Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung: Einordnung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht [1 ed.] 9783428466825, 9783428066827


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German Pages 206 Year 1989

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Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung: Einordnung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht [1 ed.]
 9783428466825, 9783428066827

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M I C H A E L OERDER

Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 575

Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung Einordnung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht

Von Dr. Michael Oerder

Duncker & Humblot * Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Oerder, Michael: Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung: Einordnung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht / von Michael Oerder. — Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 575) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-06682-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-06682-0

Vorwort D i e vorliegende A r b e i t wurde i m Februar 1989 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu K ö l n als Dissertation angenommen. D i e i m Jahr 1988 veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur konnte für diese Fassung noch berücksichtigt werden. B e i Fertigstellung des Manuskriptes lag m i r die an der Universität Würzburg v o n Peter Fösel i m Sommer 1988 abgeschlossene Dissertation,

„ D e r Widerspruchsbescheid

als isolierter

Klagegegen-

stand" noch nicht vor. A u f die A r b e i t kann an dieser Stelle daher nur nachrichtlich hingewiesen werden. H e r r n Prof. D r . Peter Weides, der das Thema der Schrift anregte und die bestmöglichen Voraussetzungen für die Erstellung dieser A r b e i t schuf, möchte ich auch an dieser Stelle meinen herzlichen D a n k aussprechen. D a n k e n möchte ich ebenfalls H e r r n Rechtsanwalt Simon für die bereitwillige A u f n a h m e der A r b e i t i n die Schriftenreihe zum Öffentlichen Recht des Verlages D u n c k e r & Humblot. M e i n besonderer D a n k gilt auch denen, die m i t ihrer tatkräftigen Unterstützung die Fertigstellung dieser A r b e i t überhaupt erst ermöglicht haben, meiner Frau Kirsten, meinen E l t e r n sowie den Eheleuten Eleonore u n d D i p l . - I n g . Hans Joachim Beckers. K ö l n , i m August 1989 Michael Oerder

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

13

Α . Das Rechtsinstitut

13

B. Gegenstand der Untersuchung

13

I. Systematische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

14

1. Das Widerspruchsverfahren-ein Verwaltungsverfahren

15

2. Die Qualifizierung der §§ 68 ff. VwGO als verwaltungsverfahrensrechtliche oder verwaltungsprozessuale Vorschriften

16

a) Meinungsstand

17

aa) Befürworter einer umfassenden Regelungsbefugnis

17

bb) Beschränkte Gesetzgebüngskompetenz für das Verwaltungsverfahren

18

cc) Die rein prozessuale Betrachtungsweise b) Erheblichkeit der Kompetenzfrage II. Ablauf der Untersuchungen . . .

18 19 20

1. Teil Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung A . Ableitung der Bundeskompetenz für das Widerspruchsverfahren I. Konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 1 GG II. Gesetzgebungskompetenz nach Art. 84 Abs. 1 GG

22 22 22 24

1. Art. 84 Abs. 1 GG als deklaratorische oder kompetenzbegründende Norm

24

2. Voraussetzungen einer Ableitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 70ff., 84 Abs. 1 GG

25

a) Das materielle Gesetz als auszuführendes Bundesgesetz

25

b) Regelung des Verwaltungsverfahrens zur Ausführung der §§68 Abs. 1 S. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO

27

III. Implizierte Gesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren . . .

31

1. Anforderungen an das Vorliegen einer implizierten Gesetzgebungskompetenz nach der herrschenden Meinung

31

8

Inhaltsverzeichnis a) Sachzusammenhang zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren . . .

32

b) Annexkompetenz

35

2. Abweichende Ableitungsmodelle

37

IV. Feststellung der möglichen Ableitung

40

B. Reichweite der Bundeskompetenz nach Art. 74 Nr. 1 GG

40

I. Negative Kompetenzabgrenzung: keine Regelungen des Verwaltungsverfahrens

41

II. Positive Kompetenzbestimmung: Regelungen des gerichtlichen Verfahrens

42

1. Das Prozeßrechtsverhältnis

42

2. Doppelnaturlehren

43

C. Erstes Teilergebnis

45 2. Teil

Folgerungen aus der bestehenden Kompetenzlage für die Gesamtbetrachtung des Widerspruchsverfahrens nach den §§ 68ff. VwGO A . Das Anwendungsverhältnis der §§ 68 ff. VwGO zu den Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze I. Ausschluß verwaltungsverfahrensrechtlicher §§ 68ff. VwGO

46

47

Bestimmungen in den

II. Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze im Widerspruchsverfahren

47 48

1. Anwendungsverhältnis nach der herrschenden Auffassung

48

2. Prozessuale Betrachtungsweise

50

III. Bedeutung des kodifikatorischen Charakters der V w G O für das Widerspruchsverfahren

50

B. Die Bedeutung der Gesetzgebungskompetenz für die teleologische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

52

I. Die Funktionen des Widerspruchsverfahrens nach der Rechtsprechung und Literatur

52

II. Die Funktionen des Widerspruchsverfahrens aus kompetenzrechtlicher Sicht

54

1. Selbstkontrolle der Verwaltung

54

2. Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens

55

3. Entlastung der Verwaltungsgerichte

56

I I I . Ergebnis zu Β

57

Inhaltsverzeichnis C. Die Verknüpfung des Widerspruchsverfahrens mit dem gerichtlichen Verfahren

58

I. Das Widerspruchsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage

58

1. Begriffsbestimmung

58

2. Die Regelung der Sachurteilsvoraussetzung: Widerspruchsverfahren in den §§ 68 ff. VwGO

59

3. Abweichende Auffassung von Redeker und v. Oertzen

60

II. Behandlung einer Klage ohne vorherige Widerspruchseinlegung

62

1. Unbeachtlichkeit des Mangels bei sachlicher Einlassung durch die beklagte Behörde im Prozeß

62

2. Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens

66

III. Der fristgerecht eingelegte Widerspruch als Sachurteilsvoraussetzung

. .

70

1. Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes

71

2. Abweichende Auffassungen in der Literatur

73

3. Kompetenzrechtliche Betrachtungsweise

77

a) Die prozessuale Funktion des § 70 Abs. 1 VwGO

78

b) Verwaltungsverfahrensrechtliche Bedeutung

81

c) Rechtslage bei der Entscheidung der Verwaltungsbehörde trotz Ablauf der Widerspruchsfrist

82

D. Zweites Teilergebnis

84 3. Teil

Die Rechte und Pflichten der im Widerspruchsverfahren tätigen Behörden

86

A . Prozessuale und verwaltungsverfahrensrechtliche Obliegenheiten der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren

87

I. Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verwaltungshandelns nach den §§ 68ff. VwGO :

88

1. Untätigkeit der Verwaltung - § 75 VwGO

88

a) Anspruch des Widerspruchsführers auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides

89

b) Stellungnahme

90

2. Die Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO a) Abgrenzung zu § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO

93 94

b) Der Begriff der wesentlichen Verfahrensvorschrift i . S . v . §79 Abs. 2 S. 2 VwGO

95

c) Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO

100

aa) Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes

100

Inhaltsverzeichnis

10

bb) Abweichende Auffassungen cc) Stellungnahme . . . d) Ergebnis

101 102 104

II. Die einzelnen (vor-)prozessualen Obliegenheiten der Verwaltung im Widerspruchsverfahren 105 1. Die prozessualen Pflichten der Ausgangsbehörde

105

a) Kontrolle der Recht- und Zweckmäßigkeit der beanstandeten Entscheidung 105 b) Die Entscheidung im Abhilfeverfahren als Ergebnis der Kontrolle aa) Prozessuale Bedeutung der Entscheidung bb) Materielle Bedeutung der Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO c) Bedeutung der Zulässigkeit des Widerspruchs für die prozessuale Stellung der Abhilfebehörde 2. Die prozessualen Verpflichtungen der Widerspruchsbehörde

107 107 108 109 110

a) Erlaß eines Widerspruchsbescheides

110

b) Kontrollpflicht der Widerspruchsbehörde

111

c) Begründung des Widerspruchsbescheides, § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO aa) Anwendungsverhältnis § 73 Abs. 3 S. 1 V w G O zu § 39 VwVfG bb) Rechtsfolgen einer mangelnden Begründung im gerichtlichen Verfahren aaa) Verstoß gegen die verwaltungsverfahrensrechtliche Begründungspflicht bbb) Verstoß gegen die prozessuale Begründungspflicht . . . ccc) Heilung des Mangels durch Nachholen der Begründung im gerichtlichen Verfahren

112

d) Anhörung eines Dritten aa) Anwendungsverhältnis des § 71 VwGO zu den §§ 28, 45, 46 VwVfG : aaa) Meinungsstand bbb) Stellungnahme ccc) Entsprechende Anwendung des § 71 VwGO bb) Auswirkungen einer fehlenden Anhörung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren

113 115 115 116 118 119 119 119 120 121 123

e) Rechtsmittelbelehrung

124

f) Zustellung des Widerspruchsbescheides, § 73 Abs. 3 S. 1 V w G O

126

g) Zulässigkeit des Widerspruches als Voraussetzung für das Bestehen der prozessualen Pflichten der Widerspruchsbehörde 128 III. Drittes Teilergebnis B. Die Befugnisse der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren I. Verwaltungskontrolle und Verwaltungsentscheidung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Prozeßrecht

129 131 131

Inhaltsverzeichnis 1. Das verwaltungsinterne Kontrollverfahren

131

a) Das Wesen der verwaltungsinternen Kontrolle

132

b) Die VwGO setzt die Regelung der verwaltungsinternen Kontrolle voraus 133 2. Die Entscheidungen im Widerspruchsverfahren

.

134

a) Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerspruch

134

b) Die materiell zulässigen Entscheidungen im Widerspruchsverfahren

135

aa) Entscheidungen im Abhilfeverfahren bb) Entscheidungen der Widerspruchsbehörde

135 136

II. Die Entscheidungsbefugnisse der Abhilfebehörde

137

1. Zuständigkeit zur sachlichen Entscheidung

137

2. Der Inhalt der Abhilfeentscheidung bei begründetem Widerspruch . . . 140 a) Aussage des § 72 VwGO nach der herrschenden Auffassung

. . . 140

b) Kompetenzrechtliche Betrachtung aa) bb) cc) dd)

141

Die Funktion des Abhilfebescheides 142 Beschränkte Entscheidungskompetenz nach § 72 VwGO . . . 142 Verpflichtung zur Abhilfe 143 Formeller Abschluß des Widerspruchsverfahrens 146

c) Rechtsstellung des Dritten gegenüber der Entscheidung im Widerspruchsverfahren 147 aa) Rücknahme eines drittbegünstigenden Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren 148 bb) Widerruf eines drittbegünstigenden Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren 150 cc) Anwendungsvoraussetzungen des § 50 VwVfG 151 aaa) Anhängigkeit eines Rechtsbehelfsverfahrens 151 bbb) Zulässigkeit des Widerspruchs 152 ccc) Begründetheit des Widerspruchs 153 d) Ergebnis zu 2

154

3. Entscheidung über einen unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch 155 a) Antragsgemäße Entscheidung aus nicht widerspruchsbezogenen Gründen 156 b) Zulässigkeit einer reformatio in peius aa) bb) cc) dd)

Ältere Auffassungen Wandel in der Argumentation Analyse Einzelfragen aaa) Auswirkungen der Zulässigkeit einer reformatio in peius durch die Abhilfebehörde auf das Prozeßrechtsverhältnis bbb) Die Grenzen der reformatio in peius im Widerspruchsverfahren

157 158 159 159 162 162 164

12

Inhaltsverzeichnis I I I . Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

167

1. Sachentscheidungsbefugnisse bei Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde 168 2. Die nächsthöhere Behörde als Widerspruchsinstanz

169

a) Meinungsstand zur Bedeutung des § 73 VwGO für die Entscheidungsbefugnis der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren . . 170 aa) Umfassender Devolutiveffekt 170 aaa) Nach der herrschenden Meinung

170

bbb) Abweichende Auffassungen

171

bb) Zulässigkeit des Widerspruches als Voraussetzung des Devolutiveffektes 172 aaa) Auffassung der herrschenden Lehre

172

bbb) Differenzierung nach der Rechtsprechung

173

b) Die kompetenzrechtliche Lösung

174

aa) Verwaltungsverfahrensrechtliche Entscheidungsbefugnisse der Aufsichtsbehörde

175

bb) Die aufsichtsrechtliche Anweisung als Widerspruchsbescheid

177

aaa) Vereinbarkeit mit den Vorschriften der VwGO und der Funktion des Widerspruchsverfahrens bbb) Materielle Gestaltung des Widerspruchsbescheides . . . (1) Notwendigkeit einer abschließenden Entscheidung (2) Materieller Inhalt der Anweisung (3) Einschränkung der Entscheidungsbefugnisse . . . . (4) Sonstige materiellrechtliche Beschränkungen . . . .

177 178 178 179 180 182

c) Möglichkeit eines beschränkten Selbsteintrittsrechtes der Aufsichtsbehörde aa) Ableitung von Trzaskalik

182 183

bb) Ableitung aus Gewohnheitsrecht

184

cc) Reichweite der Eintrittsbefugnis

188

dd) Ergebnis zu d)

189

3. Die spezialgesetzlichen Zuständigkeitsregelungen a) Die einzelnen Ausnahmetatbestände

190 190

b) Die Bedeutung der Ermächtigung aus kompetenzrechtlicher Sicht

191

c) Sachentscheidungsbefugnisse

192

IV. Viertes Teilergebnis

193 Schlußbetrachtung

195

Literaturverzeichnis

196

Stichwortverzeichnis

203

Einleitung Α . Das Rechtsinstitut „Das Rechtsinstitut des außergerichtlichen Vorverfahrens hat sich allgemein bewährt. Es gibt den Parteien die Möglichkeit, nach Kenntnis der rechtlich maßgeblichen Gesichtspunkte ihre Anträge zu ergänzen oder neue Tatsachen vorzutragen und der Verwaltung die Möglichkeit zur Selbstkontrolle . . . Vor allem hat das Vorverfahren eine erhebliche Filterwirkung für das anschließende gerichtliche Verfahren. 1980 ist es nur in 15,9% der Fälle, in denen Widerspruch nach dem SGG eingelegt worden ist, zu einer Klage gekommen. Insgesamt führt das Vorverfahren zu einer wesentlichen Entlastung der Gerichte, zur Verkürzung der durchschnittlichen Verfahrensdauer und damit zu einer erheblichen Verbesserung des Rechtsschutzes."1 Diese Einschätzung der Bedeutung des außergerichtlichen Vorverfahrens gehört zu den wenigen nahezu unbestrittenen Aussagen, die sich über dieses Verfahren auffinden lassen. Die Übereinstimmung beschränkt sich auf den erheblichen Nutzen, den das von einer Verwaltungsbehörde durchzuführende Vorverfahren für den Bürger, die Verwaltung und die Gerichte mit sich bringt. Im übrigen findet sich aber kaum eine Frage im Zusammenhang mit diesem Verfahren, die nicht in Rechtsprechung und Literatur hoffnungslos umstritten ist. B. Gegenstand der Untersuchung Gegenstand der Untersuchung ist das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren nach den §§ 68ff. VwGO. Der Bundesgesetzgeber hat durch die Bestimmungen im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung das sogenannte Widerspruchsverfahren erstmalig bundeseinheitlich zur Voraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bestimmt und damit die bis dahin geltenden unterschiedlich geregelten bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften über Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren abgelöst (vgl. § 77 VwGO). Obwohl das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren nach dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls auch zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte beitragen soll l a , müssen sich die Verwaltungsgerichte 1 BR-Drs. 100/82, S. 106; zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens für die Einführung einer VwPO vgl. Kopp, ZRP 1988, 113ff. la Amtl. Begründung des Reg.-Entwurfes, BT-Drs. III/ 55, S. 38.

14

Einleitung: Β. Gegenstand der Untersuchung

häufig gerade mit Fragen beschäftigen, die sich aus der Anwendung und Auslegung der §§ 68ff. VwGO ergeben. I. Systematische Einordnung des Widerspruchsverfahrens Die Ursache für die zahlreichen Divergenzen bei der Auslegung der §§ 68ff. VwGO liegt zu einem erheblichen Teil darin, daß bereits über die systematische Einordnung des Widerspruchsverfahrens zwischen dem ursprünglichen Verwaltungsverfahren und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie der §§ 68 ff. VwGO zwischen VerwaltungsVerfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht keine Einigkeit besteht. Als Verfahren vor Verwaltungsbehörden, welches durch ein Prozeßgesetz zur Sachurteilsvoraussetzung verwaltungsgerichtlicher Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen bestimmt wird, befindet sich das Widerspruchsverfahren an der Nahtstelle zwischen dem Ausgangsverwaltungsverfahren und dem gegen die Entscheidung in diesem Verfahren durch den Betroffenen angestrengten Prozeß. Die Rechtsstellung der in diesem Verfahren tätigen Behörden wird sowohl durch die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung als auch durch die Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze geprägt 2. Eine systematische Behandlung des Widerspruchsverfahrens setzt daher zunächst die Klärung der grundsätzlichen Frage voraus, in welcher Weise die Rechtsstellung der am Widerspruchsverfahren Beteiligten durch die Verwaltungsgerichtsordnung einerseits und das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht andererseits beeinflußt wird. Ohne eine Bestimmung des Anwendungsverhältnisses dieser beiden Materien ist eine überzeugende Untersuchung des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens nicht möglich. Der Gesetzgeber hat den Versuch unternommen, dieser Erkenntnis durch die Regelung in § 79 VwVfG Rechnung zu tragen. Nach dieser Bestimmung gelten für förmliche Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte, zu denen gerade auch der Widerspruch nach §§ 68, 69 VwGO zählt, die Verwaltungsgerichtsordnung und die zu ihrer Ausführung ergangenen Rechtsvorschriften. Im übrigen gelten die Vorschriften des jeweils anwendbaren Verwaltungsverfahrensgesetzes. Diese sicherlich nicht als gelungen zu bezeichnende Vorschrift 3 entbindet den Rechtsanwender jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, nicht von der Beantwortung der aufgezeigten Grundsatzfrage. 2 Vgl. § 79 Β VwVfG und die entsprechenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze; soweit im folgenden auf die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechtes zurückgegriffen wird, handelt es sich um das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz. Landesverwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmungen werden besonders hervorgehoben, soweit wesentliche Abweichungen dies erforderlich machen. 3 Vgl. Allesch, Diss. S. 55; TSG S. 101 f.; zu der Entstehungsgeschichte des § 79 VwVfG s. u. 2. Teil A II.

I. Systematische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

15

1. Das Widerspruchsverfahren - ein Verwaltungsverfahren

Über die systematische Einordnung des Widerspruchsverfahrens als solchem zwischen verwaltungsgerichtlichem Verfahren und allgemeinem Verwaltungsverfahren besteht heute in Rechtsprechung und Literatur noch weitgehende Einigkeit. Die §§ 68ff. VwGO wenden sich insbesondere mit den §§ 71 - 73 VwGO an Verwaltungsbehörden, die - jedenfalls außerhalb des Widerspruchsverfahrens - materielle Verwaltungstätigkeit ausüben. Trotzdem hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates 4 die Ansicht vertreten, daß das in den §§ 70 ff. E VwGO (heute §§ 68 ff. VwGO) behandelte Vorverfahren kein selbständiges Verwaltungsverfahren, sondern ebenso wie die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Urteile untrennbarer Bestandteil des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (sei), für den sich die Gesetzgebung des Bundes auf Art. 74 Nr. 1 GG stützt. Diese Einschätzung ist auch vom Bundesverwaltungsgericht in seinen ersten Entscheidungen nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung zunächst vertreten worden. Das Widerspruchsverfahren sei ein in die Verwaltung hineinreichender Teil des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. 5 A n anderer Stelle hat das Bundesverwaltungsgericht das Widerspruchsverfahren bereits als rein behördlichen Vorgang bezeichnet, in dem die Widerspruchsbehörde als übergeordneter Teil des Verwaltungsaufbaus und nicht als unabhängiges Rechtsprechungsorgan tätig werde. 6 Die Tätigkeit der im Widerspruchsverfahren zuständigen Behörde sei die Kontrolle der Recht- und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung, wobei der Zweck dieser Kontrolle gerade darin bestehe, das gerichtliche Verfahren wenn möglich zu vermeiden 7. In einer Entscheidung aus dem Jahr 19798 bezeichnete das Bundesverwaltungsgericht die Frage nach der Rechtsnatur des Widerspruchsverfahrens als in der Judikatur der Bundesverwaltungsgerichte auch heute noch umstritten. Die neuere Rechtsprechung 9 und die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur 10 qualifiziert das Widerspruchsverfahren dagegen zu Recht als reines 4

BT-Drs. III. 55, S. 77. 5 BVerwGE 17, 246 (248); O V G Münster, NJW 1967, 901. 6 DVB1. 1964, 357 (358); 1965, 241 (242); E 25, (27). 7 BVerwGE 26, 161 (166). s BVerwGE 57, 342 (346) m.w.N. 9 BVerwGE 62, 201 (205); D Ö V 1985, 196ff.; Buchholz 421. 0 Nr. 140. 10 Weides, S. 171; Kopp, VwGO Vorb. § 68 Rdn. 14; R/Ö § 68 VwGO Rdn. 1; Meyer/Borgs § 9 VwVfG Rdn. 14; P/R § 15 Rdn. 4; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, S. 131 ff.; TSG S. 101 f.; v. Mutius, Diss. S. 174 und passim; Allesch, Diss. S. 26; Schneller, Diss. S. 7ff.; Hufen, S. 267; Dawin, N V w Z 1987, 872; Wallerath, D Ö V 1970, 653 (654); Mandelartz, V R 1978, 133 (134); Schütz, NJW 1981, 2785 (2787); Greifeld, N V w Z 1983, 725ff.; Renck, JuS 1980, 28ff.; Hofmann, Festschrift f.

16

Einleitung: Β. Gegenstand der Untersuchung

Verwaltungsverfahren. Die durch die §§ 68ff. VwGO unmittelbar angesprochenen Träger hoheitlicher Gewalt gehören organisatorisch der Exekutive und nicht der Legislative an. Damit handelt es sich bei dem Widerspruchsverfahren jedenfalls um ein Verwaltungsverfahren in formellem Sinne. Die Tätigkeit, die die im Widerspruchsverfahren zuständigen Behörden ausüben, entspricht der Begriffsbestimmung in § 9 VwVfG für das materielle Verwaltungsverfahren. Wie im Ausgangs verfahren konkretisiert die Verwaltung auch im Widerspruchsverfahren das Verwaltungsrechtsverhältnis und nimmt damit Verwaltungsaufgaben und keine gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Funktionen wahr. Obwohl im Widerspruchsverfahren die ausgangsbehördliche Entscheidung kontrolliert wird, zielt es im Ergebnis nicht auf eine Streitentscheidung durch eine quasigerichtliche Instanz, sondern auf den Erlaß oder die Bestätigung der Ausgangsentscheidung durch die im Verwaltungsverfahren als Partei beteiligte Behörde ab. Die für das Widerspruchsverfahren zuständigen Verwaltungsinstanzen üben damit wie im Ausgangsverfahren materielle Verwaltungstätigkeit und keine Rechtsprechungsfunktionen aus. Nach der verfassungsrechtlichen Grundordnung ist die Rechtsprechung allein den unabhängigen Gerichten anvertraut (Art. 19 Abs. 4, 92ff. GG). Die Qualifizierung des Widerspruchsverfahrens hat mit dem Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze auch die Billigung des Gesetzgebers gefunden, der durch § 79 VwVfG für das Widerspruchsverfahren die (jedenfalls) subsidiäre Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze angeordnet hat. Bei dem Widerspruchsverfahren nach den §§ 68ff. VwGO handelt es somit um ein Verwaltungsverfahren im formellen und im materiellen Sinne. 2. Die Qualifizierung der §§ 68ff. VwGO als verwaltungsverfahrensrechtliche oder verwaltungsprozessuale Vorschriften

Mit der Qualifizierung des Widerspruchsverfahrens als formelles und materielles Verwaltungsverfahren stellt sich die Frage, auf welcher kompetenzrechtlichen Grundlage der Bundesgesetzgeber dieses Verfahren bundeseinheitlich und damit auch im sachlichen Anwendungsbereich der Landesverwaltungsverfahrensgesetze (vgl. § 77 Abs. 2 VwGO ) normieren konnte. Art 74 Nr. 1 GG ermächtigt den Bundesgesetzgeber lediglich zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens nicht aber zur Normierung des Verwaltungsverfahrens. 11 Gemäß Art. 83ff. GG kann der Bundestag zwar mit Zustimmung des Bundesrates das Verwaltungsverfahren der Länder bei der Ausführung von Bundesgesetzen, nicht aber bei der landeseigenen Ausführung von LanChr. Fr. Menger, S. 605ff.; a. A . Trzaskalik, Diss. S. 25 und passim, der davon ausgeht, daß die Tatsache, daß es sich bei den §§ 68ff. VwGO um prozessuale Vorschriften handelt der These, daß das Widerspruchsverfahren ein Verwaltungsverfahren ist, widerspricht. 11 BVerwGE 51, 310 (313).

I. Systematische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

17

desgesetzen regeln. Die Frage nach der Ableitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist aber entscheidend für die Qualifizierung der §§ 68ff. VwGO als verwaltungsverfahrensrechtliche oder prozessuale Vorschriften. Der Bundesgesetzgeber konnte mit diesen Vorschriften das Verwaltungsverfahren nur dann wirksam regeln, wenn er nach dem Grundgesetz die Befugnis zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen besitzt 12 . A n dieser Frage aber entzündet sich der Meinungsstreit, der die Ursache für die unüberbrückbaren Gegensätze bei der Auslegung der §§ 68 ff. VwGO und der Bestimmung der Rechtsstellung der Beteiligten im Widerspruchsverfahren ist«. a) Meinungsstand Zu der Frage nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren und der Bedeutung, die dem kompetenzrechtlichen Ansatz für eine Untersuchung dieses Verfahren zukommt, werden im wesentlichen drei Auffassungen vertreten. aa) Befürworter einer umfassenden Regelungsbefugnis Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll der Bundesgesetzgeber zu einer umfassenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens befugt sein. Es sei daher nicht möglich, einer Untersuchung des Widerspruchsverfahrens den Gedanken einer beschränkten oder gar von der Normierung des Verwaltungsverfahrens vollständig ausgeschlossenen Bundeskompetenz zugrunde zu legen 14 . Hofmann bezeichnet den Kompetenzgedanken sogar als unnötige „Zwangsjacke" für die Auslegung der §§ 68ff. V w G O . 1 5 Die Regelungskompetenz des Bundes für das im Widerspruchsverfahren durchzuführende Verwaltungsverfahren lasse sich, wenn auch nicht allein aus Art. 74 Nr. 1 G G 1 6 , so doch jedenfalls zwanglos aus Art. 84 Abs. 1 GG oder dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhanges des Widerspruchsverfahrens mit dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren in vollem Umfange begründen. Ule 1 7 wendet gegen die kompetenzrechtlich begründete Argumentation ein, daß, ihre Richtigkeit unterstellt, eine Reihe von Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft werden müßten. Für das Wider12

Renck, JuS 1980, 28; vgl. auch Hofmann, Festschrift für Chr. Fr. Menger, 606 m.w.N. 13 Vgl. Hofmann, S. 606. ι 4 Hofmann, S. 605.ff.; Ule, DVB1. 1978, 656; Mandelartz, V R 1978, 133 (134). 15 Hofmann, 610. 16 So aber Mandelartz, S. 133f. 17 Ule, S. 656. 2 Oerder

18

Einleitung: Β. Gegenstand der Untersuchung

spruchsverfahren bestehe aber eine umfassende Regelungskompetenz des Bundes. Aus dieser Kompetenzlage könnten sich Einschränkungen nur für der Regelungsbefugnis der Länder 18 , nicht aber für die bundesgesetzliche Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens ergeben. bb) Beschränkte Gesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren Die ganz überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur geht dagegen davon aus, daß der Bundesgesetzgeber sich für das Widerspruchsverfahren nur auf eine beschränkte Gesetzgebungskompetenz zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen stützen konnte. Der Bundesgesetzgeber sei nicht befugt, in der Verwaltungsgerichtsordnung das im Widerspruchsverfahren durchzuführende Verwaltungsverfahren in vollem Umfang zu regeln. 19 Umstritten ist allerdings auch innerhalb dieser herrschenden Auffassung, wie sich die, wenn auch eingeschränkte Bundeskompetenz für das im Widerspruchsverfahren geltende Verwaltungsverfahrensrecht begründen läßt. Während die neuere Rechtsprechung 20 und ein Teil der Literatur 21 die Gesetzgebungskompetenz allein aus Art. 74 Nr. 1 GG entnimmt, will ein anderer Teil der Literatur zur Begründung der eingeschränkten Bundeskompetenz auf den Gesichtspunkt des Sachzusammenhanges22 oder/und auf Art. 84 Abs. 1 G G 2 3 zurückgreifen. cc) Die rein prozessuale Betrachtungsweise Eine Mindermeinung im Schrifttum vertritt dagegen die Auffassung, der Bundesgesetzgeber sei von der Regelung verwaltungsverfahrensrechtlicher Fragen in der Verwaltungsgerichtsordnung generell ausgeschlossen24. Ausge18 Im vorliegenden Fall für die Regelung der Zulässigkeit einer reformatio in peius im Widerspruchsverfahren. 19 Nachweise s. u. Fußn. 20ff. 20 BVerwGE 51, 310 (313); Buchholz, 310 § 77 Nr. 1; BVerwGE 61, 360 (361); BayVGH, BayVBl. 1978, 16f. mit kritischer Anm. Theuersbacher, S. 18. 21 Menger/Erichsen, VerwA. Bd. 56 (1965), 278 (290); dies. VerwA. Bd. 57 (1966), 270 (283); Wallerath, D Ö V 1970, 653 (655); Pietzner, BayVBl. 1979, 779ff.; Greifeid, N V w Z 1983, 725 (726); Geiger, BayVBl. 1979, 101 (102); Stelkens, SBL § 79 Rdn. 3; Meyer/Borgs, § 79 VwVfG Rdn. 2; Petz, JA 1987, 331. 22 Kopp, VwGO, Vorb. § 68 Rdn. 5; Allesch, Diss. S. 28f.; Neuser, Diss. S. 272f.; R/Ö VwGO § 68 Rdn. 1. 23 v. Mutius, Diss. S. 164ff., 171 ff.; Weides, S. 172; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit S. 153; Schütz, NJW 1981, 2785 (2787); Bull, A K - G G A r t 84 Rdn. 18.

I. Systematische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

19

hend von der Erkenntnis, daß Art. 74 Nr. 1 GG nur zur Regelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ermächtigt und der Annahme, daß für die Regelung des im Widerspruchsverfahren durchzuführenden Verwaltungsverfahrens auch die Voraussetzungen der Art. 83ff. GG bzw. der ungeschriebenen Gesetzgebungszuständigkeit nicht gegeben sind, vertreten diese Autoren die Ansicht, daß der Bundesgesetzgeber in die Verwaltungsgerichtsordnung nur prozessuale Bestimmungen, nicht aber die Normierung der Rechte und Pflichten der im Widerspruchsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörden aufnehmen konnte. Daher scheide insbesondere alles aus der Bundeszuständigkeit aus, was die Gestaltung des Verwaltungsrechtsverhältnisses nach materiellem Recht, einschließlich der Zuständigkeit und des Verfahrens der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren betrifft 25 . Allein diese Erkenntnis ermögliche eine eindeutige Abgrenzung verwaltungsverfahrensrechtlicher und prozessualer Frage unter Wahrung der juristischen Begrifflichkeiten 26 . b) Erheblichkeit

der Kompetenzfrage

Die Bedeutung der dargestellten Kompetenzfrage ergibt sich aus den Auswirkungen der rechtlichen Einordnung der §§ 68 ff. VwGO zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht. Regelungen des Verwaltungsverfahrens bestimmen Rechte und Pflichten der Verwaltungsbehörden bei der Konkretisierung materiellrechtlicher Pflichten. Ihre Beachtung oder Nichtbeachtung durch die Verwaltung wirkt sich allein auf das Verwaltungsrechtsverhältnis aus. Demgegenüber normieren prozessuale Vorschriften das Prozeßrechtsverhältnis für den Fall, daß sich an ein Verwaltungsverfahren ein gerichtliches Verfahren anschließt.27 Prozessuale Regelungen unterscheiden sich von den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrens in erster Linie dadurch, daß sie prozeßbezogen sind und sich in ihren Auswirkungen auf das Verhältnis des jeweiligen Adressaten zu dem Rechtsschutzorgan beziehen. 28 Dabei - und das wird häufig übersehen - wenden sich prozessuale Bestimmungen nicht ausnahmslos an die Gerichte, sondern können durchaus dem Adressaten prozessuale Obliegenheiten auferlegen, die dieser einem Dritten gegenüber erfüllen muß 29 . Prozessuale Vorschriften können dagegen für den Adressaten keine 24 Trzaskalik, Diss. S. 44; ders. JZ 1983, 417ff.; ders. JZ 1985, 234f.; Renck, JuS 1980, 28ff.; ders. D Ö V 1979, 585ff.; ders. NJW 1981, l O l l f . ; Renck-Laufke, BayVBl. 1978, 247f. 25 Renck, JuS 1980, 28 (30). 2 * Renck, S. 30. 27 Das Prozeßrechtsverhältnis entsteht erst mit der Klageerhebung, P/R § 4 Rdn. 1. ^ Vgl. Hill, S. 276. 29 Trzaskalik, Diss. S. 33f.; ders. JZ 1985, 234f.

2*

20

Einleitung: Β. Gegenstand der Untersuchung

neuen Rechte oder Pflichten im Rahmen des Verwaltungsrechtsverhältnisses begründen. Die zweite wesentliche Bedeutung der Kompetenzfrage ergibt sich bei dem in § 79 VwVfG angesprochenen Anwendungsverhältnis zwischen den §§ 68 ff. VwGO und den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen. Die Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung können die Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze nur insoweit verdrängen, wie sie selbst verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur sind. 30 Auch die Beantwortung der Frage nach dem Umfang der Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze im Widerspruchsverfahren setzt somit die Bestimmung der Reichweite der Regelungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren voraus. Der dritte Aspekt der Kompetenzfrage ergibt sich schließlich aus der Erkenntnis, daß der Bundesgesetzgeber in den §§ 68ff. VwGO längst nicht alle im Zusammenhang mit dem verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren auftretenden Fragen ausdrücklich geregelt hat. 31 So bestimmt § 70 Abs. 1 VwGO zwar eine Frist für die Erhebung des Widerspruchs, nicht aber unmittelbar, welche Rechtsfolgen die Versäumung der Widerspruchsfrist für die Beteiligten nach sich zieht. Die §§ 72, 73 VwGO ordnen zwar eine Kostenentscheidung für das Widerspruchsverfahren an, bestimmen aber nicht, nach welchen Kriterien sich die Kostenentscheidung richten soll. § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO besagt zwar, daß ein Widerspruchsbescheid ergehen muß, wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht abhilft, nicht aber welchen materiellen Inhalt die Entscheidung der Widerspruchsbehörde haben soll. Nun liegt es nahe, für alle nicht unmittelbar in den §§ 68ff. VwGO geregelte Fragen gemäß § 79 a. E. VwVfG das jeweils anwendbare Verwaltungsverfahrensgesetz heranzuziehen. Dies setzt jedoch voraus, daß die entsprechende Frage nicht bereits abschließend in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt ist oder möglicherweise nur durch eine ergänzende Anwendung verwaltungsprozessualer Bestimmungen gelöst werden kann 32 . I I . Ablauf der Untersuchungen Durch diese Feststellung der für die Untersuchung des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens maßgebenden Ausgangslage wird der weitere Ablauf der Arbeit vorherbestimmt. Ausgehend von der Qualifizierung des Widerspruchs30 Das ergibt sich bereits unmittelbar aus der Subsidiaritätsklausel in § 79 a. E. VwVfG, vgl. Allesch, Diss. S. 55; Kopp, VwGO Vorb. § 68 Rdn. 17. 3 1 BVerwGE 51, 310ff.; Kopp, Vorb. § 68 Rdn. 18; R/Ö § 68 Rdn. 1; Allesch, Diss. S. 36ff. 32 Vgl. z. b. für die Kostenfrage die Auffassung des BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. I I I . 1094, S. 8; hiergegen BVerwGE 22, 281 ff.

II. Ablauf der Untersuchungen

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Verfahrens als einem Verwaltungsverfahren im formellen und materiellen Sinn setzt die Untersuchung dieses Verfahrens die Bestimmung der Rechtsnatur der Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung voraus. Für die Beantwortung einer Vielzahl der im Zusammenhang mit dem Widerspruchsverfahren auftretenden Fragen ist die Bestimmung der Rechtsnatur der §§ 68ff. VwGO von ausschlaggebender Bedeutung. Für die damit erforderliche Qualifizierung jeder einzelnen Vorschrift der §§ 68ff. VwGO als Regelung des Verwaltungsverfahrens oder als prozessuale Norm spielt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren eine entscheidende Rolle. Nur wenn der Bundesgesetzgeber in der Verwaltungsgerichtsordnung auch Regelungen des Verwaltungsverfahrens erlassen durfte, kann einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Auslegung der §§ 68ff. VwGO bedenkenlos zugestimmt werden. 33 Anderenfalls ist vermittels einer normerhaltenden Auslegung zu prüfen, ob diese Vorschriften ausschließlich prozessual, entsprechend einer auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens beschränkten Bundeskompetenz ausgelegt werden können. Es ist daher zunächst festzustellen, auf welche verfassungsrechtliche Kompetenzgrundlage sich der Bund bei der Regelung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung stützen kann. Anschließend ist zu untersuchen, in welcher Weise sich das aufgefundene Ergebnis auf die Auslegung der §§ 68ff. VwGO, auf die Gewichtung der diesem Verfahren durch die Verwaltungsgerichtsordnung zugewiesenen Zwecke, sowie auf das Anwendungsverhältnis der §§ 68 ff. VwGO zu den Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder auswirkt 34 . Daran anschließend erfolgt die Untersuchung der Beziehungen des Widerspruchsverfahrens zu dem möglicherweise nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Funktion des Widerspruchsverfahrens als „Sachurteilsvoraussetzung" der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sowie die Frage nach der Rechtsnatur der Fristbestimmung in § 70 Abs. 1 VwGO 3 5 . In dem eigentlichen Hauptteil der Arbeit soll schließlich an Hand der Einzeluntersuchung der §§ 68ff. VwGO die Feststellung der in diesen Bestimmungen enthaltenen Rechte und Pflichten der am Widerspruchsverfahren Beteiligten erfolgen. Diese sind den allgemeinen Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze gegenüberzustellen. 36 Erst diese Untersuchung wird zeigen, inwieweit sich die kompetenzrechtliche Unterscheidung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht als Auslegungsansatz für das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren eignet. 33 34 35 36

Ausdrücklich bejaht von Hofmann, Festschrift für Chr. Fr. Menger S. 605ff. Dazu insgesamt Teil 1. Dazu Teil 2. Dazu Teil 3 A . und B.

1. Teil

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung Ausgehend von der als erheblich festgestellten Fragestellung nach der Reichweite der Bundeskompetenz für die Ausgestaltung des als Verwaltungsverfahren qualifizierten Widerspruchsverfahrens ist für die Untersuchung dieser Regelungsbefugnis zwischen der Ableitung und der Reichweite der Bundeskompetenz zu unterscheiden. A . Ableitung der Bundeskompetenz für das Widerspruchsverfahren Logisch vorrangig ist die Frage der Ableitung der Bundeskompetenz. Zu dieser Frage werden im wesentlichen drei Auffassungen vertreten, deren Berechtigung im folgenden überprüft werden soll. I. Konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 1 GG Gemäß Art. 74 Nr. 1 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes auch auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens. Der Bundesgesetzgeber hat von dieser Regelungsbefugnis durch die verschiedenen Prozeßgesetze37 Gebrauch gemacht. Zweifellos zählt das Widerspruchsverfahren als Verwaltungsverfahren in formellem und materiellem Sinne nicht zum eigentlichen gerichtlichen Verfahren i.S.v. Art. 74 Nr. 1 G G . 3 8 Das gerichtliche Verfahren i. S. des Grundgesetzes wird allein von unabhängigen Richtern im Rahmen der ihnen durch Gesetz zugewiesenen Rechtsprechungsaufgaben durchgeführt und zeichnet sich unter anderem durch die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der in diesem Verfahren tätigen Organe aus 39 . Allerdings berechtigt der Kompetenztitel „gerichtliches Verfahren" in Art. 74 Nr. 1 GG den Bundesgesetzgeber nicht nur zur rechtlichen Ausgestaltung des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten, sondern jedenfalls auch zu dem 37

Insbes. ZPO, StPO, ArbGG, SGG, FGG, JGG und die Verwaltungsgerichtsord-

nung. 38 39

Hofmann, Festschrift f. Chr. Fr. Menger, S. 605 (606); Weides, S. 172. v. Mutius, Diss. S. 154.

I. Konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 1 GG

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Erlaß derjenigen Verfahrensvorschriften, die die Verwaltungsgerichte vor oder während des Erlasses einer Entscheidung über die ihnen nach § 40 VwGO zugewiesenen Streitigkeiten beachten müssen. Es ist heute unbestritten, daß der Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Nr. 1 GG auch zur Einführung des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens zuständig war. Die Regelungskompetenz zur Einführung des Widerspruchsverfahrens ergibt sich nach der insoweit zutreffenden herrschenden Auffassung aus der Funktion dieses Verfahrens als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage 40 . Entgegen der Auffassung von Mandelartz 41 ist damit jedoch nicht die Feststellung verbunden, daß der Bundesgesetzgeber mit der Befugnis zur Einführung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung auch umfassend zu dessen verwaltungsverfahrensmäßiger Ausgestaltung befugt ist. Weitgehend unstreitig ist nämlich nur, daß Art. 74 Nr. 1 GG zur Einführung des Widerspruchsverfahrens berechtigt und damit zunächst einmal nur zu der bundeseinheitlichen Bestimmung, daß dem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren ein Vorverfahren vorauszugehen hat. Die Befugnis zu einer umfassenden Regelung des im Widerspruchsverfahren anwendbaren Verwaltungsverfahrensrechtes läßt sich allein auf die Kompetenznorm für das gerichtliche Verfahren nach der zutreffenden ganz herrschenden Ansicht dagegen nicht stützen 42 . Bevor jedoch im einzelnen die Reichweite der Regelungskompetenz des Bundes für das im Widerspruchsverfahren geltende Verwaltungsverfahrensrecht unmittelbar aus Art. 74 Nr. 1 GG geprüft wird, soll zunächst untersucht werden, ob sich eine Bundeskompetenz zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen für das Widerspruchsverfahren noch aus anderen Kompetenztiteln ergeben kann.

BVerfGE 35, 65 (72); 20, 248ff.; 21, 106 (114); BVerwGE 17, 246 (248); 51, 310 (313); 61, 360ff.; BayVGH, BayVBl. 1978,16f.; Weides, S. 172; Kopp, VwGO, Vorb. § 68 Rdn. 5; Maunz, MDHS Art. 74 Rdn. 83; Bull, A K - G G Art. 74 Rdn. 19; Stelkens, SBL § 79 Rdn. 2; v. Mutius, Diss. S. 154ff.; Trzaskalik, Diss. S. 44f.; Kelling, Diss. S. 35f.; Renck, D Ö V 1973, 264ff.; ders. JuS 1980, 28ff.; Greifeid, N V w Z 1983, 725ff.; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 153f.; Hofmann, Festschrift für Chr.-Fr. Menger, 605 (606f.) m.w.N. V R 1978,133 (134). 42 Vgl. bereits BVerwGE 22, 281ff.; deutlich nun BVerwGE 51, 313; BayVGH, BayVBl. 1978, 16f.; Allesch, Diss. S. 28f.; Hofmann, S. 609; Renck, JuS 1980, 28ff.; Trzaskalik, S. 44f.; Pietzner, D Ö V 1979, 779ff.; M/E VerwA. Bd. 56 (1965), 290; P/R § 15 Rdn. 5; Greifeid, S. 725ff.; Renck-Laufke, BayVBl. 1978, 247f.; Schütz, NJW 1981, 2785 (2786); Lange, Jura 1980, 456 (465); Stelkens, SBL § 48 Rdn. 10a.

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1. Teil:

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eegeungskompetenz des Bundes

II. Gesetzgebungskompetenz nach Art. 84 Abs. 1 GG Die verfassungsrechtliche Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben folgt dem Modell, daß die Wahrnehmung einer Aufgabe in die Zuständigkeit der Länder fällt, solange und soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt. 43 Für die hier interessierende Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten enthalten die Art. 70ff. GG eine Aufzählung von Sachbereichen, in denen dem Bundesgesetzgeber eine Regelungskompetenz zukommt. Besteht nach diesen Bestimmungen für eine bestimmte sachliche Materie eine Bundeszuständigkeit, dann kann der Bundesgesetzgeber gemäß Art 84 Abs. 1 GG für diesen Bereich mit Zustimmung des Bundesrates für die Durchführung dieser Gesetze die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren selbst dann regeln, wenn die Länder gemäß Art. 83 GG das Bundesgesetz als eigene Angelegenheit ausführen. Dagegen ist der Bundesgesetzgeber von der Regelung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens ausgeschlossen, soweit die Länder Landesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen. 1. Art. 84 Abs. 1 GG als deklaratorische oder kompetenzbegründende Norm

Umstritten ist, ob Art. 84 Abs. 1 GG die Regelungszuständigkeit des Bundes für das Verwaltungsverfahren konstitutiv festlegt 44 oder ob bereits die in den Art. 70ff. GG genannten Sachbereiche dem Grunde nach oder als Annexe die sachzugehörige Organisationsmaterie mitumfassen. Im letzteren Fall hätte Art. 84 Abs. 1 GG nur die Funktion der näheren Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens durch die Normierung des Zustimmungserfordernisses seitens des Bundesrates. 45 Diesem Meinungsstreit kommt eine unmittelbare Bedeutung für die Bestimmung der Reichweite der Bundeskompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens der Länder zu. Sieht man Art. 84 Abs. 1 GG als kompetenzbegründend an, so folgt lediglich aus dem Schwergewicht der Länder beim Gesetzes Vollzug, daß der Bund von seiner Regelungsbefugnis für das Verwaltungsverfahren der Länder nur einen zurückhaltenden Gebrauch machen darf. 46 Bei einer Ableitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Verwaltungsverfahren als Annexkompetenz zu dem jeweiligen materiellen 43

Art. 30, 70ff., 83ff. GG; vgl. Bullinger, A ö R Bd. 96, 237. So Lerche, MDHS Art. 84 GG Rdn. 14; Ule, DVB1. 1976,421 (423); Finkelnburg/ Lässig, VwVfG, Einl. Rdn. 40; ausführlich, Neuser, Diss. S. 108 (186) jew. m.w.N.: Art. 84 Abs. 1 GG als kompetenzbegründende Vorschrift. 45 Vgl. v. Mangoldt/ Klein Art. 84 GG Anm. II. 9c; und die weiteren Nachweise bei Finkelnburg/ Lässig, VwVfG, Einl. Rdn. 39; Neuser, Diss. S. 110 Fußn. 9. 46 Rohwer/Kahlmann, A ö R Bd. 79, 221 ff.; Finkelnburg/Lässig Rdn. 42 m.w.N. 44

II. Gesetzgebungskompetenz nach Art. 84 Abs. 1 GG

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Sachbereich unterliegt diese dagegen wesentlich einschneidenderen Beschränkungen. Eine Bundeskompetenz für das Verwaltungsverfahren der Länder könnte dann nur anerkannt werden, soweit eine bundeseinheitliche Regelung für die sachgemäße Durchführung eines Bundesgesetzes unbedingt erforderlich ist. 47 Auf die Ableitung der Bundeskompetenz zur Regelung des im Widerspruchsverfahren maßgeblichen Verwaltungsverfahrensrechtes wirkt sich der Meinungsstreit jedoch nur dann aus, wenn die Voraussetzungen einer solchen Ableitung nach den Art. 70ff., 84 Abs. 1 GG gegeben sind. 2. Voraussetzungen einer Ableitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 70ff., 84 Abs. 1 GG

Unbestritten ist, daß der Bundesgesetzgeber die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren nur insoweit regeln kann, als diese Bestimmungen die Ausführungen eines Bundesgesetzes betreffen. Für die Ableitung einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das im Widerspruchsverfahren anwendbare Verwaltungsverfahrensrecht bestehen damit theoretisch zwei Möglichkeiten. a) Das materielle Gesetz als auszuführendes Bundesgesetz Den ersten Weg, eine Zuständigkeit des Bundes für das im Widerspruchsverfahren anwendbare Verwaltungsverfahrensrecht aus Art. 84 Abs. 1 GG zu begründen zeigt die Entscheidung des Großen Senates des Bundesverwaltungsgerichtes in einem Vorlagebeschluß aus dem Jahr 1965 auf, ohne daß sich der Senat für oder gegen diese Ableitungsmöglichkeit ausgesprochen hätte. 48 Soweit aus Art. 84 Abs. 1 GG eine Bundeszuständigkeit für das Verwaltungsverfahren zu bejahen wäre - so der Senat - ergebe sich für das Widerspruchsverfahren ein der Rechtsklarheit nicht dienlicher Unterschied zwischen denjenigen Verfahren, die die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder betreffen und solchen, die sich auf Rechtsgebiete beziehen, für deren Regelung die alleinige Zuständigkeit der Länder zu bejahen ist. Die Richter gingen demnach davon aus, daß als auszuführendes Bundesgesetz i.S.v. Art. 84 Abs. 1 GG nur das jeweils auch dem Ausgangsverwaltungsakt zugrunde liegende materielle Sachgesetz in Betracht kommt. Da Art. 84 Abs. 1 GG den Bundesgesetzgeber nur insoweit zur Regelung des Verwaltungsverfahrens der Länder ermächtigt, als diese Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen, müßte nach dieser Ansicht die Anwendung der 47

Neuser, Diss. S. 116; Finkelnburg/Lässig Rdn. 41; Bullinger, A ö R Bd. 96, 263. 8 BVerwGE 22, 281 ff.

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als Verwaltungsverfahrensrecht qualifizierten Bestimmungen innerhalb der §§ 68ff. VwGO für diejenigen Widerspruchsverfahren ausscheiden, bei denen die angegriffene Ausgangsentscheidung auf materiellem Landesrecht beruht. Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen wären jedoch nicht tragbar. Die durch das Bundesverwaltungsgericht angesprochene damit verbundene Rechtsunsicherheit müßte den Rechtsanwender vor nahezu unlösbare Schwierigkeiten stellen. Gerade die Rechtsnatur der einzelnen Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung ist in Rechtsprechung und Literatur äußerst umstritten. 49 Die Schwierigkeiten bei dieser Einordnung beruhen zum Teil auch darauf, daß sich die am Gesetzgebungsverfahren zur Verwaltungsgerichtsordnung beteiligten Organe selbst nicht über die erforderliche Abgrenzung zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht einig waren. 50 Gegen die unterschiedliche Anwendung der §§ 68ff. VwGO, je nach dem, ob dem Verfahren materielles Bundes- oder Landesrecht zugrunde liegt, spricht auch eine zweite Erwägung. Die Verwaltungstätigkeit von Landesbehörden läßt sich häufig nicht in den Vollzug von materiellem Landesrecht und dem Vollzug von Bundesrecht aufteilen. So führen beispielsweise die Bauordnungsbehörden der Länder bei dem Erlaß einer Baugenehmigung zugleich das bundesrechtlich normierte Bauplanungsrecht und das landesgesetzlich geregelte Bauordnungsrecht aus. In diesem Fall wäre fraglich, ob für die Anwendbarkeit aller Regelungen im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung das auszuführende Bundesrecht im Vordergrund steht, oder ob dem ebenfalls ausgeführten Landesrecht der Vorrang gebührt, mit der Folge der Nichtanwendbarkeit der verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen innerhalb der §§ 68ff. VwGO. Vor dem gleichen Problem stand der Gesetzgeber bei der Normierung des Β undesverwaltungsVerfahrensgesetzes und hat ihm durch die Regelung in § 1 Abs. 3 BVwVfG Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift legt sich das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz für die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder zugunsten der Landesverwaltungsverfahrensgesetze selbst Subsidiarität auf, sodaß in den aufgezeigten Fällen die Landesverwaltungsverfahrensgesetze Anwendung finden. 51 Eine entsprechende Vorschrift über die Unanwendbarkeit verwaltungsverfahrensgesetzlicher Bestimmungen in den §§ 68ff. VwGO enthält die Verwaltungsgerichtsordnung allerdings nicht. 52 49 Vgl. nur P/R § 15 Rdn. 5; Trzaskalik, JZ 1985,234f.; v. Mutius, Diss, und Allesch, Diss, passim. 50 Vgl. die unterschiedlichen Stellungnahmen in der 47. Sitzung des BT-Rechtsausschusses vom 12. 5. 1959, stenograph. Protokolle, S. 3ff.; die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates, BT-Drs. III/55, S. 77; zum ganzen auch v. Mutius, Diss. S. 107ff. und Trzaskalik, Diss. S. 42. 51 Vgl. Meyer/Borgs VwVfG § 1 Rdn. 3. 52 Vgl. Allesch, Diss. S. 35.

II. Gesetzgebungskompetenz nach Art. 84 Abs. 1 GG

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Neben diesen Schwierigkeiten spricht gegen diese Ableitung auch der insoweit eindeutige und durch die Regelung in § 77 Abs. 2 VwGO positivrechtlich verankerte Wille des Gesetzgebers. Dieser beabsichtigte mit den §§ 68ff. VwGO das Widerspruchsverfahren erstmalig für sämtliche Verwaltungsverfahren bundeseinheitlich zu regeln und zwar unabhängig davon, ob diesen Verfahren materielles Bundesrecht oder Landesrecht zugrunde liegt. 53 Es ist daher festzustellen, daß eine Ableitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 84 Abs. 1 GG jedenfalls dann ausscheidet, wenn für die Bestimmung des auszuführenden Gesetzes i.S.d. Art. 84 Abs. 1 GG auf das jeweils anwendbare materielle Sachgesetz abzustellen ist. 54 b) Regelung des Verwaltungsverfahrens zur Ausführung der §§ 68 Abs. 1 S. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO Soweit in der Literatur heute eine Ableitung der Bundeskompetenz für die Regelung des im Widerspruchsverfahren geltenden Verwaltungsverfahrensrechtes vertreten wird, wird das oben aufgezeigte Ergebnis der uneinheitlichen Anwendbarkeit der §§ 68ff. VwGO durch einen Kunstgriff vermieden, der auf den ersten Blick durchaus einzuleuchten scheint. Die einheitliche Anwendbarkeit der §§ 68 ff. VwGO auf alle Widerspruchsverfahren wird dadurch sicher gestellt, daß als auszuführendes Gesetz nicht das dem Ausgangsverwaltungsakt zugrunde liegende materielle Sachgesetz, sondern die Anordnung des Widerspruchsverfahrens durch die §§68 bis 70 VwGO herangezogen wird. 5 5 Diese Ableitungstheorie geht auf die Untersuchung von v. Mutius 5 6 zurück, in der er zu dem Ergebnis gelangt, daß der achte Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung nur mit den §§68 bis 70 Abs. 1 VwGO ausschließliches Prozeßrecht, dagegen in den §§70 Abs. 2 bis 73 VwGO zumindest auch Verwaltungsverfahrensrecht enthält. 57 Der Bundesgesetzgeber sei zwar von der Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts der Länder nach den Art. 83ff. GG ausgeschlossen. Für das Wider53 BT-Drs. III/55 S. 38; vgl. auch die Stellungnahmen der Abg. Kuchtner und MinDir. Dr. Schäfer in der 47. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages S. 15 und 11; vgl. auch v. Mutius, Diss. S. 170 und S. 114. 54 Allesch, Diss. S. 34f.; ν. Mutius, Diss. S. 163; Hofmann, Festschrift f. Chr. Fr. Menger, S. 609 Fußn. 13; Wallerath, D Ö V 1970, 653 (654); Schütz, NJW 1981, 2785 (2787). 55 Hofmann, Festschrift für Chr. Fr. Menger, S. 605 (S. 609, Fußn. 13); Weides, S. 172; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit S. 153; Kelling, Diss. S. 36 bis 40. 56 ν. Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, Dissertation 1969. 57 v. Mutius, Diss. S. 98; Kelling, Diss. S. 36.

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spruchsverfahren könne jedoch etwas anderes gelten, da es sich von dem Ausgangsverwaltungsverfahren maßgeblich unterscheide. 58 Dieser Unterschied besteht allerdings auch nach der Ansicht von v. Mutius nicht darin, daß die im Widerspruchsverfahren getroffenen Entscheidungen anders als die ursprünglichen Verwaltungsakte nicht der Verwirklichung der jeweiligen den materiellen Verwaltungsrechtssätzen zugrunde liegenden materiellen Zwecke dienten. Die Geltung der §§68 bis 70 VwGO könne nichts daran ändern, daß es sich auch bei dem Widerspruchsverfahren um ein Verwaltungsverfahren zur Ausführung materiellen Verwaltungsrechts handelt. 59 Für die Ableitung der Bundeskompetenz zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen in den §§ 71 bis 73 VwGO erforderlich aber auch ausreichend sei die Erkenntnis, daß die im Widerspruchsverfahren tätigen Behörden „primär" die in den §§68 Abs. 1 S. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO enthaltene ProzeßVoraussetzung „ausführen." 6 0 Im Widerspruchsverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung werde die durch die Verwaltungsbehörde wahrgenommene Aufgabe, die aus den materiellen Rechtsnormen folgenden öffentlichen Interessen zu realisieren, von der durch die §§68 Abs. 1 S. 1 bis § 70 Abs. 1 VwGO ihr übertragenen Verpflichtung überlagert, die mit diesen Vorschriften angestrebten spezielleren Zwecke zu verwirklichen. 61 Dieser Ableitung der Bundeskompetenz aus Art. 84 Abs. 1 GG könnte zugestimmt werden, wenn als auszuführendes Gesetz i.S.v. Art. 84 Abs. 1 GG nicht nur eine bundeseinheitliche Regelung eines materiellen Sachbereiches, sondern auch die auf Art. 74 Nr. 1 GG gestützte Anordnung des Widerspruchsverfahrens durch die §§68 Abs. 1 S. 1 VwGO bis 70 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt. Bedenken hiergegen ergeben sich daraus, daß der Bundesgesetzgeber durch die Einführung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung keine neuen materiellen Aufgaben für die Verwaltung geschaffen hat. Die §§68 Abs. 1 S. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO enthalten vielmehr selbst nur verfahrensrechtliche Regelungen. Zu diesem Problem führt v. Mutius aus, daß den Art. 83ff. GG lediglich ein formeller Verwaltungsverfahrensbegriff zugrunde liegt. Die herrschende Meinung gebe jedenfalls nicht zu erkennen, daß der Begriff des Verwaltungsverfahrens auf die Ausführung materiellen Bundesrechts beschränkt sei. 62

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v. Mutius, Diss. S. 166. v. Mutius, S. 166. 60 Vgl. auch Hofmann, S. 609 Fußn. 13, gegen Allesch, Diss. S. 28. 61 v. Mutius, Diss. S. 167. 62 v. Mutius, Diss. S. 172; von der gleichen Annahme gehen offenbar auch die übrigen Vertreter dieser Ableitungsmöglichkeit aus, vgl. Hofmann, Festschrift für Chr. Fr. Menger S. 609 Fußn. 13. 59

II. Gesetzgebungskompetenz nach Art. 84 Abs. 1 GG

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Dem kann zunächst insoweit zugestimmt werden, als der Anwendungsbereich der Art. 83ff. GG auf die Verwaltungsverfahren in formellem Sinne beschränkt ist. 63 Der achte Abschnitt der Grundgesetzes regelt nicht die Verfahren der rechtsprechenden und der gesetzgebenden Gewalten, selbst wenn diese in verwaltungsverfahrensrechtlichen Handlungsformen tätig werden. 64 v. Mutius übersieht jedoch, daß der Anwendungsbereich der Art. 83ff. GG nicht abschließend durch den formellen Verwaltungsverfahrensbegriff festgelegt wird. Gemäß Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Für diesen Fall sind die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 GG auch zur Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens berechtigt, soweit nicht Bundesgesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, etwas anderes bestimmen. Der Bundesgesetzgeber kann aber nach Art. 84 Abs. 1 GG die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder nur insoweit regeln, als die Länder ein Bundesgesetz ausführen. Aus diesem zweiten Zentralbegriff der Art. 83ff. GG, der Ausführung, ergibt sich eine gegenüber dem formellen Verwaltungsverfahrensbegriff weitergehende Einschränkung des Regelungsbereiches der Art. 83ff. GG. 6 5 Ausführung im Sinne dieser Bestimmungen ist bereits nach bloßem Wortverständnis gleichbedeutend mit einer Vollzugstätigkeit. Der Gegenbegriff der so verstandenen Ausführung ist die bloße Normbeachtung. 66 Unproblematisch ergibt sich keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der landeseigenen Verwaltung allein daraus, daß die Verwaltungsbehörden der Länder bei ihrer Tätigkeit Bundesgesetze zu beachten haben. Anderenfalls könnte sich der Bundesgesetzgeber zur Regelung nahezu jedes Verwaltungsverfahrens der Länder, auch soweit in diesen Verfahren materielles Landesrecht vollzogen wird, auf eine Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 84 Abs. 1 GG berufen. Ein ausführungsfähiges Gesetz i.S.v. Art. 84 Abs. 1 GG muß daher selbst materielle Konturen enthalten, die die Verwaltung nur noch mit praktischem Leben erfüllen muß. 67 Der Begriff der Ausführung impliziert die Entfaltung von Aktivitäten, die letztlich zur Herstellung von in dem Gesetz vorgesehenen sozialen Zuständen im Sinne einer Verwirklichung der materiellen Zielvorgaben dieses Gesetzes dienen soll. 68 Entgegen der Ansicht von v. Mutius setzen 63 Bettermann, VVDStRL 17, 118. 64 Diese Beschränkung des Anwendungsbereiches der Art. 83ff. GG ergibt sich daraus, daß das Grundgesetz für das gerichtliche Verfahren und das Gesetzgebungsverfahren spezielle Kompetenznormen enthält, vgl. Lerche MDHS Art. 83 GG Rdn. 65 Fußn. 241; v. Mangoldt/ Klein Art. 83 GG Anm. I V . 7c; Bettermann, S. 118. 65 Vgl. Lerche, MDHS Art. 83 GG Rdn. 57ff. 66 Vgl. BVerfGE 8, 122 (131); 21, 312 (327); BVerwGE 29, 52 (58); Lerche Rdn. 57 f. 67 Lerche, MDHS Art. 83 GG Rdn. 57; Bettermann, VVDStRL 17, 157f. 68 Bull, A K - G G Art. 83 GG Rdn. 22; Lerche, Art. 83 Rdn. 57.

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1. Teil:

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die Art. 83, 84 GG somit doch ein materielles Bundesgesetz als auszuführendes Gesetz voraus. Der Bundesgesetzgeber kann nach Art. 84 Abs. 1 GG die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder nur für die Ausführung materieller Bundesgesetze regeln. 69 Legt man den Art. 83ff. GG einen materiellen Begriff des Bundesgesetzes zugrunde, dann scheiden die §§68 Abs. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO als auszuführende Gesetze im Sinne dieser Vorschriften aus. Durch die §§ 68ff. VwGO wird die Verwaltung verpflichtet, auf den Widerspruch eines Betroffenen ihre Entscheidung selbst noch einmal zu kontrollieren und erforderlichenfalls zu korrigieren, bevor sich das Verwaltungsgericht mit der Sache befassen muß. Mit dieser Regelung bezweckt die Verwaltungsgerichtsordnung eine Entlastung der Verwaltungsgerichte, ermöglicht häufig erst eine verwaltungsinterne Kontrolle und bringt dem Widerspruchsführer auch einen rechtlichen Vorteil, da im Widerspruchsverfahren nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO von den Verwaltungsbehörden auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung kontrolliert wird und ihm durch eine stattgebende Entscheidung der Verwaltung regelmäßig schneller sein „Recht" gewährt wird, als in einem Verwaltungsprozeß. 70 Mit der Anordnung der Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Bundesgesetzgeber jedoch keine vollzugsfähige materielle Aufgabe für die Verwaltungsbehörden geschaffen. Die Aufgabe der Behörden im Widerspruchsverfahren bleibt vielmehr wie im Ausgangsverfahren der recht- und zweckmäßige Vollzug des jeweils einschlägigen materiellen Sachgesetzes. Eine andere, etwa gerichtsähnliche Funktion wird von den Verwaltungsbehörden nach der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung nicht wahrgenommen. Die rechtsprechende Gewalt ist nach der grundgesetzlichen Ordnung in dem hier interessierenden Bereich allein den Verwaltungsgerichten zugewiesen.71 Diese materiellen Vollzugsaufgaben der Verwaltungsbehörden werden im Widerspruchsverfahren auch nicht durch die in den §§ 68ff. VwGO geregelten Kontrollpflichten überlagert. Die Behörden führen auch im Widerspruchsverfahren weder primär noch überhaupt Regelungen des gerichtlichen Verfahrens aus. Gegenüber den materiellrechtlichen Aufgabenvorgaben haben sowohl die verwaltungsverfahrensrechtlichen als auch die verwaltungsprozessualen Regelungen nur eine dienende Funktion. 72 Regelungen des Verwaltungsverfahrens bezwecken die Sicherung des sachgerechten Vollzuges materieller Bestim69 Scholler, D Ö V 1968, 757 (758); Bettermann, S. 117 (154ff., 157); Trzaskalik, Diss. S. 27; Lerche Rdn. 57.; Neuser, Diss. S. 265; vgl. aber Bull, A K - G G Art. 84 GG Rdn. 18, der zwar in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung davon ausgeht, daß Art. 84 Abs. 1 GG als auszuführendes Gesetz ein materielles Sachgesetz voraussetzt, trotzdem aber die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren auf Art. 84 Abs. 1 GG stützt: Das Widerspruchsverfahren sei ein Verwaltungsverfahren in Ausführung von Bundesgesetzen. 70 Zu diesen Funktionen des Widerspruchsverfahrens s. u. 2. Teil B. 71 Renck, JuS 1980, 28 (29); Trzaskalik, Diss. S. 27f. 72 Vgl. BVerfGE 53, 30 (65ff.); 56, 216 (236); E 65, 76 (94).

III. Implizierte Gesetzgebungskompetenz

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mungen durch die Verwaltungsbehörden. Prozessuale Vorschriften sichern die prozessuale Durchsetzbarkeit des materiellen Rechts, sowie die Funktionsfähigkeit und Effektivität der Tätigkeit der Gerichte. 73 Für die Ableitung einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das im Widerspruchsverfahren zu beachtende Verwaltungsverfahrensrecht ergibt sich damit, daß die Anordnung des Widerspruchsverfahrens in den §§68 Abs. 1 S. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO keine vollzugsfähige bundesgesetzliche Regelung darstellt. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren kann daher aus Art. 84 Abs. 1 GG auch nicht damit begründet werden, daß das Widerspruchsverfahren ein Verwaltungsverfahren zur Ausführung der §§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO bis 70 Abs. 1 VwGO sei. I I I . Implizierte Gesetzgebungskompetenz fur das Verwaltungsverfahren Mangels einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Zuweisung der Bundeskompetenz für das im Widerspruchsverfahren geltende Verwaltungsverfahrensrecht jedenfalls bei der Ausführung materiellen Landesrechtes stellt sich nun die Frage, ob sich eine solche Regelungsbefugnis als ungeschriebene oder besser stillschweigend mitgeschriebene - implizierte - Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründen läßt. Die Möglichkeit einer stillschweigenden Bundeskompetenz ist unter der Geltung des Grundgesetzes weitgehend anerkannt. 74 1. Anforderungen an das Vorliegen einer implizierten Gesetzgebungskompetenz nach der herrschenden Meinung

Nach der von der ganz herrschenden Auffassung verwendeten Terminologie kommen für die Begründung einer Regelungszuständigkeit des Bundes für das im Widerspruchsverfahren zu beachtende Verwaltungsverfahrensrecht in der Verwaltungsgerichtsordnung nur die Theoreme des Sachzusammenhanges oder Annexes des Widerspruchsverfahren zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Betracht. 75 73

Bettermann, V V D S t R L 17, 118f. ™ Vgl. nur BVerfGE 3, 407 (421); 8,143 (149); 12, 205 (237); 26, 281 (300); Maunz, MDHS Art. 70 GG Rdn. 45ff.; v. Mangoldt/ Klein, Art. 70 GG Anm. I I I . 4; v. Münch, Art. 70 GG Rdn. 17; Stern, StaatsR I, § 19 I I I ; Bullinger, AöR Bd. 96, 237ff. jew. m.w.N. 7 5 So z. b. Bachof, DVB1. 1958, 6ff. Fußn. 15; Kopp, VwGO § 1 Rdn. 10; Allesch, Diss. S. 30; Ule, VerwaltungsprozeßR § 23 I I ; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit S. 153 allerdings unter Rückgriff auf Art. 84 GG; Neuser, Diss. S. 272ff.; vgl. auch BVerwG, Buchholz 310 § 73 Nr. 7; weitere Nachweise bei v. Mutius, Diss. S. 163 Fußn. 168.

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a) Sachzusammenhang Verfahren zum verwaltungsgerichtlichen Für die Frage, ob sich der Bundesgesetzgeber für die verwaltungsverfahrensrechtliche Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung auf eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhanges zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren stützen kann, ist nach der wohl herrschenden Auffassung die vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten Baurechtsgutachten entwickelte 76 und seitdem immer wieder verwendete 77 Formel maßgebend. Eine Bundeszuständigkeit kraft Sachzusammenhanges ist nach dieser Ansicht nur anzuerkennen, wenn eine dem Bundesgesetzgeber nicht ausdrücklich zugewiesene Materie zu einer der Bundeskompetenz unterliegenden Materie in einem derart engen Zusammenhang steht, daß letztere nicht ohne die erste geregelt werden kann, wenn also „ein Übergreifen des Bundes in ihm nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie." 7 8 In seinem Bemühen, dem gesetzgeberischen Expansionsdrang des Bundes Schranken zu setzen, betont das Bundesverfassungsgericht vor allem das Erfordernis der Unerläßlichkeit einer Regelung für den Bund. 7 9 Wendet man diese Formel auf die vorliegende Frage an, so ist bereits zweifelhaft, ob sich aus dem gerichtlichen Verfahren i.S.v. Art. 74 Nr. 1 GG überhaupt ein Sachzusammenhang zum Verwaltungsverfahren begründen läßt. Das Grundgesetz unterscheidet in den Art. 83ff. GG einerseits und in den Art. 92. ff GG andererseits streng zwischen dem gerichtlichen Verfahren und dem Verfahren der Verwaltungsbehörden in deren Eigenschaft als Exekutivorgane. Das Verwaltungsverfahrensrecht ist nicht Bestandteil des Verwaltungsprozeßrechtes, sondern ergänzt nur das materielle Recht und bildet mit diesem zusammen das Verwaltungsrecht im weiteren Sinne. 80 Aber selbst wenn sich ein derartiger Sachzusammenhang zwischen dem gerichtlichen Verfahren und dem im Widerspruchsverfahren geltenden Verwaltungsverfahrensrecht begründen ließe 81 , muß die Kompetenzbegründung aus dem Sachzusammenhang zum gerichtlichen Verfahren jedenfalls daran 76

BVerfGE 3, 407 (421 ff.). BVerfGE 11, 192 (199); 22, 180 (217); 26, 246 (257); Bothe, A K - G G Art. 30 GG Rdn. 14; Maunz, MDHS Art. 70 GG Rdn. 45; Stern, StaatsR I, § 19 III. 3; kritisch, Bullinger, AöR Bd. 96, 237ff. 78 BVerfGE 3, 407 (421). 79 Vgl. nur BVerfGE 26, 246 (256); zu den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzungen bejaht hat, vgl. v. Münch, Art. 70 GG Rdn. 19. 80 Bettermann, W D S t R L 17, 119. 81 So etwa Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 153, der ähnlich wie von Mutius den Sachzusammenhang damit begründet, daß die Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren die Sachentscheidungsvoraussetzung der §§ 68ff. „durchführen"; vgl. dazu s. ο. I I 2 b. 77

III. Implizierte Gesetzgebungskompetenz

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scheitern, daß der Bundesgesetzgeber sich bei der Regelung des gerichtlichen Verfahrens nach Art. 74 Nr. 1 GG durchaus auf die Anordnung des Widerspruchsverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage hätte beschränken können, ohne dadurch die Zwecke des Widerspruchsverfahrens zu gefährden. 82 Die Regelung des gerichtlichen Verfahrens jedenfalls ist auch ohne einen Eingriff des Bundesgesetzgebers in das der Regelung der Länder vorbehaltene Verwaltungsverfahrensrecht durchaus möglich. Hiergegen läßt sich auch nicht einwenden, daß eine Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten für das Widerspruchsverfahren dem erklärten Willen des Bundesgesetzgebers, das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren für alle Verwaltungsverfahren einheitlich zu regeln, zuwiderlaufen könnte. 83 Der Wunsch, für eine bestimmte sachliche Materie eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen kann eine Bundeszuständigkeit kraft Sachzusammenhang nur begründen, wenn ohne die einheitliche Regelung die Verwirklichung der Ziele eines Bundesgesetzes nicht gewährleistet ist und daher eine Regelung durch die Länder nicht denkbar ist. 84 Ungeachtet der Tatsache, daß unter Zugrundelegung der herrschenden Auffassung die Voraussetzungen eines kompetenzbegründenden Sachzusammenhanges zwischen dem gerichtlichen Verfahren und dem im Widerspruchsverfahren anzuwendenden Verwaltungsverfahrensrecht nicht gegeben sind, wird in der Literatur - teilweise auch ohne nähere Begründung - die Regelungsbefugnis des Bundesgesetzgebers kraft Sachzusammenhanges bejaht. 85 Allesch 86 begründet die Bundeszuständigkeit, damit, daß die Vorschriften des achten Abschnittes der Verwaltungsgerichtsordnung, wenn sie verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur sein sollten, „jedenfalls in einem so engen Sachzusammenhang mit dem Gegenstand der nachfolgenden Klage ständen", daß man sie als einzig sinnvolle Regelung des Zuganges zu den Gerichten und infolgedessen als unerläßlich zur Regelung dieser Materie anzusehen habe. Dieser Argumentation ist zwar zuzugeben, daß die Bestimmung des Klagegegenstandes, wenn ein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat, in einem 82 Bettermann, V V D S t R L 17, 154ff.; v. Mutius, Diss. S. 160; Schütz, NJW 1981, 2785 (2787); vgl. hierzu den Aiternatiworschlag des Abg. Bauer in der 47. Sitzung des BT-Rechtsausschusses, stenogr. Prot. S. 14. 83 Vgl. MinR Schäfer, 47. Sitzung des BT-Rechtsausschusses, stenogr. Prot. S. lOf. ; v. Mutius, Diss. S. 155 Fußn. 122. 84 So schon BVerfGE 3, 407 (421); Maunz, MDHS, Art. 70 GG Rdn. 45; v. Münch, Art. 70 GG Rdn. 18; v. Mutius, Diss. S. 157; daß eine Vereinheitlichung praktisch auch durch eine Gesetzgebung der Länder erreicht werden kann, zeigen beispielhaft die weitgehend dem Bundesverwaltungsverfahrensgesetz angeglichenen landesverwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen. 85 Kopp, VwGO, § 1 Rdn. 8ff.; Ule, VerwaltungsprozeßR, § 23 I I . ; Hofmann, Festschrift f. Chr. Fr. Menger, S. 605 (609); Bachof, DVB1. 1958, 6ff. Fußn. 15. 86 Die Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, Diss. 1984 S. 30.

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untrennbaren Zusammenhang zu dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren steht. Für die Regelung des Klagegegenstandes in der Verwaltungsgerichtsordnung ist der Rückgriff auf eine Kompetenzbegründung kraft Sachzusammenhanges zutìi gerichtlichen Verfahren jedoch nicht erforderlich. Die insoweit einschlägige Bestimmung des § 79 VwGO regelt das gerichtliche Verfahren und ist daher bereits unmittelbar von Art. 74 Nr. 1 GG erfaßt. Die Befugnis des Bundes, den Klagegegenstand für das gerichtliche Verfahren zu bestimmen, führt aber nicht dazu daß der Bundesgesetzgeber auch den verwaltungsverfahrensrechtlichen Weg, der zum Erlaß des Widerspruchsbescheides und damit zu dem Klagegegenstand führt, regeln darf. Anderenfalls ließe sich eine Bundeskompetenz auch für weite Bereiche des Ausgangsverfahrens begründen, da schließlich jedes Verwaltungsverfahren in ein gerichtliches Verfahren einmünden kann. Eine umfassende Begründung der Bundeskompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens in den §§ 68ff. VwGO stammt von Neuser. 87 Neuser bezieht sich mit seiner Ableitung einer implizierten Gesetzgebungskompetenz ausdrücklich auf die herrschende Auffassung. Der Rückgriff auf die stillschweigend mitgeschriebenen Bundeszuständigkeiten sei für das Widerspruchsverfahren in den Fällen überhaupt nicht erforderlich, in denen sich an das erfolglos verlaufene Widerspruchsverfahren ein gerichtliches Verfahren anschließt. Insoweit ergebe sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bereits unmittelbar aus Art. 74 Nr. 1 G G . 8 8 In den Fällen des sogenannten isolierten Vorverfahrens ergebe sich das für die ungeschriebene Bundeskompetenz erforderliche sachliche Interesse des Bundes, das Vorverfahren in einer bestimmten Weise verfahrensmäßig auszugestalten, daraus, daß nur eine bundeseinheitliche Gestaltung des Widerspruchsverfahrens die Rechtsschutzfunktion dieses Verfahrens gewährleisten und nur damit die Rechtsschutzfunktion eines möglicherweise nachfolgenden Prozesses homogen daran angeschlossen werden könne. Die Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens seien auf eine gegenseitige Ergänzung angelegt. Der Bundesgesetzgeber sei daher nicht gehalten, sich auf die Anordnung des Widerspruchsverfahrens zu beschränken, sondern könne für dieses Verfahren auch die erforderlichen Rahmenbestimmungen normieren. 89 Neuser nimmt damit einen kompetenzbegründenden Sachzusammenhang zwischen dem gerichtlichen Verfahren nach Art. 74 Nr. 1 GG und dem im Widerspruchsverfahren durchzuführenden Verwaltungsverfahren gerade in den Fällen an, in denen dem Widerspruchsverfahren kein verwaltungsgerichtliches Verfahren nachfolgt. 87 88 89

Die Gesetzgebungskompetenzen für das Verwaltungsverfahren, Diss. 1974. Neuser, Diss. S. 264ff. Neuser, Diss. S. 272.

III. Implizierte Gesetzgebungskompetenz

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Sein Argument, der Bundesgesetzgeber sei bei der Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens nicht gehalten, sich an die durch die Länder vorgegebene Regelung des Verwaltungsverfahrens auszurichten, vermag indes nicht zu überzeugen. Die Kompetenz kraft Sachzusammenhang kann zur Begründung einer Bundeszuständigkeit nur herangezogen werden, soweit dieser Sachzusammenhang sich überhaupt bejahen läßt. Diese Beschränkung gilt aber nicht nur für die Ableitung einer ungeschriebenen Bundeskompetenz, sondern auch für die Bestimmung der Reichweite der Regelungszuständigkeiten, so daß nach Neuser bereits die Regelung derjenigen Vorschriften ausschließlich den Ländern vorbehalten sein müßte, die nicht die Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens betreffen. Im übrigen bleibt Neuser auch den Nachweis schuldig, daß die bundeseinheitliche Regelung des Widerspruchsverfahrens zur Gewährleistung der Rechtsschutzfunktion dieses Verwaltungsverfahrens erforderlich ist. Hierzu reicht jedenfalls nicht die Behauptung aus, daß nur die bundeseinheitliche Regelung des Widerspruchsverfahrens eine sinnvolle auch rechtsschutzorientierte Struktur des Widerspruchsverfahrens gewährleisten könne. Inwieweit in einem Verwaltungsverfahren dem Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers Rechnung getragen werden muß, kann nur der für das Verwaltungsverfahren jeweils zuständige Gesetzgeber entscheiden. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß sich an das Widerspruchsverfahren möglicherweise ein gerichtliches Rechtsschutzverfahren anschließt. Soweit die Funktionen des Widerspruchsverfahrens eine bestimmte Struktur dieses Verfahrens erfordern, läßt sich daraus nur ableiten, daß eine gesetzliche Regelung dieser Struktur erfolgen muß, nicht aber, wer für diese Regelung zuständig ist. 9 0 Zusammenfassend läßt sich somit folgendes feststellen: Auf der Grundlage der herrschenden Auffassung zu den Voraussetzungen einer stillschweigend mitgeschriebenen Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhanges läßt sich eine Bundeskompetenz für den Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen in den §§ 68ff. VwGO aus einem Sachzusammenhang des Widerspruchsverfahrens zum gerichtlichen Verfahren nicht begründen. b) Annexkompetenz In einer Entscheidung aus dem Jahr 1972 hat das Bundesverwaltungsgericht eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zur Regelung der förmlichen Zustellung eines Widerspruchsbescheides als Annexkompetenz zum gerichtlichen Verfahren angenommen. 91 Dieser Entscheidung, die sich zugleich als Absage an die Ableitung der Bundeskompetenz aus Art. 84 Abs. 1 GG oder aus dem 90

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v. Mutius, Diss. S. 159. BVerwG, Buchholz 310 § 73 Nr. 7.

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Gesichtspunkt des Sachzusammenhanges werten läßt, lag die Frage zugrunde, ob das Bundesverwaltungszustellungsgesetz auf die nach § 73 Abs. 3 VwGO vorgeschriebene Zustellung Anwendung finden kann. Das Gericht hat diese Frage bejaht. Ob dieser Regelungsgegenstand auch zum gerichtlichen Verfahren gehört, weil nur die ordnungsgemäße Zustellung die Klagefrist in Gang setzt, brauchte nach Ansicht des Gerichtes nicht entschieden zu werden. Die Befugnis des Bundesgesetzgebers zur Regelung auch der Art und Weise der Zustellung ergebe sich jedenfalls aus einer entsprechenden Annexkompetenz. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 92 und des Bundesverwaltungsgerichts 93 stellte das Gericht fest, daß sich die Annexkompetenz, anders als die stillschweigend mitgeschriebene Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhanges, nicht auf selbständige Gegenstände, sondern auf die Regelung der Durchführungsmodalitäten in Sachgebieten beziehe, für die eine ausdrückliche Zuständigkeit des Bundes besteht. 94 Sollte sich hinter dieser Formulierung die Auffassung des Gerichtes verbergen, daß die Zulässigkeitsanforderungen an eine Annexzuständigkeit niedriger anzusetzen sind, als bei der Kompetenz kraft Sachzusammenhanges, so kann dem auf Grundlage der herrschenden Auffassung nicht gefolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls eine derartige Handhabung der Annexkompetenz nicht zu erkennen gegeben. Nach herrschender Ansicht sind an die Zulässigkeit einer Annexkompetenz grundsätzlich die gleichen Anforderungen zu stellen, wie an die Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhang.95 Damit wäre die Berufung des Bundesgesetzgebers auf eine Annexzuständigkeit nur dann zulässig, wenn eine verwaltungsverfahrensmäßige Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens einen zwingend notwendigen Annex zum gerichtlichen Verfahren und zur Einführung des Widerspruchsverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage darstellte. Da sich der Bundesgesetzgeber ohne weiteres auf die Anordnung des Widerspruchsverfahrens hätte beschränken können, ohne die Zwecke des gerichtlichen Verfahrens oder des Widerspruchsverfahrens zu gefährden, liegen die Voraussetzungen für eine aus dem Annex begründete Regelungszuständigkeit zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften in den §§ 68 ff. VwGO auf Grundlage der herrschenden Auffassung 92 BVerfGE 8, 143 (149ff.). 93 BVerwGE 16, 304; 28, 310 (311). 94 Vgl. auch Maunz, MDHS Art. 70 GG Rdn. 49; BVerfGE 3,428ff. ; BVerfG, NJW 1959, 29f. 95 γ. Münch, Art. 70 GG Rdn. 20; Bothe, A K - G G Art. 70 GG Rdn. 19; Maunz, MDHS Art. 70 GG Rdn. 49; v. Mangoldt/Klein, Art. 70 GG Anm. I I I . 4f.; vgl. auch Bullinger, AöR Bd. 96, 260ff.; Achterberg, D Ö V 1966, 695 (697ff.); zu der Frage, ob sich hinter dem Theorem der Annexkompetenz überhaupt eine von der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhanges abgrenzbare Zuständigkeitsbegründung verbirgt, vgl. Maunz, Art. 70 Rdn. 49 einerseits und v. Mangoldt/Klein, Art. 70 Anm. I I I . 4f.; Bullinger, Die Mineralölfernleitung S. 68ff. andererseits.

III. Implizierte Gesetzgebungskompetenz

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nicht vor. Trotzdem kann der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Ergebnis zugestimmt werden. Soweit sich aus der Anwendung des Bundesverwaltungszustellungsgesetzes auf die Zustellung nach § 73 Abs. 3 VwGO lediglich Rechtsfolgen auf den Lauf der Klagefrist ergeben, kann sich der Bundesgesetzgeber bei dieser Anordnung auf seine Kompetenz aus Art. 74 Nr. 1 GG stützen. Gegen die Anwendbarkeit des B V w Z G bestehen daher auch dann keine Bedenken, wenn der Bundesgesetzgeber von der Regelung des Verwaltungsverfahrens in den §§ 68ff. VwGO ausgeschlossen ist. 9 6 2. Abweichende Ableitungsmodelle

Die enge Umschreibung der Grenzen der ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes durch das Bundesverfassungsgericht und der ihr folgenden herrschenden Meinung ist nicht unbestritten. Angesichts der Schwierigkeiten, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Unerläßlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung überhaupt jemals nachweisen zu können, werden im Schrifttum zum Teil abweichende Bestimmungsmöglichkeiten ungeschriebener Gesetzgebungskompetenzen vertreten, die ausgehend von der Unterscheidung zwischen Ableitung und Begrenzung der implizierten Gesetzgebungskompetenzen eine genauere Erfassung dieser Theoreme ermöglichen sollen. 97 Mit diesen Ansichten soll sich nach Auffassung von v. Mutius die Zuständigkeit des Bundes für die Regelung des im Widerspruchsverfahren geltenden Verwaltungsverfahrensrechtes doch als stillschweigend implizierte Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhanges begründen lassen.98 v. Mutius gibt allerdings zu, daß der erforderliche Sachzusammenhang zwischen dem gerichtlichen Verfahren und dem Verwaltungsverfahren nur „konstruierbar" ist, wenn man die §§ 68ff. VwGO, soweit diese verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur sind, dergestalt interpretiert, daß es im Widerspruchsverfahren jedenfalls „primär" um die Durchführung der in den §§68 Abs. 1 S. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO normierten Prozeßvoraussetzungen geht. Anderenfalls lasse sich der stärkere Konnex dieses Verwaltungsverfahrens zum gerichtlichen Verfahren nicht begründen. 99 So könnte sich entsprechend der Lehre Bullingers von den Randzuständigkeiten 1 0 0 eine Bundeszuständigkeit für das Verwaltungsverfahren im Widerspruchsverfahren nur dann ergeben, wenn für diese Materie eine Gesetzge96

Vgl. Trzaskalik, Diss. S. 75 und unten 3. Teil A I I 2f. Achterberg, AöR Bd. 86,63 (90); ders. D Ö V 1966, 695ff.; Bullinger, Die Mineralölfernleitung S. 66f.; ders. AöR Bd. 96, 237 (246ff.); Küchenhoff, A ö R Bd. 82, 413ff.; vgl. auch v. Mangoldt/Klein, Art. 70 GG Anm. III. 4. 98 So v. Mutius, Diss. S. 164f.; ähnlich Schütz, NJW 1981, 2785 (2787). 99 v. Mutius, S. 165. 100 Bullinger, Die Mineralölfernleitung S. 66ff.; ders. A ö R Bd. 96, 246ff.; vgl. dazu v. Mangoldt/Klein, Art. 70 GG Anm. I I I . 4i). 97

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bungskompetenz sowohl für den Bundesgesetzgeber als auch für die Länder besteht, wenn nämlich bei einer extensiven Auslegung der Bundeskompetenz für das gerichtliche Verfahren nach Art. 74 Nr. 1 GG sich zugleich eine Zuständigkeit des Bundes für das Verwaltungsverfahren ergibt. Denn nur soweit eine vom Grundgesetz nicht benannte Materie noch in den Randbereich einer ausdrücklich dem Bund zugewiesenen Gesetzgebungsmaterie eingeordnet werden kann, soll sich nach der Lehre von Bullinger durch einen „stärkeren" Sachzusammenhang die Zuständigkeit des Bundes als durch den Verfassungsgeber mitgeschriebene Regelungsbefugnis begründen lassen. Entsprechendes gilt für die Lehre von Achterberg, der die Schranken der ungeschriebenen Bundeskompetenz durch eine Bedürfnisprüfung analog Art. 72 Abs. 2 GG ziehen will. 1 0 1 Bei einer Unterscheidung zwischen Ableitung und Begrenzung der stillschweigenden Bundeszuständigkeiten hat diese entsprechende Anwendung des Art. 72 Abs. 2 GG ihren Standort bei der Frage der Zulässigkeitsschranken. Bei der Ableitung ist hingegen - und insofern unterscheidet sich Achterberg nicht von der herrschenden Auffassung - ausschließlich von der Auslegung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung auszugehen.102 Die Ableitung einer Bundeszuständigkeit setzt somit auch nach dieser Ansicht voraus, daß sich bei einer Auslegung des Kompetenztitels für das gerichtliche Verfahren eine Zuständigkeit des Bundes auch für das im Widerspruchsverfahren durchzuführende Verwaltungsverfahren ergibt, mithin, daß der Bundesgesetzgeber aufgrund seiner Befugnis zur Regelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auch die Rechte und Pflichten der Verwaltungsbehörden bei der Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses bestimmen kann. Berücksichtigt man, daß der Verfassungsgesetzgeber in den Art. 70ff. GG und 83ff. GG streng zwischen der Regelungsbefugnis für eine bestimmte sachliche Materie und der Befugnis für deren verwaltungsverfahrensmäßiger Ausgestaltung unterschieden hat und daß Regelungen des gerichtlichen Verfahrens nicht von Verwaltungsbehörden i.S.v. Art. 83ff. GG ausgeführt 103 werden, dann kann das Vorliegen dieser Ableitungsvoraussetzung nur verneint werden. Auch soweit sich v. Mutius zur Begründung der Ableitung der Bundeskompetenz zur verwaltungsverfahrensmäßigen Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens auf eine konkret vorliegende Evidenz des Vorranges des Bundesinteresses vor den Gliedstaatinteressen nach v. Mangoldt/ Klein und Küchenhoff beruft 104 , kann dem nicht gefolgt werden, v. Mangoldt/ Klein weisen selbst darauf hin, daß die Annahme einer generellen Höherwertigkeit des Bundesinteresses oder der Bundesinteressen „ sowohl die Annahme einer weiloi Achterberg, A ö R Bd. 86, 91; ders. D Ö V 1966, 695 (701). i° 2 Achterberg, S.91. io3 s. ο. I I 2 b. ι 0 4 v. Mutius, Diss. S. 165.

III. Implizierte Gesetzgebungskompetenz

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teren Gruppe stillschweigender Zuständigkeiten entbehrlich und damit unsinnig machen würde, als auch die Länder auf diejenigen Zuständigkeiten beschränken müßte, an deren Innehabung der Bund überhaupt kein Interesse hat". 1 0 5 Ein stillschweigend evident mitgeschriebenes Bundesinteresse kann daher definitionsgemäß nur vorliegen, wenn ein konkretes Interesse des Bundes an der Gesetzgebung evident höherwertig ist, als das Interesse der Länder an der Wahrung ihrer generellen Zuständigkeiten. Evident höherwertig ist auch nach Auffassung von v. Mangoldt und Klein 1 0 6 das Bundesinteresse nur in den Fällen, in denen es sich aus dem Bedürfnis des Bundes nach Eigenstaatlichkeit ergibt. Diese Voraussetzungen entsprechen nahezu den Anforderungen, die die herrschende Meinung an eine Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache stellt. 107 Sie lassen sich für die Regelung der Bundessymbole, die Bestimmung der Bundeshauptstadt und ähnlich gelagerte Fälle, evident nicht aber für die Regelung des im Widerspruchsverfahren geltenden Verwaltungsverfahrensrechtes bejahen. Einen anderen Weg zur Begründung einer implizierten Bundeskompetenz kraft evident höherwertigen Bundesinteresses vertritt schließlich Küchenhoff 1 0 8 . Eine Bundeskompetenz kraft stillschweigend-evident mitgeschriebenen Bundesinteresses sei in den Fällen anzunehmen, in denen sich bei der Auslegung des Grundgesetzes für eine bestimmte Sachmaterie ein im Hinblick auf die verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen konkret höherwertiges Bundesinteresse an der Inanspruchnahme einer bestimmten Kompetenz ergebe. 109 Eine solche verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung für die Inanspruchnahme einer Bundeskompetenz für das im Widerspruchsverfahren geltende Verwaltungsverfahrensrecht läßt sich jedoch angesichts der verfassungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Verwaltungsverfahrensrecht in den Art. 83ff. GG und der Regelung des gerichtlichen Verfahrens als Bestandteil der dem Bundesgesetzgeber nach Art. 74, 72 GG zugewiesenen Materie nicht begründen. Vielmehr läßt sich aus dieser Unterscheidung die umgekehrte Grundsatzentscheidung der Verfassung zugunsten der ausschließlichen Regelungsbefugnis der Länder für das Verwaltungsverfahren im Anwendungsbereich materiellen Landesrechtes entnehmen. Es ist damit festzustellen, daß sich auch diejenigen Stimmen, die sich gegen die vom Bundesverfassungsgericht und der ihm folgenden herrschenden Meinung verwendeten Formel zur Begründung stillschweigend im Grundgesetz mitgeschriebener Bundeszuständigkeiten wenden, nicht zu einer derartigen 105

v. Mangoldt/Klein, Art. 70 GG Anm. I I 4b). v. Mangoldt/Klein, Art. 70 GG Anm. I I 4b). 107 Vgl. BVerfGE 11, 89 (99); 26, 246 (257); v. Münch, Art. 70 GG Rdn. 21 m.w.N. los AöR Bd. 82, 413 (451 ff.). κ» Küchenhoff, S. 478. 106

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1. Teil: Β. Reichweite der Regelungskompetenz des Bundes

Kompetenz des Bundes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens der im Widerspruchsverfahren zuständigen Behörden eignen.

I V . Feststellung der möglichen Ableitung Der Bundesgesetzgeber ist zur Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung ausschließlich auf Grund seines Kompetenztitels zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens nach Art. 74 Nr. 1 GG befugt. Eine Regelungszuständigkeit auch für verwaltungsverfahrensrechtliche Fragen läßt sich weder aus Art. 84 Abs. 1 GG noch aus dem Gesichtspunkt einer stillschweigend im Grundgesetz enthaltenen Kompetenzuweisungen ableiten.

B. Reichweite der Bundeskompetenz nach Art. 74 Nr. 1 G G Die hier vertretene Auffassung, daß der Bundesgesetzgeber sich zur Regelung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung 110 ausschließlich auf den Kompetenztitel für das gerichtliche Verfahren nach Art. 74 Nr. 1 GG stützen kann, steht in Übereinstimmung mit der wohl überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur. 1 1 1 Keine Einigkeit besteht jedoch auch innerhalb dieser Meinung über die Reichweite der auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes. So beschränkt sich das Bundesverwaltungsgericht auf den Hinweis, der Bundesgesetzgeber habe das im Widerspruchsverfahren durchzuführende Verwaltungsverfahren wegen seiner auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens beschränkten Gesetzgebungskompetenz nicht in vollem Umfang normieren können. 112 Menger und Erichsen vertreten die Auffassung, der Bundesgesetzgeber habe das Widerspruchsverfahren nur insoweit regeln können, als er es zugleich zur Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemacht habe. 113 Auch Theuersbacher 114 , Pietzner 115 und Greifeid 116 gehen 110 Soweit der Bundesgesetzgeber mit den §§ 50, 79, 80 VwVfG Vorschriften über das Widerspruchsverfahren erlassen hat, deren Anwendungsbereich auf die Tätigkeit von Bundesbehörden beschränkt ist, lassen sich diese verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen unproblematisch auf die Art. 83ff. GG stützen. ^ BVerfGE 35, 65ff.; BVerwGE 51, 310 (313); Buchholz, 310 § 77 Nr. 1; E 61, 360; Buchholz, 310 § 68 Nr. 20; BayVGH, BayVBl. 1978, 16f.; Menger/Erichsen, VerwA Bd. 56 (1965), 278 (290); dies. VerwA Bd. 57 (1966), 270 (282); Bull, DVB1. 1970, 243 (245); Wallerath, D Ö V 1970, 653 (655); Renck, D Ö V 1973, 243ff.; ders. D Ö V 1979, 558ff.; ders. JuS 1980, 28ff.; Renck-Laufke, BayVBl. 1978, 247f.; Pietzner, D Ö V 1979, 779ff.; Greifeid, N V w Z 1983, 725ff.; Trzaskalik, Diss. S. 44ff.; ders. JZ 1985, 234f.; P/R § 15 Rdn. 5. H2 BVerwGE 51, 310 (313); Buchholz, 310 § 68 Nr. 20.

I. Ausschluß von Regelungen des Verwaltungsverfahrens

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offensichtlich davon aus, daß der Bundesgesetzgeber in die §§ 68ff. VwGO jedenfalls einige Regelungen des Verwaltungsverfahrens aufnehmen konnte. 1 1 7 Die Auffassung, daß der Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Nr. 1 GG von einer Regelung des Verwaltungsverfahrens vollständig ausgeschlossen ist, wird soweit ersichtlich dagegen nur von Trzaskalik 118 und Renck 1 1 9 vertreten. I. Negative Kompetenzabgrenzung: keine Regelungen des Verwaltungsverfahrens Die Zuständigkeitsaufteilung zur Normierung des Verwaltungsverfahrens ergibt sich nicht unmittelbar aus den Art. 73ff. GG, sondern beurteilt sich vornehmlich nach den Art. 83ff. GG. Nach diesen Bestimmungen ist der Bundesgesetzgeber jedenfalls für diejenigen Verwaltungsverfahren von der Gesetzgebung ausgeschlossen, die die Ausführung materiellen Verwaltungsrechtes zum Gegenstand haben. Berechtigt Art. 74 Nr. 1 GG den Bundesgesetzgeber nicht zur Regelung des Verwaltungsverfahrens, so kann er sich auf diesen Kompetenztitel zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen auch nicht dadurch stützen, daß er diesen Teil des Verwaltungsverfahrens zur Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage machte. Die verfassungsrechtliche Kompetenzaufteilung steht eben nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers. Der Umfang der Bundeskompetenz für das Widerspruchsverfahren läßt sich somit zunächst negativ bestimmen: Der Bundesgesetzgeber kann das im Widerspruchsverfahren anwendbare Verwaltungsverfahrensrecht nicht bundeseinheitlich in der Verwaltungsgerichtsordnung normieren. Er kann den im Widerspruchsverfahren tätigen Verwaltungsinstanzen keine Rechte und Pflichten bei der Konkretisierung materiellen Verwaltungsrechtes einräumen. Die Regelungen im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung können daher zulässigerweise keine Vorschriften enthalten, deren Beachtung oder Nichtbeachtung Auswirkungen auf die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung haben. Die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der im Widerspruchsverfahren ergehenden verwaltungsbehördlichen Entscheidungen richtet sich damit ausschließlich

113 M/E VerwA Bd. 56 (1965), 290; ähnlich Wallerath, D Ö V 1970, 653 (654), Bull, DVB1. 1970, 243 (245); anders jetzt Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 153. H 4 Theuersbacher, BayVBl. 1978, 18f. 115 P/R § 15 Rdn. 5 und passim. 116 Greifeid N V w Z 1983, 725ff. 117 Vgl. auch BayVGH, BayVBl. 1978, 16f. us Trzaskalik, Diss. S. 44f. 119 Renck, D Ö V 1979, 558ff. und JuS 1980, 28 (30).

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1. Teil: Β. Reichweite der Regelungskompetenz des Bundes

nach dem materiellen Recht, einschließlich dem jeweils anwendbaren Bundesoder Landesverwaltungsverf ahrensrecht. I I . Positive Kompetenzbestimmung: Regelungen des gerichtlichen Verfahrens Der Bundesgesetzgeber kann sich auf Art. 74 Nr. 1 GG zur Regelung des gerichtlichen und damit auch des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stützen. Diese Regelungsbefugnis umfaßt, wie bereits erwähnt 120 auch die Kompetenz zum Normierung von Sachurteilsvoraussetzungen für die verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß die §§68 Abs. I S . 1 bis 70 Abs. 1 VwGO, soweit sie sich auf die Regelung von Prozeßvoraussetzungen für besondere Klagearten im Rahmen öffentlichrechtlicher Streitigkeiten i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO beschränken, von dem Begriff „gerichtliches Verfahren „ in Art. 74 Nr. 1 GG direkt erfaßt werden, dem Bundesgesetzgeber also insoweit unproblematisch die Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 74 Nr. 1 GG zusteht. 121 1. Das Prozeßrechtsverhältnis

Sollte sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren auf die Normierung von Sachurteilsvoraussetzungen beschränken, so ließe sich die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit jedenfalls einiger Vorschriften der §§ 7 1 - 7 3 VwGO wohl nicht bejahen. 122 . Die Schwierigkeit, die die meisten bisher unternommenen Untersuchungen einer kompetenzrechtlichen Betrachtungsweise mit sich gebracht haben, besteht darin, daß deren Autoren bei der Gegenüberstellung prozessualer Sachurteilsvoraussetzungen zu den Regelungen des Verwaltungsverfahrens stehengeblieben sind. Regelungen des gerichtlichen Verfahrens sind aber nicht auf die Normierung von Prozeßvoraussetzungen beschränkt. Trzaskalik verweist als Vertreter der konsequenten prozessualen Betrachtungsweise auf die anerkannt prozessualen Institute des strafprozessualen Vorverfahrens bzw. des zivilprozessualen Mahnverfahrens, die - eindeutig keine unmittelbare Regelungen des Verfahrens vor den Gerichten - durch prozessuale Vorschriften ausgestaltet werden, und dadurch ein Prozeßrechtsverhältnis begründen. 123 Die Tatsache, daß die herrschenden Auffassungen diesem Hinweis nicht zu folgen vermögen, begründet sich möglicherweise daraus, daß das strafprozessuale Ermittlungsverfahren und die zivilprozessualen Hilfsverfahren im weitesten Sinne noch als s. o. I. 121 BVerfGE 35, 65 (72); v. Mutius, Diss. S. 154f. und die Nachweise, s. ο. I. 122 Ule, DVB1. 1978, 656. 123 Trzaskalik, Diss. S. 31 ff.

120

II. Regelungen des gerichtlichen Verfahrens

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dem eigentlichen gerichtlichen Verfahren funktionell zugehörig eingestuft werden können, während das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren nach den §§ 68 ff. VwGO ein reines Verwaltungsverfahren in formellem und materiellem Sinne ist. 1 2 4 Eingängig ist dagegen der Hinweis Trzaskaliks, daß die Qualifizierung einer Norm als prozessuale Vorschrift nicht denknotwendig voraussetzt, daß sie ein Verfahren regelt, an dem bereits das Gericht als Entscheidungsträger unmittelbar beteiligt ist. Prozessuale Vorschriften können für die Adressaten auch vorprozessuale Obliegenheiten begründen, wenn sich ihre Rechtswirkungen nur auf den möglicherweise nachfolgenden Prozeß beschränken. 125 Auch diese Vorschriften sind, da sie sich in ihren Rechtswirkungen ausschließlich auf den nachfolgenden Prozeß beschränken, von der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Nr. 1 GG gedeckt. Maßgebend für die Einordnung einer Vorschrift als prozessuale oder verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmung ist damit nicht, ob sie sich an das Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder den Bürger wendet. Entscheidend ist auch nicht, ob die Vorschrift bereits während eines Verwaltungsverfahrens oder erst im Rahmen eines anhängigen Prozesses beachtet werden muß. Die Qualifizierung einer Norm kann vielmehr erst durch die Bestimmung ihrer Funktion erfolgen. Bezweckt die Vorschrift die Regelung des Verwaltungsrechtsverhältnisses, ist ihre Beachtung oder Nichtbeachtung also maßgebend für die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung, so handelt es sich um eine Regelung des Verwaltungsverfahrens. Löst dagegen das normgemäße wie das normwidrige Verhalten des Normadressaten prozessuale Rechtswirkungen in dem Sinne aus, daß es allein die Rechtsstellung der Beteiligten für den Fall eines nachfolgenden Prozesses präjudiziert, so handelt es sich um eine Prozeßrechtsnorm. 126 Abgrenzungskriterium ist damit nicht der durch die Norm angesprochene Adressatenkreis oder der grammatikalische Gehalt einer Vorschrift, sondern ihre Funktion, die, wenn sie den Bürger oder die Verwaltung in ihrer Eigenschaft als Beteiligte des Verwaltungsrechtsverhältnisses betrifft, verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur ist. Richtet sie sich an den Bürger in seiner Eigenschaft als potentieller Kläger oder die Verwaltung als spätere Beklagte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ist sie verwaltungsprozessualer Natur. 2. Doppelnaturlehren

Für die Einordnung des Widerspruchsverfahrens und der §§ 68 ff. VwGO zwischen dem Verwaltungsverfahren und dem Verwaltungsprozeß ergibt sich 124

Bezeichnenderweise ordnet Trzaskalik selbst das Widerspruchsverfahren dem gerichtlichen Verfahren zu. 125 Trzaskalik, Diss. S. 31f.; Renck, JuS 1980, 28 (30). 126 Trzaskalik, Diss. S. 33.

1. Teil: Β. Reichweite der Regelungskompetenz des Bundes

44

damit folgendes Ergebnis. Das Widerspruchsverfahren ist kein Verfahren mit Doppelnatur. Auch durch die Verknüpfung in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ändert sich nichts daran, daß das Widerspruchsverfahren ein reines Verwaltungsverfahren in formellem und materiellem Sinne ist. Ebenfalls keine Doppelnatur haben die Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren. 127 Der Bundesgesetzgeber konnte in der Verwaltungsgerichtsordnung wirksam nur das Prozeßrechtsverhältnis normieren. Regelungen des Prozeßrechtsverhältnisses sind zum einen diejenigen Vorschriften, die unmittelbar die Zulässigkeit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage betreffen. Prozessuale Vorschriften sind daneben aber auch diejenigen Bestimmungen, die den Parteien vorprozessuale Obliegenheiten auferlegen, deren Beachtung oder Nichtbeachtung sich ausschließlich auf das Prozeßrechtsverhältnis auswirken. Doppelnatur kommt damit allein den Handlungen des Widerspruchsführers und der nach den §§ 72, 73 VwGO zuständigen Verwaltungsinstanzen im Widerspruchsverfahren zu. Erläßt die Ausgangsbehörde nach § 72 VwGO oder die Widerspruchsbehörde nach § 73 VwGO einen sachlichen Bescheid, dann konkretisiert sie das Verwaltungsrechtsverhältnis durch den Erlaß eines Verwaltungsaktes i.S.v. § 35 V w V f G 1 2 8 und erfüllt zugleich die prozessuale Verpflichtung, auf den Widerspruch des Betroffenen erneut über den angefochtenen Verwaltungsakt zu entscheiden. Im Widerspruch des betroffenen Bürgers liegt neben der Erfüllung der vorprozessualen Obliegenheit aus §§68 Abs. 1 S. 1, 69 VwGO, der Verwaltung die Klage vor deren Erhebung anzudrohen, der materiellrechtliche Antrag an die Behörde zu einer Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme des angefochtenen, bzw. den Erlaß des beantragten Verwaltungsaktes. Derartige Handlungen mit Doppelnatur sind auch anderen Prozeßordnungen nicht fremd. Erklärt in einem Zivilprozeß der Beklagte dem Kläger die Aufrechuftg mit einer Gegenforderung, so erfüllt er nach herrschender Meinung damit einen Doppeltatbestand. 129 Materiellrechtlich bedeutet die Aufrechnung, auch wenn sie im Prozeß erklärt wird, eine rechtsvernichtende Einwendung, die die zur Aufrechnung gebrachte Forderung und den geltend gemachten Gegenanspruch zum Erlöschen bringt. Die materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen und die Rechtsfolgen dieses Rechtsgeschäftes beurteilen sich nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches.130 Prozessual 127

A . A . R/Ö § 68 Rdn. 1. Vgl. nur Stelkens, SBL § 35 VwVfG Rdn. 138. 129 Rosenberg/Schwab § 106; Jauernigg, § 45 I; Baumbach, ZPO § 145 Anm. 4) C.: die Aufrechnung ist ein privatrechtliches Rechtsgeschäft; ihre Geltendmachung im Prozeß ist eine Prozeßhandlung. 130 Insbesondere §§ 387ff. BGB. 128

II. Regelungen des gerichtlichen Verfahrens

45

hingegen beinhaltet die Aufrechnung eine prozessuale Einrede, deren Wirksamkeitsvoraussetzungen sich insoweit ausschließlich nach Prozeßrecht 131 richten und die als prozessuales Verteidigungsmittel vom Gericht auch gemäß §§ 296, 528 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden kann.

C. Erstes Teilergebnis Zu dem Umfang der Bundeskompetenz für die Regelung des Widerspruchsverfahrens und zu der rechtlichen Einordnung der §§ 68 ff. VwGO zwischen Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht: 1. Der Bundesgesetzgeber war zu einer bundeseinheitlichen Regelung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung allein auf Grundlage seiner Gesetzgebungskompetenz für das gerichtliche Verfahren gemäß Art. 74 Nr. 1 GG befugt. 2. Diese Kompetenznorm ermächtigt den Bundesgesetzgeber nicht zum Erlaß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen. Wirksam regeln konnte der Bund in der Verwaltungsgerichtsordnung mithin auch keine Vorschriften mit Doppelnatur. Die §§ 68ff. VwGO begegnen daher nur dann keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sie als rein prozessuale Vorschriften ausgelegt werden. 3. Eine prozessuale Funktion haben nicht nur diejenigen Bestimmungen eines Prozeßgesetzes, die unmittelbar die Zulässigkeit einer nachfolgenden Klage bedingen, sondern alle diejenigen Vorschriften, die dem Adressaten prozessuale Obliegenheiten auferlegen, deren Beachtung oder Nichtbeachtung sich nicht im Verwaltungsrechtsverhältnis, sondern im Prozeßrechtsverhältnis auswirkt. 4. Eine Doppelnatur kommt weder dem Widerspruchsverfahren noch den §§ 68ff. VwGO zu. Doppelnatur haben aber die Handlungen der Behörde und des Widerspruchsführers bei der Einleitung und Durchführung des Widerspruchsverfahrens. Mit den in diesem Verfahren ergehenden sachlichen Bescheiden konkretisiert die Verwaltung das Verwaltungsrechtsverhältnis, kommt aber zugleich einem prozessualen Gebot nach. In der Erhebung des Widerspruches durch den Bürger liegt neben der Befolgung einer prozessualen Obliegenheit auch der materiellrechtlich zu beurteilende Antrag des Bürgers an die Verwaltung auf Korrektur des Verwaltungsrechtsverhältnisses .

131

z.B. Prozeß- und Postulationsfähigkeit.

2. Teil

Folgerungen aus der bestehenden Kompetenzlage für die Gesamtbetrachtung des Widerspruchsverfahrens nach den §§ 68ff. VwGO Aus der Erkenntnis, daß der Bundesgesetzgeber zur Regelung des Widerspruchsverfahrens nur unter dem Gesichtspunkt des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zuständig ist, müssen sich Folgerungen nicht erst für die Einzelauslegung der §§ 68ff. VwGO, sondern bereits für die systematische und teleologische Gesamtbetrachtung des Widerspruchsverfahrens ergeben. Bei der systematischen Einordnung des durch den Bundesgesetzgeber in einem Prozeßgesetz angeordneten Widerspruchsverfahrens stellt sich einmal die Frage nach dem Anwendungsverhältnis der §§ 68 ff. VwGO zu den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechtes und zum anderen die Frage nach der Bedeutung, die dem von der herrschenden Meinung angenommenen kodifikatorischen Charakter der Verwaltungsgerichtsordnung für das Widerspruchsverfahren zukommt. 1 In engem Zusammenhang dazu steht die Untersuchung, ob, und wenn ja, in welchem Umfang sich aus einer prozessualen Rechtsnatur der §§ 68 ff. VwGO Rückschlüsse auf die Verknüpfung des Widerspruchsverfahrens mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ziehen lassen.2 Im Rahmen der teleologischen Untersuchung wird zu prüfen sein, ob nach der prozessualen Betrachtungsweise bei der Auslegung der §§ 68 ff. VwGO einer der drei dem Widerspruchsverfahren zugewiesenen Funktionen 3 der Vorrang eingeräumt werden muß. 4

1 2 3 4

Siehe dazu unten Abschnitt A . Dazu Abschnitt C. s. o. Einleitung. Dazu Abschnitt Β.

I. Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht

47

Α . Das Anwendungsverhältnis der §§ 68ff. V w G O zu den Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze I. Ausschluß verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen in den §§ 68ff. VwGO Die Bestimmung der Befugnisse, mit denen die Behörden in einem Verwaltungsverfahren ausgestattet sind, obliegt dem jeweils nach den Art. 83ff. GG für die Regelung des VerwaltungsVerfahrens zuständigen Gesetzgeber. Ausdruck dieser Regelungsbefugnisse ist die nunmehr weitgehend vereinheitlichte Normierung des Verwaltungsverfahrensrechtes des Bundes und der Länder. Da die Vorschriften der §§ 68ff. VwGO Geltung auch für diejenigen Widerspruchsverfahren beanspruchen, denen materiell Landesrecht zugrunde liegt und damit auch dort, wo der Bundesgesetzgeber von der Regelung des Verwaltungsverfahrens ausgeschlossen ist, können diese Bestimmungen zulässigerweise keine Regelungen des Verwaltungsverfahrens enthalten. Als prozessuale Bestimmungen können die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung die verwaltungsverfahrensrechtlichen Handlungsbefugnisse der im Widerspruchsverfahren zuständigen Behörden weder erweitern noch einschränken. 1 Daraus folgt, daß sich die Entscheidungsbefugnisse der im Widerspruchsverfahren zuständigen Behörden bei der Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses allein aus den Regelungen des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsverfahrensrechts ergeben können. Nur soweit dieses Recht Sonderbestimmungen für das Widerspruchsverfahren enthält 2 , weichen die allgemeinen Befugnisse der Verwaltung von denen im Widerspruchsverfahren ab. Eine zulässige Ausnahme von der verwaltungsverfahrensrechtlichen Neutralität der Verwaltungsgerichtsordnung kann allenfalls für die Regelung in § 59 VwGO angenommen werden. Der Bundesgesetzgeber sah in der durch diese Bestimmung angeordneten Belehrungspflicht eine Regelung des Verwaltungsverfahrens, weshalb er sie ausdrücklich auf die von Bundesbehörden erlassenen Verwaltungsakte beschränkte. 3

1 Wie hier: Trzaskalik, Diss. S 35ff.; ders. JZ 1985, 234; Renck, JuS 1980, 28ff.; vgl. auch Renck-Laufke, BayVBl. 1978, 247f. 2 Vgl. §§ 50, 79, 80 VwVfG. 3 BT-Drs. III/55, S. 36; kritisch, E/F § 59 Rdn. 1; die prozessualen Folgen einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung im Hinblick auf den Ablauf der Widerspruchsfrist und der Klagefrist regelt für alle Verfahren im Anwendungsbereich der Verwaltungsgerichtsordnung einheitlich bereits die Vorschrift des § 58 VwGO, die über § 70 Abs. 2 VwGO auch auf die Fristbestimmung in § 70 Abs. 1 VwGO Anwendung findet.

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2. Teil: Α. Rechtsnatur der §§ 68 ff. VwGO

I I . Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze im Widerspruchsverfahren Gemäß § 79 a. E. VwVfG, der insbesondere für das Verfahren nach den §§ 68ff. VwGO Geltung beansprucht 4, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes „im übrigen" auch für das Widerspruchsverfahren. In den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder finden sich entsprechende Vorschriften. Damit enthalten die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder jeweils eine Bestimmung, aus der sich möglicherweise die Antwort auf die Frage nach dem Anwendungsverhältnis der VwGO zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen ergibt. 1. Anwendungsverhältnis nach der herrschenden Auffassung

Die herrschende Meinung legt § 79 VwVfG dahingehend aus, daß die Verwaltungsverfahrensgesetze im Widerspruchsverfahren nur dann Anwendung finden, wenn die Verwaltungsgerichtsordnung und die zu ihrer Ausführung ergangenen Gesetze keine entsprechende Regelung enthalten. Dagegen soll eine ergänzende 5 oder subsidiäre 6 Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze dann ausscheiden, wenn die Verwaltungsgerichtsordnung oder die A G V w G O der Länder gleichlautende oder abweichende Bestimmungen enthalten oder wenn sich aus dem Regelungszusammenhang dieser Gesetze ergibt, daß sie für eine bestimmte Materie einen abschließenden Charakter haben. 7 Für das Anwendungsverhältnis der §§ 68ff. VwGO zu den Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze ergibt sich nach dieser herrschenden Auffassung folgendes: Jede Sachprüfung habe so zu beginnen, als existiere § 79 VwVfG nicht. Erst wenn man bei der Prüfung in dem jeweiligen Rechtsbehelfssystem 8 auf eine Lücke stoße, könne versucht werden, diese über § 79 VwVfG aus dem jeweiligen Verwaltungsverfahrensrecht zu schließen.9

4

Vgl. nur Kopp, VwVfG, § 79 Rdn. 3. Allesch, Diss. S. 55. 6 Hess. V G H , Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte 1984, S. Iff.; Kopp, VwVfG § 79 Rdn. 8. 7 Kopp, § 79 Rdn. 8 m.w.N. 8 Hier VwGO und A G V w G O . 9 So ausdrücklich Allesch, Diss. S. 55; TSG S. 102; diese Auslegungsmethode entspricht im wesentlichen der Auslegungspraxis in der einschlägigen Kommentarliteratur, vgl. Stelkens, SBL, § 79 VwVfG Rdn. 7ff. und jeweils am Ende seiner Kommentierung der einzelnen verwaltungsverfahrensgesetzlichen Bestimmungen; Kopp, VwVfG § 79 Rdn. 8ff.; Meyer, M/B § 79 Rdn. 9ff.; Knack, VwVfG § 79 Rdn. 7; im Ergebnis wohl auch Hufen, S.269f. 5

II. Anwendbarkeit der VwVfGe im Widerspruchsverfahren

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Diese Auslegungsmethode unterstellt, daß der Bundesgesetzgeber in die Verwaltungsgerichtsordnung wirksam Bestimmungen verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur aufnehmen konnte, die in ihrem Anwendungsbereich die Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze verdrängen können. Handelt es sich dagegen bei den §§ 68 ff. VwGO nur um prozessuale Bestimmungen, die sich in ihrer Funktion maßgebend von den Regelungen des Verwaltungsverfahrens unterscheiden, dann können diese Vorschriften die Verwaltungsverfahrensgesetze selbst dann nicht verdrängen, wenn sie inhaltlich von den Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze abweichen oder auch nur gleichlautend sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Subsidiaritätsklausel in § 79 VwVfG. Die Konzeption dieser Vorschrift, mit der der Gesetzgeber das Anwendungsverhältnis der Verwaltungsgerichtsordnung zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen klarstellen wollte, ist bereits in ihrer Entstehungsgeschichte zweifelhaft. In der Begründung des insoweit einschlägigen § 75 EVwVfG 1 0 heißt es zwar: „§ 75 stellt in erster Linie auf die Verwaltungsgerichtsordnung und die zu ihrer Ausführung ergangenen Rechtsvorschriften ab. Erst soweit sich hieraus nichts abweichendes ergibt, werden die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes für anwendbar erklärt. Das Verwaltungsverfahrensgesetz legt sich damit nicht nur gegenüber der Verwaltungsgerichtsordnung, sondern auch gegenüber den landesrechtlichen Ausführungsgesetzen zur Verwaltungsgerichtsordnung Subsidiarität bei." Fraglich ist aber, ob sich der Bundesgesetzgeber der Bedeutung dieser Aussage bewußt war. Gegenüber den Regelungen des Verwaltungsverfahrens können sich aus der Verwaltungsgerichtsordnung und den zu ihrer Ausführung ergangenen Rechtsvorschriften Abweichungen nur ergeben, wenn die Vorschriften in beiden Rechtsordnungen die gleiche Regelungsmaterie betreffen. Ohne eine genaue Bestimmung des sachlichen Regelungsgehaltes der §§ 68 ff. VwGO kann das fragliche Anwendungsverhältnis daher nicht geklärt werden. 11 In der Begründung des Regierungsentwurfes zu § 46 EVwVfG 1 2 wird jedoch ausgeführt: „Für das Widerspruchsverfahren könnte allerdings die Auffassung vertreten werden, daß sich die Möglichkeit, der geltend gemachten Beschwer auch dann abzuhelfen, wenn dadurch ein begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben wird, bereits aus dem achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung ergibt, wonach Recht- und Zweckmäßigkeit im Widerspruchsverfahren nach-

10

Heute § 79 VwVfG, BT-Drs. 7/910, S. 91. 11 Vgl. Trzaskalik, JZ 1985, 234. 12 Heute § 50 VwVfG, BT-Drs. 7/910, S. 74.

4 Oerder

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2. Teil: Α. Rechtsnatur der §§ 68 ff. VwGO

zuprüfen sind. Ob eine solche Auslegung richtig ist, erscheint jedoch zweifelhaft, da auch die Meinung vertreten wird, die §§ 6 8 - 7 3 VwGO seien nur verfahrensrechtlicher Natur, die die Nachprüfung nur innerhalb der Grenzen des materiellen Rechts zuließen . . . Mit Rücksicht auf diese Auffassung ist die Vorschrift des § 46 somit auch insoweit erforderlich, als sie das Vorverfahren betrifft." 2. Prozessuale Betrachtungsweise

Bei einer konsequent prozessualen Betrachtungsweise wird eine klare systematische Abgrenzung möglich. Die prozessualen Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung regeln ausschließlich das Prozeßrechtsverhältnis. Ihre Beachtung oder Nichtbeachtung wirkt sich damit nur auf die Rechtsstellung der Parteien in einem möglicherweise nachfolgenden Prozeß aus. Die Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze normieren dagegen das Verwaltungsrechtsverhältnis und sind damit maßgebend für die verwaltungsrechtliche (i.w.S. materielle) Beurteilung einer behördlichen Maßnahme. Das Anwendungsverhältnis zwischen diesen beiden Regelungsbereichen ergibt sich damit zwanglos aus der entscheidungserheblichen Fragestellung. Geht es um die Rechtsfolgen eines Behördenverhaltens auf das Verwaltungsrechtsverhältnis, also um die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit einer verwaltungsbehördlichen Maßnahme, so sind neben den materiellrechtlichen Vorschriften gemäß § 9 VwVfG die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes einschlägig.13 Geht es dagegen um die Auswirkungen des Behördenverhaltens auf die Rechtsstellung der Parteien in einem nachfolgenden Prozeß 14 , dann beurteilt sich die Rechtslage allein nach den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung und deren Ausführungsgesetze.

I I I . Bedeutung des kodifikatorischen Charakters der VwGO für das Widerspruchsverfahren Der Bundesgesetzgeber hat mit der Verwaltungsgerichtsordnung von seiner Gesetzgebungskompetenz für das verwaltungsgerichtliche Verfahren erschöpfend Gebrauch gemacht. 15 Aus dem Kodifikationscharakter der Verwaltungsgerichtsordnung folgt, daß die Landesgesetzgeber von einer Regelung in diesem Sachbereich ausgeschlossen sind, wenn und soweit die Verwaltungs13

Insoweit hat § 79 VwVfG nur eine klarstellende Funktion. Prozeßrechtsverhältnis. BVerfGE 20, 238 (249); E 21, 106 (115); BVerwGE 54, 34; Kopp, VwGO, § 1 Rdn. 8f.; v. Mutius, VerwA. Bd. 65 (1974), 321; Greifeid, N V w Z 1983,725 (726). 14

III. Der kodifikatorische Charakter der VwGO

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gerichtsordnung oder ein anderes Bundesgesetz ausdrückliche Vorbehalte zugunsten des Landesgesetzgebers nicht enthalten. 16 Die Verwaltungsgerichtsordnung enthält allerdings auch für das Widerspruchsverfahren einige Vorbehalte zugunsten der Länder. Nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO kann der Landesgesetzgeber das Widerspruchsverfahren für besondere Fälle 17 für entbehrlich erklären. Landesgesetze können nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO anstelle der Aufsichtsbehörde eine andere Behörde zur Widerspruchsinstanz bestimmen oder festlegen, daß auch in Selbstverwaltungsangelegenheiten nicht die Ausgangsbehörde den Widerspruchsbescheid erläßt. 18 Nach § 73 Abs. 2 VwGO bleiben (auch landesrechtliche) Vorschriften, nach denen im Vorverfahren Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle der Widerspruchsbehörde treten von der Regelung des § 73 Abs. 1 VwGO unberührt. Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO kann der Landesgesetzgeber abweichend von § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO bestimmen, daß die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage unmittelbar gegen die Behörde zu richten ist, deren Entscheidung angefochten wird. Außerhalb dieser ausdrücklichen bundesgesetzlichen Vorbehalte müßte der Landesgesetzgeber von einer Regelung des Widerspruchsverfahrens grundsätzlich ausgeschlossen sein. § 77 Abs. 2 VwGO bestimmt jedoch, daß die Vorschriften des achten Abschnittes der Verwaltungsgerichtsordnung die landesrechtlichen Bestimmungen über Einspruchs- und Beschwerdeverfahren nur insoweit verdrängen, als sie Voraussetzungen für die verwaltungsgerichtliche Klage enthalten. § 79 a. E. VwVfG ordnet darüberhinaus generell die subsidiäre Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf das Widerspruchsverfahren an. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen dem Kodifikationsprinzip der Verwaltungsgerichtsordnung und der Anwendung auch landesrechtlicher Verwaltungsverfahrensgesetze im Widerspruchsverfahren löst sich auf, wenn man entsprechend der verfassungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Verfahren streng zwischen Verwaltungsrecht i.w.S. und Verwaltungsprozeßrecht unterscheidet. Art. 74 Nr. 1 GG berechtigt den Bundesgesetzgeber allein zum Erlaß prozessualer Normen. Der Verwaltungsgerichtsordnung kann daher ein abschließender Regelungsgehalt nur zuerkannt werden, soweit sie das gerichtliche Verfahren einschließlich der Normierung prozessualer Obliegenheiten im Vorfeld des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffen. Für die Regelung des im Widerspruchsverfahren zu beachtenden Verwaltungsverfahrens ist dagegen allein der nach Art. 83ff. GG zur Normierung des VerwaltungsverfahKopp, VwGO § 1 Rdn. 9. Zur Auslegung des Begriffs „besondere Fälle" vgl. BVerfGE 35, 65 (69ff.); mit Anmerkung von Kalkbrenner, BayVBl. 1973, 464; kritisch, v. Mutius, VerwA Bd. 65 (1974), 321 ff. is § 73 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 VwGO. 17

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2. Teil: Β. Teleologische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

rensrechtes jeweils zuständige Gesetzgeber berufen. Insoweit kann die Verwaltungsgerichtsordnung zulässigerweise keine Regelungen und erst Recht keine Kodifikation enthalten. 19 B. Die Bedeutung der Gesetzgebungskompetenz für die teleologische Einordnung des Widerspruchsverfahrens Von besonderer Wichtigkeit für die Auslegung der §§ 68ff. VwGO ist die Frage, welche Zwecke der Bundesgesetzgeber mit der Einführung des Vorverfahrens verfolgt hat. Auch über diesen Punkt ist in Rechtsprechung und Literatur bis heute, 27 Jahre nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung, noch keine Einigkeit erzielt worden. I. Die Funktionen des Widerspruchsverfahrens nach der Rechtsprechung und Literatur Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes zur Verwaltungsgerichtsordnung trägt das Widerspruchsverfahren mit zu der unbedingt erforderlichen Entlastung der Verwaltungsgerichte bei. 1 Auf diese Filterfunktion weist auch die amtliche Begründung des Regierungsentwurfes für die einheitliche Verwaltungsprozeßordnung hin. 2 Darüber hinaus ermögliche das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren der Verwaltung ihre Entscheidungen nochmals zu überprüfen. 3 Für den Bürger bedeute es schließlich eine Rechtswohltat, da in diesem Verfahren auch die Zweckmäßigkeit der Entscheidung kontrolliert werde. 4

19 Zuzustimmen ist daher der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. 2. 1981, BVerwGE 61, 360ff., in der es Art. 15 Abs. 1 S. 3 BayAGVwGO mit Art. 74 Nr. 1, 72 GG für unvereinbar erklärt. Die landesgesetzliche Regelung, nach der der Widerspruch bei Nichtzahlung eines geforderten Kostenvorschußes als zurückgenommen zu behandeln war, war unzulässig, da sie mit der Regelung einer Klage Voraussetzung in einen bundesrechtlich abschließend normierten Sachbereich eingriff. Die Länder sind gemäß § 77 Abs. 2 VwGO nur berechtigt, solche landesgesetzlichen Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren zu erlassen, die dieses Verfahren nicht in seiner Funktion als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage betreffen. Die Regelung der Voraussetzungen verwaltungsgerichtlicher Klagen ist Bestandteil des gerichtlichen Verfahrens, das der Bundesgesetzgeber in Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Nr. 1 GG abschließend normiert hat, soweit er nicht, wie in § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO dem Landesgesetzgeber ausdrücklich abweichende Regelungen gestattet hat. 1 BT-Drs. III/55, S. 38. 2 Begr. zu § 71 EVwPO, BR-Drs. 100/82, S. 106. 3 BT-Drs. III/55, S. 38. 4 MinRat Koehler in der 47. Sitzung des Rechtsausschusses, stenograph. Protokolle S. 5.

I. Die Funktionen des Vorverfahrens nach herrschender Ansicht

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In der Rechtsprechung werden als Zwecke des Widerspruchsverfahrens die Entlastungsfunktion, die Rechtsschutzfunktion und der Gesichtspunkt der Selbstkontrolle der Verwaltung überwiegend gemeinsam genannt.5 Teilweise aber heben die Gerichte je nach Fragestellung eine dieser Funktionen besonders hervor. 6 Ein ähnliches Bild findet sich in der Literatur. Zwar werden dem verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren überwiegend alle drei genannten Zwecke zugesprochen. 7 Nach Pietzner und Ronellenfitsch 8 dient das Vorverfahren jedoch „zunächst" dem Rechtsschutz des Bürgers. Nach Tschira / Schmitt Glaeser 9 soll demgegenüber dem Widerspruchsverfahren eine Rechtsschutzfunktion erst in zweiter Linie zukommen, v. Mutius 10 schließt aus dem Umstand, daß die Kontrolle der Verwaltung im Vorverfahren ausschließlich von der Initiative des Bürgers abhängt, daß sich im Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung die Rechtsschutzfunktion und der Gesichtspunkt der Selbstkontrolle der Verwaltung zwar nicht gegenseitig auszuschließen brauchen, daß aber der Rechtsschutzfunktion der Vorrang gebührt. 11 Nach Eyermann und Fröhler wird die Widerspruchsbehörde dagegen gerade nicht in einer Rechtsschutzfunktion tätig. 12 Redeker und v. Oertzen sehen schließlich die Hauptfunktion des Widerspruchsverfahrens in der Entlastung der Verwaltungsgerichte 13 , betonen aber an anderer Stelle 14 als wesentlichen Zweck der §§ 68 ff. VwGO die Überprüfung der ausgangsbehördlichen Entscheidung. Es liegt auf der Hand, daß von der jeweiligen Gewichtung der Zwecke des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens die Beantwortung der im Zusammenhang mit diesem Verfahren auftretenden Fragen wesentlich beeinflußt wird. 1 5

5 BVerwGE 4, 203 (204), noch zu §§ 44 M R V O Nr. 165; BVerwGE 26, 161 (166); DVB1. 1984, 91 (92). 6 O V G Lüneburg, D Ö V 1966, 66: keine Rechtsschutzfunktion, nur Selbstkontrolle der Verwaltung; O V G Münster, OVGE 22,166 (169): Entlastungsfunktion; OVGE 31, 127 (131): Selbstkontrolle; V G Regensburg, BayVBl. 1981,313 (314): Individualrechtsschutz und Selbstkontrolle; BVerwG, BayVBl. 1982, 310ff.: Rechtsschutzzweck. 7 Weides, S. 168; ders. JuS 1987, 482; P/R § 15 Rdn. 3ff.; Kopp, VwGO, Vorb. § 68 Rdn. 1; Hofmann, Festschrift für Chr, Fr. Menger, S. 605f.; Hufen, S. 267; v. Mutius, Diss. S. 114ff. m.w.N.; ders. Jura 1979, 560. » P/R § 15 Rdn. 3ff. 9 TSGS. 101. 10 Diss. S. 126. 11 Ähnlich, M/E, VerwA. Bd. 57 (1966), S. 283 und Bd. 59 (1968), S. 286. 12 E/F § 73 VwGO Rdn. 7. 13 R/Ö § 68 VwGO Rdn. 2; zustimmend Presting, D Ö V 1976, 269. 14 R/Ö § 68 VwGO Rdn. 6. 15 Vgl. hierzu v. Mutius, Diss. S. 112ff.

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2. Teil: Β. Teleologische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

I I . Die Funktionen des Widerspruchsverfahrens aus kompetenzrechtlicher Sicht Ohne Zweifel trägt das Widerspruchsverfahren zu der Entlastung der Verwaltungsgerichte bei, ermöglicht oftmals erst eine wirkungsvolle Selbstkontrolle der Verwaltung und dient im Ergebnis auch dem Rechtsschutzinteresse des Bürgers. Bei all diesen Zwecken handelt es sich um legitime Zielvorgaben. Aber auch bei der Verfolgung an sich wünschenswerter Ziele ist der Gesetzgeber an die verfassungsrechtliche Zuständigkeitsordnung gebunden. 16 Es stellt sich daher die Frage r welche Zwecke der Bundesgesetzgeber mit der Einführung des Widerspruchsverfahrens entsprechend seiner auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens beschränkten Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise verfolgen konnte. 1. Selbstkontrolle der Verwaltung

Nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO soll auf den Widerspruch des Betroffenen hin die angegriffene Verwaltungsentscheidung im Hinblick auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit noch einmal überprüft werden. Damit wird die umstrittene Verwaltungsentscheidung vor der Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte einer umfassenden verwaltungsinternen Kontrolle unterworfen. Diese Kontrolle ist umso effektiver, als sie nicht nur von der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, sondern jedenfalls im Regelfall von einer vorgesetzten Behörde vorgenommen wird und diese, im Gegensatz zu den Verwaltungsgerichten eine umfassende Recht- und Zweckmäßigkeitsprüfung vornehmen kann. Dem Widerspruchsverfahren kommt damit eine Bedeutung für das verwaltungsinterne Kontrollverfahren zumindest insoweit zu, als es eine Kontrolle oftmals überhaupt erst ermöglicht. Fraglich ist indes, ob der Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Nr. 1 GG berechtigt ist, das verwaltungsinterne Kontrollverfahren näher auszugestalten, insbesondere zu regeln, welche Behörde im verwaltungsverfahrensrechtlichen Instanzenzug zur Kontrolle berufen ist, in welchem Umfang die Aufsichtsbehörde die ausgangsbehördlichen Entscheidungen überprüfen darf und muß und mit welchen Mitteln die Aufsichtsbehörde ihre Beurteilung der Rechtslage gegenüber der nachgeordneten Behörde und gegenüber dem Bürger durchsetzen kann. Die Regelung des verwaltungsinternen Aufsichtsverfahrens ist verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur und obliegt daher grundsätzlich dem jeweils für die Regelung des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungsorganisation zuständigen Gesetzgeber. 17 Mit Bettermann 18 ist daher festzustellen, daß das 16

Greifeid, N V w Z 1983, 725 (726).

II. Die Funktionen des Vorverfahrens aus kompetenzrechtlicher Sicht

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Widerspruchsverfahren unter die Regelungszuständigkeit des Bundesgesetzgebers aus Art. 74 Nr. 1 GG jedenfalls nicht in seiner Eigenschaft als verwaltungsinternes Kontrollverfahren fällt. 1 9 2. Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens

Daß dem Widerspruchsverfahren zumindest auch eine Rechtsschutzfunktion zu Gunsten des Bürgers zukommt, ergibt sich bereits daraus, daß die Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren im Gegensatz zu den Gerichten auch die Zweckmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung überprüfen, dem Bürger also auch aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten sein Recht gewähren können. 20 Darüber hinaus gelangt der Betroffene, wenn er durch eine stattgebende Entscheidung über seinen Widerspruch klaglos gestellt wird, i.d.R. schneller zu seinem Recht, als in einem oftmals langwierigen gerichtlichen Verfahren. Für die Qualifizierung des Widerspruchsverfahrens als rechtsschutzorientiertes Verfahren spricht auch, daß der Gesetzgeber selbst dieses Verfahren mehrfach als Rechtsbehelfsverfahren bezeichnet hat. 2 1 Außerdem knüpft § 70 Abs. 1 VwGO den Lauf der Widerspruchsfrist an die Bekanntgabe der Ausgangsentscheidung an den Beschwerten und die §§ 72,73 Abs. 1 S. 1 VwGO bezeichnen die stattgebende Entscheidung der Ausgangsbehörde als Abhilfe, woraus sich ebenfalls entnehmen läßt, daß es im Widerspruchsverfahren zumindest auch um die Durchsetzung subjektiver Rechtspositionen geht. 22 Art. 74 Nr. 1 GG ermächtigt den Bundesgesetzgeber jedoch nur zu einer Regelung derjenigen Rechtsschutzverfahren, in denen die Gerichte als Rechtsprechungsorgane den Rechtsschutz gewähren. 23 Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut.des Art. 74 Nr. 1 GG - gerichtliches Verfahren - sowie aus dem Zusammenhang dieser Kompetenz mit der Zuständigkeit zur Regelung der Gerichtsverfassung. Das Grundgesetz unterscheidet streng zwischen dem gerichtlichen Verfahren 24 und dem Verfahren von Verwaltungsbehörden. 25 Das Widerspruchsverfahren ist aber kein gerichtliches Verfahren, sondern ein Verwaltungsverfahren im formellen und materiellen Sinn, wie er den 17 Vgl. Art. 83, 84ff. GG. is DVB1. 1959, 308 (311). 19 Vgl. Trzaskalik, Diss. S. 27; deutlich, Renck, JuS 1980, 28 (30); Menger/Erichsen, VerwA. Bd. 57 (1966), 270 (283); Greifeid, N V w Z 1983, 725 (726f.). 20 Vgl. amtl. Begr. des Reg.-Entwurfes, BT-Drs. III/55, S. 38. 21 §§ 70 Abs. 2,58 VwGO, 79 VwVfG; vgl. Menger/Erichsen, VerwA Bd. 57 (1966), 270 (283). 22 v. Mutius, Diss. S. 123. 23 Trzaskalik, Diss. S. 44. 24 Art. 19 Abs. 4 GG, 74 Nr. 1 GG und 92ff. GG. 25 Art. 83ff. GG.

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2. Teil: Β. Teleologische Einordnung des Widerspruchsverfahrens

Regelungen in Art. 83ff. GG zugrunde liegt. Soweit dieses Verfahren der Durchsetzung materieller Ansprüche und Abwehrrechte des Bürgers dient, können die dahingehenden Bestimmungen allein von dem jeweils für die Regelung des Verwaltungsverfahrens zuständigen Gesetzgeber erlassen werden. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren rechtfertigt sich dagegen gerade nicht durch die Tatsache, daß dieses Verfahren im Ergebnis auch der Durchsetzung subjektiver Rechtspositionen des Bürgers dient. Anderenfalls könnte sich der Bundesgesetzgeber auf Art. 74 Nr. 1 GG beispielsweise auch zur Regelung der sogenannten formlosen Rechtsbehelfe, wie der Dienstaufsichts - oder der Fachaufsichtsbeschwerde berufen. Unter den Kompetenztitel des gerichtlichen Verfahrens fällt das Widerspruchsverfahren allein deshalb, weil der Bundesgesetzgeber es zur Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage bestimmt hat. Diese Eigenschaft berechtigt den Bundesgesetzgeber aber gerade nicht, dem Verwaltungsverfahren Widerspruchsverfahren Rechtsschutzfunktionen zuzuweisen und näher auszugestalten.26 3. Entlastung der Verwaltungsgerichte

Bereits der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung hat als die wesentliche Funktion des Widerspruchsverfahrens die Bedeutung herausgestellt, die dieses Verfahren für die Entlastung der Verwaltungsgerichte hat. Nahezu 80% aller Streitigkeiten über die Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes werden im Widerspruchsverfahren beigelegt, indem entweder die Verwaltung dem Widerspruch stattgibt, oder aber der Widerspruchsführer durch die im Widerspruchsbescheid abgegebene Begründung von der Aussichtslosigkeit seines Begehrens überzeugt wird. Die Bedeutung, die dem verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren für die Entlastung der Verwaltungsgerichte zukommt, wurde durch eine Entwicklung, der sich die bayerischen Verwaltungsgerichte nach der Abschaffung des Vorverfahrens in Bausachen durch Art. 10a BayAGVwGO ausgesetzt sahen, überdeutlich aufgezeigt. Die Gerichte ertranken förmlich in der Lawine der auf sie zukommenden Baurechtsstreitigkeiten. 27 Aufgrund dieser Entwicklung sah die Bayerische Landesregierung sich genötigt, das gerade abgeschaffte Vorverfahren auch für Bausachen wiedereinzuführen. Die Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens ist der einzige anerkannte Zweck dieses Verfahrens, der die bundeseinheitlichen Bestimmungen 26

Trzaskalik, Diss. S. 42ff.; Renck, JuS 1980, 28 (29). Kalkbrenner, BayVBl. 1973, 464, Anm. zu BVerfGE 35, 65ff., daß den Ausschluß des Vorverfahrens in Bausachen durch ein Landesgesetz für mit § 68 Abs. 1 VwGO und Art. 74 Nr. 1, 72 GG vereinbar erklärt hatte. 27

III. Teilergebnis

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in den §§ 68ff. VwGO zu rechtfertigen vermag. Allein der Bezug des Widerspruchsverfahrens zum gerichtlichen Verfahren, die Vorschaltfunktion, kann die Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründen. Aus dieser primären Funktion sind auch die beiden anderen, unbestrittenermaßen bestehenden Vorteile des Widerspruchsverfahrens zu sehen. Eine optimale Entlastung der Verwaltungsgerichte kann durch das Widerspruchsverfahren nur erreicht werden, wenn die klagebedrohten Akte der Ausgangsbehörde von dieser selbst und im Regelfall von einer vorgesetzten Behörde möglichst umfassend kontrolliert werden. Entsprechendes gilt auch für die Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens. Das Ziel, die Verwaltungsgerichte zu entlasten, kann im Idealfall dadurch erreicht werden, daß rechtswidrige Verwaltungsentscheidungen bereits von den Verwaltungsbehörden selbst korrigiert werden. Daß im Verwaltungsverfahren nicht nur die Recht- sondern auch die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung überprüft werden soll, steht der Annahme der Entlastungsfunktion als der primären Funktion des Widerspruchsverfahrens nicht entgegen.28 Zum einen steht es dem auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens beschränkten Bundesgesetzgeber nicht zu, die im Regelfall nach Verwaltungsverfahrensrecht umfassende Prüfungskompetenz der Aufsichtsbehörden für das Widerspruchsverfahren einzuschränken. Zum anderen trägt gerade auch die Zweckmäßigkeitskontrolle wesentlich zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte bei, da es häufig Streitigkeiten über die sachgerechte Ermessensausübung sind, die eine Anrufung der Gerichte erforderlich machen. 29 I I I . Ergebnis zu B. Legt man bei der teleologischen Auslegung der §§ 68 ff. VwGO die auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens beschränkte Bundeskompetenz zu Grunde, so ergibt sich als primärer Zweck des Widerspruchsverfahrens seine Filterfunktion für das gerichtliche Verfahren. Demgegenüber haben der Rechtsschutzzweck und der Gesichtspunkt der Selbstkontrolle der Verwaltung nur eine sekundäre Bedeutung dergestalt, daß die Erreichung dieser Zwecke die Entlastungsfunktion fördert. Der Bundesgesetzgeber kann das Widerspruchsverfahren nur in seiner Eigenschaft als Filterverfahren zur Vermeidung verwaltungsgerichtlicher Verfahren näher ausgestalten. Soweit das Widerspruchsverfahren der verwaltungsinternen Kontrolle und dem Rechtsschutz des Bürgers dient, ist der Bundesgesetzgeber von seiner Regelung in der Verwaltungsgerichtsordnung ausgeschlossen.

28 A . A . wohl Hofmann, Festschrift für Chr. Fr. Menger, 605 (606). 29 v. Mutius, Diss. S. 118.

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

C. Die Verknüpfung des Widerspruchsverfahrens mit dem gerichtlichen Verfahren Das Widerspruchsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren, da es von Verwaltungsbehörden durchgeführt wird und der Konkretisierung materiellen Verwaltungsrechtes in einem außergerichtlichen Verfahren dient. Seine Besonderheit gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsverfahren liegt darin, daß es durch die in der Widerspruchserhebung liegende Klageandrohung eingeleitet wird und daß es als Vorverfahren mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren verknüpft ist. Nach der ganz herrschenden Auffassung besteht die Verknüpfung des Widerspruchsverfahrens mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren darin, daß die (ordnungsgemäße) Durchführung des Widerspruchsverfahrens die Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bedingt. Allein aus dieser Funktion des Widerspruchsverfahrens als Zulässigkeitsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage lasse sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung dieses Verfahrens begründen. 1 I· Das Widerspruchsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage 1. Begriffsbestimmung

Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Sachurteil im gerichtlichen Verfahren werden zum Teil synonym als Sachurteilsvoraussetzungen oder als Prozeßvoraussetzungen bezeichnet.2 Die Gleichsetzung einer Sachurteilsvoraussetzung mit den Prozeßvoraussetzungen ist streng genommen nicht richtig. 3 Sachurteilsvoraussetzungen bedingen nicht die Entstehung eines Prozesses, sondern nur die Zulässigkeit eines gerichtlichen Urteils in der Sache. Zu den Sachurteilsvoraussetzung zählen dementsprechend die prozessualen Bedingungen der Zulässigkeit eines Sachurteils. 4 Das Gericht hat vor dem Erlaß einer sachlichen Entscheidung stets von Amts wegen zu prüfen, ob für diese Entscheidung die (Sachurteils-) Voraussetzungen vorliegen. Fehlt eine dieser Voraussetzungen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 5 , so ist das ι BVerfGE 35, 65 (72); BVerwGE 17, 246 (248) BVerwGE 51, 310 (313); E 57, 204 (210); E 61, 360 (362); ν. Mutius, Diss. S. 154ff.; Allesch, Diss. S. 28f.; Weides, S. 172; Kopp, VwGO, Vorb. § 68 Rdn. 5; Renck, JuS 1980, 28ff.; Pietzner, D Ö V 1979, 779; a. A . nur R/Ö § 68 VwGO Rdn. 6. 2 Hartmann/Baumbach/Lauterbach, ZPO § 253 Grundz. Anm. 3)A. 3 P/R § 4 Rdn. 1. 4 Hartmann, § 253 Grundz. Anm. 3) A ; vgl. auch Kopp, VwGO Vorb. § 40 Rdn. lOff. 5 Vgl. dazu Kopp, Vorb. § 40 VwGO Rdn. 11.; R/Ö, VwGO § 68 Rdn. 3.

I. Das Widerspruchsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung

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Gericht nicht nur an der sachlichen Entscheidung gehindert, sondern auch verpflichtet, die Klage durch Prozeßurteil abzuweisen. 2. Die Regelung der Sachurteilsvoraussetzung: Widerspruchsverfahren in den §§ 68 ff. VwGO

Die von der herrschenden Meinung angenommene Funktion des Widerspruchsverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Klage bedarf einer genaueren Bestimmung. Das NichtVorliegen einer Sachurteilsvoraussetzung geht, da das Gericht in diesem Fall die Klage durch Prozeßurteil abweisen muß, immer zu Lasten des Klägers. Der Einfluß, den der Widerspruchsführer auf die ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat, beschränkt sich jedoch auf die form- und fristgerechte Einlegung des Widerspruchs, mit dem er der Verwaltung die Möglichkeit einräumt, in Kenntnis der in dem Widerspruch liegenden Klageandrohung die angegriffene Entscheidung noch einmal zu überprüfen. Da das Vorliegen einer Sachurteilsvoraussetzung logischerweise nicht von dem Verhalten des Beklagten abhängig gemacht werden kann, hat der Gesetzgeber in § 75 S. 11. Alt. VwGO bestimmt, daß eine Klage auch ohne die ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens zulässig ist, wenn die nach § 73 VwGO zuständige Verwaltungsinstanz nicht binnen angemessener Frist über den Widerspruch entschieden hat. Streng genommen ist also die Aussage, die ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens selbst sei eine Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Klage, nicht richtig. 6 Geht man mit der ganz herrschenden Auffassung davon aus, daß die Regelungen im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung die Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage betreffen 7, so ergibt sich bei der Betrachtung der §§68 und 75 VwGO aus der Sicht des Klägers vielmehr folgendes: Der betroffene Bürger kann grundsätzlich nur dann Klage erheben, wenn er die Klage vorher der Verwaltung durch den Widerspruch angedroht und eine angemessene Frist die Entscheidung der Verwaltung abgewartet hat. Aus der Sicht des Klägers ist damit allein der erfolglos eingelegte Widerspruch, sei es, weil die Verwaltung binnen angemessener Frist nicht über ihn entschieden hat, sei es, weil sie die in dem angegriffenen Verwaltungsakt 8 liegende Beschwer nicht beseitigt hat, Voraussetzung dafür, daß das Verwaltungsge6 Vgl. Kopp, VwGO, Vorbem. § 68 Rdn. 7; zutreffend also: Hess. V G H , Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte 1986, S. 73 (74). 7 s. o. Fußn. 1. 8 Als angegriffener Verwaltungsakt kommt auch die Ablehnung eines beantragten Verwaltungsaktes in den Fällen des § 68 Abs. 2 VwGO in Betracht.

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

rieht über sein materielles Begehren entscheiden kann. Für den zweiten Fall ergibt sich das Merkmal der Erfolglosigkeit allerdings nicht aus den §§ 68 ff. VwGO, sondern aus § 42 Abs. 2 VwGO, da der Widerspruchsführer bzw. der Kläger eine Rechtsverletzung nicht mehr behaupten kann, wenn die Verwaltung seinem Widerspruch abgeholfen hat. 9 3. Abweichende Auffassung von Redeker und v. Oertzen

In einem ausdrücklichen Gegensatz zu der ganz herrschenden Meinung vertreten Redeker und v. Oertzen die Auffassung, daß das Widerspruchsverfahren weder als Ganzes, noch in seinen Bestandteilen als Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- und Verpflichtungsklage angesehen werden kann. 10 Sie berufen sich hierbei auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. 12. 1954.11 In dieser Entscheidung hatte das Gericht ausgeführt, daß von dem Grundsatz des damals noch einschlägigen § 44 Abs. 2 M R V O Nr. 165, nach dem ein Verwaltungsakt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, erst angefochten werden kann, nachdem der Klageberechtigte erfolglos Widerspruch eingelegt hat, auch in nicht ausdrücklich gesetzlich geregelten Fällen Ausnahmen möglich seien. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte damit ausdrücklich sein Urteil vom 27. 1. 1954.12 Beiden Entscheidungen lagen Sachverhalte zugrunde, in denen es dem Gericht gerechtfertigt erschien, die verwaltungsgerichtliche Klage auch ohne (nochmaligen) Einspruch zuzulassen. Jedenfalls könne das Fehlen des Einspruches nicht dazu führen, daß er als Mangel einer Sachurteilsvoraussetzung noch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen sei. 13 Diese von Redeker und v. Oertzen zur Stützung ihrer Auffassung herangezogenen Entscheidungen tragen sie jedoch nur auf den ersten Blick. Sowohl dem Urteil vom 27. 1. 1954 als auch der Entscheidung vom 3. 12. 1954 war der Klageerhebung ein Einspruchsverfahren vorausgegangen. Im ersten Fall hat der Senat lediglich erklärt, daß gegen die Verschlechterung der Rechtsposition des Betroffenen durch den Einspruchsbescheid ein erneuter Einspruch nicht mehr erforderlich ist. Im zweiten Fall handelte es sich bei den Klägern um Drittbetroffene, die durch einen im Rahmen eines Einspruchsverfahrens ergangenen Bescheid erstmalig in ihren Rechten beschwert wurden. Die Verwaltungsgerichtsordnung ermöglicht in diesen Fällen mit den §§ 71, 79 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 VwGO die unmittelbare Anfechtung des Widerspruchsbescheides ohne daß gegen diesen Bescheid nochmals ein Vor9 Wie hier TSG S. 96. 10 R/Ö, VwGO, § 68 Rdn. 6. h BVerwGE 1, 247 ff. 12 BVerwGE 1, 72 ff. 13 BVerwGE 1, 249.

I. Das Widerspruchsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung

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verfahren eingeleitet werden müßte. Der Verzicht auf das Vorverfahren rechtfertigt sich in diesen nunmehr gesetzlich als Ausnahmen konzipierten Fällen damit, daß sich sowohl die Ausgangs- als auch die Widerspruchsbehörde bereits einmal mit der Streitsache befaßt hat. Aus diesen Ausnahmebestimmungen läßt sich jedoch schwerlich schließen, daß dem Widerspruchsverfahren generell nicht die Funktion einer von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage zukommt. Die Auffassung von Redeker und v. Oertzen kann aber auch durch ihre sachlichen Argumente nicht überzeugen. Zwar führt das Fehlen eines Widerspruchsbescheides, worauf Redeker und v. Oertzen hinweisen 14 , ausweislich der Regelung des § 75 S. 1 VwGO nicht in jedem Fall zur Unzulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Klage. Wie aber bereits der Wortlaut dieser Bestimmung zeigt, setzt diese Alternative der Untätigkeitsklage die Einlegung des Widerspruchs notwendig voraus. 15 Auch die Rechtsfolgenanordnung des § 75 VwGO, wonach die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig ist, verdeutlicht, daß die Durchführung des Widerspruchsverfahren grundsätzlich Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Sachurteils im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist. Allein diese Annahme wird auch dem primären Zweck der §§ 68ff. VwGO gerecht, zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte beizutragen. Die wiederholte verwaltungsinterne Kontrolle, die Redeker und v. Oertzen in diesem Zusammenhang in den Vordergrund stellen, ist lediglich das Mittel, das der Bundesgesetzgeber zur Erreichung des Primärzieles des Widerspruchsverfahrens gewählt hat. Für die Anordnung eines primär auf die Selbstkontrolle der Verwaltung abzielenden Verfahrens fehlt dem Bund jedenfalls im Bereich der Ausführung materiellen Landesrechtes die Regelungszuständigkeit.16 Schließlich kann der Auffassung von Redeker und v. Oertzen auch im Ergebnis nicht zugestimmt werden. Wenn auch der Mangel des Vorverfahrens nach ihrer Ansicht nicht zur Unzulässigkeit einer gleichwohl erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage führen soll, so soll doch die Klage als unbegründet abgewiesen werden müssen, wenn sich die Verwaltung im gerichtlichen Verfahren zulässigerweise auf diesen Mangel beruft. 17 Abgesehen von dem bereits dargelegten Umstand, daß nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 75 S. 1 VwGO die Regelung in § 68 VwGO die Zulässigkeit und nicht die Begründetheit der Klage betrifft, ist auch nicht einzusehen, auf welche Weise das Fehlen des Vorverfahrens zu einer sachlichen Verneinung des vom Kläger geltend gemachten materiellen Anspruches führen sollte. 18 Auch wenn man dem abweisenden Sachurteil nur eine be14 15 16

ι7 18

Redeker/v. Oertzen § 68 VwGO Rdn. 5. v. Mutius, Diss. S. 76. s. ο. Β I I 3. R/Ö § 68 Rdn. 7. Vgl. Hofmann, Festschrift für Chr. Fr. Menger, S. 605 (613).

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

schränkte Rechtskraft zuweisen will, die einer erneuten Geltendmachung des abgewiesenen Anspruches nicht entgegensteht, wenn der Mangel des Vorverfahrens nachträglich geheilt wird, bedeutet das keine Hilfe für den Bürger, da dessen Klageerhebung auch nach Auffassung von Redeker und v. Oertzen den Ablauf der Widerspruchsfrist nicht hindert und daher eine Heilung des Mangels in aller Regel nicht mehr in Betracht kommt. 1 9 Der Ansicht von Redeker und v. Oertzen kann daher weder in ihrer Begründung noch in ihren Ergebnissen gefolgt werden. Es ist vielmehr mit der ganz herrschenden Auffassung davon auszugehen, daß der Bundesgesetzgeber mit der Regelung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung eine Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statuiert hat.

I I . Behandlung einer Klage ohne vorherige Widerspruchseinlegung Obwohl die ganz herrschende Auffassung das ordnungsgemäß durchgeführte Widerspruchsverfahren bzw. den erfolglos eingelegten Widerspruch als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage ansieht, ist umstritten, wie sich das Fehlen des Widerspruchs 20 auf die Behandlung einer Klage durch das Gericht auswirkt. 1. Unbeachtlichkeit des Mangels bei sachlicher Einlassung durch die beklagte Behörde im Prozeß

Nach einer insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes vertretenen Auffassung ist der Mangel des Vorverfahrens im verwaltungsgerichtlichen Verfahren jedenfalls dann unbeachtlich, wenn die Klage fristgerecht erhoben worden ist und die beklagte Behörde sich in der Klageerwiderung nicht auf das Fehlen des Vorverfahrens berufen, sondern sachlich auf die Klage eingelassen hat. 2 1 Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Ansicht mit Erwägungen der Prozeßökonomie. Den in der Literatur gegen seine Auffassung geltend gemachten Bedenken, sie laufe auf einen unstatthaften Verzicht auf eine Prozeßvoraussetzung hinaus, begegnet das Bundesverwaltungsgericht mit dem Hinweis auf die Funktion des Widerspruchsverfahrens. 22 Der Sinn des Wider19

Vgl. dazu s. u. I I I . Fehlt nur die Entscheidung der Widerspruchsbehörde, dann gilt § 75 VwGO. 2 1 BVerwG, DVB1. 1959, 777; E 15, 306 (310); 18, 300 (301); DVB1. 1981, 502, hier hatte sich die beklagte Behörde sogar ausdrücklich auf den Mangel des Vorverfahrens berufen und nur hilfsweise zur Sache eingelassen; zuletzt, DVB1. 1984, 91 f. 22 BVerwG, DVB1. 1984, 91. 20

II. Behandlung einer Klage ohne vorherige Widerspruchseinlegung

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spruchsverfahrens liege darin, der Behörde Gelegenheit zu geben, den angefochtenen Verwaltungsakt selbst noch einmal zu überprüfen und, falls sie die Einwände des Betroffenen für berechtigt erachte, dem Widerspruch abzuhelfen. Diesem Zweck sei aber genüge getan, wenn die Behörde, an Stelle eines förmlichen Widerspruchsbescheides im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unmißverständlich zum Ausdruck bringe, daß sie den Einwendungen des Betroffenen nicht stattgeben will. 2 3 Die anderen Zwecke des Vorverfahrens könnten in diesem Fall ohnehin nicht mehr erreicht werden. 24 Von einem anderen Ausgangspunkt gelangt Trzaskalik 25 zu dem gleichen Ergebnis. Trzaskalik behandelt die Fälle, in denen der Widerspruchsführer vor Erhebung der Klage keinen Widerspruch eingelegt hat, mit den Fällen gleich, in denen die Klage nach Einlegung des Widerspruches aber noch vor Ablauf der angemessenen Frist i.S.v. § 75 VwGO erhoben wird. In beiden Fällen habe der Betroffene vorzeitig geklagt. 26 Trzaskalik nimmt an, daß die zeitliche Limitierung der Klagemöglichkeit in den §§ 70, 74 (76) 27 VwGO allein im Interesse der Verwaltungsbehörden bestehe. Wie die Verwaltung sich auch auf eine verspätet erhobene Klage sachlich einlassen könne 28 , mit der Folge, daß der Ablauf der Frist im gerichtlichen Verfahren keine Bedeutung mehr habe, müsse es ebenfalls in ihrem Belieben stehen, zu entscheiden, ob sie den ihr gewährten Schutz gegen eine vorzeitig erhobene Klage in Anspruch nehmen wolle. In beiden Fällen komme es für die Zulässigkeit der Klage daher nur darauf an, ob sich die Verwaltung in der Sache auf die Klage eingelassen und damit auf den ihr gewährten Schutz verzichtet habe. Bedenken gegen die Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und Trzaskaliks' bestehen bereits insoweit, als sie nicht danach differenzieren, welche Verwaltungsinstanz sich als Behörde sachlich auf die Klage eingelassen hat. Der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung hat bei der Regelung des Widerspruchsverfahrens besonderen Wert auf die Kontrolle der angefochtenen Entscheidung durch eine nicht mit der Ausgangsbehörde identische Verwaltungsinstanz gelegt. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes 29 „kann das Vorverfahren die ihm zugedachte Aufgabe nur erfüllen, wenn die Zweitentscheidung grundsätzlich von einer übergeordneten Behörde zu erlassen ist". 3 0 Diesem positivrechtlich in § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO verankerten Willen des Gesetzgebers widersprechen die dargestellten Auffassun23 BVerwG, NJW 1965, 1731; DVB1. 1984, 91 f. 24 BVerwGE 27, 185; DVB1. 1959, 777. 25 Trzaskalik, Diss. S. 72. 26 So auch Bettermann, D V ß l . 1959, 308 (311). 27 Aufgehoben durch Gesetz vom 24. 8. 1976, BGBl. I. S. 2437. 28 Trzaskalik, S. 72. 29 BT-Drs. III/55, S. 38. 30 Vgl. auch die Stellungnahmen in der 47. Sitzung des BT-Rechtsausschusses, Stenograph. Protokolle, S. 4.

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

gen, wenn - wie in Nordrhein-Westfalen 31 - die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen die Ausgangsbehörde zu richten ist, und sich dementsprechend auch nur diese auf die Klage sachlich eingelassen hat. 3 2 Die hier zu untersuchende Auffassung vermag aber auch für diejenigen Fälle nicht zu überzeugen, in denen die nach § 73 VwGO zur zweitinstanzlichen Entscheidung über den Widerspruch zuständige Behörde mit der beklagten Behörde identisch ist. Es kann dahinstehen, ob der in der Literatur erhobene Einwand berechtigt ist, man könne die Klage nicht als Widerspruch und die Klageerwiderung auch nicht als Widerspruchsbescheid ansehen, weil Klage und Klageerwiderung Prozeßhandlungen sind, während der Widerspruchsbescheid als materieller Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. 33 Auch das Bundesverwaltungsgericht hat nie ausgeführt, daß es die Klageerwiderung dem Widerspruchsbescheid gleichstellen will. Es hält einen förmlichen Widerspruchsbescheid lediglich aus teleologischen Gründen für entbehrlich, wenn die Verwaltung in ihrer sachlichen Klageerwiderung zu erkennen gibt, daß sie einem Widerspruch ohnehin nicht abgeholfen hätte. Auch nach Trzaskalik ersetzt die Klageerwiderung nicht den Widerspruchsbescheid, sondern beinhaltet lediglich den konkludenten Verzicht der beklagten Behörde auf die aus dem Fehlen der Klageandrohung resultierende prozeßhindernde Einrede. Gegen beide Auffassungen sprechen aber die gleichen Erwägungen, wie sie auch der Ansicht von Redeker und v. Oertzen entgegengehalten werden. 34 Der Gesetzgeber hat das Widerspruchsverfahren als grundsätzlich vor Klageerhebung durchzuführendes Verfahren förmlich ausgestaltet, indem er dem Bürger und der Verwaltung besondere, allein auf dieses Verfahren zugeschnittene, prozessuale Pflichten auferlegte. Er hat dieses Verfahren in der Weise geordnet, daß der Klage willige der Verwaltung die Klage androhen muß, damit diese die Möglichkeit erhält, die angegriffene Entscheidung zu kontrollieren und erforderlichenfalls zu korrigieren, bevor sich ein Verwaltungsgericht mit der Streitsache befassen muß. 35 Zu Recht weist v. Mutius 36 darauf hin, daß die Situation der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren, zu einem Zeitpunkt in dem sie den angedrohten Prozeß noch vermeiden kann, 31

§ 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 5 Abs. 2 AGVwGO/ NW. O V G Münster, O V G E 22, 166; 31, 126 (129); O V G Lüneburg, D Ö V 1973, 283; BayVGH, BayVBl. 1975, 591f.; Weides, S. 211; E/F § 68 VwGO Rdn. 2a; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme S. 134; a.A. Bettermann, DVB1. 1959, 308 (314): „wenn schon das Gesetz einer anderen Behörde als derjenigen, die . . . über den Widerspruch zu entscheiden hat, die Prozeßführung überläßt, also für passiv legitimiert erklärt, dann muß diese Behörde auch die Verfügungsmacht über den streitigen Verwaltungsakt haben und legitimiert sein, alle auf ihn bezüglichen Erklärungen abzugeben, die der Prozeß erfordert oder mit sich bringt." 33 BayVGH, BayVBl. 1975, 592; E/F § 68 Rdn. 2a; v. Mutius, Diss. S. 178. 34 s. ο. C I 3. 35 Kopp, VwGO Vorbem. § 68 Rdn. 11. 36 v. Mutius, Diss. S. 178. 32

II. Behandlung einer Klage ohne vorherige Widerspruchseinlegung

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mit ihrer Situation als Beklagte in einem bereits rechtshängigen Verfahren weder rechtlich noch psychologisch vergleichbar ist. 37 Im Verwaltungsverfahren ist sie Herrin dieses Verfahrens. Bei ihrer Entscheidung können Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen noch eine gleichrangige Rolle spielen. Im gerichtlichen Verfahren sieht sich die Verwaltung lediglich einer Rechtmäßigkeitskontrolle ausgesetzt. Zweckmäßigkeitserwägungen, die in einem dem gerichtlichen Verfahren vorgeschalteten Widerspruchsverfahren möglicherweise zu einer Vermeidung des Prozesses hätten führen können, werden im gerichtlichen Verfahren weitgehend zurückgedrängt. 38 Die Verwaltung wird aus naheliegenden Gründen nunmehr primär bestrebt sein, der Niederlage in dem Prozeß, den sie nun nicht mehr vermeiden kann, zu entgehen. Bereits diese Erwägungen sprechen dagegen, daß die Behörde durch eine sachliche Einlassung im Prozeß auf das Widerspruchsverfahren verzichten kann. Entscheidend dürfte aber sein, daß sich diese Annahme nicht mit der primären Funktion des Widerspruchsverfahrens, einen Beitrag zu der Entlastung der Verwaltungsgerichte zu leisten, vereinbaren läßt. 39 Durch die in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO vorgeschriebene Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle wird die Verwaltung verpflichtet, auf den Widerspruch des Betroffenen hin unter Berücksichtigung der vom Widerspruchsführer erhobenen Einwände den für das unter Umständen nachfolgende gerichtliche Verfahren entscheidungserheblichen Streitstoff zu ermitteln. Gemäß § 73 Abs. 3 VwGO muß die Widerspruchsbehörde dem Widerspruchsführer die wesentlichen Aspekte ihrer Entscheidung mitteilen. Durch diese Bestimmungen können die Gerichte von der Notwendigkeit eigener Ermittlungen in einem erheblichen Maße entlastet werden. Darüberhinaus verfolgt die Begründungspflicht in § 73 Abs. 3 VwGO auch den Zweck, den Widerspruchsführer durch sachliche Argumente von der Aussichtslosigkeit seines Begehrens zu überzeugen und ihn so von wenig erfolgversprechenden Klagen abzuhalten. Im Idealfall kann somit durch das Widerspruchsverfahren der angedrohte Prozeß vollständig vermieden werden. Auch wenn die Verwaltungsbehörde in ihrer Klageerwiderung zu erkennen gibt, daß sie dem Widerspruch ohnehin nicht abgeholfen hätte, bedeutet dies nicht, daß das Widerspruchsverfahren seine Entlastungsfunktion nicht hätte erfüllen können. Der Verzicht auf das Widerspruchsverfahren in diesen Fällen läßt sich somit nicht einmal mit teleologischen Erwägungen befriedigend begründen. Er widerspricht vielmehr dem im Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich niedergelegten Willen des Gesetzgebers. Will man in diesem Zusammenhang, wie das Bundesverwaltungsgericht es tut, mit den Grundsätzen der Prozeßökonomie argumentieren, so muß man 37 38

Zustimmend, E/F § 68 VwGO Rdn. 2a. Kopp, VwGO Vorbem. § 68 Rdn. 11. Weides, S. 211; Knack, VwVfG § 79 Anm. 8. 1.; v. Mutius, Diss. S. 180.

5 Oerder

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

konzedieren, daß der ökonomischste Prozeß derjenige ist, der überhaupt nicht stattfindet. Gerade dieses Ergebnis hat der Gesetzgeber für den Fall vorgesehen, daß der Kläger entgegen § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO der Verwaltung seine Klage nicht angedroht hat. Aus den gleichen Gründen kann auch der Ansicht von Trzaskalik nicht gefolgt werden. Nicht der Schutz der Verwaltung vor überraschenden Klagen, sondern die Entlastung der Verwaltungsgerichte steht bei den §§ 68 ff. VwGO im Vordergrund. Der Mangel des Vorverfahrens gewährt daher der Verwaltung auch nicht lediglich eine prozessuale Einrede, auf die sie durch eine sachlich begründete Klageerwiderung verzichten könnte. Er bedeutet vielmehr das NichtVorliegen einer von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzung. 40 2. Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens

Hat der Betroffene Klage erhoben, ohne vorher Widerspruch eingelegt zu haben, so kann er nach der herrschenden Auffassung die Abweisung der Klage als unzulässig dadurch vermeiden, daß er beantragt, das gerichtliche Verfahren auszusetzen, um ihm die Nachholung des Widerspruchsverfahrens zu ermöglichen. 41 Die herrschende Auffassung beruft sich darauf, daß es sich bei dem Widerspruchsverfahren nicht um eine Prozeßvoraussetzung oder Klagevoraussetzung 42, sondern um eine Sachurteilsvoraussetzung handelt, die nicht das Entstehen des Prozesses, sondern nur die Zulässigkeit einer sachlichen Entscheidung durch das Gericht bedingt. 43 Der für das Vorliegen einer Sachurteilsvoraussetzung maßgebende Zeitpunkt sei aber grundsätzlich der Termin der letzten mündlichen Verhandlung, sodaß auch das Widerspruchsverfahren noch bis zu diesem Zeitpunkt nachholbar sein müßte. 44 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes kommt eine Nachholung unter Umständen sogar noch in der Rechtsmittelinstanz in Betracht. 45 Da nach der herrschenden Ansicht die Klageerhebung den Ablauf der Widerspruchsfrist nicht hemmt, setzt die Zulässigkeit der Aussetzung des Ver40 Weides, S. 168; E/F § 68 VwGO Rdn. 2; v. Mutius, Diss. S. 180; Kopp, VwGO, Vorbem. § 68 Rdn. 11 m.w.N. 41 BVerwGE 4, 203 (204), noch zu § 44 M R V O Nr. 165; E 28, 216 (219); VerwRspr. 27, 813 (818f.): die Klage bleibt jedoch solange unzulässig, solange diese Sachurteilsvoraussetzung fehlt; E 66, 342 (345); DVB1. 1984, 91f.; O V G Berlin, N V w Z 1982, 253 (254); Bettermann, DVB1. 1959, 308 (314); Stich, DVB1. 1960, 378 (379); Koehler, VwGO § 68 Anm. A V 3; Weides, S. 210; Kopp, VwGO § 68 Rdn. 3 Stern, S. 133; Ule, VerwaltungsprozeßR. § 23 I I ; a. A . noch Ule, VwGO § 68 Anm. I. 42 So z. b. Bettermann, S. 309. 43 So z. b. Kopp, Vorbem § 68 VwGO Rdn. 11 mit w. N. 44 Vgl. dazus. o. C I 1 . 4 5 BVerwG, DVB1. 1984, 91 (92).

II. Behandlung einer Klage ohne vorherige Widerspruchseinlegung

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fahrens zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens jedoch voraus, daß zum Zeitpunkt der Aussetzung die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO noch nicht abgelaufen ist. 46 Gegen diese Ansicht wendet sich v. Mutius. 47 Für die Aussetzung des Verfahrens fehle es bereits an einer Rechtsgrundlage. 48 § 75 S. 3 VwGO, der überwiegend auf diesen Fall entsprechend angewendet wird 4 9 , betreffe einen Sonderfall und sei daher einer Analogie nicht zugänglich. § 94 VwGO sei unmittelbar ebenfalls nicht einschlägig, da seine tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Eine analoge Anwendung scheitere daran, daß insoweit eine Gesetzeslücke fehle. Der Gesetzgeber habe für den Fall der Klageerhebung ohne vorheriges Vorverfahren ausdrücklich die Unzulässigkeit der Klage vorgesehen habe. Die Fälle, in denen die Verwaltungsgerichtsordnung auf das Vorverfahren verzichtet, seien ausdrücklich und abschließend normiert. Bedenken gegenüber der herrschenden Auffassung entnimmt v. Mutius schließlich auch der Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens. Die herrschende Ansicht stelle es praktisch in das Belieben des Klägers, vor Klageerhebung Widerspruch einzulegen. Erhebe er die Klage vorher, müsse sich das Verwaltungsgericht mit dem Rechtsstreit befassen, obwohl es möglicherweise bei vorheriger Durchführung des Widerspruchsverfahrens zu einer Inanspruchnahme gar nicht gekommen wäre. So gesehen entspreche es sogar eher dem von der herrschenden Ansicht zur Begründung herangezogenen Grundsatz der Prozeßökonomie, die Klage sofort als unzulässig abzuweisen, anstatt das Verfahren auszusetzen. Der Argumentation von v. Mutius ist insoweit zuzustimmen, als es unzulässig erscheint, sich allein mit dem Hinweis auf die Prozeßökonomie über eindeutige Verfahrensregelungen hinwegzusetzen. Diesem Vorwurf müßte die herrschende Ansicht begegnen, wenn die Annahme einer Aussetzungsbefugnis für das Verwaltungsgericht tatsächlich den eindeutigen Regelungen der §§ 68ff. VwGO sowie dem Primärziel des Widerspruchsverfahrens, zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte beizutragen, widerspräche. Hiervon kann aber entgegen der Meinung von v. Mutius nicht ausgegangen werden. Die Regelung des § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO, wonach die Kontrolle der Recht- und Zweckmäßigkeit im Vorverfahren grundsätzlich vor der Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage durchzuführen ist, bedeutet näm46

BVerwGE 4, 203 (204); E/F § 68 Rdn. 2a; Weides, S. 211; Stern S. 133; a. A . Bettermann, DVB1. 1959, 312, der davon ausgeht, daß der Ablauf der Widerspruchsfrist durch die Klageerhebung gehemmt wird; zur Unbeachtlichkeit der Klageerhebung für die Widerspruchsfrist vgl. R/Ö § 70 VwGO Rdn. 9; Ule, VwGO § 68 Anm. I ; dies gilt jedenfalls dann, wenn man davon ausgeht, daß die Einhaltung der Widerspruchsfrist Zulässigkeitsvoraussetzung für den Widerspruch ist; vgl. dazu s. u. I I I . 47 v. Mutius, Diss. S. 176f. 48 So früher auch Ule, VwGO § 68 Anm. 1. 49 Vgl. Kopp, VwGO § 68 Rdn. 5; Weides, S. 210. 5*

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

lieh nicht zwingend, daß eine Nachholung des Widerspruchsverfahrens nach Klageerhebung aber jedenfalls vor einer sachlichen Entscheidung des Gerichtes nicht möglich sein soll. Der Gesetzgeber hat eine Möglichkeit der Nachholung in § 75 S. 3 VwGO vielmehr ausdrücklich anerkannt. Aus dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift läßt sich nicht zwingend der Schluß ziehen, daß der Gesetzgeber für die vorliegenden Fälle die Möglichkeit einer Nachholung bewußt ausgeschlossen hätte. Für eine solche Annahme ergeben sich weder Anhaltspunkte aus den Gesetzesmaterialien noch aus dem Regelungszusammenhang der §§ 68ff. VwGO. Es spricht vielmehr alles dafür, daß es sich vorliegend um eine planwidrige Regelungslücke handelt. Zwar ist die Erhebung des Widerspruchs bzw. die Durchführung des Widerspruchsverfahrens als zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung eines Sachurteils im gerichtlichen Verfahren ausgestaltet. Das rechtfertigt aber nicht die Annahme, diese Voraussetzung müsse in jedem Fall bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorgelegen haben. Eine ausdrückliche zeitliche Grenze für den betroffenen Bürger, durch die Erhebung des Widerspruchs das seinerseits Erforderliche für die Schaffung der Sachurteilsvoraussetzung zu tun, kann allein die Regelung des § 70 Abs. 1 VwGO bilden. 50 Die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Nachholung des Widerspruchs setzt damit voraus, daß die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, der Kläger also noch zur Nachholung des fehlenden Widerspruches in der Lage ist. Besteht für den Kläger diese Möglichkeit, so ist auch die Interessenlage, der ohne vorherigen Widerspruch erhobenen Klage mit der Interessenlage, die der Regelung des § 75 S. 3 VwGO zugrunde liegt, vergleichbar. Die Regelungen in den §§ 68 ff. VwGO bestehen nicht einseitig im Interesse der Verwaltung oder des Klägers, sondern zielen jedenfalls primär auf die Entlastung der Verwaltungsgerichte ab. Allein dieses Primärziel rechtfertigt es, der Verwaltung gemäß § 75 S. 3 VwGO in bestimmten Fällen eine verlängerte Frist zur Durchführung der verwaltungsinternen Kontrolle einzuräumen, auch wenn sich der Widerspruchsführer prozeßordnungsgemäß verhalten, also den Widerspruch fristgerecht eingelegt und die Klage erst nach Ablauf einer angemessenen Frist erhoben hat. Die Filterfunktion des Widerspruchsverfahrens kann auch dann noch gewahrt werden, wenn man es dem Kläger, der es versäumt hat, die Klage mit dem Widerspruch anzudrohen, durch die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens ermöglicht den fehlenden Widerspruch nachzuholen. Der Einwand von v. Mutius, die herrschende Meinung stelle es praktisch in das Belieben des Bürgers, vor Klageerhebung Widerspruch einzulegen, ist dagegen nicht berechtigt und entspringt darüber hinaus eher generalpräventiven Erwägungen, die weder durch die §§ 68ff. VwGO gedeckt sind, noch von der Primärfunktion des Widerspruchsverfahrens gefordert werden. Ein 50

Zur Bedeutung der Widerspruchsfrist s. u. III.

II. Behandlung einer Klage ohne vorherige Widerspruchseinlegung

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bewußter Verzicht des Klägers auf das Vorverfahren ist nämlich kaum zu befürchten, da er damit auf keinen Fall zu einer gerichtlichen Sachprüfung gelangen kann 51 und ihm bei einer bewußt verfrüht erhobenen Klage nach den allgemeinen Grundsätzen des Kostenrechtes die Kosten des gerichtlichen Verfahrens selbst dann auferlegt werden, wenn die Verwaltung ihm im nachgeholten Vorverfahren Recht gibt. 5 2 Im Ergebnis bedeutet die Auffassung v. Mutius auch keine weitergehende Entlastung der Verwaltungsgerichte. Die Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens besteht darin, daß das Verwaltungsgericht in die sachliche Prüfung erst eintreten muß, wenn die Verwaltung die angefochtene Entscheidung ihrerseits kontrolliert hat. Dagegen eignen sich die §§ 68ff. VwGO nicht dazu, die Verwaltungsgerichte vor unzulässigen Klagen zu schützen. Der für alle Beteiligten sinnvollste Weg in den fraglichen Fällen ist nicht die Zurückweisung der Klage, mit der Folge, daß das Verwaltungsgericht sich möglicherweise im Anschluß an das nachgeholte Widerspruchsverfahren noch einmal mit der Sache befassen muß, sondern die Aussetzung des Verfahrens, welches dann, je nach der Entscheidung der Widerspruchsbehörde durch eine sachliche Prüfung des Verwaltungsgerichtes oder durch eine Erledigungsfeststellung abgeschlossen werden kann. Daß dieser Weg zu einer Mehrbelastung der Gerichte führen soll, ist wohl kaum zu befürchten. Berücksichtigt man, daß in der Praxis eine Nachholung regelmäßig nur möglich ist, wenn die kurze Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO gemäß § 58 VwGO wegen einer fehlenden oder unzureichenden Rechtsbehelfsbelehrung nicht in Gang gesetzt worden ist, wenn also die Ursache für den Mangel des Widerspruchsverfahrens jedenfalls nicht allein in der Sphäre des Klägers zu suchen ist, dann erscheint die Aussetzung des Verfahrens in diesen Fällen als die einzig interessengerechte Lösung. Es ist daher entgegen v. Mutius der ganz herrschenden Auffassung zuzustimmen, nach der bei einer Klage ohne vorherige Widerspruchseinlegung das Verwaltungsgericht auf Antrag des Klägers das Verfahren aussetzen kann, um dem Kläger die Nachholung des Widerspruchs und der Verwaltung die in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO vorgeschriebene Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle zu ermöglichen, vorausgesetzt, die Einlegung des Widerspruchs ist (noch) möglich.

51 Anders allerdings, wenn man mit der Rechtsprechung davon ausgeht, die Verwaltung könne durch eine sachliche Klageerwiderung auf die Durchführung des Widerspruchsverfahrens verzichten, vgl. oben I I 1. 52 Vgl. den Rechtsgedanken der §§ 93 ZPO, 156 VwGO.

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

I I I . Der fristgerecht eingelegte Widerspruch als Sachurteilsvoraussetzung Gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monates, nachdem er dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde einzulegen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Nach § 70 Abs. 1 S. 2 VwGO genügt zur Wahrung der Frist die Einlegung bei der Widerspruchsbehörde. Die Frage nach der Bedeutung der Widerspruchsfrist gehört zu den meist umstrittenen Problemen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens. Die Regelung in § 70 Abs. 1 VwGO beschränkt sich darauf, dem Widerspruchsführer die Wahrung der Monatsfrist aufzugeben. Sie enthält aber keine konkrete Aussage darüber, ob - und wenn ja wie - sich die Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist auf die Zulässigkeit oder Begründetheit einer nachfolgenden Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage auswirkt. Für die Beantwortung dieser Frage ergeben sich auch aus den Gesetzesmaterialien keine zwingenden Anhaltspunkte. Erwägenswert hielten die Gesetzesväter lediglich die Frage, ob die ursprünglich im Regierungsentwurf vorgesehene Frist von zwei Wochen 53 ausreichen, oder ob die Frist in Anlehnung an die Klagefrist auf einen Monat verlängert werden sollte. 54 Lediglich der Hinweis der Abgeordneten, Frau Dr. Kuchtner auf die Schwierigkeiten, die regelmäßig bei einer Verwaltungsklage anstehen, weshalb ihr die Zwei-Wochenfrist für die Beurteilung als nicht ausreichend erschien 55 , könnte als Indiz dafür gewertet werden, daß der Ablauf der Widerspruchsfrist jedenfalls auch Auswirkungen auf die Zulässigkeit einer nachfolgenden Klage haben sollte. Schließlich hilft auch der Blick auf die Regelungen in den Vorläufern der Verwaltungsgerichtsordnung nicht weiter, da diese Gesetze im wesentlichen dem § 70 VwGO gleichlautende Bestimmungen enthielten 56 , deren Auslegung ebenfalls umstritten war. 57 Sieht man einmal von der Auffassung von Redeker und v. Oertzen ab, die das Widerspruchsverfahren weder als ganzes noch in seinen Teilen als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ansehen58, dann geht es bei dem Meinungsstreit über die Bedeutung der Widerspruchsfrist zunächst einmal darum, ob lediglich die Erfolg53

§ 72 des Reg.-Entwurfes, BT-Drs. III/55, S. 11. Vgl. die Stellungnahmen der Abg. Hoogen und Kuchtner in der 47. Sitzung des Rechtsausschusses, stenograph. Protokolle S. 6. 55 a.a.O. 56 Vgl. § 39 Abs. 2 im. § 48 Abs. 3 V G G ; § 45 M R V O Nr. 165. 57 Vgl. BVerwG, DVB1. 1964, 190 zum KgfEG; DVB1. 1965, 89 zum V V G mit zustimmender Anmerkung von Siegmund-Schultze, S. 91 ff. 58 R/Ö § 68 VwGO Rdn. 5ff.; vgl. ο. I 3. 54

III. Die Bedeutung der Widerspruchsfrist

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losigkeit des Widerspruches 59 oder auch seine rechtzeitige Einlegung Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Klage ist. 6 0 In einem untrennbaren Zusammenhang damit steht die Frage, wie sich der Ablauf der Widerspruchsfrist auf die Sachentscheidungsbefugnisse der im Widerspruchsverfahren zuständigen Verwaltungsinstanzen auswirkt. 61 1. Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes enthält die. Bestimmung in § 70 VwGO weder eine prozessuale noch eine materiell-rechtliche Präklusionsfrist. 62 Die Versäumung der Widerspruchsfrist berühre nicht die Sachherrschaft der Verwaltungsbehörden in einem Verwaltungsverfahren. Außerhalb der streng formalisierten Vorschriften des Prozeßrechts blieben die im Verwaltungsverfahren zuständigen Behörden Herren über den Streitstoff. Aufgrund ihrer Sachherrschaft seien sie in der Lage, durch sachlich begründete Bescheide die Voraussetzungen für den nachfolgenden Prozeß zu schaffen. Im Prozeß dürfe die Versäumung der Widerspruchsfrist nur dann berücksichtigt werden, wenn sich die Widerspruchsbehörde (noch) auf die Fristversäumung berufen könne. Im Falle einer sachlichen Bescheidung des Widerspruches habe die Verwaltung diese Befugnis verloren; für den nachfolgenden Prozeß sei es dann unerheblich, ob der Widerspruch fristgerecht eingelegt worden sei. Dies soll selbst dann gelten, wenn als Ausgangsbehörde eine Selbstverwaltungskörperschaft tätig geworden ist. 63 Grundlegend für diese Rechtsprechung und der ihr folgenden Auffassungen in Teilen der Literatur war die Entscheidung des achten Senates des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. 1. 1964.64 Das Urteil erging zwar noch zum Verwaltungsgerichtsgesetz, da die Klage bei Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung bereits anhängig war. Das Bundesverwaltungsgericht erstreckte 59

Dazu s. ο. I 2. 60 Instruktiv, Wallerath, D Ö V 1970, 653ff. 61 Vgl. dazu insbes. Judick, N V w Z 1984, 356ff. 62 Vgl. schon Fußn. 57; BVerwG, DVB1. 1972,423; N V w Z 1983,285; BayVBl. 1983, 311; N V w Z 1984, 507f.; O V G Münster, O V G E 28, 63 (64); vgl. auch HessVGH, VerwRspr. Bd. 21, 816; V G H B W , NJW 1980, 2270: das Gericht räumte dem Widerspruchsführer sogar einen Anspruch gegen die Widerspruchsbehörde auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Entscheidung ein, sich auf den Fristablauf zu berufen; V G H B W , V B L . BW 1982, 303; zustimmend Ule, VerwaltungsprozeßR § 24 I I I . ; Niethammer, NJW 1981, 1544; TSG S. 106; unentschieden Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, S. 132; a. A . BayVGH, BayVBl. 1984, 20 zum Vorverfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz . 63 So BVerwG, DVB1. 1972, 423f.;immerhin hätte man hier auch vertreten können, daß die Selbstverwaltungskörperschaft, die gegenüber der Aufsichtsbehörde mit eigenen Rechten ausgestattet ist, sich mit Ablauf der Widerspruchsfrist auf die Beständigkeit ihrer Entscheidung einrichten können müsse; vgl. V G H BW, ESVGH 22, 99f. 64 DVB1. 1964, 89ff.

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

seine Ansicht jedoch ausdrücklich auf das Widerspruchsverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung. 65 Die Beantwortung der Frage, ob die Entscheidung der Behörde über einen verspätet eingelegten Widerspruch den Verwaltungsrechtsweg eröffnet, richtete sich nach Ansicht des Senates nach den verfahrensrechtlichen Grundsätzen des Prozeßrechts und nicht nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts. Da sich die Verwaltung bei der Beantwortung der Frage, ob der Einspruch verspätet eingelegt wurde, irren könne, erfordere bereits Art. 19 Abs. 4 GG, daß hierüber eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden kann. Nach dem System unserer Rechtsordnung könne eine Behörde über die Fristversäumnis nicht letztverbindlich entscheiden. Die Frage, ob der Klageberechtigte sich bei einem verspätet eingelegten Widerspruch die Unanfechtbarkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes entgegenhalten lassen muß, gehöre nach alledem zur Sachprüfung. Über sie sei im Rahmen einer zulässigen Klage zu entscheiden. Zu der gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes soll die nach einem verspäteten Widerspruch eingelegte Klage nur dann nicht führen können, wenn die Behörde den Einspruch - vorbehaltlich der gerichtlichen Prüfung dieser Frage - mit Recht als verspätet zurückgewiesen hat. Unzulässig sei in diesem Fall aber nicht die Klage, sondern das auf die Aufhebung des Verwaltungsaktes oder auf den Verpflichtungsausspruch gerichtete Klagebegehren, und zwar nicht aus prozessualen, sondern aus materiellen Gründen: „Die Behörde handelt nicht rechtswidrig 66 , wenn sie in einem solchen Fall den Einspruch unter Hinweis auf die eingetretenen Rechtsfolgen als verspätet zurückweist. Wurde der Einspruch zu Unrecht zurückgewiesen, so führt die Klage auch zu einem Sachurteil." Eine andere Beurteilung erfordert nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nur der Fall, daß ein begünstigender Verwaltungsakt von einem Dritten nach Ablauf der Widerspruchsfrist angegriffen wird. Der Grundsatz, daß die Widerspruchsbehörde durch den Fristablauf an einer sachlichen Entscheidung nicht gehindert sei, gelte allein für diejenigen Verwaltungsverfahren, an denen nur ein Bürger als Widerspruchsführer und die Verwaltung beteiligt ist. Nur in diesen Fällen diene die Fristbestimmung vornehmlich dem Schutz der Behörde selbst. Dagegen werde ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung mit Fristablauf bestandskräftig. Der begünstigte Dritte erwerbe dadurch eine geschützte Rechtsposition, in die die Verwaltung nur eingreifen könne, wenn sie sich dazu auf eine Ermächtigungsgrundlage stützen könne. Eine solche Ermächtigungsgrundlage enthielten aber weder die §§ 68 ff. VwGO noch die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechtes, da sie insoweit die Zuläs65 Vgl. Siegmund-Schultze, DVB1. 1964, 91ff.; Bettermann, JZ 1965, 265ff.; Hofmann, VerwA. Bd. 58 (1967), 144. 66 Wohl im materiellen Sinne.

III. Die Bedeutung der Widerspruchsfrist

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sigkeit des Widerspruches voraussetzten. Auch wenn die Widerspruchsbehörde in diesem Fall entscheide, komme dieser Entscheidung keine heilende Wirkung für die nachfolgende verwaltungsgerichtliche Klage zu. 6 7 2. Abweichende Auffassungen in der Literatur

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist in der Literatur überwiegend auf Kritik gestoßen. Angezweifelt wird zum Teil die methodologische Herleitung als auch das vertretene Ergebnis. Allerdings besteht auch in der Literatur keine einheitliche Auffassung über die Bedeutung der in § 70 Abs. 1 VwGO normierten Widerspruchsfrist. Hofmann 68 stimmt dem Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis insoweit zu, als er die Widerspruchsfrist ebenfalls nicht als prozessuale Präklusionsfrist verstanden wissen will 6 9 , bemängelt aber die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichtes mit Art. 19 Abs. 4 GG. Zu Recht weist er darauf hin, daß die Unzulässigkeit einer Klage infolge des Fristablaufes nicht bedeuten würde, daß die Verwaltung über diese Frage letztverbindlich entscheiden könnte. Auch wenn man die Widerspruchsfrist als prozessuale Präklusionsfrist begreift, ist für die Beurteilung der Fristversäumung nicht die Entscheidung der Widerspruchsbehörde, sondern die des Verwaltungsgerichtes maßgebend.70 Nach Hofmann ist für die Auslegung des § 70 Abs. 1 VwGO entscheidend, daß es sich bei dem Widerspruchsverfahren um ein Verwaltungsverfahren handelt: „Ist das Widerspruchsverfahren ein reines Verwaltungsverfahren, dann ist auch die Fristbestimmung eine solche des Verwaltungsverfahrensrechtes." Die durch § 70 Abs. 1 VwGO befristete Handlung sei keine Prozeßhandlung, da Adressat der Regelung die Verwaltung und nicht das Gericht sei. Die Versäumung einer nichtprozessualen Handlungsfrist könne aber keine prozessualen Wirkungen haben. 71 Bedeutung habe die Fristbestimmung aber für den in § 73 VwGO normierten Devolutiveffekt. Es widerspreche der Logik, wenn man der Beschwerdeinstanz über den gesetzlichen Rahmen ihrer Kontrollpflicht hinaus Entscheidungsbefugnisse zugesteht. Daher könne nur dem fristgerechten Widerspruch voller Devolutiveffekt zukommen. Die Fristbestimmung sei damit eine solche 67 BVerwG, D Ö V 1982, 940 = N V w Z 1983, 285 = NJW 1983,1626; BVerwG, D Ö V 1969, 142ff.; vgl. auch BVerwG, NJW 1988, 839 = DVB1. 1987, 1276ff. 68 VerwA. Bd. 58 (1967), 63ff., 135ff. 69 Hofmann, S. 152. 70 Hofmann, S. 154; vgl. auch M/E VerwA Bd. 56 (1965), 278ff. (290). 71 Hofmann, S. 152; insoweit stimmt Hofmann also mit dem Bundesverwaltungsgericht überein.

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

des Verwaltungsverfahrensrechts. Daher beeinflusse sie nicht das materielle Recht im engeren Sinne, gestalte somit auch nicht den aus der Verletzung von Rechten resultierenden materiellen Aufhebungsanspruch und lasse auch die Klagebefugnis unberührt. 72 Die Widerspruchsfrist sei eine materielle Präklusionsfrist nur im weiteren Sinne. Mit ihrem ungenutzten Ablauf werde der Verwaltungsakt verwaltungsverfahrensrechtlich unanfechtbar. Der von dem Verwaltungsakt Betroffene verliere seinen Anspruch auf die sachliche Nachprüfung und die Widerspruchsbehörde ihre damit korrespondierende Befugnis als Widerspruchsbehörde durch Widerspruchsbescheid über die Sache zu entscheiden. Die Einhaltung der Widerspruchsfrist könne daher allenfalls Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Sachprüfung, nicht aber eine Frage der Zulässigkeit sein, und das auch nur, wenn der über die Widerspruchsfrist befindende Widerspruchsbescheid als solcher Gegenstand des Verwaltungsstreitverfahrens ist. 73 Eine ganz andere Auffassung über die Bedeutung der Widerspruchsfrist vertritt v. Mutius. 7 4 Der Umstand, daß es sich bei dem Widerspruchsverfahren um ein Verwaltungsverfahren handelt, habe entgegen Hofmann nicht notwendig zur Folge, daß die Regelung in § 70 Abs. 1 VwGO nicht neben einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Bedeutung zugleich die Funktion einer Prozeßvoraussetzung haben könne. 75 Es sei dem Gesetzgeber, wie auch die Regelung in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO zeige, unbenommen, die Einhaltung einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung zugleich zur Voraussetzung verwaltungsgerichtlicher Klagen zu machen. Es sei zwar denkbar, daß die VwGO sich darauf beschränkt, von dem potentiellen Kläger Verhaltensweisen zu verlangen, die die Zulässigkeit der Klage in keiner Weise berührt. Es müsse aber berücksichtigt werden, daß der Gesetzgeber offenbar großen Wert darauf gelegt habe, daß eine sachliche Überprüfung des beanstandeten Verwaltungsaktes vor Klageerhebung erfolgt und daß diese Kontrolle die Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage nur erfülle, wenn sie von dem Kläger selbst veranlaßt worden sei. Diese Veranlassung aber bestehe, wie der Sinnzusammenhang der §§68 Abs. 1 S. 1 bis 70 Abs. 1 VwGO ergebe, nicht nur in der Erhebung des Widerspruchs schlechthin, sondern in der wirksamen Einlegung des Widerspruchs, die nur bei der Beachtung der Form- und Fristerfordernisse nach § 70 Abs. 1 VwGO vorliege. Es sei daher im Rahmen der systematischen Überlegungen sinnvoll, entweder im Wege der Projektion der in § 70 Abs. 1 VwGO getroffenen Regelungen auf die in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO normierte Prozeßvoraussetzung, oder aber mittels der Berücksichtigung der prozessualen Bedeutung des § 68 72 73 74 75

Hofmann, Hofmann, v. Mutius, v. Mutius,

S. 159. S. 169. Diss., S. 57ff. Diss., S. 57.

III. Die Bedeutung der Widerspruchsfrist

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VwGO bei der Auslegung des § 70 Abs. 1 VwGO von dem potentiellen Kläger die Einlegung eines form- und fristgerechten Widerspruchs zu fordern, sofern er auch zu einer gerichtlichen Sachprüfung gelangen will. 7 6 Hinzu komme, daß die Fristen in den §§ 68ff. VwGO einheitlich der Rechtssicherheit dienten. Nach Ablauf der Monatsfrist des § 74 VwGO müsse mit einer Klage grundsätzlich nicht mehr gerechnet werden. Das gleiche sei aber auch für die Widerspruchsfrist anzunehmen, da § 70 Abs. 1 VwGO einerseits die selben Fälle wie § 74 VwGO regele und andererseits zum Ausdruck bringe, daß die Verwaltung bei einem ungenutzten Ablauf der Widerspruchsfrist eine Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle nicht mehr vornehmen muß. 77 Die Fristbestimmung des § 70 Abs. 1 VwGO wirke sich auch auf die den Verwaltungsbehörden in den §§72 und 73 VwGO eingeräumte Befugnis aus, über den Widerspruch zu entscheiden. Auch aus diesem Grund könne sich mit Ablauf der Widerspruchsfrist jedermann auf die Rechtsbeständigkeit der hoheitlichen Entscheidung einrichten. Der Gedanke der beschränkten Gesetzgebungskompetenz wird auch von anderen Autoren als der entscheidende Gesichtspunkt für die Funktionsbestimmung der Widersprufhsfrist herangezogen. Nach Menger und Erichsen 78 konnte der Bundesgesetzgeber das Widerspruchsverfahren nur insoweit in der Verwaltungsgerichtsordnung regeln, als er es zu einem Bestandteil des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens machte. Dies sei nur möglich gewesen, indem dieser Ausschnitt des Verwaltungsverfahrens zur Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage bestimmt wurde. Aus dieser Erkenntis ergebe sich zwingend, daß jedenfalls im Verfahren nach den §§ 68ff. VwGO auch die Rechtzeitigkeit der Einlegung des Widerspruchs Sachurteilsvoraussetzung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sei. 79 Dagegen sollen die §§ 68 ff. VwGO nach Menger und Erichsen 80 keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Entscheidungsbefugnisse der Verwaltung im Widerspruchsverfahren haben. Wenn es auch für die Zulässigkeit der Klage keine Rolle spiele, ob die Verwaltung einen verspäteten Widerspruch sachlich bescheide, die Widerspruchsbehörde insoweit also auch nicht über die Widerspruchsfrist disponieren könne, so bedeute das nicht, daß der Widerspruchsbehörde eine sachliche Entscheidung über den verfristeten Widerspruch nicht erlaubt sei. Es dürfe nämlich nicht übersehen werden, „daß die Regelung des Verwaltungsverfah76

v. Mutius, Diss. S. 81. v. Mutius, S. 82; vgl. auch Bettermann, JZ 1965, 265ff. 78 M/E, VerwA Bd. 56 (1965), 287 (290); Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit S. 153ff.; kritisch zu dieser Argumentation v. Mutius, Diss. S. 173, im Ergebnis aber zustimmend, S. 199. 79 M/E, a.a.O. S. 290; Erichsen, S. 155; vgl. auch Wallerath, D Ö V 1970, 653 (655). 80 M/E, S. 293; zurückhaltend Erichsen, S. 153. 77

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

rens - und in diesem Bereich würden wir die Frage ansiedeln - nicht der Regelung des Bundes unterliegt und das deshalb die bundesgesetzlich im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgte und nur so zulässige Regelung (in § 70 VwGO, Anm. d. Verf. ) keine Bedeutung für das Verwaltungsverfahren hat." 8 1 Ebenfalls von dem prozeßrechtlichen Ausgangspunkt gelangt jedoch Trzaskalik zu einem vollkommen entgegengesetzten Ergebnis. 82 Den Lösungsversuchen der Rechtsprechung und der Literatur wirft Trzaskalik vor, daß sie nicht in ausreichendem Maße zwischen dem Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozeßrecht unterscheiden. Die Verwaltung habe als Adressat von Prozeßrechtsnormen - und nur zum Erlaß solcher Bestimmungen berechtige Art. 74 Nr. 1 G G 8 3 - andere Rechte und Pflichten, als bei der Gestaltung von öffentlichrechtlichen Lebensverhältnissen. 84 Die Fristbestimmung berühre nicht die Befugnis der Verwaltung, auch über einen verspätet eingelegte Widerspruch noch sachlich zu entscheiden. Als prozessuale Vorschrift bezwecke sie allein, daß die Verwaltung innerhalb einer bestimmten Frist erfährt, ob sie mit einer Klage gegen ihre Entscheidung rechnen muß. Sie ziele dagegen weder auf den Schutz der Rechtsprechungsorgane ab, noch bestehe sie im Interesse möglicher Drittbetroffener. Trzaskalik vergleicht die Bedeutung der Fristbestihimung mit dem zivilprozessualen Institut der Einrede. Da die Widerspruchsfrist lediglich der beschleunigten Information der Verwaltung diene, könne diese als Begünstigte auf die Einhaltung der Frist verzichten. Für die Zulässigkeit einer Klage habe die Regelung in § 70 Abs. 1 VwGO damit nur dann eine Bedeutung, wenn sich die Verwaltung im Prozeß auf die Fristversäumnis berufe. 85 Durch eine sachliche Entscheidung im Widerspruchsverfahren verliere die Verwaltung allerdings die Möglichkeit, die Fristversäumnis im Prozeß geltend zu machen. 86 Eine ebenfalls stark vertretene Auffassung in der Literatur wählt für die Beantwortung der vorliegenden Frage einen verwaltungsverfahrensrechtlichen Ansatzpunkt. So geht Weides davon aus, daß es sich bei der Frage nach der Zulässigkeit einer Klage nach einem verspätet eingelegten, aber von der Verwaltung sachlich beschiedenen Widerspruch um ein verwaltungsverfahrensrechtliches

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M/E, S. 293f.; im Ergebnis auch Erichsen, S. 153. Trzaskalik, Das Widerspruchsverfahren im Lichte der allgemeinen Prozeßrechtslehre, Diss. 1970. 83 Trzaskalik, Diss. S. 45; Renck, JuS 1980, 28ff. 84 Trzaskalik, Diss. S. 61; ders. JZ 1983, 418f. 85 Im Ergebnis also wie BVerwG 1965, 89 (90); vgl. auch R/Ö § 70 Rdn. 8ff. 86 Trzaskalik, Diss. S. 65. 82

III. Die Bedeutung der Widerspruchsfrist

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Zuständigkeitsproblem handelt. Habe die Abhilfebehörde bei Fristversäumung dem Widerspruch nicht abgeholfen 87 und komme für die Widerspruchsbehörde eine Wiedereinsetzung nach § 70 Abs. 2 VwGO nicht in Betracht, so könne die Widerspruchsbehörde den mit Ablauf der Widerspruchsfrist verschlossenen Rechtsweg nur dann durch eine sachliche Entscheidung wieder eröffnen, wenn sie sich hierbei im Rahmen ihrer verwaltungsverfahrensrechtlichen Befugnisse auf eine Zuständigkeit zum Wiederaufgreifen des Verfahrens stützen könne. 88 Da es sich bei der materiellen Entscheidung über einen verfristeten Widerspruch sachlich um ein Wiederaufgreifen des mit Fristablauf abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens handele, beurteile sich die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nach dem jeweils anwendbaren Verwaltungsverfahrensrecht mit seinen Bestimmungen über die instanzielle Zuständigkeit. Der problematische Fall, daß die Widerspruchsbehörde nicht mit der Ausgangsbehörde identisch ist, ist danach folgendermaßen zu lösen: Die nächsthöhere Behörde muß sich auf eine spezielle Zuständigkeitsvorschrift stützen können, wenn sie die erstinstanzliche Zuständigkeit zum Wiederaufgreifen des Verfahrens an sich ziehen will. Ein derartiger Selbsteintritt in die Zuständigkeit der nachgeordneten Behörde ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Rechts der Verwaltungsorganisation nur bei Gefahr in Verzug oder aufgrund besonderer gesetzlicher Ermächtigung zulässig.89 Die Widerspruchsbehörde kann danach durch eine sachliche Entscheidung über den Widerspruch den mit Ablauf der Widerspruchsfrist verschlossenen Rechtsweg nur dann wieder eröffnen, wenn sie zu einer solchen Sachentscheidung nach Verwaltungsverfahrensrecht ermächtigt ist. Hat der Widerspruchsführer die Frist des § 70 Abs. 1 VwGO versäumt, dann soll sich weder aus der Verwaltungsgerichtsordnung, noch aus den §§ 48ff. VwVfG 9 0 eine Ermächtigung für die nach § 73 VwGO zur Entscheidung berufene Aufsichtsbehörde ergeben. 91 3. Kompetenzrechtliche Betrachtungsweise

Die Darstellung der verschiedenen Auffassungen über die Bedeutung der Widerspruchsfrist macht deutlich, daß bei der Funktionsbestimmung der Widerspruchsfrist zwischen einer möglichen prozessualen und einer materiellen Betrachtungsweise unterschieden werden muß.

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Wozu sie als Ausgangsbehörde u. U. verpflichtet ist, vgl. Weides S. 221. Weides, S. 284. 89 Weides, S. 285; im Ergebnis auch P/R § 33 Rdn. 8; Kopp, DVB1. 1983, 392 (396); vgl. auch v. Mutius, Diss. S. 199; Hofmann Festschrift für Chr. Fr. Menger, 605 (613f.). 90 Die an die sachliche Zuständigkeit der Ausgangsbehörde anknüpfen. 91 Vgl. auch Judick, N V w Z 1984, 356 (357f.). 88

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

a) Die prozessuale Funktion des § 70 Abs. 1 VwGO Ausgehend von der Funktion des Widerspruchsverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zunächst zu prüfen, ob nicht nur die Einlegung des Widerspruchs, sondern auch die Beachtung der Widerspruchsfrist die Zulässigkeit der nachfolgenden Klage bedingt. Diese Frage müßte bereits verneint werden, wenn aus der Tatsache, daß es sich bei dem Widerspruchsverfahren um ein Verwaltungsverfahren handelt und die Widerspruchsfrist durch die Einlegung des Widerspruchs bei einer Verwaltungsbehörde gewahrt werden muß, geschlossen werden könnte, daß auch die Fristbestimmung in § 70 VwGO eine solche des Verwaltungsverfahrensrechtes, nicht aber des Verwaltungsprozeßrechtes ist. 92 Die Beantwortung der Frage, ob die nach Ablauf der Widerspruchsfrist gleichwohl erhobene Klage zulässig ist, richtet sich nämlich, wie das Bundesverwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, denknotwendig nach den verfahrensrechtlichen Grundsätzen des Prozeßrechtes und nicht nach den Regelungen des Verwaltungsverfahrens. Wäre der Ausgangspunkt Hofmanns zutreffend, dann müßte der Fristbestimmung in § 70 VwGO als Regelung des Verwaltungsverfahrens jede unmittelbare Auswirkung auf die Zulässigkeit einer Klage abgesprochen werden. Der Ablauf der Widerspruchsfrist könnte von den Gerichten dann allenfalls bei der Sachprüfung im Rahmen der Begründetheit zu berücksichtigen sein. 93 Unterstellt man die Richtigkeit dieser Deduktion, so stellt sich jedoch die Frage, wieso die Einlegung eines Widerspruchs überhaupt Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Klage sein kann. Hofmann selbst sieht mit der ganz herrschenden Auffassung 94 jedenfalls den erfolglos eingelegten Widerspruch als Sachurteilsvoraussetzung an. 95 Kann aber der Gesetzgeber von der Einlegung des Widerspruchs die Zulässigkeit einer gerichtlichen Sachentscheidung abhängig machen, obwohl durch den Widerspruch ein Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt wird und der Widerspruch bei einer Verwaltungsbehörde einzulegen ist, dann ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum er in diese Regelung nicht auch die Einhaltung der Widerspruchsfrist einbeziehen können soll. Dem Gesetzgeber steht es frei, eine Handlung des Klägers, die dieser nicht gegenüber dem Gericht, sondern gegenüber einer Verwaltungsbehörde vornehmen muß, zumindest auch zur Sachurteilsvoraus92

So Hofmann, VerwA Bd. 58 (1967), 63ff., 135 ff; vgl. oben 2. So BVerwG, DVB1. 1965, 89ff. mit zustimmender Anm. von Siegmund-Schultze, S. 91 f.; BVerwGE 28, 305 (308); DVB1. 1972, 423ff.; O V G Münster, O V G E 28, 63 (64f.); im Ergebnis auch R/Ö § 68 Rdn. 5f., § 70 Rdn. 8. 94 s. ο. I 2. 95 Festschrift für Chr. Fr. Menger, 605 (611). 93

III. Die Bedeutung der Widerspruchsfrist

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setzung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen. 96 Allein aus dem Umstand, daß es sich bei dem Widerspruchsverfahren um ein Verwaltungsverfahren handelt und der Widerspruch innerhalb einer bestimmten Frist bei einer Verwaltungsbehörde eingelegt werden soll, läßt sich daher nicht der Schluß ziehen, daß die Wahrung der Frist ausschließlich eine verwaltungsverfahrensrechtliche Bedeutung haben kann. Berücksichtigt man die beschränkte Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren, dann ist möglicherweise denjenigen Autoren zuzustimmen, die die einzige Bedeutung der Widerspruchsfrist in ihrer Funktion als Prozeßvoraussetzung sehen. Dies wäre der Fall, wenn sich aus der Kompetenzsituation der zwingende Schluß ergäbe, daß der Bundesgesetzgeber die Widerspruchsfrist ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Zulässigkeitsvoraussetzung des gerichtlichen Verfahrens normieren konnte. 97 Es ist das Verdienst Trzaskalik's, aufgezeigt zu haben, daß diese Folgerung nicht zutreffend ist. 98 Die Grenze zwischen der beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren und der Vollkompetenz für das Verwaltungsverfahren, welche regelmäßig bei den Ländern liegt, besteht nicht darin, daß der Bund nach Art. 74 Nr. 1 GG auf die Normierung von Sachurteilsvoraussetzungen für das gerichtliche Verfahren beschränkt ist und alle übrigen Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren der Regelungsbefugnis des für das Verwaltungsverfahren zuständigen Gesetzgebers unterliegen. Wenn auch die §§ 68ff. VwGO als prozessuale Bestimmungen die Verwaltungsbehörden nicht zu einem bestimmten Verhalten materiell verpflichten können, so kann der Bundesgesetzgeber diesen Behörden auf Grundlage seiner Regelungskompetenz für das gerichtliche Verfahren (vor-) prozessuale Obliegenheiten auferlegen, deren Beachtung oder Nichtbeachtung zwar keine Auswirkungen auf das Verwaltungsrechtsverhältnis, wohl aber für den Fall eines nachfolgenden Prozesses auf das Prozeßrechtsverhältnis haben kann. Betrachtet man die §§ 68ff. VwGO nicht als Regelungen des Verwaltungsverfahrens, sondern als Anordnungen prozessualer Obliegenheiten, so kann der Fristbestimmung in § 70 Abs. 1 VwGO auch ohne die Qualifizierung als Zulässigkeitsvoraussetzung eine prozessuale Bedeutung insoweit zukommen, als nur der fristgerecht eingelegte Widerspruch die in den §§ 68ff. VwGO normierten prozessualen Obliegenheiten für die Verwaltung auslöst. Im Ergebnis geht die ganz überwiegende Meinung davon aus, daß die Verpflichtung der Verwaltung aus § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO, die angefochtene Entscheidung noch einmal auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit zu überprüfen, 96 Zutreffend, v. Mutius, Diss. S. 82; M/E VerwA Bd. 56 (1965), 291. M/E VerwA Bd. 56 (1965), 287ff.; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit S. 154; Wallerath, D Ö V 1970, 653 (654); vgl. auch v. Mutius, Diss. S. 199. 98 Trzaskalik, Diss. S. 42ff. 97

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

nur besteht, wenn der Widerspruch form- und fristgerecht eingelegt worden ist." Da sich aus der beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren zwingend allenfalls ableiten läßt, daß die Fristbestimmung in § 70 VwGO eine prozessuale Funktion haben muß, nicht aber, daß diese gerade in der Normierung einer Sachurteilsvoraussetzung bestehen muß, kann sie allein nicht als das ausschlaggebende Argument für die Qualifizierung der Widerspruchsfrist als prozessuale Präklusionsfrist herangezogen werden. Entscheidend ist damit, ob sich neben der verfassungsrechtlichen Argumentation aus dem Zweck des Widerspruchsverfahrens und der Systematik der §§ 68ff. VwGO noch andere Hinweise darauf gewinnen lassen, daß der Wahrung der Widerspruchsfrist neben ihrer Bedeutung als Voraussetzung prozessualer Verpflichtungen der Verwaltung auch die Funktion einer qualifizierten Prozeßvoraussetzung zukommt. Hierfür spricht zunächst die Systematik der §§ 68ff. VwGO. Der Gesetzgeber hat in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO die Einlegung des Widerspruchs zur Voraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bestimmt. Bezieht man in diese Anordnung die Regelung des § 70 Abs. 1 VwGO mit ein, so ergibt sich, daß nach § 69 VwGO das Widerspruchsverfahren durch den Widerspruch des klagewilligen Bürgers eingeleitet werden muß und zwar gemäß § 70 Abs. 1 VwGO innerhalb einer bestimmtem Frist, will sich der Betroffene die Möglichkeit erhalten, die von ihm für unrichtig erachtete Entscheidung gerichtlich anzufechten. 100 Zu dem selben Ergebnis gelangt man bei einem Vergleich der in § 70 Abs. 1 VwGO getroffenen Regelung mit § 74 VwGO. Für die Vorschrift des § 74 VwGO ist unbestritten, daß sie eine prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage enthält. 101 Gegenüber dem Prädikat muß in § 74 VwGO bedeutet die indikative Verwendung des Verbes sein: „ist" keine wesentliche Abschwächung. Auffallend und vom Gesetzgeber beabsichtigt 102 ist, daß die Fristbestimmungen in § 70 Abs. 1 und § 74 VwGO den gleichen Zeitraum umfassen. Gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO gilt die Klagefrist von einem Monat auch dann, wenn ein Widerspruchsverfahren vor Klageerhebung nicht erforderlich ist. Die Frist beginnt in diesen Fällen wie die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 99 P/R § 33 Rdn. 1; Kopp, VwGO, § 69 Rdn. 3, 5ff.; v. Mutius, Diss. S. 44 und S. 190 jew. m.w.N. îoo Projektionstheorie, vgl. dazu v. Mutius, Diss. S. 77 Fußn. 15; kritisch, Hof mann, VerwA Bd. 58 (1967), 65f. 101 Vgl. nur Kopp, VwGO § 74 Rdn. 3; E/F § 74 VwGO Rdn. 2; R/Ö § 74 VwGO Rdn. 5; Ule, VerwaltungsprozeßR § 37 I. 102 Ygi d j e Stellungnahmen in der 47. Sitzung des BT-Rechtsausschusses, stenograph. Protokolle S. 6.

III. Die Bedeutung der Widerspruchsfrist

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1 VwGO mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den Betroffenen zu laufen. Der Betroffene soll sich damit in jedem Fall innerhalb einer Monatsfrist darüber klar werden, ob er den Verwaltungsakt oder dessen Ablehnung mit einer Klage angreifen will oder nicht. Es ist kein sachlicher Grund für die Annahme ersichtlich, daß der Gesetzgeber mit der Einführung des Widerspruchsverfahrens diese Überlegungsfrist verlängern wollte. Die Fristbestimmung des § 70 Abs. 1 VwGO dient der Beschleunigung und damit, wie auch die übrigen Bestimmungen in den §§ 68ff. VwGO, der Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Verzögerung, die ein erfolglos durchgeführtes Widerspruchsverfahren für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes mit sich bringen kann 1 0 3 , muß nach Möglichkeit begrenzt werden. Dieser Notwendigkeit widerspricht aber die Annahme, daß die Klagemöglichkeit des Widerspruchsführers in den Fällen, in denen ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt wird, gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO auf einen Monat beschränkt wird, während in den Fällen, in denen sich die Befassung der Gerichte durch die erfolglose Widerspruchseinlegung ohnehin bereits verzögert hat, die Klage nicht durch den Ablauf der Widerspruchsfrist vor Widerspruchserhebung präkludiert wird. Für die Qualifizierung der Widerspruchsfrist als Zulässigkeitsvoraussetzung spricht schließlich auch die Regelung in § 70 Abs. 2 VwGO, die für die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist auf § 60 VwGO verweist. Als prozessuale Vorschrift kann diese Bestimmung nur dann einen Sinn haben, wenn sie die Zulässigkeit der Klage betrifft, da für die Wiedereinsetzung in das Verwaltungsverfahren die verwaltungsverfahrensgesetzlichen Bestimmungen maßgebend sind. 104 Es ist daher mit der herrschenden Auffassung in der Literatur davon auszugehen, daß die Einhaltung der Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 VwGO die Zulässigkeit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bedingt. b) Verwaltungsverfahrensrechtliche

Bedeutung

Mit der Qualifizierung der Widerspruchsfrist als prozessuale Präklusionsfrist ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, ob der Fristbestimmung des § 70 Abs. 1 VwGO nicht zugleich die Funktion einer materiellrechtlichen Ausschlußfrist in dem Sinne zukommt, daß die Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren zu einer sachlichen Entscheidung über den Widerspruch nur dann berechtigt sind, wenn der Widerspruch innerhalb eines Monates nach Zugang der angefochtenen Entscheidung ordnungsgemäß eingelegt worden ist. 1 0 5 Der Widerspruchsfrist könnte neben ihrer prozessualen 103

Vgl. die amtl. Begr. BT-Drs. III/55, S. 38. Vgl. § 32 VwVfG. 105 So die h. L., Hofmann, Festschrift für Chr. Fr. Menger, 605 (617); Judick, N V w Z 1984, 356 (358); Schütz, NJW 1981, 2785 (2787); v. Mutius, Diss. S. 196ff.; P/R § 33 104

6 Oerder

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2. Teil: C. Verknüpfung von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren

Funktion zugleich die Bedeutung einer Sachentscheidungsvoraussetzung für die verwaltungsbehördlichen Entscheidungen der im Widerspruchsverfahren tätigen Verwaltungsinstanzen zukommen. Aus dem Umstand, daß die Verwaltungsbehörde nicht dazu verpflichtet ist, einen verfristeten Widerspruch sachlich zu bescheiden, könnte der Schluß gezogen werden, daß sie zu einer solchen Entscheidung auch nicht berechtigt ist. 1 0 6 Gegen diese Annahme läßt sich jedoch einwenden, daß die Verwaltungsbehörden auch im Widerspruchsverfahren nicht als unabhängige Rechtsprechungsorgane, sondern als Partei des Verwaltungsrechtsverhältnisses tätig werden. Für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde im Verwaltungsverfahren bestehen grundsätzlich keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Ausweislich der §§ 48 ff. VwVfG können die verwaltungsverfahrensrechtlich zuständigen Behörden auch über einen prozessual unanfechtbaren Verwaltungsakt erneut entscheiden. Der Ablauf der Widerspruchsfrist berührt damit nicht die Befugnis der verwaltungsverfahrensrechtlich instanziell zuständigen Behörde zur Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens. Eine andere Frage ist allerdings, ob der verfristete Widerspruch den von der herrschenden Auffassung aus § 73 Abs. 1 VwGO abgeleiteten Devolutiveffekt entfaltet. Dies ist jedoch keine Frage der materiellen Präklusion, sondern ein Zuständigkeitsproblem, das erst gelöst werden kann, wenn festgestellt ist, aufgrund welcher Rechtsgrundlagen und Zuständigkeitsbestimmungen die Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren entscheiden. Die in der Rechtsprechung und von Trzaskalik vertretene These, im Widerspruchsverfahren als einem Verwaltungsverfahren bleibe die Behörde auch nach Ablauf der Widerspruchsfrist Herrin des Verfahrens, ist angesichts der Regelungen in den §§ 48ff. VwVfG sicherlich nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Ob sie allerdings auch dann Geltung beanspruchen kann, wenn man mit der herrschenden Auffassung unter Einschluß der höchstrichterlichen Rechtsprechung für das Widerspruchsverfahren die §§ 72, 73 VwGO als materielle Ermächtigungsgrundlagen ansieht, ist zumindest zweifelhaft. 107 c) Rechtslage bei der Entscheidung der Verwaltungsbehörde trotz Ablauf der Widerspruchsfrist Die Feststellung, daß der ungenutzte Ablauf der Widerspruchsfrist einerseits die Unzulässigkeit einer nachfolgenden gerichtlichen Entscheidung zur Folge hat, andererseits aber die Verwaltungsbehörde im Rahmen ihrer verwaltungsverfahrensrechtlichen Zuständigkeiten nicht an einer sachlichen EntRdn. 8; vgl. auch Weides, S. 284; a. A . Trzaskalik, JZ S. 418f. und die ständige Rechtsprechung s. o. Fußn. 62. 106 So z. b. Hofmann, S. 605ff. 107 Vgl. Judick, N V w Z 1984, 356 (358); unten 3. Teil Β I I 3.

III. Die Bedeutung der Widerspruchsfrist

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Scheidung hindert, bedeutet nicht, daß die trotz Ablaufs der Widerspruchsfrist ergehenden sachlichen Bescheide der Widerspruchsbehörde einer gerichtlichen Kontrolle entzogen wären. Wie in den Fällen des § 74 VwGO muß auch im Anwendungsbereich des § 70 Abs. 1 VwGO die Möglichkeit bestehen, daß die Verwaltung im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für das Wiederaufgreifen des Verfahrens den mit dem Eintritt der formellen Bestandskraft verschlossenen Rechtsweg wieder eröffnet. 108 Ob sie das tut, richtet sich nach den anerkannten Instituten der wiederholenden Verfügung bzw. des Zweitbescheides. 109 Danach ergibt sich für die Zulässigkeit einer Klage nach einem verfristeten Widerspruch folgendes: Beruft sich die Verwaltung im Widerspruchsbescheid auf den Fristablauf, so liegt darin keine erneute sachliche Entscheidung über den mit Ablauf der Frist unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt. Die gleichwohl erhobene Klage führt daher nicht zu einem Sachurteil, sondern zur Abweisung durch Prozeßurteil. Beruft sich die Verwaltung im Widerspruchsbescheid dagegen nicht ausdrücklich auf den Fristablauf, dann hängt die Zulässigkeit einer gerichtlichen Sachprüfung entsprechend den Grundsätzen über die wiederholende Verfügung bzw. den Zweitbescheid davon ab, ob die Verwaltung eine erneute Entscheidung in der Sache getroffen hat (Zweitbescheid) oder ob sie den Ausgangsverwaltungsakt lediglich wiederholt oder wiederholend auf ihn hingewiesen hat (wiederholende Verfügung). Nur durch einen Zweitbescheid wird der Rechtsweg zu den Gerichten wieder eröffnet. Erläßt die Widerspruchsbehörde, anstatt sich auf den Fristablauf zu berufen, einen Zweitbescheid, so liegt darin keine unzulässige Disposition einer Verwaltungsbehörde über die mit Fristablauf eingetretene formelle Bestandskraft. 1 1 0 Entscheidend für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Zweitbescheides ist allein, wie der zuständige Gesetzgeber das Verhältnis zwischen den Prinzipien der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit festgelegt hat. In der Verwaltungsgerichtsordnung hat sich der Bundesgesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit für die verwaltungsgerichtliche Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes nach Ablauf der Monatsfrist entschieden. Die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder tragen hingegen dem ebenfalls verfassungsrechtlichen und gegenüber dem Prinzip der Rechtssicherheit grundsätzlich gleichrangigen 111 Prinzip der materiellen Gerechtig108 vgl. Weides. S. 284; Kopp, DVB1. 1983, 392 (396). Vgl. Badura, in Erichsen/Martens § 19 I I ; Mayer/ Kopp, § 11 I I I , 2e; Kopp, VwGO § 42 Anh. Rdn. 38; ders. DVB1. 1983, 396. 110 So aber P/R § 33 Rdn. 8f.; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit S. 154; vgl. auch Judick, N V w Z 1984, 356 Fußn. 15; wie hier ausdrücklich Kopp, DVB1. 1983, 396. m BVerfGE 60, 253 268). 109

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2. Teil: D. Teilergebnis

keit Rechnung, indem sie die Verwaltung ermächtigen, im Rahmen der §§ 48ff. VwVfG unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten auch über einen formell bestandskräftigen Verwaltungsakt zu entscheiden. In seiner bereits zitierten Entscheidung vom 20. 4. 1982 112 hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, daß dem Gesetzgeber bei der Abwägung zwischen den Prinzipien der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit eine weite Gestaltungsfreiheit zukommt. 1 1 3 Solange sich eine Verwaltungsbehörde bei ihrer Entscheidung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegt, disponiert sie nicht in unzulässiger Weise über die Bestandskraft, sondern konkretisiert sie gesetzlich vorgegebene Rechtslage. Bei der Anwendung der Grundsätze über die wiederholende Verfügung bzw. den Zweitbescheid auf die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren über einen formell bestandskräftigen Verwaltungsakt ist allerdings Vorsicht geboten. Ein die Fristversäumnis heilender Zweitbescheid setzt nämlich voraus, daß die entscheidende Behörde zu der Wiederaufnahme des mit dem Eintritt der Bestandskraft abgeschlossenen Verfahrens zuständig ist. Geht man mit der herrschenden Lehre davon aus, daß der verfristete Widerspruch keinen Devolutiveffekt entfaltet, dann ist die nicht mit der Ausgangsbehörde identische Widerspruchsbehörde nach Ablauf der Widerspruchsfrist nicht mehr in der Lage, den verschlossenen Rechtsweg durch eine Entscheidung in der Sache wieder zu eröffnen. 114

D . Zweites Teilergebnis Zu den Auswirkungen der prozessualen Betrachtungsweise auf die Gesamtanalyse des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens nach den §§ 68 ff. VwGO 1. Der Bundesgesetzgeber konnte mit den §§ 68ff. VwGO für das Widerspruchsverfahren ausschließlich prozessuale Bestimmungen erlassen. Er konnte daher den an diesem Verfahren Beteiligten keine verwaltungsverfahrensrechtlichen Befugnisse verleihen oder Pflichten auferlegen. 2. Für die Beurteilung der im Widerspruchsverfahren ergehenden sachlichen Bescheide ist daher nicht die Verwaltungsgerichtsordnung, sondern sind ausschließlich die Vorschriften des materiellen Rechts und die Bestimmungen über das Verwaltungsverfahren maßgebend. 3. Die §§ 68 ff. VwGO nehmen an dem kodifikatorischen Charakter der Verwaltungsgerichtsordnung teil. Ausgeschlossen sind bei Fehlen bundesge112

s. letzte Fußn. BVerfGE 60, 268. 114 P/R § 33 Rdn. 11; Judick, N V w Z 1984, 356 (358); Weides, S. 285; zu den Entscheidungsbefugnissen der Widerspruchsbehörde über einen „unzulässigen" Widerspruch 3. Teil Β I I 3. 113

2. Teil: D. Teilergebnis

setzlicher Ermächtigungsgrundlagen allerdings nur prozessuale landesgesetzliche Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren. Die Länder sind nicht berechtigt, den am Widerspruchsverfahren Beteiligten prozessuale Obliegenheiten aufzuerlegen oder neue Sachurteilsvoraussetzungen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu schaffen. Die originäre Zuständigkeit für die Regelung des im Widerspruchsverfahren anwendbaren Verwaltungsverfahrensrechtes liegt dagegen gemäß Art. 83ff. GG grundsätzlich bei den Ländern. 4. Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Klage ist aus der Sicht des Widerspruchsführers allein die erfolglose Einlegung des Widerspruches, der innerhalb einer angemessenen Frist entweder abschlägig oder überhaupt nicht beschieden worden ist. 5. Die Verwaltung kann auf das Widerspruchsverfahren nicht durch eine sachliche Einlassung in der Klageerwiderung verzichten. Klagt der Betroffene ohne vorher Widerspruch eingelegt zu haben, dann kann das Verwaltungsgericht das gerichtliche Verfahren aussetzen, wenn das Widerspruchsverfahren noch nachgeholt werden kann. 6. Die Widerspruchsfrist ist eine prozessuale Präklusionsfrist. Die nach einem verfristeten Widerspruch eingelegte Klage ist daher grundsätzlich durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen. Dagegen hindert der Ablauf der Widerspruchsfrist die Verwaltung nicht, im Rahmen ihrer Zuständigkeit erneut über den formell bestandskräftigen Verwaltungsakt zu entscheiden. Die Frage, ob auch der verfristete Widerspruch den Devolutiveffekt begründet, kann erst beantwortet werden, wenn zunächst die für die Entscheidung der Widerspruchsbehörde maßgebende Rechtsgrundlage festgestellt ist.

3. Teil

Die Rechte und Pflichten der im Widerspruchsverfahren tätigen Behörden Kann sich der Bundesgesetzgeber für die Regelung des Widerspruchsverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung ausschließlich auf den Kompetenztitel in Art. 74 Nr. 1 GG - „gerichtliches Verfahren" - stützen, dann scheiden diejenigen Regelungen aus seiner Zuständigkeit aus, die die Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses durch die Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren betreffen. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, daß sich weitergehende Regelungsbefugnisse des Bundes für das Widerspruchsverfahren aus Art. 74 Nr. 1 GG nicht ableiten lassen. Danach sollen allein die §§ 68 bis 70 Abs. 1 VwGO, mit denen die ordnungsgemäße Einlegung des Widerspruchs zur Sachurteilsvoraussetzung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemacht worden sei, von der Bundeskompetenz für die Regelung des gerichtlichen Verfahrens gedeckt sein.1 In dieser Annahme liegt jedoch eine ungerechtfertigte Einschränkung der Reichweite des zum Erlaß von Prozeßrechtsnormen berechtigenden Art. 74 Nr. 1 GG. 2 Die tatsächliche Reichweite der Regelungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Nr. 1 GG für das Widerspruchsverfahren läßt sich negativ und positiv bestimmen. Negativ scheidet alles dasjenige aus der Regelungszuständigkeit des Bundes für das Widerspruchsverfahren aus, was die Rechte und Pflichten der Verwaltung bei der Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses betrifft. Positiv ist der Bundesgesetzgeber zu allen Regelungen über das Widerspruchsverfahren berechtigt, die sich auf das Prozeßrechtsverhältnis beziehen. Bei der damit erforderlich werdenden Abgrenzung zwischen verwaltungsverfahrensbezogenen und prozeßbezogenen Bestimmungen kann nicht auf den Inhalt, sondern allein auf die Funktion dieser Vorschriften abgestellt werden. Entfaltet die Beachtung oder Nichtbeachtung einer Norm Rechtsfolgen nur im Falle eines nachfolgenden Prozesses auf die prozessuale Rechtsstellung der Beteiligten, so ist sie prozessualer Natur. Liegen die Rechtsfolgen einer Norm im Bereich des Verwaltungsrechtsverhältnisses, ist ihre Beachtung also Voraussetzung für die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit 1 v. Mutius, Diss. S. 174. 2 s.o. 1. Teil Β II.

3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung, so ist die Norm verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob ein Normbefehl bereits Inhalt einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelung geworden ist. Prozessuale und verwaltungsverfahrensrechtliche Gebote können inhaltlich durchaus gleichlautend sein. Ihr funktioneller Unterschied ergibt sich erst aus einer Betrachtung der in dem jeweiligen Normenkomplex enthaltenen Rechtsfolgenanordnung. In weiten Teilen der Literatur wird die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit einer rein prozessualen Auslegung der §§ 68ff. VwGO bestritten. 3 Nachdem jedoch bereits die Notwendigkeit dieser Auslegung wegen der auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens beschränkten Bundeskompetenz für das Widerspruchsverfahren dargelegt worden ist, soll nunmehr auch der Weg für die Möglichkeit dieser Auslegung aufgezeigt werden. A . Prozessuale und verwaltungsverfahrensrechtliche Obliegenheiten der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren Die Anforderungen, denen verwaltungsbehördliche Entscheidungen in einem Verwaltungsverfahren genügen müssen, sind für die Bundes- und die Landesverwaltung in den materiellen Fachgesetzen und den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder vorgeschrieben. Diese Bestimmungen enthalten auch die Rechtsfolgen der Beachtung oder Nichtbeachtung der in ihnen aufgestellten Normbefehle. 1 Soweit es um die verwaltungsverfahrensrechtliche Beurteilung der im Widerspruchsverfahren ergehenden sachlichen Bescheide geht, finden diese Vorschriften uneingeschränkte Anwendung. Für das Widerspruchsverfahren normieren die §§ 68 ff. VwGO eine Reihe von Verpflichtungen für die in diesem Verfahren zuständigen Behörden. Auf den Widerspruch des Betroffenen hin muß die Ausgangsbehörde und im Regelfall eine nicht mit dieser Behörde identische Verwaltungsinstanz die angefochtene Verwaltungsentscheidung noch einmal im Hinblick auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit untersuchen. 2 Gemäß § 72 VwGO hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch ab, wenn sie ihn für begründet hält. Anderenfalls muß sich nach § 73 Abs. 1 S 1 VwGO die nach Satz 2 zuständige Verwaltungsinstanz in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde mit dem Widerspruch befassen und als Ergebnis ihrer Prüfung einen Widerspruchsbescheid 3 1 2

Vgl. nur Hofmann, Festschrift für Chr.-Fr. Menger, 605 (609ff.) m. w.N. Vgl. insbes. §§ 43 bis 46 VwVfG. §§ 68 Abs. 1 S. 1, 72, 73 Abs. 1 VwGO.

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

erlassen. Kann dieser Widerspruchsbescheid einen Dritten erstmalig in seinen Rechten betreffen, so ist dieser vor Erlaß des Bescheides anzuhören. 3 Der Widerspruchsbescheid ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und den Beteiligten zuzustellen.4 Auf die Einhaltung dieser prozessualen Bestimmungen durch die Verwaltung hat der Widerspruchsführer so gut wie keinen unmittelbaren Einfluß. Da die Schaffung von Zulässigkeitsvoraussetzungen für die verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- und Verpflichtungsklage logischerweise nicht allein von dem Verhalten der beklagten Behörde abhängig gemacht werden kann, kann die Einhaltung der in den §§ 68 ff. VwGO der Verwaltung auferlegten Pflichten nicht Voraussetzung der Zulässigkeit der Klage sein.5 Umgekehrt kann die Beachtung dieser prozessualen Vorschriften keine Auswirkungen auf die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit der im Widerspruchsverfahren ergehenden sachlichen Bescheide haben. Für die Beurteilung eines prozeßordnungswidrigen Verhaltens der Verwaltungsbehörde im Widerspruchsverfahren können daher auch nicht die für die Beurteilung von verwaltungsverfahrensrechtlichen Mängeln einschlägigen Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze 6 maßgebend sein.

I. Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verwaltungshandelns nach den §§ 68ff. VwGO Die Einflußmöglichkeiten des Widerspruchsführers auf eine ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens beschränken sich im wesentlichen darauf, daß er den Widerspruch in der vorgeschriebenen Form fristgerecht bei einer für die Entgegennahme des Widerspruches zuständigen Behörde einlegt. Fraglich ist, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Verwaltung im Widerspruchsverfahren ihren Verpflichtungen aus den §§ 68 ff. VwGO nicht nachkommt. Über die Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verhaltens der Verwaltung enthalten die §§ 68 ff. VwGO mit § 75 und § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO zwei wesentliche Bestimmungen. 1. Untätigkeit der Verwaltung - § 75 VwGO

Entscheidet die Widerspruchsbehörde nicht binnen einer angemessenen Frist über den Widerspruch, so kann der Widerspruchsführer gemäß § 75 S. 1 VwGO ohne weiteres Abwarten sein Begehren mit der Klage in der Hauptsache verfolgen. Angriffsziel der abweichend von § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO zuläs3 § 71 VwGO. 4 § 73 Abs. 3 VwGO. 5 s.o. 2. Teil C I 2. 6 §§ 43ff. VwVfG.

I. Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verwaltungshandelns

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sigen Klage ist allerdings nicht die Untätigkeit der Widerspruchsbehörde, sondern allein der mit dem Anfechtungswiderspruch angefochtene Ausgangsverwaltungsakt bzw. beim Verpflichtungswiderspruch die Verweigerung des beantragten Verwaltungsaktes. Aus diesem Grund ist die verschiedentlich für die Klage nach § 75 VwGO verwendete Bezeichnung als Untätigkeitsklage 7 zumindest ungenau.8 Die Rechtsfolgen, die § 75 VwGO für den Fall einer sachlich nicht begründeten Untätigkeit bestimmt, sind prozessualer Natur. Die Verwaltung verliert die Möglichkeit, durch die Kontrolle und erforderlichenfalls durch eine Korrektur ihrer Entscheidung einen Prozeß zu vermeiden. Nach § 161 Abs. 3 VwGO muß sie außerdem die Kosten des gerichtlichen Verfahrens tragen, wenn der Widerspruchsführer mit einer Entscheidung der Widerspruchsbehörde innerhalb der Frist rechnen durfte und sich der Rechtsstreit aufgrund der nachträglichen Entscheidung der Widerspruchsbehörde im gerichtlichen Verfahren erledigt. 9 Diese prozessualen Folgen der Untätigkeit der Verwaltung im Widerspruchsverfahren sind unbestritten. 10 a) Anspruch des Widerspruchsführers auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides Umstritten ist dagegen die im Zusammenhang mit der Regelung in § 75 VwGO auftretende Frage, ob die §§ 68ff. VwGO dem Widerspruchsführer einen Anspruch gegen die Widerspruchsbehörde auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides einräumen, den er gegebenenfalls mit einer Klage auf Bescheidung seines Widerspruches gerichtlich durchsetzen kann. Aus der Regelung des § 75 S. 1 VwGO wird zum Teil geschlossen, daß dem Bürger ein solcher materieller Anspruch nicht zustehe. 11 § 75 VwGO bestimme als Rechtsfolge der Untätigkeit der Widerspruchsbehörde nur, daß der Widerspruchsführer nach Ablauf der Frist unmittelbar sein Begehren mit der Klage verfolgen könne. Weitere Folgen der Untätigkeit der Verwaltung sehe die Verwaltungsgerichtsordnung nicht vor. Nach Renck 12 , Trzaskalik 13 und einer Entscheidung des Bayerischen V G H spricht neben der Regelung des § 75 VwGO für diese Auffassung auch, daß 7

Koehler § 75/76 Anm. I.; Kopp, VwGO, § 75 Rdn. 1: Untätigkeitsklage i.w.S. » Vgl. P/R § 7 Rdn. 18; Trzaskalik, Diss. S. 69; R/Ö § 75 Rdn. 2. 9 Anderenfalls Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO; vgl. bereits Trzaskalik, Diss. S. 62. 10 Vgl. nur Kopp, VwGO, § 75 Rdn. Iff. und 19f. m.w.N. 11 BayVGH, BayVBl. 1976, 241; Renck, JuS 1980, 28 (30); Trzaskalik, Diss. S. 55; Bull, DVB1. 1970, 243 (244); E/F § 73 VwGO Rdn. 6; Meister, D Ö V 1985, 146 (147); zweifelnd R/Ö § 75 VwGO Rdn. 2. 12 JuS 1980, 28ff. ι 3 Diss., S. 55.

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

die §§ 68 ff. VwGO als prozessuale Bestimmungen die Verwaltung nicht zu einem bestimmten Verhalten materiell verpflichten können, dem Bürger daher auch kein subjektives Recht auf Erlaß eines Verwaltungsaktes gegen die Widerspruchsbehörde einräumen können. Nach anderer Ansicht soll dem Widerspruchsführer dagegen generell ein Anspruch gegen die Widerspruchsbehörde auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides zustehen.14 Die Richtigkeit dieser Annahme folge bereits aus dem Rechtsschutzzweck des Widerspruchsverfahrens. Außerdem ergebe sich aus dem Rechtsstaatsprinzip der Grundsatz, daß einer Verpflichtung der Verwaltung grundsätzlich ein subjektives und damit einklagbares Recht des Betroffenen gegenüberstehe. 15 Den abweichenden Auffassungen wird vorgeworfen, daß sie sich im Ergebnis nicht mit der Regelung des § 79 Abs. 2 S. 2. VwGO vereinbaren lassen. Wenn bereits einzelne Verfahrensfehler nach dieser Vorschrift zu einer Neubescheidung durch die Widerspruchsbehörde führen können, so müsse dies auch und erst recht im Falle eines ganz unterbliebenen Widerspruchsbescheides der Fall sein. 16 Eine vermittelnde Auffassung entnimmt den §§ 68 ff. VwGO ebenfalls einen Anspruch des Bürgers auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides. Dem Widerspruchsführer fehle aber das für die hierauf gerichtete Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, wenn er mit einer Klage in der Hauptsache sein Ziel ebensogut erreichen kann. Daher sei die Klage auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides mangels Rechtsschutzbedürfnisses regelmäßig unzulässig, wenn der Widerspruchsführer im Ergebnis lediglich die Kassation einer rechtlich gebundenen Entscheidung erstrebt. 17 b) Stellungnahme Vertritt man mit der herrschenden Meinung, daß die §§ 68 ff. VwGO zumindest auch Regelungen des VerwaltungsVerfahrens enthalten, so ist es jedenfalls denkbar, daß der Gesetzgeber dem Widerspruchsführer durch die §§68 Abs. 1, 73 Abs. 1 VwGO ein subjektives Recht auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides eingeräumt hat. Versteht man das Widerspruchsverfahren darüberhinaus als primäres Rechtsschutzverfahren und geht demzufolge davon aus, daß die Regelung in § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO zumindest auch im Interesse des Widerspruchsführers besteht, so läßt sich daraus nach den allgemeinen Auslegungsregeln folgern, daß dem Bürger ein subjektives Recht gegen die 14 V G H Kassel, D Ö V 1974, 537; Kopp, VwGO, § 75 Rdn. 5; Stern, 133; Seibert, Bay-VBl. 1983, 174 (175). 15 Kopp, VwGO, Vorb. § 68 Rdn. 12; Bettermann, NJW 1960,1088; v. Mutius, Jura 1979, 672. Seibert, S. 175. 17 BVerwG, D Ö V 1981, 178; BVerwGE 49, 307; Weides, S. 203; P/R § 15 Rdn. 19; Bettermann, NJW 1960, 1081 (1089); kritisch zu dieser Unterscheidung, Trzaskalik, Diss. S. 57.

I. Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verwaltungshandelns

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nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständige Behörde auf Erlaß des Widerspruchsbescheides zusteht. Allerdings müßte dann mit der vermittelnden Auffassung für die isolierte Klage auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis verneint werden, wenn der Widerspruchsführer mit einer Klage in der Hauptsache sein Ziel ebensogut erreichen kann. 18 Für die Klage auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides bliebe daher jedenfalls nur dort Raum, wo der Widerspruchsführer die Kontrolle einer Ermessensentscheidung oder statt der Kassation eine Reformation der Entscheidung durch die Widerspruchsbehörde erstrebt. Bedenken gegen die Annahme, daß sich aus den §§ 68ff. VwGO ein subjektives Recht des Widerspruchsführers auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides ableiten läßt, ergeben sich aber wiederum aus der beschränkten Bundeskompetenz für das Widerspruchsverfahren und damit korrespondierend daraus, daß die Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung jedenfalls nicht primär dem Rechtsschutz des Bürgers, sondern der Entlastung der Verwaltungsgerichte dienen. 19 Erscheint es bereits kaum denkbar, daß der Bundesgesetzgeber in einem Verfahren mit primärer Entlastungsfunktion für die Verwaltungsgerichte dem Bürger ein neues, gerichtlich durchsetzbares Recht gegen die Verwaltung auf Durchführung gerade dieses Verfahrens einräumen wollte, so muß diese Annahme jedenfalls an der bundesgesetzgeberischen Unzuständigkeit für die Gewährung verwaltungsverfahrensrechtlicher Ansprüche in der Verwaltungsgerichtsordnung scheitern. 20 Die Regelung materieller Pflichten der Verwaltung in einem Verwaltungsverfahren obliegt dem jeweils für dieses Verfahren zuständigen Gesetzgeber. Nur soweit verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmungen den Behörden ein bestimmtes Verhalten vorschreiben, können sich daraus subjektive Rechte des Bürgers ergeben. Auf die Einhaltung prozessualer Obliegenheiten durch die Verwaltung dagegen hat der Bürger keinen Anspruch. Ebensowenig wie der Kläger im Prozeß gegen den Beklagten einen materiellen, klage weise durchsetzbaren Anspruch darauf hat, daß dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung erscheint und sich zur Sache einläßt, steht dem Widerspruchsführer ein materiell durchsetzbarer Anspruch auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides zu. Der insbesondere von Kopp 2 1 angeführte rechtsstaatliche Grundsatz, daß einer Verpflichtung der Verwaltung auch ein subjektives Recht des Bürgers gegenübersteht, kann Geltung nur für verwaltungsverfahrensrechtliche Verpflichtungen beanspruchen. Auf prozessuale Obliegenheiten ist er hingegen nicht anwendbar. 22 18

Vgl. den Rechtsgedanken des § 46 VwGO. » s.o. 2. Teil Β II. 20 Wie hier: BayVGH, BayVBl. 1976, 241; Renck, JuS 1980, 28 (30); Trzaskalik, Diss. S. 56. 21 VwGO, § 68 Rdn. 12. 22 Trzaskalik, Diss. S. 56.

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Auf den ersten Blick scheint dagegen der Hinweis von Seibert 23 auf die Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO zu überzeugen. Verstößt die Verwaltung im Widerspruchsverfahren gegen eine wesentliche Verfahrens Vorschrift, dann kann der Widerspruchsführer gemäß dieser Vorschrift die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung seines Widerspruchs erklären. Diese Vorgehensweise führt dazu, daß der Widerspruch noch anhängig24 ist und die Verwaltung daher über ihn erneut entscheiden muß. 25 Die Möglichkeit der isolierten Anfechtung wird dem Widerspruchsführer genommen, wenn die Widerspruchsbehörde anstatt einen fehlerhaften Widerspruchsbescheid zu erlassen, vollständig auf einen Widerspruchsbescheid verzichtet. Diese scheinbare Unvereinbarkeit der Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO mit der Annahme, daß die §§ 68ff. VwGO dem Widerspruchsführer keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides einräumen, löst sich jedoch auf, wenn man die Rechtsfolgen der isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides wegen eines Verfahrensfehlers betrachtet. Gegenstand der Anfechtungsklage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO ist sowohl beim Anfechtungs- als auch beim Verpflichtungswiderspruch der fehlerhafte Widerspruchsbescheid. 26 Ist die isolierte Anfechtungsklage begründet, weil die Verwaltung im Widerspruchsverfahren gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift verstoßen hat und der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht, dann hebt das Gericht den Widerspruchsbescheid auf. 27 Das aufhebende Urteil enthält aber keinen Verpflichtungsausspruch an die Widerspruchsbehörde, einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Regelungszusammenhang der §§ 79 Abs. 2 und 113 Abs. 1 VwGO. Eine solche Verpflichtung besteht vielmehr allein als prozessuale Obliegenheit auf Grund der fortbestehenden Anhängigkeit des Widerspruchs. Entsprechendes gilt für die Aussetzung des Verfahrens nach § 75 S. 3 VwGO. Der Widerspruchsführer kann also auch mit einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO keine Verpflichtung der Widerspruchsbehörde zum Erlaß eines Widerspruchsbescheides erreichen. Hieraus ergibt sich, daß zwischen der Annahme, daß dem Widerspruchsführer ein subjektives Recht auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides nicht zusteht, und der Regelung in § 79 Abs. 2, S. 2 VwGO, kein sachlicher Widerspruch besteht. Auch aus der Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO läßt sich damit nicht ableiten, der Bundesgesetzgeber habe in den §§ 68ff. VwGO dem 23

Seibert, BayVBl. 1983, 174 (175). D.h. durch den Widerspruchsbescheid noch nicht verbraucht. 25 Vgl. dazu s.u. 2. 2 * Koehler, VwGO § 79 Anm. V I , 2; E/F § 79 VwGO § 79 Rdn. 2. 27 § 113 Abs. 1 VwGO. 24

I. Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verwaltungshandelns

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Widerspruchsführer einen Anspruch auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides einräumen wollen. Nun ist aber zugegeben, daß der Widerspruchsführer durchaus ein Interesse daran haben kann, daß die Widerspruchsbehörde einen sachlichen Widerspruchsbescheid erläßt. Dies gilt insbesondere dann, wenn er statt einer Kassation eine Reformation oder zusätzlich zu einer Rechtmäßigkeitskontrolle auch eine Ermessenskontrolle erreichen will. 2 8 Indes konnte der Bundesgesetzgeber wegen seiner beschränkten Gesetzgebungskompetenz dem Widerspruchsbehörden auch keine materiellen Pflichten für den Fall eines Rechtsschutzantrages des Bürgers auferlegen. Aber selbst wenn man aus Rechtsschutzerwägungen heraus dem Bürger einen klageweise durchsetzbaren Anspruch auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides entgegen der hier vertretenen Auffassung zugestehen wollte, wäre es kaum zu erwarten, daß die Verwaltung, die bisher eine Bescheidung des Widerspruches verweigert hat, dem Widerspruchsführer gerade auf einem Feld 29 entgegen kommt, das der gerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen ist. Es muß daher festgestellt werden, daß sich aus den §§ 68ff. VwGO ein materieller Anspruch des Widerspruchsführers auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides nicht ableiten läßt. Die Rechtsfolge für den Fall, daß die Widerspruchsbehörde ihrer prozessualen Bescheidungspflicht nicht nachkommt, ist in §§ 75 S. 1, 161 Abs. 3 VwGO abschließend geregelt. Die Widerspruchsbehörde verliert die Möglichkeit, den Prozeß durch die Klaglosstellung oder durch eine Überzeugung des Widerspruchsführers zu vermeiden und muß unter den Voraussetzungen des § 161 Abs. 3 VwGO die Kosten des gerichtlichen Verfahrens tragen. Für den Anfechtungswiderspruch ergibt sich als zusätzliche Rechtsfolge, daß der mit dem Widerspruch nach § 80 Abs. 1 VwGO regelmäßig verbundene Suspensiveffekt bis zur Entscheidung über den Widerspruch fortbesteht. 30 2. Die Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO

Die zweite wesentliche Bestimmung im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung über die Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verhaltens der Verwaltung enthält § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO. Die Bedeutung, die dieser Vorschrift für Auslegung der §§ 68ff. VwGO zukommt, wird jedoch von der Rechtsprechung und Literatur weitgehend übersehen. Der Grund für diese Fehleinschätzung liegt darin, daß einerseits der Begriff der wesentlichen Verfahrensvorschrift i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO 28 29 30

Bettermann, NJW 1960, 1081 (1086). Zweckmäßigkeitskontrolle. Zum Suspensiveffekt, vgl. Weides S. 183f.

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

verkannt und andererseits nicht in ausreichendem Maße zwischen den Regelungsinhalten des § 79 Abs. 2. S. 1 und § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO unterschieden wird. a) Abgrenzung zu § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO Nach § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO kann der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine selbständige Beschwer enthält. Diese Bestimmung enthält eine Ausnahme zu der in § 79 Abs. 1 VwGO niedergelegten Regel, nach der der Ausgangs- und der Widerspruchsbescheid für das gerichtliche Verfahren grundsätzlich als Einheit anzusehen sind und daher nur gemeinsam angefochten werden können. 31 Der Grundsatz der Einheit von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid gilt unabhängig davon, ob der Widerspruchsbescheid den Ausgangsverwaltungsakt in vollem Umfang aufhebt und durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt oder ob er ihn nur in einzelnen Punkten ändert, ansonsten aber bestätigt oder ob er schließlich den Verwaltungsakt in vollem Umfang bestätigt. 32 Der Betroffene kann die Klage nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Ausgangs- und Widerspruchsbescheid auch dann gemeinsam richten, wenn letzterer eine zusätzliche Beschwer i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO enthält. 33 Die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides nach § 79 Abs. 2 kann dagegen theoretisch zwei Zielen dienen, die sich voneinander grundlegend unterscheiden. Zum einen kann es dem Kläger darauf ankommen, unter nunmehriger Anerkennung des ursprünglich angefochtenen Ausgangsbescheides nur noch die im Widerspruchsbescheid enthaltene zusätzliche Beschwer zu beseitigen. Diesen Fall betrifft § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO. Als zusätzliche Beschwer ist hierbei jede materielle Beschwer im Sinne einer gegenüber der Ausgangsentscheidung weitergehenden Rechtsgutbeeinträchtigung zu sehen.34 Die Erfolgsaussichten der Klage beurteilen sich im Hinblick auf ihre Begründetheit ausschließlich nach dem materiellen Recht i.V. m. dem jeweils anwendbaren Verwaltungsverfahrensrecht. Will sich der Widerspruchsführer nicht nur gegen den Widerspruchsbescheid, sondern auch gegen den Ausgangsbescheid wenden, kann er seine Klage nicht nach § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO auf den Widerspruchsbescheid beschränken, sondern muß Klage gegen den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides 35 erheben. 31 Weides, S. 255; Kopp, VwGO, § 79 Rdn. l f . ; Ule, VerwaltungsprozessR, § 25, I I 2.; Koehler, VwGO § 79 Anm. II. 32 Seibert, BayVBl. 1983, 174 (175). 33 R/Ö § 79 Rdn. 6. 34 Koehler, VwGO § 79 Anm. V I , 2; Stelkens, SBL, VwVfG § 35 Rdn. 19. 35 § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.

I. Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verwaltungshandelns

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Es kann dem Kläger aber auch darauf ankommen, durch die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides unter Aufrechterhaltung seines Widerspruches die Verwaltung zur nochmaligen Durchführung des Widerspruchsverfahrens anzuhalten. 36 Die Berechtigung für eine solche Klage kann jedoch nur anerkannt werden, wenn der Kläger geltend macht, die Verwaltung habe eine der ihr gerade für das Widerspruchsverfahren auferlegten Obliegenheiten nicht beachtet, mithin gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift verstoßen. Diesen Fall regelt allein § 79 Abs. 2 S. 2 V w G O . 3 7 Ziel dieser Klage ist nicht die Beseitigung einer zusätzlichen Beschwer, sondern die Aufhebung des Widerspruchsbescheides, um die Widerspruchsbehörde zu einer Neubescheidung unter Beachtung der wesentlichen Verfahrensvorschriften anzuhalten. Damit liegen den beiden in § 79 Abs. 2 VwGO geregelten Fällen der isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides zwei vollkommen unterschiedliche Klageziele zugrunde: Mit der isolierten Anfechtungsklage nach § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO erstrebt der Kläger unter Anerkennung der Ausgangsentscheidung nur noch die Beseitigung der im Widerspruchsbescheid enthaltenen zusätzlichen materiellen Beschwer. Dagegen will er mit der Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO unter Aufrechterhaltung seines Widerspruches eine erneute Entscheidung der Widerspruchsbehörde erreichen. Entgegen der herrschenden Auffassung 38 handelt es sich damit bei der Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO nicht lediglich um einen Unterfall der Klage nach Satz 1. b) Der Begriff der wesentlichen Verfahrensvorschrift i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO Ausgehend von dem rein prozeßbezogenen Zweck des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO bedarf der Begriff der wesentlichen Verfahrensvorschrift einer genaueren Betrachtung. Die ganz herrschende Auffassung schließt aus der systematischen Stellung und dem Wortlaut dieser Norm, daß unter Verfahrensvorschriften i. S. dieser 36

Bettermann, NJW 1958, 81 (83); R/Ö § 79 Rdn. 6; Koehler, VwGO § 79 Anm. II. Stelkens, a.a.O.; vgl. bereits die Stellungnahme des Abg. Buchner in der 47. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages, Stenograph. Protokolle 47/23; die Bedenken, die MinRat Koehler (a.a.O. S. 22) geltend macht, sind daher nicht berechtigt. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO betrifft gerade nicht die Frage, wann ein Verwaltungsakt in materiellem Sinne fehlerhaft ist. 38 BVerwG, Buchholz 310 § 79 Nr. 18; Kopp, VwGO, § 79 Rdn. 8; R/Ö § 79 Rdn. 7; E/F, § 79 Rdn. 6 m.w.N. 37

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Regelung zumindest auch diejenigen Bestimmungen zu verstehen sind, die die §§ 68ff. VwGO über das Widerspruchsverfahren aufstellen. 39 Dagegen können nach Trzaskalik 40 als wesentliche Verfahrensvorschriften nur solche des Verwaltungsverfahrensrechts, und damit gerade nicht die in der Verwaltungsgerichtsordnung enthaltenen Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren verstanden werden. Zweck des Prozesses sei, allein zu klären, ob der materielle Anspruch des Klägers begründet ist. Hierzu komme es aber nicht darauf an, ob die Verwaltung ihre vorprozessualen Pflichten erfüllt habe. Da die Verwaltung keinen Rechtsschutz im Sinne eines gerichtlichen Verfahrens gewähre, könne die Beurteilung ihres in den §§ 68ff. VwGO geregelten Verhaltens nicht wie das eines Gerichtes Gegenstand eines Rechtsstreites werden. Die Verwaltung sei im Prozeß als Partei und nicht als Richter beteiligt. Trzaskalik sieht die Ursache der von ihm für unrichtig gehaltenen herrschenden Auffassung darin, daß schon bei der Abfassung des § 79 VwGO, die in Anlehnung an § 568 Abs. 2 ZPO erfolgte 41 , die verschiedenen Tätigkeiten der Verwaltung - einmal als Gestalterin des Verwaltungsrechtsverhältnisses, andererseits als Prozeßpartei - nicht unterschieden wurde. Die vom Gesetzgeber als Vorbild herangezogene Vorschrift des § 568 Abs. 2 ZPO betreffe allein das rechtswidrige Verhalten des Gerichtes und nicht das Verhalten der Parteien. Die Verwaltung habe eine dem Gericht vergleichbare Position lediglich im Verwaltungsrechtsverhältnis, für das die prozessualen Verfahrensvorschriften der VwGO ohne Bedeutung seien. Gegenstand eines Rechtsstreites könne daher nur das verwaltungsverfahrensrechtliche, nicht aber das (vorprozessuale Verhalten einer Partei sein. Es sei schließlich nicht Aufgabe einer Partei, über das prozeßordnungsgemäße Verhalten der Gegenpartei zu wachen. Der Auffassung Trzaskaliks kann nur in ihren Ansatzpunkten, dagegen nicht im Ergebnis zugestimmt werden. Ihr ist zunächst zuzugeben, daß die Grundsätze der Regelung des § 568 Abs. 2 ZPO nicht unbesehen auf die Bestimmungen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens übernommen werden können. Bei einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO urteilt das Verwaltungsgericht - anders als in den Fällen des § 568 Abs. 2 ZPO - nicht über das prozeßordnungsgemäße Verhalten eines ihm nachgeordneten Gerichtes, sondern über das vorprozessuale Verhalten einer Prozeßpartei. Es geht damit nicht um die Kontrolle des Verfahrens bei der Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes, sondern allein um die Kontrolle bestimmter Regeln, die die

39 BVerwGE 13, 195 (197ff.); v. Mutius, Diss. S. 52 und S. 203; Sahlmüller, BayVBl. 1973, 541 (545); Weides S. 181, 226ff., 232; P/R § 16 Rdn. 5, § 21 Rdn. 9, 25 Rdn. 8, 34 Rdn. 2; R/Ö § 79 Rdn. 8; Kopp, VwGO, § 79 Rdn. 13. 40 Diss. S. 67f. 4 * Vgl. Bettermann, JZ 1965, 265 (269); Koehler, VwGO § 79 Anm. V I .

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Verwaltung in einem formellen und materiellen Verwaltungsverfahren als Partei zu beachten hat. Zuzustimmen ist Trzaskalik auch insoweit, daß der Gesetzgeber selbst die Doppelstellung der Verwaltung im Widerspruchsverfahren nicht in ausreichendem Maße erkannt hat. Bedenken gegen die Auffassung Trzaskaliks ergeben sich aber daraus, daß sie ohne zwingende Gründe dem insoweit eindeutigen Willen des Gesetzgebers widerspricht. Die Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO erfüllt eine Sicherungsfunktion für die ordnungsgemäße Durchführung des Widerspruchsverfahrens. Wenn durch sie dem Bürger die Möglichkeit gewährt werden soll, bei einer Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift die Verwaltung zu veranlassen, „unter Anwendung des richtigen Verfahrens sachlich das Petitum zu erfüllen" 42 , dann können unter wesentlichen Verfahrensvorschriften jedenfalls in erster Linie nur diejenigen Bestimmungen angesehen werden, die der Bundesgesetzgeber selbst in der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren erlassen hat. Das entspricht auch der primären Funktion des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens. Die einzelnen Bestimmungen im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung sind dazu bestimmt, zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte beizutragen, indem sie der Verwaltung eine nochmalige Kontrolle der angefochtenen Entscheidung, eine umfassende Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen, die Bescheidung des Widerspruches und die Begründung des Widerspruchsbescheides auferlegen. Die Auffassung Trzaskaliks müßte dazu führen, daß die Beachtung dieser Pflichten in das Belieben der Verwaltungsbehörden gestellt wird, da ein Verstoß gegen diese Bestimmungen ohne rechtliche Folgen bliebe. Als prozessuale Obliegenheiten berühren sie nicht die Rechtmäßigkeit der im Widerspruchsverfahren ergehenden sachlichen Entscheidungen; versteht man sie nicht als wesentliche Verfahrensvorschriften, berechtigen sie auch nicht zu einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides. Entgegen Trzaskalik erfordert die prozessuale Betrachtungsweise nicht die Annahme, daß als wesentliche Verfahrensvorschriften nur die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechtes verstanden werden können. Dies wäre nur der Fall, wenn man mit der herrschenden Meinung § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO lediglich als Unterfall des § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO ansieht, also annimmt, daß es auch bei der Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO um die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der im Widerspruchsbescheid liegenden sachlichen Entscheidungen geht.

42

Abg. Buchner, 47. Sitzung des BT-Rechtsausschusses Stenograph. Prot. S. 23.

7 Oerder

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides wegen des Verstoßes gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift bedeutet aber gerade nicht, daß die Beachtung der §§ 68ff. VwGO durch die Verwaltung Auswirkungen auf die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes hat. Die einzige (prozessuale) Rechtsfolge, die ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift der VwGO über das Widerspruchsverfahren bei einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO mit sich bringt, ist, daß die Verwaltung im gerichtlichen Verfahren in der Sache nicht gewinnen kann, solange sie ihren prozessualen Pflichten nicht in ordnungsgemäßer Weise nachgekommen ist. Darüberhinaus muß sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gerichtlichen Verfahrens tragen. Dagegen hat der Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift keine Auswirkungen auf die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit des Ausgangsoder des Widerspruchsbescheides. Diese beurteilt sich allein nach den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrens und gewinnt nur bei einer Klage nach § 79 Abs. 1 oder § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO an Bedeutung. Die aufhebende Entscheidung des Gerichtes bei einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO beinhaltet damit auch keinen Ausspruch über den vom Bürger geltend gemachten (Abwehr-) Anspruch, sondern allein darüber, ob sich die Verwaltung im Widerspruchsverfahren prozeßordnungsgemäß verhalten hat. Damit entspricht die hier vertretene Auffassung den oben dargestellten unterschiedlichen Funktionen verwaltungsverfahrensrechtlicher und verwaltungsprozessualer Bestimmungen. Klagt der Widerspruchsführer in der Hauptsache, dann hat ein Verstoß der Verwaltung gegen prozessuale Bestimmungen für die Entscheidung des Gerichtes keine Konsequenzen. Soweit allerdings in den Verwaltungsverfahrensgesetzen den §§ 68 ff. VwGO entsprechende Vorschriften existieren, 43 kann sich ein Verstoß gegen die gleichlautenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen auf das Verwaltungsrechtsverhältnis auswirken. Die §§ 68ff. VwGO entfalten eine rechtliche Bedeutung nur, wenn der Widerspruchsführer mit seiner Klage einen Verfahrensfehler rügt, um die Verwaltung zu einer Wiederholung des Widerspruchsverfahrens unter Beachtung dieser Bestimmungen anzuhalten. In einer solchen Klagemöglichkeit liegt entgegen Trzaskalik 44 nicht die Gewährung einer systemwidrigen Kontrollbefugnis an den Widerspruchsführer über das prozeßordnungsgemäße Verhalten einer Partei. Genau wie der Verstoß gegen eine Prozeßrechtsnorm durch eine Partei während des gerichtlichen Verfahrens von der Gegenpartei einredeweise geltend gemacht werden kann, soll dies nach dem der Regelung des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO zugrunde liegenden Willen des Gesetzgebers auch 43 44

ζ. B. § 28 VwVfG und 71 VwGO. Diss. S. 67.

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für das vorprozessuale Verhalten der Verwaltung durch eine entsprechende Klage des Widerspruchsführers möglich sein. Es ist festzustellen, daß auch nach der hier vertretenen Auffassung mit der ganz herrschenden Auffassung unter dem Begriff der wesentlichen Verfahrensvorschrift i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO jedenfalls auch die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren zu verstehen sind. Fraglich ist vielmehr, ob der herrschenden Meinung auch insoweit zugestimmt werden kann, als sie als wesentliche Verfahrensvorschriften auch die Bestimmungen der Ausführungsgesetze zur Verwaltungsgerichtsordnung und, soweit sie gemäß § 79 a. E. VwVfG im Widerspruchsverfahren Anwendung finden, auch die Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze ansieht. 45 Dies würde bedeuten, daß den Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze neben ihrer verwaltungsverfahrensrechtlichen Funktion auch eine prozessuale Funktion in dem Sinne zukommt, daß von ihrer Beachtung die Durchsetzbarkeit der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen in einem gerichtlichen Verfahren abhängt, wenn der Widerspruchsführer seine Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO auf den Widerspruch beschränkt. Für die Regelungen in den Ausführungsgesetzen zur Verwaltungsgerichtsordnung ist diese Frage jedenfalls insoweit zu bejahen, als sie den Ermächtigungen der Verwaltungsgerichtsordnung an den Landesgesetzgeber entsprechen. Bestimmt beispielsweise der Landesgesetzgeber gemäß §73 Abs. 2 VwGO einen Ausschuß oder Beirat zur Widerspruchsinstanz und ergeht der Widerspruchsbescheid statt dessen von der nächsthöheren Verwaltungsbehörde, dann berechtigt auch dieser Verstoß gegen eine landesrechtliche Bestimmung den Widerspruchsführer zur isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides nach § 79 Abs. 2 S. 2 V w G O . 4 6 Zweifelhaft ist die Rechtslage dagegen bei den Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze. Hier ist zu berücksichtigen, daß nach dem bisherigen Auslegungsergebnis die Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze eine grundlegend andere Funktion haben, als die in den §§ 68ff. VwGO normierten prozessualen Obliegenheiten der Verwaltung. Der Gesetzgeber hat in die Verwaltungsgerichtsordnung diejenigen Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren aufgenommen, die er zur Gewährleistung der Zwecke dieses Verfahrens für erforderlich hielt. Nur der Verstoß der Verwaltung gegen eine dieser Bestimmungen rechtfertigt es, ohne Rücksicht auf die formelle oder 45 R/Ö § 79 Rdn. 8; Kopp, VwGO, § 79 Rdn. 13; E/F § 79 VwGO Rdn. 6; Weides S. 233, jedenfalls für den in § 24 VwVfG niedergelegten verwaltungsverfahrensrechtlichen Untersuchungsgrundsatz, der sich prozessual allerdings bereits aus der Anordnung der Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO ergibt. 4 * Kopp, VwGO § 79 Rdn. 13; Weides, S. 228.

7*

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

materielle Rechtmäßigkeit des Ausgangsverwaltungsaktes von der Verwaltung zu fordern, sie solle das Widerspruchsverfahren noch einmal wiederholen. Auf die Einhaltung verwaltungsverfahrensrechtlicher Bestimmungen durch eine Verwaltungsbehörde hat der Betroffene nur dann einen Anspruch, wenn er durch die Verwaltungsentscheidung in seinen Rechten betroffen ist, und selbst dann nur in den Grenzen der §§ 45, 46 VwVfG. Verstöße gegen verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmungen kann er darüberhinaus gemäß § 44 a VwGO nur gleichzeitig mit der Klage in der Hauptsache geltend machen. A n dieser Rechtslage können die §§ 68ff. VwGO nichts ändern. Die Einhaltung der formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen beim Erlaß eines Verwaltungsaktes ist daher nur bedeutsam, wenn sich der Kläger mit der Hauptsacheklage nach § 79 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 VwGO auf die formelle oder materielle Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beruft. Zu einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO, mit der der Kläger rügt, die Verwaltung sei ihren im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung grundsätzlich abschließend geregelten (vor-) prozessualen Obliegenheiten nicht in vollem Umfang nachgekommen, berechtigt dagegen nur der Verstoß der Verwaltung gegen eine in der Verwaltungsgerichtsordnung oder in den Ausführungsgesetzen enthaltene wesentliche prozessuale Vorschrift über das Widerspruchsverfahren. 47 c) Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO Umstritten ist, ob für die isolierte Anfechtung nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis erforderlich ist. 4 8 aa) Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes Nach einer insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes vertretenen Auffassung ist die isolierte Anfechtungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnis auf Seiten des Widerspruchsführers regelmäßig unzulässig, wenn es sich bei dem angefochtenen Ausgangsverwaltungsakt um eine gebundene Entscheidung handelt. 49 Der Zweck des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO 47 Vgl. V G H Kassel, NJW 1987, 1096f., wonach die Regelung in § 6 HessA G VwGO, die die Anhörung des Widerspruchsführers vor Erlaß des Widerspruchsbescheides vorschreibt, als Regelung des Verwaltungsverfahrens anzusehen ist, weshalb ein Verstoß gegen diese Bestimmung nicht zur isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides berechtigt. 48 Vgl. Hill, S. 40ff.; Allesch, Diss. S. 201; Weides, S. 227. 4 9 BVerwGE 49, 307 (308f.); BayVBl. 1980, 725 (726); E 61, 45 (47) = NJW 1981, 1683f.; BayVBl. 1985, 122 (123); zustimmend, Allesch, Diss. S. 129f. und 201f.; Weides, S. 236 zurückhaltend, Hill a. a. O.

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liege nicht allein darin, ein objektiv einwandfreies Verfahren der Widerspruchsbehörde zu garantieren; er diene vielmehr, wie die übrigen Bestimmungen über Klageart und Klagegegenstand in erster Linie dazu, dem Bürger effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Ein Bedürfnis des Widerspruchsführers für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides bestehe aber nur dann, wenn die Widerspruchsbehörde weitergehende Befugnisse bei der Überprüfung der in Frage stehenden Maßnahmen der Ausgangsbehörde habe als das Gericht. Dies sei aber nur bei Entscheidungen der Fall, für die Ermessens- oder andere Zweckmäßigkeitserwägungen eine Rolle spielen können. In den Fällen, in denen für solche Gesichtspunkte kein Raum ist und auch sonst keine rechtlichen Interessen eines Beteiligten an einer verfahrensfehlerfreien Entscheidung gerade der Widerspruchsbehörde ersichtlich sind und der Verfahrensfehler durch das Gericht geheilt werden kann, bestehe kein rechtsschutzwürdiges Bedürfnis für die lediglich auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides gerichtete Klage. 50 Nach Pietzner und Ronellenfitsch 51 wird die Unzulässigkeit der isolierten Anfechtung in diesen Fällen durch das Gesetz bestätigt. Ausweislich der §§45 und 46 VwVfG könne eine Klage wegen eines von diesen Vorschriften erfaßten Verfahrensverstoßes nur dann erhoben werden, wenn ohne den Verstoß eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. bb) Abweichende Auffassungen A n dieser einschränkenden Auslegung des § 79 Abs. 2 S. 2. VwGO wird jedoch teilweise Kritik geübt. Die Vorschrift des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO unterscheide nicht zwischen Ermessensentscheidungen und gebundener Verwaltung. 52 Aus der Regelung des Vorverfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung, insbesondere auch aus dem Zweck des Vorverfahrens (Entlastung der Verwaltungsgerichte) und aus der allgemeinen Stellung des Gerichtes im gewaltenteiligen Staat folge, daß ein Gericht eine Sachentscheidung erst treffen solle, wenn die Verwaltung (i. c. die Widerspruchsbehörde) in einem einwandfreien Verfahren und ohne zusätzliche Rechtsfehler das letzte Wort in der Sache gesprochen habe. 53 Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes 54 bewirke eine Verlagerung der Ermittlungstätigkeit von der Verwaltung auf die Gerichte und lasse die Gefahr entstehen, daß die Gerichte nicht mehr die Erfüllung der Sachverhaltsermittlungspflicht durch die Verwaltung kontrolliert, sondern diese Pflicht an Stelle der Verwaltung selbst erfüllen 50

BVerwGE 61, 45 (47). P/R § 7 Rdn. 14. 52 R/Ö § 79 Rdn. 7; Kopp, VwGO § 79 Rdn. 12. 53 Kopp, VwGO § 79 Rdn. 15; ders. VerfR. S. 245; vgl. auch Martens, N V w Z 1982, 13 (15). 54 Vgl. BVerwGE 44, 17 (20f.); 45, 351 (357); 49, 307 (309).

1 0 2 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

müsse.55 Die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO bedeute allein für sich genommen bereits eine Beschwer des Betroffenen, die sich auch dann auswirke, wenn die Widerspruchsbehörde im Rahmen der gebundenen Verwaltung entscheiden müsse.56 Ausdrücklich bejaht auch das O V G Münster 57 das Rechtsschutzinteresse für die isolierte Anfechtung eines im Rahmen der gebundenen Verwaltung ergangenen Widerspruchsbescheides. Auch in diesen Fällen könne es für den Betroffenen sinnvoll sein, den Widerspruchsbescheid isoliert anzufechten, mit der Folge, daß der zugrunde liegende Verwaltungsakt nicht in Rechtskraft erwächst und die Widerspruchsbehörde erneut - diesmal unter Beachtung der wesentlichen Verfahrensvorschriften - über den Widerspruch entscheiden muß. 58 cc) Stellungnahme Der Meinungsstreit müßte bereits dann zu Gunsten des Bundesverwaltungsgerichtes entschieden werden, wenn diese Rechtsprechung durch die §§45, 46 VwVfG gesetzlich bestätigt worden wäre. 59 Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich bisher allerdings noch nicht auf diese Regelungen, sondern beschränkt sich auf die Feststellung, daß die §§ 45, 46 des am 1. 1. 1977 in Kraft getretenen Verwaltungsverfahrensgesetzes an dem Erfordernis des Rechtsschutzinteresses für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides nichts geändert haben. 60 Die §§ 45, 46 VwVfG sind jedoch auf die Regelung der isolierten Anfechtung nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO nicht anwendbar. Dies folgt zwar entgegen Knack 61 noch nicht daraus, daß sich die Regelung in § 46 VwVfG nur an die Widerspruchsbehörde nicht aber an das Verwaltungsgericht wendet. 62 Die Unanwendbarkeit der §§ 45 f. VwVfG auf die in den §§ 68 ff. VwGO normierten prozessualen Obliegenheiten ergibt sich aber daraus, daß sich die formellen Regelungen des Verwaltungsverfahrens auf einen anderen Wirklichkeitsausschnitt beziehen, als die prozessualen Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung und daß es jedenfalls dem Landesgesetzgeber verwehrt ist, innerhalb der kodifikatorischen Bestimmungen des Verwaltungsprozeßrechtes eigene Regelungen zu erlassen. 63 Die Anordnung der prozessualen Pflich55

Stelkens, N V w Z 1983, 81 (83). Stelkens, SBL § 35 Rdn. 19. 57 O V G Münster, VerwRspr. Bd. 27, 761 ff. 58 O V G Münster, a.a.O. S. 762. 59 P/R § 7 Rdn. 14. 60 BVerwGE 61, 45 (49ff.). 61 VwVfG § 79 Anm. 7.3.10. 62 Kritisch auch Stelkens, SBL § 46 Rdn. 10. 63 Vgl. s.o. 2. Teil A I I I . 56

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ten der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren unterliegt, ebenso wie die Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen eine dieser Verpflichtungen, der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das gerichtliche Verfahren, von der der Bundesgesetzgeber durch die Verwaltungsgerichtsordnung abschließenden Gebrauch gemacht hat. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner Argumentation den Rechtsschutzzweck der §§ 68ff. VwGO in den Vordergrund 64 , betont aber in der selben Entscheidung, daß der Zweck des Vorverfahrens die Entlastung der Gerichte und die Selbstkontrolle der Verwaltung sei. 65 Versteht man als primären Zweck des Widerspruchsverfahrens die Entlastung der Verwaltungsgerichte von vermeidbaren sachlichen Prüfungen, dann kann die Argumentation mit dem fehlenden Rechtsschutzinteresse bei Verwaltungsakten im Rahmen der gebundenen Verwaltung nicht überzeugen. Richtig ist zwar, daß die Rechtsfolgen prozeßordnungswidrigen Verhaltens, wenn also die Verwaltung gegen eine wesentliche Vorschrift über das Widerspruchsverfahren verstoßen hat, davon abhängen, ob sich der Widerspruchsführer durch eine Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO auf diesen Verfahrensfehler beruft. Hieraus den Schluß zu ziehen, die in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO vorgesehene Sanktion für einen Verstoß gegen eine (vor-) prozessuale Obliegenheit erfordere ein besonderes Rechtsschutzinteresse des Klägers, das regelmäßig fehle, wenn er sein materielles Klageziel durch eine Klage in der Hauptsache ebensogut erreichen kann, ist indes verfehlt. Die Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO muß aus ihrer Sicherungsfunktion für die prozessualen Obliegenheiten der Verwaltung im Widerspruchsverfahren heraus angewandt werden. 66 Seine Entlastungsfunktion kann das Widerspruchsverfahren aber auch erfüllen, wenn es sich bei der angefochtenen Ausgangsentscheidung um eine gebundene Entscheidung handelt. Das Verwaltungsgericht muß in eine sachliche Prüfung des vom Widerspruchsführer geltend gemachten materiellen Begehrens erst eintreten, wenn die Verwaltung in einem ordnungsgemäßen Widerspruchsverfahren über diesen Anspruch entschieden hat. 6 7 Der Gesetzgeber hat in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO das Widerspruchsverfahren als ein vor dem gerichtlichen Verfahren stattfindendes Kontrollverfahren angeordnet und den Verwaltungsbehörden für dieses Verfahren vorprozessuale Pflichten 64 § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO . . . dient vielmehr - wie die übrigen Bestimmungen über Klageart und Klagegegenstand - in erster Linie dazu, dem Bürger effektiven Rechtsschutz bei der Verfolgung seines materiell-rechtlichen Begehrens zu gewährleisten; BVerwGE 61, 47. 65 S. 48. 66 Vgl. Stellungnahme des Abg. Buchner in der 47. Sitzung des Rechtsausschusses, Stenograph. Protokolle S. 23; O V G Münster, VerwRspr. Bd. 27, 762, vgl. oben b). 67 Kopp, VwGO § 79 Rdn. 5; Stelkens, SBL § 35 VwVfG Rdn. 19.

1 0 4 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

auferlegt, um dadurch einen Filter für das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu schaffen. Diese Filterfunktion des Widerspruchsverfahrens würde umgangen, wenn man mit dem Bundesverwaltungsgericht für gebundene Entscheidungen eine Heilung von Verfahrensverstößen noch im gerichtlichen Verfahren zuließe. Die Bestimmung des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO regelt eben nicht den Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift als Unterfall einer selbständigen Beschwer des Widerspruchsführers durch den Widerspruchsbescheid, sondern fingiert eine solche Beschwer, wenn die Widerspruchsbehörde gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift verstoßen hat und zwar unabhängig davon, ob der Widerspruchsführer sein materielles Begehren mit einer Klage in der Hauptsache ebensogut verfolgen kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Nachsatz des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO. Auch diese Bestimmung ist aus der Sicherungsfunktion des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO für das Widerspruchsverfahren zu interpretieren. Sie sagt zunächst nur aus, daß eine isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides ausscheidet, wenn nicht einmal die entfernteste Möglichkeit besteht, daß sich der Mangel auf das Ergebnis des Widerspruchsverfahrens irgendwie ausgewirkt hat. 6 8 Nach der Funktion des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO können damit nur die Fälle gemeint sein, in denen der Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift nicht zu einer Beeinträchtigung des Zwecks des Widerspruchsverfahrens führen konnte. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn der Kläger das Fehlen einer nach § 71 VwGO unterbliebenen Anhörung rügt, sofern die Einwände für die Widerspruchsbehörde offenkundig waren oder wenn er einen Verstoß gegen die nach § 73 Abs. 3 VwGO vorgeschriebene Begründungspflicht rügt, obwohl die Widerspruchsbehörde dem Widerspruchsführer die Gründe bereits während des Verfahrens erschöpfend mitgeteilt hatte. Eine Begrenzung der Anfechtungsmöglichkeit auf Ermessensentscheidungen läßt sich hingegen auch aus dieser Vorschrift nicht ableiten. d) Ergebnis Die Vorschrift des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO hat eine wesentliche Bedeutung für die in den §§ 68ff. VwGO angeordneten prozessualen Obliegenheiten der Verwaltung. Verstößt die Widerspruchsbehörde gegen eine wesentliche Vorschrift der Verwaltungsgerichtsordnung (bzw. der AGVwGO) über das Widerspruchsverfahren, dann kann der Widerspruchsbehörde durch die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides die Verwaltung zu einer Wiederholung des Widerspruchsverfahrens unter Beachtung der Verfahrensvorschriften anhalten.

68

Kopp, VwGO § 79 Rdn. 14; vgl. auch O V G Bremen, NJW 1983, 1869.

II. Die einzelnen (vor-)prozessualen Obliegenheiten

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Diese Möglichkeit besteht entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes für den Widerspruchsführer unabhängig davon, ob es sich bei dem Widerspruchsbescheid um einen gebundenen Verwaltungsakt oder um eine Ermessensentscheidung handelt.

I I . Die einzelnen (vor-)prozessualen Obliegenheiten der Verwaltung im Widerspruchsverfahren Das Widerspruchsverfahren ist in der Verwaltungsgerichtsordnung zweiinstanzlich ausgestaltet worden. Zunächst entscheidet die Ausgangsbehörde über den Widerspruch. 69 Hilft sie dem Widerspruch nicht ab, so ergeht ein Widerspruchsbescheid. Diesen erläßt gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO die nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständige Behörde.

1. Die prozessualen Pflichten der Ausgangsbehörde

Auf den Widerspruch des Betroffenen hin muß sich zunächst diejenige Behörde noch einmal mit der Streitsache befassen, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen bzw. den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat. Daß es sich bei der Behörde i.S.d. § 72 VwGO um die Ausgangsbehörde handelt, ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, wohl aber aus dem Sinnzusammenhang mit §§70 Abs. 1, 73 Abs. 1 S. 1 und S. 2 V w G O . 7 0 a) Kontrolle der Recht- und Zweckmäßigkeit der beanstandeten Entscheidung Nach § 68 Abs. I S . 1 im. § 72 VwGO soll die Ausgangsbehörde die angefochtene Entscheidung noch einmal im Hinblick auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit hin überprüfen. Der Gesetzgeber verleiht damit dem Widerspruchsverfahren den Charakter eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens, in dem es primär nicht um den Ersterlaß, sondern um die nachträgliche Kontrolle einer bereits ergangenen Entscheidung geht. Die Recht- und Zweckmäßigkeit i.S.v. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO sind daher nicht Prüfungsmaßstab einer im Widerspruchsverfahren ergehenden neuen sachlichen Entscheidung, sondern Gegenstand der verwaltungsinternen Kontrolle. 71 69

§ 72 VwGO. V. Mutius, Diss. S. 45f. 71 Traszaskalik, Diss. S. 36; hiervon zu unterscheiden sind die Anforderungen, die das Verwaltungsverfahrensrecht an die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der im Widerspruchsverfahren ergehenden sachlichen Bescheide stellen. 70

1 0 6 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Das Vorverfahren kann seine Entlastungsfunktion nur erfüllen, wenn die in diesem Verfahren zuständigen Behörden die mit dem Widerspruch klagebedrohte Entscheidung möglichst umfassend kontrollieren. Dem steht nicht entgegen, daß die Verwaltungsgerichte im Gegensatz zu den im Widerspruchsverfahren tätigen Behörden auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit, einschließlich der Einhaltung der bei Ermessensentscheidungen bestehenden rechtlichen Grenzen, beschränkt sind, da es häufig gerade die unterschiedlichen Auffassungen über die sachgerechte Ermessensausübung sind, die eine Befassung der Gerichte mit der Streitsache erforderlich machen. 72 Die Kontrollpflicht sichert die Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens auch insoweit, als sie einerseits eine umfassende Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes voraussetzt und andererseits selbst Voraussetzung für eine ausführliche Begründung des Widerspruchsbescheides ist. 73 Da es sich bei der Verpflichtung nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO zulässigerweise nur um eine prozessuale Verpflichtung handeln kann, kann sich der Verstoß gegen die Kontrollpflicht allein auf das Prozeßrechtsverhältnis auswirken. Der prozessuale Nachteil der Ausgangsbehörde, wenn sie von der ihr eingeräumten Kontrollmöglichkeit keinen oder nur einen unzureichenden Gebrauch macht, liegt darin, daß sie die Möglichkeit verliert, durch diese Kontrolle und erforderlichenfalls durch die Korrektur ihrer Entscheidung die Inanspruchnahme des Verwaltungsgerichtes durch den Widerspruchsführer zu vermeiden. Hilft die Ausgangsbehörde im Abhilfeverfahren dem Widerspruch ab, so kommt dem Ausfall der Kontrolle keine Auswirkung auf das Prozeßrechtsverhältnis zu. Da die abhelfende Entscheidung die vom Widerspruchsführer geltend gemachte materielle Beschwer beseitigt, kann es zu einem vom Widerspruchsführer eingeleiteten gerichtlichen Verfahren nicht mehr kommen. Es entsteht damit kein Prozeßrechtsverhältnis. Hiervon sind allerdings diejenigen Anforderungen zu unterscheiden, die die Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechtes an die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes 74 und die sachgerechte Ausübung des Ermessens 75 stellen. Da die positive Abhilfeentscheidung verwaltungsverfahrensrechtlich als Verwaltungsakt i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG zu qualifizieren ist, gelten insoweit für sie die gleichen Anforderungen, wie für jeden außerhalb des Widerspruchsverfahrens ergehenden Verwaltungsakt. 76 Fehler bei der 72

v. Mutius, Diss. S. 118; vgl. auch s.o. 2. Teil Β I I 3. Vgl. § 73 Abs. 3 VwGO. 74 § 24 VwVfG. 7 5 § 40 VwVfG. 73

II. Die einzelnen (vor-)prozessualen Obliegenheiten

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Ermittlung und Berücksichtigung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes können sich damit unmittelbar auf die Rechtmäßigkeit der im Abhilfebescheid liegenden sachlichen Entscheidung auswirken und einen Drittbetroffenen zur Widerspruchserhebung und zur Klage berechtigen. b) Die Entscheidung im Abhilfeverfahren als Ergebnis der Kontrolle Hält die Behörde den Widerspruch für begründet, so hilft sie ihm ab und entscheidet über die Kosten. 77 aa) Prozessuale Bedeutung der Entscheidung Die positive Abhilfeentscheidung bewirkt, daß nach §73 Abs. 1 S. 1 VwGO eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde nicht mehr erforderlich ist. Die Fortführung des auf die Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens gerichteten Widerspruchsverfahrens wird entbehrlich, da der Widerspruchsführer nun nicht mehr geltend machen kann, durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt zu werden. 78 Dem entspricht es, daß die Ausgangsbehörde zum Abschluß des Verfahrens über die Kosten entscheidet. Die prozessuale Bedeutung der positiven Abhilfeentscheidung beschränkt sich darauf, daß sich das verwaltungsgerichtliche Vorverfahren mit dieser Entscheidung erledigt und damit weitere prozessuale Obliegenheiten für die Verwaltung nicht mehr bestehen. Umgekehrt ist die Rechtslage, wenn die Ausgangsbehörde die Abhilfe verweigert. In diesem Fall muß sich die Widerspruchsbehörde mit der Sache befassen. 79 Zu diesem Zweck muß die Ausgangsbehörde den Widerspruch der nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständigen Behörde vorlegen. Diese Vorlagepflicht ist - ebenso wie die Pflicht der Widerspruchsbehörde über den Widerspruch zu entscheiden80 keine verwaltungsverfahrensrechtliche Verpflichtung, der ein subjektives Recht des Widerspruchsführers gegenüberstehen könnte. Sie besteht allein als prozessuale Obliegenheit, deren Nichtbeachtung die Rechtsfolgen der §§ 75,161 Abs. 3 VwGO auslöst. 81 Beim Anfechtungswiderspruch kommt hinzu, daß die negative Abhilfeentscheidung den Widerspruch nicht verbraucht, diesem also bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde grundsätzlich voller Suspensiveffekt zukommt. 82 76 Weides, S. 180. 77 § 72 VwGO. 78 § 42 Abs. 2 VwGO; TSG S. 96. 7 * § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO. 80 s.o. A I. 81 s.o. A I . l b .

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

bb) Materielle Bedeutung der Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO Aus der Regelung in § 72 VwGO, nach der die Ausgangsbehörde dem Widerspruch abhilft, wenn sie ihn für begründet hält, wird allgemein geschlossen, daß ihr für diese Entscheidung kein Ermessen zusteht, daß es sich bei dieser Entscheidung im Falle der Begründetheit des Widerspruches also um eine gebundene Entscheidung handelt. Hierin liege ein wesentlicher Unterschied zu einem Widerruf oder einer Rücknahme, die nach den §§ 48, 49 VwVfG in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt sind. 83 Soweit sich aus § 72 VwGO eine Verpflichtung zur Abhilfe für den Fall eines begründeten Widerspruches ergeben soll, kann diese wegen der Beschränkung des Bundesgesetzgebers auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens nur prozessualer Natur sein. Die Rechtsfolge, die die Verwaltùngsgerichtsordnung für den Fall der Nichtabhilfe vorsieht, besteht indes allein darin, daß sich nunmehr die nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständige Behörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde mit dem Widerspruch befassen muß. Erläßt diese Behörde keinen Widerspruchsbescheid, dann treten die prozessualen Rechtsfolgen des § 75 VwGO mit der Kostenfolge des § 161 Abs. 3 VwGO ein. Weitergehende prozessuale Folgen knüpft die Verwaltungsgerichtsordnung dagegen an die Verweigerung der Abhilfe nicht. Materiell bedeutet die Entscheidung der Ausgangsbehörde über die Abhilfe eine Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme eines Verwaltungsakt. Dies gilt auch für den Fall eines Verpflichtungswiderspruchs 84, da die ausdrückliche Ablehnung eines Verwaltungsaktes selbst einen Verwaltungsakt darstellt 85 , die positive Abhilfeentscheidung mithin zumindest die konkludente Aufhebung des ablehnenden Ausgangsverwaltungsaktes erfordert. 86 Die insoweit einschlägigen Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechtes stellen die Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme eines Verwaltungsaktes in das Ermessen der Verwaltungsbehörden. Wendet man entsprechend dem oben 87 aufgefundenen Ergebnis auf die Feststellung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Pflichten der Ausgangsbehörde auch in ihrer Eigenschaft als Abhilfebehörde die §§ 48ff. VwVfG an, dann besteht grundsätzlich auch das der Verwaltung in diesen Vorschriften 82

§ 80 Abs. 1 VwGO. Meister, D Ö V 1985 S. 146 (148); P/R § 17 Rdn. 4; Allesch, Diss. S. 215f.; Stelkens, SBL § 48 VwVfG Rdn. 10a; v. Mutius, Diss. S. 45; wohl auch Weides S. 180; TSG S. 108. 84 § 68 Abs. 2 VwGO. 85 Vgl. nur Stelkens, SBL § 35 VwVfG Rdn. 80 m.w.N. 8 * P/R § 33 Rdn. 14. 87 2. Teil C III. 83

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eingeräumte Widerrufs- oder Rücknahmeermessen für die Abhilfeentscheidung. Eine Verpflichtung in dem von der herrschenden Meinung angenommenen Sinne einer gebundenen Entscheidung kann danach für die Abhilfe nur bestehen, wenn sich das Widerrufs- oder Rücknahmeermessen im Einzelfall oder generell im Widerspruchsverfahren auf Null reduziert. 88 c) Bedeutung der Zulässigkeit des Widerspruchs für die prozessuale Stellung der Abhilfebehörde Das Widerspruchsverfahren ist ein in Richtung auf den Verwaltungsprozeß geordnetes Verwaltungsverfahren. Sein primärer Zweck, das Verwaltungsgericht von einer sachlichen Befassung mit der Streitsache zu entlasten, wird verzichtbar, wenn das Verwaltungsgericht von einer sachlichen Überprüfung bereits aus anderen Gründen ausgeschlossen ist. Diese Tatsache rechtfertigt möglicherweise die Einbeziehung der verwaltungsgerichtlichen Sachurteilsvoraussetzungen für die Betrachtung der vorprozessualen Stellung der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren. Kommt die Widerspruchsbehörde bei der Überprüfung des Widerspruchs zu dem Schluß, daß die mit dem Widerspruch angedrohte Klage nicht zulässig ist, weil beispielsweise der Kläger nicht geltend machen kann, durch den beanstandeten Verwaltungsakt in seinen Rechten betroffen zu sein, 89 so ist sie nach ganz herrschender Auffassung zu einer sachlichen Prüfung oder gar zu einem sachlichen Bescheid nicht verpflichtet, sondern kann im Widerspruchsbescheid den Widerspruch als unzulässig zurückweisen. 90 Wie sich jedoch aus den §§ 72, 73 Abs. 1 S. 1 VwGO ergibt, besteht eine solche Möglichkeit für die Ausgangsbehörde im Abhilfeverfahren grundsätzlich nicht. Gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO kann nur dann auf den Erlaß eines Widerspruchsbescheides durch die nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständige Verwaltungsinstanz verzichtet werden, wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch stattgibt. Die Ausgangsbehörde ist also zur Vorlage des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde auch dann verpflichtet, wenn sie den Widerspruch für unzulässig hält. Diese Regelung rechtfertigt sich dadurch, daß die Ausgangsbehörde sich bei der Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen irren kann. Verstößt sie gegen ihre prozessuale Vorlagepflicht, kann die Widerspruchsbehörde den ihr nach § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO obliegenden Widerspruchsbescheid nicht erlassen. Erhebt in diesem Fall der Widerspruchsführer nach Ablauf einer angemessenen Frist die Klage nach § 75 S. 1 VwGO, so wird die Klage im Hinblick auf die allgemeinen Sachurteilsvoraus88 89 90

Vgl. Meyer, M/B § 48 VwVfG Rdn. 28; genauer dazu unten Β I I 2bbb. § 42 Abs. 2 VwGO. Kopp, VwGO § 73 Rdn. 7; R/Ö § 73 VwGO Rdn. 19.

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Setzungen zwar nicht zulässig. Weist die Verwaltung aber erst im gerichtlichen Verfahren auf die Unzulässigkeit der Klage hin, dann trägt sie die Kosten des Verfahrens, wenn der Widerspruchsführer daraufhin seine Klage zurücknimmt. 9 1 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Unzulässigkeit des Widerspruches nicht auf dem Fehlen von Sachurteilsvoraussetzungen der verwaltungsgerichtlichen Klage beruht, sondern wenn in der konkreten Situation die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nach § 68 Abs. 1 S. 1 und 2 VwGO vom Gesetzgeber nicht gefordert wird. 9 2 Nur in diesen Fällen der Unanwendbarkeit der §§ 68 ff. VwGO entfaltet der unzulässige Widerspruch überhaupt keine prozessualen Verpflichtungen für die Verwaltungsbehörden. 2. Die prozessualen Verpflichtungen der Widerspruchsbehörde

Gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO muß sich die Widerspruchsbehörde mit dem Widerspruch befassen, wenn die Ausgangsbehörde die Abhilfe verweigert hat. Für dieses Kontrollverfahren stellen die §§ 68ff. VwGO eine Reihe prozessualer Obliegenheiten auf, die die Widerspruchsbehörde speziell in ihrer Eigenschaft als zweitinstanzliches Kontrollorgan ansprechen. Die Widerspruchsbehörde ist ebenso wie die Ausgangsbehörde zur Kontrolle der Recht- und Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes verpflichtet. 93 Entsprechend dem Ergebnis ihrer Prüfung erläßt sie einen Widerspruchsbescheid. 94 Dieser ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und dem Widerspruchsführer zuzustellen.95 Kann die Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Widerspruchsbescheid einen Dritten beschweren, so soll dieser vor Erlaß des Widerspruchsbescheides nach § 71 VwGO gehört werden. a) Erlaß eines Widerspruchsbescheides Nach § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO ergeht ein Widerspruchsbescheid, wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht abhilft. Diesen erläßt die nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständige Behörde. Trotz der indikativen Verwendung der Verben „ergehen" und „erlassen" beinhaltet auch diese Vorschrift keine 91

Kopp, VwGO § 161 Rdn. 34ff. m.w.N. Neben den Fällen des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO insbesondere, wenn es sich bei der angefochtenen Maßnahme nicht um einen Verwaltungsakt handelt oder wenn für die Anfechtung dieser Maßnahme der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO nicht eröffnet ist. 93 §§ 68 Abs. 1 S. 1, 73 VwGO. 94 § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO. 95 .§ 73 Abs. 3 S. 1 VwGO. 92

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verwaltungsverfahrensrechtliche Verpflichtung, der ein subjektives Recht des Widerspruchsführers gegenüberstehen könnte. Verweigert die Widerspruchsbehörde den Erlaß eines Widerspruchsbescheides, kann der Widerspruchsführer nach Ablauf einer angemessenen Frist sein Begehren mit der Klage unmittelbar in der Hauptsache verfolgen. Der prozessuale Nachteil den das Verhalten der Verwaltung in diesem Fall mit sich bringt, besteht darin, daß sie die Gelegenheit versäumt hat, den Prozeß zu vermeiden und sie mit den Kosten des gerichtlichen Verfahrens belastet wird, wenn der Widerspruchsführer, der die Einwände der Verwaltung nun erst im gerichtlichen Verfahren erfährt, daraufhin die Klage zurücknimmt. 96 Weitere prozessuale Nachteile sieht die Verwaltungsgerichtsordnung für den Verstoß gegen die prozessuale Bescheidungspflicht der Widerspruchsbehörde nicht vor. b) Kontrollpflicht

der Widerspruchsbehörde

Die Kontrollpflicht, die § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO auch für die Widerspruchsbehörde bestimmt, bezieht sich auf die Recht- und Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bzw. der Verweigerung des beantragten Verwaltungsaktes. Die Widerspruchsbehörde muß neben den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen grundsätzlich auch überprüfen, ob die Ausgangsbehörde bei ihrer Entscheidung ein Ermessen sachgerecht ausgeübt hat und ob dieser Entscheidung Beurteilungsfehler zugrunde liegen. 97 Verletzt die Widerspruchsbehörde ihre prozessuale Kontrollpflicht, etwa weil sie eine Kontrolle überhaupt nicht für erforderlich hält oder sich zu Unrecht auf eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt 98 , dann verstößt sie gegen eine wesentliche Vorschrift über das Widerspruchsverfahren. Die Wesentlichkeit der Kontrolle für das Widerspruchsverfahren ergibt sich daraus, daß es seinen primären Zweck, zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte beizutragen, nicht erfüllen kann, wenn nicht die Verwaltung vor der Erhebung der Klage durch den Bürger den angefochtenen Verwaltungsakt einer umfassenden Überprüfung unterzieht. Der Verstoß gegen die Prüfungspflicht berechtigt den Widerspruchsführer daher zur isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides nach § 79 Abs. 2 S. 2 V w G O . 9 9 Ist die Klage begründet, weil die Widerspruchsbehörde tatsächlich nicht ihrer umfassenden Prüfungspflicht nachgekommen ist, hebt das Verwaltungsgericht den insoweit fehlerhaften Widerspruchsbescheid auf und 96 § 161 Abs. 3 VwGO. 97 Zur möglichen Einschränkung der Kontrollbefugnis, unten Β I I I 2 bbb bbb (3). 98 Weil sie Ermessens- oder Beurteilungsspielräume übersieht. 99 Kopp VwGO § 79 Rdn. 13; E/F § 79 Rdn. 6; Weides S. 246.

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ermöglicht damit der Verwaltung eine neue Bescheidung des Widerspruchs unter Beachtung aller wesentlichen Verfahrensvorschriften. Entscheidet die Widerspruchsbehörde daraufhin nicht innerhalb einer angemessenen Frist über den Widerspruch, dann kann der Widerspruchsführer nunmehr unmittelbar in der Hauptsache klagen. 100 Dagegen hat der Verstoß gegen die Kontrollpflicht keinen Einfluß auf die sachliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn sich der Widerspruchsführer mit dem fehlerhaften Widerspruchsbescheid (prozessual) zufrieden gibt und nicht nach § 79 Abs. 2 S. 2 V w G O , sondern gemäß § 79 Abs. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 VwGO Klage erhebt. Die Erfolgsaussichten dieser Klage beurteilen sich allein nach der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Ermessenserwägungen und Beurteilungen der Widerspruchsbehörde sind bei diesen Klagen nur von Bedeutung, wenn der Ausgangsbescheid durch den Widerspruchsbescheid eine sachliche Änderung erfahren hat. Dies ist allerdings auch dann der Fall, wenn der Entscheidung der Widerspruchsbehörde eine gegenüber der Ausgangsentscheidung veränderte Sachlage zugrunde gelegen hat. In diesen Fällen entspricht der Klagegegenstand nicht mehr dem ursprünglichen Ausgangsverwaltungsakt. 1 0 1 Als neuer Verwaltungsakt muß der durch den Widerspruchsbescheid geänderte Ausgangsbescheid selbstverständlich allen verwaltungsrechtlichen Anforderungen an eine sachgerechte Ermessensausübung und an die Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen genügen. Beschränkt sich der Widerspruchsbescheid dagegen darauf, die angefochtene Ausgangsentscheidung bei unveränderter Sachlage zu bestätigen, dann kommt ihm verwaltungsverfahrensrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Beurteilungsgegenstand ist dann allein der Ausgangsbescheid. Die gegen diesen gerichtete Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. 102 c) Begründung des Widerspruchsbescheides, § 73 Abs. 3 S.l VwGO Gemäß § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO muß die Widerspruchsbehörde ihren Bescheid begründen. Der Begründungspflicht kommt ebenfalls eine wesentliche Bedeutung für die Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens zu. 1 0 3 Je umfassender die Widerspruchsbehörde dem Widerspruchsführer oder 100

Zur Kostenfolge, oben I 1. Zu den verfassungsrechtlich begründeten Ausnahmen bei baurechtlichen Nachbarwidersprüchen vgl. BVerwG, Buchholz 406.42 § 11 RGaO Nr. 10; NJW 1978, 614f.; V G H BW Vbl. BW 1982, 137 (138); kritisch, Kopp, VwGO § 68 Rdn. 14 m.w.N. 102 § 113 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO. 103 v. Mutius, Diss. S. 209. 101

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einem durch den Widerspruchsbescheid belasteten Dritten die Gründe ihrer Entscheidung mitteilt, um so eher besteht für sie die Möglichkeit, ihn von der Aussichtslosigkeit seines Begehrens zu überzeugen. 104 Jedenfalls ermöglicht die Begründung einem potentiellen Kläger die Erfolgsaussichten seiner Klage einzuschätzen und sich im Klagevortrag auf die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte einzustellen. 105 Eine detaillierte Begründung versetzt schließlich das Verwaltungsgericht in die Lage, den Verwaltungsakt an Hand der Feststellungen und Überlegungen der Widerspruchsbehörde zu überprüfen und trägt daher auch insoweit zu einer Entlastung der Verwaltungsgerichte bei. 1 0 6 Im Zusammenhang mit der in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO vorgeschriebenen Begründung sind zwei Problemkreise zu behandeln. Zum einen ist das Verhältnis der Regelung des § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO zu der in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder für belastende Verwaltungsakte grundsätzlich vorgeschriebenen Begründung zu untersuchen. Die Feststellung des AnwendungsVerhältnisses der verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen und der in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO vorgeschriebenen Begründung ist von erheblicher Bedeutung, da § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht näher ausgestaltet und diese Vorschrift außerdem, anders als die Regelung in § 39 Abs. 2 VwVfG, keine Ausnahme von der Begründungspflicht vorsieht. 107 Der zweite Problemkreis liegt in der Frage, wie sich der Verstoß gegen die prozessuale Begründungspflicht in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren auswirkt. Hier steht im Vordergrund, ob der Verstoß bei einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO in jedem Fall zur Aufhebung des Widerspruchsbescheides führt und ob - und wenn ja, wann - die fehlende Begründung noch im gerichtlichen Verfahren mit einer heilenden Wirkung nachgeholt werden kann. 1 0 8 aa) Anwendungsverhältnis § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO zu § 39 VwVfG Nach der herrschenden Auffassung, die nicht zwischen der prozessualen Bedeutung der §§ 68 ff. VwGO und den verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen differenziert, verdrängt § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO die Anordnung der Begründung in § 39 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Dagegen soll die in § 39 Abs. 1 S. 2 und 3 VwVfG enthaltene Ausgestaltung der Begründungspflicht als ergänzende verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmungen 109 auch auf 104 R/Ö § 73 Rdn. 22. 105 Weides S. 266; TSG S. 115. 106 Kopp, VwGO § 73 Rdn. 12. i° 7 Dazu aa). i° 8 Dazu bb). 8 Oerder

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die Begründungspflicht nach § 73 Abs. 3 S. 1 VwVfG anwendbar sein. 110 Da die Regelung in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO von der Begründungspflicht keine Ausnahme macht, soll dagegen § 39 Abs. 2 VwVfG auf die Begründungspflicht für den Widerspruchsbescheid nicht anwendbar sein. 111 Nach der kompetenzrechtlichen Betrachtungsweise ergibt sich für das Anwendungsverhältnis des § 39 VwVfG zu § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO dagegen folgendes: Die Bestimmungen der Pflichten, die die Verwaltungsbehörden bei der Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses zu beachten haben, obliegt dem jeweils für die Regelung des Verwaltungsverfahrens zuständigen Gesetzgeber. Aus diesem Grund kann sich die Antwort auf die Frage, ob und in welchem Umfang die Verwaltung ihre Bescheide begründen muß, allein aus den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechtes ergeben. Einschlägig ist insoweit in Ermangelung spezialgesetzlicher Vorschriften 112 § 39 VwVfG. Läßt die Widerspruchsbehörde bei unveränderter Sachlage den angefochtenen Bescheid bestehen, so kommt der Begründungspflicht nach § 39 VwVfG nur insoweit eine Bedeutung zu, als die Widerspruchsbehörde eine dem Ausgangsverwaltungsakt fehlende Begründung bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens nachholen kann. 1 1 3 Ändert die Widerspruchsbehörde den Ausgangsverwaltungsakt ab und wird dadurch der Widerspruchsführer erneut oder ein Dritter erstmalig in seinen Rechten betroffen, so muß die Widerspruchsbehörde ihren Bescheid nach Maßgabe des § 39 Abs. 1 VwVfG begründen. Das gleiche gilt auch, wenn die Widerspruchsbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt und dieser neue Verwaltungsakt den Widerspruchsführer oder einen Dritten in seinen Rechten betrifft. Die in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO als prozessuale Obliegenheit vorgesehene Begründungspflicht hat dagegen keine Auswirkungen auf die formelle Rechtmäßigkeit des im Widerspruchsbescheid liegenden Verwaltungsaktes. Sie wirkt sich nur im Falle eines nachfolgenden Prozesses auf die prozessuale Stellung der Parteien dieses Prozesses aus. Wie bereits festgestellt, können die prozessualen Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung Regelungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechtes selbst dann nicht verdrängen, wenn sie gleichlautende oder gar abweichende Bestimmungen enthalten. Für die verwaltungsverfahrensrechtliche Beurteilung eines Verwaltungsaktes ist daher, auch wenn es sich dabei um 109

§ 79 a.E. VwVfG. Knack, VwVfG § 79 Rdn. 7.3.4.; Stelkens, SBL, § 39 VwVfG Rdn. 6; Meyer, M/B, VwVfG § 79 Rdn. 13; Allesch S. 160 m.w.N. 111 Allesch a.a.O.; Kopp, VwGO § 73 Rdn. 11; P/R § 34 Rdn. 3; zurückhaltend, TSG, S. 116. 112 Zu denen die Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung gerade nicht gehören. 113 § 45 Abs. 2 VwVfG. 110

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einen Widerspruchsbescheid handelt, allein das jeweils anwendbare Verwaltungsverfahrensrecht maßgebend. Aus § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO ergibt sich hingegen, welchen prozessualen Anforderungen ein Widerspruchsbescheid genügen muß. Fraglich ist dabei, inwieweit die Regelungen in § 39 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG im Rahmen des § 73 Abs. 3 VwGO Anwendung finden. Unter dogmatischen und systematischen Gesichtspunkten scheidet eine ergänzende Anwendung des § 39 Abs. 1 S. 2 und 3 VwVfG über § 79 a. E. VwVfG auf die Begründungspflicht nach § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO aus, da sich die verwaltungsverfahrensrechtliche und die prozessuale Begründungspflicht auf jeweils unterschiedliche Wirklichkeitsausschnitte beziehen und es jedenfalls dem Landesgesetzgeber auch nicht gestattet ist, bundesrechtlich abschließend geregelte prozessuale Obliegenheiten der Verwaltung näher auszugestalten. Keine Bedenken bestehen aber dagegen, die in § 39 Abs. 1 S. 2 und 3 VwVfG aufgestellten Anforderungen auf die prozessuale Begründungspflicht entsprechend anzuwenden. Dagegen ist der herrschenden Auffassung darin zuzustimmen, daß die in § 39 Abs. 2 VwVfG normierte Ausnahmen auf die in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO vorgesehene Begründungspflicht nicht anwendbar sind. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO, der keine Ausnahmen von der prozessualen Begründungspflicht vorsieht, sondern auch aus der Erwägung, das ein generelles Absehen von der Begründung die Gewährleistung der Zwecke des Widerspruchsverfahrens beeinträchtigen könnte. Liegen die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 VwVfG vor, dann ist der ohne eine Begründung erlassene Widerspruchsbescheid zwar formell rechtmäßig. Die Widerspruchsbehörde hat aber gegen eine prozessuale Obliegenheit verstoßen, woraus sich Auswirkungen auf ihre Rechtsstellung in einem nachfolgenden Prozeß ergeben können. bb) Rechtsfolgen einer mangelnden Begründung im gerichtlichen Verfahren Auch bei der Untersuchung der Rechtsfolgen, die sich aus einer mangelnden Begründung des Widerspruchsbescheides im gerichtlichen Verfahren ergeben, ist zwischen der verwaltungsverfahrensrechtlichen und der prozessualen Begründungspflicht zu unterscheiden. aaa) Verstoß gegen die verwaltungsverfahrensrechtliche Begründungspflicht Beruft sich der Kläger mit der Klage nach § 79 Abs. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 VwGO darauf, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten, dann ist für die sachliche Entscheidung des Gerichtes allein das materielle Recht einschließlich des jeweils anwendbaren Verwaltungsver8*

1 1 6 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

fahrensrechtes maßgebend. Ob die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Hinblick auf eine etwa erforderliche Begründung formell rechtmäßig ist, richtet sich ausschließlich nach der Vorschrift des § 39 VwVfG. War eine Begründung erforderlich, so kann sie nach der eindeutigen Bestimmung in § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG nach Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage nicht mehr mit heilender Wirkung nachgeholt werden. Allerdings kann gemäß § 46 VwVfG die Aufhebung des Bescheides im gerichtlichen Verfahren wegen einer fehlenden Begründung nur verlangt werden, wenn eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. 114 bbb) Verstoß gegen die prozessuale Begründungspflicht Bei der Klage nach § 79 Abs. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 VwGO hat der Verstoß gegen die in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO geregelte prozessuale Begründungspflicht nur dann rechtliche Konsequenzen, wenn der Kläger, der erst im gerichtlichen Verfahren die Gründe der Verwaltung erfährt, daraufhin seine Klage zurücknimmt. Für diesen Fall nimmt die herrschende Auffassung zu Recht an, daß der Verwaltung in entsprechender Anwendung der §§ 155 Abs. 5 V w G O 1 1 5 bzw. der §§ 156, 161 V w G O 1 1 6 die Kosten des gerichtlichen Verfahrens auferlegt werden. Die Belastung der Verwaltung mit den Kosten rechtfertigt sich damit, daß sie diese Kosten durch ihr prozeßordnungswidriges Verhalten verursacht hat. 1 1 7 Aus der erheblichen Bedeutung, die der Begründung für die Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens zukommt, ergibt sich, daß es sich bei der Regelung in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO um eine wesentliche Vorschrift über das Widerspruchsverfahren handelt. Der Widerspruchsführer oder ein durch den Widerspruchsbescheid belasteter Dritter 1 1 8 kann daher den wegen des Verstoßes gegen § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO fehlerhaften Widerspruchsbescheid isoliert anfechten, um so die Widerspruchsbehörde zu einer erneuten Entscheidung über den Widerspruch zu bewegen. 119 Es wird vertreten, daß der Mangel der Begründung des Widerspruchsbescheides allein noch nicht zur Aufhebung dieses Bescheides durch das Gericht ausreiche, da der Kläger mit 114 Vgl. dazu Stelkens, SBL, § 46 VwVfG Rdn. 8af.; Meyer, M/B, § 46 VwVfG Rdn. 19f.; Kopp, VwVfG, § 46 Rdn. 19f.; Weides, S. 70. »5 Kopp, VwGO § 73 Rdn. 13 und § 155 Rdn. 23; E/F § 73 VwGO Rdn. 8 m.w.N. 116 R/Ö § 73 Rdn. 23 m.w.N. 117 E/F § 155 Rdn. 17 m.w.N. 118 § 79 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO; vgl. zu dieser Klagemöglichkeit Hofmann, VerwA Bd. 58 (1967), 169. 119 Kopp, VwGO § 73 Rdn. 13; Weides, S. 267; P/R § 34 Rdn. 2; Allesch, Diss. S. 161; a. A . Trzaskalik, Diss. S. 74, vgl. dazu oben A I 2b.

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der Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO nicht anders gestellt werden solle, als in den Fällen, in denen die Widerspruchsbehörde überhaupt keinen Bescheid erlassen habe. 120 Es ist jedoch bereits darauf hingewiesen worden, daß der Widerspruchsführer mit einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO auch nicht mehr erreichen kann, als in den Fällen der vollkommenen Untätigkeit der Widerspruchsbehörde. 121 Die Aufhebung des Widerspruchsbescheides beinhaltet keinen Verpflichtungsausspruch dahingehend, daß die Widerspruchsbehörde einen neuen Widerspruchsbescheid erlassen muß. Weder § 75 VwGO noch § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO gewähren dem Widerspruchsführer einen materiellen Anspruch auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides. Das stattgebende Urteil nach einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO enthält lediglich die Feststellung darüber, daß die Widerspruchsbehörde ihren (vorprozessualen Verpflichtungen noch nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Die Verpflichtung der Widerspruchsbehörde, nach Aufhebung des Widerspruchsbescheides durch das Verwaltungsgericht erneut unter Beachtung der wesentlichen Verfahrensbestimmungen über den Widerspruch zu entscheiden, besteht nicht als materielle Pflicht, sondern nur als prozessuale Obliegenheit. Kommt die Widerspruchsbehörde dieser prozessual nach der Aufhebung des Widerspruchsbescheides fortbestehenden Verpflichtung nicht binnen angemessener Frist nach, so kann der Widerspruchsführer nach § 75 VwGO die Klage in der Hauptsache mit den sich daraus ergebenden Folgen 122 erheben. Der Hinweis der Gegenansicht, der Widerspruchsführer könne mit einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO gegen den Widerspruchsbescheid nicht besser gestellt werden, als er stände, wenn ein Widerspruchsbescheid überhaupt nicht ergangen wäre, ist also nur insoweit gerechtfertigt, als der Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift nicht zur Aufhebung auch des Ausgangsbescheides führen kann. 1 2 3 Dieses Ziel kann aber ohnehin nicht mit einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides erreicht werden. Da die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO eine selbständige Beschwer des Widerspruchsführers für den Fall fingiert, daß die Widerspruchsbehörde gegen eine wesentliche Vorschrift über das Widerspruchsverfahren verstoßen hat, reicht allein dieser Verstoß bereits für die Aufhebung des Widerspruchsbescheides aus, wenn sich der Widerspruchsführer durch die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides hierauf beruft. 124

120 e/F § 73 VwGO Rdn. 8; R/Ö § 73 VwGO Rdn. 23; Schunck-De Clerk § 73 VwGO Rdn. 6b; vgl. auch BayVGH, BayVBl. 1963, 90 (91). 121 s.o. A I l b . ι 2 2 s.o. A I 1. 123 Vgl. r / ö § 73 Rdn. 23; E/F § 73 VwGO Rdn. 8. 1 24 Im Ergebnis wie hier: Kopp, VwGO § 73 Rdn. 13; P/R § 34 Rdn. 2; v. Mutius, Diss. S. 210f.

1 1 8 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

ccc) Heilung des Mangels durch Nachholen der Begründung im gerichtlichen Verfahren Fraglich ist, ob der Mangel der Begründung des Widerspruchsbescheides auch bei einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO nicht durch das Nachholen dieser Begründung während des gerichtlichen Verfahrens geheilt werden kann. 1 2 5 Aus der Regelung in § 45 Abs. 2 VwVfG kann sich jedenfalls der Ausschluß der Nachholbarkeit nicht ergeben, da sich diese Vorschrift nur auf die Grenzen der Nachholbarkeit der verwaltungsverfahrensrechtlich vorgeschriebenen Begründung bezieht. Gegen die Möglichkeit der Heilung spricht aber, daß mit dem Nachschieben der Gründe im gerichtlichen Verfahren der Zweck der prozessualen Begründungspflicht nicht mehr erreicht werden kann. 1 2 6 Der Begründungspflicht kommt für die Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens eine wesentliche Bedeutung insoweit zu, als die umfassende Begründung einerseits eine genaue Sachverhaltsermittlung durch die Widerspruchsbehörde voraussetzt und andererseits geeignet ist, dem Widerspruchsführer eine Einschätzung seiner Aussichten im Prozeß zu ermöglichen. Hinzu kommt, daß jedenfalls im Regelfall des § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO die beklagte Behörde mit der Widerspruchsbehörde nicht identisch ist, der Gesetzgeber aber gerade die Widerspruchsbehörde zu der Begründung verpflichtet hat. 1 2 7 Aus diesen Gründen ist die Auffassung, die bei einer auf die fehlende Begründung gestützten Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO eine Heilung des Mangels im gerichtlichen Verfahren für zulässig hält, abzulehnen. Beruft sich der Widerspruchsführer mit der Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO auf den Mangel der Begründung, so kann entgegen der Auffassung der Rechtsprechung 128 die Zulässigkeit der Klage auch nicht davon abhängig gemacht werden, daß es sich bei dem Widerspruchsbescheid um eine Ermessensentscheidung und nicht um eine gebundene Entscheidung handelt. Diese Unterscheidung ergibt sich weder aus § 46 VwVfG, da diese Vorschrift auf die prozessuale Begründungspflicht keine Anwendung findet, noch läßt sie sich mit dem Nachsatz in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO begründen, da diese Vorschrift die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides nur dann ausschließt, wenn sich der Verfahrensverstoß unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf den Widerspruchsbescheid auswirken konnte. 1 2 9

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Dafür z.B. R/Ö § 73 VwGO Rdn. 23 m.w.N. Kopp, VwGO § 73 Rdn. 13; P/R § 34 Rdn. 2; v. Mutius, Diss. S. 210f.; vgl. auch Kopp, VerwA Bd. 61 (1970), 219 (255). * 2 7 v. Mutius, Diss. S. 210. 128 s.o. A I 2caa. ι » s.o. A I 2ccc. 126

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d) Anhörung eines Dritten Nach § 71 VwGO soll vor Erlaß eines Widerspruchsbescheides ein Dritter, dessen Rechtsstellung durch die Änderung oder Aufhebung des Ausgangsbescheides berührt werden kann, von der Widerspruchsbehörde angehört werden. Obwohl der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung offensichtlich davon ausgegangen ist, daß der Widerspruchsbescheid eine zusätzliche Beschwer auch für den Widerspruchsführer enthalten kann 1 3 0 , schreiben die §§ 68ff. VwGO eine Anhörung des Widerspruchsführers für diesen Fall jedenfalls ausdrücklich nicht vor. Die in § 71 VwGO enthaltene Regelung war im Regierungsentwurf zur VwGO noch nicht vorgesehen. 131 Ihre Einbeziehung erfolgte erst auf den Vorschlag des Bundesrates im Zusammenhang mit dem Fortfall des Vorverfahrens in den Fällen, in denen ein Dritter durch den Widerspruchsbescheid erstmalig beschwert wird. 1 3 2 Die Anhörung des Dritten sollte den Wegfall des Widerspruchsverfahrens für diesen Fall ausgleichen. Der Dritte wird damit in das Prozeßrechtsverhältnis einbezogen. Für das Verwaltungsverfahren konkretisiert nunmehr § 28 VwVfG die rechtsstaatliche Pflicht der Verwaltung zur Anhörung eines Beteiligten, der durch einen Verwaltungsakt (negativ) in seinen Rechten betroffen werden kann. 1 3 3 Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Rechtsfolgen einer mangelnden Anhörung ergeben sich aus den §§45 Abs. 1 Nr. 3 i. V . m . Abs. 2, 46 VwVfG. aa) Anwendungsverhältnis des § 71 VwGO zu den §§ 28, 45, 46 VwVfG aaa) Meinungsstand Das Verhältnis der Anhörungspflicht nach § 71 VwGO zu den entsprechenden Regelungen des Verwaltungsverfahrens ist umstritten. Die unterschiedlichen Stellungnahmen sind weitgehend gekennzeichnet durch die fehlende Unterscheidung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht. Einigkeit besteht entsprechend der Regelung des § 79 a. E. VwVfG nur darüber, daß im Anwendungsbereich des § 71 VwGO die verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Anhörung verdrängt werden sollen.

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§ 79 Abs. 2 S. 1 VwGO; zur reformatio in peius, unten Β I I 3 b. 131 Vgl. BT-Drs. I I I , 55, S. 11. 1 32 § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO; vgl. Koehler, VwGO § 71 Anm. I. 133 Vgl. Kopp, VwVfG § 28 Rdn. 1; Leonhardt, SBL § 28 VwVfG Rdn. 5.

1 2 0 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Nach einer insbesondere von Kopp 1 3 4 vertretenen Ansicht soll die Vorschrift des § 71 VwGO über ihren unmittelbaren Regelungsbereich hinaus auf die Fälle einer zusätzlichen Beschwer des Widerspruchsführers durch den Widerspruchsbescheid (reformatio in peius) und auf das Abhilfeverfahren nach § 72 VwGO entsprechend anzuwenden sein. 135 Nach dieser Ansicht bleibt für die ergänzende Anwendung der verwaltungsverfahrensrechtlich geregelten Anhörungspflicht in diesen Fällen kein Raum, weshalb auch die in § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG normierten Ausnahmen im Widerspruchsverfahren grundsätzlich keine Geltung beanspruchen könnten. 136 Allein aus der Sollfassung des § 71 VwGO ergebe sich, daß auch die Widerspruchsbehörde in besonders gelagerten Fällen von einer Anhörung des Betroffenen absehen könne. 1 3 7 Nach anderer Auffassung soll eine entsprechende Anwendung des § 71 VwGO auf die reformatio in peius und die Entscheidung der Abhilfebehörde jedenfalls im Anwendungsbereich der VerwaltungsVerfahrensgesetze ausscheiden, da die bisher bestehende Lücke durch die nach § 79 a.E. VwVfG vorgeschriebene ergänzende Anwendung des § 28 VwVfG geschlossen worden sei. 138 Außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereiches des § 71 VwGO sei daher die Erforderlichkeit einer Anhörung, einschließlich der in § 28 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG normierten Ausnahmen allein nach Verwaltungsverfahrensrecht zu beurteilen. Im Anwendungsbereich des § 71 VwGO wird allerdings entsprechend der Sollfassung dieser Bestimmung für besonders gelagerte Fälle ebenfalls die Möglichkeit eines Verzichtes auf die Anhörung bejaht. 139

bbb) Stellungnahme Versteht man die Regelungen der §§ 68 ff. VwGO als rein prozessuale Bestimmungen, die die Vorschriften des Verwaltungsrechtes selbst dann nicht verdrängen können, wenn sie inhaltlich gleichlautende oder sogar abweichende Aussagen treffen, dann ergibt sich für das streitige Anwendungsverhältnis zwischen § 71 VwGO und den entsprechenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen folgendes: Soweit es um die formelle oder materielle Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides oder des durch den Wider134 Kopp, VwGO § 71 Rdn. 1. 135 Vgl. auch R/Ö § 71 VwGO Rdn. 2; E/F § 71 VwGO Rdn. 1; P/R § 22 Rdn. 25. 1 36 A . A . Allesch, Diss. S. 130 m. w.N. 137 Kopp, VwGO, § 71 Rdn. 4; R/Ö a.a.O.; a. A . E/F § 71 VwGO Rdn. 2: keine Ausnahmen. 138 Weides, S. 182; Allesch, Diss. S. 126; Stelkens, SBL § 45 VwVfG Rdn. 25; Skouris, D Ö V 1982, 133 (135). 139 Vgl. auch O V G Bremen, NJW 1983, 1869: jedenfalls nur bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes.

II. Die einzelnen (vor-)prozessualen Obliegenheiten

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spruchsbescheid modifizierten Ausgangsbescheides geht, ist diese Frage nach §§ 28, 45, 46 VwVfG zu beantworten. Dies gilt auch soweit die Rechtmäßigkeit eines den Dritten erstmalig beschwerenden Widerspruchsbescheides in Frage steht, für den § 28 VwVfG ebenfalls die verwaltungsverfahrensrechtliche Anhörungspflicht regelt. Von der Anhörung kann in den Fällen des § 28 Abs. 2 VwVfG und muß im Fall des § 28 Abs. 3 VwVfG abgesehen werden.* 40 Geht es dagegen um die Beurteilung des prozessordnungsgemäßen Verhaltens der Widerspruchsbehörde, dann sind die §§ 71, 79 Abs. 2 S. 2 VwGO einschlägig. Wie sich bereits aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift ergibt, soll das prozessuale Anhörungsgebot nach § 71 VwGO den Umstand ausgleichen, daß für die Klage eines Dritten gegen eine im Widerspruchsbescheid enthaltene erstmalige Beschwer nach § 68 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VwGO die Durchführung eines zweiten Widerspruchsverfahrens nicht mehr erforderlich ist. 1 4 1 Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, daß die Verwaltung die möglichen Einwände des Dritten vor ihrer Entscheidung noch berücksichtigen kann. Damit trägt auch die Anhörungspflicht zu der mit der Regelung des Widerspruchsverfahrens intendierten Entlastung der Verwaltungsgerichte bei. Aus dieser Bedeutung des § 71 VwGO ergibt sich, daß es sich bei dieser Vorschrift um eine wesentliche Bestimmung über das Widerspruchsverfahren handelt, deren Verletzung den Dritten zu einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 i . V . m . Abs. 2 S. 2 VwGO berechtigt. Entsprechend der Sollfassung des § 71 VwGO kann die Widerspruchsbehörde in sachlich begründeten Fällen von der Anhörung ausnahmsweise absehen. Ein derartiger sachlich begründeter Fall dürfte jedenfalls dann gegeben sein, wenn die Verwaltungsbehörde wegen eines entgegenstehenden öffentlichen Interesses auch nach Verwaltungsverfahrensrecht gemäß § 28 Abs. 3 VwVfG von der Anhörung absehen muß. Demgegenüber können die fakultativen Ausnahmen des § 28 Abs. 2 VwVfG auf die prozessuale Anhörungspflicht nur sehr zurückhaltend entsprechend angewendet werden. ccc) Entsprechende Anwendung des § 71 VwGO In seinem unmittelbaren Anwendungsbereich sieht § 71 VwGO eine Verpflichtung zur Anhörung nur vor Erlaß des Widerspruchsbescheides und nur für einen erstmalig in seinen Rechten betroffenen Dritten vor. 1 4 3 140 Die Voraussetzungen für die verwaltungsverfahrensrechtlichen Ausnahmen liegen im Widerspruchsverfahren jedoch regelmäßig nicht vor, vgl. Allesch, Diss. S. 131. 141 Weides, S. 182. 1 42 Insoweit herrschende Meinung, vgl. BVerwG, BayVBl. 1975, 141 (142); O V G Bremen, NJW 1983, 1869; Weides, S. 232; Allesch, Diss. S. 129f.; Kopp, VwGO § 71 Rdn. 6; R/Ö § 71 Rdn. 2; E/F § 71 Rdn. 2; P/R § 17 Rdn. 12.

1 2 2 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Eine entsprechende Anwendung des § 71 VwGO auf die Obliegenheiten der Ausgangsbehörde scheidet wegen der unterschiedlichen Interessenlage aus. Der Zweck der Regelung in § 71 VwGO besteht primär darin, die Einbeziehung möglicher Einwände des Dritten in die Entscheidungsfindung der Widerspruchsbehörde zu sichern, da diese in jedem Fall die letzte Verwaltungsinstanz vor dem gerichtlichen Verfahren ist. Greift bereits der Abhilfebescheid in die Rechtsposition des Dritten ein, so muß der Dritte selbst noch ein Widerspruchsverfahren einleiten, bevor er den gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. 1 4 4 Damit wird sichergestellt, daß die Einwände des Dritten noch während des Verwaltungsverfahrens berücksichtigt werden können, dessen primärer Zweck gerade in einer Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens besteht. Außerdem knüpft die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO an die Entscheidung der Widerspruchsbehörde an. Eine isolierte Anfechtung des Abhilfebescheides, die die entsprechende Anwendung des § 71 VwGO auf diesen Bescheid rechtfertigen könnte, ist nach der insoweit eindeutigen Regelung in § 79 VwGO nicht vorgesehen. Für die Ausgangsbehörde im Verfahren nach § 72 VwGO besteht daher zur Anhörung des Dritten vor Erlaß eines diesen belastenden Verwaltungsaktes nur die verwaltungsverfahrensrechtliche Verpflichtung aus § 28 VwVfG. 1 4 5 Dagegen erscheint eine entsprechende Anwendung des § 71 VwGO auf die reformatio in peius 146 im Widerspruchsverfahren geboten. 147 Die hierzu erforderliche Regelungslücke besteht trotz der nunmehr gesetzlich angeordneten ergänzenden Anwendung des § 28 V w V f G 1 4 8 , wenn man mit der hier vertretenen Ansicht als wesentliche Verfahrensvorschriften i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO allein die prozessualen Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren ansieht. 149 Will die Widerspruchsbehörde den angefochtenen Ausgangsbescheid zum Nachteil des Widerspruchsführers abändern, dann besteht eine im Hinblick auf die Entlastungsfunktion 143

Vgl. aber P/R § 17 Rdn. 16, der wegen der systematischen Stellung des § 71 VwGO erwägt, als Widerspruchsbescheid im Sinne dieser Vorschrift auch den Abhilfebescheid anzusehen. 1 44 H . M . Kopp, VwGO § 68 Rdn. 20f.; E/F § 68 Rdn. 13f.; Bull, DVB1. 1970, 243 (246); Weides, S. 207: verzichtet werden könne in diesem Fall allenfalls auf die Wiederholung des Abhilfeverfahrens nach § 72 VwGO; a. A . nur P/R § 22 Rdn. 24f. 145 Die Richtigkeit dieses Ergebnisses ergibt sich auch daraus, daß es für den Dritten keinen ersichtlichen Unterschied macht, ob der ihn belastende Verwaltungsakt in einem Widerspruchsverfahren ergangen ist oder nicht. Da in beiden Fällen ein Vorverfahren vor Klageerhebung des Dritten vorgesehen ist, verliert er auch keine Verwaltungsinstanz, in der er seine Einwände gegen die Entscheidung vorbringen kann. 146 Zur reformatio in peius s.u. Β I I 3b. 147 H . M . , vgl. v. Mutius, Diss. S. 204 m.w.N. Vgl. §79 a. E. VwVfG. 149 Vgl. s.o. A I 2b.

II. Die einzelnen (vor-)prozessualen Obliegenheiten

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des Widerspruchsverfahrens vergleichbare Interessenlage, wie im Fall der erstmaligen Beeinträchtigung eines Dritten durch den Widerspruchsbescheid. In beiden Fällen sollte die Widerspruchsbehörde die Einwände des Betroffenen kennen, bevor sie ihre Entscheidung erläßt und dadurch den Betroffenen unter Umständen zu einer Klage veranlaßt. Damit ist auch die Anhörung des Widerspruchsführers vor dem Erlaß einer ihn gegenüber dem Ausgangsbescheid stärker belastenden Maßnahme analog § 71 VwGO eine wesentliche prozessuale Verpflichtung der Widerspruchsbehörde. Bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtung muß der Widerspruchsführer die Möglichkeit haben, den Widerspruchsbescheid isoliert anzufechten, um dadurch die Widerspruchsbehörde zu einer erneuten Entscheidung unter Berücksichtigung seiner Einwände zu veranlassen. 150 bb) Auswirkungen einer fehlenden Anhörung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Bei der Untersuchung der Frage, wie sich der Mangel der Anhörung in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren auswirkt, ist zwischen der verwaltungsverfahrensrechtlichen 151 und der prozessualen Anhörungspflicht zu unterscheiden. Für das Verwaltungsverfahren im Anwendungsbereich der Verwaltungsverfahrensgesetze bestimmt §45 Abs. 2 VwVfG i . V . m . §45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG, daß eine Heilung des Verstoßes gegen § 28 VwVfG nur noch bis zur Rechtshängigkeit der verwaltungsgerichtlichen Klage möglich ist. 1 5 2 Allerdings rechtfertigt der Verstoß gegen die verwaltungsverfahrensrechtlich angeordnete Anhörungspflicht bei einer Klage nach §79 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 VwGO die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes nur, wenn bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Anhörung eine abweichende Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre. 153

150 Diese Möglichkeit ist ihm bereits mit der Klage nach § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO eröffnet. Zwar gewinnt die fehlende Anhörung auch bei dieser Klage an Bedeutung, da darin zugleich ein Verstoß gegen die verwaltungsverfahrensrechtlich angeordnete Begründungspflicht liegt. Bei einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO erkennt der Widerspruchsführer aber den Ausgangsbescheid an und erstrebt nur noch die Aufhebung des ihn stärker belastenden Widerspruchsbescheides; vgl. s.o. A I, 2. Außerdem unterliegt die Aufhebbarkeit des Widerspruchsbescheides nach § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO wegen eines Verstoßes gegen die formellen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes den Grenzen des § 46 VwVfG. 151 § 28 VwVfG. 152 Vgl. Kopp, VwVfG, § 45 Rdn. 24; Stelkens, SBL, § 45 VwVfG Rdn. 18; Weides, S. 96. 153 § 46 VwVfG.

1 2 4 3 . Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Beruft sich der Dritte oder der Widerspruchsführer 154 dagegen mit einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO darauf, daß die nach § 71 VwGO erforderliche Anhörung unterblieben ist, die Widerspruchsbehörde also gegen eine wesentliche Vorschrift verstoßen habe, dann können die Erfolgsaussichten der Klage nicht nach den §§ 45, 46 VwVfG beurteilt werden. § 45 VwVfG ist ohnehin nicht einschlägig, da diese Vorschrift eine Heilung der unterbliebenen Anhörung nur bis zur Rechtshängigkeit der Klage zuläßt. Umstritten ist, ob wenigstens die Regelung des § 46 VwVfG auf die Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO anwendbar ist. 1 5 5 Aus den bereits festgestellten Gründen 156 scheidet jedoch die ergänzende Anwendung des § 46 VwVfG auf die Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO aus. Eine isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides wegen des Mangels der Anhörung ist daher nach § 79 Abs. 2 S. 2 letzter Halbsatz VwGO nur dann unzulässig, wenn der Widerspruchsbescheid unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf der unterbliebenen Anhörung des Klägers beruhen kann. Abzulehnen ist daher auch die in den Entscheidungen des 6. Senates des Bundesverwaltungsgerichtes 157 ständig vertretene Auffassung, nach der das Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides wegen der unterbliebenen Anhörung immer dann nicht vorliegt, wenn weil es sich bei der Entscheidung der Widerspruchsbehörde um eine gebundene Entscheidung handelt - die Anhörung noch im gerichtlichen Verfahren mit heilender Wirkung nachgeholt werden kann. Diese Auffassung findet keine Stütze im Gesetz und widerspricht der Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens. 158 Die prozessualen Rechtsfolgen, die die §§ 68ff. VwGO für den Fall eines Verstoßes gegen die in § 71 VwGO vorgeschriebene Anhörungspflicht vorsehen, bestehen somit darin, daß das Verwaltungsgericht den fehlerhaften Widerspruchsbescheid aufhebt, wenn sich der Dritte oder der Widerspruchsführer mit einer Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO auf diesen Mangel beruft. Allein diese Annahme entspricht auch der Funktion des § 71 VwGO, da nur so sichergestellt werden kann, daß die Verwaltung bei ihrer vorprozessualen Entscheidung die Einwände des Dritten berücksichtigen kann und diese nicht erst im gerichtlichen Verfahren erfährt. e) Rechtsmittelbelehrung Gemäß § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO ist der Widerspruchsbescheid mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. 159 Im prozeßrechtlichen Sprachgebrauch 154

Im Falle einer reformatio in peius. Vgl. die Nachweise bei R/Ö § 79 Rdn. 8. 156 s.o. ebb. 157 BVerwGE 44, 17ff.; 45, 351ff.; 46, 307ff.; 61, 45ff. 158 Vgl. s.o. A I 2c. 155

II. Die einzelnen (vorprozessualen Obliegenheiten

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werden als Rechtsmittel üblicherweise nur diejenigen Rechtsbehelfe bezeichnet, mit denen gerichtliche Entscheidungen der nächsthöheren Instanz zur Nachprüfung unterbreitet werden. Der Begriff des Rechtsmittels beschränkt sich daher grundsätzlich auf die Berufung, die Revision und die Beschwerde. Die Bezeichnung „Rechtsmittelbelehrung" in § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO für die Belehrung über die erstmalige Anrufung des Gerichtes beruht offensichtlich auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers und läßt daher nicht den Schluß zu, der Gesetzgeber habe das Widerspruchsverfahren als Bestandteil des gerichtlichen Verfahrens angesehen.160 Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Anordnung der Rechtsmittelbelehrung ist unzweifelhaft, da die Regelung der Folgen einer unterbliebenen oder unrichtigen Rechtsmittelbelehrung für den Lauf der Klagefrist zu dem Regelungsbereich des gerichtlichen Verfahrens zählt, und damit unter die Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 1 GG fällt. 1 6 1 Das Fehlen einer nach § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung hat zur Folge, daß die Monatsfrist für die Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nach § 74 VwGO nicht zu laufen beginnt, 162 der Betroffene also innerhalb der Ausschlußfrist des § 58 Abs. 2 VwGO die Klage noch erheben kann. 1 6 3 Dagegen ist die Anordnung der Rechtsmittelbelehrung keine Bestimmung des Verwaltungsverfahrens und damit keine Voraussetzung für die formelle Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides. 164 § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO enthält damit lediglich eine prozessuale Obliegenheit für die Verwaltungsbehörde, deren Nichtbeachtung Rechtsfolgen allein für die Zulässigkeit einer nachfolgenden Klage des Widerspruchsführers oder eines durch den Widerspruchsbescheid in seinen Rechten betroffenen Dritten hat. 1 6 5 Bei der Anordnung der Rechtsmittelbelehrung handelt es sich nicht um eine wesentliche Vorschrift über das Widerspruchsverfahren i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO; jedenfalls kann der Widerspruchsbescheid nicht auf einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht beruhen, so daß die Möglichkeit einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides wegen dieses Verstoßes ausscheidet. 166 159

Zu den inhaltlichen Anforderungen vgl. P/R § 39 Rdn. 7ff. 160 Vgl. p/R 9 39 Rdn. 2; v. Mutius, Diss. S. 48. ι 6 1 Anders nur § 59 VwGO, der sich aber ausdrücklich auf von einer Bundesbehörde erlassene Verwaltungsakte beschränkt; vgl. dazu 1. Teil Β I. 162 Vgl. § 58 Abs. 1 VwGO. 163 Weides S. 267; R/Ö § 73 Rdn. 37. 164 Kopp, VwGO § 73 Rdn. 21. 165 P/R § 39 Rdn. 4; Kopp, VwGO § 73 Rdn. 20f.; E/F § 73 Rdn. 9; R/Ö § 73 Rdn. 37. 166 γ. Mutius, Diss. S. 208f.

3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

f) Zustellung des Widerspruchsbescheides, § 73 Abs. 3 S.l VwGO Wie das Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung, so hat auch der Verstoß gegen die Zustellungspflicht rechtliche Folgen für den Lauf der Klagefrist. Nach § 74 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO beginnt der Lauf der Monatsfrist für die Anfechtungs· oder Verpflichtungsklage mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides. Da ein nicht ordnungsgemäß zugestellter Widerspruchsbescheid auch nicht die Ausschlußfrist des § 58 Abs. 2 VwGO in Gang setzt, kann der von dem Widerspruchsbescheid betroffene Bürger im Falle eines Zustellungsmangels grundsätzlich zeitlich unbegrenzt eine Klage erheben. 167 Eine Schranke für die Klagemöglichkeit kann sich im Einzelfall nur nach den Grundsätzen der Verwirkung ergeben. 168 Beschränkt man die Bedeutung der Zustellung entsprechend den Rechtsfolgen einer fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung allein auf den Lauf der Klagefrist, dann ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlaß dieser Regelung unproblematisch zu bejahen. Die Anordnung der Zustellung des Widerspruchsbescheides bedeutet dann, wie die Anordnung der Rechtsmittelbelehrung, lediglich die Normierung einer prozessualen Obliegenheit, deren Nichtbeachtung sich nur auf die Zulässigkeit einer nachfolgenden Klage auswirkt. 169 Diese Betrachtungsweise setzt jedoch voraus, daß der Mangel der Zustellung nicht die Wirksamkeit der im Widerspruchsbescheid enthaltenen materiellen Entscheidung berührt. Nach Verwaltungsverfahrensrecht ist die förmliche Zustellung grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung eines Verwaltungsaktes. Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG wird der Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird 1 7 0 . Unter Berücksichtigung dieser verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmung müßte auch die im Widerspruchsbescheid enthaltene Gestaltung der materiellen Rechtslage unabhängig von dem prozessualen Erfordernis der Zustellung bereits mit der Bekanntgabe des Bescheides an den Widerspruchsführer bzw. an einen durch den Widerspruchsbescheid in seinen Rechten betroffenen Dritten diesem gegenüber wirksam werden. 171 Etwas anderes könnte sich aber aus den Regelungen des Bundesverwaltungszustellungsgesetzes ergeben, das nach ganz herrschender Ansicht auf die 167 Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, S. 137. κ* P/R § 40 Rdn. 3. 169 Trzaskalik, Diss. S. 75f. 170 Anders nur, wenn die Zustellung in einem Spezialgesetz zwingend vorgeschrieben wird; vgl. § 63 VwVG/NW, Zustellung als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Androhung des Zwangsgeldes im Verwaltungsvollstreckungsverfahren. 171 So Trzaskalik, Diss. S. 76; TSG S. 117; P/R § 40 Rdn. 4.

II. Die einzelnen (vor-)prozessualen Obliegenheiten

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Zustellung nach § 73 Abs. 3 VwGO selbst dann Anwendung findet, wenn als Widerspruchsbehörde eine Landesbehörde tätig geworden ist. 1 7 2 Die Anwendbarkeit des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes (VwZG) ergibt sich aus § 56 Abs. 1 und 2 VwGO, da mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides die Klagefrist in Gang gesetzt wird. 1 7 3 Nach § 9 Abs. 1 B V w Z G wird ein Mangel der Zustellung geheilt, wenn der Betroffene das zuzustellende Schreiben tatsächlich erhalten hat. Gemäß § 9 Abs. 2 V w Z G gilt dies allerdings nicht, wenn mit der Zustellung der Lauf einer Frist in Gang gesetzt werden soll. Aus dieser Regelung schließen insbesondere Kopp 1 7 4 und Weides 175 , daß wegen der Bedeutung der in § 73 Abs. 3 VwGO vorgeschriebenen Zustellung für den Lauf der Klagefrist und der daraus resultierenden Unanwendbarkeit des § 9 Abs. 1 V w Z G der Mangel der Zustellung auch die Wirksamkeit der im Widerspruchsbescheid enthaltenen materiellen Entscheidung hindert, mithin die ordnungsgemäße Zustellung Wirksamkeitsvoraussetzung für den im Widerspruchsbescheid enthaltenen materiellen Verwaltungsakt ist. Die überwiegende Auffassung geht jedoch davon aus, daß der Mangel der Zustellung nicht die materielle Wirksamkeit des Widerspruchsbescheides berührt. 176 Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 B V w Z G beziehe sich ihrem Sinn und Zweck nach nur auf das Ingangsetzen der Klagefrist, erfasse aber grundsätzlich nicht die materielle Wirksamkeit des zustellungsbedürftigen Verwaltungsaktes. 177 Die äußere Wirksamkeit des Verwaltungsaktes richte sich daher entsprechend § 9 Abs. 1 B V w Z G nach dem Zugang. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Auslegung des die Zustellung vorschreibenden Spezialgesetzes ergibt, daß die Zustellung von unmittelbarer materiellrechtlicher Bedeutung sein soll. 1 7 8 Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Anordnung der Zustellung von Widerspruchsbescheiden, die von einer Landesbehörde in Ausführung von Landesrecht erlassen werden, läßt sich nur begründen, wenn man die Rechtsfolgen einer unzureichenden Bekanntgabe allein auf den Lauf der Klagefrist beschränkt. Die Bestimmung materieller Wirksamkeitsvoraussetzungen für verwaltungsbehördliche Entra BVerwGE 39, 257; M D R 1973, 522; NJW 1980, 1482; Kopp, VwGO § 73 Rdn. 23; Trzaskalik, Diss. S. 75; E/F § 73 VwGO Rdn. 10; R/Ö § 73 VwGO Rdn. 38; Weides, S. 267; ablehnend Scholler, D Ö V 1968, 756. 173 BVerwGE 39, 257ff.; v. Mutius, Jura 1979, 672; Ule, VerwaltungsprozessR S. 221 f. ; Engelhardt, V w Z G § 1 Anm. 2; P/R § 40 Rdn. 1; Trzaskalik, Diss. S. 75. 174 Kopp, VwGO, § 73 Rdn. 23. ™ Weides, S. 268 Fußn. 15. ™ BVerwGE 55, 299 (301); P/R § 40 Rdn. 4; TSG S. 117; Trzaskalik, Diss. S. 76. 1 77 Engelhardt, V w Z G § 9 Anm. 2b); P/R 9 40 Rdn. 4. 178 P/R § 40 Rdn. 4.

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3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

Scheidungen ist eindeutig verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur. Ein Übergriff des Bundes auf diese im Anwendungsbereich der Ausführung von Landesgesetzen ausschließlich den Ländern vorbehaltene Regelungsmaterie war im Hinblick auf den Beschleunigungszweck der Zustellung gerade nicht erforderlich. Die Anordnung der Zustellung in § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO erfüllt ihren Zweck auch dann, wenn die Auswirkungen eines Verstoßes auf den Ablauf der Klagefrist beschränkt werden. Einem Mangel der Zustellung kommt damit eine Bedeutung für die materielle Wirksamkeit des im Widerspruchsbescheid enthaltenen Verwaltungsaktes nur dann zu, wenn die Zustellung in einem Spezialgesetz vorgeschrieben ist und sich bei Auslegung dieser Vorschrift ergibt, daß der Zustellung eine unmittelbare materiellrechtliche Bedeutung zukommt. Die zweite Bedeutung der Zustellung im Widerspruchsverfahren besteht darin, daß sie dieses Verfahren zu einem förmlichen Abschluß bringt. 1 7 9 g) Zulässigkeit des Widerspruches als Voraussetzung für das Bestehen der prozessualen Pflichten der Widerspruchsbehörde Für die Frage, ob die Zulässigkeit des Widerspruches Voraussetzung für den Eintritt der prozessualen Obliegenheiten der Widerspruchsbehörde ist, ist wiederum zwischen denjenigen Zulässigkeitsvoraussetzungen, die die Anwendbarkeit der §§ 68ff. betreffen 180 , und den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen der verwaltungsgerichtlichen Klage zu unterscheiden. 181 Im ersten Fall entfaltet der Widerspruch keine prozessualen Pflichten, da der Gesetzgeber ein Widerspruchsverfahren gerade nicht vorgesehen hat. In Bezug auf das Fehlen der Sachurteilsvoraussetzungen der verwaltungsgerichtlichen Klage wurde bereits festgestellt, daß dieser Mangel grundsätzlich nicht die Verpflichtung der Ausgangsbehörde berührt, den Widerspruch der nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständigen Behörde zur Entscheidung vorzulegen. Anders als der Ausgangsbehörde im Verfahren nach § 72 VwGO steht der Widerspruchsbehörde jedoch eine Verwerfungskompetenz zu. 1 8 2 Die Widerspruchsbehörde muß daher in eine sachliche Überprüfung der angefochtenen Ausgangsentscheidung nicht eintreten, wenn die Voraussetzungen einer verwaltungsgerichtlichen Klage nicht gegeben sind. 183 ™ BVerwGE 55, 299ff.; Weides, S. 267. ι 8 0 z.B. Verwaltungsrechtsweg, Vorliegen eines Verwaltungsaktes; fehlender Ausschluß des Widerspruchsverfahrens nach § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO. 181 Vgl. s.o. A I I l c . 182 Allgem. Meinung, vgl. nur P/R § 33 Rdn. 3 m.w.N. ι 8 3 Vgl. bereits BVerwG, DVB1. 1965, 89ff. ; zu der umstrittenen Frage, ob sie eine sachliche Prüfung trotzdem vornehmen und entsprechend dem Ergebnis ihrer Prüfung

III. Teilergebnis

129

Dagegen berührt gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO das Fehlen einer Sachurteilsvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren nicht die prozessuale Verpflichtung der Widerspruchsbehörde, einen Widerspruchsbescheid zu erlassen, der den Anforderungen des § 73 Abs. 3 VwGO genügt. § 73 VwGO setzt weder die Zulässigkeit noch die Begründetheit des Widerspruchs voraus. Die Widerspruchsbehörde muß daher, auch wenn sie den Widerspruch für unzulässig hält, weil eine Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Klage nicht vorliegt, einen förmlichen Widerspruchsbescheid erlassen, in dem sie dem Widerspruchsführer die Gründe für die Unzulässigkeit des Widerspruches mitteilt. Sie muß den Widerspruchsbescheid mit einer Rechtsbehelf sbelehrung versehen und ihn dem Widerspruchsführer zustellen. Die Rechtsfolgen, die ein Verstoß der Widerspruchsbehörde gegen ihre prozessualen Obliegenheiten mit sich bringt, beurteilen sich auch im Falle der Unzulässigkeit des Widerspruches nach den §§ 75, 79 Abs. 2 S. 2 VwGO. Bei Untätigkeit der Widerspruchsbehörde kann der Widerspruchsführer nach Ablauf einer angemessenen Frist nach § 75 S. 1 VwGO Klage in der Hauptsache erheben. Zwar kann er damit keine sachliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtes erreichen, da die Regelung in § 75 VwGO, nur über den Mangel des fehlenden Widerspruchsbescheides hinweg hilft. Erfährt der Kläger aber erst im gerichtlichen Verfahren die Gründe dafür, daß die Verwaltung seinem Widerspruch nicht stattgegeben hat und nimmt daraufhin seine Klage zurück, dann trägt die Verwaltung gemäß § 161 Abs. 3 VwGO die Kosten des gerichtlichen Verfahrens, da sie den Widerspruchsführer durch ihr vorprozessuales Verschulden zur Erhebung der Klage veranlaßt hat. Entsprechendes gilt, wenn der Widerspruchsführer einen fehlerhaften Widerspruchsbescheid nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO angreift. Die Geltung der prozessualen Obliegenheiten für die Verwaltung auch im Fall eines unzulässigen Widerspruches rechtfertigt sich dadurch, daß die §§ 68ff. VwGO ihre Entlastungsfunktion auch dadurch erfüllen, daß sie die Verwaltung verpflichten, dem Widerspruchsführer ihre Einschätzung der Unzulässigkeit der Klage mitzuteilen und diese Einschätzung zu begründen und den Widerspruchsführer damit möglicherweise von der Klageerhebung abzuhalten.

I I I . Drittes Teilergebnis Zu der Auslegung der §§ 68 ff. VwGO als prozessuale Obliegenheiten und ihrem Verhältnis zu den verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die Pflichten der Verwaltung in einem Verwaltungsverfahren. eine sachliche Entscheidung mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber dem Bürger erlassen kann, vgl. P/R a. a. O. und unten Β I I I 2abb) und 2b. 9 Oerder

130

3. Teil: Α. Obliegenheiten der Behörden im Widerspruchsverfahren

1. Der wesentliche Unterschied zwischen verwaltungsverfahrensrechtlichen und prozessualen Pflichten ergibt sich aus den Rechtsfolgen, die ihre Beachtung oder Nichtbeachtung für die Beteiligten hat. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen eine Bestimmung des Verwaltungsverfahrens ergeben sich insbesondere aus den §§ 43ff. VwVfG. Die Verwaltungsgerichtsordnung regelt dagegen die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen vorprozessuale Obliegenheiten mit den §§ 75 und 79 Abs. 2 S. 2 VwGO. 2. Die prozessualen Bestimmungen der §§ 68 ff. VwGO gewähren dem Widerspruchsführer keinen materiellrechtlichen Anspruch gegen die Verwaltung auf Erlaß eines Widerspruchsbescheides. Durch ihre Untätigkeit verliert die Verwaltung lediglich die Möglichkeit, den Prozeß zu vermeiden und muß gemäß § 161 Abs. 3 VwGO die Kosten des gerichtlichen Verfahrens tragen, wenn der Widerspruchsführer mit einer Bescheidung des Widerspruchs vor Klageerhebung rechnen durfte. 3. Die Regelung in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO bezweckt die Sicherung der Einhaltung der prozessualen Obliegenheiten durch die Verwaltung. Verstößt die Verwaltung während des Widerspruchsverfahrens gegen eine wesentliche Vorschrift aus den §§ 68 ff. VwGO (oder auch A G VwGO), dann kann sich der Widerspruchsführer mit der Klage nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO auf diesen Verfahrensfehler berufen und damit die Widerspruchsbehörde zu einer Wiederholung des Widerspruchsverfahrens unter Beachtung .aller wesentlichen Verfahrensvorschriften anhalten. Hierfür ist grundsätzlich kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis des Widerspruchsführers erforderlich. Da der Widerspruchsbescheid i.S.v. § 79 Abs. 2 S. 2 a.E. VwGO nicht auf einem Mangel der Rechtsbehelfsbelehrung oder der Zustellung beruhen kann, berechtigt ein derartiger Verstoß der Verwaltung nicht zu einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides, sondern wirkt sich allein auf den Ablauf der Klagefrist nach § 74 VwGO aus. 4. Auch für die Pflichten der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren hat die Zulässigkeit des Widerspruchsverfahrens eine Bedeutung. Die prozessualen Pflichten der Verwaltungsbehörden gelangen nur zur Entstehung, wenn die Durchführung des Widerspruchsverfahrens Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist. 1 8 4 Das Fehlen sonstiger Sachurteilsvoraussetzungen der verwaltungsgerichtlichen Klage dagegen entbindet die Ausgangsbehörde nicht von ihrer prozessualen Verpflichtung, den Widerspruch der Behörde nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO vorzulegen und läßt die prozessuale Verpflichtung der Widerspruchsbehörde unberührt, den Widerspruch durch einen förmlichen Widerspruchsbescheid, der den Anforderungen des § 73 Abs. 3 VwGO genügt, zurückzuweisen. 184

Vgl. insb. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO.

I. Verwaltungskontrolle und Verwaltungsentscheidung

131

Β . Die Befugnisse der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren Die Unterscheidung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozeßrecht präjudiziell auch die Feststellung der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsumfanges für die materielle Gestaltung des Verwaltungsrechtsverhältnisses im Widerspruchsverfahren. Das Verwaltungsrecht i.w.S. 1 regelt die Aufgabenverteilung unter den Behörden, ermächtigt die Verwaltung, die materielle Rechtslage zu gestalten und gewährt dem Bürger Ansprüche gegen die Verwaltung. 2 Der Regelung des Verwaltungsverfahrens (i.w.S.) unterliegt damit auch die Frage, welche Verwaltungsinstanz zur Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses durch den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder den Abschluß eines öffentlichrechtlichen Vertrages zuständig ist und welche sachlichen Befugnisse diesen Behörden im einzelnen zustehen. Die prozessualen Vorschriften in den §§ 68 ff. VwGO können dagegen zwar eine bestimmte Verwaltungsinstanz zu einer Überprüfung der angefochtenen Entscheidung verpflichten, sie können jedoch nicht bestimmen, welche Instanz verwaltungsverfahrensrechtlich zu der verwaltungsinternen Kontrolle befugt ist. Ebenso wenig können sie den Umfang festlegen, in dem die ausgangsbehördlichen Entscheidungen der verwaltungsinternen Kontrolle unterliegen. Der Bundesgesetzgeber ist schließlich auch nicht befugt, in der Verwaltungsgerichtsordnung bundeseinheitlich zu regeln, welche Entscheidungen im Widerspruchsverfahren zulässig sind. I. Verwaltungskontrolle und Verwaltungsentscheidung zwischen Verwaltungsverfahrens- und Prozeßrecht 1. Das verwaltungsinterne Kontrollverfahren

Die in § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO vorgesehene Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle bezieht sich auf die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Ausgangsentscheidung. Das Widerspruchsverfahren unterscheidet sich vom ursprünglichen Verwaltungsverfahren dadurch, daß es nicht primär der Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses durch erstinstanzliche Verwaltungsentscheidungen, sondern der nachträglichen Kontrolle und erforderlichenfalls der Korrektur der ausgangsbehördlichen Entscheidungen dient. 1 Materielles Verwaltungsrecht und die es ergänzenden Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechtes . 2 Trzaskalik, Diss. S. 46; Renck, JuS 1980, 28 (29f.).

9*

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3. Teil:

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i e e n i e

der Behörden im Widerspruchsverfahren

a) Das Wesen der verwaltungsinternen

Kontrolle

Die Selbstkontrolle der Verwaltung hat in ihrem geschichtlichen Verlauf mehrfach eine Wandlung erfahren. Während sie ursprünglich allein von dem erlassenden Verwaltungsträger selbst ausgeübt wurde, übernahmen mit der Entwicklung einer hierarchischen Struktur des Behördenaufbaues übergeordnete Behörden die Aufsicht über nachgeordnete Verwaltungsinstanzen. Das Aufsichtsrecht war dabei regelmäßig durch eine umfassende Weisungsbefugnis der aufsichtsführenden Behörden gekennzeichnet. Eine gewisse Unabhängigkeit der Verwaltungskontrolle entwickelte sich im 19. Jahrhundert mit der sog. Administrativ]ustiz, in der die Kontrolle einzelner Verwaltungszweige durch hierfür besonders eingerichtete Behörden durchgeführt wurde. Immer noch lag aber die Kontrollzuständigkeit allein bei der Exekutive. Die heutige Form der Trennung zwischen der Exekutivgewalt und deren Kontrolle durch unabhängige Rechtsprechungsorgane ist, obwohl bereits im Forderungskatalog der Frankfurter Paulskirchenverfassung von 1849 enthalten 3 , erst mit den Verwaltungsprozeßordnungen der Nachkriegszeit entsprechend den Art. 19 Abs. 4, 92,97 GG geltendes Recht geworden. Die nunmehr den unabhängigen Gerichten uneingeschränkt anvertraute Kontrolle der Verwaltungsbehörden hat jedoch die verwaltungsinterne Kontrolle nicht verdrängt. Vielmehr fordert das parlamentarische Kontrollsystem und das verfassungsrechtliche Verbot ministerialfreier Räume 4 die gesetzliche Sicherung einer durchgängigen verwaltungsinternen Kontrolle. Während Art. 74 Nr. 1 GG das gerichtliche Verfahren und damit auch das verwaltungsgerichtliche Kontrollverfahren in die gesetzliche Regelungszuständigkeit des Bundes stellt, ist für die normierende Ausgestaltung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens nach den Art. 83ff. GG der für die Regelung des Verwaltungsverfahrens jeweils zuständige Gesetzgeber berufen. Art. 84 Abs. 1 GG erwähnt zwar ausdrücklich nur die Regelung der Behördenorganisation und des VerwaltungsVerfahrens. Hieraus läßt sich indes nicht der Schluß ziehen, den Ländern seien nur Ausschnitte aus der Organisationsbefugnis für die Landesverwaltung zugewiesen. Aus der Bestimmung des Art. 83 GG, nach der die Länder auch die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheiten ausführen, ist vielmehr zu schließen, daß den Ländern in den Grenzen des Art. 84 Abs. 1 GG 5 die gesamte Organisationskompetenz und damit auch die Zuständigkeit zur Regelung der verwaltungsinternen Kon3 § 175 des Verfassungsentwurfes, abgedruckt als Beilage zum Bundesanzeiger 1984: Von der Paulskirche zum Museum Koenig. 4 Vgl. Lerche, MDHS Art. 83 GG Rdn. 79. 5 Soweit also nicht für die landeseigene Ausführung von Bundesgesetzen der Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmt.

I. Verwaltungskontrolle und Verwaltungsentscheidung

133

6

trolle zusteht. Da die Verwaltungsgerichtsordnung die Voraussetzungen des Art. 84 Abs. 1 GG für eine bundeseinheitliche Ausgestaltung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens nicht erfüllt, kann sich die Regelung dieses Verfahrens wiederum nur aus den einschlägigen Bestimmungen des Landesorganisationsrechtes ergeben. 7 Dies gilt naturgemäß auch, soweit die verwaltungsinterne Kontrolle in einem Widerspruchsverfahren ausgeübt wird. b) Die VwGO setzt die Regelung der verwaltungsinternen Kontrolle voraus Der Bundesgesetzgeber hat bei der Regelung der Kontrollzuständigkeiten für das Widerspruchsverfahren die Organisationshoheit der Länder für das verwaltungsinterne Kontroll verfahren nicht verletzt. Er hat das Widerspruchsverfahren in das verwaltungsverfahrensrechtliche Aufsichtsverfahren eingebettet. Im Verfahren nach § 72 VwGO wird ohnehin eine Verwaltungsinstanz tätig, die als Ausgangsbehörde jederzeit zur Kontrolle ihrer Entscheidung berechtigt und u. U. sogar verwaltungsverfahrensrechtlich 8 dazu verpflichtet ist. Nach § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO soll im Regelfall die nächsthöhere Behörde, mithin die nach verwaltungsverfahrensrechtlichem Aufsichtsrecht zuständige Instanz über den Widerspruch entscheiden. Die Regelungen in den §§ 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO, nach denen die Ausgangsbehörde ausnahmsweise selbst die Funktion der Widerspruchsbehörde innehat, bedeuten demgegenüber keine Durchbrechung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsaufteilung, da diese Vorschriften nicht die verwaltungsverfahrensrechtlichen Kontrollbestimmungen suspendieren, sondern lediglich auf das prozessuale Erfordernis der Kontrolle durch eine übergeordnete Instanz vor Klageerhebung verzichten. Kompetenzrechtlich unbedenklich sind auch die in § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO enthaltenen Vorbehalte, nach denen eine Widerspruchsbehörde abweichend von den Regelungen in § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO für zuständig erklärt werden kann. Diese Vorbehalte beinhalten eine Ermächtigung für die Abweichung von den prozessualen Bestimmungen an den für die Regelung des Verwaltungsverfahrens jeweils zuständigen Gesetzgeber. Es kann somit festgestellt werden, daß die Anordnung des Widerspruchsverfahren durch den Bundesgesetzgeber im Grundsatz der Zuständigkeit der Länder für die Regelung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens nicht widerspricht. 6 Lerche, MDHS. Art. 84 GG Rd. 13 m.w.N. Vgl. z. B. §§ 11 ff. LOG/NW; 9 OBG/NW. s § 51 VwVfG.

7

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3. Teil:

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i e e n i e der Behörden im Widerspruchsverfahren

2. Die Entscheidungen im Widerspruchsverfahren

Die Regelungszuständigkeit für das Verwaltungsverfahren (Art. 83, 84 GG) bezieht sich nicht nur auf die Ausgestaltung der verwaltungsinternen Kontrolle. Sie erfaßt vielmehr auch die Befugnis zu der Bestimmung, welche Verwaltungsinstanz innerhalb des Verwaltungsaufbaus für die „Ausführung" eines Sachgesetzes i.S.v. Art. 83, 84 GG und damit für die Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses durch den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder den Abschluß eines öffentlichrechtlichen Vertrages sachlich, örtlich und instanziell zuständig ist. Den Regelungen des Verwaltungsverfahrens unterliegen schließlich auch die Bestimmungen über die materielle Gestaltung der in einem Verwaltungsverfahren ergehenden sachlichen Bescheide. a) Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerspruch Als prozessuale Vorschriften können die §§ 68ff. VwGO nur bestimmen, daß die angefochtene Entscheidung zunächst der verwaltungsinternen Kontrolle unterzogen werden muß, bevor sich ein Verwaltungsgericht mit der Sache befassen kann und welche Verwaltungsinstanz zu dieser Kontrolle prozessual verpflichtet ist. Dagegen können die Vorschriften im achten Abschnitt der VwGO nicht in die verwaltungsverfahrensrechliche Zuständigkeitsaufteilung eingreifen. Ebenso wie die prozessualen Vorschriften über das Widerspruchsverfahren das verwaltungsverfahrensrechtliche Kontrollsystem voraussetzen, können sie für die im Widerspruchsverfahren zur Kontrolle aufgerufenen Behörden keine von den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen abweichende Befugnisse verleihen. Die §§ 68ff. VwGO können damit nur die prozessuale Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerspruch regeln, nicht aber die funktionelle, sachliche oder örtliche Zuständigkeit zum Erlaß bestimmter Verwaltungsakte. 9 In dieser Erkenntnis liegt das eigentliche Problem der kompetenzrechtlichen Auslegung der §§ 68ff. VwGO, die mit § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO eine Verwaltungsinstanz zu der Entscheidung über den Widerspruch verpflichten, die - jedenfalls im Regelfall - zu einer Außenrechtsentscheidung mit unmittelbarer Rechtswirkung gegenüber dem Bürger nicht befugt ist. Nach der prozessualen Betrachtungsweise kann jedenfalls der herrschenden Meinung, die § 73 VwGO die Regelung des sog. Devolutiveffektes entnimmt, 1 0 nicht ohne durchgreifende Bedenken gefolgt werden. 9 Vgl. P/R § 33 Rdn. 17; Trzaskalik, Diss. S. 47; Renck, JuS 1980,28 (30); anders die herrschende Meinung, vgl. im einzelnen s. u. I I und I I I . 10 Vgl. s. u. I I I 2.

I. Verwaltungskontrolle und Verwaltungsentscheidung

135

b) Die materiell zulässigen Entscheidungen im Widerspruchsverfahren Das Verwaltungsverfahrensrecht sieht als wesentliches Mittel für die Gestaltung des Verwaltungsrechtsverhältnisses den Verwaltungsakt vor. 1 1 Auch die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren beinhalten Maßnahmen von Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, die sich jeweils auf einen Einzelfall beziehen. Regelungscharakter mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber dem Widerspruchsführer oder einem Dritten kommt den im Widerspruchsverfahren ergehenden Bescheiden jedoch nur dann zu, wenn sie eine Veränderung der materiellen Rechtslage gegenüber der Ausgangsentscheidung beinhalten, mithin das Verwaltungsrechtsverhältnis umgestalten. aa) Entscheidungen im Abhilfeverfahren Kommt die Ausgangsbehörde nach der Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis, daß der Widerspruch unzulässig und unbegründet ist, dann muß sie den Widerspruch, wenn sie nicht selbst Widerspruchsbehörde ist, der nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zur Zweitentscheidung zuständigen Verwaltungsinstanz vorlegen. 12 Diese Vorlageentscheidung beinhaltet keine Regelung mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber dem Bürger. Sie gestaltet noch nicht das Verwaltungsrechtsverhältnis verbindlich um, da die Letztentscheidung der Widerspruchsbehörde noch aussteht. Die Ausgangsbehörde befolgt mit der Vorlage auch kein materiellrechtliches Gebot, sondern erfüllt lediglich eine prozessuale Obliegenheit, deren Nichtbeachtung die Rechtsfolgen des § 75 VwGO auslösen kann. Hebt die Ausgangsbehörde dagegen den angefochtenen Verwaltungsakt auf oder erläßt sie beim Verpflichtungswiderspruch den beantragten Verwaltungsakt, so gestaltet sie mit dieser Abhilfeentscheidung unmittelbar das Verwaltungsrechtsverhältnis. Die stattgebende Entscheidung erfüllt alle Merkmale eines Verwaltungsaktes nach § 35 VwVfG. Sie muß daher gemäß § 9 VwVfG allen formellen und materiellen Anforderungen genügen, die das jeweils anwendbare Sachgesetz und das ergänzende Verwaltungsverfahrensrecht an diese Entscheidung stellen.

11 § 35 VwVfG. 12 s. ο. A II.

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3. Teil:

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i e e n i e der Behörden im Widerspruchsverfahren

bb) Entscheidungen der Widerspruchsbehörde Entsprechendes gilt auch für den Inhalt des Widerspruchsbescheides, der gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO ergeht, wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht abgeholfen hat. Ändert die Widerspruchsbehörde den Ausgangsverwaltungsakt, dann erläßt sie einen neuen Verwaltungsakt, der den allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsrechtes i.w.S. genügen muß. Fraglich ist, ob in der Entscheidung der Widerspruchsbehörde auch dann ein eigenständiger Verwaltungsakt zu sehen ist, wenn sie den Widerspruch als unzulässig oder unbegründet zurückweist. Beantragt der von einem Verwaltungsakt Betroffene außerhalb eines Widerspruchsverfahrens die Korrektur der Entscheidung, dann beurteilt sich die Qualifizierung des behördlichen Bescheides auf diesen Antrag nach den für die Unterscheidung zwischen wiederholender Verfügung und Zweitbescheid aufgestellten Kriterien. 13 Wendet man diese Kriterien auf die Entscheidung der Widerspruchsbehörde an, dann kann in der Zurückweisung eines Widerspruches bei unveränderter Sach- und Rechtslage nur die Verweisung auf den angefochtenen Ausgangsverwaltungsakt gesehen werden. Diese Verweisung enthält keine selbständige Regelung und ist daher nicht als Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG zu qualifizieren. Sie hat daher nur eine prozessuale Bedeutung. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn die Widerspruchsbehörde den Ausgangsverwaltungsakt trotz einer veränderten Sach- oder Rechtslage bestätigt, da dieser Bestätigung ein Regelungscharakter jedenfalls insoweit zukommt, als sie festlegt, daß die angefochtene Entscheidung auch unter den veränderten Umständen Bestand haben soll. 14 Unproblematisch ist schließlich der Regelungscharakter des Widerspruchsbescheides in den Fällen, in denen die Widerspruchsbehörde den Ausgangsverwaltungsakt materiell ändert. Diesen Feststellungen entspricht auch die Bestimmung des Klagegegenstandes in § 79 VwGO. Nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist der Klagegegenstand grundsätzlich der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Hieraus folgt, daß der Ausgangsbescheid alleiniger Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle ist, wenn er durch den Widerspruchsbescheid nicht verändert worden ist. Die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage bestimmen sich dann, unabhängig von dem Verhalten 13

Vgl. dazu bereits 2. Teil C I I I 3 c. Nach herrschender Meinung ist der für die Entscheidung der Widerspruchsbehörde der maßgebende Beurteilungszeitpunkt grundsätzlich der aktuelle Entscheidungszeitpunkt; vgl. BVerwGE 2, 55 (62); P/R § 29 Rdn. 15; Kopp, VwGO, § 79 Rdn. 4 m.w.N.; zu Ausnahmen bei baurechtlichen Nachbarwidersprüchen vgl. BVerwG, D Ö V 1970, 135ff.; DVB1. 1978, 614f.; E/F § 73 Rdn. 7a; dagegen Kopp, § 79 VwGO Rdn. 4. m.w.N. 14

II. Die

ntscheidungsbefugnisse der

iebehörde

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der Widerspruchsbehörde allein danach, ob dieser Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. 15 Nur soweit im Widerspruchsbescheid eine eigene materielle Entscheidung getroffen worden ist, sei es, daß der Widerspruchsbescheid den Ausgangsbescheid inhaltlich abgewandelt oder ersetzt, sei es, daß die Widerspruchsbehörde den Ausgangsverwaltungsakt trotz einer Veränderung der materiellen Sach- und Rechtslage bestätigt, wird die Entscheidung der Widerspruchsbehörde in die gerichtliche Beurteilung mit einbezogen. Allein auf die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides kommt es schließlich an, wenn er ausnahmsweise gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 VwGO selbständiger Klagegegenstand ist. 1 6

I I . Die Entscheidungsbefugnisse der Abhilfebehörde Gemäß § 72 VwGO entscheidet zunächst die Ausgangsbehörde über den Widerspruch. Die prozessuale Bedeutung dieser Entscheidung besteht einmal darin, daß die negative Abhilfeentscheidung Voraussetzung für die Verpflichtungen der Widerspruchsbehörde nach § 73 VwGO ist, während der Ausfall der Kontrolle durch die Ausgangsbehörde den Widerspruchsführer zu einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides wegen eines wesentlichen Verfahrensverstoßes berechtigen kann. 17 1. Zuständigkeit zur sachlichen Entscheidung

Die verwaltungsverfahrensrechtliche Zuständigkeit zu dem Erlaß einer materiellen Verwaltungsentscheidung ergibt sich aus den bundes- oder landesrechtlichen Regelungen über die sachliche, örtliche und instanzielle Zuständigkeit. Da die §§ 68 ff. VwGO als prozessuale Vorschriften keine demgegenüber abweichenden Bestimmungen enthalten können, kann die Ausgangsbehörde einem Widerspruch nur dann abhelfen, wenn sie hierfür die verwaltungsverfahrensrechtliche Zuständigkeit besitzt. Dies entspricht im Ergebnis beim Verpflichtungswiderspruch der herrschenden Meinung. Ein gegen die zu dem Erlaß des beantragten Verwaltungsaktes sachlich, örtlich oder instanziell unzuständige Behörde gerichteter Verpflichtungswiderspruch kann jedenfalls nicht begründet sein. Auch aus § 72 VwGO kann sich damit weder eine Berechtigung noch gar eine Verpflichtung der angerufenen Behörde zu einer positiven Abhilfeentscheidung ergeben. 15 Vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. 16 Zur Abgrenzung des § 79 Abs. 2 S. 1 von Satz 2 s. ο. A I I 2a. 17 Vgl. Kopp, VwGO § 72 Rdn. 1.

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3. Teil:

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i e e n i e

der Behörden im Widerspruchsverfahren

Wesentlich problematischer ist die Feststellung für die Zuständigkeit zu einer dem Anfechtungswiderspruch stattgebenden Entscheidung. Die Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsaktes durch eine Verwaltungsbehörde stellt sich materiell als Widerruf oder Rücknahme dieses Verwaltungsaktes dar. Anwendbar sind daher nach Verwaltungsverfahrensrecht die Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG über die Zuständigkeit zu dieser Entscheidung. Hier sieht die herrschende Meinung, die die Zuständigkeit der Abhilfebehörde im Widerspruchsverfahren unmittelbar der Regelung in § 72 VwGO entnimmt, den ersten Unterschied zwischen der Abhilfe nach § 72 VwGO und der Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach den §§ 48ff. VwVfG. 1 8 Während § 72 VwGO die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerspruch ausnahmslos bei derjenigen Behörde belasse, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, sähen die Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG für die Entscheidung über die Aufhebung eines Verwaltungsaktes teilweise abweichende Zuständigkeiten vor. 1 9 Grundsätzlich ist allerdings auch nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht diejenige Behörde für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes zuständig, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Diese Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde ergibt sich aus einer A r t Annexkompetenz zu der Erlaßzuständigkeit und wird offensichtlich von den §§ 48, 49 V w V f G auch vorausgesetzt. 20 Abweichungen sind im Widerspruchsverfahren denkbar, wenn der Verwaltungsinstanz zum Erlaß des betreffenden Verwaltungsaktes die Zuständigkeit gerade gefehlt hat. Im Ausgangsverfahren soll in diesen Fällen nach herrschender Meinung die primäre Widerrufsbefugnis nach § 48 VwVfG bei derjenigen Behörde liegen, die den Verwaltungsakt auch hätte erlassen können. Daneben soll aber auch die Erlaßbehörde jedenfalls dann zur Aufhebung des Verwaltungsaktes berechtigt sein, wenn sie den Widerruf gerade im Hinblick auf ihre fehlende Erlaßzuständigkeit erklärt. 21 Da die Abhilfebefugnis der Ausgangsbehörde nach § 72 VwGO nicht voraussetzt, daß diese Verwaltungsinstanz die ausschließliche Zuständigkeit zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes besitzt, sondern nur, daß die gemäß § 72 VwGO prozessual verpflichtete Behörde jedenfalls auch zu einer Abhilfeentscheidung befugt ist, ergibt sich für diesen Fall gegenüber der herrschenden Auffassung kein Unterschied. Fraglich ist, ob das auch in den Fällen gilt, in denen die Erlaßzuständigkeit nach der ersten Verwaltungsentscheidung, aber vor der Entscheidung über 18

Zu den übrigen Unterschieden s. u. 2. 19 Meister, D Ö V 1985,146 (149); P/R § 18 Rdn. 11 m.w.N. 20 E 27, 78 (80); Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 100; Weides, S. 282 m.w.N. 21 Kopp, VwVfG § 48 Rdn. 100; Weides, S. 282; Bettermann, Festschrift Bundesverwaltungsgericht S. 61 f; vgl. auch Meyer, M/B § 48 VwVfG Rdn. 77.

II. Die

ntscheidungsbefugnisse der

iebehörde

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den Widerruf oder die Rücknahme gewechselt hat. Für den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zwischen einem bereits abgeschlossenen Ausgangsverfahren und dem auf die Rücknahme oder den Widerruf des Verwaltungsaktes gerichteten Verfahren enthalten die §§48 Abs. 5, 49 Abs. 4 VwVfG eine Regelung. Nach diesen Vorschriften entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 VwVfG zuständige Behörde und zwar auch dann, wenn der Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Da es sich bei der Entscheidung über einen bereits bestandskräftigen Verwaltungsakt um ein neues selbständiges Zweit verfahren handelt, wäre ohne diese Regelungen für das Wiederaufgreifen des Verfahrens die unmittelbare Anwendung des § 3 Abs. 3 VwVfG nicht möglich gewesen, da diese Vorschrift von einer Zuständigkeitsverlagerung während desselben Verwaltungsverfahrens ausgeht. Insoweit haben die §§48 Abs. 5, 49 Abs. 4 VwVfG eine klarstellende Bedeutung. 22 Nach ihrem eindeutigen Wortlaut gelten die §§ 48 Abs. 5, 49 Abs. 4 VwVfG aber allein für den Widerruf oder die Rücknahme eines bereits formell bestandskräftigen Verwaltungsaktes. Bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit bleibt es daher bei den allgemeinen Regeln. 23 Die Zuständigkeit zur Aufhebung eines noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes folgt damit als Annexkompetenz aus der Zuständigkeit zum Erlaß des betreffenden Verwaltungsaktes. 24 Auf den durch die Veränderung der Umstände eingetretenen Zuständigkeitswechsel kommt es daher gemäß §§48 Abs. 5, 49 Abs. 4 VwVfG erst nach dem Eintritt der formellen Bestandskraft des aufzuhebenden Verwaltungsaktes an. 25 Daraus folgt, daß die prozessual zur erstinstanzlichen Entscheidung über den von ihr erlassenen Verwaltungsakt verpflichtete Ausgangsbehörde trotz einer Veränderung der Erlaßzuständigkeit verwaltungsverfahrensrechtlich noch zu einer Entscheidung über den Widerspruch befugt ist, wenn der Widerspruch zulässig, d . h . form- und fristgerecht erhoben worden ist und damit der angefochtene Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig geworden ist. Es kann festgestellt werden, daß die Ableitung der Zuständigkeit aus den Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechtes entgegen den in der Literatur erhobenen Bedenken nicht zu einer Zuständigkeitsverlagerung für die Entscheidung im Abhilfeverfahren führt. Auch nach Verwaltungsverfahrensrecht ist die Ausgangsbehörde grundsätzlich zuständig, einem zulässigen und begründeten Widerspruch im Sinne von § 72 VwGO abzuhelfen. 22

BT-Drs. 7/910, S. 104; Stelkens, SBL § 48 VwVfG Rdn. 53. 3 Meyer, M/B § 48 VwVfG Rdn. 78; Kopp, VwVfG, § 48 Rdn. 100; diese Rechtsfolge entnimmt die herrschende Auffassung für das Widerspruchsverfahren allerdings der Regelung des § 73 VwGO; vgl. z. b. Hess. V G H , Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte 1984, Iff. 24 Weides, S. 282. 25 Dieses Ergebnis läßt sich auch mit dem Umkehrschluß aus § 48 Abs. 5, S. 2, 49 Abs. 4 S. 2 VwVfG begründen. 2

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3. Teil:

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i e e n i e der Behörden im Widerspruchsverfahren

2. Der Inhalt der Abhilfeentscheidung bei begründetem Widerspruch

Gemäß § 72 VwGO hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch ab, wenn sie ihn für begründet hält. Als rein prozessuale Bestimmung kann diese Vorschrift keine Regelung des materiellen Inhaltes der Entscheidung der Ausgangsbehörde enthalten. a) Aussage des § 72 VwGO nach der herrschenden Auffassung Die herrschende Meinung sieht in § 72 VwGO nicht nur die Bestimmung der Zuständigkeit der für die Abhilfeentscheidung berufenen Behörde 26 , sondern zugleich auch die materielle Ermächtigungsgrundlage für die dem Widerspruch stattgebende Entscheidung. Im Anwendungsbereich des § 72 VwGO sollen die materiellen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen der §§48, 49 VwVfG verdrängt werden. 27 Hieraus ergeben sich nach der herrschenden Ansicht neben dem bereits erwähnten Zuständigkeitsproblem die weiteren Unterschiede zwischen der Entscheidung nach § 72 VwGO und dem Widerruf bzw. der Rücknahme nach den §§ 48ff. VwVfG. Die auf § 72 VwGO gestützte Entscheidung könne nur in der vollständigen oder teilweisen Abhilfe oder in der Vorlage an die Widerspruchsbehörde bestehen.28 Soweit sich die Ausgangsbehörde im Widerspruchsverfahren nicht auf die Ermächtigung des § 72 VwGO stütze, sondern eine Entscheidung nach den §§ 48ff. VwVfG erlasse, handele es sich bei dieser Entscheidung nicht um einen Abhilfebescheid i.S.v. § 72 VwGO, sondern um einen bloß bei Gelegenheit des Widerspruchsverfahrens ergehenden Zweitbescheid. 29 Die Regelungen der §§ 48 ff. VwVfG stellen die Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme eines Verwaltungsaktes in das Ermessen der Verwaltung. Ein derartiger Ermessensspielraum sei aber mit der Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens nicht zu vereinbaren. 30 Folgerichtig handele es sich bei der Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO bereits nach dem Wortlaut dieser Bestimmung um eine gebundene Entscheidung. Die Ausgangsbehörde werde durch diese Vorschrift verpflichtet, dem zulässigen und begründeten Widerspruch abzuhelfen. 31 26

Dazu s. ο. 1. Allesch, Diss. S. 215; Kopp, VwGO § 72 Rdn. 2; ders. VwVfG § 50 Rdn. 4; Meister, D Ö V 1985, 146 (149f.); P/R § 17 Rdn. 3; kritisch, R/Ö § 72 VwGO Rdn. 5; einschränkend, Meyer, M/B § 48 VwVfG Rdn. 28; zu den abweichenden Auffassungen s. u. b. 28 BVerwGE 65, 313ff.; Buchholz 310 § 72 Nr. 9; BayVGH, BayVBl. 1982, 439f.; Kopp VwGO, § 72 Rdn. 3 m.w.N.; P/R § 18 Rdn. 7; Freitag, VerwA. Bd. 56 (1965), 315 (328 f). 29 Kopp, VwGO § 72 Rdn. 8; P/R § 18 Rdn. 3ff.; Allesch, Diss. S. 148 jew. m.w.N. 30 Allesch, Diss. S. 216f.; Meyer, Μ/Β § 48 VwVfG Rdn. 28. 27

II. Die

ntscheidungsbefugnisse der

iebehörde

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Die Ausgangsbehörde könne nach den §§ 48 ff. VwVfG nicht nur einen beanstandeten Verwaltungsakt aufheben. Sie sei vielmehr nach diesen Vorschriften auch berechtigt, einen belastenden Verwaltungsakt durch einen anderen belastenden Verwaltungsakt zu ersetzen und damit eventuell auch die Rechtsposition des Betroffenen noch zu verschlechtern. 32 Diese Entscheidungsmöglichkeit widerspreche der Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens. Sie lasse sich auch nicht mit der in den §§ 72, 73 Abs. 1 S. 1 VwGO statuierten Verpflichtung der Ausgangsbehörde vereinbaren, einen unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch der Widerspruchsbehörde zur letztverbindlichen Verwaltungsentscheidung vorzulegen. 33 Der Unterschied zwischen Abhilfe- und Zweitbescheid ergebe sich auch aus den unterschiedlichen Rechtsfolgen, die diese Entscheidungen im Widerspruchsverfahren auslösen. Erläßt die Ausgangsbehörde beispielsweise nach Vorlage des Widerspruches an die nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zuständige Behörde einen auf §§ 48ff. VwVfG gestützten Zweitbescheid, dann soll diese Entscheidung, auch wenn sie dem materiellen Begehren des Widerspruchsführers stattgibt, nicht wie der Abhilfebescheid zu einem förmlichen Abschluß des Widerspruchsverfahrens führen. Die Beseitigung der vom Widerspruchsführer geltend gemachten materiellen Beschwer bewirke dann lediglich, daß sich das Widerspruchsverfahren erledige. 34 b) Kompetenzrechtliche

Betrachtung

Nach der prozeßrechtlichen Betrachtungsweise der §§ 68 ff. VwGO kann sich die materielle Entscheidungsgrundlage für die sachlichen Bescheide der Ausgangsbehörde im Widerspruchsverfahren - wie im Ausgangsverfahren allein aus den Bestimmungen des materiellen Verwaltungsrechtes einschließlich des jeweils anwendbaren Verwaltungsverfahrensrechtes ergeben. Sowohl für die stattgebende Entscheidung nach einem Anfechtungswiderspruch als auch beim Verpflichtungswiderspruch sind bei Fehlen spezialgesetzlicher Bestimmungen 35 die §§ 48 ff VwVfG einschlägig. Die Möglichkeit, diese Vorschriften als Ermächtigungsgrundlage auch für die in einem Widerspruchsverfahren ergehenden Bescheide heranzuziehen, hat auch der Bundesgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zum Β VwVfG gesehen, ohne sich im Ergebnis allerdings dafür oder dagegen zu entscheiden.36 Er hielt diese Möglichkeit 31 P/R § 18 Rdn. 5; Stelkens, SBL, § 48 VwVfG Rdn. 10a; Meister, D Ö V 1985, 146 (148). 32 Meister S. 148; Kopp VwGO § 72 Rdn. 8 m.w.N. 33 Allesch, Diss. S. 148; P/R § 18 Rdn. 7. 34 Zur Kostenfolge der Erledigung des Widerspruchsverfahrens durch einen Zweitbescheid, vgl. Meister, D Ö V 1985, 146ff. 35 Vgl. z. b. §§ 21 f. BImSchG. 36 Vgl. amtl. Begr. zum Reg.-Entw. BT-Drs. 7/910, S. 74.

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immerhin für so naheliegend, daß er den Hinweis in § 50 VwVfG auf die sachliche Entscheidung im Widerspruchsverfahren jedenfalls zur Klarstellung für erforderlich hielt. 3 7 aa) Die Funktion des Abhilfebescheides Schon soweit gegen die Anwendbarkeit der §§ 48 ff. VwVfG auf die sachliche Entscheidung im Widerspruchsverfahren eingewendet wird, die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen dienten nicht dem Rechtsschutz des Bürgers, sondern allein der Wahrung der Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit verwaltungsbehördlicher Entscheidungen, seien mithin nicht widerspruchsbezogen und könnten daher nicht als Grundlage für die Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren herangezogen werden, kann dem nicht gefolgt werden. Richtig ist zwar, daß für den Widerruf oder die Rücknahme nach den §§48, 49 VwVfG eine objektive Rechtswidrigkeit oder Unzweckmäßigkeit ausreicht und die Entscheidung auch nicht die Einlegung des Widerspruchs voraussetzt. Hieraus ergibt sich indes nicht, daß diese Bestimmungen nicht auch für den Fall einer von dem betroffenen Bürger durch den Widerspruch geltend gemachten subjektiven Rechtsbetroffenheit Anwendung finden müssen. Die Verwaltungsbehörde muß bei der sachgerechten Ausübung des Widerrufsoder Rücknahmeermessens selbstverständlich alle subjektiven Rechtspositionen der von dieser Entscheidung betroffenen Bürger berücksichtigen. bb) Beschränkte Entscheidungskompetenz nach § 72 VwGO Auch der Einwand, § 72 VwGO gewähre der Abhilfebehörde nur eine beschränkte Entscheidungskompetenz, während eine derartige Beschränkung auf eine sachliche Entscheidung zugunsten des Widerspruchsführers in den §§ 48ff. VwVfG nicht enthalten sei, ist nicht überzeugend. Zunächst ist fraglich, welchen Sinn eine auf die positive Abhilfe aus § 72 VwGO abgeleitete Beschränkung haben soll, wenn diese Beschränkung nicht gleichzeitig die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebefugnisse umfaßt. Im Ergebnis besteht für alle Beteiligten hinsichtlich der im Widerspruchsverfahren zulässigen Entscheidungen kein Unterschied, ob man die stattgebende Entscheidung der Ausgangsbehörde nach § 72 VwGO beurteilt, ihr daneben aber ihre allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebefugnisse beläßt, oder ob man für alle im Widerspruchsverfahren ergehenden Entscheidungen die §§ 48 ff. VwVfG als Entscheidungsgrundlage heranzieht. 38 37 38

Amtl. Begr. S. 74; vgl. s. o. 2. Teil A I. Zur reformatio in peius im Widerspruchsverfahren s. u. I I 3 b.

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cc) Verpflichtung zur Abhilfe Fraglich ist, ob es sich, wie die herrschende Auffassung annimmt, bei der Entscheidung der Ausgangsbehörde im Widerspruchsverfahren, einem zulässigen und begründeten Widerspruch abzuhelfen, gemäß § 72 VwGO um eine gebundene Entscheidung handelt. 39 Eine gebundene Entscheidung in dem Sinne, daß sich bei einer im Ausgangsverfahren im Ermessen der Verwaltung liegenden Entscheidung auf den Widerspruch des Betroffenen hin das Ermessen auf Null reduziert, wird allerdings nicht angenommen werden können. Steht der Erlaß eines Verwaltungsaktes im Ermessen der Verwaltung, dann muß dies auch dann noch gelten, wenn die Entscheidung in einem Widerspruchsverfahren getroffen wird. Die herrschende Meinung entnimmt der Regelung in § 72 VwGO eine Ermessensreduzierung in den Fällen, in denen die Ausgangsbehörde nach der Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, daß diese rechtswidrig oder unzweckmäßig ist und den Widerspruchsführer in seinen Rechten betrifft. 40 Nach der hier vertretenen Auffassung kann sich eine derartige Ermessensreduzierung aus der prozessualen Bestimmung in § 72 VwGO nicht ergeben. Die Frage, ob die Verwaltungsinstanz im Widerspruchsverfahren zu einer bestimmten Entscheidung verpflichtet ist, ist allein nach den §§ 48ff. VwVfG zu beantworten. Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen stellen aber - worauf die herrschende Meinung zutreffend hinweist 41 - die Entscheidung über die Aufhebung eines rechtswidrigen oder unzweckmäßigen Verwaltungsaktes in das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltung. Entgegen Lange 42 , der im Grundsatz mit der hier vertretenen Auffassung von der Anwendbarkeit der §§ 48 ff. VwVfG auf die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren ausgeht, kann aus § 72 VwGO selbst dann nicht die materielle Verpflichtung zur Abhilfe abgeleitet werden, wenn die Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVfG für diese Entscheidung vorliegen. 43

39 Dazu, daß die herrschende Auffassung, die die Verpflichtung der Ausgangsbehörde zur Abhilfe unmittelbar der Regelung in § 72 VwGO entnimmt, hierfür auch die Zulässigkeit des Widerspruches voraussetzt, vgl. O V G Bremen, D Ö V 1981, 881 (882); Kopp, VwGO § 72 Rdn. 3; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme S. 132. 40 Vgl. Allesch, Diss. S. 215 und Kopp, VwGO § 72 Rdn. 2 m.w.N.: Entschließungsermessen. 41 s. o. Fußn. 40 und Meister, D Ö V 1985, 146 (148). 42 Lange, WiVerw. 1979, 15 (20). 43 Vgl. auch Lange, Jura 1980, 456 (465).

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Ebensowenig kann nach der hier vertretenen Ansicht der Auffassung von Meyer 44 gefolgt werden, der gemäß § 79 a. E. VwVfG die §§ 48ff. VwVfG auf die Abhilfeentscheidung nur subsidiär anwenden will und dementsprechend für den Fall eines begründeten Widerspruchs aus der insoweit vorgehenden Regelung des § 72 VwGO eine Reduzierung des Widerrufs- oder Rücknahmeermessens auf Null annimmt. Wenn die Vorschriften in den §§ 68 ff. VwGO und damit auch § 72 VwGO keine materiellen oder formellen Regelungen des Verwaltungsverfahrens enthalten, dann können diese Vorschriften die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- oder Rücknahmeregelungen selbst dann nicht verdrängen, wenn der Widerspruch zulässig und begründet ist. Eine Kollisionslage i.S.v. § 79 VwVfG zwischen den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren und den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts besteht nämlich gerade nicht. Die Verpflichtung, einem zulässigen und begründeten Widerspruch abzuhelfen, kann daher nach den §§ 48ff. VwVfG nur dann bestehen, wenn sich das der Verwaltung in diesen Vorschriften eingeräumte Widerrufs- oder Rücknahmeermessen für das Widerspruchsverfahren generell oder im Einzelfall aus materiellen Gründen auf Null reduziert. Eine derartige Ermessensreduzierung für die Abhilfeentscheidung im Widerspruchsverfahren läßt sich noch nicht allein damit begründen, daß dieser Entscheidung nicht nur im Zweipersonenverhältnis, sondern auch bei der Beteiligung eines Drittbetroffenen wegen § 50 VwVfG kein geschütztes Vertrauen entgegensteht.45 Anderenfalls müßte die Verwaltung in allen Fällen eines rechtswidrigen oder unzweckmäßigen Verwaltungsaktes, der sich auf die Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses zwischen der Behörde und dem Adressaten beschränkt, auf Antrag des Betroffenen zu dessen Aufhebung verpflichtet sein. Eine derartige Annahme ließe sich mit den Regelungen in den §§ 48 Abs. 1, 49 Abs. 1 VwVfG und insbesondere mit der Bestimmung des § 51 VwVfG nicht vereinbaren. Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen zielen auf einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den verfassungsrechtlich gleichrangigen Erfordernissen der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit verwaltungsbehördlicher Entscheidungen ab. 46 Dem Vertrauensschutz des von dem Verwaltungsakt betroffenen Bürgers kommt bei dieser Abwägung keine eigenständige Funktion zu. Er ist von der Verwaltung

44

M/B § 48 VwVfG Rdn. 28 und § 50 VwVfG Rdn. 16. 5 Vgl. BVerwGE 57, 1 (5ff.); Stelkens, SBL, § 50 VwVfG Rdn. 13. 4 6 Vgl. amtl. Begr. zu § 44 Abs. 2 EVwVfG, BT-Drs. 7/910, S. 69; BVerfGE 60, 253 (268); Kopp, DVB1. 1983, 392 (396ff.); Merten, NJW 1983, 1993ff.; Weides, S. 299ff.; Stelkens, SBL § 48 Rdn. 5f. 4

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im Rahmen der Rechtssicherheit nur als, wenn auch wesentlicher Aspekt zu berücksichtigen. Ausgangspunkt für eine mögliche Reduzierung des Widerrufs- oder Rücknahmeermessens im Abhilf e verfahren kann nur die Erkenntnis sein, daß dem Erfordernis der Rechtssicherheit als dem Gegenaspekt zu dem Erfordernis der materiellen Gerechtigkeit noch keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden kann, wenn und solange sich der betroffene Bürger noch zulässigerweise mit einer Klage gegen den Verwaltungsakt wenden kann. In diesen Fällen kann ein sachlicher Grund für die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen oder unzweckmäßigen Entscheidung von der Verwaltung nicht geltend gemacht werden. Kommt die Ausgangsbehörde im Rahmen der Kontrolle nach §§68, 72 VwGO zu dem Ergebnis, daß der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Widerspruchsführer in seinen Rechten betrifft, so muß sie ohnehin damit rechnen, daß er durch die Widerspruchsbehörde, jedenfalls aber durch das Verwaltungsgericht, aufgehoben wird. Aber auch wenn die angefochtene Entscheidung bloß unzweckmäßig ist und die Widerspruchsbehörde auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkt ist 4 7 , besteht grundsätzlich kein Bedürfnis für die Aufrechterhaltung dieser Entscheidung. Solange sie sich noch in der Schwebe befindet, weil gegen sie ein Widerspruchsverfahren anhängig ist, kann dem Interesse der Verwaltung an der Aufrechterhaltung ihrer Entscheidung nicht der Vorrang vor dem Individualinteresse des von dieser Entscheidung Betroffenen eingeräumt werden. Gemäß § 50 VwVfG kann sich auch ein Drittbetroffener für die Aufrechterhaltung einer unzweckmäßigen oder rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, wenn und solange diese Entscheidung Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens oder eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist und mit der Aufhebung der Entscheidung dem Begehren des Rechtsschutzsuchenden abgeholfen wird. In diesem Fall räumt das Gesetz dem Rechtsschutzinteresse und der materiellen Gerechtigkeit den Vorrang ein. Aus den gleichen Erwägungen ist grundsätzlich auch ein berechtigtes Verwaltungsinteresse an der Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen oder unzweckmäßigen Entscheidung abzulehnen. Es ist daher davon auszugehen, daß sich jedenfalls im Falle eines zulässigen und begründeten Widerspruches das der Verwaltung zustehende Widerrufs- oder Rücknahmeermessen nach den §§ 48, 49 VwVfG auf Null reduziert. Damit kann der herrschenden Meinung im Ergebnis zugestimmt werden. Für die Entscheidung im Abhilfeverfahren steht der Verwaltung bei einem zulässigen und begründeten Widerspruch ein Entschließungsermessen regel47

Die Ausgangsbehörde also nicht mit der Kassation ihrer Entscheidung rechnen

muß. 10 Oerder

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mäßig nicht zu. Nur ergibt sich die Ermessensreduzierung nicht aus § 72 VwGO, sondern aus materiellen Gründen bei der Entscheidung nach §§48, 49 VwVfG. Die in § 72 VwGO für den Fall eines (zulässigen und) begründeten Widerspruch vorgesehene Abhilfeentscheidung entbehrt damit nicht einer eigenständigen Bedeutung. Materiell hat der Bundesgesetzgeber mit dieser Regelung lediglich etwas Selbstverständliches ausgedrückt, indem er voraussetzt, daß die Ausgangsbehörde dem Begehren des Widerspruchsführers stattgibt, wenn sie seine Einwendungen gegen den Ausgangsbescheid für berechtigt hält. Seine rechtsverbindliche Aussage entfaltet § 72 VwGO dagegen im prozessualen Bereich, wenn man diese Vorschrift im Zusammenhang mit der Regelung des § 73 VwGO liest. Hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch ab, indem sie die vom Widerspruchsführer geltend gemachte materielle Beschwer beseitigt, dann wird die Fortführung des auf die Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens abzielenden Widerspruchsverfahrens entbehrlich. Die Widerspruchsbehörde muß sich nicht mehr mit dem Widerspruch befassen. Die in § 73 VwGO normierten prozessualen Obliegenheiten gelangen nicht zur Entstehung. Dem entspricht es, daß die Ausgangsbehörde als letzte Verwaltungsinstanz auch über die Kosten des Widerspruchsverfahrens entscheiden soll. Somit kann auch aus dem Wortlaut des § 72 VwGO, wonach die Ausgangsbehörde dem Widerspruch abhilft, nichts gegen die Anwendbarkeit der §§48 ff VwVfG als materielle Ermächtigungsgrundlage für die Entscheidung der Ausgangsbehörde im Widerspruchsverfahren eingewendet werden. dd) Formeller Abschluß des Widerspruchsverfahrens In diesen Zusammenhang gehört schließlich auch die von der herrschenden Auffassung angenommene unterschiedliche Funktion der Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO und der Entscheidung nach den §§ 48 ff. VwVfG für den Abschluß des Widerspruchsverfahrens. Die Entscheidung der Abhilfebehörde führt nur dann zu einem Abschluß des Widerspruchsverfahrens, wenn die Behörde dem Begehren des Widerspruchsführers entspricht. Für die Rechtsstellung des Widerspruchsführers macht es keinen Unterschied, auf welche Vorschrift die Verwaltung die stattgebende Entscheidung stützt. Dies gilt sowohl für das Verwaltungsrechtsverhältnis, das entsprechend dem Antrag des Widerspruchsführers umgestaltet wird, als auch für das Prozeßrechtsverhältnis, das mit der stattgebenden Entscheidung der Ausgangsbehörde beendet wird. Ob dies auch für die in § 72 VwGO vorgesehene Kostenentscheidung gilt, soll an dieser Stelle nicht näher untersucht werden. Jedenfalls erscheint es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kaum vorstellbar, der Verwaltung im

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Widerspruchsverfahren die Möglichkeit zu gewähren, durch die Wahl der Ermächtigungsgrundlage sich der gesetzlich vorgesehenen Kostenerstattungspflicht 48 zu entziehen. 49 c) Rechtsstellung des Dritten gegenüber der Entscheidung im Widerspruchsverfahren Die prozessuale Rechtsstellung eines Drittbetroffenen im Widerspruchsverfahren ist durch die §§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 71, 79 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 2 VwGO gekennzeichnet. Mit diesen Bestimmungen wird ein durch die materielle Entscheidung der Widerspruchsbehörde in seinen Rechten betroffener Dritter, der selbst keinen Widerspruch eingelegt hat, an dem Prozeßrechtsverhältnis beteiligt. 50 Dagegen erlangt der Drittbetroffene durch die Entscheidung der Ausgangsbehörde noch keine prozeßrechtliche Position. Will er gegen den Abhilfebescheid gerichtlich vorgehen, so muß er selbst noch ein Widerspruchsverfahren einleiten. 51 Da § 72 VwGO als prozeßrechtliche Vorschrift auch gegenüber dem Drittbetroffenen keine materiellen Regelungen enthalten kann, beurteilt sich die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Abhilfebehörde wiederum allein nach den Regelungen des Verwaltungsverfahrens. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang § 50 VwVfG. Nach herrschender Auffassung soll auch diese Bestimmung gerade nicht auf die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren Anwendung finden. Die Befugnis der im Widerspruchsverfahren zuständigen Behörden, dem Widerspruch auch zu Lasten eines Drittbetroffenen abzuhelfen, ergebe sich unmittelbar aus den §§ 72, 73 V w G O . 5 2 § 50 VwVfG soll dagegen nur für diejenigen Entscheidungen Anwendung finden, die eine Verwaltungsbehörde bei Gelegenheit eines anhängigen Widerspruchsverfahrens erlasse. 53 Die herrschende Meinung findet weder im Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte des § 50 VwVfG, noch in der Regelung des § 79 a. E. VwVfG eine Stütze. Der Gesetzgeber selbst hat die Regelung in § 50 VwVfG gerade im Hinblick auf eine mögliche Unanwendbarkeit des § 72 VwGO als materielle 48

Vgl. § 80 VwVfG. Vgl. Meister, D Ö V 1985, 146ff.; P/R § 17 Rdn. 4; einen Sonderfall behandelt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, N V w Z 1986, 475. 50 Zu der weiteren prozessualen Bedeutung dieser Vorschrift vgl. oben A I I 2 d. 51 Arg. e contrario § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO. 52 Kopp, VwVfG, § 50 Rdn. 4; Allesch, Diss. S. 215f.; Stelkens, SBL, § 50 VwVfG Rdn. 17; a. A . M/B § 50 VwVfG Rdn. 16. 53 Kopp, § 50 VwVfG Rdn. 4; so z. B., wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nach Vorlage an die Widerspruchsbehörde und damit nach Eintritt des Devolutiveffektes stattgeben will. 49

1*

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Entscheidungsgrundlage für erforderlich gehalten. 54 Auch nach ihrem Wortlaut gilt die Bestimmung des § 50 VwVfG für die Entscheidung während des Widerspruchsverfahrens. Eine Beschränkung auf die Fälle bei Gelegenheit des Widerspruchsverfahrens läßt sich damit ebenfalls nicht begründen. Eine vorrangige Anwendung des § 72 VwGO, die nach der Kollisionsregel in § 79 VwVfG die verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschrift des § 50 VwVfG verdrängen könnte, scheidet nach der hier vertretenen Auffassung aus, da § 72 VwGO keine materielle Regelung enthält. Eine Kollisionslage, wie sie § 79 VwVfG voraussetzt, besteht damit gerade nicht. Die herrschende Auffassung, die ohne nähere Begründung von der Nichtanwendbarkeit des § 50 VwVfG auf Entscheidungen der Verwaltungsbehörden in Widerspruchsverfahren ausgeht, vermag daher nicht zu überzeugen. 55 Zu prüfen ist, wie sich die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG auf die Rechtsstellung des Drittbetroffenen gegenüber der Entscheidung der Abhilfe- und der Widerspruchsbehörde auswirkt. aa) Rücknahme eines drittbegünstigenden Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren Für die Rücknahme eines drittbegünstigenden Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren schließt § 50 VwVfG die Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 S. 2 Abs. 2 bis 4 und Abs. 6 VwVfG aus. Dieser Anwendungsausschluß bedeutet, daß sich die Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, auch wenn dieser einen Dritten begünstigt, nach der Grundregel in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG richtet. 56 Nach der Regierungsbegründung zum Bundesverwaltungsverfahrensgesetz steht dahinter der Gedanke, daß der durch den Verwaltungsakt Begünstigte, solange ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist, nicht auf den Bestand der Verwaltungsentscheidung vertrauen kann, sondern noch mit einer Aufhebung durch die Verwaltung oder das Verwaltungsgericht rechnen muß. 57 Die verbleibende Regelung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG enthält für die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsaktes nicht nur den Entscheidungsmaßstab, sondern auch die hierfür erforderliche Ermächtigungsgrundlage. 58

54

Amtl. Begr. des Reg.-Entw. BT-Drs. 7/910, S. 74. Wie hier ausdrücklich Lange, Jura 1980, 456 (465); Erichsen, VerwA Bd. 69 (1978), 303 (308ff.); wohl auch Meyer, M/B § 50 Rdn. 16. 56 Meyer, M/B § 50 VwVfG Rdn. 3. 57 BT-Drs. 7/910, S. 74. 58 Meyer, M/B § 50 Rdn. 3. 55

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Die gegenteilige Auffassung 59 übersieht, daß § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten unterscheidet und die Bestimmung in § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG nicht die Funktion einer selbständigen Ermächtigungsgrundlage, sondern lediglich einer Einschränkung gegenüber der Rücknahmebefugnis nach Satz 1 inne hat. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG stellt die Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in das Ermessen der Verwaltungsbehörde. Da die Regelung in § 50 VwVfG demgegenüber keine Einschränkung enthält, besteht dieses Rücknahmeermessen grundsätzlich auch für Verwaltungsakte mit Doppelwirkung, die Gegenstand eines Rechtsbehelfsverfahrens sind. 60 Nach einer Entscheidung des O V G Münster 61 ist jedoch eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen, wenn die Anfechtung tatsächlich erfolgt ist. Da sich die Ermessensreduzierung nicht aus § 72 VwGO ergeben kann, 62 besteht wiederum nur die Möglichkeit einer Ermessensreduzierung aus materiellen Gründen. Sie wird allerdings im Regelfall eines zulässigen und begründeten Widerspruches anzunehmen sein, da dem Rechtsschutzbedürfnis des Widerspruchsführers ein berechtigtes Aufhebungsinteresse des Drittbetroffenen an der Aufrechterhaltung der ihm günstigen Verwaltungsentscheidung regelmäßig nicht gegenübersteht. 63 Auch ein öffentliches Interesse an dem Fortbestand des rechtswidrigen Verwaltungsaktes wird grundsätzlich nicht angenommen werden können. 64 Von dieser Regel sind allerdings Ausnahmen denkbar. In besonders gelagerten Fällen, beispielsweise bei einer übermäßig langen Verfahrensdauer, kann das Bestandsinteresse des Drittbetroffenen durchaus einmal schützenswert sein. Ein schutzwürdiges Interesse liegt auch dann besonders nahe, wenn die regelmäßige Anfechtungsfrist von einem Monat 6 5 wegen einer mangelhaften Bekanntgabe oder Zustellung des Ausgangsverwaltungsaktes an den Betroffenen nicht in Gang gesetzt worden ist, oder der Kläger zwar die Rechtsbehelfsfrist versäumt hat, ihm aber durch die Widerspruchsbehörde oder das Verwaltungsgericht Wiedereinsetzung in die Frist gewährt wurde. In derartigen Fällen entspricht ein umfassender Ausschluß jeglichen Vertrauensschutzes durch § 50 VwVfG nicht mehr der dieser Regelung zugrunde liegenden Interessenlage. Diese Erkenntnis kann zwar nicht contra legem zu einer Wiederanwendung der §§ 48 Abs. 1 S. 2 Abs. 2 bis 4 und Abs. 6 VwVfG im Regelungsbereich des § 50 VwVfG führen. Ein ausnahmsweise schutzwürdi59

Erichsen, VerwA Bd. 69, (1978), 311; vgl. auch Lange, Jura 1980, 463. Vgl. Stelkens, SBL § 50 VwVfG Rdn. 13. 61 Urteil vom 13. 7. 1982 - 11 A 1432/81 - , zit. nach Stelkens, Rdn. 13. 62 A . A . Meyer, M/B § 48 VwVfG Rdn. 28. 63 Vgl. BVerwGE 21, 143ff.; dies ergibt sich bereits aus § 50 VwVfG. 64 Vgl. die Argumentation bei der Frage, ob der Verwaltung bei einem begründeten Widerspruch im Zweipersonenverhältnis ein Entschließungsermessen zusteht. 65 §§ 70, 74 VwGO. 60

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ges Interesse muß dann aber jedenfalls im Rahmen der Ermessensausübung nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG Berücksichtigung finden, wobei divergierende Interessen im Einzelfall durch Ausgleichsleistungen abgeglichen werden können. bb) Widerruf eines drittbegünstigenden Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren Schwierigkeiten bereitet auf den ersten Blick die wortgetreue Anwendung des § 50 VwVfG, soweit diese Vorschrift für den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes nach § 49 VwVfG nicht nur § 49 Abs. 3 und Abs. 5, sondern auch Abs. 2 für unanwendbar erklärt. Mit der Regelung in § 49 Abs. 2 VwVfG wird nämlich nicht nur der Vertrauensschutz, sondern auch die in dieser Vorschrift enthaltene Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes suspendiert. Hieraus wurde vereinzelt der Schluß gezogen, daß § 49 Abs. 2 VwVfG im Rahmen der Entscheidung nach § 50 VwVfG als Ermächtigungsgrundlage nicht herangezogen werden könne. 66 Im Widerspruchsverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung komme daher als Ermächtigungsgrundlage nur die Vorschrift des § 72 VwGO in Betracht, die hinsichtlich des Entscheidungsumfanges durch die §§ 48, 49 VwVfG ergänzt werde. § 50 VwVfG habe insoweit nur die Funktion der Aufhebung der Vertrauensschutzbindungen aus den §§ 48, 49 VwVfG. Die damit gleichzeitig ausgeschlossene Ermächtigung des § 49 Abs. 2 VwVfG werde durch die materiellen Befugnisse der Verwaltung aus den §§ 72, 73 VwGO ersetzt. Für die im Widerspruchsverfahren nicht mehr 67 zuständige Ausgangsbehörde entfalte § 50 VwVfG dagegen keine Wirkung, sodaß es in diesem Fall bei der Widerrufs- und Rücknahmebefugnis nach den §§ 48, 49 VwVfG, einschließlich allerdings der in diesen Vorschriften enthaltenen Grenzen für den Widerruf oder die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes verbleibe. Wäre diese Auffassung richtig, dann müßte den Verwaltungsbehörden in ihrer Eigenschaft als Abhilfebehörde oder Widerspruchsbehörde nach der hier vertretenen Ansicht der Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes zum Nachteil eines Dritten verwehrt sein. Sie ist jedoch auch von Erichsen mittlerweile aufgegeben worden. 68 Der Anwendungsausschluß des § 49 Abs. 2 VwVfG durch § 50 VwVfG beruht nämlich offensichtlich auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers, der mit den einzelnen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen der §§48, 49 66 Erichsen, VerwA Bd. 69 (1978), 311ff. 67 Bspw. nach Eintritt des Devolutiveffektes. 68 Erichsen/Martens, Allgem. VerwR S. 245 Fußn. 92.

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VwVfG nicht die in diesen Vorschriften enthaltenen Ermächtigungen, sondern nur die aus dem Aspekt des Vertrauensschutzes abgeleiteten Widerrufsund Rücknahmegrenzen ausschließen wollte. 69 Die Verwaltung kann sich daher auch im Anwendungsbereich des § 50 VwVfG und damit auch in ihrer Eigenschaft als Abhilfebehörde für den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes auf die Ermächtigung in § 49 Abs. 2 VwVfG stützen. Damit verbleibt es auch für diese Entscheidung grundsätzlich bei dem der Verwaltung in § 49 Abs. 2 VwVfG eingeräumten Widerrufsermessen. Regelmäßig wird sich dieses Entschließungsermessen aus materiellen Gründen auf Null reduzieren, wenn der angefochtene Verwaltungsakt Gegenstand eines zulässigen und begründeten Widerspruchs 70 ist. Es sind aber auch hier Fälle denkbar, in denen ausnahmsweise ein schutzwürdiges Bestandsinteresse des Drittbetroffenen zu bejahen ist, das bei der Rücknahmeentscheidung Berücksichtigung finden muß. 71 cc) Anwendungsvoraussetzungen des § 50 VwVfG Mit der Feststellung der uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 50 VwVfG auf die sachlichen Entscheidungen im Widerspruchsverfahren stellt sich die Frage, in welchen Fällen die Ausgangs- oder die Widerspruchsbehörde einem Drittwiderspruch unter den erleichterten Voraussetzungen des § 50 VwVfG abhelfen kann. aaa) Anhängigkeit eines Rechtsbehelfsverfahrens Nach herrschender Ansicht setzt § 50 VwVfG voraus, daß gegen den betroffenen Verwaltungsakt tatsächlich ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist. 72 Demgegenüber vertritt Weides 73 die Auffassung, daß die Verwaltung zu der vorbehaltlosen Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Drittwirkung auch von Amts wegen befugt sei, solange ein Betroffener noch einen Rechtsbehelf einlegen könne. Die Begünstigte könne nämlich keinen Vertrauensschutz beanspruchen, solange er noch mit der Anfechtung durch einen Drittbetroffenen rechnen muß. Dem ist insoweit zuzustimmen, als sich der Begünstigte eines Verwaltungsaktes mit belastender Drittwirkung jedenfalls solange nicht endgültig auf den 69 Erichsen/Martens, S. 245; Meyer, M/B § 50 VwVfG Rdn. 4; Knack § 50VwVfG Anm. 3. 2; Lange, Jura 1980, 465. 70 Bei festgestellter Unzweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes. 71 Vgl. s. o. 2 c aa. 72 Erichsen/Martens, Allgem. VerwR S. 244; Kopp, VwVfG § 50 Rdn. 9; Stelkens SBL § 50 VwVfG Rdn. 12; Lange, Jura 1980, 456 (463) m.w.N. 73 Weides, S. 307.

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Bestand des Verwaltungsaktes einrichten kann, wie er damit rechnen muß, daß sich ein Drittbetroffener noch mit einem Rechtsbehelf gegen diesen Verwaltungsakt wenden kann. Diese Erkenntnis muß bei der Abwägung der schutzwürdigen Interessen in der Entscheidung nach §§ 48, 49 VwVfG eine Rolle spielen. Sie kann jedoch im Ergebnis nicht dazu führen, auch in diesen Fällen die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG zu bejahen. § 50 VwVfG setzt ausdrücklich voraus, daß mit der Entscheidung einem Widerspruch oder einer Klage abgeholfen wird. Diese tatbestandliche Voraussetzung kann ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfüllen, wenn ein derartiger Rechtsbehelf durch den Dritten noch nicht eingelegt worden ist. 74 Auch nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes zu § 50 VwVfG 7 5 setzt die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG voraus, daß der Rechtsbehelf tatsächlich eingelegt worden ist, da nur das konkrete Rechtsschutzbegehren den Ausschluß des Vertrauensschutzes des Begünstigten rechtfertigen kann. Es ist daher mit der herrschenden Auffassung davon auszugehen, daß § 50 VwVfG nur im Rahmen eines bereits anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens Anwendung finden kann. bbb) Zulässigkeit des Widerspruchs Die zweite Frage, die sich unmittelbar auf die Entscheidungsbefugnisse der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren auswirkt, ist, ob der tatsächlich eingelegte Widerspruch zulässig sein muß, damit § 50 VwVfG auf die Entscheidung über die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes angewendet werden kann. Auch diese Frage wird von der ganz herrschenden Auffassung bejaht. 76 Offensichtlich ist dieses Erfordernis der Zulässigkeit für die Wahrung der Widerspruchsfrist. 77 Andernfalls könnte die Verwaltungsbehörde zeitlich unbegrenzt einen Verwaltungsakt ohne Rücksicht auf die Bindungen in den §§ 48, 49 VwVfG aufheben, wenn sich nur ein Drittbetroffener findet, der den Verwaltungsakt mit einem Widerspruch angreift. 78 Das Erfordernis der Zulässigkeit des Widerspruchs muß aber auch im übrigen gelten. Als Indiz für die Richtigkeit dieser Ansicht läßt sich wiederum der Wortlaut des § 50 VwVfG 74

Lange, Jura 1980, 463. Begr. zu § 44 EVwVfG, BT-Drs. 7/910, S. 74. 76 BVerwG, D Ö V 1982, 940 (941); D Ö V 1982, 860ff.; DVB1. 1980, 1001; O V G Münster, NWVB1. 1988, 382; Stelkens SBL § 50 VwVfG Rdn. 11 und Rdn. 16a; Knack, § 50 VwVfG Anm. 4. 1; Kopp VwVfG § 50 Rdn. 10; Erichsen/Martens, Allgem. VerwR S. 245 m.w.N., i. E. auch Weides, S. 252. 77 §§ 70, 74 VwVfG. 78 Vgl. BVerwG, D Ö V 1969, 142f. 75

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anführen, nach dem die verwaltungsbehördliche Entscheidung dem Widerspruch oder der Klage abhelfen muß. Entscheidend ist aber, daß ein derart umfassender Vertrauensausschluß, wie ihn § 50 VwVfG zum Nachteil des Drittbegünstigten vorsieht, nur durch ein schutzwürdiges, in einem Widerspruchsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren durchsetzbares Interesse auf Seiten des Widerspruchsführers oder Klägers gerechtfertigt werden kann. 79 Auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Behörde durch § 50 VwVfG nur insoweit frei gestellt werden, wie der Rechtsschutz des Dritten die Aufhebung des Verwaltungsaktes erfordert. 80 Es kann daher mit der herrschenden Auffassung festgestellt werden, daß nur der zulässige Rechtsbehelf die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG rechtfertigt. ccc) Begründetheit des Widerspruchs Umstritten ist, ob der Widerspruch für eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde nach § 50 VwVfG auch begründet sein muß. 81 Eine Begründetheit in dem Sinne, daß der angefochtene Verwaltungsakt nur wegen seiner Rechtswidrigkeit aufgehoben werden kann, also eine Begründetheit i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, kann nach der insoweit eindeutigen Regelung in § 50 VwVfG nicht verlangt werden. Andernfalls ließe sich die Einbeziehung des § 49 VwVfG in diese Bestimmung nicht erklären. 82 Wird für die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG die Begründetheit des Widerspruchs vorausgesetzt, dann muß der Verweisung auf § 49 VwVfG dadurch Rechnung getragen werden, daß der Widerspruch auch wegen bloßer Unzweckmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes begründet sein kann. 83 Als Indiz für das Erfordernis der Begründetheit in diesem Sinne läßt sich wiederum der Wortlaut des § 50 VwVfG - „abhelfen" - anführen. § 72 VwGO, der diesen Begriff ebenfalls verwendet, setzt für diese Entscheidung ausdrücklich die Begründetheit des Widerspruchs voraus. Für das Erfordernis der Begründetheit spricht daneben die subjektive Rechtsbezogenheit des § 50 VwVfG sowie wiederum die Erkenntnis, daß der Ausschluß des Vertrauensschutzes bei der Aufhebungsentscheidung nur gerechtfertigt ist, wenn dadurch dem berechtigten und damit grundsätzlich begründeten Rechtsschutzinteresse des Widerspruchsführers oder Klägers stattgegeben wird. 79

Lange, WiVerw 1979, 20; Kopp, VwVfG § 50 Rdn. 10. so BT-Drs. 7/910, S. 74. 81 Dafür: O V G Münster, Urteil vom 24. 09. 1981 - 7 A 1463/80 - ; Lange, Jura 1980, 465; Knack, § 50 VwVfG Anm. 4. 1.; a. A . O V G Münster, NWVB1. 1988, 382ff.; einschränkend, Kopp, VwVfG § 50 Rdn. 10; Stelkens, SBL, VwVfG § 50 Rdn. 16a; Meyer, M/B § 50 Rdn. 12ff. 82 Lange, WiVerw. 1979, 20. 83 Lange, S. 21.

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Im Ergebnis entspricht diese Ansicht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu der Reichweite der Sachentscheidungsbefugnis der Verwaltung im Widerspruchsverfahren bei einem Drittwiderspruch. In seiner Entscheidung vom 18. 5. 198284 hält der siebte Senat des Bundesverwaltungsgerichtes an der bereits früher vertretenen Auffassung 85 fest, daß der Nachbarwiderspruch der Widerspruchsbehörde nicht die volle Sachherrschaft über den Streitgegenstand eröffne. 86 Das Bundesverwaltungsgericht entnimmt zwar entgegen der hier vertretenen Ansicht den Umfang der Sachentscheidungsbefugnis der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren wohl unmittelbar den §§ 72, 73 VwGO. Nach Ansicht des Gerichts ermöglichen diese Vorschriften der Widerspruchsbehörde aber nicht, den angefochtenen Verwaltungsakt auf einen unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch hin aufzuheben oder abzuändern. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, daß sich im Falle der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Widerspruches eine derartige Befugnis auch nicht aus den verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- oder Rücknahmebestimmungen ergeben kann, mithin also auch nicht aus § 50 VwVfG. 8 7 Läßt sich somit mit der herrschenden Auffassung feststellen, daß § 50 VwVfG grundsätzlich auch die Begründetheit des Widerspruch voraussetzt, so ist doch darauf hinzuweisen, daß die verwaltungsbehördliche Entscheidung, auch wenn sie im Widerspruchsverfahren erfolgt, nur einer beschränkten gerichtlichen Zweckmäßigkeitskontrolle unterliegt. Solange sich also die Verwaltungsbehörde bei der Entscheidung nach § 50 VwVfG im Rahmen des ihr durch das materielle Recht eingeräumten Entschließungsermessens bewegt, kann sich der durch diese Entscheidung benachteiligte Drittbetroffene nicht darauf berufen, die ursprüngliche im Widerspruchsverfahren abgeänderte Verwaltungsentscheidung sei zweckmäßiger gewesen, der Widerspruch sei also unbegründet gewesen und § 50 VwVfG habe daher keine Anwendung finden können. 88 e) Ergebnis zu 2. Nach der prozeßrechtlichen Betrachtungsweise der Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung können sich auch für den Fall eines zulässigen und begründeten Widerspruches die Befugnisse der Ausgangsbehörde in ihrer Eigenschaft als Abhilfebehörde nicht aus § 72 VwGO ergeben. s4 BVerwG, D Ö V 1982, 860f. = BayVBl. 1982, 601 ff. 85 BVerwG, D Ö V 1969, 142ff. 86 Zustimmend Weides, S. 252. 87 Weides, S.252. 88 Vgl. Kopp, VwVfG § 50 Rdn. 10.

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Die ausschließlich prozessuale Funktion dieser Vorschrift besteht einmal darin, zu bestimmen, welche Verwaltungsbehörde sich erstinstanzlich mit dem Widerspruch befassen muß und zweitens in ihrem Sinnzusammenhang mit § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO, nach dem die Widerspruchsbehörde sich als zweite Verwaltungsinstanz nur dann mit dem Streitgegenstand befassen muß, wenn die Abhilfebehörde dem Widerspruch nicht stattgegeben hat. Die Ermächtigungsgrundlage wie der Entscheidungsmaßstab für die Ausgangsbehörde, in ihrer Eigenschaft als Abhilfebehörde einem zulässigen und begründeten Widerspruch abzuhelfen, ergibt sich - wie im Ausgangsverfahren - allein aus dem materiellen Recht, das durch die Bestimmungen des jeweils anwendbaren Verwaltungsverfahrensrechtes ergänzt wird. Von besonderer Bedeutung sind hier die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen.89 Im Falle eines zulässigen und begründeten Widerspruches ergeben sich allerdings gegenüber der nicht widerspruchsbezogenen Widerrufs - oder Rücknahmeentscheidung einige Besonderheiten, die ihre Begründung jedoch nicht in den §§ 68ff. VwGO finden können, sondern materiellrechtlichen Ursprungs sind. Ist an dem Verwaltungsrechtsverhältnis außer dem Widerspruchsführer noch ein Drittbetroffener beteiligt, dann kann die Verwaltungsbehörde im Widerspruchsverfahren dem Widerspruch unter den erleichterten Voraussetzungen des § 50 VwVfG abhelfen, wenn der Widerspruch zulässig und begründet ist. Unter diesen Voraussetzungen reduziert sich auch das Widerrufs- oder Rücknahmeermessen nach den §§ 48, 49 VwVfG im Sinne der Abhilfeentscheidung als die nach materiellem Recht einzig zulässige Entscheidung auf Null.

3. Entscheidung über einen unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch

Die prozessuale Rechtsstellung der Ausgangsbehörde, die in ihrer Eigenschaft als Abhilfebehörde i.S.v. § 72 VwGO über einen unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch zu entscheiden hat, wird ausschließlich durch die §§ 68ff. VwGO bestimmt. Da die Ausgangsbehörde regelmäßig aus prozeßrechtlichen Gründen nicht letztverbindlich über die Unzulässigkeit oder Unbegründetheit eines Widerspruches entscheiden soll, sieht die Regelung in § 72 i. V . m . § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO für jeden Fall der Nichtabhilfe die Vorlage des Widerspruches an die nach § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zum Erlaß eines Widerspruchsbescheides zuständige Behörde vor. 9 0 Die prozessualen Vorschriften der §§ 68 ff. VwGO können dagegen nicht festlegen, welche materiellen Entscheidungen die Ausgangsbehörde im Fall 89 §§ 48ff. VwVfG. s. ο. A I I 1 c.

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einer Unzulässigkeit oder Unbegründetheit treffen kann. Soweit sich aus der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit eines Widerspruchs Rechtsfolgen auf den zulässigen materiellen Gehalt der Entscheidung der Abhilfebehörde ergeben, können diese Rechtsfolgen nur im materiellen Recht, einschließlich des jeweils anwendbaren Verwaltungsverfahrensrechts verankert sein. a) Antragsgemäße Entscheidung aus nicht widerspruchsbezogenen Gründen Nach herrschender Auffassung berührt § 72 VwGO nicht die Befugnis der Abhilfebehörde, in ihrer Eigenschaft als Ausgangsbehörde den von ihr erlassenen Verwaltungsakt nachträglich, selbst noch nach Weiterleitung des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde durch einen sogenannten Zweitbescheid aufzuheben oder zu abzuändern. 91 Diese Befugnis soll jedoch - anders als die Entscheidung nach § 72 VwGO, die die Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs voraussetze - den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrensrechtes über den Widerruf oder die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach den §§ 48ff. VwVfG unterliegen. 92 Untersucht man die Auswirkungen, die die herrschende Ansicht auf die Entscheidungsbefugnisse der Ausgangsbehörde nach einem unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch hat, so lassen sich wohl in der Begründung, nicht aber im Ergebnis wesentliche Unterschiede zu der hier vertretenen Auffassung feststellen. Dies gilt zunächst für das der Ausgangsbehörde durch die §§ 48, 49 VwVfG eingeräumte Widerrufs- oder Rücknahmeermessen, welches nach der herrschenden Auffassung nur im Falle eines unzulässigen oder unbegründeten Widerspruchs besteht. 93 Entnimmt man mit der hier vertretenen Auffassung eine Reduzierung des Entschließungsermessens nicht aus § 72 VwGO, sondern unmittelbar aus den §§ 48, 49 VwVfG, wenn und soweit der Widerspruchsführer mit einem zulässigen und begründeten Widerspruch die Aufhebung des Verwaltungsaktes begehrt, dann bleibt es in den übrigen Fällen bei dem Widerrufs- oder Rücknahmeermessen nach den §§ 48, 49 VwVfG.

Kopp, VwGO, § 72 Rdn. 8; Meister, D Ö V 1985, 147ff.; P/R § 18 Rdn. 3ff. m.w.N. 92 Für die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG ist jedoch zu beachten, daß sie auch nach der herrschenden Auffassung einen tatsächlich eingelegten, zulässigen und jedenfalls nicht offensichtlich unbegründeten Widerspruch voraussetzt, so daß hierfür regelmäßig nur Raum bleibt, wenn die Ausgangsbehörde nach Vorlage des Widerspruchs entscheiden will; vgl. s. o. 2 c. 93 Vgl. s. o. 2 a.

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Entsprechendes muß auch für die Beantwortung der Frage gelten, inwieweit sich ein Drittbetroffener im Widerspruchsverfahren gegenüber einer dem Widerspruch stattgebenden Entscheidung auf ein eigenes schutzwürdiges Vertrauen berufen kann. Wie bereits gezeigt, setzt der Ausschluß eines Vertrauensschutzes gegenüber einer dem Widerspruch stattgebenden Entscheidung nach § 50 VwVfG voraus, daß der Widerspruch zulässig und begründet ist. Die Besonderheit einer dem unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch stattgebenden Entscheidung, kann daher nicht in der Unterscheidung zwischen Abhilfebescheid und Zweitbescheid, sondern in der Frage der Anwendbarkeit des § 50 VwVfG liegen. Es kann daher festgestellt werden, daß die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen jedenfalls die Ausgangsbehörde nicht daran hindern, auch einem unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch stattzugeben, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschriften für diese Entscheidung gegeben sind. Ob dies auch für die Entscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde gilt 9 4 , wird im folgenden noch zu untersuchen sein. b) Zulässigkeit einer reformatio

in peius

Wesentlich größere Schwierigkeiten bereitet die Beantwortung der Frage, ob die Ausgangsbehörde anstatt den Widerspruch ohne eigene außenwirksame Entscheidung der Widerspruchsbehörde vorzulegen, den angefochtenen Verwaltungsakt zum Nachteil des Widerspruchsführers abändern, oder ihn durch einen anderen, den Widerspruchsführer stärker belastenden Verwaltungsakt ersetzen darf. Die Frage nach der Zulässigkeit einer sogenannten reformatio in peius im Widerspruchsverfahren stellt sich nur bei einem unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch, da anderenfalls eine Verböserung des Ausgangsbescheides bereits aus materiellen Gründen ausscheidet. Sie zählt zu den meist umstrittenen Problemen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens. 95 Die Diskussion ist wird von unüberbrückbaren Gegensätzen gekennzeichnet.

94 So BVerwG, D Ö V 1972,789; D Ö V 1982,940f. ; Buchholz 406.11, § 134; Trzaskalik, JZ 1983, 419. 95 Vgl. BVerwGE 14, 175ff.; D Ö V 1972, 789f.; E 51, 310ff.; D Ö V 1982, 860ff.; E 67, 129ff.; N V w Z 1987, 215f., m. Anm. Petz, JA 1987, 330f.; BayVGH, BayVBl. 1973, 556; BayVBl. 1978, 16ff., m. Anm. Theuersbacher, 18f.; Renck-Laufke, 247f.; BayVGH, D Ö V 1982, 83f.; O V G Berlin, NJW 1977, 1166f.; HessVGH, ESVGH Bd. 35 Nr. 82, O V G Saarland, D Ö V 1983, 821 ff.; Freitag, VerwA. Bd. 56 (1965), 321 ff.; Renck, D Ö V 1974, 639; ders. JuS 1980, 28ff.; Renner, DVB1 1973, 340ff.; Weides, S. 252ff.; ders. JuS 1987, 477; v. Mutius, Diss. S. 220ff.; Mandelartz, V R 1978, 133ff.; Greifeid, N V w Z 1983, 725ff.; P/R § 31 m.w.N.

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aa) Ältere Auffassungen Die älteren Auffassungen zur reformatio in peius, die zum Teil auch heute noch Geltung beanspruchen, orientieren sich bei der Untersuchung dieser Frage in erster Linie unmittelbar an einer Auslegung der §§ 68ff. VwGO. Die Befürworter der Zulässigkeit der Verböserung verweisen auf die Regelung in § 79 Abs. 2 VwGO, die klarstelle, daß der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung die Möglichkeit einer zusätzlichen Beschwer des Widerspruchsführers durch den Widerspruchsbescheid ausdrücklich vorgesehen habe. 96 Der Gesetzgeber habe für das Widerspruchsverfahren auch nicht das dem gerichtlichen Verfahren bekannte Institut des Anschlußrechtsmittels vorgesehen. Ein Verbot der reformatio in peius müßte daher zu dem Schluß führen, daß das Widerspruchsverfahren als Verwaltungsverfahren formalistischer ausgestaltet sei, als das gerichtliche Verfahren. Der Verwaltung sei im Widerspruchsverfahren durch die §§ 68, 72, 73 VwGO eine umfassende Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle der angefochtenen Entscheidung auferlegt; sie müsse daher auch berechtigt sein, die aus dem Ergebnis dieser Kontrolle erforderlichen Schlüsse zu ziehen. 97 Die Gegner einer reformatio in peius berufen sich darauf, daß sie dem Sinn und Zweck des Widerspruchsverfahrens widerspreche. Dieser bestehe zwar auch in der Ermöglichung einer verwaltungsinternen Kontrolle der ausgangsbehördlichen Entscheidung. Das Widerspruchsverfahren sei aber primär ein Rechtsschutzverfahren. Mit dieser Funktion lasse es sich nicht vereinbaren, wenn der Beschwerdeführer mit der Einlegung des Widerspruchs Gefahr laufe, durch die Rechtsbehelfsentscheidung schlechter gestellt zu werden. 98 Außerdem ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der §§73 Abs. 1 i. V. m. § 72, 71 VwGO, daß die Verwaltung im Widerspruchsverfahren den angefochtenen Verwaltungsakt nur aufheben oder zum Vorteil des Widerspruchsführers abändern dürfe. Eine reformatio in peius sei daher durch die Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung grundsätzlich ausgeschlossen und daher nur zulässig, wenn ein nach § 190 VwGO fortgeltendes Gesetz dies ausdrücklich vorsehe. 99 Schließlich wird das Verbot einer reformatio in peius auch noch aus dem Vorschaltcharakter des Widerspruchsverfahrens vor dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sowie der beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren abgeleitet. Der Bundesgesetzgeber habe den im Widerspruchsverfahren zuständigen Behör96 Freitag, VerwA. Bd. 56 (1965), 333; Mandelartz, V R 1978, 134 m.w.N.; heute noch TSG, S. 114; vgl. auch Petz, JA 1987, 331. 97 BVerwGE 14, 175 (180); O V G Lüneburg, O V G E 21, 367 (369); Mandelartz, S. 134 m.w.N. 98 M/E VerwA. Bd. 57 (1966), 280ff.; dies., Bd. 60 (1969), 378ff.; vgl. auch Martens, JuS 1978, 761 (765). 99 Ule, VerwaltungsprozeßR. § 24 I I I . ; ähnlich, BayVGH, BayVBl. 1978, 16f.

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den nur gestatten können, den beanstandeten Verwaltungsakt im Falle seiner Rechtswidrigkeit oder Unzweckmäßigkeit ganz oder teilweise aufzuheben oder abzuändern. Er habe aber nicht die Zulässigkeit einer reformatio in peius regeln können. 100 bb) Wandel in der Argumentation In einer für die Frage der Zulässigkeit der reformatio in peius grundlegenden, in seiner allgemeinen Bedeutung für das Widerspruchsverfahren über dieses Problem weit hinausgehenden Entscheidung hat der vierte Senat des Bundesverwaltungsgerichtes seine Vorstellung zur reformatio in peius präzisiert und dabei seine Argumentation auf eine teilweise neue Grundlage gestellt. 101 Das Gericht folgte damit erstmals der bis dahin in der Minderheit befindlichen Auffassung, die den Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Nr. 1 GG nicht für berechtigt hält, im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung das Verwaltungsverfahren in vollem Umfange zu regeln. Ob eine reformatio in peius im Widerspruchsverfahren zulässig ist, sei nicht in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt, sondern richte sich nach dem jeweils anwendbaren Bundes- oder Landesrecht. Die Zurückhaltung des Bundesgesetzgebers könne daraus erklärt werden, daß er nicht befugt gewesen sei, das Verwaltungsverfahren in vollem Umfang zu regeln. Er habe nur das Verwaltungsvorverfahren in seiner Eigenschaft als Voraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage normieren dürfen. Aus der Verwaltungsgerichtsordnung lasse sich damit weder ein Verbot, noch die Zulässigkeit einer Verböserung des Ausgangsbescheides zum Nachteil des Widerspruchsführers ableiten. 102 cc) Analyse Bedauerlicherweise sah sich das Bundesverwaltungsgericht nicht genötigt, seine Vorstellung über die nunmehr nach Verwaltungsverfahrensrecht zu beurteilende Zulässigkeit einer reformatio in peius näher zu präzisieren. Die auf die Unvereinbarkeit der reformatio in peius im Widerspruchsverfahren mit dem in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelten Bundesrecht gestützte Revision konnte mit dem Hinweis der Offenheit der Verwaltungsgerichtsordnung zu dieser Frage 103 zurückgewiesen werden. loo γ. Mutius, Diss. S. 224; ders., Jura 1979, 671 (672). ιοί Urteil vom 12. 11. 1976, BVerwGE 51, 310 (313) = BayVBl, 1977, 409 m. Anm. von Renck, JuS 1980, 28ff.; Greifeid N V w Z 1983, 725ff.; bestätigt durch BVerwGE 65, 313 (319) und BVerwG, N V w Z 1987, 215f.; kritisch, Ule, DVB1. 1978, 656. 102 BVerwGE 51, 310 (313); vgl. auch BVerwGE 65, 313 (319). 103 Vgl. auch Weides, S. 254.

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Trotzdem ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Schrifttum überwiegend auf Zustimmung gestoßen. 104 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verstand das Bundesverwaltungsgericht jedoch zu Unrecht dahingehend, daß die Widerspruchsbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt grundsätzlich nicht zu Ungunsten des Widerspruchsführers abändern dürfe, es sei denn, ein Spezialgesetz lasse dies ausdrücklich zu. 1 0 5 Da mit Ausnahme der Verbotsregelung in § 16 Abs. 3 RhPf. A G V w G O spezialgesetzliche Bestimmungen über die reformatio in peius nicht ersichtlich sind, müßte - die Richtigkeit dieser Auffassung unterstellt eine Verböserung des Ausgangsbescheides zum Nachteil des Widerspruchsführers im Widerspruchsverfahren generell unzulässig sein. 106 Daß das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes von der herrschenden Auffassung 107 zu Recht nicht in dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof angenommenen Sinn verstanden wird, ergibt sich bereits daraus, daß das Gericht in seiner Entscheidung keine Abkehr voti seiner bisherigen Rechtsprechung zur reformatio in peius erkennen läßt, die jedenfalls nicht von einer generellen Unzulässigkeit der reformatio in peius ausging. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes enthält zunächst eine, wenn auch möglicherweise unbewußte, Absage an die während des Gesetzgebungsverfahrens zum Bundesverwaltungsverfahrensgesetz vertretene Auffassung, daß die Regelung der reformatio in peius dem Bundesgesetzgeber in der Verwaltungsgerichtsordnung vorbehalten sei und daher nicht durch die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder erfolgen könne. 1 0 8 Hiergegen greift auch der Einwand des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes nicht durch, der Bundesgesetzgeber habe das Widerspruchsverfahren in der Verwaltungsgerichtsordnung abschließend geregelt, so daß es jedenfalls 104 Vgl. Stelkens, SBL, § 48 Rdn. 10a; Weides, S. 254; ders. JuS 1987,477 (481); P/R § 31 Rdn. 11 ff.; Renck, JuS 1980, 28ff.; Greifeid, N V w Z 1983, 725ff.; Renck-Laufke, BayVBl. 1978, 247ff.; Petz, JA 1987, 330ff.; einschränkend, Kopp, VwGO, § 68 Rdn. 10; a. A . Ule, DVB1. 1978, 656; Mandelartz, V R 1978, 133 (135), dessen Einwand, der Argumentation mit der beschränkten Bundeskompetenz sei mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes - BVerfGE 35, 65 (72) - der Boden entzogen, jedenfalls nicht überzeugen kann. Das Bundesverfassungsgericht hatte in der genannten Entscheidung lediglich die Zuständigkeit des Bundes aus Art. 74 Nr. 1 GG bejaht, das Widerspruchsverfahren bundeseinheitlich zur Sachurteilsvoraussetzung der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu bestimmen. Es hat dagegen keine Aussage über die Reichweite dieser Regelungskompetenz getroffen; vgl. s. o. 1. Teil A I . 105 BayVGH, BayVBl. 1978, 16ff.; vgl. auch Renck-Laufke, BayVbl. 1978, 247 (248). 106 So ausdrücklich Renck-Laufke S. 248. 107 Theuersbacher, BayVBl. 1978, 18f.; Weides, S. 254; Stelkens, SBL § 48 VwVfG Rdn. 10a; P/R § 31 Rdn. 12; Renck, JuS 1980, 28 (30); Greifeid, N V w Z 1983, 725ff. m.w.N. 108 Vgl. EVwVfG 1963, S. 183; wie hier Stelkens, SBL, § 48 V w V f G Rdn. 10a.

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zweifelhaft sei, ob die verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen im Widerspruchsverfahren insoweit überhaupt Anwendung finden können. 109 Kodifikatorische Regelungen konnte der Bundesgesetzgeber in die Verwaltungsgerichtsordnung nur aufnehmen, soweit er in diesem Bereich eine Regelungszuständigkeit geltend machen kann. 1 1 0 Da die Frage nach den im Widerspruchsverfahren zulässigen Entscheidungen sich nicht nach Verwaltungsprozeßrecht, sondern nach Verwaltungsverfahrensrecht richtet, stand dem Bundesgesetzgeber für die Regelung dieser Frage in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Gesetzgebungskompetenz zu. Vielmehr besteht die alleinige Regelungszuständigkeit für die im Widerspruchsverfahren zulässigen materiellen Entscheidungen originär bei dem jeweils für das Verwaltungsverfahren zuständigen Bundes- oder Landesgesetzgeber. 111 Die weitere Bedeutung des Urteils ergibt sich daraus, daß das Bundesverwaltungsgericht bereits in früheren Entscheidungen die Aufhebung eines im Rechtsbehelfsverfahrens angefochtenen Verwaltungsaktes als Unterfall der Rücknahme oder des Widerrufs eines Verwaltungsaktes angesehen hat. 1 1 2 Obwohl das Bundesverwaltungsgericht dies in seiner Entscheidung vom 12.11. 1976 nicht ausdrücklich angesprochen hat, läßt dies jedoch den Schluß zu, daß auch die reformatio in peius im Widerspruchsverfahren nach diesen Grundsätzen zu beurteilen ist. 1 1 3 Nachdem die VerwaltungsVerfahrensgesetze des Bundes und der Länder in den §§ 48 ff. VwVfG positivrechtliche Bestimmungen über die Rücknahme oder den Widerruf von Verwaltungsakten enthalten, müssen diese Vorschriften nach der hier vertretenen Auffassung auf die Entscheidung der Verwaltungsbehörde im Widerspruchsverfahren über eine Verböserung des angefochtenen Verwaltungsaktes zum Nachteil des Widerspruchsführers unmittelbar Anwendung finden. 114 109 BayVGH, BayVBl. 1978, 16 (17); vgl. auch EVwVfG 1963, S. 183. no s. o. 2. Teil A . I I I . m Mißverständlich insoweit das Bundesverwaltungsgericht, wenn es ausführt, der Bundesgesetzgeber habe die Frage nach der Zulässigkeit der reformatio in peius der anderweitigen Normierung, sei es im Verwaltungsverfahrensrecht oder in Spezialgesetzen der Länder, sei es in Spezialregelungen des Bundes „überlassen", vgl. BVerwGE 51, 310 (313f.). h 2 BVerwGE 31, 67 (69). 113 So ausdrücklich BVerwGE 65, 319. 114 Ausdrücklich: O V G Lüneburg, O V G E 37, 237 (239); Weides, 258; wohl auch Allesch, Diss. S. 145; Stelkens, SBL § 48 VwVfG Rdn. 10a; Petz, JA 1987, 331; ausdrücklich auch: TSG, S. 114f. m.w.N.; z.T. wird, wie auch in der Rechtsprechung des BVerwG - E 65, 319 - , nicht deutlich, ob von dem jeweiligen Autor die unmittelbare Anwendbarkeit oder nur die Heranziehung der Grundsätze der §§ 48 ff. VwVfG befürwortet wird; vgl. aber die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, N V w Z 1986, 840, in der das Gericht prüft, ob § 48 Abs. I V S. 1 VwVfG der reformatio in peius entgegensteht; im Ergebnis dürfte zwischen der Ansicht, die den unmittelbaren Anwendungsbereich der §§ 48 ff. VwVfG auf die Entscheidungen außerhalb eines Widerspruchsverfahrens beschränken will und der hier vertretenen Auffassung, nach der sich

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i e e n i e der Behörden im Widerspruchsverfahren

Die neuere Rechtsprechung zur reformatio in peius stimmt damit jedenfalls in einem Punkt mit der hier vertretenen Auffassung überein. Die Befugnisse der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren zur Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses sind nicht gerichtsverfahrensrechtlicher, sondern verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur und konnten daher von dem auf die Regelung des gerichtlichen Verfahrens in der Verwaltungsgerichtsordnung beschränkten Bundesgesetzgeber nicht wirksam festgelegt werden. Die Beurteilung dieser Entscheidungsbefugnisse richtet sich nach den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über den Widerruf oder die Rücknahme eines Verwaltungsaktes, die grundsätzlich nicht zwischen einer Entscheidung von Amts wegen und der Entscheidung nach einem eingelegten Widerspruch unterscheiden. 115 Konsequenterweise kann diese Betrachtungsweise nicht auf die Frage nach der Zulässigkeit einer reformatio in peius beschränkt werden, sondern muß für die Beurteilung jeder Entscheidung der Verwaltungsbehörde im Widerspruchsverfahren gelten. 116 dd) Einzelfragen Nach der kompetenzrechtlichen Betrachtungsweise sind für die Beurteilung der Frage nach der Zulässigkeit einer reformatio in peius im Widerspruchsverfahren die §§ 48ff. VwVfG maßgebend. Die Erkenntnis läßt jedoch sowohl einige prozessuale als auch einige verwaltungsverfahrensrechtliche Fragen offen. aaa) Auswirkungen der Zulässigkeit einer reformatio in peius durch die Abhilfebehörde auf das Prozeßrechtsverhältnis Fraglich ist zunächst, wie sich die im Rahmen der §§ 48ff. VwVfG generell zulässige reformatio in peius mit der Regelung in den §§ 72, 73 VwGO vereinbaren läßt, nach der die Ausgangsbehörde im Falle der Unzulässigkeit oder Unbegründetheit eines Widerspruches nicht letztverbindlich über diesen Widerspruch entscheiden können soll. Freitag, der im Ergebnis übereinstimmend mit der hier vertretenen Auffassung von der grundsätzlichen Zulassung der Verböserung des Ausgangsbescheides im Widerspruchsverfahren nach Maßgabe der verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- oder Rücknahmegrundsätze ausgeht 117 , entnimmt die Sachentscheidungsbefugnisse der Verwaltungsbehörden in jedem Fall aus diesen Vorschriften ergeben, kein Unterschied bestehen, vgl. P/R § 31 Rdn. 17. ι 1 5 Abgesehen von § 50 VwVfG. Vgl. Renck, JuS 1980, 28 (30); Trzaskalik, JZ 1983, 415 (419); Lange, Jura 1980, 456 (465); vgl. auch BVerwG, D Ö V 1982, 860ff., zu der Frage, ob die Widerspruchsbehörde über einen unzulässigen Drittwiderspruch sachlich entscheiden kann. Freitag, VerwA Bd. 56 (1965), 315 ff.

II. Die Entscheidungsbefugnisse der Abhilfebehörde

163

für die Ausgangsbehörde eine Einschränkung unmittelbar aus § 72 V w G O . 1 1 8 Die Behörde, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, sei, sofern sie nicht zugleich Widerspruchsbehörde ist, nach § 72 VwGO nur berechtigt, dem Widerspruch abzuhelfen oder ihn der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorzulegen. Die Ausgangsbehörde dürfe also nicht in jedem Fall die nach ihren Ermittlungen materiell richtige Entscheidung treffen. Für die Ausgangsbehörde gelte damit anders als für die Widerspruchsbehörde ein Verbot der reformatio in peius im Widerspruchsverfahren. 119 Nach der hier vertretenen Auffassung kann sich aus § 72 VwGO eine derartige Beschränkung der Entscheidungsbefugnisse der Ausgangsbehörde gegenüber ihren verwaltungsverfahrensrechtlichen Befugnissen nicht ergeben. Als prozessuale Vorschriften regeln die §§ 72, 73 VwGO nur die prozessualen Obliegenheiten der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren, indem sie bestimmen, daß, und unter welchen Voraussetzungen sich Ausgangs- und Widerspruchsbehörde mit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung befassen müssen. Die in § 72 VwGO vorgesehene Entscheidung hat damit nur die Funktion einer auflösenden Bedingung für das Entstehen der prozessualen Verpflichtungen der Widerspruchsbehörde. Der Begriff der Abhilfe ist dabei im Sinne einer vollständigen Beseitigung der vom Widerspruchsführer geltend gemachten materiellen Beschwer zu verstehen. Damit läßt sich aus der Bestimmung in den §§ 72, 73 Abs. 1 VwGO für die reformatio in peius nur ableiten, daß mit der in dieser Entscheidung liegenden Verweigerung der Abhilfe das Widerspruchsverfahren noch nicht beendet ist, die in § 73 VwGO für die Widerspruchsbehörde vorgesehenen prozessualen Pflichten fortbestehen. Ein Verbot der reformatio in peius für die Ausgangsbehörde läßt sich dagegen aus diesen Bestimmungen nicht ableiten. Umgekehrt ist vielmehr fraglich, ob neben der nach den §§ 48, 49 VwVfG für die Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme eines Verwaltungsaktes zuständigen Ausgangsbehörde auch die nicht mit dieser Verwaltungsinstanz identische und damit verwaltungsverfahrensrechtlich grundsätzlich unzuständige Widerspruchsbehörde zu einer reformatio in peius im Widerspruchsverfahren befugt ist. 1 2 0 Damit stellt sich die ebenfalls prozessuale Frage, ob im Falle einer Verböserung des angefochtenen Ausgangsbescheides durch die Abhilfebehörde der veränderte Bescheid automatisch Gegenstand des Widerspruchsverfahrens und damit der Entscheidung der Widerspruchsbehörde wird, oder ob hierfür eine Erklärung des Widerspruchsführers erforderlich ist. 1 2 1 Freitag, S. 320. So auch Skouris, D Ö V 1982, 133; Allesch, Diss. S. 148; ν. Mutius, Diss. S. 46. 120 Vgl. dazu s. u. I I I 2. ™ Vgl. BayVGH, N V w Z 1983, 615ff.; Buchholz 448. 11 § 192 Z D G Nr. 4; Kopp, VwGO § 72 Rdn. 8. 119

11*

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3. Teil:

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der Behörden im Widerspruchsverfahren

Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes 122 führt die Abänderung des angefochtenen Verwaltungsaktes durch die Ausgangsbehörde zu der Erledigung des Widerspruches gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt. Der Widerspruchsführer könne zwar den geänderten Verwaltungsakt im Wege der Widerspruchsänderung 123 zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens erklären. Mache er von dieser Befugnis keinen Gebrauch, dann bleibe es bei der Erledigung, die die (in Bayern ! 1 2 4 ) hierfür vorgesehene Kostenfolge herbeiführe. Eine sachliche Entscheidung der Widerspruchsbehörde sei in diesem Fall jedoch nicht mehr möglich. Dieser Auffassung kann bereits nach dem Wortlaut der §§ 72, 73 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht vollständig gefolgt werden. Nach diesen Bestimmungen ist eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde in jedem Fall erforderlich, in dem die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht abhilft. Die Ausgangsbehörde muß den Widerspruch somit auch dann der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorlegen, wenn sie den angefochtenen Verwaltungsakt zum Nachteil des Widerspruchsführers verändert hat. 1 2 5 Weder die Ausgangs- noch die Widerspruchsbehörde können sich durch einseitiges Verhalten ihren prozessualen Verpflichtungen entziehen. Der Widerspruchsbehörde stehen damit im Falle einer reformatio in peius durch die Ausgangsbehörde zwei Möglichkeiten offen. Ist sie der Auffassung, daß mit der Veränderung des Ausgangsverwaltungsaktes das Interesse des Widerspruchsführers an der Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens entfallen sein könnte, so kann sie auf eine entsprechende Erledigungserklärung des Widerspruchsführers hinwirken. Diese Erklärung kann der Widerspruchsführer auch ohne eine Aufforderung durch die Widerspruchsbehörde abgeben. In diesen Fällen ist das Widerspruchsverfahren einzustellen. 126 In allen anderen Fällen dagegen muß die Widerspruchsbehörde gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO i. V.m. § 72 VwGO über den nunmehr geänderten Verwaltungsakt entscheiden. Tut sie das nicht, so kann der Widerspruchsführer sein Begehren unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO mit der Klage in der Hauptsache verfolgen. bbb) Die Grenzen der reformatio

in peius im Widerspruchsverfahren

Die Anwendung der §§ 48 ff. VwVfG auf die Sachentscheidungsbefugnisse der Verwaltungsbehörden im Widerspruchsverfahren gilt grundsätzlich nicht nur insoweit, als es die in diesen Vorschriften enthaltenen Ermächtigungs122 BayVGH, N V w Z 1983, 616. ι 2 3 Entsprechend der Klageänderung im gerichtlichen Verfahren. 124 Vgl. § 80 Bay VwVfG. 125 BVerwG, Buchholz 448. 11 § 19 Z D G Nr. 4. 126 Ygi dazu und zu den weiteren Folgen der Erledigung P/R § 33 Rdn. 33ff. m.w.N.

II. Die

ntscheidungsbefugnisse der

iebehörde

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grundlagen betrifft, sondern notwendigerweise gleichermaßen für die in diesen Vorschriften festgelegten Widerrufs- oder Rücknahmegrenzen. Dies ergibt sich daraus, daß die §§48 und 49 VwVfG nicht zwischen noch anfechtbaren und bereits bestandskräftigen Verwaltungsakten unterscheiden und daß für den Widerruf oder die Rücknahme von Verwaltungsakten zum Nachteil des Widerspruchsführers eine dem § 50 VwVfG entsprechende Vorschrift nicht existiert. Es stellt sich daher die Frage, ob die Vertrauensschutzbindungen in den §§48 und 49 VwVfG auch dann uneingeschränkt Geltung beanspruchen können, wenn die Verwaltung im Widerspruchsverfahren eine Verböserung zum Nachteil des Widerspruchsführers vornehmen will. 1 2 7 Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß sich der Widerspruchsführer auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des angefochtenen Verwaltungsaktes regelmäßig nicht berufen könne, da er mit seinem Widerspruch selbst die Ursache für die Unbeständigkeit des von ihm angefochtenen Verwaltungsaktes gesetzt habe und sich daher in seinem Verhalten auf die Unbeständigkeit habe einrichten können. 128 Es fragt sich, ob diese Auffassung mit den Regelungen der §§48, 49 VwVfG vereinbar ist. Eine entsprechende Anwendung des § 50 VwVfG, durch die ein Ausschluß des Vertrauensschutzes des Widerspruchsführers gegenüber einer reformatio in peius begründet werden könnte, muß jedenfalls deshalb ausscheiden, weil es an einer vergleichbaren Interessenlage fehlt. Der in § 50 VwVfG niedergelegte umfassende Vertrauensausschluß wird im Wesentlichen durch das Rechtsschutzbegehren des Widerspruchsführers gerechtfertigt. 129 Dagegen läuft die Verböserung des Ausgangsbescheides zum Nachteil des Widerspruchsführers gerade diesem Rechtsschutzinteresse zuwider. 130 Es muß daher grundsätzlich bei der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 S. 2 Abs. 2 bis 4 und Abs. 6 sowie des § 49 Abs. 2, 3 und 5 VwVfG auf die Beurteilung der reformatio in peius im Widerspruchsverfahren verbleiben. Einen Lösungsweg hat aber der Gesetzgeber des Bundesverwaltungsverfahrensgesetzes in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes selbst vorgezeigt. Die in § 44 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 des Entwurfes 131 geregelten 127

Vgl. Weides, S. 257f. m.w.N. ™ BVerwGE 14,175 (179); E 31, 67 (69); Buchholz 401. 9 Nr. 21; zustimmend Greifeid, N V w Z 1983, 725 (727) m.w.N.; O V G Münster, DVB1. 1976, 46 (47); Weides, S. 257ff.; ders. JuS 1987, 482; Freitag, VerwA. Bd. 56 (1965), 335ff. 129 s. o. 2 c cc. 130 V. Mutius, Jura 1979, 672. 1 31 Heute § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 bis 3 VwVfG.

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3. Teil:

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der Behörden im Widerspruchsverfahren

Fälle, in denen sich der Betroffene gegenüber der Rücknahme eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen kann, enthalten nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur Beispiele; auch in anderen Fällen komme ein Vertrauensausschluß in Betracht, so ζ. B. für den Begünstigten eines Rechtsbehelfsverfahrens, „auch wenn dieses nicht von einem Dritten eingeleitet wurde". Hierbei beruft sich der Gesetzgeber ausdrücklich auf einschlägige Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes, die von einem verminderten Vertrauensschutz des Widerspruchsführers gegenüber der reformatio in peius ausgehen.132 Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG kein unmittelbarer Anhaltspunkt für den nur beispielhaften Charakter dieser Bestimmung. Allerdings beschränken die Regelungen in § 48 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 VwVfG die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nicht durch die Gewährung abstrakten Vertrauensschutzes, sondern knüpfen an ein konkret betätigtes schutzwürdiges Vertrauen an. 1 3 3 A n einem konkreten schutzwürdigem Vertrauen wird es jedoch regelmäßig fehlen, wenn der Begünstigte selbst den Widerspruch eingelegt und damit die Ursache für die Unbeständigkeit des Verwaltungsaktes gesetzt hat. In diesem Fall wußte er von der Unbeständigkeit des Verwaltungsaktes und konnte sich in seinem Verhalten noch nicht endgültig auf den Bestand des betroffenen Verwaltungsaktes einrichten. Damit bildet jedenfalls die Regelung in § 48 Abs. 2 VwVfG keine unüberwindbare Grenze für die Verböserung eines angefochtenen Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren. 134 Fraglich ist nur, ob nach dem bisher gesagten eine reformatio in peius nur aus Rechtmäßigkeitsgründen nach § 48 VwVfG zulässig ist. 1 3 5 Da auch im Widerspruchsverfahren die Voraussetzungen des § 49 VwVfG vorliegen können 1 3 6 ist eine reformatio in peius auch aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht grundsätzlich ausgeschlossen.137 Ob sich dabei nur die Verböserung eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach den strengeren Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 VwVfG beurteilt, oder ob dies auch für die Verböserung eines bereits belastenden Verwaltungsaktes gilt, 1 3 8 hängt im Einzelfall entsprechend der allgemeinen Abgrenzung zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten davon ab, ob in der konkreten Belastung zugleich insoweit eine Begünstigung gesehen werden kann, als in ihr die verbindliche Feststellung 132

Amtl. Begr. des Reg. - Entwurfes, BT-Drs. 7/910, S. 70. Kopp, VwVfG § 48 Rdn. 51; Stelkens, SBL § 48 VwVfG Rdn. 19 und Rdn. 26. 1 34 Weides, S. 258; Greifeid, N V w Z 1983, 725 (727). 135 So Wulff, VerwR. I I I § 161 V.f. 5; Knack, VwVfG § 79 Anm. 10.3.3. allerdings nur für begünstigende Verwaltungsakte. 136 Bspw., wenn sich die Verwaltungsbehörde bei Erlaß des Ausgangsverwaltungsaktes den Widerruf wirksam vorbehalten hat. 137 Stelkens, SBL § 48 VwVfG Rdn. 10a; Weides, S. 258. 138 So im Ergebnis wohl Knack, VwVfG § 79 Anm. 10.3.3. 133

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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enthalten ist, daß weitergehende oder andersartige Belastungen nicht mehr in Betracht kommen. 139 Liegen die Voraussetzungen des § 49 VwVfG für den Widerruf eines rechtmäßigen aber unzweckmäßigen Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren nicht vor, dann scheidet eine Verböserung dieses Verwaltungsaktes durch die Abhilfe- oder Widerspruchsbehörde in jedem Falle aus. Der Verwaltung ist im Widerspruchsverfahren jede Entscheidung verwehrt, zu der sie auch nach materiellem Recht einschließlich des jeweils anwendbaren Verwaltungsverfahrensrechtes nicht ermächtigt ist. Nach den §§ 48ff. VwVfG ist schließlich auch die Frage zu beantworten, ob sich der Widerspruchsführer einer drohenden reformatio in peius dadurch entziehen kann, daß er seinen Widerspruch noch vor Erlaß der Entscheidung zurücknimmt. Während diese Frage im Zusammenhang mit der Reichweite der Entscheidungszuständigkeit der Widerspruchsbehörde noch näher zu untersuchen sein wird, 1 4 0 kann sie für die Entscheidung der Ausgangsbehörde im Abhilfeverfahren ausweislich der §§ 48ff. VwVfG unproblematisch verneint werden. Die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebefugnisse werden durch die Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung mit Ausnahme der Regelung in § 50 VwVfG nicht bedingt. Die Ausgangsbehörde kann somit im Rahmen ihrer allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Befugnisse auch dann eine Verschlechterung zum Nachteil des Widerspruchsführers vornehmen, wenn dieser seinen Widerspruch zurückgenommen hat. Eine Ausnahme ist nur dann denkbar, wenn die Ausgangsbehörde durch ihr Verhalten bei dem Widerspruchsführer den Eindruck erweckt hat, daß nach Rücknahme des Widerspruches keine weitere Entscheidung über den angefochtenen Verwaltungsakt mehr erfolgen wird. Hier kann sich im Einzelfall ein konkret schutzwürdiges Vertrauen des Widerspruchsführers entwickeln, das gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG einer Verböserung zum Nachteil des Widerspruchsführers entgegensteht.

I I I . Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde Auch für die Entscheidung nach § 73 VwGO können sich die formellen und materiellen Anforderungen ausschließlich aus dem der Entscheidung zugrunde liegenden materiellen Sachgesetz, ergänzt durch das jeweils anwendbare Bundes- oder Landesverwaltungsverfahrensgesetz ergeben. 139

Weides, S. 301; ders. JuS 1987, 477 (483); Kopp, VwVfG § 48 Rdn. 48; wohl zu weitgehend Lange, WiVerw. 1979, 15 (18). 140 Hier ergibt sich das Problem aus dem von der herrschenden Auffassung unmittelbar aus § 73 VwGO abgeleiteten, durch die Einlegung des Widerspruchs bedingten Devolutiveffekt, vgl. P/R § 27 Rdn. 8 und § 31 Rdn. 23 m.w.N.

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3. Teil:

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i e e n i e der Behörden im Widerspruchsverfahren

Diese nach der verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsverteilung und der systematischen Stellung der §§ 68 ff. VwGO in einem Prozeßgesetz zwingende Erkenntnis läßt sich umso leichter nach vollziehen, als die Regelung in § 73 VwGO über den möglichen Inhalt des Widerspruchsbescheides noch weniger Aussagen enthält, als die entsprechende Regelung in § 72 V w G O . 1 4 1 Der Bundesgesetzgeber hat sich in § 73 VwGO darauf beschränkt, den Erlaß eines Widerspruchsbescheides für den Fall der Nichtabhilfe durch die Ausgangsbehörde anzuordnen und die grundsätzlich für diese Entscheidung zuständige Verwaltungsinstanz zu bestimmen. Auch die Vorschriften in §§ 71 und 79 VwGO enthalten keine Aussage über den materiell zulässigen Inhalt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde. Aus § 71 VwGO ergibt sich lediglich, daß Dritte durch den Widerspruchsbescheid in ihren Rechten betroffen sein können. Unter welchen Voraussetzungen die Widerspruchsbehörde in die Rechte eines Dritten eingreifen kann, sagt diese Vorschrift dagegen nicht. Aus der Bestimmung des Klagegegenstandes in § 79 VwGO ergibt sich lediglich, daß der angefochtene Ausgangsbescheid durch den Widerspruchsbescheid verändert werden 142 und dabei sogar eine zusätzliche materielle Beschwer des Widerspruchsführers enthalten kann. 1 4 3 Eine Aussage darüber, unter welchen Voraussetzungen die Abänderung des Ausgangsbescheides durch die Widerspruchsbehörde zulässig ist, trifft dagegen auch § 79 VwGO nicht. 1. Sachentscheidungsbefugnisse bei Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde

Ohne Schwierigkeiten lassen sich die Entscheidungszuständigkeit und der zulässige Inhalt des Widerspruchsbescheides bestimmen, wenn für die Entscheidung über den Widerspruch gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO die Ausgangsbehörde zugleich die Funktion der Widerspruchsbehörde bekleidet. Da die §§ 68ff. VwGO und damit auch § 73 VwGO die verwaltungsverfahrensrechtlichen Sachentscheidungsbefugnisse der Ausgangsbehörde weder beschränken noch erweitern (können), beurteilt sich die materielle Rechtmäßigkeit eines durch die Ausgangsbehörde erlassenen Widerspruchsbescheides nach den Vorschriften des materiellen Rechts und des Verwaltungsverfahrensrechts. Es kann daher sowohl für die (instanzielle) Zuständigkeit als auch für den zulässigen Inhalt des Widerspruchsbescheides auf die zu den Sachentscheidungsbefugnissen der Ausgangsbehörde in ihrer Eigenschaft als „Abhilfebehörde" festgestellten Ergebnisse verwiesen werden. 144 14

1 Vgl. bereits BVerwGE 22, 281 (283), wonach § 73 VwGO über den Inhalt des Widerspruchsbescheides lediglich vorschreibt, daß in diesem auch über die Kostentragung entschieden werden muß. 142 § 79 Abs. 1 VwGO. § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO. 1 44 Vgl. oben I I ; Weides, S. 256.

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

169

2. Die nächsthöhere Behörde als Widerspruchsinstanz

Bei der Bestimmung der Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde, wenn diese Funktion nicht von der Ausgangsbehörde, sondern gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO von der nächsthöheren Behörde wahrgenommen wird, liegt das eigentliche Problem bei der prozessualen Auslegung der §§ 68ff. VwGO. Zwar bereitet die Regelung des § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO aus kompetenzrechtlicher Sicht keine Schwierigkeiten, soweit sie die Aufsichtsbehörde verpflichtet, sich im Falle der Nichtabhilfe durch die Ausgangsbehörde als zweite Verwaltungsinstanz mit dem Widerspruch zu befassen. Diese Verpflichtung bedeutet lediglich eine prozessuale Obliegenheit der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren. Dem Widerspruchsführer wird dadurch kein materieller Anspruch gegen die Widerspruchsbehörde eingeräumt. 145 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung sind daher auch allein prozessualer Natur. Das eigentliche Problem der kompetenzrechtlichen Auslegung des § 73 VwGO ergibt sich bei der Frage, ob, und wenn ja, auf welcher Grundlage die Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren berechtigt ist, den angefochtenen Verwaltungsakt selbst aufzuheben bzw. den beantragten Verwaltungsakt selbst zu erlassen. 146 Nach den positivrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften der Verwaltungsverfahrens- und Organisationsgesetze ist für den Erlaß einer Außenrechtsentscheidung grundsätzlich nur die untere Verwaltungsinstanz zuständig. Die vorgesetzte Behörde ist dagegen regelmäßig nur zur Aufsicht berechtigt. Sie kann also selbst nicht erstinstanzlich an Stelle der Ausgangsbehörde entscheiden, sondern ist auf ihr Weisungsrecht beschränkt 147 . Der Gesetzgeber hat damit in § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO eine Verwaltungsinstanz zur Entscheidung über den Widerspruch verpflichtet, die nach Verwaltungsorganisationsrecht zu einer Außenrechtsentscheidung grundsätzlich funktionell unzuständig ist.

i « Vgl. oben I I 2. 146 Vgl. Renck, JuS 1980, 28 (30); Trzaskalik, Diss. S. 39f.; P/R § 33 Rdn. 15f. 147 O V G Lüneburg, O V G E 3,176 (179); aus dem Weisungsrecht folgt kein allgemeines Selbsteintrittsrecht; O V G Berlin, NJW 1977, 1166 (1167); V G H München, NJW 1982, 460; Stelkens, SBL § 44 VwVfG Rdn. 28; allgemein, Engel, DVB1. 1982, 757ff.; Stettner, Habil. S. 357f. m.w.N.

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i e e n i e der Behörden im Widerspruchsverfahren

a) Meinungsstand zur Bedeutung des § 73 VwGO für die Entscheidungsbefugnis der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren Bevor die Auswirkungen untersucht werden können, die sich aus dem dargestellten Befund für die äußere Gestaltung und den Inhalt eines von der Aufsichtsbehörde erlassenen Widerspruchsbescheides ergeben können, ist zunächst darzustellen, welche Bedeutung der Regelung in § 73 VwGO nach der herrschenden Auffassung für diese Frage zukommt. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. aa) Umfassender Devolutiveffekt Umstritten ist, ob sich aus der Regelung des § 73 VwGO ein umfassender Devolutiveffekt ableiten läßt, mit der Folge, daß die Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde zu einer Außenrechtsentscheidung in jedem Fall instanziell zuständig ist. aaa) Nach der herrschenden Meinung Nach Auffassung der Rechtsprechung und des wohl überwiegenden Teiles der Literatur bewirkt die Regelung des § 73 VwGO den vollständigen Übergang der Entscheidungsbefugnisse von der Ausgangsbehörde auf die Widerspruchsbehörde. Die Widerspruchsbehörde werde durch diese Bestimmung ermächtigt, die beantragte Entscheidung selbst vorzunehmen, mithin das Verwaltungsrechtsverhältnis durch eine eigene Außenrechtsentscheidung zu gestalten. Der aufsichtsrechtlichen Anweisung, mit der die Aufsichtsbehörde außerhalb des Widerspruchsverfahrens ihre Rechtsauffassung gegenüber der nachgeordneten Behörde durchsetzen kann, bedürfe sie jedenfalls bei einem zulässigen und begründeten Widerspruch nicht. § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO enthält nach dieser Ansicht eine die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen verdrängende Zuständigkeitsvorschrift für das Widerspruchsverfahren . 1 4 8

BVerwG, D Ö V 1986, 109 (110); N V w Z 1986, 199; 1979, 791 (792); E 37, 47 (52f.); Buchholz, 232 § 8 Nr. 14; N V w Z 1982, 116 (117); O V G Saarland, D Ö V 1983, 821 ff.; Weides, S. 257; Kopp, VwGO, § 73 Rdn, 3; Allesch, Diss. S. 144; Knack, §79 VwVfG Anm. 10. 2 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, N V w Z 1987, 215 (216), m. Anm. von Petz, JA 1987, 332.

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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bbb) Abweichende Auffassungen Demgegenüber will eine Mindermeinung im Schrifttum die Außenentscheidungsbefugnis der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren auf die Fälle eines Anfechtungswiderspruches beschränken, in denen die Aufsichtsbehörde dem Widerspruchsbegehren stattgeben will. Die Aufsichtsbehörde sei in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde nach § 73 VwGO zwar berechtigt, einen angefochtenen Verwaltungsakt selbst aufzuheben. Die Befugnis zum Erlaß eines Verwaltungsaktes habe sie aber auch im Widerspruchsverfahren nur nach Maßgabe ihrer verwaltungsverfahrensrechtlichen instanziellen Verwaltungszuständigkeiten. Die nach Verwaltungsverfahrensrecht regelmäßig zum Erlaß eines Verwaltungsaktes instanziell unzuständige Aufsichtsbehörde sei daher auch in ihrer Funktion als Widerspruchsbehörde zur Durchsetzung ihrer Rechtsauffassung auf die aufsichtsrechtliche Anweisung beschränkt. 149 Die Begründungen für diese Ansicht gehen jedoch auseinander. Nach Schapals150 ergibt sich die Beschränkung der Außenentscheidungsbefugnis für die nicht mit der Ausgangsbehörde identische Widerspruchsbehörde aus einer entsprechenden Anwendung des § 113 Abs. 4 S. 1 VwGO. Diese sei wegen der prozessualen Rechtsnatur des Widerspruchsverfahrens geboten. Gegen diese Argumentation wenden sich zu Recht Pietzner und Ronellenfitsch. Die Regelung des § 113 Abs. 4 S. 1 VwGO beruht auf der Anerkennung des Prinzips der Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative und kann daher für das Verhältnis zwischen Ausgangs- und Aufsichtsbehörde keine Geltung beanspruchen. 151 Koehler 152 geht - allerdings ohne Rückgriff auf die nach Art. 74 Nr. 1 GG beschränkte Bundeskompetenz für das Widerspruchsverfahren - davon aus, daß der Devolutiveffekt nach § 73 VwGO keine von den verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen abweichende instanzielle Zuständigkeit für die Widerspruchsbehörde begründet. Die Aufsichtsbehörde sei daher auch im Widerspruchsverfahren auf ihre aufsichtsrechtlichen Befugnisse bei der dem Verpflichtungswiderspruch stattgebenden Entscheidung beschränkt. Allein Pietzner und Ronellenfitsch erwägen die Heranziehung des Kompetenzgedanken für die Begründung einer nur beschränkten Außenentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde: „Andererseits ließe sich argumen149

R/Ö § 73 VwGO Rdn. 19; Schapals, 8. 3. 2. 2. 2.; Schütz, NJW 1981, 2785 (2788); Koehler, VwGO § 73 Anm. III. 1; offen gelassen vom V G H BW, ESVGH Bd. 22, 238ff.; P/R § 33 Rdn. 16ff. 150 Schapals, 8.3.2.2.2.; ähnlich Schütz, NJW 1981, 2788. 151 P/R § 33 Rdn. 15. 1 52 Koehler, Anm. I I I . 1.

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tieren, daß § 73 VwGO nur die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Rechtsbehelf „Widerspruch" regele, nicht aber die funktionelle (instanzielle) zum Erlaß bestimmter Verwaltungsakte und diese auch nicht regeln dürfe, weil sich hierauf die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers 153 nicht erstrecke." 154 bb) Zulässigkeit des Widerspruches als Voraussetzung des Devolutiveffektes Umstritten ist auch, ob der Eintritt des Devolutiveffektes die Zulässigkeit des Widerspruchs voraussetzt. aaa) Auffassung der herrschenden Lehre Nach der im Schrifttum ganz überwiegenden Auffassung setzt der Übergang der Entscheidungsbefugnisse auf die Aufsichtsbehörde nach § 73 VwGO die Zulässigkeit des Widerspruchs voraus. 155 Auch hier unterscheiden sich die einzelnen Auffassungen in der Begründung. Nach Pietzner und Ronellenfitsch ergibt sich die Unzuständigkeit der Widerspruchsbehörde zu einer sachlichen Entscheidung über einen unzulässigen Widerspruch aus dem Prinzip der formellen Bestandskraft von Verwaltungsakten nach Ablauf der Widerspruchsfrist. 156 Ausweislich der Regelungen in §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 1 bis 4 VwGO sehe die Verwaltungsgerichtsordnung für den Fall der Fristversäumnis nur die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist vor. Solange deren Voraussetzungen nicht vorliegen, sei die Widerspruchsbehörde von einer Sachentscheidung jedenfalls auf Grundlage des § 73 VwGO ausgeschlossen.157 Nach Hofmann ergibt sich die Unzulässigkeit einer sachlichen Entscheidung über einen verfristeten Widerspruch aus der Rechtsnatur der Widerspruchsfrist als verwaltungsverfahrensrechtlicher, d. h. im weitesten Sinne materieller Präklusionsfrist. Mit deren Ablauf werde der Verwaltungsakt verwaltungsverfahrensrechtlich unanfechtbar. Der von dem Verwaltungsakt in seinen Rechten Betroffene verliere seinen Anspruch auf die sachliche Überprüfung durch die Verwaltung und die Widerspruchsbehörde ihre damit korrespondierende Befugnis über den Widerspruch zu entscheiden. 158 153

Art. 74 Nr. 1 GG „gerichtliches Verfahren". P/R § 33 Rdn. 17. 155 Hofmann, VerwA. Bd. 58 (1967), 64ff., 135ff.; ders. Festschrift für Chr.-Fr. Menger, 605 (617f.); P/R § 33 Rdn. 8ff. (10); Weides, S. 284; Schütz, NJW 1981, 2785 (2786f.); Judick, N V w Z 1984, 356 (358); Kopp, VwGO § 68 Rdn. 9; v. Mutius, Diss. S. 196ff.; Wallerath, D Ö V 1970, 655. 156 Für die entsprechende Rechtsfolge bei Formmängeln vgl. P/R §33 Fußn. 2. 157 p/R § 33 Rdn. 9. 154

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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Schütz 159 begründet seine Auffassung damit, daß die Regelung des § 73 VwGO über die im Widerspruchsverfahren mögliche Entscheidung keine Aussage enthalte. Da die §§ 68ff. VwGO aber jedenfalls auch prozeßrechtlichen Charakter haben, sei es nur konsequent, im Widerspruchsverfahren auch nur die prozeßrechtlich möglichen Entscheidungen zuzulassen. Die Widerspruchsbehörde sei damit nach den §§ 68ff. VwGO verpflichtet, einen nicht statthaften Widerspruch als unzulässig und einen Widerspruch, den sie nicht für begründet erachte als unbegründet zurückzuweisen. Judick 160 verweist darauf, daß der Eintritt des Devolutiveffektes die Einlegung des Widerspruchs voraussetzt. Außerdem habe der Widerspruchsführer die Möglichkeit, die Reichweite der Entscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde durch eine Teilanfechtung auf den angefochtenen Teil zu beschränken. 161 Dann sei es aber auch nur folgerichtig, die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde mit dem entsprechenden Übergangsanspruch des Widerspruchsführers korrespondieren zu lassen. v. Mutius schließlich begründet das Ergebnis zusätzlich mit der beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Widerspruchsverfahren, die sich allein aus dem engen Sachzusammenhang mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ableiten lasse. Die beschränkte Regelungskompetenz gestatte es dem Bundesgesetzgeber lediglich, den im Widerspruchsverfahren tätigen Behörden solche Befugnisse einzuräumen, die erforderlich sind, damit das Widerspruchsverfahren seiner Entlastungs- und Rechtsschutzfunktion gerecht wird. Eine sachliche Entscheidung über einen unzulässigen Widerspruch sei aber zur Gewährleistung dieser Funktionen nicht erforderlich. 162 bbb) Differenzierung

nach der Rechtsprechung

Im grundsätzlichen Gegensatz zu der überwiegenden Literaturmeinung geht die Rechtsprechung davon aus, daß die Unzulässigkeit des Widerspruchs die Sachherrschaft der Widerspruchsbehörde nicht berührt. Diese sei vielmehr berechtigt, auch über den unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch sachlich zu entscheiden. Es bestehe in diesen Fällen lediglich keine Verpflichtung zur Sachentscheidung.163 158

Hofmann. VerwA. Bd. 58 (1967), 161 f.; ders., Festschrift für Chr.-Fr. Menger,

617 f. 159

Schütz, NJW 1981, 2785 (2788). 160 Judick, N V w Z 1984, 356 (358). 161 V g l Weides, S. 259; P/R § 31 Rdn. 23. 162 γ. Mutius, Jura 1979, 672; M/E VerwA Bd. 56 (1965), 290f. 163 BVerwG, DVB1. 1959, 284 (285); DVB1. 1964, 190ff.; BVerwGE 21, 142 (145); D Ö V 1971, 393f.; NJW 1971, 1195; D Ö V 1972, 789f.; D Ö V 1982, 940; BayVBl. 1983, 311 f.; N V w Z 1983,608.

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i e e n i e der Behörden im Widerspruchsverfahren

Von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung nur eine Ausnahme, wenn es sich bei dem angefochtenen Verwaltungsakt um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handelt. 164 Dem verspäteten oder aus anderen Gründen unzulässigen Widerspruch könne nicht zu Lasten des Drittbegünstigten stattgegeben werden. § 70 VwGO vermittle dem begünstigten Dritten mit dem Eintritt der Bestandskraft eine gesicherte Rechtsposition, die ihm nur noch entzogen werden könne, wenn hierfür eine Ermächtigungsgrundlage bestehe. Die Fristbestimmung des § 70 VwGO, die im Zweipersonenverhältnis allein im Interesse der Widerspruchsbehörde bestehe, könne im Falle einer Drittbetroffenheit nicht durch die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung überwunden werden. Anderenfalls könne die Widerspruchsbehörde jeden beliebigen, möglicherweise erst nach Jahren eingelegten Widerspruch zum Anlaß nehmen, freigestellt von den verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- oder Rücknahmebindungen in die Rechtsposition des Dritten einzugreifen. Die Verwaltungsbehörde könne daher auf das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen nur verzichten, wenn Rechte Dritter durch die Entscheidung nicht betroffen sind. Die Bedenken, die das Bundesverwaltungsgericht gegen den Übergang der Entscheidungsbefugnisse bei einem unzulässigen oder unbegründeten Drittwiderspruch hat, resultieren aus der Vorstellung des Bundesverwaltungsgerichtes, daß die Entscheidung nach § 73 VwGO nicht durch die verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmegrundsätze determiniert werden. Wegen dieser Prämisse erscheint es der Rechtsprechung notwendig, zum Schutz des Drittbetroffenen der Verwaltung in diesen Fällen eine Entscheidung nach § 73 VwGO über einen unzulässigen oder unbegründeten 165 Widerspruch zu versagen. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre der Argumentation der Rechtsprechung der Boden entzogen. Der unzulässige Widerspruch führt zur Unanwendbarkeit des § 50 V w V f G 1 6 6 , so daß die Widerspruchsbehörde ihre Entscheidung ohnehin nach den §§ 48, 49 VwVfG treffen müßte. b) Die kompetenzrechtliche

Lösung

Nach der kompetenzrechtlichen Betrachtungsweise kann weder der herrschenden Auffassung zu dem in § 73 VwGO angeordneten umfassenden Devolutiveffekt, noch der einschränkenden Auffassung, die dieser Regelung 164 BVerwG, D Ö V 1969, 142 (143); D Ö V 1982, 860ff.; D Ö V 1982, 940ff.; Hess V G H , HessVG-Rspr. 1970, 26; V G H BW, ESVGH, 22, 99: hier handelte als Ausgangsbehörde eine Selbstverwaltungskörperschaft. 165 Bspw. wegen Fehlens einer drittschützenden Norm; BVerwG, D Ö V 1982, 940 gegen V G H BW GewArch. 1980, 197ff. 166 s. ο. I I 2 c cc bbb.

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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die Befugnis der Widerspruchsbehörde jedenfalls zu einer Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes entnimmt, ohne Bedenken gefolgt werden. Ihrer Rechtsnatur nach sind sowohl der Erlaß des beantragten als auch die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes Maßnahmen zur Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses. Sowohl die materiellrechtliche Ermächtigungsgrundlage als auch die Regelung der instanziellen Zuständigkeiten sind daher verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur. § 73 VwGO kann als Regelung des gerichtlichen Verfahrens daher weder die Widerspruchsbehörde von den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmeregeln freistellen, noch kann er der Widerspruchsbehörde eine von ihren verwaltungsverfahrensrechtlichen Befugnissen abweichende Entscheidungszuständigkeit verleihen. 167 Mit der Bedeutung, die die herrschende Auffassung der Vorschrift des § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO zumißt, wäre diese Bestimmung eine Regelung des Verwaltungsverfahrens. Als prozessuale Bestimmung kann § 73 VwGO dagegen nicht die Rechtsgrundlage für den Übergang der Entscheidungsbefugnisse von der Ausgangsbehörde auf die nächsthöhere Behörde sein. 168 Im gerichtlichen Verfahren versteht man unter einem Devolutiveffekt den dem Rechtsmittel eigenen Übergang der Entscheidungszuständigkeit von einer unteren Instanz auf die nächsthöhere gerichtliche Instanz. Dem Verwaltungsverfahren ist ein derartiger Devolutiveffekt dagegen fremd. Die verwaltungsinterne Kontrolle ist, anders als die gerichtliche Kontrolle, nicht rechtsmittelabhängig. Einwendungen des Betroffenen gegen eine verwaltungsbehördliche Entscheidung sind im Verwaltungsverfahren grundsätzlich nicht Voraussetzung, sondern höchstens der Anlaß für die verwaltungsinterne Kontrolle. aa) Verwaltungsverfahrensrechtliche Entscheidungsbefugnisse der Aufsichtsbehörde Der Inhalt der im Widerspruchsverfahren zulässigen Entscheidungen bestimmt sich daher nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht. Inhaltlich zulässig ist jede Entscheidung im Rahmen der §§ 48ff. VwVfG bzw. der diesen Regelungen vorgehenden spezialgesetzlichen Bestimmungen. Daraus folgt, daß auch eine Verböserung des angefochtenen Verwaltungsaktes zum Nachteil des Widerspruchsführers in den Grenzen der §§ 48, 49 VwVfG statthaft ist. 1 6 9 Für die Rechtsstellung eines Drittbetroffenen ist § 50 VwVfG 167

Trzaskalik, Diss. S. 46ff.; Renck, JuS 1980, 28 (30). Im Ergebnis sind damit die Überlegungen von Pietzner und Ronellenfitsch, P/R § 33 Rdn. 17 zutreffend, wonach sich die Regelung der instanziellen Zuständigkeiten nicht in der Verwaltungsgerichtsordnung befinden können; s. o. I I I 2 a aa bbb. 169 BVerwG, N V w Z 1987, 215 (216). 168

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einschlägig. Da diese Vorschrift die Zulässigkeit des Widerspruchs und grundsätzlich auch dessen Begründetheit voraussetzt, erhält auch nach der kompetenzrechtlichen Betrachtungsweise die Differenzierung des Bundesverwaltungsgerichts zwischen Verwaltungsakten im Zweipersonenverhältnis und Verwaltungsakten mit Drittwirkung ihre Berechtigung. 170 Einem unzulässigen oder unbegründeten Widerspruch kann eine Verwaltungsbehörde nur in den Grenzen der §§ 48, 49 VwVfG zum Nachteil eines Dritten abhelfen. Zu beachten ist aber, daß diese Feststellungen allein die materiell zulässige Entscheidung der Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde betreffen. Wie der zulässige materielle Gehalt des Widerspruchsbescheides sind auch die sachlichen, örtlichen und instanziellen Zuständigkeiten für die Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses durch diese Entscheidung den organisationsrechtlichen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechtes zu entnehmen. Nach verwaltungsverfahrensrechtlichen Organisationsrecht liegt die Befugnis zum Erlaß eines Verwaltungsaktes grundsätzlich bei der unteren Verwaltungsinstanz. Entsprechendes gilt auch für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, da die Zuständigkeit zur Rücknahme oder zu dem Widerruf eines Verwaltungsaktes nur aus einer Annexkompetenz zu der Erlaßzuständigkeit abgeleitet werden kann. 1 7 1 Nach den verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen ist die Aufsichtsbehörde auf ihre aufsichtsrechtlichen Remonstrations- und Anweisungsbefugnisse beschränkt. Folgerichtig müßte die Aufsichtsbehörde auch in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde für die Durchsetzung ihrer Einschätzung der Sach- und Rechtslage auf die aufsichtsrechtlichen Direktionsbefugnisse verwiesen werden. Dies gilt jedenfalls insoweit, als - wie im Regelfall - im Widerspruchsverfahren die von der herrschenden Meinung anerkannten Voraussetzungen für ein Selbsteintrittsrecht der nächsthöheren Behörde nicht vorliegen. 172 Nach den positivrechtlichen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechtes ist die Aufsichtsbehörde bei ihrer Entscheidung nach § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO somit weder zu einer Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes noch zum Erlaß des mit dem Verpflichtungswiderspruch beantragten Verwaltungsaktes berechtigt. Sie kann danach ihre Rechtsansicht gegenüber der Ausgangsbehörde nur durch eine inhaltlich dem Ergebnis der Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle entsprechende Anweisung durchsetzen. Die Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses entsprechend der aufsichtsbehörd170

Vgl. oben a bb. Weides, S. 282f. 172 Zu diesen Voraussetzungen vgl. Engel, DVB1. 1982, 757ff.; Brunner, D Ö V 1969, 773ff.; Stelkens, SBL § 44 VwVfG Rdn. 28.; in diesen Zusammenhang gehören auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes, N V w Z 1987, 216, das im Ergebnis inkonsequent von einem Selbsteintrittsrecht der Widerspruchsbehörde aufgrund der §§ 68, 73 VwGO ausgeht. 171

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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liehen Anweisung bleibt dagegen der Ausgangsbehörde als der verwaltungsverfahrensrechtlich allein zuständigen Instanz vorbehalten. bb) Die aufsichtsrechtliche Anweisung als Widerspruchsbescheid Nach den positivrechtlichen Regelungen des Verwaltungsverfahrens müßte die Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als zweitinstanzliches Kontrollorgan bei einem zulässigen und begründeten Anfechtungswiderspruch die Ausgangsbehörde anweisen, den angefochtenen Verwaltungsakt aufzuheben und bei einem Verpflichtungswiderspruch die Ausgangsbehörde verpflichten, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen. aaa) Vereinbarkeit mit den Vorschriften der VwGO und der Funktion des Widerspruchsverfahrens Die hier vertretene Auffassung von der Beschränkung der Entscheidungsbefugnisse der Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde stellt sich in einen ausdrücklichen Gegensatz zu der ganz herrschenden Auffassung, die aus der Regelung des § 73 VwGO den als Devolutiveffekt bezeichneten Übergang aller Entscheidungsbefugnisse von der Ausgangsbehörde auf die Widerspruchsbehörde entnimmt. Sie führt dazu, daß es sich bei der Frage nach den Entscheidungsbefugnissen der Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde nicht in erster Linie um ein materiellrechtliches, sondern um ein Zuständigkeitsproblem handelt. Wie bereits gezeigt, entspricht ihre Folge der für den Verpflichtungswiderspruch vertretenen Mindermeinung, die für diesen Fall eine Erlaßbefugnis der Widerspruchsbehörde nur im Rahmen der verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen über die instanzielle Zuständigkeit bejahen will. 1 7 3 Auch die herrschende Auffassung hat jedenfalls keine Bedenken dagegen, daß die Widerspruchsbehörde anstatt einen beantragten Verwaltungsakt selbst zu erlassen, dem Widerspruch im Wege der aufsichtsrechtlichen Anweisung abhilft. 174 Diese fast durchgängige 175 Praxis widerspricht nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes und weiter Teile der Literatur nicht dem Wortlaut des § 73 VwGO, der zwar eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde über den Widerspruch, nicht dagegen eine bestimmte Form oder einen bestimmten Inhalt des Widerspruchsbescheides vorschreibt. 176 Etwas anderes 173

s. o. 2a aa bbb. * 7 4 Bull, DVB1. 1970, 243ff.; Meister, D Ö V 1985, 146ff.; P/R § 33 Rdn. 18 m.w.N. Vgl. P/R § 33 Rdn. 18. 176 BVerwGE 37, 47 (52), mit zustimmender Anmerkung von Bull, DVB1. 1971, 581 ff.; P/R § 33 Rdn. 18; Kopp, VwGO § 73 Rdn. 7; Weides, S. 246f.; R/Ö § 73 12 Oerder

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ergibt sich auch nicht aus den übrigen Regelungen im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung. § 73 Abs. 3 VwGO sieht zwar für den Widerspruchsbescheid prozessual die Begründung, die Zustellung und die Rechtsmittelbelehrung vor. § 71 VwGO geht davon aus, daß der Widerspruchsbescheid eine Beschwer für einen Dritten enthalten kann. Nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwGO kann der Widerspruchsbescheid auch alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein. Diese Regelungen behalten aber auch dann ihren Sinn, wenn der Widerspruchsbescheid als aufsichtsrechtliche Anweisung ergeht die noch des Vollzuges durch die angewiesene Ausgangsbehörde bedarf. Selbst wenn man diesen Regelungen die gesetzgeberische Vorstellung entnimmt, daß der Widerspruchsbescheid als Verwaltungsakt mit unmittelbarem Regelungsgehalt ergeht, kann dies - ähnlich der Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO über die Zulässigkeit einer reformatio in peius - nur vorbehaltlich der verwaltungsverfahrensrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Außenrechtsentscheidung gelten. Auch die Hauptfunktion des Widerspruchsverfahrens, als Filter vor dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu der Entlastung der Verwaltungsgerichte beizutragen, gebietet nicht die Annahme, die Widerspruchsbehörde müsse über den Widerspruch in Form eines Verwaltungsaktes mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber dem Bürger entscheiden. Der Entlastungsfunktion des Widerspruchsverfahrens wird in gleicher Weise Rechnung getragen, wenn die Aufsichtsbehörde ihre Einschätzung der Sach- und Rechtslage durch eine entsprechende Anweisung an die Erlaßbehörde durchsetzt. 177 Es kann damit festgestellt werden, daß eine Beschränkung der Befugnisse der nach § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO zuständigen Widerspruchsbehörde auf den Erlaß einer aufsichtsrechtlichen Anweisung weder den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren noch der Primärfunktion dieses Verfahrens widerspricht. bbb) Materielle Gestaltung des Widerspruchsbescheides (1) Notwendigkeit einer abschließenden Entscheidung Zunächst ist eine klarstellende Feststellung erforderlich. Eine Beschränkung der nach § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO zur zweitinstanzlichen Entscheidung über den Widerspruch zuständigen Verwaltungsinstanz auf ihre aufsichtsrechtlichen Befugnisse befreit diese Behörde nicht von ihrer prozessuaVwGO Rdn. 19, vgl. auch BVerwG, D Ö V 1982, 283f.; kritisch, Knack VwVfG § 79 Anm. 10. 2. 2. f. 177 Vgl. P/R § 33 Rdn. 18, der auch aus der von ihm angenommenen Rechtsschutzund Kontrollfunktion des Widerspruchsverfahrens keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der aufsichtsrechtlichen Anweisung durch die Widerspruchsbehörde ableitet.

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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len Verpflichtung, eine eigene endgültige und letztverbindliche Entscheidung über den Widerspruch zu treffen. Aus der insoweit eindeutigen Regelung des § 73 VwGO ergibt sich, daß die Entscheidung der Widerspruchsbehörde in jedem Fall einen für das Verwaltungsverfahren abschließenden Charakter haben muß. Die Widerspruchsbehörde darf der angewiesenen Ausgangsbehörde im Umfang ihrer eigenen Kontrollbefugnisse keinen Entscheidungsspielraum mehr belassen.178 Eine Zurück Verweisung analog § 130 VwGO, wie sie in der Vergangenheit verschiedentlich vertreten wurde, 179 ist daher im Widerspruchsverfahren grundsätzlich unzulässig. Sie widerspräche dem Sinn und Zweck des Widerspruchsverfahrens. 180 Der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung hat klargestellt, daß das Widerspruchsverfahren seine Aufgaben nur erfüllen kann, wenn regelmäßig die nächsthöhere Behörde über den Widerspruch entscheidet. 181 Mit dieser Entscheidung über den Widerspruch kann in diesem Zusammenhang nur die abschließende Entscheidung gemeint sein. 182 Ein Verstoß der Widerspruchsbehörde gegen ihre prozessuale Verpflichtung zum Erlaß einer endgültigen Entscheidung, macht den Bescheid der angewiesenen Ausgangsbehörde nicht materiell rechtswidrig. Sie berechtigt den Widerspruchsführer lediglich zu einer isolierten Anfechtung des Widerspruchsbescheides wegen des Verstoßes gegen eine wesentliche Vorschrift über das Widerspruchsverfahren nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO. Diese Anfechtung führt dazu, daß die Widerspruchsbehörde ein zweites Mal - und dieses Mal endgültig - über den Widerspruch entscheiden muß. 1 8 3 (2) Materieller Inhalt der Anweisung Für den materiellen Inhalt der Anweisung der Widerspruchsbehörde gelten die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen. Die Aufsichtsbehörde kann die Ausgangsbehörde nur zu denjenigen Maßnahmen bei 178

Anders, wenn - wie in den Fällen des § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VwGO - die Widerspruchsbehörde keine umfassende Kontrollbefugnis hat. ™ Vgl. O V G Münster, O V G E 10, 87 (88); Koehler, VwGO § 73 Anm. III. 1; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit §§ 69-73 Anm. I I I . 1. 180 Vgl. O V G Rhpf., AS 9,407 (408f.); Allesch, Diss. S. 153; P/R § 33 Rdn. 25; Bull, DVB1. 1970, 247f. ; v. Mutius, Jura 1979, 672. 181 Amtl. Begr. des Reg.-entwurfes, BT-Drs. III/ 55, S. 38 zu § 70 EVwGO. 182 Ygi a u c h BVerwGE 37, 47 (52), wonach die Anweisung der Aufsichtsbehörde an die Ausgangsbehörde, den mit dem Verpflichtungswiderspruch begehrten Wohngeldbescheid zu erlassen, als ausreichende Entscheidung i.S.v. § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO anzusehen ist, da der Ausgangsbehörde nach der Anweisung ein eigener Entscheidungsspielraum nicht mehr verblieb, ihre Aufgabe lediglich darin bestehen sollte, das dem Widerspruchsführer durch die Widerspruchsbehörde zugesprochene Wohngeld zu errechnen und zu bewilligen; vgl. auch die zustimmende Anmerkung von Bull, DVB1. 1971, 581 ff. 183

12*

Z u der Regelung des § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO vgl. oben A I 2.

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der Konkretisierung des Verwaltungsrechtsverhältnisses anweisen, zu denen die Ausgangsbehörde nach materiellem Recht, insbesondere nach den verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerrufs- und Rücknahmebestimmungen befugt ist. Da die prozessualen Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung die Aufsichtsbefugnisse der nächsthöheren Behörde nicht erweitern können, gilt dies auch für die Anweisungen, die die Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde erläßt. Die Aufsichtsbehörde kann daher die ihr nachgeordnete Behörde nur in den Grenzen der §§ 48, 49 VwVfG anweisen, die mit dem Widerspruch angefochtene Verwaltungsentscheidung zum Nachteil des Widerspruchsführers zu verbösern. Da der Erlaß einer aufsichtsrechtlichen Anweisung nicht einmal die Einlegung eines Widerspruchs voraussetzt, wird sie grundsätzlich auch nicht durch die Zulässigkeit des Widerspruchs bedingt. Auf den Umfang der Anweisungsbefugnis der Aufsichtsbehörde kann die Einlegung oder die Zulässigkeit des Widerspruchs nur dann Auswirkungen haben, wenn sich diese aus dem materiellen Recht oder aus Verwaltungsverfahrensrecht ergeben. 184 (3) Einschränkung der Entscheidungsbefugnisse Hinsichtlich der Entscheidungsbefugnisse der Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde können sich jedoch Einschränkungen aus dem zwischen der vorgesetzten und der nachgeordneten Behörde bestehenden Aufsichtsverhältnis ergeben. Wird in den Fällen des § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VwGO nicht die Selbstverwaltungskörperschaft, sondern eine andere Verwaltungsinstanz als Widerspruchsbehörde tätig, dann ergibt sich der Umfang der Kontrollbefugnis aus dem jeweiligen Errichtungsgesetz. Fällt die Selbstverwaltungskörperschaft als Gemeinde oder als Kreis unter die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 GG, dann ist die Widerspruchsbehörde trotz des Wortlautes des § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt. 185 Art. 28 Abs. 2 GG bezweckt den Schutz der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände und verbietet es dem Gesetzgeber, die Gemeinden bei der Ausführung ihrer Selbstverwaltungsangelegenheiten einer Zweckmäßigkeitskontrolle zu unterwerfen. Diese verfassungsrechtliche Einschränkung der Kontrollbefugnisse besteht in den Fällen des § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzlich nicht. 1 8 6 Da 184 So ζ. Β. für den Ausschluß des Vertrauensschutzes eines Drittbetroffenen nach § 50 VwVfG, da diese Bestimmung auch für die Anweisung der Widerspruchsbehörde die Zulässigkeit und regelmäßig auch die Begründetheit des Widerspruchs voraussetzt (s. ο. I I 2 c cc) oder für die Frage, ob einer Verböserung des Ausgangsbescheides ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen entgegen steht. iss Weides, S. 216; P/R § 28 Rdn. 17; R/Ö § 73 Rdn. 2; E/F § 73 Rdn. 3; vgl. auch Petz, JA 1987, 331. 186 Weides, S. 216; P/R § 28 Rdn. 17; R/Ö § 73 Rdn. 2.

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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jedoch die Ausgestaltung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens in die Kompetenz des für das Verwaltungsverfahren zuständigen Gesetzgebers fällt, kann die Verwaltungsgerichtsordnung der nach dieser Vorschrift als Widerspruchsbehörde zuständigen Aufsichtsbehörde jedenfalls im Anwendungsbereich von Landesverwaltungsverfahrensrecht keine von ihren allgemeinen Ingerenzrechten abweichende Befugnisse verleihen. Diese Feststellung ist unproblematisch, soweit die Aufsichtsbehörde auch außerhalb des Widerspruchsverfahrens zu einer umfassenden Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle befugt ist. Bedeutsam ist sie jedoch* wenn die Aufsichtsbehörde bei der Kontrolle der Ermessensausübung oder der Ausfüllung von Beurteilungsspielräumen durch die Ausgangsbehörde eingeschränkt ist. So unterliegt in Nordrhein-Westfalen die Erlaßbehörde bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben nach Weisung nur einer eingeschränkten Zweckmäßigkeitskontrolle. 187 Zweck dieser Vorschriften ist es, der ausführenden Behörde ein bestimmtes Maß an Selbständigkeit bei der Erfüllung dieser Aufgaben zu sichern. 188 Wollte man aus § 73 VwGO i. V. m. 68 Abs. 1 S. 1 VwGO entnehmen, daß die Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren diesen aufsichtsrechtlichen Beschränkungen nicht unterliegt und damit zu einer umfassenden Recht- und Zweckmäßigkeitsaufsicht berechtigt ist 1 8 9 , so würde der Zweck, den der Gesetzgeber bei der Einführung der Sonderaufsicht verfolgte, unterlaufen. Die Aufsichtsbehörde kann daher auch im Widerspruchsverfahren nur insoweit entscheiden, als die Voraussetzungen für die Sonderaufsicht vorliegen. 190 Eine weitere Einschränkung der aufsichtsrechtlichen Ingerenzrechte der nach § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO zuständigen Behörde kann sich ergeben, wenn der Verwaltung bei ihrer Tätigkeit ein Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht. Zwar kann die Aufsichtsbehörde grundsätzlich auch die sachgerechte Ausübung eines solchen Beurteilungsspielraumes durch die nachgeordnete Behörde voll überprüfen, da diese Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit verwaltungsbehördlicher Entscheidungen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch mehrfach zutreffend festgestellt, daß auch für die übergeordnete Behörde eine Einschränkung der Kontrolldichte aus dem den Beurteilungsspielraum einräumenden Sachgesetz oder sogar ohne besondere gesetzliche Anordnung aus der Natur des zu beurteilenden Sachverhaltes resultieren kann. 1 9 1 In einer Entscheidung vom 16. 2. 1981 hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, daß die nähere Ausgestaltung des Prüfungsumfanges landesi* 7 Art. 78 Abs. 4 Verf. /NW und § 9 OBG/NW. Das gilt insbesondere, wenn die Pflichtaufgabe von einer Gemeinde erfüllt wird, vgl. Geller-Kleinrahm-Fleck, Art. 78 LVerf/NW Anm. 8 m.w.N. 189 So z. b. Kopp, V W G O § 73 Rdn. 19. 190 Im Ergebnis auch Weides, S. 247; Renck, JuS 1980, 28 (30); wohl auch Bull, DVB1. 1970, 243 (248f.). 191 BVerwG, D Ö V 1985, 79; BVerwGE 57, 130 (145ff.); NJW 1988, 2632. 188

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der Behörden im Widerspruchsverfahren

behördlicher Prüfungsausschüsse Sache der Länder ist und daher nicht den §§ 68ff. VwGO entnommen werden kann. 1 9 2 Ist nach dem jeweiligen Sachgesetz oder nach der Natur des zu beurteilenden Sachverhaltes allein die Ausgangsbehörde zur Beurteilung berufen, so wird damit auch die Widerspruchsbehörde von einer eigenen Beurteilung ausgeschlossen.193 In diesen Fällen kann eine Anweisung der Aufsichtsbehörde nicht die Beurteilung der Ausgangsbehörde ersetzen oder auch nur modifizieren. (4) Sonstige materiellrechtliche Beschränkungen Die Bindung der Widerspruchsbehörde an die materiellrechtlichen Regelungen außerhalb der §§ 68ff. VwGO gilt naturgemäß auch für die übrigen materiellen Voraussetzungen einer aufsichtsbehördlichen Weisung. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1986 klargestellt, daß die Widerspruchsbehörde, anders als das Gericht, nicht befugt ist, sich im Widerspruchsbescheid über ein erforderliches aber fehlendes Einverständnis einer Gemeinde hinwegzusetzen. Das Gericht hat hierzu festgestellt, daß die Regelung in § 36 Abs. 1 S. 1 BBauG, nach der die untere Bauaufsichtsbehörde über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach den §§33 bis 35 BBauG im Einvernehmen mit der zuständigen Gemeinde entscheiden muß, auch für die Entscheidung der Widerspruchsbehörde gilt. 1 9 4 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil, entsprechend den Formulierungen zur reformatio in peius, 195 dargelegt, daß die Widerspruchsbehörde, solange das erforderliche gemeindliche Einverständnis fehlt, dem Widerspruch nicht abhelfen könne, es sei denn, ihr ist durch die Vorschriften des anzuwendenden materiellen Rechts und seiner Zuständigkeitsvorschriften eine weitergehende Befugnis zur Entscheidung in der Sache eingeräumt, als der Erstbehörde. 196

c) Möglichkeit eines beschränkten Selbsteintrittsrechtes der Aufsichtsbehörde Obwohl sich auch aus den Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung über das Widerspruchsverfahren eine Befugnis der Widerspruchsbehörde zu einer unmittelbaren Gestaltung des Verwaltungsrechtsverhältnisses nicht 192 BVerwG, Buchholz 310 § 68 Nr. 26. 1 93 BVerwG Buchholz 421. 0 Nr. 98: bejaht für das Prüfungswesen; BVerwGE 57, 130ff.: hier nur eine faktische Beschränkung der Überprüfbarkeit von Notenfestsetzungen bei der juristischen Staatsprüfung; BVerwG, DVB1. 1985, 57ff.: bejaht für die beschränkte Kontrolle einer Entscheidung des Prüfungsausschusses der I H K ; vgl. auch BVerwG D Ö V 1985, 79f. und BayVGH, BayVBl. 1982, 405 (406). 194 BVerwG, N V w Z 1986, 556f. 195 Vgl. oben Β I I 3 b bb. 196 BVerwG, N V w Z 1986, 557 m.w.N.

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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ergeben kann, ist doch die Frage zu stellen, ob sich nicht nach materiellem Verwaltungsrecht i.w.S. ein Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde bejahen läßt. Immerhin geht nunmehr seit einem Viertel Jahrhundert die ganz herrschende Ansicht von einer derartigen Außenentscheidungsbefugnis der Widerspruchsbehörde aus. 197 Selbst diejenigen Autoren, die die Heranziehung des § 73 VwGO als materielle Ermächtigungsgrundlage und Bestimmung der instanziellen Zuständigkeit ablehnen, nehmen an, daß die Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren berechtigt ist, jedenfalls einem zulässigen und begründeten Widerspruch selbst abzuhelfen, mithin durch eine Außenrechtsentscheidung das Verwaltungsrechtsverhältnis zu konkretisieren. 1 9 8 Obwohl sich das mit den Gesetzgebungsmaterialien nicht eindeutig belegen läßt, 1 9 9 ist der Gesetzgeber selbst wohl auch davon ausgegangen, daß der Widerspruchsbescheid grundsätzlich in Form einer Außenrechtsentscheidung ergeht. aa) Ableitung von Trzaskalik Nach Trzaskalik 200 ergibt sich die Berechtigung der Widerspruchsbehörde, im Außenverhältnis tätig zu werden, aus ihrer prozessualen Stellung im Widerspruchsverfahren. Im Rahmen des durch die §§ 68ff. VwGO begründeten Rechtsverhältnisses zwischen dem Widerspruchsführer und der Widerspruchsbehörde könne die Aufsichtsbehörde die ihr nach materiellem Recht zustehende Berechtigung, die Akte der Unterbehörde zu kontrollieren und zu korrigieren, dem Widerspruchsführer gegenüber ausüben, wenn die prozessuale Lage ein materielles Handeln erfordere. Bei der Überprüfung der Reichweite der Selbsteintrittsbefugnisse gelangt Trzaskalik zu dem Ergebnis, daß der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren durch den Widerspruch ein nahezu unbeschränktes Selbsteintrittsrecht erwächst. 201 Diese Ableitung der Außenentscheidungsbefugnis ist jedoch Bedenken ausgesetzt. Fraglich ist bereits, weshalb die Widerspruchsbehörde durch einen außenwirkenden Bescheid in Rechte Dritter eingreifen kann, obwohl dieser an der Entstehung des ProzeßrechtsVerhältnisses nicht beteiligt war. Hierzu läßt sich immerhin noch die Auffassung vertreten, die Einbeziehung des Dritten in das Prozeßrechtsverhältnis werde durch die Regelung des § 71 VwGO 197

s. ο. Β I I I 2 a. 198 Trzaskalik, Diss. S. 48; Renck, JuS 1980, 28 (30). i " Vgl. z. b. Koehler, VwGO § 73 Anm. III. 1, der an den Beratungen des Bundestagsrechtsausschusses über die VwGO beteiligt war, aber in seiner Kommentierung die Auffassung vertritt, die Widerspruchsbehörde könne einem Verpflichtungswiderspruch nur im Rahmen ihrer instanziellen Verwaltungszuständigkeiten selbst abhelfen. 200 Trzaskalik, Diss. S. 48. 2 °i Trzaskalik, JZ 1983, 419.

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der Behörden im Widerspruchsverfahren

bewirkt, nach der der Dritte vor dem Erlaß des Widerspruchsbescheides gehört werden soll. Nicht aufgeklärt werden kann aber auf Grundlage dieser Auffassung, wieso auch ein unzulässiger Widerspruch eine Außenrechtsentscheidungsbefugnis der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren begründen können soll. Trzaskalik, der diese Frage bejaht, 2 0 2 muß sich fragen lassen, wie die prozessuale Lage ein materielles Handeln erfordern kann, wenn die Widerspruchsbehörde berechtigt ist, den Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen und dadurch dem Widerspruchsführer die Möglichkeit der Klage zu nehmen. In diesem Fall kann eine materielle Entscheidung allein aus materiellen, nicht aber aus prozessualen Gründen erforderlich sein. Ihre Auffassung hinsichtlich der materiellen Rechtslage kann die Aufsichtsbehörde, wie im allgemeinen Aufsichtsverfahren, mit der Anweisung durchsetzen. Entscheidend gegen die Ableitung einer Außenentscheidungsbefugnis aus dem Prozeßrechtsverhältnis spricht auch, daß sie im Ergebnis dazu führt, den Vorschriften im achten Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung doch eine - jedenfalls mittelbare - materielle Bedeutung beizumessen.203 bb) Ableitung aus Gewohnheitsrecht Will man der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren eine Außenentscheidungsbefugnis zubilligen, obwohl hierfür nach den positivrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften keine Grundlage besteht, dann läßt sich dies wohl nur mit Gewohnheitsrecht begründen. 204 Auf den ersten Blick erscheint die Begründung der Außenentscheidungsbefugnis mit Gewohnheitsrecht bedenklich, da sie den positivrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen widerspricht. Es lassen sich jedoch einige überzeugende Gründe für diese Ableitung anführen, wenn man den Entscheidungsumfang bei der Außenentscheidungsbefugnis beschränkt. Die Annahme der Befugnis der Aufsichtsbehörde, einem zulässigen und begründeten Widerspruch durch die Aufhebung oder den Erlaß eines Verwaltungsaktes stattzugeben, entspricht seit Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung der herrschenden Auffassung. Sie ist im Grundsatz nie Gegenstand einer gerichtlichen Untersuchung geworden und wird, wie bereits erwähnt, selbst von denjenigen Autoren vertreten, die in den §§ 68ff. VwGO keine Regelungen des Verwaltungsverfahrens sehen. 205 202 JZ 1983, 415 (419). 203 Renck, JuS 1980, 28 (30). 204 So Renck, JuS 1980, 28 (30). 205 Vgl. Trzaskalik, Diss. S. 47f.; Renck, JuS 1980, 28 (30); vgl. auch BVerwGE 51, 310ff.; D Ö V 1982, 940ff. und N V w Z 1987, 215 (216), wo die landesgesetzlichen

III. Die Sachentscheidungsbefugnisse der Widerspruchsbehörde

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Eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines beschränkten Selbsteintrittsrechtes der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren läßt sich auch mit dem Hinweis auf die Vorläufer der Verwaltungsgerichtsordnung begründen. 2 0 6 Nach den nahezu wortgleichen Regelungen in § 47 M R V O Nr. 165 und § 41 V G G blieben die Befugnisse der übergeordneten Behörde, den Verwaltungsakt der nachgeordneten Behörde von Amts wegen oder auf Antrag (Aufsichtsbeschwerde) abzuändern oder aufzuheben, durch die Vorschriften über das Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren unberührt. Damit gingen offensichtlich bereits die Vorläufer der Verwaltungsgerichtsordnung von einem gewissen Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörde aus. 207 Für die Anerkennung einer Außenentscheidungsbefugnis der Aufsichtsbehörde in ihrer Eigenschaft als Widerspruchsbehörde sprechen auch Zweckmäßigkeitserwägungen, sofern es sich um die widerspruchsbezogene Aufhebung eines noch nicht vollzogenen oder den Erlaß eines mit dem Verpflichtungswiderspruch begehrten Verwaltungsaktes handelt, der keine besonderen Vollzugshandlungen erfordert. Billigt man in diesen Fällen der Aufsichtsbehörde das Recht zu einer unmittelbaren Außenrechtsentscheidung zu, dann gelangt der Widerspruchsführer schneller zu seinem Recht, als wenn man die Widerspruchsbehörde auf den Erlaß einer entsprechenden Anweisung an die Ausgangsbehörde beschränkt. Entscheidend für die gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines beschränkten Selbsteintrittsrechtes spricht aber eine bereits von Trzaskalik vorgebrachte Erwägung. Zu der Frage, ob es sich bei der Außenentscheidung der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren um einen Verstoß gegen das Verbot des Selbsteintrittes der übergeordneten Behörde handelt, führt er aus: „Die Tätigkeit der Aufsichtsbehörde im Widerspruchsverfahren ist kein (Anm. des Verf.: unzulässiger) Selbsteintritt. Die Lehre vom Verbot des Selbsteintritts der nächsthöheren Behörde ist für andere Zwecke geschaffen. Sie betrifft ausschließlich Fälle, in denen die höhere Behörde die Aufgabe der unteren Behörde von sich aus an sich zieht, wie das Preußische O V G formulierte. Die Widerspruchsbehörde greift nicht willkürlich in den Geschäftsbereich der Erstbehörde ein, sie handelt nur dann, wenn eine Klage angedroht ist." 2 0 8

Zuständigkeitsbestimmungen nur für die Frage nach der Zulässigkeit einer r.i.p. oder der Entscheidung über einen unzulässigen Widerspruch herangezogen werden. 2