Außergerichtliche Vorverfahren im Verwaltungsrecht: Das Widerspruchsverfahren im allgemeinen Verwaltungsrecht, das Einspruchsverfahren im Steuerrecht und das Widerspruchsverfahren im Sozialrecht [1 ed.] 9783428552917, 9783428152919

Das Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht ist durch eine Unterteilung in allgemeines Verwaltungs-, Steuer-

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Außergerichtliche Vorverfahren im Verwaltungsrecht: Das Widerspruchsverfahren im allgemeinen Verwaltungsrecht, das Einspruchsverfahren im Steuerrecht und das Widerspruchsverfahren im Sozialrecht [1 ed.]
 9783428552917, 9783428152919

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1395

Außergerichtliche Vorverfahren im Verwaltungsrecht Das Widerspruchsverfahren im allgemeinen Verwaltungsrecht, das Einspruchsverfahren im Steuerrecht und das Widerspruchsverfahren im Sozialrecht

Von

Anna Sophie Poschenrieder

Duncker & Humblot · Berlin

ANNA SOPHIE POSCHENRIEDER

Außergerichtliche Vorverfahren im Verwaltungsrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1395

Außergerichtliche Vorverfahren im Verwaltungsrecht Das Widerspruchsverfahren im allgemeinen Verwaltungsrecht, das Einspruchsverfahren im Steuerrecht und das Widerspruchsverfahren im Sozialrecht

Von

Anna Sophie Poschenrieder

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15291-9 (Print) ISBN 978-3-428-55291-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85291-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Die bis Mitte 2018 erschienene Literatur wurde berücksichtigt. Die Auswirkungen des Inkrafttretens der Datenschutz-Grundverordnung wurden in die Arbeit eingepflegt. Mein herzlicher Dank gilt zuallererst meinem Doktorvater, Univ.-Prof. Dr. Markus Heintzen. Er hat mich an seinem Lehrstuhl beschäftigt, das Thema angeregt, das Fortschreiten der Arbeit durch stetiges Besprechen einzelner Abschnitte vorangetrieben und das Erstgutachten zügig erstellt. Außerdem konnte ich während der Promotionszeit und darüber hinaus auf seine wissenschaftliche und berufliche Unterstützung bauen. Für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Univ.-Prof. Dr. Thorsten Siegel. Für ihre kollegiale Unterstützung möchte ich Dr. Sebastian Schwarz, ­ ngela-Sophie Mitry-Rinnert, Talita Wüst, Michael Feldner, Daniela Kaluza, A Tobias Nolde und Timon El-Sherif danken. Ich freue mich, dass sich unsere Lebenswege beruflich und freundschaftlich nach wie vor kreuzen. Außerdem haben Hon.-Prof. Dr. Susanne Tiedchen, Priv.-Doz. Dr. Ariane Berger und Jun.-Prof. Dr. Lutz Lammers meine Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bereichert. Ihnen bin ich ebenfalls zu Dank verpflichtet. Die Bedeutung von Bildung haben mir meine Mutter und mein zu früh verstorbener Vater von Kindesbeinen an nahegelegt. Ich danke ihnen dafür, dass ich Lernen stets als etwas Freudiges empfunden habe. Ohne diese Freude wäre die Dissertation sicherlich nicht zustande gekommen. Mein besonderer und aufrichtiger Dank gilt Jascha Amery. Seine geduldige, beständige und uneingeschränkte Unterstützung haben mir die nötige Zuversicht für die Erstellung der Arbeit gegeben. Ihm ist diese Arbeit gewidmet.

Anna Sophie Poschenrieder

Inhaltsverzeichnis Einleitung 

23

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Abgrenzung zu spezielleren außergerichtlichen Vorverfahren im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der außergerichtlichen Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Vereinheitlichungspotential und -bedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Erster Teil

Entstehung und Entwicklung der außergerichtlichen Vorverfahren 

31

A. Entwicklungen des Rechtsschutzes in Verwaltungssachen bis 1945 . . . . . . . . I. Rechtsschutz im allgemeinen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsschutz im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsschutz im Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 32 33 35

B. Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren in der heutigen Form  . . . . . I. Verwaltungsgerichte und allgemeines Widerspruchsverfahren . . . . . . . . II. Sozialgerichte und sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . III. Finanzgerichte und Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . .

36 37 38 39

C. Fortentwicklungen der außergerichtlichen Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingedämmtes allgemeines Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vereinheitlichtes Einspruchsverfahren und computerisiertes Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erweitertes sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . .

40 40 41 43

D. Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Verwaltungsprozessordnungen . . . . . 43 E. Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts . . . . . . 46 F. Aktualität von Vereinheitlichungsbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

8 Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil

Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren 

A. Zwecke der außergerichtlichen Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsschutz des Vorverfahrensführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selbstkontrolle der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entlastung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausgleich der Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 50 50 52 53 53

B. Außergerichtliche Vorverfahren zwischen Verwaltungsverfahren und ­Verwaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C. Besonderheiten der drei Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungs- und materiell-rechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . 1. Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeines Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wertungswidersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Massenverwaltung und Notwendigkeit der Verwaltungseffizienz . . . . . .

56 56 58 59 60 61 62

Dritter Teil

Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen 

65

1. Kapitel 

Verfassungsrechtliche Vorgaben für die außergerichtlichen Vorverfahren 

65

A. Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 B. Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 C. Allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzgeberische Entscheidung über das „Ob“ eines Vorverfahrens . . . II. Gesetzgeberische Entscheidung für unterschiedliche Vorverfahren . . . . 1. Art. 95 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheiten der drei Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgestaltung des jeweiligen Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gleichheit zwischen dem Vorverfahrensführer und der Behörde . . . . . . V. Gleichheit im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . VI. Analogie bei der Statuierung unterschiedlicher Vorverfahren . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen der Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen eines Gleichheitsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Analogie und allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Analogie zu Gunsten und zu Lasten des Vorverfahrensführers . . . . .

69 69 71 72 72 73 74 75 75 76 76 77 78

D. Verwaltungsverfahrensrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht . . . . . . . . . . 79

Inhaltsverzeichnis9 I. Einschlägiges Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgleich mit anderen Verfassungsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einzelne verfassungsrechtlich determinierte Verfahrensregelungen . . . . 1. Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79 81 83 83 83 84 84 85 85 87 87

E. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 F. Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 G. Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Kapitel

Gesetzgebungskompetenzen für die außergerichtlichen Vorverfahren 

A. Verwaltungsrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einschlägige Kompetenznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abschaffung des Widerspruchsverfahrens durch den Landesgesetz­ geber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 92 93 95 95

B. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Einschlägige Kompetenznorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 C. Steuerrechtliches Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausführung von Bundessteuergesetzen durch Bund und Länder . . . . . . II. Ausführung von Landessteuergesetzen durch die Länder . . . . . . . . . . . . III. Besonderheit: Kommunalabgaben, Ausführung durch Gemeinden und Landkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98 98 99 100

D. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Kapitel

Unionsrechtliche Vorgaben für die außergerichtlichen Vorverfahren 

102

A. Kein Verbot der Einführung eines Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 B. Grundsätzlich keine Pflicht zur Einführung eines Vorverfahrens . . . . . . . . . . 103 C. Unionsrechtlich determinierte Verfahrensregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

10 Inhaltsverzeichnis Vierter Teil

Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich 

106

1. Kapitel Sachentscheidungsvoraussetzungen der außergerichtlichen Vorverfahren  A. Rechtsbehelfsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fehlender Gleichlauf von materiellem Recht, Verwaltungsverfahrensund Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106 106 107 107 107 107 110

B. Zuständigkeit der Vorverfahrensbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Abhilfe- und Widerspruchsbehörde im allgemeinen Widerspruchs­ verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Abhilfe- und Widerspruchsbehörde im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 III. Einspruchsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Statthaftigkeit des Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzlich vor Anfechtungs- und Verpflichtungsklage . . . . . . . . . . . II. Ausnahmsweise kein Vorverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzlicher Ausschluss des Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidung einer obersten Bundes- oder Landesbehörde . . . . . . . . 3. Vorverfahren gegen die Vorverfahrensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 4. Untätigkeitseinspruch, Untätigkeitsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sprungklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 117 117 118 119 120 120 122 123

D. Beteiligte der Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geborene Beteiligte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hinzugezogene Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weitere Regelungen in § 360 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129 130 130 131

E. Vertretung im Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 F. Vorverfahrensbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einspruchsspezifische Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 133 135 135

G. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Fristdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Inhaltsverzeichnis11 II. Fristbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Berechnung der Frist  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fristwahrung durch Zugang bei empfangszuständigen Behörden . . . . . . 1. Grundsätzliche Erhebung bei der Ausgangsbehörde . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen im allgemeinen Widerspruchsverfahren und im ­Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fiktion der Fristwahrung im sozialrechtlichen Widerspruchs­ verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schriftlich, elektronisch, zur Niederschrift der Behörde . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Vorverfahrensschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138 138 139 139 139 140 141 142 143 144 145 146

I. Ergebnis der Zulässigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Kapitel

Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren 

147

A. Rechtmäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 B. Zweckmäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 C. Reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Reformatio in peius im Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformatio in peius in den Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 150 151 153

D. Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungen in den Verfahrensgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Risikomanagement und vollautomatisches Ausgangsverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollautomatisches außergerichtliches Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitwirkungspflichten der Vorverfahrensführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezifische Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestehende Präklusionsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fälle der Anhörung im Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153 153 154 154 155 155 156 157 158 160 161 162 163 165 165

12 Inhaltsverzeichnis a) Reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Erstmalige Beschwer eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Heranziehen neuer Gründe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 d) Spezialvorschrift des § 204 Abs. 2 SGB IX . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 e) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Ausnahmen von der Anhörungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Ausnahmen im allgemeinen Widerspruchsverfahren und im Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Ausnahmen im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren . . . . . . . 170 c) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 V. Mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage gemäß § 364a AO . . . 172 VI. Gelegenheit zur Teilnahme an der Beweisaufnahme, § 365 Abs. 2 AO . 173 VII. Auskunftsansprüche, Akteneinsicht und Informationszugang . . . . . . . . . 173 1. Auskunftsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Allgemeines Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 d) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Allgemeines Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Sozialverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Zwischenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Finanzverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 e) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Allgemeines und sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . 191 b) Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 VIII. Geheimnis- und Datenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Verarbeitungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Geheimhaltungspflichten in Verfahrensgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 IX. Feststellungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Kapitel

Wirkung der eröffneten Vorverfahren 

A. Aufschiebende Wirkung des eingelegten Vorverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlich aufschiebende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmsweise sofortige Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196 197 198 198 198 200

Inhaltsverzeichnis13 1. Grundsätzlich aufschiebende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmsweise sofortige Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlich sofortige Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmsweise aufschiebende Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlich Übereinstimmung im Regel-Ausnahme-Verhältnis . . . 2. Teilweise Wertungswidersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten . . . . . . . . . . . . . . b) Verwaltungsakte, die laufende Leistungen entziehen oder ­herabsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unzulässige außergerichtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsgestaltende und feststellende Verwaltungsakte, Verwaltungsakte mit Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständige Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ernstliche Zweifel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsnatur der Anordnung der sofortigen Vollziehung . . . . . . . . f) Rechtsnatur der Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . .

200 200 201 202 203 203 204 205 205 207 208 208 208 209 210 211 211

B. Hemmung der Bestandskraft und der Festsetzungsverjährung . . . . . . . . . . . . . 211 4. Kapitel

Beendigung der Vorverfahren 

212

A. Abhilfebescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 B. Widerspruchs- und Einspruchsbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schriftform, Bekanntgabe und Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Widerspruchsbescheid im allgemeinen Verwaltungsrecht  . . . . . . . . . 2. Widerspruchsbescheid im Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einspruchsbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsbehelfsbelehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

214 214 214 215 216 216 218 219

C. Rücknahme des Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 D. Erledigung der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 E. Vorverfahrensbeendigende Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergleichsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatsächliche Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 222 223 224

14 Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel

Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren 

226

A. Verwaltungskosten für die Durchführung des Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungskosten im Bundesgebührengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwaltungskosten in landesrechtlichen Kostenregelungen . . . . . . . . II. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 227 228 229 230 230 231

B. Erstattung der Kosten des Vorverfahrens im isolierten Vorverfahren . . . . . . . I. Allgemeines Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kostenerstattung im Erfolgsfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenerstattung im Falle der Erfolglosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kostenerstattung bei Beendigung auf andere Weise . . . . . . . . . . . . . . II. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kostenerstattung im Erfolgsfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenerstattung im Falle der Erfolglosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kostenerstattung bei Beendigung auf andere Weise . . . . . . . . . . . . . . III. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorverfahren in Regelungsbereichen mit fehlendem Gleichlauf . . . . . . . V. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kommunalabgabenrechtliches Widerspruchsverfahren . . . . . . . . . . . . VI. Materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234 234 234 237 239 239 239 241 241 242 242 243 244 247 248 248

C. Erstattung der Kosten des Vorverfahrens im gerichtlichen Verfahren . . . . . . . I. Verwaltungsgerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kosten des Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenschuldner und Kostengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beendigung des gerichtlichen Verfahrens auf andere Weise . . . . . . . II. Finanzgerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kosten des Vorverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kostenschuldner und Kostengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beendigung des gerichtlichen Verfahrens auf andere Weise . . . . . . . III. Sozialgerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kostenerstattung nach §§ 183 ff. SGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kosten des Widerspruchsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenschuldner und Kostengläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beendigung des gerichtlichen Verfahrens auf andere Weise . . . . 2. Kostenerstattung nach § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 154–162 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251 251 252 253 254 254 255 255 256 257 257 258 259 260 261

Inhaltsverzeichnis15 IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Finanzgerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialgerichtliches Verfahren mit privilegierter Kostenerstattung . . . 3. Gerichtliches Verfahren in Regelungsbereichen mit fehlendem Gleichlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ergebnis und Schlussbetrachtung 

261 261 262 264 266

A. Gleichheitswidrige Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 B. Rechtspolitisch bedenkliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 C. Wortgleiche Regelungen mit unterschiedlicher Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 269 D. Heutige Bedeutung der VwPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 E. Gesetzliche Neuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 F. Tragende Gründe für Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sachentscheidungsvoraussetzungen der außergerichtlichen ­Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beendigung der Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272 273 273 274 274

G. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Abkürzungsverzeichnis AEAO Anwendungserlass zur Abgabenordnung AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AGVwGO Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung AO Abgabenordnung AO-StB Der AO-Steuerberater AöR Archiv des öffentlichen Rechts AStG Außensteuergesetz AufenthV Aufenthaltsverordnung BAföG Bundesausbildungsförderungsgesetz BayAGVwGO Bayerisches Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung BayDSG Bayerisches Datenschutzgesetz BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof BayVwVfG Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz BB Betriebs Berater BBG Bundesbeamtengesetz BbgDSG Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Land Brandenburg BDSG Bundesdatenschutzgesetz BeamtStG Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz) BeckRS Beck online Rechtsprechung BEGGebV Eisenbahnverkehrsverwaltungs-Gebührenverordnung BFH Bundesfinanzhof BFH / NV Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofes BFHE Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofes BfNKostV Kostenverordnung für Amtshandlungen des Bundesamtes für Naturschutz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGebG Gesetz über Gebühren und Auslagen des Bundes (Bundesgebührengesetz)

Abkürzungsverzeichnis17 BImSchV

Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

BK

Bonner Kommentar zum Grundgesetz

BKKG Bundeskindergeldgesetz BlnDSG

Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten in der Berliner Verwaltung

BlnVwVfG

Gesetz über das Verfahren der Berliner Verwaltung

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BR-Drs.

Bundesratsdrucksache

BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BremDSGVOAG

Bremisches Ausführungsgesetz zur EU-Datenschutz-Grundverordnung

BremGebBeitrG

Bremisches Gebühren- und Beitragsgesetz

BremVwVfG

Bremisches Verwaltungsverfahrensgesetz

BSG Bundessozialgericht BSGE

Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BSHG Bundessozialhilfegesetz BStBl.

Bundessteuerblatt

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BVBl.

Bundesversorgungsblatt

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE

Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BVG

Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz)

DJT

Deutscher Juristentag

DÖD

Der Öffentliche Dienst

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DSG LSA

Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger

DSG M-V

Datenschutzgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern

DSG NRW

Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen

DSG SL

Saarländisches Datenschutzgesetz

DSGVO

Verordnung (EU) 2016 / 679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Per­ sonen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum

18 Abkürzungsverzeichnis freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95 /  46 / EG (Datenschutz-Grundverordnung) DStJG

Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft

DStR

Deutsches Steuerrecht

DStRE

Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst

DStZ

Deutsche Steuer-Zeitung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

DVP

Deutsche Verwaltungspraxis

EFG

Entscheidungen der Finanzgerichte

EG

Europäische Gemeinschaft

EGovG

Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Gov­ ernment-Gesetz)

EHKostV

Kostenverordnung zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz und zum Zuteilungsgesetz 2007

EL Ergänzungslieferung EMRK

Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention)

EStG Einkommensteuergesetz EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EVwGG

Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes

EVwPO

Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung

FG Finanzgericht FGO Finanzgerichtsordnung FlurbG Flurbereinigungsgesetz FR Finanz-Rundschau FS Festschrift FVG

Gesetz über die Finanzverwaltung

GebBeitrG

Gesetz über Gebühren und Beiträge (Berlin)

GebG

Gebührengesetz (Hamburg)

GebG NRW

Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen

GebGBbg

Gebührengesetz für das Land Brandenburg

GebOst

Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr

GebVerz IM

Gebührenverzeichnis (Anlage zu § 1 Gebührenverordnung Innenministerium)

GG Grundgesetz GK Gemeinschaftskommentar GKG Gerichtskostengesetz GmS-OGB

Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes

Abkürzungsverzeichnis19 GRCh GWB HbStR HDSIG HmbDSG HVwKostG IFG

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Handbuch des Staatsrechts Hessisches Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz Hamburgisches Datenschutzgesetz Hessisches Verwaltungskostengesetz Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz) INF Die Information über Steuer und Wirtschaft IStR Internationales Steuerrecht JurBüro Das Juristische Büro JuS Juristische Schulung JWG Gesetz für Jugendwohlfahrt JZ Juristenzeitung KAG Kommunalabgabengesetz KG Kammergericht KostG BY Kostengesetz (Bayern) KOVVerfG Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung KStZ Kommunale Steuer-Zeitschrift LDSG BW Landesdatenschutzgesetz Baden-Württemberg LDSG RP Landesdatenschutzgesetz Rheinland-Pfalz LDSG SH Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten LGebG BW Landesgebührengesetz (Baden-Württemberg) LGebG Rhl.-Pf. Landesgebührengesetz (Rheinland-Pfalz) LKV Landes- und Kommunalverwaltung LSG Landessozialgericht LVwG Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein LVwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg m. w. N. mit weiteren Nachweisen MAH Münchner Anwaltshandbuch MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MMR MultiMedia und Recht n. F. neue Fassung NDSG Niedersächsisches Datenschutzgesetz NJW Neue Juristische Wochenschrift NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht

20 Abkürzungsverzeichnis NVwKostG

Niedersächsisches Verwaltungskostengesetz

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZI

Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

OFD Oberfinanzdirektion OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht RAO Reichsabgabenordnung RDG Rechtsdienstleistungsgesetz RGBl.

Reichsgesetzblatt

RKG Reichsknappschaftsgesetz Rn.

Randnummer

Rs.

Rechtssache

RVO Reichsversicherungsordnung SaarlGebG

Gesetz über die Erhebung von Verwaltungs- und Benutzungsgebühren im Saarland

SächsDSG

Gesetz zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung im Freistaat Sachsen

SächsVwKG

Verwaltungskostengesetz des Freistaates Sachsen

SchwbG

Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz)

SeemannsÄKostV

Kostenverordnung für Amtshandlungen der Seemannsämter

SG Sozialgericht SGb

Die Sozialgerichtsbarkeit

SGB Sozialgesetzbuch SGG Sozialgerichtsgesetz SH LVwG

Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein

Slg.

Sammlung

SozR Sozialrecht SRH Sozialrechtshandbuch StBerG Steuerberatergesetz Stbg

Die Steuerberatung (Zeitschrift)

StbJb Steuerberaterjahrbuch SteuerStud

Steuer und Studium

StuW

Steuer und Wirtschaft

Abkürzungsverzeichnis21 StVj Steuerliche Vierteljahresschrift SVR Straßenverkehrsrecht SVwVfG Saarländisches Verwaltungsverfahrensgesetz ThürDSG Thüringer Datenschutzgesetz ThürVwKostG Thüringer Verwaltungskostengesetz ThürVwVfG Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz UIG Umweltinformationsgesetz VBlBW Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg VerwArch Verwaltungsarchiv VerwRspr Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland – Sammlung obergerichtlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof VO Verordnung VR Verwaltungsrundschau VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwKostG LSA Verwaltungskostengesetz des Landes Sachsen-Anhalt VwKostG M-V Verwaltungskostengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern VwKostG SH Verwaltungskostengesetz des Landes Schleswig-Holstein VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz (Bund) VwVfG M-V Verwaltungsverfahrens-, Zustellungs- und Vollstreckungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landesverwaltungsverfahrensgesetz) VwZG Verwaltungszustellungsgesetz WBO Wehrbeschwerdeordnung WoGG Wohngeldgesetz WzS Wege zur Sozialversicherung ZAP Zeitschrift für Anwaltspraxis ZBR Zeitschrift für Beamtenrecht ZEuS Zeitschrift für europarechtliche Studien ZFSH / SGB Zeitschrift für die sozialrechtliche Praxis

Einleitung A. Problemstellung Das Verwaltungsrecht, als Teil des öffentlichen Rechts, besteht aus den Rechtsnormen, die speziell für die Verwaltung, also die Verwaltungstätigkeit, das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsorganisation, gelten.1 Das allgemeine Verwaltungsrecht stellt allgemeinverbindliche Regelungen für alle Bereiche des Verwaltungsrechts auf, das besondere Verwaltungsrecht regelt spezielle Materien des Verwaltungsrechts.2 Sowohl das Steuerrecht als auch das Sozialrecht gehören zum besonderen Verwaltungsrecht.3 Bei diesen beiden Rechtsgebieten besteht die Besonderheit, dass der Gesetzgeber ein jeweils eigenes Verwaltungsverfahrens- und Gerichtsverfahrensrecht geschaffen hat und ein Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen grundsätzlich nicht erfolgt.4 Vielmehr liegt eine Dreiteilung des Verfahrensrechts vor, die auch als „Säulen-Trias“ des Verfahrensrechts bezeichnet wird.5 Diese Arbeit vergleicht die außergerichtlichen Vorverfahren, die in diesen drei Teilgebieten des Verwaltungsrechts zu finden sind. Es handelt sich begrifflich um Vorverfahren, da sie Sachurteilsvoraussetzung für den Zugang zu den Gerichten sind.6 Sie sind außergerichtlich, da über ihren Erfolg durch 1  Ehlers, in: Ehlers / Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 1 ff.; Maurer /  Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 1; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn.  114 f. 2  Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 12 f.; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 2 f.; Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 21 Rn. 5 f. 3  Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 21 Rn. 6; Waldhoff, Abgabenrecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 1; Waltermann, Sozialrecht, Rn. 27. 4  Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 51 ff.; Waltermann, Sozialrecht, Rn. 28. Kritisch: Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 21 Rn. 7. 5  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 2 Rn. 4; Peine, Entwicklung des ­Verwaltungsverfahrensrechts, LKV 2012, 1 (3); Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 51; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee /  Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 16. Diese Dreiteilung ist im Verhältnis Verwaltungsverfahrens-, Verwaltungsgerichts- und materielles Recht nicht immer konsequent. Siehe hierzu S. 107. 6  Ein außergerichtliches Prüfverfahren, das nicht zwingend für den Zugang zum Verwaltungsgericht, also keine Sachurteilsvoraussetzung ist, ist das Remonstrations-

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die Verwaltung selbst und nicht bereits durch die Gerichte entschieden wird.7 Das außergerichtliche Vorverfahren im Steuerrecht trägt die Bezeichnung Einspruchsverfahren.8 Sowohl das allgemeine Verwaltungsrecht als auch das Sozialrecht nutzen den Begriff Widerspruchsverfahren. I. Abgrenzung zu spezielleren außergerichtlichen Vorverfahren im Verwaltungsrecht Neben diesen „klassischen“ außergerichtlichen Vorverfahren sind im öffentlichen Recht weitere außergerichtliche Vorverfahren zu finden, die nicht Gegenstand der Arbeit sind, aber zur Abgrenzung beispielhaft skizziert werden. Bei Erlass der Verwaltungsgerichtsordnung wollte man einige bereits existierende außergerichtliche Vorverfahren von den §§ 68 ff. unberührt lassen, obwohl man grundsätzlich größtmögliche Vereinheitlichung anstrebte.9 Das Flurbereinigungsrecht beinhaltet demgemäß ein außergerichtliches Vorverfahren sui generis, § 190 Abs. 1 Nr. 4 VwGO. Dieses Rechtsgebiet regelt die Neuordnung des ländlichen Grundbesitzes, um die Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft und die allgemeine Landeskultur und Landesentwicklung zu verbessern, § 1 FlurbG. Über Flurbereinigungsstreitigkeiten, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, entscheiden sogenannte Flurbereinigungsgerichte, die als Senat für Flurbereinigung bei den obersten Verwaltungsgerichten einzurichten sind, §§ 138, 140 FlurbG. Das hierbei einschlägige vorhergehende Widerspruchsverfahren ist in §§ 141 f. FlurbG geregelt. Es ist den §§ 68 ff. VwGO gleichartig, aber gewollt eigenständig.10 Die Wehrbeschwerdeordnung gewährleistet dem Soldaten umfassenden Rechtsschutz innerhalb des Wehrdienstverhältnisses.11 Gemäß § 23 WBO verfahren in Visumangelegenheiten. Siehe hierzu: Poschenrieder, Das Remonstra­ tionsverfahren vor den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland, NVwZ 2015, 1349; Samel, in: Bergmann / Dienelt, Ausländerrecht, § 6 Rn. 77 ff. 7  Die drei Vorverfahren sind dem Verwaltungsverfahren und nicht dem Gerichtsverfahren zuzuordnen. Siehe S. 54. 8  Die Zweiteilung der außergerichtlichen Rechtsbehelfe im Steuerrecht in Einspruchs- und Beschwerdeverfahren wurde durch das Grenzpendlergesetz, das am 1. Januar 1996 in Kraft trat, aufgehoben. Siehe S. 42. 9  BT-Drs. 3 / 55 S. 25; BT-Drs. 3 / 1094 S. 16. Zu weiteren Beispielen: Dolde / Porsch, in: Schoch / ‌Schneider / Bier, VwGO, § 68 Rn. 9d, 9e und Dürr, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 79 Rn. 18. 10  BT-Drs.  7 / 3020 S. 16, 28, 35; Wingerter, in: Schwantag / Wingerter, FlurbG, § 141 Rn. 1. 11  Dau, WBO, Einführung Rn. 19.

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i. V. m. § 190 Abs. 1 Nr. 6 VwGO tritt das Beschwerdeverfahren an die Stelle des Widerspruchsverfahrens, wenn für eine Klage aus dem Wehrdienstverhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Somit ist das Beschwerdeverfahren der einheitliche Rechtbehelf im Rahmen der WBO, unabhängig davon, ob es sich um eine truppendienstliche Angelegenheit oder um eine Verwaltungsangelegenheit handelt. Das Ziel, dem Beschwerdeführer ein einheitliches Rechtsschutzmittel zur Verfügung zu stellen, ist Grund für den Ausschluss des allgemeinen Widerspruchsverfahrens.12 Ein bedeutendes Beispiel für ein eigenständiges Vorverfahren, das nach Erlass der VwGO eingeführt wurde, enthält das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das die Vergabe öffentlicher Aufträge ab einem bestimmten Schwellenwert zum Gegenstand hat. Bei dem sogenannten Nachprüfungsverfahren, das in §§ 155 ff. GWB geregelt ist, handelt es sich um ein besonderes Verwaltungsverfahren, das mit dem Widerspruchsverfahren der §§ 68  ff. VwGO vergleichbar ist und gerichtsähnlich ausgestaltet wurde.13 Gegen die Entscheidungen der Vergabekammer ist gemäß § 171 GWB die sofortige Beschwerde zulässig, über die die Vergabesenate bei den Oberlandesgerichten entscheiden.14 Außergerichtliche Verfahren eigener Art, die Sachurteilsvoraussetzung für die sozialgerichtliche Klage sind,15 enthält das fünfte Buch des Sozialgesetzbuches. Diese Verfahren vor Beschwerdeausschüssen betreffen gemäß § 97 SGB V Fragen der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und gemäß § 106 SGB V die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Sie gelten nach § 97 Abs. 3 S. 2 und § 106 Abs. 5 S. 3 SGB V als Vorverfahren i. S. d. § 78 SGG. Dennoch sind sie mit dem Widerspruchsverfahren nicht identisch, sondern als Verfahren eigener Art ausgestaltet.16 II. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der außergerichtlichen Vorverfahren Die Zugehörigkeit zum Verwaltungsrecht im weiteren Sinne und die Eigenart als Sachurteilsvoraussetzung sind die bedeutendsten Gemeinsamkeiten S. 7; Dau, WBO, § 23 Rn. 2. in: Kulartz / Kus / Portz / Prieß, GWB, § 155 Rn. 14; Noch, Vergaberecht, Kapitel A Rn. 1080; Siegel, Europäisierung des Öffentlichen Rechts, Rn. 457 f. 14  BT-Drs.  13 / 9340 S. 20: Diese zivilgerichtlichen Vergabesenate sind zuständig, da sich die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen zivilrechtlich betätigen. 15  Engelhard, in: Hauck / Noftz, SGB V, § 106 Rn. 594. 16  BSGE 59, 216 (217); 74, 59 (61); Engelhard, in: Hauck / Noftz, SGB  V, § 106 Rn. 595; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 78 Rn. 5b. 12  BT-Drs. 2 / 2359 13  Kus,

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der drei zu behandelnden außergerichtlichen Vorverfahren, wobei hieraus auch die gemeinsamen Funktionen dieser Rechtbehelfe folgen.17 Sie dienen dem Rechtsschutz des Vorverfahrensführers, der Selbstkontrolle der Verwaltung und der Entlastung der Gerichte. Dennoch bestehen prägende Unterschiede. Aus verfassungsrechtlicher Sicht lassen sich zunächst die Gesetzgebungskompetenzen anführen,18 die Auswirkungen auf die gesetzliche Verortung der Vorverfahren haben. So befinden sich die entscheidenden19 Regelungen zum Einspruchsverfahren in der Abgabenordnung,20 während die Widerspruchsverfahren hauptsächlich in den Gerichtsgesetzen geregelt werden.21 Für diese Arbeit sind darüber hinaus verwaltungsverfahrensrechtliche Bestimmungen relevant, die zwar nicht vorverfahrensspezifisch sind, auf die Vorverfahren jedoch wegen ihrer Zugehörigkeit zum Verwaltungsverfahren anwendbar sind. Das allgemeine Widerspruchsverfahren lässt sich aufgrund verschiedener Zuständigkeiten sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene finden.22 Das Sozialstaatsprinzip wirkt sich maßgeblich insbesondere auf das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren aus. Organisatorische Besonderheiten, wie Selbstverwaltungsstrukturen im Sozialversicherungsrecht, haben ebenso Auswirkungen.23 Das Einspruchsverfahren als außergerichtlicher Rechtsbehelf zur Durchsetzung des materiellen Steuerrechts wird durch den hierin bedeutenden allgemeinen Gleichheitssatz in der Gestalt der Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung geprägt. Gleichermaßen hat die Eigenheit des Steuerrechts als Eingriffsrecht zur Einkommenserzielung des Staates gegenüber in der Regel leistungsfähigen Steuerpflichtigen Folgen für die Ausgestaltung des Einspruchsverfahrens.24 Nicht zuletzt prägen tatsächliche Besonderheiten, wie Massenverwaltung im Steuerrecht, aber auch in weiten Teilen des Sozialrechts, die Ausgestaltung der Vorverfahren.25

17  Siehe

S. 50. S. 91. 19  Im Vergleich zu SGG und VwGO geringfügige Regelungen zum außergericht­ lichen Rechtsbehelf enthalten die §§ 44–46 FGO. 20  §§ 347–367 AO. 21  Verwaltungsrechtliches Widerspruchsverfahren: §§ 68–73, 80 VwGO und § 80 VwVfG. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren: §§ 78–86a SGG und § 63 SGB X. 22  Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 1 Rn. 8. Die Entscheidung darüber, in welchen Regelungsbereichen ein Vorverfahren durchzuführen ist, kann in die Kompetenz der Länder fallen. Siehe hierzu S. 95. Dies führt dazu, dass das Widerspruchsverfahren in einigen Bundesländern kaum noch statthaft ist. 23  Zu den bedeutenden Besonderheiten des Sozialrechts siehe S. 58. 24  Zu den prägenden Besonderheiten des Steuerrechts siehe S. 59. 25  Siehe S. 62. 18  Siehe

Einleitung27

Es wird darzulegen sein, dass und inwiefern diese Unterschiede nicht nur zur Schaffung verschiedener Vorverfahren, sondern auch zu deren Auseinanderentwicklung beigetragen haben. So ist das allgemeine Widerspruchsverfahren in einigen Bundesländern grundsätzlich nicht mehr durchzuführen.26 Tendenzen zur Abschaffung des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens oder gar des Einspruchsverfahrens bestehen hingegen nicht.27 III. Vereinheitlichungspotential und -bedarf Dennoch ist die Frage der Vereinheitlichung der Prozessordnungen aufgrund der Bestrebung, Gerichtszweige zusammenzufügen, aktuell.28 Es wird daher zu untersuchen sein, ob auch die außergerichtlichen Vorverfahren in einer solchen einheitlichen Prozessordnung zusammengefasst werden können.29 Darüber hinaus ist zu beleuchten, ob auch hinsichtlich der verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen, die sich auf die Vorverfahren auswirken, Angleichungen erstrebenswert sind.30 Für Vereinheitlichungen sprechen die Übersichtlichkeit der Vorschriften und somit die einfachere Handhabung durch Praxis und Wissenschaft und damit einhergehend die Verbesserung des Rechtsschutzes.31 Neben diesen rechtspolitischen Überlegungen spielt bei der Untersuchung der außergerichtlichen Vorverfahren auch der allgemeine Gleichheitssatz eine 26  Siehe den Überblick bei Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 5 und Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 539 f. Zur Entwicklung des verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahrens siehe S. 40. 27  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 16, 18. Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens und die darin vorgesehene vollautomatisierte Einkommensteuerveranlagung werden die Bedeutung des Einspruchsverfahrens erhöhen: Heintzen, Das gemeinsame Konzept von Bund und Ländern zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, DÖV 2015, 780 (786). Zur Entwicklung des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens und des Einspruchsverfahrens siehe S. 41, 43. 28  Top I.1.3 des Beschlusses der 76. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 29. bis 30.  Juni 2005 in Dortmund. Beschluss unter http: /  / www.ge richtsvollzieherbund.de / gvaktu / aktuell_06_07_05_beschluesse_der_76_jumiko.pdf S. 2 (Zuletzt aufgerufen am 30.06.18); Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheit­ lichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1262). Siehe hierzu auch S. 43. 29  Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 90 f. 30  Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 51 ff.; Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 1 Rn. 12 („obgleich eine allgemein geltende Verfahrensordnung noch aussteht“). 31  Bundesministerium der Justiz, Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung, S. 96; Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 62 ff.; Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1264); Wolff / Bachof / Stober, (Altauflage 1994) Verwaltungsrecht I, § 1 Rn. 5.

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erhebliche Rolle.32 Zunächst muss der Prüfungsmaßstab festgelegt werden. Zieht man nämlich normative Erwägungen im Sinne der Folgerichtigkeit bzw. Systemgerechtigkeit heran, kann man in zweierlei Richtungen argumentieren. Man könnte die Vorverfahren als derart gleich ausgestaltet ansehen, dass Unterschiede grundsätzlich nicht systemgerecht und folgerichtig sind. Andererseits könnten die außergerichtlichen Vorverfahren als drei verschiedene Ordnungssysteme aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung hinsichtlich ihrer einzelnen Regelungen nicht an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen sein. Lehnt man jedoch das Heranziehen solcher normativen Erwägungen ab, ist jede einzelne vergleichbare Regelung am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen, wobei insbesondere die bereits erwähnten tatsächlichen Unterschiede zwischen den Vorverfahren der Rechtfertigung dienen. Weiterhin stellt sich beim Fehlen einer spezifischen Regelung im Rahmen eines Vorverfahrens die Frage der analogen Anwendung einer Norm, die ein anderes Vorverfahren betrifft.33 In diesem Zusammenhang wird das Verhältnis der Analogie zum allgemeinen Gleichheitssatz darzustellen sein. Erst durch den genauen Vergleich der einzelnen Regelungen und die Beantwortung der verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Fragen kann dargestellt werden, ob und inwiefern die Vereinheitlichung der außergerichtlichen Vorverfahren geboten oder wünschenswert ist. Diese Fragen vermögen bisherige Arbeiten nicht zu beantworten. Zwar existieren ein Aufsatz und eine Dissertation zu diesem Thema. Ersterer reißt aufgrund der in der Natur eines Aufsatzes liegenden Kürze das Problem nur an.34 Letztere ist aus dem Jahre 1973 und behandelt die damals diskutierte einheitliche Verwaltungsprozessordnung, weshalb die Fragestellung schon wegen der zeitlichen Komponente erneut aufgeworfen werden sollte.35 Die vorliegenden Untersuchungen werden neben den in der Zwischenzeit erfolgten tatsächlichen und rechtlichen Entwicklungen verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen beleuchten, die allgemein gelten, sich aber auf die Vorverfahren auswirken. Vergleichende Arbeiten zu anderen säulenübergreifenden Bereichen des öffentlichen Rechts zeigen, wie lohnenswert eine solche rechtliche Untersuchung ist.36 32  Siehe

S.  69 ff. in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 59. 34  Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914. 35  Heyne, Das Vorverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und dem Sozialgerichtsgesetz – eine vergleichende Betrachtung unter Berücksichtigung der Bestrebungen über eine Angleichung der Verfahrensordnungen. 36  So Arndt, Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten – Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden – Unterschiede und Möglichkeiten zur Vereinheitlichung zweier Korrektursysteme; von Einem, Strukturen der Beseitigungs- und Anpas33  Sachs,

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B. Gang der Untersuchung Die Untersuchung beginnt in ihrem ersten Teil mit einem Überblick über die Entstehung und Entwicklung der außergerichtlichen Vorverfahren. Auf dieser Grundlage wird sich die ein oder andere Regelung als historisch gewachsen einordnen lassen, was an späterer Stelle die Frage aufwirft, ob auch inhaltlich tragende Gründe für Unterschiede bestehen. Im zweiten Teil wird die Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren dargestellt. Hierzu werden die bereits erwähnten Zwecke der Vorverfahren genau beschrieben, die Stellung der Vorverfahren zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess herausgearbeitet und die Besonderheiten des Steuer- und Sozialrechts in Abgrenzung zum allgemeinen Verwaltungsrecht beleuchtet. Dieser Teil dient als Grundlage für den Vergleich, indem er wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede darstellt, die später Argumentationsgrundlage für die Entscheidung über die Angleichung einzelner Regelungen sein können. Der dritte Teil der Untersuchung widmet sich dem verfassungs- und unionsrechtlichen Rahmen der außergerichtlichen Vorverfahren. Er unterteilt sich in drei Kapitel. Im ersten Kapitel werden Verfassungsprinzipien und Grundrechte dargestellt, die Grundlage für den späteren Vergleich sind. Das zweite Kapitel befasst sich mit den verschiedenen Gesetzgebungskompetenzen für die außergerichtlichen Vorverfahren. Welche Vorgaben das Unionsrecht für die Vorverfahren macht, wird sodann im dritten Kapitel erörtert. Der vierte Teil bedient sich der erarbeiteten Grundlagen und vergleicht die einzelnen Regelungen in Verfahrens- und Gerichtsgesetzen betreffend die außergerichtlichen Vorverfahren. Dieser Teil umfasst fünf Kapitel. Zunächst werden die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Vorverfahren dargestellt und verglichen. Nachfolgend wird herausgebildet, wie die Vorverfahrensbehörde die Begründetheit der Vorverfahren prüft, wobei unter anderem die Art und Weise der Sachverhaltsermittlung betrachtet wird. Anschließend werden die Fälle der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Vollziehung der Vorverfahren prüfend nebeneinandergestellt. Das vierte Kapitel untersucht die verschiedenen Möglichkeiten, das Vorverfahren zu beenden. Welche Kossungsverfahren von Verwaltungsakten in Verwaltungsverfahrensgesetz, Sozialgesetzbuch Teil X und Abgabenordnung unter besonderer Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Anpassungs- und Beseitigungsgrund; Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Empfiehlt sich eine einheitliche Prozessordnung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten?; Kemmler, Geldschulden im Öffentlichen Recht – Entstehung, Erlöschen und Verzinsung von Zahlungsansprüchen im Abgabenrecht, Sozialrecht und Allgemeinem Verwaltungsrecht; Klappstein, Rechtseinheit und Rechtsvielfalt im Verwaltungsrecht – Dargestellt am Beispiel der Bestandskraft von Verwaltungsakten nach dem Allgemeinen und dem Besonderen Verwaltungsrecht.

30 Einleitung

ten bei der Durchführung außergerichtlicher Vorverfahren entstehen können und wie diese ersetzt werden, ist Inhalt des letzten Kapitels des vergleichenden Teils. Die Arbeit schließt mit einer zusammenfassenden Darstellung. Es wird ausgewertet, welche Regelungen aus verfassungsrechtlichen Gründen angeglichen werden müssen und welche Normen aus rechtspolitischen Erwägungen vereinheitlicht werden sollten. Sodann wird entschieden, ob eine einheitliche Verwaltungsprozessordnung und ein einheitliches Verwaltungsverfahrensgesetz hinsichtlich der vorverfahrensrechtlichen Regelungen sinnvoll sind, oder ob sich die drei Säulen des Verwaltungsrechts bewährt haben.

Erster Teil

Entstehung und Entwicklung der außergerichtlichen Vorverfahren Die außergerichtlichen Vorverfahren sind aus historischer Perspektive zu beleuchten. Hierdurch wird die Stellung des Rechtsschutzes durch die Verwaltung im Gesamtkonzept des Rechtsschutzes gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt verdeutlicht.37 Weiterhin ist die historische Eingliederung der außergerichtlichen Vorverfahren in die „drei Säulen“38 des Verwaltungsrechts darzustellen. Die geschichtliche Aufarbeitung ist im vergleichenden Teil der Arbeit die Grundlage für die Untersuchung, welche Besonderheiten der Vorverfahren (rein) historisch zu begründen sind.39 Weiterhin sind die gescheiterten Bestrebungen zur Vereinheitlichung der (Verwaltungs-)Prozessordnungen zu beleuchten, um darstellen zu können, ob und inwiefern damals angestrebte Vereinheitlichungen heute noch wünschenswert sind.40

A. Entwicklungen des Rechtsschutzes in Verwaltungssachen bis 1945 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen ausschließlich durch die Verwaltung gewährt,41 wobei 37  Zur

Rechtsschutzfunktion der außergerichtlichen Vorverfahren siehe S. 50. den drei Säulen des Verwaltungsrechts siehe S. 23. Zum fehlenden Gleichlauf von materiellem Recht, Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht siehe S. 107. 39  So die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für Kommunalabgabensachen (S. 108), die Sonderregelung des § 84 Abs. 2 S. 1 SGG (S. 140, 142), die erweiterte Anhörungspflicht gemäß § 121 Abs. 2 Hs. 2 SGB IX (S. 167), die Zuständigkeit für die Aussetzung der sofortigen Vollziehung im sozialen Entschädigungsrecht gemäß § 86a Abs. 3 S. 3 SGG (S. 209). 40  Siehe S. 43. 41  Cancik, Vom Widerspruch zum informalen Beschwerdemanagement, Die Verwaltung 2010 (43), 467 (472); Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozess, S. 207 ff.; Glaser, in: Gärditz, VwGO, § 68 Rn. 9; Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524); Schönenbroicher, Leitziele und Kernpunkte der Reformen des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2009, 1144 (1144); Sydow / Neidhardt, Verwaltungsinterner Rechtsschutz, S. 23. 38  Zu

32

1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

sich diesbezüglich der Begriff Administrativjustiz etabliert hat.42 Schon damals sah man die Funktionen dieser Rechtsmittel sowohl im Rechtsschutz des Untertans als auch in der Selbstkontrolle der Verwaltung.43 Auch nach der Schaffung unabhängiger Verwaltungsgerichte hat sich der verwaltungs­ interne Rechtsschutz aufgrund dieser Funktionen bewährt und wurde nie gänzlich abgeschafft. Diejenigen, die derzeit Zweifel an der Erfüllung der Funktionen des Widerspruchsverfahrens haben, gehen soweit, sie als „Relikt aus alten Zeiten“44 oder „Institution des Obrigkeitsstaates“45 zu bezeichnen. I. Rechtsschutz im allgemeinen Verwaltungsrecht Im Laufe der sechziger und siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts wurden in fast allen deutschen Ländern – wenn auch nicht auf Reichsebene – Verwaltungsgerichte geschaffen,46 die sich in vielerlei Hinsicht unterschieden.47 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wies allerdings immer noch Elemente der Administrativjustiz auf, da insbesondere die unteren Instanzen nach heutigem Verständnis aufgrund ihrer organisatorischen Einbindung in die Verwaltung und ihrer zusätzlichen Funktion als Verwaltungsbehörden nicht als Gerichte zu qualifizieren sind.48 Das heißt zum einen, dass die Möglichkeit, bei der Verwaltung Rechtsschutz zu ersuchen, beibehalten wurde, und zum anderen, dass die Rechtsbehelfe bei den unteren Instanzen als Vorläufer der heutigen außergerichtlichen Vorverfahren zu qualifizieren sind.49 Unterteilt werden können diese Rechtbehelfe bei den unteren Instanzen, die in den Ländern unterschiedliche Ausprägungen und Bezeichnungen fanden,50 in „Beschwer42  Cancik, Vom Widerspruch zum informalen Beschwerdemanagement, Die Verwaltung 2010 (43), 467 (472); Sunder-Plassmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Einführung FGO Rn. 10. 43  Cancik, Vom Widerspruch zum informalen Beschwerdemanagement, Die Verwaltung 2010 (43), 467 (472); Sydow / Neidhardt, Verwaltungsinterner Rechtsschutz, S. 23. Zu den Funktionen der außergerichtlichen Vorverfahren siehe S. 50. 44  Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524). 45  Schönenbroicher, Leitziele und Kernpunkte der Reformen des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2009, 1144 (1144). 46  Siehe hierzu im Einzelnen Trostel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Gründung bis zum Ausgang des Kaiserreichs, VBlBW 1988, 363 (364 ff.). 47  Zu den Unterschieden genauer Trostel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Gründung bis zum Ausgang des Kaiserreichs, VBlBW 1988, 363 (368 ff.) mit den Schwerpunkten Baden (1863), Preußen (1875) und Württemberg (1876). 48  Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524); Trostel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Gründung bis zum Ausgang des Kaiserreichs, VBlBW 1988, 363 (369). 49  Glaser, in: Gärditz, VwGO, § 68 Rn. 10, 12. 50  Glaser, in: Gärditz, VwGO, § 68 Rn. 10; Theis, Das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, S. 38.



1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren33

den“ oder „Rekurse“ einerseits und „Remonstrationen“ oder „Einsprüche“ andererseits.51 Erstere verfügten sowohl über Devolutiv- als auch Suspensiveffekt. Bei Letzteren hingegen entschied die entschließende Behörde selbst, und eine aufschiebende Wirkung entfiel. Den Einspruch fand man „meistens dort, wo Verfügungen im Massenbetrieb erlassen“52 wurden. Dieser Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde mit nur geringfügigen Veränderungen in der Weimarer Republik beibehalten.53 Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatte insbesondere der Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung aus dem Jahr 1939 Auswirkungen auf den Rechtsschutz in Verwaltungssachen.54 Hierdurch wurde die Klage vor den Verwaltungsgerichten grundsätzlich durch die Beschwerde zur vorgesetzten Behörde ersetzt.55 Darüber hinaus sah die Bevölkerung aufgrund ihrer Einschüchterung zunehmend von Rechtsbehelfen ab.56 Die Verwaltungsgerichte, denen die Zuständigkeit für „politisches“ polizeiliches Eingreifen entzogen wurde, legten die Voraussetzungen hierfür derart weit aus, dass sie „zu ihren eigenen Totengräbern wurden“.57 Es kann daher behauptet werden, dass es zu Zeiten des Nationalsozialismus ab 1939 de facto kein Verwaltungsgerichtsverfahren mehr gab.58 II. Rechtsschutz im Steuerrecht Bis zum Jahre 1918 entschied in steuerrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig59 die Verwaltungsgerichtsbarkeit.60 Als Rechtsmittel waren wie bei den 51  Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 294 ff.; Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, S. 125 ff. 52  Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 296. 53  Glaser, in: Gärditz, VwGO, § 68 Rn. 11; Kimminich, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Weimarer Republik, VBlBW 1988, 371 (377). 54  Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28. August 1939, RGBl. I, 1535. 55  Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Einleitung Rn. 81. 56  Kirchberg, Die Selbstentmachtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich, VBlBW 1988, 379 (380). 57  Kirchberg, Die Selbstentmachtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Dritten Reich, VBlBW 1988, 379 (380). 58  Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524). 59  Zur beschränkten Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte: Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (285 f.). Zu den Ländern, die die letztinstanzliche Zuständigkeit des Finanzministeriums in Steuerstreitigkeiten vorsahen: Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (286 ff.).

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1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

allgemeinen Verwaltungsstreitigkeiten Einspruchs- und Beschwerdeverfahren vorgesehen,61 wobei die Regelungen auch hier landesspezifisch und dementsprechend unterschiedlich waren.62 Vereinzelte Bestrebungen, Finanzgerichte als besondere Verwaltungsgerichte zu errichten, setzten sich nicht durch.63 Aufgrund der hohen Zahl von steuerrechtlichen Streitigkeiten vor dem Oberverwaltungsgericht64 konnte man dieses sogar als „Steuergerichtshof“ bezeichnen.65 Der aufgrund des verlorenen ersten Weltkrieges erhöhte Finanzbedarf des Reichs führte dazu, dass die Zuständigkeiten betreffend die Steuerpolitik in erheblichem Maße auf das Reich übertragen wurden.66 Im Rahmen der großen Steuerreform wurden der Reichsfinanzhof (1918) geschaffen und die Reichsabgabenordnung (1919) erlassen.67 Die Reichsabgabenordnung kannte drei verschiedene Rechtsmittel. Das Beschwerdeverfahren gemäß § 224 RAO richtete sich gegen Maßnahmen der Finanzbehörde, die keine Steuerbescheide waren.68 Das Anfechtungsverfahren war statthaft gegen Bescheide, die Zölle oder Verbrauchsabgaben zum Gegenstand hatten, § 217 Nr. 2 60  Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 7; Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band  1, S. 346; Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (286); Sunder-Plassmann, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, Einführung FGO Rn. 13 ff.; Trostel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Gründung bis zum Ausgang des Kaiserreichs, VBlBW 1988, 363 (369). 61  Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band 1, S. 346. 62  Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 1. 63  Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 8; Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (286 ff.); Sunder-Plassmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Einführung FGO Rn. 13 f. 64  Egidi, Paul Persius, der Schöpfer der Preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Baring, Aus 100 Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit, 18 (35). 65  Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 8. 66  Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 12; Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (288). 67  Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (288); Sunder-Plassmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Einführung FGO Rn. 26. Genaueres zu den damaligen politischen Erwägungen: Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 13 ff. 68  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 23; Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 19.



1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren35

RAO.69 Sowohl im Anfechtungs- als auch im Beschwerdeverfahren überprüfte zunächst die Behörde, die den Bescheid erließ, ihre Entscheidung. Bei fehlender Abhilfe bestand Devolutiveffekt an die nächsthöhere Behörde. Schließlich stand gegen alle Steuerbescheide, die keine Zölle und Verbrauchsteuern betrafen, das Berufungsverfahren gemäß § 218 RAO zur Verfügung.70 Es begann mit dem Einspruch des Steuerpflichtigen, wobei über diesen die Finanzbehörde, die den Bescheid erließ, selbst zu entscheiden hatte. Gegen die Einspruchsentscheidung konnte der Steuerpflichtige sodann Berufung bei den Finanzgerichten einlegen. Diese Finanzgerichte, die „aus dem Nichts geschaffen werden“ mussten, entsprachen nicht den heute an unabhängige Gerichte gestellten Anforderungen.71 Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wirkte sich der Führererlass zur Vereinfachung der Verwaltung auch auf den Rechtsschutz im Steuerrecht aus. Das Beschwerdeverfahren samt finanzgerichtlichem Verfahren wurde abgeschafft.72 III. Rechtsschutz im Sozialrecht In den achtziger Jahren des 19. Jahrhundert wurde in drei großen Sozialversicherungsgesetzen nicht nur materielles Sozialrecht, sondern auch neues Sozialverfahrensrecht erlassen.73 Über Streitigkeiten betreffend die Krankenversicherung entschieden die ordentlichen Gerichte, die Gewerbegerichte oder die Verwaltungsgerichte.74 Bei unfallversicherungsrechtlichen und rentenversicherungsrechtlichen Streitigkeiten entschieden besondere Schiedsgerichte.75 69  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 23; Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 20. 70  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 22; Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 20 f. 71  Hoffmann-Fölkersamb, Geschichte und Perspektiven des Rechtsbehelfsverfahrens auf dem Gebiet des Steuerrechts in Deutschland, S. 22; Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (290). 72  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 27. 73  Bogs, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS zum 25jährigen Bestehen des BSG, 3 (4); Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (129). 74  Bogs, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS zum 25jährigen Bestehen des BSG, 3 (4 f.); Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (129). 75  Bogs, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS zum 25jährigen Bestehen des BSG, 3 (5 f.); Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (130).

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1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

Im Jahre 1911 wurde die Reichsversicherungsordnung erlassen, die als wesentlicher Fortschritt gewertet werden kann, da sie sowohl das materielle Sozialversicherungsrecht als auch die verfahrensrechtlichen Regelungen in einem einheitlichen Regelungswerk zusammenfasste.76 Die rechtsprechende Tätigkeit wurde nun allerdings von den Versicherungsämtern, den Oberversicherungsämtern und dem Reichsversicherungsamt ausgeübt.77 Diese Versicherungsbehörden waren, vergleichbar mit den unteren Instanzen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, nicht selbstständig und nahmen zugleich Verwaltungsaufgaben wahr.78 In sozialversicherungsrechtlicher Literatur aus dem Jahre 1912 werden diese Behörden sogar als „Gerichtsbehörden“ bezeichnet.79 Dies stellte verglichen mit den selbstständigen Schiedsgerichten bezüglich der Gewaltentrennung einen Rückschritt dar.80 Die Strukturen des Rechtsschutzes in sozialrechtlichen Angelegenheiten wurden in der Weimarer Republik beibehalten.81 Auch der Rechtsschutz im Sozialrecht wurde durch den Führerlass zur Vereinfachung der Verwaltung in einer damit einhergehenden weitreichenden Rechtsmittelbeschränkung zurückgedrängt.82

B. Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren in der heutigen Form Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges sind aufgrund des Art. 19 Abs. 4 GG und durch Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzge76  Bogs, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS zum 25jährigen Bestehen des BSG, 3 (8); Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (130). 77  Behrend / Hauck, in: Hauck / Behrend, SGG, Einführung in das SGG; Bogs, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS zum 25jährigen Bestehen des BSG, 3 (8); Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (130); Hommel, in: Peters / Sautter / Wolff, Sozialgerichtsbarkeit, vor § 78; Trostel, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Gründung bis zum Ausgang des Kaiserreichs, VBlBW 1988, 363 (370). 78  Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (130). 79  Kaskel / Sitzler, Grundriß des sozialen Versicherungsrechts, S. 396. 80  Bogs, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS zum 25jährigen Bestehen des BSG, 3 (8 f.); Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (130). 81  Knörr, Die Entstehung einer eigenständigen Sozialgerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, S. 41 ff. 82  Knörr, Die Entstehung einer eigenständigen Sozialgerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, S. 61 f.



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richtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes erstmals83 unabhängige Verwaltungsgerichte geschaffen worden, wobei der Rechtsschutz durch die Verwaltung als Vorverfahren flächendeckend beibehalten wurde. I. Verwaltungsgerichte und allgemeines Widerspruchsverfahren Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges mussten die Verwaltungsgerichte aufgrund des Gesetzes über die Militärregierung ihre Tätigkeit einstellen.84 Rasch wurde den Besatzungsmächten jedoch ersichtlich, dass die erneut aufgenommene Verwaltungstätigkeit einer entsprechenden gerichtlichen Kontrolle bedurfte. Verwaltungsgerichte wurden aufgrund des Kontrollratsgesetzes vom 10. Oktober 1946 in der amerikanischen und britischen Besatzungszone auf unterschiedliche Art erneut eingerichtet.85 Obwohl in allen Besatzungszonen Rechtsbehelfsverfahren vor der verwaltungsgerichtlichen Klage vorgesehen waren, verfügten diese freilich ebenfalls über unterschiedliche besatzungs- und landesrechtliche Regelungen, die in Einzelheiten erheblich voneinander abwichen.86 Grundsätzlich wurde jedoch die bisherige Einteilung in Einspruchs- und Beschwerdeverfahren beibehalten.87 Beim Erlass der Verwaltungsgerichtsordnung orientierte man sich an den zur Besatzungszeit bestehenden Vorverfahren.88 Zur Entlastung der Verwaltungsgerichte und zum besseren Rechtsschutz des Betroffenen sollte das Vorverfahren einerseits beibehalten werden.89 Andererseits wurde das Nebeneinander von Einspruch und förmlicher Beschwerde kritisch gesehen, da die beiden Rechtsbehelfe nur schwierig voneinander abgegrenzt werden konnten.90 Man hat sich daher für einen einheitlichen außergerichtlichen Rechts83  Behrend / Hauck, in: Hauck / Behrend, SGG, Einführung in das SGG; Pausch, Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen seit der Gewaltenteilungslehre, DStZ 1968, 281 (281); Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Einleitung Rn. 91. 84  Klein, Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8 (1950), 67 (75 f.); Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Einleitung Rn. 82. 85  Siehe hierzu genauer: Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Einleitung Rn. 83. 86  Klüsener, Die Bedeutung der Zweckmäßigkeit neben der Rechtmäßigkeit in § 68 I 1 VwGO, NVwZ 2002, 816 (818); Theis, Das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, S.  40 ff. 87  Theis, Das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, S. 40. 88  von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 115 f.; Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider /  Bier, VwGO, Einleitung Rn. 82. 89  BT-Drs. 3 / 55 S. 38. 90  BT-Drs. 3 / 55 S. 38.

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1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

behelf mit Devolutiv- und Suspensiveffekt entschieden.91 So enthält die am 1. April 1960 in Kraft getretene Verwaltungsgerichtsordnung das „Widerspruchsverfahren“ als außergerichtliches Vorverfahren. Im Gegensatz zur Reichsabgaben- und Reichsversicherungsordnung, die bereits umfassende rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätzen enthielten,92 fehlte es allerdings auf Bundes- und Länderebene größtenteils an für das Widerspruchsverfahren einschlägigen Verwaltungsverfahrensgesetzen. In den 50er Jahren kamen erste Kodifikationsideen für diese Gesetze auf.93 Hiervon versprach man sich sowohl Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für Bürger, Verwaltung und Gerichte als auch die einheitliche Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts.94 Die Kodifikationsideen wurden zunächst von den Ländern aufgegriffen und führten zum Erlass mehrerer Verwaltungsverfahrensgesetze.95 Auf Bundesebene wurden Verfahrensregelungen zunächst nur bereichsspezifisch erlassen.96 Erst am 1. Januar 1977 trat das VwVfG des Bundes in Kraft. II. Sozialgerichte und sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Nach der Machtübernahme durch die Besatzungsmächte mussten nicht nur die Verwaltungsgerichte, sondern auch die Reichsbehörden, also auch das Reichsversicherungsamt,97 ihren Betrieb einstellen.98 Bald nahmen die Versicherungs- und Oberversicherungsämter ihre Arbeit jedoch wieder auf. Außerdem wurden, wie bereits beschrieben, in den Besatzungszonen Verwaltungsgerichte errichtet, die wegen nunmehr bestehender Generalklauseln für sämtliche öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zuständig waren. Die Verwaltungsgerichte sahen sich daher befugt, über Maßnahmen der Versicherungsund Oberversicherungsämter zu entscheiden.99 Der Gesetzgeber hatte ein Interesse daran, schnellstmöglich eine Sozialgerichtsbarkeit zu errichten. So 91  BT-Drs. 3 / 55

S. 38 f. in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 3. 93  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einführung I Rn. 25. 94  Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 10 ff. 95  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einführung I Rn. 25; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 8. 96  Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 8. 97  Bogs, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS zum 25jährigen Bestehen des BSG, 3 (22); Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (131). 98  Knörr, Die Entstehung einer eigenständigen Sozialgerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, S. 65. 99  Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (131 f.). 92  Sachs,



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trat das Sozialgerichtsgesetz weit vor der Verwaltungsgerichts- und Finanzgerichtsordnung bereits am 1. Januar 1954 in Kraft. Für die Einführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens entschied man sich, ebenso wie bei Erlass der VwGO, im Hinblick auf die Entlastung der Gerichte. Der Gesetzgeber berücksichtigte die große Anzahl von Streitfällen vor den Sozialgerichten.100 Der Begriff „Widerspruch“ wurde zur Vereinheitlichung gewählt.101 Das SGB X als einheitliches sozialverwaltungsverfahrensrechtliches Regelwerk trat erst am 1. Januar 1981 in Kraft. Einschlägige Regelungen fanden sich davor in vielen Einzelgesetzen. Ziele der Vereinheitlichung waren, erhöhte Rechtssicherheit und Erleichterungen sowohl für den Bürger als auch für den Rechtsanwender zu schaffen.102 III. Finanzgerichte und Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren Durch das Kontrollratsgesetz vom 10.10.1946 wurde der Führererlass zur Verwaltungsvereinfachung aufgehoben. Dadurch traten die alten Regelungen der RAO wieder in Kraft.103 Außerdem wurden die Finanzgerichte von den Besatzungsmächten mit entsprechenden Unterschieden wiedererrichtet.104 Im Jahre 1957 wurde das Anfechtungsverfahren gemäß § 217 Nr. 2 RAO für Zölle und Verbrauchsteuern abgeschafft.105 Für derartige Streitigkeiten war nun ebenfalls das Einspruchsverfahren der einschlägige Eingangsrechtsbehelf.106 Der Gesetzgebungsauftrag in Art. 108 Abs. 6 GG, die Finanzgerichtsbarkeit durch Bundesgesetz zu regeln, wurde mit der Finanzgerichtsordnung, die am 1. Januar 1966 in Kraft trat, erfüllt. Die Verwaltungsgerichtsordnung und das Sozialgerichtsgesetz dienten als Vorbild, wobei größtmögliche Parallelität angestrebt wurde.107 Dennoch wurden Regelungen über das Einspruchsund das Beschwerdeverfahren als Teil des Finanzverwaltungsverfahrens in 100  BT-Drs. 1 / 4357

S. 22. S. 26. 102  BT-Drs. 8 / 2034 S. 29. 103  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 28 ff. 104  Hierzu: Sunder-Plassmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Einführung FGO Rn. 68 ff. 105  Siehe hierzu S. 34. 106  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 31. 107  BT-Drs.  4 / 1446 S. 35; Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO § 44 FGO Rn. 4. 101  BT-Drs. 1 / 4357

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1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

der RAO belassen. Das finanzgerichtliche Verfahren und die außergericht­ lichen Rechtsbehelfe lediglich in ihrer Funktion als Prozessvoraussetzung wurden in der FGO normiert.108 Am 1. Januar 1977 trat die Abgabenordnung in Kraft und löste die Reichsabgabenordnung ab. Die Regelungen zum außergerichtlichen Vorverfahren entsprachen jedoch weitgehend denjenigen der RAO.109 Hierdurch behielt man sowohl die Einordnung der außergerichtlichen Rechtsbehelfe als verlängertes Veranlagungsverfahren als auch ihren Regelungsort in der Abgabenordnung bei.110 Zum anderen ging der Gesetzgeber, anders als beim Widerspruchsverfahren, davon aus, die Zweiteilung in Einspruchs- und Beschwerdeverfahren habe sich bewährt.111 Es wurde kein einheitlicher außergericht­ licher Rechtsbehelf geschaffen.

C. Fortentwicklungen der außergerichtlichen Vorverfahren Die Regelungen über die außergerichtlichen Vorverfahren in den drei Bereichen des Verwaltungsrechts haben sich nicht unwesentlich geändert. Im Folgenden sollen die Hauptveränderungen dargestellt werden. I. Eingedämmtes allgemeines Widerspruchsverfahren Die größte Änderung des Widerspruchsverfahrens besteht darin, dass dieses weitreichend für entbehrlich erklärt wurde. Das in der heutigen Form erst im Jahre 1960 eingeführte Widerspruchsverfahren war stets dem Vorwurf ausgesetzt, zu zeitaufwendig, bürokratisch und kostenintensiv zu sein.112 Man wünschte sich einen „schlanken Staat“, und das Widerspruchsverfahren schien darin keinen Platz zu haben.113 Problematisch erschien die Kompetenz des Landesgesetzgebers, das Widerspruchsverfahren abzuschaffen. Nach der früheren Fassung des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO war ein Widerspruchsverfahren dann nicht durchzuführen, wenn ein Gesetz dies „für besondere Fälle“ bestimmte, wobei umstritten war, ob „besondere Fälle“ als „konkrete Einzel-

108  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 33; Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO § 44 FGO Rn. 4. 109  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 36. 110  BT-Drs. 6 / 1982 S. 187. 111  BT-Drs. 6 / 1982 S. 187. 112  Z. B. Presting, Zur Notwendigkeit des Widerspruchsverfahrens, DÖV 1976, 269. 113  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 20; Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 539.



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fälle“ oder als „Sachmaterien“ zu verstehen war.114 Mit Inkrafttreten des Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung am 1. Januar 1997 wurde der Zusatz „für besondere Fälle“ aus § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO gestrichen. Man sah das Widerspruchsverfahren in Bereichen, in denen der Ausgangsverwaltungsakt umfassend geprüft wurde, als bloße „Durchlaufstation“ an und versprach sich durch dessen Ausschluss Verfahrensbeschleunigung.115 Den Bundesländern ist es seither also unproblematisch und uneingeschränkt möglich, das Widerspruchsverfahren durch Gesetz auszuschließen.116 Hiervon haben manche Länder in jeweils unterschiedlicher Reichweite Gebrauch gemacht.117 II. Vereinheitlichtes Einspruchsverfahren und computerisiertes Besteuerungsverfahren Bei der Steuerverwaltung handelt es sich seit jeher um „Massenbetrieb“.118 Darüber hinaus stieg die Zahl der außergerichtlichen Rechtsbehelfe ab Inkrafttreten der Abgabenordnung kontinuierlich und erheblich an.119 Ziel von Reformbemühungen war daher stets, der immensen Anzahl von Rechtsbehelfsverfahren gerecht zu werden. Durch die Zuständigkeit der Finanzämter für Einsprüche und der Oberfinanzdirektionen für Beschwerden bestand

114  Das Bundesverfassungsgericht legte „besondere Fälle“ nicht als „konkrete Einzelfälle“, sondern als „Sachmaterien“ aus und ermöglichte so dem Landesgesetzgeber die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in einem ausgedehnten Rahmen: BVerfGE 35, 65 (75 f.). 115  BT-Drs. 13 / 5098 S. 23. 116  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 68 Rn. 11 f.; Meier, Das 6. VwGO-Änderungsgesetz und seine Folgen aus erstinstanzlicher Sicht, NVwZ 1998, 688 (693); Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1031; Schmieszek, Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, NVwZ 1996, 1151 (1155). Andere Ansicht: Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn. 24. Wortlaut in BT-Drs.  13 / 5098 S. 23: „bereichsspezifisch“; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 68 Rn. 17a. 117  Überblick bei Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 5 und Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 539 f. 118  Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 296: „Der Einspruch ist ein Mittel zur Entlastung der Behörde. Müßte sie schon bei der ersten Verfügung mit peinlicher Genauigkeit verfahren, so müsste ihr oft ein Heer von Beamten zur Verfügung stehen. Da dies nicht der Fall ist, kann man von der ersten Verfügung nicht immer verlangen, daß sie dem Rechte gemäß ist. Von den 50000 Empfängern der ersten Verfügung werden sich die damit Unzufriedenen, vielleicht 1000, schon rühren. Dann ist Zeit genug zur genauen Prüfung, für 49000 Fälle ist die Arbeit gespart. Man findet den Einspruch meistens dort, wo Verfügungen im Massenbetrieb erlassen werden …“ 119  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 41.

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1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

häufig die Notwendigkeit der Aktenübersendung.120 Außerdem bereitete die Abgrenzung von Einspruch und Beschwerde vielen Steuerpflichtigen Probleme.121 Daher wurde der Einspruch im Grenzpendlergesetz,122 das am 1. Januar 1996 in Kraft trat, als einheitlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf anstelle des zweigeteilten Rechtbehelfsverfahrens eingeführt, um das Rechtbehelfsverfahren so zu vereinfachen, zu beschleunigen und übersichtlicher zu machen.123 Von herausragender Bedeutung ist die aktuelle umfassende Reform der Abgabenordnung, die den Entwicklungen moderner Informationstechnologien gerecht werden soll und dem Leitbild der vollautomatisierten Einkommensteuerveranlagung entspricht.124 Das am 3. Februar 2016 vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossene Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wird am 1. Januar 2017 in Kraft treten.125 Während des Gesetzgebungsverfahrens hatten zahlreiche Interessengruppen Gelegenheit zur Stellungnahme,126 was auf großes Lob gestoßen ist.127 Das Gesetz, das große Fortschritte im Bereich der nationalen E-Government-Strategie macht,128 dient auch im Rahmen der anderen Verwaltungsverfahren als Vorbild. Während des Gesetzgebungsverfahrens fragte man sich, ob Regelungen zum vollautomatischen Erlass von Verwaltungsakten und zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten über Behördenportale in das VwVfG und SGB X aufzunehmen seien.129 Erst in dessen Schlussphase entschied man sich für den Gleichklang aller Verfahrensordnungen.130 120  BT-Drs. 12 / 7427

S. 35. S. 35. 122  Zur Kritik an der Bezeichnung „Grenzpendlergesetz“ für eine Reform des Rechtsbehelfsverfahren: Felix, Mogelpackung, NJW 1994, 3065 (3066); Koch / Schreiner, Präklusion nach § 364b AO – die Leiden einer gesetzlichen Regelung, DStR 1998, 1197 (1197); Sangmeister, Verkürzung des Rechtsschutzes im Finanzrechtsstreit durch den Steuergesetzgeber, BB 1994, 1679 (1679). 123  BT-Drs. 12 / 7427 S. 35. 124  Heintzen, Das gemeinsame Konzept von Bund und Ländern zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, DÖV 2015, 780 (780). 125  BT-Drs.  18 / 7457. Inkrafttreten gemäß Art. 20 Abs. 1 vorbehaltlich des Abs. 2, wonach einzelne Regelungen bereits mit Verkündung in Kraft treten. 126  Diskussionsentwurf unter: http: /  / www.bundesfinanzministerium.de / Content /  DE / Standardartikel / Themen / Steuern / 2014-11-21-Modernisierung-des-Besteuerungs verfahrens-Diskussionsentwurf-Anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt aufgerufen am 01.10.16). 127  Peters, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens – Nachjustierungsbedarf hinsichtlich der Risiko- und Lastenverteilung, FR 2015, 1026 (1026); Vinken, Diskussion um die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist eröffnet, DStR-KR 2015, 9 (9). 128  BR-Drs. 631 / 15 S. 61. 121  BT-Drs. 12 / 7427



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III. Erweitertes sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Die Statthaftigkeit sozialrechtlicher Widersprüche hat sich zunehmend erweitert. Am 1. Januar 1975 wurde das Vorverfahren für alle Bereiche eingeführt. Es bestand nun die Möglichkeit, das Vorverfahren auch in der Unfallversicherung und in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten bei Verwaltungsakten, die eine Leistung betreffen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, durchzuführen.131 Das Widerspruchsverfahren wurde allerdings als fakultatives Vorverfahren ausgestaltet, um dem Betroffenen eine zusätzliche Korrekturmöglichkeit zu gewähren, ohne das Gericht anrufen zu müssen, und somit die Sozialgerichtsbarkeit zu entlasten und andererseits die unter Umständen unnötige Verlängerung des Verfahrens zu umgehen.132 Im Einigungsvertrag wurde das in § 78 Abs. 2 SGG geregelte fakultative Vorverfahren jedoch gestrichen. Seit dem 1. September 1990 ist somit grundsätzlich in allen Bereichen des Sozialrechts ein Vorverfahren zwingend, um die Sozialgerichtsbarkeit zu entlasten.133 Schließlich ist die Zulässigkeit des Sozialrechtswegs zunehmend erweitert worden, wodurch in den betreffenden Rechtsgebieten das Widerspruchsverfahren gemäß §§ 78 ff. SGG durchzuführen ist. So entscheiden nun die Sozialgerichte in etwa über Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes.134

D. Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Verwaltungsprozessordnungen Schon vor Erlass der Gerichtsgesetze der einzelnen Rechtswege bestanden Bestrebungen, das Prozessrecht zu vereinheitlichen. Im Jahre 1956 forderte 129  Angermüller / Kriekebohm, Anforderungen und Perspektiven von Risikomanagement-Ansätzen im öffentlichen Sektor, insbesondere im Sozialversicherungsrecht, SGb 2015, 430; Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern, Automatisiert erlassene Verwaltungsakte und Bekanntgabe über Internetplattformen, NVwZ 2015, 1114 (1115); Braun Binder, Elektronische Bekanntgabe von Verwaltungsakten über Behördenportale, NVwZ 2016, 342 (342, 346 f.); Braun Binder, Vollautomatisierte Verwaltungsverfahren im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht? NVwZ 2016, 960; Siegel, Der virtuelle Verwaltungsakt, VerwArch 105 (2014), 214 (255 ff., 261). 130  BT-Drs. 18 / 8434 S. 122; Prell, in: Bader / Ronellenfitsch, VwVfG, § 35a Rn. 4. 131  Gesetz zur Änderung des SGG; BT-Drs. 7 / 2024 S. 3. 132  BT-Drs. 7 / 861 S. 9. 133  BT-Drs. 11 / 7817 S. 35. 134  Hierzu und zu weiteren Änderungen: Gutzeit, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 51 Rn.  3 ff.

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der Bundestag die Bundesregierung auf, einen Entwurf einer umfassenden Prozessordnung vorzulegen.135 Damals strebte man allerdings die sogenannte „große Lösung“ an. Eine einheitliche Verfahrensordnung sollte für alle Gerichtszweige, mit Ausnahme der Strafgerichtsbarkeit und freiwilligen Gerichtsbarkeit, gelten und dabei deren Besonderheiten berücksichtigen. Der 42. Deutsche Juristentag diskutierte daher das Thema „Empfiehlt es sich, die verschiedenen Zweige der Rechtsprechung ganz oder teilweise zusammenzufassen?“ und beschloss, die Gerichtsgesetze insoweit aneinander anzupassen, als es mit den Aufgaben der verschiedenen Gerichtszweige vereinbar war, behielt allerdings die Beantwortung der Frage nach der Realisierbarkeit der „großen Lösung“ weiteren Untersuchungen vor.136 Aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen den Gerichtsbarkeiten, entschied man sich im Rahmen der anschließenden Reformbestrebungen allerdings für die sogenannte „kleine Lösung“, also die Vereinheitlichung des Finanz-, Sozial- und Verwaltungsprozessrechts.137 Diese sollen bezüglich der außergerichtlichen Vorverfahren im Folgenden im Ansatz dargestellt werden. Der erste Entwurf eines einheitlichen Verwaltungsgerichtsgesetzes wurde unter der Leitung von Carl Hermann Ule im Jahre 1969 an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer gefertigt und trägt daher den Namen „Speyrer Entwurf“.138 Hierin wurden die drei außergerichtlichen Rechtsbehelfe zu einem einheitlichen Widerspruch zusammengefasst. Das Vorverfahren als Sachurteilsvoraussetzung sollte maßgeblich im Verwaltungsgerichtsgesetz geregelt werden.139 Man sah also vor, den Einspruch und die Beschwerde durch den Widerspruch zu ersetzen.140 Neben dieser bedeutendsten Änderung wurde auch für das sozialgerichtliche Verfahren das grundsätzliche Erfordernis der Durchführung eines Vorverfahrens vorgesehen.141 Unterschieden trug man in der Art Rechnung, dass allgemeine Regelungen Ausnahmen für das sozialgerichtliche und finanzgerichtliche Vorverfahren vorsahen. So bei den Fragen, wann ein Vorverfahren ausnahmsweise nicht stattfindet oder bei welchen unzuständigen Behörden fristwahrend Wider-

135  BT-Drs. 2 / 2435.

136  Ständige Deputation des Deutschen Juristentages, Verhandlungen des 42. DJT, Band II, (Sitzungsberichte) E 156. 137  Ule, Für ein einheitliches Verwaltungsgerichtsgesetz, NJW 1968, 967 (967). 138  Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes. 139  Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, S. 266. 140  Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, S. 275 f. 141  Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, S. 267 f. Zum Zeitpunkt des Entwurfes war dieses teilweise noch als fakultatives Vorverfahren ausgestaltet. Siehe S. 43.



1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren45

spruch eingelegt werden kann.142 Darüber hinaus waren eine einmonatige Widerspruchsfrist, der grundsätzliche Devolutiveffekt und die Untätigkeitsklage vorgesehen.143 Ein von der Bundesregierung ins Leben gerufener Koordinierungsausschuss stellte durch Weiterentwicklung des Speyrer Entwurfs im Jahre 1978 einen Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung fertig.144 Der größte Unterschied zum Speyrer Entwurf bestand darin, dass das Zusammenführen aller außergerichtlichen Rechtsbehelfe zu einem einheitlichen Widerspruchsverfahren nicht beibehalten wurde. Bundesgesetze, also auch die Abgabenordnung, konnten das Vorverfahren abweichend regeln. Der Einspruch und die Beschwerde blieben vom VwPO-Entwurf unberührt.145 Diese wesentliche Entscheidung gegen die Vereinheitlichung wurde bedauert.146 Weiterhin sprach man sich für die Möglichkeit der Sprungklage in allen drei Rechtswegen aus.147 Der Entwurf des Koordinierungsausschusses wurde in einem Regierungsentwurf weiterentwickelt, über den der Bundestag sowohl im Jahre 1982 als auch im Jahre 1985 zu beschließen hatte.148 Die Unterscheidung zwischen Widerspruchsverfahren einerseits und Einspruchs- und Beschwerdeverfahren andererseits wurde beibehalten. Ein allgemeiner Abschnitt, der nun neben der Untätigkeits- und Sprungklage ebenfalls ein Untätigkeitsvorverfahren vorsah, sollte für alle drei außergerichtlichen Vorverfahren gelten.149 Ein zweiter Abschnitt betraf ausschließlich die Vorverfahren in der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit.150 Die eingebrachten Entwürfe einer Verwaltungsprozessordnung wurden vom Gesetzgeber jedoch nie verabschiedet. Man erklärt sich dies damit, dass

142  §§  86 und 88 EVwGG. Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, S.  270 ff., 277 ff. 143  §§ 88, 91 und 93 EVwGG. Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, S.  277 ff., 285 ff., 294 f. 144  Bundesministerium der Justiz, Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung. 145  § 82 EVwPO (1978). Bundesministerium der Justiz, Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung, S. 232. 146  Krasney, Das Vorverfahren im Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung, 1982, 406 (409). 147  §§ 80 EVwPO. Bundesministerium der Justiz, Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung, S.  229 f. 148  BT-Drs. 9 / 1851 und BT-Drs. 10 / 3437. 149  §§ 71–77 EVwPO (1982, 1985). BT-Drs.  9 / 1851 S. 106 ff.; BT-Drs.  10 / 3437 S.  106 ff. 150  §§ 78–81 EVwPO (1982, 1985). BT-Drs.  9 / 1851 S. 109 f.; BT-Drs.  10 / 3437 S.  109 f.

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1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

man mit einem derartigen Thema keine Wahlen gewinnen könne.151 Außerdem seien die Besonderheiten der einzelnen Verwaltungsrechtswege zu groß.152 Insbesondere die Finanzgerichtsbarkeit forderte immer mehr Spe­ zialregelungen, weshalb man sich fragte, ob sich eine Vereinheitlichung überhaupt noch rentiere.153 Schließlich wird spekuliert, dass das Gesetzgebungsverfahren zu lange dauerte und die Begeisterung für das Thema schlicht nachließ.154

E. Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts Den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder fehlen der Reichsabgaben- und Reichsversicherungsordnung vergleichbare Vorgänger. Vielmehr wurden mit ihnen erstmals rechtsgebietsübergreifende Verfahrensregelungen erlassen. Ziel dieser Gesetze war also stets Vereinheitlichung und Vereinfachung.155 Im Zuge ihres Erlasses wurde daher erwogen, das Finanzund Sozialverwaltungsverfahren einzubeziehen.156 Dagegen sprachen zum einen die sich für die Verwaltungsverfahren unterscheidenden Gesetzgebungskompetenzen.157 Zum anderen versprach man sich von Vereinheit­ lichung, insbesondere wegen teilweise großer materiell-rechtlicher Unterschiede zwischen den Rechtsgebieten, nicht notwendigerweise Qualität.158 Daher besteht auch im Verwaltungsverfahrensrecht die historisch gewachsene Unterteilung in die drei Säulen des Verwaltungsrechts fort.159

151  Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1265). 152  Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1263). 153  Ule, Abgesang auf die einheitliche Verwaltungsprozeßordnung, DVBl. 1991, 509 (510). 154  Ule, Abgesang auf die einheitliche Verwaltungsprozeßordnung, DVBl. 1991, 509 (510). 155  Siehe S. 38. 156  Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1958), 118 (144, 147); Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einleitung I Rn. 1. 157  Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1958), 118 (156 ff.). 158  Aus diesem Grund wurde vorgeschlagen, etappenweise vorzugehen und zunächst anzugleichen: Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1958), 118 (149 ff.). 159  BT-Drs. 6 / 1173 S. 29 f.



1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren47

F. Aktualität von Vereinheitlichungsbestrebungen Vereinheitlichungsbestrebungen haben nicht an Aktualität verloren. Mit dem Argument, die Spezifika der Rechtsgebiete seien so gering, dass sie in einem einheitlichen Verfahrensgesetz niedergelegt werden sollten, wird regelmäßig für ein übergreifendes Verwaltungsverfahrensgesetz plädiert.160 Die Idee zur Vereinheitlichung der (Verwaltungs-)prozessordnungen hat sogar eine regelrechte „Renaissance“ erfahren, die in der Bestrebung, die Gerichtszweige zusammen zu legen, wurzelt.161 Die Justizminister der Länder erhoffen sich durch das Zusammenlegen der Gerichtszweige die flexible Einsetzbarkeit der Richter und somit erhöhte Effizienz und Kostenersparnisse.162 Damit geht die Überlegung einher, dass ein einheitlicher Gerichtszweig, in dem unterschiedliches Verfahrensrecht anzuwenden ist, keinen Sinn ergibt.163 Es kann zwar nach dem Scheitern der ursprünglichen, langwierigen Vereinheitlichungsbestrebungen bezweifelt werden, ob es jemals zu einer einheitlichen (Verwaltungs-)prozessordnung kommen wird, die Idee jedoch „lebt“.164 160  Dittus, Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts in den Ländern, in: Blümel, Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 79 (90 f.); Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklungen, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 67 (129); Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch, S. 340 ff.; Peine, Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts, LKV 2012, 1 (3); Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Blümel, Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 19; Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, S. 99 ff. Zur Bekanntgabe: Pump / Krüger, Rechtspolitisches Plädoyer für die Einführung eines Bekanntgabegesetzbuchs, VR 2014, 188. Andere Ansicht: Henneke / Ruffert, in: Knack / Henneke, VwVfG, vor § 1 Rn. 8. Nach anderer Ansicht ist lediglich die Angleichung der bestehenden Regelungen wünschenswert: BT-Drs.  8 / 2034 S. 60; Stober, Gebotene Einheit und bestehende Differenzierungen des Verwaltungsverfahrensrechts im SGB, SGb 1990, 225 (227 f.); Diering / Waschull, in: Diering / Timme, SGB X, Einleitung Rn. 15 f. 161  Top I.1.3 des Beschlusses der 76. Justizministerkonferenz (siehe Fn. 28); Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309; Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1264); Meyer-Ladewig, Zur Aktualität einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung, in: Merten, Justizreform und Rechtsstaatlichkeit, 63 (64); Redeker, Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten? NJW 2004, 496. 162  Siehe vorherige Fn. 161. Andere Ansicht, wonach flexibler Personaleinsatz auch ohne Zusammenlegung der Gerichtszweige möglich sei: Weth, Einige prozessrechtliche Anmerkungen zur großen Justizreform, NZA 2006, 182 (183). 163  Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 58 f.; Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1265). 164  Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (343 ff.); Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1265);

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1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren

Es stellt sich die Frage, worin die Vorteile der Vereinheitlichung liegen, da sie jedenfalls kein Selbstzweck ist.165 Durch die Zusammenlegung der drei Säulen des Verwaltungsrechts würde sich die Anzahl der Normen drastisch reduzieren, wodurch Übersichtlichkeit und Praktikabilität stiegen.166 Beim Bestehen dreier Verwaltungsgerichtsgesetze ist die Bereitschaft der Fachgerichtsbarkeiten, wortgleiche Normen gleich auszulegen, geringer.167 Diese Unterschiede sind häufig „Fallstricke“ für betroffene Anwälte und Bürger.168 Doch nicht nur für sie, sondern auch für Gerichte und Verwaltung, würde sich die Rechtsauslegung, die Rechtsanwendung und das Rechtsverständnis durch einheitliche Regelungen erheblich erleichtern.169 Die Vereinheitlichung der drei Säulen des Verwaltungsrechts würde somit insgesamt den Rechtsschutz und die Rechtssicherheit verbessern.170 Schließlich fände eine ErMeyer-Ladewig, Zur Aktualität einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung, in: Merten, Justizreform und Rechtsstaatlichkeit, 63 (64); Weth, Einige prozessrechtliche Anmerkungen zur großen Justizreform, NZA 2006, 182 (183). Dass die sogenannte große Lösung nach wie vor „nicht erreichbar und vielleicht auch nicht wünschenswert oder Notwendig“ ist, geht aus Pernice-Warnke, Tagungsbericht zur Tagung Junger Prozessrechtswissenschaftler „Einheit der Prozessrechtswissenschaft?“, DÖV 2016, 297 (299) hervor. 165  Schenke, Mehr Rechtsschutz durch eine einheitliche Verwaltungsprozeßordnung?, DÖV 1982, 709 (713); Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Blümel, Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 19 (28). 166  Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 62; Laubinger, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 61 (64); Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1264). 167  Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (344); Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 61 f.; Redeker, Vereinheitlichung der öffentlichrechtlichen Gerichtsbarkeiten? NJW 2004, 496 (497). 168  Redeker, Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten? NJW 2004, 496 (497). 169  BT-Drs.  9 / 1851 S. 61; Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 66; Klappstein, Rechtseinheit und Rechtsvielfalt im Verwaltungsrecht, S. 9; Laubinger, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 61 (64); Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheit­lichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1264); Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, S. 95; Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Blümel, Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 19 (27); Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Blümel, Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 19 (28); With, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 13 (17). 170  BT-Drs.  9 / 1851 S. 61; Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-recht­ lichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309



1. Teil: Entstehung der außergerichtlichen Vorverfahren49

leichterung der wissenschaftlichen Durchdringung der betreffenden Normen statt.171 Dies gilt insbesondere, da das allgemeine Verwaltungsrecht bisher als Referenzgebiet für das Steuer- und Sozialrecht diente, diesen aber wiederum bedauerlicherweise keine Steuerungsfunktion für die Fortentwicklung des allgemeinen Verwaltungsrechts zukam.172 Gegen die Vereinheitlichung spricht, dass sich das bisherige – wenn auch historisch gewachsene – System der drei Verwaltungsverfahren und der drei Verwaltungsgerichtsbarkeiten bewährt hat. Daraus folgt die Notwendigkeit starker Gründe für die Rechtsänderung.173 Immerhin würden entsprechende Gesetzesvorhaben sowohl einen immensen Vorbereitungsaufwand als auch hohe Anstrengungen bei der Umsetzung und Anwendung des neuen Rechts erfordern.174 Letztlich ist also entscheidend, wie viele Einzelregelungen Vereinheitlichungspotential aufweisen. Je mehr Normen angleichungswürdig sind, desto eher sollten die genannten Hürden der Vereinheitlichung genommen werden.

(335); Klappstein, Rechtseinheit und Rechtsvielfalt im Verwaltungsrecht, S. 9; MeyerLadewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1264); Weth, Einige prozessrechtliche Anmerkungen zur großen Justizreform, NZA 2006, 182 (183). 171  BT-Drs.  9 / 1851 S. 61; Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 63, 65; Hufen, Ist das Nebeneinander von Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit funktional und materiell begründbar?, Die Verwaltung 42 (2009), 405 (431); Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1264); Ule, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes, S. 96; Wahl, Vereinheitlichung oder bereichsspezifisches Verwaltungsverfahrensrecht, in: Blümel, Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 19 (28); With, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 13 (17). 172  Hufen, Ist das Nebeneinander von Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit funktional und materiell begründbar?, Die Verwaltung 42 (2009), 405 (432); Musil, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, Einführung AO Rn. 101; Waldhoff, Abgabenrecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 101. 173  Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 55; Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1264 f.). 174  Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (343); Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 55; Meyer-Ladewig, Aktualität einer Vereinheit­ lichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1265); Weth, Einige prozessrechtliche Anmerkungen zur großen Justizreform, NZA 2006, 182 (186).

Zweiter Teil

Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren Der zweite Teil dieser Arbeit widmet sich der Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren. Hierzu sind die Zwecke zu beleuchten, die die außergerichtlichen Vorverfahren verfolgen. Ferner ist die Stellung der außergerichtlichen Vorverfahren zwischen Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Verfahren darzustellen. Schließlich ist auf die Besonderheiten der drei Rechtsgebiete, die in den außergerichtlichen Vorverfahren umgesetzt werden, einzugehen.

A. Zwecke der außergerichtlichen Vorverfahren Der Normzweck ist wesentlich für die teleologische Auslegung der die außergerichtlichen Vorverfahren betreffenden Regelungen.175 Es ist daher zunächst auf die grundlegenden Zwecke des außergerichtlichen Vorverfahrens einzugehen. Diese sind der Rechtsschutz des Vorverfahrensführers, die Selbstkontrolle der Verwaltung und die Entlastung der Gerichte. Einzelne, spezielle Regelungen des Vorverfahrens können natürlich darüber hinaus weitere Normzwecke verfolgen.176 Problematisch ist allerdings, ob diesen Zwecken in der Rechtsanwendungspraxis entsprochen wird. Außerdem ist abstrakt zu untersuchen, welche allgemeinen Auswirkungen diese Zwecke für die Auslegung von Regelungen in den Verfahrensgesetzen haben können. I. Rechtsschutz des Vorverfahrensführers Ist ein Betroffener der Ansicht, ein Verwaltungsakt oder die Ablehnung eines Antrages auf Vornahme eines Verwaltungsaktes seien rechtswidrig, so kann er regelmäßig bei der Behörde veranlassen, dass diese ihre Entscheidung überprüft. Durch dieses erneute Befassen mit der Rechtssache erhält der Vorverfahrensführer die Möglichkeit, zu seinem Recht zu kommen, bevor sich ein Richter mit der Sache befasst, es wird ihm also zusätzlicher Rechts175  von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 112; Oppermann, Die Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 47. 176  So dienen viele verfahrensrechtliche Regelungen der Ausgestaltung der Grundrechte. Siehe S. 83 ff.



2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren51

schutz gewährt,177 der mit dem gerichtlichen Rechtsschutz gleichwertig ist.178 Es handelt sich stets um zusätzlichen Rechtsschutz, da es gemäß Art. 19 Abs. 4 GG unzulässig wäre, gerichtlichen Rechtsschutz durch das Vorverfahren auszuschließen.179 Weiterhin wird im Gegensatz zum gerichtlichen Rechtsbehelf eine umfassende Überprüfung sowohl der Recht- als auch der Zweckmäßigkeit vorgenommen.180 Bei der Vorverfahrensbehörde handelt es sich um eine weitere, dem Richter vorgeschaltete Kontrollinstanz.181 Ferner ist der außergerichtliche Rechtsbehelf an geringere Formerfordernisse gebunden als das gerichtliche Verfahren und wird rascher durchgeführt. Hat der Vorverfahrensführer also schon im Vorverfahren Erfolg, kommt er unkomplizierter und schneller zu seinem Ziel.182 Abschließend ist anzumerken, dass nicht nur die rechtsprechende Gewalt gemäß Art. 92 GG Rechtsschutz gewähren kann.183 Die Einordnung des Vorverfahrens als bloßes „notwendiges Durchgangsstadium“184 zu den Gerichten ist daher abzulehnen. 177  BT-Drs. 1 / 4278 S. 40; Hanschel, Das Widerspruchsverfahren als föderales Experimentierfeld, in: Baumeister / Roth / Ruthig, FS Schenke, 777 (779); Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524); Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 42. Andere Ansicht: Freitag, Die reformatio in peius im Verwaltungsverfahren, VerwArch 56 (1965), 314 (324 f.). 178  So auch Köhler, Das Widerspruchsverfahren der Sozialversicherungsträger, WzS 1997, 294 (295), nach dem es sich keinesfalls um eine „kleinere oder mindere Form des Rechtsschutzes, sondern eine grundsätzliche gleichwertige Vollkontrolle“ handelt. 179  Siehe Fn. 291. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 2. 180  BT-Drs. 1 / 4357 S. 26; BT-Drs. 3 / 55 S. 38; Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 31; Birkenfeld, in: Birkenfeld / Daumke, Das neue außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren, I Rn. 8; Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2001, 1074; Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 47; von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 123 f.; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn. 14; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 1; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 77 Rn. 1a. 181  Heins, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, S. 44. Bei fehlendem Devolutiveffekt entscheidet zumindest die organisatorisch eigenständige Rechtsbehelfsstelle: Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 46. 182  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 31 f.; Hanschel, Das Widerspruchsverfahren als föderales Experimentierfeld, in: Baumeister / Roth / Ruthig, FS Schenke, 777 (779); Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 47 (zum zeitlichen Vorteil); Kopp, Die Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO, in: Bender /  Breuer / Ossenbühl / ‌Sendler, FS Redeker, S. 543 (544); Larsen, Das Vorverfahren der VwGO, VR 2012, 80 (81); Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524); Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 45. 183  Siehe S. 68. Andere Ansicht: Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995), 77 (85 ff.);

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2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren

II. Selbstkontrolle der Verwaltung Das Vorverfahren dient außerdem der Selbstkontrolle der Verwaltung. Die Verwaltung ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden und erhält durch die Möglichkeit der Fehlerkorrektur die Gelegenheit, eine objektiv richtige Entscheidung herbeizuführen.185 Bei der Selbstkontrolle handelt es sich um eine „originäre Verwaltungstätigkeit“.186 Der Zweck der Selbstkontrolle verdeutlicht sich zum einen in der, im Gegensatz zu den Gerichten, vollumfänglichen Überprüfung sowohl der Recht- als auch der Zweckmäßigkeit der Entscheidung durch die Behörde.187 Zum anderen hat die Verwaltung die Möglichkeit, die Entscheidung unter bestimmten Voraussetzungen zu verbösern.188 Dem Zweck der Selbstkontrolle der Verwaltung wird auch dann Genüge getan, wenn ein Ausschuss über den Erfolg des Vorverfahrens entscheidet, da auch Ausschüsse Verwaltungsbehörden sind.189 Schließlich schadet es nicht, dass der Betroffene durch das Einlegen des Rechtsbehelfs das Vorverfahren in Gang setzt und so die Selbstkontrolle der Verwaltung initiiert. Hierdurch wird vielmehr das Nebeneinander der beiden Zwecke der Selbstkontrolle der Verwaltung einerseits und des Rechtsschutzes des Vorverfahrensführers andererseits erkennbar.190

Trzaskalik, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung im Lichte der allgemeinen Prozessrechtslehre, S. 29 f., 41. Diese lehnen die Rechtsschutzfunktion des Vorverfahrens ab. 184  Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995) 77 (85). 185  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 16; Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2001, 1074; Larsen, Das Vorverfahren der VwGO, VR 2012, 80 (81). Vgl. Köhler, Das Widerspruchsverfahren der Sozialversicherungsträger, WzS 1997, 294 (295). 186  Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2001, 1074. 187  BT-Drs. 1 / 4278 S. 40; Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 32; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 16; Larsen, Das Vorverfahren der VwGO, VR 2012, 80 (81); Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 1. 188  Siehe S.  150 ff. Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 32; Larsen, Das Vorverfahren der VwGO, VR 2012, 80 (81). 189  von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 126. 190  von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 127.



2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren53

III. Entlastung der Gerichte Weiterhin zielt das außergerichtliche Vorverfahren darauf ab, die Gerichte zu entlasten.191 Das Vorverfahren erfüllt dadurch eine so genannte „Filterfunktion“,192 der jedenfalls dann entsprochen wird, wenn das Vorverfahren erfolgreich ist und die Verwaltung den Streitfall selbst zu beenden in der Lage ist.193 Allerdings kann das Vorverfahren auch bei fehlendem Erfolg dieser Funktion nachkommen. Die verfassungsrechtlich determinierte194 Begründung des Vorverfahrensbescheides kann den Betroffenen im Einzelfall von der Richtigkeit der Behördenentscheidung überzeugen und ihn daher von der Klageerhebung absehen lassen.195 Entscheidet er sich dennoch, Klage zu erheben, wird die Entscheidungsfindung des Gerichts durch die zusammengefasste Darstellung des Sach- und Streitstandes in der Begründung des Vorverfahrensbescheides vereinfacht.196 IV. Ausgleich der Funktionen Diese drei Funktionen stehen sich bei der teleologischen Auslegung einer Norm entgegen.197 Ihnen kann regelmäßig nicht gleichermaßen entsprochen werden. Legt man beispielsweise eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Vorverfahrens eng aus, so führt dies zu einer erhöhten „Filterung“ für das gerichtliche Verfahren und somit zu einer erweiterten Entlastung der Gerichte, der Rechtsschutz des Bürgers und die Selbstkontrollmöglichkeiten der Behörde werden jedoch geschmälert. Daher können durch das Heranziehen einzelner Funktionen und das Auslassen der anderen Funktionen vielzählige 191  BT-Drs. 1 / 4357 S. 22 (SGG); BT-Drs. 1 / 4278 S. 40 (VwGO); Birkenfeld, in: Birkenfeld / Daumke, Das neue außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren, I Rn. 9; Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2001, 1074; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 2; Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524); Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 1. 192  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 1; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1029; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 77 Rn. 1a; Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 46; Ule, Verwaltungsprozessrecht, § 23 II. 193  von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 118. 194  Siehe S. 87. 195  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 1; Schoch, Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, Jura 2003, 752 (752). 196  von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 121. 197  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 2.

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2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren

Auslegungsergebnisse erreicht werden. Entscheidend muss sein, wie die Zwecke im Rahmen der konkreten Norm im Wege einer Abwägung in einen gerechten Ausgleich gebracht werden können.198 Hierbei kann nicht abstrakt, d. h. losgelöst von der zu untersuchenden Norm, vom Überwiegen der Bedeutung einer Funktion ausgegangen werden.199

B. Außergerichtliche Vorverfahren zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess Die Zuordnung der außergerichtlichen Vorverfahren entweder zum Verwaltungsverfahren oder zum Gerichtsverfahren ist von herausragender Bedeutung. So können sich bei der jeweiligen Zuordnung unterschiedliche Gesetzgebungszuständigkeiten ergeben.200 Außerdem kann die Einordnung bei der Auslegung von Normen und bei der Frage, welche Normen (analog) anzuwenden sind,201 wenn vorverfahrensspezifische Regelungen fehlen, eine Rolle spielen. Die außergerichtlichen Vorverfahren stellen Verwaltungsverfahren dar.202 Im Steuerrecht wird das Einspruchsverfahren sogar als verlängertes Veranla198  Geis,

in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 2. in: Knack, VwVfG (Altauflage 2004), vor § 79 Rn. 8; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 2; Hofmann, Das Widerspruchsverfahren als Sach­ entscheidungsvoraussetzung und als Verwaltungsverfahren, in: Erichsen / Hoppe /  von Mutius, FS Menger, 605 (615 f.); Schoch, in: Ehlers / Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, § 20 Rn. 4. Andere Ansichten: Erichsen, Das Vorverfahren nach §§ 68  ff VwGO, Jura 1992, 645 (646); von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 114 ff. Wenn man mit Oppermann geht, dann sind rechtstatsächliche Erwägungen als Argumentationshilfen für die Beantwortung der Rangfolge der Bedeutung der Funktionen der Vorverfahren heranzuziehen (Oppermann, Die Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 54 ff.). Dann wäre die Rangfolge der Funktionen in den drei Vorverfahren aufgrund der unterschiedlichen Erfolgsquoten unterschiedlich. Siehe hierzu S. 62. 200  Siehe S.  91 ff. 201  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 79 Rn. 7. 202  Verwaltungsrecht: BVerwGE 22, 281 (283); Allesch, Die Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, S. 26; Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1959), 118 (119); Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 2; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 22  ff.; Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2001, 1074 (1075); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 11; von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 21 ff.; Oppermann, Die Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 34 ff.; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1027. Sozialrecht: BSGE 16, 21; BSGE 20, 199; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 77 Rn. 4a. Andere Ansicht: 199  Busch,



2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren55

gungsverfahren eingestuft.203 Die Einordnung als Verwaltungsverfahren folgt zunächst aus der organisatorischen Abgrenzung von Verwaltung und Justiz:204 Die Entscheidung über den Erfolg des Vorverfahrens erfolgt durch eine Behörde in Form eines Verwaltungsaktes. Die Verwaltung tritt gegenüber dem Bürger, auch bei bestehendem Devolutiveffekt, als Einheit, und nicht wie ein Richter als neutrale dritte Instanz auf. Ferner spricht der erweiterte Prüfungsumfang im Vorverfahren, der neben der Rechtmäßigkeits- auch die Zweckmäßigkeitskontrolle umfasst und dem gerichtlichen Verfahren fremd ist, für die Zuordnung zum Verwaltungsverfahren.205 Schließlich zielt das Vorverfahren gerade darauf ab, einen Gerichtsprozess zu vermeiden.206 Dennoch ist die Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens zugleich Sachurteilsvoraussetzung. Das Vorverfahren steht daher in einem engen Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren,207 denn beide Verfahren dienen dem Rechtsschutz und dem Finden einer objektiv richtigen Entscheidung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten.208 Für den Betroffenen stellt sich diese Entscheidungsfindung als einheitlicher zeitlicher Ablauf dar, der mit dem Ausgangsverwaltungsverfahren beginnt, in das Vorverfahren übergeht und in das Gerichtsverfahren mündet.209 Aufgrund der Einordnung des Vorverfahrens in das Verwaltungsverfahren einerseits und des engen Zusammenhangs zum gerichtlichen Verfahren wegen der Eigenschaft als Sachurteilsvoraussetzung andererseits wurde der Begriff „Doppelnatur“210 des Vorverfahrens geprägt. Dieser Begriff wird als Trzaskalik, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung im Lichte der allgemeinen Prozessrechtslehre, S. 20 ff. 203  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 29; Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 61; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, vor § 347 AO Rn. 24; Stolterfoht, Die Verwirk­ lichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995) 77 (83). 204  Allesch, Die Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, S. 26; Hommel, in: Peters / Sautter / Wolff, Sozialgerichtsbarkeit, § 78 Nr. 2; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 11; Oerder, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung, S. 16; Schoch, Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, Jura 2003, 752. 205  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 11; von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 28 f.; Schoch, Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, Jura 2003, 752. 206  Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, S. 220. 207  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 10. 208  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 10. 209  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 10; Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 30 f. 210  Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 68 Rn. 1; Larsen, Das Vorverfahren der VwGO, VR 2012, 80.

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2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren

missverständlich kritisiert, da das Vorverfahren ausschließlich dem Verwaltungsverfahren zuzuordnen ist.211 Es wird teilweise vorgeschlagen, stattdessen den Begriff „Doppelfunktion“212 oder „Doppelcharakter“213 zu verwenden. Kritik ist jedenfalls dann nicht berechtigt, wenn der Begriff richtig verstanden wird:214 Das Vorverfahren bildet eine zeitliche Schnittstelle. Mit ihm endet das gesamte Verwaltungsverfahren, und der Streitfall kann in das gerichtliche Verfahren münden.215 Aufgrund dieser Eigenschaft als Bindeglied216 verursacht das Vorverfahren neben funktionalen auch normative Verbindungen von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren.217

C. Besonderheiten der drei Rechtsgebiete Materiell-rechtliche Besonderheiten der Steuer- und Sozialrechts, die teilweise verfassungsrechtlich bedingt sind, können Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht haben. Sie sind ebenso wie das Spezifikum der Massenverwaltung in bestimmten Regelungsbereichen darzustellen. I. Verfassungs- und materiell-rechtliche Besonderheiten Sowohl das Prozessrecht als auch das Verfahrensrecht können nicht unabhängig vom materiellen Recht untersucht werden, denn zwischen materiellem und formellem Recht besteht ein „unauflösliche Verwobenheit“.218 Dem 211  Dürr, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 79 Rn. 21; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 22; Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995) 77 (84); Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 79 Rn. 7. 212  Schoch, Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, Jura 2003, 752; Schoch, in: Ehlers /Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, § 20 Rn. 2. 213  Glaser, in: Gärditz, VwGO, § 68 Rn. 1; Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, § 28 Rn. 120. 214  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 79 Rn. 2. 215  Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S.  31. Diese Abgrenzung entspricht der Abgrenzung von Exekutive und Judikative im Rahmen des Gewaltenteilungsgrundsatzes. Siehe S. 68. 216  Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995) 77 (84). 217  Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 31. 218  von Groll, Das Handeln der Finanzverwaltung als Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens, DStJG 18 (1995), 47 (48). Zum Verfahrensrecht: Hensel, Steuerrecht, S. 55; Peine, Entwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts, LKV 2012, 1



2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren57

Verfahrensrecht wird eine „dienende Funktion“ zugeschrieben.219 Das Verwaltungsverfahren ist „Verwirklichungsmodus“220 des materiellen Rechts.221 Mit diesen Begriffen soll die eigenständige Bedeutung des Verfahrensrechts jedoch nicht negiert oder abgeschwächt werden.222 Vielmehr bringen diese Bezeichnungen zum Ausdruck, dass es die Funktion des Verfahrensrechts ist, das materielle Recht durchzusetzen. Auch materielles Recht und Prozessrecht beeinflussen sich gegenseitig. Das Prozessrecht ist keine bloße „Magd des materiellen Rechts“.223 Der Gesetzgeber muss daher beim Erlass des formellen Rechts das damit auszuführende materielle Recht und dessen Besonderheiten berücksichtigen.224 Aus der Verwobenheit der Regelungsmaterien folgt weiterhin, dass dem materiellen Recht bei der Ausfüllung von Entscheidungsspielräumen und bei der teleologischen Auslegung des Verfahrens- und Prozessrechts Rechnung getragen werden muss.225 (1 f.). Zum Prozessrecht: Sendler, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 147 (150). 219  Diering / Waschull, in: Diering / Timme, SGB X, Einleitung Rn. 24 f.; Wallerath, in: von Maydell / Ruland / Becker, SRH, § 11 Rn. 3; Wolff, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte, in: Pitschas / Uhle, FS Scholz, 977 (977). 220  Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 25 (1992) 21 (24); Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (153 ff.); Wahl, in: Blümel, Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 19 (41); Wolff, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte, in: Pitschas / Uhle, FS Scholz, 977. 221  Häberle, Verfassungsprinzipien „im“ Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Schmitt Glaeser, Verwaltungsverfahren, FS Boorberg Verlag, 47 (49); Sendler, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 147 (150). 222  Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 278 (286 f.); Gurlit, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 227 (238 f.); Sendler, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 147 (150). Zur Kritik an der Bezeichnung „dienende Funktion des Verfahrens“: Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 31. 223  Sendler, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 147 (150). 224  Gurlit, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 227 (237); Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedanke im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band  II § 27 Rn. 65; vgl. Sendler, in: Merten, Die Vereinheit­ lichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 147 (150). 225  Vgl. Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 278 (284 f.); Hensel, Steuerrecht, S. 55; Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, S. 11; Sendler, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 147 (150); Stelkens, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, DVBl. 2010, 1078 (1079); Wahl, in: Blümel,

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2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren

1. Sozialrecht Das materielle Sozialrecht wird maßgeblich vom Sozialstaatsprinzip beeinflusst. Dieses in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Prinzip gibt dem Gesetzgeber auf, die Lebensverhältnisse so auszugestalten, dass sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit entsprochen wird.226 Kollidierende Interessen zwischen Bedürftigen einerseits und Nicht-Bedürftigen bzw. dem Fiskus andererseits müssen in einen bestmöglichen Ausgleich gebracht werden, um annehmbare Lebensbedingungen für jedermann herzustellen.227 Das Sozialstaatsprinzip wird hauptsächlich im materiellen Sozialrecht realisiert, das aber wiederum im Verfahrens- und Prozessrecht durchgesetzt wird. Daher strahlt der Sozialstaatsgrundsatz auch auf das Verwaltungsverfahren und das gerichtliche Verfahren aus und führt zu einigen sozialstaatlich motivierten Regelungen.228 Zusammen mit der Menschenwürde werden aus dem Sozialstaatsprinzip der Schutz und die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums abgeleitet.229 Dies hat jedoch keinesfalls zur Folge, dass nur Ansprüche, die der Sicherung des Existenzminimums dienen, vom Sozialstaatsprinzip umfasst werden.230 So basieren beispielsweise auch Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die weit über dem Existenzminimum liegen, auf dem Sozialstaatsprinzip, da sie der sozialen Sicherheit im Alter dienen.231 Umgekehrt kann ein Eingriff in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch die Pflicht, Mitglied einer Sozialversicherung zu sein, anhand des gesetzgeberischen Ziels einer funktionierenden sozialstaatlichen Ordnung gerechtfertigt werden.232 Eine anderweitige Eigenheit des Sozialrechts, die sich auf das Sozialverwaltungsverfahrensrecht auswirkt, ist historisch bedingt.233 Das Sozialver­ Die Vereinheitlichung des Verwaltungsverfahrensrechts, 19 (40); Wolff, Die dienende Funktion der Verfahrensrechte, in: Pitschas / Uhle, FS Scholz, 977 (977). 226  BVerfGE 27, 253 (283); 45, 376 (387); Waltermann, Sozialrecht, Rn. 15. Dem entspricht § 1 SGB I. 227  BVerfGE 1, 97 (105). 228  Diering / Waschull, in: Diering / Timme, SGB  X, Einleitung Rn. 27; Wallerath, in: von Maydell / Ruland / Becker, SRH, § 11 Rn. 18. Kritisch: Hufen, Ist das Neben­ einander von Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit funktional und materiell begründbar?, Die Verwaltung 42 (2009), 405 (417 f.); Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (314). 229  St. Rspr., beispielsweise: BVerfGE 82, 60 (80); 99, 246 (259 ff.); 125, 175 (222 ff.). Zur Rechtsprechung des BVerfG auch Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, S. 121 ff. 230  Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, S. 122 ff., 150 ff., 270 ff. 231  Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, S. 270 ff. 232  BVerfGE 29, 221 (235 ff.); 29, 245 (253 ff.).



2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren59

sicherungsrecht ist von funktionaler Selbstverwaltung geprägt.234 Als Kompensation für den Versicherungszwang können sich die Mitglieder selbst verwalten.235 Sozialversicherungsträger vermitteln zwischen Staat und Gesellschaft.236 2. Steuerrecht Das Steuerrecht ist das Eingriffsrecht zur Einkommenserzielung des Staates.237 Daraus folgt, dass im Wege des Steuerrechts hauptsächlich Geldleistungspflichten auferlegt werden und diese insbesondere in Vermögensinteressen des Steuerschuldners eingreifen.238 Im Steuerrecht fordert der allgemeine Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG eine gerechte Verteilung der Steuerlasten auf die Steuerpflichtigen. Daraus folgt das sogenannte Leistungsfähigkeitsprinzip als fundamentales Prinzip gerechter Besteuerung, wonach entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden muss.239 Das Steuerrecht befasst sich daher, im Gegensatz zum Sozialrecht, das wirtschaftlicher Bedürftigkeit, also „negative Leistungsfähigkeit“ zum Gegenstand hat, mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.240 Daher kann im Gegensatz zum Sozialrecht zumindest in der Regel vom Fehlen finanzieller und sozialer Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden. Eine weitere Besonderheit des Steuerrechts besteht darin, dass Steuertatbestände aufgrund der Gesetzesbindung der Finanzverwaltung und des Gebotes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung kein Ermessen eröffnen.241 Insbeson233  Isensee, Staat und Verfassung, in: Isensee / Kirchhof, HbStR  II, § 15 Rn. 136; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung S. 189 ff. 234  Heußner, Die Entwicklung der Sozialrechtspflege in Deutschland, DRiZ 1979, 129 (130); Kirchhof, Allgemeines Verwaltungsrecht, in: Deutscher Sozialgerichtsverband, FS Bundessozialgericht, Band  2, 537 (541, 576 ff.); Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: Isensee / Kirchhof, HbStR  IV § 96 Rn. 78. Zum verfassungsrechtlichen Rahmen: Schüffner / Franck, in: Sodan, Krankenversicherungsrecht, § 36 Rn. 22 ff. 235  Zur Frage der Vereinbarkeit der Selbstverwaltung mit dem Demokratieprinzip: Muckel, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand des Demokratieprinzips, NZS 2002, 118. 236  Fuchs / Preis, Sozialversicherungsrecht, § 3 IV. 237  Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 1 Rn. 27; Waldhoff, Abgabenrecht, in: Ehlers / Fehling / ‌Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 1, 3. 238  Vgl. Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 1 Rn. 27. 239  St. Rspr., beispielsweise BVerfGE 82, 60 (89 f.); 99, 246 (260); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 40 ff.; Waldhoff, Abgabenrecht, in: Ehlers / Fehling /  Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 45 ff. 240  Lang, in: Tipke / Lang, Steuerrecht (Altauflage 2010), § 1 Rn. 26. 241  Koenig, in: Koenig, AO, § 5 Rn. 7; Kruse, Über das Ermessen im Verwaltungsund Steuerrecht, in: Krebs, Liber Amicorum Erichsen, 77 (83); Wernsmann, in:

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2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren

dere im Steuerverwaltungsverfahrensrecht lassen sich trotzdem zahlreiche Ermessensnormen finden.242 Auswirkungen auf die Signifikanz des Einspruchsverfahrens hat außerdem die Zweistufigkeit der Finanzgerichtsbarkeit.243 Im Gegensatz zur Sozialund Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es traditionell bedingt nur eine Tatsacheninstanz.244 Dies begründet der Gesetzgeber damit, dass die Tatsachenermittlung im Steuerrecht weniger umstritten ist und Finanzbehörden aufgrund des fehlenden Ermessens bei der Steuerfestsetzung schon eine „echte Rechtsentscheidung“ treffen.245 3. Allgemeines Verwaltungsrecht Das Sozialstaatsprinzip als Verfassungsgrundsatz wirkt sich auch auf das allgemeine Verwaltungsrecht aus.246 Außerdem können dem Bürger auch im allgemeinen Verwaltungsrecht, insbesondere in Form von Gebühren und Beiträgen, öffentliche Geldleistungspflichten auferlegt werden.247 Allerdings liegt der Schwerpunkt des allgemeinen Verwaltungsrechts im Gegensatz zum Sozialrecht nicht in der Gewährleistung sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit und im Gegensatz zum Steuerrecht nicht in der Einnahmeerzielung des Staates. Es besteht daher regelmäßig weder eine soziale Schutzbedürftigkeit des Widerspruchsführers noch eine Beschränkung auf Vermögensinteressen eines wirtschaftlich leistungsfähigen Vorverfahrensführers. Durchgängige materiell-rechtliche Besonderheiten gegenüber dem Sozial- und Steuerrecht existieren im allgemeinen Verwaltungsrecht nicht. Es handelt sich schließlich um die allgemeine der drei Säulen des Verwaltungsrechts. Hübsch­mann / ‌Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 5 AO Rn. 41. Im Gegensatz zu Ermessensspielräumen in materiell-rechtlichen Sozialrechtsnormen: Dörr / Francke, Sozialverwaltungsrecht, Kapitel 3 Rn. 26. 242  Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 146; Koenig, in: Koenig, AO, § 5 Rn. 7. 243  BT-Drs. 3 / 127 S. 29. 244  Herbert, in: Gräber, FGO, § 2 Rn. 1; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 60. 245  BT-Drs.  3 / 127 S. 29. Der Entwurf einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung sah das Beibehalten der Zweistufigkeit der Finanzgerichtsbarkeit vor: BTDrs.  9 / 1851 S. 65. Für eine dreistufige Finanzgerichtsbarkeit: Schmieszek, Die Finanzgerichtsordnung, in: Kirchhof / ‌Jakob / Beermann, FS Offerhaus, 773 (783 f.); Weber-Grellet, Cui bono? Zur Verbesserung des Rechtsschutzes durch eine dreistufige Organisation der Finanzgerichtsbarkeit, DStZ 1987, 20. 246  Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 40 Rn. 84; Schmitz, in: Stelkens /  Bonk / Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 47. 247  Waldhoff, Abgabenrecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 116 ff.



2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren61

4. Wertungswidersprüche Im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren treten sozialstaatliche Erwägungen in den Hintergrund, wenn sich ein Rechtsstreit beispielsweise zwischen Sozialbehörden oder zwischen Sozialbehörden und Leistungserbringern ereignet, da hier keine Leistungsempfänger oder Sozialversicherten betroffen sind. Zwar darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Vorverfahrensbeteiligten Teil des Systems der sozialen Sicherheit sind.248 Dennoch entsprechen diese Streitigkeiten wertungsmäßig eher solchen zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen des allgemeinen Verwaltungsrechts oder ähneln berufsrechtlichen Fragen im allgemeinen Verwaltungsrecht. Schließlich richten sich auch sozialversicherungsrechtliche Abgaben nach de Leistungsfährigkeitsprinzip.249 Außerdem hat das Sozialstaatsprinzip als Verfassungsrecht auch auf das Steuerrecht Auswirkungen.250 Danach darf der Staat das Einkommen nicht besteuern, das sich unterhalb der Grenze des Existenzminimums bewegt. Der Staat hat nämlich nicht die Befugnis, einer Person im Wege der Besteuerung das zu nehmen, was sie für ein menschenwürdiges Dasein benötigt und er ihr zu geben verpflichtet wäre, würde es ihr fehlen.251 Er würde sie sonst zum Anspruchsberechtigten von Sozialleistungen machen.252 Ein Steuerpflichtiger kann daher sozial ebenso schützenswert sein wie ein Empfänger von Arbeitslosengeld II: Ist Inhalt des Einspruchsverfahrens, ob das Einkommen des Bürgers besteuerbar ist oder ob es sich um das steuerfreie Existenzminimum handelt, streitet der Einspruchsführer gleichermaßen um den Erhalt seines menschenwürdigen Daseins wie ein Bedürftiger, der um die Höhe seiner Grundsicherung für Arbeitssuchende im Rahmen des zweiten Sozialgesetzbuches streitet. Außerdem verpflichtet das Sozialstaatsprinzip den Steuergesetzgeber, soziale Gesichtspunkte bei der Besteuerung existenzsichernder Aufwendungen zu berücksichtigen.253 Beispielsweise werden daher bei der Bestimmung des zu versteuernden Einkommens Sonderausgaben – wie etwa Vorsorgeaufwendungen gegen Alters- und Krankheitsrisiken –254 und außer248  Sodan,

in: Sodan, Krankenversicherungsrecht, § 2 Rn. 80 ff. Abgabenrecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 182. 250  BVerfGE 99, 246 (259 f.); OVG Münster DVBl. 2014, 58 (58 f.); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 210; Waldhoff, Abgabenrecht, in: Ehlers / Fehling /  Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 57. 251  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 161. 252  Leisner, Existenzsicherung im Öffentlichen Recht, S. 341. 253  BVerfGE 32, 333 (339); 99, 246 (259 ff.); OVG Münster DVBl. 2014, 58 (58 f.). 254  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8 Rn. 711. 249  Waldhoff,

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2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren

gewöhnliche Belastungen – wie etwa krankheitsbedingte Aufwendungen –255 des Steuerpflichtigen berücksichtigt.256 Sind diese Aufwendungen Gegenstand des Einspruchsverfahrens, besteht auch im Bereich des Steuerrechts soziale Schutzwürdigkeit wie im Sozialrecht. II. Massenverwaltung und Notwendigkeit der Verwaltungseffizienz Haben sich Behörden mit einer großen Anzahl von Vorverfahren zu befassen und werden sie „der Masse der Fälle kaum mehr Herr“257, wird dies als „Massenverwaltung“ oder „Massenverfahren“ qualifiziert.258 Dabei handelt es sich nicht um termini technici, weshalb die Einstufung als Massenverwaltung und etwaige Folgen der Einstufung eine Wertungsfrage sind. Sowohl im Ausgangsverwaltungsverfahren als auch bei der Bearbeitung von Einspruchsbescheiden durch die Finanzämter handelt es sich fast ausschließlich um derartige Massenverwaltung.259 Im Jahr gehen rund 4 Millionen Einsprüche ein,260 was dazu führt, dass das Einspruchsverfahren sogar 255  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8 Rn. 717; Sodan, in: Sodan, Krankenversicherungsrecht, § 2 Rn. 53 ff. 256  §§ 10, 32, 33 EStG. Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8 Rn. 700, 719; Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, S. 183 ff., 198 ff. 257  Pietzcker, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 192 (194). 258  Desens, Bindung der Finanzverwaltung an die Rechtsprechung, S. 79; Heins, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, S. 260; Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (916); Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 43; Zagajewski, Das fakultative Widerspruchsverfahren, S. 62. 259  Desens, Bindung der Finanzverwaltung an die Rechtsprechung, S. 79; Heins, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, S. 260; Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (916); Waldhoff, in Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 1. 260  Genauer laut den Statistiken des BMF über die Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern: Im Jahr 2009: 5.245.016. Im Jahr 2010: 3.745.379. Im Jahr 2011: 3.606.824. Im Jahr 2012: 4.139.601. Im Jahr 2013: 4.231.429. Im Jahr 2014: 3.467.424. Im Jahr 2015: 3.456.326. Im Jahr 2016: 3.322.249. Zahlen für 2009–2011 unter http: /  / www.bundesfinanzministerium.de / Content / DE / Monatsberichte / 2012 /  10 / Inhalte / Kapitel-3-Analysen / 3-4-einspruchsbearbeitung-in-finanzaemtern.html (zuletzt aufgerufen am 30.06.18). Zahlen für 2012–2015 unter: http: /  / www.bundes finanzministerium.de / Content / DE / Monatsberichte / 2016 / 09 / Inhalte / Kapitel-3-Ana lysen / 3-5-Statistiken-ueber-Einspruchsbearbeitung-in-Finanzaemtern.html (zuletzt aufgerufen am 30.06.18). Zahlen für 2016 unter http: /  / www.bundesfinanzministe rium.de / Content / DE / Standardartikel / Themen / Steuern / Weitere_Steuerthemen / Ab



2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren63

als verlängertes Veranlagungsverfahren angesehen wird.261 Ein Vergleich mit den anderen Verwaltungszweigen ist schwierig, da Zahlen lediglich bereichsoder länderspezifisch erfasst werden.262 Dennoch kann auch der Großteil der Sozialverwaltung als Massenverwaltung eingestuft werden.263 Beispielsweise gehen gegen SGB II-Bescheide im Jahr rund 750.000 Widersprüche ein.264 Bei Rentenanpassungen sind Widerspruchszahlen in Höhe von 1 bis 2 Millionen im Jahr nicht unüblich.265 Ist das Widerspruchsverfahren der VwGO durchzuführen, handelt es sich lediglich bei einzelnen Regelungsbereichen um Massenverwaltung. Hierzu zählen beispielsweise das Abgabenrecht und das Ausbildungs- und Studienförderungsrecht.266 Je höher die Anzahl der durchzuführenden Vorverfahren, desto mehr Bedarf besteht an qualifiziertem Fachpersonal und desto mehr Zeit muss diesem für die Bearbeitung sowohl im Ausgangs- als auch im Rechtsbehelfsverfahren eingeräumt werden. Wird diesem Bedarf aus wirtschaftlichen oder organisatorischen Gründen nicht entsprochen, ist erhöhte Fehleranfälligkeit der Bescheide die Folge. Hierfür sprechen die Erfolgsquoten im steuerrechtlichen Einspruchs- und im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren. Im Einspruchsverfahren wird rund zwei Dritteln aller Einsprüche (teilweise) abgeholfen.267 Bei SGB II-Widersprüchen beträgt die Erfolgsquote rund 36 %.268 In diesen Fällen der hohen Erfolgsquote eines Vorverfahrens treten die Funktionen des Vorverfahrens in den Vordergrund, da insbesondere dann die Selbstkontrolle gabeordnung / BMF_Anordnungen_Allgemeines / 2017-10-19-statistik-ueber-die-ein spruchsbearbeitung-in-den-finanzaemtern-jahr-2016-anlage.pdf?__blob=publication File&v=2 (zuletzt aufgerufen am 30.06.18). 261  Siehe Fn. 203. 262  Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (919). 263  BT-Drs.  16 / 7716 S. 17; Desens, Bindung der Finanzverwaltung an die Rechtsprechung, S. 79; Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (916). 264  Genauer unter BT-Drs. 17 / 9335 S. 3: Im Jahr 2005: 666.969. Im Jahr 2006: 704.484. Im Jahr 2007: 763.887. Im Jahr 2008: 788.627. Im Jahr 2009: 805.234. Im Jahr 2010: 835.692. Im Jahr 2011: 721.600. 265  Genauer unter BT-Drs. 17 / 9335 S. 17. 266  Heins, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, S. 260; Müller-Rommel /  Meyer / Heins, Verwaltungsmodernisierung in Niedersachsen, S. 208. 267  Genauer: Im Jahr 2009: 68,1 %. Im Jahr 2010: 71,2 %. Im Jahr 2011: 67,5 %. Im Jahr 2012: 62,4 %. Im Jahr 2013: 64,2 %. Im Jahr 2014: 67,8 %. Im Jahr 2015: 64,5 %. Im Jahr 2016: 63,5 %. Zu den Statistiken des BMF über die Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern siehe Fn. 260. Zu den Erfolgsquoten siehe auch: Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 44. 268  Genauer unter BT-Drs. 17 / 9335 S. 5: Im Jahr 2005: 41,2 %. Im Jahr 2006: 37,8 %. Im Jahr 2007: 36,6 %. Im Jahr 2008: 36,4 %. Im Jahr 2009: 36,3 %. Im Jahr 2010: 34,6 %. Im Jahr 2011: 36,1 %.

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2. Teil: Signifikanz der außergerichtlichen Vorverfahren

der Verwaltung, die Entlastung der Gerichte und der zusätzliche Rechtsschutz des Bürgers erstrebenswert sind.269 Gestaltet der Gesetzgeber die außergerichtlichen Vorverfahren aus, so verfolgt er insbesondere im Falle der Massenverwaltung das Ziel einer möglichst effizienten Durchführung der Vorverfahren. Nur bei einem effizienten Ressourceneinsatz kann letztendlich die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen gewährleistet werden.270 Besonders deutlich wird dies bei der Steuerverwaltung, die der Einnahmeerzielung des Staates dient. Die Finanzverwaltung befindet sich in einem stetigen Konflikt zwischen möglichst gründlicher Aufklärung des einzelnen Sachverhalts und der Gewährleistung des Gesamtvollzugs und muss sich damit abfinden, dass letzterer nicht ausnahmslos möglich ist.271 Vielmehr kann die Höhe des fiskalischen Ertrags die Entscheidung über die Eröffnung und das Ausmaß von Ermittlungen beeinträchtigen.272 Je ausgedehnter die Verfahrensrechte des Einspruchsführers sind, desto größer sind die (personellen) Ressourcen für die Abwicklung des Einspruchsverfahrens und desto geringer ist der Ertrag des Staates. Aber auch im Sozialrecht können die Bedürfnisse der Antragsteller nur dann bestmöglich befriedigt werden, wenn der Sozialetat nicht verschwendet wird.273 Der Gesetzgeber beruft sich beispielsweise darauf, die Gewährung eines Verfahrensrechts sei „nicht praktikabel“274, und „ein erheblicher Verwal­ tungsaufwand“275 bzw. eine „nicht vertretbare Belastung der Verwaltung“276 sollen vermieden werden. Das Vorliegen von Massenverwaltung ist somit ein omnipräsenter Grund für Unterschiede zwischen den Vorverfahren.

269  BayVerfGH

NVwZ 2009, 716 (718 f.). in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 11 (21); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 2. 271  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 239; Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 5; Seer, in Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 6. So auch schon früher: Spitaler, Der maßvolle Gesetzesvollzug im Steuerrecht, StbJb 1961 / 1962, 461 und Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 296. 272  Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 5. 273  Pietzcker, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 192 (196). 274  So bei der Entscheidung, kein Akteneinsichtsrecht in die Abgabenordnung aufzunehmen: BT-Drs. 7 / 4292 S. 25. 275  So bei der Entscheidung gegen die Einführung von Einspruchsgebühren: BTDrs. 7 / 4292 S. 9. 276  Ebenfalls bezüglich des Akteneinsichtsrechts: BT-Drs. 7 / 4292 S. 9. 270  Hoffmann-Riem,

Dritter Teil

Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen 1. Kapitel

Verfassungsrechtliche Vorgaben für die außergerichtlichen Vorverfahren Grundsätzlich steht es dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber frei, außergerichtliche Vorverfahren vorzusehen oder nicht.277 Verfassungsrecht­ liche Beschränkungen dieser Freiheit, insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung des Vorverfahrens, sind jedoch aufgrund rechtsstaatlicher, grundrechtlicher und anderer verfassungsrechtlicher Erwägungen denkbar und im Folgenden zu untersuchen.

A. Rechtsschutzgarantie Gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG steht jedem, der von der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Daher stellt sich zunächst die Frage, ob diese Rechtsschutzgarantie einen Anspruch auf Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens eröffnet. Dies wäre dann der Fall, wenn man den Rechtschutz, den die Verwaltung gewährt, dem „Rechtsweg“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zuordnet. Art. 19 Abs. 4 GG kann jedoch nicht derart weit ausgelegt werden, vielmehr gewährleistet die Norm, den „Rechtsschutz durch den Richter“278, d. h. „den Weg zu den Gerichten“279. Der Gesetzgeber ist daher aufgrund der Rechtsschutzgarantie nicht verpflichtet, ein außergerichtliches Vorverfahren in die Verfahrensordnungen aufzunehmen.280

277  Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 73; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 20. 278  Papier, Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt, in: Isensee / Kirchhof, HbStR VIII, § 177 Rn. 57. 279  BVerfGE 10, 264 (267). 280  BVerfGE 35, 65 (73); 60, 253 (291); 69, 1 (48); Schenke, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 173; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 249.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

Ausnahmsweise kann jedoch in Fällen, in denen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz nicht möglich ist, aus der Rechtsschutzgarantie in Verbindung mit den materiellen Grundrechten eine Pflicht zur Errichtung eines vorherigen Verwaltungskontrollverfahrens folgen.281 Ein Beispiel hierfür liefert das Prüfungsrecht. Vorschriften zu Prüfungen, die bestanden werden müssen, um die Zugangsberechtigung zu einem bestimmten Beruf zu erhalten, sind an der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.282 Bei der Beurteilung eines Prüflings spielen vielerlei Faktoren eine Rolle, die bei einer späteren gerichtlichen Kontrolle keine oder nur eingeschränkte Berücksichtigung finden können.283 Daher hat die Prüfungsbehörde einen Beurteilungsspielraum inne, der sich der gerichtlichen Kontrolle entzieht.284 Der Prüfungskandidat muss die Möglichkeit haben, Kritik und Einwände gegen die gerichtlich nicht überprüfbare Beurteilung in einem Verwaltungskontrollverfahren vorzubringen.285 Da man den von der Verwaltung gewährten Rechtsschutz nicht zum „Rechtsweg“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zählt, ist andererseits fraglich, ob ein außergerichtliches Vorverfahren eine unzulässige Beschränkung des Zugangs zu den Gerichten darstellt, die gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt. Die Rechtsschutzgarantie kann nur wirksam gewährleistet werden, wenn der Gesetzgeber den Zugang zu den Gerichten ausgestaltet, es handelt sich insofern um ein normgeprägtes Grundrecht.286 Dennoch sind die jeweiligen Zugangsvoraussetzungen, also auch das außergerichtliche Vorverfahren, wegen der Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten wiederum an der Rechtsschutzgarantie zu messen.287 Dies kann man als „Vorwirkung“ des Art. 19 Abs. 4 GG auf das Verwaltungsverfahren bezeichnen.288 281  BVerfGE 84, 34 (46); BVerwGE 92, 132 (136 ff.); Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 68 Rn. 1b; Löwer, Kontrolldichte im Prüfungsrecht nach dem Maßstab des Bundesverfassungsgerichts, in: Bender / Breuer / Ossenbühl / Sendler, FS Redeker, 515 (518 ff); Schenke, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 173; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 1; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 26 und 249; Zagajewski, Das fakultative Widerspruchsverfahren, S. 19. 282  BVerfGE 52, 380 (388); 84, 34 (45). 283  BVerfGE 84, 34 (46, 52): So erfolgt die Beurteilung der Prüfungsleistung beispielsweise im Vergleich zu den anderen Prüfungskandidaten. 284  BVerfGE 84, 34 (52). 285  BVerfGE 84, 34 (47). 286  Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 1158. 287  Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 1175; von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 143; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 233. 288  Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und euro­ päischen Verwaltungsrecht, S. 287; Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben67

Nicht jede rechtliche oder tatsächliche Hürde für den Zugang zu den Gerichten stellt freilich einen Verstoß gegen die Rechtsweggarantie dar.289 Beschränkungen durch ein Vorverfahren finden ihre Berechtigung grundsätzlich darin, dass das Vorverfahren nicht nur dem Interesse der Verwaltung an einer Selbstkorrektur dient, sondern eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit für den Betroffenen bereitet.290 Ein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie und keine bloße Ausgestaltung liegt jedoch jedenfalls dann vor, wenn das Vorverfahren das gerichtliche Verfahren ersetzt und den Rechtsweg gänzlich ausschließt.291 Außerdem liegt ein Verstoß vor, wenn das außergerichtliche Vorverfahren den Zugang zu den Gerichten auf unsachgemäße oder unzumutbare Weise erschwert.292 So darf beispielsweise die Frist für die Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs nicht so kurz sein, dass dessen Durchführung erheblich beeinträchtigt ist und er regelmäßig zu scheitern droht.293 Weiterhin darf das Vorverfahren nicht zu einer unzumutbaren zeitlichen Verzögerung führen.294 Daher muss es dem Betroffenen möglich sein, Untätigdes Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), 60 (82); Mandelartz, Anhörung, Ab­sehen von der Anhörung, Nachholen der unterbliebenen Anhörung, DVBl. 1983, 112 (115); Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR  V, § 109 Rn. 31; Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 53. 289  BVerfGE 10, 264 (267); von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 142. 290  BVerfGE 40, 237 (256); Schenke, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 172; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 249. Zu den Funktionen des Vorverfahrens siehe S. 50 ff. Andere Ansicht Kniesch, Zur Verfassungsmäßigkeit des Vorverfahrens der Verwaltung als Voraussetzung des Verwaltungsgerichtsprozesses, NJW 1958, 576 (577): „Der Zwang, nicht die Kann-Bestimmung bedeutet m. E. auch einen Verstoß gegen den Art. 19 Abs. 4 GG … Was bedeutet dem von einem belastenden Verwaltungsakt Betroffenen die Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG, wenn er erst nach einem … Vorschaltverfahren … zu einem rechtskräftigen Urteil kommt. Der Staatsbürger erhält … in vielen Fällen Steine statt Brot!“. 291  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 6; Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 63; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / ‌Kirchhof, HbStR  V, § 109 Rn. 30; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 233. 292  BVerfGE 10, 264 (267 f.); 40, 237 (256); 40, 272 (274); 50, 217 (230 f.); 60, 253 (269); 69, 381 (385); Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, S. 287; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn. 9; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 1; Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995) 77, 82 f. 293  Vgl. Denninger, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee / Kirchhof, HbStR  IX, § 193 Rn. 73. Zu den Fristen siehe S. 137 ff. 294  BVerfGE 40, 237 (257); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 6.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

keitsklage zu erheben, wenn die Verwaltung ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.295

B. Gewaltenteilung Die Statuierung eines außergerichtlichen Vorverfahrens verstößt nicht gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. In außergerichtlichen Vorverfahren erhält die Verwaltung die Möglichkeit der Selbstkorrektur. Hierbei handelt es sich um „originäre Verwaltungstätigkeit“296 und um einen „historisch erstrittenen, substantiell eigenständigen“297 Aufgabenbereich der Verwaltung, der keine Probleme bezüglich der Abgrenzung zur Judikative aufwirft. Allerdings wird durch das Widerspruchsverfahren auch Rechtsschutz durch die Verwaltung gewährt. Ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG liegt dennoch nicht vor.298 In Art. 92 GG wird die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Das Gewähren von Rechtsschutz im Vorverfahren greift nicht in den Kernbereich der rechtsprechenden Gewalt ein, da nicht jede Form von Gewährung von Rechtsschutz Rechtsprechung ist.299 Vielmehr dient das außergerichtliche Vorverfahren der Abgrenzung zwischen Exekutive und Judikative und ist somit „Instrument des Gewaltenteilungsprinzips“:300 Die Exekutive darf dann nicht mehr entschei295  Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 249. § 75 VwGO, § 46 FGO, § 88 SGG. Zu den Untätigkeitsklagen siehe auch S. 120 ff. 296  Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2001, 1074 (1074). 297  Hanschel, Das Widerspruchsverfahren als föderales Experimentierfeld, in: Baumeister / Roth / Ruthig, FS Schenke, 777 (779); Cancik, Vom Widerspruch zum informalen Beschwerdemanagement, Die Verwaltung 2010 (43), 467 (497 f.). 298  Heins, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, S. 51 f.; von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 147 ff.; Köhler, Das Widerspruchsverfahren der Sozialversicherungsträger, WzS 1997, 294 (296); Zagajewski, Das fakultative Widerspruchsverfahren, S. 11; vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 10. Andere Ansicht: Kniesch, Zur Verfassungsmäßigkeit des Vorverfahrens der Verwaltung als Voraussetzung des Verwaltungsgerichtsprozesses, NJW 1958, 576 (577). 299  Bettermann, Das erfolglose Vorverfahren als Prozeßvoraussetzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, DVBl. 1959, 308 (311); Heins, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, S. 51 f.; König, Der Begriff des Rechtsschutzes und die öffentliche Verwaltung, in: Azrak (und andere), Studien über Recht und Verwaltung, 59 (74); von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 148 f.; Ule, Verfassungsrecht und Verwaltungsprozessrecht, DVBl. 1959, 537; Zagajewski, Das fakultative Widerspruchsverfahren, S. 11. 300  Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 44. Nach Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 17 dient die Tatsache, dass die Gerichte auf die Rechtskontrolle beschränkt sind und im Rahmen des Vorverfahrens ebenfalls



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben69

den, wenn das Vorverfahren abgeschlossen ist, und die Judikative kann erst dann entscheiden, wenn das Vorverfahren erfolglos durchgeführt wurde. Da sowohl die Verwaltung als auch die Gerichte Rechtsschutz im weiteren Sinne gewähren, ergänzen sich das Vorverfahren und das Gerichtsverfahren arbeitsteilig.301

C. Allgemeiner Gleichheitssatz Der allgemeine Gleichheitssatz ist bei der verfassungsrechtlichen Prüfung außergerichtlicher Vorverfahren in mehrfacher Hinsicht zu berücksichtigen. So spielt er bei der gesetzgeberischen Entscheidung über das „Ob“ eines Vorverfahrens, bei der Statuierung verschiedener Vorverfahren und deren Ausgestaltung eine Rolle. Außerdem ist Art. 3 Abs. 1 GG im Verhältnis von Vorverfahrensführer zu Behörde und im Vergleich des außergerichtlichen Vorverfahrens zum gerichtlichen Verfahren zu prüfen. Schließlich ist das Verhältnis von allgemeinem Gleichheitssatz zur Analogie darzustellen. I. Gesetzgeberische Entscheidung über das „Ob“ eines Vorverfahrens Zunächst ist die Entscheidung des Gesetzgebers, lediglich für bestimmte Rechtsfragen ein außergerichtliches Vorverfahren einzuführen, am allgemeinen Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Hiermit hatte sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof zu befassen, als das Widerspruchsverfahren in Bayern im Jahr 2007 teilweise abgeschafft wurde.302 Dabei ist von Bedeutung, dass ein Vorverfahren sowohl rechtsschutzerweiternd als auch rechtsschutzverkürzend wirken kann. Betroffene Personen können daher sowohl ein Interesse daran haben, dass in ihrer Konstellation ein Vorverfahren eingeführt oder auch abgeschafft wird.303

die Zweckmäßigkeit überprüft wird, „der Machtbegrenzung im demokratischen Staat“. Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 55 geht von häufigen Fehlern im Veranlagungsverfahren aus und begrüßt daher die Existenz des Einspruchsverfahrens, da Gerichte den Verwaltungsakt sonst erstmalig ausführlich überprüfen und dies eine gewaltenkonträre Verschiebung der Aufgaben der Finanzverwaltung auf die Gerichte bewirken würde. 301  Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 62 f. 302  BayVerfGH NVwZ 2009, 716. Hierzu auch: Steinbeiß-Winkelmann, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – ein Fortschritt?, NVwZ 2009, 686 (691). 303  Steinbeiß-Winkelmann, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – ein Fortschritt?, NVwZ 2009, 686 (691).

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich und wesentlich ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln.304 Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung werden unterschiedliche Maßstäbe herangezogen. Nach der sogenannten Willkürformel ist in Form einer Evidenzkontrolle zu prüfen, ob ein vernünftiger nachvollziehbarer Grund für die Ungleichbehandlung besteht.305 Nur wenn ein solcher ausscheidet, liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Nach der sogenannten neuen Formel erfolgt darüber hinaus eine Verhältnismäßigkeitsprüfung.306 Es ist zu untersuchen, ob „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“307. Welche Formel heranzuziehen ist, muss anhand der Intensität der Ungleichbehandlung im Einzelfall entschieden werden.308 Die strengere neue Formel ist zum einen heranzuziehen, wenn die Ungleichbehandlung an personen- statt an sachbezogene Kriterien anknüpft, da diese schwerer wiegen.309 Die außergerichtlichen Vorverfahren knüpfen nicht an personenbezogene Merkmale, sondern an das dem Sachverhalt entsprechend einschlägige Rechtsgebiet an.310 Die neue Formel ist außerdem anwendbar, wenn sich die Ungleichbehandlung nachteilig auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann.311 Die Statuierung eines außergerichtlichen Vorverfahrens hat zwar Auswirkungen auf die Rechtsschutzgarantie des Rechtsuchenden.312 In der Regel stellen Zugangsbeschränkungen zu den Gerichten jedoch noch keinen Eingriff in die Rechtsschutz­ garantie dar, da der Rechtsweg lediglich ausgestaltet wird.313 Das gilt ins­ besondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass außergerichtliche Vorverfahren, obwohl sie keinen „Rechtsschutz durch den Richter“314 eröffnen, dennoch zusätzlichen Rechtsschutz315 gewähren. Daher sind gleichheitsspezifische Rechtfertigungsanforderungen an die Entscheidung des Gesetz­ 304  St.

Rspr., beispielsweise BVerfGE 42, 64 (72); 49, 148 (165); 98, 365 (385). Grundrechte, Rn. 792 f. 306  Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 785. 307  BVerfGE 55, 72 (88). 308  BVerfG NJW 2013, 2257 (2258). 309  BVerfGE 55, 72 (88 f.); 88, 87 (96); Hufen, Staatsrecht II, § 39 Rn. 16. 310  BVerfGE 93, 99 (111). 311  BVerfGE 91, 346 (363); Kischel, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 48; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 795. 312  Siehe S.  66 f. 313  Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 1175. 314  Papier, Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt, in: Isensee / Kirchhof, HbStR VIII, § 177 Rn. 57 315  BT-Drs. 1 / 4278 S. 40; Hanschel, Das Widerspruchsverfahren als föderales Experimentierfeld, in: Baumeister / Roth / Ruthig, FS Schenke, 777 (779); Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524); Steinhauff, in: Hübsch305  Michael / Morlok,



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben71

gebers, lediglich in bestimmten Bereichen Vorverfahren vorzusehen, gering im Sinne einer reinen Willkürprüfung.316 Gründe, die den Gesetzgeber zum Einführen eines Vorverfahrens bewegen können, lassen sich in den Funktionen des außergerichtlichen Vorverfahrens finden.317 Außergerichtliche Vorverfahren dienen der Entlastung der Gerichte, dem Rechtsschutz des Betroffenen und der Selbstkontrolle der Verwaltung. Andererseits wird der Gesetzgeber davon absehen, ein Vorverfahren einzuführen, wenn diese Funktionen zurücktreten, weil ein Ausgangsverwaltungsverfahren nicht besonders konflikt- und fehleranfällig ist und daher nur wenige Rechtbehelfe mit einer geringen Erfolgsquote eingereicht werden. Dies kann daran liegen, dass ein Rechtsgebiet nicht besonders komplex ist, dass nur wenige Verwaltungsakte erlassen werden und dass hinreichend qualifiziertes Fachpersonal vorhanden ist.318 Unter diesen Umständen treten Gesichtspunkte der Verwaltungseffizienz und Verfahrensbeschleunigung in den Vordergrund und rechtfertigen somit die Ungleichbehandlung.319 II. Gesetzgeberische Entscheidung für unterschiedliche Vorverfahren Die gesetzgeberische Entscheidung, für verschiedene Regelungsbereiche unterschiedliche Vorverfahren einzuführen, ist ebenfalls am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen. Das Widerspruchsverfahren im allgemeinen Verwaltungsrecht, das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren und das Einspruchsverfahren unterliegen unterschiedlichen Regelungen in den drei Verfahrens- und Gerichtsgesetzen. Dennoch sind sie als Verwaltungsverfahren, die der Durchsetzung von Verwaltungsrecht dienen und Voraussetzung für den Zugang zu den (besonderen) Verwaltungsgerichten sind, wesentlich gleich.320 Außerdem verfolgen alle drei außergerichtlichen Vorverfahren die mann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 42. Andere Ansicht: Freitag, Die reformatio in peius im Verwaltungsverfahren, VerwArch 56 (1965), 314 (324 f.). 316  So im Ergebnis auch BayVerfGH NVwZ 2009, 716 (718) und Steinbeiß-Winkelmann, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – ein Fortschritt?, NVwZ 2009, 686 (691), die lediglich die Willkürformel anwenden und nach sachlichen Gründen suchen. Anders (bezüglich der Ausgestaltung des Art. 6 Abs. 1 GG): BVerfG ZFSH /  SGB 2011, 337 (337 f.). 317  Siehe S.  50 ff. 318  BayVerfGH NVwZ 2009, 716 (718 f.). 319  BayVerfGH NVwZ 2009, 716 (719). 320  Vgl. Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (336); Hufen, Ist das Nebeneinander von Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit funktional und materiell begründbar?, Die Verwaltung 42 (2009), 405 (408).

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

gleichen Zwecke.321 Die Unterschiede können jedoch gerechtfertigt werden, wobei aufgrund der sachbezogenen Unterscheidungskriterien und der geringen Auswirkungen auf grundrechtlich geschützte Freiheiten die Willkürformel anzuwenden ist.322 Daher ist nach sachlichen Gründen für die Schaffung drei unterschiedlicher außergerichtlicher Vorverfahren zu suchen. 1. Art. 95 Abs. 1 GG Zunächst könnte erwogen werden, dass die außergerichtlichen Vorverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Zugang zu Gericht wegen der Regelung des Art. 95 Abs. 1 GG, wonach für die Gebiete der Verwaltungs-, der Finanz-, und der Sozialgerichtsbarkeit als oberste Gerichtshöfe das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof und das Bundessozialgericht errichtet werden müssen, unproblematisch unterschiedlich ausgestaltet werden dürfen. Es ist allerdings bereits umstritten, ob diese Norm dazu verpflichtet, den obersten Gerichtshöfen jeweils einen eigenen fachgerichtlichen Instanzenzug zuzuordnen.323 So weitreichend, dass unterschiedliches Prozess- und gar Verfahrensrecht zweifelsohne zulässig ist, kann Art. 95 Abs. 1 GG daher nicht interpretiert werden.324 2. Besonderheiten der drei Rechtsgebiete Sachliche Gründe für das Einführen unterschiedlicher Vorverfahren lassen sich jedoch in den Besonderheiten der drei Rechtsgebiete finden. So dient nicht nur das materielle Sozialrecht, sondern auch das Sozialverwaltungsverfahrens- und Sozialprozessrecht der Umsetzung des Sozialstaatsprinzips.325 Der Widerspruchsführer im Sozialrecht ist in der Regel sozial schützenswert. Im Steuerrecht fehlt hingegen grundsätzlich eine derartige spezifische soziale Stellung, da der Einspruchsführer regelmäßig leistungsfähig ist. Im Steuerrecht lassen sich sachliche Gründe für ein eigenes Vorverfahren vielmehr im Erfordernis der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der 321  Siehe

S. 50. S. 70. 323  Dafür: Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 95 Rn. 9; Redeker, Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten? NJW 2004, 496 (496 f.). Dagegen: Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (339); Schenkel, Verbietet Art. 95 Abs. 1 GG die Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten auf Landesebene?, DÖV 2011, 481. 324  Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 83. 325  Wallerath, in: von Maydell / Ruland / Becker, SRH, § 11 Rn. 18. 322  Siehe



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben73

Besteuerung und der Notwendigkeit der Einkommenserzielung des Staates finden.326 Nicht zuletzt begründet die tatsächliche Eigenheit des Finanzverwaltungsverfahrens und weiter Bereiche des Sozialverwaltungsverfahrens als Massenverwaltung einen Grund für unterschiedliche Vorverfahren.327 Im Bereich der Massenverwaltung steht das Ziel des Gesetzgebers, eine effiziente Verwaltung zu gewährleisten, im Vordergrund.328 III. Ausgestaltung des jeweiligen Vorverfahrens Es ist also gleichheitsrechtlich möglich, für bestimmte Regelungsbereiche Vorverfahren vorzusehen und für andere nicht. Ebenfalls können unterschiedliche Vorverfahren statuiert werden. Daher ist im nächsten Schritt zu untersuchen, welche gleichheitsrechtlichen Anforderungen an den Vergleich einzelner Regelungen aus den unterschiedlichen außergerichtlichen Vorverfahren zu stellen sind. So könnte man beispielsweise Unterschiede zwischen der Fristenregelung des einen Vorverfahrens und der Fristenregelung eines anderen Vorverfahrens an Art. 3 Abs. 1 GG messen. Diesbezüglich kommen zunächst Erwägungen der Systemgerechtigkeit bzw. Folgerichtigkeit in Betracht. Grundsätzlich werden diese Stichworte herangezogen, um Gleichheitsverstöße innerhalb eines Systems zu begründen oder indizieren.329 Sie machen den Grundrechtsschutz also in der Regel umfassender. Vorliegend könnte Systemgerechtigkeit jedoch umgekehrt herangezogen werden, um Ungleichbehandlung aufgrund der Zugehörigkeit zu verschiedenen Systemen, namentlich zu verschiedenen Vorverfahren, zu rechtfertigen bzw. jedenfalls als Indiz für deren Rechtfertigung zu dienen.330 Für diese normgeprägte Gleichheit spricht, dass man – im Gegensatz zum umgekehrten Fall, in dem man Gleichheitsverstöße innerhalb eines Systems rechtfertigt – dem Gesetzgeber so mehr Gestaltungsspielraum lässt331 und die Sicherheit 326  Dies kommt z. B. in § 358 S. 2 AO zum Ausdruck. Eine vergleichbare Regelung fehlt für die Widerspruchsverfahren. Siehe S. 146. 327  Vgl. BT-Drs. 7 / 4292 S. 8, 9. 328  Siehe S. 64. 329  BVerfGE 1, 208 (248); 9, 20 (28); BSGE 2, 201 (217); Jarass, in: Jarass /  Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 34. 330  BVerfGE 34, 118 (130); von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 260; Kemmler, Geldschulden im Öffentlichen Recht, S. 673 ff.; Rüfner, in Kahl / Waldhoff / Walter, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 40. 331  Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 82. Zum umgekehrten Fall: Battis, Systemgerechtigkeit, in: Stödter / Thieme, FS Ipsen, 11 (26 f.).

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

und Berechenbarkeit des Rechts garantiert332. Gegen die Systembindung spricht jedoch, dass ein System ein willkürliches Konstrukt sein kann,333 sie im Einzelfall zu unbilligen Ergebnissen führt,334 eine Verkrustungsgefahr hervorruft,335 nicht in die Struktur des Art. 3 Abs. 1 GG passt336 und ein einfachrechtliches System zu einem verfassungsrechtlichen Maßstab macht337. Aufgrund dieser weitaus überzeugenderen Argumente ist die Systembindung abzulehnen und eine umfassenden Bindung des Gesetzgebers an den allgemeinen Gleichheitssatz anzunehmen.338 Im Ergebnis ist daher jede Regelung eines Vorverfahrens mit einer vergleichbaren Regelung eines anderen Vorverfahrens an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen, wobei für die Rechtsfertigung der Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund genügt.339 IV. Gleichheit zwischen dem Vorverfahrensführer und der Behörde Weiterhin darf der Vorverfahrensführer aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes im Rahmen desselben außergerichtlichen Vorverfahrens nicht 332  Battis,

Systemgerechtigkeit, in: Stödter / Thieme, FS Ipsen, 11 (26 f.). Die Gleichheitssätze, S. 136 f.; Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), 174 (206 f.). 334  Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), 174 (204). 335  BVerfGE 60, 16 (43); Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), 174 (205); Peine, Systemgerechtigkeit, S. 299 f.; Zacher, Soziale Gleichheit, AöR 93 (1968), 341 (357 f.). 336  Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), 174 (193). 337  Tappe, Festlegende Gleichheit, JZ 2016, 27 (31). 338  BVerfGE 59, 36 (49); 61, 138 (149); Boysen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3 Rn. 85 ff.; Kemmler, Geldschulden im Öffentlichen Recht, S. 673 ff.; Kempny / Reimer, Die Gleichheitssätze, S. 136 f.; Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), 174; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 58 ff.; Rüfner, in Kahl / Waldhoff / Walter, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 40 ff.; Zacher, Soziale Gleichheit, AöR 93 (1968), 341 (357 f.). 339  Zum Prüfungsmaßstab siehe S. 70. Zum Verhältnis Zivilprozess und Arbeitsgerichtsverfahren: BVerfGE 31, 306 (308). Zu den Kosten in den außergerichtlichen Vorverfahren: BVerfGE 35, 283 (294 ff.) Zum einstweiligen Rechtsschutz: Lemaire, Der vorläufige Rechtsschutz im Steuerrecht, S. 40  ff. Andere Ansicht: Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 8: „Gleichheitssatzwidrig ist die Ungleichbehandlung von Staatsbürgern in der gleichen Situation, nicht die unterschiedliche Behandlung in verschiedenen Verfahrenssituationen, die bei abstrahierender Betrachtung Parallelen aufweisen“; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1029, der jedoch das rechtspolitische Ziel der Angleichung bejaht. 333  Kempny / Reimer,



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben75

schlechter gestellt werden als die Behörde.340 Diesbezüglich hat sich der Begriff der „Waffengleichheit“ etabliert.341 V. Gleichheit im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren Art. 3 Abs. 1 GG kann schließlich zur Anwendung kommen, wenn eine Regelung zu einem außergerichtlichen Vorverfahren Unterschiede zu einer Regelung zum darauffolgenden gerichtlichen Verfahren aufweist. Unterschiede können aufgrund der Eigenheiten des Verwaltungs- bzw. gerichtlichen Verfahrens gerechtfertigt werden. So wird die Zweckmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung lediglich im Vorverfahren geprüft.342 Außerdem ist nur im gerichtlichen Verfahren das Gericht als dritte, unabhängige Instanz zur Entscheidung berufen.343 VI. Analogie bei der Statuierung unterschiedlicher Vorverfahren Bei einem Vergleich der drei außergerichtlichen Vorverfahren, der Rechte des Vorverfahrensführers mit den Rechten der Behörde und des Vorverfahrens mit dem gerichtlichen Verfahren wird sich bei der Feststellung von Unterschieden neben der Frage des Gleichheitsverstoßes zugleich die Frage der analogen Anwendung einer Norm aus einer anderen Verfahrens- oder Gerichtsordnung stellen. Daher sind die Voraussetzungen der Analogie darzustellen und das Verhältnis der analogen Anwendungen zum allgemeinen Gleichheitssatz zu betrachten, wobei unzweifelhaft ein enger Zusammenhang besteht, da Analogie Ausdruck des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist.344

340  Beispielsweise wenn nur der Behörde ein Anspruch auf Kostenerstattung zugebilligt wird: BVerfGE 27, 391 (395); BVerfGE 35, 283 (289); Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995) 77 (83). Siehe S. 204 und Fn. 1408. 341  BVerfGE 35, 283 (289); Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 100. 342  BVerfGE 35, 283 (292 f.); Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (160). 343  BVerwG NJW 1982, 300. 344  BFHE 111, 329 (332); Bach, Das Analogieverbot im Verwaltungsrecht, S. 169; Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 79; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, Rn. 889; Westerhoff, Analogie, Gleichheitssatz und „Umkehrschluss“, Rechtstheorie 28 (1997), 108; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 68.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

1. Voraussetzungen der Analogie Analogie ist die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen von ihr nicht erfassten Sachverhalt, der dem geregelten Sachverhalt allerdings ähnlich ist.345 Voraussetzung ist zunächst das Bestehen einer Regelungslücke.346 Diese Lücke muss weiterhin planwidrig, d. h. vom Gesetzgeber nicht bewusst oder gewollt ins Gesetz aufgenommen worden sein.347 Schließlich muss zwischen dem geregelten und dem ungeregelten Sachverhalt eine gewisse Ähnlichkeit bestehen, die anhand der hinter der Regelung stehenden gesetzgeberischen Intention zu ermitteln ist.348 Der Grund für die Regelung des einen Sachverhalts muss also gleichermaßen bei dem ungeregelten Sachverhalt bestehen.349 2. Voraussetzungen eines Gleichheitsverstoßes Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich und wesentlich ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln.350 Darauf basierend hat sich die Dogmatik herausgebildet, zunächst Vergleichsgruppen351 zu bilden und sodann die Ungleichbehandlung352 festzustellen. 345  Rüthers / Fischer / Birk,

Rechtstheorie, Rn. 889. 82, 6 (13); BVerfG NStZ 1995, 399 (400); BSGE 79, 41 (45, 48); BFHE 111, 329 (332); Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 63 ff.; Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, AöR 134 (2009), 83 (84); Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 65; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, Rn. 832 ff.; Schmidt, Die Analogie im Verwaltungsrecht, VerwArch 97 (2006), 139 (142 f.); Konzak, Analogie im Verwaltungsrecht, NVwZ 1997, 872 (873). 347  St. Rspr., beispielhaft: BVerfGE 116, 69 (83); BSGE 79, 41 (45, 48); BFHE 111, 329 (332). Ebenso: Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 69 ff.; Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, AöR 134 (2009), 83 (84 f.); Gern, Aktuelle Probleme des Kommunalabgabenrechts, NVwZ 1995, 1145 (1146); Guckelberger, Die Verjährung im öffentlichen Recht, S. 287 f.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 65; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, Rn. 832; Schmidt, Die Analogie im Verwaltungsrecht, VerwArch 97 (2006), 139 (143). 348  BVerfGE 116, 69 (84); BSGE 79, 41 (45, 48); BFHE 111, 329 (332); Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, AöR 134 (2009), 83 (85); Gern, Aktuelle Probleme des Kommunalabgabenrechts, NVwZ 1995, 1145 (1148); Guckelberger, Die Verjährung im öffentlichen Recht, S. 287; Schmidt, Die Analogie im Verwaltungsrecht, VerwArch 97 (2006), 139 (143). 349  Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 92 f.; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, Rn. 889; Schmidt, Die Analogie im Verwaltungsrecht, VerwArch 97 (2006), 139 (144 ff.). 350  St. Rspr., beispielsweise BVerfGE 42, 64 (72); 49, 148 (165); 98, 365 (385). 351  Hufen, Staatsrecht II, § 39 Rn. 4 f. 352  Hufen, Staatsrecht II, § 39 Rn. 12. 346  BVerfGE



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben77

Kann die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt werden, liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. 3. Analogie und allgemeiner Gleichheitssatz Durch die analoge Anwendung einer Rechtsnorm auf einen ähnlichen Sachverhalt kann ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verhindert werden.353 Die Rechtsnorm ist nun auf beide Sachverhalte anwendbar, eine Ungleichbehandlung liegt nicht mehr vor. Liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor, ist die analoge Anwendung einer Norm jedoch dann ausgeschlossen, wenn die Sachverhalte vom Gesetzgeber bewusst, also planmäßig, unterschiedlich behandelt wurden. Die Voraussetzung der Planwidrigkeit ist Ausdruck des Gewaltenteilungsgrundsatzes: Das Gericht darf sich nicht über eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers hinwegsetzen, da es sonst in den Kernbereich der Gesetzgebung eingreift.354 Bei fehlender Planwidrigkeit kann das Gericht die Frage der Verfassungswidrigkeit jedoch nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur Entscheidung vorlegen.355 Im Falle der Planwidrigkeit können Analogie und Art. 3 Abs. 1 GG jedoch gemeinsam geprüft werden.356 Besteht zwischen einem nicht geregelten und einem geregelten Sachverhalt „Ähnlichkeit“ im Sinne der Voraussetzung der Analogie, dann bedeutet dies, dass sie sich wesensmäßig derart gleich sind, dass eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt wäre.357 Die Vorausset353  Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 75; Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, AöR 134 (2009), 83 (86); Gern, Aktuelle Probleme des Kommunalabgabenrechts, NVwZ 1995, 1145 (1148); Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 65. 354  BVerfGE 8, 28 (34); 82, 6 (12); 96, 375 (394); Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, AöR 134 (2009), 83 (94); Guckelberger, Die Verjährung im öffentlichen Recht, S. 306 f.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 65; Sommermann, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 286. 355  Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, AöR 134 (2009), 83 (92); Westerhoff, Analogie, Gleichheitssatz und „Umkehrschluss“, Rechtstheorie 28 (1997), 108 (117). 356  Dies lässt sich aus BVerfGE 115, 51 (62 ff.) entnehmen, wonach ein Urteil gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, weil eine Norm nicht analog angewendet wurde. Im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG wird dargestellt, dass die Voraussetzungen der Analogie vorliegen. Die üblichen Voraussetzungen des Gleichheitssatzes werden hingegen nicht geprüft. So auch Bach, Das Analogieverbot im Verwaltungsrecht, S. 171. 357  Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 591; Gern, Aktuelle Probleme des Kommunalabgabenrechts, NVwZ 1995, 1145 (1148); Westerhoff, Analogie, Gleichheitssatz und „Umkehrschluss“, Rechtstheorie 28 (1997), 108 (113 f.).

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

zung „Ähnlichkeit“ der Analogiebildung entspricht daher den Voraussetzungen „ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem“ des allgemeinen Gleichheitssatzes. Daraus folgt, dass der Richter bei Vorliegen der Voraussetzungen der Analogie aufgrund des Gleichheitssatzes verpflichtet ist, eine Norm analog auf den nichtgeregelten Sachverhalt anzuwenden.358 4. Analogie zu Gunsten und zu Lasten des Vorverfahrensführers Ob die analoge Anwendung einer Rechtsnorm im öffentlichen Recht zu Lasten des Vorverfahrensführers möglich ist, ist umstritten. Dagegen sprechen Aspekte des Gewaltenteilungsgrundsatzes, des Demokratieprinzips, der Rechtssicherheit und des Vorbehaltes des Gesetzes. Jedenfalls wird die belastende Analogie im Verfahrens- und Prozessrecht weniger kritisch gesehen als im materiellen Recht und als zulässig erachtet.359 Dies zeigt sich beispielsweise im Rahmen der Diskussion, ob § 42 Abs. 2 VwGO analog auf andere Rechtsbehelfe, wie auch das Widerspruchsverfahren, anwendbar ist.360 Hier wird lediglich problematisiert, ob die Voraussetzungen der Analogie vorliegen.361 Die Frage, ob es sich um eine unzulässige belastende Analogie handelt, wird nicht aufgegriffen.

358  BVerfGE 115, 51 (62 ff.); Bach, Das Analogieverbot im Verwaltungsrecht, 169 ff.; Lindner, Die gleichheitsgebotene Doppelanalogie bei § 79 II BVerfGG, NVwZ 2008, 170 (172 f.). Andere Ansicht: Schmidt, Die Analogie im Verwaltungsrecht, VerwArch 97 (2006), 139 (162 f.). 359  BVerfG NStZ 1995, 399; BVerfGE 83, 24 (31 f.); Anschütz, Lücken in den Verfassungs- und Verwaltungsgesetzen, VerwArch 14 (1906), 315 (329); Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, AöR 134 (2009), 83 (103 f.); Friedrich, Gedanken zur verschärfenden Analogie im Steuerrecht, in: Klein / Vogel, FS von Wallis, 151 (156); Schmidt, Die Analogie im Verwaltungsrecht, VerwArch 97 (2006), 139 (Fn. 88 und Fn. 89). 360  Weitere Beispiele für etablierte Anwendungsfälle der Analogie im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht Schmidt, Die Analogie im Verwaltungsrecht, VerwArch 97 (2006), 139 (144 ff.). 361  BVerwG NJW 1982, 2205; Knuth, Konkurrentenklage gegen einen öffentlichrechtlichen Subventionsvertrag, JuS 1986, 523 (525 f.); Laubinger, Feststellungsklage und Klagebefugnis, VerwArch 82 (1991), 459 (478 ff.); Schoch, Der Kommunalverfassungsstreit im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, JuS 1987, 783 (789 f.).



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben79

D. Verwaltungsverfahrensrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht Die zum Verwaltungsverfahren gehörenden außergerichtlichen Vorverfahren werden nicht unerheblich von verfassungsrechtlichen Bestimmungen geprägt. Mehrere Verfahrensregelungen basieren letztlich auf der Verfassung, sodass sogar von „konkretisiertem Verfassungsrecht“ gesprochen wird.362 I. Einschlägiges Verfassungsrecht Woraus die Verfahrensregelungen genau abzuleiten sind, wird sowohl hinsichtlich der einzelnen Regelung, aber auch im Allgemeinen unterschiedlich beantwortet. So kann man aus den Grundrechten prozedurale Rechte des Grundrechtsträgers ableiten.363 Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen Verfahrensrechte in verschiedenen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts entwickelt, die unter den Begriff „Grundrechtsschutz durch (Vor-)Verfahren“ gefasst werden.364 Außerdem ist anerkannt, dass der am Vorverfahren Beteiligte aufgrund der Menschenwürde nicht zum bloßen Objekt der Verwaltungsentscheidung gemacht werden darf, ihm muss vielmehr eine Subjektstellung eingeräumt werden, die ihn dazu befähigt, aktiv an der Entscheidungsfindung mitzuwirken und sich effektiv zu verteidigen.365 Aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes ist, wie bereits erörtert, zu gewährleisten, dass die Beteiligten nicht im Verhältnis zur Verwaltung benachteiligt werden. Auch hieraus können 362  Ursprünglich wurde der Begriff für das Verwaltungsrecht insgesamt verwendet: Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, DVBl. 1959, 527. Für das Verwaltungsverfahrensrecht: Häberle, Verfassungsprinzipien „im“ Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Schmitt Glaeser, Verwaltungsverfahren, FS Boorberg Verlag, 47 (48); Ossenbühl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, 465 (467); Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 20. 363  Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), 60 (80 ff.); Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 28. 364  Wie bereits erörtert, kann im Prüfungsrecht wegen der Berufsfreiheit die Pflicht zur Errichtung eines vorherigen Verwaltungskontrollverfahrens bestehen (BVerfGE 52, 380). Zum Atomrecht: BVerfGE 53, 30, zum Ausländer- und Asylrecht BVerfGE 56, 216, zum Versammlungsrecht BVerfGE 69, 315. Darstellung der Rechtsprechung und der Auswirkungen auf das Widerspruchsverfahren: Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 48 ff. 365  BVerfGE 27, 1 (6); 33, 367 (376 ff.); Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 265; Ossenbühl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, 465 (467).

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

konkrete Verfahrensrechte erwachsen.366 Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kann das Recht einer Person folgen, zu erfahren, welche Informationen die Verwaltung über sie erfasst und sammelt.367 Außerdem kann daraus ein Recht auf Geheimhaltung gegenüber anderen Informationssuchenden hergeleitet werden.368 Die bereits dargestellte Rechtsschutzgarantie mit ihrer „Vorwirkung“ auf das Verwaltungsverfahren kann ebenfalls als verfassungsrechtliche Verankerung der Verfahrensregelungen angesehen werden.369 Nur wenn schon im Verwaltungsverfahren bestimmte Regelungen, beispielhaft sei die Aktenführungspflicht der Verwaltung genannt, eingehalten werden, kann sich der Betroffene im gerichtlichen Verfahren effektiv verteidigen. Schließlich leiten einige Stimmen die Verfahrensgrundsätze aus Staatsstrukturprinzipien ab. So wird aus dem Demokratieprinzip das Recht des Bürgers auf Mitwirkung an der Verwaltungsentscheidung370 und die Pflicht zur transparenten Ausgestaltung des Verfahrens371 gefolgert. Nicht zuletzt ist das Rechtsstaatsprinzip anzuführen. Es wird sehr häufig und bezüglich fast aller Verfahrensregelungen als deren verfassungsrecht­ liche Grundlage herangezogen.372 Es setzt „allgemeine Standards“,373 die nach anderer Ansicht auch aus Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten gewonnen werden können, wie beispielsweise Unparteilichkeit, Rechtsschutz und rechtliches Gehör.374 366  Ossenbühl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, 465 (467). 367  BVerwGE 84, 375 (378 f.); VGH München NVwZ 1990, 775 (777); VGH München BayVBl. 1998, 693 (693). 368  Drüen, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 30 AO Rn. 6; Greiner, in: Knickrehm / Kriekebohm / ‌Waltermann, Sozialrecht, § 35 SGB I Rn. 3; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens /  Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 1 ff.; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984, 2241 (2242). 369  Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 31. 370  Rossen-Stadtfeld, Beteiligung, Partizipation und Öffentlichkeit, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, § 29 Rn. 6 ff.; Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), 179 (209 ff.). 371  Schmidt-Aßmann, Der Grundgedanke des Verwaltungsverfahrens und das neue Verwaltungsverfahrensrecht, Jura 1979, 505 (507). 372  Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, S. 75 ff.; Ossenbühl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, 465 (467); Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 28. Konkret zum Recht auf Vertretung: Drescher, Der übergangene Bevollmächtigte, NVwZ 1988, 680 (681). 373  Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 28. 374  Ossenbühl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, 465 (467).



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben81

II. Ausgleich mit anderen Verfassungsgütern Das einschlägige Verfassungsrecht kann mit anderen Verfassungsnormen in Spannung stehen. Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der außergerichtlichen Vorverfahren die Zielkonflikte des Verwaltungsverfahrens in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Zu diesen in der Figur des „magischen Vierecks“ zusammengefassten Zielen zählen Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Bürgernähe.375 Die außergerichtlichen Vorverfahren dienen unter anderem dem Rechtsschutz und zielen daher da­ rauf ab, eine objektiv richtige, also rechtmäßige, Verwaltungsentscheidung hervorzurufen.376 Diesem Ziel wird umso mehr entsprochen, je mehr die Verfahrensrechte im Vorverfahren aufgewertet werden.377 Andererseits stehen sich insbesondere im Falle der Massenverwaltung das Ziel der Rechtmäßigkeit und das der Verwaltungseffizienz bzw. Wirtschaftlichkeit komplementär gegenüber.378 Unter Effizienz379 ist ein optimales Zweck-Mittel-Verhältnis zu verstehen.380 Der Ressourcenaufwand zur Erreichung eines Zwecks darf nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu diesem Zweck stehen.381 Beim Effizienzgebot handelt es sich um ein Rechtsprinzip, das im Gegensatz zu einer Rechtsregel nicht entweder ganz oder gar nicht, sondern als Optimierungsgebot nur in einem gewissen Maße erfüllt werden kann.382 Dem Effizienzgebot kommt sogar Verfassungsrang zu.383 375  Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (157). 376  Zur Rechtsschutzfunktion der Vorverfahren siehe S. 50. 377  Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (160): „durch eine dahingehende objektiv-recht­ liche Verpflichtung der Behörde und durch subjektiv-rechtlich gesicherte Rechtsstellung des einzelnen im Verfahren“. 378  Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (154, 157). Zur Notwendigkeit der Verwaltungs­ effizienz in der Massenverwaltung siehe S. 64. 379  Die Begriffe Effizienz und Wirtschaftlichkeit decken sich (überwiegend): Gröpl, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit staatlichen Handelns, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 121 Rn. 13; Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 73 f. 380  Gröpl, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit staatlichen Handelns, in: Isensee /  Kirchhof, HbStR  V, § 121 Rn. 13; Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 11 (17); Pietzcker, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 192 (196). 381  Gröpl, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit staatlichen Handelns, in: Isensee /  Kirchhof, HbStR  V, § 121 Rn. 31; Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 11 (17). 382  Gröpl, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit staatlichen Handelns, in: Isensee /  Kirchhof, HbStR  V, § 121 Rn. 30; Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

Sprechen für die Statuierung eines Verfahrensrechts rechtsstaatliche Erwägungen, so sind die Prinzipien der Effizienz und der Rechtsstaatlichkeit gegeneinander abzuwägen.384 Keinem der beiden Prinzipien kann ein prinzipieller Vorrang eingeräumt werden.385 Sie müssen vielmehr im Sinne einer praktischen Konkordanz in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden, wobei stets die konkrete Kollisionssituation zu berücksichtigen ist. Daher ist die Abwägung im Rahmen der im besonderen Teil anzusprechenden Normen vorzunehmen.386 Betrifft eine Verfahrensregelung den Schutzbereich eines Grundrechts, so sind die verschiedenen Ausprägungen der Grundrechte zu beachten.387 Im Rahmen der staatlichen Schutzpflichten führt das Effizienzgebot ebenfalls nicht dazu, dass ein konkretes Verfahrensrecht prinzipiell nicht gewährt werden kann. Vielmehr hat der Gesetzgeber auch hier die widerstreitenden Interessen im Rahmen seines Gestaltungsspielraums in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Ist ein Grundrecht in seiner Dimension als Abwehrrecht betroffen, können Effizienzerwägungen als legitimer Zweck im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs herangezogen werden. Letztlich läuft es auf eine Abwägung hinaus.388 Da sich diese Abwägung der Interessen auch im Rahmen der Gewährung eines konkreten Verfahrensrechts als schwierig erweist, kann bereits an dieser Stelle erwähnt werden, dass der Gesetzgeber häufig generalisierte Regelungen wählt und die Einzelabwägung somit dem Rechtsanwender überlässt.389

Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 11 (19 ff.); Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 81. 383  Musil, Wettbewerb in der staatlichen Verwaltung, S. 75 ff. 384  Gröpl, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit staatlichen Handelns, in: Isensee /  Kirchhof, HbStR V, § 121 Rn. 25 ff. 385  Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (157, 171). 386  Beispielsweise bei Fristen (S. 137), Formerfordernissen (S. 143), der Verböserung (S. 150), dem Untersuchungsgrundsatz (S. 153), dem Akteneinsichtsrecht (S. 172, 169) und der Bekanntgabe von Vorverfahrensbescheiden durch Allgemeinverfügung (S. 218). 387  Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (167). 388  So bei bestimmten Fragen des Geheimnis- und Datenschutzes (S. 189). 389  Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtschutzauftrag, VVDStRL 41 (1983), 151 (173 f.). Beispiele: Der Verfahrensbeteiligte ist in der Regel anzuhören (S. 169). Auf Antrag erfolgt regelmäßig die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage gemäß § 364a AO (S. 165). Im allgemeinen und sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren ist grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren (S. 173, 175), im Einspruchsverfahren hingegen nicht (S. 179).



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben83

III. Einzelne verfassungsrechtlich determinierte Verfahrensregelungen Die Verfassung gewährleistet einen Mindeststandard, der größtenteils in den Verfahrensgesetzen einfachgesetzlich umgesetzt und bezüglich des Schutzniveaus überschritten ist.390 Ob die verfassungsrechtlichen Grenzen tatsächlich im Rahmen einer Einzelregelung überschritten wurden, soll im besonderen Teil der Arbeit beantwortet werden. Im Folgenden sollen verfassungsrechtlich determinierte Verfahrensregelungen und deren Schnittstellen zum Grundgesetz angerissen werden. 1. Beteiligung Zunächst muss einer Person, die vom Vorverfahren betroffen ist, ein Recht auf Beteiligung gewährt werden.391 So wird sichergestellt, dass sie nicht bloßes Objekt der Verwaltungsentscheidung ist, sondern von Beginn an am Entscheidungsprozess mitwirkt, ihn nachvollzieht und rechtliche Interessen in ihn einbringt392 und sich somit effektiv verteidigen kann. 2. Vertretung Außerdem muss den Beteiligten während des gesamten außergerichtlichen Vorverfahrens ein Recht auf Vertretung eingeräumt werden. In der Regel hat die Verwaltung den Beteiligten überlegene rechtliche und fachliche Kenntnisse. Nur wenn der Beteiligte sich durch eine Person mit vergleichbarer Fach- und Rechtskenntnis vertreten lassen darf, ist die rechtsstaatlich gewährleistete effektive Verteidigung möglich, die ihn zum Subjekt des Verfahrens macht und die Waffengleichheit wahrt.393 Ist der Beteiligte, beispielsweise aufgrund seines Alters oder aufgrund einer psychischen Krankheit, überhaupt nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, kann es nötig sein, 390  Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in: Isensee / Kirchhof, HbStR V, § 109 Rn. 24. 391  Bezug zu Grundrechten und Menschenwürde: Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 265. Rechtsstaatsprinzip: Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 13 Rn. 3; Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 13 Rn. 1. 392  Dagtoglou, Partizipation Privater an Verwaltungsentscheidungen, DVBl. 1972, 712 (713); Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 13 Rn. 3; Schmitt Glaeser VVDStRL 31 (1973), 179 (189). 393  Drescher, Der übergangene Bevollmächtigte, NVwZ 1988, 680 (681); Hufen /  Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 106; Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), 60 (75); Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 14 Rn. 1 f.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

die Verwaltung gesetzlich zur Bestellung eines Vertreters von Amts wegen zu verpflichten.394 3. Sachaufklärung In den außergerichtlichen Vorverfahren ist der Untersuchungsgrundsatz verfassungsrechtlich vorgegeben. Dies bedeutet, dass die Vorverfahrensbehörde den für die Beurteilung des Rechtsbehelfs maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen ermitteln muss.395 Bei der Verfolgung ihrer Interessen verfügen die Verwaltung und der Bürger nicht über gleichermaßen effektive Mittel. Ermittelt die Behörde umfassend, also auch zu Gunsten des Bürgers, wird dieses Ungleichgewicht mit dem Ergebnis der Waffengleichheit ausgeglichen.396 Der Untersuchungsgrundsatz dient daher dem Rechtsschutz des Bürgers.397 Außerdem entspricht es dem Rechtsstaatsprinzip und dem damit einhergehenden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, wenn der Sachverhalt derart ermittelt wird, dass eine möglichst richtige Verwaltungsentscheidung erfolgen kann.398 4. Anhörung Um die effektive Verteidigung des Betroffenen und seine Stellung als Subjekt des Verwaltungsverfahrens zu garantieren, ist ihm ein Anhörungsrecht einzuräumen.399 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs des Art. 103 Abs. 1 394  Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 106; Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), 60 (75). 395  Wünsch, in: Koenig, AO, § 88 Rn. 1. 396  Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 20 Rn. 2. 397  Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 1. 398  Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 1; Siefert, in: Wulffen / Schütze, SGB X, § 20 Rn. 2; Wünsch, in: Koenig, AO, § 88 Rn. 1. Auch hier werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben wieder anhand unterschiedlicher Verfassungsnormen hergeleitet. So nennen Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 193 auch den Grundrechtsschutz im Verfahren. 399  BVerfGE 56, 216 (238); Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 285; Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 1; Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), 60 (74); Mandelartz, Anhörung, Absehen von der Anhörung, Nachholen der unterbliebenen Anhörung, DVBl. 1983, 112 (112); Rossen-Stadtfeld, Beteiligung, Partizipation und Öffentlichkeit, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band  II, § 29 Rn. 22; Schoch, Das rechtliche Gehör Beteiligter im Verwaltungsverfahren (§ 28 VwVfG), Jura 2006, 833 (834); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 9.



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben85

GG ist im außergerichtlichen Vorverfahren nicht anwendbar,400 aber aufgrund der genannten Verfassungsbestimmungen401 besteht auch im Verwaltungsverfahren ein Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Gelegenheit zur Stellungnahme des Betroffenen liegt nicht im Ermessen der Behörde, vielmehr handelt es sich um eine Anhörungspflicht.402 Liegen die Voraussetzungen für die Anhörungspflicht vor, wird der Beteiligte in der Regel im Rahmen des Ausgangsverwaltungsverfahrens angehört. Eine erneute Anhörung im außergerichtlichen Vorverfahren ist daher grundsätzlich nicht nötig. Ausnahmsweise kann es jedoch auch im Vorverfahren nötig sein, den Beteiligten zur Gewährleistung seiner effektiven Verteidigung anzuhören. Dies ist dann der Fall, wenn der Vorverfahrensbescheid den Vorverfahrensführer oder einen Dritten erstmalig beschwert oder wenn die Vorverfahrensbehörde bei der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf neue Gründe heranzieht.403 Das Anhörungsrecht kann zwar eingeschränkt werden, aber es muss hierbei wiederum dessen grundlegende verfassungsrechtliche Bedeutung beachtet werden.404 5. Geheimhaltung Den Beteiligten des Vorverfahrens steht ein Recht auf Geheimhaltung ihrer persönlichen Daten zu, das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung hergeleitet wird.405 6. Akteneinsicht Im Verwaltungsverfahren kommt den Akten der Behörde eine erhebliche Bedeutung zu. Aus ihnen können die rechtlich und tatsächlich bedeutendsten Informationen hergeleitet werden, da die Akten den Entscheidungsprozess 400  Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, S. 249 ff.; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 2; Mandelartz, Anhörung, Absehen von der Anhörung, Nachholen der unterbliebenen Anhörung, DVBl. 1983, 112 (112); Schoch, Das rechtliche Gehör Beteiligter im Verwaltungsverfahren (§ 28 VwVfG), Jura 2006, 833 (834). 401  Siehe S. 79. 402  Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 286. 403  Siehe hierzu S. 165. 404  Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 287. 405  Drüen, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 30 AO Rn. 6; Greiner, in: Knickrehm / Kriekebohm / Waltermann, Sozialrecht, § 35 SGB  I Rn. 3; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 1 ff.; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984, 2241 (2242). Ausführlich: Schwarz, Datenschutzrechtliche Normen im Steuerrecht und Steuerstatistikrecht S.  43 ff.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

dokumentieren.406 Daher wird auch das Akteneinsichtsrecht aus mannigfaltigen Verfassungsbestimmungen hergeleitet.407 Besonders hervorzuheben ist die Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.408 Vom Schutzbereich des Grundrechts ist umfasst, dass ein Betroffener einen Anspruch gegenüber der Behörde hat, über alle auf ihn bezogenen Daten Auskunft zu erhalten.409 Daraus folgt jedoch noch kein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Akteneinsicht.410 Vielmehr kann die Weigerung der Behörde, Akteneinsicht zu gestatten, durch den verhältnismäßigen Ausgleich mit kollidierendem Verfassungsrecht gerechtfertigt werden.411 In Betracht kommt zunächst das oben genannte Geheimhaltungsrecht anderer Privatpersonen,412 aber auch staat­ liche Geheimhaltungsinteressen können entgegenstehen.413 Es obliegt dem Gesetzgeber, diese Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. 406  BVerwG in NVwZ 1988, 621 (622); Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 370. 407  Die Garantie effektiven Rechtsschutzes gewährt zwar keinen Auskunftsanspruch, muss aber bei seiner gesetzlichen Ausgestaltung berücksichtigt werden und kommt zur Anwendung, wenn die gerichtliche Durchsetzung eines Rechts ohne die Kenntnis der Akten erschwert oder möglicherweise sogar ausgeschlossen wäre: BVerwGE 84, 375 (377 f.); OVG Schleswig NVwZ 1996, 408 (408 f.); Grundmann, Das Recht auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren, S. 90 f. Das Akteneinsichtsrecht gehört zum rechtsstaatlich gewährleisteten fairen Verfahren: VGH München BayVBl. 1998, 693; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 4 ff.; Ritgen, in: Knack / Henneke VwVfG, § 29 Rn. 18 (Letzterer verweist auch auf Grundrechte). Das Akteneinsichtsrecht dient der Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen in der Demokratie: VGH München BayVBl. 1998, 693 (693); Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, S. 249 ff.; Palm, Akteneinsicht im öffentlichen Recht, S. 48. Die Grundrechte werden zur Begründung des Akteneinsichtsrechts herangezogen: Hufen, Heilung und Unbeachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler?, NJW 1982, 2160 (2163). Dieser zieht ebenfalls das Rechtsstaatsprinzip heran. Insbesondere der Gleichheitsgrundsatz, der Waffengleichheit im Verwaltungsverfahren garantiert und der bei einem Informationsdefizit des Bürgers betroffen wäre, wird herangezogen: Grundmann, Das Recht auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren, S. 95 f.; Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, § 28 Rn. 51. Aber auch die Menschenwürde, die die Subjektstellung des Informationssuchenden schützt, wird genannt: Hufen, Heilung und Unbeachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler?, NJW 1982, 2160 (2163). 408  VGH München NVwZ 1990, 775 (777); VGH München BayVBl. 1998, 693 (693); BVerwGE 84, 375 (378 f.). 409  Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 178. 410  BVerwGE 84, 375 (378 f.). 411  Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 178. 412  Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 385. 413  BVerwGE 84, 375 (378 f.); Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 385.



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben87

Räumt der Gesetzgeber der Verwaltung Ermessensspielräume ein, überträgt er diese Aufgabe an sie. 7. Bekanntgabe Für das Wirksamwerden414 des Vorverfahrensbescheides ist aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen seine Bekanntgabe notwendig.415 Ohne den Verwaltungsakt zu kennen, kann der Betroffene diesen weder befolgen, noch sich gegen ihn wehren. In der Regel muss daher an jeden Betroffenen individuell bekanntgegeben werden.416 Nur ausnahmsweise kann der Gesetzgeber die öffentliche Bekanntgabe des Vorverfahrensbescheides vorsehen. Die verfassungsrechtlichen Gründe, die zur Bekanntgabe verpflichten, können bei Massenverfahren mit den Verfassungsprinzipien der Rechtssicherheit und der Verwaltungseffizienz kollidieren.417 Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, hier einen Ausgleich zu finden. Bei der Ausgestaltung der Art und des Verfahrens der Bekanntgabe ist der Gesetzgeber prinzipiell ungebunden.418 8. Begründung Auch die Pflicht zur Begründung des Vorverfahrensbescheides ist verfassungsrechtlich fundiert.419 Nur wenn der Vorverfahrensführer weiß, auf welchen Erwägungen die behördliche Entscheidung basiert, kann er sich effektiv verteidigen und die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens einschät414  Ruffert,

in: Ehlers / Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 22 Rn. 15. verweisen Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 445, auf das Rechtsstaatsprinzip. BVerwGE 67, 206 (209) zieht Art. 19 Abs. 4 GG und die im Verfahren geltend gemachten Grundrechte heran. Zu beidem: SchmidtAßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Einleitung Rn. 204. 416  Bambey, Massenverfahren und Individualzustellung, DVBl. 1984, 374; Blümel, Die öffentliche Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Massenverfahren, VerwArch 73 (1982), 5; Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 452. 417  BVerwGE 67, 206 (209 f.). 418  Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 453. 419  Auch hier werden verschiedenste verfassungsrechtliche Grundlagen herangezogen. Rechtsstaatsprinzip: BVerfGE 6, 32 (44); 40, 276 (286); BVerwGE 22, 212 (217). Rechtsschutzgarantie und Grundrechte: Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 468. Grundrechte: BVerfGE 84, 34 (46 f.); BVerwGE 91, 24 (45). Demokratieprinzip: Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, S. 249 ff. Rechtsschutzgarantie: BVerwGE 91, 262 (265); BVerwG NJW 1981, 1917 (1918); Lücke, Begründungszwang und Verfassung, S. 50 ff.; Schmidt-Aßmann / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Einleitung Rn. 206. 415  Beispielsweise

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

zen.420 Auch ohne ein späteres gerichtliches Verfahren liegt es im Interesse des Vorverfahrensführers, die Beweggründe der Vorverfahrensbehörde zu kennen. So dient das Vorverfahren der Klarstellung der Beweggründe der Verwaltung und erhöht die Akzeptanz der Verwaltungsentscheidung durch die Betroffenen.421

E. Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird im Verfassungstext nicht ausdrücklich genannt. Er wird teils aus dem Rechtsstaatsprinzip,422 teils aus den Grundrechten,423 aus beiden,424 oder gar aus anderen Verfassungsgrundlagen425 hergeleitet. Entscheidend ist der Verfassungsrang des Grundsatzes,426 aufgrund dessen die gesamte Staatsgewalt an diesen gebunden ist.427 Bezogen auf außergerichtliche Vorverfahren bedeutet dies, dass zum einen der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Auswirkungen einer Regelung, insbesondere auf den Vorverfahrensführer und andere Verfahrensbeteiligte, und dem Zweck der Regelung finden muss.428 Weiterhin muss die Verwaltung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Durchführung des

420  BVerfGE 6, 32 (44); BVerwGE 10, 37 (43 f.); Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), 60, (82); Cöster, in: Koenig, AO, § 366 Rn. 11. 421  Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn. 469. 422  Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 417; Maurer, Staatsrecht I, §  8 Rn. 55; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 436; Stern, Staatsrecht, III / 2, S. 771. 423  Z. B. aus Art. 3 Abs. 1 GG: Wittig, Zum Standort des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im System des Grundgesetzes, DÖV 1968, 817 (819). 424  St. Rspr. seit BVerfGE 19, 342  (348  f.); Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 108; Hufen, Staatsrecht II, § 9 Rn. 16; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn.  146 . 425  Wesensgehaltsgarantie: BGHSt 4, 375  (377); 4, 385  (392). Ablehnend: Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, S. 236 (Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folge nicht aus der Wesensgehaltgarantie, sondern den Grundrechten und der Gesamtheit der Gesamtheit der verfassungsrechtlichen Normen). 426  BVerfGE 19, 342  (348  f.); Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 507; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 42 ff.; Stern, Staatsrecht, III / 2, S. 771. 427  BVerfGE 23, 127 (133): „Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes, die sich als übergreifende Leitregeln allen staatlichen Handelns zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben und deshalb Verfassungsrang haben“; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 417, 420; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 148; Wendt, Der Garantiegehalt der Grundrechte und das Übermaßverbot, AöR 104 (1979), 414 (415). 428  Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 417, 420.



1. Kap.: Verfassungsrechtliche Vorgaben89

außergerichtlichen Vorverfahrens insbesondere429 in den Bereichen, in denen ihr Ermessen eingeräumt wurde, beachten.430 Dies betrifft sowohl das materielle Recht, also die Beurteilung der Begründetheit des Vorverfahrens, als auch das formelle Recht, wonach beispielsweise einzelne Verfahrenshandlungen während der Durchführung des Vorverfahrens verhältnismäßig sein müssen.431

F. Selbstverwaltungsgarantie Dem Gesetzgeber steht es frei, die zuständige Vorverfahrensbehörde festzulegen. So muss, auch wenn sich das Vorverfahren gegen einen Verwaltungsakt eines Selbstverwaltungsträgers richtet, die zuständige Vorverfahrensbehörde nicht der Selbstverwaltungsträger selbst sein. Dies gilt sogar dann, wenn der angegriffene Verwaltungsakt im Rahmen einer Selbstverwaltungsangelegenheit erlassen wurde. Handelt es sich bei dem Selbstverwaltungsträger jedoch um eine Gemeinde, einen Gemeindeverband, eine Universität oder Fakultät, so darf aufgrund der verfassungsrechtlichen Garantien der Art. 28 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 3 GG in Selbstverwaltungsangelegenheiten durch die Vorverfahrensbehörde nur eine Rechtmäßigkeitskontrolle stattfinden.432 Bei allen anderen Selbstverwaltungsträgern unterliegt der Gesetzgeber keinen verfassungsrechtlichen Schranken. Er darf die Vorverfahrenszuständigkeit auf eine staatliche Behörde übertragen, die den Rechtsbehelf vollumfänglich überprüft.433

G. Vorbehalt des Gesetzes Entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts darf ein außergerichtliches Vorverfahren nicht durch Verwaltungsvorschrift eingeführt wer-

429  Ausnahmsweise im Rahmen gesetzlich gebundenen Verwaltungshandelns: Barczak, Der gebundene Verwaltungsakt unter Verhältnismäßigkeitsvorbehalt, VerwArch 105 (2014), 142 ff. Andere Ansicht: Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 420; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 148. 430  Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn. 420. 431  Zur Verhältnismäßigkeit als Verfahrensprinzip Hufen / Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rn.  93 f. 432  Funke-Kaiser, in: Bader / Funke-Kaiser / Stuhlfauth / von Albedyll, VwGO, § 68 Rn. 8; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 7; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn. 6. Nach anderer Ansicht gilt dies nur für Gemeinden: Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 73 Rn. 2; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1182, 1211; Weber, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. F Rn. 61. 433  Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 73 Rn. 2.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

den.434 Es gilt vielmehr der Vorbehalt des Rechtssatzes. Einer Rechtsnorm, die zur Durchführung eines Vorverfahrens zwingt, kommt insbesondere aufgrund der Rechtswegerschwerung Außenwirkung gegenüber dem Betroffen zu. Die besagte Rechtsnorm muss daher die Qualität einer Außenrechtsnorm haben, was bei Verwaltungsvorschriften gerade nicht der Fall ist, da sie sich regelmäßig auf den verwaltungsinternen Bereich beschränken.435 Eines formellen Gesetzes bedarf es für die Einführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens allerdings nicht. Vorverfahren können auch durch Rechtsverordnung mit entsprechender gesetzlicher Ermächtigung eingeführt werden.436 Maßstab für die Beurteilung, was der parlamentarische Gesetzgeber selbst zu regeln hat, ist der Wesentlichkeitsgrundsatz.437 Was wesentlich ist, kann nicht abstrakt beantwortet werden, sondern hängt von der konkreten Konstellation ab.438 Für die Wesentlichkeit der Einführung eines Vorverfahrens sprechen beispielsweise die Grundrechtsrelevanz, die Anzahl der Betroffenen, die Regelungsdauer, das fehlende Bedürfnis nach Flexibilität und das Fehlen von möglichen unerwarteten Entwicklungen.439 Zwar besteht bei der Einführung allgemeiner Vorverfahren, die weitreichende Rechtsgebiete, wie das Verwaltungsrecht, das Sozialrecht und das Steuerrecht betreffen, eine außerordentlich hohe Anzahl von Betroffenen. Da die Vorverfahren in diesen Bereichen derart umfassend sind, sind die Regelungen langfristig angelegt 434  BVerfGE 40, 237. Richtiger Ansicht: KG NJW 1967, 1870 (1871); Schenke, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 175; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 249; Schwabe, Rechtswegerschwerung durch Verwaltungsvorschriften?, JuS 1977, 661 (664). 435  Schenke, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 175; Schwabe, Rechtswegerschwerung durch Verwaltungsvorschriften?, JuS 1977, 661 (664). Das Bundesverfassungsgericht erkennt zwar an, dass materieller Rechtssatzcharakter bei der Schaffung eines Vorverfahrens notwendig ist, nimmt diesen aber fälschlicherweise bei der einschlägigen Verwaltungsvorschrift an: BVerfGE 40, 237 (254 f). Etwas anderes gilt bei nicht-zwingenden Vorverfahren, die keine Beschränkung des Zugangs zu Gericht darstellen: Poschenrieder, Das Remonstrationsverfahren vor den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland, NVwZ 2015, 1349 (1349 f.). 436  Schenke, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 175; SchmidtAßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 249; Schwabe, Rechtswegerschwerung durch Verwaltungsvorschriften?, JuS 1977, 661 (662). 437  Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 385 ff.; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 578. 438  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, VI, Rn. 107. 439  Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, VI, Rn. 107; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 491 ff.; Michael / Morlok, Grundrechte, Rn. 578; Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band  I, § 9 Rn. 48; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, S. 261 ff. Zur Bedeutung der Grundrechte bei der Beurteilung der Wesentlichkeit: BVerfGE 33, 303 (346); 98, 218 (251).



2. Kap.: Gesetzgebungskompetenzen91

und unterliegen regelmäßig keinen unerwarteten Entwicklungen, die Flexibilität erfordern. Jedoch verhindert die Einführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens den Zugang zu Gericht nicht gänzlich, sondern gestaltet diesen aus. Die Statuierung eines außergerichtlichen Vorverfahrens hat daher zwar Auswirkungen auf die Rechtsschutzgarantie des Rechtsuchenden, verletzt diese jedoch nicht.440 Die Grundrechtsrelevanz ist also eher gering. Wesentlichkeit, die ein formelles Gesetz verlangt, liegt also nicht vor. Gleichermaßen ist die Frage zu beantworten, in welcher Form der Landesgesetzgeber das Widerspruchsverfahren abschaffen kann. Als Gesetz im Sinne des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO genügt ein Gesetz im rein materiellen Sinne.441 2. Kapitel

Gesetzgebungskompetenzen für die außergerichtlichen Vorverfahren Das Grundgesetz sieht für die Regelung des gerichtlichen Verfahrens in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 108 Abs. 6 GG und das Verwaltungsverfahren in Art. 84 Abs. 1 und Art. 108 Abs. 5 GG unterschiedliche Kompetenzgrundlagen vor. Die Entscheidung, welche Kompetenznorm für die Einführung als auch die Ausgestaltung der außergerichtlichen Verfahren heranzuziehen ist, hängt daher maßgeblich von der Einordnung des Vorverfahrens an der Schnittstelle von Verwaltungsverfahren einerseits und gerichtlichem Verfahren andererseits ab.442

440  Siehe

S. 65. Frage wird weitestgehend nicht unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes diskutiert. In der Regel wird ohne Begründung entweder angenommen, dass § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO, der die Länder zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens ermächtigt, ein formelles Gesetz fordert (so Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 122; Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2001, 1074 (1077); Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 68 Rn. 17 f.) oder es wird ohne Begründung auch ein materielles Gesetz als ausreichend angesehen (so BVerfGE 84, 34 (48); Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 68 Rn. 10; FunkeKaiser, in: Bader / Funke-Kaiser / Stuhlfauth / von Albedyll, VwGO, § 68 Rn. 18). ­Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 68 Rn. 8a, legt den Begriff „Gesetz“ des § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO so aus, dass ein formelles Gesetz gemeint sei. Dies liege an der gewöhnlichen Verwendung und Interpretation des Wortes „Gesetz“ im Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung. Lediglich Meier, Die Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens, S. 30 f., geht auf das Erfordernis einer parlamentarischen Regelung ein. 442  Hierzu siehe S. 54. 441  Diese

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

A. Verwaltungsrechtliches Widerspruchsverfahren Gemäß Art. 74 Nr. 1 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das gerichtliche Verfahren. Außerdem darf er das Verwaltungsverfahren für bundeseigene Verwaltung443 und Bundesauftragsverwaltung444 regeln. Gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG regeln die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, wenn sie Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen. Ein Bundesgesetz kann gemäß S. 2 das Verwaltungsverfahren regeln,445 wobei eine Abweichungskompetenz zu Gunsten der Länder besteht, es sei denn, es liegt gemäß S. 4 ein besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung vor. Daraus folgt, dass der Bund jedenfalls dann keine Gesetzgebungskompetenz hat, wenn die Länder Landesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen. Das Widerspruchsverfahren, das, wie bereits dargestellt, nicht Teil des gerichtlichen Verfahrens ist, stellt dennoch eine Sachurteilsvoraussetzung für den Zugang zum Gericht dar, deren Einhaltung von den Verwaltungsgerichten beachtet werden muss.446 Daher hat der Bundesgesetzgeber jedenfalls für die Einführung des Widerspruchsverfahrens die Gesetzgebungskompetenz inne.447 Umstritten sind allerdings die Reichweite der Bundeskompetenz für die Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens und die einschlägige Kompetenzgrundlage, da der Bundesgesetzgeber mehr als das „Ob“ des Vorverfahrens, sondern auch konkrete Verfahrensfragen, Zuständigkeiten und partiell sogar 443  Ibler, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 86 Rn. 2 f. Dem entspricht § 1 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. 444  Gemäß Art. 85 GG (umstritten, aber herrschende Meinung). Zum Streit: Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 85 Rn. 41 ff. Dem entspricht § 1 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG Bund. 445  Bei Art. 84 Abs. 1 GG handelt es sich daher um eine Kompetenznorm zu Gunsten des Bundes: Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 84 Rn. 13. Der Bund kann daher nicht auf eine Annexkompetenz zur Regelung des Verfahrensrechts zurückgreifen. 446  Siehe S. 55. 447  BVerfGE 35, 65 (72); 20, 238, (248 ff.); 21, 106 (114); BVerwGE 51, 310 (313); 61, 360 (362); Greifeld, Abschied von der reformatio in peius im Widerspruchsverfahren der VwGO?, NVwZ 1983, 725 (726); Hofmann, Das Widerspruchsverfahren als Sachentscheidungsvoraussetzung und als Verwaltungsverfahren, in: Erichsen / Hoppe / von Mutius, FS Menger, 605 (606 f.); Huxholl, Die Erledigung eines Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren, S. 110 f.; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 74 Rn. 83; von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 154 ff.; Trzaskalik, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung im Lichte der allgemeinen Prozessrechtslehre, S. 42 ff.; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, S. 220 f.



2. Kap.: Gesetzgebungskompetenzen93

die Befugnisse der Behörden in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt hat. Außerdem ist zu fragen, ob der Landesgesetzgeber das Widerspruchsverfahren kompetenzrechtlich abschaffen darf und wie weit eine derartige Ermächtigung reicht. I. Einschlägige Kompetenznorm Der Streit um die Kompetenzgrundlage und deren Reichweite scheint ergebnisorientiert gelöst zu werden. Die Bundesgesetzgebungskompetenz für die einheitliche Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens gilt als zweck­ mäßig;448 die kompetenzrechtlichen Einschränkungen zu Lasten des Bundes werden als „Zwangsjacke“449 empfunden. Im Ergebnis wird einstimmig von der Kompetenz des Bundes zur Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens ausgegangen. Der Streit um die einschlägige Kompetenznorm, der kaum Auswirkungen für die Praxis der Widerspruchsbehörden hat, ist rein dogmatischer Art.450 Dennoch werden mannigfaltige Lösungsansätze vorgeschlagen: So wird teilweise Art. 84 Abs. 1 GG als Kompetenznorm herangezogen. Der Bundesgesetzgeber darf hiernach – mit Abweichungskompetenz der Länder – das Verwaltungsverfahren regeln, wenn die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen. Der Vollzug der §§ 68 ff. VwGO durch Landesbehörden sei nichts anderes als der Vollzug von Bundesrecht im Sinne dieser Norm.451 Weiterhin wird auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG als Kompetenzgrundlage zurückgegriffen. Nach einer rein prozessualen Sicht sind die Regelungen zum Widerspruchsverfahren einzig prozessualer Natur, weshalb man auf die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, die niemals zum Erlass von Verwaltungsverfahrensrecht ermächtige, zurückgreifen könne.452 Dem Wi448  von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 153 (dort weitere Nachweise in Fn. 109); Clasen, Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verwaltungsvorverfahrens als Voraussetzung des Verwaltungsgerichtsprozesses, NJW 1958, 861 (862). 449  Hofmann, Das Widerspruchsverfahren als Sachentscheidungsvoraussetzung und als Verwaltungsverfahren, in: Erichsen / Hoppe / von Mutius, FS Menger, 605 (610). 450  Oppermann, Die Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 39. 451  Hofmann, Das Widerspruchsverfahren als Sachentscheidungsvoraussetzung und als Verwaltungsverfahren, in: Erichsen / Hoppe / von Mutius, FS Menger, 605 (609, Fn. 13); von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 171 f.; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, S. 221. 452  Trzaskalik, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung im Lichte der allgemeinen Prozessrechtslehre, S. 42 ff. Renck, Die Kostenentscheidung

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

derspruchsverfahren wird der Charakter als Verwaltungsverfahren hiernach abgesprochen. Eine andere Ansicht sieht das Widerspruchsverfahren zwar als Verwaltungsverfahren, bejaht jedoch eine alleine auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützte Kompetenz des Bundes zur Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens. Einige Vertreter dieser Ansicht stellen darauf ab, dass die einschlägigen Regelungen nicht nur die Durchführung des Widerspruchsverfahrens, also das Verwaltungsverfahren, sondern auch die Voraussetzungen einer anschließenden Klage, also die Sachurteilsvoraussetzung, betreffen.453 Danach sind die §§ 68 ff. VwGO – zumindest auch – Regelungen der Sachurteilsvoraussetzung, da sie die Entscheidung des Gerichts in der Sache verhindern können. Andere Vertreter dieser Ansicht bestreiten, dass allen Normen der §§ 68 ff. VwGO eine derartige prozessuale Nuance innewohnt, sehen jedoch auch das Widerspruchsverfahren betreffende Verfahrensregelungen als von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gedeckt an und begründen dies beispielsweise mit einer historischen Auslegung der Verfassungsnorm.454 Nach anderen Ansichten, die ebenfalls den rein verwaltungsverfahrensrechtlichen Charakter einzelner Bestimmungen der §§ 68 ff. VwGO betonen, genügt Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG alleine nicht als Kompetenzgrundlage. Die Gesetzgebungszuständigkeit wird hiernach dennoch angenommen, indem zusätzlich entweder auf den Sachzusammenhang455 zwischen Widerspruchsverfahren und gerichtlichem Verfahren oder auf eine Annexkompetenz456 zum gerichtlichen Verfahren abgestellt wird. Der rein dogmatische Streit muss für die vorliegenden Untersuchungen nicht entschieden werden. Es ist lediglich festzuhalten, dass die Bundeskomim Widerspruchsverfahren, DÖV 1979, 558 (560); Renck, Bundeskompetenz und verwaltungsgerichtliches Vorverfahren, JuS 1980, 28 (29 f.). 453  BVerwGE 61, 360 (362 f.); Allesch, Die Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, S. 28 f.; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 74 Rn. 83; Menger / Erichsen, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, VerwArch 56 (1965), 278 (290). 454  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 10; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1028 (ausführliche Begründung in Altauflage 2010 unter § 24 Rn. 5). 455  Bachof, Nochmals: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1958, 6 (8, Fn. 15); Hofmann, Das Widerspruchsverfahren als Sachentscheidungsvoraussetzung und als Verwaltungsverfahren, in: Erichsen / Hoppe / von Mutius, FS Menger, 605 (608 ff.); von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, S. 164 ff.; Ule, Verwaltungsprozessrecht, § 23 II. Hilfsargumentativ, dass jedenfalls eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs bestünde: Allesch, Die Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Widerspruchsverfahren nach der VwGO, S. 30. 456  Erichsen, Das Vorverfahren nach §§ 68 ff VwGO, Jura 1992, 645 (646); Huxholl, Die Erledigung des Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren, S. 125 ff.



2. Kap.: Gesetzgebungskompetenzen95

petenz allgemein anerkannt ist. Vergleichend ist interessant, ob derartige Kompetenzkonflikte ebenfalls im Rahmen des des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens und des Einspruchsverfahrens auftauchen. II. Abschaffung des Widerspruchsverfahrens durch den Landesgesetzgeber Der Bundesgesetzgeber darf die Entscheidung über das „Ob“ eines Widerspruchsverfahrens, wie in § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO geschehen, dem Landesgesetzgeber überlassen.457 Es handelt sich um einen Regelungsvorbehalt zu Gunsten des Landesgesetzgebers, der im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zulässig und üblich ist. Der Bundesgesetzgeber hat die Regelungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in § 68 VwGO nicht voll ausgeschöpft. Gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO bedarf es der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens dann nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Die Einschränkung „für besondere Fälle“ ist im Wortlaut der Norm nicht mehr enthalten.458 Die allgemeine, über konkrete Fälle hinausreichende Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, wie sie in einigen Bundesländern erfolgt ist, ist daher nun kompetenzrechtlich unproblematisch möglich.459 III. Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren Obwohl der Streit über die Kompetenznorm und die Reichweite der Kompetenz zur Regelung des Widerspruchsverfahrens nicht entschieden wurde, ist festzuhalten, dass bei der landeseigenen Ausführung von Landesrecht jedenfalls dann keine Bundeszuständigkeit mehr besteht, wenn der zu regelnde Aspekt des Vorverfahrens in keinerlei Zusammenhang zum gerichtlichen Verfahren steht.460 Dies ist bei der Entscheidung der Behörde über die Erstattung der Kosten des isolierten Widerspruchsverfahrens der Fall. Daher ist die entsprechende Regelung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder enthalten.461

457  BVerfGE

35, 65 (73 ff.). auch S. 40. 459  Siehe Fn. 116. 460  Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 84 Rn. 91. 461  Kirchhof, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 84 Rn. 91. 458  Siehe

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

B. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Es ist zu untersuchen, wie sich der beschriebene Kompetenzkonflikt auf das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren auswirkt. I. Einschlägige Kompetenznorm Die Gesetzgebungskompetenzen für das Sozialverwaltungs- und das Sozialgerichtsverfahren decken sich mit denjenigen für das Verwaltungsrecht. Daher scheint der Streit, ob Art. 84 Abs. 1 oder Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die einschlägige Kompetenzgrundlage ist, auch auf das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren übertragbar. Dieser Streit, der ohnehin ergebnisorientiert geführt wird und kaum praxisrelevant ist, ist im Sozialrecht noch weniger bedeutsam. Die Bundeskompetenz für die §§ 78 ff. SGG wird, weit überwiegend sogar ohne sich auf eine Kompetenznorm zu stützen,462 angenommen. Der Grund für die geringere Relevanz des Streits bezüglich des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens liegt darin, dass es kaum landeseigene Ausführung von Landesgesetzen gibt, bei der es unproblematisch an der Bundesgesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren fehlt. Der Bund hat von seiner weitreichenden Kompetenz463 gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7, 12 und 13 GG zur Regelung des materiellen Sozialrechts umfänglich Gebrauch gemacht.464 Lediglich Randmaterien, wie beispielsweise die öffentlich-recht­ liche berufsständische Versicherung von Freiberuflern, sind landesrechtlich geregelt.465 Die für die Gesetzgebungskompetenz im allgemeinen Widerspruchsverfahren genannten Argumente gelten, wenn auch nicht aus praktischen, sondern 462  Ausnahmsweise erklärt Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 78 Rn. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ohne Argumentation für einschlägig. 463  Eine „sozialrechtliche Allkompetenz“ gibt es jedoch nicht: Papier, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Organisation der Sozialversicherungsträger, in: Merten, FS Knöpfle, 273 (274). 464  Papier, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Organisation der Sozialversicherungsträger, in: Merten, FS Knöpfle, 273 (275); Waltermann, Sozialrecht, Rn. 23. Grund: Zur Gewährung einheitlicher Lebensverhältnisse ist eine bundeseinheitliche Regelung in der Regel nötig. 465  Papier, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Organisation der Sozialversicherungsträger, in: Merten, FS Knöpfle, 273 (275); Waltermann, Sozialrecht, Rn. 23. Fraglich ist, ob es sich bei den berufsständischen Versorgungswerken von Freiberuflern um Sozialversicherungen im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG handelt, und, damit einhergehend, ob der Bundesgesetzgeber im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz keine Regelung erlassen hat oder aufgrund der Landesgesetzgebungskompetenz keine Regelung erlassen durfte (siehe hierzu Jung, in: Ruland / Rürup, Alterssicherung und Besteuerung, § 5 Rn. 3).



2. Kap.: Gesetzgebungskompetenzen97

aus theoretischen Gründen, auch für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren, wobei identische Auffassungen vertretbar sind und auch hier mit unstreitigem Ergebnis die Bundesgesetzgebungskompetenz für die §§ 78 ff. SGG angenommen werden kann. II. Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren Auch im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren ordnet man die Frage der Kostenerstattungsmöglichkeiten im isolierten Widerspruchsverfahren dem reinen Verfahrensrecht zu, weshalb die Kostenerstattungsregelung im zehnten Sozialgesetzbuch enthalten ist. Fraglich ist daher, wem die Gesetzgebungskompetenz für das Sozialverwaltungsverfahren zusteht. Hierbei gilt das zum Verwaltungsverfahren Ausgeführte: Der Bundesgesetzgeber regelt das Verwaltungsverfahren für die bundeseigene Verwaltung und die Bundesauftragsverwaltung. Im Sozialrecht ist Art. 87 Abs. 2 GG von besonderer Bedeutung, wonach soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden (S. 1) oder geführt werden können (S. 2). In diesen Fällen handelt es sich um bundeseigene Verwaltung im weiteren Sinne,466 für die der Bund das Verwaltungsverfahren regeln darf. Im Bereich der landeseigenen Ausführung von Bundesgesetzen hat der Bundesgesetzgeber die Kompetenz zum Erlass des Verfahrensrechtes gemäß Art. 84 Abs. 1 GG inne.467 Außerdem besteht aufgrund des besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung keine Abweichungskompetenz der Länder.468 In den wenigen Fällen, in denen Länder Landessozialrecht ausführen, bleibt es jedoch bei der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Verwaltungsverfahren.469 Eigene Landessozialverwaltungsverfahrensgesetze gibt 466  Ibler,

in Maunz / Dürig, GG, Art. 87 Rn. 160. Sozialverwaltung im Reformprozeß, S. 60. Im Ergebnis ebenso, aber Begründung der Gesetzgebungszuständigkeit als Annexkompetenz zum materiellen Recht: BT-Drs. 8 / 2034 S. 45 f.; Diering / Waschull, in: Diering / Timme, SGB X, Einleitung Rn. 30. 468  BT-Drs. 8 / 2034 S. 30, BT-Drs. 14 / 4375 S. 45. 469  Ibler, in Maunz / Dürig, GG, Art. 87 Rn. 160; Merten / Pitschas, Sozialverwaltung im Reformprozeß, S. 60; Papier, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Organisation der Sozialversicherungsträger, in: Merten, FS Knöpfle, 273 (278). Dem entspricht § 1 SGB X, der den Anwendungsbereich des Gesetzes auf die öffentlichrechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände und der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Ausführung von besonderen Teilen dieses Gesetzbuches begrenzt. 467  Merten / Pitschas,

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

es nicht. Deswegen wenden beispielsweise berufsständische Versorgungswerke für die Kostenentscheidung im isolierten Widerspruchsverfahren das jeweilige LandesVwVfG an.470

C. Steuerrechtliches Einspruchsverfahren Bei der Bestimmung der Gesetzgebungskompetenz für das Einspruchsverfahren spielt die Unterscheidung zwischen Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Verfahren keine Rolle. Dies liegt am Gleichlauf der Gesetzgebungskompetenzen für diese beiden Materien.471 Untersucht man die Gesetzgebungskompetenz für das Einspruchsverfahren, ist es hilfreich, zwischen drei Konstellationen zu unterscheiden. Zunächst ist die Ausführung von Bundessteuergesetzen durch Bundes- oder Landesbehörden zu betrachten. Die Kompetenzlage stellt sich weiterhin anders dar, wenn die Länder eigene Steuergesetze ausführen. Schließlich ist der Fall der Ausführung von Steuergesetzen, unabhängig davon auf welcher Ebene sie erlassen wurden, durch Gemeinden und Landkreise zu beleuchten. I. Ausführung von Bundessteuergesetzen durch Bund und Länder Führen Finanzbehörden des Bundes oder der Länder Bundessteuergesetze aus, steht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren zu. Gemäß Art. 108 Abs. 5 S. 1 GG muss er das Finanzverwaltungsverfahren der Bundesfinanzbehörden regeln.472 Außerdem darf er gemäß Art. 108 Abs. 5 S. 2 GG das von der Länderfinanzverwaltung anzuwendende Verfahrensrecht erlassen.473 Der Bundesgesetzgeber hat auf Grundlage dieser beiden Kompetenzbestimmungen die Abgabenordnung erlassen. Darüber hinaus obliegt es dem Bund gemäß Art. 108 Abs. 6 GG, die Finanzgerichtsbarkeit über Streitigkeiten über Bundessteuergesetze zu regeln. Der Bundesgesetzgeber hat von diesen Kompetenznormen bei der Einführung und Ausgestaltung des Einspruchsverfahrens sowohl innerhalb der Finanzgerichtsordnung als auch der Abgabenordnung Gebrauch gemacht. Die weitreichenden Regelungen zum Einspruchsverfahren in §§ 347 ff. AO dürfen 470  Jung,

in: Ruland / Rürup, Alterssicherung und Besteuerung, § 5 Rn. 44. in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 45. 472  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 41; Seer, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 108 Rn. 151. 473  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 43; Seer, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 108 Rn. 151. 471  Heintzen,



2. Kap.: Gesetzgebungskompetenzen99

aufgrund des Gleichlaufs der Gesetzgebungskompetenzen in Form von bundesrechtlichem Verfahrensrecht erlassen werden.474 Das Einspruchsverfahren wird daher beim Vollzug von Bundessteuerrecht sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene zu Gunsten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einheitlich durchgeführt.475 II. Ausführung von Landessteuergesetzen durch die Länder Die umfassende Regelungsbefugnis des Bundes gemäß Art. 108 Abs. 5 S. 2 GG zur Regelung des Landesfinanzverwaltungsverfahrens erfasst im Gegensatz zu Art. 84 Abs. 1 und 85 GG auch die landeseigene Ausführung von Landessteuergesetzen.476 Von dieser Befugnis zur Regelung des Länderfinanzverfahrens gemäß Satz 2 hat er allerdings keinen Gebrauch gemacht.477 Daher erklären Landesgesetze die Anwendbarkeit der Abgabenordnung für die landeseigene Ausführung von Landessteuergesetzen.478 Es obliegt dem Landesgesetzgeber gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, das gerichtliche Verfahren für Streitigkeiten über Landessteuergesetze auszugestalten. Art. 108 Abs. 6 GG ist hier nach richtiger Auffassung nicht anwendbar, da die Art. 92 ff. GG neben479 dieser Bestimmung zum Tragen kommen und daher Art. 99, 2. Alt. GG als speziellerem Gesetz der Vorrang gebührt.480 Die Regelung besagt, dass dem BFH durch Landesrecht für den letzten Rechtszug die Entscheidung in solchen Sachen zugewiesen werden kann, bei denen es sich um die Anwendung von Landesrecht handelt. Diese Bestimmung hätte keinen Anwendungsbereich, wenn man die Gesetzgebungskompetenz der Länder als nachrangig ansehen würde.481 Umstritten ist weiterhin die Reichweite der Kompetenz, also ob der Landesgesetzgeber nur zur Zu474  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 45; Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / ‌Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 20; Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995) 77 (82). 475  Vgl. Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 43. 476  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 43; Seer, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 108 Rn. 152. 477  § 1 Abs. 1 AO. Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 44. 478  Z. B. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AO-Anwendungsgesetz Berlin. 479  Schlette, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG (6. Auflage), Art. 108 Rn. 15. 480  Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 99 Rn. 7; Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 47; Kirchhof, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 108 Rn. 82; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 99 Rn. 4; Seer, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 108 Rn. 164. Andere Ansicht: Stern, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 99 Rn. 5. 481  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 47.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

weisung an den BFH für den letzten Rechtszug befugt ist, oder ob er das finanzgerichtliche Verfahren darüber hinaus gänzlich ausgestalten darf. Eine Lösung hierfür findet sich im Wortlaut des Abs. 6, der fordert, dass die Finanzgerichtsbarkeit durch Bundesgesetz „einheitlich“ geregelt wird.482 Eine bundeseinheitliche Regelung ist jedoch nicht möglich, wenn man den Ländern zumindest die Zuweisungskompetenz an den BFH zugesteht. Daher fallen Streitigkeiten über Landessteuergesetze nicht unter den Begriff „Finanzgerichtsbarkeit“.483 Diesem Resultat entspricht § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO, der den Ländern die Möglichkeit eröffnet, die Finanzgerichtsordnung für anwendbar zu erklären und das gerichtliche Verfahren für Streitigkeiten über Landessteuergesetze durch Verweisung zu regeln.484 Alle Bundesländer haben sich für die Eröffnung des Finanzrechtsweges entschieden.485 Zusammen zu fassen ist, dass die Länder die Gesetzgebungskompetenz für das Gerichtsverfahren haben und der Bund das Verwaltungsverfahren zumindest regeln darf. Der eingangs erwähnte Gleichlauf der Gesetzgebungskompetenzen ist hier daher nicht rechtlicher, sondern praktischer Natur, führt jedoch ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Kompetenzkonflikte nicht bestehen. Durch die landesrechtlichen Verweise sowohl auf die Abgabenordnung als auch auf die Finanzgerichtsordnung haben sich die Länder für Streitigkeiten bei dem Vollzug von Landessteuerrecht durch Landesfinanzbehörden für das Einspruchsverfahren als einschlägiges außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren entscheiden. Das Einspruchsverfahren wird daher nicht nur beim Vollzug von Bundessteuerrecht durch Landes- und Bundesfinanzbehörden, sondern auch bei landeseigenem Vollzug von Landessteuerrecht zu Gunsten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einheitlich durchgeführt. III. Besonderheit: Kommunalabgaben, Ausführung durch Gemeinden und Landkreise Die umfassende Regelungsbefugnis des Bundes gemäß Art. 108 Abs. 5 S. 2 GG für das Finanzverwaltungsverfahren erstreckt sich auch auf die 482  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 47; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 108 Rn. 65. 483  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 47; Kirchhof, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 108 Rn. 79; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 108 Rn. 65. Andere Ansicht: Fischer-Menshausen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 20. 484  Lechelt, Die Eröffnung des Finanzrechtswegs durch Landesgesetz, DStZ 1996, 611 (615 ff.); Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 108 Rn. 65. 485  Braun, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 33 FGO Rn. 258 f.; Lechelt, Die Eröffnung des Finanzrechtswegs durch Landesgesetz, DStZ 1996, 611 (611 f.).



2. Kap.: Gesetzgebungskompetenzen101

Kommunalverwaltung.486 Auf dieser Grundlage hat der Bund die Abgabenordnung teilweise auf Realsteuern für anwendbar erklärt.487 Ausgelassen wurden allerdings die Regelungen zum außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren.488 In diesen und anderen vom Bundesgesetzgeber nicht geregelten Bereichen ist daher auf Landesgesetze, genauer auf die Kommunalabgabengesetze, zurückzugreifen.489 Diese bestimmen zwar, dass im kommunalabgabenrechtlichen Verfahren bestimmte Regelungen der Abgabenordnung gelten,490 jedoch findet ein Verweis auf die Vorschriften des Einspruchsverfahrens auch hier nicht statt.491 Streitigkeiten über Kommunalabgabenbescheide fallen traditionell nicht unter den Begriff der „Finanzgerichtsbarkeit“.492 Die Gesetzgebungskompetenz für die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens gegen sie obliegt daher gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG konkurrierend dem Bund. Dieser hat in § 40 Abs. 1 VwGO geregelt, dass über Streitigkeiten betreffend Kommunalabgabenbescheide mangels abdrängender Sonderzuweisung die Verwaltungsgerichte entscheiden.493 Aufgrund dieser Rechtswegeröffnung und der fehlenden Verweisung der Kommunalabgabengesetze auf die Bestimmungen zum Einspruchsverfahren wird das außergerichtliche Vorverfahren nach §§  68 ff. VwGO durchgeführt.494

D. Vergleich Der Streit um die Gesetzgebungskompetenz für das außergerichtliche Vorverfahren, der aufgrund der Doppelnatur des Vorverfahrens besteht, spielt fast ausschließlich für das verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren eine Rolle. Im Sozialrecht liegt die geringere Tragweite an der Gesetzgebungskompetenz für das materielle Sozialrecht, die zu weit überwiegenden bundesrechtlichen Regelungen führt. Im steuerrechtlichen Bereich, in dem schon 486  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 43; Seer, in: Kahl / Waldhoff / Walter, BK GG, Art. 108 Rn. 152. 487  § 1 Abs. 2 AO. 488  Gersch, in: Klein, AO, § 1 Rn. 11. 489  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 44. 490  Sauthoff, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 12 Rn. 2 f. 491  BVerwGE 82, 336 (339); Sauthoff, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 12 Rn. 5. 492  Heintzen, in: von Münch / Kunig, GG, Art. 108 Rn. 45; Kirchhof, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 108 Rn. 79; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 108 Rn. 65. 493  Gersch, in: Klein, AO, § 1 Rn. 11; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 33 FGO Rn. 21. 494  BVerwGE 82, 336 (339); Gersch, in: Klein, AO, § 1 Rn. 11.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

andere Kompetenzgrundlagen greifen, kommt dem Streit aufgrund des Gleichlaufs der Gesetzgebungskompetenzen keine Bedeutung zu. 3. Kapitel

Unionsrechtliche Vorgaben für die außergerichtlichen Vorverfahren In Fällen des indirekten Vollzugs von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten muss aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts geprüft werden, welche Vorgaben es hinsichtlich nationaler außergerichtlicher Vorverfahren statuiert.

A. Kein Verbot der Einführung eines Vorverfahrens Der in Art. 47 GRCh enthaltene Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes495 und das Effizienzgebot des Unionsrechts stehen der Einführung von außergerichtlichen Vorverfahren in den Mitgliedstaaten nicht entgegen.496 Es obliegt den Mitgliedstaaten, das Verwaltungsverfahren und darin enthaltene Rechtsbehelfe, die der Durchsetzung von Unionsrecht dienen, auszugestalten.497 Die nationalen Bestimmungen dürfen jedoch die Verwirklichung des Unionsrechts nicht unmöglich machen oder unverhältnismäßig erschweren.498 Ist dies nicht der Fall, ist auch unionsrechtlich anerkannt, dass ein außergerichtliches Vorverfahren den Rechtsschutz des Betroffenen sogar erweitert.499 495  EG Rs. T-54 / 99, max.mobil, Slg. 2002, II-313, Rn. 57; Wegener, in: Calliess /  Ruffert, EUV / AEUV, Art. 19 EUV Rn. 41 (Fn. 177). Dieser in Art. 47 GRCh aufgenommene Grundsatz entspricht der Verfassungstradition der Mitgliedstaaten, ist in Art. 6 und 13 EMRK enthalten und war auch vor Inkrafttreten der Grundrechtecharta als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt: EuGH, Rs. 222 / 84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Rn. 18; EuGH Rs. 222 / 86, UNECTEF, Slg. 1987, 4097, Rn. 14; Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S.  200 ff. 496  EuGH verb. Rs.C-317 / 08 bis C-320 / 08, Rosalba Alassini u. a., Slg. 2010, I-2213 Rn. 52 ff.; Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, S. 73; Frenz, Handbuch Europarecht, Band  5, Rn. 4011; Gellermann, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 37 Rn. 34. Das Unionsrecht enthält in Art. 258 AEUV (Vertragsverletzungsverfahren) und Art. 265 Abs. 2 AEUV (Untätigkeitsklage) sogar selbst zwingende Vorverfahren. 497  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 79 Rn. 8. 498  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 13a; Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 68 Rn. 1b. 499  Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, S. 73; Frenz, Handbuch Europarecht, Band  5, Rn. 4011; Gellermann, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 37 Rn. 34.



3. Kap.: Unionsrechtliche Vorgaben103

Außerdem steht Art. 47 GRCh der Einführung von Vorverfahrensfristen durch den nationalen Gesetzgeber nicht entgegen, sofern sie nicht unangemessen kurz sind.500 Außergerichtliche Vorverfahren dürfen schließlich nicht diskriminierend ausgestaltet sein, d. h. für die Durchsetzung von unionsrechtlichen Regelungen schlechtere Bedingungen aufstellen als für die Durchsetzung nationalen Rechts.501

B. Grundsätzlich keine Pflicht zur Einführung eines Vorverfahrens Das Primärrecht zwingt die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung außergerichtlicher Vorverfahren.502 Nur ausnahmsweise verpflichtet Sekundärrecht in bestimmten Rechtsbereichen zur Durchführung eines solchen vor Klageerhebung.503 So forderte beispielsweise Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 64 / 221 / EWG504 in Ausweisungsangelegenheiten ein Rechtsmittel, das neben der Gesetzmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der behördlichen Entscheidung überprüft.505 Da das deutsche Rechtssystem den Verwaltungsgerichten keine Zweckmäßigkeitskontrolle gestattet, war die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens zwingend.506

500  EuGH Rs. C-33 / 76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Rn. 5; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Rn. 4013; Gellermann, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 37 Rn. 34; Ramsauer, in: Kopp /  Ramsauer, VwVfG, § 79 Rn. 8. 501  EuGH Rs. C-33 / 76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Rn. 5; Gellermann, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 37 Rn. 34. 502  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 13a; Frenz, Handbuch Europarecht, Band  5, Rn. 4012; Kothe, in: Redeker /  von Oertzen, VwGO, § 68 Rn. 1b. 503  Dörr, in: Sodan / Ziekow, VwGO, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz Rn. 238; Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, S. 73; Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Rn. 4012. 504  Die Richtlinie trat zum 30. April 2006 außer Kraft. Die derzeit geltende Freizügigkeitsrichtlinie 2004 / 38 / EG begründet keine Pflicht zur Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens mehr. 505  EuGH Rs. C-482 / 01 und C-493 / 01, Orfanopoulos und Oliveri, Slg. 2004, I-5257, Rn. 103 ff.; EuGH Rs. C-136 / 03, Dörr, Slg. 2005, I-4759 Rn. 36 ff. 506  BVerwGE 124, 217 (221 f.); Sydow / Neidhardt, Verwaltungsinterner Rechtsschutz, S.  36 f.

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3. Teil: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

C. Unionsrechtlich determinierte Verfahrensregelungen Art. 41 GRCh statuiert das Grundrecht auf gute Verwaltung, bindet nach seinem eindeutigen Wortlaut allerdings nur die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union und nicht die Mitgliedstaaten selbst.507 Darüber hinaus bestehen jedoch ungeschriebene Unionsgrundrechte, die vom Gerichtshof der Europäischen Union durch richterliche Rechtsfortbildung in Form allgemeiner Rechtsgrundsätze entwickelt wurden.508 Art. 41 GRCh beeinträchtigt die Bindung der Mitgliedstaaten an diese allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht.509 Voraussetzung für die Bindung ist allerdings die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts. Die Rechtsprechung des EuGH erkennt ein Recht auf gute Verwaltung als allgemeinen Rechtsgrundsatz an.510 Dieses beinhaltet beispielsweise ein Anhörungsrecht jeder Person vor Erlass einer individuell nachteiligen Entscheidung durch die Verwaltung,511 eine Begründungspflicht512 der Verwaltung insbesondere bei belastenden Maßnahmen und ein Akteneinsichtsrecht513. 507  Ruffert,

in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 41 GRCh Rn. 9. Rs. 11 / 70, Internationale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125 Rn. 4; Kingreen, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 6 EUV Rn. 3 ff. 509  Magiera, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Rn. 9; Siegel, Europäisierung des Öffentlichen Rechts, Rn. 147 ff. 510  EuGH Rs. 56 / 64  u. a., Consten und Grundig, Slg. 1966, 429, S. 395 f.; EuGH Rs. 55 / 70, Reinarz, Slg. 1971, 379 Rn. 18; EuGH Rs. 32 / 62, Alvis, Slg. 1963, 109, S. 123; Magiera, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Rn. 5. 511  EuGH Rs. 32 / 62, Alvis, Slg. 1963, 103, S. 123; EuGH Rs. 17 / 74, Transocean Marine Paint, Slg. 1974, 1063, Rn. 15; EuGH Rs. 85 / 76, Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, 461, Rn. 9; EuGH Rs. 100–103 / 80, Musique Diffusion Française, Slg. 1983, 1825, Rn. 10; EuGH Rs. C-135 / 92, Fiskano, Slg. 1994, I-2885, Rn. 39; EuGH Rs. C-315 / 99  P, Ismeri Europa, Slg. 2001, I-5281 Rn. 28; EuG Rs. T-48 / 05, Franchet und Byk, Slg. 2008, II-1585 Rn. 246; Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einführung  II Rn. 50; Ritgen, in Knack / Henneke, § 28 Rn. 15 ff. Zu Funktion und Herleitung des Anhörungsrechts als allgemeiner Rechtsgrundsatz, zu den Voraussetzungen und Art und Umfang der Anhörung: Classen, Gute Verwaltung im Recht der Europäischen Union, S. 265 ff. 512  EuG Rs. T-183 / 97  R, Micheli, Slg. 1997, II-1473, Rn. 56; Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, S. 53 ff.; Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einführung II Rn. 52. 513  EuGH Rs. 85 / 76, Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, 461, Rn. 13 f.; EuGH Rs. 322 /  81, Michelin, Slg. 1983, 3461 Rn. 7  f.; EuGH Rs. 53 / 85, Akzo Chemie / Kommission, Slg. 1986, 1965 Rn. 25 ff.; EuGH Rs. C-238 / 99 P u. a., Limburgse Vinyl Maatschappij, Slg. 2002, I-8375 Rn. 315  ff.; EuGH Rs. C-204 / 00 u. a., Aalborg Portland / Kommission, Slg. 2004, I-123 Rn. 68  ff.; EuG Rs. T-42 / 96, Eyckeler & Malt, Slg. 1998, II-401 Rn. 79 ff.; EuG Rs. T-5 / 97, Industrie des poudres sphériques, Slg. 2000, II-3755 Rn. 229 f.; EuG Rs. T-210 / 01, General Electric / Kommission, Slg.  2005, II-5575 508  EuGH



3. Kap.: Unionsrechtliche Vorgaben105

Seit dem 25. Mai 2018 ist die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft. Sie dient der Gewährleistung des Grundrechts zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 8 Abs. 1 GRCh.514 Es soll den Kontrollbedürfnissen der Unionsbürger im Zeitalter von technologischen Entwicklungen, verstärkter Digitalisierung und Globalisierung Rechnung getragen werden.515 Aufgrund des Verordnungscharakters handelt es sich um Recht, das auch in den außergerichtlichen Vorverfahren unmittelbar anwendbar ist, Art. 288 Abs. 2 AEUV. So statuiert die DatenschutzGrundverordnung in Art. 6 DSGVO516 die Pflicht zur rechtmäßigen Datenverarbeitung und in Art. 15 DSGVO517 einen Auskunftsanspruch. Der Datenschutz-Grundverordnung wird aufgrund zahlreicher Öffnungsklauseln für bereichsspezifische nationale Ausnahmen ein „hybrider Charakter“ zugeschrieben.518 Von diesen Öffnungsklauseln wurde in den drei Bereichen des Verwaltungsverfahrensrecht Gebrauch gemacht.519

Rn. 629; Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einführung  II Rn. 51; Ritgen, in: Knack / Henneke, § 29 Rn. 19. 514  Erwägungsgrund  1 zur DSGVO; Bieresborn, Sozialdatenschutz nach Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung, NZS 2017, 887; Kühling / Raab, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, Einführung Rn. 1; Myßen / Kraus, Steuerliches Datenschutzrecht, DB 2017, 1860 (1861). Zum nationalen Grundrechtsschutz: S. 85. 515  Erwägungsgründe 6 und 7 zur DSGVO. 516  Siehe S. 194. 517  Siehe S. 174. 518  Kühling / Raab, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, Einführung Rn. 2. 519  Siehe S. 175, 176, 178, 194.

Vierter Teil

Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich 1. Kapitel

Sachentscheidungsvoraussetzungen der außergerichtlichen Vorverfahren Bevor die zuständige Behörde die Begründetheit des außergerichtlichen Rechtsbehelfs prüft, hat sie im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu untersuchen, ob die Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.520 Im Folgenden sind diese Sachentscheidungsvoraussetzungen der außergerichtlichen Vorverfahren zu untersuchen und zu vergleichen, wobei zuerst darzustellen ist, unter welchen Voraussetzungen welches der drei außergerichtlichen Vorverfahren durchzuführen ist. Sodann ist von Bedeutung, welche Behörde über das Vorverfahren zu entscheiden hat, wann die Vorverfahren statthaft sind, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene befugt ist, das Vorverfahren einzureichen, wie die Vorverfahren ordnungsgemäß eröffnet werden, also welche Fristen und Formvorschriften zu wahren sind, um in einem letzten Schritt zu vergleichen, welche Konsequenz das Fehlen von Zulässigkeitsvoraussetzungen hat.

A. Rechtsbehelfsweg Bei der Beurteilung, welches der drei außergerichtlichen Vorverfahren durchzuführen ist, ist von Bedeutung, dass die Vorverfahren Sachurteilsvoraussetzung für den Zugang zu den Gerichten sind.521 Entscheidend ist daher, welcher Rechtsweg für eine mögliche spätere Klage eröffnet ist.

520  Daumke, in: Birkenfeld / Daumke, Das neue außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren, III Rn. 1; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 68 Rn. 12 ff. Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 4. 521  Siehe S. 55.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen107

I. Allgemeines Widerspruchsverfahren Der Widerspruch nach der Verwaltungsgerichtsordnung ist dann zulässig, wenn bei einer möglichen späteren Klage der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.522 Dies ist entweder dann der Fall, wenn eine aufdrängende Sonderzuweisung besteht oder die Voraussetzungen der Generalklausel § 40 Abs. 1 VwGO erfüllt sind, also eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art vorliegt, für die keine abdrängende Sonderzuweisung besteht.523 II. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Eine derartige abdrängende Sonderzuweisung ist § 51 Abs. 1 SGG, der ebenfalls das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 VwGO voraussetzt.524 Die Nummern 1 bis 10 legen diejenigen speziellen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten fest, in denen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet und zugleich das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren gemäß § 78 SGG statthaft ist.525 III. Einspruchsverfahren § 347 Abs. 1 AO normiert die Statthaftigkeit des Einspruchsverfahrens gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten, die ebenfalls öffentlichrechtliche Streitigkeiten sind.526 Die Abgabenordnung enthält also eine gegenüber der Finanzgerichtsordnung eigenständige Regelung darüber, in welchen Rechtsgebieten ein Einspruchsverfahren durchzuführen ist. Diese sind jedoch deckungsgleich mit denjenigen, für die § 33 FGO den Finanzrechtsweg eröffnet.527 IV. Fehlender Gleichlauf von materiellem Recht, Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht Bei der Frage, welches der drei außergerichtlichen Vorverfahren durchzuführen ist, ist zu beachten, dass der Gesetzgeber die Unterteilung in die drei Säulen des Verwaltungsrechts nicht einheitlich vorgenommen hat.528 Dem 522  Hufen,

Verwaltungsprozessrecht, § 6 Rn. 2. Verwaltungsprozessrecht, § 11 Rn. 9 ff. 524  Sodan, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 98. 525  Dörr / Francke, Sozialverwaltungsrecht, Kapitel 11 Rn. 92. 526  Sodan, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 98. 527  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 347 AO Rn. 1. 528  Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 53. 523  Hufen,

108

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Gesetzgeber steht es grundsätzlich529 frei, materielles Recht einer Säule teilweise anhand des Verfahrensrechts einer anderen Säule zu regeln und / oder den Rechtsweg einer anderen Säule zuzuweisen.530 Dies könnte man als fehlenden Gleichlauf von materiellem Recht, Verfahrensrecht und Prozessrecht bezeichnen. Zum Teil ist eine genaue Unterteilung in die drei Säulen sogar nicht durchführbar. Dies kann daran liegen, dass eine Regelungsmaterie verschiedene Zwecke verfolgt und daher materiell in verschiedene Rechtsbereiche fällt. Hier muss der Gesetzgeber über die verfahrens- und prozessrechtliche Einordnung entscheiden. Im Folgenden ist beispielhaft darzustellen, in welchen Regelungsmaterien der Gleichlauf fehlt oder schon im materiellen Recht Zwiespalt vorliegt. Das Kommunalabgabenrecht stellt hinsichtlich kommunaler Steuern materielles Steuerrecht dar. Konsequent ist daher der Verweis der Kommunalabgabengesetze der Länder auf die Abgabenordnung. Allerdings verweisen diese nicht auf die Regelungen zum Einspruchsverfahren,531 weshalb hier das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO532 durchzuführen ist. Für das gerichtliche Verfahren sind die Verwaltungsgerichte zuständig.533 Das Wohngeldgesetz und das Bundesausbildungsförderungsgesetz sind materiell als Sozialrecht einzustufen, § 68 Nr. 1 und Nr. 10 SGB I.534 Die Verwaltungstätigkeit der Behörden richtet sich nach dem Sozialverwaltungsverfahren, § 1 SGB X. Gemäß § 54 BAföG ist bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten aus diesem Gesetz der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Im WoGG fehlt eine derartige Regelung. Aufgrund des Fehlens einer Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten sind hier die Verwaltungsgerichte zuständig.535 Daher ist in beiden Regelungsbereichen das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung statthaft.536 Bezüglich des Kindergeldes besteht die Besonderheit, dass ihm sowohl der „Charakter einer allgemeinen Sozialleistung“ als auch eine „steuerliche Ent529  Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen siehe Sodan, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 476 ff. und Stelkens / Panzer, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 1 Rn. 17. 530  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 11 Rn. 53. 531  BVerwGE 82, 336 (339). 532  BVerwGE 82, 336 (339); Gersch, in: Klein, AO, § 1 Rn. 11. 533  Ehlers / Schneider, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 40 Rn. 691; Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (311 f.). 534  Scholz, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 1 Rn. 14. 535  Ohne Begründung: Schwerz, Wohngeldgesetz, § 26 Rn. 9. Vgl. Roggetin, in: Rothe / Blanke, BAföG, § 54 Rn. 3. 536  Ramsauer, in: Ramsauer / Stallbaum, BAföG, § 54 Rn. 10; Schwerz, Wohngeldgesetz, § 26 Rn. 8.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen109

lastungsfunktion“ zukommt.537 Es besteht ein duales System, bei dem die Aufwendungen für den Kindesunterhalt entweder durch einen Kinderfreibetrag oder durch Kindergeld ausgeglichen werden.538 Wie die Aufwendungen für den Kindesunterhalt verfahrensrechtlich durchgeführt und prozessrechtlich durchgesetzt werden, hängt von der Steuerpflicht des Anspruchsberechtigten ab.539 Ist der Anspruchsberechtigte unbeschränkt steuerpflichtig, besteht gemäß § 31 EStG i. V. m. § 1 AO die Zuständigkeit der Finanzbehörden. Gemäß § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO ist als außergerichtliches Vorverfahren das Einspruchsverfahren durchzuführen, und gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO sind die Finanzgerichte zuständig. Handelt es sich bei dem Anspruchsberechtigten jedoch um einen beschränkt Steuerpflichtigen, handelt gemäß § 7 BKGG, § 68 Nr. 9 SGB I, § 1 SGB X die Sozialverwaltung, und gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG i. V. m. § 15 BKKG ist der Sozialgerichtsweg eröffnet, weshalb das Widerspruchsverfahren nach §§ 78 ff. SGG statthaft ist. Beachtenswert ist außerdem, dass berufsrechtliche Streitigkeiten unterschiedlicher Berufsgruppen verfahrens- und prozessrechtlich nicht einheitlich einer Säule des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts zugeordnet werden, sondern „die Zersplitterung der Rechtswege und Zuständigkeiten beinahe unübersichtlich ist“540. So werden Steuerberater, Rechtsanwälte und Vertrags(zahn)ärzte unterschiedlich behandelt. Dies erscheint verwunderlich, da es sich bei allen drei Bereichen um Berufsrecht, und sogar um das Recht freier Berufe, handelt und den Vorverfahrensführern der besondere Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG zukommt.541 Bei Rechtsanwälten ist gemäß § 112c BRAO i. V. m. §§ 40 Abs. 1, 68 ff. VwGO das allgemeine Widerspruchsverfahren statthaft.542 Im gerichtlichen Verfahren entscheiden Anwaltsgerichte, die gemäß § 92 BRAO bei den Rechtsanwaltskammern angesiedelt sind und nach §  112c BRAO die Verwaltungsgerichtsordnung anwenden.543 Bei berufsrechtlichen Angelegenheiten der Steuerberater gemäß 537  BVerfGE

82, 60 (78). Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, S. 160. 539  § 1 Abs. 1 BKGG; § 31 EStG. 540  Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (324). 541  Grass, Rechtliche und steuerliche Besonderheiten bei Steuerberatern, S. 5. Vgl. Bettermann, in: Merten, Die Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsgesetze zu einer Verwaltungsprozeßordnung, 91 (105 f.): „Das ist doch Gewerberecht, Berufsrecht, also Art. 12 I GG!“. Mit der Ausnahme von Ausländern, die jedenfalls gemäß Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werden. 542  Kilimann, in: Feuerich / Weyland, BRAO, § 112c Rn. 99 ff. 543  Gemäß § 32 BRAO wird für das Verwaltungsverfahren das VwVfG herangezogen. Die Anwendbarkeit von VwVfG und VwGO wurde durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht eingeführt und dient der Vereinfachung und Vereinheitlichung. Siehe: BT-Drs. 16 / 11385 S. 28. 538  Lehner,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

§ 164 a StBerG ist gemäß § 347 Abs. 1 Nr. 3 AO das Einspruchsverfahren statthaft.544 Dies wird mit der sachlichen Nähe zu Abgabenangelegenheiten und der besseren Kenntnisse der Finanzbehörden und -gerichte bei Maßnahmen der Steueraufsicht, wozu beispielsweise auch die Frage gehört, ob jemand als Steuerberater zugelassen werden darf, begründet.545 Ein Arzt, der wünscht, als Vertragsarzt zugelassen zu werden, also ebenfalls eine berufsrechtliche Angelegenheit verfolgt,546 kann gegen die ablehnende Entscheidung des Zulassungsausschusses zunächst gemäß § 96 Abs. 4 SGB V Widerspruch vor dem Berufungsausschuss gemäß § 97 SGB V einreichen und sodann gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG den Sozialrechtsweg beschreiten.547 Grund hierfür ist, dass der Vorverfahrensführer als Vertragsarzt in das System der gesetzlichen Krankenversicherung, das der sozialen Sicherheit dient,548 eingebunden549 wäre. V. Kritik Dieser fehlende Gleichlauf, der als widersprüchlich angesehen wird,550 kann dahingehend kritisiert werden, dass den besonderen Gegebenheiten551 des jeweiligen Rechtsgebiets nicht genügend Rechnung getragen wird. Daher ist im Rahmen der folgenden vergleichenden Ausführungen besonders auf die Bereiche einzugehen, bei denen der Gleichlauf fehlt, und zu untersuchen, ob ihren materiell-rechtlich Besonderheiten trotzdem Genüge getan wird und ob bestehende Wertungswidersprüche ihre Ursache im fehlenden Gleichlauf haben.552 Andererseits ist zu erkunden, ob die Spezifika der jeweiligen Säule des Verwaltungsrechts so bedeutend sind, dass eigene Regelungen betreffend das jeweilige Vorverfahren notwendig sind.553 544  Gemäß

§ 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO ist der Finanzrechtsweg gegeben. S. 41; BFHE 56, 190 (191 f.); Seer, in: Tipke / Kruse, AO, FGO, § 33 FGO Rn. 71. 546  Lipp, in: Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, II, Rn. 5. 547  Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 51 Rn. 15. 548  Sodan, in: Sodan, Krankenversicherungsrecht, § 2 Rn. 80 ff. 549  Steinhilper, in: Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, § 25 Rn. 2. 550  Nach Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, Einleitung Rn. 54 ist die Unterteilung in die drei Säulen „nicht konsequent durchgeführt“. Nach Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einführung I, Rn. 2a ist „nicht widerspruchsfrei“ zugeordnet worden. 551  Siehe hierzu S. 56 ff. 552  So beschloss die 76. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 29. bis 30. Juni 2005 in Dortmund, dass die Rechtswegzuweisungen zu den Sozialund Verwaltungsgerichten überprüft werden sollen. Siehe Fn. 28. 553  Zum Verwaltungsverfahrensrecht ablehnend: Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, Einführung I, Rn. 2a. Zum Verwaltungsprozessrecht ablehnend: Meyer-La545  BT-Drs. 3 / 128



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen111

B. Zuständigkeit der Vorverfahrensbehörde Der Feststellung, welches der außergerichtlichen Vorverfahren durchzuführen ist, folgt die Frage, welche Behörde über den Rechtsbehelf entscheidet. I. Abhilfe- und Widerspruchsbehörde im allgemeinen Widerspruchsverfahren Das Vorverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs, wobei gemäß § 72 VwGO zunächst die Ausgangsbehörde, also die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder abgelehnt hat, über den Widerspruch entscheidet. Hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht ab, ergeht ein Widerspruchsbescheid, den gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzlich die nächsthöhere Behörde erlässt. Dem Widerspruch im allgemeinen Verwaltungsrecht kommt daher grundsätzlich Devolutiveffekt zu.554 Von der grundsätzlichen Zuständigkeit der nächsthöheren Behörde bestehen Ausnahmen. Durch Gesetz kann gemäß § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO die Zuständigkeit einer anderen höheren Behörde oder gemäß § 73 Abs. 1 S. 3 VwGO der Ausgangsbehörde bestimmt werden. Ist die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde, erlässt die Ausgangsbehörde den Widerspruchsbescheid, § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO. In Selbstverwaltungsangelegenheiten erlässt die Selbstverwaltungsbehörde den Widerspruchsbescheid, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird, § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VwGO. Außerdem können gemäß § 73 Abs. 2 VwGO auch Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle einer Behörde treten, wobei diese auch bei der Ausgangsbehörde gebildet werden können.555 Eine Besonderheit besteht schließlich in den Ländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Schleswig-Holstein, die über einen zweistufigen Verwaltungsaufbau verfügen, sodass die nächsthöhere Behörde stets eine oberste Landesbehörde ist. Diese können gemäß § 185 Abs. 2 VwGO Abweichungen von den Bestimmungen des § 73 Abs. 1 S. 2 VwGO zulassen. Ändert sich im Laufe des Widerspruchsverfahrens, beispielsweise durch einen Wohnortwechsel, die Zuständigkeit, so gilt gemäß § 79 VwVfG § 3 dewig, Aktualität einer Vereinheitlichung des Prozessrechts, NVwZ 2007, 1262 (1265). 554  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 69 Rn. 2. 555  Beispiele für derartige Ausschüsse auf Bundes- und insbesondere auf Landesebene bei Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1184.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Abs. 3 VwVfG,556 wonach die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen kann, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. II. Abhilfe- und Widerspruchsbehörde im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren Für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren enthalten § 85 Abs. 1 und Abs. 2 SGG den §§ 72, 73 Abs. 1 und 2 VwGO überwiegend entsprechende Zuständigkeitsregelungen.557 Ebenso wie im allgemeinen Widerspruchsverfahren erhält die Ausgangsbehörde im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren gemäß § 85 Abs. 1 SGG zunächst die Möglichkeit, dem Widerspruch abzuhelfen. Weiterhin enthält § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGG dem § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 VwGO vergleichbare Regelungen. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, besteht hiernach die Zuständigkeit der nächsthöheren Behörde, also Devolutiveffekt.558 Außerdem entscheidet die Ausgangsbehörde über den Widerspruch, wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist. Von diesen Bestimmungen des § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGG können die Bundesländer gemäß § 219 SGG Abweichungen zulassen. Außerdem enthält auch § 85 Abs. 2 SGG selbst Ausnahmen vom Grundsatz des Devolutiveffekts. Gemäß § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGG erlässt in Angelegenheiten der Sozialversicherung die von der Vertreterversammlung bestimmte Stelle den Widerspruchsbescheid. Zu den Angelegenheiten der Sozial­ versicherung zählen solche der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der Arbeitslosenversicherung.559 Weiterhin erlässt nach § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGG in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit mit Ausnahme der Angelegenheiten nach SGB II die von dem Vorstand bestimmte Stelle den Widerspruchsbescheid.560 Gemäß § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGG ist in Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung die Selbstverwaltungsbehörde zuständig, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird. Der Devolutiveffekt entfällt auch gemäß § 85 Abs. 2 S. 2 SGG. Hiernach besteht in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und, soweit Landesrecht nichts Abweichendes vorsieht, in Angelegenheiten der Grundsicherung im Alter 556  Schmitz,

in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 3 Rn. 38. in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 1a. 558  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 3. 559  Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 85 Rn. 14. 560  Diesbezüglich bestehen Sonderregelungen. Siehe hierzu: Schmidt, in: MeyerLadewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 3e. 557  Schmidt,



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen113

und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel des SGB XII) die Zuständigkeit des Trägers, der den dem Widerspruch zugrunde liegenden Verwaltungsakt erlassen hat. § 44b Abs. 1 S. 3 SGB II bleibt unberührt. Außerdem können gemäß § 85 Abs. 2 S. 3, 4 SGG auch hier Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle einer Behörde treten, die gleichermaßen bei der Ausgangsbehörde gebildet werden können. Schließlich kann auch im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren bei einem Zuständigkeitswechsel, gemäß § 2 Abs. 2 SGB X, der auch im Vorverfahren anwendbar ist,561 die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Andernfalls wirkt sich die neu begründete Zuständigkeit auch auf die Widerspruchsbehörde aus.562 III. Einspruchsbehörde Gemäß § 367 Abs. 1 AO entscheidet die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, über den Einspruch. Der Einspruch hat also, im Gegensatz zur vom Grenzpendlergesetz abgeschafften Beschwerde,563 keinen Devolutiveffekt.564 Richtet sich der Einspruch gegen einen Verwaltungsakt, den eine Behörde auf Grund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat, so entscheidet gemäß § 367 Abs. 3 S. 1 AO die zuständige Finanzbehörde über den Einspruch. Gemäß § 367 Abs. 3 S. 2 AO darf neben der zuständigen Behörde auch die handelnde Behörde dem Einspruch abhelfen.565 § 367 Abs. 1 S. 2 AO stellt für das Einspruchsverfahren klar,566 was in den anderen beiden Vorverfahren ebenfalls gilt. Ist für den Steuerfall nachträglich eine andere Finanzbehörde zuständig geworden, so entscheidet diese Finanzbehörde, wobei § 26 S. 2 AO unberührt bleibt, wonach die bisher zuständige Finanzbehörde das Verwaltungsverfahren fortführen kann, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt. 561  Roller,

in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 2 Rn. 11. SGG, § 85 Rn. 14. 563  Siehe hierzu: S. 42. 564  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 20; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 367 AO Rn. 1. 565  Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 88. 566  BT-Drs. 6 / 1982 S. 192. 562  Rohwer-Kahlmann,

114

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

IV. Vergleich Für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren enthalten § 85 Abs. 1 und Abs. 2 SGG den §§ 72, 73 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO überwiegend entsprechende Zuständigkeitsregelungen.567 Im Grundsatz besteht Devolutiveffekt, also eine „Fremdkorrektur“ der Verwaltungsentscheidung durch die nächsthöhere Behörde.568 Dennoch bestehen einige Unterschiede. Im allgemeinen Widerspruchsverfahren können sowohl der Bund als auch die Länder Ausnahmen vom Devolutiveffekt bestimmen. Die Zuständigkeit kann sowohl auf eine andere höhere Behörde als auch auf die Ausgangsbehörde übertragen werden, § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und S. 3 VwGO. Die Zuständigkeit einer anderen als der nächsthöheren Behörde können für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren gemäß § 219 SGG allerdings nur die Länder begründen.569 Außerdem wird die Verwaltungsgerichtsordnung den Besonderheiten des zweigliedrigen Verwaltungsaufbaus gerecht. Gemäß § 185 Abs. 2 VwGO können die Länder, die über einen solchen verfügen, eine Ausnahme von der Regelung, dass die Ausgangsbehörde den Widerspruchsbescheid erlässt, wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder oberste Landesbehörde ist, zulassen, da diese Regelung von einem dreigliedrigen Verwaltungsaufbau ausgeht.570 Um diesen Unterschieden in den Verwaltungsstrukturen der Länder gerecht zu werden, wurde auch die Abweichungsmöglichkeit des § 219 SGG mit der Beschränkung auf bestimmte Bundesländer erlassen.571 Diese Beschränkung wurde jedoch ohne Begründung durch den Gesetzgeber aufgehoben.572 Nach der geltenden Fassung können alle Bundesländer von § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGG abweichende Zuständigkeiten bestimmen. Für eine unterschied­ liche Regelung in VwGO und SGG sind keine Gründe ersichtlich. Übereinstimmungen der Zuständigkeitsregelungen finden sich außerdem dahingehend, dass der Gesetzgeber im Rahmen beider Gerichtsgesetze bestrebt war, den Eigentümlichkeiten in Selbstverwaltungsangelegenheiten gerecht zu werden.573 Im allgemeinen Widerspruchsverfahren gilt § 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VwGO als generelle Regelung sowohl für kommunale als auch für 567  Schmidt,

in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 1a. Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (917). 569  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 3. 570  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 185 Rn. 3. 571  BT-Drs. 1 / 4357 S. 46; Engel-Boland, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 219 Rn. 4. 572  BT-Drs. 14 / 5943 S. 29. 573  BT-Drs.  3 / 55 S. 36; BT-Drs.  1 / 4357 S. 27; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 24. 568  Steinbeiß-Winkelmann / Ott,



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen115

funktionale Selbstverwaltungsangelegenheiten.574 § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGG regelt die Zuständigkeit in kommunalen Selbstverwaltungsangelegenheiten explizit. Außerdem bestehen Sonderregelungen für bestimmte, in der Sozialverwaltung typische nicht-kommunale Selbstverwaltungsbehörden.575 Sowohl in Angelegenheiten der Sozialversicherung als auch in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit entscheidet eine Stelle innerhalb der Selbstverwaltungsbehörde gemäß § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGG über den Widerspruch.576 Im Ergebnis besteht also Einigkeit: Prinzipiell entscheidet die Selbstverwaltungsbehörde selbst.577 Das SGG berücksichtigt neben den spezifischen Formen der funktionalen Selbstverwaltung weitere verwaltungsorganisatorische Besonderheiten und Veränderungen. Abweichende bzw. speziellere Regelungen im Vergleich zur VwGO lassen sich hiermit erklären. So wird § 85 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 SGG den unterschiedlichen Trägerschaften in Angelegenheiten nach dem SGB II gerecht. Im Regelfall erbringen die Bundesagentur für Arbeit und die Gemeinden gemeinsam578 die Leistungen in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und bilden hierfür gemeinsame Einrichtungen, die Jobcenter genannt werden, §§ 6, 6d, 44b ff. SGB II.579 Ausnahmsweise kann unter den Voraussetzungen der § 6a ff. SGB II eine Gemeinde, die dann als Optionskommune bezeichnet wird, die alleinige Aufgabenträgerschaft übernehmen.580 Nach § 85 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 SGG erlässt der Träger, der den Verwaltungsakt erlassen hat, also bei der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung regelmäßig das Jobcenter und bei der kommunalen Trägerschaft die Kommune selbst, den Widerspruchsbescheid.581 Außerdem wird § 85 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 SGG der Tatsache gerecht, dass im Rahmen der Grundsicherung 574  Geis,

in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 73 Rn. 11 ff. Entstehungsgeschichte und den Rechtsgrundlagen der sozialen Selbstverwaltung: Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 189 ff. 576  Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 85 Rn. 14; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 25. 577  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 3b. Sollte dennoch die Aufsichtsbehörde als Widerspruchbehörde bestimmt werden, ist das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht zu beachten. Siehe hierzu S. 89. 578  Gemäß Art. 91e Abs. 1 GG. Hierzu und zur verfassungsrechtlich problematischen Mischverwaltung Weißenberger, in: Eicher / Luik, SGB  II, § 44b Rn. 2. Vgl. Berger, Anmerkung zu BVerfG v. 7.10.2014 – 2 BvR 1641 / 11, JZ 2014, 1163. 579  Axer, Arbeitsförderung, Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfe, in: Ehlers / ‌Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band  3, § 81 Rn. 52; Weißenberger, in: Eicher / Luik, SGB II, § 44b Rn. 4. 580  Axer, Arbeitsförderung, Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfe, in: Ehlers / ‌Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 81 Rn. 52. 581  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 27. 575  Zur

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

im Alter und bei Erwerbsminderung ein Übergang von Eigenverwaltung gemäß Art. 84 GG zu Bundesauftragsverwaltung gemäß Art. 85 GG stattgefunden hat.582 Trotz dieser Veränderung bestimmen die Länder weiterhin die zuständige Widerspruchsbehörde, wobei der Regelfall die Entscheidung durch die Ausgangsbehörde ist und eine landesrechtliche Abweichungsmöglichkeit besteht.583 Im Rahmen beider Widerspruchsverfahren ist übereinstimmend die Möglichkeit vorgesehen, Ausschüsse oder Beiräte an die Stelle der Widerspruchsbehörde treten zu lassen. § 85 Abs. 2 S. 3 SGG entspricht § 73 Abs. 2 ­VwGO.584 Allen drei außergerichtlichen Vorverfahren ist gemeinsam, dass bei einem Zuständigkeitswechsel grundsätzlich die nachträglich zuständig gewordene Behörde über das Vorverfahren entscheidet. Die gesondert im Einspruchsverfahren bestehende Zuständigkeitsregelung des § 367 Abs. 3 AO wird den gesetzlichen Vorschriften gerecht, nach denen eine Behörde einen Verwaltungsakt für eine zuständige Finanzbehörde erlassen kann.585 Diese Verwaltungsakte sind als Verwaltungsakte der zuständigen Finanzbehörde zu qualifizieren,586 weshalb gemäß § 367 Abs. 3 S. 1 AO diese Behörde entscheidet. Die handelnde Behörde soll entlastet werden, andererseits gemäß § 367 Abs. 3 S. 2 AO im Wege eines Abhilferechts aber über den Einspruch entscheiden dürfen.587 Alle bisher genannten Unterschiede stellen lediglich Feinheiten dar und lassen sich weitestgehend aufgrund verwaltungsorganisatorischer Besonderheiten begründen. Der entscheidende Unterschied beim Vergleich der Zuständigkeiten im Rahmen der drei außergerichtlichen Vorverfahren besteht also darin, dass im Einspruchsverfahren niemals Devolutiveffekt eintritt.588 Im Gegensatz zur VwGO und zum SGG, die im Grundsatz die „Fremdkorrektur“ von Verwaltungsakten vorsehen, sieht die AO ausschließlich „Selbstkorrektur“ vor.589 Der Gesetzgeber berief sich diesbezüglich auf die Vereinfa582  Da der Bund ab dem Jahr 2013 die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt (Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG). 583  Hintz, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 85 SGG Rn. 7. 584  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 28; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 3g. 585  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 640. 586  Krumm, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 18 FVG Rn. 3. 587  Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 88. 588  Anders noch im Beschwerdeverfahren. Siehe S. 35, 40. 589  Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (917).



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen117

chung und Beschleunigung des Finanzverwaltungsverfahrens durch eine ortsnahe Sachentscheidung, die keiner Übersendung von Akten an die vorgesetzte Behörde bedarf.590 Darüber hinaus lässt sich die Funktion der Selbstkontrolle der Verwaltung im Vorverfahren zur Begründung des fehlenden Devolutiveffekts heranziehen.591 Aufgrund der bestehenden Massenverwaltung im Steuerrecht ist das Veranlagungsverfahren besonders fehleranfällig. Daher muss der Finanzverwaltung in besonders hohem Maße die Möglichkeit der Selbstkontrolle zugestanden werden. In Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die im Rahmen der Sozialverwaltung das prägnanteste Beispiel für Massenverwaltung sind, wird der fehlende Devolutiveffekt mit verwaltungsorganisatorischen Besonderheiten begründet. Hier gilt allerdings ebenso, dass aufgrund der hohen Erfolgsquote der Widersprüche die Funktion der Selbstkontrolle der Verwaltung einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Die Selbstkorrektur im Rahmen dieses Bereichs der Massenverwaltung ist daher zu begrüßen.

C. Statthaftigkeit des Vorverfahrens Weiterhin ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen ein Vorverfahren überhaupt durchzuführen ist. Die Statthaftigkeit der außergerichtlichen Vorverfahren ist in § 68 VwGO, §§ 347, 348 AO und § 78 SGG geregelt. I. Grundsätzlich vor Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Die außergerichtlichen Vorverfahren sind grundsätzlich vor der Erhebung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage durchzuführen. Dies gilt gleichermaßen für alle drei Vorverfahren, § 68 Abs. 1, 2 VwGO, § 44 FGO i. V. m. § 347 Abs. 1 AO, § 78 Abs. 1, 3 SGG. Im Beamtenrecht ist ein Widerspruchsverfahren gemäß § 54 Abs. 2 BeamtStG auch bei Leistungs- und Feststellungsbegehren durchzuführen.592 II. Ausnahmsweise kein Vorverfahren § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO, § 348 AO und § 78 Abs. 1 S. 2 SGG enthalten Ausnahmen vom grundsätzlichen Erfordernis der Durchführung des Vorver590  BT-Drs. 12 / 7427

S. 35.

591  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz,

S. 32.

Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens,

592  Bosch / Schmidt / Vondung, Praktische Einführung in das verwaltungsgericht­ liche Verfahren, Rn. 629; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 3; Wind, Zum Rechtsschutz im Beamtenverhältnis, ZBR 1984, 167 (169).

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

fahrens. Nach dem Wortlaut des § 348 AO ist der Einspruch „nicht statthaft“. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO und § 78 Abs. 1 S. 2 SGG besagen, dass es einer Nachprüfung im Vorverfahren nicht „bedarf“. Trotz des unterschiedlichen Wortlauts dürfen auch das allgemeine und sozialrechtliche Widerspruchsverfahren bei Eingreifen eines Ausnahmefalles keineswegs freiwillig durchgeführt werden, sondern sind unstatthaft.593 1. Gesetzlicher Ausschluss des Vorverfahrens Gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO bedarf es der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens dann nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Wie bereits dargestellt,594 enthielt der frühere Wortlaut der Norm den Zusatz, dass ein Gesetz das Widerspruchsverfahren nur „für besondere Fälle“ ausschließen kann, wobei diesbezüglich umstritten war, ob dies den (Landes-)Gesetzgeber auch dazu ermächtigte, das Widerspruchsverfahren für weitreichende Regelungsbereiche abzuschaffen und es damit vom Regel- zum Ausnahmefall zu machen. Das Bundesverfassungsgericht legte den Wortlaut weit aus und verstand „besondere Fälle“ als „Sachmaterien“.595 Trotzdem wurde die Einschränkung „für besondere Fälle“ aus dem Wortlaut der Norm gestrichen. Die weitreichende Abschaffung des Widerspruchsverfahrens ist im Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung daher kompetenzrechtlich unproblematisch möglich.596 Von dieser umfassenden Ermächtigung haben einige Bundesländer Gebrauch gemacht.597 Teilweise wurde das Widerspruchsverfahren als fakultatives Vorverfahren ausgestaltet, dessen Durchführung alleine vom Willen des Betroffenen abhängt und keiner Zustimmung der Behörde bedarf.598 Gemäß § 78 Abs. 1 S. 2 SGG ist das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren unstatthaft, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt.599 Die 593  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 121; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 84 Rn. 24. 594  Siehe S. 40, 95. 595  BVerfGE 35, 65 (75 f.). 596  Siehe Fn. 116. 597  Ein Überblick darüber, welche Bundesländer aktuell das Widerspruchsverfahren abgeschafft haben, bei Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 5 und Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 539 f. 598  Hierzu Steinbeiß-Winkelmann, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – ein Fortschritt?, NVwZ 2009, 686 (692) und Übersicht bei Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 5. Abzugrenzen ist ein fakultatives Vorverfahren von der Möglichkeit der Sprungklage, die in § 45 Abs. 1 S. 1 FGO vorgesehen ist und von der Zustimmung der Behörde abhängt. Siehe hierzu S. 122. 599  Beispiele für derartige Gesetze: Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 78 Rn.  14 ff.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen119

Norm enthält also den aus § 68 VwGO gestrichenen Zusatz „für besondere Fälle“ weiterhin. Fraglich ist daher, welche Auswirkung das Streichen des Zusatzes auf das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren hat. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass erst die Streichung bewirkt habe, dass „die Länder bereichsspezifisch den Widerspruch ausschließen können“.600 Darin kann die Intention des Gesetzgebers gesehen werden, „für bestimmte Fälle“ im Rahmen des § 78 Abs. 1 S. 2 SGG als „konkrete Einzelfälle“ zu interpretieren. Dieses Ergebnis wird in der Literatur vertreten, wobei betont wird, das Widerspruchsverfahren müsse der Regelfall bleiben.601 Die Abgabenordnung eröffnet dem Gesetzgeber hingegen keine Möglichkeit, Ausnahmen vom Einspruchserfordernis zu statuieren.602 Allerdings bestimmt die Abgabenordnung in § 348 Nr. 4 gegen Entscheidungen in Ange­ legenheiten des Zweiten und Sechsten Abschnitts des Zweiten Teils des Steuer­beratergesetzes selbst eine Ausnahme vom Einspruchserfordernis für einen konkreten Regelungsbereich. 2. Entscheidung einer obersten Bundes- oder Landesbehörde Alle drei außergerichtlichen Vorverfahren sind ausnahmsweise nicht durchzuführen, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde erlassen wurde, §§ 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO, § 348 Nr. 3 AO, § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGG, wobei alle Regelungen die Möglichkeit einer Rückausnahme durch Gesetz eröffnen. Besonderheiten bestehen im Rahmen des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens. Hier ist zum einen gemäß § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGG das Widerspruchsverfahren dann nicht durchzuführen, wenn der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit den Verwaltungsakt erlassen hat. Zum anderen bedarf es gemäß § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG keines Vorverfahrens, wenn ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will, wobei diese Ausnahme hauptsächlich für Aufsichtsverhältnisse zwischen Bund und Ländern oder in Selbstverwaltungsangelegenheiten gilt und nur selten zur Anwendung kommt.603 600  BT-Drs. 13 / 5098

S. 23. in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 78 Rn. 13; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 84 Rn. 26; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 78 Rn. 5; Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (918). 602  Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (918). 603  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 78 Rn. 18; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 78 Rn. 34. 601  Becker,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

3. Vorverfahren gegen die Vorverfahrensentscheidung Gegen die Entscheidung der Behörde über das außergerichtliche Vorverfahren ist kein erneutes Vorverfahren statthaft. Diese Selbstverständlichkeit, die für alle Vorverfahren gilt, wird in § 348 Nr. 1 AO ausdrücklich klargestellt.604 Wenn die Entscheidung über das Vorverfahren erstmalig eine Beschwer enthält, bedarf es ebenfalls keiner erneuten Überprüfung im Rahmen eines Vorverfahrens. Lediglich § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO stellt dies ausdrücklich klar, wobei sowohl der Widerspruchsführer605 als auch ein Dritter erstmalig beschwert sein können.606 In diesen Fällen werden auch das Einspruchs- und das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren, im Rahmen derer keine ausdrückliche Regelung besteht, als entbehrlich angesehen.607 4. Untätigkeitseinspruch, Untätigkeitsklage Weiterhin ist zu untersuchen, welcher Rechtsbehelf im Falle der Untätigkeit von Behörden statthaft ist. Hierbei ist zu unterscheiden, ob die Behörde es unterlassen hat, über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes oder über ein Vorverfahren zu entscheiden. Entscheidet eine Behörde ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht binnen angemessener Frist über einen gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts, ist der Einspruch gemäß § 347 Abs. 1 S. 2 AO statthaft. Hierbei handelt es sich um einen sogenannten Untätigkeitseinspruch.608 Wie lange der Betroffene warten muss, welche Frist also angemessen ist, hängt von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab.609 Bleibt eine Behörde nach einem Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes in den anderen Verwaltungsverfahren untätig, ist ein Widerspruch hingegen unstatthaft.610 In diesen 604  Seer,

in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 348 AO Rn. 1. z. B. in Fällen der Verböserung und bei einer belastenden Kostenentscheidung. Siehe hierzu: Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 146. 606  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 145 ff. 607  Einspruch: BFHE 152, 200 (202); FG Hamburg EFG 2006, 823 (823); Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 44 FGO Rn. 61 Fn. 3. Sozialrechtlicher Widerspruch: Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 78 Rn. 26; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 78 Rn. 8; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 78 Rn. 19. 608  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 347 AO Rn. 208. 609  Hierbei ist umstritten, ob die sechsmonatige Wartefrist gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 FGO regelmäßig anwendbar ist. So: Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 347 AO Rn. 210. Ablehnend: Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 347 AO Rn. 27. 610  BVerfG NVwZ-RR 2007, 716 (717); Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 96; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 83 Rn. 3. 605  Denkbar



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen121

Fällen ist vielmehr ohne ein vorheriges Vorverfahren Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO oder § 88 Abs. 1 SGG zu erheben, wobei jeweils andere Wartefristen zu wahren sind. Gemäß § 75 S. 2 VwGO ist die Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zu erheben, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. § 88 Abs. 1 S. 1 SGG sieht jedoch eine längere Frist vor. Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Weiterhin ist die Untätigkeitsklage im Rahmen aller drei Rechtswegen statthaft, wenn Behörden nach Erhebung des Vorverfahrens untätig blieben, § 75 VwGO, § 46 Abs. 1 FGO, § 88 Abs. 2 SGG. Im finanzgerichtlichen Verfahren ist eine sogenannte doppelte Untätigkeitsklage möglich, wenn die Finanzbehörde weder über den Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes noch über den Untätigkeitseinspruch entschieden hat.611 Auch im Rahmen der Untätigkeitsklagen bestehen unterschiedliche Wartefristen. Entscheidet eine Finanzbehörde nicht über einen Einspruch, kann die Untätigkeitsklage gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 FGO nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. § 75 S. 2 VwGO sieht eine Wartefrist von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs vor, es sei denn, besondere Umstände des Falles gebieten eine kürzere Frist. Auch gemäß § 88 Abs. 2 SGG besteht eine Wartefrist von drei Monaten vor, wobei besondere Umstände des Falles hier keine kürzere Frist gebieten können. Gemein ist den Untätigkeitsklagen, dass die Gerichte bei Vorliegen eines zureichenden Grundes612 für die Untätigkeit der Behörde das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihnen bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aussetzen können, § 75 S. 3 VwGO, § 46 Abs. 1 S. 3 FGO, § 88 Abs. 1 S. 2 SGG. Wird dem Vorverfahren innerhalb dieser Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären, § 75 S. 4 VwGO, § 46 Abs. 1 S. 4 FGO, § 88 Abs. 1 S. 3 SGG. Obwohl der Wortlaut der drei Gerichtsgesetze bezüglich der Untätigkeitsklagen weitgehend ähnlich ist, haben sich aufgrund der Rechtsprechung der Gerichte wesentliche Unterschiede bezüglich des Klagegegenstandes heraus611  BVerfG

Rn. 1.

612  Seer,

NVwZ-RR 2007, 716; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 46 FGO

in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 46 FGO Rn. 17.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

gebildet. Umstritten ist im Rahmen aller drei Gerichtsgesetze, ob die Untätigkeit der Behörde den Anlass oder den Gegenstand der Klage bildet. Im Rahmen der VwGO und FGO überwiegt die Ansicht, die Untätigkeit sei lediglich Anlass der Klage, und es handle sich nicht um eine eigenständige Klageart.613 Der Betroffene verfolge weiterhin sein Anfechtungs- oder Verpflichtungsbegehren.614 Die Untätigkeitsklage sei also darauf gerichtet, unmittelbar eine Entscheidung in der Sache, also die Aufhebung, die Änderung oder den Erlass eines Verwaltungsaktes, herbeizuführen.615 Dies wird als unechte Untätigkeitsklage bezeichnet.616 Die Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG wird hingegen überwiegend als echte Untätigkeitsklage, also als reine Bescheidungsklage, die auf den Erlass eines Widerspruchsbescheides abzielt, eingestuft.617 5. Sprungklage Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 FGO ist die Klage ohne Einspruchsverfahren zulässig, wenn die Behörde, die über den Einspruch zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt. Das Gericht kann allerdings gemäß § 45 Abs. 2 S. 1 FGO die Klage an die zuständige Behörde zur Durchführung des Einspruchsverfahrens abgeben, wenn eine weitere Sachaufklärung notwendig ist, die nach Art 613  BFH / NV 2007, 396 (398); Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO /  FGO, § 46 FGO Rn. 1. 614  BFHE 117, 210 (212 f.); Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 46 FGO Rn. 1. 615  BVerwG VerwRspr 1963, 367 (367); BFHE 117, 210 (212 f.); OVG Bremen DÖV 2010, 152; OVG Lüneburg NVwZ-RR 2009, 663 (664); Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 46 FGO Rn. 1. Andere Ansicht, wonach der Betroffene im Falle einer Ermessensentscheidung Klage auf Bescheidung des Vorverfahrens erheben könne: Brenner, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 75 Rn. 16 f.; Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 75 Rn. 2; von Schledorn, Zulässigkeit einer Klage auf Widerspruchsbescheidung, NVwZ 1995, 250 (251). Wiederum andere Ansicht, wonach der Betroffene stets die Möglichkeit habe, Klage auf Erlass eines Vorverfahrensbescheides zu erheben: Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 75 Rn. 1a; Schenke, Der Anspruch des Widerspruchsführers auf Erlaß eines Widerspruchsbescheids und seine gerichtliche Durchsetzung, DÖV 1996, 529 (537). 616  Jaritz, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 88 Rn. 11. 617  BSGE 73, 244 (247); Jaritz, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 88 Rn. 11; Ulmer, in: Hauck / Behrend, SGG, § 88 Rn. 5. Bedenken gegen diese Ansicht: BSGE 75, 262 (267 f.); Rohwer-Kahlmann, SGG, § 88 Rn. 1; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 88 Rn. 9b; Wimmer, Mit der sozialgerichtlichen Untätigkeitsklage das Vorverfahren überspringen, NJW 1999, 3690 (3691). Genauer zur praktischen Bedeutung der Rechtsnatur der sozialgerichtlichen Untätigkeitsklage: Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 88 Rn. 1 ff.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen123

oder Umfang erhebliche Ermittlungen erfordert, und die Abgabe auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Die VwGO und das SGG sehen keine entsprechende Möglichkeit einer Sprungklage vor. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und in der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird jedoch eine Klage ohne vorheriges Widerspruchsverfahren als statthaft angesehen, wenn sich die Behörde in der Sache auf die Klage eingelassen hat.618 Dies wird als „Korrektiv“619 für das Fehlen der Sprungklage in diesen Rechtswegen angesehen und mit prozessökonomischen Erwägungen begründet. Das Bundessozialgericht sieht in diesen Fällen jedoch keine Ausnahme vom Erfordernis des Widerspruchsverfahrens mehr, da den Zwecken des obligatorischen Vorverfahrens sonst nicht Genüge getan werden könne und das Widerspruchsverfahren eine Sachurteils-voraussetzung ist, die weder zur Disposition der Beteiligten noch zur Disposition des Gerichts stünde.620 Mit dieser Argumentation lehnt auch die Literatur die Entbehrlichkeit des Vorverfahrens ab.621 Problematisch ist im Rahmen beider Gerichtsgesetze jedoch, ob das Einlassen der Behörde dennoch eine Ausnahme vom Vorverfahrenserfordernis begründen könne, wenn es sich in der Sache nicht um eine Ermessensentscheidung622 handelt oder wenn die Ausgangs- und die Widerspruchsbehörde623 identisch sind. Nach der Rechtsprechung des BFH ist außerhalb der Voraussetzungen des § 45 FGO – also beispielsweise, wenn sich die Behörde zwar auf die Klage eingelassen, aber nicht innerhalb eines Monats zustimmt hat – keine Ausnahme vom Einspruchserfordernis möglich.624 III. Vergleich Die Regelungen über die Statthaftigkeit der Vorverfahren weisen zahlreiche Unterschiede auf. Im Beamtenrecht ist auch außerhalb von Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren der Widerspruch statthaft. Dies ist sinnvoll und lässt sich mit dem 618  St. Rspr. seit BVerwGE 1, 247 (249); und frühere Rspr. des Bundessozialgerichts: BSG SozR 1500 § 78 Nr. 8; BSGE 65, 105 (107). 619  Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 45 FGO Rn. 7. 620  BSGE 97, 47 (53). 621  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 68 Rn. 29; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 161 ff.; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 78 Rn. 21; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 78 Rn. 3c. 622  So BVerwG NVwZ 1984, 507 (507). 623  So LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. November 2010 – L 5 AS 2214 / 08 –, juris Rn. 11. 624  BFHE 143, 27 (30 f.).

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

erhöhten Interesse der Verwaltung, in innerbehördlichen Angelegenheiten Selbstkontrolle vorzunehmen, erklären.625 Weiterhin bestehen Unterschiede bei der Möglichkeit, das außergerichtliche Vorverfahren durch Gesetz abzuschaffen. In einigen Bundesländern besteht die Tendenz, das allgemeine Widerspruchsverfahren in weitreichenden Regelungsbereichen abzuschaffen. Ob dies rechtspolitisch sinnvoll ist, ist äußerst umstritten.626 Entscheidend ist, ob die Funktionen der außergerichtlichen Vorverfahren tatsächlich gewahrt werden.627 Befürworter der Abschaffung bezweifeln, dass sich die Verwaltung in der Praxis selbst kontrolliert. So soll dieser Funktion bei fehlendem Devolutiveffekt in der Regel gar nicht nachgekommen werden. Auch wenn eine andere Behörde über den Erfolg des Vorverfahrens entscheidet, wird von „kameradschaftlicher Bürokratie“628 ohne Bereitschaft zur Selbstkorrektur gesprochen. Eine Zweckmäßigkeitskontrolle finde außerdem ohnehin nicht statt.629 Für die tatsächliche Selbstkontrolle der Verwaltung spreche lediglich die „disziplinierende Wirkung verlorener Verwaltungsprozesse“, die nicht unterschätzt werden solle.630 Ohne die Bereitschaft der Verwaltung zur Selbstkontrolle wird den anderen Funktionen des 625  BVerwGE 114, 350(355); Hebeler, in: Battis, BBG, § 126 Rn. 17; Wind, Zum Rechtsschutz im Beamtenverhältnis, ZBR 1984, 167 (169). 626  Gegen die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens: Beaucamp / Ringermuth, Empfiehlt sich die Beseitigung des Widerspruchsverfahrens, DVBl. 2008, 426; Härtel, Rettungsanker für das Widerspruchsverfahren?, VerwArch 98 (2007), 54 (65 ff.); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 5 Rn. 4 f.; Kopp, Die Rechtsschutzfunktion des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO, in: Bender / Breuer / Ossenbühl / Sendler, FS Redeker, 543. Für die teilwiese Abschaffung des Widerspruchsverfahrens sprechen sich aus: Rüssel, Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (527 f.); Schmieszek, Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze, NVwZ 1996, 1151 (1156); Schönenbroicher, Leitziele und Kernpunkte der Reformen des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2009, 1144. Für ein fakultatives Widerspruchsverfahren: Biermann, Das Widerspruchsverfahren unter Reformdruck, DÖV 2008, 395. 627  Nach Kallerhoff, in: Burgi / Palmen, Die Verwaltungsstrukturreform des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 184 sollte vielmehr danach gefragt werden, wie die Vorverfahren verbessert werden können. 628  Bosetzky, Die „kameradschaftliche Bürokratie“ und die Grenzen der wissenschaftlichen Untersuchung von Behörden, Die Verwaltung 4 (1971), 325 (328); Oppermann, Die Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 289; Schönenbroicher, Leitziele und Kernpunkte der Reformen des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2009, 1144 (1145). 629  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vor § 68 Rn. 16, 16a; Hüffer, Expertenanhörung des Bayerischen Landtags zur Änderung des AGVwGO am 22.3.2007, BayVBl. 2007, 619 (620); Oppermann, Die Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 344. 630  Schönenbroicher, Leitziele und Kernpunkte der Reformen des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2009, 1144 (1145).



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen125

Vorverfahrens ebenfalls nicht Genüge getan. So erhält der Vorverfahrensführer in diesem Fall keinen zusätzlichen Rechtsschutz, vielmehr wird das Rechtsschutzverfahren nur unnötig verlängert.631 Außerdem sehe ein Vorverfahrensführer bei fehlendem Erfolg in der Regel nicht von der Klage ab, weil er von der Begründung der Vorverfahrensbehörde überzeugt ist, sondern weil er resigniert.632 Eine Entlastung der Gerichte kann ohne Selbstkorrektur der Verwaltung ebenfalls nicht gewährleistet werden. Die Wiederholung des bereits im Ausgangsbescheid vertretenen Standpunktes diene lediglich dem „Gerichtsfestmachen“ des Bescheides.633 Außerdem muss sich der Betroffene bei fehlendem Suspensiveffekt des Vorverfahrens für einstweiligen Rechtsschutz an die Gerichte wenden, was ebenfalls nicht zu ihrer Entlastung führt.634 Ob diese Kritik zutreffend ist, ist ohne umfangreiche Empirie nicht zu beantworten, denn entscheidend sind zum einen die Erfolgsquoten der Vorverfahren und zum anderen die Befriedungsquoten, also die Anzahl der Vorverfahren, die nicht in ein Klageverfahren münden.635 Vergleicht man die Vorverfahren miteinander, kann daher festgestellt werden, dass Bestrebungen zur Abschaffung des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens und des Einspruchsverfahrens aufgrund des Vorliegens von Massenverwaltung und der damit einhergehenden hohen Erfolgsquote der Vorverfahren nicht bestehen.636 Daher ist es zweckmäßig, die Abgabenordnung aufgrund des besonders fehleranfälligen Veranlagungsverfahrens als am „vorverfahrensfreundlichsten“637 auszugestalten und, wie derzeit, keine Regelung vorzusehen, wonach eine gesetzliche Ausnahme vom obligatorischen Einspruchsverfahren möglich ist. Ausnahmen können bereichsspezifisch, wie es derzeit in § 347 Abs. 3 AO der Fall ist, in der Abgabenordnung selbst vorgenommen werden.638 Das sozialrechtliche 631  Dolde / Porsch,

16a.

in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vorbemerkung § 68 Rn. 16,

632  Klenke, Abschlussprotokoll LT-NRW 14 / 467 S. 12, 42 spricht von „Entmutigung“ und „Frustration“; Schönenbroicher, Leitziele und Kernpunkte der Reformen des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2009, 1144 (1146). Skeptisch: Oppermann, Die Funktionen des verwaltungsgerichtlichen Vorverfahrens, S. 337. 633  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, Vor § 68 Rn. 16, 16a; Hanschel, Das Widerspruchsverfahren als föderales Experimentierfeld, in: Baumeister /  Roth / Ruthig, FS Schenke, 777 (780). 634  Steinbeiß-Winkelmann, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – ein Fortschritt?, NVwZ 2009, 686 (688). 635  Steinbeiß-Winkelmann, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – ein Fortschritt?, NVwZ 2009, 686 (687). 636  Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 AO Rn. 16 ff. Zur Massenverwaltung und Fehleranfälligkeit siehe S. 62. 637  Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (918). 638  BT-Drs. 9 / 1851 S. 107.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Widerspruchsverfahren, das sich bezüglich Massenverwaltung und Erfolgsquote zwischen dem allgemeinen Widerspruchsverfahren und dem Einspruchsverfahren bewegt, enthält zweckmäßigerweise die Zwischenlösung. Das obligatorische Widerspruchsverfahren muss der Regelfall bleiben, ein Gesetz kann Ausnahmen jedoch für besondere Fälle vorsehen.639 Die außergerichtlichen Vorverfahren sind ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Bundes- oder Landesbehörde erlassen wurde.640 Diese Ausnahme basiert auf der Annahme, dass diese Behörden über eine besondere fachliche Qualifikation verfügen,641 und dient ihrer Entlastung.642 § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGG sieht die Entbehrlichkeit des Vorverfahrens jedoch auch vor, wenn der Verwaltungsakt von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist. Dieser besitzt sicherlich ebenfalls weitreichende Fachkenntnisse,643 allerdings trifft dies auch auf die Leitungsorgane anderer bundesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts zu und rechtfertigt daher den Unterschied zu den anderen außergerichtlichen Vorverfahren nicht.644 Ebenso verhält es sich bezüglich der in der Praxis ohnehin selten anwendbaren Ausnahme gemäß § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGG, wonach es keines sozialrechtlichen Widerspruchs bedarf, wenn ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will. Es sind keine Besonderheiten gegenüber anderen Aufsichtsverhältnissen zwischen Bund und Ländern und in Selbstverwaltungsangelegenheiten ersichtlich.645 Das Vorverfahren gegen Vorverfahrensentscheidungen ist, auch wenn diese für den Vorverfahrensführer oder einen Dritten eine erstmalige Beschwer enthalten, nicht statthaft.646 Dies haben alle außergerichtlichen Vorverfahren 639  Siehe

S. 118. S. 119. 641  BT-Drs. 1 / 4357 S. 26; Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 68 Rn. 15; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 78 Rn. 17. 642  BT-Drs. 3 / 55 S. 38. 643  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 78 Rn. 17. 644  In diesem Sinne hebt § 81 EVwPO (1978) diese Besonderheit auf: Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der VwGO, der FGO und des SGG, EVwPO, S. 47, 231. Ebenso § 73 EVwPO (1982), BT-Drs. 9 / 1851 S. 22, 107 und § 73 EVw­PO (1985), BT-Drs. 10 / 3437 S. 22, 107. Außerdem enthalten die Gesetzgebungsmaterialien keine Begründung dafür, warum diese Besonderheit im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren besteht: BT-Drs. 7 / 861 S. 9. 645  Auch diesbezüglich sah § 81 EVwPO (1978) eine Angleichung vor, Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der VwGO, der FGO und des SGG, EVwPO, S. 47, 231. Ebenso § 73 EVwPO (1982), BT-Drs. 9 / 1851 S. 22, 107 und § 73 EVw­PO (1985), BT-Drs.  10 / 3437 S. 22, 107. Weiterhin enthalten auch hier die Gesetzgebungsmaterialien keine Begründung für die Besonderheit: BT-Drs 1 / 4357 S. 26. 646  Siehe S. 120. 640  Siehe



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen127

gemeinsam, auch wenn eine ausdrückliche Regelung nur im allgemeinen Widerspruchsverfahren besteht. Eine gravierende Besonderheit im Rahmen des Einspruchsverfahrens ist die Statthaftigkeit eines Untätigkeitseinspruchs gemäß § 347 Abs. 1 S. 2 AO.647 Auch dieses Spezifikum lässt sich anhand der Masse der von der Finanzverwaltung zu bewältigenden Fälle erklären. Je mehr Anträge auf Erlass eines Verwaltungsaktes eingehen, desto größer ist die Gefahr, einen Antrag zu übersehen oder aufgrund von Arbeitsüberlastung nicht binnen angemessener Frist bearbeiten zu können. Daher sollte die bestehende Regelung beibehalten, aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung allerdings nicht auf die Widerspruchsverfahren übertragen werden.648 Die Untätigkeitsklagen der drei Rechtswege unterscheiden sich zunächst bezüglich der Wartefristen für das Einlegen der Klage.649 Hier kommen die Besonderheiten, die im Rahmen der Massenverwaltung bestehen, ebenfalls zum Tragen,650 denn auch hier gilt, dass das vermehrte Beantragen von Verwaltungsakten und die erhöhte Anzahl von außergerichtlichen Rechtsbehelfen dazu führen können, dass Behörden Anträge übersehen oder nicht hinreichend schnell über sie entscheiden können. Die Finanzgerichtsordnung sieht daher in behördenfreundlichster Weise mit sechs Monaten die längste Regelwartefrist vor. In der Verwaltungsgerichtsordnung hingegen besteht eine Regelfrist von drei Monaten, und zwar sowohl wenn die Behörde nicht über einen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes entscheidet, als auch wenn sich die Untätigkeit auf einen Widerspruch bezieht. Die Wartefristen für die Untätigkeitsklage nach dem Sozialgerichtsgesetz bewegen sich richtigerweise dazwischen. Bleibt die Behörde trotz eines Antrags auf Erlass eines Verwaltungsaktes untätig, beträgt die Frist sechs Monate. Wird nicht über einen 647  Siehe

S. 120. auch: Laubinger, Ein weiterer Schritt auf dem Wege zur Verwaltungsprozeßordnung, DÖV 1982, 895 (897). Andere Ansicht, wonach ein Untätigkeitswiderspruch eingeführt werden sollte: Kopp, Entlastung der Verwaltungsgerichte und Beschleunigung des Verfahrens nach dem Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung (EVwPO), DVBl. 1982, 613 (617); Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, in Altauflage 2010, § 31 Rn. 27; Schenke, Mehr Rechtsschutz durch eine einheitliche Verwaltungsprozeßordnung?, DÖV 1982, 709 (716); Weides /  Bertrams, Die verwaltungsgerichtliche und finanzgerichtliche Untätigkeitsklage, StVj 1990, 80 (85.). § 79 Abs. 2 EVwPO (1978), § 71 Abs. 2 Nr. 2 EVwPO (1982) und § 71 Abs. 2 Nr. 2 EVwPO (1985) sahen für alle drei Vorverfahren die Statthaftigkeit eines Untätigkeitsvorverfahrens vor. Begründet wurde dies damit, dass sich die Regelung in der Abgabenordnung bewährt habe, BT-Drs.  9 / 1851 S. 22, 106; BTDrs. 10 / 3437 S. 22, 106. 649  Siehe S. 121. 650  BT-Drs.  4 / 1446 S. 60; Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 46 FGO Rn. 6. 648  So

128

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Widerspruch entschieden, beträgt die Wartefrist drei Monate. Außerdem handelt es sich bei den Wartefristen des SGG nicht um Regelfristen. Verkürzungen zu Gunsten des Widerspruchsführers sind nicht möglich.651 Darüber hinaus besteht, trotz des weitestgehend ähnlichen Wortlautes der drei Gerichtsgesetze, die Besonderheit, dass die Untätigkeitsklage des Sozialgerichtsgesetzes als Bescheidungsklage verstanden wird.652 Hiergegen haben sowohl das Bundessozialgericht als auch Stimmen in der Literatur Bedenken geäußert.653 Andererseits bestehen gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Untätigkeitsklage der Verwaltungsgerichtsordnung auf eine Entscheidung in der Sache abziele, ebenso Einwände.654 Für die Beantwortung der Frage, welche Rechtsnatur die Untätigkeitsklage haben soll, ist entscheidend, wie hoch man prozessökonomische Erwägungen gewichtet, und ob man den Rechtsschutz des Bürgers als besser verwirklicht ansieht, wenn das Gericht bei unbegründeter Untätigkeit der Behörde sogleich in der Sache entscheiden kann, oder wenn die Behörde dazu angehalten wird, selbst in der Sache zu entscheiden und gegebenenfalls Ermessen auszuüben, das dem Gericht nicht zusteht. Beide Lösungsansätze erscheinen vertretbar. Es bestehen jedoch keine Gründe dafür, diese Frage für die drei Rechtswege unterschiedlich zu beantworten, weshalb eine einheitliche Rechtsprechung wünschenswert wäre.655 Ähnlich verhält es sich im Rahmen der Sprungklage also bei der Frage, ob die Durchführung des Vorverfahrens fakultativ oder obligatorisch sein sollte. Für die Sprungklage spricht die Prozessökonomie. Außerdem könnte man den Rechtsschutz des Bürgers bei einer sofortigen Befassung des Gerichts als besser verwirklicht ansehen, falls beide Beteiligten mit der Überspringung des Vorverfahrens einverstanden sind. Das Vorverfahren könnte in diesen Fällen als bloße „Durchlaufstation“ und „sinnlos“ eingestuft werden.656 Einem Missbrauch der Sprungklage wirkt § 45 FGO durch das Erfordernis der 651  Rohwer-Kahlmann,

SGG, § 88 Rn. 5. S. 121. 653  BSGE 75, 262 (267); Rohwer-Kahlmann, SGG, § 88 Rn. 1, 15; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 88 Rn. 9b; Wimmer, Mit der sozialgerichtlichen Untätigkeitsklage das Vorverfahren überspringen, NJW 1999, 3690 (3691). Die Begründungen der Entwürfe einer Verwaltungsprozessordnung (1978, 1982, 1985) sahen aufgrund dieser Bedenken vor, dass es sich bei der Untätigkeitsklage nicht um eine Bescheidungsklage handeln solle: Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der VwGO, der FGO und des SGG, EVwPO, S. 235 f.; BT-Drs. 9 /  1851 S. 108; BT-Drs. 10 / 3437 S. 108. 654  Siehe hierzu die verschiedenen Ansichten in Fn. 615. 655  So auch BSGE 75, 262 (267). 656  Zu den Bezeichnungen „Durchlaufstation“ und „sinnlos“: BT-Drs.  12 / 1061 S. 31. § 80 Abs. 1 EVwPO (1978), § 72 Abs. 1 EVwPO (1982 und 1985) sahen die Sprungklage für alle drei Rechtswege und auch bei Ermessensentscheidungen vor, 652  Siehe



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen129

Zustimmung der Behörde und durch die Möglichkeit des Gerichts, die Klage an die zuständige Behörde zur Durchführung des Einspruchsverfahrens abzugeben, entgegen.657 Andererseits – und dieses Argument wird bei der Diskussion, ob das Widerspruchsverfahren bei einem rügelosen Einlassen der Behörde im Rahmen der VwGO und des SGG entbehrlich ist, genannt – könnte der Rechtsschutz des Betroffenen, insbesondere wenn der Behörde Ermessen zusteht oder die Ausgangs- und die Widerspruchsbehörde nicht identisch sind, durch das Überspringen des Vorverfahrens als verkürzt angesehen werden. Dieses Argument vermag zu begründen, warum nur in der FGO eine Sprungklage vorgesehen ist. Im Einspruchsverfahren besteht kein Devolutiveffekt, Ausgangs- und Einspruchsbehörde sind identisch658. Da keine Gründe für eine zwischen Verwaltungs- und Sozialrechtsweg unterschiedliche Bewertung ersichtlich sind, wäre eine Angleichung der dortigen Rechtsprechung zu begrüßen.

D. Beteiligte der Vorverfahren Die Vorverfahrensbehörde hat zu berücksichtigen, wer Beteiligter der Vorverfahren ist, denn mit der Beteiligtenstellung stehen dem Betroffenen Verfahrensrechte zu, wodurch er die Möglichkeit hat, auf das Verwaltungsverfahren einzuwirken.659 Das moderne Verständnis des Beteiligten als Subjekt der Verwaltungsentscheidung drückt sich deshalb in den Voraussetzungen der Beteiligtenstellung der Verfahrensordnungen aus.660 Für das allgemein-verwaltungsrechtliche und das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren ist auf die allgemeinen Regelungen zur Beteiligtenstellung zurückzugreifen, die für das gesamte Verwaltungsverfahren gelten. § 13 VwVfG und § 12 SGB X sind im Wortlaut identisch. Die Abgabenordnung verfügt in §§ 359 f. hingegen über für das Einspruchsverfahren spezifische Regelungen.661

Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der VwGO, der FGO und des SGG, EVwPO, S. 230; BT-Drs. 9 / 1851 S. 106; BT-Drs. 10 / 3437 S. 106. 657  BT-Drs. 12 / 1061 S. 31. 658  Mit Ausnahme des Zuständigkeitswechsels. Siehe S. 113. Anders sieht dies Steinhauff, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 45 FGO Rn. 7: Gerade in der überlasteten zweistufigen Finanzgerichtsbarkeit sei die Möglichkeit einer Sprungklage zweifelhaft. 659  Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 13 Rn. 1. 660  Siehe S. 83. 661  Für das Ausgangsverfahren gilt § 78 AO.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

I. Geborene Beteiligte „Geborene“662 Beteiligte der außergerichtlichen Vorverfahren sind die Vorverfahrensführer. § 359 Nr. 1 AO regelt dies für den Einspruchsführer ausdrücklich. In den beiden Widerspruchsverfahren sind die § 13 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG und § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB X heranzuziehen. Widerspruchsführer sind als Adressaten des Verwaltungsaktes, gegen den sich der Widerspruch richtet, am Rechtsbehelfsverfahren beteiligt.663 II. Hinzugezogene Beteiligte Zum anderen sind Dritte, die von der Behörde zum Verfahren hinzugezogenen werden, Beteiligte des Vorverfahrens, § 13 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG, § 359 Nr. 2 AO, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB X. Dabei ist in allen drei Verfahrensordnungen zwischen der einfachen und der notwendigen Hinzuziehung zu unterscheiden. Einfache Hinzuziehung liegt vor, wenn die Behörde von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliche Interessen möglicherweise durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden, als Beteiligte hinzuzieht, § 13 Abs. 2 S. 1 VwVfG, § 12 Abs. 2 S. 1 SGB X und § 360 Abs. 1 AO. Die Behörde „kann“ die Betroffenen hier zuziehen, d. h. dass die Entscheidung über die Hinzuziehung in ihrem Ermessen liegt.664 Die Voraussetzungen der notwendigen Hinzuziehung werden in § 13 Abs. 2 S. 2 VwVfG, § 12 Abs. 2 S. 2 SGB X und § 360 Abs. 3 AO statuiert. Erstere beide Normen sprechen von der rechtsgestaltenden Wirkung des Ausgangs des Verfahrens für einen Dritten, letztere davon, dass die Entscheidung nur einheitlich ergehen kann. Entscheidend ist jedoch nach allen Verfahrensgesetzen, dass der Abschluss des Vorverfahrens die Rechte des Dritten begründet, verändert oder aufhebt.665 Diese Form der Zuziehung wird als notwendig bezeichnet, da der Behörde hier kein Ermessen zukommt und der Dritte notwendigerweise hinzugezogen werden muss.666 662  Schmitz,

in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 13 Rn. 12. in: Knack / Henneke, VwVfG, § 13 Rn. 27; Roller, in: von Wulffen /  Schütze, SGB X, § 12 Rn. 6. 664  Cöster, in: Koenig, AO, § 360 Rn. 19; Huschens / Marwinski, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, B Rn. 92; Weber, in: Rolfs / Giesen /Kriekebohm  / Udsching, Sozialrecht, § 12 SGB X, Rn. 16. 665  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 57; Roller, in: von Wulffen / Schütze, SGB  X, § 12 Rn. 11; Schmitz, in: Stelkens /  Bonk / Sachs, VwVfG, § 13 Rn. 40. 666  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 360 AO Rn. 96; Roller, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 12 Rn. 11; Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 13 Rn. 40. 663  Ritgen,



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen131

III. Weitere Regelungen in § 360 AO § 360 AO enthält darüber hinaus weitere Regelungen zur Hinzuziehung im Einspruchsverfahren. § 360 Abs. 2 AO regelt die Fälle der Verwaltung einer Abgabe durch eine Finanzbehörde für einen anderen Abgabenberechtigten, also für eine Gemeinde oder eine Kirchensteuerbehörde,667 und betrifft somit Fälle, in denen die Ertrags- und die Verwaltungskompetenz einer Steuer auseinanderfallen,668 also steuerrechtsspezifische Konstellationen. Gemäß § 360 Abs. 2 AO kann der Abgabenberechtigte nicht deshalb hinzugezogen werden, weil seine Interessen durch die Entscheidung berührt werden. Dies ist nicht zu beanstanden, da die Interessen des Abgabenberechtigten durch die verwaltende Behörde hinreichend wahrgenommen werden.669 Gemäß § 360 Abs. 5 AO kann die Finanzbehörde anordnen, dass im Falle der notwendigen Hinzuziehung von mehr als 50 Personen nur diejenigen hinzugezogen werden, die dies innerhalb einer bestimmten Frist beantragen. Dies betrifft insbesondere Gewinnfeststellungen sogenannter Publikumsgesellschaften.670 Nahezu parallele Regelungen finden sich in § 65 Abs. 3 VwGO, § 60a FGO und § 75 Abs. 2a SGG für das gerichtliche Verfahren, die auf dem Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung basieren.671 Im allgemein-verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten sind Massenverfahren beispielsweise bei Planfeststellungen und Genehmigungen größerer Vorhaben, etwa ebenfalls für Publikumsgesellschaften, denkbar.672 Satzungsmäßige Beitragssatzänderungen können zum Beispiel im Sozialrecht zu Massenverfahren führen.673 Daher stellt sich die Frage, ob § 360 Abs. 5 AO entsprechende Regelungen auch für die Widerspruchsverfahren erlassen werden müssen oder sollten. Gleichheitsrechtlich lässt sich abermals die Eigenschaft des Einspruchsverfahrens als Massenverwaltung anführen. Es muss dem Gesetzgeber möglich sein, den daraus resultierenden Schwierigkeiten durch verfahrenserleichternde und -beschleunigende674 Regelungen entgegenzutreten. 667  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz,

S. 54.

668  Cöster,

Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens,

in: Koenig, AO, § 360 Rn. 26. Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens,

669  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz,

S. 54.

670  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz,

S. 60.

671  § 60

Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens,

EVwPO. BT-Drs. 9 / 1851 S. 19, 97. in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 65 Rn. 35; Spindler, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 60a FGO Rn. 1 f. 673  Vogelgesang, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 24 Rn. 30. 674  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 360 AO Rn. 200. 672  Kothe,

132

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die praktische Bedeutung der Regelungen als gering angesehen wird und Schwierigkeiten insbesondere bei der Beurteilung, wann eine Person gemäß § 360 Abs. 5 S. 6 AO erkennbar in besonderem Maße von der Entscheidung betroffen ist, bestehen.675 Daher ist eine § 360 Abs. 5 AO entsprechende Regelung für die Widerspruchsverfahren verzichtbar.

E. Vertretung im Vorverfahren Gemäß § 14 VwVfG, § 13 SGB X und § 80 AO können sich die Beteiligten der Vorverfahren von einem Bevollmächtigten vertreten oder einem Beistand unterstützen lassen.676 Die Regelungen sind inhaltlich identisch. Welche Personen zur geschäftsmäßigen Vertretung befugt sind, kann sich an der Schnittstelle des Steuerrechts und des allgemeinen Verwaltungsrechts, namentlich in Gebühren- und Beitragsangelegenheiten, als schwierig erweisen. Das Rechtsdienstleistungsgesetz regelt die Vertretung gegenüber Behörden im Verwaltungsverfahren, betrifft das gerichtliche Verfahren allerdings nicht. Gemäß § 5 Abs. 1 RDG sind jedoch Nebenleistungen erfasst. Ist ein Berufsträger daher im gerichtlichen Verfahren vertretungsbefugt, leitet sich die außergerichtliche Vertretungsbefugnis aus § 5 Abs. 1 RDG ab.677 Hierbei ist von Bedeutung, dass Steuerberater gemäß § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 VwGO „in Abgabenangelegenheiten“ vor den Verwaltungsgerichten vertretungsbefugt sind. Unter diesen Begriff fallen nicht nur kommunale Steuern, sondern auch Gebühren und Beiträge.678 Im Ergebnis dürfen Steuerberater daher auch im Widerspruchsverfahren gegen Beitrags- und Gebührenbescheide vertreten. Hinzuweisen sei außerdem bereits an dieser Stelle auf die Unterscheide der drei Vorverfahren bezüglich der Erstattung von Kosten, die durch die geschäftsmäßige Vertretung durch Rechtsanwälte und Steuerberater im Vorverfahren entstehen.679 Ein Beteiligter ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat der Behörde gemäß § 15 VwVfG, § 123 AO 675  Bier, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 65 Rn. 37; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 75 Rn. 11e; Spindler, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 60a FGO Rn. 7; Völker, Notwendige Beiladung bei Personengesellschaften mit Publikumsbeteiligung, DStZ 1986, 297. 676  Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Vertretung siehe S. 83. 677  BVerwG NVwZ-RR 2016, 394. Andere Ansicht: VGH München DStR 2014, 2314 (2315). 678  BVerwG NVwZ-RR 2016, 394 (394 f.); Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 67 Rn. 51. Andere Ansicht: VGH München DStR 2014, 2314 (2315). 679  Siehe S.  234 ff.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen133

bzw. § 14 SGB X auf Verlangen einen Empfangsbevollmächtigten im Inland zu benennen. In den in § 16 VwVfG, § 81 AO und § 15 SGB X genannten Fällen hat das Betreuungs- bzw. Familiengericht einen Vertreter von Amts wegen zu bestellen. Auch diesbezüglich bestehen keine nennenswerten Unterschiede. Ein bedeutender Unterschied besteht allerdings im Falle der Vertretung in Massenverfahren. Gemäß § 17 VwVfG ist bei gleichförmigen Eingaben, also bei Anträgen und Eingaben, die in einem Verwaltungsverfahren von mehr als 50 Personen auf Unterschriftslisten unterzeichnet oder in Form vervielfältigter gleichlautender Texte eingereicht worden sind, eine Person als Vertreter zu bezeichnen oder als Bevollmächtigter zu bestellen. Sind an einem Verwaltungsverfahren mehr als 50 Personen im gleichen Interesse beteiligt, so kann die Behörde sie gemäß § 18 VwVfG zur Bestellung eines Vertreters auffordern. Anders als § 360 Abs. 5 AO, der die Hinzuziehung zum Massenverfahren begrenzt, schaffen die §§ 17 f. VwVfG zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung also die Pflicht der Beteiligten, sich vertreten zu lassen.680 Hierdurch entstehen Verfahrenserleichterungen auf Seiten der Behörde zu Gunsten der Verwaltungseffizienz für das allgemeine Verwaltungsverfahren.681 Im Finanz- und Sozialverwaltungsverfahren, die hingegen von Massenverwaltung geprägt sind,682 und deren gesamtes Verfahrensrecht auf diese Besonderheiten ausgerichtet ist, sind den §§ 17 f. VwVfG vergleichbare Regelungen hingegen nicht nötig. Darüber hinaus wird die praktische Effektivität dieser Regelungen bezweifelt,683 was ebenfalls gegen die Übernahme in die anderen Säulen des Verwaltungsrechts spricht.

F. Vorverfahrensbefugnis Die Verwaltungsgerichtsordnung und das Sozialgerichtsgesetz enthalten für die Befugnis, den außergerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen, keine vorverfahrensspezifischen Regelungen. Anders ist dies in §§ 350 bis 353 AO. I. Grundsatz Im Grundsatz gilt für alle außergerichtlichen Vorverfahren, was § 350 AO für das Einspruchsverfahren ausdrücklich regelt. Nur derjenige, der geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung beschwert zu 680  Schmitz,

in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 17 Rn. 1. in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 17 Rn. 1. 682  Siehe S. 62. 683  Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 17 Rn. 1, 12. 681  Schmitz,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

sein, ist befugt, das Vorverfahren einzulegen. Dadurch soll wie im Klageverfahren verhindert werden, dass Popularrechtsbehelfe erhoben werden. Die Gerichte dürfen aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes Ermessensentscheidungen nur auf Ermessensfehler hin überprüfen. Im Rahmen der außergerichtlichen Vorverfahren prüft die Verwaltung ihre Entscheidung jedoch vollumfänglich sowohl auf ihre Recht- als auch Zweckmäßigkeit, d. h. auch darauf, ob sie ihr Ermessen optimal zu Gunsten des Vorverfahrensführers ausgeübt hat.684 Daher kann der Vorverfahrensführer sowohl geltend machen, dass die Ausgangsentscheidung rechtswidrig als auch dass sie zweckwidrig war. Außerdem besteht Einigkeit, dass im Rahmen der Prüfung der Vorverfahrensbefugnis die Begründetheitsprüfung nicht vorweggenommen werden darf. Nach der Möglichkeitstheorie genügt, dass der Vorverfahrensführer die Möglichkeit seiner Beschwer schlüssig vorträgt.685 Weiterhin muss der Vorverfahrensführer in einem eigenen subjektiven-öffentlichen Recht verletzt sein.686 Nach der Adressatentheorie ist jedenfalls der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes befugt, das Vorverfahren einzulegen.687 Darüber hinaus gilt die Schutznormtheorie, wonach die zu prüfende Rechtsnorm dann subjektive öffentliche Rechte begründet, wenn sie nicht nur die Interessen der Allgemeinheit, sondern auch Individualinteressen des Vorverfahrensführers schützen soll.688 Bezüglich des Prüfungsmaßstabs lassen sich somit grundsätzlich keine Besonderheiten der einzelnen Vorverfahren feststellen.689 Aufgrund des materiellen Rechts können jedoch bei der Anwendung der Schutznormtheorie erhebliche Unterschiede resultieren.690 Insbesondere Rechtsgebiete, die im allgemeinen Widerspruchsverfahren zu prüfen sind, enthalten drittschützende 684  Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1211; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 83 Rn. 6; Schoch, in: Ehlers / Schoch, Rechtsschutz im Öffent­lichen Recht, § 20 Rn. 17; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 350 AO Rn. 5. Siehe auch: S. 148 ff. 685  Bieresborn, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 54 Rn. 106; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1158; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 40 FGO Rn. 92, § 350 AO Rn. 25 ff. 686  Geis / Hinterseh, Grundfälle zum Widerspruchsverfahren, JuS 2002, 34 (37); Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1156; Schoch, in: Ehlers / Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, § 20 Rn. 16. 687  Bieresborn, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 54 Rn. 108; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 40 FGO Rn. 42; Sodan, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 42 Rn. 383. 688  Bieresborn, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 54 Rn. 106; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 40 FGO Rn. 43; Sodan, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 42 Rn. 388. 689  Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 39. 690  Hermanns, Einheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 39.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen135

Normen.691 Das Baurecht wird beispielsweise von nachbarschützenden Regelungen geprägt.692 Im Einspruchsverfahren und sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren stellt die Vorverfahrensbefugnis eines Dritten dagegen die Ausnahme dar.693 II. Einspruchsspezifische Regelungen Die §§ 351 ff. AO präzisieren und beschränken die Grundregel des § 350 AO. Gemäß § 351 Abs. 1 AO besteht die Einspruchsbefugnis bei geänderten Verwaltungsakten nur, soweit die Änderung reicht.694 Außerdem können nach § 351 Abs. 2 AO Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid gemäß § 171 Abs. 10 AO nur durch Einspruch gegen diesen Bescheid, nicht auch durch Einspruch gegen den Folgebescheid, angegriffen werden.695 Gemäß § 352 AO ist bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung nur noch eine Person, entweder der Geschäftsführer oder der Einspruchsbevollmächtigte, einspruchsbefugt.696 § 353 AO schränkt die Einspruchsbefugnis der Rechtsnachfolger dinglicher Verwaltungsakte dahingehend ein, dass sie nur innerhalb der für den Rechtsvorgänger maßgebenden Einspruchsfrist Einspruch einlegen können.697 Schließlich regelt § 354 AO, dass auf die Einlegung eines Einspruchs nach Erlass des Verwaltungsaktes verzichtet werden kann. III. Vergleich § 351 Abs. 1 AO ist Folge der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes, der (teilweise) geändert wird.698 § 351 Abs. 2 AO resultiert aus der Bindungswir691  Sodan,

in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 406 ff. Bauordnungs- und Denkmalschutzrecht, in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 41 Rn. 154 ff. 693  Zum Sozialrecht siehe Bieresborn, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 54 Rn. 113 f. Zum Steuerrecht siehe Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 350 AO Rn. 67 ff.; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 40 FGO Rn. 71 ff. 694  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S.  76 ff. 695  Beispielsfälle bei Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 80 f. Zum Streit, ob Abs. 2 Auswirkungen auf die Zulässigkeit oder die Begründetheit des Einspruchs hat, siehe Birkenfeld, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 351 AO Rn. 12. 696  Cöster, in: Koenig, AO, § 352 Rn. 2. 697  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S.  86 f. 698  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 77. 692  Kaiser,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

kung von Grundlagen- für Folgenbescheide gemäß § 182 Abs. 1 AO.699 § 351 AO hat insofern rein deklaratorischen Charakter,700 denn die dort speziell geregelte Beschränkung für die Einspruchsbefugnis ergibt sich bereits aus § 350 AO.701 Die Beschränkung der Einspruchsbefugnis bei Bescheiden über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsbescheiden gemäß § 352 AO ist Folge der Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden für alle an der Feststellung beteiligten Personen, also einer abgabenrechtlichen Besonderheit.702 Sie dient der Verwaltungseffizienz, da hierdurch weniger Einsprüche eingelegt und einheitliche Entscheidungen erzielt werden.703 Die Beschränkung der Einspruchsbefugnis verstößt nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG, da sie Folge einer freiwillig geschaffenen zivilrechtlichen Rechtslage ist.704 § 353 AO enthält eine Einschränkung der Einspruchsbefugnis für Rechtsnachfolger dinglicher Verwaltungsakte. Eine ausdrückliche Regelung fehlt für das allgemeine Verwaltungsverfahren, obwohl hier dingliche Verwaltungsakte nicht unbekannt sind.705 Allerdings gilt auch hier, dass der Rechtsnachfolger widerspruchsbefugt ist, soweit ein Verwaltungsakt ihm gegenüber Wirkung hat,706 wobei ihm bestehende Beschränkungen zugerechnet werden und keine neue Widerspruchsfrist zu laufen beginnt.707 Ebenso verhält es sich mit der Möglichkeit des Verzichts auf einen Einspruch gemäß § 354 AO. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung kann ein Betroffener auf die Einlegung eines sozialrechtlichen oder allgemeinen Widerspruchs verzichten.708 699  Hierbei handelt es sich um eine steuerrechtliche Besonderheit: Waldhoff, in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 3, § 67 Rn. 108. 700  Levedag, in: Gräber, FGO, § 42 Rn. 6; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 351 AO Rn. 2. 701  Levedag, in: Gräber, FGO, § 42 Rn. 5. 702  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 82. 703  BT-Drs.  12 / 7427 S. 36; Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 77; Cöster, in: Koenig, AO, § 352 Rn. 9. 704  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 352 AO Rn. 15; Cöster, in: Koenig, AO, § 352 Rn. 9. 705  Z. B. Baugenehmigungen und Abrissverfügungen im Baurecht. Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 353 AO Rn. 21. 706  BVerwG NVwZ 2006, 1072 (1072); Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 42 Rn. 174. 707  OVG Greifswald NVwZ-RR 2001, 541 (541); Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 42 Rn. 174. 708  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 83 Rn. 20; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1160 ff.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen137

Vergleichend kann also festgestellt werden, dass die einspruchsspezifischen Regelungen rein deklaratorisch sind (§ 351 AO), abgabenrechtlichen Besonderheiten gerecht werden (§ 352 AO) bzw. Regelungen treffen, die in den Widerspruchsverfahren, obwohl nicht ausdrücklich geregelt, ebenfalls gelten (§§ 353, 354 AO).

G. Frist Weiterhin ist für die Zulässigkeit des Vorverfahrens erforderlich, dass es ordnungsgemäß erhoben wurde. Der Vorverfahrensführer muss hierfür zunächst bestehende Fristen wahren. Mit dem Ablauf der Vorverfahrensfrist erwächst der Verwaltungsakt in formeller und materieller Bestandskraft.709 Daher dienen die Vorverfahrensfristen sowohl der Rechtssicherheit als auch der Verwaltungseffizienz.710 Diese Ziele stehen dem Interesse des Bürgers an der Überprüfung der Verwaltungsentscheidung gegenüber und müssen daher mit diesem in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.711 Dem Vorverfahrensführer soll genügend Gelegenheit zur Entscheidung darüber, ob er gegen den Verwaltungsakt vorgeht, gegeben werden.712 Außerdem ist Art. 19 Abs. 4 GG zu berücksichtigen, wonach außergerichtliche Vorverfahren und deren Fristen den Zugang zu den Gerichten nicht auf unsachgemäße oder unzumutbare Weise erschweren dürfen.713 Alle drei außergerichtlichen Vorverfahren sehen daher grundsätzlich Vorverfahrensfristen vor, § 70 VwGO, § 355 AO, § 84 SGG. Eine Ausnahme besteht lediglich gemäß § 355 Abs. 2 AO, wonach der Untätigkeitseinspruch unbefristet ist. I. Fristdauer Die Frist für die Einlegung der außergerichtlichen Vorverfahren beträgt gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO, § 355 Abs. 1 AO und § 84 Abs. 1 S. 1 SGG grundsätzlich einen Monat. Eine Besonderheit besteht im Rahmen des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens. Wird der Verwaltungsakt im Ausland bekanntgegeben, beträgt die Widerspruchsfrist gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 SGG 709  Siehe

auch S. 211. in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 74 Rn. 1; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 235. 711  Meissner, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 74 Rn. 1. 712  BT-Drs. 1 / 4278 S. 41. 713  Siehe S. 65 und Fn. 292. 710  Meissner,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

drei Monate. Alle drei Vorverfahren können grundsätzlich, wenn der Vorverfahrensführer nicht oder unrichtig über seinen Rechtbehelf belehrt wurde, innerhalb eines Jahres eingelegt werden, § 70 Abs. 2 i. V. m. § 58 Abs. 2 VwGO, § 356 Abs. 2 AO, § 84 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 66 Abs. 2 SGG. II. Fristbeginn Die Vorverfahrensfrist beginnt stets mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu laufen, § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO, § 355 Abs. 1 S. 1 AO und § 84 Abs. 1 S. 1 SGG. Gemäß § 355 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AO beginnt die Einspruchsfrist gegen eine Steueranmeldung mit deren Eingang bei der Finanzbehörde, da im Rahmen dieses Aktes der Selbstveranlagung714 die Festsetzung der Steuer durch Steuerbescheid nur unter den Voraussetzungen des § 167 Abs. 1 AO erfolgt. Andernfalls gilt die Steueranmeldung als gesetzliche Verwaltungsaktfiktion.715 Erteilt die Finanzbehörde gemäß § 168 S. 2 AO ihre Zustimmung zur Steueranmeldung durch Verwaltungsakt,716 kommt es wiederum auf dessen Bekanntgabe für den Beginn der Einspruchsfrist an, § 355 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 AO. III. Berechnung der Frist Die Frist aller drei außergerichtlichen Vorverfahren wird letztlich gemäß §§ 187 ff. BGB berechnet. Im allgemeinen und im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren ist allerdings umstritten, welche verwaltungsrechtlichen Normen auf das BGB verweisen. Vertreten wird zum einen eine verfahrensrechtliche Lösung, wonach die §§ 79, 31 VwVfG bzw. die §§ 62, 26 SGB X anzuwenden sind.717 Nach der verwaltungsprozessualen Lösung sind hingegen § 57 VwGO bzw. § 64 SGG einschlägig.718 Im Einspruchsverfahren ist unumstritten, dass die verfahrensrechtliche Regelung des § 108 Abs. 1 AO heranzuziehen ist.719 Dies kann damit erklärt werden, dass sich die Regelungen zum Einspruchsverfahren ohnehin weit überwiegend in der Abgabenord-

714  Seer,

in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 168 AO Rn. 1. in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 168 AO Rn. 1. 716  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 168 AO Rn. 5. 717  Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 84 Rn. 19; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 70 Rn. 24. 718  Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 70 Rn. 8; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 84 Rn. 4. 719  Zur Anwendung des § 355 AO: Siegers, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO /  FGO, § 355 AO Rn. 58. 715  Seer,



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen139

nung befinden. Im Ergebnis bestehen aufgrund der Anwendbarkeit der §§ 187 ff. BGB jedoch keine praktischen Unterschiede.720 IV. Fristwahrung durch Zugang bei empfangszuständigen Behörden Eine Frist kann nur gewahrt werden, wenn der Behörde, die über das Vorverfahren zu entscheiden hat, die Vorverfahrensschrift zugeht. Es ist zu untersuchen, bei welcher Behörde das Vorverfahren fristwahrend erhoben werden kann. 1. Grundsätzliche Erhebung bei der Ausgangsbehörde Im Rahmen aller drei Vorverfahren ist der Rechtsbehelf grundsätzlich bei der Behörde einzulegen, die den Verwaltungsakt erlassen hat, § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO, § 357 Abs. 2 S. 1 AO, § 84 Abs. 1 S. 1 SGG. 2. Ausnahmen im allgemeinen Widerspruchsverfahren und im Einspruchsverfahren Nach § 70 Abs. 1 S. 2 VwGO wird die Frist allerdings auch durch Einlegung bei der Widerspruchsbehörde gewahrt. Durch diese Regelung erhält der Widerspruchsführer einen Vorteil, durch den sein Rechtsschutz zu Lasten der Rechtssicherheit erweitert wird. Dieser Vorteil lässt sich allerdings dadurch rechtfertigen, dass die Widerspruchsbehörde nicht als dem Rechtsstreit vollkommen fremde Behörde angesehen werden kann, da sie bei fehlender Abhilfe durch die Ausgangsbehörde über den Widerspruch zu entscheiden hat. Eine vergleichbare Wertung steckt wohl hinter § 357 Abs. 2 S. 2 und S. 3 AO. Gemäß § 357 Abs. 2 S. 2 AO kann ein Einspruch, der sich gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder gegen die Festsetzung eines Steuermessbetrags richtet, auch bei der zur Erteilung des Steuerbescheids zuständigen Behörde angebracht werden. Außerdem kann ein Einspruch, der sich gegen einen Verwaltungsakt richtet, den eine Behörde auf Grund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat, gemäß § 357 Abs. 2 S. 3 AO auch bei der zuständigen Finanzbehörde, die auch über den Einspruch entscheidet,721 fristwahrend erhoben werden. In diesen Fällen kann der Einspruch fristwahrend bei Behörden angebracht werden, die den

720  Geis,

721  Siehe

in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 70 Rn. 24. S. 113 und S. 116.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Verwaltungsakt zwar nicht erlassen haben, dem Einspruchsführer jedoch nicht als völlig unbeteiligte Behörde gegenüberstehen. Wird der Rechtbehelf bei einer anderen, für den Empfang unzuständigen Behörde eingereicht, hat diese die Pflicht, die Vorverfahrensschrift unverzüglich im ordnungsgemäßen Geschäftsgang an die zuständige Behörde weiterzuleiten.722 Die Abgabenordnung sieht daher eindeutig vor, dass die Anbringung bei einer anderen Behörde unschädlich ist, wenn der Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist einer für den Empfang zuständige Behörde übermittelt wird, § 357 Abs. 2 S. 4 AO. Diese Möglichkeit der Fristwahrung, die in der Abgabenordnung eindeutig kodifiziert ist, wird auch im allgemeinen Widerspruchsverfahren anerkannt.723 3. Fiktion der Fristwahrung im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren Im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren sind die Anforderungen an die Wahrung der Frist wesentlich geringer. Gemäß § 84 Abs. 2 S. 1 SGG gilt die Frist auch dann als gewahrt, wenn die Widerspruchsschrift bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt eingegangen ist. Diese Behörden sind sodann gemäß § 84 Abs. 2 S. 2 SGG verpflichtet, die Widerspruchsschrift unverzüglich der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Versicherungsträger zuzuleiten, der sie der für die Entscheidung zuständigen Stelle vorzulegen hat. Im Anwendungsbereich724 der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EG) Nr. 883 / 2004 können gemäß Art. 81 VO (EG) 722  BVerfGE 93, 99 (113 f.); BFH / NV 1999 146 (148), 146; BVerwG NVwZ-RR 2003, 901 (901 f.); Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 70 Rn. 24. Andere Ansicht: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 6 Rn. 27. 723  BVerwGE 91, 334 (336); Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 70 Rn. 24; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 70 Rn. 16. 724  Gemäß Art. 2 gilt die Verordnung in persönlicher Hinsicht für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Sie gilt auch für Hinterbliebene von Personen, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten, und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit dieser Personen, wenn die Hinterbliebenen Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge in einem Mitgliedstaat wohnen. Siehe hierzu genauer Leopold, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, VO (EG) 883 / 2004, Art. 2 Rn. 1 ff. Nach Art. 3 Abs. 1 gilt die Verordnung in sachlicher Hinsicht für folgende Zweige der sozialen Sicherheit: Leistungen bei Krankheit, Leistungen bei Mutter-



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen141

Nr. 883 / 2004 Rechtsbehelfe, also auch Widersprüche,725 die nach dem Recht eines Mitgliedstaates bei einer Behörde oder einem Träger726 dieses Mitgliedstaates einzureichen sind, innerhalb der gleichen Frist bei einer entsprechenden Behörde oder einem entsprechenden Träger eines anderen Mitgliedstaats eingereicht werden. Ziel dieser Regelung ist es, die Arbeitnehmerfreizügigkeit bestmöglich zu gewährleisten und einen Rechtsverlust aus rein formalen Gründen zu verhindern.727 Der Tag, an dem der Widerspruch bei einer Behörde des zweiten Mitgliedstaates eingeht, gilt als der Tag des Eingangs bei der zuständigen Behörde, Art. 81 S. 3 VO (EG) Nr. 883 / 2004. Die empfangszuständige Behörde ist gemäß Art. 81 S. 2 VO (EG) Nr. 883 / 2004 verpflichtet,728 den Widerspruch unverzüglich der zuständigen Behörde oder dem zuständigen Träger zu übermitteln. V. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Außerdem besteht in allen drei Vorverfahren die Möglichkeit des Vorverfahrensführers, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, wenn er ohne Verschulden verhindert war, die Vorverfahrensfrist einzuhalten, § 70 Abs. 2 i. V. m. § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO, § 110 AO und § 84 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 67 SGG. Dennoch lässt sich auch hier ein Unterschied feststellen. Die Antragsfrist für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beträgt im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren und im Einspruchsverfahren einen Monat, § 110 Abs. 2 AO, § 67 Abs. 2 SGG. Im allgemeinen Widerspruchsverfahren muss die Wiedereinsetzung jedoch innerhalb einer Frist von zwei Wochen beantragt werden, § 60 Abs. 2 VwGO. schaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft, Leistungen bei Invalidität, Leistungen bei Alter, Leistungen an Hinterbliebene, Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Sterbegeld, Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Vorruhestandsleistungen, Familienleistungen. Siehe hierzu im einzelnen Utz, in: Rolfs /Giesen  / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, VO (EG) 883 / 2004, Art. 3 Rn. 2 ff. 725  Leopold, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, VO (EG) 883 / 2004, Art. 81 Rn. 5. 726  Träger ist, wer im Mitgliedstaat für den Verwaltungsvollzug der VO (EG) 883 / 2004 verantwortlich ist, also insbesondere mitgliedstaatliche Sozialversicherungsträger: Leopold, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, VO (EG) 883 / 2004, Art. 1 Rn. 83. 727  Zur Arbeitnehmerfreizügigkeit: Utz, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, VO (EG) 883 / 2004, Art. 3 Rn. 3. Zum drohenden Rechtsverlust: Leopold, in: Rolfs / Giesen /Kreikebohm  / Udsching, Sozialrecht, VO (EG) 883 / 2004, Art. 81 Rn. 1. 728  Leopold, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, VO (EG) 883 /  2004, Art. 81 Rn. 11.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

VI. Vergleich Für alle drei außergerichtlichen Vorverfahren ist eine Vorverfahrensfrist vorgesehen. Eine Ausnahme besteht lediglich bei Untätigkeitseinsprüchen gemäß § 355 Abs. 2 AO. Diese Ausnahme rührt daher, dass alleine in der Abgabenordnung ein Vorverfahren bei Untätigkeit der Behörde vorgesehen ist. Hier hat sich der Gesetzgeber im Rahmen der Abwägung für einen erweiterten Rechtsschutz des Betroffenen im Falle der Untätigkeit der Finanzbehörde entschieden.729 Bezüglich der Fristdauer besteht die Besonderheit der Drei-Monats-Frist im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren bei Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes im Ausland, § 84 Abs. 1 S. 2 SGG. Ziel dieser Vorschrift ist es, einen im Ausland lebenden Widerspruchsführer aufgrund längerer Kommunikationswege nicht gegenüber einem in Inland Lebenden zu benachteiligen.730 Allerdings ist diese Sorge aufgrund moderner Wege der Nachrichtenübermittlung nicht mehr berechtigt, weshalb die verlängerte Widerspruchsfrist bei Auslandsbekanntgabe abgeschafft werden sollte.731 Sie steht vielmehr der Beschleunigung des Verfahrens entgegen.732 Die diesbezügliche Begünstigung eines Widerspruchsführers im Sozialrecht gegenüber anderen Vorverfahrensführern kann zwar aufgrund sozialer Erwägungen gerechtfertigt werden, ist aber wegen der genannten Argumente rechtspolitisch nicht angebracht. Die Fiktion der Fristwahrung durch den Eingang der Widerspruchsschrift bei einer Vielzahl von Behörden im In- und Ausland stellt ebenfalls eine erhebliche Privilegierung des Widerspruchsführers im sozialrechtlichen Vorverfahren dar.733 Dennoch erscheint auch dieser Vorteil nicht willkürlich. Widerspruchsführer, denen aufgrund geringer finanzieller Mittel ein Faxgerät oder Computer fehlt und die deshalb auf den Nachtbriefkasten angewiesen sind, und Widerspruchsführer, die alt, krank oder schwerbehindert und damit einhergehend weniger mobil sind, erscheinen schutzwürdig und haben ein 729  BT-Drs.  6 / 1982 S. 190; Siegers, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 355 AO Rn. 85. 730  Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 87 Rn. 8. Eine entsprechende Regelung gab es bereits in § 128 RVO. § 83 VwPO (1978) sah dementsprechend für alle drei Vorverfahren eine Klagefrist von drei Monaten bei Bekanntgabe im Ausland vor. 731  Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 87 Rn. 8; Rohwer-Kahlmann, SGG, §  84 Rn. 24; Wendt, Anmerkung zu den Entwürfen für ein 6. SGGÄndG, NZS 2001, 405 (407). Siehe hierzu die Möglichkeit, einen Widerspruch per Fax, Computerfax oder E-Mail mit qualifizierter elektronischer Signatur einzulegen, S. 144. 732  Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 87 Rn. 8; Rohwer-Kahlmann, SGG, §  84 Rn. 24. 733  Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 84 Rn. 17.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen143

berechtigtes Interesse, den Widerspruch bei der nächstgelegenen Behörde einzulegen.734 Dennoch ist eine derart weitreichende Privilegierung des sozialrechtlichen Widerspruchsführers rechtspolitisch nicht wünschenswert. So sehen die Entwürfe einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung aus den Jahren 1978, 1982 und 1985 die Abschaffung der Sonderregelung des § 84 Abs. 2 S. 1 SGG vor. Obwohl auch hier die Schutzwürdigkeit der betroffenen Widerspruchsführer anerkannt wird, wird darauf hingewiesen, dass der Eingang der Widerspruchsschrift bei der zuständigen Stelle der Verfahrensbeschleunigung und damit letztlich ebenso den Interessen des Widerspruchsführers dient.735 Bei Erlass des Sozialgerichtsgesetzes begründete der Gesetzgeber die Sonderregelung des § 84 Abs. 2 S. 1 SGG ohnehin lediglich historisch und verweist darauf, dass die Erleichterung für den Rechtsschutzsuchenden bereits in § 129 Abs. 2 RVO bestand.736 Die zunehmende Ausstattung der Gesellschaft – auch ärmerer und älterer Menschen – mit technischen Mitteln spricht gegen die Notwendigkeit der historisch motivierten Regelung. Die unterschiedlich lange Antragsfrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ebenfalls als zwar nicht gleichheitswidrig, aber dennoch als nicht wünschenswert einzustufen. Fristen dienen dem Ausgleich von Rechtssicherheit einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits.737 Das allgemeine Verwaltungsverfahren, das weniger Bereiche der Massenverwaltung enthält als die anderen Säulen des Verwaltungsverfahrens, ist weniger fehleranfällig, was zu einer geringeren Erfolgsquote dort eingelegter Widersprüche führt. In diesen Bereichen eine andere, zu Lasten des Interesses des Widerspruchsführers an der Überprüfung der Verwaltungsentscheidung ausfallende, Abwägung zu treffen, ist nicht unsachlich. Allerdings soll demjenigen, der ohne Verschulden eine Frist versäumt hat, erneut eine genauso lange Bedenkzeit eingeräumt werden.738

H. Form Die Vorverfahrensfrist gilt nur dann als gewahrt, wenn die Vorverfahrensschrift in ordnungsgemäßer Form eingegangen ist. Formerfordernisse beste734  Zum Fehlen von Computer und Faxgerät: Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 84 Rn. 17. 735  Koordinierungsausschuss zur Vereinheitlichung der VwGO, der FGO und des SGG, EVwPO, S. 232 f.; BT-Drs. 9 / 1851 S. 109; BT-Drs. 10 / 3437 S. 109. 736  BT-Drs. 1 / 4357 S. 27. 737  Bier / Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 60 Rn. 3; siehe hierzu auch S. 137. 738  BT-Drs.  7 / 4292 S. 26: Deshalb entschied sich der AO-Gesetzgeber entgegen der zunächst geplanten Zwei-Wochen-Frist zu Gunsten der Rechtseinheit (so noch in BT-Drs. 6 / 1982 S. 105) für die Monatsfrist.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

hen, um für die spätere Entscheidung der Behörde in der Sache eine sichere Grundlage herauszubilden739 und so Rechtssicherheit zu gewährleisten.740 Andererseits erschweren Formvorschriften das Rechtsschutzersuchen des Bürgers. I. Schriftlich, elektronisch, zur Niederschrift der Behörde Alle drei außergerichtlichen Vorverfahren können schriftlich erhoben werden, § 70 Abs. 1 VwGO, § 357 Abs. 1 AO, § 84 Abs. 1 SGG. Die Schriftform ist jedenfalls dann gewahrt, wenn der Vorverfahrensführer das Schriftstück eigenhändig unterschrieben hat.741 Darüber hinaus ist anerkannt, dass Schriftlichkeit auch dann vorliegt, wenn das Schreiben dem Aussteller zuverlässig zugeordnet werden kann und erkennbar ist, dass er es willentlich in den Rechtsverkehr gebracht hat.742 § 357 Abs. 1 S. 2 AO bestimmt ausdrücklich, dass es genügt, wenn aus dem Einspruch hervorgeht, wer ihn eingelegt hat. Bezüglich der Frage, wann eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft des Ausstellers vorliegt, besteht aufgrund des Beschlusses des gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April 2000 eine für alle Rechtswege einheitliche Rechtsprechung.743 Danach ist die Einlegung durch Telegramm, Telefax und Computerfax zulässig.744 Die Regelung der Möglichkeit der Einspruchseinlegung durch Telegramm in § 357 Abs. 1 S. 3 AO ist also nur klarstellender Natur und hat ohnehin im Zeitalter der elektronischen Kommunikation keine praktische Bedeutung mehr. Satz 3 wird durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens daher aufgehoben.745 Unterschiedlich geregelt ist allerdings die Einlegung des Vorverfahrens per E-Mail. In den Widerspruchsverfahren wahrt eine einfache E-Mail die Form­ 739  GmS-OGB BVerwGE 58, 359 (365); Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 70 Rn. 2; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 70 Rn. 2. 740  BVerwG NVwZ-RR 1989, 85 (86); Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 70 Rn. 2; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 84 Rn. 5; Siegers, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 357 AO Rn. 41. 741  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 6 Rn. 23. 742  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 6 Rn. 23. 743  GmS-OGB NJW 2000, 2340. Was für die Klageschrift gilt, gilt erst recht für das Vorverfahren: Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 84 Rn. 3. 744  GmS-OGB 1 / 98, NJW 2000, 2340. Siehe auch: Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 84 Rn. 7; Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 357 AO Rn. 21; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 70 Rn. 8 ff.; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 84 Rn. 14. 745  BT-Drs. 18 / 7457 S. 91.



1. Kap.: Sachentscheidungsvoraussetzungen145

erfordernisse nicht. Die elektronische Form kann die Schriftform nur unter den Voraussetzungen der § 3a Abs. 2 VwVfG und § 36a Abs. 2 SGB I ersetzen.746 Die Abgabenordnung enthält in § 87a zwar eine § 3a VwVfG und § 36a SGB I entsprechende Regelung, allerdings stellt § 357 Abs. 1 S. 1 AO eine Spezialvorschrift für das Einspruchsverfahren dar.747 Hiernach ist neben der Möglichkeit der schriftlichen Einreichung des Einspruchs auch die elektronische Einreichung vorgesehen. Diese Ergänzung der Formvorschrift durch das Wort „elektronisch“ stellt klar, dass ein Einspruch, anders als gemäß § 87a Abs. 1 AO, auch ohne zusätzliche Voraussetzungen, wie die qualifizierte elektronische Signatur, eingelegt werden kann, wenn die Finanzbehörde einen entsprechenden Zugang eröffnet hat.748 Es ist schließlich möglich, alle drei außergerichtlichen Vorverfahren durch Niederschrift einzureichen, § 70 Abs. 1 VwGO, § 357 Abs. 1 AO, § 84 Abs. 1 SGG. II. Inhalt der Vorverfahrensschrift Da für die außergerichtlichen Vorverfahren kein Anwaltszwang besteht, sind die inhaltlichen Mindestanforderungen an die Vorverfahrensschrift nicht besonders hoch.749 So schadet die unrichtige Bezeichnung des Rechtsbehelfs nicht.750 Für das Einspruchsverfahren bestimmt dies § 357 Abs. 1 S. 4 AO. Die Abgabenordnung enthält darüber hinaus spezifische Soll-Vorschriften. Gemäß § 357 Abs. 3 S. 1 AO soll der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Weiterhin soll gemäß § 357 Abs. 3 S. 2 AO angegeben werden, inwieweit der Verwaltungsakt angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Nach § 357 Abs. 3 S. 3 AO sollen die Tatsachen, die zur Begründung dienen, und die Beweismittel angeführt werden. Im Ergebnis besteht daher, wie für den allgemeinen und den sozialrechtlichen 746  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 70 Rn. 6b; Hintz, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm/ Udsching, Sozialrecht, § 84 SGG Rn. 1; Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 70 Rn. 11. 747  Bergan / Martin, Einspruch mittels E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur?, DStR 2014, 2433 (2434). 748  BT-Drs. 17 / 11473 S. 52; BR-Drs.  557 / 12 S. 80; FG Niedersachsen MMR 2012, 778 (779); Cöster, in: Koenig, AO, § 357 Rn. 13; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 321; Siegers, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 357 AO Rn. 19 ff.; Bergan / Martin, Einspruch mittels E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur?, DStR 2014, 2433 (2435). Anders: FG Hessen EFG 2014, 1749 (1749 ff.); Entscheidung des BFH steht an. 749  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 70 Rn. 17; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 329. 750  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 70 Rn. 17; Schmidt, in: Meyer-Ladewig /  Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 84 Rn. 2.

146

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Widerspruch,751 keine Begründungspflicht.752 Obwohl die Abgabenordnung spezifische Regelungen enthält, muss für alle drei Vorverfahren im Ergebnis jedenfalls ersichtlich sein, dass und wogegen das Vorverfahren einlegt wird.753 III. Vergleich Somit lässt sich als Hauptunterschied der Formvorschriften der außergerichtlichen Vorverfahren die Möglichkeit der Einspruchseinlegung durch einfache E-Mail herausstellen. Nach dem Referentenentwurf des Bundes­ ministeriums des Innern war die Möglichkeit der elektronischen Vorverfahrenseinreichung auch für die Widerspruchsverfahren vorgesehen, da Formvorschriften betreffend die Widerspruchsschrift in der Praxis vielfach nicht erkannt werden, wenn im Ausgangsverwaltungsverfahren selbst keine Form­ erfordernisse bestehen.754 Dass sich dieser Vorschlag im Gesetzgebungs­ verfahren nicht durchgesetzt hat, wird daher bedauert.755 In der Tat erscheint es verwunderlich, dass im Ausgangsverwaltungsverfahren gemäß § 87a Abs. 1 AO strengere Formvorschriften bestehen, als für das Einspruchsverfahren gemäß § 357 Abs. 1 AO. Im Vergleich der verschiedenen Vorverfahren zueinander kann der Unterschied jedoch auch an dieser Stelle mit der hohen Erfolgsquote der Einspruchsverfahren erklärt werden. Je fehleranfälliger das Ausgangsverwaltungsverfahren ist, desto wünschenswerter ist die unkomplizierte Möglichkeit der Rechtsbehelfseinlegung. Schließlich ist festzustellen, dass die weiteren Formvorschriften der Abgabenordnung umfänglicher und eindeutiger normiert wurden, obwohl auch in den Widerspruchsverfahren keine geringeren Anforderungen gestellt werden.

I. Ergebnis der Zulässigkeitsprüfung Unterscheide zwischen den außergerichtlichen Vorverfahren bestehen bezüglich der Konsequenzen beim Fehlen einer der genannten Zulässigkeits­ voraussetzungen. So ist der Einspruch gemäß § 358 S. 2 AO stets als unzu751  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 70 Rn. 12; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 84 Rn. 2. 752  Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 341. 753  Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 70 Rn. 15; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 329; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer /  Schmidt, SGG, § 84 Rn. 2. 754  Art. 13 und 14 Referentenentwurf vom 05.03.2012 unter http: /  / www.cr-online. de / 2012-03-05_Referentenentwurf.pdf (zuletzt geöffnet am 30.06.18). 755  Zu Art. 14 (S. 59 des Referentenentwurfs).



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren147

lässig zu verwerfen. Die Finanzbehörde hat daher nicht das Recht, sich auf einen verfristeten Einspruch in der Sache einzulassen.756 Die Regelungen zu den beiden Widerspruchsverfahren enthalten hingegen keine entsprechenden Bestimmungen mit einer ausdrücklichen Pflicht, die Widersprüche als unzulässig zu verwerfen. Dennoch wird vertreten, die Behörde müsse einen verfristeten Widerspruch zurückweisen.757 Nach herrschender Meinung ist eine Sachentscheidung trotz Verfristung möglich, sofern keine schützenswerten Rechtspositionen Dritter durch den Widerspruch betroffen werden.758 Hiernach steht die Entscheidung, sich trotz Verfristung in der Sache auf den Widerspruch einzulassen, im Ermessen759 der Behörde, die „Herrin des Vorverfahrens“ ist.760 Der Einspruchsbehörde ein derartiges Ermessen einzuräumen, widerspräche den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Die Verpflichtung in § 358 S. 2 AO ist daher verfassungsrechtlich geboten. 2. Kapitel

Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren Ist das Vorverfahren zulässig, hat die zuständige Behörde über die Begründetheit des Rechtsbehelfs zu entscheiden. Hierbei prüft sie, ob der angegriffene Verwaltungsakt recht- und zweckmäßig ist.761 Diesbezüglich spielt auch eine Rolle, ob die Vorverfahrensbehörde die ursprüngliche Entscheidung zu Lasten des Vorverfahrensführers abändern darf und wie sie den zu berücksichtigenden Sachverhalt ermittelt.

756  BFHE 191, 491 (493); Siegers, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 358 Rn. 2, 45. 757  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 70 Rn. 40; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 84 Rn. 24; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 70 Rn. 9. 758  BVerwGE 28, 305 (308); 65, 313 (318 f.); BSGE 49, 85 (87 f.); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 6 Rn. 32; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 84 Rn. 28; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 84 Rn. 7 f. 759  BVerwG NJW 1978, 508; VGH Mannheim NJW 1980, 2270. 760  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 6 Rn. 32. 761  Cöster, in: Koenig, AO, vor §§ 347 bis 368, Rn. 4; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 181; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 4a. Siehe auch Fn. 180, 187.

148

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

A. Rechtmäßigkeitsprüfung Der Verwaltungsakt müsste zunächst rechtmäßig sein. Dafür muss er mit allen einschlägigen Normen in Einklang stehen.762 Bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ist von Bedeutung, dass Verfahrensfehler des Ausgangsverwaltungsverfahrens, die den Verwaltungsaktes nicht nichtig gemacht haben, im Vorverfahren763 geheilt werden können, § 45 VwVfG, § 126 AO, § 42 SGB X.764 Die Behörde prüft im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit das jeweils einschlägige Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht. Beim Vorliegen einer Ermessensnorm ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, dass sich die Ausgangsbehörde innerhalb der Grenzen dieses Ermessens bewegt, § 40 VwVfG, § 5 AO, § 39 SGB I.765 Der Ausgangsverwaltungsakt ist von der Vorverfahrensbehörde daher auf Ermessensfehler hin zu überprüfen. Möglich sind die Ermessensüberschreitung, die Ermessensunterschreitung, der Ermessensfehlgebrauch und der Ermessensnichtgebrauch.766 Gemäß § 367 Abs. 2 S. 1 AO hat die Finanzbehörde die Sache im Einspruchsverfahren erneut im vollen Umfang zu überprüfen. Die Prüfungskompetenz der Widerspruchsbehörden ist trotz des Fehlens einer eindeutigen Regelung ebenfalls umfassend. Hieraus folgt, dass die Vorverfahrensbehörden bereits eingebrachte Ermessensgründe neu gewichten, aber auch neue Gründe nachschieben können.767

762  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 187; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 78 Rn. 20. 763  Die Heilungsmöglichkeit besteht darüber hinaus auch noch während des gerichtlichen Verfahrens, genauer bis zur letzten Tatsacheninstanz. 764  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 172; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 101; Schoch, Heilung unterbliebener Anhörung im Verwaltungsverfahren durch Widerspruchsverfahren?, NVwZ 1983, 249; Schütze, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 41 Rn. 19. 765  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 196; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 195; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 78 Rn. 20. 766  Dauven, Ermessensentscheidungen und ihre (gerichtliche) Überprüfung im Steuerrecht, SteuerStud 2009, 254 (257 f.); Louven, Ermessensentscheidungen der Sozialverwaltung und ihre Anfechtbarkeit, ZAP Fach 18, 699 (700 f.); Ruffert, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 40 Rn. 47 ff. 767  BVerwG NVwZ-RR 1992, 68 (68); BFH / NV 1998, 1325 (1328); Birkenfeld, in: Hübschmann /Hepp  / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 172, 196; Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 68, Rn. 36; Schütze, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 41 Rn. 11.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren149

Eine Besonderheit des Steuerrechts besteht darin, dass dem materiellen Steuerrecht Ermessensnormen aufgrund der Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung fremd sind.768

B. Zweckmäßigkeitsprüfung Die § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO und § 78 Abs. 1 S. 1 SGG bestimmen ausdrücklich, dass die Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes vor Erhebung der Anfechtungsklage in einem Vorverfahren nachzuprüfen sind. Auch ohne ausdrückliche Regelung ist die Zweckmäßigkeit im Einspruchsverfahren zu prüfen.769 Ein Verwaltungsakt ist dann zweckmäßig, wenn er geeignet ist, das von ihm angestrebte Ziel zu erreichen, also dem verfolgten Zweck zu dienen.770 Dabei ist es gleichermaßen schwierig, die Unzweckmäßigkeit von Ermessensfehlern abzugrenzen, wie die Zweckmäßigkeit abschließend zu definieren.771 Es ist sogar umstritten, ob der Zweckmäßigkeit neben der Rechtmäßigkeit überhaupt eine Bedeutung zukommt.772 Die herrschende Meinung sieht die Zweckmäßigkeit jedoch als eigenständige, neben der Rechtmäßigkeit bestehende Voraussetzung für die Begründetheit des Vorverfahrens.773 Wird gegen eine Entscheidung einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes, einer Universität oder einer Fakultät Widerspruch eingelegt, darf die Widerspruchsbehörde, sofern sie nicht der Selbstverwaltungsträger selbst ist, aufgrund der verfassungsrechtlichen Garantien der Art. 28 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 3 GG nur eine Rechtmäßigkeitskontrolle vornehmen.774 Verwaltungsakte aller anderen Selbstverwaltungsträger können auch von einer anderen Behörde auf ihre Zweckmäßigkeit überprüft werden.775

768  Siehe

S. 59 und Fn. 432. 2007, 647 (648); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO /  FGO, § 367 AO Rn. 196; Cöster, in: Koenig, AO, vor §§ 347 bis 368 Rn. 4. 770  Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im öffentlichen Recht, Rn. 1187; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 78 Rn. 21. 771  Neupert, Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit. 772  Ablehnend: Klüsener, Die Bedeutung der Zweckmäßigkeit neben der Rechtmäßigkeit in § 68  I  1 VwGO, NVwZ 2002, 816; Neupert, Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit. 773  BVerfGE 69, 1 (48); BVerwGE 57, 130 (146); Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 68, Rn. 36a; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 683. 774  Siehe S. 89. 775  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 183; Kothe, in: Redeker / von  Oertzen, VwGO, § 73 Rn. 2. 769  BFH / NV

150

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

C. Reformatio in peius Stellt die Behörde bei der Prüfung der Begründetheit fest, dass der Verwaltungsakt den Vorverfahrensführer rechtswidrig begünstigt, ist fraglich, ob sie ihre ursprüngliche Entscheidung zum Nachteil des Vorverfahrensführers ändern darf, ob also die so genannte reformatio in peius zulässig ist. Diese Frage ist von verfassungsrechtlicher Bedeutung, da ein Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gefunden werden muss.776 I. Reformatio in peius im Einspruchsverfahren Lediglich die Abgabenordnung enthält eine ausdrückliche Regelung darüber, dass und unter welchen Voraussetzungen die Verböserungsbefugnis der Finanzbehörde besteht. Sie lässt den Grundsatz der Rechtssicherheit hinter den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten.777 Der Verwaltungsakt kann gemäß § 367 Abs. 2 S. 2 AO zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern. Diese Norm eröffnet kein Ermessen. Liegen die Voraussetzungen der Verböserung vor, ist die Finanzbehörde vielmehr dazu verpflichtet, den Verwaltungsakt zu Lasten des Steuerpflichtigen abzuändern.778 Die Pflicht der Behörde, auf die verbösernde Entscheidung hinzuweisen, soll dem Einspruchsführer die Möglichkeit geben, der Verböserung durch die Rücknahme des Einspruchs entgegenzutreten.779 Ihm sollen daher alle Sach- und Rechtsgründe für eine mögliche Verböserung derart mitgeteilt werden, dass er objektiv und nachprüfbar erkennen kann, warum die Finanzbehörde ihre ursprüngliche Auffassung geändert hat.780 Außerdem ist eine angemessene, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Frist zur Gegenäußerung festzusetzen.781

776  BFHE 214, 193 (197); Köhler, Die reformatio in peius im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, ZFSH / SGB 2010, 78 (79). 777  BFHE 214, 193 (197). 778  BFHE 74, 603 (608 f.); Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuer­ lichen Einspruchsverfahrens, S. 144; Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 21. 779  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 421. 780  BFHE 139, 225 (227); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 452. 781  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 146.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren151

Eine Ausnahme von der Hinweispflicht besteht jedoch dann, wenn der Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO erlassen wurde und daher ohnehin zum Nachteil des Einspruchsführers abgeändert werden kann.782 Eine weitere Ausnahme von der Hinweispflicht besteht, wenn die Finanzbehörde den Steuerbescheid trotz eines schwebenden Einspruchsverfahrens nicht aufgrund der vollumfänglichen Überprüfung gemäß § 367 Abs. 2 S. 1 AO, sondern aufgrund der Aufhebungs- und Änderungsvorschriften gemäß §§ 130 f. bzw. der Korrekturvorschriften gemäß §§ 172 ff. AO zum Nachteil des Steuerpflichtigen abändert.783 Schließlich stehen der Finanzbehörde diese allgemeinen Vorschriften auch dann zur Verfügung, wenn der Einspruchsführer den Einspruch nach einem Verböserungshinweis zurückgenommen hat.784 II. Reformatio in peius in den Widerspruchsverfahren Die reformatio in peius wird weder in der Verwaltungsgerichtsordnung noch im Sozialgerichtsgesetz ausdrücklich für zulässig erklärt. Hieraus folgt reichlich „Diskussionsstoff“785. Es handelt sich um ein „Dauerthema“786. Indem also eine entsprechende opinio iuris fehlt, besteht keine gewohnheitsrechtliche Verböserungsbefugnis.787 Bestimmte Normen – so §§ 68 Abs. 1 Nr. 2, 71, 79 Abs. 2 VwGO und § 95 SGG – gehen zwar von der Verböserungsbefugnis aus, können diese aber aufgrund der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht begründen.788 Andererseits kann aus dem Bestehen einer Regelung für das Einspruchsverfahren nicht e contrario geschlossen werden, die Verböserung sei gemeinhin ausgeschlossen.789 Weder 782  BFHE 159, 405 (407); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 455. 783  FG Baden-Württemberg EFG 2004, 1187; Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 147; Rätke, in: Klein, AO, § 367 Rn. 19. 784  Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 22. 785  Steinbeiß-Winkelmann / Ott, Das Widerspruchsverfahren als Voraussetzung des Gerichtszugangs in VwGO, FGO und SGG, NVwZ 2011, 914 (916). 786  Schenke, Neuere Rechtsprechung zum Verwaltungsprozessrecht, S. 114. 787  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 223. Anders: Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1226. 788  Kahl / Hilbert, Die reformatio in peius, Jura 2011, 660 (661); Schoch, Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, Jura 2003, 752 (759). Andere Ansicht: Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, in Altauflage 2010 § 40 Rn. 8 f.: Der Bund hätte die Gesetzgebungskompetenz, hat von ihr aber keinen Gebrauch gemacht. 789  VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 3 (5); Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 68 Rn. 227; Köhler, Die reformatio in peius im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, ZFSH / SGB 2010, 78 (80).

152

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

die Gesetzesbindung der Verwaltung noch der Grundsatz des Vertrauensschutzes sprechen für oder wider die Verböserungsbefugnis, da diese Verfassungsgrundsätze gerade in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen.790 Die Zwecke des Vorverfahrens, die sich konträr gegenüberstehen,791 geben ebenfalls keinen Ausschlag. Dem Rechtsschutz des Bürgers wird ohne eine Verböserungsbefugnis am besten entsprochen, der Selbstkontrolle der Verwaltung allerdings mit einer entsprechenden Berechtigung.792 Im Ergebnis erachtet die herrschende Meinung – dazugehörend auch das Bundesverwaltungsgericht und das Bundessozialgericht – die reformatio in peius für zulässig.793 Vorausgesetzt wird allerdings zum einen, dass die §§ 48 ff. VwVfG, §§ 44 ff. SGB X oder spezialgesetzliche Regelungen die Durchbrechung der Bindungswirkung des ursprünglichen Verwaltungsaktes ermöglichen. Zum anderen ist die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde für die reformatio in peius erforderlich. Dies ist der Fall, wenn Widerspruchsund Ausgangsbehörde identisch sind oder die Widerspruchsbehörde gegenüber der Ausgangsbehörde im Wege der Fachaufsicht weisungsbefugt ist.794 Insofern hat eine Annäherung der Rechtsprechung der obersten Gerichte stattgefunden, denn das Bundesverwaltungsgericht sah die reformatio in peius zunächst als grundsätzlich zulässig an, wohingegen das Bundessozialgericht die Verböserungsbefugnis früher grundlegend ablehnte.795

790  Dolde / Porsch,

in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 68 Rn. 48. S. 53. 792  Binder, in: Lüdtke / Berchtold, SGG, § 85 Rn. 5; Dolde / Porsch, in: Schoch /  Schneider / Bier, VwGO, § 68 Rn. 48; Köhler, Die reformatio in peius im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, ZFSH / SGB 2010, 78 (80). 793  BVerwGE 51, 310 (314); 65, 313 (319); BSG NZS 1993, 421 (422 f.); Bosch / Schmidt / Vondung, Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, Rn. 745 ff.; Köhler, Die reformatio in peius im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, ZFSH / SGB 2010, 78; Luik, in: Hauck / ‌Behrend, SGG, § 85 Rn. 48 ff.; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1217 ff.; Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 73 Rn. 20; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 78 Rn. 23; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 5; Schoch, in: Ehlers / Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, § 20 Rn. 67 ff. Andere Ansicht: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 9 Rn. 17; von Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozess­ voraussetzung, S.  220 ff. 794  Zur Identität: BVerwGE 65, 313 (319 f.). Zur Weisungsbefugnis: BVerwGE 8, 45 (45 f.); BVerwG NVwZ-RR 1997, 26 (26); VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 3 (4 f.); BSG NZS 1993, 421 (423). 795  Ältere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: BVerwGE 14, 175 (179 f.); 31, 67 (69). Ältere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts: BSGE 14, 154 (157 f.); BSG BVBl. 1964, 140. 791  Siehe



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren153

III. Vergleich Allen außergerichtlichen Vorverfahren ist also gemein, dass die Verschlechterung der Position des Vorverfahrensführers durch die Vorverfahrensbehörde möglich ist, wenn die Voraussetzungen der Vorschriften zur Aufhebung bzw. Änderung des jeweiligen Verfahrensgesetzes erfüllt sind, wobei diese Vorschriften freilich Unterschiede aufweisen.796 Das Problem der Zuständigkeit der Einspruchsbehörde für die verbösernde Entscheidung stellt sich aufgrund des fehlenden Devolutiveffekts im Einspruchsverfahren nicht.797 Trotz dieser erheblichen Gemeinsamkeit geht die Befugnis der Einspruchsbehörde über diejenige der Widerspruchsbehörden hinaus. Auch in den Fällen des Fehlens der Voraussetzungen der §§ 130 f., 172 ff. AO ergeht unter den Voraussetzungen des § 367 Abs. 2 S. 2 AO eine verbösernde Entscheidung. Dies ist weder rechtspolitisch noch gleichheitsrechtlich zu beanstanden. Das Veranlagungsverfahren ist als Massenverwaltung besonders fehleranfällig und stellt die Finanzverwaltung hinsichtlich der Pflicht zu gesetzmäßigem Verwalten vor besondere Herausforderungen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Vertrauensschutzgesichtspunkte hinter den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten zu lassen, kann daher nicht moniert werden.798 Immerhin wird der Einspruchsführer durch die Möglichkeit, den ohnehin gebührenfreien799 Einspruch zurückzunehmen, nicht übermäßig belastet.

D. Sachverhaltsermittlung Schließlich ist dazustellen und zu vergleichen, wie die Vorverfahrensbehörden den einschlägigen Sachverhalt zu ermitteln haben. I. Untersuchungsgrundsatz Die Verwaltung ist bei der Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit ihrer ursprünglichen Entscheidung an den Untersuchungsgrundsatz gebun796  Hierzu: Arndt, Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten – Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden; von Einem, Strukturen der Beseitigungs- und Anpassungsverfahren von Verwaltungsakten in Verwaltungsverfahrensgesetz, Sozialgesetzbuch Teil X und Abgabenordnung unter besonderer Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Anpassungs- und Beseitigungsgrund; Musil, Die Berichtigung von Verwaltungsakten wegen offenbarer Unrichtigkeiten gemäß § 42 VwVfG und § 129 AO, DÖV 2000, 947. 797  Siehe S. 113. 798  BFHE 214, 193 (197). 799  Siehe S. 230.

154

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

den. Dieser in den § 24 VwVfG, § 88 AO und § 20 SGB X einfachgesetzlich normierte Grundsatz ist verfassungsrechtlich vorgegeben.800 Er gilt für das gesamte Verwaltungsverfahren und somit auch für die außergerichtlichen Vorverfahren.801 1. Regelungen in den Verfahrensgesetzen Zu den wesentlichen Regelungen der § 24 VwVfG, § 88 AO und § 20 SGB X zählt, dass die Behörden den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln, Art und Umfang der Ermittlungen bestimmen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden sind. Die Behörden haben auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. § 88 Abs. 2 AO n. F. bestimmt außerdem, dass die Finanzbehörden Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit bestimmen. Außerdem können bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Diese gesetzlichen Neuerungen haben lediglich klarstellende Funktion.802 2. Risikomanagement und vollautomatisches Ausgangsverwaltungsverfahren Schon vor Erlass des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wurden bei der Steuerveranlagung Risikomanagementsysteme verwendet. Dies erfolgte im Rahmen des Vorhabens KONSENS.803 § 88 Abs. 5 AO n. F. schafft nun den formalgesetzlichen Rahmen für den Einsatz von Risikomanagementsystemen. Gemäß § 155 Abs. 4 AO n. F. können die Finanzbehörden die Steuerfestsetzung automationsgestützt vornehmen. Trotz in der Literatur geäußerter Zweifel804 entschied sich der Gesetzgeber dafür, den vollständig automatisierten Erlass von Verwaltungsakten auch in das VwVfG und SGB X aufzunehmen, um die möglichst einheitliche Entwicklung des Verfah800  Siehe

S. 84.

801  Kallerhoff / Fellenberg,

in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 88; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 88 AO Rn. 20. 802  BT-Drs. 18 / 7457 S. 47; BT-Drs. 18 / 8434 S. 96. 803  Haunhorst, Risikomanagement in der Finanzverwaltung, DStR 2010, 2105 (2107). 804  Braun Binder, Vollautomatisierte Verwaltungsverfahren im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht? NVwZ 2016, 960 (961 ff.); Siegel, Der virtuelle Verwaltungsakt, VerwArch 105 (2014), 241 (255).



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren155

rensrechts zu gewährleisten.805 Dennoch werden Verwaltungsakte im allgemeinen Verwaltungsverfahren und im Sozialverwaltungsverfahren bisher nicht vollautomatisch erlassen.806 Dies ist nicht verwunderlich, da die Steuerveranlagung zur Massenverwaltung zählt, stark standardisiert807 ist und wesentlich seltener Ermessen eröffnet als die anderen Bereiche des Verwaltungsrechts.808 Die rechtlichen Grundlagen für den vollautomatischen Erlass von Verwaltungsakten wurden dennoch in allen Verfahrensordnungen normiert. 3. Vollautomatisches außergerichtliches Vorverfahren Der Einsatz von Risikomanagementsystemen und der vollautomatische Erlass von Vorverfahrensbescheiden sind allen drei außergerichtlichen Vorverfahren fremd. Dennoch ist der Einsatz von Risikomanagementsystemen insbesondere im Einspruchsverfahren denkbar. § 367 Abs. 2 S. 1 AO sieht die vollumfängliche erneute Überprüfung im Einspruchsverfahren vor. Die Prüfungspflicht geht nicht weiter als diejenige des Ausgangsverfahrens. Die maschinelle Einspruchsprüfung wäre insbesondere bei Musterverfahren sinnvoll und wirtschaftlich.809 4. Vergleich Die Pflicht der Behörde, den Sachverhalt von Amts wegen sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Vorverfahrensführers zu ermitteln, bewegt sich im Spannungsfeld verfassungsrechtlicher Grundsätze. Einerseits beruht der Untersuchungsgrundsatz auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.810 Er dient nicht nur dem Rechtsschutz des Betroffenen, sondern auch dem öffentlichen Interesse, eine möglichst materiell richtige Verwaltungsentscheidung zu treffen. Andererseits hat die Verwaltung Wirtschaftlichkeits- und Effizienzgesichtspunkte zu berücksichtigen.811 Insbesondere im 805  BT-Drs. 18 / 8434

S. 120. Der virtuelle Verwaltungsakt, VerwArch 105 (2014), 241 (255). 807  Siegel, Der virtuelle Verwaltungsakt, VerwArch 105 (2014), 241 (255). 808  Braun Binder, Vollautomatisierte Verwaltungsverfahren im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht? NVwZ 2016, 960 (961 ff.). 809  Vortrag Ministerialdirigentin Wagner (Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg) auf dem 8. Potsdamer Steuertag am 29. April 2016 zum Thema „Die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“. 810  Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 1; Mutschler, in: Körner / Leitherer / ‌Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 20 SGB  X Rn. 2; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 170. 811  Böttiger / Waschull, in: Diering / Timme, SGB X, § 20 Rn. 9; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 88 AO Rn. 175. Siehe S. 64. 806  Siegel,

156

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Bereich der Massenverwaltung ist die erschöpfende Ermittlung eines jeden Einzelfalls ohne gravierende Auswirkungen auf den Gesamtvollzug schlicht unmöglich.812 Indem die § 24 VwVfG, § 88 AO und § 20 SGB X Art und Umfang der Ermittlungen in das Ermessen813 der Behörden stellen, soll ein Ausgleich der Verfassungsgrundsätze ermöglicht werden. Das Vorliegen von Massenverwaltung kann diesbezüglich zu erheblichen praktischen Unterschieden führen. Dort ist die tatsächliche Grenze der effektiven Anspruchsdurchsetzung unausweichlich.814 Doch nicht nur die Anspruchsdurchsetzung der Verwaltung leidet in den Bereichen der Massenverwaltung. Die Fehleranfälligkeit im Ausgangsverwaltungsverfahren kann auch zu Lasten des Bürgers ausfallen. Daher gewinnen die außergerichtlichen Vorverfahren umso mehr Bedeutung, umso mehr Massenverwaltung gegeben ist.815 Ihnen kommt eine Ausgleichsfunktion zu. Werden Ausgangsverwaltungsakte vollmaschinell erlassen, verstärkt sich die Ausgleichsfunktion der außergerichtlichen Vorverfahren, da es dort zur ersten Überprüfung des Verwaltungsaktes durch einen Menschen kommt.816 II. Mitwirkungspflichten der Vorverfahrensführer Die Verfahrensgesetze erlegen den Beteiligten Mitwirkungspflichten auf, die auch für die außergerichtlichen Vorverfahren gelten.817 Der Untersuchungsgrundsatz entbindet die Beteiligten der Vorverfahren also nicht vollkommen von der Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts. Vielmehr besteht ein Kooperationsverhältnis in Form einer Wechselwirkung zwischen der Ermittlungspflicht der Behörden und den Mitwirkungspflichten der Vorverfahrensführer.818 Die Stellung des Vorverfahrensführers unterscheidet sich 812  Haunhorst, Risikomanagement in der Finanzverwaltung, DStR 2010, 2105 (2107); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 6. 813  Böttiger / Waschull, in: Diering / Timme, SGB X, § 20 Rn. 6; Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk, VwVfG, § 24 Rn. 26; Rädtke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 12. 814  Böttiger / Waschull, in: Diering / Timme, SGB X, § 20 Rn. 6 ff.; Söhn, in: Hübsch­ mann / Hepp /Spitaler, AO / FGO, § 88 AO Rn. 175. 815  Wegen der herausragenden Bedeutung des Einspruchsverfahrens eröffnet § 364a AO dem Einspruchsführer die Möglichkeit, die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage vor Erlass der Einspruchsentscheidung zu beantragen. Siehe hierzu S. 165. 816  Heintzen, Das gemeinsame Konzept von Bund und Ländern zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, DÖV 2015, 780 (786). 817  BFHE 82, 603 (605 f.); Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 26 Rn. 97; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 9. 818  Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 279 ff.; Rixen, Das Sozialverwaltungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, Die Verwaltung 43 (2010), 545 (549); Seer, in: Tipke / Kruse, AO / ‌FGO, § 90 AO Rn. 1.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren157

maßgeblich von derjenigen eines Beschuldigten im Strafverfahren.819 Dennoch hat die Mitwirkungspflicht im Einzelfall die Grenzen des Verhältnismäßigen zu wahren, muss also in einem angemessenen Verhältnis zum erwünschten Ermittlungsergebnis stehen.820 Mitwirkungspflichten sind demzufolge nicht schlechthin unzumutbar oder gar verfassungswidrig,821 sondern entsprechen „demokratischem Ethos“ und sind „das geringere Übel als staatliche Inquisition“.822 1. Allgemeine Regelungen § 26 Abs. 2 VwVfG und § 21 Abs. 2 SGB X sind identisch. Ihre Sätze 1 und 2 bestimmen, dass die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhaltes mitwirken und insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismitteln angeben sollen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst für Sollvorschriften entschieden, „da ein Beteiligter nicht zur Aufklärung solcher Umstände gezwungen werden sollte, die seine Stellung im Verwaltungsverfahren verschlechtern oder ihn in sonstiger Weise belasten würden“.823 Die Mitwirkung kann nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden.824 § 90 AO ist § 26 Abs. 2 S. 1 und 2 VwVfG und § 21 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB X ähnlich825 und legt die Mitwirkungspflicht der Beteiligten des Finanzverwaltungsverfahrens im Allgemeinen fest. Gemäß § 90 Abs. 1 AO kommen die Beteiligten der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Der Umfang der Mitwirkungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Wegen der Allgemeinheit dieser Regelung genügt sie noch nicht als 819  Der nemo tenetur Grundsatz ist auf das Verwaltungsverfahren nicht übertragbar: BVerfG wistra 2010, 341 (344); Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 104; Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 300; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 24. 820  Engel / Pfau, in Mann / Sennekamp / Uechtritz, VwVfG, § 26 Rn. 58; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 193 f.; Sommer, Die Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten nach §§ 60 ff. SGB I, ZFSH / SGB 2010, 278 (286 f.). 821  BVerfGE 2, 292 (295); BVerfG wistra 2010, 341 (344); Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 299 ff.; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 90 AO Rn. 2; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 24. Andere Ansicht: Ule / Becker, Verwaltungsverfahren im Rechtsstaat, S. 34. 822  Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 104. 823  BT-Drs. 7 / 910 S. 50. 824  Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 26 Rn. 47; Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 21 Rn. 20. 825  Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 2.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Rechtsgrundlage für die Auferlegung konkreter Mitwirkungshandlungen, die zwangsweise durchgesetzt werden könnten.826 § 90 Abs. 2 und 3 AO legt für die Sachverhaltsermittlung im Ausland erhöhte Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen fest. Er hat Beweismittel nicht nur vorzulegen, sondern auch zu beschaffen.827 Ferner treffen ihn Aufzeichnungspflichten über Art und Inhalt seiner Geschäftbeziehungen mit nahestehenden Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG. Grund für diese erhöhten Mitwirkungspflichten ist der Territorialitätsgrundsatz. Der deutsche Fiskus ist im Ausland nicht zur Sachverhaltsermittlung befugt und daher gesteigert auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen.828 Wirken der Beteiligten der Vorverfahren nicht entsprechend mit, entbindet dies die Behörde nicht von der Pflicht, eigene Sachverhaltsermittlungen vorzunehmen.829 Dennoch schränkt die fehlende Mitwirkung die Ermittlungspflicht der Behörde ein und kann Auswirkungen auf die Beweiswürdigung haben.830 Die Finanzverwaltung kann aufgrund der fehlenden Mitwirkung außerdem die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO vornehmen.831 2. Spezifische Mitwirkungspflichten Im allgemeinen und im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren besteht eine weitergehende Pflicht des Betroffenen, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere eine Pflicht zum persönlichen Erscheinen oder zur Aussage, gemäß § 26 Abs. 2 S. 3 VwVfG und § 21 Abs. 2 S. 3 SGB X nur, soweit sie durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen ist. Im allgemeinen Verwaltungsverfahren muss auf Fachgesetze zurückgegriffen werden, um derartige Mitwirkungs- und Beibringungspflichten zu finden.832 Im Sozialrecht 826  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 150; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 15, 128. 827  Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433 (435); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 174. 828  Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433 (435); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 174. 829  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 152; Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 26 Rn. 44; Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 21 SGB X Rn. 19. 830  Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 26 Rn. 44; Mutschler, in: Körner / Leitherer / ‌Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 21 SGB  X Rn. 20; Wünsch, in: Koenig, AO, § 90 Rn. 43. Zur Beweislast siehe S. 173. 831  Wünsch, in: Koenig, AO, § 90 Rn. 43. 832  Siehe hierzu: Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 26 Rn. 44 Fn. 194–201.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren159

wurde von der Möglichkeit der Schaffung spezifischer Mitwirkungspflichten weitreichender Gebrauch gemacht.833 So finden sich beispielsweise Mitwirkungspflichten für Leistungsberechtigte in den §§ 60–64 SGB I, die gemäß § 65 Abs. 1 SGB I aus Gründen der Angemessenheit und Zumutbarkeit wiederum Einschränkungen erfahren und für deren Nichterfüllung in § 66 SGB I Folgen vorgesehen sind.834 Diese Mitwirkungspflichten können nicht zwangsweise durchgesetzt werden.835 Insbesondere im Anwendungsbereich des zweiten Sozialgesetzbuches spielen die §§ 60 ff. SGB I eine „markante Rolle“.836 Darüber hinaus bestehen spezifische Mitwirkungspflichten, die den allgemeinen Bestimmungen des SGB X und SGB I vorgehen.837 Weitreichende spezifische Mitwirkungspflichten im Finanzverwaltungsverfahren werden in den §§ 93, 95, 97, 99, 100, 134 ff., 137 ff., 140 ff., 149 ff., 153 f., 159 f., 200, 210 f. AO und auch in Einzelsteuergesetzen statuiert.838 An das Verletzen oder Befolgen der Mitwirkungspflichten knüpft die Abgabenordnung unterschiedliche Konsequenzen. So ermächtigen Normen, die Mitwirkungspflichten statuieren, die Finanzverwaltung häufig dazu, Verwaltungsakte zu erlassen, die gemäß §§ 328 ff. AO zwangsweise durchgesetzt werden können.839 Von herausragender Bedeutung ist im Finanzverwaltungsverfahren außerdem die Möglichkeit der Finanzbehörde, die Besteuerungsgrundlage gemäß § 162 AO zu schätzen, wobei diese Möglichkeit auch im Einspruchsverfahren besteht.840 Kooperiert der Steuerpflichtige nicht hinreichend mit der Finanzverwaltung, hat dies gemäß § 162 Abs. 2 AO eine Beweismaßreduzierung zu Lasten des Steuerpflichtigen zur Folge.841 833  Rixen, Das Sozialverwaltungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, Die Verwaltung 43 (2010), 545 (548). 834  Überblick bei Dörr / Franke, Sozialverwaltungsrecht, Kapitel 11, Rn. 68 f.; Sommer, Die Mitwirkungspflichten des Leistungsberechtigten nach §§ 60 ff. SGB I, ZFSH / SGB 2010, 278. 835  Seewald, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, vor §§ 60– 67 SGB I Rn. 34. 836  Rixen, Das Sozialverwaltungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, Die Verwaltung 43 (2010), 545 (549). 837  Siehe hierzu Dörr / Franke, Sozialverwaltungsrecht, Kapitel 11, Rn. 71. 838  Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 18 f. 839  Werth, in: Klein, AO, § 328 Rn. 3. Beispielsweise kann die Finanzbehörde von den Beteiligten und anderen Personen gemäß § 93 AO zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderliche Auskünfte fordern. Wird dem Auskunftsersuchen nicht entsprochen, entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen, ob sie dieses zwangsweise durchsetzt oder aber die Besteuerungsgrundlage gemäß § 162 AO schätzt. Siehe hierzu: Schuster, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 93 AO Rn. 97. 840  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 162 AO Rn. 15. 841  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 162 AO Rn. 4 ff.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

3. Vergleich Die im Finanzverwaltungsverfahren erweiterten Mitwirkungspflichten und die Möglichkeit ihrer zwangsweisen Durchsetzung sind insbesondere im Vergleich zum allgemeinen Verwaltungsverfahren von Nöten, da die Finanzbehörde auf viele Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen keinen Zugriff hat, da sie in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegen.842 Ohne die umfassende Mitwirkung des Steuerpflichtigen würden die Grundsätze der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung beeinträchtigt.843 Die allgemeine Pflicht des Bürgers, Steuern zu entrichten, enthält daher die Pflicht, sich für eine gesetzmäßige Besteuerung einzusetzen und sich an ihr zu beteiligen.844 Dies gilt aufgrund der fehlenden Befugnis zur Sachverhaltsermittlung im Ausland umso mehr im Anwendungsbereich des § 90 Abs. 2 und 3 AO und rechtfertigt die darin wiederum gesteigerten Mitwirkungspflichten. Je weniger die Finanzbehörde den Sachverhalt selbst aufklären kann, desto mehr tritt der Untersuchungsgrundsatz zurück und umso höher werden die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen.845 Im Widerspruchsverfahren betreffend sozial(versicherungs)rechtliche Ansprüche gilt ebenfalls, dass sich die einschlägigen Informationen in der Sphäre des Widerspruchsführers befinden, weshalb auch im Sozialverwaltungsverfahren ein Zusammenwirken von Behörde und Beteiligtem bei der Sachverhaltsermittlung unabdingbar ist und zahlreiche Mitwirkungspflichten bestehen.846 Hier streitet der Betroffene jedoch regelmäßig um eine Leistung, für deren Erhalt er weit überwiegend zur Mitwirkung bereit ist.847 Daher ist insbesondere die Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung der Mitwirkungspflicht im Vergleich zum Finanzverwaltungsverfahren nicht notwendig. Vielmehr genügt als Folge der fehlenden Mitwirkung „mittelbarer Druck“848 842  BFH / NV 2005, 1765 (1766 f.); Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 299 f.; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 171; Söhn, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 24. 843  BFHE 227, 338 (345 f.); Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433 (435); Söhn, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 90 AO Rn. 24. 844  Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 104. 845  Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433 (435 f.). 846  Überwiegend aus der Sphäre der Leistungsberechtigten: Sichert, in: Hauck /  Noftz, SGB I, § 60 Rn. 1. 847  Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 21 SGB X Rn. 19. 848  Seewald, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 66 SGB I Rn. 2.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren161

gemäß § 66 Abs. 1 SGB I, bei dem es sich um „Art Zurück­behaltungsrecht“849 handelt, da der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen kann. III. Präklusion Bei der Ermittlung des Sachverhalts durch die Vorverfahrensbehörde sind Regelungen zur sogenannten Präklusion zu berücksichtigen. Präklusion bedeutet, dass ein Beteiligter bestimmte Umstände nach dem Ablauf einer gesetzlich oder behördlich festgelegten Frist nicht mehr vorbringen kann.850 Vorteile bestehen in der Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung.851 Es ist zwischen formeller und materieller Präklusion zu unterscheiden. Erstere liegt vor, wenn das Vorbringen lediglich im Verwaltungsverfahren nicht mehr berücksichtigt wird.852 Materielle Präklusion führt hingegen dazu, dass die Umstände auch im gerichtlichen Verfahren keine Berücksichtigung mehr finden.853 Wegen der Auswirkungen auf den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG müssen materielle Präklusionsvorschriften strengen Ausnahmecharakter haben.854 Ein Verfassungsverstoß liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Präklusion pflichtwidrige Verfahrensverzögerungen abwenden soll und der Betroffene hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu äußern, dies aber aus von ihm zu vertretenden Gründen unterließ.855 Weiterhin sind Präklusionsvorschriften an Art. 19 Abs. 4 GG zu messen, da sie den Zugang zu den Gerichten erschweren.856 Ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG liegt dann vor, wenn die Präklusionsfristen unverhält849  Merten / Dahm, in: Eichenhofer / von Koppenfels-Spies / Wenner, SGB I, § 66 SGB I Rn. 3. 850  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 112. 851  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 3; Brandt, Präklusion im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1997, 233 (233); Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337 (338). 852  Brandt, Präklusion im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1997, 233 (233 f.); Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337 (338). 853  Brandt, Präklusion im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1997, 233 (234); Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337 (338). 854  BVerfGE 60, 1 (6); BVerfGE 69, 145 (149); BVerfGE 75, 302 (312); BVerfG NJW 1989, 706. 855  BVerfGE 69, 145 (149); BVerfG NJW 1989, 706; BVerfGE 75, 302 (315). Zur Unionsrechtswidrigkeit der materiellen Präklusion: EuGH Rs. C-137 / 14, Europäische Kommission / Deutschland, NVwZ 2015, 1665; Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337. 856  Siehe S. 65 und Fn. 292.

162

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

nismäßig sind und der Zugang zu den Gerichten unzumutbar erschwert wird.857 1. Bestehende Präklusionsregelungen Im verwaltungsgerichtlichen, finanzgerichtlichen und auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist es möglich, den Beteiligten Fristen für die Angabe von Tatsachen und das Bezeichnen von Beweismitteln zu setzen, § 87b VwGO, § 79b FGO, § 106a SGG. Später vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel können zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und der Beteiligte über die Folgen der Fristversäumung belehrt worden ist. Eine vergleichbare Kompetenz der Vorverfahrensbehörde besteht nur im Einspruchsverfahren. Grundsätzlich kann der Steuerpflichtige entscheidungserhebliche Faktoren auch erst während des Einspruchsverfahrens kundtun.858 Die Finanzbehörde kann ihm jedoch gemäß § 364b AO zur Angabe von Tatsachen, zur Erklärung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte, zur Bezeichnung von Beweismitteln und zur Vorlage von Urkunden eine Frist setzen. Entsprechende Erklärungen und Beweismittel, die erst später vorgebracht werden, sind nicht zu berücksichtigen. Die Entscheidung, ob eine Frist gesetzt wird, liegt im Ermessen der Finanzbehörde.859 Wurde die Frist gesetzt, darf das Beweismittel nicht mehr berücksichtigt werden, es besteht diesbezüglich kein Ermessen.860 Über die Folgen des verspäteten Vorbringens ist der Einspruchsführer zu belehren, § 364b Abs. 3 AO. Gemäß § 76 Abs. 3 i. V. m. § 79b Abs. 3 FGO können im Einspruchsverfahren verspätete Erklärungen und Beweismittel auch im finanzgerichtlichen Verfahren zurückgewiesen werden.861 Dies wird als der „größte Stolperstein für nachlässige Steuerbürger“ angesehen,862 da diese „Präklusionsfernwirkung“863 sogar ein Fall der eingeschränkten materiellen Präklusion ist.864 Dem Finanzgericht 857  BVerfGE 61, 82 (109 ff.). Papier, Einwendungen Dritter im Verwaltungsverfahren, NJW 1980, 313 (318 ff.) sieht in materiellen Präklusionsvorschriften stets einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. 858  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 180. 859  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 65. 860  Cöster, in: Koenig, AO, § 364b Rn. 31. 861  Cöster, in: Koenig, AO, § 364b Rn. 40. 862  Koch / Schreiner, Präklusion nach § 364b AO – die Leiden einer gesetzlichen Regelung, DStR 1998, 1197 (1198). 863  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364b AO Rn. 2. 864  Cöster, in: Koenig, AO, § 364b Rn. 4.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren163

kommt – im Gegensatz zur Finanzbehörde – bei der Entscheidung über das Zurückweisen von Erklärungen und Beweismitteln Ermessen zu.865 „Die“ Präklusion im allgemeinen Verwaltungsverfahren oder im allgemeinen Widerspruchsverfahren gibt es nicht.866 Verschiedene formelle und materielle Präklusionsregelungen finden sich in Spezialgesetzen. So enthält beispielsweise § 82 Abs. 1 AufenthG einen Fall der formellen Präklusion, der nach Abs. 2 auch für das Widerspruchsverfahren gilt. Das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren kennt ebenfalls keine dem § 364b AO entsprechende Regelung. Als Beispiel für eine materielle Ausschlussfrist lässt sich hier § 111 SGB X anführen, wonach Erstattungsansprüche von Leistungsträgern untereinander ausgeschlossen sind, wenn der Erstattungsberechtigte sie nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. 2. Vergleich Der Steuerpflichtige kann wesentliche Umstände noch während des Einspruchsverfahrens geltend machen.867 Daher werden Einsprüche häufig eingelegt, um bestimmte Umstände nachzutragen oder die Abgabefrist für Steuer­ erklärungen zu verlängern.868 Dieser Missbrauchsgefahr soll § 364b AO entgegenwirken und somit den Veranlagungszeitraum verkürzen.869 Die Norm stellt daher durch die Präklusion besonders rigorose Folgen bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten auf.870 Trotz dieser weitreichenden Folgen liegt weder ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG noch gegen Art. 19 Abs. 4 GG vor, da der Ausnahmecharakter von Präklusionsvorschriften beachtet und der Zugang zu den Finanzgerichten nicht unzumutbar erschwert wird.871 Dennoch 865  BFH / NV 2005, 711; BFH / NV 1999, 619 (620); Birkenfeld, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 121; Cöster, in: Koenig, AO, § 364b Rn. 45. 866  Brandt, Präklusion im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1997, 233 (237). 867  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 180. 868  BT-Drs. 12 / 6959 S. 131. 869  BT-Drs. 12 / 6959 S. 131; BFHE 185, 134 (138). Dieses Ziel ist legitim: Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 2 f.; Cöster, in: Koenig, AO, § 364b Rn. 3, 5; Koch / Schreiner, Präklusion nach § 364b AO – die Leiden einer gesetzlichen Regelung, DStR 1998, 1197 (1198); Seer, in: Tipke / Kruse, AO /  FGO, § 364b AO Rn. 4. 870  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 28; Große, Die Fristsetzung gemäß § 364b AO, Der Betrieb 1996, 60 (61); Koch / Schreiner, Präklusion nach § 364b AO – die Leiden einer gesetzlichen Regelung, DStR 1998, 1197 (1198). 871  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 25; Cöster, in: Koenig, AO, § 364b, Rn. 5; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364b AO

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

ist § 364b AO hinsichtlich seiner konkreten Ausgestaltung und der Gesetzgebungstechnik eine der meistumstrittenen Normen der Abgabenordnung.872 Insbesondere die Präklusionsfernwirkung ins finanzgerichtliche Verfahren sei misslungen.873 Teilweise wird vertreten, es handle sich um ein „scharfes Schwert“, das maßvoll angewendet werde, sofern der Einspruchsführer ohnehin kein Interesse an einer schnellen Beendigung des Einspruchsverfahrens habe.874 Nach anderer Ansicht gehe von der Präklusionsvorschrift nur ein „bedingt taugliches Drohpotential“875 aus, es handle sich also um einen ­ „zahnlose[n] Tiger“876, weshalb „§ 364b AO regelmäßig leer“ liefe.877 Vergleicht man die drei außergerichtlichen Vorverfahren miteinander, ist die konkrete Ausgestaltung des § 364b AO weniger von Bedeutung als die Frage, ob die Unterschiede des Einspruchsverfahrens gegenüber den Widerspruchsverfahren das allein dortige Bestehen einer Präklusionsregelung zu rechtfertigen vermögen. Da § 364b AO letztlich unterlassener Mitwirkung Konsequenzen auferlegt,878 kann diesbezüglich auf das zu den Mitwirkungspflichten Ausgeführte verwiesen werden. Die Finanzverwaltung ist für die Sachverhaltsaufklärung maßgeblich auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen. Kommt der Steuerpflichtige dem nicht nach und bedient sich zudem noch des gebührenfreien879 Einspruchsverfahrens, um sich Aufschub zu verschaffen und den Fiskus zu „vertrösten“, erscheint die Konsequenz der Präklusion zur Verfahrensbeschleunigung im Einspruchsverfahren im Vergleich sachgemäß. Die Sozialverwaltung, die zwar ebenfalls erheblich auf Rn. 3. Andere Ansicht: Koch / Schreiner, Präklusion nach § 364b AO – die Leiden einer gesetzlichen Regelung, DStR 1998, 1197 (1199); Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995), 77 (111, 113 f.). 872  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 24; Koch / Schreiner, Präklusion nach § 364b AO – die Leiden einer gesetzlichen Regelung, DStR 1998, 1197 (1198 ff.); Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364b AO Rn. 3. Stolterfoht, Die Verwirklichung des Rechtsschutzes im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, DStJG 18 (1995), 77 (108 ff.) behauptet, § 364b AO dokumentiere den „Niedergang der Gesetzgebungskunst“. 873  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 24; Cöster, in: Koenig, AO, § 364b Rn. 4; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364b AO Rn. 3. 874  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364b AO Rn. 23. 875  von Wedelstädt, Die präkludierte Fristsetzung durch die Finanzbehörde, AOStB 2002, 200 (205). 876  Müller, Die Präklusionsregelungen der §§ 364b AO, 76 Abs. 3 FGO – ein „zahnloser Tiger“, AO-StB 2005, 176. 877  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364b AO Rn. 3. 878  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364b AO Rn. 4. 879  Siehe S. 230.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren165

die Mitwirkung des Leistungsberechtigten angewiesen ist, kann zur Verfahrensbeschleunigung auf andere Mittel zurückgreifen und bedarf keiner Präklusionsregelung für das Widerspruchsverfahren. In den Bereichen der Leistungsverwaltung genügt als Folge der fehlenden Mitwirkung § 66 SGB I, wonach der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen kann. IV. Anhörung Zur effektiven Sachverhaltsermittlung ist es notwendig, die Vorverfahrensbeteiligten anzuhören.880 In der Regel wurden die Betroffenen im Laufe des Verwaltungsverfahrens vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in ihre Rechte eingreift, gemäß § 28 VwVfG, § 24 SGB X oder § 91 AO angehört, sofern eine Anhörung nach diesen Vorschriften notwendig881 war.882 Hatten sie im Ausgangsverwaltungsverfahren Gelegenheit, Stellung zu nehmen und den Entscheidungsfindungsprozess der Behörde mitzugestalten,883 ist eine erneute Anhörung im außergerichtlichen Vorverfahren in der Regel nicht erforderlich.884 1. Fälle der Anhörung im Vorverfahren In Fällen, in denen dem Vorverfahrensführer eine effektive Verteidigung sonst verwehrt bliebe, kann eine Anhörung im Vorverfahren dennoch geboten sein.885 Diese sind im Folgenden darzustellen. 880  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 8; Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 28 Rn. 1 f. 881  Hierbei sei insbesondere auf § 91 Abs. 2 Nr. 3 AO hingewiesen, wonach von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einer Steuererklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Ebenso: § 28 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X. 882  Zum Streit, ob es sich um einen belastenden Verwaltungsakt handeln muss, oder ob auch die Ablehnung eines Antrages auf Begünstigung genügt, siehe: Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 31 ff.; Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB  X, § 24 Rn. 8 ff. Die Praxis nimmt ein Anhörungsrecht nur bei Anfechtungsbegehren an: BVerwGE 66, 184 (186); BFHE 206, 488 (493); BSGE 68, 42 (43). 883  Dies macht sie zum Subjekt des Verwaltungsverfahrens und wird dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs gerecht. Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Anhörungsrechts siehe S. 84. 884  Umkehrschluss aus § 71 VwGO. Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB  X, § 24 Rn. 5. 885  Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 24 Rn. 5.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

a) Reformatio in peius Plant die Behörde, den ursprünglichen Verwaltungsakt im außergericht­ lichen Vorverfahren zu verbösern,886 so stellt dies eine Belastung des Vorverfahrensführers dar, die über die des Ausgangsbescheides hinausgeht und zu der er bisher nicht Stellung nehmen konnte. § 367 Abs. 2 S. 2 AO, der die reformatio in peius im Einspruchsverfahren ausdrücklich ermöglicht, knüpft deren Zulässigkeit daran an, dass dem Einspruchsführer Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu äußern.887 Ist die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren erstmalig mit einer Beschwer verbunden, soll der Betroffene gemäß § 71 VwGO vor Erlass des Abhilfe- oder Widerspruchsbescheides gehört werden. Obwohl die Fälle der reformatio in peius nicht ausdrücklich genannt werden, ist § 71 VwGO auf sie anwendbar.888 Die Bestimmungen zum sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren enthalten keine eigenständige Anhörungsregelung. Dennoch ist der Widerspruchsführer im Falle der Verböserung anzuhören. Es ist auf den für das ganze Sozialverwaltungsverfahren geltenden § 24 SGB X zurückzugreifen.889 b) Erstmalige Beschwer eines Dritten Ein am Vorverfahren Beteiligter ist im Ausgangsverwaltungsverfahren noch nicht angehört worden, wenn der Vorverfahrensbescheid mit Drittwirkung eine erstmalige Beschwer für ihn enthält. § 71 VwGO, der von einer derartigen erstmaligen Beschwer durch Änderung oder Aufhebung des Ver886  Zur

Verböserung siehe S. 150. Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 145; Birkenfeld, in: Birkenfeld / Daumke, Das neue außergerichtliche Rechtbehelfsverfahren, VI Rn. 8. 888  BVerwG NVwZ 1999, 1218 (1219); VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 3 (4); Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 71 Rn. 5; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 71 Rn. 11; Krasney, Zur Anhörungspflicht im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1986, 337 (338); Schoch, Das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, Jura 2003, 752 (759). § 71 VwGO regelt früher lediglich die Anhörung Dritter. BTDrs.  13 / 3993 S. 19: „Mit der Neufassung wird auch dem Umstand Rechnung getragen, daß § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO nach einhelliger Auffassung nicht nur die Fälle betrifft, in denen ein Dritter erstmalig beschwert wird, sondern auch die Fälle, in denen der Widerspruchsführer selbst oder ein Verfahrensbeteiligter erstmalig beschwert werden“. 889  BSG SozR 3–3870 § 4 Nr. 5; SG Landshut BeckRS 2014, 65320; Erkelenz, in: Jansen, SGG, § 85 Rn. 10; Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 62 Rn. 4; Krasney, Zur Anhörungspflicht im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1986, 337 (338). Nach Köhler, Die reformatio in peius im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, ZFSH / SGB 2010, 78 (85) ist § 71 VwGO analog heranzuziehen. 887  Bilsdorfer / Morsch / Schwarz,



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren167

waltungsaktes spricht, ist für die Anhörung des Dritten heranzuziehen.890 In den anderen beiden Rechtsgebieten besteht keine Spezialvorschrift für die Anhörung eines erstmals belasteten Dritten. Dies kann wohl damit begründet werden, dass Verwaltungsakten hier nur selten Drittwirkung zukommt.891 § 360 Abs. 4 AO besagt jedoch, dass der Hinzugezogene die gleichen Rechte geltend machen kann wie der Einspruchsführer. Nach § 365 Abs. 1 AO gelten im Einspruchsverfahren die allgemeinen Vorschriften sinngemäß, weshalb § 91 AO zur Anhörung des Dritten verpflichtet.892 Im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren ist dem Dritten ebenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn der Widerspruchsbescheid ihn beschwert.893 c) Heranziehen neuer Gründe Außerdem muss der Vorverfahrensführer gemäß § 71 VwGO oder § 24 SGB X angehört werden, wenn bei der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf neue, ihm bisher unbekannte Gründe oder Ermessenserwägungen zu seinen Ungunsten herangezogen werden.894 d) Spezialvorschrift des § 204 Abs. 2 SGB IX Es ist auf die Spezialvorschrift des § 204 Abs. 2 SGB IX (entspricht § 121 Abs. 2 SGB IX a. F.) hinzuweisen, die stets – also auch außerhalb der Fälle der Verböserung, der erstmaligen Beschwer eines Dritten und des Heranziehens neuer Gründe – eine Anhörung im Widerspruchsverfahren vorsieht. Bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber gemäß §§ 168–175 SGB IX sind sowohl der Arbeitgeber als auch der schwerbehinderte Mensch vor der Widerspruchsentscheidung anzuhören, § 204 Abs. 2 Hs. 1 SGB IX.895 Ist ein Arbeitgeber im Verwaltungsverfahren nicht involviert, wird alleine der Widerspruchsführer gemäß § 204 Abs. 2 Hs. 2 SGB IX im Widerspruchsverfahren erneut angehört.896 890  Dolde / Porsch,

in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 71 Rn. 2, 4. Fn. 693. 892  BFH / NV 1996, 195; Brandis, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 360 AO Rn. 7; Rätke, in: Klein, AO, § 360 Rn. 35. 893  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 20; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 9. 894  BVerwGE 66, 184 (189 f.); BFHE 126, 384 (390); BSGE 89, 111 (114 f.); Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 71 Rn. 3; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 8 Rn. 16; Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 62 Rn. 4; Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 24 Rn. 5. 895  Kossens, in: Kossens / von der Heide / Maaß, SGB IX, § 121 Rn. 4. 896  BT-Drs. 14 / 5800 S. 31; Masuch, in: Hauck / Noftz, SGB IX, § 121 Rn. 11. 891  Siehe

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Die Anhörungspflicht des § 204 Abs. 2 SGB IX kann sowohl Widersprüche nach der Verwaltungsgerichtsordnung als auch nach dem Sozialgerichtsgesetz betreffen,897 denn gegen Verwaltungsakte des Integrationsamtes und der örtlichen Fürsorgestellen ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wohingegen gegen Verwaltungsakte der Bundesagentur für Arbeit die Sozialgerichtsbarkeit zuständig ist.898 e) Vergleich Im Rahmen aller drei außergerichtlicher Vorverfahren hat somit grundsätzlich eine Anhörung im Falle der reformatio in peius, der erstmaligen Beschwer eines Dritten und der Heranziehung neuer Gründe zu erfolgen. Die Fälle der Anhörung im Anwendungsbereich der Spezialvorschrift des § 204 Abs. 2 SGB IX sind umfänglicher. Wie in den Kommentierungen der Norm richtig betont wird, ist sie Ausdruck verfassungsrechtlicher Verfahrensgrundsätze.899 Dennoch ist es, wie dargestellt, verfassungsrechtlich nicht erforderlich, im Widerspruchsverfahren anzuhören, wenn im Ausgangsverwaltungsverfahren ordnungsgemäß und Gelegenheit zur erschöpfenden Stellungnahme gegeben wurde. Die Anhörung sowohl des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Menschen gemäß § 204 Abs. 2 Hs. 1 SGB IX erfasst im zweiseitigen Verwaltungsverfahren die Fälle der Anhörung eines (potentiell) erstmalig beschwerten Dritten und ist insofern folgerichtig.900 Die im Übrigen in § 204 Abs. 2 Hs. 2 SGB IX vorgesehene Besserstellung schwerbehinderter Widerspruchsführer kann ihre Rechtfertigung in deren besonderer Schutzwürdigkeit finden. Aus den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich eine derartige Absicht des Gesetzgebers allerdings nicht entnehmen.901 Vielmehr ist die erweiterte Anhörungspflicht wohl historisch zu erklären. § 204 SGB IX ist § 43 Schwerbehindertengesetz aus dem Jahre 1986 nachgebildet902 und dieser wiederum § 29 Schwerbeschädigtengesetz aus dem Jahre 1953,903 als es das SGB X mit seiner Anhörungspflicht gemäß § 24 noch nicht gab. Betrachtet man die Normen, die für die Anhörung in den außergerichtlichen Vorverfahren herangezogen werden, fällt auf, dass lediglich § 71 VwGO und § 91 AO nach ihrem Wortlaut als Sollvorschriften ausgestaltet sind. Der 897  Masuch,

in: Hauck / Noftz, SGB IX, § 121 Rn. 1a. § 118 SGB IX. Masuch, in: Hauck / Noftz, SGB IX, § 118 Rn. 1a. 899  Marschner, in: Spiolek, SGB IX, § 121 Rn. 13. 900  Marschner, in: Spiolek, SGB IX, § 121 Rn. 15 f. 901  BT-Drs. 14 / 5800 S. 31; BT-Drs. 7 / 1515 S. 15, BT-Drs. 1 / 3430 S. 35. 902  Kossens, in: Kossens / von der Heide / Maaß, SGB IX, § 121 Rn. 1. 903  BT-Drs. 7 / 1515 S. 15. 898  Siehe



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren169

Gesetzgeber entschied sich im Rahmen des Grenzpendlergesetzes bewusst dazu, § 91 AO in klarer Angrenzung zu § 28 VwVfG als Sollvorschrift beizubehalten.904 Wegen der herausragenden verfassungsrechtlichen Bedeutung der Anhörung sind allerdings sowohl § 71 VwGO als auch § 91 AO verfassungskonform als Mussvorschriften zu lesen.905 Im Falle der Verböserung, der erstmaligen Beschwer eines Dritten und der Heranziehung neuer Tatsachen in die Vorverfahrensentscheidung besteht daher ein Anspruch des Vorverfahrensführers, gehört zu werden, der nur in Ausnahmefällen beschränkt wird. 2. Ausnahmen von der Anhörungspflicht Diese umfängliche Verpflichtung der Verwaltung, die Beteiligten anzuhören, steht im Spannungsverhältnis zur Verfahrenseffizienz.906 Daher bestehen Ausnahmen von der grundsätzlichen Anhörungspflicht, die in § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG,907 § 91 Abs. 2 und 3 AO und § 24 Abs. 2 SGB X präzisiert werden. § 28 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG sind entsprechend auf § 71 VwGO anzuwenden.908 Gleiches gilt für die Ausnahmen gemäß § 24 Abs. 2 SGB X, die auch für § 204 Abs. 2 SGB IX gelten.909 a) Ausnahmen im allgemeinen Widerspruchsverfahren und im Einspruchsverfahren Die Ausnahmen der § 28 VwVfG und § 91 AO sind inhaltsgleich. Die Absätze 2 enthalten zunächst eine Generalklausel, die mit fünf Regelbeispielen konkretisiert wird.910 Ist eines dieser Regelbeispiele erfüllt, liegt die 904  BT-Drs.  6 / 1982 S. 133. Kritik hierzu: Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 44. 905  BVerwG NVwZ 1999, 1218 (1219); Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 71 Rn. 8; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 71 Rn. 6; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 8 Rn. 16; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 71 Rn. 4; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 91 AO Rn. 2. Andere Ansicht: BVerwG DVBl. 1965, 26 (28 f.). 906  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 28 Rn. 44; Söhn, in: Hübschmann /  Hepp / ‌Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 20; Vogelgesang, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 24 Rn. 21. 907  Und in entsprechenden Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder. 908  OVG Bremen NJW 1983, 1869; Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 71 Rn. 8; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 71 Rn. 6. 909  Masuch, in: Hauck / Noftz, SGB IX, § 121 Rn. 11. 910  Schoch, Heilung unterbliebener Anhörung im Verwaltungsverfahren durch Widerspruchsverfahren?, NVwZ 1983, 249 (249).

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Entscheidung darüber, ob der Beteiligte angehört wird, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.911 Anders ist dies in den Fällen der Absätze 3, wonach sogar ein Anhörungsverbot besteht, wenn der Anhörung ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.912 b) Ausnahmen im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren § 24 Abs. 2 SGB X enthält keine Generalklausel, wonach von der Anhörung abgesehen werden kann, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, und listet die Ausnahmen von der Anhörungspflicht abschließend auf.913 Die in § 24 Abs. 2 SGB X aufgelisteten Ausnahmen stimmen zunächst mit den Regelbeispielen der § 28 Abs. 2 VwVfG und § 91 Abs. 2 AO überein. § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X enthält jedoch keine Ausnahme für Verwaltungsakte, die mit Hilfe von automatischen Einrichtungen erlassen wurden. Außerdem sieht § 24 Abs. 2 SGB X zwei Fälle vor, in denen von einer Anhörung abgesehen werden kann, die die anderen Verfahrensgesetze nicht kennen. So ist eine Anhörung nicht zwingend, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Außerdem kann von der Anhörung gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X abgesehen werden, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll. Ist einer der in § 24 Abs. 2 SGB X aufgelisteten Fälle gegeben, liegt die Entscheidung über die Anhörung ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.914 Das Sozialverwaltungsverfahren enthält kein den § 28 Abs. 3 VwVfG und § 91 Abs. 3 AO entsprechendes Anhörungsverbot bei Entgegenstehen eines zwingenden öffentlichen Interesses. c) Vergleich Der Gesetzgeber entschied sich bewusst gegen die Aufnahme einer den § 28 Abs. 2 VwVfG und § 91 Abs. 2 AO entsprechenden Generalklausel in das SGB X, nach der von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, da sie den Anspruch 911  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 49; Söhn, in: Hübschmann /Hepp  / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 145. 912  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 65; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 144. 913  Schoch, Heilung unterbliebener Anhörung im Verwaltungsverfahren durch Widerspruchsverfahren?, NVwZ 1983, 249 (249); Vogelgesang, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 24 Rn. 21. 914  Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 24 Rn. 18; Vogelgesang, in: Hauck /  Noftz, SGB X, § 24 Rn. 22.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren171

auf rechtliches Gehör im Sozialverwaltungsverfahren aufgrund des „besondere[n] Abhängigkeitsverhältnis[ses] im Sozialrecht“915 zu sehr einschränken würde. Diese Motivation ist zu begrüßen, und die Regelung daher gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.916 Bei der Ausnahme gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X, wonach eine Anhörung nicht zwingend ist, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen, handelt es sich um eine Besonderheit aus dem Sozialleistungsbereich, die auch nur auf diesen – also z. B. nicht auf Beitragsfestsetzungen – anwendbar ist.917 Sie betrifft auch viele allgemeinverwaltungsrechtliche Widersprüche, da sie häufig für Angelegenheiten betreffend die Ausbildungsförderung und das Wohngeld einschlägig ist.918 Der Grund für die Sonderregelung für den Sozialleistungsbereich besteht darin, dass der Leistungsempfänger regelmäßig von seinen veränderten Einkommensverhältnissen Kenntnis hat.919 Die Besonderheit des § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X, wonach von einer Anhörung abgesehen werden, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll, knüpft an besondere Verrechnungsmöglichkeiten in den Sozialgesetzbüchern an.920 Hierdurch sollen unverhältnismäßige Verwaltungskosten bei der Entscheidung über Beträge mit geringer wirtschaftlicher Bedeutung vermieden werden.921 Die Aufrechnung ist auch im allgemeinen und insbesondere im Finanzverwaltungsverfahren ein hilfreiches Instrument der Verwaltung.922 Da die Aufrechnungserklärung im Rahmen dieser beiden Verwaltungsverfahren allerdings nicht als Verwaltungsakt qualifiziert wird,923 besteht schon gar keine Anhörungspflicht,924 von der eine Ausnahme statuiert werden müsste. 915  BT-Drs. 7 / 3786 916  Dalichau,

S. 5. SGB  X, § 24 IX 1; Vogelgesang, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 24

Rn. 21. 917  Dalichau, SGB X, § 24 IX 8. 918  Vogelgesang, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 24 Rn. 31. 919  Dalichau, SGB X, § 24 IX 8. 920  §§ 51, 52 SGB I, § 43 Abs. 2 SGB II, § 28 SGB IV, § 26 Abs. 2–4 SGB XII. Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 24 Rn. 36 f. 921  BT-Drs. 12 / 5187 S. 35. Dalichau, SGB X, § 24 IX 10. 922  Das VwVfG enthält keine Regelung. Dennoch ist die Zulässigkeit der Aufrechnung anerkannt: BVerwGE 66, 218. Die Abgabenordnung regelt die Aufrechnung in § 226 AO. 923  BVerwGE 66, 218; BFHE 149, 482; Fritsch, in: Koenig, AO, § 226 Rn. 47. Zur Verwaltungsaktqualität der Aufrechnung im Sozialverwaltungsverfahren: BSGE 67, 146; Vogelgesang, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 24 Rn. 34. Andere Ansicht: Mrozynski, in: Mrozynski, SGB I, § 51 Rn. 22 ff. 924  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 28 Rn. 23; Wünsch, in: Koenig, AO, § 91 Rn. 7.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Das SGB X enthält kein dem § 28 Abs. 3 VwVfG und dem § 91 Abs. 3 AO entsprechendes Anhörungsverbot bei Entgegenstehen eines zwingenden öffentlichen Interesses. Doch auch im Sozialverwaltungsverfahren scheidet eine Anhörung in derartigen Fällen aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null aus, weshalb faktisch kein Unterschied besteht.925 V. Mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage gemäß § 364a AO Gemäß § 364a AO hat der Einspruchsführer die Möglichkeit, die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage vor Erlass der Einspruchsentscheidung zu beantragen. Diesem Antrag „soll“ die Finanzbehörde stattgeben. § 364a AO eröffnet also gebundenes Ermessen, wonach im Regelfall ein Anspruch auf die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage besteht.926 Hierin liegt die Bedeutung der Regelung, denn auch vor deren Existenz konnten die Finanzbehörde oder der Einspruchsführer auf eine mündliche Erörterung des Sach- und Streitstandes hinwirken, ohne dass allerdings ein derartiger Anspruch des Einspruchsführers bestand.927 Der Anspruch auf mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage dient sowohl dem rechtlichen Gehör des Einspruchsführers als auch der Sachaufklärung.928 Sie soll zu einer möglichst einvernehmlichen Entscheidung im Einspruchsverfahren führen und somit die Finanzgerichte entlasten.929 Die in § 364a AO vorgesehene Möglichkeit, die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage vor Erlass der Einspruchsentscheidung zu beantragen, ist in vielerlei Hinsicht sinnvoll. Die Anhörung unterbleibt im Veranlagungsverfahren häufiger als in sonstigen Verwaltungsverfahren.930 Sie kann durch die Erörterung gemäß § 364a AO mit heilender Wirkung nachgeholt werden.931 Außerdem führt die besondere Fehleranfälligkeit des Veranlagungsverfahrens zu einer erweiterten Rechtsschutzfunktion des Einspruchsverfah925  Bartels,

Die Anhörung Beteiligter im Verwaltungsverfahren, S. 96. in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364a AO Rn. 25; Rätke, in: Klein, AO, § 364a Rn. 2. 927  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364a AO Rn. 3; Rätke, in: Klein, AO, § 364a Rn. 1. 928  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364a AO Rn. 8 ff.; Cöster, in: Koenig, AO, § 364a Rn. 1 f. 929  BT-Drs. 12 / 7427 S. 37; Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364a AO Rn. 2; Rätke, in: Klein, AO, § 364a Rn. 1. 930  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 22, 196; Hermes, Schadensersatz bei der Amtspflichtverletzung durch den Finanzbeamten, DStZ 1996, 9 (12); Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 91 Rn. 3. 931  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364a AO Rn. 20. 926  Birkenfeld,



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren173

rens und vermag erweiterte Verfahrensrechte zu rechtfertigen. Schließlich bleiben außergewöhnlich viele Einsprüche unerledigt, wogegen die münd­ liche Erörterung helfen kann.932 VI. Gelegenheit zur Teilnahme an der Beweisaufnahme, § 365 Abs. 2 AO Ein weiteres über § 91 AO hinausgehendes Mitwirkungsrecht im Einspruchsverfahren begründet § 365 Abs. 2 AO.933 Hiernach können die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten und Beistände in bestimmten Fällen an der Beweisaufnahme teilnehmen. Auch diese Regelung stellt einen Ausgleich für die Fehleranfälligkeit des Veranlagungsverfahrens und die hierin häufig unterbleibende Anhörung dar. VII. Auskunftsansprüche, Akteneinsicht und Informationszugang Die Verfahrensbeteiligten können an der Ermittlung des Sachverhalts nur dann hinreichend mitwirken, wenn ihnen alle Umstände des Verfahrens bekannt sind. Diesen Ansprüchen kommt, wie den sonstigen Verfahrensrechten, ein hoher verfassungsrechtlicher Stellenwert zu.934 Bei ihrer Ausgestaltung hat der Gesetzgeber daher die Interessen des Ersuchenden mit privaten und staatlichen Geheimhaltungsinteressen, aber auch mit Erwägungen der Verwaltungseffizienz und -praktikabilität in Ausgleich zu bringen.935 Dies hat der Gesetzgeber in verschiedenen Regelungsbereichen getan. Zu unterscheiden ist zwischen einem Akteneinsichtsrecht, einem Recht auf Informationszugang und Auskunftsansprüchen. Am weitreichendsten ist das Akteneinsichtsrecht, das Einsicht in die – mit Ausnahme der gegebenenfalls zu schwärzenden Teile – vollständige körperliche oder elektronische Akte ermöglicht.936 Auskunftsansprüche begründen ein Recht auf Information 932  2016 blieben 2.397.750 Einsprüche unerledigt (http: /  / www.bundesfinanzmi nisterium.de / Content / DE / Standardartikel / Themen / Steuern / Weitere_Steuerthemen /  Abgabeordnung / BMF_Anordnungen_Allgemeines / 2017-10-19-statistik-ueber-dieeinspruchsbearbeitung-in-den-finanzaemtern-jahr-2016-anlage.pdf?__blob=publi cationFile&v=1 (zuletzt aufgerufen am 30.06.18)). Birkenfeld, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364a AO Rn. 6 f. 933  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 365 AO Rn. 23. 934  Siehe S. 85. 935  BVerfGE 120, 351 (364 f.); Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens /Bonk  / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 56; Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 25 Rn. 1 ff. 936  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 34; Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 25 Rn. 11; Wünsch, in: Koenig, AO, § 91 Rn. 23.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

über verarbeitete personenbezogene Daten, ohne dass eine spezifische Informationsform vorgegeben ist.937 Informationszugangsansprüchen kann zwar durch Akteneinsicht entsprochen werden, dies ist jedoch nicht zwingend.938 Auskunftserteilung oder Information in sonstiger Weise sind ebenfalls möglich. 1. Auskunftsansprüche Mit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung besteht in allen drei außergerichtlichen Vorverfahren gemäß Art. 15 DSGVO ein Auskunftsanspruch.939 Die Vorverfahrensführer haben das Recht, von den Vorverfahrensbehörden eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Ist dies der Fall, ist gemäß Art. 15 Abs. 1 S. 2 a-h DSGVO über diese personenbezogenen Daten und weitere genannte Informationen Auskunft zu erteilen. Art. 15 Abs. 3 DSGVO bestimmt i. V. m. Art. 12 DSGVO die Art und Weise der Auskunftserteilung. Der Verantwortliche stellt gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Die Übermittlung der Informationen erfolgt nach Art. 12 Abs. 2 DSGVO schriftlich oder in anderer Form. Stellt die betroffene Person den Antrag elektronisch, so sind die Informationen gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 3 DSGVO grundsätzlich in einem gängigen elektronischen Format zur Verfügung zu stellen. Falls von der betroffenen Person verlangt, kann die Information mündlich erteilt werden, sofern die Identität der betroffenen Person in anderer Form nachgewiesen wurde, Art. 12 Abs. 1 S. 3 DSGVO. Es handelt sich somit nicht um einen Anspruch auf Herausgabe von Dokumenten, sondern um ein Recht auf Datenkopie.940 Die Akteneinsichtsrechte gemäß § 29 VwVfG und § 25 SGB X sind somit weitergehender und spezieller, da sie komplette Akteneinsicht in Form der Gestattung der Einsichtnahme ermöglichen und nicht nur konkrete zur Person gespeicherten Daten betreffen.941 937  Bäcker,

in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, § 12 DSGVO Rn. 17. Abs. 2 IFG  Bund; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 20; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 126a. 939  Außerdem werden Informationspflichten (Art. 13 und 14 DSGVO) statuiert. Diese kommen vordergründig im Ausgangsverwaltungsverfahren zum Tragen. 940  EuGH Rs. C-141 / 12 und C-372 / 12 Rn. 58; Bäcker, in: Kühling / Buchner, DSGVO / BDSG, Art. 15 DSGVO Rn. 1. 941  Dammann, in: Simitis, BDSG, § 1 Rn. 195; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens /  Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 34. Die Datenschutzgesetze einiger Bundesländer stellen es in das Ermessen der ersuchten Behörde, anstelle der Auskunftserteilung Akteneinsicht zu gewähren, § 11 Abs. 2 BbgDSG, § 33 Abs. 4 S. S. 2 HDSIG, § 15 938  § 1



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren175

Die Mitgliedstaaten dürfen gemäß Art. 23 Abs. 1 DSGVO bereichsspezifische Beschränkungen des Art. 15 DSGVO normieren.942 Die DatenschutzGrundverordnung gewährt grundsätzlich einen voraussetzungslosen Auskunftsanspruch.943 Beschränkungen müssen den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten wahren, notwendig und verhältnismäßig sein. Das Auskunftsrecht muss die Regel, die Beschränkung die Ausnahme sein.944 a) Allgemeines Widerspruchsverfahren Das Auskunftsrecht im allgemeinen Widerspruchsverfahren wird in § 34 BDSG und in entsprechenden Regelungen der Bundesländer945 ausgestaltet und beschränkt.946 Auskunft ist nicht zu erteilen, wenn ein überwiegendes berechtigtes Inte­ resse eines Dritten auf Geheimhaltung besteht, § 34 Abs. 1 i. V. m. § 29 Abs. 1 S. 2 BDSG bzw. § 34 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 i. V. m. § 29 Abs. 1 S. 1 BDSG. § 34 Abs. 1 Nr. 1 BDSG bezieht sich auf § 33 Abs. 1 BDSG, der wiederum auf Art. 14 Abs. 5 DSGVO verweist. Hiernach ist insbesondere dann keine Auskunft zu erteilen, wenn die betroffene Person bereits über die Informationen verfügt und die Erteilung dieser Informationen sich als unmöglich erweist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand bereitet. Dies gilt in der Regel, wenn die personenbezogenen Daten für im öffent­ lichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke verarbeitet werden. Würde durch die Auskunftserteilung die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der ersuchten Behörde liegenden Aufgaben im Sinne des Art. 23 Abs. 1 DSGVO gefährdet, wird das Auskunftsrecht ebenfalls eingeschränkt, § 34 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 1a BDSG. Von der Auskunftserteilung wird ferner abgesehen, wenn sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Abs. 1 S. 4 DSG LSA, § 9 Abs. 4 LDSG SH. § 18 Abs. 3 S. 1 SächsDSG eröffnet kein Ermessen, wenn die personenbezogenen Daten in Akten gespeichert sind, die zur betroffenen Person geführt werden. In diesem Fall kann die betroffene Person Akteneinsicht verlangen. 942  Bäcker, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, Art. 15 DSGVO Rn. 2. 943  Ausschussdrucksache 18(11)1060 S. 22. 944  Ausschussdrucksache 18(11)1060 S. 23. 945  § 9 LDSG BW, Art. 10 BayDSG, § 43 BlnDSG, § 11 BbgDSG, § 9 BremDSGVOAG, § 16 HmbDSG, § 33 HDSIG, § 6 DSG M-V, § 9 NDSG, § 12 DSG NRW, § 12 LDSG RP, § 11 DSG SL, § 18 SächsDSG, § 15 DSG LSA, § 9 LDSG SH und § 21 ThürDSG. 946  Golla, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, § 34 BDSG Rn. 1.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Nachteile bereiten würde, § 34 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 1b BDSG. Sind die Daten nur deshalb gespeichert, weil sie auf Grund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen, oder dienen sie ausschließlich Zwecken der Datensicherung oder der ­Datenschutzkontrolle, scheidet die Auskunft ebenfalls regelmäßig aus, § 34 Abs. 1 Nr. 2a und b BDSG. Bezieht sich die Auskunftserteilung auf Daten von Verfassungsschutzbehörden, dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst und, soweit die Sicherheit des Bundes berührt wird, anderer Behörden des Bundesministeriums der Verteidigung, ist sie nur mit Zustimmung dieser Stellen zulässig, § 34 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 BDSG. Im Falle der Ablehnung der Auskunftserteilung bestehen gemäß § 34 Abs. 2 S. 1 und 2 BDSG Dokumentations- und Begründungspflichten. Die Mitwirkung des Bundesbeauftragten für Datenschutz wird in § 34 Abs. 3 BDSG geregelt. Sind die Daten nicht automatisiert oder nicht in nicht automatisierten Dateisystemen gespeichert, wird die Auskunft nur erteilt, soweit die betroffene Person Angaben macht, die das Auffinden der Daten ermög­ lichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem von der betroffenen Person geltend gemachten ­Informationsinteresse steht, § 34 Abs. 4 BDSG. b) Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren § 83 SGB X regelt, wann das Recht auf Auskunft im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren nicht besteht und wie dieses ausgeführt wird. Die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes treten zurück.947 § 83 SGB X ist die Parallelregelung zu § 34 BDSG.948 § 83 Abs. 1 Nr. 1 SGB X verweist i. V. m. § 82a Abs. 1 SGB X auf Art. 14 Abs. 5 DSGVO. Es ist insbesondere dann keine Auskunft zu erteilen, wenn die betroffene Person bereits über die Informationen verfügt und die Erteilung dieser Informationen sich als unmöglich erweist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand bereitet. Die Notwendigkeit der ordnungsgemäßen Erfüllung der in der Zuständigkeit der ersuchten Behörde liegenden Aufgaben im Sinne des Art. 23 Abs. 1 DSGVO schränkt das Auskunftsrecht ein, § 83 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 82a Abs. 1 Nr. 1a SGB X. Im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren kommt insbesondere der Bereich der sozialen Sicherheit gemäß Art. 23 Abs. 1e DSGVO zum Tragen.949 Die Auskunftserteilung darf 947  § 1

Abs. 2 S. 1 BDSG; BT-Drs. 18 / 12611 S. 120. 18 / 12611 S. 120. 949  Ausschussdrucksache 18(11)1060 S. 25; Bieresborn, Sozialdatenschutz nach Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung, NZS 2018, 10 (11). 948  BT-Drs.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren177

die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährden, § 83 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 82a Abs. 1 Nr. 1b SGB X. Dem Auskunftsersuchen kann gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 82a Abs. 1 Nr. 2 SGB X nur entsprochen werden, wenn kein überwiegendes berechtigtes Interesse eines Dritten auf Geheimhaltung besteht. Werden Daten nur aus den in § 83 Abs. 1 Nr. 2a und b SGB X genannten Gründen gespeichert, erfolgt in der Regel keine Auskunftserteilung. Über Daten von Behörden, die ein besonderes Sicherheitsbedürfnis haben, wird nur mit deren Zustimmung Auskunft erteilt, § 83 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 82a Abs. 5 SGB X. Die Art der Sozialdaten, über die Auskunft erteilt werden soll, ist gemäß § 83 Abs. 2 S. 1 SGB X zu bezeichnen. Bei der Auskunft über nicht automatisierte Daten bestehen nach § 83 Abs. 2 S. 2 SGB X Auskunftsbeschränkungen. Die Auskunftserteilung kann, sofern Angaben über gesundheitliche Verhältnisse gemacht werden, durch einen Arzt erfolgen, § 83 Abs. 2 S. 4 SGB X i. V. m. § 25 Abs. 2 SGB X. Gemäß § 83 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB X ist die Auskunftsverweigerung zu dokumentieren und zu begründen. § 83 Abs. 4 SGB X eröffnet die Möglichkeit der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die zuständigen Datenschutzbeauftragten. c) Einspruchsverfahren Vor Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung bestand im Einspruchsverfahren im Falle eines Auskunftsersuchens lediglich ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung. Die Ermessensausübung wurde in einem BMF-Schreiben zur Erteilung von Auskünften über Daten, die zu einer Person im Besteuerungsverfahren gespeichert sind, konkretisiert.950 Die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder waren daneben nicht anwendbar. Den Ländern fehlt die Gesetzgebungskompetenz für das Steuerverwaltungsverfahren.951 Der Gesetzgeber hat außerdem durch die Entscheidung, kein Auskunftsrecht in die Abgabenordnung aufzunehmen, eine Sperrwirkung gegenüber den Datenschutzgesetzen bewirkt.952 Im Gesetzgebungsverfahren zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens sah der Diskussionsentwurf von Bund und Ländern in §§ 32a ff. AO-E 950  BMF

vom 17.12.2008, BStBl. I 2009 S. 6 Nr. 6. in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 126. Andere Ansicht: Schwarz, Datenschutzrechtliche Normen im Steuerrecht und Steuerstatistikrecht S. 118 ff., 126 ff., 463. 952  BFHE 202, 231 (238 f.); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364 Rn. 62; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 126. Andere Ansicht: Schwarz, Datenschutzrechtliche Normen im Steuerrecht und Steuerstatistikrecht S. 463. 951  Söhn,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

einen Auskunftsanspruch vor, der weitgehend mit dem Auskunftsanspruch gemäß § 19 BDSG a. F. übereinstimmte.953 Dieser Vorschlag wurde in diversen Stellungnahmen von Berufsverbänden ausdrücklich begrüßt.954 Aufgrund der Computerisierung des Besteuerungsverfahrens werden Daten häufig von Dritten elektronisch an die Finanzbehörden übermittelt. Hat der Steuerpflichtige keinerlei Auskunftsanspruch, kann er die drittübermittelten Daten nicht überprüfen.955 Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Auskunftsanspruch jedoch gestrichen. Grund hierfür war die bereits erlassene jedoch noch nicht in Kraft getretene Datenschutz-Grundverordnung.956 Alle bestehenden nationalen datenschutzrechtlichen Regelungen sollten sodann auf ihre Kongruenz mit der Verordnung geprüft werden.957 Der nun geltende Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO kommt auch im Besteuerungsverfahren zur Anwendung.958 Ausnahmen von diesem Auskunftsrecht und die Anforderungen an die Auskunftserteilung hat der nationale Gesetzgeber gemäß Art. 23 Abs. 1 DSGVO bereichsspezifisch in § 32c Abs. 1 AO bestimmt.959 Die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes kommen daneben nicht zur Anwendung.960 § 32c AO entspricht grundsätzlich § 34 BDSGB.961 953  http: /  / www.bundesfinanzministerium.de / Content / DE / Standardartikel / The men / Steuern / 2014-11-21-Modernisierung-des-Besteuerungsverfahrens-Diskussions entwurf-Anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (zuletzt geöffnet am 01.10.16). 954  Anzinger / Buchwald / Drüen / Rauhöft / Trossen, in: Richter / Welling, Tagungsund Diskussionsbericht zum 56. Berliner Steuergespräch „Die Reform der Abgabenordnung“ am 21.9.2015, FR 2015, 1014 (1015 f., 1019 f.); Stellungnahme Deutscher Richterbund unter http: /  / www.drb.de / cms / fileadmin / docs / Stellungnahmen / 2015 /  DRB_150129_Stn_Nr_04_Modernisierung_Besteuerungsverfahren.pdf B. Bewertung im Einzelnen zu 5.6: „wird .… begrüßt“. Stellungnahme Deutscher Steuerberaterverband unter http: /  / www.dstv.de / interessenvertretung / steuern / stellungnahmen-steuern /  2015-s-02-diskussionsentwurf-modernisierung-des-besteuerungsverfahrens (zuletzt aufgerufen am 30.06.18) S. 56: „unbedingt einzuführen“. Stellungnahme Deutscher Anwaltsverein unter http: /  / anwaltverein.de / de / newsroom / sn-04-15 (zuletzt aufgerufen am 30.06.18) S. 15 f.: „ist zu begrüßen“. 955  Rauhöft / Trossen, in: Richter / Welling, Tagungs- und Diskussionsbericht zum 56. Berliner Steuergespräch „Die Reform der Abgabenordnung“ am 21.9.2015, FR 2015, 1014 (1019 f.). 956  Genauer: Verordnung (EU) 2016 / 679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95 / 46 / EG, ABl. 2016 L 119, 1. 957  BT-Drs. 18 / 7457 S. 47 f. 958  BMF-Schreiben vom 12.01.2018, BStBl. I 2018, 185 Rn. 2. 959  BMF-Schreiben vom 12.01.2018, BStBl. I 2018, 185 Rn. 68. 960  BMF-Schreiben vom 12.01.2018, BStBl. I 2018, 185 Rn. 5. 961  BT-Drs. 18 / 12611 S. 87 f.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren179

Für den Fall, dass die betroffene Person bereits über die Informationen verfügt und die Erteilung dieser Informationen sich als unmöglich erweist oder einen unverhältnismäßigen Aufwand bereitet, sieht § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 1 S. 1 AO und Art. 14 Abs. 5 DSGVO keine Auskunft vor. Die Auskunftserteilung unterbleibt gemäß § 32c Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn sie den Rechtsträger der Finanzbehörde in der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche oder in der Verteidigung gegen ihn geltend gemachter zivilrechtlicher Ansprüche im Sinne des Artikels 23 Absatz 1j DSGVO beeinträchtigen würde. Auskunftspflichten der Finanzbehörde nach dem Zivilrecht bleiben unberührt. Die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Finanzbehörden im Sinne des Art. 23 Abs. 1 DSGVO kann der Auskunftserteilung gemäß § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1a AO entgegenstehen. Im Einspruchsverfahren betrifft dies insbesondere die Verwaltungsaufgaben im Steuerbereich.962 Von der Auskunftserteilung wird ferner abgesehen, wenn sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden würde, § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1b AO. Außerdem besteht kein Auskunftsrecht, wenn ein überwiegendes berechtigtes Interesse eines Dritten auf Geheimhaltung besteht, § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO. Sind Daten nur zur Aufbewahrung, Datensicherung oder Datenschutzkontrolle gespeichert, kann die Auskunftserteilung auch im Einspruchsverfahren ausscheiden, § 32c Abs. 1 Nr. 3a und b AO. Auskunft über Daten von bestimmten Sicherheitsbehörden wird auch im Einspruchsverfahren nur mit deren Zustimmung erteilt, § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 2 AO. Gemäß § 32c Abs. 2 AO sind die Art der Daten, über die Auskunft erteilt werden soll, näher zu bezeichnen. Über nicht automatisierte Daten wird nur im Falle der Mitwirkung bei der Auffindbarkeit und der Verhältnismäßigkeit Auskunft erteilt, § 32c Abs. 3 AO. Die Ablehnung der Auskunftserteilung ist gemäß § 32c Abs. 4 S. 1 AO zu begründen. Die Mitwirkung des Bundesbeauftragten für Datenschutz wird in § 32c Abs. 5 AO geregelt. d) Vergleich Die Auskunftsrechte, die der nationale Gesetzgeber gemäß Art. 23 Abs. 1 DSGVO bereichsspezifisch in § 34 BDSG, § 83 SGB X und § 32c AO und durch umfassende Verweisungen auf andere Normen ausgestaltet hat, sind weitestgehend deckungsgleich.963 Dies betrifft sowohl die Ausnahmen vom Auskunftsrecht als auch die Art der Auskunftserteilung. Bei den genannten 962  Erkis, Die neuen steuerlichen Datenschutzrechte im Besteuerungsverfahren, DStR 2018, 161 (162). 963  BT-Drs. 18 / 12611 S. 87 f., 120.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Ausnahmen vom Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO handelt es sich um Regelbeispiele,964 die Art. 23 Abs. 1 DSGVO konkretisieren. Bei ihrer Auslegung und Anwendung muss aufgrund der Beschränkungen des Datenschutzes der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt werden.965 Ein Unterschied im Besteuerungsverfahren, besteht darin, dass die Auskunftserteilung gemäß § 32c Abs. 1 Nr. 2 AO unterbleibt, wenn sie den Rechtsträger der Finanzbehörde in der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche oder in der der Verteidigung gegen ihn geltend gemachter zivilrechtlicher Ansprüche im Sinne des Art. 23 Abs. 1j DSGVO beeinträchtigen würde. Auskunftspflichten der Finanzbehörde nach dem Zivilrecht bleiben unberührt. Derartige zivilrechtliche Ansprüche können z. B. Amtshaftungsansprüche, Schadenersatzansprüche oder Insolvenzanfechtungsansprüche sein.966 Die Regelung ist notwendig, um Finanzbehörden zur Sicherung des öffentlichen Interesses im Haushalts- und Steuerbereich hinsichtlich zivilrechtlicher Forderungen anderen Schuldnern oder Gläubigern gleichzustellen.967 Zwar kommen haushalterische Interessen auch in den anderen Bereichen des Verwaltungsrechts zum Tragen. Aufgrund der herausragenden Bedeutung von Steuern als primärer Einnahmequelle des Staates ist es jedoch gleichheitsrechtlich und rechtspolitisch nicht zu beanstanden, diese Ausnahme des grundrechtsbedeutenden Auskunftsrechts auf die Abgabenordnung zu beschränken. Gemäß § 83 Abs. 2 S. 1 SGB X und § 32c Abs. 2 AO sind die Art der Daten, über die Auskunft erteilt werden soll, näher zu bezeichnen. Eine entsprechende Regelung war vor Inkrafttreten der DSGVO in § 19 Abs. 1 S. 2 BDSG a. F. enthalten. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ist kein Grund für die Streichung ersichtlich. Abgeschwächt wird der Unterschied zwischen den Regelungen dadurch, dass es sich bei den § 83 Abs. 2 S. 1 SGB X und § 32c Abs. 2 AO um Sollvorschriften handelt. Die Bezeichnung der Art der Daten dient den Interessen der ersuchten Behörde im Bereich der Massenverwaltung, wobei dies insbesondere dann gilt, wenn die personenbezogenen Daten aus mehreren Jahren stammen.968 Insofern ist das Fehlen einer entsprechenden Regelung im Bundesdatenschutzgesetz gleichheitsrechtlich unbedenklich. § 18 Abs. 2 SächsDSG und § 15 Abs. 1 S. 2 DSG LSA enthalten den 964  Golla, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, § 34 BDSG Rn. 2; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 26. 965  Bieresborn, Sozialdatenschutz nach Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung, NZS 2018, 10; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 26. 966  BMF-Schreiben vom 12.01.2018, BStBl. I 2018, 185 Rn. 48. 967  BT-Drs. 18 / 12611 S. 88; Rosenke, in: Pfirrmann / Rosenke / Wagner, AO, § 32c. 968  Baum, Datenschutz im Steuerverwaltungsverfahren ab dem 25.5.2018 NWB 2017, 3281 (3284).



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren181

§ 83 Abs. 2 S. 1 SGB X und § 32c Abs. 2 AO entsprechende Sollvorschriften. § 12 Abs. 1 DSG NRW und § 9 Abs. 2 LDSG BW sehen eine Präzisierungspflicht der auskunftsersuchenden Person nur vor, sofern die Widerspruchsbehörde große Mengen von Informationen über sie verarbeitet. Aus der künftigen Auskunftserteilungspraxis im Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes wird sich zeigen, ob aus rechtspolitischen Gründen eine der nordrheinwest­ fälischen und baden-württembergischen Regelung entsprechenden Präzisierungspflicht einzuführen ist. Eine grundsätzliche Präzisierungspflicht entsprechend § 19 Abs. 1 S. 2 BDSG a. F. erscheint außerhalb der Massenverwaltung aufgrund der besonderen Bedeutung der Auskunftserteilung jedoch zu weitreichend. Gemäß § 83 Abs. 2 S. 4 SGB X gilt § 25 Abs. 2 SGB X entsprechend. Diese Regelung dient dem Schutz des Betroffenen, indem Auskünfte über gesundheitliche Verhältnisse von einem Arzt erteilt werden.969 Es handelt sich um eine nicht zu beanstandende sozialrechtliche Besonderheit. Nach § 34 Abs. 2 S. 1 BDSG und § 83 Abs. 3 S. 1 SGB X sind im Gegensatz zu § 32c Abs. 4 AO die Gründe der Auskunftsverweigerung zu dokumentieren. Die Dokumentation kann entweder schriftlich oder elektronisch erfolgen.970 Die Dokumentationspflicht dient dazu, der Aufsichtsbehörde die Kontrolle über die Rechtmäßigkeit der Auskunftsverweigerung zu ermöglichen.971 Sie schützt somit die Interessen der ersuchten Behörde, die so gegenüber der Aufsichtsbehörde nachweisen kann, dass die Auskunftsverweigerung rechtmäßig war, und betrifft somit den verwaltungsinternen Bereich. Die Dokumentation ist nicht für die Kenntnis der auskunftsersuchenden Person bestimmt.972 Den Interessen des Bürgers wird durch die Begründungspflicht hinreichend Rechnung getragen. Ein Fehlen der Dokumenta­ tionspflicht in der Abgabenordnung verstößt daher nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Aus der anstehenden Praxis der Finanzbehörden im Bereich der Auskunftsersuchen wird sich zeigen, ob eine Dokumentationspflicht in deren Interesse liegen wird und künftig ebenfalls in die Abgabenordnung aufgenommen werden sollte oder ob im Bereich der Massenverwaltung nach wie vor von ihr abgesehen werden kann. § 6 DSG M-V, § 9 NDSG, § 18 SächsDSG, § 15 DSG LSA und § 21 ThürDSG enthalten wie § 32c AO keine Pflicht zur Dokumentation der Auskunftsverweigerung. Eine Dokumenta­ tionspflicht nur für den Fall der fehlenden Begründung der Ablehnung der 969  BT-Drs. 18 / 12611 S. 120; Bieresborn, Sozialdatenschutz nach Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung, NZS 2018, 10 (12). 970  Golla, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, § 34 BDSG Rn. 16. 971  BT-Drs. 18 / 11325 S. 104; Golla, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, § 34 BDSG Rn. 16. 972  Schmidt-Wudy, in: Wolff / Brink, Datenschutzrecht, § 34 BDSG Rn. 43.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Auskunftserteilung enthalten § 9 Abs. 4 S. 2 LDSG BW, § 11 Abs. 4 S. 2 BbgDSG, § 9 Abs. 3 S. 2 BremDSGVOAG, § 12 Abs. 3 S. 2 LDSG RP, § 16 Abs. 2 S. 2 HmbDSG, § 11 Abs. 3 S. 5 DSG SL und § 9 Abs. 3 S. 4 LDSG SH. 2. Akteneinsichtsrecht Es ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen die Verfahrensgesetze den Beteiligten ein Recht auf Akteneinsicht einräumen. Akteneinsicht wird durch Lesen und Inaugenscheinnahme der körperlichen und / oder elek­ tronischen Akte realisiert.973 a) Allgemeines Verwaltungsverfahren Beteiligte am allgemeinen Verwaltungsverfahren haben gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG ein Recht auf Akteneinsicht, sofern die Kenntnis der Akten zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Dies gilt auch für das Widerspruchsverfahren.974 Die Behörde ist zur Gestattung der Akteneinsicht allerdings gemäß § 29 Abs. 2 VwVfG nicht verpflichtet, soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben beeinträchtigt oder das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder soweit die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen, geheim gehalten werden müssen. Liegt keiner dieser Ausnahmetatbestände vor, hat die Behörde kein Ermessen bei der Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht. Es besteht vielmehr ein Anspruch des Beteiligten auf Akteneinsicht.975 Beim Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes ist die Gewährung der Akteneinsicht allerdings nicht schlechthin verboten. Die Behörde entscheidet vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen, ob sie dennoch Akteneinsicht gewährt.976 Das so in § 29 VwVfG bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis wird als Prinzip der begrenzten Aktenöffentlichkeit bezeichnet.977 Soweit in Verwaltungsverfahren von mehr als 50 Personen nach den §§ 17 und 18 VwVfG eine Vertretung stattfindet, haben gemäß § 29 Abs. 1 S. 3 973  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 34; Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 25 Rn. 11; Wünsch, in: Koenig, AO, § 91 Rn. 23. 974  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 8 Rn. 17. 975  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 57. 976  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 56. 977  von Stöcker, Verfassungswidriges Versagen der Akteneinsicht, AO-StB 2002, 161 (163).



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren183

VwVfG nur die Vertreter und nicht die Vertretenen Anspruch auf Akteneinsicht. Dies dient dem besonderen Bedürfnis der Verwaltungseffizienz978 in Fällen der so genannten echten Massenverfahren.979 Dennoch kann die Behörde den vertretenen Beteiligten auch in Massenverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen Akteneinsicht einräumen.980 § 29 Abs. 3 VwVfG regelt Ort und Art der Akteneinsicht. S. 1 bestimmt, dass die Akteneinsicht grundsätzlich bei der Behörde erfolgt, die das Verfahren führt.981 Dies dient der effizienten Verfahrensgestaltung.982 Gemäß S. 2 Hs. 1 kann die Einsicht im Einzelfall auch bei einer anderen Behörde oder bei einer diplomatischen oder berufskonsularischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland erfolgen. Nach S. 2 Hs. 2 kann die Behörde, die die Akten führt, weitere Ausnahmen gestatten. Diese Regelung ermöglicht insbesondere das Überlassen oder Übersenden der Akten an den Rechtsanwalt, obwohl diese Möglichkeit im Vergleich zu § 100 Abs. 2 S. 2 VwGO nicht ausdrücklich genannt wird.983 Die Landesverwaltungsverfahrensgesetze der Länder Bayern und Bremen sehen die Herausgabe der Akten an Organe der Rechtspflege ausdrücklich vor.984 In Berlin kann die Akte gemäß § 4a Abs. 3 BlnVwVfG nur bei der Behörde, die diese führt, eingesehen werden. § 4a Abs. 1 BlnVwVfG erweitert jedoch das Akteneinsichtsrecht im Gegensatz zu § 29 Abs. 1 VwVfG Bund, der nur Einsicht in die Akten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung von rechtlichen Interessen erforderlich ist, gestattet, dahingehend, dass alle Verfahrensakten erfasst werden.985 § 29 VwVfG und entsprechende Regelungen der LandesVwVfGe enthalten keine Regelung über die Art und Weise der Einsicht in elektronische Akten. Für die Bundesverwaltung wird § 29 VwVfG Bund jedoch durch § 8 EGovG ergänzt, wonach die Akteneinsicht durch Aktenausdruck (Nr. 1), durch Wiedergabe der elektronischen Dokumente auf einem Bildschirm (Nr. 2), durch Übermittlung der elektronischen Dokumente (Nr. 3) oder durch Gestattung des elektronischen Zugriffs auf den Inhalt der Akten (Nr. 4) erfol978  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 54. Vgl. auch Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 17 Rn. 1. 979  BT-Drs.  7 / 4494 S. 7. Zum Begriff „Massenverfahren“: Schmitz, in: Stelkens /  Bonk / Sachs, VwVfG, § 17 Rn. 6. 980  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 54. 981  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 29 Rn. 40. 982  Engel, in: Mann / Sennekamp / Uechtritz, VwVfG, § 29 Rn. 66. 983  BT-Drs.  7 / 910 S. 53; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 81. 984  Art. 29 Abs. 3 S. 2 BayVwVfG; § 29 Abs. 3 S. 3 BremVwVfG. 985  Musil / Kirchner, Das Recht der Berliner Verwaltung, Rn. 183.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

gen kann.986 In Mecklenburg-Vorpommern enthält § 29 Abs. 4 VwVfG eine identische Regelung. Der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO ist neben dem Akteneinsichtsrecht gemäß § 29 VwVfG anwendbar.987 b) Sozialverwaltungsverfahren Das Akteneinsichtsrecht ist in § 25 SGB X geregelt, der auf das Widerspruchsverfahren anwendbar ist.988 Im Sozialverwaltungsverfahren gilt danach ebenfalls das Prinzip der beschränkten Aktenöffentlichkeit.989 Gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Sie ist gemäß § 25 Abs. 3 SGB X auch im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren nicht zur Gestattung von Akteneinsicht verpflichtet, soweit die Vorgänge wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheim gehalten werden müssen. Ist dieser Ausnahmetatbestand nicht erfüllt, verfügt die Behörde bezüglich der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht nicht über Ermessen. Im Sozialverwaltungsverfahren besteht also ebenfalls ein Anspruch auf Akteneinsicht.990 Liegt der Ausnahmetatbestand vor, kann die Behörde dennoch nach pflichtgemäßem Ermessen Akteneinsicht gewähren. § 25 Abs. 2 SGB X regelt die Art der Übermittlung des Inhalts der Akten, wenn diese Angaben über gesundheitliche Verhältnisse eines Beteiligten enthalten. So kann die Behörde in diesen Fällen den Inhalt der Akte durch einen Arzt vermitteln lassen und soll dies sogar, soweit zu befürchten ist, dass der Beteiligte durch die Akteneinsicht erstmals von einer schweren, unheilbaren oder lebensverkürzenden Krankheit erfährt.991 § 25 Abs. 2 S. 4 SGB X stellt klar, dass das Akteneinsichtsrecht des Absatzes 1 hierdurch nicht beschränkt wird. Es handelt sich vielmehr um besondere Verfahrensbestimmungen zum Schutze des Betroffenen.992 § 25 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB X gelten gemäß § 25 986  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 29 Rn. 42; Ritgen, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 29 Rn. 122. 987  Vgl. Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 34. 988  Roller, Probleme der Akteneinsicht im Sozialverwaltungsverfahren, NZS 2013, 761 (763). 989  Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 25 Rn. 2. 990  Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 25 Rn. 7. 991  BT-Drs.  8 / 2034 S. 32; Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 25 Rn. 11; Siefert, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 25 Rn. 30. 992  Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 25 Rn. 10.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren185

Abs. 2 S. 3 SGB X entsprechend, soweit die Akten Angaben enthalten, die die Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit des Beteiligten beeinträchtigen können, wobei die Bekanntgabe des Inhalts der Akte in diesem Fall nicht durch einen Arzt erfolgen muss, sondern durch einen Bediensteten der Behörde vermittelt werden kann, der durch Vorbildung sowie Lebens- und Berufserfahrung dazu geeignet und befähigt ist. Im Vergleich zu § 29 VwVfG sieht § 25 Abs. 3 SGB X bei der Gefährdung des Wohles des Bundes oder eines Landes keine Ausnahme vom Akteneinsichtsrecht vor. § 25 Abs. 4 SGB X, der Aussagen darüber trifft, bei welcher Behörde die Akteneinsicht erfolgt, entspricht § 29 Abs. 3 VwVfG, gilt jedoch gemäß § 84a SGG für das Widerspruchsverfahren nicht. Die Akteneinsicht soll vielmehr wie im gerichtlichen Verfahren möglich sein.993 Dort besteht gemäß § 120 Abs. 2 S. 2 SGG kein Anspruch auf Aktenübersendung, sondern nur auf pflichtgemäße Ermessensausübung des Gerichtsvorsitzenden.994 Dies gilt also auch für das Widerspruchsverfahren.995 § 25 Abs. 5 SGB X regelt die Art und Weise der Akteneinsicht. Gemäß S. 1 können sich Beteiligte Auszüge oder Abschriften selbst fertigen oder sich Ablichtungen durch die Behörde erteilen lassen. S. 2 normiert das Einsichtsrecht in elektronische Akten und ist mit § 8 EGovG und § 29 Abs. 4 VwVfG M-V identisch.996 Der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO ist neben dem Akteneinsichtsrecht gemäß § 25 SGB X anwendbar.997 c) Zwischenvergleich Der Vergleich der Akteneinsichtsvorschriften zeigt, dass § 25 SGB X § 29 VwVfG entspricht, allerdings über diesen hinausgeht.998 So sind die Bestimmungen des § 25 Abs. 2 SGB X diesem eigen und in § 29 VwVfG nicht enthalten. Sie werden dem Umstand gerecht, dass im Sozialverwaltungsverfahren häufig sensible Angaben über die gesundheitlichen Verhältnisse der Beteiligten in den Akten enthalten sind.999 993  BT-Drs. 11 / 7817

S. 143. in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 120 Rn. 4. 995  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 84a Rn. 4. 996  Siehe S. § 32c Abs. 1 AO 178. 997  Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 83 Rn. 19. 998  Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 25 Rn. 2. 999  Vgl. Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 25 Rn. 10. 994  Keller,

186

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass in § 25 Abs. 3 SGB X bei der Gefährdung des Wohles des Bundes oder eines Landes keine Ausnahme vom Akteneinsichtsrecht vorgesehen ist. Dies liegt daran, dass das Bekanntwerden des Akteninhaltes im Sozialverwaltungsverfahren nicht dazu geeignet ist, diese Interessen zu gefährden.1000 Außerdem handelt es sich bei § 25 Abs. 5 SGB X um eine Regelung, die in § 29 VwVfG fehlt. Im allgemeinen Widerspruchsverfahren besteht kein Anspruch auf eigenständige Ablichtung oder Erteilung von Ablichtungen. Die Behörde entscheidet hierüber vielmehr nach ihrem Ermessen.1001 § 25 Abs. 5 SGB X entspricht sozialstaatlichen1002 Interessen und ist daher gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei § 84a SGG handelt es sich um eine widerspruchsspezifische Regelung zur Akteneinsicht, die die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 4 SGB X ausschließt. Wie im gerichtlichen Verfahren besteht ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung hinsichtlich der Aktenübersendung.1003 Der Gesetzgeber entschied sich hinsichtlich des allgemeinen Widerspruchsverfahrens gegen die Aufnahme der Aktenübersendungsmöglichkeit, da die Akten im laufenden Verwaltungsverfahren bei der Behörde benötigt werden und ein Überlassen der Akten daher nicht praktikabel sei.1004 § 84a SGG bietet daher im Vergleich zu § 29 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, wonach die Aktenüberlassung oder -versendung nur im Einzelfall zulässig sein soll, eine geringfügige Erleichterung bezüglich der Akteneinsicht. Dies dient insbesondere den Interessen der Rechtsanwälte.1005 Dennoch gestatten die Behörden auch im allgemeinen Widerspruchsverfahren üblicherweise im Rahmen ihres eingeräumten Ermessens1006 das Überlassen oder Übersenden der Akten an den Rechtsanwalt.1007 Durch diese Behördenpraxis macht sich dieser rechtliche Unterschied de facto nicht bemerkbar.

1000  BT-Drs. 8 / 4022 S. 81; von Stöcker, Verfassungswidriges Versagen der Akteneinsicht, AO-StB 2002, 161 (164). 1001  Dalichau, SGB X, § 25 IX; Ritgen, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 29 Rn. 88. Siehe: § 88 Abs. 5 SH LVwG. 1002  Wallerath, in: von Maydell / Ruland / Becker, SRH, § 11 Rn. 18. 1003  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 84a Rn. 4. 1004  BT-Drs. 7 / 910 S. 53; Ritgen, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 29 Rn. 86. 1005  Becher, Regelungen des Einigungsvertrages für die Sozialgerichtsbarkeit, SGb 1991 Teil B, 1 (3); Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 84a Rn. 3; Schmidt, in: MeyerLadewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 84a Rn. 2. 1006  OVG Magdeburg BeckRS 2012, 46101; Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 29 Rn. 40a; Ritgen, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 29 Rn. 86. 1007  Herrmann, in: Bader / Ronellenfitsch, VwVfG, § 29 Rn. 33. Vgl. auch Ramsauer, in: Kopp / ‌Ramsauer, VwVfG, § 29 Rn. 40a.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren187

Eine Besonderheit der Akteneinsicht im allgemeinen Verwaltungsverfahren betrifft die so genannten echten Massenverfahren gemäß §§ 17 f. VwVfG. Durch diese Regelungen soll der im allgemeinen Verwaltungsverfahren nur ausnahmsweise auftretenden Massenverwaltung gerecht werden. Die Zweck­ erreichung ist jedoch zu bezweifeln.1008 Die Anpassung der anderen Verfahrensgesetze sollte daher unterbleiben.1009 d) Finanzverwaltungsverfahren Eine § 29 VwVfG und § 25 SGB X entsprechende Vorschrift fehlt in der Abgabenordnung.1010 Es ist zu untersuchen, ob Akteneinsicht nach anderen Regelungen zu gewähren ist. Gemäß § 364 AO sind den Beteiligten, soweit es noch nicht geschehen ist, die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen mitzuteilen. Hierdurch sollen Mängel des Veranlagungsverfahrens, wenn etwa der Ausgangsverwaltungsakt nicht begründet wurde oder eine Anhörung nicht stattgefunden hat, kompensiert werden.1011 Die Finanzbehörde verfügt bezüglich der Erfüllung der Mitteilungspflicht nicht über Ermessen.1012 Der Begriff der „Unterlagen der Besteuerung“ ist weit zu verstehen. Darunter fallen alle Beweismittel und Beweisergebnisse, die für das Einspruchsverfahren einschlägig sein können, also auch Gutachten oder Schätzungsunterlagen.1013 § 364 AO gewährt jedoch kein Recht auf Akteneinsicht.1014 Andererseits schließt diese Norm ein Akteneinsichtsrecht auch nicht aus. Der Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsunterlagen und ein Anspruch auf Akteneinsicht stehen vielmehr nebeneinander.1015

1008  Schmitz,

in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 17 Rn. 1, 12. auch S. 133. 1010  BFHE 83, 490; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 10; Söhn, in: Hübsch­mann / Hepp / Spitaler, § 91 Rn. 124. 1011  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364 AO Rn. 6, 19, 30; Carl / Klos, Akteneinsicht im Steuerrecht, INF 16 (1994), 488 (488). 1012  Dißars, Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren, DStR 2005, 137(138); Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364 AO Rn. 2. 1013  FG Niedersachsen EFG 2006, 864 (864); Cöster, in: Koenig, AO, § 364 Rn. 5; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 364 AO Rn. 4. 1014  BFHE 202, 231 (233); Seer, in: Tipke / Kruse; AO / FGO, § 364 AO Rn. 5; Söhn, in: Hübschmann /Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 125. 1015  FG Düsseldorf EFG 2007, 1053 (1054). 1009  Siehe

188

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Die Abgabenordnung enthält in Form eines „absichtsvollen Regelungsverzichts“ keine § 29 VwVfG und § 25 SGB X entsprechende Regelung.1016 Obwohl die Finanzbehörden also nicht dazu verpflichtet sind, ist es ihnen nicht verwehrt, Akteneinsicht zu ermöglichen.1017 Bei einem Antrag auf Akteneinsicht hat der Einspruchsführer zumindest einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung.1018 Die Finanzbehörden müssen, wie auch im Rahmen der § 29 VwVfG und § 25 SGB X, die Interessen der Verwaltung und Dritter mit den Interessen des Antragstellers abwägen und in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringen.1019 Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 364 besagt, dass die Finanzbehörde Akteneinsicht gewähren kann, wenn sie es für zweckmäßig hält. Hierbei ist sicherzustellen, dass Verhältnisse eines anderen nicht unbefugt offenbart werden. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis ist im Vergleich zu § 29 VwVfG und § 25 SGB X umgekehrt. Akteneinsicht ist nur im Ausnahmefall zu gewähren.1020 Die Finanzbehörden üben ihr Ermessen demzufolge regelmäßig restriktiv aus.1021 Gemäß § 71 Abs. 2 FGO hat die Finanzbehörde dem Gericht die den Streitfall betreffenden Akten zu übermitteln. Die Beteiligten können in diese Akten, bezüglich derer im Veranlagungs- und Einspruchsverfahren nur ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung besteht, gemäß § 78 Abs. 1 FGO im gerichtlichen Verfahren Einblick nehmen. Sie haben daher 1016  BT-Drs. 7 / 4292 S. 25; BFHE 202, 231 (233); BFH / NV 2004, 511; FG Münster EFG 2003, 499 (501 f.); Dißars, Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren, DStR 2005, 137 (137); Günther, Anspruch auf Akteneinsicht, StB 2012, 491; Söhn, in: Hübschmann / ‌Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 124 ff. Andere Ansicht: Schwarz, Datenschutzrechtliche Normen im Steuerrecht und Steuerstatistikrecht S. 463 ff.; Seer, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 Rn. 30 ff. 1017  BFHE 202, 231 (233); BFH / NV 1996, 64; Birkenfeld, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364 AO Rn. 60. 1018  BFHE 83, 490 (492); 143, 503 (505); 202, 231 (233); Carl / Klos, Akteneinsicht im Steuerrecht, INF 16 (1994), 488; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 10. Da es sich nicht um den Bereich der Eingriffsverwaltung handelt, bedarf es für die Eröffnung von Ermessen keiner gesetzlichen Grundlage. Ermessen wird vielmehr schon aufgrund des Gleichbehandlungsgebots eröffnet: von Stöcker, Verfassungswidriges Versagen der Akteneinsicht, AO-StB 2002, 161 (164). Anders: FG Saarland EFG 1995, 156; Korn, Akteneinsicht und Informationsfreiheit im Steuerrecht, DÖV 2012, 232 (234); Schmidt-Liebig, Zum Recht auf Akteneinsicht beim Finanzamt, DStZ 1995, 558 (559). 1019  BFHE 143, 503 (505); Carl / Klos, Akteneinsicht im Steuerrecht, INF 16 (1994), 488 (489). 1020  BFHE 202, 231 (235); Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 91 AO Rn. 128. 1021  BFHE 143, 503 (505); Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 78 Rn. 1; von Stöcker, Verfassungswidriges Versagen der Akteneinsicht, AO-StB 2002, 161 (161).



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren189

häufig erst im gerichtlichen Verfahren Einsicht in die finanzbehördlichen Akten.1022 e) Vergleich Im Ergebnis ist daher als wesentlicher Unterschied zum allgemeinen und zum Sozialverwaltungsverfahren festzustellen, dass ein Akteneinsichtsrecht in der Abgabenordnung fehlt. Das Akteneinsichtsrecht ist stark verfassungsrechtlich determiniert.1023 Aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz kann ein Anspruch abgeleitet werden, bestimmte in der Akte enthaltene Umstände zu erfahren.1024 Dies umfasst jedoch keinen Anspruch auf eine bestimmte Art der Kenntniserlangung. Das Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO genügt daher dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,1025 ohne dass es eines gesetzlich geregelten Akteneinsichtsrechts bedarf. Der Unterschied zu § 29 VwVfG, § 25 SGB X und § 78 FGO muss jedoch gleichheitsrechtlichen und rechtspolitischen Bedenken standhalten. Die Ungleichbehandlung besteht im umgekehrten Regel-Ausnahme-Verhältnis, also darin, dass es eine Pflicht zur Gewährung von Akteneinsicht nicht gibt, sondern nur ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung anerkannt wird. Die analoge Anwendung anderer Normen – also z. B. des § 29 VwVfG – könnte die Ungleichbehandlung ausschließen, dies ist allerdings aufgrund des eindeutigen Willens des Gesetzgebers, also des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke, nicht möglich.1026 Zunächst könnte die Qualität der Steuerakten den Unterscheid zu den anderen Verfahrensgesetzen erklären. Es wird angeführt, Steuerakten enthielten häufig persönliche Informationen über Verfahrensbeteiligte und sogar über Dritte.1027 Die Akten im allgemeinen Verwaltungsrecht sind in der Regel 1022  Stapperfend,

in: Gräber, FGO, § 78 Rn. 1. S. 85. 1024  BVerfGE 120, 351 (359 ff.); Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 91 AO Rn. 30. 1025  Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 23 ff. 1026  BT-Drs. 7 / 4292 S. 25. Dißars, Das Recht auf Akteneinsicht der Beteiligten im Steuerrecht, NJW 1997, 481 (482); Dißars, Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren, DStR 2005, 137 (137); Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO /  FGO, § 91 AO Rn. 127. Andere Ansicht: Grundmann, Das Recht auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren, S. 122 ff. 1027  BT-Drs. 7 / 4292 S. 25; Dißars, Das Recht auf Akteneinsicht der Beteiligten im Steuerrecht, NJW 1997, 481 (481 f.). 1023  Siehe

190

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

projektbezogener Natur. Im Sozialverwaltungsverfahren hingegen enthalten die Akten meist gleichermaßen persönliche Daten.1028 Weiterhin enthalten die Steuerakten nicht häufiger Informationen, die dritte Personen betreffen, als Akten in den anderen Verwaltungsverfahren.1029 Außerdem wird argumentiert, bei den Steuerakten handle es sich um Unterlagen, die regelmäßig vom Einspruchsführer selbst stammen und bezüglich derer kein Bedürfnis der Einsicht bestehe.1030 Dagegen spricht jedoch, dass der Einspruchsführer, wenn er den Inhalt der Steuerakte kennt, die Akteneinsicht in der Regel nicht beantragen wird. Es erscheint nicht sinnvoll, dem Einspruchsführer etwas zu verwehren, worauf er im Klageverfahren gemäß § 78 FGO einen Anspruch hat. Zweck des Einspruchsverfahrens ist unter anderem die Entlastung der Finanzgerichte. Hat der Einspruchsführer im Einspruchsverfahren keinen Zugriff auf für seine Verteidigung relevante Informationen, so erhöht dies die Bereitschaft zur Klage.1031 Der Einspruchsführer hat jedoch durch das Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO auf andere Art Zugang zu den behördlichen Entscheidungsgrundlagen im Einspruchsverfahren.1032 Außerdem ist Akteneinsicht gegebenenfalls nach pflichtgemäßer Ermessensausübung zu gewähren.1033 Rechtspolitische und gleichheitsrechtliche Bedenken können daher abermals aufgrund des Kriteriums der Verwaltungseffizienz im Bereich der Massenverwaltung ausgeräumt werden.1034 Zwar muss die Finanzverwaltung auch bei einem Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung überprüfen, welche Umstände, also auch Geheimhaltungsinteressen Dritter, gegen die Akteneinsicht sprechen.1035 Allerdings bereitet auch das Gewähren der Akteneinsicht an sich Verwaltungsaufwand.1036 Die Akte muss an Amtsstelle 1028  Dißars,

(137).

Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren, DStR 2005, 137

1029  Korn, Akteneinsicht und Informationsfreiheit im Steuerrecht, DÖV 2012, 232 (239); von Stöcker, Verfassungswidriges Versagen der Akteneinsicht, AO-StB 2002, 161 (165). 1030  Seer, Reform des Veranlagungsverfahrens, StuW 2003, 40 (42 f.); Ziemer /  Haarmann / ‌Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rn. 2607. 1031  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 364 AO Rn. 64; Rombach, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 25 Rn. 2; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 91 AO Rn. 30. 1032  Siehe S. 174, 177. 1033  Siehe S.  187 ff. 1034  Andere Ansicht: Korn, Akteneinsicht und Informationsfreiheit im Steuerrecht, DÖV 2012, 232 (239). 1035  BFHE 143, 503 (505). 1036  BT-Drs. 7 / 4292 S. 25.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren191

oder durch Übersenden zur Kenntnisnahme durch Einblick bereitgestellt werden. Der Gesetzgeber führt dementsprechend an, ein allgemeines Akteneinsichtsrecht sei „für die Steuerverwaltung nicht praktikabel“1037. 3. Informationsansprüche Die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder eröffnen Informationsansprüche. Diese Ansprüche stehen neben den Akteneinsichtsrechten, die der Gesetzgeber mit den Informationsfreiheitsgesetzen erweitern wollte.1038 Der Informationszugang erfolgt gemäß § 1 Abs. 2 IFG durch Auskunftserteilung, Akteneinsicht oder Information in sonstiger Weise. Begehrt der Antragsteller eine bestimmte Art des Informationszugangs, so darf dieser nur aus wichtigem Grund auf andere Art gewährt werden. Als wichtiger Grund gilt insbesondere ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand. Auskünfte können nach § 7 Abs. 3 S. 1 IFG mündlich, schriftlich oder elektronisch erteilt werden. Im Fall der Einsichtnahme in amtliche Informationen kann sich der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 IFG Notizen machen oder Ablichtungen und Ausdrucke fertigen lassen. a) Allgemeines und sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Die bundes- und landesrechtlichen Informationszugangsrechte sind im allgemeinen und im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren neben den Akteneinsichtsrechten gemäß § 29 VwVfG und § 25 SGB X anwendbar.1039 Der Informationsersuchende muss die einschlägige Anspruchsgrundlage nicht bezeichnen. Es obliegt der Behörde, sowohl das Akteneinsichtsrecht als auch Ansprüche aus dem Informationsfreiheitsgesetz zu prüfen, wobei diese Rechte alternativ zur Anwendung kommen können.1040 Außerhalb des laufenden Verwaltungsverfahrens und bei einem Informationsersuchen eines Nicht-Verfahrensbeteiligten bieten lediglich die Informationsfreiheitsgesetze Ansprüche.1041 Begehrt jedoch ein Verfahrensbeteiligter, also insbesondere der Widerspruchsführer selbst, während des laufenden Widerspruchsverfah1037  BT-Drs. 7 / 4292

S. 25. S. 6, 8; Debus, in: Gersdorf / Paal, Informations- und Medienrecht, § 1 IFG Rn. 187, 190; Ritgen, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 29 Rn. 36. 1039  BT-Drs.  15 / 4493 S. 6, 8; Debus, in: Gersdorf / Paal, Informations- und Medienrecht, § 1 IFG Rn. 187, 190; Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 29 Rn. 25; Ritgen, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 29 Rn. 36. 1040  Debus, in: Gersdorf / Paal, Informations- und Medienrecht, § 1 IFG Rn. 187. 1041  Debus, in: Gersdorf / Paal, Informations- und Medienrecht, § 1 IFG Rn. 187; Rossi, Das Informationsfreiheitsrecht in der gerichtlichen Praxis, DVBl. 2010, 554 (555). 1038  BT-Drs.  15 / 4493

192

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

rens Auskunft, bieten die Verwaltungsverfahrensgesetze und das SGB X die ergiebigeren Anspruchsgrundlagen, da die dortigen Ausnahmetatbestände enger sind als diejenigen in den Informationsfreiheitsgesetzen.1042 b) Einspruchsverfahren Im Besteuerungsverfahren besteht kein Anspruch auf Informationszugang. Die Informationsfreiheitsgesetze der Länder können einen derartigen Anspruch gegenüber Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren nicht begründen, da die Länder gemäß Art. 108 Abs. 5 GG nicht über die nötige Gesetzgebungskompetenz verfügen.1043 Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes begründet in § 1 nur Ansprüche gegenüber Bundesbehörden, doch im Besteuerungsverfahren besteht aufgrund des absichtsvollen Regelungsverzichts selbst Bundesbehörden gegenüber kein Anspruch.1044 Etwas anderes kann allenfalls für Einsprüche gegen Verwaltungsakte der Finanzbehörden außerhalb des Besteuerungsverfahrens gelten.1045 Seit dem 25. Mai 2018 schließt § 32e AO die Anwendbarkeit der Informationsfreiheitsgesetze jedenfalls im Anwendungsbereich der Abgabenordnung aus.1046 c) Vergleich Die Informationsfreiheitsgesetze werden, anders als im allgemeinen und sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, gemäß § 32e AO im Einspruchsverfahren verdrängt.1047 Dem Grundsatz des Zugangs der Öffentlichkeit zu amtlichen Dokumenten wird durch die datenschutzrechtlichen Rahmenbedin1042  Debus, in: Gersdorf / Paal, Informations- und Medienrecht, § 1 IFG Rn. 187; Ritgen, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 29 Rn. 36. 1043  FG Münster DStRE 2004, 479 (480). Genauer zu den Gesetzgebungskompetenzen: Schwarz, Datenschutzrechtliche Normen im Steuerrecht und Steuerstatistikrecht S.  118 ff. 1044  BT-Drs.  7 / 4292 S. 25; FG Münster DStRE 2004, 479 (480); Claßen EFG 2012, 4 (4 f.); Debus, in: Gersdorf / Paal, Informations- und Medienrecht, § 1 IFG Rn. 193. Gegen die Sperrwirkung der Abgabenordnung (vor Erlass des § 32e AO): Grundmann, Das Recht auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren, S. 60 ff.; Schwarz, Datenschutzrechtliche Normen im Steuerrecht und Steuerstatistikrecht S. 502; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 91 AO Rn. 28. Nicht zuzustimmen war jedenfalls BFH / NV 2007, 1141 (1142), wonach schon § 30 AO die Anwendbarkeit des IFG sperrt. So auch: Debus, in: Gersdorf / Paal, Informations- und Medienrecht, § 1 Rn. 192; Rossi, Das Informationsfreiheitsrecht in der gerichtlichen Praxis, DVBl. 2010, 554 (555 f.). 1045  Vgl. BVerwG NVwZ 2012, 824 (825); OVG Schleswig NVwZ 2013, 810. 1046  BT-Drs. 18 / 12611 S. 89. 1047  BT-Drs. 18 / 12611 S. 89.



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren193

gungen der Datenschutz-Grundverordnung und der Abgabenordnung hinreichend Rechnung getragen, indem ein angemessener Interessenausgleich vorgenommen wurde.1048 Darüber hinaus ist Informationszugang nicht möglich. Diese Ungleichbehandlung kann aufgrund der Massenverwaltung im Besteuerungsverfahren gerechtfertigt werden und ist rechtspolitisch nicht zu beanstanden. VIII. Geheimnis- und Datenschutzrecht Bei der Sachverhaltsermittlung haben die Behörden bestehende Geheimhaltungs- und Datenschutzinteressen zu wahren. Die Datenschutzgrundverordnung, die Verfahrensgesetze und die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder werden diesen Interessen gerecht und setzen das Grundrecht auf Schutz der personenbezogenen Daten gemäß Art. 8 GRCh und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.  V. m. Art. 1 Abs. 1 GG um.1049 Die betreffenden Regelungen dienen einerseits den Interessen der Verfahrensbeteiligten.1050 Andererseits werden sie auch dem öffentlichen Interesse gerecht, da Verfahrensbeteiligte Informationen, die zur Sachverhaltsermittlung nötig sind, wahrscheinlicher tätigen, wenn vom vertrauensvollen Umgang mit diesen Informationen ausgegangen wird.1051 So gewährleisten und stärken Geheimnis- und Datenschutzrecht letztlich Offenbarungs- und Mitwirkungspflichten.1052 Das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten muss unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips mit anderen Grundrechten abgewogen werden.1053 1048  Erwägungsgrund 154

zur DSGVO; BT-Drs. 18 / 12611 S. 89. Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten: Erwägungsgrund 1 zur DSGVO; Bieresborn, Sozialdatenschutz nach Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung, NZS 2017, 887; Kühling / Raab, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, Einführung Rn. 1; Myßen / Kraus, Steuerliches Datenschutzrecht, DB 2017, 1860 (1861). Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht: BVerfGE 65, 1 (41 ff.); Bieresborn, in: von Wulffen / Schütze, SGB  X, vor §§ 67–85a Rn. 1; Drüen, in: Tipke / Kruse, AO /  FGO, § 30 AO Rn. 6; Gola / Klug / Körffer, in: Gola / Schomerus, BDSG, § 1 Rn. 6 ff.; Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 30 Rn. 1a. Siehe S. 85. 1050  BT-Drs. 8 / 4022 S. 80; Alber, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 30 AO Rn. 6; Gola / Klug / Körffer, in: Gola / Schomerus, BDSG, § 1 Rn. 3 ff.; Intemann, in: Koenig, AO, § 30 Rn. 4; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984, 2241 (2241). 1051  BT-Drs.  7 / 910 S. 54; BT-Drs.  8 / 4022 S. 80; BVerfGE 67, 100 (140); Intemann, in: Koenig, AO, § 30 Rn. 4; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984, 2241 (2241). 1052  BT-Drs.  4 / 1982 S. 100; BT-Drs.  8 / 4022 S. 80; Alber, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 30 AO Rn. 8; Intemann, in: Koenig, AO, § 30 Rn. 4. 1053  Erwägungsgrund 4 zur DSGVO. 1049  Zum

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

1. Verarbeitungsverbote Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist nach der DatenschutzGrundverordnung grundsätzlich verboten, es sei denn es ist eine der in Art. 6 Abs. 1 DSGVO genannten Bedingungen erfüllt. Gemäß Art. 6 Abs. 2–4 ­DSGVO können die Mitgliedstaaten Regelungen erlassen, wonach die (Weiter-)Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig ist, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung oder für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, erforderlich ist. Diesem Regelungsauftrag ist der nationale Gesetzgeber in §§ 3, 22 ff. BDSG, §§ 29b, 29c AO und §§ 67a ff. SGB X nachgekommen.1054 2. Geheimhaltungspflichten in Verfahrensgesetzen Das Sozialgeheimnis wird in § 35 SGB I geregelt. Allerdings kann es für spezifische Bereiche des Sozialverwaltungsverfahrens speziellere und vorrangig anwendbare Datenschutzregelungen geben.1055 Gemäß § 35 Abs. 1 SGB I werden insbesondere die Leistungsträger zur Wahrung des Sozialgeheimnisses verpflichtet. Der gemäß § 78 SGB X „verlängerte Sozialdatenschutz“ verpflichtet jedoch auch Datenempfänger außerhalb des Sozialverwaltungsverfahrens.1056 Nach Abs. 1 S. 1 dürfen Behörden, die nicht in § 35 SGB I genannt und denen Sozialdaten übermittelt worden sind, diese nur zu dem Zweck verarbeiten oder nutzen, zu dem sie ihnen befugt übermittelt worden sind. Praktisch können daher auch Widerspruchsbehörden, die nicht dem Sozialleistungsbereich angehören, und Einspruchsbehörden der Geheimhaltungspflicht des § 35 SGB I unterliegen.1057 § 30 AO normiert das Steuergeheimnis, wobei sein Absatz 2 bestimmt, welche Daten hierunter fallen. Hinzuweisen sei insbesondere auf Abs. 2 Nr. 1a, wonach personenbezogene Daten, die aus Verwaltungsverfahren in Steuersachen bekannt sind, vom Steuergeheimnis umfasst sind. § 30 AO gilt für alle Steuern i. S. d. § 1 AO. Für Landessteuern und Kommunalabgaben gilt er im Falle der landesrechtlichen Verweisung.1058 § 30 AO verpflichtet im Gegensatz zu § 35 SGB I alle Amtsträger. Eine Bindung kann daher auch außerhalb der Finanzverwaltung,1059 also z. B. für Amtsträger innerhalb einer Widerspruchsbehörde, bestehen. 1054  BT-Drs. 18 / 11325

S. 80 f., 94 ff.; BT-Drs. 18 / 12611 S. 76 ff., 101 ff. hierzu: Körner, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 35 SGB I Rn. 3 ff. 1056  Bieresborn, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 78 Rn. 2. 1057  Vgl. Bieresborn, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 78 Rn. 6. 1058  Drüen, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 30 AO Rn. 1. 1059  Alber, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 30 AO Rn. 28. 1055  Siehe



2. Kap.: Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren195

Bezüglich Informationen, die im allgemeinen Verwaltungsverfahren bekannt werden, sind § 30 VwVfG einerseits und die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder andererseits zu beachten. Hierbei handelt es sich um zwei sich überschneidende Kreise.1060 Soweit es sich bei den betreffenden Informationen um personenbezogene Daten handelt, ist das Datenschutzrecht einschlägig und geht dem § 30 VwVfG vor,1061 andernfalls kommt § 30 VwVfG zur Anwendung.1062 3. Vergleich Nicht das jeweils durchzuführende Vorverfahren gibt die Anwendbarkeit einer daten- oder geheimnisschützenden Regelung vor, sondern das Verwaltungsverfahren, in dem die Information gewonnen wurde. Das Nebeneinander von allgemeinem und bereichsspezifischem Datenund Geheimnisschutz auch innerhalb der drei Verwaltungsverfahren führt zu einer „Normenflut“1063, die bereits die Entscheidung darüber, welche konkrete Regelung anwendbar ist, schwierig macht.1064 Durch die DatenschutzGrundverordnung wurde das Zusammenspiel der Regelungen im Mehr­ ebenensystem entscheidend überarbeitet, wodurch die normative Komplexität gestiegen ist auch wenn materiell-rechtlich keine grundlegende Änderung stattfand.1065 Die Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen unterscheiden sich in ihrer Konstruktion und Regelungsdichte, nicht jedoch in ihrer Zielrichtung und dem grundsätzlichen Vorrang des Geheimhaltungsinteresses des Betroffenen gegenüber dem öffentlichen Offenbarungsinteresse.1066 Vom Schutz­ niveau kommen die sozialrechtlichen Regelungen dem Steuergeheimnis gleich.1067 Dies lässt sich anhand der umfassenden Mitwirkungspflichten in den beiden Verfahrensordnungen begründen.1068 1060  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 4a; Kloepfer, Informationsrecht, § 9 Rn. 4 f. 1061  So § 1 Abs. 3 BDSG und entsprechende landesrechtliche Regelungen. 1062  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 3. 1063  Gola / Klug / Körffer, in: Gola / Schomerus, BDSG, § 1 Rn. 15. 1064  Kingreen / Kühling, Weniger Schutz durch mehr Recht, JZ 2015, 213 (218). 1065  Kühling / Raab, in: Kühling / Buchner, DS-GVO / BDSG, Einführung Rn. 137. 1066  Kallerhoff / Mayen, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 30 Rn. 3; Knemeyer, Geheimhaltungsanspruch und Offenbarungsbefugnis im Verwaltungsverfahren, NJW 1984, 2241 (2243). 1067  BT-Drs.  8 / 4022 S. 96; Gutzler, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 35 SGB I Rn. 3. 1068  Siehe hierzu Fn. 1052.

196

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

IX. Feststellungs- und Beweislast Es sind Fälle denkbar, in denen sich nach erschöpfender behördlicher Sachverhaltsermittlung, wie sie in diesem Kapitel dargestellt wurde, Tatsachen als unerweislich herausstellen. In allen drei außergerichtlichen Vorverfahren wird sodann das Normbegünstigungsprinzip herangezogen. Hiernach trägt derjenige die Folgen der Unaufklärbarkeit einer Tatsache, auch materielle Beweislast genannt, dem diese Tatsache einen rechtlichen Vorteil gewährt.1069 3. Kapitel

Wirkung der eröffneten Vorverfahren Erhebt der Vorverfahrensführer den außergerichtlichen Rechtsbehelf, so hat dies rechtliche Folgen. Zuerst ist die aufschiebende Wirkung der außergerichtlichen Rechtsbehelfe darzustellen. Handelt es sich um eine Anfechtungskonstellation,1070 sehen die Regelungen der drei außergerichtlichen Vorverfahren unterschiedliche RegelAusnahme-Verhältnisse bezüglich der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Vollziehung vor. Wird ein außergerichtlicher Rechtbehelf gegen einen Versagungsbescheid eingelegt, so scheidet die aufschiebende Wirkung aus.1071 Sie schützt den Vorverfahrensführer vorübergehend vor Beeinträchtigungen seiner Rechtsposition, erhält also den status quo ante aufrecht, erweitert diesen jedoch nicht.1072 Weiterhin bewirkt die Einlegung der außergerichtlichen Rechtsbehelfe die Hemmung der Bestandskraft. Im Einspruchsverfahren wird außerdem der Lauf der Festsetzungsfrist unterbrochen.

1069  BVerwGE 95, 289 (294); OVG Münster NVwZ-RR 2009, 661; BFH / NV 2013, 351; BSGE 43, 110 (111 f.); Bilsdorfer / Morsch / Schwarz, Handbuch des steuerlichen Einspruchsverfahrens, S. 159; Kallerhoff / Fellenberg, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 24 Rn. 55; Rädtke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 55; Weber, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 20 SGB X Rn. 13. 1070  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 145; Hintz, in: Hintz / Lowe, SGG, § 86a Rn. 33; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 19. 1071  Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 21. 1072  BVerwGE 47, 169 (175).



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren197

A. Aufschiebende Wirkung des eingelegten Vorverfahrens Ist ein Verwaltungsakt gemäß § 43 VwVfG, § 124 AO bzw. § 39 SGB X wirksam, so hat dies zur Folge, dass Behörden ihn grundsätzlich durchsetzen.1073 Die Einlegung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs kann jedoch aufschiebende Wirkung verursachen. Diese lässt die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes unberührt1074 und stellt vielmehr ein Vollziehungsverbot dar.1075 Die aufschiebende Wirkung beginnt mit der Einlegung des Rechtbehelfs, wirkt jedoch auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes zurück.1076 Die Entscheidung des Gesetzgebers über die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs muss die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Rechts auf effektiven Rechtsschutz berücksichtigen, das unmittelbar nur auf die gericht­ lichen Verfahren anwendbar ist, jedoch eine gewisse Vorwirkung für die außergerichtlichen Vorverfahren entfaltet.1077 Aus Art. 19 Abs. 4 GG kann zwar nicht abgeleitet werden, dass ein (außergerichtlicher) Rechtsbehelf notwendigerweise aufschiebende Wirkung haben muss.1078 Der Gesetzgeber muss jedoch die Grundrechte des Vorverfahrensführers und sein Recht auf effektiven Rechtsschutz in einen angemessenen Ausgleich mit öffentlichen Belangen und Grundrechten Dritter bringen.1079 Die Vorverfahrensführer müssen wegen Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit haben, sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes entweder an Behörden oder an Gerichte zu wenden, damit keine vollendeten Tatsachen durch die Vollziehung eines Verwaltungsak1073  Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 1; Heße, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 31 SGB  X Rn. 23; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 29. 1074  So jedoch: Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 35; Schoch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 89 ff. 1075  BVerwGE 66, 218 (222); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO /  FGO, § 361 AO Rn. 51 ff.; Hommel, in: Peters / Sautter / Wolff, SGG, § 86a Rn. 8; Gersdorf, in: Posser / Wolff, VwGO, § 80 Rn. 24  ff; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 12; Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1420; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 6. 1076  BFHE 149, 6 (11); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 21; Gersdorf, in: Posser / Wolff, VwGO, § 80 Rn. 33; Hintz, in: Hintz /  Lowe, SGG, § 86a Rn. 11 f. Anders ausnahmsweise bei statusbegründenden Verwaltungsakten im Vertragsarztrecht. Siehe hierzu: Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 24. 1077  Siehe S. 65. 1078  Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 5; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 80 Rn. 3. 1079  Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 5; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 7; Wahrendorf, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 86a Rn. 1 ff.

198

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

tes geschaffen werden und hierdurch schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen.1080 I. Allgemeines Widerspruchsverfahren Wann einem allgemein-verwaltungsrechtlicher Widerspruch aufschiebende Wirkung zukommt, regeln die §§ 80 Abs. 1–4, 80a Abs. 1 und 2 VwGO. 1. Grundsätzlich aufschiebende Wirkung § 80 Abs. 1 VwGO statuiert den Grundsatz im allgemeinen Verwaltungsrecht, wonach der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO kann jedoch die sofortige Vollziehung angeordnet werden. Bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung verweisen § 80a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 VwGO im Falle des Antrages des Begünstigten bzw. Dritten auf diese Möglichkeit. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung zum einen im öffent­ lichen Interesse möglich. Dieses muss ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung sein, welches das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen überwiegt.1081 Außerdem ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung im überwiegenden Interesse eines Beteiligten möglich. Bei beiden Tatbestandsvarianten ist eine umfassende Interessenabwägung nötig.1082 Gemäß § 80 Abs. 3 VwGO ist eine schriftliche Begründung des Vollzugsinteresses erforderlich, es sei denn, es besteht Gefahr im Verzug. 2. Ausnahmsweise sofortige Vollziehung § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 und Abs. 2 S. 2 VwGO bestimmen gesetzliche Ausnahmen vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Bei Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten und in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen entfällt die aufschiebende Wirkung. Außerdem können die Länder bestimmen, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung

1080  BVerfGE 35, 274 (402); 46, 166 (178 ff.); 67, 43 (58); 69, 315 (372); BFHE 190, 59 (66); Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 80 Rn. 1; Wahrendorf, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 86a Rn. 1 ff. 1081  Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 84 ff. 1082  Gersdorf, in: Posser / Wolff, VwGO, § 80 Rn. 101, 106.



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren199

haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden. Die sofortige Vollziehung kann jedoch gemäß § 80 Abs. 4 VwGO ausgesetzt werden, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung besteht diese Möglichkeit gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO auf Antrag des Dritten. Die Aussetzung der sofortigen Vollziehung ist dann möglich, wenn ausnahmsweise besondere Faktoren gegen den gesetzlich geregelten Sofortvollzug sprechen.1083 Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten bestehen Sonderregelungen hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung. Gemäß § 80 Abs. 4 S. 2 VwGO kann diese gegen Sicherheit erfolgen. Außerdem ist die Sollvorschrift des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO zu beachten. Die sofortige Vollziehung ist im Regelfall1084 auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die herrschende Meinung stellt für das Vorliegen von ernstlichen Zweifeln darauf ab, dass der Erfolg des Widerspruchs wahrscheinlicher ist der Misserfolg.1085 Unbillige Härten, die alternativ als Grund für die Aussetzung der sofortigen Vollziehung in Betracht kommen,1086 bestehen dann, wenn durch die Vollziehung wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine spätere Rückzahlung nicht ausgeglichen oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde.1087

1083  Puttler,

in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 106. in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 108; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1307 ff.; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 80 Rn. 115. 1085  VGH Baden-Württemberg NVwZ 1991, 1004 (1005); Bayerischer VGH NVwZ-RR 1993, 378; OVG Berlin NVwZ-RR 2002, 306; OVG Berlin-Brandenburg NVwZ 2006, 356; OVG Berlin-Brandenburg NVwZ 2010, 724; OVG Hamburg NVwZ-RR 1992, 318 (319); OVG Nordrhein-Westfalen NVwZ-RR 2008, 594 (595); Sächsisches OVG LKV 2004, 180; Renck, Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, NVwZ 1992, 338 (339); Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1522. Anders insbesondere frühere Rechtsprechung: BVerwG, BayVBl 1982, 442; VGH Baden-Württemberg NVwZ-RR 1997, 758 (759); OVG Lüneburg NVwZ-RR 1989, 328; OVG SchleswigHolstein NVwZ-RR 1992, 106 (107). 1086  BVerfG NVwZ-RR 2011, 305 (306). 1087  BVerfG NVwZ-RR 2011, 305 (306); BFHE 87, 600 (601); OVG Berlin NVwZ-RR 2002, 306 (307); Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 145; Schoch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 29. 1084  Puttler,

200

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

II. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im Sozialrecht ist in § 86a SGG geregelt. 1. Grundsätzlich aufschiebende Wirkung Gemäß § 86a Abs. 1 SGG hat auch der sozialrechtliche Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die sofortige Vollziehung kann jedoch gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet werden, sofern sie im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und das besondere Vollziehungsinteresse schriftlich begründet wird. Diese Voraussetzungen und deren Auslegung stimmen mit denjenigen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO überein.1088 2. Ausnahmsweise sofortige Vollziehung Das Sozialgerichtsgesetz sieht in § 86a Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und Abs. 4 ebenfalls Fälle vor, in denen Verwaltungsakte trotz Einlegung des Widerspruchs sofort vollziehbar sind.1089 So entfällt die aufschiebende Wirkung bei Entscheidungen über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Diese Regelung, die der Deckung des Finanzbedarfs der Sozialversicherungsträger dient, entspricht § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.1090 Außerdem sind Verwaltungsakte in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen, sofort vollziehbar. Hiermit vergleichbar ist § 39 SGB II, der für Hartz IV-Fälle gilt und die wohl wichtigste spezialgesetzliche Regelung der sofortigen Vollziehung ist.1091 Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG können nämlich Bundesgesetze das Entfallen der aufschiebenden Wirkung bestimmen. Schließlich entfällt die aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 4, wenn eine Erlaubnis nach § 1 AÜG geän1088  Vgl. Hintz, in: Hintz / Lowe, SGG, § 86a Rn. 38  ff; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 65 ff. 1089  In Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen, entfällt nur die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage, § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG. 1090  Hintz, in: Hintz / Lowe, SGG, § 86a Rn. 19; Hommel, in: Peters / Sautter / Wolff, SGG, § 86a Rn. 28. 1091  Zu anderen spezialgesetzlichen Regelungen: Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 50 ff.



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren201

dert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Diese Regelung gehört systematisch zu Absatz 2.1092 Dennoch kann die sofortige Vollziehung gemäß § 86a Abs. 3 SGG ausgesetzt werden. Diese Regelung entspricht § 80 Abs. 4 VwGO. Gleichermaßen ist die Aussetzung der sofortigen Vollziehung dann möglich, wenn ausnahmsweise besondere Faktoren gegen den gesetzlich geregelten Sofortvollzug sprechen.1093 Besondere Voraussetzungen für die Aussetzung der sofortigen Vollziehung bestehen auch im sozialbehördlichen Verfahren bezüglich öffentlicher Abgaben und darauf anfallender Nebenkosten. Gemäß § 86a Abs. 3 S. 2 SGG, der an § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO angelehnt ist,1094 soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. § 86a Abs. 3 S. 2 SGG enthält wie § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO als Sollvorschrift eine Handlungsanweisung an die Behörden.1095 Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes werden auch hier angenommen, wenn der Erfolg des Widerspruchs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg.1096 Schließlich wird die Voraussetzung der unbilligen Härte ausgelegt wie im Rahmen der allgemein-verwaltungsrechtlichen Regelung.1097 Die Entscheidung kann gemäß § 86a Abs. 3 S. 4 SGG, parallel zur Regelung in der VwGO, mit Auflagen versehen oder belastet werden, also insbesondere von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.1098 III. Einspruchsverfahren § 361 AO regelt die Wirkung des Einspruchs auf die Vollziehung von Verwaltungsakten.

1092  Meßling,

in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 56. in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 86a Rn. 26; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 78 ff. 1094  Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 86a Rn. 27. 1095  Wahrendorf, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 86a Rn. 112. 1096  Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 86a Rn. 27a; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 82; Wahrendorf, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 86a Rn. 119. 1097  Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 83 f. 1098  Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 86a Rn. 28. 1093  Keller,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

1. Grundsätzlich sofortige Vollziehung § 361 Abs. 1 S. 1 AO statuiert den Regelfall im Einspruchsverfahren. Im Gegensatz zu Widersprüchen führt die Einlegung des Einspruchs hiernach nicht zur Hemmung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts. Gemäß § 361 Abs. 2 AO kann die Vollziehung ganz oder teilweise ausgesetzt werden. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Frage, wann ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wird trotz des identischen Wortlautes anders beantwortet als von der herrschenden Meinung im Rahmen der Widerspruchsverfahren.1099 Die überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs ist nicht entscheidend. Vielmehr bestehen erhebliche Zweifel, wenn Umstände bekannt werden, die gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen und die Beurteilung von Rechts- oder Tatfragen erheblich beeinträchtigen, wenn also der Erfolg des Rechtbehelfs genauso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg.1100 Demgegenüber wird die Voraussetzung der unbilligen Härte genauso interpretiert wie in den Regelungen zu den Widersprüchen und nunmehr als alternativ verstanden.1101 § 361 Abs. 2 S. 3 AO regelt den Fall des bereits vollzogenen Verwaltungsaktes. An die Stelle der Aussetzung der Vollziehung tritt die Aufhebung der Vollziehung. Die Finanzbehörde muss also den Zustand, der vor dem Vollzug des Verwaltungsaktes bestand, wiederherstellen.1102 Obwohl derartige ausdrückliche widerspruchsspezifische Regelungen fehlen, ist auch bei diesen Vorverfahren die Verpflichtung der Behörden zur Rückgängigmachung der bereits erfolgten Vollziehung von Verwaltungsakten anerkannt.1103 Weiterhin enthält Satz 4 eine Spezialregelung für Steuerbescheide. Gemäß § 361 Abs. 2 S. 5 AO kann die 1099  Siehe

S. 199, 201.

1100  BFHE 170, 106 (107 f.); 180, 15 (16 f.); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spi-

taler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 173; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 839; Rätke, in: Klein, AO, § 361 Rn. 16; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 89. Anders: Schrömbges, Der Begriff der „ernstlichen Zweifel“ im abgabenrechtlichen Aussetzungsverfahren, DB 1988, 1418 (1420 ff.). 1101  BVerfG NVwZ-RR 2011, 305 (306); BFHE 239, 25; Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 213 ff.; Seer, in: Tipke / Kruse, AO /  FGO, § 69 FGO Rn. 101. Früher als kumulative Voraussetzung: BFHE 92, 314 (319). 1102  Rädtke, in: Klein, AO, § 361 Rn. 31. 1103  BVerwG DÖV 1973, 785 (787); Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 26; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 48; Schoch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 323. Andere Ansicht: VGH Mannheim DÖV 1974, 605, wonach die aufschiebende Wirkung erst ex nunc mit Widerspruchseinlegung eintritt.



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren203

Aussetzung der Vollziehung, wie bei den Widerspruchsverfahren, von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Steuerrechtsspezifisch sind die Regelungen in § 361 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 AO, die die Aussetzung der Vollziehung im Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheiden betreffen. 2. Ausnahmsweise aufschiebende Wirkung Ausnahmsweise hat die Einlegung eines Einspruchs gegen die Untersagung des Gewerbebetriebs oder der Berufsausübung gemäß § 361 Abs. 4 S. 1 AO aufschiebende Wirkung.1104 Diese kann gemäß § 361 Abs. 4 S. 2 AO durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigt werden, wenn es im öffentlichen Interesse geboten ist. Diese Voraussetzung wird ausgelegt wie bei den Parallelvorschriften der § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO und § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG.1105 Das überwiegende Interesse eines Beteiligten ist in § 361 Abs. 4 S. 2 AO nicht genannt. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Verwaltungsakte mit Drittwirkung im Steuerrecht äußerst selten sind.1106 Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ist, wie bei den Widerspruchsverfahren, schriftlich zu begründen. IV. Vergleich Die hinter den Regelungen stehende Systematik stimmt im Grundsatz überein.1107 Dies ist nicht verwunderlich, da sowohl § 361 AO als auch die § 86a SGG den Regelungen der VwGO nachgebildet wurden.1108 1104  Für die Untersagung des Gewerbebetriebes im Anwendungsbereich der Norm sind Zollbehörden zuständig. Hierzu zählt z. B. gemäß § 51a Branntweinmonopolgesetz die Untersagung der Ausübung eines Branntweingewerbes. Siehe: Birkenfeld, in: Hübschmann / ‌Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 613. Praktische Bedeutung hat § 361 Abs. 4 AO vor allem für Berufsuntersagungen nach dem Steuerberatergesetz, z. B. im Falle der unbefugten Hilfeleistung in Steuersachen gemäß § 7 StBerG. Zu weiteren Anwendungsfällen siehe: Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn,  148; Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 69 Rn. 286. 1105  Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 151; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 192. Siehe S. 198, 200. 1106  Siehe Fn. 693. 1107  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 21; Hintz, in: Hintz / Lowe, SGG, § 86a Rn. 1; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, vor §§ 86a, 86b Rn. 9. 1108  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 21. Bereits § 235 RAO bestimmte, dass die Erhebung der Steuer durch die Einlegung von

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

1. Grundsätzlich Übereinstimmung im Regel-Ausnahme-Verhältnis Der Gesetzgeber hatte bei Erlass der Normen die Aufgabe, Regel-Ausnahme-Fallgruppen für die aufschiebende Wirkung der außergerichtlichen Rechtbehelfe zu schaffen. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG verpflichten, wie dargestellt, zwar nicht zu einem konkreten Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen aufschiebender Wirkung und sofortiger Vollziehung, machen die grundsätzliche aufschiebende Wirkung eines Rechtbehelfs jedoch vorzugswürdig.1109 Dies kommt in § 80 Abs. 1 VwGO1110, § 86a Abs. 1 SGG1111 und § 361 Abs. 4 S. 1 AO1112 zum Ausdruck. Die Fallgruppen der aufschiebenden Wirkung von Einsprüchen beruhen außerdem auf der Erwägung, dass die Untersagung eines Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung erhebliche Auswirkungen auf die Berufsfreiheit der Betroffenen haben.1113 Eine andere Wertung besteht bei Verwaltungsakten im Abgabenrecht.1114 Hier überwiegt grundsätzlich das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes das Interesse des Vorverfahrensführers. Andernfalls wäre zu befürchten, dass Betroffene Rechtbehelfe lediglich einlegen, um den Vollzug des Verwaltungsaktes zu verzögern, also eine stundungsgleiche Wirkung Rechtbehelfen nicht aufgehalten wird. Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, vor §§ 86a, 86b Rn. 1 ff.: Die Einlegung des sozialrechtlichen Widerspruchs hatte nach früherer Rechtslage, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, keine aufschiebende Wirkung. Dies erklärte das BVerfG als mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar (BVerfGE 46, 166). Die analoge Anwendung von Regelungen der VwGO ließ einige Fragen offen. Daher wurde § 86a SGG durch das Sechste Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes eingeführt. Hierbei orientierte man sich an VwGO und FGO (BT-Drs.  14 / 5943 S. 20). 1109  Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 9. Siehe S. 197. 1110  Gersdorf, in: Posser / Wolff, VwGO, § 80 Rn. 2; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 9. 1111  Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 7. 1112  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 611; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 891; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 189. 1113  BFH / NV 2002, 955; Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 611; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 891; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 189. 1114  In vielen anderen Bereichen, wie beispiele bei Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, bestehen wie im Abgabenrecht gute Gründe für den Regelfall der sofortigen Vollziehung. Auf diese ist jedoch aufgrund der fehlenden Relevanz für diese Arbeit nicht weiter einzugehen.



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren205

zu erreichen, was erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte hätte. Diese Erwägung steckt hinter den § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO,1115 § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG1116, und § 361 Abs. 1 AO1117. Durch § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG und § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 SGB II sollen ebenfalls öffentliche Haushalte geschützt werden, da bei der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den Entzug oder die Herabsetzung einer laufenden Leistung zu befürchten wäre, dass der Leistungsempfänger die Rückerstattung der Leistung nicht bewerkstelligen kann.1118 2. Teilweise Wertungswidersprüche Grundsätzlich besteht also Übereinstimmung der Regel-Ausnahme-Verhältnisse im Rahmen der drei außergerichtlichen Vorverfahren.1119 Dennoch bestehen teilweise Wertungswidersprüche. Beispielsweise bleibt eine hinreichende Begründung, warum § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG lediglich die aufschiebende Wirkung von Anfechtungsklagen, allerdings nicht von Widersprüchen vorsieht, aus.1120 Hinsichtlich § 80 VwGO wird die fehlende Klarheit der Norm bemängelt. Es bestehe Orientierungs­ losigkeit, der „nur durch ein strikt dogmatisch-systematisches Konzept begegnet werden“ kann.1121 Wertungswidersprüche werden allerdings insbesondere im Vergleich der aufschiebenden Wirkung der Vorverfahren zueinander ersichtlich. a) Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO und § 86a Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 SGG umfassen lediglich die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten. Dieser Begriff ist aufgrund des Finanzierungszwecks weit zu verstehen. Darunter fällt nicht nur die Geltendmachung einer Geldleistung selbst, sondern alle Handlungen, die auf die zur Verwirklichung des behördlichen Anspruchs auf die 1115  BT-Drs. 3 / 55 S. 39; BayVGH NVwZ-RR 1990, 639 (649); Schoch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 125 f. 1116  BT-Drs. 14 / 5943 S. 25; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 35. 1117  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 71; Rätke, in: Klein, AO, § 361 Rn. 3; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 7. 1118  Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 40, 52. 1119  So sieht Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, vor §§ 86a, 86b Rn. 11 das Regelwerk im SGG als „insgesamt gelungen“ an. 1120  Aus BT-Drs.  14 / 5943 S. 25 geht hervor, dass die zuvor geltende Rechtslage aufrechterhalten werden sollte. 1121  Schoch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 3.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Geldleistung ergehen,1122 wie beispielsweise die Vollstreckung1123 dieser Bescheide oder der Widerruf einer Stundung1124. Der Anwendungsbereich der sofortigen Vollziehung gemäß § 361 Abs. 1 AO ist weiter. Erfasst werden alle vollziehbaren Verwaltungsakte,1125 also auch solche, die beispielweise Hilfs- und Nebenpflichten des Steuerschuldners betreffen.1126 Verwaltungsakte im Anwendungsbereich der Abgabenordnung sind, auch wenn sie unmittelbar keine Geldleistungspflicht betreffen, grundsätzlich Vorstufe eines Steuerbescheides. Daher ist die Erwägung des Gesetzgebers, auch sie von der sofortigen Vollziehung zu erfassen, nachvollziehbar.1127 Dennoch fallen Widersprüche gegen Verwaltungsakte betreffend Hilfs- und Nebenpflichten eines Kommunalabgabenschuldners nicht unter § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO und haben somit aufschiebende Wirkung.1128 Vergleicht man Steuern mit Gebühren und Beiträgen so lässt sich ein sach­ licher Grund für die Ungleichbehandlung in der Umstand finden, dass Steuern das primäre Finanzierungsinstrument für Staatsaufgaben sind, während Letztere eine Geldleistung für eine konkrete Leistung an den Abgabenpflichtigen sind.1129 Fiskalische Erwägungen können daher bei Steuern als gewichtiger eingestuft werden. Vergleicht man jedoch kommunale Steuern mit sonstigen Steuern, fehlt ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung, weshalb ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vorliegt.1130

1122  Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 86a Rn. 13a; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 63. 1123  OVG Münster OVGE 25, 195 (196); Gersdorf, in: Posser / Wolff, VwGO, § 80 Rn. 55; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 36. 1124  VGH München BayVbl 1974, 194; Udsching / Groth, in: Krasney / Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, V Rn. 14. 1125  Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 4. 1126  Zu weiteren Beispielen: Dietz, Die Voraussetzungen der gerichtlichen Vollziehungsvoraussetzungen nach § 69 FGO, S. 9; Lemaire, Der vorläufige Rechtsschutz im Steuerrecht, S. 116. 1127  Schwarz, Zwei Wege zur Aussetzung der Vollziehung im Steuerrecht: § 242 AO, § 69 FGO, S. 19. 1128  OVG Koblenz NJW 1961, 1597 (1598); Gersdorf, in: Posser / Wolff, VwGO, § 80 Rn. 55. 1129  Lemaire, Der vorläufige Rechtsschutz im Steuerrecht, S. 113 f. 1130  Lemaire, Der vorläufige Rechtsschutz im Steuerrecht, S. 116 f. Andere Ansicht: Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1029; Schwarz, Zwei Wege zur Aussetzung der Vollziehung im Steuerrecht: § 242 AO, § 69 FGO, S. 17 ff.; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 8.



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren207

b) Verwaltungsakte, die laufende Leistungen entziehen oder herabsetzen Unsachgemäße Unterschiede bestehen ferner bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen. Wird Kindergeld, das nach dem BKGG gewährt wird, entzogen oder herabgesetzt, greift der sozialrechtliche Regelfall gemäß § 86a Abs. 1 SGG. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Wird Kindergeld, das nach dem EStG bewilligt wurde, entzogen oder herabgesetzt, greift der steuerrechtliche Regelfall gemäß § 361 Abs. 1 S. 1 AO. Der Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung.1131 Vernünftige Gründe für diesen Unterschied sind nicht ersichtlich. Ähnlich verhält es sich bei dem Entzug oder der Herabsetzung von BAföG und Wohngeld. Hier greift der Regelfall der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die Besserstellung im Vergleich zu Hartz IVBescheiden, auf die § 39 SGB II Anwendung findet, lässt sich nicht begründen. Interessant ist ein Blick in die §§ 133–134 des Entwurfs einer einheit­lichen Verwaltungsprozessordnung.1132 § 133 Abs. 1 statuiert den Grundsatz der aufschiebenden Wirkung der außergerichtlichen Rechtbehelfe, und § 134 Abs. 1 regelt die Ausnahmen hiervon. Von letzterem umfasst sind Verwaltungsakte, über die im Finanzrechtsweg entschieden wird, mit Ausnahme der Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung. Dies entspricht der jetzigen Regelung des § 361 AO.1133 Die aufschiebende Wirkung entfällt ferner bei Anforderungen von anderen öffentlichen Abgaben und Kosten, wovon die heutigen § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO und § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG erfasst wären.1134 Eine Lösung für die zuvor aufgeführten Wertungswidersprüche liefert § 134 Abs. 1 Nr. 3 EVwPO, wonach bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen, die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen ist. Dies entspricht grundsätzlich überwiegenden öffentlichen fiskalischen Interessen, denn in diesen Fällen ist stets zu befürchten, dass der Leistungsempfänger die zuviel gezahlten Leistung nicht zurückerstatten kann.1135 Im Bereich der aufschiebenden Wirkung und sofortigen Vollziehung der außergerichtlichen Rechtbehelfe besteht daher nicht nur Vereinheitlichungspotential, sondern auch -bedarf, der entsprechend der §§ 133, 134 EVwPO gelöst werden könnte.

1131  Seer,

in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 29b. Entwurf einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung siehe S. 43. 1133  BT-Drs. 9 / 1851 S. 140. 1134  BT-Drs. 9 / 1851 S. 140. 1135  BT-Drs. 9 / 1851 S. 140. 1132  Zum

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

3. Sonstige Unterschiede und Gemeinsamkeiten Weiterhin bestehen im Detail Unterschiede und Gemeinsamkeiten, auf die im Folgenden einzugehen ist. a) Unzulässige außergerichtliche Rechtsbehelfe Grundsätzlich haben auch unzulässige Rechtbehelfe aufschiebende Wirkung, denn teilweise können schwierige Fragen der Zulässigkeit erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden.1136 Hinsichtlich der Frage, wann doch ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung eines unzulässigen Rechtsbehelfs ausscheidet, besteht im Rahmen aller drei Vorverfahren gleichermaßen Uneinigkeit.1137 Die Auffassung, wonach die aufschiebende Wirkung ausscheidet, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist, ist zu begrüßen.1138 b) Rechtsgestaltende und feststellende Verwaltungsakte, Verwaltungsakte mit Drittwirkung Gemäß § 80 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO und § 86a Abs. 1 S. 2 Alt. 1 SGG tritt die aufschiebende Wirkung auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten ein. Die Abgabenordnung enthält keine derartige ausdrückliche Regelung. Vielmehr muss ausgelegt werden, welche Verwaltungsakte gemäß § 361 Abs. 1 S. 1 AO vollzogen werden können. Hierunter fallen auch rechtsgestaltende und feststellende Verwaltungsakte.1139 Weiterhin bestimmen die § 80 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 VwGO und § 86a Abs. 1 S. 2 Alt. 2 SGG, dass die aufschiebende Wirkung auch bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung eintritt. § 80a VwGO knüpft an diese Regelung an. Soll bei Widersprüchen gegen Verwaltungsakte mit Drittwirkung, die gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung angeordnet werden, ist im Falle des § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO der Antrag des Adressaten des Verwal1136  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 152; Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 86a Rn. 10; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 31. 1137  Zum Streit: Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 31 ff. 1138  Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 150; Hommel, in: Peters / Sautter / Wolff, SGG, § 86a Rn. 19; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 80 Rn. 50. Andere Ansichten: Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 86a Rn. 11; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 32; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 191. 1139  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 126.



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren209

tungsaktes und im Falle des § 80a Abs. 2 VwGO der Antrag des Dritten erforderlich. Außerdem ist gemäß § 80a Nr. 2 VwGO bei Widersprüchen, die gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag des Dritten gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung auszusetzen. Im Sozialgerichtsgesetz fehlt eine dem § 80a VwGO vergleichbare Regelung. Daher kann sowohl die sofortige Vollziehung auch die aufschiebende Wirkung ohne entsprechende Anträge angeordnet werden.1140 § 361 AO enthält gar keine Aussagen zu Dritteinsprüchen, was wohl mit deren geringer praktischer Bedeutung im Finanzverwaltungsverfahren begründet werden kann.1141 Dennoch können auch Dritte einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen, wenn sie einspruchsbefugt sind, also geltend machen können, in eigenen Rechten verletzt zu sein.1142 Ein sachlicher Grund für die Unterschiede kann in dem Umstand gefunden werden, dass Verwaltungsakte mit Drittwirkung im allgemeinen Verwaltungsrecht am häufigsten auftreten.1143 Wertungsunterschiede sind nicht ersichtlich. Dementsprechend sah § 136 EVwPO eine einheitliche Regelung für alle Vorverfahren vor.1144 Dieser Regelung wurde § 80a VwGO nachgebildet und durch das vierte Gesetz zur Änderung der VwGO in geltendes Recht umgesetzt. Bedauerlicherweise fehlt eine Umsetzung in der Abgabenordnung und dem Sozialgerichtsgesetz. c) Zuständige Behörde Die sofortige Vollziehung und die aufschiebende Wirkung können im allgemeinen und im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren sowohl die Ausgangs- als auch die Widerspruchsbehörde anordnen, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 4 S. 1 VwGO und § 86a Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 S. 1 SGG.1145 § 86a Abs. 3 S. 3 SGG trifft eine Sonderregelung für Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG, nach der regelmäßig die nächsthöhere Behörde für die Aussetzung der sofortigen Vollziehung zuständig ist. Weder Kommentierungen noch Gesetzgebungsmateri1140  Wahrendorf,

in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 86a Rn. 98. Vorläufiger Rechtsschutz, S. 860. 1142  BFH / NV 1993, 726 (727); Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 36; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 828; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 60. Siehe S. 133. 1143  Siehe S. 134. 1144  BT-Drs. 14 / 5943 S. 33, 142. 1145  Zur Frage der Zuständigkeitskonkurrenz, die sich in beiden Widerspruchsverfahren stellt, siehe: Hommel, in: Peters / Sautter /Wolff , SGG, § 86a Rn. 67; Schoch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 236 ff. 1141  Schoch,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

alien1146 enthalten eine Begründung für die Sonderregelung, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass sie historisch motiviert ist.1147 Im Einspruchsverfahren ist die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, sowohl für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung als auch über die Anordnung der sofortigen Vollziehung zuständig, § 361 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 2 AO. Dieser Unterschied liegt am mangelnden Devolutiveffekt im Einspruchsverfahren.1148 d) Ernstliche Zweifel Wie bereits dargelegt, bestehen Unstimmigkeiten bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit angefochtenen Verwaltungsaktes“, das in § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO, § 86a Abs. 3 S. 2 und § 361 Abs. 2 S. 2 AO genannt wird. Bei den Widerspruchsverfahren nimmt – jedenfalls die herrschende Meinung – das Bestehen von ernstlichen Zweifeln an, wenn der Erfolg des Widerspruchs wahrscheinlicher ist als der Miss­ erfolg.1149 Im Rahmen des Einspruchsverfahrens ist man weniger streng. Ernstliche Zweifel bestehen, wenn gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit sprechen, also auch wenn der Erfolg des Rechtbehelfs genauso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg.1150 Der Wortlaut der Normen ist nicht eindeutig.1151 Die geringeren Anforderungen im Einspruchsverfahren werden damit begründet, dass so im einstweiligen Rechtsschutz eine zügige Entscheidung ermöglicht wird.1152 Dagegen spricht jedoch, dass schnelle Entscheidungen im Eilrechtsschutz stets von erheblicher Bedeutung sind. Dieses Interesse reduziert zwar den Prüfungsumfang zu einer summarischen Prüfung, sollte jedoch den Prüfungsmaßstab nicht beeinträchtigen. Die besseren Argumente sprechen also für die Auslegung der ernstlichen Zweifel wie im Rahmen der Widerspruchsverfahren. Es besteht in allen drei Vorverfahren ein Regel-Ausnahme-Verhältnis bei Verwaltungsakten, die Abgaben und Kosten anfordern, zu Gunsten der sofortigen Vollziehung.1153 Soll daher die sofortige Vollziehung gehemmt werden, 1146  Siehe

BT-Drs. 14 / 5943 S. 25. entspricht § 86 Abs. 3 S. 1 SGG a. F. (gültig 01.01.1980–01.01.2002). 1148  Siehe S. 113. 1149  Siehe Fn. 1085, 1096. 1150  Siehe Fn. 1100. 1151  Schrömbges, Der Begriff der „ernstlichen Zweifel“ im abgabenrechtlichen Aussetzungsverfahren, DB 1988, 1418 (1420). Anders: BFHE 87, 447 (449 f.). 1152  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 361 AO Rn. 177. 1153  OVG Berlin NVwZ-RR 2002, 306; OVG Hamburg NVwZ-RR 1992, 318 (319); Sächsisches OVG LKV 2004, 180; Pietzner / Ronellenfitsch, Assessorexamen 1147  Sie



3. Kap.: Wirkung der eröffneten Vorverfahren211

muss für den Erfolg mehr sprechen als für den Misserfolg, wobei dies auch für das Einspruchsverfahren gilt.1154 e) Rechtsnatur der Anordnung der sofortigen Vollziehung Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG und § 361 Abs. 4 S. 2 AO wird als verfahrensrechtliche Nebenentscheidung und nicht als eigenständiger Verwaltungsakt qualifiziert.1155 Insofern bestehen keine Unterschiede. f) Rechtsnatur der Aussetzung der Vollziehung Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 361 Abs. 2 AO wird als rechtsgestaltender Verwaltungsakt bewertet.1156 Der Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO und § 86a Abs. 3 SGG wird Verwaltungsaktsqualität abgesprochen.1157 Für diese unterschiedliche Bewertung bestehen angesichts des übereinstimmenden Verwaltungsaktbegriffs in den § 35 VwVfG, § 31 SGB X und § 118 AO keine Gründe.1158

B. Hemmung der Bestandskraft und der Festsetzungsverjährung Mit der Einlegung der außergerichtlichen Rechtsbehelfe wird der Eintritt der Bestandskraft der angegriffenen Bescheide verhindert.1159 Für das sozialim Öffentlichen Recht, Rn. 1451; Renck, Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, NVwZ 1992, 338 (339). Siehe S. 204. 1154  So auch: Schrömbges, Der Begriff der „ernstlichen Zweifel“ im abgabenrechtlichen Aussetzungsverfahren, DB 1988, 1418 (1420 ff.). Anders: Lemaire, Der vorläufige Rechtsschutz im Steuerrecht, S. 193 ff. und Schoch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 80 Rn. 285 ff., die sowohl im Einspruchsverfahren als auch im Widerspruchsverfahren die gleichen geringeren Anforderungen an die ernstlichen Zweifel stellen. 1155  FG Niedersachsen, EFG 1998, 337; Gersdorf, in: Posser / Wolff, VwGO, § 80 Rn. 71; Meßling, in: Hauck / Behrend, SGG, § 86a Rn. 57; Puttler, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 80; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 69 FGO Rn. 192. 1156  FG Hamburg EFG 2011, 1468 (1469); Cöster, in: Koenig, AO, § 361 Rn. 68; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 361 AO Rn. 9. 1157  Krodel, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 86a SGG Rn. 64; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 80 Rn. 107. 1158  FG München EFG 1981, 579; Koenig, Zur Zulässigkeit der Aussetzungsbeschwerde nach der Änderung der Finanzgerichtsordnung, BB 1993, 1635 (1637 f.). 1159  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 8 Rn. 2; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 19.

212

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

rechtliche Widerspruchsverfahren ergibt sich das im Umkehrschluss aus § 77 SGG.1160 Ferner wird die Festsetzungsverjährung als Spezifikum1161 der Abgabenordnung gemäß § 171 Abs. 3a AO durch die Erhebung des Einspruchs gehemmt. 4. Kapitel

Beendigung der Vorverfahren Im Folgenden ist darzustellen, wie die drei außergerichtlichen Vorverfahren beendet werden. Hierzu zählen die Beendigung durch einen Abhilfe- oder Vorverfahrensbescheid, die Rücknahme des Widerspruchs bzw. Einspruchs, die Erledigung der Hauptsache und der Abschluss des Vorverfahrens durch einen Vergleichsvertrag.

A. Abhilfebescheid Zunächst besteht die Möglichkeit der Beendung der außergerichtlichen Vorverfahren durch einen Abhilfebescheid. Gemäß § 72 VwGO hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch ab, wenn sie ihn für begründet hält. Das Abhilfeverfahren als Teil des Widerspruchsverfahrens ermöglicht somit der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat, ihre eigene Entscheidung erneut zu überprüfen.1162 Besteht Identität zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde, entfällt nach herrschender Meinung das Abhilfeverfahren.1163 Die Behörde kann sogleich einen Widerspruchsbescheid gemäß § 73 VwGO erlassen. § 85 Abs. 1 SGG entspricht § 72 VwGO. Hiernach hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch ab, wenn sie ihn für begründet erachtet.1164 Das Abhilfeverfahren wird auch im Sozialverwaltungsverfahren als entbehrlich erachtet, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde identisch sind.1165 1160  Hintz,

in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 77 SGG Rn. 1. in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band  3,

1161  Waldhoff,

§ 67 Rn. 108. 1162  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 72 Rn. 1. 1163  BVerwGE 70, 4 (12); Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 72 Rn. 3; Dolde /  Porsch, in: Schoch / ‌Schneider / Bier, VwGO, § 72 Rn. 6; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 72 Rn. 1. Andere Ansicht: Kothe, in: Redeker / von Oertzen, VwGO, § 72 Rn. 2; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, S. 229. 1164  Lowe in: Hintz / Lowe, SGG, § 85 Rn. 2. 1165  Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 85 Rn. 9; Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 85 Rn. 5; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 2.



4. Kap.: Beendigung der Vorverfahren213

Hieraus könnte gefolgert werden, dass im Einspruchsverfahren aufgrund des fehlenden Devolutiveffekts1166 stets ein Einspruchsbescheid erlassen wird. § 367 Abs. 2 S. 3 AO bestimmt jedoch, dass es einer Einspruchsentscheidung nur insoweit bedarf, als die Finanzbehörde dem Einspruch nicht abhilft. Anders als in den Widerspruchsverfahren knüpft der Begriff Abhilfe also nicht daran an, welche Behörde dem Rechtsbehelf stattgibt, sondern ob dieser Erfolg hat. Rechtsgrundlage für die Abhilfe ist die Prüfungsbefugnis der Einspruchsbehörde gemäß § 367 Abs. 2 AO in Verbindung mit den gemäß § 132 S. 1 AO anwendbaren §§ 129, 130, 131, 164, 165, 172 ff., 189 AO.1167 So darf der Steuerbescheid gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO im Einspruchsverfahren auch ohne Zustimmung oder Antrag des Einspruchsführers aufgehoben oder geändert werden. Folge der vollumfänglichen Abhilfe ist die Erledigung und somit der Abschluss des Einspruchsverfahrens.1168 Die Finanzbehörde hat die Wahl, statt einer Abhilfeentscheidung eine förmliche Einspruchsentscheidung zu erlassen.1169 Diese verschiedenen Arten von Abhilfeentscheidungen lassen sich anhand der unterschiedlichen Kostenfolgen erklären. Während der laufenden Widerspruchsverfahren besteht die Möglichkeit der Aufhebung des Verwaltungsaktes gemäß §§ 48 ff. VwVfG bzw. §§ 44 ff. SGB X, wobei es sich hierbei um eigenständige Verwaltungsverfahren handelt.1170 Wird hierdurch dem Inte­ resse des Widerspruchsführers gerecht, tritt Erledigung des Widerspruchsverfahrens ein.1171 Die Kosten des Widerspruchsführers werden allerdings nur im Falle des Abschlusses des Widerspruchsverfahrens durch förmlichen Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid und nicht im Falle der Erledigung erstattet.1172 Die Entscheidung einer Behörde, das Widerspruchsverfahren durch Rücknahme des Verwaltungsaktes zu beenden, kann daher sogar rechtsmissbräuchlich sein.1173 Im gebührenfreien Einspruchsverfahren findet eine Kostenerstattung allerdings auch im Falle einer erfolgreichen Einspruchsent-

1166  Siehe

S. 113. Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 687; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 367 AO Rn. 40. 1168  BFH / NV 2007, 1554 (1555); Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 687 f. Siehe S. 222. 1169  BFHE 225, 4 (10); BFH / NV 2007, 1554 (1555); FG München EFG 2005, 494 (495); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp /Spitaler , AO / FGO, § 367 AO Rn. 366; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 689. 1170  BVerwGE 118, 84 (88); Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 63; Schütze, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, vor §§ 44–49 Rn. 5. 1171  Zur Erledigung siehe S. 221 f. 1172  BVerwGE 118, 84 (88). Siehe S. 239. 1173  BVerwGE 118, 84 (88). 1167  Jesse,

214

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

scheidung nicht statt.1174 Das Fehlen einer Einspruchsentscheidung hat daher keine negativen Kostenfolgen für den Einspruchsführer und entlastet die Finanzbehörden.1175

B. Widerspruchs- und Einspruchsbescheid Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, so ergeht gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 VwGO und § 85 Abs. 2 SGG ein Widerspruchsbescheid. Wird dem Einspruchsbegehren nicht entsprochen, erlässt die Finanzbehörde einen Einspruchsbescheid. Im Falle der Abhilfe des Einspruchs, kann ein Einspruchsbescheid ergehen, § 367 Abs. 2 S. 3 AO.1176 Diese Vorverfahrensbescheide unterliegen bestimmten Form- und Bekanntgabeerfordernissen, die im Folgenden zu untersuchen sind. I. Schriftform, Bekanntgabe und Zustellung Es ist darzustellen, inwieweit die Vorverfahrensbescheide der Schriftform bedürfen und welche Anforderungen an ihre Bekanntgabe gestellt werden. 1. Widerspruchsbescheid im allgemeinen Verwaltungsrecht § 73 Abs. 3 VwGO enthält keine ausdrücklichen Aussagen über ein Schriftformerfordernis des Widerspruchsbescheides. Aus der Pflicht zur förmlichen Zustellung folgt jedoch die Notwendigkeit der Schriftform, da nur Schriftstücke zustellbar sind.1177 Außerdem dienen Rechtsbehelfsbelehrung und Begründung nur dann in genügender Weise der Vorbereitung des gerichtlichen Verfahrens, wenn sie in schriftlicher Form ergehen.1178 Die Schriftform kann gemäß § 79 i. V. m. § 3a Abs. 2 VwVfG durch die elektronische Form ersetzt werden. Der Widerspruchsbescheid ist gemäß § 73 Abs. 3 VwGO nach dem Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes zuzustellen.1179 Elektronische Dokumente können gemäß § 5 Abs. 5 VwZG elektronisch zugestellt werden, so1174  Siehe

S. 242. Einspruch und Klage im Steuerrecht, B. Rn. 686, 689. 1176  Siehe Fn. 1169. 1177  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 73 Rn. 24; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 9 Rn. 2; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn. 19. 1178  Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 73 Rn. 6. 1179  Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 73 Rn. 22; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 73 Rn. 22a. 1175  Jesse,



4. Kap.: Beendigung der Vorverfahren215

weit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet, das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist und gegen die unbefugte Kenntnisnahme Dritter geschützt wird.1180 2. Widerspruchsbescheid im Sozialrecht § 85 Abs. 3 SGG schreibt die Schriftform des Widerspruchsbescheides vor, wobei diese gemäß § 36a Abs. 2 SGB I durch die elektronische Form ersetzt werden kann.1181 Der Widerspruchsbescheid ist gemäß § 37 SGB X bekanntzugeben.1182 Einer förmlichen Zustellung bedarf es nicht. Es ist der Behörde jedoch dennoch möglich, die Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz zu wählen.1183 Über ruhend gestellte sogenannte Massenwidersprüche kann gemäß § 85 Abs. 4 SGG durch eine öffentlich bekannt gegebene Allgemeinverfügung entschieden werden, wenn die den angefochtenen Verwaltungsakten zugrunde liegende Gesetzeslage durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wurde.1184 Das Ruhendstellen von sozialrechtlichen Widersprüchen ist zwar gesetzlich nicht geregelt, mit dem Einverständnis der Beteiligten jedoch möglich.1185 Massenwidersprüche liegen dann vor, wenn Widerspruchsbescheide gegenüber einer Vielzahl von Widerspruchsführern zur gleichen Zeit ergehen müssen und durch sie die Rechtsstellung der Betroffenen ausschließlich nach einem für alle identischen Maßstab verändert wird, § 84 Abs. 4 S. 1 SGG. Im Falle der Widerspruchsentscheidung durch öffentlich bekannt gegebene Allgemeinverfügung beträgt die Klagefrist gemäß § 87 Abs. 1 S. 3 SGG ein Jahr.

1180  Schlatmann, in: Engelhardt / App / Schlatmann, VwVG / VwZG, § 5 VwZG Rn.  11 ff. 1181  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 36. 1182  Hintz, in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 85 SGG Rn. 3; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 40. 1183  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 43. 1184  Lowe in: Hintz / Lowe, SGG, § 85 Rn. 27; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 60. Zu den Voraussetzungen an die öffentliche Bekanntgabe und die Ruhensmitteilung siehe § 85 Abs. 4 S. 2 und 3 SGG. 1185  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 33, 63.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

3. Einspruchsbescheid Gemäß § 366 AO muss auch der Einspruchsbescheid die Schriftform wahren, die gemäß § 365 Abs. 1 i. V. m. § 87a Abs. 4 AO durch die elektronische Form ersetzt werden kann.1186 Der Einspruchsbescheid ist gemäß § 122 AO bekanntzugeben.1187 Die förmliche Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz ist nach pflichtgemäßem Ermessen der Finanzbehörde dennoch möglich.1188 Gemäß § 367 Abs. 2b S. 1 AO können anhängige Einsprüche, die eine vom Gerichtshof der Europäischen Union, vom Bundesverfassungsgericht oder vom Bundesfinanzhof entschiedene Rechtsfrage betreffen und denen nach dem Ausgang des Verfahrens vor diesen Gerichten nicht abgeholfen werden kann, durch Allgemeinverfügung insoweit zurückgewiesen werden.1189 Hiervon sind also, wie im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, gleichgelagerte sogenannte Masseneinsprüche bzw. Musterverfahren umfasst, die gemäß § 363 AO ausgesetzt oder ruhen gelassen wurden.1190 Von besonderer praktischer Relevanz sind im Rahmen des § 367 Abs. 2b S. 1 AO die Fälle der sogenannten Zwangsruhe gemäß § 363 Abs. 2 S. 2 AO.1191 Hier ruht der Einspruch, anders als der sozialrechtliche Widerspruch, auch ohne Zustimmung des Vorverfahrensführers. Regelmäßig wird die Finanzbehörde vor der Allgemeinverfügung eine Teileinspruchentscheidung gemäß § 367 Abs. 2a AO erlassen und das Einspruchsverfahren so auf den späteren Inhalt der Allgemeinverfügung begrenzen.1192 Die Klagefrist beträgt bei der Zurückweisung der Einsprüche durch Allgemeinverfügung gemäß § 367 Abs. 2b S. 5 AO ein Jahr. 4. Vergleich Vergleichend kann also festgestellt werden, dass alle Vorverfahrensbescheide dem Schriftformerfordernis unterliegen, das unter den gleichen Vo­ raussetzungen durch die elektronische Form ersetzt werden kann. Die einschlägigen Regelungen der Schriftformersetzung gemäß § 3a Abs. 2 VwVfG, 1186  Jesse,

Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 727. in: Koenig, AO, § 366 Rn. 25. 1188  BFH / NV 2005, 998 (999); Rätke, in: Klein, AO, § 366 Rn. 8. 1189  Zur Zuständigkeit und der Art der Bekanntgabe siehe § 367 Abs. 2b S. 2–4 AO. 1190  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 606; Rätke, in: Klein, AO, § 367 Rn. 45. 1191  Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 76. 1192  Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 80. 1187  Cöster,



4. Kap.: Beendigung der Vorverfahren217

§ 87a Abs. 4 AO und § 36a Abs. 2 SGB I beruhen auf dem dritten Verwaltungsverfahrensänderungsgesetz und wurden durch das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung erweitert.1193 Erhebliche Unterschiede bestehen allerdings bezüglich der Form der Bekanntgabe der Vorverfahrensbescheide. Während der allgemein-verwaltungsrechtliche Widerspruchsbescheid förmlich zugestellt werden muss, genügt im Einspruchsverfahren und sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren die Bekanntgabe. Die Abgabenordnung sah bis 1992 und das Sozialgerichtsgesetz bis 1998 die förmliche Zustellung vor. Um in Massenverwaltungsverfahren Kosten zu sparen und Verwaltungseffizienz zu gewährleisten, entschied man sich, die Zustellungserfordernisse abzuschaffen.1194 In der Verwaltungsgerichtsordnung, die größtenteils keine Massenverwaltung betrifft, macht die förmliche Zustellung nach wie vor Sinn.1195 Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist die Bekanntgabe von Verwaltungsakten über Behördenportale nun gemäß aller drei Verfahrensordnungen möglich. Dies ist wegen der Dienlichkeit für die einheitliche Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts zu begrüßen.1196 Einspruchsentscheidung können im ELSTER-Online-Portal bereitgestellt und durch Abruf des Steuerpflichtigen bekanntgegeben werden.1197 Nach dem geänderten Wortlaut des § 366 AO ist die elektronische Erteilung der Einspruchsentscheidung nun ausdrücklich vorgesehen.1198 Einzelheiten zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten durch Bereitstellung zum Datenabruf regelt der neue § 122a AO.1199 Im Sozialverwaltungsverfahren können elektronische Verwaltungsakte gemäß § 37 Abs. 2a SGB X n. F. auf Behördenportalen zum Abruf bereitgestellt werden. Diese neuen Möglichkeiten der Bekanntgabe von Verwaltungsakten durch den Ausbau der elektronischen Kommunikation dienen sowohl der Nutzerfreundlichkeit als auch der Verwaltungseffizienz.1200 Der neue § 41 Abs. 2a VwVfG spielt im allgemeinen Widerspruchsverfahren aufgrund des Bedürfnisses der förmlichen Zustellung keine Rolle.

1193  Roßnagel, Das elektronische Verwaltungsverfahren, NJW 2003, 469; Siegel, Der virtuelle Verwaltungsakt, VerwArch 105 (2014), 214 (253 f.). 1194  BT-Drs. 12 / 1368 S. 35; BT-Drs. 13 / 9609 S. 11. 1195  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 366 AO Rn. 17. 1196  BT-Drs. 18 / 8434 S. 120. 1197  BT-Drs. 18 / 7457 S. 75. 1198  BT-Drs. 18 / 7457 S. 26. 1199  BT-Drs. 18 / 7457 S. 17. 1200  BT-Drs. 18 / 7457 S. 46 ff., 51; Prell, in: Bader / Ronellenfitsch, VwVfG, § 35a Rn. 20.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Weitere Abweichungen bestehen hinsichtlich der Möglichkeit, die Vorverfahrensentscheidung durch öffentlich bekanntgegebene Allgemeinverfügung zu treffen. Diese Art der Bekanntgabe kann zwar den effektiven Rechtsschutz des Vorverfahrensführers beeinträchtigen, da die Gefahr besteht, dass er vom Verwaltungsakt nicht erfährt.1201 Es existiert jedoch ein Zielkonflikt zwischen Rechtsschutzinteresse des Vorverfahrensführers und Verwaltungseffizienz, der bei Massenvorverfahren zu Gunsten letzterer entschieden werden darf.1202 Dementsprechend ist es Ziel des § 85 Abs. 4 SGG, die Sozialleistungsträger bei Massenwidersprüchen zu entlasten.1203 Auch § 367 Abs. 2b AO dient der Verfahrensökonomie.1204 Die Finanzbehörden wären ohne diese Regelung nicht in der Lage, Masseneinsprüche zu bewältigen.1205 Der Rechtsweggarantie wird durch die einjährigen Klagefristen entsprochen,1206 weshalb die Regelungen verfassungsrechtlich unbedenklich sind.1207 Der allgemein-verwaltungsrechtliche Widerspruchsbescheid muss auch in Massenverwaltungsverfahren zugestellt werden. Dies ist angesichts des selteneren Vorkommens von Massenwidersprüchen in dieser Säule des Verwaltungsrechts rechtspolitisch nicht zu beanstanden ist.1208 Zur Bewältigung echter Massenverfahren stehen immerhin die §§ 17–19 VwVfG zu Verfügung.1209 II. Begründungspflicht Gemäß § 73 Abs. 3 VwGO, § 85 Abs. 3 SGG und § 366 AO müssen die Vorverfahrensbescheide begründet werden. Die Begründungspflicht ist bereits in der Verfassung verbürgt und dient den Funktionen der Vorverfahren.1210 Dem Rechtsschutz des Vorverfahrensführers wird nur dann genüge getan, wenn er sich effektiv verteidigen kann, wobei dies wiederum nur möglich ist, wenn er die Beweggründe der Verwaltung kennt. Die Behörden müssen sich durch die Begründungspflicht erneut Gedanken über ihre Ent1201  Luik,

in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 61. 77, 275 (285); BVerfG NVwZ 2000, 185 (186 f.); Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 61. 1203  BT-Drs. 16 / 7716 S. 17 f.; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 60. 1204  BT-Drs. 16 / 3368 S. 14; Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 603. 1205  BR-Drs. 622 / 1 / 06 S. 36 f. 1206  BR-Drs. 622 / 1 / 06 S. 37. 1207  BT-Drs. 16 / 3368 S. 14; BT-Drs. 16 / 7716 S. 17 f. 1208  Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 73 Rn. 22. 1209  Siehe S. 133. 1210  Siehe S. 87. Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 366 AO Rn. 30; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 73 Rn. 27; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 9 Rn. 3. 1202  BVerfGE



4. Kap.: Beendigung der Vorverfahren219

scheidung machen, wodurch die Selbstkontrolle verstärkt wird. Schließlich erleichtert die Begründung des Vorverfahrensbescheides eine eventuelle spätere gerichtliche Entscheidung. Die schriftliche Begründung muss daher die tatsächlichen und rechtlichen Gründe der Vorverfahrensbehörde sowie wesentliche Ermessenserwägungen erkennen lassen.1211 Fehlt die Begründung oder ist sie fehlerhaft, handelt es sich um einen Verfahrensfehler, der gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG, § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO bzw. § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG bis zum Abschluss der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz geheilt werden kann.1212 III. Rechtsbehelfsbelehrung Gemein ist den Vorverfahrensbescheiden außerdem, dass sie gemäß § 73 Abs. 3 VwGO, § 85 Abs. 3 SGG und § 366 AO mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen sind. Diese Pflicht soll verhindern, dass Klagen nur aufgrund der fehlenden Kenntnis des Vorverfahrensführers von der Existenz und den Erfordernissen dieses Rechtsbehelfs nicht bzw. zu spät erhoben werden.1213 § 58 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1 FGO bestimmen, dass die Vorverfahrensfrist nur zu laufen beginnt, wenn die Vorverfahrensführer über die Möglichkeit der Klageerhebung,1214 das zuständige Gericht und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt wurden. Fehlt es an einer ordentlichen Rechtsbehelfsbelehrung, besteht gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 VwGO, § 66 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 SGG und § 55 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 FGO grundsätzlich1215 eine einjährige Klagefrist. 1211  BVerfGE 6, 32 (44); BFHE 173, 274 (278 f.); Becker, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 85 Rn. 24; Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 366 Rn. 32, 44; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 73 Rn. 29; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 9 Rn. 4; Lowe in: Hintz / Lowe, SGG, § 85 Rn. 19. 1212  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 73 Rn. 30 f.; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 729, 731; Lowe in: Hintz / Lowe, SGG, § 85 Rn. 21; RohwerKahlmann, SGG, § 85 Rn. 34. 1213  BVerwGE 109, 336 (340); BFHE 212, 407 (409); Hintz, in: Hintz / Lowe, SGG, § 66 Rn. 2; Meissner / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 58 Rn. 15; Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 55 Rn. 2. 1214  Die Klage als statthafter Rechtsbehelf muss bezeichnet werden: Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 66 Rn. 6; Meissner / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 58 Rn. 34; Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 55 Rn. 10. 1215  Außer wenn gemäß den Absätze 2 S. 1 Alt. 2 die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Umstritten ist, ob über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften zu belehren ist. Unter anderem die Sozialrechtsprechung bejaht diese Notwendigkeit und argumentiert mit dem Sinn und Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung.1216 Dagegen spricht jedoch der eindeutige Wortlaut der § 58 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1 FGO, der dieses Erfordernis nicht enthält. Die Normen anders auszulegen, würde vielmehr eher Rechtsunsicherheit hervorrufen.1217 Daher ist die Auffassung zu befürworten, wonach nicht über zu beachtende Formvorschriften zu belehren ist.1218 Im Hinblick auf die Rechtssicherheit ist ferner eine einheitliche Auslegung im Rahmen der verschiedenen Gerichtsgesetze wünschenswert. Es ist der Verwaltung unbenommen, weitere, in den Absätzen 1 nicht genannte Informationen in die Rechtsbehelfsbelehrung aufzunehmen, wenn diese richtig und vollständig sind, den Betroffenen nicht verwirren und nicht den Anschein erwecken, die Rechtsverfolgung sei schwieriger, als es tatsächlich der der Fall ist.1219 Andernfalls läuft die einjährige Klagefrist gemäß den Absätzen 2.

C. Rücknahme des Rechtsbehelfs § 362 AO ist die einzige Norm, die die Rücknahme eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs ausdrücklich regelt. Die Rücknahme der Widersprüche ist aufgrund der Verfügungsbefugnis der Widerspruchsführer dennoch möglich.1220 Weiterhin stimmen die Voraussetzungen und die Folgen der Rücknahme überein. Für die Rücknahme der außergerichtlichen Rechtsbehelfe gelten die gleichen Formvorschriften wie für die Erhebung,1221 § 362 Abs. 1 S. 2 AO i. V. m. 1216  BSGE 1, 194 (195); 11, 213 (215); BSG NZS 2013, 676 (678). Auch in der Literatur wird diese Auffassung vertreten: Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 66 Rn. 10; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 55; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 55 Rn. 10. 1217  Meissner / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 58 Rn. 43. 1218  BVerwGE 50, 248 (250 ff.); BFH / NV 1997, 784; Hintz, in: Hintz / Lowe, SGG, § 66 Rn. 10; Meissner / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 58 Rn. 43; Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 55 Rn. 11. 1219  BVerwGE 57, 188 (190 f.); BSG NZS 2008, 615 (615 f.); Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 85 Rn. 55; Meissner / Schenk, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 58 Rn. 44; Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 55 Rn. 23. 1220  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 362 AO Rn. 31, 34; Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 69 Rn. 7; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 83 Rn. 9. 1221  Zur Form der Erhebung siehe S. 143.



4. Kap.: Beendigung der Vorverfahren221

§ 357 Abs. 1 und 2 AO.1222 Die Rücknahmeerklärung ist eine verfahrensrechtliche, bedingungsfeindliche und empfangsbedürftige Willenserklärung.1223 Sie kann bis zum Erlass der Vorverfahrensentscheidung erfolgen, § 362 Abs. 1 S. 1 AO.1224 Die Rücknahme bewirkt den Verlust des eingelegten Rechtbehelfs, wodurch dieser als nicht eingelegt anzusehen ist, § 362 Abs. 3 AO.1225 Eines Vorverfahrensbescheides bedarf es nicht,1226 es sei denn, es besteht Uneinigkeit über die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung.1227 In den Widerspruchsverfahren ist dies im Hinblick auf die Kostenfolgen besonders bedeutsam.1228 Ist die Vorverfahrensfrist noch nicht abgelaufen, kann der Rechtsbehelf trotz Vorverfahrensrücknahme erneut erhoben werden.1229 Schließlich ist die erhöhte Bedeutung der Rücknahme im Rahmen des Einspruchsverfahrens wegen der dortigen weitreichenden Zulässigkeit der Verböserung zu nennen.1230 Wird der Einspruchsführer gemäß § 367 Abs. 2 S. 2 AO auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen, kann er dieser Entscheidung durch Rücknahme des Einspruchs zuvorkommen.1231

D. Erledigung der Hauptsache Die Erledigung der außergerichtlichen Vorverfahren ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Sie ist jedoch als Form der Beendigung der Vorverfahren 1222  Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 483; Kirchberg, in: Quaas /  Zuck / Funke-Kaiser, Prozesse in Verwaltungssachen, § 2 Rn. 407; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 83 Rn. 9. 1223  Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 73 Rn. 9; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 471; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 83 Rn. 22. 1224  Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 73 Rn. 10; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 475; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 83 Rn. 9. 1225  Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 83 Rn. 22. 1226  Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 362 AO Rn. 162; Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 69 Rn. 84; Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 73 Rn. 11; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 6b. 1227  BFHE 87, 447 (452); AEAO zu § 362 Nr. 2 S. 3; Hüttenbrink, in: Posser /  Wolff, VwGO, § 73 Rn. 11. 1228  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 69 Rn. 84. Der Widerspruchsführer bekommt nur dann seine notwendigen Aufwendungen erstattet, wenn ein förmlicher Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid ergeht. Siehe S. 239, 241. 1229  FG Baden-Württemberg EFG 1996, 350; AEAO zu § 362 Nr. 1 S. 3; Hüttenbrink, in: Posser / Wolff, VwGO, § 73 Rn. 10; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 474; Luik, in: Hauck / Behrend, SGG, § 83 Rn. 23. 1230  Zur Verböserung siehe S. 150. 1231  Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 21.

222

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

anerkannt, wenn außerhalb des Vorverfahrens ein Ereignis eintritt, das die Entscheidung über das Vorverfahren überflüssig macht.1232 Nach herrschender Meinung ist ein sogenannter Fortsetzungsfeststellungswiderspruch bzw. Fortsetzungsfeststellungseinspruch, bei dem eine Vorverfahrensentscheidung in der Sache ergeht, nicht statthaft.1233 Bei Erledigung der Hauptsache im Vorverfahren wird also kein Vorverfahrensbescheid erlassen.1234 Darüber hinaus besteht im Einspruchsverfahren die Besonderheit, dass die Erledigung durch Abhilfe eintreten kann, ohne dass ein Einspruchbescheid erlassen werden muss, § 367 Abs. 2 S. 3 AO.1235 Bei Abhilfe des Einspruchs keinen Einspruchsbescheid zu fordern, ist im Vergleich zu den Widerspruchsverfahren nicht zu beanstanden, da dem Einspruchsführer hierdurch keine negativen Kostenfolgen erwachsen.1236

E. Vorverfahrensbeendigende Vereinbarungen Schließlich ist es möglich, dass Behörde und Vorverfahrenführer die Vorverfahren durch Vereinbarung beenden. I. Vergleichsvertrag So können die Widerspruchsverfahren durch einen Vergleichsvertrag abgeschlossen werden,1237 wobei es hierfür weder einer Rücknahme1238 des Widerspruchs noch eines Widerspruchsbescheides1239 bedarf. Die Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag – §  55 VwVfG und § 54 1232  Geis, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 69 Rn. 88; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 680. 1233  BVerwGE 81, 226 (227); Cöster, in: Koenig, AO, § 367 Rn. 51; Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 69 Rn. 16; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 2e. 1234  BVerwGE 81, 226 (229); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 332; Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 69 Rn. 16; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 6b, 7. 1235  BFH / NV 2007, 1554 (1555); Birkenfeld, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 331; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 683. Siehe S. 213. 1236  Siehe S. 213. 1237  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 69 Rn. 17; Engelmann, in: von Wulffen / Schütze, SGB  X, § 55 Rn. 11b; Wehrhahn, in: Körner / Leitherer /  Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 54 SGB X Rn. 4. 1238  Dolde / Porsch, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 69 Rn. 17. 1239  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 85 Rn. 7.



4. Kap.: Beendigung der Vorverfahren223

SGB X – sind anwendbar.1240 Danach kann durch den Vertrag eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts vorliegende Ungewissheit über den Sachverhalt oder die Rechtslage1241 durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden. Ein derartiger Vergleichsvertrag ist nicht nur in den Fällen der Ermessensverwaltung zulässig, sondern auch, wenn ein Anspruch – beispielsweise gemäß § 38 SGB I auf eine Sozialleistung – besteht, der Vertrag also (teilweise) der Gesetzeslage widerspricht.1242 Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen einer Ungewissheit in dem Sinne, dass eine völlig zweifelfreie Entscheidung aufgrund begrenzten menschlichen Wissens nicht bzw. nur mit unverhältnismäßigem Ermittlungsaufwand möglich ist.1243 Besteht hinreichende rechtliche und tatsächliche Klarheit, ist ein Vergleichsvertrag somit ausgeschlossen.1244 Die Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichsvertrages steht im Ermessen der Behörde.1245 II. Tatsächliche Verständigung Die Abgabenordnung enthält im Gegensatz zu den §§ 54 ff. VwVfG und §§ 53 ff. SGB X keine Regelungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag. Dies wird zum teil als „beredetes Schweigen“1246 eingeordnet. Das Fehlen stellt sich jedoch als „juristisches Vakuum“1247 dar, weshalb Steuervereinbarungen nicht generell verboten sind und Raum für Rechtsfortbildung besteht. Die Rechtsprechung hat daher das Institut der tatsächlichen Verständigung entwickelt, wonach sich Finanzbehörde und Steuerpflichtiger auf einen bestimmten Sachverhalt einigen dürfen, wenn er nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden könnte.1248 Der Bundesfinanzhof be1240  Engelmann, in: von Wulffen / Schütze, SGB X, § 55 Rn. 11b; Geis, in: Sodan /  Ziekow, VwGO, § 69 Rn. 104. 1241  BVerwGE 49, 359 (364); 84, 157 (165); Becker, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 54 Rn. 2, 36; Ramsauer / Tegethoff, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 55 Rn. 16a. 1242  BVerwGE 49, 359 (364); Becker, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 54 Rn. 3 f., 7; Ramsauer / Tegethoff, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 55 Rn. 1, 63; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 55 Rn. 6. 1243  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 54 Rn. 9. 1244  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 54 Rn. 9; Ramsauer / Tegethoff, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 55 Rn. 3. 1245  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 54 Rn. 51 ff.; Ramsauer / Tegethoff, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 55 Rn. 20; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 55 Rn. 20. 1246  von Groll, Treu und Glauben im Steuerrecht, FR 1995, 814 (818). So auch: Martens, Vergleichsvertrag im Steuerrecht?, StuW 1986, 97 (98). 1247  Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 241. 1248  BFHE 142, 549 (554 ff.); 162, 211 (214); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 242; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 78 AO Rn. 120.

224

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

grenzt die Möglichkeit der Verständigung jedoch grundsätzlich auf Sachverhaltsfragen.1249 Bei der tatsächlichen Verständigung handelt es sich de facto um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag.1250 III. Unterschiede Die Möglichkeit, Vorverfahren durch öffentlich-rechtliche Vergleichsverträge zu beenden, wird durch den Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG begrenzt. Besteht völlige rechtliche und tatsächliche Klarheit, ist ein Vergleichsvertrag ausgeschlossen.1251 Verständigungen, die zu offensichtlich falschen Ergebnissen führen, sind unzulässig.1252 Der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz begründet auch das Verbot gesetzesabweichender Steuervereinbarungen,1253 das als Ursache für die Unzulässigkeit der Beendigung des Einspruchsverfahrens durch öffentlich-rechtlichen Vertrag angesehen wird.1254 Der Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung ist jedoch mit dem Bedürfnis nach Verwaltungseffizienz in Ausgleich zu bringen.1255 Aus diesem Grund werden sowohl in den Widerspruchsverfahren als auch im Einspruchsverfahren Vereinbarungen als zulässig angesehen, die tatsächliche Ungewissheiten betreffen, die aufgrund der Grenzen menschlicher Erkenntnis gar nicht oder nur mit erheblichem Aufwand ausgeräumt werden könnten.1256 Dies wird als „Lockerung“ der Gesetzesbindung der Verwaltung bezeichnet

1249  Beispielsweise

BFH / NV 1998, 188. in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 242; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 54 Rn. 47; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 147; Seer, Konsensuales Steuerrecht, in: Kirchhof / Lehner / Raupach / Rodi, FS Vogel, 699 (705 ff.). Andere Ansicht: BFH / NV 2000, 537 (538). Kritisch: Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 78 AO Rn. 117. 1251  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 54 Rn. 9; Ramsauer / Tegethoff, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 55 Rn. 3; Seer, Verständigungen im Steuerrecht, S. 383. 1252  Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 146; Söhn, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 78 AO Rn. 143. 1253  BVerwGE 8, 329 (330 f.); Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 240; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 54 Rn. 43, 50; Seer, in: Tipke / Lang, Steuer­recht, § 21 Rn. 149. 1254  BFHE 142, 549 (554 f.); 162, 211 (213 f.); Birkenfeld, in: Hübschmann /  Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 367 AO Rn. 291. 1255  Siehe S. 81. 1256  BT-Drs. 7 / 910 S. 80; BFHE 142, 549 (555); Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 54 Rn. 9; Ramsauer / Tegethoff, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 55 Rn. 3; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 55 Rn. 7; Seer, Verständigungen im Steuerrecht, S. 382; Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht S. 177 ff. 1250  Hey,



4. Kap.: Beendigung der Vorverfahren225

und als verfassungsrechtlich unbedenklich hingenommen.1257 Vergleichsverträgen kommt das „Privileg gesteigerter Unempfindlichkeit gegenüber Gesetzesverletzungen“1258 zu. Vergleichverträge zur Beendigung der Widerspruchsverfahren sind auch bei rechtlichen Ungewissheiten zulässig, § 55 VwVfG, § 54 Abs. 1 SGB X. Die Praxis beschränkt die Möglichkeit der Verständigungen im Steuerrecht hingegen auf Tatsachenfragen. Dies gilt auch für verwaltungsrechtliche ­Widerspruchsverfahren, die steuerrechtliche Streitigkeiten zum Gegenstand haben.1259 Die Beschränkung mag überraschen, da die Notwendigkeit der Verfahrensökonomie im Steuerverwaltungsverfahren schwer wiegt.1260 Allen öffentlich-rechtlichen Verträgen wohnt eine Missbrauchsgefahr inne.1261 Diese ist jedoch bei der Verwaltung von Steuern als der primären Einkunftsquelle des Staates erhöht. Hier hätten rechtswidrige Absprachen und Besserstellungen von gut beratenen Steuerpflichtigen durch „Paktieren“ und „Deals“ jedenfalls monetär gravierendere Auswirkungen.1262 Daher ist die restriktivere Handhabung von Verständigungen im Steuerrecht gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden. Dennoch ist die Möglichkeit, Steuervereinbarungen auch über Rechtsfragen zu treffen, also Einspruchsverfahren durch öffentlich-rechtlichen Vertrag beenden zu können, wünschenswert.1263 Nicht nur Vereinbarungen über 1257  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 54 Rn. 9; Ramsauer / Tegethoff, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 55 Rn. 1, 3; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 55 Rn. 7; Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht S. 173 f. Andere Ansicht, wonach die tatsächliche Verständigung den Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht beeinträchtigt, da durch sie lediglich Ungewissheiten beseitigt werden: Seer, Verständigungen im Steuerrecht, S. 212 f.; Vogel, Vergleich und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Steuerrecht, in: Knobbe-Keuk / Klein / Moxter, FS Döllerer, 677 (688). 1258  BVerwGE 49, 359 (364). 1259  BVerwGE 8, 329 (330 f.). 1260  Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht S. 177. Anders: Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 78 AO Rn. 120, 162. 1261  BT-Drs. 7 / 910 S. 82; Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 54 Rn. 12; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 55 Rn. 6; Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 78 AO Rn. 120 ff. 1262  Vgl. Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 78 AO Rn. 120 ff., 163. 1263  Achatz, Verständigung im Steuerrecht, DStJG 27 (2004), 161; Martens, Vergleichsvertrag im Steuerrecht?, StuW 1986, 97 (103 ff.); Schick, Vergleiche und sonstige Vereinbarungen zwischen Staat und Bürger im Steuerrecht; Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 54 Rn. 49; Seer, Konsensuales Steuerrecht, in: Kirchhof / Lehner / Raupach / Rodi, FS Vogel, 699 (704 f.); Seer, Verständigungen im Steuerrecht, S. 384; Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht S. 173 ff.

226

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Rechts-, sondern auch über Tatsachenfragen haben Auswirkungen auf die Höhe des Steueranspruchs und somit (potentiell) auch auf die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung.1264 Obwohl die drei Säulen des Verwaltungsrechts der Verwaltung unterschiedlich häufig Ermessen gewähren, ist ius strictum allen drei Rechtsgebieten nicht fremd.1265 Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hat im gesamten öffentlichen Recht die gleiche Wirkung.1266 Ferner ist die Unterscheidung zwischen Sachverhalts- und Rechtsfragen teils kaum möglich.1267 Nicht zuletzt besteht für Verständigungen über rechtliche Fragen im Steuerverwaltungsverfahren eine erhebliche praktische Notwendigkeit.1268 Der Missbrauchsgefahr und somit der Gefahr einer gesetzeswidrigen Besteuerung kann durch die Rechtsfolge der Nichtigkeit des öffentlichrechtlichen Vertrages begegnet werden.1269 Die Entscheidung über den Abschluss einer rechtlichen Verständigung darf daher in das Ermessen der ­Behörde gestellt werden, die im Einzelfall zwischen dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem Bedürfnis nach Verwaltungseffi­zienz abwägen muss. Dies ist vergleichbar mit der Entscheidung über die Reichweite der Ermittlungen im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes.1270 5. Kapitel

Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren Untersucht man die drei außergerichtlichen Vorverfahren auf ihre Unterschiede bezüglich der Kosten, ist es hilfreich, zwischen den Verwaltungskosten für die Durchführung des Vorverfahrens einerseits und dem Ersatz der notwendigen Aufwendungen der Ausgangsbehörde1271 sowie des Bürgers 1264  Seer,

in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 147. in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 146. 1266  Die Finanzverwaltung weicht aus Vereinfachungsgründen sogar häufiger vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit ab: Sontheimer, Der verwaltungsrechtliche Vertrag im Steuerrecht S. 174 f. Andere Ansicht: Seer, Verständigungen im Steuerrecht, S. 167 ff.; Vogel, Vergleich und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Steuerrecht, in: KnobbeKeuk / Klein / Moxter, FS Döllerer, 677 (683 ff.). 1267  Achatz, Verständigung im Steuerrecht, DStJG 27 (2004), 161 (171); Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 147. Anders: Söhn, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 78 AO Rn. 164. 1268  Schliesky, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 54 Rn. 44; Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 146; Seer, Verständigungen im Steuerrecht, S. 383. Anders: von Groll, Treu und Glauben im Steuerrecht, FR 1995, 814 (818). 1269  Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 149. 1270  Siehe S. 155. 1271  Wobei es die Unterscheidung zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde mangels Devolutiveffekts im Einspruchsverfahren nicht gibt, S. 113. 1265  Seer,



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren227

andererseits zu unterscheiden. Diese notwendigen Aufwendungen der Ausgangsbehörde und des Bürgers werden entweder im isolierten Vorverfahren oder im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren erstattet, wonach ebenfalls zu differenzieren ist.

A. Verwaltungskosten für die Durchführung des Vorverfahrens Unter Verwaltungskosten sind die Verwaltungsgebühren und die Auslagen der Widerspruchsbehörde zu verstehen.1272 Gebühren sind Entgelte, die wegen der Vornahme einer Verwaltungshandlung, hier der Durchführung des Widerspruchsverfahrens, erhoben werden.1273 I. Allgemeines Widerspruchsverfahren Die Widerspruchsbehörde kann für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nur dann Verwaltungsgebühren erheben, wenn es hierfür eine gesetzliche Ermächtigung gibt, da es sich um eine belastende Verwaltungsmaßnahme handelt.1274 § 80 VwVfG stellt keine Rechtsgrundlage für die Erstattung der Verwaltungskosten der Widerspruchsbehörde dar. Hiernach können nur Aufwendungen des Widerspruchsführers und der Ausgangsbehörde ersetzt werden.1275 Einschlägige Rechtsgrundlagen sind der föderalen Zuständigkeitsverteilung entsprechend im Bundes- oder im Landesrecht zu finden. Führt eine Bundesbehörde Bundesrecht aus, ergibt sich die einschlägige Kostenregelung aus dem Bundesrecht, Art. 86 GG. Führt die Landesbehörde Landesrecht aus, kommen landesrechtliche Kostenregelungen zur Anwendung, Art. 30 i. V.m Art. 70 GG. Führen die Länder die Bundesgesetze hingegen entweder als eigene Angelegenheiten oder im Auftrag des Bundes aus, ergibt sich aus den differenzierenden Bestimmungen der Art. 84 Abs. 1, 85 Abs. 1 GG für das Verwaltungsverfahren entweder eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes oder der Länder. Eine allgemeine Bundesregelung existierte bislang nicht. Das Verwaltungskostengesetz enthielt keine Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung 1272  Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 22; Heße, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 64 SGB X Rn. 2; Rüsken, in: Klein, AO, § 178 Rn. 1. 1273  Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 42 Rn. 31 ff. 1274  Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 42. 1275  OVG Magdeburg NVwZ 2003, 121; Kunze, in: Bader / Ronellenfitsch, VwVfG, § 80 Rn. 18.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

der Widerspruchskosten, sondern stellte lediglich allgemeine Grundsätze für die aufgrund anderen Bundesrechts entstandenen Verwaltungskosten auf.1276 Spezielle Regelungen fanden sich hingegen in mehr als 50 verschiedenen Fachgesetzen und -verordnungen.1277 Das Bundesgebührengesetz, das am 15. August 2013 in Kraft getreten ist und das Verwaltungskostengesetz ersetzt hat, schließt in § 10 begrüßenswerter Weise die bisher bestehende Regelungslücke und vereinheitlicht weitestgehend die Bemessung der Verwaltungskosten im Widerspruchsverfahren für die bundeseigene Verwaltung.1278 Die neue bundesrechtliche Regelung gilt nach § 2 BGebG, im Gegensatz zum abgelösten Verwaltungskostengesetz, nur für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Die Gebührenvorschriften für Amtshandlungen der Länder oder der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sollen ab sofort in der Regel von den Ländern erlassen werden.1279 Sie können gemäß Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG für die Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit Gebührenregelungen erlassen oder nach Art. 84 Abs. 1 S. 2 GG von bisherigen bundesrechtlichen Regelungen abweichende landesrechtliche Gebührengesetze schaffen.1280 Führen die Länder etwa die Luftverkehrsverwaltung im Auftrag des Bundes aus, besteht die Gesetzgebungskompetenz für landesrechtliche Gebührenregelungen nach Art. 85 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 30 GG.1281 Ausnahmsweise bleibt es jedoch bei einer speziellen bundesgesetzlichen Gebührenregelung für Tätigkeiten von Landesbehörden, wenn das Bedürfnis nach einer bundesrechtlichen Regelung fortbesteht.1282 1. Verwaltungskosten im Bundesgebührengesetz Gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 BGebG fällt für die Entscheidung über einen Widerspruch eine Gebühr bis zu der Höhe an, die für die angefochtene Leistung vorgesehen ist. Ist die Ausgangsverwaltungsentscheidung gebührenfrei, sind 1276  BVerwGE 84, 178 (182); Gassner, Die Widerspruchsgebühren in BadenWürttemberg, VBlBW 2012, 405. 1277  Etwa in §  4 BfNKostV, § 3 EHKostV, § 3 der 29. BImSchV oder § 4 BEGGebV (jeweils in der bisher geltenden Fassung). 1278  BT-Drs. 17 / 10422 S. 106. 1279  BT-Drs. 17 / 10422 S. 91. 1280  BT-Drs. 17 / 10422 S. 79. 1281  BT-Drs. 17 / 10422 S. 79. 1282  BT-Drs. 17 / 10422 S. 80. Beispielsweise: GebOst (Gebührennummer 400); § 51 AufenthV; Nr. 12 SeemannsÄKostV.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren229

für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens also ebenfalls keine Gebühren zu erheben. Außerdem fällt gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 BGebG eine Widerspruchsgebühr nur dann an, soweit der Widerspruch erfolglos geblieben ist.1283 Hat der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 45 VwVfG unbeachtlich ist, wird gemäß § 10 Abs. 3 S. 3 BGebG ebenfalls keine Gebühr erhoben.1284 Wird ein Widerspruch zurückgenommen oder erledigt er sich auf sonstige Weise, bevor der Widerspruchsbescheid erlassen ist, beträgt die Gebühr gemäß § 10 Abs. 5 S. 2 BGebG bis zu 75 Prozent des Betrags, der für die angefochtene Leistung festgesetzt wurde, wobei gemäß § 10 Abs. 5 S. 3 BGebG grundsätzlich keine Gebühr zu erheben ist, wenn die Behörde mit der sach­ lichen Bearbeitung noch nicht begonnen hat.1285 2. Verwaltungskosten in landesrechtlichen Kostenregelungen Die Rechtsgrundlagen für Widerspruchsgebühren der Länder befinden sich in den Landesgebührengesetzen und Gebührenverzeichnissen und sind unterschiedlich ausgestaltet.1286 So fallen beispielsweise in einigen Bundesländern Widerspruchsgebühren grundsätzlich1287 nur an, wenn die Amtshandlung, gegen die der Rechtsbehelf eingelegt wurde, gebührenpflichtig war.1288 Nach anderen landesrechtlichen Regelungen werden unabhängig davon, ob die ursprüngliche Amtshandlung gebührenpflichtig war, Kosten für die Durchführung des Widerspruchs erhoben.1289 Manche Länder bestimmen, dass eine 1283  Schlabach,

Bundesgebührengesetz, NVwZ 2013, 1443 (1448). Bundesgebührengesetz, NVwZ 2013, 1443 (1449). 1285  Schlabach, Bundesgebührengesetz, NVwZ 2013, 1443 (1449). 1286  Kirchberg, in: Quaas / Zuck / Funke-Kaiser, Prozesse in Verwaltungssachen, § 2 Rn. 303, 415. 1287  Beispiele für Ausnahmen: In Berlin kann Gebührenfreiheit des Widerspruchs trotz gebührenpflichtiger Amtshandlung bei sozialer Härte bestehen, § 16 Abs. 2 S. 2 GebBeitrG. In Brandenburg und Nordrhein-Westfalen sind Drittwidersprüche gegen nicht-gebührenpflichtige Amtshandlungen gebührenpflichtig, § 18 Abs. 2 GebGBbg und § 15 Abs. 4 GebG NRW. Siehe auch: Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1300 f. 1288  Berlin: § 16 Abs. 2 S. 1 GebBeitrG; Brandenburg: § 18 Abs. 1 GebGBbg; Bremen: § 8 Abs. 1 BremGebBeitrG; Mecklenburg-Vorpommern: § 15 Abs. 3 VwKostG M-V; Nordrhein-Westfalen: § 15 Abs. 3 GebG NRW; Schleswig-Holstein: § 15 Abs. 3 VwKostG SH. 1289  Baden-Württemberg: Nr. 7 GebVerz  IM i. V. m. § 4 Abs. 2 LGebG  BW; Bayern: Art. 9 Abs. 1 KostG BY; Hamburg: § 3 Abs. 2 GebG; Hessen: § 4 Abs. 3 HVwKostG; Niedersachsen: § 12 Abs. 1 S. 1 NVwKostG; Rheinland-Pfalz: § 15 Abs. 4 LGebG; Saarland: § 9a Abs. 1 SaarlGebG; Sachsen: § 11 Abs. 1 SächsVwKG; Sachsen-Anhalt: § 13 Abs. 2 VwKostG LSA; Thüringen: § 4 Abs. 3 ThürVwKostG. 1284  Schlabach,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Gebühr nur dann entsteht, wenn der Widerspruch erfolglos war.1290 Andere Länder legen fest, dass eine Gebühr immer entsteht, aber im Falle des Erfolges des Widerspruchs von der Behörde zu tragen ist.1291 Außerdem bestimmen nur gewisse Länder, dass der Widerspruch gebührenfrei ist, wenn er nur deswegen erfolglos war, weil ein Verfahrens- oder Formmangel im Widerspruchsverfahren geheilt wurde.1292 Verwaltungsgebühren entstehen in einigen Bundesländern auch bei Rücknahme des Widerspruchs.1293 II. Einspruchsverfahren Die Durchführung des Einspruchsverfahrens ist wie das restliche Finanzverwaltungsverfahren gebührenfrei,1294 es gibt weder eine Regelung, die eine allgemeine Kostenpflicht für das Verwaltungsverfahren trifft, noch eine Regelung, die das Einspruchsverfahren kostenpflichtig ausgestaltet. III. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Im Verwaltungsverfahren bei den Behörden i. S. d. SGB X herrscht ebenfalls grundsätzlich1295 gemäß § 64 Abs. 1 S. 1 SGB X sowohl zwischen Be1290  Baden-Württemberg: Nr. 7.1 GebVerz IM; Bayern: Art. 9 Abs. 3 S. 1 KG; Berlin: § 16 Abs. 1 GebBeitrG; Brandenburg: § 18 Abs. 1 GebGBbg; Bremen: § 8 Abs. 1 S. 1 BremGebBeitrG; Hamburg: § 3 Abs. 2 GebG; Hessen: § 4 Abs. 3 S. 1 HVwKostG; Mecklenburg-Vorpommern: § 15 Abs. 3 S. 1 VwKostG M-V; Niedersachsen: § 12 Abs. 1 S. 1 NVwKostG; Nordrhein-Westfalen: § 15 Abs. 3 S. 1 GebG NRW; Sachsen: § 11 Abs. 3 S. 1 SächsVwKG; Sachsen-Anhalt: § 13 Abs. 2 S. 1 VwKostG LSA; Schleswig-Holstein: § 15 Abs. 3 S. 1 VwKostG  SH; Thüringen: § 4 Abs. 3 S. 1 ThürVwKostG. 1291  Rheinland-Pfalz: § 15 Abs. 5 LGebG; Saarland: § 9a Abs. 2 SaarlGebG. 1292  Brandenburg: § 18 Abs. 1 S. 1 GebGBbg; Bremen: § 8 Abs. 3 ­BremGebBeitrG; Nordrhein-Westfalen: § 15 Abs. 3 S. 3 GebG NRW; Saarland: § 9a Abs. 3 S. 3 SaarlGebG; Sachsen-Anhalt: § 13 Abs. 1 S. 2 VwKostG LSA. 1293  Baden-Württemberg: Nr. 7.2 GebVerz IM (wenn mit der sachlichen Bearbeitung begonnen war); Bayern: Art. 9 Abs. 2 S. 1 BayVwVfG (auch bei Erledigung auf andere Weise); Hamburg: § 12 Abs. 4 GebG; Hessen: § 4 Abs. 5 HVwKostG; Mecklenburg-Vorpommern: § 15 Abs. 3 S. 2 VwKostG; Rheinland-Pfalz: § 15 Abs. 6 LGebG (keine andere Regelung bei Rücknahme des Widerspruchs, aber bei Erledigung auf andere Weise); Saarland: § 9a Abs. 4 SaarlGebG; Sachsen: § 11 Abs. 2 SächsVwKG (auch Erledigung auf andere Weise); Schleswig-Holstein: § 15 Abs. 3 S. 3 VwKostG SH; Thüringen: § 4 Abs. 6 ThürVwKostG (auch Erledigung auf andere Weise). 1294  Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 951; Szymczak, in: Koch /  Scholtz, AO, vor § 347 Rn. 9. 1295  Beispiele für Ausnahmen: Seit 01.01.2013 § 81 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V, § 98 Abs. 2 Nr. 4 SGB V, § 7 SGB X (Amtshilfe), § 25 Abs. 5 S. 2 SGB X (Kopien bei Akteneinsicht), § 64 Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 2 S. 3 SGB X (Übersetzungen). Siehe



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren231

hörde und Bürger als auch unter Behörden Kostenfreiheit.1296 Zum Verwaltungsverfahren i. S. d. § 64 Abs. 1 S. 1 SGB X zählt auch das Widerspruchsverfahren.1297 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind auch hier aufgrund von Art. 20 Abs. 3 GG nur bei Bestehen einer gesetzlichen Ermächtigung zulässig.1298 IV. Vergleich Nur im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren werden teilweise Widerspruchsgebühren erhoben. Die Durchführung des Vorverfahrens im steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Vorverfahren ist gebührenfrei. Es wird vertreten, dass Gebühren dann nicht erhoben werden dürfen, wenn die Verwaltungshandlung überwiegend dem öffentlichen Interesse dient.1299 Moderne Gebührenordnungen, im Gegensatz zur Preußischen Verwaltungsgebührenordnung, enthalten jedoch zurecht keinen derartigen Grundsatz.1300 Ausschlaggebend für die Zulässigkeit der Gebührenerhebung ist vielmehr der Ausgleichsgedanke. Dem Bürger dürfen Kosten auferlegt werden, da die Verwaltung eine Handlung vornimmt, bei der ihr Kosten entstehen.1301 Erstere Auffassung gelangt hinsichtlich einer Vorverfahrensgebühr ohnehin zu keinem anderen Ergebnis. Das Vorverfahren ermöglicht der Verwaltung zwar die Selbstkontrolle und entlastet die Verwaltungsgerichte, es schafft aber ebenso eine weitere Rechtsschutzmöglichkeit des Bürgers. Letzterer Funktion ist ein nicht unerhebliches Gewicht beizumessen, weshalb die Durchführung des Vorverfahrens nicht überwiegend dem öffentlichen Interesse dient.1302 Daher ist das Einführen einer Gebühr für das Vorverfahren als Ausgleich für dessen Durchführung unproblematisch zulässig. hierzu: Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 64 SGB X Rn. 7. 1296  Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 64 SGB X Rn. 4. 1297  BT-Drs. 8 / 2034 S. 36; Littmann, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 64 Rn. 7; Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 64 SGB X Rn. 6. 1298  Udsching, in: Krasney / Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, IV Rn. 48. 1299  Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, in Altauflage 2000, § 44 Rn. 21. 1300  BVerwGE 8, 93 (95); BVerwGE 13, 215 (219). 1301  BVerfGE 50, 217 (226); 132, 334 (349); Kube, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 105 Rn. 11; Wernsmann, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, § 3 AO Rn. 157; Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 42 Rn. 31. 1302  Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, in Altauflage 2000, § 44 Rn. 21. Andere Auffassung: Renck-Laufke, Verwaltungsgebühren im Widerspruchsverfahren, BayVBl. 1979, 559.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Dabei kommt dem Gebührengesetzgeber hinsichtlich des „Ob“ einer Gebührenpflicht weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu.1303 Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG darf die Vorverfahrensgebühr keine unsachgemäße oder unzumutbare Erschwernis für den Zugang zu Gereicht darstellen.1304 Bei der Frage der Einführung einer Gebühr werden insbesondere monetäre Interessen berührt, weshalb die Besonderheiten der drei Rechtgebiete in den Vordergrund treten. In diesem Sinne sprechen fiskalische Gründe und die Filterfunktion des Vorverfahrens für die Einführung einer Vorverfahrensgebühr.1305 Soziale Erwägungen1306 und das Ziel der Verwaltungsvereinfachung1307 können als Argumente gegen eine Vorverfahrensgebühr angeführt werden. Vor Inkrafttreten der Abgabenordnung im Jahre 1977 war das Einspruchsverfahren gebührenpflichtig ausgestaltet.1308 Hierfür spricht, dass Einsprüche häufig wegen unzureichender Mitwirkung des Steuerpflichtigen im Veranlagungsverfahren eingelegt werden.1309 Dennoch ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber sich gegen eine Einspruchsgebühr in der Abgabenordnung entschied. Hierfür ist vorrangig die omnipräsente Notwendigkeit der Effizienz im Massenverfahren der Finanzverwaltung heranzuziehen.1310 Aber auch die Gleichbehandlung mit dem Antrag auf schlichte Änderung1311 hinsichtlich der Kosten, die Erleichterung der Rücknahme des Einspruchs und die Umgehung des Streits, ob die mangelhafte Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei Kostenentscheidungen berücksichtigt werden soll, sprechen für die Gebührenfreiheit.1312 1303  BVerfGE 50, 217 (226); Kirchberg / Herrmann, in: Quaas / Zuck / Funke-Kaiser, Prozesse in Verwaltungssachen, § 2 Rn. 415. 1304  BVerfGE 50, 217 (231). Siehe S. 65. 1305  Bundesrat BT-Drs. 3 / 127 S. 56; BVerfGE 50, 217 (226, 230 f.); Kube, in: Epping / Hillgruber, GG, Art. 105 Rn. 12 f.; Schlüter, Der Einspruch in der Praxis der Finanzämter, S.  313 ff. 1306  Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 64 SGB X Rn. 3; Timme, in: Diering / Timme, SGB X, § 64 Rn. 2. 1307  BT-Drs. 7 / 4292 S. 8 und 9. 1308  Beispielsweise in der RAO 1919 §§ 285 – 297, abgedruckt in Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 165. 1309  Schlüter, Der Einspruch in der Praxis der Finanzämter, S. 293, 314. 1310  BT-Drs. 7 / 4292 S. 9; Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 51 ff.; Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 Rn. 115. 1311  Andere Ansicht: Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 37 ff. weist auf die fehlende Gleichwertigkeit der beiden Verfahren hin und geht davon aus, dass eine unterschiedliche Behandlung daher angebracht ist. 1312  BT-Drs. 7 / 4292 S. 8 f.; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, vor § 347 Rn. 24; Tappe, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, AO / FGO, vor §§ 347–368 Rn. 115.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren233

Die grundsätzliche Kostenfreiheit des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens dient der Umsetzung des Sozialstaatsprinzips.1313 Dieses begründet allerdings keine verfassungsrechtliche Pflicht, das Widerspruchsverfahren kostenfrei auszugestalten.1314 Dennoch ist die Kostenfreiheit im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren unverändert geblieben.1315 Es soll gewährleistet werden, dass der Bürger nicht aufgrund der Pflicht zur Gebührenzahlung von der Inanspruchnahme der Sozialverwaltung absieht.1316 Zumindest im Sozialversicherungsrecht werden die Kosten des Verwaltungsverfahrens mittelbar durch die Beiträge der Solidargemeinschaft ausgeglichen.1317 Kritik an der Kostenfreiheit des Widerspruchsverfahrens ist dort angezeigt, wo sie sozialpolitisch nicht geboten ist.1318 Beispielsweise Sozialleistungsträger und Kassenärzte sind nicht sozial schutzbedürftig sind. Man könnte daher in Erwägung ziehen, nur sozialbedürftige Widerspruchsführer von Gebühren zu befreien, und die Gebührenpflicht im Widerspruchsverfahren zweigliedrig auszugestalten. Im gerichtlichen Verfahren besteht diese Unterscheidung.1319 Es ist dem Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt, zu berücksichtigen, dass auch Sozialleistungsträger und Kassenärzte Teil des Systems der sozialen Sicherheit sind1320 und daher privilegiert behandelt werden dürfen. Das eingliedrige System der Kostenfreiheit dient den Zielen der Vereinfachung und Vereinheitlichung,1321 denen im Verwaltungsverfahren eine höhere Bedeutung zukommt als im gerichtlichen Verfahren.

1313  Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 64 SGB X Rn. 3; Timme, in: Diering / Timme, SGB X, § 64 Rn. 2. 1314  Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 64 SGB X Rn. 3. 1315  Reichsfürsorgeverordnung von 1924, später abgelöst durch Bundessozialhilfegesetz. 1980 wurden § 54 Abs. 2 BAföG, § 49 Abs. 1 SchwbG, §§ 137, 138, 618 Abs. 1 RVO, §§ 230, 231 RKG, § 27f BVG, § 34 Abs. 1 KOVVerfG, § 26 BKGG, § 32 WoGG, § 85a JWG und § 118 BSHG in § 64 Abs. 1 SGB X zusammengefasst. 1316  Littmann, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 64 Rn. 1 f. 1317  Littmann, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 64 Rn. 2. So in Bezug auf das gerichtliche Verfahren auch Plagemann, Durchsetzung sozialer Rechtspositionen, NZS 2006, 169 (174). 1318  So auch Siewert, in: Krause / von Mutius / Schnapp, SGB X, § 64 Rn. 5. 1319  Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 SGG genannten privilegierten Personen gehören, haben gemäß § 184 SGG für jede Streitsache eine Gebühr zu entrichten. 1320  Sodan, in: Sodan, Krankenversicherungsrechts, § 2 Rn. 80 ff. 1321  In Bezug auf das Klageverfahren: BT-Drs. 8 / 2034 S. 30.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

B. Erstattung der Kosten des Vorverfahrens im isolierten Vorverfahren Findet kein gerichtliches Verfahren statt bzw. hat noch kein gerichtliches Verfahren stattgefunden, stellt sich die Frage der Erstattung der notwendigen Aufwendungen des Bürgers und der Verwaltung im isolierten Vorverfahren. Zu den erstattungsfähigen Aufwendungen des Vorverfahrens zählen die persönlichen Auslagen der Ausgangsbehörde und des Bürgers und die Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten.1322 Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Kostenerstattung möglich ist, beginnt mit der Suche nach einer verfahrensrechtlichen Rechtsgrundlage. Existiert eine solche, ist bei ihrer Untersuchung zwischen der Kostenerstattung im erfolgreichen und im erfolglosen Vorverfahren und bei Beendigung des Vorverfahrens auf andere Weise als durch Abhilfe- oder Vorverfahrensbescheid zu differenzieren. Sieht das jeweils anwendbare Verfahrensgesetz insgesamt oder in der konkreten Konstellation keine Kostenerstattung vor, ist fraglich, ob sie durch analoge Anwendung eines anderen Kostenerstattungsanspruchs oder auf Grundlage des Amtshaftungsanspruchs möglich ist. I. Allgemeines Widerspruchsverfahren § 72 und § 73 Abs. 3 S. 3 VwGO legen fest, dass eine Entscheidung über die Kosten getroffen werden muss, wenn ein formeller Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid ergeht. Die Verwaltungsgerichtsordnung bestimmt allerdings nicht, wem welche Kosten unter welchen Voraussetzungen auferlegt werden dürfen.1323 Die materielle Verteilung richtet sich vielmehr nach dem jeweils geltenden Verwaltungsverfahrensrecht, genauer § 80 VwVfG des Bundes bzw. den entsprechenden Regelungen der Landesverwaltungsverfahrensgesetze.1324 1. Kostenerstattung im Erfolgsfalle Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, dem Widerspruchsführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG. § 80 1322  Kallerhoff / Keller,

in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 59. 7 / 910 S. 91. 1324  Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 28; Bosch / Schmidt / Vondung, Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, Rn. 704. 1323  BT-Drs.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren235

Abs. 1 S. 1 VwVfG ist entgegen dem Wortlaut nicht nur auf Anfechtungs-, sondern auch auf Verpflichtungs- und, sofern diese spezialgesetzlich vorgesehen sind,1325 auch auf Feststellungs- und Leistungswidersprüche anwendbar.1326 Ein Widerspruch ist erfolgreich, wenn eine stattgebende Entscheidung gemäß §§ 72, 73 VwGO fällt, wobei der Grund des Erfolges, also das Fehlen der Recht- oder der Zweckmäßigkeit, gleichgültig ist.1327 Bei teilweisem Erfolg ist § 155 Abs. 1 VwGO analog heranzuziehen.1328 Danach sind die Kosten verhältnismäßig zu teilen.1329 Art. 80 Abs. 1 S. 3 BayVwVfG und § 80 Abs. 1 S. 4 ThürVwVfG erklären § 155 Abs. 1 VwGO ausdrücklich für anwendbar. Wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 45 unbeachtlich ist, sind dem Widerspruchsführer ebenfalls die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, § 80 Abs. 1 S. 2 VwVfG.1330 § 80 Abs. 1 S. 2 VwVfG ist allerdings nicht anwendbar, wenn die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 46 VwVfG die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.1331 Anders ist dies nur in Rheinland-Pfalz gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 AGVwGO.1332 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG kann nur derjenige, der den Widerspruch erhoben hat, die Erstattung seiner Kosten verlangen. § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG stellt daher keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch eines nach § 13 VwVfG am Widerspruchsverfahren beteiligten Dritten, der nicht der Widerspruchsführer selbst ist, auf Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen inklusive der Gebühren und Auslagen eines Rechtsan1325  Z. B.

im Beamtenrecht gemäß § 54 Abs. 2 BeamtStG. in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 29. 1327  BVerwG NVwZ 1983, 544 (544 f.); BVerwG Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 33; Bosch / Schmidt / Vondung, Praktische Einführung in das verwaltungsgericht­ liche Verfahren, Rn. 711; Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 49; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk /  Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 32. 1328  BVerwG Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 33; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens /  Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 33. 1329  Bosch / Schmidt / Vondung, Praktische Einführung in das verwaltungsgericht­ liche Verfahren, Rn. 712. 1330  Diese Ausnahme besteht aus Billigkeitsgründen: BT-Drs. 7 / 910 S. 92; Bosch / Schmidt / Vondung, Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, Rn. 715; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 37. 1331  Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 52; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 41. 1332  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 42. 1326  Kallerhoff / Keller,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

walts dar.1333 Eine Rechtsgrundlage zur Erstattung von Aufwendungen Dritter existiert nur in Bayern in Art. 80 Abs. 2 S. 2 BayVwVfG.1334 Erstattet werden müssen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen, § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG.1335 Nach § 80 Abs. 2 sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten i.  S.  d. § 14 Abs. 1 S. 1 VwVfG1336 im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.1337 Es wird diskutiert, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten nur ausnahmsweise, in schwierigen und umfangreichen Verfahren, oder andererseits im Regelfall notwendig ist. Befürworter ersterer Auffassung argumentieren damit, dass aufgrund des Zwecks des Vorverfahrens, die Selbstkontrolle der ohnehin an Recht und Gesetz gebundenen Verwaltung zu ermöglichen, noch keine Waffengleichheit notwendig sei,1338 es die Möglichkeit der späteren gerichtlichen Kontrolle gebe1339 und der Gesetzgeber in der Regel keine Notwendigkeit der Hinzuziehung vorgesehen habe.1340 Für die regelmäßige Notwendigkeit der Zuziehung spricht jedoch, dass immer kompliziertere Sachverhalte und immer komplexer und spezieller werdendes Verwaltungsrecht zu einer Änderung der Auslegung der Voraussetzung der Notwendigkeit zwingen.1341 Neben der Selbstkontrolle der Verwaltung, auf die sich erstere Auffassung stützt, sind die anderen Funktionen des außergerichtlichen Vorverfahrens zu berücksichtigen. So spricht das Ziel der Entlastung der Gerichte, dem durch das erfolglose Erheben von 1333  Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 39; Bosch / Schmidt / Vondung, Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, Rn. 704. 1334  Die Entscheidung über die Aufwendungen anderer Beteiligter ist notwendiger Bestandteil des Abhilfebescheides, „muss“. Nach Art. 80 Abs. 2 S. 2 BayVwVfG sind Aufwendungen anderer Beteiligter erstattungsfähig, wenn sie aus Billigkeit demjenigen, der die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat, oder der Staatskasse auferlegt werden. 1335  Notwendig sind Aufwendungen, wenn sie aus der ex ante Sicht eines verständigen Beteiligten, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, erforderlich sind: Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 80 Rn. 50. 1336  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 78. 1337  Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Einzelfall wird die Sicht eines vernünftigen Beteiligten herangezogen, der bemüht ist, die Verfahrenskosten so gering wie möglich zu halten: Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 80. Wird ein Rechtsanwalt oder Bevollmächtigter im gerichtlichen Verfahren zugezogen, sind seine Gebühren und Auslagen immer erstattungsfähig, § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO. 1338  BVerwG NVwZ 1987, 883 (884). 1339  BVerwGE 61, 100 (101 f.). 1340  BT-Drs. 3 / 55 S. 48. 1341  Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 77.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren237

Klagen wegen fehlender rechtlicher Beratung im Vorverfahren nicht Genüge getan würde, für die regelmäßig notwendige Zuziehung.1342 Das Bedürfnis der Waffengleichheit besteht, zum einen weil das Widerspruchsverfahren nicht nur der Selbstkontrolle der Verwaltung, sondern eben auch dem Rechtsschutz des Bürgers dient1343, und zum anderen, weil die Behörde über eigenes fachkundiges Personal verfügt.1344 Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten bereits im Vorverfahren dient auch der Wahrung von Verfahrensrechten, die im gerichtlichen Verfahren nicht mehr verwirklicht werden können.1345 Daher ist in der Regel von der Notwendigkeit der Hinzuziehung auszugehen, wobei dies nicht von einer Einzelfallprüfung entbindet.1346 Außerdem sind nach § 80 Abs. 1 S. 4 VwVfG Aufwendungen, die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstanden sind, von diesem selbst zu tragen, wobei das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zugerechnet wird.1347 2. Kostenerstattung im Falle der Erfolglosigkeit Soweit der Widerspruch erfolglos geblieben ist, hat derjenige, der den Widerspruch eingelegt hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, zu erstatten, § 80 Abs. 1 S. 3 VwVfG. Eine derartige Regelung fehlt in § 120 LVwG Schleswig-Holstein ganz. Deshalb gibt es dort keine Erstattungslast des Widerspruchsführers zu Gunsten der Behörde. Die Erstattungspflicht des erfolglosen Widerspruchsführers gilt ausnahmsweise nicht, wenn der Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt eingelegt wird, der im Rahmen eines bestehenden oder früheren öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses oder einer bestehenden oder früheren gesetzlichen Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die an Stelle der gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann, erlassen wurde. In Ba1342  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 81; Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 102. 1343  Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 102. 1344  OVG Bremen NVwZ 1989, 76; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 85; Kirchberg, in: Quaas / Zuck / Funke-Kaiser, Prozesse in Verwaltungssachen, § 2 Rn. 420; Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 102; Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 77, 79. 1345  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 81. 1346  Dürr, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 80 Rn. 65 (der Widerspruchsführer ist regelmäßig nicht rechtskundig). Anders: BVerwGE 61, 100 (101). 1347  Verschulden liegt vor, wenn die für einen gewissenhaften Widerspruchsführer objektiv gebotene Sorgfalt nicht eingehalten wird: Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 32 Rn. 20.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

den-Württemberg gibt es nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG eine weitere Ausnahme für Widersprüche, die gegen Verwaltungsakte eingelegt werden, die im Rahmen eines Schulverhältnisses erlassen wurden. Nach § 80 Abs. 1 S. 3 VwVfG kann nur die Ausgangsbehörde Kostengläubiger sein. Nicht erstattet werden die Aufwendungen der Widerspruchsbehörde, da diese nach den Kostengesetzen abzuwickeln sind, wobei dies auch gilt, wenn Widerspruchs- und Ausgangsbehörde identisch sind.1348 Eine andere Regelung besteht nur in Bayern: Nach Art. 80 Abs. 2 S. 1 BayVwVfG gehören zu den Kosten des Widerspruchsverfahrens auch die Verwaltungskosten der Widerspruchsbehörde.1349 Ein am Widerspruchsverfahren Beteiligter nach § 13 VwVfG ist nicht erstattungsberechtigt.1350 Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zur Erstattung der Kosten des Dritten gibt es auch im erfolglosen Widerspruchsverfahren nur in Bayern nach Art. 80 Abs. 2 S. 2 BayVwVfG. Erstattet werden auch bei einem erfolglosen Widerspruch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen.1351 § 80 Abs. 2 VwVfG regelt auch die Erstattung der Gebühren und Auslagen eines zugezogenen Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten der Ausgangsbehörde im erfolglosen Widerspruchsverfahren.1352 Voraussetzung ist wie bei der Erstattung zu Gunsten des Widerspruchsführers, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten notwendig war. Dies ist seltener der Fall als bei der Zuziehung durch einen Bürger und stellt die Ausnahme dar, da die Ausgangsbehörde über eigenes fachkundiges Personal, auch für die Bearbeitung schwieriger Sachverhalte, verfügen sollte.1353 Auch bei der Kostenerstattung im erfolglosen Widerspruchsverfahren muss die Behörde Aufwendungen, die durch ihr Verschulden entstanden sind, selbst tragen.

1348  Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 40; Dürr, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 80 Rn. 43; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 45; Pietzner / Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, Rn. 1298 f. 1349  König / Meins, Verwaltungsverfahrensgesetz des Freistaates Bayern, Art. 80 Rn. 18. 1350  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 47. Genauso kann er nicht zur Kostenerstattung herangezogen werden. Siehe S. 235. 1351  Siehe S. 236. 1352  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 85. 1353  Ramsauer, in: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 80 Rn. 42.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren239

3. Kostenerstattung bei Beendigung auf andere Weise § 80 VwVfG des Bundes und der meisten Länder stellen keine Rechtsgrundlage für eine Erstattung der Kosten des Vorverfahrens dar, wenn das Widerspruchsverfahren auf andere Weise als durch einen Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid nach §§ 72, 73 VwGO endet.1354 Voraussetzung für die Kostenerstattung nach § 80 VwVfG ist, dass der Widerspruch erfolgreich oder erfolglos ist. Dies ist im Sinne von Erfolg und Erfolglosigkeit im Rahmen eines Abhilfe- oder Widerspruchsbescheides zu verstehen, da § 80 VwVfG erlassen wurde, um zu bestimmen wie die Kostenentscheidung nach §§ 72, 73 Abs. 3 S. 3 VwGO zu ergehen hat.1355 Einige Landesgesetze enthalten jedoch Regelungen für die Kostenerstattung, wenn sich der Widerspruch auf andere Weise erledigt. So bestimmt Baden-Württemberg in § 80 Abs. 1 S. 5 LVwVfG, Bayern in Art. 80 Abs. 1 S. 5 BayVwVfG, Rheinland-Pfalz in § 19 Abs. 1 S. 5 AGVwGO, das Saarland in § 80 Abs. 1 S. 5 SVwVfG und Thüringen in § 80 Abs. 1 S. 6 Thür­ VwVfG, dass in diesem Fall eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sachstandes erfolgt. Bayern regelt in Art. 80 Abs. 1 S. 2 VwVfG zusätzlich die Kostenerstattung bei Rücknahme des Widerspruchs. II. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Im isolierten sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren ist die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen in § 63 SGB X geregelt. Obwohl in § 85 SGG eine den §§ 72, 73 Abs. 3 S. 2 VwGO entsprechende Regelung fehlt, müssen der Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid eine Entscheidung über die Kosten enthalten.1356 1. Kostenerstattung im Erfolgsfalle Gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der den Widerspruch 1354  Brandt, in: Brandt / Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Kap. G Rn. 35–38; Altenmüller, Die Kostenentscheidung im Vorverfahren, DÖV 1978, 910; Dürr, in: Knack / Henneke, VwVfG, § 80 Rn. 52 ff.; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 31. Zu den Möglichkeiten der Beendigung siehe S. 212 ff. 1355  BT-Drs. 7 / 910 S. 91. 1356  BSG SozR 1300 § 63 Nr. 11; Hintz, in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 85 SGG Rn. 5.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Diese Vorschrift entspricht nach dem Willen des Gesetzgebers § 80 Abs. 1 S. 1 VwVfG,1357 weshalb die einzelnen Erstattungsvoraussetzungen so zu lesen sind wie dort. So umfasst § 63 SGB X entgegen dem Wortlaut nicht nur Anfechtungs-, sondern auch Verpflichtungswidersprüche.1358 Der Widerspruch ist erfolgreich, wenn dem Widerspruchbegehren entsprochen wird. Die Kosten werden erstattet, „soweit“ der Widerspruch erfolgreich ist, daher ist auch hier bei einem teilweisen Erfolg eine Quotelung vorzunehmen.1359 Nach § 63 Abs. 1 S. 2 SGB X werden dem Widerspruchsführer auch dann die Kosten erstattet, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist.1360 § 63 Abs. 1 S. 2 SGB X ist aufgrund seines eindeutigen Wortlauts nicht auf Verfahrens- und Formfehler anwendbar, die nach § 42 SGB X die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben.1361 § 63 SGB X enthält keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten eines nach § 12 SGB X am Widerspruchsverfahren beteiligten Dritten. Ersetzt werden gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen.1362 Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.1363 Im Rahmen der Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten nach § 63 Abs. 2 SGB X stellt sich genauso die Frage, ob die Zuziehung in der Regel notwendig ist. Der Rechtsstreit stellt sich nicht anders dar als im verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren1364 und ist deshalb mit den dort 1357  BT-Drs.

8 / 2034 S. 36. in: Hauck / Noftz, SGB X, § 63 Rn. 9. 1359  Fichte, in: Knickrehm / Kreikebohm / Waltermann, Sozialrecht, § 63 SGB  X Rn. 4. 1360  Siehe S. 229 1361  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 63 Rn. 38. 1362  Die sozialrechtliche Literatur verweist auf verwaltungsrechtliche Literatur und Rechtsprechung. So z. B. Becker, in: Hauck / Noftz, SGB  X, § 63 Rn. 62. Das Merkmal der Notwendigkeit wird also ausgelegt wie i. R.d. § 80 VwVfG. 1363  Siehe S. 236. Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 63 SGB X Rn. 17. 1364  Siehe S. 237. Die sozialrechtliche Literatur und Rechtsprechung verweisen zur Problemlösung auf verwaltungsrechtliche Literatur und Rechtsprechung. Beispielsweise: LSG NRW BeckRS  2009, 62961; Mutschler, in: Körner / Leitherer /  Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 63 SGB X Rn. 17. 1358  Becker,



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren241

genannten Argumenten durch die Bejahung der regelmäßigen Notwendigkeit der Zuziehung zu lösen.1365 Besonderheiten bestehen im Sozialrecht nicht, da auch hier die Rechtlage immer komplexer und spezieller wird.1366 Gemäß § 63 Abs. 1 S. 3 SGB X sind die durch das Verschulden eines Erstattungsberechtigten entstandenen Aufwendungen von diesem selbst zu tragen. 2. Kostenerstattung im Falle der Erfolglosigkeit Anders als im allgemeinen Widerspruchsverfahren, besteht im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren keine Kostenerstattungspflicht des Widerspruchsführers, wenn der Widerspruch erfolglos ist. § 63 SGB X regelt die Erstattung von Kosten im Vorverfahren abschließend.1367 3. Kostenerstattung bei Beendigung auf andere Weise § 63 SGB X ist keine mögliche Grundlage eines Kostenerstattungsanspruchs bei Beendigung des Widerspruchsverfahrens auf andere Weise als durch Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid.1368 Dieser knüpft den Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers an den Erfolg des Widerspruchs. Erfolgreich in diesem Sinne ist mit Blick auf die Entstehungsgeschichte nur ein Widerspruchsverfahren, das durch Abhilfe- oder positiven Widerspruchsbescheid endet. § 63 SGB X wurde erlassen, um eine § 80 VwVfG entsprechende Regelung zu schaffen.1369 § 80 VwVfG wurde seinerseits nur zur Regelung der Kostenentscheidung im Rahmen eines Abhilfe- oder Widerspruchsbescheides erlassen.1370

1365  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 63 Rn. 50; Fichte, in: Knickrehm / Kreikebohm / ‌Waltermann, Sozialrecht, § 63 SGB  X Rn. 10; Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 63 SGB X Rn. 17; Roos, in: von Wulffen /  Schütze, SGB X, § 63 Rn. 26. 1366  Beispielsweise wurde früher im vertragsärztlichen Prüfungsverfahren die Notwendigkeit der Zuziehung grundsätzlich verneint. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist mittlerweile aber mit mehreren Rechtsfragen verbunden und macht daher die Zuziehung eines Rechtsanwalts regelmäßig notwendig. So auch BSG SozR 4–1300 § 63 Nr. 4. 1367  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 63 Rn. 1; Fichte, in: Knickrehm / Kreikebohm / Waltermann, Sozialrecht, § 63 SGB X Rn. 1. 1368  Heße, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Sozialrecht, § 63 SGB  X Rn. 10; Mutschler, in: Körner / Leitherer / Mutschler, Sozialversicherungsrecht, § 63 SGB X Rn. 8. Zu den Möglichkeiten der Beendigung siehe S. 212 ff. 1369  BT-Drs. 8 / 2034 S. 36. 1370  BT-Drs. 7 / 910 S. 91.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

III. Einspruchsverfahren Die Abgabenordnung enthält gar keine verfahrensrechtliche Kostenerstattungsgrundlage. Das heißt, dass weder der Steuerpflichtige – im Falle eines erfolgreich durchgeführten Einspruchsverfahrens – noch die Finanzverwaltung – im Falle der Erfolglosigkeit des Einspruchs – die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen ersetzt verlangen können.1371 IV. Vorverfahren in Regelungsbereichen mit fehlendem Gleichlauf Schließlich ist die Erstattung von Kosten in Regelungsbereichen zu untersuchen, die materiell-rechtlich einer Säule des Verwaltungsrechts zuzuordnen sind, verfahrens- bzw. prozessrechtlich jedoch anders eingeordnet werden, in denen also ein fehlender Gleichlauf von materiellem Recht, Verfahrens- und Prozessrecht besteht.1372 Wendet sich ein Betroffener gegen die Festsetzung von Kindergeld, ist regelmäßig der Einspruch statthaft,1373 obwohl das Kindergeld den „Charakter einer allgemeinen Sozialleistung“1374 hat. § 77 Abs. 1 EStG enthält daher für erfolgreiche Einsprüche gegen die Festsetzung des Kindergeldes nach dem Einkommensteuergesetz ausnahmsweise einen Kostenerstattungsanspruch. § 77 EStG entspricht zurecht inhaltlich und wertungsmäßig § 63 SGB X und sieht die Kostenerstattung nur einseitig zu Gunsten des Steuerpflichtigen vor.1375 Erstattet werden die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen.1376 Das Kommunalabgabenrecht, das hinsichtlich kommunaler Steuern materielles Steuerrecht darstellt, wird verfahrensrechtlich von der Abgabenordnung, 1371  Jesse,

Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 951. S. 107. 1373  Die Kindergeldfestsetzung erfolgt bei unbeschränkt Steuerpflichtigen nach dem EStG als Steuervergütung, § 31 S. 3 EStG. Nach § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO ist der Einspruch statthaft, und der Finanzgerichtsweg ist nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 AO eröffnet. Bei beschränkt Steuerpflichtigen erfolgt die Kindergeldfestsetzung nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Es ist der Sozialgerichtsweg eröffnet, § 15 BKGG i. V. m. § 51 Abs. 1 Alt. 3 SGG, mit dem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren als außergerichtlichem Rechtsbehelf. Hier gibt es die Möglichkeit der Kostenerstattung beim erfolgreichen isolierten Vorverfahren nach § 63 SGB X. 1374  BVerfGE 82, 60 (78). 1375  Vgl. Selder, in: Blümich, EStG / KStG / GewStG, § 77 EStG Rn. 1, 5. 1376  Selder, in: Blümich, EStG / KStG / GewStG, § 77 EStG Rn. 11 ff. 1372  Siehe



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren243

prozessual von der Verwaltungsgerichtsordnung erfasst.1377 Das statthafte Vorverfahren im Kommunalabgabenrecht ist das Widerspruchsverfahren nach §§  68 ff. VwGO.1378 Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung im kommunalabgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren könnte daher, wie auch sonst im Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, § 80 VwVfG sein. Dies setzt allerdings voraus, dass das jeweilige Bundesland die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf Verwaltungsverfahren, in denen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind, nicht ausgeschlossen hat.1379 Einige Bundesländer verfügen über eine derart umfassende Exemtionsklausel.1380 In ihnen ist die Kostenerstattung nach § 80 VwVfG im isolierten Vorverfahren nicht möglich. In anderen Bundesländern reicht die Exemtionsklausel entweder nicht so weit, oder sie verfügen über eine Regelung, die § 80 VwVfG ausdrücklich für anwendbar erklärt.1381 Im Bundesausbildungsförderungs- und Wohngeldrecht ist das Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO das statthafte Vorverfahren, obwohl es sich gemäß § 68 Nr. 1 und Nr. 10 SGB I um materielles Sozialrecht handelt.1382 Richtigerweise ist daher § 63 SGB X für die Kostenerstattung anwendbar.1383 V. Vergleich Die Unterschiede zwischen den Verfahrensgesetzen liegen im Bestehen und der Reichweite einer Rechtsgrundlage zur Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren. Im Verwaltungsrecht sind die Kostenerstattungsmöglichkeiten 1377  Siehe

S. 108 82, 336 (339); Gersch, in: Klein, AO, § 1 Rn. 11. 1379  Sauthoff, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 12 Rn. 5; Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 2 Rn. 60. 1380  Hessen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg in § 2 Abs. 2 Nr. 1. 1381  In Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern regelt § 80 Abs. 4 Nr. 2, dass § 80 Abs. 1–3 auch für abgabenrechtliche Vorverfahren nach § 68 VwGO gilt. In Bayern erklärt Art. 2 Abs. 2 Nr. 1, in Schleswig-Holstein erklärt § 11 KAG und in Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt erklären § 2 Abs. 2 Nr. 1 das VwVfG nicht gänzlich für unanwendbar, weshalb § 80 VwVfG gilt. Im Saarland und in Thüringen erklärt § 2 Abs. 2 Nr. 1 § 80 VwVfG auf Verfahren, die nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind, ausdrücklich für anwendbar, wenn in diesen Verfahren ein Vorverfahren nach den §§ 68 bis 73 der Verwaltungsgerichtsordnung stattfindet. In Berlin und Sachsen verweisen § 1 der LandesVwVfG auf das BundesVwVfG und auf dessen § 80. In Rheinland-Pfalz erklärt § 3 Abs. 5 S. 1 das AGVwGO bei Rechtsbehelfen für anwendbar, damit ist die Kostenerstattung im isolierten abgabenrechtlichen Vorverfahren nach § 19 AGVwGO möglich. 1382  Siehe S. 108. 1383  Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 14. 1378  BVerwGE

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

am weitreichendsten: Der Widerspruchsführer kann von dem Rechtsträger der Ausgangsbehörde stets Kostenerstattung verlangen, die Ausgangsbehörde vom Widerspruchsführer regelmäßig. Im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren hingegen findet die Kostenerstattung nur einseitig zu Gunsten des Widerspruchsführers statt. In der Abgabenordnung fehlt es gänzlich an einer verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsgrundlage. Verfassungsrechtlich ist der Gesetzgeber nicht dazu gehalten, dem Bürger die Erstattung seiner Kosten im isolierten Vorverfahren zu ermöglichen. Da der Amtshaftungsanspruch aus Art. 34 GG (i. V. m. § 839 BGB) verschuldensabhängig ist,1384 kann hieraus keine Pflicht zur Schaffung eines verschuldensunabhängigen verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs abgeleitet werden.1385 Auch der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG lässt sich kein Gebot der Kostenerstattung entnehmen. Zwar darf im Vorverfahren kein unverhältnismäßig hohes Kostenrisiko bestehen, das den Zugang zu den Gerichten faktisch unmöglich oder von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig machen würde.1386 Doch beim Fehlen einer Kostenerstattungspflicht besteht der Kostennachteil für den Vorverfahrensführer lediglich darin, dass er im isolierten Vorverfahren auch im Erfolgsfalle für seine eigenen Kosten aufkommen muss. Das führt zu dem unschönen Ergebnis, dass „ihm die eine Hand mit der Kostenfolge [nimmt], was ihm die andere Hand mit der Entscheidung in der Hauptsache geben will.“1387 Da das Einspruchsverfahren jedoch auch ohne die Zuziehung von Rechtsrat durchgeführt werden kann, erweiterte Mitwirkungspflichten1388 bestehen und dieses insgesamt kostenfrei1389 ausgestaltet ist, liegt in der fehlenden Erstattung kein unzumutbares Kostenrisiko.1390 1. Einspruchsverfahren Der gänzliche Ausschluss der Kostenerstattung im isolierten Einspruchsverfahren bietet den meisten Diskussionsstoff. Es ist zu untersuchen, ob der fehlenden Regelung rechtspolitische oder gar verfassungsrechtliche Erwägungen 1384  Maurer / Waldhoff,

Allgemeines Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 24. Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 72; Meßerschmidt, Zur Regelung der Erstattung von Vorverfahrenskosten, S. 449–450. 1386  BVerfGE 50, 217 (231); 54, 39 (40 f.). 1387  Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 75. 1388  Siehe S. 160. 1389  Siehe S. 230. 1390  Im Ergebnis auch Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S.  74 ff. 1385  Lüdicke,



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren245

entgegenstehen. So wurde die fehlende Erstattung der Kosten im Verhältnis zu verschiedenen Regelungen am allgemeinen Gleichheitssatz gemessen. Dem im finanzgerichtlichen Verfahren obsiegenden Steuerpflichtigen werden gemäß § 135 i. V. m. § 139 Abs. 1 FGO seine notwendigen Aufwendungen einschließlich der Kosten des Vorverfahrens erstattet. Insofern besteht eine Ungleichbehandlung zwischen einem erfolgreichen Einspruchsführer und einem erfolgreichen Kläger. Ein sachlicher Grund hierfür bestehen darin, dass das Finanzgericht als unabhängige dritte Instanz über die Kosten entscheidet.1391 Außerdem hängt die prozessuale Kostenentscheidung immer vom Obsiegen, also im Kern von der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, ab, während dem Einspruch auch aus Zweckmäßigkeitserwägungen oder wegen zweifelhafter Rechtslage stattgegeben werden kann.1392 Derjenige Steuerpflichtige, der den aufwendigeren Weg der finanzgerichtlichen Klage gehen musste, um zu seinem Recht zu kommen, darf kostenrechtlich gegenüber dem erfolgreichen Einspruchsführer privilegiert werden.1393 Schließlich ist das Streben nach Vereinfachung und Beschleunigung im gerichtlichen Verfahren, in dem ohnehin eine Kostenentscheidung zu erfolgen hat, geringer ausgeprägt.1394 Weiterhin kann man den erfolgreichen Einspruchsführer mit dem erfolgreichen Widerspruchsführer im allgemeinen Verwaltungsrecht vergleichen. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesfinanzhof rechtfertigen dies zunächst mit normativen Erwägungen. Der Einspruchsführer dürfe einem Widerspruchsführer gegenüber benachteiligt werden, wenn sein Kostenrisiko in einem späteren gerichtlichen Verfahren dafür geringer ist.1395 Außerdem bestünde in der Gebührenfreiheit des Einspruchsverfahrens ein sachlicher Grund für die unterschiedlichen Erstattungsregelungen.1396 Die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen die im Gesetzgebungsverfahren auch für die Gebührenfreiheit vorgebrachten Argumente. Am bedeutendsten ist auch an dieser Stelle die Eigenheit des Einspruchsverfahrens als Massenverwaltung, das durch die fehlende Kostenerstattungsmöglichkeit vereinfacht und beschleunigt werden kann.1397 Weiterhin werden der Einspruch und der An1391  BFHE

180, 529 (532). 35, 283 (292 f.). 1393  Meßerschmidt, Zur Regelung der Erstattung von Vorverfahrenskosten, DÖV 1983, 447 (453). 1394  Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S.  88 ff. 1395  BVerfGE 35, 283 (295 f.). 1396  BFHE 180, 529 (531). 1397  BT-Drs. 7 / 4292 S. 8 und 9. Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgaben-rechtlichen Vorverfahren, S. 87 f. lässt die politische Frage offen, verneint je1392  BVerfGE

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

trag auf schlichte Änderung gleichbehandelt und die Rücknahme des Einspruchs erleichtert.1398 Schließlich spielen die aus tatsächlichen Gründen bestehenden erweiterten Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen eine entscheidende Rolle.1399 Bis zum 1. Januar 2006 waren Steuerberatungskosten zumindest als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG a. F. abzugsfähig. Durch die Abschaffung1400 der Vorschrift stellt sich aktuell daher umso mehr die rechtspolitische Frage, ob ein verfahrensrechtlicher Erstattungsanspruch für das isolierte Vorverfahren eingeführt werden sollte.1401 Hierzu wird angeführt, die generelle Kostenfreiheit des Einspruchsverfahrens diene nur vermeintlich der Waffengleichheit.1402 Bei der Durchführung des Einspruchsverfahrens entstehen hauptsächlich für den Einspruchsführer Kosten durch die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, wohingegen die Finanzverwaltung in der Regel keinen behördenexternen Rechtsrat benötigt.1403 Zusätzlich wird auf umfassende und komplizierte Steuergesetze, auf die Eigenschaft des Einspruchsverfahrens als Klagevoraussetzung und auf den Rechtsfrieden, der bei Einsprüchen mit wenig Erfolgsaussichten nicht gewährleistet sei und daher zur zusätzlichen Belastung der Gerichte führe, verwiesen.1404 Außerdem führe die Anwendung des Amtshaftungsanspruches ohnehin zur Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren.1405 Das Erfordernis der Verwaltungseffizienz wiegt jedoch so schwer, dass diese Bedenken ausgeräumt werden können. Daher sollte es im isolierten Einspruchsverfahren bei der bereits in §§ 250 ff. RAO fehlenden Kostenerstattung bleiben. Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu § 63 Abs. 1 SGB X und § 77 EStG, die ebenfalls das Erfordernis der Verfahrenseffizienz im Bereich der Massenverwaltung zu berücksichtigen haben, lässt sich aufgrund der besonderen sozialen Stellung und der Zuordnung zum Sozialrecht rechtfertigen.1406 doch einen Gleichheitsverstoß. Andere Ansicht: Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, vor § 347 AO Rn. 25: „erscheint willkürlich und beeinträchtigt den Rechtsfrieden“. 1398  BT-Drs. 7 / 4292 S. 8 und 9. 1399  Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 6. 1400  Die Abschaffung des § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG a. F. unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken: BFH NJW 2010, 3598. 1401  Lüdicke, Kostenerstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 6. 1402  Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 51; Seer, in: Tipke / Kruse, AO /  FGO, vor § 347 AO Rn. 25. 1403  Kohlhepp, Kosten des Einspruchsverfahrens und Amtshaftung wegen fehlerhafter Steuerveranlagung durch das Finanzamt, DStR 2006, 549; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, vor § 347 Rn. 25. 1404  Meßerschmidt, Zur Regelung der Erstattung von Vorverfahrenskosten, DÖV 1983, 454; Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, vor § 347 Rn. 25. 1405  Seer, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, vor § 347 AO Rn. 26.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren247

Schließlich scheitert die aktuelle Regelung nicht an der sogenannten „Waffengleichheit“1407, da weder der Steuerpflichtige noch die Finanzverwaltung im isolierten Vorverfahren Kosten erstattet bekommen können.1408 In allen Konstellationen liegt also kein Gleichheitsverstoß vor. Die Ungleichbehandlungen können aufgrund sachlicher Gründe gerechtfertigt werden. Aufgrund dieser Argumente scheidet ebenso eine vergleichbare Interessenlage im Sinne der Analogie aus.1409 Darüber hinaus scheitert die analoge Anwendung an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen einen Kostenerstattungsanspruch im isolierten Einspruchsverfahren entschieden.1410 Auch bei Erlass des § 77 EStG sollte ausdrücklich eine Ausnahme zum Regelfall der Nichterstattung der Kosten geschaffen werden, um eine Schlechterstellung im Vergleich zum früheren Recht1411 und zur Kostenerstattung im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren bei Kindergeldfestsetzung nach dem BKGG zu vermeiden.1412 2. Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren Mit § 63 SGB X wurde erstmalig ein verfahrensrechtlicher Kostenerstattungsanspruch für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren geschaffen.1413 Der Gesetzgeber entschied sich jedoch, diesen nur einseitig zu Gunsten des Widerspruchsführers auszugestalten. Begründet wird dies mit der Gebührenfreiheit im Sozialrecht.1414 Diese Argumentation, die sich auch im Ein1406  BVerfGE 35, 283 (295 f.); BFHE 180, 529 (532 f.); Kohlhepp, Kosten des Einspruchsverfahrens und Amtshaftung wegen fehlerhafter Steuerveranlagung durch das Finanzamt, DStR 2006, 549. 1407  Siehe S. 74. 1408  BVerfGE 27, 391 (395): Hiernach ist die alte Regelung des § 316 Abs. 2 S. 1 AO, wonach lediglich die Finanzbehörde und nicht der Steuerpflichtige im finanzgerichtlichen Verfahren die Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes im Vorverfahren verlangen kann, gleichheitswidrig. 1409  Zum Verhältnis von Analogie und Gleichheitsgebot siehe S. 77. Im Ergebnis: Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 11. 1410  BT-Drs. 7 / 4292 S. 8: „Der Ausschuss hat eingehend geprüft, ob er … das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren auch kostenmäßig als verlängertes Veranlagungsverfahren behandeln soll, mit der Folge, daß … keine Kostenerstattung erfolgt.“ 1411  BT-Drs. 13 / 1558 S. 162; Felix, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 77 Rn. A 19. Vor 1996 wurde Kindergeld immer nach dem BKGG gewährt. 1412  Felix, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, EStG, § 77 Rn. A  16; Szymczak, in: Koch / Scholtz, AO, § 347 Rn. 21. 1413  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 63 Rn. 6; Marschner, in: Pickel / Marschner, SGB X, § 63 Rn. 1. 1414  BT-Drs. 8 / 2034 S. 36.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

spruchsverfahren1415 findet, überzeugt nicht. Es steht dem Gesetzgeber frei, ein Verfahren gebührenfrei auszugestalten und dennoch die Erstattung von Auslagen zu regeln. Dennoch beruhen die Gebührenfreiheit und die einseitige Kostenerstattung auf den gleichen, namentlich auf sozialen Erwägungen.1416 Daher kommt eine beidseitige Kostenerstattung in den Fällen in Betracht, in denen der Widerspruchsführer nicht sozial schutzbedürftig ist. Man könnte daher zwei Kategorien von Kostenerstattungsansprüchen, wie sie im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen1417 und bei der Gebührenfreiheit des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens bereits thematisiert wurden,1418 in Erwägung ziehen. Dafür sprechen finanzielle Erwägungen. Anderseits gilt auch hier, dass es dem Gesetzgeber möglich ist, auch nicht sozial Schutzbedürftige als Teil des Systems der sozialen Sicherheit zu privilegieren, und ein einheitliches System der Kostenerstattung Einheitlichkeit und so Vereinfachung schafft, was im gerichtlichen Verfahren im geringeren Maße notwendig ist.1419 3. Kommunalabgabenrechtliches Widerspruchsverfahren In den Bundesländern, in denen die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes gänzlich ausgeschlossen ist und keine Kostenerstattung stattfindet, liegt ebenfalls kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Zählt der Gesetzgeber diese Bereiche im Rahmen seines Beurteilungsspielraums zur Massenverwaltung, bestehen in der Fehleranfälligkeit und dem Effizienzbedürfnis sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung.1420 VI. Materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch Die Verfahrensgesetze sehen also teilweise keine oder keine umfassenden verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsansprüche vor. Daher stellt sich die 1415  Siehe

Fn. 1396. 35, 283 (295 f.); BFHE 180, 529 (532). 1417  Siehe S. 257. 1418  Siehe S. 233. 1419  Kritisch zum gerichtlichen Verfahren: Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller /  Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 183 Rn. 7. 1420  BVerwGE 82, 336 (342); OVG Münster NVwZ 1992, 585 (586). Im Ergebnis auch: Grünewald, in: Johlen / Oerder, MAH Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 17; Günther /  Günther, Amtshaftungsansprüche auf Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren, KStZ 1991, 204 (205). Nach anderer Auffassung keine Massenverwaltung wie in der AO, § 80 VwVfG ist anwendbar: VGH Mannheim NVwZ 1982, 633 (634); OVG Saarlouis NVwZ 1987, 508 (509). 1416  BVerfGE



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren249

Frage, ob die Kostenerstattung nach anderen Rechtsgrundlagen möglich ist. Als materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage kommt § 839 BGB i.  V.  m. Art. 34 GG in Betracht. Diesbezüglich wird vertreten, der Amtshaftungsanspruch sei nicht anwendbar.1421 Bei § 80 VwVfG und § 139 FGO handele es sich um leges speciales, welche materiell-rechtliche Erstattungsansprüche ausschließen. Bis zum Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes stand dem Vorverfahrensführer nach einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren lediglich ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch, insbesondere gemäß § 839 BGB, zur Verfügung. Nach Erlass des § 80 VwVfG wurde gefolgert, dieser verfahrensrechtliche Anspruch schließe nunmehr materiell-rechtliche Ansprüche aus.1422 Genauso wird argumentiert, das gänzliche Fehlen eines Kostenerstattungsanspruchs in der Abgabenordnung schließe jegliche Form der Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren aus. Der Amtshaftungsanspruch dürfe nicht dazu verwendet werden, die Kostenverteilungsregelung des § 80 VwVfG i. V. m. §§ 72, 73 VwGO bzw. die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, keinen Kostenerstattungsanspruch in die Abgabenordnung aufzunehmen, zu unterlaufen.1423 Dagegen spricht jedoch, dass aus einem begrenzten bzw. einem fehlenden verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsanspruch noch nicht gefolgert werden kann, dass deshalb auch der Amtshaftungsanspruch ausgeschlossen sein soll.1424 Vielmehr ging der Bundestag ausweislich der Begründung des Entwurfs des Verwaltungsverfahrensgesetzes von der Anwendbarkeit des § 839 BGB neben § 80 VwVfG, wenn auch ausdrücklich nur in anderen Fallkon­ stellationen, aus.1425 Im Gegensatz dazu enthält die parlamentarische Diskussion beim Erlass der Abgabenordnung keine Aussagen zum materiell1421  LG Bochum Stbg 1994, 30; Altenmüller, Die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren DVBl. 1978 S. 287. 1422  Altenmüller, Die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren DVBl. 1978 S. 287. 1423  Altenmüller, Die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren DVBl. 1978 S. 287; Altenmüller, Die Kostenentscheidung im Vorverfahren, DÖV 1978 S. 907. 1424  OLG Frankfurt BB 1981, 228; Günther / Günther, Amtshaftungsansprüche auf Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren, KStZ 1991, 204 (206); Hidien, Kostenerstattung nach Amtshaftungsgrundsätzen im abgabenrechtlichen Vorverfahren, NJW 1987, 2211; Kraft-Zörcher, Erstattungsfähigkeit von Anwaltsgebühren in isolierten kommunalabgabenrechtlichen Vorverfahren in Thüringen, LKV 1999, 498. 1425  BT-Drs. 7 / 910 S. 92: „Um eine zu kasuistische Regelung zu vermeiden, sind auch besondere Bestimmungen über die Kostentragung bei falscher Rechtsmittelbelehrung oder falscher Sachbehandlung durch die Behörde nicht aufgenommen. Fälle dieser Art können weitgehend nach § 839 BGB abgewickelt werden.“

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

rechtlichen Ersatzanspruch nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG.1426 Dies spricht allerdings weder ausdrücklich für noch gegen die Anwendbarkeit des Amtshaftungsanspruchs.1427 Das behördliche Handeln im Rahmen des Widerspruchsverfahrens darf nicht durch die Nichtanwendung des Amtshaftungsanspruchs gegenüber anderem behördlichen Handeln privilegiert werden, indem es nicht im gleichen Umfang der staatlichen Haftung unterliegt.1428 Der Grund für das Bestehen von Gebührenfreiheit liegt in der Regel in der Vereinfachung des Verfahrens. Beim Amtshaftungsanspruch sollen allerdings verletzte Interessen des Bürgers ausgeglichen werden, hierbei dürfen fiskalische Gründe keine Rolle spielen.1429 Außerdem weisen verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Erstattungsansprüche bedeutende Unterschiede auf: Erstere regeln die Verteilung der Kostenlast im außergerichtlichen Vorverfahren, letztere beziehen sich auch auf die Kostenerstattung außerhalb des Vorverfahrens.1430 Beide Ansprüche hängen von unterschied­ lichen Voraussetzungen ab und haben andere Rechtsfolgen.1431 Verfahrensrechtliche Regelungen können einen derart andersartigen materiell-recht­ lichen Anspruch nicht ausschließen. Es handelt sich dann vielmehr um einen Fall der Anspruchshäufung.1432 Es muss daher beim allgemeinen Rechtsgrundsatz bleiben, dass derjenige, der eine unerlaubte Handlung i. S. d. § 839 BGB begeht, Schadensersatz leisten und auch die dadurch entstandenen ­Nebenaufwendungen, wie die Kosten für die Zuziehung eines Rechtsanwaltes, ersetzen muss.1433

1426  BT-Drs.

7 / 4292 S. 8 und 9. Amtshaftungsansprüche auf Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren, KStZ 1991, 204 (206); Hidien, Kostenerstattung nach Amtshaftungsgrundsätzen im abgabenrechtlichen Vorverfahren, NJW 1987, 2211. 1428  Hidien, Kostenerstattung nach Amtshaftungsgrundsätzen im abgabenrecht­ lichen Vorverfahren, NJW 1987, 2211; Kohlhepp, Kosten des Einspruchsverfahrens und Amtshaftung wegen fehlerhafter Steuerveranlagung durch das Finanzamt, DStR 2006, 550. 1429  Günther / Günther, Amtshaftungsansprüche auf Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren, KStZ 1991, 204 (206); Hidien, Kostenerstattung nach Amtshaftungsgrundsätzen im abgabenrechtlichen Vorverfahren, NJW 1987, S. 2212. 1430  BGH NJW 2003, 3693 (3697). 1431  BGH NJW 2003, 3693 (3697); Günther / Günther, Amtshaftungsansprüche auf Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren, KStZ 1991, 204 (206); Hidien, Kostenerstattung nach Amtshaftungsgrundsätzen im abgabenrechtlichen Vorverfahren, NJW 1987, 2211 (2212). 1432  OLG Frankfurt BB 1981, 228; Günther / Günther, Amtshaftungsansprüche auf Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren, KStZ 1991, 204 (206). 1433  BGH MDR 1962, 641; BGH NJW 2003, 3693 (3697). 1427  Günther / Günther,



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren251

Der Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung ist daher neben verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsansprüchen wie § 80 VwVfG1434 und auch bei Fehlen von verfahrensrechtlichen Kostenerstattungsansprüchen, wie im Einspruchsverfahren und im kommunalabgabenrechtlichen Vorverfahren, anwendbar.1435

C. Erstattung der Kosten des Vorverfahrens im gerichtlichen Verfahren Im Folgenden soll untersucht werden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein am gerichtlichen Verfahren Beteiligter die Kosten des Vorverfahrens nach Durchführung des gerichtlichen Verfahrens ersetzt verlangen kann. I. Verwaltungsgerichtliches Verfahren Die Kostenerstattung nach Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens richtet sich nach §§ 154 ff. VwGO. Aus § 162 Abs. 1 VwGO folgt, dass im gerichtlichen Verfahren bei der Kostenerstattung nach § 161 Abs. 1 VwGO auch über die Kosten des Vorverfahrens entschieden werden muss. Diese Entscheidung ersetzt die Kostenentscheidung des Widerspruchbescheides unmittelbar.1436 War der Widerspruch teilweise erfolgreich bzw. verfolgt der Kläger einen Teil des Widerspruchsbegehrens in der Klage nicht weiter, so bleibt es bezüglich dieses Teils jedoch bei der Kostenerstattung nach § 80 VwVfG.1437 Gemäß §§ 154, 155 VwGO werden die Kosten grundsätzlich nach Obsiegen und Unterliegen verteilt. Nach § 154 Abs. 1 VwGO trägt der unterlegene 1434  BVerwGE 40, 313 (321 f.); BGH DVBl. 2006, 764 (765); Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 17. 1435  So auch: Birkenfeld, in: Birkenfeld / Daumke, Das neue außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren, I Rn. 17; Brandis, in: Tipke / Kruse; AO / FGO, § 139 FGO Rn. 125; Jesse, Einspruch und Klage im Steuerrecht, B Rn. 953 ff., Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 139 Rn. 122; Szymczak, in: Koch / Scholtz, AO, vor § 347 Rn. 12. Darstellung der Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs im Einspruchsverfahren: OFD Nürnberg DStR 2004, 777; Günther / Günther, Amtshaftungsansprüche auf Kostenerstattung im abgabenrechtlichen Vorverfahren, KStZ 1991, 204 (206); Kilian / Schwerdtfeger, Amtshaftung und Einspruchsverfahren, DStR 2006, 1774; Kohlhepp, Kosten des Einspruchsverfahrens und Amtshaftung wegen fehlerhafter Steuerveranlagung durch das Finanzamt, DStR 2006, 550. 1436  BVerwG NVwZ 2006, 1294; Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 94. 1437  Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 92; Olbertz, in: Schoch /  Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 64.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

Teil die Kosten des Verfahrens. Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben, verhältnismäßig zu teilen oder einem Beteiligten ganz aufzuerlegen, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist, § 155 Abs. 1 VwGO. 1. Kosten des Vorverfahrens Zu den Kosten des Vorverfahrens zählen zum einen die Aufwendungen der Ausgangsbehörde und des Widerspruchsführers. Zum anderen gehören die Widerspruchsgebühren zu den nach § 162 Abs. 1 erstattungsfähigen Kosten, auch wenn diese zuvor nach den Kostengesetzen abgewickelt wurden.1438 Dem steht der Wortlaut des § 162 VwGO nicht entgegen, da die Widerspruchgebühr zu den „Kosten des Vorverfahrens“ gehört.1439 Eine andere Interpretation wäre nicht prozessökonomisch, denn der erfolgreiche Kläger müsste einen weiteren Prozess zur Erstattung der Widerspruchsgebühr anstrengen, der parallel dazu verliefe.1440 Grundsätzlich erstattungsfähig sind Verwaltungskosten und persönliche Gebühren und Auslagen der Beteiligten,1441 wenn sie gemäß § 162 Abs. 1 VwGO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten gemäß § 162 Abs. 2 VwGO erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Dies entspricht § 80 Abs. 2 VwVfG,1442 der als verwaltungsverfahrensrechtliches Äquivalent zu § 162 Abs. 2 VwGO erlassen wurde und sich hinsichtlich der Voraussetzungen für die Notwendigkeit der Zuziehung

1438  OVG Hamburg NJW 1961, 937; BayVGH BayVBl. 1984, 691 (692); VG Weimar JurBüro 2007, 369; Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 67; Schenke, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 162 Rn. 16. Anders bei § 80 Abs. 1 VwVfG: Danach werden Verwaltungsgebühren nicht als notwendige Aufwendungen angesehen. Siehe S. 237. Andere Ansichten: Nach Kunze, in: Posser / Wolff, VwGO, § 162 Rn. 54d kommt es darauf an, ob die Gebührenfestsetzung im Zusammenhang mit dem Widerspruchsbescheid oder in einem eigenständigen Bescheid erfolgt. In ersterem Fall wird der Ausgangsbescheid samt Widerspruchsbescheid angefochten und die Gebührenfestsetzung teilt das Schicksal des Widerspruchsbescheides. Nach VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 325 und Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 96 muss die Gebührenfestsetzung immer gesondert angefochten werden. 1439  VG Weimar JurBüro 2007, 369. 1440  VG Weimar JurBüro 2007, 369. 1441  Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 65. Siehe S. 236. 1442  Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 68.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren253

mit diesem decken sollte.1443 Dementsprechend ist auch im Rahmen des § 162 Abs. 2 VwGO in der Regel die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig.1444 2. Kostenschuldner und Kostengläubiger Kostenschuldner können nur die Beteiligten des Verfahrens sein. Die nicht am Verfahren beteiligte Widerspruchsbehörde kann daher nicht zur Kostenerstattung herangezogen werden.1445 Dem einfachen oder notwendigen Beigeladenen können Kosten lediglich dann auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat, § 154 Abs. 3 VwGO.1446 Diese Kosten erfassen grundsätzlich auch die Vorverfahrenskosten, § 162 Abs. 1 VwGO.1447 Der Beteiligte kann aber aus Billigkeitsgründen zu einer Erstattung der Kosten des Vorverfahrens nur herangezogen werden, wenn er daran beteiligt war.1448 Die Kosten des Vorverfahrens, die dem am Vorverfahren beteiligten Beigeladenen entstanden sind, sind erstattungsfähig, wenn das Gericht sie aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt, § 162 Abs. 3 VwGO. Es muss diesbezüglich einen ausdrücklichen Ausspruch geben, dass und von wem die Kosten erstattet werden.1449 Hat der Beigeladene im Widerspruchsverfahren einen Bevollmächtigten zugezogen, muss zur Erstattungsfähigkeit außerdem gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO dessen Zuziehung notwendig gewesen sein.1450

1443  BT-Drs. 7 / 910 S. 92; BVerwG JurBüro 2000, 650; Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 75. Siehe S. 236. 1444  Siehe S. 236. Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 102; Olbertz, in: Schoch / ‌Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 77. 1445  Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 154 Rn. 4. 1446  Also anders als bei der Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren nach § 80 VwVfG, wo es weder eine Kostenerstattungspflicht noch eine Kostenerstattungsmöglichkeit für Dritte gibt. Siehe S. 235. 1447  Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (206). 1448  BVerwG NVwZ 1988, 53 (54); Fahl, Die Beteiligung des Beigeladenen an den Kosten des Verfahrens bei teilweisem Unterliegen und teilweisem Obsiegen, NVwZ 1996, 1189; Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (206); Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 154 Rn. 16. 1449  Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (203). 1450  Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (203); Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 65.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

3. Beendigung des gerichtlichen Verfahrens auf andere Weise Endet das Verwaltungsgerichtsverfahren durch Vergleich, trägt gemäß § 160 VwGO jeder Beteiligte seine Kosten selbst, sofern im Vergleich keine anderen Bestimmungen über die Kosten getroffen wurden, wobei diese fingierte Kostenfolge auch die Kosten des Widerspruchsverfahrens umfasst.1451 Bei Beendigung des Verfahrens durch Klagerücknahme hat nach § 155 Abs. 2 VwGO derjenige, der die Klage zurücknimmt, die Kosten zu tragen. Wenn der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wird, ergeht gemäß § 161 Abs. 2 VwGO eine Entscheidung über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes.1452 II. Finanzgerichtliches Verfahren Die Kostenerstattung nach Durchführung des finanzgerichtlichen Verfahrens richtet sich nach §§ 135 ff. FGO. Gemäß § 139 Abs. 1 FGO schließen die Kosten auch die Kosten des Vorverfahrens ein. War der Einspruch teilweise erfolgreich bzw. verfolgt der Steuerpflichtige einen Teil des Einspruchsbegehrens in der Klage nicht weiter, so bleibt es bezüglich dieses Teils bei der fehlenden Erstattungsfähigkeit.1453 Grundsätzlich findet die Kostenverteilung nach Obsiegen und Unterliegen statt, §§ 135, 136 FGO. Nach § 135 Abs. 1 FGO trägt der unterlegene Teil die Kosten des Verfahrens. Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben, verhältnismäßig zu teilen oder einem Beteiligten ganz aufzuerlegen, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist, § 136 Abs. 1 FGO. Gemäß § 139 Abs. 2 FGO muss der klagende Steuerpflichtige allerdings auch nach Durchführung des gerichtlichen Verfahrens der Finanzbehörde die entstandenen Aufwendungen nicht erstatten, wobei davon ebenfalls im Einspruchsverfahren entstandene Aufwendungen erfasst sind.1454

1451  VGH Mannheim NVwZ-RR 2002, 325; Kallerhoff / Keller, in: Stelkens / Bonk /  Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 52; Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 17. 1452  Neumann, in: Sodan / Ziekow, VwGO, § 161 Rn. 29. Im Falle der einseitigen Erledigungserklärung endet die (Fortsetzungsfeststellungs-)Klage durch Urteil. Es gelten die dortigen Kostenregeln. 1453  BFHE 113, 348 (350); FG Baden-Württemberg EFG 2002, 497 (Rn. 30); Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 139 Rn. 124. 1454  Brandis, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 139 FGO Rn. 36.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren255

1. Kosten des Vorverfahrens Dem Steuerpflichtigen werden seine persönlichen außergerichtlichen Aufwendungen unter den oben genannten Voraussetzungen erstattet, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, § 139 Abs. 1 FGO. Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines zum Einspruchsverfahren zugezogenen Bevollmächtigten oder Beistands ist zusätzlich, dass das Gericht die Zuziehung nach § 139 Abs. 3 S. 3 FGO für notwendig erklärt.1455 Es ist in der Regel von der Notwendigkeit der Zuziehung auszugehen.1456 Zwar könnte zunächst davon ausgegangen werden, dass aufgrund der gänzlich fehlenden Kostenerstattung im isolierten Einspruchsverfahren in der Regel keine Notwendigkeit der Zuziehung besteht. Der Gesetzgeber hat sich allerdings im gerichtlichen Verfahren für die Erstattung der Einspruchskosten entschieden. Die Tatsache, dass im isolierten Einspruchsverfahren keine Kostenerstattung stattfindet, enthält keine Wertung bezüglich der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten, sondern erfolgt hauptsächlich, um das Einspruchsverfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen. Vielmehr ist ausschlaggebend, dass die Rechtslage auch im Steuerrecht immer komplexer wird.1457 2. Kostenschuldner und Kostengläubiger Wie bereits erwähnt, kann die Finanzbehörde gemäß § 139 Abs. 2 FGO kein Kostengläubiger sein. Dem einfachen oder notwendigen Beigeladenen können, wie im Verwaltungsgerichtsprozess, Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat, § 135 Abs. 3 FGO.1458 Diese Kosten erfassen grundsätzlich auch die Vorverfahrenskosten, § 139 Abs. 1 FGO. Der Beteiligte kann aber aus Billigkeitsgründen auch hier zu einer Erstattung der Kosten des Vorverfahrens nur herangezogen werden, wenn er daran beteiligt 1455  Wie in den anderen Verfahrens- und Gerichtsordnungen sind die Kosten eines Bevollmächtigten nach § 139 Abs. 3 S. 3 FGO nur erstattungsfähig, wenn der Kläger obsiegt. Klarstellend: BFH / NV 2006, 1874–1875. 1456  Brandis, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 139 FGO Rn. 130; Lüdicke, Kosten­ erstattungsansprüche in steuer- und abgabenrechtlichen Vorverfahren, S. 7; Schwarz, in: Hübschmann / Hepp / ‌Spitaler, § 139 FGO, Rn. 561; Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 139 Rn. 128. Nicht wenn ein Rechtsanwalt sich selbst vertritt: BFHE 108, 574 (575). 1457  Brandis, in: Tipke / Kruse; AO / FGO, § 139 FGO Rn. 130; Schwarz, in: Hübsch-­ mann / Hepp / Spitaler, § 139 FGO, Rn. 561. 1458  Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (204).

256

4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

war.1459 War dies nicht der Fall, muss die Kostenentscheidung nach den Kosten des Vorverfahrens und den übrigen Kosten differenzieren. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen inklusive der Kosten des Vorverfahrens1460 sind, wie im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht, nur erstattungsfähig, wenn das Gericht sie aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt, § 139 Abs. 4 FGO. Es muss diesbezüglich einen ausdrücklichen Ausspruch geben, dass und von wem die Kosten erstattet werden.1461 Wenn der Beigeladene am Vorverfahren beteiligt war und hierzu einen Bevollmächtigten hinzugezogen hat, muss gemäß § 139 Abs. 3 S. 2 FGO außerdem die Hinzuziehung des Bevollmächtigten notwendig gewesen sein.1462 3. Beendigung des gerichtlichen Verfahrens auf andere Weise Gemäß § 136 Abs. 2 FGO hat derjenige, der eine Klage zurücknimmt, die Kosten zu tragen. Das führt dazu, dass keine erstattungsfähigen Kosten entstehen und daher keine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 139 Abs. 3 S. 3 FGO ergehen kann.1463 Dies macht die Erstattung der außergerichtlichen Aufwendungen des klagenden Steuerpflichtigen unmöglich.1464 Bei der übereinstimmenden Erledigungserklärung durch die Beteiligten ergeht die Entscheidung über die Kosten gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes.1465 Erledigt sich der Rechtsstreit dadurch, dass dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wird, sind die Kosten der Behörde aufzuerlegen, § 138 Abs. 2 FGO.1466 1459  Brandis, in: Tipke / Kruse; AO / FGO, § 135 FGO Rn. 19; Gersch, Die Kosten des Beigeladenen, AO-StB 2001, 59 (60); Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (204). 1460  FG München EFG 2009, 207; Brandis, in: Tipke / Kruse; AO / FGO, § 139 FGO Rn. 171. 1461  Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (203). 1462  FG München EFG 2009, 207; Just, Der Kostentenor im Falle der Beiladung, NVwZ 2011, 202 (203); Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 139 Rn. 112. 1463  FG Hessen EFG 1967, 467 (467 f.); FG Niedersachsen EFG 2006, 518. 1464  Brandis, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 139 FGO Rn. 125 und § 136 Rn. 11. Der Finanzbehörde werden nach § 139 Abs. 2 FGO ohnehin keine Kosten erstattet. 1465  Brandis, in: Tipke / Kruse; AO / FGO, § 138 Rn. 33; Ratschow, in: Gräber, FGO, § 138 Rn. 40, 108: Bei einseitiger Erledigungserklärung endet der Rechtsstreit durch Urteil. Auch im finanzgerichtlichen Verfahren kann die Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt werden.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren257

III. Sozialgerichtliches Verfahren Die Erstattung der Kosten im sozialgerichtlichen Verfahren ist geprägt von einem von der sozialen Schutzbedürftigkeit abhängenden zweigliedrigen System.1467 Die Kosten werden entweder nach §§ 183 ff. SGG oder nach § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 154–162 VwGO ersetzt. Entscheidend ist, ob eine Person i. S. d. § 183 SGG, die um eine Leistung der sozialen Sicherheit streitet und für die das Gerichtsverfahren kostenfrei ist, als Kläger oder Beklagter am Verfahren beteiligt ist. Ist dies der Fall, erfolgt die Kosterstattung nach dem Sozialgerichtsgesetz. Wenn keiner der Beteiligten zu den privilegierten Personen i. S. d. § 183 SGG gehört, sind gemäß § 197a Abs. 1 SGG die §§ 154 bis 162 VwGO anwendbar. 1. Kostenerstattung nach §§ 183 ff. SGG Erfolgt die Kostenerstattung nach dem Sozialgerichtsgesetz, weil eine privilegierte Person nach § 183 SGG als Kläger oder Beklagter am Verfahren beteiligt ist, regelt § 193 SGG die Kostenerstattung unter den Beteiligten.1468 Die gerichtliche Kostenentscheidung ersetzt die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides.1469 War der Widerspruch teilweise erfolgreich bzw. verfolgt der Kläger einen Teil des Widerspruchsbegehrens in der Klage nicht weiter, so bleibt es bezüglich dieses Teils jedoch bei der Kostenerstattung nach § 63 SGB X.1470 Gemäß § 193 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Diese Norm enthält im Gegensatz zu § 154 VwGO und § 135 FGO keine Vorgaben, wie die Kostenentscheidung zu ergehen hat. Daher steht es im billigen Ermessen des Gerichts, wie die Kosten verteilt werden.1471 Auf Obsiegen und Unterliegen in der Hauptsache kommt es nicht zwangsläufig an, vielmehr müssen

1466  Abs. 2 knüpft an die übereinstimmende Erledigungserklärung nach Abs. 1 an. BFHE 91, 514 (515); Ratschow, in: Gräber, FGO, § 138 Rn. 50. 1467  Hierzu und zur Entstehungsgeschichte: Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller /  Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 183 Rn. 1 ff. 1468  Groth, in: Krasney / Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, XII Rn. 56. 1469  Becker, in: Hauck / Noftz, SGB X, § 63 Rn. 13. 1470  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 5a. 1471  Jungeblut, in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 193 SGG Rn. 9; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, XXI. Rn. 26; Krauß, in: Wenner /  Terdenge / Krauß, Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit, Rn. 641; Schmidt, in: MeyerLadewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 12.

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

jegliche Umstände des Einzelfalls in die Entscheidung einfließen.1472 In der Regel wird allerdings der Verfahrensausgang ausschlaggebend sein.1473 a) Kosten des Widerspruchsverfahrens Gemäß § 193 Abs. 2 SGG sind Kosten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Eine § 161 Abs. 1 VwGO und § 139 Abs. 2 FGO entsprechende ausdrückliche Regelung, die auch die Kosten des Vorverfahrens samt Gebühren und Auslagen eines Rechtsbeistandes für erstattungsfähig erklärt, fehlt im SGG. Trotzdem sind die Kosten eines Vorverfahrens, dem ein Klageverfahren folgt, erstattungsfähig.1474 Der Wortlaut des § 193 Abs. 2 SGG steht dem nicht entgegen, da unter Kosten auch solche des Widerspruchsverfahrens gezählt werden können. Die Norm spricht von Aufwendungen, die zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, wobei die Durchführung des Widerspruchsverfahrens für das Durchführen des gerichtlichen Verfahrens in der Regel zwingend, also gerade notwendig in diesem Sinne, ist. Nach § 193 Abs. 3 SGG ist die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands stets erstattungsfähig. Dies umfasst auch die gesetzliche Vergütung für das Vorverfahren. Eines ausdrücklichen Ausspruchs der Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren bedarf es daher im sozialgerichtlichen Verfahren nicht.1475 Die Erstattungspflicht ergibt sich aus der richterlichen Entscheidung, dass die außergerichtlichen Kosten zu tragen sind. Zwar stimmt dies nicht mit § 63 SGB X überein, der für das isolierte Widerspruchsverfahren die Notwendigkeit der Zuziehung voraussetzt. Allerdings enthält § 193 SGG keine § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO und § 193 Abs. 3 S. 3 FGO entsprechende Regelung. 1472  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 12b. Beispielsweise können der Sozialverwaltung die außergerichtlichen Kosten des Bürgers auferlegt werden, wenn sie die angefochtenen Bescheide nicht hinreichend begründet hat: BSG NJW 1963, 410 (411); Jungeblut, in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm /  Udsching, Sozialrecht, § 193 SGG Rn. 20. Weitere Beispiele in Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, XXI Rn. 26. 1473  Jungeblut, in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 193 SGG Rn. 10; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, XXI Rn. 26. 1474  BSG SGb 1977, 109 (109 f.); BSG SozR 4–1500 § 193 Nr. 6; Groth, in: Krasney, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, XII  Rn. 85; Schmidt, in: MeyerLadewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 5a. 1475  BSG SozR 3–1500 § 193 Nr. 3; SG Berlin BeckRS 2010, 74971; Jungeblut, in: Rolfs / Giesen / ‌Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 193 SGG Rn. 25, 26; Münker, in: Hauck / Behrend, SGG § 193 Rn. 67; Straßfeld, in: Jansen, SGG, § 193 Rn. 18.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren259

b) Kostenschuldner und Kostengläubiger Nach § 193 Abs. 4 SGG sind Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen nicht erstattungsfähig. Daher ist ein privilegierter Kläger oder Beklagter (§ 183 SGG) nicht zur Erstattung gegenüber einem nicht-privilegiertem Kläger oder Beklagten (§ 184 SGG), verpflichtet. Ein nicht-privilegierter Kläger oder Beklagter muss hingegen die außergerichtlichen Kosten eines privilegierten Klägers oder Beklagten tragen. Die Erstattungspflicht und Erstattungsfähigkeit eines Beigeladenen sind in den §§ 183 ff. SGG nicht gesondert geregelt und richten sich daher nach § 193 SGG, sodass die Kostenerstattung nach billigem Ermessen des Gerichts ergeht.1476. Dabei kann, muss aber nicht,1477 berücksichtigt werden, ob der Beigeladene Anträge gestellt hat.1478 Jedenfalls besteht die Pflicht zur Kostenerstattung eines Beigeladenen, der, wenn er Kläger oder Beklagter wäre, nach § 184 nicht privilegiert wäre, gegenüber einem nach § 183 SGG privilegierten Kläger oder Beklagten. Außerdem ist eine beigeladene Person, die, wenn sie Kläger oder Beklagter wäre, nach § 183 SGG privilegiert wäre, gegenüber einem Gebührenpflichtigen nach § 184 SGG nicht erstattungspflichtig.1479 Hier ist § 193 Abs. 4 SGG anwendbar. Es besteht keine Erstattungspflicht eines nicht-privilegierten Klägers oder Beklagten gegenüber einem Beigeladenen, der, wenn er Kläger oder Beklagter wäre, ebenfalls unter § 184 SGG fallen würde. Dem Wortlaut nach ist § 193 Abs. 4 SGG nicht anwendbar, da die in § 184 Abs. 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen nur Kläger und Beklagte, nicht aber Beigeladene, sind.1480 Ein privilegierter Kläger oder Beklagter nach § 183 SGG ist nicht verpflichtet, einem Beigeladenen, der, wenn er Kläger oder Beklagter wäre, 1476  Siehe

S. 248. 93, 59 (63). 1478  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 11a. 1479  Nach Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 3b erscheint dieses Ergebnis dann unbillig, wenn es sich bei dem Gebührenpflichtigen nach § 184 Abs. 1 SGG nicht um eine Behörde handelt und er sich mangels Fachkunde anwaltlich vertreten lassen muss. 1480  BSG SozR  4–4200 § 7 Nr. 5; BSG SozR 4–2500 § 13 Nr. 17; Groß, in: Lüdtke / Berchtold, SGG, § 193 Rn. 19; Jungeblut, in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 193 SGG Rn. 4. Andere Ansicht: Schmidt, in: Meyer-Ladewig /  Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 3b. Danach kann diese Regelung zumindest im Einzelfall zu unbilligen Ergebnissen führen, da sich eine Behörde mit eigenem Fachpersonal in der Regel nicht anwaltlich vertreten lassen muss und es dann unnötig erscheint, ihr hierfür die Kosten zu ersetzen. 1477  BSGE

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

nach § 184 nicht privilegiert wäre, Kosten zu erstatten. § 193 Abs. 4 SGG ist dem Wortlaut nach zwar nicht auf die Kostenerstattung gegenüber Beteiligten anwendbar, da Gebührenpflichtige nach § 184 Abs. 1 SGG nur Kläger oder Beklagte sein können. § 193 Abs. 4 SGG sollte allerdings analog angewendet werden.1481 Es besteht eine vergleichbare Interessenlage. Die Privilegierung von Personen gemäß § 183 Abs. 1 SGG besteht sowohl hinsichtlich der Gerichtskostenfreiheit als auch der fehlenden Erstattungspflicht gegenüber Gebührenpflichtigen nach § 184 Abs. 1 SGG, damit sie nicht aus Angst vor einer nachteiligen Kostenfolge von einer Klageeinlegung abgehalten werden.1482 Diese Angst vor einer nachteiligen Kostenfolge kann auch hier bei der Erstattungspflicht gegenüber einem Beigeladenen bestehen. Außerdem liegt eine planwidrige Regelungslücke vor. § 193 Abs. 4 wurde als Folgeregelung zur fehlenden Gerichtskostenfreiheit nicht-privilegierter Beteiligter nach § 184 SGG erlassen.1483 Der Gesetzgeber hat nicht bedacht, dass das Sozialgerichtsgesetz die Erstattungspflicht gegenüber Beigeladenen nicht regelt und § 193 Abs. 4 diesen Fall nicht erfasst.1484 c) Beendigung des gerichtlichen Verfahrens auf andere Weise Endet der Rechtsstreit durch übereinstimmende Erledigungserklärung1485 oder Klagerücknahme,1486 ergeht eine Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes und unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der bisherigen Klage.1487 Wird der Rechtsstreit durch gerichtlichen Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, so trägt jeder Beteiligte seine Kosten selbst, § 195 SGG.

1481  BSGE 107, 287 (315). Andere Ansicht: Es besteht eine Erstattungspflicht zu Lasten des Beteiligten nach § 183 Abs. 1 SGG: Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, XXI Rn. 25. 1482  BSGE 107, 287 (315). 1483  BT-Drs. 14 / 5943 S. 28. 1484  BT-Drs. 14 / 5943 S. 28. 1485  BSG SozR 3–3870 § 13 Nr. 3; BSG NZS 1999, 264. 1486  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 193 Rn. 13. 1487  Jungeblut, in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 193 SGG Rn. 10; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, XXI Rn. 31.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren261

2. Kostenerstattung nach § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 154–162 VwGO Wenn weder Kläger noch Beklagter unter § 183 SGG fallen, sind gemäß § 197a Abs. 1 SGG die §§ 154 bis 162 VwGO anwendbar. Eine Ausnahme besteht gemäß § 197a Abs. 1 S. 2 SGG, wonach § 161 Abs. 2 VwGO keine Anwendung findet, wenn die Klage zurückgenommen wird. Außerdem besteht eine Ausnahme zu Gunsten Beigeladener. Grundsätzlich werden dem Beigeladenen, soweit er gemäß § 75 Abs. 5 SGG verurteilt wird, die Kosten auferlegt, § 197a Abs. 2 S. 1 SGG. Nach § 197a Abs. 2 S. 2 SGG sind Beigeladene nach § 183 SGG allerdings grundsätzlich nicht kostenpflichtig. Dies dient ebenfalls der Privilegierung der Leistungsempfänger nach § 183 SGG.1488 Im Übrigen kann für die Erstattung der Kosten des Vorverfahrens auf die zu § 162 VwGO gemachten Ausführungen verwiesen werden.1489 IV. Vergleich Die drei Gerichtsgesetze enthalten Regelungen zur Erstattung der Kosten der Vorverfahren, die sich bezüglich der Voraussetzungen aufgrund der Eigenheiten der verschiedenen Verfahren teils geringfügig, teils erheblich unterscheiden. 1. Finanzgerichtliches Verfahren Eine Besonderheit des finanzgerichtlichen Verfahrens besteht darin, dass die Kosten des Einspruchsführers erstattet werden können, obwohl dies im isolierten Einspruchsverfahren nicht möglich war.1490 Die Kostenerstattung ist jedoch einseitig. Der Steuerpflichtige muss im finanzgerichtlichen Verfahren die der Finanzbehörde entstandenen Aufwendungen gemäß § 139 Abs. 2 FGO nicht erstatten.1491 Die Regelung hat den1488  Jungeblut,

Rn. 8.

1489  Siehe

in: Rolfs / Giesen / Kriekebohm / Udsching, Sozialrecht, § 197a SGG

S. 251. den Gründen hierfür siehe S. 244 f. 1491  Aus den Bundestagsdrucksachen wird nicht ersichtlich, welche Wertung dieser gesetzlichen Regelung zugrunde liegt (BT-Drs.  zu 4 / 3523 S. 13). Durch § 139 Abs. 2 FGO wird die faktische Besserstellung der Finanzbehörde im isolierten Einspruchsverfahren, die daraus folgt, dass sie in der Regel keinen behördenexternen Rechtsrat benötigt, hier zu Gunsten des Steuerpflichtigen umgekehrt. Man könnte also argumentieren, die aufgrund der Massenverwaltung fehlende Kostenerstattung im Einspruchsverfahren wirke auf diese Vorschrift fort und der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen dürfe nicht durch ein zu hohes Kostenrisiko unverhältnismäßig er1490  Zu

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

noch keine Auswirkungen auf die Erstattung der Kosten des Einspruchsverfahrens, da dieses gebührenfrei1492 ist und daher ohnehin keine erstattungsfähigen Kosten der Finanzbehörde bestehen.1493 2. Sozialgerichtliches Verfahren mit privilegierter Kostenerstattung Findet im sozialgerichtlichen Verfahren die Kostenerstattung gemäß §§ 183 ff. SGG statt, sind also sozialschutzwürdige, privilegierte Personen am Verfahren beteiligt, bestehen zahlreiche Besserstellungen. Zunächst findet, wie auch im finanzgerichtlichen Verfahren, nur eine einseitige Kosten­ erstattung zugunsten des privilegierten Klägers / Beklagten statt. Die Verwaltung kann vom Bürger keine Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens verlangen. Weiterhin ist, im Gegensatz zum verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahren, die Kostenverteilung nach Obsiegen und Unterliegen der Parteien zwar üblich, aber nicht zwingend. Bei der Rücknahme der Klage hat, ebenfalls im Gegensatz zum finanz- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, nicht zwangsläufig derjenige, der die Klage zurücknimmt, die Kosten zu tragen. Vielmehr entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, wobei die Erfolgsaussichten in die Entscheidung einfließen. Diese Unterschiede können allesamt aus sozialstaatlichen Erwägungen gerechtfertigt werden.1494 Dennoch besteht Kritik an den Kostenregelungen im sozialgerichtlichen Verfahren, wobei diese sich hauptsächlich auf die Faktoren für die Abgrenzung zwischen privilegierten und nicht-privilegierten Beteiligten, also die Unterteilung in sozialschutzwürdige und nicht-sozialschutzwürdige Personen, bezieht.1495 Entscheidend seien nach § 183 SGG schwert werden; so FG Brandenburg EFG 1999, 1246 (1247). Dennoch sprechen fiskalische Interessen und die gleichmäßige Verteilung des Prozessrisikos für eine beidseitige Erstattungspflicht; so noch BT-Drs. 4 / 1446 S. 58. 1492  Siehe S. 230. 1493  Im gerichtlichen Verfahren gilt § 2 Abs. 1 GKG. Aufwendungen der Finanzbehörde können jedoch Reisekosten des Behördenvertreters zum Gericht sein: BTDrs. 4 / 1446 S. 58; Schwarz, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 139 FGO, Rn. 200. 1494  BT-Drs.  1 / 4357 S. 33; Krauß, in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 183 Rn. 1; Krauß, in: Wenner / Terdenge / Krauß, Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit, Rn. 624; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 183 Rn. 2. 1495  Den Kritikern ist nicht ersichtlich, warum Versicherte, Rentner, Kriegsopfer, Schwerbehinderte, Hinterbliebene, Kinder- und Erziehungsgeldberechtigte sowie Pflegebedürftige und Pflegepersonen durch das Sozialgerichtsgesetz als besonders schutzwürdig eingestuft werden und keine Gerichtskosten entrichten müssen. Sie erscheinen nicht schutzwürdiger als Ausländer, Arbeitnehmer, Mieter, Kinder und geringverdienende Steuerzahler. Siehe hierzu: Lowe, in: Hintz / Lowe, SGG, § 183 Rn. 5; Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 183 Rn. 3 ff.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren263

immerhin nicht die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des einzelnen Beteiligten.1496 Die Abgrenzung könne außerdem im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten.1497 Schließlich stelle sich die Rechtslage durch das Bestehen von zwei Erstattungssystemen komplizierter dar.1498 Trotz der Typisierung ist die zweigliedrige Erstattung der beste Ausgleich zwischen sozialstaatlichen Faktoren und fiskalischen Interessen. Auch vermögende Versicherte tragen aufgrund ihrer hohen Beiträge zur Stabilität der Sozialversicherungen bei und sollten daher privilegiert behandelt werden. Die Beibehaltung der Erstattungsfreiheit zu Gunsten privilegierter Personen dient auch im gerichtlichen Verfahren dazu, Personen nicht aufgrund eines Kostenrisikos von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abzuhalten.1499 Zu Letzt kompliziert das Bestehen zweier Erstattungssysteme die Rechtslage nicht wesentlich. Die Verwaltungsgerichtsordnung kann, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die wiederum dem Schutz privilegierter Personen dienen, fast uneingeschränkt angewendet werden. Es müssten keine neuen Erstattungsregeln erlassen werden, sondern es kann auf bestehendes Recht zurückgegriffen werden. Eine Änderung der Erstattungsregelungen im sozialgerichtlichen Verfahren ist dennoch in einem Punkt wünschenswert. So enthält § 193 SGG keine ausdrückliche Regelung in Bezug auf die Vorverfahrenskosten, was dazu führt, dass die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands im Vorverfahren stets erstattungsfähig ist und es eines ausdrücklichen Ausspruchs der Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren im sozialgerichtlichen Verfahren nicht bedarf.1500 Dies stimmt ohne ersichtlichen Grund und zu Lasten des Fiskus weder mit § 63 SGB X noch mit § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO und § 193 Abs. 3 S. 3 FGO überein. Aufgrund der fehlenden Ausführungen in den Bundestagsdrucksachen und des Erlasszeitpunktes des Sozialgerichtsgesetzes ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Erstattung der Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens unbewusst nicht geregelt hat. § 193 SGG sollte demnach entsprechend angepasst werden.

1496  Krauß,

in: Roos / Wahrendorf, SGG, § 183 Rn. 4. in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, § 183 Rn. 4a ff. 1498  Schmidt, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, vor § 183 Rn. 7. 1499  Krauß, in: Wenner / Terdenge / Krauß, Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit, Rn. 626. 1500  Siehe S. 258. 1497  Schmidt,

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4. Teil: Außergerichtliche Vorverfahren im Vergleich

3. Gerichtliches Verfahren in Regelungsbereichen mit fehlendem Gleichlauf Bezüglich der Erstattungsmöglichkeiten für die Kosten des Widerspruchsverfahrens im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gibt es keine Stimmen, die Änderungen vorschlagen. Das liegt an der vollumfänglichen Kostenerstattung, die berechtigterweise besteht. Problematisch sind aber auch im gerichtlichen Verfahren die Regelungen für Bereiche mit fehlendem Gleichlauf. Wird materielles Sozialrecht, also beispielsweise BAföG oder Wohngeld,1501 im Verwaltungsrechtswege durchgesetzt, gilt § 188 S. 2 VwGO, wonach keine Gerichtskosten erhoben werden.1502 Diese Regelung hat jedoch keine Auswirkungen auf die Erstattungsfähigkeit von Vorverfahrenskosten. Welche Aufwendungen die Widerspruchsbehörde für das Durchführen des Widerspruchsverfahrens erstattet bekommt, bestimmt das jeweils einschlägige Bundes- oder Landesverwaltungskostenrecht.1503 Dabei kann der Gesetzgeber sozialstaatliche Faktoren berücksichtigen und Gebührenfreiheit bestimmen, wie es bei § 64 SGB X erfolgt ist. Dies führt wiederum dazu, dass der Sozialbehörde keine Widerspruchskosten erstattet werden. Die Familienkassen gehören zu den Finanzbehörden im Sinne des § 139 Abs. 2 FGO.1504 Dies führt zur bloß einseitigen Erstattung zu Gunsten des Steuerpflichtigen bei Streitigkeiten über Kindergeld, was sozialen Erfordernissen entspricht, aber aufgrund der Gebührenfreiheit im Einspruchsverfahren bezüglich der Einspruchskosten ohnehin der Fall wäre. Andererseits zählen Finanzbehörden, die in Berufssachen der Steuerberater und nicht in der Verwaltung der Steuern tätig werden, nicht zu den Finanzbehörden im Sinne des § 139 Abs. 2 FGO.1505 Dies ist aufgrund der Gleichstellung zu berufsrechtlichen Streitigkeiten im Verwaltungs- und Sozialgerichtsprozess 1501  BVerwGE 41, 115 (126). Letzteres ist umstritten. Nach OVG Lüneburg NVwZ-RR 2008, 68 (69); OVG Hamburg NVwZ-RR 2012, 48; VGH München NVwZ-RR 2013, 1019 (1020) ist Wohngeld nicht von § 188 VwGO umfasst. Dem steht jedoch die soziale Funktion von Wohngeld entgegen. Siehe auch: Schenke / Hug, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 188 Rn. 6; Stelkens / Clausing, in: Schoch / Schneider /  Bier, VwGO, § 188 Rn. 7. 1502  Dies wird sozialstaatlichen Gründen gerecht, gilt allerdings nicht für Streitigkeiten unter Sozialleistungsträgern, wobei dies § 197a Abs. 3 SGG entspricht: Stelkens / Clausing, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 188 Rn. 4, 8. 1503  Olbertz, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 162 Rn. 12. Zu den Vorverfahrensgebühren siehe S. 227 ff. 1504  Stapperfend, in: Gräber, FGO, § 139 Rn. 14. 1505  Brandis, in: Tipke / Kruse, AO / FGO, § 139 FGO Rn. 36; FG Hessen EFG 1998, 1423; FG Brandenburg EFG 1999, 1246 (1247); FG Niedersachsen EFG 2004, 924.



5. Kap.: Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren265

zu begrüßen, hat jedoch erneut aufgrund der Gebührenfreiheit des Einspruchsverfahrens für die Kosten des Vorverfahrens keine Auswirkungen. In kommunalabgabenrechtlichen Streitigkeiten haben sich die Landesgesetzgeber teils dazu entschieden, das Widerspruchsverfahren in Bezug auf die Kosten wertungsmäßig dem Einspruchsverfahren und teils dem Widerspruchsverfahren zuzuordnen.1506 Diese Wertung sollte für die Erstattung der Widerspruchskosten durch die Entscheidung über Widerspruchsgebühren im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beibehalten werden.

1506  Siehe

S. 248.

Ergebnis und Schlussbetrachtung Rechtsschutz, der von der Verwaltung gewährt wird, hat eine lange Tradition, die sich in den heutigen außergerichtlichen Vorverfahren fortsetzt. Was früher einmal Ausdruck fehlender Gewaltenteilung – so genannter Administrativjustiz – war, ist heute zusätzlicher Rechtsschutz für den Bürger, der zwar Teil des Verwaltungsverfahrens ist, aber als Sachurteilsvoraussetzung einen engen Bezug zum gerichtlichen Verfahren hat. Gemäß der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sind die außergerichtlichen Vorverfahren so ausgestaltet, dass sie keine unzumutbare oder unsachgemäße Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten darstellen. Dennoch konnte das allgemeine Widerspruchsverfahren den Makel des „Relikts aus alten Zeiten“1507 bzw. der „Institution des Obrigkeitsstaates“1508 nicht ablegen. In der „kameradschaft­ lichen Bürokratie“1509 finde eine Selbstkontrolle der Verwaltung nicht statt. Die Widerspruchsverfahren wurden in einigen Bundesländern daher weitgehend abgeschafft. Entsprechende Tendenzen sind hinsichtlich des sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens und des Einspruchsverfahrens nicht zu erkennen. Diese beiden Vorverfahren zählen vielmehr zur fehleranfälligen Massenverwaltung und weisen immense Erfolgsquoten auf. Doch Unterschiede bestehen nicht nur bezüglich des „Ob“ der Vorverfahren, sondern auch des „Wie“. Im Folgenden ist daher der Vergleich der Regelungen über die drei außergerichtlichen Vorverfahren auszuwerten. Eingangs wird dargestellt, welche Regelungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, um dann die Regelungen, die zwar nicht gleichheitswidrig sind, aber aus rechtspolitischer Sicht angeglichen werden sollten, herauszuarbeiten. Weiterhin ist zusammenfassend aufzuführen, welche vorverfahrensspezifischen Normen trotz identischen Wortlauts von den Fachgerichten unterschiedlich ausgelegt werden. Sodann ist die heutige Bedeutung des Entwurfs einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung zu beurteilen. Nach diesem Blick in die Vergangenheit werden gesetzliche Neuerungen und deren Auswirkungen auf die außergerichtlichen Vorverfahren rekapituliert. Das Ergebnis der Arbeit schließt mit dem Überblick über diejenigen Regelungen, deren Unterschiede ihre Ursache 1507  Rüssel,

Zukunft des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2006, 523 (524). Leitziele und Kernpunkte der Reformen des Widerspruchsverfahrens, NVwZ 2009, 1144 (1144). 1509  Bosetzky, Die „kameradschaftliche Bürokratie“ und die Grenzen der wissenschaftlichen Untersuchung von Behörden, Die Verwaltung 4 (1971), 325 (328). 1508  Schönenbroicher,



Ergebnis und Schlussbetrachtung267

in den tragenden bereichsspezifischen Besonderheiten der drei Rechtsgebiete haben.

A. Gleichheitswidrige Regelungen Die Entscheidung des Gesetzgebers, drei verschiedene Vorverfahren einzuführen, ist aufgrund der Besonderheiten der Rechtsgebiete mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Darüber hinaus sind einzelne, zwischen den außergerichtlichen Vorfahren vergleichbare Regelungen an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Prüfungsmaßstab ist hierbei die Willkürformel. Ergebnis dieser Prüfung ist, dass einige Regelungen, die das Verhältnis von aufschiebender Wirkung und sofortiger Vollziehung betreffen, gleichheitswidrig sind, obwohl hinter diesen Regelungen grundsätzlich die gleiche Wertung steckt. Die aufschiebende Wirkung des Vorverfahrens entfällt, wenn sonst eine stundungsgleiche Wirkung einträte, die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte hätte. In den Widerspruchsverfahren entfällt die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO und § 86a Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 SGG nur bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten. § 361 Abs. 1 AO geht jedoch weiter und umfasst alle vollziehbaren Verwaltungsakte, also z. B. auch Hilfsund Nebenpflichten. Dies lässt sich im Verhältnis von Gebühren und Beiträgen einerseits und Steuern andererseits aufgrund der Eigenschaft von Steuern als primäre Finanzierungsinstrumente des Staates rechtfertigen. Vergleicht man jedoch kommunale Steuern, die unter § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO fallen, und sonstige Steuern, die von § 361 AO umfasst werden, greift dieser sachliche Grund für die Ungleichbehandlung nicht. Es liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Unsachgemäße Unterschiede bestehen ferner bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen. Obwohl fiskalische Interessen zu Gunsten der sofortigen Vollziehung überwiegen, fehlt es an einer einheitlichen Regelung.

B. Rechtspolitisch bedenkliche Regelungen Darüber hinaus gibt es zwischen den Vorverfahren vergleichbare Normen, für deren Unterschiede zwar ein sachlicher Grund auffindbar ist, bei denen aber dennoch mehr Aspekte für eine Angleichung sprechen. Identische Normen verbessern ihre Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit durch Verwaltung, Gerichte und Bürger. Dies verstärkt letztlich die Rechtsschutzfunktion der Vorverfahren. Die wissenschaftliche Durchdringung der Normen wird ebenso erleichtert, wenn sie wortgleich sind.

268

Ergebnis und Schlussbetrachtung

Eine Norm, die aus rechtspolitischen Gründen angeglichen werden sollte, ist § 84 SGG. Nach § 84 Abs. 1 S. 2 SGG beträgt die Frist für sozialrechtliche Widersprüche bei einer Bekanntgabe des Verwaltungsaktes im Ausland drei Monate. Außerdem gilt die Widerspruchsfrist gemäß § 84 Abs. 2 S. 1 SGG als gewahrt, wenn die Widerspruchsschrift bei anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt eingegangen ist. Beide Regelungen stellen den Widerspruchsführer im Sozialrecht besser und können aufgrund seiner besonderen sozialen Schutzwürdigkeit gerechtfertigt werden. Sie führen jedoch zu einer Verlangsamung des Verfahrens und sind aufgrund moderner Wege der Nachrichtenübermittlung unnötig. Die Antragsfrist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beträgt im allgemeinen Widerspruchsverfahren gemäß § 60 Abs. 2 VwGO zwei Wochen, im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren und im Einspruchsverfahren jedoch einen Monat, § 67 Abs. 2 SGG und § 110 Abs. 2 AO. Dieser Unterschied lässt sich zwar wegen des Bestehens von Massenverwaltung in letzteren beiden Vorverfahren rechtfertigen. Sind Vorverfahren fehleranfälliger, ist es nicht unsachgemäß, dem Vorverfahrensführer längere Bedenkzeiten einzuräumen. Dennoch setzt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerade eine verschuldensunabhängige Fristversäumung voraus, weshalb auch im allgemeinen Widerspruchsverfahren eine längere Bedenkzeit wünschenswert wäre. Grundsätzlich ist die Anhörung vor Erlass des Widerspruchsbescheides nur in den Fällen zwingend, in denen im Ausgangsverwaltungsverfahren keine hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Die Spezialregelung des § 204 Abs. 2 SGB IX schreibt die Anhörung im Widerspruchsverfahren stets – also auch außerhalb dieser Fälle – vor. Der Unterschied kann zwar aus sozialen Gründen gerechtfertigt werden. Dennoch ist die Regelung wohl historisch bedingt und verfassungsrechtlich nicht zwingend. Da sie zu einer unnötigen Verfahrenverlängerung führt, sollte sie abgeschafft werden. Es finden sich auch Regelungen, die das Verhältnis von aufschiebender Wirkung und sofortiger Vollziehung betreffen, die aus rechtspolitischen Gründen angeglichen werden sollten. So enthält lediglich § 80a VwGO eine Regelung für die Voraussetzungen der aufschiebenden Wirkung bzw. sofortigen Vollziehung im Falle der Anfechtung von Verwaltungsakten mit Drittwirkung und sieht Anträge des Adressaten bzw. Dritten vor. Dies lässt sich wegen des seltenen Vorkommens von Drittwidersprüchen und -einsprüchen in den anderen Rechtsgebieten rechtfertigen, ist jedoch aufgrund der stets gleichen Wertung bei Drittanfechtungen nicht sinnvoll. Weiterhin wäre es zu begrüßen, die historisch zu erklärende Regelung des § 86a Abs. 3 S. 3 SGG



Ergebnis und Schlussbetrachtung269

abzuschaffen, damit auch in den dort einschlägigen Fällen sowohl die Ausgangs- als auch die Widerspruchsbehörde für die Aussetzung der sofortigen Vollziehung zuständig sind. Bedenklich ist ferner, dass die Abgabenordnung die Möglichkeit der Beendigung des Einspruchsverfahrens durch Vergleichsvertrag anders als die § 55 VwVfG und § 54 SGB X nicht vorsieht. Der BFH erkennt zwar bei Ungewissheiten über Sachverhaltsfragen die so genannte tatsächliche Verständigung an. Bei Unsicherheiten über Rechtsfragen besteht jedoch keine Möglichkeit der Beendigung des Einspruchsverfahrens durch eine Vereinbarung. Diese Ungleichbehandlung gegenüber den Widerspruchsverfahren, in deren Rahmen gemäß § 55 VwVfG und § 54 SGB X auch bei rechtlichen Ungewissheiten ein Vergleichsvertrag geschlossen werden kann, lässt sich durch die weiter reichenden negativen Folgen für den Fiskus im Falle des Missbrauchs rechtfertigen, da Steuern die primäre Einnahmequelle des Staates sind. Trotzdem besteht für Vereinbarungen über Rechtsfragen auch im Steuerrecht eine erhebliche praktische Notwendigkeit. Die genaue Trennung zwischen Tatsachen- und Rechtsfragen ist teilweise schwierig. Der Missbrauchsgefahr kann durch die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Vertrages entgegen getreten werden, weshalb es genauso wie im Rahmen der anderen beiden Rechtsgebiete ins Ermessen der Behörde gestellt werden kann, ob ein Vergleich geschlossen wird. Obwohl das Steuerrecht seltener Ermessen eröffnet als das allgemeine Verwaltungsrecht und das Sozialrecht, hat der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beim Vorliegen von ius strictum die gleiche Tragweite. Daher sollten Steuervereinbarungen auch über Rechtsfragen möglich sein. Schließlich enthält § 193 SGG keine ausdrückliche Regelung bezüglich der Erstattung der Vorverfahrenskosten im sozialgerichtlichen Verfahren. Dies hat zur Folge, dass die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwaltes, anders als im Verwaltungs- und Finanzgerichtsprozess, aber auch im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren, stets erstattungsfähig ist. Soziale Erwägungen bieten zwar einen Rechtfertigungsgrund. Die in diesen Fällen unnötige Belastung des Fiskus und die Vermutung, dass der Gesetzgeber die Regelung unbewusst nicht aufgenommen hat, sprechen jedoch dafür, die Erstattung der Vorverfahrenskosten explizit zu regeln.

C. Wortgleiche Regelungen mit unterschiedlicher Auslegung Trotz bestehender Unterschiede hat der Gesetzgeber seinem Angleichungsanspruch weitreichend entsprochen. Es ist sinnvoll, Regelungen, die aufgrund fehlender Besonderheiten der Rechtsgebiete angeglichen werden können,

270

Ergebnis und Schlussbetrachtung

tatsächlich anzugleichen. Dies dient der Einheit der Rechtsanwendung und führt somit zu mehr Rechtssicherheit. Dennoch gibt es in den Verfahrensund Prozessgesetzen gleichlautende Normen, die von den Fachgerichten unterschiedlich ausgelegt werden. So wird die Untätigkeitsklage vom BSG als Bescheidungsklage verstanden. BFH und BVerwG sind jedoch der Ansicht, die Untätigkeitsklage sei auf unmittelbare Entscheidung in der Sache gerichtet. Weiterhin ist die Möglichkeit der Sprungklage anders als von § 45 Abs. 1 S. 1 FGO weder in der Verwaltungsgerichtsordnung noch im Sozialgerichtsgesetz vorgesehen. Das BVerwG ist der Ansicht, die Behörde könne sich auf die Sprungklage einlassen, das BSG hingegen nicht. Bei der Prüfung der Voraussetzungen der Aussetzung der sofortigen Vollziehung stellt sich die Frage, wann gemäß § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO, § 86a Abs. 3 S. 2 SGG und § 361 Abs. 2 S. 2 AO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Bezüglich der Widerspruchsverfahren wird vertreten, der Erfolg des Widerspruchs müsse wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Nach der Rechtsprechung des BFH genügt es jedoch, wenn gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit sprechen, wenn also der Erfolg des Einspruchs gleichermaßen wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg. Ferner wird die Aussetzung der Vollziehung trotz übereinstimmender Verwaltungsaktsbegriffe im Einspruchsverfahren als Verwaltungsakt qualifiziert, in den Widerspruchsverfahren jedoch nicht. Die ­Bestimmungen zur Rechtsbehelfsbelehrung und die Folgen von deren Unterlassung sind für die Vorverfahren inhaltsgleich. Dennoch ist das BSG der Ansicht, aufgrund des Zwecks der Rechtsbehelfsbelehrung sei auch über ­ den wesentlichen Inhalt der zu beachtenden Formvorschriften zu belehren. BVerwG und BFH lehnen dies aufgrund des Wortlautes der Normen ab. Lediglich zur Frage, wann ein Schriftstück trotz fehlender Unterschrift hinreichende Gewähr für die Urheberschaft des Ausstellers bietet, hat der gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Stellung genommen.1510 Diesbezüglich ist die Rechtsprechung nun einheitlich. In Anbetracht der vielen gleichlautenden Regelungen und der häufigen Bezugnahme der Rechtsprechung einer Gerichtsbarkeit auf diejenige der anderen kann jedenfalls hinsichtlich der Regelungen zu den außergerichtlichen Vorverfahren nicht davon gesprochen werden, dass die Bereitschaft zur parallelen Auslegung gering sei.1511 Dennoch sollten gegenseitige „Transfers und Lernprozesse“1512 auch bezüglich der genannten unterschiedlichen Aus1510  GmS-OGB

NJW 2000, 2340. aber Redeker, Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten? NJW 2004, 496 (498). 1512  Gärditz, Die Rechtswegspaltung in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, Die Verwaltung 43 (2010), 309 (337). 1511  So



Ergebnis und Schlussbetrachtung271

legungen erfolgen, um „Fallstricke“1513 für die Vorverfahrensführer zu vermeiden.

D. Heutige Bedeutung der VwPO Die Vorschläge des Entwurfs einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung haben bezüglich einiger Fragen auch heute noch Relevanz. § 78 VwPO sieht für die Vorverfahren der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit eine Widerspruchsfrist von einem Monat vor und beschränkt die Fiktion der Fristwahrung auf die Einlegung des Widerspruchs bei der Widerspruchsbehörde. Diese Regelung würde also sowohl die dreimonatige Widerspruchsfrist bei der Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Ausland gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 SGG als auch die Fiktion der Fristwahrung bei einer Vielzahl von Behörden im In- und Ausland gemäß § 84 Abs. 2 S. 1 SGG aufheben, was zu begrüßen wäre. Außerdem bestimmt § 134 Abs. 1 Nr. 3 VwPO die sofortige Vollziehung von Verwaltungsakten, die laufende Leistungen entziehen oder herabsetzen. Die momentanen sehr unterschiedlichen Regelungen bezüglich dieser Verwaltungsakte, die sogar gleichheitswidrig sind, könnten durch diese Norm vereinheitlicht werden. § 136 VwPO betrifft die Anordnung der sofortigen Vollziehung bzw. die Aussetzung derselben bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung. Diese Regelung wurde durch den Erlass des § 80a VwGO umgesetzt. In den anderen Säulen des Verwaltungsrechts fehlt bedauerlicherweise eine entsprechende Regelung. Betrachtet man alle Regelungen der VwPO, die die außergerichtlichen Vorverfahren betreffen, ist der Gesetzentwurf heute von geringer Bedeutung. Die Ausarbeitung des VwPO-Entwurfes war mühsam und zeitaufwändig. Derartige Anstrengungen würden sich nicht mehr lohnen.

E. Gesetzliche Neuerungen Ferner sind kürzlich erlassene Gesetze und deren Auswirkungen auf die außergerichtlichen Vorverfahren zu beleuchten. Das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens macht erhebliche Fortschritte im Bereich der nationalen e-Government-Strategie. Der Ausbau des Einsatzes von Risikomanagementsystemen ist ein Kernpunkt des Gesetzes. Bei der Bearbeitung 1513  Redeker, Vereinheitlichung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten?, NJW 2004, 496 (497).

272

Ergebnis und Schlussbetrachtung

aller drei außergerichtlicher Rechtsbehelfe werden Risikomanagementsysteme trotz Neuerungen nicht hinzugezogen. Dennoch stärkt der Einsatz von Risikomanagementsystemen im Ausgangsverwaltungsverfahren die Bedeutung des Vorverfahrens, da dann erstmals ein Mensch über den Sachverhalt entscheidet. Die neuen § 366 AO, § 122a AO und § 37 Abs. 2a SGB X ermöglichen die Bereitstellung von Vorverfahrensentscheidungen auf Behördenportalen. § 41 Abs. 2a VwVfG n. F. spielt im allgemeinen Widerspruchsverfahren aufgrund des Bedürfnisses der förmlichen Zustellung gemäß § 73 Abs. 3 VwGO keine Rolle. Die Datenschutz-Grundverordnung, die als unmittelbar geltender Unionsrechtsakt in allen drei außergerichtlichen Vorverfahren anwendbar ist, dient dem Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 8 Abs. 1 GRCh im Zeitalter der Digitalisierung. Sie hat die Wechselbeziehung datenschutzrechtlicher Regelungen im Mehrebenensystem grundlegend überarbeitet. Art. 15 DSGVO statuiert ein Auskunftsrecht, das der nationale Gesetzgeber entsprechend der Öffnungsklausel des Art. 23 ­DSGVO für die drei Säulen des Verwaltungsrechts bereichsspezifisch eingeschränkt hat, § 34 BDSG, § 83 SGB X, § 32c AO.1514

F. Tragende Gründe für Unterschiede Häufig schließen Besonderheiten der Rechtsgebiete sowohl Gleichheitsverstöße als auch den rechtspolitischen Wunsch der Angleichung vergleichbarer Regelungen aus. Zu den tragenden Gründen für Unterschiede zählen das Bestehen von Massenverwaltung und sozialstaatliche Erwägungen. Andere rechtsgebietsspezifische Besonderheiten, die zu geringfügigen und organisatorischen Unterschieden führen, sind beispielsweise das Fehlen von Ermessen im materiellen Steuerrecht, die Unterteilung in Grundlagen- und Folgebescheide in der Abgabenordnung und die weitreichende Selbstverwaltung im Sozialrecht. Im Falle der Massenverwaltung verfolgt der Gesetzgeber stets den Zweck der möglichst effizienten Durchführung der Vorverfahren. Dies korreliert mit fiskalischen Erwägungen. Sowohl der Einnahmenerzielung des Staates als auch der sozialen Umverteilung kann am besten Rechung getragen werden, wenn der Verwaltungsapparat effizient funktioniert. Gleichzeitig geht mit dem Bestehen von Massenverwaltung und dem effizienten, d. h. einfachen und schnellen, Verwaltungsverfahren erhöhte Fehleranfälligkeit der Verwaltungsentscheidung einher.

1514  Siehe

S. 175, 176, 178, 194.



Ergebnis und Schlussbetrachtung273

Bei dem Steuerverwaltungsverfahren handelt es sich seit jeher um den Bereich, der am stärksten von Massenverwaltung geprägt ist. Doch auch weite Teile des Sozialverwaltungsverfahrens gehören zur Massenverwaltung. Hier ist jedoch das Bedürfnis nach Verwaltungsökonomie mit sozialen Faktoren in Ausgleich zu bringen. Im allgemeinen Verwaltungsrecht sind Rechtsgebiete, die zur Massenverwaltung zählen, von untergeordneter Bedeutung. I. Sachentscheidungsvoraussetzungen der außergerichtlichen Vorverfahren Die erhöhte Fehleranfälligkeit in der Massenverwaltung ist ein Grund für das Fehlen des Devolutiveffekts im Einspruchsverfahren, § 367 Abs. 1 AO. Mit den dortigen Erfolgsquoten von rund 60 % ist das Interesse der Ausgangsbehörde, sich selbst zu korrigieren, außerordentlich hoch. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein außergerichtliches Vorverfahren unbearbeitet bleibt, höher, je mehr Vorverfahren eingelegt werden. Dies erklärt die Statthaftigkeit des Untätigkeitseinspruchs gemäß § 347 Abs. 1 S. 2 AO. Dass eine Behörde einen Antrag bzw. ein Vorverfahren nicht bearbeitet, ist umso verständlicher, je größer das Ausmaß der Massenverwaltung ist. Die unterschiedlich langen Wartefristen für die Zulässigkeit von Untätigkeitsklagen gemäß § 75 VwGO, § 88 SGG und § 46 FGO lassen sich hierdurch erklären. Lediglich § 45 FGO sieht die Möglichkeit der Sprungklage vor. Dies lässt sich anhand des Fehlens des Devolutiveffekts im Einspruchsverfahren erklären, dessen Ursache wiederum im Bestehen von Massenverwaltung liegt. Gemäß § 357 Abs. 1 S. 1 AO kann der Einspruch elektronisch, also per ­E-Mail, eingelegt werden. Dies ist sinnvoll, da das außergerichtliche Vorverfahren umso leichter eingelegt können werden muss, je fehleranfälliger das Ausgangsverwaltungsverfahren ist. II. Begründetheit der außergerichtlichen Vorverfahren Bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfang die reformatio in peius zulässig sein sollte, wird das Vertrauen des Bürgers mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Ausgleich gebracht. Im Steuerverwaltungsverfahren, in dem die Gesetzmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung aufgrund der Masse an zu entscheidenden Fällen häufig leidet, darf letzterem Grundsatz Vorrang eingeräumt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Verböserungsbefugnis im Einspruchsverfahren weiter reicht als in den Widerspruchsverfahren. In Massenverfahren stößt die Verwaltung außerdem auf besondere Herausforderungen bei der Sachverhalts­ ermittlung. Daher ist der Einsatz von Risikomanagementsystemen bei der Steuerveranlagung zu begrüßen, wobei hierbei auch eine Rolle spielt, dass

274

Ergebnis und Schlussbetrachtung

das materielle Steuerrecht kein Ermessen eröffnet. Sowohl die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage gemäß § 364a AO als auch die Gelegenheit zur Teilnahme an der Beweisaufnahme gemäß § 365 Abs. 2 AO stellen einen Ausgleich für die Fehleranfälligkeit des Veranlagungsverfahrens und die hierin häufig unterbleibende Anhörung dar. Erwägungen der Verwaltungseffizienz rechtfertigen, dass im Einspruchsverfahren bei einem Antrag auf Akteneinsicht lediglich ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung besteht. Der Einspruchsführer hat durch das Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO hinreichend Zugang zu den behördlichen Entscheidungsgrundlagen. Ein letzter Unterschied lässt sich sozialstaatlich erklären. Die Akteneinsicht ist gemäß § 25 Abs. 5 SGB X im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren durch eigenständige Ablichtung oder Erteilung von Ablichtungen zu gewähren. III. Beendigung der Vorverfahren Aus Gründen der Verwaltungseffizienz und zur Kostenersparnis müssen weder der Einspruchs- noch der sozialrechtliche Widerspruchsbescheid förmlich zugestellt werden müssen. Weiterhin können die Entscheidungen über diese beiden Vorverfahren aus diesen Gründen durch öffentlich bekannt gegebene Allgemeinverfügung erfolgen, § 367 Abs. 2b S. 1 AO und § 85 Abs. 4 SGG. IV. Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren Im Bereich der Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren treten die Besonderheiten der Rechtgebiete besonders in den Vordergrund. Sowohl das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren als auch das Einspruchsverfahren sind zur Vereinfachung und zur Gewährleistung der Verwaltungseffizienz gebührenfrei ausgestaltet. Dies ist im allgemeinen Widerspruchsverfahren häufig nicht der Fall. Bei der Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit von Kosten des Vorverfahrens dürfen monetäre Interessen des Einspruchsführers abermals aus verwaltungsökonomischen Gründen zurücktreten. Hinzu kommt jedoch, dass er in der Regel wirtschaftlich leistungsfähig ist. Der sozialrechtliche Widerspruchsführer ist hingegen sozial schutzbedürftig. Daher ist die Erstattung von Vorverfahrenskosten im isolierten Einspruchsverfahren gar nicht und im isolierten sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren nur einseitig zu Gunsten des Widerspruchsführers vorgesehen. Im isolierten allgemeinen Widerspruchsverfahren, das regelmäßig nicht von Massenverwaltung geprägt ist, findet eine umfassende Kostenentscheidung mit beidseitigen Kosten­ erstattungspflichten statt. Schließlich sind sozialstaatliche Erwägungen ursächlich für die fehlende Kostenschuldnerschaft nicht-privilegierter Kläger



Ergebnis und Schlussbetrachtung275

oder Beklagter im sozialgerichtlichen Verfahren, wobei dies auch die Kosten des Vorverfahrens betrifft.

G. Gesamtergebnis Insgesamt hat sich daher die Unterteilung der außergerichtlichen Vorverfahren in die drei Säulen des Verwaltungsrechts bewährt. Die Besonderheiten der drei Rechtsgebiete schlagen regelmäßig auf die verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsprozessualen Regelungen durch und begründen somit bestehende Unterschiede. Gleichheitsverstöße sind äußerst selten. Rechtspolitische Bedenken bestehen hingegen in einigen Bereichen. Dort wo Angleichung noch möglich ist, sollte sie vorgenommen werden. Dies gilt nicht nur für den Wortlaut der Gesetze, sondern auch für die Auslegung der Gesetze durch die Fachgerichtsbarkeiten.

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Sachregister Abhilfe  111 ff., 116, 212 ff., 222 Akteneinsicht  85 ff., 104, 182 ff., 274 Allgemeiner Gleichheitssatz  28, 59, 69 ff., 189, 267 Amtshaftung  244, 246, 248 ff. Analogie  28, 75 ff., 235, 247, 260 Anhörung  84 f., 104, 165 ff., 187, 268, 274 Aufschiebende Wirkung / Sofortige Vollziehung  33, 197 ff., 267, 270 Auskunft  86, 174 ff., 190, 274 Begründung  53, 87 f., 104, 198, 218 f. Bekanntgabe  42, 87, 138, 142, 214 ff. Datenschutz  85, 193 ff. Datenschutz-Grundverordnung  105, 174 ff., 189 f., 194 f., 272, 274 Devolutiveffekt  35, 45, 55, 111 ff., 124, 129, 153, 210, 213, 273 Drittbeteiligte im Vorverfahren  85, 120, 126, 130, 134, 147, 166 ff., 178, 182, 184, 188, 189, 197 ff., 208, 235, 238, 240, 268, 271 Erledigung  213, 221 f., 256, 260 Ermessen  59 f., 85, 87, 89, 123, 128, 130, 134, 147, 148, 150, 156, 162, 167, 170, 172, 182, 184, 186, 187 ff. Erörterung der Sach- und Rechtslage  172 Frist  268 Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens  42, 144, 177 f., 217, 272

Gesetzgebungskompetenzen  91 ff. 151, 177, 192, 228 Klagefrist  215, 216, 218, 219 Kosten der außergerichtlichen Vorverfahren  95, 97, 213, 221, 222, 226 ff., 270, 274 Leistungsfähigkeit  59, 244 Massenverwaltung  26, 56, 62 ff., 73, 81, 117, 125 ff., 131, 133, 143, 153, 155 f., 187, 190, 217 f., 218, 245, 248, 266, 268, 272 ff. Mitwirkungspflichten  156 ff., 163, 193, 244 Präklusion  161 Rechtsbehelfsbelehrung  203, 208, 262 Rechtsbehelfsweg  106 ff. Rechtspolitische Erwägungen  124 f., 142, 153, 218, 244, 246, 266 f., 275 Rechtsschutzgarantie  50 f., 65 ff., 70, 80, 91, 136, 137, 161, 163, 197, 204, 218, 232, 244, 266 reformatio in peius  150, 166, 168, 221, 273 Risikomanagement  154 ff., 272, 273 Rücknahme des Rechtsbehelfs  150, 220 f., 230, 232, 239, 246 Schriftform  144 f., 214 Selbstkontrolle der Verwaltung  26, 32, 52, 63, 71, 117, 124, 219, 231, 236, 266 Selbstverwaltung  26, 59, 89, 111, 114, 119, 126, 149, 272

298 Sachregister Sozialstaatliche Erwägungen  58, 61, 186, 262, 264, 272, 274 f. Tatsächliche Verständigung  223 f., 269 Unionsrecht und außergerichtliche Vorverfahren  102 ff. Untätigkeitseinspruch  120 ff., 127, 137, 273 Untätigkeitsklage  45, 68, 120 ff., 127, 270, 273 Untersuchungsgrundsatz  84, 153 ff., 160, 226 Vergleichsvertrag  222 f., 254, 260, 269 Verhältnismäßigkeit  70, 86, 88 f., 154, 157, 162, 188, 244

Verwaltungseffizienz  62 ff., 71, 81 f., 87, 136, 137, 173, 183, 190, 217 f., 224 ff., 246, 268, 273 f. Verwaltungsprozessordnung  28, 30, 43 ff., 131, 207, 209, 266, 271 Vorverfahrensbefugnis  133 ff. Vorverfahrensfrist  45, 67, 73, 103, 143, 147, 219, 221, 271 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  141, 268 Zuständigkeit der Vorverfahrensbehörde  111 ff., 152 f. Zustellung  122, 214, 217, 272 Zweckmäßigkeit  51, 52, 55, 75, 81, 103, 124, 134, 149, 153, 235, 245