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German Pages 266 Year 1997
HENNER BUHCK
Überwachungsgemeinschaften im Umweltrecht
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlln
Band 76
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Uberwachungsgemeinschaften im Umweltrecht Eine insbesondere verfassungsrechtliche Untersuchung der Einsatzmöglichkeiten von tiberwachungsgemeinschaften im Bereich des Umweltrechts
Von
Henner Buhek
Duncker & Humblot • Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Buhck, Renner: Überwachungsgemeinschaften im Umweltrecht : eine insbesondere verfassungsrechtliche Untersuchung der Einsatzmöglichkeiten von Überwachungsgemeinschaften im Bereich des Umweltrechts I von Henner Buhck - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 76) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09122-1
Alle Rechte vorbehalten
© 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-09122-1 Gedruckt auf alterungsbestllndigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1996/97 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg als Dissertation angenommen. Sie befindet sich grundsätzlich auf dem Stand Januar 1996. Entwicklungen und Literatur bis November 1996 sind jedoch größtenteils noch berücksichtigt worden. Mein herzlicher Dank gebührt zunächst Herrn Prof. Dr. Rainer Wahl, der die Arbeit - als "Doktorvater" im besten Sinne - engagiert betreut und durch weiterführende Denkanstöße gefördert hat. Weiterhin habe ich Herrn Leitenden Regierungsdirektor Hansjürgen Rhein von der Umweltbehörde Hamburg, der das Thema der Arbeit maßgeblich angeregt hat, sowie Herrn Dr. Georg Hermes, den Mitgliedern meiner Freiburger "Doktoranden-AG" und meinen Freunden Thomas Duve, Veit Mauritz und Susanne Rosenstock für wertvolle Hinweise und Anregungen zu danken. Herrn Prof. Dr. Martin Bullinger danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Für die freundliche Aufnahme in die "Schriften zum Umweltrecht" sei auch dem Herausgeber Herrn Prof. Dr. Michael Kloepfer und dem Verlag Duncker & Humblot gedankt. Ich widme diese Arbeit meinen Eltern in Dankbarkeit für ihre vielfältige Unterstützung und Förderung auf meinem bisherigen Lebensweg. Hamburg, im Februar 1997
Henner Buhck
Inhaltsverzeichnis Erster Teil
Einführung § 1 Probleme der Überwachung im Umweltrecht ........................................ 15 I. Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht und seine Ursachen ........................ 15 11. Künftige Anforderungen an die Überwachungstätigkeit.. ....................... 24 § 2 VorschlAge zur Verbesserung der Überwachungssituation .................... 27 I. Vermehrte staatliche Überwachung als Lösungsmöglichkeit.. .................. 27 11. Vermehrte private Überwachung als Lösungsmöglichkeit ...................... 28 1. Zur Terminologie im Bereich staatlicher und nicht-staatlicher Überwachung ......................................................................... 30 2. Bisher diskutierte Vorschläge zur Verstärkung der privaten Überwachung ................................................................................... 37 a) Vorschläge im Bereich der Eigenüberwachung .............................. 38 (1) Fortentwicklung der Einrichtung des Umweltschutzbeauftragten .......................................................................... 38 (2) Verstärkung der Eigenüberwachung nach dem UGBEntwurf................................................................................. 40 b) Vorschläge im Bereich der privaten Fremdüberwachung ............... 42 (1) Das Modell eines "Umwelt-TÜV" .......................................... 42 (2) Das System des "Umwelt-Audit" ............................................ 44 3. Die Überwachung durch Überwachungsgemeinschaften ..................... 52 III. Gegenstand und Gang der Untersuchung ............................................. 57 Zweiter Teil
Das Konzept der Oberwachungsgemeinschaften § 3 Bestehende Überwachungsgemeinschaften ............................................ 60 I. Gesetzlich festgeschriebene Überwachungsgemeinschaften ..................... 60 1. Überwachungsgemeinschaften im Bauordnungsrecht ......................... 60 2. Überwachungsgemeinschaften im Wasserrecht .................................. 67 3. Entsorgergemeinschaften nach dem Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz .............................................................................. 71
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Inhaltsverzeichnis 11. Überwachungsgemeinschaften im Bereich der Bauabfallwirtschaft .................................................................................................. 74
§ 4 Arbeitsweise und Prinzipien von Überwachungsgemeinschaften .......... 78 I. Die Arbeitsweise von Überwachungsgemeinschaften .............................. 78 1. Verpflichtung der Mitglieder zur Eigenüberwachung ......................... 79 2. Durchführung einer Fremdüberwachung ............................................ 80 3. Verleihung eines Überwachungszeichens .......................................... 82 4. Ahndung von Verstößen und Anordnung von Prüfungen durch einen Überwachungsausschuß ................................................. 85 11. Die formale Ausgestaltung von Überwachungsgemeinschaften .............. 88 1. Rechtsform des privatrechtlichen Vereins ......................................... 88 2. Freiwillige Mitgliedschaft ................................................................ 89 3. Staatliche Anerkennung .................................................................... 91 III. Verhältnis zur Tätigkeit der staatlichen Aufsichtsbehörden .................. 94 IV. Überwachungsgemeinschaften und wirtschaftliche Selbstverwaltung .............................................................................................. 96 V. Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften als private Aufsicht ......... 101 Dritter Teil
Überlegungen zu einem verstärkten Einsatz von Oberwachungsgemeinschaften im Bereich des Umweltrechts § 5 Erfahrungen mit den bestehenden Überwachungsgemeinschaften ...... 105 I. Gesetzlich festgeschriebene Überwachungsgemeinschaften ................... 105 1. Einfluß der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften auf die Vollzugssituation ..................................................................... 105 2. Tätigkeit der staatlichen Aufsichtsbehörden .................................... 107 3. Arbeitsfähigkeit der Überwachungsgemeinschaften ......................... 108 11. Überwachungsgemeinschaften ohne gesetzliche Festschreibung ........... 108 I. Einfluß der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften auf die Vollzugssituation ..................................................................... 109 2. Tätigkeit der staatlichen Aufsichtsbehörden .................................... 109 3. Arbeitsfähigkeit der Überwachungs gemeinschaften ......................... 109 111. Zusammenfassung ............................................................................. 110
§ 6 Ein Modell numweltrechtlicher Überwachungsgemeinschaften" ......... 111 I. Kriterien für die Aufstellung eines solchen Modells ............................. 111 11. Überwachungsgegenstand ................................................................... 112 111. Kreis der Mitglieder .......................................................................... 114 IV. Formale Ausgestaltung ...................................................................... 116 V. Verhältnis zur Tätigkeit der staatlichen Aufsichtsbehörden .................. 117
Inhaltsverzeichnis
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Vierter Teil
Rechtsfragen im Zusammenhang mit einer Einführung umweItrechtlicher Überwachungsgemeinschaften § 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung ................................ 119 I. Zu lässigkeit des Aussetzens der kontinuierlichen Überwachung ............ 120 1. Zuweisung der Überwachungsaufgaben ........................................... 120 2. Aussetzen der kontinuierlichen Überwachung im Rahmen des Ermessens ................................................................................ 121 a) Ermessen im Rahmen der Überwachung ..................................... 122 b) Entschließungsermessen hinsichtlich der kontinuierlichen Überwachung .................................................................. 123 c) Ausübung des Entschließungsermessens und Einfluß einer verfassungsrechtlichen Pflich.t zur Überwachung ............... 126 11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung .................................. 129 1. Rechtsdurchsetzungsgebot aus grundrechtlichen Schutzpflichten ........................................................................................ 129 a) Die dogmatische Begründung der grundrechtlichen Schutzpflichten ................................................. : ....................... 129 (1) Die Schutzpflichtenbegründung des Bundesverfassungs gerichtes ................................................................ 131 (2) Die Konzeptionen in der Literatur ........................................ 134 b) Einschlägigkeit bestimmter grundrechtlicher Schutzpflichten im Bereich des Umweltschutzes ................................... 138 (1) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 11 1 GG ............................................................... 139 (2) Eigentumsgarantie aus Art. 14 I GG ..................................... 140 (3) Zwischenergebnis ................................................................ 141 c) Anforderungen an die Beeinträchtigung durch Dritte zur Auslösung der Schutzpflicht ................................................ 141 d) Inhalt und Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflichten ................................................................................... 147 (1) Rechtssetzungspflicht als primäre Schutzpflicht .................... 148 (2) Rechtsdurchsetzungspflicht als sekundäre Schutzpflicht ................................................ :................................ 148 (3) Ermessen bei der Erfüllung der Schutzpflichten .................... 150 e) Umsetzung der primären Schutzpflicht aus Art. 2 11 1 GG ........... 153 f) Zwischenergebnis ....................................................................... 153 2. Rechtsdurchsetzungsgebot aus der Staatszielbestimmung Art. 20a GG ................................................................................... 154 3. Die verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung ........................ 160 a) Möglichkeiten der Durchsetzung umweltrechtlicher Normen ..................................................................................... 160
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Inhaltsverzeichnis b) Einfluß des Rechtsverletzungsrisikos auf die Pflicht zur Überwachung ...................................................................... 163 4. Einfluß privater Überwachung auf die staatliche Pflicht zur Überwachung ........................................................................... 166 III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften ...................................... ,..................................................... 168 I. Anforderungen an die Fremdüberwachung durch den Prüfbeauftragten ............................................................................ 168 a) Anforderungen an die Institution des Prüfbeauftragten ................ 169 (I) Fachkenntnis und sachliche Ausstattung ............................... 169 (2) Neutralität, Objektivität und Unabhängigkeit ........................ 170 b) Gewährleistung der Anforderungen an den Prüfbeauftragten ...................................................................................... 172 (I) Vorkehrungen zur Sicherung von Neutralität und Objektivität ......................................................................... 172 (2) Staatliche Aufsicht über den Prüfbeauftragten ...................... 177 (3) Auswahl des Prüfbeauftragten .............................................. 180 c) Anforderungen an den Überwachungsgegenstand ........................ 182 d) Notwendige Intensität der Fremdüberwachung ........................... 185 e) Gewährleistung der notwendigen Informationsermittlungsrechte ......................................................................... 187 2. Anforderungen an die Eigenüberwachung durch die Mitgliedsunternehmen .................................................................... 188 3. Anforderungen an die Tätigkeit des Überwachungsausschusses ........................................................................................ 190 a) Besetzung des Überwachungsausschusses ................................... 190 b) Weiterleitung von Informationen an die Aufsichtsbehörden ................................................................................... 191 c) Gewährleistung der korrekten Tätigkeit des Überwachungsausschusses .................................................................... 193 IV. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................ 195
§ 8 Aspekt der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben ......................... 196 I. Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private ............................... 196 1. Der Begriff des "Privaten" .............................................................. 197 2. Der Begriff der "Verwaltungsaufgabe" ............................................ 198 3. Systematik der Privatisierungsformen ............................................. 200 a) Vermögens- und Organisationsprivatisierung .............................. 20 I b) Aufgabenprivatisierung ............................................................. 202 (I) Materielle Aufgabenprivatisierung ....................................... 203 (2) Funktionale Aufgabenprivatisierung ..................................... 204 11. Vorgaben staatsorganisatorischer Art.. ................................................ 212 1. Überwachung als notwendige Staatsaufgabe .................................... 212 2. Grenzen aus Art. 33 IV GG ............................................................. 216
Inhaltsverzeichnis
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3. Grenzen aus Art. 83 ff. GG ............................................................. 220 1II. Vorgaben aus den Staatsprinzipien .................................................... 221 I. Rechtsstaats- und Demokratieprinzip .............................................. 221 a) Der Organbegriff des Art. 20 II 2 GG ......................................... 221 b) Demokratische Legitimation der Verwaltung .............................. 222 c) Das Problem der privaten Motivation des Verwaltungshandelns ................................................................. 224 d) Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab für die zulässige Übertragung von Verwaltungsaufgaben ............................... 226 e) Notwendigkeit einer besonderen gesetzlichen Grundlage ............ 227 (I) Gesetzesvorbehalt nach der Wesentlichkeitstheorie ............... 228 (2) Institutioneller Gesetzesvorbehalt.. ....................................... 231 2. Sozialstaatsprinzip ......................................................................... 234 Fünfter Teil
Schluß § 9 Bewertung der Entwicklungsmöglichkeiten ......................................... 236 I. Zusammenstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen ....................... 236 II. Politische Rahmenbedingungen .......................................................... 238 1II. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen ................................................. 239 IV. Gesamtbewertung der Entwicklungsmöglichkeiten ............................. 240 1. Staatsentlastung durch umweltrechtliche Überwachungsgemeinschaften .............................................................................. 240 2. Aufnahme des Überwachungssystems durch die Wirtschaft.. ............ 242 3. Ergebnis ......................................................................................... 244 § 10 Aktueller Ausblick ............................................................................. 245
Literaturverzeichnis .................................................................................. 248 Sachwortverzeichnis .................................................................................. 263
Abkürzungsverzeichnis BauPG
Bauproduktengesetz vom 10. August 1992 (BGB!. I S. 1495)
BR-Drs.
Drucksachen des Bundesrates
BT-Drs.
Drucksachen des Deutschen Bundestages
EtbV
Entsorgungsfachbetriebeverordnung vom 10. September 1996 (BGB!. I S. 1421)
EntsorgGemRL
Entsorgergemeinschaftenrichtlinie vom 09. September 1996 (BAnz Nr. 178 S. 10909)
EU
Europäische Union
!UR
Informationsdienst Umweltrecht (ab 1993: ZUR)
KrW-IAbfG
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz vom 27. September 1994 (BGB!. I S. 2705)
MBO 1959
Musterbauordnung von 1959
MBO 1992
Musterbauordnung von 1992
NachwV
Nachweisverordnung vom 10. September 1996 (BGB!. I S. 1382)
Satzung ÜG BauR 1982
Mustersatzung für Überwachungsgemeinschaften im bauaufsichtlichen Bereich in der Fassung vom Oktober 1982
Satzung ÜG WHG
Mustersatzung für Überwachungsgemeinchaften nach § 19 I WHG (Stand: Oktober 1995)
Satzung ÜGB
Satzung der ÜGB in der Fassung vom 16. April 1991
Satzung ÜGT
Satzung der ÜGT in der Fassung vom 22. November 1994
TA Lärm
Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (Beilage zum BAnz. Nr. 137 v. 26.07.1968)
Abkürzungsverzeichnis
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TA Siedlungsabfall
Technische Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen (Beilage zum BAnz. Nr. 99a v. 29.5.1993)
UAG
Umweltauditgesetz vom 07. Dezember 1995 (BGBl.I S. 1591)
ÜberwVerfÜG BauR 1982
Muster-Überwachungsverfahren für Überwachungsgemeinschaften im bauaufsichtlichen Bereich in der Fassung vom Oktober 1982
ÜberwVerfÜG WHG
Muster-Überwachungsverfahren für Überwachungsgemeinschaften nach § 19 I WHG (Stand: Oktober 1995)
ÜberwVerf ÜGB
Überwachungsverfahren der ÜGB in der Fassung vom 16.04.1991
ÜberwVerfÜGT
Gütestandards und Überwachungsverfahren der ÜGT in der Fassung vom 22.11.1994
ÜG
Überwachungsgemeinschaft
ÜGB
Überwachungsgemeinschaft Bauabfall Nord e.V.
ÜGT
Überwachungsgemeinschaft Bauabfalltransport e.V.
ZUR
Zeitschrift für Umweltrecht (bis 1992: IUR)
Hinsichtlich der übrigen Abkürzungen siehe H. Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin 1993.
Erster Teil
Einführung
§ 1 Probleme der Überwachung im Umweltrecht J. Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht und seine Ursachen Als Beginn des modernen Umweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschland wird gemeinhin die Vorlage des Umweltprogramms der Bundesregierung im Jahre 1971 angesehen. 1 Die damit eingeleitete Entwicklung fand wohl ihren vorerst letzten Höhepunkt. in der Aufnahme des Staatsziels "Umweltschutz" in Art. 20a des Grundgesetzes mit Gesetz vom 27.10.1994. 2 Bei allem Streit um das Für und Wider einer solchen Staatszielbestimmung3 wurde bei der Diskussion um diese Initiative jedenfalls deutlich, welches Gewicht dem Umweltschutz mittlerweile von allen Seiten eingeräumt wird. Beweggrund der Gegner einer solchen Normierung war nicht etwa eine befürchtete Überbetonung des Umwelt-
1 Statt vieler Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 1 Rn. 16; Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 98 f. 2 BGBL I S. 3146. 3 Positiv Peters, Praktische Auswirkungen eines im .Grundgesetz verankerten Staatsziels Umweltschutz, NuR 1987, S. 293 ff.; abwägend Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBl. 1988, S. 305, 314 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 24; ablehnend Rupp, Ergänzung des Grundgesetzes um eine Vorschrift über den Umweltschutz ?, DVBl. 1985, S. 990 ff.; Rauschning, Aufnahme einer Staatszielbestimmung über Umweltschutz in das Grundgesetz, DÖV 1986, S. 489 ff.; H. Klein, Staatsziele im Verfassungsgesetz - Empfiehlt es sich, ein Staatsziel Umweltschutz in das Grundgesetz aufzunehmen?, DVBl. 1991, S. 729, 736 ff.; Murswiek, Umweltschutz - Staatszielbestimmung oder Grundsatznorm, ZRP 1988, S. 14 ff.; vgl. auch Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, 1989, § 4 Rn. 9 ff. m.w.N.
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§ 1 Probleme der Überwachung im Umweltrecht
schutzes, sondern gerade die zu erwartende Wirkungslosigkeit der Regelung.· Von allen durch diese Entwicklung Betroffenen wird mittlerweile die Wichtigkeit des Umweltschutzes betont und das Bekenntnis dazu bekräftigt.' So wurde von der Bundesregierung 1984 der Schutz der Umwelt nach der Sicherung des Friedens als die wichtigste Aufgabe unserer Zeit bezeichnet. 6 Vor allem der Gesetzgeber reagierte dieser Bewertung entsprechend und erließ Normen mit umweltrechtlichem Bezug zur Verfolgung umweltpolitischer Ziele in einem kaum noch zu überschauenden Umfang.' Die allgemeine Zufriedenheit mit dem vermehrten Schutz der Umwelt durch gesetzliche Regelungen wich jedoch bald der Erkenntnis, daß allein die Verstärkung der Gesetzgebungstätigkeit nicht zur angestrebten Verbesserung des Umweltschutzes führte. In der politischen Debatte über Erfolge des Umweltgesetzgebers wurde der Fehler begangen, nur über die Normen selbst zu streiten, und nicht darüber, ob die 4 Vgl. Murswiek, Umweltschutz - Staatszielbestimmung oder Grundsatznorm, ZRP 1988, S. 14, 17 f.; Rauschning, Aufnahme einer Staatszielbestimmung über Umweltschutz in das Grundgesetz, DÖV 1986, S. 489, 492 f.; vgl. dazu auch Becker, Die Berücksichtigung des Staatsziels Umweltschutz beim Gesetzesvollzug, DVBI. 1995, S. 713 m.w.N. , Vgl. etwa seitens der Wirtschaft Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Thesen zur Umweltpolitik, August 1990; Internationale Handelskammer (ICC) , Umweltschutz-Leitlinien für die internationale Wirtschaft, Publ.Nr. 435, 1984; Daimler-Benz AG, Leitsätze für den Umweltschutz im Daimler-BenzKonzern, 1993; seitens der Politik Bundesumweltministerium, Umwelt 1994 Politik für eine nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung. August 1994, S. 8 f.;
Ministerium für Umwelt. Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Umweltverwaltung 2000 des Landes Nordrhein-Westfalen, maschinenschriftliche Fassung, Januar 1993, S. 1; vgl. dazu auch Kloepfer,
Umweltschutz und Verfassungs recht, DVBI. 1988, S. 305. 6 zitiert nach Kimminich, Art. "Umweltverfassungsrecht" in: HdUR, Sp. 2463. , Vgl. Reinhardt, Die Überwachung durch Private im Umwelt- und Technikrecht, AöR 118 (1993), S. 617, 618 m.w.N; Lorenz, Vollzugsdefizite im Umweltrecht, UPR 1991, S. 253, 255; Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme der Umweltverwaltung, NuR 1993, S. 217, 225; Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 1; Schink, Vollzugsdefizite im kommunalen Umweltschutz, ZUR 1993, S. 1, 5; BenderiSparwasser/Engel, Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, Teil 1 Rn. 97; Drucksache der Bürgerschaft Hamburg 9/1405, 11.;
Ministerium für Umwelt. Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Umweltverwaltung 2000 des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 2
und 4.
I. Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht und seine Ursachen
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Gesetze möglichst schnell zum Ziel ruhrten.a Man mußte erkennen, daß die mit der Umweltgesetzg~bung verfolgten Ziele aufgrund bestimmter, als Restriktionen wirkender Bedingun~en des Vollzuges nicht in dem angestrebten zeitlichen und materiellen Umfang realisiert werden konnten. Für diesen Zustand entwickelte sich der Begriff des Vollzugsdejizites. 9 Das Auseinanderklaffen der tatsächlichen Wirkungen von Rechtsnormen und ihren erklärten Zielen ist nirgendwo so extrem wie im Umweltbereich. 1O Daher war die Ermittlung der Ausmaße des Vollzugsdefizites im Umweltrecht und der Gründe rur diese Erscheinung Inhalt zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen. 1I Als Ausgangspunkt der Problematik des Vollzugsdefizites wurde dabei das Fehlen eines vorrangigen eigenen Vollzugsinteresses beim Vollzugsadressaten ausgemacht. 12 Adressaten der umweltrechtlichen Regelungen sind in erster Linie wirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen. Die Realisierung von gesetzlich vorgeschriebenen Umweltstandards bedeutet rur diese Unternehmen zumeist die Autbürdung nicht unerheblicher Kostenbelastungen. Im Spannungsfeld zwischen Gewinnerzielung und Schutz der Umwelt besteht beim Vollzugsadressaten somit zwangsläufig die Tendenz zu einer Nicht- oder nur Teilbefolgung des vom Ge-
8 Lahl, Das programmierte Vollzugsdefizit - Hintergründe der aktuellen DeRegulierungsdebatte, ZUR 1993, S. 249; vgl. auch Bülow, in: Benda/Maiho[eriVogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 30 Rn. 64; Schink, Vollzugsdefizite, ZUR 1993, S. 1,7 f. 9 Der Begriff wurde wesentlich geprägt durch das Umweltgutachten 1974, BTDrs. 7/2802, Rn. 660. Vgl. im übrigen zum Begriff Hucke/Wol/mann, Art. "Vollzug des Umweltrechts" in: HdUR, Sp. 2694; Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme, NuR 1993, S. 217. 10 Lahl, Vollzugsdefizit, ZUR 1993, S. 249. 11 Maßstabsetzend Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, 1978; vgl. aber auch Winter, Das Vollzugsdefizit im Wasserrecht, 1975; WittkämperiNiesslein/ Stuckhard, Vollzugsdefizite im Naturschutz, 1984 und an aktuelleren Aufsätzen Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme, NuR 1993, S. 217 ff.; Lorenz, Vollzugsdefizite, UPR 1991, S. 253 ff.; Schink, Vollzugsdefizite, ZUR 1993, S.
I ff.
12 Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme, NuR 1993, 217, 218. Vgl. auch Arbeitsgruppe Sonderordnungsbehärden Umwelt (ASU) beim Städte tag NW, Resolution vom 07. Juni 1991, dokumentiert in: !UR 1991, S. 219.
2 Buhek
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§ 1 Probleme der Überwachung im Umweltrecht
setzgeber geforderten VerhaltensY Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund bedarf es zur Verwirklichung der gesetzlichen Umweltstandards im besonderen Maße einer Gewährleistung der Durchsetzung durch den Staat. 14 Diesem Vollzugsauftrag kann der Staat nur dann gebührend nachkommen, wenn er den notwendigen Informationsstand darüber besitzt, wo und in welchem Ausmaß gesetzliche Vorgaben nicht erfüllt werden. Nur mit Hilfe dieser Informationen wird die Verwaltung in die Lage versetzt, über die Anordnung von Maßnahmen zur Durchsetzung von Umweltstandards zu entscheiden. Eine unzureichende Informationslage der zuständigen Behörde führt zwangsläufig zu Vollzugsdefiziten. " Die Sammlung und Aufbereitung der Informationen über die Durchführung umweltrechtlicher Vorschriften ist Inhalt der Oberwachung im Umweltrecht. 16 Unter Überwachungsmaßnahmen sind entsprechend solche Handlungen zu verstehen, die der Ermittlung von Informationen über den Vollzug des Umweltrechts dienen. Dies kann beispielsweise durch Nachschau an der umweltrelevanten Anlage, durch Befragung von Beteiligten oder auch durch Probennahme geschehen. 17 Die Überwachung trägt auch dazu bei, daß Bestimmungen von vornherein vom RegelungsVgl. Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 712. 14 LandmannIRohmer-Hansmann, UmweltR, Bd. I, BImSchG, § 52 Rn. 1. " Jarass, Bundesimmissionsschutzgesetz, 3. Aufl. 1995, § 52 Rn. I. 16 Jarass, BImSchG, § 52 Rn.l; SiederlZeitierlDahme, Wasserhaushaltsgesetz, Stand: August 1994, § 21 Rn. 2; GiesekelWiedemannlCzychowski, Wasserhaushaltsgesetz, 6. Aufl. 1992, § 21 Rn. 4; KnopplManner, Das Wasserrecht in Bayern, Stand: August 1990, Art. 68 BayWG Rn. 4; HoschützkyIKre/t, Recht der Abfallwirtschaft, § 11 AbfG Ziff. 1.1; Knemeyer, Art. "Überwachung" in: HdUR, Sp. 2094; Breuer, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, 5.Abschn. Rn. 83, HoppelBeckmann, Umweltrecht, § 8 Rn. 101; neben dieser vorrangigen Aufgabe der Befolgungskontrolle kommt der Überwachung auch noch die umfassendere Funktion der Umweltbeobachtung zu, d.h. die Entwicklung der Umweltsituation sektoral fortlaufend zu registrieren (vgl. §§ 44 ff. BImschG), Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 113 m.w.N. Die damit erlangten Informationen können dann rechtspolitische oder wirtschaftpolitische Maßnahmen auslösen, KuniglSchwermerlVersteyl, Abfallgesetz, 2. Aufl. 1992, § 11 Rn. 1. 17 V gl. eingehend zu den einzelnen Informationsermittlungsrechten Scholl, Behördliche Prüfungsbefugnisse im Recht der Wirtschaftsüberwachung, 1989, S.114ff. Il
I. Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht und seine Ursachen
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adressaten eingehalten werden, weil mit der Überwachung einhergeht, daß ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben mit hoher Wahrscheinlichkeit entdeckt und geahndet wird. 1I Abzugrenzen ist die Überwachung von den regulierenden Maßnahmen, die durch im Rahmen der Überwachung erlangte Informationen ausgelöst werden können. 19 Zur Kennzeichnung des Gesamtvorgangs, der sowohl die beobachtende Überwachung als auch die gegebenenfalls berichtigenden Reaktionen um faßt, sollte der Begriff der Aufsicht Verwendung finden. zu
1I Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 371; vgl auch Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 201. 19 Vgl. für das Immissionsschutzrecht Jarass, BImSehG, § 52 Rn.6; Lechelt, § 52 Abs. 1 BImSchG - Eine "immissionsschutzrechtliche Generalklausel"?, DVBI. 1993, S. 1048 ff.; für das Abfallrecht Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, § 11 Rn. 1; für das Gerätesicherheitsrecht Landmann/Rohmer-T.R.Meyer, GewO, Bd. 11, § 15 GSG (50) Rn. 4; allgemein Bullinger, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, VVDStRL 22 (1965), S. 268; E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 17, 118 ff. m.w.N.; Th. Meyer, Staatsaufsicht über Private, insbesondere Wirtschaftsunternehmen, 1988, S. 167 ff. m.w.N.; Vahrenhold, Die Stellung der Privatfunkaufsicht im System staatlicher Aufsicht, 1992, S. 11; vgl. auch die Trennung in fachgesetzlichen Regelungen wie etwa in § 82 I Nr.1 und Nr. 2 WG BW, § 20 I Nr. I und Nr. 2 LAbfG BW, Art. 32 BayAbfAIG, § 12 I 1 Nr. 1 und Nr. 2, 3 SächsEGAB (mit Legaldefinitionen), §§ 14, 15 GerSiG, §§ 21, 23 ChemG, §§ 25, 26 GenTG; a.A. noch Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, 4. Auf!. 1978, § 122 Rn. 42. Diese Ansicht muß jedoch aufgrund der klaren Trennung von Überwachungs- und Anordnungsbefugnissen in den umweltrechtlichen Fachgesetzen (s.o.) zumindest für den Bereich des Umweltrechts in ihrer Pauschalität als überholt gelten. zu So auch verwendet von E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, S. 17, 118; Salzwedel, Staatsaufsicht in der Verwaltung, VVDStRL 22 (1965), S. 213; Mösbauer, Staatsaufsicht über die Wirtschaft, 1990, S. 4 ff., insb. S. 7 Fn. 19; Mösbauer, Immissionsschutzrecht und Staatsaufsicht, VerwArch 72 (1981), S. 17, 20; Th. Meyer, Staatsaufsicht über Private, S. 166 ff.; Vahrenhold, Privatfunkaufsicht, S. 4 m.w.N. In den Fachgesetzen findet sich der übergeordnete Begriff der "Aufsicht" nur teilweise, so etwa im Wasserrecht (z.B. § 82 I WG BW, Art. 68 I BayWG, § 116 I LWG NW, § 90 I LWaG MV, § 94 I SächsWG), im Abfallrecht vereinzelt (Art. 32 BayAbfAIG) sowie in §§ 19 I AtomG, 15 GerSiG; vgl. zum letzteren Landmann/Rohmer-T.R.Meyer, GewO, Bd. 11, § 15 GSG (50) Rn. 4; Peine, Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz), 2. Auf!. 1995, § 15Rn.2.
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§ I Probleme der Überwachung im Umweltrecht
Die Überwachung hat in nahezu allen umweltrechtlichen Fachgesetzen eine besondere Regelung erfahren. 21 Dabei werden den Aufsichtsbehörden zumeist besondere Befugnisse eingeräumt, mit denen diese ihr Informationsinteresse durchsetzen können. 22 Gegenständlich um faßt die Überwachung nicht nur die Kontrolle der Befolgung von behördlichen und gesetzlichen Vorgaben im Rahmen von Zulassungsentscheidungen und Verbotsverfügungen, sondern insbesondere auch die Einhaltung von Genehmigungspflichten und sonstigen genehmigungsunabhängigen Anforderungen. 23 Ebenso wichtig erscheint - gerade unter Berücksichtigung von Ereignissen der nahen Vergangenheit24 - die Überwachung, ob die Anforderungen an den Schutz vor Störfällen eingehalten werden. Im Immissionsschutzrecht beispielsweise muß gern. § 5 I Nr.1 BlmSchG eine genehmigungsbedürftige Anlage so betrieben werden, daß schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden können. Dies umfaßt den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sowohl durch den Normalbetrieb als auch durch Störfälle. 25 Die gleiche Vorgabe ergibt sich aus § 22 I Nr. I BlmSchG für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen. Damit muß durch geeignete Maßnahmen die technische Sicherheit der
21 Z.B. § 21 WHG, § 52 BImschG, § II AbfG / § 40 KrW-/AbfG, § 19 AtomG, § 21 ChemG. Auch im UGB-Entwurf finden sich besondere Regelungen für die Überwachung in § 57 ff. UGB-Entwurf. 22 Diese Befugnisse erstrecken sich vor allem auf Betretungs- und Besichtigungsrechte, Rechte zur Vornahme besonderer Prüfungen und Untersuchungen, Befugnisse zur Stichprobenentnahme und Rechte auf Auskunftserteilung sowie Vorlage von Unterlagen durch den Überwachten, vgJ. dazu im einzelnen Knemeyer, Art. "Überwachung" in: HdUR, Sp. 2096 ff. und für das Immissionsschutzrecht Mösbauer, Immissionsschutzrecht und Staatsaufsicht, VerwArch 72 (1981), S. 17,22 ff. 23 So z.B. die Einhaltung der Pflichten aus §§ 22 ff. BImschG für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen; vgJ. auch Lübbe-Wo/ff, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht - Rechtsgrundsatz oder Deckmantel des Vollzugsdefizits ?, NuR 1989, S. 295, 299. 24 Zu denken ist an den SANDOZ-Unfall am Rhein im November 1986, aber auch insbesondere an die Reihe von Störfällen bei der HOECHST AG in Frankfurt im Frühjahr 1993. 25 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 7; Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rn. 31; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, § 5 BImSchG Anm. 3.; Rehbinder, Prinzipien des Umweltrechts in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes: Das Vorsorgeprinzip als Beispiel, in: FS für Sendler, 1991, S. 269, 276.
I. Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht und seine Ursachen
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betriebenen Anlage gewährleistet werden. 26 Wird eine Anlage mit mangelnder technischer Sicherheit betrieben und dadurch die Gefahr von Störfällen erhöht, so liegt ein Verstoß gegen eine Betreiberpflicht vor. Insofern muß also auch (und insbesondere) die Überwachung der technischen Sicherheit von Anlagen 27 als Gegenstand der Überwachung im Umweltrecht angesehen werden. Die Vollzugsforschung kennzeichnet den Bereich der Überwachung als denjenigen, der die größten Defizite aufweist,21 Dabei wird das rechtliche Instrumentarium zur Durchführung der behördlichen Überwachung gemeinhin als ausreichend angesehen, womit normative Defizite einer wirksamen Überwachung nicht entgegenstehen. 29 Dagegen betrachtet man als Hauptgrund für das Defizit an Überwachung die unzureichende personelle Ausstattung der Umweltbehörden vor allem in quantitativer Hinsicht. lu Hier wirkt sich heute aus, daß in den letzten 20 Jahren die 26 Vgl. Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 19; Anforderungen an die technische Sicherheit können sich auch aus speziellen gesetzlichen Regelungen des Technischen Sicherheitsrechtes ergeben, vgl. etwa Gesetz über technische Arbeitsmittel (GerSiG) vom 23.10.1992 (BGBI. I S.1794) und die dazugehördigen Verordnungen. 27 Dieser Teilbereich wird auch häufig als "technische Überwachung" bezeichnet, vgl. § 14 III, IV GerSiG sowie Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, S. 130. 21 Mayntz, Vollzugsprobleme der UmweItpolitik, S. 38, 68, 371; Kloepfer u.a., UGB-AT, S. 280; LandmannIRohmer-Hansmann, UmweltR, Bd. I, BImSchG, § 52 Rn. I; Rüther, Defizite im Vollzug des Umweltrechts und des Umweltstrafrechts, IUR 1992, S. 152, 153 f.; Schink, Vollzugsdefizite, ZUR 1993, S. 1, 3 m.w.N. 29 Rebentisch, Technische Kontrolle in staatlicher Verantwortung, UPR 1987, S. 401, 407 für das Immissionsschutzrecht; ebenso für das Wasserrecht Sautter, Zielorientierter Vollzug der Wassergesetze - wasserbehördliche Kontrolle der Abwassereinleitungen, NVwZ 1988, S. 487, 488; allgemein Dreyhaupt, in: Becker, Staatliche Gefahrenabwehr in der Industriegesellschaft, 1982, S. 103; Ipsen, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungrecht, VVDStRL 48 (1989), S. 177, 185; vgl. dazu auch Kloepfer u.a., UGB-AT, S. 299 f. lU BenderlSparwasserlEngel, Umweltrecht, Teil 1 Rn. 97; Huckel Wollmann, Art. "Vollzug des Umweltrechts" in: HdUR, Sp. 2698 f.; Hösellv. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, § 11 AbfG Rn. 3; Lahl, Vollzugsdefizit, ZUR 1993, S. 255; Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme, NuR 1989, S. 229; Lübbe-Wolff, Kooperationsprinzip, NuR 1989, S. 300; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 38, 45, 61, 71, 378; Sautter, Vollzug der Wassergesetze, NVwZ
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§ 1 Probleme der Überwachung im Umweltrecht
meisten Umweltgesetze erst neu geschaffen oder durch Novellierungen' wesentlich erweitert worden sind, die Personalzuwächse der Umweltverwaltung in dieser Zeit jedoch insbesondere aufgrund der seit Mitte der 70er Jahre verstärkten Bemühungen um die Begrenzung des Wachstums der öffentlichen Haushalte häufig hinter den ursprünglichen Ansätzen zurückblieben. 31 Die damit entstandene Personalknappheit in diesem Verwaltungsbereich führt heute dazu, daß vorrangig die an Termine und politische sowie öffentliche Aufmerksamkeit gebundenen Verwaltungsaufgaben bearbeitet werden, während sachlich für den Umweltschutz zumindest ebenso wichtige, jedoch weniger in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehende Aufgaben unerledigt bleiben. So werden insbesondere Genehmigungsverfahren für neue Vorhaben vorrangig bearbeitet, während die Daueraufgabe der Überwachung tendentiell zurückgestellt wird. 3Z Daß der Schwerpunkt bei den Behörden auf die Genehmigungsarbeit gelegt werden muß, liegt aber auch einfach daran, daß die Genehmigungsverfahren aufgrund zunehmender Komplexität der zu genehmigenden Anlagen - sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht - zu Lasten anderer Aufgaben mehr Arbeitskraft binden. Die Präferenz der Genehmigungsarbeit wird auch dadurch vergrößert, daß die Umweltbehörden für ihre Tätigkeiten im Genehmigungsverfahren ohne weiteres Gebühren erheben können 31, während ihnen dies für Überwachungstätigkeiten, wenn überhaupt, weitestgehend nur in Abhängigkeit vom Überwachungsergebnis möglich ist. 34 Angesichts der zuneh1988, S. 488; vgl. auch Woche im Bundestag, 811993, S. 19 u.; Probleme werden z.T. ebenfalls in qualitativer Hinsicht gesehen, vgl. Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme, NuR 1989, S. 228; Sautter, Vollzug der Wassergesetze, NVwZ 1988, S. 491; Hucke/Wol/mann, Art. "Vollzug des Umweltrechts" in: HdUR, Sp. 2699 f.; Laht, Vollzugsdefizit, S. 254, der von fehlender Waffengleichheit zwischen Behördenangestellten und Betreiberseite spricht. 31 Hucke/Wol/mann, Art. "Vollzug des Umweltrechts" in: HdUR, Sp. 2698. 32 Hucke/Wol/mann, Art. "Vollzug des Umweltrechts" in: HdUR, Sp. 2698; Lorenz, Vollzugsdefizite, UPR 1991, S. 253, 255. 33 Vgl. für Baden-Würuemberg im Gebührenverzeichnis zur Gebührenverordnung vom 28. Juni 1993 (GBI. S. 381) beispielsweise die GebVerzNr. 31 für die Genehmigung genehmigungsbedürftiger Anlagen nach BImSehG; GebVerzNr. 1.1.1, 1.1.2 und 1.1.3 zur Genehmigung bzw. Planfeststellung nach Abfallrecht; GebVerzNr. 81.1 und 81.2 für das Wasserrecht. 34 Grundsätzlich sind gebührenpflichtig nur Anordnungen im Rahmen der Überwachung (vgl. GebVerzNr. 1.2.7 zur abfall rechtlichen Überwachung und
I. Das Vollzugsdefizit im Umweltrecht und seine Ursachen
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menden Einbeziehung ökonomischer Gesichtspunkte in die Beurteilung der Behördentätigkeit werden die Behörden quasi gezwungen, sich vorwiegend auf das sichere Einnahmen b~ingende Genehmigungsverfahren zu konzentrieren. Weiterhin ist die mangelnde Durchführung von Überwachungsmaßnahmen auch darauf zurückzuführen, daß die zuständigen Beamten häufig gar kein Interesse an der Kenntniserlangung von umweltrechtswidrigen Zuständen haben können, da sie über keine Kapazitäten für die Bearbeitung dieser Sachverhalte verfügen. 1s Aus den aufgezeigten Gründen spielt die Überwachungstätigkeit im Zeitbudget der Umweltbehörden insgesamt nur eine untergeordnete Rolle. l " Die Überwachung besitzt heute ganz überwiegend einen reaktiven Charakter, indem die Verwaltung erst dann tätig wird, wenn sie einen konkreten Verdacht des Vorliegens von Rechtsverstößen - etwa aufgrund von Anliegerbeschwerden, Presseberichten, amtlichen Mitteilungen oder Mitteilung durch den Betreiber selbst - hat. 17 Eine fortlaufende ÜberwaGebVerzNr. 81.8.2 für die Gewässeraufsicht, einschränkend sogar § 52 IV 3 BImSehG), dagegen wird durch eine al/gemeine Überwachung nur ausnahmsweise eine Gebührenpflicht ausgelöst (vgl. etwa GebVerzNr. 81.8.1 und 81.1.3 bei der wasserrechtlichen Aufsicht). Große Lücken hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten verwaltungseigener Aufsichtstätigkeit sehen auch LübbeWolff/Steenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263,264. l5 Vgl. Lübbe-Wolff, Kooperationsprinzip, NuR 1989, S. 300; LübbeWolff/Steenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263,264. 16 Vgl. Lorenz, Vollzugsdefizite, UPR 1991, S. 253, 254; Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme, NuR 1993, S. 218; Lübbe-Wolff, Kooperationsprinzip, NuR 1989, S. 300 Fn. 32, wonach die Verf. die bei Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 38, 60 genannten Anteile von 17 % für Überwachung im Immissionschutz und 20 % beim Gewässerschutz nach ihrer Erfahrung im Bereich der wasserrechtlichen Industrieüberwachung noch für zu hoch gegriffen hält. Diese Einschätzung kann der Verf. aufgrund eigener Erkenntnisse aus Gesprächen mit Beamten aus Umweltbehörden nur bestätigen. 31 Vgl. Hucke/Wol/mann, Art. "Vollzug des Umweltrechts" in: HdUR, Sp. 2699; in der Verwaltungspraxis wird diese Form der reaktiven Überwachung als "anlaßbezogene Überwachung" bezeichnet. Ob man dies überhaupt noch als eine Form der Überwachung bezeichnen kann, es sich nicht vielmehr um reine Gefahrenabwehr handelt, erscheint sehr fraglich, vgl. auch Kloepfer u.a., UGB-AT, S. 307. Kritisch zu dieser Situation ebenfalls Sautter, Vollzug der Wassergeset-
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§ 1 Probleme der Überwachung im Umweltrecht
chung31 , mit der Gefahren oder Schäden vorgebeugt werden könnte, findet dagegen so gut wie gar nicht statt. 3.
Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, daß die Überwachung im Umweltrecht heute ganz erhebliche Defizite aufweist. Als Kernprobleme sind dabei die unzureichende Kontrollfrequenz und der reaktive Charakter der Überwachung auszumachen.4(' Das Defizit im Bereich der fortlaufenden Überwachung führt angesichts des mangelnden Vollzugsinteresses beim Adressaten notwendig zur Gefahr von Vollzugsdefiziten.
11. Künftige Anforderungen an die Überwachungstätigkeit Die zukünftigen Anforderungen an die Überwachungstätigkeit hängen entscheidend vom künftig zu erwartenden Bedarf an einer fortlaufenden Überwachung ab. Dieser wird von verschiedenen Faktoren beeinflußt. Erster Faktor ist der Umfang der vom Vollzugsadressaten einzuhaltenden Normen sowie die Anzahl und Komplexität der zu überwachenden Anlagen bzw. Betriebe (quantitativer Aspekt). Je mehr normierte Pflichten vom Adressaten einzuhalten sind, desto größer ist der Aufwand bei der Kontrolle. Der Aufwand ist ebenfalls davon abhängig, wieviele Anlagen bzw. Betriebe bestehen, die umweltrechtlichen Anforderungen gerecht werden müssen, wobei es auch eine Rolle spielt, wie arbeitsaufwendig die Überwachung der einzelnen Anlagen ist. Je komplexer und unübersichtlicher die zu überwachenden Techniken werden, desto mehr Arbeitsleistung muß auf die Überwachung verwandt werden.
ze, NVwZ 1988, S. 491, wonach agiert und nicht nur reagiert werden müsse, wenn die Umweltverwaltung mehr als ein Reparaturbetrieb sein soll; vgl. ebenfalls Lorenz, Vollzugsdefizite, UPR 1991, S. 253, 254. 31 Zur Unterscheidung zwischen fortlaufender Überwachung (kontinuierlicher Überwachung) und Überwachung aus besonderem Anlaß (anlaßbezogene Überwachung) auch Kloepfer u.a., UGB-AT, S. 306 f. 39 Herkommer/Kressel/Wollenschläger, Neue Aufgaben für die Technische Überwachung, UPR 1988, S. 252, 254; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 393; Rüther, Defizite im Vollzug, !UR 1992, S. 152, 154; Kloepfer u.a., UGB-AT, S. 306. Diesen Eindruck gewann der Verfasser auch aus verschiedenen eigenen Gesprächen mit Mitarbeitern von Umweltbehörden. 4(' So auch Landmann/Rohmer-Hansmann, UmweltR, Bd. I, BImSchG, § 52 Rn. 1.
11. Künftige Anforderungen an die Überwachungstätigkeit
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Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Entwicklung des Umweltrechts, so ist zunächst festzustellen, daß die Anzahl der pflichtenkonstituierenden Vorschriften in der nahen Vergangenheit erheblich zugenommen hat. 41 Die Tendenz des Gesetzgebers, nicht zuletzt aufgrund politischen Drucks die materielle Regelungsdichte im Bereich der umweltrechtlichen Anforderungen zu erhöhen 42 , läßt eine Fortsetzung dieser Entwicklung erwarten. Allein das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) vom 27.09.1994 43 enthält über 30 Verordnungsermächtigungen", denen entsprechende Normen folgen werden. 45 Ebenso ist zu erwarten, daß sich auch in anderen Bereichen des Umweltrechts, insbesondere unter Einfluß von Vorgaben der EU46, zahlreiche neue Regelungen ergeben, die weiteren Überwachungsbedarf hervorrufen. Auch hinsichtlich der Anzahl der zu überwachenden Anlagen bzw. Betriebe ist tendenziell eher mit einer Zunahme zu rechnen. Sowohl die gesamtwirtschaftliche Entwicklung als auch eine zunehmende Technisierung von Produktionsvorgängen lassen einen Zuwachs an entsprechen41 Beispielsweise wurden im Immissionsschutzrecht auf Bundesebene in den Jahren 1991 bis 1993 allein 8 auf das BlmSchG gestützete Verordnungen (BlmSchV) erlassen, vgl. dazu auch Feldhaus, Entwicklung des Immissionsschutzrechts, NVwZ 1995, S. 963, 964 f. Im Abfallrecht ergaben sich zahlreiche neue Verpflichtungen aus der Verpackungsverordnung von 1991 und der 1993 erlassenen TA Siedlungsabfall. 42 Vgl. beispielsweise die Entwicklung des Gentechnikrechts, wo mit dem Gentechnikgesetz von 1990 ein zuvor nur partiell geregelter Bereich einer umfassenden Regelung unterworfen wurde. Die gleiche Entwicklung ist im Bodenschutzrecht zu beobachten. Dort haben einige Bundesländer bodenschützende Regelungen geschaffen und damit neue Reglementierungen im Bereich des Umweltrechts eingeführt. Auf Bundesebene gehört die Vorlage eines Bodenschutzgesetzes zu den umweltpolitischen Aufgaben der Regierungskoalition für die 13. Legislaturperiode, vgl. die Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und FDP, ausschnittsweise dokumentiert in: ZUR 1994, S. 269. 43 BGBI. I S. 2705. 44 Vgl. etwa §§ 7, 12,23,24 KrW-/AbfG. 45 Vgl. zum erhöhten Überwachungsbedarf durch das KrW-/AbfG auch Beckmann, Grundsätze des Zulassungsrechts und der Abfallüberwachung, NWVBI.
1995, S. 81, 82. 46 Vgl. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, S. 148 f.; AchterbergIPüttner-Kloepfer, Besonderes VerwR, Band 11, Rn. 625; zu europarechtlichen Vorgaben für das Abfallrecht umfassend Dieckmann, Das Abfallrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1994.
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§ 1 Probleme der Überwachung im Umweltrecht
den Anlagen erwarten." Die fortschreitende Technik führt darüber hinaus dazu, daß sich die Komplexität der Anlagen erhöht. Der Bedarf an Überwachungstätigkeit wird weiterhin dadurch beeinflußt, wie einschneidend das von dem Adressaten verlangte Verhalten für diesen ist bzw. von diesem empfunden wird (qualitativer Aspekt). Ergeben sich (etwa durch Gesetzesänderungen) erhöhte Verhaltensanforderungen an den Regelungsadressaten, besteht insbesondere bei einer mit der Befolgung verbundenen zusätzlichen Kostenbelastung die Tendenz zur Nicht- oder Teilbefolgung dieser veränderten rechtlichen Vorgaben. Dies gilt für Verschärfungen von gesetzlichen Anforderungen ebenso wie für gänzlich neue gesetzliche Verpflichtungen. Damit steht das Ausmaß des Überwachungsbedarfs in Proportion zur Intensität des Eingriffs in den Rechtskreis des Regelungsadressaten. Hinsichtlich des qualitativen Aspekts kommt zum Tragen, daß der Umweltgesetzgeber seiner Aufgabe, die partielle "Nachbesserung" und Modernisierung des schnell alternden Umweltrechts zu betreiben 48, vor allem dadurch nachkommt, daß er bestehende Verhaltenspflichten im Wege der Gesetzesänderung verschärft. In diese Richtung führt auch die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen wie z.B. "Stand der Technik"49 oder "Stand von Wissenschaft und Technik"5CI im Umweltrecht. Mit diesen Regelungsbestandteilen werden die gesetzlichen Regelungen flexibel und dynamisch, um den laufenden Wandel der naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklung mitrezipieren zu können." Diese Dynamik bedeutet jedoch auch, daß die Verhaltensanfor47 Zur Erhöhung des Überwachungsbedarfs in diesem Zusammenhang trägt auch bei, daß dem Genehmigungserfordernis im Immssionsschutzrecht immer mehr Anlagen unterworfen werden (1974 noch 58 Anlagentypen, heute 184 Anlagentypen), vgl. dazu Feldhaus, Entwicklung des Immissionsschutzrechts, NVwZ 1995, S. 963, 966. 48 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rn 38. 49 Etwa verwendet in § 5 I Nr. 2 BlmSchG; § 4 V AbfG; § 12 I KrW-/AbfG; Nrn. 2.1, 9.1 TA Abfall; § 7a 13 WHG. 511 Verwendet in § 711 Nr. 3 AtomG; § 13 I Nr. 4 GenTG; vgl. zur Verweisung auf den "Stand von Wissenschaft und Technik" sowie die Verweisungen auf die "anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik" und den "Stand der Wissenschaft" zusammenfassend Breuer, Art. "Stand der Technik" in: HdUR, Sp. 1870 ff. SI Breuer, Art. "Stand der Technik" in: HdUR, Sp. 1870.
I. Vermehrte staatliche Überwachung als Lösungsmöglichkeit
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derungen an den Regelungsadressaten mit der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik erhöht werden. So ist schon in diesen bestehenden gesetzlichen Regelungen eine künftige Erhöhung der Verhaltensanforderungen angelegt. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß der Bedarf an fortlaufender Überwachung in den nächsten Jahren tendenziell noch zunehmen wird. Bei einem Festhalten am status quo der Überwachung ist somit nicht nur mit einem Fortdauern, sondern vielmehr noch mit einer Vergrößerung des bestehenden Vollzugsdefizites im Umweltrecht zu rechnen. Dementsprechend gilt es, nach solchen Veränderungen der Überwachungsorganisation zu suchen, die eine Verbesserung der fortlaufenden Überwachung erwarten lassen.
§ 2 Vorschläge zur Verbesserung der Überwachungssituation I. Vermehrte staatliche Überwachung als Lösungsmöglichkeit Unter Zugrundelegung des bestehenden Überwachungsrechts kommt als naheliegendste Möglichkeit zur Verbesserung der Überwachungssituation eine Erweiterung der behördlichen Überwachungskapazitäten in personeller und sachlicher Hinsicht in Betracht. Dies wurde auch schon vereinzelt in der Literatur gefordert52, erscheint aber angesichts des allgemeinen Sparkurses der öffentlichen Hand nicht realisierbar. 53 Ein Blick auf die Finanzsituation der Länder, deren Verwaltungen fast ausschließlich die Aufgabe der Überwachung im Umweltrecht zufällt, mag dies verdeutlichen. Der Mittelfristige Finanzplan des Landes BadenWürttemberg für die Jahre 1994 - 1998 gibt beispielsweise darüber Auskunft, daß für eine Ausweitung des Personalkörpers des Landes kein
52 Vgl. Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme, NuR 1993, S. 218, 229; Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 731. 53 Positiv dagegen Rüther, Defizite im Vollzug, IUR 1992, S. 152, 155.
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§ 2 Vorschläge zur Verbesserung der Überwachungssituation
Spielraum bestehe. 54 Für eine spürbare und dauerhafte Entlastung des Landeshaushalts, die als dringend notwendig angesehen wird 55 , reiche jedoch auch ein "Nullstellenwachstum" nicht aus. Es müsse vielmehr ein echter Abbau von PersonalsteIlen stattfinden. Daher wurde vom Ministerrat am 08. November 1993 der Abbau von 4000 Stellen in der Landesverwaltung ab 1997 beschlossen. Die einzelnen Ressorts sind damit zu entsprechenden Stelleneinsparungen in den Jahren 1997 und 1998 verpflichtet. 56 So ist statt mit einer Anpassung der Überwachungskapazitäten an den heutigen Bedarf eher noch mit einem Abbau von Personal in Umweltbehörden zu rechnen. 51 Dabei dürfte es aus den bereits dargelegten Gründen" insbesondere bei den Überwachungskapazitäten zu weiteren Defiziten kommen.
11. Vermehrte private Überwachung als Lösungsmöglichkeit Erfolgversprechender zur Verbesserung der Überwachungssituation erscheint daher die Möglichkeit, in vermehrtem Maße nichtstaatliche Überwachungskapazitäten zu nutzen. 59 Dem liegt auch die Erkenntnis zugrunde, daß das bestehende Wasser-, Immissionsschutz- und Abfallrecht über ein differenziertes und in der Praxis bewährtes System der Beteiligung Privater im Normenvollzug verfügt, ohne dessen Leistung
54 Mittelfristiger Finanzplan 1994 - 98 für das Land Baden-Württemberg, 1994, S. 15. 55 Mittelfristiger Finanzplan 1994 - 98 Baden-Württemberg, S. 13 f. 56 Vgl. Mittelfristiger Finanzplan 1994 - 98 Baden-Württemberg, S. 25. 51 Vgl. auch Dolde/Vetter, Überwachung immissionsschutzrechtlich genehm igungsbedürftiger Anlagen, NVwZ 1995, S. 943. 5. Vgl. S. 22 f. 59 So auch Dolde/Vetter, Überwachung immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen, NVwZ 1995, S. 943; Schäfer, Öko-Audit - Umweltschutz in Eigenverantwortung und nicht mehr als Staatsaufgabe?, 1995, S. 30; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962, 975; Schink, Vollzugsdefizite, ZUR 1993, S. 1, 6, 8; Töpfer, zitiert in: Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, 1988, S. 11. Für D. Böckenförde stellt eine private Überwachung sogar den einzig wirksamen Weg dar, vgl. D. Böckenförde, Diskussionsbeitrag, in: Umwelt- und Technikrecht Bd. 4, Technische Überwachung im Umwelt- und Technikrecht, 1987, S. 60.
11. Vermehrte private Überwachung als Lösungsmöglichkeit
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die umweltverwaltungsrechtliche Überwachung sicher nicht auf dem (schon geringen) gegenwärtigen Niveau gehalten werden könnte.6lI Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 102. 69 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 83. 711 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 103. 71 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 104. 72 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § ll1 Rn. 83; vgl. auch BVerfGE 49, 24, 56 f.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
Murswiek will grund rechtliche Schutzpflichten aus dem abwehrrechtlichen Gehalt der Grundrechte ableiten. 71 Dem Staat seien die Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Rechtsgüter durch Dritte, weIche sich im Rahmen des rechtlich "Nicht-Verbotenen" halten, durchweg als eigene Eingriffe zuzurechnen, womit nur die negatorische Funktion der Grundrechte aktiviert sei. 74 Diese Zurechnung wird damit begründet, daß das allgemeine Gewaltverbot zu einer Duldungspflicht der Bürger hinsichtlich jedes nicht verbotenen Verhaltens Dritter führe." Diese allgemeine Duldungspflicht sei als eine staatliche Grundrechtseinschränkung zu sehen76 , damit aber auch jedes Nicht-Verbieten eines schädigenden Verhaltens Dritter dem Staat als aktiver Eingriff in die betroffenen Grundrechte des Bürgers zuzurechnen."
Diese abwehrrechtliche Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten ist in der Literatur auf heftige Kritik gestoßen. 7I Als zentraler Kritikpunkt wurde gegen diese Begründung angeführt, daß, wenn dem Staat die stillschweigende oder ausdrückliche Gestattung privater Eingriffe in grundrechtlich geschützte Güter und Freiheiten als Eingriff zugerechnet werde, dies logisch vorrangig die Pflicht des Staates, solche Eingriffe abzuwehren, also die zu begründende Schutzpflicht selbst, als apriori bestehende Rechtspflicht voraussetze. Die Gleichsetzung von unterlasse-
73 Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 102 ff.; Murswiek, Zur Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten für den Umweltschutz, WuV 1986, S. 179 ff.; bereits frUher ähnlich Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff. 74 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 107. " Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 92. 76 Die Grundrechtseinschränkung liegt also nicht in der Genehmigung privater Eingriffe, sondern in der Verpflichtung, solche Eingriffe zu dulden, vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 91. 77 V gl. Murswiek, Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten fUr den Umweltschutz, WuV 1986, S. 182. 71 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 416 ff.; Dietlein, Lehre von den grundrecht lichen Schutzpflichten, S. 38 ff., 46 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § III Rn. 118 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. I1I/l, S. 947; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 186 ff.; E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten, NJW 1989, S. 1639; Kloepier, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBI. 1988, S. 305, 309.
11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung
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ner Schutzgewährung und aktivem Eingriff könne aber lediglich Folge der bestehenden Schutzpflicht, jedoch nicht deren Ursache sein. 79 Diese Kritik greift zu kurz. Tatsächlich bietet Murswiek eine Antwort auf die Frage nach der Pflicht des Staates, private Eingriffe abzuwehren, indem er auf die allgemeine Schutzpflicht des Staates aus den dargelegten staatstheoretischen Erwägungen abstellt. lII' Jedoch kann dieser Hinweis auf die allgemeine Schutzpflicht des Staates allein nicht befriedigen. Soll die Handlungspflicht des Staates ausreichen, um bei einem Unterlassen einen Grundrechtseingriff annehmen zu können, bedarf es einer Konkretisierung, was genau zu schützen ist. Dies sieht auch Murswiek, indem er zur Konkretisierung zunächst auf die Menschenrechte und schließlich auf die Schutzgüter der Grund~echte abstellt. 81 Damit müssen die grundrecht lichen Schutzgüter bei dieser Ansicht bereits zur konstituierenden Begründung herangezogen werden. Dies entspricht auch der Richtung des überwiegenden Teils der neueren Literatur. Gedanklich von der allgemeinen Schutzpflicht des Staates aus staatstheoretischen Gründen ausgehend, werden die grundrechtlichen Schutzgüter als verfassungsrechtliches Substrat dessen aufgefaßt, was der Staat zu schützen hat. 12 Die Grundrechte sichern in ihrer negatorisehen Funktion besonders sensible Bereiche menschlicher Persönlichkeitsentfaltung vor dem ungerechtfertigten Zugriff des Staates. Damit wird aber zugleich auch deren generelle Schutzbedürftigkeit gegenüber Eingriffen von seiten Dritter anerkannt. I] Mit Hilfe der Grundrechtsbestimmungen können also die Friedens- und Sicherungszwecke des Staates für bestimmte höchstwertige Rechtsgüter konkretisiert werden. IU Damit wird die als Blankett in Art. 20 I GG ("Staat") statuierte programmatische Schutzpflicht des Staates mit den grundrechtlichen Schutzgütern aufgefüllt. Abstrakte staatliche Schutzpflicht und grundrechtliehe Schutzpflicht des Staates sind damit letztlich identisch. 85
Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 39 m.w.N. Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 104. 81 V gl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 107 f. 12 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 84. 83 Vgl. Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 65. 14 Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 948. 85 Vgl. Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 65.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
b) Einschlägigkeit bestimmter grundrechtlicher Schutzpflichten im Bereich des Umweltschutzes
Mit dieser tragfähigen dogmatischen Begründung der grundrechtlichen Schutzpflichten kann sich nun der Frage zugewandt werden, welche grundrechtlichen Schutzpflichten durch das umweltrelevante Handeln Dritter im einzelnen aktiviert werden können. Auch wenn sich die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten von ihren Ursprüngen an bis heute insbesondere mit der Frage des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bürger beschäftigt hat16, ist kein Grund ersichtlich, die Schutzpflicht nicht auf alle Freiheitsgrundrechtsgüter zu erstreckenY Daher wird nachfolgend neben Art. 2 11 1 GG auch die Eigentumsgarantie aus Art. 14 I GG auf ihre Einschlägigkeit untersucht. 18 Ausgangspunkt für die Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflichten sind die abwehrrechtlichen Schutzbereiche der Grundrechte. 19 Wie gezeigt wurde, dienen die Schutzpflichten einer Sicherung der grundrechtlichen Schutzgüter. Diese grundrechtlichen Schutzgüter bestimmen sich jedoch absolut 9C1 und sind nicht abhängig davon, ob das Grundrecht als Abwehrrecht oder im Zusammenhang mit einer Schutzpflicht angesprochen ist. Mit den grundrechtlichen Schutzgütern wird der Umfang an Freiheitsraum dokumentiert, den der Bürger nach der Verfassung besitzen soll. Ob eine Beeinträchtigung von seiten des Staates oder eines privaten Dritten kommt, spielt für die Bestimmung des grundrecht-
16 V gl. Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 75 m.w.N. 87 V gl. H. Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVBI. 1994, S. 489, 491; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 86, 93; zurückhaltender Stern, Staatsrecht, Bd. IIIIt, S. 952. 88 Der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG kann in diesem Zusammenhang kein eigener Anwendungsbereich zugebilligt werden, vgl. überzeugend Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 1990, S. 135 ff., ebenfalls Benda, Verfassungsrechtliche Aspekte des Umweltschutzes, UPR 1982, S. 241, 242; Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBI. 1988, S. 305, 310. 19 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 93 f. 911 So auch Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 94.
11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung
139
lichen Schutzgutes keine Rolle. Damit kann auf die zum abwehrrechtliehen Schutzbereich entwickelte Dogmatik aufgebaut werden."· (1) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 11 1 GG
Zunächst schützt das Grundrecht aus Art. 2 II 1 GG das "Leben" als biologisch-physische Existenz. 92 Tatsächlich können besonders nachteilige Eingriffe in die natürliche Umwelt das Leben des Menschen bedrohen oder sogar dessen Tod herbeiführen. Das Schutzgut "Leben" ist damit jedenfalls dann berührt, wenn durch umweltrelevante Handlungen Dritter eine lebensgefährdende Situation entstehp3 Weit häufiger wird durch umweltrelevante Handlungen Dritter jedoch der Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit betroffen sein. Dieser schützt zunächst vor allen Einwirkungen, die die menschli-" ehe Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne beeinträchtigen.'" Daneben führen jedoch auch nichtkörperliche Einwirkungen zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, wenn sie ein Ausmaß erreichen, das als körperlicher Schmerz empfunden wird. Dabei kommt es nicht auf das Mittel der Zufügung an, womit auch die Erzeugung schmerzerregenden Lärms oder die Schadenszufügung durch nichtkörperliche (nicht faßbare) Substanzen wie z.B. Gase in Betracht kornrnps Umweltrelevante Handlungen Dritter führen in der Regel zu Beeinträchtigungen der Medien Wasser, Luft oder Boden. Mit der Nutzung dieser
9. Zu den Stimmen, die den Schutzbereich der Schutzpflicht einengen wollen, siehe die Nachweise bei Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 67 Fn. 164; kritisch auch Preu, Freiheitsgefährdung durch die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, JZ 1991, S. 265, 267 f. 92 Vgl. JarasslPieroth, GG, Art. 2 Rn. 44; Dürig, in: MaunzlDürig, GG, Art. 2 Abs. 11 Rn. 9; ein Recht auf menschenwürdiges Leben aus Art. 2 11 1 I.AIt. GG herzuleiten, ist dagegen im Hinblick auf eine klare Abgrenzung zum Recht auf körperliche Unversehrtheit abzulehnen, vgl. Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 127 m.w.N.; Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 222. 93 So Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980), S. 167, 179 . .,. JarasslPieroth, GG, Art. 2 Rn. 45. 9S Kunig, in: von MünchlKunig, GG, Bd. I, Art. 2 Rn. 63 m.w.N.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
Umweltmedien durch den Bürger ist die Gefahr einer Beinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit LS.d. Art 2 11 1 GG zwangsweise verbunden. Diese umweltvermittelten Gefahren 96 treffen potentiell jeden Bürger. Die Schutzpflicht aus Art. 2 11 1 GG ist somit von zentraler Bedeutung für den Umweltschutz. 97 (2) Eigentumsgarantie aus Art. 14 I GG Die Besonderheit des Schutzbereiches von Art. 14 I GG liegt darin, daß dieser nicht durch die Verfassung selbst bestimmt wird. Der Schutzbereich ist abhängig vom Eigentumsbegriff, der sich eben nicht aus der Verfassung ergibt, sondern durch die Sozialbindung des Art. 14 11 GG und die Ausgestaltung des einfachen Gesetzgebers definiert wird. 9I Somit ist der Eigentumsbegriff und damit auch der Schutzbereich wandelbar. 99 Teilweise wird daraus die Konsequenz gezogen, daß mangels feststehenden Schutzgutes eine grundrechtliche Schutzpflicht gar nicht in Betracht kommen könne. Da das Eigentum nicht existiere, könne auch ein privater Eingriff in das Grundrecht Eigentum nicht für rechtswidrig erklärt werden. loo Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Selbst wenn man nicht die objektiv-rechtliche Wertentscheidung des Art. 14 I GG auf die "Grundaspekte" des Eigentums erstrecken will 101, bietet jedenfalls der durch den einfachen Gesetzgeber definierte Eigentumsbegriff zum jeweiligen Zeitpunkt eine hinreichend konkrete Grundlage zur Bestimmung des Umfangs der Schutzpflichten. Was der Gesetzgeber für 96 Vgl. dazu im einzelnen Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 17 ff. 97 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 50; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. VI, § 128 Rn. 34; AK-GG-Podlech, Art. 2 Abs. 2 Rn. 37; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 2 Rn. 68; Schmidt-Aßmann, Anwendungsprobleme des Art. 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 106 (1981), S. 205 ff.; Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBI. 1988, S. 305, 310. 98 Vgl. BVerfGE 56, 300, 336 und Bryde, in: ,von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 14 Rn. 11 m.w.N. 99 Bryde, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. I, Art. 14 Rn. 11. 100 Diet/ein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 79. 101 So aber Schwerdtfeger, Grundrechtlicher Drittschutz im Baurecht, NVwZ 1982, S. 5, 8.
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schützwürdig gegenüber dem Staat hält, muß er auch als schutzwürdig gegenüber Dritten anerkennen. Aus der Wandelbarkeit des Schutzbereichsumfangs auf eine gänzliche Verneinung grundrechtlicher Schutzpflichten zu schließen, würde den Betroffenen ohne hinreichende Rechtfertigung schutzlos stellen. Somit sind auch aus Art. 14 I GG grundrechtliehe Schutzpflichten ableitbar. Der Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG kann durch umweltrelevante Handlungen Dritter betroffen werden, indem in Privateigentum befindliche Umweltgüter wie Pflanzen, Wälder, landwirtschaftliche Nutzflächen oder auch Gebäude und Tiere durch Umwelteinwirkungen geschädigt werden. Von diesen Schädigungen wären jedoch nur die jeweiligen Eigentümer der Umweltgüter betroffen. (3) Zwischenergebnis Durch umweltrelevante Handlungen Dritter können grundrechtliche Schutzpflichten aus Art. 2 II I und 14 I GG aktiviert werden. Während Schädigungen im Bereich des Art. 2 11 1 GG potentiell jeden Bürger treffen können, beschränkt sich die potentielle Betroffenheit bei Art. 14 I GG auf die Eigentümer von Umweltgütern. Aufgrund des diesbezüglich weiteren Wirkungsbereichs kann sich die nachfolgende Untersuchung, ob aus einer grundrechtlichen Schutzpflicht auch eine Pflicht zur Überwachung herleitbar ist, auf die nähere Analyse der Schutzpflicht nach Art. 2 11 1 GG konzentrieren. c) Anforderungen an die Beeinträchtigung durch Dritte zur Auslösung der Schutzpflicht
Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung zur Auslösung der Schutzpflicht darauf abgestellt, daß "ein rechtswidriger Eingriff von seiten anderer" vorliegen muß.1U2 Diese Formulierung kann zunächst als Ausgangspunkt für die nähere Erarbeitung der Auslösungsanforderungen genutzt werden. Dabei ist zunächst die Frage zu klären, was als "Eingriff von seiten anderer" aufzufassen ist. Unproblematisch kann darunter eine tatsächli-
102
BVerfGE 39, 1,42; 46, 160, 164; 49, 14, 53; 53, 30, 57; 56, 54, 73.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
che Verletzung des grundrechtlichen Schutzgutes, also von Leben oder körperlicher Unversehrtheit, verstanden werden. lol Doch die Schutzpflicht muß beim Schutzgut Leben und Gesundheit schon begriffsnotwendig früher ansetzen. Von einem "Schutz" kann hier nur gesprochen werden, wenn der Möglichkeit von tatsächlichen Verletzungen bereits vorbeugend begegnet wird. Das Gebot zum Schutz besteht also zumindest auch schon bei der Gefahr einer Verletzung von Leben und Gesundheit. Effektiver Schutz setzt frühzeitige Steuerung voraus.lI>4 Auch das BVerfG hat den Begriff der "Gefahr" in seine Rechtsprechung zu den Schutzpflichten aufgenommen. I'" Damit werden die Fragen aufgeworfen, in welcher Situation eine Gefahr vorliegt und welches Maß die Gefahr erreichen muß, damit die staatliche Schutzpflicht ausgelöst wird. Es erscheint durchaus legitim, zunächst am Gefahrenbegriff anzusetzen, wie er sich im Polizei- und Ordnungsrecht entwickelt hat. 106 Angesichts der seit über hundert Jahren andauernden Konkretisierung des Gefahrenbegriffs im Polizeirecht durch Rechtsprechung und Literatur legt die Verwendung des Begriffs "Gefahr" durch das BVerfG die Vermutung nahe, daß das Gericht auf die dogmatischen Vorarbeiten im Polizeirecht aufbauen wollte. Andernfalls wäre die Einführung eines anderen Begriffes bzw. eine entsprechende KlarsteIlung angezeigt gewesen .. Somit kann man davon ausgehen, daß das Verfassungsrecht den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff rezipiert hat. l07 Diese These erhält auch dadurch Unterstützung, daß das BVerfG bei dem die Schutzpflicht auslösenden Gefahrenniveau auf die Relation zwischen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schaden bzw. geschütztem Rechtsgut abstellt lo, und damit an i
IOl Vgl. Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 227 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhoj, HdBStR, Bd. V, § III Rn. 97. 104 Vgl. Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 227; Schmidt-Aßmann, Art. 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 106 (1981), S. 205, 211 m.w.N. 10' BVerfGE 49, 89, 141 f., 53, 30, 57; 56, 54, 78. 106 So auch Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 236. 107 Vgl. Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 236
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Vgl. BVerfGE 53, 30, 57; 56, 54, 78.
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polizeirechtliche Tradition anknüpft. 11l9 Somit liegt also eine Grundrechtsgefährdung vor, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden an einem grundrechtlichem Schutzgut zu erwarten ist. IIO Es stellt sich jedoch weiterhin die Frage, ob bereits der Zustand der Grundrechtsgefährdung als "Eingriff' zu bewerten ist. Die Voraussetzungen für eine solche Bewertung sind im einzelnen noch wenig geklärt. 1II Das BVerfG ist der Auffassung, daß bloße Grundrechtsgefährdungen im allgemeinen noch im Vorfeld verfassungsrechtlich relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen lägen. 1I2 Das Gericht spricht von "besonderen Voraussetzungen" für die Bewertung einer Gefährdung als Verletzung. 1IJ Zu diesen Voraussetzungen zählt das BVerfG, daß die vorliegende Gefahr nicht unerheblich ist. ~14 Unabhängig von der Frage, was das Gericht überhaupt unter diesem Begriff verstehen will ll5 , erscheint jede Einschränkung des allgemeinen Gefahrenbegriffs in diesem Zusammenhang im Hinblick auf einen effektiven Grundrechtsschutz als unzulässig. Liegt eine (einfache) Gefahr im Rechtssinne vor, so führt eine Situation mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden.
109 Vgl. zu dieser sog. "Produktformel" an Rechtsprechung BVerwGE 45, 51, 61; 47, 31, 40; 62, 36, 39; VGH Mannheim, VBIBW 1984, S. 20, 21 und seitens der Literatur DrewslWackelVogellMartens, Gefahrenabwehr, S. 224; WürtenbergerlHeckmannlRiggert, Polizeirecht in Baden-Würuemberg, Rn. 284; LiskenlDenninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. ERn. 42. 110 Vgl. zum polizeirechtlichen Gefahrenbegriff die Rechtsprechung ausgehend von PrOVGE 77,333,338; 77, 341, 345 z.B. BVerwGE 28,310,315 f.; 45,51, 57; 62, 36, 38 f. und seitens der Literatur DrewslWackelVogellMartens, Gefahrenabwehr, S. 220; LiskenlDenninger, Handbuch des Polizeirechts, Kap. ERn. 29; WürtenbergeriHeckmannlRiggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rn. 278,450. 111 JarasslPieroth, GG, Art. 2 Rn. 49. 112 BVerfGE 51, 324, 346. IIJ BVerfGE 51, 324, 346 f.; ähnlich ("in besonderen Fällen") BVerfGE 52, 214,220. 114 BVerfGE 51, 324, 346 f. verweist auf BVerfGE 49,89,141 f., wo eben als Voraussetzung das Vorliegen nicht unerheblicher Gefahren erscheint. Ebenso in BVerfGE 66, 39, 58. So auch Schmidt-Aßmann, Art. 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 106 (1981), S. 205, 216. 115 Auch der Verweis von Schmidt-Aßmann, Art. 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 106 (1981), S. 205, 216 auf das Polizeirecht führt nicht zu einer inhaltlichen Klärung.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
Angesichts der Tatsache, daß Schäden beim Schutzgut des Art. 2 11 I GG in der Regel nicht oder nur sehr schwer reparabel sind, besitzt dieses Schutzgut eine besondere Schutzbedürftigkeit schon gegenüber nur potentiellen Schäden. Daher muß die Schutzpflicht des Staates zumindest bei Art. 2 11 I GG auch schon aktiviert werden, wenn eine (einfache) Gefahr im Rechtssinne vorliegt. Der Einschränkung seitens des BVerfG kann daher nicht gefolgt werden. 1I6 Teilweise wird die Auffassung vertreten, daß die Schutzpflicht nicht ausgelöst werden könne, wenn ein unvermeidliches Restrisiko bestehe. Darunter soll ein Bereich besonders geringer Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts verstanden werden, der nach dieser Ansicht nicht mehr als Gefahr im Rechtssinne qualifiziert werden könne. 1I7 Diese vor allem im Hinblick auf die Nutzung der Kernenergie entwickelte Argumentation 11l begegnet jedoch erheblichen Bedenken. Sofern eine Gefahr im Rechtssinne vorliegt, weil nach der Produktformel 1l9 wegen eines extrem großen zu erwartenden Schadens auch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit ausreicht l2O , ist eine tatsächliche Gefährdung gegeben. Diese kann nicht durch wertende Betrachtungen eliminiert werden. m Auch in diesen Fällen muß die grundrechtliche Schutzpflicht aktiviert sein, da die Konstruktion des Restrisikos die Verantwortung des Staates als solche nicht aufbeben kann. Die Unterscheidung zwischen Gefahr und Restrisiko wird erst bedeutsam bei der Bestimmung der Rechtsfolge einer Schutzpflichtaktivierung, also bei der Frage, ob der Staat der Allgemeinheit ein Restrisiko zumuten darf oder ob er die risikobelastete Tätigkeit verbieten darf oder muß.112 In dieser Richtung kann auch die Rechtsprechung des BVerfG verstanden werden, wenn es dort als notwendig angesehen wird, So auch Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 145 f. Vgl. Breuer, Gefahrenabwehr und Risikovorsorge im Atomrecht, DVBI. 1978, S. 829, 834 f.; Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 38 (1980), S. 167, 192 f.; Degenhart, Kernenergierecht, 1981, S. 147 f.; Marburger, Rechtliche Grenzen technischer Sicherheit, WuV 1981, S. 241,243 ff. 118 Vgl. die Nachweise bei Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 238 in Fn. 263. 119 Vgl. dazu die Angaben in Fn. 109. 120 Vgl. Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 25 Rn. 11. 121 Vgl. Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 239 f. 122 Isensee, in: Isensee/KirchhoJ, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 108; vgl. auch Wahl/Appel, in: Wahl, Prävention und Vorsorge, 1995, S. 89 f. 116
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daß der Eintritt eines Schadens praktisch ausgeschlossen sein müsse und Risiken jenseits dieser Schwelle als sozial-adäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen seien. 123 Neben dem Vorliegen eines "Eingriffs von seiten anderer" bedarf die Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflichten nach der Rechtsprechung des BVerfG auch der "Rechtswidrigkeit" des Eingriffs. 124 Diese Formulierung ist jedoch insofern irreführend, als daß damit suggeriert wird, es käme bei der Frage der "Rechtswidrigkeit" auf ein einfachgesetzliches Urteil an. In diesem Fall würde jedoch das einfache Gesetz den Umfang verfassungsrechtlicher Pflichten bestimmen, was nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht möglich ist. 11' Die Frage einer "Rechtswidrigkeit" i.S.v. verfassungsrechtlich verboten kann also nur aus der Verfassung selbst beantwortet werden. Insofern ist das Merkmal der "Rechtswidrigkeit" jedenfalls untauglich, die Voraussetzungen der Schutzpflicht näher zu beschreiben. 126 Es kann also insoweit festgehalten werden, daß die Schutzpflicht aus Art. 2 11 1 GG nicht nur bei tatsächlichen Verletzungen aktiviert wird, sondern auch dann, wenn dem grundrechtlichen Schutzgut eine Gefahr im verfassungsrechtlichem Sinne droht. Eine solche Gefahr bestimmt sich nach dem relationalen Gefahrenbegriff127, der sich aus polizeirechtlichen Grundsätzen ergibt. Fraglich ist jedoch, ob im Bereich des Umweltrechts eine reine Gefahrenabwehr für das Ziel eines effektiven Grundrechtsschutzes ausreichend ist. Es könnte hier zusätzlich eine Risikovorsorge notwendig sein. 121 Die
123 Vgl. BVerfGE 49, 89, 143; 53, 30, 59. An der betreffenden Stelle BVerfGE 49, 89, 142 f. beschäftigt sich das Gericht mit der Ausgestaltung des (Atom-)Rechts und nicht mit der Einschlägigkeit der Schutzpflichten. 124 Vgl. BVerfGE 39, 1,42; 46, 160, 164; 49, 14,53; 53, 30, 57; 56, 54, 73. 125 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 100; Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 226 f. 126 Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 227; IIlig, Das Vorsorgeprinzip im Abfallrecht, S. 40. 127 Vgl. zum Begriff Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 149 f. 121 So Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 17; Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBI. 1988, S. 305, 311; IIlig, Das Vorsorgeprinzip im Abfallrecht, 1992, S. 42, 54; zweifelnd Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 4 Rn. 74: ablehnend Fleury, Das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht, 1994, S. 36, 37.
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Risikovorsorge ist unterhalb der Gefahrenschwelle angesiedelt. 129 Das Risiko unterscheidet sich von einer Gefahr vor allem durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des SchadenseintrittsYo Während eine Gefahr die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraussetzt, liegt das Risiko bereits bei der geringsten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vor, Wenn also ein Schaden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. 13I Die Notwendigkeit eines weitergehenden Schutzes im Rahmen der Risikovorsorge ergibt sich aus den spezifischen Schwierigkeiten bei der Abwehr von umweltvermittelten Gefahren. Denkbare Schadensausmaße im technischen Sicherheitsrecht ebenso wie Defizite an gesichertem Erfahrungswissen über zahlreiche Geschehensabläufe, Wirkungszusammenhänge und Eigenschaften von Stoffen können eine konkrete Gefahrenprognose und schon eine Gefahrendiagnose unmöglich machen. In einer solchen breiten Zone der Ungewißheit infolge von Wissenslücken besteht gleichwohl ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis, welchem Rechnung getragen werden muß.132 Dies hat der Staat dadurch zu tun, daß er eine Sicherheitszone unterhalb der nach sicheren Erkenntnissen ermittelbaren Gefahrenschwelle schafft ll3 , wie dies etwa mit § 5 I Nr. 2 BlmSchG im Immssionsschutzrecht geschehen ist. 134 Die so normierte Risikovorsorge ist lediglich die Reaktion auf Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Abwehr umweltvermittelter Gefahren und kann daher auch nicht isoliert zur Gefahrenabwehr betrachtet werdenY5 Vielmehr
129 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 17 m.w.N. 130 Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 4 Rn. 69; Ossenbühl, Vorsorge als Rechtsprinzip im Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz, NVwZ 1986, S. 161, 163; Wahl/Appel, in: Wahl, Prävention und Vorsorge, S. 88 f. 131 Murswiek, Art. "Gefahr" in: HdUR, Sp. 803; zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung vgl. Ossenbühl, Vorsorge als Rechtsprinzip, NVwZ 1986, S. 161, 163.
132 Ossenbühl, Vorsorge als Rechtsprinzip, NVwZ 1986, S. 161, 163; vgl. auch Wahl/Appel, in: Wahl, Prävention und Vorsorge, S. 29 ff. 133 Vgl. 1I. Lersner, Art. "Vorsorgeprinzip" in: HdUR, Sp. 2703; Germann, Das Vorsorgeprinzip als vorgelagerte Gefahrenabwehr, 1993, S. 38 ff.; Fleury, Das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht, S. 7 ff.; Wahl/Appel, in: Wahl, Prävention und Vorsorge, S. 75 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen. 134 Vgl. Jarass, BlmSchG, § 5 Rn. 42 m.w.N. 135 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 3 Rn. 11.
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bieten "klassische" Gefahrenabwehr und Risikovorsorge kombiniert das adäquate Konzept zur Abwehr von umweltvermittelten Beeinträchtigungen. Deshalb kann im Einzelfall, wenn nämlich die beschriebenen Unsicherheiten eine "Sicherheitszone" notwendig machen, auch eine Risikovorsorge durch grundrechtliche Schutzpflichten angezeigt sein. 136 d) Inhalt und Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflichten Mit einer Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 11 I GG ergibt sich die Frage, welche Schutzmaßnahmen in diesem Falle vom Staat zu leisten sind. Ausgangspunkt für diese Beurteilung ist der objektive Schutzbedarf, der nur anhand einer differenzierten Betrachtung ermittelbar ist. Er hängt von der Sicherheitsempfindlichkeit des betroffenen Schutzgutes sowie von Art, Reichweite und Intensität des potentiellen oder aktuellen Übergriffs ab. 137 Die Schutzverpflichtung des Staates steht jedoch immer unter dem Vorbehalt des faktisch und des verfassungsrechtlich Möglichen. 131 Insbesondere sind dabei entgegenstehende Grundrechte anderer zu berücksichtigen. 1J9 Auch ist die Herstellung absoluter Sicherheit beim heutigen Stand der Technisierung gar nicht möglich. Daher darf der Staat unvermeidliche Restrisiken hinnehmen und diese seinen Bürgern als sozialadäquate Lasten zumuten. l40 In diesem Bereich kann der Staat also auf Schutzmaßnahmen zugunsten seiner Bürger verzichten. 141
So im Ergebnis auch BVerfGE 53,54,78 m.w.N. Isensee, in: Isensee/Kirchhoj, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 90, 141; vgl. auch BVerfGE 49, 89, 142. m Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhoj, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 144 f.; umfassend Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 240 ff. 139 Vgl. Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 246 ff 140 Vgl. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 41 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 17; Schwerdtfeger, Grundrechtlicher Drittschutz, NVwZ 1982, S. 5, 10. 141 Vgl. auch Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 953 und BVerfGE 49, 89, 143; 53,30,59. 136
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(1) Rechtssetzungspflicht als primäre Schutzpflicht Zur genauen Klärung der Frage, welche konkreten Schutzmaßnahmen der Staat zu treffen hat, wird hier an die von Murswiek vorgeschlagene differenzierte Betrachtung der Schutzpflichten angeknüpft. Danach werden bei der Aktivierung einer staatlichen Schutzpflicht genaugenommen sowohl eine primäre als auch sekundäre Schutzpflichten ausgelöst. 142 Die primäre Schutzpflicht verpflichtet den Staat, die Rechtsordnung auf einfachgesetzlicher Ebene so auszugestalten, daß Beeinträchtigungen von grundrechtlich geschützten Rechtsgütern durch Dritte grundsätzlich rechtswidrig sind. 143 Diese Aufgabe trifft ausschließlich den Gesetzgeber, der die notwendigen materiellen Schutznormen zu erlassen hat l44 und damit eine normative Absicherung grundrechtlicher Freiräume gegenüber privat verursachten Gefährdungslagen gewährleistet. 145 Die grundrechtliche Schutzpflicht ist für ihre Umsetzung maßgeblich auf das einfache Gesetz angewiesen l46 , womit der Gesetzgeber auch der bevorzugte Adressat der grundrechtlichen Schutzpflicht ist. 147 (2) Rechtsdurchsetzungspflicht als sekundäre Schutzpflicht Mit dem Erlaß der Schutznormen schafft der Staat zwar die rechtlichen Voraussetzungen für den Schutz der grundrechlichen Schutzgüter, gewährleistet aber noch nicht den grundrechtlich geschuldeten Erfolg eines effektiven Schutzes. Der Staat kann sich nicht auf den abstrakten Schutz durch Gesetze beschränken, sondern muß das Beeinträchtigungsverbot 142 V gl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 108 ff.; ihm folgend Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1134; kritisch zu dieser Systematisierung Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 130 f. 14) Murswiek, Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten, WuV 1986, S. 179,181. 144 Vgl. auch Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 52; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 153. 145 Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 70. 146 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 44 spricht von "gesetzesmediatisiert". 147 Vgl. BVerfGE 39, 1, 44, 51; Stern, Staatsrecht, Bd. III/l, S. 951; Murswiek, Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten, WuV 1986, S. 179, 194.
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auch konkret durchsetzen. 14• Insofern greift die bisherige rechtswissenschaftliche Diskussion zu den grundrechtlichen Schutzpflichten häufig zu kurz, indem sie sich fast ausschließlich mit der Rechtssetzung, also der primären Schutzpflicht beschäftigt. Von einem effektiven Schutz der grundrechtlichen Schutzgüter kann jedoch nur bei einer wirksamen Handhabung und Durchsetzung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben die Rede sein. 149 Diese Durchsetzung ist Inhalt der sekundären Schutzpflichten des Staates. Sie sind der primären Schutzpflicht logisch nachgeordnet und letztlich in ihrem Bestand von dieser abhängig. I,.. Der geschuldete Erfolg des effektiven Schutzes ist also durch die Erfüllung sowohl der primären als auch der sekundären Schutzpflichten zu gewährleisten. Die sekundären Schutzpflichten können dabei weitere rechtliche Regelungen sowie institutionelle und organisatorische Vorkehrungen und Maßnahmen erfordern. UI Die sekundären Schutzpflichten treffen die gesamte Staatsorganisation. Die Legislative wird verpflichtet, geeignete Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren bereitzustellen, die eine Durchsetzung der in Erfüllung der primären Schutzpflicht erlassenen gesetzlichen Standards gewährleisten. 152 Für die Exekutive ergibt sich das Gebot, den abstrakten Schutz durch die umweltrechtlichen Gesetze inhaltlich umzusetzen bzw. zu vollziehen. 153 Dazu sind Genehmigungs- und Verwaltungsverfahren so durchzuführen, daß eine Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben gesichert wird, wobei insbesondere eine "schutzpflichtkonforme" Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts notwendig ist. Bei der Judikative
141 So auch lsensee, in: lsensee/Kirchhoj, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 139, 166 f.; Vietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 71; vgl. ebenfalls Wahl/Masing, Schutz durch Eingriff, lZ 1990, S. 553, 559. 149 Vgl. lsensee, in: lsensee/Kirchhoj, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 167. I'" Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 108, 111. Murswiek faßt diese
Schutzpflichten auch unter dem Begriff "Schutzgewährleistungspflichten" zusammen. 151 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 111. 152 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 52 m.w.N. 15J Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 71.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
beschränkt sich die Verpflichtung auf eine solche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts im Sinne der Schutzpflichten. l54 (3) Ermessen bei der Erfüllung der Schutzpflichten Legislative und Exekutive wird bei der Erfüllung der Schutzpflichten ein erheblicher Spielraum eingeräumt. U5 Teilweise spricht das BVerfG recht pauschal von einem "weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich"156 und sieht sich zu einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle erst veranlaßt, wenn die staatlichen Organe gänzlich untätig geblieben sind oder wenn offensichtlich ist, daß die getroffenen Maßnahmen völlig ungeeignet oder unzulänglich sind. 157 Der Umfang dieses eingeräumten staatlichen Ermessens hat jedoch besonderen Einfluß auf Bedeutung und Tragweite der grundrechtlichen Schutzpflichten überhaupt. Daher erscheint eine genauere Analyse dieses staatlichen Spielraums angezeigt. Zunächst sollte zwischen Gestaltungsermessen einerseits sowie Einschätzungs- und Wertungsermessen andererseits unterschieden werden. Der Umfang des staatlichen Gestaltungsermessens läßt sich nur vor dem Hintergrund des materiellen Inhalts der Schutzpflichten erschließen. Die Schutzpflichten haben zum Ziel, einen effektiven Schutz der Grundrechtsgüter zu gewährleisten.!" Wenn dies so ist, hat sich auch das Gestaltungsermessen des Staates bei der Erfüllung der Schutzpflichten an diesem Ziel zu orientieren. Folglich muß das Ermessen so ausgeübt wer-
154 Vgl. Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 271 ff.; Vietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 71 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/l, S. 951. U5 V gl. BVerfGE 46, 160, 164; 56, 54, 80 f.; 77, 170, 214 f.; 79, 174, 200; 88, 203, 254; JarasslPieroth, GG, Art. 2 Rn. 51; Isensee, in: IsenseelKirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 162; Schmidt-Aßmann, Anwendungsprobleme des Art. 2 Abs. 2 GG im Immissionsschutzrecht, AöR 106 (1981), S. 216; Hesse, in: BendalMaihoferiVogel, HdBVerfR., § 5 Rn. 51; WahllAppel, in: Wahl, Prävention und Vorsorge, S. 70. 156 BVerfGE 77, 170,214; differenzierter BVerfGE 88, 203, 262. 157 BVerfGE 77, 170, 215; 77, 381, 405; weiter dagegen BVerfGE 88, 203, 262 f. I" V gl. E. Klein, Grundrechtliehe Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, S. 1633, 1637; Isensee, in: IsenseelKirchhof, HdBStR, Bd. V, § 111 Rn. 90, 137.
Il. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung
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den, daß daraus ein effektiver Grundrechtsschutz resultiert. Dem Gestaltungsermessen wird damit durch die Schutzpflichten ein dem Übermaßverbot beim Abwehrrecht korrelierendes Untermaßverbot auferlegt l59 , wonach jedenfalls ein wirksamer Schutz notwendig ist. IW Entsprechend hat der Staat zwar die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Schutzmöglichkeiten zu wählen, jedoch muß jede einzelne dieser Möglichkeiten, sofern sie in diese Auswahl miteinbezogen werden soll, für sich einen effektiven Schutz der Grundrechte sicherstellen. 161 Wird eine dieser Möglichkeiten herangezogen, ist die effektive Grundrechtssicherung gewährleistet. Aus den grundrechlichen Schutzpflichten wird also der "Erfolg" eines effektiven Grundrechtsschutzes geschuldet l62 , was insofern auch das staatliche Gestaltungsermessen konkretisiert. Dieser geschuldete "Erfolg" hat auch Einfluß auf den Umfang des Einschätzungs- und Wertungsspielraums von Legislative und Exekutive. Jener Spielraum kann sich sowohl auf die Einschätzung der Gefahr für ein grundrechtliches Schutzgut l63 als auch der tatsächlichen Effektivität einer Schutzmöglichkeit l64 beziehen. Der Umfang dieses Spielraums hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich über künftige Entwicklungen und Auswirkungen einer Schutzmöglichkeit ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden sowie die Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter" 65 In seiner neueren Rechtsprechung erstreckt das BVerfG die verfassungsgerichtliche Prüfung im Hinblick auf die Schutzpflicht aus Art. 2 11 1 GG auf die Frage, ob der Gesetzgeber diese Faktoren ausreichend berücksichtigt und seinen Einschätzungsspielraum "in vertretbarer Weise" gehandhabt hat" 66 Bei dieser Vertretbarkeitsprüfung Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § III Rn. 165. So BVerfGE 88, 203, 254; vgl. auch H. Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVBI. 1994, S. 489, 494 m.w.N. 161 Vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 422; Di Fabio, Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch 81 (1990), S. 193,224. 162 Vgl. Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 261 f.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 39 ff. 163 Vgl. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 40; Stern, Staatsrecht, Bd. III/l, S.952. 164 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 423 und BVerfGE 88, 203, 262 f. 165 BVerfGE 77,170,215; 88, 203, 262. 166 BVerfGE 88, 203, 262. 159 160
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
vermögen die genannten Faktoren - insbesondere der verfassungsrechtliche Rang der betroffenen Rechtsgüter - die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte zu erhöhen. Im Falle des Schutzes des ungeborenen Lebens hat das BVerfG die Anforderung gestellt, daß sich der Gesetzgeber des erreichbaren, für die gebotene verläßliche Prognose der Schutzwirkung wesentlichen Materials bedient und es mit der gebotenen Sorgfalt daraufhin auswertet, ob es seine gesetzgeberische Einschätzung hinreichend zu stützen vermag. 167 Angesichts des hohen verfassungsrechtlichen Ranges der betroffenen Rechtsgüter muß dieser Maßstab bei allen Maßnahmen, die der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten aus Art. 2 11 1 GG dienen, also auch bei Maßnahmen zum Schutz vor umweltvermittelten Gefahren gegenüber Leben und Gesundheit, angelegt werden. Mit dem so determinierten Einschätzungs- und Wertungsspielraum zugunsten von Legislative und Exekutive will das BVerfG dem Problem gerecht werden, daß sowohl hinsichtlich der Einschätzung der Gefahr für ein grundrechtliches Schutzgut als auch der Beurteilung der tatsächlichen Effektivität einer Schutzmöglichkeit vor der Wahl einer bestimmten Schutzmöglichkeit Unsicherheiten bestehen können. Die Entscheidung in dieser Situation der Unsicherheit soll der Legislative und der Exekutive vorbehalten bleiben. Der Prüfungsmaßstab des BVerfG kann jedoch nicht den Umfang der grundrechtlichen Schutzpflichten selbst beeinträchtigen. Mit dem eingeräumten Ermessen soll die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht nicht relativiert, sondern effektuiert werden. Ziel der entsprechenden Maßnahmen muß jedenfalls die Gewährleistung eines verfassungsgebotenen Mindeststandards an Grundrechtssicherheit sein. l6S Daher ist der Staat auch dazu verpflichtet, bei der Feststellung einer Fehleinschätzung, die einem effektivem Grundrechtsschutz abträglich ist, die gewählte Schutzmöglichkeit entsprechend "nachzubessern" .169
BVerfGE 88, 203, 263. Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § III Rn. 165. 169 E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, NJW 1989, S. 1633, 1638; vgl. dazu auch Badura, Der verfassungsrechtliche Pflicht des gesetzgebenden Parlaments zur "Nachbesserung" von Gesetzen, in: FS rur K. Eichenberger, 1982, S. 481, 484 m.w.N.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. V, § III Rn. 155; Stern, Staatsrecht, Bd. III/I, S. 952. 167
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11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung
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e) Umsetzung der primären Schutzpjlicht aus Art. 2 II 1 GG Seiner primären Schutzpflicht aus Art. 2 11 I GG ist der Gesetzgeber mit dem Erlaß der verschiedenen umweltrechtlichen Fachgesetze nachgekommen. 170 Dabei ist es für den Bereich der teilweise normierten Risikovorsorge l7l ohne Belang, ob man die hier vertretene Auffassung teilt, daß die Schutzpflicht aus Art. 2 11 I GG auch eine Risikovorsorge fordern kann. 172 Jedenfalls hat es der Gesetzgeber wegen der besonderen Probleme hinsichtlich der Gefahrenabwehr im Umweltschutz l7l als notwendig angesehen, teilweise auch eine Riskovorsorge zu normieren, um einen hinreichenden Schutz (der Grundrechte) zu gewährleisten. 174 Dabei ist die Kombination von Gefahrenabwehr und Risikovorsorge m als Gesamtkonzept anzusehen. Mit dem Erlaß der umweltrechtlichen Schutzgesetze hat der Staat im Rahmen seines Gestaltungsermessens l76 die Konzepte festgelegt, die er als effektiv ansieht, um einen Schutz nach Art. 2 11 1 GG zu sichern. Die Risikovorsorge kann in diesem Zusammenhang also nicht isoliert betrachtet werden, sondern gehört als Teil des Schutzkonzeptes zur Umsetzung der primären Schutzpflicht. . j) Zwischenergebnis
Nach allem bleibt festzuhalten, daß aus den grundrechtlichen Schutzpflichten der "Erfolg" eines effektiven Grundrechtsschutzes geschuldet wird. Aufgrund der Einschlägigkeit des Grundrechts aus Art. 2 11 I GG hat dieser effektive Grundrechtsschutz durch den Staat auch (und gerade) gegenüber umweltvermittelten Gefahren stattzufinden. Effektiver Grundrechtsschutz bedeutet insbesondere, daß der Staat nicht nur umweltrechtliche Schutzgesetze zu erlassen hat (primäre Schutzpflicht), 171l Vgl. Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1134; für das Immissionsschutzrecht Murswiek, Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten, WuV 1986, S. 179, 198. 171 Vgl. etwa § 5 I Nr. 2 BlmSchG und § 7 11 Nr. 3 AtomG. 172 Vgl. hierzu S. 146 f. m Vgl. die Ausführungen auf S. 146. 174 Vgl. Hoppe/Beckmann, Umweltrecht, § 4 Rn. 72 f. 175 Siehe § 5 I Nr. I (Gefahrenabwehr) und Nr. 2 (Risikovorsorge) im BlmSchG. 176 Vgl. zu diesem Gestaltungsermessen die Ausführungen auf S. 150.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
sondern deren materiellen Gehalt auch konkret durchsetzen muß (sekundäre Schutzpflicht). Bei der Erfüllung der Schutzpflichten kommt dem Staat ein Gestaltungsermessen dergestalt zu, daß er zwischen verschiedenen, jeweils jedoch notwendig effektiven Schutzmöglichkeiten wählen kann. Das eingeräumte Einschätzungsermessen beschränkt zwar die verfassungsgerichtliche Überprüfbarkeit einer Erfüllung der Schutzpflichten, relativiert jedoch nicht den Umfang des verfassungsmäßig gebotenen effektiven Grundrechtsschutzes. Seiner primären Schutzpflicht ist der Staat durch den Erlaß zahlreicher umweltrechtlicher Regelungen nachgekommen. Zu diesen Regelungen sind insbesondere die Normen des Immissionsschutz-, Wasser- und Abfallrechts zu zählen. Mit der Normierung hat der Gesetzgeber den gesetzlichen Sicherheitsstandard festgelegt. Damit ergibt sich im Rahmen der sekundären Schutzpflichten die Verpflichtung des Staates, diesen gesetzlichen Sicherheitsstandard auch durchzusetzen. Auf die Frage, wie der Staat dieser Verpflichtung nachzukommen hat und welche Rolle die Überwachung dabei spielt, wird noch einzugehen sein.
2. Rechtsdurchsetzungsgebot aus der Staatszielbestimmung Art. 20a GG Mit Gesetz vom 27.10.1994 177 wurde in Art. 20a GG ein "Staatsziel Umweltschutz"178 festgeschriebenY9 Als Staatszielbestimmung llO handelt es sich bei Art. 20a GG um eine Verfassungsnorm mit rechtlich binden-
BGBl. I S. 3146. 171 So begrifflich etwa BT-Drs. 12/6000, S. 67; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 20a Rn. 1; Uhle, Das Staatsziel "Umweltschutz" im System der grundgesetzlichen Ordnung, DÖV 1993, S. 947 ff. 179 Zur Vorgeschichte dieser Grundgesetzänderung vgl. Henneke, Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, S. 325 ff. IBO Vgl. zur Kategorie der Staatszielbestimmungen allgemein Isensee, in: Isen· see/Kirchhof, HdBStR, Bd. III, § 57 Rn. 115 ff.; Hesse, in: Benda/MaihoferiVogel, HdBVerfR, § 5 Rn. 33 ff., Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: FS für E. Forsthoff, 1974, S. 325 ff. 177
11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung
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der Wirkung l8l , die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben - sachlich umschriebener Ziele - vorschreibt. I'2 Nachfolgend ist zu untersuchen, ob sich auch aus dieser Verfassungsnorm eine Pflicht zur Durchsetzung umweltrechtlicher Regelungen ergibt. Konkret enthält die neue Grundgesetznorm, die verschiedenen Staatszielbestimmungen für den Umweltschutz in Länderverfassungen nachfolgt l83 , zunächst eine objektiv-rechtliche l14 Verpflichtung des Staates, die natürlichen Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen zu schützen. Schutzobjekt sind nur die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen, womit ein anthropozentrischer Bezug gewählt wurde. 11' Erfaßt wird die gesamte natürliche Umwelt des Menschen. Dazu gehören zum einen die Umweltmedien Luft, Wasser und I1I Dies stellt Kloepfer angesichts einer noch nicht abschließend geklärten Dogmatik zu den Staatszielbestimmungen in Frage, vgl. Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBI. 1988, S. 305, 315. 112 Diese Definition wurde von der im Herbst 1981 berufenen Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" eingebracht (vgl. Bundesminister des Innern/Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverständigenkommision "Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", 1983, Rn. 7) und hat sich mittlerweile durchgesetzt, vgl. H. Klein, Staatsziele im Verfassungsgesetz, DVBI. 1991, S. 729, 731; Uhle, Staatsziel "Umweltschutz", DÖV 1993, S. 947, 950; Schmidt-BleibtreuIKlein, GG, Art. 20a Rn. 2; Hesse, in: BendalMaihoferlVogel, HdBVerfR, § 5 Rn. 34. 183 Etwa Art. 86 LVerffiW, Art. 141 I BayVerf, Art. Ila BremLVerf, Art. 29a LV erfNW; Art. I, 10 Sächs Verf. 114 Vgl. BT-Drs. 12/6000, S. 67; BVerwG, NuR 1995, S. 253, 254; JarasslPieroth, GG, Art. 20a Rn. 1; Schmidt-BleibtreulKlein, GG, Art. 20a Rn. 3; Meyer-Teschendorf, Verfassungsmäßiger Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, ZRP 1994, S. 73, 77; H. Klein, Staatsziele im Verfassungsgesetz, DVBI. 1991, S. 729, 733; Becker, Die Berücksichtigung des Staatsziels Umweltschutz beim Gesetzesvollzug, DVBI. 1995, S. 713, 717 und allgemein für Staatszielbestimmungen Hesse, in: BendalMaihoferlVogel, HdBVerfR, § 5 Rn. 34. 185 Vgl. Schmidt-BleibtreuIKlein, GG, Art. 20a Rn. 11; Kloepfer, Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Art. 20a GG, DVBI. 1996, S. 73, 77; Brohm, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen in der Verfassung, IZ 1994, S. 213, 219; Meyer-Teschendorf, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, ZRP 1994, S. 73, 77; ausführlich Henneke, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, S. 325, 329; a.A. Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 20a Rn. 22 ff.; vermittelnd Waechter, Umweltschutz als Staatsziel, NuR 1996, S. 321, 324 f.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
Boden sowie Pflanzen, Tiere l16 und Mikroorganismen in ihren Lebensräumen, aber auch die Beziehungen zwischen diesen Elementen. 187 Die staatliche Schutzpflicht aus Art. 20a GG wird ausgelöst, sofern Eingriffe in das beschriebene Schutzobjekt durch den Staat selbst oder private Dritte drohen. 118 Dabei geht es Art. 20a GG sowohl um die Abwehr konkreter Gefahren als auch die Vorsorge. 119 Mithin wird die Schutzpflicht des Art. 20a GG insbesondere durch umweltrelevantes Verhalten aktiviert. l90 Fraglich ist jedoch, welchen genauen Inhalt die ausgelöste staatliche Verpflichtung haben soll, welcher "Erfolg" also nach Art. 20a GG durch den Staat geschuldet wird. Diesbezüglich wird in der Literatur die Feststellung getroffen, daß der genaue Inhalt der staatlichen Verpflichtung unbestimmt bleibe. 191 Allgemein wird dem Gesetzgeber als vorrangigem Adressaten der Verpflichtung 192 ein weiter Gestaltungsspielraum hin116 Ein eigenständiger Tierschutz ist jedoch nicht vollständig enthalten, vgl. Schmidt-BleibtreuIKlein, GG, Art. 20a Rn. 11 m.w.N.; BT-Drs. 12/6000, S. 69; a.A. Waechter, Umweltschutz als Staatsziel, NuR 1996, S. 321,324 f. 117 JarasslPieroth, GG, Art. 20a Rn. 2; Henneke, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, S. 325, 329; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 27 ff.; vgl. auch Peters, Art. 20a GG - Die neue Staatszielbestimmung des Grundgesetzes, NVwZ 1995, S. 555. 111 Vgl. JarasslPieroth, GG, Art. 20a Rn. 3; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 33. 119 Vgl. Kloepfer, Umweltschutz als Verfassungsrecht: Zum neuen Art. 20a GG, DVBI. 1996, S. 73, 77; JarasslPieroth, GG, Art. 20a Rn. 3; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 36, 49; Murswiek, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), NVwZ 1996, S. 222, 227; Brohm, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen, JZ 1994, S. 213, 218 f.; Schröder, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen umweltpolitischer Steuerung in einem deregulierten Strommarkt, DVBI. 1994, S. 835, 836. 190 Wie Murswiek zutreffend feststellt, gleicht die Struktur des Art. 20a GG eher den Grundrechten als den anderen im GG normierten Staatszielen, indem die natürlichen Lebensgrundlagen ein konkretes Schutzobjekt darstellen und die Verpflichtung des Staates in erster Linie darin besteht, Beeinträchtigungen dieses Schutzobjektes zu unterlassen bzw. abzuwehren, vgl. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 20. 191 Vgl. Schmidt-BleibtreuIKlein, GG, Art. 20a Rn. 4; Müller-Bromley, Staatszielbestimmung Umweltschutz im Grundgesetz?, 1990, S. 111 ff. 192 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 20a GG, vgl. aber auch BVerwG, NuR 1995, S. 253, 254; Schmidt-BleibtreuIKlein, GG, Art. 20a Rn. 4,
11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung
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sichtlich der Erf"üllung zugestanden. 193 Auch hier muß jedoch, um Bedeutung und Tragweite der Schutzpflicht aus Art. 20a GG abschätzen zu können, der zugestandene Gestaltungsspielraum genauer auf seinen Umfang untersucht werden. Einen Spielraum besitzt der Gesetzgeber jedenfalls hinsichtlich der Mittel und Wege zur Erreichung des Staatsziels.''14 Fraglich ist jedoch, was genau als das mit Art. 20a GG angestrebte Staatsziel anzusehen ist, insbesondere ob nicht auch dessen Bestimmung dem normativen Ermessen des Gesetzgebers unterliegt. Nach seinem Wortlaut zielt Art. 20a GG auf einen "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" . Bestimmt ist dabei zwar das Schutzobjekt der natürlichen Lebensgrundlagen, jedoch bleibt offen, wie in diesem Zusammenhang der Begriff "Schutz" zu interpretieren ist. Probleme bereitet dabei insbesondere, daß "Schutz" auf sehr unterschiedlichem Niveau stattfinden kann. WeIches Niveau an Schutz bei Art. 20a GG gefordert wird, läßt sich aber weder aus der" Norm direkt entnehmen 19S noch aus der allgemeinen Dogmatik zu den Staatszielbestimmungen herleiten. Jedoch wird erst mit der Festlegung des Schutzniveaus die Schutzpflicht aus Art. 20a GG so konkretisiert, daß von ihr überhaupt eine Bindung des Staates ausgehen kann. Mangels verfassungsrechtlicher Vorgaben ist diese Festlegung des Schutzniveaus und damit die Ausgestaltung der Schutzpflicht aus Art. 20a GG dem Gesetzgeber vorbehalten l %, womit ihm auch diesbezüglich ein weiter
15; Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 7; Uhle, Staatsziel "Umweltschutz", DÖV 1993, S. 947, 951. 193 Vgl. H. Klein, Staatsziele im Verfassungsgesetz, DVBI. 1991, S. 729, 733; Uhle, Staatsziel "Umweltschutz", DÖV 1993, S. 947, 951; Meyer-Teschendorf, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, ZRP 1994, S. 73, 77; Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S. 368, 371; Müller-Bromley, Staatszielbestimmung Umweltschutz, S. 114 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 7; SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art. 20a Rn. 4; Hesse, in: Benda/Maiho[er/Vogel, HdBVerfR, § 5 Rn. 34. 1'14 Hierauf bezieht sich die in Fn. 193 genannte Literatur. 19' Die Möglichkeit einer gesetzlichen Festlegung zeigt Art. 130 r 11 1 EGV, wonach die Umweltpolitik der (Europäischen) Gemeinschaft "auf ein hohes Schutzniveau" abzielt. 1% Hier zeigen sich gewisse Parallelen zur Normgeprägtheit der Schutzbereiche einiger Grundrechte (z.B. Art. 14 1,5 I 22. Alt. (Rundfunkfreiheit), 19 IV GG; vgl. dazu jeweils Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 966 ff., 631, 1096).
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Gestaltungsspielraum zugewiesen ist. '•7 Die Legislative kann ein höheres oder ein niedrigeres Umweltschutzniveau wählen. Damit wird auch ein Abbau von Umweltschutzvorschriften durch Art. 20a GG nicht generell ausgeschlossen. ,.8 Dem Gesetzgeber ist etwa eine Erhöhung von Grenzwerten nicht von vornherein verwehrt, da auch höhere Grenzwerte noch einen Schutz - wenn auch geringeren Niveaus - gewährleisten können. Eine Grenze wird erst dort erreicht, wo ein Gesetz oder sonstige Rechtsvorschrift die Staatszielbestimmung mißachtet'99, also überhaupt kein Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen mehr feststellbar ist. 21M' Damit verbietet sich zumindest die totale Abschaffung von umweltschützenden Normkomplexen, etwa des gesamten Immissionsschutzrechtes. 201 Der Gesetzgeber hat bereits zahlreiche Gesetze mit umweltschützendem Inhalt erlassen. Damit hat die Legislative das ihr eingeräumte Gestaltungsermessen ausgeübt und entsprechend das angestrebte Niveau des Umweltschutzes festgelegt. Mit der Bestimmung des Schutzniveaus und
Auch diese Schutzbereiche bedürfen der Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber. ,.7 Vgl. Murswiek, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), NVwZ 1996, S. 222, 226; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 39 ff., 60; Waechter, Umweltschutz als Staatsziel, NuR 1996, S. 321, 322; Müller-Bromley, Staatszielbestimmung Umweltschutz, S.115 f.; ähnlich Becker, Berücksichtigung des Staatsziels Umweltschutz beim Gesetzesvollzug, DVBI. 1995, S. 713, 718; Uhle, Staatsziel "Umweltschutz", DÖV 1993, S. 947,951; Henneke, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, S. 325, 330; a.A. ,.8 So auch Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 7. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 43 f. ist der Auffassung, daß der Staat nur durch eine Verbesserung der Umweltsituation seinem Handlungsauftrag aus Art. 20a GG ausreichend nachkomme (ähnlich auch Peters, Art. 20a GG, NVwZ 1995, S. 555, 556). Dies ist zumindest zweifelhaft. Wenn ein solcher Umfang der Schutzpflicht gewollt gewesen wäre, hätte dies der Verfassungsgeber ausdrücklich - wie etwa in Art. 130 r I EGV, wo neben dem Schutz und der Erhaltung der Umwelt ausdrücklich die Verbesserung ihrer Qualität als Ziel festgelegt wird - regeln müssen. 19. Vgl. Bundesminister des Innern/Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverständigenkommision "Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", Rn. 7. 21MI Dann würde etwa das richterliche Prüfungsrecht und die Vorlage vor das BVerfG nach Art. 100 I GG ausgelöst, vgl. Meyer-Teschendorf, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, ZRP 1994, S. 73, 77. 2111 Vgl. Henneke, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, S. 325, 332; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 40.
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damit des genauen Ziels von Art. 20a GG wird der Gesetzgeber jedoch auch dazu verpflichtet, dieses Schutzniveau durchzusetzen. Dies ergibt sich letztlich aus dem Gebot an den Gesetzgeber, den in Art. 20a GG enthaltenen Auftrag umzusetzen. 202 Zur Durchsetzung des Schutzniveaus - also insbesondere der erlassenen umweltrechtlichen Vorgaben - hat der Gesetzgeber geeignete Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren bereitzustellen, die einen Vollzug der erlassenen umweltrechtlichen Standards gewährleisten. Sowohl für die vollziehende Gewalt als auch die Rechtsprechung gilt, daß sie von den normativen Vorgaben des Gesetzgebers abhängig sind. 20) Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß Art. 20a GG den Auftrag an Exekutive und Judikative unter den Vorbehalt .von "Recht und Gesetz" stellt, sondern schon aus der ohnehin geltenden Vorgabe des Art. 20 III GG.204 Hat die Legislative mittels gesetzlicher Regelung ei~ bestimmtes Schutzniveau festgelegt, so sind die beiden anderen Gewalten gehalten, im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung dieses Schutzniveau - also die gesetzlichen Regelungen des Umweltrechts - durchzusetzen. Dies hat die Exekutive auch dadurch zu leisten, daß sie den Gehalt der Staatszielbestimmung im Rahmen der Auslegung und Anwendung von Gesetzen, bei der Ausfüllung von Ermessenstatbeständen oder planerischer Entscheidungsspielräumen und generell im Bereich der gesetzesfreien Verwaltung beachtet. 20' Für die Judikative ist die Schutzpflicht aus Art. 20a GG vor
202 Vgl. JarasslPieroth, GG, Art. 20a Rn. 7. 20) Vgl. Schmidt-BleibtreuIKlein, GG, Art. 20a Rn. 16; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 57; Brohm, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen, JZ 1994, S. 213, 219; Henneke, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, S. 325, 330. 204 JarasslPieroth, GG, Art. 20a Rn. 8. 205 Vgl. JarasslPieroth, GG, Art. 20a Rn. 8; Schmidt-BleibtreuIKlein, GG, Art. 20a Rn. 16; BT-Drs. 12/6000, S. 68; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 66 ff.; Murswiek, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), NVwZ 1996, S. 222, 229; Meyer-Teschendorf, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, ZRP 1994, S. 73, 78; eingehend Becker, Berücksichtigung des Staatsziels Umweltschutz beim Gesetzesvollzug, DVBI. 1995, S. 713 ff.; zweifelnd an der Anwendbarkeit einer solchen Norm Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S. 368, 371.
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allem bedeutsam bei der Auslegung von Gesetzen, auch im Bereich des Privatrechts. 206 Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß das dem Gesetzgeber im Rahmen der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zustehende normative Ermessen durch den Erlaß von zahlreichen umweltrechtlichen Regelungen - insbesondere im Immissionsschutz-, Wasser- und Abfallrecht - bereits ausgeübt wurde. Mit der damit vorgenommenen Ausgestaltung der Schutzpflicht ergibt sich für den Staat - insbesondere die Exekutive - eine Pflicht zur Durchsetzung der erlassenen umweltrechtlichen Normen. Demnach enthält auch die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG eine Rechtsdurchsetzungspflicht hinsichtlich der bestehenden Regelungen des Umweltrechts. 3. Die verfassungsrechtliche Pflicht zur Überwachung Somit läßt sich sowohl aus der grundrechtlichen Schutzpflicht des Art. 2 11 I GG als auch aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG eine Pflicht des Staates zur Durchsetzung umweltschützender Normen herleiten. Nachfolgend wird der Frage nachgegangen, wie der Staat dieser Pflicht nachzukommen hat und welche Rolle die Überwachung dabei spielt.
a) Möglichkeiten der Durchsetzung umweltrechtlicher Normen Einer besonderen Durchsetzung umweltrechtlicher Normen durch den Staat bedürfte es nicht, wenn man davon ausgehen könnte, daß sich alle Normadressaten ohne weiteres freiwillig an die rechtlichen Vorgaben hielten. 207 Angesichts der mit einem solchen Verhalten regelmäßig einhergehenden erheblichen Kosten- und Investitionsbelastungen besteht jedoch zwangsweise die Tendenz der Regelungsadressaten, umweltrechtliche Vorgaben nur teilweise oder gar nicht zu befolgen. 201 Vor 206 Jarass/Pieroth, GG, Art. 20a Rn. 8; vgl. auch Henneke, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, S. 325,334 f. 207 So auch Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1134 f. 201 Vgl. Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 712; Landmann/Rohmer-Hansmann, UmweltR, Bd. I, BlmSchG, § 52 Rn. 1.
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diesem Hintergrund muß der Staat grundsätzlich durch besondere Maßnahmen die Durchsetzung des materiellen Umweltrechts sicherstellen. In der Literatur werden verschiedene. Wege aufgezeigt, wie der Staat diese Aufgabe erledigen könne. Als ein Weg wird angesehen, den Bürgern Streitentscheidungs- und Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. 209 Damit soll es den Bürgern ermöglicht werden, mittels gerichtlicher Durchsetzung eigener Rechte auf eine Einhaltung umweltrechtlicher Vorgaben bei anderen Bürgern hinzuwirken. Dies wäre etwa im Wege der Geltendmachung von Schadensersatzforderungen als Folge umweltrechtswidrigen Verhaltens denkbar, was jedenfalls auch die Anordnung einer ausreichenden zivilrechtlichen Haftung im Schadensfall zur Voraussetzung hätte. Zur Effektuierung dieses Weges wäre die Einräumung entsprechender Klagerechte Dritter gewinnbringend. 210 Eine solche Durchsetzung durch Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes reicht jedoch nicht aus, um den nach Art. 2 11 1 GG geschuldeten effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Eingetretene Schäden beim Schutzgut des Art. 2 11 1 GG sind in der Regel nicht oder nur sehr schwer reparabel. Dies bedeutet, daß von einem effektiven Grundrechtschutz nur die Rede sein kann, wenn Schäden zumindest prinzipiell präventiv verhindert werden. Die Inanspruchnahme eines gerichtlichen Rechtsschutzes etwa zur Durchsetzung von SchadensersatzansprUchen setzt jedoch in der Regel bereits einen Schaden voraus. Zudem beschränkt sich die Steuerungs fähigkeit von Haftungslösungen nur auf die Vermeidung haftungsrelevanter Schäden. Vor dem Hintergrund des Art. 2 11 1 GG muß es dem Staat jedoch auch um die Beachtung zahlreicher Vorschriften gehen, die dem vorsorgenden, unterhalb der Gefahrenschwelle ansetzenden Schutz vor erst in der Summierung gefährlichen Umweltbelastungen dienen. 211 Selbst wenn dem Bürger ein Anspruch auf Unterlassung umweltgefährdenden Verhaltens gegen andere Bürger zugesteht, ist aufgrund der langen Verfahrensdauer ebenfalls kein effektiver Grundrechtsschutz im Hinblick auf Art. 2 11 1 GG gegeben. Damit ist 209 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 112 f.; ähnlich Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1135. 210 Vgl. Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1135 m.w.N. 211 Lübbe-WolffISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 268.
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dieser Weg allein nicht ausreichend, um der staatlichen Durchsetzungspflicht nachzukommen. Teilweise werden auch Maßnahmen des Abgabenrechts als Möglichkeit der staatlichen Durchsetzung qualifiziert. 212 Diese Ansicht verkennt jedoch, daß mit der Anordnung von Abgabepflichten nur zusätzliche gesetzliche Vorgaben errichtet werden, die zwar indirekt zu einer Minderung umweltgefährdenden Verhaltens führen können, jedoch direkt keine Durchsetzung anderweitiger umweltrechtlicher Vorgaben bewirken, sondern vielmehr selbst erst durchgesetzt werden müssen. Zur Durchsetzung umweltrechtlicher Vorgaben unter Berücksichtigung des geschuldeten effektiven Grundrechtsschutzes stehen dem Staat letztlich nur zwei verschiedene Wege zur Verfügung. Als Form einer "indirekten" Durchsetzung kann der Staat dem Adressaten für den Fall der Nichtbefolgung mit Sanktionen 2ll drohen, um ihn damit zur selbständigen EinhaItung der Vorgaben zu bewegen. 214 Daneben steht dem Staat jedoch auch der "direkte" Weg einer ordnungsrechtlichen Durchsetzung im Rahmen der staatlichen Aufsicht m offen. 216 Zur Durchsetzung umweltrechtlicher Vorgaben nutzt der Staat in der Regel beide Möglichkeiten. Für beide Wege ist eine effektive kontinuierliche Überwachung durch den Staat notwendige Voraussetzung. Zum einen können ohne eine solche Überwachung angedrohte Sanktionen beim Adressaten mangels Entdeckungsrisikos keine Wirkung entfalten. 217 Erst bei einer fortlaufenden staatlichen Überwachung muß der Regelungsadressat fürchten, daß ein Rechtsverstoß den Aufsichtsbehörden zur Kenntnis kommt und damit auch tatsächlich die Verhängung von Sanktionen droht. Aber auch für die ordnungsrechtliche Durchsetzung der umweltrechtlichen Vorgaben
212 So Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1135 m.w.N. 2Il Sanktionen können etwa die Ahndung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit (vgl. § 62 BImSehG, § 18 AbfG, § 41 WHG) oder als Straftat (vgl. §§ 324 ff. StGB) sein. 214 Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 119 f. m Zum Begriff der Aufsicht vgl. S. 19. 216 Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 113 ff. 217 Vgl. auch Sieder/ZeitlerlDahme, WHG, § 21 Rn. 3.
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durch die Aufsichtsbehörden ist eine solche Überwachung notwendig, da die Behörden ansonsten gar nicht über die notwendige Informationsgrundlage verfügen würden, um eine ordnungsrechtliche Durchsetzung vorantreiben zu können. lII Zur besonderen Durchsetzung umweltrechtlicher Vorgaben durch den Staat ist demnach eine kontinuierliche staatliche Überwachung nicht nur als eine mögliche Maßnahme unter anderen 2l9 , sondern als notwendige Maßnahme 120 anzusehen.
b) Einfluß des Rechtsverletzungsrisikos auf die Pflicht zur Oberwachung Dem Staat erwächst somit dann eine Pflicht zur kontinuierlichen Überwachung, wenn er zur Durchführung besonderer Durchsetzungsmaßnahmen verpflichtet ist. Zur Beantwortung der Frage, wann dies der Fall ist, sind zunächst Inhalt und Umfang des sog. Rechtsverletzungsrisikos näher zu beleuchten. Dieses Risiko bildet die Schnittstelle zwischen den Rechtsdurchsetzungspflichten und der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Überwachung. Das Rechtsverletzungsrisiko ist das mit der Verletzung rechtlicher Vorgaben verbundende Risiko. l1I Es ist hinsichtlich seiner Höhe von zwei verschiedenen Faktoren abhängig. Zum einen spielt eine Rolle, wie wahrscheinlich die Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben durch den Regelungsadressaten ist (Rechtsverletzungswahrscheinlichkeit). Diese Wahrscheinlichkeit bemißt sich vor allem danach, wie stark die Umsetzung rechtlicher Vorgaben in die Freiheitsrechte des Regelungsadressaten eingreift bzw. als wie stark ~er Eingriff vom Regelungsadressaten empfunden wird. Gehen mit der Einhaltung rechtlicher Vorgaben erhebliche Handlungs-, insbesondere Zahlungspflichten einher, ist die Motivation zur Umsetzung auf Seiten des Adressaten gering und damit die Rechtsverletzungswahrscheinlichkeit groß: Je stärker also der Eingriff in Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 201. So aber Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1135. 220 So auch im Ergebnis, jedoch ohne detailliertere Herleitung Reinhardt, Überwachung durch Private, AöR 118 (1993), S. 617, 652; Schäfer, Öko-Audit Umweltschutz in Eigenverantwortung und nicht mehr als Staatsaufgabe?, S. 36. 221 So begrifflich erstmals Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 201 f. 218
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die Freiheit des Adressaten, desto größer die Rechtsverletzungswahrscheinlichkeit. Da im Bereich des Umweltrechts die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben regelmäßig die Autbürdung VOn erheblichen finanziellen Belastungen bedeutet, befindet sich die Rechtsverletzungswahrscheinlichkeit in diesem Bereich grundsätzlich auf hohem Niveau. 122 Zusätzliche Effekte können dabei von der gesamtwirtschaftlichen Situation der einzelnen Branchen ausgehen, da eine unzureichende Ertragslage der Unternehmen die Neigung zur Vermeidung umweltschutzbedingter Finanzbelastungen noch vergrößern wird. Einfluß auf die Rechtsverletzungswahrscheinlichkeit hat auch das Maß der Komplexität und der Veränderungsgeschwindigkeit der einzuhaltenden gesetzlichen Bestimmungen. Ist der Regelungsadressat aufgrund hoher Komplexität oder auch der ständigen Veränderung der gesetzlichen Grundlagen nicht in der Lage, den Überblick über Umfang und Inhalt der ihn treffenden umweltrechtlichen Pflichten zu gewinnen, liegt es nicht einmal an seiner mangelnden Vollzugsmotivation, wenn es zu Verstößen gegen diese gesetzlichen Vorgaben kommt. Vielmehr kann in diesem Fall die Rechtsverletzung auf schlichter Unkenntnis beruhen. Zweiter Faktor zur Bestimmung des Rechtsverletzungsrisikos ist das Maß des potentiellen Schadens, der durch einen eventuellen Rechtsverstoß entstehen könnte (RechtsverletzungsJolgeschaden). Dieses Maß ist zum einen abhängig von der Größe der Wahrscheinlichkeit, daß mit einem Rechtsverstoß automatisch auch ein Schaden an einem zu schützenden Rechtsgut einhergeht, und wird zum anderen von der Größe des potentiellen Schadens beeinflußt. Geht vom Betreiben einer Industrieanlage ein großes Gefährdungspotential aus, so ist ebenfalls das Maß des Rechtsverletzungsfolgeschadens hoch. Das Rechtsverletzungsrisiko ergibt sich aus dem Produkt der beiden dargestellten Faktoren, also von Rechtsverletzungswahrscheinlichkeit und Rechtsverletzungsfolgeschaden. Für das Rechtsverletzungsrisiko gilt insoweit nichts anderes als für das Verhältnis von Eintrittswahrschein-
m Vgl. auch Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 712; LandmannlRohmer-Hansmann, UmweltR, Bd. I, BlmSchG, § 52 Rn. 1. Nach Rosarius, Öko-Audit, GewArch 1994, S. 190, gaben bei einer Unternehmensbefragung 60 % der Unternehmen an, sich durch umweltrechtliche Auflagen stark bis sehr stark beeinträchtigt zu fühlen.
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lichkeit und Schadenspotential im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht bzw. im Verfassungsrecht zur Ermittlung einer Gefahr. 2Z3 Die Entscheidung, bei welchem Niveau des Rechtsverletzungsrisikos der Staat zur Durchführung von Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen und damit einer kontinuierlichen Überwachung verpflichtet ist, steht im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Normadressaten und dem Schutz der Bürger vor umweltvermittelten Gefahren. Ein absoluter Schutz der Bürger durch die Unterbindung jedes umweltrechtswidrigen Verhaltens Dritter bedürfte einer totalen Überwachung umweltrelevanter Verhaltensweisen. Dies wäre jedoch mit den Freiheitsrechten des Überwachten keinesfalls zu vereinbaren. Dem Ziel der Sicherheit darf der Verfassungsstandard der Freiheit nicht geopfert werden. 224 Daher muß der Gesellschaft - wie bei der RechtssetzungW - auch bei der· Rechtsdurchsetzung ein gewisses "Restrisiko" als sozialadäquate Last zugemutet werden können. 226 Damit ergibt sich jedoch die Frage, welches Maß an Rechtsverletzungsrisko der Gesellschaft zugemutet werden darf, d.h. welches Niveau dieses Risikos aus verfassungsrechtlicher Sicht als vertretbar anzusehen ist. Orientierungspunkt für die Ermittlung dieses Niveaus ist das geschuldete Ziel eines effektiven Grundrechtsschutzes aus Art. 2 11 1 GG. Ein effektiver Grundrechtsschutz ist nur gewährleistet, wenn das Rechtverletzungsrisiko zusammen mit dem bei der Rechtssetzung festgelegtem erlaubtem Risiko227 die Risikoschwelle des gesetzlich gebotenen Schutzstandards nicht übersteigt. Der Bereich des erlaubten Risikos reicht jedoch bereits allein an die Risikoschwelle des gesetzlichen Sicherheitsstandards heran. Damit muß das. vertretbare Niveau des Rechtsverletzungsrisikos so gering sein, daß es im Rahmen der Beurteilung des Ge-
2Z3 So auch Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 204 f.; zum Gefahrenbegriff im Verfassungsrecht vgl. oben S. 142 f. 224 Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 202; vgl. auch Rebentisch, Technische Kontrolle, UPR 1987, S. 401, 407; P. Kirchhof, Diskussionsbeitrag, in: Umwelt- und Technikrecht Bd. 4, Technische Überwachung im Umwelt- und Technikrecht, S. 62. m Siehe dazu die Ausführungen auf S. 147. 226 Vgl. Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 202. 227 Vgl. dazu Wahl/Appel, in: Wahl, Prävention und Vorsorge, S. 89; Murswiek, Art. "Restrisiko" in: HdUR, Sp. 1719.
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samtrisikos einer Risikoquelle (also vor allem einer umweltrelevanten Anlage) keinen relevanten Faktor mehr bildet. 121 Die Relevanz steht dabei im Verhältnis zum Maß des erlaubten Risikos: Je geringer das gesetzlich festgelegte erlaubte Risiko, desto geringer auch das vertretbare Niveau des Rechtsverletzungsrisiko. 229 Seiner Rechtsdurchsetzungspflicht - insbesondere aus Art. 2 11 1 GG wird der Staat nur gerecht, wenn das Rechtsverletzungsrisiko ein vertretbares Niveau aufweist. Liegt dieses Risiko tatsächlich über dem vertretbaren Niveau, muß der Staat als notwendige Rechtsdurchsetzungsmaßnahme eine kontinuierliche Überwachung durchführen, um das Rechtsverletzungsrisiko auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Damit besteht also bei einem nicht vertretbarem Niveau des Rechtsverletzungsrisikos eine staatliche Pflicht zur Überwachung. In diesem Fall würde das Entschließungsermessen der Aufsichtbehörden hinsichtlich der Durchführung einer kontinuierlichen Überwachung durch eine verfassungsrechtliche Überlagerung auf Null reduziert. 130 Im Bereich des Umweltrechts ist insbesondere aufgrund der erheblichen Belastungen des Regelungsadressaten durch rechtliche Vorgaben das Rechtsverletzungsrisiko grundsätzlich oberhalb des vertretbaren Niveaus angesiedelt. 231 Daher ist es auch grundsätzlich notwendig, daß der Staat im Bereich des Umweltrechts eine kontinuierliche Überwachung der Regelungsadressaten bzw. Anlagen durchführt, um das Rechtsverletzungsrisiko auf ein zulässiges Niveau zu bringen und damit seiner Rechtsdurchsetzungspflicht nachzukommen. 4. Einfluß privater Überwachung auf die staatliche Pflicht zur Überwachung Es stellt sich die Frage, welchen Einfluß eine im privaten Bereich durchgeführte Überwachung - wie die durch Überwachungsgemein-
Ähnlich Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 203. Somit ist das vertretbare Niveau des Rechtsverletzungsrisikos etwa im Atomrecht geringer als im Immissionsschutz- oder Abfallrecht. 1311 Vgl. oben S. 128. 231 Vgl. auch Mayntz, Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, S. 712; LandmannIRohmer-Hansmann, UmweltR, Bd. I, BImSchG, § 52 Rn. 1. 221
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schaften - auf die staatliche Pflicht zur Überwachung haben kann. Es wurde gezeigt, daß ein unvertretbar hohes Rechtsverletzungsrisiko eine Pflicht zur staatlichen Überwachung auslöst. Umgekehrt ist der Staat nicht zur kontinuierlichen Überwachun'g verpflichtet, wenn das Rechtsverletzungsrisiko, etwa durch anderweitige Maßnahmen, auf ein vertretbares Niveau gebracht bzw. dort gehalten wird. Als eine solche anderweitige Maßnahme kommt die Durchführung von Selbstregulierungen im privaten Bereich in Betracht, wie dies durch Überwachungsgemeinschaften geleistet wird. 212 Die Tätigkeit von Überwachungsgemeinschaften hat zum Ziel, den Regelungsadressaten zu einem normkonformen Verhalten zu bewegen und somit der Tendenz zur Nicht- oder nur Teilbefolgung umweltrechtlicher Vorgaben entgegenzuwirken. Damit kann die Tätigkeit von Überwachungsgemeinschaften insbesondere auf die Rechtsverletzungswahrscheinlichkeit als einen Faktor des Rechtsverletzungsrisikos Einfluß nehmen. Die Auswirkungen auf den potentiellen Rechtsverletzungsfolgeschaden bleiben jedoch limitiert. Hier kann lediglich die frühzeitige Feststellung von Mängeln im Einzelfall dazu beitragen, daß die schädigende Handlung frühzeitig unterbunden und damit ein möglicher Schaden geringer gehalten werden kann. Mit dem insgesamt geringen Einfluß geht einher, daß bei Risikoquellen mit extrem hohen Gefährdungspotential (z.B. Kernkraftwerke, Anlagen zur Durchführung gentechnischer Arbeiten der Sicherheitsstufe 4 gern. § 7 I 1 Nr. 4 GenTG), also bei einem großen potentiellen Rechtsverletzungsfolgeschaden, das Rechtsverletzungsrisiko stets so hoch bleibt, daß eine kontinuierliche Überwachung durch den Staat notwendig ist. In solchem Fall kann der Staat also keinesfalls von einer entsprechenden Überwachung Abstand nehmen. Unterhalb dieser Schwelle des Rechtsverletzungsfolgeschadens kann die Arbeit von Überwachungsgemeinschaften jedoch dazu beitragen, das Rechtsverletzungsrisiko hinsichtlich der jeweiligen Mitgliedsunternehmen soweit zu senken, daß mit einem vertretbaren Niveau des Rechtsverletzungsrisikos keine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zur Überwachung mehr besteht. Dies hätte wiederum zur Folge, daß die Aufsichtsbehörden mangels einer Ermessensreduzierung auf Null im Rah-
m In die gleiche Richtung geht das System des Umwelt-Audit, auf das somit die nachfolgenden Erwägungen ohne weiteres übertragen werden können.
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men ihres bestehenden Entschließungsermessens die fortlaufende Überwachung der Mitgliedsunternehmen zulässigerweise aussetzen dürften.
111. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften Um ein Aussetzen der kontinuierlichen staatlichen Überwachung unter (verfassungs-)rechtlichen Gesichtspunkten zu legitimieren, müßte die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften also gewährleisten, daß das Rechtsverletzungsrisiko bei den Mitgliedsunternehmen auf einem vertretbaren Niveau gehalten wird. Aus den Prinzipien dieser Überwachungsform und nicht zuletzt der Trägerschaft durch die Regelungsadressaten selbst ergeben sich jedoch besondere Problempunkte, die eine Erreichbarkeit dieses Ziels grundsätzlich in Frage stellen. Unter Berücksichtigung der wichtigsten dieser Problem felder werden nachfolgend besondere Anforderungen an die Ausgestaltung der Überwachungsgemeinschaften entwickelt, deren Erfüllung jeweils Einfluß auf die Höhe des Rechtsverletzungsrisikos hat. Die kumulative Erfüllung aller dargelegten Anforderungen führt regelmäßig dazu, daß das Rechtsverletzungsrisiko bei den Mitgliedsunternehmen auf ein vertretbares Niveau gesenkt wird und ein Aussetzen der fortlaufenden Überwachung durch die Aufsichtsbehörden damit (verfassungs-)rechtlich zulässig wäre. 1. Anforderungen an die Fremdüberwachung
durch den PrOfbeauftragten
Die Daten, die der Prüfbeauftragte bei seinen Prüfungen im Rahmen der Fremdüberwachung ermittelt, bilden die Grundlage für alle weiteren Maßnahmen der Überwachungsgemeinschaft. Der Prüfbeauftragte überprüft zum einen, ob das Mitglied seiner Verpflichtung zur Eigenüberwachung nach ge kommt, und zum anderen, ob Umweltrechtsverstöße festzustellen sind. Die ermittelten Daten stellen für den Überwachungsausschuß die notwendige Informationsgrundlage dar, um gegebenenfalls entsprechende Auflagen zur Abstellung von Mängeln zu erlassen. Damit kommt den vom Prüfbeauftragten ermittelten Überwachungsdaten eine zentrale Bedeutung innerhalb des Systems der Überwachungsgemein-
III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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schaften zu. Entsprechend müssen die ermittelten Daten Gewähr dafür bieten, daß sie vom Ergbnis her korrekt und hinsichtlich des Umfangs vollständig sind. Um dies sicherzustellen, ergeben sich besondere Anforderungen an die Institution des Prüfbeauftragten allgemein, die Konkretheit des Überwachungsgegenstandes sowie die Intensität der Fremdüberwachung. a) Anforderungen an die Institution des Prüfbeauftragten
Die Institution des Prüfbeauftragten kann grundsätzlich von einer natürlichen oder auch juristischen Person ausgefüllt werden. Der jeweilige Prüfbeauftragte hat die nachfolgenden Eigenschaften zu erfüllen, damit von der Korrektheit der ermittelten Überwachungsergebnisse ausgegangen werden kann. (1) Fachkenntnis und sachliche Ausstattung
Zur Durchführung der nach dem Überwachungsverfahren der Überwachungsgemeinschaften notwendigen Prüfungen muß der Prüfbeauftragte zunächst über besondere Fachkenntnisse verfügen. Wenn der Prüfbeauftragte die Einhaltung umweltrechtlicher Vorgaben kontrollieren soll, braucht er dazu zwangsläufig fundierte Kenntnisse der einschlägigen Rechtsgebiete. Daneben werden im Bereich der Überwachung technischer Anlagen auch technische Kenntnisse Voraussetzung für das umfassende Verständnis der zu überwachenden Sachverhalte sein. Hilfreich erscheinen insgesamt auch praktische Erfahrungen im Bereich des betrieblichen Umweltschutzes. Die notwendige Fachkenntnis muß während des gesamten Zeitraums der Durchführung von Fremdüberwachungen durch den Prüfbeauftragten gesichert sein. Dies bedeutet insbesondere, daß der Prüfbeauftragte sich während dieses Zeitraumes fortbilden muß. m Hilfreich erscheint in diesem Zusammenhang - auch zur Gewährleistung einer gleichmäßigen und
233 Vgl. zur notwendigen Fortbildung auch § 14 V GerSiG und LübbeWolff/Steenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263,267.
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sachlich-optimalen Prüfung - ein Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Prüfbeauftragten. m Neben besonderer Fachkenntnis muß der Prüfbeauftragte auch über die technische Ausstattung verfügen, die ihm die Ermittlung der notwendigen Überwachungs daten ermöglicht. m Notwendig ist z.B. im Bereich des Wasser- und Immissionsschutzrechtes die Ermittlung von Emissionsdaten mittels entsprechender Meßgeräte. (2) Neutralität, Objektivität und Unabhängigkeit Der Prüfbeauftragte wird von der Überwachungsgemeinschaft im Rahmen eines zivilrechtlichen Vertrages zur Fremdüberwachung der Mitglieder beauftragt. Gerade aufgrund dieser Konstellation liegt die Gefahr nahe, daß die Überwachungsgemeinschaft bzw. einzelne Mitglieder auf die Arbeit des Prüfbeauftragten und damit Ergebnisse seiner Prüfungen Einfluß nehmen könnten. Damit den ermittelten Überwachungsdaten jedoch überhaupt soviel Verbindlichkeit beigemessen werden kann, daß sie über die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften zu einer Senkung des Rechtsverletzungsrisikos führen können, muß von der inhaltlichen Korrektheit der Überwachungsdaten ausgegangen werden können. Dies bedingt insbesondere eine an Objektivität und Neutralität ausgerichtete Fremdüberwachung durch den PrUfbeauftragten. Objektiv ist ein Handeln aus sachlichen Beweggründen, das zu einer sach- und fachgerechten Entscheidung führt und sich nicht an subjektiven Zielsetzungen orientiert. 2J6 Das Handeln darf, unbeeinflußt von Vorurteilen, Gefühlen und Neigungen, lediglich den Tatsachen Rechnung
134 Vgl. zum Erfahrungsaustausch in der Technischen Überwachung Götz, in: GötzlSöllner, Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Technischen Überwachung, 1978, S. 58 ff.; Hoffmann, Erfahrungsaustausch in der Technischen Überwachung, in: BASF (Hrsg.), Technische Eigenüberwachung in der Chemie, 1982, S. 33 ff. m V gl. dazu Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1136; Lübbe-WolfflSteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 267. 236 Nicklisch, Sachkunde, Neutralität und Unabhängigkeit technischer Sachverständiger und Sachverständigenorganisationen, BB 1981, S. 1653, 1655.
III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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tragen. 217 Der Prütbeauftragte verhält sich neutral, wenn er im Verhältnis von Staat und Regelungsadressat unparteiisch handelt. Bei widerstreitenden Interessen darf er sich nicht mit dem Interesse einer Richtung identifizieren. 2l8 Um Objektivität und Neutralität zu sichern, bedarf es einer Unabhängigkeit des Prütbeauftragten. 239 Unabhängigkeit bedeutet dabei, daß der Prütbeauftragte bei der Durchführung seiner Prüfungen keiner Einflußnahme von außen unterliegt, die geeignet ist, seine Feststellungen, Bewertungen oder Schlußfolgerungen so zu beeinflussen, daß die gebotene Objektivität und Neutralität der Prüfung nicht gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Prütbeauftragte der Einflußnahme bewußt ist oder nicht. 2-1n Eine Abhängigkeit kann in persönlicher (z.B. Verwandtschaftsverhältnis), wirtschaftlicher (z.B. bei lediglich einem Auftraggeber) oder fachlicher (z.B. bei Bestehen von Weisungsrechten) Hinsicht bestehen. 241 Der Prütbeauftragte darf jedenfalls keinen Bindun-' gen unterliegen, die das Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Objektivität erschüttern könnten. 242
231 Söllner, in: GötzlS6l1ner, Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Technischen Überwachung, S. 78. 238 Vgl. Söllner, in: GötzlS6l1ner, Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Technischen Überwachung, S. 78; Nicklisch, Sachkunde, Neutralität und Unabhängigkeit, BB 1981, S. 1653, 1655. 239 Vgl. dazu Nicklisch, Sachkunde, Neutralität und Unabhängigkeit, BB 1981, S. 1653, 1655; S6l1ner, in: GötzlS6l1ner, Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Technischen Überwachung, S. 78; vgl. auch P. Kirchhof, Kontrolle der Technik als staatliche und private Aufgabe, NVwZ 1988, S. 97, 99. 20141 Vgl. Bleutge, Die Novellierung des § 36 GewO, GewArch 1994, S. 447, 450. 2011 Vgl. Bleutge, Die Novellierung des § 36 GewO, GewArch 1994, S. 447, 450; Nicklisch, Sachkunde, Neutralität und Unabhängigkeit, BB 1981, S. 1653, 1655; Söllner, in: GötzlSöllner, Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Technischen Überwachung, S. 78. m Vgl. auch Bleutge, Die Novellierung des § 36 GewO, GewArch 1994, S. 447,450 m.w.N.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
b) Gewährleistung der Anforderungen an den Prüfbeauftragten
Damit von der Erfüllung der dargelegten Anforderungen ausgegangen werden kann, bedarf es entsprechender Vorkehrungen und Sicherungen bei der Ausgestaltung der Institution des Prüfbeauftragten. Die Vorgabe von Neutralität, Objektivität und Unabhängigkeit verbunden mit der notwendigen besonderen Sachkunde bedingt, daß es sich bei der Person des Prüfbeauftragten um einen Sachverständigen im Rechtssinne handeln muß.24l Mit dieser Klassifizierung ist jedoch für die Ermittlung der notwendigen Ausgestaltung noch nichts gewonnen, da es al/gemeine gesetzliche Regelungen zum Sachverständigen und seiner Tätigkeit nicht gibt. 244 Daher müssen anhand der obigen Anforderungen, die der Funktion des Sachverständigen immanent sindl45 , die notwendigen Vorgaben für die Ausgestaltung im einzelnen entwickelt werden. (I) Vorkehrungen zur Sicherung von Neutralität und Objektivität
Zunächst darf die Person des Prüfbeauftragten nicht aus dem Kreis der Mitglieder der jeweiligen Überwachungsgemeinschaft stammen. Auch wenn ein solcher Prüfbeauftragter aufgrund seiner eigenen, eventuell umfangreichen Erfahrungen ein besonders hohes Fachwissen erwarten
m Zum Begriff des Sachverständigen vg!. Landmann/Rohmer-B/eutge, GewO, Bd. I, § 36 Rn. 10. 244 Nick/isch, Sachkunde, Neutralität und Unabhängigkeit, BB 1981, S. 1653, 1654. Normierungen zu speziellen SachVerständigen sind dagegen zahlreich vorhanden, vg!. etwa zum öffentlich bestellten Sachverständigen § 36 GewO und die dazugehörigen Richtlinien und Landesgesetze (abgedruckt bei Landmann/Rohmer-B/eutge, GewO, Bd. 11, Nr. 270 ff.); Gesetz über amtlich anerkannte Sachverständige und amtlich anerkannte Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr v. 22.12.1971 (BGB!. I S. 2086); Organisationsverordnungen der Länder hinsichtlich der Sachverständigen zur technischen Überwachung nach § 14 GerSiG, beispielsweise Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über die Organisation der technischen Überwachung in der Fsssung vom 23.12.1993 (GB!. 1994 S. 158), § 402 ff. ZPO zum gerichtlichen Sachverständigen. l45 Vg!. Götz, in: Götz/Söllner, Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Technischen Überwachung, S. 52; Nick/isch, Sachkunde, Neutralität und Unabhängigkeit, BB 1981, S. 1653, 1654 f.
III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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lassen dürfte, würde die Durchführung der Fremdüberwachung durch ein Mitglied der Überwachungsgemeinschaft zumindest die Annahme nahelegen, daß ein solcher Prüfer nicht zuletzt bei der Auswahl dessen, was er sehen will, unter den Druck ökonomischer Gesichtspunkte geraten würde. 246 Sowohl dem eigenen wirtschaftlichen Interesse als auch dem der anderen Mitglieder wäre vordergründig mit einer Senkung des Überwachungsniveaus gedient. Neutralität und Objektivität eines solchen Prüfbeauftragten wären jedenfalls nicht gewährleistet. Daher ist die Fremdüberwachung durch einen außenstehenden Dritten durchzuführen. 247 Auch ein Dritter kann als Prüfbeauftragter jedoch gegenüber einzelnen Mitgliedern der Überwachungsgemeinschaft befangen sein. Unabhängig von den Gründen der Befangenheit muß der Prüfbeauftragte in solchem Fall jedenfalls von der Durchführung der Fremdüberwachung ausgeschlossen sein. Dabei reicht es für die Annahme einer Befangenheit aus, wenn sich nur der Anschein der Parteilichkeit ergibt. 248 Die längerfristige Beschäftigung desselben Prüfbeauftragten durch eine Überwachungsgemeinschaft erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß die notwendige Distanz zwischen dem Prüfbeauftragten und den zu überwachenden Mitgliedern verlorengeht. Damit wächst gleichzeitig die Gefahr von zweckwidrigen Absprachen oder einer sonstigen Beeinflussung des
246 Zu diesem Problem auch Di Fabio, Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch 81 (1990), S. 193,211 f. 247 Wenn in verschiedenen Satzungen der bestehenden Überwachungsgemeinschaften geregelt ist, daß die Prüfbeauftragten die Fremdüberwachung "als neutrale Sachverständige" durchführen (so Ziff. 9.1 Satzung ÜG WHG; Ziff. 10.1 Satzung ÜGB), so wäre diese Vorgabe für umweltrechtliche Überwachungsgemeinschaften nicht ausreichend. Denn von dieser Formulierung wäre auch noch die Fremdüberwachung durch ein Mitglied gedeckt, das bei der Durchführung der Überwachung nur als neutraler Sachverständiger agieren muß. Daher ist eine KlarsteIlung notwendig, daß der Prüfbeauftragte ein neutraler Sachverständiger sein muß. 248 Entsprechend Bleutge, Die Novellierung des § 36 GewO, GewArch 1994, S. 447, 455. Zur Regelung von Voraussetzungen und Durchführung dieses Ausschlusses wäre eine gesetzliche Grundlage als hilfreich anzusehen, vgl LübbeWolfflSteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263,267 f.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
Prüfbeauftragten. Um dem entgegenzuwirken, erscheint ein regelmäßiger Wechsel des beauftragten Prüfers notwendig.1~9 Mit der Beauftragung und Bezahlung durch die Überwachungsgemeinschaft besteht die Gefahr einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Prüfbeauftragten, die zu einer Beeinflussung der Überwachungsergebnisse führen könnte. Dieser Gefahr könnte dadurch entgegengewirkt werden, daß Beauftragung und Bezahlung von seiten des Staates erfolgten. In diesem Fall wäre jedoch damit zu rechnen, daß die Fremdüberwachung von den Mitgliedern als staatliche Maßnahme angesehen wird und damit dem Prinzip der Überwachungsgemeinschaft als Selbstverwaltungsinstrument erhebliche Wirkung genommen werden würde. Um die systemimmanenten Vorteile der privaten Aufsicht durch die Überwachungsgemeinschaften nicht zu gefährden, scheidet ein solcher Weg daher aus. Notwendig ist es dagegen, daß der Prüfbeauftragte neben der Überwachungsgemeinschaft noch andere Auftraggeber bzw. Kunden hat, um eine völlige wirtschaftliche Abhängigkeit vom Überwachungs auftrag der Gemeinschaft zu verhindern. Das macht es gegebenenfalls notwendig, mehrere Prüfbeauftragte mit der Fremdüberwachung zu betrauen. Weiterhin darf die Entlohnung des Prüfbeauftragten nicht abhängig von der Anzahl und vor allem vom Ergebnis der Prüfungen sein, sondern hat sich lediglich am Prüfaufwand des Prüfbeauftragten zu orientieren. Daß der Prüfbeauftragte seine Fremdüberwachung unbeeinflußt vom Auftraggeber ausschließlich unter Verwendung der eigenen Sachkunde durchführen kann 1lo, ist bereits im Rahmen der vertraglichen Ausgestaltung des Auftragsverhältnisses zwischen Prüfbeauftragtem und Überwachungsgemeinschaft sicherzustellen. Demgemäß sind unzulässige Ergebnisweisungen in dem entsprechenden Vertrag auszuschließen. Das Weisungsrecht der Überwachungsgemeinschaft als Aufraggeber darf sich lediglich auf Inhalt und Umfang der Fremdüberwachung beschränken lll ,
149 Vgl. auch Lübbe-WoIffISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 268. 1lO Vgl. Bleutge, Die NovelIierung des § 36 GewO, GewArch 1994, S. 447, 449. 111 Solche Weisungen sind im Hinblick auf die Ermittlung korrekter Überwachungsergebnisse unproblematisch, vgl. Bleutge, Die Novellierung des § 36 GewO, GewArch 1994, S. 447, 449 f.
III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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soweit nicht auch dieses Recht durch besondere Anforderungen an den Überwachungsgegenstandm eingeschränkt ist. Weitere Maßnahmen wie das Verbot der Annahme von Geschenken, ein Verbot der Nebentätigkeit für ein zu überwachendes Mitgliedm oder auch ein befristetes Beschäftigungsverbot vor und nach der Tätigkeit als Prüfbeauftragter hinsichtlich der überwachten Mitgliedsuntemehmen wären zur Sicherung von Neutralität und Objektivität des Prüfbeauftragten sinnvoll. Die bisher dargelegten Anforderungen dienen der Absicherung von Neutralität und Objektivität des Prüfbeauftragten gegenüber äußeren Einflüßen. Letztendlich ist jedoch die entscheidende Voraussetzung für die Ermittlung korrekter Überwachungsergebnisse, daß der Prüfbeauftragte auch tatsächlich neutral und objektiv handelt. Damit rückt seine innere Motivation in den Mittelpunkt. Grundvoraussetzung für das Vertrauen auf ein objektives und neutrales Verhalten des Prüfbeauftragten ist zunächst dessen persönliche Zuverlässigkeit. Unzuverlässig ist im Sinne des Gewerberechts2S4 , wer keine Gewähr dafür bietet, daß er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird. m Dieses Verständnis ist auch für die Anforderungen an den Prüfbeauftragten maßgeblich, bei dem es entsprechend um die ordnungsgemäße Ausübung der Fremdüberwachung geht. Die Zuverlässigkeit ist insbesondere bei einer Verurteilung wegen einschlägiger Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten in Zweifel zu ziehen. 2"; Über die persönliche Zuverlässigkeit hinaus bedarf es aber auch einer subjektiven Verpflichtung des Prüfbeauftragten, seine Prüfungen an Neutralität und Objektivität auszurichten. Denkbar wäre eine solche Verpflichtung im Rahmen des Vertragsverhältnisses mit der Überwachungsgemeinschaft. Aufgrund des bilateralen Charakters der Vertragsbeziehung würde eine derartige Verpflichtung jedoch lediglich gegenm Siehe dazu unten § 7 III I b) auf S. 182 f. m Vgl. im einzelnen die aufgeführten Maßnahmen bei Götz, in: GötzlSöllner, Einheitlichkeit und Unabhängigkeit der Technischen Überwachung, S. 63 ff. 2S4 Dort stellt die notwendige Zuverlässigkeit einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar. m Statt vieler LandmannIRohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 35 Rn. 29 m.w.N. 2"; Vgl. allgemein LandmannIRohmer-Marcks, GewO, Bd. I, § 35 Rn. 37 ff.
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über der Überwachungsgemeinschaft Wirkung entfalten. Die Gemeinschaft hat aber nicht unbedingt ein Interesse an der Einhaltung von Neutralität und Objektivität durch den Prüfbeauftragten. Entsprechend kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die Überwachungsgemeinschaft auf die Einhaltung der Verpflichtung hinwirken würde. Aus diesem Grund ist zur hinreichenden Beeinflussung der Motivation eine öffentlich-rechtliche Pflichtenbindung des Prüfbeauftragten notwendig, mit der die Möglichkeit einer Durchsetzung der Pflichten durch den Staat bzw. der Sanktionierung im Falle einer Nichtbefolgung verbunden ist. Für die Begründung einer solchen Pflichten bindung kann auf bestehende Normierungen zurückgegriffen werden. Einer öffentlichrechtlichen Pflichtenbindung unterliegt der öffentlich bestellte Sachverständige nach § 36 GewO. Im Gegensatz zu sonstigen Sachverständigen 2S7 wird der öffentlich bestellte Sachverständige auf die unabhängige, weisungsfreie, persönliche, gewissenhafte und unparteiische Erfüllung der Sachverständigenaufgaben gern. § 36 I 2 GewO vereidigt. Seine Tätigkeit steht nach der Bestellung unter der Aufsicht der Bestellungsbehörde. m Verstößt der Sachverständige gegen seine Pflicht zur Neutralität, ist er als öffentlich bestellter Sachverständiger nicht mehr tragbar. Ihm fehlen die für eine öffentliche Bestellung wesentlichen Eigenschaften, womit die zuständige Behörde die öffentliche Bestellung gern. § 49 11 Nr. 3 VwVfG zurücknehmen kann. m Zum Einsatz öffentlich bestellter Sachverständiger im Rahmen der Fremdüberwachung von Überwachungsgemeinschaften wäre die Einteilung und Abgrenzung eines entsprechenden Sachgebietes notwendig, für das die Sachverständigen öffentlich bestellt werden könnten. Der nach § 36 I GewO notwendige Bedarf an Sachverständigenleistungen auf dem Sachgebiet260 würde sich aus der Nachfrage der Überwachungsgemeinschaften nach hinreichend qualifizierten Prüfbeauftragten ergeben. Das 257 Zu den verschiedenen Sachverständigen begriffen vgl. LandmannlRohmerBleutge, GewO, Bd. I, § 36 Rn. 17 ff. 251 Vgl. LandmannIRohmer-Bleutge, GewO, Bd. I, § 36 Rn. 82 ff. m Vgl. LandmannlRohmer-Bleutge, GewO, Bd. I, § 36 Rn. 86 f.; VG Minden, GewArch 1983, S. 301. 260 Vgl. dazu auch Bleutge, Die Novellierung des § 36 GewO, GewArch 1994, S. 447, 448.
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Sachgebiet richtet sich nach der für den Prütbeauftragten notwendigen Fachkenntnis. 261 Ebenso unterliegt der sog. Umweltgutachter nach dem Umweltauditgesetz (UAG)262 einer öffentlich-rechtlichen Pflichtenbindung. Der Umweltgutachter - ebenfalls ein Sachverständiger im Rechtssinne - wird im Rahmen des Umwelt-Audit-Systems eingesetzt26] und ist damit bereits im Bereich des Umweltrechts und des betrieblichen Umweltschutzes tätig. Das Umweltauditgesetz stellt an die Institution des Umweltgutachters in den §§ 5 bis 7 sehr detaillierte Anforderungen, die sich auf die Zuverlässigkeit, Unabhängigkeit und Sachkunde beziehen. Die Erfüllung dieser Anforderungen ist nicht nur Voraussetzung für eine Zulassung (§ 9 I UAG), sondern soll auch gern. § 15 I UAG regelmäßig durch die Zulassungsstelle 264 überprüft werden. Eine Feststellung von Unzulänglichkeiten kann dabei gern. § 16 UAG zur Untersagung weiterer gutachter lieh er Tätigkeiten führen.
(2) Staatliche Aufsicht über den Prütbeauftragten Angesichts des massiven Individualinteresses der einzelnen Mitglieder an einer Kostenminimierung und der damit verbundenen besonderen Gefahr, daß die Mitglieder die Tätigkeit des Prütbeauftragten (z.B. durch finanzielle Anreize) zu beeinflussen versuchen 265, setzt die Sicherung der 261 Vgl. dazu die Ausführungen auf S. 169 f. 262 BGBI. 1995 I S. 1591. 26] Siehe dazu oben S. 45. 264 Nach langen Auseinandersetzungen über die genaue Ausgestaltung der Zulassungstelle (vgl. Ewer, Referentenentwurf für ein Umweltgutachter- und Standortregistrierungsgesetz, NVwZ 1995, S. 457, 458) wurde sich im Gesetzgebungsverfahren auf eine wirtschaftsnahe Lösung geeinigt. Danach soll nun die "Deutsche Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter mbH" (DAU), die vom Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Zentralverband des deutschen Handwerks, dem Deutschen Industrie- und Handelstag und dem Bundesverband Freier Berufe gegründet worden ist, mit den Zulassungs- und Aufsichtsaufgaben beliehen werden, vgl. BR-Drs. 210/95, S. 102 und ausführlich zum Zulassungsverfahren Schneider, Öko-Audit, Die Verwaltung 28 (1995), S. 361, 368 ff.. Die Tätigkeit der Zulassungsstelle steht gem. § 29 UAG wiederum unter der Rechtsaufsicht des Bundesumweltministers. 265 Vgl. auch Lübbe-Wolff/Steenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 267. 12 Buhek
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Anforderungen ein besonderes Maß an staatlicher Aufsicht über die Tätigkeit des Prütbeauftragten voraus. Eine solche Aufsicht ist auch notwendig, um die motivierende Wirkung der öffentlich-rechtlichen Pflichtenbindung zu stärken. Im Rahmen dieser Aufsicht sind nachvollziehende Kontrollen der Richtigkeit von Überwachungsergebnissen auf Stichprobenbasis in angemessener Häufigkeit durchzuführen. 266 Dazu haben vereinzelte staatliche Kontrollen von Mitgliedsunternehmen nach dem Zufallsprinzip stattzufinden. Die bei diesen Kontrollen ermittelten Überwachungsergebnisse sind mit denen zu vergleichen, die im Überwachungsbericht des Prütbeauftragten dokumentiert sind. Für diesen Vergleich ist der Zugriff der Behörde auf sämliehe Überwachungsberichte des Prütbeauftragten notwendig. Gravierende Abweichungen der eigenen Ergebnisse von denen des Überwachungs berichtes müssen zu weiteren nachvollziehenden Kontrollen und/oder gegebenenfalls zur Auswechselung des Prütbeauftragten führen. Die notwendige Häufigkeit dieser nachvollziehenden Kontrollen richtet sich einerseits nach der Wahrscheinlichkeit, daß durch die Mitglieder der Überwachungsgemeinschaft auf den Prütbeauftragten in negativer Hinsicht Einfluß genommen wird. Deren Interesse hieran steht wiederum im Verhältnis zur potentiellen Kosten- und Investitionsbelastung, die eine korrekte Arbeit des Prütbeauftragten nachsichziehen würde. 267 Da im Bereich umweltrechtlicher Vorgaben diese potentielle Belastung regelmäßig erheblich ist, bedarf es schon aus diesem Grunde einer gewissen Häufigkeit der Kontrollen des Prütbeauftragten, um von einer korrekten Aufgabenerfüllung ausgehen zu können. Daneben spielt für die notwendige Kontrollhäufigkeit jedoch auch die Höhe des potentiellen Schadens, der durch die mangelhafte Arbeit des Prütbeauftragten mittelbar verursacht werden kann, eine wesentliche Rolle. Je größer dieser Schaden sein kann, also je größer etwa das Gefährdungspotential der zu überwachenden Anlagen ist, desto häufiger muß die Tätigkeit des Prütbeauftragten durch den Staat kontrolliert werden. Bei der Bestimmung der Mindesthäufigkeit der Kontrollen kommt es somit maßgeblich auf die Umstände 266 Entsprechend Lübbe- WolfflSteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 268. 267 Lübbe-WolffISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 267.
III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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des Einzelfalls an. Gleichwohl wird doch in der Regel eine Wiederholung der Kontrollen alle 6 bis 12 Monate ausreichen. Um den Prüfbeauftragten präventiv zu einer korrekten Aufgabenerledigung zu bewegen, sind darüber hinaus motivationswirksame Sanktionen für den Fall festgestellter Unregelmäßigkeiten anzudrohen. 261 Es stellt sich die Frage, ob die Rechtsaufsicht, unter der die öffentlich bestellten Sachverständigen nach § 36 GewO bzw. die Umweltgutachter stehen 269 , den dargelegten Anforderungen an die staatliche Aufsicht über den Prüfbeauftragten gerecht wird. Die Sachverständigen nach § 36 GewO stehen zwar formal unter der Aufsicht der Bestellungsbehörde, jedoch kann in der Praxis von einer regelmäßigen Überwachung der Sachverständigen keine Rede sein. Wenn überhaupt eine Überprüfung durch die Bestellungsbehörde stattfindet, dann ist Gegenstand der Kontrolle lediglich die Erfüllung der formalen Kriterien, die ein Sachverständiger nach § 36 GewO zu erfüllen hat. Die Behörde führt erst dann nachvollziehende Kontrollen im Hinblick auf die Ergebnisse der gutachterlichen Tätigkeit durch, wenn sie von dritter Seite Hinweise auf eventuelle Unregelmäßigkeiten erhält. Hinsichtlich der Umweltgutachter hat die Zulassungsstelle dagegen gem. § 15 I UAG im Rahmen ihrer Aufsicht in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob der zugelassene Umweltgutachter weiterhin die Zulassungsanforderungen erfüllt, wobei auch Kontrollen der Qualität der vorgenommenen Begutachtungen zu erfolgen haben. 270 Auch wenn hier zunächst noch die Erfahrungen der Praxis abgewartet werden müssen, kann nicht davon ausgegangen werden, daß die "nachvollziehenden Kontrollen" im Sinne des § 15 I UAG den oben dargestellten Umfang aufweisen werden. Dazu fehlen der Zulassungsstelle schon die notwendigen Befugnisse. Im übrigen ist der in § 15 I UAG vorgesehene Kontrollturnus von 268 Vgl. auch Lübbe-Wo/ffISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 268. 269 Die Sachverständigen nach § 36 GewO stehen unter der Rechtsaufsicht der nach Landesrecht zuständigen Bestellungsbehörde (vgl. LandmannlRohmerBleutge, GewO, Bd. I, § 36 Rn. 82 ff.) und die Umweltgutachter unter der Rechtsaufsicht der Zulassungsstelle (vgl. Ewer, Referentenentwurf für ein Umweltgutachter- und Standortregistrierungsgesetz, NVwZ 1995, S. 457, 458 f.). 270 Wortgleich die europarechtliche Vorlage: Anhang III Teil A Nr. 5 Satz 1 Verordnung (EWG) Nr. 1836/93.
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3 Jahren für die Aufsicht über den Prüfbeauftragten nicht ausreichend. Ein solcher Zeitraum kann keine Gewähr dafür bieten, daß Unregelmäßigkeiten bei der Arbeit des Prüfbeauftragten rechtzeitig entdeckt werden, insbesondere um den daraus entstehenden Schaden gering zu halten. Hinsichtlich der notwendigen motivations wirksamen Sanktionen reicht die Rechtsaufsicht über die Sachverständigen nach § 36 GewO und die Umweltgutachter dagegen aus. Bei beiden kann die Feststellung von Unregelmäßigkeiten zum Widerruf der Bestellung bzw. der Zulassung führen. l7I Angesichts der erheblichen Bedeutung der Bestellung bzw. Zulassung für die beruflichen und wirtschaftlichen Perspektiven des Betroffenen ist diese Sanktion ausreichend, den Prüfbeauftragten zur Erfüllung seiner Pflichten zu bewegen. Die Androhung von Bußgeldern im Falle der Feststellung von Unregelmäßigkeiten könnte den motivierenden Effekt jedoch noch erheblich erhöhen. Damit wird deutlich, daß die Rechtsaufsicht über die Umweltgutachter und die Sachverständigen nach § 36 GewO den Anforderungen an die notwendige Aufsicht über Prüfbeauftragte nur zum Teil genügt. Erforderlich sind zusätzliche nachvollziehende Kontrollen im dargelegten Rahmen. Diese Kontrollen sollten von den für die Mitgliedsunternehmen zuständigen Aufsichtsbehörden durchgeführt werden, da diese bereits weitgehend über die notwendigen Überwachungsbefugnisse verfügen. Bei den Kontrollen festgestellte Unregelmäßigkeiten sind der für den Prüfbeauftragten zuständigen Bestellungsbehörde bzw. Zulassungsstelle mitzuteilen, damit diese ihrerseits geeignete Aufsichtsmaßnahmen ergreifen kann. (3) Auswahl des Prüfbeauftragten Auch die Auswahl und Bestimmung des Prüfbeauftragten muß von dem Ziel geleitet sein, die dargelegten Anforderungen an den Prüfbeauftragten durchzusetzen. Eine Bestimmung des Prüfbeauftragten durch die Aufsichtsbehörde ließe die Erreichung dieses Ziels zwar in besonderem Maße erwarten272 , würde jedoch die Effektivität der Tätigkeit der Über17I Zum Sachverständigen nach § 36 GewO vgl. LandmannIRohmer-Bleutge, GewO, Bd. I, § 36 Rn. 86; zum Umweltgutachter siehe § § 16, 17 11, III UAG. 272 Vgl. auch Lübbe-Wo/ff/Steenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 268.
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wachungsgemeinschaften empfindlich gefährden. Die Arbeit des Prüfbeauftragten soll sich nicht nur auf die reine Überwachungstätigkeit beschränken. Vielmehr ist anzustreben, daß der Prüfbeauftragte auch als Berater in Fragen des Umweltrechts und des betrieblichen Umweltschutzes für die Mitglieder tätig wird. Die Beratung kann sich zum einen auf Problemstellungen beziehen, die sich im Rahmen der Fremdüberwachung ergeben. Bei kleineren Verstößen wird häufig eine sofortige Lösung zum Abstellen des Mangels gefunden werden können. Zum anderen könnten Mitglieder aber auch davon unabhängig Fragen an den Prüfbeauftragten herantragen. Mitglieder werden jedoch nur dann freiwillig auf Probleme hinweisen, wenn mit einer gewinnbringenden Beratung durch den Prüfbeauftragten gerechnet werden kann. Dies setzt insbesondere ein ausreichendes Vertrauensverhältnis zum Prüfbeauftragten voraus. Bei fehlender Vertrauensbasis wird das Mitglied insgesamt wenig geneigt sein, die Überwachung durch den Prüfbeauftragten zu unterstützen. Die Mitwirkung des Mitglieds - etwa durch den freiwilligen Hinweis auf mögliche Problem bereiche, aber auch die Zurverfügungstellung eigenen Personals oder Gerätes - hat jedoch starken Einfluß auf die Effektivität der Fremdüberwachung und der gesamten Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften. Somit 3011te das Vertrauen zwischen Mitglied und Beauftragten besonders gefördert werden. Die alleinige Bestimmung des Prüfbeauftragten durch die Aufsichtsbehörde wäre hierbei nicht sehr hilfreich, da in diesem Fall der Prüfbeauftragte den Mitgliedern als Vertreter des Staates erscheinen wird. Aus diesem Grunde ist der Prüfbeauftragte grundsätzlich durch die Überwachungsgemeinschaft zu bestimmen. Um jedoch auch in diesem Fall die Erfüllung der besonderen Anforderungen zu sichern, erscheint ein staatliches Mitwirkungsrecht bei der Bestimmung des Prüfbeauftragten unumgänglich. Ein ausreichendes (indirektes) Mitwirkungsrecht des Staates ergibt sich jedoch schon aus den bereits dargelegten Anforderungen an den Prüfbeauftragten. Als Prüfbeauftragte dürfen nur solche Sachverständigen tätig werden, die einer öffentlich-rechtlichen Pflichtenbindung und damit dem direkten Einfluß des Staates unterliegen. l1l Damit ist die freie Auswahl des Prüfbeauftragten aus dem Kreise dieser Sachverständigen unproblematisch, da der Staat jedenfalls über einen ausreichenden Einfluß auf die Erfüllung der gestellten Anforderungen verfügt. l7J
Siehe dazu oben S. 176 f.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
Im übrigen würde es aber auch für die Überwachungsgemeinschaft wenig Sinn ergeben, einen Prüfbeauftragten zu bestimmen, der nicht ebenfalls das volle Vertrauen der Aufsichtsbehörde genießt. Selbst wenn die Aufsichtsbehörde in diesem Fall ihre kontinuierliche Überwachung zulässigerweise reduzieren oder aussetzen dürfte, wird sie ihr Überwachungsermessen im Falle mangelnden Vertrauens zur Arbeit des PrUfbeauftragten kaum in dieser Richtung ausüben. Insofern wird die Auswahl und Bestimmung des Prüfbeauftragten sinnvollerweise im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Überwachungsgemeinschaft und Aufsichtsbehörde erfolgen.
c) Anforderungen an den Oberwachungsgegenstand Die Korrektheit der Überwachungsergebnisse hat auch zur Bedingung, daß die Fremdüberwachung den Überwachungsgegenstand vollständig umfaßt. Damit muß sich im Einzelfall genau bestimmen lassen, welche umweltrechtlichen Normen mit welchem Inhalt auf ihre Einhaltung überwacht werden sollen. Für den Umfangs des Überwachungsgegenstandes reicht die genaue Angabe der zu überwachenden umweltrechtlichen Fachgesetze. Auch inhaltlich enthalten diese Fachgesetze bzw. konkretisierende Rechtsverordnungen häufig schon detaillierte Vorgaben an den Regelungsadressaten. Z74 In diesen Fällen ergeben sich für den Prüfbeauftragten keine Probleme, die Einhaltung dieser hinreichend konkretisierten Vorgaben festzustellen. Ebenso unproblematisch ist die Überwachung der Einhaltung von Auflagen, die den Mitgliedsunternehmen im Rahmen eventueller Genehmigungen oder Planfeststellungen auferlegt wurden. Damit der Prüfbeauftragte die Einhaltung überprüfen kann, muß ihm jedoch der Inhalt der Auflagen bekannt sein. Dazu müssen ihm die jeweiligen Genehmigungs- bzw. Plan feststellungs bescheide zur Verfügung gestellt werden, was durch eine entsprechende Verpflichtung der Mitglieder in den Vereins satzungen zu sichern ist.
Z74 Vgl. nur die 1., 2., 3., 7., 8., 13. und 17. BlmSchV, AbfRestÜberwVO, AbfVerbrVO, VerpackVO.
III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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Schwieriger wird die Überprüfung rechtlicher Vorgaben jedoch, wenn diese unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, die keine Konkretisierung auf Gesetzes- oder Verordnungsebene erfahren haben. Neben den allgemein-typischen unbestimmten Rechtsbegriffen, wie sie in der gesamten Gesetzgebung Verwendung finden (z.B. "erhebliche Nachteile und Belästigungen" oder "schädliche Umwelteinwirkungen" nach §§ 1, 5 BlmSchG, "vermeidbar" nach § la I WHG, "Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit" nach § 2 I AbfG / § 10 IV KrW-/AbfG) spielen im Umweltrecht vor allem sog. Technikklauseln wie z.B. "Stand der Technik"m oder "Stand von Wissenschaft und Technik"276 eine wichtige Rolle. 277 Die Unbestimmtheit der Begriffe vermögen einzelne Legaldefinitionen (z.B. "Stand der Technik" nach § 3 VI BlmSchG oder "schädliche Umwelteinwirkungen" nach § 3 I BlmSchG) im allgemeinen nicht zu beseitigenY' Insofern verbleiben hinsichtlich der Auslegung erhebliche Spielräume, was die Frage aufwirft, von welcher Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe der Prüfbeauftragte auszugehen hat, wenn er die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben überprüft. Denkbar wäre es, die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe und damit die Bestimmung des genauen Inhalts der Vorgaben dem Prüfbeauftragten selbst zu überlassen. Er wird als Sachverständiger selbst in der Lage sein, unter Zugrundelegung einschlägiger Literatur und Rechtsprechung eine sachgerechte Auslegung der Begriffe vorzunehmen. Wenn jedoch die kontinuierliche Überwachung des Staates aufgrund der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften ausgesetzt werden soll, muß die Fremdüberwachung des Prüfbeauftragten von den inhaltlich gleichen Vorgaben ausgehen, die auch die Aufsichtsbehörde ihrer Überwachung zugrunde legen würde. Dies bedeutet, daß auch der Inhalt unbestimmter Rechtsbegriffe dem entsprechen muß, was bei der Überwachung durch die Aufsichtsbehörde maßgeblich wäre. Andernfalls bestünde die Gefahr, m Etwa verwendet in §§ 5 I Nr. 2, 22 I 1 Nr. 2 BlmSchG; § 7a I 3 WHG; § 4 V AbfG. 276 Verwendet in § 7 11 Nr. 3 AtomG; § 6 I Nr. 5 StrlSchV; § 13 I Nr. 4 GenTG; vgl. zur Verweisung auf den "Stand von Wissenschaft und Technik" sowie die Verweisungen auf den "Stand der Technik", die "anerkannten Regeln der Technik" und den "Stand der Wissenschaft" zusammenfassend Breuer, Art. "Stand der Technik" in: HdUR, Sp. 1870 ff. 277 Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 41 m.w.N. 278 Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 41.
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daß von der Überwachungsgemeinschaft Verhaltensweisen der Mitglieder toleriert würden, die im Rahmen der Überwachung durch die Aufsichtsbehörde keinesfalls Akzeptanz fänden. Die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe hat direkten Einfluß auf das Niveau des Umweltschutzes. In diesem Fall darf aber kein privater Sachverständiger (in Form des Prüfbeauftragten) dafür zuständig sein, den Inhalt dieser Begriffe zu bestimmen. Vielmehr muß diese Zuständigkeit in der Hand des für den Schutz seiner Bürger verantwortlichen Staates verbleiben. Die Einräumung eines solchen Auslegungsspielraums beim Prüfbeauftragten würde im übrigen den Raum für sachfremde Erwägungen vergrößern und eine Kontrolle des Prüfbeauftragten erschweren. Z79 Grundlage der Überwachung durch den Prüfbeauftragten muß also ein von staatlicher Seite hinreichend bestimmter Inhalt der unbestimmten Rechtsbegriffe sein. Wenig Schwierigkeiten bereitet die Ermittlung dieses Inhalts, wenn er aus Verwaltungsvorschriften entnommen werden kann, die auch die Aufsichtsbehörden bei ihrer Überwachung binden. So bieten etwa die Technischen Anleitungen Luft 21O, Lärm 2sl , (Sonder-) Abfalps2 und Siedlungsabfa1l213 hinreichende Konkretisierungen bezüglich zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe im Bereich des Umweltrechts. Insbesondere werden Grenzwerte aufgestel}t2l4, deren Einhaltung unproblematisch überprüft werden kann. Soweit solche Verwaltungsvorschriften nicht bestehen, muß dem Prüfbeauftragten im einzelnen von der Aufsichtsbehörde vorgegeben werden, wie er einschlägige unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen hat. Für die Praxis würde das bedeuten, daß der Prüfbeauftragte entweder die einschlägige Auslegung im Bedarfsfall jeweils bei der Aufsichtsbehörde
279 Vgl. Lübbe-WoIf!ISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 267. 21111 GMBI. 1986 S. 95. 281 Beilage zum BAnz. Nr. 137 v. 26.07.1968. 282 GMBI. I 1991 S. 139 (ber. S. 469). 283 Beilage zum BAnz. Nr. 99a v. 29.5.1993. 214 Vgl. z.B. Nr. 2.32 TA Lärm und Nr. 2.5 TA Luft.
III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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abzufragen hat oder eine generelle Auslegungshilfe etwa in Form einer schriftlichen Vorgabe m erhält. Der Prüfbeauftragte ist auf die Vorgaben der Aufsichtsbehörde angewiesen und hat keinen eigenen Spielraum bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe. Ein solcher Spielraum darf ihm auch nicht von der Aufsichtsbehörde eingeräumt werden. Der Überwachungsgegenstand muß nicht nur hinsichtlich des Umfangs (Welche rechtlichen Normen sind zu überwachen?), sondern auch bezüglich des Inhalts (Welche rechtlichen Inhalte sind maßgeblich?) von staatlicher Seite hinreichend konkret bestimmt sein. d) Notwendige Intensität der Fremdüberwachung
Die notwendige Intensität der Regelprüfungen steht im Verhältnis zum Maß des Rechtsverletzungsrisikos, das sich ohne Berücksichtigung einer (staatlichen oder privaten) Überwachung ergeben würde. Wie bereits dargelegt, ist dieses Maß vor allem abhängig vom Grau des Eingriffs in die persönliche Freiheit des Regelungsadressaten, der sich aus der Einhaltung der rechtlichen Vorgaben ergibt. Je massiver dieser Eingriff ist bzw. vom Regelungsadressaten empfunden wird, desto größer ist die Gefahr, daß die rechtlichen Vorgaben nicht eingehalten werden. Die Höhe dieser Gefahr wird dabei zusätzlich von der allgemeinen Zuverlässigkeit des Mitgliedsunternehmens beeinflußt. 216 Erhebliche Bedeutung kommt aber auch dem technischen Entwicklungszyklus einer Branche zu. Ist die Innovationsgeschwindigkeit innerhalb einer Branche hoch, werden die Branchenmitglieder gezwungen sein, ihre Produktionsverfahren und -anlagen entsprechend häufig den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Dabei kann es zu Verstößen insbesondere gegen umweltrechtliche Genehmigungspflichten kommen. Demgemäß ergibt sich bei Branchen mit einer· hohen Innovationsgeschwindigkeit auch ein erhöhter Überwachungs bedarf.
m Solche schriftlichen Auslegungsvorgaben könnten auch im Rahmen gemeinsamer Gremien von Prüfbeauftragten und Behördenvertretern erarbeitet werden. 2116 Vgl. zum (gewerberechtlichen) Begriff der Zuverlässigkeit bereits oben S. 175.
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Der Rechtsverletzungsfolgeschaden spielt ebenfalle eine wichtige Rolle. Je größer der potentielle Schaden aus einer Rechtsverletzung ist, etwa aus unzulässig hohen Schadstoffemissionen, desto wichtiger ist die frühzeitige Entdeckung dieses Rechtsverstoßes, um rechtzeitig die Fortsetzung der Rechtsverletzung unterbinden zu können. Für die genaue Bestimmung der angemessenen Häufigkeit der Regelprüfungen kommt es unter Berücksichtigung dieser Aspekte maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an. Pauschale Aussagen über die notwendige Häufigkeit lassen sich kaum treffen. Jedenfalls unzureichend ist aber eine Durchführung der Regelprüfungen im Turnus von zwei Jahren, wie dies bei den Überwachungsgemeinschaften nach § 19 I WHG vorgesehen ist. 217 Schon allein der Aspekt des Rechtsverletzungsfolgeschadens führt dazu, daß die Möglichkeit einer Schädigung der Umwelt durch die Verletzung rechtlicher Vorgaben über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr nicht zu akzeptieren ist. Darüber hinaus darf die Entdeckung eines Umweltrechtsverstoßes keinesfalls zu einer kalkulierbaren Größe für den Regelungsadressaten werden. Bei einem derart langen Wiederholungsturnus könnte sich das Mitglied nach einer erfolgten Regelprüfung auf einen längeren überprüfungsfreien Zeitraum einstellen und sein Verhalten hinsichtlich der Einhaltung rechtlicher Vorgaben danach vollzugsverweigernd einrichten. Demnach wäre ein Wiederholungszyklus von zwei Jahren jedenfalls nicht geeignet, das RechtsverIetzungsrisko auf ein vertretbares Maß zu senken. 288 Neben einer gewissen Häufigkeit der Prüfungen erscheint es auch notwendig, daß die Prüfungen des Prütbeauftragten unangemeldet durchge-
Ziff. 3.1.3 ÜberwVerfÜG WHG. Der angemessene Wiederholungszyklus der Prüfungen wird sich in der Regel im Rahmen von einem bis sechs Monaten bewegen. Dies entspricht auch der Häufigkeit bei den Überwachungsgemeinschaften im Bauordnungsrecht und im Bereich der Bauabfallwirtschaft (vgl. oben S. 81). Weitere Anhaltspunkte für angemesse Wiederholungszyklen der Regelprüfungen geben auch einige Landes-Verwaltungsvorschriften, die Mindesthäufigkeiten für staatliche Kontrollen vorschreiben (vgl. etwa Ziff 3.2 Überwachungserlaß Hausmülldeponien für Baden-Württemberg v. 24.06.1978, GABt. S. 939; Ziff. 5.2 des Rd.Ert. "Überwachung von Abfallbeseitigungsanlagen" für Niedersachsen vom. 11.12.1985, MBI. 1986 S. 75). Die Wiederholungszyklen der Prüfungen durch den Prüfbeauftragten sollten den dort festgelegten Häufigkeiten in der Regel entsprechen. 287
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III. Ausgestaltungsanforderungen an Überwachungsgemeinschaften
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führt werden. Wäre das Mitglied im voraus über den genauen Zeitpunkt einer Prüfung informiert, wären eventuelle Manipulationen durch das Mitglied vor der Prüfung möglich. Daher ergäben sich in diesem Fall erhebliche Zweifel an der Repräsentativität der ermittelten Überwachungsergebnisse. Diese Repräsentativität ist jedoch notwendig, damit man den Überwachungsergebnissen soviel Verbindlichkeit zubilligen kann, daß sie zur Senkung des Rechtsverletzungsrisikos beitragen können. e) Gewährleistung der notwendigen Informationsermittlungsrechte
Für die Ermittlung der notwendigen Informationen im Rahmen der staatlichen Überwachung räumen die umweltrechtlichen Fachgesetzen den Aufsichtsbehörden umfangreiche Informationsermittlungsrechte ein .. Die zuständigen Behörden haben die Befugnis, vom Überwachungspflichtigen die Erteilung von Auskünften 289, die Vorlage bestimmter Unterlagen 190 sowie spezielle sonstige Mitwirkungshandlungen 191 zu verlangen. Weiterhin dürfen die Behörden dessen Grundstücke sowie Betriebsund Geschäftsräume betreten l9l und technische Prüfungen vornehmen. l93 Die Einräumung dieser Rechte ist notwendig, um von seiten des Staates eine effektive Überwachung überhaupt durchführen zu können. l94 Auch die Prüfbeauftragten müssen zur effektiven Durchführung ihrer Fremdüberwachung über diese Möglichkeiten verfügen können. Dies ist dadurch sicherzustellen, daß die entsprechenden Rechte dem Prüfbeauf119 § 11 IV 1 AbfG / § 40 11 1 KrW -/ AbfG; § 52 11 1 3.AIt. BImSehG; § 21 I 3 2.Alt. WHG. 190 § 11 11 2 AbfG / § 27 I 2 NachwV; § 52 11 1 4.Alt. BImSehG; § 21 I 3 3.Alt. WHG. 191 Vor allem die Bereitstellung von Arbeitskräften und Werkzeugen für Überwachungsmaßnahmen, vgl. § 11 IV 5 AbfG / § 40 III 1 2. Alt. KrW-/AbfG; § 5211 4 BImSehG; § 21 13 3.Alt. WHG. 191 § 11 IV 2 I.Alt. AbfG / § 40 11 2 1. Alt. KrW-/AbfG; § 52 11 1 1. Alt. BImSehG; § 21 I 2 WHG. m § 11 IV 2 3. Alt. AbfG / § 40 11 2 3. Alt. KrW-/AbfG; § 5211 1 2.Alt., III 2 BImSehG; § 21 13 4.Alt. WHG. 19. Vgl. LandmannIRohmer-Hansmann, UmweltR, Bd. I, BImSehG, § 52 Rn. 17,37.
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
tragten im Rahmen der Satzung durch die Mitglieder im voraus eingeräumt werden und damit auf die Geltendmachung eventueller zivilrechtlicher Abwehransprüche gegen die Handlungen des Prüfbeauftragten verzichtet wird. 295 Mehr Probleme bereitet der Fall, daß zur Ermittlung von Immissionen das Betreten eines Grundstückes erforderlich wird, das nicht im Besitz eines zu überwachenden Mitgliedes steht. Eine Immissionsmessung auf solchen Grundstücken ist notwendig, wenn das Beurteilungsgebiet für die Ermittlung und Bewertung von Immissionen 296 über die Grenzen des Betriebsgrundstückes hinausgeht, wie dies regelmäßig der Fall ist. Die staatlichen Aufsichtsbehörden erhalten aus § 52 VI BImSchG ein entsprechendes Betretungsrecht hinsichtlich solcher Grundstücke. Da in der Regel Grundstücke von Nicht-Mitgliedern betroffen sind, kann dem Prüfbeauftragten im Rahmen der Vereinssatzung kein entsprechendes Betretungsrecht eingeräumt werden. Der Überwachungsgemeinschaft stünde jedoch der Weg offen, mit dem entsprechenden Grundstücksbesitzer ein Betretungsrecht auf privatrechtlicher Grundlage zu vereinbaren. Dieser wird im Zweifel auch ein Interesse an einer entsprechenden Überwachung haben, da er den zu ermittelnden Immissionen selbst ausgesetzt ist. Erklärt sich der Grundstückbesitzer dagegen nicht mit der Betretung des Grundstücks einverstanden, so hat der Prüfbeauftragte keine rechtliche Möglichkeiten, eine entsprechende Immissionsmessung vorzunehmen. Diese Aufgabe wäre damit der Aufsichtsbehörde vorbehalten. 2. Anforderungen an die Eigenüberwachung durch die Mitgliedsunternehmen
Zu den Prinzipien der Überwachungsgemeinschaften gehört es, daß die Mitgliedsunternehmen eine regelmäßige Eigenüberwachung durchführen. Es gilt zu klären, ob sich auch an die Durchführung dieser Eigenüberwachung spezielle Anforderungen stellen, wenn die Aussetzung der kontinuierlichen staatlichen Überwachung ermöglicht werden soll. 295 Dies ist auch größtenteils schon bei den bestehenden Überwachungsgemeinschaften entsprechend geregelt, vgl. die Ausführungen auf S. 82. 296 Vgl. dazu Nr. 2.5 ff., insbesondere 2.6.2.2 TA Luft, auch Nr. 2.421.1 a) TA Lärm.
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Dies wäre nur dann der Fall, wenn diese Eigenüberwachung innerhalb des Systems der Überwachungsgemeinschaft für die Senkung des Rechtsverletzungsrisikos aus verfassungsrechtlicher Sicht von Bedeutung wäre. Die regelmäßige Eigenüberwachung soll dazu führen, daß dem Mitglied mit den Überwachungsergebnissen eventuelle Umweltrechtsverstöße zur Kenntnis kommen. Selbst wenn man die Korrektheit der Eigenüberwachungsergebnisse durch entsprechende Vorkehrungen gewährleisten könnte, führte allein die Kenntnis dieser Daten noch nicht zu einer Reduzierung des Rechtsverletzungsrisikos. Dies würde nur eintreten, wenn auch tatsächlich mit einer korrigierenden Reaktion des Mitglieds gerechnet werden könnte. Eine solche Reaktion ist zwar keineswegs auszuschließen, insbesondere da sich unangenehme Rechtfertigungsnotwendigkeiten gegenüber einzelnen Mitarbeitern ergeben könnten, wenn diese Kenntnis von Rechtsverstößen erlangen. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung muß jedoch angesichts der mit einer solchen· Reaktion verbundenen Kosten bzw. Investitionen von einem Ignorieren der Überwachungsergebnisse ausgegangen werden. Es ist zu erwarten, daß sich das Mitglied entsprechend dem ökonomischen Zwang zur Kostenminimierung verhalten wird. Damit überwiegt jedenfalls die Motivation, Verstöße gegen umweltrechtliche Vorgaben fortzusetzen, sofern diese nicht selbst zu erheblichen Folgekosten führen. Mit einer den rechtlichen Vorgaben entsprechenden Reaktion des Mitglieds kann also grundsätzlich nicht gerechnet werden. Dies bedeutet jedoch, daß die Eigenüberwachung durch die Mitgliedsunternehmen im Hinblick auf die Senkung des Rechtsverletzungsrisikos keine Rolle spielt. Daher kommt unter diesem verfassungsrechtlichen Aspekt auch der Korrektheit der Eigenüberwachungsergebnisse keine Bedeutung zu, womit sich unter diesem Gesichtspunkt keine weiteren Anforderungen an die Ausgestaltung der Gemeinschaften stellen. Anzumerken ist jedoch, daß die Eigenüberwachung gleichwohl wichtige Funktionen im System der Überwachungsgemeinschaften erfüllt. Die besondere Verpflichtung zur Eigenüberwachung kann dazu beitragen, den Mitgliedsunternehmen die Überwachung als eigene Aufgabe - also nicht alleinige Aufgabe des Staates - begreiflich zu machen. Weiterhin ist es jedenfalls nicht auszuschließen, daß Mitglieder einen normkonformen Zustand herbeiführen, wenn Ihnen im Rahmen der Eigenüberwachung Umweltrechtsverstöße zur Kenntnis kommen. Die Eigenüberwachung der Mitgliedsunternehmen bleibt auch für die umweltrechtlichen
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§ 7 Aspekt der staatlichen Pflicht zur Überwachung
Überwachungsgemeinschaften eine wichtige und notwendige Komponente. Aus den dargelegten Gründen unterliegt die Durchführung der Eigenüberwachung nur eben keinen verfassungsrechtlichen Bindungen. 3. Anforderungen an die Tätigkeit des Überwachungsausschusses Die Auswertung der Überwachungsergebnisse erfolgt durch den Überwachungsausschuß. Er hat die Aufgabe, festgestellte Umweltrechtsverstöße zu ahnden und auf eine Beseitigung entsprechender Mängel hinzuwirken. Als zentrales Organ im System der Überwachungsgemeinschaft muß der Überwachungsausschuß hinsichtlich Tätigkeit und Organisation gewissen Vorgaben genügen, wenn die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaft insgesamt zu einer Senkung des Rechtsverletzungsrisikos beitragen soll. a) Besetzung des Überwachungsausschusses
Der Überwachungsausschuß ahndet festgestellte Umweltrechtsverstöße auf der Grundlage der Überwachungsergebnisse, die vom Prüfbeauftragten im Rahmen seiner Prüfungen ermittelt wurden. Zur Beurteilung dieser Verstöße bedarf es bei den Mitgliedern des Überwachungsausschusses einer ausreichenden Kenntnis der einschlägigen gesetzlichen Grundlagen. Eine so umfassende Fachkenntnis wie beim Prüfbeauftragten ist dabei nicht erforderlich. Sollte die Fachkenntnis des Überwachungsausschusses im Einzelfall nicht ausreichen, kann auf die Kenntnisse des Prüfbeauftragten zurückgegriffen werden. Dazu ist die Teilnahme des Prüfbeauftragten an den Sitzungen des Überwachungs ausschusses als beratendes Mitglied sinnvoll. Die fachlichen Kenntnisse der Überwachungsausschußmitglieder müssen jedoch auf jeden Fall ausreichen, um eigene Beurteilungen anstellen zu können und nicht vollkommen auf fremde Hinweise (etwa des Prüfbeauftragten) angewiesen zu sein. Diese Voraussetzung erfüllen jedenfalls die Umweltschutzbeauftragten der Mitgliedsunternehmen, die hinreichenden Anforderungen an die Fachkunde und Fortbildung unterliegen. 297 297 Vgl. § 7 ff. 5. BImSchV (BeauftragtenVO); § 21 c 11, IV WHG; § II c 11, IV AbfG / § 55 III KrW-/AbfG LV.m. § 55 11 BImSchG.
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Fraglich ist, inwieweit die Mitglieder des Überwachungsausschusses Neutralität und Objektivität aufweisen müssen. Die Arbeitsweise des Überwachungsausschusses baut nicht auf diesen Prinzipien auf. Objektivität und Neutralität sollen nur im Ergebnis erreicht werden, indem sich die Ausschußmitglieder dem ökonomischen Brancheninteresse entsprechend verhalten und auf eine Einhaltung der rechtlichen Vorgaben durch alle Branchenmitglieder drängen. Probleme ergeben sich aus einer mangelnden Objektivität der Ausschußmitglieder nur dort, wo eine Bevorteilung einzelner Mitgliedsunternehmen zu befürchten ist. Diese Gefahr besteht insbesondere hinsichtlich der Unternehmen, bei denen die Mitglieder des Überwachungsausschusses beschäftigt sind. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, müssen Ausschußmitglieder von Beratungen und Beschlüssen, die sich auf das sie beschäftigende Unternehmen beziehen, ausgeschlossen werden. 291
b) Weiterleitung von Informationen an die Aufsichtsbehörden Der Überwachungsausschuß ist innerhalb der Überwachungsgemeinschaft auch dafür zuständig, in bestimmten Fällen ermittelte Überwachungsdaten an die staatlichen Aufsichtsbehörden weiterzuleiten. Eine Weiterleitung geschieht grundsätzlich nur dann, wenn die Maßnahmen der Überwachungsgemeinschaft nicht dazu führen, daß das Mitglied einen festgestellten Mangel freiwillig abstellt. In diesem Fall ordnet der Überwachungsausschuß die Einstellung der Fremdüberwachung bzw. den Ausschluß aus der Überwachungsgemeinschaft an und teilt dies unter Angabe der Gründe, also auch der Überwachungsergebnisse, der zuständigen Aufsichtsbehörde mit. 299 Die Behörde kann dann mit ordnungs-
298 So auch geregelt bei den bestehenden Überwachungsgemeinschaften (§ 10 IV 2 EntsorgGemRL; Ziff. 8.4 Satzung ÜG WHG; Ziff. 9.4 Satzung ÜGB). Denkbar wäre in diesem Zusammenhang eine Anknüpfung an die Dogmatik zur Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern im Kommunalrecht. Der Überwachungsausschuß ist ebenso wie der Gemeinderat das Organ einer Selbstverwaltungseinrichtung. Vgl. zur "Befangenheit" im Kommunalrecht die Regelungen z.B. in § 18 GemO BW, Art. 49 BayGemO; allgemein Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1994, Rn. 510 ff.; Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl 1992, S. 102 ff.; umfassend Molitor, Die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern, 1993. 299 Vgl. oben die Ausführungen auf S. 86.
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rechtlichen Mitteln die Durchsetzung der rechtlichen Vorgaben beim Mitglied betreiben. Mit einem so gestalteten Verfahren tritt eine gewisse zeitliche Verzögerung zwischen Entdeckung eines Rechtsverstoßes durch den Prütbeauftragten und U.U. notwendiger Gegenmaßnahme der Aufsichtsbehörde ein. Dies ist unproblematisch bei Rechtsverstößen, die mit einem nur geringen Rechtsverletzungsfolgeschaden verbunden sind. In diesem Fall bleibt das Rechtsverletzungsrisiko auch dann noch auf einem vertretbarem Niveau, wenn mit einem Abstellen des Mangels erst nach Durchführung der Maßnahmen der Überwachungsgemeinschaft gerechnet werden kann. Der Staat könnte einen Rechtsverstoß solange tolerieren, ohne gegen seine Schutzpflichten zu verstoßen. Anders ist dies jedoch bei einem Verstoß zu beurteilen, der einen hohen Rechtsverletzungsfolgeschaden erwarten läßt. In diesem Fall wird die Schutzpflicht des Staates ausgelöst und entsprechend ein sofortiges Einschreiten der Aufsichtsbehörde gegen das betreffende Mitglied notwendig. Um das Rechtsverletzungsrisiko auch im Hinblick auf die Behandlung solcher Fälle insgesamt vertretbar halten zu können, muß gewährleistet sein, daß die zuständige Aufsichtsbehörde bei der Feststellung eines schwerwiegenden Verstoßes sofort unterrichtet wird, um entsprechende Maßnahmen einleiten zu können. Eine dementsprechende Verpflichtung des Überwachungsausschusses ist als notwendig anzusehen. Fraglich ist jedoch, inwieweit die Beurteilung, ob ein solcher "schwerwiegender Verstoß" vorliegt oder nicht, vom Überwachungsausschuß selbst vorgenommen werden kann. Von dieser Beurteilung hängt es letztlich ab, ob dem Staat überhaupt die Möglichkeit zum rechtzeitigen Einschreiten eröffnet wird. Im Falle einer negativen Beurteilung würde dem Staat mangels Information durch den Überwachungsausschuß der festgestellte schwerwiegende Umweltrechtsverstoß erst zu spät zur Kenntnis kommen. Es muß jedoch gewährleistet sein, daß der Staat in den Fällen rechtzeitige Kenntnis von Umweltrechtsverstößen erhält, bei denen er aufgrund seiner Schutzpflichten zum rechtzeitigen Eingreifen verpflichtet ist. Wann dies der Fall ist, hat primär der Adressat der Schutzpflicht, also der Staat selbst, unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben festzulegen. Jedenfalls kann diese Festlegung nicht dem Überwachungsauschuß als Institution des privaten Bereichs überlas-
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sen werden. Es bestünde die Gefahr, daß sich die Beurteilungskriterien des Ausschusses wesentlich von denen der staatlichen Aufsichtsbehörden unterschieden. Die Kriterien zur Beurteilung, ob ein "schwerwiegender Verstoß" vorliegt, sind daher von deri zuständigen Aufsichtsbehörden festzulegen. Die Vorgaben müssen hinreichend konkret sein (z.B. in Form von Grenzwerten oder Regelbeispielen), um eine einheitliche und lediglich formale Beurteilung durch den Überwachungsausschuß zu ermöglichen. In Zweifelsfällen muß der Überwachungsausschuß Rücksprache mit der zuständigen Aufsichtsbehörde halten. c)
Gewährleistung der korrekten Tätigkeit des Überwachungsausschusses
Das Rechtsverletzungsrisiko kann durch die Arbeit von Überwachungsgemeinschaften nur dann auf einem vertretbarem Niveau gehalten werden, wenn eine korrekte Tätigkeit des Überwachungsausschusses sichergestellt ist. Diesem Ziel drohen besondere Gefahren aus der Möglichkeit zweckwidriger Absprachen. Solche Absprachen sind zum einen zwischen den Mitgliedsunternehmen der Überwachungsgemeinschaft möglich und könnten darauf abzielen, die Tätigkeit der (in der Regel von den Mitgliedsunternehmen abhängigen) Mitglieder des Überwachungsausschusses zu beeinflussen. Mögliches Ziel wäre die Beibehaltung oder sogar Verschlechterung des Vollzugsniveaus der gesamten Branche. Zweckwidrige Absprachen könnten jedoch auch zwischen den Mitgliedern des Überwachungsausschusses selbst getroffen werden. Aus diesen Absprachen wäre eine Bevorteilung der Unternehmen, für die die Ausschußmitglieder tätig sind, zu erwarten. Um beiden Arten von Absprachen entgegenzuwirken, sollte zunächst der Umstand genutzt werden, daß eine Absprache umso schwieriger wird, je mehr Personen an der Absprache beteiligt werden müssen. Die Anzahl der Mitglieder einer Überwachungsgemeinschaft sollte somit groß genug sein, um die Möglichkeit einer Absprache zwischen allen Mitgliedern gering zu halten. Hieran hat sich die regionale Gliederung der Überwachungsgemeinschaften zu orientieren, da sich aus dem regionalen Einzugsbereich auch unmittelbar die Anzahl der Mitglieder er-
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gibt. 31M) Auch der Überwachungsausschuß sollte so viele Mitglieder aufweisen, daß eine Absprache zwischen diesen zumindest erschwert wird. 301 Die Mindestanzahl von drei Mitgliedern, wie sie bei den meisten der bestehenden Überwachungsgemeinschaften festgeschrieben wurde 302, wird diesem Ziel wohl nicht gerecht. Eine Mindestanzahl von sechs Mitgliedern scheint in diesem Zusammenhang notwendig. Mit diesen Maßnahmen kann die Gefahr von Absprachen jedoch nur geringfügig verringert werden. Sie werden vom massiven Individualinteresse der Mitglieder an einer Kostenminimierung überlagert. Somit bedarf es zusätzlich einer besonderen Aufsicht des Staates über die Tätigkeit des Überwachungsausschusses. Die Aufsicht muß sich darauf beziehen, ob der Überwachungsausschuß seine Aufgaben entsprechend den satzungsmäßigen Vorgaben korrekt erfüllt. Um dies beurteilen zu können, muß der zuständigen Aufsichtsbehörde, also der Anerkennungsbehörde 30l, ein jederzeitiges Einsichtsrecht in alle Unterlagen des Überwachungsausschusses, insbesondere die bearbeiteten Überwachungs berichte und sonstigen Protokolle, eingeräumt werden. Daneben müssen der Aufsichtsbehörde bei Bedarf auch die Überwachungsberichte des Prüfbeauftragten selbst zur Verfügung stehen, um eventuelle Manipulationen aufdecken zu können. Die Mitglieder werden durch diese Aufsicht jedoch nur dann mit hinreichender Sicherheit von Absprachen abzuhalten sein, wenn sie bei der Entdeckung von Absprachen mit empfindlichen Sanktionen zu rechnen haben. Bei den bestehenden Überwachungsgemeinschaften droht bei Unregelmäßigkeiten die Rücknahme der Anerkennung als Überwachungsgemeinschaft. Mit der Rücknahme der Anerkennung tritt aber nur wieder der Normalzustand ein, daß eine kontinuierliche staatliche Überwachung notwendig wird. Damit würde die drohende Aberkennung der Zulassung als Überwachungsgemeinschaft allein keinesfalls ausreichen, 31M) Zu beachten bleibt jedoch, daß der regionale Bereich noch klein genug bleiben muß, um eine Übersicht über die Tätigkeit der Branchenmitglieder sicherzustellen, vgl. dazu auch die Ausführungen auf S. 115 f. 301 Hier limitiert jedoch die notwendige Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Ausschusses die Anzahl der Überwachungsausschußmitglieder. 302 So § 1011 I EntsorgGemRL; Ziff. 8.1 Satzung ÜG WHG; Ziff. 9.2 Satzung ÜGB. 303SieheobenS.l17.
IV. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse
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ein Mitglied vom Versuch der zweckwidrigen Absprache abzuhalten. Es ist daneben eine individuelle Sanktion hinsichtlich der Mitglieder, die Absprachen vornehmen, notwendig. Hierzu sind ausreichende Bußgelder anzudrohen. In Fällen, bei denen durch die Absprache ein schwerer Schaden an der Umwelt entstehen kann, wäre auch an eine strafrechtliche Bewehrung zu denken.
IV. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse Insbesondere aus der grundrecht lichen Schutzpflicht des Art. 2 11 1 GG ergibt sich eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zur kontinuierlichen Überwachung, sofern das Risiko einer Verletzung umweltrechtlicher Normen (Rechtsverletzungsrisiko) unvertretbar hoch ist. Die Aufsichtsbehörde kann im Rahmen ihres Ermessens von einer kontinuierlichen staatlichen Überwachung absehen, wenn durch die Tätigkeit von umweltrechtlichen Überwachungsgemeinschaften das Rechtsverletzungsrisiko beim Regelungsadressaten auf ein vertretbares Niveau gebracht wird. Eine solche Wirkung kann die Arbeit der Überwachungsgemeinschaften nur dann entwickeln, wenn die Erfüllung besonderer Anforderungen an die Institutionen des Prüfbeauftragten und des Überwachungsausschusses sichergestellt ist. Die Berücksichtigung aller im Rahmen dieses Kapitels dargelegten Vorkehrungen zur Sicherung dieser Anforderungen führt in der Regel dazu, daß die Tätigkeit der Gemeinschaften das Rechtsverletzungsrisiko auf ein vertretbares Niveau senkt.
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§ 8 Aspekt der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben
§ 8 Aspekt der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben Aus dem Aspekt der Erfüllung staatlicher Schutzpflichten konnten weitreichende Anforderungen an die Ausgestaltung der Überwachungsgemeinschaften hergeleitet werden. Weitere Vorgaben und Grenzen könnten sich unter dem Gesichtspunkt ergeben, daß effektiv eine Verschiebung der Durchführung von Überwachungsaufgaben stattfindet, wenn der Staat aufgrund der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften von der Durchführung eigener Überwachungsmaßnahmen absieht. Inwiefern hierbei von einer Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private gesprochen werden kann (I.) und sich gegebenenfalls aus diesem Aspekt verfassungsrechtliche Vorgaben ergeben können (11., III.), wird in diesem Kapitel näher untersucht.
I. Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private Öffentliche Verwaltung wurde vor allem im Mittelalter vielfach durch Private ausgeübt. 304 Nach der Entstehung des modernen Staates, der die öffentliche Verwaltung durch eigene Behörden wahrnimmt und zu diesem Zwecke juristische Personen des öffentlichen Rechts schuf, ist die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private wesentlich seltener geworden. 30' Gleichwohl fand die dogmatische Durchdringung dieses "Fremdkörpers" im Verwaltungsvollzug zusehends mehr Interesse in der Rechtswissenschaft. 106 Auch bei den umweltrechtlichen Überwachungsgemeinschaften stellt sich die Frage, inwieweit deren Tätigkeit Einfluß auf die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben hat und wie dieser Einfluß rechtlich zu bewerten ist. Um diesen Fragen differenziert nachgehen zu können, ist zunächst
304
Wolff/Bachof/Stober, VerwR I, § 6 Rn. 7 f.
30' Wolff/Bachof/Stober, VerwR 11, § 104 Rn. 1.
3f16 So war dieser Themenbereich bereits zweimal Beratungsgegenstand von Tagungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer ("Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private" 1970 in Speyer und "Privatisierung von Verwaltungs aufgaben" 1994 in Halle).
I. Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private
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eine Einordnung der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften in die Systematik notwendig, die sich in der Rechtswissenschaft für die Einschaltung Privater herausgebildet hat. 1. Der Begriff des "Privaten"
Die Figur des "Privaten" erhält in der Privatisierungsdiskussion ihre eigentliche Kontur aus der Abgrenzung zum Staat. Wenn es bei der Privatisierung um die Übertragung bisher von der öffentlichen Hand wahrgenommener Aufgaben in den privaten Bereich geht 307, muß sich dieser Bereich gerade vorn staatlichen Bereich unterscheiden. Eine Privatisierung ist nur dort denkbar, wo Staat und Gesellschaft nicht koinzidieren, sondern unterscheidbar vorhanden sind. 3OI Damit ist Privater im vorliegenden Zusammenhang jede natürliche Person, die nicht als Beamter oder sonstiger professioneller Funktionär des Staates tätig wird, sowie jede juristische Person, die nicht in die Staatsorganisation eingebunden ist. 309 Positiv ist damit der dem Staat gegenüberstehende, grundrechtsgeschützte Bürger außerhalb des institutionalisierten Verwaltungsapparates gemeint. 31o Bei den Überwachungsgemeinschaften handelt es sich um "Private" in diesem Sinne. Dies ergibt sich zum einen schon aus der Rechtsform des privatrechtlichen Vereins. 311 Von Bedeutung ist jedoch auch, daß der
So Knemeyer, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, WuV 1978, S. 65, 67. Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 144. 309 Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165, 174; ähnlich Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 144; Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 59 f.; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 20; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 21 f.; Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und Interessenvertreter, 1964, S. 24 f.; Dagtoglou, Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, DÖV 1970, S. 532, 534; vgl. auch Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 201 ff. 3lO Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 144; Grabbe, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, 1979, S. 42. 311 Vgl. dazu Steiner, Verwaltung durch Private, S. 201 f. 307
301
198
§ 8 Aspekt der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben
Verein durch Unternehmen gebildet wird, die für sich grundrechtsgeschützte natürliche oder juristische Personen sind. 2. Der Begriff der" Verwaltungsaufgabe"
Verwaltungsaufgaben werden gemeinhin als ein Unterfall der staatlichen Aufgaben angesehen. Es handelt sich um die Staatsaufgaben, die der Exekutive zugewiesen sind. 312 Indem auf die staatlichen Aufgaben Bezug genommen wird, bedarf es der Klärung, was unter solchen Aufgaben zu verstehen ist. Dazu muß ein kurzer Blick auf das kontrovers diskutierte Begriffspaar der "staatlichen" und "öffentlichen" Aufgaben geworfen werden. Überwiegend werden unter öffentlichen Aufgaben solche Aufgaben verstanden, an deren Erfüllung die Öffentlichkeit maßgeblich interessiert ist. 313 Öffentliche Aufgaben müssen jedoch keineswegs durch den Staat selbst wahrgenommen werden. Sie sind dem Staat nicht schon wesenhaft vorbehaltenm, womit auch eine Wahrnehmung durch Private zulässig ist. m Wenn der Staat jedoch eine solche Aufgabe nach der jeweils geltenden Verfassungsordnung zulässigerweise für sich in Anspruch nimmt, dann wird die öffentliche Aufgabe zur staatlichen Aufgabe. 316 Dazu kann 312 Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962; ähnlich Dagtoglou, Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, DÖV 1970, S. 532, 534; Gal/was, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch unentgeltliche Dienstleistung Privater, BayVBI. 1971, S. 245; Hengstschiliger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165, 173; wohl auch Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 144; Steiner, Verwaltung durch Private, S. 50; Jani, Die partielle verwaltungsrechtliche Inpflichtnahme Privater zu Handlungsund Leistungspflichten, 1992, S. 58. 313 Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, in: FS für Nipperdey, Bd. 11, 1965, S. 877, 878; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. III, § 57 Rn. 136 m.w.N.; Jani, Inpflichtnahme Privater, S. 56; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 14; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 7 m.w.N. 314 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. III, § 57 Rn. 136. m Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, S. 878. 316 Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 153 m.w.N.; Tiemann, Privatisierung öffentlicher Verwaltungstätigkeit, BayVBI. 1976, S. 261, 263; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem
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der Staat die Aufgabe unmittelbar selbst übernehmen oder sie mittelbar durch eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts bzw. einen ausdrücklich mit der Übernahme beliehenen Unternehmer erfüllen lassen. 3J7 Das Faktum der Wahrnehmung genügt aber nicht, um eine Staatsaufgabe zu begründen. Voraussetzung ist, daß sich der Staat mit der Aufgabe in Form des Rechts befaßt und daß die verfassungsrechtlichen Grenzen eingehalten werden. 3IB Damit ist die Abgrenzung von öffentlicher und staatlicher Aufgabe im Einzelfall nach der gesetzlichen Regelung vorzunehmen. 319 Die öffentlichen Aufgaben stellen also nach herrschender Auffassung einen Oberbegriff dar und die staatlichen eine der vorkommenden Unterarten derselben. 320 Die so verstandene Trennung der Begriffe ist jedoch nicht unbestritten. Teilweise wird eine Gleichsetzung der Begriffe gefordert. 321 Als Begründung dafür wird angeführt, daß die Begriffstrennung auf einer Separation von Staat und Gesellschaft aufbaue, die jedoch aufgrund einer weitgehenden Durchdringung und Annährung von Staat und Gesellschaft nicht mehr aufrechterhalten werden könne. 322 Auch in der
Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 50; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. 111, § 57 Rn. 137; Jani, Inpflichtnahme Privater, S. 57; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 15; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 7 m.w.N.; vgl. auch Steiner, Verwaltung durch Private, S. 52 f. 317 Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, S. 880. llB Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. III, § 57 Rn. 137. l19 Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, S. 895; Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 157; Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 105; Götz, in: Götz/Lukes, Zur Rechtsstruktur der Technischen Überwachungs-Vereine, 2. Aufl. 1980, S. 23 f. 120 Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, S. 879; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdBStR, Bd. III, § 57 Rn. 137. 321 Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 35 f; Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 47 f m.w.N.; ausdrücklich dagegen von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 15. 322 Vgl. Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 35; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 9 ff
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§ 8 Aspekt der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben
Rechtsprechung des BVerfG wird die Trennung der Begriffe nicht immer deutlich klargestellt. m Ob tatsächlich eine Gleichsetzung der Begriffe oder etwa eine Umbenennung des Begriffs der "öffentlichen" Aufgaben in "gemeinwohlbezogene" oder "gemeinnützige" Aufgaben angezeigt istl14, kann hier dahingestellt bleiben, da jedenfalls der Terminus "staatliche Aufgaben" als Grundlage des hier zu klärenden Begriffes der Verwaltungsaufgaben hinreichend konkret bestimmt werden kann. Der Staat ist im Gegensatz zur Gesellschaft unproblematisch ein eigenes Zurechnungsobjekt von Rechten und Pflichten. m Die Überwachung im Bereich umweltrechtlicher Normen ist, wie bereits mehrfach dargelegt, den staatlichen Aufsichtsbehörde auf gesetzlicher Grundlage zugewiesen. Damit handelt es sich bislang jedenfalls um eine Verwaltungsaufgabe. 3. Systematik der Privatisierungsformen
Die Privatisierungsmöglichkeiten sind so vielschichtig, daß der Versuch, einen einheitlichen und dabei griffigen Privatisierungsbegriff zu entwickeln, scheitern muß.326 Sinnvoller ist die Erfassung des Privatisierungsphänomens mit Hilfe der Bildung verschiedener Privatisierungstypenm, wie dies auch in der einschlägigen Literatur gängig ist. Bei deren nachfolgenden Darstellung wird eine Einordnung der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften vorgenommen.
m Vgl. dazu von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 15 f.; Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 50; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 34 jeweils mit Rechtsprechungsbeispielen. 324 So Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 50. m Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 48 m.w.N. 326 Vgl. Schach, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962; H. Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243, 250 f.; ein Beispiel für eine umständliche Definition, die alle Privatisierungsaspekte umfassen will, bietet von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 40. 327 Zur Typenbildung allgemein vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auf!. 1991, S. 461 ff.
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Vermögens- und Organisationsprivatisierung
Der Typus der Vermögensprivatisierung zeichnet sich dadurch aus, daß staatliches oder kommunales Eigentum im privatrechtlichem Sinne auf Private übertragen wird. 3l1 Betroffen von dieser Privatisierung sind nicht nur Liegenschaften, sondern in jüngster Zeit vor allem auch Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen. 329 Bei der Organisationsprivatisierung (= formelle Privatisierung) verbleibt die zu erfüllende Aufgabe in der Alleinzuständigkeit eines Trägers öffentlicher Verwaltung, wird jedoch in privatrechtlichen Rechtsformen wahrgenommen, wobei Staat bzw. Kommunen die Anteile an den betreffenden Unternehmen in eigener Hand behalten. 33o Der Staat behält die Tätigkeit als solche, privatisiert wird led'iglich die Organisation. J31 Als Beispiele stehen neben der Privatisierung kommunaler Sportstätten, Volkshochschulen, Pflegeheimen und Behindertenwerkstätten etwa auch die Überführung kommunaler Krankenhäuser von Regie- oder Eigenbetrieben in Gesellschaften mit beschränkter Haftung. m . Die beiden vorstehenden Privatisierungstypen spielen für die Thematik der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private keine Rolle. Bei der Organisationsprivatisierung verbleibt die Aufgabe beim Staat, es m Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 744. 329 Vgl. die Angaben bei Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962, 964. 330 Vgl. Krö//s, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, GewArch 1995, S. 129, 130; Hengstschläger, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165, 170; Bu//, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 45; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 881 f.; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 41 f.; Diubler, Privatisierung als Rechtsproblem, S. 27 f.; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 46 m.w.N.; Wo/ffIBachoJlStober, VerwR 11, § 84 Rn. 8 m.w.N. 331 Wahl, Die Einschaltung privatrechtlich organisierter Verwaltungseinheiten in den Straßenbau, DVBI. 1993, S. 517, 519. Für H. Meyer geht es in diesem Zusammenhang gar nicht um eine Privatisierung, sondern um eine "Verprivatrechtlichung öffentlichen Handeins", vgl. H. Meyer, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 54 (1995), S. 349. m Krö//s, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, GewArch 1995, S. 129, 130.
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§ 8 Aspekt der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben
ändert sich lediglich die Rechtsform. Bei der Vermögensprivatisierung steht eine Erfüllung von Verwaltungsaufgaben erst gar nicht in Rede.
b) Aujgabenprivatisierung Zu einer echten Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private kann es erst durch eine Aujgabenprivatisierung kommen, die eine Einschaltung Privater in die Aufgabenerfüllung zum Ziel hat. Diese Aussage geht bereits von einer Verknüpfbarkeit der Themenbereiche "Privatisierung" und "Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private" aus. Eine solche Verknüpfung bereitet jedoch Schwierigkeiten, da die Frage nach der Privatisierung eine dynamische Analyse und die nach der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private eine statische Betrachtung bedingt. Bei der Privatisierung handelt es sich um einen Prozeß33J, der nur in seiner Entwicklung von einer Ausgangsbasis zu einem Ziel bewertet werden kann, während die Frage, inwieweit Verwaltungsaufgaben durch Private erfüllt werden, rein statisch zu beantworten ist. Jene Unterschiede mögen dazu beigetragen haben, daß die Themenbereiche bislang entweder gar nicht ll4 oder nur teilweisem verknüpft wurden. Gleichwohl erscheint eine Verknüpfung zum besseren Verständnis des Themenbereiches der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben sinnvoll. Deshalb werden nachfolgend die nach der einschlägigen Literatur gängigen Formen der Beteiligung Privaterll6 den weiteren Privatisierungstypen
33J So auch H. Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243, 254. ll4 Vgl. etwa die getrennte Darstellung bei von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 22 ff. und 43 ff.; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 741 f. und Rn. 743 f.; Krölls, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, GewArch 1995, S. 129, 130 ff. m Vgl. für den Verwaltungshelfer Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962, 963; Wahl, Die Einschaltung privatrechtlich organisierter Verwaltungseinheiten in den Straßenbau, DVBI. 1993, S. 517, 519; für die Beleihung von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 70; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 923; Wieland, Privatisierung statt Selbstverwaltung ?, Der Landkreis 1994, S. 259, 260. 116 Vgl. Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 145 ff.; Steiner, Verwaltung durch Private, S. 106 ff.; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 41 ff.; von Heimburg, Verwaltungs-
I. Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private
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zugeordnet. Für die dynamische Analyse der Privatisierung wird dabei die Erfüllung der Aufgaben durch die staatlichen Behörden als Ausgangspunkt und die Beteiligungsform der Privaten als Ziel gewählt. (1) Materielle Aufgabenprivatisierung
Der Privatisierungstypus der materiellen (Aufgaben- )Privatisierung zeichnet sich dadurch aus, daß die zu erfüllende Aufgabe von der öffentlichen Verwaltung aufgegeben wird und sich der Bereich der öffentlichen Verwaltung insoweit reduziert. JJ7 Mit der völligen Herausnahme der Verwaltungs angelegenheiten aus dem Organisations- und Verantwortungsbereich der öffentlichen Hand kann die Verwaltung keinen oder nur noch sehr beschränkten Einfluß auf die Ausführung nehmen. 3J8 Jedenfalls hat der Staat keine eigene Kompetenz mehr, die Aufgabe wahrzunehmen. Nicht nur die Aufgabenerledigung, sondern auch die Aufga-. benverantwortungJ39 wird vollständig in den privaten Bereich übertragen.)4..
aufgaben und Private, S. 30 ff.; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 22 ff.; Jani, Inpflichtnahme Privater, S. 58 ff.; LübbeWolfflSteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 265; WolfflBachoflStober, VerwR 11, § 104 Rn. 4 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 56 ff. und 60 ff. J37 Wahl, Die Einschaltung privatrechtlich organisierter Verwaltungseinheiten in den Straßenbau, DVBI. 1993, S. 517, 519; Hofmann, Privatisierung kommunaler Verwaltungsaufgaben, VBIBW 1994, S. 121, 122; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962 f.; WolfflBachoflStober, VerwR 11, § 84 Rn. 8; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 744; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 882,923. m Bul/, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 45; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 923; Wahl, Die Einschaltung privatrechtlich organisierter Verwaltungseinheiten in den Straßenbau, DVBI. 1993, S. 517,519. J39 V gl. zur Aufgabenverantwortung H. Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243, 268 ff. 34" Erbguth, Die Zulässigkeit der funktionalen Privatisierung im Genehmigungsrecht, UPR 1995, S. 369, 370; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 53 m.w.N., jedoch unter der falschen Bezeichnung der "funktionalen Privatisierung", vgl. dazu Angaben in Fn. 341.
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Mit der Einschaltung von umweltrechtlichen Überwachungsgemeinschaften begibt sich der Staat nicht seiner Überwachungskompetenzen. Vielmehr behält er die Aufgabenverantwortung für die umweltrechtliche Überwachung und ist zur jederzeitigen Durchführung von Überwachungsmaßnahmen befugt. Daher würde bei der Nutzung der Überwachungsgemeinschaften kein Fall einer materiellen Aufgabenprivatisierung vorliegen. (2) Funktionale Aufgabenprivatisierung Bei der funktionalen Aufgabenprivatisierung verbleibt die Aufgabenverantwortung beim Staat. Nur die Aufgabenerledigung wird in den privaten Bereich verlagert. 341 Da sich der Staat, wie gezeigt wurde, seiner Verantwortung für die Einhaltung umweltrechtlicher Normen aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht vollständig entledigen kann 341, kommt im Bereich der Überwachung im Umweltrecht nur eine funktionale Aufgabenprivatisierung in Betracht. Für die Verlagerung der Aufgabenerledigung stehen dem Staat verschiedene Wege zur Verfügung. Bei der Beleihung wird der Private mit der hoheitlichen, selbständigen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen betraut. 343 Charakteristikum ist also die selbständige und hoheitliche Tä341
Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962,
963; Krölls, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, GewArch 1995, S. 129, 131 f.; H. Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54
(1995), S. 243, 252; Erbguth, Die Zulässigkeit der funktionalen Privatisierung im Genehmigungsrecht, UPR 1995, S. 369; Hoffmann-Riem, in: HoffmannRiemlSchneider, Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 12 f.; vgl. auch Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 43 m.w.N.; Knemeyer, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, WuV 1978, S. 65, 67; begrifflich anders von Hageme;ster, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 52 f., der in diesem Zusammenhang von organisatorischer Privatisierung spricht (S. 52) und mit der funktionalen Privatisierung inhaltlich die materielle Aufgabenprivatisierung meint (S. 53). 341 V gl. auch Reinhardt, Überwachung durch Private, AöR 118 (1993), S. 617, 652. . 343 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 56; Rengeling, Erfüllung staatlicher Aufgaben durch Private, 1986, S. 26; WolfflBachoflStober, VerwR 11, § 104 Rn. 2; RoßnagellBizer, Altlastenerhebung und Datenschutz in BadenWürttemberg, VBIBW 1992, S. 361, 366; Krebs, in: IsenseelKirchhof, HdBStR, Bd. III, § 69 Rn. 39.
I. Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private
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tigkeit des Privaten. Die Beleihung muß durch oder aufgrund eines Gesetzes geschehen. 3"" Der Beliehene ist Subjekt der öffentlichen Verwaltung und untersteht damit der Staatsaufsicht. m Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß der Beliehene kein Privater mehr ist und damit auch insgesamt keine Privatisierung vorliegen könne. Der Staat gliedert den Beliehenen nur deshalb der staatlichen Organisation an 346, um seiner Aufgabenverantwortung durch eine ausreichende Einflußnahme auf die Arbeit des Beliehenen nachkommen zu können. An der Situation, daß ein Privater in die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben eingeschaltet wird und damit die Gefahr einhergeht, daß Staatshandeln durch private Motivation geleitet wird 34', ändert sich dadurch nichts. 341 Daher ist auch in der Beleihung eine Art von Privatisierung zu sehen. Da die Aufgabenverantwortung jedoch (zumindest auch 349) beim Staat verbleibt, liegt ein Fall der funktionalen Aufgabenprivatisierung und keine materielle Aufgabenprivatisierung vor. 350 Streit besteht darüber, was genau der Gegenstand der Beleihung sei, was also auf den Privaten übertragen werden müsse, damit eine Belei-
344 Wolff/BachofiStober, VerwR 11, § 104 Rn. 6; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 875; Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 173; Rengeling, Erfüllung staatlicher Aufgaben durch Private, S. 27 f.; Lübbe-WoIffISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 265; OVG Münster, NJW 1980, S. 1406, 1407. m Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 875 f.; Rengeling, Erfüllung staatlicher Aufgaben durch Private, S. 30; WolfflBachofiStober, VerwR 11, § 104 Rn. 2, 7; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 58; Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 45; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 741. 346 So begrifflich WolfflBachofiStober, VerwR 11, § 104 Rn. 3. 34' Vgl. Steiner, Verwaltung durch Private, S. 263 ff.; Steiner, Technische Kontrolle im privaten Bereich, DVBI. 1987, S. 1133, 1139; siehe auch Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 259 ff. 341 V gl. Bansch, Die Beleihung als verfassungsrechtliches Problem, 1973, S. 41 f., 114. 349 Aufgrund der selbständigen und hoheitlichen Tätigkeit des Beliehenen wird man diesem auch eine Aufgabenverantwortung zurechnen müssen. Davon bleibt jedoch die Aufgabenverantwortung des Staates, die sich vor allem an den umfassenden Aufsichtsrechten manifestiert, unberührt. 350 Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 923.
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hung vorliegt. Jedenfalls muß es sich dabei um etwas handeln, was dem Privaten bis zur Beleihung vorenthalten war. lSI Nach der sog. Aufgabentheorie m ist dieser Beleihungsgegenstand die staatliche Aufgabe, die zur selbständigen Erledigung übertragen wird. l5l Eine Beleihung läge danach vor, wenn der Staat solche Aufgaben durch Private erledigen läßt. m Für die sog. Rechtsstellungs- oder Befugnistheorie stellen die hoheitlichen Befugnisse, die dem Privaten übertragen werden, den Beleihungsgegenstand dar. l55 Im Falle des Einsatzes umweltrechtlicher Überwachungsgemeinschaften würde nach beiden Ansichten keine Beleihung vorliegen. Den Überwachungsgemeinschaften werden im Rahmen ihrer Arbeit keine hoheitlichen Kompetenzen eingeräumt. Die Kompetenzen der Gemeinschaften regeln sich nach der Vereins satzung und sind damit ausschließlich privatrechtlicher Natur. Ebenfalls wird der Überwachungsgemeinschaft rechtlich keine Aufgabe zur selbständigen Erledigung übertragen. Die
von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 58. m Zu den verschiedenen, in diesem Bereich vertretenen Auffassungen vgl. die Darstellungen bei von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 31 ff.; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 38 ff.; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 58 ff. m Vertreten von Mennacher, Begriffsmerkmale und Rechtsstellung der mit öffentlicher Gewalt beliehenen Hoheitsträger des Privatrechts (Beliehene Private), 1963, S. 136; Lübbe-Wo/fpSteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 265; wohl auch Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 741; modifizierend Steiner, Verwaltung durch Private, S. 46 ff. m.w.N., der seine Position jedoch inzwischen im Anschluß an BVerwG, NJW 1981, S. 2482 f. offenbar aufgegeben hat, vgl. Steiner, Staatliche Gefahrenvorsorge und Technische Überwachung, 1984, S. 17. l54 Steiner, Verwaltung durch Private, S. 46. m So die herrschende Meinung vertreten von K. Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959, S. 81; Stober, Handbuch des Wirtschafts verwaltungs- und Umweltrechts, S. 869 f., 871; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner Teil, S. 417; Schweickhardt, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 83; Erichsen, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 12 Rn. 14; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 38; Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 53 f.; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 36; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 40 f.; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 59 f.; Krölls, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, GewArch 1995, S. 129, 132. l51
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staatlichen Aufsichtsbehörden behalten ihre Überwachungsaufgabe, schränken die eigene Erledigung dieser Aufgabe nur aufgrund der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften ermessensfehlerfrei ein. Nach allem liegt also beim Einsatz von Überwachungsgemeinschaften keine Beleihung vor. Die Verwaltungshilfe unterscheidet sich von der Beleihung dadurch, daß die Erledigung der Aufgabe nicht selbständig erfolgt. 356 Der Verwaltungshelfer unterstützt die Durchführung bestimmter Verwaltungsaufgaben durch Hilfstätigkeiten im Auftrag und nach Weisung der Behörde. m Er wird lediglich als Werkzeug eingeschaltet351, womit sein Handeln ohne weiteres der Behörde zuzuordnen ist, für die er tätig wird. H9 Auch eine Verwaltungshelferschaft liegt bei der Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften nicht vor. Zum einen handeln die Überwachungsgemeinschaften selbständig und nicht nach Weisung der staatlichen Aufsichtsbehörden. Zum anderen stellt die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften keine Hilfstätigkeit im Rahmen der Äufgabenerfüllung durch den Staat selbst dar. Eine Verwaltungshelferschaft läge dann vor, wenn der Staat in seine Aufgabenerledigung private Erfüllungsgehilfen einschalten würde. Ein solcher Fall ist z.B. die Heranziehung von privaten Sachverständigen im Rahmen staatlicher Überwachungsmaßnahmen. 360 Dagegen ist die Überwachung durch die Überwachungsgemeinschaften von den staatlichen Überwachungsmaßnahmen rechtlich getrennt. Damit kann die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften auch 356 Zu Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Verwaltungshelfer und Beliehenem vgl. Steiner, Verwaltung durch Private, S. 240 ff. m Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 60; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 878; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 130; Schweickhardt, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 87; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 742; Jani, Inpflichtnahme Privater, S. 59; BüllesbachlRieß, Outsourcing in der öffentlichen Verwaltung, NVwZ 1995, S. 444, 445. m WolfflBachofrStober, VerwR 11, § 104 Rn. 5, dort auch zahlreiche Beispiele m.w.N. 359 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 60; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Allgemeiner Teil, S. 419. 360 Vgl. dazu Lübbe-WoIffISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 265 mit Beispielen.
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keine Hilfstätigkeit im Rahmen der staatlichen Überwachungsmaßnahmen sein. Eine weitere Fallgruppe innerhalb der funktionalen Aufgabenprivatisierung stellt die sog. Inpflichtnahme oder Indienstnahme Privater dar. Hier wälzt der Staat Verwaltungsaufgaben auf Private ab, indem er ihnen bestimmte Handlungs- oder Leistungspflichten als eigene "Bürgerpflichten" auferlegt. 361 Die Funktion des Staates verlagert sich in den Bereich der Kontrolle bzw. Durchsetzung dieser Pflichten. J62 Als Beispiele seien nur die Straßen- und Wegereinigungspflichten 363 und als besonderer Fall die Pflicht zur Stellung von Umweltschutzbeauftragten 364 genannt. J65 Die Inpflichtnahme geschieht in der Regel auf gesetzlicher Grundlage, ist jedoch auch durch vertragliche Verpflichtung möglich. 366 Dem Inpflichtgenommenen stehen zur Erfüllung seiner Pflichten nur privatrechtliche Mittel und keine hoheitlichen Befugnisse zur Verfügung. 367 Damit nimmt 361 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 62; Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 149; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 915 f.; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 45; von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 38; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 24; umfassend zur Inpflichtnahme Steiner, Verwaltung durch Private, S. 184 ff. und Jani, Die partielle verwaltungsrechtliche Inpflichtnahme Privater zu Handlungs- und Leistungspflichten, 1992. 362 Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, 1995, S. 102. Jj;3 Vgl. etwa § 47 StrG BW, Art. 51 IV BayStrWG; § 15 BlnStrG; §§ 28, 29 HambWegeG. 364 So auch Schweickhardt, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 87; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 63; Röger, Umweltinformationsgesetz, § 2 Rn. 12. Gesetzliche Regelungen zu Umweltschutzbeauftragten finden sich z.B. in §§ 53 ff. BImSchG (Immissionsschutzbeauftragter), lla ff. AbfG / 54 f. KrW-/AbfG (Abfallbeauftragter) und 21a ff. WHG (Gewässerschutzbeauftragter). 365 Eine umfassende Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen der Inpflichtnahme bietet Jani, Inpflichtnahme Privater, S. 27 ff.; einen Überblick gibt Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 917. 366 Vgl. F. Kirchhof, Private Breitbandkabelanlagen und Postmonopol, DVBI. 1984, S. 657, 659; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, S. 916; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 64. 367 Von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 39 f.; Wolff/BachoJlStober, VerwR 11, § 104 Rn. 5; Schweickhardt, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 87; Jani, Inpflichtnahme Privater, S. 59, 60.
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der Inpflichtgenommene die ihm auferlegte Aufgabe selbständig, aber nicht hoheitlich wahr. Letzteres gilt auch für die Überwachungsgemeinschaften. Gleichwohl liegt bei diesen keine Inpflichtnahme vor. Die Durchführung der Überwachungsaufgaben geschieht auf freiwilliger Basis. Die Überwachungsgemeinschaften werden zumindest nicht auf gesetzlicher Grundlage zur Durchführung ihrer Aufgaben verpflichtet. 368 Selbst wenn eine vertragliche Bindung der Überwachungsgemeinschaft vorläge, würde der Staat jedenfalls seine Möglichkeiten zur Aufgabenerfüllung behalten und diese nicht vollständig auf die Überwachungsgemeinschaft "abwälzen". Mit den in der Literatur hauptsächlich diskutierten Beteiligungsformen der Beleihung, Verwaltungshelferschaft und Inpflichtnahme ist somit die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften nicht zu erfassen. Eine Einordnung scheitert daran, daß die Gemeinschaften keine direkte Beteiligung an der staatlichen Aufgabenerfüllung aufweisen. Weder wird diese Aufgabenerfüllung vollständig übernommen (Beleihung, Inpflichtnahme) noch dabei geholfen (Verwaltungshelferschaft). Die staatliche Aufgabenerfüllung verbleibt vielmehr vollständig in staatlicher Hand. Die Überwachungsgemeinschaft agiert vorgelagert im privaten Bereich. Diese Konstruktion zeigt Parallelen zu einer weniger beachteten vierten Fallgruppe, dem sog. staatsentlastenden Privathandein unter staatlicher Aufsicht. 369 Dort verzichtet der Staat auf die Wahnehmung seiner Kompetenzen, soweit öffentliche Aufgaben von Privaten zufriedenstelIend wahrgenommen werden. 370 Die Aufgabenerledigung geschieht vorgelagert vor dem staatlichen Bereich und soll hoheitliche Funktionen erübrigen. 371 Wo die ordnungsgemäße Erfüllung öffentlicher Aufgaben,
368 Auf solche Fälle der zwangsweisen Verpflichtung beschränkt die Inpflichtnahme Erbguth, Die Zulässigkeit der funktionalen Privatisierung im Genehmigungsrecht, UPR 1995, S. 369, 370. 369 Steiner, Verwaltung durch Private, S. 106 f. bezeichnet diese Fallgruppe als "staats-aussparendes" Handeln Privater. 370 Von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 42 f.; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 25; vgl. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 65; DrewslWaekelVogellMartens, Gefahrenabwehr, S. 61. 371 Hersehel, Staatsentlastende Tätigkeit im Arbeitsschutz, in: FS für Nipperdey, Bd. 11, 1965, S. 221, 223.
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bei denen dem Staat - etwa aufgrund von Schutzpflichten - eine Aufgabenverantwortung zukommt, durch Privatinitiative gesichert und gewährleistet ist, kann sich der Staat auf eine Beobachterrolle mit Korrekturfunktion zurückziehen. 372 Es findet lediglich ein staatlicher Kompetenzverzicht, aber keine Kompetenzübertragung statt. l7l Als Beispiele für diese Beteiligungsform werden etwa die Tätigkeiten bestimmter freier Berufe 374 angeführt. m Mit der Konstruktion des staatsentlastenden PrivathandeIns läßt sich auch die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften erfassen. Die Überwachungsgemeinschaften sollen die notwendige Überwachung im Vorfeld des staatlichen Tätigwerdens leisten und dadurch eine kontinuierliche staatliche Überwachung insgesamt entbehrlich machen. Der Staat kann entsprechend auf die Ausübung seiner eigenen Überwachungskompetenzen verzichten, ohne daß dabei jedoch seine Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Überwachungsaufgabe berührt würde. Dabei ist auch, wie gezeigt wurde 37\ eine ausreichende Aufsicht über die Tätigkeit der Überwachungsgemeinschaften notwendig, wenn sich der Staat ermessensfehlerfrei auf die Tätigkeit der Überwachungsgemein-
372 Vgl. Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 149; Tiemann, Privatisierung öffentlicher Verwaltungstätigkeit, BayVBI. 1976, S. 261, 263; vgl. auch Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, S. 878. 373 Von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 43. Von Heimburg spricht in diesem Zusammenhang auch von einer "Verwaltungssubstitution" (S. 139 ff.). Vgl. dazu auch Klowait, Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 101, 116 f. 374 Z.B. Ärzte, Rechtsanwälte oder Patentanwälte, vgl. von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 45 ff. 375 Vgl. weitere Beispiele bei Hersehel, Rechtsfragen der Technischen Überwachung, 2. Aufl. 1980, S. 22 ff.; vgl. auch von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 25 ff., wobei sich jedoch viele der dort aufgeführten Beispiele nur auf die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben allgemein beziehen, ohne daß eine Beschränkung auf solche Aufgaben vorgenommen wird, für die der Staat eine Aufgabenverantwortung besitzt. Ohne eine solche Aufgabenverantwortung wäre jedoch die notwendige Beobachterrolle mit Korrekturfunktion nicht erklärbar. 376 Vgl. die Ausführungen auf S. 177 ff. und S. 194 f.
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schaften verlassen will. J77 Mit dieser Aufsicht kann gegebenenfalls korrigierend eingegriffen werden, wenn eine unzureichende Aufgabenerfüllung zu befürchten ist. Damit werden die konstruktiven Merkmale des staatsentlastenden Privathandeins insoweit erfüllt. Beim staatsentlastenden Privathandein, wie es bislang von der Literatur diskutiert wurde, hält sich der Staat jedoch keine eigenen Fazilitäten zur Aufgabenerledigung vor. Beim Einsatz von Oberwachungsgemeinschaften behält der Staat dagegen seine eigenen Möglichkeiten zur Aufgabenerfüllung, nutzt diese jedoch nicht, sondern beschränkt sich auf die Aufsicht über die Oberwachungsgemeinschaft. Ob der Staat sich keine eigenen Handlungsmöglichkeiten vorhält oder vorhandene nicht nutzt, ist aber letztlich gleich zu beurteilen. Daher kann auch die Arbeit der Überwachungsgemeinschaften als staatsentlastendes Privathandein unter staatlicher Aufsicht bezeichnet werden. Das staatsentlastende Privathandein zeichnet sich insgesamt dadurch aus, daß der Private nicht rechtlich in die Erledigung der Verwaltungsaufgabe eingeschaltet wird. Sein Verhalten führt nur dazu, daß der Staat auf die eigene Aufgabenerledigung verzichtet, weil er sich auf die vorgelagerte Aufgabenerfüllung im privaten Sektor verläßt. Das Ergebnis ist letztlich, daß eine eigentlich vom Staat selbst zu erfüllende Aufgabe faktisch durch Private erfüllt wird. l7I Nur der Private wird zur Aufgabenerledigung tätig. Damit liegt eine Privatisierung faktischer Art vor. 379 Entsprechend kann bei dieser Fallgruppe von einer faktisch-funktionalen Aufgabenprivatisierung gesprochen werden, während bei den drei zuvor dargestellten Beteiligungsformen (Beleihung, Verwaltungshelferschaft, Inpflichtnahme) von einer normativ-funktionalen Aufgabenprivatisierung die Rede sein sollte.
J77 Vgl. für andere Fälle der Übernahme von Aufgaben der Gefahrenabwehr durch Private auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 61. 37B Vgl. auch Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schneider, Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht" S. 15; Steiner, Verwaltung durch Private, S. 106. 379 Von einer "schleichenden Privatisierung" spricht in diesem Zusammenhang Knemeyer, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, WuV 1978, S. 65.
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11. Vorgaben staatsorganisatorischer Art Mit der Feststellung, daß mit dem Einsatz umweltrechtlicher Überwachungsgemeinschaften eine funktionale Aufgabenprivatisierung faktischer Art verbunden ist, wird die Frage aufgeworfen, inwieweit die allgemein im Zusammenhang mit der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben diskutierten verfassungsrechtlichen Grenzen auch der Tätigkeit von Überwachungsgemeinschaften Schranken setzen könnten. Dabei werden zunächst mögliche verfassungsrechtliche Grenzen aus staatsorganisatorischen Gesichtspunkten in den Blick genommen. 1. Überwachung als notwendige Staatsaufgabe
Eine verfassungsrechtliche Grenze könnte sich dann ergeben, wenn es gewisse Staatsaufgaben gäbe, die einer Privatisierung generell nicht zugeführt werden dürften, also immer und unter allen Umständen durch den Staat selbst wahrgenommen werden müßten 31O, und die kontinuierliche Überwachung in diesen Aufgabenkreis einzuordnen wäre. Das grundsätzliche Bestehen eines nicht privatisierungs fähigen Aufgabenkreises wird von einem erheblichen Teil der Literatur anerkannt, wobei die Bezeichnungen für diesen Aufgabenbestand sehr variieren. 3Il Zu den notwendigen Staatsaufgaben werden gemeinhin etwa die Landesverteidigung, die Herstellung der inneren Sicherheit, die Rechtspflege und Gerichtsbarkeit, die Währungs hoheit sowie die Gesetzgebung gezählt. 312 Dabei ist für den hier zu untersuchenden Zusammenhang von
Vgl. Dtiubler, Privatisierung als Rechtsproblem, S. 63. Neben dem hier gewählten Begriff der "notwendigen" Staatsaufgaben finden sich auch Bezeichnungen wie "originäre", "wesentliche", "ihrem Wesen nach", "kraft ihrer Natur", "kraft der geltenden Staatsidee", "zwingende", "unbedingte", "geborene", "echte", "genuine", "unveräußerliche" oder "exklusive" Aufgaben des Staates, vgl. dazu Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 99 f. und von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 102 jeweils mit Nachweisen sowie für die beiden letzteren Bezeichnungen Reinhardt, Überwachung durch Private, AöR 118 (1993), S. 617, 651 und Di Fabio, Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch 81 (1990), S. 193,222. 312 Eine Zusammenstellung mit weiteren Nachweisen findet sich bei Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 50; vgl. aber auch 310
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besonderem Interesse, daß mit der Aufgabe "Herstellung der inneren Sicherheit" auch die Gefahrenabwehr, zu der die kontinuierliche Überwachung in der Regel gerechnet werden kann, häufig als notwendige Staatsaufgabe angesehen wird. 3B3 Die Existenz von notwendigen Staatsaufgaben wird aber auch von weiten Teilen der Literatur abgelehnt. 3u So wird argumentiert, es ergäbe sich aus dem Staatsaufgabenbegriff"5 notwendigerweise, daß der Kreis der staatlichen Aufgaben offen, d.h. inhaltlich nicht bestimm- und abgrenzbar sei. 3116 Aufgrund dieser Wandelbarkeit könne es auch keinen festen Bestand notwendiger Staatsaufgaben geben. J17 Vielmehr gehöre es gerade zur Souveränität des Staates, daß er selbst die Entscheidung dar-
Hengstschläger, Privatisierung von VerwaItungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 165, 174; Hofmann, Privatisierung kommunaler Verwaltungsaufgaben, VBIBW 1994, S. 121, 122; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962, 963; Kröl/s, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, GewArch 1995, S. 129, 135; Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 93; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 102 m.w.N.; Scheuner, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 29 (1971), S. 249. Teilweise wird sehr pauschal auf die "Hoheitsaufgaben" abgestellt, ohne diesen Begriff inhaltlich näher zu skizzieren, vgl. Rüfner, in: Isensee/Kirchhoj, HdBStR, Bd. III, § 80 Rn. 49; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 215. m Vgl. Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen ?, 1963, S. 19; Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 141 ff. m.w.N. 31104 Vgl. etwa Däubler, Privatisierung als Rechtsproblem, S. 64; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 104; Di Fabio, Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch 81 (1990), S. 193,222 f.; Grabbe, Grenzen der Privatisierung,. S. 37; Lecheier, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, BayVBI. 1994, S. 555, 557 f.; K. Vogel, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 29 (1971), S. 255. m Vgl. dazu oben S. 198. 386 Ossenbühl, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 153; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBI. 1994, S. 962; Frenz, Das duale System zwischen öffentlichem und privatem Recht, GewArch 1994, S. 145, 148; Jani, Inpflichtnahme Privater, S. 57; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 36; Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 403; vgl. auch Hofmann, Privatisierung kommunaler Verwaltungsaufgaben, VBIBW 1994, S. 121, 122. m Vgl. Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 37; Lecheier, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben., BayVBI. 1994, S. 555, 557 f.; Däubler, Privatisierung als Rechtsproblem, S. 64; Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 52.
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über trifft, was er als Staatsaufgabe ansehen will und was nicht. JII Zwar wird zugestanden, daß es einen Kernbereich von Aufgaben gibt, der in den bürgerlich-demokratischen Staaten immer von der öffentlichen Hand wahrgenommen wird. Jl9 So existiert z.B. überall ein staatliches Monopol zur Anwendung legitimer physischer Gewalt. Gleichwohl könne aus der tatsächlichen Wahrnehmung dieser Aufgaben durch den Staat nicht auf die rechtliche Notwendigkeit geschlossen werden. Häufig seien es nämlich aktuelle wirtschaftliche und soziale Geschehnisse, die zu einer normativen Festlegung geführt haben (wenn man will: aus der "Lage" des konkreten Staates heraus).J9O Zudem sei dieser tatsächlich wahrgenommene "Kernbereich" auch in sich flexibel, als er mehr oder weniger weitgehende Ausnahmen zuläßt. So gäbe es neben der staatlichen eben auch eine private Gewaltanwendung (z.B. Notwehr, Züchtigungsrecht der Eltern, Recht zur vorläufigen Festnahme).J9I Ob ein Bestand von notwendigen Staats aufgaben tatsächlich anzuerkennen ist, kann jedoch im hier zu untersuchenden Zusammenhang letztlich dahingestellt bleiben. Beim Einsatz von Überwachungsgemeinschaften liegt nur eine funktionale Aufgabenprivatisierung vor, d.h. es geht nur um eine Verlagerung der Aufgabenerledigung, während die Aufgabenverantwortung beim Staat verbleibt. Auch bei der Diskussion um die notwendigen Staatsaufgaben sollte zwischen der Aufgabenverantwortung und der Aufgabenerledigung differenziert werden. J92 Hinter der Diskussion um die notwendigen Staatsaufgaben verbirgt sich nämlich eigentlich eine Auseinandersetzung um die notwendige Aufgabenverantwortung des Staates, also die Verantwortung, daß die Aufgabe zweckentsprechend erfüllt wird. Eine solche Verantwortung läßt sich nur aus
JII Herschel, Rechtsfragen der Technischen Überwachung, S. 21; ähnlich Osterloh, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 204,208. JI9 Daubler, Privatisierung als Rechtsproblem, S. 63; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 103. 390 Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 102. J91 Daubler, Privatisierung als Rechtsproblem, S. 64; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 103. 391 Näher zur Trennung von Aufgabenverantwortung und Aufgabenwahrnehmung vgl. auch Benz, Privatisierung und Deregulierung - Abbau von Staatsaufgaben ?, Die Verwaltung 28 (1995), S. 339, 353 ff.
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den konkreten Verantwortungszuteilungen der Verfassung ableiten. 39J Hinsichtlich der Gefahrenabwehr ergibt sich beispielsweise die Aufgabenverantwortung aus den grundrechtlichen Schutzpflichten zugunsten der Bürger. 394 Dies gilt insbesondere' auch für die umweltrechtliche Überwachung. 395 Dagegen führt eine Aufgabenverantwortung des Staates keinesfalls dazu, daß auch die entsprechende Aufgabenerledigung "notwendig staatlich" wird. Die Aufgabe darf nicht mit der Erledigungsart gleichgesetzt werden. 396 Der Staat kann sich trotz eigener Aufgabenverantwortung zur Aufgabenerledigung Privater bedienen. 397 In diesem Fall muß der Staat jedoch durch entsprechende Einfluß- und Kontrollrechte sicherstellen, daß die Aufgabe durch den eingesetzten Privaten korrekt erledigt wird. 391 Hinsichtlich des Einsatzes von Überwachungsgemeinschaften wurde der notwendige Umfang solcher Rechte bereits im vorherigen Abschnitt erarbeitet. 399 Damit ergeben sich aus dem Gesichtspunkt der notwendigen Staatsaufgaben insofern keine weitergehenden Grenzen für den Einsatz von Überwachungsgemeinschaften.
39J In diese Richtung auch Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 37; vgl. ebenfalls H. Bauer, Privatisierung von VerwaItungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243, 269 f. 394 Vgl. Di Fabio, Verwaltungsentscheidung durch externen Sachverstand, VerwArch 81 (1990), S. 193, 223; Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 142. 395 So auch Reinhardt, Überwachung durch Private, AöR 118 (1993), S. 617, 651 f.; Lübbe-Wo/ffISteenken, Privatisierung umweltbehördlicher Aufgaben, ZUR 1993, S. 263, 265. 396 von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 103. 397 Rü!ner, in: IsenseelKirchhof, HdBStR, Bd. III, § 80 Rn. 49; Lecheier, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, BayVBI. 1994, S. 555, 558; Badura, Das Verwaltungsmonopol, S. 94; Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 142 f. m.w.N.; ähnlich Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 51. 39B Vgl. H. Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), S. 243, 277 ff.; K. Vogel, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 54 (1995), S. 335. Gallwas skizziert in diesem Zusammenhang eine "GarantensteIlung" des Staates, vgl. Gallwas, Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1971), S. 211, 229 ff.; vgl. dazu auch Scheuner, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 29 (1971), S. 249. 399 Vgl. die Ausführungen auf S. 177 ff. und S. 194 f.
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2. Grenzen aus Art. 33 IV GG
Art. 33 IV GG bestimmt, daß die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis stehen. Mit diesem sog. Funktionsvorbehalt benennt die Verfassung einen Bereich der Staatsverwaltung, in dem die Aufgaben regelmäßig durch Berufsbeamte zu erfüllen sind. 4IKI Damit wird nicht nur die Aufgabenverantwortung angesprochen, sondern gerade die Aufgabenerledigung in den Mittelpunkt gestellt. Unmittelbar grenzt Art. 33 IV GG die Zuständigkeit von Beamten und anderen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, also Angestellten und Arbeitern, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis zum Staat stehen, ab und stellt insofern eine "Aufgabenverteilungsnorm" innerhalb des öffentlichen Dienstes dar. 4I1l Teilweise wird angenommen, daß sich die Bedeutung des Art. 33 IV GG in der Regelung dieses Verhältnisses von Beamten und Angestellten bzw. Arbeitern erschöpft 402 , während die herrschende Meinung der Norm richtigerweise auch eine Aussage zur Übertragbarkeit von Aufgaben auf Private abgewinnen Will. 401 Die Begründung ergibt sich aus einem argurnenturn a maiore ad minus. Wenn bestimmte Aufgaben oder Befugnisse nicht von Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes wahrgenommen werden dürfen, so können
400 Benndorf, Zur Bestimmung der "hoheitsrechtlichen Befugnisse" gemäß Art. 33 Abs. 4 GG, DVBI. 1981, S. 23. 401 Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 53 m.w.N.; SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art. 33 Rn. 11; Jarass/Pieroth, GG, Art. 33 Rn. 9; 41'2 Ule, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 29 (1971), S. 269; Banseh, Beleihung als verfassungsrechtliches Problem, S. 69; wohl auch von Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, S. 23 f. 403 Vgl. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 11, 3. Aufl. 1995, Art. 33 Rn. 42; Däubler, Privatisierung als Rechtsproblem, S. 74 m.w.N.; Grabbe, Grenzen der Privatisierung, S. 54; Reinhardt, Überwachung durch Private, AöR 118 (1993), S. 617, 621; Steiner, Verwaltung durch Private, S. 260; von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 152, Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 64; Ossenbühl, Eigensicherung und hoheitliche Gefahrenabwehr, S. 32; wohl auch Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 121.
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erst recht nicht Private mit ihnen betraut werden.4