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German Pages 171 [172] Year 2008
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1092
Integrationsfunktion der Verfassung und Verfassungsnormativität Die Verfassungstheorie Rudolf Smends im Lichte einer transdisziplinären Rechtstheorie Von
Sandra Obermeyer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SANDRA OBERMEYER
Integrationsfunktion der Verfassung und Verfassungsnormativität
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1092
Integrationsfunktion der Verfassung und Verfassungsnormativität Die Verfassungstheorie Rudolf Smends im Lichte einer transdisziplinären Rechtstheorie
Von
Sandra Obermeyer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 361 Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12421-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Für meine Großmutter
„Es gibt Unternehmungen, für die eine sinnvolle Unordnung die rechte Methode ist.“ Herman Melville, Moby Dick
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis eines langen und zum Teil auch schwierigen Arbeits- und Erkenntnisprozesses. Ihr Reiz, aber auch ihre Schwierigkeiten lagen darin, Bereiche wissenschaftlicher Diskussion miteinander zu verknüpfen, die noch weitgehend voneinander abgeschottet sind. Die hier verfolgte Rechts- und auch Verfassungstheorie ist kulturwissenschaftlich informiert und schließt sich mit dieser Orientierung an neuere Arbeiten zur Verfassungstheorie an, die der Komplexität des Gegenstandes „Verfassung“ dadurch Rechnung tragen, dass sie Verfassung als Recht und als gesellschaftliches Phänomen unter Überwindung disziplinärer Grenzen zusammendenken. Die Arbeit, die der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld im Jahr 2006 als Dissertation unter dem Titel: „Rechtliche und nichtrechtliche Wirkungen der Verfassung – Verfassungsnormativität im Spiegel von Konzepten zur Integrationsfunktion der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung der Verfassungstheorie Rudolf Smends“ vorlag, ist im Wesentlichen auf dem Stand von Ende 2005 und berücksichtigt vereinzelt neue Literatur bis Ende 2006. Ich danke allen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Besonders danken möchte ich Prof. Dr. Dieter Grimm, der die Bearbeitung des Themas durch das Gewähren wissenschaftlicher Freiheit, vielfältige Anregungen und nicht zuletzt durch Geduld und Ermutigung ermöglicht hat. Darüber hinaus danke ich Prof. Dr. Joachim Wieland und Prof. Dr. Johannes Hellermann, die mir durch die Beschäftigung an ihren Lehrstühlen neben der „juristischen Bodenhaftung“ und einer „wissenschaftlichen Heimat“ auch die materiellen Möglichkeiten für die Anfertigung dieser Arbeit gegeben haben. Prof. Dr. Hellermann hat außerdem das Zweitgutachten angefertigt, was mich sehr gefreut hat. Besonderen Dank möchte ich den Menschen aus meinem persönlichen Umfeld aussprechen, die mich in vielfältiger Weise unterstützt und so zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Ich widme die Arbeit meiner Großmutter, die mich stets anteilnehmend, besonders bei dieser Arbeit, in Gedanken begleitet hat. Berlin, im Dezember 2007
Sandra Obermeyer
Inhaltsübersicht Einführung – Über Integration als Rechtswirkung der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . Erster Teil:
11
Grundlagen – Über den Zusammenhang zwischen Integrationsund Rechtswirkung der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Zweiter Teil: Bestandsaufnahme – Verfassungsnormativität im Spiegel von Konzepten zur Integrationsfunktion der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
Dritter Teil:
Rechts- und verfassungstheoretische Folgerungen – Ansätze zu einem erweiterten Konzept der normativen Kraft der Verfassung . . . . 116
Vierter Teil:
Ertrag – Die sog. Integrationsverfassung als Verlust von Rechtlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Inhaltsverzeichnis Einführung – Über Integration als Rechtswirkung der Verfassung
11
Die Verfassung im Rahmen eines realistischen Rechtskonzepts . . . . . . . . . . . . .
12
II. Kulturwissenschaftliche und transdisziplinäre Perspektive auf Recht und seine Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
I.
Erster Teil Grundlagen – Über den Zusammenhang zwischen Integrationsund Rechtswirkung der Verfassung
21
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
II. Integration als Einheitsbildung von Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
III. Verfassung im Sinne des modernen Verfassungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
IV. Die normative und methodische Problematik von Aussagen zur Integration durch Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
V. Integrationswirkung der Verfassung und der Begriff der Normativität . . . . . . . 1. „Wirkung“ der Verfassung, nicht ihre Wirksamkeit als Ausgangspunkt . . . 2. Normativität als Rechtswirkung, nicht Geltungsanspruch des Rechts . . . . .
30 33 36
I.
Zweiter Teil Bestandsaufnahme – Verfassungsnormativität im Spiegel von Konzepten zur Integrationsfunktion der Verfassung I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse staatsrechtlicher Aussagen über Integrationsvorgänge und die Rolle der Verfassung: Zur Isolierung verfassungstheoretischer Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Verfassung und Integration in der Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends: Ansätze zu einem umfassenden Verständnis von Verfassungsnormativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Integration in „Verfassung und Verfassungsrecht“ als integrationstheoretisches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 39
40
41 41 43
8
Inhaltsverzeichnis a) Das Integrationsziel – Der Staat als Überwindung von Desintegration auf verschiedenen Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der reale Staat als Nationalstaat, Bundesstaat und politische Schicksalsgemeinschaft des Volkes bei Smend . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Staat als Nationalstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Staat als Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Staat als politische Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inkurs: Weiter gehende Rechtfertigung des Staates bei Smend? . . . cc) Der Staat als beschreibbares soziales Gebilde und Gegenstand des Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Staat als rechtlich geprägte Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Staat als Teilbereich des Sozialen und seine Bestimmung durch das Politische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Staat als Zweckgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der Staat als nationale Volksgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Art und Weise der Integration sowie die Mittel der Integration . . . aa) Über den Zusammenhang zwischen Staat und Integrationsvorgang bb) Die verschiedenen Integrationsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die sachliche Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) „Gemeinschaftsbedingende Gehalte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Symbolisierung als Vermittlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die formale Integration – Integrierende Personen und Verfahrensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Beteiligten des Integrationsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Gesamtvorgang der staatlichen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der sachlichen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der funktionellen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Zusammenspiel der Integrationsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Schlussstein des Integrationssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Der Automatismus der Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Fazit: Spielräume der Verfassung im Integrationsprozess . . . . . . . . . 3. Integration durch Verfassung als politisches Integrationsrecht – Das verfassungstheoretische Konzept Smends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der geisteswissenschaftliche Ansatz Smends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Integration als „Lebensprinzip“ des Staates und „Sinnprinzip“ der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Aufgaben der Verfassung im Rahmen der Integration . . . . . . . . (1) Verfassung und sachliche Integration des Staates . . . . . . . . . . . . . (2) Verfassung und funktionelle Integration des Staates: Das „Verfassungsleben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 44 44 45 46 46 48 50 51 54 55 57 57 59 61 62 67 68 69 70 70 71 71 72 72 73 74 74 75 76 77 79
Inhaltsverzeichnis (3) Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für das Wirken der Verfassung als Integrationsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rückschlüsse aus der Integrationsrolle der Verfassung auf den Verfassungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Normativität der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Verfassungsbegriff Smends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtlichkeitshinweise aus der Integrationsrolle der Verfassung dd) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen des Normativitätskonzepts . . . . . III. Verfassung und Integration in der Staatslehre der Bundesrepublik: Integration durch Rechtsverfassung oder Integrationsverfassung als Ausdruck verschiedener Konzepte von Verfassungsnormativität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung: Verfassung und Integration in der Staats- und Verfassungsrechtslehre nach Smend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Integrationsdebatte als Beispiel für ein wachsendes Bewusstsein transdisziplinärer Zusammenhänge in der Verfassungsrechtslehre . . . . . . b) Die Integrationsleistung der Verfassung als Hinweis auf ihre Normativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Josef Isensee: Die integrative Wirkung der Rechtsverfassung . . . . . . . . . . . . a) Integration des Staates durch die „Rechtsverfassung“: Das Integrationskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassung als Staats-, nicht Gesellschaftsordnung: Das Konzept der „Rechtsverfassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsrecht als „politisches Recht“: Das Normativitätskonzept . . . d) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen des Normativitätskonzepts Isensees 3. Peter Häberle: Integration durch die Verfassung als konkreten Kulturprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Integration durch Verfassung (als Kultur): Das Integrationskonzept . . . . b) Die Verfassung als öffentlicher Prozess: Das Verfassungskonzept . . . . . c) Die Normativität der Verfassung als öffentlicher Prozess . . . . . . . . . . . . . d) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen des Normativitätskonzepts Häberles 4. Integration durch Verfassung als Institution (Hans Vorländer, Jürgen Gebhardt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfassende Integration durch Verfassung als Institution: Das Integrationskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassung als politische Institution mit symbolischer Dimension: Das Verfassungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Normativität im Kontinuum der Verfassungspraxis: Das Normativitätskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen des institutionentheoretischen Normativitätskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit: Unterschiedliche Integrationskonzepte und unterschiedliche Normativitätskonzepte? – Zu den Rechtlichkeitsideen der Konzepte . . . . . . . . . . . .
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80 81 82 82 84 86
88 88 88 90 91 91 94 95 97 98 99 101 102 105 107 108 110 111 112 113
10
Inhaltsverzeichnis Dritter Teil Rechts- und verfassungstheoretische Folgerungen – Ansätze zu einem erweiterten Konzept der normativen Kraft der Verfassung
I.
116
Einleitung: Verfassungsrecht aus realistischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
II. Zur Perspektivenabhängigkeit der Darstellung von Verfassung und Verfassungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Eine Annäherung an eine realistische Darstellung der Verfassungsverwirklichung: Verschiedene Akteure und Verwirklichungsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Allgemeines zur Struktur der Verfassungsverwirklichung: Akteure, Verwirklichungsweisen und Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Verschiedene Akteure und verschiedene Arten der Verfassungsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Rechtswissenschaft als Akteurin der Verfassungsverwirklichung und die Herstellung von Recht(sbildern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Institutioneller Status und Bedeutung der Rechtswissenschaft im Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Beitrag der Wissenschaft zur Verfassungsverwirklichung . . . . . . . . . . . . a) Kulturwissenschaftliche Betrachtung und Deutung des Rechts . . . . . . . . aa) Kein Kulturverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kultur als Beobachtungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Folgen der kulturwissenschaftlichen Betrachtung der Entfaltung von Verfassungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Folgen für die Betrachtung der Leistungen der Rechtswissenschaft im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2. Folgen für den Begriff der Normativität im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . 136 VI. Rechtstheoretische Gründe für einen erweiterten Begriff der Normativität der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Vierter Teil Ertrag – Die sog. Integrationsverfassung als Verlust von Rechtlichkeit? 142 I.
Zur Diskussion um symbolische und integrative Verfassungsleistungen . . . . . . 142 1. Für ein erweitertes Konzept der Verfassung als Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Die Rede von einer „symbolischen Verfassung“ – eine geglückte Begriffsbildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
II. Smends Verfassungsverständnis als Normativitätsmanko? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Einführung – Über Integration als Rechtswirkung der Verfassung Die vorliegende Arbeit ist aus dem Interesse entstanden, herauszufinden, wie Verfassung und gesellschaftliche Integration zusammenhängen, was die Staatsund Verfassungslehre meint, wenn sie der Verfassung integrative Kraft zumisst, und wie diese wissenschaftlichen Zuweisungen letztendlich zu bewerten sind. Zu Beginn und im Mittelpunkt meiner Beschäftigung mit verschiedenen Aussagen der Staatsrechts- und Verfassungslehre zur Integrationsbedeutung der Verfassung stand lange Zeit die Arbeit mit Rudolf Smends Integrationslehre, die eine Antwort auf diese Fragen geben kann. Diese Antwort lässt sich als verfassungstheoretisches Konzept, das einer bestimmten integrationstheoretischen Vorstellung folgt, rekonstruieren1. Allerdings ist Smends Antwort auf die Integrationsfrage eine verfassungstheoretische, eher sogar eine staatstheoretische und vor allem eine normative in dem Sinne, dass Verfassung integrativ wirken soll. Aus der Binnenperspektive der Arbeit Smends kann die Beurteilung seiner verfassungstheoretischen Folgerungen daher nur positiv sein. Diese Perspektive deckt sich aber nicht mit der seiner Kritiker, welche Smends Bausteine einer Verfassungslehre als Schaden für die Verfassung ansehen, da diese durch die Orientierung an den Erfordernissen des Integrationsprozesses ihre Normativität verlöre2. Positive Beurteilungen der Verfassungslehre Smends kämpfen mit dem bekannten Vorwurf der Auflösung der Normativität der Verfassung. Smend selbst hat in späteren Aussagen zur Integrationslehre die Verkennung der „Eigenart des Rechts“ als einen Mangel seiner Lehre hervorgehoben3. Dieser Diskussionsverlauf legte es nahe, die Normativität der Verfassung zum Fluchtpunkt der Beurteilung des verfassungstheoretischen Konzeptes Smends und der Konzepte seiner Kritiker zu machen. Sowohl eine Rekonstruktion der Normativitätskonzepte (der verfassungstheoretischen Aussagen) als auch deren Beurteilung setzen Orientierungspunkte zur Frage der Normativität voraus. Diese müssen aus einem Begriff davon erwachsen, was Normativität der Verfassung bedeuten soll, woraus sie besteht und was sie begrifflich umfasst.
1
Dies wird in der Bestandsaufnahme unternommen. Z. B. Grimm, Verfassung, in: Grimm/Mohnhaupt, S. 136; Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 218 f.; Lehnert, Desintegration durch Verfassung, S. 237 ff.; Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Freiburger Antrittsvorlesung, 1959. 3 Z. B. im Artikel Integrationslehre (1956), abgedr. in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 475 ff. 2
12
Einführung
So klar sich dieses Erfordernis zeigt, so schwierig ist seine Erfüllung: Normativität der Verfassung oder ihre normative Kraft sind Begriffe, die zwar argumentativ verwendet, aber selten gründlich geklärt werden, da sie die „Tiefenstrukturen“ eines bestimmten Rechtsverständnisses ausmachen und somit ständig „mitgesprochen“, aber nicht eigens hervorgehoben werden. Normativität ist meist ein Subtext verfassungstheoretischer Aussagen. Eine Klärung des Begriffs verlangt ein eigenes Verständnis von Normativität, das Anhaltspunkte für die Begrifflichkeit bereitstellt. Aufbauend auf begrifflichen Konzepten zur Verfassung und ihren Wirkungen können Daten und Erkenntnisse aus induktiv vorgehenden historisch-vergleichenden Betrachtungen von Verfassungen und ihrer Verfassungswirklichkeit verfassungstheoretisch verwertet werden. Diese Verwertung ist nicht möglich, wenn keine Klarheit über die begrifflichen Kategorien besteht, also darüber, worin man Integrationserfolge sehen will und wie Verfassung (integrative) Wirkungen entfaltet. Betrachtet man – wie in dieser Arbeit – Integrationsleistungen als besonderen Fall von Verfassungswirkungen, so sind Formen und Bedingungen von Verfassungswirkungen vorab zu klären. Insofern versteht sich diese Arbeit als Ergänzung zu historisch-vergleichenden Verfassungsanalysen zu integrativen Leistungen von Verfassungen4. In einer ersten begrifflichen Annäherung kann man Normativität schlicht als Eigenschaft von Recht(-snormen) verstehen, als Ausdruck von Rechtlichkeit. Damit verweist man das weiter bestehende Problem der genaueren Bestimmung des Normativitätsbegriffs auf einen zugrunde liegenden Rechtsbegriff und eröffnet dadurch ein weites Feld möglicher Normativitätsbegriffe, da verschiedene Perspektiven auf Recht und somit verschiedene Begriffe des Rechts möglich sind. Die Erfassung der Normativität der Verfassung setzt daher ein bestimmtes rechtstheoretisches Konzept der Verfassung voraus.
I. Die Verfassung im Rahmen eines realistischen Rechtskonzepts Zur Klärung begrifflicher Grundkategorien der Wirkung von Verfassung wird in der Arbeit in Ansätzen ein realistisches Bild der Verfassung entfaltet, das davon ausgeht, dass Recht in gesellschaftliche Kontexte eingebettet ist5 und Rechtlichkeit, welche einen komplexen Vorgang darstellt, sich vor allem in der Verwirklichung des Rechts zeigt. Recht entfaltet sich nicht aus sich selbst heraus, sondern wird produziert, angewendet, durchgesetzt und gebraucht. Man 4 Diese hält Grimm für eine wichtige Voraussetzung, um empirisch abgesicherte Angaben zu Verfassungen und ihren integrativen Leistungen zu machen, vgl. Grimm, Integration durch Verfassung, S. 448 ff. 5 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 43.
I. Die Verfassung im Rahmen eines realistischen Rechtskonzepts
13
kann insoweit treffend von „lebendem“ oder „gelebtem“ Recht sprechen.6 Eine Wahrnehmung von Recht lediglich als Rechtstext im Sinne der schriftlich fixierten Vorschriften stellt sich als Reduktion dar, ebenso wie die Verengung auf eine imperative Funktion. Andererseits wird mit der Rede von Umsetzung und Entfaltung des Rechts ebenfalls ein irgendwie gegenständlich fixiertes Recht in den Blick genommen, das für den Fall des Verfassungsrechts auch besondere Eigenschaften hat. Die realistische Perspektive zeigt – abhängig davon, um welches Recht es sich handelt – verschiedene Beteiligte des Rechtslebens und verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit Recht und der Verwirklichung des Rechts. Insofern ist die Verwirklichung des Verfassungsrechts anders als zum Beispiel die des Zivilrechts zu beschreiben, denn Verfassungsrecht wird mit anderen Eigenschaften als Zivilrecht ausgestattet und hat andere Adressaten. Recht erscheint aus dieser Verwirklichungsperspektive als Rechtspraxis7, die sich als eine bestimmte Kommunikation in einem gesellschaftlichen Kontext, mithin als institutioneller Zusammenhang darstellt8. Das Ziel der Untersuchung ist die Einbettung möglicher Integrationswirkungen der Verfassung in ein Koordinatensystem ihrer Rechtswirkungen und somit die rechtstheoretische Unterstützung verfassungstheoretischer Konzepte, die Integration als Rechswirkung abbilden können. Getragen wird dies von der Annahme, dass jede Art von Wirkung der Verfassung als Ausdruck ihrer Beschaffenheit als Rechtsnorm entfaltet werden kann. Als rechtstheoretische Übersetzung dieser „Beschaffenheit als Rechtsnorm“ fungiert der Begriff der „Normativität“. Die Nützlichkeit für die Untersuchung rechtfertigt diese definitorische Festlegung.9 Die Vorstellung von Recht als Rechtspraxis unterläuft übliche Unterscheidungen zwischen rechtsinternen und rechtsexternen Faktoren der Rechtsverwirklichung und erschwert die Darstellung des Prozesses der Verfassungsverwirklichung, da Recht mit bestimmten Eigenschaften durch die Umsetzung erst hervorgebracht wird, gleichzeitig aber auch Eingangsdatum eines Umsetzungsprozesses ist. Die hier vorgeschlagene Annäherung an diese Paradoxie besteht 6 Vgl. Raisers Rechtssoziologie mit dem Titel „Das lebende Recht“, welcher auf einen Grundgedanken der Rechtssoziologie Eugen Ehrlichs (1862–1922) verweist, nachzulesen v. a. in dessen Werk „Grundlegung der Soziologie des Rechts“ von 1913. 7 Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, S. 95, 126 ff.; Neves, Verfassung und Positivität, S. 45 ff. 8 Krawietz, The concept of law revised, S. 34 ff. 9 Zu definitorischen im Unterschied zu theoretischen Aussagen Bechtler, Der soziologische Rechtsbegriff, S. 16 ff. Ähnlich Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, S. 55, der in Bezug auf den Geltungsbegriff aussagt, dass sich beliebige Eigenschaften von Rechtsnormen mit dem Begriff der Geltung bezeichnen lassen, da es kein Gesetz gibt, das eine Einschränkung in der Formulierung von Eigenschaften von Rechtsnormen ausspricht. Zur Begriffsbildung s. auch die Ausführungen im dritten Teil der Arbeit.
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Einführung
darin, die Verfassungsverwirklichung als Prozess mit verschiedenen Akteuren und verschiedenen normativen Wirkungsweisen ausschnittsweise zu zeigen. Im institutionellen Zusammenhang verschiedener Rechtspraxen, in dem Recht mit bestimmten Eigenschaften stets aktualisiert wird, nehmen bestimmte Sprechweisen über Recht eine besondere Stellung ein. Bislang spiegelt sich das hauptsächlich in der Beachtung der Gerichte und der Rechtsprechung wider, die für das Verfassungsrecht und das Bundesverfassungsgericht und seine Bedeutung besonders ausgeprägt ist10. Auch die Integrationsdebatte wird mit besonderem Blick auf das Bundesverfassungsgericht geführt11. Im Gegensatz dazu wird in dieser Arbeit die Rechtswissenschaft, d.h. vor allem die Verfassungstheorie, fokussiert, die als „Reflexionsinstanz“ als zum Rechtssystem12 dazugehörig betrachtet wird13. Die Rolle der Wissenschaft für die Verwirklichung der Verfassung wird besonders beachtet, da ihr und ihrem Umgang mit Recht aus realistischer Perspektive Bedeutung im Prozess der Rechtsverwirklichung zukommt14, indem sie für die Diskussion um Verfassungsleistungen und -wirkungen erst die Basis bereitstellt. Mit einer Fokussierung der Rechtswissenschaft wird die Instanz, die nach eigenem Verständnis eine Beobachtungsinstanz des Rechtssystems bildet, mit ihren Beobachtungen selbst zum Gegenstand der Beobachtung gemacht15. Die Beschäftigung mit dieser Ebene ist das Einfallstor für kulturwissenschaftliche Betrachtungen16, welche sich insbesondere mit sprachlich und textlich vermit-
10 Über Stellung, Aufgabe, Bedeutung und Funktion des Bundesverfassungsgerichts gibt es mittlerweile – da es sich um ein Dauerthema des deutschen Verfassungsrechts handelt – unzählige Literatur. Vgl. als Zusammenfassung etwa Guggenberger/Würtenberger (Hrsg.), Hüter der Verfassung oder Lenker der Politik? 11 Vgl. Haltern, Integration als Mythos, S. 37 ff.; Rossen-Stadtfeld, Verfassungsgericht und gesellschaftliche Integration, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht, S. 169 ff., und dort auch die anderen Beiträge. 12 Der Begriff des Rechtssystems meint in dieser Arbeit v. a. etwas von anderen gesellschaftlichen Phänomenen Abgrenzbares, das alles umfassen soll, was Recht ist und bestimmte Strukturen, d.h. eine bestimmte Ordnung, hat. Damit wird natürlich auf systemtheoretische Vorstellungen rekurriert, es werden aber nicht auf der Basis einer weitergehenden Rezeption die Maßgaben dieser allgemeinen Theorie sozialer Systeme auf das Rechtssystem übertragen. Vgl. dazu bspw. Teubner, Recht als autopoietisches System. 13 Zum Rechtssystembegriff und der Einbeziehung der Rechtswissenschaft Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 96 ff. (S. 98 Fn. 72). 14 Bislang ist dies eher am Rande und nicht systematisch geschehen. Aussagen zur Bedeutung der Wissenschaft v. a. bei Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 521 ff.; ders., Rezensierte Verfassungsrechtswissenschaft; s. auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 206 ff. sowie Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. 15 Zu diesen Beobachtungen zweiter Ordnung s. Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 30 f.; Baecker, Fünf Aufsätze zur Kultur, S. 35 ff. (39) (Das Programm der Kultur).
I. Die Verfassung im Rahmen eines realistischen Rechtskonzepts
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telten Sinn- und Wirklichkeitskonstruktionen befassen17, wie sie auch durch die Wissenschaft hergestellt werden18. Die Rechtswissenschaft, d.h. hier vor allem die Staats- und Verfassungs(rechts)lehre und ihre Beschreibungen der Verfassungsleistungen, werden ausgehend von der Überzeugung betrachtet, dass es erheblich ist, ob durch sie eine bestimmte Wirkungsweise der Verfassung als rechtlich oder nicht-rechtlich kategorisiert wird. Diese Einordnung beeinflusst beispielsweise die Beurteilung bestimmter Verfassungsergänzungen oder -inhalte: So wird die Formulierung von Staatszielen, Verfassungsaufträgen, neuartigen Grundrechtsformulierungen oder moralischen Appellen abgelehnt, weil sie den rechtlichen Charakter der Verfassung beeinträchtigten, obwohl die formalen Eigenschaften der Verfassung: die erschwerte Änderbarkeit, die Höherrangigkeit sowie die textliche Fixierung in einem Dokument, davon nicht tangiert werden.19 Das setzt ein bestimmtes Bild von Rechtlichkeit der Verfassung voraus, das offenbar noch von weiteren Faktoren abhängt und das in dieser Arbeit einer anderen Idee von Rechtlichkeit gegenübergestellt wird, die von einem realistischen, d.h. von der Verwirklichung des Rechts angeregten, Begriff von Recht und seinen Wirkungen ausgeht und dies auf die Verfassung überträgt. Die aktuelle Diskussion über Verfassung und gesellschaftliche Integration, die neuere Ansätze der soziologischen und politikwissenschaftlichen Theorie der Institutionen aufnimmt, zeigt Perspektiven, insbesondere auf die symbolischen Aspekte von Recht, die eine erweiterte Vorstellung von Rechtswirkungen ermöglichen.20 Diese Anregungen sollen rechtstheoretisch „eingefangen“ werden, damit auf diese Weise verfassungstheoretische Vorstellungen, wie sie sich für diese Arbeit relevant vor allem in Häberles „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“21, finden und rechtstheoretische Konzepte, wie der von Krawietz ausgehenden rechtsrealistischen Schule22 und 16 Zu Kultur als Beobachtungsstruktur Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 31 ff. (48 ff., 54). 17 Barker, Cultural Studies, insb. Chapter 3: Culture, Meaning, Knowledge: The linguistic turn in cultural studies, S. 66 ff. 18 Hier besteht daher auch eine Nähe zu wissenssoziologischen und auch wissenschaftssoziologischen Ansätzen. 19 Als Ausgangspunkt der Kritik an einer solchen Veränderung der Verfassung, d.h. des GG, kann Forsthoff gesehen werden (beispw.: Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 130 ff.). Aktuell kann auf Isensee verwiesen werden; z. B. Vom Stil der Verfassung. 20 Die Darstellung der verschiedenen verfassungstheoretischen Konzepte erfolgt in Teil III der Bestandsaufnahme. 21 Vgl. die gleichnamige Arbeit Häberles aus dem Jahr 1998, die die seit Anfang der 80er Jahre entfalteten (v. a. in der 1. Aufl. von Verfassungslehre als Kulturwissenschaft) kulturwissenschaftlichen Ansätze weiterentwickelt und zusammenführt. Eine Anwendung des Ansatzes und dadurch auch Weiterentwicklung zeigt sich in Häberles Europäischer Verfassungslehre (2001/2002). 22 Vgl. dazu v. a. die Arbeiten von Krawietz, insb. die Zusammenfassung von Einzelstudien „Recht als Regelsystem“. Weitere Arbeiten in diesem Kontext sind Gromit-
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Friedrich Müllers Konzept von Normativität als Vorgang23, fruchtbar zusammengeführt werden können24. Zu berücksichtigen ist, dass der hier vorgeschlagene Rechtsbegriff der Verfassung nicht den Anspruch erhebt, allgemeingültig zu sein, sondern bereichsspezifisch aus einer rechtswissenschaftlichen Betrachtung der Verfassung entwickelt wird und für diese gedacht ist. Das wird getragen von einer deutlichen Differenzierung des Umgangs mit Recht, hier Verfassungsrecht, durch verschiedene Akteure, insbesondere durch Wissenschaft und Praxis25, obwohl beide als Faktoren der Verfassungsverwirklichung wahrgenommen werden. Die Differenzierung verschiedener Zugangsweisen zum (Verfassung-)Recht hindert die Zusammenschau nicht, sondern ist ihre Voraussetzung und ermöglicht sie im Sinne einer Forderung auch nach mehr Intra-, nicht nur Interdisziplinarität26, insbesondere der rechtlichen Grundlagenforschung27, in deren Kontext sich diese Arbeit mit der Frage nach den Wirkungsbedingungen des Verfassungsrechts einordnet. Die Integrationsfunktion der Verfassung ist ein geeigneter Ausgangspunkt für grundsätzliche Überlegungen zur Normativität der Verfassung, da sie sich in der Beschreibung durch die Staatsrechts- und Verfassungstheorie zwischen rechtlicher und außerrechtlicher Wirkung der Verfassung bewegt. Das zeigt sich vor allem an der Wahrnehmung und Bewertung als symbolisch benannter Verfassungsdimensionen, die in der derzeitigen Integrationsdebatte eine Rolle spielen, da mit ihnen überwiegend eine über das Rechtliche hinausgehende Art von Integration bezeichnet wird28. Symbolische Aspekte von Recht werden allerdings im bisherigen Diskurs in einem sehr allgemeinen Zugriff häufig mit negativen Vorstellungen wie Täuschung durch Recht in Verbindung gebracht und „echten“ saris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts; ders., Theorie der Rechtsnormen bei Rudolf von Ihering; Riechers, Die Normen- und Sozialtheorie des Rechts bei und nach Georges Gurvitch. Dazu auch unter dem Aspekt der Schulenbildung Schulte, Recht, Staat und Gesellschaft, S. 317 ff. 23 Entfaltet vor allem in der Arbeit „Strukturierende Rechtslehre“. 24 Dazu der dritte Teil der Arbeit. Dass sich Häberles Theorie der offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten und Müllers Konzept von Normativität als Vorgang zu einer erweiterten Vorstellung von Verfassungspraxis zusammenführen lassen, wenn man „Verfassungssollen als Wirklichkeit“ (Neves) konzipieren will, findet auch Neves, Verfassung und Positivität, S. 57 f. Das Zitat findet sich ebd. auf S. 49. 25 Zu dieser Unterscheidung und gleichzeitig einem Rechtsbegriff, der sich an den Bedürfnissen der Rechtsprechung orientiert und daher hier nicht verwendbar ist Dreier, Der Begriff des Rechts, S. 890 ff. 26 Zu Intradisziplinarität im Bereich der Rechtswirkungsforschung vgl. Gusy, Was bewirken Gesetze?, S. 289 ff. 27 Krawietz, Recht als Information und Kommunikation, S. 175 ff. Dieses Konzept wird im multi-level-approach zusammengefasst, der im dritten Teil der Arbeit (Verfassungstheoretische Folgerungen) aufgegriffen wird. 28 Zum Beispiel Grimm, Integration durch Verfassung, S. 448 ff.
II. Kulturwissenschaftliche Perspektive auf Recht
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normativen Leistungen gegenübergestellt.29 In Übereinstimmung mit neueren, insbesondere institutionentheoretischen, Ansätzen der Verfassungstheorie ist hier zunächst eine begriffliche Differenzierung und Neukonturierung in Bezug auf den Begriff der „symbolischen Rechtswirkung“ zu leisten. Die Untersuchung von Smends Integrationslehre unter rechtstheoretischen Aspekten ist schwierig, da er seine verfassungstheoretischen Aussagen ausdrücklich auf staats- und nicht rechtstheoretischer Ebene trifft30. Eine rechtstheoretische Rekonstruktion seiner Aussagen kann daher eine neue Perspektive auf seine Theorie eröffnen, da Smend sicherlich einen Begriff von Normativität der Verfassung hatte. Fraglich ist, wie sich dieses Normativitätsverständnis und die Kritik Smends im Lichte neuerer, insbesondere durch Sozial- und Kulturwissenschaften informierter, Rechtskonzeptionen zeigen, die wie die Idee der institutionellen Verwirklichung des Rechts oder der Normativität als Vorgang dynamische oder jedenfalls weniger statische Vorstellungen von Recht und Rechtswirkung beinhalten31. Smends Arbeit ist in diesem Zusammenhang ebenfalls unter methodischem bzw. disziplinärem Gesichtspunkt von Interesse, da seine geisteswissenschaftliche Betrachtung der Verfassung als anschlussfähiger Aspekt im Rahmen gegenwärtiger Diskussionen zu Verfassungsleistungen in einem „kulturellen Verweisungszusammenhang“32 betrachtet wird.
II. Kulturwissenschaftliche und transdisziplinäre Perspektive auf Recht und seine Wirkungen Mit einem Verständnis von Rechtswirkungen der Verfassung in einem solchen „kulturellen Verweisungszusammenhang“ ist methodisch ein disziplinenübergreifender Blickwinkel verbunden. Der von dort aus mögliche realistische Blick auf Recht und Rechtswirkungen lässt sich als sozial- und insbesondere kulturwissenschaftlich informiert beschreiben. „Kulturwissenschaftlich“ wird dabei zunächst als Begriff benutzt, der in der Lage ist, den disziplinenübergreifenden, an einer Fragestellung – wie wirkt Verfassung integrativ? und allgemeiner: wie wirkt Verfassung im Allgemeinen?33 – orientierten Umgang mit Perspektiven 29 Das betrifft insbesondere das Strafrecht. Dazu Voß, Symbolische Gesetzgebung. Für das Verfassungsrecht hat Loewenstein mit seiner Einteilung von Verfassungen in Kategorien von „normativ“ bis „semantisch“ diese Sichtweise befördert. s. dazu auch den vierten Teil der Arbeit. 30 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120. 31 Das wird zum Schluss u. a. als Ertrag der Arbeit (Vierter Teil) thematisiert. 32 Begriff von Vorländer, vgl. Vorländer, Integration durch Verfassung, im gleichnamigen von ihm herausgegebenen Sammelband. 33 Ein anderes Beispiel für eine Fachgrenzen überschreitende Perspektive ist die Auseinandersetzung mit der Kategorie Geschlecht, wie sie z. B. in den Gender Studies betrieben wird, vgl. die knappen Anmerkungen von Baer, Interdisziplinierung oder Interdisziplinarität – eine freundliche Provokation, S. 77 ff.
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auf das Recht zu umfassen34. Die kulturwissenschaftliche Betrachtung wird damit zur Formel für inter- bzw. transdisziplinäres Arbeiten35 und – sofern sich Anregungen anderer Wissenschaften in den Teildisziplinen der Rechtswissenschaft widerspiegeln – auch für intradisziplinäre Arbeit. Die Beschreibung „transdisziplinär“ wird der als „interdisziplinär“ hier vorgezogen, da im Konzept kulturwissenschaftlicher oder -theoretischer Betrachtung, insofern sie als Begriff für einen umfassenden Blick firmiert, der zum Teil den sozialwissenschaftlichen Blick ablöst,36 bereits verschiedene Perspektiven integriert sind; eine genaue Bestimmung der disziplinären Grenzen bei der kulturwissenschaftlichen Betrachtung von Dingen ist daher nicht leicht zu erreichen. Das Konzept „interdisziplinären“ Arbeitens geht hingegen nach wie vor von disziplinären Grenzen aus, die zum Zwecke wechselseitiger Irritation und Befruchtung zwar überschritten werden können37; eine Integration verschiedener disziplinärer Perspektiven verbindet sich damit jedoch nicht. Das Umfassende und Disziplinenüberschreitende der Perspektive auf Recht könnte auch in dem Begriff sozialwissenschaftlich eingefangen werden. Allerdings legt der Begriff „kulturwissenschaftlich“ die Betonung deutlicher auf die Wahrnehmung von Ideen, Konzepten und Sprechweisen als eigenständig beobachtbaren Teil der sozialen Welt. Diese ideelle Dimension der sozialen Wirklichkeit gewinnt insbesondere über den Begriff der Institution eine ebensolche Realität wie die materielle Wirklichkeit.38 Insofern handelt es sich bei der kulturwissenschaftlichen Pers34 Zu Kulturwissenschaften als disziplinenübergreifenden Forschungszusammenhang vgl. Nünning/Nünning (Hrsg.), Konzepte der Kulturwissenschaften, Einleitung. 35 Zu diesen Konzepten vgl. knapp Mittelstraß, Transdisciplinarity – New Structures in Science, der sich v. a. auf die Naturwissenschaften bezieht. Die allgemeinen Überlegungen zu den Begriffen Trans- und Interdisziplinarität lassen sich aber grundsätzlich auf andere Wissenschaften übertragen. 36 Veddeler, Rechtstheorie versus Kulturtheorie, S. 453 ff. (473); vgl. auch Posner, Kultur als Zeichensystem, S. 37 ff., der die unterschiedliche Wahrnehmung von Kultur in verschiedenen Wissenschaftszweigen beschreibt (S. 37 f.) und dadurch ebenfalls das Umfassende der Kultur aufzeigt. Ein Indiz hierfür liefert auch die Kritik Schlinks an Häberles Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, der er vorwirft, dass sie bislang sozialwissenschaftlich bekannte Fragen nun unter dem Etikett Kulturwissenschaft bearbeitete und damit letztlich nur den Zeitgeist bediente. Vgl. Schlinks Besprechung zur 1. Auflage von „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“ in: AöR 109/1, S. 143 ff. 37 Hier ist v. a. das eigene Vorverständnis der Verfasserin ausschlaggebend. Eine eingehende Auseinandersetzung mit Konzepten zu Inter- und Transdisziplinarität kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Für Anregungen zu disziplinenübergreifender Arbeitsweise ist ein Blick in die Verwaltungswissenschaft(en) lohnend, die als „Integrations-, Querschnitt- oder Kreuzwegwissenschaft“ mehr Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Perspektiven auf einen Gegenstand hat. Vgl. den Überblick bei Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 41 ff. 38 Der kulturwissenschaftliche Blick wird insoweit als Erweiterung der Beschreibung der sozialen Wirklichkeit um Sinn- und Bedeutungsdimensionen dargestellt. Er eröffnet mit der Betonung des Zusammenhangs zwischen sozialen Gebilden und kulturellen Bedingtheiten neue Perspektiven auf alte Themen. Vgl. dazu die Beiträge in: Hardtwig/Wehler (Hrsg.), Kulturgeschichte heute. Darin v. a. Mergel, Kulturgeschichte
II. Kulturwissenschaftliche Perspektive auf Recht
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pektive um eine spezifische Art der sozialwissenschaftlichen Betrachtung, die um den Zusammenhang zwischen sozialen Gebilden und kulturellen Bedingtheiten erweitert und für die vorliegende Arbeit nützlich ist, da es um den institutionellen Charakter von Sprechweisen der Wissenschaft und ihre Konzeptualisierungen der Wirkungen von Verfassungsrecht geht. Rechtsrealistische Betrachtungsweisen des Rechts sehen sich allerdings grundsätzlich dem Vorwurf ausgesetzt, durch den „Blick von außen“ auf das Recht das Normative des Rechts aus den Augen zu verlieren. So kritisiert Lepsius an einer systemtheoretischen Gesetzes- und Rechtskritik eine Relativierung der Normativität der Verfassung, da die systemtheoretischen Modellvorstellungen nicht mit den Grundannahmen der Verfassung kompatibel seien39. Abgesehen davon, dass diese Einschätzung von einem spezifischen Verständnis der Grundannahmen der Verfassung abhängt, ist zweifelhaft, ob der Normativität der Verfassung mit dieser Idee verfassungskonformer Realitätsbetrachtung gedient ist. Dies erscheint fraglich, da die Verfassungstheorie auf Aussagen darüber, wie gesellschaftliche Zusammenhänge geartet sind, angewiesen ist, wenn sie der Verfassung zu Wirksamkeit verhelfen möchte. Der Maßstab für die Beurteilung solcher soziologischen Feststellungen kann – nach hier vertretener Auffassung – kaum dem Recht in einem eng verstandenen Sinne entnommen werden, es sei denn man unterstellt allen soziologischen Modellen dieselbe Realitätsnähe (oder -ferne) und fasst sie nicht als deskriptive, sondern normative Aussagen auf40. Die Problematik, die mit einem disziplinenübergreifenden Zugang zum Recht verbunden ist, rührt von der für das Recht prägenden Trennung zwischen Sollen und Sein her, die sich besonders wirkmächtig durch die „Reine Rechtslehre“ Kelsens entfaltet und zu einer Trennung von Recht und Wirklichkeit entwickelt hat41. Diese Trennung und Gegenüberstellung durchzieht alle konventionellen Aussagen zum Recht und ist Ausdruck eines interventionistischen und instrumentalistischen Rechtsdenkens42, das darauf angewiesen ist, das Recht als Ins– die neue „große Erzählung“?, S. 41 ff., und Gilcher-Holtey, Kulturelle und symbolische Praktiken, S. 111 ff. 39 Lepsius, Steuerungsdiskussion, insb. S. 7, 29. 40 Damit ist Normativität als rechtliche Vorgabe gemeint. Nicht gemeint ist, dass allen theoretischen Entwürfen eine bestimmte Normativität im weiteren Sinne zukommt, wenn man von der Unbeobachtbarkeit gesellschaftlicher Zusammenhänge aus, zu einer damit verbundenen Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit durch die Gesellschaft gelangt, die stets eine Setzung ist. Dazu Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, wobei sich die Autoren auf Alltagswissen, nicht wissenschaftliches Wissen, beziehen (S. 16, 21). Die Aussagen sind jedoch grundsätzlich auch auf wissenschaftliches Wissen übertragbar; Runkel, Allgemeine Soziologie, S. 175 ff. 41 Sack, Norms, Facts and the „Structure“ of Social Reality, S. 303 ff. (306 f.). 42 Damm, Norm und Faktum, S. 213 ff. (223).
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trument, insbesondere zur Regelung gesellschaftlicher Konflikte, im Interesse seiner Wirkungsmacht von realistischen Kontaminationen frei zu halten. Mittels eines kulturwissenschaftlichen Blicks kann diese auch von der Rechtswissenschaft gepflegte Semantik43 als wesentlicher Ausdruck von Rechtlichkeit als solcher wahrgenommen und untersucht werden. Ausgangspunkt dafür ist, dass die (rechts-)philosophisch geläufige Unterscheidung zwischen einem Sollen und einem Sein nicht unmittelbar zur Entgegensetzung von Recht und Wirklichkeit führt44. Sie bedeutet nicht einmal die Beziehungslosigkeit von Sollen und Sein, wenn man davon ausgeht, dass ein Sollen nur angesichts eines Seins formuliert werden kann.45 Sie bedeutet zunächst in der gängigen Formulierung, dass aus einem Sein kein Sollen folgen kann. Damit wird ein logisches Gesetz wiedergegeben46. Diese formallogische Unterscheidung ist jedoch keine Abbildung der Wirklichkeit, sondern ein Denkgesetz, das Mittel, nicht Maß des Denkens ist47. Eine Beschreibung des Rechts als soziales Phänomen berührt dieses Denkgesetz nicht. Eine Entfaltung des Rechts als „seiendes Sollen“48 führt daher auch nicht zu einem Verlust der Rechtlichkeit durch die seit Georg Jellinek stets bemühte „normative Kraft des Faktischen“, die es ermöglicht den Geltungsanspruch des Rechts unter Rückgriff auf diese Legitimationsformel49 auszuhöhlen. Zwar mag es rechtsrealistische Betrachtungen dieser Art geben, die so auf ihre Weise den Gegensatz von Sein und Sollen perpetuieren. Eine transdisziplinär vorgehende Beschreibung, die Rechtlichkeit im sozialen Kontext rekonstruiert, nimmt davon jedoch Abstand, da es ihr gerade um eine angemessene realistische Wiedergabe von Normativität geht50. Das „Sollen“ wird damit gerade nicht aufgegeben, sondern als wesentlicher Ausdruck des Rechts begriffen. Nach dieser ersten perspektivischen Ausrichtung werden im folgenden Teil die begrifflichen Grundlagen der Arbeit gelegt.
43 Riechers, Rechtssystem als normative Struktur und sozietaler Prozess, S. 497 ff. (525). 44 Dazu, dass aus einer Unterscheidung keine Trennung folgen muss, Winkler, Sein und Sollen, S. 257 ff. 45 Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 48 ff. 46 Ott, Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, S. 397 ff. 47 Sack spricht in diesem Zusammenhang von „reification tendency“: Sack, Norms, Facts and the „Structure“ of Social Reality, S. 303 ff. (306). Winkler, Sein und Sollen, S. 257 ff. (263, 269 f.). 48 Nawiasky, zitiert bei Veddeler, Rechtstheorie versus Kulturtheorie, S. 453 ff. (461). 49 Zum Legitimationscharakter dieser Formel Grimmer, Die Rechtsfiguren einer „Normativität des Faktischen“. 50 Krawietz, Recht als Information und Kommunikation, S. 175 ff.
Erster Teil
Grundlagen – Über den Zusammenhang zwischen Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung I. Einleitung In dieser Arbeit werden in der Bestandsaufnahme Aussagen der Staats- und Verfassungslehre zum Verhältnis von Verfassung und gesellschaftlicher Einheitsbildung untersucht. Ziel ist es, die in dieser Relation enthaltenen Vorstellungen über die Wirkungen des Verfassungsrechts zu extrahieren. Diese Vorstellungen sollen als Konzepte der Normativität der Verfassung dargestellt werden, die letztlich in die Entwicklung eines realistischen Begriffs von Verfassungswirkungen münden sollen, der sich durch ein breiteres Verständnis von Normativität von den vorgestellten Konzepten unterscheidet. Im Folgenden werden die für die Arbeit zentralen Begriffe Verfassung und Integration sowie Wirkung und Normativität in ihrer Konturierung für die Zwecke der Untersuchung sowie in ihren Bezügen zueinander näher beschrieben.
II. Integration als Einheitsbildung von Staat und Gesellschaft Auf einer allgemeinen Wortbedeutungsebene bezeichnet der Begriff Integration einen Vorgang, der eine Einheit durch Einbeziehung oder Eingliederung einzelner Elemente in ein größeres Ganzes herstellt51. Neben dieser allgemeinen Bedeutung mit geringem Aussagewert gibt es bereichsspezifische Spezialisierungen des Integrationsbegriffs in den Natur- und Geisteswissenschaften, dort zum Beispiel in der Politikwissenschaft und Soziologie.52 Ein spezifisch rechtswissenschaftlicher Integrationsbegriff hingegen existiert nicht53; dennoch spielt „Integration“ in der Staats- und Verfassungslehre eine große Rolle, was sich insbesondere in der nachhaltigen Bedeutung der Integrationslehre Smends zeigt. Die Staats- und Verfassungslehre knüpft mit dem Begriff der Integration an ein 51 Vgl. etwa Brockhaus-Enzyklopädie unter „Integration“; Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117 ff. (118). 52 Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117; für die Politikwissenschaft s. Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 61 ff. 53 Wenn man nicht Integration mit Blick auf Rudolf Smends Integrationslehre für einen spezifisch staatsrechtlichen Integrationsbegriff hält.
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
Grundthema der Gesellschaftswissenschaften an, nämlich an die Frage, wie Gesellschaft als soziale Ordnung möglich ist54. Das Thema hat in jüngerer Zeit unter dem Begriff der Integration angesichts vielfältiger wahrgenommener gesellschaftlicher Desintegrationsphänomene wieder an Aktualität gewonnen.55 Es handelt sich insofern um einen „Export“ aus der Politik- bzw. Sozialwissenschaft, der allerdings unter dem Zugriff des Rechts eine normative Wendung bekommt, die unterschiedlich verlaufen kann: während es zum einen um Staatsoder Gesellschaftserhalt durch Recht geht, kommt Einheit zum anderen als Funktionsbedingung für das Recht in den Blick. Die Befindlichkeit von Integration im Spannungsfeld von entweder Leistung des Rechts oder aber Voraussetzung von Recht bezeichnet eine der Schwierigkeiten, die Integrationsbedeutung der Verfassung in klaren Kategorien zu diskutieren.56 Integration meint in soziologischer Lesart Einheitsbildung der Gesellschaft.57 Bereits auf dieser Ebene – die zunächst jenseits der rechtlichen Verwertung liegt – existiert „Integration“ als metanormatives Konzept, da es sich um einen Zustand handelt, der anzustreben sei.58 In Bezug auf Verfassungsfunktionen stellt sich der Begriff der Integration als Formel für die Bündelung inhaltlicher Aussagen zur einheitsstiftenden Bedeutung der Verfassung dar. Zum Teil haben diese Aussagen einen gemeinsamen Kerngehalt, nämlich Integration als eine Aufgabe der Verfassung, akzentuieren diesen jedoch unterschiedlich, je nachdem, welche Art von Einheit vorgestellt wird59. Sozialwissenschaftlich informierte Ansätze zur Integration durch Verfassung greifen die Kategorien der System- und Sozialintegration bzw. die Rede von Integration als Steuerungs- oder Orientierungsleistung auf60. Steuerung betont den instrumentellen und rationalen Charakter von Recht, während die gegenwärtige Debatte um Integration als 54 Vgl. die knappe und gut verständliche Zusammenfassung zu diesem unüberschaubaren thematischen Feld von Ritsert, Gesellschaft, insb. S. 35 ff. sowie Luhmann, Wie ist soziale Ordnung möglich?, S. 195 ff., der darauf hinweist, dass, obwohl es sich bei dieser Frage um ein Grundthema der Soziologie handelt, lange Zeit Auseinandersetzungen fehlten, die sich ausdrücklich darauf bezogen. 55 Vgl. als Standardtitel hierzu die Arbeit von Peters, Die Integration moderner Gesellschaften sowie den problemorientierten Zugriff der von Heitmeyer herausgegebenen Bände „Was hält die Gesellschaft zusammen?“ und „Was treibt die Gesellschaft auseinander?“. 56 Dazu Schuppert, Verfassungsverwirklichung, S. 297 ff. (insb. 304 ff.). 57 Vgl. hierzu Peters, Die Integration moderner Gesellschaften. 58 Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 61. 59 Zur geringen verfassungstheoretischen Aussagekraft einer Integrationsfunktion per se Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 77 f., der auf verschiedene Integrationsdimensionen aufmerksam macht. 60 Vgl. Vorländer, Integration durch Verfassung, S. 9 ff. Zu den Kategorien s. Kron, Postmoderne Gesellschaft – als Gesellschaft? (unveröffentlichtes Manuskript, präsentiert als Beitrag zur Konferenz „PostModerne Perspektiven“ 19.–21.11.1999 in Erlangen, http://www.fernuni-hagen.de/SOZ/SOZ2/veroeffentl/Kron_Postmoderne%20Gesell schaft.pdf.
II. Integration als Einheitsbildung von Staat und Gesellschaft
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darüber hinausgehende Leistung die bislang weniger berücksichtigten Aspekte von Recht ans Licht rückt, welche als symbolische oder allgemeiner: kulturelle Dimension beschrieben werden und nicht „steuern“, sondern „einen“ sollen61. Diese Lesart von Integration schließt an eine ältere Diskussion zum Grundgesetz an, die unter dem Schlagwort des „Verfassungspatriotismus“ geführt wurde62 und die nun in Bezug auf die Europäische Verfassung und die europäische Integration wieder aufgegriffen wird63. Eine weitere Eingrenzung des Begriffs Integration über die hinaus, dass es sich um gesellschaftliche Integration handelt, ist für den induktiven Ansatz dieser Arbeit hinderlich, da alle Texte interessant sind, die etwas zu Verfassung und gesellschaftlicher Integration aussagen. Es geht zunächst um die Sammlung verschiedener Integrations- und Normativitätskonzepte, nicht um die integrationstheoretische Bewertung bestimmter Verfassungskonzepte oder die Bewertung von Integrationskonzepten am Maßstab der Verfassung oder unter dem Gesichtspunkt ihrer „Realisierbarkeit“.64 Die im Verlaufe der Arbeit erörterten Konzepte von Integration als Steuerungs- und/oder Orientierungsleistung werden demzufolge gesehen, bleiben aber weitgehend unkommentiert.65 Dennoch ist die erste sinnvolle Frage aus Sicht dieser Arbeit an das Thema „Verfassung und Integration“ die, auf welcher Ebene Verfassung integrativ wirken soll, denn je nachdem wie Verfassung als Integrationsfaktor ins Spiel gebracht wird, sind
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Gebhardt, Die Idee der Verfassung, S. 9 ff. Im Hintergrund steht der Ansatz von Dolf Sternberger, nachzulesen zum Beispiel in: Verfassungspatriotismus, Schriftenreihe der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 1982; zur Diskussion in der Staatsrechtslehre vgl. Depenheuer, Integration durch Verfassung, S. 854 ff. 63 Vgl. zur Mobilisierung des Konzepts des Verfassungspatriotismus für Europa v. a. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, S. 632 ff., und als Überblick Pache, Europäische und nationale Identität, S. 1154 ff. 64 Das unternehmen z. B. die aktuellen Beiträge in Vorländer (Hrsg.), Integration durch Verfassung, (2002), insb. der Beitrag von Schaal. Welches taugliche Integrationskonzept die Verfassung vor dem Hintergrund bestimmter gesellschaftlicher Gegebenheiten bieten kann, untersuchen ebenfalls die Beiträge von Korioth und v. Bogdandy zur Staatsrechtslehrertagung 2002. Vgl. auch Frankenberg, Autorität und Integration (2003), der seine v. a. verfassungstheoretischen Überlegungen um die Integrationsaufgabe und -funktion des Rechts zentriert sowie Grimm, der seine Überlegungen zur integrativen Kraft der Verfassung derzeit anlässlich des europäischen Verfassungsprojektes entwickelt. Vgl. Grimm, Integration durch Verfassung, S. 448 ff. 65 Auch die Bezugnahme auf „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“ bzw. Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung erfolgt „vorkritisch“ und verzichtet auf eine eigene Unterscheidung dieser Integrationsarten. Vgl. zu „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“ die wirkmächtige Differenzierung von Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. In politischer Wendung findet sich das Konzept bei Tönnies, Demokratie und Parlamentarismus, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, S. 173 ff. (210). Zu diesen Konzepten vgl. auch Ritsert, Gesellschaft, S. 30 f. sowie Goetze, Gemeinschaftsbegriffe, S. 13 ff. 62
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
die Voraussetzungen für eine Integration durch Verfassung unterschiedlich.66 Eine Diskussion unterschiedlicher integrationstheoretischer Paradigmen67, die für eine verfassungstheoretische Diskussion auf einer inhaltlichen Ebene von Interesse wäre,68 muss außen vor bleiben. Sie ist neben anderen Fragestellungen69 im Umkreis der Integrationsdebatte zu spezifisch für die hier zu klärende Frage nach der normativen Qualität der Integration durch Verfassung und deren Rückwirkung auf ein rechtstheoretisches Verständnis der Normativität der Verfassung. Ein solches Verständnis muss entwickelt werden, denn es geht über die Feststellung, dass eine Verfassung stets normativ sei hinaus bzw. setzt diese metanormative Setzung voraus70. Die Rede von gesellschaftlicher Integration schließt nach hier vertretener Lesart Formen der staatlichen Integration ein, da Gesellschaft nicht als Gegenpol zum Staat, sondern den Staat und die Gesellschaft umfassend verstanden wird. Daher kann auch die Arbeit Smends, deren Augenmerk auf der Integration des Staates liegt, als Integration der Gesellschaft auf einer bestimmten Ebene untersucht werden.71 Bei der Zusammenfassung staatlicher und gesellschaftlicher Integration zeigt sich allerdings eine Komplizierung der in der Rechtswissenschaft geführten, aber zum Teil sozialwissenschaftlich informierten Integrationsdebatte, nämlich das Aufeinandertreffen von staats- und verfassungsrechtlicher mit sozialwissenschaftlicher Begriffsbildung, die auf den Konflikt zwischen deskriptiven und normativen Konzepten verweist: Während im sozialwissenschaftlichen Diskurs die Gesellschaft den Staat als einen ihrer Teile umfassen kann, ist die Trennung von Staat und Gesellschaft eine grundlegende Voreinstellung und normative Vorgabe für weite Teile der Staats- und Verfassungslehre72.
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Vgl. Frankenberg, Tocquevilles Frage, S. 31 ff. Vgl. zu möglichen Unterscheidungen Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 105 ff. (Föderalismus, Funktionalismus und Pluralismus), und Frankenberg, Tocquevilles Frage. 68 Zum Beispiel Schaal, Die Integrationsleistung ethisch neutraler Verfassungen. 69 Spezielle Integrationsfragen des Rechts, wie das Staatsbürgerschaftsrecht und das Ausländerrecht, die wichtig für Fragen der so genannten politischen Integration sind (vgl. Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117 ff. (129) und sich auf sozialund politikwissenschaftlicher Ebene als Inklusions- und Exklusionsproblematik spiegeln (vgl. hierzu Bora, Differenzierung und Inklusion), können in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. 70 Zur Setzung, dass Verfassung stets normativ sei s. Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 28. 71 Moderner formuliert könnte man den Ansatz Smends als politische Integration bezeichnen (zu verschiedenen Integrationsformen, Frankenberg, Tocquevilles Frage, S. 31 ff. 72 Vgl. nur Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 209 ff. 67
III. Verfassung im Sinne des modernen Verfassungsbegriffs
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III. Verfassung im Sinne des modernen Verfassungsbegriffs Die Untersuchung bezieht sich auf die Verfassungslehre und -theorie der Bundesrepublik Deutschland, betrachtet werden daher vor allem Aussagen über das Grundgesetz als Verfassung. Eine wichtige Ausnahme ist der Ansatz Smends, der in der Zeit der Weimarer Republik ausgehend von der Weimarer Reichsverfassung entstand, aber als Integrationslehre auch Eingang in die spätere Verfassungslehre fand73. Ausgangspunkt der Untersuchung ist mit der Auswahl dieser Bezugspunkte der so genannte moderne Verfassungsbegriff, der bestimmte inhaltliche und formale Anforderungen umfasst74. Dieser moderne Verfassungsbegriff hat historische Wurzeln75. Nachdem sich seine Bedeutung im Laufe der Zeit gewandelt hat76, bezeichnet er heute die Verfassung als besonderes Recht mit den Eigenschaften der erschwerten Änderbarkeit, der schriftlichen Fixierung in einem Verfassungstext, der Höherrangigkeit gegenüber anderem Recht sowie der begrenzten Gewalt zu ihrer Durchsetzung. Diese Eigenschaften sind im Zusammenhang mit den Aufgaben zu sehen, die die Verfassung erfüllen soll und die im Wesentlichen darin bestehen, mit umfassendem Regelungsanspruch Einrichtung und Ausübung der Staatsgewalt zu regeln.77 Wie Eigenschaften und Aufgaben der Verfassung zusammenhängen, lässt sich mit einem funktionalen Zugriff auf Verfassungseigenschaften klären78. Auch die inhaltlichen Aufgaben der Verfassung können ins Verhältnis gesetzt werden zu basalen Aufgaben des Rechts. Die vorliegend relevante Anforderung an die Verfassung, integrierend zu wirken, geht zum Teil in ihren hergebrachten Aufgaben79 auf oder ist eine besondere Anforderung. Diese Aufga-
73 Zur Rezeption von Smends Arbeiten s. u. a. Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 280 ff. 74 Einen knappen Überblick gibt Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 29 ff. mit besonderem Fokus auf die US-amerikanische Verfassungstheorie. 75 Vgl. dazu Grimm, Der Verfassungsbegriff in historischer Entwicklung, S. 101 ff. Zur älteren Verfassungsbegriffsgeschichte vgl. Schmidt-Aßmann, Der Verfassungsbegriff in der deutschen Staatslehre, und Roggentin, Über den Begriff der Verfassung. 76 Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, S. 53; Möllers, Verfassungsgebende Gewalt, S. 1. 77 Vgl. dazu nur den Überblick von Grimm/Mohnhaupt, Verfassung. Einen guten Überblick über die inhaltliche Dimension des modernen Verfassungsbegriffs im verfassungsgeschichtlichen Kontext gibt die ältere, aber für diesen Zweck nicht veraltete Studie Kägis, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates. 78 Zur Bedeutung der funktionalen Sichtweise für die Beschreibung von Verfassung vgl. Möllers, Verfassunggebende Gewalt, S. 1 ff. (22 ff.); Schulze-Fielitz, Die deutsche Wiedervereinigung, S. 65 (66). 79 Zu den klassischen Verfassungsaufgaben s. nur Vorländer, Die Verfassung. Idee und Geschichte.
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
benbeschreibungen zeigen deutlich die Nähe von Verfassungsaufgaben zu solchen Aufgaben, die das Recht im Allgemeinen erfüllen soll. Insbesondere gesellschaftliche Integration wird für eine wesentliche Leistung des Rechts gehalten80, so dass mit dieser besonderen Anforderung an die Verfassung auch ihr Rechtscharakter betont wird81. Dies ist festzuhalten angesichts der eingangs vorgestellten Diskussion um die Einordnung der integrativen Verfassungsleistung als Leistung des Rechts, denn in dieser Arbeit wird – was noch auszuführen ist – davon ausgegangen, dass der Rechtscharakter des Gegenstandes den Rechtscharakter seiner Wirkungen bestimmt.82 Die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit führen zu einer Transzendierung der vorgefundenen begrifflichen Grenzen des modernen Verfassungsbegriffs. Der weite Integrationsbegriff hat dies bereits gezeigt. Verstärkt erfolgt eine Diskussion von Verfassungsleistungen im Kontext von Konstitutionalisierungsphänomenen, die die nationale Verfassungstheorie bereichert. Vor allem der Staatsbezug der Verfassung83 erscheint aus einer solchen abstrakten Perspektive als Teil der historisch gewachsenen Verfassungsbedeutung, aber nicht integraler Bestandteil des Verfassungsbegriffs. Dies hängt allerdings auch davon ab, wie „Staat“ als möglicher Bezugspunkt der Verfassung definiert wird. Dass das Konzept des nationalen Territorialstaats im Zeitalter von Internationalisierung und Globalisierung sich nicht mehr halten lässt, wird mittlerweile konstatiert;
80 Ryffel, Rechtssoziologie, S. 120 ff. (127); zu einer abstrakteren entstehungsgeschichtlichen Darstellung der gesellschaftlichen Bedeutung des Rechts vgl. Ziegert, Zur Effektivität der Rechtssoziologie; Rehbinder, Die gesellschaftlichen Funktionen des Rechts, S. 354 ff. unter Bezug auf den rechtsrealistischen Ansatz Llewellyns, der als eine Funktion des Rechts die Bereinigung gesellschaftlicher Konflikte in den Vordergrund stellt. 81 Vgl. Voßkuhle, Verfassungsstil und Verfassungsfunktion, S. 35 ff. (46 ff.); Rüthers, Rechtstheorie, S. 34 ff. m.w. N. 82 Dazu gleich unter „Integrationswirkung der Verfassung und Normativität“. 83 Hierzu v. a. die Perspektive des HStR, besonders vertreten durch Isensee, vgl. Bd. I (alte Aufl.), § 13. Interessant ist hier die Veränderung der Benennung im Rahmen der Neuauflage: Der ursprüngliche Band I „Grundlagen von Staat und Verfassung“ wurde in zwei Bände geteilt, von denen der erste „Historische Grundlagen“ heißt und der zweite nunmehr „Verfassungsstaat“. Dass diese Umbenennung Ergebnis einer Auseinandersetzung mit dem wahrgenommenen Paradigmenwechsel von „Staat“ zu „Verfassung“ als Leitbegriff in der Staats- und Verfassungslehre ist, zeigen die hierauf bezogenen (und insofern neuen) Ausführungen von Isensee zu Beginn seines Beitrages „Staat und Verfassung“. Letztlich wird aber nach wie vor der Staat als Bezugspunkt der Verfassung in den Vordergrund gerückt und – wie die weiteren Beiträge zeigen – zum Leitbegriff der verfassungsrechtlichen Ausführungen gemacht. Deutliche Aussagen wider ein „Staatsrecht ohne Staat“ finden sich auch bereits im Vorwort der Neuauflage, so dass das HStR den Paradigmenwechsel nicht konsequent nachvollzieht. Der Titel „Verfassungsstaat“ erscheint so als bloßes verbales Zugeständnis. Zu der Diskussion vgl. auch Hofmann, Von der Staatssoziologie zu einer Soziologie der Verfassung?, S. 1065 ff.
IV. Die normative und methodische Problematik von Aussagen
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fraglich sind die Alternativen84. Die Aufnahme des verfassungstheoretischen Gehalts dieser Diskussionen in diese Arbeit enthält keine Aussage dazu, wie der Verfassungsbegriff zu verwenden ist und ob er durch die Ausdehnung qua Konstitutionalisierung auf Phänomene, die möglicherweise nur als Verrechtlichung zu beschreiben sind, seine kritische Kraft verliert85.
IV. Die normative und methodische Problematik von Aussagen zur Integration durch Verfassung Aussagen zur Integrationsbedeutung der Verfassung können unter verschiedenen Gesichtspunkten problematisch sein, die eine Einordnung der Integrationswirkung als rechtlich oder nicht-rechtlich erschweren: So fehlt es zumeist an Beschreibungen der Entfaltung der integrativen Wirkung der Verfassung. Damit im Zusammenhang steht das in der Regel86 ungeklärte Verhältnis der Integrationsaufgabe zu den übrigen Verfassungsfunktionen. So könnte man für die Verfassung annehmen, dass, soweit sie ihre „klassischen“ Aufgaben der Einrichtung, Legitimation sowie Begrenzung staatlicher Gewalt erfüllt87, sie durch diese Ordnungsleistung zur Einheitsbildung in der Gesellschaft beiträgt88. Man kann Integration aber auch als eine darüber hinausgehende Orientierungsleistung beschreiben89. Die unterschiedlichen Vorstellungen, zum Teil auch Unklarheiten darüber, ob eine integrative Wirkung der Verfassung eine rechtliche oder nicht-rechtliche Wirkung sei, können als Folge der wenig untersuchten Wirkungsweisen der Verfassung als Norm gesehen werden. Die Integrationsleistung von Verfassung wird daher als Anlass genommen, bisherige Vorstellungen der „normativen Kraft“ der Verfassung kritisch zu untersuchen und ein eigenes Normativitätsverständnis zu entwickeln. Neben dieser Problematik der Normativität werfen Aussagen über die integrative Kraft von Verfassungen auch Schwierigkeiten hinsichtlich des methodischen Zugriffs auf.
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Vgl. den aktuellen Überblick bei Vesting, Die Staatsrechtslehre, S. 42 ff. m.w. N. Dazu kritisch Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, § 1, in: HStR I (3. Aufl.), Rn. 87 ff.; ebenso Wahl, Konstitutionalisierung, S. 191 ff. 86 Eine Ausnahme bilden die Beiträge Korioths, Europäische und nationale Identität, und Frankenbergs, Tocquevilles Frage, die allerdings Beispiele für das gewachsene Problembewusstsein für Integrationsfragen in der Staatsrechts- und Verfassungslehre sind. 87 Zu diesem klassischen Aufgabenkatalog vgl. Vorländer, Die Verfassung. Idee und Geschichte; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 78 ff. 88 So z. B. vertreten von Isensee, s. aktuell, Vom Stil der Verfassung. 89 Dies wird z. T. in der symbolischen Dimension von Verfassung erfasst, vgl. Vorländer, Integration durch Verfassung, insb. S. 18 ff. 85
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
Die Staatsrechts- und Verfassungslehre trifft mit der Annahme einer – wie auch immer gearteten – Integrationsfunktion oder Integrationsaufgabe der Verfassung nicht nur grundlegende Aussagen über die Bedeutung der Verfassung für die Gesellschaft, sondern stellt zwangsläufig auch Annahmen über den Einheitsbedarf und den Vorgang der Einheitsbildung einer Gesellschaft auf90. Mit diesen „soziologische[n] Feststellungen“91 wird der Gesichtskreis rechtlicher Erwägungen im engeren Sinne92 überschritten, da deskriptive von normativen Aussagen zu trennen sind93. Vollzieht man diese Trennung stellen sich die Fragen, ob und wie Erkenntnisse und Informationen aus anderen Disziplinen durch die Rechtswissenschaft verwertet werden (sollen). Welche Anforderungen sind in methodischer Hinsicht an diesen Rezeptionsvorgang zu stellen, um das Einfließen „privatsoziologischer Annahmen“94 sichtbar zu machen, zu kontrollieren und die Überlagerung von Realanalysen durch „juristische Fiktionen oder Illusionen“95 und eine Unterkomplexität der empirischen Bestandsaufnahme96 möglichst zu verhindern? Zu berücksichtigen ist dabei, dass es sich bei gesellschaftlicher Integration und dem Beitrag der Verfassung um eine gesellschaftliche Tatsache handelt, die nicht ohne weitere Vorklärungen zu beobachten und zu beschreiben ist97, so dass sich die Rezeption auf Ansätze, Modellannahmen und Erkenntnisse anderer Wissenschaften beziehen muss98. Diese Frage der Rezeption ist deswegen eine methodische, da es um die Anforderungen an diszipli90 Dies unabhängig davon, ob man der Verfassung letztlich eine integrierende Wirkung zuschreibt oder nicht. 91 Begriff von Jost, Soziologische Feststellungen. 92 Vgl. nur Böckenförde, Die Eigenart des Staatsrechts, S. 11 ff. 93 Auch v. Bogdandy stellt heraus, dass deskriptiv gemeinte Begriffe, in seinem Fall „Identität“, häufig präskriptive Prämissen versteckt mit sich führen. Die Notwendigkeit interdisziplinären Vorgehens wird von ihm (eher am Rande) festgestellt, aber von den Anforderungen her nicht weiter ausgeführt. Vgl. v. Bogdandy, Europäische und nationale Identität, S. 157 ff. (S. 173 Fn. 75). 94 Schulze-Fielitz, Rezension zum „Handbuch des Staatsrechts“, S. 241 (272). 95 Gusy, Was bewirken Gesetze?, S. 289 ff. (291). 96 Auf diesen Mangel gerade im Bereich der Integrationsdebatte weist Schaal hin. Vgl. Schaal, Vier normative Konzepte zur Integration qua Verfassung, S. 71 ff. (92). 97 Zu gesellschaftlichen Tatsachen Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, S. 29 ff. Man kann dies mit der Unterscheidung zwischen brute facts und institutional facts nach Searle, Speech Acts, S. 50 ff. und Ansätzen zu institutionellen Rechtsanschauungen in Verbindung bringen. Diese können allerdings sehr verschieden ausfallen. Vgl. den Überblick bei Schmalz-Bruns, Ansätze und Perspektiven der Institutionentheorie, S. 86 ff. sowie die Sammlung von Beiträgen in Schnur (Hrsg.), Institution und Recht. Auf Inhalte institutioneller Rechtstheorien wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch Bezug genommen. 98 Dies sieht auch Lepsius, Steuerungsdiskussion, der allerdings bzgl. der Rezeptionshaltung der Verfassungslehre eine informierte, aber konservative Haltung vertritt; Eidenmüller, Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, S. 53 ff., der neben einer grundsätzlichen Klärung des Begriffs und der Möglichkeiten einer Rechtswissenschaft als Realwissenschaft das Modell des homo oeconomicus für dieses Projekt mobilisiert.
IV. Die normative und methodische Problematik von Aussagen
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nenübergreifendes Arbeiten geht99. Im Zuge der Beschreibung von Verfassungsentwicklungen, insbesondere auf europäischer Ebene, wird vermehrt über Rezeption als Vorgang der gemeinsamen Entwicklung bestimmter Verfassungstextstufen gesprochen100. Vor der europäischen Diskussion war Rezeption ein eher selten ausdrücklich behandelter Aspekt der Verfassungsrechtswissenschaft101. Im Fall der europäischen Verfassungsentwicklung ist nun ein Rezeptionsvorgang gemeint, der weniger mit interdisziplinärer Arbeit als vielmehr mit Verfassungsvergleich zu tun hat und von Häberle nunmehr zu der Forderung nach Verfassungsvergleich als weiterer Methode der Verfassungsinterpretation verdichtet wird102. Ergänzend muss konstatiert werden, dass es einen Zusammenhang zwischen rechtsvergleichender und interdisziplinärer Arbeit gibt, denn Rechtsvergleichung benötigt Kulturvergleich anhand kulturwissenschaftlicher Ansätze, die man als disziplinenübergreifend bezeichnen kann.103 Im Hinblick auf die Methode, nicht die Tatsache disziplinenübergreifenden Arbeitens kann man insgesamt einen Mangel an transparenter theoretischer und dogmatischer Aufbereitung durch die Rechtswissenschaft feststellen. Die Bestimmung von Rechtlichkeit ist außerdem mit der Setzung disziplinärer Grenzen und somit Vorstellungen über Recht verbunden, die durch die Beschreibung dieser Grenzen sichtbar gemacht werden können.
99 Dazu wieder Lepsius, Sozialwissenschaften im Verfassungsrecht, S. 1 ff., wobei er durch den Rekurs auf die Diskussion im amerikanischen Verfassungsrecht, v. a. die Rechtsprechung als „Verwerterin“ tatsächlicher Daten in den Blick nimmt. Der konservative vor Methodensynkretismus warnende Standpunkt findet sich bereits in der Arbeit „Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik“ von 1999 sowie in der Dissertation „Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung“, die eine Kritik der v. a. geisteswissenschaftlichen Methode der Begriffsbildung der Weimarer Staatsrechtslehre enthält und damit auch kritisch gegenüber Smends Ansatz ist. 100 Vgl. Kokott, From Reception and Transplantation, S. 71 ff.; Häberle, Theorieelemente, S. 1033 ff. 101 Vgl. als Ausnahme Pöggeler, Die deutsche Wissenschaft vom englischen Staatsrecht. Bekannt ist Rezeption in der Rechtswissenschaft als Vorgang vor allem im Bereich der Rechtsgeschichte, auch als Methodengeschichte, für die Übernahme von Begriffen und Figuren des römischen Rechts, vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 97 ff. In historischer Perspektive gibt es weitere Fälle des Rechtstransfers, die unter Rezeptionsgesichtspunkten betrachtet werden können, vgl. Alliot, Über die Arten des Rechtstransfers, S. 161 ff. 102 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 312 ff. 103 Dies wird deutlich betont von Häberle, z. B. Europäische Verfassungslehre. Für die Herausforderungen, die Rechtsvergleichung an das Verständnis von Kultur stellt, s. Grossfeld, Kernfragen der Rechtsvergleichung. Im dritten Teil der Arbeit wird weiter auf die hier verfolgte disziplinenübergreifende Perspektive eingegangen.
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
V. Integrationswirkung der Verfassung und der Begriff der Normativität Die Rede von einer Integrationskraft der Verfassung lenkt den Blick auf Wirkungen und Leistungen der Verfassung und damit auf die Aspekte der Leistungsfähigkeit und Wirkungsmächtigkeit der Verfassung bezüglich bestimmter Anforderungen. Neben der Integrationsdebatte ist dieser Aspekt in den letzten Jahren vor allem im Rahmen der Diskussion um veränderte Staatlichkeit und Staatsaufgaben und die Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit der Verfassung behandelt worden104. Dabei stellt der Steuerungsdiskurs – neben der jüngeren Diskussion über gesellschaftliche Integration – einen wesentlichen Beitrag rechtssoziologischer Forschung und somit inter- und intradisziplinärer Wissenschaft dar, der das Recht in den Kontext einer sozialwissenschaftlichen Kernfrage stellt105. In dieser Diskussion wird meistens eine verminderte oder gefährdete Normativität der Verfassung anhand verschiedener Defizite festgestellt, ohne dass eine grundsätzliche Klärung dessen erfolgt, was normative Kraft der Verfassung und Normativität bedeuten. Diese Klärung würde dazu beitragen, einen Maßstab für die Einschätzung der konstatierten Defizite zu finden, insbesondere da diese offenbar von unterschiedlichen problematischen Aspekten herrühren, deren Zusammenhang nicht klar ist: Einerseits wird der Verlust der rechtlichen Form der Verfassung durch ihre Anreicherung mit inhaltlichen Vorstellungen sowie die begrenzte Reichweite der Verfassung in Bezug auf die Regelung bestimmter Sachverhalte beklagt. Die Verfassung erscheint so als ungeeignetes oder mindestens eingeschränkt zu gebrauchendes Regelungsinstrument. Andererseits geht es um einen Verlust an vorrechtlicher Akzeptanz der Verfassungsinhalte in der Bevölkerung, die ihre Effektivität begrenzt. Normativität wird meist als „Maßstäblichkeit“ erkennbar106, womit sicherlich nichts Falsches ausgesagt wird, da die Maßstabseigenschaft dem Begriff der Norm – bereits alltagssprachlich verstanden als Richtschnur – inhärent ist107. Dies zeigt sich auch in der bekannten soziologischen Formulierung der Norm
104 Hierzu besonders Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben sowie ders., Die Zukunft der Verfassung. 105 Das zeigt sich deutlich in der Arbeit von Ziegert, Zur Effektivität der Rechtssoziologie, die sich v. a. mit Planung, Kontrolle und Steuerung im Sinne von social engineering und social control befasst. Aus rechtswissenschaftlicher und interdisziplinärer Sicht, die einen Kontrapunkt gegen die Abschottung der Rechts- von der Sozialwissenschaft setzen will, s. auch Wege, Positives Recht. Kritisch zu dieser Integration der Perspektiven Lepsius, Steuerungsdiskussion. Lepsius sieht in einer systemtheoretischen Gesetzes- und Rechtskritik eine Relativierung der Normativität der Verfassung, da die systemtheoretischen Modellvorstellungen nicht mit den Grundannahmen der Verfassung kompatibel seien; s. Lepsius, Steuerungsdiskussion, insb. S. 7, 29. 106 Vgl. nur Grimm, in: Grimm/Mohnhaupt, Verfassung, S. 140. 107 Pavcnik, Die Rechtsnorm, S. 463 ff. (463).
V. Integrationswirkung der Verfassung und der Begriff der Normativität
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durch Luhmann als kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartung108. In Bezug auf die Realisierung der Verfassungsnormativität wird die „Maßstäblichkeit“ zur „Maßgeblichkeit“.109 Diese Festlegungen sagen nichts darüber aus, wie die Maßstäblichkeit sich verwirklicht und auf was oder wen sie sich bezieht. Genauere Bestimmungen postulieren für die Verfassung ein Mindestmaß an „Rigidität“, das sie trotz aller „Flexibilität“ zeigen müsse.110 Aus verfassungstheoretischer Sicht stellen sich Fragen, die das Verhältnis von integrativer zu normativer Kraft der Verfassung erhellen könnten: Werden alle Funktionen der Verfassung aus ihrer Normativität gespeist? Was bedeutet Normativität in Bezug auf die Verfassung als besonderes Recht? Entfaltet die Verfassung mit Blick auf ihre symbolische Dimension111 auch andere als normative Wirkung, oder handelt es sich um einen Aspekt der normativen Wirkung? Die Integrationsfunktion steht aufgrund ihrer schwierigen Einordnung in den „Leistungskatalog“ des Verfassungsrechts bei diesen Fragen als Anknüpfungspunkt für Erwägungen zur Normativität im Vordergrund. Trotz des erhöhten theoretischen Aufwands, der in neueren Arbeiten zur Begründung und Beschreibung der integrativen Dimension von Verfassung geleistet wird, fehlt bislang eine ausdrückliche Anbindung dieses Diskurses an den Begriff der Normativität der Verfassung112 in einer Weise, die darüber hinausgeht, dass die Verfassung schlicht normativ sei. Sofern man eine solche Anbindung versucht, stößt man bei Nachforschungen zum Begriff der Normativität fast ausschließlich auf die in diesem Zusammenhang stets zitierten Aussagen Konrad Hesses zur normativen Kraft der Verfassung aus dem Jahr 1959113. Der stereotype Verweis auf die stets gleiche eine Quelle auch in aktuellen Arbeiten weckt den Verdacht, dass die „normative“ Kraft der Verfassung eine Gleichung mit weitgehend unbekannten Variablen ist. Wie Dieter Grimm kritisch bemerkt, mögen die Aussagen Hesses zur normativen Kraft der Verfassung auch wegen ihrer Allgemeinheit – nach wie vor – unbezweifelbar sein. Genaueren Aufschluss über die Verwirklichung der Verfassung gäben sie aber nicht.114 Ebenfalls legen die seit Hesses Aussagen erfolgten (Ver-)Änderungen der Verfassung – des Grundgesetzes –, die sowohl ihre In-
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Luhmann, Rechtssoziologie, S. 43. Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, S. 55. 110 Schuppert, Rigidität und Flexibilität, S. 32 ff.; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, S. 109 f. 111 Dieser Aspekt hat im Zusammenhang mit Integration in neueren Ansätzen (z. B. bei Gebhardt) Bedeutung. 112 Dies wird die Bestandsaufnahme zu den Ansätzen Isensees, Häberles und der institutionentheoretischen Verfassungsforschung zeigen. 113 Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 77 ff. 114 Vgl. Grimm, Verfassungsfunktion und Grundgesetzreform, S. 314. 109
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
halte als auch den Normierungsstil betreffen115, eine weitergehende Beschäftigung mit der „normativen“ Kraft der Verfassung nahe. Mit einer Klärung des Begriffs der Normativität sind verfassungstheoretische im Sinne von rechtstheoretischen Überlegungen verbunden, die – wie bereits einleitend vermerkt – vor allem um die Bestimmung des Begriffs der Normativität im Spannungsfeld von „Recht und Wirklichkeit“ kreisen. Der dahinter stehende Dualismus von „Sein“ und „Sollen“ stellt die rechtstheoretisch anerkannte Struktur für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Aufgaben und Bedeutung von Recht für die Gesellschaft dar116 und prägt auch moderne Formulierungen, wie die vom „Wirklichkeitsbezug als Umweltabhängigkeit des Rechtssystems“117 sowie die Rede von der Norm als kontrafaktischer Verhaltenserwartung118. In diesen Formulierungen erscheint das Rechtssystem als etwas Nicht-Wirkliches, das außerhalb des Faktischen steht. Insofern ist Luhmanns Normbegriff, der auf einer strikten Trennung von rechtssoziologischer und juristischer Perspektive aufbaut, auch kein geeigneter begrifflicher Ausgangspunkt für eine realistische Rechtsbeschreibung, die einen Ort im rechtswissenschaftlichen Diskurs beansprucht. Die Entgegensetzung von Norm und Wirklichkeit zeigt sich nicht zu Letzt auch darin, dass Fragen, die die Bedeutung von Normativität und ihre Entfaltung betreffen, in verschiedenen Fachdisziplinen sowie Teildisziplinen einer Fachrichtung zwar erörtert werden119, diese sich wechselseitig aber – auch aus methodischen Gründen – wenig zur Kenntnis nehmen. Das kennzeichnet auch die vorliegend interessierenden Teildisziplinen 115 Hier ist v. a. an Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 20a GG zu denken. Ebenfalls an die Diskussion um Änderungsvorschläge, v. a. im Zuge der Deutschen Einheit, sowie die Verfassungsentwicklung in den neuen Bundesländern. 116 Der Status der Trennung von „Sein“ und „Sollen“ ist ohne weitere begriffliche Klärungen nicht genauer zu bestimmen. In Betracht kommt die Erfassung als Dualismus oder als Dichotomie. Da es vor allem um die Trennung und Entgegensetzung geht, reicht in dieser Arbeit zunächst der Begriff Dualismus, verstanden als Gegensätzlichkeit aus, der weniger voraussetzungsvoll als die Behauptung eines dichotomen Verhältnisses ist, in dem die beiden Teile zwar einerseits einen Gegensatz bilden, andererseits aber komplementär aufeinander bezogen sind und anderes ausschließen. Sack beschreibt den Sein-Sollen Gegensatz daher als Dichotomie, in der es nur entweder – oder und insgesamt nur die beiden Alternativen gibt (Norms, Facts and the Structure of Social Reality, S. 304). Zur Bedeutung von und Arbeit mit Dichotomien in der Rechtswissenschaft, auch unter dem Gesichtspunkt disziplinärer Grenzen, Llompart, Dichotomisierung in der Theorie und Philosophie des Rechts. Vgl. zur Begrifflichkeit auch Heidemanns Arbeit zur Normentheorie Kelsens, Die Norm als Tatsache. Heidemann spricht von Dualismus, allerdings ohne genauere begriffliche Klärung. 117 So Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, S. 60 ff. (S. 67 mit Fn. 257) in einer selbstkritischen Bemerkung. 118 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 43. 119 Aussagen finden sich in rechtstheoretischen, rechtsphilosophischen, rechtssoziologischen, aber auch in politikwissenschaftlichen und soziologischen sowie, was den Umgang mit (Rechts-)Texten anbelangt, in sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Texten.
V. Integrationswirkung der Verfassung und der Begriff der Normativität
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der Rechtswissenschaft: Rechtstheorie, Rechtssoziologie und Verfassungstheorie, deren Ansätze und Ergebnisse im Interesse eines breiteren Rechtsverständnisses in dieser Arbeit zusammengeführt werden. 1. „Wirkung“ der Verfassung, nicht ihre Wirksamkeit als Ausgangspunkt Mit der Aussage, Verfassungen trügen zur gesellschaftlichen Integration bei, wird in den meisten Fällen ein nachweisbarer Kausalzusammenhang im Sinne einer entsprechenden Wirksamkeit behauptet. Wenn man Wirksamkeit als nachweisbare Beeinflussung eines Ereignisverlaufs durch eine getroffene Maßnahme definiert120, wird die Verfassung als Ursache gesellschaftlicher Zustände gesetzt121. Unklar bleibt, insbesondere bei einer erfolgreichen integrativen Wirkung, wie diese im Einzelnen vorstellbar ist. Zum Teil dürfte es sich bei der Behauptung von integrativer Wirksamkeit des Rechts eher um Vorgänge der „Zurechnung“ handeln, die „naturalisiert“ als Kausalzusammenhänge ausgegeben werden122; möglicherweise basiert die Selbstverständlichkeit der Annahme eines Einflusses von Verfassung auf gesellschaftliche Handlungszusammenhänge auch auf einer Art magischen oder mystischen Denkens, wobei auch dies als eine Form des Wirkens von Rechts zu berücksichtigen wäre123. Im Hintergrund dieser Regelungsszenarien steht die (Re-)Produktion der Grundannahmen des Rechtssystems durch die Beteiligten; ausgehend von einem Ordnungsbedarf menschlicher Gruppen124 wird das Recht zur Erfüllung dieses Bedarfs eingesetzt. Aus soziologischer Perspektive, die diesen Regelungsanspruch des Rechts aufnimmt, kann man Recht daher als Sicherung normativer Erwartung und verbunden damit als Verhaltenssteuerung betrachten.125 Die 120 Über Kausaldenken in der Rechtswissenschaft Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 476 ff. 121 In Anlehnung an die Beschreibung der „Wirksamkeit“ bei Zippelius, Gesellschaft und Recht, S. 82 ff. 122 Zu Zurechnung und Kausalität als Verquickung von norm- und kausalwissenschaftlichen Begriffen vgl. Kelsen, Über Grenzen, insb. S. 48 sowie Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 79 ff. Kelsen kann im vorliegenden Konzept nur für die Kritik an unbewusster Verquickung präskriptiver und deskriptiver Kategorien genutzt werden, da das Konzept der Reinen Rechtslehre keine rechtsrealistische Idee von Normativität unterstützt. 123 Zu magischen Funktionen des Rechts s. Rehbinder, Die gesellschaftlichen Funktionen des Rechts, S. 361 unter Verweis auf die Arbeiten Rüdiger Schotts. Für mystisches Denken bzgl. der Verfassung s. Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 50. Zum Phänomen des magischen Denkens in Bezug auf „Einfluss“ Foucault, Archäologie des Wissens, S. 33 f. 124 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, etwa S. 58 ff., 83. 125 Luhmann, Die Funktion des Rechts, S. 73 ff. Diese Verhaltenssteuerung kann man sich natürlich mehr oder weniger komplex vorstellen. Für ein komplexes Bild Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 124 ff.
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
Folge ist ein „Anwendungsdenken“, verstanden als innere Intentionalität juristischen Denkens und Handelns126, das dazu führt, dass der Blick des Rechts auf die Realität (auch) von Fiktionen geleitet ist127, damit die Beteiligten Regelungsszenarien im Interesse gesellschaftlicher Ordnung aufrecht erhalten können. Juristische Begriffe werden so zu „Jurisfiktionen“128, in denen sich die normative Kraft der Sprache des Rechts verkörpert, welche aus einer realistischen Perspektive, die von der Bedeutung von Sprechweisen qua eines institutionellen Zusammenhangs129 ausgeht, sichtbar wird. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden statt von dem voraussetzungsvollen Begriff der „Wirksamkeit“, von dem Begriff der „Wirkung“ ausgegangen, der „lediglich“ auf einen Kausalzusammenhang und nicht auf die erfolgreiche Wirkung verweist. Mit der Differenzierung zwischen Wirkung und Wirksamkeit wird zudem an eine in der Rechtswirkungsforschung bekannte Terminologie angeschlossen.130 Anknüpfend an die Unterscheidung zwischen „Wirkung“ und „Wirksamkeit“ sind Faktoren der Verwirklichung der Verfassung abzugrenzen von Wirksamkeitsbedingungen der Verfassung im Sinne von Erfolgsbedingungen. Eine Klärung der Erfolgschancen der Verfassung sollte auf der Basis einer Klärung der Wirkungsbedingungen von Verfassung aufbauen.131 Der Begriff der „Wirkung“ kann nicht mit „Geltung“ übersetzt werden. Geltung taucht als „rechtswissenschaftliche Übersetzung“ zu „Wirksamkeit“ auf und umfasst verschiedene Dimensionen der „Wirksamkeit“ von Recht132. Diese 126
Broekman, Recht und Anthropologie, S. 36 ff. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 201 f., 213. 128 Hoffmann, Jurisfiktion, S. 80 ff. (99 ff.) 129 Dazu Busse, Recht als Text, u. a. S. 115 ff.; Broekman, Text als Institution, S. 145 ff. (152). 130 Davon zeugt bereits die Bezeichnung als Rechtswirkungsforschung. Vgl. zum Programm Hof/Lübbe-Wolff (Hrsg.), Wirkungsforschung zum Recht I, insb. die Einführung von Hof, S. 15 ff. m.w. N. Begrifflich zeigt sich dies auch bei Rodi (Hrsg.), Recht und Wirkung, und darin Rodi, Wirkungen und Erfolgsbedingungen von Umweltrecht, S. 37 ff. 131 Dies schließt an die einleitend erwähnte Überzeugung an, dass Grundlage weiterer Forschungen zu Integrationsleistungen von Verfassungen verfassungstheoretische begriffliche Kategorien zur Wirkung der Verfassung sind. Zu voraussetzungsvoll im Sinne erfolgreicher Wirkung ist auch der Begriff der Effektivität (zu Wirksamkeit und Effektivität von Rechtsnormen, vgl. Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, S. 46 f.). Sofern über „Aufgaben“ und „Leistungen“ des Rechts gesprochen wird, wird dem Recht, hier der Verfassung, präskriptiv eine Eigenschaft zugewiesen, die es zu erfüllen hat (diese präskriptive, aufgeladene Bedeutung von Aufgabe z. B. bei Ryffel, Rechtssoziologie, insb. S. 117 ff.). Auch der weitere und eher dem sozialwissenschaftlichen Kontext entstammende Begriff der „Steuerung“ nimmt diese vorschreibende Lesart auf (dazu Harms, Zur Steuerungsfunktion, S. 55 ff.; allg. Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium, S. 69 ff.; Breunung, Steuerung durch Recht?, S. 157 ff.). 132 Üblicherweise wird zwischen juristischer, moralischer und sozialer bzw. faktischer Geltung differenziert. Vgl. beispielhaft Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 36 „Die Geltung des Rechts“ m.w. N. 127
V. Integrationswirkung der Verfassung und der Begriff der Normativität
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in der rechtstheoretischen Diskussion anerkannten und somit inhaltlich besetzten unterschiedlichen Geltungsdimensionen ziehen – auch wenn man einen Zusammenhang zwischen ihnen herstellt133 – die Strukturen der rechtstheoretischen Diskussion um Rechtswirkungen nach, die in der Trennung von Recht und Wirklichkeit und somit normativer und faktischer Geltung bestehen134. Ein neutraler Begriff erscheint insofern für den Zweck der Arbeit, die gerade diese Strukturen aufzeigen will, geeigneter. Auch die Annahme einer Wirkung ist jedoch voraussetzungsvoll: „Wirkung“ nennt man eine Erscheinung, die auf eine andere Erscheinung folgt und von jener hervorgerufen wird.135 Bei vielen Aussagen über den Zusammenhang von Verfassung und gesellschaftlicher Integration wird eine bestimmte „Wirkung“ der Verfassung behauptet, ohne dass dabei die Komplexität136 gesellschaftlicher Zusammenhänge bedacht oder ausgeführt würde. Eine Berücksichtigung jener Komplexität ließe bestimmte, vor allem monokausale Wirkungszusammenhänge aus sozialwissenschaftlicher Perspektive wenig selbstverständlich bis unwahrscheinlich erscheinen. Abhilfe schafft bei der Erhellung der „dunklen Stellen“137 der Integration durch Verfassung eine „breitere“ Perspektive auf Verfassungsleistungen, auch wenn der Blick dann auf Wirkungszusammenhänge wie Mystifikationen fällt138. Die vorliegende Arbeit geht grundsätzlich von „Wirkungen“ der Verfassung aus, auch wenn diese Wirkungen aus realistischer Perspektive voraussetzungsvoll erscheinen139. Um einen bestimmten Zusammenhang näher untersuchen zu können, muss man jedoch zunächst annehmen, dass er überhaupt möglich ist.140
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So Henkel, Das Problem der Rechtsgeltung, S. 63 ff. Vgl. Küpper, Begriff und Grund der Rechtsgeltung, S. 71 ff.; Hoerster, „Wirksamkeit“, „Geltung“ und „Gültigkeit“ von Normen, S. 585 ff. 135 Vgl. dazu den Eintrag „Wirkung“ in: PhilLex, Lexikon der Philosophie im Internet, mit zahlreichen Querverweisen, sowie die Stanford Encyclopaedia of Philosophy zu „causation“. 136 Luhmann, Soziale Systeme, S. 45 ff.; Kneer/Nassehi, Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 40, bieten dazu folgende Zusammenfassung: Komplexität als Gesamtheit möglicher Ereignisse oder Zustände und den zwischen diesen Ereignissen möglichen Relationen. 137 Das schließt an die Wahrnehmung Halterns an, dass die Integrationsfrage das schwarze Loch der Demokratietheorie sei, vgl. Haltern, Integration als Mythos, S. 31 ff. Dazu Vorländer, Integration durch Verfassung, S. 9 ff. (13). 138 Zu Verfassungsmystik Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 50. 139 Vgl. dazu, dass die Annahme von Verfassungswirkungen voraussetzungsvoll ist Lane, Does constitutionalism matter?, S. 177 ff. 140 So Luhmann, Wie ist soziale Ordnung möglich?, S. 196 ff.; ebenso für Integration im Zusammenhang mit Verfassung Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 48. 134
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
2. Normativität als Rechtswirkung, nicht Geltungsanspruch des Rechts Die vorliegende Untersuchung versteht unter Verfassung Recht. Als rechtstheoretische „Übersetzung“ für die Wirkungen von Recht wird der Begriff „Normativität“ gewählt, weil dieser – verstanden als „Rechtlichkeit“ – die Anknüpfung an Normeigenschaften deutlich macht.141 Die rechtstheoretische Erwägung im Hintergrund lautet, dass der Rechtsbegriff selbst aus realistischer Sicht nur aus einer Zusammenschau von Recht und seinen Wirkungen gewonnen werden kann. „Rechtlichkeit“ als das, was Recht ausmacht, setzt eine Betrachtung der Entfaltungsformen von „Maßstäblichkeit“ voraus.142 Der Begriff „Normativität“ bietet – so verstanden – Vorteile gegenüber Begriffen wie Wirksamkeit, Effektivität, Steuerung, Funktion, Aufgabe und Leistung, welche nicht spezifisch mit dem Recht verbunden sind, sondern lediglich zur näheren Beschreibung von rechtlicher Wirkung, also Normativität, verwendet werden können. Das Substantiv „Normativität“ taucht im Diskurs über Rechts- und Verfassungswirkungen eher selten auf143, häufiger stößt man auf das Adjektiv „normativ“144, welches ein Synonym für Rechtlichkeit ist. Diese häufige, aber unselbständige Nennung weist auf die Bedeutung des Normativen im Rechtsdiskurs hin, die paradoxerweise durch die Verborgenheit verstärkt wird. Normativität bildet in ihrer Selbstverständlichkeit eine latente Voraussetzung145 aller Aussagen, auch der theoretischen, zum Recht, ohne selbst gründliche Klärung zu erfahren. Selbstverständlichkeit bedeutet aber nicht Klarheit146, sondern verweist auf Tiefenstrukturen des Rechts, die für den Erhalt wesentlicher Rechtsfunktionen sprachlich repräsentiert und reproduziert werden müssen, zum Teil auch dadurch, dass die Voraussetzungen bestimmter Begriffe und Strukturen unausgesprochen mitgeführt werden147. „Normativität“ bedeutet im konventionellen rechtstheoretischen Zuschnitt ein „Sollen“, eine „Maßstäblichkeit“, die von 141 Vgl. zu einem ähnlichen begrifflichen Abstellen auf das spezifisch Rechtliche Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, etwa S. 101, 169: Rechtskraft als Eigenschaft von Rechtlichem. 142 Dies wird im dritten Teil der Arbeit vertieft. 143 Vgl. aber an prominenter Stelle: HStR VII, Normativität und Schutz der Verfassung; vgl. auch Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund. 144 Dies ergibt eine Durchsicht von Lexika zur Wissenschaftssprache sowie von rechts- und verfassungstheoretischer Literatur. 145 Zu latenten Theorievoraussetzungen Krawietz, Theoriesubstitution, S. 359 ff. (410 f.). 146 Dazu in einem Vergleich zur Sprache und zu sog. Rechtsuniversalien (das sind nicht selbst Rechtsnormen, sondern der Rahmen für die Organisationsform möglicher Rechtsnormen) Bierwisch, Recht linguistisch gesehen, S. 42 ff. „Aber was sich von selbst versteht, ist eben nicht trivial, wenn man die Selbstverständlichkeit zu erklären versucht.“ (ebd. S. 64).
V. Integrationswirkung der Verfassung und der Begriff der Normativität
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der „Wirklichkeit“ zu trennen ist, und diese Maßstäblichkeit ist dem Begriff des Rechts inhärent, ohne dass sie eigens thematisiert werden muss.148 Im Interesse an der Wirklichkeit des Rechts als „seiendes Sollen“149 wird „Normativität“ vorliegend jenseits der Struktur von „Recht gegenüber Wirklichkeit“ mit dem Verständnis von Normativität als Rechtlichkeit im Sinne von Rechtswirkung im Ansatz entfaltet. Damit werden die konventionellen Geltungslehren, die Normativität als Ausdruck des Geltungsanspruchs des Rechts behandeln150, beiseite gelassen. Die Verwendung von „Normativität“ in einem umfassenderen Sinn ist angeregt von dem rechtstheoretischen Konzept Friedrich Müllers, der sich gegen einen starren Begriff von Recht und Rechtsnorm wendet und Normativität als einen Vorgang konzipiert, der durch Arbeit mit dem Recht, d.h. Rechtsverwirklichung, geschieht und der eine Brücke vom Recht zur Wirklichkeit spannt151. Normativität steht bei Müller nicht, in positivistischer Lesart, für die Geltung eines Rechtstextes, sondern stellt einen Vorgang dar, in dem ausgehend von Normtexten die Rechts- und Entscheidungsnormen für konkrete Fälle jeweils durch die Rechtsarbeit hergestellt werden. Normen stehen der Wirklichkeit nicht gegenüber, sondern werden durch diese geprägt und bestehen aus Normprogramm und Normbereich, die gemeinsam ein sachgeprägtes Ordnungsmodell ausmachen. Normativität ist die Rechtsnormen zugeschriebene Fähigkeit, zu Entscheidungsnormen fortgebildet werden zu können.152 Diese Bestimmung von Normativität liegt auf der Linie der vorliegenden Arbeit, welche Wirkungsbedingungen von Wirksamkeitsbedingungen, im Sinne von Erfolgsbedingungen, unterscheidet. Bei den rechtstheoretischen Folgerungen wird zu klären sein, inwieweit Müllers realistisches Konzept des Rechts, das auf dem Begriff der Rechtsarbeit fußt, auf die Rechtswissenschaft übertragen werden kann. Mit anderen Worten, welche Akteure wie an der Rechtsarbeit beteiligt sind. Normativität wurde in diesem Aufriß als begriffliche Hülle vorgestellt, die Wirkungen von Recht umfasst. Damit ist zwar der erste Schritt zu einem rea147 Dazu Broekman, Recht und Anthropologie, der sich v. a. mit dem unausgesprochenen Menschenbild bestimmter Rechtsideen befasst. 148 Vgl. die Ausführungen im ersten Teil der Arbeit unter III. Integrationswirkung der Verfassung und Normativität. 149 Nawiasky, zitiert bei Veddeler, Rechtstheorie versus Kulturtheorie, S. 453 ff. (461). 150 Henkel, Das Problem der Rechtsgeltung, S. 63 ff.; Küpper, Begriff und Grund der Rechtsgeltung, S. 71 ff.; Hoerster, „Wirksamkeit“, „Geltung“ und „Gültigkeit“ von Normen, S. 585 ff. Auch aufgrund dieser inhaltlichen Aufladung wird auf eine Anknüpfung der vorgestellten Überlegungen an den Geltungsbegriff verzichtet. 151 Es handelt sich bei „Normativität“ um einen Kernbegriff der Rechtslehre Müllers, der alle Arbeiten durchzieht, vgl. als Überblick Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 256 ff. 152 Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 193 ff.
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1. Teil: Grundlagen – Integrations- und Rechtswirkung der Verfassung
listischen Rechtsverständnis hin getan, jedoch sagt Normativität auf dieser abstrakten Ebene nichts über die Art und Weise der Wirkungen der Verfassung als Recht aus. Für die Entfaltung von verfassungsrechtlichen Wirkungsmöglichkeiten ist ein realistisches und kulturwissenschaftliches Verfassungsverständnis maßgeblich, das im dritten Teil der Arbeit eingehender vorgestellt wird und das auf den Erkenntnissen der Bestandsaufnahme, d.h. konkreten verfassungstheoretischen Anregungen zu Wirkungen der Verfassung, aufbaut.
Zweiter Teil
Bestandsaufnahme – Verfassungsnormativität im Spiegel von Konzepten zur Integrationsfunktion der Verfassung I. Einleitung 1. Allgemeines Eine ausdrückliche und jedenfalls im Ansatz entfaltete verfassungstheoretische Deutung aller Verfassungsleistungen im Hinblick auf ihre integrative Bedeutung findet sich in der Integrationslehre Rudolf Smends, dargelegt im Wesentlichen153 in seiner Schrift „Verfassung und Verfassungsrecht“ aus dem Jahr 1928154. Diese Arbeit dient der Staatsrechts- und Verfassungslehre nach wie vor als Anknüpfungspunkt für die Behauptung und Erläuterung der so genannten Integrationsfunktion der Verfassung155 und erfährt seit einigen Jahren wieder erhöhte Aufmerksamkeit156, da das Interesse an Voraussetzungen und Bedingungen gesellschaftlicher Integration angesichts wahrgenommener gesellschaftlicher Desintegrationserscheinungen gestiegen ist157 und dabei auch das Recht, insbesondere die Verfassung, als Integrationsfaktor in den Blick genommen wird158. „Verfassung und Verfassungsrecht“ wird im Folgenden einer genauen Lektüre unterzogen, denn Smends verfassungstheoretisches (Integrations-)System bildet 153 Die Integrationslehre vorbereitende Ansätze finden sich bereits in früheren Abhandlungen, wie z. B. Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform von 1923. s. dazu sogleich unter II.1. 154 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 119 ff. Abgedr. in: Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze. 155 Z. B. bei Isensee an prominenter Stelle im Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1 (2. Aufl.), § 13 Rn. 116, 138. 156 Hierzu Lepsius, Die Wiederentdeckung Weimars, S 354 ff. Aktuelle Beiträge zu Smend in Lhotta (Hrsg.), Die Integration des modernen Staates (2005). 157 Vgl. repräsentativ die von Heitmeyer herausgegebenen Sammelbände: „Was hält die Gesellschaft zusammen?“, „Was treibt die Gesellschaft auseinander?“ sowie Honneth, Desintegration. 158 Als Ergebnis solcher aktuelleren Untersuchungen ist vor allem der von Vorländer herausgegebene Sammelband „Verfassung und Integration“ aus dem Jahr 2002 zu nennen. Weitere Belege für die gewachsene Aktualität des Themas sind die bereits zitierten Beiträge von Korioth und von Bogdandy auf der Staatsrechtslehrertagung 2003 zu „Integration durch Verfassungsrecht“.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
den Hintergrund und Ausgangspunkt der hier vorgestellten Verfassungsverwirklichung. Darüber hinaus soll die Integrationslehre nach ihrem Normativitätskonzept befragt werden. Als Ausgangspunkt für die rechtstheoretischen Überlegungen im dritten Teil werden über Smends Ansatz hinaus weitere Aussagen zu Verfassung und Integration der bundesrepublikanischen Staatsrechts- und Verfassungslehre in einer knappen Bestandsaufnahme analysiert. 2. Analyse staatsrechtlicher Aussagen über Integrationsvorgänge und die Rolle der Verfassung: Zur Isolierung verfassungstheoretischer Vorstellungen Die untersuchten Texte enthalten – dies wurde oben als allgemeine Problematik von Integrationsaussagen vorgestellt – wenige offen liegende Angaben zur Normativität der Verfassung; es handelt sich eher um einen Subtext der verfassungstheoretischen Ausführungen, der zutage gefördert werden muss. Die Aussagen zur Integration durch Verfassung sind verglichen damit direkter, entwerfen aber – wie bereits ausgeführt – unterschiedliche Vorstellungen von gesellschaftlicher Einheitsbildung. Die Textaussagen werden in einen integrationstheoretischen Teil auf der einen und einen verfassungstheoretischen Teil auf der anderen Seite getrennt, damit im Hinblick auf die oben erläuterte methodische Problematik von Integrationsaussagen eine deutlichere Abschichtung von deund präskriptiven Aussagen ermöglicht wird. Die Fragen, die dazu dienen sollen, einen Text auf sein integrationstheoretisches Konzept hin zu befragen, sind offen formuliert und benennen Aspekte, aus denen ein Integrationsbegriff resultiert, der keiner bestimmten Theorie gesellschaftlicher Integration verpflichtet ist.159 Das daraus entstehende integrationstheoretische Bild ist insoweit von Interesse, als eine Bestimmung der (jeweils unterschiedlichen) Bedeutung von Verfassung nur vor diesem Hintergrund erfolgen kann, da ansonsten ihre Stellung im Rahmen eines vorgestellten Integrationsprozesses nicht klar wird. Erst die Stellung der Verfassung im Integrationsprozess gibt Auskunft darüber, in welcher Weise die Verfassung für gesellschaftliche Einheitsbildung nützlich sein soll: als „Rechtsinstrument“ oder auf andere Weise. In einem weiteren Schritt wird in einem verfassungstheoretischen Teil die jeweilige Rolle der Verfassung im Integrationsprozess als eine Aussage zur Nor-
159 Ein ähnliches Vorgehen in Bezug auf Steuerung findet sich bei Harms, Zur Steuerungsfunktion von Verfassungsrecht, S. 55 ff. (56), die allerdings keine gezielte Textanalyse betreibt. Vgl. auch Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, der zwischen Integrationsziel und Integrationsprozess differenziert.
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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mativität der Verfassung interpretiert. Damit ein vollständigeres Bild dieser Konzepte zur Normativität der Verfassung gezeichnet werden kann, ist es über den Ansatzpunkt der Integrationsleistung hinausgehend erforderlich, Aussageformeln, wie zum Beispiel die Rede von Verfassungsrecht als politischem Recht160, die Entgegensetzung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit und den Umgang mit den Kategorien „Sein“ und „Sollen“ als Aussagen zur Normativität der Verfassung zu lesen.
II. Verfassung und Integration in der Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends: Ansätze zu einem umfassenden Verständnis von Verfassungsnormativität 1. Einleitung Die Integrationslehre Rudolf Smends untersucht die integrativen Potentiale der Verfassung unter verschiedenen Gesichtspunkten der Verfassungsverwirklichung und gibt auf diese Weise – trotz der Verengung auf die nationalstaatliche Integration – einen Eindruck davon, dass die Wirkungen von Verfassung von vielen Faktoren abhängig sind. Rudolf Smend hat den Begriff der Integration durch die sog. Integrationslehre in die Rechtswissenschaft, und zwar insb. in die Staatsrechtslehre bzw. Verfassungslehre, eingeführt.161 Es steht im Kontrast zu dem beständigen Interesse an gesellschaftlicher Integration auch seitens der Rechtswissenschaft – und hier insbesondere der Staatsrechtslehre –, dass Smends Arbeit, im wesentlichen entfaltet in der Schrift „Verfassung und Verfassungsrecht“ aus dem Jahr 1928162, lange Zeit den einzigen Versuch darstellte, das Verhältnis zwischen Integration und Verfassung in systematischer Weise aufzuarbeiten und dabei den Begriff der 160 Vgl. Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, § 162 und Lizana, Die Auslegung des Verfassungsrechts als politisches Recht. 161 So Smend selbst, in: Art. Integration, erschienen im Ev. Staatslexikon (1966), abgedr. in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 482 ff. (483). 162 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht. Abgedr. in Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 ff.; frühere Überlegungen zu Integration sind enthalten in „Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform“ (1923), abgedr. in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 68 ff., hier spricht Smend ausdrücklich von Integration, vgl. S. 84 ff. Aber auch in dem älteren Aufsatz „Die Verschiebung der konstitutionellen Ordnung durch die Verhältniswahl“ finden sich Überlegungen zur Bedeutung der Wahl, die Smend in „Verfassung und Verfassungsrecht“ unter dem Gesichtspunkt der „funktionellen Integration“ wiederaufgreift. s. dazu unten den Abschnitt zu „Art und Weise der Integration“ bei Smend. Einen Überblick über die Entwicklung der Integrationslehre im Kontext der wissenschaftlichen Ansätze Smends und im Kontext der Weimarer Staatslehre gibt – mit besonderem Blick auf die frühen Arbeiten Smends – Korioth, vgl. Erschütterungen des staatsrechtlichen Positivismus im ausgehenden Kaiserreich, S. 212 und ders. Integration von Norm, Wert und Wirklichkeit, S. 200.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Integration in den Mittelpunkt zu stellen163. Die Prägung des Themas durch Smend zeigt sich in der Verselbständigung und Zusammenfassung seiner Aussagen in der Integrationslehre164. Im Jahr 1928 zwar unter dem Eindruck der politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik verfasst, haben Smends Aussagen aber auch in der bundesrepublikanischen Staatsrechtslehre große Wirkung gezeigt, was nicht nur in den zahlreichen Bezugnahmen und Erwähnungen im staats- und verfassungsrechtlichen Kontext zum Thema Integration augenfällig wird165, sondern auch an der andauernden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit seiner Lehre166. Dies mag zum einen daran liegen, dass gesellschaftliche Integration als Thema von dauerhafter Aktualität ist, was durch das Bewusstwerden ihrer Brüchigkeit noch verstärkt wird167; zum anderen regt der voraussetzungsvolle Entwurf einer Verfassungslehre in „Verfassung und Verfassungsrecht“ aufgrund des von Smend damit verbundenen Anspruchs und der bewussten Stellungnahme und Abgrenzung zur übrigen Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit und ihrer Vorläufer zur steten Auseinandersetzung an168. Die Darstellung von Smends Ansichten knüpft zunächst an den bloßen Textbefund von „Verfassung und Verfassungsrecht“ an.169 Im Vordergrund steht, was 163 Das bedeutet nicht, dass sich andere Autoren nicht mit dem Thema befassen. Hier kommt es nur auf den Ansatzpunkt der Überlegungen an. Zu aktuellen Versuchen unter ähnlicher Fragestellung s. Frankenberg, Tocquevilles Frage, S. 31 ff.; Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117 ff.; Grimm, Integration durch Verfassung, S. 448 ff. 164 Diese ist neben dem Begriff der Integration Gegenstand von Handbuch- und Lexikaeinträgen, die Smend als Autorität auf diesem Gebiet ausweisen. 165 Vgl. nur: Hesse, Verfassung und Verfassungsrecht, § 1 Rn. 5; Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 138; Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, § 162 Rn. 34. 166 Hier seien nur genannt: Mols, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie? 1969; Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“ in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik, 1987; Korioth, Integration und Bundesstaat, 1990; daneben gibt es Beiträge in Sammelbänden, insb. zur Weimarer Staats- und Verfassungslehre, die auf Smend eingehen; z. B. Lhotta, Rudolf Smend und die Weimarer Demokratiediskussion, S. 286; vgl. für Nachweise zur Diskussion Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 3 III 6. Aktuell sei auf den von Lhotta herausgegebenen Sammelband zu Smends Werk „Die Integration des modernen Staates“ hingewiesen. 167 Vgl. einleitende Bemerkung Smend, Art. Integration (1966), S. 482. 168 Zu den Wirkungen von Smends Lehre Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 353 ff., insb. S. 358 f.: „fruchtbare Inspirationsquelle für viele“ (359). Vgl. auch Häberle, Zum Tode von Rudolf Smend, S. 685 ff.: Smend als „großer ,Anreger‘“ (686). 169 Durch diesen textimmanenten Ansatz soll vermieden werden, den Text Smends von vornherein zu sehr im Kontext der damaligen staatsrechtlichen, wissenschaftlichen und politischen Diskussion zu sehen. Durch die Betonung des Primärtextes soll gewährleistet werden, dass Fragen an das wissenschaftliche und u. U. politische Umfeld aus dem Text heraus gestellt werden. Zu einer solchen rationalen Rekonstruktion vgl.
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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Smend unter Integration verstanden hat und welche Rolle die Verfassung in seinem Integrationskonzept spielt. Der Ansatz der Binnenrekonstruktion des Smend’schen Ansatzes soll nicht verdecken, dass „Verfassung und Verfassungsrecht“ seine Aussagekraft im Wesentlichen vor dem wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund der damaligen Zeit erhält, der nicht nur durch den wissenschaftlichen Diskurs in der Staats- und Staatsrechtslehre, sondern auch durch die „wissenschaftsübergreifenden“ Bezüge geprägt wird. Dies gilt besonders für Smend, der seinen wissenschaftlichen Ausgangspunkt, vor allem durch die Rezeption der Schriften Theodor Litts170, „geisteswissenschaftlich“ setzt und Anregungen aus Philosophie und Sozialwissenschaften verarbeitet.171 Insofern ist die Bedeutung des geisteswissenschaftlichen Ansatzes für Smends Verständnis von Verfassung und Integration zu beachten.172 2. Die Integration in „Verfassung und Verfassungsrecht“ als integrationstheoretisches Konzept Ziel der folgenden Bestandsaufnahme ist es, den von Smend vorgestellten Gesamtvorgang der Integration – im Sinne einer getrennten Betrachtung von Ziel, Mittel, Modus, Beteiligten sowie den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Integration – sichtbar zu machen, damit an diese Darstellung die genauere Untersuchung der Rolle der Verfassung anschließen kann.
Koch, Die juristische Methode im Staatsrecht; s. auch Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, zum Unterschied zwischen „historischer“ und „rationaler“ Rekonstruktion, S. 6. Zu einem ebenfalls immanenten Ansatz vgl. auch Poeschel, Anthropologische Voraussetzungen; sowie Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, S. 240 f. 170 Vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 119 f. 171 Für die Einordnung der Arbeit Smends in den damaligen wissenschaftlichen Kontext vgl. Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“ in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik, dem es ausdrücklich um die wissenschaftsgeschichtliche Darstellung geht. Zu dem damit verbundenen Problem, wie sich mit einem eigenen „heutigen“ Problembewusstsein eine „damalige“ Diskussion darstellen lässt, vgl. ebd. die Einleitung, S. 19 ff. s. auch Korioth, Erschütterungen des staatsrechtlichen Positivismus im ausgehenden Kaiserreich, S. 212 sowie den Standardbeitrag aus dem Jahr 1977 von Friedrich, Der Methoden- und Richtungsstreit, S. 161 ff.; s. auch von Smend, Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit (1973), S. 620. 172 Dies ergibt sich, wenn man Smends wissenschaftliches Anliegen ernst nimmt und die Frage der Ausgangsperspektive für entscheidend hält. Koch meint hingegen, dass die geisteswissenschaftliche Grundlegung für Smends Aussagen bedeutungslos sei, vgl. Koch, Die juristische Methode im Staatsrecht, S. 95 ff. (98). Hennis geht davon aus, dass die Bedeutung Litts für Smends Integrationslehre überschätzt werde, und belegt dies mit späteren Aussagen Smends, die zum Teil jedoch eher anekdotenhaften Charakter haben. Vgl. Hennis, Integration durch Verfassung?, S. 267 ff. (286 f.).
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
a) Das Integrationsziel – Der Staat als Überwindung von Desintegration auf verschiedenen Ebenen Der Text wird zunächst nach der Motivation Smends, Aussagen über Integration durch Verfassung zu treffen, untersucht. Da diese in der Beobachtung bestimmter Desintegrationserscheinungen liegt, lässt sich daraus ein Hinweis auf das Integrationsziel entnehmen. aa) Der reale Staat als Nationalstaat, Bundesstaat und politische Schicksalsgemeinschaft des Volkes bei Smend Staat und Integration sind bei Smend durch die Aussage verknüpft, dass der grundlegende Lebensvorgang des Staates in Integration bestehe173. In „Verfassung und Verfassungsrecht“ geht Smend in weiten Teilen von der historischen Gegebenheit des Staates174 als Bezugspunkt seiner Ausführungen aus und versucht staatliches Leben zu beschreiben; sein Augenmerk liegt aufgrund seiner verfassungstheoretischen Grundauffassung auf dem Staat. Insoweit das Strukturprinzip des Staates als Integration erklärt wird, erscheint Staat aus dieser „Binnenperspektive“ als durch die Integration herzustellender Zustand und daher zwangsläufig als Integrationsziel175. Smend konstatiert verschiedene Desintegrationserscheinungen, die sowohl die innere wie äußere Einheit des Staates betreffen, und nimmt diese zum Anlass, um die Notwendigkeit der Integration aufzuzeigen. Durch das Einkreisen der Desintegrationserscheinungen kann man eine die immanente Betrachtung transzendierende Perspektive gewinnen, die erkennen lässt, warum und in welcher Form der Staat hier als „Gefäß“ für gesellschaftliche Einheit und Überwindung von Zerfallserscheinungen auftaucht. (1) Der Staat als Nationalstaat Die erste Desintegrationserscheinung, mit der Smend sich beschäftigt ist die fehlende nationalstaatliche Geschlossenheit Deutschlands. Auf den äußeren Aspekt der nationalstaatlichen Geschlossenheit bezieht sich Smend, indem er seine Überlegungen am Konzept des Nationalstaates orien173
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 135 f. Das bedeutet nicht, dass es sich um eine selbstverständliche tatsächliche Gegebenheit handelt, sondern um eine selbstverständliche „Zurechnungsfigur“. Auf die „überempirische Aufgegebenheit“ wird noch eingegangen. 175 Diese schlichte Feststellung gewinnt dann an Aussagekraft, wenn der Staat als Integrationsziel als wertvoll erscheint, wenn, mit anderen Worten, versucht wird zu klären, „warum Staat?“. 174
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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tiert176. Nationalstaatliche Geschlossenheit ist nach Smend für Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern keine Selbstverständlichkeit und taucht als Postulat auf177. Dieses Postulat ist vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund Deutschlands, der die damalige staatsrechtliche Diskussion beeinflusste, nicht ungewöhnlich; es erscheint zeitgemäß, vor allem, wenn man die konservative deutsch-nationale politische Ausrichtung eines großen Teils der Staatsrechtslehrer in Betracht zieht.178 Wenn Gegenstand der Bemühungen um Einheit der Nationalstaat sein soll, entsteht die Frage, wie sich das auf den Vorgang der Einheitsfindung oder -bildung auswirkt, d.h. wie sich der Nationalstaat eben nicht als selbstverständliche Gegebenheit, sondern als Ansatzpunkt für ein Konzept zeigt, das die Art und Weise und die Voraussetzungen der Integration beeinflusst und welche Rolle die Verfassung hier spielen soll. (2) Der Staat als Bundesstaat Als weitere Desintegrationserscheinung, die Einheitsdenken fordert und die „innere Seite“ des Staates betrifft, nennt Smend „Spannungen zwischen Gesamtstaat und Einzelstaaten“179. Dieser Aspekt wird von Smend im Rahmen einer Bundesstaatstheorie, die vom Integrationsgedanken ausgeht, behandelt.180 Die Förderung der Bundesstaatlichkeit ist ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt seiner integrationstheoretischen Überlegungen.181 176 Zum Verständnis von Staat als Nationalstaat bei Smend s. Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“, S. 234 ff. 177 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 186. 178 Zur Bedeutung des Themas „Staatliche Einheit“ vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III, S. 41 f., 74 ff., 101 ff.; zur politischen Haltung der Staatsrechtler vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 74 ff., 158 ff.: Trotz aller Heterogenität in sonstigen politischen Fragen wird man für den Großteil eine nationale Einstellung bejahen können; Smends Haltung in dieser Frage drückt sich sicherlich auch in seiner Mitgliedschaft in der DNVP aus, s. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 120 Fn. 269; vgl. auch Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“, S. 214 ff., S. 230 ff.: zum „idealistischen Nationalstaatsdenken“ bei Kaufmann, Smend und Holstein s. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 333 ff. (335). 179 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 186. 180 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 223 ff.; zu diesem Aspekt s. die Arbeit von Korioth, Integration und Bundesstaat, insb. S. 152 ff. 181 Das zeigt sich darin, dass Smend diesen Aspekt in „Verfassung und Verfassungsrecht“ zweimal ausführlich aufgreift: Zum einen im verfassungstheoretischen Teil II unter „Das Wesen des Bundesstaats“, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 223 ff., und zum anderen bei den positivrechtlichen Folgerungen unter „Zum Bundesstaatsrecht“, a. a. O., S. 268 ff.; vgl. auch das Zitat auf S. 186 ebd.: „In Deutschland (. . .) ist die Besinnung auf den integrierenden Sinn aller staatlichen Ordnung eben darum auch um so angebrachter in einem Bundesstaat voller Spannungen zwischen Gesamtstaat und Einzelstaaten (. . .).“ Auch hier ist der zeitgeschichtliche Hintergrund zu berücksichtigen. Smend ist der Ansicht, dass die WRV das Verhältnis zwischen Gesamtstaat und
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
(3) Der Staat als politische Gemeinschaft Die dritte Ebene, auf die sich Smend mit Integration und Desintegration bezieht, betrifft den Staat als politische Gemeinschaft. Im Vordergrund der Integration steht auf dieser Ebene die Bildung staatlicher Gemeinschaft aus Einzelnen. Nach Smend ist die Existenz des Staates als Gemeinschaft nicht so selbstverständlich, dass sie sich von selbst einstellt, sondern ein erst zu befördernder Zustand; Smend sieht den Staat als Kulturerrungenschaft im Gegensatz zu einer bloßen Technik der Kultur182. Die Selbstverständlichkeit staatlicher Existenz als Willenseinheit nach innen erscheine zunehmend problematisch in der „Massenbürgerschaft heutiger Demokratien“, in der es schwierig geworden sei, den Einzelnen zu erreichen183 und aus der „Gesellschaft von Individuen“ eine politische Gemeinschaft zu bilden184. bb) Inkurs: Weiter gehende Rechtfertigung des Staates bei Smend? Fraglich ist, ob der Nationalstaat eine weitere Legitimation als durch die Überwindung der genannten Desintegrationserscheinungen erfährt. Diese Frage ist mit Blick auf zwei Punkte zu erörtern: Zum einen ist dies die sog. sachliche Integration, die Smend als Entsprechung zur konventionellen Lehre von den Staatszwecken und der Rechtfertigung des Staates185 sieht, und zum anderen handelt es sich um den Topos der „überempirische(n) Aufgegebenheit des Staates“.
Einzelstaaten, was v. a. das Verhältnis Preußens zum Reich meint, nicht gut gelöst hat, vgl. a. a. O., S. 232 das „preußisch-deutsche Problem“. 182 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 129. 183 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 156 f.; vorher S. 140 „demokratischer Massengroßstaat“. Smends Bild von der Gesellschaft ist wesentlich durch den Begriff des „Massenstaats“ bestimmt und muss von daher die Vermittelung politischer Gehalte beeinflussen. Damit ist ein bestimmtes Bild von der Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft verbunden. Vgl. S. 162; eine gute Zusammenfassung bietet das Zitat auf S. 172: „Der geistig atomisierte, entsubstanzialisierte, funktionalisierte neuzeitliche Mensch ist nicht der Mensch ohne Werte und Substanz, sondern der Mensch ohne gemeinschaftsbildende, insbesondere traditionelle Werte, die zugleich notwendig Werte einer statischen Kultur- und Sozialordnung sind.“ Dieser „neuzeitliche Mensch“ bildet mit anderen eine staatliche Gemeinschaft „durch die plebiszitären Lebensformen des Massenstaats“. Der „Einbruch der Massenpsychologie in das moderne staatstheoretische Denken“ (. . .) habe vor diesem Hintergrund „ein gewisses Recht“. 184 Smend spricht – indem er den Sprachgebrauch der Zeit aufgreift – vom Zerfall der Gemeinschaft zur Gesellschaft, Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 173 mit Verweis auf Tönnies, von dem diese wirkmächtige Unterscheidung stammt, vgl. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft (s. dazu unter Fn. 65 oben). 185 Diese Anlehnung von Smends Ausführungen an die Kategorien der „konventionellen“ Staatslehre wird unten unter methodischen Gesichtspunkten aufgegriffen.
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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Smend hält eine Rechtfertigung des Staates als Mittel zur Verwirklichung bestimmter Zwecke für verfehlt186. Das oben Ausgeführte zum Staat als Integrationsziel kann daher nach Smend auch nicht in der Weise verstanden werden, dass der Zweck des Staates die Überwindung der Desintegration ist. Der Staat beziehe seine Wirklichkeit ausschließlich daraus, dass er Integration der Einzelnen sei187. Der Staat könne also, da er außerhalb dessen nicht existent sei, nicht zur Integration benutzt werden. Die Frage nach der Rechtfertigung des Staates durch außerhalb des Staates liegende Zwecke führt nach Smend auf den falschen Weg einer Personalisierung und Substanzialisierung des Staates188. Obwohl sich Smend einer solchen außerhalb liegenden Legitimation des Staates verweigert, spricht er andererseits vom Staat als „souveräne[m] Willensverband“, dessen Charakter „überempirisch aufgegeben“ sei189; Staat sei ein „überempirischer Wertbegriff“190. Der „Doppelcharakter staatlichen Lebens“ bestehe in der „Erfüllung einer sowohl durch die Wertgesetzlichkeit des Geistes wie durch das positive Recht des Staates gestellten Aufgabe“191. Der Topos der Wertgesetzlichkeit des Geistes taucht ohne Einführung192 bei der Beschreibung des Staates bei Smend auf und wird im Folgenden von ihm wiederholt aufge186
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160. 188 Zu diesem Hauptanliegen seiner Kritik an der „herkömmlichen Staatslehre“ vgl. insb. den zusammenfassenden Abschnitt, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 180 ff. und auch S. 194 f. Allerdings spricht Smend im vorliegenden Zusammenhang nicht von der völligen Verwerfung, sondern nur von der „Richtigstellung“ der Teleologie im Staatsdenken, was darauf hindeutet, dass er den Begriff der Teleologie weiterhin verwenden will. Smend hat ein schwer zu bestimmendes Verhältnis zum Begriff „Teleologie“, da er ihn in zweifacher Weise benutzt: Zum einen handelt es sich um einen Angriffspunkt im herkömmlichen Staatsdenken, weil dieses den Staat teleologisch legitimiert; andererseits liegt die Kritik an der Staatslehre gerade darin, dass ihr teleologische Gehalte abgehen, vgl. Verfassung und Verfassungsrecht, S. 124. Eine andere Frage, die hier nur angerissen werden kann ist die, ob Smend selbst vor dem Vorwurf der Substanzialisierung des Staates gefeit ist. Zweifel hieran sind erlaubt, wenn man die Beschreibungen, die Smend für den Staat findet („Kollektivwesen“, S. 160; auch die Vergleiche zwischen Staat und Einzelpersönlichkeit, S. 132 f. oder die Rede von „Integration als Lebensvorgang des Staates“, S. 136), betrachtet. Vgl. die in diesem Punkt treffsichere zeitgenössische Kritik von Kelsen, Der Staat als Integration (1930), S. 29 ff. (35). Smend geht offenbar von der Vorstellung richtiger und falscher „Substanzialisierungsansätze“ aus, und meint den richtigen gewählt zu haben, vgl. Verfassung und Verfassungsrecht S. 168. 189 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139. 190 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 135 Fn. 34. 191 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139. 192 Smend führt den Begriff nicht durch eigene Erklärung ein, sondern verweist in einer Fußnote auf Spranger, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 141 Fn. 16. Im vorliegenden Zusammenhang muss der Aussagegehalt der „Wertgesetzlichkeit des Geistes“ ausgespart bleiben. s. aber zu diesem Topos Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“, S. 89 ff.; zur Kritik des Wertbegriffs bei Smend im Sinne einer Kritik an dessen Litt-Rezeption s. Kelsen, Der Staat als Integration, S. 7 f. 187
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
griffen; so erscheint auch Integration als Verwirklichung der Wertgesetzlichkeit des Geistes193. Es lässt sich feststellen, auch ohne die Rede von der „Wertgesetzlichkeit des Geistes“ klären zu müssen, dass es mit dieser Formel auch für Smend einen außerhalb des Staates liegenden Anknüpfungspunkt für die Begründung des Staates gibt.194 Die These von einer über die Existenznotwendigkeiten einer Gemeinschaft hinausgehenden Begründung des Staates bei Smend wird zusätzlich dadurch gestützt, dass er der kritisierten Lehre von den Staatszwecken eine „Lehre vom Sinngehalt des Staats“ gegenüberstellt. Nach Smend ist der Sinngehalt im Sinne „gemeinschaftsbegründender und gemeinschaftsbedingender Gehalt(e)“ zu verstehen und kommt im Rahmen der sachlichen Integration zum Tragen195. cc) Der Staat als beschreibbares soziales Gebilde und Gegenstand des Staatsrechts Der Zugang zur genaueren Beschreibung des Staates wird über den Begriff der Integration als wesentliches Charakteristikum des Staates eröffnet. Die Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Staat nicht als ein theoretisches, abstraktes, sondern als ein reales Gebilde im Sinne einer „tatsächlichen Gruppe“ aufgefasst wird, das der Beschreibung zugänglich ist. Die entscheidende These Smends – deutlich formuliert in der Überschrift „Der Staat als realer Willensverband“196 – ist die „Wirklichkeit des ,soziologischen‘ Staates und seine Identität mit dem Gegenstande des Staatsrechts“197. Smend hebt dafür in einem ersten Schritt auf die Vergleichbarkeit des Staates mit anderen sozialen Gebilden ab und beschreibt den Staat als „realen Willensverband“198, als „geistiges Kollektivgebilde“199; er stelle eine besondere Form „menschlichen Gruppenlebens“ und eine „überindividuelle soziale Form“200 dar. 193 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 141; weitere Stellen: S. 158, 162, 171, 188. 194 Bemerkenswert ist, dass die „Wertgesetzlichkeit des Geistes“, die in „Verfassung und Verfassungsrecht“ große Bedeutung hat, in späteren Aussagen Smends zur Integrationslehre nur noch ansatzweise (Art. Integrationslehre (1956), abgedr. in Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 475 ff.) oder gar nicht mehr (Art. Integration (1966), abgedr. in Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 482 ff.) auftaucht. Das zeigt die Zeitgebundenheit dieses Topos an. 195 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139, 140. Dazu unter II.2.b). 196 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 127. Hervorhebung von Verf. 197 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 132. 198 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 127. 199 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 136; vgl. auch Staat als „Kollektivwesen“, S. 160. 200 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 128.
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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In einem zweiten Schritt behauptet Smend zum Beweis seiner „Identitätsthese“ die Deckungsgleichheit zwischen dem empirischem Staat und dem Staat als einem Gegenstand der Staatsrechtslehre. Um diese Deckungsgleichheit aufzuzeigen, stellt er dem jeweiligen rechtlichen Tatbestand eine tatsächliche Entsprechung gegenüber: Der rechtlichen Staatszugehörigkeit entspricht eine tatsächliche Staatszugehörigkeit201; die Staatsbürger stehen nicht nur in einem rechtlichen Verhältnis zueinander, sondern auch in einer „politischen Lebens- und Schicksalsgemeinschaft“202. Wesentlich ist, dass der Staat nicht nur ein rechtliches Phänomen ist, sondern eine „soziologische Realität“203 besitzt. Smend konzentriert sich auf diesen Aspekt der sozialen Realität und stellt die Vergleichbarkeit (die in dem Integrationsbedarf besteht) des „soziologischen“ Staates als sozialer Gruppe mit anderen Gruppen in den Vordergrund. Die Besonderheit des Staates, nämlich eine rechtlich normierte Gruppe zu sein, wird von Smend hingegen lediglich am Rande behandelt. Durch die „Subsumtion“ des Staates unter den Oberbegriff der sozialen Gruppe weist Smend auf den Integrationsbezug des Staates hin. Der Staat wird ebenso wie andere Gruppen durch einen ständigen „Selbsterneuerungsbedarf“ im Sinne von Einheitsbildung aus seinen Angehörigen charakterisiert. Smend liefert damit eine Beschreibung des Staates als „Kollektivgebilde“, welche diesen nicht von anderen sozialen Gruppengebilden unterscheidet. Es stellt sich daher die Frage, was den Unterschied zwischen dem Staat und anderen sozialen Gebilden bei Smend ausmacht. Erst auf dieser Basis lassen sich die Auswirkungen des vorgestellten Staatsbegriffs auf die Verfassung und damit auf die Verfassungstheorie feststellen.
201
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 133. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 132; in diese Reihe gehört die Anmerkung Smends, dass die „volonte generale“ Rousseaus auch als Versuch eines „phänomenologischen Verständnisses“ (!), nicht allein eines Postulats, gewürdigt werden müsse (Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 181 f.). 203 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 131 f.; vgl. auch Zitat auf S. 134 f.: „Tatsächlichkeit des Staates als des Verbandes der ihm rechtlich Angehörenden“. Der Begründungsaufwand, den Smend betreibt, und das Abarbeiten der Gegenüberstellung von tatsächlichem und nur rechtlichem Staat erklären sich aus dem wissenschaftlichen Diskurs der Weimarer Zeit und insb. der Auseinandersetzung mit der normativistischen Staatslehre Kelsens. 202
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
(1) Der Staat als rechtlich geprägte Gruppe Smend beschreibt den Staat als „souveränen Willensverband“204, gebildet aus den „rechtlich dem Staat Angehörenden“205. Die Souveränität bildet die Besonderheit des „realen Willensverbandes“ Staat und bedeutet vor allem eine „machtvolle Herrschaft und Durchsetzung nach innen und außen“, wobei der Staat „im Innern von Rechts wegen (. . .) herrscht“206. Willensverband meint in Bezug auf den Staat die „Bildung einer politischen Gesamthaltung“ des Staatsvolkes207. Im Gegensatz zu anderen Gruppen sei der Staat eine „vom Recht festgelegte Gruppenbildung“208. Hierunter wird zu verstehen sein, dass (bereits) die Zugehörigkeit zu der Gruppe (National-)Staat durch das Staatsrecht, hier das Recht der Staatsangehörigkeit, bestimmt wird. Daher kann der „Willenszusammenhang“, der die Mitglieder der Gruppe verbindet, auch unfreiwillig sein, was bedeutet, dass sich die Mitglieder ihre Zusammengehörigkeit nicht ständig bewusst machen müssen, sich allerdings auch nur in begrenzter Weise entscheiden können, ob sie zur „Gruppe Staat“ dazugehören wollen209. Abgesehen von dieser engen Bedeutung von rechtlicher Prägung des Staates durch das Staatsangehörigkeitsrecht ist das Verhältnis zwischen Staat und Recht, insbesondere im Hinblick auf das Verfassungsrecht, bei Smend nur schwer zu bestimmen. Zwar bemerkt Smend, dass die „Wirklichkeit des Staates zugleich eine rechtlich normierte“ sei210 und staatliches Leben sich als Erfüllung der durch das positive Recht des Staates gestellten Aufgabe darstelle211. Diese rechtliche Normiertheit des Staates verweist auf die Verfassung als „Rechtsordnung des Staats“212. Jedoch bildet die Verschiedenheit von „Rechtsgemeinschaft“ und staatlicher Gemeinschaft213 einen Angelpunkt im Integrationssystem Smends. Es stellen sich daher die Fragen, welcher Art die rechtliche Prägung des Staates ist und wie die Verfassung als Rechtsordnung des Staates214 daran beteiligt ist.215 Man kann bereits an diesem Punkt feststellen, dass die rechtliche Geprägtheit des Staates bei Smend ein eher „blasser“ Aspekt der staatlichen Wirklichkeit ist. Wesentlich bedeutsamer für die Beschreibung des Staates und seiner Integration ist der Begriff des Politischen. 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139, insb. S. 160. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 134. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160 f. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 154 f. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 135. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 134. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 135 Fn. 34. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 207 f. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. Dazu s. Teil II. 3. zur „Rolle der Verfassung“.
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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(2) Der Staat als Teilbereich des Sozialen und seine Bestimmung durch das Politische Wie bereits oben bei den Integrationszielen als dritte Ebene der Integration bei Smend eingeführt, spricht Smend vom Staat als der „politischen Lebensund Schicksalsgemeinschaft“ der Staatsbürger216. Bei der Beschreibung des Staates stellt er den Staat als Teil des Sozialen neben die Politik217; staatliches Leben wird als politisches Leben aufgefasst218, demzufolge spricht Smend nicht nur von Integration des Staates, sondern auch von „politischer Integration“219. Die Einzelnen tauchen in diesem Zusammenhang in ihrer politischen Rolle als Staatsbürger auf220. Wenn durch Smend staatliches mit politischem Leben gleichgesetzt oder geradezu über diese Gleichsetzung erklärt und charakterisiert wird221, so hängt der Charakter des Staates als Gruppe davon ab, wie das Politische bei Smend zu verstehen ist. Diese Bestimmung hat zwangsläufig auch für die Verfassung – als Rechtsordnung des Staates – Konsequenzen.222 Smend gibt keine positive, zusammenfassende Beschreibung des Begriffes des Politischen in „Verfassung und Verfassungsrecht“.223 Es bleibt daher nur die Möglichkeit, den Begriff des Politischen bei Smend dadurch nachzuvollziehen, dass Rückschlüsse aus der Zuweisung des Attributes „politisch“224 in den jeweiligen Kontexten gezogen werden.
216 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 132. Auch an anderen Stellen thematisiert Smend die Nähe zwischen Staat und Politik, vgl. außer der genannten nur folgende Stellen in Smend, Verfassung und Verfassungsrecht: S. 176, 177, 182, 186, 189, 193. 217 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 128. 218 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 130 f. 219 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 174, 180; hierzu passt, dass Smend im Zusammenhang mit der sachlichen Integration den staatlichen und politischen Gehalt, der Grundlage der Integration sein soll, gleichsetzt, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 164 f. 220 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 132: Die politische Lebens- und Schicksalsgemeinschaft wird durch die Staatsbürger gebildet. 221 Zu diesem Zusammenhang Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 130 f. u. 136 ff. 222 Auf diese wird im Rahmen des verfassungstheoretischen Teils (II. 3.) zu Smend eingegangen. 223 Dies lässt sich feststellen, obwohl Smend einen bestimmtem Politikbegriff eigenen Angaben nach zugrunde zu legen scheint, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 238. Er erläutert diesen Begriff allerdings nicht, sondern verweist zu diesem Zweck v. a. auf seinen früheren Beitrag „Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform“, abgedr. in Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 68 ff., der jedoch auch keine Begriffsklärung enthält, aber wesentliche Gedanken der Integrationslehre, die noch ausgeführt werden (Stichwort: Bedeutung einer – rechtlich ungebundenen – Integrationsinstanz als „Schlussstein im Integrationssystem“).
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Als Kontinuität zeigt sich nur die erwähnte Nähe zwischen Staat und Politik. Die gewissermaßen synonyme Verwendung von „staatlich“ und „politisch“ kann in zwei Richtungen gelesen werden: Staatlich ist das, was politisch ist, oder politisch ist alles das, was staatlich ist. Die zweite Alternative eröffnet mehr inhaltliche Zugangsmöglichkeiten, da Smend vorrangig Aussagen über den Staat trifft. Staatliches Leben äußert sich nach Smend in „Staats-, Rechts- und Kulturzwecken“225 und zerfällt in diese Teilgebiete staatlicher Tätigkeit. Smend unterscheidet allerdings einen unmittelbaren Bereich des Staatlichen von einem nur mittelbaren. Unter unmittelbar staatlich versteht Smend einen Bereich, der genuin der Machterhaltung des Staates dient, und macht insoweit einen selbstreferentiellen „Machtzweck“ des Staates aus226. Das Politische im engeren Sinne227 bedeutet bei Smend eine Unmittelbarkeit zur Machterhaltung und -entfaltung des Staates228. Die Organe, die solche machtbezogene Tätigkeit ausüben, allen voran die Regierung, sind politische Organe im engeren Sinne229, ebenso wie die Regierungstätigkeit selbst, im Unterschied zur technischen Auf224 Smend verwendet fast ausschließlich das Adjektiv „politisch“, das stets als Ergänzung zu etwas hinzutritt. Das zeigt die Kontextabhängigkeit des Begriffs und verstärkt dadurch die Schwierigkeit, einen Begriff des Politischen zu bestimmen. 225 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160 ff., insb. S. 193 ff. 226 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160 f. 227 Smend spricht an einigen Stellen von „eigentlich politisch“, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht S. 147 und insb. S. 256 („eigentlich politische Funktionäre“ sowie „eigentliches politisches System“ und „eigentlich politischer Funktion“), was nicht als sprachliche Ungenauigkeit o. Unentschiedenheit, sondern als Verwendung im Wortsinn zu verstehen ist. „Eigentlich politisch“ meint „politisch im engeren Sinn“. 228 Die Aussage (bei Mols, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie?), dass staatlich und politisch bei Smend ineinander fallen, ist insoweit zwar richtig, dass es keinen Bereich des Politischen außerhalb des Staatlichen gibt. Allein diese Erkenntnis hilft bei der Interpretation der Vorstellungen Smends wenig weiter, für die die Unterscheidung von politisch (und staatlich) im engeren und weiteren Sinn wesentlich ist. 229 Smend selbst spricht im Zusammenhang mit den Staatsorganen (Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 198 ff.) von den „politischen Organen im engeren Sinne“ (S. 200); vgl. insg. hierzu Frotscher, Regierung als Rechtsbegriff, S. 161 ff., der beschreibt, wie Smend den Bereich der Regierung als besondere Staatstätigkeit bereits in „Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform“ ([1923], abgedr. in Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 68 ff.) herausarbeitet und durch den Begriff des Politischen charakterisiert. Das Politische ist in diesem Zusammenhang der Bereich, „in dem der Staat sich und sein Wesen bestimmt und durchsetzt“ (S. 162). Frotscher weist auf den Zusammenhang mit der Integrationslehre Smends hin, geht aber nur knapp auf die Konsequenzen hieraus für die Verfassung ein: „Der ,politische‘ Regierungsbereich Smends und der ,rechtsfreie‘ Regierungsbereich Jellineks werden in der staatsrechtlichen Praxis nahezu übereinstimmen, indem man sich darauf einigt, gewisse staatliche Akte mit der Kennzeichnung als ,politische‘ oder als ,freie‘ Regierungsakte von einer Rechtskontrolle auszunehmen.“ (S. 162). Frotscher weist zudem auf das entscheidende Problem hin, das in den „undeutlichen Konturen“ (S. 162) des Regierungsbereiches bestehe. Der Begriff des Politischen hilft hier nicht weiter, wie im Zusammenhang mit der Rolle der Verfassung unter II. 3. und der Frage der rechtlichen Regelbarkeit des spezifisch Politischen zu sehen sein wird.
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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gabe der Verwaltung, eine politische Aufgabe im Sinne von integrierender Tätigkeit ist230. Die Anknüpfung dieser Überlegungen zum Staat an die Integrationsvorstellungen Smends findet über die Beschreibung des „Machtzweckes“ des Staates als besonderer „Wert“ und „Integrationswert“ statt.231 Der Integrationswert wird damit zum Angelpunkt des Integrationssystems. Dieser enge Begriff des Politischen gibt keinen besonderen Aufschluss über seine Bedeutung im Kontext der „politischen Lebens- und Schicksalsgemeinschaft“, da er nicht unmittelbar etwas über die Beschaffenheit der Bindung zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern aussagt. Die Aussage, die durch den Rekurs auf den engen Begriff des Politischen getroffen werden könnte, würde sich darin erschöpfen, den Charakter des Staates als „souveränen Willensverband“, der sich demzufolge machtvoll nach innen und außen durchsetzen muss, herauszustellen. Hier erscheint „politisch“ daher als Synonym für „staatlich“ im weiten Sinne. Die Definition des Staates als „Teilgebiet der geistigen Wirklichkeit“232 erscheint bei Smend als qualitativ gemeinte Begrenzung. Die qualitative Besonderheit ist zum einen durch die rechtliche Prägung der staatlichen Gemeinschaft bedingt und findet dann in der Formel von der „nationalen Volksgemeinschaft“, in der die „Lebens- und Schicksalsgemeinschaft aufgeht, besonderen Ausdruck. Die Bedeutung des „Politischen“ ist demnach für die Beschreibung der „Gruppe Staat“ gering; sie steigert sich aber immens, sofern es um die Beschreibung der Grenzen staatlicher Tätigkeit geht. Die staatlichen Wirkungs- bzw. Tätigkeitsbereiche, die Smend nach der Verfolgung von Staats-, Rechts- und Wohlfahrtszwecken unterscheidet233, sind nicht auf gleich bleibende Aufgaben festgelegt, da es nach Smend von den jeweiligen historischen Gegebenheiten abhängt, welche Aufgaben staatlicherseits verfolgt werden234. Die Begrenzung staatlicher Tätigkeit hängt daher zum einen von der Definition der Aufgabenkategorien ab und zum anderen davon, wie das Verfassungsrecht, als Mittel der Begrenzung staatlicher Tätigkeit funktioniert. Diese Fragen behandelt Smend im Kontext
230 Die Differenzierung zwischen verschiedenen Formen staatlicher Tätigkeit anhand ihres „Integrationsbeitrags“ taucht bereits bei der Beschreibung der verschiedenen Integrationsfaktoren auf und ist ein wesentlicher Gedanke Smends, der sich als roter Faden durch seine Schrift zieht, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 147, S. 162 f., S. 193 ff., S. 200 f., 213 f. und S. 253 ff., insb. S. 256 ff.; vgl. auch S. 238, Smend wendet sich dort gegen zu umfassende Begriffe des Politischen bei Triepel und Schmitt und stellt fest, dass die Bezugnahme auf einen Staatszweck, d.h. nach Smend irgendeinen Staatszweck, auch Wohlfahrts- oder Rechtszweck, nicht ausreicht, wenn man den Begriff des Politischen als Unterscheidungskriterium benutzen will. 231 Vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 194 f., auch S. 209. 232 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 131. 233 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 161 f. und zusammenfassend ab S. 180 ff. 234 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
des staatlichen Integrationsvorgangs, welcher den Hintergrund für eine Antwort bildet. (3) Der Staat als Zweckgemeinschaft Ebenso wie die übrige damalige Staatslehre235 unterscheidet Smend verschiedene Bereiche der Staatstätigkeit und spricht von „Zwecken“ bzw. „Aufgaben“ des Staates, die durch Regierung, Verwaltung und Justiz verfolgt werden236. Insofern lässt sich fragen, ob die qualitative Besonderheit der staatlichen gegenüber anderen Gemeinschaften in der Verfolgung bestimmter Zwecke besteht. Smend bestreitet nicht, dass bestimmte Aufgaben durch den Staat erledigt werden bzw. erledigt werden sollen, wobei seine Kategorien staatlicher Aufgaben dem Staat keine neue Rolle im Vergleich zur „konventionellen“ Staatslehre zuweisen. Allerdings spricht Smend nur mit Vorbehalten von Zwecken und Aufgaben237, die der Staat erfüllen solle, um eine unzulässige Substanzialisierung des Staates zu einem Mittel der Zweckerfüllung zu vermeiden. Diese staatstheoretische Kritik baut darauf auf, dass der Staat einzig in der Verwirklichung dieser Zwecke und Aufgaben, die Smend als staatlichen Sinngehalt begreift, besteht, nicht außerhalb dessen.238 Die Vorstellung vom Staat als einem Mittel befördert die Idee, dass es ein Subjekt geben muss, welches dieses Mittel zum Einsatz bringt. Daran stören nach dem Konzept Smends zwei Aspekte: Zum einen das Subjekt; die staatliche Wirklichkeit würde sich dann als grobe Scheidung zwischen Staat und Gesellschaft zeigen. Man kann diese Unterscheidung sicherlich als staatstheoretische aufrechterhalten, ohne sie mit einem Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit gleichzusetzen.239 Für Smend ist es aber nahe liegend, die (möglicherweise nur) staatstheoretische Unterscheidung von Gesellschaft und Staat als eine unzutreffende Wirklichkeitsbeschreibung zu verstehen, da seine Anschauungen zur tatsächlichen Beschaffenheit von Staat im Rahmen einer sog. „materialen Staatstheorie“ mit staatstheoretischen Überlegungen zusammenfallen240. Hier tritt wiederum das staatstheoretische Anliegen Smends hervor, den Staat als ein reales soziales Gebilde zu beschreiben.241 235
Repräsentativ Georg Jellinek, Staatslehre, S. 255 ff. Vgl. nur Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139 f., 160 f. 237 Indem er sie in Anführungszeichen setzt, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 165. 238 Vgl. hierzu Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160 f. 239 Vgl. dazu Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 209 ff. 240 Vgl. hierzu Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 121 ff., insb. 124. 241 Smend tritt allerdings – wie oben ausgeführt – der angegriffenen Substanzialisierung des Staates mit ebenfalls zweifelhaften Gleichsetzungen von Staat und Einzelperson entgegen (Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160, 165 f.), so dass es schwer fällt, eine Aussage darüber zu treffen, ob Smend den Staat realitätstreuer sieht 236
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Zum anderen legt die Beschreibung des Staates als Mittel zur Zweckerfüllung ein bewusstes zweckrationales Moment nahe, was nach Smend ebenfalls an der staatlichen Wirklichkeit vorbeigeht, die sich als unbewusster, von objektiven Wertgesetzlichkeiten angeleiteter Vorgang darstellt242. Der Staat ergreift nach Smend den Menschen in vielfältiger Hinsicht, und die staatliche Gemeinschaft als „Schicksals- und Volksgemeinschaft“ beinhaltet daher auch Irrationales243. Hinsichtlich der aufgeworfenen Frage nach der inhaltlichen Beschreibung des Staates bei Smend lässt sich sagen, dass der Staat auch eine Zweckgemeinschaft ist, mit der Betonung darauf, dass er diese Gemeinschaft ist, und nicht Mittel ihrer Zweckverfolgung. Die besondere Qualität der staatlichen gegenüber anderen Gemeinschaften liegt in der Erfüllung der Wohlfahrts-, Rechts- und Verwaltungszwecke244. (4) Der Staat als nationale Volksgemeinschaft Allerdings erschöpft sich die Wirklichkeit staatlicher Gemeinschaft nicht in der Verfolgung der genannten Zwecke. Im Folgenden wird daher auf Aspekte von „Verfassung und Verfassungsrecht“ eingegangen, die Smends Verständnis der „Innenseite“ von Staat als „überindividuellem sozialen Gebilde“ näher beleuchten. Zunächst ist hier die Beschreibung des Miteinanders der Staatsangehörigen als „Gemeinschaft“ zu nennen. Bereits ohne weitere Charakterisierung der Gemeinschaft – wie in „Schicksals“-, „Lebens- oder Volksgemeinschaft“ – meint Gemeinschaft, wenn man die damalige und auch heute übliche Lesart zugrunde legt, bereits eine Gruppe mit höherem „Bindungsgrad“ als Gesellschaft. Dies geht aus der Aussage Smends hervor, dass Gesellschaft, gemessen am Miteinander in Gemeinschaft, eine Zerfallserscheinung darstelle245. Ein Mit- und nicht nur Nebeneinander drückt sich sodann auch in dem Begriff des „Genossen“ oder „Volksgenossen“ aus, der den sachlichen bzw. rechtlichen Begriff des Staatsangehörigen im Kontext der Gruppe ersetzt246. Diese Beobachtungen korals seine „Gegner“. Allerdings impliziert Smends Kritik auch den erkenntnistheoretischen Aspekt, dass ein (Beobachter-)Standpunkt außerhalb des Staates konstruiert und nicht vorstellbar ist. s. zu diesem Grundproblem soziologischer Beobachtung Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 48. 242 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht S. 139, 141, 151, insb. S. 171. Zur Bedeutung der „Aufgegebenheit durch die Wertgesetzlichkeit des Geistes“ s. 2. a) bb) sowie 2. d) ee). 243 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 130, 167 ff. 244 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 193. 245 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 172 f. Auf das Verhältnis zum in Bezug genommenen Gesellschaftsbegriff bei Tönnies wird hier nicht eingegangen. 246 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, bspw. S. 133 u. 143, in beiden Passagen wird der Gruppenbezug von „Genosse“ deutlich, insb. auf S. 132 f., auf der
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respondieren damit, dass Smends Überlegungen auf einem Gesellschaftsbild fußen, das durch zunehmende Vereinzelung der Menschen geprägt ist247. Diese Vereinzelung soll durch den Staat als politische Lebens- und Schicksalsgemeinschaft überwunden werden. Die Gemeinsamkeit von Schicksal und Leben wird durch den Nationalstaat vermittelt, der in diesem Zusammenhang nicht als Abgrenzung nach außen, sondern in seiner Wirkung nach innen, als Bindemittel zwischen den Staatsangehörigen, auftaucht und diese zu Volksgenossen werden lässt; Smend spricht von „Volksstaat“248. Das „Wesen der Nation“ drückt sich nach Smend zutreffend in den Worten des Rütlischwurs: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern“, aus249. Unter Rückgriff auf die oben vorgestellte Parallelisierung zwischen rechtlichen und tatsächlichen Momenten des Staates geht die entscheidende Wirkung hier nicht von der Staatsangehörigkeit als rechtlicher Tatsache aus, sondern von der tatsächlichen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat, der seine Individualität als Nation nach Smend vor allem durch seine Geschichte und sein Staatsgebiet erfährt und ein bestimmtes Volk erfasst250. Smend schildert die Bindung an den Staat unter dem Aspekt der Nation als eher emotional, da das Nationale irrationale Momente aufweise; so spricht Smend im Zusammenhang mit dem Staatsgebiet – auch dies kann man zunächst nüchtern als staatsrechtliche Tatsache betrachten – von den entsprechenden Begriffen „Vaterland“ und „Heimat“, die das Staatsgebiet als „Empfindungswelt“ beinhalteten251 und für die Bindungswirkung verantwortlich seien. Die Bedeutung des Nationalen zeigt sich auch in der fehlenden oder gestörten Integration zwischen Einzelstaaten und Gesamtstaat. Smend führt in diesem Zusammenhang aus, dass „die Eigenstaatlichkeit der Länder ihren Wert nur aus dem Bestehen der nationalen Volksgemeinschaft herleitet“252. Es kann festgehalten werden, dass der Staat von Smend als Gemeinschaft der Staatsangehörigen verstanden wird, deren Zusammengehörigkeit im Wesentlichen durch die Nation als Integrationsfaktor vermittelt wird. Zusammengedrängt findet sich dies in der Formel von der „nationalen Volksgemeinschaft“. Smend, ausgehend vom einzelnen Staatsbürger, dessen für den Staat erforderlichen Zusammenhang mit den anderen Staatsangehörigen erläutert. 247 Vgl. die entspr. Angaben oben unter II. 2. a) aa) (3). 248 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 222. 249 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 165; dort unter Betonung des „wollen“ als Kennzeichen des Dynamischen dieses Zusammenhangs. Vorliegend kommt es auf den Bezug auf „Volk“ an. 250 Hierzu v. a. im Kapitel „Sachliche Integration“, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160 ff. (167 ff.). 251 Zu diesem Zusammenhang Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 163 f. allgemein u. zum Staatsgebiet, S. 169 f. 252 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 226.
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b) Die Art und Weise der Integration sowie die Mittel der Integration Aus der vorangegangenen Annäherung an den Staatsbegriff Smends wurde bereits deutlich, dass der Staat als soziale Tatsache wesentlich durch den Vorgang der Integration, d.h. einen Vorgang der Einheitsstiftung bzw. -findung, charakterisiert ist. Im Folgenden soll eine genauere Beschreibung dieses Vorganges gegeben werden, die weitere Bausteine der integrationstheoretischen Vorstellungen Smends und der Rolle der Verfassung darin erschließt. Aus heutiger verfassungstheoretischer Perspektive geraten dabei die Voraussetzungen bzw. Rahmenbedingungen der Integration besonders ins Blickfeld. Vorab sind jedoch einige grundsätzliche Klärungen erforderlich. aa) Über den Zusammenhang zwischen Staat und Integrationsvorgang Die vorzunehmenden grundsätzlichen Klärungen betreffen zunächst den Bezug zwischen Staat und Integration. Zur Beschreibung menschlichen Gruppenlebens führt Smend den Begriff der „Integration“ ein, der einen mehrere Integrationsfaktoren umfassenden dynamischen Vorgang der „Selbsterneuerung“ der Gruppen vorstellen soll und auch den Staat als besondere Gruppe einschließt. Soziale Gebilde, zu denen auch der Staat gehört, sind nach Smend durch verschiedene Elemente gekennzeichnet253: Zum einen durch ein „zeitlich-reales“ Element, das im „persönlichen Leben“ der Einzelnen und deren „sozialen Beziehungen“ liegt; zum anderen durch ein „ideell-zeitloses“ Element, in dem Gruppenleben ebenfalls existiert. Diese Elemente sind dialektisch miteinander verschränkt254. Diese dialektische Verschränkung fungiert auch als „soziale Verschränkung“ zwischen Individuum und Gemeinschaft255. Die Einzelnen bilden als Staat eine „geschlossene Gruppe“, wobei Geschlossenheit einen „wesensgestaltenden Zusammenhang“ der Gruppenmitglieder – das sind im Staat die Staatsangehörigen – meint256. In der „dialektischen Verschränkung“ liegt für 253 Nach Smend ist das grundsätzliche Problem bei der Beschreibung des Staates das Fehlen „substantieller Stützpunkte“; dies betrifft aber die Beschreibung aller sozialen Gebilde, nicht nur den Staat, und ist nur eine Verdeutlichung oder Ergänzung der Beschreibung des Wesens „überindividueller sozialer Formen“ als „Integration“. Der Begriff der „Integration“ zeichnet sich durch seine Dynamik aus und soll dadurch dazu taugen, einen „Lebensvorgang“ begrifflich einzufangen. 254 Alle Zitate bei Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 138. 255 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 128. 256 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 131 f. unter Verweis auf Litt, von dem die genannten Begriffe übernommen sind. Zu den Problemen der Übertragbarkeit von Litts Begrifflichkeit auf die eigenen Aussagen vgl. Smend, Art. Integrationslehre, S. 475 ff. (S. 480 f.).
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Smend die Lösung des Problems, wie Einzelne, Gemeinschaft und objektiver Sinnzusammenhang – als die wichtigsten Gegenstände der Geisteswissenschaft – miteinander in Verbindung gebracht werden sollen257. Für den Staat besteht das „ideell-zeitlose“ in seiner „überempirischen Aufgegebenheit“258 – ein wesentlicher Aspekt des Integrationskonzeptes Smends. Smend versucht, die erforderliche dialektische Zusammenordnung für das Kollektivgebilde Staat zu erklären, und findet zu der Beschreibung, dass der „Lebensvorgang“ des Staates in „fortwährendem Neuerfassen und Zusammenfassen seiner Angehörigen“ besteht259. Diesen Vorgang, der durch die Notwendigkeit beständiger Erneuerung und „dauerndes Neuerlebtwerden“ gekennzeichnet ist, nennt Smend „Integration“260. Smend nennt den Begriff der Integration erstmals im Zusammenhang mit der staatlichen Einigung, so dass der Eindruck entstehen kann, dass Integration ein besonderer Begriff nur für die staatliche Einheitsbildung sei261. Nach hier vertretener Auffassung handelt es sich bei Integration jedoch um einen allgemeinen Begriff und insoweit allenfalls um eine Uneindeutigkeit des Textes, die dadurch beseitigt werden kann, dass man sich den gedanklichen Aufbau von Smends Integrationslehre vergegenwärtigt, die von Integration als allgemeinem Begriff ausgehen muss, um zu überzeugen: Smends Beschreibung des Staates als „überindividuelle soziale Form“ setzt die besondere Existenzweise sozialer Gruppen voraus, die im Begriff der Integration zusammengefasst ist. Diesen Begriff wendet er dann auf den Staat an, weil dieser im Mittelpunkt seines Interesses steht, aber nicht ausschließlicher Gegenstand von Integration ist. Integration wiederum ist ein allgemeiner Begriff und Erklärungsansatz für das „Funktionieren“ sozialer Gebilde, zu denen auch der Staat gehört.262 Der Inte257 Zum Aussagegehalt dieses Ansatzes vor dem Hintergrund des damaligen philosophisch-wissenschaftlichen Diskurses vgl. Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“, S. 214 ff. Rennert weist darauf hin, dass das Werk Smends über mehrere Begriffspaare erschlossen werden kann, nämlich: Leben und Sinn, Empirisches und Überempirisches sowie Sein und Wert (S. 214, 215). Diese Begriffe liegen als Kulminationspunkte geisteswissenschaftlichen Denkens quasi über der Textebene. Vorliegend soll weiter mit den unmittelbaren Textaussagen operiert werden. Die Beschreibung der Gegenstände der Geisteswissenschaften über (Gegensatz-)begriffspaare wird jedoch auch als Merkmal von Smends methodischem Ansatz wahrgenommen und aufgegriffen. Allerdings werden vorliegend Begriffe gewählt, die die Beschreibung des (Verfassungs-)Rechts betreffen. 258 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139; hier kommt auch die „Wertgesetzlichkeit des Geistes“ ins Spiel, die ohne Rückgriff auf den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext der Aussage dunkel bleiben muss; vgl. hierzu Rennert, Die „geisteswissenschaftliche Richtung“, S. 89 ff.; Poeschel, Anthropologische Voraussetzungen. 259 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 135. 260 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 136 ff. 261 Poeschel, Anthropologische Voraussetzungen, S. 54; Mols, Integrationslehre und politische Theorie, S. 513 ff.
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grationsbegriff wird demzufolge in „Verfassung und Verfassungsrecht“263 nicht aus dem Staat heraus entwickelt, sondern umgekehrt aus der Anschauung der „Struktur der geistig-gesellschaftlichen Wirklichkeit“, die dann auf den Staat angewendet wird264. Vergleichend nennt Smend weitere soziale Gebilde wie „Freundschafts- oder Liebesverhältnisse“265, deren Wesen ebenfalls in der Integration als einem Strukturprinzip bzw. „Lebensprinzip“266 bestehe. Zwar mag die staatliche Integration letztendlich Besonderheiten gegenüber der Integration anderer Gruppen aufweisen, aber die Überzeugungskraft von Smends Ansatz als realistischem liegt gerade darin begründet, dass er allgemeine gesellschaftliche Vorgänge auf den Staat überträgt und dadurch dessen Existenz als reales soziales Gebilde manifestiert. bb) Die verschiedenen Integrationsfaktoren Smend zerlegt den Gesamtvorgang der staatlichen Integration, der in „fortwährendem(n) Neuerfassen und Zusammenfassen seiner Angehörigen“ besteht267, in verschiedene beteiligte Integrationsmomente und unterscheidet grundsätzlich formale und sachliche Integrationsfaktoren im Sinne von Gemeinschaftsbegründung vermittels bestimmter Verfahren (formale Integration) oder durch bestimmte Inhalte (sachliche Integration). Die formalen Integrationsfakto262 Deutlich wird dies in Verfassung und Verfassungsrecht, S. 150, wo Smend über das „besondere staatliche Integrationsproblem“ im Gegensatz zu Integrationsvorgängen bspw. im Rahmen von Arbeitsprozessen in modernen Fabriken spricht. Vgl. aber auch Smend, Art. „Integration“, S. 482 ff.: „Die Integration ist ein grundlegender Lebensvorgang aller gesellschaftlichen Gebilde (. . .)“, S. 483. 263 Ein anderer Eindruck ergibt sich in der Tat bei dem Beitrag „Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform“, S. 68 ff., der wesentliche Grundgedanken für die Struktur von „Verfassung und Verfassungsrecht“ enthält (und daher zu berücksichtigen ist) und in dem Smend ausschließlich von staatlicher Integration spricht und diese nicht an allgemeinere Überlegungen zu Integration rückbindet, vgl. insb. S. 85 ff. Allerdings stellt „Verfassung und Verfassungsrecht“ eine fortgeschrittene Entwicklungsstufe von Smends Integrationstheorie dar, die insb. den Integrationsbegriff und seine Herleitung betrifft. 264 Vgl. Beschreibung des Staats als „geschlossene Gruppe“ im Sinne Litts: Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 131 f. 265 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 135; Diese Beispiele, die sehr „kleine Gruppen“ bzw. enge zwischenmenschliche Verhältnisse betreffen, wirken neben dem Staat als Vergleichsmoment zunächst verfehlt. Dass Smend gerade auf solche Gruppenbildungen abzielt, erklärt sich daraus, dass er in diesem Zusammenhang weniger an den Ähnlichkeiten als an den Unterschiedlichkeiten interessiert ist, die sich aus der Selbstverständlichkeit, mit der man über den für alle Gruppen erforderlichen „Selbsterneuerungsbedarf“ (! Integration) nachdenkt, ergeben. 266 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120; deutlich wird dies auch auf S. 148: „Neben den integrierenden Personen sind das zweite formale Moment (. . .) im Leben der menschlichen Gemeinschaften jeder Art (. . .) die kollektivierenden Lebensformen.“ (Hervorh. von Verf.). 267 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 135.
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ren dienen nach Smend dazu, einen sachlichen Gehalt gemeinsam zu machen, um auf diese Weise Einheit zu stiften („soziale Synthese“). Sie bestehen in Verfahren bzw. Prozessen zur Weiterbildung, Aktualisierung und Erneuerung bestimmter Inhalte in der Gesellschaft (funktionelle Integration); diese Verfahren können auch in der Vermittlung dieser Gehalte mittels Symbolisierung durch eine Person bestehen (persönliche Integration)268. Die sachliche Integration setzt an den zu vermittelnden Gehalten an, die zur Gemeinschaftsbegründung geeignet sein müssen. Ebenso wie in Bezug auf den Gesamtvorgang der Integration arbeitet Smend hier mit Begriffen, die Vorgänge in allen menschlichen Gruppen beschreiben und auf deren Besonderheiten im Rahmen der Integration des Staates er sich konzentriert269. Der Sinn des Aufspaltens des Gesamtvorgangs in verschiedene Integrationsmomente besteht nach Smend darin, dass man auf der Analyse der Faktoren aufbauend, deren Zusammenwirken als Vorgang besser beschreiben kann270. Die Einteilung der Integrationsfaktoren in sachliche, persönliche und formale folgt laut Smend „praktischen Gründen“271. Es handelt sich um eine künstliche Einteilung, da sich die jeweilige Art der Integration nicht unmittelbar in Reinform aus der „empirischen Beobachtung“ ergibt, sondern ein Abrunden der tatsächlichen Erscheinungen zu bestimmten Typen der Integration beinhaltet272. Diese „Integrationstypen“273 sind zur Charakterisierung einer Gemeinschaftsbildung als eher „formal“ oder „sachlich“ dadurch geeignet, dass – trotz des nach Smend zwangsläufig gemeinsamen Auftretens aller Faktoren im Rahmen des Gesamtvorganges der Integration – ein Moment überwiegt und dadurch bestimmend für den Gesamtvorgang wird.274 Das „Praktische“ der Einteilung der Integrationsmomente durch Smend liegt in dem parallelen Verlauf zu staats- und verfassungsrechtlichen Kategorien, die an die oben besprochene Parallelisierung staatsrechtlicher mit tatsächlichen Elementen des Staates anschließt: So ist die Entsprechung zur persönlichen Integration die Lehre von den Staatsorganen275, zur funktionellen Integration die 268 Vgl. hierzu Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 148 ff. zur funktionellen Integration insg. u. S. 139 f., 142 ff. 269 Vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 148; vgl. auch Ausführungen oben zu Integration als nicht spezifisch staatlicher Vorgang. 270 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 142, 171, 175. 271 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 142. 272 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139 f. 273 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, z. B. S. 142, S 162, 175. 274 Deutlich wird das Künstliche der Integrationstypen in den Kapiteln über „Die Einheit des Integrationssystems“, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 170 ff., und „Die Staatsformen“, S. 218 ff.; Smend überprüft dort die „Realitätstauglichkeit“ bestimmter Staatsformen und teilt diese nach der Kombination von Integrationsfaktoren ein. Die jeweils aus der Kombination folgende Integrationstauglichkeit sei der Gradmesser für die „Realitätstauglichkeit“. 275 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 148.
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der Staatsfunktionen276, und die sachliche Integration berührt sich mit der Lehre von den Staatszwecken bzw. der Rechtfertigung des Staates277. Deutlich zeigt sich dies im zweiten und dritten Teil von „Verfassung und Verfassungsrecht“, welche die verfassungstheoretischen und -rechtlichen Folgerungen enthalten und in denen Smend nun mit den Kategorien der Staats(rechts)lehre arbeitet, aber die Ergebnisse des ersten Teiles verwertet278. Diese Verwertung wird durch die Anlehnung der Integrationsfaktoren an die staats- und verfassungsrechtlichen Kategorien erleichtert und gewinnt dadurch an Plausibilität. Neben der Parallelführung rechtlicher und tatsächlicher Erscheinungen fällt Smends bereits angesprochene Erörterung der Integrationsfaktoren im Rahmen von Gegensatzbegriffspaaren auf. Dazu gehören die Unterscheidung zwischen unmittelbar und mittelbar integrierenden Tätigkeiten bzw. Vorgängen und die damit zusammenhängende Differenzierung zwischen politischer und nicht-politischer Staatstätigkeit. Ebenfalls in diese Reihe gehört das Gegensatzpaar rational und irrational und die Differenzierung zwischen formal und sachlich, die bereits in der Grundstruktur der Unterscheidung von formalen und sachlichen Integrationsfaktoren enthalten ist. Für die Beschreibung des Rechts sind weiterhin die Kategorien des politischen und technischen Rechts zu berücksichtigen. (1) Die sachliche Integration Die sachlichen Integrationsgehalte stehen als inhaltliches Moment im Mittelpunkt des Integrationsvorganges, da es nach Smend keine bloße verfahrensmäßige Einheitsbildung ohne entsprechendes Substrat geben kann279. Als sachliche Integration erörtert Smend „gemeinschaftsbegründende und gemeinschaftsbedingende Gehalte, an Tatsachen wie Aufgaben“, durch deren
276
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 149. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160; zusammenfassend auch auf S. 140 f.; trotz der Möglichkeit dieser groben Zuweisung staatlicher Erscheinungen zu Momenten des Integrationsprozesses, ist das Zusammenspiel der Integrationsfaktoren zu berücksichtigen, was dazu führt, dass Staat unter verschiedenen „integrationstechnischen“ Gesichtspunkten zu betrachten ist, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 200: „Die Integrationswirkung der Organe kann ausgehen von ihrem Bestande, ihrem Bildungsvorgang und ihrem Funktionieren.“ 278 s. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 198: „Die Staatsorgane“; S. 205: „Die Staatsfunktionen“; S. 242: „Zum Recht der verfassungsmäßigen Organe“; S. 253: „Zum Recht der Staatsfunktionen“. 279 Smend betont dies mehrfach, z. B. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 158 f., 171 ff. Die hier in umgekehrter Reihenfolge zu Smend erfolgende Darstellung rechtfertigt sich daraus. Fraglich ist, ob dies bereits konzeptionell bzw. theoretisch vom Konzept Smends ausgeschlossen wird oder ob dies eine Aussage über die „Realitätstauglichkeit“ bestimmter Möglichkeiten der Einheitsbildung ist. 277
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
„Realisierung“ der Staat als „dauernder einheitlicher, motivierender Erlebniszusammenhang für die ihm Angehörenden“ existiert280. Im Folgenden ist zu klären, was Smend abstrakt unter den „gemeinschaftsbedingenden Gehalten“ versteht und warum und wie diese Gehalte einheitsbildend wirken. Dabei fällt auf, dass Smend bereits im Rahmen der sachlichen Integration verschiedene Ebenen der Gemeinschaftsbildung unterscheidet. (a) „Gemeinschaftsbedingende Gehalte“ Smend scheidet die gemeinschaftsbedingenden Gehalte in Tatsachen und Aufgaben.281 Mit den „Aufgaben“ knüpft Smend an die Lehre der Staatszwecke und der Rechtfertigung des Staates an. Allerdings grenzt er seine Argumentation – wie oben unter dem Inkurs zur Rechtfertigung des Staates erwähnt – bewusst von der übrigen Staatslehre ab: Der Vorgang der sachlichen Integration liegt nach Smend nicht in der „Verwirklichung gemeinsamer Zwecke“ mit dem Staat als Mittel der Zweckverfolgung, sondern die staatliche Gemeinschaft existiert überhaupt nur in der Verfolgung dieser Aufgaben, die sich als Verwirklichung von Sinn- bzw. Wertgehalten darstellt282. Dies knüpft an die Ausführungen zum Staat als einem beschreibbaren, da realem, sozialem Gebilde an. Eine inhaltliche Beschreibung der im Rahmen des dynamischen Charakters des Integrationsvorganges wechselnden konkreten staatlichen Aufgaben gibt Smend nicht; beständig sind nur die – bereits oben erwähnten – abstrakten Kategorien des Macht-, Kultur- bzw. Rechtszwecks und des Wohlfahrts- bzw. Verwaltungszwecks283. Die Erfüllung dieser Aufgaben bezeichnet Smend in ihrer Gesamtheit als staatliche „Herrschaft“, wobei er zwischen Herrschaft im engeren und weiteren Sinne unterscheidet. In Anknüpfung an Smends Begriff des Politischen stellt sich Herrschaft im engeren Sinne als Verfolgung des Machtzwecks dar, während Verwaltung und Rechtsfunktionen (Rechtsbildung und Rechtsprechung) „Auswirkungen“ von Herrschaft im weiteren Sinne sind284. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass Smend trotz seiner Abgrenzung gegenüber der übrigen Staatslehre ebenso wie diese von einer Rechtfertigung staatlicher Herrschaft spricht und in diesem Zusammenhang Werte, Sinngehalte oder Inhalte ins Spiel kommen, die staatliches Handeln rechtfertigen können285. Der Unterschied zur übrigen Staatslehre besteht vor allem darin, dass Smend das 280
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139 f., 160, 162. Darin liegt – für Smends Ansatz konsequent – wieder eine Parallelisierung von deskriptiver und präskriptiver Ebene. 282 Vgl. Ausführungen oben zum Staat als Zweckgemeinschaft; Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160 f. 283 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 165, 193 ff. 284 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 158. 285 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 157 f. 281
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Thema der staatlichen Legitimation im Hinblick auf ihren Stellenwert im staatlichen Integrationssystem sieht286. Durch das Erörtern der Rechtfertigung im Kontext des Integrationssystems verliert die Legitimation ihr statisches Moment im Sinne einer einmal erteilten Ermächtigung. Stattdessen wird sie Teil des staatlichen Lebensvorgangs und nimmt an dessen Veränderlichkeit teil. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Smend den Vorgang staatlicher Legitimation treffend in den Worten Ernest Renans vom „plebiscite des tous les jours“ wieder findet287. Auch hier lässt sich – man vergleiche die Ausführungen oben zum Staatsbegriff – eine Parallelisierung von (staats-)rechtlichen (Legitimation) und tatsächlichen („Anteilhabe“ an staatlichen Inhalten) Kategorien beobachten. Die den Staat legitimierenden Werte können sowohl rationale als auch irrationale sein. Die Gesamtheit der Werte macht den „sachlichen Inhalt der Gemeinschaft“ aus288. Bedeutsam für den sachlichen Integrationsvorgang ist, dass rationale Werte bei Smend eine andere Funktion erfüllen als irrationale, denn er misst den irrationalen einen höheren Integrationswert als den rationalen Gehalten zu289. Beide tragen jedoch zur Gemeinschaftsbegründung und -erhaltung bei. Die irrationalen Werte legitimieren die Herrschaft im engen Sinne, die rationalen rechtfertigen sie vor allem als Verwaltung290. Es fragt sich, ob Smend hier mit Legitimation auf der einen und Rechtfertigung auf der anderen Seite Verschiedenes bezeichnet, was im Hinblick auf die Art der Integrationsleistung von Bedeutung sein könnte. Eine Bestätigung findet diese Vermutung darin, dass einerseits die Gegenüberstellung von Rationalität und Irrationalität einen Aspekt der Grundstruktur von „Verfassung und Verfassungsrecht“ ausmacht291, 286 Vgl. hierzu die deutliche Aussage in Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 165. 287 So bereits zu Beginn: Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 136. Smend beruft sich damit bemerkenswerterweise auf einen Denker, der – zumindest in der in Bezug genommenen Schrift – ein Nationenverständnis entfaltet, das sich von Rasse, Religion, Sprache und geographischer Lage als einheitsstiftenden Merkmalen abwendet und stattdessen auf die Nation als „geistiges Prinzip“ setzt. s. dazu Renan, Was ist eine Nation?, S. 41 ff. sowie zu Renan Euchner, Qu’est-ce qu’une Nation?, S. 7 ff. 288 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 158, 150. 289 „Die Realisierung aller ideellen Sinngehalte setzt Gemeinschaft voraus, und wiederum steigert, bereichert, festigt, ja begründet sie diese Gemeinschaft.“ (Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160). 290 So die Aussage in Smend, Verfassung und Verfassungsrecht auf S. 157 f. 291 Vgl. auch die einleitenden Bemerkungen zum Abschnitt „Die verschiedenen Integrationsfaktoren“. Andere strukturelle Aspekte sind die Gegenüberstellung von politisch im engeren und weiteren Sinn sowie Herrschaft im engeren und weiteren Sinn, funktionell und inhaltlich, die z. T. bereits im Text angesprochen wurden. Zu Rationalität/Irrationalität vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, insb. S. 160 ff.; zur sachl. Integration auch die Ausführungen zur Staatsform, S. 218 ff., die in etwas versteckter Form die Überlegungen aufgreifen. Die Unterscheidung spiegelt sich in etwas abgewandelter Form auch in dem Gegensatz zwischen „sachlich“ und „technisch“
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
und Smend andererseits auch „verschiedene Arten der Legitimität und insbesondere auch verschiedene Legitimitätsgrade“ unterscheidet292 mit dem Ergebnis, dass die staatliche Herrschaft im engen Sinne (Regierung) einen höheren „Legitimationsbedarf“ hat als die Ausübung staatlicher Herrschaft im weiten Sinne (Verwaltung). Die Beschreibung der integrierenden Gehalte erfolgt wesentlich durch die Zuweisung des Attributes „gemeinschaftsbegründend“ bzw. „gemeinschaftsbedingend“. Dadurch wird etwas über die Funktion der Gehalte, nicht über deren Inhalte ausgesagt. Die Beschreibung der Sachgehalte als „Werte“ oder „ideelle Sinngehalte“293 oder „sachliche Wertgehalte“294 hilft inhaltlich auch nicht weiter, da Smend hier lediglich die kategoriale Beschaffenheit der Inhalte beschreibt, welche ihnen eine bestimmte Wertigkeit bzw. Beachtlichkeit zuweist. Darüber hinaus schafft er eine Verbindung der übergeordneten Ebene der „Wertgesetzlichkeit des Geistes“, die als Rahmenbedingung des Integrationsvorganges noch erörtert wird. Die inhaltliche Orientierung an den Typen staatlicher Tätigkeit, die sich als Realisierung bestimmter Werte darstellt, hilft ebenfalls nur begrenzt weiter. Smend nimmt typische Bereiche staatlicher Tätigkeit an, die er nur grob umreißt (Bsp. „Verwaltungszweck“) und die außerdem innerhalb ihrer Kategorien wechselhaft sind. Der Gemeinschaftsbezug liegt dann zum einen darin, dass bestimmte Gehalte, nämlich hier Aufgaben, tatsächlich durch die staatliche Gemeinschaft erfüllt werden. Dies wirkt nach Smend auch integrierend, in Anlehnung an das Zitat oben im Sinne einer „Steigerung“, „Bereicherung“ oder „Festigung“ der Gemeinschaft, deckt aber nicht alle Aspekte der sachlichen Integration ab. Voraussetzung für das Bewältigen von Aufgaben durch die staatliche Gemeinschaft ist nämlich bereits das Vorhandensein einer Gemeinschaft, wie dem Smend-Zitat ebenfalls zu entnehmen ist. Was macht nach Smend diese „Vorbindung“ zur staatlichen Gemeinschaft aus? Wesentlichen Aufschluss gibt hier die Untersuchung der „Tatsachen“, die Smend für gemeinschaftsbegründend hält. Smend erörtert hier beispielhaft die Aspekte „Staatsgebiet“ und „Geschichte eines Staates“295. Damit knüpft er an Tatsachen
wider, der wesentlich für das Verständnis der Integrationsweisen ist, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 142 ff.; die Grundsätzlichkeit dieser Gedanken im Konzept Smends zeigt sich auch darin, dass sie bereits in früheren Veröffentlichungen auftauchen (vgl. insb. Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat, S. 68 ff.). 292 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 217. 293 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 160. 294 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162. 295 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 167 ff.; vgl. auch die Ausführungen oben unter dem Punkt „Staat als nationale Volksgemeinschaft“. Das Anknüpfen Smends an Nationalstaat und Volkstum zeigt sich deutlich auch in den Ausführungen zum Symbolwert bestimmter Verfassungsnormen (der Flaggenartikel), S. 240 f. und dazu, wie das staatliche Zusammengehörigkeitsgefühl transportiert wird (etwa durch Fahnen, Wappen, nationale Feste), S. 162 f.
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an, die dem Nationalstaats- und Volksgedanken verpflichtet sind. Im Hinblick auf das Staatsgebiet sieht Smend das, was sich in den Begriffen „Heimat“ oder „Vaterland“ ausdrückt als Repräsentationen des „sachlichen“ Gehalts, der die Grundlage der staatlichen Integration bildet. Dieser Gehalt wird auch durch Geschichte genährt, da Nationalstaaten nicht plötzlich auftauchen, sondern erst im Laufe der Geschichte Konturen bekommen, die etwas Eigenes begründen. Die Orientierung an Nationalität als verbindendem Moment zeigt sich auch in der Aussage, dass „vor allem der Gegensatz zu anderen Staaten (. . .) Wert und Würde des eigenen (. . .) erleben“ lässt296. Darüber hinaus findet Smend das Wesen der Nation treffend in den Worten des Rütlischwurs „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern“, beschrieben297. Im Zusammenhang damit, welche integrierenden Sachgehalte sich in einer Verfassung befinden, spricht Smend davon, dass die Grundrechte ein „nationales Kultursystem“ normieren, durch das „die Angehörigen dieser Staatsnation (. . .) den „materialen Status“ erhalten, „durch den sie sachlich ein Volk, untereinander und im Gegensatz gegen andere“, sein sollen298. Es wird in dieser Aussage deutlich, dass bei Smend das Gemeinschaftsgefühl gleichzeitig ein aus- oder abgrenzendes Moment enthält, denn es geht um einen eigenen „Volks- bzw. Nationalcharakter“ und ein entsprechendes „Volks- bzw. Nationalgefühl“. Diese Faktoren werden – zumindest in diesem Zusammenhang – nicht über Gemeinsamkeiten mit anderen Völkern gebildet oder greifen solche Gemeinsamkeiten auf, die an universale Wertvorstellungen anknüpfen und außerhalb dieses Schemas stehen, sondern sie werden in deutlicher Abgrenzung zu anderen Völkern und staatlichen Gemeinschaften entwickelt299. Trotz seiner sorgfältigen Analyse dessen, was staatliche Gemeinschaft zusammenhält, geht Smend offenbar – ohne weitere Problematisierung – von der Annahme aus, dass diese Gehalte per se gemeinschaftsbegründend wirken, weil sie an bereits vorfindliche wesentliche Gemeinsamkeiten der Staatsbürger als Angehörige eines Volkes und einer Nation anknüpfen. Das Gemeinschaftsbegründende liegt in der vorgestellten Homogenität, die die Staatsbürger als Angehörige eines Volkes und einer Nation bereits zu einer Einheit macht, die Smend als Voraussetzung für staatliche Integration ansieht300. Das bedeutet für den In296
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 163. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 165; s. auch oben unter „Staat als nationale Volksgemeinschaft“. 298 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 264. 299 Dies wird neben den ausdrücklichen Aussagen (s. Zitate oben) vor allem an dem „konkreten Fall“ Frankreich im Text deutlich. Das politische Leben in Frankreich weist nach Smend keinerlei Gemeinsamkeiten mit der deutschen Situation auf, vgl. nur Ausführungen in Verfassung und Verfassungsrecht, S. 152 f. 300 Auf S. 221 von Verfassung und Verfassungsrecht spricht Smend davon, dass Demokratie Homogenität voraussetzt, nachdem er vorher die Verbindung von demokratischer und nationalstaatlicher Idee betont hat. 297
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tegrationsprozess, dass es unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Integration nicht um die Beschreibung des Vorganges geht, wie Einheit aus Verschiedenem hergestellt werden kann, sondern Einheitsbildung setzt Einheit voraus und zwar eine Art „natürlicher Einheit“, die kaum beeinflusst, sondern allenfalls bewahrt, gefördert oder gar verteidigt werden kann301. Im Hinblick auf die noch zu untersuchende Rolle der Verfassung fragt sich, welche „Einsatzmöglichkeiten“ für sie im Zusammenhang von Homogenität als Voraussetzungen von Demokratie bestehen. Neben der annäherungsweisen Klärung dessen, was Smend unter „gemeinschaftsbegründenden Gehalten“ im Sinne von Tatsachen versteht, blieb die Annäherung an die weiteren sachlichen Inhalte, die die „Wertegemeinschaft“302 ausmachen, bislang abstrakt. Als konkretere Ausprägungen, die sich dennoch auf einer gewissen Abstraktionshöhe bewegen, nennt Smend an anderer Stelle die Grundrechte, die ein „nationales Kultursystem“ normieren303, sowie die Inhalte, die Eingang in Gesetze finden304, was den dynamischen und veränderlichen Charakter staatlicher Integration zeigt. Eine weitere Annäherung an die Bedeutung von Inhalten oder Werten im System der staatlichen Integration kann über Smends Unterscheidung zwischen materialen und formalen Gemeinschaftswerten305 geleistet werden. Smend erwähnt die Unterscheidung nur einmal im Rahmen der noch zu erörternden funktionellen Integration. Die materialen Gemeinschaftswerte verweisen dabei auf die – soeben erörterten – sachlichen Gehalte, die im Hintergrund staatlicher Gemeinschaft stehen. Formale Gemeinschaftswerte bilden – über die Anerkennung von „Kampfregeln“ – eine Wertegemeinschaft, die vom politischen Kampf nicht in Frage gestellt wird, und ermöglichen so die Austragung politischer Kämpfe im Gemeinwesen306. Zu klären bleibt, ob sowohl die materialen als auch die formalen Gemeinschaftswerte die für die staatliche Integration erforderliche „sachliche Wertgemeinschaft“ ausmachen. Hiervon ist jedoch nicht auszugehen, was deutlich aus dem Kontext hervorgeht: Materiale Gemeinschaftswerte bezeichnen nur die oben ausgeführten gemeinschaftsbegründenden Gehalte, die eine noch vorpolitische Gemeinschaft einen und deren sachlichen Wertbestand ausmachen. Dieser Wertbestand erscheint – obwohl benennbar – als irrational und bloße
301 Vgl. hier die Aussagen Smends zur Bedeutung von Gebietsveränderungen: Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 170. 302 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 155. 303 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 264. 304 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 215. 305 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 159. 306 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 155.
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Gegebenheit, während das Einigsein über bestimmte Kampfregeln ein rationaler Vorgang ist, der eine Anforderung an die Gemeinschaft enthält, denn die Einigkeit in diesen Werten ist nicht selbstverständlich, sondern muss hergestellt werden. Hier schließt sich die unter 3. aufzugreifende Frage an, welche Funktion die Verfassung in Bezug auf die Herstellung der „formalen Wertegemeinschaft“ hat. (b) Symbolisierung als Vermittlungsform Smend geht zwar von der unbedingten Integrationstauglichkeit der Anknüpfung an Nation und Volk aus, doch erklärt diese nicht, auf welche Weise Staatsbürger zu einer nationalen Volksgemeinschaft werden. Der sachliche Bestand an Werten, der eine staatliche Gemeinschaft zu einem „einig Volk von Brüdern“ macht, ist nach Smend realistischerweise unübersehbar groß; der Staat verfolgt nicht nur ein Ziel, sondern erfüllt verschiedene Aufgaben, und auch das, was die Besonderheit der jeweiligen Staatsnation ausmacht, besteht aus vielen Aspekten. Hinter der staatlichen Erfüllung bestimmter Aufgaben steht eine Vielzahl rationaler Erwägungen, die diese Staatstätigkeit rechtfertigen. Trotz der „natürlichen Integrationstauglichkeit“, die Nation und Volkstum aufweisen, sieht Smend daher die Erforderlichkeit eines Zwischenschrittes, damit der Einzelne „Anteil an einem sachlichen Wertgehalt“307 haben kann, denn das Erlebnis der Integration erfordert nach Smend gerade das Erlebnis der „Wertfülle“ bzw. „Werttotalität“, weil sich der Gesamtcharakter des Staates erst aus dieser Zusammenschau aller seiner Aspekte ergibt. Geeignete Werte wirken nach Smend nur dann gemeinschaftsbegründend, wenn sie in eine Form gebracht werden, die sie für die Staatsbürger erfahrbar macht. Neben der Fülle besteht in der Rationalität bestimmter Sachgehalte nach Smend ein Vermittlungsproblem308. Hier zeigt sich erneut Smends Ansicht, dass Irrationalität gegenüber der Rationalität einen höheren Integrationswert hat. Die gemeinschaftsbegründenden Gehalte können nach Smend verschieden realisiert werden, u. a. durch die noch darzustellenden formalen Integrationsweisen der persönlichen und funktionellen Integration. Als genuin sachliche bzw. inhaltliche Vermittlungsform neben diesen formalen Arten der Vermittlung versteht Smend den Ausdruck des sachlichen Wertgehalts im Symbol; für den Staat im politischen Symbol. Der Vorgang des Symbolisierens ist nach Smend integrierend, weil hierbei die vielen Aspekte, die den jeweiligen Staat ausmachen, „in ein Moment zusammengedrängt“ werden, das diesen Gehalt repräsentiert und das sich die Bürger aneignen können. Das Symbol kann auch die in der Rationalität begründete „Fremdheit“ zwischen 307 308
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162 f.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Bürger und sachlichem Gehalt überwinden. Beispielhaft nennt Smend Fahnen, Wappen, Staatshäupter oder politische Zeremonien und nationale Feste309. Der Zusammenhang mit Integration durch bestimmte Personen (persönliche Integration) ist in Bezug auf die „Staatshäupter“ deutlich, während politische Zeremonien und nationale Feste an die Integration im Wege eines Prozesses oder Vorgangs (funktionelle Integration) anschließen, allerdings mit einer bestimmten Schwerpunktsetzung. Zwar geht es auch hier um „Vorgänge, deren Sinn eine soziale Synthese ist“ und die von Smend grundsätzlich im Rahmen der funktionellen Integration behandelt werden, aber bei nationalen Festen oder politischen Zeremonien geht es in den Worten Smends um das Anknüpfen an „seelische“ oder „sinnliche“ Vorgänge, während unter funktioneller Integration von ihm vorwiegend die Prozesse der Willensbildung als „geistige Integrationsweisen“ behandelt werden. Die sachliche Vermittlungsform des Symbolisierens unterscheidet sich von den Hauptformen der funktionellen Integration vor allem durch ihre Irrationalität310, und dadurch, dass der Charakter eines Verfahrens, das auch bestimmter Regeln bedarf, fehlt. Wenn man versucht, sich den Ablauf der genannten „sinnlichen“ Vorgänge auf der Basis von Smends Konzept vorzustellen, und dabei die Beteiligtenperspektive einnimmt, so erscheint die sachliche Integration als ein unmittelbarer und unwillkürlicher Prozess. Dieser kann zwar von außen reflektiert und beschrieben werden, er ist aber kein Prozess im Sinne eines Verfahrens, über dessen Ablauf und Regeln die Beteiligten nachdenken, wie z. B. bei einem Wahlverfahren, und das zunächst institutionalisiert werden muss. Die Anteilhabe an staatlichem Leben durch das Teilen bestimmter gemeinsamer sachlicher Inhalte findet größtenteils unbewusst statt und wird vorwiegend empfunden. (2) Die formale Integration – Integrierende Personen und Verfahrensweisen Wie bereits angesprochen ist die Integration durch Sachgehalte auf Vermittlungsformen angewiesen, die je nach zu vermittelndem Gehalt spezifisch sind. Smend behandelt als Formen der formalen Integration die persönliche und funktionelle Integration311.
309
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162 f. Das ist nur in dieser groben Unterscheidung richtig, denn Smend bemüht sich auch bei der Behandlung der Willensbildungsprozesse, diese nicht nur als Ausfluss rationalen Denkens zu verstehen, und versucht insgesamt das Moment des Irrationalen in seine Staatslehre zu implementieren (allerdings als kalkulierbaren Faktor). 311 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 139, 148 ff. 310
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Smend untersucht unter dem Stichwort der persönlichen Integration, welchen Beitrag natürliche Personen zum „Zusammenfassen der Staatsangehörigen“ leisten312. Hier besteht die bereits erwähnte Nähe zur Integration durch Symbolisierung eines Gemeinschaftswertes.313 Bedeutsamer für den Status der Verfassung im Integrationssystem ist allerdings die funktionelle Integration. Prinzipielle Aspekte integrierender Verfahrensweisen wurden bereits im Rahmen der sachlichen Integration angesprochen. Die Verfahrensweisen für das „Gemeinsam machen“ eines sachlichen Gehalts erklären sich darüber hinaus im Wesentlichen aus den Beispielen für solche Verfahren, die Smend anführt. Genannt werden „Wahlen, parlamentarische Verhandlungen, Kabinettsbildungen, Volksabstimmungen“314. Auffällig ist, dass Smend als Zusammenfassung für diese Verfahren den Begriff des „Verfassungslebens“ verwendet315. Die Verbindung zur Verfassung liegt darin, dass diese Verfahren „verfassungsmäßig vorgesehen“316 sind. Zu klären ist im weiteren Verlauf der Arbeit, ob Smend damit schlicht eine Tatsache oder ein Aufgabenfeld für die Verfassung beschreibt. c) Die Beteiligten des Integrationsprozesses Der Vollständigkeit halber sollen nach den einzelnen Integrationsverfahren auch die Beteiligten des von Smend vorgestellten Integrationsprozesses betrachtet werden. Das Subjekt der Integration differiert danach, welche Desintegrationserscheinungen Smend in den Blick nimmt. Dies sind – wie zu Beginn der Bestandsaufnahme zu Smend gezeigt wurde – drei: Erstens geht es bei Integration um die nationalstaatliche Einheit; in diesem Kontext ist das Volk ein überindividueller Bezugspunkt317. Auf der zweiten Ebene des Staates als politischer Gemeinschaft geht es um das Zusammenfassen seiner Angehörigen, das Aufbauen des Staates aus den Einzelnen318. Auf der dritten Ebene der Integration als Herstellung von Bundesstaatlichkeit tauchen die Einzelstaaten als Bezugspunkte auf, die zum Gesamtstaat integriert werden sollen. Letztlich lassen sich hier keine für die verfassungstheoretischen Folgerungen verwertbaren Konsequenzen finden, mit der Einschränkung, dass die von Smend beschriebene
312
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 142 ff. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162 f. s. auch den vorangehenden Abschnitt. 314 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 154. 315 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 156, 158. 316 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 157. 317 Vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 186 u. vorher z. B. S. 169 unten; zum Zusammenhang zwischen Staat und Volk jenseits der „drei-Elemente-Lehre“ vgl. auch Smend, Artikel Staat, S. 517 ff. (524 f.). 318 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 138. 313
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
„Automatik“ und Irrationalität des Integrationsvorgangs den Blick auf die Beteiligten gewissermaßen überflüssig macht. d) Der Gesamtvorgang der staatlichen Integration Nach der Betrachtung der verschiedenen Teile des Integrationsvorgangs soll nun ein Bild des Gesamtvorganges hergestellt werden, in das sich die Verfassung nachfolgend einfügen lässt.319 Dafür ist vor allem der Blick auf die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des Integrationsprozesses ertragreich. aa) Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der sachlichen Integration Smend weist die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der sachlichen Integration nicht gesondert aus, geht aber vorrangig von der Voraussetzung des Zusammenwirkens der Integrationsfaktoren aus. Für die Integration über gemeinsame Sachgehalte bedeutet das die Angewiesenheit auf Vermittlungsmöglichkeiten. Smend differenziert hierbei – parallel zu der Unterscheidung der einenden Gehalte in rational und irrational – zwischen einer Vermittlung von Werten im Rahmen der funktionellen Integration und einer unmittelbar sachlichen Form der Vermittlung qua Symbolisierung. Ein Ergebnis der vorangegangenen Untersuchung ist, dass die sachliche Integration im engeren Sinne das Vorhandensein von zur Gemeinschaftsbildung geeigneten Sachgehalten, Vorstellungen bzw. Werten im Sinne von „Nation“ und „Volk“ zur Voraussetzung hat. Im Rahmen der Vermittlung bedarf es dann geeigneter Symbole, die diese Gehalte erfolgreich transportieren können. Ein Symbol ist dann geeignet, wenn es einigende Kraft hat und ein Moment aufgreift, das Nationalitätsbewusstsein und Volkszugehörigkeit für viele repräsentiert. Welche Konsequenzen dieses Integrationskonzept für die Verfassung hat, wird im Rahmen des Verfassungskonzepts geklärt. Es dürfte jedoch fest stehen, dass die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Integration des Staates Auswirkungen auf die Integrationsmöglichkeiten der Verfassung hat.
319 Da die Rekonstruktion von Smends integrationstheoretischem Konzept dazu dient, den Ort der Verfassung deutlich zu machen und hierüber Anhaltspunkte für das verfassungstheoretische Konzepts Smends zu gewinnen, erfolgt keine Bewertung seines Konzepts. Ein Fluchtpunkt für eine solche Beurteilung könnte z. B. die Frage sein, welche Homogenität Smends Konzept „benötigt“ und welche Pluralität es zulässt. Vgl. zu dieser Perspektive Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit, S. 157 ff.
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bb) Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der funktionellen Integration Eine Voraussetzung für das Funktionieren des „Gemeinsammachens“ eines bestimmten Gehalts ist nicht nur der gemeinschaftsbegründende sachliche Gehalt, der transportiert werden soll, sondern es ist auch ein „gemeinsamer Wertbesitz“ mit gemeinsamen „Kampfregeln“ erforderlich, die „vom politischen Kampf nicht in Frage gestellte[n] Wertgemeinschaft“ und die „Beteiligung aller“ an den integrierenden Verfahren (Bsp. Wahl)320. Im Rahmen der funktionellen Integration werden daher bestimmte Anforderungen an die Staatsbürger gestellt. Gefordert ist eine „innere Beteiligung“ am Integrationsprozess321. Kernbegriff ist hier die „Anerkennung“, von der sowohl „das Recht (. . .) als auch der Staat leben“, und die qualitativ verschieden ausfallen kann und nach Smend wohl auch darf, ohne den Integrationserfolg zu gefährden. So sei zwar eine Unterwerfung unter die staatliche Integration erforderlich; eine besonders aktive Teilnahme am Staatsleben ansonsten aber nicht; ausreichend sei es, keinen Widerstand zu leisten; andererseits müsse vom Staatsbürger eine gewisse Aktivität verlangt werden. Die Grenze zur Nichtanerkennung verläuft bei der Nichtbeteiligung, die eine Ablehnung des „Verfassungslebens“ bedeuten würde.322 Als weitere „Umfeldbedingungen“ für die Integrationswirkung politischer Kämpfe nennt Smend „gesunde politische Verhältnisse“, womit er vor allem gleichstarke Gegner meint323. cc) Das Zusammenspiel der Integrationsfaktoren Unterschieden nach den erörterten Ebenen der Einheitsbildung hängt das Gelingen der politischen Integration als Integration des Staates nach Smend einerseits vom Bestehen einer vorpolitischen Gemeinschaft ab, auf der die politische aufbauen kann. Das Herstellen der politischen Gemeinschaft bedürfe wiederum eines Rahmens: des „Verfassungslebens“. Nach Smend konstituiert sich der Vorgang der Integration aus allen beteiligten Faktoren, die so jeweils zur Voraussetzung werden. Der Versuch, wie Smend in einem historischen Rückblick ausführt, nur über Verfahren oder nur über einen Sachgehalt ein Volk zu integrieren, ist nur theoretisch möglich, prak-
320 321 322 323
Smend, Smend, Smend, Smend,
Verfassung Verfassung Verfassung Verfassung
und und und und
Verfassungsrecht, Verfassungsrecht, Verfassungsrecht, Verfassungsrecht,
S. S. S. S.
155. 156. 155 f. 189.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
tisch aber zum Scheitern verurteilt. Das bedeutet: Demokratie bedarf der Homogenität; Parlamentarismus allein führt nicht zu staatlicher Einheit.324 Neben Homogenität spielt auch Konflikt eine wichtige Rolle im integrationstheoretischen Ansatz Smends. Konflikt ist nicht per se negativ besetzt; so spricht Smend mit Bezug auf demokratische Verfahren von „integrierenden Kämpfen“, die für die Gemeinschaft, die insb. durch gemeinsame „Kampfregeln“ geeint wird, durch die „Entladung von Spannungen“ „wesentlicher integrierender Lebensakt“ sind325. Auch diese „Spielregeln“ sind Teil der „gemeinschaftsbegründenden Gehalte“. Sie allein reichen aber eben als nur „formale Gemeinschaftswerte“ im Gegensatz zu „materialen Gemeinschaftswerten“ für eine erfolgreiche staatliche Integration nicht aus. dd) Der Schlussstein des Integrationssystems Ein anderer wichtiger Aspekt für Funktionsfähigkeit eines Integrationssystems ist nach Smend ein „höchstes Organ“ als Schlussstein dieses Systems. Trotz des Eindrucks eines gewissen Automatismus, den das Integrationskonzept Smends vermittelt, in dem – angeleitet durch die „Wertgesetzlichkeit des Geistes“ als eine Art übergelagerter, objektiver Determinierung – alle Faktoren zur „Herstellung widerspruchsloser, geschlossener Einheit“ streben, ist auffällig, dass für den reibungslosen Ablauf überhaupt eine „letzte Integrationsinstanz“ als „Schlußstein des Integrationssystems“ erforderlich sein soll; diese übt eine „Funktion mit spezifischer Integrationstendenz“ aus. Smend erörtert dies im Kontext staatlicher Funktionen und Gewalten. Die staatliche Funktion mit „spezifischer Integrationstendenz“ ist die so genannte „Machtfunktion“, die dem unmittelbaren Staatserhalt dient und organisationstechnisch v. a. die Regierung meint. ee) Der Automatismus der Integration Eine weitere wichtige Prägung erfährt der Integrationsvorgang dadurch, dass er in den Rahmen einer objektiven Vorgegebenheit eingespannt wird. Alle Integrationsarten werden dadurch mitbestimmt, dass der Gesamtvorgang sich nach 324
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 170 ff., 218 ff. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 149 ff. Die entscheidende Frage, vor die sich Pluralismustheoretiker gestellt sehen, ist das „richtige“ Verhältnis zwischen Konsens und Konflikt. Eine eindeutige Antwort, die nicht nur eine theoretische Zuordnung vornimmt, sondern auf Inhalte eingeht, die bspw. von einem sog. nichtkontroversen Bereich im Sinne Fraenkels umfaßt sein sollen, fällt schwer. Hierzu Haltern, Integration als Mythos, S. 32 ff., insb. Fazit auf S. 42. 325
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Smend als „Verwirklichung der Wertgesetzlichkeit des Geistes“ darstellt und die Integration „überempirisch aufgegeben“326 ist. Dies vermittelt das Bild eines Automatismus oder Determinismus. In diesem Zusammenhang, in dem die Integration unbewusst und automatisch als Verwirklichung der Wertgesetzlichkeit des Geistes abläuft, die auch die Verfassung mit der „Integrationstendenz des Verfassungslebens“ erreicht, sind Spielräume für eine Mobilisierung der Verfassung als „Werkzeug“ der Integration schwer zu bestimmen. ff) Fazit: Spielräume der Verfassung im Integrationsprozess Nach der Darstellung des Integrationsprozesses drängt es sich auf, im Anschluss nach der Bedeutung der Verfassung für die „vorpolitische Einheit“ im Konzept Smends zu fragen. Dies betrifft besonders den Vorgang der Einheitsbildung über Symbole im Rahmen der sachlichen Integration. Sofern der Staat darüber hinaus gehend als „souveräner Willensverband“ gemeint ist, kommt die Einheitsbildung zum Tragen, welche das Volk als politisches Volk hervorbringt und die durch die Verfahren und Formen des „Verfassungslebens“ geleistet wird327. Allein der Begriff weist hier bereits auf die Rolle der Verfassung hin. Wesentlich für ein Gesamtbild der staatlichen Integration und die Rolle der Verfassung ist die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Integration. Hier verläuft nicht nur eine Trennlinie zwischen verschiedenen Arten der Einheitsbildung, sondern diese baut auf Smends Ansicht auf, dass irrationale Gehalte integrationsförderlicher als rationale seien. Vor diesem Hintergrund unterscheidet Smend zwischen „eigentlich politischen“ Organen oder Funktionen und „einfach politischen“. Wie oben erläutert, sind die politischen Organe und Funktionen im engeren Sinne vorrangig der staatlichen Machterhaltung gewidmet und haben dadurch eine herausgehobene Bedeutung für die Erhaltung der staatlichen Einheit. Einheitsbildung und -erhaltung ist ihre primäre Aufgabe, hinter der andere – nach Smend „technische“ – Aufgaben zurücktreten. Fraglich ist, wie sich diese Aufgabenteilung in der Verfassung widerspiegelt. Die aufgezeigten Unterscheidungen zwischen „rational – irrational“, „politisch“ – „unpolitisch“ bzw. politisch im weiteren und engeren Sinne sowie „mittelbar“ – „unmittelbar“ sind für die Charakterisierung des Vorganges der staatlichen Integration wichtig, denn sie bilden die Struktur, in der die Verfassung ihre Aufgaben erfüllt.
326 327
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 141 f. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 154.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
3. Integration durch Verfassung als politisches Integrationsrecht – das verfassungstheoretische Konzept Smends Dem integrationstheoretischen Konzept Smends wird in einem zweiten Zugriff das verfassungstheoretische Konzept gegenübergestellt, das aus der Rolle der Verfassung im Rahmen der Integration entwickelt wird. Das Ziel ist es, ausgehend davon Anhaltspunkte für Smends Verständnis der Normativität der Verfassung zu finden. Erschwert wird dies durch die Aussage Smends, sein verfassungstheoretisches Konzept auf staats- und nicht rechtstheoretischer Grundlage zu entwerfen328. Dies hindert aber nicht, seinen Text verfassungstheoretisch im Sinne von rechtstheoretisch zu lesen, wie dies auch bereits unternommen wurde329. Angesichts der Kritik, die Smends Integrationslehre wegen behaupteter Gefährdung der Normativität der Verfassung stets erfahren hat, ist die Frage nach der Rechtlichkeit der Verfassung bei Smend von besonderem Interesse. a) Der geisteswissenschaftliche Ansatz Smends „Verfassung und Verfassungsrecht“ stellt im Hinblick auf die wissenschaftliche Perspektive einen Sonderfall dar, da Smend mit dieser Arbeit im Kontext der Umbruchs- und Experimentiersituation der Weimarer Staatslehre330 methodologisch ausdrücklich Position bezieht und eine geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Verfassung fordert und unternimmt. Entgegen der Auffassung Hans-Joachim Kochs, dass Smends geisteswissenschaftlicher Ansatz nicht nur unklar, sondern für das weitere Verständnis von „Verfassung und Verfassungsrecht“ überflüssig sei331, wird Smends methodischer Ansatz in dieser Arbeit, auch durch den Vergleich mit aktuellen kulturwissenschaftlichen Zugängen, ernst genommen. Die geisteswissenschaftliche Herangehensweise Smends zeigt sich vor allem in der Betrachtung der Verfassung im Kontext der staatlichen Integration, die Smends Bild gesellschaftlicher Realität bestimmt. Die geisteswissenschaftliche Betrachtung erschließt zusätzliche Dimensionen der Verfassung, was sich zusammengedrängt in Smends Aussage findet, dass die Verfassung „als positives Recht (. . .) nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit“ sei332. Zu dieser Wirklichkeit gehören auch die Sinnund Bedeutungskontexte der Verfassung333. Die Beachtung dieser tatsächlichen 328
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120. Vgl. Bartlsperger, Die Integrationslehre Rudolf Smends; Korioth, Integration und Bundesstaat; Korioth, Integration von Norm, Wert und Wirklichkeit, S. 200 ff. 330 Vgl. dazu nur Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 153 ff. m.w. N., und Smend selbst, Smend, Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtler, S. 620 ff.; zur „Experimentiersituation“ vgl. Wortwahl im Titel einer aktuellen Arbeit von Pauly, „Grundrechtslaboratorium Weimar“. 331 Koch, Die juristische Methode im Staatsrecht, S. 95. 332 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 192. 329
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Dimensionen der Verfassung führt zu einer Parallelisierung von rechtlichen und tatsächlichen Aspekten der Verfassung, wie sie von Smend auch für die Erörterung des Staatsbegriffes vorgenommen wurde. Die geisteswissenschaftliche Methode als Formel für die nicht nur normative Betrachtung von Verfassung und die Rezeption „außerjuristischer“ Aussagen zum Thema Staat, Integration und Verfassung334 verweist auf aktuelle Ansätze für eine kontextualisierte Betrachtung der Verfassung, wie sie beispielsweise durch Häberle und Vorländer im Rahmen eines kulturwissenschaftlichen und institutionentheoretischen Verfassungsverständnisses postuliert wird335. Dieses Lesen und Berücksichtigen der „Kon-Texte“ des Verfassungstextes für ein wirklichkeitsangemessenes Verfassungsverständnis336 ist zudem Ausgangspunkt einer nachpositivistischen Methodenlehre für den Umgang mit dem Verfassungsrecht, wie sie in der Bundesrepublik vor allem von Friedrich Müller ausgehend von der „Strukturierenden Rechtslehre“ erarbeitet wurde337. b) Integration als „Lebensprinzip“ des Staates und „Sinnprinzip“ der Verfassung Der Zusammenhang zwischen Verfassung und Integrationsvorgang wird über den Staat hergestellt: Der Staat ist Bezugspunkt der Verfassung. Wesentlich für den Staat ist die Integration als sein „Lebensprinzip“338. Die Verfassung muss dieses Moment aufgreifen, will sie ihrem Regelungsgegenstand Staat gerecht werden339. Die Integration wird zum „Sinnprinzip“ der Verfassung340. 333 Zu diesem Aspekt des „kulturellen Verweisungszusammenhangs“ der Lehre Smends s. Vorländer, Integration durch Verfassung, im gleichnamigen von ihm herausgegebenen Sammelband. 334 Bei Smend v. a. durch die Rezeption der Lehre Theodor Litts. Zu der Bedeutung Litts für Smends Lehre Hennis, Integration durch Verfassung?, S. 267 (S. 286 f.). 335 Die Ansätze werden im Rahmen der weiteren Bestandsaufnahme vorgestellt. Es würde sich anbieten, die geisteswissenschaftliche mit der kulturwissenschaftlichen Perspektive zu vergleichen und die Geschichte dieser Konzepte zu verfolgen. Das kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht geleistet werden. Vgl. zum wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang der Konzepte und der Überführung der Geistes- in die Kulturwissenschaften knapp Böhme/Matussek/Müller, Orientierung Kulturwissenschaft, Kap. I und II (insb. S. 32 f.); diese Verbindung zeigt auch Steenblock auf in: Steenblock, Theorie der kulturellen Bildung. Er schildert die Geisteswissenschaften als „nacherzeugende“ Wissenschaften und als „Kulturreflexion“ (vgl. Einleitung und S. 21 ff.). 336 Dazu Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 13 f. 337 Vgl. dazu knapp den Überblick bei Müller, Thesen zur Struktur von Rechtsnormen, S. 493 ff., und allgemein: Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken. 338 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 136. 339 Zum Zusammenhang zwischen Verfassung und Staat s. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. 340 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120, 193.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Die Folgen, die dieses „Sinnprinzip“ und seine Umsetzung für die Verfassung und ihren Rechtscharakter haben, lassen sich klären, indem man die Rolle der Verfassung im Vorgang der Integration durch Abfragen ihrer integrativen Aufgaben bestimmt. Diese integrativen Aufgaben sind bei Smend dadurch selbstverständlich, dass der Fluchtpunkt seiner verfassungstheoretischen Ausführungen die Integration ist, so dass zwangsläufig nur Aufgaben und Leistungen der Verfassung innerhalb des Integrationsvorganges bzw. in Bezug auf diesen erfasst werden und der Integrationsbeitrag den Maßstab für die Beurteilung der Verfassungswirkung zur Verfügung stellt.341 Die Lektüre von „Verfassung und Verfassungsrecht“ im Hinblick auf das von Smend vertretene Integrationskonzept hat bereits Hinweise auf die Rolle der Verfassung im Integrationsprozess ergeben. aa) Die Aufgaben der Verfassung im Rahmen der Integration Die Zuweisung der grundsätzlichen Aufgabe an die Verfassung, im Prozess der staatlichen Integration mitzuwirken, erfolgt bei Smend auf der Ebene der Verfassungstheorie, auf der er allgemeine Aussagen über die Verfassung trifft342. Durch die Verknüpfung, die Smend zwischen Staats- und Verfassungstheorie vornimmt, wird die Verfassungstheorie bereits in die Richtung eines „Integrationsprogramms“343 determiniert, d.h. die über die Verfassung zu treffenden Aussagen müssen sich an den staatstheoretischen Vorgaben orientieren. Diese vorgegebene Sinnbestimmung schlägt sich in der Definition der Verfassung als „Integrationsordnung“344 nieder. Das „Integrationsprogramm“ zeichnet nicht nur die allgemeine Ausrichtung vor, sondern bestimmt auch die (Be-) Deutung einzelner Elemente moderner Verfassungen345. Hier zeigt sich deutlich, dass Smends Verfassungswahrnehmung allein auf den Vorgang der Integration fokussiert ist. Konkrete Aussagen darüber, wie die Verfassung in den Integrationsvorgang einzubringen ist, ergeben sich aus der Verknüpfung mit den einzelnen Integrationsfaktoren, die den Gesamtprozess ausmachen, also mit der Integration durch formale (das sind persönliche und funktionelle) und sachliche Faktoren. Diese
341 Vgl. hierzu die Ausführungen zum Rechtssystem (Gesetzgebung und Judikative) als Teil der Verfassung und „Fremdkörper“ im Staatsleben als Integrationssystem, Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 207. 342 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 120, 193. 343 Vgl. die konsequente Fortführung der Ideen Smends durch Krüger (z. B. Krüger, Die Verfassung als Programm der Nationalen Integration, S. 108 ff.). 344 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 195. 345 Dass sich Smend auf diese bezieht, ergibt sich insb. aus der Überschrift, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 215: „Integrierender Sachgehalt moderner Verfassungen“.
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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Verknüpfung wird dadurch erleichtert, dass Smend durch die von ihm gewählte Bestimmung der Integrationsfaktoren eine Parallelisierung mit den Ausführungen über Verfassung erreicht. So lassen sich Staatsorgane unter dem Aspekt der Integration durch Personen betrachten, während Staatsfunktionen, die Smend als Teil der üblichen Staatsgewalten begreift, vor dem Hintergrund der funktionellen integrierenden Verfahrensweisen zu sehen sind. Die Aussagen der Verfassungsurkunden werden von Smend unter dem Gesichtspunkt integrierender Sachgehalte untersucht346. Wesentlich ist für die Bedeutung der Verfassung die Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Integrationstätigkeit. (1) Verfassung und sachliche Integration des Staates Die sachliche Integration ist das Herzstück des Integrationskonzepts Smends. Der Integrationsvorgang wird von sachlichen Gehalten bestimmt, die sich als formale und materiale Gemeinschaftswerte auf unterschiedlicher Ebene befinden. Grundlegend ist die Anknüpfung an Nation und Volk, die als materiale Grundwerte den Rahmen für die staatliche „Wertgemeinschaft“ bilden. Als oberste Werte finden sie Eingang in die Verfassung, nach Smend insbesondere innerhalb der Präambel und die Art. 1 und 3 der Weimarer Reichsverfassung, in deren Sinne die folgenden Bestimmungen der Verfassung zu interpretieren sind; so erklärt sich neben der Überschrift „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“347 Smends Rede von den Grundrechten als „nationalem Kultursystem“. Auf einer darunter gelagerten Ebene sind die Gehalte, die die staatliche Gemeinschaft ausmachen, nicht weiter inhaltlich festgelegt, sondern können in Gestalt von Gesetzen Verschiedenes betreffen. Die Wertegemeinschaft zeigt sich hier darin, dass Gesetze in einer bestimmten Form von einem bestimmten Gesetzgeber mit dem Anspruch der Legitimität erlassen werden können, worin sich die „demokratische Gedankenwelt“ verkörpert. Hier liegt ein Anknüpfungspunkt zur funktionellen Integration mit Blick auf das Gesetzgebungsverfahren. Die Rolle der Verfassung liegt im Hinblick auf die sachliche Integration darin, dass die Sachgehalte in ihr positiviert werden. Die Vermittlung der Basisgehalte „Nation“ und „Volk“ mit dazugehörigen Aspekten wie z. B. Heimatgefühl erfolgt integrationstechnisch betrachtet auf einer irrationalen, eher emotionalen Ebene, insbesondere durch Ausdruck in geeigneten Symbolen, nicht durch Vermittlung in einem rationalen verfahrensmäßigen Sinn, wie bei den meisten Verfahren der politischen Einheitsbildung auf der Folgeebene. Geeignete Symbolwirkung können herausragende Persönlichkeiten (Monarchen, Staatspräsidenten) oder bestimmte Orte, Begebenheiten 346 Vgl. die Anmerkung Smends hierzu: Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 198. 347 Zweiter Hauptteil der WRV v. 11. August 1919, Art. 109 ff.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
oder Gegenstände haben; wichtigstes Beispiel dafür ist bei Smend die Reichsflagge. Die Verfassung kann diese integrierende Wirkung nur unterstützen, indem sie durch ihre eigene herausgehobene Stellung als höchste Rechtsnorm des Staates den Stellenwert dieser Symbole für „Nation“ und „Volk“ durch hervorgehobene Nennung in ihrem Text unterstreicht. Sie selbst wird dadurch nicht zum Symbol und ist als Rechtsnormenkomplex auch ungeeignet hierfür. Normen sind als verstandesmäßig zu erschließende Texte nicht das geeignete „Transportmittel“ für diese Art der Einheitsstiftung. Darin zeigt sich ein Aspekt der Heteronomie der Rechtsordnung gegenüber dem staatlichen Integrationsprozess, der auch die Verfassung ergreift. Dieser Aspekt zeigt sich auch in der „Herrschaft“ in ihrer unmittelbaren, direkten Form, nicht als Oberbegriff der staatlichen Funktionen Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung. Zusammenfassend lässt sich hierzu feststellen, dass es nach Smend eine Art von Staatstätigkeit gibt, die unmittelbar der Integration des Staates dient; das ist die Regierung als Herrschaft in unmittelbarer Form. Diese Tätigkeit wird dadurch zur „eigentlich politischen“, d.h. dem Machterhalt des Staates dienenden, Tätigkeit. Integrationstechnisch spiegelt sich das in dem bereits erwähnten Erfordernis eines höchsten Organs als „Schlußstein des Integrationssystems“, eine „Funktion mit spezifischer Integrationstendenz“348 wider. Dieses höchste Organ kann nach Smend kein Gericht sein, weil ein Gericht mit seiner Tätigkeit nicht unmittelbar integrierend wirkt: Im Hintergrund dieser Aussage steht der Unterschied zwischen dem Rechtszweck, der sich an Gerechtigkeit, und dem Machtzweck, der sich am Machterhalt des Staates orientiert. Auch in dieser Gegenüberstellung zeigt sich die Heteronomie und Fremdheit der Rechtsordnung gegenüber dem staatlichen Integrationsvorgang, obwohl es sich in beiden Fällen um Aspekte staatlicher Tätigkeit handelt und die Heteronomie sich dadurch begrifflich innerhalb des (Integrations-)Systems Staat abspielt. Die Aufgabe der Verfassung in diesem Bereich der Integration liegt darin, dass sie die Bedeutung der unmittelbar integrierenden „eigentlich politischen“ Funktionen konzeptionell im Verhältnis aller Staatsfunktionen und damit verbunden aller Staatsorgane zueinander in ihren Regelungen berücksichtigt. Daraus folgt für Smend insbesondere, dass Regierung und Diktaturgewalt, die er als unmittelbar integrierende Funktionen nennt, ihre politische Funktion ungestört erfüllen können müssen349. Daraus ergeben sich klare Grenzen für die Aufgaben der Justiz als Teil des Rechtssystems, das Smend als Fremdkörper im Integrationszusammenhang identifiziert. Der Bereich der Regierung ist daher insoweit rechtlich geprägt, als dass er einen Ort in der Verfassung hat, die aber 348
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 203. Die Regierung ist hier jedoch die wichtigere Funktion. Smend hält die Diktaturgewalt für eine „Notfalllösung“. Vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 213. 349
II. Verfassung und Integration in der Lehre Smends
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hier eher nur als „Anregung“ zu verstehen ist. Eine besondere Rolle für die integrationsgerechte Ausübung der eigentlich politischen Funktion spielt eine entsprechende Verfassungsinterpretation durch die Anwender. Eine gerichtliche Kontrolle von Regierungsakten steht der Auffassung Smends konsequenterweise entgegen. (2) Verfassung und funktionelle Integration des Staates: Das „Verfassungsleben“ Bedeutsamer ist die Rolle der Verfassung im Rahmen der mittelbaren Integration, das heißt dem Prozess der politischen Einheitsbildung. Smend fasst diesen Bereich der „Wahlen, parlamentarischen Verhandlungen, Kabinettsbildungen, Volksabstimmungen“ unter dem Sammelbegriff „Verfassungsleben“ zusammen.350 Das „Verfassungsleben“ bildet nach Smend den Rahmen für die politische Einheitsbildung. Es stellt den „Kern der staatlichen Wirklichkeit“ dar.351 In den Regelungen der Verfassung werden die formalen Gemeinschaftswerte festgehalten. Die Verfassung hat die von Smend festgestellten Anforderungen an die integrierende Wirkung von Verfahren zu berücksichtigen, nämlich die oben genannte Öffentlichkeit und die „gesunden politischen Verhältnisse“. Unter „gesunde politische Verhältnisse“ fällt beispielsweise der Minderheitenschutz352. Bei den Regelungen, die die Bildung der Staatsorgane betreffen353, hat die Verfassung die Anforderungen an die integrierende Wirkung von Verfahren zu berücksichtigen. Nach Smends integrationstheoretischem Konzept sind nur bestimmte Verfahren integrationstauglich: So sind im Hinblick auf das zwar schwach ausgeprägte, aber immerhin vorhandene konflikttheoretische Prinzip aufgrund der integrierenden Wirkung politischer Kämpfe Mehrheitswahlen den Verhältniswahlen vorzuziehen354. Aufschlussreich ist für Smends Integrationskonzept, dass die Erforderlichkeit eines höchsten Organs als „Schlußstein des Integrationssystems“ und „letzte Integrationsinstanz“355 betont wird. Dies kann – wie ausgeführt – nach Smend kein Gericht sein, weil dieses mit seiner Tätigkeit nicht unmittelbar integrierend wirkt. Auch dies muss sich in der Konzeption der Verfassung niederschlagen: Die verfassungsrechtlichen Regelungen müssen Raum für unmittelbar integrie-
350 351 352 353 354 355
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 156, 158. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 213. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. Beispielsweise die Wahl des Reichspräsidenten. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 150 f. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 203.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
rende Tätigkeiten gewähren. Daneben sind diese Integrationserfordernisse aber vor allem im Wege einer geeigneten Verfassungsinterpretation zu berücksichtigen. (3) Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für das Wirken der Verfassung als Integrationsordnung Smend geht der Frage nach den Voraussetzungen der integrativen Wirkung der Verfassung nicht eigens nach, trifft aber Feststellungen, die sich unter diesem Gesichtspunkt thematisieren lassen. Ausgangspunkt Smends ist, dass die Verfassung der Umsetzung in politisches Leben bedarf und dazu „auf die Triebgrundlage dieses Lebens und die ganze sonstige Fülle sozialer Motivierungen rechnen“ muss356. Was hier eher unklar formuliert ist, wird deutlicher, wenn Smend davon spricht, dass die Verfassung zur Lösung ihrer Aufgaben auf ihr „selbst immanente Kräfte und Garantien“ beschränkt sei und nicht von außen gewährleistet werde, da es keinen Durchsetzungsmechanismus wie beim einfachen Recht gebe357. Im Rahmen der Integrationswirkung, die von der Bildung und Tätigkeit der Staatsorgane ausgeht, greift Smend auf die Voraussetzungen der funktionellen Integration zurück, von denen auch die Verfassung abhängig ist: die Wertegemeinschaft, die das Verfahren trägt und die Akzeptanz durch die Staatsbürger358. Die Anerkennung der Verfassungsregeln ist Voraussetzung der tatsächlichen Geltung des Verfassungsrechts. Die Verfassung ist demnach von bestimmten tatsächlichen Voraussetzungen abhängig, die sie nur begrenzt beeinflussen kann. Die bekannte, unter dem Grundgesetz formulierte Lehre von den Verfassungsvoraussetzungen und -erwartungen hat diese Idee später aufgegriffen.359 Für die Wirkung der Verfassung als Integrationsordnung ist ebenfalls der Aspekt der Umsetzung der Verfassung durch Anwendung bzw. Umgang mit dem Verfassungsgesetz relevant, wobei Smend nur die Umsetzung der Verfassung durch staatliche Akteure im Blick hat und in diesem Sinne von Verfassungsinterpretation spricht. Die Verfassung kann ihre integrierende Wirkung nur im Rahmen einer entsprechenden Interpretation entfalten. Smend beschäftigt sich mit der Verfassungsumsetzung in „Verfassung und Verfassungsrecht“ auf zwei Ebenen: erstens allgemein im Rahmen einer Verfas356
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 196. 358 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 155. 359 Krüger, Verfassungsvoraussetzungen, S. 285 ff. Vgl. auch für den Verfassungsstaat Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, S. 112. 357
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sungsrechtstheorie und zweitens konkret in der Umsetzung dieser allgemeinen Leitlinien in Bezug auf die Weimarer Reichsverfassung im letzten Teil „Positivrechtliche Folgerungen“. Nach Smend muss die Verfassungsauslegung weit von sonstiger Rechtsauslegung abweichen, damit die Verfassung ihre Integrationsaufgabe erfüllen kann; Smend spricht hier von „Elastizität“ und „Wandlungs- und Ergänzungsfähigkeit“ der Verfassung360. Als Konkretisierungen dieses Prinzips entwickelt er drei Leitlinien: Die staatsrechtlichen Einzelheiten müssen erstens im Sinnzusammenhang der Integration gesehen werden, den sie mit verwirklichen sollen. Je nach ihrer Bedeutung für den Integrationsprozess (im Hinblick auf den normierten Gegenstand) haben die Verfassungsnormen zweitens einen unterschiedlichen Rang. Schließlich müsse die Verfassung drittens flexibel sein und sich wandeln können, d.h. dass neues Verfassungsrecht nicht erst unter den – hierfür zu unflexiblen – Voraussetzungen der Gewohnheitsrechtsbildung entsteht361, sondern in fließender Geltungsfortbildung des gesetzten Verfassungsrechts, die von „extrakonstitutionellen“ Kräften, insbesondere den Parteien, ausgehen kann362. In dieser Flexibilisierung der Verfassung liegt eine Überbrückung der Heteronomie zwischen Integrations- und Rechtsordnung. bb) Rückschlüsse aus der Integrationsrolle der Verfassung auf den Verfassungsbegriff Der wesentliche Motor des Integrationsvorganges sind die gemeinschaftsbegründenden sachlichen Gehalte. Diese knüpfen im Wesentlichen an Nation und Volk und insoweit an Gegebenheiten an, die nach Smend per se integrierend sind. Die Verfassung kann diese integrierende Wirkung nur unterstützen, indem sie durch Nennung dieser gemeinschaftsbildenden Werte an hervorgehobener Stelle den Stellenwert dieser Integrationsfaktoren unterstreicht. Die Bedeutung der Verfassung im Bereich der unmittelbaren Integration ist gering. Die Verfassung kann das politische Leben nach Smend nur in dem Sinne beeinflussen, dass sie als Anregung und Schranke363 dient, weil der Integrationsprozess mit einer Eigengesetzlichkeit abläuft, den die Verfassung nur teilweise nachvollziehen oder begleiten kann364. Die Bereiche staatlicher Tätigkeit, die sich der Regelbarkeit entziehen, dienen der unmittelbaren Integration. Aufgabe der Verfassung ist es, genügend Freiräume dafür zu lassen. Allerdings entfaltet sich staatliches Leben nach Smend dennoch hauptsächlich als geregel360 361 362 363 364
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 190 f. Vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, Teil III, S. 239 ff. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 241 f. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 190, 195. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 195 unten.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
tes „Verfassungsleben“, was die Bedeutung der Verfassung als Rechtsordnung des Staates unterstreicht. Die Untersuchung von „Verfassung und Verfassungsrecht“ hat darüber hinaus ergeben, dass der von Smend vorgestellte Integrationsvorgang und auch die Verfassung in diesem Zusammenhang eine Art objektive, nicht beeinflussbare Bestimmung durch die sog. „Wertgesetzlichkeit des Geistes“ erfahren. Der damit verbundene Determinismus und Automatismus im Integrationsgeschehen erschwert es, die Verfassung als bewusst einsetzbares Instrument im Hinblick auf gesellschaftliche Integration zu begreifen, was in einem gewissen Widerspruch zu Smends eigenem Anliegen zu stehen scheint. cc) Die Normativität der Verfassung Im Zentrum der Überlegungen zu Smends Normativitätsverständnis der Verfassung steht seine Aussage, dass die Verfassung „nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit“ sei365. (1) Der Verfassungsbegriff Smends Außerhalb der Beschreibung der konkreten Integrationsrolle der Verfassung sind Smends allgemeine Hinweise auf seinen Verfassungsbegriff als Hinweise auf sein Normativitätsverständnis zu behandeln. Der Titel seiner Arbeit „Verfassung und Verfassungsrecht“ wirft die Frage auf, ob er diese Begriffe synonym verwendet oder – wenn nicht – wie ihr Verhältnis zueinander ist. Eine synonyme Verwendung erscheint wenig nahe liegend, so dass die Funktion der Trennung und Gegenüberstellung der Begriffe zu klären ist.366 Im Zentrum von „Verfassung und Verfassungsrecht“ steht die Verfassung als Rechtsordnung des Staates367; an anderer Stelle bezeichnet Smend sie als Grundgesetz des Staates368 und oberstes Gesetz des Landes369. Sie besteht in einem Rechtsnormenkomplex370, enthält positives Recht371, das in der Regel in einer Verfassungsurkunde372 niedergelegt ist. 365
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 192. Eine (zunächst sprachlich) ähnliche Gegenüberstellung findet sich in der Verfassungslehre C. Schmitts, der Verfassung und Verfassungsgesetz begrifflich und von der Bedeutung her trennt. Diese Trennung hat die Funktion, das Verfassungsgesetz als normative Verfassung durch die Verfassung als „politische Gesamtentscheidung eines Volkes“ auszuhebeln. Man kann fragen, ob das bei Smend ähnlich ist. 367 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. 368 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 273. 369 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 261. 370 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 191. 371 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 192. 366
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Damit betrachtet Smend die Verfassung im Sinne des Verfassungsgesetzes. Über dieses Eingangsdatum hinaus ist sein weiteres Verständnis der Verfassung durch die geisteswissenschaftliche Perspektive und die allgemeine Aufgabenzuweisung an die Verfassung bestimmt. Die Betrachtungsweise Smends bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Verfassung als Rechtsnormenkomplex als dem einen Pol („Auffassung des juristischen Positivismus und Formalismus“), und der Verfassung als Inbegriff der tatsächlichen politischen Zustände („Gesetz des politischen Gesamtlebens eines Staats“)373 als dem anderen Pol. Dazwischen liegen verschiedene Möglichkeiten, beide Aspekte zu integrieren. Smend versucht eine Lösung durch Reformulierung der Fragestellung als Frage der Beschaffenheit des Regelungsgegenstandes der Verfassung, des Staates, und eine bestimmte Aufgabenzuweisung dadurch an die Verfassung. Die Art der Betrachtung und die Anforderungen an die Verfassung aus dem Staatsbegriff fließen bei Smend hier ineinander374. Dennoch lassen sich Aussagen finden, die eine Positionierung Smends in dem genannten Spannungsfeld erlauben. Die Verfassung wird ohne direkte Bezugnahme auf die staatliche Integration als „ideelles Sinnsystem, für dessen Erfassung mit Recht die Einbeziehung auch jener ,soziologischen Kräfte‘ neben dem geschriebenen Verfassungstext gefordert wird“, beschrieben375. An anderer Stelle spricht Smend – wie eingangs erwähnt – davon, dass die Verfassung als positives Recht nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit sei376. Damit verläuft die Betrachtung der Verfassung parallel zur Betrachtung des Staates, den Smend ebenfalls – wie oben beschrieben – nicht nur als theoretisches, sondern vor allem auch als tatsächliches Gebilde beschreibt. Die Verfassung ist als Rechtsordnung ebenfalls nicht nur ein gedankliches Konstrukt, sondern ein tatsächliches Moment der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es lässt sich festhalten: Das Objekt der Betrachtung ist das Verfassungsgesetz, die Rechtsordnung des Staates. Smend betrachtet sie zusammen mit dem Regelungsgegenstand Staat oder anders formuliert: im tatsächlichen Regelungszusammenhang. Der Begriff der Verfassung ist kein Gegenstück hierzu, sondern enthält das Verfassungsgesetz zusammen mit der Sinnkomponente, die sich für Smend aus der Betrachtung des Verfassungsgesetzes im tatsächlichen Kontext ergibt. Damit zielt der Titel der Schrift „Verfassung und Verfassungsrecht“ auf einen Begriff der Verfassung ab, der sich aus beiden genannten Elementen zusammensetzt.377 372
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 199. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 187. 374 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 188 f. 375 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 188 f. 376 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 192. 377 Insofern nutzt Smend die Trennung von „Verfassung“ und „Verfassungsrecht“ nicht wie Carl Schmitt, um das Verfassungsrecht in seinem normativen Zugriff durch 373
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Weitere Aspekte des Verfassungsbegriffs Smends erschließen sich durch die Anknüpfung an den Staat, da Smend im Einklang mit der überwiegenden Meinung der damaligen und auch heutigen Staats- und Verfassungslehre die Verfassung als Rechtsordnung des Staates begreift378. Fraglich ist allerdings, inwieweit dieser Zusammenhang bei Smend so verstanden werden kann, dass die Verfassung den Staat konstituiert. (2) Rechtlichkeitshinweise aus der Integrationsrolle der Verfassung Wichtige Orientierungspunkte für Smends Verständnis der Rechtlichkeit der Verfassung sind die Heteronomie des Rechts im staatlichen Zusammenhang, das Verständnis von Verfassung als Recht und gleichzeitig Wirklichkeit, verbunden mit der Deutung des geschriebenen Verfassungsrechts als Anregung und Schranke des „Verfassungslebens“ sowie einem staatlichen Leben, das unabhängig von verfassungsrechtlicher Regelung, jedoch nicht verfassungswidrig verläuft. Smend geht von der Verfassung als Recht aus. Recht ist für Smend durch den Anspruch auf Geltung gekennzeichnet. Seine Betrachtung der Verfassung im Kontext der gesellschaftlichen, d.h. staatlichen und politischen, Wirklichkeit führt jedoch zu einem Bild von Rechtlichkeit der Verfassung, das aus den besonderen Aufgaben der Verfassung für die staatliche Integration entspringt. Die Verfassung wird dadurch als besonderes Recht aus dem Gesamtzusammenhang des Rechts gelöst.379 Durch diese Sonderung wird sie jedoch nicht ihrer Rechtlichkeit beraubt. An Smends Aussagen lässt sich festmachen, dass er den Begriff der Normativität der Verfassung beibehalten will, damit gehört sie zum Bereich der Rechtsordnung, der sich zum staatlichen Integrationsvorgang heteronom verhält. Mit der Koppelung der normativen Wirkung der Verfassung an den Integrationserfolg wird diese Heteronomie des Rechts abgeschwächt. Die Normativität der Verfassung wird von einem starren Verständnis der Maßstäblichkeit entfernt und beweglich ausgestaltet. Die Festigkeit der Verfassung, die sich in dem Wort Smends von der Verfassung als Schranke380 findet und dem die Aussage korrespondiert, dass die Verfassung ein „Nebeneinander von starren und schematischen Regelungen“ sei381, ist trotz der Beweglichkeit, die die Verfassung zur Erfüllung ihrer Integrationsaufgabe haben soll, ein weiteres wesentliches Element der Verfassung. eine „normative Kraft des Faktischen“, verkörpert in der tatsächlichen Verfassung, auszuhöhlen. 378 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. 379 So zutreffend Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 210 ff. 380 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 195. 381 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189.
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Die Starrheit der Verfassung als Norm ist in dem durch Bewegung gekennzeichneten Vorgang der Integration nur eingeschränkt der Integration förderlich. Als starre Norm ist sie nicht geeignet für den Bereich der unmittelbaren Integration, was insbesondere den Bereich der Regierung betrifft. Hier finden sich Gedanken einer Unfähigkeit von Recht, Politik zu regeln und zu beurteilen. Die Starrheit der Verfassung bekommt jedoch größere Bedeutung im Bereich der funktionellen Integration, denn dort normiert sie die „Spielregeln“ bzw. den Rahmen für die politische Auseinandersetzung. Ihre Festigkeit ist hier erforderlich, damit sie als Rahmen des Politikprozesses fungieren kann. Smend geht davon aus, dass staatliches Leben hauptsächlich im „normalen Verfassungsleben“ stattfindet382, was eine Stärkung der Rolle der Verfassung im Integrationsprozess bedeutet. Diese Aussage kontrastiert jedoch auf den ersten Blick damit, dass Smend ebenfalls davon ausgeht, dass die Verfassung staatliches Geschehen nicht zur Gänze erfassen könne383. Darüber hinaus nimmt er an, dass die Staatselemente „Staatsvolk“ und „Staatsgebiet“ keine Regelungsgegenstände der Verfassung seien. Hinzu kommt, dass es in Smends Staatstheorie keine Grenzen staatlicher Tätigkeit gibt. Die von Smend aufgestellten Kategorien des Rechts-, Macht- und Wohlfahrtszweckes beinhalten keine Schranken für staatliche Tätigkeit, sondern nur eine Einteilung der Aufgaben, die der Staat verfolgen will und kann. Grundsätzlich kann der Staat danach jede Tätigkeit verfolgen. Smend hat dabei nicht allein die Vorstellung, dass die im Rahmen dieser Kategorien verfolgten Aufgaben wechseln können384, sondern spricht von „staatlicher Pleonexie“385 und der staatlichen „Tendenz zum Maximum“386, deren Grenze nur im Tatsächlichen, nämlich der „Affinität der Epoche“ zur Verstaatlichung nur bestimmter Gemeinschaftszwecke, liege387. Mit diesen Aussagen untergräbt Smend die Bedeutung des „Verfassungslebens“ keineswegs. Seine Aussagen, die zwischen deskriptivem und normativem Charakter schwanken, sind im Zusammenhang mit der Begrenzung staatlicher 382
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 213. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 189. 384 Dieser Gedanke (vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162 „bestimmte Affinität der Epoche“ zur Verstaatlichung gerade dieser Gemeinschaftszwecke in dieser Weise) enthält zunächst – in dieser Abstraktheit jedenfalls – die zutreffende Beobachtung und Beschreibung der Veränderung staatlicher Tätigkeit im Zusammenhang mit gewandelten Vorstellungen über staatliche Verantwortung im Verhältnis zu gesellschaftlicher bzw. privater Verantwortung. 385 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 162. 386 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 161. 387 Eine Begrenzung staatlicher Tätigkeit über den Aspekt des Formenmissbrauchs (Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 259) ist ein staatsorganisatorisches Problem im Bereich der Gewaltenteilung und sagt nichts über eine Grenze im Sinne privater oder öffentlicher Aufgabe in der Verteilung zwischen Staat und Gesellschaft aus. 383
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Tätigkeit vor allem als deskriptiv zu sehen.388 Realistischerweise kann die Verfassung nicht alles regeln. Nur in Bezug auf die unmittelbare Integrationstätigkeit des Staates schließt Smend eine Regelung durch Verfassungsrecht aus. dd) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen dieses Normativitätskonzepts Abschließend ist zu klären, inwieweit Smends verfassungstheoretischer Ansatz für eine hier postulierte realistische und kulturwissenschaftliche Verfassungsbetrachtung zu verwerten ist. Ein Aspekt, der auf aktuelle Diskussionen zu Verfassung und Integration verweist, ist die Bedeutung, die Verfassung im Rahmen einer Integration durch Symbole annehmen kann. Entscheidender Kontrapunkt bei Smend zu gegenwärtigen Ideen sowie zum Ansatz des Verfassungspatriotismus ist, dass das Recht selbst – somit auch die Verfassung – als integratives Symbol ungeeignet ist. Diese Aussage ist im größeren Kontext des Rechtsverständnisses Smends zu sehen, welches um eine Vorstellung von Recht als „Fremdkörper“ im Rahmen staatlichen Lebens zentriert ist. Im Hintergrund steht die These, dass irrationale Gehalte und Vermittlungsformen integrationsgeeigneter seien als rationale, wobei das Recht sich v. a. auf der Ebene rationaler Gehalte bewegt. Dieser Grundgedanke findet sich gegenwärtig in der postulierten Erschließung der irrationalen Dimensionen des Verfassungsrechts wieder, die eine Stärkung der Bedeutung der Verfassung für gesellschaftliche Integrationsprozesse beinhaltet. Wichtig für die Rolle der Verfassung im Integrationsprozess ist das Verhältnis von Recht zur Politik, das bei Smend insbesondere auf die Grenzen rechtlicher Regelbarkeit von Politik verweist. Diese Vorstellungen Smends, die letztlich in einem Verständnis der Verfassung als politischem Integrationsrecht wurzeln, finden sich in der Rede von Verfassungsrecht als politischem Recht wieder389. Die Besonder- und „Gesondert“heit der Verfassung als Recht zeigt sich auch im Betonen einer eigenen Methode der Verfassungsinterpretation, die vom üblichen methodischen Umgang mit Recht bei der Rechtsanwendung völlig verschieden sein soll. In späteren Aussagen zur Integrationslehre schließt sich Smend zwar der Kritik an, dass durch diese Postulate die Normativität der Verfassung leidet. Insgesamt befindet er sich mit seinen Aussagen zur besonderen Rechtlichkeit der Verfassung jedoch in der Nähe der auch heute vertretenen Vorstellungen vom Verfassungsrecht als politischem Recht.
388 Insofern ist Häberles Aussage, dass es bei Smend nur so viel Staat gibt, wie die Verfassung zulässt, noch haltbar, jedoch nicht so eindeutig wie dort behauptet, vgl. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 186. 389 Darauf wird in der Darstellung des verfassungstheoretischen Ansatzes Isensees unter III. 2. eingegangen.
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Eine theoretische Ausgangsposition dieser Arbeit ist – angeregt durch Smend –, dass die Entfaltung der Wirkungen von Recht von seiner Anwendung und Umsetzung abhängen. Das findet sich in „Verfassung und Verfassungsrecht“ im Rahmen der „Positivrechtlichen Folgerungen“390, in denen sich Smend mit der Auslegung der Verfassung als „Umsetzungsmechanismus“ für die verfassungstheoretischen Prämissen befasst. In der Struktur weist das auf die späteren Arbeiten Friedrich Müllers hin391, der seine Methodik des Verfassungsrechts auf der Basis einer Rechts- und Verfassungslehre entwirft und davon ausgeht, dass die Anwendung des Rechts, insbesondere durch die Gerichte, entscheidender Teil dessen ist, was das Recht begrifflich ausmacht. Die „Wirkung“ der Verfassung wird von Smend ebenfalls unter dem Aspekt der Wirkungsvoraussetzungen thematisiert. Hier spricht er von der Angewiesenheit der Verfassung auf ihr selbst immanente Kräfte und setzt ihre Anerkennung durch die Rechtsunterworfenen voraus. Diese Konsequenzen aus mangelnder Sanktionsmöglichkeit der Verfassung werden auch in der bundesrepublikanischen Staatsrechts- und Verfassungslehre als ein Hauptmerkmal der Verfassung benannt, und die Durchsetzungsmöglichkeit wird zum Teil ausdrücklich als Frage der Normativität thematisiert392. Insgesamt berücksichtigt Smend für die Bestimmung der Verfassung ihren gesellschaftlichen Wirkungskontext unter verschiedenen Gesichtspunkten und versucht eine realistische Bestimmung der rechtlichen Möglichkeiten der Verfassung. Smends zentrale Aussage zum Verständnis der Verfassung und ihres Rechtscharakters ist sicherlich die auch eingangs erwähnte, dass die Verfassung als „positives Recht nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit“ sei393. Dies ist das Ergebnis einer sogenannten „geisteswissenschaftlichen“ Betrachtung des Rechts, die im Kontext dieser Arbeit zusammen mit weiteren Aussagen die These begründet, dass die Vorstellung davon, was Recht in welcher Weise leisten kann, vom jeweiligen Rechtsbegriff abhängt. Dieser wird wiederum durch die Perspektive des Betrachters bestimmt. Trotz dieser – noch zu begründenden – methodologischen Übereinstimmung mit Smend, stellt sich aus der rechtstheoretischen Perspektive der vorliegenden Arbeit die Frage, ob die geisteswissenschaftliche Perspektive tatsächlich zu einem veränderten Begriff von Rechtlichkeit führt, denn sie addiert vorrangig eine „wirkliche“ Seite des Rechts zu dessen normativer Seite hinzu. Es erfolgt keine Integration beider Aspekte. Dadurch bleibt der Normbegriff zunächst unangetastet. Mit diesem Zwischener390
Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 233 ff. Auf Müller wird im dritten Teil (Verfassungstheoretische Folgerungen) ausführlicher eingegangen. 392 So Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 51 f. 393 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 192. 391
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
gebnis werden im Folgenden weitere verfassungstheoretische Aussagen zur Integration durch Verfassung auf ihren Normativitätsbegriff hin untersucht.
III. Verfassung und Integration in der Staatslehre der Bundesrepublik: Integration durch Rechtsverfassung oder Integrationsverfassung als Ausdruck verschiedener Konzepte von Verfassungsnormativität? 1. Einleitung: Verfassung und Integration in der Staats- und Verfassungsrechtslehre nach Smend a) Die Integrationsdebatte als Beispiel für ein wachsendes Bewusstsein transdisziplinärer Zusammenhänge in der Verfassungsrechtslehre Rudolf Smend hat mit seiner programmatischen Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Verfassung und staatlicher Einheit die Staats- und Verfassungslehre sehr beeinflusst. Die Rezeption seiner Schriften verlief und verläuft allerdings sehr unterschiedlich.394 Die Bedeutung Smends für nachfolgende Diskussionen in der Staatsrechts- und Verfassungslehre wurde und wird durch die wissenschaftliche Verselbständigung seiner Ideen unter der Bezeichnung „Integrationslehre“ gesteigert. Inwieweit über Zitate hinaus allerdings eine Auseinandersetzung mit Smend stattfindet, ist fraglich. Dies zeigt sich insbesondere an manchen verkürzenden, auch polemischen Vereinnahmungen Smends für ein bestimmtes verfassungstheoretisches Konzept. So missversteht Josef Isensee das Integrationskonzept Smends in einem entscheidenden Punkt, wenn er Smend für die Wahrnehmung der Verfassung als Symbol zitiert395. Smends Verständnis von der Rechtlichkeit der Verfassung – wie es im vorangegangenen Teil ausgeführt wurde – verhindert gerade dies, da das Recht aufgrund seiner Rationalität als Symbol ungeeignet ist.396 Ein verständigeres Anknüpfen an Smends Ideen zeigt sich in der Fortführung seiner Betrachtung der Verfassung im Kontext politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge: Sowohl Peter Häberle als auch die Arbeiten im Umfeld Hans Vorländers nehmen diese „Verweisungsdimension“ der Verfassung auf,397 und bereits frühzeitig ist Smends verfassungstheoretischer Entwurf als Beitrag zur Deutung der Verfassung als Institution gelesen worden398. Eine weitere, mit einer solchen Kontextualisierung verbundene, 394 Zur Rezeption Smends in der Staatslehre der BRD vgl. Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 228 ff.; Häberle, Zum Tode von Rudolf Smend, S. 685 ff. (insb. Nachtrag, S. 687). 395 Vgl. Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 36. 396 s. die Ausführungen oben unter II.2.b)bb). 397 s. dazu sogleich in den folgenden Abschnitten, die auf Häberle und Vorländer eingehen.
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Kontinuität in der Bestimmung der charakteristischen Merkmale der Verfassung ist ihre Beschreibung als politisches Recht399. Eine Durchsicht relevanter Aussagen zu Verfassung und Integration zeigt, dass eine Einheit stiftende Kraft der Verfassung – mit wenigen Ausnahmen400 – stets angenommen wird. Ebenso gibt es – trotz unterschiedlicher Vorstellungen über die möglichen Formen gesellschaftlicher Einheit und die Rolle der Verfassung darin – Konstanten im Sinne wiederkehrender Redeweisen über Verfassung, die hier als Ansatzpunkte für die Beschreibung ihrer Beschaffenheit im Sinne ihrer Normativität aufgegriffen werden. Dazu zählt vor allem die Verknüpfung von Rechtlichkeit mit „Rationalität“, „Instrumentalität“ und „manifesten Regeln“. Eine erste Bestimmung der Bedeutung dieser Begriffe ergibt sich durch ihre Verortung in begrifflichen Gegensatzpaaren: Rationalität und Irrationalität; manifeste und latente Regeln, instrumentelle und symbolische Dimensionen. Für die Konturierung eines Rechtsbegriffes ist die Frage von Interesse, ob es sich hier um komplementäre Begriffe handelt, die erst zusammen ein „Ganzes“ (das Recht) bilden und wie das Verhältnis der Begriffe zueinander ist.401 Die Aussagen zum Thema „Verfassung und gesellschaftliche Integration“ unterscheiden sich vor allem im Grad der Problematisierung, d. h. dem geringeren oder größeren Maß an Selbstverständlichkeit, mit dem sie getroffen wurden und werden. Nimmt man in dieser Hinsicht das Themenfeld „Verfassung und gesellschaftliche Integration“ als Ausschnitt, der Auskunft über die Diskussions- und Wissenschaftskultur des Öffentlichen Rechts als Teil der Rechtswissenschaft geben kann, so kann man die Entwicklung des Themas „Integration“ als Geschichte eines zunehmenden Bewusstseins disziplinenübergreifender Zusammenhänge in der Rechtswissenschaft lesen. Diese Entwicklung bewegt sich von eher „integrationsoptimistischen“ hin zu eher „integrationsskeptischen“ Ansätzen. Zu unterscheiden ist bei den letzteren, ob die Skepsis sich auf die (fehlenden) Möglichkeiten gesellschaftlicher Einheit bezieht (so Haltern), also das Bild einer desintegrierten Gesellschaft zeichnet, oder ob sich das Misstrauen auf das Vermögen der Verfassung richtet, Einigkeit schaffen zu können (so Forsthoff). Bestimmte Problemlagen sind, im Gegensatz zu den früheren selbstverständlichen Feststellungen hierzu, Gegenstand neuerer402 Diskussionen und Forschungsarbeiten einer soziologisch informierten 398 Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, S. 265 ff.; Mols, Integrationslehre und politische Theorie, S. 513 ff. (526). 399 Vgl. dazu nur Isensee, Verfassungsrecht als politisches Recht, § 162. 400 Prominent v. a. Haltern, Integration als Mythos, S. 31 ff. Zu nennen ist jedoch auch Forsthoff, Zur heutigen Situation einer Verfassungslehre, S. 279 ff. 401 Darauf wird im Rahmen des dritten Teils (Rechtstheoretische Folgerungen) zurückzukommen sein. 402 Es gibt wenig ältere Beiträge. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema stellen v. a. die Arbeiten von Vorländer, Verfassung und Konsens, aus dem Jahr
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Staats- und Verfassungslehre geworden403. Bei diesen Arbeiten rückt vor allem die Vielschichtigkeit und Problematik gesellschaftlicher Integration ins Blickfeld, welche seit einigen Jahren verstärkt Thema in den Sozialwissenschaften ist. Die verfassungsrechtlichen und -theoretischen Arbeiten zeichnen sich durch eine starke Rezeption der sozialwissenschaftlichen Aussagen hierzu aus404. Die sich aus dem sozialwissenschaftlichen Input ergebenden verfassungstheoretischen Fragen lauten: Auf welcher Ebene trägt Verfassung zu Integration bei? Wie soll sie bei diesem gesellschaftlichen Vorgang wirken? b) Die Integrationsleistung der Verfassung als Hinweis auf ihre Normativität Im Folgenden wird eine knappe Zusammenstellung von Aussagen zur integrativen Bedeutung von Verfassung geliefert, welche für eine Diskussion unter dem Gesichtspunkt der „Normativität der Verfassung“ ergiebig sind. Das betrifft aus der Perspektive dieser Arbeit vor allem die für ein bestimmtes Verfassungsverständnis repräsentativen Ansätze Josef Isensees und Peter Häberles sowie Aussagen der institutionentheoretischen Verfassungstheorie. Die Untersuchung der Aussagen baut auf der im ersten Teil vorgestellten Trennung von integrations- und verfassungstheoretischem Konzept auf. Die verfassungstheoretischen Aspekte stehen deutlich im Vordergrund405, wobei Hinweise auf die Normativität der Verfassung aus dem thematischen Kontext ihrer Integrationsleistung entnommen werden. Alle untersuchten Aussagen werden daraufhin befragt, inwieweit sie für das hier im Ansatz bereits vorgestellte realistische Verständnis von
1981 und Göldner, Integration und Pluralismus im demokratischen Rechtsstaat, von 1976 dar. 403 Als Beispiel für eine erste u. noch aktuelle Arbeit aus (eher) rechtswissenschaftlicher Perspektive sei der Beitrag von Frankenberg, Tocquevilles Frage, genannt. Zu berücksichtigen sind auch Haltern, Integration als Mythos, 1997, und Rossen-Stadtfeld, Verfassungsgericht und gesellschaftliche Integration, 2000, die das Augenmerk aber stärker auf das BVerfG und seine Rechtsprechung legen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die disziplinenübergreifende Arbeit des Teilprojekts „Verfassung als institutionelle Ordnung des Politischen“ im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ an der Technischen Universität Dresden unter Leitung von Hans Vorländer. Die geänderte Repräsentanz des Themas in der Staatsrechts- und Verfassungslehre zeigt sich auch in den Referaten von Korioth und v. Bogdandy zur Integration durch Verfassungsrecht zur Staatsrechtslehrertagung 2002, sowie bei Grimm, Integration durch Verfassung, 2004, S. 448 ff. 404 So gehören die Arbeit von Peters, Die Integration moderner Gesellschaften, und die Beiträge in Heitmeyer (Hrsg.), Was hält die Gesellschaft zusammen?, aus den 90er-Jahren zum Standard im Rahmen der verfassungsrechtlichen Diskussion. 405 Das integrationstheoretische Konzept im engeren Sinne wird in der Darstellung vernachlässigt. Daher werden die integrationstheoretischen Aussagen und die Rolle der Verfassung im Prozess der Integration als integrationstheoretisches Konzept jeweils unter a) zusammengefasst.
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Verfassungsrecht im gesellschaftlichen Kontext anschlussfähig sind und wo aus dieser Sicht die Grenzen des jeweiligen Konzepts liegen. 2. Josef Isensee: Die integrative Wirkung der Rechtsverfassung Als exemplarisch und repräsentativ für eine restriktive Ansicht zur Verfassung und ihren Aufgaben wird im Folgenden der verfassungstheoretische Ansatz Josef Isensees vorgestellt, der über das „Handbuch des Staatsrechts“, das nach dem Wunsch seiner Herausgeber (zu denen auch Isensee gehört) als Standardwerk zum Staatsrecht gelten soll406 und kann, besondere Wirkmächtigkeit erlangt.407 Im Vordergrund stehen Isensees Aussagen im „Handbuch des Staatsrechts“ zu „Staat und Verfassung“408 und „Verfassungsrecht als ,politisches Recht‘“409 sowie die kurze Arbeit „Vom Stil der Verfassung“, die wichtige Thesen Isensees zusammenfasst. a) Integration des Staates durch die „Rechtsverfassung“: Das Integrationskonzept Die Ausgangsposition Isensees ist der Staat als Grund und Voraussetzung der Verfassung410. Isensee macht weder gesellschaftliche noch staatliche Integration zum Fluchtpunkt seiner verfassungstheoretischen Ausführungen und stellt Integration im Gegensatz zu Smend und Krüger411 nicht als eine vorrangige Aufgabe der Verfassung dar. Dennoch beschäftigt er sich – vor allem im Rahmen der Entgegensetzung der verfassungstheoretischen Konzeptionen der „Rechtsverfassung“ und „Integrationsverfassung“ – mit der Bedeutung der Verfassung für die Einheit von Staat und Gesellschaft412. Sieht man – ausgehend von dem entworfenen Fragenkatalog – das Ziel, die Mittel und die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Integration als 406 Vgl. das Vorwort zur ersten Auflage, abgedr. in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I (2. Aufl.), S. VII („Wiedergabe der gesicherten Erkenntnisse der Staatsrechtslehre“). 407 Die Konzentration auf die Schriften Isensees als exemplarische macht bereits deutlich, dass es weitere Autoren gibt, die die herrschende Ansicht entfalten, so vor allem Dieter Grimm und Ernst-Wolfgang Böckenförde. Eine gedrängte Darstellung machte die Fokussierung auf eine Person erforderlich. Die weiteren Autoren – neben den genannten auch Korioth – werden ausgehend von diesem Fokus beachtet. 408 § 13 der 2. Auflage des Handbuchs des Staatsrechts. 409 § 162, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, Normativität und Schutz der Verfassung. 410 Isensee, Staat und Verfassung, § 13, insb. Rz. 23: „Verfassungstheorie der Anknüpfung“. 411 Krüger, Die Verfassung als Programm der Nationalen Integration, S. 247 ff. 412 Besonders in Isensee, Vom Stil der Verfassung.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
wesentliche Merkmale eines Integrationsvorganges an, ergibt ein Abfragen dieser Merkmale in Isensees Schriften folgendes Bild: Das Integrationsziel in Isensees verfassungstheoretischen Überlegungen ist der Staat. Dieser ist als Gegenstand der Verfassung zunächst „Wirklichkeit“, d.h. dass Isensee ausgehend von der „verfassungsneutralen“ Drei-ElementeLehre phänomenologisch von einem Staat mit einem Staatsgebiet, einem Staatsvolk und einer Staatsgewalt ausgeht. Zusammengedrängt ist dieser moderne Staat im Begriff des „Nationalstaats“.413 Ähnlich wie Smend geht Isensee daher von einer Korrespondenz zwischen juristischem und tatsächlichem Staat aus. Isensee erzeugt mit dieser Parallelisierung von rechtlichen mit tatsächlichen Aspekten der Verfassung und des Staates den gleichen Effekt sacherzeugter Notwendigkeit einer bestimmten Verfassungstheorie wie Smend.414 Der Staat erfährt seine genauere Kennzeichnung durch die Beschreibung als Nationalstaat. Der Begriff der „Nation“ bezeichnet dabei eine „vorstaatliche“ Einheit, die erforderlich ist, um den modernen Verfassungsstaat ins Werk zu setzen. Über die Verknüpfung mit dem für die Verfassungstheorie Isensees ebenfalls zentralen Begriff des „Volkes“ wird dies konkretisiert. Das „Volk“ ist Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Herrschaft im demokratischen Staat und damit Gegenstand des Verfassungsrechts. „Volk“ erscheint integrationstheoretisch als „vorstaatliche und vorrechtliche Größe. Volk in diesem Sinne ist die Nation.“ Diese schafft als „Willenseinheit (. . .) reale Konsistenz und begründet wirksame Solidarität“415. Diese vorrechtliche Einheit des Staates, als Faktor erfolgreicher Integration, kann durch die Verfassung nur vorausgesetzt, nicht gefördert werden. In der Verfassung finden sich die Inhalte, in denen die Nation einig sein will. Der begrenzte Einfluss, den die Verfassung auf die staatliche Einigung nehmen kann, spiegelt sich auch darin wider, dass der Nationalstaat als Grund und Voraussetzung der Verfassung gleichzeitig die Voraussetzung gelungener politischer Integration ist. Verfassungstheoretisch wird dies in der Figur der Verfassungsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen von Isensee ausformuliert, nach der bestimmte Verfassungsleistungen und -inhalte von Voraussetzungen abhängig sind, auf die sich qua Verfassungsrecht nicht zugreifen lässt, die aber 413
Isensee, Staat und Verfassung, § 13, insb. Rz. 1–49. s. die Aussage in: Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff.: „Die Normen des Verfassungsrechts werden determiniert durch die Natur der Sache, die sie regeln.“ (38). Das erinnert stark an Smends Ansatz, dass Integration das Lebensprinzip des Staates und damit Sinnprinzip der Verfassung sei, vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, u. a. S. 120. 415 Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat, S. 137 ff. (146). Die staats- und verfassungsrechtliche Konsequenz ist: Ausländer gehören nicht zum Volk und sollten aus demokratietheoretischen Erwägungen daher kein Wahlrecht haben, vgl. Isensee, Abschied der Demokratie vom Demos, S. 705 ff. 414
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dennoch Gegenstand der Verfassung sind. Solche Voraussetzungen sind u. a. die politische Einheit und die innere Souveränität der Staatsorganisation gegenüber der Gesellschaft.416 Es zeigt sich, dass das bekannte Diktum Böckenfördes, dass der „freiheitliche, säkularisierte Staat (. . .) von Voraussetzungen (lebt), die er selbst nicht garantieren kann“417, direkte Auswirkungen auf die Verfassung, verstanden als Mittel der Regulierung des Staates, hat: „Was normativ nicht verfügt werden kann, lässt sich auch nicht in normative Aussagen fassen.“418 Die Beschreibung der integrativen Bedeutung der Verfassung ist von Isensees Konzept der Rechtsverfassung und bestimmten integrationstheoretischen Vorstellungen geprägt: In diesem Konzept strebt die Verfassung „Integration nicht direkt und nicht um der Integration willen an, sondern Integration ergibt sich indirekt als Folge der rechtlichen Wirksamkeit der Verfassung. Integration ist gleichsam ein „Mitnahmeeffekt“419. Den möglicherweise dadurch entstehenden Eindruck, Integration könnte ein nebensächliches Ziel der Verfassung sein, relativiert Isensee in derselben Schrift mit dem Hinweis darauf, dass Integration eine „unerlässliche Aufgabe in der freiheitlichen Demokratie“ sei420. Die Integration durch die Rechtsverfassung wird jedoch durch die Erfüllung ihrer genuinen Aufgaben der Machtbegrenzung und des Freiheitsschutzes geleistet und durch ihren ursprünglichen Sinn begrenzt.421 Die Voraussetzungen der Integration werden in diesem Konzept somit durch die Eigenschaften der Rechtsverfassung gebildet sowie deren Funktionsbedingungen. Die bereits erwähnten Verfassungserwartungen und -voraussetzungen sind als im Vergleich dazu gewissermaßen externe Faktoren ebenfalls zu berücksichtigen. Das Integrationskonzept Isensees baut auf der Unterscheidung verschiedener Ebenen der Integration auf, die unterschiedlich „dicht“ sind und mit der Unterscheidung zwischen politischer und gesellschaftlicher Integration annähernd erfasst werden können.422 Die Verfassung betrifft beide Ebenen423, was aber nicht bedeutet, dass sie auf beiden Ebenen gleichermaßen „regelnd“ wirken kann. Dies kann sie nur im Rahmen ihrer primären Aufgaben der Einrichtung und Begrenzung staatlicher Herrschaft, denn „Integration ist (. . .) ein vorrechtlicher 416 Isensee, Verfassungsrecht als politisches Recht, § 162, insb. Rz. 102 ff.; Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. (39); vgl. auch Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen, § 115. 417 Böckenförde, Die Entstehung des Staates, S. 92 ff. (112). 418 Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117 ff. 419 Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 36. 420 Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 70. 421 Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rz. 138. 422 Dazu auch Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117 ff. 423 Wenn man wie Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117 ff. (132), die Grundrechte dem Bereich der gesellschaftlichen Integration zurechnet.
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und rechtlicher Steuerung nicht zugänglicher Vorgang, eine Verfassungsvoraussetzung, an die Recht allenfalls anknüpfen kann“424. Die diskutierte Integrationsleistung der Verfassung bezieht sich in der Regel auf eine Integration, die jenseits der Erfüllung der primären Aufgaben der Verfassung liegt. b) Verfassung als Staats-, nicht Gesellschaftsordnung: Das Konzept der „Rechtsverfassung“ Isensees Aussagen dazu, wie Verfassung integrativ wirken kann, geben Anhaltspunkte für die Bestimmung des Verfassungstypus. Die Integration durch die Rechtsverfassung setzt – zusammengefasst – eine andere Einheit bereits voraus, die im Begriff der „Nation“ enthalten ist. Während das Einigsein der Nation von Isensee als etwas vorgestellt wird, das als „Vaterland“ die „ethisch-emotionale Zuwendung des Bürgers entfacht“425, hat die Einheit unter der Verfassung etwas deutlich Nüchternes. Dies findet sich zugespitzt in Isensees Beschreibung der Idee des „Verfassungspatriotismus“ wieder: Isensee beschreibt Verfassungspatriotismus als prekäres Konzept, das dazu dienen soll, das „Vaterland“ als ursprünglichen Bezugspunkt des Patriotismus durch die Verfassung zu verdrängen. „Verfassung“ meint in diesem Konzept die Idee der optimalen Verfassung und löst das politische Selbstverständnis eines Volkes von einer bestehenden raumzeitlichen Realität.426 Das Ergebnis ist ein Verfassungspatriotismus als „ätherisches Gebilde“427. Konzeptionell sieht Isensee darin die Ablösung des Begriffes „Vaterland“ durch den Begriff der „Identität“. Der „heimatlose“ Wunsch nach Identität richte sich nun auf die Verfassung.428 Insgesamt ist nach Isensee der Versuch, politische Einheit nicht national zu bestimmen, zum Scheitern verurteilt, denn er vernachlässigt die ethnische, an substanzhafte Homogenität gekoppelte Verbundenheit, die für staatliche Einheit erforderlich ist.429 Ebenso wie Smend geht Isensee davon aus, dass die Verfassung diese vorrechtliche Einheit nicht schaffen, sondern nur aufgreifen kann. Mehr soll durch die Verfassung auch nicht geleistet werden, denn die Verfassung liefe durch das Anstreben weiter gehender Integration Gefahr, ihre rechtliche Qualität einzubüßen. Dieser Hintergrund zeigt sich vor allem in Isensees polemischer Gegen424
So Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 129. Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat, S. 137 ff. (147). 426 Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat, S. 137 ff. (157). 427 Hermann Lübbe, zitiert nach Depenheuer, Integration durch Verfassung, S. 855. 428 Isensee, Die Verfassung als Vaterland, S. 11 ff. (14). 429 So in den Worten des Isensee-Schülers Depenheuer, Integration durch Verfassung, S. 857. 425
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überstellung von „Rechtsverfassung“ einerseits und „Integrationsverfassung“ andererseits430. Die wesentlichen Merkmale der Integrationsverfassung sind nach Isensee deren inhaltliche Anreicherung mit gesellschaftlichen Forderungen unter Verlust der rechtlichen Form431. Mit Blick auf das Grundgesetz und seine jüngsten Änderungen beschreibt er eine Entwicklung von der Verfassung als beschränkter Rahmenordnung des Staates zur Totalverfassung für Staat und Gesellschaft432. Fraglich ist daher, was nach Isensee die Rechtlichkeit der Verfassung ausmacht. c) Verfassungsrecht als „politisches Recht“: Das Normativitätskonzept Anhaltspunkte für die Rechtlichkeitsvorstellungen Isensees in Bezug auf die Verfassung ergeben sich, wenn man Rückschlüsse aus der Integrationsbedeutung der Verfassung zieht und versucht, Integration als Verfassungsfunktion in ein Verhältnis zu den anderen Verfassungsfunktionen zu bringen. Eine dichtere Integration im Sinne von Sozialintegration wird von Isensee als indirekte Folge der Wirksamkeit der rechtlichen Merkmale der Verfassung beschrieben; sie ist – wie bereits angeführt – ein Mitnahmeeffekt433. Damit sagt Isensee auch etwas über von der Verfassung zu verfolgende Ziele aus: in der Terminologie Korioths handelt es sich bei Integration nicht um eine primäre, sondern eine sekundäre, dienende Aufgabe der Verfassung, die ihre primären Ordnungs- und Regelungsaufgaben unterstützt434. Fraglich ist, ob daher die durch die Rechtsverfassung erreichte Integration eine rechtliche Leistung der Verfassung ist. Davon ist im Rahmen der dargestellten Diskussion nicht auszugehen. Mit den Worten Dieter Grimms handelt es sich bei Integration durch Verfassung um „die nicht-juristischen Wirkungen eines juristischen Gegenstandes“435. Dieser juristische Gegenstand, die „Rechtsverfassung“, wird von Isensee durch folgende Eigenschaften zusammenfassend charakterisiert: Normativität, Positivität, Urkundlichkeit, Vorrang, Stabilität, die Einzigkeit der Verfassungsurkunde sowie die fehlende Sanktionsmöglichkeit436. An der Aufzählung zeigt 430
So z. B. in: Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 36. So z. B. ausgeführt zum Staatsziel Umweltschutz, Isensee, Die Verfassung als Vaterland, S. 11 ff. (25 f.). 432 Isensee, Vom Stil der Verfassung; vgl. auch Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. (30 f.). 433 Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 36. 434 Korioth Europäische und nationale Identität, S. 117 ff. (129). 435 Grimm, Integration durch Verfassung, S. 448 ff. 436 Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 51 ff. 431
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sich, dass Normativität bei Isensee nicht der umfassende Begriff für die Rechtsqualität der Verfassung ist, sondern den Anspruch des Rechts auf Verbindlichkeit meint. Normativität wird damit in gängiger Lesart als Geltungsanspruch des Rechts im Sinne der juristischen Geltung verstanden.437 Davon zu trennen ist die reale Wirksamkeit der Verfassung438. Die von Isensee genannten Eigenschaften des Verfassungsrechts und die Formel vom Verfassungsrecht als politischem Recht439 zeigen einerseits die Rechtlichkeit der Verfassung als eine spezifische, andererseits wird die Rechtsqualität der Verfassung aber anhand des einfachen Gesetzesrechts beschrieben. So wird zur Betonung des Rechtscharakters der Verfassung ihre Gesetzesform und deren juridischer Charakter betont440. Dieser Aspekt bildet auch den Ausgangspunkt der Kritik Isensees an appellativen oder ähnlich inhaltlich aufgeladenen Verfassungsnormen, die zwar identitätsfördernd und damit integrierend sein können, aber die Rechtlichkeit der Verfassung und damit ihre primären Funktionen störten441. Abgesehen davon, dass Isensee an der Realisierbarkeit bestimmter inhaltlicher Vorgaben zweifelt, geht ein Teil der Kritik zurück auf Ernst Fortshoffs Befürchtung, dass sich durch die Umbildung des Verfassungsgesetzes durch Aufnahme inhaltlicher Vorgaben für die staatliche Tätigkeit ein Justizstaat entfalte, in dem die Gerichte durch die weitgehende Konkretisierungsbedürftigkeit dieser Vorgaben mit ihrer Rechtsprechung an die Stelle des demokratisch legitimierten Gesetzgebers treten. Um dies zu verhindern, müssten auch Verfassungsnormen eine bestimmte juridische Form haben, die sich an der Konditionalstruktur einfacher Rechtsnormen orientiert. Die Rechtsklarheit und Bestimmtheit der Verfassungsnormen soll die „Gewissheit der gesetzmäßigen Freiheit“ gewährleisten.442 Allerdings hat Verfassungsrecht andere Aufgaben als das einfache Gesetzesrecht. Aufgrund des spezifischen Gegenstandes des Verfassungsrechts geht es nach Isensee – neben klaren inhaltlichen Vorgaben für die staatliche Tätigkeit – um „planmäßiges Offenhalten von Räumen durch Verfassungsrecht“ für politische Entscheidung443. Dieser besondere Regelungsbereich des Verfassungsrechts und seine notwendigen Abweichungen vom konditionalen Regelungs437
Dazu den Überblick bei Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 280 ff. Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 51. 439 Dazu Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, § 162, sowie Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. 440 Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, § 162 Rz. 33; Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. (27 f.). 441 Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 32 ff. Auf diesen Aspekt gehe ich im letzten Teil der Arbeit ein. 442 Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 130 ff.; ders., Einiges über Geltung und Wirkung der Verfassung; Zitat dort auf S. 15. 443 Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, § 162 Rz. 43 ff. (51). 438
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typus anderer Rechtsnormen werden in der Formel des „politischen Rechts“ zusammengefasst. Im Weiteren ist die Formel des „politischen Rechts“ jedoch ein Ausdruck „normativer Defizite“, denn Isensee erfasst darin die Sanktionsschwäche des Verfassungsrechts, die zu einer eingeschränkten Normativität vergleichbar dem Völkerrecht führe; einen Normativitätsgewinn bedeute hingegen die Institution des Bundesverfassungsgerichts444. Diese Betonung des Bundesverfassungsgerichts als Normativitätsstütze der Verfassung macht deutlich, warum Isensee auf der Justiziabilität der Verfassungsnormen besteht; denn sonst könne die normative Schwäche der Verfassung nur durch einen „vitalen“ und „existentiellen Willen zur Verfassung“ ausgeglichen werden445. Isensee entfaltet die rechtlichen Qualitäten der Verfassung in der Gegenüberstellung von Recht und Wirklichkeit, indem er das Verhältnis zwischen Verfassung und Politik mit dem Dualismus von Sein und Sollen vergleicht446. Isensees Verortung seiner verfassungstheoretischen Ausführungen in diesem Spannungsfeld zeigt sich auch in seinen Aussagen zu Geltung und Wirksamkeit des Rechts: „Die Geltung ist eine Frage des rechtlichen Sollens, die Wirksamkeit eine Frage des empirischen Seins“447. d) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen des Normativitätskonzepts Isensees Diskussionswürdig ist im Rahmen einer Suche nach der angemessenen Bestimmung des Rechtscharakters der Verfassung vor allem die Bestimmung der Normativität der Verfassung als defizitär im Vergleich zu anderem Recht. Die Anwendung der Verfassung ist nur im Hinblick auf das Bundesverfassungsgericht ein Faktor der Normativität der Verfassung448. Die Verfassungsverwirklichung durch andere Beteiligte des Verfassungslebens kommt hingegen nicht ins Blickfeld. Durch die Konzeption dieser Wirkungsbedingungen als Verfassungsvoraussetzung bzw. -erwartung erfolgt ihre Auslagerung aus dem Bereich des (Verfassungs-)Rechts. Normativität ist nicht die Verwirklichung des Rechts, sondern der darauf gerichtete Anspruch. Fragen der Verwirklichung werden aus einer eingeschränkten Perspektive der gerichtlichen Anwendbarkeit (Justiziabilität) und der Methode hierfür erörtert. Damit wird ein Schwerpunkt auf die konflikthafte Rechtsverwirklichung gelegt und weitere Dimensionen der Ver444
Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. (28, 33 f.). Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, § 162 Rz. 56; Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. (35). Isensee beruft sich dabei auf Hesses Ausführungen zur normativen Kraft der Verfassung. 446 Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. (26). 447 Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 34. 448 Deutlich Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 51 f., wo er Normativität und die Anwendung des Verfassungsrechts durch das BVerfG begrifflich verbindet. 445
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wirklichung des Rechts werden ignoriert449; insbesondere die Rolle der Verfassungslehre und -wissenschaft als Teil der Verfassungsverwirklichung kommt nicht in den Blick. Dadurch wird das Verfassungsrecht als imperatives Recht konturiert, was aus rechtsrealistischer Perspektive die Rechtswirklichkeit des Verfassungsrechts nur unzureichend berücksichtigt.450 Die Rede von der Verfassung als politischem Recht, die eine Mischung gegenständlicher und methodischer Vorstellungen beinhaltet, ist mit ihrer Stellung zwischen Deskription und Bindung der Verfassungsnormativität an mutmaßliche Sachgegebenheiten kritisch zu sehen, denn sie enthält die Gefahr, dass Verfassungsrecht nicht mehr als das Recht für das Politische verstanden wird, sondern dass sich hinter der Formel von Verfassungsrecht als politischem Recht die Entledigung von den Fesseln des Rechts durch die politische Gewalt verbirgt451. Die Formel von „Verfassungsrecht als politischem Recht“ verweist auf das grundsätzliche Problem der Regelbarkeit von Politik durch Recht, das sich auch in der häufigen Entgegensetzung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit sowie in der Rede von der „normativen Kraft des Faktischen“452 wieder findet und das wesentliche Aspekte des rechtlichen Status der Verfassung enthält. Abschließend kann festgestellt werden: Normativität kann in Isensees verfassungstheoretischem Konzept, das auf der Trennung von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit aufbaut, nicht als umfassender Begriff für die Verwirklichung der Verfassung gedacht werden. Darüber hinaus ist nach diesem Konzept eine Änderung der Verfassung durch Aufnahme sozialer Grundrechte, Staatsziele oder Normen appellativen Charakters nur um den Preis ihres Rechtscharakters zu haben. 3. Peter Häberle: Integration durch die Verfassung als konkreten Kulturprozess Einen repräsentativen Gegenpol zu den Aussagen Isensees453 bildet das verfassungstheoretische Konzept Peter Häberles, das aus Sicht Isensees den Typus der „Integrationsverfassung“ konzeptionalisiert454. 449 Zur Regelungsfunktion des Rechts außerhalb der Konfliktbeilegung Ryffel, Rechtssoziologie, S. 60. 450 Zur Imperativentheorie des Rechts und ihrer einseitigen Fixierung auf die Verwirklichung des Rechts durch Sanktion s. Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm, S. 314 ff.; Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, u. a. S. 70, 149: Die Wirkung der Norm entsteht durch Realisierung des Normkerns oder durch Sanktion bei abweichendem Verhalten. 451 s. dazu die prägnanten Ausführungen Kägis, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, S. 127 ff. 452 Dazu Grimmer, Die Rechtsfiguren einer Normativität des Faktischen. 453 Jedenfalls in der Wahrnehmung der Fachöffentlichkeit. Inwieweit die Normativitätsaussagen gegenpolig sind, wird noch gezeigt (am Ende der Bestandsaufnahme).
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Für die Darstellung werden die grundlegenden verfassungstheoretischen Aussagen Häberles zusammengefasst455, die vor allem in dem Band „Verfassung als öffentlicher Prozeß“456 zusammen getragen sind, und in deren kulturwissenschaftlich angereicherten und insbesondere verfassungsvergleichenden Weiterführung in „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“457 sowie in der Arbeit „Europäische Verfassungslehre“458. Häberle entwirft in diesen Arbeiten insgesamt ein „gemischtes Verfassungsverständnis“, das ausgehend von der Funktionenvielfalt der Verfassung verschiedene Verfassungsfunktionen beinhaltet und sich mit dieser „Mischung“ zwischen den bekannten Polen einer rechtsstaatlichen und programmatischen Verfassungslehre bewegt, die von Häberle als Ermächtigungs- und Grenzziehungsmodell bezeichnet werden459. Im Folgenden sollen auch Häberles Arbeiten auf ihre integrationstheoretische Vorstellung und die daraus folgenden Konsequenzen für eine Integration durch Verfassung befragt werden. a) Integration durch Verfassung (als Kultur): Das Integrationskonzept Eher als bei Isensee kann man in den Schriften Häberles gesellschaftliche Integration als Fluchtpunkt des verfassungstheoretischen Ansatzes annehmen. Zwar fehlt eine ausdrückliche Diskussion unter dem Begriff der Integration, jedoch kann Häberles kontinuierliche Erarbeitung einer „Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft“460 in Richtung der Herstellung gesellschaftlicher Einheit gelesen werden, denn es geht ihm vor allem um die Entfaltung eines Pluralis454 Auch für Häberle gilt das für Isensee Ausgeführte: Seine Aussagen werden exemplarisch aufgefasst. Für ein in Bezug auf die Verfassungsfunktionen „gemischtes“ Verfassungsverständnis lassen sich auch andere Autoren heranziehen (Hesse, Badura, Ehmke). Einzig an Häberle ist jedoch eine in dieser Breite vorgehende kulturwissenschaftliche und verfassungsvergleichende Verfassungstheorie. „Gemischtes Verfassungsverständnis“ bedeutet in diesem Zusammenhang gemischt bzgl. der rationalen und irrationalen Dimensionen der Verfassung. Arbeiten mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen im Verfassungsrecht findet sich bei Haltern (Recht als kulturelle Existenz, S. 15 ff.), und Möllers (Verfassungsgebende Gewalt, S. 1 ff.; ders., Philosophie – Recht – Kultur, S. 109 ff.). Es bestehen allerdings Unterschiede zu Häberles kulturwissenschaftlichem Ansatz. Der kulturwissenschaftliche Ansatz als solcher wird erst im dritten Teil der Arbeit thematisiert. s. dort die Ausführungen zur kulturwissenschaftlichen Betrachtung und Deutung des Rechts. 455 Vgl. zu dieser – erwünschten – Zusammenschau der verschiedenen Ausprägungen seines Verfassungsverständnisses Häberle, Vorwort zur 2. Auflage von „Verfassung als öffentlicher Prozeß“, S. 1 ff. 456 Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 2., erweiterte Auflage (1996). 457 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2., stark erweiterte Auflage (1998). 458 Häberle, Europäische Verfassungslehre, 1. Auflage (2001/02). 459 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 369 ff.; zu dieser Unterscheidung auch Batt, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit. 460 So heißt es im Untertitel zu „Verfassung als öffentlicher Prozeß“.
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muskonzepts461. Im Hintergrund dieses Konzepts steht eine Rezeption der diskurstheoretischen Anschauungen Habermas’ für Zwecke der Verfassungstheorie sowie des – auch namengebenden – Konzepts Karl Poppers der offenen Gesellschaft (und ihrer Feinde).462 Die integrationstheoretische Dimension zeigt sich besonders im Ziel dieser Überlegungen, der „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“, bei der es um die Inklusion aller am Verfassungsprozess Beteiligten auf den verschiedenen Ebenen der Verfassungsstaatlichkeit geht463. Verfassungstheorie soll diesem Ziel der „offenen Gesellschaft“ dienen, deren nähere Ausgestaltung bei Häberle bewusst offen bleibt. Wesentlich ist zunächst die Berücksichtigung aller; in den Worten Häberles: „Verfassungstheorie muß ja alle Menschen und Gruppen, alle Ideen und Interessen, Hoffnungen und Wünsche eines bestimmten Gemeinwesens in einer bestimmten Zeitepoche umgreifen, und sei es als Rahmen für erkannten Dissens (. . .).“464 In Bezug auf gesellschaftliche Homogenität als Grundlage eines integrierten Gemeinwesens ist Häberle jedoch skeptisch und warnt vor diesem Hintergrund davor, die Integrationsleistung der Verfassung zu überschätzen.465 Häberle entfaltet sein Pluralismus- und Integrationskonzept im Rahmen einer Verfassungstheorie und legt dadurch eine grundsätzliche integrative Bedeutung der Verfassung nahe. Verfassung ist bei Häberle „Grundordnung von Staat und Gesellschaft“466. Sie integriere, indem sie selbst „öffentlicher Prozess“ sei467. Häberles Zusammenfassung seiner Schriften unter dem Titel „Die Verfassung als öffentlicher Prozeß“ umgreift nicht nur verschiedene Verfassungsfunktionen,
461 Ein zentraler Text Häberles heißt entsprechend: „Verfassungsinterpretation als öffentlicher Prozeß – Ein Pluralismuskonzept“, abgedr. in: Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 121 ff. Die Entfaltung des Pluralismuskonzepts zieht sich wie ein roter Faden durch alle Arbeiten Häberles, insb. die im genannten Band zusammengefassten. Vgl. dort auch „Demokratische Verfassungstheorie im Lichte des Möglichkeitsdenkens“, S. 17 ff. Vgl. ebenfalls in „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“, S. 342 ff. (Die verfassungstextliche Vielfalt und das „gemischte“ Verfassungsverständnis [insb. S. 400 ff. (405)]). 462 Zur Bedeutung von Habermas für seine Arbeit s. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 186 f. Zum Zusammenhang integrationstheoretischer Anschauungen mit Habermas’ Ansatz s. auch Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 52 ff. 463 Vgl. Häberle, „Verfassungsinterpretation als öffentlicher Prozeß, S. 121 ff. und aktuell Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 260 ff. Dort setzt sich Häberle mit der stets gegen sein Konzept und den weiten Begriff der „Interpretation“ erhobenen Kritik auseinander und rechtfertigt sein Konzept v. a. mit demokratietheoretischen Überlegungen (S. 266). 464 Häberle, Verfassungstheorie ohne Naturrecht, S. 93 ff. Zitat auf S. 110. 465 Häberle, Verfassungsinterpretation als öffentlicher Prozeß, S. 121 ff. (143). 466 Häberle, Verfassungsinterpretation als öffentlicher Prozeß, S. 121 ff. (122). Hervorhebung im Original. 467 Die Bezeichnung von Verfassung selbst als öffentlicher Prozess erstmals bei Häberle, Öffentlichkeit und Verfassung, S. 225 ff. (226).
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sondern ist auch als Programm zu verstehen, das in unterschiedlicher Weise verwirklicht werden kann468. Auch die Wissenschaft vom Verfassungsrecht ist Teil dieses öffentlichen Prozesses der Verfassungsverwirklichung469. Mit der „Öffentlichkeit“ und „Offenheit“ dieses Prozesses ist Pluralismus, auch als disziplinärer Pluralismus, verbunden.470 b) Die Verfassung als öffentlicher Prozess: Das Verfassungskonzept Ein wesentlicher Unterschied zu den bislang dargestellten verfassungstheoretischen Ansätzen liegt darin, dass Häberle kein präkonstitutionelles Staatskonzept verfolgt, auch wenn sich Verfassung herkömmlicherweise auf den Staat als Zusammenfassung von Machtentfaltung bezieht471. Häberle löst diesen Bezug funktional auf, indem er der Verfassung zwar ebenfalls die Aufgaben der Konstituierung, Legitimierung und Beschränkung von Macht zuweist, diese aber auf das politische Gemeinwesen bezieht472. Damit historisiert Häberle den Staatsbezug der Verfassung und macht die Verfassung auf „Gemeinwesen“ wie Europa übertragbar. Der Ausgangspunkt für das Verfassungskonzept ist, dass die Verfassung selbst – wie soeben festgestellt – bei Häberle „öffentlicher Prozess“ ist und dadurch vielschichtig und multifunktional473. Der Verfassungsbegriff Häberles ist – um die Multifunktionalität zu erfassen – im Weiteren durch eine kulturtheoretische Anreicherung gekennzeichnet, wobei Häberle einen zwar gegenständlichen, aber weiten Kulturbegriff vertritt, der als Entgegensetzung zur Natur die Vielfalt menschlicher Hervorbringungen – also auch die Verfassung – umfasst474. Keinesfalls geht es bei dieser kulturwissenschaftlichen Perspektive um Verfassung und Kultur, sondern um Verfassung als Kultur.475 In diesem Sinne beschreibt Häberle Verfassung abstrakt als „konkreten Kulturzustand und -prozeß, der weit über das juristische Regelwerk hinausgreift und auch dem Irrationalen (. . .) Platz einräumt“476. Konkreteres findet sich in folgender Formel, die seine Werke durchzieht: „Verfassung ist nicht 468 Häberle, Einleitung zur 1. Auflage von „Verfassung als öffentlicher Prozeß“, abgedr. in der 2. Auflage der Arbeit, S. 5 ff. sowie Vorwort zur 2. Auflage von „Verfassung als öffentlicher Prozeß“, ebd. S. 1 ff. 469 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 525. 470 s. v. a. Häberle, Verfassungstheorie ohne Naturrecht, S. 93 ff. 471 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 186. 472 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 186. 473 Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 225 ff. (226). 474 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 201 ff.; Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 10 ff. 475 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 203. 476 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 911.
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nur juristischer Text oder normatives ,Regelwerk‘, sondern auch Ausdruck eines kulturellen Entwicklungszustandes, Mittel der kulturellen Selbstdarstellung des Volkes, Spiegel seines kulturellen Erbes und Fundament seiner Hoffnungen. Lebende Verfassungen als ein Werk aller Verfassungsinterpreten der offenen Gesellschaft sind der Form und der Sache nach weit mehr Ausdruck und Vermittlung von Kultur, Rahmen für kulturelle (Re-)Produktion und Rezeption und Speicher von überkommenen kulturellen ,Informationen‘, Erfahrungen, Erlebnissen, ja auch Weisheiten477.“ Die Verfassung besteht demnach aus juristischem Regelwerk und darüber Hinausgehendem. Dass sie aus diesen Elementen besteht und in dieser Weise „gelesen“ werden kann, führt jedoch nicht dazu, dass Verfassung in Verfolgung einer umfassenden Integration erfolgreich regelnd auf Kultur zugreifen kann478, obwohl das Kulturverfassungsrecht im Rahmen eines solchen Verfassungs- und Integrationsverständnisses eine besondere Bedeutung hat, da es um Voraussetzungen und Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Einheit geht und Kultur eine „Gelingensvoraussetzung“ darstellen kann.479 Je nach dem Stand der Verfassungsentwicklung stehen nach Häberle, historisch gesehen, verschiedene Gesichtspunkte der Verfassung im Vordergrund, die sich – in Anlehnung an Smends Lehre – jedoch alle im Spannungsfeld zwischen Anregung und Schranke befinden.480 Das vielschichtige Wirken der Verfassung wird in der Rede von der Verfassung als öffentlicher Prozess und der „lebenden“ Verfassung als Werk aller Verfassungsinterpreten erfasst.481 Fraglich ist, welches Verständnis von Rechtlichkeit der Verfassung aus dieser vielschichtigen Wirkungsweise eines „gemischten Verfassungsverständnisses“ folgt. c) Die Normativität der Verfassung als öffentlicher Prozess Häberle entfaltet keinen ausdrücklichen Normativitätsbegriff. Vorangestellt sei daher nochmals die bereits zitierte zentrale Aussage Häberles zu Verfassung, um der Frage der Normativität nachzugehen: „Verfassung ist nicht nur juristischer Text oder normatives ,Regelwerk‘, sondern auch Ausdruck eines kulturellen Entwicklungszustandes (. . .). Lebende Verfassungen als ein Werk aller Ver477 So bereits Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 19; wieder in Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 203. 478 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 1065. 479 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 16 f.; Grimm, Kulturauftrag des Staates, S. 104 ff. (123). 480 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 7, 186. 481 Häberle, Europäische Verfassungslehre, u. a. S. 10, 187, 204.
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fassungsinterpreten der offenen Gesellschaft sind der Form und der Sache nach weit mehr Ausdruck und Vermittlung von Kultur (. . .).“482 Hier finden sich zusammengedrängt die wesentlichen Elemente von Häberles Verständnis der Verfassung als Recht und ihren Wirkungen, nämlich ihre Vielschichtigkeit und ihre damit zusammenhängende prozesshafte Entfaltung durch verschiedene Beteiligte auf verschiedene Weise. Unter Rückgriff auf Smend483 und Scheuner entwirft Häberle die Verfassung als Anregung und Schranke bzw. Norm und Aufgabe staatlichen und gesellschaftlichen Lebens.484 In dieser Doppelfunktion besitzen Verfassungen sowohl dynamische als auch stabile Elemente.485 Dem entspricht, dass Häberle verschiedene normative Bindungsgrade der Verfassungsnormen benennt486. Die Verfassung als öffentlicher Prozess enthält Ansätze eines prozesshaften Normund damit verbundenen Wirkungsbegriffs, welche auch in Aussagen zur Interpretation der Verfassung auftauchen: „Norm ist nicht das simple Vorgegebene“487. Dem entspricht, dass der Wortlaut nicht die Grenze, sondern das Forum für die Auslegung der Normen ist. Da Verfassungsnormen unterschiedliche Funktionen haben und damit auch unterschiedlich „kontextsensibel“ sind, ist der Umgang mit ihnen verschieden; Präambeln bedürfen beispielsweise wegen ihres generalklauselartigen Charakters der „phantasievollen Kontextanalyse“488. Für ein prozedurales Normverständnis spricht ebenfalls die Nähe zwischen Verfassunggebung und Verfassungsinterpretation bei Häberle, die Ausdruck des ständigen (Neu-)Erschaffens von Verfassung sei489. Allerdings sind direkte Aussagen zur normativen Wirkung von Verfassungen bei Häberle sehr metaphorisch und selbst nur im Kontext zu erschließen. Das Prozedurale des Wirkens von Verfassung liegt vor allem in dem Verb „leben“: „Lebende Verfassungen als ein Werk aller Verfassungsinterpreten der offenen Gesellschaft sind der Form und der Sache nach weit mehr Ausdruck und Vermittlung von Kultur (. . .).“490 Im Begriff des „Lebens“ findet auch die Verknüpfung zwischen Verfassung als Rechtstext und Verfassung als Kultur statt: „Das einzelne Verfassungsprinzip lebt aus den Tiefenschichten des kulturellen Kon482 So bereits Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 19; wieder in Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 203. 483 s. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 190, 195. 484 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 186. 485 Häberle, Zeit und Verfassungsstaat, S. 8. 486 Häberle, z. B. Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 381. 487 Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, S. 155 ff. (165 ff.). 488 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 14, 21. 489 Häberle, Verfassungsinterpretation und Verfassungsgebung, S. 182 ff. (209 ff.). 490 So bereits Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 19; wieder in Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 203.
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textes (. . .).“491 Über das Verhältnis von rechtlichem/normativen zu kulturellen Anteilen der Verfassung gibt folgende Aussage Auskunft: „Die rechtliche Wirklichkeit des Verfassungsstaates ist nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit einer ,lebenden Verfassung‘, die – weit und tiefgreifend – kultureller Art ist. Verfassungstexte müssen buchstäblich zur Verfassung kultiviert werden.“492 Auch hier scheint das Prozesshafte des Wirkens der Verfassung auf. Ob dieses Prozesshafte allerdings auf einen Normativitätsbegriff als solchen bei Häberle gemünzt werden kann ist zweifelhaft, denn Häberle entfaltet die kulturwissenschaftliche Lesart v. a. in der Gegenüberstellung von Rechts- bzw. Normtext und Kon-Text des Rechts, um auf den kulturellen Kontext von Rechtnormen hinzuweisen493. Methodisch „funktioniert“ dieses kulturwissenschaftliche Lesen von Verfassungsnormen v. a. als „Verständnis durch Hinzudenken“ der relevanten kulturellen Kontexte494. Sie verleihen den Verfassungsnormen eine „tiefere Geltungsweise“ und „höheren Verbindlichkeitsanspruch“.495 Für die Verfassung ist dabei der Kontext „Politik“ besonders bedeutsam496, worin man eine Reformulierung der These vom Verfassungsrecht als politischem Recht sehen kann. Letztlich scheinen sich Text und Kontext jedoch nicht zu einer Sache zu verbinden, was die Bilder zeigen, die Häberle nutzt und die den kulturellen Kontext als „Tiefenschicht“ beschreiben, der das Recht „grundiert“ und den man nur mobilisieren kann, wenn man „weiter“ und „tiefer“ sieht497. Diese Mobilisierung besteht darin, die Schere zwischen Recht und Kultur zu überwinden, denn die Beschreibung von Recht als Teil der Kultur bei Häberle führt nicht dazu, dass das Recht in den kulturellen Kontexten aufgeht. Aber: „die normative Kraft der Verfassung wirkt über Kultur“.498 Um die Eigenständigkeit des Normativen zu wahren, betont Häberle die „spezifische Normativität“ der Verfassung einmal im Hinblick auf ihre Dynamik, die sie als Verfassung des Pluralismus haben muss und die er von der „Geltung“ religiöser verfassender Texte unterscheidet. Zum anderen betont er eine eigenständige juristische kulturwissenschaftliche Erschließung der Kontexte des Verfassungsrechts, die von unverzichtbaren spezifischen juristischen Vorverständnissen und Methoden bestimmt ist. Der normative Anspruchscharakter der Verfassung, ihre Grenzziehungsfunktion, ihre „dirigierende Kraft“ (. . .) 491
Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 204; s. auch S. 9. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 19, 20. 493 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 591; Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 13, 14. 494 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 10. 495 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 70. 496 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 19. 497 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 204; Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 19, 59. 498 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 206. 492
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kann nur durch eine das Normative ernst nehmende Kulturwissenschaft erfasst werden499. d) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen des Normativitätskonzepts Häberles Für ein realistisches Rechts- und Verfassungsverständnis ist Häberles Konzept der „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ anschlussfähig, da es eine Verwirklichung der Verfassung durch unterschiedliche Akteure beschreibt. Durch das Abstellen auf unterschiedliche Beteiligte des Verfassungslebens kommen gleichzeitig unterschiedliche Formen der Verwirklichung der Verfassung in den Blick. Häberle thematisiert durch sein Konzept der „Verfassung als öffentlicher Prozess“ die Kommunikation über die Verfassung als Teil der Verfassung und berücksichtigt dabei verschiedene Akteure und die jeweils unterschiedliche Bedeutung ihres Umgangs mit Verfassung für die Verfassungsverwirklichung500. Die Grenzen der Verwertung von Häberles Überlegungen für die vorliegende Arbeit liegen darin, dass, obwohl er Anwendung und Verwirklichung der Verfassung sowie die Verfassung als Kommunikationsprozess und dessen Akteure thematisiert, er die Bedeutung dieser Aussagen nicht für einen expliziten Normativitätsbegriff entfaltet; dieser scheint statt dessen zwischen einer Art statischer Geltung und dynamischer Wirkung zu changieren. Verfassungswirkungen werden von Häberle ebenso wie von Isensee in der Struktur von Recht und Wirklichkeit erörtert. Zwar betont Häberle die Verarbeitung von Wirklichkeitsdaten durch die Verfassungstheorie. Diese Berücksichtigung dürfe jedoch nicht zu einer schädlichen „Dynamisierung“ der Verfassung führen501. Diese Grenze des kulturwissenschaftlich angereicherten Umgangs mit Verfassung hat Häberle trotz der Ausarbeitung und Entfaltung von Recht als Kultur und der Idee von Verfassungsrecht als „law in public action“502 in der zweiten Auflage von „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“ (1998) ebenso formuliert wie in der ersten Auflage von 1982503. Das zeigt, dass es sich zwar um eine konzeptionelle Grenze von Häberles Ansatz kulturwissenschaftlicher Verfassungsdeutung handelt, deren genauer Verlauf aber letztlich unklar ist, denn was heißt es, dass der „juristische Text (. . .) nicht in der Weite der Kultur verloren gehen (darf)?“504 Festhalten kann man, dass Häberle offenbar eine 499
Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 205, 206. Häberle, „Rezensierte Verfassungsrechtswissenschaft“ u. dort „Skizzen zu einer normativen Rezensionstheorie“. 501 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (2. Aufl.), S. 1063 ff. 502 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 527. 503 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 59 f.; S. 76. 504 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 76. 500
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juristisch angeleitete kulturwissenschaftliche Erfassung von Verfassungsnormen vorschwebt, die das Normative „ernst nimmt“. Häberles kulturwissenschaftliche Perspektive auf Recht und die damit verbundene Wahrnehmung von Recht als Kultur führen nicht zu einer veränderten Beschreibung von Rechtlichkeit im Sinne von Normativität, sondern zu einer Ergänzung der rechtlichen Seite von Verfassung um eine zusätzliche kulturelle Dimension der Verfassung. Diese zusätzliche Seite der Verfassung ist nicht normativ, unterstützt aber die normative Kraft der Verfassung. Der Unterscheidung von rechtlich und nicht-rechtlich korrespondiert die Unterscheidung von rational und irrational bei Häberle. Auch damit unterstützt er ein konventionelles Verständnis von Rechtlichkeit im Sinne rationaler Regelungen und spezifisch rechtlicher Wirkungsweisen, die vor allem in „sanktionsartiger“ Verpflichtung bestehen505. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zum Ansatz Isensees im Hinblick darauf, wie Verfassung auf ihre kulturellen Tiefenschichten, aus denen sie ihre „Geltungskraft“ und ihr „Leben“ bezieht, zugreifen kann: Häberle betont, dass die Verfassung in Bestandteilen wie Präambeln und Formulierungen von Werten ein Stück legitimer Verfassungspädagogik enthalte und damit – entgegen dem Diktum Böckenfördes – zur Sicherung ihrer Wirkensvoraussetzungen beitrage.506 Insgesamt erinnert Häberles kulturwissenschaftliche Konzeption der Verfassung als „nicht nur Recht, sondern auch Kultur“507 deutlich an Smends geisteswissenschaftlichen Ansatz und dessen Konsequenz, dass die Verfassung „nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit“508 sei. Im Hinblick auf ein realistisches Verständnis von Normativität der Verfassung stellt sich daher die Frage, ob dieses bloße „Hinzudenken“ von weitergehenden Verfassungsdimensionen durch die soziale und kulturelle Kontextualisierung der Verfassung zu kurz greift und man Häberle zwar als Meister des „Sowohl-als auch“509, aber nicht als Vertreter eines konsequent neuen Rechtlichkeitsverständnisses der Verfassung betrachten kann, in dem die soziale und kulturelle Kontextualisierung Auswirkungen auf den Begriff der Rechtlichkeit selbst haben muss.510
505 506 507 508 509 510
Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (1982), S. 70. Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 18. So etwa in Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 203. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 192. So Pieroth, Kultur als juristisches Spiel ohne Grenzen, S. 394 ff. (403). Der Frage wird im dritten Teil der Arbeit weiter nachgegangen.
III. Verfassung und Integration in der Bundesrepublik
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4. Integration durch Verfassung als Institution (Hans Vorländer, Jürgen Gebhardt) Eine kulturwissenschaftlich informierte Perspektive, die der Komplexität des Gegenstandes Verfassung gerecht werden soll, nehmen auch neuere Arbeiten, vor allem aus dem politikwissenschaftlichen Kontext ein. Sie betrachten „Verfassung als institutionelle Ordnung des Politischen“511 und münden in eine kulturwissenschaftlich-institutionalistische Verfassungstheorie512. Eingebettet in einen interdisziplinären Forschungszusammenhang zu institutionellen Ordnungen werden institutionentheoretische Ansätze auf die Verfassung als ein konkretes Beispiel für Mechanismen der Verstetigung von Erwartungs- und Handlungsmustern und die Stabilisierung sozialer Ordnungsvorstellungen in der Gesellschaft übertragen. Es handelt sich bei den institutionentheoretisch informierten Arbeiten vor allem um Reaktionen auf Schwierigkeiten, die sich bezüglich des Verhältnisses zwischen Verfassung und Integration aus soziologischer und politikwissenschaftlicher Sicht stellen und die die Problematik gesellschaftlicher Einheitsbildung stärker fokussieren.513 Gleichzeitig werden die oft getrennt verhandelten juristischen und politikwissenschaftlichen Aspekte des Gegenstandes Verfassung in ihrer Wahrnehmung als politische Institution nunmehr miteinander verklammert.514 Natürlich wird der zunächst unscharfe Begriff der „Institution“ durchaus unterschiedlich gebildet, insbesondere innerhalb verschiedener Wissenschaftszweige, und erlaubt innerhalb verschiedener Merkmale unterschiedliche Akzentsetzungen.515 Im Einzelnen kann die Geschichte und Breite des Begriffs Institution daher hier nicht diskutiert werden.516 Dennoch geht es bei Institutionen stets um Struktur und Stabilität vor dem Hintergrund der Frage: Wie ist soziale Ordnung möglich?517 511 So firmiert das von Hans Vorländer geleitete, 1997 eingerichtete Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ an der Technischen Universität Dresden. In 2007 wurde dort ein Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung (ZVD) eingerichtet, das auf den Ergebnissen des Teilprojekts aufbaut. Ebenfalls von Bedeutung sind die Arbeiten von Jürgen Gebhardt, die sich an den Institutionenbegriff des genannten Sonderforschungsbereichs anschließen. 512 Vgl. den Titel einer aktuelleren, den Forschungsstand zusammenfassenden Veröffentlichung von Vorländer aus dem Jahr 2006: Die Verfassung als symbolische Ordnung. Perspektiven einer kulturwissenschaftlich-institutionalistischen Verfassungstheorie, S. 229. 513 s. Einleitung bei Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 11 ff. 514 Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 229. 515 Einen Überblick über verschiedene Institutionenbegriffe bietet Schmalz-Bruns, Ansätze und Perspektiven der Institutionentheorie. 516 s. für eine Kritik und Neubildung des Institutionenbegriffs die Arbeit von Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung. 517 s. zum Aspekt Stabilität die frühe Arbeit von Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, insbesondere Verfassungen, S. 275 f.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
Damit einher gehen zum einen der transpersonale Charakter der Institution sowie zum anderen eine Fokussierung auch ideeller Objektivationen wie z. B. soziale Ordnungsvorstellungen.518 Trotz der Dauerhaftigkeit und Stabilität, die mit Institutionen verbunden sind, befinden sie sich nicht im Stillstand, sondern haben prozesshaften Charakter, was insbesondere für die Beschreibung der Verfassung relevant ist.519 Ebenfalls von Bedeutung ist, dass es trotz verschiedener Institutionenbegriffe die wesentliche Konstante gibt, dass zwischen einer instrumentellen und einer symbolischen Dimension der Institution unterschieden wird520. a) Umfassende Integration durch Verfassung als Institution: Das Integrationskonzept Der Institutionenbegriff des Sonderforschungsbereichs, der auf Dauer gestellte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit regulierender und orientierender Funktion meint521, setzt einen deutlichen Fokus auf Integration, die – anschließend an eine wesentliche integrationstheoretische Kategorisierung – durch ihren Bezug auf die Orientierungsleistung nicht nur als System-, sondern auch Sozialintegration vorgestellt wird522. Damit werden Überlegungen zu politischen Institutionen, welche Regelsysteme der Herstellung und Durchführung verbindlicher gesamtgesellschaftlicher Entscheidungen umfassen, und zu sozialen Institutionen, die dauerhafte und verfestigte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit orientierender Funktion meinen, zusammengeführt.523 Mit dieser Beschreibung der Verfassung als politischer Institution524 ist begriffsnotwendig eine Betrachtung des Verfassungsrechts in sozialen Kontexten verbunden. Die Institutionenperspektive lenkt den Blick von den einzelnen handelnden Individuen weg und beruht auf einem Konzept von Kommunikation als Herstellung von Sozialität525. Im Gegensatz zu bloßen Organisationen zeichnen sich Institutionen durch eine Bedeutungsebene aus. Innerhalb dieser neueren Vorstellung von institutionellen Mechanismen haben symbolisch vermittelte 518 Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 31; Acham, Struktur, Funktion und Genese von Institutionen aus sozialwissenschaftlicher Sicht, S. 25; Hofmann, Zum juristischen Begriff der Institution, S. 207. 519 Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 229. 520 Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 17. 521 Göhler, Politische Institutionen und ihr Kontext, S. 19 ff. (39). 522 Dazu ebenfalls Göhler, Politische Institutionen und ihr Kontext, S. 22, 39. 523 Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 237. 524 Die Verfassung wird ausdrücklich als politische Institution genannt. Vgl. Göhler, Politische Institutionen und ihr Kontext, S. 24; Gebhardt, Verfassung und Symbolizität, S. 585 ff. (586). 525 Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 20 f. mit Verweis auf Luhmann.
III. Verfassung und Integration in der Bundesrepublik
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Ordnungsleistungen – insbesondere durch Ausformulierung einer institutionellen Leitidee526 – eine hervorgehobene Stellung. Institutionen sind als soziale und politische Ordnungsarrangements zu verstehen, deren Leitideen symbolisch zur Repräsentation gebracht werden.527 Eine Integration durch Verstetigung bestimmter Leitideen und Werte hat eine deutliche inhaltliche Dimension, so dass Integration auch als Wert oder Ziel auftritt. Ausgangspunkt ist jedoch nicht, dass Integration zwangsläufig von Homogenität abhängt, auch wenn diese – nach wie vor – einen wichtigen Integrationsfaktor darstellt. So werden Leitideen zwar als etwas „Gemeinsames“, gleichzeitig jedoch als Synthese von Widersprüchen und konkurrierenden Ordnungsentwürfen vorgestellt.528 Die inhaltliche Dimension der Integrationsdebatte spiegelt sich darin wider, dass bei der Diskussion der Integration durch die Verfassung als Institution die Auseinandersetzung darüber stattfindet, welche Verfassungsinhalte die Integrationsleistung erhöhen, was also die „constitutional essentials“ sind529. Die Verknüpfung von Integration mit den Leistungen von Institutionen bringt auch die Voraussetzungen des Funktionierens von sozialen und politischen Ordnungsarrangements in den Blick. Das betrifft insbesondere die symbolische Dimension von Institutionen als Bedingung der Möglichkeit ihrer Dauerhaftigkeit.530 Die soziale Kontextualisierung der Verfassung führt dazu, die Voraussetzungen der Integration durch Verfassung wie folgt zu bestimmen: Nötig ist die Anerkennung der Verfassung durch die Akteure des Verfassungslebens; es kommt auf die intrinsischen Geltungsmechanismen der Verfassung an, was an Smends Rede von der Beschränkung der Verfassung auf ihr selbst immanente Garantien und Kräfte erinnert. Insgesamt wird die Erforderlichkeit eines spezifischen kulturellen und politischen Kontextes für die normative Kraft der Verfassung betont.531 Im Anschluss an die kulturwissenschaftliche Deutung von „Institution“ im Sinne der Wahrnehmung von etwas als „Institution“, d.h. als etwas Dauerhaftes, ist die kommunikative Anschlussfähigkeit der Selbstbeobachtung der Verfassungsgemeinschaft als Interpretationsgemeinschaft wichtig für die Integration durch Verfassung als „imaginierte Institution“.532 526 Vgl. das Kategorienschema im Anhang und dort die Analyseebene B. III: „Zentrale Mechanismen der Geltungsstilisierung“ bei Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 47 ff. (77 ff., insb. 80). 527 Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 47 ff. (56 f.); Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 229 ff. (238). 528 Schulz, Verfassung und Nation, S. 23. 529 Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 11 ff. 530 Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 63 ff. 531 Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 229 ff. (239). 532 Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, u. a. S. 107 f.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
b) Verfassung als politische Institution mit symbolischer Dimension: Das Verfassungskonzept Im Gegensatz zu Ausführungen, die die durch Verfassung zu schaffenden Institutionen thematisieren, kommt im Rahmen der neueren politikwissenschaftlichen Theorien die Verfassung selbst als Institution in den Blick und damit als soziales und politisches Ordnungsarrangement, dessen Leitideen symbolisch zur Repräsentation gebracht werden.533 Auch die Verfassung kann daher als politische Institution (neben anderen Institutionen) integrativ wirken. Fraglich ist, welche Leitideen integrationsgeeignet sind und wie Integration durch Verfassung als Institution stattfindet, dabei steht die symbolische Repräsentation von Leitideen im Vordergrund. Als Institution beinhaltet die Verfassung instrumentelle und symbolische Elemente. Unterschiedlich fallen allerdings die Zuordnungen von symbolischen und instrumentellen Elementen von Verfassungen aus, die der symbolischen Komponente entweder eine eigenständige Bedeutung zuweisen oder sie mit der instrumentellen Bedeutung von Verfassung verknüpfen.534 Entscheidend für alle Ansätze ist jedoch, dass im Gegensatz zur älteren Diskussion in der Politikwissenschaft, die in dieser Form auch von der Rechtswissenschaft übernommen wurde, das Symbolische – unabhängig von der Konzeption im Einzelnen – nunmehr eine positive Wendung bekommt535. Dies liegt daran, dass das Symbolische nicht mehr als Beschreibung für das Vortäuschen von Inhalten oder Werten figuriert, sondern – im Anschluss insbesondere an Cassirers Kulturphilosophie – in seiner umfassenden Bedeutung als Form der Realitätsvermittlung und Mechanismus der Bedeutungsgenerierung und des Verstehens.536 Bezogen auf die Wirkungsweisen von Verfassung ist die symbolische Dimension als besondere Wirkungsweise der Verfassung zu betonen. Diese mag zwar mit bestimmten Verfassungsgehalten besonders verbunden sein537, hebt sich aber gegenüber der bloßen Erwähnung von Staatsymbolen durch die Verfassung ab, wie sie teilweise von der Staats- und Verfassungslehre im Zusammenhang mit Verfassung und Symbol erörtert wird538.
533 Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 47 ff. (56 f.); Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 229 ff. (238). 534 So Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 26 ff. (28). 535 Dazu Gebhardt, Verfassung und Symbolizität, S. 585 ff. 536 Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 54 ff.; Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 239. 537 Darauf gehe ich im letzten Teil der Arbeit ein. 538 Vgl. dazu Hartmann, Staatssymbole/Staatszeremoniell, S. 39 ff. m.w. N.
III. Verfassung und Integration in der Bundesrepublik
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c) Normativität im Kontinuum der Verfassungspraxis: Das Normativitätskonzept Ausgangspunkt der vorliegenden Ansätze ist, dass die Verfassung stets normativ ist. Eine ausdrückliche Erörterung des Normativitätsbegriffs aus institutionentheoretischer Perspektive findet im Weiteren nicht statt, was möglicherweise der Tatsache geschuldet ist, dass es sich überwiegend um politikwissenschaftliche Arbeiten handelt; Normativität erscheint – der üblichen Lesart entsprechend – als Geltungsanspruch des Rechts539. Die Normativität der Verfassung wird insofern jedoch als Problem begriffen, als dass die fortdauernde Geltung der Verfassung nicht selbstverständlich mit ihrem Gründungsakt gewährleistet ist. Auf der Suche nach den konstitutionellen Geltungsmechanismen kommt die Verfassung als Institution überhaupt erst in den Blick. Es gibt Ansätze für eine Konzeption von Normativität als Vorgang im institutionellen Verfassungskonzept, denn Normativität soll in der „Normalität einer veralltäglichten Verfassungspraxis“ erfasst werden. Diese ist wesentlich durch die Interpretation der Verfassung geprägt, die eine zeitunabhängige Präsenz der Ordnungsvorstellungen der Verfassung leistet. Die Figur des Verfassungsinterpreten wird dadurch zentral und wird in Anlehnung an Häberles offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten über die zur autoritativen Interpretation Berufenen erweitert. Verfassungsinterpretation wird als sozialer Prozess beschrieben, der in der Verfassungsgemeinschaft als Interpretationsgemeinschaft stattfindet; auch die juristische Diskussion um die Verfassung gehört dazu.540 Näheres zum Verständnis von rechtlichen Wirkungen im institutionentheoretischen Verfassungsverständnis lässt sich nur schlussfolgern. Die institutionelle Bedeutung der Verfassung für ein Gemeinwesen wird als instrumentelle und symbolische beschrieben; die instrumentelle und die symbolische Wirkungsweise sind miteinander verschränkt. Allerdings wird die eigenständige Bedeutung des Symbolischen als Bedingung für das Funktionieren bestimmter Ordnungsarrangements betont.541 Eine Diskussion der symbolischen und instrumentellen Verfassungsdimensionen als rechtliche oder nichtrechtliche Komponenten erfolgt nicht ausdrücklich. Eine wichtige Frage aus normtheoretischer Sicht ist daher, ob der Begriff der Normativität der Verfassung aus symbolischer und instrumenteller Bedeutung der Verfassung konzipierbar ist. Die Verschränkung beider Wirkungsweisen bedeutet eine Aufwertung und Neubewertung der symbolischen Wirkungsweisen 539
Schaal, Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, S. 28. s. zu diesem Komplex insgesamt den zusammenfassenden Beitrag von Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung, S. 229 ff. 541 Vgl. dazu insb. die Arbeiten von Rehberg. s. u. a. Rehberg, Institutionenwandel und die Funktionsveränderung des Symbolischen, S. 95 ff. 540
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
des Rechts, die eine Konzeption jenseits der in der Rechtswissenschaft verbreiteten Lesart ermöglicht, dass symbolische Wirkung die „eigentlich“ rechtliche Wirkung unterläuft. d) Anschlussfähigkeit sowie Grenzen des institutionentheoretischen Normativitätskonzepts Eine neue Akzentsetzung, die für das Verständnis der Rechtlichkeit der Verfassung Bedeutung hat, findet durch die Aussage statt, dass die Funktionalität der Verfassung in ihrer Symbolizität bestehe542. Anschlussfähig ist ebenfalls die Beschreibung der Verwirklichung der Verfassung im sozialen Kontext, die in der Nähe von Häberles verfassungstheoretischem Konzept der offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten steht, diesem aber eine sozialwissenschaftliche Unterfütterung hinzufügt. Es besteht ebenfalls eine Nähe zwischen der Betrachtung von Zusammenhängen als institutionellen und einer kontextualisierenden Betrachtungsweise der Verfassung, wie sie Häberle in späteren Arbeiten543 postuliert. Aus der Perspektive einer Normativitätsstudie zeigen sich die Grenzen des Ansatzes darin, dass eine „Übersetzung“ eines institutionentheoretisch gebildeten Verfassungsbegriffs in einen entsprechenden Normativitätsbegriff im Sinne dieser Arbeit fehlt. Für eine rechtsrealistische und normtheoretische Sicht auf Verfassung als Recht, die alle ihre Wirkungen als rechtliche thematisiert, ist möglicherweise die Differenzierung instrumenteller und symbolischer Wirkungsweisen problematisch, da nicht klar ist, inwieweit hier gleichzeitig zwischen rechtlich und nicht-rechtlich unterschieden wird. Die Problematik wird dadurch nahe gelegt, dass der hier vorgestellte Begriff der Institution eine Verschränkung der Begriffe der politischen und der sozialen Institution ist, die sich an der Unterscheidung zwischen System- und Sozialintegration orientieren544. Diese Unterscheidung ist wiederum mit der Vorstellung von rationalen und irrationalen Vergesellschaftungsmomenten verbunden, wobei Rechtsnormen zu den rationalen gehören.
542
Vgl. Rehberg, Weltrepräsentanz und Verkörperung, S. 3 ff. (44 ff. zu Verfassun-
gen). 543 544
Häberle, Europäische Verfassungslehre. Göhler, Politische Institutionen und ihr Kontext, S. 19 ff. (22, 39).
III. Verfassung und Integration in der Bundesrepublik
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5. Fazit: Unterschiedliche Integrationskonzepte und unterschiedliche Normativitätskonzepte? – Zu den Rechtlichkeitsideen der Konzepte Im Folgenden wird anhand der skizzierten Unterschiede und Ähnlichkeiten der vorgestellten Konzepte der Blick auf dahinter stehende Rechtlichkeitsideen für die Verfassung geworfen. Solche Konzepte zur Normativität lassen sich in den geschilderten Diskussionsfeldern bislang nur ansatzweise ausmachen, da – dies ein Ergebnis der Bestandsaufnahme – Normativität kein explizit geklärter Begriff der verfassungstheoretischen Diskussion ist, obwohl er wichtig ist. Normativitätsvorstellungen (verstanden als Idee rechtlicher Wirkungen) werden nicht expliziert, sondern unausgesprochen mitgeführt. Erschwerend für eine Diskussion von Normativität aus realistischer Sicht kommt hinzu, dass Fragen des Rechtsbegriffs und der Rechtswirkung üblicherweise getrennt voneinander behandelt werden, da Normativität als Geltungsanspruch, als Sollen, nicht mit der Faktizität der Wirkung vermischt werden soll. Die dargestellten Ansätze weisen der Verfassung unterschiedliche Rollen bei der Integration zu, da die jeweiligen integrationstheoretischen Vorstellungen verschieden sind. Die Bewertungen bestimmter Verfassungsfunktionen und -wirkungsweisen sind ebenfalls different. Dies betrifft vor allem die Integration durch Wirkungsweisen der Verfassung, die als nicht genuin rechtlich beschrieben werden und zum Teil im Begriff der symbolischen Wirkung aufgehen. Die Umsetzung und Verwirklichung der Verfassung wird unterschiedlich verortet: Bei Häberle wie auch in den institutionentheoretischen Ansätzen kommt der Verwirklichung der Verfassung durch verschiedene Akteure Gewicht zu, da Verfassung als Grundordnung für Staat und Gesellschaft konzipiert wird545; diese Perspektive hat auch Konsequenzen für die angenommenen Wirkungsweisen der Verfassung, da sie den Kreis der Akteure über die Staatsorgane hinaus erweitert. Das Konzept der „Rechtsverfassung“ zeichnet sich dem gegenüber durch eine methodisch und disziplinär erzwungende Abscheidung der Verwirklichungs- von der Normativitätsfrage aus, da Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit getrennt voneinander verhandelt werden. Beredten Ausdruck finden diese Differenzen im bekannten Diktum Böckenfördes, dass der Verfassungsstaat auf Voraussetzungen aufruht, die er selbst nicht schaffen kann546, während nach Häberle der Verfassungsstaat durch die Verfassung begrenzt auf diese außerrechtlichen Grundlagen zugreifen kann547. Für eine realistische Perspektive auf das Verfassungsrecht ist die Beobachtung wichtig, dass dennoch in beiden An545 546 547
Häberle, Verfassungsinterpretation als öffentlicher Prozeß, S. 121 ff. (122). Vgl. Böckenförde, Die Entstehung des Staates, S. 92 ff. (112). Vgl. Häberle u. a., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 588, 911.
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2. Teil: Bestandsaufnahme – Integrationsfunktion der Verfassung
sätzen Fragen, die mit Integration zusammenhängen, in einen „vor- oder außerrechtlichen“ Bereich verwiesen werden.548 Allerdings ist die Idee dessen, worauf das Verfassungsrecht Zugriff erlangen kann, unterschiedlich. Es zeigen sich trotz der vorgestellten weit reichenden Differenzen im verfassungstheoretischen Verständnis Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen von Rechtlichkeit der Verfassung in den verschiedenen Ansätzen: Insbesondere Häberle differenziert zwischen rechtlicher und nicht-rechtlicher Wirkung der Verfassung und schließt damit an dieselbe Unterscheidung an, die auch die Vertreter des Rechtsverfassungsmodells vornehmen. Sofern die Wirkungsweise an bestimmte Verfassungsinhalte gebunden ist, werden dieselben Inhalte als eher rechtlich oder eher nicht-rechtlich qualifiziert: So gelten Organisationsnormen jedenfalls als rechtliche Regelung, während der normative Status von Präambeln und Appellnormen problematisch ist, da sie an „emotionale“ Gehalte anknüpfen549; Häberle qualifiziert diese Verfassungsbestandteile als Teil des Kulturverfassungsrechts, das insbesondere kulturwissenschaftlicher Lektüre bedarf. Hinsichtlich ihres normativen Status beschreibt er Präambeln als Normativitätsreserve.550 Übereinstimmend ist in den Ansätzen auch die Identifikation von rechtlich mit rational und nicht-rechtlich mit irrational und damit verbunden eine Annahme der „Zuständigkeit“ der kulturwissenschaftlichen Sichtweise für das Irrationale. Dies findet Niederschlag im Umgang mit symbolischer Verfassungswirkung, welche als irrational wahrgenommen wird, da mit „symbolisch“ in dieser Lesart die Anknüpfung an emotional besetzte und erfassbare Gehalte assoziiert wird. Liest man Aussagen zur Integrationswirkung von Verfassung als Aussagen über ihre Normativität, somit als Vermögen der Verfassung, Rechtswirkungen zu entfalten, so zeigt sich, dass – insbesondere in Abhängigkeit zum jeweiligen Integrationskonzept – Integration als rechtliche oder außerrechtliche Wirkung konzipiert werden kann. Die Grenze zwischen Rechtswirkung und außerrechtlicher Wirkung oder anders gewendet: zwischen normativen und sonstigen Leistungen, kann nur ausgehend von einem bestimmten Verständnis von Recht und seinen Wirkungsweisen gezogen werden. Dieses Rechtskonzept ist bei den Konzepten der Integrations- und der Rechtsverfassung ähnlich. Die Bewertung der verschiedenen Wirkungsweisen von Verfassung weicht jedoch voneinander ab: Während Häberle mit dem Argument, dass das Irrationale im Verfassungsstaat bislang vernachlässigt worden sei, für ein „gemischtes Verfassungsverständnis“ plädiert, im Sinne einer Zusammenschau von normati-
548 Eine ähnliche Wahrnehmung bei Haltern, Integration als Mythos, S. 31 (40 f.); vgl. auch Korioth, Europäische und nationale Identität, S. 117 ff. 549 Häberle, Die Funktionenvielfalt von Verfassungstexten, S. 701 ff. (703). 550 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 920 ff. (938).
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ven und emotionalen Verfassungselementen551, wollen sowohl Isensee wie auch Grimm den Rechtscharakter der Verfassung vor bestimmten „außerrechtlichen“ Zumutungen bewahren, um auf diese Weise die Funktionen der Verfassung als Norm zu erhalten. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Verfassung als Recht auch außerrechtliche Wirkung entfaltet.552 Isensees Aussagen zur Justiziabilität von Verfassungsnormen sowie die Bewertung des „Sanktionsmankos“ am Maßstab des einfachen Rechts machen deutlich, dass die Verfassung in ihren rechtlichen Wirkungen mit einfachem Gesetzesrecht verglichen und vor diesem Hintergrund beschrieben wird. Die Besonderheiten der Verfassung schlagen sich nicht in einem eigenen Begriff von Rechtlichkeit der Verfassung nieder. Allerdings gibt es die Rede vom Verfassungsrecht als politischem Recht, die auf die Besonderheiten des Verfassungsrechts Bezug nimmt. Die wiedergegebenen Aussagen zum Umgang mit der Verfassung, ihrer Verwirklichung, ihrer Interpretation und den jeweiligen Akteuren werden nicht als Fragen der Normativität der Verfassung thematisiert, da diese Aspekte der Verfassungsrealität nicht Teil des Rechts im Rahmen einer Unterscheidung von Sollen und Sein sind. Sowohl Häberle als auch Isensee haben zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Funktionen der Verfassung differenziert. Fraglich ist, inwieweit diese Unterscheidung verschiedener Verfassungsfunktionen jener Unterscheidung zwischen instrumentellen und symbolischen Funktionen gleicht. Die Betrachtung von Verfassung in institutioneller Sichtweise schließt mit der Differenzierung von instrumenteller und symbolischer Verfassungsfunktion möglicherweise an traditionelle Vorstellungen von Rechtlichkeit an, die sich auch in der Unterscheidung von „rationalen“ und „irrationalen“ Bestandteilen in der Verfassung spiegeln. Die institutionelle Sichtweise auf Verfassung, die diese verschiedenen Aspekte zwar analytisch trennt, zeigt insgesamt dennoch neue Perspektiven auf Rechtlichkeit dadurch auf, dass das Symbolische als das Institutionelle der Institution und damit positiv und die Verfassungsnormativität als Prozess mit verschiedenen Akteuren beschrieben wird.
551 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 399 ff.; Häberle, Die Funktionenvielfalt von Verfassungstexten, S. 701 ff. 552 Vgl. nur Isensee, Vom Stil der Verfassung; Grimm, Als Verfassungssatz untauglich, S. 82 ff.
Dritter Teil
Rechts- und verfassungstheoretische Folgerungen – Ansätze zu einem erweiterten Konzept der normativen Kraft der Verfassung I. Einleitung: Verfassungsrecht aus realistischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass insbesondere aktuelle verfassungstheoretische Ansätze die integrative Bedeutung von Verfassung in einer Weise thematisieren, die über den üblichen Kanon von Verfassungsfunktionen und -wirkungen hinausgeht, welche sich aber nicht in einem erweiterten Normativitätsbegriff niederschlägt. Mit gesellschaftlicher Integration in Zusammenhang gebrachte Verfassungsentwicklungen können dadurch – nach wie vor – nur als Mangel an Rechtlichkeit in einem engen Sinne erörtert werden, wenn auch als Zugewinn „zusätzlicher“, insbesondere kultureller Bedeutung und damit „tieferer“ Geltung der Verfassung im Rahmen eines Verfassungsverständnisses, welches insbesondere die irrationalen Gehalte der Verfassung erschließen hilft553. Unabhängig von der aktuellen Diskussion um Integrationsleistungen hat sich herausgestellt, dass die gängige Zusammenfassung der rechtlichen Eigenschaften der Verfassung in der Formel des „politischen Rechts“ aus rechtstheoretischer Perspektive als „defizienter Modus normativer Verbindlichkeit“554 angesehen werden kann. Im institutionentheoretischen Zugang zur gesellschaftlichen Bedeutung von Verfassung findet sich, im Unterschied zu der Entgegensetzung von rationalen und emotionalen Verfassungselementen, die Betonung des für einen institutionellen Mechanismus geradezu funktionsnotwendigen Zusammenhangs zwischen instrumentellen und symbolischen Verfassungsfunktionen.555 Davon ausgehend wird im Folgenden der Begriff der Verfassung als Recht erweitert. Im Hintergrund steht, dass die Beschreibung von Verfassungswirkungen als rechtliche oder nicht-rechtliche Wirkungen nicht frei von Wertungen ist: Nicht-rechtliche Wirkungen des Rechts werden als problematisch angesehen, 553 Häberle, Die Funktionenvielfalt von Verfassungstexten, S. 703 f.; ähnlich in: Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 399 ff.; vgl. auch aktuell: Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 203 ff. 554 Isensee, Verfassungsrecht als politisches Recht, § 162 Rz. 1 ff. 555 Rehberg, Weltrepräsentanz und Verkörperung, S. 3 ff. (44 ff. zu Verfassungen).
I. Einleitung
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denn sie erscheinen insbesondere in Gestalt von Symbolizität als Fremdkörper und Gefährdung der Rechtlichkeit und somit als Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Rechts. Im Gegensatz zu der üblichen Trennung von rechtlichen und nicht-rechtlichen Wirkungen geht die vorliegende Untersuchung davon aus, dass alle Wirkungen, die Verfassung erzielen kann, per definitionem rechtliche Wirkungen sind. Das setzt voraus, dass verschiedene Formen der Rechtswirkung vorstellbar sind. Insbesondere das Verfassungsrecht und seine Vielfältigkeit der Gestaltung von normativen Anordnungen im Vergleich zum einfachen Recht556 legen diesen Gedanken eines erweiterten Begriffs rechtlicher Wirkungen nahe. Es geht um ein der Verfassung angemessenes Verständnis ihrer Rechtlichkeit, d.h. ihrer Normativität. Grundlegend für ein solches Verständnis ist die Überzeugung, dass sich Rechtlichkeit – für den vorliegenden Anlass einer rechtswissenschaftlichen Betrachtung – nur aus einer Zusammenschau von Recht und seinen Wirkungen erschließen lässt. Ausgangspunkt der rechtlichen Wirkungen ist die Verwirklichung des Rechts, die insbesondere in Bezug auf die Verfassung als eine Zusammenfassung verschiedener Normarten557 einen komplexen Prozess mit verschiedenen Beteiligten darstellt und aus realistischer Sicht daher nicht auf Rechtsanwendung durch Gerichte und die Staatsorgane als einzige Adressaten und Akteure reduziert werden kann. Dieser Ansatz geht von der zentralen Einsicht realistischer Rechtsbetrachtung aus, dass Recht und somit auch die Verfassung in gesellschaftlichen Bedeutungs- und Sinnkontexten erfahren und verwirklicht wird558. Daraus folgt, dass bereits der Verfassungstext, als schriftliche Fixierung der Norm, nicht nur eine Sollensanordnung birgt, die von einer gesellschaftlichen Realität zu unterscheiden sei559, sondern die textliche Fixierung ist als solche Teil und Ausdruck eines institutionellen Gefüges560. Neben dem Aspekt, dass Rechtstexte, also auch der Verfassungstext, institutionell geprägt sind, ist also der institutionelle Charakter, den die Rechtstexte, also auch der Verfassungstext, als solche selbst haben, zu berücksichtigen.561 In den textlichen Fixierungen der Rechtsnormen zeigen sich bei kulturwissenschaft556 Vgl. Sachs, Normtypen im deutschen Verfassungsrecht, S. 1 ff.; vgl. auch Badura, Die Verfassung im Ganzen der Rechtsordnung, § 163 Rz. 9. 557 Schneider, Direkte Anwendung und indirekte Wirkung von Verfassungsnormen, S. 23 ff. (25). 558 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 43; vgl. auch Schulte, Recht, Staat und Gesellschaft, S. 317 ff. (321 f.); Martiny, Rechtskultur, S. 421 ff. 559 Zu diesem Dualismus von Normtext und Norm sowie Norm und Wirklichkeit Opalek, Der Dualismus, S. 433 ff.; zu den Implikationen der Textualität des Rechts vgl. auch Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 35 ff. 560 Broekman, Text als Institution, S. 145 ff. (152). Auch Müller, Verfassungskonkretisierung, S. 20 ff. (S. 23, 35). 561 Busse, Recht als Text, S. 12 f., 115 ff.
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
licher Lektüre, die die Kontexte und Hintergründe sichtbar macht562, gesellschaftliche Macht und Gewalt bereits vor jeder Auslegung563. Die institutionelle Perspektive bietet eine Formulierung für die Tatsache, dass gesellschaftliche Wirklichkeit, auch das Recht, diskursiv konstruiert ist.564 Die Verfestigung sozialer Strukturen im Begriff der Institution sowie die Beeinflussung von Praktiken, die der Diskursbegriff umfasst, zeigen die Machtwirkungen, die von kollektiven Vorstellungen ausgehen.565 Der Umgang mit dem Verfassungsrecht, bereits verengend als Auslegung bezeichnet, ist nicht nur von Vorverständnissen in Bezug auf das rechtlich zu regelnde Leben geleitet, sondern jede Rechtsauslegung, jeder Umgang mit Recht basiert auf grundlegenden Vorverständnissen davon, was Recht ist und wie es seine Wirkungen entfalten soll566, und führt diese Vorstellungen fort. Darin zeigt sich der „Weltbezug“ des Rechts567. In den Worten Lenks sind Interpretationen ihrerseits bereits durch „Schemainterpretationen“ vorstrukturiert und dadurch für davon abweichende Interpretationen „imprägniert“568; die Vorstellungen von der Rechtlichkeit der Verfassung bilden solche „Schemainterpretationen“, die den rechtlichen Diskurs für andere Vorstellungen von Rechtlichkeit imprägnieren. Für den Vorgang der bewussten Verfassungsumsetzung erscheinen die Begriffe „Interpretation“ und insbesondere „Konkretisierung“ im Vergleich zur „Auslegung“ daher angemessener, weil sie den Aspekt dieses Vorverständnisses besser aufnehmen können und es eher erlauben, das auch in der Rechtswissenschaft bekannte „Vorverständnis“ bezüglich des Inhaltes des Rechtstextes auf die dahinter liegende Rechtlichkeitsidee auszudehnen, während bei der „Auslegung“ jegliches Vorverständnis eher in den Hintergrund tritt, weil die Bedeutung „aus“ dem Text genommen wird. Besonders in der Debatte um die integrativen Leistungen der Verfassung zeigen sich diese „Imprägnierungen“ in der Unterscheidung zwischen rechtlichen und anderen, nicht-rechtlichen Wir562
Broekman, Text als Institution, S. 146. Zu dieser Wahrnehmung gesellschaftlicher Gewalt insb. Bourdieu, On symbolic power, S. 163 ff.; dazu auch Bourdieu/Wacquant, An invitation to reflexive sociology, S. 140 ff. (142). Vgl. für eine Rezeption Bourdieus für rechtstheoretische Zwecke die Arbeit Sommers, Zivile Rechte für Antigone, S. 20 ff. 564 Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 181 ff. unter Fortführung des Ansatzes von Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, über das Alltagswissen hinaus für wissenschaftliches Wissen. 565 Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 261 zu den Machtwirkungen von Diskursen. 566 Bezüglich des „wie“ der Rechtswirkungen spielt die Instrumentalität des Rechts eine große Rolle, die sich in einer entsprechend instrumentalistischen Auffassung von Sprache und dem Umgang mit ihr niederschlägt. Vgl. Broekman, Text als Institution, S. 145 ff. (146). 567 Möllers, Philosophie – Recht – Kultur, S. 109 ff. 568 Lenk, Interpretationen und Imprägnationen, S. 19 ff. (S. 23 ff.). Vgl. auch Dürr/ Lenk, Referenz und Bedeutung als Interpretationskonstrukte, S. 191 ff. 563
I. Einleitung
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kungen der Verfassung durch die Wissenschaft vom Verfassungsrecht, wie die Bestandsaufnahme gezeigt hat. Das hinter den Abschottungen stehende Verständnis von Rechtlichkeit bildet als Rechtsuniversalie die Basis für die Diskussion konkreter Verfassungsinhalte und Verfassungswirkungen569. Damit kommt der Rechtspraxis, verstanden als Verfassungsverwirklichung durch verschiedene Akteure, eine herausragende Bedeutung in Bezug auf die Frage zu, was das Recht in realistischer Perspektive ausmacht. Für eine realistische Verfassungsbetrachtung in diesem Sinne haben sich Ansatzpunkte in der Bestandsaufnahme gefunden, die nun aufgegriffen und weitergeführt werden können: Zentral ist Häberles Entfaltung der verfassten Gesellschaft als einer „Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“, die mit der Erweiterung des Blicks auf die Gesellschaft über die institutionalisierten Verfassungsinterpreten hinausweist. Häberle führt damit Smends Bemühen fort, die „Wirklichkeit“ der Verfassung als „Verfassungsleben“ zu begreifen. Auch die institutionentheoretische Sichtweise auf Verfassung weist auf die zentrale Bedeutung der Figur des Verfassungsinterpreten hin. Smends grundlegende Arbeit „Verfassung und Verfassungsrecht“, in der aus den theoretischen Prämissen dogmatische Folgerungen gezogen werden, die die Verfassungsinterpretation anleiten sollen, zeigt bereits den Stellenwert verfassungstheoretischer Überlegungen auf. Diese Determinierung von Verfassungsinterpretation durch Verfassungstheorie ist bekannt und auch bereits funktional betrachtet worden, so dass Verfassungstheorie als Instanz der Bewältigung von Reflexionsaufgaben des Rechtssystems ausgemacht wurde570. Damit geht eine Wahrnehmung der institutionellen Verortung und Selbständigkeit der Verfassungstheorie einher. Dennoch fehlen bislang weitgehend Ausführungen zur Bedeutung von Aussagen der Wissenschaft zur Verfassung im Kontext einer Wahrnehmung von institutionell vermittelter Verfassungsrealität, obwohl auch die Normativität der Verfassungstheorie selbst im Sinne einer Entfaltung der Verfassungsnormativität durch Verfassungstheorie angenommen wird571. In diesem Teil der Arbeit geht es darum, den verfassungstheoretischen Ansatz, der in einer Betrachtung der Verfassungsverwirklichung besteht, normtheoretisch aufzunehmen. Auszuführen ist, welche Konsequenzen eine realistische Betrachtung von Verfassung als Verfassungsverwirklichung für den Normativitätsbegriff der Verfassung hat. Damit wird der Zusammenhang zwischen Perspektive als rechtstheoretischer Voreinstellung und verfassungs- und rechtstheoretischen Konsequenzen offen gelegt und gleichzeitig etabliert. 569 Rechtsuniversalien sind nicht selbst Rechtsnormen, sondern der Rahmen für die Organisationsform möglicher Rechtsnormen. Vgl. Bierwisch, Recht linguistisch gesehen, S. 42 ff. (ebd. S. 64). 570 U. a. Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, insb. S. 81 ff.; Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 29. 571 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, S. 54 ff.; Galindo, Selbstreproduktion des Verfassungssystems, S. 301 ff.
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
II. Zur Perspektivenabhängigkeit der Darstellung von Verfassung und Verfassungswirkungen Die Vorstellung davon, wie eine Verfassung etwas erreicht oder leistet, hängt mit der Idee davon, was eine Verfassung ist, zusammen. Ohne Kenntnis der Beschaffenheit, der Qualitäten und der Eigenschaften von Verfassung lässt sich ihre Wirkungsweise schwer vorstellen. Das trifft auch auf die Integrationswirkung der Verfassung zu. Die Vorstellung von Recht und Rechtswirkungen ist abhängig von der wissenschaftlichen Perspektive, aus der man blickt. Die vorliegende Untersuchung versteht unter Verfassung Recht. Damit lässt sich zwar die Lesart von Verfassung als empirischer Verfassung und damit bloßer Zustandsbeschreibung eines Gemeinwesens ebenso ausgrenzen wie ein Verständnis von Verfassung als Nicht-Recht. Ein genaues Bild der Eigenschaften von Verfassung gibt aber allein die Qualifizierung als Recht nicht, mangels eines eindeutigen Rechtsbegriffs. Die Bestimmung dessen, was Recht ist, ist perspektivenabhängig.572 „Der“ Rechtsbegriff existiert nicht. Verschiedene Perspektiven auf das Recht, die das Recht unterschiedlich bestimmen, gibt es sowohl innerhalb wie außerhalb der Rechtswissenschaft. Was Recht ist, wird innerhalb der Rechtswissenschaft aus rechtsdogmatischem, rechtstheoretischem, rechtsphilosophischem und rechtssoziologischem Blickwinkel mit jeweils anderen Akzentuierungen diskutiert. Außerhalb der Rechtswissenschaft interessieren sich u. a. Soziologie, Politikwissenschaft, Ökonomie, Anthropologie, Ethnologie, Ethologie und Kulturwissenschaften für das Recht und Rechtsordnungen.573 Entsprechend gibt es auch hier verschiedene Rechtsbegriffe. Es stellt sich zwangsläufig die Frage, welche der Perspektiven gewählt werden und welcher Rechtsbegriff für die vorliegende Untersuchung maßgeblich sein soll. Bei der Festlegung auf eine bestimmte Perspektive kommt es auf 572
s. Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 19 ff. Beispielhaft lassen sich aufzählen: Für die kulturwissenschaftliche Betrachtung des Rechts Häberle, für die Rechtsanthropologie Broekman und Lampe, für die Rechtsethologie Hof, für die Rechtssoziologie (in neueren Ansätzen) v. a. Luhmann sowie Krawietz und Teubner. Möglicherweise spiegelt dieser Befund nach wie vor das mangelnde Interesse anderer Gesellschafts- und Geisteswissenschaften an einer vertieften Beschäftigung mit dem Recht als sozialer Praktik wider, die bereits in den 70er Jahren beklagt wurde. Vgl. dazu Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaften und Nachbarwissenschaften. Das schließt nicht eine Beachtung des Rechts aus anderer Perspektive aus: so wird aus sozialwissenschaftlicher Perspektive über das Recht als Integrationsmechanismus oder System sozialer Kontrolle nachgedacht (vgl. für einen Überblick nur Rolshausen, Gesellschaftsstrukturen, und Peters, Die Integration moderner Gesellschaften). Auch kulturwissenschaftliche Arbeiten, die sich mit Strukturen und Institutionen befassen, interessieren sich unter diesem Aspekt der Verstetigung und Standardisierung für das Recht, vgl. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft, S. 122 ff. Ausführliche Auseinandersetzungen, die das Recht ins Zentrum der Betrachtung stellen, sind jedoch selten. 573
II. Darstellung von Verfassung und Verfassungswirkungen
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die Nützlichkeit der daraus folgenden Rechtsbetrachtung für die hier relevanten Fragestellungen an, nämlich: was haben Integrationswirkung von Recht und Rechtswirkung miteinander zu tun und wie lässt sich die Normativität der Verfassung für Zwecke der rechtswissenschaftlichen Betrachtung bestimmen? Es geht daher nicht um einen „richtigen“ oder „falschen“ oder gar „wahren“, sondern um einen tauglichen Rechtsbegriff für die Verfassung574. Dieser Unterschied in den Ansprüchen an definitorische und theoretische Aussagen575 findet sich pointiert in Geigers Ansicht, dass Begriffe Definitionssache seien und „Definitionen (. . .) Krücken der Erkenntnis“576. Orientierungswerte für die Tauglichkeit des Rechtsbegriffs für diese Untersuchung sind, Aufschluss über die Wirkungsbedingungen der Verfassung als Recht zu erlangen und die Annahme, dass hierfür die gesellschaftliche Bedingtheit des Rechts577 berücksichtigt werden muss. Diese soziale Kontextualisierung der Verfassung stellt sich als komplex578 dar, da es zunächst verschiedene Akteure und vielfältige Umgangs- und Zugangsweisen mit und zum Verfassungsrecht gibt, das zudem als Rechtsgattung eine vielgestaltige Rechtsmaterie ist579. Eine Perspektive, die diese Komplexität berücksichtigen will, muss diese je verschiedenen Sichtweisen auf Recht aufnehmen und beschreiben können. Daher wird für den Bereich der Erforschung der Grundlagen des Rechts in der Gesellschaft ein mehrperspektivischer Zugang bzw. multi-level-approach auf Recht580 etabliert. Die Integration verschiedener Perspektiven verweist auf eine disziplinär pluralistische kulturwissenschaftliche Herangehensweise, die insbesondere eine Selbstreflexion sozialer Praktiken erlaubt581. Die soziale Praxis, die hier besonders in den Blick genommen wird, ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Verfassungsrecht durch die Verfassungsrechtswissenschaft. Ein Rechtsbe574 In diesem Sinne Kantorowicz: „Der Wert unserer jeweiligen Begriffsbestimmung muß nach ihrer vergleichsweisen Nützlichkeit beurteilt werden“. (in: Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, S. 23); in diesem Sinne auch Wissmann, Rechtsnorm und reale Geltung, S. 1. Vgl. zu ähnlicher Perspektive Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 3. 575 Hierzu Bechtler, Der soziologische Rechtsbegriff, S. 16 ff. 576 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 126 f. im Zusammenhang mit der Entwicklung eines „handlichen“ Rechtsbegriffs. 577 s. stellvertretend für diese zentrale Einsicht rechtswirklichkeitsorientierter Forschung Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 43. 578 Zum Begriff der Komplexität vgl. Kneer/Nassehi, Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, S. 40. 579 Vgl. die Übersicht bei Sachs, Normtypen im deutschen Verfassungsrecht, ZG 1991, S. 1 ff. 580 Krawietz, Recht als Information und Kommunikation, S. 175 ff. (184 f.); Gromitsaris, Law-oriented Behaviour, S. 387 ff. (392 ff.); Schulte, Recht, Staat und Gesellschaft, S. 317 ff. (S. 325 f.), der den Begriff „mehrperspektivisch“ dem „multilevel-approach“ vorzieht, um das Missverständnis einer Hierarchie der verschiedenen Perspektiven auf das Recht zu vermeiden. 581 Dazu Möllers, Philosophie – Recht – Kultur, S. 109 ff. (123).
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
griff, der diese Umsetzungs- und Anwendungsdimension ausklammert, scheidet aufgrund dieser Ausgangsbasis aus. Geeignet ist auf der Metaebene der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung also ein Rechtskonzept582, das möglichst verschiedene Entfaltungsformen von Verfassung aufnehmen kann, da es um eine möglichst umfassende Abbildung von Wirkungen der Verfassung als Recht geht. Diese umfassende Betrachtung von Recht im Kontext seiner Wirkungen wird vorliegend als „realistische“ bezeichnet.
III. Eine Annäherung an eine realistische Darstellung der Verfassungsverwirklichung: Verschiedene Akteure und Verwirklichungsweisen Die Entfaltung der Wirkungen von Recht, somit auch von Verfassung, ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, deren Systematisierung schwierig ist583, auch angesichts der verschiedenen Schlagworte, unter denen Aspekte der Verfassungsverwirklichung erörtert werden: Zu nennen sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – der Topos der „Konkretisierung“584 und die „Verfassungspraxis“585 für die Verwirklichung der Verfassung; für die Bedingungen der Verwirklichung gibt es Schindlers Idee der „ambiance“586 sowie die Lehre von den Verfassungserwartungen und -voraussetzungen587. Für die „rechtsarchitektonischen“ Fragen der Verfassungsverwirklichung ist das Stichwort der „Konstitutionalisierung“ der Rechtsordnung bedeutsam588.
582 Es ist schwierig, Antworten auf die Frage nach einer methodisch richtigen Begriffsbildung bzw. Auskunft über den Vorgang der Begriffsbildung in der Rechtswissenschaft und insb. im Verfassungsrecht zu erlangen. Zu verweisen ist allerdings auf die grundsätzliche Erörterung von Begriffsbildungsfragen bei Lübbe-Wolff (Rechtsfolgen und Realfolgen), die sich aber auf Rechtsbegriffe in einem engen Sinne konzentriert, vgl. dort S. 40. In der Regel wird das Problem für anderes als Verfassungsrecht und außerdem bzgl. konkreter Rechtsnormen im Zusammenhang mit der Rechtsanwendung erörtert und fällt dadurch in den Kreis methodischer Fragen. Ungeklärt bleibt die Begriffsbildung auf der Metaebene, weshalb solche Aussagen für die Untersuchung der Bildung eines Verfassungsbegriffs nur begrenzt ergiebig sind. 583 Zur Schwierigkeit, die Faktoren der Verwirklichung des Rechts zu nennen, vgl. Raiser, Das lebende Recht, S. 259. 584 Müller, Verfassungskonkretisierung, S. 20 ff.; Seibert, Zeichen und Gesetzesbindung, S. 470 ff.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, S. 74 ff.; Hesse, Verfassung und Verfassungsrecht, § 1. 585 Schneider, Direkte Anwendung und indirekte Wirkung von Verfassungsnormen, S. 23 ff. 586 Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur. 587 Krüger, Verfassungsvoraussetzungen, S. 285 ff.; Kirchhof, Die Einheit des Staates, S. 51 ff. 588 Schuppert/Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung.
III. Realistische Darstellung der Verfassungsverwirklichung
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Entscheidend ist, dass die Betrachtung der Verwirklichung der Verfassung aus einer Außenperspektive erfolgt, nicht aus einer Akteursperspektive. Damit kommt vor allem eine Verfassungsverwirklichung in den Blick, die im Vergleich zu der gezielten Inanspruchnahme und Nutzung des Verfassungsrechts durch die Adressaten der Verfassung auch nicht-intentional ist. Die Wahrnehmung von Recht in sozialen und kulturellen Kontexten kann zu verschiedenen, einander nicht ausschließenden Beschreibungen führen: so beschreibt ein sozialwissenschaftlich unterfütterter Blick Recht als Kommunikation589 und mit besonderem Fokus auf die gesellschaftliche Kontextgebundenheit der Kommunikation als Institution590. Parallel dazu sind kulturwissenschaftliche Beschreibungen möglich, die vor allem die gesellschaftliche Bedeutung rechtlicher Regelungsformen und -inhalte, auch vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte, entfalten591. 1. Allgemeines zur Struktur der Verfassungsverwirklichung: Akteure, Verwirklichungsweisen und Gegenstand Eine Annäherung an eine Struktur für die Darstellung der Verfassungsverwirklichung aus realistischer Perspektive bildet die Trennung von verschiedenen Akteuren und verschiedenen Wirkungsweisen. Diese Trennung baut darauf auf, dass man nach personellen oder kollektiven Akteuren der Verfassungsumsetzung fragen kann. Damit wird Häberles pluralistisches Konzept der Gesellschaft der Verfassungsinterpreten aufgegriffen. Ausgehend von Häberles Ansatz592 ist für die Verfassung und ihre Wirkungen anzunehmen, dass sich nach einem offenen, pluralistischen, d.h. alle gesellschaftlichen Gruppen einbeziehenden, Verfassungsverständnis die Verfassung nicht nur an Staats- bzw. Verfassungsorgane wendet593, sondern ebenfalls an die Bürger, die in einem solchen
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Krawietz, Recht als Information und Kommunikation, S. 175 ff. (180, insb. S. 185); vgl. insb. das Rechtskonzept von Seibert, das in aktualisierter Form auf den Internetseiten zur Rechtssemiotik (dabei handelt es sich um ein Projekt der Deutschen Gesellschaft für Semiotik, das nur in dieser Form existiert) nachzulesen ist, vgl. dort: Über Begriffe: Was ist Recht?, www.rechtssemiotik.de/begriffe/recht.shtml.; Sampaio, Kommunikationstheorie und Rechtsnormensystem, S. 515 ff. 590 Einführend Krawietz, Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus, S. 706 ff.; Weinberger, Das institutionelle Dasein des Rechts, S. 245 ff. 591 Zu einer solchen – in der Rechtswissenschaft bislang selten anzutreffenden – Perspektive vgl. Haltern, Gestalt und Finalität, S. 803 ff. (812 ff.); ders., Recht als kulturelle Existenz, S. 15 ff. (insb. 20 ff.). 592 s. die knappe Darstellung in der Bestandsaufnahme. Als zentrale Texte können „Verfassungsinterpretation als öffentlicher Prozeß“ und „Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ genannt werden. 593 Zu diesem vorherrschenden Verfassungsverständnis, das letztlich auf einer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft aufbaut s. Grimm, Als Verfassungssatz untauglich, S. 82 ff. (84).
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
Konzept nicht nur „Rechtsunterworfene“ oder „Betroffene“ sind, sondern Gestaltende. Dadurch ergibt sich ein Verständnis von Umsetzung oder Verwirklichung der Verfassung, das über die Teilaspekte der Verfassungspraxis der Staatsorgane und die Interpretation des Verfassungstextes durch Verfassungsgerichte hinausgeht. Damit diese Verfassungspraxis in den Blick genommen werden kann, wird von ihr als „Umsetzung“ bzw. „Entfaltung“ der Verfassung gesprochen, da dies den Rahmen zielgerichteter Anwendung, insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht, überschreitet und die „gelebte“ Verfassung durch Staatsorgane und weitere Akteure im politischen Raum, insbesondere die Bürger, erfasst594. Dieser kurze Überblick zeigt, dass ein je spezifischer Zusammenhang zwischen Akteuren und Wirkungsweisen besteht: Die Bürger sind in anderer Weise mit Verfassungsrecht konfrontiert, wenn sie von ihren Grundrechten Gebrauch machen, als die Wissenschaft vom Verfassungsrecht, die verfassungstheoretische Ansätze über Sinn und Bedeutung der Verfassung entwirft. Die Unterscheidung von Akteuren und Wirkungsweisen kann nur eine Annäherung an den Prozess der Verfassungsverwirklichung bilden, da erst eine bestimmte Wahrnehmung von Wirkungsweisen bestimmte Akteure als solche ins Blickfeld der Untersuchung rückt. Erst eine kulturwissenschaftlich informierte Sicht auf die Leistungen der Verfassungsrechtswissenschaft und ihre Bedeutung für das, was Verfassungsrecht im Rechtsdiskurs ausmacht, lässt die Wissenschaft als Akteurin neben anderen Akteuren erscheinen. Ein mögliches Argument gegen die Annahme der Handlungen der Rechtswissenschaft als Teil der Rechtsverwirklichung könnte auf eine Überschätzung der Bedeutung der Rechtswissenschaft im Vergleich zu anderen Akteuren abzielen. Dadurch, dass vorliegend die Rechtswissenschaft in ihren Wirkungen auf das, was Verfassungsrecht ausmacht, thematisiert wird, wird zwar ihre besondere Bedeutung postuliert. Dies relativiert jedoch nicht die Bedeutung, die die Handlungen anderer Akteure im Verfassungsrechtssystem haben. Analog zur Diskussion um die Rolle der Rechtsprechung bei der Verwirklichung des Verfassungsrechts wird aus verfassungsrechtlicher Sicht mit einer Deutung der Rechtswissenschaft als Teil des Prozesses der Rechtsverwirklichung deren normativer Charakter im Sinne eines maßgeblichen Einflusses statuiert. Daran ist problematisch, dass die Verwirklichung der Verfassung durch die Rechtswissenschaft verfassungsrechtlich nicht explizit vorgesehen und auch nicht normativ angebunden ist. Die Verfassung ist an Verfassungsorganen und deren Funktionen orientiert und regelt deren Einrichtung, Ausübung und Grenzen. 594 Vgl. hierzu Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 249; Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten; Schneider, Direkte Anwendung und indirekte Wirkung von Verfassungsnormen, S. 23 ff.
III. Realistische Darstellung der Verfassungsverwirklichung
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Diesen Schwierigkeiten begegnet jede Erweiterung des Kreises der zur Interpretation der Verfassung Berufenen. Dies zeigt deutlich die Kritik, die gegen Häberles verfassungstheoretische Vorstellung von der „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ erhoben wurde595. Eine Beschreibung der Verwirklichung und Umsetzung des Rechts aus realistischer Sicht ist jedoch nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit einem entsprechenden verfassungsrechtlichen und -textlichen Niederschlag dieser Umsetzung, und nicht davon abhängig596. Der Annäherungscharakter der vorgestellten Struktur wird ebenfalls deutlich, wenn man im Prozess der Verfassungsverwirklichung nach dem Gegenstand „Verfassungsrecht“ fragt. Der hier verfolgte realistische und daher konstruktivistische Ansatz führt dazu, dass das Verfassungsrecht als Prozess, nicht als Gegenstand in den Blick kommt. Auch die formalen Eigenschaften des Verfassungsrechts, also die Merkmale ihrer Rechtsförmigkeit, werden als Konstrukt des Rechtsdiskurses betrachtet, denn sie könnten auch anders gestaltet sein. Gleichzeitig wird aber auch hier eine Art fiktionaler Gegenständlichkeit der Verfassung angenommen, wenn von Umsetzung oder Verwirklichung der Verfassung die Rede ist. 2. Verschiedene Akteure und verschiedene Arten der Verfassungsverwirklichung Blickt man aus einer Außenperspektive auf die Verfassungswirklichkeit, sieht man eine Vielzahl Beteiligter, die in verschiedenen Rollen und aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich auf das Verfassungsrecht zugreifen: Man sieht die Staatsorgane als politische Akteure im engeren Sinne597, die Bürger als einzelne oder kollektive Akteure, die in Form gesellschaftlicher Gruppen wie Parteien, Verbänden oder als „öffentliche Meinung“ Einfluss auf den politischen Prozess nehmen598. Der Schwerpunkt der Erörterungen zur Bedeutung der Rechtspraxis im Allgemeinen liegt bisher eindeutig auf den Gerichten und Richtern mit dem Versuch, deren nunmehr eindeutig festgestellte eigene rechtsschöpferische Tätigkeit methodisch und verfassungsrechtlich, d.h. vor allem rechtsstaatlich und demokratisch, zu erfassen599. Auch das Bundesverfassungs595
Blankenburg/Treiber, Interpretationsherrschaft, S. 9 ff. Verfassungstheoretisch, d.h. v. a. demokratietheoretisch fundiert ist jedoch der Ansatz Häberles. 597 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 111 ff., 190 ff. 598 Krüger, Verfassungsvoraussetzungen, S. 285 ff. (302 f.: Die Verfassungsvervollständigung liegt primär in den Händen der Bürger.); Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 216 ff. 599 Das ist vorrangiges Ziel der Arbeiten der Müller-Schule. Vgl. v. a. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?; Vgl. zu diesem Themenkreis auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, dem es um eine Theorie der Praxis der Rechtsanwendung geht, die er bezeichnenderweise als Rechtsfindung bezeichnet. 596
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
gericht erfährt im Rahmen der Verfassungsverwirklichung besondere Aufmerksamkeit600, weil die Anwendung und verbindliche Durchsetzung des Verfassungsrechts im Streitfall Ausweis seiner Rechtlichkeit sei601. Darüber hinaus kommt den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 BVerfGG Gesetzeskraft zu, was einen besonderen Einfluss auf die Verwirklichung des Verfassungsrechts unterstützt.602 Die Betonung der Bedeutung der gerichtlichen Durchsetzung rührt von einem aus der Imperativentheorie gespeisten, sanktionsorientierten Rechtsbegriff her.603 Aus realistischer Perspektive ist dieser Rechtsbegriff nicht in der Lage, tatsächliche Rechtswirklichkeit umfassend zu klären, denn er berücksichtigt nicht die Bedeutung, die Recht jenseits der Regelung von Konfliktfällen durch Gerichte in der Gesellschaft hat, indem Rechtsnormen qua Realisierung des gesollten Verhaltens verhaltensbeeinflussend wirken604. Diese Beobachtung gilt für Recht im Allgemeinen, trifft die Verfassung aber im Besonderen, denn zum einen muss gerade die Verwirklichung des Verfassungsrechts auf Sanktion, im engen Sinne eines Vollzugs der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, verzichten, und zum anderen verfolgt Verfassungsrecht im Vergleich zu anderem Recht vermehrt andere Rechtsfunktionen, wie z. B. die Bereitstellung basaler rechtlicher Infrastruktur für die Gesellschaft. Durch die besondere Fixierung auf die gerichtliche Durchsetzung von Normen und die mit der Rechtsanwendung durch Gerichte verbundene Tätigkeit finden hermeneutische Fragen der Rechtsanwendung zwangsläufig größere Beachtung als der institutionelle Kontext von Normen.605 Beachtet man diesen sozialen und institutionellen Kontext des Rechts, so eröffnet sich der Blick auf eine Vielfalt von Wirkungsmöglichkeiten des Rechts, auch des Verfassungsrechts.606 Sichtbar wird so zum Beispiel der von der institutionentheoretischen Verfassungsforschung607 betonte Aspekt der durch Verfassungsrecht vermittelten Orientierung durch die rechtliche Verfestigung von Ver-
600 Vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 147 ff., S. 400 ff. Es sei daran erinnert, dass auch in der Integrationsdiskussion dem Bundesverfassungsgericht besondere Bedeutung zukommt. s. dazu die Beiträge zu: III. Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Integrationsprozess, in: Vorländer (Hrsg.), Integration durch Verfassung, S. 315 ff. 601 Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 f. (28, 33). 602 Dazu Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 400 ff. 603 Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm, S. 315 ff. 604 Ryffel, Rechtssoziologie, S. 60; Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 70, 149. 605 Vgl. Krawietz, Recht als Information und Kommunikation, S. 175 ff. (186 f.). 606 Die Wirkungsmöglichkeiten können gerade aufgrund dieser Komplexität hier weder erschöpfend noch vollzählig beschrieben werden. 607 s. dazu III. 4. in der Bestandsaufnahme.
III. Realistische Darstellung der Verfassungsverwirklichung
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haltensmustern. Die auf diese Weise in den Blick genommene Vergesellschaftung beruht darauf, dass in Institutionen Prinzipien und Geltungsansprüche einer Ordnung symbolisch zum Ausdruck gebracht werden. Damit ist gemeint, dass sie als Vermittlungsinstanzen kultureller Sinnproduktion fungieren.608 Ohne die besondere Vermittlungsform oder Wirkungsweise des „Symbolischen“ sind gesellschaftliche Institutionen nicht denkbar, denn symbolische Wirkungsformen knüpfen an anthropologische Grundeinsichten zu menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten von Ordnung an.609 Die kulturwissenschaftlich und kultursoziologisch begründete symbolische Wirkungsform ist deutlich von einer eingeschränkten Sichtweise auf symbolische Rechtswirkungen, bei der es sich um eine Beschreibung intendierter rechtlicher Nicht-Wirkung handelt und die mehrheitlich in der Rechtswissenschaft vertreten wird, abzugrenzen.610 Von diesem realistischen Ausgangspunkt ausgehend, entstehen Begriffe und Dimensionen des Rechts, die zu weiteren Beschreibungen von Rechtswirkungen und Verwirklichungsformen des Rechts als Sanktionsmechanismus führen. Hier ist zum Beispiel an die Rede von Normen als Verhaltenserwartungen und deren soziale Realität zu erinnern.611 Aus soziologisch erweiterter Perspektive wirkt Recht in der Gesellschaft daher auch latent und nicht nur in einem engen Sinne, zweckrational.612 Diese Annahme findet auch Rückhalt in bisherigen verfassungstheoretischen Überlegungen. So kommt für den Bereich des Verfassungsrechts auch die bekannte Formel des „Verfassungspatriotismus“ als Beschreibung für symbolische Wirkungsweisen in Betracht613, die eine Verfassungsverwirklichung durch Anerkennung der Verfassungsinhalte postuliert. Im Rahmen einer verfassungstheoretischen Aufbereitung von institutionentheoretischen Überlegungen beschäftigt sich Hans-Peter Schneider mit den besonderen Wirkungsmöglichkeiten der Verfassung unter dem Gesichtspunkt der Art ihrer normativen Kraft und lehnt ebenfalls die Verengung auf einen impera608
Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 47 ff. (53 ff.). Castoriadis, Gesellschaft als imäginäre Institution, S. 196 ff. (199 ff.); Cassirer, Versuch über den Menschen, S. 58, 110 ff.; vgl. den Überblick bei Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 47 ff. (S. 57 ff.). 610 Vgl. den Überblick bei Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, S. 35 ff. m.w. N. 611 Krawietz, Taking legal systems seriously, S. 361 ff. Im Hintergrund steht der Rechtsbegriff Luhmanns. 612 Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, S. 43 ff.; Schild, Funktionale und nicht-funktionale Bedeutung des Gesetzes, S. 195–215; Voß, Symbolische Gesetzgebung. 613 s. dazu oben die knappen Ausführungen unter III. 2. (Isensee) in der Bestandsaufnahme. 609
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
tiven Rechtswirkungsbegriff ab. In seiner Untersuchung der Einwirkungen des Verfassungsrechts auf die staatlichen Gewalten geht er unter Berücksichtigung der Anerkennungstheorie von indirekten und direkten Wirkungen der Verfassung aus, die er als „Aktualisierung“ und „Konkretisierung“ definiert. Die Bedeutung des Verfassungsrechts für die Gesellschaft insgesamt erfasst Schneider in der „Verfassungspraxis“, die mehrdimensional sei und aus Verfassungsvollzug, Verfassungskonkretisierung sowie „gelebter Verfassung“ bestehe.614 Die „Rechtsarbeit“ im Sinne Friedrich Müllers erfasst als ein umfassender Begriff für den durch Rechtstexte vermittelten normorientierten Umgang mit Recht durch Rechtsprechung, Gesetzgebung, Verwaltung und Wissenschaft615 ebenfalls eine Verwirklichung der Verfassung, die zwar normativ ist, aber nicht ausschließlich auf Anwendung des Rechts durch Gerichte im Falle von Konflikten abstellt. Müller schließt mit seinem Begriff der „Rechtsarbeit“ an die „Konkretisierung“ der Verfassung im Sinne Schneiders an und grenzt sie von der „Aktualisierung“ der Verfassung ab. Diese hält er für wichtig für die Verfassungsverwirklichung im Allgemeinen.616 In Bezug auf die Wissenschaft als Verfassungsverwirklichung im Besonderen gelangt die Strukturierende Rechtslehre zu der Einsicht, dass auch Theorie Praxis sei, eben die Rechtspraxis der Wissenschaft, indem sie Wirkungsfaktor und Kommunikationsinhalt in der Gesellschaft sei.617 Aus einer verfassungstheoretischen Sichtweise im engeren Sinne stellt sich vor allem die Frage der richtigen Benennung der Mobilisierung der Verfassung durch die Akteure im weiten Sinne, vor allem die Bürger, deren Bedeutung für die Verfassungsverwirklichung zum Teil gesehen wird618. Während Häberle das „Verfassungsleben“ durch Gebrauchmachen von der Verfassung in unterschiedlicher Weise in seiner pluralistischen Verfassungstheorie aus demokratietheoretischen Gründen konsequent als „Interpretation“ bezeichnet619, wollen andere diesen Begriff nicht für eine bloße Aktualisierung der Verfassung durch die
614 Schneider, Direkte Anwendung und indirekte Wirkung von Verfassungsnormen, S. 23 ff. 615 Zusammenfassend Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 246 ff.; zur Wissenschaft im Rahmen der Rechtsarbeit vgl. Müller, Notiz zur Strukturierenden Rechtslehre, S. 120 ff. 616 Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 246 ff. (249 f.). 617 Dazu Seibert, Zeichen und Gesetzesbindung, S. 470 ff. (473). 618 Neben Häberle v. a. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 216 ff., und Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 249. Müller weist darauf hin, dass die Bedeutung anderer Adressaten und Teilnehmer am Rechtsleben als den politischen Akteuren im engen Sinne von der Wissenschaft „gern übersehen zu werden pflegt“ (S. 249). 619 Häberle, Verfassungsinterpretation und Verfassungsgebung, S. 182 ff. (209 ff.). s. auch Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, S. 313 ff. (Das Bundesvolk als Interpret der Verfassung).
IV. Rechtswissenschaft als Akteurin der Verfassungsverwirklichung
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Bürger verwenden und „Interpretation“ dem normativ angeleiteten und normativ wirkenden Umgang mit der Verfassung vorbehalten620. Unabhängig von der institutionen- und kulturtheoretischen Betrachtung, ergeben sich jedoch bereits aus der normativen Vielgestaltigkeit des Verfassungsrechts verschiedene Wirkungsformen, die man nach Wirkungsintensität und Regelungsgehalt differenzieren kann621.
IV. Rechtswissenschaft als Akteurin der Verfassungsverwirklichung und die Herstellung von Recht(sbildern) Vor dem Hintergrund der realistischen Betrachtung der Verfassung im gesellschaftlichen Kontext, die eine institutionell vermittelte Existenz des Rechts beschreibt, wird die Rechtswissenschaft als Teil der Verfassungsverwirklichung sichtbar. Die Bedeutung der Rechtswissenschaft, hier im Besonderen der Verfassungsrechtslehre, für die Verfassungsverwirklichung hat mit ihrer Stellung in einem institutionell verstandenen Kontext der Rechtsverwirklichung zu tun. Im Folgenden werden einige Orientierungspunkte für eine Beschreibung dieser Stellung zusammengetragen. 1. Institutioneller Status und Bedeutung der Rechtswissenschaft im Rechtssystem Die Verwirklichung des Rechts durch die Rechtswissenschaft gestaltet sich anders als jene durch die Rechtsprechung und die anderen direkten Adressaten des Verfassungsrechts, denn die Rechtswissenschaft ist kein Verfassungsorgan und handelt nicht mit dessen Autorität. Rechtswissenschaft hat jedoch eine eigene, ebenfalls institutionell vermittelte Autorität. Hier ist auf die bereits dargestellte Rolle der Verfassungstheorie bzw. Rechtstheorie als Reflexionsinstanz im Rechtssystem hinzuweisen.622 Als eine solche Reflexionsinstanz hat die Rechtswissenschaft nicht nur die Aufgabe, Dogmatik zu entwickeln, sondern auch jene, Behauptungen über das Recht in Frage zu stellen.623 Diese führt dazu, dass diese theoretischen Aussagen über das Verfassungsrecht besondere Bedeutung für die weitere Verwirklichung des Rechts haben. Sie sind vor allem für 620 Zur Kritik am weiten Interpretationsbegriff Häberles s. Blankenburg/Treiber, Interpretationsherrschaft über die Grundrechte, S. 9 ff. 621 Sachs, Normtypen im deutschen Verfassungsrecht, S. 12 ff. 622 Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 29; Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion, S. 18 ff.; Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 2–15. 623 Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolf von Ihering, S. 286 ff.
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
die oben beschriebenen „Schemainterpretationen“, also ein grundsätzliches Vorverständnis des Rechts, verantwortlich.624 Die Bedeutung der Verfassungsrechtslehre wird von verschiedenen Seiten zugestanden. So kommt die Wissenschaft als Interpret in Häberles „offener Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ vor, und Häberle geht davon aus, dass die Wissenschaft sowohl durch Produktion als auch Rezeption an der Gestaltung des Verfassungsrechts mitwirkt. Dabei schreibt er insbesondere Rezensionen eine normative Kraft zu, die im Rahmen einer „Wissenschaft über Wissenschaft“ geklärt werden müsste625. Eine besondere Rolle nimmt die Wissenschaft auch in der Strukturierenden Rechtslehre ein, denn Friedrich Müller zählt sie zur „Rechtsarbeit“, also der normativ angeleiteten verfassungskonkretisierenden Tätigkeit, hinzu. Ein gewichtiges Argument für eine herausgehobene Bedeutung der Verfassungsrechtswissenschaft liegt gerade in der Konkretisierungsbedürftigkeit des offen formulierten Verfassungsrechts626. Hinzu kommen die Einflussmöglichkeiten der Verfassungsrechtslehre auf das Bundesverfassungsgericht, als dem Interpreten mit herausgehobener Bedeutung. Trotz der Schwierigkeit der Messbarkeit des Einflusses geht Bryde – empirisch argumentierend – offenbar von einem beträchtlichen Einflusspotential der Wissenschaft auf die Entwicklung der Verfassung aus627. Er stellt in diesem Zusammenhang weniger auf direkte Einflüsse qua gutachterlicher Tätigkeit in verfassungsgerichtlichen Verfahren ab, sondern betrachtet die „langfristige Bedeutung der Tatsache, dass die Wissenschaft immer auf weitere, bisher nicht akzeptierte Verständnismöglichkeiten [der Verfassung] verweist“ und insgesamt besonders über die Institute der „herrschenden Lehre“ sowie der „abweichenden Meinung“ die Verfassungsverwirklichung betrifft.628 Zwei Überlegungen stützen die Einschätzung Brydes, dass die Wissenschaft Einfluss auf die Verfassungsentwicklung nimmt: Zum einen die Bedeutung, die den dogmatischen Leistungen der Wissenschaft als Konkretisierungen der Verfassung im Konzept des „ungeschriebenen Verfassungsrechts“ zukommt.629 Zum anderen die Erkenntnis, dass Fragen der Methode, als Gebiet der wissenschaftlichen Arbeit, eine Machtdimension haben, denn Methode stellt kein „indifferentes Hilfsmittel zur Deutung vorgegebener Inhalte, sondern ein[en] ei624 Darauf wird im Rahmen der Klärung des Beitrags der Wissenschaft zur Verfassungsverwirklichung unter 2. noch genauer eingegangen. 625 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, S. 521 ff.; Häberle, Rezensierte Verfassungsrechtswissenschaft, S. 63 ff. 626 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 206 m.w. N. Zur Bedeutung der jeweiligen Theorie für die Rechtsentfaltung vgl. auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, insb. S. 262 ff.; vgl. auch Karpen, Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes. 627 Diese entspricht in weiten Teilen der hier thematisierten Verfassungsverwirklichung. 628 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 213 ff. 629 Vgl. dazu Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 159 ff.
IV. Rechtswissenschaft als Akteurin der Verfassungsverwirklichung
131
gene[n] Selektionsmechanismus für Inhalte“ dar630. Die Kritik an der methodischen Haltung des Positivismus seit Gierke631 weist nachdrücklich auf diese Bedeutung von Methode als schwer kontrollierbarer, da verborgener, „Metaregel“632 hin. Das schließt in der Zielrichtung an die hier vorgestellten „Schemainterpretationen“, die den Rechtsdiskurs prägen, an. 2. Der Beitrag der Wissenschaft zur Verfassungsverwirklichung Die realistische Perspektive hat zwar zu der Erkenntnis geführt, dass auch die Wissenschaft und ihre Praxis Teil der Verfassungsverwirklichung sind. Eine Beschreibung ihrer Leistung kann allein durch die Bestimmung der Perspektive als realistische jedoch nicht erfolgen. Im Folgenden wird daher die bisher gewonnene Einsicht weiter entfaltet, dass die Wirkungen der Verfassung als ideelles Regelungssystem von den semantischen Bedingungen ihrer Entfaltung bestimmt werden und die Verfassung daher aus realistischer Sicht (auch) aus den begrifflichen und dogmatischen Leistungen der Verfassungsrechtwissenschaft besteht. a) Kulturwissenschaftliche Betrachtung und Deutung des Rechts Die Betrachtung von Recht als Kultur in einem kulturellen Kontext mit einem kulturtheoretisch informierten Blick eröffnet eine Vielzahl von Beschreibungsmöglichkeiten und ermöglicht zunächst keine eindeutigen Aussagen. Die kulturwissenschaftlich informierte Betrachtung von Aussagen zu einer Integrationswirkung von Verfassung soll einer kritischen Bestandsaufnahme der vorherrschenden „Rede“ und „Sprechweisen“ über Rechts- und Verfassungswirkungen dienen. Eine solche Wahrnehmung versetzt in die Lage die Selbstverständlichkeit und Unanfechtbarkeit „wissenschaftlicher Erzählungen vom Recht“633 zu irritieren, indem diese selbst als Hervorbringungen und Teil des Rechtssystems und des Rechts im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext erscheinen, womit die Grenzen einer Perspektive, die der Rechtswissenschaft immanent bleibt, überschritten werden. Der wissenschaftliche Diskurs erscheint so als „gepflegte Semantik“, als „semantischer Apparat“, der „Sinnverarbeitungsregeln“ zur Verfügung stellt634, die sich hier auf die Rechtlichkeit der Verfassung beziehen. Darüber hinaus wird die „Sinnfrage“ – dies im Anschluss an
630 631 632 633 634
Grimm, Methode als Machtfaktor, S. 347 ff. (Zitat auf S. 371 f.). Dazu im Überblick Wyduckel, Recht und Rechtswissenschaft, S. 349 ff. (354 f.). Grimm, Methode als Machtfaktor, S. 371. Frankenberg, Autorität und Integration, S. 368. Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 1, S. 17 ff. (19).
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
die Ausführungen zu institutionellen Mechanismen – für basale Merkmale des Rechts suspendiert635, die so zu Eingangsdaten der Diskussion werden. aa) Kein Kulturverfassungsrecht Die Deutung von Recht als kulturellem Phänomen hat nichts mit der Zuweisung zu einem bestimmten Gegenstandsbereich zu tun, sondern bezeichnet eine bestimmte Perspektive, in der Kultur als eine in die Gesellschaft eingezogene Ebene für Beobachtungen und Beschreibungen aufgefasst wird636. Die in dieser Arbeit unternommene Verbindung von Recht und Kultur unter dem Gesichtspunkt einer bestimmten Perspektive auf das Recht ist besonders hervorzuheben, damit eine Konfusion mit dem, was unter „Kulturverfassungsrecht“ verstanden wird, vermieden wird. Das Kulturverfassungsrecht untersucht, was die Verfassung zu Kultur aussagt. Es geht also um Kultur im Recht, nicht Recht als Kultur. Das Kulturverfassungsrecht hat sich in den letzten Jahrzehnten vergleichbar mit anderen Bereichen des Verfassungsrechts, wie zum Beispiel dem Religionsverfassungsrechts oder dem Wehrverfassungsrecht, herausgebildet und behandelt bestimmte Gegenstände des Verfassungsrechts, die „Kultur“ betreffen. Darunter fallen zum Beispiel verfassungsrechtliche Regelungen zu Sprache, Religion, Erziehungszielen etc.637 Der Begriff der Kultur wird als Beschreibung eines Gegenstandsbereichs verwendet.638 Kulturverfassungsrecht erfasst und dogmatisiert den Bestand verfassungsrechtlicher Aussagen zu „Kultur“; in verfassungstheoretischer und -politischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob, was und wie die Verfassung – gemessen an ihren Funktionen – etwas zu kulturellen Belangen aussagen kann. In dieser Perspektive führt die Diskussion Argumente fort, die dem älteren Diskurs über Kulturstaatlichkeit entstammen.639 Das Kulturverfassungsrecht ist nicht zwangsläufig mit einer Betrachtung der Verfassung selbst als Kultur verbunden, kann aber wie in der Verfassungslehre Häberles damit zusammenfallen640. Selbst wenn Verfassung und Kultur auch 635
s. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft, S. 132 ff. Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 31 ff. (39, 54). 637 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft; Vgl. auch die induktiv vorgehende Arbeit von Britz, Kulturelle Rechte und Verfassung, die eine Übersicht kultureller Anliegen, die sich auch in Verfassungen finden, zeigt (S. 110 ff.). 638 Vgl. Britz, die mit dem, was als „Kultur“ bezeichnet wird arbeitet und auf dieser Basis einen Begriff ableitet. Britz, Kulturelle Rechte und Verfassung, S. 68 ff.: Unter Kultur fallen spezifische Verhaltens- und Orientierungsmuster einer Menschengruppe (S. 70). 639 Diese Entwicklung zeigt sich deutlich bei Häberle. Vgl. Häberle, Vom Kulturstaat zum Kulturverfassungsrecht, S. 1 ff. 640 Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (z. B. S. 911 für Verfassung als „konkreten Kulturprozeß“). Eine eher getrennte Thematisierung der Aspekte mit einem Schwerpunkt auf dem Kulturverfassungsrecht erfolgte noch in „Vom Kulturstaat zum Kulturverfassungsrecht“, in: Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit und Kulturver636
IV. Rechtswissenschaft als Akteurin der Verfassungsverwirklichung
133
aus der Perspektive von Verfassung als Kultur thematisiert werden, bleibt zu klären, welcher Kulturbegriff dem zugrunde liegt, denn es gibt verschiedene kulturwissenschaftliche und -theoretische Zugriffe641. bb) Kultur als Beobachtungsperspektive Kulturwissenschaftliche Konzeptionen, die durch die Benennung als Kultur den Blick auf Recht verengen, indem mit Kultur bestimmte inhaltliche Anforderungen, zum Beispiel im Sinne einer „Hochkultur“, verbunden werden und Artefakte sowie Mentefakte nach diesem Qualitätsmaßstab begutachtet werden, werden in dieser Arbeit nicht verfolgt. Solche Ansätze finden sich zum Beispiel in Diskussionen um den Stand der Rechtskultur.642 Eine kulturwissenschaftliche Betrachtung befähigt zu der Wahrnehmung, dass etwas, das als Kultur betrachtet wird, als solche beschrieben werden kann. Dies kann durch Abgrenzung gegenüber anderen Gegenständen (z. B. Kultur ist nicht Natur643) geschehen und aufgrund der Weite des Kulturbegriffs zu vielfältigen Beschreibungen führen. Die kulturwissenschaftliche Perspektive interessiert vorliegend als Möglichkeit, soziale Praktiken als kulturell bedingt, d.h. als gesellschaftliche Hervorbringungen, zu betrachten.644 Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass die Betrachtung von etwas als Kultur ihrerseits Beobachtungen, Beschreibungen sowie Aussagen über die Gesellschaft enthält. Die Wahrnehmung dieser gesellschaftlichen Beobachtungsebene ermöglicht wiederum ein Beschreiben dieser Beschreibung von etwas als Kultur beziehungsweise ein Thematisieren von Thematisierungen.645 Eine Folge ist, dass selbstverständliche und eingeübte Sprechfassungsrecht, S. 1 ff.; allerdings hat Häberle in der zur selben Zeit (1982) in erster Auflage erschienenen „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“ bereits ein erstes Konzept zur kulturwissenschaftlichen Erfassung der Verfassung vorgelegt. 641 Nünning, Konzepte der Kulturwissenschaften, insb. 2. Kulturbegriffe und Kulturtheorien (Orth). Die Wahrnehmung von etwas als Kultur eröffnet viele Perspektiven, die sich auch in der Schwierigkeit der disziplinären Zuordnung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kultur zeigen und ebenfalls Grund dafür sind, dass von Kulturwissenschaften im Plural die Rede ist. Vgl. Kittler, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft; Nünning, Vorwort, in: Böhme/Matussek/Müller, Orientierung Kulturwissenschaft, S. 7 ff. (9). 642 Auf diesen Aspekt der Erörterung von Recht und Kultur weist Veddeler hin, s. Veddeler, Rechtstheorie versus Kulturtheorie, S. 453 ff. 643 Zu dieser Gegenüberstellung vgl. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft, S. 19 ff. zu Kultur und Natur; Nünning, Konzepte der Kulturwissenschaften, S. 19 (zu Kulturbegriffen und Kulturtheorien). 644 Möllers, Philosophie – Recht – Kultur, S. 109 ff. 645 Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 31 ff. (39). Eine ähnliche Perspektive findet sich in der unter III. 4. beschriebenen Institutionentheorie, in der – so v. a. bei Brodocz – Institutionen als Beobachtungen zweiter Ordnung, also als Selbstbeob-
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
weisen durch die Betrachtung von einer Beobachterebene aus als „nicht selbstverständlich“ wahrgenommen werden können. Solche Lesarten lassen sich daher auch als „Dekonstruktion“ bezeichnen. Diese Technik des „Gegen den Strich Lesens“, die intendierte Bedeutungen zerstört, dadurch aber neuen Lektüren eröffnet646, steht kulturwissenschaftlichen Methoden, die Kontexte entschlüsseln, um die Bedeutung sozialen Handelns begreifbar zu machen, nahe. Sieht man „Dekonstruktion“ vor allem als Strategie im Umgang mit Texten647, so entfaltet sie insbesondere für die Betrachtung des Rechts eine besondere Bedeutung, da die textliche Verkörperung des Rechts ein wesentlicher Aspekt von Recht als kommunikativer Praxis ist. Recht als kulturelles Phänomen lässt sich – kulturtheoretisch betrachtet – aber auch in einer über die im unmittelbaren Verständnis hinausgehende Textlichkeit648 „lesen“: „gelesen“ werden können so die Umsetzungs- und Wirkungsaspekte sowie der Umgang mit Recht: In den Blick kommt so insbesondere die symbolische Wirkungsdimension und der institutionelle Aspekt der Verschriftlichung sowie der Rechtstexte.649
V. Folgen der kulturwissenschaftlichen Betrachtung der Entfaltung von Verfassungswirkung 1. Folgen für die Betrachtung der Leistungen der Rechtswissenschaft im Allgemeinen Eine kulturwissenschaftlich informierte Sichtweise der Verfassung entfaltet sich in einer „Außenbetrachtung“ des Rechts, die Recht als kulturelles Phänomen deutet und kulturwissenschaftlichen Lesarten öffnet. Der Ertrag dieser Lesarten ist, dass sie, im Vergleich zu hergebrachten „Binnenbetrachtungen“ des Rechts, Selbstverständlichkeiten und Vorverständnisse aufbrechen, denn der gewissermaßen verständnislose Blick von außen erzeugt eine Fremdheit gegenüber dem zu betrachtenden Gegenstand650. Blickt man in dieser Weise auf die Rechtswissenschaft als Teil des sich durch Umsetzung konstituierenden Gegenstandes Verfassungsrecht, so geraten die Vorverständnisse und Imprägnierungen der „wissenschaftlichen Erzählungen vom Recht“, die „Schemainterpretationen“ und „Metaregeln“ in den Blick.
achtungen, beschrieben werden, vgl. Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 82 f. 646 Angehrn, Dekonstruktion und Hermeneutik, S. 177–199 (185). 647 Angehrn, Dekonstruktion und Hermeneutik, S. 185 ff.; Michaut, Deconstruction and Legal Theory, S. 181 ff. 648 Vgl. Sonesson, The Concept of Text in Cultural Semiotics, S. 88 ff. 649 Busse, Recht als Text, S. 115 ff. 650 Broekman, Text als Institution, S. 145 ff. (148).
V. Kulturwissenschaftliche Betrachtung von Verfassungswirkung
135
Daraus folgt, dass bisherige Erzählungen auch durch neue durchbrochen werden können. Die Verfassung ist Recht mit besonderen Spezifika inhaltlicher und formaler Art. Als formale Eigenschaften werden die besondere Stellung der Verfassung in einem Rechtssystem, d. h. ihre Höherrangigkeit und ihre in der Regel erschwerte Änderbarkeit, betrachtet. Eine kulturwissenschaftlich angereicherte Perspektive führt dazu, diese formalen Qualitäten ebenso wie die inhaltlichen Zuschreibungen an Verfassung nicht für selbstverständliche Eigenschaften651, sondern Setzungen652 zu halten, die Bedeutung für die Erfüllung bestimmter Verfassungsfunktionen haben, denn die „formale Struktur und der normative Gehalt des positiven Rechts bestehen nicht unabhängig von seiner Funktion“653. Es geht um die Funktion der Zuschreibung bestimmter Verfassungseigenschaften sowie um die Funktion der Darstellungsweisen bestimmter Verfassungsfunktionen. Das eröffnet eine Ebene der Selbstreflexion wissenschaftlichen Arbeitens, die die Beschreibung von Sprechweisen als solchen voraussetzt. So kann neben einer Funktion der Vertextung von Verfassung, die mit dem Kodifikationsgedanken in Verbindung gebracht werden kann, durch eine kulturwissenschaftlich informierte Frage nach Funktionsweisen in anderer Weise als bisher654 die symbolische Dimension von Verfassungsrecht behandelt werden. Auf einer Ebene, die nicht die Vertextung als solche, sondern den Umgang mit Sprache und Texten betrifft, kann in einer die übliche Sprachkritik überschreitenden Weise das Sprechen über Recht und der sprachliche Umgang mit Recht sowie mit Ideen über Recht und seine Funktionen parallelisiert werden. Dahinter steht die grundsätzliche Überlegung, dass eine instrumentelle Vorstellung von Recht und seinen Wirkungen ein Sprechen über Recht fördert, das der Instrumentalität Ausdruck gibt.
651 Der sog. moderne Verfassungsbegriff stellt sich insofern trotz der Verallgemeinerungen, die er enthält nicht als kleinster gemeinsamer Nenner, sondern als voraussetzungsvolles Konzept dar. Dazu Neves, Verfassung und Positivität, S. 45 ff. Dies zeigt beispielhaft auch die Verfassungslehre C. Schmitts (1. Aufl. 1927), die sich durch die Benennung des beschriebenen Verfassungskonzepts als „Verfassungsideal des bürgerlichen Rechtsstaates“ gleichzeitig von ihr distanziert. 652 Für die Entwicklung der Verfassung so deutlich von Luhmann ausformuliert. Vgl. Luhmann, Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, S. 176 ff.; Luhmann, Politische Verfassungen, S. 1–22 u. S. 165–182. 653 So Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion, S. 28. 654 Die bisherige Diskussion um symbolische Funktionen von Recht geht nicht (kultur-)semiologisch von einer bestimmten Zeichenhaftigkeit im Rahmen der Zeichenhaftigkeit allen Rechts aus und betrachtet das symbolische als besondere Wirkungsweise, sondern verwendet „symbolisch“ negativ als Kennzeichnung für Wirksamkeit vortäuschende Gesetze. Vgl. den guten Überblick bei Voß, Symbolische Gesetzgebung. Weiteres dazu im vierten Teil unten.
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
2. Folgen für den Begriff der Normativität im Besonderen Die Idee von Recht als kommunikativer Praxis sowie ihre transdisziplinäre Beschreibung wirken sich auch auf die Beschreibung von Rechtswirkungen aus, die vorliegend in dem Begriff Normativität zusammengefasst werden. Sie eröffnen den Blick dafür, dass die von Friedrich Müller und seiner „Schule“ so genannte „Rechtsarbeit“655 vor allem ein Sprechen über Recht beinhaltet. Will man die Umsetzung bzw. Verwirklichung von Recht beschreiben, so muss man also Kommunikationspraktiken und Sprechweisen beobachten. Es kommt mithin auch zu einer genauen Beobachtung dessen, wie über etwas gesprochen wird. Es wird davon ausgegangen, dass dieses „wie“ bedeutsam ist. Die Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass es schwierig ist, die integrative Leistung von Verfassung zu beschreiben. Ein besseres Verständnis der integrativen Leistung von Verfassung setzt eine Entschlüsselung der Vorstellungen, die sich die Verfassungsrechtswissenschaft von der rechtlichen Wirkung der Verfassung macht, voraus. Dabei zeigt sich, dass Rechtswirkungen schwer beobachtbar und beschreibbar sind.656 Der Versuch, integrative Rechtswirkungen zu beschreiben, wirft nur ein helles Licht auf diese grundsätzliche Tatsache. Recht als kommunikative Praxis zu erfassen, die man in einem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext beobachten kann, bedeutet auch, die Wirkung von Recht als Wirkung einer kommunikativen Praxis und somit vor allem als Wirkung von Sprechweisen zu erfassen. Eine Beschreibung von Rechtswirkungen, die sich wie die Rede von der „normativen Kraft der Verfassung“ (Konrad Hesse) an die naturwissenschaftliche Beschreibung physikalischer Wirkungen annähert657, erscheint daher unangemessen. Möglicherweise ist eine Beschreibung in Anlehnung an die Beobachtung und Beschreibung naturwissenschaftlicher Phänomene Ausdruck des Versuchs, die Unmöglichkeit oder Unsicherheit der Beobachtung von Rechtswirkungen durch eine klare Sprache zu überwinden, welche die Möglichkeit bestimmter Wirkungen und die Sicherheit darüber suggeriert. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit über die Wirkungen des Rechts, insbesondere bei den Rechtsanwendern, erklärt sich daraus, dass Recht bestimmte Aufgaben erfüllen soll und ihm somit bestimmte Funktionen in der Gesellschaft zukommen. Recht erscheint so als ein Instrument, mit dem sich bestimmte Aufgaben besser als mit einem anderen Instrument erfüllen lassen.658
655
Vgl. nur Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 246 ff. s. Gromitsaris, Law-oriented Behaviour, S. 387 ff. (403). 657 Dazu Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, S. 171 f. Merkl entwirft die Rechtskraft als spezifische Geltungsdauer von Rechtlichem und betrachtet Rechtskraft als „Ausfluß einer rechtsbegrifflichen Erforderlichkeit“. (S. 177, Zitat auf S. 165). Insgesamt versucht Merkl also dem spezifisch Rechtlichen nachzugehen, was der hier vorgeschlagenen Verwendung von „Normativität“ nahe kommt. 656
V. Kulturwissenschaftliche Betrachtung von Verfassungswirkung
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Eine solche instrumentelle Auffassung von Recht muss sich in seinem Gebrauch und in dem Sprechen darüber zwangsläufig niederschlagen.659 Die praktische Umsetzung des Rechts im Sinne einer Rechtspraxis als Wirklichkeitsdimension des Rechts löst das Recht von einem Verständnis als statischer Rechtstext ab. Umgangssprachlich formuliert führt das zu der Feststellung: Recht ist (immer nur) das, was die Akteure des Rechtssystems daraus machen und was als Recht bezeichnet wird. Friedrich Müllers Untersuchung der Anwendung von Recht im Rahmen der „Strukturierenden Rechtslehre“ hat Rückwirkungen auf den Begriff der Normativität. Die oben dargestellte Verwirklichungsdimension des Rechts führt Müller dazu, Normativität als einen Vorgang zu konzipieren660. In diesem Vorgang werden ausgehend von Normtexten die Rechts- und Entscheidungsnormen für konkrete Fälle jeweils durch die Rechtsarbeit hergestellt. Diese Normen, die durch die „Rechtsarbeiter“ konstruiert werden, stehen der Wirklichkeit nicht gegenüber, sondern werden durch diese geprägt und bestehen aus Normprogramm und Normbereich, die gemeinsam ein sachgeprägtes Ordnungsmodell ausmachen. Der Normtext repräsentiert die Norm und besitzt „Geltung“.661 Erst durch die Konkretisierung des Normtextes wird seine Bedeutung ermittelt, so dass der Umgang mit Rechtsnormen eine semantische Praxis darstellt.662 Normativität ist die Rechtsnormen zugeschriebene Fähigkeit, zu Entscheidungsnormen fortgebildet werden zu können.663 Die im Vergleich zur Strukturierenden Rechtslehre üblicherweise zu beobachtende Folgenlosigkeit von Wirksamkeitsvorstellungen und Effektivitätsdiskussionen auf den Normativitätsbegriff liegt darin begründet, dass in einer Diskussion über Realität und Recht in der Spiegelung von Sein und Sollen das Recht 658 Zippelius, Das Recht – ein Instrument rationaler Steuerung, S. 516 ff.; zur Anwendungslogik des Rechts und den daraus folgenden „Zurichtungen“ der Wirklichkeit vgl. Broekman, Recht und Anthropologie. 659 Vgl. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, der die Rechtsanwendung als „Konstruktion“ (S. 50) und „Zurichtung“ (S. 110 f.) der maßgeblichen Begriffe beschreibt. 660 Seit Mitte der sechziger Jahre sukzessive in zahlreichen Arbeiten als „Elemente einer Verfassungstheorie“ entfaltet und unter Rezeption aktueller Fragestellungen und Lösungsansätze fortentwickelt. Die rechts- und verfassungstheoretischen Kernaussagen der strukturierenden Rechtslehre finden sich zusammengefasst im gleichnamigen Werk von 1984, dessen ersten Teil die grundlegende Arbeit „Normstruktur und Normativität“ aus dem Jahr 1966 bildet. Auch die institutionelle und prozedurale Rechtstheorie legen ein erweitertes Verständnis von Recht und seinen Wirkungen und somit Normativität zugrunde. Vgl. auch Gromitsaris, Law-oriented Behaviour, S. 387 ff. Er beschreibt „rule“ als „continous correlation between structure and process, not substantive structures“ (399). 661 Müller, Demokratie zwischen Staatsrecht und Weltrecht, S. 35 ff. 662 Müller, Rechtstext und Textarbeit. 663 Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 193 ff.
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
üblicherweise auf der Seite des Sollens verortet und darin der Ausdruck seiner Normativität gesehen wird. Konrad Hesse betont in seiner viel zitierten Erörterung der normativen Kraft der Verfassung die gegenseitige Bedingtheit von rechtlicher Verfassung und sozialer Wirklichkeit664. Er geht sogar davon aus, dass „dieser Geltungsanspruch (. . .) sich nicht von den geschichtlichen Bedingungen seiner Realisierung ablösen (. . .) lässt“. Allerdings ist der Geltungsanspruch einer Verfassungsnorm nicht mit den Bedingungen seiner Realisierung identisch, sondern bleibt von diesen gesondert. Anders ist nach Hesse eine Erfüllung des Gestaltungsanspruchs, der die Normativität ausmacht, nicht möglich. Hesse spricht von Normativität, die er der Faktizität gegenüberstellt, vom Geltungsanspruch, von der Wirkung der rechtlichen Verfassung, von rechtlicher gegenüber tatsächlicher Verfassung und von normativer Kraft der Verfassung. Aus der Verwendung der verschiedenen Begriffe, die keinen besonderen Regeln zu folgen scheint, wird geschlossen, dass Normativität, Geltungsanspruch sowie Wirkung der rechtlichen Verfassung und normative Kraft der Verfassung gleichbedeutend sind. Die Vergleichbarkeit zur hier vorgeschlagenen Verwendung von Normativität liegt darin, dass Hesse unter Normativität ebenfalls Wirkung von Recht versteht. Welche Wirkungsweise seiner Auffassung nach für das Recht üblich ist und welche nicht, lässt sich an seinen Ausführungen jedoch nicht ablesen. Ein Unterschied zur hier angestrebten Konzeption liegt in der Entfaltung der Normativität zwischen Normativität und Faktizität. Hiermit wird trotz der Verbindung beider Bereiche über „wechselseitige Bedingheit“ und Voraussetzungen, dennoch die Trennung zwischen Recht und Wirklichkeit reproduziert und als Struktur der Erörterungen gewählt. Normativität als Vorgang lässt sich in diesem Rahmen nicht entwickeln. Die normative Kraft der Verfassung bleibt zu statisch im Bereich des Sollens.
VI. Rechtstheoretische Gründe für einen erweiterten Begriff der Normativität der Verfassung Verschiedene Normtypen innerhalb der Verfassung, die zu verschiedenen Wirkungsmöglichkeiten des Verfassungsrechts führen, sprechen neben der Vorstellung einer realistischen Betrachtung der Verfassungsverwirklichung ebenfalls für ein erweitertes Verständnis der Rechtlichkeit der Verfassung. In Anlehnung an Adolf Merkl, der die normative Kraft als etwas spezifisch Rechtliches konzipiert665, soll im Folgenden knapp auf die Frage eingegangen werden, was die besondere Rechtlichkeit der Verfassung ausmacht. Diese Über-
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Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 77 ff. (insb. 82). Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft (1923), S. 165.
VI. Rechtstheoretische Gründe der Normativität der Verfassung
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legungen schließen auch an die Rede von „Verfassungsrecht als politischem Recht“ an, versuchen aber eine Bestimmung der Besonderheiten der Verfassung, die nicht als eine Beschreibung von normativen Defiziten angelegt ist666. Die Verfassungsrechtslehre geht einhellig vom Rechtscharakter der Verfassung aus. Allerdings fehlt ein explizit formulierter Begriff der Verfassung als Recht. Die Kritik an bestimmten Verfassungsentwicklungen – insbesondere denjenigen, die unter dem Schlagwort der Materialisierung und daraus folgender Entformalisierung der Verfassung – zusammengefasst werden667, legt aber nahe, dass es Vorstellungen von der Rechtsnatur der Verfassung gibt, die durch bestimmte Änderungen des Verfassungstextes und der daraus folgenden Konkretisierung gefährdet seien. Aussagen zum Rechtscharakter der Verfassung lehnen sich offenbar an einen allgemeinen Begriff von Recht an, der als Referenzpunkt für die Erörterung verfassungsrechtlicher Besonderheiten genommen wird668, selbst aber im Rahmen verfassungstheoretischer Aussagen keine weitere Ausführung erfährt. Als Merkmale dieses Referenzpunktes, also eines „konventionellen“ Rechtsbegriffs, kann man ansehen, dass es sich um eine staatlich durchsetzbare Regelung mit bestimmter Struktur handelt669. Ein für die Verfassung wesentlicher Aspekt, auf den stets hingewiesen wird, ist die fehlende Möglichkeit ihrer zwangsweisen Durchsetzung.670 Bereits oben hatte sich jedoch gezeigt, dass mit der Betonung der Sanktionsschwäche eine Verengung der Verfassung auf einen der Imperativentheorie entstammenden Rechtsbegriff vorgenommen wird, der wesentliche Funktionen des Rechts jenseits der gerichtlichen Konfliktbereinigung vernachlässigt671. Daneben ist insbesondere der Aspekt der Justiziabilität der Verfassung für den Rechtscharakter wichtig. Justiziabilität lässt sich bei begrifflicher Auflösung nicht einfach nur einem Teil der vorgängigen Definition – staatlich durchsetzbare Regelung mit bestimmter Struktur – zuordnen, da Justiziabilität sowohl formale als auch materielle Gesichtspunkte meint672. Mit formaler Justiziabilität wird auf den Aspekt 666
Isensee, Verfassungsrecht als politisches Recht, § 162 Rz. 1 ff. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 130 ff.; Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, § 1 Rz. 64 ff. 668 So z. B. Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, S. 89 ff. 669 Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, S. 25. 670 Vgl. stellvertretend Isensee, Die Normativität der Verfassung, S. 25 ff. (33 f.). 671 Vgl. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 64 f.; Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm, S. 314 ff. 672 Diese Unterscheidung trifft Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, S. 18 ff. 667
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3. Teil: Folgerungen – Konzept der normativen Kraft der Verfassung
einer Durchsetzungsinstanz verwiesen. Hiermit ist vor allem die gerichtsförmige Durchsetzung von Recht gemeint.673 Für das Verfassungsrecht kommt, bezogen auf das Grundgesetz, das Bundesverfassungsgericht ins Blickfeld, das, wie oben zu Isensee erwähnt, auch als Normativitätsfaktor thematisiert wird.674 Von größerer Bedeutung ist die inhaltliche Dimension von Justiziabilität. Damit wird erfasst, welchen Kontroll- oder Beurteilungsmaßstab eine Norm zur Verfügung stellt und inwieweit dadurch die Gerichte gebunden werden.675 Für justiziabel wird vor allem eine Rechtsnorm mit konditionaler Struktur, die klar in Tatbestand und Rechtsfolge zerfällt, gehalten. Am deutlichsten kann diese Strukturbeschreibung von Recht am Beispiel des Strafrechts nachvollzogen werden. Im Hintergrund dieser Strukturbeschreibung steht ein instrumentelles Verständnis von Recht, das mit einer Idee von Regelbarkeit der Gesellschaft verbunden ist. Besondere verfassungsrechtliche Normtypen, wie Verfassungsprinzipien und Staatsziele, die eine finale Struktur aufweisen676, entsprechen diesen Anforderungen nicht. Sie sollen es auch nicht, damit die Verfassung bestimmte Funktionen erfüllen kann677. Damit wird aber v. a. die Verfassung als Rahmenordnung gerechtfertigt678. Die Öffnung der Verfassung für soziale Inhalte wird demgegenüber kritischer beurteilt, da hier der Rahmenordnungscharakter in Gefahr geraten könnte679. Für eine Beurteilung der Rechtlichkeit der Verfassung sind die vielfältigen Funktionen zu bedenken, die die Verfassung in der Gesellschaft erfüllen soll680. Diese machen unterschiedliche Regelungsarten erforderlich, da Sozialplanung oder Integration nicht (nur) durch Verfassungsrecht im Stil einfacher Gesetze bewirkt werden kann.681 Im Interesse der vielfältigen verschiedenen Regelungsanforderungen, die an Recht herangetragen werden, ist für ein Nebeneinander verschiedener Rechtsbe-
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Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, S. 18 f. Isensee, Vom Stil der Verfassung, S. 51 f. 675 Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, S. 19; Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 ff. (68). 676 Dazu im Überblick Badura, Die Verfassung im Ganzen der Rechtsordnung, § 163; Sachs, Normtypen im deutschen Verfassungsrecht, S. 1 ff. m. zahlreichen Nachweisen. 677 Zu dem grundsätzlichen verfassungstheoretischen Konflikt vgl. Batt, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit. 678 Zu diesem Verfassungsverständnis s. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 191. 679 Grimm, Ursprung und Wandel der Verfassung, § 1 Rz. 64 ff. s. dazu auch die Ausführungen unten im vierten Teil unter I. 680 Vgl. Vorländer, Die Verfassung; Häberle, Die Funktionenvielfalt von Verfassungstexten, S. 701 ff. 681 Denninger, Verfassung und Gesetz, S. 291 ff. (insb. S. 309). 674
VI. Rechtstheoretische Gründe der Normativität der Verfassung
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griffe zu plädieren. Die Vielgestaltigkeit gesellschaftlicher Regelungsbedürfnisse lässt es als Verengung erscheinen, dass es nur einen Begriff des Rechts, verbunden mit einer bestimmten rechtlichen Struktur, geben soll. Die mit der Justiziabilität verbundene Frage, inwieweit es sich bei der Möglichkeit der Anwendung durch Gerichte um ein Merkmal des Rechts handelt, ist im Sinne einer Differenzierung zu beantworten. Normativität ist nicht Justiziabiliät. Eine solche Identifizierung ist auch verfassungstheoretisch bedenklich, da damit ein Machtzuwachs der Gerichte einher geht.682 Die Rechtlichkeit der Verfassung hängt nicht von der Möglichkeit der gerichtsförmigen Durchsetzbarkeit ab.
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Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 ff. (68 f.).
Vierter Teil
Ertrag – Die sog. Integrationsverfassung als Verlust von Rechtlichkeit? I. Zur Diskussion um symbolische und integrative Verfassungsleistungen 1. Für ein erweitertes Konzept der Verfassung als Recht Die Darstellung der Diskussion um eine integrative Wirkung von Verfassungen hat die Unterscheidung von rechtlichen und nicht-rechtlichen Verfassungsleistungen als einen wesentlichen Angelpunkt der Auseinandersetzung gezeigt. Als für die Rechtlichkeit der Verfassung problematisch wird vor allem eine als nicht-rechtlich eingestufte Integration im Sinne einer Orientierungsleistung für die Gesellschaft wahrgenommen. Eine solche Integration wird offenbar mit bestimmten Verfassungsteilen bzw. -normen in Verbindung gebracht, die besonders auf dieser Integrationsebene wirken sollen und die zum Teil mit dem, was als Kulturverfassung bezeichnet wird, zusammenfallen: Dazu gehören Staatszielbestimmungen, Verfassungsaufträge, soziale Grundrechte, Präambeln. Die Aufzählung zeigt, dass neben Neuerungen der Verfassung (aus Sicht des Grundgesetzes) auch bekannte Bestandteile erfasst werden, deren normativer Charakter ebenfalls als zweifelhaft wahrgenommen wird. Die Diskussion um die normative Wirkung von Präambeln unterstützt diese Einschätzung. Den Hintergrund der Befürchtungen bildet die Annahme, dass eine Veränderung der Verfassung hin zu mehr sozialintegrativen Leistungen (im Unterschied zur politischen Integration) „auf Kosten“ der rechtlichen Leistungen und des rechtlichen Leistungsvermögens der Verfassung geht. Dabei wird als bedrohliche Veränderung auch bereits eine Auslegung der Verfassung begriffen, die in einer interpretativen Berücksichtigung der Folgen der Sozialstaatlichkeit die Grenzen der rechtsstaatlichen Form der Verfassung überschreitet. Diese von Ernst Forsthoff bereits frühzeitig vorgetragene Kritik an der „Umbildung des Verfassungsgesetzes“683 bildet den Untergrund auch aktueller Verfassungskritik, obwohl Forsthoffs Forderung, die Verfassung wie ein Gesetz zu behandeln in dieser Konsequenz kaum geteilt wurde und wird684. Die aktuelle Verfassungskritik entzündet sich weniger an der Verfassungsauslegung, die nach überwiegender Ansicht anders 683
Abgedruckt in: Rechtsstaat im Wandel, 2. Aufl., S. 130 ff.
I. Symbolische und integrative Verfassungsleistungen
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als übliche juristische Gesetzesarbeit zu erfolgen hat685, sondern bezieht sich auf erfolgte oder geplante Verfassungsänderungen. Die Kritik betrifft, für das Grundgesetz gesprochen, zum Beispiel die Veränderungen der Art. 3 Abs. 2 und 3, des Art. 20 a686 sowie weitere Überlegungen, moralische Appelle687 und soziale Grundrechte in die Verfassung aufzunehmen688. Die Gemeinsamkeit dieser Veränderungen der Verfassung besteht in der Perspektive ihrer Kritiker darin, ihre rechtsstaatliche Form und dadurch ihre rechtliche Wirkung zu beeinträchtigen. Zum einen dadurch, dass ihnen selbst eine bestimmte rechtliche Form fehle, und zum anderen dadurch, dass die rechtliche Wirkung der anderen Verfassungsnormen behindert werde. Die vorangegangenen Ausführungen zur Rechtlichkeit der Verfassung haben gezeigt, dass aus erweiterter Perspektive die übliche Abschichtung von rechtlichen und nicht-rechtlichen Gehalten der Verfassung weder zwingend noch, aus realistischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive, einleuchtend ist. Insbesondere ist die schematische Vorstellung, dass nichtrechtliche Gehalte der Verfassung symbolische Wirkungen erzielen während rechtliche Gehalte die instrumentellen Funktionen steuern, vereinfachend. Aus einer realistischen Perspektive auf den Prozess der Rechtsverwirklichung zeigt sich die Verknüpfung von symbolischen mit instrumentellen Verfassungsdimensionen im Rahmen eines institutionellen Mechanismus. „Symbolisch“ meint eine basale Wirkungs- und Vermittlungsweise von Ordnungsvorstellungen und stellt in dieser Lesart keinen Gegensatz zu „rechtlich“ dar. Die Kritik an bestimmten Verfassungsgehalten orientiert sich an einem für die Verfassung unpassenden Rechtsbegriff, der in seiner Struktur an einfach-gesetzliche Rechtsnormen angelehnt ist. Dies ergibt sich v. a. aus der Kritik an der fehlenden Justiziabilität bestimmter Verfassungsgehalte, die dann letztlich zu deren Unwirksamkeit führt oder zur Entfaltung des Justizstaats. Justiziabilität soll dabei durch klare Begriffe und eine Normstruktur, die in Tatbestand und Rechtsfolge zerfällt, gewährleistet werden. Diese Argumentation begegnet drei Einwänden: Sie passt erstens nicht zur Struktur der Verfassungsnormen, sie reduziert zweitens die Frage der Verwirkli684 Kritik z. B. bei Böckenförde, der aber ebenfalls als Vertreter einer limitierenden Verfassungstheorie angesehen werden kann. Vgl. dazu Manterfeld, Die Grenzen der Verfassung. 685 Begründet wird dies mit der besonderen Bedeutung der Verfassung, die hauptsächlich in der Formel von der Verfassung als politischem Recht zusammengefasst wird. Dazu im Überblick Isensee, Verfassungsrecht als politisches Recht, § 169. 686 Hierzu Isensee, Vom Stil der Verfassung. 687 Grimm, Als Verfassungssatz untauglich, S. 82 ff. 688 Die Kritik bezieht sich z. T. auch auf entsprechende Ausgestaltungen der Verfassungen der neuen Bundesländer, s. dazu Häberle, Die Verfassungsbewegung in den fünf neuen Bundesländern.
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4. Teil: Ertrag – Integrationsverfassung und Rechtlichkeit
chung von Verfassungsgehalten auf deren Anwendung durch die Rechtsprechung, und sie geht schließlich – was die fehlende Determinierung der Rechtsprechung durch zu offene Normen angeht – von einem unrealistischen Bild der verfassungsgesetzlichen Bindung der Gerichte aus. Dies haben insbesondere die Studien Friedrich Müllers hinlänglich belegt. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Verfassung kein einfaches Gesetz ist, wie sich insbesondere an der anders gelagerten Kritik an den Änderungen der Art. 13 und 16 Grundgesetz gezeigt hat689. Die Gesetzesförmigkeit der Verfassung wird vor allem aus legitimatorischen Gründen betont.690 Allerdings wird die Verfassung auch durch vom einfachen Recht abweichende Normtypen, wie insbesondere Staatsziele und Verfassungsaufträge, bestimmt. Klare tatbestandliche Formulierungen im Sinne einfacher Gesetze enthalten wesentliche Verfassungsnormen, wie besonders die Grundrechte, ebenfalls nicht. Die genannten Aspekte der „fehlenden Rechtsförmigkeit“ werden außerhalb der Diskussion um neue Verfassungsgehalte auch nicht als Manko diskutiert. Die strukturelle und inhaltliche Offenheit der Verfassungsnormen wird unter Gesichtspunkten des Zusammenhangs von Form und Funktion691 als wesentliches Merkmal der besonderen Rechtlichkeit der Verfassung erörtert. Davon ausgehend wird eine zu weitgehende inhaltliche Dichte mit dem Verweis auf die politische Natur des Verfassungsrechts abgelehnt. Die Rede vom Verfassungsrecht als politischem Recht rechtfertigt zudem – nicht nur bei Smend – Auslegungsmethoden, die sich deutlich von denen für einfaches Recht unterscheiden sollen. Insofern erscheint manche Kritik an Normen wie Art. 3 Abs. 2 GG oder an dem Wunsch nach weiteren Staatszielbestimmungen, für die es möglicherweise auch politische Mehrheiten gibt, als ob mit zweierlei Maß gemessen wird. Bei genauer Betrachtung wird man auch Art. 1 Abs. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG illusorische Gehalte vorwerfen können, denn weder Würde noch Gleichheit sind in Gänze verwirklicht, und die genannten Normen mussten in einem langen Anwendungsprozess inhaltlich so verdichtet werden, dass ihnen konkrete Aussagen zu entnehmen sind. Offenbar sind Rechtsprechung und Wissenschaft zu solchen dogmatischen Leistungen in der Lage.692
689 Vgl. auch hier Isensee, Vom Stil der Verfassung, sowie Grimm, Die Verfassung und die Politik, S. 126 ff. 690 Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, u. a. § 6. 691 s. dazu im Hinblick auf die Verfassung Brenner, Die neuartige Technizität des Verfassungsrechts, S. 248 ff.; Voßkuhle, Verfassungsstil und Verfassungsfunktion, S. 35 ff. 692 Kritisch zur Kritik an neuen Verfassungsentwicklungen auch Denninger, Verfassung und Gesetz, S. 291 ff. (insb. S. 309).
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2. Die Rede von einer „symbolischen Verfassung“ – eine geglückte Begriffsbildung? Die „Brandmarkung“ von rechtlich und politisch einflusslosen Verfassungen und bestimmten Verfassungsbestandteilen als „symbolisch“ knüpft an eine gefestigte Begriffsbildung an, die sich in der Diskussion um symbolische Politik und damit verbundenen symbolische Gesetzgebung herausgebildet hat693. Wesentliche Stationen dieser Diskussion bilden die Auseinandersetzungen um das Umweltrecht und das Strafrecht. Die wesentlichen Inhalte dieser Diskussionslinie sind – kurz zusammengefasst – die gewollte Unwirksamkeit der Gesetze in einem engen regelungstechnischen Verständnis bei gleichzeitigem Vortäuschen von Regelungsabsichten. Das Gesetz tritt nach diesem Verständnis im Sinne einer „Mogelpackung“ als Symbol für Regelung auf. Symbolische Gesetze in diesem Sinne sind Produkte einer symbolischen Gesetzgebung. Die entsprechende Intention des Gesetzgebers ist wesentlicher Bestandteil des Begriffs, so dass die Begrifflichkeit des symbolischen Gesetzes selbst eher in den Hintergrund tritt. Im Verfassungsrecht wird zum einen diese v. a. aus der Politikwissenschaft694 stammende Diskussionslinie rezipiert695. Daneben wird auf die spezifisch für Verfassungen gedachte Klassifikation Karl Loewensteins zurückgegriffen.696 Dieser hatte in einem Beitrag aus dem Jahr 1952697 und in seiner „Verfassungslehre“ aus dem Jahr 1957 eine ontologische Einteilung der Verfassungen entwickelt, die als Bezugsrahmen das Spannungsfeld zwischen formeller Gültigkeit der Verfassung und ihrer „wirklichen Geltung“ benutzt und in diesem Rahmen zwischen normativer, nominalistischer und semantischer Verfassung unterscheidet, wobei die semantische Verfassung keine normativen Wirkungen erzeugt bzw. erzeugen soll698. In neueren Arbeiten geht Marcelo Neves hingegen über die „Unwirksamkeitslesart“ von „symbolisch“ und „semantisch“ hinaus und diskutiert unter „symbolischer Konstitutionalisierung“ das Phänomen der hypertrophen Verfassung.699 Obwohl Neves den Begriff des Symbolischen grundsätzlich vom Stigma der Unwirksamkeit befreit, gibt auch er dem Begriff eine vorwiegend negative Wendung.700 693
Einen guten Überblick gibt die Arbeit von Voß, Symbolische Gesetzgebung. Überblick und Nachweise bei Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 23. 695 Z. B. Bryde, Zur Effektivität des Rechts; Isensee, Vom Stil der Verfassung. 696 V. a. Neves, Symbolische Konstitutionalisierung. 697 Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungsrealität, S. 432 ff. 698 Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungsrealität, S. 432 ff. (447 ff.); Loewenstein, Verfassungslehre, S. 151 ff. 699 Neves, Symbolische Konstitutionalisierung. 700 Diese Einschätzung auch bei Brodocz, Die symbolische Dimension der Verfassung, S. 23 ff. 694
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4. Teil: Ertrag – Integrationsverfassung und Rechtlichkeit
Vor dem Hintergrund der realistischen Verfassungsbetrachtung, die ein erweitertes Bild rechtlicher Wirkungsweisen gezeigt hat, erscheinen sowohl die Benennung als „symbolisch“ als auch als „semantisch“ für fehlende Verfassungsverwirklichung als problematisch. In dieser Lesart sind die Beschreibungen „symbolisch“ und „semantisch“ negativ besetzt und dadurch für eine positive Verwendung aufgrund des geschaffenen Bedeutungsfeldes nahezu unbrauchbar gemacht. Dieser negativen Lesart stehen jedoch die Einsichten der Institutionenforschung zur Verfassung entgegen, die von einer Verbindung von Regelungsund Orientierungsleistung in der Verfassung ausgehen.701 Die Verfassung kann als institutioneller Mechanismus, d.h. als dauerhafte Symbolisierung von Leitideen begriffen werden. „Symbolisieren“ meint dabei eine spezifische Vermittlungs- und Verstehensmöglichkeit von Sinn- und Bedeutungsgehalten. Auch der Begriff der „Semantik“ ist wichtig, damit die Sinn- und Bedeutungsdimensionen des Verfassungsrechts zur Sprache gebracht werden können, die gerade in einer Demokratie verhandelbar und dadurch deutlich sichtbar sind. Insofern sollten beide Begriffe nicht im Diskurs über unwirksame, aber wirksam scheinen wollende, Verfassungen verwendet werden. Hier böte sich beispielsweise der Begriff des „Scheinkonstitutionalismus“ an.702
II. Smends Verfassungsverständnis als Normativitätsmanko? Die vorliegende Arbeit hat Normativität als Wirkung von Recht entfaltet und diese Wirkung als einen komplexen Vorgang mit einer Vielzahl von Faktoren (Akteuren, Wirkungsweisen) dargestellt. Daraus folgt, dass eine Beurteilung von Smends verfassungstheoretischem Konzept nach Maßgabe des hier vertretenen Ansatzes auf eine Untersuchung dieser verschiedenen Faktoren angewiesen ist. Die meisten Autoren, die Smends Verfassungstheorie unter dem Gesichtspunkt des Normativitätsverlustes thematisieren, betrachten nur Smends Aussagen zur Interpretation der Verfassung und dort nur die Aspekte, die zu einer Abweichung von der Verfassung führen, obwohl Smend ebenfalls von der Festigkeit verfassungsrechtlicher Regelungen ausgeht. Die Darstellung von Smends integrationstheoretischen Überlegungen hat gezeigt, dass Smend die integrative Wirkung der Verfassung unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht hat und die Verfassung auch über ihren normativen Charakter im Sinne von starrer Regelung die Integration unterstützt. Eine Beurteilung seines verfassungstheoretischen Konzepts müsste v. a. Smends Begriff des „Verfassungslebens“, das immerhin im Zentrum staatlichen Lebens steht, deutlicher berücksichtigen. Die vorliegende Untersuchung hat hierzu Anknüpfungspunkte geliefert.
701
s. zusammenfassend Vorländer, Die Verfassung als symbolische Ordnung. Dieser Begriff ist durch seine Verwendung im Kontext konstitutioneller Monarchien möglicherweise jedoch auch „vorbelastet“. 702
II. Smends Verfassungsverständnis als Normativitätsmanko?
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Neben einer verstärkten Berücksichtigung des Starrheitsaspekts in Smends Verständnis der Rechtlichkeit der Verfassung ist zudem eine andere Lektüre seines dynamischen Verfassungsverständnisses möglich, wenn man von einem Verständnis von Normativität als Prozess ausgeht.703 Diese normtheoretische Einsicht wird von verfassungstheoretischen Überlegungen begleitet, die von der Verfassungsverwirklichung als Prozess ausgehen704. Ausgehend von Smends Verfassungsverständnis, dem ein „Verfassungsverwirklichungsgebot“ entnommen wird, beschränkt sich diese Lehre im Ursprung jedoch nur auf Übergangssituationen, die ein Abweichen von üblichen verfassungsrechtlichen Regeln erfordern.705 Diese Beschränkung des Begriffs des „Prozessualen“ der Verfassungsverwirklichung kann vor dem hier entworfenen Bild der Verfassungsverwirklichung aufgehoben werden. Smends geisteswissenschaftliche Herangehensweise an die Bestimmung von Begriff und Funktion der Verfassung ist wegen der „Integration“ von Norm und Wirklichkeit“ unter methodischen Gesichtspunkten kritisiert worden.706 Vorliegend wird der daraus resultierende Normbegriff Smends zwar auch wegen des Nebeneinanderstellens von normativen und geisteswissenschaftlich zu erschließenden Dimensionen der Verfassung bemängelt707, aber die Smend vorgeworfene Prozeduralisierung der Verfassung rührt nicht von ihrer geisteswissenschaftlichen Lesart her, denn diese führt Smend gerade auch zur Erkenntnis der Heteronomie des Rechts zum Integrationssystem und damit seiner Integrationsuntauglichkeit. Die Anpassung an die Gegebenheiten des Staates als Ursache der Prozeduralisierung folgt vielmehr der „Anknüpfungstheorie“708 und kann – damals wie heute – als Etatismus kritisiert werden. Die vorliegende Arbeit sollte zeigen, dass Überlegungen auf der Metaebene einer rechtstheoretischen Verfassungstheorie durchaus praktische Konsequenzen für den Umgang mit dem Verfassungsrecht haben, denn Recht ist – um dies abschließend nochmal aufzugreifen – das, was die Akteure im Rechtssystem daraus machen. Auch die Rechtswissenschaft gehört zum Kreis der Akteure und ihre Aussagen prägen das Bild des Verfassungsrechts. 703 s. dazu im zweiten Teil die Ausführungen unter 2. und 3. sowie im dritten Teil unter V. 2. 704 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 817 f. 705 Harms, Verfassungsrecht in Umbruchsituationen, S. 168 f.; Schuppert, Staatswissenschaft, S. 817 f. 706 Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung; Korioth, Integration von Norm, Wert und Wirklichkeit, S. 200 ff. 707 Die zentrale Aussage Smends, dass die Verfassung nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit sei, müsste im Sinne dieser Arbeit zu: Die Verfassung ist als Norm Wirklichkeit, umgeformt werden. 708 Isensee, Staat und Verfassung, § 13.
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Sachwortverzeichnis Anwendungsdenken 34 Begriff des Politischen 50, 51, 53, 62 Bundesverfassungsgericht 14, 125 f. Desintegration 22, 39, 44, 69 Dualismus 32 Europäische Verfassung 23 formale Integration 68 Geltung 34, 37, 80, 84, 96, 116, 137, 145 Grundgesetz 23, 25, 80, 82, 95, 143, 144 Grundrechte 65, 66, 77, 142, 144 Heteronomie der Rechtsordnung 78 historisch-vergleichende Verfassungsanalyse 12 Homogenität 65, 72, 94, 100 Institutionenbegriff 108 instrumentalistisches Rechtsdenken 19 Integration 15, 21 ff., 39, 41 ff., 57 ff., 72, 73, 74 ff., 89, 91 ff., 99, 102, 107, 108, 109, 113, 114, 116, 121, 140, 142, 146, 147 Integrationsfaktoren 57, 59, 61, 70, 76, 81 Integrationslehre 11, 17, 21, 25, 39, 41, 74, 86, 88 Interdisziplinarität 16 Jurisfiktionen 34 Justiziabilität 139
Kausalzusammenhang 33, 34 Konflikt 24, 72 Konstitutionalisierung 27, 122, 145 kultureller Verweisungszusammenhang 17, 75 Kulturverfassung 142 Kulturwissenschaft 15, 99, 105 kulturwissenschaftliche Betrachtung 18, 133 Metanormativität 22, 24 moderner Verfassungsbegriff 25 Nationalstaat 44, 92 Norm als kontrafaktische Verhaltenserwartung 32 Normativität 11, 12, 13, 16, 17, 19, 20, 21, 27, 30, 31, 32, 36, 37, 40, 41, 74, 84, 86, 87, 89, 90, 95, 97, 98, 106, 111, 113, 114, 115, 117, 119, 121, 136, 137, 138, 141, 146, 147 „privatsoziologische Annahmen“ 28 Rechtfertigung des Staates 46 Rechtsarbeit 37, 128, 130, 136, 137 Rechtsbegriff 12, 16, 36, 87, 116, 120, 122, 126, 139, 143 Rechtsnorm 13, 37, 78, 140 Rechtspraxis 13, 119, 125, 128, 137 rechtsrealistische Schule 15 Rechtssystem 14, 32, 129, 135 Rechtstext 13, 137 Rechtsvergleichung 29 Rechtswirkungsforschung 34 Rechtswissenschaft 14, 15, 18, 20, 24, 28, 29, 33, 41, 89, 110, 112, 118, 120, 124, 127, 129, 131, 134
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Sachwortverzeichnis
Reflexionsinstanz, Verfassungstheorie als 14, 129 Rezeption 28, 43, 75, 88, 90, 130 sachliche Integration 61 Schemainterpretation 118, 130 Staatsziele 140, 144 Subtext 12, 40 Symbol 67, 70, 78, 86, 88, 110, 145 systemtheoretische Gesetzes- und Rechtskritik 19 Transdisziplinarität 18 Trennung von Staat und Gesellschaft 24, 54 Verfassung als Institution 88 Verfassungsaufträge 142, 144 Verfassungsauslegung 81, 142 Verfassungsbegriff 25, 27, 82, 101 Verfassungsfunktionen 22, 27, 95, 99, 113, 115, 116, 135
Verfassungsinterpretation 111, 119
79, 86, 103,
Verfassungskonkretisierung 117, 128 „Verfassungsleben“ 69, 79, 82, 85, 119, 128, 146 Verfassungsmystik 35 Verfassungspatriotismus 23, 86, 94, 127 Verfassungsprinzipien 140 Verfassungstheorie 14, 16, 19, 26, 33, 49, 76, 90, 92, 99, 100, 105, 119, 128, 129, 146, 147 Verfassungsverwirklichung 13, 16, 40, 41, 97, 105, 119, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 138, 146, 147 Weimarer Reichsverfassung 25, 81 Wertgesetzlichkeit des Geistes 47, 55, 72 Wirksamkeit 19, 33, 34, 36, 93, 95, 96 Wirkung 34