Der Betroffene im parlamentarischen Untersuchungsausschuß: Eine verfahrensrechtliche und grundrechtsdogmatische Untersuchung, insbesondere zur strafrechtlichen Behandlung von Falschaussagen [1 ed.] 9783428469741, 9783428069743


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German Pages 220 Year 1990

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Der Betroffene im parlamentarischen Untersuchungsausschuß: Eine verfahrensrechtliche und grundrechtsdogmatische Untersuchung, insbesondere zur strafrechtlichen Behandlung von Falschaussagen [1 ed.]
 9783428469741, 9783428069743

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Beiträge zum Parlamentsrecht

Band 18

Der Betroffene im parlamentarischen Untersuchungsausschuß Eine verfahrensrechtliche und grundrechtsdogmatische Untersuchung, insbesondere zur strafrechtlichen Behandlung von Falschaussagen Von

Dr. Bernd Klaus Buchholz

Duncker & Humblot · Berlin

BERND KLAUS BUCHHOLZ

Der Betroffene im parlamentarischen Untersuchungsausschuß

Beiträge zum Parlaments recht Herausgegeben von Werner Kaltefleiter, Ulrich Karpen, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen

Band 18

Der Betroffene im parlamentarischen Untersuchungsausschuß Eine verfahrensrechtliche und grundrechtsdogmatische Untersuchung, insbesondere zur strafrechtlichen Behandlung von Falschaussagen

Von Dr. Bernd Klaus Buchholz

Duncker & Humblot . Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Buchholz, Bernd Klaus: Der Betroffene im parlamentarischen Untersuchungsausschuss: eine verfahrensrechtliche und grundrechtsdogmatische Untersuchung, insbesondere zur strafrechtlichen Behandlung von Falschaussagen / von Bemd Klaus Buchholz. - Berlin: Duncker und Humblot, 1990 (Beiträge zum Parlamentsrecht; Bd. 18) Zug!.: Kiel, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-06974-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Satz: Irma Grininger, Berlin 62 Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-06974-9

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit, die im Mai 1989 abgeschlossen wurde, ist im Wintersemester 1989/90 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen worden. Mein besonderer Dank gilt meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Erich Samson, der die Arbeit in zahlreichen Gesprächen mit großem Verständnis und durch vielfältige Anregungen gefördert hat. Auch den Mitarbeitern des Instituts für Umweltschutz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht der Universität Kiel möchte ich für viele engagierte Diskussionen zu meinen Thesen herzlich danken. Die Vorschläge meiner Freundin Jnga Jensen, die das Manuskript gelesen und korrigiert hat, haben zur Verständlichkeit und Verbesserung erheblich beigetragen. Ausdrücklich möchte ich meinen Eltern, denen ich dieses Buch widme, herzliehst für die Unterstützung in all den Jahren danken. Kiel, im März 1990

Bernd Klaus Buchholz

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15 l. Teil

Die Zuständigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen

17

A. Vorüberlegungen ...............................................

17

B. Gesetzliche Ermächtigung der PUAe zur Eidesabnahme ...............

17

I. Die Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages. . . . . . . . . .

18

II. Die Untersuchungsausschüsse der Länderparlamente ..............

19

C. Der Einfluß von verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Enqueterechts und formalen Fehlern bei der Einsetzung auf die Aussagedelikte ........

19

I. Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Enqueterechts der Parlamente ...................................................

20

l. Die Korollartheorie .......................................

20

a) Beschränkungen aus dem Föderativprinzip .................

21

b) Beschränkungen aus dem Gewaltenteilungsprinzip ...........

23

2. Beschränkungen des Enqueterechts durch das "öffentliche Interesse"

25

3. Beschränkung des Enqueterechts auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Entscheidungen des Parlaments ........................

28

a) Die Begründung dieses Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

b) Kritische Würdigung dieses Ansatzes ......................

31

aa) Staatsrechtliche Argumente ..........................

31

bb) Parlamentspraktische Bedenken ......................

35

4. Beschränkungen des Enqueterechts auf die Vorbereitung einer Beschlußfassung im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit der Parlamente ..............................................

37

5. Schranken des Enqueterechts aus dem Bestimmtheitsgebot . . . . . . .

38

6. Zwischenergebnis .........................................

38

II. Formale Fehler bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen ..

39

III. Auswirkungen von Kompetenzüberschreitung oder fehlerhafter Einsetzung auf die Aussagedelikte ...................................

40

10

Inhaltsverzeichnis 1. Meinungsstand in der strafrechtlichen Literatur 2. Der Rechtscharakter der Einsetzung eines PUA ................

41 43

3. Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur zu den Wirkungen eines "fehlerhaften" Einsetzungsbeschlusses ....................

45

4. Lösung des Problems nach geltendem Recht ..................

49

a) Wirkungen materieller Fehler des Einsetzungsbeschlusses .....

49

b) Wirkungen formeller Fehler des Einsetzungsbeschlusses ...... 5. Lösungsmöglichkeit de lege ferenda .......................... 6. Zwischenergebnis .........................................

52 53 55

D. Der Einfluß der Überschreitung des Einsetzungsbeschlusses auf die Aussagedelikte ........................................................

55

E. Der Einfluß der Überschreitung eines Beweisbeschlusses auf die Aussagedelikte ..........................................................

57

F. Ergebnis ......................................................

58

2. Te i I Der Betroffene einer parlamentarischen Untersuchung als tauglicher Täter von Aussagedelikten

59

A. Problemstellung ................................................

59

B. Gesetzeslage und Reform- bzw. Regelungsvorschläge ..................

60

I. Die Gesetzlichen Regelungen über Auskunftspersonen in den Unter-

suchungsausschußgesetzen der Länder .......................... 1. Regelungen, die zwischen Zeugen und Betroffenen differenzieren.

60 61

a) Personenkreis der Betroffenen ............................ b) Die Rechtsstellung der Betroffenen ........................

61 62

2. Regelungen, die nicht zwischen Zeugen und Betroffenen differenzieren 3. Praxis in den Ländern ohne Untersuchungsausschußgesetze ......

62 63

4. Die strafrechtlichen Folgen der uneinheitlichen Gesetzgebung und Praxis ..................................................

64

11. Regelungsvorschläge und Gesetzentwürfe für die PUAe des Deutschen Bundestages ...............................................•

65

C. Der Meinungsstand und die Entwicklung in der Literatur .............•

67

D. Stellungnahmen der Rechtsprechung ...............................

72

E. Die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Zeugen und Betroffenen vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Schutzvorschriften ............

76

Inhaltsverzeichnis

11

I. Methodische Vorüberlegung ............•...................•..

76

11. Das Nemo-Tenetur-Prinzip •..................................

77

1. Die Herleitung des NTP aus der Verfassung ...................

78

2. Die Geltung des NTP im parlamentarischen Untersuchungsverfahren a) Grundsätzliche Einwände gegen die Anwendbarkeit des NTP für Betroffene eines PUA-Verfahrens ......................... aa) Die fehlende Sanktionsfinalität des Untersuchungsverfahrens

80

(I) Die "Ausstrahlungswirkung" des NTP .............. (2) Der Abschlußbericht eines PUA als Sanktion ........

81 82

bb) Die unterschiedliche Zielrichtung von Straf- und PUA-Verfahren............................................ b) Typische Untersuchungsverfahren und die Anwendbarkeit des NTP für Betroffene .................................... aa) Die Verfahren mit strafrechtlich relevantem Untersuchungsgegenstand ........................................ (I) Fallkonstellationen .............................. (2) Anwendbarkeit des NTP ......................... bb) Verfahren mit Untersuchungsgegenständen, die andere staatliche Verfahren mit Sanktionsmöglichkeit auslösen können (I) Fallkonstellationen ..............................

81 81

86 88 88 88 89 92

(2) Anwendbarkeit des NTP .........................

92 93

ce) Die parlamentarische Untersuchung entehrender Sachverhalte .........................................•...

96

(I) Fallkonstellationen .............................. (2) Anwendbarkeit des NTP ......................... c) Zwischenergebnis ......................................

96 97 101

3. Der notwendige Schutz des NTP im parlamentarischen Untersuchungsverfahren ..........................................

101

a) Schutz vor Selbstbezichtigungen durch die Übertragung der Rechtsstellung des Beschuldigten ......................... b) Gewährleistung des NTP durch Anwendung des § 55 der Strafprozeßordnung ........................................... c) Gewährleistung des NTP durch Ausweitung des Auskunftsverweigerungsrechts ......................................... d) Einwände gegen die Verweisung des Betroffenen auf ein Auskunftsverweigerungsrecht ................................ aa) Das Problem der Erkennbarkeit der Rechtsfolgen einer Aussage ...............•............................. bb) Die Verpflichtung zur ausdrücklichen Geltendmachung des Auskunftsverweigerungsrechts ...•....................

101 102 102 103 103 104

Inhaltsverzeichnis

12

ce) Das Problem der Glaubhaftmachung des Auskunftsverweigerungsrechts ....................................... dd) Auskunftsverweigerungs- nicht Zeugnisverweigerungsrecht

106 108

4. Zwischenergebnis ...............•.........................

110

III. Das Recht auf rechtliches Gehör und das Prinzip des fairen Verfahrens

111

I. Problemstellung ..........................................

2. Die Herleitung des Rechts auf rechtliches Gehör aus der Verfassung

111 111

a) Der Rechtsstaatsgedanke ................................

112

b) Die Würde des Menschen ...............................

113

3. Das Recht auf rechtliches Gehör im parlamentarischen Untersuchungsverfahren .......................................... a) Anwendbarkeit in einem Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz b) Das Prinzip der unmittelbaren Betroffenheit ................

114 114 114

4. Der anspruchsberechtigte Personenkreis ......................

118

a) Die materielle Beziehung zum Untersuchungsgegenstand ......

118

b) Der Vorwurf oder Verdacht eines rechtswidrigen oder unehrenhaften Verhaltens als Anspruchsvoraussetzung für rechtliches Gehör c) Zwischenergebnis ......................................

120 122

5. Das Recht auf Äußerung als Kern des rechtlichen Gehörs ....... a) Die Gelegenheit zur Stellungnahme ....................... b) Information als Voraussetzung zur Stellungnahme ...........

122 122 123

c) Berücksichtigung der Stellungnahme ......................

123

6. Die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör resultierenden Mitwirkungsrechte ...........................................•

124

a) Das Recht auf rechtliches Gehör als Minimalgarantie ........ b) Die Auslegung dieser Minimalgarantie für das parlamentarische Untersuchungsverfahren durch das OVG Münster ........... c) Die Deduzierbarkeit eines Beweisantragsrechts aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ................................... aa) Das Beweisantragsrechts als Bestandteil der Minimalgarantie

124 125 126 126

bb) Der "Menschenwürdegehalt" des Gehöranspruchs als Grundlage des Beweisantragsrechts .........................

127

cc) Das Beweisantragsrecht als Voraussetzung für eine angemessene Äußerungsmöglichkeit ..........................

128

dd) Das Beweisantragsrecht als Korrelat für fehlende Rechtsschutzmöglichkeit im PUA-Verfahren .................. ee) Die Verpflichtung zur sachgerechten Aufklärung ........

129 129

Zwischenergebnis ..................................

131

7. Das Prinzip des fairen Verfahrens als Anspruchsgrundlage der Verfahrensbeteiligungsrechte .....................................

131

fl)

Inhaltsverzeichnis

13

a) Ableitung aus der Verfassung ............................

131

b) Funktion und Inhalt des Anspruchs .......................

132

c) Übertragbarkeit auf das parlamentarische Untersuchungsverfahren ..................................................

132

d) Mitwirkungsrechte als unverzichtbare Erfordernisse einer fairen Gestaltung des PUA-Verfahrens ..........................

134

aa) Nochmals: Die fehlende strafrechtliche Sanktionsfinalität des PUA-Verfahrens ...................................

135

bb) Die effiziente Verfahrensgestaltung ....................

136

(I) Verfahrensherrschaft und Verzögerungsmöglichkeit ...

138

(2) Erhöhter Zeitdruck durch das Diskontinuitätsprinzip .

138

(3) Die Geflihrdung des Untersuchungszwecks ..........

139

(4) Zwischenergebnis ...............................

141

ce) Der inquisitorische Charakter der parlamentarischen Untersuchung ..........................................

141

dd) Verfahrensrechte aus Gründen des vorverlagerten Rechtsschutzes ..........................................

143

ee) Folgerungen ......................................

144

(I) Beweisantragsrecht ..............................

145

(2) Fragen an die Zeugen ...........................

145

(3) Anwesenheitsrecht während der Beweisaufnahme. ... .

146

(4) Recht zur zusammenhängenden Stellungnahme ......

147

(5) Rechtsbeistand .................................

147

e) Die aus den Einzelrechten resultierende Rechtsstellung des Betroffenen ................................................

148

IV. Die Vereinbarkeit der bisher entwickelten Rechtsstellung des Betroffenen mit der strafbewehrten Wahrheitspflicht des Zeugen ..............

149

I. Materieller Zeugenbegriff der Aussagedelikte ..................

150

2. Die ..sinngemäße" Übertragung des strafprozessualen Regelungssystems auf das PUA-Verfahren .............................

152

a) Der ZeugenbegrifT der Strafprozeßordnung .................

152

b) Die Abgrenzung des Beschuldigten vom (tatverdächtigen) Zeugen

152

aa) Der Beginn der Beschuldigteneigenschaft ...............

154

bb) Das Problem des sogenannten Rollentausches ...........

155

c) Die Abgrenzung von Betroffenen und Zeugen im PUA-Verfahren unter ..sinngemäßer" Anwendung des Strafprozeßrechts ......

156

d) Kritische Würdigung ...................................

158

e) Resümee .............................................

163

3. Die Unvereinbarkeit der BetroffenensteIlung mit einer Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage vor dem Hintergrund der verfassungsmäßigen Schutzrechte .....................................

163

Inhaltsverzeichnis

14

a) Die Grundlagen der Aussagefreiheit des strafrechtlich Beschuldigten .................................................. b) Der Doppelcharakter der Betroffenenvernehmung ...........

164 168

c) Die Möglichkeit der Kombination von Verteidigungsrecht und Wahrheitspflicht des Betroffenen ......................... aa) Die Vereinbarkeit von Wahrheitspflicht und Schweigerecht

169

bb) Das Vorbringen entlastender Gesichtspunkte ............

171

ce) Die durch die Wahrheitspflicht eingeschränkte Möglichkeit

der eigenen Beweisführung ........................... dd) Schwierigkeiten beim Bestreiten belastender Gesichtspunkte ee) Ergebnis..........................................

V. Die Feststellung der Betroffeneneigenschaft und die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung für Amtsträger ............................. I. Feststellung der Betroffeneneigenschaft ....................... a) Die formale Feststellung des Betroffenenstatus durch den PUA aa) Die Grundlagen der Entscheidung des Ausschusses ...... bb) Die Überflüssigkeit einer Unterscheidung in personenbezogene oder generelle Enqueten ........................ ce) Die Verdachtsstärke als Auslegungskriterium ...........

169

172 173 175 176 176 176 177 179 180

dd) Der Antrag auf Einstufung als Betroffener .............

181

ee) Die Einstufung zum Betroffenen im Verlauf der Untersuchung b) Die materielle Feststellung der Betroffeneneigenschaft durch die Strafgerichte ..........................................

182

c) Ergebnis ............................................. 2. Die Möglichkeit der Schaffung einer Sonderstellung für Amtsträger, soweit die Untersuchung ihre Amtsführung betrifft ............. 3. Ergebnis ..•...................•.........................

183

182

184 186

3. T eil Ergebnisse in Thesenform, Schlußbetrachtung und Anhang

187

I. Ergebnisse in Thesenform ..................................•.

187

11. Schlußbetrachtung ..........................................

189

III. Anhang: Synoptische Gegenüberstellung ausgewählter Bestimmungen über Aufgabe und Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse .................................................

191

Literaturverzeichnis

209

Einleitung Die Arbeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente ist in den letzten Jahren durch brisante Verfahren nicht nur in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, sondern hat eine Welle von gerichtlichen Verfahren ausgelöst, die rechtliche Unklarheiten und Lücken des Enqueterechts aufgedeckt oder wieder ins Bewußtsein gebracht haben 1. Vorrangig befaßten sich diese Entscheidungen mit der Verfahrensausgestaltung, insbesondere den Minderheitenrechten und der Rechtsschmutzmöglichkeit Privater gegenüber Eingriffen des Untersuchungsgremiums 2 • Nicht selten hatten sich aber auch Strafgerichte im Anschluß an parlamentarische Untersuchungsverfahren mit der Frage zu beschäftigen, ob sich eine Auskunftsperson eines Aussagedelikts schuldig gemacht hat 3• Ein besonderes Problem dieser Strafverfahren stellt die Behandlung derjenigen Personen dar, die im Rahmen sogenanner Mißstands- oder Skandalenqueten im Mittelpunkt der Untersuchung stehen und deshalb als Betroffene bezeichnet werden. Ihre rechtliche Stellung vor den Untersuchungsausschüssen korrespondiert mit der Strafbarkeit von Falschaussagen und ist trotz einer vertieften juristischen Diskussion seit der Entstehung des Untersuchungsrechts der Parlamente umstritten 4 • Die rechtsstaatlichen Gefahren und Defizite des Enqueterechts werden in diesem Problemkomplex besonders deutlich, weil die unklaren Eingriffsbefugnisse des Art. 44 Abs. 2 Satz I Grundgesetz (GG), das problematische Verhältnis von staatlichem Aufklärungsinteresse und individuellem Grundrechtsschutz und die fehlende Angreifbarkeit der Abschlußberichte der Ausschüsse zu gravierenden Nachteilen für den betroffenen Personenkreis führen könnenS. Die Rechtssteilung der Betroffenen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, insbesondere hinsichtlich ihrer Aussage- und Wahrheitspflicht, gilt deshalb als eine der schwierigsten und umstrittensten Fragen des Enqueterechts6• Die vorliegende Arbeit analysiert die Rechte und Pflichten der Betroffenen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren und will damit einen Beitrag zur Vgl. Hilf. NVwZ 1987, 537 ff. Allein im Zusammenhang mit dem BT-Ausschuß "Neue Heimat" wurden 24 Gerichtsverfahren ausgelöst, vgl. BT-Drs. 10/6779, S. 21 ff. 3 Vgl. aus jüngster Zeit: OLG Köln, NJW 1988, 2485 ff.; OLG Koblenz, StrafVert 1988, S.531ff. 4 Vgl. zur älteren Literatur: Heck. S. 63 ff.; Kahn. S. 39 ff. 5 Vgl. Quaas/Zuck. NJW 1988, 1877. 6 Schröder. S. 45; Quaas/Zuck. aaO, 1877. I

2

16

Einleitung

Klärung ihrer Rechtsposition leisten. Dabei wird insbesondere die strafrechtliche Behandlung von Falschaussagen untersucht, die von der verfahrensrechtlichen Stellung dieser Personen abhängig ist. Im ersten Teil soll zunächst der Frage nachgegangen werden, ob und wann Aussagedelikte vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß (im folgenden: PUA) überhaupt begangen werden können. Von entscheidender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Auswirkungen der fehlerhaften Einsetzung eines PUA durch Überschreitung der verfassungsrechtlichen Kompetenzen oder ungenügend bestimmte Untersuchungsaufträge. Aber auch Überschreitungen der Einsetzungs- oder Beweisbeschlüsse bei der Vernehmung von Auskunftspersonen werden auf ihre strafrechtlichen Folgen für die §§ 153 ff. StGB hin untersucht. Die damit verbundene Klärung der Reichweite parlamentarischer Untersuchungskompetenz ergibt gleichzeitig Anhaltspunkte für die Schutzbedürftigkeit Privater im Enqueterecht. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet im zweiten Teil die Erörterung der Frage, ob eine Differenzierung zwischen Zeugen und betroffenen Auskunftspersonen im PUA-Verfahren notwendig ist und wie sie sich auf die verfahrensrechtliche Stellung der Auskunftspersonen und ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit für Aussagedelikte auswirkt. Dabei wird weniger auf die sinngemäße Anwendung der strafprozessualen Vorschriften nach Art. 44 Abs. 2 Satz I GG zurückzugreifen sein, als auf die verfassungsrechtlich verbürgten Schutzrechte der Betroffenen. Eine besondere Bedeutung gewinnen in diesem Zusammenhang das Nemo-Tenetur-Prinzip, das Recht auf rechtliches Gehör und das Prinzip des fairen Verfahrens. Es wird zu zeigen sein, daß aus diesen Rechten, die sämtlich Verfassungsrang genießen, zwingend ein Minimum an Beteiligungsrechten Betroffener abgeleitet werden muß. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob mit der so entwickelten verfahrensrechtlichen Stellung Betroffener eine strafbewehrte Wahrheitspflicht vereinbar ist. Zum Abschluß der Untersuchung wird der Personenkreis der Betroffenen genauer definiert und die Frage erörtert, ob eine Sonderbehandlung für Amtsträger mit den gefundenen Grundsätzen vereinbar ist, soweit sich die Untersuchung auf ihre Amtsführung bezieht.

1. Teil

Die Zuständigkeit parlamentarischer U ntersuchungsausschüsse zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen A. Vorüberlegung Die Klärung der Frage, ob und wann Aussagedelikte vor einem parlamentarischen Untersuchungsgremium überhaupt begangen werden können, mag auf den ersten Blick mit der Rechtsstellung der Betroffenen nichts zu tun haben. Vergegenwärtigt man sich jedoch, daß die Aussage- und Wahrheitspflicht der Auskunftspersonen von den Beschränkungen des Enqueterechts beeinflußt werden kann, so wird ein Zusammenhang zwischen den Schutzbedürfnissen dieser Personen und den Untersuchungskompetenzen eines Parlaments deutlich. Je weiter die Rechte der Legislative reichen, durch Untersuchungsausschüsse Sachverhalte aufzuklären, um so stärker können einzelne Bürger in Anspruch genommen und ihre Grundrechte tangiert werden. Dadurch entsteht ein besonderes Bedürfnis nach verfahrensrechtlichem Schutz, insbesondere für die Personen, deren Verhalten zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht wird. Vor diesem Hintergrund soll im folgenden untersucht werden, wann parlamentarische Untersuchungsausschüsse zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zuständig sind, weil nur dann eine strafbewehrte Aussageund Wahrheitspflicht überhaupt entstehen kann.

B. Gesetzliche Ermächtigung der PUAe zur Eidesabnahme Die Tatbestände der §§ 153 ff. StGB setzen zunächst voraus, daß eine falsche Aussage vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zuständigen Stelle gemacht wurde. Ein tatbestandsmäßiges Aussagedelikt kann somit nach deutschem Recht nur begangen werden, wenn eine falsche Aussage vor einer Institution abgegeben wird, die ausdrücklich auch zur Abnahme von Eiden berechtigt ist 1. Da parlamentarische Untersuchungsausschüsse keine Gerichte im Sinne der §§ 153 ff. StGB sind 2, weil sie 1 Anders beispielsweise in Österreich. wo generell falsche Beweisaussagen vor Verwaltungsbehörden strafbar sind, vgl. Pallin. in Wiener Kommentar, § 289 Rn. I.

2 Buchholz

18

I. Teil, B. Gesetzliche Ennächtigung der PUAe zur Eidesabnahme

nicht mit unabhängigen Richtern, sondern mit Parlamentariern besetzte Gremien darstellen 3 , kann diese Berechtigung nur durch eine gesetzliche Grundlage erzeugt werden 4 • Es ist deshalb zunächst zu fragen, ob und in welchem Rahmen die PUAe des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente durch Gesetz zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen ermächtigt sind.

I. Die Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages Schon im Jahre 1918 ist von Max Webers der Vorschlag gemacht worden, öffentlich tagende Untersuchungsgremien mit umfangreichen Befugnissen bis hin zum eidlichen Verhör der Beteiligten einzurichten6 • Im Sinne dieses Gedankens entstand der Entwurf des Art. 34 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) durch Hugo Preuß7. Der Verfassungsausschuß sah mit Art. 34 Abs. 1 WRV jedoch nur das Recht der Zeugeneinvernahme als geregelt an. Die später in Art. 34 Abs. 2 WRV eingefügte Bezugnahme auf die Vorschriften der Strafprozeßordnung wurde während der Beratungen nur hinzugefügt, um den PUAen neben diesem Recht auch das Recht des Zeugniszwanges und der Zeugenvereidigung zu geben 8 • Schon unter der Geltung des Art. 34 WRV war deshalb in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, daß den Untersuchungsausschüssen des Reichstages das Recht auf Zeugenladung, -vernehmung und Zeugenvereidigung zustand 9. Art. 44 GG, der im wesentlichen die Regelungen des parlamentarischen Untersuchungsrechts aus Art. 34 WRV übernommen hat lO und der für die Beweiserhebung ebenso die sinngemäße Anwendung der Normen des Strafprozesses bestimmt, verweist demgemäß auch auf die Vorschriften der §§ 59 ff., 79 StPO. Darin ist das Recht zur Vereidigung der Zeugen und Sachverständigen normiertlI. Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG stellt somit in Verbindung mit den Normen der StPO für die Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages die Ermächtigung zur Eidesabnahme dar 12 • 2 Vgl. zur Definition: Lenckner. in Schönke/Schröder, § 154 Rn. 7; Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn. 27 m.w.N. J Dazu ausführlich: Müller-Boysen. S. 46 ff. 4 Lenckner. in Schönke/Schröder, § 154 Rn. 10. S Weber. S. 351 ff. 6 Vgl. zu den historischen Wurzeln besonders: Steffani. in Kluxen, S. 249 ff. 7 Vgl. Heck. S. 13; Rechenberg. in BK, Art. 44 Rn. I. 8 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Aktenstück Nr. 391, Bd. 336, S. 264 ff.; vgl. auch BVerfG NJW 1984,2271,2273. 9 Vgl. nur Kaufmann. S. 31. 10 Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn. 2. 11 Vgl. Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn. 52 m.w.N. 12 Vgl. schon Partsch. S. 97.

11. Die Untersuchungsausschüsse der Länderparlamente

19

11. Die Untersuchungsausschüsse der Länderparlamente Für die PUAe der Länderparlamente gibt es derzeit in sechs Bundesländern Gesetze, die das Verfahren der Ausschüsse regeln l3 • In allen Gesetzen findet sich auch eine Norm, die den PUAen das Recht der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen einräumt 14. In allen anderen Bundesländern existieren spezielle Untersuchungsausschußgesetze (UAGs) nicht. Wie im Grundgesetz befinden sich jedoch in den Länderverfassungen Ermächtigungsnormen zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, die für das Verfahren die Vorschriften der strafprozessualen Beweiserhebung für sinngemäß anwendbar erklären l5 • Damit sind auch die PUAe der Länderparlamente zur eidlichen Zeugen- und Sachverständigenvernehmung grundsätzlich berechtigt 16.

c. Der Einfluß von verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Enqueterechts und formalen Fehlern der Einsetzung auf die Aussagedelikte

Die den PUAen verliehene Befugnis, Zeugen und Sachverständige auch eidlich zu vernehmen, ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür, daß alle Falschaussagen vor einem Untersuchungsausschuß auch vor einer zuständigen Stelle im Sinne der §§ 153 ff. StGB abgegeben werden. Dieser Eindruck wird in der strafrechtlichen Literatur jedoch erweckt, die sich zumeist auf die Feststellung beschränkt, daß vor PUAen Aussagedelikte begangen werden könnenI. Es gibt aber verfassungsrechtliche Beschränkungen des Enqueterechts, die möglicherweise Einfluß auf die Zuständigkeit zur Eidesabnahme und damit auf die Tatbestandsmäßigkeit der Aussagedelikte haben können. Mit diesem Problem hat sich in der strafrechtlichen Literatur bisher allein Wagner 2 auseinandergesetzt. Seine Überlegungen haben zwar Eingang in zahlreiche Erläuterungswerke gefunden 3 , eine kritische Überprüfung der Thesen hat jedoch bisher nicht stattgefunden. Im folgenden soll deshalb zunächst untersucht werden, welchen Beschränkungen das Enqueterecht der Parlamente unterliegt, um daran anschließend die Frage zu erörtern, welche Auswirkungen die Einsetzung eines PUA unter Überschreitung 13

land.

in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und dem Saar-

Vgl. die einschlägigen Vorschriften im Anhang. Vgl. beisp. Art. 15 Abs. 2 der Landessatzung für Schleswig-Holstein. 16 Vgl. dazu auch BGH St 17, 128 ff. 1 Vgl. Lackner, § 153 Rn. 2b; WiIlms, in LK, § 153 Rn. 6; Preisendanz, § 153 Rn. 3; Arzt/Weber, Str. BT LH 5, Rn. 255; Hajt, S.44;Maurach/Schröder, § 73112; Wessels, § 171 2. 2 Wagner, GA 1976, 257 ff. 3 Vgl. Lenckner, in Schönke/Schröder, § 154 Rn. I I; Dreher/Tröndle, § 153 Rn. 2; Rudolphi, in SK StGB, § 154 Rn. 4. 14 15



20

I. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagede1ikte

der verfassungsrechtlichen Kompetenzen für die Tatbestandsmäßigkeit der Aussagedelikte hat. Dadurch werden gleichzeitig die Thesen Wagners einer kritischen Analyse unterworfen.

I. Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Enqueterechts der Parlamente Obwohl das Recht der Parlamente, Untersuchungen vorzunehmen, im Grundgesetz und den Länderverfassungen keine ausdrückliche Einschränkung erfährt, war in der staatsrechtlichen Literatur schon frühzeitig anerkannt, daß das parlamentarische Untersuchungsrecht nicht völlig unbegrenzt ist 4 • Heute herrscht Einigkeit darüber, daß sich aus allgemeinen verfassungsrechtlichen und verfassungsstrukturellen Grundsätzen Beschränkungen für die Untersuchungskompetenz der Parlamente ergeben s• Die Bestimmung dieser Grenzen ist in der parlamentarischen Praxis6 , aber auch bei der Kontrolle durch die Gerichte immer wieder Anlaß zahlreicher Streitfragen gewesen 7 • Dabei hat in jüngster Zeit zunehmend die Frage, ob privates Verhalten Gegenstand parlamentarischer Untersuchungen sein kann, in der Literatur Beachtung gefunden8 • Im einzelnen ist jedoch vieles umstritten und die wenigsten Fragen der gegenständlichen Grenzen des Enqueterechts können als geklärt angesehen werden 9 • In dem hier zu untersuchenden Zusammenhang können nicht alle Einzelfragen dieses Problembereichs abschließend erörtert werden. Es sollen jedoch die wesentlichen Gesichtspunkte und Streitfragen aufgezeigt werden. 1. Die Korollartheorie

Grundsätzlich übereinstimmend gehen Rechtsprechung und Literatur davon aus, daß sich aus dem Wesen des Untersuchungsausschusses als Hilfsorgan des jeweiligen Parlaments eine gegenständliche Beschränkung der Untersuchungskompetenz dahin ergibt, daß der PUA nur innerhalb der Parlamentskompetenz tätig werden kann lO • Der verfassungsmäßige Aufgabenkreis des Parlaments ist deshalb auch die Grenze für das Untersuchungsrecht der PUAe, weil letztere Vgl. schon Kaufmann, S. 17. Maunz, in MIDIH, Art. 44 Rn. 14 m.w.N.; Memminger, DÖV 1986, S. 15 ff. 6 Vgl. dazu Pansch, S. 15 ff.; Schräder, S. 11 ff. 7 Vgl. aus jüngerer Zeit: BVerfGE 76, 363, 381; 77, 1 ff.; HessStGH DÖV 1967,51 ff.; zur älteren Rechtsprechung vgl. die Entscheidungen des Staatsgerichtshofs: RGZ 102, 425 ff.; RGZ 104, 423 ff. 8 So bei Di Fabio, S. 19 ff.; Schräder, S. 15 ff.; Linck, ZRP 1987, 11 ff. 9 Schräder, S. 11. IO Vgl. schon Anschülz, Art. 34 Rn. 3; Maunz, in MIDIH, Art. 44 Rn. 15; v. Mangoldl I Klein, Art. 44 Rn. III 3 a; jeweils m.w.N. 4

5

I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

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einen eigenständigen, vom Willen des Parlaments unabhängigen Wirkungskreis nicht haben können H. In der staatsrechtlichen Literatur ist vor allem Lewald dieser Ansicht entgegengetreten 12. Mit seiner Theorie von der Generalkompetenz vertrat er die Auffassung, daß das Untersuchungsrecht die parlamentarische Zuständigkeit über die sonst gezogenen Grenzen hinaus erweitere. Lewald kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß das Enqueterecht gegenständlich völlig unbegrenzt ist. Mit Recht ist dem jedoch entgegengehalten worden, daß eine Ausdehnung über den gewöhnlichen Kompetenzbereich der Parlamente hinaus einer besonderen Ermächtigung bedurft hätte, wie sie beispielsweise für die Untersuchungsmittel in Art. 44 Abs. 2 GG gegeben ist 13 • Da das Untersuchungsrecht somit nur "Anhängsel" der parlamentarischen Kompetenzen ist, wird diese Beschränkung des Enqueterechts im Anschluß an Zweig 14 als Korollartheorie bezeichnet. Sie ist seit der Geltung des Art. 34 WRV nahezu unumstritten l5 • Mit dieser Theorie sind jedoch allein die äußersten Grenzen des parlamentarischen Untersuchungs rechts gekennzeichnet. Eine abschließende Klärung der Kompetenzgrenzen ist mit ihr nicht erreicht 16. Die aus der Korollartheorie folgenden Beschränkungen durch das Föderativ- und Gewaltenteilungsprinzip zeigen dies. a) Beschränkungen aus dem Föderativprinzip

Auf der Grundlage der Korollartheorie ist die Einsetzung eines PUA durch den Deutschen Bundestag unzulässig, soweit der Untersuchungsgegenstand ausschließlich Angelegenheiten eines Bundeslandes betrifft 17. Keineswegs geklärt ist damit jedoch die Frage, ob für bestimmte Angelegenheiten der Länder dem Bundestag nicht doch ein Untersuchungsrecht zuzubilligen ist. Er könnte anhand des konkreten Falles die Frage erörtern wollen, ob etwa gegen das Prinzip der Bundestreue verstoßen wurde oder ob ein Gesetzgebungsgegenstand betroffen ist, für den die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen 18. Aus11

StGH RGZ 104,423,430; HessStGH DÖV 1967, 51, 54.

Lewald. AÖR 44, 269, 292 f. 13 Schleich, S. 15; Maunz, in MID/H, Art. 44 Rn. 15; Di Fabio, S. 24 f. 14 Zweig, ZfP 1913, 265, 267. 15 Vgl. schon StGH RGZ 102,425,429; S!9H RGZ 104,423,430; Kaufmann, S. 18; aus jüngerer Zeit BVerfGe 77,1,44; HessStGH DOV 1967, 51, 54; Di Fabio, S. 25; Schröder, S. 20. 16 Memminger, DÖV 1986, 15, 16; Di Fabio, S. 26. 17 Maunz, in MID/Ii, Art. 44 Rn. 16; Hamann/Lenz, Art. 44 Anm. B 1; Rechenberg, in BK, Art. 44 RN 7; Stern, AOR 109, 199,226; Troßmann, §63Nr. 1O.3;vgl. zum folgenden insgesamt Lässig, DÖV 1976, 727 ff. 18 In diesen Fällen eine Kompetenz des Bundes annehmend beispielsweise Maunz, in M/D/H, Art. 44 Rn. 16; ablehnend v. Mangoldt / Klein, Art. 44 III 3 a; Blümel/ Ronellenfitsch, 12

S. 37 f.

1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagede\ikte

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gehend von der Korollartheorie ergeben sich jedenfalls keine Anhaltspunkte, insoweit eine Untersuchungskompetenz des Bundestages abzulehnen l9 •. Fraglich erscheint auch, ob eine Untersuchung des Bundestages zulässig wäre, die zwar Länderangelegenheiten betrifft, jedoch zur Prüfung der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung durchgeführt wird. Die Begründung eines Untersuchungsrechts des Bundestages mit der sogenannten Kompetenz-Kompetenz ist in der staatsrechtlichen Literatur außerordentlich umstritten 20. Die ablehnende Auffassung wird damit begründet, daß erst durch die Verfassungsänderung die Kompetenz des Bundes erweitert werde, für den Zeitpunkt der Untersuchung die noch bestehenden Schranken aber nicht ignoriert werden dürften 21 . Freilich kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kompetenz zur Verfassungsänderung allein dem Bund gegeben ist, weshalb es kaum verständlich erscheint, dem Bundestag für jeden anderen Gesetzgebungsbereich ein Untersuchungsrecht einzuräumen, es aber im Vorfeld einer Verfassungsänderung zu verwehren. Wie schwierig die Abgrenzung der Untersuchungskompetenzen von Gebietskörperschaften im Detail sein kann, haben auch die Rechtsgutachten von Böckenförde 22 und Blümel/Ronellenfitsch23 gezeigt. Sie beschäftigen sich zwar in erster Linie mit dem Untersuchungsrecht eines Landes gegenüber einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft, beleuchten jedoch die Problematik der kompetentiellen Abgrenzungsprobleme 24 zwischen Gebietskörperschaften ganz allgemein 25 . Schon diese Beispiele zeigen die Schwierigkeiten bei der Grenzziehung der Untersuchungskompetenzen der Parlamente im Bereich des Föderativprinzips. Sie sind nicht allein theoretischer Natur. Den Strafrichter beschäftigen diese Problembereiche schon bei der Anordnung von Zwangsmaßnahmen für einen PUA, wie das aktuelle Beispiel des "U-Boot-Ausschusses" des Deutschen Bundestages zeigt26. Der Ausschuß hatte neben der Kontrolle des Verhaltens von Bundesexekutiven auch die Untersuchung des Verhaltens von Ministerpräsidenten und Landesbediensteten zum Gegenstand 27 . Wie zu zeigen sein wird, ist So auch Maunz. aaO, Rn. 16. VgJ. die Zuständigkeit bejahend Halstenberg, S. 32; Kölble. DVBI. 1964,701,704; Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn. 16; Linck. ZRP 1987, 11, 12, der allein eine Schranke in Art. 79 III GG erkennt; ablehnend BlümellRonellenjitsch, S. 38; Partsch, S. 16; Hamann/Lenz. Art. 44 Anm.B 1. 21 VgJ. nur Hamann/Lenz. Art. 44 Anm. B 1; BlümellRonellenjitsch, S. 38. 22 Böckenförde. AÖR 103, S. 1 ff. 23 Blümell Ronellenjitsch. S. 20 ff. 24 Stern. AÖR 109, 199, 226. 25 VgJ. zum Problem des Zeugniszwanges bei Ladung durch einen Landes-PUA: BVerfG, NJW 1988, S. 1924 ff.i.OVG Lüneburg, DÖV 1986, S. 210 ff.; OVG Lüneburg, DÖV 1986, S. 476 ff.; Thürmer. DOV 1987, S. 99 ff. 26 AG Bonn, NJW 1989, 1101, 1102. 27 BT-Drs. 10/6709 und BT-Drs. 11/50; vgl. auch Schröder. S. 27. 19

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I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

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auch bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit eines Aussagedelikts der Strafrichter dazu gezwungen, diese staatsrechtlichen Probleme zu erörtern. b) Beschränkungen aus dem Gewaltenteilungsprinzip

Obwohl es zu den Rechten und Pflichten des Parlaments gehört, die Exekutive laufend zu kontrollieren, würde es das Gewaltenteilungsprinzip untergraben, wenn durch Untersuchungsausschüsse die Selbständigkeit der Gewalten unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. Letztlich aus d~r Korollartheorie ergibt sich deshalb, daß ständige PUAe zur Regierungs- und Verwaltungs kontrolle unzulässig sind 28 . Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies bestätigt29. Es hat der Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuerkannt, der auch einen von PUAen nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt 30. Ebensowenig zulässig ist demgemäß ein Eingriff in den Funktionsbereich der Gerichte 3l . Über das prinzipielle Verbot einer laufenden Kontrolle anderer Gewalten besteht weitgehend Einigkeit. Die Durchführung parlamentarischer Untersuchungen ist deshalb auch nur zulässig, wenn abgeschlossene Vorgänge den Gegenstand der Untersuchung bilden. Dennoch verbleiben auch hier erhebliche Detailprobleme. Dies zeigt sich besonders deutlich an einer Entscheidung des BayVerfGH zur Einsetzung eines Ausschusses "Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf,32. Der bayerische Landtag hatte einen Antrag auf Einsetzung des PUA unter anderem mit der Begründung abgelehnt, daß die Untersuchung sich auf den Kernbereich der Exekutive erstrecke und deshalb unzulässig sei. Das Gericht entschied im Organstreitverfahren, daß nur eine ex-post-Kontrolle der Exekutive durch Untersuchungsausschüsse zulässig sei 33 . Diese sei zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Einsetzungsantrag nicht möglich gewesen, weil eine rechtsverbindliche Entscheidung der Behörde34 noch nicht vorgelegen habe 35 . Obwohl das Gericht anerkennen mußte, daß es zu diesem Zeitpunkt schon sehr weit fortgeschrittene Planungen und Willenserklärungen der Landesregierung gegeben hatte, stellte es sehr formal auf den abschließenden Genehmigungszeitpunkt ab. Alle vorherigen Untersuchungen würden auf eine verfahrensbegleitende Kontrolle abzielen. 28 h.M.: Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn. 17; v. Mangoldt / Klein. Art. 44 Anm.1II 3 a; Rechenberg. in BK, Art. 44 Rn. 7; Partsch. S. 15; BarschellGebel. Art. 15 CI 3 a. 29 BVerfGE 67, 100, 139. JO Zurückgehend auf Scholz. AÖR 105, 598. 31 Vgl. OLG Kob1enz, StrafVert 1988,531; Rechenberg. in BK, Art. 44 Rn. 7; Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn 17. 32 BayVerfGH, NVwZ 1986, 822 fT. 33 aaO, 822, Leitsatz 5. 34 Atomrechtliche Genehmigung oder Baugenehmigung. 35 aaO, S. 825.

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I. Teil, C. Schranken des Enqu,.terechts und Aussagedelikte

Zu Recht ist diese Entscheidung in der Literatur kritisiert worden 36 • Auch abgeschlossene Planungen der Exekutive können einen eigenständigen Verwaltungsvorgang darstellen, deren Grundlagen einer parlamentarischen Kontrolle zugänglich sein müssen und die keinesfalls zwingend eine laufende Kontrolle der Regierung beinhalten 37 • In der Literatur wird deshalb auch vor einer "mechanisch-starren Abkapselung" der Exekutive von der Legislative gewarnt, die durch das Gewaitenteilungsdenken zu "informatorischen Trennwänden" führen könnte 38 • Den traditionellen Schwerpunktbereich des Enqueterechts stellt die Kontrolle von Regierung und Verwaltung durch die Legislative dar39 • Gerade hierfür hat es in jüngster Zeit an Versuchen nicht gefehlt, Kriterien für eine genauere Bestimmung der gegenständlichen Grenzen des Untersuchungsrechts zu finden. So wird vorgeschlagen, eine Regierungskontrolle durch PUAe auf eine "Gesetzlichkeitskontrolle" zu beschränken, und die Kontrolle der politischen Richtung des Regierungskurses auszuschließen 40 • Damit wird jedoch eine genauere Bestimmung des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung kaum erreicht. Sinnvoll und praktikabel erscheint der Vorschlag, eine" Verdachtsakzessorietät" des Untersuchungsgegenstandes zu fordern, um zumindest im Bereich von Skandal- und Mißstandsenqueten eine Ausforschung "ins Blaue hinein" zu verhindern 41 • Ein Antrag auf Einsetzung eines PUA ist demnach nur zulässig, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für aufklärungs bedürftige Mißstände vorliegen 42 • Aus dem Grad und der Gewichtigkeit des Verdachts kann dadurch außerdem ein Abwägungskriterium für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Eingriffen in die Grundrechte Privater gewonnen werden 43 • Auch wenn man letzterer Ansicht folgt, kann jedoch nicht geleugnet werden, daß die Abgrenzung von unzulässiger verfahrensbegJeitender Regierungskontrolle und zulässiger Ex-Post-Kontrolle der Exekutive Probleme aufwirft, die auch mittels einer konkretisierten Korollartheorie nicht abschließend geklärt werden können.

Vgl. Hilf, NVwZ 1987,537, 539 Fn. 24; Schröder, S. 12. Kritisch zur ausschließlichen Ex-post-Kontrolle auch Schröder, ZParl 1986, 376, 371. 38 Bogs, JZ 1985, 112, 116; vgl. auch Krebs, S. 153; Mengel, EuGRZ 1984, 102. 39 Vgl. BVerfGE 77, 1,43. 40 Memminger, DÖV 1986, 15, 20. 41 Depenheuer I Winands, ZRP 1988, 258, 262. 42 Depenheuer I Winands, aaO, kommen deshalb zu dem Ergebnis, daß die Untersuchung der gesamten Nuklearpolitik der Bundesregierung im Rahmen des sog. »Transnuklear-Ausschusses" (BT-Drs. 11/1683 (neu» unzulässig ist. 43 DepenheuerlWinands, ZRP 1988,258,263 unter Bezugnahme aufLG Frankfurt, NJW 1987,787,789. 36

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I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

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2. Beschränkungen des Enqueterechts durch das "öffentliche Interesse"

Daß Untersuchungsausschüsse nur Gegenstände untersuchen dürfen, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegt, ist heute allgemein anerkannt 44. Diese Voraussetzung hat, zurückgehend auf die Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Länderparlamente von 1961, Eingang in fast alle Untersuchungsausschußgesetze der Länder gefunden 45 • Auch für die PUAe des Deutschen Bundestages ergibt sich diese Beschränkung schon aus der Entstehungsgeschichte des Art. 34 WRV, dem Vorbild des geltenden Art. 44 GG 46 • Während der Beratungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung wurde ein Antrag, die Untersuchungen auf Tatsachen zu beschränken, welche "das öffentliche Interesse berühren" zwar abgelehnt. Grund dafür war jedoch nicht eine inhaltlich andere Auffassung. Der Zusatz wurde vielmehr als selbstverständlich und überflüssig bezeichnet 47 • Die Beschränkung ergibt sich außerdem aus der Natur der PUAe als parlamentarische Gremien 48. Durch das Kriterium des öffentlichen Interesses sollen vorrangig Untersuchungen ausgeschlossen werden, die allein die Privatsphäre Einzelner berühren 49 • Es hat mit der Ausweitung der parlamentarischen Kompetenzen in den gesellschaftlichen und privaten Bereich hinein eine wesentliche Bedeutung erlangt so. Daß auch dieses Beschränkungskriterium bei der Konkretisierung im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereitet 51 , zeigt schon die Tatsache, daß Angelegenheiten, die als Privatsache des Bürgers erscheinen mögen, unter besonderen Umständen ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten können. Dies wird regelmäßig bei Skandalen und Mißständen der Fall sein. Der Einsetzung eines PUA zu derartigen Gegenständen wird Zumeist eine öffentliche Diskussion vorausgehen, die schon für sich das öffentliche Interesse erregt. Dadurch können Skandale, z. B. im Bereich privater Wirtschaftsunternehmen, sehr schnell ein öffentliches Interesse an der Aufklärung erzeugen52 • 44 BVerfGE 67,100,140; 77, I, 44; Maunz, in M/D/H, Art. 44 Rn. 19m.w.N.; Versteyl, in v. Münch, Art. 44 Rn. 11; Partsch. S. 16 f.; Böckenförde, AÖR 103, I, 14; Schleich, S. 31 f.; Schröder, S. 13; Di Fabio, S. 41. 45 Vgl. die Vorschriften im Anhang. 46 Pietzner, in EVStL, Spalte 3675. 47 Vgl. zur Entstehungsgeschichte: StGH RGZ 104,423,429. 48 Hilf, NVwZ 1987, 537, 539. 49 HessStGI1, ESVGH 22, 136 ff.; Pietzner, in EvStL, Spalte 3675; Stern, AÖR 109, 199, 229; Scholz, AOR 105, 564, 595; Hilf, NVwZ 1987, 537, 539. so Vgl. dazu unten 1. Teil,C. I. 3. b.;Memminger, DÖV 1986, 15,22; vgl. auch DiFabio, S. 41. 51 Stern, AÖR 109, 199, 229; gegen die Tauglichkeit und Praktikabilität dieses Kriteriums vor allem Menge/, EuGRZ 1984,99. 52 Vgl. zum öffentlichen Interesse an der Aufklärungsarbeit des "Neue-HeimatAusschusses" des Deutschen Bundestages: BVerfGE 77, 1,44 f.

1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

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Fraglich ist deshalb, wie das Kriterium des öffentlichen Interesses konkretisiert werden kann und insbesondere, ob ein rein faktisches öffentliches Interesse eine parlamentarische Untersuchung rechtfertigen kann. Letzteres wird vor allem von Böckenförde bejahe3 , der es genügen lassen will, wenn irgend welche Vorgänge tatsächlich das Interesse und die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit erregt haben. Ein Gegenstand, der alle angehe und bewege, trete damit aus der nur persönlichen oder privaten Sphäre hinaus. Schon durch Erklärungen im Parlament soll eine Angelegenheit das öffentliche Interesse erhalten, welches eine parlamentarische Untersuchung rechtfertigen kann 54. Obwohl Böckenförde das Gegenteilbehauptet 55 , kann nach dieser Auffassung das öffentliche Interesse das Enqueterecht nicht beschränken. Schon durch die Einsetzung eines PUA würde dieses Kriterium erfüllt. Die im Konfliktfall vorzunehmende Abwägung mit entgegenstehenden privaten Interessen unterfiele dann dem weiten parlamentarischen Ermessensspielraum und wäre nur bezüglich dieser weiten Grenzen überprütbar. Der mit dem Kriterium bezweckte Schutz des Privatbereichs wäre damit gleich Null 56. Dem Parlament kommen als politischem Repräsentationsorgan erweiterte Untersuchungsmöglichkeiten ZU57. Das Kriterium des öffentlichen Interesses muß als Korrelat dieser erweiterten Befugnisse eine besondere Bedeutung haben. Dies erkennt auch Böckenförde58 • Um ein Ausufern der parlamentarischen Untersuchungstätigkeit zu verhindern, bedarf es einer restriktiven Auslegung dieses Kriteriums 59 • Läßt man aber auch rein faktische öffentliche Interessen ausreichen, könnten parlamentarische Untersuchungsgremien zu Instrumenten der Befriedigung allgemeiner Neugier verkommen. Die Vorbereitung jeder politischen Willensäußerung wäre durch Ausforschung der privaten Verhältnisse des Bürgers möglich. Nimmt man die Beschränkung durch das öffentliche Interesse als Ausfluß rechtsstaatlicher Freiheitssicherung ernst, so muß der zu behandelnde Untersuchungsgegenstand nach objektiven Kriterien für Staat und Gesellschaft von Bedeutung sein60 • Das öffentliche Interesse liegt also nur vor, wenn sich der Untersuchungsgegenstand auf eine Angelegenheit bezieht oder mit ihr in Zusammenhang steht, der eine Bedeutung für konkretes staatliches Handeln oder die Arbeit staatlicher Institutionen zukommt 61 • 53 54

55 56

57 58

59 60

Böckenförde, AÖR 103, 1, 15. Böckenförde, aaO, 15. Böckenförde, aaO, 15. Ähnlich Linck, ZRP 1987, 1\, 14. Vgl. unten 1. Teil, C. I. 3. b. Böcke1!förde, AÖR 103,1, 14; vgl. Di Fabio, S. 41. Ähnlich Schröder, S. 21 ff. So auch Schleich. S. 32.

61 In ähnlicher Weise hat das BVerfG das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Affare "Neue-Heimat" nicht damit begründet, daß der Skandal öffentliches Interesse erregt hat,

I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

27

Freilich ist auch mit dieser Definition des öffentlichen Interesses der Schutz der Privatsphäre relativ gering. Auch bei entgegenstehenden privaten Interessen könnte ein überwiegendes öffentliches Interesse einen Eingriff durch eine parlamentarische Untersuchung rechtfertigen. Die Grenzziehung dürfte auch insoweit schwerfallen. Dies zeigt, daß das Kriterium des öffentlichen Interesses normativ keinesfalls hinreichend definiert ist 62 • Gleichwohl erhält es eine besondere Bedeutung. Es kann nicht angenommen werden, daß bei der Ausweitung möglicher Untersuchungsgegenstände durch die Repräsentationsfunktion des Parlamentes jeder Antrag auf Einsetzung eines PUA das öffentliche Interesse quasi indiziert 63 • Ebensowenig kann es sich bei diesem Zulässigkeitskriterium um eine nicht justitiable nähere Umschreibung des Untersuchungsauftrages handeln. Dann wäre weder die Ablehnung eines Einsetzungsantrages wegen fehlenden öffentlichen Interesses noch die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung dieser Frage zulässig64 • Vielmehr wirkt der Begriff als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung, welche den Parlamenten zwar einen Beurteilungsspielraum läßt, jedoch gerichtlicher Nachprüfung unterworfen ist 65 • Die Vorstellung, daß über das Kriterium des öffentlichen Interesses eine weitgehende Aushöhlung der Rechte der Ausschußminderheit ermöglicht wird, trifft dann insoweit nicht zu, als bei einer weiten Fassung der Untersuchungskompetenzen nur Enqueten ausgegrenzt werden, die ausschließlich privaten Charakter haben 66 • Deshalb ist zu fordern, daß schon im Einsetzungsantrag eine Begründung des öffentlichen Interesses der konkreten Untersuchung gegeben und bei erkennbar entgegenstehenden Privatinteressen die Grundlagen des Abwägungsprozesses verdeutlicht werden. Nur so kann eine wirksame Überprüfung des Beurteilungsspielraums durch die Gerichte ermöglicht und ein gewisser Schutz Privater gegenüber ungerechtfertigter Inanspruchnahme durch einen PUA gesichert werden. Damit wird eine wirksame Beschränkung des Enqueterechts allerdings nur im Bereich ausschließlichen Privatinteresses möglich, und die dabei auftretenden schwierigen Abgrenzungsprobleme im Einzelfall werden keinesfalls gänzlich behoben. Das Kriterium des öffentlichen Interesses erweist sich jedoch gerade für den Schutz Privater als besonders bedeutsam. sondern hat den staatlichen Bezug des Skandals über die Gemeinnützigkeit der Gesellschaft hergestellt: BVerfGE 77,1,45; ebenso ist wohl die Entscheidung des BayVerfGH zu verstehen, in der begründet wird, warum die Entscheidung der DWK für den Ort Wackersdorf als Standort einer Wiederaufbereitungsanlage dem privaten Willensbereich des Unternehmens unterfalle, den auszuforschen einem PUA versagt sei: BayVerfGH, NVwZ 1986,822,824; vgl. auch Hilf, NVwZ 1987, 537, 539. 62 Vgl. Schröder, S. 21. 63 So aber Scholz, AÖR 105, 564, 595. 64 So aber Schneider, in AKGG, Art. 44 Rn. 11; ähnlich Meyer, Rechtsgutachten I, S. 65. 65 Einschränkend Di Fabio, S. 135. 66 Bedenklich aber die Entscheidung BayVerfGH, NVwZ 1986,822,6. Leitsatz, in der ein öffentliches Interesse an der Aufklärung verneint wurde, weil der Tatbestand angeblich offenkundig war.

1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

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3. Beschränkungen des Enqueterechts auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Entscheidungen des Parlaments Wie die obigen Ausführunge~ zeigen, sind allein mit der Korollartheorie und dem Kriterium des öffentlichen Interesses die gegenständlichen Grenzen des Untersuchungsrechts der Parlamente nur in wenigen Fällen eindeutig geklärt. Deshalb hat sich die staatsrechtliche Literatur schon frühzeitig bemüht, zur Differenzierung von zulässigen und unzulässigen Untersuchungen nicht nach den Untersuchungsgegenständen zu unterscheiden, sondern die zulässigen Untersuchungszwecke herauszuarbeiten 67 . Dabei sind eine Vielzahl von Enquetetypen unterschieden worden. Es sind Einteilungen in Gesetzgebungs- und Wahlenqueten, Enqueten zur Kontrolle von Regierung und Verwaltung sowie zur Wahrung des Parlamentsansehens und Mißstand- oder Skandalenqueten erfolgt68. Durch diese Einteilungen sind keine klaren Differenzierungen möglich. Sämtliche Untersuchungszwecke können sich überschneiden und überlagern. Ferner gibt beispielsweise die Bezeichnung einer Untersuchung als Skandalenquete keinen Anhaltspunkt für ihre Zulässigkeit 69 . Diese Einteilungsversuche geben nichts anderes wieder als die Kompetenzen des Parlaments und stellen deshalb nur andere Formulierungen für den Inhalt der Korollartheorie dar 70 . Sie sollen deshalb hier nicht weiter verfolgt werden. Anders verhält es sich dagegen mit einem Ansatz, der auf der Korollartheorie basierend, eine Untersuchungskompetenz nur in einem begrenzten Bereich von Beschluß- und Handlungskompetenzen des Parlaments annehmen will. Ein derartiger Ansatz ist, unter Geltung des Grundgesetzes, besonders von Halstenberg 71 weiterentwickelt worden 72 • Danach wäre eine parlamentarische Untersuchung nur zu dem Zweck zulässig, einen im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Parlaments liegenden, mit Rechtsverbindlichkeit ausgestatteten Hoheitsakt durch Ermittlung der dabei zu berücksichtigenden Tatsachen vorzubereiten 73 . Die Untersuchung muß nach dieser Auffassung immer auf einen verfassungsmäßig zulässigen Beschluß des Parlaments abzielen, der durch die "Hauptfunktionen" des Gremiums bestimmt ist und rechtlich verbindliche Wirkungen entfalten kann 74 . Dazu zählen etwa Gesetzesbeschlüsse, PräsidenVgl. beispielsweise Kaufmann, S. 18 fT. Vgl. nur Maunz, MID/H, Art. 44 Rn. 4; Partsch, S. 21; Mensching, S. 17 fT.; Gascard, S. 78 fT.; Müller-Boysen, S. 27 fT.; Schnabel, S. 4 fT. 69 Vgl. dazu die umfängliche Untersuchung von Mayer, Rechtsgutachten 11, S. 17 fT. 70 Vgl. Müller-Boysen, S. 27. 71 Halstenberg, S. 34 fT. 72 Vgl. zum Überblick Memminger, DÖV 1986, 15, 16. 73 Halstenberg, S. 50; vgl. zur älteren Literatur: Zweig, ZfP 1913, 265,267; Lammers, in HDStR, § 94, S. 467. 74 Halstenberg, S. 34 fT.; Kaufmann, S. 22, wiedergegeben auch bei HessStGH, DÖV 1967, 51,55. 67 68

I. Verfassun~rechtliche Schranken des Enqueterechts

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tenanklagen oder Mißtrauensvoten 75. Ausgeschlossen wären Untersuchungen, die allein zur Vorbereitung eines schlichten Parlaments beschlusses, z. B. einer Empfehlung des Parlaments, ins Leben gerufen würden 76 • a) Die Begründung dieses Ansatzes

Die Beschränkung des Enqueterechts auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Parlamentsentscheidungen wird damit begründet, daß die Ausübung eines obrigkeitlichen Untersuchungsrechts, welches weitreichende Mitwirkungspflichten der Auskunftspersonen zur Folge habe, einer Rechtfertigung bedürfe. Diese Rechtfertigung könne aber nur dort gesehen werden, wo über die lediglich instruktive Wahrheitsermittlung hinaus ein rechtlich anerkannter konstruktiver Zweck verfolgt werde 77 • Ein solcher liege aber nur vor, wenn die Wahrheitsermittlung erforderlich sei, um bestimmte Hoheitsakte auf der Grundlage von bisher unbekannten Tatsachen zu erlassen. Das Parlament sei zwar befugt, alle Gegenstände des öffentlichen Lebens zu diskutieren. Fehle aber das Recht des Parlaments, für den zu untersuchenden Gegenstand eine rechtsverbindliche Entscheidung zu treffen, sei es nicht gerechtfertigt, sich zur Sammlung des Materials des Rechtszwanges gegenüber dem Bürger zu bedienen, der öffentlich sein privates Wissen zu offenbaren habe 7s • Ein lediglich politisches, nicht durch eine verfassungsmäßige Zuständigkeit gedecktes Interesse, genüge deshalb nicht zur Rechtfertigung einer parlamentarischen Untersuchung. In jüngster Zeit hat sich Mayer im Rahmen eines Rechtsgutachtens zur Zulässigkeit des Bundestagsausschusses "Neue-Heimat" mit der Frage der Zulässigkeit von Enqueten zur Vorbereitung von Empfehlungen des Parlamens auseinandergesetzt 79. Er kommt zu dem Ergebnis, daß eine unverbindliche Empfehlung als Untersuchungsziel die Einsetzung eines PUA nicht rechtfertigen kannso. Begründet wird dies damit, daß derartige Untersuchungen eine Durchbrechung der dem Parlament durch die Verfassung vorgegebenen Grenzen der Verbandskompetenz und des Gewaltenteilungsprinzips darstellen können. Darüber hinaus würden Empfehlungsenqueten, die zudem von einer Parlamentsminderheit erzwungen werden könnten, den grundrechtlichen Schutz der Bürger unzulässig verkürzen. Die Grundrechte stünden zur Disposition einer Parlamentsminderheit Sl •

75 76 77 78

79 80 81

Vgl. auch Überblicke bei Böckenjörde, AÖR 1978, 1,6; Memminger, DÖV 1986, 15, 16. Mayer, Rechtsgutachten 11, S. 42 ff. Halstenberg, S. 23. Halstenberg, S. 47 f. Mayer, Rechtsgutachten 11, S. 42 ff. Mayer, Rechtsgutachten 11. S. 59. Mayer, Rechtsgutachten 11. S. 57.

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1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

Differenzierend äußerte sich Schröder82 , der zwar Empfehlungsenqueten, soweit sie im Zusammenhang mit Gesetzgebungs- oder Kontrollmaterien stehen, zulassen, isolierte Empfehlungsenqueten jedoch ablehnen will. Er sieht insbesondere die Gefahr, daß Untersuchungen durchgeführt werden, bei denen von vornherein klar ist, daß sie keine Konsequenzen für Gesetzgebung und Verwaltung haben werden und dabei das schwere Geschütz der öffentlichkeitswirksamen Untersuchung mit Zwangsmitteln für mehr oder weniger beliebige politische Willensbekundungen des Parlaments, bis hin zur bloßen Diskriminierung aus politischen Erwägungen, eingesetzt werden könnte 83 • Eine Beschränkung der zulässigen Enqueten auf Vorbereitungen rechtsverbindlicher Entscheidungen des Parlaments hat in der strafrechtlichen Literatur auch Wagner befürwortet 84. Unter Bezugnahme auf Halstenberg kommt er, entgegen anderen Vertretern dieser Ansicht, auch zu einer Beschränkung im Bereich der Kontroll- und Mißstandsenqueten. Auch dort soll eine parlamentarische Untersuchung nur möglich sein, wenn das Parlament bei der Untersuchung von Skandalen gegenüber den tatverdächtigen Personen eine Entscheidungskompetenz hat 8s • Dies sei nur bezüglich Ministern oder Abgeordneten, nicht aber gegenüber privaten Bürgern oder Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Fall. Damit kommt Wagner in konsequenter Anwendung dieser Grundsätze zu einer erheblichen Einschränkung der Kontrollmöglichkeiten des Parlaments gegenüber der Exekutive 86 • Wagner begründet seine Auffassung allein für sogenannte Untersuchungen mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck 87 , weil hier die rechtsstaatlichen Sicherungen, die im Verfahren vor den Strafgerichten gegeben sind, fehlen. Da der Abschlußbericht eines PUA nach Art. 44 Abs. 4 GG 88 der richterlichen Erörterung entzogen sei, habe eine Person, deren schuldhaftes Verhalten im Bericht festgestellt werde, keinerlei Rechtsmittel 89. Stelle sich später, im Verfahren der Staatsanwaltschaft heraus, daß der Verdacht nicht einmal ausreiche, eine öffentliche Klage zu erheben, so bleibe der Verdächtige in seinem Ansehen gemindert 90. Außerdem entbehre das Verfahren der Untersuchungsausschüsse aller rechtsstaatlicher Garantien. Die Parlamentarier seien weder neutrale Ermittler noch regelmäßig fachlich qualifizierte Personen, die eine sinngemäße Anwendung der StPO gewährleisten könnten. Sie könnten außerdem nicht Schröder, S. 24 ff. Schröder. S. 24. 84 Wagner, GA 1976, 257, 261. 85 Wagner, GA 1976, 257, 261. 86 Anders dagegen Mayer, Rechtsgutachten II, S. 38, der schon historisch die Kontrolle von Verwaltung und Regierung für insgesamt zulässig hält. 87 Wagner, GA 1976,257,261, zurückgehend auf Halstenberg, S. 38 f. 88 Vgl. die gleichlautenden Vorschriften der Länderverfassungen im Anhang. 89 Vgl. auch Maunz, in M/D/H, Art. 44 Rn 65. 90 Wagner, GA 1976, 257, 263. 82

83

I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

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einmal wegen Befangenheit abgelehnt werden. Es gelte im Untersuchungsverfahren weder der Grundsatz der Mündlichkeit noch der Unmittelbarkeit, und eine Verfahrenskontrolle durch die Öffentlichkeit könne durch schlichten Beschluß des Ausschusses verhindert werden 91 • Das Fehlen dieser rechtsstaatlichen Sicherungen rechtfertige deshalb eine Beschränkung des Untersuchungsrechts auf Gegenstände, bei denen eine rechtsverbindliche Entscheidung des Parlaments möglich sei 92. So sehr Wagner damit Recht haben mag, daß die derzeitige Ausgestaltung des Verfahrens der PUAe rechtsstaatlich erhebliche Bedenken aufwirft 93 , so wenig kann dies als Begründung dafür überzeugen, den Zuständigkeits bereich der Parlamente für Untersuchunsverfahren einzuschränken. Warum sollte ein rechtsstaatlich bedenkliches Verfahren dadurch besser werden, daß seine Auswirkungen auf einen kleineren Personenkreis beschränkt werden? Muß ein Minister, dessen besondere Verantwortlichkeit gegenüber Parlament und Öffentlichkeit nicht geleugnet werden soll, aufgrund seiner besonderen Stellung einen Verzicht rechtsstaatlicher Garantien hinnehmen, der für andere Personen zur Unzulässigkeit des Verfahrens führt? Wagners Begründungsansatz kann seine Argumentation nicht tragen. Es kann nämlich nicht darum gehen, ein bedenkliches Verfahren auf wenige Personen zu beschränken, sondern es muß darum gehen, die rechtsstaatlichen Garantien auch im Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu gewährleisten. Es bleibt jedoch zu klären, ob die oben ausgeführten verfassungsrechtlichen Argumente eine Beschränkung des Enqueterechts auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Entscheidungen rechtfertigen können. Gegen eine derartige Beschränkung bestehen erhebliche staatsrechtliche und parlamentspraktische Bedenken. b) Kritische Würdigung dieses Ansatzes

aa) Staatsrechtliche Argumente

Eine Beschränkung des Enqueterechs im oben beschriebenen Sinne, die vom hessischen StGH als herrschende Auffassung bezeichnet wurde 94 , stößt auf Bedenken, die mit den erweiterten Funktionen eines Parlaments im modernen Verfassungsstaat in Zusammenhang stehen. Diese Bedenken hängen somit nicht ausschließlich mit den speziellen Beschränkungen des Enqueterechts zusammen, sondern auch mit der Beschreibung der Funktionen des Parlaments, aus der sich 91

92 93 '>4

Wagner, aaO, S. 263. Wagner, aaO, S. 262. Vgl. dazu Maunz, in M/D/H, Art. 44 Rn 54; unten 2. Teil, A.

HessStGH, DÖV 1967, 51, 55.

1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagede\ikte

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die Zuständigkeit eines Untersuchungsausschusses nach der Korollartheorie ableitet. Der in der Literatur bestehende Streit um die gegenständlichen Grenzen parlamentarischer Untersuchungstätigkeit hat seinen Ursprung deshalb in einer unterschiedlichen Bewertung des Kompetenzumfangs der Parlamente selbst 95 • Eine Beschränkung de~ Enqueterechts auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Parlamentsbeschlüsse ist konsequent, wenn man die Funktionen des Parlaments auf diejenigen begrenzt, welche durch die Zuweisung rechtlicher Zuständigkeiten in der Verfassung dem Parlament ausdrücklich übertragen sind. Sämtliche Parlamentsfunktionen müßten demnach der Verfassung zu entnehmen sein. Weitergehende Funktionen hätte das Parlament nicht. Diese Auffassung, die insbesondere zur Zeit der Weimarer Republik vertreten wurde96 , liegt erkennbar auch der Argumentation Halstenbergs zugrunde. Er leugnet zwar nicht, daß dem Parlament nach modernem Verfassungsverständnis eine praktisch unbegrenzte Beratungsbefugnis zusteht und es deshalb auch solche Gegenstände diskutieren darf, hinsichtlich derer eine verfassungsmäßig vorgesehene konkrete Maßnahme unter keinen Umständen in Betracht kommt 97 • Deutlich grenzt er jedoch diese Befugnis von den "Hauptzuständigkeiten" des Parlaments ab 98 und mißt ersteren aufgrund ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit kaum Bedeutung bei. Damit wird jedoch die Gleichwertigkeit der Informations-, Repräsentations- und Kontrollfunktion gegenüber etwa der Gesetzgebungsfunktion geleugnet. Die "Hauptfunktionen", die durch die Zuweisung von Zuständigkeiten in der Verfassung festgelegt sind, erhalten einen herausgehobenen Stellenwert. Böckenförde hat überzeugend dargelegt 99 , daß obiger Auffassung eine Vorstellung von Parlamentszuständigkeiten zugrundeliegt, wie sie im Verfassungssystem der konstitutionellen Monarchie gegeben war. In diesem System hatte das Parlament allein die Funktion, die Ausübung von Staatsgewalt durch den Monarchen zu begrenzen, soweit ihm die Verfassung dafür die Kompetenz einräumte lCXl • In einer demokratisch-parlamentarischen Verfassungsordnung erhält jedoch insbesondere die Repräsentationsfunktion des Parlaments einen herausgehobenen Stellenwert. Nicht umsonst wird die Volksvertretung als das "Forum der Nation" bezeichnet, auf dem die Auseinandersetzung über die Richtung der Politik stattfindet 101. Das Parlament wird dadurch zu einem politischen Gestaltungsfaktor ersten Ranges, zur Legitimationsquelle und Verantwortunsinstanz der Politik zwischen den Wahlen 102 • Damit einhergehend sollen sich die Vgl. Memminger. OÖV 1986, 15, 16; vgl. auch Thedick, JA 1988,423,424. Vgl. Böckenförde. AÖR \03, I, 6, der sie als "ältere Auffassung" bezeichnet. 97 Halstenberg. S. 46. 98 Ebenda, S. 38 f. 99 Böckenförde. AÖR \03, 1, 6 f. 100 Vgl. Stern, StaatsR I, S. 579. 101 Vgl. schon Smend, S. 245; Kölble, OVBI. 1964, 701, 703.

95

96

I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

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Bürger im Handeln der Repräsentationsorgane wiederfinden können, in ihren unterschiedlichen Auffassungen ebenso wie in dem, was sie gemeinsam für richtig halten und wollen lO3 • Die Repräsentationsfunktion ist demnach für das parlamentarische Regierungssystem ein wesentliches Element. Aus ihr erwächst dem Parlament auch der Bereich ungeschriebener politischer Zuständigkeiten. Damit erhält die Volksvertretung im modemen Verfassungsstaat das Recht, zu jeder politischen Frage durch Entschließungen, Empfehlungen oder Mißbilligungen zwar rechtlich unverbindlich, aber doch mit erheblicher politischer Bedeutung, eine Stellungnahme als Repräsentant des ganzen Volkes abzugeben. Erkennt man diese Funktionserweiterung des Parlaments an 104, läßt sich nicht begründen, warum diesem Bereich das parlamentarische Untersuchungsrecht verschlossen bleiben soll. Da auch in diesem Bereich das Parlament ein erhebliches Informationsdefizit gegenüber der Exekutive hat, macht man ihm die Aufgabenwahrnehmung unmöglich, wenn der Einsatz des wichtigsten parlamentarischen Instruments zur Informationsgewinnung verwehrt bleibt 105. Es besitzt nämlich keine Möglichkeit, die gesellschaftliche Wirklichkeit mit administrativen Mitteln zu erforschen. Im System der repräsentativen Demokratie muß deshalb das parlamentarische Enqueterecht auch zur Vorbereitung sogenannter schlichter Parlamentsbeschlüsse lO6 zulässig sein lO7 • Daraus kann allerdings keine Allzuständigkeit der Parlamente in bezug auf ihr Untersuchungsrecht gefolgert werden. Es ist auch keineswegs richtig, wie Böckenförde meint 108, daraus eine grundsätzliche Zulässigkeit für Mißstandsund Skandalenqueten auch außerhalb von Regierung und Verwaltung ableiten zu wollen. Vielmehr müssen auch derartige Untersuchungen innerhalb der Grenzen der föderalen und gewaltengeteilten Struktur der Verfassung bleiben und ein hinreichendes öffentliches Interesse an der Aufklärung beanspruchen können. Damit wird den durch die Korollartheorie aufgezeigten Beschränkungen des Enqueterechts aus dem Art. 30 GG und dem Gewaltenteilungsprinzip Rechnung getragen. Keinesfalls wird die Verbands kompetenz und die gewaltenteilende Organdifferenzierung ausgehöhlt, wie Mayer befürchtee 09 • Der Bundestag darf deshalb in keinem Fall Empfehlungsenqueten installieren, die

102 103 104

Stern. StaatsR 11, S. 47. Böckenforde in FS für Eichenberger, S. 319.

Eine Funktionserweiterung des Parlaments gegenüber der Weimarer Zeit erkennt auch

Mayer, Rechsgutachten 11, S. 20, an. 105 So auch Di Fabio, S. 39; Schenke, JZ 1988, 805, 808. 106 Zur Bezeichnung vg!. Thoma, HDStR 11, S. 221; Stern, StaatsR 11, S. 48 m.w.N. 107 Vgl. Böckenförde, AÖR 103, 1,8; Di Fabio, S. 39; zu diesem Gesichtspunkt auch Plagemann, ZfPar!. 1977, 242, 248. lOS Böckenjörde, AÖR 103, I, 10 f. 109 Meyer, Rechtsgutachten 11 S. 54 ff. 3 Buchholz

1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

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sich ausschließlich mit Landesaufgäben beschäftigen oder in die Kompetenz anderer Verfassungsorgane fallen llo . Die Argumentation von Halstenberglli und Wagner 112 , das Parlament sei zwar befugt, alle Gegenstände des öffentlichen Lebens zu diskutieren, zur Sammlung des Materials dürfe hierfür aber nicht der Rechtszwang gegen den Bürger eingesetzt werden, verdeutlicht zwar die Notwendigkeit von Beschränkungen des Enqueterechts. Sie kann aber keinerlei Anhaltspunkte dafür liefern, warum gerade eine Beschränkung auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Parlamentsentscheidungen gegeben sein soll. Ebensogut kann diese Argumentation genutzt werden, um eine Beschränkung durch eine restriktive Auslegung des "öffentlichen Interesses" zu erreichen ll3 . Diese Erwägungen zeigen, daß es für die Klärung der Zulässigkeit einer parlamentarischen Untersuchung auf die Zweckrichtung nicht ankommen kann. Ob das Parlament eine Enquete zur Vorbereitung eines Gesetzes durchführt, kann letztlich erst beurteilt werden, wenn nach Abschluß der Arbeit entweder das Gesetzgebungsvorhaben in Angriff genommen wird oder nicht. Damit hinge die Klärung der Zulässigkeit parlamentarischer Untersuchungen von später eintretenden Ereignissen ab, oder es müßte auf die Erforschung der Motivation antragstellender Parlamentarier abgestellt werden 1l4 • Dies würde nicht nur zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, sondern eine Überprüfung der Zulässigkeit nahezu unmöglich machen. Ganz auf dieser Linie liegen auch neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 1l5 • Es stellt nicht darauf ab, ob es sich um Gesetzgebungs- oder Kontrollenqueten handelt oder ob rechtsverbindliche Entscheidungen des Parlaments vorbereitet werden sollen. Als Grenzen des Enqueterechts sieht es das Föderativ-und das Gewaltenteilungsprinzip sowie das Bestehen eines öffentlichen Interesses von hinreichendem Gewicht, wobei es explizit auf den oben beschriebenen 1l6 Staatsbezug der Untersuchung abhebt ll7 • Ausdrücklich erklärt das Gericht, daß Untersuchungsausschüsse auch zur Vorbereitung unverbindlicher Entscheidungen des Parlaments zulässig sind, soweit sie sich in den oben beschriebenen Grenzen bewegen 118. BVerfG 77, 1,44; 67, 100, 139. Halstenberg. S. 47. 112 Wagner. GA 1976, 257, 261. IIJ s. o. 1. Teil, C. I. 2. 114 Vgl. dazu Mayer, Rechtsgutachten I, S. 67 ff., der untersucht, ob die Firmierung des "Neue-Heimat-Ausschusses" als Gesetzgebungsenquete nur vorgeschoben war und deshalb "repräsentative Äußerungen" der Antragsteller betrachtet. 115 BVerfGE 67,100,139; 77,1,44; vgLletzterem vorgehend auch LG Frankfurt, NJW 1988, 787,788; LG Bonn, NJW 1988,790,791. 116 s. o. 1. Teil, C. I. 2. 117 BVerfGE 77, I, 44 f. 118 BVerfGE 77, 1,44. 110

111

I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

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bb) Parlamentspraktische Bedenken

Insbesondere die Auslegungen Wagners und Halstenbergs l19 können auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität kaum Bestand haben. Sie wollen vor allem für personell-bestimmte Ermittlungen l20 die Zulässigkeit restriktiv handhaben. Die Einsetzung eines PUA zur Untersuchung des Fehlverhaltens einer Person wäre danach nur zulässig, wenn dem Parlament eine Entscheidungskompetenz gegenüber dieser Person zustünde, beispielsweise durch eine Präsidentenanklage nach Art. 61 GG oder ein konstruktives Mißtrauensvotum. Gegenüber Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder Privaten wäre demnach eine derartige Untersuchung mangels Entscheidungskompetenz unzulässig l2l • Daß diese Begrenzung in der Praxis zu unlösbaren Schwierigkeiten führen würde, zeigt schon das Beispiel des 1. PUA des 11. Schleswig-Holsteinischen Landtages, besser bekannt als Barschel-Pfeiffer-Ausschuß 122 • Eine Untersuchung des Fehlverhaltens des Ministerpräsidenten wäre ohne die gleichzeitige Untersuchung der Handlungen seines Referenten unmöglich gewesen. Eine gegen letzteren geführte Untersuchung wäre nach den obigen Grundsätzen allerdings rechtswidrig gewesen. Nach dem Tod des Ministerpräsidenten hätte eine Aufklärung ganz unterbleiben müssen, weil der Landtag weder gegenüber den Ministern, noch den Beamten der Exekutive eine Entscheidungskompetenz hat 123. Oftmals wird sich also die Untersuchung des Fehlverhaltens einer Person ohne die Untersuchung der Handlungen Dritter nicht vornehmen lassen, entweder weil sie sich als Duldung oder als Anstiftung der Dritthandlungen darstellt. Formal mag weiterhin die Untersuchung z. B. gegen den Regierungschef geführt werden, faktisch richtet sie sich jedoch auch gegen die Person, gegenüber der das Parlament eine Entscheidungskompetenz nicht hat. Die Aufklärung eines Bauskandals, in den ein Bausenator oder -stadtrat verstrickt ist 124, bleibt unmöglich, wenn nicht die Praxis der beteiligten Baufirmen beleuchtet werden darf. Eine Trennungslinie dort zu ziehen, wo eine Untersuchung entweder noch gegen den Senator oder schon gegen Private geführt wird, wie dies Wagner vorschlägt 125, ist nicht nur unpraktisch, sondern unmöglich. Hält man aber auch die Untersuchungen für unzulässig, die zumindest faktisch auch gegen Dritte Wagner, GA 1976,257,262; Halstenberg, S. 40. denen Untersuchungen mit generellem Ermittlungszweck gegenübergestellt werden: vgl. Halstenberg, S. 38. 121 Wagner, GA 1976, 257, 261. 122 LT-Drs. 11/8 (neu) und 11/13. 123 In Schleswig-Holstein gibt es weder eine Ministera!}klage noch verlieren die Minister durch konstruktives Mißtrauensvotum automatisch ihre Amter, da eine Art. 69 Abs. 2 GG entsprechende Vorschrift nicht existiert, vgl. § 6 Abs. 2 Landesministergesetz. 124 Vgl. das sog. "Antes-Verfahren" des Berliner Abgeordnetenhauses, Drs. 10/585; 10/595; dazu insbesondere Vetter, DÖV 1987,426 ff. 125 Wagner, GA 1976,257,262. 119

120

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I. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

geführt werden, spricht man damit implizit das Verbot von Skandalenqueten aus. Denn ein Skandal, bei dem allein Personen beteiligt sind, gegenüber denen das Parlament Entscheidungskompetenz hat, mag zwar theoretisch denkbar sein, praktisch ist dieser Fall aber kaum vorstellbar. Darüber hinaus ist eine Beschränkung des Enqueterechts nicht gegeben, wenn nur für jeden Untersuchungsgegenstand eine mögliche rechtsverbindliche Entscheidung des Parlaments gesucht werden muß, zu deren Vorbereitung der PUA tätig wird. Sie provoziert außerdem eine Motivforschung gegenüber den Antragstellern und privilegiert diejenigen, die mit heruntergelassenem Visier kämpfen. Die Beschränkung kann nämlich leicht durch die Formulierung eines Ziels der Untersuchung umgangen werden, welches eine rechtsverbindliche Maßnahme des Parlaments darstellt. Will man eine Untersuchung gegen einen Beamten des öffentlichen Dienstes führen, so genügt als Zielvorgabe eine etwaige Änderung des Landesbeamtengesetzes, um die Zulässigkeit der Untersuchung zu erzeugen 126 . Insbesondere hinsichtlich des Untersuchungsausschußgesetzes des Abgeordnetenhauses von Berlin (BerlUAG), an welchem Wagner die gelungene Beschränkung des Enqueterechts verdeutlichen will 127 , lassen sich die Unzulänglichkeiten dieser Regelung aufzeigen. Nach § 1 BerlUAG hat ein PUA die Aufgabe, zur Vorbereitung von Entscheidungen des Abgeordnetenhauses einzelne Tatbestände aufzuklären. Wagner meint, daß damit die Beschränkung auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Entscheidungen gesetzlich normiert sei. Die Entscheidungen der Berliner Gerichte und die Praxis des Abgeordnetenhauses zeigen jedoch, daß die Auslegung Wagners unzutreffend ist. So lag dem Parlament in der 6. Wahlperiode ein Antrag auf Einsetzung eines PUA vor, der die Frage klären sollte, "ob der Präsident der Freien Universität die ihm nach § 8 UniG übertragenen Aufgaben gesetzestreu wahrgenommen habe" 128. Obwohl das Parlament keinerlei Entscheidungsbefugnis gegenüber dem Universitätspräsidenten besitzt, wurde ein entsprechender Einsetzungsbeschluß gefaßt 129 • Für zulässig gehalten wurde die Enquete unter dem Aspekt der Feststellung von Strukturmängeln des Universitätsgesetzes. Als Ziel wurde demgemäß die Novellierung dieses Gesetzes ins Auge gefaßt 130. Mit der Begründung eines Gesetzesvorhabens wurde also die Untersuchung des Fehlverhaltens eines öffentlich Bediensteten gerechtfertigt 131. Daraus wird deutlich, daß sich letztlich für jede Materie, auch bei "personell-bestimmten" Ermittlungen, ein rechtsverbindlicher Anknüpfungspunkt finden läßt. 126 127

128 129 lJO I31

Vgl. dazu oben I. Teil, C. I. 3. b. bb. Wagner. GA 1976, 257, 261. Drs. 6/85. PIPr. 6/9 vom 24.06.1971, S. 184, 186; PIPr. 6/11 vom 8.07.1971, S. 248. Drs. 6/103; vgl. zum gesamten auch Härth. ZfParl 1972,463,464. Ähnlich "Antes-Verfahren", Drs. 10/585; vgl. Vetter. DÖV 1987, 426ff.

I. Verfassungsrechtliche Schranken des Enqueterechts

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Eine Beschränkung des Enqueterechts im Wagnerschen Sinne mag zwar durch das BerlUAG angestrebt worden sein 132 • Sie ist jedoch in praxi nicht eingetreten 133 und wäre außerdem auch nicht praktikabel. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß eine Beschränkung des parlamentarischen Untersuchungsrechts auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Entscheidungen aus staatsrechtlichen und parlamentspraktischen Gründen abzulehnen ist. 4. Beschränkungen des Enqueterechts auf die Vorbereitung einer Beschlußfassung im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit der Parlamente

Im Anschluß an die Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der deutschen Länderparlamente zur Regelung des Verfahrens der Untersuchungsausschüsse von 1961, in denen es unter Punkt 1.2. heißt, daß eine Untersuchung zulässig ist, wenn sie geeignet ist, dem Parlament Grundlagen für eine Beschlußfassung im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit zu vermitteln 134, haben sämtliche UAGs der Länder - bis auf das Saarland - diese "Zulässigkeitsvoraussetzung" aufgenommen 135 • Nimmt man an, daß damit keine Beschränkung auf rechtsverbindliche Beschlüsse gemeint ist 136, so stellt sich die Frage, ob durch diese Normen das Enqueterecht beschränkt wird. Eine Vorschrift, die bestimmt, daß ein PUA nur zur Vorbereitung eines Beschlusses im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Parlaments eingesetzt werden darf, sagt nichts weiter aus, als daß durch die Einsetzung die Kompetenz des Parlaments nicht überschritten werden darf 137 • Dies ergibt sich jedoch schon zwingend aus der Stellung des PUA als Hilfsorgan des Parlaments und gibt deshalb nichts anderes wieder als den Inhalt der Korollartheorie. Derartige Vorschriften sind somit eigentlich überflüssig, jedenfalls beinhalten sie keine über die Korollartheorie hinausgehende Einschränkung des Enqueterechts 138 132 was schon zweifelhaft ist, weil dieser Punkt in den Beratungen kaum problematisiert wurde, vgl. die Prot. der 59. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 23.10.1969, S. 575 ff. und der 75. Sitzung vom 11.06.1970, S. 355; insoweit sind die Zitate bei Wagner, GA 1976,257,261 Fn 37, wenig hilfreich. 133 Vgl. auch Schröder, S. 24; Böckenförde, AÖR \03, 1, 8. IJ4 Vgl. Anhang; abgedruckt auch in ZfParl 1972,433 ff. 135 In Bremen heißt es statt "Beschlußfassung" Beratung: vgl. Anhang; s. auch Schröder, S.23. 136 So aber Mayer, Rechtsgutachten 11, S. 45, dann gilt das unter 3. gesagte; a.A. Memminger, DÖV 1986,15,21; Schröder, S. 23 f.; nach Böckenförde, AÖR \03, 1,8 Rn \0 bleibt dies offen. lJ7 So auch Memminger, DÖV 1986, 15, 21. 138 So aber BayVerfGH, NVwZ 1986, 822, 823: "Die Tätigkeit von PUAen ist inhaltlich durch die Zuständigkeit des Landtages und funktionsmäßig dadurch beschränkt, daß sie auf die Vorbereitung künftiger Beschlüsse des Landtages gerichtet sein muß."

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1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

5. Schranken des Enqueterechts aus dem Bestimmtheitsgebot Keine Beschränkung des Enqueterechts im eigentlichen Sinne stellt das Erfordernis eines hinreichend bestimmten Einsetzungsantrages und -beschlusses dar. Es ist vielmehr Ausdruck der verfassungsimmanenten Grenzen des Enqueterechts und soll deren Beachtung gewährleisten 139 • Dies ergibt sich vorrangig aus dem Rechtsstaatsprinzip. Soweit Untersuchungsausschüsse befugt sind, in die Rechtssphäre des Bürgers einzugreifen, folgt hieraus das rechtsstaatliche Erfordernis, die Eingriffsvoraussetzungen für den Bürger meßbar und verläßlich festzulegen 140. Durch das Erfordernis der Bestimmtheit des Einsetzungsbeschlusses soll verhindert werden, daß innerhalb global angelegter Enqueten auch Gegenstände untersucht werden, die die Grenzen der Korollartheorie - insbesondere das Gewaltenteilungsprinzip - überschreiten 141 oder ein hinreichendes öffentliches Interesse nicht beanspruchen können. Bei der Konkretisierung des Grundsatzes sind allerdings bisher keine festen Kriterien gefunden worden, so daß die Entscheidung am Einzelfall ausgerichtet werden muß. Zweckmäßig und sinnvoll erscheint jedoch auch hier die Forderung, im Rahmen von Mißstands enqueten eine Verdachtsakzessorietät der Untersuchung zu fordern 142, um Ausforschungen "ins Blaue hinein" zu verhindern 143. Da Überschreitungen des Bestimmtheitsgebots nur im Einzelfall erkannt werden können und der Versuch einer Konkretisierung dieser Enquetebeschränkung hier nicht vorgenommen werden kann, soll dieser Ansatz hier nicht weiter verfolgt werden. Letztlich wird sich eine Überschreitung des Bestimmtheitsgebotes regelmäßig als Überschreitung der durch die Korollartheorie oder das öffentliche Interesse gezogenen Grenzen darstellen. 6. Zwischenergebnis Die Untersuchung hat ergeben, daß die Einsetzung eines PUA zulässig ist, wenn der Untersuchungsgegenstand im Rahmen des Zuständigkeitsbereichs des Parlaments liegt, also die parlamentarische Behandlung nicht eine Maßnahme darstellt, die in die ausschließliche Kompetenz eines anderen Verfassungsorgans 139 Als gewichtige Schranke bezeichnen es: Depenheuer/Winands, ZRP 1988, 258, 259; Maunz, in M/D/H, Art. 44 Rn 11; Rechenberg, in BK, Art. 44 Rn 7; Schneider, in AKGG, Art. 44 Rn 6; Schmidt-Bleibtreu, Art. 44 Rn 5 jeweils m.w.N. 140 BayVerfGH, NVwZ 1986,822,823 f.; Hilf, NVwZ 1987,537, 539; Depenheuer / Winands,

ZRP 1988,258,260. 141 Zum Zusammenhang zwischen Gewaltenteilungsprinzip und Bestimmtheitsgebot vgl. Hilf, NVwZ 1987, 537, 539. 142 LG Frankfurt, NJW 1987,787,789; Depenheuer/Winands, ZRP 1988,258,262. 143 a.A. BayVerfGH, NVwZ 1986,822,824.

11. Formale Fehler bei der Einsetzung

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fallt. Darüber hinaus muß ein öffentliches Interesse von hinreichendem Gewicht an der Erörterung des Gegenstandes bestehen 144. Bei der Konkretisierung dieser Voraussetzungen ergeben sich jedoch vielfaltige Zweifelsfragen und schwierige Abgrenzungsprobleme. Aus der Sicht des Rechtsschutz suchenden Bürgers ist dieses Ergebnis wenig befriedigend. Gerade Enqueten, die in den privaten Bereich von natürlichen Personen oder Wirtschaftsunternehmen eindringen, sind allein durch restriktive Auslegung des Merkmals "öffentliches Interesse" zu verhindern 145. Vor diesem Hintergrund der relativ weiten Untersuchungsrechte der Parlamente bekommt die rechtsstaatliche Ausgestaltung des Verfahrens selbst, insbesondere gegenüber betroffenen Personen, eine besondere Bedeutung l46 •

11. Formale Fehler bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen Neben den verfassungsrechtlichen Beschränkungen des Enqueterechts, die den Untersuchungsauftrag eines PUA betreffen, könnten auch formale Fehler bei der Einsetzung des Ausschusses durch das Parlament die Rechtmäßigkeit der Untersuchung tangieren und deshalb Einfluß auf die Tatbestandsmäßigkeit von Aussagedelikten haben. Dies soll an einem, spezifisch bei der Installierung von Untersuchungsgremien immer wiederkehrenden Fehler, exemplarisch erörtert werden. Die Einsetzung eines PUA erfolgt durch einen Beschluß des Parlaments. Dieser Einsetzungsbeschluß stellt den konstitutiven Akt dar, durch den ein PUA zur Untersuchung eines konkreten Lebenssachverhaltes überhaupt erst ins Leben gerufen wird 147. Nach Art. 44 Abs. I Satz I GG und den insoweit gleichlautenden Bestimmungen der Landesverfassungen wird einem Viertel der Mitglieder des Parlaments l48 nicht nur das Recht zur Stellung eines Einsetzungsantrages gegeben, sondern dem Parlament grundsätzlich die Pflicht auferlegt, daraufhin ein Untersuchungsgremium einzusetzen. Die parlamentarische Behandlung dieser Minderheitsanträge hat in der Vergangenheit zu Problemen geführt. Nach heute wohl herrschender Auffassung erfordert die Einsetzung eines PUA auch bei einem Antrag einer qualifizierten Minderheit einen Beschluß des gesamten Parlaments 149. Vgl. auch BVerfGE 77, 1,44. Auch Di Fabio, S. 44, kommt zu dem Ergebnis, daß mit Kompetenzargumenten eine parlamentarische Untersuchung kaum abgewendet werden kann. 146 s. dazu unten 2. Teil, A. 147 HessStGH, DÖV 1967, 51, 56; vgl. auch Freihöfer, S. I ff. 148 In Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist nur ein Fünftel, im Saarland ein Drittel der Mitglieder des Parlaments erforderlich. 144

145

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I. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagede1ikte

Dieser Beschluß ist zwar quasi ein Pflichtbeschluß. Er erhält seine Berechtigung jedoch dadurch, daß das gesamte Parlament in ihm zum Ausdruck bringt, daß es von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Untersuchungsauftrages ausgeheso. Es muß die Einsetzung demnach ablehnen, wenn es den Untersuchungsauftrag für verfassungswidrig hält 151. Insbesondere wenn in der Plenardebatte über die Einsetzung Zweifel an der Zulässigkeit des Untersuchungsauftrages geäußert werden, muß der Parlamentspräsident somit eine formale Beschlußfassung über den Minderheitsantrag herbeiführen. In der Praxis wird gegen diese Grundsätze jedoch oft verstoßen. Selbst wenn Zweifel an der Zulässigkeit der Untersuchung bestehen, stellen Parlamenspräsidenten vielfach nicht einmal die Frage, ob sich gegen die Einsetzung Widerspruch erhebt 152. Sie stellen nur fest, daß das notwendige Minderheitsquorum erreicht und ein PUA deshalb eingesetzt ist 153. Diese Verfahrensweise ist aus den oben genannten Gründen unzulässig, weil sie den Parlamentariern keine Möglichkeit gibt, Zweifel an der Zulässigkeit der Untersuchung deutlich zu machen, und die verfassungswidrige Tätigkeit eines Ausschusses zu verhindern. Dieses Beispiel mag genügen, um zu zeigen, daß auch formale Fehler bei der Einsetzung eines PUA nicht selten sind. Im folgenden soll nun die Frage erörtert werden, welche Auswirkungen diese formalen Fehler und Überschreitungen der verfassungsmäßigen Beschränkungen auf die Tatbestandsmäßigkeit etwaiger Aussagedelikte haben.

III. Auswirkungen von Kompetenzüberschreitung oder fehlerhafter Einsetzung auf die Aussagedelikte Wie oben bereits skizziert wurde l54 , ist die falsche Aussage einer Auskunftsperson vor einem PUA nur strafbar, wenn sie vor einem Ausschuß abgegeben wurde, der zur eidlichen Zeugen- und Sachverständigenvernehmung zuständig war. Fraglich ist deshalb, ob ein Untersuchungsausschuß, der formal fehlerhaft eingesetzt wurde oder unter Überschreitung der oben erörterten Beschrän149 HessStGH, DÖV 1967,51,56; Hilf, NVwZ 1987,537,538; Partsch. S. 35; Amdt. AÖR NF 22,339,340; Schmidt-Bleibtreul Klein. Art. 44 Rn 6; Trossmann. § 63 GOBT, Rn 13 jeweils m.w.N.; a.A.: Maunz. in MID/H, Art. 44 Rn 35; v. MangoldtlKlein. Art. 44 Anm. III 4 b., jeweils m.w.N.; Damkowski. S. 151. ISO Stq~ Bremen vom 13.03.1978, abgedruckt bei Blümel/Ronellenjitsch. Anhang S. 17; Amdt. AOR NF 22,339,340; v. MangoldtlKlein. Art. 44 Anm. III 4 b; Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn. 38. 151 Schleich. S. 81 ff., spricht insoweit von einem Einsetzungsverbot. 152 Diese Praxis wäre noch zu tolerieren, vgl. Rechenberg. in BK, Art. 44 Rn 6 m.w.N. 153 Vgl. zuletzt die Einsetzung des "U-Boot-Ausschusses" des Deutschen Bundestages Protokoll der 8. Sitzung des 11. Dt. BT. vom 2.04.1987, Blatt 439. ' 154 s. o. I. Teil, B.

III. Auswirkungen der "fehlerhaften Einsetzung"

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kungen des Enqueterechts eine Untersuchung durchführt, gleichwohl die Zuständigkeit zur eidlichen Vernehmung hat und daher die Erfüllung der Tatbestände der §§ 153 ff. StGB möglich ist. Auf den ersten Blick mag man diese Frage sofort mit einem klaren "Nein" beantworten wollen, weil ein fehlerhaft eingesetzter Ausschuß keine "zuständige Stelle" im Sinne der §§ 153 ff. StGB sein kann. Wie zu zeigen sein wird, liegen die Dinge bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen jedoch sehr viel komplizierter. Anders als den Gerichten ist den Parlamenten ein Beweiserhebungsrecht im Sinne eines Rechts zur Vernehmung und Vereidigung von Zeugen nicht ipso iure gegeben 155 • Vielmehr muß das Parlament als Träger des Untersuchungsrechts 156 einen Ausschuß einsetzen, wodurch dieser die Befugnis erhält, auch mit strafprozessualen Mitteln die Beweise zu erheben. Ein Parlament, das einen derartigen Ausschuß "fehlerhaft" einsetzt, weil es die oben skizzierten Beschränkungen überschreitet oder einen Verfahrensfehler bei der Beschlußfassung begeht, könnte gleichwohl einen Rechtsakt setzen. Dessen Unwirksamkeit ist nicht zwingend. Erst eine gerichtliche Außerkraftsetzung könnte seine Wirksamkeit aufheben. Denkbar wäre außerdem, daß zwar der Einsetzungsakt selbst als unwirksam bezeichnet werden müßte. Die auf seiner Grundlage vorgenommenen eidlichen Vernehmungen könnten jedoch zulässig sein, so lange die rechtswidrige Einsetzung nicht festgestellt ist. Fraglich ist deshalb, ob auch ein fehlerhaft eingesetzter PUA rechtliche Wirkungen im Außenverhältnis entfalten kann. Daß es auch hier keineswegs um rein theoretische Erörterungen geht, zeigt wiederum das aktuelle Beispiel des "U-Boot-Ausschusses" des Deutschen Bundestages l57 • Nachdem das AG Bonn auf Antrag des Ausschusses eine Beschlagnahmeanordnung verweigerte l58 , weil das Parlament bei der Einsetzung des PUA die verfassungsmäßigen Grenzen des Enqueterechts überschritten hat, stellt sich die Frage der Verfolgbarkeit von Aussagedelikten, die möglicherweise in den zahlreichen Beweisterminen vor dieser Feststellung begangen worden sein könnten. 1. Meinungsstand in der strafrechtlichen Literatur

In der strafrechtlichen Literatur hat sich bisher allein Wagner mit dieser Frage beschäftigtl59. Sein Aufsatz behandelt insoweit allein die Folgen eines unzulässigen Untersuchungsauftrages. Er geht davon aus, daß ein sachlich unzustän155 156

157 158 159

Wagner, GA 1976, 257, 260. Rechenberg, in BK, Art. 44 Rn 10; Maunz, in M/D/H, Art. 44 Rn 9. BT-Drs. 10/6709 und 1l/55. AG Bonn, NJW 1989, HOl, 1102. Wagner, GA 1976, 257, 258.

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1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

diger PUA nicht berechtigt ist, Auskunftspersonen zu laden, geschweige denn, sie zu vernehmen. Dem liegt erkennbar die Vorstellung zugrunde, daß die Einsetzung eines Ausschusses keinerlei rechtliche Wirkungen entfalten kann, wenn dabei die Beschränkungen des Enqueterechts überschritten werden. Demgemäß kommt diese Ansicht zu dem Ergebnis, daß die Tatbestände der §§ 153 ff. StGB vor derartigen Gremien nicht erfüllt werden können, weil es am Merkmal der "zuständigen Stelle" fehle 60 • Eine Begründung für diese Annahme gibt Wagner nur insoweit, als er die Bestimmungen der sachlichen Zuständigkeit als Begrenzung der Zwangsbefugnisse eines PUA erkennt. Nur innerhalb der Zuständigkeitsgrenzen sei der Ausschuß berechtigt, mittels Rechtszwangs den Bürger zur Offenbarung seines privaten Wissens zu veranlassen 161. So sehr man dem Ergebnis Wagners zustimmen mag, so wenig ist mit dieser Begründung allerdings gewonnen. Sie erklärt allein, daß die Nichteinhaltung der Enqueterechtsbeschränkungen zur Tätigkeit eines Ausschusses führt, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht entspricht, also rechtswidrig ist. Damit ist aber keineswegs begründet, daß diese rechtswidrige Einsetzung völlig wirkungslos ist. Vielmehr könnte man der Ansicht sein, daß zumindest bis zur Feststellung der Rechtswidrigkeit durch ein Gericht die verfassungsmäßige Bildung und Betätigung von Untersuchungsausschüssen vermutet wird l62 • Dann hätte die Auskunftsperson gegen ihre Ladung oder Zwangsvorführung durch den Ausschuß verwaltungsgerichtlich vorgehen müssen, um so die Kompetenzüberschreitung feststellen zu lassen. Hat sie dies nicht getan, könnte eine nachträgliche Berufung auf die Unzuständigkeit des Ausschusses auch bei der Prüfung etwaiger Aussagedelikte ausgeschlossen sein. Auch in anderen Bereichen staatlichen Handelns wird Rechtszwang gegenüber dem Bürger geübt, der zwar rechtswidrig sein mag, trotzdem jedoch als wirksam angesehen wird, wenn eine gerichtliche Anfechtung nicht erfolgt. So sind Verwaltungsakte grundsätzlich rechtlich wirksam, auch wenn sie rechtswidrige Zwangsmaßnahmen darstellen l63 • Wenn man begründen will, warum ein rechtswidrig eingesetzter PUA keine rechtlichen Befugnisse haben kann, also auch nicht das Recht zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, muß man zunächst den Rechtscharakter der Einsetzung selbst betrachten. Anschließend ist zu untersuchen, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus der Fehlerhaftigkeit derartiger Maßnahmen ergeben. Nur wenn belegt werden kann, daß formale oder materielle Fehler bei der Einsetzung eines PUA dazu führen, daß dieser von Anfang an kein Recht zur Eidesabnahme hat, können Aussagedelikte vor derartigen Gremien nicht begangen werden. 160 Wagner, GA 1976, 257, 258; im Ergebnis ihm folgend: DreherlTröndle, § 153 Rn 2; Rudolphi, in SK, § 154 Rn 4. 161 Wagner, GA 1976, 257, 258. 162 So ausdrücklich Schneider, in AKGG, Art. 44 Rn 6. 163 Erichsenl Martens, AllgVerwR, § 15 11 2.

III. Auswirkungen der "fehlerhaften Einsetzung"

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2. Der Rechtscharakter der Einsetzung eines PUA Die Installierung eines Untersuchungsausschusses erfolgt, wie bereits angeführt 164, durch einen Beschluß des Parlaments. Er wird entweder als "echter" 165 oder "schlichter" Parlamentsbeschluß 166 oder als innerparlamentarischer Rechtsakt 167 bezeichnet, wobei trotz dieser Nomenklatur keine sachlichen Differenzen in der Behandlung derartiger Akte zu erkennen sind. Man könnte nun zunächst versucht sein, die Einsetzung eines PUA in zwei rechtlich voneinander getrennte Bestandteile zu zerlegen. Die Konstituierung, die aus Einsetzung und Besetzung des Ausschusses bestünde, wäre dann rechtlich von der Erteilung des Untersuchungsauftrages zu trennen l68 • Diese rechtliche Aufspaltung hätte nicht nur zur Folge, daß ein verfassungswidriger Untersuchungsauftrag die Einsetzung des Ausschusses selbst unberührt ließe. Darüber hinaus wäre fraglich, ob formale Fehler bei der Einsetzung eines PUA in außerverfassungsrechtlichen Verfahren überprüft werden dürften. Die Einsetzung wäre danach nämlich ein rein innerparlamentarischer Organisationsakt, der Rechte Dritter nicht tangieren kann, weil er keinerlei Außenwirkung entfaltet. Weder bei der Überprüfung von Zwangsmaßnahmen noch bei der Prüfung von Aussagedelikten käme es dann auf formale Fehler der Einsetzung an. Eine rechtliche Aufspaltung des Einsetzungsbeschlusses im oben beschriebenen Sinne ist jedoch nicht möglich. Sie würde voraussetzen, daß die Konstituierung eines PUA auch ohne Untersuchungsauftrag denkbar wäre. Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG verknüpft jedoch mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses das Recht der Beweiserhebung und nimmt keinen Bezug auf den Untersuchungsauftrag. Nach dem Wortlaut der Verfassung erzeugt demnach nicht der verfassungsmäßige Auftrag das Beweiserhebungsrecht, sondern die ordnungsgemäße Konstituierung des Ausschusses. Wenn aber die Beschränkungen des Enqueterechts einen Sinn haben sollen, indem sie den Untersuchungsauftrag und damit die Zu lässigkeit von Beweiserhebungen begrenzen, muß der zulässige Untersuchungsauftrag materielle Voraussetzung für die Einsetzung sein. Darüber hinaus ist ein PUA ein sog. Sonder- oder Ad-hoc-Ausschuß, der nur für einzelne Angelegenheiten, also die Untersuchung konkreter Lebenssachverhalte, eingesetzt werden darf l69 • Nur im Untersuchungsauftrag, nicht aber in den formalen Einsetzungsvoraussetzungen, kommt dieser konkrete Bezug zum Ausdruck. Die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ohne Auftrag ist deshalb unmöglich. o. I. Teil, C. 11. Stern, StaatsR 11, S. 49. Klein, JuS 1964, 181, 184; Schmelter, S. 54. Achterberg, ParlamentsR, S. 747 ff., 753.

164 S. 165 166

167 168 169

Dies könnte aus der Entscheidung HessStGH, JR 1967,434,435, gefolgert werden. Vgl. dazu Rechenberg in BK, Art. 44 Rn 10; Badura, S. 316.

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I. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

Dies zeigt deutlich auch Art. 45 a GG, der den Verteidigungsausschuß als "geborenen" Untersuchungsausschuß betrifft 170. Erst durch die konkrete Einleitung der Untersuchung eines bestimmten Sachverhalts, bzw. durch den Beschluß über einzelne Untersuchungsgegenstände l7l , konstituiert sich der Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß 172 und erhält das Recht, mit Zwangsmitteln die Beweise zu erheben. Einsetzung eines PUA und Auftragserteilung lassen sich demnach rechtlich nicht trennen, sondern stellen die formale und materielle Seite ein und desselben Beschlusses dar. Soweit die verfassungsmäßigen Grenzen des Enqueterechts überschritten oder formale Fehler bei der Einsetzung gemacht werden, betreffen diese somit den gesamten Einsetzungsbeschluß. Fachgerichte, die Zwangsmaßnahmen eines Untersuchungsausschusses oder vor diesen begangene Aussagedelikte zu überprüfen haben, müssen demnach nicht nur die Zulässigkeit des Untersuchungsauftrages, sondern auch die formal ordnungsgemäße Einsetzung des Gremiums untersuchen 173 • Die rechtliche Behandlung eines derartigen Parlaments beschlusses weist insoweit Schwierigkeiten auf, als es sich um einen Akt der Legislative handelt, der nicht zur eigentlichen Rechtssetzung gehört, weil er keine abstrakt-generelle Regelung erzeugt 174. Vielmehr wird durch die Einsetzung eines PUA zur Untersuchung eines bestimmten Sachverhalts ein konkret-individueller Akt gesetzt, der gerade keine Norm, sondern ein Einzelakt ist 175 • Damit ist eine deutliche Nähe dieses Parlamentsaktes zum Verwaltungsakt festzustellen. Nicht ohne Grund werden diese Akte der Legislative im Schrifttum daraufhin überprüft, ob sie nicht eigentlich wie Verwaltungsakte behandelt werden müßten 176 • Bejahte man dies, so wäre der Einsetzungsbeschluß des Parlaments solange als wirksam anzusehen, bis erfolgreich gegen ihn vorgegangen wäre. Die Annahme eines Verwaltungsaktes scheitert allerdings schon daran, daß keine Maßnahme auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts vorliegt, sondern eher von einem Verfassungsrechtsakt gesprochen werden kann 177. Die Staatsrechtswissenschaft hat sich bezüglich derartiger Akte 178 besonders der Frage zugewandt, ob gegen sie eine Rechtsschutzmöglichkeit überhaupt besteht oder ob es sich um sogenannte ,justizfreie Hoheitsakte" handelt 179 • Die Vgl. Berg, in BK, Art. 4Sa Rn 220; Dürig, in M/D/H, Art. 4Sa Rn 8. Frank, in AKGG, Art. 4Sa Rn 44. 172 Berg, in BK, Art. 4Sa Rn 222; Dürig, in M/D/H, Art. 4Sa Rn 8. m BVerfGE 77, 1, 39. 174 Schmelter, S. 41. 175 Schmelter, S. 42. 176 Vgl. Schmelter, S. 43 tT. 177 Schmelter, S. 60. 178 Schenke, in BK, Art. 19 Abs. 4 Rn 220, bezeichnet sie als Regierungsakte.

170 171

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Frage der Rechtsfolgen bei festgestellter Rechtswidrigkeit ist nahezu unerörtert geblieben. Es verwundert somit nicht, daß die Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur, insbesondere in bezug auf die fehlerhafte Einsetzung eines PUA, eine dogmatisch fundierte Lösung kaum erkennen lassen. Gleichwohl sollen zunächst diese Äußerungen dahingehend betrachtet werden, ob sich daraus zumindest eine einheitliche Behandlung feststellen läßt. 3. Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur zu den Wirkungen eines ,,fehlerhaften" Einsetzungsbeschlusses

Soweit in Rechtsprechung und Literatur zu den Folgen einer formal oder materiell fehlerhaften Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Stellung genommen wird, ergibt sich kein einheitliches Bild. So meint Rechenberg l80 , daß diese Folgen zweifelhaft seien. Jedenfalls müsse man Behörden, Gerichten und Einzelpersonen, die im Rahmen der Untersuchung des Ausschusses herangezogen werden, ein Recht auf Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des PUA zugestehen, was "notfalls durch die Anrufung der Gerichte" zu geschehen habe. Dies ergebe sich aus Art. 19 Abs. 4 GG. Außerdem sei streitig, inwieweit die Verwaltungs- oder die ordentlichen Gerichte, gegebenenfalls die Verfassungs gerichte, zuständig seien. Ob damit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß auch bei fehlerhafter Einsetzung ein PUA zumindest existent ist und demgemäß Beweiserhebungsrechte hat, bleibt offen. Nach Schneider m kann die Verfassungswidrigkeit des Einsetzungsantrages und/oder -beschlusses nur im Wege des Organstreitverfahrens festgestellt werden. Bis zu einer solchen verfassungsgerichtlichen Entscheidung werde die verfassungsmäßige Bildung und Betätigung von Untersuchungsausschüssen vermutet. Diese Auffassung bezweckt offensichtlich einen Schutz der parlamentarischen Untersuchungstätigkeit. Sie hätte die Konsequenz, daß bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Enquete dem Ausschuß die strafprozessualen Beweiserhebungsrechte zustünden. Er wäre demnach auch zur Eidesabnahme berechtigt, also auch zuständige Stelle im Sinne der §§ 153 ff. StGB. Darüber hinaus läßt sich den Ausführungen Schneiders entnehmen, daß nach seiner Ansicht die verfassungsgerichtliche Feststellung nicht dazu führt, daß die Untersuchungstätigkeit von Anfang an, sondern erst vom Zeitpunkt der Entscheidung an, als verfassungswidrig bezeichnet werden kann. Das Gericht würde demnach mit ex-nunc-Wirkung den Einsetzungsbeschluß verwerfen, die 179

Vgl. dazu die Kommentierungen zu Art. 19 Abs. 4 GG, insbesondere Schenke, in BK,

Rn 220 tT. m.w.N.; Schmelter, S. 72 tT. 180 181'

Rechenberg, in BK, Art. 44 Rn 7. Schneider, in AKGG, Art. 44 Rn 6.

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auf seiner Grundlage getroffenen Einzelrnaßnahmen wären ohne selbständige Anfechtung gleichwohl wirksam. Eine Begründung für diese Ansicht wird von Schneider jedoch nicht gegeben. Keinen Beitrag zur Lösung des Problems leisten Stellungnahmen, die den Einsetzungsbeschluß als rechtsverbindlich bezeichnen l82 • Damit wird allein zum Ausdruck gebracht, daß derartige Beschlüsse im Falle ihrer Rechtmäßigkeit eine Rechtsfolge auslösen, die zumeist durch die Verfassung festgelegt ist. Welche Folgen allerdings die Fehlerhaftigkeit haben soll, kann mit dem Begriff der Rechtsverbindlichkeit nicht erklärt werden. In einer Untersuchung der Rechtmäßigkeit einer 1932 im preußischen Landtag eingesetzten Enquete nimmt Arndt 183 zu den Folgen der fehlerhaften Einsetzung eines PUA Stellung. Er behandelt zunächst die ohne Pflichtbeschluß des Parlaments erfolgte Konstituierung l84 eines Untersuchungsausschusses und führt dazu aus: "Spricht auch grundsätzlich eine Vermutung für die Gültigkeit jedes Staatsaktes, so muß doch hier die "Einsetzung" ... als nichtig angesehen werden. Denn die Vermutung der Gültigkeit greift nicht durch, wenn der Akt von einem schlechthin unzuständigen Organ vollzogen wird .... Es handelt sich mithin nicht etwa um einen bloß fehlerhaften, aber gültigen oder wenigstens heilbaren Akt des Landtages, sondern es fehlt gerade der konstitutive Akt, durch den ein Untersuchungsausschuß ins Leben gerufen werden könnte. Seine auf den Antrag einer Minderheit durch die Erklärung des Landtagspräsidenten vollzogene "Einsetzung" ist also nichtig" 185 • Die Nichtigkeit ist somit für Arndt nicht grundsätzlich die Folge von fehlerhaften Einsetzungsbeschlüssen. Sie tritt jedoch zumindest dann ein, wenn der Akt einen schwerwiegenden formalen Fehler hat. Im weiteren Verlauf seiner Untersuchung kommt Arndt auch zum Problem der Einsetzung eines PUA mit unbestimmten Untersuchungsauftrag l86 • Obwohl, so Arndt, auch dieser Einsetzungsbeschluß Untersuchungsgegenstände enthalten könne, die einer parlamentarischen Untersuchung zugänglich seien, sei er trotzdem inhaltlich zu unbestimmt. Dieser Mangel müsse aber dem Landtag zur Last fallen. Deshalb kommt Arndt auch in diesem Falle zur Nichtigkeit des Einsetzungsbeschlusses und begründet dies damit, daß der Landtag versucht habe, mehr Rechte zu übertragen als ihm gegeben seien. Die Delegation einer Befugnis, die nicht existiere, könne aber unmöglich diese Befugnis zur Entstehung bringen, weshalb die Nichtigkeit des Einsetzungsbeschlusses anzunehmen sei 187 • Klein. JuS 1964, 181, 185; Stern. StaatsR 11, S. 48. Arndt. AÖR NF 22, 339 ff. 184 Es ging dabei um einen Minderheitsantrag, den der Landtagspräsident nicht zur Abstimmung stellte, vgl. oben 1. Teil, C. 11.; Arndt. aaO, 339, 340. 185 Arndt. aaO, 342. 186 Arndt. aaO, 345: Überprüfung der preußischen Rechtspflege. 182 183

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Dieser Argumentation ist in der Rechtsprechung ausdrücklich durch den hessischen Staatsgerichtshof gefolgt worden l88 . Der hessische Landtag hatte trotz verfassungsrechtlicher Bedenken gegenüber der Zulässigkeit des Einsetzungsantrages einer qualifizierten Minderheit auf einen förmlichen Beschluß verzichtet. Da die Verfassung diesen jedoch erzwinge, sei die Einsetzung nicht wirksam erfolgt und deshalb nichtig l89 . "Das bedeutet, daß alle Maßnahmen und Anordnungen des vermeintlichen Untersuchungsausschusses, sofern er solche überhaupt getroffen haben sollte, der rechtlichen Grundlage entbehren" 190. Das Gericht geht demnach von einer ex-tunc-wirkenden Nichtigkeit des Einsetzungsbeschlusses aus. Zu diesem Ergebnis gelangen auch BlümellRonellenfi~schI91. Eine nähere Begründung geben sie jedoch nicht. Eine andere Haltung wird in einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs Bremen eingenommen 192. Über die Frage der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Parlaments und damit über die Zulässigkeit des Untersuchungsauftrages habe naturgemäß das Parlament zu befinden. Dies geschehe durch die Fassung des Einsetzungsbeschlusses. "Wird der Untersuchungsausschuß mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen und wird demgemäß auch der Untersuchungsauftrag von der Mehrheit der Bürgerschaft getragen, so ist der Beschluß nicht nur existent, sondern auch allgemein rechtsverbindlich, bis er aufgehoben wird. Diese Aufhebung kann durch das Parlament selbst geschehen, oder in einem Verfahren vor dem Staatsgerichtshof in dem dann festgestellt wird, daß der Einsetzungsbeschluß unwirksam ist, weil sich die Bürgerschaft in ihrer durch den Einsetzungsbeschluß zum Ausdruck gebrachten Meinung, der Untersuchungsauftrag sei verfassungsmäßig, rechtlich geirrt hat. Diese Entscheidung des Staatsgerichtshofs stellt dann klar, was Rechtens ist" 193. In dieser Entscheidung sind zumindest zwei Begriffe verwendet, die für die Beantwortung der vorliegenden Frage eher verklärend denn klärend wirken l94 . Stellt das Gericht dar, daß mit seiner Entscheidung die Unwirksamkeit des Einsetzungsbeschlusses festgestellt wird - dies würde für eine Nichtigkeit des Beschlusses sprechen -, so fragt sich, welche rechtliche Verbindlichkeit der Beschluß erzeugen sollte, die das Gericht über die bloße Existenz des Beschlusses 187

Arndt. aaO, 351.

HessStGH, DÖV 1967, 51, 56. HessStGH, aaO, 51, I. Leitsatz, 56. 190 HessStGH, DÖV 1967, 51, 56. 191 Blümell Ronellenjitsch, S. 33 und 133, wobei sie der Ansicht sind, daß auch rechtliche Zweifel an der Zu lässigkeit des Einsetzungsbeschlusses schon eine Unbestimmtheit hervorrufen, die die Unwirksamkeit des Beschlusses zur Folge haben soll. AaO, S. 104 ff.; dagegen zu Recht StGH Bremen vom 13.03.1978, abgedruckt bei BlümellRonellenjitsch, Anhang, S. 17. 192 Fußnote wie vor. 193 StGH Bremen, aaO, S. 17. 194 was wohl daran liegt, daß es sich um ein obiter dictum handelt. 188

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hinaus annehmen will. Eine sinnvolle Interpretation ergäbe sich allein dann, wenn der StGH Bremen in der Lage wäre, mit Wirkung ex-nunc den Einsetzungsbeschluß zu verwerfen. Nur in diesem Falle ließe sich die rechtliche Verbindlichkeit bis zur Entscheidung über die Wirksamkeit des Aktes erklären. Da eine qerartige Lösung aber im Gesetz vorgesehen sein müßte, bleiben nur zwei Möglichkeiten der Interpretation dieser Entscheidung. Entweder das Gericht hat versehentlich den Begriff der "Unwirksamkeit" gebraucht, wollte aber in Wahrheit die Aufhebbarkeit des Einsetzungsbeschlusses annehmen. Oder das Gericht hat mit dem Begriff der Rechtsverbindlichkeit eine Bedeutung verbunden, die jedenfalls nicht in dem Sinne zu verstehen ist, daß damit eine vorübergehende Rechtswirksamkeit angenommen werden kann. Wobei man sich allerdings fragen müßte, welche Bedeutung der Begriff "rechtsverbindlich" dann überhaupt haben soll. Eher ist wohl davon auszugehen, daß das Gericht annimmt, mit seiner Entscheidung den rechtswidrigen Einsetzungsbeschluß verwerfen zu können, der bis dahin allerdings rechtliche Wirkungen entfaltete, also auch rechtmäßige Beweiserhebungen des Ausschusses erlaubte. Eine Begründung für diese Annahme gibt das Gericht jedoch nicht 195. Letztlich ist noch auf zwei frühe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts einzugehen, die zwar nicht unmittelbar mit der Einsetzung parlamentarischer Untersuchungsgremien in Verbindung stehen, welche aber die schon bei Arndt 1% erwähnte Dogmatik der grundsätzlichen Bestandsfestigkeit von Hoheitsakten verdeutliche 97 • Die beiden Entscheidungen 198 behandeln Maßnahmen, die rechtlich fehlerhaft eingesetzte Staats- und Verwaltungsorgane getroffen haben. Es ging um die in einem nichtigen Gesetz festgelegte Verlängerung der Wahlperiode zweier Landtage. Trotz der Feststellung, daß diese Gremien rechtlich nicht existent waren l99 , erklärte das Gericht, daß sie im Vertrauen auf den Rechtsschein ihrer rechtmäßigen Tätigkeit bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts aktiv bleiben durften. Insbesondere die in der Zeit ihrer rechtlichen Nichtexistenz getroffenen Maßnahmen und Beschlüsse seien verbindlich und wirksam, weil dies die Bedürfnisse nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erforderten. "Aus diesen Gründen wird auch sonst im öffentlichen Recht unterschieden zwischen der Berufung oder Konstituierung eines Organs, die nichtig 195 Interessant in diesem Zusammenhang die 3. Frage, die dem Gericht vorgelegt wurde. Sie lautete: "Sind der Einsetzungsbeschluß der Bürgerschaft und die Beschlüsse des Ausschusses gemäß den Fragen zu 1 und 2 (seil.: Überschreitung der verfassungsmäßigen Grenzen des Untersuchungsrechts und etwaige Beschränkung des Beweiserhebungsrechts) ganz oder teilweise nichtig? Sind sie durch veränderte Beschlüsse mit Rückwirkung heilbar? Sind unter diesem Gesichtspunkt die bereits erhobenen Beweise vertretbar?" Diese Fragen wurden jedoch durch das Gericht nicht beantwortet, weil es die Verfassungsmäßigkeit des Einsetzungsbeschlusses annahm und deshalb die Fragen gegenstandslos waren. StGH Bremen, aaO, S. 3 und

31.

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s. o. I. Teil, C. III. 3. Vgl. dazu auch Vogel, JZ 1988, 833, 836. BVerfGE 1, 14, 38; BVerfGE 3, 41, 44. BVerfGE 1. 14, 38.

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sein kann, und den von diesem Organ im Rahmen seiner "Zuständigkeit" erlassenen Hoheitsakten, die trotz der Nichtigkeit der Berufung des Organs gültig sein können 2OO ". Übertrüge man diese Grundsätze auf die Einsetzung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, so blieben trotz der rechtlichen Nichtexistenz der Ausschüsse deren Handlungen, also Beweiserhebungen, Vernehmungen und Vereidigungen unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit verbindlich und voll wirksam. Erst mit dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichts fiele ihre Handlungsfähigkeit weg. Dann könnte aber nicht geleugnet werden, daß sie bis zu diesem Zeitpunkt auch "zuständige Stellen" im Sinne der §§ 153 ff. StGB gewesen sein müssen. 4. Lösung des Problems nach geltendem Recht Die dargestellten Meinungen zeigen, daß eine einheitliche, dogmatisch fundierte Behandlung fehlerhafter Einsetzungsbeschlüsse parlamentarischer Untersuchungsgremien offenbar nicht existiert. Soweit Begründungen überhaupt gegeben werden, können diese kaum überzeugen. Hier soll deshalb versucht werden, auf der Grundlage des geltenden Rechts einen eigenen Begründungsansatz zu entwickeln. a) Wirkungen materieller Fehler des Einsetzungsbeschlusses

Ginge man von der Gültigkeit des Einsetzungsbeschlusses bis zur Verkündung einer rechtskräftigen Entscheidung eines Verfassungsgerichts aus, so hätte dies erhebliche Konsequenzen für den Rechtsschutz der Bürger auch bezüglich der durch einen PUA angeordneten Einze\maßnahmen. Heute ist aufgrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG anerkannt, daß Rechtsschutz des Bürgers auch gegenüber Maßnahmen der Legislative gegeben sein muß, die nicht zur Rechtssetzung gehören 20J • Trotzdem kann gegen einen Einsetzungsbeschluß nur dann vorgegangen werden, wenn schon dieser Beschluß eine unmittelbare Beeinträchtigung subjektiver Rechte des Bürgers bedeutet 202. In Ausnahmefällen mag dies zwar denkbar sein, z. B. wenn der Einsetzungsbeschluß so formuliert ist, daß er aus sich heraus ehrverletzend ist oder die Verurteilung mit unmmittel200 BVerfGE I, 14,38, unter Berufung auf RStGH vom 22.3.1929, 13/28; Lammersl Simons 11, S. 135. 201 Vgl. Schenke, in BK, Art. 19 Abs. 4 Rn 220 ff.; Schmelter, S. 72 ff.,jeweils m.w.N.; SeI/mann, S. 142 ff.; Obermeier, S. 162; Di Fabio, S. 90. 202 ausdrücklich HessStGH, DÖV 1972, 56 ff.; BayVerfGHE 1983, 211, 213; Schmelter, S. 120; vgl. explizit zum Individualrechtsschutz gegenüber Einsetzungsbeschlüssen Schröder, S. 33 f.; Di Fabio, S. 96, wendet sich ohne überzeugende Argumente gänzlich gegen die Angreifbarkeit des Einsetzungsbeschlusses.

4 Buchholz

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baren Folgen für den Bürger als Untersuchungsauftrag festiegt203. In der Regel jedoch können allein durch den Einsetzungsbeschluß die Rechte des Bürgers nicht tangiert werden, sondern erst durch Vollzugsakte, die der eingesetzte PUA erläßt, etwa die Maßnahmen des Zeugniszwanges. Deshalb ist im Normalfall die ausschließliche Überprüfung des Einsetzungsbeschlusses nur durch Parlamentarier im Organstreitverfahren möglich. Bliebe der Einsetzungsbeschluß aber bis zur Aufhebung durch ein Verfassungsgericht oder Parlament gültig oder verbindlich, so müßte man konsequenterweise diesem Beschluß bis zu diesem Zeitpunkt eine Tatbestandswirkung zubilligen. Der Richter, der über die Rechtmäßigkeit von einzelnen Zwangsmaßnahmen des Ausschusses zu entscheiden hätte, dürfte die Frage der verfassungsmäßigen Einsetzung des Ausschusses nicht einmal prüfen, weil nicht er, sondern allein das Verfassungsgericht eine Verwerfungskompetenz hätte. Dies würde bedeuten, daß Einzelakte des PUA so lange nicht mit dem Hinweis angefochten werden könnten, daß rechtliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Einsetzungsbeschlusses bestünden, bis nicht die Parlamentarier selbst die Zweifel hegen und die Rechtmäßigkeit durch das zuständige Gericht überprüfen lassen. Eine Vorlagemöglichkeit zum Bundesverfassungsgericht, wie sie den Richtern bei Zweifeln über die Verfassungsmäßigkeit von Normen gegeben ist, besteht nämlich bezüglich der Überprüfung von Einsetzungsbeschlüssen parlamentarischer Untersuchungsgremien nicht. Bei konsequenter Annahme "vorübergehender Gültigkeit", oder einer "Vermutung der verfassungsmäßigen Bildung und Betätigung" des PUA hätte der Bürger demnach keine Möglichkeit, die verfassungswidrige Einsetzung zu rügen und müßte überdies auch die gegen ihn angeordnete Zwangsmaßnahme deswegen dulden. Würde ein Einsetzungsbebeschluß diese Tatbestandswirkung entfalten und damit den Rechtsschutz des Bürgers nicht nur verkürzen, sondern abschneiden, wäre dies als Verstoß gegen das Rechtsschutzgebot des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungswidrig204 • Schon von Hippel hat im Jahr 1924 den Versuch einer teleologischen Behandlung des fehlerhaften Staatsaktes unternommen 205 und dabei darauf hingewiesen, daß eine Abhängigkeit der Fehlerfolge von der Möglichkeit der Geltendmachung des Fehlers besteht 206 • Gerade diese Abhängigkeit führt für die Frage der verfassungswidrigen Einsetzung eines PUA nach dem oben Gesagten dazu, die von Anfang an bestehende Unwirksamkeit des Einsetzungsbeschlusses anzunehmen, weil eine Rechtsschutzmöglichkeit des Bürgers sonst nicht gegeben ist. Auch die Gerichte erkennen diesen fehlenden Rechtsschutz des Bürgers gegenüber dem Einsetzungsbeschluß eines PUA 207 • Um einen Verstoß gegen Art. So HessStGH, DÖV 1972, 56 ff. VgI. zur ähnlichen Problematik der rechswidrigen Kommandoakte Schenke, in BK, Art. 19 Abs. 4 Rn 230. 205 von Hippel, S. 20 ff.; vgl. auch lellinek, S. I ff. 206 von Hippel, S. 79. 207 Vgl. HessStGH, DÖV 1972, 56 ff. 203

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III. Auswirkungen der "fehlerhaften Einsetzung"

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19 Abs. 4 GG zu vermeiden, behandeln sie Einzelakte des Ausschusses so, als handele es sich um Normvollzugsakte. Damit gehen sie gerade nicht von einer Tatbestandswirkung des Einsetzungsbeschlusses aus. Wird nämlich eine vom PUA verhängte Zwangsmaßnahme durch einen Privaten mit dem Hinweis angegriffen, daß schon die verfassungsmäßige Betätigung des Ausschusses zweifelhaft sei, befinden die Gerichte inzidenter über die Rechtmäßigkeit des Einsetzungsbeschlusses208 • Diese gerichtliche Inzidentüberprüfung, die ebenso geschieht wie die Inzidentprüfung von Normen, ist jedoch nur möglich, wenn man von der ex-tunc bestehenden Nichtigkeit des Einsetzungsbeschlusses bei Verstößen gegen die Verfassung ausgeht. Darf der Richter nämlich bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Einzelaktes die Verfassungswidrigkeit des Einsetzungsbeschlusses feststellen, so setzt er nicht einen bislang wirksamen Beschluß mit Ex-nunc-Wirkung außer Kraft, sondern stellt inzidenter fest, daß es eine rechtmäßige Einsetzung des Ausschusses nicht gegeben hat. Die Annahme, daß der Instanzrichter den Einsetzungsbeschluß exnunc verwerfen könnte, findet nämlich im Gesetz keine Stütze. Diese Kompetenz müßte aber ausdrücklich normiert sein. Insoweit ist also kein Unterschied zum richterlichen Normprüfungsrecht zu erkennen, wobei allein eine Bestimmung fehlt, die gerade den Verfassungsgerichten ein Verwerfungsmonopol einräumt 209 • Somit gehen auch die Gerichte davon aus, daß Beschlüsse, die auf die Einsetzung eines PUA gerichtet sind, bei Verstößen gegen höherrangiges Recht von Anfang an nichtig sind. Das bedeutet, daß ein PUA zwar faktisch, nicht aber rechtlich existent war. Darüber hinaus können die vom BVerfG zur Bestandskraft von Hoheitsakten aufgestellten Grundsätze für die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen keine Geltung haben. Sie werden ausschließlich mit dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit begründet 21O • Diese Begründung mag für Maßnahmen eines rechtlich nicht existenten Landtages zutreffend erscheinen. Im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse eines Landtages werden eine Vielzahl von Bürgern Handlungen vornehmen, die in diesem Vertrauen geschützt werden sollen, weil sie sich an die staatlichen Entscheidungen halten und danach disponieren 2Jl • Unter dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit kann also nur das der Allgemeinheit verstanden werden, weil der schlichte Schutz 208 BVerfG NJW 1988, 890,892; OVG Berlin, OVGE BE 10, 163, Leitsatz 2: Der Rechtszwang, vor dem Untersuchungsausschuß öffentlich als Zeuge auszusagen, setzt die Verfassungsmäßigkeit von Auftrag und Tätigkeit des Ausschusses voraus; OVG Münster, NVwZ 1987,608,610; OLG Köln, NJW 1985, 336; LG Frankfurt, NJW 1987,790; LG Frankfurt, NJW 1987,787,788. 200 Zu genau dieser Rechtslage für Normen unter Geltung der WRV vgl. nur Stern, in BK, Art. 100 Rn 5 ff. 210 S. o. I. Teil, C. 111. 3. 2ll Zu diesem Gesichtspunkt auch LükelZawer, JuS 1970,205.

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l. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagede\ikte

staatlicher Institutionen die Bestandskraft von Hoheitsakten nicht rechtfertigen kann. Würde man eine Bestandskraft aber für Maßnahmen eines nicht existenten Untersuchungsausschusses annehmen wollen, so würde dadurch allein das Rechtssicherheitsbedürfnis des Parlaments respektive der im Ausschuß agierenden Parlamentarier geschützt werden. Im Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit aber gerade diejenigen zu schützen, die den rechtswidrigen Akt allein zu Wahrnehmung erweiterter eigener Kompetenzen erlassen haben und die darüber hinaus selbst im Wege des Organstreitverfahrens die Möglichkeit der verfassungsgerichtlichen Überprüfung ihrer Maßnahme besitzen, läßt sich nicht rechtfertigen. Damit ist gezeigt, daß ein verfassungswidriger Beschluß zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses von Anfang an nichtig ist und dem faktisch entstandenen Gremium niemals irgendwe1che Beweiserhebungsrechte nach Art. 44 Abs. 2 S. I GG zugestanden haben. Er war also auch nie zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen befugt. b) Wirkungen fonneller Fehler des Einsetzungsbeschlusses

Wie oben gezeigt wurde, bestehen bezüglich der Behandlung materieller Fehler von Einsetzungsbeschlüssen keine Unterschiede zur Verfassungswidrigkeit von Normen. Allein die Vorlagepflicht der Instanzgerichte und das damit verbundene Verwerfungsmonopol des Verfassungs gerichts ist nicht normiert. Hinsichtlich formeller Fehler bei der Einsetzung eines PUA kann deshalb nichts anderes gelten als bei formal fehlerhafter Beschlußfassung über ein Gesetz. Es muß deshalb danach unterschieden werden, ob sich der formale Fehler der Einsetzung als Verletzung einer im Grundgesetz enthaltenen Verfahrensbestimmung oder nur als Verletzung einer Geschäftsordnungsbestimmung darstellt. Nach absolut herrschender Lehre hat ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung grundsätzlich keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der dabei gefaßten Beschlüsse 212 , soweit die Geschäftsordnungsbestimmungen nicht selbst gegen die Verfassung verstoßen 213 • In der Literatur wird zwar teilweise angenommen, daß gravierende Verstöße gegen die parlamentarische Geschäftsordnung das ordnungsgemäße Zustandekommen von Gesetzen verhindern können 214 , insoweit wird meistens jedoch gleichzeitig ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Verfahrensbestimmungen vorliegen. 212

Vgl. BVerfGE 44, 308, 314 ff.; 29, 221,234; VerfGH Rh.-Pf., VerwRspr. 1949, 245;

Maunz. in M/D/H, Art. 40 Rn 23; Versteyl. in v. Münch, Art. 40 Rn 18; vgl. auch Schneider. in AKGG, Art. 40 Rn 10, letztere je m.w.N. 2I3 Vgl. dazu BVerfGE 44, 308, 314. 214 Schneider. in AKGG, Art. 40 Rn 10 m.w.N.

III. Auswirkungen der "fehlerhaften Einsetzung"

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Der Grund für diese Behandlung liegt in der Rechtsnatur der Geschäftsordnung, die als autonome Satzung215 im Rang noch unterhalb eines Gesetzes steht und allein der inneren Organisation des Parlaments dient. Da ihre Regelungen deshalb keine Außenwirkung entfalten 216 , kann die Verletzung von Geschäftsordnungsbestimmungen die Rechte Dritter nicht berühren. Derartige Verfahrensverstöße bei der Einsetzung parlamentarischer Untersuchungsgremien führen deshalb nicht zur Nichtigkeit des Einsetzungsbeschlusses. Soweit allerdings verfassungsrechtliche Bedenken gegen die ordnungsgemäße Einsetzung eines PUA bestehen, sind diese durch die Fachgerichte nicht nur voll nachprüfbar2l7 , sondern führen nach den oben gewonnenen Grundsätzen zur Nichtigkeit des gesamten Einsetzungsbeschlusses. Die rechtliche Existenz eines PUA kann dann nicht erzeugt werden. Dies soll exemplarisch für den Fall des notwendigen Pflichtbeschlusses bei Minderheitsanträgen gezeigt werden 218 • Art. 44 GG 219 enthält zwar auf den ersten Blick keine Verfahrensbestimmungen die die Einsetzung der PUAe regeln. Nach seinem Wortlaut hat jedoch der Deutsche Bundestag den Ausschuß einzusetzen. Der Zweck dieser Regelung liegt, wie bereits ausgeführt wurde 220 , in der Prüfung der Zulässigkeit der beantragten Untersuchung221 • Mit der Einsetzung eines Ausschusses gibt das Parlament demnach seiner Überzeugung Ausdruck, daß der Untersuchungs auftrag verfassungsgemäß ist. Wortlaut und Zweck des Art. 44 Abs. I S. 1 GG fordern demnach einen förmlichen Einsetzungsbeschluß 222 • Wird dieser Beschluß nicht gefaßt, liegt demnach nicht nur ein Verstoß gegen eine Geschäftsordnungsbestimmung, sondern gegen das Verfassungsrecht vor 223 • Die verfassungswidrige Installierung eines PUA ist demnach von Anfang an nichtig. Beweiserhebungen waren unzulässig und der insoweit formal fehlerhaft eingesetzte PUA zu keiner Zeit eine zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zuständige Stelle. 5. Lösungsmöglichkeit de lege ferenda Um de lege ferenda eine größere Rechtssicherheit für die Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsgremien zu schaffen und gleichzeitig die Schwierigkeiten der Asymmetrie des Rechtsschutzes gegenüber Maßnahmen des Aus-

215 216 217 218 219 220

221 222 223

Maunz, in M/D/H, Art. 40 Rn 21 m.w.N. Vgl. BVerfGE I, 144, 148. BVerfGE 77, 1, 39. Vgl. dazu oben I. Teil, C. 11. Entsprechendes gilt für die Vorschriften der Landesverfassungen. s. o. I. Teil, C. 11. Partsch, S. 35; Schleich, S. 81 f. HessStGH, DÖV 1967, 51, 56; Erichsen, S. 79. So ausdrücklich auch Erichsen, S. 79.

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1. Teil, C. Schranken des Enqueterechts und Aussagedelikte

schusses abzuschwächen 224 , die durch straf- und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Einsetzungsbeschlüssen entstehen, sollte eine Vorlagepflicht zum Bundesverfassungsgericht entsprechend Art. 100 GG geschaffen werden225 • Soweit ein Fachgericht bei der Überprüfung von Einzelmaßnahmen eines PUA Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Einsetzungsbeschlusses hegt, müßte dann das BVerfG über die verfassungsrechtliche Frage entscheiden. Da das Verfassungsgericht damit das Verwerfungsmonopol erhält, könnte gleichzeitig festgelegt werden, daß es den Einsetzungsbeschluß mit Ex-nunc-Wirkung verwirft. Alle bis zu dieser Feststellung getroffenen Entscheidungen des Ausschusses würden damit, soweit sie nicht selbständig angegriffen wurden, Geltung beanspruchen können. Eine Auskunftsperson, die von der Unzulässigkeit der Untersuchungstätigkeit überzeugt ist, müßte danach gegen ihre Ladung oder Zwangsvorführung gerichtlich vorgehen, um einer Vernehmung durch eine "zuständige Stelle" im Sinne der §§ 153 ff. StGB zu verhindern. Täte sie dies nicht, wäre ihre etwaige Falschaussage als Aussagedelikt strafbar, weil sich der Strafrichter im anschließenden Verfahren auf die Tatbestandswirkung des Einsetzungsbeschlusses berufen könnte und die verfassungsmäßige Installierung des Ausschusses nicht überprüfen müßte. Gleichzeitig würde dadurch verhindert, daß die Fachgerichte über eine rein verfassungsrechtliche Frage entschieden 226 und der Untersuchungsausschuß selbst gegen diese Entscheidung keine Möglichkeit der Anrufung des Verfassungsgerichs hätte 227. Andererseits würde nicht die Nachprüfung sämtlicher Zwangsmaßnahmen ausschließlich dem Verfassungsgericht übertragen 228 und so dem Gericht die Entscheidung einfachrechtlicher Fragen zugemutet werden. Eine Vorlagepflicht zum Bundesverfassungsgericht bei Streitigkeiten über den Einsetzungsbeschluß stellt demnach eine praktikable und sowohl Ausschuß wie Beteiligte schützende Regelung dar. Der naheliegende Einwand, daß bezüglich jedes Einsetzungsbeschlusses ein verfassungsgerichtliches Verfahren die Folge wäre, bedarf keiner Entkräftung. Denn ein Verfahren, in dem die Frage der Zulässigkeit des Einsetzungsbeschlusses abschließend geklärt wird, ist einer Vielzahl von Verfahren, die möglicherweise bezüglich der Zulässigkeit der Untersuchung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, vorzuziehen.

224 VgJ. dazu Ossenbühl. in Gedächtnisschrift für W. Martens, S. 177 ff.; Schröder. S. 35; Di Fabio. S. 98 ff. 225 So auch Schneiders. MDR 1988, 705, 710. 226 Vgl. zu diesem Problem Ossenbühl. Gedächtnisschrift für W. Martens, S. 177, 194ff.; Schröder. S. 35. 221 VgJ. Schröder. S. 35. 228 Dafür aber der 45. DJT 1964, Bd. 11, S. 174, These 11; Ossenbühl. in Gedächtnisschriftfür Martens, S. 177, 196; Di Fabio. S. 116 f.

III. Auswirkungen der "fehlerhaften Einsetzung"

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6. Zwischenergebnis Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß de lege lata nur bei verfassungsgemäßer Einsetzung eine zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zuständige Stelle im Sinne der §§ 153 ff. StGB ist, weil er ansonsten rechtlich nicht existent ist und seine Einzeimaßnahmen keine Gültigkeit haben können. Der Strafrichter hat demgemäß bei der Prüfung von Aussagedelikten vor Untersuchungsausschüssen die verfassungsmäßige Konstituierung des Gremiums durch das Parlament zu überprüfen. Die These Wagners 229 hat sich damit bestätigt, wobei die von ihm vertretene Beschränkung des Enqueterechts auf die Vorbereitung rechtsverbindlicher Parlamentsentscheidungen jedoch nicht eingreift.

D. Der Einfluß der Überschreitung des Einsetzungsbeschlusses auf die Aussagedelikte Selbst wenn ein parlamentarisches Untersuchungsgremium in verfassungsgemäßer Weise eingesetzt wird, könnte die Zuständigkeit zur eidlichen Vernehmung zweifelhaft sein. Der Ausschuß könnte während der Beweiserhebung Ermittlungen anstellen, zu denen er durch die Überschreitung der Grenzen des Einsetzungsbeschlusses nicht legitimiert ist. Anders als im Falle der Kompetenzüberschreitung bei der Einsetzung, handelt dann ein zwar rechtlich existentes Gremium, überschreitet jedoch während einer konkreten Vernehmung seine Kompetenzen. Deshalb könnte angenommen werden, daß keine generelle Unzuständigkeit des Ausschusses vorliegt, sondern allein eine Unzuständigkeit im Einzelfall, die nach herrschender Ansicht die Tatbestandsmäßigkeit einer Falschaussage nicht ausschließen soll 1. Auf diese schon für die Aussage vor Gericht zweifelhafte Abgrenzung kommt es indes hier nicht an. Der äußere Tatbestand der §§ 153 ff. StGB erfaßt nämlich stets nur solche Falschaussagen, die nach den für das fragliche Verfahren geltenden Regeln den Gegenstand der Vernehmung und damit die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage betreffen 2 • Da ein PUA nach der Korollartheorie einen vom Parlament unabhängigen Wirkungskreis aber nicht haben kann 3 , ist er an Wagner, GA 1976, 257, 258 ff. Vgl. Lackner, § 154 Rn 2; Lenckner, in Schönke/Schröder, § 154 Rn 10; DreherlTröndle, § 154 Rn 18; Welzel, S. 527; jeweils m.w.N.; a.A. Rudolphi, GA 129, 136 ff.; vgl. dazu Wagner, GA 1976, 257, 259 f. 2 Vgl. BGH St 25,244,246; OLG Koblenz, StrafVert 1988,531; Willms, in LK, vor § 153 Rn 19 ff. 3 s. o. 1. Teil, C. I. 1. 229

1

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I. Teil, D. Überschreitung des Einsetzungsbeschlusses

den vom Plenum vorgegebenen Untersuchungsgegenstand gebunden, der gleichze~tig die äußersten Grenzen des Vernehmungsgegenstandes absteckt. Anders als die Strafgerichte ist ein Untersuchungsausschuß nicht befugt, den Vernehmungsgegenstand über diese äußerste Grenze hinaus zu erweitern 4 , weilwie Wagner überzeugend dargelegt hat 5 - er dann nicht mehr im Auftrag des Parlaments, sondern aus angemaßtem eigenen Recht handelt. Erforderlich wäre insoweit eine Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes durch das gesamte Parlament. Handelt der Ausschuß aber eigenmächtig, indem er die Grenzen seines Untersuchungsauftrages mißachtet, kann dadurch die Aussagepflicht einer Auskunftsperson nicht erweitert werden, demgemäß auch nicht die Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen Aussagen entstehen. Aussagedelikte sind deshalb vor parlamentarischen Untersuchungsgremien nur möglich, wenn sich die Ermittlungen innerhalb der Grenzen des Einsetzungsbeschlusses halten 6 • Fraglich ist jedoch, wann im konkreten Fall die Grenzen des Einsetzungsbeschlusses überschritten sind. Zu Recht weist Wagner darauf hin, daß dies nur im Einzelfall festgestellt werden könne 7• In seiner Untersuchung behandelt er aber einen Fall, für den er ausdrücklich eine Überschreitung des Einsetzungsbeschlusses annehmen will. Habe das Parlament dem PUA einen generellen Aufklärungsauftrag erteilt, etwa die Aufklärung eines Mißstands oder Skandals, dürfe die Untersuchung nicht gegen eine Person geführt oder weitergeführt werden, die sich im Verlaufe der Beweiserhebungen als tatverdächtigerwiesen habe s. Dann wechsele das Untersuchungsgremium von einer generellen zu einer personell-bestimmten Ermittlung, was ohne Parlamentsbeschluß als unzulässig angesehen werden müsse. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Nicht allein, weil sich kaum feststellen lassen dürfte, wann ein Ausschuß noch generelle oder schon personellbestimmte Ermittlungen durchführt 9, geht diese Ansicht von einer Überdehnung des Bestimmtheitsgebotes aus. Folgte man ihr, müßte nicht nur jeder Tatverdächtige explizit im Untersuchungsauftrag genannt werden, sondern für jede Klärung einer Detailfrage wäre ein neuer Untersuchungsauftrag erforderlich. Gerade wenn einem PUA aber die Aufklärung eines Skandals aufgegeben wird, impliziert dieser Auftrag, daß im Verlaufe der Untersuchung wichtige Detailproblerne zu klären sind und möglicherweise auch das persönliche Fehlverhalten einiger Tatverdächtiger zu untersuchen ist. Insoweit stellt eine sich aus der 4 Vgl. OLG Koblenz, StrafVert 1988,531; OLG Münster, NJW 1989, 1103; Wi/lms, in LK, vor § 153 Rn 22. 5 Wagner, GA 1976,257,260. 6 Lenckner, in Schönke/Schröder, § 154 Rn 11; Rudolphi, in SK, § 154 Rn 4; Willms, in LK, vor §§ 154 Rn 11; Rudolphi, in SK, § 153 Rn 2, sämtlich zurückgehend auf Wagner, GA 1976, 257,260. 7 Wagner, GA 1976, 257, 260. 8 Wagner, GA 1976, 257, 261 f. 9 siehe dazu unten 2. Teil, E. IV. 2. d.

1. Teil, E. Überschreitung des Beweisbeschlusses

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anfanglich generell geführten Untersuchung ergebende, personell-bestimmte Ermittlung gerade keine unzulässige Überschreitung des Untersuchungsgegenstandes, sondern eine zulässige Konkretisierung desselben dar. Da der Einsetzungsbeschluß die äußeren Grenzen der Untersuchung markiert und selbst hinreichend bestimmt sein muß, weil er ansonsten nicht zur rechtmäßigen Einsetzung eines PUA führt 10, kann der Ausschuß innerhalb dieser Grenzen umfassend ermitteln, aber auch Konkretisierungen vornehmen, die sich aus dem Verlauf der Beweiserhebung ergeben. Insoweit hält er sich innerhalb des Vernehmungsgegenstandes und erweitert die Aussagepflicht der Auskunftsperson nicht. Schon das vorgenannte Beispiel zeigt, daß man die durch den Einsetzungsbeschluß gezogenen Grenzen nicht zu restriktiv bestimmen darf, um eine sinnvolle Untersuchungstätigkeit der Ausschüsse nicht zu verhindern. Dies gilt ebenso für Fragen innerhalb einer Vernehmung, die vordergründig mit dem Untersuchungsgegenstand nicht in Zusammenhang gebracht werden können, die aber der Klärung der Glaubwürdigkeit einer Auskunftsperson dienen. Nähme man hier eine Überschreitung des Einsetzungsbeschlusses an, könnte die Ausschußarbeit kaum zu sinnvollen Ergebnissen gelangen. Innerhalb der Beweiswürdigung wäre eine angemessene Berücksichtigung der Argumente von Be- oder Entlastungszeugen ausgeschlossen. Selbst wenn Sachkomplexe behandelt werden, die zwar nicht den Kern des Untersuchungsgegenstandes berühren, aber damit in Zusammenhang stehen 11, wird man dann keine Überschreitung des Einsetzungsbeschlusses annehmen dürfen, wenn ansonsten eine Aufklärung des eigentlichen Untersuchungskomplexes unmöglich wäre. Erst wenn der PUA Beweiserhebungen zu Sachkomplexen vornimmt, die in keinerlei Beziehung zum Untersuchungsgegenstand stehen, kann eine Überschreitung des Einsetzungsbeschlusses eindeutig angenommen werden.

E. Der Einfluß der Überschreitung eines Beweisbeschlusses auf die Aussagedelikte Zu untersuchen bleibt letztlich, ob der Vernehmungsgegenstand für die Auskunftsperson durch den konkreten Beweisbeschluß begrenzt wird 1. Lädt ein PUA eine Auskunftsperson zu einem detailliert umschriebenen Beweisthema, welches sich innerhalb des verfassungsmäßigen Einsetzungsbeschlusses hält, stellt sich die Frage, ob die Person von sich aus zu Tatsachen Stellung nehmen

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11 I

s. o. 1. Teil, C. 1. 5. Vgl. den Fall OLG Koblenz, StrafVert 1988,531,532. Vgl. für den Zivilprozeß Willms. in LK, vor § 153 Rn 20.

1. Teil, F. Ergebnis

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muß, die zwar nicht vom Beweisbeschluß erfaßt sind, aber den Untersuchungsgegenstand betreffen. Grundsätzlich gelten hier die für den Zivilprozeß entwickelten Grundsätze, weil eine Ladung zu einem konkreten Beweisthema sonst keinen Sinn haben würde. Die Auskunftsperson soll sich anhand des Beweisbeschlusses auf die Vernehmung vorbereiten können und hat deshalb von sich aus nur zu Tatsachen Stellung zu nehmen, die mit dem Beweisgegenstand in untrennbarem Zusammenhang stehen. Infolgedessen konkretisiert der PUA den Vernehmungsgegenstand schon vor der Vernehmung. Außerhalb dieses Zusammenhanges liegende Tatsachen, die mit dem Verfahren zu tun haben, werden von der Aussagepflicht zunächst nicht erfaßt, auch wenn sie für den Ausschuß bedeutsam sind oder bedeutsam werden können 2 • Allerdings ist der Ausschuß berechtigt, den Vernehmungs gegenstand während der Vernehmung durch Fragen und Vorhalte zu erweitern 3• Diesbezüglich kann ruchts anderes gelten als im Strafverfahren, weil Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG die sinngemäße Anwendung der strafprozessualen Vorschriften festlegt. Es wäre ein reiner Formalismus, den Ausschuß auf eine neuerliche Ladung unter Zugrundelegung eines anderen Beweisbeschlusses zu verweisen. Deshalb kann der Ausschuß innerhalb des Einsetzungsbeschlusses den Vernehmungsgegenstand auch über den Beweisbeschluß hinaus erweitern. Die Auskunftsperson trifft dann die Verpflichtung, vollständig anzugeben, was mit der erfragten Tatsache bei vernunftgemäßer Auslegung im Sachzusammenhang steht und für den Bericht des Ausschusses erheblich sein kann 4 •

F. Ergebnis Die Untersuchung hat ergeben, daß Falschaussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nur dann die Tatbestände der Aussagedelikte erfüllen können, wenn das Parlament einen formell und materiell verfassungsgemäßen Einsetzungsbeschluß gefaßt hat, das Untersuchungsgremium innerhalb der durch den Einsetzungsbeschluß gezogenen Grenzen ermittelt und die zu bekundenden Tatsachen vom jeweiligen Beweisbeschluß erfaßt werden, soweit der Vernehmungsgegenstand nicht durch Fragen und Vorhalte erweitert wurde.

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Vgl. zum Zivilprozeß Willms. in LK, vor § 153 Rn 20. BGH NJW 1979,266,267. BGH NJW 1979,266, Leitsatz.

2. Teil

Der Betroffene einer parlamentarischen Untersuchung als tauglicher Täter von Aussagedelikten A. Problemstellung Ein strafbares Aussagedelikt im Sinne der §§ 153 ff. StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Auskunftsperson als Zeuge oder Sachverständiger vernommen wird. Nicht vom Tatbestand erfaßt sind damit bspw. uneidliche Parteiaussagen im Zivilprozeß, insbesondere aber die Einlassungen von Beschuldigten in einem Strafverfahren I. Denn wer Beschuldigter ist, kann nach deutschem Recht nicht zugleich Zeuge sein 2 • Die Aussagedelikte orientieren sich bei der Bestimmung tauglicher Täter an den jeweiligen Verfahrensordnungen, die ihrerseits den Schutzbedürfnissen der Auskunftspersonen und ihrer Stellung im Verfahren Rechnung tragen. Da für den strafrechtlich Beschuldigten rechtsstaatliche Garantien bestehen, die sicherstellen sollen, daß der von Sanktionen Bedrohte ausreichende Verteidigungsmöglichkeiten hat und nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens wird 3 , kann seine unwahre Aussage ein Aussagedelikt nicht erfüllen. Er soll in keinem Abschnitt des gegen ihn geführten Strafverfahrens in den Zwiespalt zwischen Aussagepflicht und seinem Recht auf Aussageverweigerung oder Verteidigung gedrängt werden 4 • Im Gegensatz zum Strafverfahren führt eine parlamentarische Untersuchung nicht unmittelbar zu einer strafrechtlichen Verurteilung, weshalb es im Verfahren der Untersuchungsausschüsse einen im strafprozessualen Sinn Beschuldigten nicht gibt. Gleichwohl werden Enqueten oftmals geführt, um einer bestimmten Person oder Personengruppe ein Fehlverhalten nachzuweisen 5 • Die Frage der Rechtsstellung derart von der Untersuchung betroffener Personen gehört seit der Entstehung des Untersuchungsrechts der Parlamente6 bis heute zu den umstrittensten und schwierigsten Problemen des Enqueterechts 7• Die AuseinanderVgl. nur Lenckner, in Schönke/Schröder, § 153 Rn 4; Willms, in LK, § 153 Rn 9 m.w.N. BGHSt 10, 8, 1. Leitsatz. J Vgl. Schröder, S.46. 4 BGHSt 10,8, 10. S Vgl. nur aus jüngster Zeit die Einsetzungsbeschlüsse zu den PUAen BarschellPfeifferAffare, Schl.-Ho1st-LT. Drs. 11/8 (neu), 11/13; Flick-Spendenaffare, BT-Drs. 10/34; PUA "Neu-Perlach", Bay-LT. Drs. 10/3015 (Schlußbericht), S. 1 f.; weitere Nachweise bei Partsch, S. 111 tf.; Schröder, S. 45 tf. 6 Vgl. Heck, S. 63 tf.; Kahn, S. 39 ff. 7 Schröder, S. 45; Quaas/Zuck, NJW 1988, 1873, 1877; Schenke, JZ 1988, 805, 814. I

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2. Teil, B. Gesetzeslage und Reform- bzw. Regelungsvorschläge

setzungen beginnen schon bei der Frage, ob eine rechtliche Sonderstellung für Betroffene überhaupt geboten ist, also eine Notwendigkeit zur Differenzierung bezüglich der Auskunftspersonen im PUA-Verfahren besteht. Soweit dies bejaht wird, besteht nicht nur Uneinigkeit über die dem Betroffenen einzuräumenden Verfahrensrechte. Differenzen bestehen auch dahingehend, ob der Betroffene einer Aussage- und Wahrheitspflicht unterworfen werden kann oder umfassende Einlassungsfreiheit genießen muß. Für die vorliegende Untersuchung sind diese Streitfragen sämtlich von erheblicher Bedeutung. Soweit die Gründe, die für den Beschuldigten des Strafverfahrens die Anwendung der Aussagedelikte verbieten, auch für Personen Geltung beanspruchen, die von einer parlamentarischen Untersuchung betroffen sind, kommen letztere als taugliche Täter von Aussagedelikten nicht in Betracht. Die Fragen, ob die rechtliche Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren besteht, und welche Verfahrensstellung sich für Betroffene aus verfassungsrechtlichen Normen ergibt, sind deshalb notwendige Vorfragen zur Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bezüglich etwaig begangener Aussagedelikte. Dabei wird es einerseits auf die durch Art. 44 Abs. 2 S. I GG angeordnete sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozeß, besonders jedoch auf die verfassungs rechtlich verbürgten Schutzrechte ankommen, die für Betroffene gelten. Um die vorstehend aufgeworfenen Fragen klären zu können, ist es zunächst erforderlich, die bereits bestehenden Regelungen für die Behandlung der Auskunftspersonen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren zu analysieren und den Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung zu betrachten.

B. Gesetzeslage und Reform- bzw. Regelungsvorschläge Da in zahlreichen Bundesländern bereits Gesetze vorhanden sind, die sowohl Einsetzung als auch Verfahren der Untersuchungsausschüsse regeln, sollen zunächst diese Normen betrachtet werden. Auf die Regelungsvorschläge, die für ein Untersuchungsausschußgesetz des Deutschen Bundestages bisher vorliegen, wird später einzugehen sein.

I. Die gesetzlichen Regelungen über Auskunftspersonen in den Untersuchungsausschußgesetzen (UAGs) der Länder Bei der Analyse der Untersuchungsausschußgesetze der Länder ist zunächst von Interesse, ob einzelnen Auskunftspersonen ein umfassendes Schweigerecht eingeräumt wird, ob und wie durch erweiterte Zeugnisverweigerungsrechte ein

I. Die Regelungen in den Bundesländern

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Schutz der Auskunftsperson erreicht wird oder ob alle Personen wie Zeugen des Strafprozesses behandelt werden. Da die UAGs nicht nur hinsichtlich der Frage der Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen, sondern auch bezüglich der den Auskunftspersonen verliehenen Rechte ein uneinheitliches Bild bieten, sollen zunächst die Gesetze betrachtet werden, die eine Differenzierung zwischen Zeugen und Betroffenen vornehmen. 1. Regelungen, die zwischen Zeugen und Betroffenen differenzieren

Eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen findet sich in den UAGen Bayerns, Baden-Württembergs und des Saarlands I. Gleichwohl ergeben sich schon zwischen diesen Gesetzen erhebliche Differenzen bei der Festlegung des betroffenen Personenkreises und deren Rechtsstellung. a) Der Personenkreis der Betroffenen

In Bayern und Baden-Württemberg, wo nach der Verfassung eine Ministeranklage möglich ist, wird den Mitgliedern der Regierung im Falle einer Untersuchung zur Vorbereitung einer derartigen Anklage der Betroffenenstatuts zuerkannt. In Bayern gilt dies auch für die Vorbereitung einer Abgeordnetenanklage 2, während in Baden-Württemberg und im Saarland, wo derartige Anklagen nicht vorgesehen sind, jedes Mitglied des Landesparlaments als Betroffener behandelt wird, soweit die Untersuchung seine Be- oder Entlastung zum Ziele hat 3• Daneben werden in Baden-Württemberg Richter im Falle der Untersuchung zur Vorbereitung einer Richteranklage ebenfalls erfaßt 4 • Insoweit ist eine nahezu einheitliche Regelung bezüglich der Vorbereitung von Minister-, und Richteranklagen deutlich, außerdem aber eine Sonderstellung im Falle der Be- oder Entlastung von Abgeordneten. Deutliche Unterschiede bei der Bestimmung der Betroffenen ergeben sich jedoch dort, wo über den oben erwähnten Personenkreis hinaus dieser Status eingeräumt wird. Während das BayUAG Betroffene als Personen definiert, für die aus dem Untersuchungsauftrag eindeutig hervorgeht, daß sich die Enquete ausschließlich oder ganz überwiegend gegen sie richtet 5 , stellt das saarländische Gesetz darauf ab, daß sich diese Zielrichtung aus dem Verlauf der Untersuchung ergeben muß 6 • I

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Vgl. zu den einzelnen Vorschriften die Darstellung im Anhang. Art. 13 Abs. 1 BayUAG. § 19 Abs. I Nr. 2 Ba-WüUAG; § 54 Abs. I Nr. 1 SaarILTG. § 19 Abs. 1 Nr. 3 Ba-WÜUAG. Art. 13 Abs. I BayUAG. § 54 Abs. 1 Nr. 2 SaarlLTG.

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2. Teil, B. Gesetzeslage und Reform- bzw. Regelungsvorschläge

Dagegen kommt es in Baden-Württemberg allein darauf an, ob im Abschlußbericht des PVA eine Äußerung über eine persönliche Verfehlung der Auskunftsperson abgegeben werden soll7. b) Die Rechtsstellung der Betroffenen

Weitaus interessanter als diese, teilweise diffusen Bestimmungen des betroffenen Personenkreises, sind die unterschiedlichen Rechte der Betroffenen im Hinblick auf ihre Aussagepflicht. Während im Saarland und in Baden-Württemberg zwar den Betroffenen einzelne Verfahrensrechte zugebilligt werden, besteht gleichwohl eine Aussagepflicht nach Art des Zeugen im Strafprozeß 8 • In Baden-Württemberg ist dabei ein erweitertes Zeugnisverweigerungsrecht vorgesehen, daß jedem Zeugen die Verweigerung der Aussage auf solche Fragen ermöglicht, die ihn oder einen seiner Angehörigen dem Vorwurf einer straf- oder standesrechtlichen Verfehlung9 oder der Gefahr einer Abgeordneten- oder Ministeranklage aussetzen würde lO • Dagegen existieren im Saarland auch für die Betroffenen allein die Zeugnisverweigerungsrechte der Strafprozeßordnung 11 • Gänzlich anders bestimmt das bayerische Vntersuchungsausschußgesetz, daß der Betroffene nicht als Zeuge, sondern nach Art eines Beschuldigten im Strafprozeß anzuhören ise 2 • 2. Regelungen, die nicht zwischen Zeugen und Betroffenen differenzieren Die VAGe Berlins, Bremens und Nordrhein-Westfalens unterscheiden zwischen Zeugen und Betroffenen nicht. Die Motive dafür sind unterschiedlich, aufschlußreich allerdings die Erklärungen, die in den Beratungen des Berliner Abgeordnetenhauses zum BerlUAG abgegeben wurden 13. Während der erste eingebrachte Entwurf des Gesetzes eine BetroffenensteIlung in § 16 vorsah, wurde dieser durch die Ausschüsse gestrichen. Der Berichterstatter trug in der 2. Lesung die Besorgnis vor, daß die Anerkennung eines Betroffenenstatus die Kontrolle des Parlaments gegenüber der Exekutive erheblich schwächen könne. § 19 Abs. 1 Nr. 4 Ba-WÜUAG. § 54 Abs. 3 SaariLTG; § 19 Abs. 5 Ba-WÜUAG. 9 § 19 Abs. 5. 10 § 17 Abs. 2. 11 § 54 Abs. 3 SaarILTG. 12 Art. 13 Abs. 2 BayUAG. IJ VgI. Protokolle der 75. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 11.6.1970, S. 355 tT. 7

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I. Die Regelungen in den Bundesländern

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Außerdem sei durch die Beweisantrags- und Fragerechte des Betroffenen eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens zu erwarten, weshalb man auf die Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen verzichten wolle l4 • Auf die Gesetze in Bremen und Nordrhein-Westfalen hat erkennbar die Haltung der Enquetekommission-Verfassungsreform des Deutschen Bundestages Einfluß gehabt, die eine Unterscheidung ablehnte. Im PUA-Verfahren gehe es nicht um die Aufklärung eines festumrissenen Tatbestandes im Hinblick auf die Feststellung persönlicher Schuld eines Menschen, sondern um die Aufklärung eines objektiven Sachverhalts unter politischen Gesichtspunkten l5 • Wie weit derartige Argumentationen tragen können, wird noch zu untersuchen sein. Jedenfalls werden nach diesen Gesetzen sämtliche Auskunftspersonen als Zeugen vernommen, wobei auch noch in der Reichweite der Zeugnisverweigerungsrechte erhebliche Unterschiede bestehen. Das BerlUAG gewährt für alle Zeugen ein - sogar über das weite Schutzbedürfnis des § 384 Nr. 2 ZPO hinausgehendes - Auskunftsverweigerungsrecht. Es gestattet nicht nur die Verweigerung von Aussagen, die der Auskunftsperson zur Unehre gereichen, sondern auch solche, die die Möglichkeit eines schwerwiegenden Nachteils nach sich ziehen könnten 16. Dagegen läßt das UAG Nordrhein-Westfalens eine Zeugnisverweigerung neben den strafprozessualen Verweigerungsgründen nur zu, wenn die Gefahr einer Ministeranklage besteht 17. In Bremen gelten allein die Zeugnisverweigerungsrechte der StPO I8 • 3. Praxis in den Ländern ohne Untersuchungsausschußgesetze Ebenso uneinheitlich wie die Regelungen in den bestehenden Untersuchungsausschußgesetzen ist die Praxis der Länder, die keine speziellen Verfahrensgesetze für Parlamentarische Untersuchungen haben. Sie kann hier nicht im Einzelnen erörtert werden l9 , zeigt sich aber an zwei Beispielen. Der schleswig-holsteinische PUA zur Aufklärung der Barschel-Pfeiffer-Aff"äre legte im Oktober 1987 seinem Verfahren die sog. IPA-Regeln zugrunde 20 und stufte demgemäß einige Auskunftspersonen als Betroffene ein, wobei Aussagepflicht und Auskunftsverweigerungsrechte entsprechend denen von Zeugen im Strafverfahren gehandhabt wurden. Insbesondere bezüglich der Auskunftsver-

14 IS

16 17 18 19 20

Abg. Sickert. aaO, S. 356; vgl. Schröder. S. 50. Enquetekommission-Verfassungsreform, Zur Sache 3/76, S. 131, 132; Schröder. S. 50. § 12 Abs. 2 BerIUAG. § 17 Abs. 2 UAG-NRW. § 14 Abs. 1 UAG Bremen. Vgl. insoweit Partsch. S. III ff.; Schröder. S. 45 ff. Sehl.-Holst. LT Drs. 11166, S. 4; vgl. dazu unten 2. Teil, B. 11.

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2. Teil, B. Gesetzeslage und Reform- bzw. Regelungsvorschläge

weigerungsrechte wurde jedoch sehr großzügig verfahren, so daß einem Betroffenen unter Hinweis auf parallele strafrechtliche Ermittlungsverfahren quasi ein umfassendes Schweigerecht zugebilligt wurde 21 . Darüber hinaus wurden den Betroffenen und ihren Rechtsbeiständen Verfahrensbeteiligungsrechte zugebilligt. Der niedersächsische Spielbankenausschuß, dessen Einsetzung im Januar 1988 geschah 22 , legte seinem Verfahren eine eigene Geschäftsordnung zugrunde. Diese sieht eine BetroffenensteIlung nicht vor, weshalb Anträge auf die Einräumung einer Sonderstellung für betroffene Auskunftspersonen unter Hinweis auf die Geschäftsordnung und die StPO abgelehnt und sämtlichst Auskunftspersonen als Zeugen vernommen wurden 23 • 4. Die strafrechtlichen Folgen der uneinheitlichen Gesetzgebung und Praxis Die gravierenden Unterschiede der LänderUAGe und die uneinheitliche Praxis bei der Behandlung betroffener Auskunftspersonen macht einen Zustand des Rechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse deutlich, der vor allem im Hinblick auf die Strafdrohung der §§ 153 ff. StGB sehr bedenklich ist. Bestünde die Möglichkeit, daß die Parlamente von Bayern und Bremen gleichzeitig zum selben Untersuchungsgegenstand einen PUA einsetzen könnten 24 , so sähe sich eine Person, gegen die sich das Verfahren ganz überwiegend richtet, vor einer merkwürdigen Situation. Was in Bremen zur umfassenden Aussagepflicht gehört, fällt in Bayern unter das umfassende Schweigerecht. Eine Falschaussage dieser Person führt in Bremen zur Strafbarkeit, ist aber in Bayern straflos. Dieser Zustand, den Wagner bereits 1976 beklagte2\ hat sich nicht verändert. Es entsteht der Eindruck, als eröffne das parlamentarische Untersuchungsrecht den Organen der Legislative die Möglichkeit, Auskunftspersonen je nach Belieben in die Rolle des Zeugen oder Beschuldigten zu versetzen, während dies den Justizorganen unmöglich ise6• Da insoweit auch die verfassungsrechtlich festgelegten Schutzrechte der Betroffenen unberücksichtigt bleiben, stellt sich schon aufgrund der praktischen Handhabung durch die Parlamente die Frage, ob nicht in einigen Fällen Auskunftspersonen willkürlich in eine Zeugenrolle gedrängt werden, was eine Anwendung der §§ 153 ff. StGB verbieten so1l27.

Vgl. die Niederschrift der 16. Sitzung vom 23.10.1987, S. 261. Nieders. LT Drs. 1111850, Beschlußempfehlung des Ältestenrates, Drs. 11/1982. 23 Niederschrift der Sitzung vom 20.05.1988, S. 16. 24 Immerhin gab es in vier Länderparlamenten und im Bundestag Ausschüsse zur "NeuenHeimat". 25 Wagner, GA 1976, 257, 268. 26 Wagner. aaO,269. 27 BGH St 10, 8, 12. 21

22

11. Regelungsvorschläge für die PUAe des Bundestages

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11. Regelungsvorschläge und Gesetzentwürfe für die PUAe des Deutschen Bundestages Die Uneinheitlichkeit bei der Behandlung von Auskunftspersonen, die sich in den unterschiedlichen Gesetzen der Länder zeigt, spiegelt sich auch in den Regelungsvorschlägen und Gesetzentwürfen wieder, die für die Arbeit parlamentarischer Untersuchungsgremien des Deutschen Bundestages vorgeschlagen werden. Seit dem PUA "Pan-International" in der 6. Wahlperiode verfahren die Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages nach den sogenannten IPARegeln 28 . Dieser im Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf, der jedoch nie Gesetz geworden ist und deshalb von den Gerichten als reines "Innenrecht" des Bundestages behandelt wird 29 , beinhaltet zwar eine Betroffenenstellung aus der sich einzelne Verfahrensrechte ergeben, statuiert jedoch für die Auskunftspersonen eine Aussagepflicht und die Anwendung der Aussageverweigerungsrechte entsprechend denen eines Zeugen im Strafverfahren 30 • Allerdings halten sich die PUAe des Bundestages eine andere Verfahrensweise offen, indem sie die IPA-Regeln nur anwenden wollen, "soweit sie geltendem Recht nicht widersprechen und wenn nach übereinstimmender Auffassung der Mitglieder des Untersuchungsausschusses keine sonstigen Bedenken dagegen bestehen"3l. Basierend auf dieser Klausel wird insbesondere die Aussagepflicht Betroffener abweichend von den IPA-Regeln gehandhabt. Im "FlickAusschuß,,32 beispielsweise hielt es der Ausschuß für erforderlich, denjenigen Zeugen, gegen die im Zeitpunkt ihrer Vernehmung ein Strafverfahren anhängig war, ein Schweigerecht gemäß § 136 Abs. I S. 2 StPO zu gewähren. Ausdrücklich heißt es dazu im Abschlußbericht: "Der Untersuchungsausschuß ist insoweit der Überzeugung, daß die allgemeine Zeugenpflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage vor einem Untersuchungsausschuß aus rechtsstaatlichen Gründen in derartigen Fällen der weitgehenden Parallelität eines Strafverfahrens mit einem wesentlichen Teil eines Untersuchungsverfahrens hinter dem anerkennenswerten Interesse eines Zeugen und der ungeschmälerten Wahrung seiner Rechte im Strafverfahren zurücktreten muß"33. Abweichend von den IPA-Regeln wurden demgemäß einige Betroffene wie Beschuldigte im Strafverfahren behandelt. Ein von der CDU/CSU-Fraktion in der 7. Wahlperiode eingebrachter Entwurf 34 aus dem Jahr 1977, der sich im wesentlichen an den Vorschlägen der BT-Drs.V/4209; vgl. dazu Schröder, S. 42 f.; Müller-Boysen, S.34. Vgl. OVG Münster, NVwZ 1987, 606, 607. 30 § 18 Abs. 3 IPA-Entwurf. 31 BT-Drs. 10/34, Ziffer 11; vgl. BT-Drs. 10/5079, Tz. 2, S. 2; vgl. zur Praxis auch Kipke, S.62. 32 BT-Drs. 10/5079. 33 BT-Drs. 10/5079, Tz. 11, S. 7. J4 BT-Drs. 7/5924. 28 29

5 Buchholz

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2. Teil, B. Gesetzeslage und Reform- bzw. RegeJungsvorschläge

Enquetekommission-Verfassungs reform orientierte 35 , enthält eine Betroffenenstellung nicht. Allerdings werden allen Zeugen die Zeugnisverweigerungsrechte der ZPO gegeben, weshalb dieser Entu,urf in bezug auf die Aussagepflichten nahezu dem Berliner UAG entspricht, allerdings auch den gewerblichen Geheimnisschutz in die Zeugnisverweigerungsgründe miteinbezieht 36 • Dem Deutschen Bundestag liegen in der laufenden 11. Wahlperiode zwei Gesetzentwürfe zur Beratung eines UAG vor, in denen sich der Streit um die Betroffenenstellung in plastischer Weise wiederspiegelt. In einem interfraktionellen Antrag, der aus der Arbeit des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung stammt 37 , wird in § 15 die Rechtsstellung des Betroffenen vorgesehen. Der Personenkreis umfaßt einerseits den Bundespräsidenten im Falle der Vorbereitung einer Präsidentenanklage, Abgeordnete und Mitglieder der Bundesregierung, soweit das Verfahren ihre Beoder Entlastung zum Ziele hat, und Richter im Falle der Vorbereitung einer Richteranklage. Darüber hinaus wird allen Personen, gegen die sich das Verfahren aufgrund des Untersuchungsauftrages ganz oder teilweise richtet, diese Betroffenenstellung zuerkannt 38 • Derart betroffene Auskunftspersonen dürfen nicht als Zeugen vernommen werden, soweit sich die Untersuchung gegen sie richtet; sie können die Aussage zur Sache verweigern 39 • Davon sieht der Entwurf jedoch eine bedeutsame Ausnahme vor. Eine Aussagepflicht besteht für betroffene Mitglieder der Bundesregierung, soweit sich die Untersuchung auf ihre augenblickliche oder frühere Amtsführung bezieht 40 • In der Begründung des Entwurfs heißt es dazu, daß man mit der Unterscheidung von Zeugen und Betroffenen dem Bedürfnis der Personen Rechnung tragen wolle, die "wegen ihrer besonderen Verwicklung in den Untersuchungsgegenstand eines besonderen Schutzes bedürfen und nicht ohne Gefahr für unvertretbar nachteilige Folgen auf die üblichen Zeugnisverweigerungsrechte verwiesen werden können,,41. Bemerkenswert an diesem Gesetzentwurf ist außerdem, daß eine Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen nicht mehr vorgesehen ist. Gleichwohl wird für uneidliche Falschaussagen vor dem PUA ein neuer Straftatbestand innerhalb des UAG geschaffen, der sich an § 153 StGB orientiert, eine ausdrückliche Beschränkung des Tatbestandes auf Zeugen und Sachverständige allerdings VgJ. dazu Müller-Boysen, S. 38 f. § 15 Abs. 1 S. 2; vgl. Schröder, S. 50. 3? BT-Drs. 10/6587, neu eingebracht als BT-Drs. 11/1896, sogenanntes Schulte-Papier; s. dazu auch Damkowski, ZRP 1988, 340, 343; vgl. dazu auch Bötsch in FS Schellknecht, 1,9. 38 § 15 Abs. 1 d. 39 § 15 Abs. 3 S. I. 40 § 15 Abs. 3 S. 2. 41 BT-Drs. 11/1896, S. 11. 35

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H. Regelungsvorschläge für die PVAe des Bundestages

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nicht vornimmt 42 • Man wird aus der Begründung und Einordnung des Straftatbestandes in den Paragraphen, der in den Absätzen I und 2 nur Zeugen und Sachverständige betrifft, allerdings folgern können, daß Betroffene oder andere Auskunftspersonen vom Tatbestand nicht erfaßt werden sollen. Nach einem von der SPD-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurr3 soll eine BetroffenensteIlung nicht eingeführt werden. Alle Auskunftspersonen können nach diesem Entwurf die Auskunft nur auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung sie selbst, oder einen der in § 52 Abs. I StPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden44 • Daneben finden die Vorschriften der §§ 52,53 und 53 a StPO Anwendung. Da dieser Gesetzentwurf an der grundsätzlichen Aussage- und Wahrheitspflicht aller Auskunftspersonen festhält, bleibt danach - im Gegensatz zum interfraktionellen Entwurf - eine Falschaussage des Betroffenen nach § 153 StGB strafbar. Damit sind die unterschiedlichen Standpunkte zur Frage der Aussagepflicht und des Schweigerechts einer von der parlamentarischen Untersuchung betroffenen Person nun dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorgelegt.

c. Der Meinungsstand und die Entwicklung in der Literatur Die Auseinandersetzung um die Stellung der Auskunftspersonen im Verfahren der PUAe ist ebenso alt wie das Recht der Untersuchungsausschüsse selbst. Dafür gibt schon die Arbeit des 15. Ausschusses des Deutschen Reichstages, der am 20. August 1919 eingesetzt wurde und mit der Aufklärung der Kriegsschuldfrage betraut war, beredtes Zeugnis l . Obwohl der Ausschuß die Frage prüfen sollte, ob sich hinreichendes Material für eine Anklage der Mitglieder der alten Regierung vor einem noch zu schaffenden Staatsgerichtshof ergeben würde, wurden die Personen über dieselben Vorgänge, die Gegenstand der Anklage sein konnten, eidlich vernommen und bei Aussageverweigerung mit Zwangsstrafen bedacht 2• Schon damals gab die Erklärung Bethmann-Hollwegs 3 die Situation wieder, der sich in abgeschwächter Form auch heute noch eine Auskunftsperson vor einem PUA ausgesetzt sehen kann: "Wir stehen in einem eigentümlichen Verfahren ... Es wird hier mit meinem beeidigten Zeugnis ein Tatbestand festgestellt, aufgrund dessen ich vielleicht § 18 Abs. 3. BT-Drs. 11/2025. 44 § 15 Abs. 2. 1 Vgl. zur Einsetzung und Zulässigkeit dieses Ausschusses: Kaufmann, S. 13 fT. 2 Vgl. Heck, S. 66. 3 Protokoll der Sitzungen des VA, S. 313; abgedruckt auch bei Heck, S. 66. 42 43



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2. Teil, C. Meinungen und Entwicklungen in der Literatur

demnächst werde vor dem Staatsgerichtshof zu erscheinen haben. Das ist eine für die juristische Auffassung unhaltbare Konstruktion,,4. Aufgrund dieser frühzeitig erkannten Problematik setzte sich die Rechtswissenschaft schon zur Weimarer Zeit mit der Rechtsstellung von Auskunftspersonen auseinander. Insbesondere der notwendige Schutz durch Auskunftsverweigerungsrechte oder ein umfassendes Schweigerecht wurde schon damals kontrovers diskutiert. Dabei wurde grundsätzlich nach der Art der jeweiligen Untersuchung unterschieden. Soweit eine Untersuchung zur Vorbereitung einer Ministeranklage oder anläßlich eines Antrages auf Genehmigung der Strafverfolgung eingeleitet wurde, sprach Heck von Untersuchungen mit Strafverfolgungscharakter, auf die auch die Bestimmungen der StPO anzuwenden seien, die dem Schutze des Beschuldigten dienen sollen 5 • In derartigen Verfahren habe die Auskunftsperson, ebenso wie der Beschuldigte im Strafprozeß, keine Aussage- und Eidespflicht. Demgegenüber wurde schon 1931 die Ansicht vertreten, daß diese Gleichstellung von Beschuldigten im Strafprozeß mit den "betroffenen" Auskunftspersonen vor einem PUA nicht geboten sei6 • Die Rechte des Beschuldigten seien in der StPO so umfassend geregelt, weil sie ihm ein objektives Urteil gewährleisten und eine Fehlentscheidung des Gerichts verhindern sollten. Da der PUA ein Urteil im strafprozessualen Sinne aber gar nicht fallen könne und der Auskunftsperson keine formale ParteisteIlung zukomme, seien die Beschuldigtenrechte diesen Personen nicht zuzubilligen7• Das Recht zum Schweigen ergebe sich gerade aus der formellen Stellung des Beschuldigten. Verdächtige und sogar Mittäter könnten nach deutschem Recht im Prinzip der Zeugnispflicht unterworfen sein, solange sie nicht diese formelle Stellung hätten 8 • Könne der Untersuchungsausschuß niemanden in diese Lage bringen, weil keine Aburteilung möglich sei, dann seien alle Auskunftspersonen wie Zeugen zu behandeln 9• Damit sind schon 1925 und 1931 zwei unterschiedliche Standpunkte deutlich geworden, die sich - um weitere Argumentationen angereichert - bis heute verfestigt haben. So gehen auch heute zahlreiche Autoren davon aus, daß es im Verfahren der PUAe keinen Beschuldigten gibt und dementsprechend alle Auskunftspersonen als Zeugen zu behandeln sind, wobei allein Probleme bei der Frage der Eidesabnahme gesehen werden lO • Insbesondere der Schutz des § 55 StPO, nach dem ein 4 Bethmann-Hollweg, aaO, S. 313; vgl. auch ähnliche Erklärungen von Helfferich, Ludendorff und von Hindenburg, sämtlich abgedruckt bei Heck, S. 66 Fn 2. 5 Heck, S. 65. 6 Vgl. Kahn, S. 40. 7 Kahn, S. 41. 8 Kahn, S. 42. 9 Ebenda, S. 42.

2. Teil, C. Meinungen und Entwicklungen in der Literatur

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Zeuge die Aussage auf Fragen verweigern kann, die ihn der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, sei für das parlamentarische Untersuchungsverfahren ausreichend 11. Dabei wird immer wieder betont, daß es im Verfahren der PUAe nicht um die Feststellung persönlicher Schuld gehe, wie dies im Strafverfahren der Fall sei, sondern um die Aufklärung eines objektiven Sachverhalts unter politischen Gesichtspunkten l2 • Eine nicht unerhebliche Rolle dürfte es allerdings spielen, daß die Unterscheidung von Zeugen und Betroffenen in der Praxis oft schwierige Abgrenzungsprobleme hervorruft 13. Diese Entscheidung muß außerdem vom PUA selbst getroffen werden, was zu einer Einschränkung der Rechte der parlamentarischen Minderheit führen kann 14. Offensichtlich auch deshalb hat sich die Mehrzahl der Länderparlamente in ihren Untersuchungsausschußgesetzen für eine Gleichbehandlung sämtlicher Auskunftspersonen entschieden 15, obwohl diese Praxis schon 1960 von Maunz als eine Entwicklung kommentiert wurde, die sich mehr und mehr von den Geboten der Rechtsstaatlichkeit entfernt 16. Unter den Autoren, die eine Sonderstellung für "betroffene" Auskunftspersonen für erforderlich halten 17, ergibt sich bezüglich der Ausgestaltung und Begründung dieses Sonderstatus ein uneinheitliches Bild. Neben einigen Autoren, die die BetroffenensteIlung allein mit dem Erfordernis der sinngemäßen Anwendung der Strafprozeßordnung aus Art. 44 Abs. 2 GG und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen begründen wollen, stellt die Mehrzahl der Autoren darauf ab, daß die Verfassung, insbesondere der Grundrechtsschutz der Auskunftspersonen, diesen Sonderstatus erfordere 18. Ob daraus allerdings ein umfassendes Schweigerecht des Betroffenen gefolgert werden muß, ist umstritten. So hält Müller-Boysen ein Schweigerecht aus verfassungsrechtlichen Gründen nur für geboten, wenn die Untersuchung zur Vorbereitung einer Abgeordneten-, Minister-, Richter- oder Präsidentenanklage diene, weil nur dann eine dem 10 Versteyl. in von Münch, Art. 44 Rn 21, 36, 37; Rechenberg. in BK, Art. 44 Rn 25; Stern. Staatsrecht II, § 26 IV 2, S. 106; Groß.. JR 1964, 327, 330; Hunger. S. 76; Kintzi. S. 87 ff.; Halbach. S. 88; aus jüngster Zeit Zeh. DOV 1988,701,706; Schneider. Referat zum 57. Deutschen Juristentag, These 25; für eingeschränkte Zeugenpflichten: Hamann / Lenz. Art. 44 Rn 3. 11 So insbesondere Groß. JR 1964, 327, 330. 12 Ausdrücklich die Enquetekommission-Verfassungsreform, Zur Sache 3176, S. 131. 13 Ebenda, S. 131, 132. 14 Dazu insbesondere Zeh. DÖV 1988, 701, 705. 15 Vgl. oben 2. Teil, B. I. 2. 16 Maunz. in M/D/H, Art. 44 Rn. 54. 17 Rinck. DVBI. 1964,706 ff.; Partsch. S. 209 f.; Müller-Boysen. Schlußbemerkung, S. 170f.; Mensching. S. 68 ff.; Halstenberg. S. 100 f.; Gollwitzer. BayVBI. 1982,417 ff.; derselbe, FS für Dünnebier, S. 327 ff.; Wagner. GA 1976, 257, 260f.;Kohlmann. JA 1984, 670ff.; Schröder. S. 52 ff.; Quaas/Zuck. NJW 1988, 1873, 1877 f.; Schleich. S. 46 ff.; Bickel. Referat zum 57. Deutschen Juristentag, These 14. 18 Vgl. nur Bickel. Referat zum 57. DJT, These 14.

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2. Teil, C. Meinungen und Entwicklungen in der Literatur

Beschuldigten des Strafprozesses vergleichbare Konfliktlage vorliege 19 • Rechtspolitisch sei ein umfassendes Schweigerecht allerdings wünschenswert, wobei ausdrücklich Personen ausgenommen werden sollen, die der Öffentlichkeit in besonderer Weise verantwortlich sind, wie beispielsweise Minister oder Abgeordnete 20 • Für den Fall, daß die Auskunftsperson Gefahr liefe, ein Strafverfahren gegen sich auszulösen oder sich im Hinblick auf ein parallel laufendes Ermittlungsverfahren zu belasten, leiten andere Autoren ein umfassendes Schweigerecht aus dem Nemo-Tenetur-Prinzip (NTP) ab 21 • Der Grundsatz, daß niemand gezwungen werden könne, gegen sich selbst auszusagen, müsse insoweit auch im Verfahren der PUAe gelten 22 • Teilweise wird dieser Grundsatz dann auf alle Untersuchungen erweitert, die die Aufklärung eines Fehlverhaltens der Personen bezwecken und geeignet sind, andere rechtliche Sanktionen des Staates auszulösen 23 • Diesbezüglich sei hier der innere Konflikt der Auskunftsperson derselbe 24 • Dies erkennen viele Autoren nur dann an, wenn es sich um eine Enquete mit personell-bestimmtem Ermittlungszweck handele. Ein umfassendes Schweigerecht sei nicht zu gewähren, wenn nur ein genereller Ermittlungszweck vorliege, weil es in diesen Verfahren keinen "Angegriffenen" gebe, der in eine Verteidigungsrolle gebracht werde 25 • Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß einige Untersuchungen, die zwar einen konkreten Sachverhalt zu beleuchten hätten, nicht wegen der konkreten, sondern allein wegen der typischen Umstände für die Parlamentarier von Bedeutung seien 26 • Weitergehende Vorschläge sind insbesondere den Gutachten zum 45. und 57. Deutschen luristentag zu entnehmen 27 • So meinte Partsch, nach Analyse einiger schleswig-holsteinischer Untersuchungsverfahren, daß es nicht allein auf die Untersuchung von Gegenständen ankomme, deren Aufklärung eine staatliche Sanktion gegenüber der Auskunftsperson auslösen könne. Das Übel liege schon im Untersuchungsverfahren selbst, wenn der Untersuchungsauftrag Vorwürfe enthalte, die geeignet seien, die Ehre Müller-Boysen. S. 108 ff. Ebenda, S. 118 ff. 21 Schleich. S. 53; Kohlmann. JA 1984,670,672; Wagner. Heinz, GA 1976,257,271; Wagner. Wolfgang, NJW 1960, 1936, 1937; Rinck. DVBI. 1964,706,708; Quaas/Zuck. NJW 1988, 1873, 1877; Schachtel. S. 25. 22 a. A. Müller-Boysen. S. 105 ff., 110: Das NTP finde nicht automatisch auf den Betroffenen Anwendung. 23 Gol/witzer. BayVBI. 1982, 417, 419; Gollwitzer. FS für Dünnebier, S. 327, 338. 24 Quaas/Zuck. NJW 1988, 1873, 1877. 2S Halstenberg. S. 99 f.; Rosenberg. S. 24 ff. 26 Halstenberg. S. 38. . 27 Pansch. S. 209 f.; Schröder. S. 54 f. 19

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2. Teil, C. Meinungen und Entwicklungen in der Literatur

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der Auskunftsperson zu treffen 28 • Deshalb schlug der Juristentag 1961 vor, den schweige berechtigten Personenkreis im Verfahren der PUAe auch auf diese Personen zu erweitern 29 • Ausdrücklich werden jedoch die Regierungsvertreter von dieser Regelung ausgenommen, soweit es um ihre Amtsführung geht. 27 Jahre später hat der Gutachter zum 57. DJT einen ähnlichen Vorschlag gemacht JO • Der Kreis der betroffenen Auskunftspersonen könne nicht mit Hilfe der Untersuchungsrichtung bestimmt, sondern allein durch die Bestimmung "anerkennenswerter", durch die Zeugenstellung nicht abgedeckter, Schutzbedürfnisse definiert werden 3l • Diese Schutzbedürfnisse bestünden nicht allein im Hinblick auf parallele, mit dem Untersuchungsthema zusammenhängende ErmittIungs- und Strafverfahren, sondern auch dann, wenn das Verhalten einer Person durch eine parlamentarische Untersuchung öffentlich ins Zwielicht geraten sei 32 • Obwohl diesen Personen der "Betroffenenstatus" zuerkannt werden soll, bleibt unklar, ob damit auch ein umfassendes Schweigerecht gewährt werden soll, weil der Gutachter davon ausgeht, daß diese Stellung nicht automatisch einen Status nach sich ziehen müsse, der in allen Punkten dem eines Beschuldigten zu entsprechen habe 33 • Vielmehr soll die Einlassungsfreiheit des Betroffenen offenbar nur für den Fall des parallelen ErmittIungs- oder Strafverfahrens gewährt werden, während ansonsten ein erweitertes Aussageverweigerungsrecht nach Art des § 384 Abs. 2 ZPO eingreifen soll34. Mit deutlicher Mehrheit hat sich der 57. Deutsche Juristentag 1988 zwar für eine gesetzlich festgelegte Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen ausgesprochen, die Zubilligung eines Schweigerechts jedoch abgelehnt 35. Auch der Betroffene soll danach auf die Zeugnisverweigerungsrechte beschränkt bleiben, die allerdings denen der §§ 383, 384 ZPO entsprechen, bzw. als selbständige im Gesetz zu treffende Bestimmungen analog zu anderen öffentlichrechtlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten ausgestaltet werden sollen 36 • Auch der Blick auf die vorhandene Literatur zeigt, daß die Diskussion um die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen, insbesondere vor dem Hintergrund grundrechtlich geschützter Positionen der Auskunftspersonen, noch nicht abgeschlossen ist 37 •

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Partsch, S. 210. These Nr. 8 des 45. DJT, Band 11, Verhandlungen, E 160. Schröder. These 6, S. 125. Schröder. S. 52, 53. Ebenda, S. 54. Ebenda, S. 55, 125. Ebenda, S. 53, 55. Beschlüsse der staatsrechtlichen Abteilung des 57. DJT, Nr. 18 und 20. Ebenda, Nr. 21. So auch Kretschmer.DVBI. 1988,811,817.

2. Teil, D. Stellungnahmen der Rechtsprechung

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D. Stellungnahmen der Rechtsprechung Obwohl sich die Rechtsprechung in den letzten Jahren verstärkt mit dem Verfahren der parlamentarischen Untersuchung zu beschäftigen hatte!, sind höchstrichterliche Stellungnahmen, die sich vorrangig mit den Auskunftspersonen vor PUAen befassen, selten geblieben. Vor dem Hintergrund der Aussagedelikte hatte sich der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Jahr 1960 mit der Vernehmung von Zeugen vor Untersuchungsausschüssen auseinanderzusetzen 2• Anlaß dazu gaben die zahlreichen Meineidsverfahren, die dem legendären Spielbankenausschuß des bayerischen Landtages folgten. Ausdrücklich erklärte der BGH in dieser Entscheidung, daß es der Zeugeneigenschaft einiger im Meineidsverfahren Angeklagter nicht entgegengestanden habe, daß sie sich bei wahrheitsgemäßer Beantwortung einiger Fragen in die Gefahr einer Abgeordneten- oder Ministeranklage gebracht hätten 3• Der PUA habe nämlich nicht den Auftrag gehabt, das Verhalten der Angeklagten zu untersuchen, sondern allein die Prüfung der Erteilung von Spielbankenkonzessionen sei als Untersuchungsgegenstand zu betrachten gewesen. Da der Strafprozeßordnung kein Grundsatz zu entnehmen sei, der es verböte, jemanden der einer Straftat verdächtig sei, als Zeugen zu vernehmen, wie sich aus den §§ 55, 60 Nr. 3 StPO ergebe, sei die Verfahrensweise des PUA diesbezüglich nicht zu beanstanden gewesen 4 • Damit hat sich der BGH die Unterscheidung von Enqueten mit personellbestimmtem Ermittlungszweck gegenüber denen mit generellem Ermittlungszweck zu eigen gemacht 5• Der Entscheidung läßt sich nämlich entnehmen, daß das Gericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn dem PUA die Untersuchung des Fehlverhaltens der Zeugen aufgetragen gewesen wäre. Insoweit stellt sich das Gericht auch die Frage, ob der Bayerische Landtag den generellen Ermittlungsauftrag möglicherweise nur deshalb erteilt habe, um bestimmten Personen, die er strafbarer oder mindestens ehrenrühriger Handlungen für verdächtig hielt, dem Aussage- oder Eideszwang auszusetzen 6• Wären dafür Anhaltspunkte vorhanden gewesen, hätte der BGH offenbar wegen willkürlicher Annahme einer Zeugenstellung die Tatbestandsmäßigkeit eines Aussagedelikts verneint 7 • Damit hat das Gericht aber verdeutlicht, daß es zumindest bei personell-bestimmten Ermittlungen davon ausgeht, daß eine Gleichbehandlung sämtVgl. nur die Darstellung bei Hilf, NVwZ 1987, 537 ff. BGHSt 17, 128 ff. J BGH St 17, 128, 129. 4 BGH St 17, 128, 130. 5 Vgl. Wagner, NJW 1960, 1936, 1937. 6 Ebenda, S. 130. 7 Vgl. BGHSt 17, 128, 130 mit HinweisaufBGHSt 10,8, 12; dazu auch Wagner. GA 1976, 257,269. I

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2. Teil, D. Stellungnahmen der Rechtsprechung

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licher Auskunftspersonen im parlamentarischen Untersuchungsverfahren vor dem Hintergrund der Aussagedelikte nicht in Betracht kommt. Die Problematik der Entscheidung des BGH liegt nun allerdings darin, daß sie einerseits bei der Festlegung der Zeugenrolle eine Enquete mit generellem Ermittlungszweck annimmt, bei der Frage der möglicherweise rechtswidrigen Vereidigung der Zeugen jedoch betont, daß der PUA mindestens auch die Aufgabe gehabt habe, "in dem erörterten begrenzten Umfange und zu dem dargelegten begrenzten Ziel etwa begangene Straftaten (scil.: der Zeugen) zu untersuchen"g. Mit dieser Begründung läßt sich allerdings der personell-bestimmte Ermittlungszweck der Untersuchung überhaupt nicht mehr leugnen, weshalb das Gericht selbst die oben gegebene Begründung in Frage stellt 9 • Hieran zeigt sich, daß sich eine eindeutige Unterscheidung zwischen Untersuchungen mit personell-bestimmtem oder generellem Ermittlungszweck kaum treffen läßt. Nimmt man letztere Argumentation des BGH ernst, so wird deutlich, daß der PUA eigentlich doch das Fehlverhalten der Auskunftsperson zu untersuchen hatte, weshalb das Gericht bei konsequenter Anwendung der selbst aufgestellten Grundsätze lO ein tatbestandsmäßiges Aussagedelikt hätte verneinen müssen. In jüngster Zeit hatte sich auch das OLG Köln mit den Problemen einer uneidlichen Falschaussage vor einem PUA zu beschäftigen 11. Dabei erörterte das Gericht auch die Frage, ob der wegen uneidlicher Falschaussage vom Amts- und Landgericht verurteilte Zeuge sich vielleicht in einer beschuldigtenähnlichen Stellung befand, weshalb eine Verletzung der Wahrheitspflicht möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion nicht auslösen konntell. Das Gericht erörterte zwar nicht abschließend, ob bei der Annahme einer solchen beschuldigtenähnlichen Stellung ein Freispruch zu erfolgen hat, machte allerdings deutlich, daß es an den vom BGH aufgestellten Grundsätzen 13 festzuhalten beabsichtigt, indem es für die neue Verhandlung bemerkt: "Es wird ... zu prüfen sein, wie der Untersuchungsauftrag lautete und ferner, ob er nachträglich erweitert oder geändert worden ist. Handelt es sich danach um eine parlamentarische Untersuchung mit generell-bestimmtem Ermittlungszweck, so wird mangels "Verstrickung" von einer beschuldigtenähnlichen Stellung des Angeklagten regelmäßig nicht gesprochen werden können, es sei denn, die Untersuchung wäre unter dem Deckmantel eines nur der äußeren Form nach sachbezogenen Auftrages in Wirklichkeit personenbezogen gegen den Angeklagten geführt worden. Sollten die Ermittlungen des Tatrichters dagegen ergeBGHSt 17, 128, 132. So auch Wagner, GA 1976, 257, 266 Fn 76, der darin eine Überschreitung des Untersuchungsauftrages sieht, die zur Unzuständigkeit des Ausschusses führt. 10 BGHSt 10, 8, 12. II OLG Köln, NJW 1988, 2485 tT. 12 OLG Köln, NJW 1988,2485,2487. 13 BGHSt 17,128 ff. 8

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2. Teil, D. Stellungnahmen der Rechtsprechung

ben, daß sich der Angeklagte vor dem Untersuchungsausschuß tatsächlich in einer "beschuldigtenähnlichen Situation" befunden hat, weil er einer Straftat oder eines Dienstvergehens verdächtig war und das Untersuchungsverfahren im Rahmen des Untersuchungsauftrages (auch) mit dem Ziel geführt wurde, diesen Verdacht aufzuklären, wäre unter Beachtung der vom BGH 14 dazu aufgestellten Grundsätze zu erörtern, ob der Angeklagte nach den gesamten Umständen des Einzelfalles einem Beschuldigten, dessen falsche Aussage sanktionslos bleibt, gleichgestellt werden kann, ... " 15. Damit macht das OLG einerseits deutlich, daß es die Unterscheidung in generell- und personell-bestimmte Ermittlungen für geboten hält, andererseits aber unter bestimmten Voraussetzungen eine unterschiedslose Behandlung sämtlicher Auskunftspersonen nicht hinnehmen will. Weitere höch,strichterliche Entscheidungen, die sich explizit mit dem Aussageverweigerungs- oder Schweigerecht einer Auskunftsperson befassen, sind, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. Allerdings hatte das OVG Münster 16 die Frage zu entscheiden, ob der von einer parlamentarischen Untersuchung betroffenen Person Verfahrensrechte kraft Verfassung zustehen würden 17. In diesem Urteil stellte das Gericht, unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Flick-Spendenaffare l8 fest, daß die in Art. 44 Abs. 2 GG enthaltene Verweisung auf die sinngemäße Anwendung der StPO nicht solche Vorschriften in bezug nehmen wolle, die dem vom Verfahren Betroffenen bei der Erforschung des Sachverhalts bestimmte Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte gewähren l9 • Die Verweisung solle den PUA mit einem gesetzlichen Instrumentarium ausstatten, dessen er bedarf, um seinen Untersuchungsauftrag wirkungsvoll erfüllen zu können. "Daher erfaßt sie nur Vorschriften der StPO, in denen die den Strafverfolgungsorganen zustehenden Befugnisse zur Aufklärung des Sachverhalts und deren Grenzen umschrieben sind,,20. Ob damit, wie teilweise angenommen wird, auch der § 136 Abs. I S. 2 StPO, der die Einlassungsfreiheit des Beschuldigten bestimmt, nicht von der Verweisung erfaßt ise 1, erscheint durchaus zweifelhaft. Erklärt nämlich das Bundesverfassungsgericht, auf welches sich das OVG Münster diesbezüglich stützt, daß durch Art. 44 Abs. 2 GG nicht nur befugnisbegründende, sondern auch befugnisbegrenzende Regelungen erfaßt sind 22 , dann stellt sich die Frage, ob nicht 14 15 16 17 18

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BGHSt 17, 128 ff. OLG Köln, NJW 1988,2485,2487. OVG Münster, NVwZ 1987,606 ff. Vgl. dazu auch Schlußbericht des PUA "Neue Heimat", BT-Drs. 10/6779, TZ 17. BVerfGE 67, 100, 133. OVG Münster, NVwZ 1987, 606, 607. Ebenda, 607. So offenbar Quaas/Zuck, NJW 1988, 1873, 1877. BVerfGE 67, 100, 133.

2. Teil, D. Stellungnahmen der Rechtsprechung

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gerade § 136 Abs. 1 S. 2 StPO eine derart befugnisbegrenzende Norm ist. § 136 StPO ist nämlich die Grundlage dafür, daß kein Beschuldigter als Zeuge vernommen werden darf23 • Ergibt sich aus der Verweisung auf die StPO gerade das Recht der PUAe Zeugen zu vernehmen, dann müßte § 136 StPO, der diese Befugnis begrenzt, ebenso Anwendung finden. Gleichwohl soll hier nicht oberflächlich der Versuch unternommen werden, die Frage zu klären, was noch sinngemäß und was nicht mehr sinngemäß im Sinne von Art. 44 Abs. 2 GG ist. Jedenfalls kann aus den Entscheidungen des OVG Münster und des Bundesverfassungsgerichts nicht geschlossen werden, daß die Einräumung eines Schweigerechts für Betroffene aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten wäre. Die Auswertung dieser Rechtsprechung zeigt, daß insbesondere die Strafgerichte bei der Aburteilung von Aussagedelikten die Rechtmäßigkeit einer unterschiedslosen Behandlung sämtlicher Auskunftspersonen vor PUAen anzweifeln. Die Begründungen für diese Entscheidungen der Strafgerichte sind jedoch wenig ergiebig, weil sie zwar von einer "beschuldigtenähnlichen" Stellung oder "Verstrickung" sprechen und diese mit der Zielrichtung des Verfahrens in Verbindung bringen, aber keinerlei Kriterien oder Erklärungen dafür liefern, wann und weshalb diese anzunehmen sein soll. Insoweit dürfte allein die - durch Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG vorgeschriebene - sinngemäße Anwendung der StPO einen Anknüpfungspunkt für die Argumentation liefern. Um einer Vielzahl von Interpretationsschwierigkeiten bei der Frage dieser "sinngemäßen" Anwendung strafprozessualer Normen zu entgehen, soll hier der Ansatz weiterverfolgt werden, der versucht, von den Schutzrechten der Verfassung ausgehend, eine Bestimmung der Rechtsstellung Betroffener zu erarbeiten. Daraus könnten sich auch verfassungsrechtliche Gründe ergeben, die eine Bestrafung betroffener Auskunftspersonen wegen eines Aussagedelikts ausschließen. Gleichzeitig wird damit die Frage geklärt, ob sich aus der Verfassung die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Zeugen und Betroffenen im PUA-Verfahren ergibt und welche Folgen dies für die Gesetzgebung hat.

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BGHSt 10, 8, 10.

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2. Teil, E. Unterscheidung von Zeugen und Betroffenen

E. Die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Zeugen und Betroffenen vor dem Hintergrund verfassungsrechtIicher Schutzvorschriften I. Methodische Vorüberlegung Um die Geltung verfassungsrechtlicher Schutzvorschriften für Betroffene einer parlamentarischen Enquete zu untersuchen, müßte zunächst eine genauere Bestimmung dieses Personenkreises vorgenommen werden. Diese Bestimmung ist jedoch ihrerseits abhängig von der Rechtsposition, die sie aufgrund des Verfassungsrechts im Verfahren genießen. Personenkreis und Rechtsstellung Betroffener sind deshalb voneinander abhängige Variable, die getrennt voneinander eigentlich nicht untersucht werden können!. Erforderlich ist es deshalb, entweder den betroffenen Personenkreis oder die ihnen zustehenden Rechte zu skizzieren, um die Untersuchung der jeweils anderen Variablen durchzuführen. Dazu bietet es sich an, auf der Grundlage der Definitionen in den Untersuchungsausschußgesetzen der Länder, eine grobe Bestimmung des Personenkreises vorzunehmen und die verfassungsmäßigen Rechte dieser Personen zu erarbeiten. Daraus wird sich entweder eine immer genauer werdende Definition des Betroffenen oder die rechtliche Irrelevanz einer Differenzierung zwischen Zeugen und Betroffenen ergeben. Betrachtet man die Betroffenendefinitionen in den Landesgesetzen, lassen sich daraus, trotz erheblicher Detailunterschiede, grundsätzliche Übereinstimmungen erkennen. Regelmäßig werden Personen, deren (Fehl-)Verhalten durch den Ausschuß untersucht werden soll, als Betroffene eingestuft. Teilweise wird dies durch die Zielrichtung des Verfahrens 2 , teilweise durch die Möglichkeit einer Stellungnahme zu diesem Verhalten im Abschlußbericht 3 ausgedrückt. Immer besteht aber eine materielle Beziehung der Person zum Auftrag des Ausschusses, die sich als die Untersuchung eines gerade gegen sie gerichteten Vorwurfs kennzeichnen läßt. Dabei ist zunächst gleichgültig, ob sich dieser Vorwurf aus dem Untersuchungsauftrag selbst oder dem Verlauf der Untersuchung ergibt. Ebensowenig kommt es hier darauf an, ob dieser Vorwurf ausschließlich gegen eine bestimmte oder mehrere Personen erhoben wird und ob er straf- oder disziplinarrechtlich relevant ist 4 • Grob kann deshalb der Betroffene als eine Person beschrieben werden, gegenüber der ein Vorwurf erhoben wurde, den der Ausschuß nach seinem Auftrag zu untersuchen berechtigt ist. Nur diese Personen werden im folgenden als Betroffene bezeichnet und nur ihnen gilt diese Untersuchung. 1 2 J

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Vgl. zu diesem methodischen Problem auch Müller-Boysen. S. 42 ff. Vgl. nur Art. 13 Bay-UAG; s. o. 2. Teil, B. I. I. a. § 19 Abs. I Nr. I BaWÜ-UAG. Vgl. dazu unten 2. Teil, E. 11. 2. b. aa. und bb.

11. Das Nemo-Tenetur-Prinzip

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Aus dem vorangestellten groben Definitionsversuch des Betroffenen ergibt sich bereits eine Ähnlichkeit zum Beschuldigten des Strafverfahrens. Ihm gegenüber wird ein strafrechtlich relevanter Vorwurf erhoben, den das Gericht entsprechend der Anklageschrift zu untersuchen hat. Eine Bestimmung des verfassungsrechtlichen Schutzes eines Betroffenen kann sich deshalb an den Bestimmungen orientieren, die dem strafrechtlich Beschuldigten seine Rechtsposition sichern. Die Übertragbarkeit dieser Rechte hängt dann im wesentlichen von den Strukturunterschieden zwischen Straf- und PUA-Verfahren ab. Im folgenden ist deshalb zu untersuchen, inwieweit der Schutz vor Selbstbelastungen, das Recht auf rechtliches Gehör und das Prinzip des fairen Verfahrens für Betroffene einer parlamentarischen Untersuchung zur Geltung kommen müssen und welche Folgerungen sich daraus für ihre Rechtsstellung ergeben.

11. Das Nemo-tenetur-Prinzip (NTP) Grundlage der Aussagefreiheit des Beschuldigten im Strafverfahren ist der Grundsatz, daß niemand verpflichtet ist, durch eigenes Tun an seiner Strafverfolgung mitzuwirken 5 • Damit trägt die Strafprozeßordnung der Konfliktsituation Rechnung, in der der Beschuldigte steckt. Er sieht die Folgen eines Schuldspruches vor Augen, der für ihn einen Verlust von Rechtsgütern wie Freiheit, Vermögen oder Ehre zur Folge haben kann 6• Damit befindet er sich in einer Abwehrsituation 7 , in der es völlig unnatürlich wäre, wenn sich der Beschuldigte als Waffe gegen seine eigenen Rechtsgüter einsetzen würde 8 • Das NTP kommt deshalb für den Beschuldigten in § 136 StPO zum Ausdruck, der ihm die völlige Einlassungsfreiheit im Strafprozeß gewährt. Aber auch im Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 StPO und der Zeugenschutzbestimmung des § 68 a StPO spiegelt sich dieser Gedanke für den Zeugen wieder 9 • Durch eine rechtlich vorgeschriebene Aussagepflicht könnte eine Auskunftsperson in die Konfliktlage geraten, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung bezichtigen zu müssen, wegen seines Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden oder durch eine Falschaussage ein neues Delikt zu begehen. Die in dieser Konfliktlage befindliche Aussageperson will das NTP schützen.

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Vgl. Hanack. in Löwe-Rosenberg, § 136 StPO Rn 21 m.w.N. Vgl. Rogall, S. 145 f. Peters, S. 337. Rogall. S. 145. Rogall, S. 238.

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2. Teil, E. Unterscheidung von Zeugen und Betroffenen

1. Die Herleitung des NTP aus der Verfassung

Das NTP ist jedoch nicht allein ein beachtenswertes Rechtsprinzip, welches aus der Geschichte des Deutschen Strafprozesses stammt 10. Unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Konfliktlage würde eine erzwingbare Auskunftspflicht einen Eingriff in die Handlungsfreiheit und eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts im Sinne des Art. 2 Abs. I GG darstellenIl. Zugleich berührt ein Zwang zur Selbstbezichtigung die Würde des Menschen, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet wird 12. Es handelt sich somit nach heute herrschender Auffassung um ein Prinzip mit Verfassungsrang 13 • Bei der Herleitung des NTP aus der Verfassung zeigen sich jedoch interessante Detailunterschiede. Während ein Teil der Literatur den Schutz vor Selbstbezichtigungen allein aus dem Persönlichkeitsrecht der Art. 2 Abs. I i.V.m. Art. I GG ableitet l4 , stellen andere Autoren vorrangig auf das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abis. Wie zu zeigen sein wird, können nur heide Komponenten Grundlage des NTP sein, wobei sie letztlich übereinstimmend auf den Schutz der Menschenwürde rekurrieren l6 • Soweit das NTP aus den Artikeln 2 Abs. I i. V.m. I Abs. I GG abgeleitet wird, macht dies die Einschränkbarkeit des verfassungs rechtlichen Schutzes deutlich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts '7 und herrschender Auffassung in der Literatur l8 steht nämlich nicht der gesamte Bereich privaten Lebens unter dem absoluten Schutz der genannten Grundrechte. Nur soweit ein Gebiet privater Lebensgestaltung berührt wird, das als Intimsphäre bezeichnet werden kann l9 , ist dieses jeglicher Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen. Insoweit hat der Persönlichkeitsschutz absoluten Vorrang vor entgegenstehenden Allgemeininteressen. Diesem unantastbaren Kernbereich des Persönlichkeitsrechts ist eine Sphäre vorgelagert, die zwar verfassungsrechtlichen Schutz genießt, aber Eingriffe zuläßt, die im überwiegenden Allgemeininteresse unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten sind 20 • Diesbezüglich ist eine genauere Bestimmung des Standortes des Vgl. zur historischen Entwicklung: Reiß. S. 145 ff.; Rogall. S. 67 tl. Vgl. BVerfGE 56, 37, 41. 12 Ebenda, S. 42. 13 BVerfGE 38, 105, 113; Rinck. DVBI 1964, 706, 707; Rogall. S. 139 ff.; Reiß. S. 140 ff.; Wagner. GA 1976, 257, 271; Kohlmann. JA 1984, 670, 672; Schleich, S. 40; Mül/er-Boysen. S. 96 ff. 14 Rogall. S. 139 ff.; Mül/er-Boysen. S. 96 ff. 15 Reiß. S. 140 ff.; 157 ff.; Rinck. DVBI. 1964, 706, 707. 16 Vgl. die vorgenannten Fußnoten; BVerfGE 56, 37 ff. läßt eine genaue Bestimmung deshalb offen. 17 Vgl. BVerfGE 35, 202, 220 m.w.N.; BVerfGE 6, 389, 433. 18 Vgl. nur Zippelius in BK, Art. I Rn 18 ff.; Rogall. S. 143 ff. 19 Vgl. BVerfGE 34, 238, 245 m.w.N. 20 Vgl. nur BVerfGE 34, 238, 246 m.w.N. 10

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11. Das Nemo-Tenetur-Prinzip

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NTP innerhalb des Persönlichkeitsrechts nötig, um Stellenwert und Beschränkbarkeit des Prinzips zu erkennen. Deutlich ist zunächst, daß nicht jede Pflicht zur Selbst belastung den Kernbereich der genannten Grundrechte berührt 21 • Ansonsten müßte auch die Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen, die einen Verlust eigener Rechtsgüter bewirken und bei Nichtabgabe Zwangsmaßnahmen bzw. strafrechtliche Folgen auslösen kann, wegen der Geltung des NTP unzulässig sein. Andererseits kann das Verbot einer Verpflichtung zur Selbstbelastung nicht auf strafrechtliche Verfahren beschränkt sein, denn die Art. 2Abs.1 i.V.m.1 Abs.l GGmachendie grundsätzliche Geltung des NTP in der gesamten Rechtsordnung deutlich 22 • Es kann deshalb nur die konkrete Konfliktlage, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Gewicht der möglichen Grundrechtsbeeinträchtigung und den entgegenstehenden Allgemeininteressen ergibt, zur Bestimmung des tangierten Persönlichkeitsbereichs herangezogen werden. Dabei wird gleichzeitig darüber entschieden, ob ein rechtlich anzuerkennender Geheimhaltungsbereich berührt ist 23 • Wann eine Verletzungshandlung den unantastbaren Bereich des Persönlichkeitsrechts berührt, kann somit grundsätzlich nur anhand des konkreten Einzelfalles bestimmt werden 24 • Soweit Selbstbezichtigungen zu strafrechtlichen Auswirkungen führen können, stellen diese einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Beschuldigten dar25 • Aufgrund dieser Wirkung, die von geringer Geldstrafe bis zur langjährigen Freiheitsentziehung reichen kann und der das Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit gegenübersteht, wird in Rechtsprechung und Literatur allgemein angenommen 26 , daß eine Aussagepflicht des strafrechtlich Beschuldigten seine Würde und damit den unantastbaren Kernbereich des Persönlichkeitsrechts verletzt. Die Aussagefreiheit des Beschuldigten ist also der Disposition des Gesetzgebers entzogen. Inwieweit dies auch für Betroffene in einem parlamentarischen Untersuchungsverfahren gelten kann, hängt nach den oben gewonnenen Grundsätzen von der Konfliktlage ab, in die eine Auskunftsperson vor einem PUA gebracht werden kann 27 • Bei einer ausschließlichen Ableitung des NTP aus dem Persönlichkeitsrecht ginge jedoch ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt des Prinzips verloren 28 • Die Vgl. BVerfGE 56, 37, 49. Vgl. BVerfGE 56, 37, 44. 23 VgI. Roga/l, S. 146; Reiß, S. 166 meint, daß es darauf überhaupt nicht ankommen kann, stellt mit seinen Argumenten aber allein auf strafrechtlich relevante Sachverhalte ab und müßte konsequent entweder zum generellen Verbot von Selbstbezichtigungen oder zur Begrenzung des NTP auf diese Sachverhalte kommen. 24 Roga/l, S. 147. 25 Vgl. BVerfGE 56, 37, 43. 26 Vgl. nur BVerfGE 56, 37, 42; BVerfGE 38, 105, 114; Rogall, S. 147 f.; Reiß, S. 166; jew. m.w.N.; Stürner, NJW 1981, 1757. 27 s. u. 2. Teil, E. 11. 2. b. 28 Dies hat Reiß, S. 169, zu Recht festgestellt. 21

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2. Teil, E. Unterscheidung von Zeugen und Betroffenen

Betrachtung erfolgt nämlich zu einseitig vom Individuum, dem Beschuldigten oder Betroffenen, her. Aber nicht nur derjenige, der sich in der Konfliktlage zwischen Aussagepflicht und Selbstbezichtigung befindet, hat ein Interesse am Schutz vor selbstbelastenden Aussagen, sondern auch das staatliche Gemeinwesen, weil dadurch eine rechtsstaatliche Ausgestaltung des jeweiligen Verfahrens verkörpert wird. Im Strafverfahren muß der Zwang zum Geständnis nicht nur abgelehnt werden, weil dies einen Rückfall in den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß bedeuten würde 29 , sondern auch, weil die Akzeptanz einer richterlichen Entscheidung beim Beschuldigten und der Öffentlichkeit kaum gegeben ist, wenn sie sich auf ein zwangsweise herbeigeführtes Geständnis stützt. Nicht nur die Wahrheitserforschung, sondern gerade auch die Art und Weise, wie die Wahrheit erforscht wird, hat erheblichen Anteil daran, daß die Aufklärungsarbeit eines Gremiums als rechtsstaatlich und fair eingestuft und deshalb vom Bürger akzeptiert wird. Das jeweilige Verfahren besitzt demnach einen Eigenwert 30. Folgerichtig wird in der Literatur 31 deshalb auf ein Zitat Gneists hingewiesen, der diesen Gedanken durch die Erklärung zum Ausdruck bringt, daß der Zwang zur Selbst belastung des "rechtsprechenden Staates nicht würdig" ise 2 • Dieser Aspekt der Beschränkung staatlicher Zwangsmittel, nicht nur um der Interessen des Einzelnen willen, sondern auch um der "Würde" des Staates willen 33 , kann seine Grundlage nur im Rechtsstaatsprinzip selbst haben. Dementsprechend ist eine Ableitung des NTP allein aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zumindest eine Verkürzung des dahinterstehenden Grundgedankens, der im Verlauf der weiteren Untersuchung noch von Bedeutung sein kann. Das NTP hat seine Grundlage demnach im Persönlichkeitsrecht und im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. Fraglich bleibt, ob und inwieweit es auch im Verfahren der parlamentarischen Untersuchung zur Anwendung kommen muß. 2. Die Geltung des NTP im parlamentarischen Untersuchungsverfahren

Die obige Ableitung des NTP aus der Verfassung hat zur Folge, daß eine Geltung dieses Prinzips im PUA-Verfahren nur in Betracht kommt, wenn auch vor einem Untersuchungsausschuß die für das Strafverfahren beschriebene Konfliktlage eintreten kann. Es ist also das Gewicht der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts Betroffener zum parlamentarischen Informationsinteresse in Bezie29 30

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Vgl. dazu Reiß. S. 145 ff. Vgl. Müller-Dietz. ZStW 93, 1147, 1205. Reiß. S. 169. Gneist. S. 82, 84. Reiß. S. 169.

11. Das Nemo-Tenetur-Prinzip

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hung ZU setzen. Aus dem Ergebnis dieser Abwägung, in die auch die Frage nach der Legitimität des individuellen Geheimhaltungsinteresses einfließen muß, ergibt sich die Zulässigkeit einer zwangsweise durchsetzbaren Aussagepflicht. a) Grundsätzliche Einwände gegen die Anwendbarkeit des NTP für Betroffene eines PUA-Verfahrens

Die strukturellen Unterschiede, die zwischen Straf- und PUA-Verfahren bestehen, könnten dazu veranlassen, eine prinzipielle Unübertragbarkeit des NTP für Personen anzunehmen, die von einer parlamentarischen Untersuchung betroffen sind. Deshalb soll zunächst diesen grundsätzlichen Einwänden nachgegangen werden. aa) Die fehlende Sanktionsfinalität des Untersuchungsverfahrens

Der größte und immer wieder hervorgehobene Unterschied zwischen Strafverfahren und parlamentarischen Enqueten besteht darin, daß die Untersuchungsausschüsse nach Abschluß ihres Verfahrens keine strafrechtliche Sanktion verhängen können 34 • Aus dieser fehlenden Sanktionsfinalität des PUA-Verfahrens wird teilweise geschlossen, daß die durch das NTP geschützte Konfliktlage vor einem Untersuchungsausschuß nie entstehen könne 35 • (1) Die "Ausstrahlungswirkung" des NTP Daß dies nicht der Fall ist, zeigt schon ein simples Beispiel. Bezweckt die Untersuchungsarbeit eines Ausschusses die Aufklärung eines Sachverhalts, der gleichzeitig Gegenstand eines Strafverfahrens ist, droht dem Betroffenen zwar keine strafrechtliche Sanktion, die der Untersuchungsausschuß verhängt, seine erzwingbare Aussage könnte aber im Strafverfahren berücksichtigt werden und würde dort die strafrechtliche Sanktion auslösen. Diese wäre dann zwar nicht unmittelbare, aber mittelbare Folge des PUA-Verfahrens 36 , weil den Betroffenen als Beschuldigten das NTP schützt und er vor dem Strafgericht keine Aussagepflicht hat. Da in diesem Fall zwei unterschiedliche Gremien ein und denselben Sachverhalt mit derselben Zielrichtung untersuchen, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Konfliktlage des Betroffenen mit der des Beschuldigten identisch ist 37 • Nach heute herrschender Auffassung entfaltet das NTP deshalb 14 VgI. nur OVG Münster, NVwZ 1987,606,608; VG Köln, Beschluß v. 5.8.1986 - 4 L 958/86, S. I3 - nicht veröffentlicht; Gollwitzer, in FS-Dünnebier, S. 323;Di Fabio. S.66;MüllerBoysen, S. 109; Schleich. S. 50. lS VgI. Kahn, S. 42. l6 Eingehend zu diesen Fällen: unten 2. Teil, E. 11. 2. b. l7 VgI. Gollwitzer, BayVBI. 1982,417,420; Wagner, GA 1976,257,266.

6 Buchholz

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2. Teil, E. Unterscheidung von Zeugen und Betroffenen

bezüglich derartiger mittelbarer Folgen eine "Ausstrahlungswirkung" über das Strafverfahren hinaus 38 • Ob der Schutz des NTP insoweit durch Auskunftsverweigerungsrechte oder ein Verwertungsverbot im Strafverfahren gewährleistet werden kann, soll hier zunächst dahinstehen 39 • Wichtig ist allein, daß schon aufgrund dieser "Ausstrahlungswirkung" des NTP eine Anwendung auch im PUAVerfahren geboten ist. (2) Der Abschlußbericht eines PUA als Sanktion Daneben muß die Behauptung grundsätzlich in Zweifel gezogen werden, daß eine Sanktionsfinalität im PUA-Verfahren nicht gegeben ist. Es trifft zwar zu, daß der Untersuchungsausschuß am Schluß seiner Beweiserhebungen keine Geld- oder Freiheitsstrafen aussprechen oder Maßregeln der Besserung und Sicherung anordnen kann. Aber diese möglichen Folgen eines Strafverfahrens sind durchaus nicht die einzigen bekannten Sanktionsformen. Unter Sanktion versteht man die mit einer rechtlichen Regelung verbundene Rechtsfolge, die der Norm zur effektiven Geltung verhelfen soll40. Sie ist also eine repressive staatliche Maßnahme, mit der die Rechtsordnung auf Normabweichungen reagiert 41 • Zumindest bei Mißstands- oder Skandalenqueten stellt sich einem PUA die Aufgabe, normabweichendes Verhalten zu untersuchen. Und er reagiert auch auf dieses Verhalten, indem er im Abschlußbericht einerseits Tatsachen dokumentiert und andererseits diese politisch bewertet. Insbesondere in diesen Bewertungen des Ausschusses oder der einzelnen Fraktionen des Parlaments finden sich vielfach Stellungnahmen zum persönlichen Verhalten Betroffener. Diese reichen von relativ neutralen Erklärungsversuchen für das Vorgehen der Personen, über Feststellungen politischer Verantwortlichkeit oder persönlicher Schuld bis hin zu Äußerungen, die die Ehre erheblich beeinträchtigen und die teilweise wohl nur wegen Art. 44 Abs. 4 GG nicht als Beleidigungen verfolgt werden 42 • Ohne auf die obige Einteilung Bezug nehmen zu wollen, sei dazu nur ein Beispiel genannt. So heißt es im Abschlußbericht des Barschel-Pfeiffer-Ausschusses über Mitglieder und Mitarbeiter der Landesregierung, daß sie durch ihre Willfährigkeit, Bedenkenlosigkeit und Kritiklosigkeit als Werkzeuge der Machterhaltung den Boden für politisch-kriminelle Machenschaften geebnet hätten43 • Dann werden etwa zehn Personen namentlich genannt und Beispiele für ihr Ver-

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