Ebene der Verhaltensnormen zu lösen. Mit der Bestimmtheit von Strafgesetzen hat die Auflösung solcher Konkretisierungsprobleme nichts zu tun. Aus diesem Grund sind etwa weder die Fahrlässigkeitsdelikte noch der Tatbestand der Untreue zu unbestimmt.342 Die entsprechenden Strafgesetze lassen die spezifischen Rechtsgüter der abzusichernden Verhaltensnormen ohne weiteres eindeutig erkennen. Auch im Hinblick auf die inhaltlichen Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit spielt die Beachtung und Trennung der beiden Normebenen eine wichtige Rolle. Durch sie lassen sich Missverständnisse vermeiden und ein sachgerechter Umgang mit dem Bestimmtheits- bzw. dem Gesetzlichkeitsgrundsatz gewährleisten.343

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So auch Rostalski, Tatbegriff, S. 94; Freund, FS Rössner, S. 579, 586. S. zur Fahrlässigkeit S. 84 ff. sowie zur Untreue S. 113 ff. 343 So auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 150; Reus, Risikogesellschaft, S. 174. 342

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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2. Das Rückwirkungsverbot Das Rückwirkungsverbot richtet sich sowohl an die Strafrechtspraxis als auch an den Strafgesetzgeber.344 Es verbietet die Pönalisierung von Verhaltensweisen, die zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch nicht unter Strafe standen.345 Davon umfasst ist nicht nur die rückwirkende Schaffung von Strafbarkeiten überhaupt, sondern auch die Strafschärfung mit rückwirkendem Charakter. Gleichzeitig verbietet das Rückwirkungsverbot den Strafgerichten die rückwirkende Anwendung von Strafgesetzen. Mit anderen Worten ist jedwede strafrechtliche Sanktion ausgeschlossen, die auf ein Strafgesetz gestützt werden soll, welches zeitlich vor dem strafrechtlich relevanten Verhalten noch nicht existierte. Vom Rückwirkungsverbot nicht umfasst ist allerdings eine etwaige Änderung der Rechtsprechung.346 Das gilt – wie bereits oben dargelegt – unabhängig davon, ob es sich bei der Rechtsprechungsänderung um eine solche handelt, die vermeintlich „gesetzesergänzend“ bzw. „gesetzeskonkretisierend“ wirkt.347 Ebenso wenig untersagt das Rückwirkungsverbot eine die betroffene Person begünstigende rückwirkende Anwendung eines Strafgesetzes.348 Der Grund dafür liegt nicht in einer Besonderheit des Rückwirkungsverbots, sondern in den allgemeinen Voraussetzungen, die an staatliche Eingriffe zu stellen sind. Geht mit dem staatlichen Handeln kein oder ein Grundrechtseingriff mit geringerer Wirkung einher, so sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben erleichtert. Einer doppelt abgesicherten Kontrolle des staatlichen Handelns bedarf es in einem solchen Fall nicht. Die Legitimation des Rückwirkungsverbots führt die überwiegende Ansicht ebenfalls auf den Vertrauensschutz des Bürgers zurück. Nur wenn das Strafgesetz schon vor der Tat existiere, könne der Bürger vorhersehen, ob er mit einer Bestrafung zu rechnen habe und in welcher Höhe sie möglicherweise ausfallen könnte. Zudem könne die – vermutete – verhaltensleitende Funktion des Strafgesetzes ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie vor der Tatbegehung bereits in Kraft getreten war.349 Gerade das Rückwirkungsverbot wird häufig als Argument vorgebracht, um die primäre 344 Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 42; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 37; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 123 ff. 345 Zu den verschiedenen Facetten des Rückwirkungsverbots s. Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 10, 51 ff.; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 42 ff.; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 38 f.; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 2 Rn. 1. 346 S. zur (noch) überwiegenden Meinung Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 50; Brocker, NJW 2014, 2996, 2997; Kunig/Saliger, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 57. Krit. dazu etwa Kment, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 90. 347 S. dazu bereits oben S. 68 ff. 348 BVerfGE 95, 96, 137; Kment, in: Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 77; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 GG Rn. 126; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 36, § 2 Rn. 22 ff.; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 62. 349 Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 GG Rn. 126. Zur Kritik an dieser Vorgehensweise s. bereits oben S. 59 ff.

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

Aufgabe des Gesetzlichkeitsgrundsatzes – die Absicherung der Gewaltenteilung – zu widerlegen.350 Denn die Rückwirkung eines Gesetzes lasse sowohl die richterliche Bindung an die Strafgesetze als auch die Alleinkompetenz des Gesetzgebers zur Schaffung von strafbarkeitskonstitutiven Voraussetzungen unberührt.351 Der Gewaltenteilungsgrundsatz sei dadurch nicht gefährdet, sodass es auch seiner Absicherung nicht bedürfe. Im Kern findet sich in der Kritik ein zutreffender Ansatz, allerdings wird ein relevanter Gesichtspunkt außer Acht gelassen: Wäre es dem Gesetzgeber gestattet, rückwirkende Gesetze zu erlassen, so bestünde stets die begründete Gefahr, dass die Schaffung des Strafgesetzes durch einen speziellen Einzelfall geprägt wäre, etwa um politische oder soziale Unruhen zu beseitigen.352 Mit der Existenz des rückwirkenden Strafgesetzes würde sodann ein Zwang für die Strafgerichte einhergehen, das Gesetz auch auf den in der Vergangenheit liegenden Einzelfall anzuwenden.353 Die wechselseitige Kontrolle und das gut durchdachte Zusammenspiel der beiden relevanten Staatsgewalten wäre damit preisgegeben. Sicherlich ist den Kritikern zuzugestehen, dass auch rückwirkende Strafgesetze denkbar sind, die nicht von einem speziellen Einzelfall geprägt sind. Ob das so ist, lässt sich aber jeweils nur schwer beurteilen. Insofern gilt: Die Möglichkeit von Grenzfällen, die in juristischen Untersuchungen immer denkbar sind, schmälert nicht die Notwendigkeit, die Gewaltenteilung in sämtlichen Konstellationen abzusichern, in denen sie abstrakt-generell gefährdet ist. Zu beachten ist, dass auch bei generellen Regelungen354 die Gefahr besteht, dass zumindest in dem entscheidenden, die Gesetzesänderung auslösenden Fall unzulässig in die Kompetenzbereiche eingegriffen wird. Auch das Rückwirkungsverbot lässt sich demnach durchaus der Absicherung der Gewaltenteilung zuschreiben. 3. Das Analogieverbot Die Ermittlung der Aussagekraft von Gesetzestexten ist in allen Rechtsgebieten das mitunter wichtigste Instrument, um sich dem rechtlichen Gehalt einer Regelung zu nähern. Gelangt man zu dem Ergebnis, dass der Wortlaut des Gesetzes hinter dem 350 S. dazu etwa Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 21, 51; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafrechts, S. 61; Neumann, ZStW 103 (1991), 331, 346; Ransiek, Gesetz und Lebenswirklichkeit, S. 41; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 129; Jakobs, AT, 4/5; Jäger, in: SK-StGB, § 1 Rn. 2; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB § 1 Rn. 56. 351 Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 21. 352 I. d. S. Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 24; Grünwald, ZStW 76, (1964), 1, 17; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 140. Ebenso Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 51, welche die Verhinderung einer inhaltlich unangemessenen Ad-hoc-Gesetzgebung als unverzichtbares Gebot des Rechtsstaates ansehen. 353 Ähnlich bei freilich anderem Sachverhalt BVerfG NVwZ 2014, 577, 580 f. Krit. dazu das Sondervotum des Richters Masing, BVerfG NVwZ 2014, 577, 583 sowie Buchheim/Lassahn, NVwZ 2014, 562, 564 f. 354 Ein Beispiel ist zu finden bei Neumann, ZStW 103 (1991), 331, 346.

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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gefundenen Sinn und Zweck zurückbleibt oder diesen überschreitet, so wird zur Korrektur mitunter auf eine Analogie oder aber eine teleologische Reduktion zurückgegriffen. Beide Methoden der Rechtskonkretisierung bzw. der Rechtsgewinnung durch den Gesetzesanwender sind – sieht man einmal vom Strafrecht ab – allgemein anerkannt. Im Wege der Analogie wird der Anwendungsbereich der gesetzlichen Regelung auf den entsprechenden Fall ausgedehnt, obwohl der Wortlaut ein solches Verständnis gerade nicht zulässt.355 Sicherlich haben die Gerichte bei der Analogiebildung keine freie Hand. Notwendige Voraussetzung ist eine vorhandene planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage des im Gesetz festgelegten und des konkret zu entscheidenden Falls. Den Gegenpol der Analogie bildet die teleologische Reduktion. Sie wird verwendet, um den zu weit geratenen Wortlaut anhand der gefundenen ratio legis wieder einzugrenzen. Warum das Analogieverbot als Teil des Gesetzlichkeitsgrundsatzes verstanden wird und die analoge Anwendung von Strafgesetzen zu Lasten des Betroffenen sowie die teleologische Reduktion von begünstigenden Vorschriften damit verfassungsrechtlich untersagt sind, offenbart sich ohne weiteres vor dem Hintergrund des zu schützenden Prinzips der Gewaltenteilung.356 Abermals liegt der entscheidende Punkt in der Kompetenzverteilung und der damit eng verbundenen demokratischen Legitimation strafrechtlicher Sanktionen.357 Sobald sich ein Strafgericht über den Wortlaut hinwegsetzt, fußen Schuldspruch und Strafe nicht mehr auf einer vom Gesetzgeber geschaffenen ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage.358 Eine abstrakt-generelle gesetzliche Strafbarkeitsbestimmung fehlt. Vielmehr straft die Judikative eigenmächtig.359 Ganz ähnlich verhält es sich bei der teleologischen Reduktion täterbegünstigender Normen. Auch hier maßt sich der Rechtsanwender an, über die Strafbarkeit etwaiger Verhaltensweisen zu entscheiden, die der Gesetzgeber gerade nicht als strafrechtliches Unrecht ansieht. Eine solche Vorgehensweise widerspricht rechtsstaatlichen Grundprinzipien. An die vom Gesetzgeber – mit seinen Worten – geschaffenen, abstrakt-generellen Strafbarkeitsanordnungen hat sich die Judikative strikt zu halten, selbst dann, wenn es sich um ein gesetzgeberisches Versehen gehandelt hat, welches mögliche Strafbarkeitslücken hervorruft.360 So wird nicht nur die demokratische Legitimationskette gewährleistet, sondern auch die notwendige Distanz der Gerichte zum Einzelfall sichergestellt, da die abstrakt-generelle Vorwertung bereits durch den Gesetzgeber getroffen wurde.361

355 Zur Analogie s. Larenz, Methodenlehre, S. 368 ff.; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 244, 252; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, § 1 Rn. 5; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 8. 356 Wie hier Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 143. 357 Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 242. 358 Ähnlich BVerfGE 29, 183, 196; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 242; Roxin/ Greco, AT, § 5 Rn. 30. 359 Ähnlich Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 119. 360 Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 242; Gaede, in: AnwK-StGB, § 1 Rn. 32. 361 I. d. S. auch Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 143.

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

Um dem Analogieverbot Rechnung zu tragen, wird regelmäßig auf die durch den Gesetzestext vorgegebenen semantischen Grenzen verwiesen.362 Um ein historisches Beispiel363 aufzugreifen: Auch bei weitestmöglichem Wortverständnis kann man nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Kfz als bespanntes Fuhrwerk, Kahn oder Lasttier aufzufassen ist. Dieser Auffassung war auch der Bundesgerichtshof. Dennoch hielt er die auf § 3 Abs. 1 Ziff. 6 PreußFDG gestützte Verurteilung für haltbar, da zwar das Kfz nicht unter den bloßen Wortlaut der Norm zu fassen sei, wohl aber unter ihren Sinn und Zweck. Sicherlich sind die vom Bundesgerichtshof angestellten Überlegungen zum Sinn und Zweck der Vorschrift sowie der Vergleich des Unrechtsgehalts zwischen Kraftfahrzeug und bespanntem Fuhrwerk völlig zutreffend. Dennoch muss strikt beachtet werden, dass der Gesetzgeber den Forstdiebstahl mittels eines Kraftfahrzeugs eindeutig nicht in den Gesetzestext aufgenommen hat. Hierdurch mag zwar eine Strafbarkeitslücke entstanden sein, deren Schließung fraglos berechtigt ist; allerdings eben nur durch eine Gesetzesänderung und nicht durch die Annahme eine Strafbarkeit seitens der Strafgerichte ohne gesetzliche Grundlage.364 Der Bundesgerichtshof beging in diesem Fall einen ausdrücklichen und recht eindeutigen Verstoß365 gegen das Analogieverbot, jedenfalls dann, wenn man dem Wortlaut eine entscheidende Begrenzungsfunktion beimisst. Dies tat der Bundesgerichtshof offensichtlich nicht, lag doch der Argumentationsschwerpunkt auf der Ratio der Norm.366 Auch in der Literatur finden sich Vertreter, die eine Wortlautbindung der Strafrichter ablehnen und die ratio legis als maßgebliches

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So etwa BVerfGE 71, 108, 115; BVerfGE 105, 135, 157; BVerfGE 126, 170, 197 f.; BGHSt 29, 129, 133; BGHSt 50, 370, 327; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 86; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 32; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 70; Frisch, Verhalten, S. 627 f., 629; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 26 ff.; Klatt, Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 121, 123 f.; Brodowski, Jus 2012, 892, 894; Kertai, JuS 2011, 976, 978; Schlüchter, NStZ 1984, 300, 303; Rengier, AT, § 4 Rn. 31; Kunig/Saliger, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Art. 103 Abs. 2 Rn. 42; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 1 Rn. 16. Innerhalb der h. M. finden sich teils verschiedene Bezeichnungen. So wird auf den Wortsinn (BVerfGE 71, 108, 121), die sprachliche Sinngrenze (Grünwald, FS Kaufmann, S. 433, 440) oder den Wortlaut (Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 21, 22 ff.) abgestellt. Ein Überblick und jeweils weitere Nachweise bei Dannecker/Schuhr, LK-StGB, § 1 Rn. 250; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 179 mit Fn. 277; Heinrich, Strafschärfung, S. 65 mit Fn. 283. 363 BGH NJW 1957, 1642 f. = BGHSt 10, 375 f. 364 Der hier erneut auftretende fragmentarische Charakter des Strafrechts ist zunächst hinzunehmen. So auch Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 239; Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 32. 365 So auch Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 105; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 34, 37; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 71. 366 „Dem bloßen Wortlaut nach fällt ein Kfz, wie es die Angekl. zur Ausführung des Forstdiebstahls verwendet haben, allerdings nicht unter die Vorschrift, wohl aber nach ihrem Sinn.“

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

81

Trennungskriterium zwischen Auslegung und Analogie heranziehen wollen.367 Als Argument wird angeführt, dass sich der Vorgang der Auslegung und der der Analogie nicht logisch voneinander trennen lasse, da beide Vorgehensweisen aus einem Ähnlichkeitsvergleich herrühren würden. Das mag zwar völlig zutreffend sein, steht allerdings einer nach dem Wortlaut differenzierenden Unterscheidung zwischen zulässiger und unzulässiger Auslegung368 nicht im Wege. Die logische Gleichheit der Rechtsfindungsverfahren spielt für die Legitimation der Achtung der Wortlautgrenze keine entscheidende Rolle. Sie ergibt sich vielmehr aus rechtsstaatlichen Grundprinzipien.369 Werden die vom Gesetzgeber gewählten Worte, die schlicht sein einziges verfügbares Mittel zur öffentlichen Kommunikation sind, nicht geachtet, so geht auch die zwingend notwendige Legitimationskette verloren.370 Auch der Einwand, die Wortlautgrenze sei aufgrund der Unbestimmtheit der Sprache als Begrenzungskriterium untauglich, ist nicht stichhaltig.371 Sicherlich richtig ist, dass eine Vielzahl von Wörtern höchst unterschiedlich gedeutet werden kann. Der Wortsinn wird etwa erheblich durch den Kontext, den Empfänger oder die Verwendung von Umgangs- bzw. Fachsprache372 geprägt. Daraus darf allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass mit Worten keinerlei Begrenzung einhergeht. Schlussendlich wäre damit jegliche Kommunikation unmöglich. Dass das nicht der Fall ist, ist offensichtlich. Darüber hinaus zieht das Abstellen auf die ratio legis noch weitere Probleme mit sich. Zum einen liegt auch die Ermittlung des Sinns und Zwecks einer Norm in der Hand des jeweiligen Rechtsanwenders.373 In den entsprechenden Konstellationen dürfte die Herausfilterung der ratio ebenso problematisch sein wie die Festlegung des größtmöglichen Wortsinns.374 Eine eindeutige Grenze für die noch zulässige Auslegung lässt sich auch mit der ratio einer Norm nicht in allen Fällen erreichen. Zum anderen würde die ratio als Begrenzungskriterium das Analogieverbot negieren. 367 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 3 Rn. 32; Schmidhäuser, AT, 3/26, 49 ff.; Hanack, NStZ 1986, 261, 263; Sax, Analogieverbot, S. 152 ff. Ein eigenes System verfolgt Jakobs, AT, 4/ 35 ff. 368 Ob man von einer zulässigen bzw. unzulässigen Auslegung oder von einer erlaubten bzw. verbotenen Analogie spricht, ist im Grunde nur ein rein terminologischer Streit, der für das Sachproblem wenig hilfreich ist. S. dazu Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 36. 369 „Die Bestimmung der äußersten Grenzen des Strafgesetzes betrifft die Entscheidung über die Strafbarkeit und damit die Abgrenzung der Kompetenzen von Judikative und Legislative“ (BVerfGE 126, 170, 199; 130, 1, 44; BVerfG NJW 2018, 3091, 3092). Zutreffend auch Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 36. 370 Dazu bereits S. 61 ff. Es gilt: Keine Strafe ohne Gesetz! 371 Ähnlich etwa Jakobs, AT, 4/35. 372 S. dazu eingehend Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 32a ff. 373 Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 77; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 176; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 274. 374 So auch Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 176.

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C. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz

Denn ein Verstoß gegen das Analogieverbot wäre nur dann anzunehmen, wenn die Interpretation des Einzelfalls mit dem Sinn und Zweck der entsprechenden Norm nicht in Einklang zu bringen ist.375 Verboten wäre lediglich die Verurteilung auf Grundlage einer Norm, deren Wortlaut und ratio missachtet wurde. Übrig bliebe ein von der ratio und dem Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage völlig losgelöstes Verbot freier Rechtsfindung.376 Ein solches Verbot gilt allerdings grundsätzlich quer durch alle Rechtsgebiete. Die durch Art. 103 Abs. 2 GG für das Strafrecht besonders festgelegte verfassungsrechtliche Bindung wäre damit hinfällig. Das kann nicht richtig sein. Um den Grundsatz der Gewaltenteilung gewährleisten zu können, bedarf es des Zusammenspiels zwischen Bestimmtheitsgrundsatz und Analogieverbot. Durch das strikte Analogieverbot wird sichergestellt, dass die wesentlichen und grundrechtssensiblen Entscheidungen des Gesetzgebers von den Strafgerichten377 geachtet werden.378 4. Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung Der Gesetzlichkeitsgrundsatz verbietet nach allgemeiner Ansicht die gewohnheitsrechtliche Strafbegründung. Gewohnheitsrecht wird verstanden als Recht, das nicht durch förmliche Setzung, sondern durch längere tatsächliche Übung entstanden ist, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine sein muss und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird.379 Dass eine solche Rechtsgewinnung im Strafrecht untersagt ist, lässt sich leicht aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung herleiten. Würde eine Verurteilung auf eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsnorm gestützt werden, so fehlt es offenkundig an der auf den Gesetzgeber zurückzuführenden Ermächtigungsgrundlage. Es zeigt sich erneut die besonders starke formale Bindung der Strafgerichte an das ge-

375

Krit. dazu Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 38. S. dazu Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 38; Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 122 f.; Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 176. 377 Adressat des Analogieverbots ist ausschließlich der Gesetzesanwender. S. dazu Kuhlen, FS Otto, S. 89, 97 f.; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 70; Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 119. Zur möglichen Erweiterung des Adressatenkreises auf den Gesetzgeber s. Greco, GA 2012, 452 ff.; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 44a ff.; Ransiek, FS Tiedemann, S. 171, 182 ff. 378 Dazu BVerfG NJW 2018, 3091. In diesem Zusammenhang wird häufig von einer „Verlängerung“ des Bestimmtheitsgrundsatzes in die Praxis der Gesetzanwendung gesprochen. S. dazu Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 70; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 73; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 241; Kuhlen, FS Otto, S. 89, 99; Heger, in: Lackner/ Kühl/Heger, § 1 Rn. 5. 379 BVerfGE 22, 114, 121; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 170; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 250; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 65. 376

II. Zu den Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

83

schriebene Recht. Wie auch das Analogieverbot richtet sich das Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung ausschließlich an die Strafgerichte.380 Zum Teil wird dem Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung neben dem Analogieverbot eine eigenständige Bedeutung abgesprochen.381 Immerhin lässt sich in der Regel zwischen einer unzulässigen Analogie und der Anwendung von Gewohnheitsrecht klar unterscheiden. Auch wenn dem Verbot des Gewohnheitsrechts nur eine untergeordnete Rolle zukommen dürfte, ist es jedenfalls dann bedeutsam, wenn es noch nicht einmal die für das Analogieverbot relevante Regelung des geschriebenen Rechts gibt, deren unzulässige analoge Anwendung im Raum steht. Im Ergebnis führen beide Verstöße zu einem strafrechtlichen Grundrechtseingriff, der nicht auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann. Wie auch bei allen anderen Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes gilt das Verbot gewohnheitsrechtlicher Rechtsbegründung freilich nur, wenn es sich täterbelastend auswirkt. Durchaus möglich ist demnach etwa die gewohnheitsrechtliche Schaffung von Strafbarkeitsausnahmen oder aber die vollständige Aufhebung382 ganzer Tatbestände durch deren Nichtanwendung.383

380 Zum Gewohnheitsrecht als Richterrecht s. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 3 Rn. 24 ff.; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 250 f.; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 66; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 31; Jäger, in: SK-StGB, § 1 Rn. 39. 381 Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, 2. Auflage, § 1 Rn. 66 mit Verweis auf die Kommentierung Hassemers in der 1. Auflage. 382 S. freilich zum Verwerfungsmonopol von nachkonstitutionellem Recht etwa BVerfGE 2, 124, 128. 383 S. dazu etwa BGHSt 5, 24 = BGH NJW 1953, 1802, 1805; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 50; Schmitz, in: MüKoStGB § 1 Rn. 34; Hassemer/Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 67a; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, § 1 Rn. 175 f.

D. Vermeintliche und tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz Nachdem im Bisherigen Grund und Grenzen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes dargestellt wurden, sollen nun vor dem Hintergrund des hier vorgestellten Konzepts exemplarisch wichtige Fallkonstellationen untersucht werden, in denen ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG möglich erscheint bzw. diskutiert wird. In der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes sowie in der Literatur finden sich zahlreiche Fallgestaltungen, die einen vermeintlichen (oder tatsächlichen) Verstoß gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz zum Gegenstand hatten. Ob die bei den Gerichten häufig anzutreffende Zurückhaltung im Hinblick auf das Verdikt der Verfassungswidrigkeit berechtigt ist, gilt es im weiteren Verlauf zu klären.

I. Fahrlässigkeitsdelikte Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Durch diese Gesetzesformulierung hat der Gesetzgeber in § 222 StGB die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Bereich der Tötungsdelikte gesetzlich bestimmt. Eine ähnliche Vorgehensweise wurde etwa in § 306d oder § 316 Abs. 2 StGB gewählt. Den Strafvorschriften ist gemein, dass sie eine nähere Umschreibung des Begriffs der Fahrlässigkeit vermissen lassen. Auch im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches wird man bei der Suche nach möglichen Voraussetzungen, die eine fahrlässige Verhaltensweise erfüllen muss, äußerst unbefriedigt zurückgelassen. Im Grunde schweigt das Gesetz dazu, was es unter „Fahrlässigkeit“ verstanden haben will. Wohl aufgrund dieser vom Gesetz völlig offen gelassenen Formulierung entstand nicht nur ein angeregter wissenschaftlicher Diskurs über die Systematik der Fahrlässigkeitsdelikte. Vielmehr dürfte in der Offenheit des Begriffs der Fahrlässigkeit auch der Grund für die nunmehr seit Jahrzehnten bestehenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Fahrlässigkeitsdelikte mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz liegen.384 Dieser Befund bietet Anlass dazu, noch einmal genauer als bisher geschehen385 auf die Verfassungsmäßigkeit der Fahrlässigkeitsdelikte einzugehen. 384

Heraus sticht insbesondere die wissenschaftliche Kontroverse zwischen Schmitz und Duttge als Verfechter der Verfassungswidrigkeit und Herzberg, der sich für die Verfassungsmäßigkeit einsetzt. 385 S. dazu bereits S. 74 f.

I. Fahrlässigkeitsdelikte

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1. Verfassungskonformität Die wohl überwiegende Meinung hält den Begriff der Fahrlässigkeit für gesetzlich hinreichend bestimmt und somit verfassungsgemäß.386 Angeführt wird zunächst der Wille des Verfassungsgebers. Dieser habe mit der Einführung des Art. 103 Abs. 2 GG nicht die Straffreistellung etwa einer fahrlässigen Tötung bezwecken wollen. Die Schaffung einer derart gewichtigen Strafbarkeitslücke könne niemals im Sinne des Verfassungsgebers gewesen sein. Selbst wenn man unterstelle, dass der Gesetzgeber im Jahre 1949 das Problem der Bestimmtheit noch nicht erkannt habe, so müsse dennoch berücksichtigt werden, dass der „moderne“ Gesetzgeber seit 1975 die Verfassungsgemäßheit der Fahrlässigkeitsnormen mit § 1 StGB in Verbindung bringt und ihre Gültigkeit für selbstverständlich hält.387 Schon daraus ergebe sich, dass der Gesetzgeber offensichtlich ein anderes Verständnis der gesetzlichen Bestimmtheit besitze, als es in der heutigen Strafrechtslehre zum Teil angenommen werde.388 Zudem seien im Strafgesetzbuch zahlreiche Tatbestandsmerkmale zu finden, die ähnlich unbestimmt seien wie das Merkmal der Fahrlässigkeit. So eröffne auch der Tatbestand der Beleidigung, die Tatbestandsmerkmale der „Gewalt“, des „empfindlichen Übels“, der „Zwangslage“ oder der „erheblichen Willensschwäche“ dem Richter ein hohes Maß an Wertungsspielräumen. Es leuchte nicht ein, warum allein die Fahrlässigkeitsdelikte dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit unterliegen sollten. Vielmehr seien Wertungsunsicherheiten dem Strafrecht immanent und gerade keine Spezifika der Fahrlässigkeitsdelikte.389 Insbesondere müssten auch sämtliche Vorsatzdelikte zu unbestimmt sein, da sich die Voraussetzungen der beiden Deliktstypen decken, der Vorsatztäter allerdings noch ein spezifisches Mehr aufweist. Auch der Vorsatztäter missachte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt – und zwar in ganz besonderem Maße. Für die gesetzliche Bestimmtheit mache es demnach keinen Unterschied, ob die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Der rechtlich offene Begriff der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bleibe im einen wie auch im anderen Fall bestehen.390 Im hier interessierenden Zusammenhang ist häufig das sog. Unmöglichkeitsargument anzutreffen. Gemeint ist, dass es dem Gesetzgeber aufgrund der schier unendlichen Konstellationen nicht möglich ist, im Gesetz näher festzulegen, welches Verhalten einen Fahrlässigkeitsvorwurf mit sich zieht. Die vom Gesetzgeber ge386

So insbesondere Herzberg, ZIS 2011, 444 ff.; ders., NStZ 2004, 593 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 5 Rn. 3; Freund, FS Rössner, S. 579, 582 ff.; Frister, AT, Kap. 4 Rn. 13; Stratenwerth/Kuhlen, § 15 Rn. 9 mit Fn. 1; Gaede, in: Matt/Renzikowski, § 15 Rn. 32 f. 387 Herzberg, ZIS 2011, 444, 446; ders., Symposium für Schünemann, S. 31, 37. 388 Herzberg, NStZ 2004, 593, 594. 389 S. dazu und zum Folgenden Herzberg, ZIS 2011, 444, 452; ders., Symposium für Schünemann, S. 31, 57. 390 An diesem Befund ändert sich freilich nichts, wenn man auf den Begriff des „erlaubten Risikos“ rekurriert. Dieser unterliegt nach zutreffender Auffassung denselben Kriterien wie der Begriff der Fahrlässigkeit.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

wählte Zurückhaltung sei durchaus zu begrüßen, könnten doch solche Begriffe allein durch die Rechtsdogmatik und die Rechtsprechung mit Inhalt gefüllt werden.391 2. Verfassungswidrigkeit Die Kritiker setzen zuvörderst an der bereits am Anfang erwähnten fehlenden gesetzlichen Umschreibung des Fahrlässigkeitsbegriffs an. Der Begriff werde schlicht ohne nähere Definition392 in den entsprechenden Paragrafen des allgemeinen und besonderen Teils verwendet.393 Ein Konkretisierungsversuch mittels § 276 Abs. 2 BGB sei wenig hilfreich, da daraus nur folgen würde, dass derjenige fahrlässig handele, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lasse. Eine Antwort darauf, wie sich die betroffene Person im konkreten Moment schlussendlich zu verhalten habe, lasse sich auch aus § 276 Abs. 2 BGB nicht ableiten.394 Auch die den Fahrlässigkeitsbegriff enthaltenden Normen des Allgemeinen Teils seien ebenso aussagelos. Sie würden ausschließlich festlegen, dass die fahrlässige Begehungsform weniger gravierend sei als die vorsätzliche sowie dass der Fahrlässigkeit zumindest die Unkenntnis über einen relevanten Umstand innewohnt.395 Wenn das Gesetz aber keinerlei Aussage darüber treffe, unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten strafrechtlich erfasst sei, könne wiederum die durch Art. 103 Abs. 2 GG geforderte Verhaltensleitfunktion nicht erfüllt werden. Damit dem Bürger die Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten aufgezeigt werden könne, bedürfe es einer Verhaltensnorm, die ex ante hinreichend erkennbar sei.396 Solange sich der Bürger von der Verhaltensnorm leiten lasse, dürfe er darauf vertrauen, nicht bestraft zu werden. Dies sei ein aus dem Gesetzlichkeitsgrundsatz und der Leitfunktion entstehendes Freiheitsrecht. Daraus folge aber auch, dass eine Strafvorschrift, die ihre Reichweite nicht hinreichend bestimmt umschreibt, verfassungswidrig sei. Genau ein solcher Fall bestehe im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte. Hier fehle es aufgrund der mangelnden gesetzlichen Umschreibung vollends an der hinreichend zu bestimmenden Reichweite und damit auch an einer Verhaltensnorm, die dem Bürger sein normgemäßes Verhalten vorschreibt. Dementsprechend gehe auch das Strafgesetz ins Leere, da schon keine mit ihm verknüpfte übertretbare Verhaltensnorm existiere. 391

Vgl. Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 275. Der Gesetzgeber wollte durch die Aussparung einer gesetzlichen Fixierung die Erstarrung der dogmatischen Weiterentwicklung vermeiden. S. dazu BT-Drucks. V/4095, S. 8 f. 393 Eine Aufzählung ist etwa zu finden bei Duttge, in: MüKoStGB, § 15 Rn. 13. 394 S. dazu Schmitz, FS Samson, S. 181, 196; Schlüchter, Grenzen strafbarer Fahrlässigkeit, S. 22 f.; Duttge, Handlungsunwert, S. 207 f.; i. E. ähnlich Freund/Rostalski, AT, § 5 Rn 14; Freund, FS Küper, S. 63, 68 f.; ders., in: MüKoStGB, §§ 1 – 4 AntiDopG Rn. 98. Eine andere Ansicht vertritt wohl Herzberg, NStZ 2004, 660, 661. 395 Ähnlich Schroeder, ZStW 91 (1979), 257, 261; Mommsen, ZStW 131 (2019), 1009, 1032; Kargl, Grundlagen von Gesetz und Gesetzlichkeit, S. 274. 396 Dazu und zum Folgenden s. Schmitz, FS Samson, S. 181, 184. 392

I. Fahrlässigkeitsdelikte

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Zudem seien auch die „Rettungsversuche“ der Befürworter nicht stichhaltig. Schon die Berufung auf den Willen des Verfassungsgebers könne nicht überzeugen. Zwar dürfte es nicht das Ziel der Mütter und Väter des Grundgesetzes gewesen sein, die Fahrlässigkeitsdelikte aufzuheben, allerdings könne sehr wohl die Möglichkeit bestehen, dass die Fahrlässigkeitsdelikte in ihrer bisherigen Form implizit mit der Einführung von Art. 103 Abs. 2 GG verworfen werden sollten. Auch könne man die anzulegenden Maßstäbe nicht vergleichen. Nicht nur die Strafrechtsdogmatik, sondern auch die Grundrechtsdogmatik habe sich im Laufe der Zeit verfeinert. Eine Deckungsgleichheit zu den Maßstäben, die 1949 galten, sei keineswegs zwingend. Ferner seien die Folgen für die Praxis nicht in der aufgezeigten Intensität zu befürchten. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ermögliche ohne weiteres eine Gangart, durch die die Folgen zumindest abgemildert werden könnten. Gemeint ist hier die sog. Unvereinbarkeitserklärung. Darunter versteht man, dass die im Grunde verfassungswidrige Norm nicht für nichtig erklärt wird, sondern „nur“ als mit dem Grundgesetz unvereinbar. Durch die vorübergehende Aufrechterhaltung der Norm könne man die befürchteten Strafbarkeitslücken umgehen, bis der Gesetzgeber in verfassungskonformer Weise tätig geworden ist. Fehl gehe auch der Verweis auf den ultra-posse-Grundsatz. Schon an den Strafgesetzbüchern ausländischer Rechtsordnung könne man erkennen, dass es dem Gesetzgeber offensichtlich möglich sei, die Voraussetzungen fahrlässigen Verhaltens festzulegen.397 Eine wenigstens teilweise Normierung sei besser als gar keine. Im Übrigen helfe eine Konturierung durch die Rechtsprechung und Literatur nicht weiter, da sich der Bürger aus dem Gesetz heraus informieren können müsse. Dies sei schlicht eine in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Forderung des Verfassungsgebers.398 Ebenso wenig zwingend wie der Wille des Verfassungsgebers sei der von den Befürwortern gezogene Vergleich zwischen den Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten. Die Widerlegung der Verfassungswidrigkeit mittels dieses Vergleiches scheitere schon daran, dass auch ein anderes Verständnis im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit möglich sei. Eine Meinung unter vielen könne nicht als gesichert angesehen werden. Zudem gehe der Vergleich ohnehin ins Leere, da die Implementation von unbestimmten Rechtsbegriffen in das – meist ausreichende bestimmte – Vorsatzdelikt eben diesen nicht zu ihrer Bestimmtheit verhelfen würde.399 Wolle man Art. 103 Abs. 2 GG und den darin enthaltenen Bestimmtheitsgrundsatz ernst nehmen, so müsse man mangels überzeugender Gegenargumente an dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit festhalten. Was nicht wahr sein dürfe, hieße eben nicht, dass es nicht auch wahr sein könne.400 397

Vgl. Duttge, in: MüKoStGB, § 15 Rn. 60. Dazu Schmitz, FS Samson, S. 181, 190; ähnlich Duttge, FS Kohlmann, S. 13, 28. 399 Schmitz, FS Samson, S. 181, 191 f. 400 Schmitz, FS Samson, S. 181, 187; Duttge, FS Kohlmann, S. 13, 28.

398

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

3. Würdigung und Stellungnahme auf der Grundlage einer zutreffenden normentheoretischen Differenzierung In der Tat ist den Kritikern zuzugestehen, dass der Wille des Verfassungsgebers nicht eindeutig zu ermitteln ist. Zudem kann ein bloßer Wille ohnehin nichts an einer objektiv gegebenen Unbestimmtheit ändern, zumindest dann nicht, wenn man an die gesetzliche Bestimmtheit die oben aufgezeigten Maßstäbe anlegt. Sofern die Fahrlässigkeitsdelikte tatsächlich nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang zu bringen sind, kann auch der Wille des Gesetzgebers zu Gegenteiligem an diesem Befund nichts ändern.401 Nicht zustimmungswürdig sind allerdings die Ausführungen zur Behauptung der fehlenden gesetzlichen Bestimmtheit. Sie basieren erneut auf einer nicht sauberen Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen bzw. ihnen liegt ein Konzept zu Grunde, das – jedenfalls in Teilen – zu verwerfen ist. Schmitz geht wohl davon aus, dass der (Straf-)Gesetzgeber selbst Verhaltensnormen im Vorhinein festlegen könne. Nur so lässt sich seine Forderung nach einer anhand des Strafgesetzes ex-ante hinreichend erkennbaren Verhaltensnorm erklären. Dass ein solches Verständnis der Funktion des Strafgesetzes nicht gerecht wird, wurde bereits an anderer Stelle aufgezeigt.402 Im Grunde ist dies auch in den Ausführungen Schmitz’ zu erkennen, wenn er konstatiert, dass sogar eine unmittelbare Verknüpfung mit § 276 Abs. 2 BGB nicht zu dem entscheidenden Erkenntnisgewinn führen würde, da die Antwort auf die Frage, was der Einzelne im konkreten Fall beachten müsse und was er vernachlässigen dürfe, dort nicht zu finden sei. Eine These, der vollständig zuzustimmen ist. Auch der – sofort relativierte403 – Verweis auf die ausländischen Rechtsordnungen hilft bei der Lösung des von Schmitz selbst aufgeworfenen Problems nicht weiter. Denn die Ersetzung des offenen Begriffs der Fahrlässigkeit durch einen anderen, ebenso offenen Begriff wie etwa404 : „Die Verletzung der unter den Umständen erforderlichen Vorsicht“405, „gewöhnliche Sorgfalt“406, „Nachlässigkeit, Unvorsichtigkeit, mangelnde Erfahrung“407 oder „pflichtwidrige Unvorsichtigkeit“408 beantwortet mitnichten die Frage nach dem erlaubten Verhalten in der konkreten Situation. Sie hat ausschließlich eine Verschiebung des Sachproblems zur Folge.409 Ein Er401

Ein schönes Beispiel findet sich bei Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, S. 164. 402 Zur Kritik an diesem Verständnis s. S. 36 ff., 41 ff., 61 ff. 403 „Verschiedene ausländische Rechtsordnungen machen es – mehr oder minder – gut vor.“ (Schmitz, FS Samson, S. 181, 189). 404 Zu den hier verwendeten Übersetzungen und Beispielen s. Duttge, in: MüKoStGB, § 15 Rn. 61 ff. 405 So in Art. 9 § 2 polStGB. 406 So in Art. 121-3 im französischen Code Pénal. 407 So in Art. 43 Nr. 1 des italienischen Dodice Penale. 408 So in Art. 12 Abs. 3 schwStGB. 409 Zutreffend Herzberg, ZIS 2011, 444, 451.

I. Fahrlässigkeitsdelikte

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gebnis, welches kaum überrascht, wenn man sich vor Augen hält, dass der Betroffene in der konkreten Situation selbst für sich entscheiden muss, ob er gerade gegen eine ihm gegenüber legitimierbare Verhaltensnorm verstößt und damit ein rechtlich missbilligtes Risiko im Hinblick auf ein spezifisches Rechtsgut schafft oder nicht abwendet. Ein hierzu passendes lehrreiches Beispiel hat Herzberg410 in die Diskussion eingebracht. In seinem Beispiel geht es um eine Mutter, die die Ängstlichkeit ihres Kindes bekämpfen möchte und es deshalb dazu bringen will, mutig von einer Mauer herunterzuspringen. Ob die Mutter in diesem Beispiel durch ihr das Kind zum Sprung veranlassendes Verhalten ein rechtlich missbilligtes Risiko schafft, beantwortet § 229 StGB nicht im Geringsten. Die Risikoeinschätzung wird der Mutter selbst überlassen. Genau darin könnte man nun natürlich erneut den Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und das postulierte Gebot der Verhaltensleitung (durch das Strafgesetzt) sehen. Dem ist allerdings zu widersprechen, da sich eine Verhaltensleitung in der konkreten Situation durch ein Strafgesetz eben nicht erreichen lässt. Spinnt man das Beispiel einmal weiter411, so wird dieser Befund noch klarer. Stellt man sich ein hypothetisches Strafgesetz vor, dessen Inhalt sich auf ein sechsjähriges Kind bezieht, welches sich bei dem Sprung von einer Mauer Verletzungen zuzieht, so ändert sich das bereits gefundene Ergebnis nicht. Auch bei einem derart konkretisierten Strafgesetz muss die Risikoabwägung durch die Mutter vorgenommen werden. Es sind zahlreiche Gründe denkbar, die die Risikoabwägung in die eine oder andere Richtung lenken können. So müssten etwa die Eigenschaften des Bodens, die Höhe der Mauer und die körperliche Verfassung des Kindes in die Abwägung miteinbezogen werden. Eine Aufgabe, die der (Straf-)Gesetzgeber nicht erfüllen kann. Selbst wenn man das Ganze ad absurdum führt und ein Strafgesetz mit dem Inhalt schaffen würde „Wer sein körperlich und geistig gesundes412 Kind von einer drei Meter hohen Mauer auf einen geschotterten Boden springen lässt und dadurch eine Verletzung seines Kindes verursacht, wird mit […] bestraft“, wäre der Mutter im Hinblick auf ihre Verhaltensbewertung nur wenig geholfen. Es ist und bleibt ihre Aufgabe zu bewerten, ob ihr Kind gesund oder angeschlagen ist, der Boden betoniert oder geschottert ist und ob die Mauer zwei, drei oder vier Meter hoch ist. Die für die Verhaltensbewertung maßgebliche Entscheidung zu treffen, obliegt auch bei einer solch fiktiven und absurden Strafvorschrift der Mutter selbst. Im Grunde sieht sie sich damit derselben Ausgangslage gegenüberstehend, wie es beim jetzigen § 229 StGB der Fall ist. Sie selbst hat anhand der sich ihr darbietenden Situation unter Beachtung der ihr verfügbaren rechtlichen Wertungsmaßstäbe darüber zu entscheiden, ob sie ein rechtlich missbilligtes Risiko im Hinblick auf die Körperintegrität ihres Kindes schafft und sich somit fahrlässig verhält oder nicht. 410

Herzberg, ZIS 2011, 444, 447. Das tut auch Herzberg, ZIS 2011, 444, 451. 412 Dass ein krankes und damit erst recht schützenswertes Kind nicht von der Strafvorschrift erfasst wäre, ist sicherlich sinnwidrig. Es dient nur der Veranschaulichung, dass auch ein sehr konkretes Strafgesetz nicht zur angestrebten Verhaltensleitfunktion führen kann. 411

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch, dass der Vorsatztäter ebenfalls den hier beschriebenen Abwägungsprozess vornehmen muss. Daran ist auch der Hinweis auf die Unbestimmtheit sämtlicher Vorsatzdelikte zu messen. Es ging bei dem Vergleich nicht darum, die im Raum stehende Unbestimmtheit des Fahrlässigkeitsbegriffs durch einen Hinweis auf andere, ebenso unbestimmte Rechtsbegriffe zu beheben. Auch ging es nicht darum, ob sich der Bürger mehr unter dem Begriff des Vorsatzes als unter dem Begriff der Fahrlässigkeit vorstellen kann. Der Vergleich dient lediglich dazu aufzuzeigen, dass die Wertungskriterien, die die vermeintliche Unbestimmtheit der Fahrlässigkeitsdelikte mit sich ziehen, im Vorsatzfall ebenso gegeben sind. Sollte die Mutter ihrem Kind die Verletzungen – warum auch immer – gönnen, so sieht sie sich denselben Abwägungsschwierigkeiten gegenüberstehend wie im Ausgangsfall. Die Bildung der entsprechenden Verhaltensnorm liegt abermals bei ihr. Wenn die Höhe der Mauer, die Eigenschaften des Bodens und der Gesundheitszustand des Kindes für die Bildung der Verhaltensnorm, auf die sich § 229 StGB bzw. die eben konstruierte Strafvorschrift bezieht, die entscheidende Rolle gespielt haben, so müssen sie dies auch für die zu § 223 StGB passende Verhaltensnorm tun. Dass die Mutter möglicherweise Kenntnis über etwaige gesundheitliche Probleme ihres Kindes hat, erleichtert ihr sicherlich die Bildung der entsprechenden Verhaltensnorm, an der Entscheidungsrelevanz der jeweiligen identischen Kriterien ändert sie allerdings nichts. Dieselben für die Verhaltensbewertung entscheidenden Merkmale sollen in einem Fall zur Unbestimmtheit führen (§ 229 StGB), im anderen (§ 223 StGB) nicht. Das leuchtet nur wenig ein, da die postulierte Orientierungsfunktion in beiden Fällen nicht ersichtlich ist. Im Lichte dieses Zusammenhangs ist auch das „Unmöglichkeitsargument“ zu sehen. Es geht nicht nur darum, dass es dem Gesetzgeber praktisch nicht möglich ist, alle strafbaren Verhaltensweisen festzulegen, sondern auch darum, dass das von vielen angestrebte Ergebnis in normentheoretischer Hinsicht unmöglich ist. Sicherlich wäre es dem Gesetzgeber mit wohl kaum zu bezifferndem Mehraufwand theoretisch (!) möglich, Strafgesetze zu schaffen, die sich etwa auf ein, zwei oder drei Meter hohe Mauern beziehen und die jeweiligen Bodeneigenschaften des Aufschlagpunkts berücksichtigen. Dennoch würde der ultra posse-Grundsatz zu Gunsten des Gesetzgebers greifen, da die Bildung der Verhaltensnorm und damit die Letztentscheidung über die Risikoeinschätzung – wie auch beim heutigen § 229 StGB – bei der Einzelperson liegt und sachbedingt auch liegen muss. Das Gesagte bedeutet aber natürlich nicht, dass der Gesetzgeber überhaupt keine Handhabe im Hinblick auf eine etwaige gesetzliche Definition fahrlässigen Verhaltens hat. Ihm steht es durchaus frei, die notwendigen abstrakten Kriterien aus Klarstellungsgründen in das Strafgesetzbuch aufzunehmen.413 Da die Fahrlässigkeit der Grundtyp eines jeden (personalen) Fehlverhaltens ist, müssen sich in ihrer Definition zwangsläufig auch die Grundkriterien einer jeden Straftat wiederfinden. Dementsprechend würde die Aufnahme einer Fahrlässigkeitsdefinition immerhin 413

S. dazu Freund/Rostalski, AT, § 5 Rn. 93 ff.; Freund, FS Küper, S. 63, 78.

I. Fahrlässigkeitsdelikte

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dazu führen, dass eben jene Kriterien klar und eindeutig im Strafgesetzbuch festgehalten sind. Gesteht man sich aber einmal ein, dass durch Strafgesetze eine verhaltensleitende Funktion nicht zu erreichen ist, so ist der Weg zu einem sachgerechten Verständnis des Bestimmtheitsgrundsatzes eröffnet. Entscheidend ist allein, ob die Strafvorschrift die Legitimationsgründe der von ihr zu schützenden Verhaltensnorm klar benennt bzw. diese zumindest durch eine Rechtskonkretisierung zu ermitteln sind. Demnach kann auch die Frage nach der Bestimmtheit der „Fahrlässigkeitsdelikte“ nicht pauschal bejaht oder aber verneint werden. Verallgemeinern lässt sich allerdings, dass eine mögliche Unbestimmtheit nicht durch die fehlende gesetzliche Konkretisierung des Fahrlässigkeitsbegriffs hervorgerufen wird. Lassen sich aus der Strafvorschrift die Legitimationsgründe der Verhaltensnorm nicht entnehmen, so gilt das Verdikt der Unbestimmtheit für diese Strafvorschrift unabhängig davon, ob sie eine fahrlässige oder vorsätzliche Begehungsweise beschreibt. Um ein sachgerechtes Urteil über die Bestimmtheit treffen zu können, muss jedes Strafgesetz im Hinblick auf die entscheidenden Kriterien separat untersucht werden. Dies wird im Folgenden anhand einiger Strafgesetze exemplarisch durchgeführt. a) Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung Bezüglich der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung ist dies im Grunde schon an anderer Stelle geschehen; deshalb in aller Kürze: Die Ermittlung der erforderlichen Legitimationsgründe der den §§ 222, 229 StGB zugrundeliegenden Verhaltensnormen gelingt problemlos. Nach § 222 StGB sind Verhaltensweisen strafbar, die die Vernichtung menschlichen Lebens nach sich ziehen. Die Strafvorschrift der fahrlässigen Tötung nimmt damit unzweifelhaft Bezug auf solche Verhaltensnormen, die dem Schutz des menschlichen Lebens dienen und die sich auch durch die Sonderverantwortlichkeit des Normadressaten legitimieren lassen.414 Die entscheidenden Legitimationsgründe lassen sich somit ohne weiteres aus dem Strafgesetz herauslesen. Der Gesetzgeber hat seine ihm von Art. 103 Abs. 2 GG auferlegte Aufgabe erfüllt. Er hat über das „Ob“ der Strafbarkeit von Verhaltensweisen entschieden, die den Tod eines Menschen zur Folge haben. Ebenso eindeutig werden die relevanten Legitimationsgründe von § 229 StGB zum Ausdruck gebracht. Strafbar sind nach dieser Strafvorschrift Verhaltensweisen, die die körperliche Integrität eines anderen Menschen beeinträchtigen. Das spezifische Rechtsgut der – auch durch die Sonderverantwortlichkeit ihres Adressaten legitimierten – Verhaltensnorm, auf die § 229 StGB Bezug nimmt, beläuft sich damit unzweifelhaft auf den Schutz der körperlichen Integrität. Auch über das „Ob“ der Strafbarkeit von Verhaltensweisen, die sich im Ergebnis schädigend auf das körperliche Wohlbefinden auswirken, ist damit unzweifelhaft entschieden. Dem Bestimmtheitsgrundsatz werden diese beiden Fahrlässigkeitsdelikte gerecht. Daraus lässt sich nun al414

Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 171 ff.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

lerdings nicht schließen, dass auch alle anderen Strafgesetze, in denen der Begriff der Fahrlässigkeit verwendet wird, ebenfalls hinreichend bestimmt sind. b) Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässige Brandstiftung Im Strafgesetzbuch und auch in den strafrechtlichen Nebengesetzen finden sich eine Vielzahl von Fahrlässigkeitsdelikten. Als weiteres Beispiel mag zunächst § 316 StGB dienen. Zwar wird – soweit es mir ersichtlich ist – die Bestimmtheit von § 316 StGB nicht explizit angezweifelt. Dennoch müssten diejenigen, die die Verfassungswidrigkeit von Fahrlässigkeitsdelikten annehmen, zur Unbestimmtheit des § 316 (Abs. 2) StGB kommen. Denn auch § 316 Abs. 2 StGB verwendet den Begriff der Fahrlässigkeit. Sicherlich beschreibt Abs. 1 den zu vermeidenden Erfolgssachverhalt415 i. S. d. vorsätzlichen Begehungsweise, jedoch verbleibt es im Hinblick auf Abs. 2 ebenfalls bei einem bloßen Verweis auf die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit. Im Grunde steht man damit der gleichen Ausgangslage gegenüber, wie bei den §§ 222, 229 StGB. Die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der in Abs. 1 beschriebene Erfolg fahrlässig herbeigeführt wird, sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Treffen den Bürger Informationspflichten? Darf er bei den von ihm konsumierten Mengen davon ausgehen, dass seine Fahrsicherheit nicht beeinträchtigt ist? Darf er vom Abklingen der berauschenden Wirkung ausgehen? Solche Fragen dürften nicht selten im Raum stehen, wenn es um das Führen eines Fahrzeugs nach der Einnahme möglicherweise berauschender Mittel geht.416 Dass es auch hierbei zu Konkretisierungsproblemen kommen kann, liegt wiederum in der Natur der Sache. Für die Bestimmtheit sind die soeben aufgeworfenen Fragen nach dem hier vertretenen Konzept allerdings ohne Bedeutung, sofern die von § 316 StGB in Bezug genommenen Verhaltensnormen abstrakt-generell klar definiert sind, d. h. die Legitimationsgründe – insbesondere die zu schützenden Rechtsgüter – der Verhaltensnorm aus der Strafvorschrift zu entnehmen sind. Die für die Bestimmtheit entscheidende Frage ist damit wiederum „nur“, ob die von § 316 StGB ins Auge gefasste Verhaltensnorm legitimen Rechtsgüterschutz betreibt und ein hinreichender semantischer Bezug zu eben jenem Rechtsgüterschutz hergestellt werden kann.

415

Der Erfolgssachverhalt beinhaltet ausschließlich objekt-äußerliche Komponenten. Neben den spezifischen Fehlverhaltensfolgen (sog. „Erfolg“) finden sich in zahlreichen Strafgesetzen weitere tatsächliche Gegebenheiten, die als zusätzliches Sanktionserfordernis hinzutreten können. Anders ausgedrückt spiegelt der Erfolgssachverhalt den eingetretenen Umstand wider, der durch richtiges Verhalten hätte vermieden werden können und sollen. S. dazu Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 25, 131; Freund/Rostalski, AT, § 2 Rn. 55 ff., 92 f. 416 Zu solchen Fragestellungen s. Pegel, in: MüKoStGB, § 316 Rn. 106 ff.; Hentschel, NJW 1984, 350 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl/heger, § 316 Rn. 5; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 316 Rn. 24; Zieschang, in: NK-StGB, § 316 Rn. 56 ff.; König, in: LK-StGB, § 316 Rn. 210 ff.

I. Fahrlässigkeitsdelikte

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Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 316 StGB auf das Vermeiden eines unsicheren Führens eines Fahrzeugs aufgrund von alkoholischen Getränken oder anderen berauschenden Mitteln. Welche Rechtsgüter durch die Vermeidung eines solchen Erfolgssachverhalts geschützt werden sollen, ist zwar nicht ganz so evident, wie es bei § 222 StGB der Fall ist; dennoch lassen sich die Legitimationsgründe der Verhaltensnorm wohl relativ einfach durch eine Rechtskonkretisierung herausarbeiten. Das zu schützende Rechtsgut der von § 316 StGB in Bezug genommenen Verhaltensnormen kann letztlich nur entweder in dem Universalrechtsgut der allgemeinen Verkehrssicherheit oder aber in den dahinterstehenden Individualrechtsgütern, also insbesondere Leib und Leben, gesehen werden.417 Welches Rechtsgutverständnis vorzugwürdig ist, soll hier nicht näher diskutiert werden. An dieser Stelle ist weder der Raum für einen solch breitgefächerten Diskurs noch ist die genaue Festlegung für die Bestimmtheit des Strafgesetzes bedeutsam. Gesagt sei nur, dass all diejenigen Rechtsgüter schützenswert sind, die für ein angemessen geordnetes Zusammenleben unerlässlich sind.418 Dies ist im Grunde nicht der vorgelagerte Zustand eines Universalrechtsguts – hier die allgemeine Sicherheit des Straßenverkehrs, Bahnverkehrs und Luftverkehrs –, sondern letztlich geht es um die dahinterstehenden Individualrechtsgüter. Dementsprechend dienen damit auch die Universalrechtsgüter dem Schutz von Individualrechtsgütern.419 Sicherlich lässt sich aber – sollte man die andere Auffassung vertreten – auch der Schutz der allgemeinen Verkehrssicherheit vor der Verfassung legitimieren. Letztlich hat der Gesetzgeber damit jedenfalls klar und eindeutig festgelegt, dass bereits auf Verhaltensweisen strafrechtlich reagiert werden soll, die eine abstrakte Gefährdung menschlichen Leibes oder Lebens im Straßenverkehr nach sich ziehen, sofern diese auf einer rauschbedingten Fahrunsicherheit basiert. Im Hinblick auf die hinreichende Gesetzesbestimmtheit von § 316 StGB bestehen damit keinerlei Zweifel. Der Gesetzgeber hat die ihm von Art. 103 Abs. 2 GG auferlegte Aufgabe ohne weiteres erfüllt. Ob der Betroffene sich nun etwa tatsächlich (genauer) über die Wirkung des Medikaments hätte informieren müssen oder ob er von dem Abbau seiner BAK ausgehen durfte, ist eine Frage des Verhaltensnormverstoßes im Einzelfall und kann von § 316 StGB nicht beantwortet werden. Ihre Klärung obliegt – wie bereits erwähnt – einzig und allein den für die Entscheidung des Einzelfalls zuständigen Strafgerichten. Ein im Grunde identisches Bild zeigt sich bei § 306d StGB. Auch in diesem Strafgesetz wird auf die Wiederholung des zu vermeidenden Erfolgs verzichtet. Es bleibt bei dem Verweis, dass die fahrlässige Verwirklichung der Taten nach §§ 306, 306a StGB ebenfalls strafbar ist. Nach welchen Kriterien zu bestimmen ist, ob etwa 417 Zur Frage des zu schützenden Rechtsguts s. BayObLG – 1 ST RR 77/92 = NZV 1992, 453 ff.; OLG München – 4 St RR 199/05 = NZV 2006, 277 ff.; Heger, in: Lackner/Kühl/ Heger, § 316 Rn. 1; Pegel, in: MüKoStGB, § 316 Rn. 1; König, in: LK-StGB § 316 Rn. 3; Wolters, SK-StGB, § 316 Rn. 2. 418 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 48. 419 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 49; Wolters, SK-StGB, § 316 Rn. 2; Jäger, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 18.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

ein fremdes Gebäude fahrlässig in Brand gesetzt oder durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört wurde, beantwortet das Gesetz wiederum nicht. Die in der Lebenswirklichkeit auftauchenden Konstellationen, die zu einer fahrlässigen Brandstiftung führen können, sind vielseitig und leicht vorstellbar.420 Insoweit stellen sich natürlich auch im Rahmen von § 306d StGB Konkretisierungsprobleme. Ebenfalls parallel zu § 316 StGB verläuft die Diskussion zu dem zu schützenden Rechtsgut.421 Auch bei den Brandstiftungsdelikten wird zum Teil der Fokus auf das Universalgut der Vorbeugung von genereller Gemeingefährlichkeit gelegt. Dennoch dürfte es auch im Bereich der Brandstiftungsdelikte vorzugswürdig sein, den Fokus auf die in Frage stehenden Individualrechtsgüter zu legen. Dass die § 306 ff. StGB Verhaltensweisen mit Strafe belegen, die eine Gefahr für Leib, Leben und Eigentum mittels Brandlegung darstellen, ist trotz einiger gesetzgeberischer Ungenauigkeiten durch eine Rechtskonkretisierung recht einfach herauszulesen. Wiederum hat der Gesetzgeber damit abstrakt-generell klar definiert, auf welche Art von Verhaltensnormverstößen die Strafgerichte reagieren sollen. Anhand dieser beiden Beispiele dürfte noch einmal deutlich geworden sein, dass auch eine gesetzliche Beschreibung der vorsätzlichen Begehungsweise der Bestimmtheit im Fahrlässigkeitsbereich nicht zum Durchbruch verhelfen kann, sofern diese angezweifelt wird. Die entscheidenden Legitimationsgründe müssen eben im Vorsatz- wie auch im Fahrlässigkeitsfall gleichermaßen gegeben sein. c) Unerlaubter Umgang mit Dopingmitteln, unerlaubte Anwendung von Dopingmethoden aa) § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F. Sicherlich existierten und existieren auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte Strafgesetze, die im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz problematisch sind. Mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen war etwa § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F.422 Gem. § 6a AMG a. F. war es verboten, Arzneimittel nach Abs. 2 S. 1 zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden, sofern das Doping beim Menschen erfolgt oder erfolgen soll. Die entsprechende Strafvorschrift, 420

Zu möglichen Lebenssachverhalten s. etwa Duttge, Handlungsunwert, S. 332 ff.; Radtke, in: MüKoStGB, § 306d Rn. 9; Kargl, in: NK-StGB, § 306d Rn. 5; Heger, in: Lackner/ Kühl/Heger, § 306d Rn. 1; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 306d Rn. 7.1. 421 Zur Diskussion um das Rechtsgut von § 306 StGB s. etwa BGH – 4 StR 487/15 = NStZ 2016, 605 ff.; Wolters, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 306 Rn. 1; Radtke, ZStW 110 (1998) 848, 857; ders., Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, S. 372 ff.; ders., in: MüKoStGB, § 306 Rn. 1; Kargl, in: NK-StGB, Vor § 306 Rn. 2; Valerius, in: LK-StGB, § 306 Rn. 1 ff. Im Hinblick auf § 306a s. etwa BGH 4 StR 165/02 = BGH NJW 2003, 302, 303; Radtke, in MüKoStGB, § 306a Rn. 5; Schünemann, JA 1975, 787, 797 f. 422 I. d. S. Freund, FS Rössner, S. 579 ff.

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die diese Verhaltensweisen mit Strafe bedrohte, fand sich in § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG, welche in Abs. 4 auch eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit normierte. Die entscheidende Frage für die Bestimmtheit ist natürlich auch im Nebenstrafrecht, ob das jeweilige Strafgesetz einen klaren Bezug zu einer legitimen und damit schützenswerten Verhaltensnorm aufweist. Die Bestimmung einer legitimen Verhaltensnorm, auf die § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. Bezug nahm, gestaltete sich schwieriger, als es auf den ersten Blick schien. Gerade im Hinblick auf das zu schützende Rechtsgut schien es, als ob sich § 6a AMG a. F. auf Verhaltensnormen beziehe, die sich dem Gesundheitsschutz des sich dopenden Sportlers verschrieben haben. Diese Schutzintention strebte auch der Gesetzgeber an, als er die entsprechenden Vorschriften schuf.423 Ihm schloss sich nicht nur der Bundesgerichtshof424, sondern auch die überwiegende Meinung in der Literatur425 an. Nun stellte sich aber die Frage, ob der (angestrebte) Gesundheitsschutz des sich dopenden Sportlers tatsächlich einen legitimen Verbotsgrund darstellte bzw. ob sich ein anderer Verbotsgrund legitimieren ließ, auf den sich das Strafgesetz ihrem Wortlaut nach bezog. Dass die Gesundheit – abstrakt gesehen – ein schützenswertes Rechtsgut ist, steht außer Frage; allerdings geschieht dies nicht um jeden Preis. Von Seiten des Staates gilt es, die Grenze zwischen legitimem Gesundheitsschutz und illegitimem Paternalismus einzuhalten. Die Grenzlinien ergeben sich natürlich auch bei der Legitimität des staatlichen Gesundheitsschutzes aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Verfassung gewährt jedenfalls jeder natürlichen Person durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches als Abspaltung das Selbstbestimmungsrecht enthält.426 Das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet seinerseits nun wiederum den selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Körper. Jeder freiverantwortlich Handelnde hat das Recht, sich und seinen Körper in Gefahr zu bringen und sogar zu schädigen. Es gibt eine Vielzahl an alltäglichen Situationen und Konstellationen, in denen die Menschen ihre Gesundheit „aufs Spiel“ setzen. Zu nennen sei hier nur etwa der Konsum von Zigaretten, das Trinken von Alkohol, eine unausgewogene Ernährung oder die Ausübung von

423 BT-Drucks. 13/9996, S. 13. „Entsprechend dem Schutzzweck des Arzneimittelgesetzes geht es in § 6a um den Schutz der Gesundheit. Die Gewährleistung sportlicher Fairneß als solcher wird demgegenüber durch Maßnahmen der Gremien des Sports verfolgt.“ 424 BGH – 5 StR 248/09 = NStZ 2010, 170, 171; BGH – 5 StR 425/11 = NStZ 2012, 218, 219. 425 Heger, SpuRt 2001, 92, 93; Krüger, PharmR 2012, 158, 160 f.; Pelchen/Anders, in: Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, § 6a AMG Rn. 1. Dazu auch Zuck, NJW 1999, 881 ff.; Jahn, ZIS 2006, 57 ff. 426 OLG München NStZ 2014, 706, 709; Kunig/Kämmerer, in: von Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Art. 2 Rn. 63 f.; Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 127 ff. Mit sportrechtlichem Bezug s. Steiner, NJW 1991, 2729, 2734 f.; Nolte, in: Lehner/Nolte/Punkte, § 1 AntiDopG Rn. 71; Krogmann, Grundrechte im Sport, S. 141 ff.; Freund, in: MüKoStGB, § 1 – 4 AntiDopG Rn. 16.

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(riskanten) Sportarten.427 Eine Bevormundung durch den Staat ist in den soeben aufgezeigten Konstellationen allerdings nicht legitimierbar.428 Es obliegt allein dem freiverantwortlich Handelnden, über seine Gesundheit zu verfügen. Freilich muss bei alledem sichergestellt sein, dass das gesundheitsschädigende Verhalten auch tatsächlich freiverantwortlich ist. Vorzugswürdig für die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit sind die sog. „Einwilligungsregeln“.429 Maßgeblich ist demnach, ob der Betroffene frei von wesentlichen Willensmängel ist, er also keinem Irrtum oder Zwängen durch Dritte ausgesetzt ist. Sollten keine relevanten Willensmängel gegeben sein, so sind Gesundheitsschädigungen des eigenen Körpers durchweg erlaubt. Ebenfalls erlaubt ist damit auch die Förderung dieses Verhaltens. Wer einen freiverantwortlich Handelnden bei seinem selbstschädigenden Vorhaben unterstützt, der verstößt ebenso wenig wie der Betreffende, gegen eine Verhaltensnorm, die sich vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts legitimieren lässt. Nichts anderes war aber letztlich das in § 6a Abs. 1 AMG a. F. beschriebene und als verboten vorausgesetzte Verhalten. Sollte die Freiverantwortlichkeit nicht gegeben sein, so greift das allgemeine Körperverletzungsverbot ein, welches mit dem strafbewehrten Dopingverbot nicht in unmittelbarem Zusammenhang steht. Festzustellen ist demnach zunächst, dass der vom Gesetzgeber angestrebte Verbotsgrund illegitim war.430 Ein Dopingverbot, wie es § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F. vorsah, ließ sich darauf nicht stützen. Möchte man dennoch weiterhin den Gesundheitsschutz als Legitimationsgrund des Dopingverbots ins Feld führen, so bleibt nur der Rekurs auf die Gesundheit der übrigen Sportler.431 Allerdings bietet auch dieser Anknüpfungspunkt keinen durchweg belastbaren Legitimationsgrund. Zunächst einmal birgt die Verwendung – oder gar das Inverkehrbringen – von Dopingmitteln per se keine Gefahr für die Gesundheit der anderen 427 Zu diesen Beispielen s. Freund, in: MüKoStGB, 2. Aufl. 2013, § 6a AMG Rn. 3; Roxin/ Greco, AT, § 2 Rn. 32. 428 Roxin/Greco, AT, § 2 Rn. 32; Freund, in: MüKoStGB, § 1 – 4 AntiDopG Rn. 16; Timm, GA 2012, 732, 737. Zur Bevormundung mündiger Bürger im Hinblick auf die Schutzhelmund Gurtpflicht s. BVerfGE 59, 725 ff.; BVerfG NJW 1987, 180. Auf die Entscheidungen des BVerfG eingehend etwa Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 41 ff.; König, JA 2007, 573, 575. 429 Zu den Einwilligungsregeln s. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 421; Frisch, Verhalten S. 165; ders., NStZ 1992, 1, 3; Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 204 f.; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, Vor § 211 Rn. 13a; Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, Rn. 117; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 65; Rostalski, JZ 2021, 477 f. – Zu den Exkulpationsregeln s. Schneider, in: MüKoStGB, Vor § 211 Rn. 38, 54 ff. 430 I. d. S. Groß, Gesetzliche Bestimmtheit des Eigendopings, S. 75. Anders Wußler, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 AntiDopG Rn. 3, der auf die „Volksgesundheit abstellt. Dazu wiederum krit. Groß, Gesetzliche Bestimmtheit des Eigendopings, S. 86 ff.; Freund, in: MüKoStGB, § 1 – 4 AntiDopG Rn. 18; Ott, Selbstdoping, S. 155 ff. 431 I. d. S. etwa BR-Drs. 658/06, S. 14; Hauptmann/Rübenstahl, HRRS 2007, 143, 145; dies., MedR 2007, 271, 277.

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Sportler. Zu einer Gesundheitsschädigung kann es wiederum nur kommen, sofern sich die übrigen Sportler unter dem gesteigerten Leistungsdruck ebenfalls für die Anwendung von Dopingmitteln entscheiden. Nun stellt sich freilich das Problem, dass auch den „nachziehenden“ Sportlern das Selbstbestimmungsrecht zur Seite steht und einem Dopingverbot unter diesem Gesichtspunkt zuwiderläuft. Ein legitimer Gesundheitsschutz ließe sich damit nur betreiben, soweit es an der Freiverantwortlichkeit fehlen würde.432 Eine möglicherweise fehlende Freiverantwortlichkeit lässt sich in einer solchen Konstellation sicherlich nicht auf einen etwaigen Irrtum oder eine nicht hinreichende Aufklärung stützen. In den meisten Fällen dürfte aber eine gewisse Drucksituation vorliegen, die einer Freiverantwortlichkeit entgegensteht. Denn die Siegeschancen dürften für jeden – an Wettkämpfen teilnehmenden – Sportler von elementarer Bedeutung sein. Sollte die Konkurrenz nun auf Dopingmittel zurückgreifen, sinken die Gewinnchancen nicht unwesentlich. Um einen für sich „fairen“ Wettkampf sicherzustellen, könnte der Sportler sich gezwungen fühlen, ebenfalls zu verbotenen Substanzen zu greifen. Sicherlich muss die dadurch entstehende Drucksituation ein gewisses Maß erreichen, was aber vor dem Hintergrund eines möglichen Endes der Sportlerkarriere durchaus gegeben sein kann.433 Von einer freiverantwortlichen Entscheidung kann dann nicht mehr die Rede sein. Die normative Absicherung des Dopingverbots ist damit von entscheidender Bedeutung, um die Dispositionsfreiheit der Sportler in gesundheitlicher Hinsicht gewährleisten zu können. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Recht eines jeden Sportlers auf einen dopingfreien Wettbewerb gewährleistet ist und er sich nicht auf die Moral seiner Konkurrenten verlassen muss.434 Aus diesem Blickwinkel betrachtet, könnte der Gesundheitsschutz der „sauberen“ Sportler durchaus einen legitimen Verbotsgrund bieten. Das gilt allerdings nicht in allen möglichen Konstellationen. Diese Schlussfolgerung ergibt sich schon aus den Kriterien, die für die Kennzeichnung als Dopingmittel auf der Verbotsliste der World-Anti-DopingAgency maßgeblich sind. Eine mögliche Gefahr für die Gesundheit ist zwar als Kriterium zu finden, zwingend ist sie allerdings nicht.435 Letztlich versagt der Legitimationsgrund des Gesundheitsschutzes damit im Hinblick auf gesundheitlich unbedenkliche Dopingmittel. Auch ungefährlichen Dopingmitteln ist allerdings gemein, dass mit ihnen eine potentielle Leistungssteigerung einhergeht und sie somit gegen den Sportsgeist 432

Dazu und auch zum Folgenden ausführlich Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 80 ff. S. zudem Freund, in: MüKoStGB, §§ 1 – 4 AntiDopG Rn. 59 ff.; ders., JZ 2014, 362, 364; ders., FS Rössner, S. 579, 593 f.; Timm, GA 2012, 732, 737; SternbergLieben, ZIS 2011, 583, 591 mit Fn. 68; König, JA 2007, 573, 576; ders., SpuRt 2010, 106; Kudlich, SpuRt 2010, 108; Putzke, in: Lehner/Nolte/Punkte, § 4 AntiDopG Rn. 1. 433 S. dazu und m. w. N. Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 82; krit. Greco, GA 2010, 622, 628. 434 Freund, in: MüKoStGB, §§ 1 – 4 AntiDopG Rn. 59; ders., FS Rössner, S. 579, 594. Krit. Roxin, FS Samson, S. 445, 451. Zustimmend Putzke, in: Lehner/Nolte/Punkte, § 4 AntiDopG Rn. 1; König, JA 2007, 573, 576. 435 Vgl. Freund, FS Rössner, S. 579, 592.

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verstoßen. Die Möglichkeit eines fairen sportlichen Wettkampfs ist durch die Verwendung dieser Mittel von vornherein ausgeschlossen. Dass aber gerade die Teilnahme an einem fairen Wettkampf für die Sportler von erheblichem Interesse ist, dürfte nach dem oben Gesagten klar sein. Die durch die Sicherstellung eines fairen Wettkampfes geschützten Belange dürfen nicht unterschätzt werden. Man denke etwa an die zahllosen Stunden des Trainings und der Vorbereitung, die durch die Teilnahme eines gedopten Konkurrenten fraglos an Wertigkeit verlieren. Das Dopingverbot schützt damit – auch ohne gesundheitlichen Bezug – berechtigte Individualinteressen.436 Es gewährleistet die Teilnahme an einem sportlichen Wettkampf unter den vorausgesetzten Bedingungen. Mit anderen Worten: Es schützt das Recht der Sportler auf einen dopingfreien Wettkampf. Im Grunde liegt hierin auch der einzig durchweg tragfähige Legitimationsgrund des Dopingverbots. Sicherlich lassen sich noch andere Legitimationsgründe unterstützend heranziehen. Allerdings spielen sie aufgrund ihrer nur partiellen Legitimationsfähigkeit auch nur eine untergeordnete Rolle. Das gilt etwa für den eben angesprochenen Gesundheitsschutz der übrigen Sportler bzw. deren Dispositionsfreiheit und Vermögensinteressen.437 Zwingende Voraussetzung für ein sportrechtliches Dopingverbot ist damit ein zumindest entfernter Wettkampfbezug.438 Sollte der Wettkampfbezug vollständig fehlen, so entfällt auch der gerade aufgezeigte Legitimationsgrund. Zu denken ist hierbei etwa an den das Bodybuilding hobbymäßig Betreibenden, der seinen Muskelaufbau beschleunigen möchte. Die Anwendung von Dopingmitteln bei dieser Person zu verbieten, entbehrt jeglicher Legitimation. Seine Gesundheit steht ihm frei zur Verfügung und ein Wettkampf zu anderen Bodybuildern, deren Dispositionsfreiheit geschützt werden müsste, besteht nicht. Die für den Gesetzlichkeitsgrundsatz entscheidende Frage ist nun, ob der entsprechenden Strafvorschrift zu entnehmen ist, dass sie die Geltung von Verhaltensnormen schützen will, die ihrerseits dem Schutz von Freiheitsrechten der anderen Sportler dienen. § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F. verbot lediglich die Verbreitung bzw. die Anwendung von Dopingmitteln bei anderen Personen und bewehrte diese Verhaltensweisen mit Strafe. Nicht strafbewehrt war damit – nach dem eindeutigen Wortlaut der Strafvorschrift – die Anwendung der Dopingmittel durch den Sportler selbst. Dass aber gerade durch das Eigendoping das Interesse an einem dopingfreien Wettbewerb beeinträchtigt wird, 436 Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 65; Freund, JZ 2014, 362, 364; ders., FS Rössner, S. 579, 592. 437 Zum unterstützenden Aspekt s. Freund, in: MüKoStGB, §§ 1 – 4 AntiDopG Rn. 60 und schon ders., in: MüKoStGB, 2. Aufl. 2013, § 6a AMG Rn. 14; ders., FS Rössner, S. 579, 593. Ausführlich zum Vermögensschutz Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 68 ff. 438 So schon Freund, in: MüKoStGB, 2. Aufl. 2013, § 6a AMG Rn. 35 ff.; ders., JZ 2014, 362, 364. Anders BGH – 2 StR 365/12 = NStZ 2014, 476 sowie BT-Drs. 13/9996, S. 13 „Es ist unerheblich, ob die intendierte Leistungssteigerung auf sportliche Aktivitäten im Wettkampf, im Training oder in der Freizeit gerichtet ist.“ Als Beispiel wird das Muskelwachstum im Zusammenhang mit dem Bodybuilding angeführt.

I. Fahrlässigkeitsdelikte

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liegt auf der Hand. Insoweit handelt es sich um eine Privilegierung, die sich vor dem Hintergrund der zu schützenden Dispositionsfreiheit der anderen Sportler nicht rechtfertigen lässt.439 Ganz im Gegenteil wird dadurch unzweifelhaft deutlich, dass Verhaltensnormen, die dem Schutz von Freiheitsrechten der anderen Sportler dienen, nicht strafbewehrt sein sollten. Zusätzlich gestützt wird ein solches Normverständnis durch den nicht vorhandenen Wettkampfbezug im Wortlaut. Dadurch wird ebenfalls klargestellt, dass die Sanktionsnorm ausschließlich Verhaltensnormen schützen möchte, die sich auf die Gesundheit der sich dopenden Sportler beziehen. Genau dies ist aber mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen, da die zu schützende Verhaltensnorm illegitim war und ist. Hingegen lässt sich der Strafvorschrift nicht – auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung – entnehmen, dass sie den Schutz der in diesem Zusammenhang einzig legitimen Verhaltensnorm im Sinn hat. Es lässt sich also festhalten, dass § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F. etwas schützen wollte, was nicht schützenswert ist, und das, was schützenswert ist, zu schützen nicht beabsichtigte. Das Ergebnis war ein Strafgesetz, das keine mit der Verfassung in Einklang zu bringende gesetzliche Bestimmung einer Strafbarkeit enthielt und das deshalb gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstieß. Dieses Ergebnis gilt uneingeschränkt auch für § 95 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 4 AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F., ohne dass es dabei explizit auf die Konkretisierungsprobleme mit Blick auf den Begriff der Fahrlässigkeit ankam. Insoweit zeigt sich im Hinblick auf die Systematik ein Bild, welches sich mit der (fahrlässigen) Brandstiftung und der (fahrlässigen) Gefährdung des Straßenverkehrs deckt.440 bb) Gesetz gegen Doping im Sport Aufgrund der stetig wachsenden gesellschaftlichen Relevanz des Kampfes gegen Doping im Sport schuf der Gesetzgeber im Jahr 2015 das Anti-Doping-Gesetz.441 Im Zuge dessen wurden die Regelungen im AMG aufgehoben und in das Gesetz gegen Doping im Sport integriert. Zudem wurden einige neue Regelungen geschaffen. Neuartig ist insbesondere die Möglichkeit, das Eigendoping zu sanktionieren. Durch die Hinzufügung des § 3 Abs. 1 AntiDopG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 4 AntiDopG ist es nicht nur verboten, sondern auch strafbar, ein Dopingmittel ohne medizinische Indikation bei sich anzuwenden, wenn sich dadurch ein Vorteil in einem sportlichen Wettbewerb verschafft werden soll. Damit wurde die oben aufgezeigte Strafbarkeitslücke im Hinblick auf die Dispositionsfreiheit der anderen Sportler geschlossen und im Grundsatz ein adäquater Strafschutz vorgesehen. Auch der Erfassungsbereich der Norm ist durch den im Wortlaut zu findenden Wettkampfbezug angemessen beschränkt. Die Änderung ist zweifelsfrei begrüßenswert und im Grunde nicht zu 439

Freund, FS Rössner, S. 579, 595. S. dazu oben S. 92 ff. 441 BT-Drucks. 18/ 4898. Zur historischen Entwicklung des Dopingverbots s. Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 1 ff. 440

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

beanstanden.442 Ebenso erfreulich ist die explizite Aufnahme der Fairness und Chancengleichheit im Sportwettbewerb in § 1 des AntiDopG, der den Schutzzweck des Gesetzes wiedergibt. Anders als die Gesetzesbegründung zu § 6a AMG a. F. rückt § 1 AntiDopG nun auch andere Aspekte als den Gesundheitsschutz in den Vordergrund und formuliert, dass dieses Gesetz der Bekämpfung des Einsatzes von Dopingmitteln und Dopingmethoden im Sport dient, um die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler zu schützen, die Fairness und Chancengleichheit bei Sportwettbewerben zu sichern und damit zur Erhaltung der Integrität des Sports beizutragen. Dadurch wird erneut deutlich, dass der Gesetzgeber nun auch den Strafschutz von legitimen Verhaltensnormen im Sinn hat. Weiterhin problematisch ist allerdings, dass im festgelegten Schutzzweck wieder Rekus auf die Gesundheit der Sportler genommen wird. Nach wie vor handelt es sich bei dem Gesundheitsschutz nur um einen partiell belastbaren Verbotsgrund, der ohnehin nur dann zum Tragen kommen kann, sofern ein zumindest entfernter Wettkampfbezug gegeben ist. Anderenfalls steht die Eigenverantwortlichkeit der Sportler einer Sanktionierung entgegen. Daran hat sich auch durch die Schaffung eines neuen Gesetzes nichts geändert. Der vom Gesetzgeber angestrebte Gesundheitsschutz soll wohl durch § 2 AntiDopG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AntiDopG gewährleistet werden. Auch künftig ist es demnach verboten, Dopingmittel zum Zweck des Dopings im Sport in den Verkehr zu bringen oder bei anderen Personen anzuwenden. Im Grunde wurde mit § 2 Abs. 1 und Abs. 2 AntiDopG eine Vorschrift geschaffen, die sich mit § 6a Abs. 1 und Abs. 2 AMG a. F. deckt und daher dieselben Probleme aufweist. Wiederum lässt der Wortlaut des Gesetzes keinerlei Wettkampfbezug erkennen. Nach dem Gesagten kann sich die Verhaltensnorm damit erneut nur auf den Gesundheitsschutz der sich dopenden Sportler beziehen. Der Sache nach würde sich der Trainer des Hobbybodybuilders damit weiterhin strafbar machen, wenn er seinem eigenverantwortlich handelnden Schützling ein Dopingmittel verabreicht. Natürlich fehlt es in dieser Konstellation für die Verhängung einer Strafe auch nach der Schaffung des Anti-Doping-Gesetzes an jeglicher Legitimation. Grundsätzlich müsste damit auch § 2 AntiDopG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AntiDopG – wie sein Vorgänger im AMG – dem Verdikt der nicht verfassungskonformen Strafbarkeitsbestimmung unterliegen. Möglicherweise lässt sich die Verfassungskonformität aber – anders als bei § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs.1 und Abs. 2 AMG a. F. – durch eine verfassungskonforme Auslegung erreichen. Maßgeblich für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist.443 Die entscheidende Frage im hier interessierenden Zusammenhang ist, ob der Hinzufügung des unge442 Zum problematischen Kriterium der fehlenden medizinischen Indikation s. Freund, in: MüKoStGB §§ 1 – 4 AntiDopG Rn. 37. 443 BVerfGE 1, 299, 312; BVerfGE 11, 126, 130 f.; BVerfGE 110, 226, 248.

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schriebenen Merkmals des zumindest entfernten Wettkampfbezugs der objektive Wille des Gesetzgebers und der Sinnzusammenhang des Gesetzes entgegensteht und ob der Kern des Gesetzes durch die Hinzufügung in einem wesentlichen Punkt verfälscht oder verfehlt wird. Dafür spricht zunächst, dass der erforderliche Wettkampfbezug bei der neu geschaffenen Strafbarkeit des Eigendopings explizit hinzugefügt wurde, bei § 2 AntiDopG, der offensichtlich an § 6a AMG a. F. angelehnt ist, allerdings nicht. Es bleibt der Eindruck, dass § 2 AntiDopG – wie § 6a AMG a. F. – ausschließlich auf den illegitimen Gesundheitsschutz des sich dopenden Sportler abzielt444 und die Fairness und Chancengleichheit durch § 3 AntiDopG abgesichert werden soll. Andererseits ist auch ein Wandel des Willens des Gesetzgebers hin zum Schutz der Fairness und Chancengleichheit im sportlichen Wettbewerb festzustellen. Neben der Einfügung von § 3 AntiDopG und der Aufnahme eben jener Schutzzwecke in § 1 AntiDopG lässt sich der Gesetzesbegründung auch im Hinblick auf § 2 AntiDopG445 entnehmen, dass damit „nur“ in erster Linie dem Gesundheitsschutz gedient werden soll. Damit erscheint es zumindest möglich, dass der Gesetzgeber auch den Schutz der Dispositionsfreiheit der anderen Sportler im Sinn hatte und nicht ausschließlich der Gesundheitsschutz im Fokus steht. Jedenfalls wurde es nicht explizit ausgeschlossen, dass auch bei bloß einschlägigem Gesundheitsschutz des sich Dopenden der Aspekt des Wettkampfbezugs als zusätzlicher Legitimationsgrund hinzutreten muss. Zudem steht auch der Sinnzusammenhang des Gesetzes einer entsprechenden Auslegung nicht entgegen. Fügt man in § 2 AntiDopG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Wettkampfbezugs hinzu, so ergibt das Anti-Doping-Gesetz im Ganzen einen guten Sinn und lässt sich vor der Verfassung durchweg legitimieren. Zugleich bleibt der Kernbestand des Gesetzes unberührt, sodass der Wille des Gesetzgebers gewahrt ist. Das neu geschaffene Gesetz bietet weiterhin umfassende Sanktionsmöglichkeiten, die den Kampf gegen Doping im Sport ermöglichen, ohne eine Kriminalisierung des Amateursports zu erreichen.446 Auch wenn sich in der Gesetzesbegründung mehrdeutige Aussagen finden lassen und die Systematik des Gesetzes nicht stringent ist, sprechen die besseren Argumente für die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung.447 Verfolgt man die verfassungskonforme Auslegung in der oben beschriebenen Art, so hat der Gesetzgeber ein Anti-DopingGesetz geschaffen, welches dem Urteil der verfassungswidrigen Strafbarkeitsbe444 I. d. S. wohl auch BT-Drucks. 18/4898 S. 23: „Die Praxis hat gezeigt, dass die Produktion von Dopingmitteln insbesondere in sogenannten ,Untergrundlaboren‘ stark zunimmt. Das betrifft z. B. anabole Steroide, die häufig verunreinigt und dadurch besonders gesundheitsgefährdend sind. Der Inhalt, die Wirkungen und die Risiken der Produkte können häufig – da eine seriöse Packungsbeilage fehlt – von den Konsumentinnen und Konsumenten nicht abgeschätzt werden. Dieser illegale Markt soll durch das Verbot der Herstellung entsprechender Mittel, wenn sie zu Dopingzwecken erfolgt, bekämpft werden.“ 445 BT-Drs. 18/4898, S. 23. 446 So die Zielvorgabe des Gesetzes s. BT-Drs. 18/4898, S. 2. 447 Zu den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung s. BVerfGE 107, 104, 128.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

stimmung entkommen kann und sich auch anderweitig jedenfalls im Grundsatz legitimieren lässt.448

II. Begehungsgleiche (sog. „unechte“) Unterlassungsdelikte Ein ähnlich angeregter Diskurs wie im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte findet sich im Hinblick auf die begehungsgleichen (sog. „unechten“) Unterlassungsdelikte. Mit dem Inkrafttreten des § 13 StGB am 01. 01. 1975 stellte der Gesetzgeber klar, dass ein strafbares begehungsgleiches Unterlassungsdelikt nur dann vorliegt, wenn der Betreffende eine rechtliche Einstandspflicht zur Erfolgsabwendung innehat sowie das Unterlassen der Verwirklichung des Tatbestandes durch Tun entspricht. Sicherlich war die Bestrafung von begehungsgleichen Unterlassungen auch schon vor der Einführung des § 13 StGB möglich.449 Als problematisch wurde allerdings die Tatsache angesehen, dass die Ausformung der genauen Strafbarkeitsvoraussetzungen, jedenfalls aber die der rechtlichen Einstandspflicht, ausschließlich von der Rechtsprechung und der Literatur vorgenommen wurde. Damit standen Bedenken bezüglich eines Verstoßes gegen das Analogieverbot im Raum. Zur Bereinigung eben dieser Bedenken und damit primär aus rechtsstaatlichen Gründen entschied sich der Gesetzgeber für die Einführung des § 13 StGB.450 Ob die Schaffung des § 13 StGB die damals vorherrschenden verfassungsrechtlichen Bedenken tatsächlich beseitigen konnte, bleibt zweifelhaft. Denn letztlich beinhaltet § 13 StGB keine weitergehende gesetzliche Bestimmung, unter welchen Voraussetzungen eine Bestrafung wegen begehungsgleichen Unterlassens möglich sein soll. Eine solche Festlegung hielt der Gesetzgeber für unmöglich, jedenfalls war aber die Zeit noch nicht reif, abschließend über die möglichen „Garantenverantwortlichkeiten“ zu entscheiden, sodass auch auf die Aufnahme von „prototypischen“ „Garantenverantwortlichkeiten“ – im Gegensatz zu vorherigen Gesetzesvorschlägen – verzichtet wurde.451 Damit wurde die Ausformung der entsprechenden Verantwortlichkeiten weiterhin der Rechtsprechung und der Literatur überlassen. Im Grunde verankerte der Gesetzgeber mit der „rechtlichen Einstandspflicht“ und der „Entsprechensklausel“ nur das, was ohnehin unbestritten war. Die Folge war lediglich eine Verschiebung des Problems weg vom Verstoß gegen das Analogieverbot und hin zu einem Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.452 Die damals neu aufkeimenden 448 Nach wie vor bleibt aber auch vieles kritikwürdig. Freund, in: MüKoStGB, §§ 1 – 4 AntiDopG Rn. 3, 13, 19 ff., 62 ff., 66, 112 f. 449 BGHSt 36, 227 = NStZ 1990, 77. Dazu auch Freund, FS Herzberg, S. 225, 236, 241; ders., in: Grundlagen und Konzepte des Strafrechts, S. 175, 183. 450 Vgl. BT-Drs. V/4095, S. 8. 451 Vgl. BT-Drs. V/4095, S. 8. 452 So etwa Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, 79. EL, Art. 103 Abs. 2 Rn. 232; Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 5/6; Seebode, FS Spendel, 317, 329 mit Fn. 85; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 42.

II. Begehungsgleiche (sog. „unechte“) Unterlassungsdelikte

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Bedenken halten sich bis heute. So wird nach wie vor die gesetzliche Bestimmtheit des § 13 StGB aufgrund fehlender gesetzlicher Konkretisierungen der „rechtlichen Einstandspflicht“ und der „Entsprechensklausel“ angezweifelt.453 Die anzutreffenden Argumente weisen dabei eine gewisse Parallelität zu denen der Fahrlässigkeitsdiskussion auf.454 Natürlich ist auch im Hinblick auf § 13 StGB das Meinungsspektrum vielseitig. Neben der Verfassungswidrigkeit wird auch die Annahme eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot bei dennoch bestehender Verfassungskonformität sowie die uneingeschränkte Verfassungsgemäßheit vertreten. Auf letzterer Linie liegt auch das Bundesverfassungsgericht, welches zur Bestimmtheit der Unterlassungsdelikte explizit Stellung bezogen hat.455 1. Verfassungskonformität a) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Zur Verfassungskonformität des § 13 StGB gelangt das Bundesverfassungsgericht über altbekannte Argumentationsmuster. Zunächst werden ausführlich die inhaltlichen Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz und die daraus entspringenden Ansprüche für den Bürger dargelegt.456 Auf dem Fuße folgen allerdings die – ebenfalls bekannten – Einschränkungen der gerade erst dargelegten Grundsätze. Die Verwendung von Begriffen, die in besonderem Maß der Deutung durch den Richter bedürfen, seien aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht generell ausgeschlossen.457 Denn auch im Strafrecht stehe der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielseitigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Damit aber eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit von Generalklauseln oder wertausfüllenden Begriffen bestehe, müsse die Norm eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bieten oder eine gefestigte Rechtsprechung übernehmen und damit aus dieser Rechtsprechung ihre hinreichende Bestimmtheit gewinnen. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sei § 13 StGB verfassungsgemäß. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sei eine Rechtspflicht zwingend, um die Garantenstellung als Strafbarkeitsvoraussetzung schlichten Untätigbleibens zu begründen. Eine sittliche Pflicht oder eine rein faktische Möglichkeit genügten nicht. Zwar sei der Kreis der möglichen Garantenpflichten nicht ohne weiteres aus dem Strafgesetzbuch zu entnehmen, allerdings sei durch die Anbindung an das Erfordernis normativ begründeter Pflichten und eine auf langjähriger Tradition beruhende einheitliche und klare richterrechtliche Um-

453

S. dazu die in Fn. 452 genannten Autoren. Diese Einschätzung teilt auch Kirsch, Zur Geltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Allgemeinen Teil des Strafrechts, S. 166. 455 BVerfG NJW 2003, 1030. 456 Dazu bereits oben S. 58. 457 S. dazu und zum Folgenden BVerfG NJW 2003, 1030 sowie BVerfG NJW 1998, 50, 56 f. 454

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schreibung der Garantenpflichten gewährleistet, dass das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten vorhersehbar sei. b) Die herrschende Lehre Im Ergebnis folgt die wohl herrschende Lehre458 dem Bundesverfassungsgericht. Auch sie hält den verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen, dass die „rechtliche Einstandspflicht“ bzw. die Garantenverantwortlichkeit hinreichend durch die Rechtslehre und die Rechtsprechung konkretisiert wurde.459 Soweit die herausgearbeiteten Grenzen der allgemeinen Garantenlehre beachtet und zur Konkretisierung des Einzelfalls herangezogen werden, sei § 13 StGB mit dem Bestimmtheitsgrundsatz in Einklang zu bringen.460 Zudem sei die genaue Festlegung von einzelnen Garantenstellungen utopisch und somit vom Gesetzgeber nicht zu verlangen.461 Das Gleiche gelte für den Vorschlag, die „unechten“ Unterlassungsdelikte in „echte“ umzuwandeln und im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches anzusiedeln.462 Dafür seien die Lebenssachverhalte schlicht zu komplex.463 Notwendig sei allerdings eine restriktive Handhabung der „rechtlichen Einstandspflicht“, um eine Ausuferung des strafbaren Unterlassungsbereiches zu vermeiden.464 Etwas verwunderlich erscheinen die Stimmen innerhalb der herrschenden Lehre, die einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz bejahen, jedoch die Verfassungswidrigkeit des § 13 StGB ablehnen. Da die Festlegung der einzelnen Garantenverantwortlichkeiten dem Gesetzgeber nicht möglich sei, könne er dementsprechend auch von Verfassungs wegen dazu nicht verpflichtet sein. Ein Verfassungsverstoß liege somit nicht vor.465 Der Sache nach sei das Bestimmtheitsgebot aber preisgegeben. Das ist missverständlich und widersprüchlich zugleich.466

458 Degenhart, in: Sachs, Kommentar zum GG, Art. 103 Rn. 64; Rogall, in: KK-OWIG, § 3 Rn. 39; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Kommentar zum GG, Art. 103 Rn. 42; Fischer, StGB § 13 Rn. 2. 459 S. dazu etwa Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 5/6; Heger, in: Lackner/Kühl/ Heger, § 13 Rn. 21. 460 Krit. dazu Kargl, ZStW 119 (2007), 250, 272. 461 Zu einem möglichen Reformvorschlag s. Freund, FS Herzberg, S. 225, 243; ders., in: MüKoStGB, § 13 Rn. 29; ders., in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 60 Rn. 70 ff. 462 S. dazu etwa Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 287 ff. 463 Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 5/6. Ähnlich Weigand, in: LK-StGB § 13 Rn. 19; 464 Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 5/6; dazu auch Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 13 Rn. 13; Seebode, FS Spendel, S. 317, 335; Gropp/Sinn, AT, § 11 Rn. 19; Gaede, in: NK-StGB, § 13 Rn. 3. Weigand, in: LK-StGB § 13 Rn. 19. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 46 sehen § 13 StGB als zu unbestimmt an und verlangen gerade deswegen – zur Linderung des Unbehagens – eine enge Auslegung der „ungeschriebenen“ Tatbestandsmerkmale. 465 So etwa Jähnke, FS BGH, 393, 402. 466 So auch Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 44 mit Fn. 254.

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2. Verfassungswidrigkeit Auch im Bereich der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte stellen die Verfechter der Verfassungswidrigkeit auf eine fehlende Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit ab. Der Bürger könne aus dem Gesetz nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen ein Unterlassen strafbar sei.467 Grund dafür sei wiederum die nicht hinreichende gesetzliche Umschreibung des Straftatbestandes und insbesondere der Voraussetzungen der rechtlichen Einstandspflicht. Letztlich lege – wenn überhaupt – ausschließlich die Lehre bzw. die Rechtsprechung fest, welche Tatsachen eine rechtliche Erfolgsabwendungspflicht begründen.468 Dieser Aspekt sei überaus bedenklich, da durch diese Vorgehensweise die entscheidenden Kriterien kontinuierlich weiterentwickelt werden würden und für eine Änderung damit stetig offen wären. Die notwendige Sicherheit für den Bürger gehe mit den entwickelten Eingrenzungskriterien der Literatur und Rechtsprechung schließlich nicht einher. Vielmehr sei eine Ausdehnung der Strafbarkeit zu erwarten. Dies sei ein Ergebnis, welches mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen sei. Damit habe der Gesetzgeber das Ziel des Bestimmtheitsgrundsatzes völlig verfehlt. Auch das vielfach angeführte Argument der unmöglichen Gesetzgebung trage das Ergebnis der Verfassungskonformität nicht.469 Im Hinblick darauf bestehe ein anhaltendes Missverständnis dahingehend, dass aus der vermeintlichen Unmöglichkeit eine Legitimation zur Schaffung nicht hinreichend bestimmter Strafvorschriften entstehe.470 Sollte eine den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügende Gesetzgebung nicht möglich sein, so müsse die daraus entstehende Strafbarkeitslücke schlicht in Kauf genommen werden. Davon abgesehen sei die gesetzliche Festlegung der Entstehungsvoraussetzungen der Erfolgsabwendungspflicht in einer hinreichend präzisen und umfassenden Weise eine schwere, aber keine unmögliche Aufgabe. Als Vorbild könne wiederum auf ausländische Strafordnungen oder auch auf § 12 AE zurückgegriffen werden. Soweit darauf hingewiesen wird, dass sich die Voraussetzungen des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts mit denen des Begehungsdelikts decken, so sei dies nicht stichhaltig.471 Die Schaffung von § 13 StGB bestätige dies von Seiten des Gesetzgebers.

467

Dazu und zum Folgenden Schmitz, in: MK-StGB, § 1 Rn. 61 ff.; krit. gegenüber der Verfassungsmäßigkeit auch Radtke, in: BeckOK-GG, Art. 103 Rn. 27 ff.; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendung und Strafgesetz, S. 341 ff.; Bung, ZStW 120 (2008), 526, 539 f.; Rengier, AT, § 4 Rn. 28; Krey/Esser, AT, § 36 Rn. 1130; Seebode, JZ 2004, 305 f.; Hassemer/ Kargl, in: NK-StGB, § 1 Rn. 23; Hassemer, JuS 1970, 97; Grünwald, ZStW 70 (1958), 412, 422 f., 431 f.; Dannecker, FS Otto, S. 25, 33 f.; Nickel, Problematik, S. 94 f. 468 Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 158 ff. 469 Dazu und zum Folgenden Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 42 ff. 470 Ähnlich Seebode, FS Spendel, S. 317, 338 f.; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 188. 471 Dazu Vogel, Norm und Pflicht, S. 135 ff., 311 ff.; Kuhlen, FS Puppe, S. 669, 675 ff.; Schünemann, in: Symposium zu Ehren von Claus Roxin, S. 49, 52 ff.

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3. Stellungnahme und kritische Würdigung der vorgebrachten Argumente Üblicherweise wird im Rahmen des Unterlassens zwischen den sog. „echten“ und den sog. „unechten“ Unterlassungsdelikten unterschieden.472 Erstere zeichneten sich dadurch aus, dass bereits im Gesetz das relevante Verhalten auf ein Unterlassen hindeute. Genannt werden hier vor allem die §§ 323c Abs. 1, 138 StGB. Nahezu alle anderen Delikte seien primär auf eine Begehungsweise durch aktives Tun zugeschnitten. Für eine Verwirklichung durch ein Unterlassen bedürfe es daher der zusätzlichen Voraussetzungen in Form der rechtlichen Einstandspflicht sowie der Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen, die in § 13 StGB festgelegt seien.473 Eben diese zusätzlichen Voraussetzungen, die für ein „unechtes“ Unterlassen notwendig seien, sind es nun, die den Kritikern zu unbestimmt sind.474 In Teilen ist dieser Aussage durchaus zuzustimmen. Denn es lässt sich wohl kaum anzweifeln, dass § 13 StGB derart abstrakt gehalten ist, dass er keinen entscheidenden Vorteil im Hinblick auf eine gesetzliche Bestimmtheit mit sich bringt.475 Die entscheidende Frage ist allerdings, ob § 13 StGB dies überhaupt tun muss, damit eine verfassungsmäßige Bestrafung aufgrund eines Unterlassens möglich ist. Bevor man sich genauer mit der Bestimmtheit etwaiger Formulierungen des § 13 StGB auseinandersetzt, muss geklärt werden, ob die traditionelle und immer noch aktuelle Unterlassungsdogmatik berechtigt ist. Die primäre Frage ist also zunächst, ob § 13 StGB tatsächlich besondere Voraussetzungen für die Unterlassungsstrafbarkeit schafft. Denn ein Verstoß gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn § 13 StGB überhaupt eine strafbarkeitskonstitutive Wirkung zukommt. Sollten die materiellen Strafbarkeitsvoraussetzungen hingegen in den Fällen des Begehens und des Unterlassens identisch sein, so ist die Abstraktheit des § 13 StGB mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz im Grunde irrelevant. Entscheidend wäre dann wiederum nur das einschlägige Strafgesetz, etwa § 212 oder § 222 StGB476.

472 Dazu etwa Rengier, AT, § 48 Rn. 1 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1153; krit. zum gewählten Terminus Weigand, in: LK-StGB, § 13 Rn. 16; Freund, in: Grundlagen und Konzepte des Strafrechts, S. 175, 179; ders., in: MüKoStGB, § 13 Rn. 60. 473 „Denn das Begehungsdelikt kann nur (Hervorhebung im Original) unter den Voraussetzungen (Hervorhebung im Original) des § 13 durch Unterlassen verwirklicht werden. § 13 normiert insbesondere das zentrale strafbarkeitseinschränkende Erfordernis der Garantenstellung […]“, Rengier, AT, § 48 Rn. 6. Des Weiteren etwa Gropp/Sinn, AT, § 11 Rn. 12: „Der Obersatz einer unechten Unterlassungsstraftat setzt sich somit aus der gesetzlichen Unwertbeschreibung einer Straftat die eine Veränderung in der Außenwelt beschreibt (Erfolgstat)[,] und den spezifischen Voraussetzungen in § 13 zusammen.“. 474 S. dazu die in Fn. 452 genannten Autoren. 475 So auch Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 5/6; Freund, FS Herzberg, S. 225, 236, 241. 476 Zum teilweise anzutreffenden Systembruch im Bereich der Unterlassungsdogmatik im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten s. Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 54 ff.

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Nach geläufigem Verständnis ist eine sog. Garantenverantwortlichkeit bzw. eine besondere Rechtspflicht für die Begehungsweise des aktiven Tuns nicht notwendig. Dabei handelt es sich um ein Verständnis, dem so nicht zuzustimmen ist. Auch für einen Totschlag durch aktives Tun bedarf es einer besonderen Rechtspflicht, gegen die verstoßen wird. Allerdings ist die besondere Rechtspflicht in den meisten Konstellationen des aktiven Tuns derart offensichtlich, dass ihre nähere Prüfung im Grunde nicht notwendig ist und sie deshalb auch möglicherweise nicht die notwendige Beachtung findet.477 Denn die besondere Verantwortlichkeit, die aus dem eigenen Körper entspringt, ist geradezu der Prototyp jener besonderen Verantwortlichkeit.478 Wer sonst, außer der Schütze selbst, sollte primär vermeiden, dass ein schädigender Verlauf in Richtung auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit in Gang gesetzt wird. Wer sonst, außer dem Betreffenden selbst, ist besonders dafür verantwortlich, das Privatgrundstück eines anderen zu verlassen, nachdem er aufgrund eines Irrtums darauf gebeten wurde.479 Andererseits sind durchaus Fälle denkbar, in denen die besondere Verantwortlichkeit auch durch aktives Tun nicht begründet werden kann oder doch zumindest zweifelhaft ist. So etwa in dem Beispielsfall480, in dem sich A, B und C in einem Raum befinden. A will B töten, was C weiß. C weiß aber auch, dass A dem B nichts anhaben wird, solange er im Raum ist. Sollte C den Raum nun trotzdem verlassen und B daraufhin getötet werden, lässt sich sicherlich eine Verhaltensnorm legitimieren, da das Leben des B die allgemeine Handlungsfreiheit des C überwiegt. Die entscheidende Frage ist aber, ob C den B mit seiner Verhaltensweise i. S. d. § 212 Abs. 1 StGB getötet oder „nur“ die erforderliche und zumutbare Hilfe i. S. d. § 323c Abs. 1 StGB unterlassen hat. Legt man diesem Fall das geläufige Verständnis zu Grunde, so müsste man von einer Tötung i. S. d. § 212 Abs. 1 StGB ausgehen. Das Verlassen des Raumes ist nach allgemeiner Auffassung als aktives Tun zu bewerten, sodass eine besondere Rechtspflicht für ein tatbestandsmäßiges Verhalten nach diesem Konzept nicht notwendig ist. Ein Ergebnis, welches seltsam anmutet, wenn man den Fall einmal derart abwandelt, dass die Verhaltensweise des C nach allgemeiner Auffassung als Unterlassen anzusehen ist: Wiederum befinden sich A, B und C in jenem Raum. Dieses Mal kommt es A jedoch nicht darauf an, dass C den Raum verlässt, sodass er B in dessen Anwesenheit tötet. C, der die Tötung ohne weiteres hätten verhindern können, bleibt vollständig untätig. In dieser Konstellation dürfte die Verhaltensweise unstrittig als Unterlassen aufzufassen sein. Misst man die Abwandlung nun wiederum anhand der allgemeinen Maßstäbe, so kommt nur eine unterlassene Hilfeleistung in Betracht, da sich eine 477

So auch Freund, in: MüKoStGB, § 13 Rn. 84. Sicherlich muss man dennoch nicht für jede vom Körper ausgehende Gefahr in besonderer Weise einstehen. S. dazu Freund, in: MüKoStGB, § 13 Rn. 23, 113; ders., in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 60 Rn. 41. 479 Da der Berechtigte mit dem Betreten einverstanden war, erwächst die Verantwortung in diesem Beispiel nicht etwa aus dem aktiven Tun im Vorfeld, sondern ebenfalls aus der besonderen Verantwortung für die Schädigungen, die vom eigenen Körper ausgehen. 480 Das Beispiel ist zu finden bei Freund, FS Herzberg, S. 225, 232; ders., in: MüKoStGB, § 13 Rn. 85; Frisch, Verhalten, S. 250 f. 478

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit nicht legitimieren lässt. Nun stellt sich allerdings die Frage, wie sich die jeweils gefundenen unterschiedlichen Ergebnisse legitimieren lassen. Letztlich handelt es sich um dieselben normativen Kriterien, die berücksichtigt werden müssen. Ob tatsächlich allein die Verhaltensform den entscheidenden Unterschied zwischen einer Tötung i. S. d. § 212 Abs. 1 StGB und einer unterlassenen Hilfeleistung i. S. d. § 323c Abs. 1 StGB ausmacht, erscheint im Hinblick auf die notwendige verfassungsrechtliche Legitimation von Schuldspruch und Strafe mehr als problematisch. Sie lässt sich vielmehr erreichen, wenn man den Fokus nicht auf die Verhaltensform, sondern auf die Qualität der übertretenen Verhaltensnorm legt.481 Denn weder im Ausgangsfall noch in der Abwandlung lässt sich eine Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit legitimieren. Konsequenterweise muss damit auch das gefundene Ergebnis identisch sein. Denn ein aktives Tun ohne Garantenverantwortlichkeit bzw. besondere Rechtspflicht ist kein „Begehen“ i. S. eines Tötungsdelikts. Trotz eines aktiven Tuns wurde nur eine Verhaltensnorm übertreten, die sich allein aufgrund des berechtigten Rechtsgüterschutzes legitimieren lässt. Mit anderen Worten handelt es sich in beiden Fallgestaltungen um solche, die alleine von der unterlassenen Hilfeleistung abgedeckt werden. Zur Verdeutlichung kann auch noch folgendes bekannte Beispiel482 dienen: Während A und B spazieren gehen, gerät A plötzlich und selbstverschuldet ins Stolpern. B, der die Situation korrekt erfasst hat, zieht seinen Arm in einer raschen Bewegung weg, sodass A zu Boden geht und sich Verletzungen zuzieht. Auch in diesem Fall stellt sich die Frage, ob B durch sein aktives Tun – die Entziehung des Arms – eine Körperverletzung verwirklicht hat. Dies wird man allerdings ebenfalls verneinen müssen. Wiederum lässt sich eine Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit nicht begründen. Einzig in Betracht käme die besondere Verantwortlichkeit für den eigenen Körper. Denn letztlich hat B die von A selbst geschaffene Gefahr durch die Entziehung des rettenden Arms reaktiviert. Allerdings führt auch dieser Gesichtspunkt nicht dazu, dass man für jegliche vom Körper ausgehende Gefahr in besonderer Weise einzustehen hat. Es geht schlicht um die angemessene Eingrenzung von strafrechtlich relevanten Verantwortungsbereichen. Gemessen daran ist B für die Nichtschaffung der Gefahr im selben Maße verantwortlich wie jeder andere, der sie nicht abwendet oder sonst nicht vermeidet, auch. Warum sollte man von ihm in dieser zufällig entstandenen Situation mehr verlangen, als von allen anderen Bürgern? Dafür fehlt es schlicht an einem legitimen Anknüpfungspunkt. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich im Hinblick auf das weitere sog. „echte“ Unterlassungsdelikt: die Nichtanzeige geplanter Straftaten. Wer zufällig den geplanten Mord eines Dritten mithört und den bereits eigens geschriebenen und versandbereiten Brief für die zuständige Behörde wieder vernichtet, bevor ihn ein Hausangestellter zur Post 481 Dazu und zum Folgenden Freund, in: Grundlagen und Konzepte des Strafrechts, S. 175, 181; ders., in: MüKoStGB, § 13 Rn. 1 ff.; ders., FS Herzberg, S. 225, 228 ff. 482 Jakobs, in: El sistema funcionalisa, S. 133, 164. Vgl. auch Freund, in: Grundlagen und Konzepte des Strafrechts, S. 175, 180; ders., FS Herzberg, S. 225, 233. Weitere Beispiele sind zu finden bei Freund, Grundlagen und Konzepte des Strafrechts, S. 175, 180 in Fn. 21.

II. Begehungsgleiche (sog. „unechte“) Unterlassungsdelikte

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bringt, der schafft durch die Zerstörung des Briefes – als aktive Handlung – kein Risiko, für dessen Vermeidung er in besonderem Maße verantwortlich ist.483 Auch hier hat der Betreffende das Opfer nicht i. S. d. § 212 Abs. 1 StGB getötet, sondern allein die geplante Straftat durch die aktive Zerstörung des Briefes nicht angezeigt. Sicherlich lässt sich über das hier vertretene Ergebnis streiten, da es sich bei der Begründung der Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit um eine Wertungsfrage handelt. Allerdings zeigen die aufgeworfenen Beispiele, dass auch in Fällen des aktiven Tuns eine etwaige Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit problematisch sein kann. Damit einher geht aber auch die Erkenntnis, dass der Unterschied zwischen den verschiedenen Formen der Tatbestandsverwirklichung nicht in der notwendigen oder nicht notwendigen Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit liegen kann. Zur Verdeutlichung dieser These tragen auch folgende Überlegungen bei: Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass sich die rechtliche Bewertung – trotz phänomenologisch identischen Verhaltens – vollständig ändert, soweit sich in den genannten Fällen eine Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit begründen lässt. Sollte B im Ausgangsfall das Kind des C sein, so lässt sich – ohne größeren Begründungsaufwand484 – eine besondere Verantwortlichkeit für die neu geschaffene Gefahr darlegen. Der Vater hat sein Kind i. S. d. § 212 Abs. 1 StGB getötet. Ebenso leicht lässt sich eine besondere Rechtspflicht im zweiten Fall begründen, sollte B den A fahrlässig ins Stolpern gebracht haben.485 Für das durch die Armbewegung vorsätzlich reaktivierte Risiko ist er unter diesen Umständen in besonderer Weise verantwortlich. Er steht nun zum geschaffenen Risiko gerade nicht mehr im gleichen Verhältnis wie alle anderen. Als Ergebnis lässt sich also festhalten, dass es für die rechtliche Bewertung nicht auf die Verhaltensform ankommen kann. Es ist ebenso möglich, durch aktives Tun die allgemeine Hilfspflicht zu missachten, wie es möglich ist, durch (begehungsgleiches) Unterlassen sein eigenes Kind i. S. d. § 212 Abs. 1 StGB zu töten. Entscheidend für diese rechtliche Wertung ist allein die Qualität des Verhaltensnormverstoßes bzw. die Sonderverantwortlichkeit für das geschaffene oder nicht abgewendete Risiko. Neben dem für jegliche Verhaltensnormlegitimation notwendigen Rechtsgüterschutz bedarf es demnach für die Legitimation der allermeisten Ver483

Freund/Timm, HRRS 2012, 223, 229. Natürlich bedarf es aber auch in solch offensichtlichen Fällen wie dem Eltern-KindVerhältnis einer belastbaren Begründung. Der bloße Verweis auf eine gesetzgeberisch angeordnete Verpflichtung – hier § 1626 BGB – trägt die Bejahung einer Garantenverantwortlichkeit nicht. Ähnliches gilt für im Grunde inhaltsleere Begriffe wie es etwa die „Blutsbande“ ist. Die qualifizierte Hilfspflicht ergibt sich beispielsweise im Eltern-Kind-Verhältnis aus der Kehrseite des elterlichen Sorgerechts. Wer besondere Rechte erhält, der muss auch die daraus entstehenden besonderen Pflichten einhalten. S. dazu Freund, in: MüKoStGB, § 13 Rn. 176, 179; ders., Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 290 f.; Kühl, AT, § 18 Rn. 48 ff. 485 In Betracht kommt hier die Garantenverantwortlichkeit kraft Ingerenz. S. dazu etwa Gaede, in: NK-StGB, § 13 Rn. 43 ff.; Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 32; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 281 ff. Speziell zur Ingerenz in dem hier genannten Fall s. Jakobs, in: El sistema funcionalista, S. 133, 163 f. sowie Freund, in: MüKoStGB, § 13 Rn. 87. 484

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

haltensnormen, auf die Strafgesetze Bezug nehmen, noch der Begründung der bereits mehrfach angesprochenen Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit als weiteren Legitimationsgrund.486 Damit der Aspekt der Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit aber tatsächlich – neben dem Rechtsgüterschutz – eine verhaltensnormfundierende Funktion übernehmen kann, darf die besondere Verantwortlichkeit natürlich nicht nur behauptet werden, sondern muss anhand sachlicher Kriterien dargelegt werden.487 Sollte das zuständige Strafgericht die entsprechende Begründungsleistung bei der Bildung der einzelfallbezogenen Sanktionsnorm nicht erbringen können, lässt sich auch der für die Erfüllung nahezu aller Strafgesetze notwendige Verstoß gegen eine dualistisch legitimierte Verhaltensnorm materiell nicht begründen. Nicht mehr und nicht weniger als das soeben Gesagte beschreibt § 13 StGB durch die genannte rechtliche Einstandspflicht in deklaratorischer Weise. Ein Verstoß im Hinblick auf den Gesetzlichkeitsgrundsatz ist damit – nach dem hier vorgestellten Konzept – ausgeschlossen. In Konflikt mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz gerät man vielmehr allein dann, wenn man davon ausgeht, dass etwa das Strafgesetz der Körperverletzung unmittelbar nur auf die Fälle des aktiven Tuns zugeschnitten ist und es für die Erfassung der Unterlassungskonstellationen – anders als beim Begehungsdelikt – der zusätzlichen Begründung einer Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit bedarf.488 Denn dann handelt es sich beim Unterlassungsdelikt genau genommen um einen ganz anderen Straftatbestand als beim Begehungsdelikt. Dass § 13 Abs. 1 StGB – dem die zusätzlichen Voraussetzungen zu entnehmen wären – aufgrund seiner abstrakten Formulierung den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an einen eigenständigen Straftatbestand zu stellen sind, nicht genügt, ist wohl kaum zu bestreiten. Wenn aber in den Fällen des Unterlassens dennoch die Rechtsfolgen – etwa des § 223 Abs. 1 StGB – zur Anwendung kommen sollen, steht ein Verstoß gegen das Analogieverbot unweigerlich im Raum. Sollte man aber wiederum als Schlussfolgerung der identischen materiellen Voraussetzungen von Unterlassen und Tun die Unbestimmtheit sämtlicher Strafgesetze (ausgenommen sein dürften §§ 323c Abs. 1, 138 StGB) in Betracht ziehen, so ist dies sicherlich unzutreffend. Problematisch ist auch hier die angestrebte Orientierungsfunktion. Selbst bei der Aufnahme aller von der Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeiten würde damit die Vorhersehbarkeit strafbaren Verhaltens nur bedingt einhergehen. Die Problematik deckt sich im Grunde mit jener, die schon bei der Fahrlässigkeit aufgetreten ist: Was kann und muss der Gesetzgeber leisten? Nehmen wir einmal an, § 13 StGB würde statuieren, dass Eheleute füreinander eine Garantenverantwortlichkeit innehaben. Eine verlässliche Orientierung strafbaren Verhaltens würde eine 486 Dazu und zum Folgenden Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 171 ff.; ders., in: MüKoStG, § 13 Rn. 19 ff. 487 S. dazu etwa bereits das in Fn. 484 genannte Beispiel. 488 Krit. dazu auch Freund, in: MüKoStGB, § 13 Rn. 51 f.

II. Begehungsgleiche (sog. „unechte“) Unterlassungsdelikte

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solche Passage wiederum nur bieten, wenn sie in ihrer Allgemeinheit Gültigkeit beanspruchen könnte. Dem ist allerdings nicht so, da die Begründung der Garantenverantwortlichkeit ausschließlich auf einer materiellen Wertung beruht, die in jedem konkreten Einzelfall gesondert anzustellen ist und von einem Gesetz nicht gelöst werden kann. Wie etwa sollte der Gesetzgeber entscheiden, ob das zerrüttete und getrenntlebende, aber formell noch verheiratete Ehepaar weiterhin in besonderer Form für einander einzustehen hat.489 Den verfassungsrechtlich geforderten Begründungsaufwand kann der Gesetzgeber in der Abstraktheit und Pauschalität eines Gesetzes schon deshalb nicht leisten, weil ihm die entscheidenden Gesichtspunkte des in der Zukunft liegenden Falls nicht bekannt sind. Selbst wenn eine Passage im Hinblick auf zerrüttete Ehen eingefügt werden würde, wäre es letztlich die Aufgabe der Eheleute und zum späteren Zeitpunkt die Aufgabe der Strafgerichte festzustellen, ob die vom Gesetzgeber – naturgemäß abstrakt-generell – angestellte materielle Wertung auch auf den in Rede stehenden Einzelfall zutrifft.490 Im Übrigen dürfte die konstitutive Fixierung der Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeiten im Gesetz noch weitere Probleme nach sich ziehen. Dabei geht es weniger um eine mögliche Versteifung der Rechtsprechung, sondern vielmehr um verfassungsrechtliche Bedenken. Wie bereits festgestellt, ließe sich die pauschale Annahme einer besonderen Verantwortlichkeit unter Eheleuten – um bei dem genannten Beispiel zu bleiben – von Verfassungs wegen schlicht nicht in jeglicher Konstellation legitimieren. Die Folge wäre ein verfassungswidriges Gesetz oder aber zumindest die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend, dass nicht jegliche Konstellationen des Eheverhältnisses umfasst sind. Mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz ist damit nichts gewonnen. Der Gesetzgeber kann also auch hier – wie bei der Fahrlässigkeit – die ihm üblicherweise abverlangte Aufgabe nicht erfüllen. Nach zutreffendem Verständnis kann damit wiederum nur entscheidend sein, ob der Gesetzgeber im Strafgesetz klar und eindeutig festgelegt hat, welche Art von Verhaltensnorm durch die Strafvorschrift geschützt sein soll. Hinzu tritt sicherlich die Achtung der Wortlautgrenze, die aber in den allermeisten Strafvorschriften derart offengehalten ist, dass auch ein Unterlassen vom Wortlaut erfasst ist. So kann man ohne weiteres das Verhungernlassen des eigenen Kindes als Tötung i. S. d. § 212 Abs. 1 StGB auffassen. Ebenso unproblematisch kann die Unterernährung als körperliche Misshandlung angesehen werden. Im Ergebnis ist damit auch dem Bundesverfassungsreicht zuzustimmen. Etwas anderes gilt freilich für den vom Gericht gewählten Begründungsweg. Soweit das Bundesverfassungsgericht ausführt, dass die gesetzliche Bestimmtheit von Generalklauseln und wertausfüllenden Begriffen durch eine gefestigte Rechtsprechung 489 S. zu einem solch komplexen Fall etwa BGHSt 48, 301 mit Anm. von Martin, JuS 2004, 82 f.; Freund, NJW 2003, 3384 ff. und Ingelfinger, NStZ 2004, 409 ff. S. auch Lilie, JZ 1991, 541, 543. 490 S. dazu bereits die auf S. 89 ff. zu findende Argumentation bezüglich des Falls, in dem die Mutter ihr Kind zum Sprung von der Mauer ermutigen möchte.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

erreicht werden kann, so trifft das den entscheidenden Punkt nicht. Dasselbe gilt im Grunde für die geäußerte Kritik an den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. Sicherlich wäre es im Hinblick auf den Gesetzlichkeitsgrundsatz nicht akzeptabel, wenn die Rechtsprechung durch die Anwendung der „Garantenlehre“ Voraussetzungen für die Strafbarkeit eines Unterlassens festlegen würde. Denn auch im hier interessierenden Zusammenhang ist es der Judikativen natürlich vom Grundgesetz untersagt, gesetzlich nicht vorgesehene Strafbarkeiten festzulegen und insofern strafbarkeitskonstitutiv tätig zu werden. Das tut sie allerdings auch nicht, was wiederum durch eine saubere Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen klar wird. Soweit die Rechtsprechung feststellt, dass eine Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit im konkreten Fall gegeben ist, bezieht sich die Entscheidung einzig und allein auf die Qualität des konkret in Frage stehenden Verhaltensnormverstoßes. Es wird lediglich darüber geurteilt, ob sich eine besondere Verantwortlichkeit für das Vermeiden einer ganz bestimmten Schädigungsmöglichkeit im Einzelfall materiell begründen lässt. Damit wird die Judikative aber nicht strafbarkeitskonstitutiv tätig. Die materiellen Strafbarkeitsvoraussetzungen sind vielmehr in der entsprechenden Strafvorschrift festgelegt, die natürlich ihrerseits dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht werden muss. Ganz ähnlich verhält es sich im Hinblick auf die vermeintliche Konkretisierung des § 13 StGB durch die Rechtsprechung. Eine verlässliche Konkretisierung kann schon deswegen nicht angenommen werden, da es der Rechtsprechung offensteht, in einem zukünftigen Fall von den bisherigen Ergebnissen abzuweichen. Der oftmals überakzentuierte Vertrauensschutz lässt sich also auch hierdurch ohnehin nicht erreichen. Im Grunde handelt es sich um dasselbe Problem, das bereits im Rahmen der Diskussion um die Fahrunsicherheit aufgetreten ist, sodass die Ausführungen an dieser Stelle zwecks Vermeidung von Wiederholungen ihr Bewenden haben sollen.491 Abschließend lässt sich festhalten, dass § 13 StGB uneingeschränkt mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz in Einklang zu bringen ist. Dies folgt schon aus seiner rein deklaratorischen Stellung innerhalb der Systematik des Strafgesetzbuches. Ein sachgerechter Umgang mit den Unterlassungsdelikten kann auch mit der aktuellen Fassung des § 13 StGB gewährleistet werden. Dennoch spricht nichts gegen eine Reform des § 13 StGB492, um die missglückte Formulierung493 im Hinblick auf die rechtliche Einstandspflicht sowie die fakultative Strafmilderung zu beseitigen.494 In 491

Ausführlich dazu und zu § 316 StGB bereits oben S. 69 ff. Ein Vorschlag ist etwa zu finden bei Freund, FS Herzberg, S. 225, 243; ders., in: MüKoStGB, § 13 Rn. 29; ders., in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 60 Rn. 70 ff. 493 Missglückt ist die Formulierung, da eine Rechtspflicht allein gerade nicht ausreicht. Eine solche wird auch durch die Verhaltensnormen ausgelöst, auf die sich die §§ 323c Abs. 1, 138 StGB beziehen. Um die Qualität des Verhaltensnormverstoßes, der für alle anderen Sanktionsnormen notwendig ist, klarzustellen, sollte vielmehr die Rede von einer besonderen Rechtspflicht sein. S. dazu Freund, in: MüKoStGB, § 13 Rn. 30. 494 S. zu diesem Aspekt Freund, in: MüKoStGB, § 13 Rn. 30; ders., FS Herzberg, S. 225, 244. 492

III. Untreue

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diesem Zuge stünde auch der Aufnahme der gängigen Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeiten nichts im Wege, deren Bedeutung sowohl für Tatbestandsverwirklichungen durch begehungsgleiches Unterlassen als auch durch Tun klargestellt würde. Mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz notwendig wäre das nach dem Gesagten freilich nicht.

III. Untreue Das Strafgesetz der Untreue war seit seiner Schaffung Gegenstand vieler Kontroversen.495 Seine heutige Ausgestaltung erhielt die Untreue im Grunde496 am 1. 6. 1933.497 Durch die Neufassung sollte das Strafgesetz vereinfacht und die bestehenden Meinungsstreitigkeiten aufgelöst werden.498 Dass dies tatsächlich gelungen ist, lässt sich aufgrund der nach wie vor anzutreffenden scharfen Kritik eher verneinen.499 1. Bestimmtheit Insbesondere die Bestimmtheit des Strafgesetzes wurde immer wieder stark angezweifelt.500 So sei dem Tatbestand nicht zu entnehmen, welche Voraussetzungen an den Inhalt der zu verletzenden Pflicht und an die Intensität der Verletzungshandlung zu stellen sind.501 Das Strafgesetz enthalte im Hinblick auf den sog. „Treuebruchtatbestand“ kein einziges Tätigkeitswort, welches „die Tat“502 beschreibt.503 Im Grunde könne damit jedes Verhalten genügen, welches eine Vermögensrelevanz aufweist.504 Anhaltspunkte für eine berechenbare und gleichmäßige 495

Zum geschichtlichen Hintergrund s. etwa BVerfGE 127, 170, 172; Schünemann, in: LK-StGB, Vor § 266; Kindhäuser, in: NK-StGB, § 266 Rn. 4 ff.; Dierlamm/Becker, in: MüKoStGB, § 266 Rn. 17 ff. 496 Im Laufe der Zeit wurden größtenteils „lediglich“ die Rechtsfolgen an die heutigen Regelungen angeglichen und einige Verweise in Abs. 2 aufgenommen. 497 RGBl. I, 295, 297. 498 BVerfGE 127, 170, 173 f. 499 So sieht etwa Albrecht, FS Hamm, S. 1, 7 in § 266 eine Ruine des Rechtsstaats. Dierlamm, in: MüKoStGB 1. Auflage, § 266 Rn. 6 beschreibt eine völlige Konturenlosigkeit. Ransiek schreibt in ZStW, 116 (2004), 634 scherzhaft, dass § 266 immer passe und Hamm attestiert der Untreue aufgrund ihrer Konturen- und Uferlosigkeit in NJW 2005, 1993 eine gefährliche Nähe zur Unbestimmtheit einer Generalklausel. S. zudem Schünemann, in LKStGB, § 266 Rn. 3 m. w. N. 500 S. dazu die Nachweise bei Dierlamm/Becker, in: MüKoStGB, § 266 Fn. 15. 501 Albrecht, FS Hamm, S. 1, 2. 502 Satzzeichen im Original. 503 Dierlamm/Becker, in: MüKoStGB, § 266 Rn. 3. 504 Hamm, NJW 2005, 1993, 1994.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Anwendung der Norm biete § 266 StGB nicht.505Aufgrund der zahlreichen kritischen Stellungnahmen war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit der Untreue befassen musste. Dies geschah mit Beschluss vom 23. 06. 2010.506 Dabei stellt das Gericht zunächst die bekannten Anforderungen dar, die Art. 103 Abs. 2 GG mit sich bringt. Innerhalb dessen steht die Vorhersehbarkeit des strafwürdigen Verhaltens abermals im Vordergrund. Dieser Aspekt zieht sich durch das gesamte Urteil und ist nicht nur den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen. Auch die Beschwerdeführer legten dar, dass sie nicht in der Lage gewesen seien zu erkennen, ob ihr jeweiliges Verhalten als strafbar angesehen werde oder nicht. Dem stellt sich das Bundesverfassungsgericht entgegen und bestätigt dem Strafgesetz eine noch genügende Bestimmtheit, da die gefestigte Rechtsprechung dazu geeignet sei, den Anwendungsbereich hinreichend zu begrenzen. Aufgrund der gefestigten Rechtsprechung falle ein großer Teil von Lebenssituationen aus dem Anwendungsbereich heraus. Zu einer solchen Präzisierung des Anwendungsbereichs einer Norm sei die Rechtsprechung nach Möglichkeit gehalten. Damit beschreibt das Bundesverfassungsgericht das sog. „Präzisierungsgebot“. Dass jenes Gebot das gewünschte Ergebnis – die Vorhersehbarkeit strafwürdigen Verhaltens – nicht erreichen kann, wurde bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt:507 Die Strafgerichte stellen „lediglich“ fest, ob die Voraussetzungen des jeweiligen Strafgesetzes erfüllt sind und treffen anschließend auf der Basis der von ihnen gebildeten Sanktionsnorm eine konkrete Sanktionsanordnung. Dass die Rechtsprechung bei diesem Vorgang nicht statisch ist, ist der Vielseitigkeit der Lebenssachverhalte geschuldet. Wenn die Rechtsprechung aber wandelbar ist – was sie sein muss – dann kann mit ihr aber wiederum keine verlässliche Orientierung für den Bürger einhergehen. Im Ergebnis beeinflusst die Rechtsprechung die Bestimmtheit eines Strafgesetzes nicht. Entweder das Strafgesetz ist bestimmt genug oder nicht. Sollte ein Strafgesetz den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht genügen, so ist es den Strafgerichten ohnehin verwehrt, den Betreffenden schuldig zu sprechen, da sie anderenfalls als Ersatzgesetzgeber über das „Ob“ der Strafbarkeit entscheiden und somit gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung verstoßen. Dennoch ist dem Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Bestimmtheit der Untreue zuzustimmen: Das Strafgesetz der Untreue genügt dem Bestimmtheitsgrundsatz – und zwar uneingeschränkt. Denn es lässt zweifelsfrei die Legitimationsgründe der Verhaltensnorm erkennen, auf die es sich bezieht. Ohne weiteres ist erkennbar, dass § 266 StGB Verhaltensnormen in Bezug nimmt, welche Nachteile im Hinblick auf das Vermögen vorbeugen wollen, die durch eine Person mit einer besonderen vermögensbezogenen Pflichtenstellung gegenüber dem Inhaber des Ver-

505

Kargl, ZStW 113 (2001), 565, 589. BVerfGE 126, 170. 507 S. dazu bereits S. 36 ff., 66 ff., 89 ff.

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III. Untreue

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mögens verursacht werden.508 Ob etwa die Aufrechterhaltung sog. „schwarzer Kassen“, die Auszahlung überhöhter Prämien oder die Gewährung äußerst riskanter Kredite, ohne die erforderlichen Sicherheiten zu überprüfen, die Voraussetzungen des Strafgesetzes erfüllen, ist ausschließlich eine Frage der konkreten Verhaltensnormbildung. Dass es bei der Bildung der Verhaltensnorm und dem später von den Strafgerichten festzustellenden Verhaltensnormverstoß zu sehr komplexen Konkretisierungsproblemen kommen kann, soll abermals nicht in Frage gestellt werden. Im Lichte dessen sind auch die umfangreichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Untreue zu sehen.509 Diese sind als Orientierungshilfe für die Bildung zukünftiger Verhaltensnormen sicherlich hilfreich. Für die Beantwortung der Frage nach der Bestimmtheit des Strafgesetzes tragen sie allerdings nichts bei. Dementsprechend hat der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die Untreue nicht bestimmter gemacht – auch nicht ein bisschen.510 Anzumerken ist noch, dass trotz des offenen Wortlauts des Strafgesetzes freilich nicht jegliches Verhalten mit Vermögensbezug zu einer Verurteilung aufgrund von § 266 StGB führen darf. Notwendig ist stets – wie sonst auch –, dass der Verhaltensnormverstoß für eine strafrechtliche Reaktion hinreichend gewichtig ist.511 Die Rechtsprechung versucht diesem Aspekt wohl über die Anforderungen eines „besonderes gravierenden Pflichtenverstoßes“512 Rechnung zu tragen. Allerdings lässt sich dies auch, von der Untreue losgelöst, über das ganz allgemeine Straftaterfordernis eines hinreichend gewichtigen Verhaltensnormverstoßes erreichen. 2. Verschleifungsverbot Neuartig war die explizite Nennung des sog. Verschleifungsverbots durch das Bundesverfassungsgericht. Darunter wird das Verbot verstanden, einzelne Tatbestandsmerkmale derart auszulegen, dass sie vollständig in einem anderen Tatbestandsmerkmal aufgehen und damit zwangsläufig mitverwirklicht sind.513 Da das Bundesverfassungsgericht auch dieses Verbot aus dem Gesetzlichkeitsgrundsatz ableiten möchte, soll an dieser Stelle kurz darauf eingegangen werden.514 Offen ließ das Bundesverfassungsgericht allerdings, aus welcher Ausprägung des Gesetzlichkeitsgrundsatzes das Verschleifungsverbot entspringen soll.515 Dementsprechend ist nach wie vor ungeklärt, ob ein mögliches Verschleifungsverbot dem Bestimmt508

In diesem Sinne auch Rostalski, RPhZ 2018, 157, 168. Zur Auslegung s. etwa Saliger, ZIS 2011, 902, 905 ff.; ders., NJW 2010, 3195, 3196 ff. 510 In diesem Sinne wohl Safferling, NStZ 2011, 376, 378. 511 Dazu bereits oben S. 24, 48. 512 BVerfGE 126, 170, 187; BGH NJW 2002, 1211, 1216. 513 BVerfGE 126, 170, 198; Mehl, Verschleifungsverbot, S. 228 f. 514 Ausführlich zum Verschleifungsverbot Mehl, Verschleifungsverbot, S. 187 ff. et passim. 515 Dazu Krell, ZStW 126 (2014), 902, 908. 509

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

heitsgrundsatz oder dem Analogieverbot zuzuordnen ist. Letztlich ist eine solche Zuordnung aber nicht nur mühselig, sondern auch nicht zwingend notwendig, da alle Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes auf die Absicherung des Grundsatzes der Gewaltenteilung zurückzuführen sind. Auch das Verschleifungsverbot muss – sofern es tatsächlich mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz in Verbindung steht – dem genannten Zweck dienen. Entscheidend ist somit allein, ob die Strafgerichte durch die Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen strafbarkeitskonstitutiv tätig werden. Anders ausgedrückt muss der Gesetzgeber auch bei einer Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen noch die Entscheidung über das „Ob“ der Strafbarkeit getroffen haben. Sollte dies nicht mehr der Fall sein, so ist das Verschleifungsverbot tatsächlich berechtigt. Auch das Bundesverfassungsgericht legt den Fokus wohl auf den Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn es ausführt, dass die Auslegung der Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten bezeichnet, nicht dazu führen dürfe, dass die durch die verschiedenen Tatbestandsmerkmale geschaffene Eingrenzung im Ergebnis wieder aufgehoben wird.516 So dürfe etwa die eingrenzende Wirkung des Nachteilsmerkmals nicht dadurch umgangen werden, dass zur Begründung dieses Merkmals ausschließlich auf die Tatsachen zurückgegriffen wird, die auch eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht tragen. Lässt man die mehr oder minder gelungene Bezeichnung einmal außen vor, so geht es im Kern allein darum, die Erfüllung der gesetzlich normierten Voraussetzungen sicherzustellen. Das ist ein im Grunde trivialer Aspekt, dessen Absicherung aber umso wichtiger ist.517 Dementsprechend ist auch die Feststellung korrekt, dass die Strafgerichte ein im Strafgesetz enthaltenes Kriterium nicht leerlaufen lassen (verschleifen) dürfen. Denn die Konsequenz eines solchen Leerlaufen-Lassens wäre letztlich, dass die Voraussetzungen des Strafgesetzes nicht erfüllt sind und die Rechtsprechung somit ohne Ermächtigungsgrundlage handeln würde. Die Strafbarkeit wäre in dieser Form gerade nicht gesetzlich bestimmt. Zu diesem Ergebnis gelangt man andererseits natürlich nur, wenn der Gesetzgeber dem jeweiligen Kriterium des Strafgesetzes tatsächlich einen entsprechenden Stellenwert beimessen wollte.518

516

BVerfGE 126, 170, 198. Zu einem Verstoß gegen diesen Grundsatz führt das Rechtskonstrukt der Wahlfeststellung. S. dazu ausführlich unten S. 129 ff. A. A. unter Bezugnahme auf das Verschleifungsverbot Mehl, Verschleifungsverbot, S. 252 ff. 518 Ein Beispiel im Hinblick auf § 267 Abs. 1 Fall 2 StGB findet sich bei Krell, ZStW 126 (2014), 902, 905. Dazu jüngst auch BVerfG NJW 2022, 1160, 1162: „Eine Pflicht auch des Strafgesetzgebers, Tatbestandsmerkmale so zu formulieren, dass keines in einem anderen aufgeht, enthält Art. 103 II GG hingegen nicht. Angesichts seines aus dem Demokratieprinzip folgenden Einschätzungs- und Ermessensspielraums kann es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein, ihm zur Klarstellung wichtige, wenn auch ineinander aufgehende und damit im Ergebnis ,verschleifende‘ Tatbestandsmerkmale ausdrücklich in den Gesetzestext aufzunehmen“. 517

IV. Wahlfeststellung

117

Mit Blick auf die Untreue ist zudem noch Folgendes zu beachten: Sofern die Strafgerichte eine pflichtwidrige Vermögensbetreuung sowie einen Vermögensnachteil feststellen, passt dies zunächst zum Strafgesetz der Untreue. Allerdings genügt es nicht, die beiden Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage voneinander losgelöst zu begründen. Vielmehr verlangt das Strafgesetz eine Verbindung zwischen der Pflichtwidrigkeit der Vermögensbetreuung und dem eingetretenen Vermögensnachteil („dadurch“).519 Dementsprechend müssen die Strafgerichte im Rahmen ihrer Feststellungen darauf achten, dass die beiden Aspekte nicht identisch sind. Insofern ist eine klare Trennung notwendig. Sollte das Strafgericht zur Begründung des Vermögensnachteils tatsächlich ausschließlich auf die Tatsachen zurückgreifen, die auch zur Begründung der Pflichtwidrigkeit herangezogen wurden, so ist dies mit Blick auf den Wortlaut des § 266 StGB problematisch. Die notwendige Verbindung der beiden Kriterien könnte dadurch unterlaufen werden. Im Grunde führt auch das Bundesverfassungsgericht diesen wichtigen Aspekt an, wenn es darlegt, dass die Gerichte keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Feststellungen zu dem Nachteil getroffen haben, der durch die pflichtwidrige Kreditvergabe der Beschwerdeführer verursacht worden sein könnte.520 Berechtigt ist demnach auch der Vorwurf des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem Landgericht, sich für die Begründung des Vermögensnachteils ausdrücklich auf die zur Frage der Pflichtwidrigkeit gemachten Feststellungen zu berufen und daraus eine „aufs Äußerste gesteigerte Verlustgefahr bei einer nur höchst zweifelhaften Aussicht auf einen günstigen Verlauf, mithin eine über das allgemeine Risiko bei Kreditgeschäften hinausgehende höchste Gefährdung“ abzuleiten.521 Durch eine solche Vorgehensweise besteht die Gefahr, dass die im Strafgesetz angelegte Verbindung zwischen Pflichtwidrigkeit und Vermögensnachteil umgangen wird, da die zur Begründung der Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage herangezogenen sachlichen Kriterien identisch sind. Festzuhalten bleibt, dass das sog. Verschleifungsverbot durchaus berechtigt ist. Allerdings enthält es im Grunde keine neuartigen Vorgaben im Hinblick auf den Gesetzlichkeitsgrundsatz. Vielmehr sichert es den wichtigen Grundsatz ab, dass eine Ermächtigungsgrundlage nur dann zur Anwendung kommt, wenn alle in ihr niedergeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind.

IV. Wahlfeststellung Abstrakt gesehen wird unter dem Begriff der Wahlfeststellung die Frage diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verurteilung auf einer alternativen

519

Ein (klarstellender) Hinweis darauf ist etwa zu finden in BGH NStZ 2000, 655. Die Hervorhebung findet sich im Original nicht. 521 S. dazu auch Mehl, Verschleifungsverbot, S. 211. 520

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Sachverhaltsbasis möglich ist.522 So stellte sich etwa das Problem, ob der Angeklagte, der eine in seinem Besitz befindliche Sache entweder durch einen Diebstahl oder eine Hehlerei erlangt hat, schuldig gesprochen werden kann, wenn er eine der genannten Straftaten sicher begangen hat, es sich aber nicht eindeutig beweisen ließ, welche der Straftaten es konkret war. Das Motiv hinter einer alternativen Verurteilung dürfte dabei relativ offensichtlich sein: Materielle Gerechtigkeit solle verwirklicht werden. Wer die eine oder die andere Straftat begangen habe, der müsse auch bestraft werden. Alles andere sei ungerecht. Auf der anderen Seite ist grundsätzlich völlig unbestritten, dass eine Verurteilung nur dann legitim ist, wenn dem Angeklagten die Erfüllung aller Voraussetzungen einer ganz bestimmten Strafvorschrift nachgewiesen werden kann. Sollten nach Auswertung aller Beweis- und Erkenntnismittel begründete Zweifel seitens des Gerichts bestehen bleiben, so ist der Angeklagte nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen.523 Im Hinblick auf die Konstellationen der (echten) Wahlfeststellung entsteht damit ein Spannungsverhältnis zwischen dem legitimen Einsatz von Strafe unter Beachtung auch formeller Bindungen und dem Streben nach materieller Gerechtigkeit. 1. Die unterschiedlichen Facetten der sog. „Wahlfeststellung“ und ähnliche „Rechtsfiguren“ Neben der gerade beispielhaft verdeutlichten echten bzw. ungleichartigen Wahlfeststellung, also Konstellationen, in denen neben den alternativ in Betracht kommenden Sachverhalten auch eine Alternativität im Hinblick auf die möglicherweise einschlägigen Strafgesetze existiert, wurden noch weitere Rechtskonstrukte geschaffen, die mit der gesetzesalternativen Verurteilung zumindest mittelbar in Zusammenhang stehen. Von der echten Wahlfeststellung zu unterscheiden ist die sog. „unechte“ bzw. „gleichartige“ Wahlfeststellung. Hierunter werden Konstellationen gefasst, in denen sich die Alternative allein auf den Sachverhalt bezieht, jedoch eindeutig feststeht, welche Strafvorschrift durch die alternativ in Betracht kommenden Sachverhalte erfüllt wird. Ein solcher Fall zeigt sich etwa, wenn ein Zeuge zwei unterschiedliche Aussagen getätigt hat, von denen eine zwingend falsch sein muss, es sich allerdings nicht beweisen lässt, welche die entsprechend Falsche ist.524 Gemein ist den verschiedenen Facetten der Wahlfeststellung damit eine anhaltende Ungewissheit bezüglich zwei oder mehr möglichen Geschehensabläufen.

522 Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 1; Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 57; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, § 1 Rn. 9. 523 S. dazu etwa Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 57. 524 BGH NJW 1952, 755; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 70; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 7; Freund, FS Wolter, S. 35, 44 f. Zur Problematik im Hinblick auf die prozessuale Tat s. Wolter, Wahlfeststellung und in dubi pro reo, S. 134 ff.; Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 96 ff.; Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 56.

IV. Wahlfeststellung

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Anders liegt die Sache in den Fällen der sog. „Postpendenz“- und „Präpendenzfeststellung“.525 Dort besteht eine Sachverhaltsalternative gerade nicht. Vielmehr steht einer der Sachverhalte sicher fest. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass ein Sachverhalt vorausging oder sich der strafbaren Verhaltensweise anschloss, der die Strafbarkeit des sicher feststellbaren Sachverhalts beeinflusst. In ersterem Fall spricht man von der Postpendenzfeststellung, in letzterem von einer Präpendenzfeststellung. So bestätigte der Bundesgerichtshof etwa eine Verurteilung aufgrund von Hehlerei im Wege der Postpendenzfeststellung, als zweifelhaft blieb, ob der Angeklagte an einer schweren räuberischen Erpressung als Mittäter beteiligt war, jedoch feststand, dass er seinen Beuteanteil – in Kenntnis der Vortat – vom Täter der schweren räuberischen Erpressung erhalten hatte.526 Umgekehrt komme eine Verurteilung im Wege der Präpendenzfeststellung in Betracht, wenn eine Verbrechensabrede sicher nachweisbar ist, es aber unklar bleibt, ob der Betroffene auch an der späteren Tatausführung beteiligt war.527 Anwendung finden die Postpendenz- und Präpendenzfeststellung insbesondere dann, wenn eine rechtsethische- und psychologische Vergleichbarkeit nicht gegeben ist und die meist postulierten Voraussetzungen der ungleichartigen Wahlfeststellung damit ebenfalls nicht vorliegen.528 Nicht unmittelbar mit der Wahlfeststellung im Zusammenhang steht das Rechtsinstitut der sog. Stufenverhältnisse. Unterschieden wird hier zwischen dem sog. „begriffslogischen“529 Stufenverhältnis und dem sog. „normativen“ Stufenverhältnis530. Begriffslogisch ist das Stufenverhältnis, wenn zwei alternative Verhaltensweisen unter Tatbestände zu subsumieren sind, die zueinander in einem „PlusMinus-Verhältnis“ stehen. Ein solches ist wiederum gegeben, wenn der eine Tatbestand in dem anderen Tatbestand vollständig enthalten ist. Lässt sich lediglich nicht sicher nachweisen, ob das Opfer zum Zeitpunkt der Tötungshandlung schon verstorben war, so ist zumindest die versuchte Tötung vollständig verwirklicht, da – nach zutreffendem Verständnis – in jeder vollendeten Tötung auch ihr Versuch enthalten ist.531/532 525

Zur Postpendenz- und Präpendenzfeststellung im Allgemeinen etwa Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 7 ff.; ders., JURA 2018, 424. 526 BGH NJW 1988, 921 mit zustimmender Anmerkung Wolter, NStZ 1988, 455, 456 ff.; Ablehnend etwa Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 47. Zur Postpendenzfeststellung zwischen Betrug und Hehlerei s. BGH NStZ 1989, 266; Maier, in: MüKoStGB, § 259 Rn. 198 ff. 527 S. dazu Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 62; Schmöller, JR 1993, 246, 248; Joerden, JZ 1988, 847, 852. 528 v. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 1 Rn. 76. 529 S. dazu BGH NStZ 1984, 74, 75; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 24 ff.; Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 30 ff. 530 S. dazu BGH NJW 1970, 668; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 35 ff.; Hecker, in: Schönke/Schröder § 1 Rn. 93; Wolter, FS Rogall, S. 773, 781. 531 BGH NJW 1989, 596, 597; Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 32; Velten, SK-StPO, § 261 Rn. 118. Anders wohl Jescheck/Weigend, § 49 III 3.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Das normative Stufenverhältnis komme immer dann in Betracht, wenn der Unwertgehalt des einen Delikts vollständig in dem alternativen Delikt enthalten ist. Allerdings ist der Begriff des „normativen Stufenverhältnisses“ im Gegensatz zum begriffslogischen Stufenverhältnis weniger klar und daher gefährlich. Denn sollte der Unwertgehalt des einen Delikts mit den erforderlichen sachlichen Strafbarkeitsvoraussetzzungen tatsächlich vollständig in dem alternativen Delikt enthalten sein, liegt sachlich bereits ein begriffslogisches Stufenverhältnis vor. Des Rekurses auf ein „normatives Stufenverhältnis“ bedarf es dann nicht. Nach allgemeinen Regeln ist in solchen Fällen unter Anwendung des Zweifelssatzes auf der Grundlage der für den Angeklagten milderen Strafvorschrift eindeutig zu verurteilen. Das gilt etwa für die Anstiftung und die (psychische) Beihilfe533, für die unterlassene Hilfeleistung und die Beteiligung an der Vortat534 sowie für das Begehungsdelikt und das begehungsgleiche Unterlassen.535 Wenn von manchen zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ein Exklusivitätsverhältnis und zugleich ein „normatives Stufenverhältnis“ angenommen wird,536 dient die unklare Begrifflichkeit der Verdeckung des Verstoßes gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz.537 Geht man dagegen zutreffend von einem Plus-Minus-Verhältnis aus, liegt wiederum ein Fall des begriffslogischen Stufenverhältnisses vor. Aber nicht nur gegenüber dem „normativen Stufenverhältnis“ bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Auch und vor allem die verfassungsrechtliche Legitimität der gesetzesalternativen Verurteilung wird immer wieder (zu Recht) angezweifelt. Dementsprechend früh begann man sich mit der Zulässigkeit der Wahlfeststellung auseinander zu setzen. Die ersten Ansätze zur Auflösung der verfassungsrechtlichen Problematik liegen weit in der Vergangenheit zurück.

532 Im Grunde verbirgt sich hinter dem begriffslogischen Stufenverhältnis allein die Konkurrenzregel der Spezialität. Dass der Angeklagte in den hiesigen Konstellationen aus der lex generalis zu bestrafen ist, liegt allein daran, dass sich nur jener Verhaltensnormverstoß sicher beweisen lässt, auf den sich die lex generalis bezieht. Im oben genannten Beispiel muss der Zweifelssatz im Hinblick auf die vollendete Tötung damit uneingeschränkt angewendet werden und der Schuldspruch auf der versuchten Tötung basieren. I. d. S. auch Frister, in: NKStGB, Nach § 2 Rn. 30. S. dazu auch die Ausführungen zur konkurrenzrechtlichen Prä- und Postpendenzfeststellung, S. 137, 139. 533 I. S. eines „normativen Stufenverhältnisses“ freilich BGH NJW 1983, 239. 534 Dazu BGH NJW 1993, 1871, 1872. 535 S. Dazu etwa Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 86; OLG Karlsruhe NJW 1980, 1859. 536 S. dazu Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 34. Zum Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit s. die in Fn. 215 genannten Autoren. 537 Freund, in: MüKoStGB, Vor § 13 Rn. 299; ders., FS Herzberg, S. 225, 228; Puppe, FS Otto, S. 389, 399; Wendeburg, Bedeutung des Irrtums, S. 305. Ähnlich Velten, in: SK-StPO, § 261 Rn. 114.

IV. Wahlfeststellung

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2. Historischer Überblick Die Diskussion um die Wahlfeststellung besteht seit etwa der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.538 Die ältere Rechtsprechung pflegte zunächst einen äußerst restriktiven Umgang mit der Wahlfeststellung. Das preußische Obertribunal erachtete eine Verurteilung auf alternativer Basis nur dann als zulässig, wenn sich die alternativen Verhaltensweisen unter denselben Straftatbestand fassen ließen.539 Diesen Weg verfolgte auch das Reichsgericht und ließ damit ebenfalls nur die „gleichartige Wahlfeststellung“ zu. Das Reichsgericht blieb seiner Linie – trotz massiver Kritik seitens der Literatur – bis zur Entscheidung der vereinigten Strafsenate vom 02. 05. 1934540 treu. Damit einher ging allerdings nicht die geforderte uneingeschränkte Zulässigkeit der Wahlfeststellung. Die Zulässigkeit der Wahlfeststellung wurde lediglich dahingehend erweitert, dass nun auch die alternative Verurteilung zwischen Hehlerei und Diebstahl möglich war. In allen anderen Fällen verblieb es bei der „gleichartigen Wahlfeststellung“. Ein entscheidender Wendepunkt ergab sich erst durch die Einführung des § 2b RStGB (sowie § 267b StPO) am 28. 06. 1935 durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber. Dieser statuierte: „Steht fest, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, ist aber eine Tatfeststellung nur wahlweise möglich, so ist der Täter aus dem mildesten Gesetz zu bestrafen.“ Damit war der Weg zur (quasi-) alternativen Verurteilung im Hinblick auf sämtliche Delikte eröffnet. Der Höhepunkt wurde erreicht, als das Reichsgericht541 eine Wahlfeststellung zwischen einer versuchten Abtreibung und einem Betrug zuließ und das, obwohl die Tat geschah, bevor § 2b RStGB in Kraft getreten war.542 Der ausufernde Umgang mit der Wahlfeststellung endete erst durch die Aufhebung des § 2b RStGB im Zuge der Einführung des Kontrollgesetzes Nr. 11 am 30. 01. 1946543. In der Folgezeit gelangte die Rechtsprechung544 allerdings nicht auf den anfänglichen Weg des Reichsgerichts zurück. Vielmehr entschied sie sich für eine beschränkte Zulässigkeit der Wahlfeststellung. Trotz Anlehnung an die Entscheidung der vereinigten Strafsenate vom 02. 05. 1934 verblieb die Anwendung nicht bei den Delikten des Diebstahls und der 538 S. dazu und zum Folgenden Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 2 ff.; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 2 ff.; Dannecker, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 30 ff.; Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 464 ff.; Pohlreich, ZStW 128 (2016), 676, 681 ff. 539 Dabei handelt es sich um den Fall einer sog. „gleichartigen Wahlfeststellung“ bzw. „unechten Wahlfeststellung“. 540 RGSt 68, 257. 541 RGSt 69, 369. 542 Die faktische Rückwirkung wurde mit einer rein deklaratorischen Wirkung des § 2b RStGB sowie einer „geläuterten Rechtsprechung“ begründet. Vgl. dazu Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 3 mit Fn. 24 sowie Dannecker, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 38 sowie den dort in Fn. 97 genannten Nachweis. 543 Art. I des Gesetzes des Alliierten Kontrollrats für Deutschland Nr. 11 vom 30. Januar 1946, KontrRBl. S. 55. 544 BGHSt 1, 127; BGHSt 1, 337.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Hehlerei. Die beschränkte Zulassung wurde derart ausgeweitet, dass eine alternative Verurteilung immer dann zulässig war, soweit die Delikte rechtsethisch und psychologisch vergleichbar waren.545 Eine solche Vergleichbarkeit bestand nach damaligem Verständnis, wenn den Taten nach dem allgemeinen Rechtsempfinden eine gleiche oder ähnliche sittliche Bewertung zuteil wird und der Täter eine einigermaßen gleichartige seelische Beziehung zu den in Frage stehenden Verhaltensweisen aufweist.546 Was genau unter dieser Formel zu verstehen war, blieb naturgemäß relativ offen.547 Klar war nur, dass das jeweilige Unrecht der im Raum stehenden Tatbestände anhand des Maßstabs des allgemeinen Rechtsempfindens zu beurteilen war und es sich irgendwie geartet gleichen musste.548 Es verwundert nicht, dass sich an eine solch offene Formulierung eine umfassende Kasuistik anschloss, anhand deren versucht wurde, einen Rahmen für die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit abzustecken. In der Folgezeit wurden weitere Begriffe entwickelt, die einen besseren Umgang mit der Wahlfeststellung ermöglichen sollten. Eingeführt wurden das begriffslogische Stufenverhältnis, das normative Stufenverhältnis sowie die Post- und Präpendenzfeststellung.549 Ob diese Begriffe tatsächlich zur Klarheit beigetragen haben, ist wohl eher zweifelhaft.550 Vielmehr ist der Aussage Drehers551, die Thematik der Wahlfeststellung sei ein „Irrgarten“ der Strafrechtsdogmatik, sicherlich auch heute noch zuzustimmen. In den folgenden Jahren nahm die Rechtsprechung und die damit einhergehende Kasuistik ihren Lauf. Erst im Jahr 2014 versuchte der 2. Strafsenat, sich einen Ausweg aus dem Irrgarten zu bahnen. Mit dem Ziel, die ungleichartige Wahlfeststellung aufzugeben, legte der Senat den anderen Strafsenaten einen Anfragebeschluss i. S. d. § 132 Abs. 3 S. 1 GVG vor, in dem er die – nach seiner Ansicht – gegebenen verfassungsrechtlichen Probleme darstellte.552 Die übrigen Senate teilten die Auffassung des 2. Senats allerdings nicht; sie wollten weiterhin an der Anwendbarkeit der ungleichartigen Wahlfeststellung festhalten.553 Daraufhin rief der 2. Senat am 11. 03. 2015 den Großen Senat des Bundesgerichts545

Die Erweiterung geschah in Anlehnung an die Kommentierung von Kohlrausch. Vgl. Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 4 mit Fn. 28; Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 6 mit Fn. 15 sowie Kohlrausch/Lange, StGB, 41. Auflage, S. 43 f. 546 BGHSt 9, 390; BGHSt 11, 26; BGHSt 21, 152; 547 So auch BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 2. November 2016. 548 BGHSt 23, 360. Dazu auch Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 15; Jahn, NJW 2017, 2842, 2846. 549 S. dazu bereits S. 119 ff. 550 Ähnlich Velten, in: SK-StPO, § 261 Rn. 114 „Die in Rechtsprechung und Literatur vertretene Vielzahl an Konstruktionen ist nicht nur überflüssig, sie verschleiert vor allem, welche dogmatische Struktur diese Fälle tatsächlich aufweisen.“ Ähnlich auch Hruschka, JZ 1970, 637, 642, der von einer „verunklärenden“ Terminologie spricht. 551 Dreher, MDR 1970, 369. 552 BGH 28. 1. 2014 – 2 StR 495/12 553 BGH 1 ARs 14/14 – Beschluss vom 24. Juni 2014; BGH 3 ARs 13/14 – Beschluss vom 30. September 2014; BGH 4 ARs 12/14 – Beschluss vom 11. September 2014; BGH 5 ARs 39/14 – Beschluss vom 16. Juli 2014.

IV. Wahlfeststellung

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hofes an, um eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob die Rechtsfigur der gesetzesalternativen Verurteilung, insbesondere bei einer Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei, mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist.554 Eine Entscheidung erging nicht, da der 2. Senat die Anfrage nach Zweifeln an der Zulässigkeit durch Beschluss vom 09. 08. 2016 zurückzog.555 Als der 5. Senat556 eine im Hinblick auf die Wahlfeststellung ähnliche Konstellation zugunsten jener entschied, legte der 2. Senat dem Großen Senat die Frage über die Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung abermals vor.557 Der Große Senat schloss sich erwartungsgemäß der Auffassung der übrigen Senate an und entschied, dass die Wahlfeststellung mit der Verfassung in Einklang zu bringen sei.558 Auf dieser Linie lag schlussendlich auch das Bundeverfassungsgericht, welches ebenfalls über die Wahlfeststellung zu entscheiden hatte.559

3. Die Rechtsprechung der obersten Gerichte a) Die Auffassung des 2. Senats des Bundesgerichtshofs560 In seinem Vorlagebeschluss vertrat der 2. Senat des Bundesgerichtshofs die Auffassung, dass die gesetzesalternative Verurteilung wegen des Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt aus Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 20 Abs. 3 GG sowie den Schuldgrundsatz aus Art. 1 Abs. 1 GG unzulässig sei. Dazu führte der Senat im Wesentlichen aus: Art. 103 Abs. 2 GG enthalte ein striktes Bestimmtheitsgebot für die Gesetzgebung sowie ein für die Gerichte geltendes Analogieverbot. Dadurch werde zweierlei gewährleistet. Zum einen gehe es um den Schutz des Normadressaten. Dieser solle vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht sei. Im Hinblick auf diese Garantie kollidiere die gesetzesalternative Verurteilung nicht mit der Verfassung. Zum anderen werde durch Art. 103 Abs. 2 GG aber auch gewährleistet, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheide. Insoweit enthalte Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt. Der Gesetzgeber müsse alle wesentlichen Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im parlamentarischen Willensbildungsprozess klären. Dies verwehre es den Gerichten, die gesetzgeberische Entscheidung abzuändern, und zwar auch dann, wenn die Einzelfälle ähnlich strafwürdig erscheinen wie das pönalisierte Verhalten. Die Schließung der Lücken des fragmentarischen Strafgesetz554

BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 11. März 2015. BGH GSSt 2/15 2 StR 495/12 – Beschluss vom 9. August 2016. 556 BGH 5 StR 182/16 – Beschluss vom 16. August 2016. 557 BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 2. November 2016. 558 BGH GSSt 1/17 – Beschluss vom 8. Mai 2017. 559 BVerfG Beschluss vom 05. Juli 2019 – 2 BvR 167/18. 560 Zum Folgenden s. BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 28. Januar 2014; BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 11. März 2015; BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 2. November 2016. 555

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buches sei nicht die Aufgabe des Richterrechts. Die in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltenen Garantien gelten sowohl für den Straftatbestand als auch für die Strafandrohung. Daraus folge, dass ein eindeutiger Schuldspruch zu ergehen habe und eine Strafzumessung angestellt werden müsse, die zu dem erfüllten Straftatbestand passe und sich innerhalb des vom Gesetzgeber für den Tatbestand vorgesehenen Strafrahmens befinde. Lege man diese Maßstäbe zu Grunde, so sei die richterrechtliche Rechtsfigur der gesetzesalternativen Verurteilung mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren. Für den strafenden Eingriff bedarf es nach dem streng gehandhabten Prinzip des Gesetzesvorbehalts einer Eingriffsermächtigung, deren Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen müssen. Der relevante Eingriff sei nicht erst im Rechtsfolgenausspruch des Urteilstenors zu finden. Schon der Schuldspruch an sich beinhalte ein Unwerturteil und berühre damit den in der Menschenwürde wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch. Der von Art. 103 Abs. 2 GG geforderte eindeutige Schuldspruch könne durch eine gesetzesalternative Verurteilung nicht erreicht werden. Denn in den Konstellationen der gesetzesalternativen Verurteilung fehle es am sicheren Nachweis des Vorliegens aller Tatbestandsmerkmale der alternativ in Betracht kommenden Strafgesetze einschließlich des subjektiven Tatbestands. Somit stehe nicht zu der für eine Verurteilung erforderlichen Überzeugung der erkennenden Richter fest, dass der Angeklagte die eine oder die andere Tat eindeutig begangen habe. Mit Gewissheit festzustellen sei nur ein den alternativen Taten anhaftender gemeinsamer Unrechtskern. Die Feststellung eines gemeinsamen Unrechtskerns trete somit an die Stelle der jeweils fehlenden sachlich-rechtlichen Voraussetzungen eines eindeutigen Schuldspruchs. Die Verurteilung sei damit nicht auf die eine oder andere Strafnorm gestützt, sondern auf eine dritte – ungeschriebene – Norm, welche die – angeblich – rechtsethisch und psychologisch übereinstimmenden Unrechtselemente mit ihrem Kern in sich vereinigt. Letztendlich fehle es damit schon an einer den Eingriff legitimierenden Ermächtigungsgrundlage. Die fehlende Ermächtigung könne auch nicht durch die Kombination zweier verschiedener Ermächtigungsnormen, die jeweils nicht vollständig erfüllt seien, ersetzt werden. Dies laufe dem Gesetzesvorbehalt aus Art. 20 Abs. 3 GG zuwider. Warum dieser im strafprozessualen Eingriffsrecht anerkannte Grundsatz nicht auch für den besonders gravierenden Eingriff einer strafrechtlichen Verurteilung gelten solle, erschließe sich nicht. Auch der Versuch, eine demokratische Legitimation durch eine auf die Rechtsprechung delegierte Rechtssetzungsbefugnis für die gesetzesalternative Verurteilung zu erreichen, gehe fehl. Unabhängig von dem tatsächlichen Willen des damaligen Gesetzgebers sei selbst dem parlamentarischen Gesetzgeber eine Delegierung aufgrund des strikten Gesetzesvorbehalts ohnehin nicht gestattet. Ebenfalls unzutreffend sei die Einordnung der gesetzesalternativen Verurteilung als reines Prozessrecht, worin Art. 103 Abs. 2 GG keine Geltung beanspruche. Die materiell rechtliche Natur der gesetzesalternativen Verurteilung ließe sich besonders deutlich an dem eigens aufgestellten Kriterium der rechtsethischen und psycholo-

IV. Wahlfeststellung

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gischen Vergleichbarkeit erkennen. Über dieses Begrenzungskriterium dürfe sich nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht hinweggesetzt werden. Je nachdem, ob in den einschlägigen Konstellationen ein solcher Vergleich gegeben sei, gelange das Tatgericht zur (gesetzesalternativen) Verurteilung oder nicht. Im Ergebnis bestimme dann aber genau jenes Begrenzungskriterium über die Strafbarkeit i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG. Damit fülle der nach rein sachlich-rechtlichen Kriterien vorzunehmende Vergleich die funktionelle Lücke der in Frage stehenden Tatbestände. Der Unterschied zu rein prozessualen Rechtsinstituten – wie etwa der Verjährung oder dem Erfordernis des Strafantrags – werde daran deutlich, dass sie schlicht eine andere Rechtsfolge hätten als die gesetzesalternative Verurteilung. Es werde nicht über Schuld- oder Freispruch entschieden. Vielmehr ließen die Verjährung und das Erfordernis des Strafantrags das Unrecht und die Schuld unberührt. Das Richterrecht setze damit die Voraussetzungen für einen Schuld- oder Freispruch. Dafür gelte aber Art. 103 Abs. 2 GG. Die von der Rechtsprechung angestellte rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit sei auch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot problematisch. Neben der Grob- und Unklarheit bleibe unklar, wie das Abgrenzungskriterium zu prüfen sei. Die allein auf Richterrecht basierende Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der gesetzesalternativen Verurteilung führe zu Rechtsunsicherheit, Rechtsunklarheit sowie ungerechten Ergebnissen. Den anzulegenden Maßstab festzuhalten, sei die Aufgabe des Gesetzgebers. Eine weitere durch die Rechtsprechung folgende Ausdifferenzierung der Vergleichbarkeit würde abermals dazu führen, dass die Rechtsprechung die Rolle des Gesetzgebers einnehme, was ihr aber verfassungsrechtlich untersagt sei. Zudem verletze die gesetzesalternative Verurteilung auch den Schuldgrundsatz in mehrfacher Hinsicht. Dieser durchziehe das gesamte Strafrecht einschließlich des Verfahrensrechts. Der Schuldgrundsatz verlange, dass nur derjenige verurteilt werden dürfe, dessen Schuld eindeutig nachgewiesen sei. Bis zum Zeitpunkt des eindeutigen Schuldnachweises gelte die Unschuldsvermutung. Diesen Grundsatz zu sichern, sei die Aufgabe des Strafprozesses. Auch hier sei es der Rechtsprechung verwehrt, Verfahrensregeln, die für die Feststellung der Schuld von zentraler Bedeutung sind, aufgrund von eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen zum Nachteil des Angeklagten abzuändern. Dies geschehe allerdings, wenn nicht mehr die sichere Überzeugung des Tatrichters vom Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale gefordert werde. Durch die Erweiterung der gesetzesalternativen Verurteilung auf die Fälle der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit werde der Zweifelssatz zunehmend ausgeschaltet. Letztlich würden ohne gesetzliche Grundlage die Beweisvoraussetzungen für eine grundsätzlich nur eindeutig mögliche strafrechtliche Verurteilung verändert. Eine solche Einschränkung durch bloßes Richterrecht sei unzulässig. Schlussendlich fordere der Schuldgrundsatz, dass die Strafandrohung stets in einem angemessenen Verhältnis zur konkreten Tat stehe. Setze das Gericht eine

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Einzelstrafe fest, so müsse damit auch sichergestellt sein, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu Unrecht und Schuld des Täters im Hinblick auf einen bestimmten Verhaltensnormverstoß stehe. Den abstrakten Rahmen für die Einzelstrafe abzustecken, sei die Aufgabe des Gesetzgebers. Um auf der Basis dieses Rahmens eine Strafzumessungsentscheidung zu treffen, müsse für das Strafgericht feststehen, welcher konkrete Verhaltensnormverstoß dem Angeklagten vorgeworfen werde. Dies sei in den Konstellationen der gesetzesalternativen Verurteilung allerdings nicht möglich. Vielmehr beruhe die Strafzumessung auf einer Fiktion, da nicht festgestellt werden könne, welche konkrete Tat der individuell Angeklagte begangen habe. Es bliebe bei der bloßen Behauptung, der Angeklagte habe jedenfalls die eine oder die andere Tat begangen. Letztlich blieben somit auch bei der von der Rechtsprechung angewandten Vorgehensweise Unklarheiten über die konkret angestellten Strafzumessungsüberlegungen. b) Die Auffassung der übrigen Strafsenate sowie des Großen Senats für Strafsachen561 Die übrigen Senate sowie auch der Große Senat teilten die Auffassung des 2. Senats nicht. Sie hielten die gesetzesalternative Verurteilung aufgrund folgender Argumente für weiterhin zulässig: Die ungleichartige Wahlfeststellung sei eine rein prozessuale Entscheidungsregel, sodass sie nicht an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen sei. Denn lägen die für die ungleichartige Wahlfeststellung anerkannten Voraussetzungen nicht vor, so sei der Angeklagte in allen anderen Fällen eines nicht sicher feststellbaren Sachverhalts nach dem Zweifelssatz freizusprechen, sofern ein Schuldspruch nicht trotz Tatsachenalternativität unzweifelhaft möglich sei. Demnach gebe das Rechtsinstitut dem Tatgericht lediglich vor, wie es nach Abschluss der Beweisaufnahme zu entscheiden habe. Sie sei damit – wie der Prozessgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ – dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Damit fehle es auch an einer strafbegründenden Wirkung. Die Verurteilung beruhe bei der ungleichartigen Wahlfeststellung nicht auf einer dritten, ungeschriebenen Norm, sondern auf einer der in Betracht kommenden Normen, die der Gesetzgeber geschaffen habe. Dies werde dadurch gewährleistet, dass in jeder möglichen Sachverhaltsvariante jeweils ein Straftatbestand vollständig verwirklicht sein müsse. Damit habe über Maß und Art der Strafbarkeit allein der Gesetzgeber entschieden. An der prozessualen Natur vermöge auch das Begrenzungskriterium der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit nichts zu ändern. Zum einen seien verfahrensrechtliche Institute oftmals von materiellen Gesichtspunkten geprägt, ohne dass sie dadurch ihre Rechtsnatur einbüßen würden. Zum anderen wirke das aufgestellte Kriterium mit Blick auf die im Grunde unbeschränkt zulässige un561 Zum Folgenden s. BGH GSSt 1/17 – Beschluss vom 8. Mai 2017; BGH 1 ARs 14/14 – Beschluss vom 24. Juni 2014; BGH 3 ARs 13/14 – Beschluss vom 30. September 2014; BGH 4 ARs 12/14 – Beschluss vom 11. September 2014; BGH 5 ARs 39/14 – Beschluss vom 16. Juli 2014.

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gleichartige Wahlfeststellung allein strafbeschränkend. Es diene lediglich dazu, Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Aufgrund ihres prozessualen Charakters unterliege die ungleichartige Wahlfeststellung damit allein den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der richterrechtlichen Rechtsfortbildung. Diese erfülle die ungleichartige Wahlfeststellung. Denn es sei anerkannt, dass unabweisbare Bedürfnisse einer ordnungsgemäßen Strafrechtspflege Ausgangspunkt der richterrechtlichen Rechtsfortbildung sein könnten. Ein solches Bedürfnis sei der Gedanke der Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit. Ein Freispruch sei in Konstellationen, in denen feststehe, dass ein strafloses Verhalten des Angeklagten ausscheide, mit den unverzichtbaren Geboten der Gerechtigkeit, die eine am Gleichheitssatz orientierte, dem Rechtsgüterschutz verpflichtete Ausgestaltung eines effektiven Strafverfahrens fordern, nicht in Einklang zu bringen. Zudem sei auch der Einwand, dass die ungleichartige Wahlfeststellung das Schuldprinzip verletze, nicht stichhaltig. Einer schuldunangemessenen Strafe werde durch die Anwendung des Zweifelssatzes in der Weise Rechnung getragen, dass die für den Angeklagten günstige Variante zugrunde gelegt wird und die mildeste in Betracht kommende Strafe zu verhängen sei. Es läge auch kein Verdachtsurteil vor, da der Angeklagte eben eine der alternativ in Betracht kommenden Straftaten begangen habe. Die mit der Aufzählung mehrerer Delikte in der Urteilsformel einhergehende Mehrbelastung sei denkbar gering und hinnehmbar. Ebenfalls mit dem Schuldprinzip zu vereinbaren sei die Strafzumessung in den Konstellationen der ungleichartigen Wahlfeststellung. Denn die Tatgerichte hätten die in Betracht kommenden Sachverhaltskonstellationen zu prüfen und jeweils eine Strafe zu bestimmen, wobei dann die geringere Strafe zu verhängen sei. Dass die Strafe in solchen Fällen hinter dem wahren Schuldumfang zurückbliebe, sei kein Spezifikum der gesetzesalternativen Verurteilung, sondern eine Konsequenz des Zweifelssatzes. Diese Tatsache sei bei nicht vollständiger Aufklärbarkeit schlicht hinzunehmen. Jedenfalls wäre ein Freispruch bei feststehender Strafbarkeit ganz offensichtlich noch weniger schuldangemessen. c) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts562 Auch das Bundesverfassungsgericht musste sich aufgrund einer Verfassungsbeschwerde mit der Thematik der Wahlfeststellung befassen. Für die notwendige Begründung griff der Beschwerdeführer größtenteils auf die Ausführungen des Beschlusses des 2. Senats zurück. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht mangele. Die Ablehnung stützte es dabei im Wesentlichen auf die Argumentationsstruktur des Großen Senats für Strafsachen.

562

Zum Folgenden s. BVerfG Beschluss vom 05. Juli 2019 – 2 BvR 167/18.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Die Wahlfeststellung berühre keine der Garantien des Art. 103 Abs. 2 GG. Eine strafbegründende Wirkung gehe von der ungleichartigen Wahlfeststellung nicht aus. Das Rechtsinstitut käme nur in einer ganz bestimmten Situation zur Anwendung und lege lediglich fest, welche Rechtsfolgen bei bestehenden Zweifeln – trotz abgeschlossener Beweiswürdigung – zu ziehen seien. Die Wahlfeststellung bestimme damit nur, wie das Tatgericht bei subsumtionsrelevanten Tatsachenzweifeln die Verurteilung auszusprechen habe. Die ungleichartige Wahlfeststellung sei somit eine dem Strafverfahrensrecht zuzuordnende Entscheidungsregel. Sie diene nicht dazu, materiell rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen. Die Verurteilung beruhe auch nicht auf einer „dritten Norm“, da der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts entweder den einen oder den anderen Straftatbestand sicher erfüllt habe. Durch den disjunktiv gefassten Schuldspruch käme dies hinreichend zum Ausdruck. Das Kriterium der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit übernehme dabei lediglich die Aufgabe, eine unverhältnismäßige Belastung des Angeklagten zu verhindern. Auch die anzustellenden Strafzumessungsüberlegungen hielten sich im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen. Das Tatgericht habe jeweils eine Strafe derart zu bilden, als stünde eindeutig fest, welche Straftat begangen wurde, sodass das Tatgericht Art und Maß der Bestrafung einer gesetzlich normierten Strafnorm entnehme. Die zu verhängende Strafe entspringe damit dem Gesetz, das in dem konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulasse. So würde gleichzeitig gewährleistet werden, dass die tatsächliche Schuld nicht überschritten und der Schuldgrundsatz eingehalten werde. Zudem sei auch die Unschuldsvermutung nicht in unzulässiger Weise verkürzt. Um eine strafrechtliche Reaktion mit der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie dem Rechtsstaatsprinzip in Einklang bringen zu können, bedürfe es stets einer individuellen Vorwerfbarkeit. Das Gericht müsse Tatsachen feststellen, die die Erfüllung des Straftatbestandes sowie den Schuldvorwurf begründen. Solange dies nicht der Fall sei, gelte die Unschuldsvermutung. Diese sei danach die selbstverständliche Folge eines nach Inhalt und Grenzen durch das Gebot der Achtung der Menschenwürde bestimmten auf dem Schuldgrundsatz aufbauenden materiellen Strafrechts. In den Konstellationen der Wahlfeststellung könne dem Angeklagten eine konkrete, schuldhaft begangene Tat zwar nicht nachgewiesen werden, allerdings stehe es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte eine der alternativen Straftaten begangen habe. Jedenfalls in Fällen, in denen ein vergleichbarer Unrechts- und Schuldgehalt zu erkennen sei, fordere die Unschuldsvermutung keinen Freispruch. Denn ein solcher – trotz unzweifelhaft strafbaren Verhaltens – stünde im Widerspruch zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Der Staat sein von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten. Dies beinhalte auch, dass sichergestellt sein müsse, dass Straftäter im Rahmen der Gesetzte verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Strafe zugeführt werden würden. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und die damit einhergehenden Grundsätze würden einen staatlichen Strafausspruch auch dann rechtfertigen, wenn Zweifel hinsichtlich des Tatgeschehens verbleiben, gleichzeitig aber ein strafloses Verhalten des Angeklagten sicher ausscheidet. Aus denselben Gründen (materielle Gerechtigkeit) halte sich die ungleichartige Wahlfeststellung im

IV. Wahlfeststellung

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Rahmen der zulässigen richterrechtlichen Rechtsfortbildung. Schlussendlich sei auch die Kompetenz des Gesetzgebers nicht verletzt. Die Aufhebung des § 2b RStGB habe nicht zur Folge gehabt, dass die Wahlfeststellung von den Gerichten als unzulässig angesehen wurde. Vielmehr sei es nach wie vor die Aufgabe der Rechtsprechung gewesen, die Grenzen der Wahlfeststellung festzulegen. Eine gesetzliche Regelung sei, obwohl die Problematik der Wahlfeststellung bekannt gewesen sei, nicht gefordert worden. Aufgrund der fehlenden normierten Grenzen könne zudem nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber seine zumindest konkludent erteilte Billigung zurückgenommen habe. 4. Stellungnahme Ebenso konträre Ansichten, wie sie innerhalb der verschiedenen Senate des Bundesgerichtshofes zu finden sind, sind auch in der Literatur anzutreffen. Auch hier reicht das Spektrum von der Zulässigkeit der echten Wahlfeststellung563 über ein Konzept der „praktischen Konkordanz“564 bis hin zur generellen Unzulässigkeit der gesetzesalternativen Verurteilung. a) Zur Verfassungswidrigkeit der Wahlfeststellung aa) Straftheoretische Probleme Um das oben angesprochene Spannungsverhältnis aufzulösen, befürworten einige Autoren den Weg über eine vermittelnde Lösung. Dazu ist anzumerken, dass vermittelnde Lösungsansätze im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG äußerst problematisch sind, da mit einem vermittelnden Ansatz565 von Natur aus Einbußen auf der einen wie auch auf der anderen Seite einhergehen. Bezogen auf die echte Wahlfeststellung hieße dies, Zugeständnisse auf Seiten der formellen und materiellen Legitimation von Strafe sowie Zugeständnisse auf Seiten der Einzelfallgerechtigkeit machen zu müssen. Trotz des Verfassungsrangs, den die materielle Gerechtigkeit über das Rechtsstaatsprinzip erlangt566, ist einer möglichen Abwägung zwischen der Einzelfallgerechtigkeit und dem Gesetzlichkeitsgrundsatz entschieden entgegenzutreten. Schon an anderer Stelle wurde dargelegt, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes durch die Schaffung von Art. 103 Abs. 2 GG bereits ein verbindliches Urteil bezüglich des Verhältnisses von Einzelfallgerechtigkeit und strikter formeller Gesetzlichkeit gefällt haben. Genauso wenig, wie es in anderen Konstellationen – man denke an den Fall des Forstdiebstahls mittels bespannten Fuhrwerks – die 563

Sich für die Zulässigkeit aussprechend etwa Stuckenberg, ZIS 2014, 460 ff.; ders., JZ 2015, 714; ders., in: KMR-StPO, § 261 Rn. 136 ff.; ders., JA 2001, 221; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 13 ff.; Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 12. 564 Hecker, in; Schönke/Schröder, § 1 Rn. 67 565 Als solchen bezeichnet Hecker, in; Schönke/Schröder, § 1 Rn. 67 seinen Lösungsweg. 566 S. dazu etwa BVerfGE 7, 89, 92; 74, 129, 152.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Aufgabe der Gerichte ist, den fragmentarischen Charakter des Strafgesetzbuches zu beheben, ist sie es auch nicht in Bezug auf die echte Wahlfeststellung. Jegliche Einschränkungen des Art. 103 Abs. 2 GG müssen demnach ausscheiden, anderenfalls würde man die eindeutige Wertentscheidung missachten, die sich aus dem Gesetzlichkeitsgrundsatz entnehmen lässt.567/568 Völlig zutreffend ist demnach auch die Feststellung, dass die echte Wahlfeststellung unhaltbar verfassungswidrig ist, soweit der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG tangiert ist.569 Sicherlich ist durch diese Erkenntnis noch nicht allzu viel gewonnen. Schließlich ist es gerade die entscheidende Frage, ob durch die echte Wahlfeststellung der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG beeinträchtigt ist. Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst die Überlegungen Fristers570 weiterführend, der in der Zulässigkeit der gesetzesalternativen Verurteilung ein straftheoretisches Problem sieht. Er stellt zutreffend fest: Die Frage der Verfassungskonformität der echten Wahlfeststellung hängt davon ab, ob man für die materielle Legitimation von Strafe die Feststellung irgendeines strafbaren Verhaltens fordert oder ob das strafbare Verhalten konkret benennbar sein muss.571 Legt man diese Überlegungen als Ausgangspunkt der Diskussion zu Grunde, so scheidet eine gesetzesalternative Verurteilung nach dem hier vertretenen Konzept in jedem Fall aus. Denn der Täter stellt durch sein Verhalten nicht die Geltung irgendeiner Verhaltensnorm in Frage, sondern er annulliert für sich die Geltung genau der Verhaltensnorm, die er auch übertreten hat. So liegt etwa in der Missachtung des Diebstahlsverbots nicht zugleich die Missachtung des Hehlereiverbots. Erkennt man die Normstabilisierung als Strafzweck an, so kann sich die Reaktion des Staates nur darauf belaufen, den Täter für genau die Straftat schuldig zu sprechen, welche er auch begangen hat.572 Der Stabilisierung irgendeiner anderen Norm bedarf es nicht; sie ist im Hinblick auf das Verhalten des Delinquenten schlicht unnötig. Um die Geltung der übertretenen Verhaltensnorm (bzw. ihre Wertungsgrundlagen) in geeigneter Weise und verfassungskonform abzusichern, bedarf es demnach zuallererst und unverzichtbar eines eindeutigen Schuldspruchs.573 Der Schuldspruch beinhaltet die gesellschaftliche Antwort auf das Fehlverhalten der betreffenden Person. Allein 567 S. dazu Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 76 sowie die übrigen in Fn. 326 genannten Autoren. 568 Auch wenn das Abwägungsergebnis wohl in der Regel mit dem Ergebnis der herrschenden Meinung übereinstimmt und die Abwägungskriterien damit wohl durch die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit mit Inhalt gefüllt werden, so ist aber jedenfalls die juristische Vorgehensweise mit dem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen. Zum umgekehrten Fall, in dem die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit durch die materielle Gerechtigkeit angereichert wird, s. Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 1 Rn. 90; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 64. 569 Stuckenberg, ZIS 2014, 460, 468; ders., in: KMR-StPO, § 261 Rn. 149. 570 Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 76 ff. 571 Ähnlich Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 17. 572 So auch Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 89 f. 573 Auf dieser Linie liegt auch der 2. Senat des Bundesgerichtshofs.

IV. Wahlfeststellung

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dadurch wird dem Delinquenten aufgezeigt, dass die Gesellschaft sein Verhalten nicht akzeptiert und weiterhin an der übertretenen Verhaltensnorm bzw. ihren Wertungsgrundlagen festhält. Ein alternativ gefasster Schuldspruch kann die gesellschaftliche Antwort nicht in der erforderlichen Weise wiedergeben.574 Denn er mag zwar bezüglich des tatsächlich Feststellbaren zutreffend sein, allerdings spiegelt ein alternativer Schuldspruch nicht die gesellschaftliche Antwort wider, der es bedurft hätte. Mit dem Verstoß gegen eine strafbewehrte Verhaltensnorm geht kein Angriff auf eine weitere Verhaltensnorm oder gar die ganze Rechtsordnung einher. Dementsprechend bezieht sich auch das gesellschaftliche Stabilisierungs- bzw. Restitutionsbedürfnis ausschließlich auf die infrage gestellte Verhaltensnorm bzw. ihre Wertungsgrundlagen. Nichts anderes gilt damit aber auch für den Schuldspruch, der dem gesellschaftlichen Stabilisierungs- bzw. Restitutionsbedürfnis Ausdruck verleiht. Ein alternativer Schuldspruch hätte zur Folge, dass der Staat dem Betreffenden eine Antwort (Schuldspruch) auf eine Frage (Verhaltensnormverstoß) gibt, die so überhaupt nicht gestellt wurde. Mit anderen Worten würde das hoheitliche Handeln seinen Zweck mangels feststellbaren Verhaltensnormverstoßes in jedem Fall verfehlen und sich somit auch jeglicher Legitimität entleeren. Was in den Fällen der gesetzesalternativen Verurteilung verbleibt, ist ein bloßer Verdacht, die eine oder die andere Straftat begangen zu haben. Sicherlich verhärtet sich dieser Verdacht durch die exklusive Alternativität extrem. Auch mag damit feststehen, dass sich der Betreffende jedenfalls irgendwie strafrechtlich relevant verhalten hat. Im entscheidenden Punkt, nämlich im Hinblick auf die beiden voneinander losgelöst zu betrachtenden Verhaltensnormverstöße, verbleibt es aber eben dennoch bei einem Verdacht. Glücklicherweise ist außerhalb der Diskussion um die gesetzesalternative Verurteilung anerkannt, dass ein – wenn auch sehr dringender – Tatverdacht einen Schuldspruch nicht legitimieren kann. Für eine Abweichung in den Fällen der gesetzesalternativen Verurteilung besteht indes kein Grund. Ein solches „Verdachtsurteil“ würde dazu führen, dass dem Betreffenden nicht mehr vorgeworfen wird, eine bestimmte Straftat begangen zu haben. Vielmehr bezieht sich der Vorwurf ausschließlich auf die Person des Täters, ihn eben als einen solchen darzustellen. Im Ergebnis wird die Person des Betreffenden in den Fällen der gesetzesalternativen Verurteilung in einer den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht entsprechenden Weise zur Normstabilisierung verwendet. Der Staat nutzt das Verhalten des Täters aus, um eine Normstabilisierung zu erreichen, für die der Betreffende möglicherweise überhaupt nicht ursächlich geworden ist.575 Dies ist eine Vorgehensweise, die mit dem Verständnis einer freiheitlichen Grundordnung nicht in Einklang zu bringen ist.

574

Freund/Rostalski, JZ 2015, 164, 165; Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 89 f. Krit. Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 17, 19; Stuckenberg, StV 2017, 815, 817; ders., JZ 2015, 714, 715. 575 Freund/Rostalski, JZ 2015, 164, 165 f.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Freilich werden gegen das Gesagte vor allem zwei Einwände zu erwarten sein: Zum einen sei die Normstabilisierung auch durch einen alternativ gefassten Schuldspruch in gewisser Weise erreichbar, da er die tatsächlich übertretene Verhaltensnorm – von der man aber nicht weiß, welche es war (!) – aufgrund der sicher festgestellten exklusiven Alternativität in jedem Fall abdecke.576 Die gewünschte Wirkung trete zwar in einem geringeren Maße577 ein, letztlich sei eine geringere Stabilisierung aber besser als gar keine.578 Zum anderen könne auch nicht die Rede davon sein, dass der Betreffende zum Objekt staatlichen Handelns werde und damit eine Missachtung der freiheitlichen Grundordnung gegeben sei. Wiederum aufgrund der exklusiven Alternativität habe der Täter so oder so eine Strafe „verdient“.579 Ob die Freiheitsstrafe wegen eines Diebstahls oder einer Hehlerei erfolge, sei im Ergebnis irrelevant. Auf den ersten Blick scheinen diese Einwände stichhaltig zu sein. Bei genauerer Betrachtung ist ihnen allerdings zu widersprechen. Für das Gelingen einer Restitution ist es zwingend notwendig, dass das beschädigte Objekt bekannt ist. Fest steht aber nur, dass gegen eine der in Betracht kommenden Verhaltensnormen verstoßen wurde. Welche es in concreto war, bleibt unklar. Bildlich gesprochen sieht man sich zwei Brückenpfeilern gegenüberstehend, von denen einer instabil ist. Um diesen reparieren zu können, muss man allerdings darüber in Kenntnis sein, welcher nun tatsächlich instabil ist. Lässt sich dies nicht herausfinden, so bleibt nur noch der Austausch beider Pfeiler, um die Stabilität wiederherzustellen. Mit einer Restitution hat das allerdings nichts mehr zu tun. Vor einer ganz ähnlichen Aufgabe steht nun auch das Strafgericht. Ohne zu wissen, auf welche Verhaltensnorm (bzw. ihre Wertungsgrundlagen) sich das Stabilisierungs- bzw. Restitutionsbedürfnis bezieht, kann es durch einen entsprechenden Schuldspruch auch keine restituierende Wirkung hervorrufen. Letztendlich führt ein alternativ gefasster Schuldspruch nicht zu dem gewünschten Ergebnis und das auch nicht in abgeschwächter Form. Im Hinblick auf die Zustimmungswürdigkeit der Argumentation der immerhin „verdienten“ Strafe ist zu sagen, dass es dafür sicherlich darauf ankommt, was man unter einer „verdienten“ Strafe versteht. Zu einer „verdienten Strafe“ gelangt man in den hier interessierenden Konstellationen allenfalls dann, wenn man ihr ein untechnisches und mit vermeintlichen Gerechtigkeitserwägungen aufgeladenes Verständnis zu Grunde legt. Ein solches Verständnis ist allerdings problematisch. Denn die Beantwortung der Frage nach einer „verdienten Strafe“ richtet sich in einem Rechtsstaat ausschließlich nach rechtlichen Kriterien. Dazu gehört, dass der Inhalt des erhobenen Vorwurfs klar und eindeutig benannt ist und im Schuldspruch zum 576 In diese Richtung geht wohl die Argumentation von Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 17; Wolter, in: SK-StGB, Anh. zu § 55 Rn. 22 und 42 ff.; Wolter, GA 2013, 271, 277; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 18 ff. 577 Zur Wirkung eines alternativ gefassten Schuldspruchs s. etwa RGSt 68, 257, 261. 578 Wolter, GA 2013, 271, 277; Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 18 ff.; ähnlich Stuckenberg, in: KMR-StPO, § 261 Rn. 150. 579 Stuckenberg, JZ 2015, 714, 715.

IV. Wahlfeststellung

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Ausdruck kommt. Der Betreffende hätte eine Strafe damit – rein rechtlich gesehen – wiederum nur „verdient“, wenn man wüsste, was er tatsächlich verbrochen hat. Da es aber an einem konkreten Tatvorwurf fehlt, hat er auch nichts verdient, was den Namen „Strafe“ zu Recht trägt. Dafür kommt es nicht darauf an, ob man den strafenden Eingriff schon in der Herabwürdigung des Personenstatus oder erst in der Entziehung der Freiheit sieht. Wie konkret der Tatvorwurf ausgestaltet sein muss, ergibt sich wiederum aus Art. 103 Abs. 2 GG.580 Dort ist die Rede von einer Tat, die nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Schon der Wortlaut macht deutlich, dass Art. 103 Abs. 2 GG einen konkreten – d. h. auf einen Verhaltensnormverstoß bezogenen – Tatvorwurf fordert.581 Die Feststellung eines solchen gelingt im Fall der gesetzesalternativen Verurteilung allerdings nicht. Dadurch geht der in Art. 103 Abs. 2 GG eindeutig festgelegte Bezug zur Tat verloren. Der Betreffende wird in den hier interessierenden Fällen nicht verurteilt, weil er die sachlichen Voraussetzungen eines Strafgesetzes erfüllt hat – das lässt sich schließlich nicht nachweisen –, sondern weil der Betreffende immerhin irgendeine Tat begangen hat. Im Vordergrund steht damit erneut die Person des Täters. Das von Art. 103 Abs. 2 GG geforderte tatbezogene Strafrecht ist bei einer gesetzesalternativen Verurteilung nicht mehr gewährleistet. Im Ergebnis macht es – gemessen an Art. 103 Abs. 2 GG – damit auch keinen Unterschied, ob der Delinquent aufgrund des Generaldelikts des Rechtsbruchs582 oder unter Einhaltung der Voraussetzungen der Wahlfeststellung gesetzesalternativ verurteilt wird.583 Die Tat kann dem Angeklagten in dem einen wie auch dem anderen Fall nicht nachgewiesen werden. Von dem soeben thematisierten straftheoretischen Aspekt vollkommen unabhängig ist die Frage, ob der Betreffende bereits durch den Schuldspruch einen Eingriff in seine Grundrechte erleidet oder dieser erst durch das später folgende Strafübel hervorgerufen wird.584 Einigkeit dürfte zunächst darüber bestehen, dass einem jeden ein verdienter Achtungsanspruch sowie das Recht des Ehrschutzes zukommt. Diese Rechte sind nicht nur verfassungsrechtlich verankert, sondern auch einfachgesetzlich in den §§ 185 ff. StGB festgehalten. Davon umfasst sind durchaus auch Verhaltensweisen, die die Bezichtigung eines anderen, er habe eine Straftat begangen, zum Inhalt haben. Wenn aber schon die Bezichtigung der Straftatbegehung durch eine natürliche Person zu einer Verletzung der Ehre führen kann, so muss dies erst recht für den Staat gelten. Nicht nur fehlt es dem Staat – im Gegensatz zu seinen Bürgern – an der Berechtigung, ohne Legitimation handeln zu dürfen, sondern bei dem hier relevanten staatlichen Verhalten geht es um mehr als eine bloße Be580

Dazu und zum Folgenden Freund, FS Wolter, S. 35, 53 f. Krit. dazu etwa Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 15 f., 18. 582 Jakobs, GA 1971, 257, 269. 583 A. A. Stuckenberg, JZ 2015, 714, 715. 584 Zu dieser selbstständigen Problematik s. auch Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 81 mit Fn. 239. 581

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zichtigung. Die Strafgerichte stellen fest, dass die Straftat tatsächlich begangen wurde. Nach der Verkündung des Schuldspruchs ist die betreffende Person eine Schuldiggesprochene. Diesen staatlichen Vorwurf und die damit einhergehende Verletzung der Ehre muss sie sich aber natürlich nur gefallen lassen, wenn der Vorwurf berechtigt585 ist und eine Ermächtigungsgrundlage für das staatliche Handeln existiert. Dass bereits der Schuldspruch zu einer Rechtsstatusminderung und damit zu einem Eingriff in rechtlich relevante Rechtsgüter führt, lässt sich normativ586 also durchaus begründen.587 bb) Zur Relevanz der fehlenden Ermächtigungsgrundlage Trotz der hitzigen Diskussion um die ungleichartige Wahlfeststellung und trotz der Vielzahl an Argumenten, die im Rahmen dieser Diskussion eine Rolle spielen, dürfte doch eines unbestritten sein: Sowohl der Schuldspruch als auch die sich anschließenden weiteren Sanktionen stellen stets einen empfindlichen Eingriff in die Grundrechte des Verurteilten dar. Für einen solchen Eingriff bedarf es im rechtsstaatlichen Gefüge einer Ermächtigungsgrundlage, die vom Gesetzgeber geschaffen wurde und die die Strafgerichte bei Erfüllung der in ihr normierten Voraussetzungen zum Handeln legitimiert. Dies fordert nicht nur das Rechtsstaatsprinzip, sondern nach dem hier vertretenen Konzept auch in erster Linie Art. 103 Abs. 2 GG. Ob tatsächlich eine Ermächtigungsgrundlage im Strafgesetzbuch oder an anderer Stelle existiert, die die Strafgerichte im Fall der (ungleichartigen) Wahlfeststellung zum Handeln legitimiert, dürfte damit – unabhängig davon, welches strafrechtliche Konzept man zu Grunde legt – der entscheidende Punkt sein, um die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit beantworten zu können. Die Benennung einer konkreten Ermächtigungsgrundlage ist – soweit ersichtlich – bislang noch nicht erfolgt. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage im Strafgesetzbuch und auch sonst schlicht nicht existiert.588 Oftmals begnügt man sich damit, dass der Verurteilte das eine oder andere Strafgesetz sicher erfüllt habe, sodass das staatliche Handeln – um bei dem klassischen Fall zu bleiben – alternativ auf § 242 StGB bzw. § 259 StGB gestützt werden könne, welche jeweils für sich mit

585

Zur Berechtigung s. die vorgegangene Argumentation. Argumentiert man rein faktisch, so reicht in gewissen Fällen im Grunde schon die Einleitung eines Strafverfahrens aus, um teils tiefgreifende Grundrechtseinschränkungen feststellen zu können. Man denke hier nur beispielhaft an den Fall von Jörg Kachelmann. S. dazu Friedrichsen, ZRP 2011, 246 ff.; Jung, JZ 2012, 303 ff.; BVerfG, Beschluss vom 10. 03. 2016 – 1 BvR 2844/13; Sachs, NVwZ 2016, 763 ff.; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 28. 09. 2016 – 18 U 5/14. 587 Freund/Rostalski, JZ 2015, 164, 165; dies., JZ 2015, 716, 717. Zurückhaltender Stuckenberg, JZ 2015, 714, 715; Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 25, der einen symbolhaften Tadel des Schuldspruchs annimmt. 588 Gaede, in: AnwK-StGB, § 1 Rn. 52. 586

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Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang stehen.589 Die darauf gestützte Verurteilung sei in Kombination mit der exklusiven Alternativität die rein logische Konsequenz auf das Verhalten des Täters.590 Allerdings ändert auch diese Logik nichts daran, dass die Voraussetzungen der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage nicht vollständig erfüllt sind. Steht nicht sicher fest, dass der Betreffende gegen das Verbot der Hehlerei verstoßen hat, so lässt sich der mit dem Urteil verbundene Eingriff nicht mit § 259 StGB legitimieren. Ebenso wenig kann § 242 StGB als Ermächtigungsgrundlage dienen, wenn nicht sicher beweisbar ist, dass gegen das Diebstahlsverbot verstoßen wurde. Ein bloßer Verdacht reicht nicht aus, um eine Verurteilung zu legitimieren.591 Wieso aber nun eine Kombination zweier unvollständig erfüllter Tatbestände zu einer vollständigen Verwirklichung eines im Strafgesetzbuch normierten Straftatbestandes führen soll, bleibt weiterhin ungeklärt. Auch hier ist nicht entscheidend, dass der Betreffende sicher feststellbar ein Verhalten vollzogen hat, welches an irgendeiner Stelle im Strafgesetzbuch mit Strafe bedroht ist. Sicherlich hat der Betreffende durch den Diebstahl oder die Hehlerei eine verbotene und sogar strafbewehrte Handlung ausgeführt, sodass vordergründig betrachtet eine Bestrafung vielen tatsächlich logisch und vor allem gerecht erscheint. Indes reicht der bloße Vorwurf, gegen irgendeine Verhaltensnorm verstoßen zu haben, natürlich nicht aus, um die Rechtsfolgen einer Strafvorschrift auszulösen, soweit es sich eben nicht beweisen lässt, dass es sich um genau jene Verhaltensnorm handelt, die von der entsprechenden Strafvorschrift abgesichert wird. Auch die exklusive Alternativität ändert nichts an dem Umstand, dass weder die Anwendungsvoraussetzungen der einen noch der anderen Ermächtigungsgrundlage erfüllt sind. Dasselbe gilt selbstverständlich für einen sicher festgestellten Rumpftatbestand, einen gemeinsamen Unrechtskern oder eine wie auch immer geartete Gleichwertigkeit. Die tatrelevanten Anwendungsvoraussetzungen sind in den allermeisten Strafgesetzen klar und eindeutig definiert. Zieht man erneut § 242 bzw. § 259 StGB als Beispiel heran, so wird ein Verhalten gefordert, welches als Diebstahls- bzw. als Hehlereiverhalten zu qualifizieren ist. Abstrakt gesehen ist damit sicherlich sowohl das Diebstahlsverbot als auch das Hehlereiverbot strafbewehrt. Daraus folgt aber nicht, dass es für die Anwendung von § 242 bzw. § 259 StGB irrelevant wäre, gegen welches der beiden Verbote konkret verstoßen wurde. Ihrem Wortlaut nach sind eindeutig weder die Voraussetzungen des einen noch des anderen Strafgesetzes erfüllt. Daran vermag auch die – unter anderem beim Bundesgerichtshof592 zu findende – Aussage, der Angeklagte werde wegen des Verstoßes gegen einen der in der Urteilsformel angeführten und mit dem Junktor „oder“ verknüpften gesetzlich be-

589 I. d. S. wohl Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 469; Schuhr, NStZ 2014, 437, 438 f.; Wolter, in: SK-StGB, Anh. zu § 55 Rn. 12; Mehl, Verschleifungsverbot, S. 256 ff. 590 Eingehend Schuhr, NStZ 2014, 437, 438 f.; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 35e. 591 Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 89. 592 BGH NStZ-RR 2015, 40, 41.

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stimmten Einzelstraftatbestände bestraft, nichts zu ändern.593 Denn auch einen solchen disjunktiv bzw. alternativ gefassten Schuldspruch ermöglichen die Ermächtigungsgrundlagen ihrem Wortlaut nach nicht. Die Strafgesetze sind darauf nicht ausgelegt.594 Wenn aber unstrittig ist, dass auch mit dem alternativen Schuldspruch bzw. den sich anschließenden weiteren Sanktionen ein Eingriff einhergeht, dann bedarf es natürlich auch für diese Form des staatlichen Handelns einer Ermächtigungsgrundlage.595 Schon die fehlende Ermächtigungsgrundlage führt dazu, dass die gesetzesalternative Verurteilung verfassungsrechtlich nicht haltbar ist und zwar auch dann, wenn man die Notwendigkeit eines eindeutigen Schuldspruchs als Postulat ansieht bzw. in der Argumentation einen Zirkelschluss erblickt.596 Im Ergebnis muss es dabei bleiben – gleich wie man es dreht und wendet –, dass die Voraussetzungen der entsprechenden Ermächtigungsgrundlage – nimmt man ihren Wortlaut ernst – nicht erfüllt sind.597 Solange man dem Angeklagten weder nachweisen kann, dass er eine fremde bewegliche Sache weggenommen hat, noch dass er sich von einem anderen eine durch eine rechtswidrige Tat erlangte Sache verschafft hat, muss eine Bestrafung ausbleiben. b) Praktische Probleme? Vereinzelt wird befürchtet, dass durch die Ablehnung der (echten) Wahlfeststellung Probleme in der praktischen Handhabung entstehen könnten. Denn sie würde voraussetzen, dass klar sei, was noch „derselbe“ Tatbestand ist (dann sei die Wahlfeststellung zulässig) und was als anderer Tatbestand anzusehen ist.598 Indes stellen sich genau solche Probleme nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht. Vielmehr entfällt zudem noch das unscharfe Kriterium der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit. Welche Konstellationen, in denen alternative Verhaltensweisen von Bedeutung sind, noch zu einer legitimen Verurteilung führen können, ist durch das Kriterium des Verhaltensnormverstoßes und durch den Wortlaut des jeweiligen Strafgesetzes klar definiert. Dabei kommt es auch etwa nicht darauf an, ob es sich um eine Alternativität zwischen zwei Strafgesetzen handelt oder sich die Alternativität auf zwei verschiedene Tatbestandsverwirklichungsformen innerhalb eines Strafgesetzes bezieht. Entscheidend ist allein die Feststellung eines konkreten Verhaltensnormverstoßes sowie die Wahrung der Wortlautgrenze. 593 Ähnlich BVerfG Beschluss vom 05. Juli 2019 – 2 BvR 167/18. Dazu auch Wolter, SKStGB, Anh. zu § 55 Rn. 12. 594 Freund, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 59 Rn. 3; ders., FS Wolter, S. 35, 49. 595 Diesem Aspekt wird in der Diskussion nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Oftmals steht die mögliche Mehrbelastung im Vordergrund der Ausführungen. S. dazu BGH NStZ 2015, 40, 41; BGHSt 62, 164, 172; Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 25. 596 Zu einer Argumentation i. S. eines Postulats bzw. Zirkelschlusses Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 17; Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 470; ders., StV 2017, 815, 817. 597 Ähnlich Gaede, in: AnwK-StGB, § 1 Rn. 52. 598 Dannecker/Schuhr, in: LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 18b.

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aa) Konstellationen, in denen eine eindeutige Verurteilung möglich ist Unproblematisch möglich ist eine Verurteilung zunächst bei reiner Tatsachenungewissheit, sofern nicht eindeutig feststellbar ist, ob der Täter die speziellere oder die allgemeinere Tatbestandsverwirklichungsform erfüllt hat.599 Lässt sich etwa nicht beweisen, ob eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug benutzt wurde, steht aber fest, dass jedenfalls das eine oder das andere Tatmittel verwendet wurde, so kann nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt werden. Der Täter hat hier in jedem Fall gegen eine Verhaltensnorm verstoßen, die von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB abgesichert wird. Auch ist die Wortlautgrenze gewahrt, da mit Sicherheit zumindest die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs beweisbar ist. Ebenso unproblematisch möglich ist eine auf § 259 StGB gestützte Verurteilung, sofern nicht klar ist, ob der Hehler die Sache angekauft hat oder sich anderweitig verschafft hat. Ein weiteres Beispiel bildet etwa die Verurteilung wegen Mordes, wenn sich eine Alternativität zwischen der Verdeckungsabsicht und den sonstigen niedrigen Beweggründen ergibt.600 Das Gesagte gilt demnach für alle Tatbestände, in denen der Gesetzgeber eine spezielle und eine allgemeine Verwirklichungsform normiert hat. Im Hinblick auf die Strafzumessung ist in solchen Konstellationen zu beachten, dass die nur möglicherweise erfüllte – speziellere – Tatbestandsverwirklichungsform für die Bildung des Strafmaßes außer Acht gelassen wird.601 Um den Gesetzlichkeitsgrundsatz zu wahren, darf natürlich auch hierbei nur der Geschehensablauf zu Grunde gelegt werden, der tatsächlich bewiesen werden kann. Nicht berücksichtigt werden dürfen somit die erhöhte Gefährlichkeit der Waffe bzw. das stereotypische Verhalten des Ankaufs. Mit Blick auf den Beispielfall des Mordes stellen sich derartige Probleme natürlich nicht.602 Ganz ähnlich verhält es sich in den Fällen der sog. konkurrenzrechtlichen Prä- und Postpendenzfeststellung.603 Wirkt sich das zeitlich vor- oder nachgelagerte Verhalten, welches nicht nachweisbar ist, lediglich konkurrenzrechtlich aus, so ändert dieser Umstand nichts an dem sicher festgestellten Verhaltensnormverstoß des an-

599 Dazu Freund, FS Wolter, 35, 44 ff.; Velten, in: SK-StPO, § 261 Rn. 105; Frister, in: NKStGB, Nach § 2 Rn. 84 ff. 600 Zutreffend insoweit BGH 4 StR 498/11 – Urteil vom 8. März 2012. A. A. Bosch/ Schindler, Jura 2000, 77, 84; Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 12, der eine Vergleichbarkeit im Rahmen der Wahlfeststellung ablehnt, da die jeweiligen Strafgründe unterschiedlich seien. 601 S. dazu Freund, FS Wolter, 35, 44 f.; Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 10; Noak, Jura 2004, 539, 541; Ceffinato, Jura 2014,655, 659. 602 Mit Hinweis auf die dennoch bestehende Relevanz im Hinblick auf die etwa mögliche besondere Schwere der Schuld Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 12. 603 OLG Hamm NJW 1974, 1957, 1958; Günther, JZ 1976, 665, 666; Schröder, JZ 1971, 141, 142; Eser, in: Schönke/Schröder, 27. Auflage, § 1 Rn. 98; Velten, SK-StPO, § 261 Rn. 118; Gaede, in: AnwK-StGB, § 1 Rn. 47.

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sonsten etwa subsidiären Delikts.604 Wird mit Sicherheit ein Verstoß gegen die allgemeine Hilfspflicht festgestellt, bleibt aber gleichzeitig zweifelhaft, ob der Angeklagte auch für die Herbeiführung des Unglücksfalls verantwortlich ist, kann unproblematisch wegen der Erfüllung von § 323c Abs. 1 StGB schuldig gesprochen werden.605 Der Grund dafür liegt nicht in einer etwaigen fehlenden exklusiven Alternativität606, sondern darin, dass der Verstoß gegen die allgemeine Hilfspflicht das einzige sicher feststellbare Fehlverhalten ist, welches auch mit dem Wortlaut des jeweiligen Strafgesetzes in Einklang steht. Im Grunde unstrittig ist ferner die Möglichkeit einer eindeutigen Verurteilung auf der Basis einer wahldeutigen Tatsachengrundlage.607 Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn der Beschuldigte zwei Aussagen getätigt hat, die sich widersprechen und dadurch eine von ihnen mit Sicherheit falsch i. S. d. § 153 StGB ist. Dasselbe gilt für eine Verurteilung im Hinblick auf eine vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung, wenn nicht feststeht, welcher von mehreren Sexualkontakten zur HIV-Infektion des Opfers geführt hat. In all diesen Fällen lässt sich ein konkreter Verhaltensnormverstoß festmachen, der mit gegebenenfalls weiteren Voraussetzungen, die Anwendung der Ermächtigungsgrundlage für Schuldspruch und weitergehende Sanktionierung eröffnet. bb) Konstellationen, in denen eine eindeutige Verurteilung nicht möglich ist Die Sachlage ändert sich, wenn es sich nicht beweisen lässt, welche konkrete Variante des Qualifikationstatbestands vom Täter erfüllt wurde. Zutreffend ist damit auch die Annahme, dass nicht aus § 224 StGB bestraft werden darf, wenn nicht sicher feststeht, ob der Täter ein gefährliches Werkzeug verwendet oder mittels eines hinterlistigen Überfalls gehandelt hat.608 Sicherlich erscheint auch dieses Ergebnis auf den ersten Blick unbefriedigend, hat doch der Täter jedenfalls den materiellen Unwertgehalt der qualifizierten Körperverletzung verwirklicht. Dennoch muss eine Bestrafung aus § 224 Abs. 1 StGB ausscheiden, da – gemessen am Wortlaut des § 224 Abs. 1 StGB – kein beweisbarer Qualifikationstatbestand erfüllt ist.609 Die Anwendungsvoraussetzungen der Strafgesetze sind damit, obwohl es sich um eine

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Zum Verhältnis zwischen Sicherungsbetrug und Untreue BGH 5 StR 344/08 – Beschluss vom 13. November 2008. Ähnlich auch BGH, 11. 01. 1955 – 5 StR 468/54. 605 Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 45; Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 48. 606 I. d. S. Eser, in: Schönke/Schröder, 27. Auflage, § 1 Rn. 98. 607 Zu möglichen Bedenken im Hinblick auf diese Fallkonstellationen s. Schmitz, in: MüKoStGB, Anh. zu § 1 Rn. 8. 608 S. zu diesem Beispiel Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 469, der das hier für richtig befundene Ergebnis jedoch als Argument für die Zulässigkeit der Wahlfeststellung anführt. 609 Zu einem anderen Ergebnis kann man gelangen, wenn man die Konjunktion „oder“ auch auf die verschiedenen Varianten des Tatbestandes bezieht. S. dazu Freund, FS Wolter, 35, 47.

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Konstellation handelt, in der die verschiedenen Verhaltensweisen denselben Tatbestand verwirklichen würden, nicht erfüllt. Einen weiteren Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes begründet auch eine Verurteilung auf der Basis einer tatbestandlichen Prä- oder Postpendenzfeststellung.610 Der Wortlaut gibt im Fall der Hehlerei eindeutig vor, dass die Hehlerware von einem „anderen“ erlangt worden sein muss. Kann nun aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Gegenstand der Hehlerei bereits durch einen mittäterschaftlichen Beitrag am Betrug „erlangt“ wurde, so sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Hehlerei nicht erfüllt. Ein dennoch auf § 259 StGB gestütztes Urteil widerspricht dem Wortlaut bzw. basiert es auf einer Ermächtigungsgrundlage, die der Gesetzgeber so nicht geschaffen hat.611 Nichts anderes gilt für eine auf § 258 Abs. 1 StGB gestützte Verurteilung, wenn eine Selbstbegünstigung gem. § 258 Abs. 5 StGB nicht ausgeschlossen werden kann. Sofern die Möglichkeit verbleibt, dass die für den Haupttäter getätigte Falschaussage eigentlich zur Verdeckung der eventuell gegebenen eigenen Gehilfenstrafbarkeit gedacht war, muss eine Bestrafung ausbleiben, da die Strafbarkeitsausnahme aus § 258 Abs. 5 StGB eben möglicherweise vorliegt. Auch hier wird für den staatlichen Eingriff also eine Ermächtigungsgrundlage heranzogen, deren Anwendungsvoraussetzungen – nimmt man den Wortlaut ernst – überhaupt nicht erfüllt sind.612 Dass auch die echte Wahlfeststellung gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz verstößt und damit eine legitime Verurteilung nicht möglich ist, versteht sich nach dem bisher Gesagten von selbst. Es ließen sich an dieser Stelle noch weitere Fallbeispiele aufzeigen, in denen der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Wahlfeststellung gegen die hier aufgezeigten Prinzipien verstoßen hat. Gerade im Hinblick auf die Eindeutigkeit der zu beachtenden Kriterien bleibt weiterhin fraglich, wieso für die Fälle der gesetzesalternativen Verurteilung von dem selbstverständlichen Grundsatz, dass die jeweilige Ermächtigungsgrundlage auch erfüllt sein muss, bevor diese zur Anwendung kommt, abgewichen wird. c) Rettungsversuche Ausgangspunkt etwaiger Legitimationsüberlegungen613 kann im Grunde nur der als ungerecht empfundene Freispruch sein, soweit sicher feststeht, dass der Angeklagte eine der Taten tatsächlich begangen hat.614 Im Vordergrund steht somit die 610 Gaede, in: AnwK-StGB, § 1 Rn. 47; Freund, FS Wolter, 35, 57 f. A. A. Wolter, in: SKStGB, Anh. zu § 55 Rn. 56. 611 A. A. Wolter, in: SK-StGB, Anh. zu § 55 Rn. 56. 612 I. d. S. auch Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 51. 613 Die anzutreffenden Argumente zielen natürlich nicht direkt darauf ab, eine Ausnahme vom Vorbehalt des Gesetzes zu rechtfertigen. Faktisch führt aber jede alternative Verurteilung zur Aushebelung genau dieses Grundsatzes. 614 Ähnlich Gaede, in: AnwK-StGB, § 1 Rn. 52 „Sie beruht allein auf Richterrecht und wird von der Empfindung einer unerträglichen materiellen Ungerechtigkeit getragen, nach der

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angestrebte Gewährleistung einer intuitiv empfundenen materiellen Gerechtigkeit.615 Dies ist ein Aspekt, der auch in den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesgerichtshofes anzutreffen ist. Hinzu tritt die Befürchtung, dass die effektive Strafrechtspflege ohne die Anwendung der Wahlfeststellung leiden könnte, da die präventive Wirkung des Strafens in jenen Konstellationen entfallen würde. Dies betrifft sowohl die Stabilität der Rechtsordnung als auch die Einwirkung auf den Täter selbst. Ferner sei die Gefahr durchaus ernst zunehmen, dass es zu einer „Verdrehung“ des Sachverhalts durch die Tatgerichte komme, bis eine der Ermächtigungsgrundlagen tatsächlich „passe“. Die gegen die Unzulässigkeit der Wahlfeststellung angemeldeten Bedenken sind ernst zu nehmen. Dennoch tragen sie die Zulässigkeit der Wahlfeststellung nicht. Der dafür zu zahlende Preis wäre zu hoch. Wie bereits mehrfach erwähnt, haben sich die Schöpfer des Grundgesetzes für eine strikte formelle Gesetzlichkeit entschieden. Art. 103 Abs. 2 GG, aber auch der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes, dürfen nicht hinter vagen Gerechtigkeitserwägungen zurückstehen. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz beansprucht auch und vor allem dann volle Geltung, wenn ein Freispruch eigentlich „ungerecht“ erscheint.616 Dabei handelt es sich um einen Umstand, der mit Blick auf das Grundgesetz schlicht hinzunehmen ist. Auch die befürchtete „Verdrehung“ des Sachverhalts durch die Tatgerichte, kann im Ergebnis nicht zu einer Einschränkung des Vorbehalts des Gesetzes führen. Denn letztlich fußen auch solche Überlegungen lediglich auf unspezifischen Gerechtigkeitserwägungen, sodass sich das Tatgericht sowie die Allgemeinheit mit der von Art. 103 Abs. 2 GG vorgegebenen Linie – dem Freispruch – abfinden muss. Eine im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Wahlfeststellung immer wieder anzutreffende Diskussion betrifft die rechtliche Natur der Wahlfeststellung. Gemessen an dem dafür aufgebrachten Argumentationsaufwand scheint die prozessuale bzw. materiellrechtliche Natur des Konstrukts der Wahlfeststellung von besonderer Bedeutung zu sein.617 Die Befürworter der Wahlfeststellung ordnen sie größtenteils dem Prozessrecht zu und sehen die Wahlfeststellung – wie auch den Zweifelssatz – als bloße Entscheidungsregel an. Demnach seien die Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 ein Täter nicht straflos sein soll, ,nur‘ weil unklar geblieben ist, durch welches Geschehen er sich wie strafbar gemacht hat, wenn doch an der Begehung einer Straftat keine Zweifel bestehen“. 615 Dazu und zum Folgenden Freund, FS Wolter, S. 35, 50; Tsai, Zur Problematik der Tatbestandsalternativen im Strafrecht, S. 186 f.; Welz, Zum Verhältnis von Anstiftung und Beihilfe, S. 161. 616 S. dazu auch Linder, ZIS 2017, 311, 316 ff.; Freund, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 59 Rn. 18; ders., FS Wolter, S. 35, 47. 617 Ausführlich dazu BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 28. Januar 2014; BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 11. März 2015; BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 2. November 2016; BGH GSSt 1/17 – Beschluss vom 8. Mai 2017; Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 463, 468 ff.; Wolter, in: SK-StGB, Anh. zu § 55 Rn. 17 f. Zur Irrelevanz der rechtlichen Natur der Wahlfeststellung Dannecker/Schuhr, LK-StGB, Anh. zu § 1 Rn. 9. Ähnlich Bosch, in: Handbuch des Strafrechts, Bd. 3, § 63 Rn. 20.

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GG schon nicht einschlägig. Zu messen sei die Wahlfeststellung somit nur an Art. 20 Abs. 3 GG. Allerdings kann natürlich auch die Einordnung der Wahlfeststellung als bloße Entscheidungsregel nicht dazu führen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine Bestrafung ausgehebelt werden. Die Argumentation fußt somit darauf, dass die Strafbarkeit schon vor der Tat gesetzlich bestimmt war. Und zwar durch eben jene Strafgesetze, die in der jeweiligen Fallkonstellation in Betracht kommen. Damit steht man aber nun wiederum vor der schon oben aufgeworfenen Problematik: Ist eine Verurteilung möglich, obwohl die Anwendungsvoraussetzung weder der einen noch der anderen Strafvorschrift eindeutig erfüllt sind?618 Das ist nach allem Bisherigen zu verneinen. Über das fehlende Feststehen der materiellen Strafbarkeit, also der nachweisbaren Erfüllung einer Ermächtigungsgrundlage, kann auch keine Entscheidungsregel hinweghelfen.619 Im Grunde spielt es also keine Rolle, ob durch die strafbegründende Wirkung der Wahlfeststellung eine dritte fiktive Norm aufgrund eines Rumpftatbestandes gebildet wird (was die Verfechter der Wahlfeststellung geschlossen ablehnen) oder ob die Verurteilung auf die in Betracht kommenden Strafgesetze gestützt wird. In beiden Fällen basiert die Verurteilung auf einem Strafgesetz, das entweder überhaupt nicht oder zumindest in dieser Form nicht existiert. Davon abgesehen bedarf es natürlich auch im strafprozessualen Eingriffsrecht – etwa für eine Abhörmaßnahme – einer Ermächtigungsgrundlage, um Grundrechtseinschränkungen legitimieren zu können.620 Dass mit der Anwendung der Wahlfeststellung als Entscheidungsregel, die sodann zu einer Verurteilung führt, ein Grundrechtseingriff einhergeht, ist wohl kaum zu bestreiten.621 Demnach müsste jedenfalls in der Strafprozessordnung eine Ermächtigungsgrundlage vorhanden sein, die die Anwendung einer solchen Entscheidungsregel gestattet. Das ist allerdings nicht der Fall. d) Abhilfe durch eine an § 2b RStGB angelehnte Norm? Die noch verbleibende Frage ist demnach, ob die Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage die hier aufgeworfenen Probleme beheben kann. So schlug etwa Wolter622 die Schaffung eines neuen § 55a StGB mit folgendem Wortlaut vor: „Steht fest, dass jemand alternativ eines von mehreren Strafgesetzen verletzt hat, so wird die Strafe bei Vergleichbarkeit der Taten nach der Tat bestimmt, die nach den Umständen die mildeste Strafe zulässt. […] Die Taten sind vergleichbar, wenn sie sich namentlich in den gesetzlichen Merkmalen von Unrecht und Schuld entsprechen“. 618

S. dazu oben S. 130 ff. Ähnlich Kotsoglou, Strafbegründung und Strafeinschränkung, S. 199, 212; ders., ZStW 127 (2015), 334, 355. 620 BGH 2 StR 495/12 – Beschluss vom 2. November 2016; BGHSt 51, 211, 218 f. 621 I. d. S. auch Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 471; Velten, in: SK-StPO, § 261 Rn. 105. 622 Wolter, GA 2013, 271, 282; ders., FS Rogall, S. 773, 793 ff. 619

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Selbst wenn man die gesetzesalternative Verurteilung durch eine solche Regelung in die Systematik des Strafgesetzbuches einbringen würde, könnten die Anforderungen rechtsstaatlichen Strafens nicht erfüllt werden. Es bliebe weiterhin dabei, dass sich der Vorwurf nur darauf beziehen würde, dass der Betroffene irgendwie strafrechtlich relevant in Erscheinung getreten ist.623 Mit den Vorgaben, die Art. 103 Abs. 2 GG stellt, wäre ein solches Gesetz nicht zu vereinen, da es nicht die Strafbarkeit wegen einer Tat gesetzlich bestimmt.624 Abgesehen von der politischen Brisanz, die ein an § 2b RStGB angelehntes Strafgesetz zwingend mit sich bringt625, würde es an den bestehenden straftheoretischen Problemen nichts ändern – diese sogar im Wege einer gesetzgeberischen Fehlleistung verschärfen.626 Auch nach der Schaffung einer solchen Norm würde der Angeklagte aufgrund eines Strafgesetzes verurteilt werden, welches er möglicherweise überhaupt nicht erfüllt hat. Die materielle Strafbarkeit bliebe weiterhin im Unklaren, sodass auch die Restitution der einen oder der anderen Verhaltensnorm ins Leere gehen würde. Anders formuliert kann eine Gesetzesänderung nichts an dem Umstand ändern, dass der notwendige Nachweis eines konkreten Verhaltensnormverstoßes nicht gelingt. Jedenfalls nach dem hier vertretenen Konzept könnte die Schaffung einer solchen Norm der Wahlfeststellung nicht zur Verfassungsmäßigkeit verhelfen.627 Gangbar wäre sicherlich der Weg über eine Wortlautänderung der häufig im Zusammenhang mit der Wahlfeststellung auftauchenden Strafgesetze. Würde man etwa das Erfordernis, dass das Objekt der Hehlerei von einem anderen erlangt worden sein muss, streichen, so würde dies die Problematik in einer Vielzahl von Fällen entschärfen.628 Ein Verhaltensnormverstoß im Hinblick auf die Hehlerei wäre dann schon sicher feststellbar, wenn sich die Sache im Besitz des Betroffenen befindet. Insofern ließe sich auch eindeutig aufgrund von § 259 StGB verurteilen. Ob ein solcher „Systembruch“ allerdings zielführend und notwendig ist, erscheint eher zweifelhaft. Darüber hinaus ist diese Vorgehensweise in einigen relevanten Konstellationen überhaupt nicht möglich, ohne das Verhältnis der Strafgesetze untereinander völlig aus den Angeln zu heben bzw. sie ihrer Sinnhaftigkeit zu entleeren.629 Ohnehin würde ein solcher Weg wenig zur Problemlösung beitragen, sondern die verfassungsrechtlichen Probleme der Wahlfeststellung auf Kosten der Systematik schlicht umgehen.

623

Dazu bereits oben S. 131. S. dazu Freund/Rostalski, JZ 2015, 164, 166. 625 Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 472. 626 S. dazu Freund, FS Wolter, S. 35, 55 f. sowie Fn. 79. 627 I. E. auch Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 90a. 628 S. dazu Andenaes bei Zeiler, ZStW 64 (1952), 156, 167; Stuckenberg, ZIS 2014, 461, 472. 629 Seinen Sinn verlieren würde etwa § 257 StGB, wenn man das Erfordernis des „anderen“ streichen würde. Zur Wahlfeststellung zwischen § 242 und § 257 StGB s. BGHSt 23, 360. 624

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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e) Fazit Die Kriterien, die für eine Verhängung von Strafe innerhalb eines Rechtsstaats notwendig sind, sind klar und eindeutig. Elementar ist zunächst, dass die Strafe auf einer vom Gesetzgeber geschaffenen Ermächtigungsgrundlage basiert. Dies fordert nicht nur der Gesetzlichkeitsgrundsatz, sondern auch der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes. Die Feststellung, ob die Anwendungsvoraussetzungen der vom Gesetzgeber geschaffenen Strafvorschrift im konkreten Einzelfall erfüllt sind, ist die alleinige Aufgabe der Strafgerichte. Wie sich gezeigt hat, gelingt eben jene Feststellung bei der gesetzesalternativen Verurteilung gerade nicht. Die materielle Strafbarkeit bleibt mit Blick auf die einschlägigen Strafgesetze im Dunklen. Dass sich der Betroffene irgendwie strafrechtlich relevant verhalten hat, reicht nicht aus, um die Rechtsfolgen einer oder gar mehrerer Strafvorschriften auszulösen. Über diesen Umstand hilft auch die Einordnung der Wahlfeststellung als bloße Entscheidungsregel nicht hinweg. Ebenso wenig lassen sich die Strafbarkeitsvoraussetzungen durch etwaige Gerechtigkeitserwägungen aufweichen. Die von Art. 103 Abs. 2 GG vorgegeben Marschroute ist insoweit eindeutig. Dadurch entstehende Strafbarkeitslücken sind – wie sonst auch – hinzunehmen. In allen anderen Fällen lässt sich durch die hier aufgezeigten Kriterien ein klares und vor allem verfassungskonformes Ergebnis erzielen. Insofern ist es bedauerlich, dass dem vom 2. Senat eingeschlagenen Weg nur wenige gefolgt sind und die herkömmliche Umgangsweise mit der Wahlfeststellung auch heute noch von vielen für gut befunden wird. Dementsprechend bleibt nur zu hoffen, dass sich der Irrgarten im Laufe der Zeit doch noch lichtet und die gesetzesalternative Verurteilung in ihrer jetzigen Form aufgegeben wird.

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit Die Verwendung von Blankettstrafgesetzen hat sich in den vergangenen Jahren seitens des Gesetzgebers großer Beliebtheit erfreut.630 Zwar lässt sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rindfleischetikettierungsgesetz631 eine gewisse Vorsicht im Hinblick auf die Rückverweisungstechnik feststellen;632 dennoch existieren nach wie vor zahlreiche Blankettstrafgesetze.633 Der Grund dafür liegt in der 630

So auch Hoven, NStZ 2016, 377; Freund/Rostalski, GA 2016, 443; Bott/Krell, ZJS 2010, 694, 695. 631 BVerfGE 143, 38. 632 Mit Wirkung zum 9. 8. 2019 wurde die in § 95 Abs. 1 Nr. 2 AMG a. F. und in § 96 Nr. 2 AMG a. F. enthaltene Rückverweisungsklausel gestrichen. S. dazu BGBl. I S. 1202, 1205 sowie Freund, in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 60. 633 Zu nennen sei hier etwa § 27 Abs. 1 Nr. 1, 3, Chemikaliengesetz, § 17 Abs. 1 Außenwirtschaftsgesetz, §§ 58 Abs. 1 Nr. 18, Abs. 3 Nr. 1, 2, 59 Abs. 1 Nr. 21, Abs. 3 Nr. 1 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch. Eine Aufzählung weiterer

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Flexibilität der Blankette.634 Die Strafbewehrtheit der jeweiligen Verhaltensweisen lässt sich über die Blankettstrafgesetze leicht erweitern bzw. wieder einschränken, ohne dass der aufwändige Weg des formellen Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden muss.635 Denn das prägende Merkmal eines Blankettstrafgesetzes ist, dass es auf Vorschriften verweist, die bestimmte Verhaltensregelungen enthalten, welche mit einer Strafbewehrung versehen werden sollen.636 Die andernorts normierte Verhaltensregelung637, auf die verwiesen wird, beschreibt – ihrerseits konkretisierungsbedürftige – rechtlich zu missbilligende Verhaltensweisen.638 Von Vorteil ist eine solche Vorgehensweise gerade in dem sich stetig wandelnden Nebenstrafrecht, also etwa dem Umweltrecht, dem Lebensmittelrecht oder dem Arzneimittelrecht.639 Ein weiterer Vorteil wird darin gesehen, dass einige Sachverhalte derart komplex sind, dass eine Konkretisierung durch die Fachleute der Exekutive notwendig und sinnvoll erscheint.640 Derart detaillierte Ausgestaltungen, wie sie in den von der vollziehenden Gewalt geschaffenen Rechtsverordnungen auftauchen, wären dem Gesetzgeber nur schwer möglich. Insofern verkörpert die Verwendung von Blankettstrafgesetzen mitunter ein durchaus sachgerechtes Zusammenwirken zwischen der rechtssetzenden und der vollziehenden Gewalt.641 Allerdings muss natürlich auch bei einer solch sinnvollen Arbeitsteilung darauf geachtet werden, dass die klaren Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG gewahrt werden. Bezüglich des Einsatzes von Blankettgesetzen ist der Grat insoweit ein Schmaler. Dies dürfte einer der Gründe sein, warum die Diskussion um die Systematik der Blankettgesetze schon vor langer Zeit642 begann und in der Strafrechtswissenschaft sowie in der Rechtsprechung immer wieder neu aufkeimt.643 Nach dem im Hinblick auf die Blankettstrafgesetze äußerst wichtigen Urteil zum Rindfleischetikettierungsgesetz musste das Bundesverfassungsgericht vor Kurzem erneut zur Verfassungsmäßigkeit von Blankettstrafgesetzen Stellung nehmen.644 Während das BunBlankettstrafgesetze ist zu finden bei BGH NJW 2016, 1251, 1256; Hoven, NStZ 2016, 377 Fn. 1; Hecker, NJW 2016, 3653. 634 BVerfGE 153, 310, 347; Dietmeier, Blankettstrafrecht, S. 127; Freund/Rostalski, GA 2016, 443; Karpen, Verweisung, S. 88 f. 635 Freund/Rostalski, GA 2016, 443. 636 Allgemein dazu BVerfGE 153, 310, 342 f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 166. 637 In der Regel handelt es sich dabei um eine von der Exekutive erlassene Rechtsverordnung. 638 Gaede, in: Matt/Renzikowski, § 16 Rn. 14. 639 Ähnlich Freund/Rostalski, GA 2016, 443; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 151. 640 BVerfGE 153, 310, 347. 641 I. d. S. Hoven, NStZ 2016, 377, 379; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 151; Reus, Risikogesellschaft, S. 156. 642 Dazu etwa schon Mezger, Lehrbuch, 1. Aufl. (1931), S. 196. 643 Jüngst Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17. 644 BVerfGE 153, 310. Dazu genauer unten S. 148 ff., 158 ff.

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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desverfassungsgericht § 10 RiFlEtikettG a. F. als verfassungswidrig ansah, bestätigte es, dass die Strafvorschrift des § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB mit Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG zu vereinbaren sei.645 Damit liegt das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis (wieder) auf der Linie des Bundesgerichtshofs, welcher in der Verweisungstechnik keinerlei durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken sieht.646 Anders sehen dies nicht nur das LG Berlin647 und das LG Stade648, sondern auch zahlreiche Autoren649 in der Literatur sowie unterschiedlichste rechtswissenschaftliche Institutionen, etwa die Bundesrechtsanwaltskammer650, der Deutsche Anwaltsverein651 und die Neue Richtervereinigung652. Ob das Rechtskonstrukt der Blankettgesetze tatsächlich mit der Verfassung in Einklang zu bringen ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Vielmehr ist es notwendig, die verschiedenen Arten der Verweisungen zu unterscheiden, da mit ihnen jeweils eigene verfassungsrechtliche Problemstellungen einhergehen. 1. Arten der Verweisungen Im Rahmen der Blankettgesetze wird zwischen zwei Arten von Verweisungen unterschieden. Üblicherweise werden diese als einfache Blankettgesetze bzw. qualifizierte Blankettgesetze bezeichnet. Im Bereich der einfachen Blankettgesetze existieren solche mit statischer Verweisung und solche mit dynamischer Verweisung.653

645

BVerfGE 153, 310, 337 ff. BGH NJW 2016, 1251, 1257 ff.; s. auch die Stellungnahmen der vorsitzenden Richter in BVerfGE 153, 310, 325 f. 647 LG Berlin NZWiSt 2016, 112. 648 LG Stade vom 15. März 2017 – 600 KLs 1100 Js 7647/10 (1/15). 649 S. dazu etwa Freund, ZLR 1994, 261, 286 f.; ders., JZ 2014, 362, 363 f.; ders., in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 54 ff.; Hoven, NStZ 2016, 377, 381; Volkmann, ZRP 1995, 220, 224 f.; Dannecker, ZIS 2016, 723, 728; Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 1 Rn. 65; Fischer, StGB § 1 Rn. 16a; Heuser, HRRS 2021, 64, 69; Reus, Risikogesellschaft, S. 157 ff.; Honstetter, NZWiSt 2017, 325, 327 f. 650 33. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer aus 2019. Zusammengefasst in BVerfGE 153, 310, 328. 651 29. Stellungnahme des Deutschen Anwaltverein aus 2019. Zusammengefasst in BVerfGE 153, 310, 328 f. 652 https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/stellungnahme-zur-blankettnormenpro blematik-453 (Stand: 03. 05. 2022). 653 S. dazu Freund, in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 60. 646

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

a) Einfache Blankettstrafgesetze mit statischer bzw. dynamischer Verweisung Das einfache Blankettstrafgesetz – insbesondere mit statischer Verweisung – stellt im Grunde den Urtyp dar.654 Als Beispiel655 lässt sich etwas § 328 Abs. 3 Nr. 1 StGB anführen. Nach diesem Gesetz wird bestraft, „wer unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten beim Betrieb einer Anlage, insbesondere einer Betriebsstätte oder technischen Einrichtung, radioaktive Stoffe oder gefährliche Stoffe und Gemische nach Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. L 353 vom 31. 12. 2008, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 790/2009 (ABl. L 235 vom 5. 9. 2009, S. 1) geändert worden ist, lagert, bearbeitet, verarbeitet oder sonst verwendet und dadurch die Gesundheit eines anderen, Tiere oder Pflanzen, Gewässer, die Luft oder den Boden oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet.“

Der Gesetzgeber überlässt hier die Konkretisierung der von § 328 Abs. 3 Nr. 1 StGB in Bezug genommenen, rechtlich zu missbilligenden Verhaltensweisen in Teilen dem Verordnungsgeber. Er bedient sich diesem, um eines der Tatbestandsmerkmale – im hiesigen Kontext die gefährlichen Stoffe und Gemische – näher zu beschreiben. Die Bezeichnung656 als Blankettstrafgesetz mit statischer Verweisung folgt nun im Grunde aus dem Zusatz „die zuletzt durch die […] geändert worden ist“. Dadurch hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, welche Fassung der Rechtsverordnung er zur Konkretisierung heranziehen möchte. Selbst wenn sich die in § 328 Abs. 3 Nr. 1 StGB in Bezug genommene Verordnung ändern würde, wäre das Bezugsobjekt des Strafgesetzes nach wie vor die in ihm genannte Fassung.657 Durch diese Art von Verweisung büßt das Blankettstrafgesetz an Flexibilität ein, da der Gesetzgeber eben doch den Weg über das formelle Gesetzgebungsverfahren gehen müsste, sofern er eine neu abgefasste Verordnung als Bezugsobjekt festlegen möchte. Hingegen zeichnen sich die Blankettstrafgesetze mit dynamischer658 Verweisung dadurch aus, dass sie das Verweisungsobjekt in seiner jeweiligen Fassung in Bezug 654

Ähnlich Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 153. Ein weiteres Beispiel bildet etwa § 81 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen: „Ordnungswidrig handelt, wer gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 (ABl. C 115 vom 9. 5. 2008, S. 47) verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig […]“. 656 Teilweise wird auch etwa die Bezeichnung als „starr“, „datiert“, „fest“ oder „fixiert“ verwendet. S. dazu mit den jeweiligen Nachweisen Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 20. 657 BVerfGE 48, 285, 312; Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 19. 658 Auch im Bereich der dynamischen Verweisung finden sich teils andere Bezeichnungen. Etwa „gleitende“, „flexible“, „variable“ oder „undatierte“. S. dazu Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 26. 655

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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nehmen.659 Der Vorteil liegt offenkundig darin, dass die Anpassung der von dem Blankettstrafgesetz in Bezug genommenen, rechtlich zu missbilligenden Verhaltensweisen im Falle einer Änderung der entsprechenden Rechtsverordnung automatisch vonstattengeht, es also keines gesetzgeberischen Aktes mehr bedarf. Wie der Gesetzgeber darlegt, dass es sich um eine dynamische Verweisung handeln soll, bleibt ihm überlassen. So kann er sich explizit auf die jeweils geltende Fassung beziehen660, aber auch ein Verweisungsobjekt in Bezug nehmen, ohne weitere Angaben über die relevante Fassung niederzuschreiben.661 Ob es sich im jeweiligen Einzelfall um eine statische oder dynamische Verweisung handelt, lässt sich in vielen Fällen anhand des Wortlauts erkennen. Sollten dennoch Zweifel über die Art der Verweisung bestehen, müssen die allgemeinen Auslegungsregeln herangezogen werden, um die Verweisungsart zu bestimmen.662 Bei den einfachen Blanketten handelt es sich damit um Strafgesetze, in denen der Gesetzgeber die Strafbarkeit – gleich ob mit statischer oder dynamischer Verweisung – festgelegt hat und nur die Konkretisierung des rechtlich missbilligten Verhaltens in Teilen andernorts normiert hat oder dessen Konkretisierung der Exekutive überlässt. b) Qualifizierte Blankettstrafgesetze Eine andere Systematik weisen die sog. qualifizierten Blankettstrafgesetze auf. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie schon nach ihrem Wortlaut nicht nur zur Konkretisierung der zu missbilligenden Verhaltensweisen auf eine andere Vorschrift verweisen. Vielmehr soll das zu konkretisierende Verhalten nur dann strafbar sein, soweit die Vorschrift auf das Blankettstrafgesetz (für einen bestimmten Tatbestand) zurückverweist.663 Als Beispiel für diese Verweisungstechnik kann etwa § 27 Abs. 1 Nr. 1 ChemG dienen, der vorschreibt, dass eine Sanktion für denjenigen droht, der „einer Rechtsverordnung nach § 17 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a, Nummer 2 Buchstabe b oder Nummer 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 2, 3 Satz 1, Absatz 4 oder 6 über das Herstellen, das Inverkehrbringen oder das Verwenden dort bezeichneter Stoffe, Gemische, Erzeugnisse, Biozid-Wirkstoffe oder Biozid-Produkte zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.“

Die Besonderheit der qualifizierten Blankettstrafgesetze besteht also darin, dass ein strafbewehrtes Verbot nur dann besteht, wenn der Verordnungsgeber einen sol659

Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 25. So z. B. in § 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG a. F. i. V. m. § 6a Abs. 2 S.1 AMG a. F., wonach der Anhang des Übereinkommens gegen Doping in der jeweils geltenden Fassung relevant war. 661 Beispielhaft etwa § 74 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz, wonach bestraft wird, wer […] eine in einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 3 genannte Krankheit oder einen dort genannten Krankheitserreger verbreitet. 662 Dazu Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 – Rn. 387 sowie ausführlich Ernst, Blankettstrafgesetze, S. 29 ff. 663 Freund, in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 53. 660

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

chen Rückverweis in die jeweilige Vorschrift mit aufnimmt.664 Soweit auf einen Rückverweis verzichtet wird, besteht ein strafbewehrtes Verbot im Gegenzug nicht. Das Blankett enthält somit keine in ihm unmittelbar angeordneten Rechtsfolgen, die bei Erfüllung des Tatbestandes eintreten sollen. Das dürfte aber das Mindeste sein, damit überhaupt von einem Strafgesetz die Rede sein kann.665 Insoweit ist die Bezeichnung als qualifiziertes Blankettstrafgesetz irreführend. Neben der unpassenden Bezeichnung wirft diese Art der Verweisung aber vor allem verfassungsrechtliche Problemstellungen auf.666 Das gilt insbesondere für den Grundsatz der Gewaltenteilung. 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a) BVerfGE 143, 38 – Rindfleischetikettierungsgesetz Durch den Beschluss vom 21. September 2016 erklärte der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. für nichtig, da er mit Art. 103 Abs. 2 i. V. m. Art. 104 Abs. 1 S. 1 sowie mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes unvereinbar sei. Die Ausgangslage war eine Verurteilung des AG Tiergarten, die auf § 10 Abs. RiFlEtikettG a. F.667 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 RiFlEtikettStrV a. F.668 i. V. m. Art. 13 VO (EG) 1760/2000 gestützt wurde. In der sich anschließenden Berufung setzte das Landgericht Berlin das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht das relevante Strafgesetz im Wege des konkreten Normenkontrollverfahrens vor, da es von der Grundgesetzwidrigkeit überzeugt war.669 Das Bundesverfassungsgericht stand im Ergebnis auf demselben Standpunkt 664 Ein Rückverweis ist etwa zu finden in § 3 Abs. 1 LMRStV: Nach § 58 Abs. 3 Nummer 2, Abs. 4 bis 6 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches wird bestraft, wer gegen die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 verstößt, indem er vorsätzlich oder fahrlässig entgegen Artikel 3 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III […] handelt. 665 Dazu Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 156; ähnlich Freund/Rostalski, GA 2016, 443, 447. 666 S. dazu unten S. 155 ff. 667 Nach § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG a. F. wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 zuwiderhandelt, soweit eine Rechtsverordnung nach Abs. 3, in der das zuständige Bundesministerium die als Straftat nach Abs. 1 zu ahndenden Tatbestände bezeichnet, für einen bestimmten Tatbestand auf die Strafvorschrift des Absatzes 1 verweist. 668 Nach § 10 Abs. 1 des Rindfleischetikettierungsgesetzes wird bestraft, wer gegen die Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates (ABl. L 204 vom 11. 8. 2000, S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 653/2014 (ABl. L 189 vom 27. 6. 2014, S. 33), verstößt, indem er […] entgegen Artikel 13 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit […] Rinderhackfleisch nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig etikettiert. 669 LG Berlin NZWiSt 2016, 112, 113.

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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wie das Landgericht Berlin und stützte die Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen: § 10 RiFlEtikettG a. F. werde den durch Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 104 Abs. 1 GG festgelegten Anforderungen an die erforderliche Bestimmtheit nicht gerecht. Das Strafgesetz regele zwar die Strafandrohung nach Art und Maß. Den Tatbestand skizziere die Blankettstrafnorm aber über § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG a. F. und § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. lediglich als eine Zuwiderhandlung gegen eine unmittelbar geltende Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft. Aber auch durch § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG werde nicht hinreichend klar erkennbar, welche Verstöße gegen unionsrechtliche Vorgaben sanktioniert werden sollen. Der Verweis in § 10 Abs. 1 a. F. RiFlEtikettG biete damit nur einen nicht weiter konkretisierten Bezugspunkt erst noch näher zu bestimmender Verhaltensgebote und -verbote. Der Gesetzgeber überlasse dem Verordnungsgeber durch § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. festzulegen, welche Verhaltensweisen überhaupt zu ahnden seien. Die Strafbarkeit sei somit nicht aus dem Strafgesetz, sondern erst aus der Rechtsverordnung zu entnehmen. Dabei handele es sich um eine unzulässige Blankoermächtigung. Da es ohnehin an einem gesetzlich geregelten Straftatbestand fehle, bedürfe es auch keiner Entscheidung, ob und in welchem Umfang potentielle Normadressaten mit besonderem Fachwissen in der Lage wären, aus unbestimmten Rechtsbegriffen und Verweisungen konkrete Handlungsanforderungen abzuleiten. Zudem müsse das zum Erlass der Rechtsverordnung ermächtigende Gesetz nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmen. § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. ermächtige den Verordnungsgeber, die Bezeichnung von Tatbeständen, die nach § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG a. F. zu ahnden seien, festzulegen. Allerdings werde der mögliche Inhalt nur durch die „Durchsetzung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft“ sowie die dafür notwendige „Erforderlichkeit“ eingegrenzt. Welche konkreten Normen der Europäischen Gemeinschaft die Tatbestände kontinuieren sollen, bliebe offen. Daran könne auch § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG a. F. über den Verweis auf § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG a. F. nichts ändern. Es fehle schlicht an einer gesetzgeberischen Entscheidung über Inhalt und Programm der über § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. erteilten Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung. Das Blankettstrafgesetz stelle es dem Verordnungsgeber völlig frei zu bestimmen, welche Verstöße gegen das in Bezug genommene Gemeinschaftsrecht als strafwürdig angesehen werden. In der Konsequenz könne der Normadressat nicht mit der notwendigen Klarheit anhand des Gesetzes erkennen, welche Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts konkret sanktioniert werden sollen. b) BVerfGE 153, 310 – Knorpelfleisch Im Jahr 2020 musste sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Verfassungsmäßigkeit eines qualifizierten Blankettstrafgesetzes befassen. Gegenstand des Beschlusses waren die §§ 58 Abs. 3 Nr. 2, 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB. Anders als das Landgericht Stade kam das Bundesverfassungsgericht nach der Präzisierung der Vorlagefrage aber diesmal zu dem Ergebnis, dass beide in Frage stehenden Vor-

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schriften mit dem Grundgesetz zu vereinbaren seien. Vor dem Hintergrund des Beschlusses zum Rindfleischetikettierungsgesetz erscheint dies zunächst verwunderlich. Allerdings bezog sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung explizit auf den vorherigen Beschluss und sah in den Vorschriften des LFGB wesentliche Unterschiede, die die Verfassungsmäßigkeit tragen würden. Es führte aus: Mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren wird nach § 58 Abs. 3 Nr. 2 bestraft, wer einer unmittelbar geltenden Vorschrift der Europäischen Gemeinschaft zuwiderhandelt, die inhaltlich einer Regelung entspricht, zu der die in § 58 Abs. 1 Nr. 18 LFGB genannten Vorschriften ermächtigen670, soweit eine Rechtsverordnung671 nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB für einen bestimmten Straftatbestand auf diese Strafvorschrift verweist. Wiederum regele das Blankett (§ 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB) damit die Strafandrohung nach Art und Maß. Anders als in § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG a. F. bleibe es aber nicht bei einer abstrakten Skizzierung der strafbewehrten Verhaltensvorschriften des Unionsrechts. Vielmehr erhielte es durch die Entsprechensklausel über § 58 Abs. 1 Nr. 18 LFGB i. V. m. der nach § 62 Abs. 1 LFGB zu erlassenden Rechtsverordnung eine hinreichende Konkretisierung. Aus der Blankettvorschrift ergebe sich im Ganzen, dass eine Verhaltensweise unter Strafe steht, die gegen eine unmittelbar geltende Vorschrift des Unionsrechts verstößt, welche der Vorbeugung gegen eine oder der Abwehr einer Gefahr für die menschliche Gesundheit dient, indem sie die Verwendung bestimmter Stoffe, Gegenstände oder Verfahren beim Herstellen oder Behandeln bzw. dem Inverkehrbringen von Lebensmitteln verbietet oder beschränkt. Nicht gesetzlich geregelt sei lediglich, was genau unter den verbotenen Stoffen und Verfahren beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu verstehen sei. Dies falle aufgrund der Vorschrift des § 13 Abs. 1 und 2 LFGB in die – hypothetischen – Regelungskompetenz des nationalen Verordnungsgebers. Der noch hinreichenden Bestimmtheit des Blanketts schade dies allerdings nicht, da der Gesetzgeber das geschützte Rechtsgut und die Tathandlung – wenn auch durch den Verweis auf § 13 Abs. 1 und 2 LFGB – zur Genüge beschreibe. Im Übrigen werde auch die Regelung nicht verletzt, dass der Gesetzgeber wesentliche Fragen selbst zu entscheiden habe. Der Verordnungsgeber dürfe aufgrund von § 13 Abs. 1 und 2 LFGB nur im Bereich der Lebensmittelherstellung, Lebensmittelbehandlung sowie dem Inverkehrbringen von Lebensmittel tätig werden, soweit dies der Vorbeugung oder Abwendung einer Gefahr für die menschliche Gesundheit diente und es für die Durchsetzung des Unionsrechts erforderlich sei. 670

Von Relevanz war hier der Verweis auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB: Das Bundesministerium wird ermächtigt, in den Fällen der Nummern 1 und 2 […] bei dem Herstellen oder Behandeln von Lebensmitteln die Verwendung bestimmter Stoffe oder Gemische aus Stoffen, Gegenstände oder Verfahren zu verbieten oder zu beschränken, die Anwendung bestimmter Verfahren vorzuschreiben oder für bestimmte Lebensmittel Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen zu stellen […]. 671 Die relevante Rechtsverordnung war § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung zur Durchsetzung lebensmittelrechtlicher Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft (Lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung).

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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Damit steht dem Verordnungsgeber im Gegensatz zu § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG a. F. kein vorbehaltloses Bezeichnungsrecht zu. Aufgrund der vielfältigen Überlagerung des nationalen materiellen Lebensmittelrechts durch das Lebensmittelrecht der Europäischen Union wandele sich die Aufgabe des Verordnungsgebers – nach der Konzeption des § 62 Abs. 1 LFGB – dahingehend, dass er nicht mehr selbst die Konkretisierung vornehme, sondern im Sinne einer (hypothetischen) Konkretisierung durch eine entsprechende Bezeichnung bestimme, welche Regelungen er selbst hätte erlassen können, gäbe es die entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts nicht. Damit ändere sich aber der Prüfungsgegenstand nicht. Die gesetzlichen Bestimmungen des § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB seien durchweg der relevante Maßstab. Der Gesetzgeber lege durch die über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB verweisende Entsprechungsklausel hinreichend fest, was strafbar sei. Somit treffe allein der Gesetzgeber die Grundentscheidung über die Strafbarkeit. Darüber hinaus werde § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB der freiheitssichernden Komponente des Bestimmtheitsgebots gerecht. Durch das Zusammenlesen der Einzelnormen aus der Kette der §§ 58 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 1 Nr. 18 und 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB ergebe sich die Strafbarkeit, ohne dass Begriffe enthalten wären, die sich erst durch eine aufwendige Auslegungsarbeit ergeben würden. Zwar sei der Aufwand der Normlektüre und die geistige Umsetzung der Verweisungen deutlich erhöht, aber führe nicht zu einer Undurchsichtigkeit. Dies gelte jedenfalls für einen sach- und fachkundigen Normadressaten, dessen Person insoweit als Maßstab gelte. Im Grunde über dieselben Erwägungen gelangt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB mit den Vorgaben aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zu vereinbaren sei. Der Inhalt der in § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB enthaltenen Ermächtigung sei durch die in § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB enthaltene Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 und 2 bzw. 3 LFGB, welche die Zwecksetzung vorgeben, hinreichend bestimmt. Im Gegensatz zu § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. sei damit nicht nur die erforderliche Durchsetzung von Unionsrecht festgelegt, sondern nur solche Verhaltensweisen dürften als tatbestandlich beschrieben werden, die eine abstrakte oder konkrete Gefahr für die menschliche Gesundheit zum Gegenstand haben und in Bezug zur Herstellung, Behandlung oder Inverkehrbringung von Lebensmitteln stehen. Zwar fehle es an der gesetzgeberischen, namentlichen Bezeichnung der Verhaltensverbote und Verhaltensgebote, allerdings sei dies durch die inhaltlichen Vorgaben des § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB kompensiert. Darin liege wiederum der relevante Unterschied zu § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F.

3. Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der Blankettstrafgesetze sowie kritische Würdigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a) Zur Verfassungsmäßigkeit der einfachen Blankettstrafgesetze Im Vordergrund der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der einfachen Blankettstrafgesetze steht immer wieder der Bestimmtheitsgrundsatz. Dabei geht es

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

weniger um die „kompetenzsichernde“ Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes als um die „freiheitsgewährende“ Funktion.672 Das lässt sich auch den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen, in denen es ausführt, dass die Verweisungen unproblematisch sind, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lasse, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollten und wenn diese Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich seien.673 Im Ergebnis ist dem Bundesverfassungsgericht zwar zuzustimmen, allerdings liegen die für die Verfassungsmäßigkeit relevanten Aspekte nicht in der Sicherstellung der „freiheitsgewährenden“ Funktion. Bevor man sich mit der Verfassungsmäßigkeit von einfachen Blankettstrafgesetzen befasst, sollte man sich vor Augen führen, dass jedes Strafgesetz letztlich nur ein Blankettstrafgesetz ist.674 Denn bei einem angestellten Vergleich zwischen einem einfachen Blankettstrafgesetz und einem klassischen Strafgesetz fallen die Unterschiede – jedenfalls im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz – gering aus. Als Beispiel für ein klassisches Strafgesetz lässt sich erneut § 229 StGB heranziehen. Dieses Strafgesetz legt nicht im Einzelnen fest, was in der konkreten Situation verboten bzw. was noch erlaubt ist.675 Vielmehr ist es die Aufgabe des Normadressaten zu erkennen, ob er sich im konkreten Einzelfall noch innerhalb der Rechtsordnung bewegt. Der Bestimmtheit des Strafgesetzes schadet dies freilich nicht. Damit das Strafgesetz dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht wird, muss es lediglich die erforderlichen Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnorm ausdrücklich oder zumindest durch eine Rechtskonkretisierung klar erkennen lassen. Dass § 229 StGB diese Anforderungen erfüllt, wurde bereits an anderer Stelle dargelegt.676 Vergleicht man damit nun den Regelungsgehalt eines einfachen Blankettstrafgesetzes – etwa § 328 Abs. 3 Nr. 1 StGB –, so fällt auf, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeit in einer ähnlich abstrakten Weise beschreibt. Wiederum kann man dem Strafgesetz nicht entnehmen, welche gefährlichen Stoffe oder Gemische unter Verletzung einer verwaltungsrechtlichen Pflicht nicht gelagert, bearbeitet, verarbeitet oder in sonstiger Weise verwendet werden dürfen. Die Sachlage ist für den potentiellen Normadressaten mit Blick auf das Strafgesetz somit identisch zu jener bei § 229 StGB. Auch hier muss er die Letztentscheidung über sein Verhalten selbst treffen. Das Strafgesetz kann und muss ihm diese Entscheidung nicht abnehmen. Allerdings ist der Normadressat bei der Verhaltensnormbildung natürlich nicht auf sich alleingestellt. Erst an dieser Stelle wird die durch das einfache Blankettstrafgesetz in Bezug genommene Rechtsverordnung relevant. Durch die entsprechende 672

Die Bezeichnungen finden sich etwa in BVerfGE 153, 310, 345. BVerfGE 153, 310, 342. 674 Dazu Freund, in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 61; Freund/Rostalski, GA 2016, 443, 445 f.; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 158. 675 S. dazu schon die Ausführungen im Kontext der Fahrlässigkeit S. 88. 676 S. dazu S. 74 ff., 91 ff. 673

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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Rechtsverordnung bzw. deren Anhang I, Teil 2 – 5, wird die Verhaltensnormbildung in der konkreten Situation erleichtert. Aus dem Anhang ergibt sich – mehr oder minder leicht erkennbar –, welche Stoffe und Gemische als gefährlich einzustufen sind und dass die Lagerung, Bearbeitung, Verarbeitung oder sonstige Verwendung der jeweiligen Stoffe und Gemische einen Verhaltensnormverstoß legitimieren kann. Insoweit verhält es sich nicht anders als bei sonstigen Verhaltensnormkonkretisierungshilfen seitens der Exekutive. Zu nennen sind hier nur erneut die Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr oder sonstige den Verkehr regelnde Schilder.677 Um die Bestimmtheit des (Blankett-)Strafgesetzes zu gewährleisten ist die Rechtsverordnung – ebenso wie die anderen Konkretisierungshilfen der Exekutive – nicht notwendig. Den von Art. 103 Abs. 2 GG gestellten Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit würde § 328 Abs. 3 Nr. 1 StGB auch dann genügen, wenn er lediglich normieren würde, dass bestraft wird, wer unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten beim Betrieb einer Anlage […] gefährliche Stoffe und Gemische lagert, bearbeitet, verarbeitet oder in sonstiger Weise verwendet und dadurch die Gesundheit eines anderen, Tiere oder Pflanzen, Gewässer, die Luft, den Boden oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Selbst ohne die Rechtsverordnung wäre die Art der zu schützenden Verhaltensnorm abstrakt-generell klar definiert; die Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnorm lassen sich aus dem Strafgesetz ohne größere Schwierigkeiten entnehmen.678 Auch an dieser Stelle ist die Überakzentuierung der Vorhersehbarkeit der strafbaren Verhaltensweisen und die damit vom Gesetzgeber geforderte, möglichst detaillierte Beschreibung jener Verhaltensweisen nicht sachgerecht.679 Darauf kommt es bei den Blankettstrafgesetzen ebenso wenig an wie bei den klassischen Strafgesetzen. Ohnehin lässt sich wohl bezweifeln, ob die teils mehrfachen Verweisketten bzw. die Komplexität der entsprechenden Rechtsverordnungen tatsächlich zu einem solchen Effekt führen.680 Jedenfalls lässt sich aus dem Gesagten schlussfolgern, dass die Verweistechnik, die den einfachen Blankettstrafgesetzen mit statischer Verweisung zu Grunde liegt, grundsätzlich mit dem Bestimmtheitsgrundsatz in Einklang zu bringen ist.681 Sollte dies nicht der Fall sein, liegt das Problem nicht in dem Verweis, sondern darin, dass das Strafgesetz die Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnorm nicht eindeutig darstellt. Dieselbe Argumentation trägt im Grunde auch die Verfassungsmäßigkeit der einfachen Blankettstrafgesetze mit dynamischer Verweisung. Als problematisch 677

Freund, in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 56 ff. Zu § 328 StGB s. etwa Alt, in MüKoStGB, § 328 Rn. 1 f. 679 I. d. S. Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 157. 680 Ähnlich Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 159; Reus, Risikogesellschaft, S. 161. 681 Freund, JZ 2014, 362, 363; ders., in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 52; Hoven, NStZ 2016, 377, 379; Roffael/Wallau, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Vor §§ 58 – 62 Rn. 63. 678

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

wird bei dieser Art der Verweisung angesehen, dass der Gesetzgeber auf die Rechtsverordnung in ihrer jeweils geltenden Fassung Bezug nimmt.682 Dem Verordnungsgeber wäre es theoretisch möglich, die Rechtsordnung derart zu ändern, dass sie vom Willen des Gesetzgebers nicht mehr umfasst wäre.683 Durch die fehlende Vorhersehbarkeit der Reichweite strafbewehrter Handlungsverbote zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses gebe er seine Entscheidungsgewalt aus der Hand.684 Diese Bedenken greifen allerdings nicht per se durch. Sie setzen an einem nicht zutreffenden Ansatz an. Für die Bestimmtheit eines Strafgesetzes ist nicht die Vorhersehbarkeit dessen, was der Verordnungsgeber möglicherweise festlegt, entscheidend, sondern das, was der Strafgesetzgeber selbst normiert. Mit Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist etwa die Neufassung des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AMG.685 Hiernach wird bestraft, wer entgegen § 6 Abs. 1 AMG i. V. m. einer Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 2 AMG, jeweils auch i. V. m. einer Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 3 AMG, ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei einem anderen Menschen anwendet. Der Gesetzgeber hat damit die Strafbarkeit von Verhaltensweisen gesetzlich bestimmt, die nicht den in der Rechtsverordnung festgelegten Vorschriften entsprechen. Das allein genügt offenkundig nicht, um dem Bestimmtheitsgrundsatz gerecht zu werden. Allerdings lässt § 6 AMG erkennen, dass die Rechtsverordnung ihrerseits insbesondere solche Verhaltensweisen verbieten soll, die Gefahren für die menschliche Gesundheit durch die Herstellung, Inverkehrbringung oder Anwendung von Arzneimitteln unter Verwendung bestimmter Stoffe hervorrufen. Die Legitimationsgründe der in Bezug genommenen Verhaltensnorm lassen sich insoweit jedenfalls durch eine Rechtskonkretisierung aus dem Strafgesetz entnehmen. Sie belaufen sich auf die Verhütung von Gefahren für die menschliche Gesundheit, die durch Arzneimittel verursacht werden können. Für die Bestimmtheit des Strafgesetzes ist die vom Verordnungsgeber in Anspruch genommene Reichweite der Konkretisierung wiederum nicht von Relevanz, da der Gesetzgeber insoweit eine klare Strafbarkeitsanordnung bezüglich Verstößen gegen derart legitimierte Verhaltensnormen getroffen hat.686 Sofern dies gewährleistet ist, bestehen gegen die Verweistechnik der einfachen Blankettstrafgesetze mit statischer wie auch dynamischer Verweisung keine verfassungsrechtlichen Bedenken.687

682

Dazu etwa Heuser, HRRS 2021, 64, 68. In diese Richtung etwa jüngst Urteil des Ersten Senats vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17 – Rn. 384; Clemens, AöR 111 (1986), 63, 100 ff. 684 BVerfGE 153, 310, 343; dazu auch Schenke, FS Fröhler, S. 87, 119. 685 Zutreffend Markwardt, Die Bestimmtheit der Straf- und Bußgeldvorschriften im Arzneimittelgesetz, S. 149. 686 Zur Problematik im Hinblick auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 AMG a. F. s. Freund/Rostalski, GA 2016, 443, 447; Freund, in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 53. 687 Freund, in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 53. 683

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b) Zur Verfassungsmäßigkeit der qualifizierten Blankettstrafgesetze Auch im Rahmen der qualifizierten Blankettstrafgesetze liegt der Fokus auf der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz. So urteilte etwa der Bundesgerichtshof, dass Verweisungen mit Rückverweisungsklauseln im Allgemeinen zu einer erhöhten Bestimmtheit der Gesamtregelung beitragen.688 Die Rückverweisungsklausel sei eine zusätzliche Sicherung für den Bürger, da ihm ein etwaiger Rechtsverstoß durch die Darstellung der Sanktionsnorm besser vor Augen geführt werde. Der zusätzliche Schutz des Normadressaten könne nicht dahingehend verstanden werden, dass die Beschreibung strafbaren Verhaltens der Exekutive überlassen werde. Insoweit handele es sich bei der entscheidenden Verweisung – hier § 52 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG a. F. – um eine rein Deklaratorische. Diese Art der Verweisung sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Ausführungen zur „zusätzlichen Absicherung“ des Bürgers sollen an dieser Stelle nicht erneut kommentiert werden. Ohnehin spielt die Bestimmtheit des qualifizierten Blanketts nur eine Nebenrolle689. Sicherlich sind auch qualifizierte Blankettstrafgesetze denkbar, die die Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit nicht erfüllen, weil ihnen nicht einmal die Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnorm zu entnehmen sind. Allerdings ist allen qualifizierten Blankettstrafgesetzen eines gemein: Sie enthalten eine Passage, die festlegt, dass die jeweiligen noch zu konkretisierenden Verhaltensweisen nur dann strafbewehrt sein sollen, sofern die entsprechende Rechtsverordnung für einen bestimmten Straftatbestand auf das Blankett zurückverweist. Wie man bei einer solchen Aufforderung, die eindeutig strafbarkeitskonstitutive Auswirkungen hat, von einer rein deklaratorischen Verweisung ausgehen kann bzw. dem Gesetzgeber die Grundentscheidung über die Strafbarkeit beimisst690, bleibt schleierhaft.691 Gerade mit Blick darauf, dass der Bundesgerichtshof selbst darlegt, dass die Strafbarkeit ausbleibt, sofern der Verordnungsgeber von einem Rückverweis absieht, müsste er im Zuge eines Umkehrschlusses dazu kommen, dass der Rückverweis eben doch von strafbarkeitskonstitutiver Natur ist und die Verweistechnik damit verfassungsrechtlich nicht unbedenklich ist. Denn der Wesentlichkeitsgrundsatz verlangt – das dürfte insoweit unstrittig sein –, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Dies umfasst all jene Entscheidungen, die von besonderer Grundrechtsrelevanz sind.692 Dass das staatliche Strafen ganz massiv in die Grundrechte der Bürger einschneidet, dürfte ebenfalls unstrittig sein. Nicht ohne Grund wurden die Aspekte des We688

Dazu und zum Folgenden BGH NJW 2016, 1251, 1256. Von einem „Nebenkriegsschauplatz“ sprechen Freund/Rostalski, GA 2016, 443, 444. 690 BVerfGE 153, 310, 350. 691 I. d. S. auch Markwardt, Die Bestimmtheit der Straf- und Bußgeldvorschriften im Arzneimittelgesetz, S. 146. 692 Zur Wesentlichkeitstheorie s. die in Fn. 269 und 270 genannten Autoren. 689

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sentlichkeitsgrundsatzes in Art. 103 Abs. 2 GG explizit aufgenommen. Für die Verhängung einer Freiheitsstrafe gilt es zudem, die nochmals gesteigerten Anforderungen des Art. 104 Abs. 1 GG zu beachten. Schon aus diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ergibt sich die Alleinzuständigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers für die Schaffung von Strafgesetzen. Nur dieser vereint die notwendige demokratische Legitimation in sich, um den Weg für solch tiefgreifende Grundrechtseingriffe zu ebnen. Dementsprechend ist es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich untersagt, die Schaffung von Strafgesetzen der Exekutive zu überlassen.693 Aus dem anerkanntermaßen für das Strafrecht geltenden strengen Gesetzesvorbehalt folgt ein ebenso striktes Delegationsverbot. Ohnehin ist der Gesetzgeber in seinen Delegationsmöglichkeiten nicht frei. Vielmehr sind die Bereiche, in denen eine Kompetenzübertragung möglich ist, in der Verfassung ausdrücklich festgelegt.694 Die Abtretung der Alleinzuständigkeit für die Schaffung strafbarkeitskonstitutiver Voraussetzungen an die Exekutive findet sich dort jedenfalls nicht. Was folgt aber nun aus der oben genannten – in jedem qualifizierten Blankettstrafgesetz enthaltenen – Passage? Durch den notwendigen Rückverweis legt der Gesetzgeber keine definitive Strafbarkeitsanordnung im Hinblick auf die von ihm beschriebenen Verhaltensweisen fest. Vielmehr hält er sich an dem entscheidenden Punkt zurück und überlässt die Letztentscheidung der Exekutive. Sofern sich diese gegen einen Rückverweis auf das entsprechende Blankettstrafgesetz entscheidet, läuft die vom Gesetzgeber angedachte Strafbarkeitsanordnung ins Leere. Das „Strafgesetz“ bleibt folgenlos. Insofern trifft die Grundentscheidung über die Strafbarkeit der Verhaltensweisen gerade nicht der Gesetzgeber, sondern der Verordnungsgeber.695 Zu einem anderen Ergebnis gelangt man wohl nur, wenn man erneut den Fokus darauf legt, dass sich die relevante Grundentscheidung darauf beläuft, die strafbaren Verhaltensweisen (möglichst detailliert) zu beschreiben.696 Dass die beschriebenen Verhaltensweisen folgenlos bleiben und damit auch die angedachte Strafbarkeitsanordnung ausbleibt, sofern sich der Verordnungsgeber gegen einen Rückverweis entscheidet, bleibt dabei freilich unberücksichtigt.697 Die Konsequenz der hier relevanten Verweistechnik ist ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Der Gesetzgeber räumt der Exekutive Spielräume ein, die ihr von Verfassungs wegen nicht zustehen. Ein geradezu offensichtlicher Fall der unzulässigen Kompetenzverschiebung findet sich in § 27 Abs. 1 Nr. 3 ChemG.698 Dort gewährt der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber die Mög693

So auch Bülte, JuS 2015, 769,772. S. dazu Ossenbühl, DVBL, 1967 401, 402; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 160. 695 S. dazu die in Fn. 648 genannten Autoren. 696 Ähnlich Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91, 101. 697 I. E. Markwardt, Die Bestimmtheit der Straf- und Bußgeldvorschriften im Arzneimittelgesetz, S. 161 ff.; Heuser, HRRS 2021, 64, 69. 698 Zu § 27 Abs. 1 Nr. 3 ChemG im Allgemeinen s. Häberle, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 27 ChemG Rn. 5. 694

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lichkeit, „die Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat nach S. 1 zu ahnden sind“. Der Exekutive steht damit nicht nur die übliche Konkretisierung der Verhaltensweisen samt strafbarkeitskonstitutivem Rückverweis zu, sondern zudem wird ihr noch die Kompetenz zur Beschreibung der zu ahndenden Straftatbestände eingeräumt.699 Der Gesetzgeber hat demnach weder die Letztentscheidung über die Strafbarkeit getroffen noch hat er die strafbaren Verhaltensweisen – sieht man einmal von dem Verweis auf § 27 Abs. 1 Nr. 1 ChemG ab – überhaupt beschrieben. All das hat er der Exekutive überlassen, sodass von der verfassungsrechtlich vorgesehenen Alleinzuständigkeit im Hinblick auf die Schaffung strafrechtlicher Gesetze nichts mehr übrig ist. Für diesen verfassungsrechtlichen Auftrag an die Legislative kommt es auch nicht darauf an, ob die Exekutive die jeweiligen strafbaren Bereiche möglicherweise besonders gut oder im Gegenteil möglicherweise besonders schlecht festlegen kann.700 Selbst in Fällen, in denen gewährleistet wäre, dass der Verordnungsgeber einen sachgerechten Weg einschlägt, würde die Alleinzuständigkeit des Gesetzgebers dem entgegenstehen. Die Vorgaben des Grundgesetzes sind insoweit eindeutig: Der Gesetzgeber hat die Entscheidung über die strafbewehrten Verhaltensweisen selbst zu treffen. Im Ergebnis sind damit sämtliche Blankettstrafgesetze mit Rückverweisungsklauseln aufgrund eines Verstoßes gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verfassungswidrig.701 c) Zur Rechtsprechung des Bundverfassungsgerichts Nach dem bisher Gesagten ist es sehr erfreulich, dass das Bundesverfassungsgericht § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. – mit einer erstaunlichen Eindeutigkeit – für verfassungswidrig erklärt hat. Allerdings ließ die Begründung des Beschlusses die Befürchtung zu, dass die für § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. geltende Verfassungswidrigkeit nicht auf alle qualifizierten Blankettstrafgesetze uneingeschränkt übertragbar ist. Die Befürchtung bewahrheitete sich letztlich, als das Bundesverfassungsgericht die §§ 58 Abs. 3 Nr. 2, 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB als verfassungsgemäß ansah, obwohl es sich auch bei dieser Vorschrift um ein qualifiziertes Blankettstrafgesetz handelt. Der Grund für die unterschiedlichen Ergebnisse 699 Dies ist geschehen in der Verordnung zur Sanktionsbewehrung gemeinschafts- oder unionsrechtlicher Verordnungen auf dem Gebiet der Chemikaliensicherheit. 700 I. d. S. auch Freund/Rostalski, GA 2016, 443, 449. 701 I. d. S. Hecker, NJW 2016, 3653; Volkmann, ZRP 1995, 220, 224 f.; Dannecker, ZIS 2016, 723, 728; Fischer, StGB, § 1 Rn. 16a; Heuser, HRRS 2021, 64, 69; Freund, ZLR 1994, 261, 286 f.; ders., JZ 2014, 362, 363 f.; ders., in: MüKoStGB, Vor §§ 95 AMG Rn. 54 ff.; Schmitz, in: MüKoStGB, § 1 Rn. 66. Von einer nicht generellen Unzulässigkeit spricht etwa Cornelius, NStZ 2017, 682, 688. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der gesetzlichen Ermächtigung zieht Koch, ZLR 1990, 188, 191 in Betracht. Eine andere Ansicht vertreten etwa Boch, NK-LFGB, Vor § 59 Rn. 1; ders., ZLR 2017, 317, 321; Brand/Kratzer, JR 2018, 422, 433; Gerhold, in: BeckOK-OWiG, § 3 Rn. 18.

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dürfte darin liegen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung einen nicht korrekten Anknüpfungspunkt gewählt hat. aa) BVerfGE 143, 38 – Rindfleischetikettierungsgesetz § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. werde den aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG entspringenden Anforderungen an die Bestimmtheit nicht gerecht. Mit dieser Feststellung bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des entsprechenden qualifizierten Blankettstrafgesetzes. Im Ergebnis ist dem zuzustimmen. Das gilt allerdings nicht – jedenfalls aber nicht uneingeschränkt702 – für die Begründung. Zwar lässt sich tatsächlich darüber streiten, ob § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. die Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnorm erkennen lassen oder nicht. Allerdings kommt es auf diesen Aspekt im Grunde gar nicht an. Entscheidend ist vielmehr der Grundsatz der Gewaltenteilung bzw. das aus der Alleinzuständigkeit des Gesetzgebers folgende strikte Delegationsverbot. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Bestimmtheitsgrundsatz eine „kompetenzsichernde Funktion“ bemisst, legt es in seiner Begründung das eigentliche Problem der qualifizierten Blankettstrafgesetze nicht offen. Vielmehr scheint es im Zuge der Ausführungen zum Bestimmtheitsgrundsatz den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Der zunächst für die Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. eingeschlagene Begründungsweg ist dabei vollkommen zutreffend: Der Grundsatz der Gewaltenteilung könne nur gewahrt werden, wenn der Gesetzgeber selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit bestimme. Dies dürfe er nicht der vollziehenden Gewalt überlassen. Dementsprechend könne er der Exekutive nur die Kompetenz zur „Konkretisierung der Tatbestände“703 einräumen, nicht aber die Kompetenz über die Bestimmung der strafbaren Verhaltensweisen. Mit diesen Ausführungen hat das Bundesverfassungsgericht im Grunde den richtigen Anknüpfungspunkt gesetzt. Es beschreibt nichts anderes als das aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG folgende strikte Delegationsverbot. Leider zieht das Gericht nicht die notwendige Konsequenz aus dem selbst Dargestellten. Das Gericht beschließt zwar für den konkreten Fall, dass § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. dazu führe, dass der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber die Festlegung der überhaupt zu ahndenden Verhaltensweisen überlasse und die Strafbarkeit somit nicht aus dem Strafgesetz zu entnehmen sei. Allerdings verkennt es, dass kein qualifiziertes Blankettstrafgesetz den oben dargestellten Grundsätzen gerecht wird. Dies bestätigt sich durch die Ausführungen, die das Bundesverfassungsgericht zu den aus Art. 80 702

Anders etwa Lochmann, NJW-Spezial 2016, 760, der der Entscheidung uneingeschränkt beipflichtet. 703 Eine etwaige Konkretisierung seitens der Exekutive darf auch im Rahmen der Blankettstrafgesetze ausschließlich auf der Ebene der Verhaltensnormen ablaufen. Der Straftatbestand selbst muss bereits klar und eindeutig die für die Festlegung der Strafbarkeit erforderlichen Legitimationsgründe der relevanten Verhaltensnormen bestimmen.

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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Abs. 1 S. 2 GG folgenden Anforderungen macht: Das Parlament dürfe sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können. Diese Passage widerspricht im Grunde den vom Bundesverfassungsgericht selbst dargestellten Grundsätzen. Die Aussage kann nur so verstanden werden, dass es eine Grenze an Bestimmtheit gebe, die der Gesetzgeber mindestens erreichen müsse, bis er die weitere Konkretisierung der Exekutive überlassen dürfe. Eine derartige Grenze existiert allerdings im Hinblick auf Strafgesetze nicht. Der verfassungsrechtliche Auftrag an den Gesetzgeber ist insoweit eindeutig: Allein er hat die Strafbarkeit gesetzlich zu bestimmen. Ein „Herantasten“ an die Grenzen gesetzlicher Bestimmtheit zwecks Kompetenzwahrung ist für die Schaffung von Strafgesetzen gerade nicht vorgesehen. Entweder das Strafgesetz bestimmt die Strafbarkeit oder die Strafbarkeit wird erst durch die entsprechende Rechtsverordnung definitiv festgelegt. Dementsprechend gilt, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung ausgeschlossen ist, soweit der Gesetzgeber seine Alleinkompetenz achtet und die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt. Achtet er sie nicht, indem das Strafgesetz keine definitive Strafbarkeitsanordnung enthält, ist es nicht von Relevanz, ob die Ermächtigungsgrundlage nach Tendenz und Programm so genau umrissen ist, dass der Bürger schon aus ihr erkennen kann, was strafbar sein soll. Auch ein völlig eindeutiger und klarer Auftrag an die Exekutive, die Strafbarkeit mittels Rechtsverordnung zu bestimmen, erfüllt die Voraussetzungen der gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit eben nicht.704 Das Bundesverfassungsgericht setzt aber wohl dennoch – auch im Kontext der qualifizierten Blankettstrafgesetze – den Fokus darauf, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeit so präzise wie möglich selbst beschreibt. Soweit die Grenze der notwendigen Beschreibung strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen – wo auch immer diese im jeweiligen Einzelfall zu ziehen ist – eingehalten wird, hält das Gericht die qualifizierten Bankettstrafgesetze offenbar für verfassungsgemäß. Die verfassungsrechtlichen Probleme, die sich durch den notwendigen Rückverweis ergeben, scheint das Bundesverfassungsgericht nicht zu sehen. Letztlich liegt aber schon darin – völlig unabhängig von etwaigen Aspekten des Bestimmtheitsgrundsatzes – der entscheidende Grund für die Verfassungswidrigkeit der qualifizierten Blankettstrafgesetze. Insofern ist es bedauerlich, dass das Gericht in seiner Begründung nicht dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Berlin gefolgt ist. Anders als das Bundesverfassungsgericht legt das Landgericht den Fokus seiner Begründung – wenn auch unter der Überschrift des Bestimmtheitsgrundsatzes – auf die Frage, ob der Ge704 I. d. S. Freund, JZ 2014, 362; Freund/Rostalski, GA 2016, 443, 444; Hecker, NJW 2016, 3653; Groß, Gesetzlich bestimmte Strafbarkeit des Eigendopings, S. 164 f.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

setzgeber im Rahmen der qualifizierten Blankettstrafgesetze noch die „Grundentscheidung“705 über die Strafbarkeit trifft. Dazu führt es aus, dass der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber im Wege der Rückverweisungsklausel ausdrücklich die Entscheidung darüber gewähre, welcher Tatbestand eigentlich strafbar sein soll, bzw. ob ein bestimmter Tatbestand überhaupt bestraft werden soll. Der Sache nach liefe es also auf die Einräumung einer umfassenden eigenen Entscheidungsbefugnis des Verordnungsgebers über das „Ob“ der Sanktionierung und die Auswahl der Sanktionstatbestände hinaus. Da auch § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. eine solche Verweisung enthalte, verstoße das Gesetz gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sowie gegen Art. 103 Abs. 2 und 104 Abs. 1 S. 2 GG. Damit trifft das Landgericht in seiner Begründung den wesentlichen Aspekt, der zur Verfassungswidrigkeit von qualifizierten Blankettstrafgesetzen führt. Zwar finden sich auch in dem Vorlagebeschluss Ausführungen zum Vertrauensschutz und der damit vermeintlich gekoppelten Vorhersehbarkeit strafbewehrter Verhaltensweisen; dennoch ist der Begründung des Beschlusses der Sache nach vollständig zuzustimmen. Letztlich ist festzuhalten, dass die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. im Ergebnis sicherlich zutreffend ist. Aufgrund des gewählten Argumentationsmusters liegt es allerdings nahe, dass das gefundene und richtige Ergebnis eher einen „Zufallsfund“ darstellt. bb) BVerfGE 153, 310 – Knorpelfleisch Dass das Bundesverfassungsgericht im Beschluss zum Rindfleischetikettierungsgesetz tatsächlich den Anknüpfungspunkt falsch gesetzt hatte, zeigte sich im Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 58 Abs. 3 Nr. 2, 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB. Auch hier rankt sich der Argumentationsstrang primär darum, inwieweit der Gesetzgeber die Strafbarkeit bereits im Strafgesetz umschrieben haben muss. Angesichts § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB tue er dies – anders als bei § 10 Abs. 1 und Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. – durch die Entsprechensklausel und den damit einhergehenden Verweis auf § 58 Abs. 1 Nr. 18 i. V. m. § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in verfassungskonformer Weise. Das zu schützende Rechtsgut und die mit Strafe bedrohten Tathandlungen seien noch hinreichend beschrieben, sodass das Gesetz in seiner Gesamtschau noch hinreichend bestimmt sei. Gemessen an den Anforderungen, die der Bestimmtheitsgrundsatz an ein Strafgesetz stellt, ist den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts – jedenfalls in Teilen – zuzustimmen. Die Legitimationsgründe der zu schützenden Verhaltensnorm lassen sich in der Tat aus dem Strafgesetz entnehmen. Jedenfalls durch eine entsprechende Rechtskonkretisierung ergibt sich, dass all solche Verhaltensweisen 705 Genau genommen reicht auch die „Grundentscheidung“ über die Strafbarkeit nicht aus. Vielmehr muss der Gesetzgeber jedwede Entscheidung über die Strafbarkeit selbst treffen.

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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strafbewehrt sein sollen, die im Zusammenhang mit dem Umgang von Lebensmittel stehen und zur Schädigung der menschlichen Gesundheit führen können. Es erfüllt in Bezug darauf sämtliche Anforderungen, die der Bestimmtheitsgrundsatz mit sich bringt. Auf einem anderen Blatt steht allerdings die Frage, ob § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB dadurch bereits mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz in Einklang zu bringen ist. Das Bundesverfassungsgericht bejaht dies und weist dem Gesetzgeber die Grundentscheidung über die Strafbarkeit zu. Dabei verkennt es – wie im Beschluss zum Rindfleischetikettierungsgesetz –, dass es letztendlich nicht darauf ankommt, welchen Spielraum der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber im Hinblick auf die mögliche Konkretisierung einräumt.706 Sicherlich ist ein Strafgesetz verfassungswidrig, wenn der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber eine „Blankoermächtigung“ gewährt. Das Strafgesetz ist aber eben auch dann verfassungswidrig, wenn der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber durch entsprechende Verweise eine klare Marschroute zur Konkretisierung vorgibt, solange in dem Strafgesetz eine strafbarkeitskonstitutive Rückverweisungsklausel enthalten ist. Im Fall eines angeordneten Rückverweises trifft der Verordnungsgeber die Entscheidung über die Strafbarkeit – vollkommen unabhängig davon, wie genau der Gesetzgeber die von der Exekutive erst noch unter Strafe zu stellenden Verhaltensweisen beschrieben hat. Bleibt der Rückverweis aus, bleiben auch die vom Gesetzgeber möglicherweise detailliert umschriebenen Verhaltensweisen straffrei. Wandelt man etwa § 212 Abs. 1 StGB, dessen Bestimmtheit – soweit ersichtlich – nicht bestritten wird, derart ab, dass bestraft wird, wer einen Menschen tötet, soweit eine Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist, würde wohl niemand daran zweifeln, dass die Strafbarkeit nicht gesetzlich bestimmt ist. Dem Verordnungsgeber käme die Letztentscheidung zu, ob eine zum Tod eines Menschen führende Verhaltensweise mit Strafe bedroht ist. Die vom Bundesverfassungsgericht zutreffend getätigte Feststellung, dass der Gesetzgeber die Verantwortung für die Form des hoheitlichen Handelns habe, die zu den intensivsten Eingriffen in die individuelle Freiheit zählt, wäre damit hinfällig. Zugegebenermaßen handelt es sich bei dem soeben genannten Beispiel um ein sehr Konstruiertes. An der Tatsache, dass in allen Konstellationen des angeordneten Rückverweises, unabhängig von der Komplexität der zu erfassenden Verhaltensweisen, ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip gegeben ist, ändert dies allerdings nichts. Weshalb dieser Aspekt in den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts unberücksichtigt bleibt, ist nicht nachvollziehbar. Zumindest eine Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts, wieso die hier beschriebenen verfassungsrechtlichen Probleme nicht zu einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG führen sollten, wäre insoweit wünschenswert gewesen. Die in den Beschlüssen vorgebrachte Argumentation zur „kompetenzsichernden Funktion“ des Bestimmtheitsgrundsatzes trägt die Verneinung des Verstoßes gegen die Gewaltenteilung jedenfalls nicht. Sie verfehlt das Wesentliche. 706

I. d. S. auch Heuser, HRRS 2021, 64, 68.

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Kritisch zu betrachten sind zudem die Darlegungen zur Frage, ob und inwieweit der Normadressat aufgrund speziellen Fachwissens in der Lage sein muss, den Regelungsinhalt des Strafgesetzes zu verstehen.707 Während das Bundesverfassungsgericht diese Frage im Beschluss zum Rindfleischetikettierungsgesetz noch unbeantwortet lassen konnte, musste es nun Stellung beziehen. Nachdem das Gericht den zu gehenden Weg über die zahlreichen Verweisungen dargestellt hat, kommt es zu dem Ergebnis, dass der gedankliche Umsetzungsaufwand zwar deutlich erhöht sei, dies aber nicht zur Unerkennbarkeit des Regelungsinhalts führe.708 Anschließend stellt es fest, dass das normative Leitbild eines sach- und fachkundigen Normadressaten dafür entscheidend sei, welche Anforderungen an die Erkennbarkeit des strafbaren Verhaltens anhand des formal-gesetzlichen Regelungsgehaltes zu stellen seien.709 § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB und die entsprechende europäische Rechtsverordnung richteten sich an Personen, die im Bereich der Lebensmittelproduktion und dem Lebensmittelhandel tätig sind. Von diesen Personen sei zu erwarten, dass sie sich gegebenenfalls durch fachkundige Beratung darüber informieren, welchen lebensmittelverwaltungsrechtlichen Pflichten sie unterliegen. Zudem könne eine sachund fachkundige Person aufgrund der zumindest zu unterstellenden Kenntnis, Gefahren für die menschliche Gesundheit, die von bestimmten Stoffen, Gegenständen und Verfahren ausgehen, einschätzen und ihr Verhalten dementsprechend anpassen. Insoweit lasse der gesetzliche Regelungsgehalt für die sach- und fachkundige Person hinreichend deutlich erkennen, welche konkreten Verhaltenspflichten sanktionsbewehrt sind. Unberücksichtigt bleibt in den Ausführungen freilich, ob der im Lebensmittelbereich tätige Sach- und Fachkundige überhaupt Adressat des Blankettstrafgesetzes ist. Sollte dies nicht der Fall sein, so erübrigen sich im Grunde auch die damit einhergehenden Probleme. Die Antwort auf diese Frage lässt sich aus der Rechtsnatur der Strafgesetze ableiten. Diese sind ausschließlich abstrakt-generelle Ermächtigungsgrundlagen, auf deren Grundlage die Gerichte im Einzelfall eine Sanktionsnorm bilden, sofern alle Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind.710 Trotz einer für den Bürger möglichen mittelbaren Beeinträchtigung durch die Strafbewehrung bestimmter Verhaltensweisen richten sich Strafgesetze primär an die Strafgerichte bzw. die Strafverfolgungsorgane. Für denjenigen aber, der als Adressat einer Mitteilung nicht in Betracht kommt, muss auch die inhaltliche Verständlichkeit nicht gewährleistet werden. Zumindest für den Bestimmtheitsgrundsatz ist es damit 707

Krit. insoweit auch Markwardt, Die Bestimmtheit der Straf- und Bußgeldvorschriften im Arzneimittelgesetz, S. 161 ff. Krit. mit Blick auf einen anderen Sachverhalt Bott/Krell, ZJS 2010, 694, 695 f. Als jedenfalls nachvollziehbar beschreibt Satzger, in: Satzger/Schluckebier/ Widmaier, § 1 Rn. 65 den Weg des Bundesverfassungsgerichts. 708 Zu den Anforderungen, die an die jeweils Verantwortlichen gestellt werden, s. Pfohl, in: Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 72 Rz. 72.55c ff. 709 Zum sog. „Expertenstrafrecht“ etwa Jähnke/Schramm, Europäisches Strafrecht, S. 169 f. 710 S. dazu schon oben S. 41 ff.

V. Blankettstrafgesetze und gesetzliche Bestimmung der Strafbarkeit

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nicht von Relevanz, ob der Bürger den Regelungsgehalt des Strafgesetzes erfasst. Letztlich kommt es darauf aber ohnehin nicht an, da das vom Bundesverfassungsgericht angestrebte Ziel – die Erkennbarkeit des strafbaren Verhaltens anhand des Gesetzes – auch bei einem unterstellten Verständnis des Regelungsinhalts nicht erreicht werden kann. Eine verhaltensleitende Wirkung lässt sich durch Strafgesetze sachbedingt nicht erreichen. Jedenfalls nach dem hier vertretenen Konzept liegen die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Überlegungen zur Verständlichkeit des Regelungsinhalts letztlich neben der Sache. Abgesehen von dieser normentheoretischen Kritik lassen sich die Feststellungen wohl auch faktisch bezweifeln. Ob die durchaus komplexe Verweiskette die Strafbewehrtheit der Verhaltensweisen für den Bürger tatsächlich erkennbar wiedergibt, lässt sich wohl – insbesondere unter Heranziehung der nationalen und internationalen Rechtsverordnungen – genauso gut verneinen.711 Dies gilt umso mehr, als auch Personen von den Vorschriften betroffen sein können, von denen ein besonderes Fachwissen nicht zu erwarten ist.712 Insoweit mag das vom Bundesverfassungsgericht Gesagte zwar im Hinblick auf standardisierte Fälle zutreffen. Hingegen gestaltet sich die Subsumtion unter die sach- und fachkundige Person des Lebensmittelsbereichs schwierig, sofern es sich um einen der selteneren – jedoch durchaus praxisrelevanten – Fälle handelt. Das Problem, das Leitbild der Maßstabsfigur mit sachgerechten Kriterien zu füllen, stellt sich natürlich nicht nur im hier interessierenden Kontext.713 Vielmehr liegt es in der Natur der Sache, dass der Vergleich der individuellen Person mit einem sach- und fachkundigen Dritten auf eine Fiktion hinausläuft. Darüber hinaus ist der für die Bestimmung der „freiheitssichernden Komponente“ gewählte Blickwinkel nur schwer mit dem vom Bundesverfassungsgericht eigens aufgestellten Grundsatz in Einklang zu bringen, dass jedermann vorhersehen können soll, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.714 Sofern man dem Bestimmtheitsgrundsatz eine solche Funktion zuspricht, sollte eine entsprechende Beurteilung der Vorhersehbarkeit strafbewehrter Verhaltensweisen tatsächlich aus der Sicht der jeweils betroffenen Person erfolgen. Anderenfalls wird das Ziel nicht nur aus normentheoretischen Gründen verfehlt, sondern es bleibt auch bei der bloßen Unterstellung, dass der Normadressat – etwa ein Speisenhersteller bei einem Vereinsfest715 – gemessen an der Maßstabsfigur des Sach- und Fachkundigen der Lebensmittelindustrie, die Strafbarkeit hätte erkennen können.

711 I. d. S. etwa Bode/Seiterle, ZIS 2016, 91, 92 f., 173, 176. Im Hinblick auf § 97 Abs. 2 Nr. 31 AMG ebenso Markwardt, Die Bestimmtheit der Straf- und Bußgeldvorschriften im Arzneimittelgesetz, S. 161 ff. 712 S. dazu Roffael/Wallau, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Vor §§ 58 – 62 Rn. 57. Krit. insoweit auch Bosch, in: Meyer/Streinz, LFGB, § 58 Rn. 8. 713 Zur Kritik an der Maßstabsfigur im Bereich der Fahrlässigkeit s. Freund/Rostalski, AT, § 5 Rn. 24 ff. 714 BVerfGE 126, 170, 195. 715 Vgl. Roffael/Wallau, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Vor §§ 58 – 62 Rn. 57

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D. Vermeintliche u. tatsächliche Verstöße gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz

d) Fazit zur Verfassungsmäßigkeit der Blankettstrafgesetze Gerade aufgrund der zahlreichen Verwendung von Blankettstrafgesetzen sollte dringend darauf geachtet werden, die vorhandenen verfassungsrechtlichen Probleme korrekt einzuordnen. Innerhalb der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Blankettstrafgesetze geschieht dies leider in großen Teilen nicht. Vielmehr werden die entscheidenden Gesichtspunkte oftmals verkannt. So steht der Bestimmtheitsgrundsatz durchgehend im Vordergrund. Dieser stellt aber weder im Hinblick auf die einfachen Blankettstrafgesetze noch im Hinblick auf die qualifizierten Blankettstrafgesetze das eigentlich Problematische dar. Bei den einfachen Blankettstrafgesetzen kommt es allein darauf an, ob das entsprechende Blankett zumindest durch eine entsprechende Rechtskonkretisierung die Legitimationsgründe der Verhaltensnorm offenlegt, die es im Auge hat. Das gilt für die statischen wie auch dynamischen Verweisungen gleichermaßen. Auch im Rahmen der qualifizierten Blankettstrafgesetze geht es nicht darum, wie genau der Gesetzgeber die angestrebte Strafbarkeit bereits im Gesetz umschrieben hat. Relevant ist vielmehr allein, dass die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt ist. Dafür ist es wiederum jedenfalls erforderlich, dass das Blankettstrafgesetz eine vom Gesetzgeber bereits festgelegte, definitive Strafandrohung enthält. In den Fällen der qualifizierten Blankettstrafgesetze ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, da die Strafbarkeit von einem Rückverweis abhängt, den die Exekutive vorzunehmen hat. Dementsprechend liegt die Entscheidung über das „Ob“ der Strafbarkeit nicht mehr beim Gesetzgeber, sondern bei der vollziehenden Gewalt. Eine solche Vorgehensweise widerspricht den Grundsätzen der Wesentlichkeitstheorie und letztendlich auch dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Der Versuch, als „wesentlich“ bereits die möglichst detaillierte Umschreibung der erst noch unter Strafe zu stellenden Verhaltensweisen anzusehen, kann nicht zu einem gegenteiligen Ergebnis führen. Abgesehen davon, dass zu dem „Wesentlichen“ wohl auch – eher aber vor allem – die endgültige Entscheidung über die Strafbarkeit gehört, erfüllt der Gesetzgeber durch die Schaffung eines Strafgesetzes ohne definitive Strafandrohung seine verfassungsrechtliche Aufgabe nicht. Er schafft keine Ermächtigungsgrundlage, die es den Strafgerichten erlaubt, auf etwaige Verhaltensnormverstöße mit Strafe zu reagieren. Vielmehr sind auch ihnen die Hände gebunden, bis die Exekutive den entsprechenden Rückverweis vornimmt. Im Ergebnis lässt sich damit festzuhalten, dass sämtliche qualifizierten Blankettstrafgesetze verfassungswidrig sind und der Gesetzgeber diese Verweistechnik aufgeben muss. Im Übrigen bleibt zu hoffen, dass die obersten Gerichte den aufgezeigten Aspekten in kommenden Entscheidungen die notwendige Aufmerksamkeit schenken und zudem die richtigen Konsequenzen ziehen.

E. Gesamtergebnis Über die Grundlagen, die jeglicher Einsatz von Strafe als ein hoheitlicher Eingriff in die Grundrechte der Bürger erfüllen muss, herrscht weitestgehend Einigkeit. Unzweifelhaft bedarf es zunächst einer Ermächtigungsgrundlage, auf die das staatliche Handeln gestützt werden kann. Da es sich bei dem Einsatz von Strafe um einen der tiefgreifendsten Eingriffe handelt, muss die jeweilige Ermächtigungsgrundlage zwingend vom parlamentarischen Gesetzgeber geschaffen worden sein. Sofern diese durch den Nachweis eines spezifischen Verhaltensnormverstoßes sowie die gegebenenfalls weiteren Voraussetzungen erfüllt wurden, gilt es im Hinblick auf das Ausmaß der Strafe darauf zu achten, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten wird. Die ausgesprochene Strafe ist insoweit allein dann legitim, wenn sie genau das widerspiegelt, was der Täter tatsächlich verbrochen hat. Dafür bedarf es zunächst eines passenden und eindeutigen Schuldspruchs. Aber auch bei der Bestimmung des konkreten Strafmaßes muss der Strafausspruch zum Gewicht des Verhaltensnormverstoßes passen. Denn nur eine im Verhältnis zum Gewicht des Verhaltensnormverstoßes stehende Strafe ist geeignet und angemessen, um die Restitution des verletzten Rechts – die Wahrung der verhaltenswirksamen Geltung der in Frage gestellten Verhaltensnorm (mit ihren Wertungsgrundlagen) – sicherzustellen. Neben diesen – freilich hier nur skizzenhaft dargestellten – Voraussetzungen, die die Verfassung an einen rechtsstaatlichen Schuld- und Strafausspruch stellt, muss zudem die aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende, besondere formelle Bindung beachtet werden. „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“. Nicht mehr und nicht weniger gibt das Grundgesetz der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis an die Hand. Über den Inhalt dieses Satzes besteht ebenso große Einigkeit, wie er auch umstritten ist. Im Grunde unstrittig sind dabei zunächst die Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes. Umso umstrittener sind hingegen die Einzelheiten dieser Ausprägungen. Vor allem über die Anforderungen, die der Bestimmtheitsgrundsatz mit sich bringt, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Angereichert wird die Kontroverse dabei insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht, welches durch die Schaffung neuer Begrifflichkeiten und Verknüpfungen versucht, den Gesetzlichkeitsgrundsatz auszuweiten bzw. einzuschränken. Zu nennen ist hier nur etwa das „Präzisierungsgebot“ oder die Ausweitung des Rückwirkungsverbots auf die Änderung einer gefestigten Rechtsprechung. Solche Neuschschöpfungen sind aber keineswegs zielführend. Denn wie sich durch die Arbeit exemplarisch gezeigt hat, sind etwaige Ausweitungen oder Beschränkungen überhaupt nicht notwendig und führen wohl zu mehr Verwirrung als Klarheit. Vielmehr lassen sich die Ausprägungen des Gesetzlichkeitsgrundsatzes

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E. Gesamtergebnis

ohne weiteres in den Griff bekommen, sofern man ihnen die hier vertretene Straftatlehre zu Grunde legt. Der Gesetzlichkeitsgrundsatz bzw. seine Ausprägungen fügen sich in das dargestellte, strafrechtliche Konzept ein und ergeben so ein in sich geschlossenes und sinnvolles System. Der Schlüssel zu einem sachgerechten Verständnis des Gesetzlichkeitsgrundsatzes liegt dabei zunächst in der sauberen Trennung der Normebenen. Durch die korrekte Bestimmung der Rechtsnatur von Verhaltensnorm und Strafgesetzen erübrigen sich viele der vermeintlich existierenden Probleme. Dass die verhaltensleitende Wirkung ausschließlich auf der Ebene der Verhaltensnormen stattfindet und die Strafgesetze allein die Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Strafgerichte darstellen, ist dabei die wohl bedeutendste Schlussfolgerung. Die Loslösung von diesem – sich bisweilen hartnäckig haltenden – Missverständnis eröffnet den Weg zu einem sinnvollen Umgang mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz. Aus dieser Erkenntnis folgt im Grunde auch die Ratio des Art. 103 Abs. 2 GG. Sie beläuft sich allein auf die zusätzliche Absicherung der im strafrechtlichen Kontext besonders wichtigen Gewaltenteilung. Auf dieser Basis sind die Anforderungen, die der Gesetzlichkeitsgrundsatz an die Strafgerichte und den Gesetzgeber stellt, im Grunde leicht zu erkennen. Demnach ist die einzige, aber zugleich wichtige Aufgabe des Strafgesetzgebers, über das „Ob“ der Strafbarkeit definitiv zu entscheiden und für das jeweils zuständige Strafgericht eine derart ausgestaltete Ermächtigungsgrundlage zu schaffen, dass es auf den Verstoß gegen den im Strafgesetz festgelegten Verhaltensnormtyp reagieren kann. Allein dadurch wird die wechselseitige Kontrolle der involvierten Staatsgewalten ermöglicht. Da es für die Frage, ob die Strafbarkeit nach Art. 103 Abs. 2 GG gesetzlich bestimmt ist, nach zutreffendem Verständnis nicht darauf ankommt, ob der Bürger die strafbewehrten Verhaltensweisen aus dem Gesetz herauslesen kann, entfällt auch die Notwendigkeit, ganze Deliktsbereiche dem Verdikt der Unbestimmtheit zu unterwerfen. Ohnehin verbietet sich jegliche Art der Pauschalisierung. Legt man bei der Untersuchung der Bestimmtheit des jeweiligen Strafgesetzes die hier dargestellten Kriterien zu Grunde, so erfüllen die allermeisten Strafgesetze die Anforderungen an die gesetzliche Bestimmtheit ohne jede Einschränkung. Das gilt nicht nur für die Gruppe der Fahrlässigkeitsdelikte, der begehungsgleichen Unterlassungsdelikte und die Untreue, sondern im Übrigen etwa auch für das häufig angeprangerte Strafgesetz der Beleidigung.716 Sicherlich lässt sich aus § 185 StGB wiederum nicht viel gewinnen, wenn es im problematischen Einzelfall darum geht zu klären, ob eine bestimmte Äußerung eine Beleidigung darstellt. In den allermeisten Fällen ist das ohnehin nicht ernsthaft fraglich. Vollkommen klar ist jedenfalls, dass das Strafgesetz solche Verhaltensnormen schützt, die ihrerseits dem Schutz der Ehre dienen. Damit ist der Verhaltensnormtyp eindeutig vom Gesetzgeber festgelegt, sodass die Straf716 S. dazu BVerfGE 93, 266; Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 185 Rn. 1; Roxin/Greco, AT, § 5 Rn. 76; Ritze, JZ 1980, 91, 92; Schubarth, JuS 1981, 726, 728; Regge/ Pegel, in: MüKoStGB, § 185 Rn. 1, Roxin, in: Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht, S. 113, 133 ff.; Findeisen/Hoepner/Zünkler, ZRP 1991, 245, 246.

E. Gesamtergebnis

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gerichte ohne weiteres auf etwaige Ehrverletzungen reagieren können. Die verfassungsrechtliche Vorgabe der gesetzlichen Bestimmtheit ist somit erfüllt, obwohl sich aus dem Strafgesetz nicht ergibt, welche Aussagen ehrverletzenden Charakter haben. Dies ist eine Frage der Verhaltensnormkonkretisierung, die zum strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz keinen direkten Bezug aufweist. Tatsächlich verfassungswidrig sind hingegen sowohl das Rechtskonstrukt der alternativen Verurteilung sowie die Verweistechnik, die den qualifizierten Blankettstrafgesetzen zu Grunde liegt. Abgesehen von straftheoretischen Problemen wird in erstgenannten Fall die Verurteilung auf eine Ermächtigungsgrundlage gestützt, die der Gesetzgeber so nicht geschaffen hat. Sofern aber die vom Gesetzgeber festgelegten Voraussetzungen nicht nachweisbar erfüllt sind, darf das Strafgesetz nicht angewandt werden, sodass auch eine Verurteilung auszubleiben hat. Das gilt auch dann noch, wenn es einem vagen Gerechtigkeitsempfinden zuwiderlaufen mag. Gerade in diesen Fällen entfaltet der Gesetzlichkeitsgrundsatz seine beschränkende Wirkung. Im zweitgenannten Fall gilt es, den fundamentalen Grundsatz zu achten, dass der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat. Dies tut er nicht, sofern der Gesetzgeber die Entscheidung über die Strafbarkeit nicht „eigenhändig“ festlegt, sondern der Exekutive überlässt. Die Strafbarkeit ist dann im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG nicht gesetzlich bestimmt.

F. Fazit und Ausblick Der Umgang mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz hat in der Vergangenheit vielfältige Problemstellungen hervorgerufen. Es ist zu erwarten, dass er dies auch in Zukunft noch tun wird. Aufgrund des nur sehr kurz und abstrakt gehaltenen verfassungsrechtlichen Auftrags mussten die Vertreter der Rechtswissenschaft zur Auflösung der sich im Zusammenhang mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz stellenden Probleme zunächst ein Grundgerüst schaffen, welches die Marschroute im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG vorgibt. Bei der Aufstellung dieses Gerüsts ist unzweifelhaft vieles geglückt. Allerdings verfehlen auch einige der vorgegebenen Routen ihr Ziel. Das gilt insbesondere für die „subjektive Seite“ der vom Bundesverfassungsgericht seit jeher postulierten „Doppelfunktion“ des Gesetzlichkeitsgrundsatzes. Nicht nur kann der gewünschte Effekt nicht eintreten, sondern sie führt auch dazu, dass eigens aufgestellte Vorgaben sofort wieder eingeschränkt werden müssen, damit sie nicht in einer Utopie enden. Was übrig bleibt, ist ein diffuses Konstrukt, welches die Grenzen der gesetzlichen Bestimmtheit nicht erkennen lässt und das mittels Maßstabspersonen mit Inhalt zu füllen versucht wird. Abgesehen davon führt die postulierte „Doppelfunktion“ wohl auch dazu, dass der Blick für das Wesentliche verloren geht und sich die Argumentation allein auf die vermeintliche Vorhersehbarkeit strafbarer Verhaltensweisen versteift. Die Folgen sind nicht sachgerechte Ergebnisse, wie es sich etwa im Hinblick auf die qualifizierten Blankettstrafgesetze gezeigt hat. Zudem besteht immer die Gefahr, dass ein abstrakt klar definiertes Strafgesetz aufgrund falscher Maßstäbe als zu unbestimmt angesehen wird. Die Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts, aber auch die von vielen Autoren in der Literatur, ist insofern nicht zielführend. Davon sollte dringend Abstand genommen werden! Für die Zukunft bleibt also zu hoffen, dass sich insbesondere das Bundesverfassungsgericht auf die straftheoretischen Grundlagen zurückbesinnt. Dazu gehört in einem ersten Schritt die klare Trennung zwischen Verhaltensnorm, Sanktionsnorm und Strafgesetz. Sobald dies geschehen ist und in einem zweiten Schritt noch die jeweilige Rechtsnatur korrekt herausgearbeitet wird, ist der Weg zu einem sachgerechten Umgang mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz und insbesondere dem Bestimmtheitsgrundsatz eröffnet. Ob das Bundesverfassungsgericht den notwendigen Umbruch – trotz jahrzehntelanger und gleichbleibender Rechtsprechung – wagt, bleibt abzuwarten. Die Hoffnung sollte jedenfalls nicht aufgegeben werden!

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Stichwortverzeichnis Akzessorischer Charakter des Strafrechts 24 Androhungsprävention 42 f. Angemessenheit – von Sanktionsnormen 51 ff. – von Verhaltensnormen 35 Begriffslogisches Stufenverhältnis 119 f. Bestimmtheitsgrundsatz – Adressat 65 ff. – Inhaltliche Anforderungen 70 ff. – Sinn und Zweck 58 ff. Blankettstrafgesetze 143 ff. Deduktionsgedanke 36 f., 59 f. Delegationsverbot 156 ff. Erforderlichkeit – von Sanktionsnormen 48 – von Verhaltensnormen 35 Fehlverhalten, personales 47, 51 f. Fehlverhaltensfolgen 51 ff., 92 mit Fn. 415 Fragmentarischer Charakter des Strafrechts 57, 80 mit Fn. 364, 130 Garantenpflicht, Sonderverantwortlichkeit 102 ff. Geeignetheit – von Sanktionsnormen 48 – von Verhaltensnormen 31 ff. Generalprävention 19 f. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung 38 ff. Gesellschaftsvertrag 21 Gesetzesergänzende Auslegung 67 ff. Gesetzesvorbehalt 58 f., 123 ff., 139, 156 ff. Gesetzliche Bestimmtheit – Anti-Doping-Gesetz 94 ff. – Beleidigung 166

– Brandstiftung 92 ff. – Fahrlässigkeitsdelikte 84 ff. – Gesetze 65 ff. – Straßenverkehrsdelikte 92 ff. – Unterlassungsdelikte 102 ff. – Untreue 113 ff. Gesetzlichkeitsgrundsatz – Analogieverbot 78 ff. – Bestimmtheitsgrundsatz 63 ff. – Rückwirkungsverbot 77 ff. – Verbot gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung 82 f. Gewaltenteilung 42, 58 ff., 69 ff., 79, 82, 114 ff., 148, 156 ff., 164 ff. Keine Strafe ohne Gesetz 65 ff., 70, 81 Knorpelfleisch-Urteil 149 ff., 160 ff. Konditionalprogramm 45 mit Fn. 182 Konkretisierung – von Sanktionsnormen 66 ff. – von Verhaltensnormen 36 ff., 60 ff. Legitimer Zweck – von Sanktionsnormen 20 ff., 46 f. – von staatlichem Strafeinsatz 15 ff. – von Verhaltensnormen 23 f., 26 ff. Missbilligtes Verhalten 36, 39 mit Fn. 156, 45, 52, 89, 144 ff. Normatives Stufenverhältnis 120 Normgeltungsschaden 23 mit Fn. 53, 49, 55 Präzisierungsgebot 66 ff., 114 Präzisionsgebot 64 Rechtsgüterschutz 21 ff., 33 f., 40 ff. Rechtsgutsbegriff siehe legitimer Zweck der Verhaltensnorm Rechtsnatur – von Sanktionsnormen 41 ff.

Stichwortverzeichnis – von Strafgesetzen 41 ff., 73 ff. – von Verhaltensnormen 22 ff. Rechtsprechungsänderung siehe Vertrauensgrundsatz Rindfleischetikettierungsgesetz-Urteil 148 f., 158 ff. Rückverweisklausel 155 f., 160 f. Sanktionsnorm 41 ff. Schuldprinzip 47 f., 58 ff., 127 Schuldspruch 16 ff., 56 ff., 124 ff., 133 f. Strafgesetz als Ermächtigungsgrundlage für Sanktionsnormen 30 f., 41 ff. Straftheorien – Absolute 16 f. – Präventive 17 ff. – Restitutive 20 ff. Strafzweck siehe legitimer Zweck der Strafe Ultima Ratio 48 Unmöglichkeitsargument

85 f., 90 f.

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Verhaltensleitende Funktion – von Strafgesetzen 30 ff., 60 f., 77 f., 86 ff., 163 ff. – von Verhaltensnormen 36 ff. Verhaltensnormlegitimation – Adressat 33 ff. – Perspektivische Bestimmung 31 ff. Verhaltensnormtyp 73 ff., 166 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – Bewertungseinheit 25 f. – Sanktionsnormen 51 ff. – Verhaltensnormen 35 Verschleifungsverbot 115 ff. Vertrauensgrundsatz – Rechtsprechungsänderung 67 ff., 77 – Schutzwürdigkeit 59 f., 67 ff. Vorsatz 51 ff., 85 ff., 92 ff., Wahlfeststellung 117 ff. Wesentlichkeitsgrundsatz 62 f., 69 f., 81 f., 123 f., 155 f., 164