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German Pages 439 [441] Year 1982
Der dynastische Fürstenstaat
Historische Forschungen
Band 21
Der dynastische Fürstenstaat Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates
in Zusammenarbeit mit Helmut Neuhaus herausgegeben von Johannes Kunisch
DUNCKER &
HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berllner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05106 8
VORWORT Der hier vorzulegende Band ist das Ergebnis einer Tagung, die vom 17. bis 20. September 1980 als Gastsymposion an der Herzog-AugustBibliothek in Wolfenbüttel stattgefunden hat. Sie wurde in großzügiger Weise finanziert durch die Stiftung Volkswagenwerk Von den 16 Referaten, die in Wolfenbüttel gehalten wurden, gelangen hier 13 zur Veröffentlichung. Verzichtet werden mußte auf das Einleitungsreferat von Ulrich Scheuner über den Verfassungscharakter hausvertraglicher Erbfolgeregelungen in der frühen Neuzeit. Herr Scheuner hatte mir die Fertigstellung des für den Druck bestimmten Manuskripts noch aus dem Krankenhaus in Aussicht gestellt. Wenige Tage später, am 25. Februar 1981, ist er nach kurzer Krankheit gestorben. Doch bleibt ungeachtet der Tatsache, daß sein Beitrag in den Tagungsband nicht hat aufgenommen werden können, seine Lebhaftigkeit, sein unerschöpfliches Wissen und seine überragende Gelehrsamkeit ein unvergeßlicher Eindruck dieses Kolloquiums. Nicht vertreten in diesem Tagungsband ist überdies der Vortrag über das verfassungsrechtliche Instrumentarium der Thronfolge im Heiligen Römischen Reich. Er befaßte sich mit einem Thema, das in exemplarischer Weise der Veranschaulichung von Sonderformen monarchischer Staatsbildung in Spätmittelalter und früher Neuzeit dienen sollte. Entfallen muß auch das Referat über Staat und Dynastie in BrandenburgPreußen. Es ist auf der Tagung in einer extemporierten Kurzfassung durch Gerd Heinrich zur Sprache gekommen. Geplant war darüber hinaus ein Vergleich zwischen monarchischen und republikanischen Nachfolgeregelungen. Doch ist neben den Abstrichen, die gegenüber dem ursprünglichen Konzept der Tagung gemacht werden mußten, auch von Erfreulichem zu berichten. Anstelle der zunächst vorgesehenen Referenten haben Winfried Schulze und Peter Wende die unverzichtbaren Vorträge über die Erbfolgeprobleme in Österreich und England übernommen und damit einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Kolloquiums geleistet. So gebührt ein herzliches Wort des Dankes an erster Stelle den Mitautoren dieses Bandes: den Referenten, den Diskussionsberichterstattern und den übrigen Teilnehmern des Symposions. Zu danken ist darüber hinaus der Stiftung Volkswagenwerk für die Finanzierung des Kolloquiums. Sie hat in reibungsloser Zusammenarbeit die Voraus-
VI
Vorwort
setzungen für das Treffen von 34 in- und ausländischen Gelehrten aus dem Bereich der Historie, der Rechts- und Verfassungsgeschichte und der allgemeinen Staatswissenschaft geschaffen und damit die Möglichkeit zu einem interus~ven Gespräch zwischen Disziplinen eröffnet, die gerade im Hinblick auf die frühe Neuzeit viel enger, als es im normalen Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb möglich erscheint, kooperieren sollten. Zu danken ist sodann dem Direktor der Herzog-August-Bibliothek, Herrn Prof. Dr. Paul Raabe, für die Gastfreundschaft, mit der er den Bibelsaal der Bibliothek für das Kolloquium selbst, das AnnaVorwerk-Haus und das Lessing-Haus für die abendlichen Treffen des Teilnehmerkreises zur Verfügung stellte. Der gute Geist von Wolfenbüttel ist dem Symposion sehr zustatten gekommen. Besonderer Dank gebührt auch Herrn Prof. Dr. Johannes Broermann, dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, der sich ohne Wenn und Aber bereiterklärt hat, die Ergebnisse der Tagung in dem vorliegenden Band der "Historischen Forschungen" zu veröffentlichen. Zu danken habe ich schließlich meinem Assistenten, Herrn Dr. Helmut Neuhaus, für tatkräftige Mithilfe bei der Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums und bei der Drucklegung des Tagungsbandes. Meine Sekretärin, Frau Erika Benn, hat die Abschrift der Diskussionsberichte besorgt und die Korrekturen mitgelesen. Für ihre Sorgfalt und Zuverlässigkeit habe ich herzlich zu danken. Köln, am Neujahrstag 1982
Johannes Kunisch
INHALTSVERZEICHNIS
Johannes Kunisch, Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
I. Staatstheoretische und verfassungsrechtliche Aspekte frühneuzeitlicher Erbfolgeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Mohnhaupt, Die Lehre von der "Lex Fundamentalis" und die
Hausgesetzgebung europäischer Dynastien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jürgen Weitzel, Die Hausnormen deutscher Dynastien im Rahmen der
Entwicklungen von Recht und Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
3 35
Johannes Kunisch, Hausg,esetzgebung und Mächtes)'lstem. Zur Einbezie-
hung hausvertraglicher Erbfolgeregelungen in die Staatenpolitik des ancien regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Michael StoHeis, Diskussionsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
II. Sonderformen frühneuzeitlicher Staatsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
Thomas Klein, Verpaßte Staatsbildung? Die wettinischen Landesteilun-
gen in Spätmittelalter und früher Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
Rudolf Reinhardt, Kontinuität und Diskontinuität. Zum ProbLem der Ko-
adjutortiie mit dem Recht der Nachfolge in der neuZJeitlichien Germania Sacra ........... . ... . .... .. ........ . .... . .. . ... . .. ....... .... .. .... 115
Wolfgang Reinhard, Bemerkungen zu "Dynastie" und "Staat" im Papst-
tum ... .. ................. . . .. ... . ....... . .. .... . . .... .. ..... ....... 157
Gerd Kleinheyer, Diskussionsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
111. Die absoluten Erbreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Ulrich Muhlack, Thronfolge und Erbrecht in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Horst Pietschmann, Reichseinheit und Erbfolge in den spanischen König-
reichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Helmut Quaritsch, Diskussionsbericht .. .. . . . . . ... .. . . .. ........ . . .. .... 247 Winjried Schulze, Hausgesetzgebung und Verstaatlichung im Hause
Osterreich vom Tode Maximilians I. bis zur Pragmatischen Sanktion 253
Günther Stökl, Das Problem der Thronfolgeordnung in Rußland . . . . . . . 273
VIII
Inhaltsverzeichnis
IV. Die "bedingten" Erbreiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Nils Runeby, Das ,bedingte' Erbreich: Schweden .. .. .. . ... .. .. . ... . . ... 293 Jörg K. Hoensch, Königtum und Adelsnation in Polen .. . ........ . ...... 315 Peter Wende, Die Thronfolge in England im 16. und 17. Jahrhundert ... 345 Helmut G.
~oenigsberger,
Diskussionsbericht .... .. ........... .. . .. .... 359
Schlußdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Helmut Neuhaus, Chronologie erb- und thronfolgerechtlicher Bestim-
mungen europäischer Fürstenhäuser und Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Personenregister ..... .. ......................... .. ....... . ..... . ..... . 391 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Teilnehmerverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
EINLEITUNG Von Johannes Kunisch, Köln Es kann der Sinn dieser Einführung nicht sein, hier schon im vorhinein endgültige Antworten und gesicherte Erkenntnisse vorzutragen. Dazu ist die Bedeutung, die den Sukzessionsordnungen für die europäische Staatsbildung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit zuzumessen ist, sowohl in historischer wie staatsrechtlicher Hinsicht noch keineswegs abschließend geklärt. So sollen als Einführung in das Thema des vorliegenden Bandes Fragen formuliert werden, die im allgemeinen wie in jedem der Einzelreferate zur Debatte standen und in der Schlußdiskussion noch einmal aufgegriffen werden. Sie betreffen das Problem der Erbfolge in zentralen Bereichen1 • Zum ersten ist zu fragen, ob das Streben der europäischen Dynastien nach grundgesetzlicher Regelung der Thronfolge einer bestimmten Epoche zugeordnet werden kann. Gibt es Hinweise darauf, daß die Festschreibung von Erbfolgegesetzen in einer eingrenzbaren Phase der europäischen Staatsentwicklung zum unabweisbaren Erfordernis politischen Handeins wurde? Mir scheint, daß es die inneren Spannungen im Gefolge der Krise des Ständestaates im 16. und 17. Jahrhundert gewesen sind, die die Dynastien veranlaßt haben, die Modalitäten der Erbfolge aus einer Sphäre hausinterner, häufig testamentarischer Verfügungen in den Rang von Grundgesetzen zu erheben, denen nicht nur für Staat und Dynastie, sondern auch für die auswärtigen Mächte verfassungsrechtliche Verbindlichkeit zukam. Eine solche Deutung findet sich etwa in der Bestätigungsurkunde des ungarischen Landtags für die Pragmatische Sanktion von 1723. Hier wird als vornehmster Zweck einer grundgesetzliehen Regelung der Thronfolge der Schutz vor inneren wie äußeren Wirren und den Übeln eines Interregnums angeführt, "die leicht zu entstehen pflegen und t Zum Grundsätzlichen jetzt auch Hermann Weber, Die Bedeutung der Dynastien für die europäische Geschichte in der frühen Neuzeit, in: Das Haus Wittelsbach und die europäischen Dynastien, München 1981 (zugleich Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 44/1), 5-32, und Herbert H. Row en, The King's State Proprietary Dynasticism in Early Modern France, New Brunswick 1980.
X
Einleitung
gerade den Ständen von alters her nur zu gut bekannt sind" 2 • Die auf das 16. und 17. Jahrhundert verweisende Erfahrung häufiger, systembedingter Krisen war es demnach, die die Notwendigkeit einer eindeutigen Thronfolgeregelung im Sinne strikter Erblichkeit ins Bewußtsein treten ließ, um - so die Schlußfolgerung - Frieden und Eintracht sicherzustellen. Ganz ähnlich argumentiert auch die dänische Lex regia von 1665 mit ihrem nachdrücklichen Hinweis auf eine Königreich und Länder bedrohende Gefahr, die den Reichsrat und sämtliche Stände dazu bewogen habe, von ihrem Wahlrecht zurückzutreten und dem König das Erbrecht mit allen Jura Majestatis, absoluter Gewalt, der Souveränität und allen königlichen Herrlichkeiten und Regalien anzutragen und zu überantworten3. Und da, heißt es an anderer Stelle, tägliche Erfahrung und anderer Länder jammervolles Exempel lehre, wie schädlich es ist, wenn die Macht der Könige beschränkt wird, so solle der Thronfolger mit wachsamem Auge darauf achten, daß die Erbgerechtigkeit und absolute Hoheit des Königs ungeschmälert erhalten werde4 • Auch hier also der Rückgriff auf eine sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts zuspitzende Krisensituation, aus der dann die Legitimation der unumschränkten und erblichen Fürstenherrschaft hergeleitet wird. Ein Gewährsmann für diese Einschätzung ist schließlich König Friedrich II. von Preußen. Die meisten Völker, urteilt er in seiner 1770 veröffentlichten Auseinandersetzung mit Holbachs anonym erschienener Schrift über den "Systeme de la Nature", hätten die Erbfolge der regierenden Häuser anerkannt, weil sie unter allen denkbaren Staatsformen die am wenigsten nachteilige ist. Denn in Staaten, wo die Untertanen das Recht hätten, ihre Herrscher abzusetzen, "bliebe ein Nährboden für Bürgerkriege, blieben Führer, die stets bereit wären, an die Spitze gefährlicher Parteien zu treten, um den Staat in Aufruhr zu versetzen". "Um eben diesen Mißverständnissen vorzubeugen, wurde ja die Erbfolge geschaffen und in zahlreichen europäischen Staaten eingeführt". Man habe gesehen, welche Unruhen durch Thronstreitigkeiten ausgelöst werden können, und fürchte "mit Recht, eifersüchtige Nachbarn 2 Abgedruckt bei Gustav Turba (Hrsg.), Die Pragmatische Sanktion. Au· thentische Texte samt Erläuterungen und Übersetzungen, Wien 1913, 180. Zum Gesamtzusammenhang des Anerkennungsverfahrens auch J. Kunisch, Hausgesetzgebung und Mächtesystem, in diesem Band, 50 ff. a Vgl. die Übersetzung von Theodor Olshausen, wiederabgedruckt bei Kersten Krüger, Absolutismus in Dänemark - Ein Modell für Begl'iffsbildung und Typologie, in: Ztschr. d. Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte 104 (1979), 171 - 206, hier 196 f. Die weitere Literatur bei J. Kunisch, Staatsverfassung und Mächtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus (Historische Forschungen 15), Berlin 1979, 17 - 40. 4 K. Krüger, Absolutismus oin Dänemark, 203.
Einleitung
XI
könnten die günstige Gelegenheit wahrnehmen, um das Land zu überwältigen und zu verwüsten" 5 • Auch der König hatte offensichtlich die Krise des Königtums im 16. und 17. Jahrhundert vor Augen, als er sich gegen die apodiktische und unhistarische Absolutismuskritik Holbachs zur Wehr setzte. Er bestätigt damit die Vermutung, daß die Verschärfung der Ständestaatsund Religionskonflikte zu Beginn der frühen Neuzeit die Notwendigkeit eindeutiger Erbfolgeregelungen erwiesen hat. Gewiß ist nicht in Abrede zu stellen, daß auch bei dem Versuch, das Problem der Thronfolgeregelung zeitlich einzugrenzen, wie bei allen Versuchen, gesamteuropäische Strukturen herauszuarbeiten, die Ungleichzeitigkeit gleichartiger Erscheinungsformen hervortritt. Die aus dem 13. Jahrhundert stammenden Siete Partidas Alfons X. von Kastilien oder die Goldene Bulle Karls IV. (1356) auf der einen, die polnische Verfassung von 1791 auf der anderen Seite, mögen als Beispiele genügen, um die zeitliche Spanne anzudeuten, innerhalb derer an der Lösung des Thronfolgeproblems gearbeitet wurde6• Aber mir scheint gleichwohl, daß vor allem das 17. Jahrhundert aus der leidvollen Erfahrung fortwährender Ständeund Religionskonflikte den politischen Willen und das begriffliche Instrumentarium hervorgebracht hat, um das Erbfolgeproblem des monarchischen Fürstenstaates endgültig zu regeln und damit seine innere wie äußere Stabilität sicherzustellen. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Gegenprobe. Im Kalkül der frühneuzeitlichen Mächtepolitik wurde die nicht auf Erblichkeit gegründete Monarchie als ein Herrschaftssystem eingeschätzt, das fortwährend die Möglichkeit einer Außensteuerung bot und die Intervention auswärtiger Mächte in innerstaatliche Konflikte zwangsläufig nach sich zog. Ein klassisches Beispiel für den Versuch, sich die "irregulären" Verfassungsverhältnisse dieses "status mixtus" zunutze zu machen, stellt Richelieus Plan dar, den Wahlcharakter des Reiches nicht nur zu erhalten, sondern in seiner destabilisierenden, die monarchische Komponente begrenzende Grundstruktur noch zu verschärfen7 • Seine diplos Friedrich der Große, Examen critique du systeme de la nature, in: Oeuvres de Frederic le Grand, ed. J. D. E. Preuss, t. 9, Berlin 1848, 151- 168, hier 167; die deutsche Übersetzung in: Die Werke Friedrichs des Großen, hrsg. von G. B. Volz, Bd. 7, Berlin 1912, 268 f. 6 Vgl. zur spätmittelalterlichen Entwicklungsstufe Erich Meuthen, Das 15. Jahrhundert (Oldenbourg- Grundriß der Geschichte 9), München-Wien 1980, 34 f. und 39 f. 7 Vergleichbar mit dem Konzept der inneren Destabilisierung des Reiches ist die vor allem von Rußland betriebene Hegemonialpolitik der polnischen Adelsrepublik gegenüber. Vgl. dazu im einzelnen Klaus Zernack, Negative Polenpolitik als Grundlage deutsch-russischer Diplomatie in der Mächtepolitik des 18. Jahrhunderts, in: Rußland und Deutschland, Festschrift für Georg von Rauch, hrsg. von U. Liszkowski (Kieler Hist. Studien 22), Stuttgart 1974, 144- 159.
XII
Einleitung
matischen Vorstöße bei den Kurfürsten zu Beginn der dreißiger Jahre zielten vor allem auf eine Zurückdrängung der Quasi-Erblichkeit, die dem Hause Habsburg unbeschadet des Prinzips der freien Wahl seit zweihundert Jahren mehr oder weniger unangefochten die Kaiserwürde verschafft hatte. So sollte inskünftig nicht nur die Wahlvivente imperatore als das vielfach wirkungsvoll angewandte Instrument zur Sicherung dynastischer Kontinuität reichsrechtlich verboten, sondern auch die Erhebung zweier Kaiser aus dem gleichen Hause in direkter Aufeinanderfolge ausgeschlossen werden8 • Auf diese Weise waren lange Interregna und die Möglichkeit zu diplomatischen nicht weniger als militärischen Interventionen verfassungsmäßig verankert. Bezieht man in dieses Kalkül schließlich das im Westfälischen Frieden tatsächlich durchgesetzte Bündnisrecht der Reichsstände und die Garantie des Friedensinstruments durch die Hegemonialmächte mit ein, so wird das Ziel einer Destabilisierung des ohnehin locker gefügten Reichsverbandes ganz deutlich. Sollte also der Entwicklung zum modernen, auf die Prinzipien von Souveränität und Integrität gegründeten Staates aus eigenen Vorherrschaftsplänen entgegengewirkt werden, so mußte in erster Linie an der Schwächung der geblütsrechtlich-dynastischen Komponente gearbeitet werden. Hier lag das Kalkül der Richelieuschen Reichspolitik Es dokumentiert gewissermaßen ex negativo, daß die Festschreibung der erblichen Fürstenherrschaft als entscheidender Faktor für die Konsolidierung eines noch ungefügten Staates betrachtet wurde. Stabilisierung wie Destabilisierung aber gehören in besonderem Maße zum politischen Instrumentarium des 17. Jahrhunderts und sind der Phase des Umbruchs vom Ständestaat zur absoluten Monarchie zuzuordnen. Mir scheint also im Hinblick auf die erste Frage, daß das Streben nach verfassungsrechtlicher Regelung der Thronfolge mit der Sicherung unumschränkter Fürstenherrschaft in Verbindung steht und im 17. Jahrhundert ein politisches Erfordernis von unabweisbarer Dringlichkeit gewesen ist. Die zweite Frage lautet: gibt es einen europäischen Zusammenhang in dem Bestreben nach grundgesetzlicher Regelung der Sukzessionsfrage, der mehr darstellt als ein assoziatives In-Parallele-Setzen? Sind die Erbfolgeordnungen der verschiedenen europäischen Dynastien von solcher Beschaffenheit, daß daraus auf ein Strukturprinzip der europäischen Staatsentwicklung geschlossen werden kann? 9 s Einzelheiten bei Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, 3. Aufi. Münster 1972, 155- 157. 9 Zur Problematik gesamteuropäischer Strukturen jetzt Frantisek Graus, Europäisches Mittelalter: Schlagwort oder Forschungsaufgabe? in: Ztsch. f. hist. Forschung 7 (1980), 385 - 399.
Einleitung
XIII
Eine Fülle wichtiger Indikatoren spricht dafür, daß die Stabilisierung dynastischer Fürstenherrschaft durch den Erlaß einer Thronfolgeordnung überall in Europa mit Notwendigkeit wenn nicht erfolgt so doch versucht worden ist. Selbst in Polen hat man sich unter dem Eindruck der ersten Teilung zur Einführung der Erbmonarchie nach dem Grundsatz der Primogenitur entschlossen. "Die zur Genüge erfahrenen Übel der die Regierung periodisch zertrümmernden Zwischenreiche", heißt es im Kapitel über den König und die vollziehende Gewalt der Maiverfassung von 1791, "unsere Pflicht, das Schicksal jedes Polen sicherzustellen, den Einfluß auswärtiger Mächte auf immer zu steuern ... , die Notwendigkeit, Fremde vor dem Streben nach dem Thron zurückzuhalten und dagegen mächtige Polen zur einmütigen Beschützung der Nationalfreiheit zurückzuführen, haben uns nach reifer Überlegung bewogen, den polnischen Thron nach dem Gesetz der Erbfolge zu vergeben"10. Dabei ist zu beachten, daß das auf di:e Beherrschung seines ostmitteleuropäischen Vorfeldes bedachte Zarenreich in der Petersburger Allianz mit Preußen noch 1764 daraufhingewirkt hatte, in Polen die libertäre Verfassung zu erhalten und der Errichtung einer Erbmonarchie entgegenzutreten. So V'erpflichteten sich die Bündnispartner im 4. Geheimartikel des Vertrages gegenseitig "de la manü~re la plus forte", gegen denjenigen, "qui que ce soit entreprenne de depuiller la Republique de Pologne de son droit de libre election, de rendre ce Royaume hereditaire ou de s'y rendre absolu", mit Waffengewalt vorzugehen, "pour garantir la Republique du renversement rde sa constitution et de ses lois fondamentales"11. Auch hier das Konzept einer hegemonialem Vormachtstreben verpflichteten Außensteuerungspolitik und der Versuch, sich eine Thronfolgeordnung zunutze zu machen, die durch ihre "die Regierung periodisch zertrümmernden Zwischenreiche" die Möglichkeit ständiger Einflußnahme eröffnete. Insofern lag es auf der Hand, daß Reformen, die sich die Konsolidierung der inneren Verfassungsverhältnisse Polens zum Ziel setzten, in erster Linie der Regelung der Erbfolge gelten mußten. Als Muster von Erbreichen mit teilweise frühzeitig festgelegter und immer weiter konkretisierter Thronfolgeregelung mögen Spanien, Frankreich, Dänemark oder das Haus Österreich gelten. Doch ist nicht zu leugnen, daß es auch Beispiele gibt, die dem "klassischen" Modell 10 Zitiert nach der anonym erschienenen Broschüre: Vom Entstehen und Untergang der Polnischen Konstitution vom 3ten May 1791, (WarschauLeipzig) 1792, 215 f. 11 Recueil des Traites et Conventions, conclus par la Russie avec l:es puissances etr.angeres, publ. par F. de Martens, t. 6: Traites avec l'Allemagne 1762-1808, St. Petersburg 1883, No. 218/219, 22.
XIV
Einleitung
dynastischer Staatsbildung im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit nicht zu entsprechen scheinen. Es sind die "bedingten" Erbreiche, wie sie sich etwa in Schweden oder England entwickelt haben, oder jene territorialstaatlichen Gebilde wie die wettinischen Fürstentümer, die eine Konsolidierung dynastischer Herrschaft durch Primogeniturerbfolge und Unteilbarkeit "verpaßt" haben. Gleichwohl ist davon auszugehen, daß zumindest der Tendenz nach überall in Europa, und selbst in den geistlichen Territorien, die Sicherung des ungeschmälerten Fortbestandes dynastischer Fürstenherrschaft als eine Aufgabe von vorrangiger Bedeutung betrachtet wurde. Denn der Fürstenstaat des werdenden Absolutismus war noch eine - wie Otto Brunner formuliert hat- "dynastische Union von Ständestaaten", eine territorial verschwommene, lose und intermittierend zusammenhängende Polyarchie, ein "territorium non clausum"12• Es galt, "die sich wechselnd überschichtenden Rechtskreise", die den einzelnen ebenso wie die Landesteile und Landschaften in vielfache Bindungen einfügten, zu einer Deckung zu bringen, "die alle Rechtsmacht innerhalb eines Raumes bündelte und das Verhältnis des einzelnen zu einer einzigen ,Obrigkeit' eindeutig machte" 13• Das Ziel der europäischen Fürstenstaaten des 17. Jahrhunderts war "die Verstaatlichung des dynastischen Verbandes" 14• Die Stichworte dabei lauteten: "Integritet, Tranquillitet, Libertet und Sicherung", wie es in eindringlicher Reihung in § 65 des Prager Friedens von 1635 heißt15• In dieser Übergangsperiode ging es noch nicht darum, einen bereits vorhandenen Staat absolutistisch zu organisieren, sondern um den entscheidenderen Schritt, durch die Etablierung absolutistischer Fürstenherrschaft den Staat überhaupt erst zustande zu bringen16 • Es bedurfte einer Klammer, die ihre staatsbildende Funktion nicht zuletzt in der Sicherstellung dynastischer Kontinuität zu erweisen hatte. ZurVerdeutlichung dieser These mag ein Beispiel dienen. Einegenaue Umschreibung der krisenhaften Erscheinung, die in zahlreichen euro12 Vgl. die Einzelnachweise bei J. Kunisch, Staatsverfassung und Mächtepolitik (wie Anm. 3), 14 f., 41 - 43, 75 - 79. 13 E. Meuthen, Das 15. Jahrhundert (wie Anm. 6), 39. 14 Rudolf Vierhaus, Absolutismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie Bd. 1, Freiburg 1966, Sp. 33. 15 [Johann Jacob Schmauß Heinrich Christian von Senckenberg (Hrsg.)], Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Kaiser Konrads II. bis jetzo auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden ... 4 Teile in 2 Bdn., Frankfurt a. M. 1747, hier Tl. 3, 544. Vgl. auch Hans Sturmberger, Kaiser Ferdinand Il. und das Problem des Absolutismus, zuletzt in: ders., Land ob der Enns und Österreich. Aufsätze und Vorträge, Linz 1979, 154- 187. 16 Werner Näf, Die Epochen der neueren Geschichte, Staat und Staatengemeinschaft vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, Bd. 1, 2. Aufl. Aarau 1959, 416 f.
Einleitung
XV
päischen Dynastien eine verbindliche Regelung des Erbfolgeproblems notwendig erscheinen ließen, findet sich in den Korrespondenzen zwischen Kaiser Karl VI. und den ungarischen Ständen über die Frage der Anerkennung der Pragmatischen Sanktion. Es ging darum, wie das Erzhaus "in künftigen Zeiten vor allen weiteren Wirren und Gefahren bewahrt werden könne" und "gegen jede äußere Gewalt und beliebige innere Unruhe, die besonders während eines Interregnums leicht ausbrechen könnte ... beizeiten ... ein heilsames Mittel und eine sichere Schranke zu setzen sei" 17• Man verständigte sich deshalb nicht nur auf die in Geltung zu setzenden Prinzipien der Erbfolge, sondern auch auf "eine wechselseitige, einvernehmliche Union mit den übrigen Königreichen und -ländern", damit die "öffentliche Ruhe der Christenheit, beständiger Friede und ungetrübter Stillstand unter der gottgefälligen ... Regierung Seiner Majestät" und "des Durchlauchtigsten Hauses Österreich in Ewigkeit dauern" möge18• Hier wird wieder die Gefahr innerer wie äußerer Krisen im Falle von Erbstreitigkeiten und Interregna beschworen, um sodann zugleich mit der Bestätigung der Erbfolge und Unteilbarkeitsordnung des Erzhauses den engeren Zusammenschluß der Erbländer mit dem Ziel der Aufrechterhaltung und Stabilisierung bestehender Verhältnisse voranzutreiben. Mir scheint, daß in diesen Passagen eine politische Absicht zum Ausdruck kommt, die für die hier in Rede stehende verfassungsrechtliche Umgrenzung des dynastischen Verbandes überall in Europa von maßgeblicher Bedeutung gewesen ist. Was man sich unter der viel beschworenen Krise des 17. Jahrhunderts auch immer vorstellen mag19 : im Streben der europäischen Dynastien nach grundgesetzlicher Regelung der Thronfolge wird eine auf Krisenbeherrschung gerichtete Staatsräson sichtbar, die die Gefährdung der zusammengesetzten, von Bürgerkrieg und Intervention bedrohten Monarchien durch Sicherung der verfassungsmäßigen Grundlagen des Staates einzugrenzen trachtete. Sie ist ein wesentlicher Faktor der relativen Ruhe, die dann die inneren Verhältnisse des ancien regime charakterisiert, und insofern eine Erscheinungsform gesamteuropäischer Staatsentwicklung.
17 Schreiben Kaiser Karls VI. an die Stände des Erbkönigreichs Ungarn vom 8. Juli 1722, abgedruckt bei G. Turba (Hrsg.), Die Pragmatische Sanktion (wie Anm. 2), 159 f. 18 Bestätigungsurkunde der Pragmatischen Sanktion durch die Ungarischen Stände, ebd., 170. 19 Vgl. dazu in Kürze zusammenfassend und weiterführend Helmut G. Koenigsberger, Die Krise des 17. Jahrhunderts, in: Ztschr. f. bist. Forschung 9 (1982).
I. Staatstheoretische und verfassungsrechtliche Aspekte frühneuzeitlicher Erbfolgeregelungen
DIE LEHRE VON DER "LEX FUNDAMENTALIS" UND DIE HAUSGESETZGEBUNG EUROPÄISCHER DYNASTIEN Von Heinz Mohnhaupt, Frankfurt a. M. I.
Johann Stephan Pütter leitet seine Dissertation vom Jahre 1757 über das Thema "de normis decidendi successionem familiarum illustrium controversam" mit den Worten ein: Wenn auf irgendeinem Gebiet die Notwendigkeit zu einer gesetzlichen Normierung bestünde, so sei dies mit Sicherheit das "universum argurnenturn successionis" 1 • Pütter beschränkt dieses Normierungsbedürfnis- er nennt es "normam legibus definiendam" - keineswegs auf das Privatrecht. Er betont vielmehr: "Quin regna etiam et principatus quum ab ordine mortalitatis haud eximantur; iuris publici cuiusque maxime ardua haec est quaestio, quae sit principis in omnem et qualemcumque eventum successio. Qua de re vel gravissimae inter gentes quot oriantur controversiae bellaque utplurimum dirissima, cuiusvis aevi exempla docent."2 Diese Beurteilung aus der Mitte des 18. Jahrhunderts umschrieb eine historische Erfahrung und rechtliche Problemlage von langer Tradition. Bereits 1599 hatte Juan de Mariana in seinem Traktat "De rege et regis institutione" klar erkannt: "Verum ex privatis haereditatibus nullum periculum imminet: ex principatu graves contentiones existere necesse est, nisi lege definita sit successio. " 3 De Mariana dachte dabei an die Auseinandersetzungen unter den maurischen Fürsten, wenn er hier fortfährt: "Quales inter Mauras Principes in Africa atque Hispania extitisse saepe considero, bella exitialia, pulsos occisosque Reges non tantum ingenio gentis ad mutandos Principes pronae, sed etiam quod certa lege et more, quis inter filios succederet, fixum non erat." 1 J. St. Pütter (Praeses), De normis decidendi successionem familiarum illustrium controversam. Dissertatio inauguralis quam . . . publice defendit Io. Philippus de Ledergerw, Goettingae 1757, in: ders., Primae lineae iuris privati principum speciatim Germaniae, Goettingae 1768, 176 (§ 1). 2 Ebd., 177 (§ 2). 3 Juan de Mariana, De rege et regis institutione libri III, Toleti 1599 (Nachdruck Aalen 1969), 45.
I•
Heinz Mohnhaupt
4
Für Pütter waren die rechtlichen Instrumente zur Lösung des gestellten Problems für den Bereich des Privatrechts und des öffentlichen Rechts jedoch nicht identisch. Die Bewältigung der privatrechtliehen Probleme war eine Aufgabe des Trägers der "potestas legislatoria"; für den öffentlich-rechtlichen Bereich betont dagegen Pütter: "[...] quaestio de successione in regno vel principatu [.. .] definitur [...] lege fundamentaU per modum pacti inter imperantem et subditos; et vel iuris gentium quaestio intercedere potest, si qua plures inter gentes eiusmodi disceptatur successio." 4 Pü.tter plädiert ausdrücklich "pro stabilienda successione", schließt dafür jedoch eine Lösung nach dem Naturrecht aus5 • Er beruft sich hierfür auf Montesquieu, der die Entscheidungsgrundlage vorrangig im "droit politique" sah: "Que l'ordre des successions depend des principes du droit politique ou civil, et non pas des principes du droit naturel." 6 Damit sind die entscheidenden Punkte angesprochen: 1. Das Problem der erbrechtliehen Nachfolge7 in den monarchischen Fürstenstaaten gehört dem Bereich des "ius publicum" an. Seit dem 18. Jahrhundert wird dafür entsprechend den ständischen Denk- und Ordnungskategorien der Begriff des Fürstenrechts bzw. Privat-Fürstenrechts gebräuchlich8 •
2. Das rechtliche Regelungsinstrument ist in seiner abstrakten Form die lex fundamentalis. Diese stellt im Ancien regime nach heutigem Sprachgebrauch innerstaatliches Verfassungsrecht dar 9 • 4
5 6
Pütter, De normis decidendi successionem (1757), 178.
Ebd., 184 f .
Charles de Montesquieu, De l'esprit des Loix, Geneve [1748], livre XXVI,
chapitre VI, der dieses Kapitel mit den zitierten Worten überschreibt. 7 Mit den Nachfolgeregelungen nach dem erbrechtliehen Prinzip konkurrierte das Wahlprinzip. Zur ,genialen' Verknüpfung beider Prinzipien durch die Goldene Bulle von 1356, die die Reichspublizistik stets als erste lex fundamentaUs des Reiches eingestuft hat, vgl. Armin Wolf, Die Goldene Bulle. König Wenzels Handschrift, Kommentar (Codices Selecti ... , Commentarium Val. LX), Graz 1977, 19, n . 58. 8 Vgl. die Begründung für diese Zuordnung bei J. F. W. von Neumann, De hereditatibus et successionibus principum commentatio, Francofurti ad Moenum, 1752, 12 (§VI): "Id vero quod dicitur, successionem in publica regna publici potius quam privati Principum juris esse, facile conciliatur, dummodo utriusque juris arcte satis inter se connexi fines distinctius separentur. Publicum enim jus demum incipit cum ipso subditorum et imperantis nexu, qui prius non intelligitur, quam ex privato jure decisum, ad quem Regni hereditas pertineat, adeo ut hereditatis materia intuitu familiae et gentis Regiae directo ad jus Principum privatum, et demum per consequentiain et intuitu commodorum, quae inde ad populum et subditos redundant, ad jus publicum spectet." 9 Es ist bezeichnend, daß Neumann, ebd., 12 f. (§VII), hier auch den Begriff des ,fundamentum' im Sinne einer Grundlage für die praktizierte Erbfolge-
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3. Im Falle der Beteiligung mehrerer Staaten bzw. Fürsten oder Fürstenhäuser kann die Nachfolgefrage eine völkerrechtliche Dimension erlangen. Pütter hat in seiner "Juristischen Encyclopädie" von 1767 dem Gebiet der erbrechtliehen Regelungen der Fürstenhäuser eine besondere Bedeutung beigemessen, die der hier zu behandelnden Fragestellung weitgehend entspricht. Er erklärt: "Wenn es z. E. darum zu thun ist, das Recht der Erstgebuhrt, wie es in Teutschland üblich ist, und die Art, wie die nachgebohrene Herren unserer fürstlichen und gräflichen Häuser abgefunden sind, gründlich kennen zu lernen, dem wird zuverlässig nichts besser zu statten kommen, als wenn er von denen Hausverträgen oder testamentarischen Verordnungen, wodurch das Recht der Erstgebuhrt in jedem Hause eingeführet worden, so viele als möglich sich bekannt macht. Doch wird es beyweitem nicht von dem Nutzen seyn, wenn man sich begnügen wollte, die Häuser Oesterreich, Bayern, Sachsen, Brandenburg, Pfalz u.s.w. nach ihrem Range nach einander, oder auch gleichsam nach einer geographischen Ordnung durchzugehen; sondern der wahre theoretische Gebrauch wird erst alsdann dem Zwecke gemäß seyn, wenn man hauptsächlich die Zeit-Ordnung hiebey zum Grunde leget, mithin von der ältesten Primogenitur-Verordnung an bis auf die neueste eine nach der andern durchgehet."10 Pütter beabsichtigt mit diesen Worten keineswegs eine Beschränkung auf die innerstaatlichen bzw. dynastischen Sukzessionsordnungen innerhalb des deutschen Reichs. An anderer Stelle heißt es bei ihm: "Theils sind übrigens auch alle Europaeische Staaten in so mannigfaltiger Verbindung, daß in keinem eine Kenntniß von des andern Rechten für unnütz zu halten ist. " 11 Den gesamteuropäischen Zusammenhang hebt er nachdrücklich hervor und fordert in durchaus pragmatischer Absicht, die "neueren Europaeischen Staatshändel, wie solche seit dem Westphaelischen Frieden fast in einem unzertrennlichen Zusammenhange stehen, theils das sogenannte practische Völkerrecht, und die
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ordnung'in-denMonarcliierl"gebrauch sieht-dies-es- FtÜidamen~elegt im Willen des Volkes: "Quodsi igitur quaeratur, qualis sit illa successio in publica Regna, id facile est intellectu, omne eius fundamenturn in sola populi voluntate esse quaerendum, utpote cuius in arbitrio est, num, quibusve conditionibus in societatem publicam, regnumve coire velit." Hier ist Neumanns Anlehnung an Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, Lib. II, Cap. VII, §XIX, erkennbar: "Ratio est, quia populus regnum voluisse creditur quam optimo iure deferri; nec quicquam eius refert hereditas a .rege adeatur necne, cum hereditarium ordinem non ob hoc elegerit, sed ut certi quid esset, [...]." (Vgl. S. 285 der von P. J. A. de Kanter-van Hettinga Tromp besorgten Ausgabe Lugduni Batarvorum 1939). 10 J. St. Pütter, Neuer Versuch einer juristischen Encyclopädie und Methodologie, Göttingen 1767, 225 f. 11 Ebd., 28 f.
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Statistik der heutigen Europaeischen Reiche und Staaten" gründlich zu behandeln12• Mit den von Pütter so bezeichneten "neueren Europaeischen Staatshändeln" war sicherlich auch der Spanische Erbfolgekrieg gemeint. In seinem Vorfeld und in seinem Gefolge ist um die Jahrhundertwende bis 1722 die Entstehung einer Vielzahl von Sukzessionsordnungen und erbfolgerechtliehen Einzelbestimmungen zu beobachten. Das Testament Philipps V. von 1713 - wie auch zuvor das Testament Karls II.- in Spanien sowie die "Pragmatische Sanktion" Karls VI. in Österreich bilden dafür prägnante Beispiele. Darüber hinaus gehören auch die Sukzessionsordnung Zar Peters I. von 1722, die 1720 in Schweden festgelegte Regierungsform und die "Act of Settlement" in der von Wilhelm III. sanktionierten Form zur Signatur der Zeit und deren Bemühungen um eine stabilisierte Staatlichkeit. Dies war auch ein hervorragendes Verfassungsproblem. Es ging um die Sicherheit und Bestimmtheit der Nachfolgeordnungen und die Bestandskraft des "regnum". Die entscheidende Rechtsfrage lautete bei Hugo Grotius, ob die Herrschaft mit zum Erbgut gehört oder nicht. Grotius rechnet die Herrschaft zur Erbschaft, aber getrennt bzw. trennbar von den übrigen Erbgütern. Herrschaft und Erbgut konnten somit voneinander getrennt sein: "Ratio est, quia populus regnum voluisse creditur quam optimo iure deferri. "13 Für Grotius ist es dabei gleichgültig, ob der König die Herrschaft tatsächlich angetreten hat oder nicht, da das Volk "hereditarium ordinem non ob hoc elegerit, sed ut certi quid esset [. . .]"14• Die im Vernunftrechtszeitalter vielfach erhobene Forderung nach einem "ius certum" wird auch hier für den Bereich der "successio in publica regna et territoria" 15 erkennbar. Der Sicherheit der Rechtslage über die Sukzession auf der einen Seite entsprach auf der anderen Seite die Sicherheit und Geschlossenheit der Herrschaft und des Territoriums. Vom vermuteten Volkswillen ausgehend, erklärt Grotius: "[...) individuum sit regnum, quia id ad tuendum regnum et civium concordiam plurimum valet. "16 Bodin dagegen begründete das alte Ideal der Unteilbarkeit monarchischer Herrschaft aus der Souveränitätsidee und dem wie folgt umschriebenen Wesen der Monarchie: "Monarchiam autem individuam esse oporEbd., 102. Grotius, De iure belli ac pacis, Lib. II, Cap. VII, § XIX, 285. 14 Ebd. 15 So lautet die Titelüberschrift der Sectio I in: Neumann, De hereditatibus et successionibus principum (1752), 9. 18 Grotius, De iure belli ac pacis, Lib. II, Cap. VII, §XIV, 282; Grotius betont an dieser Stelle noch zusätzlich den Gesichtspunkt der Sicherheit durch das folgende Zitat: "Iustinus libro XXI, Firmius futurum esse regnum, si penes unum remansisset, quam si portionibus inter filios divideretur, arbitrabantur". 12
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tere diximus; quia si dividatur, monarchia non sit. Ea est enim unitatis inviolabilis natura, ut omnem omnino refugiat partitionem. Ut enim corona, sie regnum, si pluribus dividatur, vim penitus ac nomen amittit. ul7 Das war auch eine für den monarchischen Absolutismus willkommene Formel, mit der machtstaatliches Denken und Handeln gestützt werden konnten. Überblickt man die Erbfolgeordnungen und Testamente, so ist neben dem Ziel einer rechtlich verbindlichen Ordnung der Sukzession und der Unteilbarkeit des Herrschaftsgebietes als ein weiteres Element der Herrschaftsauftrag im Sinne eines christlichen Regiments und zur Beschützung und Bewahrung der katholischen oder protestantischen Religion zu erkennen. Die "Pragmatische Sanktion" Karls VI., die "Lex Regia" in Dänemark und "The Act of Settlement" lassen dies besonders deutlich erkennen. Die dänische "Lex Regia" Friedrichs III. von 1665 stellt die Sicherung von Glaube und Bekenntnis der Augsburgischen Konfession an die Spitze ihrer Bestimmungen, indem sie unter Artikel I dazu verpflichtet, "an diesem reinen und unverfälschten Christlichen Glauben die Einwohner des Landes zu halten und denselben mächtig handhaben und beschirmen in diesen Landen und Reichen wider alle Ketzer, Schwärmer und Gotteslästerer. "18 Die gleiche Rangstellung und Zielrichtung zeigt die unter Wilhelm III. ergangene bedeutsame "Act of Settlement" für die englische Sukzessionsordnung aus dem Jahre 1701, die in ihrem Schlußteil festlegt, "(. ..] that all the Laws and Statutes of this Realm of securing the established Religion, and the Rights and Liberties of the People [...] may be ratified and confirmed. "19 Die Sicherung der römisch-katholischen Religion durch die Thronfolgeregelung der "Pragmatischen Sanktion" wird sehr klar in der "Renuntiation der Erzherzogin Maria Josepha" vom 19. August 1719 ausgesprochen. Die Verzichtserklärung wird ausdrücklich unter dem Vorbehalt abgegeben, daß die Erben sich "zur römisch-katholischen, apostolischen Religion bekennen, da alle, welche einer anderen als der römisch-katholisch-apostolischen Religion zugetan wären, von jeder oberwähnten Nachfolge schon jetzt für immer als ausgeschlossen 17 J. Bodinus, De republica libri sex, latine ab auctore redditi ... , Francofurti 1622, 1149 (Liber VI). Vgl. auch Neumann, De hereditatibus et successionibus principum (1752), 15 (§X). 18 Zitiert nach L. Wienbarg, Das dänische Königsgesetz oder das in Dänemark geltende Grundgesetz, Harnburg 1847, 89. 19 Act of Settlement. An Act for the further Limitation of the Crown and better securing the Rights and Liberties of the Subject 1701, zitiert nach F. W. Schubert, Die Verfassungsurkunden und Grundgesetze der Staaten Europas I, Königsberg 1848, 122, 130. Zur antikatholischen Richtung dieses Verfassungsdokumentes vgl. H. Hallam, The Constitutional History of England, vol. III, 7th Edition, London 1854, 176-178.
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und unfähig gelten sollen [.. .]".20 Im 18. Jahrhundert wird neben der Religion noch die allgemeine Wohlfahrt- das sog. bonum pubLicumals Motiv der Sukzessionsregelungen genannt, das Johann Jacob Maser nicht ohne Ironie als eine "Universal-Staats-Medicin" bezeichnet hat21 • Geht man der Frage nach, ob und inwieweit die Sukzessionsregelungen, Erbfolgeordnungen, Hausverträge, Testamente, Erbvereinigungen, "succession of Crown", Uniones hereditariae, Erbverbrüderungen, Erbverträge usw. notwendige Rechtselemente für die Staatwerdung waren und insoweit auch Elemente einer "Verfassung" verkörperten, so ist dieser Fragestellung vorrangig der Verfassungsbegriff der Zeit selber zugrunde zu legen. Der hier zu behandelnde Zeitraum des 17. und 18. Jahrhunderts kannte noch nicht den Begriff einer "Verfassung" im Sinne einer umfassenden und in sich geschlossenen normativen kodifizierten staatlichen Grundordnung. Erst Ende des 18. Jahrhunderts strahlte auch die vernunftrechtliche Idee einer systematischen Kodifikation des Privatrechts auf das staatliche Verfassungsrecht aus. In Europa waren die kurzlebige polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 und die französische Verfassung vom 3. September 1791 die ersten Beispiele dieser Bewegung in der Nachfolge der amerikanischen Verfassung von 1787. Vor diesen Verfassungskodifikationen hatte es jedoch in allen europäischen Staaten einzelne Festlegungen über bestimmte Punkte der staatlichen Ordnung gegeben. Hierzu zählen Rechtsformen und Begriffe wie die Wahlkapitulationen, Konföderationen, Magna Charta, Reichsabschiede, Pacificationen, Unionen, Charters, Coutumes, Privilegien und deren Konfirmationen, Huldigungseide, Königsversicherungen, Landesordnungen usw. Solchen Regelungsformen und Bestimmungen konnte teilweise oder im ganzen eine verfassungsrechtliche Normqualität zukommen22. Dabei ist zu bedenken, daß "Verfassung" eines Landes im Ancien regimezumeist nicht eine einzelne Urkunde, sondern eine Vielzahl von urkundlich festgelegten Bestimmungen bedeutete. Für diese 20 So der Text der "Renuntiation der Erzherzogin Maria Josepha" vom 19. August 1719, in der deutschen Übersetzung, Abschnitte p und q, in: G. Turba, Pragmatische Sanktion. Authentische Texte samt Erläuterungen und Übersetzungen, Wien 1913, 64. Zur ersten Rangstelle der ,Unio religionis' im Katalog der Grundgesetze bei Loccenius vgl. S. Clason, Studier i 1600-talets svenska statsrätt, in: Statsvetenskaplig Tidskrift för Politik ~ Statistik Ekonomi III, Lund 1901, 184 f. Zur Bedeutung der kaiserlichen Pflicht, Christenheit und Reich zu schützen, im Rahmen der Österreichischen Erbfolgeregelung, vgl. J. Kunisch, Staatsverfassung und Mächtepolitik. Zur Genese von Staatenkonflikten im Zeitalter des Absolutismus (Historische Forschungen 15), Berlin 1979, 56. 21 J. J. Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, deren Landständen, Unterthanen, Landes-Freyheiten .. . , Franckfurt und Leipzig 1769, 1187 f. 22 Das verdeutlichte zuletzt der Sammelband: Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, hrsg. von R. Vierhaus (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 56), Göttingen 1977.
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war in der Regel als ein übergeordneter verfassungsrechtlicher Gattungs- und Sammelbegriff der der leges fundamentales in Europa gebräuchlich. Diesem gemeineuropäischen Begriff entsprachen in den jeweiligen Staaten die Begriffe "lois fondamentales", "Grundgesetze", "fundamentele wetten", "leyes fundamentales", "prawa kardinalne", "fundamental lag" usw. Versucht man aus der Vielzahl der genannten rechtlichen Erscheinungsformen vorkonstitutioneller Verfassungselemente die gemeinsamen Charakteristika herauszusieben, so ergibt sich das folgende Bild: 1. Begrifflich und terminologisch herrscht ein großer Formenreichtum.
2. Herrscher und Stände sind weitgehend die Verfasser und wechselseitigen Adressaten dieser Urkunden, durch die das Verhältnis zwischen diesen beiden rechtlich fixiert .wird. 3. Die dieses Verhältnis gestaltende Rechtsform ist zumeist der Vertrag. 4. Als Zweck und Inhalt dieser "Verträge" sind einerseits Begrenzung der Herrschermacht und andererseits Sicherung der Ständerechte erkennbar. 5. Regelungen dieser Art genießen einen höheren Rang der Dauerhaftigkeit und Unverbrüchlichkeit vor allen anderen normativen Quellen. Darin liegt folgerichtig auch ihre Verfassungsqualität nach der Auffassung der Zeit begründet. Mit dieser Aufzählung sind zugleich die wesentlichen Elemente des Begriffs lex fundamentalis genannt, wie sie aus der wissenschaftlichen Literatur zum ius civile und ius publicum des 17. und 18. Jahrhunderts entnommen werden können. Bevor untersucht werden kann, op die genannten Sukzessionsordnungen und erbrechtliehen Nachfolgebestimmungen mit ihren vielfältigen Formen und Gegenständen auch dem Begriff der lex fundamentalis unterliegen oder in Einzelfällen subsumiert werden und dadurch eine verfassungsrechtliche Normqualität gewinnen, ist zunächst diese Lehre "de legibus fundamentalibus in genere"23 kurz zu skizzieren. Wenn hier von Lehre gesprochen wird, so ist damit die selbständige literarische Behandlung dieses Rechtsinstituts gemeint, wie sie sich seit Ende des 17. und mit Beginn des 18. Jahrhunderts in einzelnen Traktaten und Dissertationen besonders in Deutschland niederschlägt. In den anderen Staaten Europas und in der deutschen Literatur des frühen 17. Jahrhunderts wurden in der Regel die leges fundamentales in der "Politica" 23 So der Titel der Dissertation von C. Chr. Wucherer, De Iegibus fundamentalibus in genere et singulatim in imperio romano germanico . . . , GissaeHassorum 1709.
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und im Bereich des ius publicum nur im Zusammenhang mit bestimmten Einzelproblemen erwähnt oder behandelt. Dazu gehörten die Fragen über die Bindung des Regenten an die Gesetze, die Möglichkeiten einer Lösung von diesen Gesetzen, das Verhältnis der Herrscher zum ius divinum und ius naturale und besonders in Frankreich zur Zeit der Religionswirren die Frage einer unlösbaren Verknüpfung von römischkatholischer Religion mit der französischen Krone. Die Publizistik des 17. Jahrhunderts behandelte den Begriff lex fundamentalis vor allem im Zusammenhang mit der Souveränitätslehre Badins und untersuchte vor diesem Hintergrund die genannten Fragen mit dem Ziel einer Bindung der Herrschergewalt24 • Die Frage der Bindungswirkung der leges fundamentales ist im Grunde immer bejaht worden, wenn auch mit unterschiedlichen Gründen, die die Parteinahme für die monarchische oder ständische Position erkennen lassen. Diese sind jedoch nicht gleichzusetzen mit einer pro- oder antiabsolutistischen Haltung. Mitte des 18. Jahrhunderts kann Nicolai Christoph Lyncker in einer Kommentierung des Niederländers illrich Huber gültig feststellen: "[...] de soluta legibus principis potestate non nisi loquatur de legibus civilibus, et hinc nullatenus de legibus sive pactis civitatis." 25 Die Trennung zwischen Zivilgesetzen auf der einen Seite und Staats- bzw. Verfassungsgesetzen auf der anderen Seite ist bereits vollzogen. Diese Unterscheidung wird zugleich zum Kriterium für die Bindungskraft von Gesetzen in bezug auf den Herrscher. Die leges fundamentales bzw. Grundgesetze unterstellen im Gegensatz zu den Zivilgesetzen auch den Herrscher einer ihm übergeordneten Norm. Der alle Beteiligten und Mitglieder des Gemeinwesens rechtlich übergreifende Staat wird hier in Ansätzen sichtbar. 1709 erläutert Wucherer diesen Gesichtspunkt folgendermaßen: "Leges fundamentales haud dubie dictae sunt a fundamento, quod primo loco ponitur, et cui tota aedium structura innititur. Nimirum et hisce legibus summum imperium, quod vita quasi et anima civitatis est, fundatur, et in ordinem redigitur. Poloni pacta conventa vocant, non inepte, quoniam nonnisi conventione fiunt." 26 Das auf den Grundgesetzen "aufbauende Gemeinsame" 27 wird hier trotz aller dualistischen Strukturmerkmale erkennbar. 24 Vgl. dazu auch G. Kleinheyer, Grundrechte, Menschen- und Bürgerrechte, Volksrechte, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von 0. Brunner u. a., Bd. II, Stuttgart 1975, 1055 f. 25 U. Huber, De iure civitatis libri tres cum commentariis Nicolai Christophori de Lynck:er, ... cura Io. Christiani Fischeri, Francofurti et Lipsiae 1752,
158 (a). 26 Wucherer, De legibus fundamentalibus (1709), 4. 27 So lautet die treffende Charakterisierung bei Kleinheyer, Grundrechte, 1055.
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Das Einfallstor, um für die "absoluta potestas" oder das "imperium absolutum" zu einer Bindungswirkung der legesfundamentales zu gelangen, war deren tatsächlicher oder fiktiver Vertragscharakter. Wo die Stände noch ihre Mitwirkungsrechte in Gestalt eines "votum decisivum" oder "votum consultativum" bewahrt hatten, war der "modus pacti" unschwer zu beweisen. Die gleichgewichtige Stellung von Kaiser und Reichsständen auf dem Reichstag und das Verfahren :zur Verabschiedung von Reichsgesetzen waren dafür ein häufig genannter Beleg. Pü.tter erläutert dies so: "Huius enim omnino tune non est vis obligandi in voluntate principis tamquam superioris, sed eodem modo, quo prima lex fundamentaUs solo in pacto principis et populi consistit, nihil hic novi locum habet, nisi eodem illo utriusque partis mutuo consensu pactitio. [...] hic tarnen omnino lex fundamentaUs ipsum principem vi pacti stringit. "28 Dem Vertragscharakter widersprach allerdings formal die Bezeichnung der lex fundamentalis als Gesetz. Dieser Widerspruch war der zeitgenössischen Lehre und der Reichspublizistik durchaus bewußt. Burlamaqui löste den Widerspruch dadurch auf, daß er dem Vertrag die Bindungskraft eines Gesetzes zuspricht: "Ce n'est pourtant que d'une maniere impropre et abusive qu'on leur donne le nom de loix; car, a proprerneut parler, ce sont de veritables conventions: mais ces conventions etant obligatoires entre les parties contractantes, elles ont la force des loix memes. "29 Daneben gab auch das römische Recht Argumentationshilfen zur Begründung der Gesetzeseigenschaft der Verträge bzw. vertraglich zustande gekommenen Grundgesetze. Wucherer erklärt in diesem Sinne: "[...] velut pacta quoque Ieges dixere Romani, quod patet exemplo legis commissoriae. Quo et vulgatum illud pertinet: Pacta dant legem contractibus. [...] Igitur et hoc intuitu Ieges fundamentales in propria notione Ieges esse possunt. " 30 28 J. St. Pütter (Praeses), Dissertatio de legum imperii fundamentalium et civilium differentia, ... submittit S. J. Mettingh, Goettingae 1763, 18 f. Vertragliches Zustandekommen und gesetzliche bzw. grundgesetzliche Autorität des "Vertrages" sind sehr gut ablesbar im Jüngsten Reichsabschied von 1654, wo es in § 4 heißt: "[...] in dem zu Münster und Oßnabrück zwischen Uns, auch Churfürsten und Ständen des Heil. Reichs, und beyden auswärtigen Cronen aufgerichteten, publicirten und ratificirten allgemeinen Reichs-Frieden-Schluß, [. ..] die Versehung beschehen, daß derselbe zu aller und jeder darin enthaltenen Pacten und Vereinigungen Gewiß- und Sicherheit ein ewiges Gesetz und Sanctio pragmatica, gleich andern des Heil. Reichs Fundamental-Satz- und Ordnungen verbündlieh seyn, zu solchem End auch dem nächsten Reichs-Abschied einverleibt werden solle"; zitiert nach K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Auflage, Tübingen 1913, 447. 29 J. J. Burlamaqui, Principes ou elemens du droit politique. Ouvrage posthume, a Lausanne 1784, 70 f. {§XXXVIII). 30 Wucherer, De legibus fundamentalibus {1709), 5.
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Die Gesetzgebungstheorie innerhalb der Reichspublizistik hat die Unterscheidung zwischen Entstehungsgrund und Wirkungskraft generell für den Bereich der Reichsgesetzgebung getroffen, indem sie eine Bindung zwischen Kaiser und Ständen "ex pacto" und gegenüber den Untertanen bzw. den zur Gesetzesanwendung verpflichteten Gerichten "ex lege" konstruierte 31• Dieses Konstruktionsschema wird auch auf die leges fundamentales zur Begründung ihrer Gesetzeseigenschaft übertragen. Wo das ständische Element als Vertragspartner weitgehend ausgeschaltet war, wird das Bemühen deutlich, im Rückgriff auf die römische lex regia und die durch sie vollzogene "translatio" der Herrschergewalt vom Volk auf den Regenten ein analoges vertragliches Verhältnis zu konstruieren32• Diese Verknüpfung von Übertragungsvertrag in der altrömischen lex regia mit der neuzeitlichen lex fundamentalis wird von Valiente mit den folgenden Worten vorgenommen: "[. . .] quo melius publicae utilitati fuisset provisum, se, suaque homines in Principem concrediderunt, omni civili potestate in ipsum translata, communiter dicitur Lex fundamentaUs uniuscuisque Regni; sed apud Romanos primum Lex Imperii, deindeque ab effectu Lex Regia fuit appellatus [. . .) ".33 Folgerichtig konnten die wichtigsten Reichsgesetze in ihrer Eigenschaft alslegesfundamentales auch entsprechend gleichgesetzt werden mit der römischen lex regia : "Veteris Romanae Reipublicae erant leges regiae. Germanorum imperii hodierni est Aurea Bulla Caroli IV, magna pars recessuum imperii, constitutio de pace religionis [...], transactio Passaviensis. " 34 Als "finis legum fundamentalium" galt zumindest seit dem 18. Jahrhundert die Beförderung des allgemeinen Wohls- der "salus publica" im weitesten Sinne. Die inhaltliche Ausfüllung dieses interpretationsbedürftigen weiten Begriffs erfolgte nicht einheitlich. Ein Ziel wird je31 Vgl. dazu ebd.: "Quod liquidissime intelligitur exemplo Capitulationis lmperatoriae in lmperio Romano Germanico, quae quantum Imperatorern attinet, pacta sunt [...]. At leges proprie sunt, quatenus summarum in Imperio judiciorum Consiliarii secundum eas judicare jubentur [. ..]". Ähnlich argumentiert Grotius, De iure belli ac pacis, Lib. II, Cap. XIV, §IX, 383 f., auf dessen folgendes Zitat auch Wucherer zurückgreift: "Contractibus ligantur contrahentes tantum; legibus subditi omnes. Possunt tarnen quaedem esse mixta ex contractibus et legibus, ut contractus cum vicino rege, aut cum publicano factus, qui simul pro lege publicatur, quatenus ei insunt quae subditis observanda sunt." 32 Digesten 1.4.1 lautet "[...] utpote cum lege regia, quae de imperio eius lata est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem conferat." 33 P. J. P . Valiente, Apparatus juris publici Hispanici. Opus politico-juridicum, praecipua juris publici universalis, simulque Hispanici elementa exponens, Matriti 1751, 107. 3' J. T. F. Zvi nger (Praeses), Disputatio politica de statu et formis r erumpublicarum, defendere conabitur Pb. J. Treutler, Basel 1609, Cap; VI.
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doch immer wieder genannt, nämlich das der Begrenzung der Herrschergewalt. Dem Herrscher soll ein "certum modum imperii gerendi" vorgegeben werden, damit die Macht nicht dem Urteil des einzelnen anvertraut und ausgeliefert ist35 • Carpzov leitet diesen Zweck aus der historischen Erfahrung ab und verbindet damit als rechtliches Mittel zum Zweck ausdrücklich die "Lex Regia": "Omnes ergo prudentes Nationes, sive proprio sive alieno periculo edoctae, sapienter Principum suorum potentiam certis conditionibus sive capitulis temperaverunt. Quo tempore vero hoc fecerint Germani, et quando de Imperio Caesarem lata sit Germanorum Lex Regia, nemo est, qui doceat, [.. .]." 36 Das Element der Limitierung der Herrschermacht - die limitatio erweist sich dabei als die Kernbedeutung der Grundgesetze. Burlamaqui gibt die für das aufgeklärte 18. Jahrhundert bezeichnende Begründung, die das allgemeine Wohl zum Maßstab und Ziel der Bindung schlechthin macht: "En un mot, comme les loix fondamentales qui limitent l'autorite souveraine, ne sont autre chose que des moyens dont les peuples se servent pour s'assurer que le prince ne s'ecartera point de la loi generale du bien public, [.. .].'m Carpzov hat erstmals 1623 in seinem "Commentarius in Legern Regiam Germanorum" das Bild vom Zaumzeug bzw. Zügel zur Verdeutlichung dieser Funktion der lex fundamentalis benutzt: "Malo itaque principis regimini [...] vix aliter occurri poterit, quam si potestas imperantis frenis quasi constringatur et limitetur, ac non nisi sub conditionibus princeps adsolium evehatur. Factum inde, ut quique fere populi ad conservationem suorum regnorum leges quasdam posuerint certas et immotas, quas fundamentales appellitant, quibus princeps obligetur, contraque eas nil quicquam tentare queat." 38
imperii oder principis -
Dieses Bild des Zügels oder Zaumzeugs verdeutlicht auf sehr plastische Weise die Bindungsfunktion der lex fundamentalis. Es hat eine längere Tradition, innerhalb der z. B. Claude de Seyssel und Henry Bracton als Zeugen stehen, wenn sie auch nicht den Begriff der lex fundamentalis ausdrücklich verwenden. Claude de Seyssel spricht von den "drey stück, gleich wie drey Ketten oder Halfftern, mit welchen diegewaltder Könige zu Franckreich gebunden, verknüpft und gemes35 Wucherer, De legibus fundamentalibus (1709), 10; vgl. auch Huber J Lyncker, Deiure civitatis (1752) (Anm. 25), 161: "ideo etiam Ieges fundamen-
tales non totam reipublicae structuram concernunt; sed solum circa Majestatem versantur vel saltim ad eius exercendi modum, pertinent." 38 B. Carpzov, Commentarius in legem regiam Germanorum, sive capitulationem imperatoriam, juridico-historico-politicus, [zitiert nach der Ausgabe] Francofurti et Lipsiae 1694, 15 . .37 Burlamaqui, Principes (1784), 75. 38 Carpzov, Commentarius (1694), 7.
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siget wird, Nehmlich die Religion, Jurisdiction, und Policey." 39 Carpzov dürfte das Bild vom Zügel bei de Seyssel bekannt gewesen sein, da er ihn in anderem Zusammenhang verschiedentlich zitiert. Bracton verknüpft die Herrschaftsbeschränkung und Herrscherbindung mit dem klassischen Ideal der "temperantia", wenn er erklärt: "[Rex] temperet igitur potentiam suam per legem, quae fraenum est potentiae quod secundum leges vivat [... ]".40 In der Literatur und Publizistik wird außerdem auch der Begriff der "stabilitas" oder des "stabilitum" gebraucht, um die Sicherheit der Monarchie und der Herrschaft durch die Bindung an gewisse Gesetze zu unterstreichen. Diese Begriffe tauchen bei Bodin, Buddeus, Callisto, Huber, Pütter, Treuer auf und werden auch von den ungarischen und böhmischen Ständen in deren Zustimmungserklärungen zur "Pragmatischen Sanktion" Karls VI. in diesem Sinne nachdrücklich ver~endet. Die Bindungskraft und Unverletzlichkeit der Grundgesetze wird in der Theorie auch auf die wechselseitige "mutua obligatio"41 gestütztalso auf ein Element aus der Theorie der Monarchomachen. Dem entspricht auch eine oft geforderte besondere Form für die Abfassung der leges fundamentales zur Erhöhung ihrer Unverletzlichkeit und Bestandskraft. Die Anforderungen dafür waren höchst unterschiedlich. Die "Sanctio Pragmatica" galt als besonders feierliche Form der lex fundamentalis. Die Formerfordernisse, denen sie unterlag, waren relativ präzise beschrieben42 • All die genannten Elemente des dogmatisch eingefaßten Rechtsinstituts lex fundamentalis begründeten deren besondere Autorität. Die 39 So die deutsche Übersetzung von Claude de Seyssel, Vom Ampt der Könige, und Regierung des gemeinen nutzes in der löblichen Cron Franckreich, des fürtrefflichen Mannes Claudii Sessels, Zwey schöne Bücher, . . . von Johann Sleydan ins L atein gebracht. Jetzundt ... in unser Deudsche Sprach verandert durch Georgium Lauterbecken, 1567, in: Regentenbuch, Auffs fleissigst und herrliehst itzt von Newem ubersehen ... durch Georgium Lauterbecken (o. 0.) 1567, 1. Buch; in C. de Seyssel, La Grand' Monarchie de France, ed. Paris 1558, 9 f. (Cap. VIII), lautet die der deutschen Übersetzung in etwa entsprechende französische Textstelle: "[...] la dignite et auctorite royalle [...] non pas totalement absolue [...] mais regl\~e et refrenee par bonnes loix, ordonnances [...]. Et pour parler desdictz freins par lesquelz la puissance absolue des Roys de France est reglee [...]"; zitiert nach K. P. Swoboda, Die Bedeutung der ,lois fondamentales' im Zeitalter der Religionskriege in Frankreich, Diss. phil. Wien 1979 (Masch.), 268, der auch auf die Nähe zu d er "DreiSäulen-Theorie" Gentillets hinweist. 40 Henricus de Bracton, De legibus et consuetudinibus Angliae libri quinque ... , Londini 1569, Lib. III (De Actionibus), Cap. 9, § 3. 41 Vgl. H. Höpfl. and M. P. Thompson, The History of Contract as a Motif in Political Thought, in: The American Historical Review 84 (1979), 929 f., 935, und die dort Zitierten. 42 Vgl. dazu J. H. Böhmer, Exercitationes ad pandectas ... , ed. G. L. Böhmer, Tomus I, Hanoverae et Gottingae 1745, 398 ff.
Die Lehre von der "Lex Fundamentalis"
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Rechtstheorie der Aufklärungszeit hat daraus konsequenterweise die Rechtsfolge abgeleitet, daß Zuwiderhandlungen der Herrscher gegen die Grundgesetze null und nichtig seien: "L'autorite des loix fondamentales est telle, poursuivent ces auteurs, que tout ce que le prince fait au contraire est nul de plein droit, et qu'on n'est pas tenu de lui obeir par le lien du devoir." 43 Mit dem hohen theoretischen Anspruch, mit dem die Grundgesetze ausgestattet waren, war freilich noch nichts darüber ausgesagt, ob und wie im Einzelfall des politischen Lebens diese Rechtsfolge durchgesetzt oder wirksam werden konnte. Aber bereits allein in ihrem hohen Anspruch war die lex fundamentaUs für den Herrscher insoweit ein Gebotszeichen von Verfassungsrang mit einer gewichtigen politischen Dimension. Damit gab die lexfundamentaUs auch dem Begriff des Staates deutlich eine höhere transpersonale Bedeutung, die Herrscher, Stände und Staatsorganisation zu einer Einheit bindend zusammenfaßte. In diesem Sinne interpretiert Burlamaqui die Grundgesetze "comme la baze et le fondement de l'etat, sur lesquels l'edifice du gouvernement est eleve [...]"44 • In der juristischen Literatur zum ius publicum und ius civile des 17. und 18. Jahrhunderts zeigen die Abhandlungen und Kommentierungen zum Rechtsinstitut lex fundamentalis sowie deren Begriff und Funktion europäische Gemeinsamkeiten. Mangels einer eindeutigen Begriffsdefinition erscheint jedoch Vorsicht geboten, die Rechtsqualität und verfassungsrechtliche Rangordnung der erbrechtliehen Nachfolgebestimmungen und Sukzessionsordnungen in Europa nun durch eine Subsumtion unter den Begriff der lex fundamentalis eindeutig bestimmen zu können. Der Begriff ist seit seinem ersten Auftreten in Frankreich in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts mit viel politisch-ideologischem Anspruch und Ballast versehen. Untersuchungen über die französischen Grundgesetze während der Religionskriege in Frankreich belegen diese Beobachtung eindrücklich45 • Eine strenge begriffsjuristische Zuweisung der Sukzessionsordnungen unter den Begriff der leges fundamentales in den einzelnen Ländern kann nicht immer erfolgen. Aber es kann stichprobenartig aufgedeckt werden, unter welchem begrifflichen und terminologischen Anspruch diese Dokumente von der Rechtstheorie oder der politischen Praxis gestellt wurden und welche rechtlichen Bewertungen die Literatur dazu im einzelnen vorgenommen hat. Damit 43 Claude Mey, Maximes du droit Fran~ois, tirees des capitulaires, des ordonnances du royaume, et des autres monuments de l'histoire de France, seconde edition, tome II, a Amsterdam 1775, 223. 44 Burlamaqui, Principes (1784), 70. 45 Vgl. dazu Swoboda, Die Bedeutung der ,lois fondamentales' im Zeitalter der Religionskriege in Frankreich (1979) (Anm. 39), 80 ff.
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Heinz Mohnhaupt
ist zumindest ein starkes Indiz - wenn nicht schon immer ein Beweis - dafür gegeben, welche Rolle die Sukzessionsordnungen - und das heißt Dynastien und dynastische Herrschaftsansprüche46 - für die Entwicklung des monarchischen Staates im Ancien regime gespielt haben. In Frankreich wird der Begriff der lois fondamentales erstmals von Innocent Gentillet in seinem "Discours sur les Moyens de Bien Gouverner" von 1576 verwendet47 • Andre Lemaire hat darauf aufmerksam gemacht, daß bereits 1571 eine lateinische Ausgabe des "Discours" erschienen war und somit auch ein früherer Nachweis dieses Begriffs vorliegt48. 1574 taucht der Begriff der "Loix fondamentalles d'un Roiaume" bei Theodore de Beze auf49 . Bereits in diesen frühen Begriffsverwendungen zeigt sich eindeutig ein Ziel der lois fondamentales in ihrer machtbeschränkenden und den Herrscher bindenden Absicht. Bei Gentillet beziehen sich die lois fondamentales auf "la religion", "la justice" und "la police" 50• Der französische König ist danach gebunden an die Gesetze Gottes und der Natur sowie "a celles qui sont le fondement de sa principaute et estat." 51 Diese sind "la loy salique, la loy des Estats generaux, et la loy de non aliener les terres et provinces de la couronne, [...)" 52• Mit der Lex Salica ist der Ausschluß der weiblichen Erbfolge im französischen Recht- ungeachtet der zahlreichen Erklärungsversuche zur Entstehung und Bedeutung dieser Bestimmung wie auch der Lex Salica selber53 - zu einem unver46 Mit Recht erfolgt der Hinweis bei R. van Dülmen, Formierung der europäischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 1981, Heft 1: Strukturprobleme der Neuzeit, hrsg. von R. Koselleck, 31, n. 70, daß die Funktion der Dynastie im frühneuzeitlichen Europa bisher nicht eigens thematisiert worden sei. 47 Innocent Gentillet, Discours sur les Moyens de Bien Gouverner et maintenir en bonne paix un Royaume ou autre Principaute. Divesez en Trois P arties: asavoir, du Conseil, de la Religion et Police que doit tenir un Prince. Contre Nicolas Machiavel Florentin. A Treshaut et Tres-illustre Prince Franig Jahren (1570-1590) die Worte "lex fundamentalis", "Staatsräson" und "Souveränität". 1576 erscheint "lex fundamentalis", 1576 wird "Souveränität" (Bodin) und 1589 wird "Staatsräson" ein europäisches Wort (Botero). Das unterstreicht m . E. von der Seite der Begriffsgeschichte, daß die lange Reihe der Erbfolgeprobleme, die Herr Wolf aufgezeigt hat, qualitativ in ein neues Stadium tritt. Die alten Probleme bekommen eine neue Beleuchtung, sie treten 'in Zusammenhang mit dem modernen Staat. Die "leges fundamentales" werden tatsächlich Instrument zur "Verstaatlichung des dynastischen Verbandes". Ich möchte deshalb auch im Anschluß an H errn Muhlack dafür plädieren, unser Problem weniger im Kontext des Absolutismus als innerhalb der "Entstehung des modernen Staates" zu sehen. Wenn man das tut, muß man sich darüber im klaren sein, daß dann die Regelung der Thronfolge nur ein Faktor unter anderen ist: die Wirtschafts- und Steuerpolitik, das Heerwesen, der Aufbau der Verwaltung sind gleichrangige Mittel und Erscheinungsformen jener "Modernität".
Schlußdiskussion
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Sieht man die Thronfolgeregelungen als ein Instrument unter anderen zur Verstaatlichung des dynastischen Verbandes, dann entsteht sofort die Anschlußfrage nach dem Zeitpunkt seiner "Konstitutionalisierung". Ab wann hat dieser Staat eine "Verfassung" in dem Sinne, daß der Alleinherrscher (noch oder schon wieder) mit den Ständen innerhalb eines rechtlich geordneten und von be1den Seiten anerkannten Rahmens regiert? Eines der Ergebnisse dieser Tagung scheint mir zu sein: Staatswerdung und Konstitutionalisiemmg des Staates folgen nicht historisch aufeinander, sondern laufen parallel und sind in komplizierten Entwicklungsschüben miteinander V'erbunden. Der Staat vor dem Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts war gewiß kein moderner Verfassungsstaat, es herrschte aber auch keineswegs, wie man es im 19. Jahrhundert gern sah, absolutistische Tyrannei. Es ist hier deutlich geworden, daß es eine Fülle von staatlichen Gebilden gibt, in denen der Absolutismus sich überhaupt nicht durchgesetzt hat- von den "Republiken" in Europa ganz zu schweigen. Auch in den landläufig "absolutistisch" genannten .Sta.aten ist es nicht zu einer "rohen" Verstaatlichung ohne Rechtsordnung gekommen, sondern nur zu Gewichtsverschiebungen in Richtung auf den Absolutismus bei gleichzeitiger Umformung der von jeher praktizierten "Verfassung". Bei aller - oft unterstrichenen europäischen Einheitlichkeit sind diese Umformungen in den Territorien sehr inhomogen, geprägt von regionalen, sozialen und ökonomischen Unterschieden. Besonders eindrucksvoll waren hierfür die Beispiele aus Polen, Böhmen und Ungarn. Geographische Zonen waren hier zugleich Zonen bestimmter sozialer Schichtung, mit direkten Konsequenzen für die jeweilige Verfassungsordnung. Krüger:
Ich möchte vorwegschicken, daß ich an sich weder mit der Überschrift noch mit dem Untertitel der Tagung sonderlich unglücklich war, gerade weil, wie Herr Stolleis anführte, einige Elemente des modernen Staates fehlen. Wir haben abgestellt auf die Erbfolgeregelungen, und deswegen finde ich das .gar nicht unglückld.ch. Ich möchte aber noch etwas sagen zur Einordnung Skandinaviens, welche nun tatsächlich etwas schwier1g gewo11den i:st. Auch das liegt sozusagen an der Ausrichtung dieser Tagung. Wir haben uns mit dem dynastischen Fürstenstaat befaßt, und das dst nur eine Abteilung des europä•ischen Staatensystems. Deswegen war es völlig richtig, auch abweichende Beispiele heranziehen. Wir haben häufig von Dänemark gesprochen, wo es fast zum revolu~ionäl'en Umbruch kommt. Vor 1660 gehörte es eben zu einem abweichenden System (Wahlmonarchie genossenschaftlicher Prägung), und dann wird es in wenigen Jahren in das System der Erbmonarchlie integriert durch die Erb- und 1\lleinherrs