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German Pages 408 Year 1996
SÖREN ROOS
Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes in der deutschen Kritik zwischen 1982 und 1989
Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 90
Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes in der deutschen Kritik zwischen 1982 und 1989
Von Sören Roos
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Roos, Sören: Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes in der deutschen Kritik zwischen 1982 und 1989 I von Sören Roos. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Beiträge zur politischen Wissenschaft ; Bd. 90) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08549-3 NE: GT
D5 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-08549-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
MeinerFrau
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . ............................ ........................ .. .. .... ........ ........... ......... ... ... ...... 11 B. Die deutsche TeilWlg Wld ihre Vorgeschichte in den Jahren 1941 bis 1982 .... 19
I. Zur Genese des Kalten Krieges ....... .... .. ....... ....... .......... .......... ...... ... ..... . 1. Alliierte Deutschlandplan~en während des Krieges ..... ......... ... ... ... 2. Alliierte Deutschlandpolitik nn Frühjahr I Sommer 1945 . ....... .. ..... .... 3. Das Auseinanderdriften der Kriegskoalition ...................................... 4. Das Ende der alliierten Zusammenarbeit .. ... ... ......... ............... .. .........
19 19 23 30 36
li. GrundgesetzgebWlgsphase 1948/49 .. .. ........... .. ........ ............. ....... .. ... .. .... 41 1. Ostzonale Verhinderm1g deutscher Einigm1gsversuche .. ........ ... ... .. .... 2. EntscheidWlg zur WeststaatsgründWlg ...... .. .... .... .. ... ........ ....... .. ... ...... 3. Die Beratungen in Koblenz Wld Rüdesheim ...................................... 4. Der VerfasSWlgskonvent aufHerrenchiemsee .................................... 5. Der Parlamentarische Rat..................................................................
41 45 48 53
III. Ära Adenauer .. .. .. . ... ... .. .... .... .. .. .... ....... .. .. .. .. .... .... .. .. .. ..... .. .. .. .. .. .. .. . ... .. .. .. 1. Westintegration oder WiedervereinigWig? .. .................. ............ .... ..... 2. WiederbewaffnWlg .. ..... ............................. ...... ........... ........... ... ... .. ... . 3. Die Stalin-Noten Wld die Kritik an Adenauers Deutschlandpolitik ..... 4. Die letzten Schritte zur Souveränität ................................................. 5. Der "Geist von Genf' Wld die Akzeptanz des Status quo ................... 6. Moskaureise Wld ,,Hallstein-Doktrin" ...... .... .... .......... .......... .... ... .. .. .. 7. Die Zweite Berlin-Krise .................................................................... 8. Zerfall des westlichen Lagers- Der Mauerbau .................................. 9. Deutschlandpolitik während der Kanzlerschaft Erhards .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 10. Große Koalition- Ende der drohenden Isolierm1g .............................
62 62 68 75 85 91 92 100 I 04 I 08 111
IV. Sozialliberale RegierWI~en ..................................................................... 1. Abschied vom staatheben Einheitsgedanken ....... ... .. ........ ...... ... ...... ... 2. Der Moskauer Vertrag Wld das Berlin-Abkommen ............................ 3. Der Grundlagenvertrag ...................................................................... 4. Streit um die RatiflzierWig ................................................................ 5. Deutschlandpolitische Ernüchterung .................................................. 6. KSZE-Prozeß Wld NATO-Doppelbeschluß ........................................
120 120 126 129 133 138 143
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C. Argumentationsmuster der Kritik am WiedervereinigWigsgebot .................... 151
I. Das "friedenspolitische" Argument .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ...... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 1. Der sicherheitspolitische Aspekt der WiedervereinigWig 1989/1990 . . 2. Unvereinbarkelt von WiedervereinigWlg Wld Sicherheit? ................... 3. Das geteilte Deutschland als sicherheitspolitische Einheit? ................ 4. Dauerhafte Zweistaatlichkeil als Friedensgarantie? ........................... S. Rücksichtnalnne auf die europäischen Nachbarn? .............................. 6. Teilm1gsmanagement als operative Deutschlandpolitik? .................... Zwischenergebnis . ......... ............................................. ......... .. ...... .. .... .. .
151 151 154 163 166 171 178 183
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Inhaltsverzeiclmis TI. Das ,,Mitteleuropa"-Argurnent ............................................................... 1. Die Rolle Mitteleuropas als Ost-West-Puffer ..................................... 2. Der Mitteleuropa-Gedanke und die deutsche Frage ........................... 3. Äquidistanz als Voraussetzung der Mitteleuropa-Konzeption ............ Zwischenergebnis .................................................................................
185 185 191 196 200
m. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argurnent ................................................... 202
1. Endlich die Realitäten anerkennen? ................................................... 204 2. Die syst~ente Wahrnehmung der DDR ................................. 205 3. Elemente einer Aquivaluation der ,,Doppel-Staatlichkeit" ................. 214 4. Die FehlJ>e!U.Ption einer stabilen ,,Doppel-Staatlichkeit" .................. 222 Zwischenergebrus ................................................................................. 234
IV. Das ,,Anti-Nationalstaatlichkeits"-Argurnent ......................................... 236 1. Die deutsche Nation im Sinne des Grundgesetzes .............................. 236 2. Herausbildung einer Staatsnation Bundesrepublik? ........................... 238 3. Kulturnation? .................................................................................... 241 4. Verfassun~spatriotismus als anti-nationales Modell? ......................... 254 5. Subnation ......................................................................................... 260 Zwischenergebnis ................................................................................. 264 V. Das ,,Euro~"-Argurnent ....................................................................... 265 1. Die subjektive Auslegung der Präambel ............................................ 265 2. Verfassungsziele im Widerspruch? .................................................... 266 3. ,,Europa" als objektive Wiedervereinigungsverhinderung? ................. 275 4. ,,Europa" als Substitut filr die Wiedervereinigung Deutschlands? ...... 282 Zwischenergebnis ................................................................................. 292 VI. Das ,,formal-juristi§Che" Argument ........................................................ 293 1. Vorschläge zur Anderung der Präambel ............................................. 293 2. Ist das Wiedervereinigungsgebot der Präambel obsolet geworden? ..... 301 3. Soll eine DDR-Staatsbürgerschaft anerkannt werden? ....................... 306 4. Kann die Präambel geändert werden? ................................................ 316 Zwischenergebnis ................................................................................. 320 VII. Das "gesehichtspolitische" Argument .................................................... 321 1. Zurück zum Nationalstaat des 19. Jahrhunderts? ............................... 321 2. ,,Normalität" und ,,Logik" als geschichtliche Kategorien? .................. 329 3. VerbietetAuschwitz die deutsche Einheit? ........................................ 336 4. ,,Antifaschismus" als Staatszweck der DDR? ..................................... 344 Zwischenergebnis ................................................................................. 350 D. Zusammenfassung ........................................................................................ 352 E. Bibliographie ................................................................................................ 358
Abkürzungsverzeichnis Auswärtiges Amt Akten zur deutschen Auswärtigen Politik Archiv der Gegenwart Archiv des öffentlichen Rechts Außenpolitik Archiv des Völkerrechts Bayerische Verwaltungsblätter Betriebsberater Bundesgesetzblatt BK Bayernkurier Blätter Blätter für deutsche und internationale Politik Bundestags-Drucksache BT-DS BT Sten.Ber. Stenographischer Bericht der Verhandlungen des Deutschen Bundestages BVerfGE Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Deutschland-Archiv DA Deutsche Außenpolitik DAP Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt DAS ddz Dokumentation der Zeit Die öffentliche Verwaltung DÖV Deutsche Richterzeitung DRiZ Deutsche Studien DSt Deutschland Union Dienst DUD DuR Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt DVBI. Deutsche Volkszeitung/die tat DVZ EA Europa-Archiv EdF Erträge der Forschung Europäische Grundrechte Zeitschrift EuGrZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ Frankfurter Rundschau FR Festschrift Fs. Gesetzblatt der DDR GBI. GuG Geschichte und Gesellschaft GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht H. Heft Handelsblatt HB Handbuch Hb. Halbband HBd. Historisches Jahrbuch HJb HPB Das historisch-politische Buch Historische Zeitschrift HZ Internationales Recht und Diplomatie lliD Jb. Jahrbuch Jahrbuch für Geschichte (DDR) JfG Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik JhF Deutschland
AA ADAP AdG AöR AP AVR BayVbl. BB BGBI.
10
Abkürzungsverzeichnis
Jahrbuch für Internationales Recht Jahrbuch für Ostrecht Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung Komm. Kommission KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KZG Kirchliche Zeitgeschichte MGM Militärgeschichtliche Mitteilungen ND Neues Deutschland N.F. Neue Folge NG/FH Neue GesellschafVFrankfurter Hefte NJ Neue Justiz NJW Neue Juristische Wochenschrift NPL Neue politische Literatur ÖOH Osterreichische Osthefte OR Osteuropa-Recht Pari. Das Parlament PolM Die Politische Meinung PolSt Politische Studien PolVS Politische Vierteljahresschrift PR Der Parlamentarische Rat. Akten und Protokolle PR Sten.Ber. Stenographischer Bericht der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates PuK Politik und Kultur PVS Politische Vierteljahresschrift PZG Aus Politik und Zeitgeschichte R. Reihe Res. Resolution RGBI. Reichsgesetzblatt RM Rheinischer Merkur. Christ und Welt ROW Recht in Ost und West RuP Recht und Politik SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sp. Spalte SRP Sozialistische Reichspartei StZ Stuttgarter Zeitung sz Süddeutsche Zeitung T. Teil TSp Der Tagesspiegel UiD Union in Deutschland - Informationsdienst der CDU UN United Nations VfZG Vierteljahrshefte ftlr Zeitgeschichte Vereinte Nationen VN Vorw. Vorwärts VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wehrwissenschaftliche Rundschau WR Weltwoche ww ZBLG Zeitschrift ftlr bayerische Landesgeschichte zro Zeitschrift ftlr Geschichtswissenschaft (DDR) Zeitschrift ftlr Politik ZfP ZK Zentralkomitee ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP JIR JOR JR
A. Einleitung Mit der staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ist das fiir manche Zeitgenossen Unmögliche Tatsache geworden; Ziel dieser Untersuchung ist es zu zeigen, mit welchen Argumenten das tatsächlich Mögliche für unmöglich erachtet wurde. Die Arbeit soll also die Frage beantworten, wie der immer wieder unternommene Versuch in Politik und öffentlicher Meinung begründet wurde, dem Sinnlosen Sinn zu geben, die Illusion für wahr zu erklären und die Teilung Europas und Deutschlands als Bedingung für Sicherheit und Frieden zu rechtfertigen. Es wird untersucht, wo der Bruch, wo der Fehler, wo die logische Inkonsistenz in der Argumentation derjenigen lag, die sich gegen die Möglichkeit der Wiedervereinigung oder gar gegen die Wünschbarkeit der Wiedervereinigung aussprachen. Gleichzeitig wird überlegt, ob tatsächlich alle Prämissen der Kritiker falsch waren. Unterlagen die Wiedervereinigungskritiker einem Perzeptionsfehler, indem sie "das Wirkliche zum Vernünftigen und damit auch das Verhalten aller Akteure als[... ] nachvollziehbar und vor allem als gleichwertig" 1 interpretierten? Wurde die Wirklichkeit der staatlichen Teilung Deutschlands nur selektiv wahrgenommen, zum Beispiel unter Ausklammerung der menschenrechtliehen Situation in der DDR, um so das ungestörte Bild einer 'stabilen innerdeutschen Beziehung' zu gewinnen? Gibt es Politiker, Zeitungsredakteure oder sonstige Autoren, die ihre Haltung zum Wiedervereinigungsgebot in die eine oder andere Richtung geändert haben? Wenn ja, was waren ihre Argumente? Wie breit war das Spektrum der Wiedervereinigungskritik - galt die Wiedervereinigung als unmöglich, unerwünscht oder inzwischen einfach als unerheblich? Oder wurde die Wiedervereinigung zwar gewünscht, durch eine bestimmte Politik tatsächlich aber verhindert? Auf eine einfache Formel gebracht heißt die Leitfrage der Arbeit also: Wie wurde von wem das Wiedervereinigungsgebot kritisiert? Mit der Beantwortung dieser Leitfrage soll versucht werden, einen Beitrag zur Schließung eines der von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" festgestellten Forschungsdesiderata zu leisten, nämlich "die 'veröffentlichte Meinung' zur Deutschlandpolitik und ihre Rückwirkung auf 1 Sven Papcke, Der Kalte Krieg als Problem der Zeitgeschichtsschreibung, S.626 [1990].
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A. Einleitung
die Politik - und umgekehrt - zu analysieren und im Gesamtzusammenhang zu bewerten"2 . Motive der handelnden Akteure spielen politisch immer eine wichtige Rolle. Entscheidender Gegenstand der Geschichtswissenschaft aber bleibt die konkrete Politik, die nicht unbedingt den vermutlichen oder nachweislichen Motiven entsprechen muß. Anders als bei der revisionistischen Schule der Geschichtswissenschaft, die bei der Behandlung dieses Zeitraumes in erster Linie von einem Perzeptionsproblern ausgeht (also das Verstärken gegenseitigen Mißtrauens durch permanentes gegenseitiges Mißverstehen des jeweils anderen Sicherheitsbedürfnisses als die Hauptursache des Kalten Krieges ansieht3 ), soll hier - mehr traditionell - die Phänomenologie der Ereignisse und Aussagen im Vordergrund stehen. Dabei kann es nicht um die Suche nach den Motiven der Wiedervereinigungskritik gehen, denn dies würde weithin ins Spekulative führen. Nur die wenigsten gaben ihre politische Motivation preis, aufgrund derer sie sich zu einer bestimmten, möglicherweise "vorentschiedenen" Sehweite verpflichtet fiihlten, fiir die bereits Walter Benjamin in der Zeit der russischen Revolutionswirren offen plädierte: ,,Im Gnmde freilich ist die einzige Gewähr der rechten Einsicht, Stelhmg gewählt zu haben, ehe man kommt. Sehen kann gerade in Rußland nur der Entschiedene. An einem Wendep\Ulkt historischen Geschehens, wie ihn das Faktrun 'Sowjet-Rußland' wenn nicht setzt, so anzeigt, steht gar nicht zur Debatte, welche Wirklichkeit die bessere, noch welcher Wille auf dem besseren Wege sei. Es geht nur darwn: Welche Wirklichkeit wird innerlich der Wahrheit konvergent?[... ] Nur wer, in der Entscheidung, mit der Welt seinen dialektischen Frieden gemacht hat, der kann das Konkrete erfassen. Doch wer 'an Hand der Fakten' sich entscheiden will, dem werden diese Fakten ihre Hand nicht bieten"4.
Ob sich ein Politiker oder ein Autor aus echter, gewissenhafter Überzeugung oder aus publicitysüchtigen, opportunistischen oder einer vermeintlich der Parteiräson dienlichen oder aus vielen anderen Gründen fiir oder gegen das grundgesetzliche Wiedervereinigungsgebot aussprach, wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt in den meisten Fällen aus Mangel an aussagekräftigen Quellen kaum zu klären und vielfach auch später kaum restlos aufzuhellen 2 Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994, S.l28129. 3 Vgl. hierzu anders Andreas Hillgruber, Gnmdzüge der sowjetischen Deutschlandund Ostmitteleuropa-Politik, S.l41-142 [1987], der die 'Perzeptions-Problematiker' von den 'Revisionisten' trennt und letzteren die Sichtweise von einer sowjetischen Defensivstrategie zuordnet, mit der auf die "Open-Door-Policy" der Vereinigten Staaten reagiert worden sei. Vgl. auch Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.9-10 [1977]. 4 Walter Benjamin, Denkbilder. Moskau, in: Gesammelte Schriften, S.317 [1972].
A. Einleitung
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sein. Die Frage nach der Motivation bleibt daher im Rahmen der Arbeit weitgehend außer acht, sie steht jedenfalls nicht im Mittelpunkt der Untersuchung. Gleichwohl wird dargestellt, daß sich die Kritik nicht nur abstrakt auf das Wiedervereinigungsgebot bezog, sondern gezielt auch seine Vertreter traf, vielleicht auch treffen sollte, die als 'deutschnationale' AußenseiterS oder 'kalte Krieger' usw. abgestempelt wurden. Die Kritik arn Wiedervereinigungsgebot und der Streit um die Präambel des Grundgesetzes lassen sich nicht wertneutral würdigen; selbst der Rechtspositivist, der sich ausschließlich mit dem geltenden Recht auseinanderzusetzen versucht, muß bei seiner Interpretation der Rechtsquellen auch den gewollten Wortsinn aufdecken6 . Für das Thema dieser Untersuchung ist es unumgänglich, von der Vor- und Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes auszugehen, weil die in der Präambel und in den Artikeln 16, 23, 116 und 146 enthaltenen Normen ohne den historischen Kontext nicht zu verstehen sind. Will man die Kritik arn Wiedervereinigungsgebot in den achtziger Jahren angernessen würdigen, so ist es weiterhin unerläßlich, die Entwicklung der bundesdeutschen Wiedervereinigungspolitik bis dahin hinreichend genau darzustellen. Nur wenn die stetigen, zunächst erfolgreichen, später aber angesichts der veränderten weltpolitischen Situation fruchtlosen Bemühungen Adenauers um die Einheit des Westens in den wesentlichen Zügen nachgezeichnet werden, sind die deutschlandpolitischen Variationsversuche der Regierungen Erhard und Kiesinger und schließlich die qualitativ andersartige "Entspannungspolitik" der SPD/FDP-Koalitionen unter Brandt und Schrnidt verständlich. Und erst dann erscheint es möglich, die Argumentationsketten der Wiedervereinigungskritiker der Jahre 1982 bis 1989 in ihren historischen Zusammenhang einzuordnen, sie transparent und kritikfähig zu machen. Unsere Arbeit behandelt ein inzwischen überwundenes Phänomen: Die deutsche Teilung in zwei Staaten. Die Politik, die um dieses Phänomen kreiste, nannte man Deutschlandpolitik. Ihr Entwurf hatte in jeder Stufe nicht nur eine historische Dimension, er war die Geschichte Mitteleuropas und der geteilten Welt7 . Am 3. Oktober 1990 ist es zur 'kleinstdeutschen' Wiedervereinigung gekommen. Die Gebiete jenseits von Oder und Neiße waren zwar immer Bestandteil des grundgesetzliehen Wiedervereinigungsgebotes, in der politischen Auseinandersetzung der Bundesrepublik aber wurden sie zunehS Vgl. hienu die Ausfilhrungen des niedersächsischen Abgeordneten Jürgen Trittin (Grüne), Niedersächsischer Landtag, StenBer. v. 11.5.1989, S.7855. 6 Vgl. ähnl. Kar/ Doehn'ng, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S.47 [1976]. 7 Vgl. so, noch im Präsens formuliert, Michael Stürmer, Realpolitik und Vision, S.76 [1987]. Vgl. hierzu ähnl. WolfD. Gnmer, Die deutsche Frage- ein europäisches Problem?, S.34 [1988].
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A. Einleitung
mend "durch beharrliches Verschweigen der Vergessenheit"8 anheimgegeben; wenngleich sie ihre Bedeutung als 'juristische Verhandlungsmasse' für eine politische Option behielten, wurden sie 'realpolitisch' wertlos9 . Im Mittelpunkt der Wiedervereinigungsdebatte stand von Anfang an die sowjetische Besatzungszone, die spätere DDR Die Debatte um die 'kleinstdeutsche' Wiedervereinigung wird darum auch in dieser Arbeit vorrangig beachtet. Um zu zeigen, daß die deutsche Teilung nicht erst 1949 begann, sondern bereits im Zweiten Weltkrieg planefisch Gestalt annahm, werden zu Beginn des Teils B die Vorstellungen der alliierten Siegermächte dargestellt. Es wird aufgezeigt, wie und warum alliierte und deutsche Versuche nach dem Krieg, die Teilung Deutschlands aufzuhalten, scheiterten. Eingehender werden die Argumente, mit denen die Weststaatsgründung vor dem Hintergrund der zunehmenden Spaltung Deutschlands als gesamtstaatlicher Auftrag vertreten wurde, geschildert. Die Wiedervereinigungsbemühungen der Bundesregierungen von 1949 bis 1982, besonders die unter Konrad Adenauer und Willy Brandt, werden näher beleuchtet. Mit der ausführlicheren Darstellung der offiziellen und publizistischen Haltung zur deutschen Frage sollen der kontinuierliche Meinungswandel zum Problem der Wiedervereinigung sowie das veränderte Verständnis vom gesamtdeutschen Auftrag der Bundesrepublik bei vielen politischen Beobachtern und Akteuren nachgezeichnet werden. In der politischen Diskussion und Deutschlandpolitik dieser Zeit waren jene Auseinandersetzungen bereits angelegt, die in den achtziger Jahren die Debatte um Sinn oder Unsinn der Wiedervereinigung prägten. Auf eine ereignisgeschichtliche Darstellung der Zeit von 1983 bis 1989 wurde verzichtet, nicht, weil es sich bei dieser Periode um eine noch unmittelbar "gegenwärtige Vergangenheit" handelt, sondern weil die deutschlandpolitischen Ereignisse und Diskussionen dieser Jahre in Teil C punktuell angesprochen werden. Während in Teil B die deutsche Teilungsgeschichte von 1941 bis 1982 im großen und ganzen ereignisgeschichtlich geschildert und interpretiert wird, 8 Wilhelm Geiger, Die Entstehung der Präambel des Grundgesetzes und deren Bindungswirkung, 8.129 [1989]. 9 Bereits Adenauer hatte, wie seine Äußerung gegenüber dem amerikanischen Außenminister am 21.11.1951 , zit. nach Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teil2, 8.405, m.w.N. [1990], dok:mnentiert, das Problem der deutschen Ostgebiete aus dem politischen Tagesgeschäft heraushalten wollen und ,,nicht an eine einseitige, den deutschen Interessen dienende Lösung" gedacht, "sondern an eine vernünftige, gerechte Lösung des gesamten Territorialproblems, auch unter Berücksichtigung polnischer Wünsche", im Rahmen einer zukünftigen Friedensregelung.
A. Einleitung
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werden in Teil C, der die Jahre 1982 bis 1989/90 umfaßt, die Argumente der Wiedervereinigungskritik systematisch untersucht. Dabei kommen Kritiker und Gegner der Wiedervereinigung selbst zu Wort. Diese deskriptive Methode ist erforderlich, um die Argumente in die jeweilige politische Gedankenwelt einzuordnen, zu abstrahieren und durch einen 'Soll-Ist-Vergleich' mit dem tatsächlich Geschehenen zu konfrontieren. Manche Argumente verstehen sich eher als Antithese oder als Antwort auf bereits vorgetragene Argumente. Darum werden ihnen, wann immer gangbar, in diskursiver Weise die Argumente der WiedervereinigungsbefürworteT gegenübergestellt. Weil Aussagen über die Wiedervereinigung nur in den seltensten Fällen in reiner Form vorgetragen wurden, mußten die Argumente im Teil C oft aus größeren Zusammenhängen gelöst werden. Insofern stellen die sieben Kapitel in Teil C oftmals Konstruktionen dar, die zum einen aus authentischen Äußerungen analysiert, zum anderen zu Argumentationsmustern synthetisiert sind. Unter der Voraussetzung ihrer inneren Widerspruchslosigkeit 10 lassen sich so bestimmte 'Gestalttypen' oder 'Urformen' 11 der Wiedervereinigungskritik abstrakt-anschaulich herausbilden. Ihre Bestandteile - die Äußerungen aus verschiedenen Zeitebenen und Zusammenhängen, von unterschiedlichen Personen und Institutionen - verlieren trotz ihrer Zusammensetzung nicht ihre Authentizität. Sie bleiben auch fiir sich genommen verständlich, bleiben "immer noch geschichtliche Wirklichkeit" 12 und werden- wann immer nötig - in ihrem historischen Kontext erläutert. Die heuristische Funktion dieser Methode liegt in der gezielteren Klassifizierung von Argumenten, durchaus im Sinne der Idealtypologie Max Webers: Die idealtypischen, konstruierten Argumentationsmuster bezwecken die geistige "Beherrschung des empirisch Gegebenen" 13 , sind jedoch, weil sie sich aus realen Äußerungen zusammensetzen, mehr als nur reine Gedankenbilder, 10 Vgl. Julius Jakob Schaaf, Geschichte und Begriff, S.l35 [1946], der hierin die Grenze in der Willkürlichkeit der Konstruktion von 'Begriffsgebilden' sieht, "da sonst keine Typen, sondern sinnlose Wortzusammenstellungen entstehen, wie etwa 'hölzernes Eisen' oder 'christlicher Heide', um nur ganz einfache, zweigliedrige Beispiele anzufUhren". (Ähnl. S.l37). 11 Theodor Schieder, Der Typus in der Geschichtswissenschaft, S.185 [1952], defmiert den 'Gestalttypus' als "Verdichtung einer geschichtlichen Individualität zu ihrer 'Urform' unter Aussonderung aller ihrer beiläufigen Züge", um so die Erscheinung der geschichtlichen Dinge zu durchstoßen und diese in ihrem Wesen zu erkennen. 12 Theodor Schieder, Der Typus in der Geschichtswissenschaft, S.l78-179 [1952], den Idealtypus Max Webers interpretierend. 13 Max Weber, Die "Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, S.208 [1904]. Theodor Schieder, Der Typus in der Geschichtswissenschaft, S.l79 [1952], bezeichnet die Fixierung von Idealtypen als "ein ganz legitimes Verfahren der historischen Forschung".
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A. Einleitung
nämlich vergangene potentielle Realtypen. Methodisches Leitmotiv ist also, "durch Beziehung bekannter Tatsachen auf bekannte Gesichtspunkte dennoch ein Neues zu schaffen" und dabei weder "Stoffhuber" noch "Sinnhuber" zu sein14 . Diese Methode bietet im Unterschied zu einer Gliederung der Argumente nach Untersuchungsgebieten (wie z.B. Öffentliche Meinung, Politik, Publizistik oder Wissenschaft) zudem den Vorteil, Redundanz oder häufige Wiederholungen verschiedener Argumente weitgehend zu vermeiden sowie oft vorhandene Überschneidungen und Verzahnungen aufzulösen 1S . Die methodische Trennung des systematischen Teils C vom ereignisgeschichtlichen Teil B erscheint auch inhaltlich sinnvoll. Eine operative, regierungsamtliche oder staatliche Deutschlandpolitik von alliierter wie von deutscher Seite hat es in den vierziger, fiinfziger und sechziger Jahren gegeben. Seit den siebziger Jahren, spätestens aber in den achtziger Jahren, beschränkten sich politische Vorstöße zur Regelung der deutschen Frage auf Äußerungen Einzelner oder bestimmter Interessengruppen. Kennzeichnend in dieser Phase nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages sind nicht mehr die Weltpolitik berührenden und ereignisgeschichtlich bedeutsamen Berlin-Ultimaten, Vierer-Konferenzen über Deutschland oder Wiedervereinigungsvorschläge der DDR, sondern langwierige, oftmals auf der Stelle tretende innerdeutsche Verhandlungen um Themen wie Transit, Autobahnbau, Grenzkontrollen, Visa, Freizügigkeit für Journalisten etc. Angesichts dieses ereignisgeschichtlichen Quasi-Immobilismus' -der, wie zu zeigen sein wird, sich spiegelbildlich auch in manchen gedanklichen Haltungen zur deutschen Frage manifestierte- drängt sich der Begriff des Strukturtypus geradezu auf. Im Unterschied zum Verlaufstypus, der zeitlich aufeinanderfolgende Ereignisse (wie z.B. "Revolutionen") zusammenfaßt, kennzeichnet der Strukturtypus die Kombination relativ gleichzeitiger und konstanter Phänomene, vermittelt also Einsichten über "geschichtliche Erscheinungen in der Ruhe" 16 . Die sieben Argumentationsmuster, erarbeitet aus ei14 Max Weber, Die "Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, S.214, passim [1904). Nach Weber, ebda. , sei der "tatsachengierige Schlund" des ersteren ,,nur durch Akterunaterial, statistische Folianten und Enqueten zu stopfen", wobei er "für die Feinheit des neuen Gedankens [ ...] unempfindlich" sei, während die "Gourmandise" des letzteren "sich den Geschmack an den Tatsachen durch immer neue Gedankendestillate" verderbe. 1!1 Zu denken wäre zum Beispiel an das ,,geschichtspolitische" Argument, das sowohl von den Grünen (Politik), als auch von der ,,Zeit" (Öffentliche Meinung/Publizistik) und von Jürgen Habermas (Wissenschaft) benutzt worden ist. 16 TheodorSchieder, Der Typus in der Geschichtswissenschaft, S.l82 [1952], und, zum Verlaufstypus, S.l83-184.
A. Einleitung
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ner Zeitebene von acht Jahren vor dem Hintergrund eines politischen Status quo, dürfen somit auch als Strukturtypen oder Simultantypen17 der Wiedervereinigungskritik charakterisiert werden. Die Quellenbasis des Abschnitts B setzt sich zum überwiegenden Teil aus Sekundärliteratur zusammen. Das Gerüst dieses weitgehend chronologisch angelegten Teils bildet die "durchweg aus den Quellen" gearbeitete sechsbändige "Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" 18 . Daneben wurde der Versuch gewagt, aus der schier unüberschaubaren Vielzahl der zur deutschen Teilungsgeschichte erschienenen Monographien und Aufsätze eine repräsentative, immer noch umfangreiche Auswahl zu treffen, um einen Überblick über den Forschungsstand zum Thema zu gewähren19. Mit dem Rückgriff auf Sammlungen von Primärquellen wie v.a. die "Stenographischen Berichte der Verhandlungen des Deutschen Bundestages", das (frühere) "Europa-Archiv", die "Akten der Gegenwart" und das "Deutschland-Archiv" sollen der Forschungsüberblick untermauert aber auch eigengesetzte Akzente belegt werden. Die im Hauptteil C untersuchte Literatur (eo ipso alles Primärquellen) setzt sich zum einen aus Aufsätzen aus politischen oder politikwissenschaftlichen Zeitschriften, Reden aus stenographischen Bundestagsprotokollen, Monographien, Sammet- und Themenbänden etc. zusammen. Zum anderen besteht sie aus Tages- und Wochenzeitungsartikeln sowie Mitschriften von Rundfunk17 Vgl. zum Begriff "Simultantypus" Julius Jakob Schaaf, Geschichte \Uld Begriff, S.l38 [1946]: ,,Ein Typus kann nämlich so komponiert werden, daß alle seine Teilbegriffe, seine ineinsgefaßten Merkmale, Züge und Bezieh\Ulgen kein zeitliches Element in sich enthalten oder noch exakter ausgedrückt: keine zeitlich-kausalen Folgen, sondern nur eine ruhende Gestalt schildern, einen Querschnitt darbieten[.. .]. Wir wollen einen solchen Typus als Simultantypus bezeichnen". 18 Hans-Peter Schwarz, Mit gestopften Trompeten, S.698 [1993], der als Autor zweier dieser Bände feststellt: ,,Kein anderes westliches Land weist eine derart weitgespannte, quellengesättigte und systematisch konzipierte Darstell\Ulg der jüngsten Zeitgeschichte auf'. 19 Einen Blick auf die Forschilllgsdiskussion bietet das IV. Themenfeld (innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbeding\Ulgen) des Berichts der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte \Uld Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994. Dieses Themenfeld wurde in zehn öffentlichen Anhöf\Ulgen behandelt. Die Enquete-Kommission vergab 22 Expertisen, zwei Berichte \Uld zwei Forsch\Ulgsaufträge (augenblicklich, April 1995, in Druck) an 28 Historiker \Uld Politologen. Im 53 Seiten umfassenden Bericht zu diesem Themenfeld sind diese Arbeiten \Uld zu verschiedenen Bereichen Sondervoten der Mitglieder der Fraktion der SPD und der Sachverständigen Bernd Faulenbach, Martin Gutzeit \Uld Hermann Weber sowie des AbgeordnetenGerd Poppe (Bündnis 90/Grüne) \Uld des Sachverständigen Armin Mitter eingeflossen. 2 Roos
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A. Einleitung
und Fernsehbeiträgen, die von der Pressedokumentation des Deutschen Bundestages in großer Zahl gesammelt und den im Bundestag vertretenen Parteien zur VerfUgung gestellt werden. Infolgedessen wurde auf alles, was zum Untersuchungsgegenstand in den achtziger Jahren veröffentlicht wurde - also gelesen werden sollte - und im Deutschen Bundestag einsehbar war, zurückgegriffen. Am Ende jedes der sieben Kapitel in Teil C werden die Argumente der Wiedervereinigungskritiker knapp und thesenartig zusarnrnengefaßt. Eine resümierende Gesamtzusammenfassung der Arbeit findet sich in Teil D. Gefördert wurde diese Arbeit im Rahmen eines Graduiertenstipendiums durch das Institut fiir Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
B. Die deutsche Teilung und ihre Vorgeschichte in den Jahren 1941 bis 1982 I. Zur Genese des Kalten Krieges 1. Alliierte Deutschlandplanungen während des Krieges
Unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker hatte Adolf Hitler bis 1939 die 'großdeutsche' Einheit durchgesetzt. Seine Politik erschöpfte sich aber nicht in der Erfüllung der Weimarer Zielsetzungen. Vielmehr wollte er sie revolutionieren1 und - auf der Grundlage seiner Rassenideologie - durch Krieg bei physischer Vernichtung der 'jüdisch-bolschewistischen Rasse' ein deutsches 'Ostimperium' aufbauen2 • Der alte politische Traum der liberalen Revolutionäre von 1848/49, die 'großdeutsche Lösung', also ein einheitliches Vaterland soweit die 'deutsche Zunge reicht', war fiir Hitler lediglich die Basis seiner Weltmachtillusionen. Hitlers Politik scheiterte und diskreditierte die Idee von der großdeutschen Einheit3 , zumindest in den Augen seiner Gegner, der Alliierten. Im Londoner Protokoll4 vom 12. September 1944 beschlossen die späteren drei Hauptsiegermächte die Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Aufteilung Berlins in Sektoren5 . Nach der bedingungslosen Kapitulation6 am 7./8. Mai 1945 wurde es vollzogen. Frankreich erhielt in dem erweiterten Abkommen am 14. November 1944 nachträglich aus Teilen der amerikanischen und britischen Zonen eine eigene Besatzungszone. Grundlage der Zoneneinteilung war das von den Alliierten bezeichnete "Deutschland[...] innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 bestanden". Damit betrachteten die Siegermächte nicht nur die Gebietserwerbungen nach Kriegs1 Vgl. Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, S.23 [1987]. 2 Vgl. Andreas Hillgruber, Die gescheiterte Großmacht, S.IOO [1984]. 3 Vgl. JosefBecker, Deutsche Frage 1941-1949, S.l3 [1979]. 4 Abgedruckt in: Dietn·ch Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, 8.6-10 [1989].
5 Die Zoneneinteilung entsprach dem Vorschlag einer von den Alliierten eingesetzten Expertenkomission, der ,,European Advisary Conunission" (EAC}, die in London seit dem 14. Januar 1944 unter der Leitung je eines Vertreters der drei Mächte im Botschafterrang tagte. 6 Militärische Kapitulationsurkunde abgedruckt in: EA 1 1946/47, 8.212-213.
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eröffnung am I. September 1939, sondern auch die nach friedensvölkerrechtlichen Regeln vollzogene Ausweitung des Deutschen Reiches nach dem 31. Dezember 1937 für nichtig7 . Eine politische Teilung Deutschlands wurden mit dem Londoner Protokoll und dem zwei Monate später erlassenen Kontrollabkommen8 nicht beabsichtigt. Weil aber in dem Abkommen über die Kontrolleinrichtungen gleichzeitig vorgesehen war, daß jeder Militärgouverneur die oberste Gewalt "in seiner eigenen Besatzungszone" nach den Weisungen seiner Regierung auszuüben hatte, war die Priorität eigener besatzungspolitischer Zielvorstellungen praktisch festgeschrieben und jeder Siegermacht ein Veto-Recht gegen nicht genehme Kontrollratsentscheidungen der anderen eingeräumt9 . De facto wurden so Eigenwege der Besatzungszonen möglich, wenngleich der Wille zu einer tatsächlichen Aufteilung Deutschlands aus den beiden Abkommen nicht abgeleitet werden kann. Im Gegenteil: Erste Zerstückelungspläne hatte Stalin - beim Besuch des britischen Außenministers Eden in Moskau am 16. Dezember 1941- vorgetragen10. Doch weder auf seine, noch auf die Vorstellungen Roosevelts oder Churchills über die zukünftige politische Gestalt Deutschlands wollten sich die 'Großen Drei' auf der Konferenz von Teheran vom 28. November bis zum I. Dezember 1943 festlegen 11 . Prinzipiell einigen konnten sich die Konfe7 Vgl. Dieter Blumenwitz, Was ist Deutschland?, S.28 [1989]. 8 Abgedruckt in: Dietrich Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, S.ll-14
[1989]. Der Kontrollrat sollte fllr ganz Deutschland verantwortlich sein (Abschn.Ill, Abs.A, Ziff.l ), die deutsche Bevölkerung sollte, soweit praktikabel, in ganz Deutschland gleich behandelt werden (Abschn.Ill, Abs.A, Ziff.2), es wurde von einer zu bildenden ,,Regierung Deutschlands" ausgegangen (Abschn.II, Abs.3, Ziff.I), ,,zentrale deutsche Verwaltungsabteilungen" sollten errichtet werden (Abschn.Ill, Abs.A, Ziff.9,IV), Deutschland sollte als "eine einzige wirtschaftliche Einheit behandelt" werden (Abschn.Ill, Abs.B, Ziff.l4 ). 9 Vgl. Jens Hacker, Die Nachkriegsordnung, S.2l [1987]. 10 Stalin wünschte in Moskau die Loslösung des Rheinlandes von Preußen als unabhängiger Staat, ein selbständiges Bayern und die Westverschiebung Polens bis an die Oder unter Einschluß Ostpreußens. Vgl. hierzu Andreas Hillgruber, Die weltpolitischen Entscheidungen, S.463-464 [1986]. Zu diesem Zeitpunkt dominierte noch Großbritanniens traditionelle Gleichgewichtspolitik, mit der es unvereinbar war, daß die deutsche durch eine sowjetische Hegemonie in Europa abgelöst würde, vgl. Hem~ann Gram/, Die Alliierten, S.l8 [1985]. 11 Roosevelt dachte an die Bildung von fllnf Staaten: Preußen, Hannover/Westdeutschland, Sachsen, ein Gebiet, das in etwa den heutigen Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz entspricht, und Bayern/Baden!Württemberg. Kiel, Hamburg, das Ruhrgebiet, das Saarland und der Nord-Ostsee-Kanal sollten internationalisiert wer-
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renzteilnehmer nur auf die von Stalin geforderte Wiederherstellung der so\\jetischen Westgrenze 12 , womit Roosevelt und Churchill den die Solljetunion betreffenden Teil des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 sanktionierten. Mündlich stimmten Churchill und Roosevelt einer von Stalin vorgeschlagenen "Kompensation" Polens, d.h. der Westverschiebung Polens zwischen Oder und der Curzon-Linie 13 , zu 14 . DieNeiße- ob östliche oder westliche- wurde als möglicher Grenzfluß auf der Teheraner Konferenz noch nicht erwähnt 15 . Auf ihrer zweiten Konferenz, in Jalta vom 4. bis zwn 11. Februar 1945, vermochten die 'Großen Drei' nicht mehr als nur die prinzipielle Übereinstimmung in der Frage einer ,,zerstückelung" Deutschlands festzustellen 16 . Sie beschlossen einen Ausschuß einzusetzen, der Näheres über die "Zerstükkelung" untersuchen sollte17 . Dieser Begriff ist allerdings in der "Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands" vom 5. Juni 1945 und in der amtlichen Mitteilung über die (Potsdamer) Dreimächte-Konferenz in Berlin vom 2. August 1945, nicht mehr aufgetaucht 18 . Die drei Regierungschefs konnten sich wieder nicht auf eine neue Westgrenze Polens einigen 19 , auch den. Churchill schlug eine Nord-Süd-Teilung vor, wobei Sachsen, Bayern, die Pfalz und Württemberg zusammen mit Österreich und Ungarn einen eigenständigen Donaubund bilden sollten. Vgl. hierzu RolfSteininger, Deutsche Geschichte, S.23 [1983). Auf eine ,,'eindeutige Tendenz'" der Schwächung Deutschlands und ganz Mitteleuropas durch Aufteilung kmmten sich die 'Großen Drei' ganz im "Sinne der so\\jetischen Dynamik" aber verständigen, so Hermann Gram/, Die Alliierten, S.30 [1985). 12 Vgl. Wilfried Loth, Die Teilung der Welt, S.45-46 [1990). 13 Die Curzon-Linie ist die Demarkationslinie zwischen Polen und der So\\jetunion, die der britische Außeruninister Curzon im Namen der Interalliierten Konferenz von Spa am 11. Juli 1920 der so\\jetrussischen Regierung vorschlug. Sie entsprach in ihrem Hauptteil zwischen Grodno und der Grenze Galiziens der Linie des "8. Dezember 1919", die die alliierten Hauptmächte als Ostgrenze Polens vorgeschlagen hatten. 14 Vgl. hierzu Churchill, Bd.S, S.348-351 .[1954). Die Curzon-Linie als die neue Ostgrenze Polens wurde während der Jalta-Konferenz festgelegt. Roosevelts Verhalten in dieser Angelegenheit blieb aus Rücksicht auf etliche Millionen polnischstämmiger Wähler in den Vereinigten Staaten passiv, vgl. Hermann Gram/, Die Alliierten, S.27 [1985]. 15 Churchill schlug Molotow vor, auch den ,,Bezirk Oppeln" Polen zuzuteilen, so Churchill, Bd.5, S.351 [1954). Der Regierungsbezirk Oppeln verlief überwiegend an der Glatzer, also an der östlichen Neiße. 16 Vgl. Hermann Gram/, Zwischen Jalta und Potsdam, S.310 [1976]. 17 Vgl. Jens Hacker, Die Nachkriegsordmmg, S.7 [1987], u. RolfSteininger, Deutsche Geschichte, S.26-27 [1983). 18 Vgl. Heinrich vo11 Sieg/er, Bd.l , S.4 [1967]. 19 Der ,,Bericht über die Krimkonferenz" ist tlwse. abgedruckt in: EA I 1946/47, S.2ll-212.
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wenn sich Churchill noch im Dezember des Vorjahres im Unterhaus fiir die ,,Kompensation" und die "völlige Vertreibung der Deutschen" ausgesprochen hatte20 . In Jalta aber widersprach der Brite dem Vorschlag Molotows, Polen bis an die westliche, die Lausitzer Neiße zu verschieben21 . Sein Ziel, die maximale "Ausweitung sowjetischen Einflusses in Europa im Einverständnis mit den Kriegs-Alliierten"22 , verfolgte Stalin in auffiillig ähnlicher Weise wie im November 1940, als Außenminister Molotow in Berlin beim sowjetischen Freundschaftsvertragspartner Deutschland Ansprüche in Mittel- und Osteuropa anmeldete. Damals arn Interessenkonflikt zwischen den beiden Diktatoren gescheitert23 , vermochte nun das gerneinsame Kriegsziel der 'Großen Drei', die Ausschaltung Deutschlands als Machtfaktor24 , die westlichen Partner Stalins immer wieder zum Einlenken zu bringen. Seine vermutlich wahre politische Grundüberzeugung hatte Stalin indes dem Stellvertreter Titos, Milovan Djilas, kurze Zeit vor Kriegsende in einem Gespräch dargelegt: ,,Dieser Krieg ist nicht wie in der Vergangenheit; wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein eigenes gesellschaftliches System auf. Jeder fiihrt sein eigenes System ein, soweit seine Armee vordringen kann. Es kann gar nicht anders sein"25 .
20Vgl. Gonhold Rhode, Die Ostgebiete, S.141 [1957]. Bereits im Februar 1942 hatte ein Beraterstab unter Federfilhrung des Historikers Arnold J. Toynbee im Auftrag des britischen Außenministeriums ein Memorandum über die Vertreibung von ca. 6,8 Millionen Deutschen erstellt, vgl. AdolfM. Birke, S.16 [1989]. 21 Auch der polnische Exil-Premierminister, Tomasz Arciszewski, verzichtete am 17. Dezember 1944 gegenüber der Sunday Times in London ausdrücklich auf eine Grenze, die Breslau und Stettin und damit acht bis zehn Millionen Deutsche eingliedern würde, vgl. Rhode/Wagner, S.l33 [1956]. Churchill und Roosevelt glaubten zu diesem Zeitpunkt vorsichtig optimistisch, mit den Absprachen in Jalta und der auch von Stalin akzeptierten ,,Deklaration über das befreite Europa", in der vom ,,Recht aller Völker" die Rede war, die so\\jetische Politik eingedämmt zu haben und nun kontrollieren zu können. Vgl. u.a. Hennann Gram/, in: Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.299 u. 304 [1982]. 22 Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, S.36 [1987]. Vgl. auch Albrecht Tyrell, Die deutschlandpolitischen Hauptziele, S.35 [1985]. 23 Vgl. hierzu Marie-Luise Recker, S.33 [1990]. 24 Vgl. hierzu Albrecht Tyrell, Die deutschlandpolitischen Hauptziele, S.23-25 [1985]. 25 Milovan Djilas, Gespräche mit Stalin, S.146 [1962]. Diese Äußerung Stalins wird mit ähnlicher Interpretation auch von Adolf M. Birke, S.22 [1989], Hennann Gram/, Die Alliierten, S.79 [1985], Kar/ Dietn"ch Erdmann, Das Ende des Reiches, S.68 [1990], JosefBecker, Deutsche Frage 1941-1949, S.18 [1979], Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, 8.40 [1987], Andreas Hillgruber,
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Gleiches Denken unterstellte Stalin seinen Kriegspartnern und späteren Gegnern im Kalten Krieg. Er glaubte, auch sie würden von der Irreversibilität des je eigenen Zugewinns an territorialer Macht ausgehen26 . Dieses dichotomische Weltbild Stalins sollte von erheblicher Bedeutung ftir die Beurteilung der sowjetischen Deutschlandpolitik der Nachkriegszeit sein27 . 2. Alliierte Deutschlandpolitik im Frühjahr I Sommer 1945
Die bedingungslose Kapitulation am 7. und am 8. Mai 194528 war ein militärischer Akt29 und traf die rechtliche Substanz der deutschen Staatsgewalt nicht30 . Mit der sogenannten "Berliner Erklärung"31 vom 5. Juni 1945 übernahmen die nun vier Alliierten die "oberste Gewalt hinsichtlich Deutschlands"32 und schlossen gleichzeitig eine "Annektierung Deutschlands" aus-
Der Zweite Weltkrieg, S.328 [1972], Alexander Fischer, Die So\\jetunion und die "deutsche Frage" 1945-1949, S.4445 [1984), Manfred GIJrtemaker, Die unheilige Allianz, S.19 [1979), Karl-Heinz Ruffmann, Die deutsche Teilung- unvermeidlich?, S.31 [1986), Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.28 u. 310 [1982) u.a. zitiert. Für Wilfried Loth, Teilung der Welt, S.99 [1990), aber belegt dieses Zitat kein "vorgefaßtes So\\jetisierungskonzept", sondern "tatsächlich [...] eine Methode so\\jetischer Außenpolitik, aber nicht die so\\jetische Außenpolitikper se". 26 Vgl. ähnl. Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.310 [1982). 27 Seine Verbündeten freilich versuchte Stalin zu täuschen. Dem amerikanischen Sonderberater des Präsidenten, Harry Hopkins, versicherte der Diktator, "seitens der So\\jetunion gäbe es keine Absicht, in Polens innere Angelegenheiten einzugreifen. Polen würde unter einem parlamentarischen System leben, das dem der Tschechoslowakei, Belgiens und Hollands ähnlich sei, und jedes Gerede über eine Absicht, Polen zu so\\jetisieren, wäre Unsinn", Gespräche Hopkins mit Stalin am 26./27. Mai 1945, in: FRUS, The Conference ofBerlin 1945, Washington 1955, Bd.1, S.24ff. 28 Die Kapitulationsurkunde von Berlin-Karlshorst wurde allerdings erst am 9. Mai wn 0.16 Uhr unterzeichnet. 29 Vgl. Kar/ Doehring, Das Staatsrecht, S.49, m.w.N. [1976). Nach Michael Stolleis, Besatzungsherrschaft, S.182 [1987), besteht Einigkeit darüber, "daß die Streitkräfte aufgrund einer Weisung der noch amtierenden Regierung Dönitz kapitulierten und der Vorgang zunächst die Bedeutung einer militärischen Unterwerfung" hatte. 30 Vgl. Dieter Blumenwitz, Was ist Deutschland, S.33, m.w.N. [1989). 3 1 In: EA 1 1946/47, S.213-215, bzw. Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr.1, S.7fT. 32 Territorial und in ihren Kompetenzen begrenzte "German authorities" allerdings wurden in der Erklärung mehrfach (Art.6, 7, llc, 13b) als vorhanden und unterwerfungspflichtig angesehen. ,,Funktionsflihi.ge Reste von Staatsgewalt wurden also vor-
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drücklieh aus. Was dies abgesehen von der Ausfüllung eines "Herrschaftsvakuum[s]"33 fiir die völkerrechtliche Beurteilung der Situation des besiegten Deutschland ausmachte, konnte von den Verantwortlichen und der betroffenen Bevölkerung noch nicht erfaßt werden34 . Stalin hatte inzwischen seine Forderung von Jalta, Deutschland definitiv in mehrere Staaten aufzuteilen35 , anscheinend fallengelassen36 . Am Tag der deutschen Kapitulation verkündete er, daß sich die Sowjetunion nicht anschicke, "Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten"37 . Stalin begann, "sich zum Sachwalter der deutschen Einheit zu machen"38 und verfolgte seit dem Sommer 1945 eine Politik mit dem Ziel, das ganze Nachkriegsdeutsch-
ausgesetzt, in Dienst gestellt und pragmatisch weiterverwendet" (Michael Stolleis, Besatzungsherrschaft, S.l84 [1987]). 33 Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.27 [1982]. 34 Vgl. so Adolf M. Birke, S.42 [1989], ähnl. Michael Stolleis, Besatzungsherrschaft, S.l75 [1987]. 35 Vgl. Albrecht Tyrell, Die deutschlandpolitischen Hauptziele, S.35-36 [1985]. 36 Am 25. März 1945 hatte er den Westmächten mitteilen lassen, daß eine Zerstückelung Deutschlands nicht als obligatorischer Plan, sondern nur als eine Möglichkeit, Deutschland unter Druck zu setzen, zu verstehen sei, vgl. Jens Hacker, Der Ostblock, S.l9lff. [1983], ders., Die Nachkriegsordnung, S.8 [1987], u. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.15 [1987]. Albrecht Tyrell, Die deutschlandpolitischen Hauptziele, S.36-37 [1985], datiert das Ablilcken Stalins von seinen Teilungsplänen auf den 5./6. Februar 1945, also noch während der Krimkonferenz. Auch Hemrann Gram/, Die Alliierten, S.50 [1985], schreibt, daß auch Stalin bereits in Jalta "eine Zerstückelung Deutschlands nicht länger wünschte". Zu den amerikanischen Bemühungen, den Teilungsgedanken fallenzulassen, siehe Hemrann Gram/, Zwischen Jalta und Potsdam [1976]. 37 Zit. nach Wolfgang Pfeiler, Kriegsziele im Widerstreit, S.l3 [1984]. Die Kapitulationsurkunde, die nach so\\jetischer Forderung und entsprechend der Beschlüsse in Jalta einen Hinweis auf Zerstückelung Deutschlands enthalten sollte, fand bei Stalin keine Zustimmung mehr, im Hauptquartier Eisenhowers mußte kurzfristig ein Text improvisiert werden, in dem von einer Aufteilung des Reiches nicht mehr die Rede war, vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.30-31 [1990]. Es wurde unter Punkt 4 ein politischer Vorbehalt eingefUgt ,,Diese Kapitulationserklärung stellt kein Präjudiz fttr an ihre Stelle tretende allgemeine Kapitulationsbestimmungen dar, die durch die Vereinten Nationen oder in deren Namen festgesetzt werden und Deutschland und die Deutsche Wehrmacht als Ganzes betreffen werden", in: EA l 1946/47, S.213, bzw. Amtblatt des Kontrollrates in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr.l, S.6. 38 Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, S.38 [1987], ähnl. Ernst Deuerlein, Die Einheit Deutschlands, S.l91 [1961].
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land für die Sowjetunion zu gewinnen39 . Zu diesem Zweck ließ Stalin im Juni politische Parteien und Gewerkschaften in seiner Zone zu40 und wies die deutschen Kommunisten an, nicht für den Sozialismus, sondern fur die parlamentarische Demokratie einzutreten41 . Dabei bedeuteten Begriffe wie 'friedliebend' oder 'Demokratie neuen Typs' den offenbar bewußten Einsatz sprachlicher Mittel, die die Widersprüche zu westlichen politischen Vorstellungen verschleiern sollten42 . Seinem unmittelbaren Kriegsziel, die Wiedererrichtung eines antisowjetischen, mittelosteuropäischen "Cordon sanitaire" zu verhindern43 , war Stalin 39 Vgl. Hans-Peter Schwarz, Vom Reich zur Bwtdesrepublik, S.241 [1980], Fritz Faust, S.49 [1964], u. Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, S. 38 [1987). 40 Vgl. Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründwtg, S.32 [1984], u. ausf\lhrlicher Martin McCauley, Deutsche Politik, S.295-299 (1985). 41 Vgl. Alexander Fischer, So\\jetische Deutschlandpolitik, S.108 [1975]. Anders dagegen Wolfgang Benz, Gründwtg der Bwtdesrepublik, S.47 [1986], der die "antifaschistisch-demokratische Blockpolitik, die Zusanunenarbeit mit sozialdemokratischen wtd bürgerlich-demokratischen Parteien in ganz Westeuropa, die Regierwtgsbeteiligung von Kommwtisten in Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg, Dänemark, Norwegen, Island wtd in fast allen Ländern der drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands" als ,,Indizien für die Kooperationsbereitschaft der So\\jetunion in den ersten beiden Nachkriegsjahren" gelten läßt. Ähnl. Dietrich Geyer, Deutschland als Problem, S.61 [1985], der mit den "demokratisch-parlamentarisch eingefärbten Blocks, Einheitsfronten wtd Koalitionen" kein Konzept zur Sprengwtg der westlichen Allianz sieht, sondern ein Mittel des so\\jetischen Interesses, "die Kooperation mit den Kriegsalliierten fortzuführen wtd riskante Konflikte zu vermeiden". 4 2 Vgl. Wolfgang Geierhos, Gnmdlagen der so\\jetischen Politik, S.24 [1986). Wohl filrchtete Stalin eine Wiederholwtg der Geschichte, wie sie sich seiner Ansicht nach in der Zwischenkriegszeit abgespielt hatte: Der Westen hatte Deutschland besiegt, aber anschließend wirtschaftlich wieder aufgerichtet, um es "gegen die So\\jetunion zu lenken" (Josef Stalin, Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Stuttgart 1952, S.35, zit. nach Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, S.37 [1987]). Wichtig war es filr ilm darum vor allem, das Ruhrgebiet, das Herz der deutschen Wirtschaftsmacht, mit zu kontrollieren. 43 So Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, S.32 [1987]. Hem~ann Gram/, Die Alliierten, S.69 [1985], weist darauf hin, daß dieser "cordon sanitaire" in der Zwischenkriegszeit bis auf den Sonderfall des polnisch-so\\jetischen Krieges niemals einen die Sicherheit der So\\jetunion bedrohenden Charakter hatte, sondern immer nur der "ideologischen und territorialen Expansion der So\\jetunion" im Wege lag, wtd daß ja gerade Polen Opfer der nationalsozialistisch-so\\jetischen Annexionspolitik wurde, weil es gegen eine antiso\\jetische Koalition mit Deutschland blieb. Hermann Gram/ wendet sich damit gegen das auch von Wilfried Loth, Teilwtg
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nicht nur nahe gekommen, sondern es war ihm gelungen, den sowjetischen Einfluß bis weit nach Mitteleuropa auszudehnen44 . Der Gebietszuwachs entsprach der in ihrer Konzeption offensiven Moskauer Außenpolitik45 . Stalin war vorn "allmählichen Sieg der Revolution in Europa"46 überzeugt und prognostizierte eine Erholungsphase von lediglich "fünfzehn, zwanzig Jahren", nach der es "von neuern losgehen" 47 würde. Churchill, der bereits arn 12. Mai 1945 in einem Schreiben an Trurnan von einem "Eisernen Vorhang" sprach48 , der sich vor den sowjetischen Machtbereich niedergesenkt habe, sah die Entwicklung jenseits dieses Vorhanges voller Sorge. Er drängte den amerikanischen Präsidenten, den Rückzug der weit in die geplante sowjetische Besatzungszone vorgedrungenen angloamerikanischen Truppen49 solange hinauszuzögern, bis Stalin die in Jalta feierlich
der Welt [1990], vorgetragene Argument, das ausgeprägte Sicherheitsbedürfuis der Sowjetunion habe eine gewisse historische Berechtigung. Scharfe Kritik an Wilfried Loth, Teilung der Welt [1990), übt auch Kurt Marko, S.92-l03 [1992). 44 Vgl. hierzu Dietrich Geyer, Deutschland als Problem, S.56 [1985). Erleichtert wurde das sowjetische Vordringen auch durch die berühmte 'ProzentRegelung' fur den britisch-sowjetischen Einflußbereich im südosteuropäischen Raum, die Churchill im Oktober 1944 in Moskau vorschlug und die die prinzipielle Zustimmung Stalins erlangte, vgl. hierzu Wi/fried Loth, Teilung der Welt, S.56, Arun.8 [1990). 4 5 Dietrich Geyer, Deutschland als Problem, S.63 [1985), weist daraufhin, daß die Machtübernahme kommunister Parteien in Osteuropa ,,keine Sache war, die erst unter dem Druck eskalierender Ost-West-Spannungen ins Werk gesetzt worden wäre" . Diese dienten vielmehr als "lautverstärkende Rechtfertigung dessen, was in Osteuropa damals durch Zwang und Terror entschieden wurde". 46 Kare/ Kaplan, Der kurze Marsch, München/Wien 1981, S.90f, zit. nach Alexander Fischer, Die Sowjetunion und die "deutsche Frage" , S.46 [1984). Den expansiven, marxistisch-leninistischen Charakter der sowjetischen Außenpolitik unterstreicht auch AdolfM. Birke, S.20 [1989). 47 Milovan Djilas, Der Krieg der Partisanen, Wien u.a. 1978, S.559, zit. nach Alexander Fischer, Die Sowjetunion und die "deutsche Frage", S.45 (1984). 48 Vgl. hierzu Kari-Heinz Minuth, ,,Eiserner Vorhang". Zur Geschichte eines politischen Schlagworts unserer Zeit [1964), der, S.47, wie Andreas Hillgruber, ,,Neutralisierungs"-Pläne, S.970 [1988), daran erinnert, daß diesen Begriff schon Goebbels am 25. Februar 1945 in einem Artikel in Wochenzeitung ,,Das Reich" verwendet hatte. 49 Die Amerikaner hatten bis Kriegsende Gebiete in Mecklenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt erobert, insgesamt etwa 45.000 Quadratkilometer. Vgl. hierzu Friedrich Kar/ Fromme, Erlöst und beinahe befreit - filr ein paar Wochen, in: FAZ v. 29.6.1985, u. die Leserbriefe hierzu von Andreas Hillgruber, Es war bekannt, u. He/ga Haftendom, In Crimmitschau stand es zu lesen, in: FAZ v. 3.8.1985.
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eingegangene Verpflichtung50 , allen befreiten Völkern durch freie Wahlen die Regierungsform wählen zu lassen, "unter der sie leben wollen", erfiillen würde. Truman aber, dem es vornehmlich um den Kriegseintritt Moskaus gegen Japan ging.5I, lehnte ein solches Junktim ab52. Vor dem Abzug der Westalliierten in die zugesprochenen Zonen, so sein Argument, könne der Alliierte Kontrollrat in Berlin nicht tätig werden53 . Die westalliierten Truppen zogen sich im Juni 1945 schließlich zurück; ein freier Zugang der angloamerikanischen Truppen zu den Westsektoren Berlins war nur mündlich und nur zwischen militärischen Vertretern der drei Koalitionäre vereinbart worden54 . Sehr bald aber wuchs auch bei Truman das Mißtrauen gegenüber der expansiven Politik Stalins55 . So wünschten beide, Trurnan und vor allem Churchill56, eine baldmögliche erneute Zusammenkunft mit Stalin, um die Abma-
50 Erklärung über die befreiten Gebiete Europas, in: Foreign Relations of the United States, The Conferences at Malta and Yalta, Washington 1955, S.971, bzw. dt. in: EA I 1946/47, S.212-213. SI Vgl. Harry Truman, Memoiren I, S.311 [1955]. 52 Vgl. Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.41 [1982]. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.49 [1990], zeigt, daß Truman sich zunächst an die Erfahrungen hielt, die Roosevelt mit Stalin zu machen glaubte, nämlich daß Stalin ein Mann sei, der Vereinbarungen einhalte. 53 Vgl. Fritz Faust, S.44 [1964], u. Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.58 [1983]. 54 Vgl. Prell/Buffet, S.l8 [1988), u. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.16 [1987]. 55 Z.B. unterstützte Stalin in Persien, am nordpersischen 01 interessiert, gegen Absprachen mit England eine separatistische Bewegung; die türkische, volle Kontrolle der Meerengen wünschte Stalin zu revidieren; in Rumänien konfiszierte er amerikanisches und britisches Oleigentum; den westlichen Vertretern der alliierten Kontrollkommissionen in Ungarn, Rumänien und Bulgarien verwehrte er ungehinderte Bewegungs- und Informationsfreiheit; die Prager Regierung zwang er zur Abtretung der strategisch wichtigen Karpato-Ukraine, womit er eine gemeinsame Grenze mit Ungarn und der Tschechoslowakei schuf; Finnland mußte ihm den Stützpunkt PorkkalaUdd vor den Toren Helinkis verpachten; er wünschte die Treuhänderschaft über die ehemals italienischen Kolonien in Nordafrika; den Gedanken Trumans an einer Internationalisierung wichtiger Binnenwasserstraßen Europas lehnte er ab. Vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.59-60 [1990), Andreas Hillgruber, Grundzüge, S.l44 [1987), u. Hennann Gram/, Die Alliierten, S.90-91 [1985). Schon im Mai hatte der Sonderberater Trumans, Harry Hopkins, in Moskau gegenüber Stalin von der Verwirrung des Präsidenten und der amerikanischen Öffentlichkeit der so\\jetischen Polen-Politik wegen gesprochen, vgl. FRUS, The Conference of Berlin 1945, Washington 1955, Bd.l, S.24ff. 56 Vgl. hierzu Hennann Gram/, Die Alliierten, S.63-64 [1985].
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chungen von Jalta in eine endgültige Fassung zu bringen und die noch offenen Probleme der zu schaffenden Nachkriegsordnung zu lösen. Auf der "Potsdamer Konferenz" im Schloß Cäcilienhof, vom 17. Juli bis zum 2. August 1945, trafen die 'Großen Drei' - Churchill wurde nach dem 26. Juli von seinem Nachfolger, Clement Attlee, ersetzt- zum letzten Mal zusammen. Die Konferenzteilnehmer vermochten sich über die Frage nach der Zukunft Deutschlands nicht zu einigen57 . Die Reparationsfrage ließ den Konferenzverlauf immer wieder stocken, besonders die von Stalin seit der Krimkonferenz geforderten zehn Milliarden Dollar deutsche Wiedergutmachung lehnten die westlichen Alliierten auch auf der Potsdamer Konferenz als unannehmbar ab58 , weil sie wirtschaftliches Chaos bedeutet und dem Kommunismus in Deutschland den Weg geebnet hätte59 . Die gefundenen Kompromisse waren in sich widersprüchlich. Im Potsdamer Abkommen60 wurde festgehalten, daß Deutschland während der Besatzungszeit als "eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten" sei. Darauf pochten die Sowjets mit Nachdruck, obwohl Stalin in seiner Zone bereits vor der Konferenz politische und wirtschaftliche Sonderregelungen geschaffen hatte: Die nach dem Londoner Protokoll seiner Zone zugehörigen Gebiete östlich von Oder und Neiße hatte er unter polnische Verwaltung gestellt, und er hatte zoneneigene Zentralverwaltungen errichten lassen. Seine Zone isolierte er von den westlichen
57 Einigkeit bestand zwischen den Siegern nur in den "Vier D's" fllr die künftige Deutschlandpolitik der Demilitarisierung, Denazifizierung, Demokratisierung und der Dezentralisierung der deutschen Wirtschaft. Dies aber waren grobe Formeln, die unterschiedlich interpretierbar waren und in der Folgezeit auch unterschiedlich interpretiert wurden, vgl. hierzu die skeptischen Überlegungen George F. Kennans in seinen Memoiren, S.265-268 [1982). 58 Die von Wilfried Loth, Teilung der Welt, S.144 [1990], verwendete Formulierung, "die Sowjetregierung forderte nach wie vor[... ] Reparationen in der in Jalta notierten Höhe", erinnert an die Behauptungen der sowjetischen Delegation in der erfolglos gebliebenen Moskauer Reparationskommission, vgl. Hermann Gram[, Die Alliierten, S.84 [1985], und vermag beim Leser den falschen Eindruck zu erwekken, die drei Kriegsalliierten seien über die Reparationshöhe in Jalta einig geworden. ,,Notiert" wurde die Höhe aufgrund insbesondere britischen Einspruchs lediglich als Gesprächsgrundlage, nicht als Verhandlungsergebnis, vgl. Adolf M Birke, S.l9 [1989], u. Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 314 [1982). 59 Vgl. Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.61 [1983). Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.605 [1974], bezeichnet gerade dies als die Intention Stalins. 60 Abgedruckt in: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr.l, S.13tT. bzw. in: EA 1 1946/47, S.215-220. Der offizielle Titel ist ,,Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin".
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"effektiver als eine Staatsgrenze"61 , behandelte sie als eigenes Reparationsgebiet und gestaltete sie ökonomisch und sozial nach sozialistischen Vorstellungen um62 . Wenn aber das agrarische Ostdeutschland bereits abgetrennt war, damit also Westdeutschlands interzonale Getreideversorgung ausfiel, dann konnte den Westmächten nichtsdarangelegen sein, ihre Zonen als einheitliches Reparationsgebiet behandeln zu lassen63 . Darum wurde im Potsdamer Abkommen festgelegt, daß jede Siegermacht ihre Reparationsforderung aus ihrer Zone selbst zu decken habe64 . Der unilateralen Politik Stalins wurde somit Rechnung getragen und die Teilung Deutschlands in ein östliches und ein westliches Wirtschaftsgebiet eingeleitet65 . Der sowjetischen Annexion des nördlichen Ostpreußen haben die Westmächte faktisch zugestimmt, mit der Absicht, sie auf der geplanten Friedenskonferenz endgültig zu sanktionieren. Die übrigen Ostgebiete Deutschlands kamen unter polnische Verwaltung66 ; auch sie wurden aus der sowjetischen Besatzungszone ausgegliedert. Die endgültige Westgrenze Polens sollte zwar erst bei der Friedensregelung festgelegt werden, in die sofort beginnende Austreibung der Deutschen aus ihrer ostdeutschen Heimat (und aus der Tschechoslowakei67 und Ungarn)- "in geordneter und humaner Weise" -aber willigten Attlee und Truman nach wiederbalter Behauptung Stalins, die Mehrheit der Deutschen habe ohnehin schon ihre Heimat verlassen68 , ein69 . 61 Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.337 (1982]. 62 Vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.62-63 [1990], Dietrich
Staritz, Gtilndung der DDR, S.48 (1987], u. Michael Stolleis, Besatzungsherrschaft, S.l84 [1987], der eine Äußerung Feldmarschall Montgomerys vom 6. Juli 1945 zitiert: "There is in fact a complete wall between the Russian zone and the zones of the western Allies". 63 Vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.64 [1990]. 64 Zusätzlich wurden den Sowjets zehn Prozent der im Westen demontierten Industrieanlagen ohne Gegenleistung und fünfzehn Prozent im Austausch mit Produkten aus der eigenen Zone zugesprochen. 65 Vgl. Josef Becker, Deutsche Frage 1941-1949, S.37-38 [1979], u. Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.347 [1982]. 66 Zu den anfiinglichen westlichen Vorbehalten während des Konferenzverlaufs sieheAdo/fM. Birke, S.38-39 [1989]. 67 Siehe hierzu Felix Ermacora, Die sudelendeutschen Fragen S.256-263 [1992], der die Vertreibung (der Sudetendeutschen) gar dem Tatbestand des Völkermordes zuordnet. 68 Vgl. Dietrich Staritz, Gtilndung der DDR, S.40 [1987]. In der Folge starben mehr als zwei Millionen Menschen als Opfer von Flucht und Vertreibung, vgl. Andreas Hillgrober, Als der Osten Deutschlands verloren ging, in: Die Welt v. 14.4.1986. 69 Eine endgültige Abtrennung der deutschen Ostgebiete war allerdings zu Kriegsende auch in den Augen Stalins und der polnischen Kommunisten noch nicht vollzo-
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Frankreich sah mit der faktischen Abtrennung der Gebiete östlich von Oder und Neiße die französischen Gebiets- und Grenzwünsche im Westen Deutschlands gerechtfertigt70 . Die Regierung General de Gaulies forderte seit 1944 die völlige Aufteilung Deutschlands, um das nach damaliger französischer Auffassung fiir zwei Weltkriege verantwortliche Bismarck-Reich zu zerstören71 . Stalin, selber an Rhein und Ruhr interessiert. widersetzte sich den französischen Wünschen, während de Gaulle die neue Westgrenze Polens akzeptierte, in der Erwartung, daß sie die "Verständigung zwischen Deutschland und Polen ausschließen würde"72 . In den folgenden Jahren nutzte Frankreich die Schwäche der exekutiven Voraussetzungen einer gemeinsamen Besatzungspolitik und suchte die anderen Besatzungsmächte zurück zu alten Zerstückelungsplänen zu bewegen73 . Die Franzosen, die sich an das Potsdamer Protokoll -- weil nicht beteiligt - nicht gebunden fühlten74 , betrieben in ihrer
gen: Die Sowjetunion und Polen haben im Vertrag vom 16. August 1945 den gemeinsamen Grenzverlauf durch Ostpreußen ausdrücklich einer Friedensvertragsregelung unter Bezugnahme auf die Potsdamer Übereinkunft vorbehalten, vgl. Dieter Blumenwitz, Die territorialen Folgen des Zweiten Weltkrieges fUr Deutschland, S.17 [1985]. Polnische Revisionsbestrebungen, Gebiete auch westlich der Oder einzugliedern, waren im Stettiner Bereich erfolgreich, obwohl Stettin außerhalb der im Kapitel IXb der Potsdamer Erklärung beschriebenen Verwaltungsgrenze ("von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort[!] die Oder entlang...") liegt. Siehe hierzu auch Hans Georg Lehmann, Der Oder-Neiße-Konflikt, S.231 [1979]. Dieses polnische Vorgehen dokumentierte implicite ebenfalls das Eingeständnis, "daß die Potsdamer Konferenz keine definitiven territorialen Entscheidungen gefällt hatte", so Hans Georg Lehmann, Der Oder-Neiße-Konflikt, S.57 [1979]. 70 Vgl. Renata Fritsch-Boumazel, Frankreich und die deutsche Frage, S.88 [1984]. 71 Vgl. Renata Fritsch-Boumazel, Frankreich und die deutsche Frage, S.87 [1984], u. Gerd Wehner, Die Deutschlandpolitik der Westalliierten, S.5 [1989]. Zudem verlangte de Gaulle die Abtrennung des Rhein- und des Saarlandes als Glacis und "un contröle indefmi" über Gebiete, die im Grunde schon Ludwig XIV. beanspruchte: ,,La rive gauehe du Rhin, le Palatinat, Ia Hesse, Ia Prusse rhenane et Ia Sarre", so in einer Rede in Baden-Baden vom 5. Oktober 1945, zit. nach Renata Fritsch-Boumazel, Frankreich und die deutsche Frage, S.90 [1984]. Vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.82-83 [1990], u. Josef Becker, Deutsche Frage 1941-1949, S.2l-23 [1979], der im übrigen, S.52, Anm.l8, meint, daß die Frage, ob de Gaulle auch an formelle Annexionen dachte, in der Forschung strittig sei. 72 Renata Fritsch-Boumazel, Frankreich und die deutsche Frage, S.9l [1984]. 73 Vgl. Hennann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.329 [1982]. 74 Zurecht weist Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.23 [1990], darauf hin, daß die Annahme des Angebotes, an der Besetzung Deutschlands und als Mitglied im Alliier-
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Zone ebenfalls eine Ausbeutungspolitik wie die Sowjets und blockierten durch permanentes Veto wichtige, Deutschland als Einheit betreffende Entscheidungen75. Die Sowjetunion wiederum konnte so im Windschatten der französischen Verhinderungspolitik ihre eigenen Interessen verfolgen und ihre Zone ohne Berücksichtigung gesamtdeutscher Interessen umbauen76 . Ihre deutschlandpolitischen Ziele vermochte die französische Politik freilich nicht durchzusetzen, weil sie auf falschen Voraussetzungen beruhte: Dem Rückzug der Amerikaner aus Europa und dem Desinteresse der Briten am Ruhrgebiet Letztere gewannen vielmehr die Überzeugung, nur ein einheitliches Deutschland sei imstande, als Element der "balance of power'' zum Mächtegleichgewicht in Europa beizutragen77 , die Reparationsforderungen zu erfüllen sowie die Eigenversorgung zu gewährleisten78 . Die Amerikaner verfolgten ein kooperativ-integratives Konzept der Friedenssicherung und suchten gemeinsame Sicherheit mit den anderen Großmächten im Rahmen der Vereinten Nationen79 . Im Byrnes-Pian80 von 1946 zum Beispiel war die Vorstellung ten Kontrollrat teilzunelunen, als Übereinstirnmwtg mit den von den "Großen Drei" ausgehandelten Maximen verstanden werden muß. Ähnl.. Hennann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8.327-328 [1982), u. ders., Die Alliierten, 8.107 u. 8.223, Arun.8 [1985). 15 Vgl. Dieter Blumenwitz, Überwindwtg, S.23 [1990), u. Hennann Gram/, Die Alliierten, S.1 06 [1985). So scheiterten die im Potsdamer Protokoll vorgesehene Bildwtg deutscher Staatssekretariate, die Grtlndwtg gesamtdeutscher Gewerkschaften wtd die 8chaffwtg von Reichszentralen der seit dem Herbst 1945 in allen vier Zonen zugelassenen Parteien KPD, 8PD, CDU wtd LPD, vgl. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.20 [1987]. 76 Vgl. hierzu Hennann Gram/, Die Alliierten, 8.115-118 u. 126-130 [1985), der die Handlwtgen der beteiligten Akteure allerdings nicht als einen "bewußt gesteuerten Prozeß" (8.129) zur Teilwtg Deutschlands ansieht. 77 Vgl. Hennann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8.311 [1982), u. JosefBecker, Deutsche Frage 1941-1949, 8.23 [1979). 78 Vgl. JosefFoschepoth, Großbritannien tmd die Deutschlandfrage, 8.61 [1984). 79 Vgl. Wemer Link, Die amerikanische Deutschlandpolitik 1945-1949, S.8-9 [1984], Klaus Schwabe, Die amerikanische Besatzungspolitik, 8.330 [1978), Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.32 [1982], u. Hennann Gram/, Die Alliierten, 8.21-23 [1985). Die Niederlage der 8ED bei den Gesamtberliner Kommunalwahlen ließ die amerikanische Militärregierwtg im Oktober 1946 noch glauben, daß Moskau die 8o\\jetisierwtg der Ostzone ,,nicht weiter vorantreiben tmd damit die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichen könnte", so Klaus Schwabe, Die amerikanische BesatZW1gspolitik, 8.329 [1978). 80 Vgl. hierzu Hennann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8.343-355 [1982).
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des amerikanischen Außenministers entwickelt, mit einem Vier-Mächte-Vertrag die Entwaffnung Deutschlands nach Besatzungsende für 25 Jahre zu garantieren, so die Sicherheitsinteressen der Briten, Sowjets und vor allem der Franzosen zu befriedigen, damit Deutschland zu neutralisieren81 und langfristig die russische Beherrschungspolitik in Osteuropa zu lockem82 . Das Einstimmigkeitsprinzip im Kontrollrat sollte zugunsten eines Mehrheitsprinzips in einer Überwachungskommission aufgegeben werden. So wäre eine effektive Deutschlandpolitik der Siegermächte ermöglicht worden, "in der sich die Einheit Deutschlands notwendigerweise widergespiegelt hätte"83 . Der Byrnes-Plan fand nach anfänglichem Wohlwollen der Sowjets nicht deren Zustimmung. Mit dem Argument, die deutsche Frage sei nur in ihrer Gesamtheit zu lösen84 , wollten sie ihn mit Elementen erweitern, über die gerade mit Hilfe dieses Planes Kornpromisse erzielt werden sollten85 . Endgültig scheiterte der Byrnes-Plan während der Moskauer Außenministerratssitzung im März/April 194786. Offensichtlich sah Stalin zu diesem Zeitpunkt keine Chance, seinen Einflußbereich im Sinne einer gesamtdeutschen Option zu
81 Vgl. hierzu John Gimbel, Die Vereinigten Staaten, 8.258-286 [1974], u. Wemer Link, Der Ost-West-Konflikt, S.118 [1988). 82 Vgl. Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teil1, S.66 (1990). 83 Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.31 [1990]. 84 Vgl. Alexander Fischer, Die So\\jetunion und die "deutsche Frage" , S.53 [1984). 85 Die So\\jetunion verlangte eine 40jährige Entwaffnung - diese hätte Byrnes akzeptiert -, die Einbeziehung der Entnazifizierung, der Monopol-Zerschlagung, der Landreform, der Demokratisierung und der Reparationsregelung, vgl. Wemer Link, Die amerikanische Deutschlandpolitik 1945-1949, 8.12-13 [1984]. 86 Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.33 (1990], datiert den quasi offiziellen Bruch zwischen den Alliierten mit dem 9. Juli 1946, dem Tag der Pariser Außenministerkonferenz, an dem Molotow den Byrnes-Plan offiziell ablehnte. Auch der amerikanische Vorschlag, die von den So\\jets gewünschte Reparationsentnahme aus laufender Produktion mit der wirtschaftlichen und politischen Wiedervereinigung Deutschlands nach demokratischen Grundsätzen zu verbinden, wurde von den So\\jets verworfen, vgl. Wemer Link, Die amerikanische Deutschlandpolitik 1945-1949, S.l4 [1984]. Für Wilfried Loth, Der Beginn der Teilung, in: FAZ v. 18.8.1992, aber ist dieses Reparationsangebot Marshalls im Lichte der ,,Beliebigkeit der Vorbedingungen", die die Westalliierten nannten, und der ,,Fadenscheinigkeit ihrer Argumentation hinsichtlich der Leistungsfähigkeit Deutschlands", die in Wirklichkeit wesentlich höher einzuschätzen gewesen wäre, "bei näherem Hinsehen ohne Substanz". Vielmehr hätten die Westmächte- so Wilfried Loth in ,,klassischer Perzeptionsargurnentation", mit der die So\\jetunion (meist, wenn nicht immer,) nur als sensibel reagierendes System betrachtet wird - "die So\\jetunion mit der effektiven Verweigerung von Reparationen brüskiert und sie damit zu einer Verhärtung ihres Kurses getrieben".
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vergrößern. Er begnügte sich, seine Zone zu konsolidieren, und wünschte keine Änderung des bestehenden deutschlandpolitischen Status quo87 . Die Kompromißlosigkeit der Sowjetunion und ihre expansive Politik im asiatischen88 und europäischen Raum veranlaßte Truman89 , durch Byrnes in seiner bekannten Rede vom 6. September 1946 in Stuttgart90 das amerikanische Engagement in Europa auch fiir die Zukunft und fiir die Freiheit eines möglichst auch politisch wiedervereinigten Deutschland öffentlich zu bekräftigen91. Der Hinweis Byrnes' auf die gegenseitige Angewiesenheit der deutschen mit der europäischen Wirtschaft wurde von Churchill aufgenommen. Er proklamierte am 19. September 1946 in Zürich das Ziel der
87 Hermann Gram/, Die Alliierten, 8.162-164 [1985], interpretiert die so\\jetische Zurückhaltung als Politik der Vorsicht, resultierend aus dem Schutzbedürfuis vor einer Verwestlichung der eigenen Zone. Mit dieser Interpretation aber unterstellt er der so\\jetischen Politik eine ihrer Ideologie fremde, passive Tendenz der Status quo-Verharrung, die dem von ihm selbst, S.69, beschriebenen expansiven Charakter der So\\jetunion widerspricht. Vgl. ders., in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.353-354 [1982], wo er Stalin u.a. das Motiv unterstellt, mit der Ablehnung des Byrnes-Plans ein langfristiges Engagement der Amerikaner in Europa verhindern zu wollen. Daß aber gerade die starre Haltung der So\\jetunion die verstärkte amerikanische Truppenpräsenz in den folgenden Jahren llirderte, sei der kurzsichtigen, 'provinziellen' und 'ignoranten' stalinistischen Führung nicht klar gewesen. 88 Die So\\jetunion verlangte im Herbst 1945 eine Beteiligung an der Besetzung und Kontrolle Japans, ließ die Rote Armee in die Mandschurei und in den Norden Koreas einmarschieren- was im Dezember 1945 zu der modellhaften Teilung Koreas am 38. Breitengrad filhren sollte-, verzögerte den im Vertrag mit Persien vom 29. Januar 1942 abgesprochenen Rückzug aus dem Iran und forcierte den kommunistischen Vormarsch im chinesischen Bürgerkrieg, vgl. Josef Becker, Deutsche Frage 1941-1949, S.41 [1979], u. Wemer Link, Der Ost-West-Konflikt, S.113-115 [1988]. 89 Truman schrieb am 5. Januar 1946 an Bymes, es sei gegenüber der So\\jetunion nötig geworden, die starke Faust zu zeigen, vgl. Boris Meissner, Rußland, die Westmächte und Deutschland, S.79 [1953]. 90 Abgedruckt in: EA I 1946/47, S.261-264. Die Adressaten der Rede Bymes' waren nicht nur die So\\jetunion und die blockierenden Franzosen, sondern vor allem die Deutschen, vgl. hierzu Klaus Schwabe, Die amerikanische Besatzungspolitik, S.325-329 [1978]. 91 Vgl. hierzu aber Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.205 [1983], der im Zusammenhang mit der Rede Byrnes' meint, daß Briten und Amerikaner die Deutschen in der Ostzone ,,zunächst abgeschrieben" hätten. Daß dies zweifelhaft ist, zeigt der Hinweis Andreas Hillgrubers, ,,Neutralisierungs"-Pläne, S. 968-969 [ 1988], wonach Byrnes gerade in Stuttgart eine Neutralisierungskonzeption filr ganz Deutschland anvisierte, in der es nicht "Satellit irgendeiner Macht" und "Schachfigur oder Partner in einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West" sein sollte. 3 Roos
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"Vereinigten Staaten von Europa"92 , eine Vorstellung, die Adenauer bereits arn 6. März 1946 in einer Rundfunkansprache im NWDR formuliert hatte93 . Churchills Vorschlag wurde von der dem staatenübergreifenden und -unterwandernden Klassenkampf verschriebenen Sowjetunion sofort verworfen94. Diese beeinflußte zu jener Zeit massiv9.5 die Wahlen in Polen96, die nach langer Verzögerung endlich, am 19. Januar 1947 stattfinden konnten und das von den Kommunisten erwünschte Ergebnis brachten97 . Auch in vom Bürgerkrieg heimgesuchten Griechenland drohte sich ein kommunistisches Regime durchzusetzen, und die Türkei sah sich in der Dardanellenfrage von Moskau unter Druck gesetzt. In dieser Situation98 richtete Truman am 12.
92 Abgedruckt in: Europa. Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, hrsg. v. Auswärtigen Amt, Bonn 1953, S.84-85. 93 Vgl. Hans-Peter Schwarz, Adenauerund Europa, S.479 [1979). 94 Vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.89 [1990). 95 In einem der vielen Proteste der amerikanischen Regierung gegen die Wahlbehinderungen schreibt der amerikanische Botschafter Smith an Molotow am 5. Januar 1947, daß die (in Potsdam von den Westmächten freilich anerkannte, gleichwohl von der Sowjetunion abhängige) Polnische Provisorische Regierung nach Aussagen des ehemaligen exilpolnischen Präsidenten Wld jetzigen Vizepremierministers Mikolajczyk Methoden anwendeten, die ,,Festnahmen und Ermordungen, Zwangseinschreibungen der Mitglieder der Polnischen Bauernpartei bei den 'Block' -Parteien, Entlassungen dieser Mitglieder von ihren Arbeitsplätzen, Hausdurchsuchungen, Anschläge durch die Geheimpolizei und Mitglieder der kommunistischen Partei auf Eigentum und Kongresse der Polnischen Bauernpartei durch Regierungsbehörden und Untersagung jeglicher Parteitätigkeit" u. v.m. enthielten, vgl. FRUS, 1947, Bd.IV, S.402ff., zit. nach Czempiel/Schweitzer, Weltpolitik der USA nach 1945, S.49 [1987]. Vgl. hierzu auch Dietrich Geyer, Von der Kriegskoalition zum Kalten Krieg, in: Osteuropa-Handbuch, S.356 [1972]. 96 Im Potsdamer Abkommen heißt es im Abschn.IX, Abs.B: ,,Die drei Mächte stellen fest, daß die Polnische Provisorische Regierung im Einklang mit den Beschlüssen der Konferenz von Jalta zugestimmt hat, sobald wie möglich freie und unbehinderte Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts und der geheimen Abstimmung abzuhalten, bei denen alle demokratischen und antinazistischen Parteien das Recht zur Teilnahme und zur Aufstellung von Kandidaten haben[ ...]". 97 Vgl. Czempiel/Schweitzer, Weltpolitik der USA nach 1945, S.35, Fn.ll [1987). 98 Die Auffassung einiger Autoren, der Entstehung des Kalten Krieges habe zuallererst ein Perzeptionsproblem zugrunde gelegen, nach dem das Verhältnis der Vereinigten Staaten zur Sowjetunion "durch wachsendes Mißtrauen auf beiden Seiten, nicht zuletzt aufgrund wechselseitiger Fehleinschätzungen, immer gespannter wurde", so Uta Hallwirth, S.20 [1987), ähnl. auch Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der BesatzWlg, S.310-312 [1982], Hans-Adolf Jacobsen , Deutsch-sowjetische Beziehungen, 8.31 u. 35 [1988), läßt die ideologische Unvereinbarkeit und die daraus resultierende, tatsächlich expansive Politik Moskaus unberücksichtigt.
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März 1947 eine Botschaft99 an den Kongreß, die als Truman-Doktrin die Außenpolitik der Vereinigten Staaten für die nächsten Jahre bestimmen und in Verbindung mit der vorn amerikanischen Botschaftsrats in Moskau, George F. Kennan, entwickelten Eindämmungs-Konzeption100 ein weiteres Vordringen des Kommunismus in Europa und der Welt verhindem sollte.
Auf der Moskauer Außenrninisterkonferenz 101 gewann dieser Kurswechsel der Westalliierten Formen. Hier trafen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen des freiheitlich-parlamentarischen Ordnungsmodells und der volksdemokratisch-autoritären Ideologie offen aufeinander. Wohl sprachen sich die Siegermächte (bis auf Frankreich) für die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung aus, in der Frage nach dem Verfahren jedoch blieben die Gegensätze unüberbrückbar. Molotow wollte vorn Kontrollrat eine 'zeitliche Verfassung' ausarbeiten lassen, auf deren Grundlage Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung ausgeschrieben und zugleich eine provisorische Regierung für den dezentralisierten Einheitsstaat gebildet werden sollten. Diese Regierung sollte eine 'antifaschistisch-demokratische' Politik betreiben und allein gegenüber den Alliierten verpflichtet sein. Schließlich sollte das deutsche Volk die ausgearbeitete endgültige Verfassung 'annehrnen' 102 . Die Amerikaner und Briten dagegen wollten eine andere Reihenfolge und eine andere Kornpetenzverteilung: Eine gewählte deutsche Vertretung sollte eine vorläufige Verfassung erstellen, der Kontrollrat sollte nur ein Zustimmungsrecht erhalten. Aus dem langwierig angelegten sowjetischen Konzept sprach "ein deutliches Mißtrauen gegenüber dem frei geäußerten politischen Willen des deutschen Volkes" 103 , denn inzwischen waren verschiedene Wahlen durchgeführt worden, die dem Kornmunismus in Deutschland empfindliche Niederlagen bereiteten [s. u.]. Die ehemalige Kriegskoalition vermochte sich in 99 Abgedruckt in: EA 2/l947, S.819-820. 100 Vgl. hierzu George F. Kennan, Memoiren, S.362-363 [1982), der seine "Containment"-Vorstellungen allerdings nicht als eine den Globus umfassende Doktrin und als militärisches Eindämmen verstanden wissen wollte, sondern als politische Maßnahme im Nicht-Kriegs-Zustand, die punktuell die vom Kommunismus bedrohten Gebiete schützt und andere Völker ermutigt, so\\jetischer politischer und polizeilicher Gewalt ,,zu widerstehen und die innere Integrität ihres Landes zu verteidigen", ebd., S.365. 101 Vom 10. März bis zum 24. April 1947. Vgl. hierzu ausführ!. Hennann Volle, Die Moskauer Außenministerkonferenz [1947]. 102 Vgl. Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.32-33 [1990), u. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.93 (1990). Darüber hinaus beharrten die So\\jets nach wie vor auf Reparationen in Höhe von zehn Milliarden Dollar und Entnahme aus laufender Produktion sowie eine Viermächtekontrolle des Ruhrgebiets, vgl. Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.222-224 [1983), der die britische Sicht erörtert. 103 Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S. 93 [1990).
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Moskau nicht mehr zu einigen, die Gespräche endeten - bis auf die formale Auflösung Preußens - ergebnislos. 4. Das Ende der alliierten Zusammenarbeit
Nach der fehlgeschlagenen Moskauer Außenministerkonferenz setzte sich in der amerikanischen Führung die Überzeugung endgültig durch, daß eine gemeinsame, konstruktive Deutschlandpolitik aller vier Besatzungsmächte unmöglich sei. Längst war auch die ökonomisch restriktive Direktive JCS 1067, in die der berüchtigte Morgenthau-Plan 104 stellenweise eingeflossen war, aufgegeben worden. Zuvor, am 1. Januar 1947, war die britische Besatzungszone mit der amerikanischen zum Vereinigten Wirtschaftsgebiet, der Bizone 105, zusammengeschlossen worden, weil Großbritannien seine Zone wirtschaftlich zu unterhalten allein kaum in der Lage war 106 . Die Bizonengründung war ein sichtbares Zeichen fiir die beginnende Anerkennung des europäischen Status quo mit dem Ziel, weiteres so\\jetisches Vordringen einzudämmen. Die VierMächte-Verantwortung fiir Deutschland verloren die Briten und besonders die Amerikaner aber nicht aus den Augen, selbst Ende 1947, auf der Londoner Außenrninisterkonferenz, suchten die Vereinigten Stzaten der So\\jetunion "noch eirunal eine Chance fiir eine Verständigung in der alliierten Zusammenarbeit in Deutschland zu geben" 107 . Der stellvertretende amerikanische 104 Siehe hierzu Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.34-36 [1983], u. Albrecht
Tyre/1, Die deutschlandpolitischen Hauptziele, S.28-32 [1985].
105 Vgl. hierzu Wolfgang Benz, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.375-420 [1982]. 106 Nach Friedrich Jerchow, Deutschland in der Weltwirtschaft, S.347 [1978], mußte Großbritannien im Haushaltsjahr 1945/46 74 Millionen Pfund allein filr Lebensmittellieferungen aufbringen, um die deutsche Zonenbevölkerung vor dem schlimmsten Hunger zu bewahren. Der Zusammenschluß entsprach zum anderen auch der Idee des stellvertretenden amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay von einer "progressive unification" Deutschlands von unten, an der, wie es der britische Außenminister Bevin formulierte, die So\\jets und Franzosen jedeneit, falls sie die Einheit Deutschlands tatsächlich wollten, mit ihren Zonen teilnehmen könnten, vgl. Wolfgang Benz, Von der Besatzungsherrschaft, S.35-38 [1989], u. JosefFoschepoth, Großbritannien und die Deutschlandfrage, S.68 [1984], der dieser Äußerung Bevins vor dem britischen Kabinett aber eine taktische Motivation unterstellt, denn es sei dem Foreign Office darum gegangen, "alle Kräfte darauf zu konzentrieren, 'to prepare the way for a united Western Germany'" (S.66). 107 Gerd Wehner, Die Deutschlandpolitik der Westalliierten, S.4 [1989]. Vgl. Wolfgang Benz, Von der Besatzungsherrschaft, S.40 [1989]. Anders Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.237 [1983), der lapidar feststellt: ,,Man hatte sich nichts mehr zu
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Militärgouverneur in Deutschland. Lucius D. Clay, hatte aber bereits vor der Londoner Außenministerkonferenz unmißverständlich klargemacht, im Falle eines Mißlingens der Verhandlungen müsse ein westliches Deutschland mit einer nationalen Regierung errichtet werden, aus dem zu einem späteren Zeitpunkt ein einheitliches, die Persönlichkeitsrechte jedes einzelnen Bürgers garantierendes Deutschland auf sicherer demokratischer Grundlage aufgebaut werden könne 108 . Dies entsprach auch britischer Intention 109 . Das European Recovery Program (ERP), in das Deutschland einbezogen wurde und das als Marshall-Plan ein "Angelpunkt" 110 auf dem Weg zur politischen Spaltung Deutschlands anzusehen ist, hatte - kurz nach der ergebnislosen Außenministertagung in Moskau, am 5. Juni 1947 verkündet- den Charakter einer "politisch-ökonomischen Offensive großen Stils" 111 . Es bedeutete das Ende der Demontagen112 und repressiven Wirtschaftspolitik in Westdeutschland und den Anfang einer ökonomischen Rekonstruktion, die ganz Europa und zugleich der im Krieg stark expandierten amerikanischen Wirtschaft zugute kommen sollte. Insbesondere Frankreich wurde aufgrund großer wirtschaftlicher Nöte den westalliierten Partnern gegenüber "allmählich kooperativer und konzilianter" 113 Der Marshall-Plan mußte auf den sagen". Tatsächlich wurden im Grunde nur die gegensätzlichen Positionen vorgetragen, die schon in Moskau vertreten worden sind: Der Westen schlug auf der Grundlage der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands die stufenweise Errichtung einer gesamtdeutschen Regierung, einer parlamentarischen Vertretung und einer bundesstaatliehen Verfassung vor, die Sowjetunion beharrte auf Beteiligung an der Ruhrkontrolle, hohe Reparationsforderungen und Reparationsentnahme aus laufender Produktion. Vgl. hierzu ausfilhrl. Wilhelm Comides/Hermann Volle, Die Londoner Außeruninisterkonferenz [1948). lOS Vgl. Johannes Volker Wagner, in: PR I, S.XII (1975). 109 Vgl. Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.236-237 (1983], u. Michael Bell, Die Blockade, S.218, nach dem für Marshall und Bevin die vorobergehende Teilung Deutschlands im Zuge der wirtschaftlichen Erholung Europas "aus einer Position der Stärke" überwunden werden könne. 110 Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.260 [1990). 111 Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.29 (1987]. Zu der alternativen, auf die Vier-Mächte-Verantwortung basierende Deutschlandpolitik Kennans und der inneramerikanischen Diskussion um die Weststaatslösung vgl. Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teil 1, S.69-71 [1990). 112 Bereits Anfang Mai 1946 hatte General Clay filr die amerikanische Besatzungszone einen Demontagestop verfugt, um die Sowjets und Franzosen, die ihre Zonen höchstmöglich ausbeuteten, an die Potsdamer Bestinunungen von der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands zu erinnern. Vgl. Wolfgang Benz, Giiindung der Bundesrepublik, S.44 (1986). 113 Wolfgang Benz, Von der Besatzungsherrschaft, S.l29 [1989). Vgl. auch Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teill, S.68 [1990).
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B.I. Zur Genese des Kalten Krieges
westlichen Teil Europas begrenzt bleiben, weil die So\\jetunion nach einigem Zögern fiir sich, ihre Zone und die von ihr dazu gezwungenen osteuropäischen Länder ihre Mitwirkung ablehntell 4 . Der Aufbau einer Marktwirtschaft und die notwendige Währungsreform in Westdeutschland 115 waren mit der rigiden Planwirtschaft so\\jetischen Musters nicht zu vereinbaren. Die So\\jetunion perfektionierte nun die rücksichtslose Politik der Konsolidierung ihres eigenen Machtbereichs. In dem Maße, in dem sie die Chancen der So\\jetisierung Gesamtdeutschlands schwinden sah, wurde der Ost-WestKonflikt zur "neuen übergeordneten Entscheidungsprämisse der UdSSR" 116 , die in der Zwei-Lager-Doktrin verbindlichen Ausdruck fand 117 . Im Januar
11 4 Die Sowjetunion reagierte auf den Marshall-Plan mit der Neubegrundung der Kommunistischen Internationalen unter dem Namen ,,Kominform" und schloß zweiseitige Handelsverträge mit den Ländern ihres Machtbereichs, woraus sich 1949 der ,,Rat ftlr gegenseitige Wirtschaftshilfe" bildete. 115 Nach Ansicht der Westmächte, jetzt einschließlich der Franzosen, bestand keine Kompatibilität der inzwischen gegensätzlichen Wirtschaftssysteme innerhalb Deutschlands mehr. Das sowjetische Verlangen, eine Notenpresse unter ihrer ausschließlichen Kontrolle einzurichten, wurde abgelehnt und die separate Währungsreform in der Bizone in Gang gesetzt, vgl. Gunther Mai, Der Alliierte Kontrollrat, 8.13-14, JosefBekker, Deutsche Frage 1941-1949, S.46 [1979], u. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, 8.29-30 [1987]. Zu den Vorbereitungen der Währungsreform und der deutschen Mitwirkung siehe Wolfgang Benz, Von der Besatzungsherrschaft, S.B0-145 [1989]. Die scheinbar auf Einigung zielenden amerikanisch-sowjetischen Währungsverhandlungen im Februar 1948 schätzt Hennann Gram/, Die Alliierten, S.204 (1985], als nur noch "Taktik" ein, dazu dienlich, der jeweils anderen Seite die Schuld am Scheitern zuzuschieben. 11 6 Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der Sowjetunion, S.42 [1987]. Vgl. hierzu auch Hans-Peter Schwarz, Die außenpolitischen Grundfragen des westdeutschen Staates, S.27-30 [1974]. 117 Für diese Doktrin steht der Name des Leningrader Parteichefs Schdanow, der im Herbst 1947 referierte: ,,Die als Folge des Krieges eingetretenen grundlegenden Änderungen in der internationalen Lage und in der Lage der einzelnen Länder haben die gesamte politische Weltkarte umgestaltet. Es entstand eine neue Gruppierung politischer Kräfte. Je größer die Periode ist, die uns vom Kriegsende trennt, desto krasser treten zwei Hauptrichtungen in der internationalen Nachkriegspolitik hervor, die der Teilung der in der Weltarena aktiven politischen Kräfte in zwei Hauptlager entspricht: das imperialistische und antidemokratische Lager einerseits und das anti-imperialistische und demokratische Lager andererseits", in: Ders., Über die internationale Lage. Vortrag, gehalten auf der Informationsberatung von Vertretern einiger KommunistischerParteien in Polen Ende September 1947, Berlin 1951, S.l2. Zit. auch in: Tägliche Rundschau v. 24.10.1947, zit. nach Wemer Link, Der Ost-West-Konflikt, S.liO
4. Das Ende der alliierten Zusammenarbeit
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1948 war sich Stalin längst 118 im klaren, daß die "'Westlichen' [... ] aus Westdeutschland ihren Staat machen [werden), und wir aus Ostdeutschland den unseren" 119 . Die Propaganda gegen eine Weststaatsgründung und für ein einiges Deutschland sowie die Kriegsrisiko-Politik der Berliner Blockade dienten unmittelbar auch dem Zweck, die amerikanische Präsenz in Europa einzudämmen, den Wiederaufbau Westdeutschlands zu verhindem und somit den 'westlichen Block' zu schwächen120 . Begleitet wurde diese Politik mit der Aufgabe der breiten Volksfronttaktik der westeuropäischen Kommunisten, der Durchsetzung der kommunistischen Hegemonie in Osteuropa121 , dem kommunistischen Staatsstreich in der früher parlamentarisch-demokratischen [1988]. Georg von Rauch, Geschichte der So\\jetunion, S.453 [1977), hält Schdanow filr den "eigentlichen Urheber des Kalten Krieges". 118 Es gibt inzwischen Hinweise darauf, daß die KPD-F'ilhrung in Moskau bereits
am 4. JWJ.i 1945 von Stalin die Direktive bekommen hatte, von einem geteilten Deutschland auszugehen. ln der handschriftlichen Notiz Wi/helm Piecks von der Unterredung mit Stalin, vorgestellt von Manfred Wilke, in: FAZ v. 30.3.91, heißt es: ,,Perspektive - es wird zwei Deutschlands geben - trotz aller Einheit der Verbündeten". Stalin war also vennutlich bereits vor Beginn der Potsdamer Konferenz davon überzeugt, daß es keine Einigung mehr über die politische Zukunft Deutschlands zwischen den Alliierten kommen würde. ln diesem Dokument ist auch der "Charakter des antifaschistischen Kampfes" mit der o.g. So\\jet-Taktik beschrieben: "Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution; bürgerlich-demokratische Regierung". Als Taktik auf dem Weg zur unumschränkten Ein-Parteien-Herrschaft wird der 'antifaschistische Kampf einige Zeilen weiter selbst überftlhrt: ,,Bildung antifaschistischer Komitees auch nicht zweckmäßig, weil Gefahr, daß neben Stadt- und Gemeindeverwaltung eigenmächtig". Pluralistische Entwicklungen außerhalb der Kontrolle der KP-F\lhrung sollten also von vorneherein unterbunden bleiben. 119 Milovan Djilas, Jahre der Macht. Kräftespiel hinter dem Eisernen Vorhang. Memoiren 1945-1966, München 1983, S.l76. (Zit. nach Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, S.42 [1987]). Vgl. auch Zbigniew Brzezinski, Die Zukunft von Jalta, 8.704-705. 120 Vgl. Martin McCauley, Deutsche Politik, S.309 [1985). Nicht so Hermann Gram/, Die Alliierten, S.207-210 [1985), der den wiederholt vorgetragenen so\\jetischen Protest gegen die Londoner Empfehlungen als letztlich nicht ernst gerneint ansieht und die Berliner Blockade nur filr den begrenzten Versuch hält, auch das westliche Berlin in die SBZ zu integrieren und damit das so\\jetische Herrschaftsgebiet im Rahmen einer ,,nicht [... ) noch weiterzielenden Außenpolitk" (so ders., Märznote, S.59) zu arrondieren und zu stabilisieren. Vgl. hierzu auch Michael Bell, Die Blockade, S.224, der- fllr die so\\jetische Position viel Verständnis aufbringend- die Blokkade nach dem anglo-amerikanischen Entschluß, ,,in der Deutschlandpolitik eigene Wege zu gehen", filr ,,nahezu unvermeidlich geworden" hält, wollte die So\\jetunion die Entwicklung in den Westzonen weiter beeinflussen. 121 Vgl. Dietrich Staritz, Gründung der DDR, 8.148-149 [1987).
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B.I. Zur Genese des Kalten Krieges
Tschechoslowakei im Februar 1948122 und dem Auszug Marschall Sokolowskis aus dem Alliierten Kontrollrat fiir Deutschland arn 20. März 1948, der gleichbedeutend mit dem Ende der Vier-Mächte-Verwaltung in 'PotsdamDeutschland' war123 . Parallel zu der nicht einmal mehr zum Schein auf Konsens mit den Westmächten bauenden Sowjetpolitik artikulierten die Staaten im Westen den Willen zu größerer politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit. In London124 beschlossen sechs Mächte- die drei Westalliierten und die bereits seit März 1947 in einer Zollunion zusammengeschlossenen Benelux-Staaten - , das Ruhrgebiet einer internationalen Kontrolle zu unterwerfen und die drei deutschen Westzonen zu einem westdeutschen Staat zu vereinigen125 . Den Briten und Amerikanern gelang es hierbei, die französische "Deutschland-Psychose"126 mit militärischen und wirtschaftlichen Zusagen zu therapieren, so daß Frankreichs Widerstände nur noch verzögernde Wirkung hatten. Die Londoner Konferenz jedenfalls setzte die Entwicklung in Gang, an deren Ende die Verabschiedung des Bonner Grundgesetzes und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland standen.
122 Siehe hierzu nur Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.279-280 [1990]. Die Parallele neWl Jahre zuvor mit Hitlers Verhalten HacM gegenüber ist markant. 123 Vgl. dagegen Wolfgang Benz, GründWlg der BWldesrepublik [1986], der dieses sowjetische Vorgehen nicht als Prioritätsverlagerung zwischen optionalen Strategien (so auch Wolfgang Pfeiler, Alexander Fischer u. a.), sondern als Reaktion aus einem "verstärkten Gefil.hl der BedrohWlg" (S.48) ansieht, deren "Ursachen zum Teil auch in der EindämmWlgspolitik der Westmächte lagen" (S.49), was allerdings nicht zur Kenntnis genommen worden sei. 124 Vom 23. Februar bis zum 6. März bzw. vom 20. April bis zum 2. Juni 1948. 125 Vgl. JosefBecker, Deutsche Frage 1941-1949, S.46 [1979]. Um einen Bruch der Potsdamer Beschlüsse zu vermeiden Wld keine völkerrechtlichen Vereinbarungen ohne die SowjetWlion zu treffen, fand die Sechs-MächteKonferenz auf Botschafter- bzw. Staatssekretär-Ebene statt, vgl. Gerd Wehner, Die Deutschlandpolitik der Westalliierten, S.6 [1989]. 126 Hermann Gram/, Die Alliierten, S.199 [1985].
II. Grundgesetzgebungsphase 1948/49 l. Ostzonale Verhinderung deutscher Einigungsvenuche
Die deutsche Staatlichkeil auf höchstmöglicher Ebene, die zuerst wieder eingerichtet wurde, waren die Ministerpräsidenten der Länder in den vier Besatzungszonen. Sie versuchten, die zwischenzonale Abgrenzung aufzuhalten und Schritte in Richtung einer gesamtdeutschen Staatlichkeil zu unternehmen. Doch beinahe spiegelbildlich zu den interalliierten, sich steigemden Gegensätzlichkeiten, vermochten auch die Länderchefs der westlichen Zonen und der Ostzone keine Einvernehmlichkeil finden. Grund dafür war, daß die Ministerpräsidenten zwar Repräsentanten ihrer Länder gegenüber der jeweiligen Besatzungsmacht waren, aber gleichzeitig auch deren Vollzugsorgane 1 . Letzteres galt besonders fiir die Länderchefs der Sowjetzone. Nach ersten thüringisch-hessischen Kontakten, bei denen die Einheit Deutschlands als gemeinsames großes Ziel proklamiert worden war2 , schlugen die Ministerpräsidenten der britischen Zone am 11. August 1946 ein Zusammentreffen aller Länderchefs vor, um die Probleme der Wirtschaftseinheit und einer deutschen Zentralregierung aufgrund der Stuttgarter Vorschläge Byrnes' zu besprechen. Die Konferenz in Bremen am 4./5. Oktober 1946 tagte allerdings nur zweizonal; Frankreich verbot den Ministerpräsidenten der französischen Zone die Ausreise, und die sowjetzonalen Ministerpräsidenten sagten ihre Teilnahme "in Folge Beanspruchung durch die bevorstehenden Landtagswahlen"3 ab. Der verantwortungsbewußte Vertretungsanspruch, so tagen zu wollen," 'als ob alle vier Zonen zugegen wären"'4 , hat alle folgenden westzonalen Verhandlungen ausgezeichnet und ist später auch in die Formulierung der Präambel des Grundgesetzes5 eingeflossen. Am Ende der Bremer 1 Vgl. Michael Stolleis, Besatzungsherrschaft, 8.177 [1987], u. Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8 .104 [1982). 2 Vgl. hierzu Manfred Overesch, Westdeutsche Konzeptionen, 8.104-105, u. Adolf M. Birke, 8.168-169 [1989). 3 So die Begründung des Präsidenten der Mark Brandenburg, Kar1 8teinhoff, in seinem Telegramm an Wilhelm Kaisen, den Bürgermeister Bremens, als Faksimile abgedruckt in: Ado/fM. Birke, S.l68 [1989). 4 Zit. nach Manfred Overesch, Westdeutsche Konzeptionen, S.l 08. S "[... )auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war''.
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B.ll. Gnmdgesetzgebungsphase 1948/49
Konferenz stand die Entschließung6 , einen Länderrat der Ministerpräsidenten der vier Zonen zu schaffen, der von einem Volksrat, gebildet aus den Landtagsabgeordneten aller Länder, parlamentarisch kontrolliert werden sollte. Die SED suchte die Bremer Ministerpräsidentenkonferenz als 'Föderalisten-Konferenz' zu diskreditieren und gab sich, ganz im Sinne Stalins, als 'Vorkämpferin' für die deutsche Einheit aus7 . Doch bei den Wahlen in der Sowjetzone und in Berlin am 13. und 20. Oktober 1946 errang sie trotz Beeinflussung und starker Abstützung durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) nirgends die absolute Mehrheit8 . Der letzte Versuch der Ministerpräsidenten "zur Rettung unseres Volkes und zur Erhaltung unseres Vaterlandes"9 , sollte auf Einladung des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard in München am 6./7. Juni 1947 stattfinden. Sachprobleme sollten behandelt werden, wie die Ernährungs- und Flüchtlingsnot, aber keine theoretischen Debatten über eine Gesamtlösung der deutschen Frage10 . Kurt Schumacher, mit großem Einfluß auf die SPD-Ministerpräsidenten11 , warnte: "Niemand ist in München dazu legitimiert, die Möglichkeiten einer zukünftigen Reichsverfassung auch nur in der Tendenz vorwegzunehmen" 12 . Die ostzonalen Ministerpräsidenten, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bedingungslose Werkzeuge der sich nun vollends zur stalinistischen 'Partei neuen Typus' entwickelnden SED13 waren, trafen am Abend 6 Abgedruckt in: EA 3/l948, S.ll43-ll44. 7 Vgl. Manfred Overesch, Westdeutsche Konzeptionen, S.l08. 8 In Berlin, wo die SPD mit der SED konkurrieren durfte, war das Ergebnis
filr die SED geradezu niederschmetternd und zeigte, wie gering der Rückhalt der SED in Wirklichkeit war: Die SED wurde mit 19,8% nur dritte Kraft, hinter der SPD mit 48,7% und der CDU mit 22,2%. Die LDP errang 9,3%, vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.l39 (1990]. Den Widerstand einer kleinen Anzahl von Sozialdemokraten gegen die Verschmelzung mit der KPD in Berlin bezeichnet Ernst No/te, Das geteilte Berlin und die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, S.37, als "die erste selbständige politische Aktion von Deutschen nach dem Ende des Krieges". Es ist bezeichnend, daß sie sich gegen die Sowjetisierung richtete. 9 So der Ministerpräsident von Württemberg-Baden, Reinhold Maier, zit. nach AdolfM. Birke, S.l70 (1989]. 10 Vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, 8.268-269 (1990]. II Vgl. Thilo Vogelsang, Option, S.I63 [1971]. 12 Zit. nach Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.269, m.w.N. [1990]. 13 Vgl. hierzu Wemer Müller, Volksdemokratie filr Deutschland?, S.24 [1984]. Zur stalinistischen Blockpolitik in der Ostzone vgl. Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.124-136 (1982]. Wenn Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.227 (1983], schreibt, daß die ostzonalen Regierungschefs ,,keine 'russenhörigen' Kommunisten waren, sondern Liberale
1. Ostzonale Verhindenmg deutscher Einigungsversuche
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des 5. Juni(!) und ohne Mitarbeiter(!) in München ein. Sie hatten ihre Teilnahme zwar gegen den Willen Walter IDbrichts durchsetzen können14 , wurden aber darauf festgelegt, die Tagesordnung um den Punkt der "Bildung einer deutschen Zentralverwaltung durch Verständigung der demokratischen Parteien und Gewerkschaften zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates" 15 zu erweitern. Genau dies hätte den Rahmen der Konferenz gesprengt, überstieg die Legitimation der Ministerpräsidenten und war mit einer entsprechenden französischen Vorgabe nicht vereinbar. Die Teilnehmer konnten sich über die Tagesordnung nicht einigen - beide Seiten vermochten wohl auch nicht mehr den nötigen Willen dazu aufzubringen 16 -, und die so\\jetzonalen Länderchefs reisten noch vor Beginn der eigentlichen Konferenz wieder ab 17 . Das
und ehemalige Sozialdemokraten", dann wird der Leser durch diese Wortwahl davon abgelenkt, daß Rudolf Paul (Thüringen), Carl Steinhoff (Brandenburg), Rudo1f Friedrichs (Sachsen) und Wilhelrn Höcker (Mecklenburg) allesamt SED-Ministerpräsidenten waren und nur Erhard Hübener (Sachsen-Anhalt) der LDPD angehörte. 14 Vgl. Adolf M. Birke, S.17l [1989], u. zur Stagnation der Blockpolitik der SED Manfred Koch, Blockpolitik und Parteiensystem in der SBZJDDR 1945-1950, S.1 0 [1984). 15 Akten zur Vorgeschichte, Bd.2, S.490 [1979]. 16 So Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.283, Arun. l7 [1990], u. Manfred Overesch, Westdeutsche Konzeptionen, S.113 [1984). Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.231 [1983], weist besonders den westdeutschen Ministerpräsidenten mangelnden Mut und Willen zum Gespräch zu, ähnl. Uwe Uffe/mann, Der Weg zur Bundesrepublik, S.74 [1988). 17 Uwe Uffelmanns Formulierungen, "die westdeutschen Vertreter [... ] ließen die Ministerpräsidenten der Ostzone bereits am Morgen des 6.6.1947 abreisen" (Der Weg zur Bundesrepublik, S.74 [1988]), die aber noch solange warteten, bis "sowohl ihr Antrag wie ihre Vermittlungsvorschläge abgelehnt worden waren" (S.76), müssen durch die Ausfilhrungen RudolfMorseys, Alle waren sich der geschichtlichen Stunde bewußt, in: FAZ v. 23.5.1990, klargestellt werden: Als Sprecher der sowjetzonalen Länderchefs "begründete nunmehr Ministerpräsident Steinhoff von Mecklenburg, obwohl er gerade erst eingetroffen war, daß sie bei Ablehnung ihres Antrages an der Konferenz nicht länger teilnehmen würden. Sie bliebenunbeeindruckt von Ehards Versicherung, daß die Zusammenkunft ohne 'vorgefaßte Entscheidungen' und ohne 'Hintergedanken' einberufen worden sei, warteten ein Votum über ihr Ultimatum nicht ab und verließen nach einem knappen Händedruck mit Ehard am 6. Juni um 0.50 Uhr die Staatskanzlei". Weiter schreibt Morsey: ,,Ein Vermittlungsversuch des Berliner Bürgermeisters Ferdinand Friedensburg (CDU) und des [Bremer] Senatspräsidenten Kaisen (SPD) am Vormittag des 6. Juni blieb ergebnislos. Fischer und Höcker waren bereits abgereist. Die ostzonalen Regierungschefs hatten von vornherein keine Übernachtung vorgesehen, 'nicht einmal Nachtgepäck mitgenommen"'. Der nur wenige Monate später aus der SBZ geflohene thüringische MinisterpräsidentRudolfPau/, zit. nachAdolfM. Birke, S.l72 (1989], bestätigte, daß die SED-
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B.ll. GnmdgesetzgebWlgsphase 1948/49
kommunistische Drängen auf eine Globallösung der deutschen Frage verhinderte das praktisch Machbare, das ohnehin nur im engen Rahmen der alliierten Verantwortlichkeit verblieben wäre. Wenn Ehard auch feststellte, "daß dieser Vorfall die Spaltung Deutschlands bedeute" 18 , so entsprach die Zietracht zwischen den Ministerpräsidenten doch nur der deutlich hervortretenden Unvereinbarkeit der beiden politischen Gefüge 19 . Sozialistischer Zentralstaat oder fi>deralistischer Rechtsstaat - das war die unüberbrückbare Alternative für Deutschland20 . Einen "nichtkommunistischen dritten Weg in nationaler und sozialer Hinsicht"21 zu verfolgen, wäre bestenfalls nichts anderes als die Anhindung an westliche Werte geblieben und damit für die So\\jetunion inakzeptabel gewesen22 . Was nun allerdings folgte, war die beschleunigte Entwicklung auf dem Weg zu zwei Staaten in Deutschland23 .
Parteileitwlg "von vornherein darauf ausgewesen [war], die Konferenz 'hochgehen' zu lassen". Zu Ehards Politik insgesamt vgl. die v. RudolfMorsey, Das ilideralistische Konzept Hans Ehards [1993], vorgestellte Arbeit v. Karl-Ulrich Ge/berg, Die ilideralistische Politik des bayerischen Ministerpräsidenten 1946-1954, (ForschWlgen Wld Quellen zur Zeitgeschichte, Bd.18), Düsseldorf 1992. 18 Akten zur Vorgeschichte, Bd.2, S.504 [1979). 19 Hans Ehard stellte resignierend einige Stwlden nach dem Scheitern der Konferenz fest: "Unser Gremium kann nicht die mangelnde Einigkeit der Großmächte ersetzen", zit. nach RudolfMorsey, Alle waren sich der geschichtlichen Stwlde bewußt, in: FAZ V. 23.5.1990. 20 btsofern bleibt die FeststellWlg Bemhard Diestelkamps, Die Verfass\UlgsentwicklWlg, S.1315, passim [1989), daß man im Zuge verstärkter ,,Aversion der westdeutschen Politik [sie!) gegen ihre Kollegen in der Ostzone" schon 1947 ,,nicht mehr miteinander reden" konnte, "auch als dies möglich war" , an der Oberfläche. Diese in München konstatierte "Sprachlosigkeit" resultierte eben nicht nur aus gegenseitiger, wenigstens politischer Abneigung, sondern aus den oben beschriebenen Gründen. 21 Jakab Kaiser, in: Politisches Jahrbuch der CDU/CSU 1950, S.202. 22 Jakob Kaiser jedenfalls, der mit seiner Idee einer Synthese westlicher Wld östlicher Werte die sozialistische Planwirtschaft mit der freiheitlichen OrdnWlg der westlichen Demokratien verbinden wollte (vgl. Rainer Zitelmann, Adenauers Gegner, S.32 [1991]), suchte nach einer Brücke zwischen Ost Wld West, deren Gerüst schon wegen der inneren Widersprüche ihrer Bauteile niemals hätte halten können. bt der Diskussion um die Neutralisierilllgsofferten der So\\jet\Ulion in den fllnfziger Jahren ließ Kaiser seine Brücke-VorstellWlgen wiederaufleben, stellte allerdings unmißverständlicher klar, daß die Assoziier\Ulg mit dem Westen nicht zur Disposition stünde, vgl. Hermann Gram/, Märznote, S.41-42 [1988). 23 Gleichwohl beschränkten sich die in München verbliebenen westdeutschen Ministerpräsidenten in ihren Erklänmgen, abgedruckt in: EA 3/1948, S.ll45-1147, auf
2. Entscheidung zur Weststaatsgründung
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2. Entscheidung zur Weststaatsgründung
Eine wirkliche Besserung der katastrophalen wirtschaftlichen24 und politischen Situation schien nur von einer Zusammenfassung der westlichen Zonen unter eine selbständige deutsche Regierung mit innerstaatlicher Kompetenz und außenpolitischer Autorität zu erwarten zu sein25 . Einige deutsche Beobachter hatten bereits zu jener Zeit die Kompromiß- und Verhandlungsunwilligkeil Moskaus so gedeutet, daß ein Zwiickweichen der Sowjetunion aus Mitteleuropa bei einer unveränderten Lage in Deutschland "für lange Zeit" ausgeschlossen bleiben müsse, weil nur so Deutschland "eines Tages reif für eine aktive russische Politik [... ], sei sie nun militärisch aggressiv oder nur politisch und propagandistisch expansiv", sein würde. Statt also die westlichen Zonen im Verlaufe ergebnisloser alliierter Deutschlandverhandlungen "immer mehr schwächen zu lassen", müßten die drei Zonen "im Sinne einer zielklaren Westpolitik" staatsähnlich organisiert und wirtschaftlich wiederaufgebaut werden, damit auf diese Weise "vielleicht in Kürze ein solches Übergewicht" entstünde, "daß die Russen daraufhin bis zur Oder nachgeben"26 .
sachliche, wirtschaftliche Forderungen, die der inzwischen zerstrittene Kontrollrat allerdings nicht mehr entgegenzunehmen in der Lage war. 24 Vgl. hierzu Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.265-269 [1982]. 25 Vgl. Johannes Volker Wagner, in: PR I, S.XXIV-XXV, m.w.N. [1975), der gerade die wirtschaftliche Situation als starkes Movens herausstellt. Ähnl. John Gimbel, Besatzungspolitik, S.200-202 [1971]. Zur Konsensfmdung der maßgeblichen Parteien CDU/CSU und SPD im Vorfeld der Frankfurter Dokumente vgl. Wemer Sörgel, S.1938 [1985]. 26 So der Leiter des Zentralamtes fw- Ernährung und Landwirtschaft der britischen Besatzungszone, Hans Schlange-Schöningen, in einer geheimen Denkschrift vom 17. Mai 1946 an die britische Militärregierung nach seiner Reise in Thüringen, vorgestellt v. Wemer Abelshauser, Zur Entstehung [1979]. Auch der spätere CDU-Vorsitzende der britischen Zone, Konrad Adenauer, sah die Situation bereits im Oktober 1945 fm entschieden an: Weil Rußland sich der Zusammenarbeit mit den anderen Siegermächten entzöge und seine Zone und die von ihm beherrschten Länder ,,nach eigenem Gutdünken" behandele, sei, so Adenauer in einem Brief an den Duisburger Oberbürgermeister Heinrich Weitz vom 31.10.1945, abgedruckt in: Ders., Briefe, Bd.1, S.l30-131, passim [1983), die Spaltung Europas in Ostund Westeuropa bereits Tatsache. Um der Sicherheit der westlichen europäischen Staaten Genüge zu tun und um den Griff Rußlands auf den nicht sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu verhindern, bedürfe es somit einer politischen und wirtschaftlichen Gesundung Westdeutschlands durch Verflechtung in einer ,,'Union der westeuropäischen Staaten"'. Ähnl. beurteilte George F. Kennan zur selben Zeit die Situation, vgl. in: Memoiren, S.264-265 [1982], der im Gegensatz zu Adenauer aber von der deutschen Teilung als
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B.II. Grundgesetzgebwtgsphase 1948/49
Gegen eine Weststaatslösung aber standen primär psychologische Barrieren der verantwortlichen deutschen Politiker27 . Dieses Dilemma trat offen in der deutschen Reaktion auf die Londoner Empfehlungen zutage. Die Londoner Empfehlungen, ganz auf die argwöhnische französische Öffentlichkeit abgestimmt28, enthielten zwar ein deutliches Bekenntnis der Westalliierten zur deutschen Einheit29 , wurden in Westdeutschland aber dennoch mit Skepsis aufgenommen: Abgesehen von den Bestimmungen zur Ruhrkontrolle3° und zur vorgesehenen stark föderativen Gliederung, war es gerade das Problem der deutschen Einheit, das die Zustimmung für eine deutsche Staatsgründung erschwerte31. Würde nicht die Wiederherstellung der deutschen Einheit, die vollendete Tatsache ausging, vgl. Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.281 [1982]. Von der EntwicklWlg in den nächsten Jahren ftlhlte Adenauer sich in seiner ÜberzeugWlg, "daß sich Westdeutschland 'ohne die Gebiete im Osten organisieren' müsse", bestätigt, so RudolfMorsey, Adenauerund der Weg zur BWtdesrepublik, 8 .19 [1986]. Auch der damals in Genf lehrende Wilhelm Rtipke, Die deutsche Frage, S.250-258 [1945], entwickelte angesichts der "brutale[n] Tatsache, daß jetzt mitten durch Deutschland eine Linie verläuft, die zwei Welten voneinander scheidet" (8.248) Ideen, die - allerdings auch stark antipreußisch gefiirbt (vgl. S.244-245)- auf eine bundesstaatliche, europäisch und atlantisch integrierte Weststaatslösung hinausliefen. Nach Hans-Peter Schwarz, Adenauerund Europa, 8.476 [1979), war das Buch Röpkes Adenauer bis 1947 nicht bekannt. 27 Vgl. Bemhard Diestelkamp, Die VerfassWtgsentwicklWlg, 8.1315 [1989], u. Wemer Stirgel, 8.39 [1985]. Noch am 25. März 1948 forderte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Kar/ Amold (CDU) im Düsseldorfer Manifest eine ,,Deutsche Nationalversammlung" aus allen vier Zonen, vgl. hierzu WemerStirgel, S.36 [1985]. 28 Siehe hierzu die die Ministerpräsidenten beruhigende BesprechWlg mit Clay v. 14.6.1948, in: PR I, 8.17-21. 29 ,,Die Delegierten erkennen an, daß es [... ] notwendig ist, dem deutschen Volk Gelegenheit zu geben, die gemeinsame Grundlage filr eine freie Wld demokratische RegierWtgsform zu schaffen, um dadurch die Wiedererrichtung der deutschen Einheit zu ermöglichen[ ...]", so das 8chlußkommunique v. 7.6.1948, in: PR I, 8.1-17 (12). 30 Der CDU-Vorsitzende der britischen Zone, Konrad Adenauer, bezeichnete die Ruhrkontrolle als wirtschaftliche Annexion und ,,katastrophal", vgl. Rudolf Morsey, Adenauerund der Weg zur BWtdesrepublik, 8.22 [1986]; die Ablehnung der FDP und insbesondere der 8PD war zurückhaltender, vgl. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.314 [1990], u. Johannes Volker Wagner, in: PR I, S.XX-XXI [1975]. 31 Vgl. Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8.349-350 [1982]. Wenn Wolfgang Benz, Die EntstehWlg der Bundesrepublik, 8.15-35 [1983], schreibt, daß es kaum einen Dissens zwischen den Deutschen in den Westzonen und den Alliierten über die Staatsgründung gegeben habe, Wld das Hauptproblem, "der Verlust der Einheit der deutschen Nation", auf "transzendentale Ebene verlagert Wld
2. Entscheidung zur Weststaatsgründung
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längst schon zerbrochen war, mit der Gründung eines westlichen staatsähnlichen Gebildes gänzlich unmöglich werden? Und bedeuteten nicht die Empfehlungen an die Adresse der Ministerpräsidenten der deutschen Länder die Preisgabe der bisherigen Rechtsauffassung vom Fortbestand des Rechtssubjekts Deutschland32 ? Die Alliierten suchten diese Bedenken zu zerstreuen, sie richteten die Empfehlungen mit Absicht auch an die Sowjetunion und ihre
Zone33 .
Es gab zwar auch "zahlreiche deutsche Stirnrnen" 34 , ostzonale Vertreter an den Verfassungsberatungen teilnehmen zu lassen. Aber nach der Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur SED in der Sowjetzone, der gescheiterten Münchener Ministerpräsidentenkonferenz, dem Ausbleiben freier Wahlen, der Blockeinbindung der Parteien und vor allem der Berliner BlockadeJS sahen die westdeutschen Ministerpräsidenten und die führenden Parteipolitiker keine Chance mehr für eine effektive und erfolgreiche Beratung über eine deutsche Staatlichkeil mit Politikern der SBZ36 . Bis zur Aushändigung der Frankfurter Dokumente am 1. Juli 1948 manifestierte sich die deutsche Teidort gelöst" (S.23-24), d.h. für Benz frühzeitig Wld freiwillig preisgegeben (vg1. S.33) worden sei, dann bagatellisiert er die tatsächlichen Gewissensnöte der deutschen Handelnden Wld suggeriert den Umkehrschluß, daß objektiv Wld auch für die Zeitgenossen ersichtlich bei einer Weigerung, ein westdeutsches Staatsgebilde zu gründen, die deutsche TeilWlg unmittelbar zu überwinden möglich gewesen wäre. Damit widerspricht Benz gleichsam seiner eigenen Argumentation, denn er legt zurecht dar, daß die weltWld deutschlandpolitischen Determinanten, die zur Spaltung Deutschlands fuhrten, längst vor 1948/49 gesetzt waren, Wld daß die EntstehWlg der BWldesrepublik keineswegs als ein mystifizierter 8chöpfWlgsakt Wld als "se1bstverursachter Erfolg" begriffen werden darf (vgl. 8.22). 32 So die Bedenken Franz Blüchers, des FDP-Vorsitzenden der britischen Zone, Wld auch der SPD, vgl. Johannes Volker Wagner, in: PR I, S.XXVII [1975]. 33 Vgl. hierzu Johannes Volker Wagner, in: PR I, S.XXII, Anm.47-50, bzw. S.6061, Anm.4 [1975), u. Theodor Eschenburg!Wolfgang Benz, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.460-461 [1982]. 34 SoJohannes Vollcer Wagner, in: PR I, S.XXII [1975]. 3S Siehe hierzu Wolfgang Benz, GründWlg der BWldesrepublik, 8.9-38 [1986], Prell/Buffet, 8.20-26 [1988], Theodor Eschenburg/Wolfgang Benz, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8.463 [1982], u. Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, 8 .284-296 [ 1990]. 36 Vgl. ähnl.. Johannes Volker Wagner, in: PR I, 8.60-61, Anm.4 [1975). Insofern hatte sich die Situation im Jahr 194& soweit verändert, daß der nach einer Reise in die SBZ im Mai 1946 geäußerte unterschwellige Optimismus von Rudolf Mueller, des hessischen Wirtschaftsministers, daß "wir" durch ' Missionsreisen' in die Ostzone "uns gegen den Einparteienstaat wenden müssen und auch wenden können" (zit. nach Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, 8 .230 [1983]), inzwischen vollkommen unrealistisch geworden zu sein schien.
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B.ll. Gnmdgesetzgebungsphase 1948/49
lung endgültig in der Verkündung der Währungsreform am 18. Juni, der lange vm:bereiteten Ost-Währungsreform am 23. Juni und dem scharfen Protest der Sowjetunion sowie ihrer Satellitenstaaten gegen das Londoner Komrnunique auf der Warschauer Konferenz37 einen Tag später. Mit den drei Frankfurter Dokumenten "zur künftigen politischen Entwicklung Deutschlands"38 , die sich eng an die Londoner Empfehlungen anlehnten, wurden die deutschen Ministerpräsidenten von den Alliierten aufgerufen. eine Staatsgründung einzuleiten. Diese Dokumente legten die Grundlinien für die Entstehung der Bundesrepublik fest39 . 3. Die Beratungen in Koblenz und Rüdesbeim
Das Geftihl der Zusammengehörigkeit und der Wille zu einem Neubeginn beherrschte als einigendes Band die Beratungen der Ministerpräsidenten über die Frankfurter Dokumente in Koblenz40 . Verantwortung fiir das östliche
37 In Warschau wurde u.a. der seit der Moskauer Außeruninisterkonferenz bekannte Molotow-Plan für Deutschland wiederholt. 38 Dokument I: Aufforderung an die deutschen Ministerpräsidenten, eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, die eine demokratische und lliderative Verfassung auszuarbeiten habe, mit der die Länderrechte und die individuellen Rechte und Freiheiten garantiert und eine angemessene Zentralinstanz geschaffen würden. Dokument ll: Ersuchen, die Ländergrenzen zu überprüfen. Dokument ID: Gnmdzüge eines Besatzungsstatuts zur Regelung der Beziehungen der deutschen regierung mit den Alliierten. Abgedruckt in: PR I, 8.30-36. Dokument ID ist mit der Aufhebung des Besatzungsstatuts durch den Deutschlandvertrag vom 26.Mai 1952 und dessen Inkrafttreten am 5.Mai 1955 ebenso obsolet wie Dokument ll mit der Gründung Baden-Württembergs 1952, vgl. Reinhard Mußgnug, in: Handbuch, 8 .227 [1987]. 39 Vgl. Konrad Repgen, Konrad Adenauer und die Wiedervereinigung, 8.305 (1984). Die moderate, zu Anregungen und Gegenvorschlägen geradezu aufmuntemde Haltung der Militärgouverneure - der französische Gouverneur, General Koenig, hoffie mit seiner Warnung vor zu schnellem Vorgehen, "doch noch das amerikaDisehe Weststaatskonzept am Widerstand der Deutschen selbst scheitern zu lassen", so Johannes Volker Wagner in: PR I, 8.XXXV-XXXVI [1975] -, hatte bei der deutschen Seite flilschlicherweise den Eindruck entstehen lassen, die Frankfurter Dokumente, über deren Verbindlichkeit und Entstehungshintergrund sie nicht informiert war, seien ein offenes Verhandlungsangebot, vgl. Stammen/Maier, 8.385-386 (1979). 40 Aufdem Rittersturz vom 8. bis 10. Juli 1948.
3. Die Beratungen in Koblenz und Rüdesheim
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Deutschland jetzt und Offenheit ftir eine gesamtdeutsche Lösung später waren die gemeinsamen Leitgedanken41. Was allerdings endgültig genau zu erreichen sei42 , mußte erst geklärt werden. Was man nicht wollte, wurde jedoch schnell klar: Eine Verfassungsge· bende Versammlung konnte nicht einberufen werden, weil das deutsche Volk zum einen nicht die Willensfreiheit habe, sich eine Verfassung zu geben43 , und weil zum anderen dies der rechtliche Vollzug der politisch bereits vollzogenen Teilung Deutschlands heißen würde44 . Die Länderchefs waren sich darüber im klaren, daß "irgendeine Organisation" nötig sei, "die über den Ländern so etwas ähnliches wie eine Regierungsgewalt schafft" 45 . Endlich 41 Der zum Vorsitzenden der Konferenz gewählte Ministerpräsident von RheinlandPfalz, Peter Altmeier, in: PR I, S.63-64, formulierte am ersten Verhandlungstag das gemeinsame Ziel der Teihtehmer mit den Worten: "Wir wollen das neue deutsche Haus bauen. Dieses Haus muß groß sein und so gebaut werden, daß alle Deutschen, daß alle Länder in ihm Platz haben. Und wenn die schmerzlichen Gegebenheiten[ ...] es heute noch nicht allen ermöglichen, in dieses neue deutsche Haus einzuziehen, so werden wir, was immer auf dem politischen Gebiet getan wird, die Türen so groß bauen und so weit offen halten, daß jederzeit die Länder des deutschen Ostens in dieses neue deutsche Haus Einkehr halten können". 42 So die Frage Hans Ehards, vgl. PR I, S.66. 43 So der Niedersächsische Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf, vgl. PR I, S.71. 44 So der Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollem, Lorenz Bock, vgl. PR I, S.72. Ähnl. u. zusammenfassend Ministerpräsident Altmeier, vgl. PR I, S.80-82. 45 Hans Ehard, in: PR I, S.77. Die längst überzonal wirkenden Parteien wie die Ministerpräsidenten standen filr einen föderalistischen Staatsaufbau, wenn auch mit erheblichen Auffassungsunterschieden, vgl. hierzu Wemer S(Jrgel, S.55-56 (1985]. Das Kernproblem einer föderalen Weststaatsgründung charakterisiert weitblickend das Deutsche Büro filr Friedensfragen, das der Länderrat der amerikanischen Zone im Frühjahr 1947 in Frankfurt eingerichtet hatte, in einer Denkschrift zu den Frankfurter Dokumenten v. 5. Juli 1948, in: PR I, S.36-59 (42): ,,Einem föderalistischen Staatswesen wird es immer leichter fallen, neu hinzutretende Glieder, die bisher ein Eigenleben hatten, bei sich aufzunehmen, als einem zentralistischen Einheitsstaat. Wenn man die Möglichkeit des späteren Zutritts der Ostzone erleichtern will, dann müßte man die Ordnung in den Westzonen so elastisch wie möglich gestalten und ihr tunliehst nicht das Gewicht einer geschriebenen und vom Volk angenommenen Verfassung geben, die der Osten bei seinem Anschluß nur noch akzeptieren dürfte. Jede Verfassung hat ihrem Wesen nach etwas Endgültiges und kann nur unter starken Kautelen geändert werden. (... ] Wenn Deutschland schon in zwei verschieden große Hälften zerrissen ist, dann sollte die größere Hälfte, die auf den Zutritt der kleineren Hälfte rechnet, sich in ihrer Verfassung auf nichts festlegen, was den Anschluß der kleineren Hälfte erschweren könnte, solange es nicht möglich ist, daß beide Hälften in gleicher Weise und in gleicher Freiheit ihre Abgeordneten in die Verfassungsgebende Versammlung entsenden". 4 Roos
n. Grundgesetzgebwtgsphase 1948/49
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müsse die in Aussicht gestellte Verbindung zur französischen Zone zu einer wenigstens teilweisen Wiedervereinigung fiihren, damit Wirtschaft und Verwaltung wieder in Gang gesetzt werden könnten. Gewollt wurde ein administratives Provisorium, kein Staat46 , und in der Einzelaussprache über das Frankfurter Dokument Nr.I "kam irgendjemand mit dem Wort 'Grundgesetz' an Stelle von Verfassung"47 . Das Grundgesetz sollte von einem durch die Landtage zu beschickenden Parlamentarischen Rat ausgearbeitet werden. Es sollte aber nicht, wie es die SPD forderte, durch eine von den Landtagen gewählte Vertretung erlassen und erst durch eine aus allgerneinen Wahlen hervorgegangene Gesetzgebende Versammlung bestätigt werden48 , sondern durch die Ministerpräsidenten nach Anhörung der Landtage der drei Zonen erarbeitet werden, wonach es dann den Militärgouverneuren zuzuleiten sei, die die Genehmigung erteilen sollten49 . Im Besatzungsstatut wünschten die Ministerpräsidenten klargestellt zu wissen, daß die "nunmehr geplanten organisatorischen Änderungen" kein "Akt freier Selbstbestimmung des deutschen Volkes" seien, sondern "auf den Willen der Besatzungsmächte" zurückgingen50 . Grundsätzlich lehnten die Konferenzteilnehmer darum die "Einberufung einer deutschen Nationalversammlung und die Ausarbeitung einer deutschen Verfassung" ab, bis "die Voraussetzungen fiir eine gesamtdeutsche Regelung gegeben sind und die deutsche Souveränität in ausreichendem Maße wieder hergestellt ist"51 . Diese Koblenzer Beschlüsse, einstimmig und mit Unterstützung der Parteispitzen von CDU, CSU und SPD gefaßt52 , wurden von den angloarnerikani46 So
S.90.
Carlo Schmid, Justizminister von Württemberg-Hohenzollern, vgl. in: PR I,
47 Reinhold Maier, Erinnerungen, S.62 [1966], der weiter ausfilhrt: "Wie vom Hinunel gefallen stand das Wort vor WlS wtd bemächtigte sich wtserer Köpfe wtd Sinne, gewiß nicht der Herzen. Machten wir doch ein 'Grundgesetz' , das keinen Vollstaat voraussetzt". Nach Wolfgang Benz, Von der BesatzWlgsherrschaft, S.l65 (1989), war es Max Brauer, der den Begriff "Grundgesetz" in die Debatte einführte. 48 Vgl. PR I, 8.99-100. Siehe hierzu WemerStirgel, S.26 [1985). 49 Vgl. die Stellwtgnalune der Ministerpräsidentenkonferenz zum Dok.I v. 10.7.48, in: PR I, S.146-147. Die Gründe ftlr diese insbesondere von Ehard gewtlnschte Vorgehensweise waren, die Spaltung Deutschlands nicht auch noch plebiszitär zu dokwnentieren, den propagandistischen Einfluß kommunistischer oder nationalistischer Kräfte auszuschließen wtd die vorgesehene starke Mitwirkung der Länder nicht zu geflihrden, vgl. PR I, S. 97. 50 Stellwtgnahme der Ministerpräsidentenkonferenz zum Dok.I v. 10.7.48, in: PR I, S.145, passim. 51 Stellwtgnahme der Ministerpräsidentenkonferenz zum Dok.I v. 10.7.48, in: PR I, S.146. 52 Vgl. Johannes Volker Wagner, in: PR I, S.XXXVITI-XL (1975], u. Wemer Sörgel, S.41 [1985).
3. Die Beratungen in Koblenz Wld Rüdesheim
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sehen Militärgouverneuren mit Verärgerung aufgenommen53 . Der französische Gouverneur, General Koenig, dagegen sah in der deutschen Antwort eine willkommene Möglichkeit, die Londoner Empfehlungen doch noch zu revidieren; er verlangte neue interalliierte Verhandlungen und untersagte den Ministerpräsidenten seiner Zone, an weiteren Länderkonferenzen teilzunehmen54 . Während General Koenig von Robertson und Clay wieder auf die gemeinsame Linie der Londoner Beschlüsse festgelegt wurde, tagten die westdeutschen Ministerpräsidenten erneut, diesmal im Jagdschloß Niederwald bei Rüdesheim55 . Inzwischen war die deutsche Seite über ihre geringe politische Bewegungsfreiheit aufgeklärt worden56 : Die Londoner Empfehlungen seien als Ganzes zu akzeptieren, zeitraubende Neuverhandlungen darüber wären nur auf Regierungsebene möglich und würden jedenfalls ungünstiger ausfallen57 . Entscheidend für die Erkenntnis der Ministerpräsidenten, eine kraftvolle Organisation mit einer Regierung, einer vollwertigen Verfassung, einer gesetzgebenden Körperschaft und einem Länderrat schaffen zu müssen58 , war die kritische Situation in dem seit einem knappen Monat vollständig blockierten Berlin59 . Ernst Reuter, der zwar gewählte, infolge sowjetischen Einspruchs aber nicht amtierende Oberbürgermeister von Berlin, vermochte die Verantwortung der Deutschen im Westen "als diejenigen, die allein Deutschland zu repräsentieren haben"60 , für die zukünftige Lage jenseits der Eibe eindrucksvoll her53 General C/ay zeigte sich in einer BesprechWlg mit den Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatz\Ulgszone am 14. Juli 1948 enttäuscht, weil er ,,in London wochenlang mit den Franzosen Wld den Engländern wn die Anerkenn\Ulg der deutschen Souveränität im Rahmen eines Weststaats gekämpft" habe Wld damit rechnete, daß "die Deutschen die Verantwortung, die mit der Übergabe neuer Vollmachten verbWlden ist, gern übernehmen würden". Außerdem glaubte er, daß die Russen jetzt darauf hinweisen würden, "daß die Deutschen den Weststaat nicht wollten Wld daß nur die Amerikaner ihn wünschen". In: PR I, S.151-152. 54 Vgl. Stammen/Maier, S.387 [1979), Wolfgang Benz, Von der Besatz\Ulgsherrschaft, 8 .167-171 [1989], u. Johannes Volker Wagner, in: PR I, 8JCLII-XLIV [1975). ss Am 15./16. Wld21./22. Juli 1948. S6 Vgl. hierzu Wemer StJrgel, 8.44-47 [I 985). 51 Vgl. Stammen/Maier, 8.388-389 [1979), u. Johannes Vo/ker Wagner, in: PR I, 8.XLVI-XLVIII [1975). 58 So Hans Ehard am 21. Juli 1948 in Rüdesheim, vgl. PR I, S.184. Nur noch Carlo Schmid Wld niedersächsische Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf waren gegen den Entschluß, einen "Vollstaat" gründen zu wollen, vgl. Wolfgang Benz, GrilndWlg der BWldesrepublik, S.l06 [1986), u. Johannes Volker Wagner, in: PR I, S.LI u. LIIILIV [1975). S9 Vgl. hierzu Thilo Vogelsang, Option [1971). 60 Reuter in Rüdesheim am 21 . Juli 1948, in: PR I, S.l94.
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B.ll. GrundgesetzgebWlgsphase 1948/49
auszustellen61 . Reuter verband die vornehmlich von den Amerikanern vertretene Politik62 eines entschlossenen, eindämmenden Auftreten des Westens gegen das sowjetische Übergreifen. Kurt Schumacher hatte Anfang 1947 die Theorie von einem sozialen und ökonomischen Magnetismus des Westens entwickelt63 , der seine "Anziehungskraft auf den Osten so stark ausüben muß, daß auf die Dauer die bloße Innehabung des Machtapparates dagegen kein sicheres Mittel ist"64 . In ihrer Terminologie blieben die Ministerpräsidenten auf der Kohlenzer Linie6S , folgten in der Sache aber nun den Londoner Empfehlungen66 , bis auf einen Punkt: Das Grundgesetz sollte von den Landtagen, nicht vom Volk ratifiziert werden67 . In der "hochdramatisch" verlaufenen68 , abschließenden Konferenz der westdeutschen Länderchefs mit den Militärgouverneuren am
61 Mit dem Kampf um Berlin Wld dem Ziel, die Machtansprüche der SowjetWlion zurückzuschrauben, erhöhe sich die politische BewegWlgsfreiheit aller Deutschen. Aus diesem Zusammenhang folge, so Ernst Reuter in Rüdesheim am 21. Juli 1948, in: PR I, S.l92, "daß wir eines in Berlin Wld im Osten nicht ertragen können: das Verbleiben des Westens in seinem bisherigen politisch Wlentschiedenen Status. Wir sind der MeinWlg, daß die politische Wld ökonomische Konsolidierung des Westens eine elementare VoraussetzWlg für die GesWldWlg auch Wlserer Verhältnisse Wld für die Rückkehr des Ostens zum gemeinsamen Mutterland ist". 62 Vgl. hierzu Wolfgang Krieger, General Lucius D. Clay, S.491 [1987). 63 Vgl. hierzu Rainer Zitelmann, Adenauers Gegner, S.68-69 [1991], u. Peter Siebenmorgen, S.83-88 [1990]. 6 4 So Schumacher am 31. Mai 1947, zit. nach Wemer Abelshauser, Zur EntstehWlg, S.661 [I 979]. 6 S Vgl. hierzu das Aide-Memoire der Ministerpräsidenten zu den Erklärungen der Militärgouverneure vom 22. Juli 1948, mit dem sprachliche Ungenauigkeiten bereinigt werden sollten: "5. Das Wort 'VerfassWlg' ist absichtlich nicht gebraucht worden, weil weder ganz Deutschland noch eine endgültige LösWlg in Frage kommt. Das gewählte Wort 'Grundgesetz' wäre wohl zutreffender mit 'basic constitutionallaw' [statt 'basic law', S.R.] übersetzt worden", in: PR I, S.271. Max Brauer betonte die Wichtigkeit der Terminologie für den politischen Kampf, "in dem wir mit dem Osten stehen", in: PR I, S. l80. 66 So Wolfgang Benz, GründWlg der BWldesrepublik, S.l06 [1986]. 67 Die Gründe hierfür waren: VermeidWlg von Agitation destruktiver Elemente in einem AbstimrnWlgskampfWld damit verbWlden VerschlechterWlg des deutsch-alliierten Verhältnisses, Zeitverlust, der katastrophalen Folgen im Falle der AblehnWlg, vgl. PR I, S.272. 68 So Wolfgang Benz, GründWlg der BWldesrepublik, S.I07 [1986), u. Theodor Eschenburg/Wolfgong Benz, in: Tbcodor Eschenburg, Jahre der BesatzWlg, S.469 [1982].
4. Der VerfassWlgskonvent aufHerrenchiemsee
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26. Juli 1948 in Frankfurt am Main69 - das Scheitern der Verhandlungen schien vorübergehend unvermeidbar - gab General Koenig mit seinem Ausruf "En avant!"70 den erlösenden Startschuß filr die Wahl zum Parlamentarischen Rat und damit filr die von den Deutschen mitverantwortete und aus der Not letztlich befiirwortete71 Gründung der Bundesrepublik Deutschland. 4. Der Verfassungskonvent aufHerrenchiemsee
Der von den Ministerpräsidenten auf die Insel Herrenchiernsee einberufene Verfassungskonvent72 war ein Sachverständigenausschuß ohne Entscheidungskompetenz; mit seinem stark fOderalistisch ausgerichteten Verfassungsentwurf antizipierte er aber das spätere Grundgesetz in weiten Teilen73 . Ausfuhrlieh wurde auf Herrenchiemsee das Problern der Rechtslage Deutschlands besprochen74 . Zwei kontroverse Meinungen standen sich gegenüber: Die Minderheit (vornehmlich Bayern) war der Auffassung, das untergegangene Deutsche Reich müsse als ein neues Deutschland konstituiert wer69 In: PR I, 8 .273-282.
70 In: PR I, 8 .281. 71 Vgl. Hermann Gram/, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatz\Ulg, 8.350 (1982]. Das Gallup-Institut hatte im Sommer 1948 ermittelt, daß 70% der Bevölker\Ulg in der amerikanischen Zone eine "WestregierlUlg" wünschten, nur 15% dagegen waren. Der KommWlisrnus wurde von einer sehr großen Mehrheit abgelehnt: 82% der Befragten,waren fUr eine nichtkommWlistische RegiefWlg in allen vier Zonen, und 95% zogen eine freie demokratische RegiefWlg in den Westzonen einer kommunistischen RegiefWlg Gesamtdeutschlands vor. In: Die Neue ZeitWlg v. 21.8.1948. Den Zusammenhang zwischen einer Teileinheit Deutschlands, die auf die 8o\\jetzone einen entsprechenden Sog ausüben würde, und notwendiger Abgrenzung gegen kommunistische Einflußnahme durch wirtschaftlich-politische Konzentration sah auch die westdeutsche, lizensierte Presse, vgl., arn Beispiel der Süddeutschen Zeitung, Uta Hallwirth, 8.205-207 [1987]. 72 Vorn 10. bis zwn 23. August 1948. 73 Vgl. Reinhard Mußgnug, in: Handbuch, S.234 [ 1987]. Freilich gab es zu jener Zeit eine Reihe von anderen Verfassungsentwürfen: vorn Deutschen Büro ftlr Friedensfragen (vgl. hierzu Heribert Piontkowitz, Auflinge westdeutscher Außenpolitik (1978]), vorn ,,Ellwanger Freundeskreises" der CDU/CSU, vorn "Verfassungspolitischen Ausschusses" der 8PD, die "Westdeutsche Satz\Ulg" des nordrhein-westtalischen Innenministers Walter Menzel. Diese u. weitere abgedruckt in Wemer Sörgel, 8.55-88 u. 263-325 (1985]. Vgl. auch Theodor Eschenburg!Wolfgang Benz, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8.475-479 (1982]. 74 Vgl. im ganzen den Bericht über den Verfassungskonvent, in: PR ll, 8.506-511.
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B.ll. GrundgesetzgebWlgsphase 1948/49
den7S . Die in der Zwischenzeit entstandenen neuen Länder könnten nur eine Gemeinschaft mit dem Namen "Bund deutscher Länder" schaffen76 . Die Mehrheit dagegen vertrat den Standpunkt, daß das Deutsche Reich nicht untergegangen sei77 , es bedürfe nur einer Neuorganisierung des als Staat weiterbestehenden, aber geschäftsunfähigen Deutschland78 . Darum liege die Quelle der konstitutiven Gewalt beim "Volke dieses Gebietes, das in seiner Gesamtheit sein 'Staatsvolk' ist"79 , und nicht bei den Ländern. Einig waren sich alle Delegierten80 , daß in jedem Falle nur ein "Staatsfragment" errichtet werden könne, weil sich nur eine "Teilschicht der vollen Volkssouveränität" als Staat konstituieren würde81 , dessen "Tor nach Osten soweit wie möglich geöffnet"82 bleiben solle. Das Fragmentarische dieses Staates ergebe sich außerdem aus der alliierten Beschränkung der Volkssouveränität in Deutschland. Indem die Besatzungsmächte sich Auflagen fiir das Grundgesetz, gewisse Zuständigkeiten und ein Notstandsrecht vorbehielten, verhinderten sie das Entstehen eines Staates im vollen demokratischen Sinne83 . Das, was abgesehen von dieser äußeren Beschränkung zu schaffen möglich blieb, sollte allerdings voll funktionsfiihig sein und, bei einer Lockerung des alliierten Zwangs, zusätzliche Freiheiten voll ausfiillen können. Legislative, Exekutive und Judikative sollten somit in einer Weise angelegt werden, als wäre der zu bildende Staat ein vollendeter und kein fragmentarischprovisorischer84 .
7 S So Josef Schwalber, Staatssekretär im bayerischen Inneruninisteriwn, in: PR II, S.97, u. v.a. der Rechtswissenschaftler Wld Sachverständige Hans Nawiasky, vgl. Peter Bucher, PR II, S.LXXVI [1981). 76 Vgl. Bericht des Unterausschusses I, in: PR II, S.l95. 77 Vgl. JosefBeyerle, in: PR II, S.91, u. beispielhaft Hermann Bn"ll, in: PR II, S.77: "Untergegangen ist die Diktaturgewalt im Deutschen Reich; das Reich als Gebietskörperschaft, als juristische Person des öffentlichen Rechts aber besteht weiter". 7 8 So v.a. Carlo Schmid, in: PR II, S.l02. 79 Bericht des Unterausschusses I, in: PR II, S.l93. 80 So Josef Beyerle, Justizminister in Württernberg-Baden, auf der Plenarsitzung v. 21.8.48, in: PR II, 8.351. Vgl. Peter Bucher, PR II, S.LXX [1981). 81 So Carlo Schmid, in: PR II, 8.104. 82 Anton Pfeiffer, Chef der bayerischen Staatskanzlei Wld Vorsitzender des VerfasSWlgskonvents, in: PR II, 8.104. 83 DarWlter wurde ein ,,Herrschaftsverband, der auf seinem Gebiet die Fülle der Gewalt in eigener SelbstbestimmWlg in Anspruch nimmt Wld Einschränkungen ZUgWlsten Dritter nur auf Grund freiwilliger Selbstbeschränkung, also durch Vertrag, auf sich nimmt", verstanden, so der Bericht über den VerfassWlgskonvent, in: PR II, S.508. 84 Vgl. den Bericht des Unterausschusses I, in: PR II, 8.192, bzw. den Bericht über den VerfassWlgskonvent, in: PR II, S.509.
5. Der Parlamentarische Rat
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Strittig wiederum war die Auslegung des Begriffs "Staatsfragment". Sollte ein gesamtdeutscher Staat proklamiert werden, in dem die an der Teilnahme verhinderten Länder der Sowjetzone vertreten würden85 , oder galt es, einen Übergangsstaat zu errichten, dem beizutreten jedem anderen Teil Deutschlands freistünde und der die Wiedervereinigung vorzubereiten habe86 ? Letzteres wurde, wie die vorgelegten Entwürfe für die Präambel zeigen, einhellige Meinung87 . Die vorgeschlagene grundgesetzliche Schlußbestimmung verdeutlichte den zeitlich und räumlich provisorischen88 Charakter des zu bildenden Staatswesens89 . 5. Der Parlamentarische Rat
Der Parlamentarische Rat, zusammengesetzt aus 70, nach den letzten Landtagswahlergebnissen den Parteien zugeteilten Abgeordneten90 , konstituierte sich im Bonner Museum Koenig am 1. September 1948 und wählte Konrad Adenauer zu seinem Vorsitzenden91 . Der Rat akzeptierte ohne längere Debatte92 das Frankfurter Dokument Nr.l sowie die Kohlenzer und Rüdesheimer Beschlüsse der Ministerpräsidenten. Zur Frage des provisorischen und fragmentarischen Charakters des Grundgesetzes bis zur Wiedervereinigung des deutschen Volkes herrschte grundsätzlich Übereinstimmung. In seiner einleitenden Rede betonte Adenauer die Absicht des Parlamentarischen Rates, mit der Errichtung einerneuen politischen Struktur "wieder zur Einheit von ganz Deutschland, der Einheit, die unser Ziel ist und unser Ziel bleibt, zu gelan-
85 So der Bremer Bürgermeister TheodorSpitta, in: PR II, S.94-95. 86 So Hermann Brill, Chef der hessischen Staatskanzlei, in: PR Il, S.79. Vgl. auch
Peter Bucher, PR II, S.L:XX [1981). 8 7 Abgedruckt in: PR II, S.l94 bzw. 195. 88 Vgl. hierzu den Bericht über den Verfassungskonvent, in: PR II, S.507. 89 Artikel Z: ,,Dieses Gesetz verliert seine Geltung an dem Tage, an dem eine von dem deutschen Volk in freier Selbstbestimmung beschlossene Verfassung in Kraft tritt", in: PR II, S.232. hn Bericht über den Verfassungskonvent, in: PR Il, S.614, trägt dieser Artikel die Nummer 149 und in ihm ist das Wort "Gesetz" von "Gnmdgesetz" abgelöst. 9 CDU/CSU und SPD stellten je 27 Delegierte, FDP fünf, DP, KPD, Zentnun je zwei und fünf Berliner waren ohne Stimmrecht vertreten. 9 1 Vgl. hierzu Rudolf Morsey, Der politische Aufstieg Konrad Adenauers 19451949 [1975). 92 So Reinhard Mußgnug, in: Handbuch, S.237 (1987).
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B.ll. Gnmdgesetzgebungsphase 1948/49
gen"93 . Er unterstrich zudem die doppelte Freiheit des Rates gegenüber den Alliierten und gegenüber den Ministerpräsidenten94 . Allein die beiden kommunistischen Abgeordneten, Heinz Renner und Hugo Paul, sprachen sich gegen eine Verfassungsgebung durch den Parlamentarischen Rat aus, bestritten seine Legitimität und bezeichneten ihre demokratischen Kollegen als "Spalter Deutschlands"9 S . Den Konsens aller anderen 68 Abgeordneten schilderte ausfuhrlieh Carlo Schrnid (SPD) in seinem staatstheoretisch fundierten Referat% zur Lage Deutschlands. Schmid verneinte die Auffassung, Deutschland sei durch Debellation untergegangen97 . Aber weil durch die an sich völkerrechtswidrige Intervention der Alliierten die Ausübung der deutschen Volkssouveränität blockiert sei, könne der Parlamentarische Rat keinen demokratischen Staat im eigentlichen Sinne errichten. Die Volkssouveränität, die in ihrer Fülle, aber auch räumlich unteilbar sei, bleibe inaktiv, weil die- man würde heute sagen - Kompetenzkompetenz letztlich bei den Alliierten liege. Substanziell eingeschränkt sei die Souveränität durch die Frankfurter Dokumente und territorial durch das Fernbleiben ostzonaler Vertreter arn Parlamentarischen Rat98 . Ein Teil des deutschen Volkes könne nur dann souverän handeln, "wenn er legitimiert wäre, als Repräsentant der Gesamtnation zu handeln, oder wenn ein Teil des deutschen Volkes durch äußeren Zwang endgültig verhindert worden wäre, seine Freiheitsrechte auszuüben"99 . Aus alledem ergebe sich, daß das Grundgesetz nur ein Staatsfragment innerhalb der inzwischen freigegebenen Hoheitsbefugnisse organisieren könne, während die eigentliche Verfassung 93 In: PR Sten.Ber. v. I. 9.1948, S.S. Ähnl. zuvor Alterspräsident Adolf Schönfelder (SPD), Präsident der Harnburger Bürgerschaft, in: PR Sten.Ber. v. I. 9.1948, S.l . 94 Adenauers nur kurze Würdigung der Vorarbeiten der Länderchefs war sicher keine Mißachtung der Verfassungsvorschläge von Herrenchiemsee, sondern wohl eher Ausdruck der Distanzierung von diesen bisher privilegierten Treuhändern der deutschen Politik, vgl. Rudolf Morsey, Der politische Aufstieg Konrad Adenauers 19451949, S.63-64 [1975]. 9 S SoHugoPaul, in: PR Sten.Ber. v. 1.9.1948, S.6. 96 In: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, 8.8-17. 97 Die debellatio, führte Schmid aus, sei ein ausschließlich militärischer Akt, der dem Sieger einen Rechtstitel auf nachfolgende Akte verschaffe, die erst einen staatlichen Untergang herbeiführen könnten. Doch weder die Annexion des Gebietes, noch die Subjugation der Bevölkerung seien vollzogen worden. Desorganisiert, nicht vernichtet sei also der Staat in seiner Substanz, sondern der diktatorische Machtapparat, der mit dem Staatsapparat identisch gewesen sei. Der Staat habe sichtbar nach 1945 durch die treuhändensehe Wahrnehmung von Staatsfunktionen durch Bürgermeister und Landräte weitergelebt, vgl. in: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, S.9, passim. 98 Vgl. in: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, 8.10-11, passim. 99 In: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, S.ll .
5. Der Parlamentarische Rat
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Deutschlands das geschriebene oder ungeschriebene Besatzungsstatut bleibe100. Damit schloß Schmid wie sein Parteichef Schumacher noch zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit aus, einen 'echten' Staat gründen und reale politische Verantwortung unter 'Fremdherrschaft' übernehmen zu könnenl 01. Den Makel der Abhängigkeit von den Westalliierten suchte Adolf Süsterhenn (CDU), Justiz- und Kulturminister von Rheinland-Pfalz, verbal abzuschüttelnl02. Er widersprach Schmid in der Frage der legitimativen Qualität der westdeutschen Souveränität. Schon die Ministerpräsidenten seien in ihrer Entscheidung frei gewesen, von der durch die Alliierten verliehenen Ermächtigung Gebrauch zu machen. Die Bestellung des Parlamentarischen Rates durch die elf Landtage sei deutscher demokratischer Legitimation entsprungen und entspreche dem "von Gott gegebenen Anspruch auf politische Selbstorganisation" 103 . Gleichwohl konzedierte Süsterhenn das Fehlen echter politischer Handlungsfreiheit und forderte Hoheitsbefugnisse, damit die westdeutsche Bevölkerung die politische Konsolidierung der drei Westzonen in einem Bundesstaat gutheißen könne und nicht nur eine Verfassungskulisse errichtet würdel04 . Die deutsche Frage integrierte Süsterhenn in das Interesse Europas an einem freien westdeutschen Staat: ,,Nur die sofortige und effektive Konsolidierung Westeuropas und die Schafflmg einer politischen Ordnungs- und einer wirtschaftlichen Wohlstandssphäre in Westdeutschland wird in der Lage sein, auf die auch dem abendländischen Kulturbereich angehörenden Völker Ostmittel- und Südeuropas soviel Anziehungskraft auszuüben, daß ihre demnächstige Wiedereingliederung in die europäische Konföderation ennöglicht wird" 105 .
100 Vgl. in: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, S.ll. 101 Vgl. WemerS6rgel, 8.24 u. 41 [1985]. 102 Vgl. in: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, 8.17-25. 103In: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, 8 .18. SUsterhenn argumentierte weiter, daß keine Beeinträchtigung der tatsächlichen Willensfreiheit vorliege, weil die im ersten Frankfurter Dokwnent aufgestellten Grundsätze mit denen der CDU/CSU-Fraktion übereinstimmten. Ähnl. die Außerungen Christion Stocks, des Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, anlaßlieh der Eröffnung des Parlamentarischen Rates, mit denen er deutlich machte, daß der Parlamentarische Rat im Gegensatz zur Bizone ,,nach deutschem Entschlpß gefonnt und zusammengerufen worden" sei, zit. nach Theodor Eschenburg/Wolfgang Benz, in: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, 8.485 [1982). 104 Vgl. in: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, 8.18-19, passim. lOS In: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, 8.19.
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Theodor Heuss 106 ging noch weiter. Er warnte den Rat davor, einer möglicherweise geschwächten Legitimation wegen über das geographisch und "volkspolitisch" Behelfsmäßige hinaus auch strukturell etwas Provisorisches zu errichten107 . Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates - mit Ausnahme der beiden Kommunisten - sahen die gesamtdeutsche Notwendigkeit eines strukturell stabilen Grundgesetzes, kämpften doch die Menschen in Mitteldeutschland eben für jene Gedanken, die im Grundgesetz niedergelegt werden sollten108 . Das Schicksal der Ostzone betreffe nicht nur Deutschland an sich, sondern Deutschland stehe hier stellvertretend für die "Menschheitsfrage" 109 , und Heuss benannte das entscheidende Movens der Verfassungsgeber: ,,Hier wächst das primitive Problem auf vom Menschenrecht. Ich sage: primitiv, denn wir rnussen die Sache zunächst rein gefilhlsmäßig sehen"110. Diese emotionale Anteilnahme ist in den Beiträgen zur Einheit Deutschlands des Parlamentarischen Rates deutlich zu erkennen. Das Ringen um die Präambel offenbarte, daß sich die Abgeordneten vorrangig der Lösung der deutschen Frage verpflichtet fiihlten. Schmid, der am 8. September 1948 noch von einem 'negativen Plebiszit', also von einem Sich-Fügen der Bevölkerung in den alliierten Willen und einem Verzicht auf Volkssouveränität sprach111 , bekannte sich in der Aussprache über die Präambel am 20. Oktober zu dem Kompromiß, den seine Fraktion mit überwiegender Mehrheit inzwischen eingegangen war. Nun akzeptierte er nicht nur die originär deutsche Legitimität der Staatsneuorganisation, sondern auch die Möglichkeit, daß ein Teil des deutschen Volkes den Vertretungsanspruch für das ganze deutsche Volk erheben durfte: ,,Aber wenn auch nur auf ein Teilgebiet Deutschlands beschränkt- was der Parlamentarische Rat schaffi, ist eine gesamtdeutsche Angelegenheit wtd geschieht seiner Legitimität nach auf Grund eines gesamtdeutschen Mandats, eines Mandats des deutschen Volkes[... ). Wir wissen[... ], daß alle Deutschen, auch jene, denen man nicht erlaubt hat, Abgeordnete zu wählen, in wts die Treuhänder auch ihrer Rechte
106 Staatsminister a.D, M.d.L. von Württemberg-Baden, FDP, Rede in: PR Sten.Ber. v. 9. 9.1948, S.40-46. 107 Vgl. in: PR Sten.Ber. v. 9. 9.1948, S.41. 108 So Anton Pfeiffer, in: PR Sten.Ber. v. 15.9.1948, S.60. 1°9 So Heuss, in: PR Sten.Ber. v. 15.9.1948, S.62. Vgl. ähnl. die vonAdenauer verlesene Entschließwtg aller Fraktionen, mit Ausnahme der Kommunisten, in: PR Sten.Ber. v. 15.9.1948, S.59-60. 110 In: PR Sten.Ber. v. 15.9.1948, S.62. 111 Vgl. in: PR Sten.Ber. v. 8.9.1948, S.IO.
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Wld die Träger auch ihres Willens sehen. Darum sind wir legitimiert, auch filr sie zu handeln." 112 .
Die volle Souveränität gegenüber den Besatzungsmächten und im Äußeren zu erlangen sei nicht nur notwendig, damit das Volk die demokratische Verantwortung für das übernehmen könne, was auf seinem Gebiet geschehe, sondern damit das deutsche Volk "sich selbst frei in ein politisch, ökonomisch und konstitutionell geeintes Europa" 113 einbringen könne. Wenn auch der reale Geltungsbereich des Grundgesetzes auf die elf Länder beschränkt sein mußte und rein rechtlich betrachtet keine "Aktivlegitimation" für die Ostzone bestand, was Fritz Reuter gegenüber dem Kommunisten Heinz Renner zugab, so nur deswegen, weil sie zu gewinnen von den Sowjets untersagt wurde. Reuters Prophezeihung des gleichen Tages ist am 3. Oktober 1990 wahr geworden: "Sie können sicher sein, Herr Abgeordnete Renner, an dem Tage, an dem Sie in der Ostzone den dort vorhandenen Parteien die Möglichkeit geben, frei Wld selbständig ihr organisatorisches Gefilge aufzubauen Wld über ihre eigenen Angelegenheiten ohne EinmischWlg von Dmen oder ihrer Auftraggeber zu entscheiden, [... ) an dem Tage ist das Provisorium von Bonn in ein Definitivum des ganzen deutschen Volkes verwandelt worden"ll4. 11 2m: PR Sten.Ber. v. 20.10.1948, S.71. Aus diesem GrWlde waren auch die filnf Berliner Abgeordnete anwesend, obwohl Berlin, wie Schmid erwähnte, nicht Gegenstand der Londoner Empfehlm1gen war, vgl. ebd. u. ähnl., PR Sten.Ber. v. 6.5.1949, S.l74. Damit war spätestens zu diesem Zeitpunkt der AlleinvertretWlgsanspruch geboren, Wld nicht erst während der Bm1destagsdebatte am 21. Oktober 1949, wieAdolfM. Birke, S.255 [1989], insinuiert. 113 Schmid, in: PR Sten.Ber. v. 6.5.1949, S.l74. 114 ln: PR Sten.Ber. v. 20.10.1948, S.83. Vgl. ähnl. Heinrich von Brentano, in: PR Sten.Ber. v. 8.5.1949, 8.232. Daß im Laufe der BeratWlgen die HervorhebWlg des Provisorischen des GrWldgesetzes in den Hintergrund getreten sei, wie Klaus Kröger, Die EntstehWlg des GrWldgesetzes, S.1320 [1989), behauptet, kann aus den stenographischen Berichten nicht abgelesen werden. Auch die Feststellung, ,,nur" in der Präambel Wld im Schlußartikel komme das Provisorische zum Ausdruck, wird der konstitutiven BedeutWlg dieser Bestimmungen ftlr das GrWldgesetz nicht gerecht. Desgleichen verkennt Gerold Maier, Das Werk des Parlamentarischen Rates (=Stammen!Maier, Der Prozeß der Verfassunggebung, Il. Teil), S.415-416 [1979], den paradox wirkenden Doppelcharakter des GrWldgesetzes, nämlich qualitativ, im materiellen Sinne, ein Definitivum zu sein bzw. nach Zugewinn an souveränen Rechten zu werden, aber quantitativ, d.h. bis zur Wiedervereinigung, provisorisch zu bleiben: ,,Aber schon an den BeratWlgen des Parlamentarischen Rates läßt sich erkennen, daß sich der Akzent im Verlauf der Diskussionen immer mehr von einem Provisorium weg zu einer echten Verfassung hin verschob". Für die Bundesrepublik Deutschland sollte
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B.ll. GrundgesetzgebWlgsphase 1948/49
Bis zu diesem Zeitpunkt werde die eigentliche Verfassung des deutschen Volkes in dem Bewußtsein seines gemeinsamen Schicksals bestehen und in dem "unerschütterlichen Willen aller Deutschen, trotz aller Schranken, die man zwischen ihnen aufgerichtet hat, sich als ein einziges Volk, als e i n Staatsvolk zu fiihlen"115. Das Grundgesetz wurde ein "genuin deutsches Werk" 116 , auf das die Besatzungsmächte nur in Einzelfragen Einfluß nahmen 117 , weil dessen wichtigste Inhalte unstrittig waren118 . ,,Mit dem Grundgesetz bestätigte der Parlamentarische Rat die voraufgegangene Entscheidung der Ministerpräsidenten [... ] :fiir den Vorrang von Freiheit vor Einheit :fiir drei Viertel der Deutschen, weil Einheit in Freiheit :fiir alle nicht erreichbar wat•119 . Daß das Grundgesetz eine Verfassung, "die keine Verfassung sein, sondern nur wie eine Verfassung wirken will" 120 , war, macht der Mangel an Legitimität deutlich: Mit Absicht wurde der pouvoir constituant, also entweder das Volk direkt im Rahmen eines Plebiszits, oder indirekt durch eine gewählte verfassungsgebende Versammlung, bei der Verabschiedung des Grundgesetzes nicht befragt. Die Landtage, obwohl durch die eigenen Landesverfassungen dazu nicht ermächtigt, entschieden zwischen dem 18. und dem 21. Mai 1949 über die Annahme des Grundgesetzes. Nur der bayerische Landtag lehnte es ab, akzeptierte aber seine Verbindlichkeit auch :fiir Bayem121. Seine nachträgliche Legitimität erhielt das Grundgesetz einmal durch die erste Bundestagswahl am 14. August 1949, die bei einer Wahlbeteiligung von eine vollgültige Verfass\Ulg errichtet werden, filr Deutschland, fllr das der Parlamentarische Rat eben auch sprach, ein Provisorium. 115 So Schmid, in: PR Sten.Ber. v. 8.5.1949, S.234. 116 So Klaus KrtJger, Die EntstehWlg des Grundgesetzes, S.1320 (1981], vgl. auch Rudol[Morsey, Verfass\UlgsschöpfWlg, S.473 (1989). Zur EntstehWlg der einzelnen Grundgesetz-Artikel vgl. JÖR 1951; zur EntstehWlg der Präambel ebd., S.20-41. 117 Vgl. hierzu Reinhard Mußgnug, in: Handbuch, S.245-248 [1987), Wolfgang Benz, Von der Besatz\Ulgsherrschaft, S.212-228 [1989], u. Rudol[Morsey, Der politische Aufstieg, S. 76-82 [1975). Die Amerikaner Wld v.a. die Franzosen waren mit der Breite der BWldesgesetzgebWlg Z\Ulächst nicht einverstanden. 118 So die besondere BetonWlg der Grundrechte, deren Normen auch die drei Gewalten verpflichtet sind, die wertgebWldene OrdnWlg einer parlamentarischen Wld auch wehrhaften Demokratie mit starker Verfass\Ulgsgerichtsbarkeit, der Verzicht auf plebiszitäre Elemente, die verfass\Ulgsmäßige AnbindWlg der Parteien, das bWldesstaatliche Prinzip Wld eben der Provisoriumscharakter des Grundgesetzes. Vgl. hierzu nur Heinrich Oberreuter, Von der Kapitulation [1987). 119 Rudol[Morsey, Verfassoogsschöpfimg, S.482 (1989). 120 Reinhard Mußgnug, in: Handbuch, S.255 [1987]. 121 Vgl. hierzu Peter Kock, Bayerns Weg in die BWldesrepublik [1983).
5. Der Parlamentarische Rat
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78,5 Prozent den wichtigsten 'Verfassungsparteien' CDU/CSU, SPD und FDP/BDV/DVP 72,1 Prozent 122 der Stimmen einbrachte123 . Die Aussagen des Grundgesetzes einschließlich seiner Präambel wurden zum anderen durch die Verfassungswirklichkeit 124 eindrucksvoll bestätigt. Von Anfang an ist "in einem informellen tagtäglichen Plebiszit" 125 und durch stete hohe Wahlbeteiligungen die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland zum Grundgesetz festzustellen. Die nächsten Jahre sollten die Frage beantworten, ob der grundgesetzliche Anspruch auf Vertretung des gesamten deutschen Volkes gegen die Wirklichkeit der politischen Teilung Deutschlands bestehen konnte.
122 Reinhard Mußgnug, in: Handbuch, S.256 [1987), nennt hier irrtümlich die Zahl 71,2 Prozent. l23 So auch Adenauer in seiner Erklänmg vor dem Bundestag, in: BT Sten.Ber. v. 21.10.1949, S.308 [s.u.). 124 Vgl. hierzu Wilhelm Geiger, Die Entstehung der Präambel, S.l25 (1989], der als Beispiele fllr die Identität der Bundesrepublik mit dem Deutschen Reich und Wahrung des Einheitsgebotes nach der Präambel die Aufnahme und Integration von über zehn Millionen Vertriebenen während der ersten zehn Jahre des Aufbaus, die Übernahme der Schulden des Deutschen Reiches im Londoner Schuldenabkommen, die beamtenrechtlichen Regelungen, die Wiedergutmachungsleistungen fllr die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen und die Beteiligung der DDR an den Vorteilen der bundesdeutschen Mitgliedschaft in der EG nennt. 125 So Josef Jsensee, Die künstlich herbeigeredete Verfassungsdebatte, S.l4 (1992).
111. Ära Adenauer 1. Westintegration oder Wiedervereinigung?
Während der Zeit der Grundgesetzgebung war die Diskussion um die Einheit Deutschlands durch einen Gegensatz geprägt, der - durch die Positionen Ernst Reuters und Carlo Schmids markiert - quer durch die SPD ging. In der folgenden ersten Dekade der jungen Bundesrepublik konzentrierte sich die Frage nach Deutschlands Einheit auf den zwischen SPD und CDU/CSU entbrannten Streit um die Westintegration. Würde, so lassen sich die Gegensätze verkürzt formulieren, die Westintegration der Bundesrepublik Deutschlands Wiedervereinigung unmöglich machen, wie die überwiegende Mehrheit der SPD, aber auch Teile der CDU glaubten, oder wäre sie nicht sogar der Königsweg in Richtung deutsche Einheit, wovon Adenauer überzeugt war. Zur Position Adenauers herrschen in der Forschung zwei Meinungen vor. Die eine unterstellt ihm, er habe im Grunde die Westintegration als Selbstzweck verstanden und mit ihrer Verfolgung die Wiedervereinigung ad acta gelegt, vereinfacht gesagt nach der Maxime gehandelt: Westintegration statt Wiedervereinigung1 . Die andere Meinung sieht in Adenauers Streben nach Westintegration den Teil "einer Politik der zwei Ziele"2 , ohne den die Wiedervereinigung zu erreichen und auf eine solide Grundlage zu stellen Vision hätte bleiben müssen. Kurz: Wiedervereinigung durch und im Rahmen der Westintegration3 . 1 So z.B. Waldemar Besson, Die Außenpolitik der Bundesrepublik, S.152 [1970], u. Arnulf Baring, der Adenauer unterstellt, er habe "die Bundesrepublik mit der Niederlage zu versöhnen und sie als eine ideell und territorial saturierte politische Einheit zu etablieren" versucht, zit. nach Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.6 [1974]. Vgl. hierzu auch Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.3233 [1977]. 2 So Klaus Gotto, Auf ihn kommt die Zukunft zurück, in: RM v.l7.4.1992. An anderer Stelle, Die Sicherheits- und Deutschlandfrage, S.l46 [1988), verdeutlicht Gotto: ,,Die Politik der zwei Ziele konnte jedoch die Wiedervereinigung nicht als automatisches Ergebnis erwarten, sobald das erste Ziel nur erreicht sei. Die Wiedervereinigung wurde von Adenauer nicht als automatische Folge der Westintegration verstanden, die Westintegration schien ihm vielmehr als der einzig gangbare Weg, das zweite Ziel seiner Politik unter vertretbaren Bedingungen anzusteuern [... )". 3 Das Ende der Berlin-Blockade am 12. Mai 1949 - am Tage der Verkündung des Besatzungsstatuts - schien dieser Meinung recht zu geben und festigte den "Optimis-
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Die Antipoden der unmittelbar folgenden Zeit wurden Adenauer und zunächst Schwnacher4 , dann Erich Ollenhauer. Auch der SPD-Oppositionsfiihrer begrüßte die WestorientierungS, verlangte aber von den Westalliierten fiir die Bundesrepublik Deutschland als den nationalen Kernstaat die sofortige und volle Souveränität6 und akzeptierte als Preis fiir die deutsche Einheit letztendlich sogar die Neutralisierung Deutschlands7 [s.u.]. Damit orientierte sich ausgerechnet die dem Internationalismus verschriebene SPD an eine rückwärtsgewandte "Nationalstaatlichkeit im Sinne absoluter Priorität••S . Bis 1960 verfolgte die SPD eine "Als ob..-Strategie, die davon ausging, daß die Wiedervereinigung nah zu erwarten sei9 , und daß in erster Linie die Politik der Bundesregierung mögliche Chancen immer wieder ungenutzt lasse. Adenauer hielt hingegen frühe Verhandlungen über die Wiederherstellung der deutschen Einheit noch vor einer gelungenen Westverankerung für gefährlich. Er versuchte, die Handlungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland stetig zu erweitern, aber die dabei gewonnenen Rechte auf ein vereinigtes Westeuropa zu übertragen. Den seiner Ansicht nach überkommenen Nationalstaat nach dem Muster des 19. Jahrhunderts wollte er keineswegs wieder aufle-
mus, daß die 'Weststaats'-Lösung nur die erste Etappe zur Lösung der Deutschlandfrage im westlichen Sinne sei.., so Andreas Hi/lgruber, Deutsche Geschichte, S.42 [1987). Die Sowjetunion war zwar offensichtlich zurückgewichen, seitdem aber war der Status quo Berlins als geteilte Stadt von den Siegennächten quasi anerkannt. Der Artikel 23 des Grundgesetzes, nachdem das Grundgesetz auch llir das Land "Groß-Berlin.. Gültigkeit haben sollte, wurde von den Westalliierten suspendiert. 4 Vgl. hierzu das Sondervotum der Mitglieder der Fraktion der SPD und der Sachverständigen Bemd Faulenbach, Martin Gutzeit und Hermann Weber in: Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folfen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994, S.ll6-118. Vgl. Wolfgang Benz, Kurt Schumachers Europakonzeption, S.47-48 (1990), u. die Rede Schumachers im Deutschen Bundestag, in: BT Sten.Ber. v. 15.11.1949, S.401: "Wir Sozialdemokraten haben uns stets eindeutig llir den menschlichen und kulturellen Stil des Westens entschieden. Wir haben uns nicht anders entscheiden können, weil diese Entscheidung unserem geistigen Herkommen und unserer Art, zu denken und zu fllhlen, angemessen ist". Ganz ähnl. Adenauer, in: BT Sten.Ber. v. 20.9.1049, S.29: ,,Es besteht für uns kein Zweifel, daß wir nach unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur westeuropäischen Welt gehören". 6 Vgl. Hein Hoebink, S.32 [1978). 7 Vgl. Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.614 [1974). 8 Kurt Klotzbach, S.209-210 [1982). Vgl. ähnl. Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung, S.234 [1984). FranzJosefStrauß, Erinnerungen, S.154 [1989), fllhlt sich in der Politik Schumachers an eine Wiederbelebung des Ruhrkampfes als ein Teil des Kampfes gegen Versailles erinnert. 9 Vgl. Hartmut Soe/1, Die deutschlandpolitischen Konzeptionen, S.47 [1976).
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B.ID. Ära Adenauer
ben lassen 10 , auch ein wiedervereinigtes Deutschland müsse Teil des westlichatlantischen Bündnisses bleiben. Am 20. September 1949 wurde Adenauer als Bundeskanzler vereidigt. Am folgenden Tag trat das Besatzungsstatut in Kraft. Tatsächlich aber war die Handlungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland erheblich beschränkt11 . Die "Kontrolle über die Bundesregierung und die Regierungen der sie bildenden Länder" 12 übte anstelle der Militärgouverneure nun die Alliierte Hohe Kornmission aus.
Adenauer war gewillt, durch Wohlverhalten gegenüber und Zusarnrnmenarbeit mit den Westmächten die "Zuständigkeit der deutschen Behörden auf den Gebieten der Legislative, der Exekutive und der Justiz weiter auszudehnen"13, um so schließlich das Besatzungsstatut überflüssig werden zu lassen. Nur durch Mitwirkung in einer europäischen Union ließen sich seiner Auffassung nach die noch divergierenden Interessen der Staaten Westeuropas, insbesondere Frankreichs, mit denen der Bundesrepublik in Übereinstimmung bringen 14 . Der Bundeskanzler begnügte sich aber keineswegs mit der Verfolgung seiner "unter Bewährungszwang" 15 stehenden Westpolitik, denn er war überzeugt, daß solange "in Europa keine Ruhe eintreten" werde, solange die Teilung Deutschlands andauere. Die Teilung aber werde erst dann zu überwinden sein, wenn ihre Ursache, die Spannungen zwischen den Siegerrnächten, beseitigt sein werde 16 . Deutschlands Platz, das war Adenauers Grundüberzeu10 Vgl. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.84 (1974], u. Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teil2, S.407 [1990]. 11 Laut Besatzungsstatut vom l 0.4.1949, abgedruckt in: EA 4/1949, S.2074-2075, würden die drei Mächte die Regierungsgewalt wieder an sich ziehen, wenn "dies aus Sicherheitsgründen oder zur Aufrechterhaltung der demokratischen Regierungsform in Deutschland oder in Verfolg der internationalen Verpflichtungen ihrer Regierungen unumgänglich ist" (Nr.3). 12 So die Satzung der Alliierten Hohen Kommission vom 20.Juni 1949, in: EA 411949, S.2323-2326 (Art.ll, Abs.l). 13 So Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag, in: BT Sten.Ber. v. 20.9.1049, S.29, passim. 14 Vgl. ähnl. schon Adenauer am 27.8.1949 in einem Privatbrief, zit. nach HansPeter Schwarz, Gründerjahre, S.55 [1981]. Zur Programmatik Adenauers vgl. S.55-58. Diese Auffassung des Kanzlers entsprach der westalliierten Deutschlandpolitik, wie sie auf den Drei-Mächte-Konferenzen in Washington am 8. April 1949 und in Parisam 11./12. November 1949 festgelegt wurde, vgl. Ludolf Herbst, Option, S.64 [1989], u. Ado/fM Birke, S.260 [1989]. 15 LudolfHerbst, Stil und Handlungsspielräume, 8.16 [1990]. 16 So Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag, in: BT Sten.Ber. v. 20.9.1049, S.30, passim.
1. Westintegration oder Wiedervereinigung?
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gung1 7 , konnte nur an der Seite der Westmächte sein, und nur im festen Bündnis mit ihnen würde eine neutralistische 'Schaukelpolitik' zwischen West und Ost zu vermeiden und die militärische und politische Sicherheit und damit Freiheit zu wahren sein 18 . Frankreich allerdings, noch immer den außenpolitischen Kategorien der Zwischenkriegszeit verhaftet, suchte eher Schutz vor, statt mit Deutschland. Die französischen Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen und gleichzeitig die deutsche Souveränität zu erlangen, war "die besondere Leistung Adenauers"19. Am Tag nach der Gründung der DDR, die von gesamtdeutsch-nationalistischen Tönen seitens der Sowjets begleitet worden war20 , am 21 . Oktober 1949, legte Adenauer vor dem Bundestag eine Regierungserklärung21 ab, die "den Rahmen der Deutschlandpolitik für die folgenden zwanzig Jahre"22 bestimmte. Die deutsche Souveränität - dies war Konsens aller im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien - gebühre ausschließlich der Bundesrepublik, zum einen, weil, wie schon Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat ausführte [s.o.], Souveränität grundsätzlich unteilbar sei, zum anderen, weil ein legitimer demokratischer Staat als Träger der Souveränität in der Ostzone gar nicht entstanden sei23 . Das 'vornehmste Ziel' seiner Regierung beschrieb Adenauer am Ende seiner Rede, nämlich ,,ganz Deutschland auf dem Boden des Rechts und der Freiheit zu einen und es in eine europäische Ordnung hineinzuftlhren"24 .
Bereits am 24. November 1949 erntete Adenauer erste Früchte seiner Kooperationspolitik: Im Petersberger Abkommen25 , der "erste[n] frei ausgehan17 Zu Adenauers politischem 'Koordinatensystem' vgl. nur Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpo1itik, 8.32-38 [1977]. 18 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, 8.52 [1988). 19 Anselm Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S.53 [1988]. Vgl. ähnl. Hans-Peter Schwarz, Adenauerund Europa, 8.477-478 [1979). 20 Vgl. Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, 8.71-72 [1981]. Intention der Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich wieder, mit der Erinnerung an die scheinbar erfolgreiche 'Rapallo-Ostpolitik' an breite Kreise im Westen Deutschlands zu appellieren und somit in die Bundesrepublik hineinzuwirken. 21 Vgl. BT 8ten.Ber. v. 21.10.1949, 8.307-309. 22 Adolf M. Birke, 8.254 [1989), älml. Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.75 [1981]. 23 In: BT Sten.Ber. v. 21.10.1949, S.308, passim. 24 In: BT Sten.Ber. v. 21.10.1949, S.309. An dieser Stelle setzte laut Protokoll "langanhaltender, lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und bei der SPD" ein. 2S Abgedruckt in: Wolfgang Benz, Gründung der Bundesrepublik, 8.161-166 [1986). Vgl. hierzu Horst Lademacher, Zur Bedeutung [I 985], Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.67-69 [1981], u. LudolfHerbst, Option, S.65-69 [1989). Die Petersberger Verhandlungen fanden am I 7. und 22.11.1949 statt. 5 Roos
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B .m. Ära Adenauer
delte[n] Vereinbarung zwischen Deutschland und den Besatzungsmächten"26 , erklärten sich die Westmächte in der Hauptsache bereit, der Bundesrepublik die Aufnahme konsularischer Beziehungen zu gestatten. Als Gegenleistung trat die Bundesrepublik der Ruhrkontrolle bei, ein Schritt, der auf heftige Kritik der Opposition im Bundestag stieß27 und Schumacher den oft zitierten Ausspruch28 von Adenauer als dem "Bundeskanzler der Alliierten"29 machen ließ. Damit war der Konsens der beiden großen Parteien über die praktische West- und Deutschlandpolitik zerbrochen, jetzt, als Adenauer seinen Weg zum Ziel der 'europäischen Ordnung' einschlug. Dieser Weg Adenauers war beschwerlich. Frankreich schloß am 3. März 1950 mit der Saar-Regierung zwölf Saarkonventionen30 ab und forcierte damit die endgültige Abtrennung des Saargebietes31 von Deutschland. Darüber hinaus setzte Paris bei den Alliierten die Forderung durch, daß die Bundesrepublik - anstatt den Statuten entsprechend eingeladen zu werden - for-
26 Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.316 [1990], ähnl. Adolf M Birke, S.266 [1989), u. Norbert Wiggershaus, Der Weg, S.43 [1986).
27 Neben inhaltlichen Bedenken hatte sich die SPD-Fraktion mit ihrem Aktionsprogramm vom 6. 9.1949 für lange Jahre auf eine obligatorische Oppositionspolitik eingerichtet: Sie wollte ,,mit allen[... ) zu Gebote stehenden Kräften" für das eigene Progamm kämpfen und ,jede andere Politik mit der gleichen Entschiedenheit" verwerfen, zit. nach Heribert Knorr, Die Große Koalition, S.27 [1974). 28 Zit. u.a. v. Rainer Zitelmann, Adenauers Gegner, S.54 [1991], Konrad Repgen, Deutschland als Teil Europas, S.32 [1989], Horst Lademacher, Zur Bedeutung, S.263 [1985], Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.65 u. 69 [1981 ], Wolfgang Benz, Gründung der Bundesrepublik, S.139 [1986], Franz Josef Strauß, Erinnerungen, S.l60 [1989), Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.316 [1990), Ludolf Herbst, Option, S.68 [1989], Adolf M Birke, S.268 [1989], u. Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.360 [1983). 29 In: BT Sten.Ber. v. 24./25.11.1949, S.525. Die SPD lehnte die Ruhrbehörde ab, weil mit ihr die Sozialisierung der Ruhrindustrie verhindert würde, vgl. AdolfM Birke, S.265 [1989). 30 Die wichtigsten vier abgedruckt in: EA 511950, S.2915-2922. 31 Bereits 1945 hatte Frankreich dasSaargebiet-ohne von den Amerikanern und Briten gehindert zu werden- um 81 rheinland-pOilzische Gemeinden vergrößert und aus seiner Besatzungszone ausgegliedert. 1947 war es dem französischen Zoll- und Währungssystem angeschlossen worden. Die Verfassung des Saarlandes, in der die Unabhängigkeit vom Deutschen Reich postuliert ist, wurde von der französischen Militärregierung 1947 durch eine manipulierte Wahl praktisch aufgezwungen. Vgl. hierzu Ulrich Enders, Der Konflikt, S.24-28 [1990], Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung, S.I00-102 [1982], weitergehend Per Fischer, Die Saar zwischen Deutschland und Frankreich [1959], u. Klaus Altmeyer (u.a. Hrsg. ), Das Saarland [1958).
I. Westintegration oder Wiedervereinigung?
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mell um Aufnahme in den Europarat32 bitten solle33 . Damit hatten die deutsch-französischen Beziehungen ihren Tiefpunkt erreicht34 , und der von den westlichen Mächten erwartete Beitritt der Bundesrepublik in den Europarat selbst war stark gefährdet. Die SPD lehnte den Beitritt unter diesen Umständen strikt ab, Schumacher befürchtete die endgültige Preisgabe deutschen Staatsgebiets und, als Folge, eine geschwächte Position Bonns in der OderNeiße-Frage35. Adenauer schloß sich diesen Bedenken an und legte Verwahrung gegen die Saarkonventionen ein36 . Entscheidend fiir Adenauer aber war, daß die Mitarbeit im Europarat, wie Bevin es vor dem Unterhaus formulierte, die Voraussetzung dafür schaffen würde, "Deutschland die Führung seiner Außenpolitik zurückzugeben"37 . Tatsächlich vermochte der Bundeskanzler die Alliierten dazu bewegen, aus Rücksicht auf die deutsche öffentliche Stimmung38 den Wunsch nach einer deutschen Beteiligung am Europarat in einer Einladung zu äußern und die Regelung der Saarfrage den friedensvertragliehen Verhandlungen vorzubehalten39. Den Durchbruch seiner Buropapolitik hatte Adenauer ausgerechnet Frankreich zu verdanken. Frankreichs Außenminister Schuman leitete mit dem Plan, "die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinschaftlichen hohen Stelle im Rahmen einer Organisation, der die anderen europäischen Länder beitreten können, zu unterstellen"40 , die Kehrt32 Der Europarat war am 5.5.1949 von Großbritannien, Irland, Frankreich, Italien, Dänemark, Schweden, Norwegen Wld den Benelux-Staaten gegründet worden, um den Gedanken eines engeren Zusammenschlusses der europäischen Staaten ,,zum Schutz Wld zur Förderung der Ideale Wld Prinzipien, die ihr gemeinsames Erbe sind, Wld zum Besten ihres wirtschaftlichen Wld sozialen Fortschritts" (Art. I des Statuts) institutionell zu vertiefen. Vgl. hierzu Kar/ Carstens, Das Recht des Europarats [1956], u. Otto Schmuck (Hrsg.), 40 Jahre Europarat [1990). 33 Vgl. LudolfHerbst, Option, S.72-73 [1989). 34 So Ludolf Herbst, Option, S.32 [1989). Vgl. auch U/rich Enders, Der Konflikt, S.34-41 [1990). 3 5 Vgl. Ulrich Enders, Der Konflikt, S.45 [1990), u. Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.91 [1981). 36 Vgl. die Erklärung der BWldesregierW1g in: BT Sten.Ber. v. 10.3.1950, S.l5551560. 37 Zit. nach Kar/ Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches, S.317 [1990). 38 Adenauer argumentierte den Hohen Kommissaren gegenüber des öfteren mit der "psychologische[n] WirkWlg [...) im deutschen Volke", (Konrad Adenauer, Erinnerungen, l.Bd., S.251 [1965]), weiUt es galt, eigene VorstellWlgen durchzusetzen. 39 Vgl. das Schreiben Adenauers an die Hohen Kommissare v. 23.3.1950, abgedruckt in: Ders., Briefe, Bd.3, S.l83-184 [1985). Vgl. hierzu auch Hans-Peter Schwarz, Gründeijahre, S.95-96 [1981). 40 Aus seinem Schreiben an Adenauer vom 8.5.1950, zit. nach Ado/f M Birke, S.274 [1989). Der Schuman-Plan selbst ist abgedruckt in: EA 511950, S.309l-3092.
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wendung seiner Regierung zu einer kooperativereD Deutschlandpolitik ein. Mit dieser Idee einer Teilintegration gab Schuman den Anstoß fiir die Europäische Gemeinschaft fur Kohle und Stahl, die 1952 ins Leben treten sollte. Adenauer erkannte sofort41 , daß mit dem Schuman-Plan die französischen mit den deutschen Interessen vereinbar wurden: Frankreichs Sicherheitsbegehren vor deutschem Kriegspotential würde Genüge geleistet, gleichzeitig würde Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied in der vorgeschlagenen Organisation an Souveränität gewinnen, und schließlich: Die Aussöhnung mit den westeuropäischen Nachbarn würde gefOrdert. Außerdem dürfte der Vertrag das ungeliebte Ruhrstatut42 ersetzen und Schutz vor einem immer wieder befiirchteten französisch-sowjetischem Rapprochement43 bedeuten. Das zügige und positive Votum der Bundesregierung beeindruckte die Westmächte auf der Londoner Konferenz44 derart, daß sie die möglichst schnelle Befreiung von den Kontrollen in Aussicht stellten45 . Die Sozialdemokratie lehnte, wie die Bundestagsdebatte am 13. Juni 1950 verdeutlichte, eine solche Montanunion ab. Für Schumacher war die Frage der Sozialisierung der Ruhrindustrie nur unbefriedigend beantwortet, darüber hinaus befand er das 'SchumanProjekt' als den Teil eines von ihm abgelehnten 'Systems regionaler Pakte', initiiert von 'Leuten' 46 , die "zwar widerwillig von der Notwendigkeit deutscher Einheit reden, [... ] aber an der Spaltung Deutschlands ein machtpolitisches Interesse haben"47 . Allerdings konnte sich die SPD nicht durchsetzen. 2. Wiederbewaffnung
Die Opposition der SPD gegen die Wiederbewaffnung versprach mehr Erfolg zu haben. In Reaktion auf ein Zeitungsinterview Adenauers Ende 194948 , mit dem er die Möglichkeit eines westdeutschen Beitrages in einer "europäischen Armee" sondiert hatte, entschloß sich der Bundestag mit allen seinen Fraktionen noch gegen die Wiederaufrüstung49 . Der Ausbruch des Korea4 1 Vgl.
Konrad Adenauer, Erinnenmgen, Bd.1, S.331 (1965].
42 Vgl. Norbert Wiggershaus, Der Weg, S.42 [1986]. 43 Vgl. hierzu Hans-Peter Schwarz, Adenauerund Europa, S.480-482 [1979]. 44 Vom 11. bis zum 13. Mai 1950. 45 Vgl. die Erklärung der drei Außenminister über Deutschland v. 13.5.1950, in:
EA 511950, S.3053-3054, u. Ado/fM. Birke, S.276 (1989). 46 Vgl. BT Sten.Ber. v. 13.6.1950, S.2476-2477, passim. 47 BT Sten.Ber. v. 13.6.1950, S.2477. Vgl. hierzu auch Hans-Peter Schwarz, Gründetjahre, S.59-60 [1981]. 48 Im "Cleave1and Plain Dealer" vom 4.12.1949, vgl. Klaus Schwabe, Aufrüstung, S.l7-18 [1976). 49 Vgl. hierzu die teilweise sehr stürmische Debatte vom 16.12.1949, BT Sten.Ber., S.734-742.
2. Wiederbewaffuwtg
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Krieges am 25. Juni 1950 aber leitete einen Meinungswechsel ein50 . Die Westmächte erkannten, daß die Bundesrepublik angesichts der starken Unterlegenheit des Westens bei konventionellen Waffen51 und des schwindenden amerikanischen Übergewichts an Kernwaffen als strategischer Vorposten benötigt wurdeS2 . Die umstrittene Kehrtwendung53 in der Frage der Wiederbewaffnung (West-)Deutschlands verstand Adenauer sogleich im Sinne seiner Buropapolitik zu nutzen54 . Wenn schon nach den Anfängen einer wirtschaftlichen die politische Einigung Europas nicht fortgeführt werden konnte, so würde eine militärische Eingliederung der Bundesrepublik in den Westen seinen langfristigen Zielen dienen. So funktionalisierte der "Erzzivilist Adenauer"55 die westdeutsche Wiederbewaffnung, um das Vertrauen bei den Westmächten sowie die europäische Integration zu :R>rdem und um damit den Handlungsspielraum der Bundesrepublik zu vergrößem56 : Er verzichtete auf eine nationale deutsche Armee und schlug stattdessen vor, unter der Bedingung partnerschaftlieber Gleichberechtigung ein deutsches Kontingent für eine supranationalen Armee bereitzustellen57 .
so In der Bwtdesrepublik wtd Westeuropa herrschte die Befürchtwtg, die seit dem Frühjahr 1948 existierende, halbmilitärische so\\jetzonale ,,Polizeitruppe" von inzwischen wenigstens 50.000 Mann könnte, ähnlich wie die Nordkoreaner, überraschend in die Bwtdesrepublik einfallen, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen. Vgl. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.48 [1987], Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.l04 u. llO [1981], u. Klaus Schwabe, Aufrüstwtg, S.17 [1976). Die so\\jetofTIZielle Tägliche Rwtdschau rief offen ,,zur Befreiwtg der deutschen Westzonen von der widerrechtlichen Intervention, in die sich nach Bruch des Potsdamer Abkommens die ursprüngliche Okkupation der Westmächte verwandelt hat", auf, zit. nachHans-PeterSchwarz, Gründerjahre, S.113 [1981]. Sl Im Frühjahr 1950 standen zwölf bis 14 Divisionen westlicher Streitkräfte ,,zwischen 145 wtd 175 kleinere so\\jetische Divisionen mit zwischen 3 wtd 5 Millionen Mann gegenüber", so Gerhard Wettig, Entmilitarisierung, S.267 [1967). 52 Vgl. zur militärischen Debatte Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.l05-108 [1981). 53 Noch am 7.5.1950, etwa sechs Wochen vor dem Ausbruch des Korea-Krieges, lehnte der französische Staatspräsident Auriol eine deutsche Wiederbewaffuung öffentlich wtd kategorisch ab, vgl. Jean Monnet, Erinnerungen eines Europäers, S.426 [1978). 54 Vgl. hierzu Anselm Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S.55-56 [1988]. 55 Winfried Baumgart, Adenauers Europapolitik, S.626 [1988). 56 Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd.1, S.332 [1965]: ,,Auf dem Wege über die Wiederbewaffuung konnte die volle Souveränität der Bwtdesrepublik erreicht werden". 57 Außerdem erreichte er im Interesse der Sicherheit Deutschlands bei den westlichen Mächte eine Änderung ihrer Strategie: Galt bis zu dieser Zeit Westdeutschland als nicht möglicher, potentieller Kriegsschauplatz, so legte sich die Nordatlantische Allianz nun auf die Strategie der Vorneverteidigung, also Aufnahme der Verteidigung be-
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Der Verteidigungsbeitrag Deutschlands, von Adenauer konkret bereits in seinem Sicherheitsmemorandum vom 29. August 1950 angeboten58 , verschärfte die Diskussion der Frage, ob nicht die Westintegration die Wiedervereinigung verhindere59 . Die SPD unter Sehnmacher bejahte diese Frage und lehnte deshalb die Wiederbewaffnung rundweg ab60 . Zusammen mit desillusionierten ehemaligen Soldaten, überzeugten Pazifisten61 und einzelnen Gewerkschaftern trug sie die "Ohne-mich"-Stimmung breiter Kreise in der Bevölkerung, die schließlich 1955 in die "Paulskirchen-Bewegung" mündete. Doch die überaus große sowjetische konventionelle Überlegenheit, das nur kurze Tauwetter nach Stalins Tod im März 1953, das in den blutig niedergeschlagenen Volksaufstand in der Ostzone im Juni 1953 umschlug, sowie die deutschlandpolitisch erfolglose Berliner Vier-Mächte-Konferenz der Außenminister Anfang 1954 vermochten die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung von einem notwendigen militärischen Beitrag zugunsten der eigenen Sicherheit zu überzeugen. Die Bundestagswahlergebnisse von 195362 und 1957 - letzteres brachte der Union die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen - bestätigten den außenpolitischen Kurs Adenauers eindrucksvoll63 .
reits an der Zonengrenzeolme Preisgabe westdeutschen Territoriwns, fest. Vgl. hierzu insgesamt Christion Greiner, Die alliierten militärstrategischen Planungen zur Verteidigung Westeuropas 1947-1950 [1982). In der von den politischen Bedingungen abstrahierten Frage einer militärischen Strategie befilrwortete auch Schumacher die offensive Verteidigung ,,nach dem Osten", so daß im Falle eines sowjetischen Angriffes "östlich von Deutschland die Kriegsentscheidung" gefunden werden solle, zit. nach Peter Siebenmorgen, S.61 [1990], vgl. auch Kurt Klotzbach, S.213-214 (1982], u. Hans Georg Lehmann, Otfuung nach Osten, S.119, m.w.N. (1984). .58 Vgl. hierzu Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.114-116 (1981], u. Klaus Schwabe, Aufrüstung, S.21-22 (1976]. 59 Vgl. hierzu Klaus Schwabe, Aufrüstung, S.26, m.w.N. (1976]. 60 Vgl. AdolfM. Birke, S.290 [1989], u. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.39-41 [1977]. 61 So z.B. Gustav Heinemann, Martin Niemöller und illrich Noack, vgl. Adolf M. Birke, S.290-292 [1989], u. Anselm Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S.73-77 (1988). 62 Vgl. Klaus Schwabe, Aufrüstung, S.29 (1976). 63 Vgl. auch Norbert Wiggershaus, Der Weg, S.50 (1986], u. Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.l72 (1991). Schließlich akzeptierte auch eine Mehrheit in der SPD die Notwendigkeit der Bundeswehr, Herbert Welmer legte am 30. Juni 1960 vor dem Bundestag ein deutliches Bekenntnis zur NATO ab, vgl. BT Sten.Ber. v. 30.6.1960, S.7052-7061 [s.u.]. Vgl. auch Heribert Knarr, Die Große Koalition, S.31 [1974).
2. Wiederbewaffmmg
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Seinen Kurs flankierte der erste bundesdeutsche Kanzler mit seiner Konzeption der ,,Politik aus der Position der Stärke"64 . Er war fest davon überzeugt, daß nur in enger Anlehnung an einen starken Westen, in einem europäischen Verbundsystem, eine erfolgreiche Verhandlungsposition gegenüber der expansiven65 Sowjetunion erreichbar sei66 : Dann würde die Sowjetunion aus relativer militärischer, wirtschaftlicher und ideologischer Schwäche heraus zu ernsthaften Verhandlungen und Konzessionen bereit sein und schließlich die Deutschen im Osten freigeben67 . Ein wiederbewaffnetes und souveränes Westdeutschland wäre in dieser Kräftekonstellation fur den Westen unverzichtbar und könnte seine Partner so eher fur das Verlangen nach Wiedervereinigung einnehmen68 . Mit dem Amtsantritt des republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower und seines Außenministers John Foster Dulles in den Vereinigten Staaten wurde die "Containment"-Politik durch die "Rollback"-Strategie69 Anfang 1953 abgelöst. Dadurch wurde das außenpolitische 64 Vgl. hierzu insgesamt Peter Siebenmorgen, S.55-99 [1990]. Zwn amerikanischen Ursprung dieser Politik unter Außenminister Dean Acheson vgl. Hein Hoebink, S.47-49, m.w.N. [1978]. 6S Adenauer war sich der Kontinuität des russisch-sowjetischen Ausdehnungsdranges bewußt, wie z.B. eine Äußerung vom 14.9.1951 illustriert: ,,Rußland hat von jeher eine stark pan-slawistische Ausdehnungspolitik getrieben und eine Ausdehnungstendenz gehabt. Dieser Drang ist durch den Übergang zur kommunistischen oder besser zur totalitären Staatsform und Diktatur außerordentlich gesteigert worden", zit. in: Konrad Adenauer, Reden, S.226 (1975]. 66 Vgl. nur seine Äußerung vor dem Deutschen Bundestag, in: BT Sten.Ber. v. 9. 7.1952, S. 9799: ,,Ich bin der Überzeugung, daß man einen hochgerüsteten totalitären Staat nicht dadurch von einer Aggression abhält, daß man möglichst schwach bleibt". (Der kommunistische Abgeordnete Reimann reagierte hierauf mit der Bemerkung: "Wie AdolfHitler! Der hat das auch gesagt!"). 67 Vgl. Peter Siebenmorgen, S. 73-83 [1990], Anne/iese Poppinga, S. 93 [1975], Hein Hoebink, S. l24 [1978], Hans-Peter Schwarz, Adenauerund Europa, S.51l-512 [1979], ders., Adenauers Ostpolitik, S.210-213 [1981], u. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.8-9 [1974]. Nicht die "Verhinderung der deutschen Neutralität", so Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.l86 [1991), sondern die Wiedervereinigung Deutschlands war ,,Endzweck seiner Westintegrationspolitik", bei aller Skepsis, die Adenauer der politischen Reife 'der Deutschen' entgegenbrachte. Auch hat Adenauer nach 1955 mit der Abwendung der deutschen Neutralität und der sicheren Verankerung im Westen nicht "sein politisches Hauptziel", so ebd., S.l94, sondern die Bedingung fi1r die Wiedervereinigung in Freiheit erreicht. 68 Vgl. Boris Meissner, Adenauerund die Sowjetunion, S.l93 [1976], u. Klaus Schwabe, Aufrüstung, S.26-28 (1976]. 69 Zur Problematik dieses Begriffes und der Frage nach Kontinuität und Wandel in der amerikanischen Außenpolitik vgl. Czempiei!Schweitzer, Weltpolitik der USA nach 1945, S.85 (1987].
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Konzept Adenauers gestärkt. weil nun die Amerikaner aus der passiven Halteposition Trumans zu einer den Status quo offensiv verändernden Politik zurückzukehren vorgaben70 . Im Kern blieb die langfristig angelegte Wiedervereinigungspolitik des ersten Bundeskanzlers defensiv71 , war doch die "Politik der Stärke" von einem grundlegenden Wandel der sowjetischen Politik hin zum Klima einer weltweiten Entspannung72 , ja, bis zur Selbstaufgabe 'sowjetischer' außenpolitischer Prinzipien im ideologischen Sinne des Wortes abhängig73 . Im Jahre 1950 aber war es noch offen, in welcher Weise Westdeutschland die von den Vereinigten Staaten und Großbritannien zugeteilten militärischen Aufgaben zu übernehmen hätte74 . Auf der Außenministerkonferenz der drei Westmächte in New York vom 12. bis 19. September 195075 einigten sich die Teilnehmer schließlich auf die Gründung einer "Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" mit Integration westdeutscher Verbände. Frankreich, dessen Sicherheitsbedenken in seinem Ende Oktober vorgestellten Pleven-Plan76 eingeflossen sind, vermochte sich im Laufe des folgenden Jahres in den inneralliierten Gesprächen durchzusetzen77 : Mitte 1951 ließen die Amerikaner ihre Vorstellung von einer NATO-Einbindung des deutschen Verteidigungsbeitrags fallen und machten in den folgenden Jahren Adenauer "mit brutaler
70 Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.55 (1987), merkt die Diskrepanz zwischen Programm Wld der Realität des ,,Roll back", den Koreakrieg schnell zu beenden, an. 7 1 Vgl. hierzu RudolfMorsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, S.32 [1991). 72 So auch Peter Siebenmorgen, S.66 u. 152 u.a. [1990), Hans-Peter Schwarz, Adenauer Wld Europa, S.512 [1979), vgl. ders., Gronderjahre, S.158 [1981), bzw. Adenauers Ostpolitik, S.218-219 [1981), u. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- Wld Ostpolitik, S.88-89 [1974]. Vgl. auch Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.635-636 [1974]. 73 Zu Adenauers deutschlandpolitischer Konzeption vgl. auch den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen BWldestages ,,AufarbeitWlg von Geschichte Wld Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994, 8.111-112. 74 Während die Briten von einer paramilitärischen Zwischenlös\Ulg einer 100.000Mann-BW1despo1izei ausgingen, forderten die Amerikaner eine Wlter NATO-Kommando stehende europäische Streitmacht, in die auch ein WlVeJZilglich aufZustellendes westdeutsches Kontingent integriert werden sollte. Vgl. Norbert Wiggershaus, ÜberlegWlgen, 8.319 [1985], u. LudolfHerbst, Option, S.91 [1989]. 75 Vgl. den Text des Kommuniques vom 19.9.1950, abgedruckt in: EA 511950, 8.3406-3407. 76 Der Plan des frz. Ministerpräsidenten Rene Pleven ist abgedruckt in: EA 511950, 8.3518-3520. 77 Vgl. hierzu Ludolf Herbst, Option, S.91 -94 [1989), u. Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, 8.138-142, 143-144 u. 148-149 [1981 ].
2. Wiederbewaflimng
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Offenheit klar, daß eine Alternative zur EVG nicht zur Diskussion steht"78 . Die französische Zustimmung zur westdeutschen Wiederaufrüstung wurde mit einer klaren Diskriminierung der Bwtdesrepublik erkauft79 , denn - militärisch sehr fragwürdig, psychologisch aber geraten - die deutschen Kontingente sollten auf Bataillons- oder gar Kompanieebene wtter Verzicht auf höhere Kommandostellen in die Europaarmee integriert werden, während die anderen Vertragspartner ihre Verbände unter eigenem Kommando behalten durften80 • Die EVG bedingte freilich eine Statusänderung der alliierten Truppen in Westdeutschland und damit einen weiteren Schritt zur Wiedergewinnung der Souveränität. Die Besatzungstruppen mußten Schutztruppen werden, die gemeinsam mit den deutschen Verbänden die Verteidigung Westeuropas zu gewährleisten hätten81 . Adenauers Akzeptanz der EVG entsprang jedenfalls dem längerfristigen Motiv einer Aussöhnung mit den Nachbarn, insbesondere mit Frankreich, und einer friedlichen Einbettung Deutschlands in ein vereinigtes Westeuropa82 . Die drei Mächte zogen in New York aber noch weitergehende Konsequenzen aus der Wiederbewaffnung Westdeutschlands, die eine grundsätzlich neue Politik gegenüber der Bundesrepublik zur Folge hatten. Sie vereinbarten, den Kriegszustand mit Deutschland zu beenden, ermächtigten die Bundesrepublik, auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen und unterstützten den Alleinvertretungsanspruch der Bundesregierung, als einzige rechtmäßig gebildete deutsche Regierung im Namen Deutschlands zu sprechen und das deutsche Volk in internationalen Angelegenheiten zu vertreten83 . Bis zum späteren Friedensvertrag sollte allein die Bundesregierung legitimiert sein, Rechte und Verpflichtungen des früheren Deutschen Reiches zu übernehmen. Zudem gaben sie der Bundesrepublik die so wichtige Sicherheitsgarantie84 . Folglich vereinbarten die drei westlichen Außenminister auf ihrer Konferenz vom 10. 78 Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.60 (1991 ), u. vgl. S.l23-124. 79 So auch Norbert Wiggershaus, Überlegungen, S.325 [1985). 80
Vgl. Klaus Schwabe, Aufrüstung, S.22-24, m.w.N. [1976).
81 Franz Josef Strauß, Erinnerungen, S.280 [1989), drückt es scharf aus: Die ver-
bündeten Truppen wurden zu "Geiseln filr die Sicherheit Deutschlands". 82 So auch Klaus Schwabe, Aufrüstung, S.24-26 [1976). Vgl. hierzu die Rede Adenauers vor dem Deutschen Bundestag vom 9.7.1952, in: BT Sten.Ber., 8.9789-9801 (9792). 83 Dietrich Rauschning, Das Verhältnis, 8.964-965 [1989), weist darauf hin, daß dieser Anspruch sich keineswegs darauf bezog, Rechtsakte mit Wirkung filr die DDR zu setzen oder etwa dort Hoheitsgewalt auszuüben. 84 AdolfM. Birke, S.288 [1989). Die Westalliierten erklärten, sie Wfirden ,jeglichen Angriff auf die Bundesrepublik oder Berlin von jeder Seite als einen Angriff auf sich selbst betrachten", in: EA 5/1950, S.3406.
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bis zum 14. September 1951 in Washington85 , das Besatzungsstatut durch einen Generalvertrag, den sogenannten Deutschlandvertrag, zu ersetzen und stellten damit die Beziehungen der ehemaligen Feindmächte mit der Bundesrepublik auf eine neue Grundlage. Frankreichs Widerstreben gegen die deutsche Wiederaufrüstung, das Engagement der Vereinigten Staaten in Korea und innenpolitische Widerstände in der Bundesrepublik verzögerten den Abschluß des EVG- und des mit ihm verknüpften Deutschlandvertrages bis zum Mai 1952. Diese knapp zwei Jahre bis zur Unterschrift nutzte die Sowjetunion zu Aktionen mit dem Ziel, die Westintegration der Bundesrepublik zu vereiteln. Im Anschluß an die ergebnislosen Vorschläge zur Wiedervereinigung, mit denen Grotewohl und Pieck die fortschreitenden EVG-Verhandlungen aufzuhalten versuchten86 , schaltete sich, kurz vor der Unterschriftsreife, der eigentlicher spiritus rector der Kampagne, Stalin, ein.
85 Kommwlique abgedruckt in: EA 6/1951, 8.4397-4398. 86 V.a. zu nennen sind der Brief Grotewohls an Adenauer vom 30.11.1950, in dem
er einen paritätisch zu besetzenden 'gesamtdeutschen Konstituierenden Rat' zu bilden vorschlug, der wiedenun eine provisorische Regierung bilden sollte, die dann Deutschland auf der Friedenskonferenz zu verteten hätte, wofllr allerdings nur "unter Umständen" das deutsche Volk befragt werden sollte. Der ,,Appell an alle Deutschen" der Volkskammer vom 15.9.1951 (abgedruckt in: EA 6/1951, 8.4404) - unmittelbar nach dem ersten Durchbruch in den EVG-Verhandlungen- war das wohl weitestgehende Angebot der DDR, das .theoretisch die Selbstauflösung bedeuten konnte, weil es von einer ,,gesamtdeutsche[n] Beratung" des Bundestages und der Volkskammer ausging, die ,,freie, gleiche und geheime Wahlen filr eine Nationalversammlung zur Schaffung eines einheitlichen, demokratischen, friedliebenden Deutschlands" festlegen sollte. Grotewohl freilich konterkarierte dieses eigene Angebot mit seiner Bedingung, daß den "demokratischen Organisationen" das Recht eingeräumt werden müsse, ,,nach eigenem Ermessen Listenverbindungen einzugehen und Wahlblocks zu bilden". Bundestag und Bundesregierung agierten und reagierten immer wieder, so schon am 22.3.1950, mit der Forderung nach freien Wahlen, die vorbehaltlos am Anfang der Wiedervereinigung stehen müßten. Die 14 Grundsätze filr eine Wahlordnung filr freie gesamtdeutsche Wahlen vom 27.9.1951 (abgedruckt in: EA 6/1951, S.4409-4410), die von allen Parteien des Bundestages bis auf die KPD verabschiedet wurden und in ein entsprechendes Gesetz vom 6.2.1952 mündeten, beschrieben die unabdingbaren Voraussetzungen fllr wirklich freiheitliche Wahlen, wie sie im Westen Deutschlands erfüllt waren. Vgl. hierzu insgesamt Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.34-43 [1990), Hein Hoebink, S.l26-129 [1978), Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.S0-51 [1987), u. Hermann Gram/, Mär.znote, S.33-35 [1988).
3. Die Stalin-Noten und die Kritik an Adenauers Deutschlandpolitik
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3. Die Stalin-Noten und die Kritik an Adenauen Deutschlandpolitik
In den achtziger Jahren wurde der Noten-Austausch zwischen Stalin und den Westalliierten in der Forschung genauestens beleuchtet. Exemplarisch wurde vor seinem Hintergrund die fundamentale Frage diskutiert, ob die damals greifbar nahe scheinende Chance der Wiedervereinigung zugunsten der Westorientierung versäumt worden sei. Im einzelnen ging es um die Antworten auf die Fragen, ob die Angebote Stalins ernst gemeint gewesen seien87, ob ein echtes 'Ausloten' seiner Angebote unterblieben sei und ob Adenauer die Wiedervereinigung wirklich gewollt habe88 . Die Reihe der Spekulationen89, Motivforschungen90 und "historischen Optative"91 erneut aufzu87 ,,Auch ohne Zugang zu den Akten" bejaht z.B. Gottfried Niedhart, Schweigen als Pflicht, in: Zeit v. 6.3.92, diese Frage. 88 Es standen sich auf der einen Seite u.a. RolfSteininger, Eine Chance zur Wiedervereinigung? [1985], Wilfried Loth, Teilung der Welt, S.292-304 [1990], Josef Foschepoth (Hrsg. ), Adenauer und die Deutsche Frage [1988], und auf der anderen u.a. Hennann Gmml, Die Legende von der verpaßten Gelegenheit, S.307-341 [1981], ders., Märznote [1988], Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die Legende von der verpaßten Gelegenheit [1982], Wi/helm G. Grewe, Die Deutsche Frage in der Ost-West-Spannung [1986], u. Andreas Hillgruber, Adenauerund die Stalin-Note vom 10. März 1952, S.111-130 [1976], gegenüber. Vgl. hierzu auch Eberhard Jacke/ (Hrsg.), Die deutsche Frage 1952-1956 [1957], Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, 8.185-187 [1991], Walter Vogel, Vertane Chancen, Teil2, S.406-408 [I990], AdolfM Birke, 8.306-318 [1989], Anselm Doering-Manteuffel, Bundesrepublik in der Ära Adenauer, 8.58-59 u. 65-73 [1988]. Vgl. hierzu außerdem Rudolf Morsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers [1991], 8.27-30, Gerhard Wettig, Die Stalin-Note, in: DA 211992, 8.157-167, bzw. ders. u. Elke Scherstjanoi, in: DA 8/1992, S.858-865. 89 Weil die ehemals sowjetischen Archive noch immer verschlossen sind - worauf Dieter Blumenwitz, Überwindung, 8 .46 [1990], sowie Gerhard Wettig, Die Stalin-Note, in: DA 211992, 8.159, zurecht hinweisen-, kann entgegen Andreas Hillgruber, Adenauer und die 8talin-Note, 8.125 [1976], noch immer keine Rede davon sein, daß ,,heute kaum mehr bestritten werden kann, daß die Note einem ernsthaften Interesse 8talins an einer Neutralisierung Deutschlands [unter Jnkaufnahme der Aufgabe des DDR-Modells] entsprach". Dieser These widersprach 1990 auch Daniil E. Melnikow, der in einem Interview mit dem "Spiegel", Nr.48/1990, 8.185-190, auf die Frage, ob Stalin 1952 bereit gewesen wäre, die DDR aufzugeben, antwortete: "Von einer Aufgabe würde ich nicht sprechen. Denn wir standen in der DDR mit unseren Kanonen und Panzern, wir wollten die DDR nicht preisgeben". Vgl. auch ders., lllusionen oder eine verpaßte Chance?, 8.593-601 (1991], u. Hennann Gram/, Märznote, S.59 [1988]. 90 Wenn z.B. LudolfHerbst, Option, S.124 [1989], mutmaßt, daß Adenauer wegen der Befurchtung, daß ein neutralisiertes Gesamtdeutschland ,,nicht von der CDU, sondern von der SPD regiert werden würde", die Vorschläge Stalins ablehnte, so muß auf die Äußerung Adenauers in einem Interview mit Ernst Friedländer vom 24.4.1952 ver-
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rollen oder gar neue hinzuzufügen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen92 . Hier soll nur kurz rekapituliert werden, wie die maßgeblich Beteiligten des Jahres 1952 den Vorstoß Stalins vom 10. März, ein bis zur Oder-NeißeLinie reichendes, sich jeglicher ,,Koalition oder Militärbündnisse" enthaltendes Gesamtdeutschland zuzulassen, das sogar nach Abzug aller Besatzungstruppen innerhalb eines Jahres "eigene nationale Streitkräfte" aufbauen dürfen sollte93 , aufnahmen. Abgesehen davon, daß die Note ohnehin an die wiesen werden, mit der der Bundeskanzler deutlich machte, daß ihm ein freies Gesamtdeutschland unter der SPD lieber sei als die Ostzone unter einer CDU-Regierung, vgl. Rudolf Morsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, S.32-33 (1991], u. Winfried Becker, Die deutsche Frage und die Westmächte, S.648 (1988]. Älml. abzutun ist der u.a. vom "Spiegel" immer wieder geäußerte Vorwurf des 'rheinischen Separatismus', vgl. hierzu nur Kar/ Dietrich Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik nach dem Ersten Weltkrieg (1966], u. Hans-Peter Schwarz, Adenauer und Europa, 8.508-510 [ 1979]. 91 Vgl. hierzu Andreas Hillgruber, Adenauerund die Stalin-Note, 8.111 [1976]. 92 Erinnert sei nur daran, daß das von Rolf Steininger und Josef Foschepoth als ,,Indiz" eines ernsthaften Wiedervereinigungswillens Stalins herangezogene Gespräch des Diktators mit dem Führer der italienischen Linkssozialisten, Pietro Nenni, am 26. Juli 1952, in dem Stalin erklärt habe, daß das Politbüro "wirklich bereit gewesen [ist], Opfer zu bringen, um die Wiedervereinigung zu erreichen" (zit. nach Rolf Steininger, Deutsche Geschichte, S.410 (1983]), zum einen nicht unbedingt das wahre Motiv Stalins offenbaren muß, zumalesnur indirekt und in zwei Versionen überliefert ist, worauf Hermann-Josef Rupieper, Zu den so\\jetischen Deutschlandnoten, 8 .552 [1985], hinweist, zum anderen aber sehr leicht mit der Äußerung des so\\jetischen Historikers Nicolai Portugalow gegenüber dem amerikanischen Historiker Fritz Stern vom Januar 1986 neutralisiert, wenn nicht widerlegt werden kann: "Wenn Thr an SDI festhaltet, dann schicken wir wieder eine Note wie 1952- diesmal aber eine ernstgemeinte", zit. nachJ6rx von Uthmann, Hat der Westen den Frieden verlassen?, in: FAZ v. 1.2.1986. Vgl. hierzu auch Andreas Hillgruber, ,,Neutralisierungs"-Pläne, S.975 [1988], u. Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, 8.112-113 [1992]. Zur Diskussion um die Unterredung Adenauers mit Kirkpatrick, in der der Kanzler die Integration Westdeutschlands in den Westen für wichtiger als die Wiedervereinigung auch nach freien Wahlen bezeichnet haben soll, vgl. Hartmut Soell, in: FAZ v. 21.1.1992, sowie die Leserbriefe an die FAZ von Josef Becker v. 30.1.1992, JosefFoschpoth v. 10.2.1992 und Kurt Plück v. 20.2.1992. Zuletzt hat die Enquete-Kommission ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" des Bundestages den Forschungsstand analysiert. In ihrem Bericht, 8.115 [1994], heißt es, sie habe die in den Expertisen und Vorträgen der mitwirkenden Historiker gegebenen Darstellungen, die "durch in jüngster Zeit gewonnene Erkenntnisse aus den Akten des so\\jetischen Außenministeriums" bestätigt worden seien, zur Kenntnis genommen, "daß eine Chance zur Wiedervereinigung in Freiheit 1952 und in der Folgezeit nicht bestanden habe". 93 Der Notenwechsel zwischen den Westmächten und der 8o\\jetunion im Jahr 1952 ist wiedergegeben in: Heinrich von Sieg/er, Bd.1, 8.41-57 [1967].
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Westmächte gerichtet war94 , die sie aus Eigeninteresse95 sofort ablehnten96 , vermochte der Bundeskanzler in ihr nichts als ein taktisches Störmanöver der schwierigen EVG- und Deutschlandvertragsverhandlungen97 als Teil der weitangelegten ideologischen Strategie98 Stalins zu erkennen99 . Inhaltlich 94 Vgl. Hermann Gram/, Märzn.ote, S.47-49 [1988), der darauf hinweist, daß Adenauer aufgnmd des Einvemelunens mit den Westmächten den Eindruck gewann, von ihnen konsultiert worden zu sein, sie tatsächlich aber in ihrer Entscheidungsfmdung unter sich blieben. 95 Vgl. Andreas Hillgrober, Adenauerund die Stalin-Note, S.l26-127 [1976), Wolfram F. Hanrieder, Westdeutsche Außenpolitik, S.38 [1981), Waller Vogel, Vertane Chancen, Teil I, S.74 [1990), u. Hermann Gram/, Märznote, S.l4-16 [1988). 96 Vgl. die Erklärung der Hohen Kornmissare gegenüber Adenauer vom 11. März, zit. nach Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd.2, S.70 [1966): "Wir werden in unseren Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und den Deutschlandvertrag so fortfahren, als ob es die Note nicht gäbe". Vgl. zur amerikanischen Haltung auch RolfSteininger, Deutsche Geschichte, S.522 [1983). 97 Vgl. Wolfgang Benz, Gründung der Bundesrepublik, S.l48 [1986), u. He/ga Haftendom, Adenauerund die Europäische Sicherheit, S. 96 [1976). 98 Die kommunistische Ideologie kommt in ihrer propagandistischen Begriffiichkeit zum Ausdruck: In der ersten Note werden explizit diejenigen Kräfte in Deutschland angesprochen, die die Tradition der Außenpolitik Deutschlands als eigenständige, militärisch potente Mittelmacht zu verkörpern versprachen: ,,Allen ehemaligen Angehörigen der deutschen Armee, einschließlich der Offiziere und Generale, allen ehemaligen Nazis, mit Ausnahme derer, die nach Gerichtsurteil eine Strafe für die von ihnen begangenen Verbrechen verbüßen, müssen die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie allen anderen deutschen Bürgern gewährt werden zur Teilnahme am Aufbau eines friedliebenden und demokratischen Deutschlands", abgedruckt in Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.42 [1967). (Die Gründung der NDPD-Blockpartei in der Sowjetzone war von ähnlich lautenden Worten begleitet. Wenn RolfSteininger, Deutsche Geschichte, S.l53 [1983), knapp aber euphemistisch schreibt, daß eigens "für ehemalige Wehrmachtsoffiziere und kleinere Anhänger der NSDAP, die nicht einfach aus dem politischen Raum verdrängt werden sollten" die NDPD im Juni 1948 gegründet worden sei, dann muß darauf hingewiesen werden, daß die SED mit der Gründung der NDPD versuchte, die schnell anwachsenden Mitgliederzahlen der sich als Oppositionsparteien noch profilierenden CDU und LPD einzudämmen und die eigene nationale Politik zu stützen, vgl. hierzu Dietrich Staritz, Gründung der DDR, S.l46-147 [1987)). In der zweiten Note allerdings, abgedruckt in Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.44 [1967], werden eben diese einen Monat zuvor umworbenen Adressaten diffamiert: ,,Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß es sowohl für die Sache des Friedens als auch für die deutsche Nation bedeutet [sie!, gemeint: bedeutend) besser wäre, solche für die Verteidigung bestimmte Streitkräfte zu schaffen, als in Westdeutschland Söldnertruppen der Revanchepolitiker mit hitlerfaschistischen Generalen an der Spitze aufZustellen, die bereit sind, Europa in den Abgrund eines dritten Weltkrieges zu stürzen".
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traf die Bedingung einer Neutralisierung Deutschlands - neben den in der zweiten Note vom 9. April angesprochenen freien Wahlen für eine gesamtdeutsche Regierung 100 -den empfindlichsten außenpolitischen Nerv des Bundeskanzlers. Nach seiner Überzeugung bliebe die Integration Europas ohne Deutschland unmöglich, ein ,,Rückzug in einen unzeitgemäßen unfruchtbaren Nationalismus" unvermeidlich, die Abkehr Amerikas von Europa unausweichlich und eine neue Isolierung Deutschlands unabwendbar. ,,Das Ende wäre die völlige Abhängigkeit von der Sowjetunion, die gleichzusetzen ist mit dem Verlust der persönlichen und staatlichen Freiheit" 101 . Aus diesem perhorreszierten Szenario werden die beiden "Komplexe" des Bundeskanzlers sehr deutlich: Der "Versailles- (oder "Potsdam-" 102 ) Komplex", der Adenauer
Auf das Problem der Ideologiegebundenheit der Begriffe weist zuletzt auch Gerhard Wettig, Die Stalin-Note, in: DA 2/1992, S.l59-160, hin. 99 Vgl. hierzu auch Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetunion, S.45 (1987]. Die Note entsprach inhaltlich weitgehend der ,,.Prager Deklaration" der OstblockAußenminister vom Oktober 1950, vgl. hierzu Dietrich Staritz, Gründung der DDR, S.l76-177 u. 180 [1987]. 100 Das Problem, wie die Voraussetzungen freier Wahlen in ganz Deutschland überprüft werden konnten- ob durch die vier Mächte, wie es die So\\jetunion forderte, oder durch die Vereinten Nationen, worauf die Westmächte pochten-, und die Frage, ob freie Wahlen am Anfang einer Entwicklung zur Wiedervereinigung stehen solltenwie der Westen es wollte-, bildeten die Hauptstreitpunkte des Notenwechsels zwischen den Alliierten, vgl. Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.47 (1990], Wolfgang Benz, Gründung der Bundesrepublik, S.l48 (1986], u. Hennann Gram/, Männote, S.23-29 [1988], der genau darstellt, wie sich die So\\jetunion während der Notenwechsel "in der Wahlfrage im Kreise bewegt" (S.25) hat und mit der vierten Note ihre eigene Anregung (gegeben in der zweiten Note) einer Viermächtekontrolle desavouierte, indem sie diese nun als eine ,,Beleidigung" fllr das deutsche Volk bezeichnete. Auch die Pieck-Notizen vom März/April 1952 untermauern den grundsätzlichen Dissens zwischen westlich-freien Wahlen und der östlichen Interpretation von "Wahlen[ ... ) als Massenkampfzum Sturz der Adenauerregierung", zit. nach Gerhard Wettig, Die Stalin-Note, in: DA 2/1992, S.161. Kritisch dazu Elke Scherstjanoi, Zu Gerhard Wettig, S.858-862. Vgl. dessen Antwort, in: DA 8/1992, S.862-865. 101 So Adenauer in verschiedenen Äußerungen im März/April 1952, zit. nach Andreas Hillgruber, Adenauer und die Stalin-Note, S.l16, passim [1976]. Vgl. auch ders., Deutsche Geschichte, S.52 (1987], Waller Vogel, Vertane Chancen?, Teil 2, S.398 [1990], u. Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.l3-15 [1991]. Siehe auch Adenauer, in: BT Sten.Ber. v. 9.7.1952, S.9798-9799. Vgl. hierzu auch Rudolf Morsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, S.30-31 [1991]. 102 Vgl. hierzu Hans-Peter Schwarz, Das außenpolitische Konzept, S.81 (1971], u. ders., Adenauerund Europa, S.480 (1979].
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ein Diktat der umringenden Staaten fürchten ließ 103, und der "umgekehrte Rapallo-Kornplex", nach dem er das Mißtrauen der westlichen Staaten wieder entfesselt sah, wenn Deutschland auch nur andeutungsweise aufStalins Vorstellungen einzugehen bereit wäre und damit an eine für die westlichen Länder unselige 'Schaukelpolitik' zwischen Ost und West erinnern würde, die das Deutsche Reich zur Zeit der Weimarer Republik betrieben hatte 104 . Beide Komplexe wurden mit dem Artikel 7 des Deutschlandvertrages105 wenigstens auf der vertragsrechtliehen Ebene gebannt: Hier waren mit seinem Absatz 1 die Vertragspartner auf das gemeinsame Ziel festgelegt, "eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland" herbeizuführen, als "Grundlage für einen dauerhaften Frieden". Damit wurde ein einseitiger Diktatfrieden über den KopfDeutschlands hinweg ausgeschlossen 106 . Mit Absatz 2 wurde neben der Wiedervereinigung Deutschlands die Integration der Bundesrepublik in die europäische Gemeinschaft, also die Westbindung, als weiteres gerneinsames Ziel vertraglich fixiert 107 , der Furcht vor einer deutschen 'Schaukelpolitik' also der Boden entzogen. Die noch weitergehende Bindungsklausel, nach der auch ein wiedervereinigtes Deutschland nicht nur den Rechten, sondern auch den Pflichten der 103 Tatsächlich schlug Stalin als Teilnehmer ft1r die Verhandlwtgen zwn Friedensvertrag "Großbritannien, die Sowjetwtion, die USA, Frankreich, Polen, die Tschechoslowakei, Belgien, Holland wtd die anderen Staaten, die sich mit ihren Streitkräften am Krieg gegen Deutschland beteiligt haben", vor, abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.42 (1967). Adenauer sah mit einer Kontrolle der Wahlen durch eine Viermächtekommission, der die Sowjetwtion angehören würde, "die Schatten von Potsdarn wachsen", denn ein sowjetisches Vetorecht hätte wtter Umständen diese Wahlen behindern können, so Winfried Becker, Die deutsche Frage wtd die Westmächte, S.646, m.w.N. [1988). 104 Vgl. Andreas Hillgruber, Adenauer wtd die Stalin-Note, 8.123-124 [1976), RudolfHrbek, Die SPD, S.325, m.w.N. [1972], Hans-Peter Schwarz, Adenauers Wiedervereinigwtgspolitik, S.45 [1975], Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.l86 [1991), He/ga Haftendom, Adenauer wtd die Europäische Sicherheit, 8.9798 [1976], u. Kurt Sontheimer, Die Adenauer-Ära, S.l61 [1991]. 105 Abgedruckt in: Friedrich Berber, Völkerrechtliche Verträge, S.356-369 [1983]. 106 Vgl. Georg Ress, Die Rechtslage Deutschlands, S.43-44 [1978]. 107 Art.7, Abs.2 präzisiert des gemeinsame Ziel bis zu einem Friedensvertrag, ohne den Weg zur Wiedervereinigwtg oder das in Frage kommende wiederzuvereinigende Gebiet zu nennen: ,,Bis zum Abschluß der friedensvertragliehen Regelwtg werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfasswtg, ähnlich wie die Bwtdesrepublik, besitzt, wtd das in die europäische Gemeinschaft integriert ist".
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Bundesrepublik unterworfen bleiben sollte108 , wurde noch kurz vor der Unterzeichnung der Verträge gestrichen. Von Adenauer zunächst gewünscht, um die Westintegration unwiderruflich zu machen und die West-Alliierten daran zu hindern, die der Bundesrepublik eingeräumten Rechte wieder zu entziehen und mit der Sowjetunion Sonderabkommen über Deutschland zu schließen109 , sahen seine politischen Gegner, aber auch Freunde in der eigenen Partei110 in ihr einen unlösbaren Mittel-Ziel-Konflikt: Wie sollte die Sowjetunion jemals einem in den "Westblock" integrierten Gesamtdeutschland zustimmen können? Und stünde diese Klausel nicht "der Entscheidungsfreiheit einer künftigen gesamtdeutschen Regierung" 111 entgegen? Insbesondere die Opposition Heinrich von Brentanos, des CDU-Fraktionsvorsitzenden, vermochte Adenauer zu Nachverhandlungen mit den Alliierten zu bewegen 112 , obgleich doch 108 Art.7, Abs.3: ,,Die Bundesrepublik und die Drei Mächte sind darin einig, daß ein wiedervereinigtes Deutschland durch die Verpflichtungen der Bundesrepublik nach diesem Vertrag, den Zusatzverträgen und den Verträgen über die Bildung einer integrierten europäischen Gemeinschaft - in einer gemäß ihren Bestimmungen oder durch Vereinbarung der beteiligten Parteien angepaßten Fassung- gebunden sein wird, und daß dem wiedervereinigten Deutschland in gleicher Weise die Rechte der Bundesrepublik aus diesen Vereinbarungen zustehen werden". Zit. nach Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, 8.146 (1981], der darauf hinweist, daß mit der Formulienmg "durch Vereinbarung der beteiligten Parteien" die Bundesrepublik über ein Vetorecht verfilgt haben würde, womit sich rechtlich und politisch durch diese Klausel nichts geändert hätte (S.l47). 109 Vgl. Adolf M. Birke, 8.300 (1989), Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.l46 [1981], u. Winfried Becker, Die deutsche Frage und die Westmächte, 8.644-645 (1988). 110 Vgl. hierzu Franz Josef Strauß, Erinnerungen, 8.281 [1989], u. Anselm Doering-Manteuffel, Bundesrepublik in der Ära Adenauer, S.62 [1988). Zit. sei nur Ernst Lemmer vom Mai 1952: ,,Das Jahr 1952 wird als das Jahr der historischen Teilung Deutschlands in die Geschichte eingehen", zit. nach Rolf Steininger, Eine Chance zur Wiedervereinigung?, S.88 [1985]. 111 So Jakob Kaiser in einem Brief an Adenauer vom 23.5.1952, in: Ti/man Mayer, Jakob Kaiser, S.523 (1988]. 112 Vgl. AdolfM. Birke, 8.301 (1989), Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, 8.163164 (1981], u. Ludolf Herbst, Option, S.ll6 [1989]. Wenn Herbst, ebd. u. S.l22, anband dieser "überraschend" schnellen Streichung der Bindungsklausel zu zeigen vermeint, "wie weit die Westintegration vor jeder Wiedervereinigungspolitik rangierte", so übersieht er offensichtlich, daß nach Adenauers Überzeugung nur die Westintegration eine Wiedervereinigung in Freiheit ermöglichen konnte, die beiden Ziele sich also nicht gegenseitig ausschlossen, sondern das eine das andere bedingte. Vgl. Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 20.10.1953: ,,Es gibt [... ] keinen anderen Weg zur Wiedervereinigung als diesen durch die europäische Integration, es sei denn, man wäre bereit, auf die Freiheit zu verzichten und ganz Deutschland in die Hände der So\\jetunion zu geben", in: BT Sten.Ber. v. 20.10.1953, S.ll-22 (21).
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die Bindungsklausel sich in die Vorstellung von einem Kernstaat Bundesrepublik "gedanklich durchaus schlüssig" 113 einfiigte. Die Kritiker Adenauers, die ihm bis 1952 nicht vorgeworfen hatten, mit der Forderung nach freien Wahlen am Anfang des Wiedervereinigungsprozesses für die Sowjetunion Unerfullbares zu verlangen, schlossen nun aus seiner kategorischen Ablehnung des sowjetischen 'Angebots', daß es ihm mit der Wiedervereinigung nicht ernst sein könne114 . Die "bis dahin noch vorhandene Gemeinsamkeit von Regierung und Opposition in der Deutschlandpolitik" 115 sah die SPD nun der Anhänglichkeit Adenauers an die Westmächte geopfert116. Im Gegensatz zum Vorjahr, in dem Sehnmacher die Neutralisierung Deutschlands noch als einen "Bestandteil der politischen und psychologischen Taktik der Sowjetrussen mit dem Ziel der Schwächung und Lähmung der demokratischen Kräfte in Westdeutschland" 117 abwies, vertrat die SPD jetzt den Standpunkt, daß es nicht "nur die Alternative gebe, Satellit des Ostens oder Vasall des Westens zu sein", sondern auch die dritte Möglichkeit, nämlich "sich mit dem Westen in Formen zu verbinden, die der Osten nicht bedrohlich zu finden braucht, und mit dem Osten in ein Verhältnis freien Austausches zu treten" 118 • Eine Vorwegbindung durch die Westorientierung lehnte die SPD 113 Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.146 [1981]. 11 4 Vgl. Hans-Peter Schwarz, Adenauers Wiedervereinigmtgspolitik, S.44 [1975). Zu den Kritikern, deren einzelne Argwnente hier nicht aufzuzählen sind, gehörten Schwnacher, Noack, Kaiser, Augstein, Sethe u.v.a. Vgl. hierzu Hein Hoebink, S.76104 [1978), der verschiedene Wiedervereinigmtgsvorstellungen darstellt. 1 15 Waldemar Besson, Die Außenpolitik der Bundesrepublik, S.125 [1970). 11 6 Vgl. hierzu insgesamt Peter März, Die Bundesrepublik zwischen Westintegration und Stalin-Noten [1982]. 117 Zit. nach Adolf M. Birke, 8.313-314 (1989). Vgl. auch die Äußerung Schumachers vor dem Deutschen Bundestag am 13.6.1950, BT Sten.Ber., 8.2473: ,,Man sollte die Torheit unterlassen, in den Bünden, Verbänden und Kreisen so zu diskutieren, als ob der Unfug von der Neutralisierung ein Realpolitikwn wäre und als ob die Deutschen die Möglichkeit einer Wahl hätten". 11 8 So Schmid in der Ersten Lesung der West-Verträge vor dem Deutschen Bundestag am 9.7.1952, in: BT Sten.Ber., 8.9817, passim. Vgl. hierzu auch Kurt Klotzbach, 8.228-237 [1982), Hein Hoebink, S.93 [1978], u . RudolfHrbek, Die SPD, S.331 [1972), der allerdings meint, daß die SPD in den Jahren bis 1957 "eine Neutralisierung Deutschlands kategorisch" abgelehnt habe. Weder Schmid, noch 01/enhauer, in: BT Sten.Ber. v. 5.12.1952, S.ll445-ll456 (11455, passim), vermochten für die SPD diese 'dritte Möglichkeit' konkret darzulegen, auf wenigstens achtzehnmaliges Zwischenfragen aus Reihen der Regierungsparteien im Bundestag nach dem "Wie" dieser Mögli~;hkeit reagierte der SPDPartei- und Fraktionsvorsitzede Ollenhauer gegen Ende seiner Rede mit dem Vorschlag, "den Versuch einer echten Kooperation aller Völker auf einer höheren Ebene, auf einer wahrhaft internationalen Basis, über Europa hinaus", zu machen- womit er 6 Roos
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ab 119 und forderte, daß ein wiedervereinigtes Deutschland Handlungsfreiheit haben müsse 120 . Damit wies sie, wie der überwiegende Teil der veröffentlichten Meinungjener Zeit im übrigen auch 12 1 , die Stalin-Noten im Kern zurück. Diese Halbheit, einerseits die Interessen der Sowjetunion berücksichtigen zu wollen, sie andererseits zugleich wieder in Frage zu stellen, kennzeichnete die deutschlandpolitische Konzeption der SPD jener Zeit122 . Der Adenauer'schen Wiedervereinigungspolitik sprach sie Willen und Wert ab: "Wer heute diese Frage [der Bindwtg eines wiedervereinigten Deutschland, 8.R.] wtbedingt entscheiden will, bringt sie auf, weil er offenbar entschlossen ist, die deutsche Einheit nicht zustande kommen zu lassen. [...] Es ist einfach nicht wahr, daß Militärbündnis nach Westen wtd deutsche Einheit gleichennaßen erreicht werden können, jedenfalls nicht ohne Krieg. Ist erst mal die Bwtdesrepublik auf 50 Jahre Bestandteil der westlichen Militärorganisation, dann kann filr den gleichen Zeitraum die deutsche Einheit abgeschrieben werden" 123.
Aus dieser - inzwischen widerlegten - Prognose tritt unverkennbar die Furcht vor einem sich verfestigenden Status quo hervor, eine Furcht, die auch Adenauer teilte, was ihm von der SPD allerdings nicht abgenommen wurde. In nicht die UNO meinte-, wtd ein 'kollektives Weltsicherheitssystem' ,,zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens wtter gleichberechtigter Mitwirkoog aller" zu schaffen. Diese Vorstellwtgen wiederholte die 8PD insbesondere im Zuge der "Tauwetter"-Pbase 1955/56, vgl. hierzu Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, 8.266 u. 282 [1981 ], u. Peter Siebenmorgen, 8.193-196 [1990]. 119 Vgl. hierzu die Argumente Schmids, in: BT 8ten.Ber. v. 9.7.1952, 8 .9807-9818 (9817). 12° Vgl. hierzu die Äußerungen Wehners, in: BT 8ten.Ber. v. 9.7.1952, 8.98719876 (9876). 121 Vgl. Manfred Kittel, Genesis einer Legende, 8.356-370 [1993], der, 8.388, den eigentlichen Beginn der Legendenbildwtg erst auf das Jahr 1958 festsetzt, Markus Kiefer, Die Reaktion auf die "8talin-Noten", 8.75 [1989), u. Wilhelm G. Grewe, Die Außenpolitik der Bwtdesrepublik, 8.303 [1985]. Anders Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teil 2, 8.399 [1990], der den britischen Hohen Kommissar mit der Charakterisierung der öffentlichen Meinwtg als "wankelmütig wtd in der Tat hysterisch" zitiert. 122 Vgl. RudolfHrbek, Die 8PD, 8 .161-162 u. 169-170 (1972], u. ähnl. Christoph Kleßmann, Die doppelte 8taatsgründwtg, 8.234 (1984]. 123 Fritz Er/er, Die verleugnete Osteuropa-Mission, in: Neuer Vorwärts 1511952, 8.5, zit. nach Rudo/fHrbek, Die 8PD, 8.162 [1972]. Zu Erlers Disengagement-Vorstellwtgen vgl. Hein Hoebink, 8 .92-96 [1978]. Vgl. auch den Ausspruch Schumachers vom 9.6.1952 zum Deutsch1andvertrag: ,,Der Deutsche, der diesen Vertrag annimmt, hört auf, ein Deutscher zu sein", u. die Reaktion Adenauers darauf im Bwtdestag, BT Sten.Ber. v. 5.12.1952, 8.11457-11458. Auch der Leiter der Politischen Abteilwtg des Auswärtigen Amtes, Herbert Blankenhom, hielt die Wiedervereinigwtg angesichtsder Westintegration auf Jahre hinaus filr unlösbar, es sei denn, es käme zu einem inneren Zusammenbruch der 8owjetunion, vgl. Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teil2, 8.404 [1990].
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der Zweiten Lesung zu den Westverträgen warf die SPD dem Bundeskanzler vor, daß er der Blöckekonsolidierung nichts entgegenzusetzen habe und mit den Westverträgen die Ungleichberechtigung Deutschlands sowie mangelnde Souveränität und diskriminierende Siegerrechte festschreibe, mithin also "das beste Mittel zur Aufrechterhaltung der Teilung Deutschlands" 124 konstruiere. Durch sowjetische 'Angebote' gestützt125 , drängte die SPD bis zur Ratifikation der Westverträge im Bundestag am 27. Februar 1955 darauf, die Westintegration solange aufzuschieben, bis ein 'ernsthafter Versuch' unternommen worden und tatsächlich auch gescheitert sei, "auf dem Wege von Viermächteverhandlungen die Einheit Deutschlands in Freiheit wiederherzustellen"126 . Die wiedervereinigungspolitischen Vorstellungen der SPD kulminierten am
18. März 1959 in ihrem Deutschland-Plan1 27 , in dem sie frühere Überlegun-
gen 128 einbezog und militärische Entspannung und Wiedervereinigung "in ei-
124 So 01/enhauer, in: BT Sten.Ber. v. 5.12.1952, S.l1450.
125 Die Nachrichtenagentur TASS veröffentlichte am 15.1.1955, abgedruckt in: EA 1011955, S.7345-7346, eine Erklärung, in der dem Bundestag bei Annahme der Westverträge die Verantwortung filr das Fortbestehen der Spaltung Deutschlands zugeschoben wurde. Vgl. hierzu auch Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.185 [1991}. 126 So Erich Ollenhauer in einem Brief an Adenauer vom 23.1.1955, abgedruckt in: Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd.2, S.411 [1966], zit. auch v. Adolf M Birke, S.341-342 [1989], ähnl. aber schon am 5.12.1952, in: BT Sten.Ber., S.11450 u. 1145411455. Die Argrunentalion der SPD ist nahezu deckungsgleich mit jener Heinrich Branings, der in Briefwechseln mit Bundestagsabgeordneten seine, aus der Tradition autonomer, nationalstaatlicher Politik erwachsenen Vorbehalte gegen die 'Erfilllungspolitik' Adenauers bei Mißachtung 'deutscher Interessen' formulierte und urteilte: ,,Der Mann in Bonn hat ja kein Interesse am Ostentrotz allen Getues", zit. nach HansPeter Schwarz, Adenauerund Europa, S.501 [1979]. Vgl. hierzu insgesamt auch Hermann Gram/, Die so\\jetischen Noten, S.821-864 [1977], u. Rudolf Morsey, Brüning und Adenauer [1972]. Zu den nicht-amtlichen Alternativkonzepten zur Westintegration vgl. Knud Dittmann, Adenauerund die deutsche Wiedervereinigung [1981 ], RudolfSchuster, Verfahrensvorschläge zur Wiedervereinigung Deutschlands [1960], u. Peter Mtirz, Die Bundesrepublik zwischen Westintegration und Stalin-Noten [1982]. 127 Abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd. l, S.322-325 [1967]. Vgl. Deutschland-Plan der SPD. Kommentare, Argumente, Begründungen, Bonn 1959, Peter Siebenmorgen, S .303-319 [1990], u. Hans Georg Lehmann, Öffuung nach Osten, 8.114117, m.w.N. [1984]. 128 Vgl. hierzu Peter Siebenmorgen, S.208-217 [1990], der die ,,neue Sichtweise" der Sozialdemokratie, die "schon alleine um der Sicherheit willen jegliche Entspannungsprojekte filr gut befand" (8.208-209), bereits im Jahr 1952 angedeutet sieht.
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nern nicht recht durchsichtigen Phasenplan" 129 zu verbinden suchte. Der Grundgedanke des Deutschland-Plans war es, mittels einer militärischen "Ausdünnung" Mitteleuropas die Voraussetzungen fur die Lösung politischer Problerne zu schaffen, so, als sei das bloße Vorhandensein von Militär die Ursache des Kalten Krieges und nicht, wie es die Bundesregierung darstellte, die ideologiebedingte Konfrontations- und Expansionspolitik Moskaus. Die SPD kam mit ihrem Plan den SED-Forderungen nach faktischer Anerkennung der DDR, Neutralisierung und Konföderation der beiden Staaten Deutschlands sowie Wahlen, die erst arn Ende der komplizierten, dreistufigen Wiedeivereinigungsprozedur stattfinden sollten, bedenklich nahe - ohne detaillierte Konzessionen zu verlangen, wie sie der "Globke-Plan" [s.u.] vorsah 130 . Pointiert ausgedrückt, stand fiir die SPD bis 1960 die Wiedervereinigung arn Anfang einer weltpolitischen Entspannung 131, während die Bundesregierung davon ausging, daß erst im Zuge der globalen Entspannung die staatliche Einheit Deutschlands erreichbar sein würde 132, weil das deutsche Problem eben "nicht die causa rnovens fiir die Europa- und die Weltpolitik" 133 darstellte. Herbert Wehner, der Hauptautor des Deutschland-Plans, war es selbst, der in seiner Rede vorn Juni 1960 unter dem Eindruck des starren und zugleich unberechenbaren, weltweiten Konfrontationskurses Chruschtschows134 fiir seine Partei Abstand von der bis dahin vertretenen Deutschlandpolitik und damit 129 Hans-PeterSchwarz,
Epochenwechsel, S.87 [1983].
130 Der SPD-Deutschland-Plan sah lediglich "Vereinbarungen" der vier Sieger-
mächte vor, die bis zur Wiedervereinigung "die Menschenrechte Wld Gnmdfreiheiten in beiden Teilen Deutschlands sichern" (in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.324 [1967]) sollten. Angesichts der Erfahrungen, die zumindest die Deutschen in der SBZ mit der so\\jetischen Interpretation des 'Potsdamer Abkommens' gernacht haben, mußte der Vorschlag doch eher naiv wirken. Schumacher jedenfalls hatte ein faktisches so\\jetisches Vetorecht, das mit dem paritätisch zu bildenden gesamtdeutschen Wld mit Mehrheit beschlußfllhigen Rat eingeräumt worden wäre, "immer mit Vehemenz bekämpft", so Hartmut Soell, Die deutschlandpolitischen Konzeptionen, S.56 [1976). Peter Siebenmorgen [ 1990] stellt die innerparteilichen Differenzen um die Sicherheitspolitik dar Wld, S.310, zitiert Willy Brandt, der seinerzeit die StimmWlgen in der Partei monierte, die aufgrundeines ,,Anti-Adenauer- Wld Anti-Amerikanismuskomplex zu einer wohlwollenden Betracht\Ulg der So\\jetWlion" gekommen seien. 131 Vgl. PeterSiebenmorgen, S.l92-193 u. 376 [1990]. Erler, zit. nach Hans Georg Lehmann, ÖffnWlg nach Osten, S. l20, m.w.N. [1984), drückte es auf dem Stuttgarter Parteitag der SPD 1958 so aus: "Ohne deutsche Einheit gibt es für Wlser Volk überhaupt keine Sicherheit". 132 Vgl. nur Konrad Adenauer, ErinnefWlgen, Bd.3, S.466-467 [1967]. 133 Konrad Repgen, Konrad Adenauer Wld die WiedervereinigWlg, S.303 [1984]. 134 Die Versuche zur globalen Expansion der So\\jet\Ulion wurden im Zuge der DekolonisierWlg erweitert, Krisenherde 1960-62 waren der Kongo, Kuba, der Nahe Osten, Laos Wld Algerien.
4. Die letzten Schritte zur Souveränität
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vom "Wiedervereinigungsrigorismus" 135 nahm und die außen- und deutschlandpolitischen Bahnen der Bundesregierung ausdrücklich anerkannte 136 . 4. Die letzten Schritte zur Souveränität
Die Stalin-Noten als Reaktion und somit als ein erstes Anzeichen des Erfolges der ,.Politik der Stärke" anzusehen 137 , die die Sowjetunion bei fortschreitender Westintegration zu noch größeren Zugeständnissen zwingen würde 138 , war allerdings zumindest verfliiht. Die Sowjetunion hatte auch während der Noten-Kampagne die Sowjetisierung der DDR "ohne Rücksicht auf eine mögliche Wiedervereinigung konsequent vorangetrieben" 139 . Damit betrieb Stalin eine alternative deutschlandpolitische Option weiter, wobei über den Umweg einer Konsolidierung des Modells "DDR" langfristig ebenfalls eine Wiedervereinigung mit dem "Kemstaat DDR" erreichbar schien 140 . Weil aber "das DDR-Regime dem Test eines freien Plebiszits nicht gewachsen 135 PeterSiebenmorgen, S.l90 [1990). Vgl. zu den Gründen des radikalen deutschland- und sicherheitspolitischen Wandels der SPD auch Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.ll6-120 [1984). 136 Vgl. BT Sten.Ber. v. 30.6.1960, S.7052-7062 (7056). 137 Für Adenauer bedeutete die Note in diesem Sinne "doch einen gewissen Fortschritt", wie er arn 16. März vor dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU in Siegen zugab, zit. nach Andreas Hillgruber, Adenauer und die Stalin-Note, S.ll4 [1976], vgl. auchHans-PeterSchwarz, Gründetjahre, S.l55-156 (1981], u. Walter Vogel, Vertane Chancen?, Tei12, S.399 [1990). 138 Vgl. Anse/rn Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S.61 [1988). Auch Eden glaubte, die sowjetische Offerte sei ein erster Erfolg der westlichen httegrationspolitik, der bald größere Konzessionen Moskaus folgen köiUlten, vgl. Hermann Gram/, Märznote, S.51 [1988). 139 Kurt Sontheimer, Die Adenauer-Ära, S.l66 [ 1991). Am 26. Mai 1952, dem Tag der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages, riegelte die SED die Zonengrenze nahezu vollständig ab. Noch im seihen Jahr wurde der "planmäßige Aufbau des Sozialismus" in der DDR verkündet, die f\lnf mitteldeutschen Länder in 14 Bezirke zergliedert, die "Volkspolizei" verstärkt bewaffuet und die Kollektivierung der Landwirtschaft beschleunigt. Vgl. zu den inhaltlichen Beschlüssen der 2. Parteikonferenz der SED vom 9. bis 12. Juli 1952 Dietrich Staritz, Gründung der DDR, S.l84-185 [1987). 140 Vgl. Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der Sowjetunion, S.45 [1987). ht ihrer Verfassung von 1949 betonte die DDR wie die Bundesrepub1ik, der einzige deutsche Staat zu sein, im Gegensatz zum Grundgesetz aber fehlten in der DDRVerfassung Passagen über ihre gebietsmäßige und zeitliche Beschränkung; sie sollte endgültig sein, vgl. Konrad Repgen, Die Saar-Frage, S.89 [I 980).
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war'' 141 , läßt sich der Notenkrieg, der sich bis 1955 hinzog, aus der Sicht des Kremls als ein die eigenen Motive verschleierndes und das Problem der freien Wahlen und der deutschen Souveränität umgehendes 'Ausloten' der westlichen Bereitschaft zu Zugeständnissen interpretieren. Die brutale Niederschlagung des Aufstandes zunächst in Ost-Berlin und dann in der gesamten DDR am 17. Juni 1953 durch so\\jetische Truppen142 schien zu offenbaren, wie wenig die ,,Roll-back"-Konzeption und die ,,Politik der Stärke" die Solljetunion auch nach Stalins Tod vor dem Erhalt ihres Herrschaftssystems hindem konnten 143 . Wieder war es Churchill, der Anfang 1953 zum Vorreiter eines neuen Gedankens wurde, der in den sechziger Jahren zur vollen Wirksamkeit gekommen ist. Der Premierminister sprach sich "im völligen Gegensatz zur Meinung des Foreign Office und des Kabinetts"144 - u.a. für die Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der So\\jetunion aus 14S, forderte eine "Entspannung" zwischen den Blöcken durch Neutralisierung Deutschlands in den "Potsdam-Grenzen" 146 und schlug eine neue Vierer-Gipfel-Konferenz vor. Die Viermächtekonferenz in Berlin vom 25. Januar bis zum 18. Februar 1954 147 , deren Vorbereitung von Adenauer äußerst mißtrauisch beobachtet, 141 AdolfM. Birke, S.308 [1989). 142 ,,Die Flucht von jährlich Hunderttausenden in den Westen und ganz besonders der Volksaufstand vom 17. Juni 1953" ist nicht, wie Wolfgang Benz, Gründung der Bundesrepublik, 8.149 [1986], schreibt, eine Bestätigung der "These von der mangelnden Legitimation der Ostberliner Regierung" im ,,Bewußtsein der meisten Bürger der Bundesrepublik", sondern die augenßllige Dokumentation der Tatsache der mangelnden Legitimation! Vgl. zum Aufstand am 17. Jwti Torsten Diedrich, Der 17. Jwti 1953 in der DDR: Bewaffuete Gewalt gegen das Volk [1991]. 143 Zu den auch von Willy Brandt, Erinnerungen, S.164 [1992], vermuteten, aber vermeintlichen Chancen einer Entkommunisierung der DDR durch Berija im ersten Jahresdrittel 1953 vgl. Gerhard Wettig, Sowjetische Wiedervereinigungsbemüh.ungen?, s. 943-958 [1992]. 144 AdolfM. Birke, S.326 [1989]. 14S Älml. auch die Überlegungen des FDP-Bundestagsabgeordneten Kar/ Georg Pfleiderer am 6.6.1952 und am 2.9.1952, abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.1, 8.312-313 [1967], vgl. auchHans-PeterSchwarz, Staatsmann, S.ll-12 [1991], u. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.45-46 [1977]. 146 Vgl. hierzu Wilfried Loth, Teilung der Welt, S.313, m.w.N. [1990], sehr differenziert Winfried Becker, Die deutsche Frage und die Westmächte, 8.650-652 [1988], Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.55-56 [1987], u. Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, 8.71-72 [1991]. Siehe auch die Reaktion Adenauers vor dem Deutschen Bundestag, in: BT Sten.Ber. v. 10.6.1953, S.13247-13251. 147 Vgl. hierzu Hennann-Josef Rupieper, Die Berliner Außenministerkonferenz, S.448 [1986], u. Hans-Peter Schwarz, Grilndeijahre, S.211-221 [1981].
4. Die letzten Schritte zur Souveränität
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zugleich aber initiativ mitgestaltet worden war148 , aber "hielt sich an die bekannte Abfolge" 149 . Der britische Außenminister Eden schlug ein fünfstufiges "Wiedervereinigungsverfahren" 150 fiir Deutschland vor, an dessen Ausarbeitung die Bundesregierung beteiligt werden sollte und das sich von den beiden Bundestagsresolutionen vom Juni 151 und Dezember 1953152 nur geringfiigig unterschied. Wenn die westliche Seite nun sogar die Wahlaufsicht, bestehend aus "Vertretern der Vier Mächte mit oder ohne Teilnahme Neutraler" 153 , wie sie in der Stalin-Note vom 9. April 1952 gefordert worden war, akzeptierte, so rückte der sowjetische Außenminister von dieser von ihm selbst gestellten Bedingung ab. Er lehnte den Plan Edens mit der Begründung ab, er würde die Deutschen von der Organisation und Durchführung gesamtdeutscher Wahlen fernhalten und jene an die Macht lassen, die schon jetzt offen aggressive Revanchepläne hätten 154 . Stattdessen wiederholte Molotow die leicht modifizierte Stalin'sche Friedensvertragskonzeption von 1952 und schlug die Bildung einer Provisorischen Gesamtdeutschen Regierung nach der Note vom 15. August 1953 vor, wonach die "Parlamente der DDR und der Bundesrepublik" (selbstverständlich "unter Teilnahme demokratischer Organisationen") diese vorläufige gesamtdeutsche Regierung bilden sollten155 . Erst nach den Friedensvertragsverhandlungen und dem Abzug der Besatzungstruppen sollten 148 Vgl. nur Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.l3, 19-20, 124-130 (1991]. Die Noten der Westmächte mit der So\\jetunion trugen "deutlich die Handschrift des Bundeskanzlers",AdolfM. Birke, S.327 [1989]. 149 Andreas Hillgrober, Deutsche Geschichte, S.57 [1987]. 150 Abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.58-60 [1967]. Die fi1nf Stadien sollten sein: I. Freie Wahlen in ganz Deutschland. II. Einberufung einer aus diesen Wahlen hervorgehenden Nationalversammlung. ill. Ausarbeitung einer Verfassung und Vorbereitung der Friedensvertragsverhandlungen. IV. Annahme der Verfassung und Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, die filr die Aushandlung des Friedensvertrages zuständig ist. V. Unterzeichnung und Inkrafttretung des Friedensvertrages. 151 Vgl. BT Sten.Ber. v. 10.6.1953, S.13247-I3264 (13258-13259). 152BTSten.Ber. v. 10.12.1953,S.l76. Diese beiden Resolutionen und der 14-Punkte-Plan der Bundesregierung vom 27.9.1951 beschränken sich territorial auf das Gebiet der Bundesrepublik., Berlins und der DDR. 153 In: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.59 [1967]. 154 Vgl. Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.60 [1967]. 155 Am 27.l.l954 erklärte Molotow Eden gegenüber, daß sich die Besatzungsmächte natürlich im voraus über die Art der Regierung einigen müßten, die sie als Ergebnis freier Wahlen zu sehen wünschten, vgl. Walter Vogel, Vertane Chancen?, Teil I, S.73 [1990].
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nach so\\jetischer Vorstellung gesamtdeutsche Wahlen durchgefiihrt werden 156 . Auf der Berliner Außenministerkonferenz wurde so die so\\jetische Abkehr von einer staatsrechtlichen Reorganisation Deutschlands offenbar. Spätestens von diesem Zeitpunkt an argumentierte die So\\jetunion für den völkerrechtlichen Weg der StaatenfusionlS7. Die Berliner Konferenz der vier Außenminister blieb ergebnislos158 . Der eigentliche Rückschlag der Wiedervereinigungspolitik Adenauers ist jedoch mit dem 30. August 1954 zu datieren: An diesem Tag votierte die französische Nationalversammlung gegen den EVG-Vertrag 159 . Der wichtigste Grund für das Nein des französischen Parlaments lag im Selbstverständnis nationaler Interessenpolitik Frankreich wollte sich von den "supranationalen Fesseln des eigenen Planes" 160 wieder lösen 161 . Französisches Unbehagen löste zudem die Streichung der Bindungsklausel des Deutschlandvertrages aus, könnte doch ein wiedervereinigtes Deutschland aus der europäischen Verteidigung ausscheren und damit wiederum die Sicherheit Frankreichs gefährden 162 . Nach dem Scheitern der EVG bestand das Besatzungsregime fort; das Junktim mit dem Deutschlandvertrag galt weiter. Adenauer, am Morgen des fol156 Vgl. Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.49 (1990), u. Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.61 [1967). 157 Vgl. Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.40 (1990), u. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.l6 (1977). 158 ,,Keiner von uns hatte auch nur einen Funken Hoffnung, daß diese Konferenz die Wiedervereinigung Deutschlands bringen könnte", so Eisenhower, zit. nach HansPeter Schwarz, Staatsmann, S.l26 [1991). 159 Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.58-59 (1987], u. Waldemar Besson, Die Außenpolitik der Bundesrepublik, S.IS0-152 [1970), sprechen vom Scheitern Adenauers Wiedervereinigungsprogramm und erkennen eine die europäische Problematik überlagernde weltpolitische Dimension, wirke doch die EVG-Ablehnung Frankreichs wie die Gegenleistung zur Vermittlung der So\\jetunion im Indochina-Krieg. Ähnl. sah Adenauer im Kabinett am 7. 7.1954 einen Zusammenhang zwischen beiden Problernfeldern, vgl. Hans-PeterSchwarz, Staatsmann, S.136 u. 145 (1991). 160 Norbert Wiggershaus, Der Weg, S.5l [1986). 161 Die französische Regierung unter Pierre Mendes-France forderte noch im Frühsommer 1954 erneut Zusatzabkommen, z.B. "eine achtjährige Aussetzung der supranationalen Elemente der EVG mit späterem Vetorecht jedes Mitglieds und eine Vereinbarung darüber, daß sich die militärische Integration allein auf die armees de couverture beziehen soll, sprich auf die Streitkräfte in Deutschland!", so Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.137 [ 1991). 162 Vgl. Winfried Becker, Die deutsche Frage und die Westmächte, S.643, m.w.N. (1988). Angesichts des französischen Widerstrebens und Churchills wiederauflebender Gipfeldiplomatie-Ideen ist die Behauptung Rolf Steiningers, Eine Chance zur Wiedervereinigung?, S.85 [1985], der Weg in die Westintegration sei einfach gewesen, so nicht haltbar.
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genden Tages wegen des Mißerfolgs seiner über die EVG hinausfuhrenden Europa-Union-Vorstellungen163 noch .,deprimiert" 164 , versuchte nun, über einen NATO-Beitritt zur Gleichberechtigung der Bundesrepublik165 und damit zur Wiedervereinigung 166 zu kommen. Schnell gelanges-bei schon fortgeschrittenen, ähnlichen angloamerikanischen Überlegungen1 67 - diese, zudem militärisch effizientere, Ersatzlösung zu verwirklichen. Mit den ,,Pariser Verträgen" vom 23. Oktober 1954 wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO und der am selben Tag gegründeten Westeuropäischen Union (WEU)168, die .,gewissermaßen die Kontrollfunktionen der EVG" 169 in Rüstungsfragen übernahm: Hierzu zählte auch die Überwachung des einseitigen Verzichts Westdeutschlands auf Produktion von ABC- und schweren Waffensystemen- allerdings unter dem Vorbehalt rebus sie stantibus! Das französische Parlament stimmte dem zu 170 . Das Saarproblem, der letzte Holperstein auf dem Weg zur geglückten Westintegration, vermochte Adenauer in einem Vier-Augen-Gespräch mit dem französischen Ministerpräsidenten MendesFrance am 22. Oktober 1954 in Paris zu lösen: Man einigte sich auf eine VolksabstimmunganderSaar über das Saarstatut und auf die Durchführung freier Landtagswahlen 171 . Ein Jahr später, am 23. Oktober 1955, lehnte eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Saarländer das Statut und damit die Europäisierung 163 Vgl. zu den mit den EVG-Verhandlungen parallel verlaufeneo wirtschaftlichen Einigungsplänen Jargen Schwarz (Hrsg.), Der Aufbau Europas, S.ll5ff. u. 153ff. [1980). 164 So Adenauers Regierungssprecher Felix von Eckardt, zit. nach Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.l42 [1991). 16S Vgl. Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.143 [1991). 166 Vgl. Hans-Peter Schwarz, Adenauers Wiedervereinigungspolitik, S.39 [1975]. 167 Vgl. hierzu AdolfM. Birke, S.331-332 [1989). 168 Adenauer sagte an diesem Tag vor der internationalen Presse im Pariser Hotel Bristol: ,,Aber ein starkes Deutschland, das, eingebettet in Europa, in Allianz steht mit allen diesen Staaten, die NATO-Mitglieder sind, ein solches Deutschland darf vielmehr, ja überhaupt erst dadurch, die Hoffnung hegen, in absehbarer Zeit wiedervereinigt zu werden. Die Frage der Wiedervereinigung ist keine Frage, die für sich allein, sondern eine Frage, die in engstem Zusammenhang mit den gesamten Spannungen in der Welt steht, und nur dadurch, daß die gesamten Spannungen in der Welt abklingen, haben wir die Hoffnung auf Wiedervereinigung. Sie werden um so eher abklingen, je einiger und geschlossener die freien Völker des Westens sind". Dieses, das wiedervereinigungspolitische Credo Adenauers beispielhaft wiedergebende Zitat ist abgedruckt in: Bulletin, Nr.202 v. 26.10.1954, S.1782, zit. v. Rudolf Morsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, S.53 [1991). 169 LudolfHerbst, Option, S.102, m.w.N. [1989], vgl. Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.147-148 [1991). 170 Vgl. hierzuHans-PeterSchwarz, Gründetjahre, S.250-251 [1981). 171 Vgl. hierzuFranzJosefStrauß, Erinnerungen, S.236-238 [1989).
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ihrer Heimat ab172 . Am 1. Januar 1957 schließlich erfolgte der Beitritt des Saarlandes in die Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Die Saarpolitik Adenauers hatte zur durchaus vorbildhaften173 Wiedervereinigung "im Kleinen" gefiihrt. Der modifizierte Deutschlandvertrag174 und die Verträge über die militärische Integration Westdeutschlands traten am 5. Mai 1955 in Kraft. die Bundesrepublik Deutschland war nun. bis auf alliierte Vorbehaltsrechtel7S und der Vier-Mächte-Vereinbarungen 176 , souverän. Auf der Londoner Neonmächtekonferenz im Herbst 1954 verpflichteten sich die Westmächte und später auch die übrigen NATO-Signatarstaaten zudem, auf eine freies und wiedervereinigtes Deutschland hinzuwirken. Wiedervereinigung hieß fiir die westlichen Partner allerdings immer die Wiedervereinigung Deutschlands in den "Potsdam-Grenzen". Die Eckpfeiler der Deutschlandpolitik Adenauers- Forderung nach freien Wahlen in ganz Deutschland, Grenzvorbehalt und Alleinvertretungsanspruch - unterstützten die westlichen Partner fortan. 172 Vgl. hierzuAdolfM Birke, S.338-339 [1989]. Daß Adenauer keineswegs die Saar abgeschrieben hatte, wie viele Kritiker vennuteten, illustriert die Anekdote von Franz Josef Strauß, Erinnerungen, S.240-242 [1989], wonach der ,,härteste Gegner von Adenauers SaaJpolitik", der entschlossen ft1r den Anschluß des Saarlandes an Deutschland kämpfende Heinrich Schneider von der Deutschen Partei Saar, von ,,Adenauer aus dem Reptilienfonds 10 oder 11 Millionen DM zur Verfilgung" gestellt bekonunen habe, wovon Frankreich selbstverständlich nichts erfahren durfte. Kritisch hierzu Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.231 [1991 ], der im übrigen meint, daß sich "eine mögliche Doppelbödigkeil der Adenauerschen Saarpolitik [... ] wohl nie zweifelsfrei aufklären" lasse, daß Adenauer aber, vgl. ders., Gründerjahre, S.283-284 [1981 ], mit Blick auf die Gesamtheit der deutschfranzösischen Beziehungen ein ,)a" der Saarbevölkerung zum Statut ,,lieber gesehen hätte" . 173 Vgl. hierzu ausfUhrlieh Konrad Repgen, Die Saarfrage, S.IOO u. 114 [1980]. 174 Nun fmdet sich der Begriff "Souveränität" statt "volle Macht über'' innere und äußere Angelegenheiten im Deutschlandvertrag wieder, vgl. Hans-Peter Schwarz, Staatsmann, S.153-154 [1991). 17S Nach der Version von 1952 gewährte Art.5 den drei Mächten das Recht, "die Sicherheit ihrer Streitkräfte durch die Verhängung eines förmlichen Notstandes in der gesamten Bundesrepublik oder in einem Teilgebiet zu schützen", zit. nach Ludolf Herbst, Option, S.l03-104 [1989]. Diese Notstandsklausel wurde im neuen Deutschlandvertrag stark abgeschwächt, nun waren die Befugnisse der alliierten Streitkräfte genauer gefaßt, vgl. in: Friedrich Berber, Völkerrechtliche Verträge, 8.358 [1983]. 176 Damit geht das so\\jetische Argument, formuliert in der Note vom 24.5.1952, abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.47-50 [1967), das Potsdamer Abkonunen würde durch den Deutschlandvertrag verletzt, weil es den vier Mächten die Ausarbeitung eines Friedensvertrages auferlege, fehl, denn ebendies wird den Alliierten in Art.2 vorbehalten.
5. Der "Geist von Genf" und die Akzeptanz des Status quo
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5. Der "Geist von Genf" und die Akzeptanz des Status quo Das Verlangen des Westens, zu einem modus vivendi mit der So\\jetunion zu gelangen, war derart gewachsen177 , daß nicht einmal mehr die so\\jeti-
schen Panzer in der DDR am 17. Juni 1953 den Wunsch nach Verständigung mit der Sowjetunion aufhielten. Auf der 'Konferenz des Lächelns', nach der einvernehmlichen Lösung des Österreich-Problems178 einberufen. besprachen die Regierungschefs in Genf179 die Deutschlandfrage. Wieder prallten die altbekannten Positionen aufeinander180, Eisenhower vertrat die Position der Bundesregierung, wonach die deutsche Teilung eine grundlegende Quelle der Instabilität für den Frieden in Europa sei1 81 . Die abschließende Direktive der vier Regierungschefs an ihre Außenminister aber machte deutlich, daß sich das Hauptaugenmerk allein auf die Frage der Sicherheit in Europa zu verschieben begann: Die "Regelung des deutschen Problems und der Wiedervereinigung Deutschlands mittels freier Wahlen" sollten "im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit durchgeführt werden" 182. Mit diesem Formelkompromiß wurde zwar nicht das Junktim zwischen deutscher Frage und europäischer Sicherheit gelöst 183 , die Westmächte hattenjedoch "trotz der Warnungen Adenauers ihre Position des Vorrangs der Lösung der deutschen Frage aufgegeben"184 und sie der "europäischen Sicherheit" zumindest gleichgeordnet18S.
177 Zu den AnDingen der Entspanmmgspolitik vgl. nur Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.207-211 [1981]. 178 Der Staatsvertrag für Österreich, abgedruckt in: EA 11/1956, S.8741-8745, wurde am 15.5.1955 unterzeichnet; er ftlhrte zwn Abzug der Besatzungstruppen der Vier Mächte und schrieb die dauernde Neutralität fest. 179 Vom 17. bis zwn 23. Juli 1955. 180 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S.88 [1988]. Zur anschließenden, ebenfalls unergiebigen Außeruninisterkonferenz in Genf im Herbst 1955 vgl. nur Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.631-632 [1974]. 181 Vgl. Winfried Beclu!r, Die deutsche Frage und die Westmächte, S.654-655 [1988]. 182 ht: Heinrich von Siegler, Bd.l, S.68 [1967]. 183 Darum kommt Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.l3 [1977], zu einer fllr den Westen günstigeren Einschätzung der Direktive. 184 Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.63 [1987]. Ähnl. Adolf M. Birke, S.446 u. 455 [1989]. Vgl. hierzu den von Sorgen gekennzeichneten Briefwechsel zwischen v. Brentano und Adenauer, in: Amulf Baring, Sehr verehrter Herr Bundeskanzler!, S.186, 227fT., 234f., 270fT. [1974]. 185 Vgl. ähnl. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.B-14 [1974], u. Konrad Repgen, Die Saar-Frage, S.107 [1980].
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Der aus Sicht Adenauers sowjetischen Intention, europäische Sicherheit und deutsche Wiedervereinigung zu entkoppeln, letztere hinauszuschieben und als Lockmittel zu erhalten, "um die Bundesrepublik allmählich aus der Verbindung mit dem Westen herauszulösen", dadurch eine europäische Föderation zu verhindern, die amerikaDisehe Europapolitik zu verändern und "in der öffentlichen Meinung das Interesse an der Wiedervereinigung Deutschlands erkalten" 186 zu lassen, kam der Westen mit der Vorstellung von einer auf Mitteleuropa beschränkten Rüstungsbegrenzungszone in Genfbedenklich nahe 187 . Die Sanktionierung des Status quo in Europa zu verhindern, wurde fUr Bonn künftig zu einer Aufgabe, deren Bewältigung die Wiedervereinigung in Freiheit überhaupt vorauszusetzen schien. 6. Moskaureise und ,.Hallstein-Doktrin"
In dieser "allgemeinen Entspannungseuphorie" 188 signalisierte der Nachfolger Stalins als Ministerpräsident, Marschall Nikolai A. Bulganin, auf der Basis der neuen Zwei-Staaten-Theorie in einer Note vom 7. Juni 1955 die Bereitschaft, die Beziehungen zur Bundesrepublik zu 'normalisieren'. Adenauer, obwohl er die Zeit fUr Verhandlungen mit der Sowjetunion noch nicht fiir gekommen sah, wollte dennoch mit seinem Entschluß, nach Moskau zu reisen, um diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion aufzunehmen, einerseits einer drohenden Isolierung der Bundesrepublik vorbeugen189 und die Bereitschaft zur politischen Entspannung demonstrieren, andererseits das unmittelbare Problem der deutschen Kriegsgefangenen lösen 190 . Tatsächlich bekam Adenauer nach schwierigen Verhandlungen191 etwa 10.000 deutsche Gefangene frei; zudem anerkannte die Sowjetregierung die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands als ein legitimes Ziel der Bonner Außenpolitik und nahm sowohl die Vorbehaltserklärung der Bundesregierung über die
In diesem Kommunique fmdet sich übrigens - bis zu den Zwei-Plus-Vier-Gesprächen - zwn letzten Mal ein sowjetisches Einverständnis über die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands aufgnmd freier gesamtdeutscher Wahlen, vgl. Boris Meissner, Adenauerund die 8owjetunion, 8.195 [1976). 186 Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd.3, 8.35, passim [1967). 187 Vgl. nur Hein Hoebink, 8.139-140 [1978). 188 LudolfHerbst, Option, 8.145 [1989). 189 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S.90 [1988). 190 Vgl. Boris Meissner, Adenauerund die 8owjetunion, 8.195-196 [1976], u. zwn Verhandlungsverlauf in Moskau 8.196-203. Zu den Zielsetzungen Adenauers vgl. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, 8.15 [1974). 191 Vgl. nur AdolfM. Birke, 8.448-451 [1989).
6. Moskaureise Wld ,,Hallstein-Doktrin"
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Nichtanerkennung aller in Osteuropa vollzogenen Gebietsveränderungen als auch den gesamtdeutschen Vertretungsanspruch entgegen192. Der Nachteil, den Adenauer in Kauf nehmen mußte, war, daß der Alleinvertretungsanspruch mit der faktischen Existenz zweier deutscher Botschaften in Moskau kollidierte 193 . Mußte die So\\jetunion als die vierte Siegermacht, ohne deren Mitwirkung die Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich war, als ein Sonderfall behandelt werden, so würde die Bundesregierung "auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR durch dritte Staaten, mit denen sie offizielle Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen[ ... ], da er geeignet wäre, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen" 194 . Die Konsequenz, die Bonn aus einem solchen "unfreundlichen Akt" zog, konnte über abgestufte Maßnahmen bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen gehen 195 . Von dieser "Hallstein-Doktrin" 196 waren insbesondere die so\\jetischen Satellitenstaaten bis zum Aufbau von Handelsmissionen ab 1963 betroffen - trotz ihrer fehlenden Entscheidungsfreiheit ("Geburtsfehlerdoktrin") 197 . Adenauers prinzipiell nicht ablehnendes, aber in dieser Situation blockierendes Verhalten begründete er mit der Gefahr, daß Moskau die Bande zu seinen Satelliten wieder straffer knüpfen würde, wollte man mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen von außen in die Ostblockstaaten hineinwirken. Damit wären seiner Ansicht nach auch die Beziehungen zum einzig wichtigen Adressaten westdeutscher 192 Vgl. Boris Meissner, Adenauer Wld die So\\jetunion, 8.201 [1976]. 193 Vgl. hierzu Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.l91-192 (1991). 194 So Adenauer in seiner RegiefWlgserklärung nach seinem Besuch in Moskau, in: BT Sten.Ber. v. 22.9.1955, S.5643-5647 (5647). 195 So geschehen im Falle Jugoslawiens 1957 Wld Kubas 1963. Indien konnte durch die Droh\Ulg mit Abbruch der diplomatischen Bezieh\Ulgen 1955 davon abgehalten werden, die DDR anzuerkennen, was in der ,,Dritten Welt" angesichts des indischen Einflusses zu einer frühzeitigen Anerkenn\Ulgswelle gefllhrt haben dürfte, vgl. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.l8 [ 1977]. Wilhelm G. Grewe, Rückblenden, S.236 [1979], betont, daß es sich hierbei nicht um einen Automatismus handeln sollte, sondern um ein 'differenziertes Reaktionsschema', an dessen Ende ,,nur nach sehr reiflicher Überlegoog Wld in einer sehr ernsten Situation" diplomatische Bezieh\Ulgen abgebrochen würden. 196 Benannt nach dem Staatssekratär Walter Hallstein, deren Urheber aber der Leiter der politischen AbteilWlg des Auswärtigen Amtes, Wilhelm G. Grewe, war, vgl. Ludolf Herbst, Option, S.l47 (1989], Hans-Peter Schwarz, Gründerjahre, S.279-280 (1981], u. Winfried Becker, Die deutsche Frage Wld die Westmächte, S.653, m.w.N. [1988} 19 Vgl. hierzu Wld zu der damit verbWldenen Frage der Normalisier\Ulg der deutsch-polnischen Bezieh\Ulgen ausfUhrlieh Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, S.27-42 [1983).
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Ostpolitik, der Sowjetunion, weiter belastet worden 198 . Es war gerade die Überzeugung Adenauers von der Bundesrepublik als der Treuhänderio für die gesamtdeutsche Sache, die ihm gebot, auf die deutschlandpolitischen Thesen der östlichen Staaten nicht einzugehen und damit den Preis eines eingeengten Handlungsspielraums in der Ostpolitik entrichten zu müssen 199 . Der "Hallstein-Doktrin" fiihlten sich bis zu der zweiten Berlinkrise ab 1958 auch die westlichen Mächte verpflichtet. Bis 1969 konnte so die Anerkennung der DDR vermieden werden200 . Die Unterdrückung der Aufstände in Polen und Ungarn durch Sowjettruppen verdeutlichte im Herbst 1956 vor aller Welt einmal mehr, daß der Kalte Krieg seine Ursachen im Machtstreben und Expansionsdrang der Sowjetunion hatte201 . Unfreiheit und Repression im Ostblock hingen offensichtlich nicht von der Person Stalins ab, denn auch die von Nikita S. Chruschtschow auf dem 20. Parteitag der KPdSU eingeleitete 'Entstalinisierung' und die Auflösung der Kominform zu Anfang des Jahres änderten daran nichts. Deshalb konnte eine westliche Entspannungspolitik nur dann sinnvoll sein, wenn die Sowjetunion eine außenpolitische Kehrtwendung vollziehen würde. Zugleich mit den Erschütterungen im Satellitengürtel der Sowjetunion hoffie der Kanzler auf Instabilitäten, die zunächst zu wirklicher Souveränität der ostmitteleuropäischen Länder202 und dann, nach dem Rückzug der Besatzungstruppen, zu einer ernsthaften Verhandlungsbereitschaft über die deutsche Wiedervereinigung führen könnten203 . Andererseits offenbarte der 198 Vgl. PeterSiebenmorgen, 8.232-233, m.w.N. (1990]. 199 Vgl. Wolfram Pyta, 8.1107 [1989].
200 Vgl. 201 Vgl.
RudolfBemhardt, in: Handbuch, 8.330 [1987). Hans-Peter Schwarz, Das außenpolitische Konzept, 8.81 (1971). Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- Wld Ostpolitik, 8.18 [1974], bezeichnet es als die ,,FWldamentalannahme Adenauers", daß die So\\jetunion "eine expansive Machtpolitik betreibe, in erster Linie auf Westeuropa gerichtet, getragen von der Tradition der zaristischen Großmacht- Wld EroberWlgspolitik Wld gestärkt durch die weltrevolutionäre Ideologie des KommWlismus". 202 Vgl. seine Rede in Berlin am 2.2.1957, abgedruckt in: Konrad Adenauer, Reden, 8.344-350 (1975], in der er betonte: ,,Die Fackel der Freiheit, die Ungarn in den Satellitenstaaten angezündet hat, wird niemals wieder erlöschen" (8.348). 203 Vgl. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- Wld Ostpolitik, 8.20 [1974), u. Anseim Doering-Manteu.ffel, Ära Adenauer, 8.92-93 (1988]. hn weiteren hoffie Adenauer auf die Integration auch der befreiten ost- Wld ostmitteleuropäischen Länder in ein geeintes Gesamteuropa, vgl. Hans-Peter Schwarz, Adenauer Wld Europa, 8 .520 [1979). hn Gegensatz zu Adenauer, Krone Wld Heuss schienen die WiedervereinigWlgshoffnWlgen vieler Abgeordneter aller Fraktionen (z.B. Gerd Bucerius, in Berlin Willy Brandt), Publizisten (z.B. Marion Gräfin Dönhoff, Wilhelm Wolfgang Schütz, vgl. zu
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Herbst 1956 aber auch, daß die Amerikaner eine militärisch-politisch aktive Befreiungspolitik im ost-und südosteuropäischen sowjetischen Satellitengürtel keineswegs einzuleiten gedachten204 , ja, daß im Zuge der spätkolonialistischen Interventionen Frankreichs und Großbritanniens in der Suezkrise die beiden Weltmächte Amerika und Sowjetunion sogar zu einem Arrangement über die Köpfe der ehemaligen Kriegsalliierten hinweg flihig waren2°S . Diese Uneinigkeit im westlichen Lager wirkte sich auch auf die deutsche Wiedervereinigungspolitik aus. Statt ,,Roll-back" wurde ,,Disengagement" mit der Schaffung "atomwaffenfreier" oder "entmilitarisierter Zonen" zum Schlagwort in der sicherheitspolitischen Debatte206 . Auf der Grundlage der Aufteilung Deutschlands hätten diese Pläne2°7 einerseits die politische Teilung Europas verfestigt, zum anderen die militärische Trennungslinie zwischen Ost und West verwischt und damit die fiir die Deutschen auch psychologisch so wichtige Strategie der Vorneverteidigung ad absurdum geführt208 . Für Adenauer war klar, daß kleine Geschäfte, wie die Bildung atomwaffenfreier Zonen, das "große Tauschgeschäft"209 , die Wiedervereinigung Deutschlands, nicht förderten. Der Ost-West-Konflikt war für ihn nicht durch regionale Abrüstungs- und Entspannungsmaßnahmen beizulegen, eben weil er nicht regional, sondern global sei21o. Mit dem Radford-Plan der nuklearen "massiven Vergeltung"211 schien sich ein Rückzug der amerikanischen konventionellen Streitkräfte aus Europa anzukündigen, zugleich begannen die Briten und Franzosen ihrerseits mit dem Aufbau einer Nuklearstreitmacht In der Folge favorisierten auch Adenauer und Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß eine atomare Bewaffnung der noch auf der Grundlage der konventionellen NATO-Strategie entstehenden Bundeswehr, um das Ziel der Gleichrangigkeil mit den westlichen Mächten zu dessen WiedervereinigWlgsvorstellWlgen Hein Hoebink, S.80-84 [1978]) und in der Öffentlichkeit während des Ungarn-Aufstandes mit der ForderWlg nach Verlegm1g der Bundeshauptstadt von Bonn nach Berlin zu kulminieren, vgl. Hans-Pe/er Schwarz, Epochenwechsel, S.73-75 [1983]. 204 Vgl. Czempiel/Schweitzer, Weltpolitik der USA nach 1945, S.l62 [1987]. 20S Vgl. Konrad Adenauer, Erinnerm1gen, Bd.3, S.224-226 [1967]. 2°6 Vgl. hierzu He/ga Haftendom, Abrüstungs- und Entspannungspolitik, S.43-55 [1974], Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, S.45 [1983], u. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.27 [1974]. 2°7 Vgl. hierzu Manfred G6rtemaker, Die unheilige Allianz, S.41-42 [1979]. 20S Vgl. Wolfram F Hanrieder, Westdeutsche Außenpolitik, S.42-43 [1981], u. ders., Deutschland, Europa, Amerika, S.195-198, m.w.N. [1991]. 209 Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd.3, S.290 [1967]. 210 Vgl. auch Richard L6wenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.635 [1974]. 2ll Vgl. hierzu K/aus-Dieter Schwarz, Amerikanische Militärstrategie 1945-1975, S.169 [1976].
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erreichen und die Bundesrepublik nicht zu einem sicherheitspolitischen Sonderfall im Bündnis werden zu lassen2 12 sowie .,einen Anreiz für die Sowjetunion zu schaffen, ein Globalarrangement unter Einschluß der Lösung der deutschen Frage anzustreben" 213 . Begleitet wurden diese Anzeichen einer westlichen Sicherheits- und deutschlandpolitischen Umorientierung von ständigen DDR-Initiativen zur Wiedervereinigung214 . Dies brachte Adenauer schließlich dazu, wieder den direkten Kontakt nach Moskau zu suchen, um die offensichtlich festgefahrene Deutschlandpolitik zu aktivieren2 15 . Dabei stützte sich der Kanzler auf die einen versöhnlich-vertrauensuchenden Ton anschla212 Vgl. Waldemar Besson, Die Außenpolitik der BWldesrepublik, S.l82 [1970], u. Adolf M. Birke, S.456459 [1989]. Auf die Diskussion wn die Ausrüst\Ulg der BWldeswehr mit nuklearen Waffen- selbstverständlich im Rahmen der NATO Wld Wlter
dem Vorbehalt amerikanischer EinsatzentscheidWlg- soll hier nicht näher eingegangen werden, vgl. aber Johannes Steinhoff/Reiner Pommerin, Strategiewechsel: BWldesrepublik Wld Nuklearstrategie in der Ära Adenauer-Kennedy [1992], Hans-Peter Schwan, Gründerjahre, S.264-273 u. 356-363 [1981], u. ders., Epochenwechsel, S.4257 [1983]. Die sehr zweifelhafte Differenzierung Adenauers zwischen "taktischen" Wld ,,großen atomaren Waffen", wonach die taktischen ,,nichts weiter als die Weiterentwicld\Ulg der Artillerie" seien, zit. in: ,,Die Welt" v. 4.4.1957, muß vor dem Hintergrund mangelnder Erfahrungen auch der Nuklearmächte Wld eines schleppenden Informationsflusses im nuklearen Lernprozeß in der zweiten Hälfte der ftl.nfziger Jahre betrachtet werden. Vgl. hierzu Steinhoff!Pommerin, Strategiewechsel, S.24 u. 25-38 [1992]. Zur militärischen Notwendigkeit der atomaren BewaffnWlg der BWldeswehr vgl. Franz JosefStrauß, Erinnerungen, S.353-370 [1989]. 213 Klaus Gono, Adenauers Deutschland- Wld Ostpolitik, S.27, m.w.N. [1974]. 214 Am 22.10.1956 konstituierte sich ähnlich wie 1947 ein ,,Deutscher Volkskongreß fi1r Einheit Wld gerechten Frieden", am 30.12.1956 erklärte Ulbricht erstmals, die WiedervereinigWlg müsse - gemäß der Zwei-Staaten-Theorie - völkerrechtlich, im Zuge einer Annäherung, dann Konf?>deration der beiden Staaten vonstatten gehen, wobei am Ende "wirklich demokratische Wahlen zur NationalversammlWlg" abgehalten werden sollten. Am 30.1.1957 präzisierte Ulbricht seine Vorstell\Ulgen Wld sprach von einem aufgrund der in beiden Staaten geltenden Wahlgesetze paritätisch [!] zusammengesetzten Gesamtdeutschen Rat, der "auf der Grundlage gleichberechtigter VerhandlWlgen die Maßnahmen fi1r die Durchfilhrung von freien gesamtdeutschen Wahlen zur NationalversammlWlg ausarbeiten" würde. Am 27.7.1957 schlug die DDR-FührWlg erneut das am 13.8.1957 auch von der So~et\Ulion begrüßte Wld bis 1966 mit Modifikationen immer wieder vertretene Konföderationsmodell vor, das als BedingWlg vorsah, daß beide Staaten aus den Bündnissen ausscheiden Wld wn den Abzug aller ausländischer Truppen ersuchen sollten. Freie Wahlen stellte dieser Vorschlag nicht in Aussicht. Vgl. hierzu die Texte in Heinrich von Sieg/er, Bd.1, S.86-88 u. S.97-98 [1967], u. Dieter Blumenwitz, ÜberwindWlg, S.63-64 [1990]. 215 Vgl. AdolfM. Birke, S.449456 [1989].
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gende Botschaft Bulganins21 6 vom 5. Februar 1957, mit der der sowjetische Ministerpräsident die Isolierung nach den militärischen Interventionen in Ungarn und Polen aufbrechen und zu wirtschaftlichen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik kommen wollte. Nach weiteren Brief- und Notenwechseln217 sowie Verhandlungen wurden am 25. April 1958 diverse Wirtschaftsabkommen218 abgeschlossen, wobei die Bundesregierung keinen Zweifel daran ließ, daß nach ihrer Überzeugung an eine grundsätzliche Bereinigung des deutschsowjetischen Verhältnisses nur bei einer Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu denken war219 . In dieser Phase eines vermeintlichen Neuanfangs der deutsch-sowjetischen Beziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens ergriff Adenauer die deutschlandpolitische Initiative mit einem geradezu revolutionärem Vorschlag220 , der der offiziellen Haltung der Bundesrepublik zur Einheit Deutschlands scheinbar diametral zuwiderlief. In einer Unterredung mit dem neuen sowjetischen Botschafter Andrej A. Smimow am 19. März 1958 schlug Adenauer vor, der DDR den Status Österreichs zu gewähren, also ein Zwischenstadium auf dem Weg zur Wiedervereinigung mit einer verklausulierten Anerkennung der Zwei-Staaten-Theorie einzulegen, wenn den Menschen innerhalb der DDR dabei gleichzeitig ein Höchstmaß an Freiheit und Selbstbestimmung zugestanden würde2 21 . "Adenauers strategischer Pragmatis216 Vgl. hierzu Boris Meissner, Adenauer Wld die SowjetWlion, S.206-209 [1976]. 217 Wichtige Passagen abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.88-108 [1967]. 218 Unterzeichnet wurden ein langfristiges Waren- Wld ZahlWlgsverkehrsabkommen, ein Handels- Wld Schiffahrtsabkommen, ein Konsularvertrag, Wld mündlich vereinbart wurde, dies ein Hauptanliegen der BWldesregierWlg, ein RepatriierWigsabkommen über die in der Sowjetunion zurückgehaltenen deutschen Staatsangehörigen. 219 Adenauer verdeutlichte Bulganin am 27.2.1957 in unmißverständlichem Ton: ,,Nichts würde dem deutsch-sowjetischen Verhältnis Wld dem Frieden in Europa Wld der Welt mehr dienen als der Beweis echter AchtWlg vor dem SelbstbestimmWlgsrecht der Völker, den Sie Wld Thre RegierWlg mit der ZustimmWlg zur alsbaldigen VereinigW1g der beiden Teile Deutschlands aufgrund gesamtdeutscher Wahlen erbringen könnten. Geben Sie 17 Millionen Deutsche frei, Herr Ministerpräsident, Wld Sie werden einer freWldschaftlichen Zusammenarbeit Wlserer beiden Ländern einen außerordentlich großen Dienst erweisen", zit. in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, 8.89 [1967]. 220 Vgl. hierzu im folgenden Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- Wld Ostpolitik, S.34-40 [1974]. 221 Adenauer erläuterte sein Motiv in seinen Erinnerm1gen, Bd.3, 8 .379 [1967]: ,,Bei meiner VorstellWlg, der Sowjetzone den Status Osterreichs zu geben, war ich vor allem von der HoffuWlg geleitet, hierdurch den dort lebenden Menschen die Möglichkeit zu einer freien WillensentscheidWlg bei der Wahl ihrer Regierm1g zu verschaffen. Es kam mir in erster Linie darauf an, von den Menschen in der Zone den politischen, den geistigen Druck zu nehmen Wld ihnen die Lebensbedingm1gen zu erleichtern, selbst für den Preis, daß die WiedervereinigWlg nicht Wlmittelbar durchgef\lhrt würde. 7 Roos
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mus"222 ließ ihn erkennen, daß einzig die So\\jetunion den Schlüssel zur Wiedervereinigung in Händen hielt. und nicht die DDR. mit der in engeren Kontakt zu treten auf Initiative Herbert Wehners die SPD verlangte223 . Außerdem schien dem Kanzler offenbar klar geworden zu sein, daß die bisherige Wiedervereinigungspolitik erfolglos geblieben war und daß die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands noch Jahrzehnte dauern würde224 . Der Vorschlag einer Österreich-Lösung fiir die DDR wurde vor der Öffentlichkeit geheimgehalten225 , und er wurde von der So\\jetregierung auch nicht Die Chance llir eine Wiedervereinigung zu einem späteren Zeitpunkt blieb offen. hnmer wieder hatte ich das Beispiel der Geschichte Polens vor Augen, die Zähigkeit und Ausdauer des polnischen Volkes bei Verfolgung seines Zieles, die Einheit wiederzuerlangen. Wir mußten realistisch unsere Möglichkeiten abschätzen und dessen bewußt bleiben, daß das Wichtigste eine Erleichterung des Loses der Menschen in der Zone
war". 222 Fronz JosefStrauß, Erinnerungen, 8.144 (1989). 223 Wehner hatte bereits im Februar 1954 in der 8PD für "praktische Lösungen",
z.B. den Interzonenpaß, geworben, vgl. Peter Siebenmorgen, 8.202 (1990], und im März 1956 für den 8PD-Vorstand ein Papier angefertigt, in dem er davon sprach, daß die Bundesrepublik angesichtsder weltpolitischen 'Normalisierung' nicht mehr "um eine Regelung des Verhältnisses zur DDR herumkommen" wo.rde, zit. nach Hartmut Soell, Die deutschlandpolitischen Konzeptionen, 8.50 (1976]. Die Wiedervereinigung vermochte sich Wehner bereits 1956 nur noch als ein Mischsystem vorzustellen, bei dem der Westen Deutschlands die parlamentarisch-rechtsstaatliche Demokratie, der Osten dafür wirtschaftliche und soziale Ordnungselemente beizusteuern hätten, vgl. Herbert Wehner, Voraussetzungen der Wiedervereinigung Deutschlands, 8.83-98 (1956]. Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, 8 .65 [1983], (ähnl. Peter Siebenmorgen, 8.221-223 (1990]), kennzeichnet nicht Egon Bahr, sondern Herbert Wehner als den Erfmder der 'Politik der kleinen Schritte', weil er darauf gedrängt habe, unterhalb der Schwelle zur Anerkennung menschliche Erleichterungen zu erreichen. Das Aufgreifen Wehners von illbrichts Angebot einer 'deutschen Wirtschaftsgemeinschaft' angesichts der streng ideologischen Ausrichtung der 8ED-Führung, die eine echte Zusammenarbeit mit den 'Monopolkapitalisten' und eine damit womöglich verbundene 'revanchistische Infiltration mit chauvinistischem Gedankengut' wohl kaum zugelassen hätte, als Beispiel eines 'hohen Maßes an Pragmatismus" zu beurteilen, wie Hans-Peter Schwarz, ebd., es tut, ist zumindest fraglich und sagt m.E. mehr über die wirtschaftspolitischen Vorstellungen Wehners aus. 224 Vgl. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, 8 .37 u. 39 (1974], u. RudolfMorsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, 8.40 (1991]. 22S Adenauer filrchtete, so drückte er sich plakativ in seinen Erinnerungen, Bd.3, 8.378 [1967], aus, daß er bei Bekanntmachung sonst "von seinen eigenen Leuten dafür gesteinigt" worden wäre. Als beispielhaft für eine mögliche Reaktion auf Adenauers Vorstoß darf wohl die 'Abrechnung' von Thomas Dehler, des ehemaligen Justizministers, mit dem Kanzler zwei Monate zuvor, in: BT 8ten.Ber. v. 23.1.1958, 8.384-399
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erörtert, obwohl in ihm eine Reihe sowjetischer Sicherheitsinteressen berücksichtigt wurden. Er verdeutlicht aber, wie flexibel die Deutschland- und Ostpolitik Adenauers und der Bundesregierung schon in den ftlnfziger Jahren war226 und welches ihr Hauptanliegen war, nämlich 'menschliche Erleichterungen' im strengen Sinn227 .
(392), gelten: ,,Mein Bruch mit Dr. Adenauer beruht auf dieser Frage. Ich habe ihm nicht mehr geglaubt. Ich habe nicht mehr geglaubt, daß er das deutsche Ziel, die Wiedervereinigoog, anstrebt". Als 1960/62 Kar1 Jaspers Wld Go1o Mann die "Österreich-LösWlg" ftlr die DDR ventilierten, wurde deutlich, wie W1popu1är in der öffentlichen Diskussion dieser Vorschlag war, vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Ära Adenauer, S.l01 [1988), Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.73-74 [1977], Adolf M. Birke, S.472 [19891, u. Hans-Peter Schwarz, Adenauers Wiedervereinigoogspolitik, S.48 [1975). 226 Anders Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.l76 u. 180 [1991). Doch bereits am 9.6.1956 hatte Adenauer vor Journalisten erklärt, er ziehe es vor, statt von Wiedervereinigoog von der ,,BefreiWlg der siebzehn Millionen Deutschen aus der Sklaverei" zu sprechen, vgl. Konrad Adenauer, Teegespräche 19551958, S.97. Vgl. das Urteil Felix von Eckardts, Ein Wlordentliches Leben, S.475 [1967]: ,,FreWlde Wld Feinde Konrad Adenauers taten bewußt, häufiger Wlbewußt alles, um seine Persönlichkeit Wld seine Politik als starr Wld Wlbeweglich darzustellen. Dieses Bild ist völlig verzeichnet. Sein Geist beschäftigte sich Wlablässig mit neuen Ideen Wld Plänen, wie durch ein vertretbares Sicherheitssystem in Europa die Wiedervereinigoogspolitik vorwärts getrieben werden könne". 227 So auch, m.w.N., Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, S.1 04 [1992). Anders dagegen Waldemar Besson, Die Außenpolitik der 8Wldesrepublik, S.191-209 [1970], der die Ostpolitik der Regieroog Adenauer als wandlWlgsunfiihig, starr Wld, was die 'Einheit des Westens' angeht, als wirklichkeitsfremd beurteilt. Zu den differenzierenden Andeutungen Adenauers zur Priorität der 'menschlichen Erleichteroogen' vgl. Peter Siebenmorgen, S.147-151 (1990], u. Rudolf Morsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, S.42 (1991]. Vgl. zum Anfang 1959 entwickelten "Globke-Plan" insbes. Klaus Gono, Adenauers Deutschland- Wld Ostpolitik, S.49-55 [1974), aber auch, auf die möglichen Gefahren des Plans hinweisend, Peter Siebenmorgen, S.253-256 (1990]. Nach diesem, seinerzeit Wlveröffentlichten Plan des Staatssekretärs im BWldeskanzleramt, Hans Globke, sollten die BWldesrepublik Wld die DDR einen Vertrag schließen, in dem sie sich völkerrechtlich anerkannten Wld Freizügigkeit vereinbarten. Ganz Berlin sollte eine Wlter dem Schutz der Vereinten Nationen stehende entmilitarisierte Freie Stadt sein. Nach fünfbis zehn Jahren 'Stillhalten' sollte ein Plebiszit über die Wiedervereinigoog in beiden Staaten stattfmden, Wld bei AblehnWlg durch die Mehrheit WÜrden zwei souveräne deutsche Staaten bestehen bleiben, wobei Berlin sich dem einen oder anderen Staat anschließen oder Freie Stadt bleiben könnte. Ein wiedervereinigtes Deutschland aber hätte die EntscheidWlgsfreiheit, einem Bündnissystem
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Im gleichen Jahr aber wurden alle Entspannungshoffnungen durch ein Berlin-Ultimatum Chruschtschows228 abrupt beendet. Am 10. November 1958229, konkret in der Note an die Westmächte vom 27. November230 , forderte der seit der Absetzung Bulganins im März neue Ministerpräsident der Sowjetunion, den westlichen Teil Berlins zu einer von der Bundesrepublik völlig losgelösten 'entmilitarisierten Freien Stadt' zu machen und alle westlichen Streitkräfte abzuziehen. Falls die Westmächte nicht innerhalb eines halben Jahres mit der Sowjetunion zu einer einvernehmlichen Lösung in dieser Frage kommen sollten, würde sie entsprechend ihrer Auffassung, daß sich das Londoner Protokoll vom 12. September 1944 [s.o.] nicht mehr in Kraft befinde, da die Westmächte durch Verletzung des 'Potsdamer Abkommens' ihre Besatzungsrechte verwirkt hätten, der DDR die sowjetischen Befugnisse in Berlin als Ganzes übertragen. Die Westmächte231 und die Bundesregierung232 verweigerten der Sowjetunion das Recht, den Vier-Mächte-Status einseitig aufzukündigen. Er beruhe nicht auf dem 'Potsdamer Abkommen', sondern auf dem Londoner Protokoll und würde aus der deutschen Kapitulation hergeleitet. Auf das Angebot der Westmächte, eine Viererkonferenz der Außenminister einzuberufen, um das Berlin-Problem in Verbindung mit dem Deutschland- und dem Sicherheitsproblern zu besprechen233 , reagierte Chruschtschow am 10. Januar 1959 mit einer weiteren Note234 . Diese stellte im Grunde eine die Wiedervereinigung erschwerende Variante des Stalin-Angebotes von 1952 dar: An den Friedensvertragsverhandlungen sollten zwei deutsche Regierungen teilnehmen (Art.2), West-Berlin sollte bis zur Wiedervereinigung 'entmilitarisierte Freie beizutreten oder neutral zu werden. Abgedruckt in: Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.202-209 [ 1974]. 228 Vgl. hierzu Hein Hoebink, S.l46-148 [1978]. 229 fu: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.ll5-116 [1967]. 230 Die wichtigsten Teile abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l , S.ll7-125 [1967]. 231 Dieamerikanische Antwortnote v. 31.12.1958 ist abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l , S.l30-132 [1967). 232 Antwortnote v. 5.1.1959 abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S.l32-138 [1967]. 233 Dies war eine Themenkombination, die Adenauer immer abzuwehren versuchte, weil er westliche Konzessionen in der Deutschlandfrage zugunsten der Ablilstungsoder der Berlinfrage fürchtete, vgl. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.44 [1974], Hein Hoebink, S.l49 (1978], u. Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, S.83 (1983]. 234 Abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S. I38-154 (1967].
7. Die Zweite Berlin-Krise
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Stadt' sein (Art.25), und die Wiedervereinigung "in dieser oder jener Fonn"23 S sollte durch 'Annäherung' der beiden deutschen Staaten über eine ,,KonfOderation" - nicht etwa durch freie Wahlen - erreicht werden. Chruschtschow forderte also die westliche Akzeptanz eines deutschlandpolitischen Status quo minus ohne klare Bestimmungen für den Weg zur Wiedervereinigung als Bedingung für eine - nur nebenbei erwähnte236 - gemeinsame europäische Friedensordnung237 . Damit kündigte er das Junktim zwischen der Deutschland- und der Sicherheitsfrage, das in Genf 1955 noch von allen vier Mächten anerkannt worden war, einseitig auf. Chruschtschow stellte die DDR nun auch verbal nicht mehr zur Disposition, und darin unterschied sich sein Vorstoß von dem Stalins aus dem Jahr 1952. Vielmehr suchte er über die selbst provozierte Berlin-Krise die internationale Anerkennung des so\\jetischen Satelliten DDR durchzusetzen238 . Während dieser spannungsgeladenen so\\jetischen Offensive schlug Chruschtschow andererseits gleichzeitig über seinen neuen Außenminister Andrej Gromyko deutsch-so\\jetische Direktverhandlungen vor. Adenauer entzog sich diesem Angebot, mußte aber mitansehen, wie die für seine Wiedervereinigungspolitik unentbehrliche Einheit des Westens zerbröckelte: Statt auf den für Adenauer bis zur Wiedervereinigung nicht verhandlungsfähigen VierMächte-Status Berlins und ganz Deutschlands zu beharren und mit Verhandlungen zur deutschen Frage auf eine globale Entspannung zu warten, führte der britische Premierminister Harold Macmillan im Februar 1959 Sondierungsgespräche in Moskau239 . De Gaulle sprach sich im März im Gegensatz zu seinen früheren Vorstellungen zwar für die Wiedervereinigung, aber auch für die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie aus, und Dulles verkündete, daß freie Wahlen nicht der einzige Weg zur Wiedervereinigung seien. Schließlich einigten sich die vier Mächte darauf, eine Konferenz der vier Außenminister in Genf mit deutschen 'Beratern' beider Staaten einzuberufen240 . Die 'Potsdam-Furcht' Adenauers wuchs241 .
23S In: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, 8.147 [1967). 236 Vgl. Art.5, Punkt 3, in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, 8.147 [1967). 237 Vgl. ähnl. Boris Meissner, Adenauerund die 8o\\jetWlion, 8.213-214 [1976), u. Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, 8.123 [1992). 238 Vgl. Kurl Sontheimer, Die Adenauer-Ära, 8.55 [1991). 239 Vgl. hierzu Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, 8.84-85 [1983). Zwn gesparulten Verhältnis zwischen Adenauerund Macmillan vgl. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, 8.45-46 [1974). 240 Vgl. Adolf M. Birke, 8.470-471 [1989), u. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, 8.70 [1987). 241 Vgl. zu den mißtrauischen Begleittönen Adenauers in der VorbereitWlgsphase der Konferenz Peter Siebenmorgen, 8.268-271 [1990}.
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B.m. Ära Adenauer
Auf dieser letzten Vier-Mächte-Konferenz242 vor 1990, die sich mit der Deutschland-Frage beschäftigte, schlug der neue amerikanische Außenminister Christian Herter einen stufenförrnigen Wiedervereinigungsprozeß, verknüpft mit parallelen Sicherheitsmaßnahmen für Europa, und erst abschließende freie Wahlen vor. Neu am Herter-Plan243 war, daß der 'großen' Wiedervereinigung erst eine 'kleine' Berlins vorausgehen sollte, daß das Wahlgesetz für die freien gesamtdeutschen Wahlen von 25 west-und zehn mitteldeutschen Vertretern ausgearbeitet werden sollte, wobei für Entscheidungen DreiViertel-Mehrheiten erforderlich waren, um die Überstimmung der DDRAbgeordneten zu verhindem244 . Gromyko lehnte ab, diesen Plan auch nur zu diskutieren; stattdessen insistierte er auf dem Friedensvertragsentwurfvom 10. Januar 1959245 . Um überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen, schlugen die Westmächte ein Interimsabkommen ftir Berlin vor246 , lösten also das Berlin-Problem von der gesamtdeutschen Problematik247 und näherten sich deutlich der Argumentation der Sowjets, die mit dem Ziel einer Dreiteilung "Potsdam-Deutschlands" operierten248 . Die getrennte Behandlung von Berlin- und Deutschlandfrage beftirwortete nun auch der Kanzler in der Erwartung, einen 'Tauschhandel' in diesen Fragen zu unterbinden249 . Faktisch, wenn auch nicht verbal und formal250 , anerkannten die drei Westmächte bereits zu diesem Zeitpunkt den entstandenen Status quo, der es offenbar nicht mehr zuließ, über Deutsch-
2 42 Vom II. Mai bis zum 20. Jwli Wld vom 13. Juli bis zum 5. August 1959. 243 Abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd. 1, S.165-168 [1967].
Zum Teil beruhte der Plan auch auf blUtdesdeutschen VorstellWlgen, vgl. den Plan des Regiertu1gssprechers Felix von Eckardt Wld den ,,Phasenplan zur WiedervereinigWlg" des Leiters des gesamtdeutschen Referats im Auswärtigen Amt, Rudo1f Fechter, Wld des Referenten der Deutschen Botschaft in Moskau, Boris Meissner, von 1957. Siehe hierzu Dieter Blumenwitz, ÜberwindWlg, S.56-57, m.w.N. [1990], Peter Siebenmorgen, S.250-252 [1990], u. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- Wld Ostpolitik, S.25-26 [1974]. Zugleich fanden auch ÜberlegWtgen Erlers, der im Januar 1959 die Vereinigten Staaten bereiste, zu RüstWlgsverminderWlg und stufenweise WiedervereinigWtg Eingang in den Herter-Pian, vgl. Hartmut Soell, Die deutschlandpolitischen Konzeptionen, S.56 [1976]. 244 So PWlkt 8 der Stufe II. 24 5 Vgl. Heinrich von Sieg/er, Bd.1, S.168-169 [1967]. 246 Abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, S. 172-173 [1 967], s.a. S.177-1 78. 247 Vgl. älml. AdolfM. Birke, S.473-474, m.w.N. [1989]. 248 Vgl. auch Hanns Jürgen Küsters, Konrad Adenauerund Willy Brandt, S.501 [1992]. 249 Vgl. Hans Buchheim, Deutschlandpolitik, S.89 [1984]. 250 So auchAndreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.71 [1987].
7. Die Zweite Berlin-Krise
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land als Ganzes zu verhandeln2 S1 . Adenauer wurde in die Ausarbeitung des 'westlichen Friedensplans' nicht einbezogen, und er hielt ihn, wie Willy Brandt, vor allem in der Berlin-Regelung für zu nachgiebig2S2 • Aber selbst dieses beträchtliche Nachgeben des Westens - Beschränkung der alliierten Truppen auf 11.000 Mann, Einstellung von ,,Einmischung" und Propaganda in Richtung DDR und mögliche Revision des Interims nach fünf Jahren schlug die So\\jetunion aus; sie bestand vor allem auf einer nur zeitlich befristeten Anwesenheit westalliierter Truppen von 18 Monaten und, mit der Berlin-Regelung verknüpft, die Einrichtung eines "paritätisch zusammengesetzten gesamtdeutschen Ausschusses"253 , der einstimmige Beschlüsse über Fragen der Wiedervereinigung fassen sollte2S4 . In den folgenden Monaten ließ Chruschtschow von dauernden Drohungen nicht ab. Den Abschuß des amerikanischen Aufklärungsflugzeuges vom Typ U2 über so\\jetischem Territorium nahm er zum willkommenen Anlaß, eine für den 16. Mai 1960 in Paris vereinbarte Konferenz der Vier Mächte auffliegen zu lassen2S5 . Die Bereitschaft Macmillans und der späten EisenhowerAdministration, sich mit der So\\jetunion bezüglich einer neuen Rechtsgrundlage für die Anwesenheit alliierter Truppen in Berlin unter Iokaufnahme einer Anerkennung der DDR2 S6 zu arrangieren, hätte für Adenauer die Gefahr einer Vier-Mächte-Übereinkunft auf deutsche Kosten bedeutet. Das Scheitern der Pariser Konferenz hatte seinen "Potsdam-Kornplex" vorerst gebannt.
2SI Allein Frankreich beharrte auf wteingeschränlcte Viennächterechte, de Gaulle sah die eigene Sicherheit wtd Einflußmöglichkeit, die europäische Sprecherrolle Frankreichs wtd das europäische Gleichgewicht geflihrdet, vgl. hierzu ausf. Jurgen Schwarz, GrWldzüge, S.114 [1974]. 2S2 Vgl. Hanns Jürgen Küsters, Konrad Adenauer wtd Willy Brandt, S.499-501 [1992], Heinrich Krone, S.153 [1974], bzw. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- wtd Ostpolitik, S.47 [1974], Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.652 [1974], u. Hans-PeterSchwarz, Epochenwechsel, S.93 [1983]. 2S3 Gromykos Berlin-Plan v. 19.6.1959, in: Heinrich von Sieg/er, Bd.l, 8 .173-175 (174) (1967]. 25~ Vgl. Heinrich von Sieg/er, Bd.l, 8.178 [1967]. 25S Ursache hierfilr war möglicherweise die Erkenntnis der Sowjetführung, daß ein weiteres nukleares Bluffen angesichts der im U2-Aufklärer gefwtdenen, wterwartet exakten Aufnalunen am amerikanischen Wissensstand über Qualität wtd Umfang der sowjetischen RaketenrüstWlg abprallen würde. Vgl. Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, 8.654 [1974]. 2 S6 Vgl. Ado/f M. Birke, S.475 u. 476, m.w.N. [1989], Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, 8.652 [1974], u. Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, S.107 [1983].
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B.m. Ära Adenauer 8. Zerfall des westlichen Lagen- Der Mauerbau
Die 'Achse Bonn-Washington', die der Adenauer'schen Deutschland- und Sicherheitspolitik in vielen Auseinandersetzungen innerhalb der Westmächte eine Stütze gab, zerbrach mit dem Amtsantritt John F. Kennedys. Mit dem Willen zu einer grundlegenden Revision der amerikanischen Außenpolitik suchte Kennedy durch eine gegenseitige, globale2S7 Machtsphärengarantie zu einem Arrangement mit der Sowjetunion zu kommen. Dies widersprach Adenauers Verständnis der eigentlichen amerikanischen Interessen fundamental. Nach seiner Überzeugung verteidigten die Amerikaner ihre eigenen Lebensinteressen in Europa, weil hier sich die weltpolitische Auseinandersetzung der Sowjetunion mit den Vereinigten Staaten entscheiden würde2S8 . Die Politik der 'Entspannung', des 'Dialoges' und der 'weltweiten Friedenserhaltung' rückte in den sechziger Jahrenjedoch in den Vordergrund und nahm der deutschen Wiedervereinigung und der europäischen Integration, "in den vierziger Jahren als Mittel gegen einen neuen Krieg und in den fiinfziger Jahren als Schild im Kalten Krieg empfohlen und weitergetrieben"2S9 , ihre Dringlichkeit. Erneut stellten die Vereinigten Staaten ihre Verteidigungsstrategie um und paßten sie der politischen an. An die Stelle der "massive retaliation" mit dem "Selbstvernichtungsrisiko Europas in jedem denkbaren Konflikt" als "Bedingung der Glaubwürdigkeit amerikanischer Abschrekkung"260, trat nun, nachdem die Vereinigten Staaten ihre Eskalationsdominanz endgültig verloren hatten, die "flexible response"261. 2S1 Kennedy war überzeugt, daß sich die ideologische Konkurrenz aus Europa in die 'Dritte Welt' verschoben habe: "The great battlegrmmd for the defense and expansion offreedom today is [... ) Asia, Latin America, Africa and the Middle East, the Iands of the rising people", so in seiner lnauguralrede vom 20.1.1961, zit. nach Klaus-Dieter Schwarz, Amerikanische Militärstrategie 1945-1975, S.l70 [1976). 2S8 Vgl. Adenauer, Erinnerungen, Bd.l, S.412 (1965), u. Bd.2, S.248 [1966), u. Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.84 [1974), der in dieser lnteressenidentität zwischen Deutschland, Europa und den Vereinigten Staaten den ,,Ausgangs- und Angelpunkt der gesamten Adenauerschen Außenpolitik, die ständig bemüht war, diese Identität immer wieder bewußt zu machen und in aktuelle Politik umzusetzen", sieht. 2S9 Curt Gasteyger, Europa, S.236 [1991). 260 Klaus-Dieter Schwarz, Amerikanische Abschreckungsstrategie 1945-1975, S.l69 [1976). 261 Mit dieser Strategie sollte im Falle einer militärischen Auseinandersetzung angesichts des atomaren Patts lediglich abgestuft, also auch konventionell, reagiert und das eigene Interessengebiet -und nicht mehr! - wiederhergestellt werden. Vgl. zur Strategie der Flexiblen Reaktion Ortwin Buchbender (Hrsg. ), Sicherheit und Frieden, S.205-210 [1985).
8. Zerfall des westlichen Lagers - Der Mauerbau
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Für Berlin, dem eine Indikatorfunktion für das geteilte Deutschland zukam, bedeutete die Politik Kennedys eine Einschränkung des amerikanischen Engagements262 . Schon auf der - ansonsten ergebnislosen - Wiener bilateralen Gipfelkonferenz vom 3. bis 4. Juni 1961 bedeutete der amerikaDisehe Präsident Chruschtschow gegenüber, die Vereinigten Staaten würden nichts gegen Entscheidungen der Sowjetunion in ihrer eigenen Interessensphäre unternehmen263. Seine bekannten, nur noch West-Berlin konkret betreffenden, unverhandelbaren "three essentials" formulierte Kennedy am 25. Juli 1961: Die Anwesenheit der drei Westmächte in West-Berlin, ihr unbehindertes Zugangsrecht dorthin und die 'Lebensfähigkeit' West-Berlins. Eine Verletzung dieser drei Grundvoraussetzungen aber, daran ließ Kennedy keinen Zweifel, würde einen Krieg um West-Berlin bedeuten264 . Mit dieser Garantie für West-Berlin war der Mauerbau, der am 13. August 1961 erfolgte und unter Verletzung der Berliner Vier-Mächte-Verantwortung Ost-Berlin demonstrativ in das Territorium der DDR eingliederte, implizit bereits sanktioniert265 . Nach dem Berliner Mauerbau war die Bundesrepublik im westlichen Lager266 die einzige Macht, die den Status quo noch zu ändern suchte. Die anderen, vor allen die in Vietnam engagierten Vereinigten Staaten, akzeptierten den Status quo in Europa, weil er einen sicherheitsbewahrenden, wenn auch das Selbstbestimmungsrecht schwächenden modus vivendi mit der So262 Vgl. hierzu nur Rupert Scholz, in: Handbuch, S.352 u. 354, m.w.N. [1987]. 263 Vgl. AdolfM. Birke, S.479 [1989). 264 "Wir wollen den Kampf nicht- aber wir haben schon gekämpft", so Kennedy in einer Rundfunkrede vom 25.7.1961, zit. nach Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.657 [1974]. Vgl. auch AdolfM. Birke, S.479 [1989), u. Anselm Doering-Manteu.ffel, Ära Adenauer, S.l12, m.w.N. (1988). 265 Vgl. auch Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.62, m.w.N. [1974), u. Hein Hoebink, S.l54 [1978]. Das "von niemandem provozierte Dementi eines Mauerbaus" (Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.75 [1987)) Vlbrichts vom 15. Juni 1961 (,,Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen") kam filr die amerikanische Administration vermutlich kaum überraschend; der Vorsitzende des Auswärtigen Senatsausschusses und enger Vertrauter Kennedys, J. William Fulbright, drückte am 30. Juli 1961 in einem Fernsehinterview sein Unverständnis angesichts der immer zahlreicher werdenden OstWest-Flüchtlinge darüber aus, "warum die Ostdeutschen ihre Grenze nicht schließen", obwohl sie doch "ein Recht" hätten, "sie zu schließen", zit. nach AdolfM. Birke, S.480 (1989]. Allein von Anfang 1961 bis zum 13. August sind 155.402 Menschen nach West-Berlin geflohen. In den ersten 15 Jahren des Bestehens der DDR kamen 2.824.411 Flüchtlinge nach Westdeutschland, vgl. SBZ von Abis Z, S.l32. 266 Der Begriff ,,Lager" muß fur die sechziger Jahre als relativ verstanden werden, weil sich de facto eine Multilateralität unterhalb der Ebene der bipolaren Kontrahenten ausbildete, vgl. nur Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.22-23 [1984), u. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.80 [1987].
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B.m. Ära Adellauer
wjetunion darstellte. Damit wurde der bis dahin immer wieder vertretene Zusammenhang zwischen Entspannung und der Überwindung der deutschen Teilung vom Westen praktisch aufgehoben. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, forderte von Kennedy in einem Brief "mehr als Worte", nämlich "politische Aktion". Der amerikanische Präsident aber antwortete, nicht durchsetzbare Positionen seien fallenzulassen, die neue Situation sei hinzunehmen und pragmatische Verbesserungsvorschläge könnten unterbreitet werden267 . Wenige Wochen später "vollzog sich die große Peripetie in Brandts politischer Biographie"268 und damit die Wende der SPD-Deutschlandpolitik: Statt großer Worte für die Wiedervereinigung und Vermeidung jeglicher Aufwertung des Zonenregimes sprach sich Brandt nun, ermuntert von amerikaDiseher Seite, für eine 'Politik der kleinen Schritte' aus, um in Verhandlungen mit der DDR "alles Erdenkliche" zu tun, damit die Mauer "wenigstens durchlässig wird"269. Adenauer, dessen zögerliches Verhalten in dieser kriegsnahen Krise27° oftmals kritisiert wurde271 , war sich, nachdem die bangen Erwartungen nach 267 Vgl. Diethelm Prowe, Der Brief Keillledys an Brandt vom 18. August 1961, S.372-383 [1985), AdolfM. Birke, S.482 [1989), u. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.77-78 [1987). 268 Franz JosefStrauß, EriiUlerungen, S.440 [1989). Ähnl. Brandt selbst, vgl. ders., Begegnungen und Einsichten, S.l7 [1976). Vgl. hierzu auch Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.l21 [1984). Der deutschlandpolitische Standortwechsel Brandts setzte allerdings wohl eher kontinuierlich ein, bereits seit November/Dezember 1959 übte er sich in Überlegungen zu einem 'Drei-Mächte-Status' West-Berlins als Verhandlungsalternative zum VierMächte-Status ganz Berlins, vgl. Banns JUrgen KUsters, Konrad Adenauer und Willy Brandt, S.504-505 [1992). 269 So Brandt in seiner Regierungserklärung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus am 22.9.1961, zit. nach Peter Siebenmorgen, S.354 [1990). Brandt war auch zur AnerkeMung eines Drei-Mächte-Status fi1r West-Berlin bereit, vgl. Peter Siebenmorgen, S.359 u. 364, m.w.N. [1990), u. Willy Brandt, Begegnungen und Einsichten, S.38f. u. 94f. [1976). Am 14.9.1961 schrieb Brandt Außenminister von Brentano, er teile nicht die Meinung, daß der Vier-Mächte-Status noch existiere, vielmehr zeigten die Noten vom 27.11.1958 [s.o.) und das Vorgehen am 13.8.1961, "daß die So\\jetunion sich nicht mehr daran halte und 'ihn zerstört hat', weil die Gewaltmaßnahmen nicht legal seien, wogegen 'nichts Durchgreifendes unternommen' wurde", so Banns JUrgen Kusters, Konrad Adenauerund Willy Brandt, S.532-533 [1992). 270 Zu den westlichen Einschätzungen und zu Adellauers Befilrchtung, das 'Pulverfaß in Berlin zum Explodieren zu bringen', vgl. Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, S.l51-152 [1983). Auch nach dem Mauerbau setzte sich die Krise fort, es kam 1962 zu direkten Störversuchen der So\\jets gegen den Luftverkehr nach Berlin, so\\jetischen Manövern auf den Autobahnen und dem Aufbau von Luftabwehreinheiten entlang der Luftkorridore
8. Zerfall des westlichen Lagers - Der Mauerbau
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westalliierter Hilfe enttäuscht worden waren272 , der Einflußlosigkeit gegenüber der sowjetischen Offensive bewußt. Die Unterredung mit dem sowjetischen Botschafter Smirnow nur drei Tage nach Beginn der Absperrmaßnahmen quer durch Berlin müssen somit nicht nur als fortdauernde Verständigungsbereitschaft, sondern auch als ein "Wink an Washington"273 verstanden werden, daß die Bundesrepublik ihrerseits zu bilateralen Verhandlungen in der Lage sei, wenn deutsche Interessen nicht gebührend vertreten werden sollten274 . Adenauers Kontaktversuche275 mit Chruschtschow gipfelten arn 6. Juni 1962 in einem ,,Burgfriedensangebot"276, das mit den Westmächten nicht abgesprochen war. Es wurde von der Sowjetunion negativ beantwortet277 . Die Bundesregierung erklärte im Oktober daraufhin öffentlich, daß die Priorität ihrer Deutschlandpolitik in der Freiheit für die Menschen in der DDR liege278 . In der Folge schlug Adenauer in Washington Kennedy gegenüber das .,Stillhalteabkornrnen"279 vor, eine Idee, für zehn Jahre die "Tatsache der Zone" - nicht deren Anerkennung - "hinzunehmen unter der Bedingung der Hurnanisierung der Lebensverhältnisse"280 , um währenddessen in einer ruhigeren Atmosphäre ohne sowjetische Vorstöße über die deutsche nach Berlin, vgl. Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, 8.659-660 u. 663 [1974). 271 Adenauers Fernbleiben in den ersten Tagen nach dem Mauerbau hing mit dem Bundestagswahlkampf 1961 zusammen, vgl. hierzu nur Banns Jargen KtJsters, Konrad Adenauerund Willy Brandt, S.527 [1992). 272 Vgl. Heinrich Krone, 8.161-162 [1974], bzw. Klaus Gono, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.63 [1974). 273 Klaus Gono, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.67 [1974). 274 Vgl. kritisch hierzu Peter Siebenmorgen, 8.143-144 [1990). 275 Vgl. Heinrich Krone, S.l67 [1974], Klaus Gono, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.73 [1974], u. zu den diplomatischen Vorstößen der Botschafter in Washington und Moskau, Grewe und Kroll, vgl. Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, 8.660-662 [1974], u. Peter Siebenmorgen, 8.295-300 [1990). 276 Dieses Angebot lehnte sich inhaltlich am "Giobke-Plan" an, vgl. hierzu Klaus Gono, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, 8.70-74 [1974], Dieter Blumenwitz, Überwindung, 8.59-60 [1990], u. PeterSiebenmorgen, 8.333-347 (343) [1990]. 277 Bis zum Ende seiner Kanzlerschaft setzte Adenauer seine Sondierungen fort, vgl. seine Regierungserklänmg vom 6.2.1963, BT Sten.Ber., 8.2576. 278 Adenauer erklärte am 9.10.1962 vor dem Bundestag, daß die Regierung bereit sei, "über vieles mit sich reden zu lassen", wenn nur die Bevölkerung in der DDR ihr Leben nach ihrem Willen gestalten könne. Vgl. BT Sten.Ber., 8.1632-1639 (1639). Vgl. hierzuRudolfMorsey, Die Deutschlandpolitik Adenauers, 8.42-43 [1991). 279 Vermutlich war der damalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Kar/ Carstens, der Autor des "Stillhalteabkommens", vgl. Klaus Gono, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.75 [1974]. 280 Heinrich Krone, S.l76 [1974], bzw. Klaus Gono, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, S.74 [1974). Vgl. auch Peter Siebenmorgen, 8.346-347 [1990).
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Frage sprechen zu können. Aber auch diese Initiative der Bundesregierung verlief vor dem Hintergrund deutsch-amerikanischer Auseinandersetzungen um das Atomteststoppabkomrnen281 in der ersten Jahreshälfte 1963 im Sande. Für Bonn lag die wiedervereinigungspolitische Problematik dieses Abkommens in dem von Washington gewünschten Beitritt der DDR Erst nachdem die amerikaDisehe Seite der Bundesregierung versichert hatte, daß dies keine Anerkennung der DDR durch die Vereinigten Staaten bedeutete, trat auch die Bundesrepublik bei282 . Dennoch kam dieser Vertrag, den nun sowohl die westlichen Schutzmächte- aber nicht Frankreich- als auch die DDR unterschrieben hatten, einer faktischen Aufwertung des SED-Regimes ohne entsprechende Gegenleistungen gleich. Der Vertrag zeigte deutlich, daß die Sicherheits- und Abrüstungsproblematik "ohne jede Verbindung mit der Deutschland-Frage ins Zentrum der internationalen Politik gerückt"283 war. Der Einfluß der Bundesrepublik in der westlichen Entspannungspolitik war gering, die Wahrscheinlichkeit der Isolierung im Falle der Unterschriftsverweigerung dagegen groß geworden284 . 9. Deutschlandpolitik während der Kanzlerschaft Erhards
Mit der Kanzlerschaft Ludwig Erhards, die am 15. Oktober 1963 begann, verschlechterte sich das Verhältnis zu Frankreich285 , ohne daß gleichzeitig die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten verbessert werden konnten286 . 281 Abgedruckt in: Friedrich Berber, Völkerrechtliche Verträge, 8.311-313 (1983). Vgl. hierzu Hans-Peter Schwarz, Epochenwechsel, 8.302-304 [1983), Ernst No/te, Deutschland und der Kalte Krieg, 8.473-493 [1974], u. Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, 8.664 (1974). 282 Vgl. hierzu Klaus Gotto, Adenauers Deutschland- und Ostpolitik, 8.79-81
(1974], bzw. Heinrich Krone, 8.179 (1974]. ht ihrer Erklärung anläßtich der Unterzeichnung dieses Abkommensam 19.8.1963
verdeutlichte die Bundesregierung nochmals ihren Alleinvertretungsanspruch und den Willen zur Wiedervereinigung, vgl. in: Friedrich Berber, Völkerrechtliche Verträge,
8.313 [1983). 283 Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, 8.81 [1987). 284 Vgl. Wilhelm G. Grewe, Die deutsche Frage in der Ost-West-Spannung, 8.39-40 [1986), u. He/ga Haftendom, Abrüstungs- und Entspannungspolitik, 8.127-137 [1974). 285 ,)e suis reste vierge" soll de Gaulle in Bezug auf die ausbleibende Erfilllung des deutsch-französischen Vertrages nach seinem Besuch in der Bundesrepublik im Juli 1964 gesagt haben, so Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, 8.105 (1984). Vgl. hierzu Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, 8 .216-220 [1991). 286 ht der EWG-Krise 1965 um die politische Zukunft Europas und der Mitgliedschaft Großbritanniens, in der NATO-Krise 1966, die mit dem Auszug Frank-
9. Deutschlandpolitik während der Kanzlerschaft Erbanis
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Beides belastete die Bemühungen Erhards, die deutsche Frage wieder zum Thema der vier ehemaligen alliierten Mächte zu machen287 . Die Anregung von 1964/65 an die Westmächte, mit den So\\jets ein ständiges Viermächtegremium für die Erörterung der deutschen Frage zu bilden, scheiterte an den unterschiedlichen westlichen Vorstellungen zum Deutschlandproblem288 . Die amerikanischen Pläne für eine multilaterale Atomstreitmacht (MLF), die den europäischen NATO-Staaten trotz Fehlens eigener Nuklearwaffen ein Mitspracherecht über ihren Einsatz einräumen sollte, schienen für die Deutschlandpolitik neue Spielräume zu schaffen. Das Interesse Erhards an diesem Projekt war neben der stärkeren Bindung Amerikas an Europa zuerst ein wiedervereinigungspolitisches Motiv: Er hoffie, "die MLF gegen so\\jetische Konzessionen in der deutschen Frage eintauschen zu können"289 . Der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson aber stoppte schließlich die Überlegungen zu einer multilateralen Streitmacht, weil er weder die Entspannung mit der Sowjetunion noch das Abkommen über den Atomsperrvertrag gefährden wollte290 . Was in Bonn als Mißachtung zentraler deutscher Interessen betrachtet wurde, bedeutete in Washington eine "notwendige Revision festgefahrener und veralteter Positionen des Kalten Krieges"291 mit dem Ziel, den Alten Kontinent auf der Grundlage der Koexistenz mit der Sowjetunion als stillem geostrategischem Partner zu befrieden. Im Einverständnis mit den Amerikanern dagegen wählte Erhard mit seinem Außenminister Sehröder nun den bis dahin nicht betretenen deutschlandpolitischen Weg292 , über eine Kontaktaufnahme mit den Ostblockstaaten deren reichs aus der Kommandostruktur des Bündnisses endete, sowie in der französischen Annäherung an Moskau vertrat Bonn grundlegend andere Positionen als Paris. Zur gleichen Zeit trübte die Frage der Devisenausgleichskäufe in den Vereinigten Staaten für die Kosten der amerikanischen Truppenstationierung in der Bwtdesrepublik das Verhältnis zwischen Bonn wtd Washington. Vgl. hienu ausf. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.l79-18S [1984]. 287 Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.89 [1984]. 288 Vgl. Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.669 [1974]. 289 Wolfram F. Hanrieder, Westdeutsche Außenpolitik, S.49 [1981], vgl. S.SO, u. vgl. RudolfMorsey, Die Bwtdesrepub1ik, S. 79-80 [ 1990). 290 Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.liO [1984). Zum Ausgleich wurde die Bwtdesrepublik im Dezember 1966 ständiges Mitglied in der Nuklearen Planwtgsgruppe der NATO wtd Anfang 1967 in anderen neugeschaffenen Führungsorganen, vgl. RudolfMorsey, Die Bwtdesrepublik, S.79-80 [1990]. 29l Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.20S, m.w.N. [1991]. 292 Insofern erscheint es kritisch, die Kanzlerschaft Erhards als Teil der AdenauerÄra anzusehen, wie es trotz Einschränkwtgen auch lrmgard Wilharm, Bd.l, S.23 [1990), wtternimrnt. hn übrigen ist es gerade im Hinblick auf die die Parteienordnwtg durcheinander wirbelnde Außenpolitik problematisch, abgesehen von der Regie-
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nationale und wirtschaftlichen Interessen zu nutzen, um den Satellitengürtel Moskaus zu lockern und längerfristig die DDR zu isolieren, so daß die Wiedervereinigung Deutschlands von der Sowjetunion nicht länger aufgehalten werden könne293 . Die Handelsverträge, die 1963/64 mit Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien abgeschlossen wurden294 , bedeuteten zwar eine Aufweichung der ,,Hallstein-Doktrin", gaben aber keine Rechtsstandpunkte zur deutschen Frage preis. Die Sowjetunion war aber nicht willens, von ihrem monolithischen Blocksystem irgendwelche Abstriche zu machen29S . Dies machte die Anwendung der "Breschnew-Doktrin'' bei der Niederschlagung des "Prager Frühlings" am 21. August 1968 überdeutlich. Daran vermochte auch der Versuch Erhards nichts zu ändern, mit der sogenannten Friedensnote296 vom 25. März 1966 dem vermuteten Sicherheitsverlangen der Ostblockstaaten entgegenzukommen297 . Mit dieser Note, an der auch die Opposition mitgewirkt hatte, bot die Bundesregierung den ostmittelund osteuropäischen Staaten - mit Ausnahme der DDR, aber mit Einschluß der Sowjetunion - einen gegenseitigen Gewaltverzicht zur Regelung internationaler Streitfragen sowie eine Vereinbarung über die Nichtverbreitung von Atomwaffen an. Erstmals machte eine unionsgefiihrte Bundesregierung damit einen Entspannungsvorschlag, der einerseits dem angloamerikanischen Drängen entsprach298 , in dem zum anderen auf das bis dahin obligate Junktim verzichtet wurde, eine Entspannung habe immer nur mit Fortschritten zur Wiedervereinigung einherzugehen299 . Allerdings bot Erhard mit seiner rungsbeteiligung der FDP von einem 'CDU-8taat' in den Jahren 1963-1966 zu sprechen, vgl. ebd. u. Gert-Joachim Glaeßner, Die Ost- und Deutschlandpolitik, 8.239 [1984} ArnulfBaring, Machtwechsel, 8.197 [1982]. 29 Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, 8 .90-91 [1984], Peter-Claus Burens, Grundzüge, 8 .109-110 [1976], RudolfMorsey, Die Bwtdesrepub1ik, 8.76-77 [1990], u. Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, 8.665-666 u. 667-668 [1974]. Vgl. hierzu insgesamt Ernst Kuper, Frieden durch Konfrontation und Kooperation [1974]. 294 Die Ostblockstaaten waren an einer Intensivierung der Handelsbeziehungen zur wirtschaftlich starken Bundesrepublik interessiert, zumal die DDR aufgrund der EWGVerträge durch den innerdeutschen Handel zahlreiche Vorteile in Anspruch nahm, vgl. Peter-Claus Burens, Grundzüge, 8.110 [1976]. 29S Begründet wurde der Einmarsch mit der 'konterrevolutionären Verschwörung' , mit der die Bundesrepublik versucht habe, die Tschechoslowakei in das ,,Lager des hnperialismus" hinüberzuziehen, vgl. Hans Georg Lehmann, Offuung nach Osten, 8.156, m.w.N. [1984]. 296 Abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.2, 8 .120-123 [1968]. 297 Vgl. hierzu Dieter Blumenwitz, Überwindung, 8.60-61 [1990]. 298 Vgl. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, 8 .89-90 [1987]. 299 Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, 8.189 [1984], u. Rudolf Morsey, Die Bundesrepublik, 8.82 [1990]. Anders Dieter Blumenwitz, Überwin-
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"Politik der Bewegung" aus der Sicht des Ostens zu wenig. Zwar war die Sowjetunion an einer Nichtangriffserklärung interessiert [s.u.), das Festhalten an den bekannten Rechtspositionen (Alleinvertretungsanspruch, Grenzen von 1937, Vier-Mächte-Rechte) aber widersprach den sowjetischen Forderungen nach wie vor. Außenminister Schröder, der mit seiner Politik der Umwege über die Paktstaaten unter Ausklammerung der DDR und der Sowjetunion zur Einheit Deutschlands gelangen wollte, mußte sich durch die Direktverhandlungen zwischen dem Berliner Regierenden Bürgermeister Brandt, - im übrigen unterstützt vom Gesamtdeutschen Minister Erich Mende300 -und Ost-Berlin gestört fiihlen301 . Diese Verhandlungen, die am 17. Dezember 1963 zum ersten Passierscheinabkommen fiihrten302 , bargen die Gefahr in sich, daß der westdeutsche Alleinvertretungsanspruch durchbrachen, die Vier-Mächte-Verantwortlichkeiten ausgeschaltet sowie die vom Osten propagierte Drei-StaatenTheorie anerkannt und damit letztlich unwiderrufliche Rechte mit jederzeit zurücknehmbaren Teleranzen auf dem Gebiet 'menschlicher Erleichterungen' eingetauscht würden. Ein drittes Modell zur Lösung der deutsche Frage wurde vom Vorsitzenden der CSU, Franz Josef Strauß, vertreten. Die Wiedervereinigung Deutschlands würde zugleich mit der Einigung ganz Europas erreichbar sein. Ein vereinigtes Europa könnte als dritte, atomare Macht an der Seite der Vereinigten Staaten der ihres Satellitenstreifens entledigten Sowjetunion Paroli bieten303 . Freilich wäre der Hauptpartner dieser Europa-Idee Frankreich, dessen Staatspräsident noch in den sechziger Jahren ein entschiedener Gegner eines engeren europäischen Zusammenschlusses war3°4 . 10. Große Koalition- Ende der drohenden Isolierung
Richtungweisend fiir die Jahre der Großen Koalition unter Georg Kiesinger ab Dezember 1966 wurde die Deutschlandpolitik Brandts und Wehners, die, zunächst in Berlin angewandt, ab 1969 zum Durchbruch gekommen ist. Sie dWlg, S.60 [1990], der eben dieses Junktim in der Friedensnote filr aufrechterhalten sieht. 300 Vgl. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.47 [1977]. 301 Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.91-92 [1984]. 302 Vgl. hierzu Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.92-94 [1984]. 303 Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.96-97 u. 104 [1984]. 304 Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.99 [1984].
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war sicherlich auch das Ergebnis eines Abnutzungsprozesses, "dem eine juristisch und moralisch begrundete Nichtanerkennungspolitik zwangsläufig unterliegt", herrscht doch in der Staatenwelt allgemein die Tendenz vor, "die faktische Lage auch formell anzuerkennen"30S . In einer Phase, in der die veröffentlichte Meinung seit längerem schon auf 'Bewegung', 'Veränderung' und 'Fortschritt' in der deutschen Frage drängte306 , in der "[b]esonders auf amerikanischer Seite[... ] sich die Ungeduld derer Luft [machte], die die deutsche Unbeweglichkeit beklagten"3°7 , und in der 'progressive Blockadebrecher'3°8 wie die Evangelische Kirche309 und katholische Bischöfe3 10 um Verständnis fiir die inzwischen geschaffenen Tatbestände in den deutschen Ostgebieten und um Aussöhnung mit Polen warben, sprach sich die SPD - zunächst verdeckt und nur von einzelnen311 , dann immer offener und spätestens nach dem Dortmunder Parteitag312 im Juni 1966 von der Mehrheit- ftir eine Politik der direkten Kontakte mit Ost-Berlin und Moskau aus. Mit kleinen Schritten sollten im Rahmen der amerikanischen "Strategie des Friedens" die Ost-WestBeziehungen qualitativ verändert werden313 . Als Grundlage dieser Politik gilt314 ein Vortrag31S des damaligen Leiters des Presse- und Informationsamtes Berlins, Egon Bahr, vor der Evangelischen Akademie Tutzing vom 15. Juli 1963. Der enge Berater Brandts machte die "Politik des Drucks" verantwortlich fiir den erstarrten Status quo und folgerte 30S Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.20, passim [1977). 306 V.a. waren es ,,Die Zeit", der "Stern", ,,Der Spiegel", die Frankfurter Rund-
schau, der Kölner Stadtanzeiger und die Süddeutsche Zeitung, die 'progressive' Töne anschlugen und filr 'Konzessionen' an die DDR eintraten, vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.325 [1984). 307 So Willy Brandt, Erinnerungen, S.167 [1992). 30S Vgl. Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.96 (1984]. 309 Vgl. hierzu Reinhard Henkys (Hrsg.), Deutschland und die östlichen Nachbarn [1966). 3 1° Vgl. hierzu Edith Heller, Macht Kirche Politik [1992], u. Otto B. Roegele, Versöhnung oder Haß? [1966). 311 Vgl. Peter Bender, Neue Ostpolitik, S.129 [1989]. 312 Hier äußerte sich die SPD nun eindeutig im Sinne Helmut Schmidts filr das Fallenlassen der HaBstein-Doktrin und für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und bemühte sich somit, die Ostpolitik von der Deutschlandpolitik abzukoppeln, vgl. Hans Georg Lehmann, Öflhung nach Osten, S.127-128, u. 197 [1984]. Vgl. auch Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.672, m.w.N. [1974]. 313 Zur Genese der ,,neuen Ostpolitik" aus der Zwangslage in Berlin vgl. Peter Bender, Neue Ostpolitik, S.l23-129 [1989]. 314 Vgl. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.82 (1987). 31S Abgedruckt in: AdG 1963, S.l0700-10701, u. in: DA 8/1973, S.862-865, die wichtigsten Teile in: Heinrich von Sieg/er, Bd.1, S.335-337 [1967], bzw. in: Irmgard Wilharm, Bd.2, S.54-57 (1990).
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aus "der Illusion, zu glauben, daß wirtschaftliche Schwierigkeiten zu einem Zusammenbruch des Regimes führen könnten", die Notwendigkeit, alle Formen der Zusammenarbeit mit Ost-Berlin unterhalb der staatlichen Anerkennung auszuschöpfen. ,,Eine materielle Verbesserung müßte eine entspannende Wirkung in der Zone haben", die dem Regime die "Angst" und die "durchaus berechtigten Sorgen" vor dem Zusammenbruch soweit nehme, "daß auch die Auflockerung der Grenzen und der Mauer praktikabel wird, weil das Risiko erträglich ist"316. Dieser von Bahr so genannte "Wandel durch Annäherung" blieb jedoch bereits auf dem Experimentierfeld Berlin stecken: Die Passierscheinverhandlungen für Weihnachten 1966 scheiterten, weil die DDRjenes "agree to disagree"317 kündigte, mit dem die rechtliche Problematik dieser Verhandlungen ausgeklammert bleiben sollte. Die DDR wollte für jederzeit revozierbare menschliche Erleichterungen unwiderrufliche Zugeständnisse in Richtung Anerkennung3 18 , die ihr die Bundesregierung versagte. Auch ein von der SED im März 1966 vorgeschlagener Redneraustausch mit der SPD wurde abgesagt; Ulbricht schien eine destabilisierende Wirkung im Ionern zu befürchten. In den Unionsparteien dominierte noch die Überzeugung, daß es ein dauerhaftes, friedliches Zusammenleben mit der DDR aufgrund prinzipieller ideologischer Verschiedenheit nicht geben könne3 19 , so daß die Bundesrepublik das in dieser Situation unüberbrückbare Dilemma, vom Westen und vom Osten zur Entspannung gedrängt zu werden, für eine gewisse Zeit aushalten müsse, um den Anspruch auf Wiedervereinigung aufrecht zu erhalten320 . Doch die "Aufnahme von Kontakten zwischen Behörden der Bundesrepublik und solchen im anderen Teil Deutschlands", wenn es der Förderung der "menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen" der Menschen diene3 21 , 316 In: AdG 1963, S.l0700-10701 , passim. 317 Um Verhandlungen zwischen Parteien zu ermöglichen, die diametral entgegengesetzte Auffassungen von ihrem Rechtscharakter und dem ihres Gegenüber hatten, einigten sich Senat und DDR-Regierung auf die "salvatorische Klausel", daß keine Einigung über gemeinsame Orts-, Behörden- und Amtsbezeichnungen erzielt werden kotmte, vgl. Peter Bender, Neue Ostpolitik, S.127-128 [1989]. 318 Vgl Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, S.l96 [1984]. 319 Vgl. ähnl. Ulrich Scheuner, Entwicklungslinien der deutschen Frage, S.462 [1969). 320 So die Ausfilhrungen des damaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Kar/ Carstens, vom 14.10.1966, vgl. hierzu Heinrich Krone, S.190 [1974]. Ähnl. immer wieder Wilhelm G. Grewe, vgl. Waldemar Besson, Die Außenpolitik der Bundesrepublik, S.219 (1970]. 321 So Kiesinger in seiner Regierungserklärung vom 13.12.1966, BT Sten.Ber., S.3656-3665 (3664). 8 Roos
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befürwortete bereits Bundeskanzler Kiesinger, worin sich seine Politik von derjenigen Erhards und Schröders unterschied. Diese 'neue Ostpolitik' -im Grunde die Kombination der 'alten' Ostpolitik Schröders und der 'neuen' Deutschlandpolitik Brandts - fügte sich in den Strom des westlichen Entspannungswettlaufes ein322 und wurde somit zur Grundlage eines verbesserten Verhältnisses zu den Westmächten, weil mit ihr das Junktim zwischen Fortschritten in der Entspannungs- und in der Deutschlandpolitik praktisch preisgegeben wurde3 23 . Die Gefahr einer Isolierung im westlichen Bündnis war für Bonn gegen Ende der sechziger Jahre behoben324 . Mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Rumänien am 31. Januar 1967325 und Jugoslawien326 am 31. Januar 1968 ließ die Große Koalition zwar die vom Osten immer aufs schärfste bekämpfte "Hallstein-Doktrin" partiell fallen, veränderte aber keineswegs die Struktur des Ostblocks, sondern erweckte eher das von Adenauer seinerzeit befürchtete Mißtrauen der Sowjetunion327 . Auf der Tagung der Blockstaaten in Warschau im Februar 1967 wurden Rumänien kritisiert, die Paktstaaten vor ähnlichen Schritten gewarnt und Polen und die Tschechoslowakei zu zwanzigjährigen "Freundschaftsverträgen" mit der DDR genötigt328 . In Karlsbad im April verurteilten die kommunistischen Parteien West- und Osteuropas die 'revanchistische' und 'militaristische' Politik Bonns329 . Die "Ulbricht-Doktrin" gestattete den Warschauer-Pakt-Staaten erst dann eine Normalisierung zur Bundesrepublik, wenn diese die DDR anerkannt und auf den Besitz atomarer Waffen verzichtet 322 So Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.671 u. 673-674 (1974]. 323 Vgl. Hans Georg Lehmann, Offinmg nach Osten, S.133-l37 u. 151-152 [1984], der die innere Widersprüchlichkeit eines 'dilatorischen Fonnelkompromisses' in der 'neuen Ostpolitik' in der Frage der Durchsetzung von Alleinvertretungsanspruch und ,,Hallstein-Doktrin" bei gleichzeitigem Streben nach besseren Beziehungen zur DDR und nach diplomatischen Beziehungen zu osteuropäischen Staaten feststellt. 324 AndersAmulfBaring, Machtwechsel, S.200 [1982). 325 Vgl. hierzu Heinrich von Sieg/er, Bd.2, S.230-232 [1968). 326 Die Beziehungen zu Belgrad waren 1956 abgebrochen worden, nachdem das entscheidungsfreie und darum nicht der "Geburtsfehlerdoktrin" unterliegene TitoRegime die DDR anerkannt und eine DDR-Botschaft zu errichten gestattet hatte. 327 Vg1. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.96 [1987). 328 ,,Freundschafts- und Beistandsverträge" am 15.3.1967 mit Polen, am 17.3. mit der Tschechos1owakei. Später folgten ähnl. Verträge mit Ungarn (am 18.5.) u. mit Bulgarien (am 7.9.). Vgl. hierzu insgesamt Hans-Heinrich Mahnke (Hrsg.), Beistands- und Kooperationsverträge der DDR [1982), u. Heinrich von Sieg/er, Bd.2, S.239-240 (1968). 329 Vgl. zur Erklärung der Kar1sbader Konferenz und zu einzelnen Reden Novotnys, Breschnews, Ulbrichts und Gomolkas Heinrich von Sieg/er, Bd.2, S.279-283 [1968).
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ha00330 . Von Bonn gewünschte diplomatische Beziehungen mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei wurden somit durch das sowjetische Anziehen der Zügel mit dieser umgekehrten "Hallstein-Doktrin" im Blocksystem vereitelt. Weil die DDR also die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Ostblock-Staaten mit der Bundesrepublik von ihrem eigenen Verhalten Bonn gegenüber abhängig machen konnte, entschied sie im Einvernehmen mit der Sowjetunion über Erfolg oder Mißerfolg der Ostpolitik der Großen Koalition331. Diese hatte wie ihre Vorgängerregierung die "polyzentristische[n) Phänomene in Osteuropa"332 überschätzt, den Faktor Sowjetunion dagegen unterbewertet und somit den gegenteiligen Effekt dessen erzielt, was die Regierung Erhard wollte, nämlich die Isolierung der DDR im Ostsystem. Den wiederholten Bemühungen Kiesingers333 um Abbau der Behinderungen im Reise- und Zahlungsverkehr und um Zusammenarbeit in wirtschaftlichen, Transport- und Kulturfragen mit der DDR war in dieser Phase der sowjetischen Hegemonie-Konsolidierung kein Erfolg beschert. Ministerpräsident Stoph reagierte am 10. Mai 1967 mit der stereotypen Forderung nach Gewaltverzicht, Grenzanerkennung und Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen zwei deutschen Staaten334 . Der "dialogue des sourds"335 zwischen Bundesregierung und SED-Regime - Kiesinger war der erste Bundeskanzler, der eine Note aus Ost-Berlin beantwortete336 -endete damit, daß die DDR am 11./12. Juni 1968 die allgemeine Paß- und Visumpflicht einführte, nachdem sie schon Anfang 1967 von allen Konfooerationsplänen Abschied genom-
330 Vgl. RudolfMorsey, Die BlUldesrepublik, S. 94 [1990], Wolfram F Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.222-223 (1991 ], u. Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.l41 (1984]. 331 Vgl. Peter-Claus Burens, Gflllldzüge, 8.112 [1976], ähnl. Waldemar Besson, Die Außenpolitik der Blllldesrepublik, 8.411 [1970]. Anders Amulf Baring, Machtwechsel, 8.200, passim [1982], der die Große Koalition aufgflllld auch des Starrsinns der CDU/CSU f\lr "unllihig" beurteilt, "die Lähmllllg, die Stagnation \Ulserer Ostpolitik zu überwinden", was "längerfristig die äußere Stabilität der Blllldesrepublik gefiihrdete" lllld "das Bündnis von SPD lllld FDP dringend nahe" gelegt habe. 332 Peter-Claus Burens, Grundzüge, 8.116 (1976]. 333 Vgl. seine Regiefllllgserklärung vom 12.4.1967, in: BT 8ten.Ber., 8.4686-4687, in der er einen Maßnahmenkatalog ,,zur Erleichtenmg der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland" vorschlug. 334 Vgl. hierzu Heinrich von Sieg/er, Bd.2, 8.287 [1968]. 335 So Richard Ltiwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, 8.675 [1974]. Vgl. ähnl. Rudolf Morsey, Die Blllldesrepublik, 8.95 [1990], u. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, 8.98 [1987]. 336 Vgl. sein Antwortschreiben vom 13.6.1967 in: Heinrich von Sieg/er, Bd.2, 8.299 [1968].
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men337 und am 20. Februarper Gesetz eine eigene 'DDR-Staatsbürgerschaft' ausgerufen hatte338 . Eine Wiedervereinigung unter sozialistischem Vorzeichen schloß das SED-Regime damit nicht aus, Ulbricht hatte am 17. April 1967 auf das Fernziel eines "einheitlichen friedlichen und fortschrittlichen, [...]demokratischen und antiimperialistischen deutschen Staat[es]"339 bestanden. Auch die am 6. April 1968 erlassene neue Verfassung, die die DDR als "sozialistischen Staat deutscher Nation" auswies, verkündete, daß die DDR die "Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus"340 erstreooJ4l . Zwei außenpolitische Probleme trugen zum Bruch der Großen Koalition bei. Der Atomsperrvertrag, der das deutsch-amerikanische Verhältnis erneut anspannte, und der sowjetische Wunsch nach einem Gewaltverzichtsabkommen mit der Bundesrepublik waren eng mit der ihrer Erfolglosigkeit wegen in der Koalition umstrittenen Ostpolitik verknüpft. Während die SPD den sofortigen Beitritt zum Atomsperrvertrag verlangte, schon um eine "schrecklichen Isolierung"342 im Bündnis zu vermeiden, sah Kiesinger darin neben der mangelnden militärischen Gleichberechtigung im Bündnis343 eine atomare "Komplizenschaft" der Supermächte, in deren Folge die Bundesrepublik möglicherweise eines zugkräftigen deutschlandpolitischen Tauschobjektes beraubt würde3 44 . Wahrscheinlich auch, um die anflingliche Isolation, die nach dem bewaffneten Einmarsch in die Tschechoslowakei eingetreten war, aufzubrechen3 4S, si337 Das letzte Konföderationsangebot in Fonn eines ,,Zehn-Punkte-Progranuns" stellte V/bricht am 31.12.1966, vgl. Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.64 [1990), u. Heinrich von Sieg/er, Bd.2, 8.212-213 [1968). 338 Abgedruckt in: Heinrich von Sieg/er, Bd.2, 8.243-245 [1968). 339 So Ulbricht vor dem VII. Parteitag der SED, zit. nach Heinrich von Sieg/er, Bd.2, S.274 [ 1968), vgl. auch Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S. 97 [1987). Vgl. hierzu auch Dieter Blumenwitz, Überwindung, 8.65-66 [1990). 340 So Art.8, Abs.2, Satz 2, zit. nach Dieter Blumenwitz, Überwindung, 8.66 (1990). 341 Zu den Befürchtungen in der bundesdeutschen Politik und Wissenschaft, die DDR könne eine ,,Konversionspotenz" in der Frage der Wiedervereinigung aktivieren, vgl. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, 8.78-81 (1977]. 342 So Helmut Schmidt bereits am 30.11.1965, in: BT Sten.Ber., 8.210-221 (219). 343 So auch Franz JosefStrauß, vgl. BT Sten.Ber. v. 20.11.1965, 8.195-210 (208). 344Vgl. Barzel, in: BT Sten.Ber. vom 26.9.1968, 8.10087, u. weiter Helga Haftendom, Abrüstungs- und Entspannungspolitik 8.138-191 [1974]. 34S Zu den Motiven des sowjetischen Stimmungswandels vgl. Hans Georg Lehmann, Öffuung nach Osten, 8.78-80 u. 161 (1984), der die Vermeidung eines Zweifronten-Drucks im Zusanunenhang mit der sowjetisch-chinesischen Auseinander-
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gnalisierte die Sowjetführung unter Leonid Breschnew im Budapester Appeii346 vom 17. März 1969 Verhandlungsbereitschaft und emeute347 ihr Interesse an einer europäischen Sicherheitskonferenz348 , ohne die Anerkennung der DDR zur Voraussetzung fiir diese Gespräche349 , freilich aber zu ihrem Ziei350 zu machen. Das der DDR in Warschau und Karlsbad faktisch eingeräumte Vetorecht ("Ulbricht-Doktrin") in der Deutschlandpolitik der Paktstaaten überging die Sowjetunion damit nur zwei Jahre später. Dies zeigt, daß der Stellenwert der Deutschlandpolitik fiir Moskau gegenüber den globalen und sicherheitspolitischen Interessen zurückgegangen war35 1 , was den Konflikt mit Ulbricht durchaus implizierteJ52 . Offenbar unbeeindruckt von der Tatsache, daß die Sowjetunion mit der Durchsetzung der "Breschnew-Doktrin"353 das Kräfteverhältnis in Europa setzung am Ussuri wtd der amerikanisch-chinesischen Wiederannäherung wtter der Nixon-Administration, den Wwtsch nach besseren Wirtschaftsbeziehwtgen mit dem Westen wtd das Verlangen nach juristischer Respektierung des Status quo in Europa als Einflußfaktoren der "Wende in der Westeuropapolitik" der So\\jetwtion nennt. 346 Abgedruckt in: EA 24/1969, S.Dl5l-Dl53. 347 Nach der Bukarester Deklaration vom 6. Juli 1966, vgl. hierzu Manfred Görtemaker, Die unheilige Allianz, S.52-53 [1979]. 348 Vgl. hierzuRUdiger Lentz, KSZE, S.l46-l47 [1976). 349 Vgl. Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetwtion, S.54 [1987), Manfred Görtemaker, Die unheilige Allianz, S.55 [1979), Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.78, 81 u. 161 [1984), u. Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.679 [1974]. 350 ,,Eine der Hauptvoraussetzungen für die GewährleistWlg der europäischen Sicherheit ist die Unantastbarkeit der in Europa bestehenden Grenzen, darwtter der Oder-Neiße-Grenze sowie der Grenze zwischen der DDR wtd der westdeutschen Bwtdesrepublik, der Verzicht der westdeutschen Bwtdesrepublik auf ihren Anspruch, das ganze deutsche Volk zu vertreten, wtd ihr Verzicht auf Verftlgwtgsgewalt über Kernwaffen in jeder Form. Westberlin hat einen besonderen Status wtd gehört nicht zu Westdeutschland", in: EA 2411969, S.Dl53. 351 Vgl. Wolfgang Pfeiler, Deutschlandpolitische Optionen der So\\jetwtion, S.5253 [1987), der festhält, daß die So\\jetwtion damit nicht zu einer "Status-quo-Macht par excellence geworden wäre", sondern nur dort für den territorialen Ist-Zustand eingetreten sei, "wo Veränderungen wahrscheinlich zu ihren Lasten gegangen wären". 352 Vgl. Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.l03-l04 [1987]. 353 Weil nach marxistisch-leninistischer Ideologie der Weg des Sozialismus' Wlumkehrbar ist, ist es die ,,gemeinsame internationale Pflicht aller sozialistischen Staaten zur Festigung wtd Verteidigwtg des Sozialismus wtd zum wtversöhnlichen Kampf gegen konterrevolutionäre Kräfte", einem Land, in dem die ,,Festigung der ftl.hrenden Rolle der Arbeiterklasse wtd der KP" bedroht ist, beizustehen. Vgl. den Vertrag vom 27.8.1968, den eine tschechische Delegation unter Führwtg von Staatspräsident Svoboda auf Drängen der so\\jetischen Führwtg in Moskau wtterzeichnete, abgedruckt in: ,,Der Spiegel" v. 7.4.1969, S.l32-l34. V_gl. auch die Äußerungen Gromykos gegenüber
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weiter zu ihren Gunsten verschoben und die Rote Armee nun an der Grenze zu Bayern stationiert hatte3 54 , sah Außenminister Brandt in dem sowjetischen Konferenzvorschlag seine Vorstellungen von einer europäischen Friedensordnung355 aufgegriffen: Die Möglichkeit, mit der 'Anerkennung der Realitäten' zu einem rechtlich abgesicherten modus vivendi in Europa zu gelangen und "spezifisch bundesrepublikanische Belange, nämlich die Ausdehnung des außenpolitischen Bewegungsspielraums"356 , zu vertreten. Im großen Maßstab gelang es der Sowjetunion auf der Grundlage dieser im Westen allgemein vorhandenen Bereitschaft357 zur 'Anerkennung der Realitäten', ihre bis dahin militärisch aufrechterhaltene und erweiterte Machtposition schließlich in der Schlußakte der Konferenz fiir Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von Helsinki 1975 zu legitimieren358. Bundeskanzler Kiesinger war wie Strauß und der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel skeptisch; sie warnten vor einer Stabilisierung der sowjetischen Hegemonie durch eine internationale Konferenz, die vor geduldiger diplomatischer Arbeit, abgeschlossenen Gewaltverzichtserklärungen und innerdeutschen Gesprächen keine Friedensordnung, sondern nur "erzwungene Ruhe"359 bringen könne. In dieser längst vom vorzeitigen Wahlkampf ge-
Helmut Schmidt genau ein Jahr nach der Niederschlagung des ,,Prager Frühlings" in Moskau, wonach sich ,,niemand in diese Frage einmischen" dürfe, weil sie ,,nur die sozialistischen Länder angehe", die "ihre Angelegenheiten und ihre Beziehungen untereinander selbst regeln". Aus den von Schmidt redigierten Aufzeichnungen, zit. in: Hans Georg Lehmann, Offuung nach Osten, 8.98 [I 984). Vgl. hierzu auch Benno Zündoif, S. I 9, Arun.l3 [I 979], u. AmulfBaring, Machtwechsel, 8.232 [I 982). 354 Die Zahl der so\\jetischen Divisionen in Ostmitteleuropa erhöhte sich durch den Eirunarsch in die CSSR von 22 auf 27, zugleich erhöhte sich der Mannschaftsbestand der Divisionen um 15 Prozent. Dagegen verringerte sich die Verteidigungssubstanz der NATO im Abschnitt Europa-Mitte um zwei bis drei Divisionen und um mehrere hundert Kampffiugzeuge, vgl. Klaus-Dieter Schwarz, So\\jetische Militärstrategie, 8.233, m.w.N. [1976). 355 Vgl. sein Interview im Deutschlandfunk vom 2.7.1967, abgedruckt in: He/ga Haftendom, Die Außenpolitik der Bundesrepublik, 8.326-328 [1982). 356 Wolfram Pyta, 8.1108 [1989). Vgl. Ernst Kuper, Der Wandel, 8.244-245 [1978).
35? Präsident Johnson hatte im Vorfeld der Prager Krise den So\\jets signalisiert, "Washington werde nichts unternehmen, um die Invasion zu stoppen", so Amulf Baring, Machtwechsel, 8.231-232 [1982). 358 Vgl. Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, 8 .172 [1991]. Zur Entstehungsgeschichte der KSZE vgl. nur Radiger Lentz, KSZE, 8.144-148 [I 976).
359 So Barzel am 24.4. u. 2.5.1969, zit. nach Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, 8 .81 [1984).
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prägten Situation360 nahm Brandts Staatssekretär Georg Ferdinand Duckwitz den Budapester Appell zum Anlaß, um die Wiederaufnahme der Gewaltverzichtsverhandlungen anzuregen36l. Am 10. Juli 1969 reagierte Gromyko in einer "aufsehenerregenden Rede"362 vor dem Obersten Sowjet öffentlich und stellte eine "Wende" in den sowjetisch-bundesdeutschen Beziehungen in Aussicht. Brandt insistierte daraufhin bei den Westmächten auf diplomatische Schritte zur Beendigung der noch immer schwelenden Krisensituation Berlins363 . Der von Brandt gewünschte rechtlich abgesicherte modus vivendi fiir West-Berlin bedeutete ungestörte Zugangswege, institutionelle Bindung an die Bundesrepublik und westliche Truppenpräsenz, also ein vom Osten anerkannter 'westlicher' Status quo, der nur durch Vier-Mächte-Vereinbarungen verbürgt werden konnteJ64 .
360 Vgl. hierzu die Auseinandersetzungen um Helmut Schmidts Moskau-Reise genau ein Jahr nach dem Einmarsch der Paktstaaten in die Tschechoslowakei und ftlnf Wochen vor den Bundeswahlen im September 1969, vgl. Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.87-92 u. 107-110 [1984). 361 Diese waren wegen sowjetischer Indiskretion und Kompromißlosigkeit, unterschiedlicher Intention und letztlich des Einmarsches in die Tschechoslowakei zwn Stillstand gekommen. Vgl. Hans Georg Lehmann, Öffhung nach Osten, S.IS0-151, m.w.N. [1984], u. He/ga Haftendom, Sicherheit und Entspannung, S.294ff[1983]. 362 Hans Georg Lehmann, Öffuung nach Osten, S.85 u. 162 [1984). 363 Vgl. AmulfBaring, Machtwechsel, S.241-242 [1982). 364 So Richard L6wenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.679 [1974).
IV. Sozialliberale Regierungen 1. Abschied vom staatlichen Einheitsgedanken
Architekt und Bauherr der "Neuen Ostpolitik", Bahr und Brandt, paßten die offizielle Haltung der Bundesrepublik der Nixon-Kissinger-Administration nicht zögerlich an 1 , sondern übernahmen im Gegensatz zu den unionsgeführten Bundesregierungen in Fragen der Entspannungspolitik eine Vorreiterrolle, die von den westlichen Verbündeten mit Skepsis betrachtet wurde. Denn einerseits schien die Bonner Ostpolitik den Status quo zu stabilisieren, andererseits jedoch schickte sie sich an, das Ost-West-Verhältnis grundlegend umzuwandeln und eine von den Verbündeten gefürchtete gesamtdeutsche Neutralität möglich werden zu lassen2 . Die neue Konzeption sah vor, daß nach Abschluß bilateraler Gewaltverzichtsabkommen mit den Staaten des Warschauer Pakts die Grundlage für eine kollektives Sicherheitssystem in Europa geschaffen würde, das wiederum eine europäische Friedensordnung in einem Prozeß der Abrüstung und Überwindung des Ost-West-Konflikts ermöglichen sollte, in der die Wiedervereinigung der Deutschen nach einem langfristigen Prozeß3 auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts erfolgen könne4 . Des Kanzlers Konzept unterschied sich von dem seines Staatssekretärs in der mittelfristig zu beantwortenden Frage des Sicherheitssystems: Während Brandt von einem Weiterbestehen der militärischen Bündnisse ausging und 1 Vgl.
Christian Hacke, Traditionen und Stationen, S.l 0, m.N . (1988].
2 Vgl. das Schreiben von Außenminister Kissinger an Präsident Nixon v. 16.2.1970,
tlwse. zit. in: Amulf Baring, Machtwechsel, S.262 [I 982]. Vgl. auch Winfried Becker, Die deutsche Frage und die Westmächte, S.664 [1988), Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.233-237 [1991]. 3 Vgl. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.76-77 [1977], der in dieser Entspannungskonzeption keine Wiedervereinigungsstrategie sieht, weil für die maßgeblichen Vertreter dieser Politik die politische Situation Europas keinen Anknüpfungspunkt hierfilr geboten habe. Weiter geht noch Ernst Kuper, Der Wandel, S.241 [1978], der die Entspannungskonzeption von I 969 fllr ,,keine allgemeine ostpolitische Konzeption" hält, sondern fllr ein strategisches Gefuge, das "spezifisch auf die Beseitigung von Defiziten in den Beziehungen zu den kommunistisch regierten Staaten Osteuropas gerichtet" sei. 4 Vgl. hierzu den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994, S.l24-125.
I. Abschied vom staatlichen Einheitsgedanken
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durch Abrüstungsmaßnahmen größtmögliche Entspannung zwischen den 'Blöcken' erreichen wollte, sprach sich Bahr, die militärisch-strategische Problematik ausklammernds, fUr die Auflösung von NATO und Warschauer Pakt und deren Ersetzung durch ein mitteleuropäisches und von den Atommächten garantiertes Sicherheitssystem mit der DDR, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn sowie der Bundesrepublik, Dänemark und den Benelux-Staaten aus6 . Für die Organisation eines zukünftigen Europas schied fUr Bahr somit die auch von Brandt angestrebte westeuropäische Supranationalität aus, weil sie die osteuropäischen Staaten ausschließen und die Wiedervereinigung Deutschlands als Nationalstaat verhindern würde. Der Kanzler hingegen sah in einer Union Westeuropas den Kern fiir ein die Staaten Mittel- und Osteuropas einschließendes Friedenssystem, in dem die deutsche Frage nicht "im traditionellen nationalstaatliehen Sinne"7 , sondern übernational gelöst werden könne8. Breiter Konsens in den Regierungsparteien9 bestand jedenfalls über die angestrebte Auftaktphase, der vertraglichen Absicherung eines "Nebeneinander", aus dem "zu einem Miteinander zu kommen" 10 sei. In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 bereits wurde der Wille Brandts sichtbar, sich von den fiir eine 'aktive Ostpolitik' unbequemen deutschlandpolitischen Fesseln zu befreien, mit denen sich die Vorgängerregierungen an den deutschlandpolitischen Grundkonsens der maßgeblichen Parteien seit 1949 5 Vgl. Hans Georg Lehmann, ÖffnWig nach Osten, 8.172-173 [1984]. 6 Vgl. Hans Georg Lehmann, ÖflhWlg nach Osten, 8.169-171 [1984], Werner Link,
Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, 8 .170-173 [1986), u. Andreas Hi/1gruber, Deutsche Geschichte, 8.111 [1987). 7 So Gert-Joachim G/aeßner, Die Ost- und Deutschlandpolitik, 8.244 [1984], den Brandt'schen ,,Abschied von der WiedervereinigWigsillusion" bemerkend. 8 Vgl. Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.l73-174 [1984], Werner Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.l73-175 [1986]. 9 Die FDP hatte bereits in ihrer Oppositionszeit einen personellen und damit verbundenen inhaltlichen Kurswechsel von ,,nationalliberal" zu "linksliberal" vollzogen und sich an die parteipolitische Spitze der 'AnerkennWigspolitik' gesetzt. Vgl. nur die deutschlandpolitischen Ausf\lhnmgen des Schatzmeisters der FDP, Hans Wolfgang Rubin, Die Stunde der Wahrheit, in: AdG 1967, S.13062-13063, sowie den Deutschlandplan von Wolfgang Schollwer, des Pressesprechers der FDP, vom Januar 1967, die wichtigsten Passagen abgedruckt in: lrmgard Wi/harm, Bd.2, S.205-211 [1990]. Vgl. hierzu auch Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.47-49 [1977], Arnulf Baring, Machtwechsel, 8 .211-213 u. 218-229 [1982], u., zu den Bedingungsfaktoren der ,,konzeptionellen Homogenität", Ernst Kuper, Der Wandel, 8.246-248 [1978]. 10 So Brandt in seiner RegierWigserklärung vom 28.10.1969, in: BT Sten.Ber., S.20-34 (21 ).
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B.IV. Sozialliberale Regienutgen
banden. Er suchte den bis dahin "untrennbaren Kontext" 11 aufzulösen, in dem Ost- und Deutschlandpolitik verbunden waren, und wollte den so verstandenen "Sonderkonflikt" 12 der Bundesrepublik mit der So\\jetunion beenden. Mit der offiziellen Anerkennung der DDR als "Staat" 13 kam er, ohne Gegenleistungen zu fordern, dem inzwischen jahrzehntelangen Drängen der Ostblockstaaten nach. Brandt, der in der DDR bereits 1966 einen Wandlungsprozeß in Richtung auf mehr "Sachlichkeit, Nüchternheit und Sinn für Realitäten" 14 zu erkennen geglaubt hatte, sprach sich jetzt für einen Gewaltverzichtsvertrag mit der DDR aus, der es jeder Partei verbiete, sich in die inneren oder äußeren Angelegenheiten der anderen einzumischen. Damit gestand er der "Realität" des 'zweiten Staates in Deutschland' 15 eine de-facto-Souveränität völkerrechtlicher Art zu, ohne die völkerrechtliche Anerkennung verbal auszusprechen16, denn für das Innenverhältnis sollte gelten, daß die beiden Staaten "füreinander nicht Ausland" 17 seien. Diese innerdeutsche Konstellation wurde von nun an als fortbestehende 'Einheit der Nation' klassifiziert, die, oberhalb sprachlicher, geschichtlicher und familiärer Bindungen, mit dem gemeinsamen Ziel der Friedenssicherung begründet wurde. Auf diese Weise wurde der zu bewahrende deutsche Status quo Ausgangspunkt der Brandt'schen Deutschlandpolitik, und nicht, wie für die Vorgängerregierungen, der gespaltene deutsche Staat, den es wiederherzustellen gelte 18 . Die Annahme, Friedensbewahrung sei das gemeinsame Ziel, das den staatlichpolitischen sowie ideologischen Antagonismus überwinden würde, barg in sich 11 He/ga Haftendom, Die Außenpolitik der BWldesrepublik, S.316 [1982). 12 So Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.683 [1974].
13 Zu den rechtlichen Problemen einer AnerkennWlg der DDR vgl. Otto Kimminich, Deutschland als RechtsbegritT [ 1970). 14 So Brandt auf dem DortmWlder Parteitag, in: Protokoll der VerhandlWlg des Parteitages der SPD, DortmWld 1966, S.75f, zit. nach Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.43 [1977). 15 Vgl. seine RegiefWlgserklärung in: BT Sten.Ber. v. 28.10.1969, 8.21. Nach Arnulf Baring, Machtwechsel, S.247 [1982], ist dieser "beherzte Schritt" der AnerkennWlg der DDR als zweiter Staat in Deutschland "weder im Kabinett noch mit den Westmächten besprochen worden, geschweige denn im ßWldestag. Er war auch nicht im Entwurf des AA vorgesehen". Bahr selbst sagt, diese FormuliCCWlg stamme nicht von ihm, sondern von Brandt. 16 hn Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen BWldestages ,,AufarbeitWlg von Geschichte Wld Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994, S.l25 heißt es, die RegiCCWlg Brandt habe mit seiner RegiefWlgserklärung "eine völkerrechtliche AnerkennWlg des zweiten deutschen Staates wunißverständlich" abgelehnt. 17 Vgl. seine RegiefWlgserklärung in: BT Sten.Ber. v. 28.10.1969, S.21. 18 Vgl. auch Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, S. l42-143 [1992], m.N., u. Ernst Kuper, Der Wandel, S.245-246 [1978).
1. Abschied vorn staatlichen Einheitsgedanken
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allerdings die Gefahr, die Wirklichkeit zu relativieren und die Mißachtung des fundamentalen Prinzips der Freiheit in der DDR zu übersehen 19 . Nachdem die Große Koalition das Mittel zur Durchsetzung des Alleinvertretungsanspruches, die "Hallstein-Doktrin", sukzessive preisgegeben hatte, ließ die Regierung Brandt/Scheel nun den noch ein Jahr zuvor erhobenen Anspruch, auch fiir jene Deutschen zu sprechen, denen bisher die politische Mitwirkung versagt geblieben sei20 , selbst fallen. Mit dieser Vorleistung verband die SPD/FDP-Regierung die Hoffnung, daß die DDR sich an der internationalen Entspannungspolitik und an einer europäischen Friedenskonferenz beteiligen würde21 . Auch die Umsetzung der in der Regierungserklärung angekündigten Bereitschaft, den Atomsperrvertrag zu unterzeichnen22 und damit sowjetischen Sicherheitsinteressen zu entsprechen, kam einer politischen Vorleistung gleich. Gegenüber der Sowjetunion konnte fortan nicht mehr wie zur 19 Vgl. ähnl. Hans Buchheim, Deutschlandpolitik, S.169-170 [1984]. 20 Vgl. die gerneinsame Entschließung des Bundestages vorn 25.9.1968 zur Ver-
urteilung des Einmarsches in die Tschechoslowakei, in: BT Sten.Ber. v. 26.9.1968, Anlage 2, S.10121-10122 (Ziffer 6, S.10122). Die FDP vermochte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr den Vertretungsauftrag der Bundesrepublik nachvollziehen, mit der Begründung, daß "diese Formulierung das Sicherheitsrisiko, dem wir unterliegen" eher erhöhe und den bundesdeutschen Handlungsspielraum eher verenge, vgl. Scheel in: BT Sten.Ber. v. 26.9.1968, S.10102. Ausschließlich in diesem Punkt unterschied sich der Entschließungsantrag der FDP von dem der Regierungsparteien, so daß über die Ziffer 6 der FDP-Fraktion und über die Ziffer 6 der Regierungsfraktionen getrennt abgestinunt werden mußte. Dabei veranschaulicht ein Versprecher des die Abstimmung leitenden Bundestagsvizepräsidenten Jaeger, wie ernst es damals auch der SPD um den Alleinvertretungsanspruch zu sein schien: "Wir kommen zu Ziffer 6. Da nicht festzustellen ist, welches der weitergehende Antrag ist, geht es der Reihenfolge nach. Der ältere Antrag ist der Antrag Umdruck 505 der Fraktion der CDU/CSU. Wer Ziffer 6 in dieser Fassung zuzustimmen wünscht(Widerspruch bei der SPD.) - Entschuldigen Sie vielmals, Herr Schmidt [Fraktionsvorsitzender der SPD, S.R. ], es war ein reines Versehen. Ich bitte um Entschuldigung. Schmidt (Hamburg) (SPD): Ist mir völlig klar, Herr Präsident, daß es ein Versehen war. Aber da es sich um einen wichtigen Punkt handelt, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Satz zu diesem Aufruf noch einmal sprächen. Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich erfülle Ihren Wunsch gern: Da der ältere Antrag der Antrag Umdruck 505 ist, werden wir zuerst über Ziffer 6 in der Fassung des Umdrucks 505, d.h. des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, abstimmen". 2 1 Vgl. Peter-Claus Burens, Gnmdzüge, S.ll5 [1976]. Ähnl. die Vorstellungen Helmut Schmidts "als Vorreiter einerneuen Außenpolitik" bereits 1%7, vgl. Hans Gearg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.l45-147 [1984). 22 In: BT Sten.Ber. v. 28.10.1969, S.33.
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B.N. Sozialliberale Regierungen
Zeit der Großen Koalition auf die notwendige Verbindung von Gewaltverzicht und Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen gepocht werden23 . Zu den Tauschobjekten für das Interesse der Bundesregierung, einen bilateralen Gewaltverzicht und die Sicherung der westlichen Präsenz in West-Berlin und der Bindungen West-Berlins an die Bundesrepublik zu erhalten, wurden neben der staatsrechtlichen Anerkennung der DDR die Akzeptierung der Oder-NeißeLinie als polnische Westgrenze sowie die Ungültigkeitserklärung des Münchener Abkommens von 1938. Angelpunkt der als ein Geflecht zu verstehenden und von einer Reihe von Junktims durchsetzten Vertragsarchitektur24 war das Arrangement mit Moskau. Die 'reale' Situation der von der Sowjetunion beanspruchten und mit der "Breschnew-Doktrin" durchgesetzten Oberherrschaft im Osten berücksichtigend25, fiihrte Bahr ab Januar 1970 die im Monat zuvor vom deutschen Botschafter begonnenen deutsch-sowjetischen "Gespräche" fort. Ziel der Sondierungen Bahrs, durch welche Brandt unter weitgehender Umgehung des Auswärtigen Amts26 direkt mit dem Kreml Kontakt hielt, war eine de-factofriedensvertragliche Regelung des Verhältnisses der beiden Staaten, soweit es die bestehenden Vier-Mächte-Verpflichtungen zuließen. Mit Gromyko einigte sich Bahr im Mai 1970 auf zehn Leitsätze, die als "Bahr-Papier"27 die Grundlage der Verträge mit der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei und der DDR als ein "einheitliches Ganzes"28 werden sollten und im Kern von den späteren offiziellen, von Außenminister Walter Scheel erzielten Verhandlungsergebnissen bestätigt wurden. Ausgehend von der in Europa "bestehenden wirklichen Lage" bekundeten Bahr und Gromyko ihr Bestreben, die "Normalisierung" dieser Lage zu för23 Vgl. Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.l66 (1986). 24 Vgl. hierzu Peter Borowsky, Deutschland 1970-1976, S.18ff. [1980], u. Richard Löwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.682 [1974]. 25vgl. hierzu die Äußerungen Seheeis v. 2.7.1970, der zum Zusammenhang von LeistWlg Wld Gegenleistung in den VertragsverhandlWlgen sagte: "Was dafür zu kriegen ist, ist weg; dafür ist nichts zu kriegen. Ich habe nicht etwa Forderungen an irgend jemanden zu stellen. Das ist hinüber. Das hat der letzte Krieg aufgebraucht". Es gehe in der Tat nur noch danun, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges "in einer für WlS günstigen Form(... ] als Modus vivendi um der Sicherheitwillen zu stabilisieren", zit. nach AmulfBaring, Machtwechsel, S.249 [1982). 26 Vgl. hierzu Hans Georg Lehmann, ÖffuWlg nach Osten, 8.167-168 [1984], u. ArnulfBaring, Machtwechsel, 8.269-271 u. 279-280 [1982]. 27 Abgedruckt in: Bulletin der BWldesregierung 1970, Nr.l07, S.1060-1061 u. in: Peter Bender, Neue Ostpolitik, S.233-236 [1989]. Vgl. hierzu insges. Benno Zandorf, S.27-50 [1979]. 28 So Ziffer 5 des ,,Bahr-Papiers".
1. Abschied vom staatlichen Einheitsgedanken
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dem und 'friedliche Beziehungen' zu entwickeln29 und den Prinzipien der Vereinten Nationen und insbesondere dem Artikel 2 der UN-Charta entsprechend sich der Anwendung von Gewalt zu enthalten30 . Die Grenzen, expressis verbis die Oder-Neiße-Linie und die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR, betrachteten die beiden Unterhändler fiir "heute und künftig [... ] als unverletzlich"31 . Mit dieser Formulierung ließ die Sowjetunion ihre Forderung, die europäischen Grenzen fiir unveränderlich zu erklären, fallen32 , die theoretische Veränderbarkeil 'unverletzlicher Grenzen' im Sinne der deutschen Wiedervereinigung aber wurde durch die "Erkenntnis" Bahrs und Gromykos, "daß der Friede in Europa nur erhalten werden kann, wenn niemand die gegenwärtigen Grenzen antastet", wieder eingeschränkt. Gegenüber der Sowjetunion bekundete die Bundesregierung den Willen, den Alleinvertretungsanspruch aufzugeben und die Beziehungen zur DDR "auf der Grundlage der vollen Gleichberechtigung, der Nichtdiskriminierung, der Achtung der Unabhängigkeit und der Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in Angelegenheiten, die ihre innere Kompetenz in ihren entsprechenden Grenzen betreffen", zu gestalten33 . International würde die DDR also von der Bundesrepublik als völkerrechtlich gleichberechtigt anerkannt, wenn auch das innerdeutsche Verhältnis ein besonderes bleiben müsse, was für die politische Praxis aber kaum noch von Relevanz war34 .
29 So Ziffer
1 des ,,Bahr-Papiers".
30 So Ziffer 2 des ,,Bahr-Papiers".
Mit dieser Formulierung verzichtete die Sowjetunion implizit auf das bis dahin immer wieder, vgl. Waldemur Besson, Die Außenpolitik der Bundesrepublik, S.413-416 [1970], geltend gemachte, angebliche Interventionsrecht aus den Feindstaatenartikeln 53 und 107 der UN-Charta, weil diese als Ausnahmen des Artikels 2 formuliert sind, vgl. Richard L6wenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.683 [1974], u. hierzu insges. Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.97-98 u. 137-139 [1990]. Vgl. anders Wi/helm Weng/er, Der Moskauer Vertrag, S.633 [1970]. 31 So Ziffer 3 des ,,Bahr-Papiers". 32 Vgl. Werner Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.l83 [1986]. 33 So Ziffer 6 des ,,Bahr-Papiers". Als weitere Absichten der Bundesregierung hielt das Papier das Interesse am UNOBeitritt beider Teile Deutschlands fest (Ziffer 7), an Verhandlungen mit der Tschechoslowakei die Ungültigkeit des Münchener Abkommens betreffend (Ziffer 8) und an einer ,,Konferenz über Fragen der Festigung der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (Ziffer 10). 34 Vgl. Wilhelm G. Grewe, Die deutsche Frage in der Ost-West-Spannung, S.38 [1986], nach dem der von der Sowjetunion anvisierte Status quo durch das Vertragssystem in einem Grade juristisch abgesegnet und verfestigt worden sei, "daß nur noch gelernte und gelehrte Völkerrechtler juristisch einen Unterschied zur vollen völker-
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B.IV. Sozialliberale Regierungen
l. Der Moskauer Vertrag und das Berlin-Abkommen
Um die Ernsthaftigkeit der bundesdeutschen Entspannungsbemühungen zu dokumentieren35 , fiihrte die Bundesregierung im selben Frühjahr 1970 Besprechungen mit Polen und traf sich Brandt mit dem Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph in Erfurt und Kassel zu allerdings erfolglosen Gesprächen36 . Brandt ging es um eine schnelle Beendigung der noch aufzunehmenden offiziellen Verhandlungen, damit noch in der laufenden Legislaturperiode das ostpolitische Vertragsnetz37 geflochten würde. Die Regierung verstärkte den präjudizierenden Charakter des "Bahr-Papiers" und erschwerte damit mögliche Veränderungen des Ausgehandelten, indem sie noch vor dem die Öffentlichkeit erregenden Abdruck der zehn Leitsätze in der Illustrierten Quick und in der Bild-Zeitung am 1. Juli 197038 den NATO-Rat informierte und das Papier als "'fast unterschriftsreif'"39 qualifizierte. Als Zugeständnis an die Kritik auch in den eigenen Reihen vor allem an den deutschlandpolitischen Passagen knüpfte die Regierung fiir die Verhandlungsrichtlinien, nach denen Scheel im Sommer 1970 den Vertrag mit Moskau unter Dach und Fach bringen sollte, ein Ratifikations-Junktim: Erst nach einer Vier-Mächte-Regelung über West-Berlin, die Zugang von und nach sowie Bindungen mit der Bundesrepublik garantieren sollte, würde der Gewaltverzichtsvertrag mit der Sowjetunion in Kraft treten können40 . Als einziges substanzielles, die Bahr' sehen Vorausfestlegungen modifizierendes Ergebnis der offiziellen Verhandlungen unter Scheel41 war eine aus deutscher Sicht günstigere Gewichtung der Vertragsinhalte. Ging es der deutschen Delegation um eine stärkere Betonung des gegenseitigen Gewaltverzichts, so legten die sowjetischen Unterhändler Wert auf die Hervorhebung der Grenzaussagen42 . Der direkte Kontakt Bahrs mit rechtlichen Anerkenmmg zu sehen vennögen". Vgl. ähnl. Amulf Baring, Machtwechsel, S.256 [1982]. 3.5 Vgl. AmulfBaring, Machtwechsel, S.258 (1982). 36 Stoph beharrte auf den alten Maximalforderungen: Sofortige völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik, unverzüglicher Beitritt beider Teile Deutschlands in die Vereinten Nationen, vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.215 u. 218 (1986], u. AmulfBaring, Machtwechsel, S.288-292 (1982). 37 Vgl. zu den Verträgen mit der Sowjetwtion und mit Polen aus sozialdemokratischer Sicht Claus Anult, Die Verträge von Moskau und Warschau (1982). 38 Vgl. AmulfBaring, Machtwechsel, S.312-3l3 [1982). 39 Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.l86 (1986]. Vgl. AmulfBaring, Machtwechsel, S.316 (1982]. 40 Vgl. Scheel vor dem Bundestag am 9.10.1970, in: BT Sten.Ber., S.3945 u. 3959. 41 Vgl. hierzuAmulfBaring, Machtwechsel, 8.341-349 (1982]. 42 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.188 u. 190 [1986).
2. Der Moskauer Vertrag Wld das Berlin-Abkommen
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dem Kreml verhalf zur 'Brückenformulierung' im Moskauer Vertrag43 , wonach die Grenzgarantie (Art.3) u.a. von den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen (Art.2) abhängig sei, also eine Revision der Grenzen auffriedlichem Wege möglich bleiben sollte44 . Ein weiterer, wenn auch sehr vager"5 vertraglicher Anknüpfungspunkt an
das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes war die Erwähnung des Ab-
kommens über die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vom 13. September 1955 in der Präambel des Vertrages. Die Moskauer Führung hatte damals das Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands als ein legitimes Anliegen der Bundesrepublik akzeptiert [s.o]. Ähnlich wie Adenauer seinerzeit übergab die Bundesregierung am Tage der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages am 12. August 1970 dem sowjetischen Außenministerium einen "Brief zur deutschen Einheit"46 , mit dem eben dieses Ziel erneut festgestellt wird, erhielt dafür aber (im Unterschied zu 1955) keine formale Notifizierung. Ein, wenn nicht das entscheidende Movens ihrer Ostpolitik war fiir Brandt und Bahr die Berlinfrage. Ihre befriedigende Lösung, "solange die DDR noch etwas will" 47 , veranlaßte die SPD/FDP-Regierung zur Eile in den Ost-Verhandlungen. In die Vier-Mächte-Verhandlungen wurde die Bundesrepublik formal zwar nicht einbezogen, doch Bahrs Kanäle zur sowjetischen wie zur amerikanischen Führung beschleunigten die Verhandlungen durch das von den ehemaligen Alliierten übernommene Verfahren, juristische Klärungen beiseite zu lassen und statt dessen praktische Verbesserungen zur Konfliktre-
43 Abgedruckt in: Dietrich Rauschning, RechtsstellWlg Deutschlands, S.l21-l22 [1989], u. Peter Bender, Neue Ostpolitik, S.237-239 (1989). 44 Vgl. Manfred Görtemaker, Die unheilige Allianz, S.l08 [1979), Hans Georg Lehmann, OtTnWlg nach Osten, S.l77-178 [1984), Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.I89 [1986). 45 So Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.ll5 [1987). 46 Abgedruckt in: Dietrich Rauschning, RechtsstellWlg Deutschlands, S.l23 (1989). Über den UrspfWlg dieses Briefes herrschen noch immer geteilte Meinm1gen vor. Während Barzel, in: FAZ v. 20.9.1990, der ÜberzeugWlg ist, daß es den Brief "olme den Kampf der damaligen Opposition", die ihn der RegiefWlg "abgetrotzt" habe, nicht gegeben hätte, ähnl. Ludwig Mertes in der FAZ v. 27.8.1990 Wld Konrad Repgen in der FAZ v. 3.9.1990, bedurfte die RegiefWlg nach Ansicht Bahrs, ebd., "weder ihres Hinweises noch ihres Drängens, mn den 'Brief zur deutschen Einheit' auch bei der RegiefWlg der DDR zu hinterlegen". Vgl. hierzu auch den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bm1destages ,,AufarbeitWlg von Geschichte Wld Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994, S.l28. 47 So Brandt vor dem Auswärtigen Ausschuß am 16.3.1972, zit. nach Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.l98 (1986).
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B.IV. Sozialliberale Regierungen
gelung in Berlin einzuleiten48 . Diese waren der Regierung Brandt von erheblicher Bedeutung, darum machte sie der Sowjetführung unmißverständlich klar, daß eine Ratifikation des Moskauer Vertrags erst bei Sicherung der engen Beziehungen West-Berlins mit der Bundesrepublik und des ungehinderten Zugangs nach West-Berlin durchsetzbar wäre49 . Die CDU/CSU-Opposition drängte die Regierung, deren parlamentarische Mehrheit 1971/72 immer schmaler wurde, von diesem politischen Junktim nicht abzulassen und nicht, als die Berlin-Verhandlungen stagnierten, bereits das Erkennbarwerden von Fortschritten in der Berlin-Frage als ausreichend für die Ratifikation des Vertrages mit der Sowjetunion zu betrachten50 . Die Amerikaner ihrerseits knüpften ein Junktim zwischen der Berlin-Regelung und dem Abkommen über SALT 51 sowie der Einberufung der KSZE, was den Sowjets endlich die Gleichwertigkeit mit den Vereinigten Staaten zu geben versprach, und verstärkten somit den Druck auf die Sowjetunion, in Berlin Konzessionen einzugehen52 . Als entscheidendes Ergebnis des am 3. September 1971 unterzeichneten Berlin-Abkommens der Vier Mächte53 , dessen Unterzeichnung nun umgekehrt die Sowjetunion von der vorherigen Ratifizierung des Moskauer und des
48 Vgl. die Präambel und Art.l, Abs.4 des Vertrages. Vgl. Werner Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.202 (1986), u. Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.687 [ 1974). 49 Vgl. AmulfBaring, Machtwechsel, S.323-326 [1982). 50 Insofern ist die Formulier\Ulg von Gert-Joachim Glaeßner, Die Ost- und Deutschlandpolitik, S.247 [1984], die CDU/CSU habe von Vorleist\Ulgen im Moskauer Vertrag gesprochen, "weil das Berlin-Problem nicht geregelt sei", die Regier\Ulg sei aber durch den weiteren Verlauf der Verhandlungen bestätigt worden in ihrer ,,realistischen EinschätzWlg [... ),daß der Moskauer Vertrag der Schlüssel ft1r alle weiteren Regelungen inklusive der Berlin-Frage sei", WlZUlässig verkürzend, weil die Bedeut\Ulg des JWlktims ausgespart bleibt. SI SALT =Strategie Arms Limitation Talks, die am 3.10.1972 nach dreijährigen Verhandlungen zu einem Abkommen führten, das nach amerikanischer Hoffnung das offensive Gleichgewicht auf dem damaligen Niveau einfrieren sollte, tatsächlich aber ein so\\jetisches Übergewicht an strategischen Waffen festsetzte, vgl. Ortwin Buchbender (Hrsg.), Sicherheit und Frieden, S.145-l46 [1985], u. Helga Haftendom, Sicherheit und Stabilität, S. 93, m.N. [ 1986). Sl Vgl. Winfried Becker, Die deutsche Frage und die Westmächte, S.662 [1988], Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.237 u. 240-241 [1991], Richard UJwenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.682 (1974], u. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.200 [1986). SJ Abgedruckt in: Dietrich Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, S.83-85 (1989). Die konkretisierenden vier Anlagen S.85-89.
3. Der Gnmdlagenvertrag
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Warschauer Vertrages abhängig machte54 , war der von der Sowjetunion hingenommene Passus, wonach die "Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt werden"55. Die "konkreten Regelungen" der Verkehrsverbindungen nach WestBerlin wurden der Vereinbarung der "zuständigen deutschen Behörden" übertragen56 , womit der DDR einschränkende Möglichkeiten geblieben waren57 . Zwar wurde ausdrücklich festgehalten, daß die Westsektoren Berlins weiterhin kein Bestandteil der Bundesrepublik seien58 , diese aber konsularische und völkerrechtliche Vetretungsbefugnisse für West-Berlin haben könne. Mit dem Berlin-Abkommen, das wegen der Ausklammerung und Verschleierung strittiger Probleme zu interpretatorischen Schwierigkeiten führte59 , reglementierten und koordinierten die ehemaligen Siegermächte den von der Sowjetunion mit Pressionen und militärischer Gewalt erzwungenen IstZustand des geteilten Berlins. Damit legitimierten nun auch die Westmächte den permanenten Bruch des noch immer formal gültigen Londoner Protokolls von 1944. Ost-Berlin wurde praktisch als "Hauptstadt der DDR" akzeptiert, West-Berlin verblieb unter alliierter Kontrolle. 3. Der Grundlagenvertrag
Das "Bahr-Papier" hatte auch die innerdeutschen Vertragsbeziehungen vorgezeichnet. Die Maximalforderungen Ulbrichts konnten mit dem Verzicht S4 Vgl. Andreas Hillgrober, Deutsche Geschichte, S.ll7-118 [1987], u. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.204 [1986]. ss So Art.ll, Unterpunkt B bzw. Anlage II, Nr.1. 56 So Art. II, Unterpunkt A bzw. Anlage I, Nr.3. 57 Vgl. hierzu Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.220 [1986]. 5& So Art.ll, Unterpunkt B bzw. Anlage IV. Verfassungsakte und demonstrative Bundespräsenz - so zum Beispiel Sitzungen des Bundestages, des Kabinetts und des Bundesrates - sollten ebenso wie unmittelbare, West-Berlin betreffende Staatsgewalt ftlrderhin ausgeschlossen sein, vgl. Anlage II. Als weitere Gegenleistung erhielt die So\\jetunion das Recht, ein Generalkonsulat in West-Berlin zu errichten, vgl. Anlage IV, A bzw. B, Nr.3. 59 Selbst über die Bezeichnung des zu behandelnden Territoriums erzielten die Vier Mächte keine Einigung, es wird daher nur von "dem betreffenden Gebiet" gesprochen. Differenzen herrschten auch über die ,,Kann-Fonnulienmg" der völkerrechtlichen Vertretung West-Berlins durch die Bundesrepublik und über den Begriff ,,Bindungen" [nur verkehrstechnische oder auch politisch-rechtliche Bindungen?]. Vgl. hierzu Manfred Görtemaker, Die unheilige Allianz, S.ll 0-111 [ 1979], Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.206 u. 228 [1986], u. Andreas Hillgrober, Deutsche Geschichte, S.ll8 [1987]. 9 Roos
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B.IV. Sozialliberale Regierungen
Moskaus auf die uneingeschränkte völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik abgeblockt werden. Einen Tag nach dem enttäuschenden Treffen Brandts mit Stoph in Erfurt, am 22. Mai 1970, gewährte die Sowjetführung der Bundesregierung für die Verhandlungen mit der DDR einen zeitlichen und inhaltlichen Spielraum, indem sie akzeptierte, daß der UNO-Beitritt beider Teile Deutschlands und damit die internationale Anerkennung der DDR erst im innerdeutschen Entspannungsprozeß erfolgen sollte60. Von Außenminister Scheel wurde diese Konzession zu einer mit seinem Namen verbundenen .,Doktrin" verdeutlicht61 , die die westlichen und blockfreien Staaten erfolgreich dazu zu bewegen half, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR bis zum Abschluß des Grundlagenvertrages62 zu unterlassen63 . Wie eng dieser Vertrag mit der Gesamtproblematik der Ost-Verträge zusammenhing, bewies das Einwirken der Sowjetunion auf die DDR. Der Kreml war an der Ratifikation des Moskauer und des Warschauer Vertrages mit der Bundesrepublik interessiert, die Ratifikation aber hing von einer die westdeutschen Interessen befriedigenden Berlin-Regelung ab, welche wiederum die Mitwirkung der DDR bedurfte. Das SED-Regime aber suchte in der Phase stagnierender Berlinverhandlungen der Vier Mächte einen direkten Gesprächsfaden über diese Frage mit der Bundesrepublik zu knüpfen und nach Abschluß die konkretisierenden Verhandlungen zur Ausfuhrung des Berlin-Abkommens zu verzögern. Von Moskau entsprechend instruiert, gab sich die DDR fugsam64 ; es konnten die deutschen Ergänzungsabkommen, das Transitabkommen und der allgemeine Verkehrsvertrag- der erste innerdeutsche Staatsvertrag- bis zum Frühjahr 1972 abgeschlossen werden. Wahrscheinlich ist auch die Ersetzung Ulbrichts durch den moderater erscheinenden Honecker im Mai 1971 in diesem Lichte sowjetischer Beschleunigung zu sehen65 . Auf einer anderen Ebene machte der Westen seine Teilnahme an der von der Bundesregierung wie von der Sowjetfuhrung gewünschten europäischen 60 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, 8.215 u. 218 [1986]. 61 Vgl. hierzu Hans Buchheim, Deutsch1andpolitik, 8.128-129 [1984], u. AmulfBaring, Machtwechsel, 8.252-253 [1982]. 62 Abgedruckt in: Dietrich Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, 8.163-165 [1989]. Vgl. zur rechtlichen Bewertung Rudolf Dolzer, in: Handbuch, 8.560-564 [1987]. 63 Vgl. hierzu Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, 8.242, Fn.24 [1991]. 64 Vgl. hierzu Werner Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, 8.218-221 [1986]. 6 S Vgl. hierzu Brigine Seebacher-Brandt, in: FAZ Magazin v. 13.3.1992, 8.54.
3. Der Gnmdlagenvertrag
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Friedenskonferenz, der KSZE, von Fortschritten in den Deutschland- und Bedin-Gesprächen abhängig66 . Die Verhandlungen zum Grundlagenvertrag begannen im Juni 1972 und wurden, wegen des sowjetischen Interesses an einem Abschluß und an einer Fortsetzung der SPD/FDP-Koalition, im November, kurz vor den vorgezogenen Bundestagswahlen, beendet67 . Mit diesem Vertrag sicherte die DDR u.a. zu, "sich von den Zielen und Prinzipien" der UN-Charta leiten zu lassen und dabei auch und "insbesondere" vom "Selbstbestimmungsrecht, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung''68 . Anders als in den Ostverträgen wurde die Betonung stärker auf Grenzanerkennung, weniger auf Gewaltverzicht gelegt. Die 'Brückenformulierung' des Moskauer Vertrages war in der Präambel des Grundlagenvertrages mit der Aussage, daß die "Unverletzlichkeit der Grenzen [...] eine grundlegende Bedingung für den Frieden" sei, und daß sich "daher die beiden deutschen Staaten in ihren Beziehungen der Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten haben", genau umgedreht69 . Die DDR wurden beinahe alle immer erhobenen Forderungen zugestanden: Verzicht der Bundesrepublik auf Alleinvertretungsanspruch70 , Respektierung der "Unabhängigkeit und Selbständigkeit" der DDR in ihren "inneren und äußeren Angelegenheiten" 71 , Austausch von QuasiBotschaften mit der Bundesrepublik72 und Entwicklung 'normaler gutnachbarlicher Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung'73. Die von den Vier Mächten mit dem Berlin-Abkommen konzedierte Außenvertretung West-Berlins durch die Bundesrepublik wurde nicht in den Vertrag aufgenommen, womit versäumt wurde, diese Regelung "auch für die DDR völkerrechtlich verbindlich zu machen"74 . Der Begriff "Wiedervereinigung" als politisches Ziel - zumindest der Bundesrepublik - findet sich im Vertragstext nicht, doch sollten die "unterschiedlichen Auffassungen" beider Staaten "zur nationalen Frage", worauf in der Präambel hingewiesen wurde, bewußt ausgeklammert sein. Auch "Staatsangehörigkeitsfragen sind durch 66 Vgl. den Tagungsbericht des Ministerrats der NATO am 27.5.1970, in: EA 25/1970, S.D315-D318 (D317-D318). 67 Vgl. Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, 8.222 (1986). 68 SoArt.2. 69 Vgl. Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, 8.222 (1986], der darauf hinweist, daß die in Art.3 wieder wngekehrte Reihenfolge allerdings keine AnbindWlg der GrenzWlverletzlichkeit an den Gewaltverzicht aufweist. 70 Vgl. Art.4. 71 SoArt.6. 72 "Ständige VertretWlgen" genannt, vgl. Art.8. 73 Vgl. Art.l. 74 Winfried Becker, Die deutsche Frage Wld die Westmächte, 8.663 (1988).
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B.IV. Sozialliberale Regierungen
den Vertrag nicht geregelt worden", wie die Bundesregierung in einem Vorbehalt75 erklärte. Der im Vertrag enthaltene Vier-Mächte-Vorbehalt16 und insbesondere die vor der Unterzeichnung durch die DDR quittierte Entgegennahme des Briefs zur deutschen Einheit beließen der Bundesrepublik ihre Funktion als Anwalt der deutschen Einheit. Diese Funktion stand somit nicht im Widerspruch zum Grundlagenvertrag, sondern im Einklang mit ihm77 . Die "Unberührtheitsklauseln" des gesamten Ostvertragswerks, die frühere und Verträge mit Dritten betrafen, dokumentierten - zum Mißfallen der SED - die Offenheit der deutschen Frage und die fehlende Kompetenz der Bundesrepublik und der DDR, die Rechtslage Deutschlands endgültig zu regeln78 . Das im Sinne des "Wandels durch Annäherung" dynamische Element des Vertrages, gleichsam der Erlös für die Zugeständnisse der Bundesrepublik, war nach Ansicht der Regierungskoalition79 der Artikel 7, mit dem die DDR sich bereit erklärte, mit der Bundesrepublik in einer Reihe von Gebieten die Zusammenarbeit zu entwickeln, die schwerlich ohne weitere menschliche Kontakte denkbar war8° . Die "nationale Substanz" zu erhalten, bis das Recht auf Selbstbestimmung auszuüben möglich sein werde, schien auf diesem Weg gesichert. Konkretisierende Ausführungsbestimmungen allerdings, die "eigentlich in den Vertragstext"8 1 gehörten, wurden in Zusatzprotokollen und 7S Abgedruckt in: Dietrich Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, S.l67 (1989]. 76 Vgl. Art. 9. Vgl. hierzu Kar/ Pfeiffer, Zur Rechtsnatur, S.57-63 [1973]. 77 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.223
(1986], bzw. Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.l5l-152 (1990]. Zur wnstrittenen Entstehungsgeschichte der Briefe zur deutschen Einheit vgl. die Leserbriefe vonRainer Barze/ und Egon Bahr in: FAZ v. 20.9.1990. Laut BVerfGE, 36, 1, v. 31.7.1973, S.25, bestätigte der Brief nur, "was sich aus der Interpretation des Vertrags selbst ergibt", u. Bruno Simma, Der Grundvertrag, S.l6 (1975], hatte ihm "die Aufgabe einer innenpolitischen Beruhigungspille ohne konstitutive völkerrechtliche Wirkung" zugeschrieben. 78 Vgl. hierzu Dieter Blumenwitz, Überwindung, S.l51 (1990]. Für Richard Löwentha/, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.692 [1974], war die rechtlich durchaus korrekte Formulierung in der Bundestagsresolution, die Verträge schüfen "filr die bestehenden Grenzen keine Rechtsgrundlage", eine "logisch absurde[... ] und moralisch anstößige[... ) Phrase" . 79 Vgl. Kar/heinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.65 [1977]. 80 Genannt wurden das "Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, des Verkehrs, des Rechtsverkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, des Gesundheitswesens, der Kultur, des Sports, des Umweltschutzes". Einzelheiten waren in einem Zusatzprotokoll geregelt, abgedruckt in: Dietrich Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, S.l66-167 [1989]. 81 Andreas Hil/gruber, Deutsche Geschichte, S.l30 [1987].
4. Streit wn die RatiflZienmg
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Briefwechseln behandelt. Offensichtlich war die DDR darum bemüht, die von der Bundesrepublik gewünschten "menschlichen Erleichterungen" vertraglich nicht zu fixieren. 4. Streit um die RatifiZierung
Die Opposition zum Ostvertragswerk der Regierung Brandt war stark, aber nicht einig. Während Barzel und mehr noch Sehröder eine moderate Haltung zu den Ostverträgen einnahmen, um durch Mitwirkung und Verbesserung die deutsche Frage offen und die Opposition regierungsfahig zu halten, steuerten Kiesinger und Strauß einen harten Kurs und lehnten selbst eine Teilakzeptanz ab, weil sie die Denkanlage der Deutschland- und Ostpolitik der SPDIFDP-Regierung für grundsätzlich falsch hielten82 . Die Unionspolitiker kritisierten den selbstgestellten Zeit- und Erfolgsdruck und daraus resultierende hektische Verhandlungen83 . Die Bundesregierung entgegnete zumeist mit dem Hinweis, daß sich die Bundesrepublik in den 'Strom der Weltpolitik' einzugliedern habe und nicht warten könne, weil sie sonst zu einer "anachronistischen Insel" in Europa würde und die "feindselige Konfrontation" mit der Sowjetunion allein zu tragen hätte84 . Weiter bezog sich die Kritik der CDUICSU auf die abweichende sowjetische Interpretation von der ,,Endgültigkeit" der Regelungen, auf die fehlende oder falsche Unterrichtung des Bundestages durch die Regierung, auf eine Anerkennung der Unterdrückung Mittel- und Osteuropas als "nor-
82 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.207 [1986). Christion Hacke, Die Ost- und Deutschlandpolitik der CDU/CSU, S.75-78 [1975], teilt die Opposition in ihrer Haltung zur Ostpolitik in fünf Gruppen, vgl. ders., Parlamentarische Opposition, S.265-266 [1978). Vgl. auch Franz Josef Strauß in seiner Rede v. 25.7.1975, in: BT Sten.Ber., S.l2869, mit der er seine Fundamentalkritik gegen das gesamte Ostvertragswerk einschließlich der KSZE nochmals deutlich zum Ausdruck brachte: "Wir sagen nicht nein zu diesem oder jenem Inhalt der Dokwnente; wir sagen zu der Systematik, zu der Konzeption, zu der eingebauten Konsequenz dieses Vertragswerks nein, weil wir mit derselben Sicherheit, mit der in 25 Jahren die Sowjetunion ein Ziel erreicht hat, das damals, vor 25 Jahren, utopisch schien, sie die nächste Etappe erreichen wird". 83 Vgl. hierzu die Argwnente Barzels, in: BT Sten.Ber. v. 10.5.1972, S.1090110903. Vgl. auch Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.l80-181 u. 185 [ 1984], der auch die diesbezUgliehe Kritik Helmut Schrnidts dokwnentiert, AmulfBaring, Machtwechsel, 8.282-283 [1982), u. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, 8.60-61 , m.w.Z. [1977). 84 So Scheel vor dem Bundesrat am 9.2.1972, zit. nach Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, 8.50-51, m.w.Z. [1977).
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B.IV. Sozialliberale Regienmgen
mal"8S • Insgesamt war fiir die Opposition mit dem Ostvertragswerk die ei-
gentliche Spannungsursache, die Verweigerung von Menschenrechten, nicht beseitigt86 .
Weil sich die SPD/FDP einer wirklichen Teilnahme der Opposition am ostpolitischen Entscheidungsprozeß widersetzte87 , vermochte Oppositionsführer Barzel 1971/72 allenfalls Forderungen an die Regierung heranzutragen, die aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag von einigem Gewicht waren. Dazu zählten die Aufrechterhaltung des Berlin-Junktims [s.o.] und die Erfiillung dreier Bedingungen für eine Zustimmung der CDU/CSU zum Moskauer Vertrag als modus-vivendi-Regelung: D"ie So\\jetunion solle die EWG positiv anerkennen, das Selbstbestimmungsrecht in den Vertrag aufnehmen sowie die verbindliche Absicht erklären, in Deutschland Freizügigkeit stufenweise herzustellen88 . Die Erklärung Breschnews, die So\\jetunion ignoriere die in Westeuropa entstandene Lage keineswegs89 , ließ die Opposition auf die Anerkennung der EWG durch Moskau verzichten. Auch die so\\jetische Ankündigung, den das Selbstbestimmungsrecht artikulierenden Brief zur deutschen Einheit anzunehmen, war als direkte Einwirkung der 'verhinderten Regierungspartei' auf den Verhandlungsprozeß zu interpretieren. Der Wechsel einer Reihe von FDP- und SPD-Abgeordneten zur CDU/CSUFraktion90 , die nunmehr eine knappe Mehrheit im Parlament hatte, sowie die für die Opposition erfolgreichen Landtagswahlen in Baden-Württemberg ermutigte diese, am 27. April 1972 ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen die Regierung Brandt zu wagen, auch mit der ostpolitischen Begründung, daß sich die Bundesregierung auf Verträge einlasse, die nach Auffassung der So\\jetunion die Zementierung des Status quo und damit der deutschen Teilung bewirkten91 . Tatsächlich bestätigte das Vertragswerk im Kern die Forderungen, die die Ostblock-Staaten 1967 in Karlsbad [s.o.] aufgestellt hatten. Barzel 8S Vgl. hierzu, die Kritik ausfilhrl. vortragend, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Die neue Ostpolitik, Wege und Irrwege (1971]. 86 Vgl. die Zitate bei Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.54-55 [1977]. 87 Vgl. Hans Georg Lehmann, Offuung nach Osten, S.18l-l82 [1984]. Wehner hatte in einem 'Spiegel' -Interview v. 26.1.1970 erklärt, er "brauche die Opposition nicht", zit. nach ArnulfBaring, Machtwechsel, S.259 [1982). 88 Vgl. Barzel in der Ersten Lesung der Verträge im Bundestag am 23.2.1972, BT Sten.Ber., S.9757 u., ausfilhrl., 8 .9758-9762. 89 Vgl. den außenpolitischen Teil seiner Rede v. 20.3.1972, in: EA 27/1972, S.D207-D214 (D209). 90 Vgl. hierzu AmulfBaring, Machtwechsel, S.297-301 [1982). 91 Vgl. Kiesinger in seinem Antrag nach Art.67 GG am 27.4.1972, in: BT Sten.Ber., S. I0698. Vgl. auch Barzels vier Fragen zur Interpretation des Moskauer Vertrages, in: BT Sten.Ber. v. 23.2.1972, S.9760.
4. Streit um die RatifJ.Zienmg
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fehlten bei der geheimen Abstimmung zwei zu den nötigen 249 Stimmen, um Brandt abzulösen, jedoch am nächsten Tag trat in der Haushaltsdebatte in der Abstimmung über den Etat des Bundeskanzlers eine parlamentarische Patt-Situation ein. Brandt und Barzel verständigten sich in der Folge am 10. Mai 1972 auf eine Bundestagsresolution92 aller Parteien, die als verbindliche bundesdeutsche Interpretation der Ostverträge durch "förmliche Übergabe, Entgegennahme und Bekanntgabe vor der Ratifikation des Vertrages im Obersten Sowjet ein völkerrechtlich wirksames Dokument der Bundesrepublik Deutschland" wurde93 . Allerdings weigerte sich die Sowjetunion, sich durch ein konkludentes Verhalten mit dieser Interpretation zu identifizieren94 . Der Kernsatz der Resolution verdeutlichte das Streben der Bundesrepublik nach friedlicher "Wiederherstellung der nationalen Einheit im europäischen Rahmen", das "nicht im Widerspruch zu den Verträgen" stehe, "die die Lösung der deutschen Frage nicht präjudizieren"95 . Die Hoffnung Barzels, seine Fraktion würde den Ostverträgen nun zustimmen, erfüllte sich nicht. Die Mehrheit unter der Führung Kiesingers blieb bei ihrer ablehnenden Haltung96 . Sie enthielt sich am 17. Mai 1972 der Stimme, und zehn bzw. 17 Abgeordnete stimmten gegen den Moskauer und den Warschauer Vertrag97. Der Grundlagenvertrag wurde zehn Tage vor der Bundestagswahl am 19. November 1972 paraphiert. Seine Wirkung auf die Bundestagswahl, die der SPDIFDP-Koalition eine sichere Mehrheit brachte, darf als hoch eingeschätzt werden98 . Die Ratifikation war somit trotz Ablehnung des größten Teils der Opposition und nach intensiven Debatten im Bundestag99 gesichert. Jetzt konnte die erste Verhandlungsrunde der KSZE, dem amerikanisch-sowjeti92 Abgedruckt in: BT Sten.Ber. v. 17.5.1972, S.l0960-10961.
93 So Barzel in einem Leserbrief an die FAZ v. 20.9.1990. Vgl. anders Bahr, elxl., der die Gemeinsame Entschließung des Bundestages ebenso wie das Grundlagenvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts als "innenpolitisch verbindliche Interpretationen ohne unmittelbare völkerrechtliche Wirkung auf die Sowjetunion" bezeichnet. Die Bundestagsresolution habe "in der Substanz dem Vertrag weder etwas hinzugefügt, noch brauchte oder konnte sie ihn korrigieren". 94 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.211-212 [1986]. 95 So Nr.3 der Resolution. 96 Die CDU/CSU hatte immer wieder, so am 24.1.1972 der Bundesausschuß der CDU, die Ablehnung der Verträge erklärt. Zu den Argumenten der Gegner vgl. GertJoachim Glaeßner, Die Ost- und Deutschlandpolitik, S.250 [1984]. 97 Vgl. hierzu BT Sten.Ber. v. 17.5.1972, 8.10939-10945, u. Christian Hacke, Die Ost- und Deutschlandpolitik der CDU/CSU, S.78-79 [1975]. 98 So auch Andreas Hillgrober, Deutsche Geschichte, S.l30 u.l33 [1987]. Vgl. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.98-99 [1977). 99 Vgl. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, S.57 [1977].
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sehen 'Linkage' mit der 'deutsch-deutschen' Konfliktregelung entsprechend100, am 22. November 1972 beginnen. In einem von der bayerischen Staatsregierung angestrengten Verfahren10 l vor dem Bundesverfassungsgericht wurden die Argumente der Vertragsgegner erneut vorgetragen 102 . Danach verletze der Grundlagenvertrag das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, weil er zwei gleichberechtigte, unabhängige, selbständige und souveräne Staaten anstelle des Deutschen Reichs treten lasse, "die sich gegenseitig ihren Bestand garantierten; das führe zur Teilung Deutschlands", zusätzlich vertieft durch die "freiwillig und vertraglich vereinbarte Staatsgrenze" 103 . Berlin werde benachteiligt, und die Fürsorgepflicht gegenüber den Deutschen in der DDR im Sinne der gemeinsamen Staatsbürgerschaft nach Artikel 116 Grundgesetz werde mit Artikel 6 des Vertrags verletzt 104 . Weder sei die Einheit der Nation vertraglich festgehalten, noch sei der Vertrag als modus vivendi interpretierbar, "weil er ohne Befristung und ohne Kündigungsklausel" und ohne den Vorbehalt einer friedensvertragliehen Regelung abgeschlossen sei 105 . In ihrer Gegenbegründung106 hat die Bundesregierung diesen Argumenten widersprochen 107 . Das Verfahren endete am 31. Juli 1973 mit einer präzisierten Interpretation des Vertrages und einer Rahmensetzung fiir das staatliche Handeln in Fragen der Wiedervereinigung. Zwar wies das Gericht die Klage Bayerns ab, aber dem Mißtrauen der Grundlagenvertragsgegner gegenüber der Bundesregierung, sie führe etwas anderes im Schilde und betrachte die eigene Auslegung des Vertrags als eine "vorläufige Wahrheit", die nach einer von der SPD/FDP erwünschten "Verschiebung des Bewußtseins" von einer "neuen Bewertung der verfassungsrechtlichen Grundsätze" ersetzt würde 108 , vermochte es entgegen zu kommen. Das Gericht fixierte, daß der Vertrag, wenn auch völkerrechtlicher Art, ,,kein Teilungsvertrag" 109 seillO, vielmehr "inter-se-Beziehungen 100 Vgl. Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.245 [1991]. 101 Vgl. hierzu Franz JosefStrauß, Erinnerungen, 8.497-508 [1989). 102 Vgl. auch die Zitate aus der Ratifikationsdebatte bei Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, 8.62-65 [1977]. 103 BVertGE 36, 1, v. 31.7.1973, S.8. l04Vgl. BVerfGE 36, 1, v. 31.7.1973, 8.9-10. 105 Vgl. BVerfGE 36, 1, v. 31.7.1973, S.10. 106 Vgl. hierzu Vgl. BVerfGE 36, 1, v. 31.7.1973, S.I0-13. 107 Vgl. hierzu auch die Zitate aus der Ratifikationsdebatte bei Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, 8.63-64 [1977]. 108 So Franz Josef Strauß, Erinnerungen, S.502, passim [1989), der sich auf die Äußerung Bahrs am 24.1.1973 vor dem Bundestag, BT 8ten.Ber., 8.221, bezieht, mit der dieser zugegeben hatte, daß die Mehrheitsverhältnisse zur Zeit der Großen Koalition nicht so gewesen seien, "daß sie es zugelassen hätten, die Wahrheit zu sagen". l09BVertGE 36, 1, v. 31.7.1973, 8.25.
4. Streit um die RatiflZienmg
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regelt" 111 und das verfassungsrechtliche Wiedervereinigungsgebot nicht berühre112. Zum unmittelbaren Ziel des Vertrags, den menschlichen Erleichterungen, bestimmte das Gericht sehr präzise, daß die "Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer grundgesetzliehen Pflicht alles ihr Mögliche" zu tun habe, um die "unmenschlichen Verhältnisse" an der Grenze, "also Mauer, Stacheldraht, Todesstreifen und Schießbefehl", zu ändern und abzubauen113 . Genau dies nicht zu tun, verlangte Egon Bahr am 11. Juli 1973, wieder vor der Akademie Tutzing 114 . Die "Gefahr eines Umschlages" der Entspannungspolitik befiirchtend, müsse die Bundesrepublik gegenüber der DDR den "schmalen Weg der Erleichterung fiir die Menschen in solchen Dosen" gehen, daß die "Dinge[... ] stabil und kontrollierbar bleiben, wenn die Transformation vom Konflikt zur Kooperation funktionieren soll". Dazu gehöre der "stillschweigende Abschied [von] jeder Art von Anschluß- oder Befreiungspolitik", vielmehr müsse man "sich anpassen, sich annähern, Zurückhaltung üben" 11 s . Dennoch bleibe eine Systemkonvergenz aufgrund der unterschiedlichen Interessen der Staaten ausgeschlossen, die ideologischen Gegensätze seien aber dem dominierenden, gemeinsamen Interesse der Gewaltlosigkeit untergeordnet 116 . Darum könne man von der DDR nicht verlangen, den Schießbefehl abzuschaffen. Instabilität könne zu revolutionären Zuständen fiihren, die nur von sowjetischen Panzern wieder beendet würden117. 110 Damit trat das Gericht auch der überwiegenden Wertung im Ausland entgegen, wonach der Vertrag die Zweistaatlichkeil Deutschlands besiegele, vgl. hierzu Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, S.l46-148, m.w.N. [1992]. 11 1 BVertGE 36, I, v. 31.7.1973, S.24. Vgl. hierzu kritisch Bruno Simma, Der Grundvertrag, S.l2 [1975], passim, der die Bundesrepublik und die DDR als ,,zwei grundsätzlich souveräne, also auch voneinander unabhängige Staaten" bezeichnet, deren gegenseitige Beziehungen "sich mangels anderweitiger Willensübereinstimmung formell und materiell ausschließlich nach Völkerrecht" richte, welches danun auch den alleinigen Rahmen filr das"verfassungsrechtliche Wiedervereinigungsgebot" stelle. 112 Zur Kritik an den "Widersprüchlichkeiten des Urteils" vgl. Karlheinz Niclauß, Kontroverse Deutschlandpolitik, 8.111-113, m.w.N. [1977]. 113 So BVerfGE 36, 1, v. 31.7.1973, S.35. 114 Abgedruckt in: DA 8/1973, S.865-873, u. in: He/ga Haftendom, Die Außenpolitik der Bundesrepublik, S.354-367 [1982]. 11!1 In: DA 8/1973, S.870, passim. 116 Vgl. in: DA 8/1973, S.87l. ll7 Diese von Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.136 [1987], wiedergegebene Aussage Bahrs fmdet sich im abgedruckten Text seiner Rede nicht wieder. Vgl. aber ähnl. schon Helmut Schmidt am 6.12.1%7, der im Bundestag davor gewarnt hatte, "eine den Status quo verändernde Politik betreiben zu wollen", zit. nach Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.159 [1984).
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Bahr ging es wie Kanzler Brandt nicht mehr um Zersetzung des Sowjetsystems, sondern um Vereinbarungen von Machtblock zu Machtblock durch biund multilaterale Vertragspolitik Die Aufnahme beider Staaten in Deutschland in die Vereinten Nationen am 18. September 1973, der Prager Vertrag vom 11. Dezember und der Botschafteraustausch mit Ungarn und Bulgarien am 21. Dezember desselben Jahres schienen erfolgversprechende weitere Schritte auf diesem Weg der Entspannung zu sein. 5. Deutschlandpolitische Ernüchterung
Nach der rechtlichen Festschreibung des faktischen ZustandsilK verflog die ostpolitische Euphorie der Regierung Brandt schnell. Die ursprüngliche Intention Brandts, eine Politik der Versöhnung und des Ausgleichs nach Osten zu gestalten, die der Adenauers nach Westen entsprechen sollte 119 , sowie die anfängliche Konzeption, daß "Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung" der DDR "nur gegen Beteiligung am Entspannungsprozeß" 12° möglich sein sollte, scheiterten in ihrer praktischen Ausführung am ideologischen Konflikt, den es im Verhältnis zum Westen nicht gab. Die "Neue Ostpolitik" wollte zwar "mit einer zwanzigjährigen Tradition der ostpolitischen Fiktionen" 121 brechen, basierte aber selbst auf der Fiktion einer sowjetischen Versöhnungsfahigkeit und -bereitschaft122 . Die Gespräche, die Bundeskanzler Brandt mit Leonid Breschnew im September 1971 auf der Krim und im Mai 1973 in Bonn führte, ließen zwar "wechselseitige Sympathie" 123 entstehen und führten zur Übereinstimmung, daß die Truppen und Rüstungen in Europa ohne Nachteile für die beteiligten Staaten vermindert werden sollten. Doch statt einer erhoffien Öffnung der Sowjetunion und der DDR verstärkten beide ihre Abgrenzungspolitik124 . Der Sowjetunion mangelte es auch nach einem Ab118 Vgl. Benno Zandorf, S.SO (1979). 119 Vgl. nur Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.232-233
[1991). 120 Ernst Kuper, Der Wandel, S.249 [1978). 121 So, resümierend, Richard L6wenthal, Vom kalten Krieg zur Ostpolitik, S.691 [1974). 122 Vgl. aber den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994, S.I2S: ,,Die Ostpolitik zeigte, daß auf dem schwierigsten Terrain des OstWest-Konfliktes Entkrampfungen und Lösungen möglich waren und Brücken geschlagen werden konnten, die insgesamt der Entspannung und Vertrauensbildung dienten". 123 Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.226 [1986). 124 Bereits in der Entschließung des VIII. Parteitages der SED, der vom 15. bis 19. Juni 1971 stattfand, heißt es: ,,Zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der BRD, zwei voneinander unabhängigen deutschen Staaten mit entgegengesetzter
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kommen über die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit 1973 in der Anwendung des Berlin-Abkommens an Kooperationswillen und betrachtete West-Berlin nach wie vor als selbständige politische Einheit125 . Die DDR. nun endlich international anerkannt, suchte die innerdeutschen Kontakte auf Bereiche zu beschränken, die nur ihr nützlich erschienen 126 . Der Paradoxie der SPD/FDP-Ostpolitik, den faktischen Zustand anzuerkennen, um ihn zu ändern, schloß sich die SED freilich nicht an127 . Der DDR-Außenminister Winzer machte vor der Volkskammer am 13. Juni 1973 unmißverständlich klar, daß die 'sozialistische DDR' niemals mit der 'kapitalistischen BRD' über eine 'friedliche Aufhebung der bestehenden Grenzen' verhandeln würde 128 . Honecker drückte sich arn 6. Januar 1972 vor Soldaten der Nationalen Volksarmee noch rigoroser aus: "Unsere Republik und die BRD verhalten sich zueinander wie jeder von ihnen zu einem anderen dritten Staat. Die BRD ist somit Ausland, und noch mehr: sie ist imperialistisches Ausland. (... ]Unser Feindbild stimmt genau. Am Bild gibt es nichts zu ändern, da sich der Feind selber nicht geändert hat"129.
Gesellschaftsordnung, vollzieht sich gesetzmäßig ein Prozeß der Abgrenzung. Zwischen ihnen kann es daher nur Beziehungen der friedlichen Koexistenz auf der Grundlage des Völkerrechts geben", zit. in: ddz (Berlin-Ost) 1611971, S.6-15 (8). Zit. auch v. Klaus Motschmann, Deutschlandpolitik im Wandel, S.283 (1984). 125 Vgl. Werner Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Brandt, S.228-229 [1986], u. ders., Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, 8.293-294 [1987]. 126 Vgl. Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, 8.246-247 [1991). Vor allem zu nennen sind hier die mehrmalige Gewährung des zinslosen Überziehungskredits ("Swing") und der Ausbau der Verkehrsverbindungen nach Berlin, die unmittelbar auch der DDR zugute kamen. Vgl. hierzu Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, 8.355, 359-360, 372-374 [1987]. 127 Vgl. Joachim Nawrocki, Die Beziehungen, S.58-59 [1988]. Tatsächlich hatte die DDR auch in der Verhandlungsphase das Grenzregime deutlich verschärft: Grenzverletzungen durch DDR-Organe 1969: 64, 1971: 87; Schüsse auf bundesdeutsches Gebiet 1969: 5, 1970: 26, 1971: 26; Anzahl der Betonbunker an der Grenze 1969: 40, 1971: 154; Metallgitterzaun von 1969 bis 1971 um 200 auf 494 km verlängert; verminte Grenzstrecke von 1970 bis 1971 von 747 auf 802 km verlängert; Verhaftungen im innerdeutschen Personenverkehr 1969:73, 1970: 134, 1971: 209; Opfer des Schießbefehls 1969: 2, 1970: 3, 1971: 8, vgl. Barzel, in: BT Sten.Ber. v. 23.2.1972, S.9755. 128 Vgl. Jens Hacker, Der Rechtsstatus Deutschlands aus der Sicht der DDR, S.451 [1974]. 129 Erich Honecker, Der Sozialismus gewann an Starke, in: ND v. 7.1 .1972. Bonecker bezeichnete im weiteren Verlauf seiner signifikanten Rede den imperialistischen ,,Feind", zu dem auch die Bundesrepublik Deutschland gehöre, als "aggressiv, tückisch und geflihrlich". Dieser Feind werde "sich nicht scheuen, die Waffen sprechen zu las-
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B.IV. Sozialliberale Regierungen
Diese Abgrenzungspolitik spiegelte sich besonders in der arn 7. Oktober 1974 erneut geänderten DDR-Verfassung wider, der alle Hinweise auf die deutsche Nation und auch ein Verfassungsauftrag zur "Vereinigung" beider deutscher Staaten fehlten. Die DDR nannte sich von nun an "sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern", während die Bundesrepublik als eine andere, kapitalistische Nation mit Bürgern deutscher Nationalität bezeichnet wurde130. Durch den Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion vom 7. Oktober 1975 131 fügte sich die DDR noch fester in das 'enge brüderliche Bündnis' ein und proklamierte das Ziel einer "weiteren Annäherung der sozialistischen Nationen"132. Mit dem Hinweis auf die Maßnahmen, die im Bedarfsfall zum Schutz und der Verteidigung der 'historischen Errungenschaften des Sozialismus' zu ergreifen sind, wurde die "Breschnew-Doktrin" in den Vertrag aufgenommen 133 . Daß jedoch irgendwann der Sozialismus auch an die Banner Türe klopfen 134 und die deutsche Frage im Sinne der SED lösen würde, dessen war sich Honecker sicher. Bis dahin sollte die eigene Türe allerdings verschlossen bleiben. Bereits kurz vor Unterzeichnung des Grundlagenvertrages verschärfte die DDR-Führung ihre Politik der menschlichen Erschwernisse135.
sen, wo wtd wann er nur die geringste Aussicht wittert, seine Aggressionspläne zu realisieren". Vgl. hierzu auchJoachim Nawrocki, Die Beziehwtgen, S.41-42 [1988]. 130 Vgl. zur dauernden Suche der verunsicherten SED-Fühnmg nach nationalen FormelnJens Hacker, Das nationale Dilemma der DDR, in: FAZ v. 15.4.1980. 13 1 Abgedruckt in: Dietrich Rauschning, Rechtsstellwtg Deutschlands, S.256-259 [1989]. 132 So in der Präambel, in: Dietrich Rauschning, Rechtsstellwtg Deutschlands, S.256 [1989]. 133 Vgl. Alfred Grosser, Das Deutschland im Westen, S.274 [1988]. 134 Vgl. die Äußerwtg Boneckers am 15.2.1981 auf einer Bezirksdelegiertenkonferenz der SED in Ost-Berlin, zit. in: Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte, S.139140 [1987]. 135 Die SED wttersagte den treuesten Anhängern ihres Staates, allen Angehörigen des Regierungs- wtd Verwaltwtgsapparates, der Volksarmee, der paramilitärischen Einheiten, der Partei wtd der sozialistischen Wirtschaftsorganisation, jegliche Westkontakte. Am 5. November 1973 verdoppelte die SED den Mindestwntauschsatz auf 20 DM pro Tag, f\lr Besucher Ost-Berlins auf 10 DM. Zu einer Senkwtg auf 13 bzw. 6,50 DM fand sich die DDR am 25. Oktober 1974 bereit, daf\lr erreichte sie die Erhöhwtg des zinslosen Überziehwtgskredits im innerdeutschen Handel ("Swing") wn 190 Millionen DM auf 850 Millionen DM. Eine Woche nach den Bwtdestagswahlen, am 13. Oktober 1980, erhöhte die DDR-Fühnmg den Zwangswntausch auf einheitlich 25 DM, außerdem wurden nwt auch Rentner wtd Jugendliche einbezogen, vgl. Wemer Link, Außen- wtd Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.359 [1987], u. Joachim Nawrocki, Die Beziehwtgen, S.59-60, passim [1988].
5. Deutschlandpolitische Ernüchtenmg
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Nach Brandts Rücktritt begann unter Helmut Schmidt. am 16. Mai 1974 von der SPDIFDP-Koalition zum Bundeskanzler gewählt, eine Phase der ostpolitischen Konsolidierung. Nüchtern136 und vorsichtig, unter größerer Beachtung des militärstrategischen Ungleichgewichts zwischen Ost und West137 , legte Schmidt die Priorität im Verhältnis zum Osten auf die Erhöhung der westlichen Sicherheit138 . Damit betonte er stärker die erste Hauptfunktion des Harmel-Berichtes139 , der seit 1967 die Grundlinie der NATO gegenüber dem Osten war. Wie Kissinger 140 in Kategorien des europäischen Gleichgewichts denkend, plädierten Schmidt und sein Außenminister HansDietrich Genscher 141 für eine "realistische Friedenspolitik" im Interesse der Bundesrepublik, die die staatliche Teilung Deutschlands zwar keineswegs verewige142, eine "illusionistische Wiedervereinigungsdebatte" aber verbiete 143 . Dazu mußten nach Ansicht Schmidts aber auch die Überlegungen Wehners von einer partnerschaftliehen KonfOderation mit der DDR 144 zählen. Schmidts bloßer Hinweis auf die zeitliche Parallelität von deutscher Teilung und Abwesenheit von Krieg - "30 Jahre Bundesrepublik Deutschland und 30 Jahre Deutsche Demokratische Republik - das war auch 30jähriger Friede nach außen, und zwar für alle Deutschen [.. .]" 145 - konnte somit leicht als 136 Vgl. Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, S.l50-151, m.w.N. [1992), u. Hans Georg Lehmann, Öffnung nach Osten, S.l88 [1984). 137 Vgl. nur die das militärische Stärkeverhältnis zwischen NATO und Warschauer Pakt 1979 darstellende Tabelle in: Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.296 [1987). 138 Vgl. Helga Haftendom, Sicherheit und Stabilität, S.97 [1986). 139 Der Hannel-Bericht, benannt nach dem belgiseben Außenminister, abgedruckt in: EA 2311968, S.D75-D77, wurde am 14.12.1967 von der Ministertagung des Nordatlantikrats verabschiedet und dokumentierte die Überzeugung der NATO-Mitglieder, daß Stabilität, Sicherheit, Vertrauen und Entspannung im Verhältnis zum Warschauer Pakt nur auf der Grundlage ausreichender militärischer Stärke und politischer Solidarität möglich seien. Vgl. hierzu Manfred Görtemaker, Die unheilige Allianz, S.58-59 [1979). 140 Vgl. die Definition, die Kissinger 1974 von ,,Entspannung" gegeben hat: ,,Für uns ist Entspannung ein Prozeß, in dem die Beziehungen mit einem potentiell feindlichen Land so gehandhabt werden, daß der Frieden erhalten bleibt, während wir zugleich unsere lebenswichtigen Interessen bewahren", zit. nach Gert...Joachim Glaeßner, Die Ost- und Deutschlandpolitik, S.237 [1984). 141 Vgl. Ernst Kuper, Der Wandel, S.259-260 [1978], u. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.291 [1987). 142 Vgl. Schmidts Interview mit dem "Spiegel", Nr.311979, zit. in Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, S.154 [I 992). 143 Vgl. die Rede Schmidts zur Lage der Nation am 17.5.1979, in: BT Sten.Ber., S.12253-12266 (12265). 144 Vgl. den "Spiegel" v. 12.3.1979, S.29. 145 So am 17.5.1979, in: BT Sten.Ber., S.l2265.
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B.N. Sozialliberale Regienutgen
Beschreibung eines kausalen Zusammenhangs interpretiert werden. Jedenfalls ging es der Regierung Schmidt stärker noch als Brandt und erst recht als Bahr, der nicht mehr Kabinettsmitglied war, um eine 'pragmatische' Deutschlandpolitik, die, wie Egon Franke, der Minister für innerdeutsche Beziehungen formulierte, auf "staatliche Strategien im Dienste säkularer Zielsetzungen" 146 verzichtete. Zu den staatlicherseits nicht zu verfolgenden "säkularen Zielsetzungen" zählten im Laufe der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre offenbar auch die 'menschlichen Erleichterungen'. Die innerdeutschen Abkommen bezogen sich nach Aussagen des ersten Ständigen Vertreters in Ost-Berlin, Günter Gaus, primär auf die Verbesserung der Situation West-Berlins. Wolle man "eine vernünftige Deutschlandpolitik betreiben", müsse man aufhören, den Ausbau der Verkehrsverbindungen nach Berlin, "bei dem die DDR draufgezahlt" habe, "immer auszugeben wie etwas, was wir unseren Landsleuten zum besseren Leben gegeben haben"147. Zu einem wichtigen Grundstein der 'kooperativen Entspannungspolitik' Schmidts wurde die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit den Staaten Osteuropas und besonders Polen und der Sowjetunion sowie mit der DDR, die nach Auffassung des Kanzlers auch positive politische Effekte nach sich ziehen würde 148 . Die Demokratisierungsbewegung in Polen seit dem Ende der siebziger Jahre offenbarte allerdings wieder einmal ein ostpolitisches Dilemma der Bundesrepublik. Zweifellos waren die Verselbständigung und Liberalisierung Polens erwünscht. Zugleich aber widersprachen sie dem entspannungspolitischen Interesse der SPD/FDP-Regierung an einem stabilen Verhältnis der Blöcke zueinander149. Die Regierungskoalition versuchte, die erneute Krise im Ost-West-Verhältnis nach dem sowjetischen Überfall auf Afghanistan nicht auf die innerdeutschen Beziehungen durchschlagen zu lassen 150 , doch bezog die DDR eindeutig Stellung im Sinne ihres östlichen Hegemons1 51 gegen den "Erfinder und Einpeitscher des Brüsseler Raketenbeschlusses" 152 . Zudem verschärfte die SED im Zuge der Abwehr des polnischen Unruhebazillus 153 ihre "teil146 Zit. nach Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Sclunidt, S.370 [1987}. 147 In: ,,Die Zeit" v. 24.12.1982, S.9-12 (10). l48 Vgl. hierzu Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Sclunidt, S.294-295 u. 308-309 [1987]. 149 Vgl. Alfred Grosser, Das Deutschland im Westen, S.280-281 [1988]. 150 Ähnl. fonnulierte es für die Gegenseite Honecker, vgl. ND v. 5.6.1980. 151 Vgl. Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Sclunidt, S.371372 [1987]. 152 So Bonecker am 13.10.1980, zit. nach AdG 5011980, S.23971. 153 Vgl. hierzu Bemard von Plate, Deutsch-deutsche Bezieh\Ulgen, S.35 [1984].
6. KSZE-Prozeß Wld NATO-Doppelbeschluß
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weise ins Absurde gesteigerte Abgrenzung" 154 , erhöhte den Zwangsumtausch am 13. Oktober 1980 [s.o.], und Honecker stellte in Gera am seihen Tag vier Maximalforderungen auf, die zu erfiillen Bedingung fiir die 'weitere Nonnalisierung' der deutsch-deutschen Beziehung sei: Die Bundesrepublik solle die DDR-Staatsbürgerschaft anerkennen, die Ständigen Vertretungen sollten in Botschaften umgewandelt werden, die Grenze solle in der Elbmitte festgelegt werden und Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter, die staatliche Gewaltakte in der DDR registrierte, solle aufgelöst werdeniSS. Insbesondere die ersten beiden "Geraer Forderungen" bewiesen, daß die DDR mit der modus vivendiRegelung des Grundlagenvertrages keineswegs zufrieden war und den innerdeutschen Status quo im Unterschied zur Bundesregierung zu verändern trachtete. Die innerdeutschen, längst institutionalisierten und "weitgehend zum Verhaltenskodex" erstarrten1S6 Gespräche gingen freilich weiter, und das Interesse der DDR an wirtschaftlichen Vereinbarungen und Devisen sowie die propagierte gemeinsame "Verantwortung für die Sicherheit des Friedens in Europa"157 ließen das Spitzentreffen Honeckers und Schmidts am Werbellinsee und in Güstrow nach zweimaligem Verschieben am 12. und 13. Dezember 1981, dem Tage der Verhängung des Kriegsrechts in Polen, stattfinden158 . Menschliche Erleichterungen brachte die Begegnung nicht, der Mindestumtauschsatz blieb erhöht, dennoch wurde, anders als 1974, der zinslose Überziehungskreditder DDR im innerdeutschen Handel um ein Jahr verlängert1S9 . 6. KSZE-Prozeß und NATO-Doppelbeschluß
Nach dem Wunsch Moskaus sollte die KSZE mit einem völkerrechtlichen Schlußdokument erfolgreicher sowjetischer Westpolitik enden 160 . Der Westen IS 4 Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen BWldestages ,,AufarbeitWlg von Geschichte Wld Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31 . Mai 1994, S.l28. Vgl. hierzu das Sondervotum des AbgeordnetenGerd Poppe (Bündnis 90/ Grüne) Wld des Sachverständigen Armin Mitter, ebd., S.l46. ISSDie Geraer Rede abgedruckt in: ND v. 14.10.1980. Vgl. hierzu die FAZ v. 17.12.1980 sowie ,,Die Zeit" v. 17.10.1980 u. Bemard von Plate, Deutsch-deutsche BeziehWlgen, S.29 [1984]. IS6 So Ernst Kuper, Der Wandel, S.261 [1978), der bereits fi1r 1976n7 ,,kaum noch spezifische operative Maßnahmen" erkannte. 157 So im gemeinsamen SchlußkommWlique, abgedruckt in: EA 3711982, S.D79D82 (D79). ISS Vgl. hierzu He/ga Haftendom, Sicherheit Wld Stabilität, S.l58-159 [1986]. 159 Vgl. Bemard von Plate, Deutsch-deutsche BeziehWlgen, S.30 [1984]. 160 Vgl. Curt Gasteyger, Europa, S.317 [1991].
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B.IV. Sozialliberale Regierungen
aber hatte in einer Reihe von NATO-Kommuniques Bedingungen fur die Einberufung der KSZE gestellt, die die Sowjetunion angesichts des ohnehin geringen Interesses insbesondere der Amerikaner an dieser Konferenz nicht ablehnen konnte, wollte sie das Scheitern verhindern. Die KSZE sollte nicht als eine Art Deutschlandkonferenz zur Erreichung der endgültigen, völkerrechtlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der DDR mißbraucht werden. in die Tagesordnung sollten die Frage der Freizügigkeit fur Menschen, Informationen, Ideen sowie kulturelle Beziehungen und geeigneter Maßnahmen militärischer Sicherheit aufgenommen werden 161 . Nach knapp drei Jahren und langwierigen Verhandlungen162 ist die Schlußakte von Helsinki163 am 1. August 1975 unterzeichnet worden. Mit den zehn Prinzipien zu Anfang der Schlußakte wurden im wesentlichen die Bestimmungen des Moskauer Vertrages über die zwischenstaatlichen Beziehungen multilateralisiert. Für die Sowjetunion war dieser Dekalog das "Herzstück der Akte" 164 . Doch insbesondere das von der CDU/CSU geforderte 165 bundesdeutsche Drängen 166 auf die Regelung humanitärer Fragen führte zu Formulierungen im Korb III, wonach sich die 35 Teilnehmerstaaten u.a. zum Ziel setzen, "freiere Bewegung und Kontakte auf individueller und kollektiver, sei es auf privater oder otTtzieller Grundlage, zwischen Personen, Institutionen und Organisationen der Teilnehmerstaaten zu erleichtern und zur Lösung der hwnanitären Probleme beizutragen" 167 , [... ] "freiere und umfassendere Verbreitung von Informationen aller Art zu erleichtern [... ]sowie die Bedingungen zu verbessern, unter denen Journalisten aus einem Teilnehmerstaatihren Beruf in einem anderen Teilnehmerstaat ausüben"168. Es waren diese Absichten und die in den zehn Punkten fixierte Entschlossenheit, die Menschenrechte und individuellen Grundfreiheiten zu achten 169 , die der westlichen Verhandlungsstrategie entsprechend170 im sowjetischen Machtbereich Bürgerrechtsbewegungen Mut schöpfen ließen und schließlich zur Erosion des politisch-ideologischen Systems beigetragen haben 171 . Für die 161 Vgl. Rüdiger Lentz, KSZE, S.l48 [1976). 162 Vgl. hierzu Werner Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.297-300 [1987], u., insgesamt, Wilfried vonBredow, Der KSZE-Prozeß [1992]. 163 Abgedruckt in: EA 30/1975, S.D437-484. 164 Curt Gasteyger, Europa, S.318 [1991]. 165 Vgl. hierzu Christion Hacke, Parlamentarische Opposition, S.269-271 [1978). 166 Vgl. Rüdiger Lentz, KSZE, S.l56, Anm.43 [1976], u. Werner Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.298 [1987]. 167 In: EA 30/1975, S.D467. 168 In: EA 3011975, S.D470. 169 Vgl. Art. VII des Dekalogs, in: EA 3011975, S.D441-D442. 17° Vgl. Radiger Lentz, KSZE, S.l56 [1976]. 171 Vgl. Manfred Görtemaker, Die unheilige Allianz, S.l68-169 [1979], der 1979
6. KSZE-Prozeß und NATO-Doppelbeschluß
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deutsche Frage blieb evident, daß die Schlußakte kein völkerrechtlicher Vertrag war, und daß die Vier-Mächte-Verpflichtungen ausdrücklich weiterbestanden. Dennoch lehnte die Unionsfraktion im Bundestag die KSZE-Schlußakte ab 172 , weil sie keine echten, verifizierbaren Selbstverpflichtungen zur Verwirklichung menschlicher Erleichterungen enthalte 173 -tatsächlich verschärfte die DDR nach 1975 ihre Repressionen, was eindeutig gegen die Inhalte der KSZE-Schlußakte verstieß 174 -, im Gegensatz zum tatsächlichen Verhalten der Sowjetunion stehe, die das Mächtegleichgewicht konsequent verschiebe 17~ und ihren Einfluß mithilfe der KSZE in Westeuropa verstärke 176 . Der schleppende Fortgang der parallel laufenden Wiener MBFR-Gespräche177 zur Truppenreduzierung in Europa offenbarte, daß von einem OstWest-Ausgleich nicht die Rede sein konnte. Das Ende des amerikanischen Engagements in Vietnam und die damit verbundene Annäherung an China, der chinesisch-sowjetische Konflikt, die ideologischen und auch militärischen noch vor einer "unkontrollierten Weiterentwicklung" der Bürgerrechtsbewegungen, Helsinki-Komitees, der Bewegung der Charta 77 und Aktionen einzelner Bürger warnte, weil sie "die innere Stabilität der kommunistischen Systeme geflihrden und damit eine der Voraussetzungen der Entspannungspolitik - beiderseitige Stabilität nach innen und nach außen- beseitigen konnte". 172 Vgl. hierzu Christion Hacke, Parlamentarische Opposition, S.271-274 [1978). Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnete vor der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" diese Ablehnung als Fehler, vgl. den Bericht der Enquete-Kommission, S.127. 173 Vgl. hierzu die Argumente Stilekiens vom 25.7.1975, in: BT Sten.Ber.. S.l281912825 (12823). 174 Vgl. hierzu Manfred Gortemaker, Die unheilige Allianz, S.153-186 [1979), u. die Zusammenstellung bei Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.363-364 [1987). 175 Vgl. Franz Josef Strauß, in: BT Sten.Ber. v. 25.7.1975, S.l2862-12869 (12869). 176 Vgl. Schroder, in: BT Sten.Ber. v. 25.7.1975, S.12854-12859 (12857). 177 MBFR =Mutual and Balanced Forces Reduction Talks, die am 30.10.1973 in Wien begonnen hatten und als Staaten, deren Gebiet von Truppenreduzierungen berührt sein sollten, eben jene aufzählte, die Bahr als Mitglieder fllr sein europäisches Sicherheitssystem [s.o.] wünschte. Vgl. hierzu Manfred Gortemaker, Die unheilige Allianz, S.l20-126 [1979). Die Mittelstreckenwaffen lagen in einer Grauzone zwischen SALT und MBFR und sollten nach SALT ll in bilaterale Rüstungskontrollverhandlungen einbezogen werden, die früh schon als "SALT ill" bezeichnet wurden. Weil SALT ll vom amerikanischen Senat nicht ratifiziert wurde, wurden die Mittelstreckenwaffen-Verhandlungen als INF-Verhandlungen gefillut (INF = Intermediate Nuclear Forces), vgl. hierzu Wemer Link, Der Ost-West-Konflikt, S.203-214 [1988). 10 Roos
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Aktivitäten der So\\jetunion in der Dritten Welt, insbesondere in Afrika, verschlechterten das internationale Klima erneut. Die konventionelle und nukleare Aufrüstung der So\\jetunion auch in Europa setzte sich ungehindert fort und zielte offenbar darauf, die Strategie der flexiblen Reaktion der NATO aufgrund eigener erdrückender Überlegenheit ins Leere laufen zu lassen, so daß nur noch der fiir regionale Konflikte ohnehin unglaubwürdige Einsatz nuklearer Kräfte übriggeblieben wäre178 . Außerdem versuchte die So\\jetunion, durch eine immense Aufrüstung mit eurostrategischen Raketensystemen mittlerer Reichweite 179 , die vorn SALTI-Abkommen nicht berührt worden waren, die strategische Einheit der NATO zu brechen und die unmittelbar nicht bedrohten Vereinigten Staaten von Europa abzukoppeln 180 . Offenbar sah die So\\jetunion keine Veranlassung, der westlichen Überzeugung zu folgen, wonach Berlin- und Kuba-Krise gelehrt hätten, "daß der Status quo ohne Krieg nicht zu verändern sein würde"l8 1 . Trotzdem gab es in der Bundesrepublik lauter werdende Stimmen wie jene von Egon Bahr, Horst Ehrnke und Herbert Wehner, die auf westliche Vorleistungen in den MBFR-Verhandlungen drängten, um günstige Rahmenbedingungen fiir eine innerdeutsche Annäherung in einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu schaffen 182 . Auch Bundeskanzler Schmidt- wohl Rücksicht nehmend auf seine Partei - widersprach mit seiner Vorstellung, die Truppen der gegensätzlichen Bündnisse in Mitteleuropa um die Hälfte zu re178 Vgl. hierzu nur K.-PeterStratmann, S.l46-150, m.w.N. [1985].
179 Bis zwn Frühjahr 1981 hatte die So\\jetunion mehr als 540 Mittelstreckenraketen-Abschußvorrichtwlgen fllr mehr als 860 nukleare Sprengköpfe errichtet, während der Westen - bis auf die der NATO nicht zugehörigen französischen 18 SSBS-2 Raketen mit nur je einem Sprengkopf- in dieser Waffenkategorie nichts besaß. Zudem rüstete die So\\jenmion seit 1976 mit den modernen Mittelstreckenraketen vom Typ SS20 auf (Reichweite: 5.000 km; drei Sprengköpfe mit der Fähigkeit, einzelne Ziele zu bekämpfen; Treffgenauigkeit auf ca. 300 m; Nachladefähigkeit; mobil, darum geringe Bekämpfungsmöglichkeit; Antrieb mit festem Treibstoff, darum schnelle Einsatzbereitschaft, da das Auftanken entfiUlt). Die Unterlegenheit des Westens in der zweiten Kategorie der nuklearen Mittelstreckenwaffen, der Mittelstreckenbomber und schweren Jagdbomber, lag im Verhältnis 1:4 bis 1:5, vgl. Aspekte der Friedenspolitik, S.73 u. 87 [1981]. 180 Vgl. He/ga Haftendom, Sicherheit und Stabilität, S.94 [1986], u. Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.l30 [1991]. Zur Gesamtproblematik der so\\jetischen Aufrüstwlg vgl. Uwe Ner/ich (Hrsg.), Die Einhegung so\\jetischer Macht [1982]. 18 1 So aber Gert-Joachim G/aeßner, Die Ost- und Deutschlandpolitik, S.239 [1984]. 182 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schrnidt, S.302303 u. 368-369 (1987].
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duzieren183 , seiner eigenen Überzeugung vom notwendigen militärischen Gleichgewicht. Eine solche MBFR-Lösung hätte die Bundeswehr praktisch halbiert, während die so\\jetischen Truppen nur zurückgezogen worden wären. Zu einer echten, durch erhebliche Teile der öffentlichen Meinung hervorgerufenen Schwächung des Nordatlantischen Bündnisses kam es im Zuge der Debatte um die Neutronenwaffe. Bundeskanzler Schrnidt, der sich in einer leidenschaftlichen, mit moralischen Argumenten geführten Diskussion184 in seiner Partei mühsam hatte durchsetzen können, hatte die Neutronenwaffe als einen abrüstungspolitischen Hebel in den MBFR-Verhandlungen nutzen wollen. Die Dislozierung nach zwei Jahren, so der ursprüngliche, gemeinsame deutsch-amerikanische Plan, wäre unterblieben, wenn die So\\jetunion ihrerseits auf die Stationierung der SS 20-Mittelstreckenrakete verzichtet hätte. Nachdem Schmidt sich nicht in der Lage sah, noch vor Produktionsbeginn eine Stationierungszusage für die Bundesrepublik öffentlich abzugeben, widerrief der amerikanische Präsident, Jimmy Carter, im Frühjahr 1978 seine Entscheidung, die Neutronenwaffe zu produzieren185 . Auf der französischen Insel Guadeloupe berücksichtigten die Regierungschefs der drei Mächte (Vereinigte Staaten, Großbritannien, Frankreich) und der Bundesrepublik im Januar 1979 die Erfahrungen der mangelhaften Abstimmungen und Konsultationen in der Auseinandersetzung um die Neutronenwaffe und einigten sich darauf, eine gemeinsame Verhandlungsposition gegenüber der So\\jetunion in der Frage der eurostrategischen Mittelstreckenwaffen zu entwickeln 186 . Am 12. Dezember 1979 verabschiedeten die Außen- und Verteidigungsminister der NATO in Brüssel ein Kommunique187, mit dem auf die sowjetische Bedrohung Europas reagiert wurde und das auf Überlegungen beruhte, die Helmut Schmidt bereits 1977 angestellt hatte 188 . Die NATO beschloß, die 108 veralteten Pershing Ia-Raketen mit einer Reichweite von 720 km durch die modernere Pershing II (Reichweite 183 Vgl. Schmidt, in: BT Sten.Ber. v. 9.3.1979, S.ll235-ll253. 184Vgl. den Artikel Bahrs im "Vorwärts" v. 17.7.1977, in dem er die Neutronenbombe als "ein Symbol der Perversion des Denkens" brandmarkt wtd fragt, ob die Menschheit dabei sei, "verrückt zu werden". 185 Vgl. hierzu He/ga Haftendom, Sicherheit wtd Stabilität, S.l04-l05 [1986], u. Wemer Link, Außen- wtd Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.313-317 [1987]. 186 Zu den Vorbereitwtgen der Nuklearen Planwtgsgruppe vgl. He/ga Haftendom, Sicherheit wtd Stabilität, S.l06-124 [1986]. 187 Abgedruckt in: EA 35/1980, S.D35-D37, u. in: Aspekte der Friedenspolitik, S.74-76 (1981]. 188 Zur Rede Schmidts vor dem Internationalen Institut für Strategische Studien in London am 28.10.1977 vgl. He/ga Haftendom, Sicherheit wtd Stabilität, S.l 02-104 (1986].
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B.IV. Sozialliberale Regierungen
1.800 km) zu ersetzen, 464 bodengestützte Marschflugkörper zu stationieren und 1.000 nukleare Gefechtsköpfe mit geringerer Reichweite abzuziehen. Damit sollte das nukleare Gewicht in der NATC-Strategie nicht zunehmen, sondern ein modernes Pendant zur sowjetischen SS 20 darstellen und die 'Raketenlücke' schließen. Außerdem sollten die Mittelstreckenraketen nicht, wie es im Falle der Neutronenwaffe zeitweise aussah, allein in der Bundesrepublik stationiert werden 189 . Gleichzeitig aber, und dies machte den doppelten Charakter des Nachrüstungsbeschlusses aus, sollte der tatsächliche Bedarf an Mittelstreckenraketen "im Licht konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft werden" 190 . Weil die Raketen erst 1983 zu VerfUgung stehen würden, war damit eine mögliche Verhandlung über den Abzug eurostrategischer Waffen praktisch vorgeschaltet "ein Novum in der internationalen Politik!"191. Bundeskanzler Schmidt jedoch sah sich bis zum Ende seiner Kanzlerschaft mit der Forderung weiter Teile der SPD und der aufkommenden "Friedensbewegung" konfrontiert, zunächst ausschließlich zu verhandeln und erst danach über die Nachrüstung zu entscheiden192 oder sie gänzlich ausfallen zu lassen193 , was die Verhandlungen für die Sowjetunion wohl kaum dringend gemacht hätte. Die SPD mußte, wollte sie ihrer eigenen dogmatischen Auffassung von einer Entspannungspolitik, zu der es "keine zu verantwortende Alternative" gebe, und die "zur Bildung von Vertrauen und zum Abbau von Bedrohungsvorstellungen zwischen Ost und West in Europa beigetragen" habe194, treu bleiben, ihrerseits dem behaupteten Entspannungswillen der Sowjetunion und des Generalsekretärs Breschnew vertrauen. Darum begrüßte die 189 Vgl. He/ga Haftendom, Sicherheit und Entspannung, 8.234-236 [1983]. 190 In: Aspekte der Friedenspolitik, S.76 [1981]. 191 Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schrnidt, S.319 [1987]. 192 Vgl. Nr.13 des Antrags zur Sicherheitspolitik auf dem Münchener Parteitag v. 19.-23.4.1982, S.907-911 (910): ,,Die SPD bekräftigt: es darf- gemäß der Entscheidung des Berliner Parteitages vom Dezember 1979 - keinen Automatismus der Stationierung geben;(... ) Es darfkeine Stationierung auf deutschem Boden geben, bevor die SPD ihre Meinung über die dann {bis zum Parteitag im Herbst 1983, S.R.] vorliegenden Ergebnisse festgelegt hat". Wenn damit, wie Susanne Miller, Kleine Geschichte, S.248 [1988], schreibt, die sicherheitspolitischen Kontroversen zwischen Partei und Regierung vermieden wurden, so doch nur deswegen, weil Schrnidt offenbar von seiner eigentlichen Konzeption, nämlich der gleichzeitigen Modernisierung und Rüstungskontrollverhandlung, vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, 8.320, 336-337, 340 u. 429 [1987], Abschied genommen hatte. 193 Vgl. Wolfram F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.l32 [1991]. 194 So im Antrag zur Außen- und Deutschlandpolitik beim Parteitag in Berlin v. 3.7.12.1979, S.l217-1222 (1218), passim. Vgl. ähnl. den aufdem Münchener Parteitag v. 19.-23.4.1982 angenommenen Antrag zur Sicherheitspolitik, S.907-911 (908).
6. KSZE-Prozeß und NATO-Doppelbeschluß
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SPD auf ihrem Parteitag in Berlin vorn 3. bis 7. Dezember 1979 "die zum ersten Mal in einer zwischen Ost und West vereinbarten Erklärung getroffene Feststellung" anläßlich des Besuches Breschnews im Frühjahr 1978 in Bonn, "daß beide Seiten es für wichtig hielten, daß niemand militärische Überlegenheit anstrebt und daß annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen" 195 . Die So\\jetunion jedenfalls war über ihre Mittelstreckensysteme zu verhandeln durchaus abgeneigt. solange die NATO an ihrem Modemisierungsbeschluß festhielt 196 ; stereotyp behauptete sie, es bestünde bereits ein militärisches Gleichgewicht 197 . Mit dem so\\jetischen Überfall auf Afghanistan zu Weihnachten 1979 endete die Detente-Politik. Weder eine "Politik der Stärke" in den fiinfziger Jahren, noch die auf Kooperation und Integration angelegte Entspannungspolitik der sechziger und mehr noch der siebziger Jahre hatte die So\\jetunion eindämmen können. Praktische Konsequenzen zog die so\\jetische Aggression im bilateralen Verhältnis mit der Bundesrepublik aber kaum nach sich, der für Moskau besonders interessante BonnerOsthandel florierte weiterhin 198 . Einer von Carter geforderten Sanktionspolitik weigerte die Bundesregierung, sich anzuschließen 199 . AufUnteilbarkeit der Abschreckung bestehend, sprach sich die Bonner Regierung gegenüber den Vereinigten Staaten gleichzeitig für Teilbarkeit der Entspannung aus2°0 . Schrnidt und Genscher reisten wie geplant arn 30. Juni 1980 zu ihrer "Dolrnetscherrnission" nach Moskau, Bahr und Brandt im Juni 1981. Brandt war nach seiner Reise überzeugt, daß Breschnew um den Weltfrieden zittere201 , und darum solle der Westen auf den so\\jetischen Vorschlag, während der Verhandlungen auf die weitere Stationierung von Mittelstreckenraketen zu verzichten, eingehen202 . Herbert Weh195 In: Antrag zur Außen- und Deutschlandpolitik beim Parteitag in Berlin v. 3.7.12.1979, S.1217-1222 (1218-1219). Vgl. die gemeinsame deutsch-sowjetische Erklärung vom 6.5.1978 in: Bulletin, Nr.44 v. 9.5.1978, S.433-436. 196 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.320321 [1987). 197 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.336 u. 340 [1987]. 198 Vgl. Wemer Link, Außen- und Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.327 [1987]. 199 Vgl. Helga Haftendom, Sicherheit und Stabilität, S.l43-144 u. 160-161 [1986]. 200 Vgl. Wilhelm G. Grewe, Die deutsche Frage in der Ost-West-Spannung, S.l28129 [1986], u. Wolfrom F. Hanrieder, Deutschland, Europa, Amerika, S.124-125 [1991]. 201 Vgl. sein Interview mit dem "Spiegel" v. 6. 7.1981, S.26. 202 Auch vom sowjetischen Angebot vom November 1981, im Falle eines Stationierungsmoratoriums eine gewisse Anzahl von SS-20-Stellungen hinter den Ural zurückzuziehen - was angesichts der großen Reichweite dieses Raketentyps die Bedro-
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B.N. Sozialliberale Regienutgen
ner, der das sowjetische Militärpotential als defensiv bezeichnete2°3 , und die SPD-Mehrheit sahen die Entspannungspolitik und den ersehnten "Wandel durch Annäherung" durch eine Nachrüstung gefährdet. Für den Gleichgewichtspolitiker Schmidt wuchsen die Schwierigkeiten, seine Partei auf dem Kurs der Verbündeten zu halten204 , die auf der Ministertagung des Nordatlantikrates am 5. Mai 1981 den Moratoriumsvorschlag der Sowjetunion ablehnten, weil er die westliche "Unterlegenheit auf diesem Gebiet dadurch festschreiben (würde], daß das Modernisierungsprogramm der NATO vollständig blockiert würde"20S . Die politische Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses mit der Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen, die angesichtsdes ergebnislosen Verlaufs der Genfer Abrüstungsgespräche unumgänglich wurde, blieb der Regierung Kohl vorbehalten.
hWlg Europas keineswegs aufgehoben hätte, worauf Schmidt hinwies - fand großen Anklang bei Brandt Wld der HauptströmWlg in der SPD, vgl. Wemer Link, Außen- Wld Deutschlandpolitik in der Ära Schmidt, S.339 [1987]. 203 So He/ga Haftendom, Sicherheit Wld Stabilität, S.l27 [1986]. 2°4 Vgl. hierzu He/ga Haftendom, Sicherheit Wld Stabilität, S.128-131 [1986), u. Hans Georg Lehmann, ÖffnWlg nach Osten, S.191 [1984). 20S So im Kommunique, in: Aspekte der Friedenspolitik, S.77-80 (80) [1981].
C. Argumentationsmuster der Kritik am Wiedervereinigungsgebot I. Das "friedenspolitische" Argument 1. Der sicherheitspolitische Aspekt der Wiedervereinigung 1989/1990
Zur Beurteilung der sicherheitspolitisch begründeten Rechtfertigung der deutschen Teilung ist es sinnvoll, kurz die Ereignisse der zwölf Monate 1989/90, die zur Wiedervereinigung Deutschlands führten, zu rekapitulieren 1 . In der ersten Jahreshälfte 1989 häuften sich in der DDR die Demonstrationen für Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Die Demontage der Befestigungen an der ungarisch-österreichischen Grenze nutzten Urlauber aus der DDR ab Juli 1989, nach Österreich und weiter in die Bundesrepublik zu fliehen. Im August mußten die Ständige Vertretung in Ost-Berlin sowie die Botschaften in Budapest und Prag geschlossen werden, weil immer mehr Menschen aus der DDR dort Zuflucht suchten. Am 10. September 1989 wurde die Grenze von Ungarn nach Österreich geöffnet. Damit brach der Eiserne Vorhang buchstäblich auf. Bis Ende des Monats kamen etwa 25.000 Deutsche aus der DDR nach Österreich. Im Oktober gewährte die DDR die organisierte Flucht von ca. 15.000 Botschaftsflüchtlingen aus Prag und Warschau, die mit Sonderzügen durch die DDR in die Bundesrepublik transportiert wurden. Die bis dahin größte Demonstration für Demokratie, am 4. Oktober in Leipzig, wurde noch durch harten Polizeieinsatz aufgelöst; die erste der dann regelmäßig folgenden Montags-Demonstrationen am 9. Oktober mit über 50.000 Teilnehmern verlief friedlich und ohne staatliche Störung. Während der Herbstferien wuchs die Flüchtlingswelle. Am 18. Oktober löste Egon Krenz Erich Honecker ab. Die größte Massendemonstration von über 500.000 Menschen in Ost-Berlin am 4. November, im Fernsehen der DDR übertragen, verschärfte den Druck auf die SED-Führung.
1 Vgl. zwn Ablauf der Ereignisse Axel Schatzsack, Exodus in die Einheit - Die Massenflucht aus der DDR 1989 (1990), Gebhard Diemer (Hrsg.), Kurze Chronik der Deutschen Frage [1990], u. den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994,8.135-136.
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C.I. Das "friedenspolitische" Argwnent
Am 9. November schließlich öffnete die DDR die Grenze zur Bundesrepublik und nach West-Berlin. Dieses Datum markiert nach dem 17. Juni 1953 und dem 13. August 1961 den Höhepunkt der dritten und letzten Krise der DDR. Die am 13. November neugebildete DDR-Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow vermochte die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts der Menschen in der DDR nicht zu bremsen; in den nächsten Wochen wandelte sich die Losung "Wir sind das Volk" in die Losung "Wir sind ein Volk". Die Wiedervereinigung Deutschlands war "von den Deutschen in der DDR selbst auf die Tagesordnung gesetzt worden"2 . Kurz vor den ersten und letzten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990, als bereits das Freiheitsziel, also die Befreiung von der Gängelung durch Staat und Partei, die weitgehende Zerstörung der alten Machtstrukturen sowie die Möglichkeit zu reisen, erfüllt war, sprachen sich 91 Prozent der Wähler in der DDR und selbst 77,3 Prozent der POS-Anhänger "fiir die Vereinigung der beiden deutschen Staaten" aus3 . Die "Allianz fiir Deutschland"- ein Parteienbündnis aus CDU, DA (Demokratischer Aufbruch) und DSU (Deutsche Soziale Union) -, die eindeutig fiir die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands eintrat, gewann bei den Volkskammerwahlen 48,2 Prozent der Stimmen. Lotbarde Maiziere übernahm am 12. Aprill990 das Amt des Ministerpräsidenten und fiihrte eine breite Koalition aus CDU, DA, DSU, SPD und Liberalen.
Die angestrebte staatliche Wiedervereinigung mußte zur Aufhebung des Vier-Mächte-Status fiihren. Die Verhandlungen4 der beiden Staaten in Deutschland mit den vier ehemaligen Alliierten hatten zur Aufgabe, die VierMächte-Rechte abzulösen und damit die Souveränität Deutschlands wiederherzustellen sowie die Grenzen und den militärischen Status Deutschlands zu
2 Wolfgang Seiffert, Selbstbestimmnngsrecht nnd deutsche Vereinignng, S.l28 (1992], vgl. Fred 0/denburg, Die hnplosion des SED-Regimes, 8.31-35 [1991]. 3 Vgl. Dieter Roth, Die Wahlen zur Volkskammer in der DDR Der Versuch einer Erklärung, S.383 [1990]. Die Zahlen basieren auf 1.450 Interviews, die die Forschungsgruppe Wahlen in der Zeit vom 7. bis 14. März 1990 durchftl.hrte. Die aus den Interviews gefilterte Prognose "traf das Ergebnis der Wahl am 18.3. mit nur geringen Abweichnngen" (Roth, S.392). Mit dieser Höhe übertrafen diese Prozentzahlen noch jene eines DDR-Meinungsforschnngsinstituts, das - so der aus der DDR stammende Wirtschaftsprofessor und frühere Berater von Willi Stoph, Herrmann von Berg, in der ARD-Fernsehsendung ,,Pro und Contra" v. 19.10.1989, ausgestrahlt ab 20.15 Uhr -, stets 80 Prozent JaStimmen zur Frage der Wiedervereinignng ermittelte nnd aus diesem Grund von der SED aufgelöst worden sei. Vgl. auch in: Sudetendeutsche Zeitnng v. 27.10.1989. 4Jn Bonn am 5.5.1990, in Ber1in am 22.6.1990, in Parisam 17.7.1990 und in Moskauam 12.9.1990.
1. Der sicherheitspolitische Aspekt der Wiedervereinigung 1989/1990
153
bestimmen. Mit dem abschließenden5 sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrat' unterwarf sich Deutschland in sicherheitspolitischer Hinsicht freiwillig gewisser Souveränitätsbeschränkungen. Die Regierungen beider Teile Deutschlands erklärten, daß das vereinte Deutschland "auf Herstellung und Besitz von und auf Verfiigungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen" verzichten7 und die Streitkräfte auf370.000 Mann reduzieren8 werde. Entscheidend aber war letztlich das von Bundeskanzler Kohl in seiner zweimaligen Unterredung mit Michael Gorbatschow im Kaukasus im Juli 1990 durchgesetzte Recht Deutschlands, seine militärische Allianz "mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten"9 frei wählen zu können. Eine konstitutive Regelung der deutschen Bündniszugehörigkeit im Zwei-plus-VierVertrag hätte das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Nation sowie die Souveränität des deutschen Staates tiefgreifend beeinträchtigt10 . Mit der Pariser Charta fur ein neues Europa vom 21. November 1990 11 verpflichteten sich die mit dem Untergang der DDR auf 34 Mitglieder verringerten KSZE-Staaten zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeil und zur Achtung der Menschenrechte sowie zur Förderung freundschaftlicher Beziehungen untereinander. Die Charta dokumentiert das Ende der kommunistischen Ideologie als Leitprinzip der die gesamten menschlichen Lebensbereiche umfassenden, die internationalen Beziehungen berührenden und den Ost-WestKonflikt verursachenden Politik der Staaten des ehemaligen Ostblocks: ,,Das Zeitalter der Konfrontation Wld der TeilWlg Europas ist zu Ende gegangen. [...) Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit. Durch den Mut von Männern Wld Frauen, die Willensstärke der Völker Wld die Kraft der Ideen der Schlußakte von Helsinki bricht in Europa ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens Wld der Einheit an" 12 .
Ausdrücklich nahmen die damals 34 europäischen und amerikanischen Staaten der KSZE "mit großer Genugtuung" Kenntnis vom Zwei-plus-Vier5 Auf den friedensvertragliehen Charakter weist Wolfgang Seiffert, SelbstbestimmWlgsrecht Wld deutsche Vereinigung, 8.157-158 [1992], hin. 6 Vertrag über die abschließende RegelWlg in bezug auf Deutschland vom 12.9.1990, in Kraft getreten am 15.3.1991, abgedruckt in: EA 19/1990, S.D509-D514. 7 Art.3, Abs.l. 8 Art.3, Abs.2. 9 Art.6. Nach Art.5, Abs.3 sollen deutsche NATO-Verbände allerdings erst nach Abzug der sowjetischen Truppen bis Ende 1994 (vgl. Art.4, Abs.l) auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationiert werden. 1 Für Wolfgang Seiffert, SelbstbestimmWigsrecht Wld deutsche Vereinigung, S.l45 [1992], wäre dies einem ,,'neuen Versailles"' gleichgekommen. 11 Abgedruckt in: EA 2411990, S.D656-D664. 12 In: EA 24/1990, S.D656.
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C.l. Das ,,friedenspo1itische" Argwnent
Vertrag und anerkannten die Wiedervereinigung Deutschlands als einen bedeutsamen Beitrag "zu einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung ftlr ein geeintes demokratisches Europa". Das Abbröckeln der Nachkriegsordnung ist inzwischen weiter fortgeschritten, der Warschauer Pakt ist aufgelöst, die Sowjetunion ist untergegangen. 2. Unvereinbarkeit von Wiedervereinigung und Sicherheit?
In den Jahren nach der Bonner "Wende" 1982 bis zum Herbst 1989 war die öffentliche und politische Diskussion über die deutsche Frage stets eng verknüpft mit Überlegungen zur europäischen Sicherheit. Idealtypisch standen sich zwei Meinungen gegenüber. Die eine sah die deutsche Teilung als Ursache der Ost-West-Spannungen an, wonach "die Wiedervereinigung der Deutschen [als] ein Beitrag zu einer aktiven Friedenspolitik" und als ein "Weg, um aus der Rüstungsspirale herauszukommen", betrachtet wurde 13 . Die Exponenten der anderen Meinung sahen in der deutschen Teilung eine friedensbewahrende Regelung des Ost-West-Konflikts mit der Folge, daß die Wiedervereinigung "das prekäre innereuropäische Gleichgewicht" zerstöre und damit "die Sicherheit aller Europäer" gefahrde 14 . Diese, aus der heutigen Sicht nachweislich als unbegründet abzulehnende Wahrnehmung der internationalen Situation der achtziger Jahre soll im folgenden in ihrem Facettenreichtum näher dargestellt werden. Beide Meinungstypen aber basierten auf der ftlr unerschütterlich angenommen Grundvoraussetzung, daß das Sowjetsystem ideologisch, macht- und bündnispolitisch Bestand haben würde1S. In den Quellen fanden sich keine Äußerungen von Teilungsapologeten, die etwa die Möglichkeit des Verschwindens des Kommunismus' und der ihn als Staat verkörpernden Sowjetunion andeuteten. Als alternatives, den Frieden gefährdendes Schreckensbild zum Status quo wurde darum immer nur die "Idee ei13 So der CDU-Bundestagsabgeordnete Bemhard Friedmann in seinem 1987 stark diskutierten Thesenpapier ,,Die Wiedervereinigung der Deutschen als Sicherheitskonzept", abgedruckt in: Berliner Morgenpost v. 22.5.1987. 14 So Wilfried Loth, Ost-West-Konflikt und deutsche Frage, S.25 [1989), ganz älml. Jürgen Schmude in seiner Rede am 17.5.1985 vor dem Kuratoriwn Unteilbares Deutschland, abgedruckt in den Informationen der SPD-Fraktion v. 17.5.1985, S.22. 15 Auch Helmut Kohl, Leitlinien und Grundüberzeugungen deutscher Außenpolitik, S.437 [1986], stellte apodiktisch fest: ,,Natürlich wird es kein Ende des ideologischweltanschaulichen Gegensatzes zwischen Ost Wld West geben". Älutl., aber zynischmokant, der Abgeordnete Dirk Schneider (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 15.3.1984, S.4178-4183 (4181): "Sicher ist aber, daß die alten Schemata vom goldenen Westen als dem Reich der Freiheit oder auf der anderen Seite vom bösen Osten, der über kurz oder lang zusammenbrechen wird, völlig unbrauchbar sind".
2. Unvereinbarkeit von Wiedervereinigwtg tmd Sicherheit?
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nes deutschen Sonderweges - sei es der eines vereinten Deutschlands oder nur der Bundesrepublik - in die Neutralität" 16 perhorresziert17 . In der NATO bleiben und gleichzeitig die Wiedervereinigung zu wollen, wurde bestenfalls als "schizophren"1 8 bezeichnet19 . Ausgangspunkt der sicherheitspolitisch begründeten Ablehnung der Wiedervereinigung war die apokalyptische Vision von einem nuklearen Inferno als der angeblich unausweichlichen Folge einer Änderung des Status quo in Europa und der Bipolarität der beiden 'Supermächte'. Die Menschheit habe in einer weltgeschichtlich neuen Situation des "Alles-oder-Nichts" nur noch die schicksalhafte Entscheidung zu treffen, gemeinsam zu überleben oder gemeinsam unterzugehen20 . Erste Priorität in dieser Sichtweise hatte unter allen
16 Hans Apel, in: Deutschland-Politik- Möglichkeiten tmd Grenzen, 8.614 [1984]. 17 Der ,,Neue Deutsche Nationalverein" sah alle Kriterien auf die ,,konzeptionelle
Attraktivität eines gesamtdeutschen neutralen Staates im Rahmen eines von den vier Mächten garantierten kollektiven Sicherheitssystems" hinweisen, zit. in: FAZ v. 1.10.1988, vgl. das Interview mit Harald Raddenklau, dem Vereinsvorsitzenden, im ,,Mittagsreport" des RIAS 1 am 27.5.1989, gesendet ab 12.00 Uhr. Damit vertrat der ,,Nationalverein" die wenigstens bis 1960 gültigen sozialdemokratischen Vorstelltmgen über den Zusammenhang von deutscher tmd sicherheitspolitischer Frage. 18 So Egon Bahr, vgl. FAZ v. 18.6.1985. 19 Dabei hatte Bemhard Friedmann mit seinen zuerst am 13.11.1986 in der "Welt" vorgestellten Gedanken die tatsächliche Entwickltmg nach 1989 in weiten Teilen zutreffend antizipiert: Ein wiedervereinigtes Deutschland, hervorgegangen aus freien tmd geheimen Wahlen, "wobei die Btmdesrepublik tmd die DDR getrennt ein gemeinsames Parlament zu wählen hätten. [...] Ein solchennaßen wiedervereinigtes Deutschland hätte bündnispolitisch selbst seinen Platz zu bestimmen" , allerdings nicht in einer Neutralität, sondern in einer anderen Form der Mitgliedschaft in der NATO - bei Truppenrückzug der Alliierten. Das Interesse des Ostens an einem wiedervereinigten Deutschland läge darin, daß es dem Osten mehr bieten könnte, "als die DDR filr sich allein". Die Mehrheitsmeinung der Wiedervereinigtmgsbefilrworter vertrat sicherlich die CDU-Btmdestagsabgeordnete Renate Hellwig, die am 11.8.1989 im DAS schrieb, daß die westdeutsche ,,Maximalfordertmg, die DDR müsse im Zuge einer möglichst morgen zu vollziehenden Wiedervereinigung aus dem Warschauer Pakt herausgebrochen tmd der NATO eingegliedert werden [... ] unrealistisch" sei. Auch Wolfgang Seiffert, Das ganze Deutschland, S.156-157 [1986], hielt den ,,Zusammenbruch des kommunistischen Systems in der UdSSR" fllr eine ,,Illusion", warum er sich fllr ein aus dem westlichen Bündnis herausgelöstes, aber (dennoch) nicht neutralisiertes oder neutrales Gesamtdeutschland aussprach. 20 Vgl. den ersten Satz im SED-SPD-Papier ,,Der Streit der Ideologien tmd die gemeinsame Sicherheit" vom August 1987, abgedruckt in: Politik. Informationsdienst der SPD, Nr.3, August 1987.
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C.l. Das "friedenspolitische" Argwnent
Umständen "die Erhaltung des Friedens"21 . Diesern Ziel war alles andere untergeordnet, subsumiert unter dem Begriff 'ideologische Fragen'. Weil der "oberste Bezugspunkt politischen Denkens und Handelns" der Frieden sein rnüsse22 , war derjenige, der "als ersten Bezugspunkt die Ideologie" habe, "ein kalter Krieger''23 . Diesen 'kalten Kriegern' wurde die Bereitschaft der gewaltrnäßigen Durchsetzung ihrer antikommunistischen 'Ideologie' unterstellt oder wenigstens die "wachsende Geneigtheil zur Relativierung von Krieg und Frieden", womit eine "Hemmschwelle vor dem nächsten Kriegsausbruch" an Wirkung verliere24 . Statt der Systemkonkurrenz wurde die Systemkoexistenz propagiert: "Solange in Europa ein System über andere siegen will, also sich selber unverwandelt an die Stelle des Besiegten setzen- der Siegeswille kann von weither, auch übers Meer kommen -, solange kann es nur ein gesamtdeutsches Schlachtfeld, keinen gesamtdeutschen Staat geben"25 .
Das bloße Vorhandensein nuklearer Waffen und die mit ihnen verbundene "gesicherte gegenseitige Zerstörung" der Menschheit habe das Denken der "gemeinsamen Sicherheit" erzwungen. Der Versuch, "Sicherheit gegen den Gegner zu bekommen"- gerneint war immer äußere Sicherheit-, sei der eigentliche Grund der ständigen Auseinandersetzungen und der Kriege. Die Existenz von Waffen wurden nach dieser Argumentationper se als Ursache von Kriegen betrachtet und nicht als Ergebnis politischen Willens, Kriege zu verhindem oder zu beenden26 . Darum galt beispielsweise die Forderung nach 21 So Egon Bahr, Die nationale Frage, in: Die Zeit v. 19.3.1982. Ganz älml. der bayerische SPD-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Rudi SchtJjberger, in: Sozialdemokratischer Pressedienst v. 3.11.1989. 22 Vgl. Bischof Albrecht Schönherr (Ost-Berlin), zit. in: StZ v. 24.5.1982: ,,Der Frieden ist wichtiger als Deutschland". 23 So Egon Bahr, Die nationale Frage, in: Die Zeit v. 19.3.1982. Ähnl. Otto Schierholz (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 14.3.1986, S.15773-15777 (15776-15777). 24 So Günter Gaus in seinem Eröffuungsreferat auf der Frühjahrstagung des ,,Politischen Clubs" der Evangelischen Akademie Tutzing 1984, zit. nach: Evangelischer Pressedienst v. 26.3.1984. Vgl. auch Willi Hoss (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 23.6.1983, S.l068-l070 (1069): Solange die Frage der Wiedervereinigung ,,nicht im Sinne einer friedlichen, demokratischen und toleranten Entwicklung gestellt ist und auch die Taten, die hier begangen werden, daran gemessen werden, verzichte ich auf eine Wiedervereinigung Deutschlands". 25 Günter Gaus, zit. in: FAZ v. 1.12.1983. Ähnl. Lothar Baumelt und Petra Metsch vom Initiativkreis Friedensvertrag Gesamteuropäische Friedensunion in einem Leserbriefan das DAS v. 5.7.1987: ,,Die Sicherheit in Europa kann nur gesteigert werden, wenn keiner der beiden Machtblöcke den Anspruch erhebt, den jeweils anderen Teil Deutschlands in seinen Machtbereich einzuverleiben". 26 Otto Schily war sich, Reden über das eigene Land: Deutschland, S.38 [1984], sicher, daß die "gigantischen Vernichtungsarsenale, die in West und Ost aufgebaut wer-
2. Unvereinbarkeit von Wiedervereinigung und Sicherheit?
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'atomwaffenfreien Zonen', das heißt geographische Räume, in denen keine Nuklearwaffen lagerten, in die nukleare Waffen aber hineinreichten, als friedensf0rdernd27 . Indem nach dieser Denkweise die gemeinsame Friedenspflicht jedes sittliche Gebot und alle ideologischen Unterschiede dominierte und somit als irrelevant erscheinen ließ28 , bedurfte es auch nicht deren Wertung oder Wahrnehmung. Die NATO wurde nicht akzeptiert als eine Organisation zur Selbstverteidigung gegen eine expansive Europa- und Deutschlandpolitik der So\\jetunion, die mit der Stationierung der SS 20-Raketen ihr militärisches Potential zielbewußt gesteigert hatte und als Instrument der politischen Einflußnahme zu nutzen versuchte. NATO und Warschauer Pakt wurden vielmehr gleichermaßen als ein Offensivbündnis mit atavistischen Sicherheitsvorstellungen interpretiert, "mit dem man stärker sein wollte als der mögliche Gegner"29 . Längst aber erschien die Sowjetunion als eine an der Friedensstabilisierung interessierte Macht30 , die die erste Voraussetzung der 'gemeinsamen Sicherheit', die Anerkennung der anderen 'Supermacht' als "Faktor für die Sicherheit in Europa", erfüllte. Die Notwendigkeit der block-
den[ ... ) zwn Ende dieses Jahrzehnts mit der Vollendung der Aufstellung eines neuen strategisch-offensiven Raketensystems in Europa in Gestalt der Pershing ll und Cruise Missiles zu einer äußerst gefahrenträchtigen Krise in Europa kulminieren werden". Schily aber sah nicht wie Bahr die friedensstiftende Ablilstung dieser Waffen im Rahmen der bestehenden Bündnisbipolarität ftlr notwendig, sondern bei gleichzeitiger Schaffung einer ,,mitteleuropäischen Friedensunion", vgl. S.49-51, [s.u., Kap. C.2). 27 Waltraud Schoppe, Fraktionssprecherinder Grünen im Bundestag, die sich im ,,Interview der Woche" des Deutschlandfunksam 12.7.1987, gesendet ab 11.05 Uhr, als ,,Pazifistin" bezeichnete, hielt ,,Armeen wirklich ftlr überflüssig" Wld deren Beseitigung für "die einzige Perspektive, die dazu fllhrt, daß Völker friedlich und in Sicherheit nebeneinander leben können". 28 Vgl. hierzu den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", S.l30 [1994], in dem unter Bezug auf die ÄußerungenGerd Poppesauf die ,,Ambivalenz der EntspannWlgspolitik" aufmerksam gemacht wird, nämlich auf den potentiellen Konflikt ,,zwischen Stabilisierung der Rahmenbedingungen Wld FörderlUlg von Veränderungstendenzen". Dieser Konflikt habe nicht einseitig im Sinne einer formalen "Stabilitätspolitik" beantwortet werden können. Westliche Entspannungspolitik habe sich nicht an einem "eindimensionalen Friedensbegrifl" orientieren dürfen, "der einseitig an der Sicherung des Status quo ausgerichtet war Wld den untrennbaren Zusammenhang von Frieden Wld Freiheit bzw. Menschenrechten außer acht ließ oder in seiner Bedeutung minimierte". Vgl. hierzu ähnl. ebd., 8.134. 29 Egon Bahr, Die nationale Frage, in: Die Zeit v. 19.3.1982. 30 Vgl. ausftlhrl. Wilfried von Bredow!Rudolf Horst Brocke, Das deutschlandpolitische Konzept der SPD [1986). Vgl. auch Jeffrey Reif, Demokratie auf dem Piilfstand [ 1992].
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C.l. Das "friedenspo1itische" Argument
und systemübergreifenden "Sicherheitspartnerschaft"31 und der 'strukturellen Nichtangriffsfähigkeit' in einer Sicherheit nicht "vor dem Gegner, sondern mit dem Gegner"32 aber hätten weder die Sowjets noch die Amerikaner begriffen33. Bedingung für die blockübergreifende Zusammenarbeit waren freilich die Blöcke selbst. Ihre Existenz erschien damit als die conditio sine qua non des Friedens: "Sicherheit und Frieden können wir nur in den Bündnissen und mit den Bündnissen, mit den jeweiligen Fühnmgsmächten, erhalten. Wir kriegen Sicherheit nicht gegen Amerika und ohne Amerika, wir kriegen Sicherheit nicht gegen die So\\jetWlion und ohne die So\\jetWlion"34 .
Ein Ausscheren aus dem jeweiligen 'Blocksystem' mußte für die Vertreter dieser Argumentation friedensgefährdend sein. Spekulationen, Gorbatschow werde die Wiedervereinigung zulassen, wurden als "Mißachtung dieses Mannes" bezeichnet, der kein "Abenteurer" sei, denn wer die DDR preisgebe, müsse mit "Folgewirkung aufPolen und die CSSR rechnen"35 . Die Zugehörigkeit beider Teile Deutschlands und ihrer Nachbarstaaten zu ihren jeweiligen Bündnissystemen und die Verhinderung der Wiedervereinigung Deutschlands war somit zwingend vorgeschrieben36 . Die deutsche Frage sei darum "nicht offen, solange die Bundesrepublik in der NATO ist"37 . 31 Zwn Begriff "Sicherheitspartnerschaft" vgl. kritisch Alois Mertes, Friedenserhalt\Ulg- Friedensgestalt\Ulg, 8.187-196 [1983]. 32 Gerhard Heimann, Deutschlandpolitik heute- Eine Diskussion, S.10 [1984]. 33 Egon Bahr bedauerte dies noch im November 1989: Europäische Sicherheitspartnerschaft und die Rolle der beiden deutschen Staaten S. 31 . 34 Egon Bahr, Die nationale Frage, in: Die Zeit v. 19.3.1982. Ganz ähnl. Gerhard Heimann, Deutschlandpolitik heute - Eine Diskussion, S.l 0 [1984]. 35 So Jurgen Schmude in einem Interview in der Sendung "Ost-West-Magazin" des Deutschlandfimks am 17.12.1987, ausgestrahlt ab 20.05 Uhr. Vgl. ähnl. Klaus B61/ing in der Sendung ,,Informationen am Mittag" des Deutschlandfunks am 19.5.1989, ausgestrahlt ab 13.25 Uhr. Ähnl. der so\\jetische Botschafter Ju/ij Kwizinski vor einem außenpolitischen Kongreß der CDU in Bonn am 14.4.1988, der die westliche Bindung der Bundesrepublik als auch im Interesse der So\\jet\Ulion liegen sah. Je fester die Bundesrepublik im Westen veranket sei, desto stabiler seien die bestehenden territorial-politischen Strukturen in Europa, die 40 Jahre lang den Frieden erhalten hätten und nicht aufgegeben werden dürften. Die Idee Gorbatschows vom gemeinsamen europäischen Haus jedenfalls seien keine verdeckten Aufforderungen zur Aufgabe von Bündnisverpflicht\Ulgen. Vgl. SZ v. 15.4.1988. 36 Vgl. Sebastian Ha.ffner im ,,Interview der Woche" des Deutschlandfunkes am 8.5.1983, gesendet ab 11.00 Uhr: ,,Man kann sich heute kawn vorstellen, daß die deutsche Zweistaatlichkeil ohne Krieg zu überwinden wäre". Es sei darwn "wahrscheinlich
2. Unvereinbarkeit von Wiedervereinigung Wld Sicherheit?
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Über Deutschland sollte erst wieder nachgedacht werden können, wenn die Spaltung Europas nicht mehr existieren würde3 8 . Gleichzeitig aber wurde die Spaltung Europas und Deutschlands in zwei Bündnissysteme als Stabilitätsund Friedensgarantie gerechtfertigt39 . Diese Paradoxie läßt sich in einem Satz formulieren: Die Teilung Deutschlands garantiert das Überleben beider Teile Deutschlands (wie der Welt), und das Überleben beider Teile Deutschlands ist die Voraussetzung der Wiedervereinigung Deutschlands, die wiederum den Frieden gefährdet, warum Deutschland geteilt bleiben muß. Auszubrechen aus diesem Zirkelschluß (vereinfacht dargestellt: Teilung c:) Frieden c:) Wiedervereinigung c:) Friedensgefahr c:) Teilung) war nur noch möglich, wenn man die Wiedervereinigung abzulehnen bereit war (also die Glieder "c:) Wiedervereinigung c:) Friedensgefahr" herausnahm). Nur dann läßt sich der programmatische Satz: ,,Die Schaffung eines unzerbrechbaren Friedens in Europa ist wichtigste Voraussetzung einer FriedensordnWlg im europäischen Haus"40
nicht als circulus vitiosus interpretieren, wenn der Begriff 'unzerbrechbarer Frieden' mit dem Begriff 'deutsche Teilung' übersetzt wird. Die Folge mußte notwendigerweise lauten: "Keine Seite darf der anderen die Existenzberechtigung absprechen"41 . Sonst könne eine "deutsche Verantwortungsgemein-
besser, das Ziel einer staatlichen Wiedervereinigung filrs erste zurückzustellen, Wld zwar auf sehr unbestimmte Zeit". Vgl. ganz älml. noch am 8.10.1989 Egon Bahr, in einer Diskussion in der Fernsehsendung ,,ZDF-Spezial", ausgestrahlt ab 21.35 Uhr. 37 So Egon Bahr in der ZDF-Sendung ,,Bonner Perspektiven" am 7.10.1984, gesendet ab 19.10 Uhr, ähnl. der SPD-Bundestagsabgeordnete Kari-Heinz Klejdzinski, vgl. NOZ v. 12.10.1987, u. Willy Brandt in: Reden über das eigene Land: Deutschland, S.61 [1984]. Diese Rede Brandts in den Münchener Kammerspielen wurde im ND v. 20.11.1984 auszugsweise zitiert. 38 Egon Bahr, Die nationale Frage, in: Die Zeit v. 19.3.1982. 39 So auch Klaus Harpprecht, in: Die Rheinpfalz v. 23.11.1982, Ganter Gaus, in: Reden über das eigene Land, S.136 [1983], Bjöm Engholm (,,Das geteilte Deutschland hat den Frieden in Europa stabilisiert"), vgl. Hamburger Abendblatt v.12.11.1984. 40 So der letzte Satz des Beschlusses zur Friedens- Wld AbrüstWlgspolitik der SPD, angenommen auf dem Parteitag in Münster vom 30.8. bis zum 2.9.1988, abgedruckt in: Politik. Informationsdienst der SPD, Nr.lO, September 1988. 41 SED-SPD-Papier ,,Der Streit der Ideologien Wld die gemeinsame Sicherheit" vom August 1987, abgedruckt in: Politik. Informationsdienst der SPD, Nr.3, August 1987, S.5. Erhard Eppler gestand fünf Jahre nach der Unterzeichn\Ulg des Papiers auf einer Podiumsdiskussion in der Berliner Humboldt-Universität, daß er das Versäumnis des Papiers, die grMdsätzliche Frage der Unvereinbarkeit des Systeme nicht gestellt zu haben, heute bereue, vgl. Jakob Vogel, Maulwurf oder Friedensengel?, in: FAZ v. 29.8.1992.
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C.l. Das ,,friedenspolitische" Argwnent
schaft für den Frieden, geboren aus dem Wissen um das Vorhandensein einer deutschen Risikogemeinschaft", nicht funktionieren42 . Die Wiedervereinigung - wenn sie aus diesem Blickwinkel überhaupt noch gewollt werden durfte43 - mußte gedanklich also auf einen Zeitpunkt verschoben werden, an dem die 'Konvergenz der Systeme' oder eine bündnisüberwölbende SicherheitsstruktuJM des Friedenszwanges wegen soweit fortgeschritten wäre, daß die Aufrechterhaltung der deutschen Teilung ihre friedensbewahrende Wirkung verloren haben würde45 . Für den Großteil der Vertreter dieser Hoffnung aber wäre damit die Überwindung der deutschen Teilung selbst obsolet geworden, hätte doch die innerdeutsche Grenze ihren trennenden Charakter verloren46 . Bis dahin aber gefährde nach Meinung der Anwälte der deutschen Teilung derjenige "die Stabilität, also den Frieden in Europa", wer "die Existenz der DDR, also die Tatsache der deutschen Teilung, ernsthaft in Frage" stelle47 . "Stabilität in Europa" werde es "nur auf der Basis 42 So Klaus 861/ing, vgl. Augsburger Allgemeine v. 17.6.1985. Ähnl. Willy Brandt anläßlich des dreißigsten Jahrestages seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister Berlins, wiedergegeben in: FAZ v. 5.10.1987. 43 Ein knappes Jahr vor der Öffnung der Mauer bezeichnete Egon Bahr in seinem ,,Nachdenken über das eigene Land" in den Münchener Kammerspielen die "Sonntagsrederei, wonach die Wiedervereinigung vordringlichste Aufgabe deutscher Politik bleibt" (immerhin nicht den Willen zur Wiedervereinigung schlechthin, wie Peter Schmalz, in: Welt v. 28.11 .1988, flUseblicherweise unterstellt), als "objektiv und subjektiv Lüge, Heuchelei, die uns und andere vergiftet, politische Umweltverschmutzung", abgedruckt in: FR v. 13.12. u. 14.12.1988, paraphrasiert in: ND v. 30.11.1988. 44 Vgl. Roman Arens über die Konzeption Egon Bahrs, die dieser 1985 vor der Evangelischen Akademie Tutzing 1985 vortrug, in: Hannoversche Allgemeine u. FR v. 18.6.1985. In der selben Rede aber erinnerte Bahr an die nicht kompromißflihigen beiden Gesellschaftsordnungen auch in einer funktionierenden 'Sicherheitspartnerschaft', so daß die deutsche Frage "leider völlig offen in dem ganz anderen Sinn" bleibe, "daß der Horizont nicht einmal erkennbar ist, an dem man sie lösen kann", zit. in: FAZ v. 18.6.1985. Mit "viel Optimismus" hatte sich Bahr vorstellen können, daß "unter günstigsten Bedingungen im Jahre 2010, aber nicht vorher, möglicherweise eine Nichtangriffsfabigkeit beider Militärblöcke" in einem Europa zweier sehr unterschiedlicher Gesellschaftssysteme gegeben sei, so Bahr auf einem deutschlandpolitischen Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung, wiedergegeben in: SZ v. 4.6.1987. Vgl. ders. in: RheinNeckar-Zeitung v. 8.7.1987. 45 Vgl. Lothar L6ßler (SPD), stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses filr innerdeutsche Beziehungen, Die Einheit ist nicht abgeschrieben, in: Weltbild v. 3 1.1.1986. 46 Vgl. Theo Sommer, Hausieren mit einem alten Hut, in: Zeit v. 29.5.1987. 47 Jürgen Kellenneier, Chefredakteur des NDR-Hörfunks, in: Westtalische Rundschau v. 22.8.1984. Ähnl. der DKP-Vorsitzende, Herbert Mies, in: Unsere Zeit v. 1.12.1989, u. Hans Büchler, in: BTSten.Ber. v. 15.3.1984, S.4207-4210 (4210).
2. Unvereinbarkeit von Wiedervereinigwtg Wld Sicherheit?
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der vorhandenen Grenzen.. geben48 . Allein Gedanken über den Grad der Rationalität der deutschen Teilung widersprachen dem selbstauferlegten Gebot der 'prinzipiellen Friedensfllhigkeit' von (östlicher) 'Friedlicher Koexistenz' und (sozialdemokratischer) 'Gemeinsamer Sicherheit'49 Erst recht mußten "flotte Reden von der Wiedervereinigung.. als "objektiv friedensgefährdende[r] Versuch, unabsehbare Irritationen in Gang zu setzen"so, verurteiltSl und mit dem Appell: "Laßt uns um alles in der Welt aufhören, von der Einheit zu träumen oder zu schwätzen"S2 , begegnet werden. Die "prinzipielle Friedensfähigkeit" galt es auch entsprechend zu perzipieren: 0
,,.Beide Systeme müssen zu verhindern versuchen, daß sie vom jeweils andem so wahrgenommen werden, als seien sie auf Expansion, ja gewaltsame Expansion angelegt"S3 0
Die Vemeinung des friedlichen "Expansionswillens" des eigenen "Systems.. bedeutete sowohl eine dem Wiedervereinigungsgebot widersprechende Bestandsgarantie für die DDR als auch die Abkehr vom Anspruch auf die Universalität von Menschenrechten, Demokratie und FreiheitS4 Die Vemeinung selbst des friedlichen "Expansionswillens" des kommunistischen Systems und 0
48 So Walter Momper, SPD-Landesvorsitzender Berlins, im ,,ZDF-Magazin" am 2.3.1988, gesendet ab 20.15 Uhr. 49 Vgl. Kap.IV, Zif.2 des SED-SPD-Papiers ,,Der Streit der Ideologien Wld die gemeinsame Sicherheit" vom August 1987, abgedruckt in: Politik. Informationsdienst der SPD, Nr.3, August 1987, S.6. SO So Manfred Stolpe, Zweiter Vorsitzender des Evangelischen KirchenbWldes der DDR, zit. in: FR v. 12.6.1989, der im Sinne der Systemannäherung 'mehr MitwirkWlg, mehr Rechtssicherheit, mehr DemokratisiefWlg Wld mehr Offenheit weiter auf der Tagesordmmg in der DDR stehen' sah. SI Vgl. Renale Schmidt, SPD-BWldestagsabgeordnete, Bausteine zu einer europäischen FriedensordnWlg auf der Grundlage einer Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost Wld West, S.70 [1986], die die FordefWlg Herbert Hupkas vom JWli 1985 nach moralischer, rechtlicher Wld politischer DestabilisiefWlg des Ostens als "aggressiver als Waffen", als "das Gegenteil von Sicherheitspartnerschaft", der es "bei Fortbestehen der politischen Konkurrenz zwischen Ost und West" um "die ÜberwindWlg des Freund-Feind-Denkens und um eine dauerhafte Vertrauensbildung" gehe, bezeichnete. S2 Egon Bahr, in: Bild am Sonntag v. 1.10.1989. SJ Vgl. Kap.IV, Zif.3 des SED-SPD-Papiers ,,Der Streit der Ideologien Wld die gemeinsame Sicherheit" vom August 1987, abgedruckt in: Politik. Informationsdienst der SPD, Nr.3, August 1987. S4 Das Wort ,,Freiheit" kommt im gemeinsamen Papier von SPD, die sich, so HansJochen Vogel, in: BTSten.Ber. v. 23.6.1983, S.994-1003 (1003), "in der Entschlossenheit, die freiheitlichen Traditionen unserer Geschichte lebendig zu erhalten und fortzuentwickeln,[...] von niemandem übertreffen" lasse, Wld SED, ,,Der Streit der Ideologien Wld die gerneinsame Sicherheit" vom August 1987, abgedruckt in: Politik. Informationsdienst der SPD, Nr.3, August 1987, nur einmal vor. 11 Roos
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C.l. Das ,,friedenspolitische" Argwnent
seines Konzepts der 'Friedlichen Koexistenz' konnte dagegen nur Wunschdenken wider besseren Wissens sein, galt es doch bis zuletzt, mit diesem Konzept nur für eine Zwischenzeit "die Wlvergleichlich große historische Aufgabe zu lösen, den Weltfrieden noch vor der endgültigen BeseitigWlg der sozialen Wurzeln des Krieges, die im imperialistischen System liegen, zu bewahren Wld dauerhaft zu sichern"55 .
Das kommunistische Dogma lautete nach wie vor, daß mit der Gründung der DDR der "welthistorische Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus" auf deutschem Boden "unwiderruflich seinen Anfang genommen" habe56 . Eine Abkehr der SED von dieser Gewißheit der historischen Gesetzmäßigkeit, daß in der Zukunft ein sozialistisches Gesamtdeutschland kommen müsse, wäre der ideologischen Selbstaufgabe gleichgekommen und blieb darum zeit ihres Bestehens aus. Auch für die DDR als institutionalisierte Form des Marxismus-Leninismus galt: Ultra posse nemo obligatur. Systemkonvergenz setzt mindestens zwei Systeme voraus. Allein deswegen und auch, weil die Bundesrepublik einen Partner für die Erhaltung des Friedens benötigte, "haben wir eine möglichst starke DDR zu wünschen"57 . Steigende Zahlen von Übersiedlern aus der DDR sollten nach Ansicht der Konvergenztheoretiker darum nicht zu falschen Schlüssen über die Verhältnisse im anderen Teil Deutschlands führen und dürften nicht dazu veranlassen, eine Destabilisierung des Systems "drüben" zu vermuten oder gar zu betreiben58 . Nötig sei nicht "die Physik staatlicher Reorganisation, sondern gleichsam die Chemie neuer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verbindungen"59 . Die "Geduld der Mehrzahl der DDR-Bürger", im anderen Teil Deutschlands zu bleiben, resultierte nach dieser Auffassung nicht etwa aus dem Abschluß der Grenzen, sondern weil sie, ganz im Sinne der Konvergenz, überzeugt seien, auf diese Weise zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und zur Sicherheit des Friedens beizutragen60 . Irgendwann einmal würden die beiden, mit ihren fortbestehenden "unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen" ausgestatteten 55 Kleines Politisches Wörtebuch, Berlin (Ost) 1989, Stichwort "fhed1iche Koexistenz", 8.298. 56 So Hennann Axen, Die DDR Wld der Gnmdwiderspruch \Ulserer Epoche, S.826 [1984]. 57 Prof Dr. Harold Rasch in einem Leserbrief an die FAZ v. 1.2.1985. 58 So übereinstimmend Ganter Gaus Wld Manfred Stolpe, Präsident des Landeskirchenamts in Ost-Ber1in, 1984 vor der Evangelischen Akademie Tutzing, vgl. Friedrich Carl Schilling, in: Evangelischer Pressedienst v. 26.3.1984. 5 9 Klaus Ritter, Zum Handlungsspielraum der BWldesrepublik Deutschland im OstWest-Verhältnis, S.543 [1984]. 60 So Manfred Stolpe, vgl. Friedrich Carl Schilling, in: Evangelischer Pressedienst V. 26.3.1984.
3. Das geteilte Deutschland als sicherheitspolitische Einheit?
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deutschen Staaten einen "Interessenausgleich" herstellen können. demzufolge "eine Reise von Deutschland nach Deutschland genauso unkompliziert" wäre "wie eine Reise von Deutschland nach Frankreich"61 . Abgesehen von der berechtigten Annahme, daß die SED an einem "Interessenausgleich" mit der Bundesrepublik kein Interesse hätte, mußte sich die Frage stellen, worin in den "Gesellschaftsordnungen" der strukturelle Unterschied - gleichsam die Ursache der staatlichen Teilung Deutschlands - dann noch bestanden hätte. 3. Das geteilte Deutschland als sicherheitspolitische Einheit?
Zur Sicherheit des Friedens beizutragen war im Sinne der Teilungsapologetik die vornehmste Aufgabe der beiden deutschen Staaten62 . Allerdings sollten sie jeweils in ihren Bündnissen nicht länger "als die Musterknaben ihrer Supermächte in Erscheinung treten"63 , sondern auf das Zustandekommen eines verbindlichen Gewaltverzichtvertrages zwischen NATO und Warschauer Pakt hinwirken64 , um insbesondere ihre gemeinsame, besondere Bedrohung durch die Raketenstationierungen zu schmälern und einen Abrüstungsprozeß einzuleiten6S , "weil das ja so" zwischen den beiden Weltmächten "nicht gut weitergehen kann" 66 . Das Bewußtsein von der Notwendigkeit militärischen Gleichgewichts ging verloren67 , und in der Angst, "der Doppelbeschluß beschwöre 61 So Apel, Deutschland-Politik- Möglichkeiten und Grenzen S.614 [1984]. Vgl. ders., in: BTSten.Ber. v. 27.2.1985, S.9018-9023 (9022). 62 Vgl. Gerhard Heimann, Zweite Stufe der Entspannungspo1itik, S.39-41 [1986]. 63 Otto Schily, in: BTSten.Ber. v. 23.6.1983, S.1018-l021 (1020). 64 Vgl. Wilhelm Bruns, Deutsch-deutsche Beziehungen in den 80er Jahren, S.8-9 [1985]. 6S Vgl. Egon Bahr in einem Interview mit dem Bonner General-Anzeiger v. 14.8.1984, ähnl. Antje Vollmer, vgl. General-Anzeiger v. 13.9.1984, u. Hans-Jochen Vogel, Zur Deutschlandpolitik, S.18 (1983]. 66 So Willy Brandt im "Südfunk-lnterview" des Süddeutschen Rundfunks am 2.9.1984, gesendet ab 18.40 Uhr. 67 Vgl. These Nr.2 der "14 Thesen zur Friedenspo1itik" der Arbeitsgruppe Frieden des ' Frankfurter Kreises' der SPD im Oktober 1985, abgedruckt in: FAZ v. 6.12.1985: ,,Der Frieden in Europa seit 1945 ist weder durch ein sogenanntes Gleichgewicht der Waffenpotentiale noch durch die atomare Abschreckung erhalten worden. Der Grund ist vielmehr in der Festlegung geographischer Einflußsphären durch die beiden Hauptsiegennächte des Zweiten Weltkrieges und der bis heute sichtbaren Akzeptanz dieser Festlegung zu sehen". Vgl. auch Oskar Lafontaine, der daf\lr plädierte, ,,zumindest im atomaren Bereich" die "G1eichgewichtsidiotie" aufzugeben, zit. nach Theodor Schweisfurth, Völkerrechtliche und gesamteuropäische Aspekte der aktuellen Rüstungs- und Nachrüstungsdebatte, S.l26 [1983].
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C.l. Das ,,friedenspo1itische" Argwnent
die Gefahr des atomaren Holocausts"68 , wurde Abrüstung mit Friedenssicherung gleichgesetzt: Bei den innerdeutschen Kontakten solle "die Abrüstung in Mitteleuropa das wichtigste Ziel sein. Alle anderen Ziele, auch das einer späten möglichen deutschen Einheit, müssen dem Ziel des Friedens untergeordnet sein"69 . Begriffe wie "Abrüstung" und "Entspannung" waren so bedeutungsschwer geworden, daß ihr Gebrauch unabhängig von gleichzeitiger sowjetischer Aufrüstung und Verletzung humanitärer Prinzipien fast einer Entscheidung zwischen Krieg und Frieden gleichkam70 . "Deutschlandpolitik" sollte in diesem Kontext "dem Frieden in Europa dienen"71 , hatte also in erster Linie nicht mehr zur Aufgabe, die "Einheit der Nation zu bewahren [...] und die Teilung unseres Landes in freier Selbstbestimmung zu überwinden"72 . Als hätte hierzu ein Widerspruch bestanden, wurde in einem neuen "'Denken auf Deutsch', als Teil eines neuen Denkens für Europa"73 eine 'besondere Verantwortung' der beiden 'gleichberechtigten Staaten deutscher Nation' für den Frieden wahrgenommen74 , aus der sich eine "Sonderrolle"7 S aufgrund gemeinsamer Geschichte, Sprache, geographischer Lage und besonderer atomarer Bedrohung76 ergebe, was allerdings nicht zu einem 'deutschen Sonder68 So heute selbstkritisch Hartmut Soe/1, SPD-Bundestagsabgeordneter, In der Weltunordnung aus alten Sackgassen herauskonunen, ohne in neue zu geraten, in: FAZ V. 6.11.1992. 69 So noch am 3.11.1989 Rudi Sch6jberger, Vorsitzender der SPD-Bayern und Bundestagsabgeordneter, in: Sozialdemokratischer Pressedienst Vgl. auch Hans Büchler, in: BTSten.Ber. v. 27.2.1985, S.9037-9039 (9039): "Wir wissen ja,[...] daß wir Frieden nur zustande bringen, wenn wir inuner weniger Waffen haben". 70 Vgl. Kar/ Dietrich Bracher, Identitätsfrage und Entspannungsdenken in der neueren Deutschlanddiskussion, S.23 (1987]. 71 Hans Büchler,in: .BTSten.Ber. v. 15.3.1984, S.4207-4210 (4210), ähnl. in BTSten.Ber. v. 27.2.1985, S. 9037-9039 (9039). 72 So aber Heinrich Windelen, Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, in: BTSten.Ber. v. 15.3.1984, S.4210-4213 (4211). 73 Willy Brandt, zit. in: FAZ v. 5.10.1987. 74 Vgl. die vom Leiter des Arbeitskreises I der SPD-Bundestagsfraktion, Horst Ehmke, vorgelegten und von der Fraktion am 8.11 .1984 gebilligten Thesen zur Deutschlandpolitik, vgl. FR v. 2.11.1984, Welt v. 3. I 1. u. 9. I 1.1984, taz v. 9.1 1.1984. Diese Thesen erfuhren im ND v. 8.1 I .1984 eine dreispaltige Würdigung mit dem Fazit: ,,Das ganze Papier ist als ein Versuch zu bewerten, eine im Verhältnis zur DDR realistischere Einstellung zu erzielen, die der Existenz von zwei voneinander unabhängigen deutschen Staaten Rechnung trägt". 75 So Egon Bahr in einer Diskussion mit Wolfgang SehtJuble im Foyer der SPD"Baracke" in Bonn am 5.5.1988, vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung bzw. Hessische Allgemeine Zeitung v. 6.5.1988. 76 Vgl. Reinhard Hesse, Für eine neue Europäische Friedensordnung, S.608 [1986]: ,,Nuklear-geostrategisch gesehen haben wir Deutsche Über1ebensinteressen, die sich
3. Das geteilte Deutschland als sicherheitspolitische Einheit?
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weg' fiihren dürfe77 . Wenn aber die "Grundlage" der Deutschlandpolitik sein sollte, "daß beide deutsche Staaten in ihr jeweiliges Bündnis fest eingebunden sind", mußte die gleichzeitig propagierte Aufgabe der Deutschlandpolitik, "den Spielraum der DDR zu erweitern"78 , als mit ihrer Grundlage unvereinbar und darum unlösbar erscheinen79 . Jedenfalls hatte es, solange die Sowjetunion Stärke an den Tag zu legen vermochte, keine Anzeichen einer von der Moskauer Linie abweichende oder gar selbständige Außen- und Deutschlandpolitikder DDR im Sinne einer 'Sonderrolle in ihrem Bündnis' 80 gegeben8I. Auch die Prämisse, die Teilung Deutschlands sei friedensbewahrend, stand im Widerspruch zu der gleichzeitig vertretenen These, eine gemeinsame 'Sonderrolle' in Fragen der Sicherheit spielen zu müssen. Warum sollte Deutschland des Friedens wegen geteilt bleiben, wenn es des Friedens wegen in Sicherheitsfragen wie eine Einheit zu agieren hatte?
eher mit dem Interesse der Sowjetunion treffen, ein nukleares Feuer vor ihrer Haustür zu verhindern". 77 Soweit ging der überparteiliche Konsens, auch Bundeskanzler Helmut Kohl sah die Bundesrepublik und die DDR "in einer Verantwortungsgemeinschaft ftl.r den Frieden und die Sicherheit in Europa" stehen, in: BTSten.Ber. v. 15.3.1984, S.4158-4165 (4161). Vgl. auch ders., in: BTSten.Ber. v. 23.6.1983, S.987-993 (993), Heinrich Windelen, Bundesminister fllr innerdeutsche Beziehungen, in: BTSten.Ber. v. 15.3.1984, S.4210-4213 (4212), 78 So das Thesenpapier der SPD-Bundestagsfraktion zur Deutschlandpolitik vom 8.11.1984, zit. in: Welt v. 9.11.1984. Vgl. hieran anlehnend den Vorschlag ftlr eine Abrüstungsinitiative von Hans-Jochen Vogel, in: BTSten.Ber. v. 1.12.1988, S.81008103 (8102). 79 Eine Position wie jene des schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten Gert B6msen, vgl. Kieler Nachrichten v. 20.5.1985, wonach statt einer Wiedervereinigung die Überwindung der innerdeutschen Grenze durch einen "Schulterschluß" mit der SED gegen die 'Supermächte' -also jenseits der Bündnisverpflichtungen- als möglich erschien, war mit dieser otliziellen Konzeption der SPD nicht vereinbar. 80 So die Aufgabe, die Jurgen Schmude beiden deutschen Staaten im Rahmen ihrer "Verantwortungsgemeinschatl" zuzuteilen gewünscht hatte, vgl. seine Rede am 17.5.1985 vor dem Kuratorium Unteilbares Deutschland, abgedruckt in den Informationen der SPD-Fraktion v. 17.5.1985, S.21 . 81 Vgl. zum gescheiterten ,,Ausbruchsversuch" Boneckers gegen sowjetische Sicherheitsinteressen im Rahmen der SOl-Diskussionen Wolfgang Seiffert, Ausbruchsversuch. Anmerkungen zu einem Interview des DDR-Staatsratsvorsitzenden, S.280-281 [1986).
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C.I. Das "friedenspolitische" Argwnent
4. Dauerhafte Zweistaatlichkeil als Friedensgarantie?
Diejenigen Wiedervereinigungsgegner, ftl.r die eine langsame Systemkonvergenz nicht vorstellbar war-82 und die, wie die Entwicklung nach 1989 zeigte, in dieser Frage recht behielten, sahen auch ftl.r die Zukunft keine andere Möglichkeit der Friedensbewahrung im "Nuklearzeitalter", als die deutsche Teilung83 . Statt der Wiedervereinigung sollte eine dem Status Österreichs vergleichbare "andere, sinnvolle politische" Lösung ftl.r die DDR (das Komma zwischen "andere und "sinnvolle" bringt die angenommene Unsinnigkeit der Wiedervereinigung zum Ausdruck) angestrebt werden, wobei "um der Menschen und des Friedens in Europa willen" der "Eindruck" vermieden werden sollte, "als könne auch ein solcher Zustand nur vorläufiges Zwischenstadium sein auf dem Weg zur staatlichen Einheit, an der wir als Ziel unbeirrt festhalten"84 . Angesichts dieser Formulierung läßt sich weder die Frage beantworten, wie im gleichen Satz dazu aufgerufen wird, einen "Eindruck" zu vermeiden, wenn man genau dessen Inhalt als ,,Ziel" proklamiert, noch die Frage, wie sich das Streben nach einer anderen, dauerhaften Lösung als der Wiedervereinigung mit eben dieser als "unbeirrt" festgehaltenem ,,Ziel" vertrage85 . Erst die Preisgabe des Ziels der staatlichen Einheit Deutschlands hätte diesen Widerspruch aufgelöst und die logische Konsistenz wiederhergestellt. Somit mußten auf diese Art gestellte 'Fragen' nach einer Änderung oder gar Strei-
82 Vgl. Robert Leicht, Balancieren mit dem Gewicht der Geschichte, in: SZ v. 29.9.1984. 83 Diese Einschätzung deckte sich mit der offtziellen Haltung der So\\jetunion: ,,Die So\\jetunion betrachtet alle Versuche von seilen der BRD, die staatliche Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik und die bestehenden territorialen und politischen Realitäten in Europa zu untergraben, als unvereinbar mit den Interessen der Sicherung des Friedens und der Sicherheit der Völker", zit. aus der dem so\\jetischen Außenministerium nahegestandenen Zeitschrift ,,Meschdu-Narodnaja Schisn", in: SZ v. 9.7.1985. Ähnl. legte die Kommentatorinder polnischen Zeitung Rzeczpospolita, Maria Podkowinski, am 17.9.1984 in der F emsehsendung ,,Kontraste", ausgestrahlt ab 21.15 Uhr, die offtzielle polnische und Haltung dar: "Wii stehen auf dem Standpunkt von zwei deutschen Staaten als den Garant ftlr Frieden in Europa". Darum sei es "ein starkes Wort", wenn Bundeskanzler Kohl "sagt: Ohne Wiedervereinigung von Deutschland kein Frieden in Europa". Ähnl. selbstverständlich auch Joachim Herrmann, SEDPolitbüromitglied, vgl. SZ v. 4.6.1987. 84 So Jargen Schmudein seiner Rede am 17.5.1985 vor dem Kuratorium Unteilbares Deutschland, abgedruckt in den Informationen der SPD-Fralction v. 17.5.1985, S.9-10, passim. Diese Rede beschäftigte Politik und Medien erheblich. 85 "Wie man sieht, sind die Formulierungen so gewählt worden, daß sie später nachzureichende Interpretationen ermöglichen", kritisierte Wilfried Hertz-Eichenrode, Der gebrochene Sohn, in: Welt v. 20.5.1985, eine andere Stelle der Rede Schmudes.
4. Dauerhafte Zweistaatlichkeil als Friedensgarantie?
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chung der Grundgesetzpräambel als von den Fragestellern selbst mit Ja beantwortet verstanden werden86 . Eine moderatere Haltung zum Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes sprach sich dafür aus, im Sinne der 'deutsch-deutschen Sicherheitspartnerschafl' die Präambel "behutsam zu interpretieren", brauche man doch die DDR. um ihr "eine Mitverantwortung fiir Ausgleich und Annäherung'' zuweisen zu können87 . Aus "friedenspolitischen Gründen" glaubte man das "Selbstbestimmungsrecht der Bürger der DDR" vom ,,Ziel der Wiedervereinigung" trennen zu können88 , um mit Hilfe des erst erwähnten das zweite 'überflüssig' zu machen. Versuche aus diesem Blickwinkel, an einer irgendwie anders gearteten 'Einheit Deutschlands' als dennoch anzustrebenden Wert festzuhalten, verhedderten sich in semantischen Widersprüchen: ,,Frieden Wld Einheit bedingen sich einander. Dabei ist der Friede das wertvollere Gut. Diese FeststellWlg bedeutet aber nicht, daß die Einheit abgeschrieben ist"89 .
Wenn sich Frieden und Einheit einander derart bedingten, daß keines der beiden ein 'wertvolleres Gut' war, dann mußte auch nicht gesagt werden, daß eines der beiden - nämlich Einheit - nicht "abgeschrieben" sei. Dagegen eindeutig war die Ranggliederung, "daß das Recht der Deutschen in Ost und West auf Selbstbestimmung der Bewahrung des Friedens in Europa untergeordnet" sei90 . 86 Vgl. Jargen Schmudes Rede am 17.5.1985 vor dem Kuratoriwn Unteilbares Deutschland, abgedruckt in den Informationen der SPD-Fraktion v. 17.5.1985, S.I011. Die den Gtilnen nahe stehende taz bestätigte in einem Kommentar von Klaus Hartung am 20.5.1985, daß es "durchaus die MeinWlg eines großen Teils der Sozialdemokraten" sei, "daß eine europäische Friedenspolitik Wlbedingt die Geste der StreichWlgjenes Passus voraussetzt". [Vgl. hierzu Kap. C.6]. Vgl.. ähnl. Eberhard Schulz, stellvertretender Direktor des ForschWtgsinstitutes der Deutschen Gesellschaft fllr Auswärtige Politik, der sich in einem ,,Bormer Gespräch" vor der Europa-Union aus Sorge wn das Kräftegleichgewicht gegen die Präambel des GrWldgesetzes Wld gegen einen deutschen Nationalstaat wandte, vgl. General-Anzeiger V. 13.7.1982. 87 So Helmut Bauer, Warwn bloß so aufgeregt?, in: Nürnberger Nachrichten v. 20.5.1985. 88 So Joachim Mal/er, Fraktionsvorstandsmitglied der Gtilnen, in einem Beitrag in der Nordsee-Zeitung v. 25.5.1985. 89 So der letzte Satz des Artikels ,,Die Einheit ist nicht abgeschrieben" des stellvertretenen Vorsitzenden des BWldestagsausschusses tl1r innerdeutsche BeziehWlgen, Lothar Löfller, in: Weltbild v. 31.1.1986. 90 So, tl1r seine Partei, der sicherheitspolitische Sprecher der SPD-BWldestgasfraktion, Karsten D. Voigt, in einem Interview mit der Berliner Morgenpost v. 4.6.1989.
168
C.I. Das "friedenspolitische" Argwnent
Die schärfste Kritik arn Wiedervereinigungsgebot ging erheblich weiter. Sie bezeichnete die Forderung nach Wiedervereinigung in Freiheit als Widerspruch zum Friedensgebot des Grundgesetzes nach Artikel 26, weil die Wiedervereinigung die Beseitigung des gesellschaftspolitischen Systems der DDR zur Voraussetzung habe, was "sich ganz offenkundig nicht auf friedlichem Wege durchfUhren" lasse91 . Der Friedenssicherung wegen sei es "geradezu eine demokratische Pflicht"92 , den Wiedervereinigungsanspruch mit seinem "imperialistischen Charakter"93 , wie er in der Präambel zum Ausdruck komme, aufzugeben, zumal es ohnehin "nichts wiederzuvereinigen" g~4 . Ein zum Nationalstaat wiedervereinigtes Deutschland, so die Überzeugung vieler Skeptiker in den achtziger Jahren, besäße ftir das "Pulverfaß Mitteleuropa"95 ein " 'Explosions-Potential'"96 , auf das hinzuarbeiten die Vernunft verbiete und das von keiner Macht akzeptiert würde, weil es das "das Pulverfaß zünden" könne97 . Alle Szenarien ftir eine Wiedervereinigung ftihrten "zumindest bis zum Rande eines dann Dritten Weltkrieges". Ein deutscher Nationalstaat "würde Deutschland automatisch wieder zur kontinentalen Super-Großmacht machen und jedes europäisches wie weltpolitisches System katastrophal sprengen". Die Deutschen hätten darum "die nationale Beschränkung im geteilten Deutschland als ihre Form der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts zu betätigen"98 . Die Vernunft also erfordere, der Wiedervereinigung abzuschwören, stattdessen das Regime in Ost-Berlin zu stabilisieren und eine 'gute Nachbar91 So Wemer Holtfort, Vorsitzender des Republikanischen Anwa1tvereins, im Parlamentarisch-Politischen Pressedienst v. 28.5.1985. 9 2 So Otto Schierholz (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 23.5.1985, S.10372-10373 (10373). 93 So Richard Nospers, der Oberbürgenneister von Saarlouis, der Stadt, die die erste ' deutsch-deutsche Städtepartnerschaft' geschlossen hatte, zit. in: Welt v. 2.10.1987. 94 So Klaus BtJ/Iing, vgl. SZ v. 18.6.1985. Nur wenige in der SPD, wie Peter Glotz in einem Interview in der Sendung ,)ournal am Morgen" des Saarländischen Rundfunks vom 25.2.1986, gesendet ab 8.15 Uhr, widersprachen zu jener Zeit diesem Argwnent und sahen keinen ,,Handlungsbedarf', die Präambel zu ändern oder aufzugeben. 95 So Michael Stünner, Die deutsche Frage stößt an harte Grenzen, in: RM v. 17.8.1985. 96 So Gerhard Deck/ in: Augsburger Allgemeine v. 21 .8.1984. 97 So der Bundestagsabgeordnete der Grünen Dirk Schneider, zit. in: FAZ v. 7.1.1986, der sich fUr die Grünen ,,klipp und klar" fUr ,,Zweistaatlichkeit und AuslandAusland-Beziehungen" aussprach. Vgl. auch PPP v. 13.3.1986. 98 So lmanuel Geiss, Die deutsche Frage im internationalen System, S.33-35, passim [1990]. [Zu der hier anklingenden moralisch-geschichtspolitischen Argwnentation s.u., Kap. C.7).
4. Dauerhafte Zweistaatlichkeil als Friedensgarantie?
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schaft' oder gar eine "besonders gute Nachbarschaft"99 mit der DDR zu entwikkeln100. Unausgesprochen in dieser aus Gründen der Friedenssicherung angestellten Betrachtung zur Notwendigkeit der deutschen Teilung blieb freilich die immanente Grenze in der Qualität der angestrebten guten Nachbarschaft: Zu gut durfte diese im so verstandenen eigenen Interesse nicht werden, hätte doch dann wieder die Gefahr eines das europäische Gleichgewicht ebenso beeinträchtigenden Militärbündnisses der beiden deutschen Staaten bestandenlOI. Anders lautete jene Meinung, die das militärstrategische Gleichgewicht durch 'die Aufrüstungspolitik der USA mit Mittelstrecken und Weltraumwaffen' gestört oder bereits verschoben sah. Der äquidistante Standpunkt zu beiden Bündnissen verlagerte sich in dieser Sichtweise zu einer Amerika gegenüber skeptischen Haltung mit dem Ziel, die NATO zu kündigen102 und durch eine eigene Politik Westeuropas zu ersetzen, denn "Europa darf nicht Anhängsel der USA werden" 103 . Der Westen und insbesondere die Vereinigten Staaten nämlich hätten ein Interesse daran, weiter aufzurüsten, und darum störten sie mit den destabilisierenden Parolen von der Wiedervereinigung in der zweiten Jahreshälfte 1989 die Reformpolitik Gorbatschows104. Mit der gemeinsam erhobenen Forderung, "unser klein gewordenes Lächeln zu befreien aus der absoluten Verfügungsgewalt von Militärs, die in Washington und Moskau sitzen" 105, fanden einige der Gegner und Befiir99 So Hans Apel, Deutschland-Politik- Möglichkeiten und
Grenzen, S.616 [1984). 100 Vgl. die Äußerungen Konrad Kunicks, des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bremer Landtag, in: Nordsee-Zeitung v. 17.3.1986. 101 Ähnl. argumentierte Robert Leicht, Balancieren mit dem Gewicht der Geschichte, in: SZ v. 29.9.1984, und lehnt darum eine 'undeutliche Ersatzkonstruktion' zur deutschen Einheit- wie eine Konföderation - ab. 102 "Wir wollen nicht die Zweistaatlichkeil und die Existenz der DDR überwinden, wohl aber die Blockzugehörigkeit beider Staaten durch Auflösung der Militärblöcke", so Otto Schierholz (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 14.3.1986, S.15791-15792 (15792). 103 So der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerhard Heimann, zit. v. Waller Osten, in: Vorwärts v. 25.5.1985. Zur Position Heimanns als Exponent des linken SPD-Flügels vgl. ausführt. Wilfried von Bredow!Rudolf Horst Brocke, Das deutschlandpolitische Konzept der SPD, S.98-103 [1986). Vgl. ähnl. Wi/liam Bonn, Endlich die Lehren aus der deutschen Geschichte ziehen, S.406-407 [1985). 104 Vgl. Hans-Peter Darr, f\lr den Frieden 'engagierter' Atomphysiker, in einem Interview mit der taz v. 2.10.1989. Diese Interpretation deckte sich mit der offiziellen so\\jetischen: Die Amerikaner benutzten "die Idee der Wiedervereinigung, um den deutschen Militarismus anzuspornen und die Bundesrepublik so aktiv wie möglich an der Realisierung der amerikanischen militärischen Pläne zu beteiligen", so Valentin Fa/in, langjahriger Botschafter in Bonn, in einem Gespräch mit Kar/ D. Bredthauer, 40 Jahre danach, S.20 [1985). 105 Ro/fHochhuth, Die deutsche Uhr zeigt Einheit an, in: Welt v. 13.5.1989.
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C.l. Das ,,friedenspo1itische" Argument
worter der Wiedervereinigung 106 einen Berührungspunkt in dem Topos vom "besetzten Land" 107 . Dabei war die latente Gefahr einer Instrumentalisierung der nationalen Frage gegen den Westen108 oder außerhalb des Systemkonflikts109 und damit eines bereits zwischen 1890 und 1945 versuchten "dritten" Weges einer außenpolitischen Ungebundenheit. der "sich als Weg in den Abgrunderwiesen hat" 110 , immer gegeben. Einige Vertreter der Teilungsbefurworter gingen einen Schritt weiter und erkannten, daß die Gefahren "nicht alleine aus Raketen und Bomben" resultierten. Bei ihrer Forschung nach den Gründen für die Friedensgefährdung aber erklärten sie ein Symptom für seine Ursache: Die Gefahren resultierten "aus einer Politik der Blockspaltung Europas, der Konfrontation in Europa" 111 und "aufgrund von Feindbildern, an denen auf beiden Seiten gearbeitet worden ist" 112 . Die Frage, ob diese "Politik der Blockspaltung", die "Konfrontation in Europa" kein kriegslüsterner Selbstzweck sei, sondern machtpolitischen und ideologischen Interessen der So\\jetunion entspräche, wurde nicht gestellt. Sonst wäre kaum als Konsequenz die Forderung erhoben worden, langfristig "diese Spaltung zu überwinden mit einer Konfikleration, einem Staatenbund der beiden [deutschen] Staaten, die eine neutrale Brücke
106 Zu solchen, den unterschiedlichsten politischen Lagern zuzuordnenden Neutralismus-Theoretikern, die die Wiedervereinigung Deutschlands zu operationa1isieren suchten, zählten z.B. Ganter Kießling, Neutralität ist kein Verrat. Entwurf einer europäischen Friedensordnung, Erlangen 1989, die Autoren in: Wo/gang Venohr (Hrsg.), Die deutsche Einheit kommt bestimmt, Bergisch-Gladbach 1982, Theodor Schweisfurth, Völkerrechtliche Wld gesamteuropäische Aspekte der aktuellen Rüstungs- und Nachrüstungsdebatte, SJ19-l32 [1983], die Autoren (v.a. Herbert Ammon) in: Rolf Stolz (Hrsg.), Ein anderes Deutschland. Grün-alternative Bewegung und neue Antworten auf die Deutsche Frage, Ber1in 1985, Michael Vogt, Die Linke und die deutsche Frage. Nationale Argumente von links, S.91-122 [1986]. 107 Vgl. hierzu auch Werner Weidenfeld, Politische Kultur und deutsche Frage, S.24-27, m.w.N. [1989]. 108 Vgl. hierzu Alois Mertes, Westliche und östliche Interessen in der Deutschlandfrage, S.ll (1985]. 109 Vgl. hierzu ausfllhrl. Thomas Jäger, Neue Wege in der Deutschlandpolitik?, S.199-212 [1986]. 110 Konrad Repgen, Deutschland als Teil Europas, S.35 [1989]. 111 So Rolf Stolz, Gründungsmitglied der Grünen, in der Sendung "Themen zur Zeit" im Deutschlandfunk am 22.6 .1987, gesendet ab 21 .00 Uhr. 112 So Waltraud Schoppe, Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag, im ,,Interview der Woche" des Deutschlandfunks am 12.7.1987, gesendet ab 11.05 Uhr. Ähnl. der Bundestagsabgeordnete Dirk Schneider (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 27.2.1985, S.9049-9050 (9050).
5. Rücksichtnalune auf die europäischen Nachbarn?
171
zwischen Ost und West bilden sollten" 113 . Aus Verantwortung "gegenüber den Völkern Europas" müßte - weil ja ,,keiner wünscht, daß die eine Macht den anderen Staat mit schluckt" - das Wiedervereinigungsgebot "durch ein Friedensgebot, ein Verständigungsgebot und ein Zusammenarbeitsgebot" ersetzt werden 114 . Keineswegs also hätte nach dieser Auffassung ein deutscher Staatenbund zu einem einheitlichen Bundesstaat umgewandelt werden dürfen. Vielmehr galt die das Mißtrauen der Nachbarn besänftigende Teilung als "Voraussetzung für ein geeintes Europa"llS. 5. Rücksichtnahme auf die europäischen Nachbarn?
Weil sich die "Teilung Deutschlands und die Integration der beiden deutschen Teilstaaten in die sich gegenüberstehenden Bündnisse [... ] als ein stabilisierendes Element in der Weltpolitik erwiesen" habe, liege "dessen Aufrechterhaltung im Interesse aller europäischen Nachbarstaaten" 116 . Dies war Konsens der Verteidiger des Status quo. Selbst weiterblickende Beobachter, die die Veränderbarkeil des Status quo nicht nur für möglich, sondern sogar für notwendig und auch aktuell hielten, sahen in einer "kritischen Masse Gesamtdeutschland"117 einen wirtschaftlich übermächtigen und für Europa gefährlichen Machtblock 118 . Darum dürfe die 113 Rolf Stolz, GründWlgsmitglied der Grünen, in der SendWlg "Themen zur Zeit" im Deutschlandfunkam 22.6.1987, gesendet ab 21.00 Uhr. 114 So Wilhelm Knabe (Grüne), Obmann im innerdeutschen Ausschuß des BWldestages, in der SendWlg "Themen zur Zeit" im Deutschlandfunkam 22.6.1987, gesendet ab 21.00 Uhr. 115 So Waltraud Schoppe, Fraktionssprecherio der Grünen im BWldestag, im ,,Interview der Woche" des Deutschlandfunksam 12.7.1987, gesendet ab 11.05 Uhr, die weder eine ,,Renationalisierwtg" in Deutschland, noch "eine Renationalisierwtg im Osten" sah, sondern das "Gegenteil". 116 So Wilhelm Bleek, Das eine Wld das andere Deutschland, S.375 [1989]. Älml. Theo Sommer, Die Einheit gegen die Freiheit tauschen, in: Die Zeit v. 26.6.1987, Helga Haftendorn, Die Rolle der BWldesrepublik Deutschland im Atlantischen Bündnis, S.87-88 [1990), Dietrich Stan'tz, Von der ,,Befreiung" zur "VerantwortWlgsgemeinschaft", S.67 [1987], Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler, S.323-324 [1987), Ganter Verheugen, Das Ende des Nationalstaates, S.47 [1982], u. Ganter C. Sehrmann, Volk, VerfassWlg, Staat, Kultur, Geschichte Wld Nation, S.99 [1987), der daraus aber nicht die Folgerwtg zog, daß die deutsche Tei!Wlg "ganz Wld gar anerkannt werden" müßte. 117 Theo Sommer, in: Zeit v. 22.9.1989. 118 Vg1. den Referenten für Schu!Wlg Wld BildWlg beim SPD-Parteivorstand, Tilman Fichter, Das altbekannte Gespenst eines deutschen Sonderweges geht um, in: FR v. 25.8.1988. Vgl. älml. Klaus Bölling in einem Interview mit ,,Expreß" v. 15.9.1989,
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C.I. Das ,,friedenspolitische" Argwnent
deutsche Frage nicht mit Wiedervereinigung gleichgesetzt werden; sie laute vielmehr: "Wie kann das Leben der Deutschen politisch, wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich organisiert werden, damit wir uns einerseits als Nation empfmden können und sich andererseits unsere Nachbarn nicht durch die Zusammenballung im Zentrwn Europas bedroht ftlhlen?"ll9 . Der europäische 'Albtraum von Rapallo' - so wurde, im Sinne der Fragestellung naheliegend, geantwortet - ließe ein gewolltes 'deutsch-deutsches' "Maximum der Verständigung" höchstens eine auf der Zweistaatlichkeit beruhende Konföderation von DDR und Bundesrepublik zu 120 . Die "Verantwortungsgemeinschaft" der Deutschen beider Staaten müsse auf den Bereich von "Frieden und Sicherheit" begrenzt bleiben 121. Erst der Verzicht auf Wiedervereinigung, zum Beispiel "im Rahmen des KSZE-Prozesses", könne "potentielle deutsche Hegemonialansprüche in Mitteleuropa grundsätzlich unmöglich" machen 122 und somit der So~etunion einen "innenpolitischen Spielraum fiir die osteuropäischen Länder" zumutenl23. Der 'offensichtliche Wunsch' der osteuropäischen Völker- gemeint waren freilich nicht die in der So~etunion zusammengepferchten - "nach mehr Unabhängigkeit und langfristig garantierten Grenzen" 124 konnte nach dieser
der diese ,,Ängste" im Ausland verstand, weil manche ,,Leute bei uns" mit dem Blick auf die DDR "so etwas wie 'Ein Volk steht auf -Stimmung" erzeugten. ll9 Lothar Löj]1er, in: BTSten.Ber. v. 23.5.1985, S.l0377-10378 (10378). 120 Vgl. ähnl. George F. Kennan, Wiedervereinigung - noch nicht, in: taz v. 14.11.1989. Zur Frage einer KonfMeration (,,Deutscher Bund") im Rahmen eines ,,Mitteleuropa-Konzeptes" s.u., Kap. C.2. 121 Vgl. Egon Bahr auf einem Experten-Disput der Friedrich-Nawnann-Stiftung am 19.10.1984, zit. v. Kar/ E. Birnbaum, Die deutsche Frage aus der Sicht des Auslandes, S.lll [1990]: HOre das Ausland von den Deutschen etwas von "Verantwortungsgemeinschaft fi1r Frieden und Sicherheit oder Entspannung [... ], na Gott sei Dank. Wenn sie darüber hinausgehen und sagen Verantwortungsgemeinschaft fil.r die deutsche Einheit, dann wird exakt das gegenteilige Gef\lhl mobilisiert. Aus diesem Grunde Reduzierung auf die Sicherheitsfrage [... ]". 122 So Dagmar Rensei (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 15.10.1987, S.2175-2178 (2177, passim). 123 Vgl. Ti/man Fichter, Das altbekannte Gespenst eines deutschen Sonderweges geht wn, in: FR v. 25.8.1988. Ähnl. Hans-Ulrich Weh/er, Deutsche Frage und europäische Antwort, in: FR v. 14.10.1989. 124 Vgl. Ti/man Fichter, Das altbekannte Gespenst eines deutschen Sonderweges geht wn, in: FR v. 25.8.1988.
5. Rücksichtnahme auf die europäischen Nachbarn?
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Auffassung also nur mit dem eigenen Verzicht auf die deutsche Souveränität erfüllt werden 125 . Weil ein ungeteiltes Deutschland "unsagbares Unglück fiir andere Völker und fiir sich selbst gebracht" 126 habe, zeichneten sich die Wiedervereinigungsgegner durch eine besondere Rücksichtnahme auf die vermeintlichen Gefiihle, Vorbehalte und Deutschlandbilder der übrigen Staaten in Europa und in der Welt aus 127 . Unter der Annahme, daß die ,,.zeit der wirklich staatlichen Einheit Deutschlands" zwischen 1871 und 1945 "viel zu kurz gewesen" sei, "um in das Bewußtsein seiner Nachbarvölker als unumstößliches politisches Faktum eingegangen zu sein" 128 , erschien bereits jeder Hinweis auf das Ausbleiben einer echten, das heißt dauerhaften, den Menschenrechten verpflichteten und die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht berücksichtigenden Friedensordnung, solange die Deutschen geteilt waren, fiir "geeignet, zusätzliche Unruhe und Mißtrauen im Osten, aber auch bei unseren westlichen Freunden auszulösen" 129 . Extreme Sensibilität für die angeblichen, de125 Kritisch hierzu aus Reihen der SPD der ehemalige Hamburger Bürgenneister, Klaus von Dohnanyi, Wiedervereinigung. Konflikt zwischen Kopf oder Bauch?, in: Stern v. 16.11.1989: ,,Die Politik der angeblichen Vernunft kann [...) den richtig erkannten Konflikt zwischen den Sicherheitsinteressen der Sowjetunion wtd der Forderwtg nach Selbstbestimmung in der DDR nicht auflösen. [... ) Da also die Wiedervereinigung vennutlich aus der Selbstbestinunung folgen wird wtd wir an einem wteingeschränkten Recht auf Selbstbestinunwtg wtter allen Umständen festhalten werden, muß sich eine Politik der Vernunft darauf vorbereiten, die voraussehbaren negativen internationalen Folgen der Ausübung des deutschen Selbstbestinunwtgsrechts zu venneiden". 126 So Fritz Stern in einer Rede zum 17.6.1987, vgl. FAZ v. 19.6.1987. 127 Zur tatsächlich eher unverkrampften Haltung zur deutschen Frage aus amerikanischer, französischer, britischer u. italienischer Sicht vgl. nur die Beiträge v. Gerald R. Kleinfeld, Henri Menudier, Barbara Rowe u. Franz Pahl in: Hunnelore Horn!Siegfried Mampel (Hrsg.), Die deutsche Frage aus der heutigen Sicht des Auslandes, (Schriftenreihe der Gesellschaft f\lr Deutschlandforschung, Bd.l9), Berlin 1987. Vgl. aber auch Jean-Marie Soutou, Deutsches Nationalbewußtsein -Bedingung europäischer Politik, in: FAZ v. 20.8.1986, Beate Gödde-Baumanns, Die deutsche Frage in der französischen Geschichtsschreibwtg des 19. wtd 20. Jahrhunderts, S.l6-17 [1987), Kurt Plück, Die deutsche Frage aus der Sicht der Bundesregierung, S.318-320 [1986), Felix Ermacora, Die deutsche Frage aus ausländischer Sicht, S.89-98 [1986), Luigi Vinorio Graf Ferraris, Die Weltmächte und die deutsche Frage, S.99-115 [1986). 128 Gert Meier, Zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, S.l45 [1986). 129 So der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bwtdestagsfraktion Jurgen Schmude in einem Interview mit dem Bonner Korrespondnten der NRZ, Sepp Binder, abge-
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C.l. Das ,,friedenspolitische" Argmnent
moskopisch allerdings nicht nachweisbaren130 sicherheitspolitischen Befiirchtungen der europäischen Nachbarn konnte sogar so weit gehen. erst eine vielfache Teilung als Möglichkeit fiir Deutschland zu bezeichnen, fiir Europa "fruchtbar werden" zu könnenl31. druckt in den Infonnationen der SPD-Fraktion v. 17.8.1984. A.a.O., Grundlagen und aktuelle Möglichkeiten der Deutschlandpolitik, S.l3 [1983], u. in seiner Rede am 17.5.1985 vor dem Kuratorium Unteilbares Deutschland, abgedruckt in den Infonnationen der SPD-Fraktion v. 17.5.1985, S.9, unterstellte Schmude dem westlichen Pochen auf Einhaltung der Menschenrechte, diese nur als "Vehikel westlicher Politik" benutzen zu wollen und dadurch zu diskreditieren. Vgl. ähnl. noch am 14.11.1989 Walter SttJtzle, Direktor des Stockholmer Instituts ftlr Friedensforschung, in einem Interview in der Sendung ,,Das Journal" des Saarländischen Rundfunks, gesendet ab 8.15
Uhr.
Wie zur Bestatigung der Worte Schmudes erklärte der Vorsitzende des Unionsrates des Obersten So\\jet, Lew Tolkunow, zum zehnten Jahrestag der Unteneichnung der KSZE-Schlußakte, daß die "imperialistische Propaganda" versuche, Fragen der humanitaren Zusammenarbeit "als ein Werkzeug des psychologischen Krieges und politischen Drucks" zu benutzen, als wäre die Quelle der Spannung in Europa ,,nicht die militaristischen Vorbereitungen" der NATO, sondern .,venneintliche Verletzungen der Menschenrechte in den sozialistischen Ländern", zit. in: SZ v. 9.7.1985. 130 Nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Allensbach in verschiedenen Ländern mit je zwischen 1.000 und 2.000 Befragten, in: Elisabeth Noelle-Neumann, Allensbacher Jahrbuch 1984-1992, S.436 [1993], darf wohl eine eher zustimmende Haltung zur Wiedervereinigung angenommen werden. Einer von zwei Meinungen sollten die Befragten zustimmen: 1. "Wenn ein Land gegen seinen Willen geteilt ist, entstehen dort besonders leicht Spannungen. Deshalb wäre fi1r den Frieden in der Welt ein wiedervereinigtes Deutschland besser''. 2. ,,Ein wiedervereinigtes Deutschland wäre zu stark und könnte das internationale Kräftegleichgewicht stören. Für den Frieden in der Welt ist daher ein geteiltes Deutschland besser''. In Frankreich stimmten im Februar 1984 43 Prozent der ersten, 25 Prozent der zweiten Frage zu, und 32 Prozent waren unentschieden. hn September/Oktober 1989 steig die Zustimmung zur ersten Frage auf 68 Prozent, die zur zweiten sank auf 16 Prozent, und die Zahl der Unentschiedenen halbierte sich auf 16 Prozent. In dieser Reihenfolge die Werte fi1r Großbritannien: 1984: 51, 26, 23; 1989: 62, 23, 15. Für die Vereinigten Staaten: 1984: 54, 31, 15; 1989: 36, 42, 22. Die Werte fi1r andere Länder beziehen sich nur auf 1989: Italien: 66, 18, 16; Spanien: 45, 33, 22; Niederlande: 62, 21, 17; Schweden: 71, 17, 12; Japan: 38, 7, 52. Vgl. auch Wolfgang Bergsdoif, Staunend vor offenen Türen, in: RM v. 27.10.1989, der auf eine Umfrage verweist, die das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 1978 in acht ausländischen Staaten in Auftrag gegeben hatte, und die eine deutliche Mehrheit ftlr die Wiedervereinigung ergab.
5. Rücksichtnalune auf die europäischen Nachbarn?
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Als Kronzeuge für den vermuteten ausländischen Vorbehalt gegen die Wiedervereinigung wurde häufig der französische Schriftsteller Fran~is Mauriac bemüht, der das immer wieder zitierte132 Wort aussprach: "Ich liebe Deutschland so sehr, daß ich glücklich bin, daß es zwei davon gibt". Nicht nur, daß es auch anderslautende Bonmots französischer Schriftsteller gab133 -es war gerade für das auf den Prinzipien der Selbstbestimmung beruhende französische Nationalgefühl verwirrend, mit welcher Leichtigkeit die Deutschen sich mit ihrer Teilung in zwei Staaten abzufinden schienenl34. Ausdruck seines Mißtrauens verlieh im September 1984 der italienische Außenminister Giulio Andreotti, der sich gegen einen "Pangermanismus" wandte und aus Sorge um das europäische Gleichgewicht dafür aussprach, daß es zwei deutsche Staaten bleiben sollten 135 . Diese Äußerung Andreottis schlug in der Bundesrepublik große Wellen. Für die Vertreter der These, die deutsche Spaltung sichere den Frieden, hatte Andreotti "den Mut gehabt, einmal ehrlich und offen auszusprechen, was unsere westlichen Verbündeten in der deutschen Frage wirklich denken" 136 , daß sie "eine Neuauflage einer
131 So der Berliner Theologieprofessor Helmut Gollwitzer auf einer Veranstaltung der Aktion StUmezeichen/Friedensdienste zum 8. Mai in der Frankfurter Paulskirche, zit. v. Axel Vombtiumen, ,,Deutsche Einheit begraben", in: FR v. 11 .5.1985. 132 Zit. v. Gerhard Kiersch, Die jungen Deutschen, S.40 [1986], Horst Ehmke, Deutsche ,,Identität" und unpolitische Tradition, S.20 [ 1988], Gordon A. Craig, Zu groß für Europa?, in: Spiegel v. 13.11.1989, Marlies Menge, Lokalpatriotin aus der Mark Brandenburg, S.281 [1985], u.- allerdings Mauriac nicht zustinunend -,Ernst Weisen/eid, Welches Deutschland soll es sein?, S.53 u. 173 [1986]. 133 Der Dichter und Botschafter Paul C/audel schrieb bereits 1948: ,,Für Europa und die ganze Welt ist ein unenneßliches Unglück, daß Deutschland von der Rolle, die ilun zukonunt, heute abgesetzt ist. Vonall den Verbrechen, die es begangen hat, ist jenes, welches es gegen sich selbst beging, vielleicht das schlinunste. Deutschland braucht Europa und Europa braucht Deutschland", zit. v. Ernst Weisenfeld, Welches Deutschland soll es sein?, S.l81, m.N. [1986]. 134 So urteilte die französische Zeitung ,,Le Monde" v. 30.4.1985, vgl. Ernst Weisenfeld, Welches Deutschland soll es sein?, S.l81 [1986]. 135 Zit. in: Renata Fritsch-Boumazel, Das Land in der Mitte, S.lll, m.N. [ 1986]. 136 Horst Ehmke, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, in den Informationen der SPD-Fraktion v. 15.9.1984. Ähnl. Alfred Grosser im schweizerischen Rundfunk SRI v. 17.9.1984, gesendet ab 20.45 Uhr, der Ehmke in der Äußerung der ,,Binsenweisheit", es werde keine Wiedervereinigung geben, zustinunte. Nur darum machten die Westmächte "die ganzen Beteuerungen einer Unterstützung ft1r die Wiedervereinigung", obwohl sie ein übennächtiges Deutschland in Europa nicht wollten, weil auch sie dies WUßten. Vgl. ähnl. auch Otto Schily in einem Interview mit der Hamburger Morgenpost v. 18. 9.1984, Behler!Knepper, Deutschlandpolitische Bildungsarbeit und Friedenserziehung, S.842 [1986], u. Rudi Arndt, Vorsitzender der So-
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C.l. Das ,,friedenspolitische" Argument
deutschen Zentralmacht in Mitteleuropa als friedensbedrohlich ansehen" 137 . Die deutsche Einheit habe "nun einmal für die europäische Umwelt etwas Furchterregendes" 138 . Diese Rückendekkung für Andreotti wurde verbunden mit der Empfehlung an die Bundesregierung, von "Illusionen" in der Deutschlandpolitik Abstand zu nehmen, "ihre Position zu überprüfen und mit den Realitäten in Einklang zu bringen. Schließlich geht es um eine Frage, die ganz elementar mit dem Frieden und der Sicherheit in Europa zusammenhängt" 139 . Die Bundesregierung wurde an die von der SPD mitgetragene Entschließung des Bundestages vom 9. Februar 1984 erinnert und aufgefordert zu akzeptieren, daß der "Frieden auf der Stabilität der in Europa entstandenen Lage" beruhe, daß "Stabilität nur möglich ist, wenn sich alle unsere Nachbarn ihrer Staatsgrenzen sicher" seien, und daß "es deshalb unbeschadet aller Rechtsstandpunkte keine akzeptable Politik ist, eine zukünftige Veränderung europäischer Grenzen zu propagieren" 140 . Deutlicher konnte der Abschied vom Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, auf die staatliche Einheit der Deutschen hinzuwirken, schwerlich ausgedrückt werden. Tatsächlich aber enthielt der Bundestagsbeschluß vom 9. Februar 19841 41 eine Formulierung, die sich mit dieser Interpretation kaum vereinbaren läßt, weil sie auf eine Veränderung und nicht Konservierung des Status quo abzielt: ,,Der Deutsche Bundestag unterstreicht, daß auch weiterhin in Europa im Einklang mit dem Harmel-Bericht ein Zustand angestrebt werden muß, in dem durch die Beseitigung der Spannungsursachen Interessenausgleich und Frieden möglich werden" .
zialistischen Fraktion im Europäischen Parlament, im Sozialdemokratischen Pressedienst v. 20.9.1984. Kritischer hierzu Harro Hono/ka, Schwarzrotgrün, S.19 [1987]. 137 So Annemarie Borgmann, Fraktionssprecherin der Grünen und Dirk Schneider, deutschlandpolitischer Sprecher der Fraktion, die die ,,Feststellungen Andreottis in bezug auf die bleibende Existenz beider deutscher Staaten" begrüßten und "eine Politik der ' Wiedervereinigung Deutschlands' und des ' Offenhaltens der deutschen Frage"' filr "unakzeptabel" und "friedensbedrohend" hielten, in: Pressemitteilung Nr.478/84 der Grünen im Bundestag v. 17.9.1984. 138 Jargen Ke//ermeier, Die Freiheit ist wichtiger als die Einheit, in: Westnilische Rundschau v. 19.9.1984, älml. in: Vorwärts v. 25.5.1985. 139 So Wi//iam Borm in einem Interview mit dem Parlamentarisch-Politischen Pressedienst v. 17.9.1984. Borm fand mit diesem Interview Erwähnung im ND v. 19.9.1984. 140 So Hans Bach/er, der Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuß filr innerdeutsche Beziehungen, in den Informationen der SPD-Fraktion v. 21.9.1984. Ganz ähnl. der SPD-Bundestagsabgeordnete Reinhold Hi//er, der danun forderte, das Wiedervereinigungsgebot in ein ' Friedensangebot' umzuwandeln, vgl. Kieler Nachrichten v. 16.5.1985. 141 BTDrs. 10/914 v. 24.1.1984, S.2-3.
5. Rücksichtnahme auf die europäischen Nachbarn?
177
Den Höhepunkt ihrer Ausbreitung erfuhr die Rücksichtnahme auf das vermeintliche Interesse Europas am Status quo als notwendige Friedensvoraussetzung mit den unter der Leitung von Heiner Geißler von einer vom CDUBundesvorstand eingesetzten Kommission erarbeiteten ,,Perspektiven zur Außen-, Sicherheits-, Europa- und Deutschlandpolitik" 142 vom Februar 1988. In diesen "Perspektiven", in denen das Wort Wiedervereinigung nicht vorkam, wurde festgehalten, daß die Einheit "von den Deutschen nur mit Einverständnis ihrer Nachbarn in West und Ost zu erreichen" sei 143 . Bundeskanzler Kohl hielt diese These für richtig, auch wenn er sie anders formuliert hätte144. Die überarbeitete und im Juni 1988 verabschiedete Endfassung145 ersetzte
das Junktim, das die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts von der
Zustimmung anderer abhängig gemacht hätte, durch die selbstverständliche
142 Abgedruckt in: CDU-Dokumentation 6/1988. 143 Hans-Peter SchUtz, Engel auf der Nadelspitze, in: DAS v. 28.2.1988, begrüßte, daß die "CDU als Partei" sich endlich 'ideologisch entrümpele' und "an den status quo der amtlichen Deutschlandpolitik ihrer Bundesregierung" heraneile. Ähnl. befürwortete auch Marion Grtifin DtJnhoff, Ein Dach für ganz Europa, in: Zeit v. 1.4.1988, daß die CDU ein Konzept entwerfe, "das von der Realität ausgeht". Hans Apel hatte eine sehr ähnliche Formulierung im Bundestag gebraucht, vgl. BTSten.Ber. v. 27.2.1985, S.9018-9023 (9022). Für Dagmar Bensei (Grüne), in: BTSten.Ber. v. l.l2.1988, S.8124-8126 (8126), bedeutete diese von ihr begrüßte Wendung, daß es die deutsche Einheit "überhaupt nicht geben wird, was auch heißt: Wiedervereinigung ist nur gegen den Westen zu haben". 144 Vor einem außenpolitischen Kongreß der CDU in Bonn am 14.4.1988, vgl. SZ v. 15.4.1988. Gegen diese Formulierung Geißlers hat es einen ,,Aufstand" gegeben. Geißlers Stun als CDU-Generalsekretär hängt damit (auch) zusammen. Tatsächlich aber erklärte auch Helmut Kohl vor dem Bundestag, in: BTSten.Ber. v. 14.3.1986, S.l5755-15764 (15757), daß die Lösung der deutschen Frage ,,nur im Einverständnis mit unseren Nachbarn geschehen kann". 145 Abgedruckt in: CDU-Dokumentation 12/1988. Dem Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" vom 31. Mai 1994 zufolge, S.l33, sei es eine unbegründete Spekulation gewesen, die CDU habe damals "die Frage der Einheit den realpolitischen 'Notwendigkeiten' der innerdeutschen Beziehungen unterordnen" wollen. Im Bericht heißt es weiter: ,,In der Beschlußvorlage des Parteitages wurde der Begriff 'Wiedervereinigung' ganz selbstverständlich ohne Diskussion an den Beginn des deutschlandpolitischen Kapitels gestellt und damit diese oberste Zielsetzung der CDU-Deutschlandpolitik erneut betont". Die Mitglieder der Fraktion der SPD und der Sachverständigen Bemd Faulenbach, Martin Gutzeit und Hermann Weber dagegen sprechen in ihrem Sondervotum, ebd., S.l43, in diesem Zusammenhang von einem in der Union sich abzeichnenden "Trend der Anpassung der Programmatik an die operative Politik". 12 Roos
178
C.l. Das ,,friedenspo1itische" Argwnent
Formel: "Wir brauchen fiir die Verwirklichung des Rechts unseres Volkes auf Selbstbestimmung das Verständnis und die Unterstützung unserer Nachbarn"l46.
Positive Äußerungen westlicher Staatsfiihrer und Beobachter zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands wurden von den Apologeten der deutschen Teilung bis zuletzt nur als rhetorische Pflichtübungen im Wissen um die Aussichtslosigkeit der Wiedervereinigung abqualifiziert147 . Tatsächlich aber fand nicht nur der Anspruch auf die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, sondern sogar der Wiedervereinigung in Westeuropa zunehmend Unterstützung, auch außerhalb offizieller Staatsaktel 48. 6. Teilungsmanagement als operative Deutschlandpolitik?
Wenn die Überwindung des Status quo in Europa fiir die Wiedervereinigungsskeptiker und -gegner aus sicherheitspolitischen Gründen als Ziel operativer Deutschlandpolitik ausschied, konnte die Konsequenz nur sein, die
146 Genau diese Formulierung benutzte Bundeskanzler Helmut Kohl dann in seinem Bericht zur geteilten Nation, in: BTSten.Ber. v. 1.12.1988, S.8094-8100 (8099). Der der SPD nahe Parlamentarisch-Politische Pressedienst (Autor: ,,rs") v. 12.4.1988 bedauerte diese Neuformulierung als "Sieg von 'Stahlhelm'-Gruppe und Vertriebenen-Milieu", die nicht "über den Tellerrand der aktuellen Erfordernisse hinaussehen". Hans-Herbert Gaebel, Unruhe in Deutschland, in: FR v. 16.4.1988, sah mit der Überarbeitung des Entwurfs 'nationale ßlusionen' bedient und erblickte in dieser neuen Formulierung ,,Kosmetik ftl.r Leute, die der Wirklichkeit nicht ins ungeschminkte Antlitz starren mögen". 147 Besonders plakatives Beispiel hierfilr ist das zynische, absichtliche Mißverständnis Egon Bahrs in einem Interview mit dem Flensburger Tageblatt v. 25.9.1989: ,,Frage:[... ) US-Präsident George Bush hatjetzt ausdrücklich betont, daß er in einer deutschen Wiedervereinigung keine Gefahr fllr Europa sieht. Bahr: Er hat recht, es besteht keine Gefahr, daß die deutsche Einheit ausbricht. Frage: Bush sagte, daß eine Wiedervereinigung der Deutschen keine Gefahr ftl.r Europa bedeutet. Bahr: Bush kann das um so leichter sagen, als er nicht die Gefahr sieht, daß es passiert. [... )". 148 Vgl. Hans-JtJrg Backing, Wiedervereinigung Deutschlands und Einigung Westeuropas, 8.83-85, m.w.N. [1989], der u.a. auf die fraktioneile Zusammenarbeit europäischer Parteien und deren zu beobachtendes Abstimmungsverhalten nach Fraktionen - und nicht nach Nationen - hinweist und aus diesem Sachverhalt die Schlußfolgerung zieht, daß der Gedanke an ein wiedervereinigtes Deutschland in der westeuropäischen Gemeinschaft wegen der Verstärkung transnationaler Identifikationsmuster an Brisanz verliere.
6. Teihmgsmanagement als operative Deutschlandpolitik?
179
Teilung im ..Pragmatismus eines permanenten Konfliktrnanagements" 149 der bestehenden Ordnung zu regeln. Mit diesem Teilungsmanagement sollten die innerdeutschen Beziehungen "um der Menschen willen und zur Sicherung des Friedens" 150 verbessert und verstärkt werden- mehr sollte nicht gewollt sein. In einem zwischen CDU, CSU, FDP und SPD ausgehandelten Entschließungsentwurf151 wurde die Deutschlandpolitik auf die ,,Erleichterung der Folgen der Teilung sowie die Festigung des Friedens" reduziert und somit in den Dienst einer 'deutsch-deutschen' "Verantwortungsgemeinschaft" fiir den Frieden gestellt. Im Gegensatz zur Gemeinsamen Entschließung vom 9. Februar 1984 wurde die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts mit der Einschränkung versehen, daß "gestaltende Deutschlandpolitik nicht heute die Entscheidung vorwegnehmen" könne, "die unser Volk in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts eines Tages treffen wird". Es gehe nicht darum, "Grenzen zu verschieben", sondern "den Grenzen ihren trennenden Charakter zu nehmen". Mit diesem Satz wurde das Ziel einer friedlichen Beseitigung der Grenzen, die Deutschland teilten, also das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, tatsächlich preisgegeben152. Der Entschließungsentwurf wurde von der CDU/CSU-Fraktion jedoch mit der Begründung abgelehnt, daß zwar grundsätzlich eine deutschlandpolitische Gemeinsamkeit mit der Opposition gut sei, sie "aber nicht aufKosten der Wahrheit, der Klarheit und unaufgebbarer Grundsatzpositionen gehen" dürfe, zumal die Opposition "nicht die Sicherheitspartnerschaft mit den demokratischen Ländern" propagiere, "sondern die Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion"153. Der Dissens zwischen Regierung und Opposition bestand folglich nicht über den Weg der Deutschlandpolitik, sondern über ihr Ziel 154 . Wegen seines 149 So bezeichnete Michael StUrmer, Abschied von falschen lllusionen, in: RM v. 24.8.1985, das "Gesetz der operativen Deutschlandpolitik". 150 Jargen Schmude, "Geht es wirklich wn die Wiedervereinigung?", in: Welt v. 15.10.1985. 151 Abgedruckt in: GA v. 18.10.1985. 152 So auch Kar/ Feldmeyer, Was für Deutschland zu tun ist, in: FAZ v. 17.10.1985, der diese Forrnulienmgen "einem Plädoyer fi1r den unbegrenzten Fortbestand der beiden Staaten in Deutschland" nahegekonunen sah. 153 Erklärung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger in der Fraktionssitzung vom 15.10.1985, veröffentlicht vom Pressereferat der CDU/CSUBundestagsfraktion am 16.10.1985. 154 Ähnl. auch Uwe Lehmann-Brauns, stellvertretender Vorsitzender der CDUFraktion des Berliner Abgeordnetenhauses, in: Volksblatt (Berlin) v. 22.5.1987. Wenn He/ga Haftendorn, Außenpolitische Prioritäten und Handlungsspielrawn, S.36 [1989], schreibt, daß das westdeutsche ,,Ziel, eine wie auch immer geartete 'deutsche Einheit' zu erreichen,[...] sich nur wenig gewandelt" habe, muß ihr insofern mit der Bemerkung widersprochen werden, als in den filnfziger und auch sechziger
180
C.l. Das "friedenspo1itische" Argwnent
Versuches, das auch in seiner eigenen Partei internalisierte Teilungsmanagement zu durchbrechen und durch die Verbindung von Deutschland- und Sicherheitspolitik die deutsche Frage auf die internationale Tagesordnung zu setzen, hagelte auf den CDU-Bundestagsabgeordneten Bemhard Friedmann155 Kritik von allen Seiten herab. Friedmann erkannte ein europäisches, speziell deutsches Sicherheitsrisiko bei der Verwirklichung der doppelten Nullösung, also dem vollständigen Abbau der Mittelstreckenraketen mittlerer (500-1000 km) und größerer Reichweite (mehr als 1000 km), weil dann das sowjetische Übergewicht bei Kurzstreckenraketen und bei konventionellen Waffen "voll zum Tragen" käme. Um zu einer weiteren Abrüstung auch dieser Waffenkategorien zu gelangen, erschien Friedrnann die Wiedervereinigung Deutschlands als probates Mittel, weil sie "nicht nur Folge, sondern auch Ursache von Ost-West-Spannungen" 1S6 sei. Abgesehen von der Diskussionswürdigkeit dieser Überlegung 1S7 - die Spannungen, die sich aus der deutschen Teilung ergaben, waren nur "Sub-Spannungen" des großen Ost-WestKonflikts - und auch des Gedankens, daß eine Wiedervereinigung bei Fortbestehen des Ostblocks zu einer tatsächlichen Abrüstung führen müsse, war die Resonanz auf die Thesen Friedrnanns 1986/87 bemerkenswert und bezeichnend zugleich. Die Hauptkritik an seiner Forderung, die Frage der WiederJahren das Ziel nicht 'wie auch inuner geartet', sondern im Konsens aller Bundestagsparteien eindeutig die staatliche Einheit Deutschlands war. Threr Feststellung aber, daß sich die ,,Art der angestrebten Einheit, die von der staatlichen Wiedervereinigung in Einheit und Freiheit bis zu einer gemeinsamen Verantwortung aller Deutschen vor der Geschichte reicht [,] sehr stark verändert" habe, ist beizupflichten. ISS Vgl. sein Artikel v. 13.11.1986 in der "Welt", seine Interviews mit den Badischen Neuesten Nachrichten v. 6.12.1986 u. v. 30.5.1987, dem Deutschen Ostdienst v. 11.12.1986, der Radiosendungen ,,Blickpunkt am Abend" und ,,Interview zum Zeitgeschehen" des Südwestfunksam 19.5.1987, gesendet ab 19.00 Uhr, bzw. am 31.5.1987, gesendet ab 12.45 Uhr, dem Deutschlandfunk, ,,Informationen am Mittag" am 6.6.1987, gesendet ab 12.00 Uhr, u. ,,Interview der Woche" v. 9.8.1987, gesendet ab 11.00 Uhr, der Nordwest-Zeitung v. 29.6.1987, u. sein Thesenpapier ,,Die Wiedervereinigung der Deutschen als Sicherheitskonzept", abgedruckt in: Berliner Morgenpost v. 22.5.1987. 1S6 These ill,2 seines Thesenpapiers ,,Die Wiedervereinigung der Deutschen als Sicherheitskonzept", abgedruckt in: Berliner Morgenpost v. 22.5.1987. 1S7Vg1. hierzu den Leserbriefvon Wilhelm G. Grewe an die FAZ v. 5.6.1987, der die Thesen Friedmanns als alte HUte und die deutsche Teilung eindeutig als Ursache und nicht als Folge der Ost-West-Spannungen, die es auch gegeben hätte, "wenn die Sowjetunion 1945 bis an den Rhein vorgerückt wäre und sich auf ein sowjetisch besetztes Gesamtdeutschland hätte stutzen können", bezeichnete. Vgl. die leserbriefliche Entgegnung Gustav Sonnenhals in der FAZ v. 29.6.1987 sowie die Replik Grewes hierauf in der FAZ v. 21.7.1987 u. seinen weiteren Leserbrief zur Ursachen-FolgeDebatte v. 29.3.1988.
6. TeilWlgsmanagement als operative Deutschlandpolitik?
181
vereinigung in die internationalen Abrüstungsverhandlungen einzubringen. lag in der Sorge um deren Belastung158 . Der Fiktion von einer Kriegsgefahr wegen des Vorhandenseins atomarer Waffen schienen nun auch die Befilrworter der Wiedervereinigung Deutschlands erlegen zu sein. Die doppelte Nutlösung hatte die Sowjetunion in eine bessere militärstrategische Lage versetzt und die nukleare Bedrohung in Europa auf Deutschland praktisch beschränkt1S9. Das Prinzip der "flexible response", abgestuft und angemessen auf militärische Bedrohungen aller Art reagieren zu können 160 , war durchbrochen. Dennoch galt der Abrüstungsprozeß offensichtlich als ein Wert an sich und durfte keinesfalls mit Erinnerungen an die deutsche Frage befrachtet werden: "Wir wollen, daß die Waffen in Europa verschwinden. Das ist das erste"161. Erst danach (wie oben dargestellt) würde die deutsche Frage akut eine Reihenfolge, der die tatsächliche Entwicklung nicht entsprochen hat 162 . Es gehe nicht, daß die nukleare Abrüstung an die Überwindung der deutschen Teilung gebunden - eine Bedingung, die Friedrnann nicht gestellt hatte - und damit gefährdet werde 163 . Das Kopfzerbrechen um die Reihenfolge und die Zusammenhänge von Abrüstung und Wiedervereinigung begann im Sommer 1989, mit dem Ansturm der Urlauber aus der DDR auf die ungarisch-österreichische Grenze, irrelevant zu werden. Bahrs Warnung, die 'massenhafte Ausreise von DDR-Bürgern in I 58 So der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schtifer (FDP), in: NOZ v. 20.5.1987, u. der abrüstWlgspolitische Sprecher der FDP-BWldestagsfraktion, Olaf Feldmann, in: fdk tagesdienst v. 21.5.1987. 159 So auch Kar/ Feldmeyer, Deutschland i!Il Gespräch, in: FAZ v. 21.5.1987. 160 Vgl. hierzu, im Zusammenhang mit der NachrüstWlgsdebatte, Kaiser/Leber!Mertes/Schulze, Kernwaffen Wld die ErhaltWlg des Friedens, S.358 [1982]. 161 So der Hauptgeschäftsfilhrer der CDU-Sozialausschüsse, Adolf H6rsken, zit. in: SZ V. 21.5.1987. 162 Daß diese Reihenfolge der EntwicklWlg ab 1989 nicht entsprechen würde, hatte Johann Georg Reißmiiller, Zu wenig Nachdenken über Deutschland, in: FAZ v. 1.6.1987, vermutet Wld sich auf ein Zitat von Richard Burt, dem amerikanischen Botschafters, gestützt: "Wir müssen nach Wegen zur ÜberwindWlg der deutschen TeilWlg Wld des sogenannten Eisernen Vorhangs in Europa suchen. Wenn wir Wlsere Kräfte nur auf RüstWlgskontrolle konzentrieren, werden wir nicht zur eigentlichen Ursache der Ost-West-Spannm1gen kommen". 163 So die Ministerin fllr Innerdeutsche Beziehm1gen, Dorothee Wilms, wiedergegeben in: FAZ v. 1.6.1987. Anders Johann Baptist Grad/, der anläßlich derselben VeranstaltWlg, der JahrestagWlg des Kuratoriums Unteilbares Deutschland, darauf hinwies, daß es nicht darauf ankomme, "ein hartes Junktim zwischen AbrüstWlg" Wld Wiedervereinigoog zu verlangen, sondern ,,AbrüstWlg, Sicherheit Wld Wiedervereinigoog" als "im GTW1de eine interdependente, gemeinsame Aufgabe" zu begreifen, zit. in: FAZ v. 1.6.1987.
182
C.I. Das ,,friedenspolitische" Argwnent
die Bundesrepublik' sei eine 'Gefährdung des Entspannungsprozesses' 164 , kam zu spät und war insofern falsch, als diese Flucht - zumindest auch - Ergebnis einer gescheiterten 'Entspannungspolitik' war. Die Fluchtbewegung war der letzte Beweis der Unmöglichkeit einer Entspannung antagonistischer Weltanschauungen. Selbst fiir die militärische Entspannung, die Abrüstung, brachten die Jahre nach 1989 historisch beispiellose Verhandlungserfolge. Die Aufforderung, jeder solle "in seinem Block bleiben", weil sonst Ängste heraufbeschworen würden, die den Reformbemühungen in Osteuropa schaden könnten16S, verkannte nicht nur den Willen eben dieser Reformbemühungen, "ihren" Ostblock aufzubrechen und Unterstützung im Westen zu gewinnen, sondern auch offizielle sowjetische Überlegungen, den Warschauer Pakt zu einer stärker politisch ausgerichteten Organisation zu verändernl 66 . Der Glaube aber, geäußert noch im August 1989, die SED weise genug "sozialdemokratische Elemente" auf, die DDR sei "wirtschaftspolitisch auf einem reformistischen Weg [... ] sehr viel weiter als die anderen Länder Osteuropas, übrigens Ungarn eingeschlossen", und teilweise sei "die Liberalität in der Gesellschaft [der DDR) größer, als bei uns so allgemein die Vorstellung ist" 167 , ist als Folge einer euphemistischen Fehlperzeption der DDR und der ihr zugrundeliegenden Ideologie zu bezeichnen. Der Versuch des apagogischen Beweises, also die Rechtfertigung der deutschen Teilung mit dem Hinweis auf die vermeintliche Friedensgefahrdung durch Wiedervereinigung, ist 1989/90 gescheitert. Die Wirklichkeit widersetzte sich den Prophezeibungen und angenommenen Prämissen diametral. Jetzt erst, nach der Auflösung des grundlegenden, ideologischen Gegensatzes ist die Gestaltung eines Nicht-Krieges zu einer Friedensordnung möglich168 , 164 So Egon Bahr vor dem zweiten Friedenssymposiwn der Partnerstädte Dresden Wld Harnburg in Hamburg, vgl. Kieler Nachrichten v. 22.8.1989. 16S So der bayerische Ministerpräsident Max Streibl, zit. in: taz v. 28.9.1989. 166 Vgl. NATO-Generalsekretär Manfred Wörner in einem Interview im ,,ARDMittagsmagazin" am 27.10.1989, ausgestrahlt ab 13.10 Uhr. Sogar die filr die linksorientierte, spöttisch-satirische Zeitschrift ,,konkret" schreibenden Autoren Charlotte Wiedemann Wld Bruno Feige, Etwas andere Großmacht, in: konkret v. 1.11.1989, erkannten: ,,Der 'Ostblock' erodiert schneller, als dpa es melden kann". 167 Walter Momper, Regierender Bürgermeister Berlins, zit. in: FAZ v. 26.1.1990. 168 Vgl. Alfred Dregger, CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender, in: BTSten.Ber. v. 27.2.1985, S.9023-9027 (9026), der die inzwischen erfüllte Bedingung filr eine echte FriedensordnWlg klar formulierte: ,,Es ist die Schicksalsfrage Wlserer Zeit, ob es in den kommenden Jahren gelingt, die Sicherheits- Wld Zukunftsinteressen der SowjetWlion mit den Lebensinteressen eines freien Europa, insbesondere der Völker Ostmitteleuropas, in ÜbereinstimmWlg zu bringen. Das wird nur möglich sein, wenn die SowjetWlion bereit ist, ihre Nachbarvölker als gleichberechtigt anzuerkennen, Wld wenn sie auch
Zwischenergebnis
183
denn Sicherheit ist nicht zu erzwingen mit dem bloßen Verschwinden von Waffen, sondern mit dem Verschwinden totalitärer Energie, Waffen als politisches Druckmittel oder militärisch einzusetzen169 . Jetzt erst vennag auch die subjektive Empathiewilligkeit, den Sicherheitsinteressen der europäischen Nachbarn zu entsprechen, in Übereinstimmung mit der objektiven Empathiefllhigkeit zu gelangen, indem sich die "semantische Doppel-Deutigkeit"1 70 einer von den Wiedervereinigungsgegnern für das Verhältnis mit dem Ostblock in den achtziger Jahren angestrebten "Sicherheitspartnerschaft" zu einer Eindeutigkeit im Rahmen atlantisch-gesamteuropäischer Interessen verwandelt. Zwischenergebnis
Zusammenfassend lassen sich als Ergebnis der Untersuchungen in Kapitel C.I. sechs Thesen formulieren: 1. Die Teilung Deutschlands war für die Gegner der Wiedervereinigung eine Voraussetzung für das sicherheitspolitische Gleichgewicht und damit für den als Frieden bezeichneten Nicht-Krieg in Europa.
2. Eine Änderung des europäischen Status quo und der Grenzen auf friedlichem Wege wurde nicht für möglich erachtet; ein Streben nach Wiedervereinigung wurde als kriegsfördernd inkriminiert, die Stärkung der DDR dagegen als friedensbewahrend empfohlen.
3. Waffen wurden nicht als mögliche Mittel der Kriegsverhinderung, sondern durch ihr Vorhandensein als Ursache von Kriegen angesehen. Ideologische Unterschiede blieben insofern unbeachtet oder als bloßes Perzeptionsproblem mißachtet. 4. Der Sowjetunion und der ihr zugrundeliegenden Ideologie wurden Friedensfähigkeit und Friedfertigkeit attestiert. Damit erschien der Status quo sowie die Aufteilung der Welt in "Blöcke" erhaltenswert und eine Systemkonvergenz möglich. ideologisch darauf verzichtet, sie in ein konununistisches Weltsystem einzugliedern, das unter ihrer Herrschaft steht". 169 Vgl. Egon Bahr in einem Interview mit der ,,Zeit" v. 13.3.1992: ,,Der wirkliche Irrtwn bei mir war, das sehe ich jetzt, in den letzten 35 Jahren inuner geglaubt zu haben: Da der Kern des Ganzen die Sicherheit, die Machtfmge, ist, muß man daftlr sorgen, daß es Kriege nicht mehr geben kann. Dann wird die Politik und alles andere hinterherkonunen. Einschließlich der deutschen Einheit, einschließlich der Überwindung der Spaltung Ost und West in Europa. Das war falsch. Die Politik hat die Sicherheitsfrage überholt". 170 Alois Mertes, Friedenserhaltung- Friedensgestaltung, S.l92 [1983).
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C.l. Das ,,friedenspolitische" Argwnent
5. Die Werte Selbstbestimmung und Frieden wurden miteinander abgewogenund als ein Widerspruch wahrgenommen, der nur durch eine Unterordnung des ersten unter den zweiten aufgelöst werden könne.
6. Die Rücksichtnahme auf die vermeintlichen Ängste der europäischen Nachbarstaaten wurde als Richtlinie der Deutschlandpolitik obenan gestellt mit dem Ziel, eine Wiedervereinigung für unerwünscht und undurchsetzbar zu erklären.
II. Das "Mitteleuropa"-Argument In diesem Kapitel soll jene "kultur-übernationale" Position dargestellt werden, die die deutsche Einheit als unbekörnmlich oder gar unverdaulich für ein sich auf sich selbst besinnendes, die eigene Kultur pflegendes Mitteleuropa einschätzte. Weil "Mitteleuropa [...]von extrem divergierenden- oft nur politisch zu verortenden- Definitionspartikeln umgrenzt" wird und sich die Mitteleuropa-Diskussion "um Nation, Identität, europäische Selbstbestimmung, kulturelle Entfremdung, letztlich außenpolitische Reorientierung der Bundesrepublik" so filigran wie beliebig webt1 , wäre eine genauere Unterscheidung der Mitteleuropa-Begriffe und ihrer Inhalte eine eigene Studie wert2 . Hier soll es vielmehr darum gehen, den der deutschen Wiedervereinigung gegenüber skeptischen bis ablehnenden Impetus verschiedener Mitteleuropa-Gedanken unabhängig von ihrer teilweisen Widersprüchlichkeit untereinander zu untersuchen. 1. Die Rolle Mitteleuropas als Ost-West-Puffer
Mit dem Begriff "Mitteleuropa" verband sich in den achtziger Jahren eine "diffuse und in vielen Farben schillernde"3 Diskussion4 um die Möglichkeit einer Abkoppelung vorn bipolaren Systernantagonisrnus. Der Ost-West-Konflikt als das politische Weltordnungsprinzip wurde von den Diskutanten, von denen ein Großteil aus den mitteleuropäischen Staaten unter so\\jetischer 1 So Thomas Jäger, Europas neue Ordnung, S.l24 [1990]. 2 Die wohl gründlichste Untersuchung verschiedener Mitteleuropa-Konzeptionen verschiedener Autoren lieferte zuletzt Thomas Jäger, Europas neue Ordnung, vgl. besonders S.l21-255 [1990]. 3 Theo Mechtenberg, Mitteleuropa- lllusion oder Chance?, S.20 [1989]. 4 Der Essay war die häufigste Fonn, sich über Mitteleuropa zu verständigen, weniger die wissenschaftliche Literatur oder Zeitungen. Eine ausführliche, konunentierte Bibliographie vom Stand Frühjahr 1989 bietet Bemhard Doppler, Mitteleuropa: Glossierte Bibliographie, S.85-106 [1988]. Anzumerken ist, daß beinahe jeder Beitrag zum Mitteleuropa-Gedanken eine zum Teil sophistisch wirkende Begriffsbestinunung, was ,,Mitteleuropa" eigentlich sei, enthält. Einen besonders diversifizierenden Definitionsversuch unterninunt Christion Staudacher, Mitteleuropa- Zur Kritik der Definition, S.3-15 [1987].
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C.II. Das ,,Mitte1europa"-Argwnent
Herrschaft stamrnten5 , als fundarnenta16 , für Mitteleuropa aber für überwind-
bar angenommen7 .
Die Mitteleuropa-Gedanken György Konrads dürfen für diese Position als geradezu paradigmatisch eingestuft werden8 . Unzufrieden mit dem liberalen und dem kommunistischen "Rationalismus der weißen Zivilisation" als "Philosophien der zivilisierten Welt", sollten "wir Europäer" uns aus den "großmannssüchtigen Feindseligkeiten" der Amerikaner und Russen heraushalten9 und uns von ihnen "wechselseitig 'abseilen'" 10 . Eine europäische Emanzipation von den beiden, auf Hegemonie ausgerichteten "mächtigsten Nationalstaaten" 11 - gemeint waren damit die Vereinigten Staaten und der Nationalitätenstaat Sowjetunion - sollte das allein deren Zwecken dienende diehotontische Weltbild zersetzen. Die Ost-West-Dichotomie funktioniere nämlich als gemeinsame, sowjetisch-amerikanische Ideologie zur ,,Legitimierung des bipolaren kalten Kriegs" 12 und damit zum geradezu komplizenhaften Vorteil beider. Die Atomwaffe als Mittel des Kalten Krieges diene nach dieser Sicht nicht etwa der Einschüchterung der Gegenseite, sondern der Blockdisziplinierung und "Einschüchterung der eigenen Bevölkerung" 13 . So fürchteten die Europäer nicht nur die Spannungen, sondern "auch die Vereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion" 14 , seien doch die "Interessen" zwischen Westeuropa und den ostmitteleuropäischen Ländern des Warschauer Pakts aus einer Angst vor den eigenen Freunden1S "eher komplementär als konträr'•16.
S So Milan Kundera, Jiri Dienstbier, Vaclav Havel u. v.a. Gy6rgy Konrad.
6 Vgl. RudolfJaworski, Die aktuelle Mitteleuropadislrussion, S.548 [1988).
7 Vgl. auch Peter Barth, Mitteleuropa-Traum oder Wirklichkeit?, S.6 [1987). 8 So auch RudolfJaworski, Die aktuelle Mitteleuropadiskussion, S.533 [1988), Michael Rutschky, Mitteleuropa, S.l85 [1992), u. Thomas Jdger, Europas neue Ordnung, S.l40-141 [1990). 9 Gy6rgy Konrad, Antipolitik, S.34 [1985). Ganz ähnl. Peter Barth, Mitteleuropa Traum oder Wirklichkeit?, S.3 u. 6 [1987]. 10 Gy6rgy Konrad, Antipolitik, S.15 [1985). 11 Vgl. Gy6rgy Konrad, Antipo1itik, S.35 u. 38 [1985). 12 Gy6rgy Konrad, Antipolitik, S.37 [1985). Vgl. ders., Stimmungsbericht, S.76 [1988]: ,,Nicht zwei Wertsysteme kämpfen miteinander, nicht der Kommunismus und der Liberalismus. - Die USA verstehen sich mit dem kommunistischen China ziemlich gut. Es kämpft auch nicht die Demokratie gegen die Diktatur. - Die USA akzeptieren zahlreiche Diktaturen. [... ) Nicht zwei Gesellschaftssysteme kämpfen miteinander, sondern zwei supernationalistische Systeme". 13 György Konrad, Antipolitik, S.35 u. 34 [ 1985). 14 Peter Barth, Mitteleuropa-Traum oder Wirklichkeit?, S.6 [1987).
I. Die Rolle Mitteleuropas als Ost-West-Puffer
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Die Chiffre Mitteleuropa als ein anzustrebender Zustand allgemeiner Abrüstung und damit Friedenssicherung im Zentrum Europas fur ganz Europa tauchte schon in der Argumentation derjenigen, die aus sicherheitspolitischen Gründen die deutsche Einheit ablehnten, auf17 . Ausgehend von der im Gegensatz zu Konrad18 für unabänderlich gehaltenen Tatsache der deutschen Teilung wurde eine Interessenübereinstimmung zwischen Westeuropa und den Ländern des Warschauer Pakts angenommen, die auf dem Wege "stetig wachsender partnerschaftlieber Zusammenarbeit mit den Staatshandelsländern und vor allem mit der Sowjetunion" 19 zu einer blockübergreifenden Neuordnung Mitteleuropas führen sollte. Konkret sollte dies für den Osten mit Einschluß der DDR heißen, sich unter "Beibehaltung aller Bindungen an den großen Bruder [... ] zu einem Klub, ähnlich der EFTA" zusammenzufinden, um sich bei Aufrechterhaltung der deutschen Zweistaatlichkeit mit der EG enger verbinden zu können20 . Die 'deutsch-deutsche Verantwortungsgemeinschaft' wurde nun konsequent auf(Mittel-)Europa übertragen: Um einen dritten, diesmal atomaren Weltkrieg zu verhindern, müßten alle ausländischen Truppen, für deren Stationierung nichts "anderes als reine Großmachtinteressen" sprächen21 , aus Europa abgezogen werden, die europäischen Staaten die Militärblöcke verlassen22 oder 15 Vgl. so Gerhard Heimann, Die europäische Mitte Wld die Zulamft Berlins, S.590 [1986]. 16 Michael Müller!Hans-Uirich Klose/Gerhard Heimann u.a., NeuordnWlg des so\\jetischen Wirtschaftssystems Wld Chancen fi1r eine zweite Stufe der Ostpolitik, S.4 [1986). 17 Siehe Kap. C.l. Vgl. zur ErläuteT\Ulg Peter Bender, Mitteleuropa- Mode, Modell oder Motiv, S.98 [1987): "Wenn die Sozialdemokraten von ' Selbstbehaupt\Ulg' Europas oder 'Europäisi=g' Europas sprechen, dann ist das von der Mitte aus gedacht Wld nicht vom Atlantik her". 18 Vgl. Gyö'X)I Konrad, Stinun\Ulgsbericht, S.72 (1988), der fi1r den Abzug aller fremden Truppen auch darum eintritt, damit die ,,Deutschen das Verhältnis zwischen ihren beiden Staaten bis hin zur WiedervereinigWlg in freier SelbstbestimmWlg regeln könnten". 19 Gerhard Heimann, Rede auf der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Jusos am 22.-23.2.1986, zit. nach Dietrich Stobbe, Der Traum von der "Wiederherstell\Ulg der Europäischen Mitte", S.586 [1986). 20 So Marion Griifin Dönhoff, Von der Geschichte längst überholt, in: Die Zeit v. 20.1.1989, die dieses Szenario als das im Gegensatz zur Wiedervereinigoog Deutschlands einzig realistische bezeichnete. 21 Vgl. Gyö'X)I Konrad, Antipolitik, S.10 [1985). 22 Hierfür steht z.B. die sicherheitspolitische Konzeption von Löser!Schil/ing, Neutralität fi1r Mitteleuropa [1984].
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C.II. Das ,,Mitteleuropa"-Argwnent
doch zumindest einen "begleitenden mitteleuropäischen Abrüstungsdialog"23 fiihren und den Eisernen Vorhang auflösen24 . Aus Mitteleuropa würde eine "Interessengemeinschaft zum Abbau der Teilungsfolgen"25 . Ihre Aufgabe solle es sein, zu einer Art politischem "Isoliermaterial"26 im Ost-West-Konflikt zu werden, also Russen und Amerikaner dazu zu verhelfen, "daß sie ohne propagandistische Bedingungen, ohne phantasmagorische Demagogie und ohne die primitiven Ansprüche des Triumphierens über den anderen miteinander reden können"27 . Den So\\jets würde ohnehin "immer wieder zu Unrecht"28 eine weltrevolutionäre Absicht unterstellt, denn die So\\jetunion habe ein größeres Interesse an Wirtschaftsbeziehungen mit dem 'kapitalistischen Westen' als an einer machtpolitischen Ausdehnung29 . Eine solchermaßen "auch in der Ideologie" verwirklichte "friedliche Koexistenz" wäre dann "schon mehr als Entspannung, das wäre schon Frieden"30 . Eine Alternative für diesen Weg Mitteleuropas gebe es nicht, denn auf die Möglichkeit zu spekulieren, eine stärker miteinander verflochtene Mitte Europas könne aus einem Zusammenbruch des Blocksystems hervorgehen, .,wäre nicht nur kraftlos, bloße Phantasie, sondern auch tödlich"31 . Eine friedliche Aufhebung des Ost-West-Konfliktes schien offensichtlich undenkbar; auch in den Mitteleuropa-Kon23 So Hermann Scheer, zit. nach: StZ v. 5.8.1987. 24 Vgl. Gy6rgy Konrad, Antipolitik, S.l4 bzw. 34 [1985).
Otto Schi/y, Reden über das eigene Land: Deutschland, S.49-51 [1984), formulierte den militärischen Aspekt eines mitteleuropäischen Ausklinkens aus der 'Supermachtkonfrontation' mit seiner Idee einer ,,Mitteleuropäischen Friedensunion" der Staaten Österreich, Bundesrepublik Deutschland, DDR, Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Niederlande, Belgien und Dänemark, die in ihren jeweiligen Bündnissen zu bleiben, ihre jeweilige staatliche Souveränität zu respektieren und sich auf umfangreiche Abrüstungsschritte zu einigen hätten. Vgl. hierzu auch: Der Palme-Bericht. Bericht der Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit, 8.164-165 [1982], mit dem die "Schaffung einer von atomaren Gefechtsfeldwaffen freien Zone" Mitteleuropas gefordert wurde. 2S Peter Barth, Mitteleuropa - Traum oder Wirklichkeit?, S.6 [1987]. Dieselbe Formulierung bei Peter Bender, Mitteleuropa - Mode, Modell oder Motiv?, S.IOI [1987). 26 György Konrad, Antipolitik, S. 51 [1985). 27 Gy6rgy Konrad, Antipolitik, S.39 [1985). 28 Peter Brandt/Ganter Minnerup, Osteuropa und die deutsche Frage, S.728 [1987), die allerdings in ihrer Mitteleuropa-Konzeption ein wiedervereinigtes, aber neutralisiertes und weitgehend entmilitarisiertes Deutschland, gesichert durch eine Partnerschaft mit der So\\jetunion auf allen Gebieten, vorschlugen (Vgl. S. 731 ). 29 Vgl. so auch Jochen L6ser/U/rike Schilling, Neutralität filr Mitteleuropa, S.IO [1984). 30 Gy6rgy Konrad, Antipo1itik, S.59 [1985). 31 Kar/ Schlögel, Die Mitte liegt ostwärts, S. 97 [ 1986).
1. Die Rolle Mitteleuropas als Ost-West-Puffer
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zeptionen lauerte im Hintergrund die atomare Katastrophe. Der Versuch aber, mit dem Vorschlag eines militärischen Disengagement in Mitteleuropa der Sowjetunion eine "Definition ihrer eigenen Interessen zuzuschreiben, wie der Westen sie vornehmen würde, wenn er an der Stelle der Sowjetunion stünde", beruhte auf Unterschätzung des ideologischen Faktors in der sowjetischen Außenpolitik. Die Sowjetunion war "eben nicht ein 'normales' Imperium"32 , sondern legitimierte sich selbst durch ihre bloße Existenz, durch ihre militärische Präsenz und durch den 'unaufhaltsamen historischen Vormarsch des Sozialismus'. Mitteleuropa als dritte Kraft jenseits der in Ost und West "als die historisch einzig möglichen" betrachteten beiden Gesellschaftssysteme33 sollte nicht den globalen Ost-West-Konflikt aufzulösen helfen. Vielmehr billigten die Vertreter des Mitteleuropa-Gedankens "die Tatsache, daß nicht nur die politische Gemeinschaft der Sowjets, sondern auch die des Westens die politische Teilung Europas in Ost und West nicht in Frage stellen möchte"34 . Es gehe in erster Linie "nicht um die Aufkündigung bündnispolitischer Loyalitäten", sondern um die "Wiedergewinnung Mitteleuropas als geistig-kulturelle Idee, als Selbstbehauptung im Herzen eines geteilten Kontinents"35 . Der status quo wurde also nicht grundsätzlich fiir veränderungswürdig gehalten, sondern er sollte exklusiv fiir die Zone Mitteleuropa ausgehebelt werden36 . Mitteleuropa als eine Alternative zu jenem so verstandenen atavistischen Machtgebaren der 'Supermächte' konnte nach dieser Argumentation keinesfalls als ein einheitliches, nationalstaatsähnliches Gebilde mit womöglich nuklear bewaffneter Streitmacht gewollt sein. Die als legitim akzeptierten, zugleich aber als anachronistisch und unmodern37 beurteilten Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion sollten mit einem kulturgemeinschaftlichen Mitteleuropa durch eine blocktranszendente "höhere Ebene der Beziehungen zwischen Individuen"38 befriedigt werden. Mit "rational nicht ausreichend reflektierten Denk- und Wahrnehmungsmustern"39 wurden den ' Supermächten' einerseits großmannssüchtige Hegemonialbestrebungen und andererseits gleichzeitig die Fähigkeit zu machtpolitischer Askese zugesprochen. Nicht be-
32 Wenzel Daneil, Wie offen ist die deutsche Frage?, in: FR v. 4.3.1985, passim. 33 Christoph Strawe, Der Umbruch in der Sowjetunion, S.46 [1988].
34 Gyö'X)' Konrad, Mitteleuropäische Meditationen, S.11 [1988]. 35 So Friedbert Pjlager, Mitarbeiter von Richard von Weizsäcker, in: FAZ (Beilage
Bilder u. Zeiten) v. 21.5.1988. Vgl. hierzu ähnl. Hagen Schulze, Gibt es überhaupt eine deutsche Geschichte? [1989]. 36 Vgl. Gyö'X)' Konrad, Mitteleuropäische Meditationen, 8.12-13 [1988]. 37 Vgl. Gyö'X)' Konrad, Antipolitik, S.36 [1985]. 38 Gyö'X)' Konrad, Mitteleuropäische Meditationen, S.28, passim [ 1988]. 39 So Hermann Rudolph, Ein Stellvertreterkrieg am falschen Platz, S.l39 [1988].
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c.n. Das ,,Mitteleuropa"-Argument
achtet wurde, daß ein den Vereinigten Staaten unterstelltes machiavellistisches Verhalten eher berechtigten Anlaß zur Hoffnung für die Vertreter eines kernwaffenfreien Mitteleuropas gegeben hätte. Es hätte ja wohl im ureigenen amerikanischen Interesse gelegen, Nuklearwaffen aus der Bundesrepublik abzuziehen, um damit die Automatik des Bündnisfalles bei einer Bedrohung in eine frei zu treffende Entscheidung umzuwandeln40 . Im Gegensatz zur sicherheitspolitischen Argumentation gegen die Wiederherstellung der deutschen Einheit bezeichneten die Vertreter der "kultur-übernationalen" Argumentation ihre eigenen Thesen selbst als utopisch41 , visionär oder romantisch. Ein gewisser bequemer Pragmatismus charakterisiert aber beide: Der Ost-West-Konflikt wurde nicht in Frage gestellt, gesucht wurde in jedem Falle ein Arrangement mit der So\\jetunion42 , die Macht des Faktischen beeinflußte beide Konzeptionen maßgeblich43 . Immerhin hielten die Vertreter der Mitteleuropa-Idee die Veränderung des status quo nicht für grundsätzlich unvernünftig. Aus Furcht vor einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Weltflügelmächten, denen ideologiefreie Großmachtinteressen unterstellt wurde, lösten sie sich gedanklich aus dem realen, politisch-diplomatischen Regelwerk des staatlichen Zusammenlebens und propagierten eine kulturell-historisch begründete Überwindung der Blockgrenzen in den Köpfen. Damit diese gelingen könne, mußten die ideologischen Gegensätze als weniger gravierend beurteilt werden. Die "Unversöhnlichkeit der tragenden Anthropologien der konkurrierenden Lager"44 geriet aus dem Blick, und die Ideologie wurde "zu legitimatonschem Abhub"45 einer symmetrischen Großmächterivalität zwischen den Vereinigten Staaten und der So\\jetunion reduziert.
40 Vgl. so auch Erwin K. Scheuch, Nationalismus von links, in: FAZ v. 2.8.1983. Vgl. hierzu auch Volker Rittberger, Europäische Sicherheit und die Neubewertung der Kernwaffen in und für Europa, S.15-16 [1984]. 4 1 So Löser!Schilling, Neutralität für Mitteleuropa, S.9 [1984]. 4 2 Vgl. die Konzeption von Willms/Kieinewefers, Erneuerung aus der Mitte, S.378 [1988], wonach die Sowjetunion Supennacht bleibe und die angestrebte ,,zentraleuropäische Föderation" sich danun "in deren Schwerefeld einrichten" müsse. 43 Vgl. Dietrich Stobbe, Der Traum von der "Wiederherstellung der Europäischen Mitte", S.588 [1986], ein Vertreter der Entspannungspolitik, der mit ihrer Hilfe die europäischen Rahmenbedingungen nicht sprengen wollte, sondern sie vielmehr ,,zum Ausgangspunkt ihrer politischen Konzeption" verstand. 44 Sven Papcke, Die Deutschen suchen ihren Standort zwischen Ost und West, in: FR v. 7.11.1985. 45 Thomas Jäger, Mitteleuropa - ein Kontinent sucht seine Mitte, S.49 [1988].
2. Der Mitteleuropa-Gedanke und die deutsche Frage
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2. Der Mitteleuropa-Gedanke und die deutsche Frage
Der mitteleuropäische Raum war nicht gedacht als ein politisch-territoriales Subjekt. das im konventionellen Sinne Machtstaatspolitik zu betreiben hätte, sondern als eine qualitativ höherwertige, die kulturelle und historische Identität Mitteleuropas wiederbelebende Funktionseinheit zur freien Ausprägung personaler Lebensräume. Mitteleuropäer zu sein sei "eine Weltanschauung, keine Staatsangehörigkeit"46 • Weil Ethnie und Staatsgrenzen in Mitteleuropa nicht in Übereinstimmung zu bringen seien47 , müsse Mitteleuropa auf dem für gegeben angenommenen "staatlichen Rahmen" aufgebaut48 , aber über die "nationale[n] Parzeliierungen in Europa"49 hinweg als ein transnationales, "kulturelles Bündnis" organisch ausgedehnt50 werden51 . In einem solchen Wunschbild eines postnationalstaatliehen Mitteleuropa als Heimstätte einer zivilen, selbstbestimmten, den Menschenrechten und dem Humanismus verpflichteten Gesellschaft sollten Grenzen keine Rolle mehr spielen. ,,Mitteleuropa ist kein Staat: es ist eine Kultur oder ein Schicksal"52 . Grenzen, Staaten, Nationen als Ordnungsrahmen menschlichen Zusammenlebens würden irrelevant53 , und folglich auch das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes für die zu Mitteleuropa gehörenden Deutschen54 . Die Atomisierung von Nationen zu Individuen, die Metamorphose von Völkern zu Gesellschaften und die Diversifikation scheinbar homogener Staaten zur blühenden Vielfalt ihrer Bestandteile widerspräche dem aus dieser Sicht über46 Gy61ID' Konrad,
Mitteleuropäische Meditationen, S.l8 [1988).
47 So auch Kar/ Sch/6gel, Mitteleuropa als Verlegenheit, S.30 [1988).
48 Gy61ID' Konrad, Mitteleuropäische Meditationen, S.l5 [1988). 49 Walter Momper, zit. in: Die Welt v. 21.10.1989. 50 Gy6'ID' Konrad, Mitteleuropäische Meditationen, S.l7 [1988). 51 Ganz ähnl. Peter Glotz, Deutsch-bölunische Kleinigkeiten, S.585 [1986], aber auch Ganter Grass in der Fernsehendung Kontraste v. 20.12.1982, ausgestrahlt ab 21.15 Uhr, der ,,mit Hilfe der Kultur[ ... ) zu einem neuen Nationbegrifl" ft1r Deutschland zu kommen versuchte, so daß es "in der Mitte Europas nie mehr zu einer alle gefllhrdenden Machtballung käme". 52 Milan Kundera, Die Tragödie Mitteleuropas, S.l39 [1986). 53 Vgl. ähnl. Walter Momper in einem Interview mit der Zeitung ,,Die Presse" v. 30.8.1989: "Worauf es letzten Endes ankommt, ist, daß Verhältnisse in Europa geschaffen werden, die den bestehenden Grenzen ihren trennenden Charakter nehmen. Die es ermöglichen, daß Gedanken und Ideen, aber auch Reisende ungehindert über die Grenzen wechseln. [... ] Dann wird die Frage der Wiedervereinigung wirklich zweitrangig" . S4 Vgl. Gy61ID' Konrad, Mitteleuropäische Meditationen, S.l6 [1988), der in seine Mitteleuropa-Vision "eigentlich auch das deutsche Volk" einbezieht. Anders dagegen Milan Kundera, Die Tragödie Mitteleuropas, S.l41-142 [1986), der nur die ,,kleinen Nationen" zwischen Deutschland und Rußland zu Mitteleuropa zahlt.
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C.ll. Das ,,Mitte1europa"-Argument
kommeneo doppelten, in der Präambel festgelegten Ziel, die "nationale und staatliche Einheit zu wahren" und "in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Die deutsche Frage sollte gerade dadurch gelöst werden, daß der "Gedanke der staatlichen Einheit endgültig beerdigt"55 und durch den Gedanken einer kultur-postnationalen ,,Metaebene unserer gegenwärtigen Existenz"56 in der Mitte EuropasS7 ersetzt würde. Als gäbe es keine politischen Zwänge, und als besäße die Bemühung um eine politische Union Europas keinen Eigenwert, wurde hier der ethnische und politische Flickenteppich Mitteleuropas zum Programm erhoben. Das historische Mitteleuropa sei eben ein Sonderfall gewesen, "polyglott, multikonfessionell, multikulturell", nicht vergleichbar mit den Nationalstaaten Frankreich und Großbritannien58 . Die angestrebte Rekonstruktion dieser Pluralität verlangte geradezu nach einer weiteren Teilung Deutschlands unter Ausnutzung einer gesamteuropäischen Tendenz "zu regionaler Selbstbesinnung"59 . Die Bereicherung Europas mit einer "Mehrstaatlichkeit der Staaten deutscher Zunge" 60 hätte so noch vergrößert werden können. Bayern und Sachsen wenigstens müßten als kulturell eigenständige deutsche Territorien in ein wie auch immer geographisch zu bestimmendes Mitteleuropa61 , dessen Kerngebiete jedenfalls Böhmen, Schlesien und Österreich seien, eingefügt werden62 . Denn: ,,Ein Europa der Regionen, das handlungsflihige übernationale Strukturen aufbaut, wäre unschlagbar. Ein Haufen nostalgischer Nationalstaaten, in denen alte Männer SS Christoph Strawe, Der Umbruch in der So\\jetunion, S.51 [1988]. 56 Erhard Busek, Versuchsstation für Weltuntergänge S.15-16 [1988]. 57 Vgl. aber Kar/ Grobe-Hagel, Deutschland - Mitteleuropa - Nation(alismus),
S.118-119 [1988), der zwar das gleiche Ziel für erstrebenswert hält, aber vor einem "Schönwetterinternationalismus" der Deutschen warnt und darum für eine Wiedervereinigung Deutschlands in dieser - freilich ausschließlich dieser - mitteleuropäischen Kulturgemeinschaft plädiert. 58 So Kar/ Sch/6gel, Die Mitte liegt ostwärts, S.52 [1986]. 59 RudolfJaworski, Die aktuelle Mitteleuropadiskussion, S.545 [1988]. 60 So WalterMomper, zit. in: Die Welt v. 21.10.1989, die Teilung Deutschlands positiv bewertend. · 61 Bemhard Willms!Paul Kleinewefers, Erneuerung aus der Mitte [1988), formulierten eine konkrete Idee einer ,,Zentraleuropäischen Föderation" aus den Staaten Bundesrepublik, DDR, Osterreich und Tschechoslowakei, die "die Teilung Europas mit der Teilung Deutschlands überwinden" (S.33) und "extrem föderalistischregionalistisch sein" (S.37) sollte. 62 Vgl. hierzu Peter Bender, Mitteleuropa -Mode, Modell oder Motiv?, S.96-97 [1987], bzw. ders., Die Notgemeinschaft der Teilungsopfer, S.76 [1988], der diese Schlußfolgerung assoziativ nahelegt Vgl. auch Immanuel Geiss, Mitteleuropa und die deutsche Frage, S.81 [1990].
2. Der Mitteleuropa-Gedanke Wld die deutsche Frage
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alte Falmen küssen Wld alte Hymnen singen, hat keine langfristige Überlebenschance•-63.
Dieses "kultur-übernationale" Mitteleuropa als handelnde "Denkform"64 , in dem man "sich entmilitarisierend friedlich streitet, so daß das westliche Gesellschaftssystem westlich bleibt und das östliche östlich, ohne daß sie es wirklich bleiben sollen"6 S, war für einige Vertreter des Mitteleuropa-Gedankens bereits modellhaft im innerdeutschen Verhältnis realisiert. In einem ,,Prozeß gegenseitig fruchtbarer Spannung", beispielsweise in Form des Gespräches zwischen der SPD-Grundwertekommission und der SED66 , exerzierten die beiden Staaten in Deutschland den Weg fiir das restliche Mitteleuropa vor. Was "sich real und täglich in und zwischen den beiden deutschen Staaten" abspiele, forme den Systemantagonismus zu einer in der europäischen Geistesgeschichte angelegten "Dialektik zweier Systeme, die sich im positiven Sinne befruchten und steigern", um67 . Die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik wurde nach dieser Sicht nicht mehr als Not-Politik zur Milderung von Teilungsschäden und zur Überbrückung bis zur Wiedervereinigung, sondern als wertvolle, ihren Zweck in sich tragende Methode zur "Befriedung Europas durch Aussöhnung, Annäherung und Zusammenarbeit"68 interpretiert. Diese deutsche "Aufgabe als ein Volk in der Mitte Europas" werde in einer Zeit, in der "das ohnehin überholte Prinzip des Nationalstaats" durch eine systemübergreifende, gesamteuropäische Zusammenarbeit zu ersetzen sei, "ersichtlich durch Mehrstaatlichkeit weniger behindert als gefördert"69 . "Deutsche Wiedervereinigung wäre somit" - wie die Einigung Mitteleuropas auch"ein Bewußtseinsprozeß, der von einem nationalstaatliehen Rahmen abzusehen hätte, [deutsche Wiedervereinigung, S.R.] wäre eine staatlich gelebte Wahlver63 Peter Glotz, J.R. Ewing gellihrdet europäische Identität, in: taz v. 21.3.1989. Ähnl. Volkmar Gabert, Gegenwart und Zukunft Mitteleuropas, S.27-28 [1987], der darum für den Westen Europas die Schaffung von Volksgruppen- und Minderheitenrechte fordert. 64 Christian Staudacher, Mitteleuropa- Zur Kritik der Deftnition, 8.14 [1987). 65 So, persiflierend, Egbert Jahn, Zur Debatte über ,,Mitteleuropa" in westlichen Staaten, S.43 [1988). 66 Vgl. den von SPD und SED gemeinsam entwickelten 'sicherheitspartnerschaftlichen' Rahmen filr eine chemiewaffenfreie Zone in Mitteleuropa, dessen Erfullung ,,nach Lage der Dinge einen Krieg mit chemischen Waffen in Europa so gut wie unmöglich machen" sollte, abgedruckt in: Politik. Aktuelle Informationen der SPD, 6/1985, S.3-7 (7). 67 So Gerhard Heimann, Die europäische Mitte und die Zukunft Berlins, S.593 [1986). 68 Gerhard Heimann, Die europäische Mitte und die Zukunft Berlins, S.593 [1986). 69 Gerhard Heimann im SPD-Pressedienst, zit. in: FAZ v. 1.7.1987. 13 Roos
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C.II. Das ,,Mitteleuropa"-Argument
wandtschaft radikalen Denkens im Sinne einer Verständigung zwischen den Menschen, die auf ständiger Kulturkritik beruht Wld auf der Bereitschaft, Erreichtes in Frage zu stellen"70 .
In diesem Sinne mußte bereits die von SPD und SED gemeinsam empfundene ,,Betroffenheit" in Sicherheitsfragen als eine ausreichende Form einer 'Interessen-Wiedervereinigung' interpretiert werden7 I, in der sich mit der "Wiederbelebung einer mitteleuropäischen kulturellen Identität"72 das Selbstbestimmungsrecht "in einem historischen Sinne von selbst" erledigen würde73 . Wenn es aber einen mitteleuropäischen 'Kulturauftrag' der Deutschen gäbe,
dann bedürfe er zu seiner Erfiillung "einer institutionellen Sicherung, eines
gesicherten Raumes der Freiheit und des Rechts"74 . Dieser Raum ist nach wie vor am besten in der Institution eines staatlichen Rahmens geschützt.
Mitteleuropa als "Bewußtseinsprozeß" hatte mit der Mitteleuropa-Konzeption als "operationaler Raumbegrift"75 von Friedrich Naumann76 , nach der die Länder der Hohenzoller und Habsburger sich in einer wirtschaftlichen und militärischen Konföderation verbinden und zu einer fünften Weltmacht zwischen West und Ost aufsteigen sollten, nur noch wenig gemein77 . Die Verteidiger einer deutschen Teilung im größeren Rahmen einer mitteleuropäischen Einheit wußten die angestrebte "neue Art der Zusammenarbeit oder Identität [... ]jetzt noch nicht" vorauszusagen78 . Gleichwohl war die Vorstellung von einer kleinstaatlichen, "militärisch nicht zur Machtprojektion fahl-
?0 Radiger Q(jmer, Vereint gespalten, S.810 [1986], der die Forderung nach einer nationalstaatliehen WiedervereinigWlg als "' ceterum censeo' bWldesdeutscher Politik" Wld ihre Vertreter als selbsterklärten "Cato" herabzusetzen versuchte (S.804)- offenbar nicht bedenkend, daß Cato sich zuletzt durchgesetzt hatte. 71 Vgl. hierzu auch Thomas Jliger, Mitteleuropa- ein Kontinent sucht seine Mitte, S.47 [1988). 72 Otto Schily in einem Interview mit dem DeutschlandfWlk v. 4.9.1987, gesendet ab6.52 Uhr. 73 So Gerhard Heimann, zit. in: FAZ v. I. 7.1987. 74 En"ch Kosthorst, Die Frage der deutschen Einheit, S.36 [1987). 75 Christion Staudacher, Mitteleuropa- Zur Kritik der Definition, S.l4 [1987). 76 Friedrich Naumann, Mitteleuropa [1915). Vgl. hierzu nur Thomas Jliger, Europas neue OrdnWlg, S.l31-132, m. w.N. [1990). Zur Rezeption Naumanns aus sozialistischer Sicht vgl. Martin Bennhold, Mitteleuropa- eine deutsche Politilctradition, S.977989 [1992). 77 Vgl. Michael Rutschky, Mitteleuropa, S.l99 [1992). 78 Karsten D. Voigt in einer Diskussion im britischen Radio 4 des BBC am 4.9.1987, gesendet ab 23.45 Uhr.
2. Der Mitteleuropa-Gedanke Wld die deutsche Frage
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ge[n] Staatenassoziation"79 mit Reminiszenzen an eine pränationale Zeit angereichert. in der es eine "deutsche Frage", wie sie seit dem neunzehnten Jahrhundert existierte, nicht gab: ,,In Wirklichkeit widerspricht es keineswegs Wlserer Geschichte, wenn es mehrere deutsche Staaten gibt: heute mindestens drei. Seit tausend Jahren kann man von deutscher Geschichte sprechen; ganze sieben Jahre davon waren die Deutschen, die 1848 in der Paulskirche Wlbedingt vereinigt werden wollten, zusammen, Wld das waren die elendsten: 1938 bis 1945. [...] Warum greifen wir nicht hinter diese schäbigen hm1dertft1nfzig Jahre zurück auf die restlichen achthWldertfUnfzig mitteleuropäischer Geschichte?'•80 .
Der Rückgriff auf den Reichsgedanken der Zeit bis 1806 angesichts der in den 1980er Jahren für grundlegend gehaltenen Blockkonfrontation warbewußt "antipolitisch". Sonst hätte erläutert werden müssen, wie zu verhindem wäre, daß die Bundesrepublik in diesem mitteleuropäischen Umfeld zum dominanten Zentrum aufsteigen, daß die Akzeptanz der vorgegebenen Staaten- und Gesellschaftsordnungen in den Wunsch nach ihrer Überwindung umschlagen könnte, daß das Selbstbestimmungsrecht sich möglicherweise auch in dem Willen der Menschen äußern würde, zu einem Staat gehören zu wollen. Eine eigene, politische starke Rolle Europas nach einem fiir möglich gehaltenen Ende des Ost-West-Konfliktes als Gedankenmodell fand in dieser Position, die das "Aussteigen aus der Weltpolitik"81 mit der Penetration des ideologischen status quo verband, keinen Platz. Eine hiervon abgewandelte, scheinbar realpolitische und stärker auf den geographischen Rahmen Mitteleuropas bezogene Auffassung mißtraute selbst einer staatenbündischen Selbstbeschränkung Deutschlands82 , betrachtete den Willen der Deutschen zur Wiedervereinigung als permanente Gefahr fiir Mit79 Egbert Jahn, Zur Debatte über ,,Mitteleuropa" in westlichen Staaten, S.48 [1988). 80 Peter Glotz, Deutsch-böhmische Kleinigkeiten, S.584-585, passim [1986), der als Chefredakteur der NG/FH zu Begillll des Themenheftes ,,Die Mitte Europas" über vier Seiten Auszüge aus Friedrich Naumanns Mitteleuropa-Buch abdrucken ließ. Vgl. ganz ähnl. RudolfGroßkopff, Abschied von einer verbalen Fessel, in: DAS v. 26.7.1987, u. Wolf D. Gnmer, Föderatives Denken Wld bündische Formen deutscher Staatlichkeit, S.17 [1989], der jedoch dezidiert den Deutschen BWld von 1815 als Modell einer LösWlg der deutschen Frage vorstellte: ,,Der Deutsche BWld bewahrte das Band der Nation, sicherte Einigkeit in Vielfalt, garantierte die Existenz seiner Mitglieder nach innen Wld außen Wld verbürgte den staatlichen Akteuren Wld dem Individuum gleichermaßen Rechtssicherheit" (S.25). Vgl. ders., Der Deutsche BWld - Modell ftlr eine ZwischenlösWlg?, S.37-38 [1982). [Vgl. hierzu auch Kap.C.Vll.]. 81 Lothar H6belt, Mitteleuropakonzepte, S.27 [1987]. 82 Wie sie, geschichtlich argumentierend, Wolf D. Gruner, Föderatives Denken, S.11-28 [1989), zur LösWlg der deutschen Frage vorschlug.
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C.ll. Das ,,Mitteleuropa"-Argwnent
teleuropa und zog die Konsequenz, daß Deutschland als "Antithese" von Mitteleuropaauszuschließen sei. Vertreter dieser Meinung83 argumentierten mit einer angeblich historisch vorgegebenen Ostexpansion Deutschlands, einer den übernationalen Gemeinsamkeiten mitteleuropäischer Völker widersprechenden nationalen Identität der Deutschen. ihrer zur Pluralität mitteleuropäischer Kulturen konträren Idee der Einheit sowie der im Verhältnis zu Mitteleuropa übermächtigen ökonomischen und politischen Potenz Deutschlands84. Mitteleuropa dürfe zu keiner "'alldeutschen' Spielfläche" reduziert werden, "etwa zu einem Billardtisch", in dem die Nachbarländer im deutschen Wiedervereinigungsspiel "die Rolle der Billardbande zugedacht" bekämen85 . So wurde als Gegenbild zur negativen Vergangenheit unter deutschnationalistischem Vorzeichen "in nostalgischer Weise"86 die k.u.k. Monarchie beschworen - ohne darauf einzugehen, daß die Mehrzahl der nicht österreichisch-ungarischen Völker 1918 den Untergang des "Völkerkerkers" herbeiführte. Wenn die deutsche Wiedervereinigung im Rahmen der "antipolitischen" Alternative Mitteleuropas als einer entstaatlichten "civil society" irrelevant geworden wäre, so erschien sie für das mitteleuropäische Gleichgewicht eines regionalisierten "Kakaniens" jedoch als unzumutbar. 3. Äquidistanz als Voraussetzung der Mitteleuropa-Kom.eption
Die Sehnsucht liberaler Kräfte in den ostmitteleuropäischen Ländern87 nach einem block-und ideologieübergreifenden Mitteleuropa konnte aus einer Protesthaltung gegen die vom Stalinismus geprägte Nachkriegssituation hinter dem Eisernen Vorhang verstanden werden88 . Das Bekenntnis zu einem viel83 Vgl. v.a. Erhard Busek/Emil Brix, Projekt Mitteleuropa (1986]. Vgl. hierzu auch Rudolf Jaworski, Die aktuelle Mitteleuropadiskussion in historischer Perspektive, S.531, m.w.N. [1988]. 84 Vgl. Theo Mechtenberg, Mitteleuropa- Dlusion oder Chance?, S.28 [1989], der diese auf einem internationalen Seminar in Krakau im Juni 1989 vertretene Position Erhard Buseks, des Osterreichischen Erziehungsministers, und Emil Brix' zusammenfaßt \Uld dieses "fragwürdige Argumentationsgeflecht" aus dem Interesse bestimmt sieht, "Österreich als den natürlichen westlichen Partner der mitteleuropäischen Völker zu empfehlen". Vgl. aber auch lvan Pfajf, Mitteleuropa- Vergangenheit, Gegenwart \Uld Zukunft, S.l5-16 [1987]. 85 So Erhard Busek, Versuchsstation fllr Weltuntergänge, S.22 (1988]. 86 So kritisch Wemer Weidenfeld, Mitteleuropa - Traum oder Trauma von der ZuklmftEuropas?, S.92 [1988]. 87 Vgl. Milan Kundera, Die Tragödie Mitteleuropas, S.l35-136 [1986]. Vgl. hierzu auch Walter Hildebrandt, Bewußtseinswandel in Osteuropa, S.31-39 [1989]. 88 So auch Theo Mechtenberg, Mitteleuropa - Dlusion oder Chance?, S.22-23 [1989], Zdenek Mlynar, Mitteleuropa im Ost-West-Konflikt, S.51 [1988], Franfois
3. Äquidistanz als Voraussetzung der Mitteleuropa-Konzeption
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sprachigen und -kulturellen Mitteleuropa war im Westen aber zugleich mit der gedanklichen Abkehr von der Westbindung der Bundesrepublik verknüpft89 . "Kein Land kann seine besondere Form von Demokratie den anderen aufdrängen. [... ]Keine politische Form ist es wert, als absolutes Hindernis für die Einheit Mitteleuropas [... ] aufgefaßt zu werden"90 • Amerikas Präsenz in Europa wurde mit politischer ,,Fremdbestimmung" einer ,,Protektoratsmacht" gleichgesetzt91, die nicht "um der gemeinsamen Werte willen in Europa" sei, "sondern in Wahrnehmung ihrer Interessen"92 . Statt eines Deutschland, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Kraft aufgebracht hätte, um sich der Ost-West-Spannung zu widersetzen und "nach beiden Seiten hin offen" zu bleiben, reorganisierten, arrangierten und inkorporierten sich die Deutschen gleichsam "in einer Transformation der Bürgerkriegsfraktionen von vor 1933" - in die Lager des Kalten Krieges. Damit vollzögen die Deutschen, als "die paradoxen Mitteleuropäer par excellence"93 , in ihrem Land die Spaltung Mitteleuropas noch einmal94 , obwohl wir doch als das potentiell "erste und das Hauptschlachtfeld"9!5 im Wunsch nach Entspannung "mehr mit Belgrad und Stockholm, auch mit Warschau und Ost-Berlin gemeinsam" hätten "als mit Paris oder London"96 . Weit von der oben dargestellten MitteleuropaUtopie entfernt und wie in einem Mikrokosmos der globalen Polarisierung, Bondy, Blick zwilck in Hoffmmg, S.96 [1988], u. Dietrich Stobbe, Der Traum von der "Wiederherstellung der Europäischen Mitte", 8.587 [1986]. Vgl. aber Eric J. Hobsbawm, Mitteleuropa gibt es nicht, S.22 [1989], mit seiner wohl zutreffenden Einschätzung: "Wenn man den Ungarn und den Tschechen die Wahl zwischen einem mitteleuropäischen Block und dem Anschluß an die EG böte, würden sie ohne einen Augenblick zu zögern für Brüssel stinunen". 89 Vgl. ähnl. Thomas Jtiger, Mitteleuropa- ein Kontinent sucht seine Mitte, S.44 u. 51 [1988], u. Franfois Bondy, Blick zwilck in Hoffnung, S.35 u. 39-41 [1988], bzw. ders., Viertraumland Mitteleuropa, S.726 [1988]. 90 Willms/Kleinewefers, Erneuerung aus der Mitte, S.38, passim [1988]. 91 So Klaus Bloemer, Autonomie in den beiden Europa, S.811 u. 812 [1986]. 92 Willms/Kleinewefers, Erneuerung aus der Mitte, S.338. 93 Kar/ Schlögel, Die Mitte liegt ostwärts, S.l20 [1986]. Ähnl. Wolf D. Gruner, Die deutsche Frage. Ein Problem der europäischen Geschichte seit 1800, S.l67 [1985], wenn er die Systemverschiedenheit in Deutschland auf die Ausprägung unterschiedlicher republikanischer Traditionen, personifiziert durch Scheidemann auf der einen und Liebknecht auf der anderen Seite, zwilckf\lhrt und "die Teilung als Ergebnis des Scheiteros von Weimar[... ] und weniger als Resultat von 'äußeren Zwängen'" interpretiert. 94 So Kar/ Schlögel, Mitteleuropa als Verlegenheit, S.32, passim [1988]. 9!5 Peter Bender, Notgemeinschaft Mitteleuropa, S.l36 [1987]. [Weitgehend identisch mit: ders., Mitteleuropa -Mode, Modell oder Motiv?]. 96 Peter Bender, Mitteleuropa- Mode, Modell oder Motiv?, S.l02 [1987]. Ganz ähnl. Kar/ Grobe-Hagel, Deutschland- Mitteleuropa- Nation(alismus), S.115 [1988].
198
C.II. Das ,,Mitte1europa"-Argument
huldigten die Deutschen in West (mit ihrer "unverdrossen US-fixierte[n] Vasallen-Regierung Kobl"97 ) und Ost gleichermaßen ihrer Ideologie, förderten die Gleichmacherei, ließen sich kulturell kolonisieren98 und kultivierten ihr jeweiliges Feindbild: "[W]as bedeutete es fllr die BWldesrepublik, daß die KommWlistische Partei verbo-
ten wurde, was bedeutete es fllr die DDR, daß alle Krafte, die nicht so mitmachen
konnten, wie die RegierWlg es verlangte, aus dem Land gedrängt wurden. Welch Wlgeheurer Verlust an interner SpannWlg, welche Wlgeheure MonotonisierWlg der politischen Kultur, welch Wlgeheurer Konfonnismus, welcher Aderlass an Zivilit!t -in der BRD vor allem in der politischen Kultur, in der DDR vor allem an bürgerlichen Kräften. Ist es nicht gerade der Verlust an Bürgerlichkeit, der WlS den Zugang zur DDR so schwierig macht?"99 .
Als Ursachen des innerdeutschen wie innereuropäischen Gegensatzes wurden nicht etwa fundamentale Wertunterschiede verstanden100 , sondern lediglich eine "Ausbildung anderer Wahmehrnungsweisen", eine "Deformation bzw. Formierung der Binnenkulturen", geprägt von "Polemik", "Ausgrenzung", "Ausblenden", "Spracheverlemen" 101 . Um einen Ausweg aus der Blockkonfrontation zu finden, gelte es, "die üblichen Gleichheitszeichen zwischen 'Westen' und 'Freiheit' ebenso zu hinterfragen wie die zwischen 'Osten' und 'Sozialismus'" 102 . Statt Noten zu verteilen, sich auf politische Lager zu fixierenl 03 und in Scheinfronten eingliedern zu lassen104 , solle eine 'explorierende' Öffentlichkeit sich die Freiheit nehmen, "Erfahrung und Umgangssicherheit zu akkurnulieren" 105 . Ganz so, als habe diese Freiheit für die Völker Mittel- und Osteuropas unter kommunistischer Herrschaft bestanden, zielte diese Argumentation letztlich darauf ab, im Ost-West-Antagonismus wenig mehr als nur ein Perzeptionsproblern an sich gleichartiger und daher 9? Klaus Bloemer, Autonomie in den beiden Europa, S.816 [1986].
Zu der besonders von 'Linken' vertretenen These von der fehlenden Souveränität der BWldesrepublik gegenüber den wirtschaftlich Wld nuklear-militärischen dominierenden Vereinigten Staaten vgl. Michael Vogt, Die Linke Wld die deutsche Frage, S.ll0-113 [1986]. 98 Vgl. Bemhard Willms!Paul Kleinewefers, EmeuerWlg aus der Mitte, S.323 [1988], u., zum amerikanischen kulturellen Einfluß auf die BWldesrepublik Wld Eur~ pa, Peter Glotz, Manifest fllr eine Neue Europäische Linke, S.12, 58 u. 61 [1985]. 99 Kar/ Schlögel, Mitteleuropa als Verlegenheit, S.34 [1988]. IOO Vgl. Bemhard Willms!Paul Kleinewefers, EmeuerWlg aus der Mitte, S.338 [1988], die den Begriff "Wertegemeinschaft" als Propaganda abtWl. 101 Vgl. Kar/ Schlägel, Mitteleuropa als Verlegenheit, 8.34-35, passim [1988]. Älml. auch Gert-Joachim Glaeßner, Kooperation statt Koexistenz, S.633 [1987]. 102 Heino Berg, Deutschland Wld Mitteleuropa S.l04 [1990]. 103 Vgl. Karl Schlögel, Mitteleuropa als Verlegenheit, S.39 [1988]. 104 Vgl. Karl Schlögel, Mitteleuropa als Verlegenheit, S.35 bzw. 38 [1988]. lOS Kar/ SchltJgel, Mitteleuropa als Verlegenheit, S.39 [1988).
3. Äquidistanz als Voraussetzung der Mitteleuropa-Konzeption
199
vergleichbarer Gesellschaften zu sehen. Der Sowjetunion wurde darum empfohlen, sich militärisch aus Mitteleuropa zurückzuziehen, um dieses Perzeptionsproblem lösen zu helfen: ,,Die militärische Dominanz laßt das eigene Gesellschaftssystem schwach Wld fragwürdig erscheinen, indem sie den Eindruck erweckt, daß die Wlter ihrem Einfluß zustande gekommenen sozialistischen Regime westlich der Landesgrenzen nur durch die Gegenwart so\\jetischer Soldaten aufrechterhalten werden können" 106 .
Daß dieser Eindruck mehr als berechtigt war - wie die Entwicklungen nach 1989 bewiesen - war der Grund für die ideologisch und zuletzt durch Breschnew mit sowjetischen Panzern gestützte 'Unumkehrbarkeit der sozialistischen Errungenschaften'. Abhilfe einer solchermaßen begründeten Spaltung der "europäischen Zivilisation" durch Fehlwahrnehmungen und die "Symmetrie des Protektorates" 107 mußte ein 'irgendwie verbindlicher Diskurs' ohne gegenseitige InfrageStellung schaffen. Das Treffen Bundeskanzler Kohls mit dem Staatsratsvorsitzenden Honecker 1987 wurde in diesem Sinne als "bedeutendes Ereignis" gelobt 108 und als die logische Fortsetzung der von Brandt eingeleiteten Entspannungspolitik bewertet 109 . Eine neue Generation, die "neue Fragen" stelle, die "kaum noch die alten Feindbilder kennt" 110 , erkenne längst
106 Klaus Bloemer, Autonomie in den beiden Europa, S. 819 [ 1986]. 107 Franfois Bondy, Viertraumland Mitteleuropa, S.732 [1988]. 108 Vgl. Kar/ Schl6gel, Mitteleuropa als Verlegenheit, S.38-39, passim [1988]. 109 Die Enquete-Kommission des Deutschen BWldestages ,,AufarbeitWlg von Ge-
schichte Wld Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" stellte in ihrem Bericht vom 31. Mai 1994, S.133, Wlter Bezug auf Äußerungen BWldeskanzler Kohls fest, daß das Festhalten an der ursprünglich mit BWldeskanzler Schmidt ausgemachten EinladWlg zu einem Arbeitsbesuch Honeckers ,,mit den Wlvermeidlichen protokollarischen Elementen des Empfangs eines Staatsoberhaupts zu den schwierigsten politischen EntscheidWlgen" der BWldesregierWlg gehört habe. ,,Als GegenleistWlg hatte die DDRFühnmg u.a. zu akzeptieren, daß die deutschlandpolitische GrWldsatzrede BWldeskanzler Helmut Kohls in der Bad Godesberger Redoute auch in die DDR live übertragen wurde; der BWldeskanzler bekräftigte hierin nachdrücklich das WiedervereinigWlgsziel der Präambel des Gnmdgesetzes, das dem Willen, 'ja der Sehnsucht' der Deutschen entspreche". 110 Gerhard Heimann, Die europäische Mitte Wld die ZukWlft Berlins, 8.590 [1986]. Ganz ähnl. Gerd-Joachim Glaeßner, Kooperation statt Koexistenz, 8.633 [1987]. Daß die ,,neue Generation" -verkörpert durch die selbsternannte 'FriedensbewegWlg' -neue Feindbilder beschwor, dokumentierte das ,,Inszenieren von Zusammenstößen" bei Blockaden von militärischen EinrichtWlgen alliierter Streitkräfte, die dann vorgezeigt wurden als Beleg für die These, die BWldesrepublik sei ein besetztes Wld
200
C.II. Das ,,Mitteleuropa"-Argument
die "gesellschaftliche Wirklichkeit" und zeichne die DDR nicht mehr "als ein großes, von Stacheldraht umzäuntes Gefängnis mit einer Clique kommunistischer Funktionäre als Aufseher" 111 . Mit dem Vorhaben, aus der gemeinsamen Problematik heraus "die geographische Mitte Europas wieder zu einer politisch, wirtschaftlich und kulturell äußerst intensiv kommunizierenden europäischen Mitte zu machen" 112 sollten die restlichen Feindbildrelikte aufgelöst werden. Wenn dies aber als möglich angesehen und Wertunterschiede als unerheblich oder nicht vorhanden oder in einem 'herrschaftsfreien Diskurs' über Kafka113 als aufhebbar betrachtet wurden, hätte sich konsequenterweise die Frage stellen müssen, warum diese Konzeption an der Ost- bzw. Westgrenze Mitteleuropas halt machen solle. Denn ein exklusiver Sonderstatus Mitteleuropas hätte Osteuropa ausgeschlossen und die Bedrohung aus dem Osten "nur um einige hundert Kilometer ostwärts verschoben" 114 . Konsequenter im Sinne der "kultur-übernationalen" Argumentation erscheint somit die aus der anthroposophischen Schule Rudolf Steiners gewachsene Sicht, nach der die "Traditionen mitteleuropäischen Geistes" in die Sowjetunion transportiert werden sollten, denn wer "nur ein wenig von der Sowjetunion kennt, weiß, welch tiefes Interesse dieses bildungsbegeisterte Volkdas auf den Rolltreppen der U-Bahnschächte und in den Waggons wissenschaftliche und schöngeistige Literatur konsumiert-" diesen Traditionen entgegenbringe11S. Zwischenergebnis Zusammenfassend lassen sich als Ergebnis der Untersuchungen in Kapitel C.II. sechs Thesen formulieren: 1. Mit dem Gedanken an Mitteleuropa verband sich der Wunsch nach einer Emanzipation vom Ost-West-Konflikt, der nicht von Wertunterschieden, sondern von Großmachtinteressen geprägt sei.
kein beschütztes Land, vgl. Erwin K. Scheuch, Nationalismus von links, in: FAZ v. 2.8.1983. 111 Gabn"e/e Behler!Herbert Knepper, Deutschlandpolitische Bildungsarbeit und Friedenserziehung, S.846 [1986). 112 Gerhard Heimann, Die europäische Mitte und die Zukunft Berlins, S.592 [1986). 113 Vgl. Egbert Jahn, Zur Debatte über ,,Mitteleuropa" in westlichen Staaten, S.43 [1988). 114 RudolfJaworski, Die aktuelle Mitteleuropadiskussion, S.549 [1988). Vgl. hierzu Erle J. Hobsbawm, Mitteleuropa gibt es nicht, S.22 (1989], der danun den Begriff ,,Mitteleuropa" in die ,,gellihrliche Nähe des Rassismus" kommen sieht. 11S So Christoph Strawe, Der Umbruch in der So\\jetunion, S. 97 [1988).
Zwischenergebnis
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2. Die Folge dieser Sicht war eine bagatellisierende Wahrnehmung des Kommunismus auf der einen sowie eine zum Teil diffamierende Bewertung der freiheitlichen Ordnung auf der anderen Seite. 3. Der politische 'Anschluß' der einen Hälfte Europas an die andere war unerwünscht, gesucht wurde nach einem exklusiven Sonderstatus inmitten der globalen Bipolarität. 4. Dieser Sonderstatus sollte im Bereich des Geistig-Kulturellen liegen und sich nicht auf eine als krieg~rdemd angenommene Änderung realer Umstände beziehen. 5. In einer 'deutsch-deutschen Verantwortungsgemeinschaft' für den Frieden wurden modellhafte Eigenschaften für ein blockübergreifendes, mitteleuropäisches Zusammenleben auf der Grundlage eines permanenten, kritischen Dialogs gesehen. 6. Das Prinzip der Vielheit wurde fiir prinzipiell besser als das der Einheit für Mitteleuropa betrachtet. Die Wiedervereinigung Deutschlands hätte der gewünschten Pluralisierung aller Lebensbereiche widersprochen und somit Mitteleuropa selbst gefährdet.
111. Das "Doppelstaatlichkeits"-Argument Konstituierend fiir einen Nationalstaat ist das Element der nationalen Identität als "ein dauerndes inneres Sich-Selbst-Gieichsein" 1 . Die Bundesrepublik Deutschland verstand sich insofern als unfertiger Nationalstaat, als es galt, "in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Bis zum 3. Oktober 1990 blieb dieser grundgesetzliche Anspruch unerfiillt, bis zu diesem Tag bestanden auf deutschem Boden zwei Staaten einer Nation. Der Begriff "deutsche Nation" war als "Synonym für das 'deutsche Staatsvolk'"2 in einem politisch nicht handlungsfähigen, rechtlich aber fortbestehenden gesamtdeutschen Staat zu verstehen. Die Kongruenz dieser Begriffe wurde in der Bundesrepublik "unablässig diskutiert, bekräftigt oder ideologiekritisch in Frage gestellt"3. Die idealtypische Gegenposition wurde von der DDR vertreten. Die DDRVerfassung vom April 1968 hatte in ihrem ersten Artikel die DDR noch als "sozialistischen Staat deutscher Nation" bezeichnet. Bereits 1970 aber nannte Ulbricht die DDR "sozialistischer deutscher Nationalstaat"4 . Mit der Verfassungsänderung vom 7. Oktober 1974 wurde der zweite Absatz des Artikels 8 mit dem Bekenntnis zur schrittweisen "Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus" ersatzlos gestrichen5 . Das Volk habe, so die Präambel, sein Recht auf nationale Selbstbestimmung verwirklicbt6 . Offiziell hieß es nun bis zum Ende der sozialistischen DDR, daß die "einheitliche deutsche Nation der Vergangenheit" angehöre, weil sich in der DDR "die sozialistische deutsche Nation"7 entwickele, festige und "von der kapitalistischen deutschen Nation", 1 So, zwn BegritT der Identität, Erich H. Erikson, Identität Wld Lebensrhytrnus, S.124 [1966]. 2BVerfGE 36, 1, v. 31.7.1973, S.19. 3 Reinhart Kose/leck, Volk, Nation, Nationalismus, Masse, S.420-431 (429) [1992]. 4 Vgl. Roland W. Schweizer, Die Zwei-Nationen-These der SED, S.25, u. Manfred Rexin, ,,Koexistenz auf deutsch", S.45 [1988). Vgl. älml. Sigrid Meuschel, Auf der Suche nach Madame L'Identite, S.79-80, m.w.N. [1988). s Siehe Kap. B.IV.5. 6 Vgl. hierzu auch Walter Rudi Wand, Zwei Positionen in Deutschland, in: FAZ v. 6.11.1984. 7 Zum BegritT vgl. krit. Jargen Reuter, Die AbgrellZWlgspolitik der DDR, S.l67168[1991).
C.III. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argwnent
203
die in der Bundesrepublik weiterbestehe, abgrenze8 . Die beiden Staaten seien nur noch "gleicher Nationalität" aufgrund ihrer "ethnischen Gemeinsamkeiten", wie sie auch "zwischen Deutschen, Österreichern, Schweizern und den französischen Elsässern und Lothringern" gebe, "ohne daß es sich um nationale Gemeinsamkeiten" handele9 0
In der DDR als einem abgeschlossenen, sozialistischen Nationalstaat erwachse eine "neue Form des Nationalbewußtseins [... ] aus dem Stolz auf die Leistungen, mit denen die Werktätigen die DDR zu einem hochentwickelten sozialistischen Staat und zum anerkannten Partner in der internationalen Politik, Wirtschaft und Kultur gemacht haben"1°. Abgesehen vom Rückgriff auf "alles Progressive aus der Geschichte der deutschen Nation" 11 zur Schaffung einer historisch begründeten DDR-Identität12 wurde im "Arbeiter-und-Bauern-Staat" bereits die gegenwärtige gesellschaftliche Wirklichkeit als konstitutiv fiir eine eigene Nation propagiert13 0
8 Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin (Ost), So651, passim [1989)0 Weiter heißt es: ,,Die sozialistische deutsche Nation und die kapitalistische deutsche Nation haben zwar eine gerneinsame Geschichte in der Vergangenheit [wo sonst?], aber keine gemeinsame Gegenwart und Zukunft mehr. [...)Die sozialistische deutsche Nation und die kapitalistische deutsche Nation beruhen auf entgegengesetzten gesellschaftlichen Grundlagen, sie haben einen entgegengesetzten ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Inhalt, sie sind Entwicklungsformen entgegengesetzter Gesellschaftsordnungen, und sie setzen auch entgegengesetzte geschichtliche Traditionslinien fort. Deshalb kann es zwischen ihnen keine Vereinigung geben", ebd., S.651-652. Vgl. grundlegend Alfred Kosing, Nation in Geschichte und Gegenwart [1976], u. derso, Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, Berlin (Ost), S.353-360 [1989). 9 Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin (Ost), So652, passim [1989)0 Vgl. hierzu Roland W. Schweizer, Die Zwei-Nationen-These der SED, S.32-33 [1985), der an dieser These die ,,gleichermaßen logischen und empirischen Schwierigkeiten des SEDAnsatzes" verdeutlicht sieht und fragt, was denn z.B. die deutsche, schweizerische und Österreichische Nation eigentlich voneinander unterscheide, "weisen sie doch nicht nur dieselbe Nationalität, sondern sogar homogene gesellschaftliche Strukturen (Kapitalismus) auf'. 10 Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin (Ost), So653 [1989). 11 Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin (Ost), So653 [1989). 12 Vgl. hierzu Irma Hanke, Sozialistischer Neohistorisrnus?, S.56-76 [1988), u. Sigrid Meusche/, Auf der Suche nach Madame L'Identite, S. 77-93 [1988). Zur ,,historischen" Identitätsdebatte vgl. nur die Beiträge von Rudolf von Thadden, Walter Bußmann, Michael Stunner u. Wilfried von Bredow, in: Weidenfeld, Werner (Hrsg. ), Die Identität der Deutschen, S.51-118 [1983)0 13 Vgl. hierzu auch Jurgen Reuter, Die Abgrenzungspolitik der DDR, S.148-14 9 [1991).
204
III. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argument
Die Leitfrage in diesem Kapitel ist es, zu untersuchen, inwieweit diese Selbstdarstellung im Westen Deutschlands adaptiert worden ist, inwieweit in der Bundesrepublik die DDR als ein aus sich selbst heraus stabiler Staat angesehen wurde, ein Staat mit einer Bevölkerung, die als "Staatsvolk" ein eigenes "Staatsbewußtsein" in Übereinstimmung mit der SED-Obrigkeit oder auch mit den "sozialistischen Idealen" und "Errungenschaften" in sich getragen habe. Repräsentanten einer solchen Wahrnehmung der DDR mußten von einer weitgehenden staatlichen und gesellschaftlichen Normalität der DDR ausgehen und folglich eine Wiedervereinigung wegen fehlender nationaler Bindungen und wegen fehlenden Willens zur Einheit für unmöglich erklären. 1. Endlich die Realitäten anerkennen?
In privaten Diskussionen über Deutschland vernahm man in den achtziger Jahren oft das Argument, wegen der gegebenen "Fakten" und "Realitäten" sei eine Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich und ihre Erörterung sinnlos. In der öffentlichen, politischen Diskussion freilich sorgte diese These, die sich gegen den in der Grundgesetz-Präambel formulierten Auftrag und damit gegen das offizielle Selbstverständnis der Bundesrepublik richtete, für Wirbel. Beispielhaft hierfür ist die Kontroverse 14 um die Äußerungen des damaligen SPD-Spitzenkandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Hans Apel, vom August 1984. In einem Interview mit dem NDR sagte Apel: ,,Beginnen wir einmal mit den Fakten. Und die Fakten sind die, daß es zwei deutsche Staaten gibt, die filreinander nicht Ausland sind. Aber die deutsche Frage ist insofern auch nicht mehr offen, sondern hier sind wichtige Fakten geschaffen worden. Der Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten macht das ja auch deutlich. Mit anderen Worten: Deutsche Zukunft gibt es miteinander und nicht gegeneinander. Und deutsche Zukunft gibt es auch nur im europäischen Verbund. Ein nationaler Weg, mehr miteinander zu leben, ist sehr schwierig vorstellbar. Deswegen haben wir schon ein Interesse daran, bei jedem Schritt, den wir politisch tun, auch darüber nachzudenken, wie er auf die Regierung und auf die Bürger der DDR wirkt" 15 .
14 Vgl. die Ausfil.hnmgen von Alois Mertes in der Welt v. 16.8.1984, das Interview mit Johannes Rau in der ZDF-Sendung ,,Bonner Perspektiven" am 19.8.1984, gesendet ab 19.10 Uhr, die Kommentare in der FR, dem Vorwärts u. dem Volksblatt v. 16.8.1984 u. in der FAZ v. 17.8.1984 sowie die Prazisierungen Apels in der Hamburger Morgenpost v. 16.8.1984. 15 Zit. in: FR v. 16.8.1984.
2. Die systemimmanente Wahrnehmung der DDR
205
Einige Tage später ergänzte Apel: "[E)s werden in den nächsten Jahrzehnten weitere Fakten geschaffen werden, denn die Entwicklung bleibt ja nicht stehen. Und das heißt mit anderen Worten, daß insofern die deutsche Frage nicht mehr offen ist, auch wenn das Gebot zur Wiedervereinigung, das Gnmdgesetz, filr jedermann gilt, auch filr mich" 16.
Die Äußerungen Apels sind begriftlich nur schwer zu vereinbaren17 . Der Grundlagenvertrag konnte deswegen kein Faktum der deutschen Teilung sein, weil in ihm die deutsche Frage mit Absicht ausgeklammert wurde 18 . Daß die deutsche in der 'europäischen Frage' eingebettet sei 19 , war die aus dem Präambeltext abgeleitete Überzeugung aller Bundesregierungen (und, wie er selbst betonte, Apels selbst) und "insofern" geradezu Ausdruck der Offenheit der deutschen Frage. Was dürfte Hans Apel also gemeint haben, welche anderen "Fakten" wären denkbar gewesen, die die deutsche Frage verschlossen oder "entschieden"20 hätten? 2. Die systemimmanente Wahrnehmung der DDR
In den achtziger Jahren gab es einige vermeintlich realistische Orientierungsversuche über erreichbare Ziele der Deutschlandpolitik21 . Dabei wurde von einigen Publizisten und Vertretern der politologischen DDR-Forschung das "'eschatologische Wunschbild eines vereinigten Deutschland in Frieden und Freiheit, d.h. in etwa nach dem Muster der BRD"'22 als nicht erreichbar und darum als "irrational"23 oder demagogisch24 bewertet, weil "alle Voraussetzungen", um dieses Ziel zu erreichen, fehlten: 16 Zit. in: Die Welt v. 16.8.1984.
17 Kar/ Feldmeyer, Ist Apels Ausrutscher nützlich?, in: FAZ v. 17.8.1984, gab sei-
nem Unverständnis beredten Audruck. 18 Siehe Kap. B.IV.3. 19 Siehe Kap. C.V. 20 Hans-Ulrich Klose, Zeitreise, S.269 [1985], stimmte mit seiner Tochter überein: ,,Für Regine ist die deutsche Frage entschieden; genauer: für sie gibt es keine 'deutsche Frage' . Und im Unterschied zu mir, der ich ihre Meinung teile, muß sie sich für diese Erkenntnis nicht rechtfertigen". 21 Zu den Fehleinschätzungen der politologischen DDR-Forschung v.a. in den siebziger Jahren vgl. Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, S.422-436 [1992). 22 Wilhelm Bruns (Leiter der Abteilung Außenpolitik- und DDR-Forschung der Friedrich-Ebert-Stiftung), Normalisierung oder Wiedervereinigung, S.6 [1989], u. ders., Von der Deutschland-Politik zur DDR-Politik?, S.199 [1989). 23 Wilhelm Bruns, Normalisierung oder Wiedervereinigung, S.8 [1989). 24 So Günter Gaus, Die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, S.185 [1988).
206 " -
III. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argwnent Eine internationale Konstellation, die eine status-quo-Änderung in Zentraleuropa . zuläßt; Die Mitwirkung der Nachbarn beider deutscher Staaten; Das Einverständnis der filr Deutschland als Ganzes und Berlin verantwortlichen vier Mächte: USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich; Eine klare Vorstellung von dem, was man erreichen will (Zielvorstellung); Eine Politik, die auf dieses Ziel gerichtet ist;und nicht zuletzt: Der Wille der Bevölkerung in der Bundesrepublik wie in der DDR"2 .5 .
In diesem Zusammenhang26 interessiert besonders jene als Tatsache formulierte Behauptung, daß weder in der Bundesrepublik27 noch in der DDR ein Wille zur Wiedervereinigung Deutschlands bestehe. Diese Behauptung ließ sich wegen fehlender Untersuchungsmöglichkeiten in der DDR nicht belegen28 . Empirische Daten waren beschränkt auf subjektive und vereinzelte Informationen aus zweiter Hand: Berichte von Deutschen aus der Bundesrepublik mit längerem Aufenthalt in der DDR, Reiseeindrücke, Äußerungen ehemaliger Bewohner der DDR, Interpretationen von Aussagen Offizieller, 25 Wilhelm Bnms, Nonnalisierung oder Wiedervereinigung, S.5-6 [ 1989), u. ausführlicher noch ders., Von der Deutschland-Politik zur DDR-Politik?, S.208-210 [1989). 26 Zwn angenonunenen fehlenden Einverständnis der Nachbarn Deutschlands s.o., Kap. C.I. 27 Der Wunsch nach Wiedervereinigung war 1985 - wie in den zwölf Jahren zuvor - nach demoskopischen Befragungen bei knapp 80 Prozent der Bundesbürger vorhanden, vgl. Anne Kohler, Wiedervereinigung- Wunsch und Wirklichkeit, S.l53 [1985). Vgl. hierzu auch Renata Fritsch-Boumazel, Das Land in der Mitte, S.l21 [1986), vgl. auch Die Deutschen und ihr Vaterland. Eine Welt-Umfrage, Teil 4, in: Welt v. 30.10.1987, S.6. Vgl. hierzu weiter Kap. C.IV.l. 28 Wilhelm Bruns, Normalisierung oder Wiedervereinigung [1989], nannte keine Belege filr seine Behauptungen. An anderer Stelle, Von der Deutschland-Politik zur DDR-Politik?, S.52 [1989), formuliert Bruns zurückhaltend, daß in der Literatur Zweifel geäußert worden seien, "ob es den Willen zur 'politischen Verbindung' noch gibt". Als Nachweis nennt er ausschließlich Gebhard Schweigler, Nationalbewußtsein in der BRD und der DDR [1973). Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.64 [1983], mußte nolens volens zugeben: ,,Ich besitze nicht das Beweisinstrument, das in unserem System so schlagkräftig geworden ist: repräsentative Meinungsumfragen". Auch Klaus B6lling vermochte in einer Journalistenrunde im DFS am 10.9.1989, gesendet ab 12.00 Uhr, ausschließlich seinem Glauben Ausdruck zu verleihen, "daß der Mehrheit unserer Landsleute an einer Wiedervereinigung, wie sie schon in den Tagen von Konrad Adenauer als Ziel formuliert worden ist, nicht erstrebenswert ist [sie!)". Noch am 14.11.1989 war sich der französische Deutschland-Kenner Alfred Grosser in einem Gespräch in der Sendung ,,Informationen am Morgen" des Deutschlandfunks, ausgestrahlt ab 6.42 Uhr, "bewußt, daß eine deutsche Wiedervereinigung filr lange Zeit in einer staatlichen Form weder von der DDR-Bevölkerung noch eigentlich in der Bundesrepublik gewünscht wird".
2. Die systemimmanente Wahmelunwtg der DDR
207
Künstler, Wissenschaftler und Privater in der DDR29 . Der ohnehin bedingte Aussagewert dieser Informationen wurde durch eine Form der methodischen Aufbereitung, der systemimmanten Interpretation30 , weiter eingeschränkt. Mit der Vorstellung, "die DDR-Realitäten an den theoretischen Postulaten des von der SED propagierten Marxismus-Leninismus", also am "Selbstverständnis der SED/DDR" zu messen31 , sollte ein möglichst hohes Maß an Objektivität und Wertneutralität jenseits eines .,platten Antikommunismus"32 erreicht werden. Der Versuch, die DDR aus sich selbst heraus zu begreifen33 , implizierte a priori, sie für gegeben anzuerkennen und die Frage nach ihrer Vernünftigkeit oder Sittlichkeit zu unterlassen. "Und wer 'DDR heute' sagt, meint auch die DDR von morgen, der anerkennt auch ihre Zukunft"34 . Leicht gerieten "solche systemimmanenten Deskriptionen an den Rand der Kritiklo-
29 Vgl. Manfred Ackermann, Der begrenzte Blick, S.15-16 (1988], mit Bibliographie. Vgl. auch Hermann Rudolph, Wie sieht das Selbstverständnis der DDRGesellschaft aus?, S.l94 [1983), Harro Honolka, Schwarzrotgrün, S.l34, u. RalfRytlewski, Soziale Kultur als politische Kultur: die DDR, S.238 [1989). 30 Zum Methodenstreit vgl. Gert-Joachim Glaeßner, Die Mühen der Ebene, S.111119 [1988). Zur kritischen Beurteilwtg der systemimmanenten Methode vgl. Eckhard Jesse, Die politikwissenschaftliche DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, S.20-41 [1992], u. Schroeder/Staadt, Der diskrete Charme, S.24-63 [1993). 31 So Peter C. Ludz, (nach Jens Hacker, Deutsche Irrtümer, S.425 [1992], "der mit Abstand einflußreichste DDR-Forscher" in den siebziger Jahren, ähnl. Wilhelm Bruns, Von der Deutschland-Politik zur DDR-Politik?, S.l24-125 [1989]), zit. von: Joachim Nawrocki, SED, Deutschland- und Sicherheitspolitik, S.627 [1976). Vgl. zur Ludz' schen Methodik Hubertus Buchstein, Ideologie und Empirie, S.l21-147 [1989). Ganz ähnl. Wolfgang Behr, S.l3 [1985), der mit seinem Systemvergleich die Absicht verfolgte, "weder das Wertesystem der Bundesrepublik noch das der DDR einseitig als Maßstab des jeweils anderen zu benutzen", sondern beide "Systeme [...) an ihren eigenen Ansprüchen" zu bewerten. 32 Gert-Joachim Glaeßner, Die Mühen der Ebene, S.ll9 [1988). Vgl. ganz ähnl. Behler!Knepper, Deutschlandpolitische Bildungsarbeit und Friedenserziehung, S.846 [1986), fllr die ein solchermaßen angewandtes ,,Freund-FeindSchemata" als "[s]implifiZierender Dogmatismus(...) kemiZeichnend fl1r ein zu niedriges Niveau politischer Urteilsilihigkeit" ist. 33 Kritisch hierzu stellt Eckhard Jesse, Die politikwissenschaftliche DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, S.36 [1992), zurecht fest, daß wohl niemand auf den Gedanken käme, "den Nationalsozialismus nur danach zu beurteilen, in welchem Umfang er den eigenen Prinzipien Rechnung getragen hat". 34 SoGerd Meyer u. Jargen Schrtkler im Vorwort des von ihnen hrsg. Readers, S.7 (1988).
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C.DI. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argwnent
sigkeit oder gar in das Fahrwasser marxistisch-leninistischer Ideologien und Wertungen"3 s .
So sollte - statt "die Überlegenheit des eigenen Systems in kurzschlüssigen Systemvergleichen"36 festzustellen - die DDR auch als ein "soziales System sui genens••37 betrachtet werden, das "eine Reihe der Probleme, die in den westlichen Industriestaaten bestehen, nicht kennt" und in dem sich die Menschen "Nischen individueller und gemeinschaftlicher Lebensgestaltung geschaffen haben"38 . Die Möglichkeit, "weitgehend unabhängig von staatlicher Bevormundung ihr Leben planen und gestalten" zu können, sei der ,,Hintergrund für die von westdeutschen Besuchern oft mit Erstaunen und Unverständnis registrierte Akzeptanz des Staates durch die Bürger der DDR"39 . Die "sozialökonomischen und politischen Faktoren" sprächen "wenig für eine fortwährende Einheit", vielmehr habe sich seit Jahren die "Akzeptanz der Trennung und der jeweiligen Regime verfestigt, und zwar sowohl in der BRD als auch in der DDR"40 . Die DDR "war und ist kein von der Partei oder der Obrigkeit totalitär-perfekt-kontrollierter Staat, heute [1988) weniger denn je". Festzustellen sei in den letzten zwei Jahrzehnten eine begrenzte "Öffnung der
3S Joachim Nawrocki, SED, Deutschland- und Sicherheitspolitik., 8 .627 [1976). Vgl. auch Jens Hacker, Deutsche hrtümer, S.426 (1992). Der bis 1983 amtierende Vorsitzender der IG Druck und Papier, Leonhard Mahlein, Gewerkschaften international, S.75-80, passim [ 1984], (zit. auch von Wilke/Hertle, S.173 (1992)), fonnulierte apodiktisch, "daß man bei der Betrachtung und Analyse von Gewerkschaften in jedem Fall von der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der sie wirken, ausgehen muß. Unterschiedliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen bedingen filr die Gewerkschaften nicht nur sehr differenzierte Aufgabenstellungen und Zielsetzungen, sondern auch andere Strukturen und Wirkungsmöglichkeiten". Im Anschluß an diese mustergültige Fonnulierung der systemimmanenten Methode suchte Mahlein den "weitverbreiteten Irrtum von der 'kommunistischen Gleichschaltung"' der "Gewerkschaften in den sozialistischen Ländern" zu widerlegen und berief sich hierfilr auf die "einschlägigen verfassungsrechtlichen, gesetzlichen und statuarischen Bestimmungen" der DDR, die "absolut dagegen" sprächen. 36 Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus ohne Perspektive?, S.33 [1988). 37 Gert..Joachim Glaeßner, Die Mühen der Ebene, S.114 (1988). 38 Gert..Joachim Glaeßner, Die andere deutsche Republik, 8.15, passim (1989). Ganz ähnl. ders., Offene deutsche Fragen, S.37 [1988). Geprägt hatte den Begriff ,,Nischengesellschaft" im Jahre 1983 Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, vgl. besonders 8.156-233 [1983). 39 So Antonia Grunenberg, Zwei Deutschlands- zwei Identitäten?, S. 98 [1988), die diese ,,Freiheit" der DDR-Bevölkerung offenbar nicht nur in den ,,Nischen" verwirklicht sieht. 40 Gerhard Stuby, Die ,,gefesselte" Souveränität, S.230 [1987).
2. Die systemimmanente Walunehmung der DDR
209
Herrschaftsapparate hin zur Gesellschaft"41, eine kontrollierte "Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger", eine verstärkte "allgemeine Rechtssicherheit im Alltag"42 . Man dürfe nicht vergessen, daß Partei und Staat auf die Mitwirkung von Gesellschaft und Bürgern, "auf eine nicht nur erzwungene Loyalität, sondern auf ein Stück Überzeugtsein und Identifikation mit positiven Aspekten des DDR-Sozialismus angewiesen"43 seien. Trotz der Vorherrschaft der SED sei das gesellschaftspolitische Engagement der ,.Bürger'' aktiviert. Es entwickele sich - von der SED nicht gesteuert, gleichwohl geduldet - in der evangelischen Kirche44 , in der Jugend, bei ökologisch und feministisch orientierten Gruppen und in Literatenkreisen45 eine "kritische Öffentlichkeit"46 • Einen "neuen Volksaufstand" werde es nicht geben47, die immer selbstbewußter werdenden "Bürger''48 übten vielmehr "eine
41 Vgl. ähnl. Horst Ehmke, Frieden Wld Freiheit als Ziele der EntsparulWlgspolitik, S.287 [1986]. Auch Hans-Georg Wehling, "Sozialistische Demokratie" - Sozialismus ohne Demokratie?, S.62 [1988], erkannte eine demokratisierende Diversifikation beispielsweise bei den Gewerkschaften, die ,,nicht ausschließlich der verlängerte Arm der Partei" seien, Wld die im Interesse der Arbeiter "beachtlich" mitwirkten. 42 So Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus ohne Perspektive?, S.26-27, passim [1988]. 43 Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus ohne Perspektive?, S.27 [1988]. Vgl. ähnl. Klaus von Bismarck, ,,Zwei Staaten- zwei Kulturen?'', S.94 [1987]. 44 Zum Problem der Kooperation von Mitgliedern der Kirche mit der SED, motiviert durch den "WWlsch nach ethischer AbgrenzWlg von dem menschenverachtenden 'Kapitalismus' des Westens Wld die immerhin möglich erscheinende Verwirklichung eines 'humanen Sozialismus"' (S.89), vgl. Gerhard Besier/Stephan Wolf (Hrsg.), ,,Pfarrer, Christen Wld Katholiken" (1992] u. den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen BWldestages ,,AufarbeitWlg von Geschichte Wld Folgen der SED-Diktatur in _Deutschland" vom 31. Mai 1994, V. Themenfeld: Rolle Wld Selbstverständnis der Kirchen in den verschiedenen Phasen der SED-Diktatur. 4 5 Vgl. hierzu Jürgen Schr6der, Literatur als Ersatzötfentlichkeit?, S.109-129 [1988], der als Belege eine Reihe von Zitaten von DDR-Schriftstellern heranzieht wie dieses von Hermann Kant -, um darzustellen, daß die DDR eine eigene literarische Identität habe: ,,Die DDR bezeichnet sich- gegenüber dem Bestseller-CoWltJy BRD- mit Stolz als 'Leseland', auf dem Wege zu einer demokratischen 'Literaturgesellschaft'. Es hat die höchste Pro-Kopf-Bücher-Produktion der Welt". 46 Vgl. Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus ohne Perspektive?, S.28 [1988]. 47 So Klaus Bölling, Mut zur Wende finden, in: Wirtschaftswoche v. 4.3.1988. 48 So Hans-Georg Wehling, "Sozialistische Demokratie" - Sozialismus ohne Demokratie?, S.62 [1988]. Ähnl. Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.l82 u. 222 [1983]. 14 Roos
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C.ill. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argument
realistische, keineswegs einfach antisozialistische oder gar prokapitalistische Kritik an der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR", und zwar "solidarisch mit dem Land im ganzen und an bestimmten sozialistischen Grundwerten und-prinzipienorientiert-womöglich (objektiv) auf dem Wege, den bürokratischen Sozialismus in einen demokratischen umzuwandeln"49 . Die Bundesrepublik "ist gar nicht so sehr die politische Alternative - diese scheint vielen DDR-Bürgern eher zwischen den real existierenden Systemen zu liegen"so . Die ,,Lehre von Marx, Engels und Lenin sowie die Menschen, die ihr anhängen", seien jedenfalls ,,gtJnzlich entdtJmonisiert•Sl, und die "in ihrem Bewußtsein loyalen Bürger der DDR" vermißten "weniger ein Parlament" als die Möglichkeiten zu einer "öffentlichen (kritischen) Meinungsaussage"S2. Wenn der SED-Führung "eine wirkliche Demokratisierung [...] gelingt" und sich die "Bürger'' das "Öffentliche wieder aneignen", könne sich die "Massenloyalität" angesichts "politischer Sozialisation" und "unleug-
49 Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus olme Perspektive?, S.29 [1988]. Vgl. ähnl. ders., Sozialistischer Paternalismus, S.438 (1989), u. Ganter Gaus, Die BeziehWigen zwischen den beiden deutschen Staaten, S.l83-184 (1988). Wäre dies so, wirkte der Aufruf des Konsistorialprasidenten, Manfred Sto/pe, um so erstaWllicher: Die Kirchen in der BWidesrepublik sollten, wie Stolpe auf der Frühjahrstagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing 1984 forderte, den ,Jalschen Glanz des Lebens im Westen" deutlicher machen, Wld die Kirchen in der DDR ihrerseits müßten Menschen ermutigen, ,,ihren Platz in der konkreten Gesellschaft der DDR einzWlehmen", zit. v. Elisabeth Emmerich, Wiedervereinigoog macht wieder Angst, in: Augsburger Allgemeine v. 27.3.1984. SO Gert-Joachim G/aeßner, Offene deutsche Fragen, S.34 [1988]. Ganz ähnl. Horst Ehmke, Frieden Wld Freiheit als Ziele der EntspannWigspolitik, S.289 [1986]. "Gut, wir sind filr ein näheres Nebeneinander, aber genauso werden wie ihr - wollen wir nicht", paraphrasierte Marlies Menge, Keine milde Gabe, in: Die Zeit v. 16.6.1989, das Selbstwertgefühl der ostdeutschen Teilnehmer des Kirchentages in West-Berlin. Vgl. die allerdings etwas differenzierende BeobachtWlg v. Werner Rossade, Kulturelle Muster in der DDR, S.232 [1987], wonach fllr die sich in einem Paradigmenwechsel befmdende DDR-Gesellschaft nicht "die Alternative zu einem als historisch abgelebt perzipierten westlichen Kapitalismus (...) die Hauptfrage [ist], sondern auf allen Gebieten ein 'Erreichen Wld Mitbestimmen der Weltspitze', die von eben diesem Kapitalismus gehalten, genormt Wld geformt" werde. Ähnl. Ralf Ryt/ewski, Soziale Kultur als politische Kultur: die DDR, S.243 (1987]. SI So Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.76, ähnl. S.78 u.80 (1983]. Sl So Klaus von Bismarck, ,,Zwei Staaten - zwei Kulturen?", S.93 [1987], der, S.94, ebenfalls der Überzeugoog war, daß "Wlsere Argumentation Wld Wlsere Art des Systemvergleichs das Bewußtsein vieler Bürger'', das von der EntwicklWig "in den letzten Jahren(... ) eher etwas weiter" auseinandergeführt worden sei, nicht treffe.
2. Die systemimmanente Wahrnehmung der DDR
211
barer Leistungen (auch der Führenden)" zu einer demokratischen Legitimität wandeln53 . Zu diesen "unleugbaren Leistungen" gehörten "- das relativ hohe Maß an sozialer und ökonomischer Gleichheit [... ]54 ; - das hohe Maß an sozialer und Arbeitsplatzsicherheit55 ; - die wnfangreichen, oft kostenlos in Anspruch genommenen, aber kollektiv [manzierten 'Infrastrukturleistungen' des Staates[... ]; - die Wlbestreitbaren Erfolge in der Gleichberechtigung der Frauen, vor allem in materiell-beruflicher Hinsicht [... ]56; - neue soziale Wld mindestens ansatzweise sozialistische EinstellWlgen Wld Verhaltensweisen im Arbeitskollektiv, im nachbarschaftliehen Zusammenleben und in spezifischen Formen der Solidarität [...]57; - eine ökonomische sowie wissenschaftlich-technische Leistungstahigkeit, die bei allen Unzulänglichkeiten[... ] einen relativ hohen Standard im RGW erreicht hat [... ]58; - das Potential der marxistischen Theorie zur kritisch-dialektischen Durchdringung gesellschaftlicher Realität Wld die Entwicklung eines sozialistischen Wertehorizonts [...]"59 .
Aufgrund dieser "Legitimationsgrundlagen"60 sei es "am wahrscheinlichsten", daß die SED "ihre relativ erfolgreiche Entwicklungsvariante eines [... ] sozialistischen Paternalismus ausbaut und mit einer vorsichtigen, sorgfaltig dosierten Öffnung (und vielleicht auch partiellen Demokratisierung)" die
53 So Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus olme Perspektive?, S.29-30, passim [1988]. Ganz älml. Ganter C. Behrmann, Volk, Verfassung, Staat, Kultur, Geschichte und Nation, S.83 [1987]. S4 Vgl. Heiko Hüning, Individualität Wld Politik im Sozialismus, S.354 [1989]: ,,Durch den Ausbau eines sozialstaatlich orientierten Verteilungsmechanismus [...] stabilisierten sich in nicht unbeträchtlichem Maße Produktion und Massenkonsum". SS Vgl. Heiko Hüning, Individualität und Politik im Sozialismus, S.366 [1989]: Dem ,,Alltagsbewußtsein [gilt] soziale Sicherheit als ein spezifisches Charakteristikum, als ein Grundwert sozialistischer Lebensweise[... ]- in der DDR in allen Altersgruppen hoch geschätzt". S6 Ähnl. Günter Gaus, Wo Deutschland liegt, 8.215-216 [1983]. 57 Ganz älml. Hans-Gem-g Wehling, "Sozialistische Demokratie"- Sozialismus ohne Demokratie?, S.61 [1988]. 58 Vgl. hierzu Walter Süß, Größere Eigenständigkeil im Dienste des Status quo, S.l88-189 u. 208 [1988], u. Doris Comelsen, Die Wirtschaft der DDR in der Ära Honecker, S.370 [1988]. 59 Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus olme Perspektive?, S.33-34 [1988]. 60 Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus olme Perspektive?, S.30 [1988]. Ganz älml. Heiko Hüning, Individualität und Politik im Sozialismus, S.351-376 [1989], der sich auf Meyer berief (S.355) und meinte, daß "die Erfolgsbilanzder DDR[...] nicht versteckt werden [muß]" (S.353).
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C.ill. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argwnent
,,'schwierige Identität' der DDR" festigt61 . Ein "spezifisches Nationalbewußtsein in der DDR" dürfte "durch das im Vergleich zu anderen sozialistischen Staaten hervortretende Wirtschaftswunder'' und. "in Richtung Bundesrepublik gesehen. durch das Fehlen spektakulärer Arbeitslosigkeit" Auftrieb gewonnen haben62 . Inzwischen sei die DDR "im Denken und Fühlen schon in einem höheren Maße das, was die SED aus ihr machen will, als dies den Menschen dort immer bewußt ist und unsere westdeutschen Agitatoren gegen die DDR erkennen können"63 . Der "DDR-Staat" sei "selbstbewußter geworden", öffne sich "gegenüber neuen Fragestellungen und Tabu-Themen"64 und gehe "von der klassen-und klassenkampforientierten marxistischen zu einer 'allgemeinmenschlichen' Betrachtungsweise" über6 5 . Somit bleibe die Hoffnung berechtigt, mit solchen kleinen Schritten "zum demokratischen Sozialismus" zu gelangen, sei doch der Sozialismus "auch und gerade in der DDR66 ( ... ]keineswegs historisch abgegolten oder gar polemisch: obsolet geworden"67 . Die Deutschlandpolitik der Bundesregierung sollte "die innere Stabilität der DDR als Geschäftsbasis" binnehmen und sie "unausgesprochen wohl auch" fördern68 . Das Bekenntnis zur Wiedervereinigung aber habe ein "Klima der Desinformation und Abfiilligkeit gegen den
61 Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus ohne Perspektive?, S.35, passim [1988]. Vgl. ähnl. Heinrich August Wink/er, Die Mauer wegdenken, in: Die Zeit v. 11.8.1989. 62 So Harro Honolka, Schwarzrotgrün, S. 135 [1987). 63 GünterGaus, Wo Deutschland liegt, S.27, ähnl. S.156-157 (1983]. 64 Antonia Grunenberg, Zwei Deutschlands - zwei Identitäten?, 8.102 (1988]. Ähnl. Klaus von Bismarck, ,,Zwei Staaten- zwei Kulturen?", S.100-101 (1987). 65 So Wemer Rossade, Kulturelle Muster in der DDR, S.233 (1987], der auf diese Weise allerdings die überlegene Kraft des westlichen Menschenbildes bestätigt. 66 Vgl. hierzu die Stimmen aus der DDR, geäußert auf dem Kirchentag in WestBerlin, zit. von Marlies Menge, Keine milde Gabe, in: Die Zeit v. 16.6.1989: Der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorfemmer meinte: "Wir wollen Werte des Sozialismus einbringen, uns nicht vorn Westen überrollen lassen". Vera Wollenherger spekulierte: "Was wir (in der DDR) erleben, ist die Agonie des Sozialismus. Sie könnte die Geburt eines ökologischen Sozialismus sein". Ähnl. auch Jens Reich, Gründungsmitglied des Neuen Forums, im britischen BBC arn 5.10.1989, gesendet ab 23.00 Uhr: ,,Meiner Ansicht nach kann und sollte die DDR als unabhängige Einheit in Europa existieren. Wir sind ein sozialistisches Land, und das sollten wir auch weiterhin sein". 67 Gerd Meyer, Perspektiven des Sozialismus oder Sozialismus ohne Perspektive?, 8.37, passim [1988]. 68 Dies verlangte Michael Stürmer, Abschied von falschen ßlusionen, in: RM v. 24.8.1985, ftlr den von ihm begrüßten ,,Pragmatismus eines permanenten Konfliktmanagements".
2. Die systeminunanente Wahrnehmwtg der DDR
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anderen deutschen Staat geschaffen, das schwer ausrottbare Feindbilder''69 präge. Manche Autoren sprachen es deutlich aus: Angesichts solcher ,,Realentwicklungen" sei eine Herausbildung zweier Nationen festzustellen. Mit dem deutschen Staatsvolk sei "es zu Ende gegangen"70 , und die ,,Bewußtwerdung der unterschiedlichen kulturellen Bindungen der Bevölkerung in den beiden Staaten" sei "schon so weit fortgeschritten, daß man bereits von der endgültigen Entstehung zweier Nationen sprechen kann"71 . Für die Partei der Grünen wurde festgestellt, daß "das Fossil einer gesamtdeutschen Nation nicht mehr existiert"72 . Der Prozeß der Nationbildung in der Bundesrepublik wie in der DDR sei zwar "noch nicht abgeschlossen, aber er schreitet kontinuierlich voran, da nun einmal das alltägliche Leben und Arbeiten auf den jeweiligen Staat bezogen sind und durch ihn ihren Rahmen erhalten"73. Wer aber "immer noch von den Krümeln leben will, die von den Tischen der Deutschnationalen heruntergefallen sind, der wird - eben zum Krümelmonster". Darum werde, "ob wir diesen Staat akzeptieren oder nicht", mit der DDR dasselbe geschehen, wie mit Österreich, das "inzwischen eine eigene Identität gewonnen hat"74 . Oder, zurückhaltender, aber nicht minder deutlich: ,,Die Beurteilwtg der Schwierigkeiten wtd partiellen Erfolge der DDR-Führung bei der Beschaffung einer tragtahigen, kollektiven Identität der DDR-Bevölkerwtg mündet in die vorsichtige Prognose, daß es auf absehbare Zeit nicht gelingen wird, die DDR zu einem Nationalstaat wie andere zu machen, daß sich jedoch die DitTe-
69 Dirk Schneider, MdB (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 9.2.1984, S.3847-3849 (3847). 70 Gerhard Schulz, Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg, S.594 [1985]. 71 Heinz Dilx, Deutsche Nation?, S.164 (1982]. 72 SoDagmar Hensel (Grüne), in: BTSten.Ber. v. 15.10.1987, S.2175-2178 (2175).
73 Reinhard Kühn/, Nation- Nationalismus- Nationale Frage, S.96 u. 99 [1986], der - neben einem englischsprachigen Titel - wie Bruns, vgl. Arun.o., lediglich Gebhard Schweigler, Nationalbewußtsein in der BRD wtd der DDR [1973), als Beleg nennt. Schweigler seinerseits, Normalität in Deutschland, S.180 [1989), bezieht sich bei seiner Annahme, daß als "weiteres Ergebnis des Normalisierwtgsprozesses [... ) sich die beiden deutschen Staaten - nicht zuletzt im Bewußtsein wtd durch das Bewußtsein ihrer Bürger - zu Nationalstaaten normaler europäischer Prägwtg entwikkeln" könnten, ohne Beleg auf ,,DDR-Beobachter", wtter denen es "schon heute kaum noch Zweifel [gibt], daß sich auch in der DDR ein eigenes Staatsbewußtsein zu bilden begonnen hat". Reinhard Kühn/, Was ist heute die nationale Frage?, S.l35 [1986], sprach von einer "bwtdesrepublikanischen Nation". 74 So Peter Glotz, Blackout wtd Krümelmonster, in: Bwtte v. 24.11.1988.
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C.ill. Das ,,.Doppelstaatlichkeits"-Argument
renz zwischen ihr wtd den meisten anderen Nationalstaaten weiter verringern wird"7S. 3. Elemente einer Äquivaluation der ,.Doppei-Staatlichkeit"
Die Vertreter der Auffassung, die DDR sei ein Staat, dem wie jedem anderen die typischen Staatsmerkmale eigen seien, sahen nicht nur quasi-nationale, auf das System bezogene Identifikationstendenzen in der Bevölkerung, sondern nahmen eine Gleichbewertung - eine Äquivaluation76 - von Bundesrepublik und DDR vor. Daß es im "anderen Deutschland" auch nicht schlechter oder besser sei, wurde anband vieler Beispiele zu belegen versucht: Westdeutsche - in ihrer 'reflexionslosen Beschränktheit' - empfänden es als "besonders schrecklich[... ] drüben, daß man nicht werden könne, was man wolle", und vergäßen dabei, daß es in der Bundesrepublik einen Numerus clausus und mangelnde Ausbildungschancen gebe77 . So, wie sich der junge Bürger der Bundesrepublik auf seine erste Reise nach London oder Paris freue, freue sich der junge ,,DDR-Bürger" auf "seine Moskau-Fahrt"78 . Die Literatur in der DDR erfülle wie in der Bundesrepublik "die Funktion und die Rolle einer Ersatz- und Gegenöffentlichkeit", mittels einer Sprache, die eine andere sei, "als die Sprache der Herrschenden und Regierenden". Dem liege das Bewußtsein zugrunde, "der manipulierten Öffentlichkeit der Massenmedien eine eigene authentische Information entgegenzusetzen", denn auch "bei uns ist Öffentlichkeit kein Synonym fiir Freiheit, Wahrheit und Gleichberechtigung"79 . Der Osten vertrete seine Interessen und mache seine Propaganda "so wie der Westen die seine" 80 . Gemeinsam sei den "beiden mehr oder weniger autoritä-
7S Wilfried von Bredow, Deutschland- ein Provisorium?, S.73 (1985). 76 Der möglicherweise künstlich wirkende Begriff Aquivaluation (angelehnt an "Valvation", der Wertbestimmwtg insbesondere von Münzen) entspringt der Verlegenheit des Verf., keinen passenderen Ausdruck fllr den Versuch einer Gleich-Bewertwtg zu fmden. Das Wort ,,Äquivalenz" erscheint wtangemessen, weil es nur den Zustand einer Gleichwertigkeit beschreibt, nicht aber den Vorgang, der zu ilun ftlhrt. 77 SoGunter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.211 [1983). 78 Vgl. so Hendrik Bussiek, Notizen aus der DDR, S.302 [1979). 79 So JUrgen Schroder, Literatur als Ersatzöffentlichkeit?, S. l26, passim (1988], der mit Hennann Kant, dem Präsidenten des vom SED-Regime kontrollierten Schriftstellerverbandes der DDR, einen denkbar wtgeeigneten Zeugen filr eine kritische DDR-Literaturöffentlichkeit zitiert. Vgl. auch Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.224 (1983], voll Argwolm: "Wer verfugt, beispielsweise, über die Pressefreiheit in wtserem Land? Präziser: Wer bildet wts wtser allgemeines Bewußtsein, nach dem wir handeln?''. 80 Horst Ehmke, Deutsche ,,Identität" wtd wtpolitische Tradition, S.22 [1988).
3. Elemente einer Äquivaluation der ,,Doppel-Staatlichkeit"
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rendeutschen Teilstaaten"81 , ..daß in beiden Systemen Minderheiten sich bilden, die die vom jeweiligen Establishment vorgegebenen Antworten mehr oder weniger öffentlich in Zweifel ziehen, fiir untauglich ansehen"82 . Gemeinsam auch grenzten die ..beiden deutschen Regierungen" gewisse Menschen aus: Drüben Wolf Biermann, hüben die Friedensbewegung, obwohl beide es doch ..gut mit ihrem Staat" meinten83 • Mittel der staatlichen Repressionen gegen ihre Bürger seien die Geheimdienste der Bundesrepublik und der DDR, die in ihrer ..Sicherheitskonzeption: der Verdacht als herrschendes Prinzip, der Mensch als potentielles Sicherheitsrisiko", erstaunliche Parallelen aufwiesen, ..detailgetreu bis hinein in die verräterische Wortwahl"84 . Und "gegen den erbitterten Widerstand der Hardliner aufbeiden Seiten" hätten alle "Verträge, die manche Härten der Teilung haben lindern helfen", durchgesetzt werden müssen8S.
81 Hans.JUrgen Degen, Deutschland: Einheitsstaat oder Kulturnation?, S.222 [1982]. 82 Ganter Gaus, Die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, S.l84 [1988]. Ganz ähnl. ders., Zwei deutsche Staaten- welcher Zukunft zugewandt?, in: Die Zeit v. 20.1.1989. 83 So Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.223 [1983]. 84 Rolf GtJssner, Droht der vereinigte "Sicherheitsstaat" Deutscher Nation?, S.69, passim [1990]. GtJssner weiter: ,,Die Definition des 'inneren Feindes', des Staats- oder Verfassungsfeindes obliegt ihnen selbst und verleiht ihnen eine kawn kontrollierbare Machtvollkommenheit, die demokratischen Grundsätzen Hohn spricht. Eine ausgeprägte Tendenz zum Staat im Staate und zur Serienproduktion von Skandalen wohnt(e) den Apparaten beider Sicherheitssysteme inne". 8S So Klaus BtJI/ing, Mut zur Wende fmden, in: Wirtschaftswoche v. 4.3.1988. Weil Wolfgang Behr, S.96, passim [1985), ein herausragendes Bsp. filr den methodisch in der Systemimmanenz liegenden "Verzicht auf elementare humane Vergleichskategorien wie Wahrheit oder Menschenrechte" (Eberhard SchDtt-Wetschky, S. 759 [1988]) liefert, soll an dieser Stelle ein längeres Zitat zur weiteren Veranschaulichung einer unzulässigen Äquivaluation beitragen: Nach Behr, dessen Monographie sich laut Umschlagtext "sehr rasch als Standardwerk zum deutsch-deutschen VerhaltDis in der Politik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft erwiesen" habe, lasse sich feststellen, "daß die Abstimmung politischer Planungsprozesse auf die widersprüchlichen Erscheinungen der gesellschaftlichen Realität beiden politischen Systemen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Bedeutsam erscheint hierbei vor allem der Verbund von bürokratischer Planerstellung/-durchführung, den Interessen Betroffener und dem Bindeglied repräsentativer Organe (z.B. Bundestag in der Bundesrepublik, Volkskammer in der DDR; gleiches gilt flir Volksvertretungsorgane auf den anderen vertikalen Ebenen: Bundesland bzw. Bezirk, Städte, Gemeinden und Kreise).[... ]. Der überstarke Einfluß staatlicher Bürokratie mit negativen Auswirkungen auf politische Entscheidungsprozesse und auf die Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen ist in der Bundesrepublik und in der DDR gleichermaßen feststellbar. Regierungen
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C.ill. Das ,,Doppelstaatlichkeits"-Argwnent
Aus dieser Gleichsetzung der bundesdeutschen mit der DDR-öffentlichkeit und der staatlichen Reaktion auf sie wurde eine dialektische Spannung zwischen den beiden Staaten in Deutschland, eine negative "dialektische Einheit"86 , konstruiert. Die ,.DDR und die BRD" befänden sich in einem "schier unauflöslichen Spiegelverhältnis"87 , so "daß der eine nicht zu verstehen ist ohne den anderen"88 und "das eine jeweils das andere des anderen"89 sei. Einer Waage gleich also dürfe keines der beiden Gewichte verlorengehen, sonst verschwände die Bedeutung auch des übrig gebliebenen. Die in der Industriegewerkschaft Druck und Papier90 geäußerten Vorbehalte gegenüber Schriftstellern, die aus der DDR kamen, und die Weigerung von gewerkschaftlicher Seite, "mit den Schriftstellern in den Ostblockstaaten so eine 'fiinfte Kolonne' aufzubauen", die "den Widerstand gegen das Regime" wolle9 1 , erscheint unter diesem Blickwinkel konsequent92 . Dies gilt auch für die Warnung an jede der
nnd Parlamente in der Bnndesrepublik, die SED in der DDR bedienen sich dieser bürokratischen Apparate eher, als daß sie fllr die effelctive Kontrolle nnd Eingrenzung von deren Kompetenzen Sorge tragen (Entbürokratisierung)". Es bleibe festzuhalten, "daß in beiden Systemen die Staatsbürokratien Machtpositionen einnehmen, die die Grenzen der Legitimitätsgrwtdlagen erreichen oder teilweise überschreiten. Die Rekrutienmg des Füluungspersonals der politischen Systeme ist weder in der Bnndesrepublik noch in der DDR repräsentativ ftlr die jeweilige Gesellschaftsstrulctur. Sie begünstigt Angehörige der oberen Mittelschicht bzw. der Intelligenz gegenüber Unterschicht nnd Arbeiterklasse. Weder in der Bnndesrepublik noch in der DDR läßt sich [... ] eine Politik sozialer Nivellierwtg (mehr sozialer Gerechtigkeit) erkennen. Einkommens- nnd Sozialstruktur bewegen sich auseinander - in der Bundesrepublik stärker als in der DDR. Beide politischen Systeme bedienen sich rechtfertigender Ideologien mit dem Versuch, dadurch die gesellschaftliche Meinnngs- nnd Willensbildnng in ihrem Sinne zu beeinflussen". 86 Vgl. hierzu Kar/ Dietrich Erdmann, Drei Staaten- zwei Nationen- ein Volk?, S.382 [1986]. 87 JUrgen Schr6der, Literatur als Ersatzöffentlichkeit?, S.l26 [1988]. 88 Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.36 [1983], zit. auch von: JUrgen Schriider, Literatur als Ersatzöffentlichkeit?, S.126-127 [1988]. 89 SoHeiner Mal/er, in: Der Spiegel 1977, Nr.38, S.212, zit. von: JUrgen Schriider, Literatur als Ersatzöffentlichkeit?, S.127 [1988], u. v. Gerd Mayer/Jurgen Schr6der im Vorwort des von ihnen hrsg. Readers, S.8 [1988]. Vgl. ähnl. Bemhard von Plate, Perspektiven und Entwicklnngsmöglichkeiten deutsch-deutscher Politik, S.713 [1983]. 90 1989 aufgegangen in der IG Medien, Druck und Publizistik. 9 1 So der Vorsitzende der IG Druck und Papier, Erwin Ferlemann, Ohne Mediengewerkschaft dividieren sie nns auseinander, S.l2f. [1984], zit. von: Manfred Wilke!Hans-Hennann Hertle, Das Genossenkartell, S.26, m.w.N. [1992]. 92 In die gleiche Richtung zielen die ,,20 Thesen zu Westberlin", in: Kommnne 12/1986, zit. von Reinhard Mohr, Leckgeschlagenes U-Boot. Desillusionierwtg wan-
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beiden deutschen Seiten, "die Bedingungen und Grenzen seines Gesellschaftsund Bündnissystems zu berücksichtigen" und sich "nicht gegenseitig" zu "überfordern"93 . Und weiter wird hieraus das Verlangen erklärlich, die DDR mit bedingungslosen politischen und materiellen Leistungen als einer "wirkungsvolle[n] Politik gegen das Abhaun [sie] von DDR-Deutschen aus ihrem Staat" zu stützen94 . Schließlich gipfelte diese Wertschätzung des "anderen Systems" in dem SED/SPD-Ideologie-Papier von 1987 (s.o.), mit dem die Quadratur des Kreises versucht und erklärt wurde, daß der Wettbewerb der Systeme nicht den Bestand des jeweils anderen Systems gefährden dürfe95 . Hier dominierte das Bestreben, sich von der internalisierten dialektischen, vom Marxismus-Leninismus beeinflußten Denkweise, wonach die den jeweiligen Staaten zugesprochenen Gesellschaftsformen des ,,Kapitalismus" und des "Sozialismus" darauf angelegt seien, der jeweils anderen entgegenzuwirken, soweit zu lösen, daß die Existenz zweier sich ausschließender "Systeme" in Deutschland auf unbegrenzte Dauer für sinnvoll erklärt wurde. Tatsächlich aber war das Selbstverständnis der Bundesrepublik ideologiefrei und nicht erfüllt von einem als irrational empfundenen "Antikommunismus als der geistige Gehalt, als der Zweck einer Nation"96 . Die Bundesrepublik ist delt: Die linke Zeitscluift ,,Kommune", in: FAZ v. 26.1.1993, zu deren Autoren auch die "später als Stasi-Agenten enttarnten Klaus Croissant und Dirk Schneider'' (Mohr) gehörten: "Um einen gleichberechtigten Umgang mit der DDR zu erreichen, muß ein grundsätzliches Umdenken erfolgen, das darauf verzichtet, das westliche System als das überlegene anzusehen. Eine anhaltende Normalisierung wird nicht möglich sein, solange versucht wird, die östlichen Gesellschaften zu verteufeln, oder zu versuchen, die Menschen dort gegen ihre Regierungen zu mobilisieren". 93 So Oskar Lafontaine in seiner Tischrede am 10.9.1987 anläßtich des Banketts zu Ehren des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR, Erich Honecker, S.l51 . 94 So Jtirg R. Mettke, Das Draufsatteln reicht nicht aus. Provozierende Anmerkungen zur Deutschlandpolitik, in: Vorwärts v. 18.11.1976, S.3, zit. von: Wilhelm Bruns, Von der Deutschland-Politik zur DDR-Politik?, S.l21 [1989], der den SpiegelRadakteur Mettke als ,,Kenner der DDR-Szene" auswies und seinen Ansatz, die DDR durch "Stabilisierung bewohnbarer" zu machen, für ,,nach wie vor aktuell" hielt. 95 So aber auch der stellvertretende FDP-Bundestagsfraktionsvorsitzende HansGünter Hoppe, Die Deutschen zwischen zwei Blöcken, S.l83 [1987]. 96 So aber Günter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.32 [1983], der dieses reduzierte nationale Selbstverständnis den ,,restaurativen Kräften in Westdeutschland" (S.32) zuordnete, dessen ,,Zuschnitt [... ] an jüngst Vergangenes" erinnere (S.33). Vgl. ähnl. S.77-78 u. 190: "Wenn wir die DDR nicht hätten, wir müßten sie wohl erfmden; wir scheinen so etwas zu benötigen: eine abstrakte Größe, abgehoben von den Realitäten [...]. Sündenböcke, früher wurden sie auch, dann und wann, konkretisiert, verdienten wohl ein besonderes Kapitel in Wlserer Geschichte: es wäre ein gesamtdeutsches". Vgl. ähnl. Christoph Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation, S.l3 [1988].
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entstanden aus den Erfahrungen mit totalitären Herrschaftsformen. Sie war durchaus zu verstehen "ohne den anderen", während sie umgekehrt für die Menschen in der DDR Maßstab, Vergleichs- und Bewertungssystem blie\)97. Ihre politische und gesellschaftliche Stabilität trug sich selbst, und ihre politische Ordnung bedurfte nicht der (Eigen-)Legitimierung durch Abgrenzung von einem "anderen System" als GegenmodeU98 oder einer DDR als "Negativfolie bundesdeutscher Selbstvergewisserung"99 . Die Paradoxie einer "antagonistischen Kooperation" 100 der beiden Staaten in Deutschland war für die Bundesrepublik darum nur ein notwendiges Übel, solange die DDR bestand, keineswegs aber der "Ausweg" zu einer echten "Koexistenz mit der DDR" 101 . 97 Vgl. ähnl. Wemer Weidenfeld, Deutschland 1989: Konturen im Rückblick auf vierzig Jahre, S.25 [1989], der aber, S.l7-18, "Stabilität" filr ein "Signum" auch des zweiten Staates in Deutschland hielt und von einem vorhandenen "Staatsbewußtsein" in der DDR ausging. 98 So aber Wilhelm Bleek, Das eine und das andere Deutschland, S.375 [1989], wonach sich 'beide deutsche Staaten' "durch den Kontrast zwn anderen Deutschland legitimiert" hätten. Ähnl. S.378 u. ders., Die DDR als Teil unseres Selbstverständnisses?, S.215-219 [1989]. Vgl. ähnl. Gert-Joachim G/aeßner, Die Mühen der Ebene, S.ll8 (1988]: Das ,,negative Gegenbild DDR diente oft dazu, die eigene Gesellschaft gegenüber Veränderungswünschen zu immunisieren". Die von Antonia Gnmenberg, Zwei Deutschlands - zwei Identitäten, S.98 [1988], 'nebenbei' bemerkte Beobachtung, die Westdeutschen zögen einen Teil ,,ihrer LebensZufriedenheit (... ] daraus, daß es den Ostdeutschen noch lange Jahre schlechter als ihnen geht", wobei sie "sich schwer damit [tun] zu erkennen, daß auf dem Gebiet des Konsums und des Lebensstandards die Unterschiede mit den Jahren immer kleiner werden", ist nicht nur zynisch, sondern falsch. Ähnl. aber Ganter Gaus, Wo Deutschland liegt, S.85-86 [1983]. 99 So aber Wemer Weidenfeld, Politische Kultur und deutsche Frage, S.37 [1989]. 100 Zum Begriff vgl. Wilfried von Bredow/Rudolf Horst Brocke, Das deutschlandpolitische Konzept der SPD, S.l21-l22 [1986]: "Ost-West-Politik und Deutschlandpolitik in diesem Sinne und unter der gegebenen Unübersichtlichkeit baut ihre Zukunftsperspektiven auf einen intra- und innergesellschaftlichen Wandel, der weder Annäherung im Sinne konvergenztheoretischer Fiktionen impliziert noch mit dem Feuer der Bürgerkriegsstruktur spielt, sondern das militärische und politische Risiko des Ost-West-Konflikts in einem neuen, global auszutarierenden Austragungsmodus einzufangen sucht, in dem zugleich mit der Eröffnung neuer ost-west-politischer Kooperationsfelder der Konflikt in seiner antagonistischen Dimension auch so anerkannt und definiert wird, daß er sich im Wettbewerb der Systeme Bahn brechen kann". Zur "antagonistischen Kooperation" vgl. weiter Thomas Jager, Neue Wege in der Deutschlandpolitik?, S.41-70, insbes. S.69-70 [1986]. 1° 1 So aber Wilhe/m Bruns, Von der Deutschland-Politik zur DDR-Politik?, S.65-66 (1989], der selbst aber noch nach einer inhaltlichen Ausgestaltung der "antagonistischen Kooperation" als ,,Diskussionsgrundlage" verlangte.
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Der Versuch zu einer solchen Koexistenz indes resultierte aus der "Gewöhnung an die Freiheit" und der ,.Ignoranz der Gefahr seitens eines Gegners, der sich in Wesenszügen nicht verändert" hatte. Diese Veränderung der eigenen Bewußseinslage hatte "die Staatsidee der Republik als Freiheitsstaat verblassen lassen"I02. Die Gleich-Bewertung von DDR und Bundesrepublik führte konsequenterweise zu weitergehenden Anerkennungsforderungen und zur (teilweisen) Erfüllung der Geraer Postulatel03 Honeckersl04 • Ein innerdeutsches Verhältnis - wie das zwischen der Bundesrepublik und Frankreich - entspräche dem Bekenntnis "zur DDR als Realität" 10.5. "Was[... ] könnte einer Regelung mit dem anderen deutschen Staat entgegenstehen, die im politischen Verkehr etwa mit Frankreich selbstverständlich geworden ist?''l 06 . Der DDR-Führung dürfe man nicht ihre Motive desavouieren und ihr "eine Politik des Augenzwinkerns und der Käuflichkeit" unterstellen, sonst verliere sie "ihren Vorteil an einer Zusammenarbeit" 107 . Man solle die Präambel des Grundgesetz ändern- wir seien schließlich "nicht die Oberdeutschen der beiden Staaten" 108 -, die Ständigen Vertretungen "als das benennen, was sie doch in Wahrheit sind", und eine "DDR-Staatsbürgerschaft"- eine reine Formsache- anerkennen109 . Die Erfassungsstelle für SED-Verbrechen in Salzgitter müsse aufgelöst werden, weil sie die "politische Eigenständigkeil der DDR" aushöhle 110 . Zur 102 Manfred Hlittich, Nationalbewußtsein im geteilten Deutschland, S.280, passim [1983). 103 Siehe Kap. B.N.5. 104 In diesem Sinne vgl. Hans-Jochen Vogel, Für eine neue Entspannung: Die Position der Sozialdemokraten, S.369 [1986]. 105 Ganter Gaus, Die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, S.179 (1988). 106 Günter Gaus, Die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, S.l79 [1988]. Vgl. ähnl. Hans Apel, Deutschland-Politik - Möglichkeiten und Grenzen, S.614 [1984). 107 So der Obmann der SPD-Bundestagsfraktion ftlr innerdeutsche Beziehungen, Hans Bach/er, Windelen hat sich nun doch demaskiert, in: Sozialdemokratischer Pressedienst v. 17.2.1984, der eben dies dem Minister ftlr innerdeutsche Beziehungen vorwarf. Zum milliardenschweren Sonderkonto Honeckers, aufgefiUlt durch die Erlöse des ,,Häft1ingverkaufs", vgl. nur Thomas K/eine-Brockhoff/0/iver Schr6m, Das Kirchengeschäft B, in: Die Zeit v. 28.8.1992. 108 So Klaus Bölling, in: Expreß v. 21.5.1985. 109 So Golo Mann, Mehr ,,Anerkennung", in: Abendzeitung (München) v. 28.9.1984. Siehe auch Kap. C.VI. 110 So Gerhard Schröder, Der Herausforderer, S.l07 u. 114 (1986]. Die SPD-gefllhrten Bundesländer stellten, dieser Argumentation offenbar folgend, die Fi-
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"Weiterentwicklung des Verhältnisses zur DDR" gehöre "die Aufnahme offizieller Kontakte zwischen dem Deutschen Bundestag und der Volkskammer der DDR" 111 . ,,Endziel" der Deutschlandpolitik müsse sein, daß jeder Deutsche "gegen Vorzeigen eines gültigen Personalausweises die innerdeutsche Grenze passieren kann"112 . Auf der Suche nach dem von "Illusionen" und "Borniertheiten" befreiten wirklichen Bild von der DDR113 wurde bisweilen die Ebene der Äquivaluation verlassen, und die DDR oder ihre Charakteristika wurden höher als die Bundesrepublik bewertet. Die vom Staat angestrebte, ideologisch motivierte Egalität der Gesellschaft auf der Stufe des 'Kleinbürgertums' wurde als natürlicher Zustand begriffen, in dem die "unverf