Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates [1 ed.] 9783428460441, 9783428060443


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Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates [1 ed.]
 9783428460441, 9783428060443

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Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates

Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates

Herausgegeben von

Roman Schnur

DUNCKER & BUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Die Rolle der Juristen bei der Entstehunr des modernen Staates I hrsg. von Roman Schnur.Berlin: Duncker und Humblot, 1986. ISBN 3-428-06044-X NE: Schnur, Roman [Hrsg.]

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1986 Dunelter & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1986 bei Berl!ner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06044-X

Vorwort 1. Seit geraumer Zeit schon weiß man vieles über die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates in Europa. Doch abgesehen von wenigen Untersuchungen hatten die diesbezüglichen Forschungen nicht "Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates" zum Hauptthema. Dieses Hauptthema wäre, jedenfalls für einen einzelnen Forscher, zu weit gefaßt gewesen, zumal sich der Zugang dazu aus zahlreichen Perspektiven ergibt, also auch interdisziplinäre Arbeit verlangt.

So erschien es angebracht, das Hauptthema in Form eines internationalen und interdisziplinären Kolloquiums anzugehen. Das sollte bedeuten: Einerseits werden neue Ergebnisse vorgelegt, andererseits soll das Kolloquium dazu beitragen, das Hauptthema für die weitere Forschung schärfer zu konturieren. Angesichts der großen Unbestimmtheit des Themas lag es nahe, bereits in der Einladung zum Kolloquium Präzisierungen zu versuchen. Das konnte nur sehr behutsam geschehen, weil ansonsten vorzeitige Festlegungen hätten stattfinden können, und eben das erschien in Anbetracht des Standes der Forschung als zu riskant. Deshalb mußte in Kauf genommen werden, daß möglicherweise schriftliche Vorlagen eingehen, die das Zentrum des Themas nicht gänzlich treffen. Doch auch darüber wird nur die weitere Forschung ein (vorläufig) endgültiges Wort sprechen können. In fachlicher Hinsicht sind an diesem Werk Vertreter folgender Disziplinen beteiligt: Historiker, Juristen, Literaturwissenschaftler, Philosophen und Politikwissenschaftler. Der Beitrag des Herausgebers ist als Anhang abgedruckt, weil er nicht rechtzeitig zum Kolloquium vorgelegt wurde. Es war unmöglich, Wissenschaftler aus allen europäischen Ländern einzuladen, sollte nicht der Rahmen eines wirklichen Kolloquiums (höchstens 35 Teilnehmer) gesprengt werden. Überdies gab es nicht auszugleichende Absagen von hervorragenden Kennern des Themas, so von den Professoren Adolf Laufs (Rektor in Heidelberg) und Winfried Trusen/Würzburg (Krankheit). Besonders bedauerlich war es, daß ein Prager Kollege und eine ungarische Kollegin der Einladung zum Kolloquium nicht folgen konnten und daß ein polnischer Kollege zwar eine

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Vorwort

schriftliche Vorlage einreichen konnte, aber nicht nach Tübingen kommen durfte. 2. Dieser Band erscheint mit überaus großer Verspätung: Das Kolloquium hatte vom 23. bis 26. September 1980 in Tübingen stattgefunden, wiederum in der Alten Bursa. Daß das Buch mindestens drei Jahre später als vertretbar erscheint, hat der Herausgeber zu verantworten. Er bittet die Autoren und die anderen Teilnehmer des Kolloquiums sowie alle diejenigen, die seit langem auf diese Veröffentlichung warten, um Nachsicht. Der Herausgeber hatte trotz der Schwierigkeiten, die schon bei der Entstehung des Sammelbandes "Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein" (Berlin 1978, Duncker & Humblot) bemerkbar waren (siehe Vorwort, S. 6), seine Möglichkeiten überschätzt bzw. die Bereitschaft der Politiker, der Forschung keinen ausreichenden Spielraum zu lassen, unterschätzt. So bildet der hiermit vorgelegte Sammelband den Schluß einer Reihe: Im Jahre 1969 erschienen als Ertrag eines Kolloquiums, das 1967 im Schloß N ordkirchen/Münsterland (Landesfinanzschule N ordrhein-Westfalen) stattgefunden hatte, gemeinsam herausgegeben mit Reinhart KoseHeck die "Hobbes-Forschungen" (Berlin, Duncker & Humblot). Dann ebenda 1975: "Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs" und im Jahre 1978 der eben erwähnte Band mit den Studien über L. v. Stein, nebst der großen Bibliographie von Max Munding. In gewisser Weise gehört hierher der Tagungsband (1970) "Jean Bodin", den Horst Denzer 1973 herausbrachte (München, Beck); die Vorbereitungen dafür hatten in der jungen Ruhr-Universität Bochum begonnen, bis dann wegen meines Weggangs zur Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Herr Denzer in München als Mitarbeiter des alsbald dort zum Staatsminister ernannten Politologen Hans Maier die Arbeiten für die Tagung über Bodin zu dem so großen Erfolg führte. Zu der im Jahre 1980 in Tübingen angeregten internationalen Tagung über das ebenfalls belangvolle Thema "Bürgerkriege im Europa der Neuzeit" ist es nicht gekommen; zu mehr als zu einem "working paper" hat es nicht gereicht. (Zur Theorie des Bürgerkrieges, jetzt in: R. Schnur, Revolution und Weltbürgerkrieg. Studien zur Ouverture nach 1789, Berlin 1983, Duncker & Humblot.) Ein Blick in die genannten Sammelbände zeigt, daß die Themen insgesamt von einem verhältnismäßig kleinen internationalen Kreis von Gelehrten behandelt worden sind, mit einer Art festem Kern, zu dem sich jeweils "Neue" gesellten. Hinter dem Ganzen stand keine Organisation. Es war das Ergebnis des wissenschaftlichen Interesses, das ausgewiesene Kenner an diesen Themen hatten. Grzegorz Leopold Seidlerl Lublin hatte diese Gemeinschaft "invisible university" genannt. Das war

Vorwort

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wohl die am besten passende Form für ergiebige Forschung in den Geisteswissenschaften: An der Front der Forschung, als Avantgarde, die Kenner; wirksam unterstützt durch eine "Logistik", die von Organisationen verschiedenster Art (auch von einzelnen Persönlichkeiten) bereitgestellt wurde- ohne jeden Vorbehalt. Das Desinteresse der sog. Öffentlichkeit an diesen wissenschaftlichen Bemühungen hat förderlich gewirkt. 3. Es ist vielfacher Dank abzustatten: Herr Prof. Dr. Dr. h. c. Hans L. Merkle vom Hause Bosch in Stuttgart hat über den Stifterverband der Deutschen Wissenschaft (in Essen) Mittel zur Verfügung gestellt, ebenso das Land Baden-Württemberg und die stets ebenfalls unbürokratisch arbeitende Deutsche Forschungsgemeinschaft. Mit diesen Mitteln konnten den Teilnehmern des Kolloquiums die Reisekosten gemäß Vorschrift erstattet werden. (Den Teilnehmern aus den USA ab Westküste Europas.) Gleichermaßen ist für materielle Unterstützung zu danken der Vereinigung der Freunde der Universität Tübingen, die u. a. den Ausflug der Teilnehmer des Kolloquiums zur Burg Hohenzollern möglich gemacht hat, sowie dem Präsidenten der Tübinger Universität, Herrn Dr. h. c. Adolf Theis, für den Empfang in dem so schönen Raum des "Kleinen Senats" mit den Porträts mancher Juristen aus der Zeit der Entstehung des modernen Staates. (Insgesamt wurden für dieses Kolloquium etwas über 26 000 DM zur Verfügung gestellt, nicht weniger, aber auch nicht mehr.) Auch sei hier Herrn Horst Allgaier für das Orgelkonzert gedankt, das er in der Tübinger Stiftskirche gegeben hat, und Herrn Hauptkonservator Dr. Krinz für die Führung durch das Kloster Bebenhausen. Herzlicher Dank gilt auch den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Öffentliches Recht V, vor allem Frau Ingeborg Cremer. Die Dame, die den Empfang am ersten Abend des Treffens gegeben hat, möchte ungenannt bleiben. Wir haben dreier Teilnehmer zu gedenken, die seit dem Kolloquium im Jahre 1980 gestorben sind, nämlich der Herren Professoren David S. Berkowitz, György B6nis und Ulrich Scheuner. Leider war es Herrn Berkowitz nicht mehr möglich, sein Referat, das über 110 Druckseiten ausgemacht hätte, auf ein passendes Maß zu kürzen. Herr Bönis war durch die Erkrankung der Möglichkeit beraubt, sein Referat mit Anmerkungen zu versehen, wohingegen Herr Scheuner die Fahnenabzüge seines Referates im Krankenhaus korrigiert hat, es war das, wahrscheinlich, seine letzte wissenschaftliche Arbeit. Auch den Teilnehmern des Tübinger Kolloquiums werden diese Gelehrten von internationalem Rang unvergeßlich bleiben. In dankbarer Erinnerung wird auch bleiben der im Jahre 1984 verstorbene Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herr Prof. Dr.

Vorwort

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Dr. h. c. Johannes Broermann. Der Berliner Verlag hat die Tagungsbände stets ohne einen Zuschuß zu den Druckkosten veröffentlicht. Tübingen, im Dezember 1985

Roman Schnur

Inhalt I. Berna.rd Willms:

Kontingenz und Konkretion. Wilhelm von Ockham als Wegbereiter des neuzeitlichen Rechts- und Staatsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Michel Villey:

"Contrat - Obligation - Societe". Du langage juridique romain au langage juridique moderne ... . ........... . .................... . . . . 51 György B6nis:

Ungarische Juristen am Ausgang des Mittelalters

65

Peter Mora.w:

Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273-1493) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Aldo Ma.zza.cane:

Rechtswissenschaft und Ideologie in Venedig. Erwerbung der "Terraferma" und Wandlungen des Staates . ...... . .... .. . ... . ......... . . .. 149 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

II. Ka.ta.rzyna. S6jka-Zielinska:

Le röle des juristes dans le mouvement de la codification du droit en Pologne a l'epoque de la Renaissance ........ .... ............. . . . . . .. 191 Jan Ma.la.rczyk:

Jean Zamoyski (1542-1605) et la creation de l'Etat moderne en Pologne 205 Dieter Stievermann:

Die gelehrten Juristen der Herrschaft Württemberg im 15. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung der Kleriker-Juristen in der ersten Jahrhunderthälfte und ihre Bedeutung für das landesherrliche Kirchenregiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Michael Stolleis:

Grundzüge der Beamtenethik (1550-1650)

273

Diskussion . . .... . .. ... .. . .... . . . ... . .. . . . . .. .. ..... ......... . ... . ..... 303

Inhalt

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111.

Harro Höpfl:

Fundamental Law and the Constitution in Sixteenth-Century France 327 J. H. M. Salmon:

Protestant Jurists and Theologians in Early Modern France: The Family of Cappel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Raymond Polin:

Droit et Politique. Les Contrats sociaux du Contrat social chez JeanJacques Rousseau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Diskussion ................... .. ................. .. .............. . ... .. 397

Kenneth R. Minogue:

IV.

Treason and the Early Modem State: Scenes from a Mesalliance .... 421 Ghislaine Chanavat:

Bacon, Juriste et l'Art du Gouvernement ........ . ............ . ...... 437 Janine Chanteur:

Le Fondement de l'Etat et les Regimes Politiques selon Thomas Hobbes 455 Lois G. Schwoerer:

The Role of Lawyers in the Revolution of 1688--89 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 W. H. Greenleaf: Blackstone and the Office of Govemment

499

Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

V. Eberhard Isenmann:

Reichsrecht und Reichsverfassung in Konsilien reichsstädtischer Juristen (15.-17. Jahrhundert) ... .... . .............. . ........ ... . .. ..... 545 Wilhelm Brauneder:

Die staatsrechtliche Bedeutung österreichischer Juristenschriften des . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629

16. Jahrhunderts Alfred Kahler:

Zur Bedeutung der Juristen im Regierungssystem der "Monarchia universalis" Kaiser Karls V . . ...... .... . ... ......................... 649

Inhalt

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Gernot Heiß:

Argumentation für Glauben und Recht. Zur rhetorisch-juridischen Ausbildung des Adels an den protestantischen "Landschaftsschulen" in den nieder- und innerösterreichischen Ländern vor dem Dreißigjährigen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 Notker Hammerstein:

Universitäten -

Territorialstaaten -

Gelehrte Räte . . . . . . . . . . . . . . . . 687

utrich Scheuner:

Nichtmonarchische Staatsformen in der juristischen und politischen Lehre Deutschlands im 16. und 17. Jahrhundert ... . .............. .... 737 Christoph Link:

Anfänge des Rechtsstaatsgedankens in der deutschen Staatsrechtslehre des 16. bis 18. Jahrhunderts .............. . ....... . ........ .. . . 775 Dietmar Willoweit:

Rat und Recht im Regiment des Großen Kurfürsten von 1648 bis 1658 797 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823

Anhang Roman Schnur:

Moderner Staat, moderne Dichtung und die Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . 851 Verzeichnis der Referenten und Diskussionsteilnehmer ......... . . ... . . 879

I. Kontingenz und Konkretion Wilhelm von Ocltham als Wegbereiter des neuzeitlichen Rechts- und Staatsdenkens Von Bernard Willms

I. Vorbemerkung Die Antike ist uns näher als das Mittelalter. Der Satz versteht sich nicht substantiell, sondern als Befund, oberflächlich. Würde man nach geistesgeschichtlichen, bildungsmäßigen und fachspezifischen Erwartungshaltungen sowie nach faktischer Präsenz im entsprechenden Denken und Vertrautheit mit Grundpositionen und Theoremen eine Landkarte der Ideenhistorie entwerfen, mit Mitteleuropa als Gegenwart und Zentrum, so würde ,die Antike' vielleicht in der Tat in Griechenland liegen, das 14. Jh. aber mindestens am Tanganjikasee, in Kamtschatka oder Patagonien. Natürlich muß man die Spezialisten ausnehmen: Immer schon gab es die Stanleys, die Dr. Livingstone in Udjidji begrüßten wie unsereiner einen neuen Mieter auf dem Treppenabsatz. Vor allem müßte ein dynamisches Kartenbild vorgestellt werden; Entfernungen können sich gegeneinander verschieben in einem Tempo, das, verglichen mit der Kontinentaldrüt, absolut dramatisch wirken müßte- was freilich nicht viel besagen will. Daß trotz dieser Einschränkungen der Vergleich Griechenland und Feuerland eine gewisse Plausibilität behalten dürfte, hängt mit der Geschichte unserer Bildung zusammen, in der sich, trotz aller Bildungsvergessenheit der Gegenwart, Winckelmännisches, Aufklärerisches und Romantisches "edle Einfalt, stille Größe" hier und "fiinsteres" oder "heiles" Mittelalter dort behaupten können. Sicher spielt auch die scheinbare Überschaubarkeit der Schauplätze eine Rolle, wobei dies, gerade in seiner Scheinbarkeit auch bloß ein Reflex jener Bildungstradition sein könnte. Gegen die Klarheit und Transparenz unserer Vorstellungen von der "Polis" wirkt "das Mittelalter" wie ein Höllensturz, auf dem es von Päpsten, Kaisern, Königen, Schwärmern,

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Bernard Willms

Mönchen, Heiligen jedweder Provenienz, Bauern, Kreuzrittern, Minnesängern und Inquisitoren wimmelt, neben dem Zeus des Phidias oder dem Hermes des Praxitiles. Und wenn auch Hinweise aufs Dionysische oder auf "finstere Antike", wie etwa in Arnolt Bronnens "Aisopos", vielleicht nicht die "Größe", doch wohl aber "Adel", "Einfalt" und "Stille" dieser Antike relativieren mögen, so ändert dies einerseits nichts am eingangs geäußerten generellen Befund, und andererseits trägt es ja immer noch keineswegs zu einer allgemeineren Erhellung des Mittelalters bei. Der Befund hat jedenfalls zur Folge, daß Befassung mit und Lehrmeinungen zu Platon oder Aristoteles innerhalb eines Fachgebietes "Ideengeschichte" oder "Politische Theorie" einem nicht nur leichter von der Hand gehen, sondern auch unproblematischer aufgenommen werden als solche zu Bernhard von Clairvaux oder Wilhelm von Ockham. Die allgemeine Überlegung soll dazu dienen, den Anspruchsbereich der nachstehenden Abhandlung einzuschränken. Das eindringendere Interesse an Ockham - und damit am "Mittelalter" - geht in diesem Fall von derBefassungmit Thomas Hobbes aus, die Verbindung zwischen den beiden ist zunächst das, was in Lehrbüchern als Tradition "des" Nominalismus angesehen wird1 • Es stellt sich heraus, daß der "Nominalismus", was immer damit gemeint war oder gemeint sein könnte, sich bei näherem Hinsehen mehr und mehr relativiert; von Ockham wie von Hobbes als "Nominalisten" zu sprechen, wird jedenfalls immer problematischer. Die Verbindung von diesem zu jenem bleibt freilich auch im Bereich theoretischer Philosophie bedeutend genug, und die Tatsache, daß die Ockham-Forschung die einfache Nominalistenetikettierung für den Franziskaner Ockham als unzureichend erweist, wird auch für die Hobbes-Forschung Folgen haben. Im Mittelpunkt dieser Abhandlung stehen aber Fragen der praktischen, der politischen Philosophie, genauer, die Entstehung des neuzeitlichen Rechts- und Staatsdenkens, wofür Thomas Hobbes ebenso unbestritten von erstem Range ist, wie Ockhams Bedeutung für seine Zeit auch in dieser Hinsicht zu erweisen wäre. Diese Zeit ist aber jenes Mittelalter, und für wenig Denker dieser Zeit treffen so schwerwiegend die Hexameter zu, die Diagenes Laertius von Heraklit überliefert2 • 1 Vgl. meine Arbeit: Staatsräson und das Problem der politisdlen Definition. Bemerkungen zum Nominalismus in Hobbes' Behemoth, in: Staatsräson. Studien zur Gesdlidlte eines politisdlen Begriffs. Hrsg. von Roman Sdlnur, Berlin 1975. In diesem Aufsatz ist die Frage "des" Nominalismus nodl verhältnismäßig undifferenziert behandelt; der üblidle Hinweis auf die Verbindung Hobbes - Ockham - über die niemand etwas Genaues zu wissen sdleint- entspradl einer gängigen Vorstellung, mußte dann aber den vorliegenden Versudl der Annäherung an Ockham als ersten, weiterführenden Sdlritt zur Folge haben. Über das Problem des Nominalismus bei Hobbes vgl. jetzt WiHms, Der Weg des Leviathan. Die Hobbes-Forsdlung von 1968 - 1978. Beiheft Nr. 3 zur Zeitsdlrift "Der Staat", Berlin 1979, S. 34 ff.

Kontingenz und Konkretion

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Nirgendwo mehr scheint also ein "Geweihter" so unabdingbar wie Vergil für Dante. Und es bleibt dem Anfänger, sowohl was die Zeit, wie was den Mann angeht, nichts anderes übrig, als sich mehr als sonst auf kundige Führer zu verlassen, und dies ist die Einschränkung, die diese einleitenden Bemerkungen zum Ausdruck: bringen sollen: Es kann sich hier nicht um einen selbständigen Beitrag zur Ockhamforschung im engeren Sinne handeln; vielmehr um eine erste Annäherung, derer. Rechtfertigung eher in der Blickrichtung und Fragestellung liegen mag, als in eigentlicher Forschungsleistung. Blickrichtung und Fragestellung aber sind die nach der Bedeutung Ock:hams in der Entwicklung des modernen Rechts- und Staatsdenkens3 • II. Bemerkungen zum Forschungsstand Immerhin lassen sich unter der Führung jener ,Eingeweihten' mehr als nur tastende Schritte unternehmen. Dies freilich läßt sich erst heute und mit Zutrauen sagen: Die letzten Jahrzehnte haben die eigentliche Entwicklung der Ock:ham-Forschung in Fluß und zu Ergebnissen gebracht, Ergebnisse, die, nach Meinung des 1955 gestorbenen Philoteus Böhner, des bedeutendsten Gelehrten auf diesem Gebiet, sogar zeigen, daß man die ältere Forschung getrost vergessen kann4 • Trotz dieser Äußerung Böhners aber ist die Vergegenwärtigung der älteren Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte Ock:hams notwendig, wenn man die Arbeiten der neueren Forschung verstehen will. Es gibt sicher wenig Autoren, deren Werk so unter Mißverständnissen, Fehleinschätzungen, plakativen Verdrehungen und feindseligen Verleumdungen gelitten hat wie das Ock:hams. Die Abschreibwege, auf denen Fehlurteile zu stehenden Vorurteilen wurden, sind in seinem Fall ein besonders desillusionierendes Stück: einer "Geistesgeschichte", die an diesen Erscheinungen weiß Gott nicht arm ist. Abgesehen von der übli2 "Nicht schnell wende die Seiten des herakliteischen Buches, Mühsam und steil ist er Weg, welcher zum Gipfel dich führt, Finsternis herrscht und drückendes Dunkel doch führt ein Geweihter Dich durch das Buch so leuchtet's heller als Sonnenschein dir." 3 Die Zweifel, ob die Ergebnisse der Befassung mit Ockham durch einen Nicht-Mediävisten überhaupt wissenschaftlich zurnutbar sein könnten, hat der Verfasser durch ein gelegentliches ,pecca fortiter' zurückzudrängen versucht - eine Maxime Luthers, eines erklärten Ockhamisten. ' In einem "Gedicht auf die Logik Ockhams" (in: Franziskanische Studien 26, 1939) vergleicht Böhner die ältere, Ockham durchaus negativ beurteilende Literatur mit Hunden, die den Mond anbellen. Die kaum zu überschätzende Bedeutung Böhners für die neuere Forschung stellt vor allem die Arbeit von Junghans heraus: Hetmar Junghans,. Ockham im Lichte der neueren Forschung, Berlin 1968, ein Buch, das als Orientierung über diesen Bereich nun seinerseits kaum überschätzt werden kann, vor allem, weil es systematisch alle alten Fehl- und Vorurteile im Lichte der neueren Forschungen -vor allem Böhners- durchgeht, so beide Bereiche in ihrem gegenseitigen Bezug und in ihrer Abhängigkeit darstellend.

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Bernard Willms

chen geläufigen Trägheit des Abschreibens namentlich von Urteilen über mittelalterliche Bestände, die sich bei einem literarischen Phänomen wie dem Minnesang ebenso zeigen wie bei rechtlich-gesellschaftlichen wie der "Landflucht" oder philosophischen wie dem Denken Ockhams, kam im Falle dieses Letzteren noch eine Art kumulierender Verursachung hinzu. Ockhams Denken ist ebenso umfassend wie radikal, d. h. er mutet seinem Leser schon einiges zu. Diesen Zumutungen konnte man sich allzuleicht entziehen, wenn sich die bequeme Eselsbrücke anbot, hier von vornherein vor allem "offiziell", d. h. kirchlicherseits, verrufene Gedanken und Theoreme zu sehen. Noch der Kardinal Ehrle sah 1925, darin dem Pariser Statut gegen Ockham von 1339 undi 1340 folgend, in Ockhams Denken vor allem einen überflüssigen Hang "ungesunden" kritischen Denkens und "destruktiver", neuerungssüchtiger Dialektik, ein dem Mittelalter geläufiger Vorwurf, der seinerzeit ja durchaus nicht ohne theologischen Hintergrund erhoben wurde5 • Ockhams Denkstil kam - vor allem etwa in seinem kirchenpolitischen Hauptwerk, dem "Dialogus" aber auch in den "Octo quaestiones" - sowohl der uneinsichtigen Meinungshaltung wie dem Vorurteil entgegen6. Diese Werke sind von einer circumgressiven Dialektik her geschrieben, die zu einem bestimmten Problem jeweils alle Meinungen in einer Weise anführt und ausdiskutiert, die noch Riezler und Moral! zu der Feststellung veranlaßten, es sei nicht einmal möglich, von diesen Werken eine geschlossene, referierende Wiedergabe zu liefern gleichfalls ein Vorurteil, das nur darauf wartete, widerlegt zu werden, was durch Kölmel in überzeugender Weise geschehen ist7. Eine weitere Schwierigkeit dieser Darstellungsweise besteht hinsichtlich der Möglichkeit, aus der versammelten Argumentationsmasse jeweils Ockhams eigene Position herauszufinden, eine Schwierigkeit, die noch heute die Autoren verzweifeln läßt, obwohl immanente und vergleichende Interpretationsprinzipien aufstellbar sind, mit denen man dies Problem lösen kann8 • Auch hier muß sich diese Arbeit mit An~ Vgl. Junghans, 23. Zu dem Pariser Nominalistenstatut vgl. Ruprecht Paque, Das Pariser Nominalistenstatut. Zur Entstehung des Realitätsbegriffs der neuzeitlichen Naturwissenschaft, Berlin 1970. Dort auch die Wortlaute der Statuten (S. 8 ff. und 306 ff.). 6 Für eine kurze Übersicht über Leben und politische Schrüten Ockhams vgl. unten Anm. 51. 7 Vgl. Wilhetm Kölmel, Wilhelm Ockham und seine kirchenpolitischen Schriften, Essen 1962, S. 246, Anm. 42. 8 Zum Problem vgl. Jii.rgen Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, S. IX f. und 432 ff., und Arthur Stephen McGrade, The Political Thought of William of Ockham. Personal and Institutional Principles, Cambridge 1974, S. 67.

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deutungen begnügen. Festzuhalten ist, daß Ockham ein außerordentlich konsequenter, ja radikaler Denker ist, daß sowohl Denkstil wie Reftexionsniveau und eben Konsequenz dies Denken von Beginn an schwierig und eben auch "gefährlich" für diejenigen Sekundärdenker machen mußten, die durch die, Geborgenheit bietende, Systematik des kanonisierten Großdenkers Thomas von Aquin verwöhnt waren, der zu folgen ja vor allem wegen jener frühzeitigen Kanonisierung keinerlei Risiko bedeutete. Die "Gefährlichkeit" Ockhams ist es denn auch, die in seiner Wirkungsgeschichte Schule gemacht hat, und dies reicht vom Häretikervorwurf seines Oxforder Kanzlers Lutteren bis zu jenen scheinobjektiven Bewertungen Ockhams als eines "destruktiven" Denkers, eines "Zerstörers" vor allem. Aber was kann ein Denker durch Denken zerstören? Die "Einheit der Hochscholastik" und ,.des" mittelalterlichen Weltbildes? Oder eben doch nur die kanonisierte Nestwärme des Thomismus und die romantische lllusion von mittelalterlicher Einheit? Der Vorwurf der Destruktion müßte für heutiges Denken ebenso irrelevant sein wie der Häresievorwurf. Es war aber vor allem dieser Ruf der "Gefährlichkeit", der dann auch andere Etikettierungen in dieses Umfeld brachte - und zwar unabhängig davon, wieweit sie sachlich zutrafen. So wurde auch die Bezeiclmung "Nominalist" zu einer Scheinbeurteilung, die sich durchaus mit dem Stellenwert vergleichen läßt, den etwa "Trotzkist" im "realen Sozialismus" hat, und bis in gegenwärtige Veröffentlichungen reicht der Eüer, Ockham von dem Vorwurf des "Relativismus" zu befreien, als wenn radikales Denken denen etwas schuldig wäre, die sich ein Mahagonny aufbauen, weil es sonst "nichts gibt, woran man sich halten kann". Die neuere Zuwendung, die nach Böhner die älteren Befassungen und Darstellungen durchaus vergessen machen soll, ist also im hohen Maße von eben dieser älteren Wirkungsgeschichte abhängig. Diese neuere Ockhamforschung war vorwiegend rehabilitativ und wird erst allmählich unbefangener. Als rehabilitative ist sie vom Kampf gegen die älteren Vorurteile in einer bisweilen rührenden Weise geprägt'. Ockham ist Franziskaner gewesen, und er war zweileilos so einflußreich und bedeutend, daß die Franziskaner bis heute stolz sein möchten, ihn zu den ihrigen zu zählen. Aber Ockham hatte jahrzehntelang ge9 Dazu weitere Anmerkungenen im Verlauf des Textes. Es ergibt sich in der Sache einer interessante Parallele zur Hobbes-Forschung, die in den dreißiger Jahren und später zum Teil eindeutig von dem Bedürfnis geprägt ist, einen bis dahin mehr oder weniger ,verrufenen' Autor zu rehabilitieren, wofür im Falle Hobbes' vor allem die Bemühungen Tay[ors und Warrenders stehen. (Zu diesem Problem in der Hobbes-Forschung vgl. WiHms, Der Weg, s. 100 ff.)

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Bernard Willms

gen die Amtskirche gekämpft und war dabei zu thoretischen Konsequenzen gekommen, die dem kanonisierten Thomismus eben jener Amtskirche jahrhundertelang als destruktive Greuel erschienen waren. Erst ein differenzierteres wissenschaftliches Bewußtsein vom Mittelalter überhaupt wie auch ein Zurückweichen des thomistischen Anspruches läßt die Franziskaner in unserem Jahrhundert in bezug auf ihren großen Denker selbstbewußter werden; die neuere Forschung mußte aber folgerichtig zunächst insofern im Banne der älteren Vorurteile stehen, als sie diese zu widerlegen sucht10• Dem Vorwurf der Häresie wurde mit dem Aufweis des in unmittelbarer Bibelgläubigkeit fest verankerten katholischen Selbstverständnisses begegnet11, dem Vorwurf der "Destruktion" der "Einheit des mittelalterlichen Weltbildes" mit dem Aufweis der mittelalterlichen Denk- und Problemtradition zu Ockham hin12 und damit, ihn als eben noch integrierenden Teil der Hochscholastik zu verstehen. Der gleichfalls als Vorwurf aufgefaßten Charakterisierung von Ockhams Denken als "Nominalismus" wurde mit dem Nachweis begegnet, wie wenig das Etikett auf dieses Denken überhaupt zuträfe13, und dem eines "Relativismus" versuchte man entgegenzutreten durch den Nachweis, dieses, nämlich Relativismus, träfe für Ockham nicht zu, wobei sich hier eine Abhängigkeit von den älteren Auffassungen, etwa bei einem Autor wie Kölmel, insofern zeigt, als er selber nichts so sehr zu fürchten scheint wie merkwürdigerweise "Relativismus"14• Die Arbeit der vehabilitierenden Ockhamforschung konnte nur im Rückgang auf das erfolgen, was Ockham selbst gesagt hatte. Und hier liegt die vielleicht größere Bedeutung dieser Phase der Forschungsentwickung. Unter außerordentlichen Schwierigkeiten mußten die Texte selbst aufgesucht, festgestellt, datiert und ediert werden, was angesichts der desolaten Textsituation, die das neuerwachte Interesse in den 20er und 30er Jahren vorfand, eine ungeheure Arbeit bedeuten mußte. Diese Arbeit ist keineswegs abgeschlossen, und für große Teile des 10 Aus der Sicht eines gegenwärtigen Ideenhistorikers ist dies zweifellos ein Umweg, der freilich historisch unerläßlich war. 11 Vgl. dazu etwa Miethke, S. 264 ff. 12 Dazu neben Böhner vor allem auch Miethke und KLaus Bannach, Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham, Wiesbaden 1975, sowie Junghans, 335 ff. Junghans nennt - wie immer in Anschluß an Böhner - Ockham einen "echten Scholastiker" . . . "und zwar einen des 14. Jahrhunderts" (338). 13 Zur Forschungssituation und darin vor allem zu den Bemühungen Böhners vgl. Junghans, S. 279 ff. u Auffallend bei Kölmel, S. 8, 12, 59 - aber auch bei Gunther Pleuger, Die Staatslehre Wilhelms von Ockham, Diss. Köln 1966, S. 118, oder ein älteres Beispiel: Franz Federhofer, Die Philosophie des Wilhelm von Ockham im Rahmen seiner Zeit, Franziskanische Studien, 1925, S. 293.

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Werkes ist man immer noch auf einen so problematischen Herausgeber wie Melchior Goldast angewiesen. Nichtsdestoweniger ist die Beschäftigung mit den hier vornehmlich interessierenden politischen Schriften durch die Arbeiten von Baudry, Scholz, Sikes und Offler16 heute - insbesohdere unter der eingangs erwähnten eingeschränkten Forschungsabsicht - was die Textsituation angeht, jedenfalls außerordentlich erleichtert, eine Situation, zu der eine ganze Reihe von ausgezeichneten Monographien der immer unbefangener werdenden Ockhamforschung beiträgt. Die Erfahrung mit der Tradition der globalen Ockhamverurteilung und die kenntnisreiche Einschätzung des Verhältnisses von Geleistetem und noch zu Bewältigendem in der Ockhamforschung brachten Philoteus Böhner bis zum Ende seiner Arbeit in den 50er Jahren zu der Überzeugung, daß eine neue Gesamtsicht von Ockhams Denken wegen der Fülle der zu klärenden Einzelfragen noch keineswegs an der Zeit sei16 • Aber auch in diesem Punkte haben die seither vergangenen 25 Jahre geänderte Einstellungen und entsprechende Fortschritte gebracht. Bis heute gehört es freilich immer noch zu den Pflichtübungen philologisch orientierter Ockhamforschung, Datierungsfragen einzelner Werke zu diskutieren und frühere Festlegungen zu relativieren oder zu differenzieren. Auch mag man trotz der Anstrengung von Gordon Leff, der eine geschlossene Gesamtdarstellung wenigstens der theoretischen Philosophie vorgelegt hat17, von McGrade, der das politische Denken insgesamt behandelt18 , oder von Bannach, der den m. E. überzeugendsten Versuch macht, ein durchgehendes und tragendes Grundprinzip für Ockhams Denken insgesamt aufzuweisen19, Böhner in seiner Zurückhaltung eher bestätigt sehen. Immerhin läßt sich auf Grund der Fortschritte die Ausgangsbasis für solide genug halten, um Anteil und Stellenwert Ockhams in der Entwicklung des modernen politischen 15 Leon Baudry, Guillaume d'Occham. Sa vie, ses reuvres, ses idees sociales et politiques, Paris 1950; Richard Scholz, Unbekannte Kirchenpolitische Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern (1327- 1354), 2 Bände, 1911 1914; ders., Wilhelm von Ockham als politischer Denker und sein ,Breviloquium de principatu tyranno', Stuttgart 1944 (1952); Guillelmi De Ockham, Opera Politica. Accuravit H. S. Offler, Manchester, Vol. I, 1974 (1, 1940), Vol. II, 1963, Vol. III, 1956. Eine übersieht über die politischen Schriften Ockhams hier in Anm. 51. 16 Vgl. Junghans, S. 8, 340. 17 Gordon Leff, William of Ockham. The Metamorphosis of Scholastic Discourse, Manchester 1975. Der Tenor der Rezension von Leffs Buch durch Marityn McCord Adams (Journal of the History of Philosophy, 15, 1977) scheint Böhners Auffassung, für eine Gesamtdarstellung sei es noch zu früh, auch heute noch Recht zu geben. 1s Vgl. hier Anm. 8. 18 Vgl. hier Anm. 12. Dies Prinzip ist Ockhams Lehre von der potentia Dei, vgl. dazu unten Abschnitt VI.

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Denkens zu bestimmen: Dazu möchte ich vor allem die herausfordernde und ermutigende Ansicht von Alois Dempf erwähnen, der nicht nur die bedeutungsträchtige Formel vom "politischen Nominalismus" prägte, sondern der Ockham auch, freilich in durchaus ambivalenter Einstellung, den "ersten und größten Philosophen der Neuzeit" nannte!'.

m. Bemerkung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie in der Ideengeschichte

Eine der ersten Voraussetzungen für den hier beabsichtigten ideenhistorischen Zugriff ist die Klärung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie. Ist eine solche Klärung noch für das 17. Jh. - also etwa für Thomas Hobbes- unerläßlich, wie vielmehr für das 14. Jh. Nun steht Ockham -wiederum wie Hobbes - in einer Tradition christlichen Denkens, die die Klärung des Verhältnisses von Theologie und Philosophie insofern leicht zu machen scheint, als sie selbst den Bereich des Glaubens mehr oder weniger streng von jenen Bereichen trennte, die menschlicher Vernunft unterworfen werden könnten21 • Hieraus freilich die Konsequenz zu ziehen, in der gezielten Befragung seines Denkens die Texte in "theologische" und "philosophische" zu trennen, entspräche weder der Intention der Untersuchung noch der philosophischen Substanz eines Denkens vom Range Ockhams. Ein solches Denken kann nicht im Sinne eines vergangenen oder gegenwärtigen "Streites der Fakultäten" parzelliert werden. Eine solche Aufteilung würde dem systematischen Gehalt, der theoretischen Konsequenz und der Konsistenzintention nicht entsprechen, die jede große Philosophie auszeichnet und deren Festhalten Vorbedingung für jede ideenhistorische oder philosophiegeschichtliche Forschung ist. Und wenn dieser Anspruch der Philosophie, der selber ein philosophischer Anspruch ist, festgehalten wird, dann werden jene die Forschung so stark beschäftigenden Fragen nach der möglicherweise "destruktiven" Rolle oder nach dem "Relativismus" von Ockhams Denken ebenso irrelevant Alois Dempf, Sacrum Imperium, München 19734, S. 526. Zu diesem Problem in der Hobbes-Forschung Willms, Der Weg, S. 114 ff. Zu Ockham Junghans, S. 230 ff. Die Ergebnisse sind in beiden Fällen differenzierter als diejenigen sehen wollen, die beiden Autoren eine radikale Trennung der Bereiche vorwerfen. Weder schließt Ockham "Logik" in der Behandlung theologischer Fragen aus - im Gegenteil - noch leugnet er - ebensowenig wie Hobbes - eine "natürliche Theologie". Die Frage ist eher die einer Akzentverlagerung, die innerhalb des Rahmens einer Gesamtentwicklung in ihrem Wirkungsgrad eingeschätzt werden muß. Auch der generell Ockham rethesaurierende Böhner stimmt dieser Akzentverlagerung zu: "Ockham's ideas about the relation between faith and reason are in the line of tradition, he only emphasizes the insufflciency of reason as regards certain - not all - matters of faith, by applying and pushing his logic to its last consequences." (Zit. bei Junghans, S. 232). 10

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wie die nach seiner "Häresie". Destruktion ist keine philosophische Kategorie- bestenfalls eine ideenpolitische -,und die Angst vor "Relativismus" - die dann dazu führt, Ockham deswegen abzulehnen oder ihn davor zu retten - ist allemal ein Abweichen von jener philosophischen Vernunft, deren Schlaf erst solche Dämonen hervorbringt, auf die dann mit Angst zu reagieren zwar verständlich, aber eben nicht (mehr) philosophisch ist. Philosophie ist gründliches Denken unter je historischen Bedingungen, der denkende Zugriff auf Wirklichkeit in umfassender Begründungsintention. Sie bedeutet die individuell vollzogene - und nur individuell vollziehbare - aber allgemein, also generell intendierte Reflexion auf die wirklich erfahrene "conditio humana". Deren Begreifen steht im intendierten Vollzug immer schon unter jener fundamentalen Spannung, die sie als - methodisch objektivierten - Gegenstandsbereich auszeichnet, nämlich: unter der Spannung von Besonderem und Allgemeinen. Aber wie "conditio humana" nur je wirklich, d. h . historisch gegeben ist, so realisiert sich Philosophie auch nur je historisch, d. h. unter Wirklichkeitsbedingungen, die reflektiert werden müssen, aber nicht ausgeschaltet werden können. Das Begreifen seiner eigenen Wirklichkeit in umfassender Intention wird, einmal gelernt, zur historisch nicht mehr verlierbaren Gesamtkondition des geschichtlichen, also lernenden Wesens Mensch. Die historischen Wirklichkeiten ändern sich und die Annahme von Transzendenzen, Glaubenswelten und Offenbarungsnotwendigkeiten bestimmten historische Wirklichkeit ebenso wie alle anderen historischen Verhältnisse, seien es solche der Herrschaft oder solche der primären Lebensfristung. Wenn das Mittelalter Philosophie von Theologie unterscheiden konnte, so mußte es Philosophie mit Recht als die ,Magd' jener Theologie ansehen, insofern in dieser die gründenden Verhältnisse als Voraussetzung alles anderen zur Sprache gebracht wurden. Aber eben diese Unterordnung zeigt, daß Theologie im Sinne des christlichen Mittelalters nichts anderes war als gründliches Denken unter den historischen Bedingungen einer Zeit, deren angenommenes geistiges Fundament in einer Theorie von Schöpfung und Schöpfer und in der Vermittlung dieser Gesamtwirklichkeit durch bestimmte Texte bestand. Theologie war in einem allgemeinen Sinne nichts anderes als gründliches Denken unter den Bedingungen historisch dominanter, wirklichkeitsbestimmender Glaubensinhalte. Diese "Theologie" als begründende Form mittelalterlichen Philosophierens ist in der welthistorischen Entwicklung eben dieses gründlichen Denkens aber eindeutig Episode oder auch Epoche; es gab und gibt vor dieser Epoche wie nach ihr große Philosophie, die nicht "Theologie" in diesem Sinne war oder ist. Die Bedeutung einer Philosophie wie der Ockhams läßt sich danach keines-

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wegs dadurch ermitteln, daß man sie als diese zunächst von seiner "Theologie" trennt. Die Bedeutung erschließt sich nur, wenn die Theologie als Moment eines Denkens aufgefaßt wird, das - bis zum strengen Erweis des Gegenteils- unter jener Konsistenzvermutung untersucht wird, also als Einheit. IV. Bemerkungen zum Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie bei Ockham Wenn für die ideenhistorische Forschung an Texten vom Range der Ockhams nichts so wesentlich ist wie das Festhalten an einer Konsistenzvenntung, von der nur im äußersten Falle abgewichen werden sollte, dann lautet eine der ersten Fragen an die bisherige Forschung: Wird ein systematischer Zusammenhang von theoretischer und "praktischer" Philosophie bei Ockham überhaupt gesehen und wenn ja, wie wird er beurteilt? Diese zweifellos grundlegende Fragestellung muß für die bisherige Forschung unter dem Gesichtspunkt jener Dynamik aus Verurteilungen, stehenden Vorurteilen und wiederentdeckender Apologetik des großen Franziskaners gesehen werden, die hier skizziert wurde. So ist, trotz einer deutlich feststellbaren Entwicklung22 , die Frage beim sicher bedeutendsten Ockham-Forscher Böhner doch nicht ganz aus der Frontstellung Franziskaner vs. Amtskirche herausgenommen, die in Ockhams politischem Denken natürlich wichtig ist, die aber im 20. Jh. so nicht mehr besteht, nicht mehr bestehen darf. Folglich stellt es eine nicht unwichtige Frage für franziskanisches Selbstverständnis einerseits und für dessen Rethesaurierung Ockhams andererseits dar, inwieweit seine Philosophie oder Theologie oder auch seine Metaphysik in systematischem Zusammenhang mit seinem Kampf gegen die Päpste oder gar gegen "das Papsttum" stehe. Je mehr einem Franziskaner von heute am großen Spätscholastiker liegt, um so mehr muß er daran interessiert sein, unter systematischem Gesichtspunkt den Kampf gegen die Päpste herauszuinterpretieren, bzw. ihn zu bagatellisieren, ihn jedenfalls nicht grundsätzlich zu nehmen. Nun ließe sich zwar zeigen, daß der Kampf gegen die Päpste, den Ockham führte, in der Tat keineswegs grundsätzlich gemeint war- Ockham hielt Johannes XXII. allen Ernstes für einen Ketzer - ; aber der Anlaß brachte ihn doch zu so gründlichen Gedanken über die Verteilung spiritualer und temporaler Herrschaft, daß es durchaus verständlich schien, daß Böhner die Frage nach dem systematischen Zusammenhang von Politik und übrigem 22 Vgl. dazu Böhner über Ockham, in: Böhner-Gilson, Christliche Philosophie, Faderborn 19543 (1937), S. 608 ff., insbes. 624; und für Böhners spätere Entwicklung in dieser Frage vgl. Junghans, S . 262 ff.

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Denken zunächst verneinte, ob er sich gleich in späterer Zeit zum Zugeständnis gewisser Verbindungen, die er selbst freilich nicht weiter untersuchte-, genötigt sah2'. Das für die Datierung und Feststellung Ockhamscher Texte grundlegende Werk von Baudry24 schlägt jedoch von Beginn an einen Ton an, der Ockhams Denken mit den großen historischen Bewegungen seiner Zeit - etwa der "naissance des nations modernes" - in Zusammenhang bringt2~. Wichtig für unsere Konsistenzfrage ist Baudrys Feststellung, daß eine Trennung zwischen Ockham dem ,polemiste' und dem ,philosophe' wegen des intensiven Kohärenzbewußtseins Ockhams selber durchaus unmöglich ist26• Die Akzentuierung, die die Frage bei Richard Scholz findet, ist mit dem Komplex des Verhältnisses "Theologie" und "Philosophie" belastet, über das oben einige Vberlegungen angestellt wurden27• Scholz hält es für ausgeschlossen, Ockham politische Lehren- denen sein eigenes Interesse gilt- von seiner "Theologie" zu trennen, und besteht zunächst darauf, daß Ockham auch im Kampf gegen die Päpste stets "der Theologe oder Philosoph" blieb28• Leider diskutiert Scholz die Frage weder gründlich noch einheitlich, so findet sich einige Seiten später der Schluß, "Ockham der Gelehrte, der Philosoph und Theologe ist wohl zu unterscheiden von Ockham dem Politiker und Polemiker"29• Es zeigt sich freilich, daß Scholz anscheinend zwischen bloß ,polemischen' und quasi ,gelehrt-politiktheoretischen' Äußerungen unterscheiden will. Im ganzen scheint Scholz aber auch Konsistenz des Theoretischen und des Praktischen für den Maßstab der Interpretation zu halten, was, wenn man Theologie bzw. Philosophie in jenem übergreifenden Sinne zusammen sieht, der hier vertretenen Auffassung entsprechen würde30• Eine differenzierte Argumentation findet sich bei Kölmel. Die beiden ,Gruppen' des Ockhamschen Werkes "philosophisch-theologische Traktate und kirchenpolitische Schriften" stehen ihm nur "scheinbar beziehungslos nebeneinander" und deren Beziehungen sind keineswegs "nur äußerlich"31 • 23 "We do not deny that there are inner connections." (Phitotheus Böhner, Ockham's Political Ideas, Review of Politics 5, 1943, S. 465. (Bei Junghans, S. 270, falsch zitiert.)

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zs 29

~o

Anm.15. Baudry, S. 7.

Ebd., S. 8/9. Vgl. hier Abschnitt III. Scholz, Wilhelm von 0. als pol. Denker, S. 5. Ebd., S. 17. Ebd., S. 18.

st Kölmel, S. 3.

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"Hinter den bisher nur äußerlich verbundenen Partien des Werkes wird ein Grundverhalten sichtbar, das nicht mehr von der überZieferten harmonischen Ordnung von Glauben und Wissen getragen ist." •.• Die Fragen, die nach 1328 an ihn gestellt werden, werden aus Voraussetzungen hetaus beantwortet, die bereits dem philosophisch-theologischen Schrifttum zugrundeliegen:!!."

Wenn Kölmel auch den Stellenwert Ockhams eher in einer Entwicklung sieht, die er insg~samt doch noch ziemlich traditionell und hier Lagarde folgend33 als eine zur "Selbstherrlichkeit der Moderne"" bezeichnet, und wenn er in der Folge auch immer wieder eine merkwürdige Furcht vor möglichen Relativismen an den Tag le~6, mit der man einem gründlichen Denker wie Ockham wohl zu allerletzt beikommen kann, so sind doch in den mitgeteilten und im Werk entwickelten Vorstellungen zu einem umfassenden systematischen Begreifen des Denkens Ockhams wichtige Schritte getan. Die bei Alois Dempf, dem großen Anreger auch der Ockham-Forschung, geschri~bene Dissertation von Kys hält nicht nur prinzipiell an Scholz' Überzeugung fest, daß sich im Werke Ockhams "off~nkundige Widersprüche überhaupt nicht finden ..."31 und daß "die politische und die unpolitische Philosophie" sich als "untrennbare Einheit ... erweisen"37, sondern gibt auch wertvolle Hinweise auf die Wurzel der systematischen Zusammenhänge38, die im wesentlichen in Ockhams Lehre Ebd., S. 4. aa Georges de Lagarde, La Naissance de l'esprit Laique au Declin du Moyen Age, Bde. IV und V, Löwen 1962/63. Hierbei handelt es sich um die zweite Auflage eines zum erstenmal bereits 1946 vorgelegten Werkes, dessen 2. Hälfte (in der Auflage von 1962/63 eben die Bände IV und V) ganz Ockham gewidmet sind. Für eine düferenzierte Diskussion von Lagardes Wandlungen und Bedeutung in der neueren Forschung Junghans, 263 ff. Das Verhältnis zu Lagarde unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Arbeit muß zwiespältig sein. Einerseits ist von Lagarde die systematische Verbindung von theoretischer und praktischer (politischer) Philosophie Ockhams am nachdrücklichsten behauptet und nachgewiesen, andererseits dient dieser Nachweis Lagarde zu nichts anderem, als Ockham als "Zerstörer" in jenem Sinne der älleren Forschung zu entlarven. Jenseits von entlarvendem oder rehabilitierendem Interesse müßte Lagardes Arbeit ausführlich neu diskutiert werden, was freilich hier nicht geleistet werden kann. 34 Kölmel, 4. 35 Vgl. etwa S. 8, 12, 59. as Franz Walter Kys, Die Lehre über das Widerstandsrecht in den politischen Werken des Meisters Wilhelm von Ockham, Diss. Köln 1967, S. 3. Kys' Arbeit hat ein unverdient-unglückliches Veröffentlichungsschicksal gehabt; die schließlich (als Diss.) gedruckte Fassung beträgt nach Umfang nur 1/5 der ursprünglichen und ist fast unbrauchbar, weil auf alle Belegstellen verzichtet ist. Hinzu kommt freilich eine stark subjektive Darstellungsweise sowie gelegentlich problematische Aktualisierungen - all dies dürfte jedoch nicht darüber hinwegsehen lassen, daß Kys eine ganze Reihe wichtiger Interpretationen enthält. 37 Vgl. Kys, S. 54, 57. 38 Vgl. ebd. 32

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von der ,potestas dei' gesehen wurden. Eben dieser Gedanke wurde dann von Bannach - dem Kys' Dissertation merkwürdigerweise unbekannt geblieben ist - zum Thema einer der m. E. wichtigsten neuerenArbeiten zu Ockham gemacht39 • Hier bei Bannach wird zwar die anstehende Frage nicht ausdrücklich gestellt, aber er tut eigentlich mehr, insofern er die Ockhamsche Lehr·e von der ,potentia dei' als jene Mitte herausstellt, aus der so theoretische wie praktische Philosophie zu begreifen sei. Lagardes umstrittenes Werk'0 ist im Zusammenhang der Fragestellung nach systematischer Einheit von Ockhams Denken durchaus zweischneidig. Einerseits stellt Lagarde jenen Zusammenhang zwischen philosophisch-theologischen und politisch-polemischen Teilen des Werkes recht eng dar - andererseits aber ist er völlig in der Auffassung einer ideenhistorischen Verfallstheorie befangen, in der Ockhams Denken als wesentliche "Destruktion" erscheint, eine Einstellung, die trotz des gelehrten Aufwandes und trotz der zahlreichen Anregungen, die aus Lagarde zu ziehen sind, doch schließlich den Eindruck von Oberman bestätigen, der sich darüber wundert, daß aus einem gelehrten und reich dokumentierten Werk gleichzeitig so wenig von Ockhams eigentlichem Denken zu erfahren sei41 • - Das gleichfalls gelehrte Buch von Miethke, von den neueren Werken ebenfalls durchaus unentbehrlich, leidet - nicht nur in der hier anstehenden Frage nach der Einheit der Philosophie im Theoretischen und Praktischen - unter dem Mangel, richtige Einsichten nun auch entschlossen durchzuhalten42, so daß Philosophie und Politik dann doch letztlich zuwendig aufeinander bezogen sind; auch führt eine allgemeine und wenig distinkte Auffassung von ,Soziallehre' Miethke dazu, spezifisch Politisches nicht zu sehen43• McGrades gleichfalls wichtiges Buch enttäuscht in bezug auf unsere Frage insofern, als es zwar im "preface" eine Intention zur Erforschung der "relations between Ockhams political works and bis nominalist speculative writings"« ankündigt, davon aber in der Durchführung kaum etwas spüren läßt. Im wesentlichen bleibt McGrade bei Beziehungen zwischen Politischem und dem, was er Ockhams "moral philosophy" nennt46. Bannach (Anm. 12). Zu Lagarde vgl. h ier Anm. 33. 41 H. A. Oberman, From Ockham to Luther Recent Studies, Concilium VII, 2, 1966, S. 66. 41 Vgl. zum hier anstehenden Problem Miethke, etwa S. XIII ff. 43 Beeinträchtigend wirkt auch, daß Miethkes Buch, anscheinend ursprünglich umfangreiCher konzipiert, dann abbruchartig einfach aufhört. u McGrade, S. IX. " Vgl. etwa ebd. S. 173 ff., 191 f. 39 40

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Zusammenfassend läßt sich zu der Frage sagen, daß eine vorgängige Parzeliierung des Denkens Ockhams - im traditionellen oder auch im "unbefangenen" Sinne - d. h . also eine Isolierung der "Philosophie" von "Theologie" und wiederum der Politik von jenen auch bei expliziter Suche nach systematischen Verbindungen dieser Suche im Wege steht. Es ist jedenfalls Ergebnis dieser kursorischen Durchsicht wichtiger neuerer Literatur zu dem Problem der systematischen Einheit, daß die eindrucksvollsten Interpretationen des Ockhamschen Denkens um so eher zu erreichen sind, je mehr man sich den philosophischen Konsistenzkriterien als Voraussetzung und als Methode der Interpretation angenähert hat. In diesem Zusammenhang muß ein Aspekt erwähnt werden, der zwar nur eine Seite des allgemeinen Problems dieses Abschnitts darstellt, aber gleichzeitig Anlaß gibt, Ockhams grundsätzliches Verhältnis zur Politik zu überdenken. Jene Zweiteilung von theoretischer Philosophie und späterem kirchenpolitischem Engagement entspricht einer deutlichen Zweiteilung der Biographie46• Deren Bruch hatte sicher auch etwas Zufälliges an sich, das die Vorstellung des Abbruchs der philosophischen Interessen und danach dann der Entstehung von, durch äußere Ereignisse verursachten, mit jenen durchaus nicht vermittelten politisch-polemischen Schriften nahezulegen schien. Und gerade der franziskanisch-rehabilitativen Seite der Forschung lag daran, politische Polemik, die ja eindeutig antipäpstlich war, vom "eigentlichen" Denken zu trennen und dies dann, sozusagen geläutert, der Spätscholastik (wieder) einzuverleiben. Der Reformationsenthusiasmus brachte die herkömmliche protestantische Ockham-Forschung zu der entgegengesetzten Einschätzung. Luther hatte Ockham seinen "lieben Meister" genannt, und wenn dieser Zusammenhang ideengeschiehtlieh ernst genommen wurde, mußten die Ergebnisse der Forschung - zumindest in der Frage des systematischen Zusammenhangs - notwendig kontrovers bleiben. Diese Kontroversen können nur vermieden werden, wenn die Ebene gegeneinander gerichteter konfessionell-theologischer Forschung verlassen wird zugunsten einer streng philosophischen Fragestellung im hier angedeuteten Sinne. Inwieweit eine ökumenisch orientierte Theologie hier entsprechende Erfolge haben könnte, sei dahingestellt. Wird das konkret-politische Problem, die wirkliche historische Auseinandersetzung jener Zeit, also das Verhältnis von Papst, Kaiser und Königen - und dieser Bereich ist es, der die Entstehung des neuzeitlichen Staates praktisch und theoretisch vorbereitete - ins Auge gefaßt, so ist eindeutig, daß Ockham hier die "Partei des Kaisers" ergriffen hat. 48

Vgl. unten Anm. 51.

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Dieses Parteiergreifen schien der älteren Literatur als der eigentliche Bruch, und so unterschied man zwischen dem Scholastiker und dem Kirchenpolitiker Ockham. Nun läßt sich in der Tat generell sagen, daß "Parteilichkeit" allerdings das Gegenteil von gründlichem Denken ist. Zu dem Problem der Parteilichkeit Ockhams scheint mir aber folgendes zu bedenken notwendig zu sein. 1. Ockham hat sich nicht zu einer "Partei" gedrängt, und zu der der Kirche und seines Ordens wäre ihm nie eine Alternative möglich oder sinnvoll erschienen, wenn seine Differenzen zum avignonesischen Papsttum im Bereich rein theologischer Auseinandersetzung geblieben wären. In diesem hätte er, wie er selbst stets beteuert hat, immer mit sich reden lassen47 • Aber diese Differenzen nahmen konkret lebensdrohende Formen an. Selbst unter der Gefahr der letzteren spricht vieles für Ockhams Verbleiben auf der Seite der Kirche, wenn nicht der objektive Gegensatz zwischen der Kirche und seinem Orden eine Teilung von Loyalität zur Folge gehabt hätte, die erst jene "Parteinahme" vorbereitet hätte4 s.

2. Die Parteinahme für den Kaiser war als solche nie im eben parteilichen Sinne radikal - Ockham ist über der aktuellen Kontroverse nie dazu getrieben worden, die Gegenseite als solche zu bestreiten, d. h. das Papsttum als solches zu bekämpfen. Dies läßt sich an Ockhams Lehren vor allem auf der Folie der Doktrin Marsilius' von Padua höchst eindrucksvoll demonstrieren49 • Es läßt sich aber auch vor allem aus Ockhams Schriften selbst aufs deutliebste zeigen, daß man ihre eigentliche Bedeutung verfehlt, wenn man sie auf Parteinahme für Ludwig reduziert50. 3. Beim Parteiergreifen Ockhams muß man von allen Beliebigkeiten absehen, die in einer gegenwärtigen Auffassung von "Parteiergreifen" stecken mögen. Die Situation ist nicht mit irgendeiner Art von "Plura47 Vgl. Ockhams Auffassung von der "Geistesaristokratie" ein Ausdruck von Dempf-und deren Verpflichtung zu unverkürzterWahrheitssuche.Selbst "Ketzer" wird man zunächst nicht durch abweichende Meinung, sondern erst durch "Verstocktheit". Zum Problem die Diskussion bei Kys, S.122 ff. Die Rolle, die neben dieser Hochschätzung der periti das Urteil auch der Ungebildeten für Ockham spielt, erörtert Miethke, S. 210 und 242. Zu den periti auch McGrade, S. 60 ff., wo sich Ansätze finden, bei Ockham eine Art ,Diskurstheorie' zu sehen. 48 Zum Einfluß des Ordensgenerals Michael von Cesena vor allem Baudry, s. 103ff. 'o Ockham kannte - und zitierte - Marsilius von Padua, veränderte jedoch dessen parteilichen Radikalismus im Sinne seines eigenen gründlichen Denkens. Zur Diskussion des Verhältnisses von Ockham zu Marsilius Kötmel, 80, 95 ff., 123/4 und passim; Otto Bornhak, Staatskirchliche Anschauungen und Handlungen am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayern, Weimar 1933, S. 119, 183, sowie wiederum und vor allem Junghans, 257 ff. 50 Dazu Böhner, S. 465, McGrade, S. 24, und Junghans, S. 259 ff.

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lismus" zu kennzeichnen. Die epochale Auseinandersetzung kannte objektiv nur zwei Seiten, und Ockham ließ beiden Seiten ihr Recht. 4. Ockham blieb nie im Polemisch-Parteilichen stecken. Der Ausgangspunkt der politischen Auseinandersetzung war ihm stets Anlaß, das Problem von Grund auf zu überdenken. In diesem Sinne ist das, was man heute Ockhams "Engagement" nennen würde, genau jene Berührung mit der Politik im Sinne des diesseitig Gründenden, die Ockhams Denken zu gründlicher, d. h. großer Philosophie macht. Ohne dies wäre es Scholastik geblieben, sicher bedeutend, aber nur noch von historischem Interesse. Die ,Parteinahme' macht Ockham weder zum reinen Polemiker noch überhaupt zum Parteigänger, sie zeigt und entwickelt sein historisches Bewußtsein, das aufgehoben wird im philosophischen Begreifen seiner Zeit111• 51 "WUhelm von Ockham (auch Occam), Philosoph, Theologe und kirchenpolitisdler Schriftsteller, wurde um 1285 in Ockham in der englischen Grafschaft Surrey geboren. Er trat in den Franziskanerorden ein und wurde am 26. Februar 1306 in Southwark zum Subdiakon geweiht. Um 1309 begann er sein Studium in Oxford, lehrte dort ab 1317 und schrieb seine theologischen und philosophischen Hauptwerke. den großen Sentenzenkommentar, sieben Quodlibeta- Niederschrift akademischer Disputationen- sowie Kommentare zu logischen Schriften und zur Physik des Aristoteles; später kommt die Summa logicae hinzu. In diesen Werken begründet Wilhelm die neue Denkrichtung des Nominalismus, dessen Wissenschaftsverständnis in Verbindung mit dem Omnipotenzprinzip die Voraussetzungen schuf, von denen die Vorläufer der modernen Wissenschaft ausgehen konnten. Um 1321 stand Wilhelm als "Inceptor" zur Promotion zum Magister der Theologie an, diese wurde ihm jedoch durch den Kanzler der Universität, Johannes Lutterell, wegen Häresieverdachts verweigert. LuttereH erhob Anklage gegen ihn bei Papst Johannes XXII., der ihn 1324 nach Avignon zitierte und ihm verbot, vor der Urteilsverkündung die Stadt zu verlassen. Obwohl eine Theologenkommission, der auch Lutteren angehörte, 1326 zu dem Schluß kam, 51 von 56 beanstandeten Sätzen Wilhelms seien zu verurteilen, kam es nicht zu einem Spruch. Als es zwischen dem Papst und dem franziskanischen Ordensgeneral Michael von Cesena im Armutsstreit zum Bruch kam, schloß sich Wilhelm mit einigen Mitbrüdern dem Oberen an, floh am 26. 5. 1328 aus Avignon und ging nach Pisa, wo sich Kaiser Ludwig der Bayer aufhielt. Wilhelm wurde exkommuniziert, doch der Kaiser stellte ihn unter seinen Schutz und nahm ihn 1330 mit an seinen Hof nach München. Dort schrieb Wilhelm seine politischen und polemischen Schriften, in denen er den Anspruch des Reiches gegenüber der Kirche begründete und verteidigte und beiden Gewalten, der geistlichen wie der weltlichen, ihren je eigenen Bereich rechtlicher Zuständigkeit zuwies. Zwischen 1347 und 1349, am 9. April, ist Wilhelm in München gestorben; er wurde in der Franziskanerkirche beigesetzt." Wolfgang Kluxen, Wilhelm von Ockham, in: Die Großen der Welt, München 1973, Bd. III, S. 861.

Kirchenpolitische Schriften Ockhams

Breviloquium de principatu tyrannico, hrsg. von R. Scholz in: Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsdle Gesdlidltskunde, Leipzig 1944 (1342)* Compendium errorum Johannis XXII., Goldast II, S. 957-976 (1338) Dialogus I - III, Goldast II, S. 398 - 957 (I nadl 1334, II - III von 1338 post); Fortsetzung von Teil III, tract. II, lib. III, c.23 bei Scholz II, S. 392 - 395 De coronatione Caroli IV., Scholz II, S. 346- 391 (1347)

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V. Ockham.s philosophischer Habitus

· Es ist unbestritten, daß Ockhams Denken vor allem zur Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaftsauffassung beigetragen hat - ein zweifellos nicht geringer Stellenwert seiner Ideen innerhalb der Geschichte unseres Denkens. Daß diese Bedeutung Ockhams mit jenem "destruktiven" Ockham zusammengebracht wird, also mit seiner "Schuld" an der "Zerstörung" der mittelalterlichen Einheit von Glaube und Wissen, ist deutlich, braucht uns aber hier nicht mehr zu beschäftigen. Was weniger deutlich zur Sprache kommt, ist die Tatsache, daß so etwas wie "Einheit von Glauben und Wissen" weder ein unmittelbar aus der Hand Gottes gefallenes Gnadengeschenk ist noch die Sonne einer human-philosophischen Substanz, der gegenüber alles spätere dann nur noch defizient bleibt. Die "Einheit von Glauben und Wissen" ist auch nur eine philosophische Konstruktion, die, wie alle philosophisch-systematische Reflexion, die Dominanz entsprechender politischinstitutioneller Bedingungen in der Wirklichkeit voraussetzte. Diese Voraussetzung ist für jenes typisch hochmittelalterliche Denken der "Einheit von Glauben und Wissen" die Prädominanz einer Struktur faktischer, d. h. institutionell garantierter Einheitlichkeit christlicher Existenzorientierung. Eine solche Einheitlichkeit war auch im Mittelalter nie unbestritten, aber sie hatte sich, mit Hilfe eines Begriffs der Ketzerei, hinter dem eine real durchsetzbare, institutionell vereinheitlichte Gewaltanwendung stand52, jedenfalls eine Zeitlang als "herrschend" erwiesen, und die Hochscholastik- namentlich die Systematik Thomas' von Aquin - war die entsprechende Philosophie. Mit dieser Einheitlichkeit mußte es vorbei sein, wenn die "Christenheit", die Papst und Kaiser vereinigen sollte, nicht mehr ausreichte, eine solche Einheit angesichts diesseitiger faktischer Interessendivergenzen zu garantieren, De dogmatibus Johannis papae = Dialogus II, Goldast II, S. 740-770 (1338) De imperatorum et pontiftcum potestate, Scholz II, S. 453 - 480 (1347). Dazu mit Fortsetzung: W. Mulder S. J. in Archivum Franciscanum Historieuro (Quaracdli) 16, 1923, 469 ff.; 17, 1924, 72 ff. Epistola ad Fratres Minores, ed. C. K. Brampton, Oxford 1929 De iurisdictione imperatoris in causis matrimonialibus, Goldast I, S. 21 - 24, Sikes I, S. 278 ff. (1342) Octo quaestiones, Goldast II, S. 313- 391; Sikes I, S. 12-221 (nach 1340) Opus nonaginta dierum, Goldast II, S. 993 ff.; Sikes I, S. 293 ff. (1333/34) Streitsdlrift für den englischen König (An rex Angliae), Scholz II, S. 432- 453; H. S. Offler bei Sikes, S. 230 ff. (1338) Tractatus contra Johannem XXII., Sdlolz II, S. 396 - 403 (1335) Tractatus contra Benedictum XII., Scholz II, S. 403 - 417 (1337) Ockham zu Unredlt allein zugesdlrieben: Allegationes de potestate imperiali, Scholz II, S. 417 - 443 (1338) 52 Zu der juristischen Bedeutung dieser Einheit als universitas christiana Helmut Quaritsch, Staat und Souveränität, Band 1, Frankfurt 1970, S. 51 ff.

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wenn dadurch die Vorstellung der Einheitlichkeit weltlicher Macht ihrerseits durch die territoriale Differenzierung faktischer Herrschaft also durch die Konkurrenz von ,reges' und ,imperator', zunehmend an Tragfähigkeit verlieren mußte und natürlich vor allem, wenn die spirituale Herrschaft dieser territorialen Düferenzierung schon so weit verfiel, daß sie sich, was mit dem Avignonesischen Papsttum faktisch vollzogen war, gerade mit Hilfe dieser historischen Entwicklung gegen das Kaisertum stellen konnte. Angesichts dieser Realitäten mußte jedes Bestehen auf "Einheit von Glauben und Wissen" partikular, ideologisch oder ,scholastisch' werden. Die in Gang gekomrnene welthistorische Entwicklung galt es zu bedenken und zu begreifen. Ockham stellte sich der Situation jener faktischen Differenzierungen, die ja konkret-politisch so außerordentliche Erschütterungen bedeuteten, auf der Basis eines individuell noch durchaus eindeutig vermittelten und subjektiv stabilisierenden christlichen Glaubens. Dieser sein Glaube war sogar geprägt von jener, das Individuum über das Institutionell-Allgemeine hinaus fordernden und mobilisierenden Kraft, die der Sinn des Franziskanerturns gewesen ist. Diese Radikalität mußte, wenn sie in einer individuell überschießenden Intelligenz in die Reflexion gehoben wurde, neben dem Spannungsverhältnis, das ein so hoch individualisierter christlicher Glaubensvollzug ohnehin zur institutionellen Amtskirche haben mußte, zur Radikalität wirklichen Begreifenwollens führen. Die Erkenntnis jener konkreten Differenzierungen oder ,Spaltungen' mußten einerseits das individuelle Moment der Reflexion bestärken, andererseits ein differenziertes Urteil über die Wirklichkeit vorbereiten. Als Grundlagen für die philosophische Orientierung Ockharns in seiner Wirklichkeit lassen sich also festhalten: ein unausweichlicher Subjektivismus aus der Erfahrung der als individuelle Leistung erfolgten Stabilisierung der Position. Dann der eben jene Stabilisierung ausrnachende inhaltliche Glaube, der sich notfalls auch gegen seine bloß institutionelle Realisierung behaupten mußte. Die Mittel jener individuellen Stabilisierungsprozesse waren bei Ockham einerseits die formalen Strukturen eigenständigen Denkens, also die LogikM, andererseits die Glaubensgelehrtheit oder die theologische Professionalität des sich selber immer wieder in der Auseinandersetzung mit anderen und in der Rückvergewisserung arn offenbarten Wort prüfenden ,peritus', des Fachmannes für gründliches Denken64• Diese Intensität der rnensch53 Junghans nach Diskussion der z. T. hanebüchenen Deutungsgeschichte der Logik Ockhams: "Wilhelm Ockham leistete in seiner Zeit einen bewundernswürdigen Beitrag in der Entwicklung zu einer formalen Logik, indem er Aristoteles von neuplatonischen Elementen befreite, die der scholastischen Logik eigene Signiftkations- und Suppositionslogik weiter ausbildete und dem Skeptizismus entgegentrat" (148/49). 54 Zum Problem der periti vgl. hier Anm. 47.

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lieh-diesseitigen Intelligenzleistung mußte mit der festgehaltenen Glaubenskonstituierung der Individualität unausweichlich zu der Erkenntnis einer relativen Trennung der Bereiche kommen, der Bereiche nämlich der vernünftig-logischen Argumentation einerseits und des theologisch-professionell vertretenen Glaubens andererseits. Damit mußte sich der Begriff von "Wahrheit" gleichfalls differenzieren: einerseits mußte die Wahrheit stark formalisiert werden und auf sprachlichrationale Argumentation, d. h. auf Logik bezogen sein. Andererseits konnte der Bereich des Glaubens von der Notwendigkeit der Logizität ebenso relativ entlastet werden wie die andere Seite davon, Glaubenswahrheiten wie Trinität oder Transsubstantiation "wissenschaftlich" erklären zu müssen - Zwänge, die jene kolossalen und imposanten Verbiegungen des Denkens der Hochscholastik zur Folge gehabt hatten, von denen die Ockhamsche Philosophie das Denken zu der durchaus neuen Aufgabe des Begreifens durchaus neuer Entwicklungen befreit. All dies ist verbunden mit einem diesseitig-politischen Wirklichkeitssinn, dessen Auslöser relativ unwichtig sind. Auf aktuelles Verwickeltsein in mehr oder weniger große Politik - bei Ockham war es allerdings Weltpolitik im für damals wahrsten Sinne des Wortes - kann auf höchst verschiedene Weise geantwortet werden: die philosophische Antwort setzt jene hier angedeutete Prägung der eigenen Individualität durch die Erfahrungen und Erschütterungen der Zeit und Wirklichkeit jedenfalls voraus, in der ein auch individuell erlebtes Spannungsverhältnis von Besonderem und Allgemeinem auf seinen allgemeinen und konkreten Begriff gebracht werden kann. Damit ist nun vor allem jene Dimension der Konkretheit angesprochen, die in der Vermittlung von objektiven, d. h. allgemein-politischen Entwicklungen, Sprüngen, Differenzierungen oder Entzweiungen und individualisiertem Denken die große Philosophie ausmacht. Dieser Bezug aufs Konkrete bedeutet inhaltlich eine dreifache Anerkennung: a) Anerkennung des Individuellen (Besonderen); b) Anerkennung der konkreten Mächte (Konkretion, Allgemeinheit); c) Anerkennung der Vermittlung von Besonderem und Allgemeinem, d. h. konkret, Anerkennung des Rechts56• a) Anerkennung des Individuellen: Hier soll es noch nicht darum gehen, was ,Anerkennung des Individuellen' bei Ockham auf theoretischer und praktischer Ebene beinhaltet. Hier geht es zunächst um die Ableitung eines aus der philosophischen Annäherung sich ergebenden konkreten Denkhabitus. Diese Anerkennung des Individuellen, nament55 Die Kategorie "Anerkennung" als Ausweis reellen Philosophierens habe ich systematisch zu entwickeln versucht in: Selbstbehauptung und Anerkennung. Grundriß einer politischen Dialektik, Opladen 1977.

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lieh also des Menschlich-Individuellen als eines Wirklichkeit konstituierenden Elements ist zweifellos ein ganz wesentlicher Schritt zu einer neuzeitlichen Auffassung vom Menschen. Der unendliche Wert der Einzelseele und die Unmittelbarkeit des je Individuellen zu Gott sowie seine Dignität in der Wirklichkeitskonstitution sind wesentliche Züge dieser Anerkennung des Individuellen {oder des Besonderes als Besonderen)68• Das Aufzeigen einer solchen Verbindungslinie zum Denken der Neuzeit, so unausweichlich es auch ist, macht es aber notwendig, eine weitere Bestimmung hervorzuheben. Dieses so anerkannte Individuelle ist keineswegs gleichzusetzen mit dem abstrakt sich selbst erlösenden, neuzeitlichen "autonomen" Individuum. Die Franziskaner waren keine Aufklärer. Ihre radikale Auffassung vom Christsein und der Verwirklichung der evangelischen Räte, für die sie im Armutsstreit gegen die Amtskirche kämpften57, war durchaus elitär in jenem franziskanischen Sinne, in dem das Streben nach Vollkommenheit im Sinne der evangelischen Räte vor allem das Streben nach vollkommener Demut in sich schloß68• Damit waren sie buchstäblich himmelweit entfernt von der elitären Arroganz der Aufklärung und ihrer idealistischen und sozialistischen Derivate, in denen allen Ernstes geglaubt wird, hochelitäre Konzepte wie Freiheit, Mündigkeit und Besonderheit des Besonderen könnten als real-allgemeine der Menschheit in toto aufoktroyiert oder ihr abverlangt werden. Von dieser Arroganz einer Elite, die soweit geht, den elitären Charakter ihrer Forderungen einfach zu verleugnen, war das franziskanische Vollkommenheitsstreben so weit entfernt wie Franziskus von Marcuse. Auch die Auffassung von Elite, mithin von Vollkommenheitsverwirklichung, sollte nicht dazu dienen, die Erkenntnis allgemeiner Schwäche und Sündhaftigkeit der menschlichen Kreatur zu überspielen. Und deren generelle "conditio" mußte vor allem im philosophischen Zugriff die Anerkennung des Konkret-Allgemeinen nach sich ziehen. b) Anerkennung des Konkret-Allgemeinen: Diese Anerkennung des Konkret-Allgemeinen oder der konkreten Mächte mußte zweierlei bedeuten: Zunächst den Verzicht auf Konstruktion einer "richtigen" Politik und die Vermeidung von "Parteilichkeit". Die unverkürzte Anerkennung der ,conditio humana' als einer Existenz in Spiritualität und in Mundanität bedeutete die Folgerung zweier verantwortlicher Ge56 Die Rankesche Formulierung: " ... ein Universum kontingenter Individuen, die alle unmittelbar zu Gott sind", so bei Miethke, S. 161. n Zum "Armutsstreit", in den Ockham übrigens erst seit seinem Aufenthalt in Avignon auf Drängen seines Ordensgenerals hineingezogen wurde, Miethke, S . 365 ff., wo vor allem deutlich wird, eine wie große Rolle in dieser Auseinandersetzung die juristische Argumentation spielte. 58 Lukas, 12, 48.

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walten - zu deren konkreten Unterscheidung im nächsten Abschnitt Ausführungen gemacht werden sollen. Beide Mächte sollten für Ockham universell sein, beider Ansprüche kollidierten konkret, deshalb mußte ihre globale Ordnung neu durchdacht werden. c) Anerkennung des Rechts: Die Anerkennung des Besonderen und des Allgemeinen bedeutete konkret die Anerkennung der entsprechenden Vermittlung, d. h. die des Rechts. Der Punkt ist wesentlich, vor allem im Hinblick auf die Frage der Stellung Ockhams in der Entwicklung des neuzeitlichen Staastdenkens. Ockhams Denkhabitus in bezugauf die unausweichliche Distanzierung von Glauben und diesseitig-geschaffener Vernunft mußte im letzteren Bereich die Anerkennung der Notwendigkeit zu satzenden Rechts und d. h. die Anerkennung des gesatzten Rechts zur Folge haben. Der Mangel an Aufklärungsarroganz und die Anerkennung des Konkret-Mächtigen bedeutete die Anerkennung der Notwendigkeit und des Rechtes auf herrschaftsmäßige Rechtssetzung. Es ergibt sich ohne weiteres, eine wie große Bedeutung dies für die Entwicklung des Gedankens der modernen Souveränität und des positiven Rechts haben mußte59• Es gibt, philosophisch gesehen, überhaupt keinen Grund, sich vor "Rechtspositivismus" zu fürchten, und Ockham dies letztere vorzuwerfen, ist ähnlich zu beurteilen wie der Vorwurf der "Destruktion". Von dieser grundsätzlichen Auffassung von Recht her ergibt sich die durchgängig anzutreffende und in der Literatur immer wieder betonte juristische Argumentationsweise Ockhams, die im einzelnen noch immer der eingehenden Untersuchung harrt. Die Bemerkungen dieses Abschnitts sollten noch keine Explikation von Inhalten von Ockhams politischer Philosophie sein, vielmehr kam es darauf an, einen Denkstil oder philosophischen Habitus im Sinne eines "modus constans et perpetuus" plausibel zu machen, der ebenso konsequent aus der erfahrenen Situation der Zeit erwächst, wie er von 59 Man muß Quaritsch zustimmen, wenn er es ablehnt, für das 13. und 14. Jh. bereits von der "Entstehung" des modernen Staates zu sprechen, zumal er betont, daß es ihm nicht um "Entstehung" sondern um "Geltung" eines Verfassungsprinzips (der Souveränität) geht (Quaritsch, 78, zum Problem auch 79 ff.). Die ideenhistorische Betrachtung sieht freilich den Maulwurf schon früher am Werk, ohne daß sie natürlich versuchen will, "das späte Mittelalter ... der Neuzeit zuzuschlagen" (Quaritsch, 78). Zu diesem Problemkomplex neuerdings Helmut G. Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterlichen Souveränitätsgedankens, München 1976. Ockhams Bedeutung für die Entwicklung des neuzeitlichen subjektiven Rechts stellt vor allem ViHey heraus: Michel Villey, La genese du droit subjectif chez Guillaume d'Ockham, Archives de philosophie du droit XI (1964), S. 97- 127. Vgl. auch ders., La formation de la pensee juridique moderne (Le franciscanisme et le droit), Cours d'histoire de la philosophie du droit, Paris 1963, S. 147 - 275.

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Ockham konsequent philosophisch durchgehalten wurde. Heute würde man sagen, es ging hier um den grundsätzlichen .,Ansatz" - eine Redeweise, die, in der bloßen Beliebigkeit, die "Ansatz" mit "Meinung" oder .,Gesinnung" teilt, allerdings vom philosophischen Habitus Ockhams so weit entfernt ist wie die B-Seite einer Unterhaltungsschallplatte vom .,Veni creator spiritus".

VI. Inhaltliche Prinzipien 1. .,potentia dei": Wenn das Wesen alles Wirklichen in seinem Charakter als "Schöpfung" zu sehen ist und Gott damit als allmächtiger Schöpfer feststeht, so muß gründliches Denken unter dieser Voraussetzung mit dieser Allmacht und ihren Beziehungen zum Geschaffenen anfangen. In der Lehre von der potentia dei ist vor allem jener Problemkomplex zu sehen, in dem die zwei Teile von Ockhams Philosophie, also spekulative Theologie und praktische Theorie ihre gemeinsame Grundlage haben60•

Ockhams Erklärung der potentia dei, die eine zweilache Differenzierung innerhalb dieser potentia vornimmt, hatte Tradition. Sie geht auf die Frage zurück, ob und inwieweit eine von Gott ausgehende Schöpfungs- und Heilsordnung Gott selbst in einer Weise festlege, die mit seiner Allmacht dann nicht mehr zu vereinbaren sei. Mit Recht weist Bannach auf den Problemhorizont dieser Fragen hin: "Sie haben im Grunde alle ihre gemeinsame Wurzel in der Unvereinbarkeit der Gottesvorstellung in der aristotelisch-arabischen Tradition als eines, sich in ewiger Selbstanschauung genügenden, notwendigen Sein mit der biblischen Überlieferung eines schöpferisch handelnden Gottes61." Ockhams Unterscheidung von potestas absoluta und potestas ordinatat2, die er von Duns Scotu,s übernimmt, war, seit Augustinus als Problem gegenwärtig, zum erstenmal von Alexander von Hales so formulier worden63• Miethke betont m. E. zu Recht, daß es sich, was Ockham angeht, hier keineswegs um zwei zu unterscheidende potentiae handle, sondern um die eine potentia in verschiedener Hinsicht, in verschiedener Betrachtungs- und Redeweise64• Die Schöpfung als realisierte Ordnung schränkt Gottes potentia absoluta keineswegs ein, denn einerseits ist diese Ordnung göttliches Wollen und andererseits schließt die eo Vgl. Kö~me~ 55, Kys 130/31, sowie vor allem Bannach, dessen ganze Monographie diesem Nachweis gewidmet ist.

n Bannach, S. 19.

11 Heranzuziehen ist hier im Wesentlichen das 95. Kapitel des Opus Nonaginta Dierum (bei Off~er, Band II, S. 715 ff., namentlich S. 719). es Vgl. Miethke, 142. 14 Ebd., 150 ff.

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potentia absoluta ein, daß Gott etwas nicht wollen kann, was er kann, d. h. daß die unendliche Möglichkeit, also potentia absoluta, durch den Fall der gewollten Realisierung bestimmter Möglichkeiten als solchen keineswegs aufgehoben ist. Darüber hinaus sieht Ockham - und hier geht er weiter als Duns Scotus - 65 in der Realität der Schöpfung als historischer HeUsordnung und Heilsgeschichte eine permanente Verbindung von geschaffenem Geschehen gemäß der Schöpfungsordnung, der potentia ordinata und dem Eingreifen Gottes gemäß seiner absoluten potentia, ein Eingreifen, das sich gemäß dieser jederzeit wiederholen könne68• 2. Kontingenz der Welt: Die wichtigste Folge dieser Auffassung von der potentia dei ist die, daß die reale Schöpfungsordnung nicht der eigentliche und schlechthinnige Ausdruck göttlicher Weisheit und Wahrheit sein kann: die Welt könnte auch total anders sein, ohne daß mit diesem Anderssein göttlicher Weisheit irgendwie Eintracht geschehen wäre. Die Welt als Schöpfung und als Heilsgeschichte ist als diese weder primär Ausdruck oder Realisierung der göttlichen Wahrheit oder der göttlichen Weisheit. Sie könnte, sub specie potentiae absolutae, auch ganz anders sein. Welt ist Kontingenz. In der Theorie von der Kontingenz der Welt wurde traditionell einer der wesentlichen destruktiven Gedanken Ockhams gesehen67• In der Tat ist diese Lehre gegen jene Überzeugung von einer "inneren Notwendigkeit der Heilsgeschichte" gerichtet'8, die schon Petros Lombardus ebenso beliebt und angesehen gemacht hatte wie später Thomas von Aquin. Aber das menschliche Bedürfnis, die eigene Position als die schlechthin eigentliche anzusehen, ist ein ideologisches, hier, ein Theologie- und Priesterbedürfnis, vor dem das gründliche Denken über Gottes Allmacht nicht stehen bleiben kann. Ockham argumentiert dagegen biblisch - im Sinne des biblischsten aller biblischen Bücher, des Buches Hiob: "Wo warst Du, als ich die Erde gründete?" Alles, was ist, könnte auch anders sein, ist von Gott her gesehen keineswegs "notwendig", und Ockham scheut sich nicht, hier drastische Beispiele zu bringen, die die Theologen bis heute schokkieren69. Aber natürlich ging es Ockham nicht ums Schockieren, sondern Ebd., 152. Vgl. Miethkes Ausführungen zu Kap. 95 des Opus Nonaginta Dierum, 153 ff. e1 Zur Diskussion Junghans, 233 ff. 65

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Bannach, 52.

Vgl. etwa die Dialektik von "auserwählt"- praedestinatus- und verworfen - dampnatus - im Opus Nonaginta Dierum Kap. 95 (Offler, S. 727). Ockham, zusammenfassend: "Quis igitur in hac materia catholice et secure loqui voluerit, necesse est cuod interpropositiones de possibili et de impos69

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um radikales Denken, und ein solches Denken kann sich nicht um die timiden Bedürfnisse jener kümmern, die sich vor nichts so fürchten wie vor dem, was sie Relativismus nennen. Was hat nun aber "Kontingenz" zu bedeuten? Die Akzentverlagerung ist zweifellos beträchtlich. Wird die Schöpfung, wie angedeutet, sub specie potentiae absolutae betrachtet, so ergibt sich ihre Dignität nicht so sehr aus ihrem Verweisungscharakter auf göttliche Größe, Weisheit oder Wahrheit- diese sind vor wie nach der Schöpfung unendlich im Vergleich zu dieser, sondern daraus, daß Gott diese SchöPfung als diese gewollt hat, wobei die weitere Frage nach einem "Warum so und nicht anders" von keiner geschaffenen Vernunft anders beantwortet werden kann als mit dem Hinweis auf Gottes Willen. Ein innerhalb der geschaffenen Welt auftretendes Sinnbedürfnis wird auf den Glauben als Verbindung von Geschaffenem und Schöpfer verwiesen. Die Schöpfungsordnung wird so nur scheinbar "relativiert", in Wirklichkeit wird sie viel stärker auf sich selbst bezogen70 : sie tritt als vom Willen Gottes abhängige Ordnung in das Bewußtsein. Die Kontingenz der Welt "relativiert" das Diesseits nicht innerhalb seiner selbst: es ist göttliche, gewollte Ordnung. Aber sie verweist die Welt stärker auf sich selbst: Wahrheit und Wissen über die Welt ist nicht "hinter" ihr zu suchen, sondern in der Erkenntnis ihrer eigenen Ordnung. Es ist leicht einzusehen, wie hier der Grund für Ockhams Wirken in der Entwicldung der modernen Wissenschaftsauffassung liegt. Im nächsten Abschnitt soll gezeigt werden, welche politischen Konsequenzen diese Kontingenz der Welt haben mußte. 3. "autonomie du terrestre": Zunächst aber muß ein weiteres Prinzip erwähnt werden, das in der Wirkungsgeschichte von Ockhams Denken zentral geworden ist: das der Konstitution der Welt vom erfahrbar Einzelnen her. Es folgt aus den Konsequenzen der Kontingenz, die LargeauZt sehr deutlich als die "autonomie du terrestre" bezeichnet71, Es bedeutet keine Chance auf Sinnzuwachs in der Erkenntnis des Geschaffenen, über die Welt hinaus zu fragen. Dies ist der Grund für die Lehre von der Erkenntnis der Welt durch sich selbst und der Kern sibili et de necessario et de inesse et etiam inter diversos sensus illorum de modo sciat distinguere" (ebd., S. 728). Dazu Gordon Leff: "But at the same time for Ockham as a Cfiristian such truth was of contingent existence and therefore only contingent; hence truth about things, whether individuals or natures could not have the indestructible eternal quality which Aristotle attributed to them, while the presence of an external creator meant the inapplicability of what held for finite beings to an infinite being" (267). 70 Vgl. M. A. Schmidt, Kirche und Staat bei Wilhelm von Ockham, Theol. Zeits. VII (1951), insbes. S. 278. 71 Jean Largeault, Enquete sur le Nominalisme, Paris 1971, S. 152.

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der Absage an die Verdoppelung oder scheinbare Erweiterung der Welt durch platonisierende oder realuniversalistische Ideen. Die Welt verweist nur auf sich selbst, ihr rationaler Erkenntniszusammenhang wird von keiner hinter oder über ihr liegenden "eigentlichen" Wirklichkeit garantiert, sondern muß vom erkennenden Subjekt, dem Menschen, gesetzt werden72. Es gibt keine Zwischenwelt von Ideen, alles Geschaffene ist "unmittelbar zu Gott" 73, erkennbar ist zunächst immer nur einzelnes oder nur einzelnes ist real und alles Reale ist Einzelnes, Individuelles. 4. Nominalismus: Es ist dieser Zusammenhang theologischer, metaphysikkritischer und erkenntnistheoretischer Theoreme, die zurückgehen auf die radikal, d. h. gründlich ernst genommene Lehre von der potentia absoluta Gottes, di-e, als häufig wenig durchschautes "Syndrom", Ockham die Bezeichnung des "Nominalisten" eingetragen haben74. Eine Bezeichnung, die nicht überbewertet werden darf. Nominalisten sind nach einer Schultradition jene, die in dem mittelalterlichen Universalienstreit die Auffassung vertreten haben, die universaHa seien nichts als nornina. Auf dem Hintergrund der (nur) scheinbar umfassenderen Position, die den universalia realen Charakter zusprach, erscheint diese nominalistische Auffassung, die in Wirklichkeit eine realistische im neuzeitlichen Sinne ist - als eine "Reduktion". Jene Erkenntnis von der Verwiesenheit der Welt auf sich selbst erschien als Abbau, als Destruktion. Daß es sich in Wirklichkeit wn eine Freisetzung der immanentisierten Erkenntnis handelt, der für ihre spirituale Seite "Moses und die Propheten", d. h. die Welt der Glaubensoffenbarung, ja voll erhalten blieben, wurde aus jenem ideologischen Bedürfnis der Ablehnung von Kontingenz nicht erkannt; der Nominalismus wurde so ideenpolitisch negativ stigmatisiert. Aber es hilft natürlich wenig, wenn man zeigen kann, daß Ockham in dieser Form nirgendwo behauptet, die universaHa sei nur nomina75, folglich könne man ihn keinen Nominalisten nennen. Nominalismus muß nicht im Sinne einer

n "Je mehr Begriffe die aufnehmende Seele im Laufe ihres Daseins in sich verarbeitet, kennengelernt und sich angeeignet hat, um so reicher wird ihr Besitz an Wissen sein, um so eingehender wird sie das Chaos der Erfahrung in geordneter Weise sich zurechtlegen können." F. Federhofer, Die Philosophie des Wilhelm von Ockham im Rahmen seiner Zeit, Franzisk. Stud. 12 (1925), S. 292. Vgl. auch Bannach, S. 342, 355. 73 Vgl. Anm. 56, sowie Bannach, S. 247, 276 ff. 74 Vgl. Baudry, S. 34, 50, 52. Zur Diskussion Junghans, 205 ff. 75 Zur wie immer an Böhner orientierten - Diskussion vgl. Junghans, S. 279 ff. Mit Böhner kommt Junghans zu dem Ergebnis, Ockham sei "Konzeptualist" gewesen - offenbar auch ein Ergebnis der rehabilitativen Bemühungen, Ockham von einer "verrufenen" Lehre zu entfernen. Aber mit einer anderen Bewertung "des" Nominalismus überhaupt verschieben sich die philosophiehistorischen mit den ideenpolitischen Parametern.

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einzelnen Position in einem Schulstreit verstanden werden, und er muß in seiner Beurteilung aus der Timidität jener kanonisierten Nestwärme einer "Einheit von Glaube und Wissen" herausgenommen und als das gesehen werden, was er vor allem bei Ockham ist: eine als Antwort auf welthistorische Wandlungen konzipierte, kühne, also radikale Philosophie, die der Wirklichkeit des Menschen entspricht, der sich innerhalb der Schöpfung auf sich selbst verwiesen sah. Nominalismus im Sinne Ockhams bedeutet: a) Trennung von Wissen und Glauben, um jenes sicherer zu machen, diesen aber als diesen zu erhalten. Diesseitige Wirklichkeit ist aus sich erkennbar, Transzendenz wird geglaubt; b) Vorrang des Wollens und der schöpferischen Erkenntnis; c) volle Anerkennung des Real-Individuellen und Ablehnung jeder metaphysisch konstruierten Hinterwelt. Für die gründliche Systematisierung dieser Denkorientierung, wie sie hier anzudeuten versucht wurde, ist die Bezeichnung relativ gleichgültig. Wenn ich vorschlage, vom Ockhamschen Fundamentalnominalismus zu sprechen, dann erstens in der schon von Dempf angesprochenen Erkenntnis, daß es gerade sein Nominalismus ist, der Ockhams theologischtheoretisches Denken mit seiner politischen Lehre verbindet, und zweitens in der Erkenntnis Ockhams als des Vertreters einer Denkentwicklung, die über Ockham und seine Nachfolger- zu denen dann auch Thomas Hobbes zu rechnen wäre - hinaus und vor allem über erkenntnistheoretische Subtilitäten hinaus eine grundlegende Bedeutung für die Entwicklung politischen Denkens auch in der Gegenwart hat. 5. "evangelica libertas": Die Verbindung der Theologie mit den Konsequenzen seines "Fundamentalnominalismus" versucht Ockham in der Überzeugung zu explizieren, daß das Christentum der Bibel ein Gesetz vollkommener Freiheit seFll. Eine jener Konsequenzen ist ja auch eine neue Verwiesenheit des Menschen auf sich selbst und eine neue Dimension poietischer, weltkonstitutiver Erkenntnis für den Menschen selbst. Indem Ockham die christliche Verbindung als Lehre "vollkommener Freiheit" zu ezweisen sucht, bringt er seine theoretischen Konsequenzen in den Glaubensgehorsam ein. Ockhams Freiheitslehre kann hier nicht weiter dargestellt werden77 ; zwei Bemerkungen sollen nur noch gemacht werden: beide beziehen 7'

Baudry, S. 117.

Zum 201, 215). Ordnung S. 204 ff., 77

Problem der "Freiheit" ausführlich Kötmet (S. 108 ff., 115, 179 f., Dazu auch ders., Wilhelm von Ockham - der Mensch zwischen und Freiheit, in: Miscellanea Mediaevalia, Band 3, Berlin 1964, sowie auch Miethke (301 ff.). Kölmel hebt vor allem die Bedeu-

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sich auf Differenzierungen des Freiheitsbegriffs, die Ockham vornimmt und die jedenfalls bedacht werden müssen, wenn er - vorschnell für eine spätere aufklärerische Liberalität vereinnahmt oder verantwortlich gemacht wird. Einmal ist zu differenzieren nach spiritualer Freiheit und möglicher weltlicher Freiheit, und zum anderen ist jene oben bereits angesprochene Differenzierung zu sehen, nach der sich auch für das Christentum als radikaler Freiheitslehre jedenfalls jede gleichmacherische Konsequenz verbietet. Vll. Politische Konsequenzen 1. potentia dei und Macht auf Erden: Es ist, wie Bannach zeigt, die Lehre von der potentia dei, die am Beginn von Ockhams politischer Theorie steht78• Auch hier ergibt sich, daß die Furcht vor den Folgen jener Kontingenz, also etwa die immer wieder in der Literatur anzutreffende Furcht vor "Relativismus" und "Rechtspositivismus", ein Problem zeigt, das durchaus näherer Untersuchung wert ist, das aber jedenfalls mit Ockham selbst nichts zu tun hat. In bezugauf die Frage nach Macht auf Erden - also innerhalb der geschaffenen und geordneten, durch Gottes Willen entstandenen Welt- ist es vor allem wichtig festzuhalten, daß das Verhältnis von potentia dei absoluta und kontingenter Schöpfung jedenfalls eines verbietet, ja ganz unmöglich macht: die Beanspruchung einer plenitudo potestatis von seiten einer Macht. Dies wäre KetzereF9 , wobei daran zu denken ist, daß eben diese Charakterisierung nichts anderes bedeutet als gegen alles göttliche und irdische Recht gerichtet. Der Anspruch auf totale Machtfülle80 - den Ockham eindeutig der geistlichen Macht, also dem Papst, vorwirft- wäre unausweichlicherweise so gegen Natur und Ordnung des Geschaffenen, daß diese vollkommen aufgehoben werden müßten, d. h. daß ein ständiger Krieg die Folge sein müßte - zwar nicht, wie bei Hobbes das im Naturzustand freigegebene Machtstreben, ein "Krieg eines jeden gegen jeden", aber doch ein Zustand, in dem jeder Einzelne das Recht hätte, jede Art von Widerstand zu leisten, was einen alltung von Ockhams dreifacher Bestimmung des Naturrechts hervor - eine im Sinne der rehabilitierenden Ockham-Forschung zweifellos notwendige Diskussion, die freilich ein herkömmliches "naturrechtliches" (Miß-}verständnis Ockhams nahelegen könnte, in dem die eigentliche Akzentverlagerung infolge des potentia dei- und des Kontingenzproblems aus dem Blick geraten kann. (Auf die Parallelität gerade in diesem Punkt in der Deutungsgeschichte Ockhams und Hobbes' wurde oben schon hingewiesen.} 78 Vgl. Scholz, Wilhelm von Ockham, 21. 7t Dazu besonders Kys, 128. 8° Kys (ebd.} betont besonders, daß Ockham hier eine "gültige Position gegen jede Art von Totalitarismus" formuliert habe. Ideenhistorisch und ideenpolitisch müßte diese - zweifellos wichtige - Aktualisierung doch etwas differenzierter vorgenommen werden.

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gemeinen Zusammenbruch von Frieden und Ordnung zur Folge haben müßte81• Die Einschränkung jeder irdischen Macht ist aber nach Ockham eine zweifache, eine innere und eine äußere: die innere Einschränkung bedeutet die Bindung der Macht an Gemeinwohl und durch "Naturrecht", die äußere bedeutet ihre Teilung in spirituale und weltliche Macht, was wiederum der Natur des geschaffenen Menschen entspricht82 • 2. Eigenständigkeit der weltlichen Macht: Eine der für das politische Denken Ockhams wesentlichsten Folgerungen aus seiner Lehre von der Kontingenz der Welt und der Unmittelbarkeit des Individuellen ist der Gedanke von der Eigenständigkeit der irdischen Gewalt. An wenig Theoremen sind Ockhams denkerische Konsequenz und seine denkerische Rücksichtslosigkeit gegenüber bloß erbaulichen Traditionen, herrschaftsstützenden Ideologien und theologischen Vorurteilen so deutlich wie an dieser Lehre von der Unmittelbarkeit, d. h. vom göttlichen Ursprung auch des bloß weltlichen Staates, die Ockham u. a. zu der völlig konsequenten Behauptung führte, daß Pilatus eine durchaus legitime Macht zur Aburteilung Christi gehabt haben müsse83• Biblische Grundlage dieser These ist die Tatsache, daß Christus ausdrücklich auf temporal-weltliche Herrschaft verzichtet habe, was bedeutet, "daß der Cäsar wirklicher Herrscher ist, er braucht sein Amt nicht von Christus herzuleiten"84. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Entstehung des neuzeitlichen Staates und des entsprechenden Denkens ist die Bedeutung dieser These hervorzuheben; denn hier ist die Selbständigkeit und Eigenlegitimität weltlicher Herrschaft überhaupt theoretisch vorbereitet - insofern die Entstehung des neuzeitlichen Staates vor allem die Emanzipation konkreter Herrschaft von Papst und Reich war, ist hier die erste Stufe moderner politischer Emanzipation gedacht: die weltliche Macht bekommt, wie McGrade sagt, eine "basis outside the church" 85• 81 Ein Vergleich Ockhams mit Hobbes kann auch in diesem Punkt nur angedeutet werden. Eine beabsichtigte systematische Ausarbeitung des "Fundamentalnominalismus" wird auf diese Fragen ausführlich eingehen müssen. 82 Zum Problem des Naturrechts oben Anm. 77. Ähnlich liegt auch das Problem des Gemeinwohls, das für Ockham jedenfalls in der Funktionalität und der diesseitigen Selbständigkeit des Politischen seinen Ort hat (vgl. Kölmel, 205 ff.). 83 Dazu McGrade, 85 ff., namentlich 101. Vgl. auch Kölmel, 200 ff. 84 Kölmel, 55/56. Kölmel hebt besonders den Armutsstreit als Ursprung dieser politischen Konsequenz hervor, dazu auch Bornhak, 7. 85 McGrade, 86. Alle gegenwärtigen, vom Individuum ausgehenden, allgemeine Geltung behauptenden Anspruchsbegriffe (Autonomie, Emanzipation u. dgl.) sind ursprünglich politische Begriffe, deren übertragbarkeit aufs NurIndividuelle mindestens problematisch ist. Emanzipation hat hier - und eigentlich nur hier- ihren Ort als allgemeine politische Kategorie.

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Angesichts der verbreiteten Auffassung theologisch-christlicher Arroganz (Ideologie), nach der sich die Legitimität jeglicher Gewalt nur von (christlicher) Wahrheit ableiten lasse, besteht Ockham auf deren eigenständigem, aus politischer Notwendigkeit allein legitimierten Charakter. Weder Heidentum noch Abfall- wie bei Julian Apostata- noch überhaupt späterer Mißbrauch können diese eigenständige Legitimität der weltlichen Herrschaft etwa rückwirkend aufheben88• 3. Das Verhältnis von Papst und Kaiser: Die Auffassungen Ockhams zum Verhältnis von Papst und Kaiser sind, worauf verschiedentlich hingewiesen wurde87, keineswegs revolutionär. Ockhams Sache war radikales Denken, nicht politischer Radikalismus im parteilichen Sinne. So unterscheidet er sich grundsätzlich von Marsilius von Padua, der das Problem dieses Verhältnisses einfach durch Unterordnung des Papstes unter den Kaiser lösen wollte. In diesem Sinne ist Ockham, wie Scholz sagt, also in der Tat noch durchaus mittelalterlich, wobei m. E. allerdings der Akzent auf · die Konkretheit seines Denkens, das abstraktgewaltsamer Lösung entgegen war, gelegt werden sollte. Als zwei Seiten der nach dem Sündenfall unausweichlich notwendigen objektiven Ordnung menschlichen Daseins sind Papsttum und Kaisertum funktional durchaus parallel bestimmt. Beiden gemeinsam ist jene unaufhebbare Ordnungsfunktion, aber auch in der Bestimmung ihrer jeweiligen Struktur argumentiert Ockham parallel, so, wenn er bei beiden gleichermaßen für die Notwendigkeit einer Herrschaftsspitze plädiert88• Dabei ist es allerdings wichtig, festzuhalten, daß für Ockham sowohl Kaisertum als auch Papsttum, als Organisationsform des jeweiligen Bereichs menschlichen Rechts keinen Absolutheitsanspruch erheben können. Argumentiert also Ockham in dem Festhalten des Primats des römischen Bischofs durchaus traditionell-mittelalterlich'", so ist festzuhalten, daß er in der strengen Eingrenzung des päpstlichen Herrschaftsbereiches auf das Spirituale ein durch den Armutsstreit hindurch gegangener Franziskaner war, der die Beschränkung der Kirche auf den Bereich des rein Spirituellen um so vehementer vertreten konnte, als er selbst unerschütterlich daran festhielt, daß der lebendige Geist die Kirche lebendig halten würde, selbst über den Fall eines ketzerischen Papstes hinaus, den Ockham ja bei Johannes XXII. gegeben sah9 o. Dazu McGrade, 101 ff. Vgl. auch Kölmel, 202 ff. Vgl. etwa Scholz, 25 ff.; Kölmel, 202 ff. 88 Vgl. McGrade, 154. 89 Daß in Ockharns Lehre der Ursprung des späteren Konziliarismus gelegen habe, ist ein stehender Vorwurf der älteren Literatur. Zur Diskussion vgl. Junghans, 283 ff. uo Dazu vor allem Miethke, 74 ff. 88

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Der eigentliche Sinn der weltlichen Herrschaft ist eine gerechte Ordnung der irdischen Existenz der Menschen. Die Logik der Herrschaft selbst ist funktional; sie ist inhaltlich durch einen Begriff von "Gemeinwohl" zu bestimmen und bleibt als diese auf das Volk bezogen. Anders als Marsilius von Padua bleibt aber, und das ist ein sehr wesentlicher Schritt, der imperator dem Volk keineswegs unterworfen91 , so daß er etwa durch das Volk abgesetzt werden könnte. Auch weltliche Herrschaft bleibt innerhalb der göttlichen Gesamtordnung zu begreifen, und die Ordnungslogik der Herrschaft läßt Ockham sie dem unmittelbaren Zugrüf des Volkes entziehen92 • Es zeigt sich hier das stark konkret-institutionelle Denken Ockhams, das ihn freilich auf der anderen Seite auch die Geltung des Gewohnheitsrechts und die Bindung der Herrschaft an dieses betonen läßt, den Faktor also, der Herrschaft dem Volk gegenüber nicht bloß willkürlich- positiv- erscheinen läßt93• Mit Recht hat McGrade es als einen der wesentlichen Züge in Ockhams Lehre von weltlicher Herrschaft herausgestellt, daß diese den Einzelnen nicht positiv ausdefiniere: "There is no thought of contribution to their good. life in a positive fashion. The business of government is rather with the ,bad' who must be coerced94." Was McGrade zuwenig berücksichtigt, ist jedoch zweierlei: erstens ist diese "negativ" bestimmte Funktion der weltlichen Herrschaft auf dem Hintergrund der Zweiteilung in spirituelle und weltliche Herrschaft zu sehen. Der Mensch ist als Christ positiv bestimmt, deshalb konnte - und mußte Ockham die weltliche Herrschaft negativ beschränken. Zum anderen wird zuwenig gesehen, daß in dieser Bestimmung eine der wesentlichen Errungenschaften moderner politischer Theorie sich andeutet, nämlich m. E. nichts geringeres als jene ausgewogene Bestimmung des Verhältnisses des Allgemeinen (Staat) zum Besonderen (Individuum), in dem jener zwar als notwendige Ordnung festgehalten, aber bezogen bleibt auf die positive Bestimmung des Einzelnen von ihm selbst her, auf die Anerkennung des Individuellen in einer Freiheit, die bei Ockham noch freilich ganz und gar evangelica libertas ist. 4. Recht und Ordnung: Der oben bereits erwähnte Hinweis auf die Bedeutung, die Ockham dem Gewohnheitsrecht als Gegengewicht gegen weltliche Machtwillkür beilegt, soll zu einigen allgemeinen Überlegungen über die Stellung des Rechts in Ockhams Denken überleiten. 81 Mit den bereits angedeuteten Vorbehalten sei auch hier auf die Verwandtschaft des Arguments zu dem von Hobbes von der Unkündbarkeit des Vertrages wenigstens hingewiesen. 92 Vgl. McGrade, 106 ff.; Kys, 94. 83 Kys, ebd. 9'

McGrade, 113.

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Der Rahmen, den Ockham diesem Bereich der Daseinsregelung zuweist, ergibt sich aus seiner allgemeinen Philosophie: Gleichgültig, ob man diese im Kern als "Nominalismus" oder, wie Böhner vorschlägt, als "konzeptionellen Realismus" bezeichnet, in bezug auf das Recht wirkt sich jene, eben realistische Verweisung des diesseitig Individuellen auf sich selbst notwendigerweise in einer neuen Dignität des Rechts als diesem aus. Die Kontingenz der Welt macht ihre jeweilige Ordnung in sich notwendiger und die Kriterien für die Beurteilung von Recht viel mehr vom realen Bedürfnis und Funktionieren abhängig als von der Frage nach Weisheit und Wahrheit. Die Analogie menschlicher Ordnungsgebung zu göttlicher Absolutheit stärkt notwendig das Moment des Willens auch in der Rechtssetzung, und das realistische Abschneiden von metaphysischen Hinterwelten verlagert die Frage nach "richtigen" Gesetzen auf die Frage nach den wirklichen und wirksamen Gesetzen. Hinzu kommt die historisch-reale Orientierung Ockhams an einer gesamtpolitischen Verfassung der Wirklichkeit, die es unausweichlich machte, jede Art von institutionellem Wandel mehr ins Auge zu fassen, als Spekulationen über unveränderliches "Sein" anzustellen. Die relative Abkehr von der griechisch-arabischen Vorstellung eines göttlichen unveränderlichen Seins und die Verlagerung des theologischen Interesses auf den geschichtlich erschaffenden und heilsgeschichtlich wirksamen biblischen Gott gehören ebenso zu diesem Komplex historisch-realer Orientierung wie eben der neue Stellenwert, den ein willensmäßiges Eingreifen legitimierter Subjekte in die Rechtsordnung mit dem Zweck, diese funktionierend innerhalb sich wandelnder Bedürfnisse zu halten, erlangen mußteu'. War nun aber nun schon die Bedeutung des Gewohnheitsrechts ein Gegengewicht gegen "rechtspositivistische und voluntaristische Willkür", so muß zusammenfassend noch auf eine Reihe von weiteren konkreten Einschränkungen hingewiesen werden, die Ockhams Rechtsrealismus erst zu einem ausgewogenen, "reellen" Konzept machen. a) Die Ablehnung jeder diesseitigen plenitudo potestatis - schon eine entsprechende Lehrmeinung wäre schlimmste Häresie. b) Eine Lehre vom Naturrecht als Kriterium wirklicher Rechtssetzung96. n Dies ist m. E. der Grund für Ockhams "Voluntarismus", der in der Literatur häufig ebenso negativ apostrophiert wird wie "Nominalismus" oder "Rechtspositivismus". Hochstetter, der in der rehabilitierenden OckhamForschung eine bahnbrechende Rolle spielte, versucht z. B., diesen Voluntarismus vom Nominalismus zu entfernen (Erich Hochstetter, Ockham-Forschung in Italien, Zelts. f. Philos. Forschung I [1946], S. 559 ff., hier insbes. 563 ff.). Kys versucht, den Voluntarismus-"Vorwurf" durch Hinweise auf Ockhamsche "Vernünftigkeit" abzuwehren, was m. E. nur die Enge eines entsprechenden Vernunftkonzepts zeigt. Ausführlich dazu Miethke, 139 ff., 206, 224 ff. sa Vgl. hier Anm. 77.

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c) Die starke Hervorhebung des historischen und Gewohnheitsrechts als Korrektiv abstrakter Setzung. d) Die "Teilung der Gewalten", nämlich der spiritual-päpstlichen von der imperialen97• e) Die Hervorhebung der grundlegenden Bedeutung der evangelica libertas in der der Stellenwert des Besonderen (Individuellen) als Besonderen geltend gemacht wird. Der außerordentlichen Bedeutung, die in dieser Philosophie das Recht in jenem realistischen Sinne einnimmt, entspricht die Bedeutung juristischer Argumentation bei Ockham selbst. Diese genau zu untersuchen und ihren genauen Stellenwert neben den theologischen und philosophischen zu bestimmen, ist eine wichtige Aufgabe zukünftiger Forschung98• Einig sind sich die Autoren vorläufig jedoch über den für das Mittelalter ungewöhnlichen Umfang und das Gewicht der rein juristischen Argumentationen°9, wobei Ockham sich in kanonischem Recht ebenso auskennt wie im deutschen Reichsrecht100• All diese Faktoren ergeben einen Rechtsrealismus von hoher Modernität, den "Rechtspositivismus" zu nennen nur die damit unausweichlich verbundenen Polemiken und Vorurteile nicht nahelegen. 5. Bedeutung des Notstandes: Ein weiteres Indiz für Ockhams wirklichkeitsbezogenes politisches Denken ist seine Lehre vom Notstand, besser seine systematisch zu verstehenden Hinweise auf die Notwendigkeit der Durchbrechung regulärer Ordnungen in außergewöhnlichen Fällen101• Wie die Möglichkeit der Suspendierung erwartbarer geordneter Abläufe, die in der Unterscheidung von potentia dei absoluta und ordinata liegt, sowie der Vorbehalt göttlichen Eingreifens auch in natürliche Erkenntnisprozesse zeigen, ist auch diese starke Berücksichtigung des Ausnahmezustandes als ein, theoretische und praktische Philosophie durchziehendes, Denkmotiv anzusehen102• 97 ,.Teilung der Gewalten" darf nicht als unangemessene Aktualisierung im Sinne späterer und gegenwärtiger . Theorien mißverstanden werden. Die Ablehnung der plenitudo potestatis und das Bestehen auf diesem Dualismus von Gewalten zusammen mit der libertas stellen jedoch insgesamt einen Komplex dar, der jenen in der Gedankenführung keineswegs so fern sein dürfte. 98 Auch das Buch von McGTade läßt diesen Bereich leider völlig aus (vgl.

McGTade, IX).

Dazu vgl. Scho~z. 36; Miethke, S. 381, 405; McGTade, 140. Dazu BoTnhak, 5, 19, 27, 92. 101 Vgl. Miethke, 186 ff. Zur Diskussion Junghans, 233 ff. 102 ,.Hier ... zeigt sich wiederum der Theologe der extremen Grenzsituationen, der äußersten Möglichkeiten, entlang denen er sich so gerne bewegt" (Kö~me~, 116). Kölmel dringt freilich nicht zu der systematischen Bedeutung 99

1oo

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Im Politischen geht die Anerkennung von Situationen, die einen Ausnahmeeingriff rechtfertigen, sogar soweit, daß die strenge Trennung zwischen spiritualer Gewalt und Imperium durchbrachen werden kann: in jenem äußersten Falle des ketzerischen Papstes hat nicht nur jeder Christ, der es besser wissen kann, ein Widerstandsrecht103, sondern wäre auch der Kaiser zu einem Eingriff im Sinne der Wiederherstellung der Kirche berechtigtto•. Nun ist es nicht unwichtig einzusehen, daß das, was als Notstandstheorie bei Ockham beschrieben wird, zwei Seiten umfaßt, eine, die eher auf Zustände und eine, die mehr auf Maßnahmen bezogen ist. Beim ersteren handelt es sich z. B. um generelle Verfehlungen der salus publica oder des bonum commune auf weltlicher, um Ketzerei auf der spirituellen Ebene. Hier hat der Bürger ein Recht auf Widerstand - der bis zum Aufheben der Hand gegen den "Gesalbten des Herrn" reichen mag106• Für die politische Theorie vielleicht noch wichtiger ist aber die andere Art des Notstandes, die Suspendierung grundsätzlich geltender Ordnung durch vernunftsmäßig zu rechtfertigendes Eingreifen im Sinne des bonum commune oder der Staatsräson. Diese Auffassung des Notstandes trat vor allem in Ockhams Beurteilung der Tiroler Hochzeit und in seiner Verteidigung des Rechtes des Kaisers, hier Bestimmungen kanonischen Rechts zu suspendieren, zutage1011• Hier zeigt sich ein aus politisch-realistischer Sicht zu erklärendes Korrektiv abstrakter Ordnungsvorstellungen; aus der Vielfalt Ockhamscher Argumentationen ergibt sich eine "Theorie des Notstands" als wesentliches Moment seines politischen Denkensto7.

VIII. Zusammenfassung: Ockhams politische Theorie als "Konkretes Ordnungsdenken" Die Betonung der Anerkennung des Individuellen als Individuellen und die realistische Weigerung, metaphysisch-erkenntnistheoretische Hinterwelten anzuerkennen, bedeutet bei Ockham keineswegs einen unverbundenen Atomismus. Das Individuelle ist selbst wirklichkeitsdieser Ockhamschen "Vorliebe" durch, wie sein Buch überhaupt - neben einem häufig bloß erbaulichen Räsonnieren - zeigt, daß seine Argumentationen weniger die Konsistenz Ockhamschen Denkens als vielmehr Kölmels eigene Vorstellungen von einer an jenen bloß herangebrachten Systematik zur Grundlage haben. 103 Das Widerstandsrecht ist der eigentliche Gegenstand bei Kys. 104 Wie freilich auch umgekehrt der Papst bei aktualen Notständen der weltlichen Gewalt. Dazu im ganzen vor allem Kys. Hier aber auch Bornhak, 9; Kölmel, 217 ff. 105 Vgl. Kys, S. 73 ff.; Gunter Pleuger, a.a.O., 108 ff.; Miethke, 488. 1oe Dazu Bornhak, 119 ff. 107 Merkwürdigerweise wird diese von McGrade abgelehnt, vgl. 80.

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konstitutiv, es verwirklicht in sich immer auch ein Muster von Relationen, die insgesamt eine objektive Ordnung ergeben. Von diesem theoretischen Befund her faßt Kölmel den "Ausblick auf die kirchenpolitischen Schriften" wie folgt zusammen, einmal mehr die Verbindung von theoretischem und praktisch-politischem Denken betonend: "Der Ordnungsgedanke bei Ockham will solchen (nominalistischen, isolationistischen B. W.) Extremen keine philosophische Rechtfertigung bieten. Wenn er die Universalien als Realität ablehnt, besagt das für ihn nicht Ablehnung eines ordo universi ... Nicht die Ordnung wird abgelehnt, sondern nur eine eigene universale Wirklichkeit: ordo, durch die erst die Bindung der Dinge zustandekommen soll. Die Dinge sind Kraft ihrer übereinstimmenden Singularität geordnet, es bedarf dazu keiner irgendwie getrennten und eigenständigen Realität: Ordnung . . . Ockham will keineswegs den Ordnungsgedanken seiner Zeit zerstörentos." Abgesehen von einer Reihe von problematischen Formulierungen (philosophische "Rechtfertigung", "Zierstören") und abgesehen davon, daß Kölmel selbst eine gewisse rehabilitierende Einvernahme Ockhams durch starke Hervorhebung seines "Naturrechts" betreibt108, ist ihm in bezug auf den Stellenwert des Ordnungsgedankens durchaus zuzustimmen. Im Übergang zum politischen Denken muß freilich die voluntativ-setzende Komponente des "konzeptualistischen Realismus" (Böhner) berücksichtigt werden und die bei Ockham noch biblisch, im Sündenfall begründete, babylonische Nichtübereinstimmung der individuellen Menschen, die bedeutet, daß für die vernünftige Ordnung von Gesellschaften auf konkrete, gesetzte Ordnungen mit Herrschaftsund Zwangscharakter nicht verzichtet werden kann. All diese systematischen Strukturen und durchgehaltenen Prinzipien zeigen den Ock:hamschen Fundamentalnominalismus als einen Typ "konkreten Ordnungsdenkens", um den Ausdruck von Carl Schmitt aufzunehmen. Damit ist einmal mehr eine Verbindung von Ockhams Denken zur neuzeitlichen Staatstheorie angedeutet. Dieser Verbindung steht freilich ein nicht unwesentlicher Widerstand im Wege, der noch wenigstens der andeutungsweisen Klärung bedarf. Die Entwicklung des neuzeitlichen Staates ist wie die des entsprechenden konkreten philosophischen und staatsrechtlichen Denkens die Emanzipation des modernen Territorialstaates aus den älteren, juristisch-normativen Zusammenhängen von Kirche und Reich110, wobei "Emanzipation" hier im substantiellen Sinne als Verselbständigung, Konkretisierung, genau: als selbstbewußtes Wirklichwerden, als Entwicklung zum politischen Subjekt zu verstehen ist. 108

toe

uo

Kölmel, 43.

Vgl. dazu hier Anm. 77. Vgl. dazu QuaTitsch, 79 ff.

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Ockhams Denken ist aber im wesentlichen noch mit dem Problem der Auseinandersetzung von Papst und Kaiser befaßt, so daß bei ihm Fragen der Selbständigkeit des Imperiums als der noch ganz mittelalterlich gedachten einen weltlichen Herrschaft im Vordergrund stehen. Im Sinne jener Entwicklung des neuzeitlichen Staatsdenkens gab es "fortgeschrittenere" Positionen wie bei den Hofjuristen Philipps des Schönen, bei Peter Flote oder Wilhelm von Nogaret 111 • Zwar ist die Verbindung der spiritualen Herrschaft im Avignonischen Papsttum mit der territorialisierten Herrschaft des französischen "rex" für Ockham eine kritisch beurteilte politische Realität, aber in seinem konservativen Imperiumsdenken scheint ja durchaus wieder einmal eine Eule der Minerva ihren Flug in der Abenddämmerung entfaltet zu haben. Abgesehen jedoch von dem bisher Angeführten, das dazu zu berechtigen scheint, in Ockham einen der wesentlichen Wegbereiter des modernen politischen Denkens zu sehen, muß auch das Problem imperator-rex differenziert gesehen werden. Einerseits ist keine Frage, daß Ockham in genuiner Weise "konservativ" argumentierte, also im Sinne des Imperiums112• Andererseits ist er sich über die Realität völlig im klaren. So führt er im Dialog III, 2,2 differenziert aus, daß "das Weltreich jetzt nicht mehr als Norm anzusehen sei" 113, und zwar deshalb, weil die Anerkennung der verselbständigten regna, vor allem Frankreichs, durch die Päpste, deren Autorität Ockham hier nicht ohne Malice hervorhebt, diesen, den regna, ihre emanzipative Existenzberechtigung bereits zugebilligt hätte. "Ockham hat in diesem Kapitel unter äußerst geschickter Verwendung der These von der Unfehlbarkeit die tatsächliche päpstliche Haltung als imperiumsfeindlich gekennzeichnet, die Päpste hätten sich für die Selbständigkeit der Nationen entschieden; er hat damit blickscharf die Situation, in der sich die Kurie seit langem befand, umrissen114." Die Stoßrichtung seiner Auseinandersetzung mit dem Papst von der Seite des Kaisers her läßt Ockham überwiegend das Problem weltlicher Herrschaft als Problem des Imperiums abhandeln, und in der Frage nach einer obersten judikativen Gewalt betont er - in Parallelität der spirituellen und der weltlichen Herrschaft- die Notwendigkeit je einer einheitlichen Spitze, eines je "obersten Richters". Andererseits ist seine realistische Einschätzung der Situation unbezweifelbar, worauf etwa eine eher beiläufige Bemerkung hinweist, die sich schon in den frühen theoretischen Schriften findet, wo Ockham im wissenschaftstheoretischen Kontext darlegt, "die kollektive Einheit einer 111 112

113 114

Ebd. Vgl. Scho~z. 23; Dempf zählt Ockham zu den "Traditionalisten". Dazu Kö~mel, 107. Ebd., 127.

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Wissenschaft hat ebensowenig ein einziges Subjekt wie die Welt einen einzigen König oder ein Königreich einen einzigen Grafen" 115• Gerade die Gleichsetzung allgemeiner Herrschaft- mundus- mit der territorialisierten - regnum - zeigt, daß Ockham sich der Situation anerkennend bewußt war. Seine Hervorhebung des hnperiums als des Titels, unter dem die Probleme weltlicher Herrschaft abzuhandeln sind, läßt sich m. E. außer durch seinen "Konservativismus" vor allem durch die zugespitzte Auseinandersetzung geistlicher und weltlicher Herrschaft erklären, in der die Differenzierung der letzteren grundsätzlich erst in zweiter Linie zum Problem wurde, wie aber auch damit, daß in der Argumentation die Ausdrücke "Imperator" und "rex" häufig durcheinander gebracht werden, was sogar in der oben angeführten Dialogstelle der Fall ist116• Dies ist m. E. der Hinweis darauf, daß Ockham "temporale Herrschaft" noch stärker im grundsätzlich philosophischen Sinne behandelt, ohne daß man ihm etwa bloß restaurative Tendenzen im imperialen Sinne unterstellen könnte. Dafür spricht auch der Hinweis von Bornhak, daß in den Auseinandersetzungen Ludwigs des Bayern, bei dessen "minoritischen Ratgebern" " ... das reichsrechtliche Kampfmittel einer Verschmelzung von regnum und imperium ... die konsequenteste Anwendung ... fand" 117• Abgesehen also davon, daß "Konservativismus" im parteipolitischen Sinne keine philosophische Kategorie und also kein Kriterium sein kann, und davon, daß "Konservativismus" im substantiellen Sinne mehr mit Anerkennung der Wirklichkeit, also mehr mit gründlichem Denken zu tun hat als etwa "Fortschritt", läßt sich zeigen, daß Ockham auch in seiner Theorie des hnperialen näher an der Wirklichkeit war als etwa der Doktrinär Marsilius von Padua. Ein durchgeführtes Theorem der Territorialität des (modernen) politischen Subjekts, also des neuzeitlichen Staates, läßt sich bei ihm ebensowenig finden wie erwarten. Ockhams politische Philosophie als Vorbereitung neuzeitlichen Staatsdenkens kann nunmehr wie folgt zusammengefaßt werden. Ockham vertritt: a) die Selbständigkeit der weltlichen Herrschaft aus eigenem Recht, b) die Anerkennung der spiritualen Herrschaft als der objektiven

Ordnung menschlicher Spiritualität, die letztlich als evangelica libertas bestimmt ist,

m Miethke, 256. m Vgl. Kölmel, 110. 117 Bornhak, 6.

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c) die Notwendigkeit voluntativ-regulativer Ordnungsleistung in Setzung und Erhaltung positiven Rechts, d) die Betonung des institutionellen Faktors der Politik, d. h. einer Verselbständigung der Herrschaft, die zwar auf ein bonum commune bezogen und verpflichtet, dem Zugriff des Volkes aber relativ entzogen bleibt, e) die Einschränkung der "Reichweite des Staates" durch: Berücksichtigung der Historizität der konkreten Ordnung; funktionale Zuordnung auf das bonum comune, und Freiheit - evangelica libertas der Untertanentts. Wenn festgehalten wird, daß die Ergebnisse der praktischen, der politischen Philosophie Ockhams sehr grundsätzlich mit seinem theoretischen Denken vermittelt sind, dann wird seine Stellung und der Entwicklung des neuzeitlichen Staatsdenkens deutlich; man braucht nicht anzustehen, ihn in freilich eindeutiger Grundwertung nicht nur in der Wegbereitung einerneuen Wissenschaftsauffassung, sondern auch in der . Wegbereitung neuzeitlichen politischen Denkens mit Alois Dempf "den ersten und größten Philosophen der Neuzeit" zu nennen- und wenn schon nicht den "größten", dann doch den "ersten"119•

118 Hier müßte noch angemerkt werden, daß in Ockhams Denken nichts von problematischen eschatologisch-utopischen Denküberschüssen zu finden ist, worauf aber hier nicht weiter eingegangen werden kann. m Vgl. hier Anm. 20.

4 Schnur

"Contrat - Obligation - Societe" Du Iangage juridique romain au Fangage juridique moderne Par Michel Villey Nous nous ferons ici l'avocat du diable. En ce congres, laissons a d'autres le propos d'exalter "le röle des juristes dans la fonnation de l'Etat moderne". Pour notre part, le droit nous semble avoir constitue tout autant une force de resistance, un frein a la constitution de l'Etat moderne. Gardons de generaliser. Ceux qu'on appelle les "juristes" ou les hommes de loi (parmi lesquels maint agent de la puissance publique, et les avocats) sont des personnages assez malleables, et prets pour les besoins de leur cause a utiliser les arguments les plus divers, ainsi que l'a montre Ch. Perelman; faire fleche de tout bois; et manier toutes sortes de courants ideologiques. Du reste leur statut a varie au cours de l'histoire. S'il s'agissait des juristes de l'epoque contemporaine, je ne verrais pas d'inconvenient a considerer la plupart comme des serviteurs de la grande machine etatique. Marx voit en eux les domestiques de la classe detentrice du Pouvoir. Kelsen assimile l'Etat et le droit ... Mais, au debut des temps modernes, parmi des acceptions multiples - (le mot droit fut toujours charge d'equivoque) - l'usage etait de reserver ce nom de "juristes" de preference aux hommes sortis des facultes de droit civiZ. C'etat le resultat d'un regime d'etudes Oll chaque discipline etait define par le genre des lectures qu'on y pratiquait. Et dans les Facultes de droit, au programme etait le Corpus juris civilis. Il est vrai que ce droit a connu, des le Moyen-Age, mainte alteration. Des praticiens l'ont adapte aux institutions feodales puis des naissantes principautes. Il a subi la contagion de la discipline canonique; les canonistes, dont les lectures en principe etaient religieuses, avaient usurpe, au sens large, le titre des "juristes" (utrumque jus). N'empeche qu'une volonte constante de retour aux sources juridiques romaines distingue les juristes, au sens le plus strict. Parce qu'il y etait encore la base des etudes du droit, il ne serait pas absurde de traiter le Corpus juris civilis en document des XVIe ou XVIIe siecles ...

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Notre propos ä nous est de montrer qu'entre ce droit civil romain, auquel ne cessait de s'alimenter la corporation des juristes- et la Potitiqu.e moderne, il y a dissonance; non divergence sur les details, mais opposition radicale, structurelle entre deux langages. Nous avons affaire ä deux modes incompatibles de discours, parceque relevant de visions du monde opposees.* Cela expliquerait que longtemps les plus qualifies d'entre les juristes, plutöt que de preter leur concours ä la formation de l'Etat et de la Politique moderne, en fussent restes les adversaires.

I. Le vocabulaire juridique de Hobbes De ce conflit, on suppose que les temoignages sont pour une bonne part tombes dans l'oubli. Les historiens ont eu tendance ä les rejeter, classes comme produits scolaires reactionnaires, obscurantistes, de cuistre attardes, incapables de suivre le Progres. Il se pourrait que cet ostracisme fU.t injustüie. Mais raison de plus pour que notre these ne trouve pas ä s'appuyer sur une sur surabondance de textes ... Voici pourtant un exemple, que chacun connait: les critiques des juristes anglais ä la Politique de Hobbes. L'oeuvre de Hobbes est hautement significative, puisque Hobbes fut par excellence (bien qu' usant de ce terme meme avec quelque parcimonie) le philosophe de l'Etat; et nul mieux que lui n'est parvenu ä mettre en lumiere les principes de la Politique moderne. Si ses conclusions en faveur de l'absolutisme rencontrerent un flot de contradicteurs, est demeuree la charpente de son systeme. La politique de Hobbes implique bien sur une doctrine du droit. Il a meme commence par elle ("Elements of law") entreprenant de bätir l'Etat sur des fondements juridiques. Dans la Preface du Leviathan, il ecrivait que les magistrats et autres officiers de justice constituent les rouages principaux, "articulations" de l'Etat: les peines et recompenses, ses nerfs; l'Equite et le droit ("Equity and laws"), la Raison et la Volonte de ce grand corps artificiel ... Mais de quel droit s'agissaitil? Etait-ce, en son temps, le droit des juristes? * Nous utiliserons les derniers volumes de la collection des Archives franc;aises de philosophie du droit. Cette revue a mis au programme l'etude comparee des langages des Seiences du droit, en procedant a l'examen critique successif des principaux termes du vocabulaire juridique actuel. On y fut conduit a marquer combien le langage juridique moderne, ou des romanistes modernes, difftke de celui des juristes romains. Chaque vocable a change de sens, en se transportant d'une structure linguistique a l'autre . . . Le present rapport veut donner un bilan sommaire de ces publications auxquelles il renvoie - car nous l'ecrivons en vacances, sur une ile bretonne perdue, et sans document.

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Hobbes avait le grand avantage de ne s'en etre que fort peu instruit, ce qui lui laisse beaucoup de liberte. Pas plus que les autres principaux philosophes politiques de l'Europe moderne - Locke I Spinoza I Rous~ seau I Hume I Kant I Hegel - encore que Hege! fut l'auteur d'une Philosophie du droit, ou soi~disant teile - Hobbes n'a fraye le cycle officiel des etudes de droit. L'ignorance totale et l'oubli des sources juridiques romaines caracterise les modernes - y compris maint theori~ cien de "l'Ecole du droit nature!", professeurs de theologie ou de philo~ sophie morale, construisant du haut de la chaire, a priori, leurs grands systemes, perdant tout contact avec la culture des juristes profession~ nels. Quelle fut la formation de Hobbes? D'abord - ce trait est trop sou~ vent passe saus silence- religieuse, theologique. Comme presque tous les philosophes de l'äge moderne, jusqu'a Kantet Hegel inclus, Hobbes fut premierement impregne de pensee chretienne; d'un christianisme evangelique, et purifie de taut melange avec Aristote; la theologie hobbesienne se rattache plutöt au courant de l'augustinisme. De l'ecole de Guillaume d'Occam, il a re!;U son nominalisme. Elle tient aussi de l'humanisme. Avec taute la nouvelle elite la'ique et "bourgeoise", de son epoque, Hobbes s'est abondamment nourri de litterature greco-latine. Mais de preference d'auteurs litteraires - le Corpus juris civilis est relegue a une place mineure, et l'oeuvre d'Aristote souvent decriee. Donc, a l'instar de Montaigne et de Machiavel, Hobbes frequentait les historiens: il a commente, traduit Thucydide, sans doute medite l'histoire d'Alexandre et des empires hellenistiques, de l'empire romain qui leur a fait suite. Et les moralistes; Ciceron et Seneque surtout etaient a la mode chez les humanistes, pour la morale stoicienne que leur oeuvre vehiculait. Ils ont exerce sur l'ecole de la "jurisprudence humaniste", et sur Grotius, une influence primordiale. Ni Ciceron ni Seneque n'etaient des juristes. Pour finir, Hobbes s'est immisce dans les cercles des savants modernes; il assiste avec enthusiasme aux commencements de la science moderne, connait Galilee, la methode "resolutive-compositive" de l'Ecole de Padoue, et se passionne pour Euclide ...

Bien que Leibniz ait eu le front de comparer a Euclide les juristes romains - rien dans l'education de Hobbes ne le disposait a comprendre le droit civil romain. Toute sa culture l'en eloigne. Et lorsqu'il exploite le Iangage juridique romain pour sa construction politique, il le traite avec un melange d'ignorance et de desinvolture qui, de son temps ne pouvaient recueillir l'approbation beate de tous. De quoi reste au moins ce temoignage tres connu, A Dialogue b~ tween a philosopher and a student of the common laws of England.

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On y trouve l'eeho affaibli des polemiques qui l'opposerent aux juristes de son pays. Panni les adversaires de Hobbes, il y eut les juristes. Encore ne faudrait-il pas faire a cet Opuseule un trop grand credit.

Le genre du Dialogue convient mal a Hobbes, amoureux d'Euclide,

feru de systeme, ennemi resolu de la "dialectique". Son etudiant se defend mal, parait desarme devant le prestige et l'aussurance du "philosophe"; lui-meme se laisse a moitie prendre aux theses hobbesiennes. Hobbes a ehoisi son adversaire qui, praticien des cours anglaises, peut etre deja contamine fortement par le droit canonique, le droit feodal, les coutumes propres a 1'Angleterre. Autrement severes eussent ete (et furent vraisemblement) les critiques assenees a Hobbes par les partisans du Corpus juris civilis. Tentons librement de refaire le Dialogue, sans estomper les divergences entre les deux interlocuteurs. 11 se trouvait dans le Iangage juridique de Hobbes de quoi faire hurler les juristes au sens le plus propre du mot. II. Personne - Droit - Chose Suivons la trame de sa Politique, ou se peuvent Iire les fondations de la pensee politique moderne. On commencera par l'hypothese individualiste de "l'etat de nature". La git la base de la construction; l'Etat moderne se veut fonde. Ainsi l'exige la methode demonstrative et axiomatique des rationalistes modernes. Tandis que l'ancien realisme n'en eprouvait pas le besoin. Pour la philosophie classique ancienne, l'existence des cites s'observe, elles sont naturelles. TI suffit de la constater, sans s'astreindre a ehereher le "pourquoi". Hobbes fondait la cite sur l'Homme (De "homine"-Of Man): l'individu isole de l'etat de nature, cette fiction nominaliste prise pour realite premiere. n postulait que tous les hommes, etant de nature identique, seraient par essence egaux et libres. Encore qu'une des sources de cette theorie soit dans la doctrine stoicienne (les effluves en ont penetre deux ou trois textes du Digeste), ce genrede considerations anthropologiques n'ont aucun rapport au systeme du jus civile. Que je saehe, "homme" n'appartient pas au vocabulaire specifique de la science romaine du droit civil; si ce n'est peut etre dans un sens tres particulier, qui nous transporte aux antipodes du mythe de l'etat de nature: on designe par homo l'esclave denue de liberte. Mais voyons la suite. 1. Proehe du mot "homme" pour les modernes, mais lui emprunte a la Iangue juridique romaine, est celui de Personne (Leviathan, ehap. XVI: Of Persans etc...). On sait que deja les theologiens l'avaient

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employe a leur usage propre. La Politique, la morale, et le droit modernes lui reservent une !arge fortune. On ne cessera de precher la valeur, Ja responsabilite, les "droits" de "la personne humaine". On en inferera la notion de "personnalite juridique". Taut etre humain est une Personne, a partir de sa conception, en principe rien que les etres humains. Encore que par fiction, s'y ajoutent les "personnes morales", dont le premier modele nous est offert par le Leviathan, l'individu articifiel. 11 est manifeste que ce Iangage jure avec celui du Corpus juris civilis. La ou les modernes parlent au singulier - note Julien Freund - les juristes romains usaient du pluriel: comme on sait, ce terme de personne (prosopon) evoquait le röle, le masque de l'acteur. Par definition au theätre les röles sont pluriels: le comte Almaviva, la comtesse, Figaro, Suzanne. De meme sur la scene juridique sont plusieurs sortes de personnes, aux statuts divers et tres inegaux, qu'il appartient au juriste de differencier; ainsi le statut propre des esclaves, qui sont des personnes (Gaius I, 51 et s.). 2. Des l'etat de nature, de par nature, le systeme de Hobbes reconnait a l'individu un Droit, le jus naturale: terme superieur, Oberbegriff, de la science juridique moderne. Le droit est pour Hobbes liberte, pouvoir, faculte d'agir, illimitee SOUS le regime de l'etat de nature; le contraire de la loi, de l'obligation (Leviathan, chap. 14). Nous avons ailleurs recherche les origines de cette idee de droit attribut d'un sujet, plus tard nomme le "droit subjectif'' - que la philosophie de Hobbes (son hypothese de l'etat de nature individualiste) porte a sa parfaite clarte. Elles semblement remonter assez haut. La notion pointe avec la perte de la culture juridique romaine, au Haut Moyen-Age; prend forme chez les theologiens de l'ecole franciscaine, et surtout le nominaliste Guillaume d'Occam; les theologiens et les juristes de la Seconde Scolastique lui feront une place au milieu d'autres definitions du droit. Notamment Suarez. Et Grotius qui, si mes souvenirs sont exacts, la mentionnait en troisieme ou quatrieme Iieu, apres avoir enumere d'autres sens du mot droit, plus traditionnels. Quo sensu jus est qualitas moralis personae competens ad aliquid juste habendum vel agendum. Non 6ans encourir la reprobation de romanistes comme Jean de Felde. Preuve que les juristes repugnaient a ces nouveautes. Grotius lui meme avait pris soin de signaler expressement que sa definition n'etait pas romaine ... Ce qui ne fait pas doute, en effet, est qu'on eherehe en vain dans le Corpus Juris Civilis une semblable conception du droit. Non que

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le tenne jus ait manque de definitions, dans l'antiquite ni au MoyenAge. n y a celles de PauZ au Digeste (I, I), reprises et completees dans la Somme theologique parSaint Thomas (II a II ae qu. 57 art. I): le droit est la relation juste, res justa id quod justum est - ou bien cette chose ou ce statut revenant a chacun dans le partage des biens et des charges au sein de la cite. Essentiellement un objet, pas une faculte attenante du sujet. En ce point crucial le langage de Hobbes ne pouvait plaire aux sectateurs du Corpus Juris Civilis (cf. A PD, t. IX, 1964: Le droit subjectif, et les articles recueillis dans: Le!;ons d'histoire de la philosophie du droit, Paris 1962 et nos: Seize Essais, Paris 1969). 3. Anticipant quelque peu sur l'ordre de Hobbes, nous ajouterons que dans son systeme, une fois limitespar la souverainte de l'Etat, des droits porteront sur des Choses: "droits reels" (jura in rem) que notre usage oppose aux "droits personnels". Les Choses sont comprises comme des pieces du monde materiel. Parcelles de la nature physique, que la destination de l'homme est de maitriser (c'est le röle du droit subjectif d'etablir sur elles sa domination); comme l'ecrivaient, avant Marx, Descartes et Bacon - toujours selon une tradition d'origine theoZogique qui prend racine dans la Genese, au recit de la Creation ... Le moins qu'on puisse dire est qu'existaient chez les jurisconsultes romains d'autres conceptions de la chose par exemple, dans les Institutes (Gaius II. 14 etc...), les obligations sont des res. Et que le concept de "droit reel" n'etait pas encore ne a Rome (cf. A. P. D., t. 24, 1979; Les Biens et les choses).

m.

Contrat - Societe - Obligation - Loi

Le discours de Hobbes sur "l'etat de nature", ou ne se trouvent que les fondements, n'etait que preambule. Nous entrons dans l'etat civil. Son instrument principal de constitution (qu'aujourd'hui le commun des lecteurs de Hobbes se figure d'origine romaine) est le cantrat generateur de la societe politique et d'un reseau d'obZigations. Voici venir les figures majeures du systeme juridique moderne. Contrat 1. Hobbes a strictement defini le contrat (il parle de Pactes ou de Covenants, mais je laisse le detail) un echange de promesses !ihres (Leviathan, chap. 14). Ce qui s'accorde aux commencements de sa philosophie: le monde est fait d'individus, doues de volonte et de raison; de personnes capables, par un acte de volonte libre, dans leur interet bien compris (a charge de reciprocite), de renoncer a quelque

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part de leur liberte naturelle. Les promesses doivent etre tenues, parce qu'il y aurait contradiction, s'etant decide, a se dedire. La loi naturelle l'exige; etant pose que le contrat est produit de volonte libre. Voila un concept du Contrat. Dans le systeme de Hobbes, il yaura bien d'autres contrats que le contrat fondateur de l'etat civil. Une quantite d'autres suivront, une fois Leviathan constitue, rendu efficaces par l'epee du prince; ils seront l'instrument du commerce et de l'enrichissement. Et Ia dessus s'est edifie tout le liberalisme moderne. L'idee hobbesienne du cantrat va presque totalement triompher. On sait aujourd-hui quelque chose de ses origines. Elles sont a ehereher premierement dans la theologie chretienne: (la discipline de l'Eglise et les canons - le chapitre XIV du Leviathan est plein de references au Iangage du droit canonique): principe du respect des serments, puis de simples "promesses" informelles, qui servit a la construction de l'ordre feodal et dans le monde urbain, au premier essor du commerce. Et cette pastorale chretienne a re~u le renfort de la morale stoicienne (Ciceron, Seneque) restauree par les humanistes; (mais le phenomene a des racines beaucoup plus anciennes, si bien que les deux sources se distinguent mal). Ajoutons que dans l'Antiquite grecque, hellenistique, romaine - deja cette regle de morale avait gouverne les rapports internationaux et penetre une partie du jus gentium. Aussi Grotius en fit-il le plus grand usage pour son droit de la Guerre et de la Paix. Or cette conception moraliste etait etrangere a la discipline, specifiquement juridique, romaine, du jus civile. En droit romain, l'äme du contrat n'est pas le "consentement"; ni sa cause generatrice, la volonte des contractants. TI existe sans doute un petit nombre de contrats appeles consensuels: la vente - le louage - le mandat - et la societe. Un texte de juriste Pedius (que le XVIIe siecle met en vedette) avan~ait que dans tout contrat entre une convention, sans cependant que la convention (la "reoncontre des volontes en un meme lieu" sur le meme objet) fut cause de l'obligation contractuelle. Il est une foule de contrats qui naissent par un autre mode: surtout par la "res", remise d'une chose, sortie d'un bien du patrimoine d'une des parties engagees dans l'operation - fait qui par lui seul provoquera l'existance de l'obligations: l'equilibre rompu doit etre retabli en imposant au partenaire une contre-prestation autant que possible equivalente. L'äme du contrat est la justice, qui veut le maintien du partage entre les biens des citoyens, et que les echanges ne le perturbent pas. Meme dans les contrats nommes "consensuels": leur reconnaissance etant suspendue a mainte condition objective, et independante de la volonte des parties.

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Du pacte nu ne nait pas "d'action", disait le Corpus ju1·is civilis. Pas de consensualisme. D'ailleurs le mot pacte n'avait pas dans la Iangue juridique romaine, le sens general de convention que lui ont confere les modernes. Comme la vente le louage, le mandat ou la societe, il designe une operation tres specialisee (qui met fin ou qui modifie un rapport d'affaire deja constitue). De sorte que l'interpretation donnee par les auteurs modernes a cette autre formule romaine, que les pactes sont a observer (pacta servabo) repose sur un contre-sens. Nouvelle raison de protester contre l'usage indu, du point de vue du romaniste, fait par Hobbes de tous ces termes romains (cf. APD, t. XIII, 1968, sur: Les notions du contrat). 2. On pourrait poursuivre cette comparaison en examinant la fortune extraordinaire d'un contrat special, le contrat de Societe, car le contrat originaire qui servait ehez Hobbes au passage a l'etat civil, est devenu "contrat social", contrat de societe. A Rome negoce specialise entre hommes d'affaires - l'un des quatre contrats consensuels -, le mot societe va revetir dans le Iangage moderne une extension gigantesque. C'est qu'il n'est plus de communaute naturelle. Mais passons plutöt a un autre terme. On vient de dire que le Contrat oblige. Et l'Obligation, teile que Hobbes la definissait, sera le contraire de la liberte; le contraire du droit; une autre qualite de sujet, cette fois negative (non plus "faculte"); autre modalite susceptible d'etre attribuee a la personne. Voici l'obligation promue, derivee du Pflicht, du devoir moral, au rang de notion fondamentale de la theorie juridique. Les origines de ce concept? A ehereher encore dans la sphere de la theologie morale: seconde scolastique, (Suarez) - nominalisme de l'ecole de Guillaume d'Occam; de la, penetrant de fac;on progressive le discours du droit, surtout canonique ... Mais l'idee moderne de l'obligation manque en droit romain. Loin de revetir le sens general que lui confere Hobbes, l'obligation, ou plutöt les obligations (pour les romains il faut parler de preference au pluriel) ne concernaient a Rome qu'un ehapitre particulier de la science du droit. Au lieu d'adherer au sujet, comme dans le systeme hobbesien, les obligations sont des "choses" que se disputent les plaideurs, dont par consequent il incombe a la science du droit de determiner la consistance. "Choses incorporelles", dit Gaius (II. 14): type de relationentre deux citoyens, signifiant pour l'un l'esperance de recuperer une valeur alienee, a titre provisoire de son patrimoine; pour l'autre un passif. Le lecteur moderne est surpris de voir Gaius au meme lieu, qualifier de jura les obligations. C'est que le jus non plus n'est pas subjectif, qualite attenant a l'individu, mais chose d'interet juridique (supra I 2).

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Nous voici donc au.x antipodes de la definition de Hobbes. Les obligations n'interessent qu'un secteur bien specialise, a l'interieur du droit des biens. Quel cantraste avec la fonction remplie par ce terme dans la philosophie moderne! A Rome, personne n'irait encore, a ma connaissance, parler d'"obligation morale": la morale ancienne traitait des biens qui valent d'etre poursuivis, des conduites a tenir (officia), parce que recommandables ("convenables", selon les stoiciens). Elle ne parle pas d"'obligations". Pas davantage n'effleure a Rome l'idee d'une "obligation politique" d'obeissance au souverain, sur le socle de laquelle se formeraient l'Etat et son droit. Le droit des obligations a Rome presupposait l'ordre social deja existant (Cf. notre etude dans: Critique de la pensee juridique moderne, Paris 1976, p. 201; APD, t. XV, 1970). 3. Un dernier exemple, le mot Loi, auquel les Archives viennent de consacrer un volume (APD, t. XXV, 1980: La Loi). C'est pour les modernes la loi qui oblige. Hobbes la definit "a command of him or them that have the sovereign power, given to those that be his or their subjects, declaring publicly and plainly what every of them may do and what they must forbearto do" (Dialogue, ed. Dalloz, p. 91- dans la bouche du philosophe). Elle est acte de volonte d'un individu (il ne peut en etre autrement dans le nominalisme); volonte d'une Personne "souveraine", qui a la puissance d'intimer des commandements a des "sujets". C'est pourquoi la loi naturelle (qui est la Raison interieure a l'individu) ne constitue pas une loi au sens propre (properly law); eile n'est loi qu'en tant que secretement elle emane de Dieu, assortie de sanctions eternelles ... Mais loi au sens propre est la loi de la Personne artüicielle issue du contrat, qui serait "souveraine". Elle formerait la "source" exclusive de tout droit civil, puisqu'il ne saurait en exister d'autre. L'axiomatique des modernes tient absolument a fonder toutes les solutions du droit, a les rattacher a une "source" premiere. Cette source est simple: "ce qui plait au prince a force de loi." Rattachera-t-on ce concept de loi au.x souvenirs de la Rome imperiale ou proliferaient les "constitutions"? Le texte precite d'Ulpien (D; 1.4.1 pr.) attribuait au.x constitutions "la meme force" qu'aux lois. N'empeche que les constitutions n'etaient pas des lois, pas plus que les edits des preteurs, dotes de l'imperium. Elles n'ont porte ce titre qu'a la mort de la culture juridique romaine. Une fois encore, plus manüeste est sa filiation a l'egard de la theologie: dans le cas de Hobbes immediatement des theologies de Scot et Guillaume d'Occam, volontariste, nominaliste. Du reste, ce theme de la loi, derive de la litterature juive

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sur la Torah, est aussi ancien que la doctrine chretienne. Depuis Origene et Saint Augustin pullulaient les Traites des lois (divine scripturaire-naturelle - et temporelles qui les completent). Le couronnement du genre est le "Traite des Lois" de Suarez, dont le succes fut eclatant. A travers les ambiguites de la doctrine de Suarez, il nous parait d'inspiration foncierement volontariste. C'est un autre sens du mot loi qui pouvait s'extraire de la tradition classique de l'Antiquite. Nous ne reprendrons pas ici l'analyse de la notion de nomos, traduite plus tard par le mot lex. Chez les classiques- une fois consommee leur rupture avec les sophistes et le scepticisme sunnonte - le nomos parait se rattacher a l'idee de l'ordre cosmique; donc loi decouverte au sein du cosmos, dont les legislateurs s'efforcent de donner une expression ecrite approximative ... (cf. notre Precis de philosophie du droit, Paris 1980, t. II, p. 199 et s.). Mais ce motif est inutile a notre propos: simplement le Droit civil romain ne nait pas de la loi. Des lois de la cite, dont l'office est de regler la conduite des citoyens, sans doute les juristes ont a tenir compte, et d'autres lois particulieres publiques ou "privees"; mais la fonction des textes du droit est tres differente: mesurer les parts respectives revenant a chaque plaideur - suum cuique tribuere -. Les textes du droit ont leurs propres auteurs. Le droit civil est essentiellement produit jurisprudentiel; ensemble de textes tres divers, a l'occasion contradictoires, compose surtout de "sentences", reponses", "opinions" de jurisconsultes. 11 leur est demande de donner leur avis, apres examen, discussion, deliberation de la cause, sur la solution qui, au tenne de cet examen, leur "est apparue" la meilleure: Placuit. C'est le tenne dont usent aussi les constitutions imperiales, avec le meme sens; mot que les philosophes modernes ont compris de travers. Dans la celebre fonnule d'Ulpien: Quod principi placuit legis habet vigorem, ils voulurent voir un precepte d'obeissance a la volonte, au caprice du prince. Faux-sens sur le mot placuit. Le mode de formation du droit jurisprudentiel dont temoignait le Corpus Juris Civilis est exactement l'antithese du systeme de legislation qu'engendre la Politique de Hobbes. Or sur ce point, dans le "Dialogue", Hobbes laisse son etudiant en droit ouvertement confesser son opposition. C'est qu'on arrive aux consequences d'interet pratique et qu'a ce moment les differences ne sauraient plus etre eludees. Rappeions que les juristes du Common law sont restes longtemps plus fideles que leurs collegues du continent a l'esprit juridique romain; il n'y a plus de paradoxe a le dire. A l'idölatrie de la loi dans laquelle debouche la construction de Hobbes, voyez l'etudiant opposer le pluralisme des sources du droit; le respect des coutumes, d'un ordre nature! mouvant qui s'est enrichi au cours de

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l'histoire; de la sagesse collective des jurisconsultes qui l'ont dechiffre. 11 n'est pas de "souverain", de pretendue volonte de l'Etat, qui puisse "commander" au droit! Voila une position qui portesans doute le cachet de l'histoire anglaise, mais plutöt d'une fidelite persistante a l'education juridique romaine re!;ue du Corpus juris civilis. Refus du systeme de Hobbes par le juriste du Common Law. IV. Deux cultures antagonistes Cette tranehe d'histoire pourrait alors etre envisagee, non comme un Progres continu, auquel juristes et fondateurs de la Politique moderne collaboreraient harmonieusement - mais peut-etre comme un combat entre deux cultures antagonistes, heurt entre deux philosophies, generatrices de structures linguistiques irreconciliables. L'une ecrasant l'autre: sans pourtant que rien nous permette de juger la victoire definitive. 1. La science romaine du droit civil est nee solidaire d'une philosophie. Je dirai surtout: celle d' A Tistote - peu nous important les intermediaires (Rhetorique - Stoicisme moyen) par lesquels ses definitions furent transmises aux fondateurs du systeme du jus civile. Parce qu'Aristote fut le seul philosophe de la Grece antique, a notre connaissance, a degager les principes d'un droit civil (to dikaion politikon). De solides temoignages indiquent (en particulier le texte de Ciceron, De Oratore, I, 188 et s.) que les inventeurs du systeme du jus civile, vers la fin de la Republique, puiserent dans cette philosophie leur inspiration. Ils en ont re~u la definition de l'objet specifique du droit (chercher la juste proportion des biens et charges repartis entre les personnes), une methode jurisprudentielle appropriee a cet objet, et cet instrument principal de leur discipline, leur langage propre.

Or il existe des inventions qui meritent de tenir. Le merite, d'abord, des empereurs (jusqu'a Justinien dont on a note les tendances conservatrices) fut de conserver le jus civile, a travers les vicissitudes de l'histoire politique romaine et la progressive orientalisation de l'Empire. Au Moyen-Age, les glossateurs l'ont redecouvert: au meme moment ou renaissait l'etude d'Aristote. Notons que Saint Thomas, nourri d'Aristote, chaque fois que sur sa route il rencontre un texte juridique romain, l'interprete admirablement. Garder le secret de cet art du droit et de son langage specifique est demeure tres longtemps, sous l'Ancien Regime, le pole des efforts des juristes des Facultes de droit.

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2. La politique moderne procede d'une source rivale. Elle emprunte

a d'autres courants philosophiques de l'Antiquite, surtout aux morales

stoicienne ou epicurienne, et aux historiens. Mais ses racines les plus profondes sont a not~e avis dans la culture religieuse, qui des l'invasion des barbares s'etait installee sur les ruines de Rome; le grand courant augustiniste qui traverse tout le Moyen-Age et qui a fini par l'emporter aux XIVe et XVe siecles, sur l'ecole thomiste, dans les Facultes de theologie, secularise, teile semble etre la source distinctive de la philosophie moderne (par rapport a la grecque classique). De la decoulaient d'autres modes d'articulation du monde, d'autres systemes linguistiques.

Rien de surprenant si des juristes en ont ete contamines. Progressivement, deputs une date apparemment assez ancienne: la Bible et les Peres furent les sources premieres du "droit" dit "canonique"; qui ne manqua pas de deteindre sur le droit civil - et reciproquement. La Seconde Scolastique edifia de grands traites de theologie juridique, qui dans leur structure emprentent plus a la Bible et a l'humanisme, qu'au systeme juridique romain. Vient alors l'invention d'un droit qui se proclama "universel", et non plus civil, fait pour une cite. Grotius construit son droit des gens, qui est d'inspiration chretienne chretiennestoi:cienne. L'humanisme souvent se dechaine contre le droit civil romain. Dernier acte: apres l'eclosion de la philosophie moderne, l'oeuvre de Hobbes et l'avenement d'une nouvelle forme de cite, se constituera sous le choc de cette seconde philosophie, le langage juridique moderne. V. Du Iangage juridique romain au Iangage juridique moderne

Car retournons a la semantique comparee. Notre theme commun peut etre retourne: Du role de la Politique moderne dans l'histoire de la deformation du langage du droit. On vient de relever ce phenomene, connu des linguistes, l'emprunt massif qu'opererent les theologiens ou canonistes de l'Eglise, des le Moyen-Age - puis les fondateurs de la philosophie morale et de la Politique moderne, de termes juridiques romains. J'en ai cite des exemples caracteristique: les mots "personne" - "obligation" dont notre morale use constamment. Le mot societe etc. Nous observions qu'en emigrant dans la Politique nouvelle, se transportant d'une structure de pensee a l'autre, ces termes avaient change de sens - comparables a des materiaux extraits de ruines de l'Antiquite - colonnes empruntees aux temples pai:ens et reemployes pour construire des eglises chretiennes ou decorer le Palais d'un prince de l'Ancien Regime. 11 est clair qu'ils n'ont pas garde leur ancienne valeur.

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Une Politique comme celle de Hobbes a paracheve la complete defiguration, le retournement de la science juridique romaine. Sans doute, ces nouvelles significations retomberent dans la sphere du droit. Teile est la dependance du Droit a l'egard de la Politique; en ultime instance, de la philosophie. Ce fut l'effet du travail des theoriciens de l'Ecole du droit nature!, souvent professeurs de philosophie (philosophia moralis) charges d'enseigner les principes pretendus du droit; puis des Pandectistes. Resultat: Dans la dogmatique contemporaine, des mots tels que "droit, loi, personne, chose, contrat, obligation", ont finalement perdu le sens qu'ils avaient ä Rome, mais revetent ä peu pres celui que leur a donne Hobbes. La culture moderne cl!lebre son triomphe. Encore ne faut-il pas le surestimer: si l'on analyse de plus pres le Iangage des textes juridiques posterieurs au XVIIe siecle, on voit longtemps les juristesse contenter d'un compromis entre l'abandon aux idees modernes et la tradition juridique romaine, qu'il repugnerent ä sacrifier. Le Code civil franc;ais de 1804 en est un exemple significatü. Le discours de ce Code est hybride. La signifation des mots: contrat - obligation - propriete ou droit reel - s'y avere confuse, ambigue. La resistance pourrait meme se reanimer. Le Iangage moderne officiel presente des symptomes de crise. Les notions de droit subjectif (par exemple du droit subjectif de propriete) - celle consensualiste de contrat, sont presentement contestees; de meme les notions hobbesienne, rousseauiste ou kantienne de loi, le positivisme legaliste qui lui est associe; l'idee meme de souverainete dans le droit public internationalet jusque dans le droit public interne. A la difference de la pensee romaine, la doctrine moderne individualiste se montre incapable de garder au droit sa finalite propre, et sa methode; de respecter l'autonomie de l'art juridique: elle l'a ravale au röle d'instrument de la politique ou de la morale. Elle l'a dote d'un Iangage ou il respire mal. These fortement paradoxale, mais en faveur de laquelle militent une serie convergente de signes: peut-etre le juriste n'etait-il ä l'aise, conscient de son identite, que dans la philosophie classique qui fut celle des juristes romains ... En attendant nous vivons encore installes dans le Iangage juridique moderne. Si bien installes que nos romanistes prirent l'habitude de le projeter dans leurs exposes sur le droit romain. C'est une deviation tres ancienne. Les maitres de l'Ecole du Droit nature!, passablement indifferents a la verite historique, aimaient faire

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croire a leurs lecteurs qu'entre leur enseignement et les sources juridiques romaines, existerait une concordance. Domat citait a chaque ligne un texte du Digeste, bien que son Systeme fUt tres COntraire a l'esprit juridique romain. De meme les auteurs politiques: Hobbes lui-meme, Leibniz, ou Kant dans sa Doctrine du droit. C'est ainsi que Rousseau affecte de restaurer un modele politique romain, alors que sa democratie a fort peu a voir avec la democratie antique. On a profit a fabriquer a sa pensee de grands ancetres. Les Pandectistes, d'ailleurs axes sur "l'usage moderne des Pandectes", ont, comme chacun sait, porte a son comble cette oeuvre de falsification. De la mainte erreur. Il est r~u dans le grand public que la conception moderne du droit subjectif de propriete serait "notion romaine"; que notre theorie generale consensualiste des contrats se tirerait du Digeste; que l'esprit juridique romain serait legaliste, les solutions romaines deduites avec la rigueur implacable qu'aurait voulue Kant. Autant de bevues. Et, sur le theme de notre congres, cette these a vu le jour que la culture du droit romain - dont on proposait pour exemples les fameux "legistes" de Philippe le Bel - fut un facteur de l'essor de la souverainete et de l'Etat modernes ... Cela peut etre dit sans doute d'un grand nombre de juristes praticiens, a cause de leur souplesse d'esprit et de leur eclectisme; difficilement du droit romain tel que s'employaient, non sans de bonnes raisons, a le reanimer les "juristes" de stricte obedience.

Ungarische Juristen am Ausgang des Mittelalters Von György B6nis t 1. Ein Land ohne Universität: Verschiedene Gründe verursachten, daß Ungarn-trotz wiederholter Versuche- im Mittelalter keine Univertät besaß.• Einer Erwähnung des Rechtsstudiums an der Domschule von Veszprem im 13. Jh. zufolge hat Ludwig I. 1367 eine Universität in der Bischofsstadt Pecs (Fünfkirchen) gegründet. Ihm folgte Sigismund von Luxemburg mit der zweimal begonnenen Universität in Öbuda (Altofen) im Jahre 1395 bzw. 1410. Matthias I. gründete in Pozsony (Preßburg, jetzt Bratislava) eine andere im Jahre 1467. Mangels städtischer Unterstützung erloschen alle drei Universitäten spätestens mit dem Tode des Gründers. Ungarische Studenten besuchten zwar anfangs das Studium in Paris, später zunehmend in Italien, aber eine einheimische Universität fehlte in Ungarn.

Die in der Arbeit der Verwaltung und Gerichtsbarkeit wirkenden Leute besaßen eine mehr handwerksmäßige Ausbildung. Ich möchte diese Personen - zur Unterscheidung von den Doktoren - die Praktiker nennen. Nach den in Kapitel- und Klosterschulen erworbenen Lateinkenntnissen suchten sie bei einem in der Praxis tätigen Juristen Anstellung. In Ungarn nannte man sie litterati, d. h. Schriftkenner. Sie waren als Advokaten, Stadtnotare oder Notare der verschiedenen königlichen Kanzleien tätig. Die führenden Leute leiteten die Ämter der Großrichter, sie waren in der Hauptstadt vier, protonotarii genannt. Die an den ausländischen Universitäten Graduierten fanden Anstellung in der königlichen Diplomatie und Administration, aber nicht in der Gerichtsbarkeit. Diese wurde ausschließlich von den Praktikern versehen. Das bedeutete eine Beschränkung der römisch-rechtlichen und kanonistischen Einflüsse auf das Recht in Ungarn. 2. Die Laufbahn der Protonotare: Als Beispiele erwähne ich einige Männer aus dem ausgehenden Mittelalter.

Janos Ellyevölgyi stammte aus einer kleinadeligen Familie des Komitates Somogy. Ende der 1480er Jahre arbeitete er im Büro des Ge-

* Es war dem Verfasser wegen langer Krankheit leider nicht möglich, den Anmerkungsapparat anzubringen. Er bittet den Leser um Nachsicht. 5 Schnur

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richts personalis praesentia regia; 1496 versah er das Amt eines Protonotars in Slawonien. Zu Beginn des Jahres 1498 wurde er Protonotar des erwähnten königlichen Gerichts und blieb im Amt trotz des Wandels der Richter desselben, der sogenannten Personales. Mit seiner Tätigkeit erwarb er sich das Ansehen und Vertrauen der Parteien. Er saß als Beisitzer im richterlichen Rat des Palatins und des Judex Curiae. Im Frühjahr 1504 begann er die Leitung des Amtes des Palatins und blieb dort bis 1526. Er erwarb einige Güter im Komitat Pest und Körös, vorwiegend aber in der Heimat seiner Familie, im Komitat Somogy.

Ferenc Marocsai war bereits in den 1480er Jahren kurialer Notar; seine Laufbahn wurde durch seine Verknüpfung (als Familiaris) mit dem Protonotar Jcinos Korotnai beschleunigt. Nach dessen Tod erhielt Marocsai die Protonotars-Stelle, übernahm aber nicht viel später das Amt des Protonotars des Woiwoden von Siebenbürgen. Vom Herbst 1500 an wurde er ein Protonotar des Personalis und blieb im Amt bis zu seinem Tod im Jahre 1514. Er erwarb Güter in den Komitaten Somogy und Varasd. Nachfolger von Ellyevölgyi wurde der jüngere Mattheus Mezögyani, aus einer Familie des Komitates Bihar. Er begann seine Laufbahn im Büro des Judex Curiae, aus dem er später in das des Palatins übertrat. Vom Jahre 1504 bis zum Herbst 1511 war er ein Protonotar der persönlichen königlichen Präsenz. Seine Stellung übte er aus, um danach einige Güter in den Komitaten Bekes und Zaränd zu erwerben.

Albert Bellyeni, Mezögyänis Nachfolger, stammte aus einer wohlhabenden Familie im Komitat Borsod. Ihre Güter lagen um Diösgyör, einige auch in Heves. Albert begann seine Laufbahn in der sogenannten kleineren Kanzlei, dem Büro des Personalis. Dort blieb er ein Vierteljahrhundert. Zuletzt schloß er sich an die Familie der Zapolyai an; mit ihrer Unterstützung erwarb er die Stelle des Protonotars des Personalis von 1513 bis zum Ende des Jahres 1521. Er erhielt die Vizegespanschaft des Komitats Heves, später die Gespanschaft des Komitats Ugocsa, eine übrigens von Magnaten versehene Stellung. Die Protonotare des frühen 16. Jhs. waren meist Kleinadlige. Sie ererwarben eine stabile Stellung und übten ihr Amt zum Erwerb der Adelsgüter aus. Ihre Tätigkeit in der rechtskundigen Intelligenz diente vornehmlich der Hebung ihrer Familien. Geistliche Pfründe wurden von ihnen nicht gesucht. Diese kamen in die Hände der Doktoren. Örtlich gesehen, kamen Rechtskundige meist aus Transdanubien und aus der oberen Theißgegend und nur selten aus anderen Komitaten.

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Ihre Ambition zielte meistens auf eine Gespanschaft, selten auf die Würde des PersonaUs oder des Kanzlers. Eine hervorragende Persönlichkeit, Istvcin Werböczy, stieg zum Palatinat empor. Werböczys Familie ist seit Mitte des 15. Jhs. bekannt. Sein Großvater, Barla von Kerepecz, war Vizetruchseß Sigismunds von Luxemburg; zusammen mit seinem Bruder, dem "Literaten" Johann, erwarb er das Gut Werböcz im Komitat Ugocsa (heute im Gebiet der Sowjetunion) und gab damit der Familie einen neuen Namen. Ein Sohn des Vizetruchsesses, Oswald von Kerepecz, zeugte mit Apollonia Deak den so berühmt gewordenen Stephan. Nach Angaben der Universität Krakau wurde Stephan im Frühjahr 1492 dort immatrikuliert, doch dauerte dieser Ausflug in die Welt der Wissenschaft nur ein halbes Jahr, da Werböczy bereits im Herbst einen früher begonnenen Dienst in der königlichen Kurie fortsetzte. Seine "elegant" angewandten Kenntnisse der lateinischen, griechischen und deutschen Sprache soll er an einer einheimischen Domschule erworben haben. Wahrscheinlich mit Unterstützung des mächtigen Judex Curiae Stephan Bathori kam Stephan Werböczy an den Hof. Für die Jahre 1483 und 1484 ist er als conservator, d. h. Archivar und Custos der königlichen Donationsbücher bezeugt. Doch verschwindet sein Name in den folgenden Jahren, bis wir ihm Ende 1492, im Rang eines Notars der königlichen Kurie, wiederbegegnen. Der "öffentliche" Dienst hinderte ihn nicht daran, auch dem späteren Parteiführer des minderbegüterten Adels, Michael Szobi, Notardienste zu leisten. Bereits 1498 schenkte ihm sein Herr einige Teilbesitzungen im Komitat N6grad, später auch in Siebenbürgen die Burg Vecs. Damit begann die lange Reihe der Erwerbungen der Werböczy. Adelspolitik und juristische Dienste förderten ihn in seinen hochgesetzten Zielen. Im Jahre 1500 verfaßte er die Beschwerden und Wünsche des Adels auf dem Reichstag und nahm so an der Vorbereitung der Gesetzesartikel teil. Vermutlich erregte seine Tätigkeit Aufsehen unter den Teilnehmern, die ihn zu einem adligen Assessor des königlichen Rates erwählten. Ende 1502 erwarb der mehr als Vierzigjährige eine sicher lange erwartete Stellung in der Judikatur: er wurde Protonotar des Judex Curiae, Peter von St. Georg und Bösing. Das bedeutete eine der ungarischen Entwicklung eigene Vasallenstellung beim Magnaten; da Peter von St. Georg auch die Würde eines Woiwoden von Siebenbürgen innehatte, versah sein familiaris Werböczy auch die Pflichten des Protonotars von Siebenbürgen. Fortan teilte er seine Zeit zwischen Buda und dem transsylvanischen Gerichtsstuhl, wo immer dieser tagte. Es ist leicht zu verstehen, daß König Wladislaus 11. die längst erwartete Arbeit der Zusammenfassung der Rechtsgewohnheiten dem Proto-

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notardes Judex Curiae anvertraute. In den freien Stunden, die ihm bei seiner zweifachen Richtertätigkeit blieben, verfaßte er sein dreigeteiltes Buch. Da aber Werböczy, als das Werk 1514 nicht Gesetzesrang erwerben konnte, den Widerstand der Großgrundbesitzer spürte, verließ er seine beiden Ämter während des Jahres 1515. Erst in den Wirren nach dem Tode des schwachen Wladislaus II., unter der Scheinregierung des zehnjährigen Ludwig II., wurde er auf den Posten der PersonaUs erhoben (1516). Der personalis praesentiae regiae locumtenens war seit der Gerichtsreform des Königs Matthias Corvinus im Jahre 1464, wenn nicht der rangerste, so doch der einflußreichste Richter der Kurie. Diese Stelle wurde seit je mit Geistlichen besetzt; nun erwarb sie- den Wünschen des Reichstages gemäß - ein weltlicher Rechtsgelehrter. Dieses Amt ermöglichte Werböczy, Einfluß und Vermögen zu vermehren, sowie eine führende Rolle in der Politik der Zeit zu spielen. In den Jahren vor der katastrophalen Schlacht von Mohäcs (1526) wurde er mehrmals als Mitglied und Sprecher voh Delegationen ins Ausland gesandt. Er forderte die Republik Venedig, den Papst, die Reichsstände in Worms und Nümberg auf, seinem Lande wirksame Hilfe gegen die drohende Türkengefahr zu leisten. In dieser Funktion zeigte er große Naivität: Obwohl er lateinisch zu sprechen verstand, hielt er vor dem Rat von Venedig eine Rede auf ungarisch, während er in Worms versuchte, Martin Luther bei einem Glas Wein von seinem Reformationsweg abzubringen. 1521 wurde er einer der Reichsschatzmeister in der kurzlebigen ständischen Finanzverwaltung. Dabei war er auch ein Mäzen, indem er u . a. die Ausgabe der Elegien des lateinischen Dichters und ungarischen Humanisten Janus Pannonius in Wien unterstützte. Werböczys Freigebigkeit beweisen auch einige Lobpreisungen der Humanisten. Sein politischer Einfluß stand damals auf dem Höhepunkt. Wie er bereits 1505 den (allerdings wirkungslosen) Reichstagsbeschluß gegen das Fremdkönigtum verfaßt hatte, so blieb er auch in den 20er Jahren der populärste Wortführer der auf dem Räkosfeld oder andernorts oft zusammenkommenden Versammlung des Adels, der dieta. Die Krise der aristokratischen Regierung und die im Lande herrschenden Mißstände zeitigten einen Ausbruch der Unzufriedenheit des Kleinadels, der Werböczy in der aufrührerischen Dieta von Hatvan 1525 zur höchsten weltlichen Würde des Landes, zum Palatinat erhob. Dem die Wechselfälle der ständischen Politik wohlkennnenden Manne war dies unbehaglich, und er fungierte nur ein kurzes Jahr lang als comes palatinus. Obwohl er seine Popularität mit allen Mitteln zu heben versuchte, u . a. mit dem (den Franziskanern entliehenen) ungewöhnlichen Titel Regni Hungariae servus, gewann die aristokratische Reaktion rasch die Ober-

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hand. Ende 1526 setzte ihn ein anderer Reichstag ab, der ihn und Szobi außerdem mit der Acht (nota infidelitatis) belegte. Sein Sturz rettete ihm wahrscheinlich das Leben; denn er konnte die verheerende Schlacht von Mohäcs am 29. August 1526 in Zurückgezogenheit überleben. Nach dem Doppelkönigtum trat Werböczy, seinen Prinzipien treu, der Partei des schwachen Königs Johann von Zapolya bei. An seiner Seite bekleidete er das vorher immer von Geistlichen eingenommene Kanzleramt. Er folgte seinem Herrn in die Emigration ins Ausland und übernahm im achtzigsten Lebensjahr eine mühevolle Gesandtschaft nach Konstantinopel. Er mußte noch erleben, daß im Jahre 1541 die türkischen Heerscharen durch List heimlich in die Festung von Buda gelangten, und daß danach die Türken die Landesmitte für fast 150 Jahre in der Hand behielten. Der einst über Riesengüter urteilende Jurist beschloß sein Leben in der alten Hauptstadt als von den Türken ernannter iudex der unterworfenen Stadtbevölkerung. Einige Monate später starb er dort an den Folgen eines Zornanfalles. 3. Die Befugnisse der Protonotare: Die Rechtsbefugnisse der Protanotare wurden bereits in der Zeit von Matthias I. gesetzlich anerkannt. Auch in diesem Zeitalter beweist eine Fülle von Daten, daß sie unentbehrliche Faktoren der Gerichtsbarkeit waren, ohne deren Mitwirkung keine Entscheidung in bedeutenden Sachen zustandekam. Zuerst bewahrten und handhabten die Protonotare das Siegel der Großrichter: des Palatins, des Judex Curiae und des Personalis. Letzterer bewahrte das königliche Gerichtssiegel, vertraute es aber dem in der Kurie weilenden Protonotar an. Die großen Siegel des Palatins und des Judex Curiae aber wurden von dem zuständigen Protonotar mitgenommen und an den Urkunden angebracht. So wurden Palatinalurkunden oder die des Judex Curiae häufig auf den Familiengütern der Protonotare ausgestellt. Diese waren- als Leiter der richterlichen Kanzleien- für die inhaltliche und förmliche Echtheit der Urkunden der Großrichter verantwortlich. Als Kontrollzeichen finden wir den Vermerk Lecta, im Falle einer Korrektur den Vermerk Correcta. Die Fehler der ihnen zugehörigen Notare wurden von ihnen berichtigt. Wie früher nahmen die Protonotare die bei ihnen deponierten Urkunden der Parteien in Verwahrung. Wenn die prozessualen Beweismittel sich bei den Protonotaren befanden, so war es natürlich, diese um Rat für die Benützung derselben zu bitten. Bewahrung und Rechtsnachweis wurden reichlich bezahlt, zuweilen durch Geschenk eines Adelsgutes. Auch Fassionen konnten vor dem Protonotar gemacht

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werden, der auch an Ort und Stelle erscheinen konnte. Die Siegel des Palatins oder Judex Curiae konnten sofort angebracht werden, das königliche Gerichtssiegel aber nur dann, wenn der Protonotar - formell - seinerseits eine Fassion vor dem König gemacht hatte. Auch in seiner eigenen Sache war der Protonotar befugt, mit dem Siegel seines Herrn eine Urkunde auszustellen. Die einzige mißbilligte Handlung war eine übertretung der gesetzlich fixierten Gebühren. Infolge der damit gesicherten Authentizität wurde der Protonotar auch vom Großrichter zur Fassion entsandt. Auch eine Grenzberichtigung wurde ihnen oft anvertraut. Diese Aktion schloß in vielen Fällen die Entscheidung eines Rechtsstreites ein. Damit kommen wir zur eigentlichen richterlichen Tätigkeit des Protonotars. In den Akten des Zeitalters findet sich reiche Mannigfaltigkeit - von der Entscheidung einer einzelnen Person bis zu einem Rat von Juristen. In diesem Falle war der Protonotar oft der Vorsitzende der Schiedsrichter. Er stellte auch am Ende des Verfahrens die großrichterliche Urkunde aus. Das war ein Vorbild der Rechtsstreite im 16. und 17. Jh., da die zentralen Gerichte oft jahrzehntelang ausblieben und einer der Protanotare an Ort und Stelle Recht sprach. Wie wichtig auch das Verfahren im Lande war, so fiel doch das Schwergewicht der Tätigkeit der Protonotare meistens auf die Kurie, in die "oktavalen" Termine der Großrichter. Die Berichte über Ladung, Vollstreckung oder Gegenspruch wurden zuerst ihnen zugebracht, sie waren auch befugt, die geschlossenen Urkunden im Namen der Großrichter zu öffnen. War der zuständige Protonotar abwesend, so wirkte einer seiner Kollegen an seiner Statt. In dieser ersten Phase des Prozesses handelte der Protonotar in hospitio, wo auch ein Vergleich zustandekommen konnte. Darum verboten die Gesetze das Verfahren coram magistro, aber umsonst. Die Parteien bezahlten seine Mühe, wie bereits früher gesagt. Trotzdem gelangten die meisten Prozesse vor den richterlichen Rat. Die Protonotare waren für die Zusammenstellung der Reihe der Prozesse, der series verantwortlich. Die Zentralgerichte tagten jährlich viermal, beginnend mit dem achten Tage (octava) der Feste von Epiphanie, St. Georg, St. Jakob und St. Michael, jedesmal etwa sechzig bis achtzig Tage lang. Die Protonotare verfaßten je ein registrum der Rechtsstreite und verlasen die Liste mehrmals. Die Urkunden der Geldbuße der Abwesenden wurden am gleichen Tag der erscheinenden Partei übergeben (litterae iudiciales). Die darüber geführte Signatur bestimmte den Platz des Prozesses für allemal. Nach einer bestimmten Zahl der Ladungen rief der Protonotar die completio terminorum durch die Fenster, und es war Zeit für das Urteil.

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Die Teilnahme an der Urteilsfassung war die wichtigste Tätigkeit der Protonotare. Die zentralen Gerichte Ungarns bestanden in diesem Zeitalter aus drei Teilen: dem Großrichter (iudex ordinarius), einem Magnaten ohne Rechts-Kenntnisse; den adligen Beisitzern, auch rechtsunkundig; aus den praktisch geschulten Protonotaren. Natürlich trafen diese in Rechtsfragen die Entscheidung. Ihre Abwesenheit bewirkte eine Verschiebung des Prozesses. Sie schrieben die Urteilsbriefe und händigten sie den Parteien aus (extradata), mit ihrer eigenen Unterschrift und der Signaturzweier Kollegen. Natürlich genossen die Protonotare einen den Richtern gebührenden gesetzlichen Schutz. 4. Die Rolle der Juristen in der Ausbildung des Gewohnheitsrechts: Der Mangel einer einheimischen Universität, die handwerksmäßige Ausbildung der Juristen und ihre führende Rolle in der Gerichtsbarkeit bestimmten Art und Weise der Fortbildung des Gewohnheitsrechts. Das erste ungarische Rechtsbuch kam ziemlich spät; es war das Tripartitum des Istvcin Werböczy (1514). Eigentlich war es eine Zusammenfassung der Rechtssätze, die früher Generationen von Rechtskennern formuliert hatten.

MethodisCh sollten die ungarischen Rechtssätze aus einer großen Zahl von Urkunden zusammengeiaßt werden. Sie waren einerseits in den Arengen der Diplome, andererseits in den Begründungen der Urteile enthalten. Diese faßten die Juristen für praktische Zwecke in Formelbüchern zusammen. Sie wurden auf verschiedenen Wegen von Hand zu Hand weitergereicht. Das erste zu uns gelangte Formelbuch wurde kurz nach 1350 verfaßt und trägt den Namen Ars Notaria. Es enthält Formeln für verschiedene Behörden, für kirchliche und für weltliche. Nach der späteren Differenzierung gab es Formulare, die in der kirchlichen Gerichtsbarkeit gebräuchlich waren und von Kleriker zu Kleriker den Weg fanden; andere wurden in den weltlichen Gerichten üblich und kursierten in den Händen der Notare dieser Instanzen. Der Ursprung dieser Werke führt uns in die königliche Kurie, deren Protonotare und Notare die maßgebenden Urkunden sammelten und den Nachfolgern übergaben. Dann kamen diese Werke in die nur in Ungarn befindlichen sogenannten "glaubwürdigen Orte", in Kapitel und Konvente, die traditionell in der Urteilstindung und in der jurisdiction gracieuse die Aufgaben der öffentlichen Notare versahen. In der Kurie gab man den jüngeren Notaren auch Rechtsunterricht. Wie an den europäischen Universitäten, diktierte der magister den Text und fügte mündliche Erörterungen hinzu. Manche Spuren davon blieben auch im Text der Formelbücher, zum Beispiel in Hinweisen wie

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hic scribatu.r actio. Die Urkundentexte und die darin enthaltenen Rechtsprinzipien kamen damit aus der Kurie an die "glaubwürdigen Orte", in Komitats- und Stadtgerichte. Ein gutes Beispiel dafür ist das Formelbuch des öffentlichen Notars Jcinos Magyi, das von der Kurie an einen glaubwürdigen Ort und später nach Pest kam. So strahlte der Einfluß der königlichen Kurie auf das ganze Land aus. Das einfachste, was ein jeder Praktiker wissen mußte, waren einige Zahlen: Altersgrenzen, die Jahre der Verjährung und Werte der Schätzung. Alters- und Schätzungslisten sind nur aus dem 15. Jh. erhalten; die Anfänge waren aber gewiß früher. Im 13. Jh. spricht man von condigna aestimatio, einem ständigen Wert der Objekte, und ein undatiertes Gesetz (um 1300} zitiert schon den Tarif, der mit dem späteren identisch ist. Eine Schätzungsliste beginnt mit der steinernen Kirche, deren Wert von der Zahl der Türme abhängt und endet mit den Haustieren. Eine Adelshufe war 3 Mark wert, wobei man eine Mark für ungefähr ein halbes Kilo Silber nehmen soll; ein Ochse wurde auf 1 Mark geschätzt. Eine solche Liste wurde dem Dekret von Matthias im Jahre 1486 beigefügt; eine Variante davon ist im Tripartitum des Werboczy 1514 angegeben. Keine Einhelligkeit kennzeichnet diese Listen; dies kann aus Meinungsverschiedenheiten der einzelnen Richter stammen. Einheitlicher ist die Liste der Verjährungszeiten: Das königliche Recht dauerte 100 Jahre, das der Kirche 42, das der Adligen 32, das der Leibeigenen 16, das bürgerliche Recht ein Jahr und einen Tag. Das Tripartitum hat die kirchliche Verjährung auf die üblichen 40 Jahre herabgesetzt und die der Bürger mit derjenigen der Leibeigenen verwechselt. So sieht man, daß auch in diesem zahlenmäßigen Teil des Gewohnheitsrechts individuelle Ansichten zur Geltung kamen. Eines der Hauptprinzipien des Gewohnheitsrechts lautete: Unde cu.m iustitia communis nemini sit abneganda. Die herrschende Klasse war sich deren Existenz bewußt und bewahrte sie als ihre Freiheit. Die "glaubwürdgen Orte" betrachteten sich als Behüter der commu.nis iu.stitia. Sigismund rühmt die patria plena divitiis libertatu.m als ein Kennzeichen seiner Herrschaft. Zu Beginn des Jahres 1440 beanstandete Istvcin Rozgonyi, Gespan von Pozsony und der Zips, ein summarisches Urteil gegen Königin Elisabeth. Seines Erachtens ist es eine Regel der lex et consuetu.do regni, daß vor dem Urteilsspruch die eidliche Äußerung des betreffenden Komitats zu erfragen und die Entscheidung demgemäß zu treffen sei. Die Rechtssätze sind am Ende des Mittelalters in kleineren Traktaten zusammengefaßt. Das erste derartige Werk ist die schon erwähnte

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Ars Notaria. Mit einer Einleitung wie Notandum est oder Et est sciendum gibt sie dem Notar grammatische oder rechtliche Ratschläge. Abgesehen vom kanonischen Recht ist der Umfang und Wert derselben jedoch gering, nur ausnahmsweise, z. B. im Zusammenhang mit der Urkunde der Bestellung des Prokuratoren, sind sie umfangreicher. Das Traktat ist wertvoller als die erste Systematisierung des Materials. Es folgt ein Bruchstück über die Fälle des Eides und des Zweikampfes, dessen Regeln mit dem vom Amte Werböczys stammenden Formelbuch übereinstimmen. Es kann ein Teil eines längeren prozeßrechtlichen Traktats sein. Das folgende Werk, das Formelbuch von Somogyvcir, stammt aus der königlichen Kurie und wurde im Konvent von Somogyvär fortgesetzt. Zeitlich kann man das Werk in die Regierungszeit von König Mattbias einreihen. Charakteristisch ist der Mangel jeder literarischen Ambition: Die Notare geben praktische Ratschläge, damit die Nachfolger keine Fehler im Prozeß machen und ihre Auftraggeber bestmöglich bedienen. Solche brocarde waren bereits in der frühen Jagellonenzeit notwendiger Bestandteil eines jeden Formelbuches, wie das aus dem Amte von Werböczy stammende und ähnliche. Dasselbe Formelbuch enthält 21 Regeln unter dem Titel: "Fragmenta Iuris". Deren Mehrheit ist wieder prozessual; eine Institution, die prodamatio, wurde 1486 abgeschafft; deshalb müssen die Regeln etwas älter sein, als es scheint. Der sogenannte llosvay-Kodex enthält ebenfalls zwei derartige Werke; eines davon hat den Titel: "Notabilia circa processum iuris in curia regie, maiestatis"; das andere heißt: "Quedam decisiones, tabulae tempore Wladislai, regis in curia regie maiestatis iudicialiter, per sententiam, facte". Der erste Traktat ist vorwiegend prozessual, hat kein System und enthält eine Dezision vom Jahre 1524, ist aber seinem Wesen nach früher als diese, was durch Analogien des Somogyvärer Formelbuches nachweisbar ist. Der zweite widerspricht schon zu Anfang seinem Titel, indem er den Artikel 29 von 1518 zitiert. Die Mehrheit der Regeln ist wieder prozessual und hat manche Analogien mit dem sogenannten Kollär-Kodex. Zusammenfassend sieht man die Spuren eines prozessualen Traktats, welcher an mehreren Stellen durch verschiedene Regeln ergänzt wurde, die oft älteren Datums sind als das Werk selbst. Diese ungarischen Traktate aus dem frühen 16. Jh. zitieren das Tripartitum selbst und die Gesetze (decreta), aber nicht als autoritative Äußerungen, sondern als notabilia, zum Gedenken an würdige Prinzipien, wie diejenigen, welche in Arengen oder Begründungen enthalten sind. Dies zeigt ein niedriges Niveau der Kenntnisse des Gewohnheits-

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rechtes. Eine "Verwissenschaftlichung" konnte nur durch Romanisierung eintreten. Waren die Juristen dazu fähig, diese durchzuführen? 5. Die Romanisierung des ungarischen Rechts: Die praktische Ausbildung der Juristen in Ungarn und das Fehlen einer Universität beschränkten auch die Rolle des römischen Rechts. Wie ich an anderer Stelle zeigte (IRMAE V, 10), genoß das Zivilrecht zwar großes Ansehen, aber keine Geltung im mittelalterlichen Ungarn. Der Einfluß der Doktoren war am Ende des 13. Jhs. am stärksten, als manche römischrechtlichen Prinzipien in die Urkunden Eingang fanden. Später zeigte das Tripartitum manchen Einfluß, besonders in den Regeln der Vormundschaft, aber auch in theoretischen Teilen des Vorworts. Von Tomaschek wurde die These vertreten, daß die Quelle des Tripartitums die rätselhafte "Summa Legum Raymundi Parthenopei" sei. Nach Tomaschek war ein in Bologna geschulter Wienerneustädter Stadtnotar der Verfasser der Summa. Werböczy "schöpft neben dem ungarischen Privilegien- und Gewohnheitsrechte zu einem großen Theile seinen eigentlich juristischen Stoff aus dieser Rechtsquelle, der er auch die Eintheilung in drei Bücher entlehnt zu haben scheint". Er hatte nicht bemerkt, daß die Summa identisch ist mit dem Rechtsbuch, das 1506 in Krakau gedruckt wurde, als Anhang des "Commune inclyti, Poloniae regni privilegium". Die Identität wurde 1898 von E. Seckel nachgewiesen. Der ungarische Rechtshistoriker B6dog Schiller hat Tomascheks These gründlich geprüft. Seiner Meinung nach stammen die römischen und kanonischen Sätze aus dem "Corpus Juris Civilis" und "Corpus Juris Canonici" selbst. Nur 35 Zeilen entstammen der "Summa legum". Neuerdings wurde der Einfluß der Summa in Polen und in den jetzt slowakischen Städten des historischen Ungarn mit Nachdruck hervorgehoben. So konnte Werböczy nebst dem Druck auch manche Handschriften verwenden. Einige Stellen beweisen, daß er die polnische Ausgabe benützt hat. Auch politisch war er dazu geneigt. Als Praktiker fügte er manche Stellen der früheren Traktate souverän ein; doch als Theoretiker wandte er die Mosaiktechnik an. Ein noch größerer Beweis für die Romanisierung ist das in Esztergom (Gran) aufbewahrte "Formularium Posoniense", das Urkunden des Pressburger Kapitels und hinzugefügte Anmerkungen enthält. Die Urkunden stammen aus dem ehemaligen Komitat Pozsony und aus den Jahren 1504 bis 1525. Die Arbeit nennt sich formularium und erkennt ihren Zweck im Unterricht der pueri. Diese wurden aber bereits zum Schreiben von lateinischen Texten herangezogen; sie waren junge Studenten der ars notaria, die schon in ihrem Beruf arbeiteten, novicii

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notarii seu scribe. Urkunden eines Grundstückskaufes im Komitat Pozsony wurden später zu Lehrzwecken bearbeitet. Die Einleitung ist rein römisch-rechtlich, die folgenden Varianten stammen aber aus dem Tripartitum, sie folgen den verschiedenen Arten des Verkaufs: Tationalibis und necessaria. Die Muster dieses Lehrbuchs für die Romanisierung des Rechts sind auch bezeichnend: die "Aurora" des Rolandinus Passagerii, ein Spätwerk aus dem 13. Jh., und das "Tripartitum" von Werböczy. Die Methode, Recht durch Urkunden zu lehren, ist uralt und nicht nur Eigenschaft des Rolandinus, wurde aber hier aus diesem übernommen; das Tripartitum ist aber wortwörtlich übernommen. Insgesamt 32 Titel, mehr als ein Viertel des adligen Privatrechts, stammen von dort. Der Verfasser ist wahrscheinlich der Pressburger Kanoniker und spätere Veszpremer Propst Imre Pap6czi, der auch die Aufgaben eines Anwalts, später des Vikars versah, welche Ämter auch Rechtskenntnisse voraussetzten. Die Arbeitsweise des Verfassers zeigt die Art der Romanisierung des ungarischen Gewohnheitsrechts. Während die großen Gesetzbücher des römischen Rechts nur auszugsweise benutzt wurden, zog hiermit das Tripartitum wortwörtlich ein und trug schließlich den Sieg davon. Das Vermächtnis des mittelalterlichen Juristen bestimmte die Hauptzüge des ungarischen Rechts für Jahrhunderte.

Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273- 1493) Von Peter Moraw

I. Am Anfang der Erörterung unseres bisher unbehandelt gebliebenen Themas1 erscheint die kurzgefaßte Formulierung einiger Definitionen und Abgrenzungen (A) und einiger Rahmenbedingungen (B) als nützlich. A. 1. Als gelehrte Juristen bezeichnen wir diejenigen Königsdiener, bei denen wir (in der Regel anhand eines Studien- oder Graduierungsbelegs1a) eine juristische Universitätsqualifikation erkennen können, und 1 Zur Einführung allgemein: W. Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutsdlland, Wiesbaden 1962; E. Genzmer, Kleriker als Berufsjuristen im späten Mittelalter, in: Etudes d'histoire du droit canonique dediees ä Gabriel Le Bras, 2, Paris 1965, S. 1207- 1236; C. Lefebvre, Juges et savants en Europe (13e- 16e s.), Ephemerides iuris canonici 22 (1966), S. 76- 202; 23 (1967), S. 9 61; F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, bes. S. 97 ff.; H. Lieberich, Gelehrte Räte, HRG I (1971), Sp. 1474- 1477; G. Buchda, Gelehrte Richter, ebd., Sp. 1477 -1481; W. J. Bouwsma, Lawyers and Early Modern Culture, AHR 78 (1973), S. 303- 327; N . Horn, Soziale Stellung und Funktion der Berufsjuristen in der Frühzeit der europäischen Rechtswissenschaft, in: Rechtsgeschichte. Hrsg. v. G. DUcher u. N. Horn, München 1978, S. 125-144 ( = Sozialwissenschaften im Studium des Rechts IV). Territorien z. B.: H. Lieberich, Die gelehrten Räte, ZBLG 27 (1964), S. 120 -189; A. Uyttebrouck, Le gouvernement de duche de Brabant au moyen äge (1355- 1430), Bruxelles 1975, bes. S. 306 ff.; W. Stelzer, Osterreichische Kanonisten des 13. Jahrhunderts, Osterr. Archiv f. Kirchenrecht 30 (1979), S. 57-81. Nadlbarländer z. B.: J. Gillissen, Les legistes en Flandre aux XIIIe et XIVe siecles, Bulletin de la Commission royale des anciens lois et ordonnances de Belgique 15 (1947), S. 119- 231; J. Bartier, Legistes et gens de ftnance au XVe siecle. Les conseillers des ducs de Bourgogne Philippe le Bon et Charles le Temeraire, Bruxelles 1955; F. J. Pegues, The Lawyers of the Last Capetians, Princeton 1962; J. FavieT, Les Iegistes et le gouvernement de Philippe le Bel, Journal des Savants, 1969, S. 92 - 108. Literatur zur politischen und Verfassungsgeschichte des Reiches kann nur in seltenen Ausnahmefällen zitiert werden. - Meinen Schülern Dr. P.-J. Heinig (Mainz) und Dr. R. C. Schwinges (Gießen) bin ich für freundliche Hinweise zu Dank verpflichtet. ta Es gibt hier Schwankungen im einzelnen; so hat sich z. B. herausgestellt, daß normalerweise im 14. Jh. auch die Qualifizierung als "iuris peritus" und öfter im späteren 15. Jh. als "meister" im Sinne gelehrter Jurisprudenz gewertet werden kann.

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zwar unabhängig davon, ob sie beim König/Kaiser als Räte, "secretarii", Kanzlei-, Gerichts- oder Fiskal-"Beamte" (bis 1410 auch als Kapellane) betitelt wurden oder nichttituliert in einem der Funktion dieser "Beamten" entsprechenden Arbeitsbereich auftraten. Beim Herrscher waren neben den gelehrten Juristen - abgesehen von den durch Adel, K:irchenrang, Wirtschaftswissen, Theologie2 , Medizin28 und durch Humanistenstolz Legitimierten - in der Regel auch hier nicht behandelte RechtspraktikerS tätig, die ohne jene gelehrte Vorbildung in höheren, gleichrangigen oder geringeren Positionen in oft vergleichbarer Weise wirkten; auch das Verhältnis beider Gruppen zueinander und Übergänge zwischen beiden Gruppen bleiben unerörtert. Das Abwägen des Verfassungsranges aller dieser Personenkreise im Hinblick auf die zentrale Gewalt ist eine Aufgabe der Zukunft. 2. Räumlich und sachlich beschränken wir uns auf dcie Aktivität des Königs im Reichsgebiet nördlich der Alpen. Für die zeitliche Abgrenzung sind Beginn bzw. Ende der Regierungszeiten König Rudolfs I . (1273) und Kaiser Friedrichs III. (1493) maßgebend; die Anfänge Maximilians I. vor 1493 werden nicht berücksichtigt. Es wird nicht behauptet, daß unsere Grenzjahre auch thematisch zweckmäßige Einschnitte darstellen; diese sind schon deshalb vorerst nicht leicht erkennbar, weil unser Thema auch für die Nachbarperioden unbearbeitet ist. Bekanntlich reicht prinzipiell der Kontakt des Königtums/Kaisertums mit dem im Hochmittelalter erneuerten gelehrten Recht wenigstens im H inblick auf Italien kaum weniger weit zurück als diese Erneuerung selbst; das Handeln Friedrich Barbarossas ist ein Höhepunkt mit einer längeren Vorgeschichte4 • 2 Zu den Theologen z. B. R . Bäumer, Konrad von Soest und seine Konzilsappellation 1409 in Pisa, Westfalen 48 (1970), S. 26- 37; A . Bauch, Philipp von Rathsamhausen Bischof von Eichstätt, in: Fränkische Lebensbilder 7, NeustadtfAlsch 1977, S. 1-11, oder P. Moraw, Rat und Beamtenturn König Ruprechts, ZGO 116 (1968), S. 59 - 126 bes. 112 ff. 2 a z. B. H. Kühnel, Die Leibärzte der Habsburger bis zum Tode Kaiser Friedrichs III., Mitt. d. österr. Staatsarchivs 11 (1958), S. 1- 36. 3 Dieser Begriff scheint treffender zu sein als die älteren Termini "Halbgelehrter" oder gar "juristischer Proletarier"; ihn verwendet auch G. B6nis, Die praktische Juristenausbildung im mittelalterlichen Ungarn, in: Die juristische Ausbildung in der Slowakei und Ungarn bis zum Jahre 1848, Bratislava 1968, S. 55 - 64 (Acta facultatis iuridicae universitatis Cominianae). Wenigstens im späteren 14. und im 15. Jh. wiesen solche Männer häufig eine artistische Universitätsbildung und eine praktische Lehrzeit in ihrer späteren ,.Behörde" oder in ähnlicher Art auf. Sie steht der Schreiber-Bildung und der Ausbildung eines Teils der Öffentlichen Notare nahe. Vgl. auch K. H. Burmeister, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich, Wiesbaden 1974, S. 16 f. und ders., Anfänge und Entwicklung des öffentlichen Notariats bis zur Reichsnotariatsordnung von 1512, in: Festschrift fü r F. Elsener, Sigmaringen 1977, S. 77- 90. 4 Vgl. z. B. H. Appelt, Friedrich Barbarossa und das römische Recht, RHM 5 (1961162), S. 18 - 34; H. Zimmermann, Römische und kanonische Rechtskennt-

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3. Es handelt sich um die Verfassungs- und sozialgeschichtliche Arbeit eines Historikers, nicht um eine spezifische rechtsgeschichtliche Analyse eines Juristen. Es wird daher wenig eingegangen auf die auch längere Zeit noch nicht leicht erkennbaren Inhalte der gelehrten Juristentätigkeit, also auch nicht unmittelbar auf die Frage nach der Rezeption des Römischen Rechts oder nach der Verwissenschaftlichung des Rechtswesens in einem engeren Sinn5 • Ebensowenig behandeln wir das Problem der Mentalität und Selbstbeurteilung der gelehrten Juristen6 • Die teilweise neuartige Situation der humanistischen Jurisprudenz7 wird ebenfalls nicht mehr erörtert, weil die hier gewählte zeitliche Abgrenzung dafür als unzweckmäßig erscheint.

B. 1. Der Wandel der Reichsverfassung (diese in einem sehr weiten Sinne verstanden) und mit jenen Wandlungen der Kohärenz des Reichsverbandes unterwarfen vom 13. bis zum 15. Jh. die Stellung des Königtums im Reich, die Beschaffenheit des auf das Reichsganze bezogenen politischen Lebens und mit diesen beiden auch Aufgaben und Rolle der gelehrten Juristen im Königsdienst beträchtlichen Veränderungen. Die Niederlage der Staufer gegenüber dem Papsttum mit ihren schwerwiegenden innenpolitischen Folgen, aber auch andere ältere Entwicklungen hinterließen zunächst für ungefähr ein Jahrhundert ein Zeitalter der "Offenen Verfassung"; das heißt, es überwog u. a. bei weitem ein Nebeneinander von vielen auf sich selbst bezogenen Einzelgewalten, das für übergreifende Zwecke nur wenig Energien übrigließ. Die zunächst

nis im frühen Mittelalter, in: La scuola nell'occidente latino dell'alto medioevo, I, Spoleto 1972, S. 767 - 799, bes. 778 ff. (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull' alto medioevo XIX); J. Fried, Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert, Köln- Wien 1974, bes. S. 46 ff.; N. Horn, Bologneser Doctores und Iudices im 12. Jahrhundert und die Rezeption der studierten Berufsjuristen, ZHF 3 (1976), S. 221- 232; K. F. WerneT. L'empire carolingien et le Saint-Empire, in: Le Concept d'Empire, p. p. M. Duverger, Paris 1980, S. 151 - 202, bes. 160 ff.; aus D. Hägermann, Studien zum Urkundenwesen König Heinrich Raspes (1246/47), DA 36 (1980), S. 487 548 (mit d. älteren Lil zum Interregnum) geht hervor, daß dieses Zeitalter kaum Material bietet. s Vgl. die Beiträge in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter, hrsg. v. H. Coing, München 1972; deTs., Die Rezeption des römischen Rechts, in: Melanges Roger Aubenas, Montpellier 1974, S. 169-179. 8 Vgl. den Vortrag von H. Boockmann, Die gelehrten Räte, auf dem Würzburger Historikertag 1980, der mir dank der Freundlichkeit des Verfassers im Manuskript vorlag, oder auch D. R. Keltey, Clio and the Lawyers, Mediaevalia et Humanistica n. s. 5 (1974), S. 25- 49 und Burmeister, Studium, S. 13 f . 7 Vgl. z. B. H. Hübner, Jurisprudenz als Wissenschaft im Zeitalter des Humanismus, in: Festsdlr. f. R. Larenz, Mündlen 1973, S. 41 - 62; BuTmeisteT, Studium, S. 7 ff., und G. Köbler, Juristenausbildung, HRG II (1978), Sp. 484 488.

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nicht erfolglose Erneuerung der zentralen Gewalt durch Kaiser Karl IV. und die dadurch herbeigeführte Vermehrung monistischen königsbezogenen Handeins blieben ohne Dauer; vielmehr vollzog sich im 15. Jh. die für die Zukunft entscheidende Verdichtung der Reichsverfassung auf andere Weise: Der Druck innerer und äußerer Feinde (Hussiten, Türken, Burgunder, Franzosen), eine im Vergleich zum 14. Jh. neuartige und sehr gefährliche Herausforderung, brachte eine mühselige, aber endlich wirksame Mehrung zentralen Handeins im Reich mit sich, die zugleich auch auf breiten, vor allem sozialgeschichtlich greifbaren "Modernisierungs"vorgängen aufruhte. Dieses Handeln wurde damals freilich endgültig dualistisch: Neben den König trat der Reichstag8 • 2. Das Königtum des späten Mittelalters war im Gegensatz zu den Nachbarmonarchien und zu den Territorien des Reiches eine Wahlherrschaft, die zunächst generationenlang im Interesse der führenden Kurfürsten geplantem Dynastienwechsel unterlag. Erst vom ausgehenden 15. Jh. an war die Übermacht der endlich glücklichsten Großdynastie, der Habsburger, so deutlich, daß man in der Praxis einem Erbkönigtum wieder näher kam. Häufiger Dynastienwechsel brachte noch häufigeren Wechsel der räumlichen Zentren und räumlichen Bezugssysteme im Reich mit sich und immer wieder auch, wenigstens teilweise, den Wechsel der sozialen Bezugssysteme des zentralen Handelns. Es gab jedoch königsnahe soziale Gebilde, die gegenüber dem Dynastienwechsel im hohen Maße widerstandsfähig blieben. Gleichwohl litten - verwaltungsgeschichtlich betrachtet - die Institutionen der Zentralgewalt außerordentlich darunter, daß auf die Dauer kein fester Mittelpunkt ausgebildet wurde. 3. Die Arbeit der gelehrten Juristen im Königsdienst ist unter diesen Umständen zunächst dadurch gekennzeichnet, daß das Königtum über seine Hausmachtterritorien (Erbländer) hinaus eine dauerhafte und effektive Lokalverwaltung für das Gesamtreich nicht aufzubauen vermochte. Infolgedessen waren die Aufgaben, Mittel und Möglichkeiten des Herrschers und seiner Diener je nach dem Gegenüber von sehr unterschiedlicher Art: a) Man beobachtet immer intensiver werdende Verwaltung und Rechtsprechung (in der Art aller großen Landesherrn) in den Hausmachtterritorien; b) man erkennt eher "Politik" und eher 8 Vgl. P. Moraw, Versuch über die Entstehung des Reichstags, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im alten Reich, hrsg. v. H. Weber, Wiesbaden 1980, S. 1 - 36, wo aum andere Arbeiten des Vfs. angeführt sind, die sich auf die Verfassungsgeschichte des Reimes in der hier interessierenden Periode beziehen, und ders., Krisen und Wandlungen im späten Mittelalter, in: Ploetz Deutsche Geschichte, hrsg. v. W. Conze u. V. Hentschel, Freiburg 1979, S. 101 - 111. Verwiesen sei auch auf den kommenden Beitrag des Vfs. im Handbuch: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1982, der die Verwaltung des Königtums und des Reimes etwa von 1350 bis 1500 behandelt.

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punktuelle Rechtspflege bei recht beschränktem Staatszweck gegenüber weiten von starken Landesherren beherrschten Teilen des Reiches; c) man stellt ein zwischen beiden erstgenannten Formen stehendes Handeln in den könignahen und in den von der Hausmacht her hegemonial bestimmten Reichslandschaften fest; d) es bestand ferner nach wie vor, insbesondere von 1346 an, eine besondere, auch für unser Thema wichtige Verbindung des Königs zu den Spitzen der Kirche (Papst, Kardinäle, Konzilien); e) es gab endlich weiterhin Elemente einer "internationalen" oder "übernationalen" Stellung des Königs, vor allem insofern, als er als einziger Herr seines Ranges nicht nur keinen Kaiser zu respektieren genötigt war, sondern selbst immer wieder diese zumal in Nordund Nordosteuropa nach wie vor beachtete Rolle einzunehmen vermochte. 4. Bis zum Ende unseres.Zeitraums waren die gelehrten Juristen des Königs, der Landesherren und der Städte mit nicht sehr vielen Ausnahmen Kleriker welchen Weihegrades auch immer; d. h. sie gehörten (am häufigsten wohl mit voller Überzeugung) dem Normen- und Pfründengebäude der Papstkirche an, welches als ein wesentliches soziales Bezugssystem unseres Kreises stets mitzubedenken ist. Hier behaupteten sie - zusammen mit den Universitätslehrern - nicht ohne Erfolg eine Sonderstellung, wie die Konzilien und Konkordate des 15. Jhs. zeigen. Zusammen mit den Universitätslehrern hatten sie auch Anteil an einem weiteren System, an der "Wissenschafts"- und "berufs"-bezogenen Hierarchie der anerkannten Fachleute. Es wird sich die Frage erheben, ob sie als führende Teilnehmer eines immer komplizierter werdenden politischen Spiels schon gleichsam von der "Politik als Beruf" zu leben vermochten. 5. Als Ausbildungsstätten für gelehrte Juristen bestanden bis zur Mitte des 14. Jhs. allein auswärtige Universitäten in Italien und Frankreich. Aber auch nachdem Hohe Schulen im Reich errichtet worden waren (von Prag 1348 bis Mainz und Tübingen 1477), blieb das auswärtige Studium als sozialer Ausweis und häufig wohl auch als Qualitätsausweis deutlich überlegen. Mindestens während der ersten drei oder vier Generationen deutscher Universitätsgeschichte besaß dabei die Kanonistik ein beträchtliches Übergewicht, das erst im Laufe des 15. Jhs. zugunsten der Legistik abgebaut wurde. Beide, Kanonisten und Legisten, sind für unser Thema gelehrte Juristen; weder auf Grund der Ausbildung noch der Tätigkeit ist eine Trennung gerechtfertigt.

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II. Für die Periodisierung unseres Zeitraums bietet sich aus sachlichen Gründen eine Dreiteilung in etwa gleichlange Zeitabschnitte an. Von Rudolf von Habsburg bis zu Ludwig dem Bayern (1273 -1347) blieb die Zahl der Rechtsgelehrten des Königtums klein (unten A). Es folgen als Höhe des deutschen Spätmittelalters die Periode Karls IV. mit dem Nachklang unter Wenzel und das Gegenkönigtum Ruprechts (1346-1410/ 1419) mit dem Beginn der deutschen Universitätsgeschichte und mit einer ansehnlichen quantitativen und qualitativen Ausweitung der gelehrten Jurisprudenz, die freilich immer noch fast allein "Regierungswissenschaft" war und der Gerichtsbarkeit fernstand (unten B). Es schließen sich an das Krisen- und KonZ'ilszeitalter Sigismunds und Albrechts 11. mit einer bedeutsamen Sonderentwicklung unserer Thematik und zuletzt die keineswegs nur äußerlich- chronologisch zur Neuzeit hinüberführende Regierungszeit Friedrichs III.' (1410- 1493) (unten C), in welcher gelehrte Juristen des Königs schon als "politische Gruppe" im engeren Sinne oder als Teil einer solchen Gruppe in einem weiteren Sinne aufgefaßt werden können und sich dieser Berufsstand im Umkreis der Herrschers abermals beträchlich vermehrte. A. (1273- 1347)

Es wird kaum überraschen, daß relative Dürftigkeit der Überlieferung und sachliche und terminologische Unklarheiten die Untersuchung am Anfang unseres Zeitraums stärker beeinträchtigen als später. Nicht lange vor dem Ende des Zeitalters König Rudolfs setzen als erste wirklich ergiebige Quelle zur Universitätsgeschichte die Akten der Deutschen Nation von Bologna ein (1289); Paris wird mit dem Prokuratorenbuch der Englisch-Deutschen Nation erst kurz vor dem Ende des Zeitabschnitts folgen (1333) 10• Welchen Wert der von Kanzleibeamten recht exakt bis zum Ende dieser Periode gern geführte Magistertitel als Nach8 Während die prosopagraphischen Materialien des Vfs. bis 1439 ein angemessen hohes Maß an Vollständigkeit aufweisen dürften, ist die Quellensituation von 1440 an wegen des fortan stark wachsenden Anteils des nur gelegentlich benützten ungedruckten Materials so beschaffen, daß mit beachtlichen Lücken gerechnet werden sollte. Die gedruckten Quellen sind allerdings möglichst vollständig herangezogen worden. Es kann zu fast jeder Person verständlicherweise fast regelmäßig nur ein kleiner Teil der uns bekannten Einzelnachweise geboten werden. Intensiv ins Detail zu gehen (wie z. B. W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, Graz 1967), ist hier schon aus Raumgründen unmöglich. 10 Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, edd. E. Friedländer I C. Malagola, Berlin 1887; vgl. G. C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1289- 1562), Berlin 1899; Liber procuratorum nationis Anglicanae (Alemanniae) in universitate Parisiensi, t. 1, edd. H. Denijle I Ae. Chatelain, Paris 1894.

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weis eines Universitäts- oder gar Rechtsstudiums besitzt, ist auf breiter Basis noch nicht untersucht11 • Man wird gut daran tun, sich selbst auf die Gefahr einer Verengung des Kreises unserer Gewährsleute sehr vorsichtig zu verhalten, so daß uns in diesem Zeitabschnitt eine derartige Bezeichnung für sich allein genommen als Beleg nicht genügt. 1. Unter solchen Voraussetzungen lassen sich unter den Helfern Rudolfs von Habsburg (1273 - 1291), der selbst wohl Analphabet war und eher

für die Pflege der deutschen als der lateinischen Urkundensprache eintratl2, nur wenige Juristen auffinden, allerdings schon von Anfang an. Der erste Zeuge unserer Thematik ist der von 1273 bis 1275 im Amt des Protonotars der Hofkanzlei nachweisbare Doktor des Kirchenrechts und Deutschordensbruder Heinrich (t 1289 als Bischof von Trient) 13, über dessen Amtstätigkeit und soziale Stellung nichts Näheres bekannt ist. Den gleichen wissenschaftlichen Grad führte auf Grund eines Studiums in Bologna sein Amtsnachfolger Heinrich von Klingenberg (als Protanotar bezeugt 1279- 1291, als Vizekanzler 1283 -1290) aus einer Thurgauer, bald bischöflich Konstanzer Ministerialenfamilie (t 1306 als Bischof von Konstanz)14 • Bei den Kanzlern Rudolfs ist eine juristische Ausbildung nicht nachweisbar und im Lichte späterer Erfahrungen auch nicht zu postulieren - bei spätmittelalterlichen Amtsträgern dieses Ranges handelte es sich häufig um "politisch" in ihre Position gelangte Personen. Aus dem Kreis der Notare der Kanzlei hat offenbar allein Konrad von Herbringen aus Schaffhausener Stadtadel - ohne Graduierung - in Bologna geweilt16• Unter den königlichen Räten erscheint nur Magister 11 Vgl. z. B. H. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. I, 2. Aufl., Leipzig 1912, S. 549 Anm. 2, und R. M. Herlcenrath, Studien zum Magistertitel in der frühen Stauferzeit, MIÖG 87 (1979),

s. 3-35.

1! A. Lhotsky, Umriß einer Geschichte der Wissenschaftspflege im alten Niederösterreich, Wien 1964, S. 38 f. 13 J. F. Böhmer, Regesta Imperii (fortan RI) VI, 1: Rudolf von Habsburg. Neubearb. u. erg. v. 0. Redlich, Innsbruck 1898, S. 12 f.; ders., Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903, S. 733 ff., bes. 807. Vgl. außer Bresslau: S. Herzberg-Fränkel, Geschichte der deutschen Reichskanzlei 1246 - 1308, MIÖG Erg.-Bd. 1 (1885), S. 254-297. (Bis 1354 gab es immer nur einen Protonotar in der Hofkanzlei). 14 ADB 11, S. 511; W. MüHer, LThK 52, Sp. 193 f.; Rl VI, 2. Neubearb. v. V. Samanek. Innsbruck 1948, Nr. 35; MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (fortan Const.) 111, ed. J. Schwalm, Hannover 1904/06, S. 670; A. Cartellieri, Heinrich von Klingenberg, Propst von Aachen 12911293, Zs. d. Aachener Geschichtsvereins 17 (1895), S. 74- 88; S. StellingMichaud, L'universite de Bologne et la penetration des droits romain et canonique en Suisse aux XIII et XIVe siecles, Geneve 1955, S. 306; ders., Les juristes suisses a Bologne (1255- 1330), ebd. 1960, S. 313; R. Sablonier, Adel im Wandel, Göttingen 1979, S. 116. 15 RI VI, 1 S. 13; Stelling-Mi chaud, Universite, S. 304; ders., Juristes, s. 98f.

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Lupold von Wilting (bei Cham Opf.), Würzburger Domherr, in chroni-

kalischer, jedoch glaubwürdiger Überlieferung als juristisch ausgebildet ("dominus legum")16 ; im übrigen können schon damals, wenn ein Rückschluß aus etwas späterer Zeit erlaubt ist, auch die Protonotare (und erst recht die Kanzler) als ratsgleich gelten. Zwei Kapellane Rudolfs, Peter Reich11 (t 1296) aus Stadtbasler Adel und Johann von Wildegg18 (t 1301) aus habsburgischer Ministerialenfamilie, bei denen beiden man Gesandtschaften und damit möglicherweise ein Element einer "Beamten"tätigkeit nachweisen kann, haben sich ohne Graduierung in Bologna aufgehalten. Der Name eines als Familiar angenommenen doctor legum, sehr wahrscheinlich eines Italieners, ist leider nicht bekannt19 • Diese recht verschiedenartigen Tatbestände lassen sich in der Feststellung zusammenfassen, daß ungeachtet der vorwiegend schwäbischen, dem Herkunftsland des neuen Königs entsprechenden "Färbung" des gelehrten Juristenkreises innerhalb von diesem fast alle Typen und Elemente auftreten, die noch generationenlang im Umkreis des Königtums zu beobachten sind. Dies wird im folgenden klarer erkennbar werden. Eine spezifisch gelehrt-juristische Kontinuität zu den Interregnumskönigen ist- so weit wir sehen- nicht nachweisbar, anders als in der Hofkanzlei insgesamt und damit wohl auch anders als im Kreis der Rechtspraktiker; der Italienbezug weist offenbar zu den Staufern zurück. 2. Der wesentlich kürzeren Regierungszeit König Adolfs von Nassau (1292 - 1298) und seinen recht beschränkten Machtmitteln entspricht nicht nur eine extrem geringe Zahl nachweisbarer gelehrter Juristen; man muß im Gegensatz zum Vorgänger sogar den niemals mehr wiederkehrenden Tatbestand annehmen, daß entsprechender Rat am Königshof nicht ununterbrochen zur Verfügung stand20• Kanonistisch ausgebildet war der uns schon bekannte Heinrich von Klingenberg (als Adolfs Rat bezeugt 1292)21 • Etwas unklar ist die Situation beim Notar, Rat und secretarius Magister Wilhelm von Schaf(f)hausen, der vielleicht in Bologna studiert hat22. 18 Johannis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum. Ed. F. Schneider, t. II, Hannover 1910, S. 10, 31 (MGH SS rer. Germ. i. us. schal.); RI VI, 1 Nr. 2066, 2093. 17 SteUing-Michaud, Universite, S. 172; ders., Juristes, S. 138 ff. 18 SteZUng-Michaud, Universite, S. 318; ders., Juristes, S. 166 f. 1u Const. III, S. 296 Nr. 295.

20 Die gegenteilige positive Feststellung kann angesichts der Quellenlage in unserem ganzen Zeitraum verständlicherweise nur cum grano salis gelten, weil über konkrete Dienstzeiten im einzelnen nichts Sicheres bekannt ist. 21 RI VI, 2 Nr. 156; Const. III, S. 486 f. Nr. 505. u Const. III Nr. 505; RI VI, 2 Nr. 388; Stelling:-Michaud, Universite, S. 201. Die geographische Herkunft ist unsicher. Möglicherweise war der Protonotar,

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3. König Albrecht I. von Habsburg (1298 - 1308) setzte die Juristentradition seines Vaters Rudolf für sein Jahrzehnt lückenlos fort. Kanonisten mit Universitätsbildung waren zwei seiner drei Kanzler, nämlich der uns schon bekannte Heinrich von Klingenberg23, jetzt auch Bischof von Konstanz (im Amt 1298, später Albrechts secretarius), und dessen vormaliger Protonotar Johann von Zürich, ein Priestersohn und "magnus clericus in canonico iure" wohl nach Aufenthalt in Bologna (im Amt 1303 -1308, Protonotar seit 1298, t 1328 als Bischof von Straßburg)24• Lupold von Wilting hat offenbar bei Albrecht ("suorum secretorum auricularius") eine noch bedeutendere Rolle gespielt als unter Rudolf25. In Bologna studierten der wohl verheiratete königliche secretarius Hermann von Landenberg aus St. Galler Ministerialenfamilie (t 1306) und der königliche Kleriker und Familiar J ohann Botten von Trier (t 1351), Sohn eines Trierer Bürgers und einer Schwester des Mainzer Erzbischofs Peter von Aspelt, zuletzt Stiftspropst in Aschaffenburg26• 4. Eine erste bemerkenswerte Neuentwicklung, die einen sich zaghaft ausbildenden Zusammenhang radikal zu zerreißen schien, dann aber wegen ihrer geringen Dauer doch nicht unmittelbar nachwirkte, brachte die Regierungszeit Heinrichs VII. (1308 -1313) mit sich, der als Glied des Hauses Luxemburg ein ganz neues Personalreservoir und neue Amtstraditionen aus dem äußersten, gutenteils romanischen Westen des Reiches zur Geltung brachte, Zum zweiten stand er auf dem ersten Italienzug seit der Stauferzeit ganz neuen Aufgaben gegenüber. Es ist bezeichnend, daß sich die letztgenannten Anstöße am wenigsten in der Hofkanzlei auswirkten, in welcher gemäß der hergebrachten Übung die beiden Protonotare gelehrte Juristen - aus dem neuen Rekrutiebald Kanzler, Magister Ebernand (im Amt 1293 - 1295), Stiftsschotaster in Aschaffenburg und Vertrauensmann des Königmachers Erzbischofs Gerhard von Mainz, vielleicht aus einer Frankfurter Großbürgerfamilie stammend, gelehrter Jurist (RI VI, 2 S. X, 409; V. Samanek, Studien zur Geschichte König Adolfs, SB Wien, phil.-hist. Kl. 207, 2 (1930), S. 21; ders., Neue Beiträge zu den Regesten König Adolfs, ebd. 214, 2 (1932), S. 5- 27; H. F. Friederichs, Herkunft und ständische Zuordnung des Patriziats der wetterauischen Reichsstädte bis zum Ende des Staufertums, Hess. Jb. f. Landesgesch. 9 (1959), S. 37 - 75, bes. 52 f.). 23 Regesten der Grafen von Katzeneinbogen 1060 -1486, bearb. v . K . E. Demandt, Bd. 1, Wiesbaden 1953, Nr. 399, vgl. oben Anm. 14 u . 21; A. Hessel, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter König Albrecht I. von Habsburg, München 1931, S. 244. 24 Zitat aus Gesta episcoporum Eichstetensium continuata, edd. L. Bethmann et G. Waitz, in: MG SS 25 (1880), S. 592; N. Rosenkränzer, Bischof Johann I. von Straßburg gen. von Dürbheim, Diss. Straßburg 1881; J . BernouUi, Propst Johann von Zürich, König Albrechts I. Kanzler, Jb. f. Schweizer. Gesch. 42 (1917), S. 283- 331; Hessel, S. 244; SteHing-Michaud, Universite, S. 149, 163, 172, 202; ders., Juristes, S. 105 ff., 179 ff., 330. 25 Liber (wie Anm. 16) II, S. 31. 26 Stelling-Michaud, Juristes, S. 161 u. 113 f.

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rungsgebiet - waren: Simon von Marville 27 (dep. Meuse) (im Amt 1309 - 1311), zuvor Auditor des Papstes Clemens V., "legum professor", und Heinrich von Geldonia (Jodoigne) aus einer Brabanter Gelehrtenfamilie, ebenfalls "legum professor" wiederum unbekannten, wohl französischen Studienorts (im Amt 1312- 1313, auch Rat 1310, t 1352, nachdem er zuletzt in hennegauischen Diensten gestanden hatte)28, die ersten nachweisbaren Legisten nordalpiner Herkunft im Königsdienst des späten Mittelalters. Neu war zwar nicht das Wirken gelehrter Juristen als Räte oder in ratsgleicher Position, jedoch war Johann (von Buss) von Finstingen (Lothringen), Student in Bologna, der erste Doktor beider Rechte (auch "professor" von Orleans) im Dienste des deutschen spätmittelalterlichen Königtums außerhalb Italiens28 , ein Mittler zwischen zwei großen romanischen Rechtsstudienkreisen. Hieran kann man die besonderen Qualitäten, aber eben auch das vorläufige Heraustreten Heinrichs VII. aus dem Zusammenhang der deutschen gelehrten Jurisprudenz ermessen. In Speyer 1309, also nicht in Italien, aber wohl schon im Zusammenhang mit dem Süden erscheint in der Umgebung des Königs ebenfalls erstmalig ein namentlich bekannter italienischer Doktor des Zivilrechts, Bassianus de Guaciis3°, der auf dem Romzug als Auditor des Luxemburgers weiterwirken wird; sein Kollege als könig· licher Richter wird ein französischer Legist sein, Dr. Ugo de Sancto Audomaro (Saint-Omer, dep. Pas-de-Calais)31 • Das Stichwort "Italien" gibt Anlaß, zwei weitere Neuerungen Heinrichs VII. auch dann zu erwähnen, wenn sie von der künftigen deutschen gelehrten Jurisprudenz überhaupt nicht oder nur episodisch und spät (unter dem Urenkel Sigismund, s. u.) aufgenommen werden sollten. Beide Neuerungen wurzelten in dem Bedürfnis, in der fremden Welt des Südens Fuß zu fassen und die Kaiserrechte zu realisieren. Während aber die Verrechtlichung der Königlichen Kammer durch das Institut der Kammernotare vor allem vom mehr rechtspraktischen 27 RI 1246- 1313. Neubearb. v. J. F. Böhmer, Stuttgart 1844, S. 256; Const. IV., ed. J. Schwatm, Hannover 1906/11, S. 298 Nr. 351 (legum professor) u. S. 1510; B. GuiHemain, La cour pontiftcale d'Avignon 1309 -1376, Paris 1962,

s. 354.

~ 8 F. Vercauteren, Henri de Jodoigne, legiste, clerc et conseiller des princes (t 1352), Bulletin de !'Institut belge de Rome 27 (1952), S. 451 - 505. Wieder in: ders., Etudes d'histoire medievale, o. 0. 1978, S. 93 -147. (Die Gemahlin des Königs war Brabanterin.) - Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Niko~aus von Ybbs, Notar Heinrichs VII., in Bologna studierte, der nachmalige Bischof von Regensburg (t 1340). Vgl. P. Acht, Ein Registerbuch des Bischofs Nikolaus von Regensburg (1313- 1340), Mitt. d. österr. Staatsarchivs 4 (1951), S. 98- 117; L. Morenz, Magister Nikolaus von Ybbs, VHO 98 (1957), S. 221 - 308. 21 Const. IV S. 1486; SteUing-Michaud, Juristes, S. 85. 3° Const. IV S. 275 Nr. 312, S. 307 Nr. 359 f., S. 726 Nr. 735; W. M . Bowsky, Henry VII. in Italy, Lincoln 1960, S. 26 f., 252. at Const. IV S. 591 Nr. 631.

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Usus des öffentlichen Notariats getragen worden zu sein scheint32, war das (bisher nirgends genügend gewürdigte) Auftreten von mehr als einem Dutzend italienischer Rechtsgelehrter hohen Ranges, zumeist von doctores legum (nur ein Kanonist wird genannt) als Räte, Hofauditoren und Hofrichter innerhalb extrem kurzer Zeit33 ein Gipfelpunkt gelehrter Jurisprudenz im Dienste der Königspolitik. Es war ein in dieser Intensität in der Romzugspraxis des deutschen Mittelalters vermutlich einmaliges Ereignis und wirft auch neues Licht auf die Respektierung von Heinrichs Unternehmen in Italien, ist aber nicht eigentlich ein Teil unseres auf das nordalpine Reich bezogenen Themas. 5. Aus der besonderen Situation des Luxemburgers kehren wir mit der gelehrten Umgebung Ludwigs des Bayern (1314 -1347) zu den schlichteren binnendeutschen Verhältnissen zurück. Im Vergleich zur langen Dauer seiner Regierungszeit ist gegenüber Vorgänger und Nachfolger die Zahl der gelehrten Juristen des Wittelsbachers nicht allzu groß34• Die Herausforderung Ludwigs war anders beschaffen als diejenige Heinrichs VII., aber sie war nicht weniger schwerwiegend; und sie ist dieses Mal nicht sehr glücklich beantwortet worden. Gleich am Anfang scheiterte der Versuch, die beiden "Chefjuristen" des Vorgängers, Joat G. Seeliger, Kanzleistudien II, MIÖG 11 (1890), S. 398- 442; V. Samanek, Die verfassungsrechtliche Stellung Genuas 1311 - 1313, ebd. 27 (1906), S. 237 314, 560- 628; H. Kämpf, Zu einem Imbreviaturenbuch und einem Register Bemards von Mercato. MÖIG Erg.-Bd. 14 (1939), S. 391- 409; F . Vercauteren, Gilles de la Marcelle, chanoine de Liege, tresorier de l'empereur Henri VII. Zuletzt in: ders., Etudes d'histoire medievale, S. 472- 489. - Quellen sind Const. IV passim. n 1. Andreas Cakmdrinus de Advocatis de Roma iudex, Rat und Hofrichter, Const. IV S. 660 Nr. 689, S. 710 Nr. 721, S. 759 Nr. 768; - 2. Andreas de Garretis de Ast doctor legum, ebd. S. 442 ff. Nr. 487 u. S. 1457; - 3. Antonius de Bargeis iurisperitus, ebd. S. 442 ff. Nr. 487 u. S. 1457; - 4. Antonius Surdus de Placentia professor legum, Hofrichter, ebd. S. 1048 Nr. 1005 u . S. 1457; - 5. Bartolus de Spoleto legum doctor, Hofrichter, ebd. S. 703 Nr. 716 u. S. 1460;- 6. Ebrordus (Berordus) Laonius de Ast doctor legum, ebd. S. 442 Nr. 487, S. 465 Nr. 510 u. S. 1461;- 7. Homo de Peretulo doctor decretorum, ebd. S. 505 f. Nr. 551 u. S. 1482; - 8. Johannes de Cancellariis de Janua professor legum, ebd. S. 660 Nr. 689 u. S. 1486 (mit Einschränkung);- 9. Johannes des Castilione Palastauditor, ebd. S. 726 Nr. 735 u. S. 1486, vgl. Bowsky, S. 289;- 10. Johannes Fasealus de Pisis doctor legum, ebd. S. 442 ff. Nr. 487 u . S. 1486; - 11. Johannes Johannis Jacobi de Roma iudex, Rat und Hofauditor, ebd. S. 711 Nr. 721, S. 1058 Nr. 1515 u. S. 1486; - 12. Palmerius de Altovitis de Florentia legum professor, Rat und Hofrichter, ebd. S. 591 Nr. 631, S. 710 Nr. 721, S. 759 Nr. 768 u. S. 1459; - 13. Petrus Deodati de Tuderto legum professor, Hofrichter und Rat, ebd. S. 660 Nr. 689, S. 703 Nr. 716 u. S. 1501;- 14. Sanctus de Ripprolo iudex, Rat, ebd. S. 711 Nr. 721 u. S. 1509; - 15. Schotus de Saneta Geminiano iuris civilis professor, Hofrichter, ebd. S. 1039 Nr. 965 u. S. 1509. 34 Es ist aber zu beachten, daß die zweite größere Hälfte seiner Regierungszeit quellentechnisch schlecht erschlossen ist. H. Lieberich, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, ZRG Germ. Abt. 76 (1959), S. 173 - 245, geht auf unsere Fragen nicht ein.

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hann von Finstingen und Heinrich von Geldonia, zu gewinnen35, was sich zweifellos politisch negativ ausgewirkt hat. Denn offenbar ist der Bayer gerade am Anfang seines großen Konflikts mit der Kurie, den er besser nie begonnen hätte, juristisch nicht angemessen beraten worden841; später mochten auch die besten Rechtsgelehrten keinen Ausweg aus der Sackgasse finden. Daß als Personalreservoir praktisch allein Kleriker in Frage kamen, die der Gewissensentscheidung zwischen geistlicher und weltlicher Macht in deren leidenschaftlichem Gegensatz besonders ausgesetzt waren, hat Ludwigs Möglichkeiten nicht gerade gemehrt. Immerhin waren vier (oder nur drei?) der Kanzler Ludwigs juristisch unterrichtet. Beim ersten jedoch, dem hochadeligen Hermann Hummel von Lichtenberg31 (im Amt 1314 bis 1335, t 1335 als Bischof von Würzburg), war der Bologna-Aufenthalt gerade wegen seiner Standesqualität vermutlich eher etwas Formales. Im Jahre 1337 wurde der Bologneser Student Heinrich von Schönegg38 , Sohn einer oberschwäbischen Reichsministerialenfamilie, Kanzler und Bischof von Augsburg (im Amt wohl bis 1340, Bischof bis 1348, t 1368). Gewichtiger ist der Pariser Lizentiatengrad des hochadeligen Kirchenrechtiers Albert von Hohenberg39 (im Amt 1340-1342, t 1359, ebenfalls Bischof von Würzburg). Da offenbar der Freisinger Bischof Leutold Graf von Schaunberg (0.-Ö.) (Bischof 1342 -1347, t 1355) anschließend Kanzler war, treffen wir auf einen weiteren Besucher Bolognas311a. Ludwigs Protonotar Ulrich Hofmeier aus Augsburg4°, ein Bürgersohn, vermutlich als Laie oder 35

Const. V, ed. J. Schwalm, Hannover 1909- 1913, Nr. 122 S. 123, vgl. Nr. 96

s. 94.

ae Namenlose iuris periti 1314, Const. V S. 60 Nr. 63 u. S. 67 Nr. 67. Unter den Appellationsteilnehmern 1323/24 dürften sich gelehrte Juristen befunden haben, doch läßt sich kein Nachweis führen (ebd. S. 641 ff. Nr. 824, S. 655 ff. Nr. 836, S. 727 ff. Nr. 909 f.). - Nicht am Hofe blieb Friedrich von Sulz, Baroberger Domherr, dr. decret., ebd. S. 754. 37 Const. V S. 687; Friedländer-Malagola, S. 55; Knod, S. 302; ADB 24, S. 878; H. Bansa, Studien zur Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag der Wahl bis zur Rückkehr aus Italien (1314 - 1329), Kallmünz 1968, S. 227 ff.; A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg, Teil 2, Berlin 1969, S. 57 ff. 38 Friedländer-Malagola, S. 55; Knod, S. 505; H. Zoepfi, Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, München o. J. (1955), S. 284 ff.; H. 0. Schwöbel, Der diplomatische Kampf zwischen Ludwig dem Bayern und der römischen Kurie im Rahmen des k11nonischen Absolutionsprozesses 1330 1346, Weimar 1968, S. 30, 39. 31 Schwöbel, S. 479; Wendehorst. R 72 ff. aoa Friedländer-Malagola, S. 76; Kt~.od, S. 485. 40 Liber (wie Anm. 16) II, S. 146; v!!:l. Die Chronik

des Mathias von Neuenburg, hrsg. v. A. Hofmeister, Berlin. 1924- 40, I, S. 140; II, S. 374 (MGH SS rer. Germ. n. s. IV); S. Riezler, Kaiser Ludwig der Baier, Meister Ulrich der Wilde und Meister Ulrich der Hofmeier von Augsburg, FDG 14 (1874), S. 1 -17; A. Buff, Der Apotheker r.laus Hofmeier ... und Magister Ulrich Hofmeier, Protonotar Kaiser Ludwigs des Baiern, Zs. d. Hist. Vereins f. Schwaben u. Neuburg 16 (1889), S. 14- 209; SchwöbP-l, S. 23 ff., 490.

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bestenfalls als clericus conjugatus nach Hermann von Landenberg wohl wieder ein erster königlicher Jurist solchen Standes aus dem Binnenreich, war ein "eximius decretista" Pariser Ausbildung (im Amt 13351346, schon 1331 secretarius, t 1346). Drei Notare der Hofkanzlei und der Königin (Otto von Donauwörth, Arnold Minnenpeck, Otto von Rain) haben- soweit man bisher sieht- in Bologna studiert41 • Für den Bereich außerhalb der Kanzlei waren die Versuche Ludwigs, in den Spuren seines Vorgängers in Italien mit italienischen Rechtsgelehrten zu wirken, offenbar von wenig Erfolg begleitet42 • Glücklicher war der Kaiser mit einem anderen Schwaben, dem Bologneser Lizentiaten der Kanonistik Marquard von Randegg (im Königsdienst seit 1335, 1348- 1365 Bischof von Augsburg, t 1381 als P.atriarch von Aquileja)43 • Marquard, dem seine Landsleute und ebenfalls ehemaligen Besucher des Bologneser Studiums Eberhard von Tumnau, sein Onkel, und Graf Ludwig von Oettingen junior zur Seite standen44, war als Rat und secretarius offenkundig der führende Jurist des Kaisers in den Verhandlungen des letzten Jahrzehnts mit der Kurie; gleichwohl hat er sich dadurch außerhalb der Wittelsbacher Partei erstaunlicherweise nicht kompromittiert. 6. Ludwigs Gegenkönig, Friedrich der Schöne von Habsburg (13141322, t 1328), dessen endliches Scheitern in den ersten Jahren schwerlich absehbar gewesen ist, verdient in unserem Zusammenhang insofern Beachtung, als er über das Intervall Heinrichs VII. hinweg und am bayerischen Rivalen vorbei die Linie der gelehrten Jurisprudenz Rudolfs und Albrechts ungebrochen weiterführte. Fürs erste war Friedrich, der auch für seine Person als der bisher am besten herangebildete König binnendeutscher Provenienz seit der Stauferzeit gelten kann, juristisch umfänglicher beraten als der Wittelsbacher. Friedrichs Kanzler wurde der uns schon bekannte Kanonist Johann von Zürich45, hingegen läßt sich für die Protonotare der königlichen Hofkanzlei kein Rechtsstudium nachweisen. Die auf Grund von Herrschertradition und Geographie 41 Otto v. D .: Friedländer-Malagola, S. 78 f.; Knod, S. 622; Bansa, S. 267, vgl. Const. V S. 642 f. Nr. 824, S. 754 Nr. 910; Schwöbel, S. 31. - . Arnold:

Friedländer-Malagola, S. 59, 61; Knod, S. 348 f.; Bansa, S. 271 f.; Schwöbel, S. 475 ff. - Otto v. R.: Friedländer-Malagola, S. 80; Knod, S. 428; Schwöbel, s. 31. 42 Zum Hofrichter Lanfranc Corbi von Lucca: Bansa, S. 259 f. 43 Friedländer-Malagola, S. 73, 80, 82, 84; Knod, S. 429 f.; Zoepjl, S. 295 ff.; G. Wunder, Bischof Marquard von Randeck (von Augsburg), in: Lebensbilder aus Franken und Schwaben 7, Stuttgart 1960, S. 1- 17; Schwöbel, S. 25 ff., 486f. 44 Friedländer-Malagota, S. 75; Knod, S. 586, 393; Schwöbel, S. 481, 486. 45 Vgl. oben Anm. 24. Protonotar vor der Königswahl war der studierte Berthold von Kiburg, zuletzt belegt 1312 (SteUing-Michaud, Juristes, S. 102 f.).

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naheliegenden Italienbeziehungen Friedrichs waren zum Teil dem secretarius Dr. legum Nicolaus de Rubeis von Treviso anvertraut, während der Kontakt zum Papsttum durch den Prokurator Dr. decret. Friedrich von Schärding gepflegt wurde48• Der wichtigste Jurist außerhalb der Kanzlei war der secretarius Dietrich von Wolfsau aus einer Seck:auer Ministerialenfamilie, Doktor beider Rechte einer unbekannten Universität, nach Johann von Finstingen, der möglicht!rweise französischer Zunge war, der nächste Träger dieses Titels und demnach vielleicht der erste deutscher Muttersprache im Dienst des spätmittelalterlichen Königtums, später Bischof von Lavant (t 1322)47 • Mit ihm kündigte sich ein neues königlich-habsburgisches Personalreservoir, neben dem bisher dominierenden schwäbischen, im Südosten an, das im 15. Jh. Bedeutung gewinnen wird. Es zeigt sich zum dritten Mal (nach Schwaben und dem äußersten Westen des Reiches), daß die Juristenrekrutierung durch das Königtum ähnlichen Regeln folgte wie große Teile der Adels- oder Schreiber- und Rechtspraktikerrekrutierung, d. h. gemäß den Schwerpunkten der Dynastie regional bestimmt war. 7. Für das erste Dreivierteljahrhundert des Spätmittelalters, auf welches wir nun in Kürze zusammenfassend zurückblicken, dürfte an der Tatsache kein Zweifel bestehen, daß das Königtum an den Früchten der etwa gleichzeitig zu datierenden "Entstehung des Juristenstandes" in Mitteleuropa einen nennenswerten Anteil besessen hat, wenigstens soweit man bisher vergleichend urteilen kann48 • Es treten vor allem folgende Einzeltatsachen hervor: a) Die Anzahl der gelehrten Juristen im Königsdienst war vorerst gering - in unsere bereinigte Statistik gehen 27 Namen nordalpiner Juristen und damit jedes dritte Jahr ein neuer Name ein; jedoch mußte der Hof nur selten ohne wenigstens einen ausgebildeten Rechtskenner auskommen. Vom rechnerischen Durchschnitt weichen König Adolf negativ und Heinrich VII. positiv ab. b) Das erste Tätigkeitsfeld der gelehrten Juristen betraf von Anfang an Führungspositionen in der Hofkanzlei, deren anspruchsvollste Aufgaben von Rechts- und Schreibpraktikern offenbar nicht voll bewältigt wurden. Der Weg von den leitenden Stellen der Kanzlei in den Königlichen Rat war kurz, und es gab schon sehr früh und bald fast regelConst. V S. 240 Nr. 278, S. 382 Nr. 467. A. A. Strnad, Dietrich von Wolfsau, Carinthia I 155 (1965), S. 367- 405, vgl. Liber (wie Anm. 16) li S. 60, Const. V S. 325 Nr. 388, S. 418 Nr. 520. 48 Außer der oben in Anm. 1 genannten Lit. K. Wriedt, Das gelehrte Personal in der Verwaltung und Diplomatie der Hansestädte, Hans. Geschbll. 96 (1978), S. 15- 17, zum Papsttum vorerst Bresslau, I, S. 323.- Der Begriff "Juristenstand" ist hier wie anderswo in diesem Text abkürzend und nicht als sozialgeschichtliche Kategorie gebraucht. 46

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mäßig rechtsgelehrte Räte auch außerhalb der Kanzlei. Unter den Aufgaben dieser Gruppe ist die hochrangige Diplomatie, besonders die Kuriendiplomatie, am deutlichsten erkennbar. Gelehrte Rechtsprechung für den König ist nur in Italien anzunehmen, das deutsche Gerichtswesen des Herrschers funktionierte bekanntlich auf andere Weise49• c) Gelehrte Juristen waren fast ausnahmslos Kleriker mit einer oft erfüllten Hoffnung auf eine erfolgreiche Pfründenkarriere, die recht häufig (bei jedem dritten) im Bischofsamt gipfelte. d) Es überwog die italienische, aber wesentlich war auch die französische gelehrte Ausbildung, die in hohem Maße von Angehörigen des niederen Adels ministerialischer Herkunft, also zweifellos im Hinblick auf das gewohnte Modell der Kirchenkarriere dieser Gruppe, wahrgenommen wurde. Die Stadt als Herkunftsort war vorerst nur gering vertreten und dann meist durch Stadtadel, der dem Landmilieu nicht fernstand. e) Es gab im Reich keine einheitliche, übergreifende Juristenlandschaft, an die sich das Königtum hätte rekrutierend wenden können. Vielmehr handelte es sich um einige mittelgroße Bereiche mit bisher starker Vorherrschaft Schwabens, die auf Grund der jeweiligen regionalen Verankerung der Herrscherdynastie als "vorgewählt" erscheinen. Innerhalb dieser Landschaften bestand dann von König zu König, besonders nach dynastischen Voraussetzungen, eine recht deutliche Kontinuität, ein wesentliches Stück jener Verfassungsstetigkeit, die das Reich ungeachtet aller Krisen mitzusammenhielt.

B. (1346- 1410/1419) Der zweite Zeitabschnitt unserer Thematik umfaßt mit den Regierungszeiten Karls IV. (1346- 1378), Wenzel$ (1378- 1419) und Ruprechts (1400 -1410) eine Periode mit vielfach neuartigen Wesenszügen, von denen als ein Hauptmerkmal nur die jetzt einsetzenden Gründungen deutscher Universitäten und deren allmählich auch für unseren Zusammenhang erkennbare Folgen genannt seien. Die Zahl der gelehrten Juristen im Königsdienst nahm beträchtlich zu, und dies korrespondierte mit einer komplizierter und differenzierter werdenden innenpolitischen Szenerie. Beide Iuxemburgischen Könige haben eine vorzügliche Ausbildung genossen und vermochten den Wert gelehrter Jurisprudenz zweifellos aus eigener Kompetenz zu beurteilen, auch der pfälzische Wittelsbacher war aus unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Universität mit diesem Gegenstand vertraut. 49 Zuletzt U. Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches 1250 - 1313, Köln 1979.

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1. Wir behandeln zunächst die Hofkanzleien Karls und Wenzels. Der neue territoriale Ausgangspunkt, die böhmischen Länder50, über welche dynastische und königtumsbezogene Attraktivität zumindest bei Karl IV. weit hinausgriff, unterschied sich im Hinblick auf das Studienverhalten bei Niederadel und Kirche kaum von den uns bisher bekanntgewordenen Verhältnissen - ein West-Ostgefälle innerhalb des Reiches gab es nicht mehr. Im Gegenteil: EtwasNeuesund "Modernes", das bei Ludwig dem Bayern erst anklingt, tritt jetzt in das helle Licht der Überlieferung: Mit der gelehrt-juristischen Qualifikation wird fortan beim König erfolgreich eine zweite wesentliche Verwaltungsqualifikation wetteifern, die Leistung einer auf dem Großbürgertum wichtiger oberdeutscher Reichsstädte und der führenden Ostluxemburgischen Territorialstädte fußenden Wirtschafts- und Finanzelite, die gerade das Regierungssystem Karls IV. stärker prägen wird als die gelehrten Juristen51 • Man kann schwerlich entscheiden, welcher dieser beiden Aspekte im Hinblick auf den Erfolg der Zentralgewalt wichtiger gewesen ist, und man braucht kaum zu betonen, als wie wesentlich sich die Fortentwicklung oder Krise jeder von beiden "Eliten" für das Königtum erwies.

Die meisten Hofkanzler der beiden Luxemburger, darunter auch der bekannte Johann von Neumarkt, und eine Reihe weiterer Kanzleimitglieder gehörten der ökonomischen Elite an und sind demgemäß wohl auch zugleich als rechtspraktisch informiert anzusehen, Johann hatte immerhin auch Kontakt zum einen oder anderen italienischen Juristen von Rang. Nur eine Minderheit der Kanzleiangehörigen Karls IV. hat gelehrte Jurisprudenz studiert oder gar das Studium abgeschlossen; so wird auch das Gewicht dieses Studiums für die Geltung am Hofe kaum sehr zugenommen haben. Gleichwohl kennen wir im Vergleich zur älteren Periode von nun an unverhältnismäßig mehr Kanzleibeamte mit dieser Ausbildung, neue Quantitäten scheinen sich ohnehin insgesamt in der Verwaltung geltend zu machen. Freilich bleibt vieles Wichtige nach wie vor unbekannt, z. B. die Identität der gelehrt-juristischen Mitautoren der Goldenen Bulle von 1356 oder das Verhältnis gut bekannter Juristen zum Hofe62. Um 1300 schon gab es ansehnliche gelehrte Juristen am Prager Hof: Das Eindringen des kanonischen Rechts, seine Lehre und wissenschaftliche Pflege in Böhmen und Mähren während des Mittelalters, ZRG 34 Kan. Abt. 3 (1913), S. 1- 107; F. Tadra, Kulturni styky Cech s cizinou aZdo välek husitskych, Praha 1897; 0. Peterka, Ursachen und Wege der Rezeption des römischen Rechtes in Böhmen und Mähren, in: Prager Festgabe für Th. Mayer, Freilassing 1953, S. 37- 55; F. Kavka, Die Hofgelehrten, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hrsg. v. F. Seiht, München 1978, S. 249 ff. st Zur Kanzlei Karls vgl. P. Moraw, Räte und Kanzlei, in: Kaiser Karl IV. 50

E. Ott,

(Anm. 50), S. 285 - 292, 460.

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a) Eine erste Gruppe von Rechtsgelehrten der karolinischen Kanzlei entstammte dem Umkreis des vorzüglichen Verwaltungsfachmanns Erzbischof Balduins von Trier aus dem Hause Luxemburg, des Bruders Kaiser Heinrichs VII. und Karls Großonkels, der selbst Pariser Student gewesen war. Dazu gehörte zunächst Dietmar Maul von Meckbach63 aus thüringisch-niederhessischem Niederadel, der eine französische Juristenausbildung ohne Abschluß genossen hatte und nach einer Tätigkeit für Balduin und nach Arbeiten für König Johann von Böhmen, den Vater Karls IV., in dessen Kanzlei er 1342 und vor allem 1347 bis 1351 und 1354 nachweisbar ist; als Kanzler des Iuxemburgischen Fürstentums Breslau und Inhaber hoher Kirchenpfründen wird er seine von hoher Verwaltungskunst zeugende Karriere beenden. Aus dem gleichen Kreis stammten der Bakkalar des römischen Rechts einer unbekannten, wohl französischen Universität Johann Gauer von Oberwesel54 aus mittelrheinischem Niederadel (mit zeitlichen Lücken Notar Karls von 1349 bis 1364) und Rudolf Rule aus Friedberg55, Student in Bologna, daraufhin "in iure canonico peritus" und Besitzer einer juristischen Bibliothek, Großbürger aus der wetterauischen Reichsstadt, auf führendem Kanzleiposten 1354-67, der im Königsdienst als Bischof von Verden starb. Hierzu zählen ferner Johann von Montabaur (t 1370)1141, Doktor des Kirchenrechts (der einzige dieses Ranges in der 52 B. HergemöHer, Der Nürnberger Reichstag von 1355/56 und die "Goldene Bulle" Karls IV., Diss. Münster 1978.- S. Krüger, Lupold von Bebenburg, in: Fränkische Lebensbilder 4, Würzburg 1971, S. 49 - 86. 53 RI VIII, hrsg. u. ergänzt v. A. Huber, Innsbruck 1877, S. XL, XLII. Erstes Ergänzungsheft, ebd. 1889, S. VII; G. Keil, in: Verfasserlexikon 22, Berlin 1978, Sp. 98 - 100; Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia (fortan MVB) I, ed. L. Klicman, Praha 1903, Nr. 46, 449 f., 1061; G. Schindler, Das Breslauer Domkapitel von 1341- 1417, Breslau 1938, S. 287 ff.; L. E. Schmitt, Untersuchungen zur Entstehung und Struktur der "neuhochdeutschen Schriftsprache", Bd. 1, Köln 1966, S. 647. 54 MVB I Nr. 1156 f.; III ed. F. Jensovsky I V. Jensovska, Praha 1944- 54, Nr. 321; RI VIII S. LXIII; Ergänzungsheft, S. VII; Schmitt, S. 18, 210 f. 65 Belege bei W. Küther, Rudolf Rule von Friedberg, Propst zu Wetzlar, Bischof von Verden und Notar Kaiser Karls IV. Arch. f. hess. Gesch. u. Altertumskde. NF 37 (1979), S. 79 - 151, Zitat S. 131. Eine Schwester heiratete in die Frankfurter Juristenfamilie Frosch, deren Mitglied Wicker 1360 den ersten bekannten kaiserlichen Adelsbrief wegen seiner hervorragenden juristischen Fähigkeiten erhielt (RI VIII Nr. 3329), doch wohl auch ein Zeugnis für die Beachtung der gelehrten Jurisprudenz am Hofe. Der Kleriker Heilmann Frosch, vielleicht auch Jurist, hatte einst 1324 die Sachsenhausener Appellation Ludwigs des Bayern mitbezeugt (Const. V Nr. 910 S. 754). Vgl. auch L. M. Euler, Urkunden zur Geschichte der Familie Frosch, Arch. f. Frankf. Gesch. u. Kunst N. F. 4 (1869), S. 298-336, bes. 313 f. Vgl. zu einschlägigen Kanzleiformularen, die leider ohne Namensnennung überliefert sind, den Collectarius perpetuarum formarum des Johannes de Geylnhusen, ed. H. Kaiser, Innsbruck 1900, S. 15 Nr. 20 f., S. 48 f. Nr. 50 f.: Gemeint sind, soweit Legisten angesprochen werden, wahrscheinlich immer noch Italiener. 58 MVB III Nr. 541, 607, 823; RI VIII, S. XLII, Ergänzungsheft S. VII; H. Gensicke, Die von Montabaur, Nass. Ann. 68 (1957), S. 233 - 245.

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Kanzlei Karls IV.) wohl aus kurtriedscher adeliger Burgmannenfamilie, secretarius Karls und 1365 - 68 in der Kanzlei beschäftigt, sowie der Bakkalar des Kirchenrechts und Protonotar Konracl von Geisenheim57 aus einer Kurmainzer Burgmannenfamilie der mittelrheinischen Burg Lahneck, im Dienst mit Beleglücken von 1358 bis 1376, dann 1379 Bischof von Lübeck, und wohl zwei untergeordnete Kanzleibeamte58. Ebenso klar, wie diese im wesentlichen mittelrheinische in sich nachweislich kohärente Gruppe hervorgehoben werden kann, erkennt man als einen zweiten Kreis einige schlesische Notare um den Kanzler und Breslauer Bischof Preczlaus von Pogarell {im Amt 1351 - 53/54) {t 1376)511, der - aus schlesischer Herrenfamilie stammend - gleichzeitig mit manchen uns schon bekannten Juristen des Königs in Bologna geweilt hatte, der einzige Kanzler Karls IV., der nachweislich studiert hat. Preczlaus' Landsmann und Standesgenosse Ulrich Schoff10 {d. i. Schaffgotsch) war vier Jahre in der Kanzlei tätig, ehe er in jungen Jahren verstarb {1358); zuvor war er Scholar des Kirchenrechts einer unbekannten Universität gewesen. Ein Landsmann war auch Johann von Frankenstein61 , wohl bürgerlicher Herkunft, Notar und Protonotar der Hofkanzlei {1361 bzw. 1363 - 1368), "peritus in iure canonico" ohne Studienbeleg und zeitweise bischöflicher Offizial. Der gleichen Gruppe gehörten der erste im Königsdienst bezeugte Scholar des Kirchenrechts einer deutschen Universität an, Nikolaus von Posen62 , der in Prag und in Bologna studiert hatte und in der Kanzlei 1367/68 und 1374- 78 arbeitete, sowie schließlich auch Nikolaus von Krappitz63 57 MVB II ed. J. F. Novdk, Praha 1907, Nr. 1214, 1228, 1267; MVB III Nr. 36, 383, 541; Repertorium Germanicum II, bearb. v. G. Teltenbach, Berlin 1933- 61, Sp. 5, 17, 610, 820; Schmitt, S. 15, 29, 93, 111. 58 Volpertus (Volzo) von Worms, Jurastudent einer unbekannten Universität, öff. Notar und Registrator der Hofkanzlei 1355-1374 (mit Lücken): RI VIII, S. XLI, Ergänzungsheft S. VI; MVB IV Nr. 393, 422, 538. Vgl. auch zu R. Losse unten bei Anm. 93. Diesem nahe stand vielleicht der in Bologna gewesene Gerung Hartmanni von Melk, im Königsdienst 1346 -1348 (Friedländer-Malagola, S.109; Knod, S. 392; RI VIII S. XLII, Ergänzungsheft S. VII.) 58 RI VIII S. XLVI, 644, 672; Ergänzungsheft S. VIII, 813, 821; MVB I S. 942, II S. 620, III S. 221 (Reg.), IV S. 883; K. Eistert, Beiträge zur Genealogie des Breslauer Bischofs Preczlaus von Pogarell (1299 - 1376), Archiv f. schles. Kirchengesch. 20 (1962), S. 226- 290. 80 MVB I S. 913, II S. 627; Schindler, S. 339 f.; J. v . Witzendorff-Rehdiger, Die Schaffgotsch, Jb. d. Schles. Friedrich-Wilhelms-Univ. zu Breslau 4 (1959), s. 104-123. 81 MVB II Nr. 67, 79, 672 f., 973 f., III Nr. 110 f., 541, 576, 823; RI VIII S. XLIII; Ergänzungsheft S. VI. 62 MVB I Nr. 1181 f.; II Nr. 1090; III Nr. 167, 175, 267; IV Nr. 127, 1116 f.; V Nr. 1027, 1468; Rep. Germ. II Sp. 539, 937; RI VIII S. XLIII, Ergänzungsheft S. VII; Verfasserlexikon 2 (1936), Sp. 404 ff.; Schindler, S. 320 f. 83 MVB I Nr. 1115; III Nr. 167, 178, 408, 800, 1030; RI VIII S. XLIV, Ergänzungsheft S. VII f.; Schindler, S. 260 f.

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(Oberschlesien), Student der Kanonistik in Padua und damit erstmals mit einem gesicherten Italienaufenthalt außerhalb von Bologna, 13661368 in der Kanzlei nachweisbar. Über diese beiden größeren Kreise hinaus läßt sich der verbleibende Teil der gelehrten Juristen der Hofkanzlei fast ohne Rest zwei ganz kleinen Gruppen zuordnen: Zwei Juristen aus Kleinstädten Mährens und Böhmens sind als Schüler Johanns von Neumarkt aufzufassen, Nikolaus von Kremsier84, der Protonotar und "iuris peritus" unbekannter Ausbildung (t 1364), der 1354-63 tätig war, und Johann von Leitomischl65, der von 1355- 58 als Registrator arbeitete. Erst nach dieser untergeordneten Kanzleitätigkeit, für die er rechtspraktisch und/oder vielleicht artistisch ausgebildet worden war, absolvierte er ein Rechtsstudium in Padua, kehrte als Lizentiat des Kirchenrechts zurück und wurde in Prag zum Doktor promoviert. Er begann dann eine zweite Laufbahn als secretarius, auch Kapellan und Kuriendiplomat des Kaisers; zuletzt war er Generalvikar des Erzbistums Prag. Es sei darauf hingewiesen, daß dies ein Karrieretypus war, der hier erstmals klar erkennbar ist und immer wieder auftreten wird. Diejenigen Kräfte, die Johann von Neumarkt in der Kanzleiführung ablösten, werden ebenfalls in Gestalt gelehrter Juristen erkennbar. Es waren dies der Nachfolger Johanns, Nikolaus von Riesenburg66 (im Amt 1370/ 71 - 78, auch wenn er den Kanzlertitel nie geführt hat) aus dem Ordensland Preußen, nichtgraduierter Rechtsstudent von Padua, später Bischof von Konstanz und Olmütz (t 1397), und sein Landsmann Dietrich Damerow67 sehr wahrscheinlich aus Elbinger Ratsherrengeschlecht, Student in Paris und Bakkalar beider Rechte, 1372 - 76 secretarius und Protonotar, seit 1379 Bischof von Dorpat (resigniert 1400). Zuletzt ist Ulrich von Sulzbach (Opf.)67a zu nennen, der als Kanzleibeamter von zwei oder drei Gemahlinnen Karls IV. in späteren Jahren (1371) ein Jurastudium in Prag aufnahm und es zu ansehnlichen Kirchenpfründen und zum Doktorat des Kirchenrechts brachte. b) In der Kanzlei König Wenzels tritt zum ersten Male und damit wohl mit einer charakteristischen Phasenverschiebung von einer Generation G4 MVB II S. 556; III S. 57 (Reg.); RI VIII S. XLIII; Ergänzungsheft S. VII. 65 MVB I Nr. 594; II S. 558; III S. 113 (Reg.); IV S . 740; V Nr. 58; Schindter, s. 270 ff. 86 MVB III Nr. 94, 96, 429, 1140, 1145; IV Nr. 615, 673, 686, 741 (?), 807; V S. 1411; RI VIII S. XLIVf., Ergänzungsheft S. VIII; Schindler, S. 331 ff. 87 MVB III Nr. 377; IV Nr. 861, 898, 1035, 1038, 1095; V Nr. 1; DenijteChatelain, S. 969; Rep. Germ. II, Pers.-Reg. Sp. 293; RI VIII S. XLIV, Ergänzungsheft S. VII; Schindter, S. 203 ff.; B. Jähnig, Zur Persönlichkeit des Dorpater Bischofs Dietrich Damerow, Beitr. zur Gesch. Westpreußens 6 (1980),

s. 5-22.

87a Monumenta Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis (fortan MUP) II, 1 Pragae 1834, S. 60; Schindler, S. 361 f.

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die Bedeutung der am Hauptsitz der Königsdynastie gelegenen Universität ganz klar hervor, und damit zeigt sich zugleich eine wachsende Regionalisierung des Studiums und wohl auch eine gewisse, wenn auch nicht gleichmäßig fortschreitende Öffnung der Kanzlei für sozial tiefer stehende Personen. Es gab im Zeitalter Wenzels kaum einen führenden Kanzleibeamten mit gelehrter juristischer Ausbildung, der nicht unter anderem auch in Prag studiert hat, wenngleich das Auslandsstudium besonders in Italien - nach der mit dem Andauern des Schismas immer wirksamer gewordenen Aussonderung der französischen Universitäten - ein gesuchter Ausweis blieb. Auch das neue Moment einer "reifer", d. h. geistiger gewordenen Elite und der vermutlich ältere, jetzt aber immer deutlicher erkennbare Aspekt der sozialen Kohärenz unserer Personen treten hervor, wofür je ein Beispiel geboten sei: Der Hofkanzler Johann von Jenzenstein (im Amt 1378/79 bis spätestens 1384), Erzbischof von Frag 1379 - 139668, ein später Sproß des ins landadelige Milieu aufsteigenden führenden Frager Finanz- und Wirtschaftsbürgertums, das mit Karl IV. eng verbunden war, hatte nacheinander in Frag, Padua, Bologna, Montpellier und Paris studiert und zwar nicht nur in Form einer Kavalierstour: er hatte das Bakkalaureat des Kirchenrechts erworben und wird später als Autor hervortreten. Eine solche Ausbildung verhinderte zwar nicht sein politisches Scheitern in der sich immer mehr krisenhaft verformenden böhmischen Innenpolitik, vermag jedoch den Wandel der Verhältnisse im hofnahen Großbürgertum (und nicht nur hier) seit der Welt Ludwigs des Bayern fünfzig Jahre zuvor anschaulich zu machen. Zwischen 1381 und 1385, unmittelbar vor der entscheidenden Königskrise, traf sich an der Frager Juristenuniversität eine Anzahl von jungen Leuten, die bald als gelehrte Juristen in Rat und Kanzlei Wenzels, Ruprechts und Sigismunds Bedeutung gewinnen sollten: vier Protonotare und drei Notare Wenzels, ein Protonotar und ein gelehrter Rat Ruprechts und ein Notar seiner Gemahlin, schließlich ein späterer Kanzler Sigismund.s69 • Der Knoten- und Verdichtungspunkt "Universität", der für die Rekrutierung gelehrter Juristen des Königtums und für die allmähliche Entstehung einer "politischen Gruppe" im Gesamtreich so bedeutungsvoll war, tritt damit erstmals im Reich, wie schon zuvor in Italien, klar hervor. 68 J. Le Goff, Un etudiant tcheque a l'universite de Paris au XIVe siecle, Revue des etudes slaves 24 (1948), S. 143 -170; R. E. Weltsch, Archbishop John of Jenstein (1348 -1400), The Hague 1968; I. Hlavacek, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376- 1419, Stuttgart 1970; Sbornik "Jenstejn", Praha 1978; J. Bujnoch, Johann von Jenstein, in: Karl IV. und sein Kreis, München 1978, S. 77-90. 69 MUP II, 1 S. 2, 11 f., 37 f., 68 ff.

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Von den späteren Kanzlern und Kanzleileitern Wenzels war der Baroberger Bischof Lamprecht von Brunn70 (im Amt 1384} aus elsässischer Niederadelsfamilie Bakkalar des Kirchenrechts einer unbekannten Universität, und Erzbischof Albrecht von Magdeburg aus dem hochadeligen Hause Querfurt71 (im Amt 1395 und wieder 1396} hatte nach Studien in Bologna und Prag den gleichen Grad erworben; nach dem Erlöschen des Kanzleramtes in der Endzeit des Königtums Wenzels waren Kanzleileiter die beiden Protonotare Johann Münzer aus Bamberg, Sohn einer Großbürgerfamilie und Student der Prager Juristenuniversität72 (im Amt 1403 -1419}, und Johann Weilburg von Weida73 (im Amt 1413 [1412?]- 1419}, offenbar erstmals in unserem Bereich doctor decretorum allein Prager Provenienz; er stammte aus dem einst von der Kanzleitechnik Balduins von Trier beeinflußten Teil Mitteldeutschlands, war zuvor Vorsteher der Kanzlei der Prager Altstadt und Professor der Prager Juristenuniversität. Eine solche Verbindung von zwei oder drei an sich verschiedenartigen Karrieren ist allerdings nicht nur nicht typisch, sondern ist als eines der zahlreichen Merkmale der Krise Wenzels anzusehen. Die Bedeutung des Jurastudiums für die Durchschnittskarriere der Protonotare Wenzels war im Vergleich zur karolinischen Ära nicht wesentlich verändert; ihr Studienverhalten ist allerdings gemäß der schon festgestellten allgemeinen Tendenz zur stärkeren regionalen Bindung, also im Zusammenhang mit ihrer meist böhmischen oder mährischen Herkunft und wohl z. T. auch infolge ihres geringeren sozialen Ranges, stärker auf Prag hin zugespitzt. Dies galt für Martin von Gewitsch74 (im Amt 1379 - 1388), einem Beamten unklarer sozialer Provenienz (ob aus Niederadelsfamilie?}, der sich in Prag bei den Juristen zumindest immatrikulierte, für Wlachnik von WeitmühF 5 aus dem böhmischen Zweig eines bekannten Niederadelsgeschlechts (im Amt 13961399}, der in Padua und Prag ohne Abschluß Jurisprudenz gehört hatte, und für Wenzel von Olmütz76 (im Amt 1392 -1401), Lizentiat des Kir70 Hlavacek, Urkundenwesen, S. 489; K. Hitzfeld, Lambert von Brunn, Abt von Gengenbach (1354- 1374) und Fürstbischof von Bamberg, ein großer Staatsmann, Die Ortenau 57 (1977), S. 166 -195; I. Hlavacek, Lamprecht von Brunn, Bischof von Bamberg, in: Fränkische Lebensbilder, 3, Neustadt/Aisch 1980, s. 46 - 60. 71 Friedländer-Malagola, S. 132; Knod, S. 426; MUP II, 1 S. 214; Hlavacek, Urkundenwesen, S. 489. 72 MUP II, 1 S. 70; Hlavacek, Urkundenwesen, S. 488. 73 MUP II, 1 S. 6, 16; Hlavacek, Urkundenwesen, S. 490; R. Zeleny I J. Kadlec, Ucitele pravnicke fakulty a pravnicke univerzity prazske v dobe predhusitske (1349 - 1419), Historia universitatis Carolinae Pragensis 18 (1978), S. 61 - 106, bes. 91. 74 MUP II, 1 S. 35; Schindler, S. 224 f.; Hlavcicek, Urkundenwesen, S. 489. 75 MUP II, 1 S. 37; Schindler, S. 379 f.; Hlavcicek, Urkundenwesen, S . 490. 78 MUP II, 1 S. 7, 11; Hlavd.cek, Urkundenwesen, S. 489.

7 Schnur

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ehenrechts aus Frag. Zwei weitere Protonotare haben den artistischen Studienausweis, verbunden mit dem einen oder anderen indirekten (hier nicht mitgezählten) Hinweis auf juristisches Wissen71, so daß in dieser Generation Iuxemburgischen Königsdienstes jener für die praktische Kanzleiarbeit entscheidende Dienstgrad nicht mehr ohne Universitätsbesuch erreicht worden ist. Bei sechs Kanzleinotaren Wenzels kann man ein, jedoch ausschließlich Frager Rechtsstudium nachweisen78• 2a) Neben der Kanzleitätigkeit stand nach wie vor, auch mit quantitativ ansteigender Tendenz, die Aktivität gelehrter Juristen im königlichen Rat oder in verwandten Diensten. Bemerkenswert ist dabei zunächst, daß (anders als bei den Theologen) eine entsprechende Tätigkeit von Professoren der Frager Juristenfakultät bzw. -Universität in nennenswertem Maße nicht nachgewiesen werden kann79, auch nicht bei dem bedeutenden Wilhelm Horborch79a. Vielleicht handelt es sich dabei wegen der geringen räumlichen Distanz auch um ein Quellenproblem, aber kaum um ein solches allein; denn die Dinge haben sich offenbar wirklich etwas anders verhalten als bei Ruprecht und Friedrich III. Auch daß dem großen Bartolus von Sassoferrato (1313 -1357) der Ratstitel Karls IV. verliehen wurde80 (1355), ist kaum als etwas sehr Konkretes aufzufassen. Einen gewissen Ersatz für Universitätslehrer fand man offenbar in der heimischen Kirchenhierarchie. Die ranghöchsten geistlichen Räte Karls IV. waren die Frager Erzbischöfe, von denen Ernst von Pardubitz81 (1343 - 1364) aus böhmischem Rittergeschlecht nach Studien in Bologna den Grad eines Lizentiaten des Kirchenrechts in Padua er77 Franz von Gewitsch: mag. artium und Breslauer Kapitelsrichter (SchindZer, S. 222 f.; Hlavtii!ek, Urkundenwesen, S. 489).- Jakob von Beraun (MUP I, S. 503; vgl. Hlavtii!ek, ebd. S. 488). 78 Bartholomäus von Neustadt, MUP Il, 1 S. 38; Schind Zer, S. 295 f.; Hlavtii!ek, Urkundenwesen, S. 489; Heinrich von Imbremont, MUP II, 1 S. 180; Ludwig von Hartberg, MUP II, 1 S. 15 (?); Hlavtii!ek, ebd. S. 221; Nikolaus von Gewitsch, MUP Il, 1 S. 42; Hlavticek, ebd. S. 489; Paul von Tost, MUP II, 1 S. 104; Hlavtii!ek, ebd. S. 490; Peter von Wischau, MUP II, 1 S. 32; Hlavtii!ek, ebd. S. 490. 78 Vorerst Zeleny-Kadlec passim. Eine genügende Spezialstudie über die

Prager Juristenuniversität fehlt, so daß sich der Verf. in der Zukunft damit zu befassen gedenkt. - Es gibt Spuren von drei wohl nur kurzzeitig wirkenden italienischen Juristen: G. Novtik, Gli Italiani a Praga e in Boemia, Rivista d'Italia anno 14 vol. 2 (1911), S. 525- 548. 79a NDB 9, S. 622; G. Dolezalek in HRG I1 Sp. 237 f . 80 RI VIII Nr. 2129. Vgl. H. Peter in HRG I Sp. 319 f. und P. Weimar, Bartolus de Saxoferrato, in: Die Großen der Weltgeschichte, 4, Zürich 1974, S. 6577.

81 Schindler, S. 244 f.; J. K. Vyskoi!il, Arnost z Pardubic a jeho doba, Praha 1947. 82 RI VIII S. 660, 671, 676; Ergänzungsheft S. 817, 823, 829.

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worben hatte, während Johann von Wlaschim 82 (Erzbischof 1364- 1378/ 79), einer Frager Großbürgerfamilie und damit dem wirtschaftspraktischen Milieu entstammend, anscheinend ohne Juristenausbildung aufstieg. Erst der schon erwähnte J ohann von J enzenstein, der uns an dieser Stelle nur für die Jahre vor seiner Kanzlerschaft und damit für seine Tätigkeit als Rat des Kaisers angeht, hat aus einer anderen, wohl eher "kulturellen" Ambition heraus wieder das Rechtsfach gewählt. Aus der Umgebung der Erzbischöfe wurde Karl IV. bei Bedarf wenigstens zeitweise ein kirchlicher "Chefjurist" zur Verfügung gestellt: Von der markgräflichen Zeit an der einheimische Doktor des Kirchenrechts (?) Johannes Ducis mit dem sprechenden Beinamen "Paduanus" und danach seine Landsleute Wilhelm von Leskau und Konrad von Wessel83• In welch' hohem Maße allerdings - wie vor und auch nach dem Zeitalter Karls IV. bis 1410/19 - die Kanzlei Zentrum der gelehrten Hofjurisprudenz blieb, zeigen erstens die relative Disparatheit aller übrigen studierten Rechtskenner im Hofumkreis, die sich kaum einigermaßen kompakten Gruppen zuordnen lassen, und zweitens der Verzicht Karls auf die romanische Juristentradition seines Vaters und Großvaters und damit auf ein altluxemburgisches Erbe. Zum ersten Punkt: Die relativ größte Gruppe bisher nicht erwähnter Juristen des Kaisers bestand aus auswärtigen rechtsgelehrten Bischöfen mit Ratsrang, die nach Aussage des Itinerars allerdings keineswegs regelmäßig zur Verfügung gestanden haben und daher hier nur mit Abstrichen in Anschlag gebracht werden dürfen. Es waren dies der uns schon bekannte Lizentiat Marquard von Randeck, bald Bischof von Augsburg und Patriarch von AquilejaS4 (1348- 65, 1365- 81), der mit diesem verwandte Walter von Hochschlitz8 5 (Bischof von Augsburg 1365 - 1369), Student in Bologna ohne Abschluß, der bedeutende Lamprecht von Brunn86, dessen wir im Zeitalter Wenzels schon für die Kanzlei gedacht hatten, der an unbekannter Universität zum kirchenrechtlichen Bakkalar promovierte Eckard von Ders81, Bischof von Worms (1371- 1405), und zuletzt der wissenschaftlich erfolgreichste und auch längere Zeit hofnächste Kirchenfürst, der nach Studien in 83 Direkte Studienbelege und akad.-juristische Titel fehlen freilich bei den beiden letztgenannten, soweit wir sehen; die juristische Kompetenz ist aus der kirchlichen Funktion erschlossen und wird demgemäß für die Schlußbilanz nicht mitgezählt. Johann: VyskocU, S. 669.- Wilhelm: RI VIII S. 667; Ergänzungsheft S. 815, 819; MVB II S. 593 f.; III S. 107, 216 (Reg.). - Konrad: MVB II Nr. 318 f., 459; III S. 212 f. (Reg.); IV S. 764, 784, 877; V Nr. 1, 83, 174. 8t Vgl. oben Anm. 43. 85 Zoepfi, S. 314 ff. 8& Vgl. oben Anm. 70. 87 K. Wiemann, Eckard von Ders, Bischof von Worms, Diss. Halle 1895.

7•

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Bologna, Perugia und Rom zum Doktor beider Rechte erhobene Peter Wurst (Jelito)BB aus offenbar einfacher böhmischer Familie, den ein leider unbekannter Patron intensiv gefördert haben muß, päpstlicher Auditor, Bischof von Chur (1356- 1368), Leitomischi (1368- 1371), Erzbischof von Magdeburg (1371 - 1381) und Bischof von Olmütz (1381 1387)89• Kaum einer von diesen ist freilich nach allem, was wir wissen, auf Grund juristischer Gelehrsamkeit in den engsten Kreis der einflußreichsten Königsdiener eingetreten, sondern stand bestenfalls an dessen Rand und zwar auf Grund politisch-persönlicher Qualifikation; wohingegen außergewöhnliche Leistungen auf finanziell-wirtschaftlichem Gebiet, wie das Beispiel des Großbürgersohns Dietrich von PoTtitz, zuletzt Erzbischof von Magdeburg (1361 - 67), lehrt90, mitten in jene Spitzengruppe hineinzuführen vermochte. Als Kapellan und secretarius Karls begegnen wir Otto von Wettin, der baccalaureus in decretis war. Mehrere Juristen sind allein als Kapellane greifbar: die Böhmen Odolenus von Wirsetz, Bakkalar des Kirchenrechts aus Montpellier, Dietrich von Saaz, ebenfalls kanonistischer Bakkalar, und Nikolaus von Pilgram, doctor decretorum, und die beiden Tübinger Dietrich und Konrad Last aus großbürgerlicher Familie nach Studien in Bologna und Padua, die sie u. a. 'mit dem noch zu erwähnenden Reimhold Vener aus dem unweit gelegenen Schwäbisch Gmünd, dem Rechtsberater König Ruprechts und Vater von dessen Kronjuristen Job Vener, in Beziehung brachten91 • Bei diesen Personen herrscht leider über ihre konkreten Dienstleistungen die geringste Klarheit; sie mögen daher vor allem eine allgemeine quantitative Verbreiterung der juristischen Basis des Königtums erweisen helfen. Zum zweiten Punkt: Es ist sehr bezeichnend, daß die zuletzt von Johann von Böhmen in der Tradition Heinrichs VII. und nicht ohne 88 RI VIII S. 645, 673 ff.; Ergänzungsheft S. 815, 822; MVB III S. 60 (Reg.): IV S. 801, 805; V S. 1389, 1393; 0. Vasella, Bischof Peter Gelyto und die Entstehung des Gotteshausbundes, in: Festschrift 600 Jahre Gotteshausbund, Chur 1967, S. 43- 90; Helvetia sacra I, 1. Schweizerische Kardinäle. Das apostolische Gesandtschaftswesen in der Schweiz. Erzbistümer und Bistümer, I, red. v. A. Bruckner, Bern 1972, S. 484 f. 89 Gerhard von Schwarzburg, Rat und secretarius Karls und Wenzels, Bischof von Naumburg (1359 -1372) und Würzburg (1372- 1400), soll in Avignon studiert haben (er wird wegen der Unsicherheit des Belegs nicht mitgezählt): Wendehorst, 2, S. 111 f.; H. Wießner, Gerhard von Schwarzburg, Bischof von Naumburg und Würzburg, in: Fränkische Lebensbilder, 8, Neustadt/Aisch

1980, s. 22 - 45. 90 P. Moraw, Zur Mittelpunktsfunktion Prags im Zeitalter Karls IV., in: Europa slavica - Europa orientalis. Festschrift f. H. Ludat, Berlin 1980, S. 445 - 489, bes. S. 469 ff. 91 Otto: MVB II Nr. 80, 90; III Nr. 186. Odolenus: MVB IV Nr. 96 u. ö. Dietrich: MVB III Nr. 518. - Nikolaus: MVB III S. 73, 254 f. - Last: MVB III Nr. 37, 114.

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Zusammenhang mit Kurfürst Balduin von Trier beschäftigte Gruppe (süd-)französisch ausgebildeter und/oder auf das Papstturn in Avignon bezogener, damit durch Distanz zum wittelsbachischen Kaiserturn sich 1346/47 empfehlender Juristen nur in der Anfangszeit Karls Bedeutung gewann, insbesondere Gerald von Magnac, aber auch hier eher arn Rand als im Zentrurn92• Dies galt auch für die italienische Jurisprudenz und unterstreicht damit die vorwiegend binnendeutsche Verankerung der karolinischen Herrschaft, im klaren Gegensatz zum Großvater Heinrich und zum Vater Johann; der Schwerpunktwechsel nach Osten wirkte sich stärker aus als alte dynastische Zusammenhänge. Derselbe Zusammenhang entschied auch über den dank einer einmaligen Gunst der Überlieferung wohl arn besten bekannten deutschen Juristen des 14. Jhs., über Rudolf Losse aus Eisenach93 (t 1364) aus einer mitteldeutschen Ministerialenfamilie mit städtischem Bürgerrecht. Losse, der bis 1349 Rat und Kapellan Karls IV. besonders als Fachmann für Kuriensachen war und zuvor schon Protonotar, Rat und Offizial Balduins und Ka~ellan Johanns von Böhmen sowie einst Student im okzitanischen Montpellier gewesen ist, war auch ohne Graduierung ein anerkannter Jurist ("iuris peritus") und war ausgestattet mit hier einmal gut erkennbaren, aber wohl auch anderswo kaum ganz fehlenden erstaunlich dichtverzweigten Personenbeziehungen bis tief in die politische und juristische Welt des Reiches und nach Avignon hinein. Es ist wichtig, daßer-obwohl Deutscher von Geburt- für unseren Zusammenhang einem von Europas Südwesten her dominierten Juristentypus angehörte und demgemäß auch nicht am Hofe Karls verblieben ist. b) Wir kommen zu den Rechtsgelehrten König Wenzels außerhalb der Hofkanzlei, wobei angemerkt sei, daß der Einschnitt von 1378 weniger 92 Gerald war Lizentiat beider Rechte und Rat Johanns und Karls, nacheinander Diener mehrerer Herren in der Weise Heinrichs von Jodoigne (MVB I S. 864; Constit. VIII S. 758). Juristisch ausgebildet waren wohl auch jedoch bei uns nicht mitgezählt - Mag. Wilhelm Pinchon (Const. VI S. 783; VIII Nr. 91 f., 95 ff.; Schindler, S. 315 f.), Nikolaus von Luxemburg (Const. VIII S. 767) und der Italiener Johann von Pistoja (RI VIII S .663, 678; Ergänzungsheft S. 817, 823; Const. VIII S. 762; MVB I S. 889), vielleicht auch der Hofkanzleinotar Nikolaus Sortes, der die großen karolinischen Urkunden von 1348 kaum ohne Kenntnisse in gelehrter Jurisprudenz abgefaßt haben wird. 93 Nova Alamanniae, hrsg. v. E. E. Stengel unter Mitwirkung von K. Schäfer, 1 - 2, Berlin 1921 - 1976, bes. Nr. 803, 805, 825, 928; K. Schäfer, Der Dank des Königs, in: Kaiser Karl IV. 1316- 1378, hrsg. v. H. Patze, Neustadt/Aisch 1978, S. 527- 537; H.-G. Langer, Urkundensprache und Urkundenformeln in Kurtrier um die Mitte des 14. Jahrhunderts, AfD 16 (1970), S. 350- 505; 17 (1971), S. 348 - 435. Losse war verwandt mit dem schon angeführten juristisch ausgebildeten Notar Dietmar Maul (wie oben Anm. 53) und mit dem Rat (ehrenhalber) Karls IV. Herbord von Bischofferode, Bakkalar der Dekrete und Vorstand der Leipziger Stadtkanzlei (Schmitt, S. 658); auch Nikolaus Sortes (vgl. Anm. 92) war wohl sein Klient.

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vom höfisch-dynastischen Wandel geprägt war (politisch geurteilt liegt die Zäsur ohnehin eher 1384/85) als daß jenes Datum unser Thema durch den gleichzeitigen Ausbruch des Großen Schismas betrifft. Im Jahre 1378 setzte jedenfalls in der abendländischen Kirche eine Abfolge von wechselnden Polarisierungen ein, die neben der politischen auch die rechtsgelehrte Szenerie des Reiches mehr als zwei Generationen hindurch intensiv beeinflußte. Durch Karriere, Traditionen, Überzeugung und immer wieder auch durch das Aufgabengebiet waren unsere Juristen nach wie vor auf König und Papst zugleich verwiesen. Auch für unser Thema ist die deutsche Geschichte dadurch von der Geschichte der Nachbarländer unterschieden, daß die zeitgenössischen Rechtsgelehrten das vergangene, gegenwärtige und künftige Geschick des Reiches als eines Gebildes ganz eigener Art erlebt und diskutiert haben. Wir können unter den Juristen Wenzels außerhalb der Hofkanzlei zwei kleine Gruppen unterscheiden, von denen die erste bewährte Traditionen des Vaters fortsetzte, die zweite hingegen auf das Neue dieser Generation verweist. Soweit es das bald in die Krise geratene Verhältnis des Königs zu seinen heimischen Bischöfen noch zuließ, sind diese in der Regel als Räte mit mehr oder weniger politischem Gewicht aufgetreten. Juristisch belehrt oder ausgebildet (in Prag) waren darunter der Prager Erzbischof Konrad von Vechta94 (1413- 1421/1431) wohl aus bürgerlicher Familie, ein Mann mit sehr bedeutendem Einfluß am Hofe, und der Olmützer Bischof Johann Mraz95 (1397 -1402), Doktor des Kirchenrechts einer unbekannten Universität, vielleicht aus einer niederadeligen Familie Böhmens. Die zweite Gruppe besteht aus drei gelehrten Juristen, die - obschon wiederum alle Räte des Königs - mtt ihren grundverschiedenen Schicksalen bezeichnend sind für die krisenhafte Verwirrung einer bisher eher recht einheitlichen Königshandlung in Böhmen. Der Schwabe Johannes Naso98 aus einer nicht näher bestimmbaren ursprünglich Lindauer Familie, Jurastudent in Prag und Padua, Sohn eines nicht einflußlosen Prager Hofbeamten, hat im Jahre 1402 den nördlich der Alpen immer noch ungemein seltenen Rang eines Doktors beider Rechte 94 I. Hlavdcek, Konrad von Vechta, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Vechta, 1, Vechta 1974, S. 1 - 35. 95 K. Pohl, Beiträge zur Geschichte der Bischöfe von Olmütz, Diss. Breslau

1940,

s. 44 f.

MUP Il, S. 7, 43, 98; Monumenti della Universita di Padova (1318- 1405), raccolti da A. Gloria, t. 2, Padova 1888, S. 458; Die Matrikel der Universität Wien, I (1377 -1450), Graz 1956, S. 94; RI VIII Nr. 5643, 5663; Deutsche Reichstagsakten (fortan RTA) Bd. 6, hrsg. v. J. Weizsäcker, 1888, S. 812; Helvetia sacra I, 1, S. 489. 90

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in Prag erlangt, für diesen Ort zum ersten Male - und zur gleichen Zeit, als dem führenden Juristen des Gegenkönigs Ruprecht, Job Vener, die gleiche Ehre in Bologna widerfuhr. Seit 1397 Kapellan, dann secretarius und Rat des Königs entschied sich Naso in der Huskrise für die Orthodoxie; er wird uns im Dienst Sigismunds wiederbegegnen. Wenn dies nicht ein früher Tod (1410) vereitelt hätte, würde sich wohl der aus einer führenden Breslauer Ratsfamilie stammende Hieronymus Seidenberg91, Doktor des Kirchenrechts nach einem Studium in Bologna (zusammen mit zwei Protonotaren Ruprechts) und päpstlicher Auditor, ähnlich entschieden haben, denn schon 1409 hatte er sich gegen die busfreundliche Politik Wenzels gewandt. Gerade die entgegengesetzte Position vertrat an führender Stelle der Böhme Sdenko von Labaun98, 1395 Rektor der Frager Juristenuniversität und nach dem Umbruch von 1409 auch der Dreifakultätenuniversität, Rat, secretarius und Vertrauensmann Wenzels und ein Wortführer der Neuerung. 3. Das Jahrzehnt Ruprechts (1400 -1410), des Gegenkönigs Wenzels, mit einer radikalen "geopolitischen" Neuorientierung und Schwerpunktbildung im rheinischen Westen, weist einige recht ungewöhnliche Wesenszüge auf, zu deren interessantesten der Versuch gehört, gewissermaßen mit Hilfe immaterieller Mittel auszugleichen, was an materiellen Kräften fehlte. Hierzu zählt ein besonders hohes Maß an "Verwissenschaftlichung", darunter auch Juridifizierung des Hofes, während sich der Anteil der "Verwirtschaftlichung" gegenüber der Iuxemburgischen Ära minderte. a) Der Hofkanzler Bischof Raban von Speyer90 (im Amt 1401 - 1410, als Erzbischof von Trier) aus Kraichgauer Adel (Heimstatt) hat sich nach Studien in Heidelberg und Wien auch in Bologna aufgehalten, woher er ohne Graduierung zurückkehrte. Von den insgesamt sechs aktiven Protonotaren seiner Kanzlei sind zwei als Rechtspraktiker anzusehen, drei andere waren hochgraduierte Juristen, der letzte gelehrter Jurist ohne Abschluß. Dies ist - gemessen an der kurzen Dauer der Regierung - ein zuvor und danach unerreicht gebliebenes Ausmaß von "Verrechtlichung" der Spitzenpositionen der Kanzlei, dem auch hier eine extrem geringe Vertretung des finanz-wirtschaftlichen Elements entspricht; hier ist wohl ein Kompensationsmoment im Spiel.

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MVB V S. 1462; Rep. Germ. II Sp. 553; RTA 6 S. 825; MUP II, 1 S. 102;

Schindler, S. 344 f.

os MUP I, S. 409; II, 1 S. 172; Documenta mag. Joannis Hus vitam, doctrinam, causam in Constantiensi concilio actam et controversias de religione in Bohemia annis 1403-1418 motas illustrantia, hrsg. v. F. Palacky, Prag 1869, s. 768. uu Friedliinder-Malagola, S. 152; Knod, S. 194; P. Moraw, Kanzlei und Kanzleipersonal König Rupredlts, AfD 15 (1969), S. 428 - 531, bes. 454 ff.

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An der Spitze jenes Quartetts stand Job Vener 100 aus stadtadeliger Familie in Schwäbisch Gmünd bzw. Straßburg, Doktor beider Rechte nach Studien in Paris, Heidelberg und Bologna (im Amt 1401- 1410, t 1447), der erste "Beamte" dieses Ranges in einer Hofkanzlei des deutschen Mittelalters und einer der bedeutendsten Juristen im mittelalterlichen Königsdienst, Sohn des Rechtsgelehrten Reimbald Vener (t 1408)1°1, der in Bologna und Paris ungraduiert studiert hatte, ein Klerikerjurist mit niederen Weihen, der verheiratet war und ebenfalls zeitweise im Wittelsbacher Königsdienst gestanden hatte; beide waren maßgebend für die rechtliche Fundierung des so problemati:;chen Wahlaktes von 1400. Job seinerseits gehört zu den wenigen Juristen, die Studienerfahrungen aus Italien und aus Frankreich aufwiesen, und war als erster Kanzleibeamter des Spätmittelalters papabilis (Wahl von 1417); erst sein Kollege Enea Silvio, kein Jurist, aus der Kanzlei Friedrichs III. wird allerdings das Ziel erreichen. Der Protonotar Eglolf von Knöringen aus schwäbischer Niederadelsfamilie (im Amt 1401-1404, t 1408)1°2 wurde nach Studien in Wien und Bologna Lizentiat des Kirchenrechts, sein Landsmann UZrich von Albeck108 , vielleicht aus verarmtem Adel stammend (im Amt 1401 - 1406), dann Bischof von Verden bis 1417 (t 1431 als Bischof von Seckau), war nach Wiener Studien Doktor des Kirchenrechts einer unbekannten, wohl italienischen Universität. Der Protonotar Nikolaus Bumann aus Lauterburg104, ein Klient des Kanzlers offenbar städtischer Herkunft (t 1402/03), hat in Prag, Rom, Heidelberg und Wien ohne Abschluß studiert, gewiß nicht nur in der Artistenfakultät. Ehrenhalber trug den Protonotarstitel schließlich der Prager Lizentiat des Kirchenrechts Friedrich Schafart aus Trier106• Als recht charakteristisch für die gelehrt-juristische Atmosphäre, die in den insgesamt verhältnismäßig engen Heidelberger 100 Moraw, Kanzlei S. 476 ff. (mit den Belegen); A. Schmidt I H. Heimpel, Winand von Steg (13"71 - 1453) ••., Abh. d. Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. N. F. 81, München 1977, S. 115; H. Heimpet, Die Vener von Gmünd und Straßburg (1162 - 1447), Anzeiger der phil.-hist. Kl. d. Osterr. Akad. d. Wiss. 115 (1978), S. 1 -15. Von dems. ist demnächst ein großes Werk über J . Vener zu erwarten. 101 Heimpel, Vener, S. 2 ff. 10! Moraw, Kanzlei, S. 498 ff. 103 Moraw, Kanzlei, S. 485 ff.; G. Wesener, Der Einfluß des Bartalus de Sassoferrato in Österreich, in: Bartolo de Sassoferrato. Studie documenti per il VI centenario, I, Milano 1962, S. 91 -106, bes. 92 f.; E. Kovacs, Ulrich IV. von Albeck 1417 - 1431, in: Die Bischöfe von Graz-Seckau 1218- 1968, Graz 1969, 1o4 Moraw, Kanzlei, S. 482 ff. 1os Moraw, Kanzlei, S. 500 f.; berichtigt durch F. J. Heyen, Das Stift St. Paulin vor Trier, Berlin 1972, S. 597 ff. - Als Prager Student der Jurisprudenz ist der Notar Jakob Reimersheim von Alzey bezeugt (MUP II, 1 S. 64; Moraw, Kanzlei, S. 513). Johann Dorre von Landau (t 1429), Notar, studierte nach seiner Kanzleitätigkeit in Heidelberg, Wien und Padua Jurisprudenz (lic. in decretis) (Moraw, Kanzlei, S. 511 f.).

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Verhältnissen zusammen mit einem gelehrt-theologischen Klima einen nach wie vor (land-}adeligen Hof beeinflussen konnte wie niemals zuvor oder danach, ist folgende Tatsache anzusehen: Nicht weniger als viermal kann der Fall registriert werden, daß- nach dem Vorbild der Abfolge von Vater und Sohn Vener- Söhne von (in der Mehrzahl rechtspraktischen} Kanzleibeamten mit Erfolg die Laufbahn des gelehrten Juristen eingeschlagen haben, darunter auch mit dem Ergebnis einer Professur an der Heidelberger Juristischen Fakultät106• b} Damit kommen wir zu einer zweiten Besonderheit dieses Jahrzehnts. Unter den zehn Heidelberger Professoren, die - ein in dieser Dichte einmaliges Phänomen der deutschen Universitätsgeschichte des Mittelalters - als königliche Räte tätig waren, befanden sich neben 7 Theologen auch drei Juristen. Der wichtigste war der ehemalige Prager Bakkalar und Heidelberger Doktor Nikolaus Burgmann von St. Goar107 (t 1443}, es folgten der ebenfalls ehedem Prager Doktor Johann van der Noyt108 (t 1434}, ein Niederländer, und Nikolaus von Bettenberg109 aus Luxemburg (t 1431/32}, alle drei Kanonisten; übrigens war auch Job Vener, wenn auch nicht als "Lehrstuhlinhaber", der Fakultät verbunden. Hinzu trat als ein vierter oder fünfter rechtsgelehrter Rat aus dem Universitätsmilieu der in Prag ausgebildete Würzburger Kanonist Dr. Johannes Ambundii110 aus Schwaan in Mecklenburg (t 1424 als Erzbischof von Riga}. Sehr gering war die Zahl der weder an die Kanzlei noch an die Universität gebundenen Juristen. Längere Zeit wirklich beim König als Rat tätig war nur der Rigaer Erzbischof Johann von Wallenrode aus fränkischem Niederadel (t 1419 als Bischof von Lüttich}, Student in Bologna, der sich in seinem Sprengel nicht recht durchsetzen konnte und den Hofdienst vorzog; der Würzburger Bischof Johann von Egloffstein (1400 -1411} aus fränkischem Niederadel, Rat Ruprechts, war Bakkalar des Kirchenrechts einer unbekannten Universität. Andere Juristen (Tilmann von Schmallenberg, Volmar Sack) dürften eher ehrenhalber mit dem Ratstitel ausgezeichnet worden sein111 • Einzel106 Es sind dies die Namen Stein, Weinheim, Kirchen, Dorre. Hierzu und zur Heidelberger Universität im 15. Jh. wird sich der Verf. demnächst in den Abh. d. Göttinger Akademie der Wiss. äußern. 107 Moraw, Rat (wie in Anm. 2), S. 114; Schmidt I Heimpel, S. 120 f. 1 os Moraw, Rat, S. 116; Schmidt I Heimpel, S. 117. 100 Moraw, Rat, S. 117. 110 Ebd. S. 121; B. Jähnig, Die Rigische Sache zur Zeit des Erzbischofs Jobarmes Ambundii (1418- 1424), in: Von Akkon bis Wien. Festschrift z. 90. Geburtstag von Althochmeister P. Dr. Marian Turnier 0. T., Marburg 1978, s. 84 - 105. 111 Zu Wallenrode: Moraw, Rat, S. 119, u. B. Jähnig, Johann von Wallenrode 0. T., Bonn 1970. Zu Egloffstein: Wendehorst, 2, S. 127 ff. Zu Schmallenberg und Sack: Moraw, Rat, S. 122.

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gänger waren eben nach den sozialen Regeln der Hofgesellschaft meist "Zufallstreffer", der Normalfall war die Rekrutierung durch Protektion und auf Grund von Anfang an festliegender sozialer Merkmale. 4. Wir fassen die für uns wesentlichen Merkmale des Zeitalters Karls IV., Wenzels und Ruprechts kurz zusammen: 1. Die Anzahl der gelehrten Juristen in Königsdienst verdoppelt sich im Durchschnitt gesehen im Vergleich zur Vorperiode (jetzt 65 gegenüber zuvor 27 Namen), und zwar um 1350 in geradezu sprunghafter Weise: Die Dichte der Rechtsgelehrsamkeit am Hofe (neue Juristennamen je Regierungsjahr) verdreifacht sich auf dem Weg von Ludwig dem Bayern und Friedrich dem Schönen zu Karl IV., sinkt dann unter Wenzel wieder etwas ab und beträgt unter Ruprecht einen nie zuvor erreichten Wert, das Fünffache des Durchschnitts der Jahre von 1273 bis 1347. Diese bemerkenswerte Entwicklung ist freilich im Zusammenhang mit anderen ebenso beachtlichen Veränderungen zu beurteilen; denn es wäre z. B. ein Wettbewerb um Spitzenpositionen am Hofe mit dem wirtschaftlich-finanziellen Karrieretypus in luxemburgischer (nicht in wittelsbachischer) Zeit zuungunsten der Rechtsgelehrten entschieden worden (es tritt z. B. kein Großbürger mit gelehrter Rechtsausbildung aus der wirtschaftlich stärksten königsnahen Stadt des Zeitalters, aus Nürnberg, auf; dafür eine Anzahl anders ausgewiesener Nürnberger). Es beginnt sich aber deutlich abzuzeichnen, daß die Führungsposition des Protonotars in der Kanzlei fast regelmäßig ein Rechtsstudium erfordert. 2. Die Tätigkeitsfelder der gelehrten Juristen differenzieren sich, verändern sich jedoch innerhalb und außerhalb der Kanzlei nicht grundsätzlich. 3. Immer noch überwiegt in sehr hohem Maße die kirchliche Laufbahn. 4. Italienische und französische Ausbildung stehen weiterhin nebeneinander, jedoch gewinnt die Universität Prag als erste und längere Zeit einzige deutsche Hohe Schule für die Karriere allmählich ein ansehnliches Gewicht, wenngleich die Erfolgreichsten nur selten in Prag allein, vielmehr in der Regel auch oder nur im Ausland studiert haben. Die Professoren und damit die Universität als Institution spielen im Königsdienst erst unter Ruprecht eine größere Rolle. 5. Neben die niederadelige Abstammung der gelehrten Juristen tritt etwas deutlicher die Herkunft aus der Stadt und zwar recht häufig aus führenden Familien, erstmals zeichnet sich damit in unserem Kreis ein allerdings "gleitender" sozialer Wandel ab. 6. Weiterhin kann man die große Mehrzahl der Juristen einigen wenigen Herkunftsregionen zuordnen, dabei treten gemäß den alten und neuen Schwerpunkten der Iuxemburgischen Dynastie der Mittelrhein und die Iuxemburgischen Erblande im Osten hervor, während im Wittelsbacher Jahrzehnt wohl mangels eines entsprechenden Hausmachtreservoirs die alte Rolle Schwabens wiedererweckt erscheint.

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c.

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{1410/1419- 1493)

1. Die Regierungszeit Sigismunds von Luxemburg (1410 -1437), die am Anfang unserer dritten Periode steht, stellt bekanntlich innerhalb der spätmittelalterlichen Reichsgeschichte in vieler Hinsicht einen Sonderfall dar, sofern es nicht ohnehin für die Königshandlung dieses Zeitalters charakteristisch ist, daß sie von Sonderfall zu Sonderfall weiterschreitet (was infolge der hier gebotenen Konzentration leider uneingeordnet und unerklärt verbleiben muß). Als für unser Thema wesentliche Neuerungen sind anzuführen die keineswegs unwirksam gebliebene Personalunion mit den ungarischen Königtümern und die auch damit verbundene Öffnung des Hofes gegenüber dem Süden Europas111a, die so folgenreiche enge Verknüpfung der Aktivitäten Sigismunds mit den großen Konzilien auf deutschem Boden und schließlich die problematische, meist geringfügige Hausmachtbasis des Königtums im Reich. Dies alles ist der Forschung dem äußeren Umriß nach, wenn auch nicht immer in Funktion und Auswirkung bekannt; einiges andere Neue ist bisher unbekannt geblieben. Im ganzen gesehen tritt auch für unser Sachgebiet die Sonderstellung des letzten Luxemburgers klar hervor, die wohl zugleich die eigentümliche Doppelpoligkeit unserer Thematik kennzeichnen hilft: Diese wurzelt einerseits, wie wir jetzt noch einmal deutlich sehen, in jeweils recht unterschiedlichen konkreten Rahmenbedingungen der Zentralgewalt, ist aber andererseits auch- bisher mehr erahnt als festgestellt- in breiteren sozialen Prozessen verankert, die im großen eher kontinuierlich abliefen.

a) Bemerkenswert für uns und wohl auch für die allgemeine deutsche Rechtsgeschichte ist zunächst die für das nordalpine Reichsgebiet gänzlich einmalige Rolle, die italienische Juristen gegenüber deutschen Belangen am Hofe Sigismunds gespielt haben. Der Höhepunkt liegt im Jahrzehnt nach dem Ende des Konstanzer Konzils; jedoch hat, sofern man einige Überlieferungslücken in Relation zur allgemeinen Quellenlage bewerten darf, der Luxemburger kaum jemals auf italienischen Juristenrat für das engere Reichsgebiet verzichten wollen. Vermutlich entstammt dieses Verhalten nicht nur der Hausmachtnot des Königs, sondern auch der nach Süden hin stärker geöffneten ungarischen Umwelt Sigismunds; jedenfalls schwindet es mit dem Ende der effektiven Phase der Personalunion nach 1437 wieder dahin. Die Rolle der Konzilien in diesem Zusammenhang sei vorerst dahingestellt112. tua Vgl. jetzt M. Csaky, Humanistische Gelehrte am Hofe des Königs Mattbias Corvinus, in: Regiomontanus-Studien, hrsg. v. G. Hamann, Wien 1980, S. 255 - 266 (SB d. österr. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. 364). 112 Eine Andeutung bei Trusen (Anm. 1), S. 203.

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Von 1412 bis 1416 arbeitete offenbar aus ungarischen in deutsche Zusammenhänge übergreifend Ottobonus de Bellanis de Valentia, Doktor beider Rechte (zunächst päpstlicher Auditor) als Rat, Gesandt€r und Hofauditor Sigismunds113• Sodann ist insbesondere von 1418 bis 1435, vielleicht daher bis zum Tode des Kaisers, Baptista Cigala114 aus Genua zu nennen, Ritter, Rat, Doktor des Zivilrechts (?) und Lehrer an der Wiener Universität. Von 1418 bis 1425 sind nebeneinander Dr. Omnebonus de Schola aus Padua115 und Dr. Peter Paul de Vergeriis aus Capo d'lstria116 nachweisbar. Auch jener war Rat und Ritter, wie anderwärts in unserer Gruppe; b€i diesem müßte der Ratstitel auf Grund seiner Tätigkeit substituiert werden. Von 1424 bis 1428 wirkte Ludovicus de Cataneis aus Verona, Dr. legum und Rat117, der auch in ungarischen Zusammenhängen nachweisbar ist. Hierher gehören auch der königliche Fiskalprokurator Dr. Bartalus aus Pisa118, von dessen Amt wir noch sprechen werden, der 1425-31 bei Sigismund tätig war und in seiner Funktion als ratsgleich anzusehen ist, und schließlich die beiden Doktoren Johannes de Melanensibus aus Prato119 und Simon de Teramo 120, die man 1424/25 und 1437 im Hofdienst beobachten kann, vielleicht auch Dr. Jakob Spinola wohl aus Genua121• Wir fragen wenigstens in Kürze nach Inhalt und Bedeutung dieser Tätigkeit. Dabei stellt sich heraus, daß es sich bei unserer Gruppe um 113 H. v. d. Hardt, Magnum Oecumenicum Constantiense concilium, t. 5, Frankfurt 1699, Sp. 21; RI XI, bearb. v. W. Attmann, Innsbruck 189611900, Bd. 2, S, 467; RTA 7 S. 311; Acta Concilii Constanciensis 3, ed. H. Finke I J. HoHnsteiner I H. Heimpet, Münster 1936, S. 376; Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien, Reichsregister E fol. 27r. "de Valentia", dabei ist Valence a. d. Rhöne weniger wahrscheinlich als Valenza (Prov. Alessandria). Vgl. Stadtarchiv Frankfurt a. M. Reichssachen Nachträge 962a f. 9. - Berücksichtigt sind hier nur italienische Räte, die nachweislich in Deutschland für den König gewirkt haben. (Andere RI XI Nr. 9223 f.) Prinzipiell übergangen sind auch die ungarischen Diener Sigismunds, selbst wenn die Frage nach der Nationalität manchmal schwer zu beantworten ist. Weitere nichtdeutsehe Gesandte Sigismunds mit juristischer Ausbildung (Legisten) Acta Concilii Constanciencis 3, S. 376 f. 114 RI XI, 2 S. 479 (Rat Nr. 3092, Universitätslehrer 7718); RTA 11 S. 619. 115 RI XI, 2 S. 559. ue RI XI, 2 S. 577. 117 RI XI Nr. 5804, 5894; RTA 10 S. 29, 77, 115 ff. us RI XI, 2 S. 465; v. d. Hardt, 5, Sp. 25; U. KnoHe, Studien zum Ursprung und zur Geschichte des Reichsfiskalats im 15. Jahrhundert, Diss. Freiburg/Br. 1965, S. 65 ff.; ders., Fiskalat, HRG I, Sp. 1134 f. uo RI XI, S. 528 (Ratstitel muß substituiert werden). 12o Ebd. Nr. 12183. m Ebd. Nr. 4233a, vgl. 4615. Möglicherweise hat auch der secretarius und Protonotar Antonius Bartholomaei Franchi aus Pisa (d. Ä.) studiert, ein öffentlicher Notar, der 1413 -1429 eng mit den Doktoren zusammenwirkte: RI XI, 2 S. 491; E. Forstreiter, Die deutsche Reichskanzlei und deren Nebenkanzleien Kaiser Siegmund's von Luxemburg, Ms. Diss. Wien 1924, S. 38 ff., vgl. S. 66 f., zu Antonius d. J., ebd. S. 41.

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die vermutlich ersten gelehrten Juristen im Königsdienst handelte, die im Reich außerhalb Italiens gerichtlich tätig waren, und daß es sich dabei vielleicht um die bis dahin am breitesten gefächerte Anwendung von Kaiserrecht (im Sinne römisch-rechtlichen Anspruchs) für nordalpine Belange handelte; es hat also ein König von Ungarn, welcher Sigismund auch noch nach 1410 eine Zeitlang in erster Linie war, auf diese Weise das Potential des Kaisertums stärker auszuschöpfen gesucht als seine Vorgänger und Nachfolger binnendeutscher Herkunft. Das Vorgehen des Urgroßvaters Heinrich VII. in Italien wurde erneuert, nur diesmal für das deutsche Regnum - vermutlich beide Male aus einer vergleichbaren Distanz von Subjekt und Objekt, die auch diesmal den Schritt zu neuartigen Handlungen erleichtert haben dürfte. Es war nicht die geringste der Wirkungen Reichs-Italiens auf Reichs-Deutschland. Von dieser Aufgipfelung des Kaisergedankens (die für den "rex Romanorum" als "imperator futurus" ohne weiteres auch schon vor der Kaiserkrönung möglich war, wofür es nicht wenige Parallelen gibt) haben wohl deutsche Juristen einiges gelernt. Es geht hier klarer als je zuvor im nördlichen Reichsgebiet um den weltlich-legistischen Aspekt neben dem von uns schon oft berührten kirchlich-kanonistischen: beides ist im 15. Jh. präsent. Wie wir auch in anderem Zusammenhang zu zeigen suchten122, blieb demnach das "Reichs"-Potential des Hochmittelalters selbst nach längerer Latenz und ungeachtet einiger Wandlungen auch in unserer Periode erhalten, war immer wieder und keineswegs ohne Erfolg aktivierungsfähig und wird an das 16. Jh. weitergegeben werden. 'Es handelt sich um einen einzigen langfristigen Zusammenhang, zu dessen Höherbewertung man sich auch für unser Zeitalter entschließen sollte. Auch die Momente des Rechtsinhalts und des Rechtsverfahrens können wir hier nur andeuten. Zunächst ist wichtig, daß gleichermaßen im deutschen Regnum und in Ungarn für das Reich und über das Reich hinaus gehandelt wurde, daß dieses Rechtshandeln also herrscher- und hofbezogen und -dominiert war und damit übergreifend wirkte, wie im Idealfall der König-Kaiser selbst - in höherem Maße als das alte Königliche Hofgericht und eher dem etwa gleichzeitig erkennbar werdenden Königlichen Kammergericht vergleichbar. Behandelt und damit vielleicht auch nach römischem Recht entschieden wurden, soweit erkennbar, "politische" Fälle: Sachen zwischen Reichsfürsten, Grafen, Niederadel und Städten123, d. h . interterritoriale Kon122 P. Moraw, Reich (Antike und Mittelalter), künftig in: Historische Grundbegriffe, hrsg. v. 0. Brunner I W. Conze IR. Koselleck, Bd. 5, Stuttgart

1981.

123 Den Zugang zur Sache, der in den RI mangels Sachregister sehr erschwert ist, kann man am besten über die angeführten Juristen-Namen finden.

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flikte und solche, die sich aus der Entfaltung der Landesherrschaft ergaben. Es ging aber auch um Streitfälle über die Reichsgrenzen hinaus, gegenüber Nordeuropa, wo es anders als im Westen des Kontinents keinen dem römisch-deutschen König vergleichbaren Gegenspieler gab, und zwar vermutlich im Sinne einer wiederum oder immer schon bedachten Weltkaiser-Position nach staufisehern Vorbild, was legistisch gesehen selbstverständlich und konsequent war. Verfahrenstechnisch ist hervorzuheben, daß bis zu fünf gelehrte Juristen mit der Behandlung eines Falles befaßt sein konnten, unter denen meist nur ein einziger Deutscher war (zu diesen siehe unten). Es zeigt sich, daß anscheinend (mit Ausnahme der Beigabe von Dolmetschern)124 ohne Rücksicht auf Landesverhältnisse und Landesbrauch und ohne Landeskenntnis, d. h. auch in scharfem Gegensatz zu dem, was deutsche Rechtsauffassung war, "abstrakt-juristisch" vom Rechtstext her gehandelt wurde - und damit wohl auch in hohem Maße ohne jene Fülle von Personenbezügen, -rücksichten und -belohnungen, die für das Funktionieren des Hofes sonst so charakteristisch waren. Was hier geschah, scheint nivellierend-neutral-"modern" gewesen zu sein, war aber vielleicht doch etwas abseits von den Realitäten. Eine Erfolgskontrolle ist in unserem Zusammenhang nicht möglich. Im Blick auf diese ganze Thematik, die hier nicht weiter erörtert werden kann, ist vor allem festzuhalten, daß die habsburgischen Nachfolger Sigismunds solche Vorgehensweisen nicht fortgesetzt haben. Königliche Rechtsgelehrsamkeit war eben doch in hohem Maße substratbezogen, und die Substrate Sigismunds und Friedrichs III. waren grundverschieden. Allmählich wird indessen auch eine deutsche Legistik und mit ihr eine Teil-Laisierung der Rechtsgelehrten heranwachsen; auch Friedrich III. wird sich zumindest argumentativ des römischen Rechts bedienen; die Rechtsintensität wird sich nicht mindern, sondern mehren. Eine Grenze für königliche Rechtsübung wird am ehesten politisch gezogen werden: Der im 15. Jh. im Reich endlich siegreiche Dualismus wird auch über Tätigkeitsgebiete der gelehrten Jurisprudenz des Königtums mitentscheiden und wird zu einer spezifisch deutschen Lösung führen. b) Von den Italienern kommen wir zu den Deutschen. Im Zusammenhang mit jenen und damit offenbar wenigstens zum Teil bei einem gleichartigen Wirken begegnet man nacheinander regelmäßig zwei und zwar nur zwei deutschen Räten Sigismunds, die als dementsprechend spezialisiert gelten können, Nikolaus Zeiselmeister126 und NikoSo offenbar RI XI Nr. 5804 in Gestaltzweier deutscher Notare. RI XI, 2 S. 586; RTA 8 S. 228; MUP II, 1 S. 46; Monumenti bes. 1 S. 97; Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges vom Jahre 1419 an, 124 125

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laus Stock 1 ~. Beide waren Doktoren der Kanonistik, die sich aber, was bekanntlich keineswegs ungewöhnlich ist, in unserem Zusammenhang legistisch betätigt haben. Zeiselmeister entstammte einer großbürgerlichen Familie aus dem Prag König Wenzels, hatte dort und in Padua studiert und dürfte wie Naso oder Seidenberg von den Erfahrungen des böhmischen Kirchen- und Nationalitätenkampfes geprägt worden sein; von dieser orthodoxen Seite her kam ohnehin das meiste zu Sigismund, was an innerdeutscher königsnaher Tradition gelehrter Rechtspflege vorhanden war, und wird seine Rückwirkungen auf das königliche Handeln gezeitigt haben. Von 1418 bis 1425 war Zeiselmeister Hofjurist des Königs, danach bis in die dreißiger Jahre hinein päpstlicher Auditor, blieb aber im Kontakt mit seinem früheren Herrn. Der Glogauer Stock, Student in Krakau und Wien, wurde von 1427 bis 1435 in recht präziser Weise sein Nachfolger. Hier können wir ein wenn auch unbetitelt gebliebenes Juristen"amt" (mit einem gegenüber den Italienern doch auch auf Landeskenntnis begründeten Auftrag) nahezu vom Beginn der de facto-Regierungstätigkeit Sigismunds bis zu dessen Lebensende feststellen, das nördlich der Alpen ebensowenig ein Vorbild besaß wie die anlaßbietende Funktion der südländischen Kollegen. c) Nicht minder auffällig als diese legistische Juridifizierung des Hofes ist gleichzeitig die ebenso neuartige Entjuridifizierung der Hofkanzlei 121 ; beide Phänomene stehen gewiß im Zusammenhang. Nicht absichtsvolle Planung freilich, sondern eher das Zusammenwirken mehrerer äußerer Faktoren möchten wir als Hauptursachen dieses singulären Phänomens ansehen: 1. Von den Kanzlei- und Universitätsjuristen Ruprechts hat nach 1410 keiner den Weg zum Luxemburger eingeschlagen, hingegen der wichtigste Rechtspraktiker des Wittelsbachers, der Protonotar und Hofgerichtsnotar Johannes Kirchen128, der seine Fachkenntnisse jahrelang fast konkurrenzlos einsetzen konnte; 2. anders als beim Wittelsbacher besaß die alte wirtschaftlich-finanzielle Beamtenvorbildung gegenüber dem Luxemburger wieder Anknüpfungspunkte, besonders hrsg. v. F. Palackii, I, Frag 1873, S. 46 f. Nr. 41; Archiv Prazske metropolitni kapituly I, Praha 1956, S. 381 (Offizial des Frager Erzbischofs); Rep. Germ. IV, bearb. v. K. A. Fink, Berlin 1941- 79, Sp. 1018, 1831, 3035 f.; W. Marschall, Schlesier auf dem Konzil von Basel, Annuarium historiae conciliorum 8 (1976), S. 294 - 325, bes. 308. 126 Matricula facultatis juristarum studii Wiennensis [I] [1402- 1442], Universitätsarchiv Wien, Sign. J 1 (fortan MJW) f. 16v, 18: 1422 ehrenhalber Dekan; RI XI, 2 S. 568; RTA 10 S. 1129; Lieberich, Räte, S. 186; Marschall, S. 303 ff.; ders., Der Breslauer Domdekan Nikolaus Stock auf der Diözesansynode von 1446, in: Archiv f. schles. Kirchengesch. 35, 1977, S. 51-63. Zeiselmeister und Stock gehörten im Gegensatz zu den Italienern der Pfründenkirche an. 127 Das Material, jedoch für unsere Fragen sehr unzulänglich, bei Forstreiter, passim. us Moraw, Kanzlei, S. 488 ff.

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wohl in Gestalt Kaspar Schlicks 129, der mit Leipziger Artistenbildung Kanzler dreier Könige werden sollte (1433 -1448/49, 1429 schon Vizekanzler); 3. die eingangs genannten besonderen Rahmenbedingungen Sigismunds, zumal der Mangel an einer heimisch-territorialen Basis für Kanzleijuristen und seine Universitätsferne, haben weitere Voraussetzungen für einen solchen Kontinuitätsbruch geboten. Wichtiger freilich als die spezielle Frage nach den Ursachen ist die allgemeine, vor allem verwaltungsgeschichtlich bedenkenswerte Beobachtung, in welch' geringem Maße auch noch im 15. Jh. "behörden"bezogene Kontinuität bestanden hat, so daß auf Grund von Substratsveränderungen und von personengebundenen Faktoren extreme Schwankungen auftreten konnten. Unter den deutschen Kanzlern Sigismunds hat nur Georg von Hohenlohe130, Bischof von Passau (im Kanzleramt 1417- 1422, t 1423), der schwerlich wegen seiner Rechtskenntnisse, sondern aus politischen Gründen ernannt worden war, gelehrte Jurisprudenz gehört, und zwar an der Prager Juristenuniversität, wo er auch 1383 (Ehren-)Rektor gewesen war, aber seinem hohen Adelsrang gemäß kein Examen abgelegt hatte. Das ist im Lichte unserer älteren Erfahrungen nicht sehr überraschend. Gänzlich neu ist jedoch die extreme Entjuridifizierung der Gruppe der Protonotare und Vizekanzler (welch' neuen Titel wir für unseren Zweck hier anreihen können), die bisher die eigentlichen fachlich, d. h . oft gelehrt-juristisch fundierten Träger der schriftlichen Regierungstätigkeit des Königs gewesen waren: Unter den zehn Personen, die dieses Amt wirklich ausgeübt haben131, könnte es mit Michael von Priest (im Amt 1414/18 -1427) bestenfalls einen einzigen Graduierten (Doktor des Kirchenrechts) gegeben haben, und selbst hier bestehen starke Zweifel; sein Kollege Johann Gersse vom Niederrhein hatte wenigstens in Köln ein Jurastudium begonnen132. Protonotar ehrenhalber war doctor legum Johannes Kirchen d. J., ein Sohn des erwähnten rechtspraktischen Protonotars Ruprechts und Sigismunds, Student in Heidelberg, Wien und Bologna und Heidelberger Professor132a. Der von zwei rechtsgelehrten Kanzleibeamten des Stiefbruders 129

Forstreiter, S. 24, 86 ff., vgl. unten Anm. 173.

130 MUP li, 1 S. 175; Forstreiter, S. 4 ff., 73 ff. 131 Ebd. S. 25 ff., 106 ff.

132 Priest: Ebd. S. 30, 113 ff.; Schindler, S. 325; Hlavticek, Urkundenwesen, S. 222, 318; W. Marschall, Schlesier auf dem Konzil von Konstanz, in: Festschrift f. B. Stasiewski, Köln 1975, S. 34 - 64, bes. 51 f. - Gersse: Forstreiter, s. 42, 127 ff., 140. ma Ebd. S. 28, 112; Schmidt I Heimpel, S. 116 (einer jener Heidelberger "Aufsteiger" der zweiten Generation, von denen in Anm. 106 die Rede war). - Der Kanzlerbruder Matthäus Schlick weilte zum Jurastudium in Wien und Bologna (MJW I f. 23v, 26; Friedländer-Malagola, S. 180; Knod, S. 496), er wird (wohl ehrenhalber) Notar, secretarius und Rat genannt (Forstreiter, s. 61, 144, 171).

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(Johann von Bamberg und Paul von Tost) getragene Versuch, an die Kanzleijuristen-Tradition König Wenzels anzuknüpfen, ist nach sehr kurzer Zeit gescheitert133, vermutlich aus ähnlichen Gründen - wegen des nichtanpassungsfähigen Substrats - wie bei der in den Anfängen Karls IV. auftretenden romanisch bestimmten Juristengruppe. Im Kreis der übrigen Notare Sigismunds, und das heißt in der ganzen Hofkanzlei, sind nur noch zwei weitere gelehrte Juristen in untergeordneter Position nachzuweisen, der Schwabe J odok Rot, scriptor und secretarius, und Peter Schenk aus Waibstadt unweit Heidelberg, beide mit Wiener Jurastudium133a, während wir wie gewohnt Rechtspraktiker, darunter auch öffentliche Notare, und "Beamte" mit wirtschaftlich-finanziellem Ausweis vorfinden.

d) Die Frage, wer außer der schon behandelten Legistengruppe die selbstverständlich weiterdauernden rechtsbezogenen Aufgaben des Königtums übernahm, stellt sich daher mit Dringlichkeit. Und tatsächlich ist mit wünschenswerter chronologischer Exaktheit ein Novum aufzuweisen, das einen Teil der Antwort bietet: Die behördenartige Verfestigung einer alten Aufgabe des Königsdienstes führte jetzt zum Fiskalat134• Der Fiskal vertrat bekanntlich das Interesse des Königs gegenüber den Untertanen und zwar im Sinne der Durchsetzung der Herrscherrechte, womöglich durch Aufweis und Anklage entsprechender Rechtsverletzungen. Im Jahre 1421 ist erstmals für diese wie gesagt ältere und fortan stets ratsgleiche Funktion eine betitelte Person namentlich bezeugt, und zwar ein gelehrter Jurist, der uns schon begegnet ist: Der Legist Dr. Bartolus aus Pisa übte das Amt ein Jahrzehnt lang aus und hat im üblichen Patronagehandeln den vermutlich mit ihm verwandten Antonius Bartholomaei Franchi aus Pisa mit herangezogen135 • Weder beim Fiskalat noch bei irgendeinem anderen zeitgenössischen Königsamt darf man bekanntlich mit einer reinlich destillierbaren Beamtenabfolge rechnen. Angesichts dessen ist es sogar bemerkenswert "bürokratisch", daß wir mit dem gelehrten Juristen (Bakkalaureus des Kirchenrechts einer unbekannten Universität) Ulrich Meiger von Wa133 Ebd. S. 133 ff. und 147; sonst vgl. oben Anm. 72 und 78. Es wirkte weiter als Protonotar Franz von Gewitsch (oben Anm. 77), dessen Rechtsstudium nur vermutet werden kann (Forstreiter, S. 42 f., 129 f.). t33a Jodok: MJW I f. 3v (15v ist wohl ein anderer); RI XI. 2 S. 552; Rep. Germ. IV, bes. Sp. 1584 ff.; Forstreiter, S. 49 f., 141. - Peter: MJW I f . 9 (zus. mit Mag. Johann Kirchen jun.!); RI XI, 2 S. 557; Forstreiter, S. 63 f., 144 f. 134 KnoHe, passim. 135 Ebd. S. 65ff.; vgl. oben Anm. 118 u. 121; RI XI. 2 S. 491.- Im Jahre 1427 war der Lizentiat des Zivilrechts Stephanus de Vini (gewiß kein Deutscher) Fiskal für Burgund, eine einmalige, wohl vorübergehende Aktion (KnoHe, S. 165 ff.).

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seneck138 aus einer Niederadelsfamilie des heutigen Württemberg, dem ersten Fiskal deutscher Herkunft, einen zeitlich fast exakten Anschluß gewinnen (1430/31- 1434, t 1438/40), dem dann 1435/36 der Rechtspraktiker Johann Geisler137 aus einer Göttinger Großbürgerfamilie folgen und die Brücke zum Nachfolger im Königsamt schlagen wird; beide waren Laien oder äußerstenfalls clerici conjugati. Für die Möglichkeiten Sigismunds ist die zuerst reichsnah-italienische (Pisa mit langer entsprechender Tradition) und dann südwestdeutsche Rekrutierung so typisch, daß man wieder auf das für uns so wesentliche Faktum aufmerksam machen sollte, daß es nach wie vor nur bestimmte einzelne Personenreservoirs und damit keine über das ganze Reichsgebiet hinweg kohärente Juristengruppe gab. Genauso bemerkenswert ist die Tatsache der Zweitrekrutierung (zuvor war Meiger für Baden und Straßburg tätig), da keine Königshausmacht einen Binnenaufstieg ermöglichte: Insofern weisen die zwanziger und dreißiger Jahre schon voraus auf die kommende Gruppe der Berufsjuristen/Berufspolitiker, die - indem sie von der Politik und ihren wechselnden Konstellationen leben werden - diese und jene nicht unbeträchtlich verändern sollten. Zum dritten wird man abermals über die Gefahr isolierender Behördengeschichte belehrt, die die wahren genetischen Zusammenhänge im Bereich des ganzen Hofes und seines Umfeldes nicht zu erkennen vermag und zudem die unwiderstehliche Wirkung äußerer Rahmenbedingungen (Soziales, Kommunikation, Verkehr) gern übersieht. Indirekt ist nämlich das Fiskalat neben legistischen Antrieben zuletzt doch aus der Hofkanzlei als dem älteren zentralen Juristenreservoir hervorgewachsen, ebenso wie auch die Legistik Sigismunds zum Teil als Surrogat einer nicht mehr ausgeübten Kanzleifunktion aufzufassen ist. Anfänge des Fiskalats konnten sich wohl im Schoß der Kanzlei entwickeln, ohne daß man schon des Amtes und des Titels bedurft hätte, die erst auf Grund der neuartigen Separierung und Isolation zur Legitimierung erforderlich waren. Unser Verständnis von Rechts- und Verwaltungsgeschichte in "patrimonialer" Zeit sucht demnach nicht in erster Linie nach Ergebnissen von Überlegungen und Vorausplanung, sondern nach konkreten Herausforderungen und Augenblick:snotwendigkeiten, die dann Anlaß zu fortan eigengesetzlicher, auch behördlicher Entwicklung, zu Spezialisierung und "Modernisierung" boten1ss. Die Verfestigung des Fiskalats erkennt man an der zunächst überwiegend durch die Praxis 136 RI XI, 2 S. 528; RTA 11 S. 223 Nr. 109; H. Kaiser, Ulrich Meiger von Waseneck, ZGO N. F. 55 (1901), S. 161 - 206; Knolle, S. 79 ff. 137 W. Falckenheiner, Göttinger Bürgersöhne auf auswärtigen Universitäten bis 1737, Neues Gött. Jb. 2 (1929), S. 27 ff., bes. 31, 37 f.; Knolle, S. 83. 138 Vgl. oben Anm. 8.

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gebotenen und dann (wenigstens für das Kammergerichtsfiskalat) auch obrigkeitlich fixierten Bedingung gelehrter Rechtskenntnis des Fiskals (1500); es gibt aber auch Belege für eine allgemein-politische Betätigung des Amtsinhabers. e) Unter ähnlichen Voraussetzungen könnte man vermutlich die Veränderungen bedenken, die zur gleichen Zeit beim königlichen Gerichtswesen vor sich gingen, wie es die Forschung mit dem Stichwort "Nachweis des Kammergerichts seit 1415" andeutet. Für uns ist es zweckmäßig, diese Fragen (soweit sie überhaupt zu unserem Thema und nicht zur Frage nach adelsständischer und rechtspraktischer Gerichtsbarkeit gehören) für das Zeitalter vor Friedrich III. nicht zu erörtern; immerhin sei angemerkt, daß reichsstädtische Beobachter der Hofverhältnisse im Jahre 1434 einen Neubeginn der Hof- und Kammergerichtsbarkeit mit der Ankunft von "des Kaisers Doktoren und Rechtsgelehrten" kausal in Zusammenhang brachten, nachdem man seit 1417 und verstärkt dann seit etwa 1440 entsprechende Forderungen erhob139• f) Findet sich demnach deutlicher als früher im Zeitalter Sigismunds ressortartige Spezialisierung gelehrt-juristischen Handelns, die wir zunächst im Hinblick auf die Iegistische Seite behandelt hatten und klarer als je zuvor von anderen, mehr oder weniger kirchlich bestimmten oder mitbestimmten Bereichen absondern konnten, so muß man dessen ungeachtet im Hinblick auf die großen Aufgaben dieser Generation der Kirchenfrage ebensoviel Aufmerksamkeit schenken; sie hat seit hundert Jahren kaum je größeres Gewicht besessen und mehr Spezialkenntnis, auch juristischer Art, erfordert. So waren auch die meisten bisher unerwähnt gebliebenen gelehrten Juristen Sigismunds, die zugleich Räte und secretarii waren, diesem Bereich zugeordnet.

Was hier wesentlich ist, sei vorweggenommen: Spätestens von den zwanziger Jahren an nahmen neben dem König auch andere Kräfte im Reich, für unser Interesse zuerst Kurfürsten und große königsnahe Reichsstädte, in anwachsender Zahl gelehrte Juristen in Dienst, gutenteils aus uns schon vom König her bekannten Motiven. Diese Fachleute trafen sich auf Konzilien und Tagen oder im Gesandtenverkehr, wenn sie sich nicht längst schon von Universitäten, Kirchen und Höfen her kannten. Der Weg vom Nebeneinander zum Ineinander, zur Verdichtung des politischen Lebens, wird deutlicher erkennbar und wurde immer bedeutungsvoller, bis eine neuartige "politische Gruppe" eine gemeinsameBühne "Reich" und damit ein neues Stadium der Konkretisierung dieses Gemeinwesens wird heranwachsen lassen. Es gab viele Statisten oder Zaungäste, aber es gab auch "Stars", und man konnte sich bei 139 RTA 11 S. 376 f. Nr. 195: 13 S. 386, 448, 456; EHinger, S. 137; Burmeister. Studium, S. 12; Heimpel, Vener, S. 12.

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bedeutenden Leistungen entsprechend "profilieren", wie das Beispiel des Cusanus schlagend erweist140• Neben die verschiedenen Stufen der Adelskommunikation, der Kirchen-, Wirtschafts- und Universitätskommunikation trat damit- vielfach mit diesen verflochten- die Juristenkommunikation, und zwar allmählich mit "modernen", stärker laikalen und berufsbezogenen Wesenszügen. All' dieses wurde dadurch beschleunigt, daß die Hussitengefahr die Selbstorganisation des Reiches in großer Not in Gang setzte und daß gegenüber den Konzilien zugleich das Schicksal der Papstkirche auf dem Spiel stand. Zu den Hussitenverhandlungen von 1429 entsandte der König z. B. nicht weniger als vier leider ungenannte Doktoren (darunter sind sicher auch Theologen gewesen)141, und vor allem erlebte man auf den Konzilien eine bislang unerhörte Massierung von Gelehrsamkeit und gelehrter Jurisprudenz: In Konstanz zählt man unter 409 Graduierten aller Fakultäten 186 Doktoren; in Basel weilten bis 1442 mehr als 170 Doktoren der Rechtswissenschaft, darunter 122 Dekretisten, 19 Legisten und 30 Doktoren beider Rechte, ferner 204 Lizentiaten der Rechte. Die Bischöfe hatten wohl noch Konstanz beherrscht, die Doktoren und Magister bestimmten BaseP42. Im Kreis der Kirchenjuristen Sigismunds freilich gab es keine klare Kontinuität, so daß der Eindruck entsteht, man habe eher je nach Herausforderung mehr oder weniger für den Augenblick gehandelt, mit Ausnahme erst der späteren Jahre gegenüber Basel, als eine wenigstens teilweise über den Tod des Kaisers hinauswirkende Juristen"mannschaft" herangezogen worden war. Indessen ist diese Gruppe für uns fast allein durch Gesandtentätigkeit und das heißt recht lückenhaft erkennbar; leider treten zumal in Konstanz die unmittelbaren Konzilsberater des Königs infolge der geringen räumlichen Distanz, die schriftliche Anweisungen überflüssig machte, bei weitem nicht genügend deutlich hervor. Es sind zuerst zu nennen Christian von Mühlhausen 143 , Dr. jur., 1418 Rat, aus Frager Zusammenhang, offenkundig auch sehr kurze Zeit in legistennahem Auftrag tätig, und Dr. decret. Albert Varrentrapp 140 E. Meuthen, Das Trierer Schisma von 1430 auf dem Basler Konzil, Münster 1964; fortan auch: Acta Cusana, hrsg. v. E. Meuthen u . H. Hallauer, 1. Harnburg 1976.- E. Meuthen, Nikolaus von Kues, 4. Aufl. Münster 1979; H.-J. Becker, Nikolaus von Kues, HRG III (20. Lief., 1981) Sp. 1014- 1019. 141 Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges, 2, Prag 1873, S. 22 Nr. 574. 142 J. Ringel, Die Teilnehmerlisten des Konstanzer Konzils, Diss. Freiburg/Er. 1916; M. Lehmann, Die Mitglieder des Basler Konzils von seinen Anfängen bis August 1442, Ms. Diss. Wien 1945, bes. S. 90 ff.; eine ungedruckte Konstanzer Liste z. B. Stadtarchiv Frankfurt a . M. Reichssachen Nachträge 962 a. - Allgemein: A. N. E. D. Schofield, Councils and Assemblies, Cambridge 1971, S. 219- 227. 143 RI XI 3095, 3714.

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aus Münster (t 1438)144, secretarius 1420/21, ein Träger besonders intensiver Prager Erinnerungen, da er 1409 als Universitätslehrer (letzter deutscher Dekan der Artistenfakultät) an dem nach dem Kutteoberger Dekret von der großen Mehrheit der Lehrer und Studenten vollzogenen Auszug teilgenommen und in Leipzig, dem Nachfolgeplatz, eine größere Rolle gespielt hatte. Nach dem Königsdienst ging er nach Köln. Es wird spätestens hier eine Gruppe von "Exilpolitikern" erkennbar, die vielfach Juristen waren und ein letztes Zeugnis vom Rang der Prager Universität vor ihrer fast tödlichen Krise ablegten. Ein gleichrangig in Heidelberg und Würzburg graduierter oder lehrender Kollege war Winand von Steeg145, vom Mittelrhein aus Kurpfälzer Zusammenhang stammend, 1419 secretarius, der anschließend in Nürnberger Dienste trat und danach wieder zu rheinischen Pfründen zurückkehrte (t 1451). Der uns schon bekannte Johannes Naso14«, Rat auch Sigismunds, bald Bischof von Chur (1418 -1440), und der Würzburger Bischof Johann von Brunn (1411 -1440), einst Rektor (ehrenhalber) der Prager Juristenuniversität (1394)1 48a, bildeten als zwei letzte "Prager" in lockerer Ratstätigkeit eine Brücke hinüber zur zweiten, um Basel konzentrierten Juristengruppe. Hier gab es unter den kaiserlichen Räten Namen, die in die habsburgische Zukunft weisen: Zunächst Dr. decret. Johannes Schele 141, Bischof von Lübeck (1430 -1439), sehr wahrscheinlich Ratsherrensohn aus Hannover, ausgebildet in Padua und Bologna, die als Bildungsstätten nach dem Ausscheiden Prags vorerst noch stärker nach vorn traten, vor dem Königsdienst päpstlicher Abbreviator; danach Peter von Schaumberg148, Bischof von Augsburg seit 1424 (Kardinal 1439, t 1469) aus fränkischem Rittergeschlecht, verwandt mit Ruprechts Juristenrat Johann von Wallenrode, ungraduierter Student in Bologna; 144 MUP I, S. 120, II, 1 S. 153; RTA 8 S. 77; Rep. Germ. IV Personenreg. Sp. 12; Forstreiter, S. 50 f., 142; Schmidt I Heimpel, S. 110; E. Meuthen, Rota und Rotamanuale des Basler Konzils, in: Römische Kurie, Kirchliche Finanzen, Vatikanisches Archiv. Studien zu Ehren von H. Hoberg, 1, Roma 1979, S. 473- 518 bes. 510 ff. 145 RI XI 3848; RTA 8 S. 229; Forstreiter, S. 51, 142; F. W. Ellinger, Die Juristen der Reichsstadt Nürnberg vom 15. bis 17. Jahrhundert, in: Reichsstadt Nürnberg, Altdorf und Hersbruck, 1954, S. 130 ff., bes. 159; Schmidt I Heimpel, s. 9ff. 146 Vgl. oben Anm. 96. Ferner RI XI, 2 S. 479; RTA 10 S. 1085; 11 S. 619;

Lehmann, S. 269. 148a

MUP II, 1 S. 45, 78 f., 105, 146; Wendehorst, 2, S. 142 ff.

H. Ammon, Johannes Sdlele, Bischof von Lübeck, auf dem Basler Konzil, Lübeck 1931; G. Hödl, Zur Reichspolitik des Basler Konzils: Bischof Johannes Schele von Lübeck (1420 -1438), MIÖG 75 (1967), S. 46- 65; H. Zimmermann, Die Herkunft Johann Scheles Bischofs von Lübeck, Hannoversche Geschichtsbll. N. F. 23 (1969), S. 77- 84; K. Wriedt, Johannes Schele, SchleswigHolst. Biographisches Lexikon, 4, 1976, S. 201 f. 148 RI XI, 2 S. 469; A. Uhl, Bischof Peter von Schaumberg, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, 3, München 1954, S. 37 - 80; Zoepfl, S. 380 ff. 147

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sodann einer der bekanntesten Juristen im Reich, der Doktor beider Rechte (in Padua) Gregor Heimburg 149 aus reichsstädtisch Schweinfurter Bürgermeisterfamilie (t 1472), Laie und gleichwohl Mainzer General~ vikarund einflußreich am Basler Konzil, 1433/34 als Rat in kaiserlichen Diensten, bis auch er nach Nürnberg wechselte; zuletzt Dr. utriusque iuris und Ritter Georg Fischl15o, der uns bald wieder begegnen wird. Es gab beim König die ersten Boten einer vielfach neuartigen, im pro und contra gleichermaßen verflochtenen Generation von politischen Juristen, die ohne Kirchenamt als Gehaltsempfänger von ihrem Be~ ruf lebten151• 2. Die kurze Dauer der Regierungszeit König Albrechts Il.152 (14381439), des habsburgischen Schwiegersohns und längst erklärten Erben Sigismunds, erlaubt es, daß wir uns gänzlich auf die Frage nach Kon~ tinuität oder Wandel konzentrieren. Dabei ist wesentlich, daß man das Gewicht der Hausmacht jetzt wieder voll in Rechnung stellen muß, so daß eigentlich diejenige lange Zeitspanne rückgreifend mitzubehan~ deln wäre, die das Heranwachsen der neuhabsburgischen Territorien umfaßtt 52a. Demgemäß ist eine eigentümliche Mischung von Altem und Neuern festzustellen. Radikal anders und damit eine Rückkehr zum hausmachtbetonten Regierungsstil war der Verzicht auf italienische Le~ gisten, der auch unter dem Nachfolger Friedrich bestehen bleiben wird. Das Hofsubstrat war eben ganz anders beschaffen als beim Schwiegervater und stand in dieser Hinsicht dem Heidelberger Milieu vom Anfang des Jahrhunderts näher. Hingegen blieb die Juristenferne der Hofkanz~ lei infolge der Übernahme des größten Teils des luxemburgischen Per~ sonals erhalten, an dessen Spitze wieder Kaspar Schlick stand; die bisher tätige territoriale Kanzlei, die bald Österreichische Hofkanzlei ge~ nannt werden wird und dem Hausmachtbrauch gemäß gelehrt~juristen~ 149 RTA 11 Nr. 229 S. 434; Acta Cusana 1 Nr. 167, 221; P. Joachimsohn, Gregor Heimburg, Bamberg 1891; EHinger, S. 160; E. Maschke, Gregor Heim~ burg und der Deutsche Orden, in: ders., Domus Hospitalis Theutonicorum, Bonn 1970, S. 150 -157; A. Wendehorst, Gregor Heimburg, in: Fränkische Lebensbilder, 4, Würzburg 1971, S. 112 - 129. tso Matrikel Wien I S. 111; MJW I f . 14; RI XI, 2 S. 578; RTA 9 S. 279; 13 s. 994; 15 s. 925. m Dr. Kaspar Stange von Wandofen, Deutschordensprokurator und Bologneser Jurist (t 1437), war (eher ehrenhalber) Rat Sigismunds (RTA 10 S. 1129). Kapellan war Dr. decret. Johann Schaltermann aus Soest (Studien in Heidelberg und Padua, t 1465): (RI XI 7093, 7140, 8892), Dekan der Wiener Juristischen Fakultät 1412, 1416, 1424 (MJW I f. 6v, 11, 17); A. A. Strnad, Zum Studiengang des Dekretisten Johannes Schallermann, MIÖG 74 (1966), S. 108- 117; Meuthen, Rota, S. 511. Vgl. unten zu Anm. 193. m Das Reichsregister König Albrechts II., bearb. v. H. Koller, Wien 1955 (MÖSTA Erg.-Bd. IV); Rl XII, bearb. v. G. Hödt, Wien 1975; ders., Albrecht II., Wien 1978. 15 2 a z. B. A. A. Strnad, Kanzler und Kirchenfürst, Jb. d. Stiftes Klosterneuburg N. F. 3 (1963), S. 79 -107.

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nah beschaffen war, spielte anders als unter dem Nachfolger noch keine größere Rolle, wenngleich sie offenbar im Unterschied zu früher auch 1438 für sich bestehen blieb. Die Tradition der fiskalischen Reichsdurchdringung wurde unverändert fortgesetzt, ja eher noch verstärkt und hatte damit Anteil an den vielfältigen und so folgenreichen Verdichtungsvorgängen dieser und der nächsten Generation im Reich. Aber damit war die durch den Verzicht auf die italienischen Legisten gerissene Lücke noch nicht geschlossen, so daß zunächst die Gruppe der um die Kirchenpolitik gescharten Rechtsgelehrten quantitativ und wohl auch ihrem Gewicht nach beträchtlich anwuchs; ohnedies war die Konzils- und Papstfrage kaum jemals brennender. Diese vermischte sich aber stärker als je zuvor mit der Kurfürsten- und damit mit der Verfassungsfrage des Reiches. Der Bedarf an entsprechenden Fachleuten nahm zu, und hierbei zeichnete sich eine breite Personalkontinuität zum Vorgänger und Nachfolger ab. Alle diese Aktivitäten wurden freilich, wie wir schon wissen, keineswegs allein von gelehrten Juristen getragen, so daß auch hier zweckmäßigerweise an den ausschnitthaften Charakter unseres Versuchs erinnert sei. Denn daß der uns hier interessierende Aspekt der Rechtsgelehrsamkeit für die Zeitgenossen keineswegs stets an erster Stelle stand, mag der gegenüber der Hofkanzlei eingeleitete, schnell gescheiterte Versuch der Kurfürsten von 1438 illustrieren, Schlick durch einen "ehrbaren, weisen, gelehrten, deutschgeborenen Prälaten" zu ersetzen153. Damit wollte man ganz präzise die Person des allzu städtenahen Kanzlers treffen, vielleicht auch vorsorglich einen Ungarn oder Italiener ausschließen, kaum aber in abstrakter Form einen Rechtsfachmann zur Bedingung machen; dies war ein gut klingendes Zusatzargument, kein Kernproblem. Gerade jetzt war kein einziger der Protonotare der Hofkanzlei gelehrter Jurist, sondern allein Johannes (Hans) von Maiers, seit 1436 österreichischer Hofkanzler, als Wiener Lizentiat des Kirchenrechts154. Dringlicher war, wenigstens in den Augen des königlichen "Finanzministers" und Erbkämmerers Konrad von W einsberg, die Rechtsgelehrsamkeit im Finanzwesen. Da das Fiskalat in Albrechts Zeit in Kontinuität zu Sigismund und dann zu Friedrich III. hin rein rechtspraktisch ausgeübt wurde155, sah Konrad in seinen Reformvorschlägen an den neuen König einen Lizentiaten oder Doktor der Jurisprudenz für seine m

RTA 13 S. 95 Nr. 38. MJW I f. 16, 18; RI XII Nr. 1178 u. S. 315; H. Goehler, Das Wiener

155

RI XII S . 315; KnoHe, S. 82 ff., 103 ff.

153

Kollegiat-, nachmals Domkapitel zum hl. Stephan in seiner persönlichen Zusammensetzung in den ersten zwei Jahrhunderten seines Bestandes 13651554, Ms. Diss. Wien 1932, S. 238 ff. Vgl. unten Anm. 166.

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Finanzverwaltung als notwendig an, freilich als allerletzten Punkt auf seinem MerkzetteP56• So etwas war wohl eine inzwischen verbreitete Forderung geworden. Den Schwerpunkt des Interesses an Albrecht II. legen wir auf diejenige Rechtsgelehrsamkeit, die sich an die Kirche und zugleich damit in diesen Jahren immer mehr auch an das Reich wandte; eine solche latent stets vorhanden gewesene und gelegentlich auch manifest gewordene Verknüpfung wird bald zur Gleichrangigkeit b€ider Themen und in der Zukunft zum Übergewicht der Reichsproblematik führen, was sich auch auf unsere Fragen auswirken wird. Die Konzil-Papst-Sorge beschäftigte die ersten Köpfe des Fachs, die "gelertsten doctores", die 1438 König und Kurfürsten "in iren landen konnen gehaben": Heimburg, Fisch!, Heinrich Leubing, Hugo Dorre (den Sohn wohl eines rechtspraktischen Kanzleibeamten Ruprechts), auch Johann von Lieser und andere157• Die bekannte Neutralitätserklärung gegenüber Papst und Konzil ist wohl eines der ersten spezifischen Produkte dieses Kreises, von dem die Königsdiener nur einen Teil bildeten. Den Zusammenhang Albrechts mit Sigismund verkörperten als Räte des Habsburgers die Bischöfe J ohann von Lübeck und Peter von Augsburg, dann Fischl, der als Konzilsstatthalter für den König wirkte, und wohl auch der nach Studien in Wien und Heidelberg zum Doktor des Kirchenrechts der Basler Konzils-Universität gewordene Johannes von Beinheim, illegitimer Sohn des elsässischen Adeligen Heinrich von FZeckenstein158. Neu traten in die Zahl der Räte ein die Bischöfe Friedrich von Regensburg (1437 -1456) aus dem Oberpfälzer Adelshaus Parsberg159, Lizentiat des Kirchenrechts nach Studien in Wien, Heidelberg und Bologna, Leonhard von Passau (1424 -1451) von Laiming160 aus RTA 13 S. 99 Nr. 41; vgl. S. 595 Nr. 308. RTA 13 S. 592 Nr. 304; vgl. S. 216 ff. Nr. 130, vgl. die Literatur in Anm. 140. Zu Lieser: J. Weiget, Kaiser, Kurfürst und Jurist, in: Aus Reichstagen des 15. und 16. Jahrhunderts, Göttingen 1958, S. 80 -115; J . H. Ringel, Studien zum Personal der Kanzlei des Mainzer Erzbischofs Dietrich von Erbach (1434 - 1459), Mainz 1980, S. 237 ff. tss Johann: Reichsregister Albrechts II., S. 272, vgl. S. 139 Nr. 188; J. Ziegelwagner, König Albrecht II. als oberster Richter im Reich, Ms. Diss. Salzburg 1969, S. 72.- Peter: Reichsregister S. 139 Nr. 188; Z i egetwagner, S. 73.- Zu Fischt oben Anm. 150. - Beinheim: Reichsregister S. 242 Nr. 370; RI XII Nr. 1103; A. BernouHi, Die Chroniken Heinrichs von Beinheim, in: Basler Chroniken, 5, Leipzig 1895, S. 327-469; Lehmann, S. 129; W. D. Wackernaget, Heinrich von Beinheim, an Ecclesiastical Judge of the 15th Century, in: Essays in Honor of Felix Frankfurter, 1966, S. 275- 288; Ziegetwagner, S. 72; Helvetia sacra, I, S. 248 f.; T. Struve, Reform oder Revolution?, ZGO 126 (1978), S. 73129 bes. 75. 159 Friedtänder-Matagota, S. 163; Knod, S. 397; Ziegetwagner, S. 74. 160 MJW I f. 3; Reichsregister Albrechts II. S. 139 Nr. 188; RI XII S. 324; G. Kotter, Princeps in Ecclesia, Wien 1964, bes. S. 183 ff.; Ziegetwagner, S. 72; vgl. unten Anm. 173. 156

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Chiemgauer Adel, Student in Wien und Bologna, sowie der vielleicht nur wegen einer Quellenlücke allein als Gesandter zu qualifizierende Silvester von Chiernsee (1438- 1454) aus der Augsburger Familie Pflieger161, Doktor des Kirchenrechts nach Aufenthalten in Wien und Padua und bald zu höheren Aufgaben bestimmt. Unter den im Kirchendienst damals noch nicht so hochgestiegenen Räten stand seiner politischen Bedeutung nach an erster Stelle der Doktor beider Rechte Johann von Eich 162 Paduaner Provenienz nach Studien in Wien, aus fränkischer Ritterfamilie (Aich bei Heilsbronn, Bischof von Eichstätt 1445 -1464). Gerade in Padua hat sich vor und um 1430 eine Zusammenballung später wichtiger Königs- und Reichsjuristen ergeben, die an personalpolitisch ähnlich wichtige Knotenpunkte im vergangenen Jahrhundert in Bologna oder Prag erinnert, worauf wir gelegentlich hingewiesen haben. Es folgen ebenfalls als Räte der Doktor des Kirchenrechts Rudolf Hecker von Rüdesheim163 aus bürgerlicher Familie, Rotaauditor, später Bischof von Lavant (1463 -1467) und Breslau (1467- 1482) und päpstlicher Legat, der im zweiten Thorner Frieden von 1466 eine große Rolle spielen wird, Heidelberger und römischer Student, der Ordensmann Georg Münsinger, Propst des Augustinerchorherrenstiftes Klosterneuburg bei Wien, nicht graduierter Jurastudent ebendort, und nur als Kapellan der vielleicht nur ehrenhalber hierzu ernannte Peter Nowag aus Neiße, Dornkustos in Breslau (später dort 1447-1455 Bischof), Doktor des Kirchenrechts1114 , 3. Wir kommen nun zur längsten Regierungszeit unseres Zeitalters, derjenigen Kaiser Friedrichs 111. (1440- 1493), die die größte Zahl gelehrter Juristen aufweist und zugleich quellentechnisch die relativ größten Schwierigkeiten bereitet, daher hier auch derzeit noch nicht vollständig erfaßt werden kann. Zu den für uns wesentlichsten Veränderungen des Zeitalters zählen die Rückkehr der gelehrten Juristen in die Reichs-Hofkanzlei, die Rejuridifizierung des Fiskalats und das überwältigend starke Eindringen von Rechtsgelehrten in das Kammer161 MJW I f. 6; RI XII S. 338; ADB 34, S. 342; Ziegelwagner, S. 74; vgl. unten Anm. 167. m Matrikel Wien I, S. 140; MJW I f. 30, 32v (Dekan ehrenhalber 1435, 1437); Reichsregister S. 139 Nr. 188; RI XII S. 321; RTA 13 S. 675 Nr. 371, S. 730 ff., S. 742 Nr. 374; 14 S. 843, 854; Rep. Germ. IV Sp. 1840 f.; Ziegelwagner, S. 73; NDB 10, S. 483 f. 163 RTA 13 S. 890, 14 S. 875; Reichsregister S. 113 f. Nr. 140; ADB 29, S. 529534; L. Petry, Rudolf von Rüdesheim, Bischof von Lavant und Breslau, MIÖG 78 (1970), S. 347-357. 16' Georg: Reichsregister Albrechts II. S. 205; RI XII Nr. 275; Ziegelwagner, S. 74.- Peter: MJW I f. 16, 19, 28v (1436 Dekan ehrenhalber); RI XII Nr. 275. - Sehr unsicher ist Johann von Ebersdorf (bei Ziegelwagner, S. 75). - Ein Ausländer ist offenbar der nicht näher bestimmbare Dr. utriusque iuris Augustinus, procurator et advocatus (RTA 13 S. 897; 1438).

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gericht, das die Wormser Parität von 1495 vorweggenommen hat. Die Kirchenproblematik trat immer mehr zurück hinter den Fragen der Innenpolitik: Es ist die Zeit mühseliger Selbstbehauptung des Königtums unter sehr schwierigen Umständen, aber auch die Zeit der heranwachsenden, zunächst vor allem mentalen und sozialen, allmählich auch politisch-verfassungstechnischen Reichsverdichtung. a) Wir sprechen zuerst von den Kanzleien. Die Analyse von Beschaffenheit und gegenseitigem Verhältnis der beiden unter Friedrich III. arbeitenden Kanzleien165, der Reichshofkanzlei (Römische Hofkanzlei) und der Österreichischen Hofkanzlei, ist ein bislang gänzlich unzureichend behandeltes Thema der Verwaltungsgeschichte; wir müssen uns bei dem hier vorliegenden ersten Versuch mit Annäherungen begnügen. Kaum ein anderes verfassungsgeschichtliches Phänomen des Zeitalters dokumentiert jedenfalls die neue und fortan weiterwirkende Problematik einer Königshausmacht am äußersten Rand des Reiches mit mancherlei selbständigen Traditionen (und später mit einer bislang unerhörten Machtkonzentration) besser als der Entschluß, den territorialen Hofkanzleibestand nicht wie bisher mit der Kanzleikontinuität des Königtums zusammenzuführen. Vielmehr ließ Friedrich dem personellen Dualismus, der sich jetzt wie jedesmal bei einer Königswahl ohne Vater-Sohn-Abfolge ergab, auch institutionell freie Bahn; er wollte damit nichts Neues einrichten, sondern wollte vermeiden, etwas (im territorialen Rahmen) Neues durchsetzen zu müssen. Dieses Nebeneinander zweier Kanzleien, das sich wegen der langen Dauer der Regierungszeit Friedrichs ganz anders auswirkte als ein ähnliches Geschehen unter dem Vorgänger, darf man freilich nicht von modernen Vorstellungen her mißverstehen: Es gab keinen abstrakten Anstaltsstaat, so daß die Person des einen Herrschers im Hofbereich nach Belieben umlenkend einzugreifen vermochte; es gab keine moderne Ressortabgrenzung, so daß man Sprünge in den "Zuständigkeiten" feststellt; es gab keine moderne Behördenkontinuität, die über lange Zeiträume hinweg gleichbleibendes Handeln anzunehmen erlaubt; es war alles andere als eine politisch-"separatistische" Willenserklärung - und trotzdem war dieser Dualismus etwas wesentlich Neuesund Wirksames. Wenn die Österreichische Hofkanzlei auch nicht in vollem Maße an Albrecht II. anknüpfen konnte, da die Erblande der beiden Verwandlas Die Quellen- und Literatursituation ist sehr ungünstig, weil die RI XIII noch ausstehen. Vorerst J. Chme~. Regesta chronologico-diplomatica Friderici IV. Romanorum regis, Wien 1838/40 (ohne Reg.); B. Seuffert, Drei Register aus den Jahren 1478- 1519, Innsbruck 1934; zur Personengesch. Goeh~er; H. Großmann, Die Frühzeit des Humanismus in Wien bis zu Celtis Berufung 1497, Jb. f. Landeskunde v. Niederösterreich N. F. 22 (1929), S. 150325; A. A. Strnad, Die Hofkapelle der Österreichischen Landesfürsten, Ms. Hausarbeit am Institut f. österr. Geschichtsforschung, Wien 1962. -Es folgt aus Platzmangel immer nur eine kleine BelegauswahL

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ten bekanntlich nicht identisch waren, so gab es doch die eine oder andere nicht unwesentliche Brücke und ein verwandtes Grundgefüge, insbesondere im Hinblick auf die Rekrutierung aus dem heimischen Raum oder aus dessen sprachlich verwandter Nachbarschaft. Beim ersten Österreichischen Hofkanzler (im Amt bei Friedrich III. seit 1436) Konrad Zeidlerer von München (t 1442), Propst von St. Stephan in Wien, der anfangs zum Teil auch für Reichsbelange tätig war, da eine politisch voll vertrauenswürdige Reichshofkanzlei noch nicht bestand, kann man eine artistische und juristische Bildung ohne akademischen Grad in Wien nachweisen; er wurde 1441 durch den uns schon bekannten gelehrten Juristen Johann von Maiers aus der Österreichischen Kanzlei Albrechts li. abgelöst (im Amt wohl bis 1445, t 1450)168• Wohl von 1445 bis zum Todesjahr 1453 war Bischof Silvester von Chiernsee Österreichischer Hofkanzler, dem wir schon als rechtsgelehrten Rat König Albrechts begegnet sind167• Während das Kanzleramt in der Folgezeit (ungeachtet inoffizieller Titulaturen) offenbar verwaist war, leitete Ulrich Sonnenberger16s, Lizentiat des Kirchenrechts aus Öhringen in Hohenlohe, de facto die Kanzlei; er hatte mindestens seit 1442 den Rang eines Protonotars und spätestens 1444 den Ratstitel inne. Von 1453 bis zu seinem Tode 1469 war er Bischof von Gurk. Silvester und Ulrich waren, wie in der Folgezeit praktisch alle höheren Beamten beider Kanzleien, auch Vorsteher oder Beisitzer des Kammergerichts. Sonnenhergers Nachfolger, offiziell ebenfalls nur mit dem Titel eines Vizekanzlers oder Protonotars ausgestattet, waren wiederum zwei Rechtsgelehrte, beide mit sehr engen Beziehungen zum Kammergericht und vor allem zur Juristischen Fakultät der Wiener Universität: Johannes Rehwein aus Wien169, Inhaber der alten Kanzleipfarre Gars und 166 Konrad: Matrikel Wien I S. 73; MJW I f. 5; Die Akten der Theologischen Fakultät der Universität Wien (1396- 1508), hrsg. v. P. Uiblein, Bd. 2, Wien 1978, S. 635; Goehler, S. 38, 73 ff.; H. A. Genzsch, Die Anlage der ältesten Sammlung von Briefen Enea Silvio Piccolominis, MÖIG 46 (1932), S. 372-465, bes. 449 f.; Strnad, S. 111. - Johann: außer oben Anm. 154 J. Chmel, Materialien zur Österreichischen Geschichte, 2, Wien 1840, S. 48; Topographie von Niederösterreich, Bd. 3, Wien 1893, S. 323; Strnad, S. 105. 167 Vgl. oben Anm. 161. RTA 14 S. 840; J. Lechner, Reichshofgericht und königliches Kammergericht im 15. Jahrhundert, MIOG Erg.-Bd. 7 (1907), S. 44 - 185, bes. S. 98, 101, 129, 135 f.; Großmann, S. 188, 200. 168 RTA 14 S. 9 f., 47, 79; 19, 1 S. 125 Anm. 6, irrig S. 212; 22, 1 S. 268; Akten d. Theol. Fak. Wien 2 S. 705; Lechner, S. 127 u . ö.; Großmann, S. 201; A. Lhotsky, Aeneas Silvius und Österreich, Basel 1965, S. 23 (danach ein Neffe Schlicks); A. A. Strnad, Woher stammte Bischof Ulrich III. Sonnenherger von Gurk?, Carinthia I 156 (1966), S. 634- 679; J. Obersteiner, Die Bischöfe von Gurk 1072 -1822, Klagenfurt 1969, S. 233 ff.; R. Milesi, Bischof Ulrich III. Sonnenherger als Mäzen, in: Festgabe f. G. Moro, Klagenfurt 1972, S. 99-107. 169 MJW II (Universitätsarchiv Wien sign. J 2) f. 8v; RTA 22, 1 S. 27, 230; Seuffert, S. 46 ff.; Topographie 3 S. 324; Strnad, Hofkapelle, S. 106 f.; M. Steinmann, Die humanistische Schrift und die Anfänge des Humanismus in Basel, AfD 22 (1976), S. 376-437, bes. 394 f.

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damit die geistliche Tradition der Amtsleiter ein weiteres Mal fortsetzend, Student in Padua und "Lehrer", d. h. diesmal Lizentiat beider Rechte, im Amt wohl von 1464 bis 1480; und Bernhard Perger aus Stainz (Steiermark) 170, Wiener Lizentiat des Kirchenrechts, 1478 Rektor der Universität, Humanist, verheiratet und demnach clericus conjugatus oder Laie. Er blieb aktiv bis zum Tode des Kaisers und gehörte dann unter Maximilian I. demösterreichischenLandesregiment an (t bald nach 1502). Den beiden Kanzleileitern stand wohl von 1471 bis 1483 der Protonotar Thomas Prelager von Cilli171 zur Seite, diesmal wieder "Lehrer" beider Rechte nach Studien in Wien und Padua und Geistlicher (zuletzt 1491- 1496 Bischof von Konstanz). Wir registrieren damit den recht bemerkenswerten Tatbestand, daß im radikalen Gegensatz zur Kanzlei der beiden Vorgänger im Königsamt sämtliche seit der Königswahl bestellten Kanzleileiter und Protonotare der Österreichischen Hofkanzlei Friedrich III. gelehrte Juristen gewesen sind - offensichtlich im Stil des älteren, vor allem durch Wenzel und Ruprecht dargestellten Zeitalters, als sich der Großteil juristischen Handeins in der Kanzlei konzentrierte und diese mit der territorialen Universität verbunden war; demgemäß ist auch für höhere Kanzleibeamte der Ratstitel relativ häufig überliefert17ll. Die Kanzlerreihe der Reichshofkanzlei setzt ein mit dem formell seit 1441, konkret nur einige Monate Mitte 1442 realisierten Anspruch Erzbischofs Jakob von Trier (1439 -1456) aus dem Hause Sierck (der schon Rat Sigismund gewesen war) als bestellter Vertreter des Mainzer Erzkanzlers und scheint kurze Zeit durch eine nominelle Kanzlerschaft Bischof Leonhards von Passau (t 1451) umrahmt worden zu sein, den wir schon von Albrecht II. her kennen; er war als Student in Bologna dem gelehrten Recht nahegetreten, und er blieb Rat und Mitglied des Kammergerichts. Danach kam Kaspar Schlick173 ein weiteres und letztes Matrikel Wien II S. 164; MJW II f. 25, 26v, 29v; Seuffert, S. 49 ff., 73 ff.; Geschichte der Wiener Universität im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Wien 1865, S. 134, 356, 573 ff., 598; Großmann, S. 262 ff.; G. Gänser, Die rechtliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Stellung der Österreichischen Beamten unter Maximilian I., Ms. Diss. Graz 1976, S. 187 ff. 1 7 1 MJW II f. llv; Seuffert, S. 33 ff.; M. LjubSa, Doctor Thomas de Cilia, Graz 1897; Großmann, S. 270 f.; Goehler, S. 87 ff.; H. Fichtenau, Die Lehrbücher Maximilians I. und die Anfänge der Frakturschrüt, Harnburg 1961, S. 11 f., 14. - Thomas war auch Lehrer Maximilians. Bei dieser Gelegenheit sei auf einen anderen Lehrer, Wolfgang Zechner aus Frohnleiten bei Graz, hingewiesen, einen Lizentiaten beider Rechte nach Studien in Wien und Bologna, t 1491 (MJW II f. 25v; Friedländer-Malagola, S. 215; Knod, S. 650; Goehler, S. 408 f.). 172 Von Rechtsstudien der wenigen bekannten Kanzleinotare ist nur etwas zu Dr. Wolfgang Forchtenauer aus Wi-ener Neustadt überliefert, er war scriptor und secretarius, t 1495 (Matrikel Wien I S. 213; Großmann, S. 207; Goehler, S. 329 ff.). 170

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Mal ins Amt (1443 [1442?] -1448/49, t 1449). Daraufhin war Kanzleiverweser der Vizekanzler Ulrich Welzli 174 aus Göppingen, Wiener Student unbekannter Fachrichtung (t 1463/64). Sein Nachfolger war von 1464 an Bischof Ulrich von Passau (1451-1479} aus der Adelsfamilie der Nußdorfer116 "prope Salczburgam", ein Doktor beider Rechte nach Studien in Wien, Bologna und Padua, auch Pacht-Verwalter des Kammergerichts 1461 -1470. Die Verpachtung der Reichshofkanzlei an Erzbischof Adolf von Mainz (1461-1475) aus dem Hause Nassau176 in den Jahren 1470171 bis 1474ließ diesen nur eine mehr nominelle Führungsrolle einnehmen. Vom letztgenannten Jahr an wurde die Kanzlei wieder im direkten Auftrag des Kaisers vom Verweser Johann Waldner171 (t 1502) aus Salzburg bis zum Tode Friedrichs geleitet; den Bildungsweg Waldners können wir leider wegen der Häufigkeit des Namens nicht mit Sicherheit verfolgen, er war jedoch schwerlich in Italien. Die Abfolge der Protonotare bzw. Vizekanzler der Reichshofkanzlei beginnt mit dem Dr. legum und Lizentiaten des Kirchenrechts (daher auch: Lehrer beider Rechte) Heinrich Leubing aus Nordhausen178 (t 1472), seinerzeit als "pauper" Student in Leipzig, jedoch auch in Erfurt und Bologna, der zu einer der bekanntesten Figuren der Reichspolitik um die Mitte des 15. Jhs. heranwuchs. Er wirkte nur während der Amtszeit Jakobs von Trier, also nur für kurze Zeit, formal seit 1441, konkret 1442, war davor und danach Kurmainzer Kanzler, ging 173 Sierck: ADB 13, S. 546- 548; Ringel, S. 242 ff.; Leonhard: vgl. oben Anm. 160; RTA 14 S. 869; Lechner, S. 92, 136; auch Rat des Königs (Materialien, 1, S. 59 Nr. XXIII). - Schtick: Neben Anm. 129 vgl. 0. Hufnagel, Kaspar Schlicks letztes Hervortreten in der Politik, Diss. Leipzig 1910; ders., Caspar Schlick als Kanzler Friedrichs III., MIÖG Erg.-Bd. 8 (1910), S. 253 - 460; A. Zechel, Studien über Kaspar Schlick, Prag 1939. 174 Matrikel Wien I S. 203; Lechner, S. 146 ff.; Frankfurts Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Aktenstücken von 1376- 1519, hrsg. v. J. Janssen, Bd. 2, Freiburg/Br. 1872, S. 241 Nr. 375. 1 75 ADB 39, S. 231 ff.; RTA 16 S. 741; 22, 1 S. 55; Rep. Germ. IV Sp. 3644; Matrikel Wien I S. 179; MJW I f. 31v; Akten der Theol. Fak. Wien 2 S. 704; Friedländer-Malagola, S. 185; Knod, S. 382; Acta graduum academicorum Gymnasii Patavini ab anno MCCCCVI ad annum MCCCCL, cur. C. Zonta et J. Brotto, Patavii 1922, S . 544; Lechner, S. 50; Urteilsbuch des Kaiserlichen Kammergerichts 1471-1474, im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (fortan Urteilsbuch) Nr. 22, 36, 148, 552. Zitiert wird nach der als Druckvorlage dienenden Transkription, die Herr Kollege G. Gudian (Mainz) angeführt hat und liebenswürdigerweise zur Verfügung stellte. ns ADB 1, S. 119; NDB 1, S. 84 f.; Die Protokolle des Mainzer Domkapitels 1 (1450- 1484), bearb. v. F. Herrmann, Darmstadt 1976, S. 616; G. Seeliger, Kanzleistudien, I, MIÖG 8 (1887), S. 1 - 64. 111 Seujjert, S. 44 ff.; Goehler, S. 92; H. Wiesjlecker, Kaiser Maximilian I., Bd. 3, München 1977, S. 234, 241, 246, 250. 11s Friedländer-Malagola, S. 182 ff.; Knod, S. 300 f.; Reichscorrespondenz 1 S. 473; 2 S . 102 f.; W. Loose, Heinrich Leubing, Mitt. d. Vereins f. Gesch. d. Stadt Meißen 1 (1886), S. 34 -71; EUinger, S. 160; Ringel, S. 89 ff.

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dann nach Nürnberg und starb als Domdekan von Meißen, blieb aber im Unterschied zu seinesgleichen herrschernah auch in den späten vierziger und den fünfziger Jahren. Sein Protonotar war für jene gleiche kurze Zeit Jakob JoheZ von Linz (Rhein)1 79, Doktor des Kirchenrechts, ebenfalls ehemaliger Student in Bologna. Danach war langjähriger Protonotar Dr. legum UZrich Riederer1811, wohl aus Paar oder Aichach unweit von Augsburg, Sohn einer herzoglich bayerischen Beamtenfamilie, zuletzt Dompropst von Freising, in seiner Amtszeit ein oder besser der "Chefjurist" des Habsburgers; im Jahre 1462 wurde er von den aufständischen Wienern als Getreuer des Kaisers ermordet. Sein Nachfolger in engem Kontakt mit Nußdorfer war der Doktor des Kirchenrechts (nach Rom- und Paduastudium und Tätigkeit im Herzogtum Österreich für König Ladislaus) Johannes Roth181 aus Wemding bei Nördlingen, aus einfacher Familie (Bischof von Lavant 1468-1482, dann von Breslau, t 1506); in der zweiten "fremdbestimmten" Phase der Kanzlei unter Adolf von Mainz wirkte der Franke Dr. Georg von Hell gen. Pfeffer als Vizekanzler und tatsächlicher Leiter der KanzleP82, zuvor wieder Kurmainzer Kanzler, und diesen löste schließlich Dr. utriusque iuris Georg HeßZer183, Würzburger Schultheißensohn aus ritterlicher Familie ab, Student in Leipzig, Köln, Heidelberg und Pavia, Rat 1471, dann in Diensten Maximilians, 1477 Kardinal und 1479 Bischof von Passau (t 1482). Er bietet ein gutes Beispiel für den im späteren 15. Jh. weit verbreiteten Dienst bei mehreren Herren nacheinander und für die nach wie vor bestehende Nähe unserer Juristen zum Papsttum. Auch dessen Bruder Dr. legum (Leipzig, Köln, Heidelberg, Padua) Johannes HeßZer (t 1482 in Wien) war Rat Friedrichs III.1S3a. Auch ohne die vorerst abermals unmögliche lückenlose Erfassung der unteren Beamtengruppen184 zeigt dieser Überblick, daß die recht be179

Friedtänder-Matagota, S. 187 f.; Knod, S. 307 f.; RTA 15 S. 735; Lechner,

s. 116.

180 RTA 19, 1 S. 73, 435, 454; Lechner, S. 121 u. ö.; Chmel, Materialien 2 Nr. XCIX; Großmann, S. 201 f.; Lieberich, RäteS. 140, 181 f. 1 81 ADB 14, S. 186; NDB 10, S. 481 f.; RTA 22, 1 S. 27, 29; Lechner, S. 153; Großmann, S. 208; vgl. Goehter, S. 269. 1 8 2 Protokolle S. 641; Reichscorrespondenz 2 S. 310; Lechner, S. 161; R. Smend, Das Reichskammergericht, Bd. 1, Weimar 1911, S. 389 ff.; R. Jung,

Ludwig von Marburg zum Paradies, in: Die Stadtbibliothek Frankfurt am Main, hrsg. v. F. C. Ebrard, Frankfurt a. M. 1895, S. 125 -136, bes. 129; F. Battenberg, Eine Darmstädter Handschrift zur Kammergerichtsordnung Kaiser Friedrichs III. vom Jahre 1471, AHG N. F. 36 (1978), S. 37- 62, bes. 58 f.; Urteilsbuch vor Nr. 1, Nr. 488. 183 W. HoHweg, Dr. Georg Heßler, Leipzig 1907; A. A. Strnad, Der Apostolische Protonotar Dr. Georg Heßler, RQ 65 (1970), S. 29 - 53. 18Sa Chmel, Regesta 6945; Lechner, S. 178 ff., sonst vgl. Anm. 183. 184 Bei den uns bekannt gewordenen unteren Kanzleibeamten ließ sich kein Jurastudium ermitteln.

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wegte Geschichte der Reichshofkanzlei Friedrichs III. in hohem Maße gelehrt-juristisch bestimmt war. Rechtswissen war nahezu das einzige gemeinsame Merkmal aller Führungskräfte. Ökonomisch-finanzielle Interessengruppen vermochten sich angesichts der wenig konzentrierten Wirtschaftskraft der südosthabsburgischen Länder nicht durchzusetzen oder auszubilden; es war nicht nur das ökonomische Interesse der großen königsnahen Reichsstädte am ferngerückten Herrscher im Vergleich zum 14. Jahrhundert gemindert, sondern jenes hatte sich inzwischen auch gelehrt-juristisch zu artikulieren gewußt, wie das Beispiel Nürnbergs am deutlichsten erweist186• Solche Rechtsgelehrsamkeit wurde auch nicht von dem neuen humanistischen, auf eine zu erneuernde Artistenfakultät gestützten "Modell" des Königsdienstes zur Seite gedrängt, das sich in der Person Enea Silvio Piccolominis (seit 1443 im Kanzleidienst) und bei dessen Freunden unübersehbar zur Geltung brachte und sich gegenüber der Jurisprudenz eher ambivalent verhielt188. b) Wenn wir nun zum Amt des Fiskals übergehen, so sollte nicht an eine scharfe sachliche Trennungslinie gedacht werden. Persönlicher Einfluß erstreckte sich nach wie vor über "Behörden"grenzen hinweg, und die ganz persönliche herrscherbezogene Ratstätigkeit, die man beim einen oder anderen Fiskal beobachtet, konnte ihnen eine hervorgehobene Stellung mit neuartigen Zuständigkeiten geben187, zumal sie zeitweise beinahe als einzige Königsdiener recht konsequent nicht hausmachtgebunden rekrutiert wurden und damit über Erfahrungen in königsnahen Landschaften des Reiches verfügten. Die Ernennung des Hessen Hartung Molitoris von Kappel1 88 zum Fiskal im Jahre 1454 beendete das rechtspraktische Zwischenspiel des Fiskalats. Kappe! war Doktor beider Rechte mit unbekanntem Studienweg und Passauer Domherr, als er sich 1432 in die Wiener Matrikel eintrug; schon ein Jahr später war er mehr oder weniger ehrenhalber Dekan der Fakultät. Zweierlei hat ihm - neben seiner zu vermutenden Qualifikation hierzu verholfen: der Lebensweg eines älteren Trägers des gleichen Namens (t woh11433), der als Jurist und Rotaauditor bedeutendes An185 188 187

EHinger, passim. Großmann, passim; Lhotsky (Anm. 168). Vgl. z. B . die Szene in: J. Chmel, Actenstücke und Briefe zur Geschichte

des Hauses Habsburg im Zeitalter Maximilians, 1, Wien 1854, S. CXVI f. (1474). t8s Matrikel Wien I S. 178; MJW f. I 27v, 28; Knod, S. 234; Rep. Germ. IV Sp. 948, 1799, 1963, 2088; Materialien 2 Nr. XXXIV, XLI; Lechner, S. 58, 125ff.; Aschbach, S. 562; K. Schalk, Aus der Zeit des Österreichischen Faustrechts 1440- 1463, Wien 1919, S. 410 (K. hat einen gleichnamigen Sohn); Großmann, S. 201 f.; Schindler, S. 185 f.; Knolle, S. 104, 110 ff.; Meuthen, Schisma S. 11, 19, 143; Urteilsbuc-h Nr. 295, 671.

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sehen genoß und in Rom als Mentor der Basler Prozeßpartei Job Veners und Hugo Dorres auftrat (mit denen Heinrich von Beinheim und Gregor Heimburg sympathisierten), also auf der Gegenseite des Nikolaus von Kues- und eine ganze in Wien verwurzelte Verwandtengruppe, die wir im Zusammenhang mit seinem Fachkollegen Hinderbach skizzieren werden. Hartung junior seinerseits ist seit 1444 beim Kammergericht am Hofe zu finden. Trotz seiner Pfründen besaß er einen Sohn, der 1453 heiratsfähig sein wird und - wenn auch vergeblich - in die Karriereplänezweier anderer bekannter Juristen (Heimburg und Mair) eingeordnet werden sollte. Als Fiskal arbeitete Kappe! von 1453 bis 1458, er war noch 1473 aktiv. Auch Johann Kellner aus Nürnberg189, als Fiskal von 1466 bis 1487 belegt, "Lehrer beider Rechte" einer unbekannten Universität und Rat, war einflußreich und bedeutend am Hofe, wie Kappe! es gewesen war. Nicht viel stand ihm nach der Doktor beider Rechte Paduaner Provenienz (wo er acht Jahre geweilt hatte) Georg Ehinger190 aus einer Ulmer Großbürgerfamilie; er diente im Amt von 1466 bis 1474. Nicht nur beim Kaiser, auch in Bayern und Württemberg war er als Rat besoldet (t 1497). Arnold von Loe191, verheirateter Fiskal 1465, 1471/1475, am Kammergericht als Prokurator 1470, war auf Grund unbekannter (wohl niederdeutscher) Herkunft und Karriere Bakkalaureus in legibus geworden und seit 1455 für Lübeck beim Kaiser tätig und noch 1487 aktiv; sein Kollege Johann Gessel192 aus Augsburg war Lizentiat des Zivilrechts und 1489- 1492 im Amt, zuvor Gerichtsschreiber am Rottweiler Hofgericht. c) Wir sprechen nun von den geistlichen Räten des Herrschers, soweit sie gelehrt-juristisch gebildet waren. Am Anfang seiner Regierungszeit sah sich Friedrich III. in der Kirchenfrage vor dieselbe Situation gestellt wie die Vorgänger, und demgemäß bestand auch in hohem Maße Per189 Der Studienweg ist nicht eindeutig; vgl. Matrikel Wien I S. 203 u. II S. 267; Acta S. 347; Lechner, S. 159 f.; Knolle, S. 105 f., 111 f., 150; Urteilsbuch Nr. 3, 734 (heißt auch Keller). 100 Acta S. 513; Lechner, S. 53, 151, 159 f.; Lieberich, Räte, S. 133; I. Kothe, Der fürstliche Rat in Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert, Stuttgart 1938, S. 17, 138; vgl. auch K. KohleT, Handelsakten der Ulmer Gesellschaft FärberEhinger von 1495, Böblingen 1968; Knolle, S. 105 f., 110 f.; Urteilsbuch oft zwischen Nr. 17 und 1028.- Zu Padua in diesem Jahrzehnt A. Sottili, Studenti tedeschi e umanesimo italiano nell' universita di Padova durante i1 quattrocento, I, Padova 1971, S. 1 ff. 1 91 Knolle, S. 109 f.; G. Neumann, Johannes Osthusen, Zs. d. Vereins f. Lübeckische Gesch. u. Altertumskunde 56 (1976), S. 16 ff., bes. 31; ders., Erfahrungen und Erlebnisse Lübecker Syndici und Prokuratoren zur Zeit Kaiser Friedrich III., ebd 59 (1979), S. 29 - 62, bes. 29, 31 f.; Urteilsbuch oft zwischen Nr. 58 und 1026. 192 Knolle, S. 106, 110 ff.; vgl. G. Gruber, Die Verfassung des Rottweiler Hofgerichts, Stuttgart 1963, S. 230. Bei anderen Fiskalen, die Knolle nennt, kann man ein Rechtsstudium nicht nachweisen.

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sonenkontinuität bei den zuständigen Räten. Auch als sich die Kirchenproblematik beruhigte, suchten geistliche Herren nicht ungern Rückhalt am Hofe, um vielleicht auch nur wie der Mainzer die Kosten der eigenen Hofhaltung zu mindern. Hier war ein Reservoir für Juristen, denen womöglich der Kaiser selbst zum Aufstieg ins Bischofsamt verholfen hatte. So gab es ungeachtet der im allgemeinen heranwachsenden Laisierung der Jurisprudenz weiterhin eine hochrangige geistliche Gruppe von hofnahen Rechtsgelehrten. Von den Bischöfen Peter von Augsburg und Johann SchaUermann von Gurk193, die auch Räte Friedrichs III. wurden, war schon bei den Vorgängern im Königsamt die Rede193• Ein recht interessantes Modell gelehrt-juristischen Aufstiegs zum Bischofsrang bieten zwei Ankömmlinge aus der Ferne, der schon genannte Johann von Eich194 aus einem mittelfränkischen Rittergeschlecht und der Hesse Johann Hinderbach196 aus Rauschenberg (nördl. Marburg). Jener wurde Bischof im heimatlichen Eichstätt (1445- 1464), dieser im habsburg-beherrschten Trient (1465 - 1486). Die Karriere beider Männer vollzog sich über das Medium der Universität Wien, die die unentbehrliche Nähe zum Hof bot, und der Universität Padua, die das notwendige exklusive Prestige mit fachinternen Personenbeziehungen mit sich brachte, zum Doktorat beider Rechte oder des Kirchenrechts. Beide waren Räte und leisteten jahrelang intensiven, kanzleinahen Hofdienst und sammelten Pfründen. Am bemerkenswertesten ist das verwandtschaftliche Substrat Hinderbachs in Wien. Er war verwandt mit dem großen Theologen Heinrich von Langenstein (t 1397), mit dem Medizinprofessor Hermann von Treysa, mit studierten Trägern seines eigenen Familiennamens und mit dem uns schon bekannten Fiskal Kappe!. Dieser ganze Zusammenhang ist sogar mit Hinderbachs eigenen Worten zeitgenössisch formuliert worden: Heinrich von Langenstein . . . "alium post se de genere nostro .. . in eodem Wiennensi studio enutrivit, qui et ipse ... alium iterum .. . post se nostri generis ... educavit, ... cuius ego ... pietate .. . in eum, quem de miseratione adeptus sum, gradum et fortunam perveni"; auch sind sechs Losse-Handschriften möglicherweise kurz nach 1400 in den Besitz des ebenfalls verwandten Heidelberger Kanonisten Dietmar von 193 Vgl. oben Anm. 148 und 151; RTA 14 S. 854; Lechner, S. 89, 120. Das gilt auch für Fischl (vgl. Anm. 150): Lechner, S. 123 ff. (1444). 194 Vgl. oben Anm. 162; J. Sax, Die Bischöfe und Reichsfürsten von Eichstätt 745 - 1806, 1, Landshut 1884, S. 302 ff. 195 ADB 12, S. 457; Matrikel Wien I S . 186; MJW I f. 30, 34; Acta S . 327, 425; V. v. Hofmann-WeUenhof, Leben und Schriften des Doctor Johannes Rinderbach, Bischofs von Trient (1465- 1486), Zs. d. Ferdinandeums f . Tirol u. Vorarlberg 3, F. 37 (1893), S. 205- 262; Goehler, S . 158 ff.; Großmann, S. 214 f.; A. A. Strnad, Johannes Hinderbachs Obedienz-Ansprache vor Papst Pius II., RHM 10 (1966/67), S. 43 - 183.

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Treysa gelangt198, so daß man sich einen Zusammenhang von gelehrter Jurisprudenz, Universitäten und Königtum über mehr als hundert Jahre hinweg vorstellen könnte. Anschließend sind zu nennen noch vier kaiserliche Räte und Doktoren des Kirchenrechts, der Wiener Bischof Leo aus dem Tiroler Herrengeschlecht der Spaur (1471 -1479/80), Bischof Sigmund von Laibach (1463 -1488) aus der zukunftsreichen Österreichischen Ritterfamilie der Lamberg, Bischof Johann Grünwalder von Freising (1443 -1452}, unehelicher Sohn Herzog Johanns Il. von Bayern, 1448 beim Kammergericht, Bischof Sixtus von Tannberg von Freising (1474- 1495), der Paduaner Doktor sogar beider Rechte war, und der Schwabe Mathias Scheit aus Westerstetten bei Ulm (1482 -1503 bzw. 1512 Bischof von Seckau) sowie zuletzt der umstrittene Bakkalar des Kirchenrechts Andreas Zamometit 0. P., Erzbischof von Krain in Albanien (14761482)107. d) Die Verbindung Friedrichs III. mit den Juristen der Wiener Universität ist angesichts der durch Ladislaus-Periode, Albrecht-Krise und Ungarnnot der fünfziger, sechzigerund achtziger Jahre herbeigeführten Zäsuren und Schwierigkeiten recht eng gewesen. Man kann zehn Wiener "Ordinarien" der Jurisprudenz als Räte des Kaisers oder mindestens als Beisitzer des Kammergerichts anführen, die nach Ausweis der von ihnen bekleideten Universitätsämter neben wenigen anderen zugleich als die zu ihrer Zeit angesehensten Professoren gelten können: Konrad von Hallstatt (0.-Ö.), Hans Polzmacher von Brünn, Nikolaus Stürzenbecher von Glatz, Peter Pachmüller, Nikolaus Simonis von Lützelburg (bei Augsburg}, Johannes Knaber von Albersdorf (Steiermark) und Jobst (Jodok) Hausner aus Neumarkt (wohl Oberpfalz) in den ersten 196 Fantes rerum Austriacarum II, Bd. 61, S. 81 nach Goehler, S. 160; Nova Alamanniae 2, 2 (1976) S. XV f. Vgl. auch E. Schröder, Heinrich von Langenstein und die Hessen an der alten Wiener Universität, Hessenland 47 (1936),

S. 144- 147; Schmidt I Heimpel, S. 111 f. 187 V. Fliedner, Bischof Leo von Spaur, in: Festschrift F. Loidl zum 65. Geburtstag, Bd. 1. Wien 1970, S. 42-56. - Sigmund: ADB 34, S. 285; Seuffert, S. 91 ff. - ADB 10, S. 60; NDB 10, S. 485; Lechner, S. 136; A . Königer, Johann III. Grünwalder Bischof von Freising, Programm München 1874; H. Strzewitzek, Die Sippenbeziehungen der Freisinger Bischöfe im Mittelalter, München 1938. S. 67, 170 ff.- Sixtus: Lechner, S. 178; Strzewitzek, S. 71, S. 225 ff. - B. Roth, Matthias Scheit, in: Bischöfe von Graz-Seckau, S. 159- 193. Seuffert, S. 91 ff.; C. Eubel, Hierarchia catholica medii aevi, 2. Münster 1901, S. 155; J. Schlecht, Andrea Zamometic und der Basler Konzilsversuch vom Jahre 1482, Faderborn 1903; LThK 102• Sp. 1307 f. Auch hier sind bei einigen

- von uns nicht gezählten -Bischöfen, die Räte der Urteiler waren, die Studienumstände vorerst unklar; z. B. bei Bischof Wilhelm von Eichstätt, der Ratstitel hingegen ist unsicher bei Friedrich III. Gren von Seckau (1446 52). der Li7entiat des Kirchenrechts war (K. Amon, Friedrich III. Gren, in: Bischöfe von Graz-Seckau, S. 135 ff.).

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beiden Jahrzehnten der Regierungszeit und dann wieder zu deren Ende hin Jörg Steyregger aus Wien (t 1480), Kilian Horn von Dettelbach alias von Würzburg (t kurz nach 1508) und Leopold Prantz aus Mattighofen 0.-Ö. (t 1490)198. Daß wie einst in Heidelberg auch Theologen, wenn auch gewiß in eher umgekehrtem Verhältnis als zur Zeit Ruprechts, entsprechende Dienste leisteten, weist der bekannte Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer auftB9. e) Die Berufung von gelehrten Juristen aus den Hausmachtten·itorien an das Kammergericht, das bekanntlich mit dem Herrscher selbst jahrzehntelang in Südosten weilte, legt Zeugnis ab von der Ausbreitung der Rechtswissenschaft bis in den letzten Winkel des Reiches. Alle Ländergruppen waren vertreten: Die Donauländer, Innerösterreich und besonders nach dem Ausklang der Herrschaft Herzog Sigismunds auch Tirol und die Vorlande. Aus dem erstgenannten Bereich sind besonders wichtig Dr. Martin Haiden aus Drosendorf und Dr. Johann Kaufmann aus Rassing200, beide Niederösterreicher und künftige Kontinuitätsträger zu Maximilian hinüber, in dessen Landesregimenten sie tätig sein werden. Haiden, der ältere, ein Wiener Student, hatte schon Herzog Albrecht VI. gedient. Dr. Sigmund Drechsler (t 1463) aus Trofaiach (Steiermark), ebenfalls Wiener Student, und Doktor {"Meister") Jobst Ber aus Graz, Pfarrer in dieser Hauptresidenz des Kaisers, standen diesem um 1460 und um 1480 ebenso juristisch zur Seite wie der Lizentiat Peter Knaur aus Gutenberg (Steiermark), ein drittes Mal Student in Wien, dann Propst in Gurnitz (Kärnten), oder "Dr. Sebriacher", d. h. wohl Dr. Johannes Semriacher aus Semriach (Steiermark) 201• Dr. decret. Benedikt 198 Alle so häufig in MJW und bei Aschbach (hier Jurist. Fakultät bes. S. 302 ff.), daß hieraus nur ausnahmsweise einzeln zitiert wird. - Rep. Germ. IV Sp. 438, 3154; Matrikel Wien I S. 153, 178, 192, 215, 225, 274; II S. 14, 39; Lechner, S. 128 u. ö. - Matrikel Wien I S. 202; MJW I f. 23; Lechner, S. 128 ff. -Matrikel Wien I S. 148, 236, 259; II S. 10; MJW I f. 29, 35; Lechner, S. 128, 130 f., 140. - Lechner, S. 129 ff.; MJW I f. 25v. - Matrikel Wien I S. 257, vgl. 544; Lechner, S. 135, 150 f.- Matrikel Wien I S . 279; Materialien 1, 1837 S. 344 f. Nr. CLXV. -Matrikel Wien I S. XXV f., II S. XX f.; Lechner, S. 150; P.-J. Schuler, Die Notare Südwestdeutschlands. Vorauss. Stuttgart 1981 Nr. 507a (Veröff. d. Komm. f. gesch. Landeskunde in Baden-Württ. B 90) (dem Autor sei für die Erlaubnis zur Einsicht in die Druckfahnen gedankt); Friedländer-Malagola, S. 198, 200; Knod, S. 555. - Lechner, S. 161; Matrikel Wien I S. 213.- Matrikel Wien II S. 16, 185; Lechner, S . 184; Goehler, S. 401 ff. 199 A. Lhotsky, Thomas Ebendorfer, Stuttgart 1957. 2oo Matrikel Wien II S. 100; Battenberg, Handschrift S. 58 f.: Gänser. S. 187 ff.; Smend, S. 389 ff.; Aktenstücke Maximilians, 1, 1854, S. 300; 2, 1855, S. 250; 3, 1858, S. 353; Urteilsbuch öfter (vor Nr. 1 bis Nr. 410). - Matrikel Wien II S. 141 Gänser, S. 187 ff.; Politische Korrespondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, hrsg. v. F. Priebatsch, Bd. 3, Leipzig 1898, S. 446 Nr. 1123. 201 MJW II f. 7; Lechner, S. 147; Die ältesten steirischen Landtagsakten 1396- 1519, Teil II, bearb. v. B. Seuftert u. G. Kogler, Graz 1958, S. 55. Matrikel Wien II S. 29 ; L echner, S. 179 f.- Matrikel Wien II S. 59; Lechner, S. 179 f.- Matrikel Wien II S. 140; Korrespondenz 3 S. 446 Nr. 1123.

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Füger (t 1490), Domdekan von Brixen, ein Tiroler aus dem Inntal, war Gesandter des Kaisers; Dr. Johannes Fuchsmagen202, Bürgermeisterssohn aus Hall i. T. (t 1510), später ebenfalls im Landesregiment Maximilians tätig, brachte erstmals in unserem Umkreis die Universität Freiburg i. Br. als Studienort zur Geltung; vor 1485 diente er, wie es seiner Herkunft entsprach, Herzog Sigismund. Auch der spätere Hofkanzler Maximilians, Konrad Stürzel aus Kitzingen203 (t 1509), Dr. decret. (Heidelberg/Freiburg), hat schon am Kammergericht Friedrichs 111. teilgenommen (1479). Größer, ja relativ am größten ist die Zahl der Rechtsgelehrten, die aus dem benachbarten Bayern und Schwaben zum Kaiser gefunden haben und von der Anziehungskraft des Hofes in einem freilich vielfach von habsburgischen Kräften dominierten Gebiet und zugleich vom Gewicht der hofnahen Universität Wien Zeugnis geben; jedenfalls waren selbst die bayerischen Herzogtümer territorial noch nicht so abgeschlossen, daß sie ihre juristisch ausgebildeten Landeskinder hätten an sich fesseln können. Ans Kammergericht kamen Dr. Jakob Ebser aus Salzburg (1443), Wiener Student, und Peter Chotrer (Kottrer) aus Passau (1455), später wohl durch habsburgische Protektion Propst in Rheinfelden, einst Wiener Jurastudent und Vizerektor der Ultramontanen in Padua unter dem Rektor Johann von Eich und dann selbst Rektor2°4 ; der adelige Johannes Klausner (Closner) von Gern, (Orte in Oberbayern, Niederbayern und Franken), Passauer Domherr und Wiener Jurastudent, hatte 1444 am Kammergericht teil; aus München stammte der Doktor des Zivilrechts Ulrich Ersinger, Paduaner Scholar, der dort u. a. zusammen mit dem späteren Kanzler Nußdorfer und dem künftigen Fiskal Ehinger geweilt hatte; er hat als Prokurator am Kammergericht ebenso eine Freisinger kirchliche Laufbahn eingeschlagen wie der Gerichtsbeisitzer (1478) Kaspar Schmidhauser, Doktor des Kirchenrechts ebenfalls aus München (t 1485), der die Studienplätze Wien und Bologna als "pedagogus" bayerischer Herzöge kombiniert hatte. 202 Matrikel Wien II S. 40; W. Höflechner, Die Gesandten der europäischen Mächte, vornehmlich des Kaisers und des Reiches 1490- 1500, Wien 1972, S. 45. - Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen Statthalterei, Wien 1897, S. 413; S. Ruf, Doctor Johannes Fuchsmagen, Zs. d. Ferdinandeums für Tirol u. Vorarlberg 3. F. 21 (1877), S. 93- 119; Großmann, S. 273 f.; A. Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs, Graz 1963, S.434ff. (MIÖG Erg.-Bd. 19); Höflechner, S. 44 f.; Gänser, S. 187 ff. 203 Lechner, S. 182; G. Buchwald, Konrad Stürtzel von Buchheim aus Kitzingen. Leipzig 1900; J. Bücking, Der "Oberrheinische Revolutionär" heißt Conrad Stürtzel, seines Zeichens kgl. Hofkanzler, AKG 56 (1974), S. 171- 197; H. Kopf, War Kanzler Konrad Stürtzel der "Oberrheinische Revolutionär"?, Zs. d. Breisgau-Geschichtsvereins 97 (1978), S. 29- 37. 204 Matrikel Wien I S. 135; Lechner, S. 122.- MJW I f. 11; Rep. Germ. IV Sp. 805, 2121, 3003, 3124; Acta S. 505; Lechner. S. 144 f.; Großmann, S. 205.

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Aus dem niederbayerischen Vilshofen kam Johann KrachenbergeT (t 1518), Ingolstädter Jurastudent, der nach 1490 in kaiserliche Dienste trat (1492 "secretarius ultimus") und unter Maximilian I. weiterarbeitete. Bayerischer Herkunft war vermutlich auch der Lizentiat des Kirchenrechts Hans Bock (Peck), um 1470 am Kammergericht und in der Österreichischen Territorialverwaltung tätig, offenbar Wiener Studienprovenienz205. Es gab drei Doktoren gesicherter oder vermutlicher Oberpfälzer Herkunft: Wilhelm Maroltinger, 1467 am Kammergericht und zehn Jahre später als kaiserlicher Gesandter tätig (t 1482), Johann Tröster aus Amberg (t 1484/85), ein weiterer Freund Enea Silvios und früher Humanist mit kanzleinaher Arbeit, und Georg Schrättl (Schrottel) aus Neumarkt, in den siebzigerund achtziger Jahren am Hofe einflußreich und noch nach 1500 im Österreichischen Landesregiment beschäftigt; alle drei hatten eine Wiener Ausbildung206• Die Schwaben (bzw. Alemannen) im sprachlichen Sinn, die ebenfalls als unmittelbare Nachbarn habsburgischer Übermacht und zum Teil zugleich als Abkömmlinge einer traditionell königsnahen Landschaft gelten können, waren ebenso zahlreich: Der Vorderösterreicher Doktor des Kirchenrechts Konrad Rauehing (Ruhing) von Freiburg, Inhaber mehrerer Pfründen auch im Augsburger Umkreis, der sein Studium abermals in Wien begann, aber in Padua fortsetzte oder abschloß, 1441 am Kammergericht; der St. Galler "Meister" Johannes Ruttler (Rutili, Rättler, Röttel), Propst von Rheinfelden, Student in Wien und Bologna, 1456 bis 1459 Beisitzer am Kammergericht (später Bischof von Brixen); Johann von Westernach, Propst der Stuttgarter Stiftskirche, aus dem ursprünglich bei Öhringen, dann unweit von Ulm und Heidenheim ansässigen Rittergeschlecht, Rat und "Rechtsgelehrter", 1453-1456 am Kammergericht; "Meister" Hans von Horb, ebenfalls "Rechtsgelehrter", wohl aus dieser vorderösterreichischen, aber lange Zeit verpfändeten Stadt, im Jahre 1455 und 1467 am Kammergericht; Gebhard (Gerhard) von Bülach (Bulbach), (Kanton Zürich), Konstanzer Domherr und "Meister", 1448 am Kammergericht, spätestens 1451 Dr. decretorum (t 1465); der Lizentiat des Kirchenrechts Peter Renz aus Tengen (Kr. Konstanz), 1450 am Kammergericht; Dr. Martin Kellner aus Weil der Stadt (t 1482), 205 MJW I f. 14, Matrikel Wien I S. 102; Rep. Germ. V Sp. 808, 1733; Lechner, S. 126. - RTA 19, 1 S. 452; Acta S. 352. - Lechner, S. 178; Matrikel Wien II S. 16; Friedländer-Malagola, S. 210; Knod, S. 498. - Großmann, S . 279 ff. - Lechner, S. 159 f. 206 Matrikel Wien I S. 263; Lechner, S. 157 ff.; L. H. Krick, Das ehemalige

Domstift Passau und die ehemaligen Kollegiatstifte des Bistums Passau, 1922, S. 48; J . Wodka, Die Inhaber der Pfarre Krems, in: 950 Jahre Pfarre Krems, 1964, S. 237-289, bes. 254 f. - RTA 22, 1 S. 292; Matrikel Wien I S. 220; Großmann, S. 210 ff.; P . Lehmann, Dr. Johannes Tröster, in: ders., Erforschung des Mittelalters, 4, Stuttgart 1961, S. 336- 352. - Matrikel Wien II S. 72; MJW II f. 17, 18v, 21; Seuffert, S. 102; Kothe, S. 185; Battenberg, Handschrift, S. 58 f .; Urteilsbuch Nr. 525, 968.

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1472- 82 Propst der Stuttgarter Stiftskirche, am Gericht 1467/ 68 und 1474/75; Dr. Johann Dürr aus Schwäbisch Hall, 1444 beim Kammergericht; "Meister" Johann Glockengießer aus St. Gallen, 1471 Advokat/ Prokurator am Kammergericht, beide Wiener Studenten; Doktor beider Rechte Marquard Breisacher gewiß aus der mit der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft verbundenen Ritterfamilie, dem ein gleichnamiger, zweifellos verwandter rechtspraktischer Kanzleibeamter Sigismunds, Albrechts li. und Friedrichs 111. vorausgegangen war aus dem Rats- und Gesandtschaftsdienst beim Kaiser ist er wohl 1490 zu Maximilian übergetreten; Dr. iuris civilis (Heidelberg, Padua, Ferrara) Bernhard Schöfferlin (t 1504) aus alter Eßlinger Familie, Kurmainzer Kanzler und in anderen wichtigen landesherrlichen Ämtern, 1478 am kaiserlichen Gericht, wird 1495 als Beisitzer des neuen Kammergerichts im Gespräch sein und starb als Mainzer Professor. Am Kammergericht Friedrichs 111. arbeitete auch der Lizentiat Reinhard Summer, Domherr von Konstanz, und zuletzt sei genannt der kaiserlich·e Kapellan Dr. decret. Leonhard Nötlich (t 1481), Propst von Herrenberg207.

Nicht immer streng abgrenzbar von den gerade genannten Personen ist ein um mehr oder weniger um Augsburg, die immer wieder königsnahe Stadt, konzentriertes Herkunftsgebiet gelehrter Juristen. Zuerst ist hier zu nennen der Augsburger Domherr Georg von Stein von Diemantstein aus einem Rittergeschlecht (Kr. Dillingen), der 1446 mit einer ganzen Gruppe Augsburger Scholaren in Padua weilte, als Georg Ehinger, der spätere Fiskal, Rektor der Ultramontanen war; Stein blieb ohne Graduierung, was natürlich für sein Mitwirken am Kammergericht (1454) kein Hindernis war. Falls es sich nicht um eine durch Schreiberirrtum entstandene Verwechslung mit dem gleichnamigen Landvogt handelt, tat ihm dies ein Jahr später ein "Rechtsgelehrter" Jakob Truchseß von Waldburg nach. Der Augsburger Domherr Ulrich von Rechberg (später Domdekan, t 1501) aus der nördlich und südlich der Donau sitzenden bekannten Adelsfamilie, Heidelberger und Bo207 Rep. Germ. IV Sp. 497 u. ö.; Matrikel Wien I S. 68; MJW I f. 6, llv; Acta S. 140; Lechner, S. 116 f. - Friedländer-Malagola, S. 194; Knod, S. 463; RTA 17 S . 239, 270; Rep. Germ. IV Sp. 2312ff.; Matrikel Wien I S. 193; Lechner, S. 147, 150 ff. - Rep. Germ. IV Sp. 2504 u. ö.; Lechner, S. 141 f., 146 ff. - Lechner, S. 143 ff., 157; Battenberg, Handschrift, S. 167 f.; Matrikel Wien I S. 111 (ders.?).- Lechner, S. 135; Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Konstanz Bd. 4, bearb. v. K. Rieder, Innsbruck 1941, S. 468. - Lechner, S. 139; RTA 13 S. 180.- Lechner, S. 157 ff.; Kothe, S. 145.- Lechner, S. 125 f.; Matrikel Wien I S. 85; Schuter, Nr. 235. - Matrikel Wien II S. 2; Battenberg, Handschrift S. 58 f.; Knolle, S. 115. - Materialien 2 Nr. CCXC S. 357 f.; Regesten 4, S. 467 ; Smend, S. 389 ff.; Höflechner, S. 32 ff. - Lechner, S. 179; Protokolle S . 190, 401; Smend, S. 10; Kothe, S. 139 f. - Lechner, S. 180; Regesten 4, S. 528. - Kothe, S. 76, 139. Zu den Personen aus dem württembergischen Bereich vgl. den Beitrag von D. Stievermann in diesem Band.

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logneser Student, wirkte 1465 als "Lehrer geistlicher Rechte", d. h. Dr. decret., am Kammergericht. Das gleiche gilt für den kaum bekannten "Meister" Lienhart (Leonhard) Merklin aus Kaufbeuren, Wiener Student, 1467 am Kammergericht, und den wesentlich wichtigeren Doktor des Kirchenrechts Hans Heinrich Vogt von Sumerau (Hauptsitz der Ritterfamilie ist Praßberg Kr. Wangen), Gerichtsbeisitzer 1479/80, sonst für den Kaiser 1477-1485 tätig und dann wieder 1495 im Kammergerichtsbereich auffindbar. Zum Schluß sei, schon im Übergang zu Maximilian, erinnert an die bekannten Augsburger Dr. Konrad Peutinger (1491 dr. legum nach Studien in Basel, Padua und Bologna), der sich rühmte, Rat Friedrichs III. gewesen zu sein, und an den wenig jüngeren Matthäus Lang, den späteren Kardinal, der vielleicht auch beim Kaiser begonnen hat, Student in lngolstadt, Tübingen und Wien, eher Artist freilich als Jurist, jedoch 1494 von Maximilian I. mit den insignia doctoralia des Zivilrechts beschenkt2os. Es hängt vermutlich mit der zentralen Lage Frankens, aber auch mit seinen alten königsnahen Traditionen zusammen, daß sich mit dieser Landschaft diejenigen Juristen verbinden, die wir als eine ganz eigenartige Gruppe hervorheben können. Diese unterscheidet sich zwar von anderen eher graduell als prinzipiell, jedoch ganz deutlich durch die Steigerung bestimmter Eigenschaften unserer Rechtskundigen: Die Mobilität war größer, die Entfernung zur Pfründenkirche weiter, das persönliche Treueverhältnis zum Herrn lockerer, und vor allem: dieses wurde zunehmend als Teil einer Gesamtkonstellation begriffen. Kurzum, es waren Männer, die von der Politik und der politischen Jurisprudenz im Reich lebten, das ihnen als politisches Gebilde eine selbstverständliche Rahmenbedingung gewesen ist. Als Spezialisten waren auch und gerade sie vielfach besser informiert als die Adelswelt, der doch eigentlich die Herrschaft zukam. So sahen sich die alten Führenden neben den ökonomischen, sozialen und technisch-praktischen "Zwängen" nun auch immer fühlbarer von juristischen Grenzen eingefangen, die kaum zu durchbrechen waren. Die Welt wurde komplizierter - oder anders formuliert: Der große Wert, den die führende Reichsstadt Nürnberg auf einmal gelehrt-juristischer Vertretung zumaß und zwar in ganz erstaunlichem Umfang und für teures Geld, zeigt, daß das 208 Matrikel Wien I S. 66; Lechner, S. 142; Acta S. 395; Zoepfi, S. 402. Lechner, S. 143 f . - Friedländer-Malagola, S. 250, 252; Knod, S. 432; Lechner, S. 153; Kothe, S. 115; Zoepfi, S. 398, 482 f.; F. Battenberg, Die Lichtenberg-

Leiningensche Fehde vor dem Kammergericht Kaiser Friedrichs 111., ZGO 124 (1976), S. 105 -176, bes. 167 f . - Matrikel Wien I, S. 195; Lechner, S. 157 f. - Lechner, S. 180 ff.; Korrespondenz 3 S. 446 Nr. 1123; Smend, S. 389 ff. H. Lutz, Conrad Peutinger, Augsburg o. J., bes. S. 9, vgl. 16 (Abh. z. Gesch. d. Stadt Augsburg 9). - H. Wagner, Kardinal Matthäus Lang, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, 5, München 1956, S. 45- 69; Wiesfiecker, Bd. 1, 1971, S. 371, 377; Bd. 2, 1975, S. 569; Bd. 3, S. 613.

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Recht als Verteidigungswaffe neben die bisher so erfolgreiche Finanzkraft trat. Es war im Vergleich zu Sigismund etwas Neues, und dieses Neue hat auch vieles mit dem Kaiserhof zu tun. Denn kaum einer der großen politischen Juristen war nicht ein oder mehrere Male am Hofe. Er war ein Treffpunkt, dessen Rang jetzt auch auf recht abstrakten Überlegungen beruhte, die das 14. Jh. noch kaum verstanden hätte2il9, weniger auf Militär und Macht. Jetzt ist wohl auch noch leichter erklärlich, warum sich Friedrich und Maximilian so hartnäckig gegen ein Abrücken des Gerichts vom Hofe wehrten. Man sollte zum zweiten hervorheben, wie wesentlich solche Entwicklungen für eine neue, konkretere Auffassung vom Reich auf der Basis neuer Gemeinsamkeit gewesen sind. Dies wird dann zu den Ergebnissen von 1495 hinführen. Vier sehr wichtige Vertreter dieses Typus, Gregor Heimburg, Heinrich Leubing, von denen wir schon gesprochen haben, Peter Knorr und Martin Mair haben wenigstens einige Zeit mit dem Königtum in Verbindung gestanden: Heimburg war 1442 und 1444 beim Kammergericht, Knorr 1444, 1453 und 1455, Leuhing war Protonotar, Mair befand sich als einziger nachweislich in einer Ratsposition und sollte 1463/64, wie gerüchtweise an mehr als einer Stelle verlautete, sogar Reichshofkanzler werden210• Der älteste, Heimburg, wollte sich mit Hartung von Kappel am Hofe familiär verbinden, und sein Schüler Mair sollte dies vermitteln. Ein Kern dieser "politischen Gruppe" in einem engeren Sinn war an Nümberg gebunden, das damit abermals Hauptstadtfunktionen und zwar ganz neuer Art übernahm. Mair heiratete in das Nürnberger Großbürgertum ein, Heimburg, Leubing, Mair und Knorr arbeiteten im Dienst der Stadt. Wesentlich lockerer als bei vielen schon genannten war hier der Bezug zu der Universität Wien, die in anderen Fällen 209 Kaum ausgewertet ist in diesem Zusammenhang die höchst aufschlußreiche Korrespondenz von Albrecht AchiUes. Am besten sah diese Probleme wohl H. Quirin, Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach als Politiker, Jb. f. fränk. Landesforsch. 31 (1971), S. 261 - 308. Es ist interessant zu beobachten, in welcher Reihenfolge sich die Reichsglieder entschlossen, das knappe Geld in Juristen anzulegen und damit gewissermaßen "armierte" Reichsstände zu werden. Dabei finden sich Konstellationen wieder, die ein Jahrhundert zuvor mit anderen Mitteln ähnlich ausgebildet worden sind. 210 Vgl. zu Leubing und Heimburg oben Anm. 149 u. 178; Ellinger, passim; G. Schrötter, Dr. Martin Mair, Diss. München 1896; J. Kist, Peter Knorr, in: Fränkische Lebensbilder, 2, Würzburg 1968, S. 159 -176; M . Watanabe, Duke Sigismund and Gregor Heimburg, in: Festschrift Nikolaus Grass zum 60. Geburtstag dargebracht, 1, Innsbruck 1974, S. 559- 573; Ringel, S. 154 ff.; vgl. auch H. Boockmann, Laurentius Blumenau, Göttingen 1965. - Lechner, S. 126, 141 u. ö.; Lieberich, Räte, S. 128, 140, 161, 176.- Ein anderer Mittelpunkt war Landshut: P. Kluckhohn, Ludwig der Reiche Herzog von Bayern, Nördlingen 1865, bes. S. 155 ff. - Die Perspektive aus der Ferne wird gut erkennbar in den Arbeiten von G. Neumann, Lübecker Syndici des 15. Jahrhunderts in auswärtigen Diensten der Stadt, Hans. Geschbll. 96 (1978), S. 38 - 46; ders., Osthusen, u. ders., Erfahrungen.

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geradezu ein Binde- oder sogar "Herrschafts"mittel des Kaisers gegenüber der gelehrten Welt war. Es bestand freilich bei fast allen die Gefahr, gegenüber den neuen Möglichkeiten des politischen Handeins das Augenmaß zu verlieren, ganz ähnlich wie dies im ökonomischen Bereich mit dem Medium des Geldes so oft vorgefallen war und noch vorfiel. Politische und kirchenpolitische Radikalisierung und vielleicht berechtigte Ungeduld haben nämlich fast jeden dieser Juristen in schwere Krisen und extreme Positionen geführt. Mair insbesondere war der große Plänemacher, und kaum zufällig haben sich unsere Juristen gern von der damals am meisten im politisch-kirchlichen "Abseits" stehenden, jedoch kraftvollen Gestalt der deutschen Innenpolitik, dem Böhmenkönig Georg von Podiebrad, anziehen lassen. Diesen großen Gestalten gegenüber treten andere gelehrte Juristen zurück; jedoch sei auch auf Dr. Hertnid von Stein zu Ostheim v. d. Rhön (Kr. Mellrichstadt, Unterfranken) verwiesen, einen "Lehrer beider Rechte" aus ganerbschaftlich organisiertem Rittermilieu, der Geistlicher blieb, zuletzt Domdekan von Bamberg, und als Humanist von Rang gilt (t 1491). Er war beim Kammergericht (1465) und war Gesandter des Kaisers (1456- 1463). Dr. Johannes Pirckheimer ist sicher der oft genannten Nürnberger Patrizierfamilie zuzuordnen (1454 -1458 am Kammergericht). Es reiht sich an Johann von Seinsheim-Schwarzenberg (t 1501), ein "Rechtsgelehrter" mit Bologna-Erfahrung, aus dem bekannten unterfränkischen Geschlecht. Aus vorerst verwandter sozialer Umwelt kam Anselm von Eyb, Ritter und Dr. legum aus Erfurt und Pavia (t 1477). Er gehörte zu den Juristen, die Adolf von Mainz, als er neben der Reichshofkanzlei auch das Kammergericht pachtete, an den Hof mitbrachte; wohl aus gleichem Anlaß begegnen wir auch den Doktoren Heinrich von MeUrichstadt (Unterfranken) und Berthold Borlies aus Lorch im Rheingau, Bernhard Groß (t 1502), Günter Milwitz von Erfurt und Dr. Otto Spiegel von Grünau (Meißen), bei denen demgemäß Verdacht auf nur lockere Beziehungen zum Kaiser besteht211• Die Anzahl der nachweislich außerhalb der bis jetzt genannten Bereiche und daher auf vorerst nur für den Einzelfall erklärbare Weise rekrutierten gelehrten Juristen ist klein. Es handelte sich um den Glogauer Heinrich Senftleben, kaiserlichen Rat und päpstlichen scriptor, Domherrn von Breslau, mit Laurentius Blumenau 1444 in Bologna, bei welchem freilich eine Ehrenimmatrikulation anzunehmen ist, um die 211 Lechner, S. 153; ebd. S. 139, 150 f.; ebd. S. 145; ebd. S. 161; Verfasserlexikon 12 Sp. 381 f.; Smend, S. 389 ff.; Seeliger, Kanzleistudien I S. 18, 37; A . Gerlich, Dr. decret. Bernhard Groß, Jb. f. d. Bistum Mainz 5 (1951/54), S. 24 39; E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis, 2, Leipzig 1969, S. 321; Battenberg, Handschrift, S. 58 ff.; ders., Fehde, S. 167 f.; mehrere im Urteilsbuch: vor Nr. 1 und Nr. 415.

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Goslarer Stiftspröpste "Meister" Heinrich Zedelin und Dr. Johann Steinberg, 1458/59 sowie 1478/80 dem Kammergericht beisitzend, um den Düsseldorfer Stiftsdekan Johann Bochan, "Lehrer der Rechte", der 1478 als Gesandter zwischen Friedrich und Maximilian fungierte, um den bekannten Kölner Stadtschreiber Johann Vrunt (t 1463), einen Freund Enea Silvios, ebenfalls "Meister", der 1458 Beisitzer des Kammergerichts zweifellos anläßlich einer Gesandtschaftsreise zum Kaiserhof geworden ist, um den Lübecker und später Hamburger Syndikus, auch Rektor der Universität Erfurt, Doktor beider Rechte Arnold Somernat von Bremen (t 1466), mit dem gleichen Anlaß und der gleichen Funktion212• Nur ein italienischer Rat Friedrichs III. ist bekannt, Dr. Bartholomäus Cipolla213. Wir vermögen jetzt allein vom quantitativen Moment aus zu erkennen (wir fanden insgesamt 109 neue Juristennamen unter Friedrich III.), eine wie wesentliche Neuerung dieses Zeitalters die Verbindung der königlichen Kammergerichtsbarkeit mit der gelehrten Jurisprudenz ge212 RTA 19, 1 S. 34 Nr. 4; Friedländer-Malagola, S. 191; Knod, S. 702; Lechner, S. 140, 150 ff., 179, 181 f.; Aktenstücke und Briefe 2 S. 394 f.; 3 Nr. LIII S. 129 ff.; ADB 49, S. 207; H. Diemar, Johann Vrunt von Köln als Protonotar

(1442- 48), in: Beiträge zur Geschichte vornehmlich Kölns und der Rheinlande. Zum 80. Geburtstag G. v. Mevissen, Köln 1895, S. 71 -106; Großmann, S. 208; Boockmann, Blumenau S. 27; Kleineidam, 1, 1964, S. 315.- Folgende Juristen im Umkreis Friedrich III. (als Räte oder Beisitzer des Kammergerichts) sind vorerst nicht sicher geographisch und sozial bestimmbar, werden jedoch statistisch mit berücksichtigt: Rechtsgelehrter Christian von Bryda, Offizial Dr. Ciwipold, Rechtsgelehrter Hans Gelthaus (wohl aus der Mainzer Patrizierfamilie), Bartholomäus Geplin, Meister Stephan Haymberger, Meister Jakob Helmreich (Helmerich), Dr. Johann Kantsch, Emmerich Kunigsperiger, Meister Johannes Pistoris, Hans Sattler, Lehrer beider Rechte, David vom Stein, Meister Wolfgang Strobel, Meister Peter Staude (Stude), Rechtsgelehrter Georg Ungnad (Kärnten/Steiermark?), Meister Hans Volkner (Nürnberg?). - Ungewißheit, ob es sich um gelehrte Juristen handelt, besteht bei folgenden z. T. geographisch und sozial zuweisbaren, jedoch statistisch nicht berücksichtigten Personen: Pfarrer Friedrich Abprecher zu Tilgger aus Reifnitz (Kärnten), Heinrich Beyersdorf, Bernhard Braun, Peter Here,

Heinrich Himmelberger, Bechtold Kappe, Jost Kaps von Landau, Johann Menichen, Gregor Plaickner, Georg von Schönberg Propst von Preßburg und Wetzlar, Heinrich Sibott von Rambach. Die Belege finden sich bei Lechner, passim, Seeliger, Kanzleistudien, I, S. 18, Seuffert, S. 91 ff., und Battenberg,

Handschrift, S. 58 f. Die Prokuratorenfrage ist vorerst beiseitegelassen. Einige nicht berücksichtigte Namen bei Seeliger, a.a.O. - Nachtrag: Nach freundlicher Auskunft meiner Schülerin cand. phil. E. M. Felschow ist Dr. utriusque iuris Joh. Gelthus als Frankfurter bezeugt (Stadtarchiv Wetzlar Urkk. 1466 II 16, 1469 I vor 2/1 6, 1475 VIII 5). Zu Schönberg Urkundenbuch der Stadt Wetzlar 3 (Das Marlenstift zu Wetzlar im Spätmittelalter. Regesten 1351-1500), bearb. v. W.-H. Struck, Marburg 1969, S. 789, zu Somernat F. Wiegand, Arnoldus Sommernat de Bremis, Symon Baechtz de Hornhorch und Johannes Ostbusen de Erffordia- drei Erfurter Universitätsjuristen des 15. Jhs. als Ratssyndiker von Lübeck, Beitr. z. Gesch. d. Univ. Erfurt 7, 1960 S. 49- 59 und H. Schwarzwälder, Lübeck und Bremen im Mittelalter, Zs. d. Vereins f. Lübeckische Gesch. u. Altertumskde. 41, 1961 S. 5- 41 bes. 18 ff. 21a Chmel, Regesta, Nr. 6343.

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wesen ist214 • Es mag Vorstadien gegeben haben, wirklich deutlich werden die Verhältnisse jedoch erst in dieser Generation. Die Funktion als beisitzender Urteiler verband Kanzleijuristen, Fiskaljuristen, Ratsjuristen, Professoren der Jurisprudenz, geistliche Würdenträger mit entsprechender Ausbildung und zufällige rechtsgelehrte Hofbesucher mit einem beliebigen Anliegen: Fast jeder irgendwie im Zusammenhang mit Friedrich III. zu erwähnende Juristenname begegnet auch im Kammergericht. War der Hof in Innerösterreich schon kein militärisches, ökonomisches oder verkehrstechnisch-kommunikatives Zentrum und war er jetzt auch in bedenklichem Maße "gesellschaftlich" (im alten Sinne des Wortes) eingeschränkt- so blieb er doch ein juristisches, ja das juristische Zentrum des Reiches - zunächst einmal in prosopographischer Hinsicht. Indem die gelehrte Jurisprudenz auf diese Weise in die höchste Gerichtsbarkeit sichtbar eindrang, kam es zwar nicht direkt zur Rezeption des römisch-kanonistischen Prozesses, aber es wandelten sich wohl langsam Terminologie und Verfahren215• Dabei ist allerdings zweierlei zu beachten: Die Tatsache, daß das Zeitalter Friedrichs krisenreich war und nicht zu früh als geschlossenes Ganzes aufgefaßt werden darf, und das Faktum, daß sich die Vermehrung der Juristen nur in geringerem Maße auf Kanzlei und Verwaltung bezog. Hier war man nach wie vor viel weniger "modern", als die nackten Zahlen auszudrücken scheinen. Wir kehren zur Gerichtsbarkeit zurück. Es ist im letzten Jahrzehnt des Kammergerichts Friedrichs III. mit einigermaßen ausreichend überlieferter Sitzungszusammensetzung (zwischen 1471 und 1480)218 in 18 auszählbaren Terminen im Durchschnitt beinahe exakt der Gleichstand zwischen gelehrten Juristen und Laienbeisitzern erreicht worden. Die Proportionen des Kammergerichts von 1495 sind damit vorweggenommen worden, wie auch ansehnliche personale Kontinuität zwischen unserem Personenkreis und den 1495 diskutierten Gerichtsmitgliedern bestand: acht oder neun Namen kann man nennen217• Im ersten Jahrzehnt der Kammergerichtsbarkeit Friedrichs hingegen war der Anteil der gelehrten Juristen erst etwa halb so groß. Zur Routine, die schon 214 Vgl. hierzu aus einer anderen Perspektive H. Kolter, Die Aufgaben der Städte in der Reformatio Friderici (1442), HJb 100 (1980), S. 198 - 216, bes. 208. 215 Hierzu sind von der rechtshistorischen Seite am wesentlichsten die Arbeiten von F. Battenberg (vgl. Anm. 182 und 208 sowie ders., Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg und die Falkeosteiner Erbschaft, AHG N. F. 35

(1977), s. 99 - 176). ue 0. Franklin, Das königliche Kammergericht vor dem Jahr MCDXCV, Berlin 1871; Lechner, S. 159- 184 (Beleglücken bestehen für die Jahre 1460-64, 1472-74, 1481- 93); W. D . Räbiger, Kammergericht, Königliches, HRG II, Sp. 576 - 580. 217 Vgl. Smend, 389 ff.: Stiirtzel, Pfeffer, Breisacher, Vogt, Groß, Haiden, Bock?, Pirckheimer, Schöfferlin.

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solchen Wandlungen unterlag, kam das Sensationelle: Der Prozeß des Hochmeisters des Deutschen Ordens gegen den Preußischen Bund, gleichzeitig mit einem Verfahren "Burggraf von Nümberg gegen Stadt Nümberg", war z. B. 1452/53 ein Höhepunkt, der große Juristen des Reiches am Hofe zusammenführte. Sie waren zur Konfliktlösung unentbehrlich, und so gibt es auch Zeugnisse für einen die Standesunterschiede zurückdrängenden Verkehr zwischen Herren und Helfem218• Gegen Ende des Zeitalters kann man auf der Reise des alten Kaisers neue Proportionen erspüren: Im Jahre 1485 berechnete man unterwegs der Römischen Kanzlei 16, der Österreichischen Kanzlei 9 Pferde. Der Fiskal führte 6, vier ungenannte gelehrte Juristen führten 9 und Dr. jur. Themas von Cilli für seine Person noch einmal 6 Pferde219 •

111. 1. Damit stehen wir am Ende unseres Versuchs. Die Untersuchung von sieben Generationen gelehrter Jurisprudenz im Dienst der deutschen Herrscher des späten Mittelalters erwies sich vor allem anderen als eine Sache vieler Details. Die mosaikartige Zusammensetzung trokkener Fakten in streng chronologischer Abfolge ist wohl der Preis, den man beim ersten Male zu zahlen hat, um sich quantitativ und qualitativ einige Klarheit gegenüber einer "dunkel verschwommenen Schicht"220 zu verschaffen. Bisher gab es in unserem Themenbereich bekanntlich bestenfalls inselhafte Angaben über deutsche Einzelterritorien und Städte, wobei man zudem nach uneinheitlichen Gesichtspunkten vorging, so daß es nicht leicht möglich ist, eine Entwicklung und deren Phasen zu erkennen. Eine längerfristige Studie gerade über das Königtum mag in dieser Situation vorteilhaft sein, weil es sich hier wohl um die zahlenmäßig größte um einen einzigen Hof konzentrierte Gruppe von Juristen handelt. Mit dem Hof ist ein zeitgemäßes Abgrenzungskriterium gewählt, und es bietet sich zudem die Möglichkeit, die mehr wissenschaftsgeschichtlich bedingte221 als sachlich berechtigte Benachteiligung der zentralen Gewalt gegenüber den landesfürstlichen und städtischen Gewalten zu mildem. Zur besseren Einordnung unserer Ergebnisse sollte man womöglich bestimmte Höfe, Territorien oder Städte nach Typen geordnet in ungefähr vergleichbarer Weise abhandeln: diejenigen der Dynastien mit Königsehrgeiz, der geistlichen und weltlichen Kurfürsten, weitere geistliche und weltliche fürstliche und us Die besten Beispiele in der Politischen Korrespondenz von Albrecht Achmes (z. B. Bd. 1 S. 175 oder Nr. 154). 21o Ebd. Bd. 3, S. 446 Nr. 1123. 220 Weigel, S. 102. 221 Klassisch bei Wieacker, der das Gesamtbild zusammenfaßt.

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nichtfürstliche Gewalten und verschiedenartige städtische Obrigkeiten222, später auch im europäischen Vergleich. 2. Für das Königtum gilt, daß es im Ablauf des späten Mittelalters kaum jemals auf gelehrte juristische Beratung verzichten mußte, wenn es davon Gebrauch machen wollte (nicht immer schien dies opportun223), und daß sich die Quantität dieser Beratung aufs Große gesehen einigermaßen stetig gemehrt hat. Dies war gewiß Folge zunehmenden Bedarfs, der freilich unten noch zu differenzieren ist, und von sich gegenseitig steigernden Prestigeerwägungen, jedoch auch und vielleicht zuerst Folge von breiteren sozialen Prozessen, die in Gestalt des anscheinend unaufhaltsamen Anwachsens der Zahl gelehrter Juristen sichtbar werden. Diese Seite der Dinge liegt vorerst noch weithin im Dunkeln224. Zugleich tritt freilich auch hier die vielfach gebrochene Geschichte (oder sollte man besser sagen: mehrsträngige Geschichte) der deutschen Zentralgewalt vor Augen, die eine im einzelnen z. T. unruhige Entwicklung der Jurisprudenz am Hofe mit sich gebracht hat, verursacht vor allen Dingen durch die unterschiedlichen Möglichkeiten und Grenzen der königstragenden Dynastien.

Diese Unruhe wird sozialgeschichtlich u. a. dadurch erkennbar, daß sich das Königtum im hohen Maße regionaler, d. h. räumlich naher und oft hausmachtbezogener Rekrutierungsbereiche bedient hat, die dann mit dem Wechsel des Schwerpunkts der Zentralgewalt selbst gewechselt haben. Es gab in unserem Zeitalter kein einheitliches deutsches Rekrutierungsgebiet für die gelehrten Juristen des Königs. Oberdeutschland insgesamt - wo eben auch das Herrscherturn weilte war fast ausnahmslos die Herkunftsregion im großen, und innerhalb dieser kann man zeitweise bevorzugte Einzelgebiete bezeichnen: Schwaben, Bayern, Franken, die östlichen Iuxemburgischen Erblande, Österreich. Der Norden in seiner ganzen Breite von Hennegau bis Livland war für unser Thema fast bedeutungslos. Offenbar war angesichts der geringen verkehrstechnisch-kommunikativen Möglichkeiten des Zeitalters die beträchtliche Ausdehnung des Reiches ein noch zu großes Hemmnis, lagen doch auch die Wissenschaftszentren Italiens oder Lit. oben bes. in Anm. 1 und 48; auch Boockmann, Blumenau, S. 142 f. Die Szene, wie der Jurist Riederer vom Hohenzollern-Markgrafen Albrecht aus dem Ratgericht gewiesen wird, bei G. Voigt, Enea Silvio de Piccolomini, als Papst Pius der Zweite, und sein Zeitalter, Bd. 2, Berlin 1862, S. 80 f. (zu 1453); zur Austauschbarkeit von Juristen Reichscorrespondenz 1 S. 326 Nr. 364, RI XI Nr. 8928 (vgl. Forstreiter, Anhang S. 9). 224 Mein Schüler R. C. Schwinges bemüht sich von der Universitätsgeschichte her um die quantitative und qualitative Bewältigung einiger dieser Probleme. Vgl. ders., Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter. Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im alten Reich, hrsg. v. H. Weber, Wiesbaden 1980, S. 37-51. 222 223

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Frankreichs der deutschen Zentralgewalt geographisch gesehen eher näher als die am weitesten entfemte eigene Grenzlandschaft 3. Die gelehrt-juristische Elite konkurrierte im Hinblick auf den Dienst beim König mit anderen, sich jeweils untereinander und mit der unsrigen teilweise überschneidenden und verflechtenden Eliten, zumal mit in sich wiederum gestuften adelig, dann finanziell-wirtschaftlich, kirchlich-hierarchisch, anderweitig fachlich (theologisch, medizinisch) und rechtspraktisch legitimierten Kräften225, zuletzt auch mit Humanisten. Kaum eine von solchen Gruppen oder Teileliten konnte der König ohne Schaden auf die Dauer entbehren226, jedoch hat sich ihre Bedeutung am Hofe im Laufe der Zeit gewandelt. Kann man von den gelehrten Juristen für unseren Zeitraum sagen, daß ihr Anteil im ganzen beträchtlich gewachsen sei, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß auch die Juristenwelt adelsorientiert war, wie das wirtschaftende Großbürgertum. Der Adel blieb die entscheidende Kraft, und mit diesem gemeinsam galt die Tatsache, daß die Zahlen der Juristen aufs Große der Gesellschaft gesehen bescheiden waren. Eine von größeren Gruppen her beeinflußte sozialgeschichtliche Terminologie muß daher vorsichtig gehandhabt werden. Auf einen Begriff sollte man freilich heuristisch vorerst nicht verzichten, auf den Begriff der "politischen Gruppe" im weiteren und im engeren Sinn. Im weiteren Sinn faßt er die zum eigenen Vorteil am Gesamtinteresse des Reiches orientierten Personen, d. h. unsere Teileliten zusammen. Die Analyse der "politischen Gruppe" und ihrer Teile ist wohl im allgemeinen ein wesentliches Hilfsmittel zum Verständnis älterer Verfassung, und man mag gerade von unserem Aspekt her auf eine Bereicherung dieses Verständnisses hoffen. Von hier aus gesehen ist unser Thema ein Exempel für ein noch kaum bekanntes Ganzes, auf der anderen Seite werden wir dadurch vor allzu isolierender Betrachtung gewamt. Ähnliches gilt übrigens prinzipiell für den Anteil der Jurisprudenz an der zeitgenössischen wissenschaftlichen Welt, wie sie vor allem durch die Universitäten und durch Handschriftenproduktion, -besitz und -Weitergabe dargestellt ist227• 225 Hierzu u. a. die "Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit", bzw. "Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit"; 3: Deutsches Patriziat 1430-1740, hrsg. v. H. Rößler, Limburg 1968; 4: Universität und Gelehrtenstand 1400-1800, hrsg. v. G. Franz, 1970; 5: Beamtenturn und Pfarrerstand 1400-1800, hrsg. v. dems., 1972; 6: Führungskräfte in der Wirtschaft in Mittelalter und Neuzeit 1300- 1800, 1, hrsg. v. H. Helbig, 1973; V. Press, Führungsgruppen in der deutschen Gesellschaft im Übergang zur Neuzeit um 1500, in: Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbilanz, hrsg. v. H. H. Hofmann u. G. Franz, Boppard 1980, S. 29 -77; A. J. Looyenga, Elites. Proeve van een bibliografie, Leiden 1980. 228 Vgl. z. B. R. Cazelles, La societe politique et la crise de la royaute sous Philippe de Valois, Paris 1958.

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4. Unter dem quantitativen Aspekt seien die folgenden Tatbestände erwähnt: Die 230 erfaßten Personen nordalpiner Herkunft (demnach ohne Italiener), die infolge strenger Auswahl und wegen des Verlusts und der unfreiwilligen Nichtberücksichtigung von Quellen gewiß eine zu geringe Zahl darstellen, verteilen sich im zeitlichen Ablauf sehr ungleich. Dies tritt beim Vergleich unserer drei fast genau gleich langen Perioden klar hervor: Dem ersten Zeitabschnitt von 1273 bis 1347 gehören 27 (= 12 °/o), dem zweiten von 1346 bis 1410/1419 65 (= 28 Ofo) und dem dritten von 1410/19 bis 1493 138 Personen(= 60 Ofo) an; oder anders formuliert: Die Hälfte der Juristenanzahl wird erst 1437/38 erreicht, als schon drei Viertel des Spätmittelalters in unserer Abgrenzung verstrichen waren. Derjenige Quotient, der für jeden Herrscher die durchschnittliche Anzahl verstrichener Regierungsjahre je neu auftauchendem Juristennamen angibt, verändert sich demgemäß einigermaßen gleichförmig von 3,0 bei Rudolf zu 0,5 bei Friedrich III.; oder anders ausgedrückt: Friedrich hat relativ gesehen sechsmal so viel gelehrte Juristen beschäftigt wie Rudolf. Dies war der Weg, den Königtum und Jurisprudenz in zwei Jahrhunderten zurückgelegt haben. Von dem entsprechenden Durchschnittsquotienten je Einzelperiode (1273 -1347 = 3; 1346- 1410/1419 = 1,2; 1410/1419- 1493 = 0,6; Gesamtdurchschnittsquotient 1273-1493 = 1) weichen am stärksten jeweils negativ ab Adolf von Nassau, Friedrich der Schöne und Wenzel, entsprechend positiv am meisten Heinrich VII., Ruprecht und Albrecht II. Man wird dabei beachten, daß infolge der Unmöglichkeit, zuverlässige Zahlen über die Arbeitsdauer zu ermitteln, und infolge des in mittelalterlichen Verhältnissen üblichen schwungvollen Anfangs einer Regierungszeit kurz amtierende Könige leicht bevorzugt erscheinen. Die quantitative Mitberücksichtigung auch der jeweils vom Vorgänger übernommenen Juristen mildert die Extreme nach der positiven und der negativen Seite, ändert aber im ganzen nicht soviel, daß der Abdruck einer zweiten Zahlenreihe angebracht wäre. Die Tätigkeit italienischer Juristen nördlich der Alpen gehört vor allem in das Zeitalter Sigismunds, im übrigen finden sie sich nur ganz vereinzelt vor. Die hohen Zahlen für Kaiser Friedrich III., der für sich allein genommen mit 109 neuen Juristennamen 47 Prozent aller aufgenommenen Personen (in 24 Ofo Zeitanteil an der Gesamtperiode) aufweist22B, lenken den Blick auf eine Tatsache von großer Bedeutung: Es ist die 227 Vgl. J. Miethke, Zur Bedeutung der Ekklesiologie für die politische Theorie im späteren Mittelalter, in: Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, hrsg. v. A. Zimmermann, 2. Halbbd., Berlin 1980, S. 369 - 388; vgl. auch die Nähe einiger unserer Juristen zu Universitätsgründungen: Beinheim für Basel, Mair für Ingolstadt. 228 Diese Zahl dürfte sich angesichts der hier vermutlich größten Quellenunsicherheit künftig stärker erhöhen als anderswo.

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bemerkenswerte Aktivierung der Kammergerichtsbarkeit (nach einer oben charakterisierten besonderen italienisch-legistischen Vorgeschichte bei Sigismund). Jene verdeckt, daß sich eine Zunahme der Kanzleiund Verwaltungsjuristen in viel geringerem Maße vollzog - zumal langfristig gesehen, d. h. über den aus besonderen Gründen bei Sigismund eingetretenen Tiefpunkt hinweg. 5. Es bleibt daher richtig, daß im deutschen Spätmittelalter eher mühsam und schlicht verwaltet wurde, gemäß einem Staatszweck, der vielfach beschränkt war und eher nach rechtspraktischer Bewältigung verlangte. Allerdings stand die Gerichtsbarkeit unter dem gemeinsamen Dach der älteren Herrschertätigkeit der Verwaltung näher als in der Moderne und ist daher auch für ein solches Thema nicht bedeutungslos. Im übrigen gehört es zu den Konstanten unserer Thematik, daß Führungsstellen in der Kanzlei gelehrt-juristisch besetzt wurden. Dies betraf weniger das Kanzleramt als den Rang des Protonotars, den man sich oft als den Leiter des konkreten Urkundengeschäfts wird vorstellen können. Die Kanzlei war und blieb das wichtigste und dauerhafteste Zentrum der Jurisprudenz am Hof. Daneben gab es von Anfang an auch gelehrte Juristen, die- ohne Kanzleiamt- am besten als Räte aufzufassen sind oder so oder als secretarii229 bezeichnet wurden. Hier ist zu beachten, daß der Königliche Rat unseres ganzen Zeitalters230 ohne Stabilität der Mitgliederzahl, feste Kompetenz, gleiches Stimmrecht und gesichertes Abstimmungsverfahren blieb und daß im Zweifelsfall Adelsrang und Schwert wirksamer waren als Doktorhut und Pergament. Man wird ohnehin mit der Annahme kaum fehlgehen, daß man am Anfang unserer Periode der Jurisprudenz in erster Linie für den Kontakt mit dem siegreichen und überlegenen Papsttum bedurfte. Noch lange Zeit, bis ins 15. Jh. hinein, stellten kirchliche Belange ein Hauptarbeitsgebiet unserer Gewährsleute dar. Dies stimmt auch mit der sozialgeschichtlich faßbaren recht zögernden Laisierung unseres Kreises und mit den erstaunlichen Erfolgen unserer Juristen gegenüber dem Bischofsamt überein. Erst aus jeweils besonderen, hier nicht zu diskutierenden Gründen hat sich dies bei Wenzel, Ruprecht und Sigismund teilweise geändert, und in der gewandelten Atmosphäre des mittleren und späteren 15. Jhs. trat man dann in aller Breite in die allgemeine Politik ein. Das Reich als politisches Gebilde im großen und politische Dinge im Reich im kleinen wurden allmählich das neue 229 Der Begriff des "secretarius" ist schwierig und kann hier nicht im einzelnen erläutert werden. Bis in die zweite Hälfte des 15. Jhs. hinein kann jedenfalls ein secretarius als ratsgleich gelten und meint keineswegs zwingend einen Kanzleiangehörigen wie am Ende des 15. Jhs., als ein Bedeutungswandel eingetreten war. 280 Dazu Moraw wie oben in Anm. 2 und 51.

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Hauptthema der gelehrten Juristen, wie es der frühen Neuzeit selbstverständlich sein wird. Man wurzelte dabei weiterhin in alten Verhältnissen, aber diese wurden neuartig durchgeformt. 6. Das Stichwort "Sozialgeschichte" ist gefallen. Unter Verzicht auf die Darstellung von "Karrieremustern", "Sozialprofilen" oder gar der "Anatomie einer Elite" sei auf diesem Feld in unserem Zusammenhang nur weniges hervorgehoben. Zunächst ist die relative soziale Homogenität unserer Probanden zu beachten. Zwei "Stände", Niederadel und großes Bürgertum nicht unbedeutender Städte, an dessen relative Adelsnähe bis ins 15. Jh. hinein erinnert sei, brachten fast bis zum Ende unserer Periode bei weitem die Mehrzahl der gelehrten Juristen im Königsdienst hervor. Der Anteil des Bürgertums nahm zu, jedoch nicht sehr rasch; der Landadel, der die Graduierung nicht so wichtig nahm, behauptete sich bis zuletzt recht ansehnlich. Hier könnte eine Besonderheit der königsnahen Juristen vorliegen, da es doch um den Dienst an einer besonders hochgestellten Adelswelt ging. Genauso gewichtig war, trotz ganz allmählicher Verkleinerung, der lange Zeit überwiegende Anteil der Pfründenkirchen, also der Dom- und Stiftskapitel, am sozialen Substrat unseres Personenkreises; auch dies mag mit dem Königsdienst zu tun haben231• Die Zahl der verheirateten Juristen nahm zwar zu, bis dieser Status im 16. Jh. wohl zur Regel werden wird; beim König aber wurde der Weg vom Klerikerjuristen zum Laienjuristen nicht sehr schnell zurückgelegt. Zum dritten ist der soziale Ausweis (der zugleich ein finanzieller Ausweis war) durch das Auslandsstudium232 für unsere Gewährsleute eine Konstante des ganzen Zeitalters. Das Übergewicht Italiens (zuerst Bologna, dann Padua) ist so klar, daß es kaum in Zahlen gefaßt zu werden braucht. Als ein zweites wesentliches Moment der Rekrutierung tritt die Institution der königsnahen Universität (zuerst Prag und Heidelberg, dann besonders deutlich Wien) hervor, wenn auch bei den führenden Leuten nur selten allein. Wer womöglich Studienorte beider Typen wählte oder besser: wer hierzu angeleitet wurde, hatte erheblich bessere Aussichten als Absolventen anderer Provenienz. 231 Die freund-feindliche Nähe der Juristen zur Kurie und die Argumentation mit kirchlichen Zusammenhängen beleuchtet z. B. der an Martin Mair gerichtete Traktat Enea Silvios: Aeneas Silvius Germania und Jakob Wimpfeling: "Responsa et replicae ad Eneam Silvium", hrsg. v. A. Schmidt, Köln 1962. !s! Vgl. z. B. W. Dotzauer, Deutsches Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien) und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland, in: Stadt und Universität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. v. E. Maschke u . J. Sydow, Sigmaringen 1977, S. 112 ff.

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Damit sind wir bei der wohl wichtigsten, zugleich zusammenfassenden Feststellung zur Sozialgeschichte unseres Kreises233 : Überall, wo die Quellen nur einigen Einblick erlauben, trifft man auf die alten, weit verbreiteten Grundregeln sozialer Existenz des alteuropäischen Zeitalters, Patronat und Begünstigung auf Grund von Verwandtschaft, Landsmannschaft, Schülerschaft, Studienfreundschaft oder ähnlichem. Die Chancen wurden offenbar in viel höherem Maße zugeteilt als durch geistig-wissenschaftlichen Ausweis erworben, wobei dieser selbstverständlich nicht ausgeschlossen war. Die Gegenprobe erweist, daß die Zahl der wirklichen "Aufsteiger", die nicht etwa nur ökonomischen Rang gegen juristischen Rang getauscht haben, verschwindend gering war. So ist auch die Schar der an den Universitäten erkennbaren "pauperes" aus unserem Kreis außerordentlich klein, sie beträgt wohl ein Prozent234• 7. Die Schlußbemerkung gelte noch einmal dem Verhältnis der Jurisprudenz zum Reich: Auch der schwächste König blieb der König der Juristen, und dies war nicht ohne Folgen. Denn ehe eine Gesamtgesellschaft "Reich" eigentlich politisch in höherem Maße wirksam bestanden hat, setzten sie die gelehrten Juristen voraus und nahmen sie vorweg. Fast alle "politischen Kulturen" im Reich waren von ihren praktischen und sozialen Voraussetzungen her regional angelegt, und die allermeisten blieben es auch im Denken und Handeln. Sozial gesehen galt dies auch für die gelehrt-juristische Kultur, wie wir sahen. Deren Denken jedoch war umfassend und hat verwirrende und partikulare Tatbestände der Reichsverfassung neu sehen und aussprechen gelehrt und neue Legitimationen bereitgestellt. Auch das Handeln der Juristen trieb die Verdichtung des Reiches voran. Das Kammergericht zumal Friedrichs III. war - unabhängig von seinem vielleicht problematischen gerichtlichen Erfolg. - neben Fiskal und Kanzlei ein dritter zentralisierender Punkt am Hofe, der immerhin soweit entfernte Städte wie Lübeck dazu veranlaßte, ihren teuren Syndikus jahrelang beim Kaiser weilen zu lassen. Daß von diesem, der in Innerösterreich saß, bis zur Travestadt durchschnittlich eine Reise von 34 Tagen Dauer zurückzulegen war235, mag noch einmal die Schwierigkeiten beleuchten und die vielen Unvollkommenheiten erklären helfen, mit denen man sich oftmals vergeblich auseinandersetzte. Aber welche Gedanken ließen sich schon in einem technisch-lebensweltlich so problematischen Zeitalter unbeschädigt verwirklichen? Im 15. Jh. fanden immerhin die 233 Vgl. P. Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter, Gießener Univ.-Bll. 8, 2 (1975), S. 44 - 60. 234 Aufgefallen sind uns Utrich von Albeck und Heinrich Leubing. 235 Neumann, Erfahrungen, S. 61.

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Einübung und das weitere Wachsen eines Beziehungsgeflechts statt, an das man hundert oder zweihundert Jahre zuvor bei weitem nicht hätte denken können. Zweitrekrutierung, Mehrfachdienst, Wechsel des Dienstherrn stärkten es, oder auch das Faktum, daß Fürsten des 15. Jhs. den werdenden Reichstag nur selten persönlich aufsuchten und an ihrer Stelle ihre Räte, darunter in der Regel Juristen, entsandten; was kurzfristig wegen der gefährdeten Beschlußfassung als politisch schädlich zu verbuchen ist, mag in unserem Sinne, als Gespräch unter Kollegen, auch eine positive Seite gehabt haben. Daß der politische Schriftverkehr, an dem unsere Gruppe mit ihren Kollegen im Fürstendienst führend beteiligt war, beträchtlich zunahm, ist leicht zu erkennen. Demnach ist die politische Teilhabe am Reich von Kräften auch außerhalb des seit dem 13. Jh. traditionellen Bereichs, des Verbundes von Königtum und Kurfürstentum, von den gelehrten Juristen vorweggenommen worden, bevor sie von den Fürsten im Umkreis von 1495 endgültig realisiert wurde. Der König selbst wurde zwar nicht doctor legum, wie die Reformatio Sigismundi gefordert hatte236, aber er wurde mit den Fürsten immer stärker juristisch eingebunden - ein Vorgang, der in unserem Zeitalter begann und in der frühen Neuzeit als "Verrechtlichung" gipfeln wird. Wir sehen daher die gelehrten Juristen nicht mit Wieacker231 und seinen Gewährsleuten als Gehilfen bei der "Zerstörung des Reiches durch die Fürsten" an, sondern möchten in ihnen eine Kraft erkennen, die die alten Mauern des Gemeinwesens neu gefestigt hat, so daß sie noch lange Zeit Bestand hatten.

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10*

Struve, S. 73. Wieacker, S. 96.

Rechtswissenschaft und Ideologie in Venedig Erwerbung der "Terraferma" und Wandlungen des Staates Von Aldo Mazzacane I. 1. Die venetianische Erwerbung der "Terraferma", die sich zwischen dem Ende d-es 14. und dem Anfang des 15. Jh.s vollzog, brachte eine entscheidende Wandlung im politischen Gefüge von Gesellschaft und Staat mit sich, sowie in der gemeinschaftlichen Lebensanschauung und in der Art, die Stellung und die Aussichten der venetianischen Republik in dem italienischen und überhaupt im europäischen Gleichgewicht der Mächte einzuschätzen. Die Historiker haben in der Expansionspolitik Venedigs die Elemente der Fortsetzung bzw. der Unterbrechung der durch die Jahrhunderte von der städtischen Aristokratie befolgten Orientierungen hervorgehoben. Betont wurde auch das Miteinwirken traumatisierender Begebenheiten, wie die Bildung einer großen Koalition, die in der Zeit zwischen 1378 und 1381 ihre Waffen bis in die Lagune, nach Chioggia, brachte und die Anregung, die dadurch den Venetianern kam, sich mit erneutem Schwung um den Staat zu schließen, und endlich die politischen und wirtschaftlichen Beweggründe strukturellen Charakters, welche die "Serenissima" dazu bewogen, mit Energie den Plan der Eroberung eines Territoriums in Italien und der Zurückgewinnung und Festigung der Besitztümer in der "Levante" aufzunehmen1.

Durch die Ereignisse um die Wende zum 15. Jh. gewann Venedigs führende Schicht die Überzeugung, daß das Überleben selbst der Republik von der Fähigkeit abhänge, eine weitreichende territoriale Herrschaft in Italien zu schaffen. Dadurch könne das Zustandekommen eines starken politischen Organismus dicht an ihrer Grenze verhindert werden. Nicht zuletzt von der Zurückeroberung Dalmatiens und von der Neuorganisierung und Umgestaltung der bisher vorwiegend indirekten 1 Eine allgemeine Darstellung in: H. Kretschmayr, Geschichte von Venedig, II, Gotha 1920, S. 232 ff.; R. Cessi, Storia della Republica di Venezia, I, Mailand 1944, S . 331 ff.; G. Cracco, Societa e Stato nel Medioevo veneziano, Florenz 1967, S. 445 ff.; F. C. Lane, Venice. A Maritime Republic, Baltimore 1973, s. 196 ff., 225 ff.

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Besitztümer an der Adria und im Ägäischen Meere werde viel abhängen. Die Notwendigkeit, die Handelswege nach Deutschland und nach Ungarn offen zu halten, den leichten Zufluß der Lebensmittel zur Lagunenstadt zu sichern, sich wirksam mit den neuen Kontinentalstaaten und mit der sich abzeichnenden türkischen Drohung auseinanderzusetzen und die eigenen Erfolge nicht ausschließlich der Blüte des Handels und der Meeressiedlungen anzuvertrauen, bedingten für mehr als ein Jahrhundert die Grundlinien der venetianischen Politik und verflochten sich auf ganz sonderbare Weise mit ihren See- und Handelstraditionen, und mit den ideellen Argumentationen und den sozialen Bündnissen, die diese Traditionen getragen hatten und noch vertraten2 • In rascher Aufeinanderfolge eroberte Venedig Treviso zurück (1388), gewann die Kontrolle über den Polesine (1395), nahm Vicenza Belluno und Feltre ein (1404), danach Padua und Verona (1405) und den ganzen Friaul (1420), und später, sich in Richtung Mailand ausdehnend, auch Brescia (1426) Bergamo und Crema (1428). Parallel dazu, zwischen dem Frieden von Turin (1381) und etwa 1420, verfolgte die Republik von St. Markus einen zähen Plan: Sie nahm mit Unbefangenheit die Vorteile günstiger Gelegenheiten wahr, erlitt jedoch nicht selten Niederlagen und Rückschläge. Sie bemühte sich, im Grunde mit Erfolg, darum, das antiotomanische Bollwerk zu stärken und sich die Kontrolle über den "Golfo" und den östlichen Teil des Mittelmeeres zu sichern. Der Adria entlang eroberte Venedig nach und nach ganz Dalmatien zurück, bemächtigte sich Durazzo und Scutari, gewann Corfu, Butrinto, das Protektorat Zante und Kephalonia. Später, im Ägäischen Meer, von seinen Stützpunkten Modone und Negroponte ausgehend, konnte sich Venedig Nauplia und Argos, Malvasia, Tino, Mykonos einverleiben, dann Athen und die ganze Insel Eubäa und schließlich das Emporium Saloniki. Den türkischen Angriffen dauernd ausgesetzt, war das "Impero di Levante" Schauplatz wiederholter Kriegsaktionen und Gegenstand lang2 R. Cessi, La Repubblica di Venezia e il problema adriatico, Neapel 1953, S. 132 ff.; F. Thiriet, La Romanie v{mitienne au Moyen Age. Le developpement et l'exploitation du domaine colonial venetien (XIIe - XVe siecle), Paris 1959, S. 168 ff., 355 ff.; G. Luzzatto, Storia economica di Venezia dall'XI al XVI secolo, Venedig 1961, S. 159- 61; ders., L'economia veneziana dopo l'acquisto della Terraferma, Bergomum 38 (1964), S. 59 ff.; D. Bettrami, La penetrazione economica dei Veneziani in Terraferma. Forze di lavoro e proprieta fondiaria nelle campagne venete dei secoli XVII e XVIII, Venedig 1961, S. 45 ff.; S. J. Woolf, Venice and the Terraferma: Problems of the Change from Commercial to Landed Activities (1962), jetzt in: B. Pullan, ed., Crisis and Change in Venetian Economy, London 1968, S. 175- 203; A . Ventura, Il Dominio di Venezia nel Quattrocento, in: Bertelli I Rubinstein I Smyth, eds., Florence and Venice: Camparisansand Relations, I, Florenz 1979, S. 169 ff.

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wieriger diplomatischer Verhandlungen. Es verlor jeglichesAnsehen der Stabilität, um einen Wehrcharacter anzunehmen als eine Art Schanzgrube, die festhielt, jedoch dazu verurteilt war, immer weiter zurückverlegt zu werden, um immer schwererem Nachgeben zu erliegen8 • Saloniki blieb nur sieben Jahre den Venetianern, von 1423 bis 1430; Negroponte war unter dem Feuer der Geschütze und fiel im Jahre 1470; die Inseln mußten harte Belagerungen und Besetzungen erleiden. Die Territorien der "Terraferma" dagegen fügten sich endgültig in das venetianische politische System ein, wurden zum festen Bestandteil seiner Herrschaft und bedingten faktisch die Überwindung der traditionellen kommunalen Anschauung des Ducats und somit eine Erweiterung seines Horizonts im kontinentalen Maßstab. 2. In den Jahrzehnten nach dem Chioggia-Krieg bahnte sich also für Venedig nicht nur eine systematische Expansionspolitik an, sondern, als Folge derselben, auch eine allgemeinere Umwandlung der Staatsordnung. Sie sollte das Gefüge ändern, in dem sich Idee und Praxis des Regierungs- und Verwaltungssystems, das das "Dominio" organisierte, bisher eingegliedert hatten. Es darf nun gefragt werden: Spielten bei derartigen Änderungen, die das eigentliche, spezifische Gebiet der Tätigkeit der Juristen betrafen, deren Fachkenntnisse eine bestimmte Rolle? Hatte das juristische Denken dabei eine Aufgabe, und gegebenenfalls welche? Das in Venedig schon seit langem festgelegte verfassungsrechtliche Gebilde4, das auf dem Patriziat gegründete Wesen des Staates, welches den politischen Versammlungen und den Gesetzesorganen - die ein geschlossener Stand streng kontrollierte - die Aufgaben der Regierung und der Orientierung der gesellschaftlichen, politischen und verwaltungsmäßigen Organisation und nicht zuletzt des ideologischen Bindestoffes der Republik anvertraute, ließen sehr wenig Raum übrig für die Juristen und für ihre Forderungen, den sozialen Körper zu interpretieren und zu führen. Die Ausdehnung des Territoriums in Richtung auf den Kontinent bot ohne Zweifel im Laufe des 15. Jh.s häufiger Gelegenheit zur Verwendung von Juristen, so wegen der Vermehrung der Ämter in der Verwaltung und in den Sekretariaten der Räte und sogar wegen einer größeren Verfügbarkeit an geistlichen Benefizien in einem Staat wie dem venetianischen, wo politische und religiöse Funktionen der verschiedenen Institute immer eng verflochten blieben. a F. Thiriet, a.a.O., S. 363 ff.

4 Eine ausführliche Darstellung der Venetianischen Verfassung gibt das bekannte Werk von G. Maranini, La Costituzione di Venezia, Florenz 19271931, 2 Bde. Immer noch wichtig: V. Sandi, Principi di storia civile della Repubblica di Venezia, 6 Bde., Venedig 1755 - 1756.

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Doch nahmen die wiederkehrenden, oligarchischen Anläufe, die Verschlossenheit der Aristokratie sowohl in sozialer als auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht, den "Legisten" jede Möglichkeit, sich mit weitergehenden Themen auseinanderzusetzen, wie etwa dem Thema der Beziehung zwischen Gewohnheit und Recht, zwischen geschriebener Bestimmung und Aufgabe der Jurisprudenz, was die bewegtere Dynamik des kommunalen Zeitalters zugelassen hatte, indem sie die Wege zu einer bedeutungsvollen Kontrolle der interpretatio offenhielt. Nicht von ungefähr war es (kurz nach der "Serrata") Riccardo Malambra noch möglich, die Frage, ob es angebracht sei, von der Beachtung der Statuten abzugehen, innerhalb des überlieferten rechtswissenschaftliehen Rahmens, also auf der Ebene der Auslegung zu beantworten: "Conservatio boni status reipublice conservat statuta reipublice. Ergo quicquid fit pro conservatione status reipublice potentius est et preferendum omni statuto reipublice. Ergo illud faciendo non fit contra statutum sed secundum mentem statuti5.'' Etwas später, am Anfang des 14. Jh.s, konnte sich dagegen J acopo Bertaldo schon darüber beklagen, daß die partes der Räte vor der feststehenden Regierung das Obergewicht hätten ("magis prospicitur ad consilium quam ad statutum"8), ohne dabei einen politischen Gesprächspartner zu finden, der sich seiner Forderungen, die Rolle der Juristen in Anspruch nehmend, annähme. Im Jahre 1401 befahl schließlich eine "parte" den "Avogadori di comun", jegliche am Rande der Statuten angebrachte Glosse zu streichen7 , was eindeutig die Beschränkung auf untergeordnete Aufgaben sanktionierte, die die politischen Versammlungen der Republik nunmehr der Jurisprudenz vorbehalten wollten. 3. Im Gegensatz zu dem, was in anderen europäischen Kreisen vorkam, gelang es also ohne Zweüel der Rechtswissenschaft der Renaissance in Venedig nicht, ihre humanistische Zuversicht zum Ausdruck zu bringen, daß es möglich sei, eine Erneuerung der scientia iuris und eine Reform der staatlichen Ordnung, eine logische Neubegründung des eigenen Wissens und eine neue Einrichtung des bürgerlichen Zusammenlebens gleichzeitig voranschreiten zu lassen. Das Recht blieb in Venedig eine Praxis von in Rechtspflege erfahrenen Kurialbeamten, eine untergeordnete Tätigkeit technischen Charakters, die lediglich auf institutionelle und verfahrensrechtliche Aspekte beschränkt blieb8 : 5 Zitate aus E. Besta, Riccardo Malombra professore nello Studio di Padova, consultore di Stato a Venezia, Venedig 1894, S. 102- 03. 8 Vgl. Jacopus Bertaldus, Splendor Venetorum civitatis consuetudinum, cur. F. Schupfer, Bononiae 1901, S. 105. 7 Text der "parte" in: E. Besta, Su talune glosse agli Statuti civili di Venezia composte nei secoli decimoterzo e decimoquarto. Note e osservazioni, Atti dell'Istit. Veneto di Scienze Lettere e Arti, s. VII, 8 (1896- 97), pt. I,

s. 404-05.

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Richtung und Umfang dieser Tätigkeit zu bestimmen war Prärogative der politischen und gesetzgebenden Einrichtungen, die ausschließlich aus Patriziern zusammengesetzt waren und bei denen die Verfassung die volle Führungsmacht des Staates konzentriert hatte. Deshalb ging in der Republik die wissenschaftliche Gestaltung selbst der Jurisprudenz getrennte Wege. Sie entfaltete sich in den Kreisen der Universitäten und stützte sich nicht selten auf den Beitrag auswärtiger Lehrer, die an einer Auseinandersetzung beteiligt waren, welche in gleichem Maße andere europäische Zentren miteinbezog. So entwickelte sie sich ohne eine feste und dauernde Beziehung zu den Ergebnissen in Gesellschaft und Staat und ließ oft jene allgemeinere theoretische Thematik außer acht, die durch die derzeitigen Wandlungen geboten werden konnte. Will man aber nicht ganz unkritisch bei der Inselhaftigkeit der venetianischen Rechtserfahrung verbleiben, so muß man erkennen, daß die Mittel, welche die "Serenissima" anwandte, um ihre Beziehungen zu den zuletzt gewonnenen Ländern zu regeln, von den in anderen Staaten üblichen nicht sehr verschieden waren9 • Der weitere Umfang, den durch die Expansion die Herrschaft annahm, brachte neue Anforderungen politischer und verwaltungstechnischer Art an die traditionelle Gliederung der Republik. Darauf antwortete sie mit der Anwendung neuer, spezifischer Formen, die ihrem Wesen als Stadtstaat und ihrer aristokratisch-republikanischen Verfassung entsprachen. In diesem Prozeß traten aber Schwierigkeiten zutage, wie in allen europäischen Ländern, die sich zwischen den zentralisierenden Anforderungen einer modernen staatlichen Organisation und den partikularistischen Widerstandskräften der kommunalen und feudalen Tradition lagen. Wenn auch am Rande der politischen Situation und gezwungen sich in den Angelegenheiten minder wichtiger Ereignisse zu verbergen, ver8 In dieser Hinsicht flüchtige, aber treffende Bemerkungen schon bei Cessi (Anm. 1), II, Mailand 1946, S. 16; und A. Ventura, Nobilta e popolo nella societa veneta del '400 e del '500, Bari 1964, S. 41. Siehe auch die die Literatur und Geisteswissenschaften betreffenden Ausführungen von M. L. King, The Patriciate and the Intellectuals: Power and Ideas in Quattrocento Venice, Societas 5 (1975), S. 292 - 312; M. Pastore Stocchi, Scuola e cultura umanistica fra due secoli, in: Storia della Cultura Veneta, III/1, Vicenza 1980, s. 93 -121. 9 Zur Rechtspolitik Venedigs in den neuerworbenen Territorien insgesamt G. Fasoli, Lineamenti di politica e legislazione feudale veneziana in terraferma, Rivista di storia del diritto italiano 25 (1952), S. 61 - 94; C. G. Mor, Problemi organizzativi e politica veneziana nei riguardi dei nuovi acquisti di terraferma, in: V. Branca, ed., Umanesimo europeo e umanesimo veneziano, Florenz 1963, S. 1-10; A. Ventura (Anm. 8); ders. (Anm. 2), S. 173 ff.; G. Cozzi, Considerazioni sull'amministrazione della giustizia nella Repubblica di Venezia (secc. XV- XVI), in: Florence and Venice (Anm. 2), II, Florenz 1980, s. 101 ff.

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nachlässigten die wissenschaftlichen Bearbeitungen dieser Juristen es nicht, allgemeinere Überlegungen, tiefer gehende theoretische Motive in juristischen Formen darzubringen, die zwar verschieden, doch nicht denen entgegengesetzt waren, welche anderswo vorkamen. Dadurch waren die juristischen Rückgriffe auf die Regeln der "Rechtsinstitute" und auf die Praxis der Gerichte imstande, an eine Gesamtauffassung des venetianischen Staates anzuknüpfen, die eine keineswegs zweitrangige ideologisch einigende Aufgabe für einen ganzen Stand von Gelehrten und Regierenden erfüllte. II. 1. Als 1429 Paolo di Castro10 nach Padua kam, hatte sich der Prozeß der territorialen Expansion der Republik vollzogen. Doch blieben noch dringende Entzweiungsgründe zwischen den Anhängern einer intensiver betriebenen Festlandspolitik und denjenigen bestehen, die die Ausdehnung einschränken wollten. Vor allem erschienen in aller Deutlichkeit die Probleme, die im alten Gefüge des Herzogtums durch die Eroberung entstanden waren. Die Souveränität der Republik dehnte sich nämlich nun übf;!r Städte und Dörfer aus, die bisher nach eigenen Weistümern geregelt waren und die viel weitgehender als die "Laguna" an der romanistischen Tradition oder, wie es für Friaul der Fall war, am Feudalrecht festgehalten hatten. Ein überall einheitlich angewandter Grundsatz war es, das in den unterworfenen Ländern jeweilig geltende Rechtssystem aufrecht zu erhalten. Dabei übernahmen die Organe der "Serenissima" die Befugnisse der früheren Herrscher; dem venetianischen Adel blieben die Ämter und Würden von wichtiger politischer Bedeutung vorbehalten. Die Tätigkeit der lokalen Behörden war der Autorität der Räte der "Dominante" und der klugen Aufsicht ihrer "Rettori" untergeordnet11 •

Die Politik der wesentlichen Erhaltung des überkommenen erlaubte es sicherlich, eine irgendwie objektive, gesetzlich geregelte Beziehung der Untertanen zur "Signoria" zu sichern. Doch konnte die vertragsmäßige Form der "dedizioni" nicht die andere weit konkretere Grundlage der Einverleibungen verhehlen, die vom Eroberungsrecht dargestellt wurde. Dadurch fühlte die "Dominante" sich ermächtigt, ungeachtet der Abkommen und der gewährten Privilegien einzugreifen und gewichtige Änderungen auf den bedeutendsten Gebieten einzuführen, sowie tiefgehende Umgestaltungen der Statuten vorzunehmen. 10 Siehe die anschauliche Skizze von G. D'Amelio, Castro, Paolo di, in: Dizionario Biografico degli Italiani, 22, Roma 1979, S. 227 - 33. 11 Zuletzt Cozzi, a.a.O.

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Im wesentlichen blieb also die gesamte Kontrolle der eroberten Städte dem Patrizierstand der Lagune vorbehalten: Die Geschlossenheit der venetianischen Aristokratie, die es entschieden ablehnte, sich die führenden Schichten des Territoriums einzuverleiben und die sich dauernd mit der Verfassung des Stadtstaates und mit deren Stabilität identifizierte, vor allem verhinderte es, daß ein allgemeinerer Prozeß des sozialen und politischen Ausgleichs, eine Verschmelzung verschiedener Systeme in den neuen Formen eines Territorialstaates zustandekam. Nicht aus Zufall blieb 1411 die Stimme eines Antonio Contarini, der den Rat gab, den Adel von Zara an der Regierung der Republik teilhaben zu lassen, ungehört12 : Somit scheiterte der einzige Vorschlag, den Staat auf breitere Grundlagen zu bringen und den Weg zu einer reellen Überwindung des traditionellen städtischen Gesichtskreises zu bahnen, in einer Zeit, wo sich doch Venedig zur Kontinentalmacht emporarbeitete.

2. Auf diesem Hintergrund sind die in der intensiven Beratungstätigkeit von Paolo di Castro nicht seltenen Behauptungen zu verstehen, die über die einzelnen Gelegenheiten hinaus danach trachteten, eine mögliche Übereinstimmung der verschiedenen Quellen (römisches, Feudalund Gewohnheitsrecht, Gesetzgebung der "Dominante") aufzuzeigen, damit die geltenden Grundsätze in Einklang gebracht, die Verschiedenheit der Regeln und der Bestimmungen zu einem einheitlichen Gebilde geführt werden könnten. Aus den vielen Consilien, die er während seiner zehnjährigen Lehrtätigkeit in Padua verfaßte, leuchtet eine Bemühung hindurch: Sie strebt, weit über die unmittelbare Notwendigkeit der Verteidigung seiner Betreuten hinausgehend, danach, die Anerkennung der Souveränität Venedigs mit dem Vorrang des jus commune übereinstimmend darzustellen, gleichzeitig aber auch eine "ordentliche" Handlung des Rechts der Republik abzuzeichnen, welche imstande sei, die Ungleichheiten zwischen der Stadt und den unterworfenen Ländern auszugleichen, den anhaltenden Dualismus von "Dominante" und "Dominio" in einer einheitlichen Perspektive aufzulösen13• Siehe Ventura (Anm. 8), S. 170 -72. Hier sei nur ein Beispiel aus den Consilien angegeben: "Si dicta sententia est talis, quae mereatur exequutionem in civitate Venetiarum, ubi lata est, et quia lata a iudicibus competentibus ratione contractus, vel quasi, seu ratione domicilii vel alia ratione, et secundum stylum, et consuetudinem ibi vigentem, meretur similiter exequutionem ubique ad Iiteras, et requisitiones iudieum, qui eam tulerunt, seu etiam dominii Venetorum, quod dieti iudices repraesentant, euro illi fungantur iurisdietione dieti dominii, et sint ipsius dominii ministri suaeque iurisdietionis exequutores [. ..]. Nec obstat, quod ista sententia non sit lata seeundum requisita a iure eommuni, quia nihilominus fungitur auctoritate iuris eommunis, ex quo lata est (ut proponitur) secundum eonsuetudinem Venetorum, quae ius eommune mandat observari [. . .] et sie satis potest diei lata de iure eommuni, quia dietae observationes eivitatis Venetiarum in sententiis ferendis lieet non eontineantur in iure eommuni 12

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Trotz der Einschränkungen einer in mancher Hinsicht traditionellen juristischen Bildung leitete nun Paolo di Castro eine Besinnung über das wirklich~ Wesen des venetianischen Staates ein, zu einem Zeitpunkt, wo dessen Ausdehnung nicht nur seine geographischen Grenzen, sondern auch sein Wesen und Gefüge änderte. Obwohl fragmentarisch, erscheint Castros Beitrag um so bedeutender, besonders wenn man die Unsicherheit, das Versagen sogar der venetianischen rhetorisch-politischen Literatur bei ihrer Auseinandersetzung mit den Problemen der neuen Staatsordnung betrachtet, die durch die Eroberung des Festlandes entstanden waren14• Selbst bei den Juristen fand die Begegnung der Traditionen der Lagunenstadt mit dem Bestand an Bestimmungen und Lehren feudalen oder romanistischen Ursprungs, das in den zuletzt erworbenen Territorien des Festlandes herrschte, nur mit Mühe eine g~ eignete Einordnung, eine befriedigende theoretische Behandlung. Juristen des Paduaner Studiums zum Beispiel, die sich aktiv um die begriffliche Durcharbeitung der Rechtswissenschaft bemühten oder überhaupt von großem Ansehen waren, wie etwa Alvarotti15 und Del Monte16, zogen es in der Mitte des 15. Jh.s vor, die Besonderheit Venedigs zu betonen und wiesen kaum auf das schon seit dem Mittelalter vorhandene Motiv der Unabhängigkeit Venedigs vom Kaiserreich hin. 3. Auch Schüler von Paolo di Castro, der Veroneser Bartolomeo Cipolla17, war nur teilweise den Anregungen nachgegangen, die aus explicite, continentur tarnen implicite." Vgl. Paulus Castrensis, Consilia sive responsa, t. III, Ausg. Venetiis 1581, cons. 32, f. 27va-b. Weitere Stelle und Erläuterungen bei A. Mazzacane, Lo Stato e il Dominio nei giuristi veneti durante il ,secolo della Terraferma', in: Storia della Cultura Veneta (Anm. 8), s. 585ff. 14 Zusammenfassend jetzt M. Pastore Stocchi (Anm. 8), S. 119- 21. 15 Vgl. Iacobus Alvarottus, Lectura in usus feudorum, Ausg. Francofurti ad Moenum 1587, f. llra: "Et ideo, quia non fundaverunt in solo alicuius, merito ipsi Veneti praetendunt libertatem. Secus autem in aliis civitatibus, quae sunt fundatae in solo iurisdictionali alicuius: quia tune efficiuntur de iumsdictione illius." Über dem Verfasser A. Fano, Notizie storiche sulla famiglia e particolarmente sul padre e sui fratelli di Sperone Speroni degli Alvarotti, Atti e Memorie dell'Accademia Patavina di Scienze Lettere e Arti 23 (1907), pt. III, S. 218 - 24; M. mason-Berton, Una famiglia di giuristi padovani: Pietro, Giacomo e Francesco Alvarotti (Speroni) e la loro biblioteca (1460), Bolletino del Museo Civico di Fadova 53 (1964), fase. 2, S. 112 - 16, 118-19. 18 Vgl. Petrus de Monte, Repertorium utriusque iuris, Ausg. Patavii 1480, Art. Veneti (t. II, ohne Seitenanzahl). Gute Darstellungen seiner Persönlichkeit bei A . Zanelli, Pietro Del Monte, Archivio Storico Lombardo, s. IV, 34 (1907), fase. 14, S. 317 -78, fase. 15, S. 46- 115; J. Haller, Piere da Monte. Ein Gelehrter und päpstlicher Beamter des XV. Jahrhunderts. Seine Briefsammlung, Rom 1941, S. *9- *113; A . Sottiti, Studenti tedeschi e umanesimo italiano nell'Universitä. di Fadova durante il Quattrocento, I. Pietro Del Monte nella societä. aceademies padovana (1430 - 33), Padua 1971. 17 Siehe 0. Rufino, Cipolla Bartolomeo, in: Dizionario Biograftee degli Italiani, 24, Rom 1980, S. 184- 86. Neuerdings auch K. Bukowska-Gorgoni,

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dem Werk seines Lehrers kamen. Aus seiner für einen "Kontinentalen" typischen Perspektive hatte er sich mit dem Problem der Souveränität Venedigs auseinandergesetzt, bemühte sich aber gleichzeitig darum, die Kontinuität der juristischen Systeme der "Terraferma" zu gewährleisten18. In seinen Schriften erschien Venedigs Souveränität als unbestritten; er betonte und vertrat sie energisch. Unüberwindbar blieb aber in seiner Anschauung das Doppelwesen der Ordnungen dieses Staates. Die Grundlage de facto der Herrschaft der "Serenissima" verhinderte gewiß nicht die juristische Anerkennung ihres Besitztums, beschränkte nicht ihr "arbitrium" (als positive Fähigkeit verstanden, sich Gesetze zu geben) 19. Doch behauptete Cipolla daneben - ohne einen überzeugenden Ansatz zu einer Koordinierung zu liefern wie Paolo di Castroden Vorrang des Gemeinrechts, um das sich sowohl alle Gründe konzentrieren, die dem eigenen Wirken Würde verliehen, als auch die Kontrastmotive zwischen dem Rechtssystem der "Dominante" superiorem non recognoscens und dem des "Dominio", das ihr untertänig, wenngleich in den Rahmen einer verschiedenen Tradition eingefügt war. Die praktischen Folgen derartiger Argumentationen blieben nicht aus, z. B. auf dem sehr heiklen Gebiet der Appellationen2o. Doch in ihrer Eine Studie zur Arbeitsmethode der italienisdten Juristen des XV. Jahrhunderts: Die Traktate von Martinus Laudensis De dignitate und Bartholomaeus Caepolla De imperatore militum deligendo, lus Commune 7 (1979), s. 65 ff. 18 Vgl. Bartholomaeus Caepolla, De interpretatione legis extensiva, Ausg. Venetiis 1557, cc. 38v-39r: "Item si essemus in Civitate Venetiarum et rigor iuris civilis esset scriptus, aequitas non scripta, posset iudicari secundum aequitatem, quia Veneti non astringuntur sequi iura civilia nec sequi volunt, nisi quod arbitrio suo [...] Quod procedit quando tractatur de processu, et sententia faciendis Venetiis tantum, et iuditium non fuerit alibi factum, secus si fuisset lata sententia Paduae vel Veronae, ubi servatur ius commune ultra Statuta. Nam si esset lata sententia secundum rigorem iuris civilis vel Statutorum, et appellatio devolveretur ad Civitatem Venetiarum, puta ad Auditores novos sententiarum, tenerentur illi Auditores, et Consilium de Quadraginta, et alia Consilia Venetiarum sequi rigorem iuris civilis, vel Statuta scripta, omissa aequitate non scripta, sicut tenebantur primi iudices Paduae vel Veronae, quia iudex appellationis in sententiando tenetur servare illud ius, quod tenebatur servare iudex causae principalis [...] Et hoc est verum etiam quando appellatio devolvitur ad principem, tanquam ad iudicem ad quem, quia tune princeps tenetur servare Statuta Civitatis, in qua fuit lata prima sententia [...] Quod notent domini Veneti, quia etiam eorum princeps et dominium tenetur servare iura et Statuta primi iudicis in decidendo. Et similiter iudex appellationis tenetur iudicare secundum consuetudinem partium, sive loci iudicis a quo." 1e Vgl. Barth. Caepolla, Tractatus de servitutibus rusticorum praediorum, in: ders., Varü tractatus, Ausg. Venetiis 1571, c. 138v: "Veneti in eorum imperio habent regalia et iura fisci, nec superiorem saltem de facto recognoscunt, ideo in mari praedicto possunt imponere gabellas, et confiscare merces, et bona sicut in civitate Venetiarum." Weitere Hinweise und Ausführungen bei Mazzacane (Anm. 13), S. 595 ff.

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Gesamtheit gesehen, bieten sie auch ein anderes Interesse, indem sie nämlich sehr wirksam die Schwterigkeiten ausdrücken, auf die die Juristen des 15. Jh.s stießen, wenn sie die in den Universitätskreisen diskutierten Lehren mit den politischen Anforderungen zu verbinden versuchten, die die neue Wirklichkeit des Territorialstaates mit sich gebracht hatte. In der Tat scheinen die juristischen Schriften Cipollas den Spuren der gelehrten Tradition des Gewohnheitsrechts eng zu verfolgen, wie sie in den internationalen Kreisen der scientia ju.Tis und in der kosmopolitischen Gemeinschaft der Universitätslehrer gepflegt wurde. Seine Behauptungen über die Souveränität Venedigs können auch nicht außerhalb einer ganzen Reihe von Definitionen gedacht werden, die auch nach ihm unter häufiger Berufung auf dieselben Quellen und Autoritäten wiederholt werden sollten. Es seien hier Bartolomeo da Saliceto21 , Ripa22, Mariano Sozzini der Jüngere 23, und noch im späten 15. Jh., Menochio2 4 und weniger wichtige Juristen wie Ristoro Castaldi und Girolamo Gigante25 erwähnt. Dennoch wird der unmittelbare Vergleich 20 Vgl. den Text zit. oben, Anm. 18. Die politische Relevanz der Appellationsfragen, mit Bezug auf Venedig, wurde schon früh von H. Conring bemerkt; vgl. die Disquisitio politica de forma judiciorum in republica recte instituenda, in: Opera, Brunsvigae 1730, t. IV, S. 714. Sehr wichtig jetzt die Analyse von G. Cozzi (Anm. 9), S. 110 ff. 21 Barthol.omaeus a Salyceto, In tertium et quartum Codicis libros Commentaria, Ausg. Venetüs 1586, f. 186va: "consuetus navigii locus etiam in mari est servandus, quod nota pro Venetis, qui deveta habent in mari, et mercantias adversas volunt in Venetiis praesentari, et ibi vectigal solvi; hoc enim facere possunt ex concessione Principis, vel per antiquam consuetudinem, cuius contrarii memoria non existit". 22 Io. Franc. Ripa a Sancto Nazario, In primam Digesti novi partem Commentaria, Ausg. Venetiis 1601, f. 10vb: "nota quod dominium insulae in mari natae, ante etiam hodie, conceditur occupanti, quod facit pro Venetis, ut non teneantur cognoscere Imperatorern pro civitate Venetiarum, quae in mari sita est"; ähnlich f. 88ra. 23 Marianus Socinus jr., Consilia, Ausg. Lugduni 1550, pars secunda, cons. 100, f. 150ra: "illustrissimum dominium Venetorum in toto suo dominio in aliquo non recognoscit Imperatorem, aut alium aliquo modo in superiorem, sed dicitur habere plenum, liberum, et totalem imperium, et omnimoda iura imperii, seu vim Imperatoris, et sive hoc sit de iure, sive de facto, ad praesens non persequor: cum satis sit constare, et notorium esse, quod tale illustre dominum in tota sua ditione, et in omnibus civitatibus sibi subiectis liberum habet imperium, et dicitur supremus princeps neminem aliquo in modo in superiorem recognoscens, et praesertim Imperatorem". 24 Jacobus Menochius, Consilia sive responsa, Ausg. Francofurti 1594, I, cons. 2, f. 24rb: "Confirmatur tertio exemplo aliarum civitatum et Rerumpublicarum quae libertate fruuntur absoluta, ut in civitate Venetiarum, quae ut omnimoda libertate fruitur, sie nec Imperatorern ipsum recognoscit [. ..] Civitatem Venetiarum communem hodie dixerint patriam." 25 Rest. Castaldus, De imperatore, in: Tractatus Illustrium Iurisconsultorum, Venetüs 1584, t. XVI, f. 55ra-b; Hier. Gigantis, De crimine lesae maiestatis, ib., t. XI/1, f. 34ra-b: "loco autem Romanae Reipublicae inclita Venetorum successit Respublica [...] Et iure merito Venetorum Respublica Romanae

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mit der politischen Wirklichkeit der Republik in vielen der in seinen Schriften angewandten Lösungen erkennbar und führt zu einer zielbewußten Umsicht im Unterscheiden und im Bestimmen. So führte das Thema der senectus, auf das er im Zusammenhang mit dem 1451 zwischen Bartolomeo Colleoni und Gentile da Leonessa um den Oberbefehl über das venetianische Heer entbrannten Streit hindeutete, unverkennbar auf die gleichzeitigen Diskussionen über die Richtlinien der "Serenissima" und über das Gewicht zurück, das die Partei der "Jüngeren" infolge der Ausdehnung des "Maggior Consiglio"26 erhalten hatte. Aber darüber hinaus zeigte die sorgfältige Unterscheidung zwischen de jureund de facto-Argumentationen, zwischen rechtmäßiger und politischer Souveränität, wie die gesellschaftlichen Unruhen, die Nachklänge eines dauernden Gegensatzes zwischen der Aristokratie der Lagune und den Adligen der "Terraferma" bis in die Bearbeitung des Rechtes hineinwirkten. 4. Daß die Anschauung eines Optimaten wie Bartolomeo Cipolla, eines Adligen aus einer Gemeinde des Territoriums, in ihrer Verteidigung der etablierten Gleichgewichte und somit der Vorrechte des eigenen Standes nicht isoliert war, sondern ein Ausdruck davon, auf welche widerspruchsvolle Weise die Republik daranging, den Umfang eines Territorialstaates anzunehmen, wird durch andere Zeugnisse aus den unterworfenen Ländern bestätigt. So setzte sich der Graf Jacopo von Porcia um das Jahr 1492 mit denselben Themen auseinander, die Cipolla behandelt hatte, so mit dem Thema der Wahl eines Oberhauptes für die Armee der Markusrepublik und dem allgemeineren Thema der Aufgaben, welche die Zentralregierung gegenüber den Untertanen zu erfüllen hatte27• In der kleinen Abhandlung, in der Porcia die Loyalität seiner Familie betonte, übte der Verfasser Kritik an der venetianischen Regierung. Hauptsächlich bemängelte er die ungenügende Integrierung des Herrschafstgebietes in den venetianischen Staat. Er schlug die Verschmelzung der militärischen Tradition des friaulischen Adels mit der kaufmännischen Geschichte olim Reipublicae laetatur praerogativa, quia sicuti illam dum viguit neminem unquam superiorem recognovit, sie pariter et illa Venetorum neminem nisi Deum optimum maximum in temporalibus superiorem habet [. ..] contra quam crimen lesae maiestatis committi dicitur, utvoluit Pau. de Castro". 26 Barth. Caepolla, De imperatore militum deligendo, in: Tractatus (Anm. 25), t. XVI, ff. 308va-309vb. Zur Feindlichkeit eines großen Teils der Aristokratie gegen die "Jüngeren" am Ende des 15. Jh.s siehe G. Cozzi , Domenico Morosini e il ,De bene instituta republica', Studi Veneziani 12 (1970), S. 422 ff. 27 De reipublicae Venetae administratione domi et foris liber (Treviso 1492?). Nachrichten über Porcias Leben und literarischer Tätigkeit bei E. G. Vogel, über Jacob Graf von Porcias (Comes Purliliarum) und dessen Schriften, Serapeum 9 (1848), S. 169-75, 177- 80; V. Joppi, Jacopo di Porcia (per nozze Sellenati-Porcia), Udine 1887.

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des Patriziats der Lagune vor28 • Die romanistische und kanonistische Rechtserfahrung verflocht sich bei ihm mit religiösen Begründungen und mit der typisch humanistischen Wiederaufnahme der rhetorischen Muster dt!s Altertums, um eine weniger zufällige und mangelhafte Beziehung zwischen Herrscher und Beherrschten zu schildern, als sie tatsächlich erkennbar war. In diesem Sinn zeigte Porcia wie andere vor ihm ein Unbehagen angesichts der offenen Fragen, die durch die kursorischen Hinweise der Kommentatoren und deren Nachfolger auf die "Freiheit" Venedigs keineswegs gelöst werden konnten.

111. Am Ende des 15. Jh.s bildete also das Rechtsdenken über Venedig und sein "Dominio" noch kein festes und homogenes Gefüge von Lehren, die eine sichere Richtschnur für diejenigen darstellen könnten, die sich mit dem Problem von Wesen und Beschaffenheit des neuen Territorialstaates beschäftigen wollten. Die Frage nach der "Freiheit" Venedigs und der konkreten Gliederung seiner Ordnungen war einerseits innerhalb der Bearbeitungen behandelt worden, die auf das "System" des Gemeinrechts gerichtet waren, andererseits in bezug auf die besonderen Situationen, die von Mal zu Mal, je nach ihrer Bedeutung, einen rechtlichen Eingriff entwede-r in der Form der Consilien oder durch umfangreichere, doch immer gelegentliche Erörterungen gefordert hatten. Daher ist es kein Zufall, daß Porcias Werk sich eilig der juristischen Meinungen entledigt und statt dessen in den Vorbildern der humanistischen Enzyklopädie die Gründe sucht, um zu einer einheitlichen Vorstellung der Republik als Verbindung von Stadt und Herrschaft zugleich zu gelangen. Die Unsicherheit der scientia juris, ihre Unfähigkeit, ein Wissen - und somit eine Ideologie - mit ausgeprägtem "nationalem" Charakter zu gründen, widerspiegelte übrigens genau die Hindernisse, die sich auf sozialer und politischer Ebene dem Aufbau eines völlig integrierten Staates widersetzten und der Entwicklung der Republik zu kohäsiven Formen entgegenwirkten, in denen sich eine ganze "Nation" zu erkennen vermag. Zahlreiche neue Forschungen29 haben die Gründe der Schwäche des venetianischen Staates, die inneren Schwierigkeiten, die das Zustandekommen einer organischen Bindung zwischen den ihn bildenden Teilen verzögerten, ausführlich aufgezeigt. Die gesetzgebensehe Tätigkeit der s Siehe Mazzacane (Anm. 13), S. 607- 12. Statt aller, M. Berengo, La societa veneta alla fine del Settecento. Ricerche storiche, Florenz 1956, S. 11 - 31; ders., Il problema politico-sociale di Venezia e della sua terraferma, in: La civilta veneziana del Settecento, Florenz 1960, S. 79- 82; und die treffliche Analyse von I. Cervelli, Machiavelli e la crisi dello Stato veneziano, Neapel1974, S. 33 ff., 167 ff., 345 ff. 2

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Zentralbehörden, die stete Förderung von Verfassungsreformen in den unterworfenen Ländern verfehlten es nicht, tatsächlich eine zur Einigung hinneigende Funktion auszuüben. Das Bestreben, die sozialen Rangordnungen unberührt zu lassen, den status quo zu bewahren und somit auf den verschiedensten Gebieten des Rechts und besonders des Privatrechts die langbeachteten Regeln aufrechtzuerhalten, begünstigte jedoch einen Mangel an Gleichförmigkeit und eine äußerste Vielzahl an Bestimmungen und an Gewohnheitspraktiken. Das Verbundensein mit "Dominante" von seiten der Provinzen hatte keinen kontinuierlichen Charakter. Es wurde durch soziale Spannungen belastet, die es dem Patriziat der Lagune wohl gestatteten, die schlimmsten Spannungen auf den Adel der unterworfenen Gebiete zu entladen und sich oft die Gunst der niederen Stände und der Bauern zu erwerben. Damit jedoch wurde eine Entzweiung zwischen "Signoria" und "Terraferma" verewigt, deren verheerende Folgen in der Krise nach der Niederlage bei Agnadello30 sichtbar wurden. Um einem juristischen Werk zu begegnen, welches bemüht war, die Markusrepublik als einen einheitlichen Staat darzustellen, der die Teile sowohl "da mar" als auch "da terra" (Stadt und Herrschaft) organisch in sich verschmolz, mußte man noch einige Jahrzehnte warten, bis zum tragischen Bruch von Agnadello, bis zur drastischen, endgültigen Wandlung, die jener Tag in den ideellen und politischen Aussichten der ,Serenissima' brachte. Erst dann, nämlich mit der umfangreichen Abhandlung des Diplovatazio über die "Freiheit" Venedigs, wurde ein wirklich ausführlicher Versuch gemacht, die verstreuten Zeugnisse der romanistischen Rechtstradition mit den Ergebnissen der geschichtlichen Forschung und des politischen Denkens zusammenzufügen, sowie mit der ideologischen Aufgabe der Apologien, die die Vortrefflichkeit der venetianischen Regierung preisend, die Gestaltung des Mythos der Republik im 16. Jh. vorwegnahmen. Schon gegen Ende des 15. Jh.s jedoch hatte sich in der Rechtsbildung eine wesentliche Wendung abgezeichnet. Man braucht nur einige Seiten von Giason del Maino zu lesen, einem der zu seinen Lebzeiten gerühmtesten Rechtsgelehrten, der mit außerordentlichem Erfolg Professor in Padua war31 , um das ganze Gewicht der Gedanken aufzufassen, die mittels eines organischen Bildes vom Staat über die Grenzen des rein technischen Interesses und der fachmännischen Auseinandersetzung hin30

Dazu sehr wichtig das ausführliche Buch von I. Cervelli, soeben zitiert.

F. Gabotto, Giason del Maino e gli scandali universitari del Quattrocento, Turin 1888, S. 9 -109 u. ö.; E. Bertanza, Giason del Maino e l'Universita di Padova, Nuovo Archivio Veneto, n. s., 4 (1904), VII, S. 245- 59; ders., Ancora 31

di Giason del Maino desiderato all'Universita di Padova, ib., 12 (1912), XXIII,

s. 432-39. 11 Schnur

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ausgingen. Hier wurde die Ebene der Festlegung einer Ideologie erreicht, die imstande war, die verschiedenen Bestandteile der Republik fester als sonst zusammenzufügen. In einer Paduaner lectura32 begnügte sich Giasone damit, ein Mosaik von Zitaten aus Rechtsgelehrten des Gemeinrechts, die Souveränität Venedigs betreffend, zusammenzusetzen. Er verband aber gleichzeitig die Wiederbehauptung der Unabhängigkeit der "Serenissima" vom Reich und die der Vorrechte auf das Meer und überwand somit schon die Alternative zwischen "Meer" und "Land", die auch in politischen Abhandlungen von großer Tragweite, wie der zeitgenössischen von Domenico Morosini33, pünktlich zum Vorschein kam. Vor allem verlor in seinen Augen die Unterscheidung von de jure und de facto als Grundlage der venetianischen Herrschaft an Bedeutung34• Für ihn konnte die 32 Vgl. Iason de Mayno, In primam Digesti veteris partem Commentaria, Ausg. Venetiis 1622, f. Srb: "Eodem modo Veneti sunt in quasi possessione libertatis, quia praescripserunt contra Imperatorem, secundum Bartolum in dicta L. hostes. Plus, dicit Albericus de Rosate in L. cunctos populos C. de sum. Tri. se vidisse privilegium libertatis et exemptionis Venetorum bullaturn bulla aurea. Et refert Iacobus Alvarottus in c. 1 in princ. quis dicatur Dux vel Marchio. Baldus etiam in rub. ff. de rerum divi. tenetur, quod de iure Veneti sunt liberi, quia eorum civitas est fundata in mari. Item gulfus maris Venetorum est in eorum dominio, et possunt interdicere de iure Ianuensibus et aliis, ne possint in gulfo navigare." 33 Siehe D. Morosini, De bene instituta republica, ed. e introd. a c. di C. Finzi, Mailand 1969. Der Gegensatz Meer/Land wurde schon früher, in den berühmten Wörtern des Hauptkanzlers Rafaino Caresini, aus der Zeit nach dem Chioggia-Krieg sehr deutlich ausgesprochen. Vgl. Raphainus de Caresinis, Chronica, ed. E. Pastorello, in: Rerum Italicarum Scriptores, XII/2, Bologna 1932, S. 58: "proprium Venetiarum esse mare colere, terramque postergare; hinc enim divitiis et honoribus abundat, inde saepe proveniunt scandala et errores". Er war also "a classic notion of Venetian policy", "the more traditional view", und "remained that of many Venetians long after Venice had committed herself to the land": so W. J. Bouwsma, Venice and the Defense of Republican Liberty. Renaissance Values in the Age of the Counter Reformation, Berkeley 1968, S. 67. Siehe auch I. Cervem (Anm. 29), s. 167 ff. 3 ' Vgl. Iason de Mayno, Consilia sive responsa, Ausg. Venetiis 1581, t. III, cons. 70, ff. 119vb-120ra: "constat et notorium est, quod illustrissima dominatio Venetorum neminem in temporalibus in superiorem recognoscit, et sie sublime dominium Venetorum in toto dominio suo, et tota sua ditione, ac civitatibus sibi subiectis censetur esse Imperator, et vim Imperatoris gerit, sive dicamus quod serenissima dominatio Venetorum de iure non subsit Imperatori [...] sive etiam dicamus, quod inclyta dominatio Venetorum de facto non subsit Imperatori, certe civitates, quae de facto non recognoscunt Imperatorem, nec alium superiorem, sunt loco Imperatoris, et in terris suis possunt ea omnia facere, quae Imperator potest facere per totum orbem, et tantam potestatem habent in suis civitatibus quantam Imperator in universo orbe [...] Et tanto fortius quando Imperator in talibus civitatibus nullam penitus exerceat iurisdictionem [. . .] Hinc est, quod communitas Florentiae in regimine civitatis et omnimoda iurisdictione tenet locum Imperatoris [.. .] quanto ergo fortius hoc idem dicemus in excelsa civitate Venetiarum, quae est quidem quasi paradisus delitiarum [...] Cum ergo dominium

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Legitimität der politischen Macht der Republik nicht mehr den Stoff für Streitfragen bieten. Auf die gleiche Weise betonte Giasone nachdrücklich in einem Gutachten, das die Aufmerksamkeit von Paolo Sarpi erregen sollte, es stehe Venedig "pleno jure" zu, sich bei Berufungen anzusprechen, abgesehen davon, ob sein Besitz einende jure oder einen de facto Urspnmg hätte35 • Der technische Eingriff von Giason del Maino - kraftvoll und entschlossen, wenn auch an ein traditionelles Thema der Rechtsprechung des Gemeinrechts gebunden (das der Beziehung zwischen Reich und Venedig und danach der Beziehung zwischen dem Recht des ersteren und der libertas der Kommunal- und Territorialstaaten) - zeigt ganz deutlich, welche Wege die Rechtswissenschaft eingeschlagen hatte, indem sie die alten Lehren dem Losbrechen der neuen politischen Gegebenheiten anpaßte. Aber eine solche Verarbeitung konnte in Schwung kommen und ein weiteres Blickfeld erlangen erst nach den Ereignissen, die für die Geschichte der Republik entscheidend waren. Am 29. August 1500, just bei Anbruch des Jahrhunderts, fiel im Morgenland Modone als Schlußakt einer Reihe von türkischen Angriffen, denen Venedig ganz allein gegenüberstehen mußte, in einer Art von zunehmender Isolierung von den anderen Fürsten der ChristenheW18• Im darauffolgenden Jahr vermehrte die Nachricht des Erfolges einer portugiesischen Expedition nach Calcutta die Verwirrung und die Angst, daß die Beherrschung der "navichatione", auf der ein so großer Wohlstand gegründet worden war, Venedigs Händen entgleiten könnte37• Nicht weniger große Gefahren zeichneten sich auf den Fronten der "Terrafenna" ab. Nachdem das Abenteuer des Cesare Borgia38 überstanden worden war, wurde Venedig zum Ziel andauernder Feindseligkeit von seiten der Kontinentalmächte, einer anhaltenden Propaganda, Venetorum vel de iure, vel de facto non subsit Imperatori, nec Imperatorern recognoscat, et distinctae ac separatae sint iurisdictiones, ergo sequitur evidenter ...". 35 Ib., t. I, cons. 123, f. 157rb-vb. 38 Siehe F. Babinger, Le vicende veneziane nella lotta contro i Turchi durante il secolo XV, in: La civilta veneziana del Quattrocento, Florenz 1957, S. 49 -73; E. Werner, Die Geburt einer Großmacht - Die Osmanen (13001480). Ein Beitrag zur Genesis des türkischen Feudalismus, Köln 19722, S. 216 ff., 252 ff. 37 Beeindruckend, unter vielen anderen zeitgenössischen, die Stimme des G. PriuZi, I Diarii, a c. di R. Cessi, II, Bologna 1938, S. 389: "Et questa nova fece rimaner morti tuta la citade venetta, zoe li marchadanti et altri veramente, ehe consideravanno il futuro et de quanto danno fusse questo ala citade aver perduto la navichatione, essendo questo viazo de Cholochut in Portogallo facto molto facile, et saria necessario abandonare la navigatione, alimento grande dela citade." 38 Siehe A. Bonardi, Venezia e Cesare Borgia, Nuovo Archivio Veneto, n. s., 10 (1910), t. XX, S. 381- 433; F. Seneca, Venezia e papa Giulio II, Padua 1962. n•

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die das ganze Mißtrauen der anderen wegen des raschen Anwachsens seiner Territorialmacht ausdrückte39• Die Ereignisse, die zur Bildung einer antivenetianischen Liga führten, der Krieg und die darauffolgende Niederlage sind hinreichend zu bekannt40. Ebenso bekannt ist, wie sich die Republik nach diesen Rückschlägen wieder aufraffte und ein neues Bewußtsein gewann von den Widersprüchen und den Mißständen, die ihrem sozialen und politischen Aufbau innewohnten und die das Unglück gefördert hatten. In der Überzeugung, daß eine ganze Epoche nunmehr vorbei sei, verzichtete Venedig auf jede Expansionspolitik, wich auf eine wachsame Neutralität aus und beschränkte seine ehrgeizigen Ansprüche auf die Herrschaft über den "Golfo" und auf die Bewahrung seines Territoriums: Nun pries die Republik die Motive der Kontinuität des Staates, um weiterbestehen zu können, und hielt sich in Deckung vor den politischen Konflikten europäischer Tragweite, die nunmehr weit über ihre Möglichkeiten hinausgingen. IV. Die Wandlung in den Aussichten, die auf Agnadello folgte, hatte entscheidende Nachwirkungen auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der rechtswissenschaftliehen Tätigkeit41 • Auf dem weiteren Gebiet der politischen und kulturellen Richtungen verursachte sie ein Vorwiegen oligarchischer Einflüsse, das nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, dadurch auch eine Einengung des Rahmens, innerhalb dessen eine geistige Auseinandersetzung über die großen Themen des venetianischen Staates zugelassen war. Den Geschichts- und Rechtswissenschaftlern wurde immer mehr die Aufgabe zugewiesen, ihre Forschungen über die Geschichte der Republik und über das Wesen ihrer Einrichtungen auf eine unkritische Verteidigung der Interessen der Lagune zu richten, so daß sie zu reinen Apologeten ihrer ursprünglichen Freiheit und der Vollkommenheit ihrer Ordnungen wurden. Das war der Stand der Dinge, als Tommaso Diplovatazio nach Venedig kam42 : Es war im Jahre 1517, als durch die völlige Zurückeroberung des 39 N. Rubinstein, Italian Reactions to Terrafenna Expansion in the Fifteenth Century, in: J. R. Haie, ed., Renaissance Venice, London 1973, S. 197217; F. Gilbert, Venice in the Crisis of the League of Cambrai, ib., S. 274- 92; l. Cervelli (Anm. 29), S. 160 ff. u. ö. 40 Zuletzt Cervelli (Anm. 29), mit weiteren Hinweisen. 41 Siehe die breite Analyse von G. Cozzi, Authority and Law in Renaissance Venice, in: Renaissance Venice (Anm. 39), S. 293-345. 42 E. Besta, Tomaso Diplovataccio e l'opera sua, Nuovo Archivio Veneto, n. s., 3 (1903), t. VI, S. 261 - 361. Grundlegend H. Kantorowicz, Lebensgeschichtliche Einleitung, in: Th. Diplovatatius, De claris iuris consultis pars prior, ed. F. Schulz, Berlin 1919; wieder auf Italienisch abgedruckt, in: Th. Diplovatatii Liber de claris iuris consultis, pars posterior, cur. F. Schulz,

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Festlandes die Stadt eine ganz schwere Periode ihrer Geschichte abgeschlossen hatte. Von beträchtlichem Ruhm als Gelehrter begleitet und durch frühere Familienbindungen und geistigen Verkehr unterstützt, trat er sehr bald in Beziehung zu den humanistischen Kreisen der Lagune. Aus diesen Kontakten soll sein Vorhaben entstanden sein, sich auf ausführliche Weise, in juristischer, geschichtlicher, begrifflicher Hinsicht, mit dem Problem der venetianischen Freiheit, ihres Ursprungs und ihrer Grundlage auseinanderzusetzen. Übrigens wurde gerade in diesen Jahren eine Geschichte der Republik, so wie sie SabeHico43 als Modell darstellte, dringend gefordert. So lag die Nominierung eines Historikers nahe, der, offiziell dazu beamtet, diese Arbeit in neuer, den geänderten Umständen angepaßter Form vollbrachte«. Im Jahre 1516 hatte sich ein Freund von Diplovatazio, Egnatius, erfolglos darum beworben, während Andrea Navagero, der die Ernennung erhalten hatte, sich als unfähig erwies, die ihm anvertraute Aufgabe zu erfüllen45 • Das Problem einer "amtlichen" Geschichtsschreibung in Venedig war aber nicht nur infolge des Bestehens schwerer politischer Bedingtheiten kompliziert, sondern auch wegen der verschiedenen kulturellen Richtungen, die es unter den Humanisten gab48 • Die Zwiespältigkeiten lösten sich erst im dritten Jahrzehnt des 16. Jh.s auf, mit den (etwas später herausgegebenen) Werken von Gaspara Contarini und Donato Giannotti41, denen es gelang, sowohl in ideologischer als auch in literarischstilistischer Hinsicht ein endgültiges Muster für die geschichtlich-politische Traktatistik über die Republik zu schaffen. H. Kantorowicz, G. Rabotti, Studia Gratiana 10 (1968), S. *1 - *140. Zum heutigen Forschungsstand siehe M. Ascheri, Studi sul Diplovatazio, Mailand 1973. n Zuletzt F. Gaeta, Storiografia, coscienza nazianale e politica culturale nella Venezia del Rinascimento, in: Storia della Cultura Veneta (Anm. 8),

s. 65 ff.

lb., s. 74 ff. G. Cozzi, Cultura, politica e religione nella ,pubblica storiografia' veneziana del '500, Bollettino dell'Ist. di Storia della Societa e dello Stato Veneziano 5-6 (1963- 64), S. 223; J. Bruce-Ross, Venetian Scl10ols and Teachers Fourteenth to Early Sixteenth Century: A Survey and a Study of G. B. Egnazio, Renaissance Quarterly 39 (1976), S. 531. ' 8 F. Gilbert, Biondo, Sabellico, and the Beginnings of Venetian Official Historiography, in: Rowe I Stockdale, eds., Florilegium Historiale. Essays presented to W. K. Ferguson, Toronto 1971, S. 283-87. n über Contarini und Giannotti siehe F. Gitbert, The Date of Composition of Contarini's and Giannotti's Books on Venice, Studies in the Renaissance 14 (1967), S. 172- 84; ders., The Venetian Political Constitution in Florentine Political Thought, in: N. Rubinstein, ed., Florentine Studies, London 1968, S. 490- 91; ders., Religion and Politics in the Thought of Gaspara Contarini, in: RabbI Seigel, ed., Action and Conviction in Early Modern Europe. Essays in Memory of E. H. Harbison, Princeton 1969, S. 90 -116; W. Bouwsma (Anm. 33), S. 144- 60; L. J. Libby jr., Venetian History and Political Thought after 1509, Studies in the Renaissance 20 (1973), S. 17 ff. 44

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Das Werk De Venetae u,rbis Zibertate, die vollendetste Frucht seines ehrgeizigen Programms, verfaßte Diplovatazio praktisch in denselben Jahren48• Die Motive des Mythos wiederaufnehmend, fertigte er ein sehr streng durchgearbeitetes Verzeichnis der juristischen und diplomatischen Quellen über die Souveränität Venedigs an, das umfangreichste, das es je gegeben hat. Schon bei der Widmung drückte der Verfasser seine Absicht aus, Macht und Herrlichkeit der venetianischen Stadt zu preisen; ihr Ansehen, die ursprüngliche Freiheit, die Ehrfurcht vor Recht und Billigkei1:49 zu rühmen. Die juristischen Autoritäten, die Zeugnisse der Historiker und sogar die prophetischen Erzählungen der Mystiker und Astrologen wurden ausgenützt, um, nicht ohne einen Ton des religiösen Pathos, die göttliche Leitung im Schicksal Venedigs zu unterstreichen, die in ein gleiches Geschick Stadt, Seeherrschaft und "Terraferma" vereinte. Das Lob der venetianischen Regierung als der besten Regierungsform, auf Frömmigkeit, Frieden und Gerechtigkeit für alle Untertanen gegründet, zielte auf die Verteidigung der Rechtsmäßigkeit der Herrschaft, sei es der "Levante", sei es der "Terraferma", und gliederte sich in ein ausführliches, oft verworrenes und pedantisches Verzeichnis der rechtlichen Prärogativen der "Serenissima". Doch trotz der Mühe, die der Verfasser bei der Erforschung der Quellen angewendet hatte, trotz der Anstrengungen, die ihn die philologische Überprüfung einer ungeheuren Menge von Urkunden kostete, emtete das Werk bloß geringen Erfolg und fand nicht einmal die Verbreitung, die ihm die Buchdruckerkunst hätte zusichem können. Gewiß erschien es ganz deutlich als etwas Unvollendetes. Doch hing der bescheidene Nachklang, den es unter den Zeitgenossen fand, das Mißtrauen sogar, mit dem es durch die Regierung der Lagune aufgenommen wurde50, eher von Aspekten ab, die seinem inneren Gefüge innewohnten. Die leitende Oligarchie forderte 48 Die Biblioteca Marciana in Venedig bewahrt die eigenhändige Handschrift des Traktates: cod. lat. XIV. 77 ( = 2991); die elegante Abschrift für die Dieci: cod. lat. XIV.74 (= 4056); und die eigenhändige Handschrift eines Traktats De potentissima Venetiarum urbe: cod. lat. XIV.75 (= 4529). Beschreibung der Handschriften und Analyse der Werke bei Mazzacane (Anm. 13), s. 628 ff. 49 Ms. 4056, c. lr ff. Vgl. auch De potentissima Venetiarum urbe, ms. 4529, c. lr-v. 50 Sehr distanziert waren schon die Urteile mancher Mitglieder der Kommission, die im Auftrag der ,Dieci', das Werk im 1523 prüfen müßten: Venezia, Archivio di Stato, Cons. X. Parti miste, filza 52, Nr. 145. Vgl. z. B. Bartotomeo da Fino (ib., alleg. II): "Questo non volio taser, azio questo ill. mo Stato a tenpi non se conftdasse supra questa opera piu di quello la potesse star a martello, ehe le conclusion di questo dotore sono disputabele, maxime stante la profondita de la scientia legale. Tarnen l'opera die esser abrazata da vostre excell. me Signorie, et tolta apresso le cose sue secrete, si ehe ne el dotor predito ne altri ge ne habiano copia, quoniam privilegia aliquando prosunt et aliquando nocent."

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nämlich von den Juristen einen Beitrag nur zur Lösung spezieller Streitfragen und nicht eine tiefere allgemeinere Überlegung über den Staat und seine Grundlagen. Außerdem zeigte sich das mühsam legale Gewand, das die Verherrlichung der Republik einhüllte, als zu weit von der werberischen Wirkung anderer Schriften entfernt, die den venetianischen Staat als Musterbild darboten. Zum großen Teil als historiographisches Werk mißlungen, wegen innewohnender Mängel, deren Schilderung zu langwierig wäre5 t, wurde der Traktat von Diplovatazio "in secretis", also in den Schränken der Kanzlei aufbewahrt, als Gutachten oder juristische Allegation, die wegen des weiten doktrinären Gehaltes und der großen Gelehrsamkeit als Nachschlagwerk dienen konnte. Es wurde aber nicht gebraucht als wirksamer Text, um die "reputatione" der Republik zu vermehren und um die Ideologie zu verbreiten, auf welcher die Republik gegründet war und die die Schrift selbst angeregt hatte. Wenn aber das Werk des Diplovatazio durch sein mechanisches Einreihen von Quellen und Kommentaren und ohne umfassenden Überblick bei den Zeitgenossen das Mißtrauen in die immer unsicheren, "disputabele" Werke der Juristen bestätigte52, so hat es für den modernen Leser die Bedeutung eines Zeugnisses: Es zeugt vom schwierigen, kontrastreichen Übergang aus den Formen der spätmittelalterlichen, mit den kommunalen Erfahrungen verbundenen Rechtswissenschaft hin zu einer juristischen Bildung, die den zentralisierenden Entwicklungen der Regional- und Territorialstaaten engerangepaßt war. Im Jahre 1530, dem Jahr, als Diplovatazio Venedig verließ, vertraute die "Serenissima" Pietro Bembo das Amt eines "amtlichen" Geschichtsschreibers an53• Inzwischen brachten, im Studium zu Padua oder im Territorium, die humanistische und kultivierte Jurisprudenz oder die konkreten Verwaltungserfahrungen den Rechtsgelehrten neue Themen. Auf dem Hintergrund einer nunmehr gänzlich unumstrittenen politischen Gewalt sollten sich die deutliche und originelle Systematik eines Matteazzi54 und später das Handbuch des Lehnrechts eines Bonifacio55 abzeichnen. Es handelte sich nun um eine andere Geschichte. Sie war nicht mehr an die Bedingungen gebunden, die im "Jahrhundert der Terraferma" die Rechtswissenschaft angeregt hatten. Siehe Mazzacane (Anm. 13), S. 642 ff. Siehe oben, Anm. 50. 53 Zuletzt Gaeta (Anm. 43), S. 86 ff. 64 A. Mattheacius, De via et ratione artificiosa iuris universi Libri duo, Venetiis 1591. 55 G. Bonifacio, Metodo delle leggi della Serenissima Repubblica di Venetia, Rovigo 1625. 51

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Diskussion Villey: J'ai essaye de donner un element de reponse a la question qui nous etait posee: Le röle des juristes dans la formation de !'Etat moderne. Et ce rapport est ne d'un embarras qu'a suscite en moi ce titre. Qu'est-ce qu'un juriste?- Nous nous interrogeons sur le röle des juristes.

A lire differents rapports, j'ai constate que sous le nom de juriste on parlait peut-etre de Guillaume d'Occam, qui me parait fort peu juriste. Vous qualifiez son argumentation d'excellente au point de vue juridique. Je n'en suis pas tres sur. On a qualüie de juristes des canonistes qui sont tres proches des theologiens; des conseillers, des fonctionnaires, Beamte, avec ce magnifique rapport de M. Stalleis que j'ai lu sur la morale du fonctionnaire. Ils ont surement collabore a la formation de !'Etat. Mais n'est-il pas anachronique d'entendre le mot dans ce sens si !arge? Le juriste au XVe, XVIe, XVIIe siecles est surtout celui qui a fait ses etudes dans les facultes de droit civil. Il ne faut pas aller trop loin, puisque chacun sait que le droit romain avait ete singulierement modifie des le Moyen Age. Le mot Etat ne m'a pas paru, a la lecture des differents rapports, moins equivoque. Est-ce que nous nous interrogeons sur l'origine des institutions etatiques de fait, par exemple, sur les institutions anglaises, du parlementarisme anglais en 1688? Alors les juristes, en sens strict du mot (les common lawyers sont tres proches de l'esprit du droit romain), ont joue un röle moderateur dans cette formation du regime parlementaire anglais. Mais, si nous nous interrogeons sur l'idee de !'Etat, tel que des philosophes comme Hobbes, Rousseau etc., Kant, l'ont defini, il n'est pas sur que les juristes n'aient ete plutöt defavorableg a son essor.

Ils purent etre force de resistance a la formation de l'idee moderne de !'Etat. N'exagerons pas: le metier de juriste precisement, c'est un interet des rapports que j'ai lus, change du XVe au XVIIe siecle, se rapproehe de celui du fonctionnaire. Mais il ne faut pas renverser !'ordre des facteurs. D'abord une politique change et s'ensuit une transformation du sens du mot droit, de la science du droit, de la structure du droit. D'ou la liberte que j'ai prise de renverser notre sujet. J'ai note l'emprunt opere par les philosophes constructeurs de l'idee moderne de l'Etat, de termes pris au vocabulaire technique du droit civil romain. J'en ai cite quelques exemples: obligation, societe, contrat de societe. On pourrait en prendre bien d'autres: personne, souverain, liberte etc. Le phenomene qui m'interesse est la transformation qui subit le sens de ces mots, une fois usurpes par les politiques modernes.

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C'est ainsi que l'idee Hobbesienne ou Rousseauiste du cantrat a certainement des precedents dans le droit canonique, dans la morale canonique, meme dans la morale stoicienne. Mais si vous regardez le droit romain, le Corpus juris civilis, d'ou est sorti le mot contractus? Le sens du mot etait different et il a ete renverse par les politiques modernes. Loi: La politique moderne, c'est visible ehez Hobbes, fait de la loi etatique commandement du prince - la source de tous les droits positifs. Rien de plus etranger au systeme juridique romain, malgre les contresens commis sur la fameuse formule d'Ulpien: quod principi placuit legis habet vigorem. Elle ne signüiait pas ä Rome que l'arbitraire du prince fasse la loi (le mot placuit ne signifiant nullement l'arbitraire), ni que les constitutions du prince fussent vraiment des lois. Le droit romain est surtout jurisprudentiel. D'ou vient la reduction moderne du droit ä la loi? Je crois encore qu'il faut lui ehereher des sources surtout theologiques, parce que les traites de la loi occupent une place considerable dans la litterature theologique depuis le Moyen Age jusqu'ä Suarez etc.

Je releve uneoppositionentre les structures de la pensee politique moderne et de la pensee juridique romaine, que s'effor!;aitent de la retrouver les juristes de cette epoque-lä. Il y a quelques preuves. Par exemple l'oeuvre de Jean de Felden, ce juriste indigne dejä par la maniere dont Grotius avait maltraite le droit romain. Et l'opposition des juristes anglais du common law au systeme de Hobbes, en ce qu'il a de plus foncier: il ne s'agit pas precisement des conclusions absolutistes, mais du seheme du contrat social. Au surplus, il suffit de penser que les juristes du XVIe et du XVIIe siecles avaient encore ä leur programme la connaissance du Corpus juris civilis, ils en eherchaient une connaissance la plus fidele qui soit possible; ce qui autoriserait de traiter le Corpus juris civilis comme un texte du XVIIe siecle. Mazzacane: Je voudrais dire quelques mots ä propos du rapport de M. Villey, que j'ai trouve tres seduisant pour l'esprit de finesse qui le parcourt, pour les provocations elegantes que nous invitent ä examiner d'un oeil different plusieurs lieux communs de l'historiographie, notamment le röle positü des juristes dans la formation de l'Etat moderne (formule qui, ellememe, est loin d'etre tranehante), et encore, pour les perspectives qu'il ouvre a quiconque se propose d'ebaueher une sociologie du savoir juridique dans le monde moderne. En ecoutant cette brillante exposition, je refleehissais sur les avantages que la reellerehe historique pourrait tirer d'une definition plus rigoureuse des categories generales d'interpretation. Neanmoins, parmi les nombreuses et indeniables suggestions que le theses deM. Villey nous offrent, j'entrevoie quelques difficultes. Prenons, par exemple, le cas de Venise dans le XVe et le XVIe siecle, dont je parlerai aujourd'hui, bien qu'il s'agisse, bien sur, d'un cas a plusieurs egards assez particulier. Est-il suffisant, pour comprendre l'attitude des juristes dans le processus de transformation de l'Etat, de deplacer l'accent d'une interpretation portant sur la valeur «progressive» de leur activite a une autre visant a souligner les aspects essentiellerneut >, les memes tendances qu'on peut observer partout, bien que dans les conditions historiques du developpement de l'Etat absolument differentes.

Ghisalberti: Cela signifie qu'il y a de certaines conditions culturelles qui pesent sur nos latins toutes les fois qu'on parle de l'Etat moderne, toutes les fois qu'on parle du pouvoir royal ou du pouvoir de l'Etat, toutes les fois qu'on parle de la codification du droit. En effet, c'est tres difficile pour

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ceux qui sont lies a l'experience de l'absolutisme occidentale, c'est-a-dire de l'absolutisme de la France de Louis XIV, du cardinal Richelieu, a l'absolutisme des pays qui se sont attaches dans une certaine mesure a ce modele francais comme le pays italien ou l'Espagne, de comprendre des situations differentes avec le meme terme. Ce sont des termes effectivement relatifs, et c'est pour cela que je pense que la vision de l'Etat moderne qui nous est proposee par nos amis polonais est une vision d'un Etat qui a vecu dans une experience historique tout a fait differente de l'experience occidentale et pour cela je dois demander pardon si j'ai quelques reserves en tant que personne qui vient de l'Occident latin comme experience culturelle a accepter le terme codification du droit pour cette epoque lorsque la codification du droit se developpe d'une facon tout a fait differente de la facon dans laquelle elle a ete concue et developpee dans les pays occidentaux, selon le modele francais plus tard - XVIIIe siecle. Senkowski: Ganz kurz nur, ich möchte Sie bitten, doch einen Unterschied zu machen bei der Kodifikation zwischen dem polnischen und dem litauischen Recht in dieser Zeit. Es ist doch die Zeit der Union von diesen zwei Staaten, und ich als Pole muß zugeben, daß zu dieser Zeit das litauische Recht besser entwickelt war. Da waren die drei Statuten aus 1529, dann in der Mitte und in den 80er Jahren. Da muß man schon eine bessere Systematisierung und ein höheres Niveau der juristischen Arbeit feststellen. Ich weiß, es ist natürlich etwas anderes als die Kodifikation in dem üblichen Sinne, aber ich würde meinen, daß es schon mehr der Kodifikation ist.

Und nun das zweite Problem: Welches sind charakteristische Zeichen für einen "Etat moderne"? Das möchte ich gerne wissen. Nach meiner Ansicht ist "Etat moderne" etwas anderes als mittelalterlicher Staat. Vom philosophischen Standpunkt aus kann man sagen, logisch, das ist etwas anderes. Ich bejahe diese Thesen, die unterstreichen, daß wir sehr selten "saubere" Modelle sehen. Es ist meistens so, daß im mittelalterlichen Staat sich das Neue irgendwie entwickelt. Dann kommt der moderne Staat, aber da sehen wir dann immer noch überbleibsel, so nennt man das in der einfachen deutschen Sprache. Also ich glaube, ein sauberes Modell ist sehr schwer zu treffen. Aber man muß die neuen Elemente suchen. Und wenn ich sehe, daß in einem Staate eine Verwaltung neu gebaut wird mit einem anderen Gedanken, auf einer höheren Stufe, dann sage ich: Das sind schon die Vorstufen des modernen Staates. Der Absolutismus in Frankreich und der Absolutismus vom Peter I.: Für mich ist es doch ein Unterschied. Man muß stets aufpassen, ob "Absolutismus" und "modern" dasselbe sind. ViHey: Sur cette question non. - Mais sur le sens du mot moderne je voudrais remarquer que le mot moderne n'a pas du tout le meme sens dans l'usage anglais a ma connaissance et le francais academique ou il a un sens beaucoup plus etroit. Et la seule maniere de donner une signification precise ä ce mot moderne est de se rapporter a l'histoire de la philosophie, ä la naissance de la via moderna au XIVe siecle, a l'origine d'une philosophie, la philosophie moderne dont l'eclosion a surgi au XVIIe siecle. Notre pensee contemporaine, nous ne la considerons plus comme moderne. Je

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parle de l'usage fran(;ais le plus academique, c'est-a-dire non encore americanise. Swoboda: Moi aussi, je voudrais bien retourner a cette question de l'Etat moderne. Et je voudrais poser la question a M. Ghisalberti et M. Villey. L'Occident pour vous et la philosophie du XVIIe siecle, est-ce que c'est seulement la France ou l'Angleterre aussi, parce que nous avons entendu par M. Zieliiiska que les structures sont tres bien comparables entre la Pologne et l'Angleterre. Je crois votre point c'est toujours l'exemple de la France.

Villey: Pas du tout. Ce que nous avons dit, M. Ghisalberti et moi, de la Pologne au XVIe siecle s'appliquait aussi a la plus grande partie de la pensee fran(;aise du XVIe siecle, l'humanisme fran(;ais n'est pas tres different de l'humanisme polonais. On peut discuter sa