Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG: Inhalt, Grenzen und haftungsrechtliche Dimensionen [1 ed.] 9783428504237, 9783428104239


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Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG: Inhalt, Grenzen und haftungsrechtliche Dimensionen [1 ed.]
 9783428504237, 9783428104239

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 911

Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG Inhalt, Grenzen und haftungsrechtliche Dimensionen

Von

Norbert Janz

Duncker & Humblot · Berlin

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 911

NORBERT JANZ

Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG

Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG Inhalt, Grenzen und haftungsrechtliche Dimensionen

Von

Norbert Janz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2001/2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10423-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam im Wintersemester 2001/2002 als Inaugural-Dissertation angenommen worden. Sie wurde für den Druck ergänzt; Rechtsprechung, Literatur und Parlamentsmaterialien konnten daher bis Mai 2002 berücksichtigt werden. Herrn Prof. Dr. Michael Nierhaus danke ich sehr herzlich für die im besten Sinne „doktorväterliche" Betreuung meiner Arbeit. Er hat mich stets in jeder Weise unterstützt und mir neben meiner Assistententätigkeit an seinem Lehrstuhl den nötigen Freiraum gelassen. Ferner gebührt Frau Prof. Dr. Carola Schulze mein Dank für die ungewöhnlich zügige und darüber hinaus wohlwollende Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Norbert Simon gilt mein besonderer Dank für die Aufnahme der Arbeit in die Schriften zum Öffentlichen Recht. Ausgezeichnet wurde die Arbeit durch den Wolf-Rüdiger-Bub-Preis der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam. Schließlich möchte ich es nicht versäumen, meiner Lehrstuhlkollegin, Frau Sonja Rademacher, für die vielfältigen Anregungen und den regen Gedankenaustausch sowie Herrn cand. iur. Falk-Florian Hoene für die mitunter nervenaufreibende Erstellung des druckfähigen Layouts zu danken. Ich widme das Buch meinem Großvater Hans König.

Berlin, im August 2002

Norbert Janz

Inhaltsverzeichnis Α. Problemdarstellung Β. Historische Entwicklung I. Einleitung II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich 1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage bei Reichsgründung 1871 a) Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen b) Die Ausführung der Reichsgesetze durch die Länder aa) Die Verteilung der Verwaltungskompetenzen bb)Die Reichsaufsicht nach Art. 4 RV 2. Ansätze fur die Einführung auftragsweiser Verwaltung a) Allgemeine Entwicklungstendenzen b) Auftragsverwaltung als Verfassungsverstoß? c) Materien aa) Ausbau der Reichsaufsicht nach Art. 4 RV bb) Übertragung von Verwaltungskompetenzen auf Einzel Staaten 3. Haftungsfrage 4. Fazit III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik 1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage und Staatspraxis a) Allgemeine Entwicklung b) Die Ausführung der Reichsgesetze und die Reichsaufsicht c) Die sog. Reichsauftragsverwaltung d) Einzelne Materien der Reichsauftragsverwaltung e) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Reichsauftragsverwaltung f) Schicksal der Reichsauftragsverwaltung am Ende der Weimarer Republik 2. Haftungsfrage 3. Fazit C. Die Bundesauftragsverwaltung I. Die Entstehung des Art. 85 GG 1. Anknüpfung an alte Verfassungspraxis 2. Die Genese des Art. 85 GG 3. Fazit II. Das Gefüge grundgesetzlicher Vollzugsmodelle 1. Der Regelfall: Landeseigenverwaltung

25 31 31 32 32 33 35 35 38 41 41 47 48 49 53 54 56 57 57 57 60 62 66 68 71 73 74 77 77 77 78 81 82 82

nsverzeichnis 2. Die Ausnahme: Bundeseigen Verwaltung 83 3. Die dritte Verwaltungsform: Bundesauftragsverwaltung 83 III. Die Rechtsnatur der Bundesauflragsverwaltung 86 IV. Übersicht über Bundesingerenzen 93 1. Befugnisse des Bundesgesetzgebers 93 2. Befugnisse der Bundesregierung 94 3. Befugnisse oberster Bundesbehörden - Das Weisungsrecht 96 4. Bundesaufsicht 96 V. Andere subordinationsrechtliche Beziehungen 97 1. Aufgabenerfullung auf kommunaler Ebene 97 2. Beliehene 98 3. Organleihe 99 4. Gemeinschaftsaufgaben 99 5. Bürgerlich-rechtliches Auftragsverhältnis 100 VI. Die Materien der Bundesauftragsverwaltung 101 1. Verteidigungsverwaltung 102 2. Atomverwaltung 104 3. Luftverkehrsverwaltung 107 4. Bundeswasserstraßenverwaltung 108 5. Bundesfernstraßenverwaltung 109 6. Geldleistungsverwaltung 111 7. Finanzverwaltung 112 8. Lastenausgleichs Verwaltung 112 VII. Fazit 113 D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG 115 I. Überblick und Literaturbefund 115 1. Auftragsrechtliche „Windstille" 116 2. Zunehmende energiepolitische Auseinandersetzungen 117 3. Heutiger Befund 118 II. Begriff der Weisung 122 1. Vielfalt der Inhalte 122 a) Weisungen im Rechtssinne 122 b) Weisungen im Grundgesetz 125 aa)Die Weisung alsföderales Steuerungselement 125 bb)Die Weisung als Abhängigkeitsmerkmal 126 cc) Fazit 127 2. Der Weisungsbegriff im Rahmen des Art. 85 Abs. 3 GG 128 3. Die Ausgestaltung des Weisungsrechts 129 a) Grundsätzliche Struktur des Weisungsrechts 129 b) Zuständigkeiten bei Weisungserteilung 131 aa) Weisungsberechtigter 132 α) Oberste Bundesbehörden als Weisungsberechtigte (Regelfall)... 132 αα) Zuständige oberste Bundesbehörden 132

nsverzeichnis

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ßß) Zuständige oberste Bundesbehörden 134 ß) Bundesoberbehörden als Weisungsberechtigte (Ausnahme) 137 αα) Verteidigungsverwaltung 137 ßß) Lastenausgleichsverwaltung 139 γγ) Weitere Weisungsberechtigte außerhalb des Art. 85 GG.... 140 bb) Weisungsempfänger 140 α) Normalfall 140 ß) Eilfall 142 c) Inhaltlicher Umfang der Weisungskompetenz 142 d) Verbindlichkeit einer Weisung 146 e) Weisungs-„Ziel" 147 aa) Grundsätzliches Weisungs-„Ziel" 147 bb)Ein gerichtliches Verfahren als Weisungs-„Ziel" 148 f) Kein Umsetzungserfordernis 150 g) Wirksamwerden einer Weisung 150 h) Verflochtenheit von Bund und Land 151 i) Weitere Rechtsbeziehungen 152 j) Minderintensive Eingriffe 155 k) Die Weisung als Mittel der Bundesaufsicht? 159 1) Zusammenfassende Betrachtung 160 III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten 162 1. Die friedliche Nutzung der Kernenergie 162 a) Umfang der Kernenergienutzung in Deutschland 162 b) Gesetzliche Grundlagen 165 2. Konkrete atomrechtliche Weisungsstreitigkeiten 167 168 a) Reaktorbetriebe in Hanau/Hessen 1 b) Schneller-Brüter-Prototyp in Kalkar/Nordrhein-Westfalen 173 c) Kernkraftwerk in Brokdorf/Schleswig-Holstein 178 d) Atomare End- und Zwischenlagerung 180 aa) „Schacht Konrad" in Salzgitter/Niedersachsen 180 bb)Gorleben/Niedersachsen 188 α) Das Endlagerprojekt 189 ß) Das Transportbehälterlager 191 γ) Die Pilotkonditionierungsanlage 192 e) Reaktorbetriebe in Hanau/Hessen II 193 f) Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich/Rheinland-Pfalz 196 aa) Weisungsrechtliche Dimension des Atommeilers 196 bb)Atomausstiegsrechtliche Dimension 198 g) Kernkraftwerk Biblis/Hessen 199 h) Castor-Transporte 202 aa) Ausgangssituation 203 bb)Konkrete Konflikte 206 i) Kernkraftwerk Obrigheim/Baden-Württemberg 207

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nsverzeichnis aa) Kernenergiepolitischer Hintergrund 207 bb) Konkrete Konflikte 208 cc) Die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle - ein Überblick 210 j) Endlager Morsleben/Sachsen-Anhalt 210 k) Streitpunkt Wiederaufbereitung 215 aa) Allgemeines und Begriffsinhalt 216 bb) Ausstieg aus der Wiederaufbereitung 218 cc) Skandal in Sellafield 220 1) Restlaufzeiten von Kernkraftwerken 221 m) Weisungen im Falle eines Betreiberkonkurses 227 3. Weisungskonflikte außerhalb des Atomrechts 228 a) Bundesfernstraßen Verwaltung 228 b) Weitere Verwaltungsbereiche 230 4. Befund der Inanspruchnahme des Weisungsrechts 231 a) Die Kernenergieverwaltung 231 b) Die Fernstraßen Verwaltung 235 c) Fazit 236 IV.Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme 237 1. Allgemeines 237 239 2. Anforderungen an die Verfassungskonformität a) Tatsächliches Vorliegen einer Weisung 239 b) Gegenstand der Weisung 241 c) Zuständigkeiten bei Weisungserteilung 244 d) Verfahrensanforderungen: Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten . 245 aa) Tatsächliche Gelegenheit des Landes zur Stellungnahme 247 bb) Erwägung des Landesstandpunktes 248 cc) Vorheriger Hinweis auf die Möglichkeit einer Weisungserteilung .. 249 dd) Hinreichende Substantiierung des Pflichten Verstoßes 250 ee) Tatsächliche Relevanz dieser Kompetenzschranke 250 e) Gebot der Weisungsklarheit 251 aa) Bestimmtheit 251 bb) Schriftform 252 f) Einfachgesetzlicher rechtswidriger Weisungsinhalt 253 g) Tatsächliche Unausfuhrbarkeit 255 h) Einzelfallbezogenheit einer Weisung 256 aa) Problemstellung 256 bb)Eigene Ansicht 258 cc) Ergebnis 261 i) Gesetzliche Ausgestaltung des auftragsweisen Verwaltungsbereichs.... 262 j) Verfassungswidrigkeit des Gesetzes 263 k) Dringlichkeitsentscheidung 264 1) Grundrechte 265 aa) Grundrechtsträgerschaft des Landes 265

nsverzeichnis bb) Grundrechtstreuhand des Landes m) Sonstige Grenzen des Weisungsrechts n) Zwischenergebnis V. Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen 1. Allgemeine Problemstellung 2. Rechtsweg a) Rechtswegmöglichkeiten b) Rechtsweg bei Fehlen der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen c) Rechtsweg bei Fehlen der einfachgesetzlichen Voraussetzungen 3. Weitere Sachurteilsvoraussetzungen a) Antrag b) Antragsberechtigung c) Streitgegenstand d) Antragsbefugnis e) Übrige Zulässigkeitsvoraussetzungen 4. Die Entscheidung des BVerfG 5. Einstweiliger Rechtsschutz 6. Ergebnis VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung 1. Ausgangssituation 2. Der Bundeszwang 3. Der Bund-Länder-Streit 4. Das Mängelrüge verfahren 5. Fernliegende Instrumentarien 6. Bundeszwang als ultima ratio? 7. Weisungsvollzug durch Bundesbehörden? a) Der Ansatz F. Loschelders b) Kritische Stellungnahme VII. Vorläufige Bilanz 1. Grundsätzliche Akzeptanz 2. Tatsâchlichè Bedeutung des Weisungsrechts E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension 1. Einführung in die Problematik a) Schrifttums- und Rechtsprechungsbefund aa) Allgemeine Übersicht der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis bb)Speziell: Die Haftung aus Weisungen b) Fallkonstellationen aa) Relevante Verwaltungsbereiche bb) Konkrete Haftungssituationen 2. Begrifflichkeiten a) Die Weisung als conditio sine qua non aa) Das Vorliegen einer Weisung

11 266 266 267 267 267 268 268 270 271 274 274 274 275 275 276 277 278 278 279 279 282 285 287 288 288 292 292 293 295 295 297 301 301 301 303 303 306 308 308 310 313 313 313

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nsverzeichnis α) Tatsächliches Vorliegen β) Minderintensive Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes γ) Nicht-Weisung? αα) Der formale Rahmen ßß) Das innere Wesen δ) Folgerungen bb)Unterschiedliche Weisungstypen α) Einzelne Weisungstypen αα) Verschiedene Weisungsinhalte ßß) Die sog. provozierte Weisung γγ) Die angeforderte Weisung ß) Rechtliche Konsequenzen? b) Der Schaden als Voraussetzung einer Haftung c) Die Haftung als Rechtsfolge II. Anspruchsgrundlagen 1. Überblick über die möglichen Anspruchsgrundlagen 2. Einzelne Anspruchsgrundlagen a) „Auftrags"-Haftungsregelungen aa) Öffentlich-rechtlicher Auftrag bb)Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag b) Sonstige schuldrechtliche Haftungsregelungen c) Die Amtshaftung aa) „Jemand" in Ausübung eines öffentlichen Amtes bb)Drittgerichtete Amtspflicht α) Drittgerichtete Amtspflicht ß) Drittgerichtete Amtspflicht cc) Bereicherung der anderen Körperschaft? dd) Weitere Gesichtspunkte ee) Fazit und kritische Anmerkung d) Die Bundestreue e) Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch aa) Wesen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs bb) Anwendbarkeit bei der Bund-Länder-Haftung cc) Ergebnis f) Gedanke der Drittschadensliquidation aa) Die zivilrechtliche Drittschadensliquidation bb) Anwendung im Bund-Länder-Verhältnis cc) Ergebnis g) Fortgeltendes DDR-Recht aa) Das StHG-DDR bb)Geltungskraft im Bund-Länder-Verhältnis? h) Weitere Haftungsgrundlagen

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aa) Die Mittel des Art. 85 Abs. 3 und 4 GG bb) Bundeszwang cc) Art. 85 GG dd)Art. 85 GG i.V.m. § 1004 BGB ee) § 18 Abs. 4 AtomG (ggf. analog) ff) Einfachgesetzliche Regelungen innerhalb der Materien des Art. 85 GG gg)Einfachgesetzliche Regelungen außerhalb der Materien des Art. 85 GG α) § 19 Abs. 3 Satz 2 2. HS AltsparerG ß) § 55 Abs. 3 BGSG γ) §§ 102 ff. SGB X δ) Fazit hh) Finanzausgleich ii) Enteignungsgleicher Eingriff. jj) Allgemeines Veranlassungsprinzip i) Zwischenergebnis 3. Art. 104 a Abs. 5 GG als rocher de bronze a) Einführung b) Entstehungsgeschichte aa)Das sog. 7>oeger-Gutachten bb) Begründung der Bundesregierung cc) Stellungnahme des Bundesrates dd) Gegenäußerung der Bundesregierung ee) Schluß und Schlußfolgerung c) Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. als unmittelbarer Vorläufer aa) Inhalt der Vorschrift bb) Bedeutung der Vorschrift d) Anwendbarkeit der Regelung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG aa) Streitstand α) Keine unmittelbare Geltung ß) Unmittelbare Geltung γ) Tatsächliche Bedeutung des Streits und seine Folgen bb)Streit im Schrifttum und langjähriges Rechtsprechungsvakuum cc) Eigene Ansicht α) Wortlaut der Norm αα) Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ßß) Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG ß) Historische Auslegung γ) Systematische Auslegung δ) Teleologische Auslegung αα) Verfassungsrechtliche Teleologie

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nsverzeichnis ßß) Rechtspolitische Teleologie γγ) Weitere Argumente ee) Ergebnis: Unmittelbare Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Hs. GG e) Das Konnexitätsprinzip innerhalb der Finanzverfassung und seine Durchbrechung aa) Die grundgesetzliche Finanzverfassung - Begriffsbestimmung und Inhalt bb)Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG α) Ausgangsüberlegungen ß) Die Regelung vor 1969 γ) Die Lasten Verteilung seitdem

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δ) Exkurs: Lasten Verteilung und Mischfinanzierung 416 ε) Kritik am Konnexitätsgrundsatz 418 cc) Durchbrechungen des Konnexitätsprinzips 420 α) Grundsätzliches 420 ß) Einzelne Regelungen 421 αα) Bundesauftragsverwaltung, Art. 104 a Abs. 2 GG 421 (1) Inhalt und Reichweite der Regelung 421 (2) Konkrete Regelungsbereiche 425 (3) Bestätigung oder Durchbrechung des Konnexitätsprinzips? 426 ßß) Ausnahme bei Geldleistungsgesetzen, Art. 104 a 427 Abs. 3 GG (1) Die Finanzierungszuständigkeit nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG 427 (2) Bundesauftragsverwaltung als Rechtsfolge nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG 431 (3) Zustimmungserfordernis des Bundesrates nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 3 GG 433 γγ) Finanzhilfekompetenz, Art. 104 a Abs. 4 GG 434 (1) Der Tatbestand des Art. 104 a Abs. 4 Satz 1 GG 434 (2) Die nähereiRegelung nach Art. 104 a Abs. 4 Satz 2 GG 437 δδ) Gemeinschaftsaufgaben nach Artt. 91 a und b GG 439 (1) Art. 91 a GG 440 (2) Art. 91 b GG 442 (3) Reformbestrebungen 444 εε) Kriegsfolgenlasten nach Art. 120 GG 445 γ) Die Begriffe Zweckausgaben und Verwaltungsausgaben 446 αα) Verwaltungsausgaben 446 ßß) Zweckausgaben 447 γγ) Konkrete Kostentragungslasten 448 δδ) Kritische Würdigung 451

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δ) „Einpassen" der Haftungskosten in das System des Art. 104 a Abs. 1 und 5 Satz 1 1. HS GG 453 f) Voraussetzungen einer Bund-Länder-Haftung: Der Tatbestand des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 2. HS GG 456 aa) Haftungsbeteiligte 458 α) Bund und Länder als Beteiligte 459 ß) Nur Länder als Beteiligte 461 γ) Mittelbare Staatsverwaltung 461 δ) Zusammenfassung 464 bb) Der Begriff „haften" 464 α) Fehlende Befassung in Rechtsprechung und Schrifttum 464 ß) Begriffsinhalt 465 γ) Fazit 468 cc) Begriff „im Verhältnis zueinander" 468 dd) Begriff „Ordnungsmäßige Verwaltung" 469 α) Verwaltung 470 αα) Begrifflichkeiten 470 (1) Der allgemeine Begriff „Verwaltung" 470 (2) Die „Verwaltung" in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG 471 ßß) Verwaltung und Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG 473 ß) Ordnungsmäßigkeit 474 αα) Strukturelemente des Ordnungsmäßigkeitsbegriffs 474 ßß) Ordnungsmäßigkeit als objektiver Maßstab 476 (1) Vielfalt der Inhalte 476 (2) Erfordernis eines Haftungskernbereichs 477 (a) Gedanklicher Ansatz 477 (b) Festlegung des Haftungskernbereiches 480 (c) Zusammenfassung 484 γγ) Ordnungsmäßigkeit als subjektiver Maßstab 484 ee) Umfang 488 α) Die Höhe des Schadensersatzes 488 ß) Kausalität 491 γ) Zinsen 492 δ) Verjährung 493 g) Exkurs: Zusammenfassender Blick auf die Funktion der Verwaltungshaftung 493 h) Fazit 494 III. Das Land als Geschädigter 495 1. Problemexposition und Schrifttumsbefiind 496 2. Überblick über die haftungsrechtlichen Beziehungen 498 a) Das Land als unmittelbar Geschädigter 499 aa) Problemlage 499 bb) Fallbeispiel 500

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nsverzeichnis b) Das Land als mittelbar Geschädigter aa) Problemlage bb)Fallbeispiel cc) Keine unmittelbare Haftung des Bundes dd)Reine Länderhaftung c) Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG als haftungsrechtlicher Katéchon d) Der Grad der Rechtswidrigkeit als Maßstab des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG aa) Grundsatz α) Verantwortlichkeit des Bundes ß) Einfügen der Verantwortlichkeit in die Rechtsordnung γ) Folgen bb) Gemischte Haftung 3. Abschließende Betrachtung a) Haftungsrechtliche Lösung der Fallbeispiele aa) Das Land als unmittelbar Geschädigter bb)Das Land als mittelbar Geschädigter b) Resümee IV. Der Bund als Geschädigter 1. Einführung a) Überblick über die haftungsrechtlichen Beziehungen b) Fallbeispiel c) Hintergrund und politische Bedeutung des Fallbeispiels 2. Haftungsvoraussetzungen a) Überblick b) Nicht ordnungsmäßiges Ausführen einer Weisung aa) Bewußte Ausführungsmängel bb)Unbewußte Ausführungsmängel c) Nichtbeachtung einer Weisung d) Haftungsrechtliche Behandlung e) Ergebnis bei monokausalem Handeln des Landes f) Exkurs: Europarechtliche Besonderheiten aa) Fehlerhafte Mittelverwendung bb) Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH g) Mischfälle aa) Überblick bb) Ausschließliche Landessphäre α) Kollusives Zusammenwirken ß) „Zufälliges" Zusammenwirken γ) Rechtliche Behandlung cc) Teilweise Landessphäre α) Fallgruppenbeschreibung

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nsverzeichnis β) Ähnliche Schadensfälle γ) Haftungsrechtliche Behandlung dd)Zusammenfassende Betrachtung der Mischfälle 4. Rückgriffsmöglichkeiten des Landes a) Zu Lasten verwaltungsexterner Dritter b) Zu Lasten Landesbediensteter 5. Zusammenfassung a) Haftungsrechtliche Lösung des Fallbeispiels b) Resümee V. Rechtswegfragen einer Bund-Länder-Haftung 1. Verwaltungsrechtsweg 2. Verfassungsrechtliche Streitigkeit 3. Fehlende Rechtsprechung des ΒVerfG 4. Eigene Ansicht 5. Exkurs: Außergerichtliche Geltendmachung VI. Zusammenfassende Betrachtung F. Zusammenfassung Literaturverzeichnis Sachwortverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis a.A. aaO. Abs. a.E. a.F. AFG AgrarR AK-GG ALKEM AltsparerG AMRadV Anm. AöR Art. AtomG AtSMV atw Aufl. AZ BAFöG BAG BAGE BAT BauGB Bay, bay BayStAnz BayVBl. BB BBergG BBG Bbg, bbg BbgVwGG

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Agrarrecht Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare) Alpha-Chemie und Metallurgie GmbH Gesetz zur Milderung von Härten der Währungsreform - Altsparergesetz Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Atomrechtliche Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung atomwirtschafit Auflage Aktenzeichen Bundesgesetz über die individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundes-Angestelltentarif Baugesetzbuch Bayern, bayerisch Bayerischer Staatsanzeiger Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater Bundesberggesetz Bundesbeamtengesetz Brandenburg, brandenburgisch Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung im Land Brandenburg (Brandenburgisches Verwaltungsgerichtsgesetz)

Abkürzungsverzeichnis Bd Bd. BE Bern. Bespr. BFH BFHE BfS BFStrG BGB BGBl. I BGHZ BGSG BImSchG BK BLG BR-Drucks. BRRG BM BMI BMU BNatSchG BNFL BSeuchenG BSGE BSHG BT-Drucks. Buchholz BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE Ch. E. DB DBE dens. ders. Diss.

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Bund Band Brennelemente Bemerkung Besprechung Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofes Bundesamt für Strahlenschutz Bundesfernstraßengesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesgrenzschutzgesetz Gesetz zum Schutze vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) Dolzer, Rudolf Vogel, Klaus (Hrsg.), Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Loseblatt (Stand: 97. Lieferung November 2001) Bundesleistungsgesetz, Brennelementelager Gorleben GmbH Drucksachen des Bundesrates Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz) Bundesministerium Bundesministerium des Innern Bundesministerium fur Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesnaturschutzgesetz British Nuclear Fuels Ltd. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessozialhilfegesetz Drucksachen des Deutschen Bundestages Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, hrsg. von K. Buchholz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Herren-) Chiemseer Entwurf Der Betrieb Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH denselben derselbe Dissertation

20 DJT DJZ DöD DÖV DtStZ DuR DVBl. d. Verf. ebda. ERAM Erl. ESVGH ET EuGH EURATOM EVertr. f., ff. FamRZ FAZ FG FN FS FStrG GBl. geänd. GewArch GewO GG GGOI GGVE GGVS GMBl. GNS GO GO-BReg GS GVG GVOB1. Halbs. HandwO

Abkürzungsverzeichnis Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Der öffentliche Dienst Die öffentliche Verwaltung Deutsche Steuer-Zeitung Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt der Verfasser ebenda Endlager für Radioaktive Abfalle Morsleben Erläuterung Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder Energiewirtschaftliche Tagesfragen Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Atomgemeinschaft Einigungsvertrag folgende, fortfolgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Festgabe Fußnote Festschrift Fernstraßengesetz Gesetzblatt geändert Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Allgemeiner Teil Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter mit Eisenbahnen (Gefahrgutverordnung - Eisenbahn) Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (Gefahrgutverordnung - Straße) Gemeinsames Ministerialblatt Gesellschaft für Nuklear-Service mbH Gemeindeordnung Geschäftsordnung der Bundesregierung Gesetzessammlung, Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Halbsatz Handwerksordnung

Abkürzungsverzeichnis Hess, hess HGB h.M. Hrsg., hrsg. HSOG i.d.F. INB i.V.m. JA Jahrg. JöR JR Jura JuS JW JZ KJ Komm. KWG LadenschlG LAG LBG LG LKV Ls. LuftVG LuftVO LVG m.a.W. MDR m.E. MOX MW MWh m. w. Nachw. n.F. NJ NJW NRW, nrw NStZ Nukem NuR NVwZ NVwZ-RR NWVB1 NZZ OLG OVG

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Hessen, hessisch Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber, herausgegeben Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Fassung Internationale Natrium-Brutreaktor-Bau GmbH in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrgang Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kritische Justiz Kommentar Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz) Gesetz über den Ladenschluß Gesetz über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz) Landbeschaffungsgesetz, Landesbeamtengesetz Landgericht Landes- und Kommunalverwaltung Leitsatz Luftverkehrsgesetz Luftverkehrs-Ordnung Landesverwaltungsgericht mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Mischoxyd Megawatt Megawatt-Stunde mit weiteren Nachweisen neuer Fassung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen, nordrhein-westfälisch Neue Zeitschrift fur Strafrecht Nuklear-Chemie und Metallurgie (Nukem) GmbH Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift fur Verwaltungsrecht, Rechtsprechungs-Report Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zürcher Zeitung Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht

22 PolG Pr., pr. RAO RdE Rdnr., Rdnrn. ReichsG RGBl. RGZ Rh.-Pf., rh.-pf. RiA RöV RSK Rspr. RuPrVBl RV RVO RZ. SBK SG SGB SGG S.-H., s.-h. s. o. Sp. SparPG SSK Stb std. StGB StGH StHG StPO StrSchV StrVG StrWG StVG StVZO s. u. SZ TA-Lärm TA-Luft Teilbd. TierseuchenG TÜV

Abkürzungsverzeichnis Polizeigesetz Preußen, preußisch Reichsabgabenordnung Recht der Elektrizitätswirtschaft Randnummer, Randnummern Reichsgesetz Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinland-Pfalz, rheinland-pfälzisch Das Recht im Amt Verordnung über den Schutz von Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung) Reaktorsicherheitskommission Rechtsprechung Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 Reichsversicherungsordnung Randziffer Schnell-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft mbH Essen Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz) Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Schleswig-Holstein, schleswig-holsteinisch siehe oben Spalte Sparprämiengesetz Strahlenschutzkommission Der Steuerberater ständig, ständige Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Staatshaftungsgesetz Strafprozeßordnung Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung) Strahlenschutzvorsorgegesetz Straßen- und Wegegesetz Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung siehe unten Süddeutsche Zeitung Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) Teilband Tierseuchengesetz Technischer Überwachungsverein

Abkürzungsverzeichnis Tz. UA UmweltHG UPR VB1BW VDEW VerfGH Verh. VersammlG VersR VerwArch VG VGH VO Vorbem. VR VVDStRL VwGO VwVfG WaStrG WoGG WoPG WRV ZBR ZG ZHR ZPO ZRP ZSG

23

Textziffer Urteilsausfertigung Umwelthaftungsgesetz Umwelt- und Planungsrecht Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke Verfassungsgerichtshof Verhandlungen(en) Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Verordnung Vorbemerkung Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Bundeswasserstraßengesetz Wohngeldgesetz Wohnungsbau-Prämiengesetz Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilschutzgesetz

Weitere gängige Abkürzungen sind Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., bearbeitet von H. Kirchner, 1993, zu entnehmen.

Α. Problemdarstellung Das Grundgesetz schuf mit Art. 85 GG erstmalig in der deutschen Verfassungsgeschichte den eigenständigen Verwaltungstypus der Bundesauftragsverwaltung. Auch international stellt diese Verwaltungsform eine Besonderheit dar, die in dieser konkreten Ausprägung ausschließlich im deutschen Verfassungsrecht verankert ist. Art. 85 GG bildet die Stammnorm der Bundesauftragsverwaltung und institutionalisiert diese Form des Gesetzesvollzuges als Verwaltungsform. Gegenstand der Regelung des Art. 85 GG ist die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder „im Auftrage des Bundes". Das Grundgesetz stellt neben den Regelvollzug von Bundesgesetzen durch die Länder nach Artt. 83, 84 Abs. 1 GG damit einen weiteren Verwaltungstyp. Art. 85 GG ist insofern unvollständig, als er nicht erkennen läßt, für welche Materien er Verwendung finden soll; sein Anwendungsbereich bleibt offen. Dieser ist nach der Zuständigkeitsnorm des Art. 83 GG verfassungsrechtlichen Einzelbestimmungen zu entnehmen. Art. 85 GG stellt das verfassungsrechtliche Gerüst der Bundesauftrags Verwaltung dar, das dann durch spezialgesetzliche Normierungen weiter inhaltlich und formal ausgestaltet werden kann und muß. Art. 85 GG regelt die sich im Rahmen der Bundesauftrags Verwaltung ergebenden Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Länderverwaltungen. Werden die Länder in einer Auftragsmaterie im Auftrage des Bundes tätig, so stehen dem Bund, d. h. den zuständigen obersten Bundesbehörden, umfassende Direktionsbefugnisse zu, die über die Bundesingerenzen beim Regelvollzug von Bundesgesetzen durch die Länder nach Artt. 83, 84 GG weit hinausgehen. In dem im Rahmen dieser Arbeit besonders interessierenden Kontext ist vor allem Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG von entscheidender Bedeutung: „Die Landesbehörden unterstehen den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden." Die dem Bund somit verliehene, dem Wortlaut nach nicht beschränkte Weisungsbefugnis verschafft ihm die Möglichkeit zur maßgeblichen Einflußnahme auf den Verwaltungsvollzug der Länder. Denkbare Auswirkungen derartiger Einflußnahmen sind durchaus mehrschichtiger Natur; sie erschöpfen sich nicht allein in der unmittelbaren eindimensionalen Beziehung zwischen dem (anweisenden) Bund und dem (angewiesenen) Land.

26

Α. Problemdarstellung

Die Beteiligung verschiedener Hoheitsträger bei der auftragsweisen Verwaltung und ihre damit einhergehende Verflechtung vergrößert nicht nur die Zahl denkbarer Fehlerquellen, sondern wirft auch komplizierte Fragen der staatlichen Verantwortlichkeit für Fehlerfolgen auf. In concreto besteht in der Praxis das Problem, wer für die Konsequenzen fehlerhaften Verwaltungshandelns einzustehen, also zu haften hat. Der Frage der Föderalhaftung nach Weisungserteilung kommt eine nicht zu unterschätzende praktische Bedeutung zu. Bei der Bundesauftragsverwaltung werden von den Ländern in großem Umfang Bundesmittel bewirtschaftet. Ferner betreffen Weisungen regelmäßig keine finanziellen Petitessen, sondern Streitfragen erheblichen finanziellen Ausmaßes. Daß innerstaatliche Haftungsfragen zwischen Bund und Ländern im allgemeinen und im Bereich der Verwaltung nach Art. 85 GG im besonderen bislang gänzlich unerörtert - mithin eine literarische terra incognita - wären, läßt sich nicht gerade behaupten. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Seit einiger Zeit hat die Problematik geradezu Konjunktur. Rechtsstreitigkeiten dieser Art beschäftigen zunehmend die Gerichte, und auch die Literatur wendet sich diesem Komplex zusehends mehr zu. Etliche Einzelfragen sind sorgfältig und wissenschaftlich umfassend durchdrungen und auf eine solide dogmatische Basis gestellt; ein Zustand, der bis weit in die 80er Jahre hinein so noch nicht zu konstatieren war. Auf die für diese Entwicklung leitenden oftmals gesellschaftspolitischen Beweggründe wird einzugehen sein. Eine ausführliche Erörterung hat frühzeitig schon etwa zum Thema der Haftung der Länder gegenüber dem Bund in den Fällen stattgefunden, wenn diese bei Ausführung von Verwaltungsmaterien, welche von ihnen im Auftrage des Bundes ausgeführt werden, das Vermögen des Bundes schädigen, ohne daß indes ein weisungswidriges Verhalten vorliegt und gesondert problematisiert wird. 1 Darüber hinaus ist festzustellen, daß alle in Betracht zu ziehenden Haftungsinstitute diskutiert wurden, auch wenn m. E. nicht alle angemessen gewürdigt worden sind. Die Beschränkung auf eine Länderhaftung bei fehlerhaftem Vollzug von Bundesgesetzen deckt das gesamte Spektrum jedenfalls nicht ab. Denn auch eine Haftung des Bundes gilt es zu untersuchen. Ferner steht ein spezieller Blick auf die Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG in diesem Zusam-

1

Vgl. nur BVerwGE 12, 253; LVG Schleswig DÖV 1960, 464; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 3 ff; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 71 ff.; Kummer, Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 37 ff.

Α. Problemdarstellung menhang noch aus, so daß wichtige Fragestellungen bislang eher stiefmütterlich behandelt worden sind. In dieser Untersuchung soll der Versuch unternommen werden, die vollständige Bandbreite der weisungsgeprägten Haftungsbeziehungen darzulegen. Denn die Streitpunkte, die im Zusammenhang mit einzelnen Problemen der Haftungsfrage bestehen, sind - allen aktuellen rechtsprechenden und staatsrechtsliterarischen Trends zum Trotz - bei weitem nicht ausgeräumt. Gerade wegen bestehender Unsicherheiten hinsichtlich von Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Verwaltungshaftung sowie der erheblichen finanziellen Dimension erscheint es mehr als angebracht, diesen sensiblen Föderalbereich mehr auszuleuchten. Vom Gesetzgeber ist eine entsprechende Leistung in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten; und auch der Rechtsprechung war eine kohärente systematische Aufarbeitung dieses Bereiches wegen ihrer Aufgabe, einzelfallorientiert zu urteilen, verwehrt. Erhebliche Bedeutung und Aktualität erlangt die Materie zudem dadurch, daß die föderale Konsensbereitschaft zwischen Bund und Ländern, die unter dem Rechtsregime des GG zunächst ein weitgehend reibungsloses Funktionieren der Bundesauftragsverwaltung bewirkte, in wichtigen Bereichen im Verlauf der 80er Jahre auffallend und massiv abgebröckelt ist. Schwerpunkt der auftretenden Reibungsverluste waren fundamental unterschiedliche Ansichten auf dem Gebiete der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Konkreter Hintergrund der zu beobachtenden Konsenserosion waren Streitigkeiten hinsichtlich des Umfangs des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG. Die von mancher Seite2 den Ländern attestierte politische Indolenz gegenüber den bundesseits getroffenen Grundentscheidungen (andere3 sprechen hingegen von einer vom Grundgesetz vorausgesetzten Loyalität) gehörte von nun ab der Vergangenheit an. Im Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie zum Zwecke der Stromerzeugung hat die Atomkonsensvereinbarung vom 14. Juni 2000 und die später folgende Novelle des Atomgesetzes umfassende Neuerungen und schier revolutionäre Entscheidungen gebracht. Ob deswegen föderale Konflikte in Zukunft vollständig ausbleiben oder zumindest in geringerem Umfang sich ergeben werden, bleibt abzuwarten; Skepsis ist indes angebracht. Die angesprochenen Konflikte dürften darüber hinaus durch die KalkarEntscheidung4 und die Grube-Konrad-Entscheidung 5 des BVerfG bereinigt 2 Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 9. 3 Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31. 4 ΒVerfGE 81, 310 ff. 5 BVerfGE 84, 25 ff.

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Α. Problemdarstellung

sein: Der Umfang des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG ist seither verfassungsgerichtlich festgelegt, eine Abkehr von dem durch das BVerfG eingenommenen Standpunkt steht nicht zu erwarten. Die Problematik der Geltendmachung und gerichtlichen Durchsetzung von etwaigen Regreßansprüchen der Länder gegen den Bund harrt hingegen noch einer gerichtlichen Entscheidung. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind zunächst Umfang und Grenzen des Bundesweisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG. Hieran schließt sich die Frage der Haftung fur fehlerhaftes Handeln im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung und der in diesem Zusammenhang zugrunde zu legenden Anspruchsnormen oder allgemeinen Rechtssätze an. Dabei ist es erforderlich, die Genesis und die rechtliche Behandlung der Haftung als Verfassungsproblem in staatsund verwaltungsrechtlichen Zusammenhängen systematisch darzulegen, um mögliche Lösungsansätze aufzudecken. Am Anfang der Arbeit steht daher ein historischer Überblick, der sich mit den geschichtlichen Vorläufern der Regelung des Art. 85 GG beschäftigt. Recht ist geschichtlich gewordenes Recht und ohne seine Geschichte nicht zu verstehen. Schließlich kam auch die Bundesauftragsverwaltung nicht wie Athene aus dem Haupte des Zeus auf einmal fertig zur Welt. Sie hat sich vielmehr in ihrer jetzigen Gestalt langsam entwickelt und kann nur mit ihren und aus ihren historischen Präformationen begriffen werden. Auftragsweise Verwaltung wurde auch früher schon - ob de constitutione lata, praeter oder contra constitutionem latam wird zu zeigen sein - in einem nicht unerheblichen und jeweils stark divergierenden Maße praktiziert, wenngleich eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Normierung dieser Verwaltungsform in den beiden unmittelbaren Vorläufern des Grundgesetzes nicht vorhanden war. Auch Ansatzpunkte für eine Haftung zwischen dem Gesamtstaat Reich und den Ländern als Gliedstaaten sind bereits erkennbar. Im Anschluß daran ist im zweiten Abschnitt der Untersuchung der rechtliche Rahmen der Bundesauftragsverwaltung unter der Geltung des Grundgesetzes zu umreißen und abzustecken, innerhalb dessen das Weisungsrecht angesiedelt ist und Haftungsansprüche zu entstehen vermögen. Der dritte Abschnitt lotet daran anschließend das Wesen der Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG aus. Auch wenn in diesem literarisch erschlossenen Bereich keine wesentlich neuen Erkenntnisse mehr zu erlangen sind, so ist doch eine Begriffsbestimmung der Weisung als letztlich entscheidendes haftungsauslösendes Instrumentarium als Arbeitsgrundlage für den Fortgang der Arbeit unabdingbar. Konkrete Weisungskonflikte werden umfassend nachgezeichnet. Untrennbar mit dem Inhalt des Weisungsrechts verbunden ist die Frage nach seinen Grenzen. Auch dieser Frage wird nachgegangen. Den Abschluß dieses Abschnittes bilden Rechtsschutz- und Weisungsdurchsetzungsfragen.

Α. Problemdarstellung Sodann werden im vierten Teil die einzelnen haftungsrechtlichen Beziehungen dargestellt und zu diesem Zwecke zuvor die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen eingehend erörtert. Erst wenn die Anwendbarkeit der haftungsrechtlichen Rechtsinstitute und ihre speziellen Voraussetzungen ermittelt sind, kann das Augenmerk auf die innerstaatliche Verwaltungshaftung nach Weisungserteilung gerichtet werden. In diesem Themengebiet ist vieles umstritten. Bundesaufsichtsrechtliche Weisungen und ihre Umsetzung können sich dabei in verschiedene Rechtsverhältnisse auswirken und schaffen eine komplizierte Gemengelage an Verantwortlichkeiten, die eine differenzierte Betrachtung erfordern: Bund und Land können jeweils Schädiger und Geschädigter sein, auch Mischkonstellationen sind vorstellbar. Zur Anschaulichmachung werden für die einzelnen Konstellationen Fallbeispiele entworfen und am Ende des Kapitels einer Lösung zugeführt. Diese Fallbehandlung erfordert klare (verfassungs-) gesetzliche Vorgaben für Anwendungsbereich, Voraussetzungen und Umfang einer Haftung. Ziel dieser Abhandlung ist es, diesen weisungsgeprägten Föderalhaftungsbereich wissenschaftlich zu erarbeiten, stimmige Lösungsansätze zu zeigen und damit der Verwaltungspraxis handhabbare Maßstäbe an die Hand zu geben. Bei der Betrachtung ausgeblendet werden diejenigen rechtlichen und haftungsrechtlichen Beziehungen, die über eine Bund-Länder-Verbindung innerhalb der Bundesauftragsverwaltung hinausgehen, insbesondere also bei der Einschaltung von Kommunen bei dem Verwaltungsvollzug nach Art. 85 GG, aber auch bei der Mitwirkung sonstiger Beteiligter (ζ. B. private Verwaltungshelfer, Beliehene) jenseits der Sphäre von Bund oder Land. Ihre Behandlung würde das Ausmaß der vorliegenden Untersuchung bei weitem übersteigen.

Β. Historische Entwicklung I. Einleitung Die Eröffnung der Untersuchung bildet eine Durchsicht der deutschen Verfassungsgeschichte mit Blick auf die Vorläufer der heutigen Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG, innerhalb derer auch etwaigen dort bereits vorhandenen Ansatzpunkten für ein föderales Haftungsmodell nachgegangen werden soll. Schließlich ist die Würdigung der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrer Vorläufer als eine der allgemein anerkannten klassischen Auslegungsmethoden1 von nicht unerheblicher Bedeutung. Zwar führte Art. 85 GG erstmalig in Deutschland auf verfassungsrechtlicher Ebene die Auftragsverwaltung zwischen dem Bund und seinen Gliedstaaten ein; das besagt jedoch nicht, daß zumindest phänomenologisch betrachtet nicht bereits administrative Vorgänger existiert hätten. Denn auch in der Zeit vor 1949 waren sowohl der Begriff als auch das Wesen einer auftragsweisen Verwaltung in Deutschland durchaus schon in der Staatspraxis präsent und teilweise auch in der seinerzeitigen staatsrechtlichen Literatur anerkannt, wenn auch die Eigenart dieses neuen Verwaltungstypus nicht immer erkannt und benannt worden ist. Die Untersuchung soll ferner die Frage klären, ob unter dem Regime früherer deutscher Verfassungen eine Haftungsregel bestand, die entweder heute noch anwendbar ist oder der zumindest allgemeine Rechtsgedanken zu entnehmen sind, die auch heute noch bei der Anwendung geltender Haftungsnormen von Gewinn sind. Die Haftungsfrage ist ein Problem, das sich in dieser spezifischen Form nur in einem föderalistischen Staatswesen stellen kann.2 Ein Staatswesen, welches prima facie dem bundesstaatlichen Aufbau der heutigen Bundesrepublik unter verschiedenen Gesichtspunkten vergleichbar ist, wurde erstmals unter dem

1

Vgl. nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320 m. w. Nachw. 2 So auch Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 59.

Β. Historische Entwicklung

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Rechtsregime der deutschen Reichsverfassung von 1871 verwirklicht. Dort wie auch in der Verwaltungspraxis der 1919 gegründeten Weimarer Republik existierten Verflechtungen zwischen dem Reich als Zentralstaat und den Ländern als Gliedstaaten, die bereits auffällige Züge und Konturen der heutigen Bundesauftragsverwaltung erkennen lassen. Deshalb soll, wenn auch die sog. Reichsauftrags Verwaltung als Vorgänger der jetzigen Rechtsfigur in keiner der beiden genannten deutschen Verfassungen als terminus technicus verankert war, im folgenden unter der Überschrift „Auftragsverwaltung im Kaiserreich" bzw. „Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik" die damalige Verfassungswirklichkeit in Augenschein genommen werden. Abgeschlossen werden soll die historische Betrachtung mit einer kurzen Reflexion der konkreten Genese des Art. 85 GG vom Beginn der Readministration in Deutschland nach der Kapitulation im Jahre 1945 bis zum endgültigen Wortlaut der Norm.

I I . Auftragsverwaltung im Kaiserreich 1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage bei Reichsgründung 1871 Die am 1. Januar 1871 in Kraft getretene Reichsverfassung stellt sich als eine späte Ausprägung des deutschen Konstitutionalismus dar 3 und kann als ein Werk Bismarcks angesehen werden. Diese Verfassung war - bei weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung mit der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 18674 - stärker als andere Verfassungen zuvor in Deutschland juristisch ausgefeilt. Das Reich war eine neue Form föderativer politischer Ordnung. Neben Elementen der Einheit - zuvorderst die unitarische Reichsspitze in der nationalen Monarchie und im Reichskanzler - standen Elemente der Vielheit; das Reich war ein Bundesstaat und kein bloßer Staatenbund.5

3

Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 356 ff. m. umfangr. w. Nachw. Die Verfassung von 1867 konnte wegen ihrer Kurzlebigkeit keine nachhaltige Bedeutung erlangen, inhaltlich entsprach sie größtenteils der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs. 5 Diese Tatsache blieb wegen der Existenz von Gliedstaaten, ihrer eigenen Verfassungs- und Verwaltungshoheit sowie ihrer (wenn auch begrenzten) Gesetzgebungsautonomie weitestgehend unbestritten, wurde aber im zeitgenössischen Schrifttum intensiv diskutiert; vgl. Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 345 mit Nachweis der vereinzelt gebliebenen Gegenansicht in FN 67 sowie S. 352 f.; vgl. ferner zuletzt Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 65 ff. 4

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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Die Verfassung beschränkte sich - zumindest anfangs - auf die Organisation des Reiches. Sie enthielt demzufolge und insofern konsequent auch keinen Grundrechtsteil. Die Regelung der Verhältnisse der Bürger zum Staat wurde als eine Sache der Gliedstaaten angesehen. Aufgabe der Reichsverfassung war es hingegen, einerseits die Rechtsverhältnisse der einzelnen Gliedstaaten untereinander und andererseits - praktisch bedeutsamer - ihre Beziehungen zum Reich als „Oberstaat" zu regeln. Die Bundesstaaten hatten de constitutione lata eine starke Stellung gegenüber dem Reich inne. In Hinblick auf die hier interessierende auftragsweise Verwaltung ist zunächst ein Blick auf die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Reich und Ländern angebracht, bevor dann die speziellen administrativen Zuständigkeiten ausgelotet werden.

a) Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen Die Reichsverfassung von 18716 wies in ihrem Art. 4 eine Vielzahl von Sachgebieten der Gesetzgebungskompetenz des Reiches zu.7 Art. 4 RV listet die Gegenstände der Reichsgesetzgebung in einem seinem Wortlaut zufolge enumerativen Katalog (16 Nummern mit 48 Materien) auf. Die Zuständigkeit des Reiches wurde insgesamt zunächst auf diejenigen Aufgaben beschränkt, die notwendig zentral durchgeführt werden mußten. Cum grano salis lassen sich drei unterschiedliche Themenkomplexe unterscheiden, denen allen gemein ist, daß das Reich seit der Reichsgründung in diesen Bereichen ein besonderes Interesse an einer reichsgleichen Regelung besaß:8 Die Reichsgesetzgebung war danach zunächst zuständig für Materien, die zur Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsgebietes notwendig waren, wie etwa Freizügigkeit, Maße und Gewichte, Bankwesen, Zölle, Eisenbahn, Post und Telegraphenwesen, Seeschiffahrt und Wasserstraßen. Eine zweite Gruppe der Reichszuständigkeiten war gekennzeichnet von dem Streben nach Rechtsvereinheitlichung: Wechsel- und Obligationenrecht, Strafrecht, Handels-

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BGBl. 1871, S. 64 ff. Es handelt sich um ein umfangreiches Quantum, so daß nicht davon die Rede sein kann, „daß sie [die Reichsverfassung, d. Verf.] den einzelnen Staaten ein nicht geringes Gewicht ausschließlicher Gesetzgebung belassen hat" (so aber Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907, S. 17; ders., Die Reichsaufsicht, 1917, S. 359). Kritisch auch Trieps, Das Deutsche Reich und die Deutschen Bundesstaaten in ihren rechtlichen Beziehungen, 1890, S. 202. 8 Ein erster Überblick etwa bei Morsey, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 133 ff. 7

3 Janz

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Β. Historische Entwicklung

recht und gerichtliches Verfahren konnten von Reichs wegen geregelt werden. Durch eine 1873 vorgenommene Abänderung des Verfassungstextes 9 wurde die Gesetzgebungskompetenz des Reiches, welche bis zu diesem Zeitpunkt auf die eben genannten Rechtsmaterien beschränkt war, auf dem Gebiet des Zivilrechts auf das gesamte bürgerliche Recht erweitert. 10 Diese Maßnahme stellte den Anfang vom Ende einer Vielzahl von Partikularrechten einiger Einzelstaaten (vor allem Bayern und Württemberg) dar. Vor allem die nunmehr vorhandenen Zuständigkeiten für das Presserecht und Vereinswesen waren angesichts der politischen Bedeutung der Materien geboten und ergaben sich als Folge der Existenz eines gemeinsamen Parlaments. Die dritte sehr umfangreiche Gruppe umfaßt das Wehrwesen. Damit wurde der Sicherstellung der militärischen Macht des Deutschen Reiches als klassische zentralstaatliche Zuständigkeit Rechnung getragen. Im übrigen blieb es bei der althergebrachten Regelzuständigkeit der Länder für die Gesetzgebung: Während das Reich grundsätzlich nur auf der Basis einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung zu einem legislatorischen Tätigwerden berufen war, bedurften die Länder einer derartigen Legitimation auch nach Inkrafttreten der Reichsverfassung unbestrittenermaßen nicht. 11 Es ist augenfällig, daß mit den beschriebenen legislatorischen Kompetenzen des Reiches keine gleichermaßen umfassenden Handlungsoptionen in den bedeutenden Bereichen der Verwaltung und Justiz 12 korrespondierten. 13 Auch die 9 Diese Verfassungsänderung wurde beantragt von den liberalen Abgeordneten Eduard Lasker und Johannes Miquel. Hieraus erklärt sich auch der Name: lex MiquelLasker. Das Reich war damit für das ganze bürgerliche Recht zuständig; bis zu einem ausfüllenden Gesetz - dem Bürgerlichen Gesetzbuch - dauerte es noch einmal 23 Jahre, ehe es von Reichstag und Bundesrat beschlossen, am 18. August 1896 von Kaiser Wilhelm II. verkündet wurde und am 1. Januar 1900 in Kraft trat. 10 So der neugefaßte Art. 4 Nr. 13 RV (geändert durch Gesetz vom 20.12.1873, RGBl. S. 379). Zur Entstehungsgeschichte und den Hintergründen der Regelung Laband, in: JöR 1 a. F. (1907), S. 1 (34 ff.). Zuletzt zu Entstehung und Grundlagen des BGB E. Wagner, Jura 1999, 505 ff. 11 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 2, 4. Aufl. 1901, § 59 (S. 112) u. § 66 (S. 191); W. Jellinek, Die Wandlungen in den Aufgaben und im Zuständigkeitsverhältnis von Reich und Ländern, 1929, S. 127 u. 136; Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. I. 1.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 365. Zur Verteilung der Verwaltungsfunktionen vor 1871 überblickartig Hubatsch, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 2, 1983, S. 166 ff. 12 Daß teilweise die Rechtsprechung als ein Teil der Verwaltung angesehen wurde, ist hier ohne Belang; zu dieser Fragestellung eingehend Kiefer, Das Aufsichtsrecht des Reiches über die Einzelstaaten, 1909, S. 35, 47, 69 ff. 13 Instruktiv Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 187; Arndt, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, 1901, S. 211; Bornhak, Grundriß des Verwaltungsrechts in Preußen und im Deutschen Reiche,

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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Polizeihoheit als typischer Ausdruck der Eigenstaatlichkeit verblieb bei den Ländern.

b) Die Ausführung der Reichsgesetze durch die Länder aa) Die Verteilung der Verwaltungskompetenzen Die Vollziehung der Reichsgesetze oblag - unbeschadet einiger Ausnahmen - den Einzelstaaten und nicht dem Reich selbst.14 Es waren also im Grundsatz Landes- und nicht Reichsbehörden zur Normanwendung berufen. Der Umstand, daß die Länder die Reichsgesetze als eigene Angelegenheiten ausführten, fand zwar in der Reichsverfassung - anders als im Bonner Grundgesetz in Art. 83 - keine ausdrückliche Erwähnung, wurde indes nicht bestritten. 15 Die Länder führten außerdem diejenigen Gesetze aus, die sie selbst erließen. Die Ausführung der Reichsgesetze als eigene Angelegenheiten der Länder bedingte, daß sich die Einzelstaaten nach diesen Gesetzen zu richten hatten. Dagegen legten die Länder die Organisation das den interne Verfahren der Behörden sowie die jeweilige sachliche, örtliche und instantielle Zuständigkeit selbst fest, ohne daß das Reich hier Einfluß zu nehmen vermochte. Eine reichsverfassungsrechtliche Typologie der Organisation existierte nicht. Auch das gesamte Verwaltungsverfahren wurde von den Ländern normiert. Von entscheidendem Gewicht war ferner die Personalhoheit der Länder. Sie ernannten ihre Beamten in eigener Machtvollkommenheit selbst.16 Im Einklang mit dem genannten Prinzip des Regelvollzuges der Reichsgesetze durch die Länder unterstellte die Reichsverfassung bei ihrem Inkrafttreten nur das Post- und Telegraphenwesen (Artt. 48 ff. RV 1 7 ), die Kriegsmarine (Art. 53 RV), das Konsulatswesen (Art. 56 RV) und die auswärtigen Angelegenheiten (Art. 11 RV) der unmittelbaren reichseigenen Verwaltung. Zu diesen Mate2. Aufl. 1909, S. 28; Meyer, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes, Band 1, 2. Aufl. 1893, § 6 (S. 25). 14 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 2, 4. Aufl. 1901, § 67 (S. 205); Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 174; Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. I. 1.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 382; a.A.: Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1, 2. Aufl. 1895, S. 109, 113 f., 138. 15 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 2, 4. Aufl. 1901, § 66 (S. 191); Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 54 (S. 330). 16 Allerdings machte § 2 GVG die Ernennung der Richter der ordentlichen Gerichte von der „Fähigkeit zum Richteramte" abhängig. 17 Mit der bemerkenswerten Ausnahme des Art. 52 RV, der eine spezielle Rechtslage für Bayern und Württemberg schuf.

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Β. Historische Entwicklung

rien kamen später Zentralbankwesen, Verwaltung der Reichseisenbahnen und des Nordostseekanals, Reichsrechnungswesen, Reichsschuldenverwaltung, Invaliden-/ Hinterbliebenenversorgung, Sozialversicherung, Versicherungsaufsicht, Patentwesen, Kolonialverwaltung und Reichsstatistik hinzu. 18 In allen übrigen Gesetzesvollzugsbereichen ließ es Art. 4 RV in lakonischer Kürze bei „der Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben" bewenden.19 Diese „Beaufsichtigung" hat unter der Bezeichnung „Reichsaufsicht" 20 Eingang in die damalige staatsrechtliche Literatur gefunden. Es bestand demzufolge eine qua constitutione lata rigid getrennte Verwaltungshierarchie zwischen dem Reich und den 25 Ländern; die foderale Struktur des Deutschen Reiches manifestierte sich mithin auch an dieser Stelle.21 Wird von den soeben benannten Angelegenheiten des reichseigenen Vollzuges von Gesetzen abgesehen, wurden die Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 4 RV nicht von entsprechenden verfassungsrechtlich abgesicherten Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen flankiert. Selbst Reichsgerichte, deren Einrichtung aus heutiger Perspektive im Sinne einer Rechtsvereinheitlichung als unerläßlich angesehen wird, waren zunächst nicht vorgesehen. Eine Verwaltungstätigkeit konnte das Reich von Verfassungs wegen nur dann entfalten, wenn die Kompetenz ihm auf einem bestimmten Gebiet oder in einem bestimmten Umfang durch die Verfassung selber oder durch ein Reichsgesetz zugesprochen wurde. 22

18 Auf diesen Gebieten ist eine Aufsicht des Reiches über die Einzelstaaten begrifflich bereits ausgeschlossen, weil keinerlei ländereigene Administrativorgane bei der Ausführung der Gesetze beteiligt sind. Verfassungsändernde Reichsgesetze begründeten hier - nach 1871 - unmittelbare Reichsverwaltungszuständigkeiten bzw. -behörden. Art. 78 RV sah eine Änderung oder Ergänzung des Wortlautes in einem derartigen Fall nicht vor. 19 Zur Bedeutung der Beaufsichtigung eingehend Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 49 (S. 299 ff.). Tiefdringende, sorgfältige und detailreiche Darstellung bei Triepel, Die Reichsaufsicht; dieses erst 1917 erschienene Werk vermochte zwar keine große Wirkung mehr im Kaiserreich zu entfalten, die gewonnenen Erkenntnisse und Analysen über die Reichsaufsicht wirkten jedoch auch in den folgenden Jahren fort, zumal das Institut der Reichsaufsicht auch unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung Bestand hatte und die reichsaufsichtsfuhrenden Behörden mit vergleichbaren Kompetenzen ausstattete; vgl. dazu auch B. III. 1. b). Allgemein zuletzt zur Staatsaufsicht die gleichlautende umfassende Monographie von Kahl, 2000. 20 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 102. 21 W. Je I line k, Die Wandlungen in den Aufgaben und im Zuständigkeitsverhältnis von Reich und Ländern, 1929, S. 127, 151; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 778. Ausdrücklich in Hinblick auf Ausgestaltung der Reichsaufsicht Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 178. 22 Arndt, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, 1901, S. 211; Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. I. 1.

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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Die Motive für diese Dichotomie - umfangreiche Reichsgesetzgebungszuständigkeiten auf der einen, regelmäßig administrativer Vollzug dieser Gesetze durch die Länder auf der anderen Seite - waren mannigfacher Natur: Maßgebend für die Beurteilung sind zunächst die historischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Reichsverfassung von 1871 entstand. Die verschiedenen deutschen Einzelstaaten in der Zeit nach 1871 waren historisch gewachsene Staatswesen mit jeweils eigener ausgeprägter Individualität. Erstmals in der deutschen Geschichte wurde der Weg vom Staatenbund zum Bundesstaat beschritten, wobei die Doppelnatur des Reiches (als Bund seiner 25 Gliedstaaten einerseits und als ein Staat der deutschen Nation andererseits) zur damaligen Zeit mitunter noch verkannt wurde. 23 Gleichzeitig waren mit der Reichsgründung auch das Ende der völkerrechtlichen Koordination und der Beginn der staatsrechtlichen Subordination der einzelnen Gliedstaaten unter einen Gesamtstaat - das Deutsche Reich - verbunden. 24 Am 18. Januar 1871 wurde das Deutsche Reich im Spiegelsaal zu Versailles proklamiert, Deutschland als einheitliche Zentralmacht in Europa war damit geschaffen. Die Länder wünschten den sehr ausgeprägten historischen und territorialstaatlichen Partikularismus und ihre damit verbundene staatliche Eigenständigkeit - zumindest und vor allem auf dem Gebiet der Verwaltung - zu bewahren. 25 Eine Degradierung zum Scheinfoderalismus bereits bei Reichsgründung sollte vermieden werden. Tradierte Kleinstaatentugenden standen hoch im Kurs. Hinzu kamen auch sehr praktische, aus der Not entstandene Gründe: Die Errichtung eines umfangreichen Verwaltungs- und Beamtenapparates des Reiches wäre zu kostspielig und in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit auch kaum möglich gewesen. Demgegenüber besaßen die Länder bereits einen funktionsfähigen Verwaltungsunterbau, dessen eingearbeitete Behörden ohne größeren Aufwand auch für Aufgaben des Reiches genutzt werden konnten, zumal die ihnen neu übertragenen Aufgaben nicht grundsätzlich von wesentlich anderer Art als bisher waren. 26

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Vgl. dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 791. 24 Allgemein dazu Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, §§ 58 ff. (S. 168 ff.). 25 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 780; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 188 u. 195. 26 Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 8; Bredt, Der Geist der Deutschen Reichsverfassung, 1924, S. 109; Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 25.

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Β. Historische Entwicklung

Im Rahmen des Verwaltens von Reichsgesetzen ließen außerdem landesspezifische Eigentümlichkeiten im Stil und divergierende politische Anschauungen der jeweiligen Landesregierungen genügend Raum, auch den Landesinteressen Geltung zu verschaffen, und gaben den Einzelstaaten die Möglichkeit, sich damit auch unitarischen Gleichschaltungsbestrebungen der Reichsgesetzgebung zu widersetzen. 27

bb) Die Reichsaufsicht nach Art. 4 RV Die Handlungsmöglichkeiten des Reiches beschränkten sich also beim Vollzug von Reichsgesetzen weitestgehend auf die Ausübung der Reichsaufsicht. Nach dem von Art. 4 RV statuierten Konzept mußte sich das Reich dabei allerdings mit nur wenig wirkungsvollen, im Ergebnis stumpfen Ingerenzrechten begnügen. Dabei war die Reichsaufsicht grundsätzlich an eine vorhandene Gesetzgebungskompetenz des Reiches gebunden.28 Die Gegenstände der Beaufsichtigung, d. h. die in Frage kommenden Staatsakte, ergaben sich unmittelbar aus Art. 4 RV. Auch wenn der Wortlaut der Norm insofern schweigt, muß aus der Vorbehaltslosigkeit der Aufsichtsgewalt geschlossen werden, daß die Beaufsichtigung bei der Vollziehung von Reichsgesetzen durch die Länder eine umfassende und gegenständlich nicht beschränkte war. 29 Grundsätzlich unterlag jede Form des einzelstaatlichen Verhaltens der Reichsaufsicht, 30 also nicht nur die rein verwaltende Tätigkeit. Außerhalb seiner Aufsichtsbefugnisse konnte das Reich nur als Gesetzgeber auf die Verwaltung und Rechtsprechung einwirken. Das Reich sollte die Ausfuhrung seiner Gesetze nur überwachen, nicht jedoch selber in die Hand nehmen. 31 Das Reich war demzufolge zu einem unmittelbaren Vorgehen bei im 27 Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 188. 28 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 382. 29 Dies wurde bezeichnenderweise in der damaligen Literatur auch nicht weiter diskutiert. 30 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 484; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 392. 31 Trieps, Das Deutsche Reich und die Deutschen Bundesstaaten in ihren rechtlichen Beziehungen, 1890. S. 203 f.; Molls , Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, 1938, S. 7 f.; Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907, S. 60; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 308). Zeitgenossen stellten etwa eine unmittelbare Geschäftsführung der Einzelstaaten fest (so Heilfron, Lehrbuch des Staatsund Verwaltungsrechts, 1914, S. 584) oder bemerkten, daß den Untertanen gegenüber der jeweilige Einzelstaat fast durchweg die Hoheitsrechte ausübe (so Laband, in: JöR 1 a. F. (1907), S. 1 [4]).

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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Gesetzesvollzug aufgetretenen Mängeln gegenüber den Landesbehörden prinzipiell inkompetent (sog. Impermeabilität der Länder 32 ). Denn die Behörden der Einzelstaaten waren den Reichszentralbehörden nicht untergeordnet; erst recht waren sie nicht in die Verwaltungshierarchie des Reiches eingeordnet. 33 Auch andere denkbare Handlungsoptionen waren dem Reich verschlossen: Denn etwa ein direktes Eingreifen des Bundesrates oder des Reichskanzlers in die Tätigkeit der Landesbehörden zum Zwecke einer Mängelbeseitigung beim Ausführen der Reichsgesetze wäre mit der staatsrechtlichen Stellung der Einzelstaaten nicht vereinbar gewesen.34 Vielmehr unterstand der jeweilige Einzelstaat in seiner Gesamtheit - als geschlossene Einheit - der Reichsaufsicht; das Reich mußte aufsichtsrechtliche Akte an die Landesregierungen richten.35 Umstritten war der Anwendungsbereich der Reichsaufsicht nach Art. 4 RV. Teilweise wurde behauptet, daß die Länder von Verfassungs wegen bei der Ausführung von Reichsgesetzen nur der sog. abhängigen Reichsaufsicht des Art. 4 RV, also bei Vorhandensein einer reichsgesetzlichen Regelung - unterliegen sollte. 36 Teilweise wurde auch eine selbständige Reichsaufsicht angenommen, dem Reich also auch in den Fällen die Kompetenz zuerkannt, bei de-

32 Zu diesem Begriff siehe etwa Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 1027; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 189. 33 Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 308). 34 Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. II. 2.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 308). 35 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 163 ff. (insb. S. 176); Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 306); Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 b (S. 945); Molls , Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, S. 8; a.A.: Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1, 2. Aufl. 1895, S. 138 u. 427. Im übrigen war es damals streitig, ob eine Reichsaufsicht nach Art. 4 RV bereits vor einer reichsgesetzlichen Regelung zulässig war: Zu dieser literarischen Kontroverse siehe Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 a (S. 939 f.); Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910. Art. 4 Anm. Α. II. 2.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 305 f.); Kiefer, Das Aufsichtsrecht des Reiches über die Einzelstaaten, 1909, S. 37 f. 36 Zum Begriff und Verhältnis zur sog. selbständigen Reichsaufsicht: Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 371 ff., 411 ff., 451 ff.; eingehend ferner Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. II. 1.; s. auch Vogel, in: FS Stern, 1997, S. 819 ff. Die Zulässigkeit einer sog. selbständigen Reichsaufsicht war umstritten, vgl. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 416 ff. (429 u. 435); Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. II. 2. Vgl. ferner Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 172 ff.; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 160 ff.

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Β. Historische Entwicklung

nen es an einem Reichsgesetz mangelte.37 Für die Ausführung von Landesgesetzen hatte die Reichsaufsicht eo ipso keine Bedeutung.38 Bei der Aufsicht nach Art. 4 RV war die aufsichtsführende Reichsbehörde auf die Überprüfung von eigenverantwortlich ergriffenen oder beabsichtigten Maßnahmen der die Reichsgesetze ausführenden Länder hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit beschränkt; es handelte sich um eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle. Dem Reich standen im Rahmen des Art. 4 RV 1871 die Rechte der Ermittlung, Ermahnung und Mängelrüge zu. 39 Im Aufsichtsverfahren konnten sowohl der Kaiser (Art. 17 RV) als auch der Bundesrat (Art. 7 Abs. 1 Ziff. 3 RV) tätig werden. Die maßgebende Kompetenz zur Mängelfeststellung und Beschlußfassung hierüber war dem Bundesrat übertragen. 40 Dabei erschöpfte sich dieser Beschluß nicht in einer bloßen Belehrung oder Mahnung an die Adresse der fehlerhaft agierenden Landesbehörden. Vielmehr stellte er eine rechtskräftige, sofort vollstreckbare Entscheidung dar, die mit dem Befehl verbunden war, daß sich der betreffende Einzelstaat dementsprechend zu verhalten habe.41 Ein Weisungsrecht hingegen - vergleichbar demjenigen nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG - oblag dem Reich nicht.

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So ζ. B. Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 305). I. E. auch Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 392. 38 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 2, 4. Aufl. 1901, § 66 (S. 191 f.); Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 a (S. 938); es sei denn, daß die Einzelstaaten die ihnen verfassungsmäßig obliegenden Bundespflichten verletzten: Meyer, ebenda; Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 359 ff.; noch weitergehender Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1, 2. Aufl. 1895, S. 140 f., der auch fur den den Gliedstaaten verbliebenen autonomen Wirkungskreis ein Oberaufsichtsrecht des Reiches fur zulässig erachtete. 39 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 620 ff.; Trieps, Das Deutsche Reich und die Deutschen Bundesstaaten in ihren rechtlichen Beziehungen, 1890, S. 204; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 51 (S. 309 ff.); zum Verfahren auch Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 1027 ff. 40 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 372 u. 639 ff.; Arndt, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, 1901, S. 107 f.; Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. II. 1.; Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 b (S. 943); Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 1027 f.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 392 f. Dabei wurde allenthalben die umständliche Arbeitsweise des Bundesrates kritisiert. Er wurde für die schnellebige Zeit als zu langsam und deshalb als teilweise überholt angesehen, dazu Binding, DJZ 1899, 69 (72); vgl. auch Dux, Bundesrat und Bundesaufsicht, 1963, S. 26. Zum Mängelrügeverfahren ferner allgemein Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 b (S. 941 ff.). Instruktiv zum Bundesrat Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 370 ff. m. umfangr. w. Nachw. 41 Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 b (S. 943); Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 639 ff.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 51 (S. 309 ff.).

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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Die umfassende Organisations- und Personalhoheit der Länder 42 war somit fur die Reichsexekutive tabu; Art 4 RV gab dem Reich jedoch die Möglichkeit, das Verwaltungshandeln der Länder in allen seiner Kompetenz unterstellten Bereichen 43 gesetzlich (auch in Form von Verordnungen 44) zu steuern und damit auch seiner legislativen Aufsicht zu unterstellen. 45 Dies konnte etwa dergestalt geschehen, daß der Reichsgesetzgeber materielle Voraussetzungen der Gesetze so faßte, daß den Ländern keinerlei Spielräume bei der Ausführung mehr blieben 46 oder er die Organisation und das Verfahren der mit der Ausführung betrauten Landesbehörden und -gerichte bestimmte, wozu er kraft seiner durch Verfassungsänderung 1873 erlangten Kompetenz für das „gerichtliche Verfahren" (Art. 4 Nr. 13 R V ) 4 7 ermächtigt war. 48 Ferner gab Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 RV der Reichsregierung die Kompetenz, die Ausführung der Reichsgesetze durch allgemeine Verwaltungsvorschriften zu lenken. Hiervon wurde in zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht. Schließlich wurde auch eine Reichsgesetzgebung im Bereich des Beaufsichtigungsrechts, nicht jedoch die Ausübung der Beaufsichtigung durch Gesetz für zulässig erachtet. 49 Die verfassungsrechtlich vorgesehenen Aufsichtsmittel erwiesen sich in der Verfassungspraxis schnell als unzureichend und erfuhren daher bald eine Fortentwicklung.

2. Ansätze für die Einführung auftragsweiser Verwaltung a) Allgemeine Entwicklungstendenzen Eine ausdrücklich in der Reichsverfassung von 1871 normierte Auftragsverwaltung, die dem Reich Einwirkungsmöglichkeiten auf die Länder etwa in

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Mit der Einschränkung des § 2 GVG, s. o. FN 10. Der Kreis der Gebiete ist umfangreicher als der in Art. 4 RV aufgezählte: Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 356; Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, Art. 4 Anm. Α. I. 2. 44 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 2, 4. Aufl. 1901, § 66 (S. 193 f.). 45 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 2, 4. Aufl. 1901, § 66 (S. 192), spricht hier von einem Verwaltungsbefehl; femer Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 190 ff. 46 Dazu auch unten E. II. 3. e) cc) ß) ßß) (2). 47 Gesetz v. 3.3.1873 (RGBl. S. 47). 48 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 417 f.; Mußgnug-, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 190 f. mit Beispielen; das Reich machte von diesen Möglichkeiten in einem sehr unterschiedlichen Maße Gebrauch. 49 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 127. 43

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Β. Historische Entwicklung

Form eines Weisungsrechts verschafft hätte, existierte nicht. 50 Ansätze fur diesen neuartigen Verwaltungstypus waren allerdings in der Praxis durchaus schon erkennbar. Die Entwicklung und Verfassungswirklichkeit der Reichsverfassung von 1871 zeigen im Verlauf der folgenden Jahre unverkennbare unitarische Tendenzen. Besonders charakteristisch sind etwa der Ausbau der Gesetzgebungszuständigkeiten des Reiches und die Kompetenz-Kompetenz des Reiches, welche seine eigene Zuständigkeit zu Lasten der Länder durch ein verfassungsänderndes Reichsgesetz begründen konnte. 51 Als weiteres Element dieser Entwicklung verschob sich auch das sehr föderalistisch angelegte System des Gesetzesvollzuges und daher auch der Reichsaufsicht selbst zugunsten des Reiches, dessen Einflußmöglichkeiten und Ingerenzrechte auf diesen Gebieten massiv anwuchsen.52 Trotz dieser unitarischen Entwicklung blieb die Bundesstaatlichkeit des Deutschen Reiches bis zu seinem Ende erhalten. 53 C. Schmitt stellte 1931 rückschauend fest, daß der „Reichstag trotz der vorsichtigen Normierung und Dosierung seiner Befugnisse durch Bismarcks Verfassung einen größeren politischen Einfluß gehabt [habe], als man aus dem Verfassungstext hätte ablesen können." 54 Das Reich wurde in Bereichen, die ursprünglich der Länderverwaltung überlassen waren, 55 tätig, innert derer das Interesse seitens der Reichsebene an einer korrekten, zentralen und einheitlichen Durchführung zum Zwecke der Verwaltungskonzentration als überragend angesehen wurde. Die Länderverwaltungen mußten zu diesem Zweck enger an das Reich gebunden werden. 56 Das Reich billigte sich hier eine intensivere Einflußnahme auf den administrativen Geset50

Eindeutig und unbestritten, vgl. nur Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 189; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 6, 1981, S. 483 f. 51 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 407. 52 Zu dieser Entwicklung Forsthoff\ Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 3. Aufl. 1967, S. 157; F. Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 9. Aufl. 1969, S. 275 ff.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 345 f.; Deuerlein, Föderalismus, 1972, S. 147, kommt zu dem Schluß, daß „der genuine Föderalismus der Reichsverfassung vom 16. April 1871 sich nicht nur nicht entwickelte, sondern verkümmerte und erlahmte." Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 1, sieht hier ein „Dauerproblem" des Kaiserreiches. 53 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 346. 54 Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 49. 55 Es handelt sich um die in Art. 4 RV niedergelegten Materien. 56 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 32 u. 296 ff.; ders., Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907, S. 60 f.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 33 ff.; Deuerlein, Föderalismus, 1972, S. 147 ff.

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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zesanwendungsprozeß der Länder zu, als es vom Wortlaut der Verfassung vorgesehen war. Auf der anderen Seite nutzte das Reich auch Beamtentum und Behördenapparate der Gliedstaaten für die Verwaltungsausführung des Reiches.57 An erster Stelle ist hier Preußen mit seiner geographischen Größe und hohen Einwohnerzahl, politischen Dominanz sowie ökonomischen Stärke zu nennen.58 Neben der hegemonialen Stellung Preußens 59 war für diesen Zustand auch seine enge Verbundenheit mit dem Reich sowie die Abhängigkeit von preußischer Unterstützung bei der Gesetzesausführung maßgebend.60 Innerhalb der Rechtsbeziehungen zwischen dem Reich auf der einen und Preußen auf der anderen Seite ergingen Aufträge des Reiches an die preußischen Landesbehörden; diese nahmen dann Aufgaben des Reiches wahr. 61 Insofern kann das Deutsche Reich auch als ein preußisch-deutscher Nationalstaat bezeichnet werden. Der großpreußische Zug von Reichsgründung und Reich ist - wenn sicherlich nicht allgemeinbestimmend - doch ganz unverkennbar. Dabei nahm Preußen eine bemerkenswerte Doppelstellung ein: Zum einen garantierte es als stärkster Einzelstaat die Einflußrechte des Staates und damit die föderalistische Struktur des Reiches, zum anderen hatte es als Hegemonialmacht eine unitarische Funktion inne. Außerdem bremsten auch die Leistungen des Reichstages und die Aktivitäten der sich auf Reichsebene entfaltenden politischen Parteien einen territorialstaatlichen Partikularismus. 62 Denn die meisten der dem Reichstag in Berlin angehörenden Parteien agierten reichsweit.

57 Ζ. B. die Reichsschuldenverwaltung, die bereits vor der Reichsgründung von Preußen wahrgenommen wurde, Gesetz v. 19.6.1868 (BGBl. S. 339); Gesetz v. 28.10.1871 (RGBl. S. 344). Hieran wurde festgehalten. 58 Der Dominanz Preußens wurde in der Verfassung in vielerlei Weise Rechnung getragen; beispielsweise standen nach Art. 6 Satz 1 RV Preußen 17 der insgesamt 58 Stimmen im Bundesrat zu. 59 Pars pro toto sei nur auf die Führung Preußens im Bundesrat hingewiesen. Zum Charakter des Deutschen Reiches als ein „hegemonialer Bundesstaat" s. Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 353 u. 405 ff. 60 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 34 f., bemerkt treffend, daß hier nicht eine typische Verwaltungsform vorliege, sondern diese Inanspruchnahme der Landesadministration als Ausdruck hegemonialer Machtverhältnisse zu werten sei; in diesem Sinne auch Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 37. 61 Gemeinsamkeiten mit der heutigen Organleihe sind unübersehbar. 62 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 407; Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 4. Aufl. 1991, Anm. IX 1. (S. 258).

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Β. Historische Entwicklung

Die jeweils ergriffenen Maßnahmen differieren stark und vermitteln kein einheitliches Bild. Auch die jeweilige Stellung der Landesbehörden war verschieden; teilweise war bereits eine unmittelbare Reichsverwaltung geschaffen. Triepel weist beispielshalber auf den Übergang des Patentwesens in unmittelbare Reichsverwaltung (Verwaltung durch Reichsbehörden) und auf die finanzielle Militärverwaltung (Umwandlung von Landes- in Reichsbehörden) hin. In anderen Bereichen schuf das Reich eigene Reichsbehörden als Oberbehörden oder dehnte seine Einwirkungsmöglichkeiten aus.64 Es wurde durchweg nicht der Gliedstaat selbst, sondern eine seiner Behörden von Seiten des Reiches beauftragt, wobei die obersten Landesbehörden in der Regel bei Ingerenzrechten des Reiches ausgespart und ein direkter Zugriff auf die jeweilige (untere) Behörde ermöglicht wurde. 65 Fernerhin erweiterte das Reich seine Einwirkungsmöglichkeiten überwiegend in Bereichen, bei denen die Länder die Reichsgesetze als eigene Angelegenheit ausführten. 66 Ferner erfolgten zumindest die Reichsrechnungsführung und Reichsschuldenverwaltung namens der Zentralstaatsebene, also des Reiches;67 die beauftragten Länder handelten nicht mehr im eigenen Namen. Die durchaus denkbare Einschaltung der Länderparlamente - und nicht der Behörden - zur Durchsetzung von Aufsichtsrechten war interessanterweise in der damaligen Verwaltungspraxis nicht vorgesehen. Eine wirksame und zudem schnelle Durchsetzung von Reichsinteressen konnte allein durch die Bindung der Landesverwaltungen an das Reich erreicht werden. Pars pro toto sei hier in groben Zügen die Lage des Militärwesens in Friedenszeiten umrissen, für welches nach der Reichsverfassung keine reichseigene Verwaltung vorgesehen war, sondern es bei der bloßen Reichsaufsicht nach Art. 4 RV sein Bewenden haben sollte: Die damalige enorme Bedeutung des Militärwesens und die vermutete ständige Bedrohung durch fremde Mächte stellten eine Klammer dar, die alle Gliedstaaten des Reiches zusammenhielt und partikularistische oder sezessionistische Bestrebungen wirkungsvoll zu63

Die Reichsaufsicht, 1917, S. 312 ff. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 961, und Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 305, benennen das Reichsversicherungsamt, das Prüfamt für Tabakbewertung und die Reichsgerichte als Beispiele. 65 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 33; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 37. 66 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 33; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 38. 67 Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 37. 64

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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rückdrängte. Heer und Marine waren im Kaiserreich die staatlichen und gesellschaftlichen „Kernelemente". 68 Einheitlichkeit und das Ziehen an einem einzigen Strang schienen für eine effiziente Stärkung der bewaffneten Macht unerläßlich. Das führte zu einer Schwächung der Länder und zu einem Ausbau der Reichskompetenzen auf diesem Gebiet, so daß die Reichsverfassung von 1871 wenige Jahrzehnte später nur ein unvollständiges, wenn nicht sogar unrichtiges Bild vom wirklichen „gelebten" Rechtszustand vermittelte. 69 Festzustellen ist, daß Verschränkungen unterschiedlichster Art zwischen Reich und Ländern geschaffen wurden, die allein mit den von der Verfassung vorgegebenen Begriffen der landes- oder reichseigenen Verwaltung nicht angemessen erfaßt werden können. Die vereinzelt vertretene Ansicht, im Deutschen Reich hätte es keinerlei Form einer Auftragsverwaltung oder zumindest gewisser Vorstufen hierfür gegeben,70 ist - wie im folgenden darzulegen sein wird - abzulehnen. Auch im zeitgenössischen Schrifttum wurden entsprechende Phänomene beschrieben, ohne daß der Begriff „Auftragsverwaltung" Verwendung fand. Mehr als eine Beschreibung dieses Phänomens wurde - soweit ersichtlich - nicht unternommen; die Schaffung einer bis dato neuartigen Verwaltungsform wurde nicht erkannt. Rudolph von Delbrück, ein Mitarbeiter und enger Vertrauter Bismarcks sowie späterer Präsident des Bundeskanzleramtes, wies bereits vor der Gründung des Deutschen Reiches und im Zuge der Ausarbeitung der Verfassung des Norddeutschen Bundes im Jahre 1865 auf die Möglichkeit einer Auftragsverwaltung für Bundesangelegenheiten hin; v. Delbrück verwarf diese jedoch gleich wieder, weil er sie als Verwaltungsform für gänzlich ungeeignet hielt, 71 und bahnte dadurch die Entwicklung einer bundeseige-

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So zutreffend Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2, 1992, S. 201. Laband, in: JöR 1 a. F. (1907), S. 1 (5 ff.), beschreibt die Hintergründe der unitarischen Tendenzen; ähnlich auch Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907, S. 62. W. Jellinek, Die Wandlungen in den Aufgaben und im Zuständigkeitsverhältnis von Reich und Ländern, in: Recht und Staat im Neuen Deutschland, 1929, S. 127, 129 ff., stellt Überlegungen hinsichtlich der Idee und der Wirklichkeit des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern an. 70 In diesem Sinne Görg, Der Versorgungsbeamte 1969, S. 111. 71 v. Delbrück, Lebenserinnerungen, Band 2, 1./2. Aufl. 1905, S. 400; der entsprechende Passus lautet: „Es war eine Einrichtung denkbar, bei welcher die zuständigen preußischen Minister, im Auftrage des Bundespräsidiums und unter Verantwortlichkeit des Kanzlers, die Verwaltung dieser Angelegenheiten weitergeführt hätten, und auf eine solche Einrichtung schien es hinzudeuten, wenn die Wahl mehrerer Vertreter des Kanzlers in Frage gestellt wurde. Es war eine andere Einrichtung denkbar: die Zusammenfassung der gesamten Verwaltung in der Hand des Kanzlers. Ich stellte die Gründe zusammen, welche mir die zweite Alternative als die allein zulässige erschienen ließen,..." 69

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Β. Historische Entwicklung

nen Behördenorganisation an. Es ist daher unzutreffend, die Bundesauftragsverwaltung als eine planvolle Schöpfung v. Delbrücks zu bezeichnen.72 Die Herkunft der auftragsweisen Verwaltung war und ist umstritten. Ob die staatsrechtliche Auftragsverwaltung der kommunalrechtlichen Auftragsverwaltung entsprungen ist, kann nicht eindeutig festgestellt werden. Eine gezielte Erschaffung mit ausdrücklichen Anleihen aus dem oder Bezugnahmen auf das Kommunalrecht ist nicht zu erkennen; bestimmte Grundmuster, beispielsweise das Prinzip der Verantwortungsüberlappung, sind identisch. Mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum 73 ist daher davon auszugehen, daß die Grundprinzipien staatsrechtlicher Auftragsverwaltung im Kommunalrecht ihre Wurzeln haben, ohne daß jedoch direkte Verbindungslinien existierten. Für die rechtliche Einordnung und Bewertung ist dies letztlich ohne Belang. Für den Ausbau der Reichsaufsicht nach Art. 4 RV sind zwei Wege charakteristisch: Zum einen wurde die Reichsaufsicht als bloße Verbandsaufsicht zu einer unmittelbaren Reichsaufsicht umgestaltet mit der Folge, daß unter Umgehung der Landesregierungen, an welche de constitutione lata aufsichtsrechtliche Akte zu richten waren, eine direkte Verbindung zwischen der jeweiligen Reichsaufsichtsbehörde und den mittleren oder unteren Landesbehörden hergestellt wurde. 74 Zum anderen blieben die Reichsbehörden nicht auf Befugnisse der rechtsaufsichtlichen Beobachtung und Berichtigung beschränkt, sondern sie erhielten in zunehmendem Umfang auch Anweisungs- und Entscheidungskompetenzen für den Einzelfall auch in Fragen der Zweckmäßigkeit.75 Der Unterschied zwischen einer Rechtsaufsicht und der - schärferen - Fachaufsicht ist folgender: Wie oben erwähnt, erschöpfte sich die sog. abhängige Reichsaufsicht nach Art. 4 RV in einer bloßen Rechtmäßigkeitskontrolle. Kann

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So aber ausdrücklich Schadeck, Die Bundesauftragsverwaltung, 1951, S. 12. Molls , Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, 1938, S. 2; Peters, in: Recht und Länder 1928/29, S. 366 (368 f.); Held, Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung, 1929, S. 37; Görg, DÖV 1961, 41 f.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 4 ff.; Schäfer, DÖV 1960, 641 (642). Zurückhaltender: Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 25; Stein, Untersuchung der Möglichkeiten der Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 8 ff. Ablehnend: Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 32 ff, der keine bewußte Anlehnung an die Entwicklung im Gemeinderecht zu erkennen vermag; ihm folgend Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 37. 74 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 298 ff.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, §50 (S. 308). 75 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 308 ff. (insb. S. 309); Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 307). 73

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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jedoch auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns des beaufsichtigten Verwaltungsträgers Maßstab der Überwachungs- und ggf. Korrekturkompetenz sein, liegt eine Fachaufsicht vor; bei letzterer werden also auch Fragen der Zweckmäßigkeit der Gesetzesauslegung und -anwendung eifaßt. Die Dienstaufsicht als aliud stellt eine allgemeine Behördenaufsicht über nachgeordnete Verwaltungsstellen desselben Ressorts - und somit eine Personalaufsicht - dar. Das Reich dehnte seine Aufsichtsmöglichkeiten über den in Art. 4 RV festgelegten Bereich aus, so daß teilweise die Einzelstaaten einem durchgängigen Instanzenzug eingegliedert waren, der bei einer Reichszentralbehörde endete.

b) Auftragsverwaltung

als Verfassungsverstoß?

Es sind Zweifel angebracht, ob die Schaffung einer auftragsweisen Verwaltung in dem dargestellten Sinne mit der Reichsverfassung vereinbar war. Das Abweichen von den in der Verfassung vorgegebenen Verwaltungstypen könnte eine unzulässige sog. Verfassungsdurchbrechung darstellen. Eine Verfassungsdurchbrechung liegt vor, wenn ein mit der Verfassung nicht im Einklang stehendes Gesetz in den gesetzgebenden Körperschaften mit den für eine Verfassungsänderung erforderlichen qualifizierten Mehrheiten beschlossen wird, so daß infolgedessen politisch und verfahrensrechtlich die Voraussetzungen einer Verfassungsänderung erfüllt sind, während der Wortlaut der Verfassung nicht entsprechend geändert wird. 7 6 Die beschriebenen Kompetenzerweiterungen erfolgten ausnahmslos ohne eine Änderung der Verfassungsurkunde. Indem durch einfaches Gesetzesrecht über das von der Reichsverfassung vorgesehenen Aufsichtsrecht des Reiches nach Art. 4 RV hinausgegangen wurde, fanden mithin Verfassungsdurchbrechungen statt. Nach der Konzeption der Reichsverfassung jedoch konnten Reichsgesetze die Verfassung (mit den verfassungsändernden Mehrheiten) in gültiger Weise ändern, ohne daß sich die Änderungen in dem Text der Verfassungsurkunde 76 Badura, Staatsrecht, 2. Aufl. 1996, Teil F Rdnr. 63; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 39; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, § 37 III 3; Roßnagel, in: Der Staat 55 (1983), S. 551 (552). Der Terminus „Verfassungsdurchbrechung" selbst war der damaligen Staatsrechtslehre unbekannt, was in erster Linie auf das seinerzeitige Verfassungsverständnis zurückzuführen ist. Denn danach stellen „Verfassungsgesetz und einfaches Gesetz Willensäußerungen einer und derselben Gewalt, der gesetzgebenden Gewalt", dar (so Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. 1932, Art. 76 Anm. 1 zur insoweit inhaltsgleichen Regelung des Art. 76 WRV). Für diese Praxis hat erst in der Weimarer Republik Jacobi, in: WDStRL 1 (1924), S. 105 (109), den Begriff geprägt.

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Β. Historische Entwicklung

selbst niederschlagen mußten.77 Denn der hier maßgebende Art. 78 Satz 1 u. 2 RV hatte folgenden Wortlaut: „Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben." Als Reaktion auf die Verfassungsdurchbrechungen regelt das Grundgesetz heute die Modalitäten einer Verfassungsänderung in seinem seit 1949 unveränderten Art. 79 Abs. 1 Satz 1. Hiernach ist unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame Änderung des Grundgesetzes eine ausdrückliche Änderung resp. Ergänzung des Wortlautes, so daß Verfassungsdurchbrechungen in dem beschriebenen Sinne unter der Ägide des Grundgesetzes ausgeschlossen sind. 78 Erst hier wurde die Erkenntnis umgesetzt, daß die verfassungsändernde Gewalt ein aliud zur gesetzgebenden Gewalt bildet. 79 Nach damaliger, insoweit eindeutiger Rechtslage müssen die beschriebenen „Verfassungsänderungen ohne Verfassungstextänderungen" 80 demzufolge für zulässig erachtet werden.

c) Materien Wird das Augenmerk auf den Kreis der Materien gelenkt, die infolge der dargestellten Entwicklung einem erweiterten Zugriffsrecht des Reiches unterlagen, so zeigt sich ein buntscheckiges Bild von Frühformen auftragsweiser Verwaltung. In den verschiedendsten Abstufungen sind Verzahnungen zwischen dem Reich und den Einzelstaaten festzustellen. Dabei sind zwei Vorgehensweisen bei der Durchbrechung der von der Reichsverfassung vorgegebenen Aufteilung der Verwaltungskompetenzen erkennbar; man näherte sich gewissermaßen von zwei Seiten dem heutigen Verständnis einer Auftragsverwaltung an. Einerseits baute das Reich seine Reichsaufsicht nach Art. 4 RV aus, 77

Diese Praxis wurde in der zeitgenössischen staatsrechtlichen Literatur offenbar nicht in Frage gestellt. 78 Zu diesem verfassungsrechtlichen Postulat der obligaten Verfassungstextänderung und den dahinter stehenden Prinzipien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit siehe Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 122; v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 n. F. (1951), S. 574 f.; vgl. auch Maunz, in: ders./Dürig, Art. 79 Rdnrn. 1 ff.; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 158; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 79 Rdnr. 2; Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 356 ff. 79 So treffend Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 158. Zur Schwierigkeit eines Vergleichs zwischen Grundgesetz und Reichsverfassung von 1871 siehe Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 64 ff. 80 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 79 Rdnr. 1.

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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andererseits wurden Ausfuhrungskompetenzen in Reichsangelegenheiten in die Hände der Einzelstaaten gelegt.81

aa) Ausbau der Reichsaufsicht nach Art. 4 RV Ohne daß bei den im folgenden zu nennenden Materien, bei denen die Sachkompetenz dem Reich und die Wahrnehmungs-/Ausfiihrungs-kompetenz den Einzelstaaten oblag und dem Reich anfänglich nur die Rechtsaufsicht des Art. 4 RV zur Verfügung stand, eine klare und eindeutige Struktur einer Auftragsverwaltung erkennbar wäre, sind doch in unterschiedlichem Maße Ansätze für eine allmähliche Herausbildung von Formen der Auftragsverwaltung festzustellen. Es eröffnet sich dem Betrachter eine erstaunliche Bandbreite von Gesetzesmaterien, denen gemeinsam ist, daß das Reich - aus durchaus unterschiedlichen Motiven - seine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Länder beim Gesetzesvollzug zu stärken wünschte. Auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens entwickelte sich auf der Grundlage der Art. 41 und 45 RV nach 1871 eine auftragsähnliche Verwaltung. 82 Das System der Aufteilung der Verwaltungskompetenzen wurde hier auf breiter Basis durchbrochen. Das Reich war teilweise zu eigener, unmittelbarer Verwaltung befugt. Das 1874 geschaffene Reichseisenbahnamt als Zentralbehörde hatte umfangreiche Überwachungs- und Kontrollbefugnisse, ein Weisungsrecht stand ihm indes nicht zu. Auch im Heereswesen wurde die ursprünglich von der Verfassung vorgesehene Kompetenzverteilung zwischen dem Reich und den Einzelstaaten stark modifiziert. 83 Es bietet sich fast das Bild einer modernen Auftragsverwaltung. 81

Dazu schon oben Β. II. 2. a). Ausfuhrliche Darlegung bei Arndt, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, 1901, S. 211 u. 304 ff.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 108 (S. 638 ff.); Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 187 ff.; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 3, 4. Aufl. 1901, § 74 (S. 103 ff.); Kiefer, Das Aufsichtsrecht des Reiches über die Einzelstaaten, 1909, S. 97 ff. Vgl. ferner Molls , Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, 1938, S. 29 f.; Bornhak, Grundriß des Verwaltungsrechts in Preußen und dem Deutschen Reiche, 2. Aufl. 1909, S. 29; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 20 FN 2; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 196 f.; Ronellenfitsch, Die Mischverwaltung im Bundesstaat, Band 1, 1975, S. 117. 83 Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907, S. 62; ders., Die Reichsaufsicht, 1917, S. 213 ff.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 108 (S. 638 ff.); Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 197 (S. 725 ff.); Molls, Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, 1938, S. 18; Laband, in: JöR 1 a. F. (1907), S. 1 (5 ff. u. 41); Kiefer, Das Aufsichtsrecht des Reiches über die Einzel82

4 Janz

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Β. Historische Entwicklung

Das Reich, resp. der Kaiser, konnte unmittelbar auf die Militärverwaltungen der Länder einwirken (Artt. 63 ff. RV). Die Autonomie der Gliedstaaten wurde weitgehend beseitigt. Die Verwaltungsausführung oblag zwar den Landesbehörden, sachlich indes dominierten Reichsgesetze, Verwaltungsverordnungen und eine umfassende Reichsaufsicht. Bei der Verwaltung von Kriegs- und Friedensleistungen wurden Landesbehörden wie solche des Reiches behandelt. Es gab ζ. B. ein direktes Forderungsrecht des Reiches, § 5 Friedensleistungsgesetz. Nach §§ 5, 6 Kriegsleistungsgesetz 84 konnte die zuständige Reichsbehörde die Erfüllung einer Leistung gegenüber einer Gemeinde zwangsweise selbst herbeiführen. Beim Reichsrayonwesen 85 waren die Länder völlig entmachtet, es bestand eine unmittelbare Reichsverwaltung. Bei der finanziellen Militärverwaltung 86 führte die Nichtidentität von Verwaltungs- und Kostenträger dazu, daß das Reich seinen Einfluß beständig erweiterte. Die Militärfinanzverwaltung war Sache der Länder, wohingegen das Reich die Kosten des Kriegswesens zu tragen (Art. 58 Abs. 1 RV), für die Aufbringung der erforderlichen Mittel zu sorgen (Art. 62 Abs. 1 und 2 RV), die Ausgaben in das Etatgesetz einzusetzen und dadurch die Verwendung der Mittel zu bestimmen hatte (Art. 62 Abs. 3 RV). Beginnend mit dem Gesetz „über die Rechtsverhältnisse der zum dienstlichen Gebrauch einer Reichsverwaltung bestimmten Gegenstände" vom 25.3.187387 schuf die staatsrechtliche Praxis eine Verschiebung der exekutiven Kompetenzen von den Ländern weg hin zu einer materiellen Reichsverwaltung. Dieses Gesetz übertrug das Eigentum und alle anderen dinglichen Rechte an Gegenständen der Militärverwalstaaten, 1909, S. 63 ff; Speck, Die finanzrechtlichen Beziehungen zwischen Reich und Staaten, 1908, S. 85; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 20 FN 2; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 196 f.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 383; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 129. 84 Gesetz über die Kriegsleistungen v. 13.6.1873, RGBl. S. 129. 85 1. e. Festungswesen. Siehe dazu im einzelnen Hubatsch, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 323 u. 324. 86 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 312 ff.; Laband, in: JöR 1 a. F. (1907), 1 (8 u. 47); Molls Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, 1938, S. 33 f.; Schadeck, Die Bundesauftragsverwaltung, 1951, S. 16 f.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 33 f.; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 30; Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 60. Görg, in: Der Versorgungsbeamte 1969, S. 111, erkennt unzutreffend keinerlei Anhaltspunkte für eine Auftragsverwaltung. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 296 ff. (315) bezeichnet die Praxis bei der finanziellen Militärverwaltung als „Verfassungswandelung". Allg. zur Verfassungswandelung im Kaiserreich G. Jellinek y Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, 1906; Laband, Die Wandlungen der deutschen Reichsverfassung, 1895. 87 RGBl. S. 113.

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tung auf das Reich. Schrittweise wurden außerdem Landesbehörden zu solchen des Reiches gemacht, so daß fast schon eine unmittelbare Reichsverwaltung zu konstatieren ist. Der Reichskanzler war als vorgesetzte Oberbehörde anzusehen. Die in diesem Bereich zuständigen Landesbehörden unterstanden damit nicht mehr nur der Reichsoberaufsicht, sondern konnten wie reichseigene Behörden gelenkt werden. In Heeressachen wurden konsequentermaßen privatrechtliche Verträge im Namen des Reiches abgeschlossen.88 Es bietet sich ein vielfaltiges Bild der unterschiedlichen Aufsichtsrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Länder wurde fortschreitend beschränkt. Insgesamt ist der Umfang der Aufsichts- und Anweisungsrechte des Reiches über die Länder kaum geringer als der des Reiches über seine eigenen Behörden. Besonders eindeutig ist der Ausbau der Reichsoberaufsicht nach Art. 4 RV zu einer unmittelbaren Reichsaufsicht über die Länder im Bereich der Seuchenbekämpfung. 89 Hier bestand eine unmittelbare Reichsaufsicht mit direktem Zugriff auf untere Landesbehörden trotz einer an sich getrennten Verwaltungshierarchie. Das Reich besaß das Recht zu direkten Anweisungen gegenüber den Landesbehörden.90 Die unmittelbare „Kommunikation" 91 mit den zuständigen Landesbehörden wurde teilweise dahingehend beschränkt, daß eine außergewöhnliche Gefahr oder Dringlichkeit vorliegen mußte. Diese Voraussetzung lag insbesondere dann vor, wenn die Gefahr nicht nur einen örtlichen Charakter innehatte und die zu ergreifenden Maßnahmen die Gebiete mehrerer Bundesstaaten betrafen. Eine entsprechende Anweisungs- und Entscheidungskompetenz des Reiches für den Einzelfall galt für die Bekämpfung der Reblauskrankheit. 92 Die Landesbehörden waren einem durchgängigen Instanzenzug eingegliedert. Denn § 5 Abs. 2 a. E. des Reichsgesetzes betr. der Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheit lautete: „... so hat der Reichskanzler ..., nöthi88

Schadeck, Die Bundesauftragsverwaltung, 1951, S. 16. Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 b (S. 945); Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 299; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 307); Kiefer, Das Aufsichtsrecht des Reiches über die Einzelstaaten, 1909, S. 111 ff.; Strauß y Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, 45. Sitzung, S. 593; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 254 f. 90 Reichsgesetz v. 30.6.1900 (RGBl. S. 315), § 41 Abs. 2 (Gesetz zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten); Reichsgesetz v. 26.6.1909 (RGBl. S. 521), § 4 Abs. 3, und v. 23.6.1880 (RGBl. S. 154), § 4 Abs. 2 (Viehseuchengesetz); Gesetz v. 7.4.1869 (BGBl. S. 105), § 12 (Gesetz zur Bekämpfung der Rinderpest). 91 Der eher verniedlichende Ausdruck stammt von Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 299. 92 Reichsgesetz betr. die Bekämpfung der Reblaus v. 6.7.1904 (RGBl. S. 265), § 15 Abs. 2; Reichsgesetz betr. die Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheit v. 3.7.1883 (RGBl. S. 150), § 5 Abs. 2. 89

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Β. Historische Entwicklung

genfalls auch die Behörden der betheiligten Bundesstaaten unmittelbar mit Anweisung zu versehen." Ähnliche Entscheidungs- und Anordnungskompetenzen fur den Einzelfall existierten beim Auswanderungs-, Schiffahrts- und Eichwesen.93 Reichsauswanderungskommissare konnten auf Abstellung von Mängeln „dringen" und waren „zur Kontrolle von Landesbehörden bestellt". 94 Die Normaleichungskommission und das SchifïVermessungsamt besaßen das Recht zur eingehenden Instruktion der Landesbehörden, unmittelbare Weisungen waren also zulässig.95 Auch bei der Erhebung derjenigen Zölle und Steuern, die gem. Art. 70 RV dem Reich zustanden, sind auftragsverwaltungsähnliche Züge zu erkennen. 96 Es bestand zwar keine übergeordnete Zentralbehörde in Form einer Generaloder Steuerdirektion des Reiches, aber die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Steuern durch die Landesbehörden gem. Art. 36 Abs. 1 RV unterlag einer umfassenden Reichskontrolle, Art. 36 Abs. 2 RV. In der konkreten Ausgestaltung dieser Beaufsichtigung hatte die Reichskontrolle die Grenze einer bloßen Oberaufsicht entschieden überschritten. 97 Die gem. Art. 36 Abs. 2 RV vom Kaiser ernannten Beamten hatten die Aufgabe, die Amtsführung der Landesbehörden fortlaufend zu beobachten.98 Sie waren jedoch nicht befugt, Weisungen zu erteilen oder an den Entscheidungen der Landesbehörden mitzuwirken. Dennoch besaßen sie als stehende Einrichtungen umfassende Aufsichts- und

93

Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 303 ff.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, § 50 (S. 307) u. § 114 (S. 665 ff.); Laband: in: JöR 1 a. F. (1907), S. 1 (43). 94 Reichsgesetz v. 9.6.1897 (RGBl. S. 463), § 41 Abs. 1 u. 2 (Reichsgesetz über das Auswanderungswesen). 95 Maß- und Gewichtsordnung v. 17.7.1868 (BGBl. S. 493), Art. 18; SchiffVermessungsordnung v. 20.6.1888 (RGBl. S. 190), §§ 22 bis 24. 96 Allg. zur Zoll- und Steuerverwaltung Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 183 ff. u. 300 ff.; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 4,4. Aufl. 1901, § 122 (S. 423 ff.); H. Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes, Band 2, 1886, S. 170 ff.; Burg, Der Föderalismus im Kaiserreich, 1992, S. 55 u. 63; Speck, Die finanzrechtlichen Beziehungen zwischen Reich und Staaten, 1908, S. 85 ff. u. 189 ff.; Kiefer, Das Aufsichtsrecht des Reiches über die Einzelstaaten, 1909, S. 128 ff.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 948 f. u. 964; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 194 ff. Umfangreicher Überblick über die historische Entwicklung bei v. Aufseß, in: Annalen des deutschen Reiches Nr. 26 (1893), S. 161 ff. 97 So Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 185. 98 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 4, 4. Aufl. 1901, § 122 (S. 427), bezeichnet sie als „Gesetzeswächter"; Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 187 FN 3, berichtet, daß sie von ihren Landeskollegen nicht eben freundlich „Reichsschnüffler" genannt wurden.

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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Kontrollrechte, mittels derer sie sich Respekt und Einfluß zu verschaffen vermochten. Schließlich arbeiteten die Zollbehörden der Länder ständig unter den Augen des Reiches. Außerdem konnten Meinungsverschiedenheiten dadurch in einem frühen Stadium geklärt werden. Die sehr effektive Beaufsichtigung der Zolldirektionen und Zollämter der Länder ähnelt daher einer Auftragsverwaltung im modernen Sinne", auch wenn dem Reich ein Weisungsrecht nicht zustand und es an den Personalentscheidungen der Länder nicht beteiligt war. Diese Form der unmittelbaren Beaufsichtigung der Landesbehörden hatte eine Vorbildfunktion und diente als Modell für die Besteuerung anderer als der in Art. 35 RV benannten Gegenstände.100 Ein über die Reichsaufsicht nach Art. 4 RV hinausgehendes Ingerenzrecht des Reiches normierte die Reichsverfassung in Art. 27 selbst. 101 Die Durchführung der Wahlen zum Reichstag oblag den Ländern, folgerichtig stellten sie auch das Wahlergebnis fest. Nach Art. 27 Satz 1 RV hatte der Reichstag das Recht, landesbehördliche Wahlentscheidungen für ungültig zu erklären. Die Norm lautet: „Der Reichstag prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet darüber."

bb) Übertragung von Verwaltungskompetenzen auf Einzelstaaten Bei anderen Materien übertrug das an sich zuständige Reich Verwaltungskompetenzen an Einzelstaaten. Eine derartige Ausführungsüberantwortung war teilweise schon vor Reichsgründung vom Norddeutschen Bund vorgenommen worden. Hinzuweisen ist hier auf die Verwaltung der Bundesanleihen im Norddeutschen Bund, die von der preußischen Hauptverwaltung der Staatsschulden durchgeführt wurde, 102 sowie auf die der preußischen Oberrechnungskammer übertragene Kontrolle des Bundeshaushalts.103 Beide Gesetze

99 Kummer, Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 23 FN 44, lehnt auf diesen Gebieten die Annahme einer Auftragsverwaltung wegen des fehlenden Weisungsrechts ab, bleibt dann jedoch eine Erklärung der Ähnlichkeiten zur heutigen Auftragsverwaltung schuldig. 100 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 300 f., m. umfassenden Nachw. zu den gesetzlichen Grundlagen. 101 Strauß, Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, 45. Sitzung, S. 593; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 3, 1984, S. 194. 102 Gesetz v. 19.6.1868 (BGBl. S. 339). 103 Gesetz v. 4.7.1868 (BGBl. S. 433).

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Β. Historische Entwicklung

wurden im Deutschen Reich später übernommen. 104 Das Deutsche Reich nutzte also Beamtentum und Behördenapparat des Gliedstaates Preußen für die eigene Verwaltungsführung. 105 Es ergingen „Aufträge" des Reiches an Landesbehörden, und diese nahmen aufgrund dieser Ermächtigung Aufgaben des Bundes wahr, so daß auch hier eine Frühform einer Auftragsverwaltung festzustellen ist. Ein weiteres Beispiel für eine Verwaltungsführung, die erstaunliche Ähnlichkeit zur heutigen Bundesauftragsverwaltung aufweist, ist die exekutive Umsetzung des Telegraphen-Wegegesetzes. 106 Das Telegraphenwesen war wie erwähnt - gem. Art. 48 RV Sache des Reiches. Nach § 11 dieses Telegraphen· Wegegesetzes wurde nun dem Reich die Ermächtigung erteilt, mit der Beaufsichtigung und vorläufigen Wiederherstellung der Telegraphenlinien Beamte der Länder zu beauftragen. Die ursprünglich dem Reich obliegende Ausführung dieses Gesetzes konnte also in dem beschriebenen Umfang Straßenund Polizeibeamten der einzelnen Länder übertragen werden, welchen dem Reich dann auch „eine besondere Vergütung zu zahlen" hatte. 107

3. Haftungsfrage Die Haftungsfrage für wie auch immer gelagertes Fehlverhalten von Landesoder Reichsbehörden spielte im Kaiserreich weder in der Rechtsprechung noch im einschlägigen Schrifttum eine nennenswerte Rolle; es ist kein Fall bekannt, bei dem es um eine Haftung für ein Fehlverhalten geht, auch wenn Anwendungsfälle für eine Haftung durchaus denkbar erscheinen. Die Reichsverfassung von 1871 enthält keine Norm, mittels derer eine Haftung der Länder für nicht ordnungsgemäße Ausführung der Reichsgesetze oder

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Gesetz v. 28.10.1871 (RGBl. S. 344); Reichsschuldenverordnung v. 19.3.1900 (RGBl. S. 129). 105 Speck, Diefinanzrechtlichen Beziehungen zwischen Reich und Staaten, 1908, S. 113; Molls , Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, 1938, S. 21 ff.; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 4, 4. Aufl. 1901, § 116 (S. 374); Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 3, 3. Aufl. 1988, S. 801 u. 847 f.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 406; Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, S. 20; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 35; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 37. 106 v. 18.12.1899, RGBl. S. 705. 107 Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 21, spricht hier von dem ersten Fall einer fakultativen Auftragsverwaltung in Deutschland.

II. Auftragsverwaltung im Kaiserreich

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sonstiges reichswidriges Handeln - etwa entgegen einer Weisung o. ä. - unmittelbar eintreten würde. Die Reichsaufsicht nach Art. 4 RV scheidet als Rechtsgrundlage für die Geltendmachung einer Haftpflicht aus. 108 Sie diente nicht der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder der Herbeiführung von Strafsanktionen; 109 im Gegenteil sollten aufgetretene Mängel bei der Ausführung der Reichsgesetze und Mißachtung der verfassungsrechtlich geschützten Reichsinteressen durch die Länder berichtigt werden. Dennoch konnte das Aufsichtsverfahren bei einigen Verwaltungstätigkeiten der Einzelstaaten einen haftungsähnlichen Erfolg erzielen. 110 Auch auf einfachgesetzlicher Ebene ist keine allgemeingültige Haftungsnorm für das intrastaatliche Verhältnis von Reich und Ländern auszumachen.111 Die einzige erkennbare Haftungsnorm findet sich im Zollvereinsvertrag v. 8.7.1867 112 , welcher durch Art. 40 RV auch nach Reichsgründung als Reichsund nicht als Vertragsrecht weitergalt. 113 Art. 16 Abs. 2 dieses Vertrages hat folgenden Wortlaut: „Die Vereinsstaaten machen sich verbindlich, für die Diensttreue der bei der Zollverwaltung von ihnen angestellten Beamten und Diener und für die Sicherheit der Kassenlokale und Geldtransporte in der Tat zu haften, daß Ausfälle, welche an den Zolleinnahmen durch Dienstuntreue eines Angestellten erfolgen, oder aus der Entwendung bereits eingezahlter Gelder entstehen, von deijenigen Regierung, welche den Beamten angestellt hat, oder welche die entwendeten Bestände erhoben hatte, ganz allein zu vertreten sind und bei der Revenüentheilung dem betreffenden Staate zur Last fallen."

108 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 278; Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 6. Aufl. 1905, § 212 b (S. 937); Haenel, Deutsches Staatsrecht, Band 1, 1892, §51 (S. 314); Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 29 f.; Kummer, Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 19; Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 60. 109 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 272. 110 Dazu Kummer, Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 20 f.; ihm folgend Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 60. 111 Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 214; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 29; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 61 ;W. Schulze, DÖV 1972,409 (410). 112 Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen, die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins betreffend; BGBl. S. 81. 113 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 128 f.

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Β. Historische Entwicklung

Von ihrem nackten Wortlaut her kommt sie als sedes materiae für die Lösung haftungsrechtlicher Probleme zwischen Reich und Ländern in Betracht. Diese Haftungsbestimmung 114 hatte aufgrund der umfassenden Kontroll- und Aufsichtsrechte des Reiches, d. h. seiner Beamten nach Art. 36 Abs. 2 RV, 1 1 5 praktisch keinen Anwendungsbereich mehr. Dementsprechend wurde § 16 Abs. 2 des Zollvereinsvertrages im zeitgenössischen Schrifttum auch nicht weiter dargestellt oder auch nur erwähnt. Über den Bereich der Zölle und Steuern hinaus läßt sich wohl sagen, daß sich Haftungsfälle deswegen selten bzw. in keinem nennenswerten Umfang ergaben, weil die zu beachtenden Gesetze ob ihrer Anzahl überschaubar und ob ihrer Unkompliziertheit relativ leicht für qualifizierte Beamte zu handhaben waren. 116 Hinzu tritt, daß die staatliche Förderungsverwaltung, innerhalb derer eine Verwaltungshaftung durch eine fehlerhafte Verwendung von finanziellen Mitteln am häufigsten auftritt, nur erst sehr schwach und ansatzweise entwikkelt war. 1 1 7

4. Fazit Die Betrachtung und Analyse der Verfassungswirklichkeit im Kaiserreich unter der Reichsverfassung von 1871 hat die Ausgangsthese bestätigt, daß die Auftragsverwaltung kein Kind des Grundgesetzes ist. Vielmehr sind auch zur damaligen Zeit bereits deutliche Ansätze dieses Verwaltungstypus erkennbar, auch wenn dieser noch keinen Eingang in den Verfassungstext gefunden hatte und in seiner Dimension auch in der staatsrechtlichen Lehre nicht hinreichend gewürdigt wurde. Die Reichsverfassung verlieh dem Reich zwar umfangreiche Gesetzgebungskompetenzen, stellte diesen aber nicht entsprechende Verwaltungskompetenzen zur Seite; der Vollzug von Reichsgesetzen oblag im Regelfall den Ländern. Die von Art. 4 RV auf eine bloße Rechtsaufsicht beschränkte Ingerenz des Reiches wurde zunehmend durch einfache Reichsgesetze zu umfangreichen, die Verwaltungshoheit der Gliedstaaten beeinträchtigenden Oktroi114 Die Norm entspricht inhaltlich dem Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F., der bis 1969 in Kraft gewesen ist. Dazu Ε. II. 3. c). 115 S. ο. Α. II. 1. 116 Zur besonderen Lage bei derfinanziellen Militärverwaltung Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 30 ff.; s. auch U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 129. 117 Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 61.

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

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kompetenzen umgestaltet. Hierbei handelte es sich um - nach damaligem Verfassungsrecht - zulässige Verfassungsdurchbrechungen. 118 Die sich im Rahmen der heutigen Bundesauftragsverwaltung stellende Haftungsfrage spielte im Kaiserreich praktisch keine Rolle, obgleich eine Anspruchsnorm in Gestalt des Art. 16 Abs. 2 des Zollvereinsvertrages durchaus vorhanden war.

I I I . Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik 1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage und Staatspraxis a) Allgemeine Entwicklung Der Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches sowie die ökonomischen und finanziellen Folgen des verlorenen Krieges zwangen zu einer grundlegenden Reform der Verfassung. Die bundesstaatliche Entwicklung, d. h. die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Reich und Ländern in Deutschland seit 1871, war von einer an Intensität beständig zunehmenden und unübersehbaren unitarischen Tendenz geprägt. 119 Die Ausdehnung der Einflußsphäre des Reiches setzte sich dann auch in dem Text der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 120 - der sogenannten Weimarer Reichsverfassung 121 fort. 122 Bezeichnend dafür ist bereits, daß die Präambel der Weimarer Reichsverfassung die Idee der Einigkeit des deutschen Volkes niederlegt, wohingegen an entsprechender Stelle der Reichsverfassung von 1871 die Landesfürsten und ihre Länder aufgezählt werden.

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Insgesamt 40 mal wurden von 1920 bis 1933 Verfassungsbestimmungen geändert oder ganz ersetzt, ohne daß sich das in der Verfassung niederschlug. 119 Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, vor Art. 1 Anm. 4; Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 366; Thoma, in: Anschütz/ders. (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 169; Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 185 ff; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 331; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 224 ff; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 585: „Suprematie des Reiches". 120 RGBl. S. 1383 ff. Zur Entstehung der Weimarer Reichsverfassung Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 62 ff. m. umfangr. Nachw. Zur Diskussion in der Zeit der Verfassungsberatungen über die Stellung der Einzelstaaten s. Gillessen, Hugo Preuß, 2000, S. 112 ff. 121 Die Namensgebung erklärt sich aus dem Beratungsort des Verfassungsentwurfes. 122 Unzutreffend und dem föderalismusfeindlichen Geist seiner Zeit spürbar verhaftet Molls , Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, 1938, S. 44: „..., tatsächlich war der Einfluß des Reiches geringer denn je."

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Β. Historische Entwicklung

Schon die Erweiterung des Kreises von Verwaltungsbereichen, die schon durch die Verfassung selbst dem Reich und nicht den Einzelstaaten123 zugeschrieben wurden (die sog. Verfassungsverwaltungen), zeigt in quantitativer Hinsicht diese zentralistische Entwicklung auf. 124 Wesentliche Materien wurden in der Hand des Reiches gebündelt. Hierzu zählten die Verwaltung des Heereswesens (Art. 79 WRV), des Eisenbahnwesens (Art. 89 ff. WRV), der Binnen- und Küstenwasserstraßen (Artt. 97 ff. WRV) und der Zölle und Verbrauchssteuern (Art. 83 WRV). Hinzuzurechnen sind noch weitere „kleine" Verfassungsverwaltungen, 125 d. h. insgesamt weniger bedeutsame Verwaltungsbereiche, welche von Verfassungs wegen der Republik überantwortet wurden. Ergänzt wurde diese Tendenz durch den augenfällig beschnittenen Umfang von Landesgesetzgebungskompetenzen mittels Ausweitung der Reichskompetenzkataloge durch die Artt. 6 ff. W R V , 1 2 6 was gleichfalls das Zurückdrängen des gliedstaatlichen Gedankens in der Weimarer Republik von Anfang an dokumentiert. Art. 12 WRV, der den Grundsatz der Länderzuständigkeit normiert, wenn das Reich von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht, vermochte die genuine Kompetenzerosion der Länder nicht aufzuhalten. Eine allgemeine, über Art. 12 WRV hinausgehende Grundsatzvorschrift zum Föderalismus zugunsten der Länder 127 enthielt die Verfassung nicht. Die Idee eines monarchisch geprägten Föderalismus in Deutschland, von der die Reichsverfassung von 1871 noch durchdrungen war, hatte zusehends an Boden und Anhängern verloren, im ganzen war die allgemeine Stimmung 1918/19 zentralistischer geworden; 128 eine ausgeprägte föderative Grundlage

123 Die Einzelstaaten wurden bezeichnenderweise nun in der Reichsverfassung 1919 Länder genannt, so etwa in Artt. 2, 5, 12, 15 WRV. 124 Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 40; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 582 f.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 74; zweifelnd Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4,1985, S. 330 f., der davon ausgeht, die WRV habe „nur Remedur geschaffen". 125 Nachweise bei Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 43. 126 Einen Überblick über die erweiterten Gesetzgebungszuständigkeiten des Reiches liefert Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 236 ff. Zurückhaltender insoweit Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 581, nach dessen Ansicht die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten im wesentlichen den Vorgaben der RV 1871 folgte. 127 Vgl. etwa die bundesstaatliche Aufgabenwahrnehmungsvorschrift des Art. 30 GG, die eine länderfreundliche Verteilungsregel darstellt. Vgl. aus der umfangreichen Literatur dazu etwa Pietzker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 99 m. umfangr. w. Nachw. 128 Anschaulich dazu Held, Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung, 1929, S. 13 ff.

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

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fehlte der Weimarer Republik. 129 Ob der Weimarer Staat dessenungeachtet als Bundesstaat bezeichnet werden kann, erscheint zweifelhaft und war im zeitgenössischen Schrifttum lebhaft umstritten. 130 Phänotypisch entsprach die verfassungsrechtliche Ausgangslage bereits 1919 eher dem Bild eines „unvollendeten Bundesstaates" oder eines „Einheitsstaates mit bundesstaatlichen Einsprengseln". Immerhin besaß das Reich beispielsweise keine eigene Polizeihoheit, so daß ein - bis heute - klassischer Bereich der Länderhoheit bestehen blieb. Auch waren die Länder nach Art. 17 WRV berechtigt und verpflichtet, sich eigene „freistaatliche" Verfassungen zu geben. Schließlich - das sei nicht vergessen hielt die Weimarer Reichsverfassung ausdrücklich in ihrer Präambel an der Zweistufigkeit ihres Staatsaufbaus in „Reich und Länder" fest, auch wenn dies offenbar nicht mehr der tragende Stützpfeiler des Verfassungskonzeptes war. Mit dem Inkrafttreten der Verfassung im Jahre 1919 fand die beschriebene Entwicklung kein Ende, sondern setzte sich vielmehr ungleich ausgeprägter fort. Auffällige Züge einer einheitsstaatlichen Staatsräson gegenüber den Ländern, neben der Erweiterung der Gesetzgebungskompetenzen des Reiches (dem sog. „Abpflügen" der Gesetzgebungszuständigkeiten) insbesondere auch durch eine Ausdehnung von Reichsverwaltungsbefugnissen auf den gliedstaatlichen Verwaltungsbereich, waren zu erkennen. 131 Es erfolgte eine umfangreiche Aushöhlung der ursprünglich den Ländern zustehenden Kompetenzen. Unitaristische Kräfte fanden im Ländergremium - dem Reichsrat 132 - kein adäquates Gegengewicht mehr, 133 auch wenn das Beharrungsvermögen der Länder insge129 Anschütz, in: WDStRL 1 (1924), S. 1 (17); Thoma, in: Anschütz/ders. (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrecht, Band 1, 1930 bis 1932, S. 169 f. Von Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 389, stammt der Ausdruck „Bundesstaat ohne bündische Grundlage" für die Weimarer Republik. 130 Noch bejahend Thoma, in: Anschütz/ders. (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 170 ff. (177); Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1919, S. 56; Lassar, in: Recht und Staat im Neuen Deutschland, Band 1, 1929, S. 207; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 1 Anm. 4; Kelsen, in: Festgabe Fleiner, 1927, S. 127; Bredt, Der Geist der deutschen Reichsverfassung, 1924, S. 118 ff. (136), der von einem „stark beschränkten Staatscharakter" spricht. Ablehnend dagegen Poetzsch-Hejfter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, vor Art. 1 Anm. 4. Lesenswert zu den verschiedenen verwendeten Termini Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 6, 1981, S. 59. Bemerkenswert ist, daß sich die Kontroverse nun auf die Festlegung als Bundes- oder Einheitsstaat bezog. Nach Gründung des Deutschen Reiches 1871 hingegen standen die Begriffe Staatenbund und Bundesstaat in der Diskussion. 131 Poetzsch-Heffter, in: JöR 17 a. F. (1929), S. 1 (19), spricht von einer „Verreichtigung unseres Staatswesens". S. auch Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 637. 132 Art. 60 bis 67 WRV. 133 Lassar, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 312; Poetzsch-Heffter, in: JöR 17 a. F. (1929), S. 1 (19 ff.).

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Β. Historische Entwicklung

samt nicht unterschätzt werden sollte. 134 Die starke Stellung des Reichstages, in dem die entscheidenden Kräfte der politischen Parteien vertreten waren, wirkte auf die Willensbildung in den deutschen Ländern stark vereinheitlichend ein. Außerdem wurde postuliert, daß den langanhaltenden wirtschaftlichen wie sozialen Kriegsfolgen sinnvollerweise nur reichseinheitlich begegnet werden konnte. 135 Kritische Betrachter beschrieben diese Entwicklung als „plan- und ziellos" 1 3 6 oder befürchteten ein bevorstehendes Provinzdasein der Länder. 137 Mit großer Verve geführte politische Auseinandersetzungen zwischen Reich und Ländern über die Abgrenzung der jeweiligen Verwaltungskompetenzen waren in den Zwanziger und zu Beginn der Dreißiger Jahre an der Tagesordnung; die Länder waren nicht gewillt, die in ihren Augen dramatischen Zuständigkeitsverluste weiterhin ohne nennenswerte Gegenwehr hinzunehmen. Parallel wurden zahlreiche Diskussionen um die Auslegung und (Text-) Abänderung der WRV geführt.

b) Die Ausführung der Reichsgesetze und die Reichsaufsicht Die Landesverwaltung war de constitutione lata in die beiden Hauptformen der reichsgesetzabhängigen Landesverwaltung und der reichsfreien Landesverwaltung gegliedert. Dabei wurde unter der Weimarer Reichsverfassung grundsätzlich an der althergebrachten Verteilung der Verwaltungsaufgaben festgehalten, d. h., die Länder führten ohne weiteres die Landesgesetze aus, 138 und bei Reichsangelegenheiten wurde die vollziehende Tätigkeit den Ländern überlassen. 139 Der maßgebende Art. 14 WRV lautete: „Die Reichsgesetze werden durch Landesbehörden ausgeführt, soweit nicht die Reichsgesetze etwas anderes bestimmen." Verfassungsgesetzlich determinierte Verwaltungstypen, an die sich der Reichsgesetzgeber hätte halten müssen, existierten nicht. 134 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 6, 1981, S. 56; weitere Faktoren dieser Entwicklung bei Lassar, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 312; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 332 f. 135 Vgl. dazu auch die Stellungnahme der Bundesregierung zum Finanzreformgesetz 1969, BT-Drucks. V/2861 Tz. 21. 136 Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 366. 137 Held, Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung, 1929, S. 69. 138 Lassar, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 311; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 239; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 581. 139 Das ergab sich unmittelbar aus Art. 14 WRV.

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Bei der Ausführung der Reichsgesetze unterlagen die Länder der Reichsaufsicht nach Art. 15 Abs. 1 WRV: „Die Reichsregierung übt die Aufsicht in den Angelegenheiten aus, in denen dem Reiche das Recht der Gesetzgebung zusteht." Es handelte sich hierbei um „altes Recht", 140 denn die Einzelstaaten unterstanden auch schon im Kaiserreich der Aufsicht des Reichs. 141 Dabei entsprachen Inhalt und Umfang der Aufsicht nach Art. 15 WRV weitgehend der Rechtslage unter der Reichsverfassung von 1871, auch wenn die Aufsichtsinstrumente nunmehr in den Absätzen 2 und 3 des Art. 15 WRV genauer festge1 142 legt waren. Zu diesen aufsichtsrechtlichen Instrumenten zählten namentlich das Recht, allgemeine Weisungen zu erlassen und Beauftragte zur Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu den Landesbehörden zu entsenden (Art. 15 Abs. 2 WRV). Art. 15 Abs. 3 WRV - die sog. Mängelrüge - verpflichtete die Landesregierungen zur Mängelbeseitigung. Bei Meinungsverschiedenheiten über eine solche Mängelrüge kann eine richterliche Entscheidung durch den Staatsgerichtshof herbeigeführt werden. 143 Als ultima ratio der Reichsaufsicht kam auch die Reichsexekution nach Art. 48 Abs. 1 WRV in Betracht. 144 Anordnungsberechtigt war nicht die Reichsregierung, sondern ausschließlich der Reichspräsident. Die Reichsaufsicht umfaßte zum einen nichtbefehlende Formen wie das bloße Beobachten der Ausübung der Staatsgewalt durch die Länder oder ein Informationsrecht, zum anderen auch die imperative Einwirkung auf Landesmaßnahmen.145 Sie berechtigte das Reich nur zum Einschreiten gegen gesetzwidriges Verwaltungshandeln der Länder. 146 Angriffsziel reichsaufsichtsrecht140 So Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 1.1. E. auch Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 582. 141 Oben B.II. l.b)bb). 142 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, vor Art. 15 Anm. 1 ; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 62 f. Triepels Werk „Die Reichsaufsicht" von 1917 zeigte erst jetzt Wirkung und dominierte darüber hinaus auch die konkrete Ausformung der Reichsaufsicht; vgl. Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 584. 143 Es wurde nach Art. 15 Abs. 3 Satz 2 WRV nur eine Klage hinsichtlich einer Mängelrüge nach Abs. 2 für zulässig erachtet, so Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 8; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, Art. 15 Anm. 10. a. S. auch Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 585. Zum Staatsgerichtshof unten B. FN 171. 144 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 585. 145 Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, Art. 15 Anm. 1; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 585. 146 Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, vor Art. 15 Anm. 2.

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liehen Einschreitens konnte nicht nur das auf Vollzug der Reichsgesetze gerichtete, sondern auch jedes sonstige Verhalten sein. 147 Damit entsprach jedenfalls in diesem Zusammenhang die Reichsaufsicht nach Art. 15 WRV inhaltlich der nach Art. 4 RV 1871. In tatsächlicher Hinsicht gilt es festzustellen, daß ein Vorgehen gegen ein Land vermittels der Reichsaufsicht gem. Art. 15 WRV keineswegs selten war. Dagegen war es nicht Aufgabe der Reichsaufsicht nach Art. 15 WRV zu kontrollieren, ob sich das Land innerhalb eines von den Gesetzen gelassenen Ausfuhrungsspielraums bei mehreren Möglichkeiten für eine solche entschied, die ggf. den politischen Vorstellungen der Reichsregierung widersprach. 148 Hier sollte den Ländern durchaus eine freie und selbständige Entschließung bleiben. Es war demnach - wie auch im Kaiserreich (Art. 4 RV 1871) - keine Fachaufsicht, keine Zweckmäßigkeitskontrolle, in der Verfassung normiert. 149 Bemerkenswert ist es schließlich, daß ein unmittelbares Vorgehen gegen die Landesregierungen oder Einzelweisungen an Behörden nicht vorgesehen waren; vielmehr sollte die Aufsichtsgewalt des Reiches die Länder nur als geschlossene Einheiten erfassen, so daß Aufsichtsakte daher an die jeweilige Landesregierung, die das Land verkörperte und nach außen vertrat, zu richten waren. 150 Nicht der Aufsichtsgewalt unterworfen waren daher grundsätzlich die der jeweiligen Landesregierung unterstellten Landesbehörden. 151

c) Die sog. Reichsauftragsverwaltung Der Verwaltungstyp der Auftragsverwaltung war - wie schon in der Reichsverfassung von 1871 - in der Verfassungsurkunde der Weimarer Republik

147

Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 2. b.; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, Art. 15 Anm. 2. c; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 584 f. 148 Poetzsch-Hejfter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, Art. 15 Anm. 1; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, Art. 15 Anm. 9. e.; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 339. 149 Zur Begriffsbestimmung s. ο. Β. II. 2. a). 150 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 4; Poetzsch-Hejfter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, Art. 15 Anm. 5. 151 Zu unterscheiden davon ist die Entsendung von Reichsbeauftragten zu den unteren Landesbehörden mit Zustimmung der Landeszentralbehörde nach Art. 15 Abs. 2 Satz 2 WRV.

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

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nicht verankert. 152 In der staatsrechtlichen Literatur wurde diese Form der Gesetzesvollziehung gleichwohl schon als eigenständig erkannt und diskutiert. Um in bestimmten Bereichen eine weisungsabhängige Auftragsverwaltung als neuartige Institution zu schaffen, 153 erließ der Reichsgesetzgeber entsprechende Gesetze, die dem Reich umfangreiche Ingerenzrechte gegenüber den Gliedstaaten einräumten. Die materiell-rechtliche Regelungskompetenz stand dabei dem Reich zu, organisatorisch wurde die Umsetzung von Stellen der Länder wahrgenommen, ohne daß die Verwaltungsaufgabe vollständig von dem Reich übernommen wurde. Zudem konnte die Reichsregierung nach Art. 15 Abs. 2 Satz 2 WRV ohne eine Beschränkung auf bestimmte Verwaltungszweige zur Überwachung der Landesverwaltungstätigkeit Beauftragte zu den Landeszentralbehörden und mit deren Zustimmung auch zu den unteren Landesbehörden entsenden. Diese Beauftragten waren jedoch nur ein Mittel der beobachtenden Aufsicht. Von der Möglichkeit, allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen (Art. 15 Abs. 2 Satz 1 und Art. 77 WRV), wurde ebenfalls Gebrauch gemacht. Dadurch konnte erwirkt werden, daß nur eine zweckmäßige Ausführung des Reichsgesetzes gesetzmäßig war. Gesetzeszweckräume, d. h. die Auswahl zwischen unterschiedlichen zulässigen Reaktionsformen, konnten also durch dieses Mittel erheblich verengt werden. 154 Hierbei diente dem Reich Art. 14 WRV, der den Grundsatz des Landesvollzugs von Reichsgesetzen einem Gesetzesvorbehalt unterstellte, als „Einbruchsnorm", 1 5 5 als „Einfallstor" 156 oder als verfassungsrechtlicher Hebel für die ein152 Der Verfassungsentwurf des Staatsrechtslehrers und späteren ersten Innenministers der Weimarer Republik Hugo Preuß - dem maßgeblichen Architekten der Weimarer Reichsverfassung -, der die Möglichkeit einer umfassenden Reichsauftragsverwaltung vorsah (§ 8 des Vorentwurfes einer Verfassung des Deutschen Reiches vom 3. Januar 1919, unveröffentlicht, und Entwurf vom 20. Januar 1919, veröffentlicht bei Triepel, Quellensammlung, 5. Aufl. 1931, S. 10; beide Entwürfe waren insoweit kongruent), vermochte sich nicht durchzusetzen, bildete aber sicherlich eine Grundlage für spätere Überlegungen in diese Richtung. Dazu Schadeck, Die Bundesauftragsverwaltung, 1951, S. 25 f. Allgemein zum Preuß sehen Verfassungsentwurf Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 69 ff. m. w. Nachw. Zur Person Preuß' s. Gillesen, Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, 2000. 153 Die Möglichkeit, allgemeine Anweisungen zu erlassen (Art. 15 Abs. 2 Satz 1 WRV), ist hinsichtlich einer aufsichtsrechtlichen Einwirkung auf die Länder unwesentlich, Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 5.; zu diesen Anweisungen femer allgemein Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, Art. 15 Anm. 8. 154 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 5; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, vor Art. 15 Anm. 1. 155 Treffend Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 20.

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fachgesetzliche Ausweitung der Reichsverwaltung, 157 um dann gleichsam in die Länder hineinzuregieren und sie zu entmachten. Ein einfaches Reichsgesetz vermochte es, die in der Verfassung (Art. 15 WRV) festgelegten Grenzen der Reichsaufsicht auszudehnen.158 Diese „allmähliche Expansion der Verwaltungskompetenzen auf Reichsebene"159 überstieg den verfassungsrechtlichen Rahmen der Artt. 15 und 77 WRV. Als Voraussetzung für die Einführung dieser Verwaltungsform wurde es nicht für erforderlich gehalten, daß die betroffenen Länder oder auch der Reichsrat zugestimmt haben. Indem eine unmittelbare Aufsichtsgewalt gegenüber den nachgeordneten Landesbehörden geschaffen wurde, nahm die Aufsicht nach Art. 15 Abs. 1 WRV eine wesensmäßig andere Gestalt an. 160 Einen anderen und durchaus auch denkbaren Weg der Erweiterung der Aufsichtsrechte, nämlich mittels einer verfassungsändernden Gesetzgebung gem. Art. 76 WRV dem Reich mehr Kompetenzen einzuräumen, wurde nicht beschritten. 161 Das ist deshalb so bemerkenswert, da der Reichsrat als Ländervertretung Reichsgesetzesinitiativen politisch schwerer als unter Geltung der Reichsverfassung von 1871 abblocken konnte. 162 Denn wies der Reichstag den Einspruch des Reichsrates gegen ein Gesetz mit Zweidrittelmehrheit zurück, so war das Gesetz beschlossen, Art. 74 WRV. 1 6 3 Die Abstufungen der Mitwirkungsrechte des Reiches waren - wie auch schon im Kaiserreich - sehr vielschichtig: Sei es, daß allein der Aufbau von Landesbehörden vorgeschrieben und diese dann den obersten Reichsbehörden in einem Instanzenzug unterstellt wurde; sei es, daß Reichsbehörden Genehmi-

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Köttgen, in: JöR 3 n. F. (1954), S. 67 (71). Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 44. 158 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 14 Anm. 4. Zumindest mißverständlich Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 585, wonach Eingriffe in die Länderverwaltung an die Voraussetzungen der Verfassung gebunden seien. Denn diese Grenzen des Art. 14 WRV wurden oftmals durch einfaches Reichsgesetz überschritten. 159 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 583. 160 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 14 Anm. 1. 161 Hierauf weisen hin Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 330 ff. (339 ff.); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 20; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 44. 162 Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 331. 163 Dazu Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 74 Anm. 1. 157

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

65

gungs-, Einspruchs- und/oder Weisungsrechte zuerkannt wurden. 164 Die Verwaltungstätigkeit war in bestimmten Bereichen teilweise sogar zu einer Form der Mischverwaltung verflochten. 165 Das durch die jeweiligen Reichsgesetze der Reichsregierung eingeräumte Recht, mit Anweisungen oder Rechtsmittelentscheidungen steuernd und korrigierend auf die Landesverwaltungstätigkeit und somit auf die Bearbeitung von Einzelfällen einzuwirken, ging über die durch Art. 15 WRV umgrenzte Reichsaufsicht eindeutig hinaus. Denn Einzelweisungen - Art. 15 Abs. 2 Satz 2 WRV benannte nur allgemeine Anweisungen - fanden in Art. 15 WRV ebensowenig Erwähnung wie das Recht zum aufsichtsrechtlichen Einschreiten in dem Fall, daß nicht Gesetzesverstöße in Rede standen, sondern das Reich bestimmte politische Vorstellungen durchzusetzen, also auch Ermessensentscheidungen an sich zu ziehen wünschte, um eine Zweckmäßigkeitskontrolle durchzuführen. Der Bereich der reinen „Oberaufsicht" 166 des Reiches über die Länder wurde damit verlassen. Diese spezifische Verwaltungsform war dem Grunde nach kaum mehr eine Auftragsverwaltung dergestalt, daß die Länder die Reichsgesetze grundsätzlich selbst, doch mit einschneidenden und nur im Streitfalle zu aktivierenden Reichsingerenzen ausführten. Vielmehr handelte es sich letztlich eher um eine materielle Reichsverwaltung: In formeller Hinsicht ist zwar eine Landesverwaltung festzustellen, da die ausführenden Behörden solche der Länder waren. Materiellrechtlich betrachtet ist aber im Hinblick auf die umfassende Leitungsgewalt des Reiches von einer Reichsverwaltung zu sprechen. 167

164

Anschütz, in: ders./Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 376; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 6, 1981, S. 645 ff. 165 Ausführlich Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 339 ff; ferner Lassar, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 314 ff.; auch Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 583, verwendet diesen Begriff. 166 Zum Begriff Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 164 ff. 167 So auch Lassar, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 314; Held, Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung, 1929, S. 62; Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 367; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 55; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 6, 1981, S. 645 f.; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 339 f.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 637 f.; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 21; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 241. Anderer Ansicht ist G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 14, der unzutreffenderweise gerade nicht auf die tatsächlichen Auswirkungen dieser Regelungen abstellen möchte. 5 Janz

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Β. Historische Entwicklung d) Einzelne Materien der Reichsauftragsverwaltung

Eine Reichsauftragsverwaltung bzw. eine auftragsverwaltungsähnliche Verwaltungsform ist in den verschiedendsten Verwaltungszweigen festzustellen. Den praktisch wichtigsten und literarisch erschlossensten Fall stellte die Reichs wasserstraßenverwaltung dar. 168 Das Reich übernahm durch Staats vertrag mit den Ländern im Jahre 1921 in Ausführung der Artt. 97, 171 W R V 1 6 9 die Administration der in sein Eigentum übertragenen Wasserstraßen. Bis dahin war die Verwaltung der Wasserstraßen trotz des ausdrücklichen Verfassungsauftrages des Art. 97 Abs. 1 WRV eine Angelegenheit der Einzelstaaten gewesen. Die Landesbehörden blieben mit der unmittelbaren Ausführung der Reichsgesetze betraut und unterstanden der direkten Aufsicht des Reichsverkehrsministers. Die Verwaltung erfolgte im Namen, unter der Verantwortung und auf Kosten des Reiches unter seiner Dienstaufsicht. 170 Die Leitungsgewalt brachte ein unbeschränktes Weisungsrecht gegenüber den Landesbehörden mit sich, so daß ungeachtet des Charakters als - formelle - Landesverwaltung das Reich der eigentliche Herr der Exekutive war. Der aufgrund des Art. 108 WRV errichtete Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich (StGH) 171 hat in seiner Entscheidung zum Staatsvertrag vom

168 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 97 Anm. 10; Lassar, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 315; Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 368; Ronneburger, Auftragsangelegenheiten des Reiches, 1931, S. 36 ff.; Schadeck, Die Bundesauftragsverwaltung, 1951, S. 28 f.; Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftrags Verwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 27 f.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 6, 1981, S. 648; Mußgnug, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 341 f.; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 23; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 51 f.; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 49 f.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 36; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 257 f. Schäfer, DÖV 1960, 641 (642); Görg, DÖV 1961, 41 (42). Vgl. auch die Stellungnahme der Bundesregierung zum Finanzreformgesetz 1969, BT-Drucks. V/2861 Tz. 22. 169 v. 29.7.1921 (RGBl. S. 961); § 11 Abs. 1 regelte den Übergang der Zuständigkeiten. 170 Ronneburger, Auftragsangelegenheiten des Reiches, 1931, S. 36 f. 171 Die Weimarer Reichsverfassung sah in ihrem Art. 108 auf Reichsebene die Errichtung eines Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich vor, der sich dann im Jahre 1921 in Leipzig konstituierte (ReichsG v. 9.7.1921, RGBl. S. 905; GOStGH v. 20.9.1921, RGBl. S. 1535). Allerdings kam ihm keine umfassende Verfassungsgerichtsbarkeit zu. Seine beschränkten Zuständigkeiten waren im wesentlichen diejenigen einer Staatsgerichtsbarkeit im engeren Sinne. Der Staatsgerichtshof stand von Beginn an nach

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

67

12.12.1925172 die darin bestimmte Ausfuhrungspraxis des Reichsgesetzes nicht beanstandet. Der amtliche Leitsatz lautet: „Das Reich ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, die ihm durch Art. 97 der Reichsverfassung übertragenen Aufgaben der Reichswasserstraßenverwaltung durch selbstgeschaffene Behörden durchzuführen." 173

§§ 18, 31 StGHG personell in starker Abhängigkeit vom Reichsgericht, welches gleichfalls seinen Sitz in Leipzig hatte (gem. § 2 des Gesetzes über den Sitz des Reichsgerichtes v. 11.4.1877, RGBl. S. 415), und den Oberverwaltungsgerichten. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes übte übergangsweise nach Art. 172 WRV ein „Senat mit sieben Mitgliedern", also ein vorläufiger StGH, seine Befugnisse aus. Ein zentrales deutsches Verfassungsgericht ist zuvor weder im Deutschen Bund von 1815 noch im Norddeutschen Bund von 1867 oder dem Deutschen (Kaiser-) Reich von 1871 zustande gekommen. Gleichwohl existierte die Idee einer unabhängigen gesamtdeutschen Verfassungsgerichtsbarkeit durchaus schon im 19. Jahrhundert, wie ein Blick in den umfangreichen § 126 der nicht in Kraft getretene Frankfurter Paulskirchenverfassung von 1849 zeigt, in dem sich bereits wesentliche Ausformungen heutiger Verfassungsgerichtsbarkeit finden. Die Paulskirchenverfassung bestimmt etwa in ihrem § 126 Buchst, a für Klagen eines Einzelstaates gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der Reichsverfassung die Zuständigkeit eines zu bildenden Reichsgerichtes, welches damit ganz offenbar staatsgerichtliche Züge trägt. Auch ist das in § 126 Buchst, g aufgeführte Recht bedeutsam, dem zufolge für Klagen eines deutschen Staatsbürgers wegen Verletzung der ihm durch die Reichsverfassung gewährten Rechte wiederum die Zuständigkeit des Reichsgerichtes begründet sein sollte; mit letzterem wurde das Recht der Verfassungsbeschwerde postuliert. Bekanntlich dauerte es noch 100 Jahre, bis deutschlandweit und länderübergreifend dieses Versprechen eingelöst wurde. Ein Teil der Länder (ζ. B. Bayern, Hessen, Thüringen und Württemberg) verfügte schon vor der Errichtung des Staatsgerichtshofes über eine eigene Verfassungsgerichtsbarkeit mit ζ. T. divergierenden Zuständigkeiten. Diese Gerichte entschieden über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des jeweiligen Landes nach der Maßgabe von Landesrecht (Art. 19 WRV). Zur Verfassungsgerichtsbarkeit und zum Staatsgerichtshof allg. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 209 ff. m. w. Nachw.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 667 ff. m. umfangr. w. Nachw.; Hesse, JöR 46 n. F. (1997), S. 1 (3: „... in seinen [StGH, d. Verf.] Aufgaben und seiner Wirksamkeit eine geschichtliche Entwicklungslinie fortgesetzt, welche zu den Wurzeln der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit zurückführt."); skeptisch bis ablehnend zur Verfassungsgerichtsbarkeit für das Deutsche Reich C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 49 ff: Von ihm stammt der Begriff „Hüter der Verfassung", er ordnet diese Funktion jedoch dem Reichspräsidenten als „pouvoir neutre" zu, aaO., S. 132 ff. Erst unter der Geltung des Grundgesetzes wurde durch das 19. Änderungsgesetz zum Grundgesetz im Jahre 1969 (BGBl. I S. 97) die Verfassungsbeschwerde grundgesetzlich garantiert (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG); zuvor war sie nur ein Institut des (einfachgesetzlichen) Verfassungsprozeßrechts (§§ 13 Nr. 8 a, 90, 92 ff. BVerfGG). 172 RGZ 112 Anhang S. 33 = JW 1926, S. 1454 = Lammers/Simon, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, Band 1, S. 115 ff., die eine ausführliche Tatbestandsdarstellung wiedergeben. 173 AaO.

68

Β. Historische Entwicklung

Auch die Reichsfinanzverwaltung bediente sich zur Erledigung bestimmter Aufgaben der Reichsauftragsverwaltung. 174 Nach § 20 RAO konnte die Verwaltung von Reichsvermögen Landesverwaltungsbehörden übertragen werden. Des weiteren konnten auf dem Gebiet des Reichssteuerrechts nach § 22 RAO Gemeinden und Gemeindeverbände gegen Entschädigung mit Geschäften der Finanzämter, welche Reichsaufgaben darstellten, betraut werden. Auf diesen Gebieten unterlagen die Landesverwaltungsbehörden den Anweisungen der obersten Reichsbehörden mit der Folge, daß eine „Verreichlichung" der gesamten Finanzverwaltung anzutreffen war. 175 Etliche weitere Beispiele für die Anwendung der Reichsauftragsverwaltung in der Staatspraxis der Weimarer Republik referieren Ronneburger 116, SchulteFrohlinde 177 und Schadeck™.

e) Verfassungsrechtliche

Zulässigkeit der Reichsauftragsverwaltung

Fraglich ist, ob die beschriebene Erweiterung der Reichsaufsichtsrechte zulässig war. 179 Dies wurde und wird von Teilen der Staatsrechtslehre bestrit-

174 Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 368; Ronneburger, Auftragsangelegenheiten des Reiches, 1931, S. 23; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 583 f.; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 52; Schäfer, DÖV 1960, 641 (642); Görg, DÖV 1961, 41 (42). S. auch Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnrn. 77 f. 175 Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 583. 176 Auftragsangelegenheiten des Reiches, 1931, S. 19 ff. 177 Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 29 ff. 178 Die Bundesauftragsverwaltung, 1951, S. 27 ff. 179 Die Zulässigkeit vertraten: Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, Art. 14 Anm. 3; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 4; Lassar, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 1, 1930 bis 1932, S. 314 f.; Heinemann, Die Reichsauftragsverwaltung, 1934, S. 10 ff.; Ronneburger, Auftragsangelegenheiten des Reiches, 1931, S. 12 f. Neuerer Provenienz: Schäfer, DÖV 1960, 641 (642); Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 6, 1981, S. 483; Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnrn. 1 f.; v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1. Aufl. 1953, Art. 85 Anm. 2; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 2; wohl auch Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 637 f.; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 240 f. 180 Eindringliche Darlegungen bei Forsthoff, in: AöR 19 (1930), S. 61 ff.; vgl. auch Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, Art. 14 Anm. 5. c.; Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 369 f., der mehrere Verfassungsänderungen

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

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Ausgangspunkt fur die Ansicht, welche die Zulässigkeit der Reichsauftragsverwaltung negiert, ist der Ansatz, daß es Art. 15 WRV dem Reichsgesetzgeber verbiete, dem Reich über die in der Norm genannten Anweisungs- und Beanstandungsrechte hinaus weitere Möglichkeiten zu verschaffen, in die Landesverwaltungstätigkeit im Rahmen von Reichsgesetzen einzugreifen. Das Recht der unmittelbaren Beaufsichtigung habe verfassungsändernden Charakter und könne demzufolge nur in der Form des Art. 76 WRV, also mittels einer Verfassungsänderung, beschlossen werden, zumal dadurch das fundamentale Konstitutionsprinzip Bundesstaat der Weimarer Reichsverfassung angetastet werde. 181 Art. 15 WRV müsse als Schutzvorschrift zugunsten der Länder verstanden werden und verbiete eine Perforierung des umrissenen Aufsichtsrechts, also ein direktes Anweisungsrecht des Reiches. 182 Der Vorbehalt des Art. 14 WRV zugunsten des Reichsgesetzgebers rechtfertige keinen Schluß a maiore ad minus dergestalt, daß die praktizierte Erweiterung der Reichsingerenzen mitumfaßt wäre. 183 Denn Reichsaufsicht und Reichsverwaltung seien begrifflich auseinanderzuhalten; 184 die auftragsweise Verwaltung durch die Länder anstelle der Schaffung von Reichsverwaltung nach Art. 14 WRV stelle kein minus, sondern ein aliud dar, welches nur durch eine ausdrückliche Verfassungsänderung einzuführen sei. 185 Die Reichsauftragsverwaltung als „extremes Zwischengebilde" entspreche daher nicht den verfassungsrechtlichen Anforde186

rungen. Dieser Auffassung steht entgegen, daß eine ausdrückliche Begrenzung, an die sich der Reichsgesetzgeber hätte halten müssen, im Verfassungstext nicht erkennbar ist. Daher läßt sich eine derartige Limitierung der Reichsrechte einzig durch eine verfassungsimmanente Argumentation begründen. Auch ein solcher Ansatz erscheint fraglich, da gerade keine spezielle Typologie der Verwaltung (etwa wie im Bonner Grundgesetz) in der Weimarer Reichsverfassung

für erforderlich hält (S. 372); Held, Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern in Gesetzgebung und Verwaltung, 1929, S. 13 ff. Aus heutiger Sicht ablehnend Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 23; i. E. gleichfalls Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 35 f.; wohl auch Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 48 ff. (insb. S. 53). Zweifel äußert Kummer, Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 29 FN 21. 181 Forsthoff,; in: AöR 19 (1930), S. 61 (81). 182 Forsthoff, ebenda, S. 61 (80 f.). 183 Forsthoff, ebenda, S. 61 (73). 184 Forsthoff, ebenda. 185 Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 369. 186 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 23.

70

Β. Historische Entwicklung

festgeschrieben worden ist. 1 8 7 Es ist daher wenig einsichtig, weshalb sie von vornherein der Schaffung eines neuen Verwaltungstypus entgegenstehen, d. h. Art. 15 WRV als Umgrenzung dienen sollte. Fernerhin stützen systematische Erwägungen diese Sichtweise: Der in Art. 14 WRV festgelegte Vorbehalt zugunsten des Reichsgesetzgebers ist dem Art. 15 WRV, der den Umfang der Reichsaufsicht näher umschreibt, vorangestellt. Art. 15 WRV kann daher mit seinem Regelungsgehalt nur in dem von Art. 14 WRV umgrenzten Bereich betrachtet und ausgelegt werden. Dieser Bereich ist - wie oben dargelegt - ein weiterer, ein umfassenderer, als der des Art. 15 WRV. Art. 14 WRV enthält nur einen Grundsatz, jedoch keine verfassungsrechtliche Garantie für die Länder; er erlangt nur subsidiäre Bedeutung. 188 Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Reichsvorbehalt verfassungsgesetzlich ausgestaltet wäre („..., soweit diese Gesetze nichts anderes bestimmen."). Derartiges findet sich indes im Verfassungstext nicht. Ein entsprechender, im Rahmen der Verfassungsberatungen diskutierter Antrag ist gerade nicht Inhalt der Verfassung und damit geltendes Recht geworden, 189 so daß auch das Ergebnis einer historischen Exegese die Unzulässigkeit der praktizierten Kompetenzerweiterung nicht zu begründen vermag. Die Tatsache, daß die Länder unter dem Rechtsregime der Weimarer Reichsverfassung im Verhältnis zum Kaiserreich deutlich in ihren Kompetenzen beschnitten sind, läßt die von der Gegenansicht dargelegte fundamentale Bundesstaatsidee der Weimarer Republik zumindest fragwürdig erscheinen. Auch eine grammatikalische Auslegung 190 führt zu diesem Schluß. Denn das „Ausführen der Reichsgesetze" nach Art. 14 WRV umfaßt begriffsnotwendig den gesamten Gesetzesvollzug, folglich auch die untrennbar mit diesem Vollzug verbundene Reichsaufsicht. 191

187 Das räumt auch Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnrn. 20 u. 23, ein. Item konzediert er, daß Art. 15 WRV wohl nur prinzipiell abschließend sei. 188 Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, 1932, Art. 14 Anm. 4. a. 189 Gebhard, ebenda. 190 Zu den Auslegungstopoi Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 457 ff.; Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320 ff. 191 Dies bestreitet Forsthoff, in: AöR 19 (1930), S. 61 (73), der die unmittelbare Reichsaufsicht und somit die Einführung einer Reichsauftragsverwaltung als aliud verstanden wissen will.

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

71

Wird ferner bedacht, daß zum einen auch unter der Reichsverfassung von 1871 ein auftragsähnlicher Verwaltungstypus praktiziert wurde 192 , ohne die Zulässigkeit zu erörtern, 193 und zum anderen auch die Staatspraxis der Weimarer Republik diesen Verwaltungstypus wieder aufnahm, ist die Zulässigkeit der Erweiterung der Aufsichtsbefugnisse über Art. 15 WRV hinaus zu bejahen. Art. 15 WRV zog der Modifikation des landeseigenen Vollzuges von Reichsgesetzen keine Grenzen. Die administrative Eigenverantwortung der Länder erlaubte entsprechende Eingriffe.

f) Schicksal der Reichsauftragsverwaltung

am Ende der Weimarer Republik

Eine erste systematische staatsrechtliche Durchdringung des Verwaltungstypus der Reichsauftragsverwaltung erfolgte im Zusammenhang mit den Reichsreformplänen der Jahre 1928 bis 1930 in der Länderkonferenz für Reichsreform. 194 Dieses Gremium tagte in diesen Jahren wiederholt und bestand aus Vertretern der Reichs- und Landesregierungen sowie aus Ministerialbeamten. Im Rahmen dieser Konferenz verständigten sich die Teilnehmer darauf, daß eine Reichsauftragsverwaltung im breiten Umfang eingeführt werden sollte. 195 Eine Umsetzung des Reformwerkes scheiterte an den damaligen politischen Umständen, zunächst an der fehlenden innenpolitischen Stabilität in Deutschland eingangs der Dreißiger Jahre und endgültig nach der Machtergreifung Hit-

192 Das Reich hatte seine Kompetenzen über Art. 4 RV 1871 hinweg erweitert, so daß es zweifelhaft erscheint, ob die Aufsicht „eine einigermaßen feststehende, geschlossene Gestalt gewonnen" hatte (so aber Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 22). 193 Dazu s. ο. Β. II. 2. Zur Entstehungsgeschichte des Art. 15 WRV Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl. 1928, Art. 15 Anm. 2. 194 Zum Inhalt dieser Konferenz Peters, in: Reich und Länder 1928/29, S. 366 ff.; Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 33 ff.; Medicus, Reichsreform und Länderkonferenz, 1930, der auch den Wortlaut der gefaßten Beschlüsse (S. 65 ff.) wiedergibt. Allg. zu der Verfassungs- und Verwaltungsreformdiskussion in der Spätphase der Weimarer Republik s. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 447 ff. sowie Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 698 ff., jeweils m. umfangr. w. Nachw. 195 Niederschrift über die Verhandlung der Verfassungsausschusses der Länderkonferenz v. 21.6.1930, S. 62. Die Auftragsverwaltung wurde mitunter auch als ein untaugliches Mittel angesehen. Beispielhalber bezeichnete sie Held (zitiert nach Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 33 FN 3) „als eine Pumpe, mit deren Hilfe es gelinge, den letzten Rest von Zuständigkeit aus den Ländern herauszusaugen."

Β. Historische Entwicklung

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lers. 196 1934 fand durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches 197 die völlige Gleichschaltung statt. Das Reich wurde auch formell zu einem Einheitsstaat umgestaltet: Durch Art. 1 dieses Gesetzes wurden die Volksvertretungen der Länder aufgehoben, und Art. 2 Abs. 1 regelte den Übergang der Hoheitsrechte der Länder auf das Reich. 198 Für eine Reichsauftragsverwaltung war somit keinerlei Raum mehr. 199 Die Länder existierten fortan nur mehr als ihrer Staatlichkeit beraubte Verwaltungsbezirke; für partikuläre Staatsgebilde war in der neu gestalteten einheitsstaatlichen Grund- und Rechtsordnung kein Platz mehr, 200 da der Nationalsozialismus zentralistisch war; die Einheit der Nation, die Zusammenfassung aller ihrer Kräfte und der Führerstaat verwiesen alles auf Zentralisierung, der Föderalismus wurde als schlechte Tradition der deutschen Geschichte angesehen und abgelehnt. Dennoch blieben die Beratungen der Länderkonferenz nicht folgenlos. Vielmehr beeinflußten sie nicht unerheblich die Ausgestaltung der heutigen Bundesauftragsverwaltung und bildeten somit das staatsrechtliche Fundament für die verfassungsrechtliche Regelung im Bonner Grundgesetz von 1949. 201 196

Deuerlein, Föderalismus, 1972, S. 194 ff; Flemming, Entwicklung und Zukunft des Föderalismus in Deutschland, 1980, S. 123 ff. Zur sog. Machtergreifung zuletzt umfassend Turner, Hitlers Weg zur Macht, 1997; s. auch Fest, Hitler, Eine Biographie, 5. Aufl. 1995, S. 533 ff. 197 v. 30.1.1934 (RGBl. IS. 75). 198 Zur Verwaltungspraxis im 3. Reich Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 794 ff. 199 Durch dieses Gesetz war den Ländern ihre Eigenstaatlichkeit genommen, indem die Hoheitsrechte der Länder und ihrer Parlamente eliminiert, d. h. ausnahmslos auf das Reich übertragen wurden; sie wurden zu bloßen Verwaltungsbezirken des Reiches umgewandelt. Die traditionelle Dichotomie der Verwaltung in Deutschland war damit beseitigt. Einer Auftragsverwaltung der Länder war damit im geschaffenen Einheitsstaat sowohl die Grundlage als auch die Existenzberechtigung entzogen. Der Einheitsstaat war verwirklicht. Dazu Frotscher, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 137; Morsey, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 699; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 787 f.; Schaefer, in: Böckenforde (Hrsg.), Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, 1985, S. 89 ff. (insb. 91 ff.). Speziell zum Ende der Auftragsverwaltung Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 39 ff. Aus nationalsozialistischer Sicht Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, 3. Aufl. 1938, S. 113 ff. 200 Exemplarisch aus der damaligen Literatur Koellreutter, Deutsches Verfassungsrecht, 3. Aufl. 1938, S. 107 ff. (S. 108: „..., daß die nationalsozialistische Weltanschauung politisch einem Bundesstaatsbegriff, wie er sich in den letzten 60 Jahren in Deutschland entwickelt hatte, keinen Raum mehr gibt.... Das Problem der Länder sinkt damit zu der Frage einer sinnvollen Gestaltung von Verwaltungseinheiten herab."). 201 Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 2; Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 14 ïï.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 16; Schäfer, DÖV 1960, 641 (642).

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

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Bei den Beratungen konnte der Gedanke einer Auftragsverwaltung als spürbare Besinnung auf eine Refoderalisierung des nationalistischen Einheitsstaates wieder aufgenommen werden. 202 Denn dem Parlamentarischen Rat waren die staatsrechtlichen Erwägungen in der Zeit der Weimarer Republik durchaus ge203

genwartig.

2. Haftungsfrage Auch in der Weimarer Republik spielte - wie auch im Kaiserreich - die Haftungsfrage zwischen dem Reich und seinen Ländern bei einem rechtswidrigen Verhalten von Reichs- oder Landesbehörden keine Rolle. Die Weimarer Reichsverfassung enthielt - wie auch die Reichsverfassung von 1871 - keine Haftungsnorm; eine Haftung der Länder gegenüber dem Bund war von Verfassungs wegen nicht vorgesehen. Die Reichsaufsicht nach Art. 15 WRV und auch die Reichsexekution nach Art. 48 Abs. 1 WRV schieden zur Geltendmachung von Ersatzforderungen aus. Durch etwaige rechtswidrige Weisungen verursachte Schädigungen sind in der Staatspraxis nicht erkennbar; die staatswissenschaftliche Literatur beschäftigte sich hiermit nicht. Einzig bei derjenigen Abgabenverwaltung, innert derer die administrative Körperschaft nicht oder nicht ausschließlich die ertragsberechtigte Körperschaft darstellt, reagierte das Reich auf Vorstöße der Länder, es wegen eines Fehlverhaltens auf Schadensersatz zu belangen,204 im Jahre 1930 mit der Regelung des § 10 a RAO. 2 0 5 Die Norm lautete wie folgt: „Wird infolge einer Amts-

202

So der Abgeordnete Strauß in der 45. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, Sten. Bericht S. 595, der umfassend auf die Länderkonferenz von 1928 bis 1930 rekurriert. In dieser Sitzung fielen die wesentlichen Entscheidungen (nach durchaus im einzelnen kontrovers geführter Debatte) über die endgültige Fassung des Art. 85 GG (damals Art. 113 des Grundgesetzentwurfs). 203 Allgemein zur Reaktion des Bonner GG auf die NS-Diktatur Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, 4. Aufl. 1999, S. 38 ff. u. 195 ff. 204 Einzelheiten bei U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 154. 205 Eingeführt durch eine Notverordnung nach Art. 48 Abs. 2 Satz 1 WRV v. 1.12.1930 (RGBl. I S. 517 [547], später § 23 RAO (eingeführt durch die Bekanntmachung der Reichsabgabenordnung des Reichsbewertungsgesetzes und des Vermögenssteuergesetzes v. 22.5.1931 - RGBl. I S. 161 [165]). Vertiefend dazu Kummer, Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 29 ff.; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 154 f.; W. Schulze, DÖV 1972, 409 (410). Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 396 f., übersieht diese Vorschrift.

74

Β. Historische Entwicklung

oder Dienstpflichtverletzung eines im Dienste des Reiches, eines Landes, einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes oder einer Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechtes stehenden Amtsträgers (§ 10 Abs. 3 Satz 1, 2) oder Angestellten eine Steuer zu niedrig oder zu spät festgesetzt, erhoben oder beigetrieben oder eine Steuerbeteiligung zu niedrig oder zu spät festgesetzt, so kann die Körperschaft des öffentlichen Rechtes, fur deren Rechnung die Steuer erhoben wird oder die an dem Auskommen aus der Steuer beteiligt ist, wegen der Amtsoder Dienstpflichtverletzung Schadensersatz nur dann verlangen, wenn die Amts- oder Dienstpflichtverletzung mit einer im Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden öffentlichen Strafe bedroht ist. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn die Körperschaft vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels anzuwenden." Die durch diese Regelung mögliche Haftung von Körperschaften des öffentlichen Rechts untereinander wurde auf diejenigen Pflichtverstöße des einzelnen Bediensteten begrenzt, die einen Straftatbestand darstellten. 206 Die Norm fand soweit ersichtlich - weder im allgemeinen noch in speziell weisungsrechtlichen Fragestellungen Anwendung. § 10 a RAO wurde 1931 in den inhaltsgleichen § 23 RAO transformiert. 207 Mit Jeddeloh 208 ist festzustellen, daß sich die Haftungsfrage in der Weimarer Republik - hier als speziell bundesstaatliches Problem behandelt - wegen des Fehlens einer entsprechenden föderativen Grundlage nicht stellen konnte.

3. Fazit Die Eigenständigkeit der Länder wurde in der Weimarer Republik bereits durch den Verfassungstext selbst, später dann auch durch die Reichsgesetzgebung stark eingeschränkt. Der Gedanke der auftragsweisen Verwaltung hat nach 1919 weiter an Kontur gewonnen. Es fehlte zwar weiterhin eine verfassungsrechtliche Normierung dieses Verwaltungstyps, dennoch wurde er auf der Grundlage einzel- und einfachgesetzlicher Ermächtigungen selbstverständli-

206 Einzelheiten bei Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 30 ff; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 64. 207 RGBl. IS. 161.; vgl. dazu auch Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 64: Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 17. 208 Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 33 f.; i. E. auch U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 155 f.

III. Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik

75

eher Teil der „gelebten" Verfassungspraxis, 209 auch wenn das staatsrechtliche Schrifttum nicht ungeteilt von der Zulässigkeit dieser Vorgehensweise ausging. Nach 1933 war fur eine Reichsauftragsverwaltung, die durchaus noch föderale Züge in sich trug, in Deutschland kein Raum mehr; sie fiel der zentralistischen Gleichschaltung der Länder ersatzlos zum Opfer. Im Rechtsverhältnis zwischen Reichs- und Landesbehörden bei der Reichsauftragsverwaltung wurzelnde Haftungsfragen spielten auch unter der Weimarer Reichsverfassung keine Rolle. Eine geeignete Haftungsnorm stand nicht zur Verfugung. Die Zeit von 1933 bis 1945 hat Traditionsbildendes für die hier in Rede stehende Frage der innerstaatlichen Verwaltungshaftung nicht beigetragen.

209

Es kann angesichts der Vielzahl der Verwaltungsbereiche und ihrer Wichtigkeit für das staatliche Gemeinwesen im einzelnen nicht davon die Rede sein, daß es sich nur um eine „Ausnahmeerscheinung" für „einige wenige unbedeutende Verwaltungszweige" gehandelt habe; so aber Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 637 f.

C. Die Bundesauftragsverwaltung I . Die Entstehung des Art. 85 G G 1. Anknüpfung an alte Verfassungspraxis Bei den Beratungen zur Entstehung des Bonner Grundgesetzes wurden die im Norddeutschen Bund bzw. im Deutschen Kaiserreich von 1871 entstandenen und unter der Weimarer Reichsverfassung zur ständigen Verfassungspraxis verfestigten Frühformen auftragsweiser Verwaltung folgerichtig wieder aufgegriffen. 1 Der Abschlußbericht der Länderkonferenzen für Reichsreform aus dem Jahr 1930, der die reichsweite Einführung einer Reichsauftragsverwaltung als eigenständigen Verwaltungstyp empfahl, fand also in diesen Vorarbeiten zum Grundgesetz nach der „Refoderalisierung" Deutschlands seine Fortführung. Hierfür spricht neben der augenfälligen sachlichen Teilidentität der vorgeschlagenen Regelung mit den Vorentwürfen und der Endfassung des Art. 85 GG auch die ausdrückliche Bezugnahme des an der Ausarbeitung dieser Norm mitbefaßten Dr. Strauß 2, der anhand der Reichswasserstraßenverwaltung die wesensmäßigen Gemeinsamkeiten zur geplanten oder zumindest diskutierten Bundesauftragsverwaltung exemplarisch aufzeigte. Es kann daher nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden, daß dieser Reformgedanke Pate bei der Schaffung gestanden und maßgeblichen Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung des Art. 85 GG ausgeübt hat.3 Allein der Umstand, daß der verfassungsgeschichtliche Vorläufer nicht noch ausdrücklicher im Mittelpunkt der parlamentarischen Beratungen gestanden hat, kann für sich genommen die offensichtli-

1 Nach Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 24, hat das GG „auf diesen geschichtlichen Hintergrund sinnvoll reagiert." 2 In der 45. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 19.1.1949, Sten. Bericht, S. 595. 3 So auch Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 14; Schulte-Frohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 43; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 807; Schäfer, DÓV 1960, 641 (642). Zweifelnd Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 44; ihm folgend Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 24.

78

. Die Bundesauftragsverwaltung

che Existenz gedanklicher Verbindungslinien nicht desavouieren.4 Schließlich sei noch angemerkt, daß in der Endfassung, die der Art. 85 GG gefunden hat, sogar der Begriff „Auftragsverwaltung", der in dem Herrenchiemseer Entwurf noch mit voller Absicht vermieden wurde, Verwendung gefunden hat.5

2. Die Genese des Art. 85 GG Die Zeit nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war in staatsrechtlicher Hinsicht geprägt von dem überaus verständlichen Bemühen um eine deutliche Abkehr von jedweden einheitsstaatlichen Vorstellungen. Deutschland als zentralistisch verwaltetes Staatswesen war nach innen und außen diskreditiert. Das vorherrschende staatsphilosophische Ideengut war - sicherlich auch bedingt und forciert durch Ansichten und Interventionen der Besatzungsmächte gekennzeichnet von einer länderfreundlichen Einstellung; es galt, die föderalistische Tradition der deutschen Verfassungsgeschichte fortzusetzen, der Föderalismus war nunmehr die Staatsorganisationsform der Zukunft. Eine besonders deutliche Konsequenz der genannten bundesstaatlichen Tendenzen zeigte sich im Vorfeld der Verfassungsgebung im Umgang der verschiedenen Beratungsgremien mit dem hochsensiblen (Kern-) Bereich der bundesstaatlichen Kompetenzabgrenzung insbesondere bei der Exekutive. So war es nur folgerichtig, daß sich die Versammlung auf Herrenchiemsee, 6 die die Arbeit des Parlamentarischen Rates vorbereiten sollte, ohne selbst bereits ver-

4 Anders Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 45, der die Auffassung vertritt, daß die lediglich beiläufige Erwähnung der Länderkonferenz durch den Abgeordneten Strauß keinen eindeutigen Beweis für den Einfluß des dortigen Konzeptes auf die Beratungen des Art. 85 GG zu liefern vermöge. 5 Auf diese Auffälligkeit weist Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 41, zutreffend hin. 6 Dieser Sachverständigenausschuß, der sog. (Verfassungs-) Konvent auf Herrenchiemsee, tagte vom 10. bis zum 23. August 1948 im Alten Schloß auf der Herreninsel des oberbayerischen Chiemsees. Jedes der elf Länder war durch einen Bevollmächtigten vertreten, hinzu kamen 14 Mitarbeiter und weitere Sachverständige. Kenntnisreich und eingehend über die einzelnen Personen, den Geist und die Arbeitsweise dieses Herrenchiemseer Konvents Carlo Schmid , Erinnerungen, 3. Band, 1979, S. 334 ff. (S. 334: „Der Verfassungskonvent stellte ein seltsames Gemisch verschiedenster politischer Richtungen, verfassungsrechtlicher Theorien und 'Zugehörigkeiten' dar."); siehe auch Dennewitz, in: BK, Einl. S. 52 ff.; sehr umfassend und detailreich Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 1246 ff; Zur Namenskonfüsion des Ausschusses siehe Mußgnug, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 1987, § 6 Rdnr. 39 FN 41; sowie Stern, aaO., S. 1251.

I. Die Entstehung des Art. 85 GG

79

fassungspolitische Vorentscheidungen zu treffen, 7 auch dem Verwaltungstypus der Bundesauftragsverwaltung zunächst nur mit einer gewissen Zurückhaltung näherte. 8 Dieses schlug sich dann nieder in der eben angesprochenen absichtlichen Vermeidung des Begriffes „Auftragsverwaltung" zugunsten der als milder empfundenen und die Selbständigkeit der Länder bei der Verwaltung von Bundesgesetzen begrifflich mehr wahrenden Formulierung „Landesverwaltung nach Weisung". Es wurde durch die vorgenommene Wortwahl - ein bis dahin unbekannter terminus - die Zuordnung dieser Verwaltungsform zur Landesverwaltung unterstrichen 9 sowie deutlich gemacht, daß die Länder zum Bund nicht in dem gleichen Subordinationsverhältnis stünden wie die Gemeinden zum Land. 10 Den Ländern sollte auf dem Gebiete der Verwaltung das Übergewicht eingeräumt werden, um so eine Neuauflage der „Verreichlichung" der Verwaltung, mittels derer die Weimarer Republik den Wirkungsbereich der Länder entscheidend beschnitten hatte,11 zu verhindern. Art. 113 Ch. E. hatte folgenden Wortlaut: „Soweit die Bundesgesetze durch die Länder nach Weisung des Bundes ausgeführt werden, bleibt die Einrichtung der Behörden im Rahmen der Bundesgesetze Angelegenheit der Länder. Der Bund kann Vorschriften über die einheitliche Ausbildung der Beamten und Angestellten sowie über seine Mitwirkung bei der Bestellung der Leiter der Ober- und Mittelbehörden erlassen." (Abs. 1). „Die Landesbehörden unterstehen den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden." (Abs. 2). Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee verstand die von ihm so bezeichnete „Landesverwaltung nach Weisung" als „die Ausführung durch die Länder (Landesbehörden) als vom Bund übertragenen Angelegenheit mit Weisungsrecht des Bundes (Bundesregierung)". 12 Sie stand als eine der vier zuläs-

7

Carlo Schmid , Erinnerungen, 3. Band, 1979, S. 335, spricht von „einer Art Denkschrift", ein „Arbeitspapier", das „niemanden verpflichten konnte". 8 Umfassend zur Genese des Art. 85 GG Schadeck, Die Bundesauftragsverwaltung, 1951, S. 49 ff.; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 56 bis 67. Auch der Sachverständigen-Konvent selbst maß sich nicht die Aufgabe eines „Vorparlamentes" zu, vgl. Mußgnug in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 1987, § 6 Rdnr. 40 m. w. Nachw. 9 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 39; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 97; wohl auch Schäfer, DÖV 1960, 641 (642). 10 Dieses Motiv hebt Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 41, hervor. 11 Dazu ausführlich oben B. III. 1. a). 12 Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, S. 49.

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. Die Bundesauftragsverwaltung

sigen Formen der Ausführung von Bundesgesetzen gleichberechtigt neben der landeseigenen, der bundeseigenen und der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung 13 und fand sich folgerichtig im Abschnitt über die „Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung" wieder. Der Anwendungsbereich der Verwaltung im Auftrage des Bundes wurde durch diesen Entwurf auf wenige Fälle „besonderen Bedürfnisses" 14 eingegrenzt. Dies trägt dem Bemühen um eine möglichst weitgehende Erhaltung landesautonomer Verwaltung Rechnung. Erheblich relativiert wurde das vorgenannte Konzept eines nur punktuellen Anwendungsbereiches der Bundesauftragsverwaltung allerdings durch die Regelung des Art. 105 Ziff. 3 Ch. E., wonach auch im Bereich anderer Materien mit Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit des Bundesrates - eine nicht zu unterschätzende Kautel - Landesverwaltungen nach Weisung hätten eingerichtet werden können. Die eigentlichen verfassungspolitischen Entscheidungen blieben, soweit es die noch sehr unvollkommene deutsche staatliche Souveränität zuließ, dem Parlamentarischen Rat vorbehalten. Dieser trat am 1. September 1948 in Bonn zusammen und tagte dort bis zum Mai des folgenden Jahres. 15 Im Zuge der Beratungen des Parlamentarischen Rates veränderte sich - entgegen dem ersten Anschein - die Phänotypik der Bundesauftrags Verwaltung nur unwesentlich.16 Wichtigste und augenfälligste Änderung war dabei die Ersetzung der noch in Art. 113 Ch. E. verwandten Bezeichnung „Landesverwaltung nach Weisung" durch die Formulierung „im Auftrage des Bundes". Hintergrund dieser Modifi-

13

Ebenda. Gedacht war an die Verwaltung der vormaligen Reichswasserstraßen (Art. 118 Ch. E.), die schon unter der Ägide der Weimarer Reichsverfassung auftragsweise durch die Länder erfolgte, und der dem Bund zufließenden Abgaben (Art. 123 Ch. E.). Dazu JöR Bd. 1 (1951), S. 636; Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 2. Vgl. auch Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 3. 15 Er wurde gebildet aus 65 gewählten Repräsentanten der Landtage der elf Länder in den drei westlichen Besatzungszonen nebst fünf Berliner Vertretern mit beratender Stimme. Zum größten Teil handelte es sich bei den Mitgliedern um Juristen; fast die Hälfte seiner Mitglieder hatte vor 1933 dem Reichstag oder den Landtagen angehört, einige von ihnen waren sogar schon Mitglieder der Nationalversammlung von 1919 gewesen, so daß enorm komprimierte Sachkunde und politische Erfahrung garantiert waren. Umfassend zur Arbeit des Parlamentarischen Rates Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949, 1998; Eckert, in: Alexy/Laux (Hrsg.), 50 Jahre GG, 2000, S. 15 (22 ff). S. auch Dennewitz, in: BK, Einl. S. 91 ff.; Mußgnug, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 1987, § 6 Rdnrn. 45 ff.; knapper etwa Denninger, in: AK-GG I, 3. Aufl. 2001, Einl. I Rdnrn. 21 ff. 16 Allgemein läßt sich sagen, daß die spätere Gliederung des Grundgesetzes in erstaunlich hohem Maße mit dem Aufbau des Herrenchiemsee-Entwurfs übereinstimmt. 14

I. Die Entstehung des Art. 85 GG

81

kation war die Notwendigkeit, das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG von der Möglichkeit einer Einzelweisung im Bereich der landeseigenen Verwaltung von Bundesgesetzen nach Art. 84 Abs. 5 GG abzugrenzen. Denn das zuletzt genannte Weisungsrecht des Bundes war im Herrenchiemseer Verfassungsentwurf noch nicht vorgesehen, 17 so daß nunmehr zwecks Vermeidung einer terminologischen Konfusion eine begriffliche Klarstellung mehr als wünschenswert erschien. 18 Alle übrigen vorgenommenen Änderungen sind marginaler Natur, 19 auch wenn das Weisungsrecht seine endgültige Gestalt erst in den Beratungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates gefunden hat. 20

3. Fazit Es bleibt festzustellen, daß die grundgesetzliche Regelung des Art. 85 GG nur als Frucht ihrer Geschichte zu verstehen ist. Die endgültige Fassung der Bundesauftragsverwaltung im Gefüge des Grundgesetzes stellt den Schlußpunkt einer Entwicklung dar, die sich über einen Zeitraum von annähernd einem Jahrhundert und nur vorübergehend unterbrochen von den 12 Jahren Terrorherrschaft des Dritten Reiches vollzogen hat. 21 Aus den praeter Constitutionen! latam herausgebildeten unscheinbaren Anfangen auftragsweiser Verwal17

Vgl. Art. 114 Ch. E. Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 52; Zeis e, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 98; Wo Ist, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 39 f.; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 66 f.; SchulteFrohlinde, Die Bundesauftragsverwaltung nach dem Bonner Grundgesetz und ihre Entstehung, 1957, S. 44 f. Zu Unrecht benennt Wolst, aaO., in diesem Zusammenhang Nawiasky (Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 41), Dehmel (Übertragener Wirkungskreis, Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970, S. 74 FN 61) und v. Mangoldt (Das Bonner Grundgesetz, 1. Aufl. 1953, Art. 85 Anm. 2) als Literaturvertreter, die - seiner Auffassung nach - dieser Änderung eine weitergehende grundsätzliche Bedeutung zumessen. In ihr soll sich danach ein Sinneswandel des Verfassungsgebers im Verhältnis des Bundes und der Länder manifestieren. Die gebrauchten Formulierungen (etwa bei v. Mangoldt, aaO., der ausdrücklich von einer „Klarstellung" spricht) vermögen eine solche Deutung jedoch nicht zu tragen; vielmehr gehen auch diese Autoren von einer inhaltlichen Übereinstimmung beider Texte - unabhängig von dem jeweiligen VerwaltungsVerständnis - und nicht von einer etwaigen bemerkenswerten Differenz aus. 18

19 So auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 96 f. 20 Genaue Nachweise in: JöR Bd. 1 (1951), S. 636. 21 Stein, Untersuchung der Möglichkeiten der Erweiterung der Bundesauftrags Verwaltung, 1970, S. 16, will in der Verwendung des Begriffes „Auftragsverwaltung" sogar ein Anknüpfen an das preußische Selbstverwaltungsrecht erkennen. 6 Jaiiz

82

. Die Bundesauftragsverwaltung

tung, die überdies lange Jahre nicht diesen Namen trug, wurde schließlich 1949 endgültig eine eigenständige und nun auch verfassungsrechtlich normierte Verwaltungsform im Bundesstaat.

I I . Das Gefüge grundgesetzlicher Vollzugsmodelle Gegenstand der Regelung des Art. 85 GG ist die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder „im Auftrage des Bundes". In Anknüpfung an die spätestens seit der Weimarer Zeit praktizierte und als eigene Verwaltungsform anerkannte Reichsauftragsverwaltung 22 hat sich für das dort normierte Rechtsinstitut die Bezeichnung „Bundesauftragsverwaltung" eingebürgert. Der Begriff der Bundesauftragsverwaltung ist dem Grundgesetz selbst unbekannt. Insbesondere findet er auch in Art. 85 GG keine Erwähnung. Andernorts (Art. 87 d Abs. 2, Art. 89 Abs. 2 Satz 3 GG) verwendet das Grundgesetz lediglich den Ausdruck „Auftragsverwaltung". 23 Gleichwohl sollte an dem Terminus „Bundesauftragsverwaltung" angesichts seiner inhaltlichen Schärfe und Prägnanz festgehalten werden. Denn abgesehen davon, daß die anderen in der Literatur vorgeschlagenen Begriffe 24 sich nicht haben durchzusetzen vermögen, umreißt er treffend das maßgebende strukturprägende Unterscheidungskriterium dieser Verwaltungsform gegenüber den weiteren vom Grundgesetz vorgesehenen Möglichkeiten administrativer Ausführung von Bundesgesetzen. In den Artt. 83 ff. GG hat das Grundgesetz für die exekutivische Umsetzung von Bundesgesetzen folgende Vollzugsmodelle vorgesehen:

1. Der Regelfall: Landeseigenverwaltung Art. 83 GG legt als Regelfall den Vollzug der Bundesgesetze durch die Länder fest. Er konkretisiert damit für den Bereich der Exekutive die generelle Haltung des Grundgesetzes, welches die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben primär zur Sache der Länder erklärt, Art. 30 GG. Bei der landeseigenen Verwaltung führen die Behörden des Landes oder landesunmittelbare Einrichtungen der mittelbaren Staatsverwal22 Die Zulässigkeit dieser Reichsauftragsverwaltung war durchaus nicht unbestritten, siehe dazu oben B. III. 1. e). 23 Zu den unterschiedlichen Begriffsbildungen siehe Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 9 m. w. Nachw. 24 Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 808, etwa schlägt die Bezeichnung „Verwaltung der Länder im Auftrag des Bundes" als eine korrektere und genauere vor.

II. Das Gefüge grundgesetzlicher Vollzugsmodelle

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tung die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, solange nicht das Grundgesetz etwas anderes bestimmt oder zuläßt. Die Länder werden bei dem Gesetzesvollzug grundsätzlich eigenverantwortlich aus eigener, nicht abgeleiteter Staatsgewalt tätig und unterliegen nur der als Rechtsaufsicht ausgestalteten Bundesaufsicht (Art. 84 Abs. 3 GG). Die Bundesregierung besitzt das Recht, das Verwaltungshandeln unter dem Gesichtspunkt der richtigen Gesetzesanwendung zu prüfen. Wichtigstes Instrument der Rechtsaufsicht ist die nach Art. 84 Abs. 4 GG bestehende Möglichkeit der Bundesregierung festzustellen, daß eine Rechtsverletzung seitens des Landes vorliegt (sog. Mängelrüge). Beseitigt daraufhin das Land den Mangel, so ist ohne weiteres das Aufsichtsverfahren beendet; anderenfalls können beide Seiten den Bundesrat befassen. Der Bund kann ferner zwar durch gesetzliche Bestimmung der Einrichtungen der Behörden und des VerwaltungsVerfahrens (Art. 84 Abs. 1 GG) sowie durch den Erlaß von allgemeinen Verwaltungs Vorschriften (Art. 84 Abs. 2 GG) auf die Landesverwaltung einwirken, die Befugnis zu Einzelweisungen steht ihm aber nur ausnahmsweise aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung zu (Art. 84 Abs. 5 GG). Bei allen diesen gesetzlich festzulegenden Einwirkungsbefugnissen ist zwecks Sicherung der Bundesstaatlichkeit und Berücksichtigung der Länderinteressen die Zustimmung des Bundesrates erforderlich.

2. Die Ausnahme: Bundeseigenverwaltung Das spiegelbildliche Gegenstück zur landeseigenen Verwaltung stellt die bundeseigene Verwaltung nach Art. 86 GG dar. Gegenüber dem Regelfall der Landeseigenverwaltung bildet dieser zweite Verwaltungstyp die Ausnahme. Als Gegenstände bundeseigener Verwaltung sieht das Grundgesetz in Artt. 87 bis 90, 108, 114 und 120 a GG jeweils Bereiche vor, die durch ein überragendes bundesstaatliches Interesse an einem bundeseigenen Vollzug gekennzeichnet sind. Bei der bundeseigenen Verwaltung wird die Verwaltung durch eigene Behörden des Bundes oder in Form mittelbarer Staatsverwaltung durch bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechtes wahrgenommen. Die Länder sind von einer Mitwirkung völlig ausgeschlossen, auch seitens des Bundesrates findet keine Partizipation statt. Der Bund kann seine Eigenverwaltung nach Art. 86 GG unmittelbar durch eigene Behörden oder durch verselbständigte Verwaltungsträger, nämlich durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, wahrnehmen. 3. Die dritte Verwaltungsform: Bundesauftragsverwaltung Mit der Bundesauftragsverwaltung gestaltet das Grundgesetz einen Verwaltungstyp positivrechtlich aus, bei dem Bundesgesetze weder von bundes-

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. Die Bundesauftragsverwaltung

eigenen Behörden noch von den Bundesländern als eigene Angelegenheit ausgeführt werden. Das Institut der Bundesauftragsverwaltung verbindet vielmehr Bund und Länder bei der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben in einer Weise, die sich von dem Normalfall bundesstaatlicher Aufgabenwahrnehmung deutlich abhebt. Damit wurde ein auf der Ebene des geschriebenen Verfassungsrechts bislang unbekannter Zwischentyp 25 föderaler Kompetenzaufspaltung institutionalisiert. Der Bundesauftragsverwaltung und der Landeseigenverwaltung nach Art. 83 GG gemein sind die (grund-) gesetzliche Regelung der jeweiligen Aufgabe durch den Bundesgesetzgeber (Artt. 70 ff. GG) und die Ausführung der Gesetze durch die Länder (Artt. 83 ff. GG). Erhebliche Unterschiede bestehen indes bezüglich des Maßes von Einwirkungsbefugnissen des Bundes bei der Ausgestaltung der Vollzugsverwaltung sowie dann speziell bei dem Verwaltungsvollzug selbst. Der Aufsichtsmaßstab (bloße Rechtsaufsicht auf der einen, Fachaufsicht über die Gesetz- und Zweckmäßigkeit auf der anderen Seite) und daran anschließend die Eingriffsrechte des Bundes sind bei der landeseigenen Ausführung von Bundesgesetzen erheblich geringer als bei der Bundesauftragsverwaltung. Die Kompetenz zum außenrechtswirksamen Handeln verbleibt indes bei beiden Verwaltungsformen beim jeweiligen Land. Die Bundesauftragsverwaltung ist dadurch gekennzeichnet, daß den zuständigen Bundesorganen in Art. 85 Abs. 2 und 3 GG das Recht zu besonders intensiver Einflußnahme auf den Gesetzesanwendungsprozeß der Landesvollzugsorgane und in Absatz 4 ein allgemeines Bundesaufsichtsrecht zugebilligt werden. Dieser Umstand vermag die Bundesauftragsverwaltung bei umfassender Wahrnehmung dieser Rechte durch den Bund hinsichtlich der praktischen Auswirkungen in die Nähe des bundeseigenen Gesetzesvollzugs zu rücken. 26 Der Verwaltungstypus der Bundesauftragsverwaltung stellt eine dritte eigenständige Verwaltungsform dar 27 , bei der die Wahrnehmungskompetenz unentziehbar den einzelnen Bundesländern, die Sachkompetenz hingegen dem Land

25

Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 808, spricht von einem „Mittelding" zwischen landeseigener und bundeseigener Verwaltung und beruft sich auf Kratzer (in: BaySt.Anz. Nr. 13 v. 1. Juni 1950, S. 4). Die Frage der Rechtsnatur der Bundesauftragsverwaltung wird unten zu erläutern sein. Zu den praeter Constitutionen! latam entwickelten Formen auftragsähnlicher Verwaltungen in der (Verfassungs-) Geschichte Β. II. 2. u. III. 1. 26 Das betonen Steinberg, Die Bundesaufsicht, Landeshoheit und Atomgesetz, 1990, S. 4; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnrn. 5 u. 16 f.; Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 84 f. (S. 84: „ ..., so daß die Grenzen zur bundeseigenen Verwaltung verschwimmen können."). 27 Unstr., s. nur Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 1.

II. Das Gefüge grundgesetzlicher Vollzugsmodelle

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nur unter dem Vorbehalt der Inanspruchnahme durch den Bund zusteht.28 Die Sachkompetenz umfaßt dabei die Sachbeurteilung und die Sachentscheidung.29 Wahrnehmungs- und Sachkompetenz stehen sich also bei der Bundesauftragsverwaltung dichotomisch gegenüber, die Verwaltungskompetenz ist gespalten. 30 Die Kompetenz der Länder ist zu erkennen beim eigenverantwortlichen Handeln im eigenen Namen nach außen und der Kostentragung für persönliche und sachliche Verwaltungsausgaben nach dem Lastenverteilungsgrundsatz des Art. 104 a Abs. 1 GG. Die Wahrnehmungskompetenz des Landes wird - verfassungsrechtlich betrachtet - bei der Ausgestaltung der Bundesauftragsverwaltung auf einzigartige Weise mit der umfassenden Direktionskompetenz des Bundes verbunden. 31 Die Verwaltungstätigkeit der Länder bei der Bundesauftragsverwaltung erweist sich daher als die Wahrnehmung originärer, nicht übertragener Angelegenheiten. Die Bundesauftragsverwaltung ist in die föderative Struktur der Bundesrepublik Deutschland eingepaßt; sie entspricht der bundesstaatlichen Ordnung, wonach gewöhnlich bestimmte legislatorische Aufgaben vom Bund (Gegenstände der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebung - Artt. 73, 74, 74a GG - sowie der Rahmengesetzgebungskompetenz - Art. 75 GG), wahrgenommen werden, der Verwaltungsvollzug hingegen den Ländern obliegt (Artt. 83 f.). Nach der grundlegenden Kompetenzverteilungsvorschrift des Art. 30 GG, welcher einen Kernbereich des Verfassungsgefüges betrifft, steht die Ausübung der staatlichen Befugnisse im Regelfall den Ländern zu. Der Bund besitzt nur die ihm ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen. Eine andere Sichtweise läßt der eindeutige Wortlaut des Art. 30 GG auch nicht zu. Art. 85 GG ist für die Bundesauftragsverwaltung die kennzeichnende Grundnorm, aus welcher sich die maßgebenden Wesenszüge dieser Verwaltungsform ergeben. Vereinzelte Abweichungen von der grundsätzlichen Konzeption sieht das Grundgesetz in verschiedenen Vorschriften vor. 32

28

BVerfGE 81,310 (332). BVerfGE 81, 310, (332). 30 v. Danwitz, DVB1. 1992, 1005 (1007). 31 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 54; ähnlich auch Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 4, der jedoch die Sachkompetenz als Direktionskompetenz verstanden wissen will. Der Differenz liege darin, daß eine Übertragung der Wahrnehmungskompetenz vorausgesetzt werde, für die das Grundgesetz keinen Anhalt liefere (.Lerche, ebenda, FN 5); rechtliche Konsequenzen dieses eher marginalen Unterschieds sind nicht auszumachen. 32 Erhebliche Modifikationen sind ζ. B. innerhalb des Art 120 a Abs. 1 GG u. Art. 108 GG festzustellen. 29

. Die Bundesauftragsverwaltung

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I I I . Die Rechtsnatur der Bundesauftragsverwaltung Nach mittlerweile gesicherter Erkenntnis ist die Auftragsverwaltung echte Landesverwaltung. 33 Die über die systematische und dogmatische Einordnung der Bundesauftragsverwaltung überwiegend in den ersten Jahren nach Inkraft-

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So die einhellige fachgerichtliche Rechtsprechung: BVerwGE 52, 226 (228 f.); 52, 237 (241); 62, 342 (344); BVerwG NVwZ 1983, 471; BVerwGE 96, 45 (56); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); BVerwGE 100, 56 (58); BGHZ 16, 95 (99 f.); BGH NJW 1974, 319; BGH NJW 1979, 101; BGH NJW 1979, 864; BAGE 13, 45 (50); BayVGH DVB1. 1962, 341; BayVGH BayVBl. 1977, 151; BayVGH BayVBl. 1980, 341 (342), wohl auch HessVGH DÖV 1966, 472. Aus der Literatur: Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 4; v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. II 4; Herrfahrdt, in: BK, Art. 85 Rdnr. 1; Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 82; Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 1; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 5; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 2; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 4; Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 1; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 6; Βlümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 49; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 808; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 15; Herzog, in: Evangelisches Staatslexikon, Band 1, 3. Aufl. 1987, Sp. 370; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, § 38 VI 1 ; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 537; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 86; Kremser/A. Leisner, Verfassungsrecht III, 1999, § 15 Rdnr. 10; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 147; Kastner, in: Marschall/Schroeter/ders., Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 22 Rdnr. 1; Fischerhof ] Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 2. Aufl. 1978, vor § 22 Rdnr. 4; Haedrich, Atomgesetz, 1986, vor § 22 Rdnr. 3; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 31 f.; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG, 1988, S. 13 ff; Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 32 ff.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 94 ff; Hohrmann, Bundesgesetzliche Organisation bundesunmittelbarer Selbstverwaltungskörperschaften, 1967, S. 137 ff; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 44; Κ Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 19; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 16 ff; Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 214; Tiemann, Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern in verfassungsrechtlicher Sicht, 1969, S. 84 ff; Bretzinger/Büchner-Uhder, Deutsches Staats- und Verwaltungsrecht, 1991, S. 138; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (424); Gerner, BayVBl. 1955, 193; Bettermann, MDR 1956, 604 (605); Ehard , BayVBl. 1961, 1 (2); Asam, BayVBl. 1966, 228 (229); Sturm, DÖV 1966, 256 (259); ders., DÖV 1968,466 (468); Ost/Pelzer, atw 1979, 22 (23); Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (425); Bushart, ZRP 1988, 210 (211); S. Härtung, JA 1991, 137 (138); T. Koch, Jura 2000, 179 (180); Sommermann, DVB1. 2001, 1549 (1550 u. 1551).

III. Die Rechtsnatur der Bundesauftragsverwaltung

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treten des Grundgesetzes geführte Diskussion ist überholt, die Einordnungsfrage ist geklärt. Es handelt sich nicht um eine Bundesverwaltung, weder um eine unmittelbare 3 4 noch um eine mittelbare 35 . Auch eine gemeinsame, kondominiale Verwaltung von Bund und Ländern liegt nicht vor. 36 Das BVerfG hat sich über lange Jahre hinweg zu der literarischen Kontroverse um die Rechtsnatur der Bundesauftragsverwaltung in Ermangelung einer Gelegenheit nicht ausdrücklich geäußert. Der Verwaltungstypus des Art 85 GG fristete literarisch und auch als Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen ein Schattendasein, was maßgebend durch den Umstand zu erklären ist, daß aufgrund fehlender Kontroversen zwischen dem Bund und den Ländern im Rahmen des Gesetzesanwendungsprozesses aufgrund des Art. 85 GG andere Fragen im Vordergrund des Interesses standen und daher eine größere Resonanz erfuhren. Immerhin ist es dem BVerfG zufolge für die Auftragsverwaltung kennzeichnend, daß „die beauftragte Verwaltung die zugewiesenen Aufgaben als eigene Aufgaben wahrnimmt." 37 Damit wurde wohl begründet, daß es sich auch bei der Verwaltung im Auftrage des Bundes um Landesverwaltung handelt. Inzwischen erkennt das BVerfG die Bundesauftragsverwaltung ausdrücklich als eine Form der Landesverwaltung an. 38 Auch auf verfassungsgerichtlicher Ebene ist hier Remedur geschaffen worden. Art. 85 GG selbst läßt die Frage der Rechtsnatur der Bundesauftragsverwaltung zunächst unbeantwortet. Denn eine Legaldefinition der Bundesauftragsverwaltung fehlt; dem dürftigen Wortlaut der Verwaltungskompetenznorm des Art. 85 Abs. 1 GG zufolge werden „die Bundesgesetze im Auftrage des Bun-

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In diesem Sinne F. Klein, in: Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, 1961, S. 125 (139 ff., insb. 141), der fälschlich behauptet, daß die beauftragten Stellen Substitute einer bundeseigenen Behördenorganisation seien; ähnlich auch Zuhorn/Hoppe, Gemeinde-Verfassung, 2. Aufl. 1962, S. 32. 35 So aber v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1. Aufl. 1953, Art. 85 Anm. 2; Dehmel, Übertragener Wirkungskreis - Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970, S. 73 ff. (S. 73 FN 61); Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 167. 36 Diese Ansicht vertreten Görg, DÖV 1955, 273 (277); Köngen, DÖV 1955, 485 (487 ff.); Bullinger, AöR 83 (1958), 279 (286); Schäfer, DÖV 1960, 641 (646); mißverständlich H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (921), der hier von einer „gemeinsamen Verwaltung" spricht, andernorts (aaO., S. 917) jedoch ausdrücklich den Charakter einer Landesverwaltung anerkennt. 37 BVerfGE 63, 1 (42). 38 Seit 1990 - BVerfGE 81,310 (332); zuletzt BVerfG NVwZ 2002, 585 (586).

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. Die Bundesauftragsverwaltung

des" ausgeführt, eine weitere Begriffsbildung findet nicht statt.39 Daß die Bundesauftragsverwaltung eine Form der Landesverwaltung darstellt, ergibt sich jedoch aus folgendem: Die Bundesauftragsverwaltung ist zuvorderst im Lichte des Art. 20 Abs. 1 GG zu sehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Bundesstaat; darob besitzt nicht nur der Gesamtstaat Staatsqualität, sondern auch jedes einzelne Land. 40 Diese Staatlichkeit der Länder findet ihre Bestätigung in deren eigener - wenn auch inhaltlich beschränkter - Hoheitsgewalt, die sich nicht vom Bund ableitet. Sie verwirklicht sich vorrangig in dem Recht zur eigenen Verfassungsund Gesetzgebung sowie zum Gesetzesvollzug. Der föderative Aufbau der Bundesrepublik spiegelt sich besonders deutlich in der Tatsache wider, daß nach Art. 83 GG der Vollzug der Bundesgesetze grundsätzlich durch die Länder zu erfolgen hat. Das legt die Vermutung nahe, daß das staatliche Handeln bei der Umsetzung auftragsgebundener Verwaltungsmaterien nach Art. 85 GG als ein Landeshandeln zu weiten ist. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, daß nach Art. 83 GG den Ländern dann Verwaltungskompetenzen zustehen, wenn sich aus dem Grundgesetz nichts anderes ergibt. Dem Bund obliegt also immerhin ausnahmsweise kraft ausdrücklicher geschriebener oder ungeschriebener Kompetenz die Verwaltung. 41 Dabei läßt die Regelung des Art. 85 GG durchaus erkennen, daß in diesem Bereich die Länder zumindest nicht die volle Zuständigkeit besitzen. Maßgebend ist, daß ausschließlich die Behörden der Länder bei der Vollziehung und Anwendung der Bundesgesetze tätig werden. 42 Dabei bleibt die Errichtung und Einrichtung der Behörden prinzipiell Sache der Länder, auch wenn der Bund hierzu gesetzliche Vorschriften erläßt. Denn die Länder bleiben für die konkrete Einrichtung (Ausgestaltung) der Behörden, die jeweilige Besetzung der Stellen und die Arbeitsfähigkeit der Verwaltung selbst zuständig und auch verantwortlich. Durch die gesteigerten Ingerenzbefugnisse des Bundes43 gehen die Länder ihrer rechtlichen Selbständigkeit nicht verlustig. 44 Die beauftragte Landesver39

Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 4, hingegen meint, dem Wortlaut des Art. 85 GG Hinweise für eine Verwaltung der Länder entnehmen zu können. Dem ist nicht zuzustimmen. 40 Unbestritten, siehe nur BVerfGE 1, 14 (34); 36, 342 (360 f.); 64, 301 (317); Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, § 15 I 1. 41 Hesse, Grundzüge der Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 235; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (421). 42 In diesem Sinne Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 4. 43 Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 4, spricht von einer „teilweisen Einbindung in den Instanzenzug".

III. Die Rechtsnatur der Bundesauftragsverwaltung

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waltung nimmt die zugewiesenen Aufgaben als eigene wahr. 45 Die Landesbehörden handeln im Namen des Landes und nicht des Bundes46, die Vollzugsakte sind solche der Länder 47 , die Landesverwaltungsbehörden sind ungeachtet des Weisungsrechts des Bundes keine nachgeordneten Bundesbehörden. 48 Die Länder erledigen die ihnen obliegenden Aufgaben aufgrund eigener Organisation selbständig und eigenverantwortlich. 49 Der Bund wird gleichwohl in die Lage versetzt, mittels der ihm durch Art. 85 Abs. 2 bis 4 GG eingeräumten Einwirkungsbefugnisse die Länder zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Im Rahmen der auszuführenden Gesetze sind die Länder mithin gehindert, ihre eigenen Zielvorstellungen uneingeschränkt umzusetzen. Eine Entscheidungsbefugnis mit der Wirkung, außenwirksame Verwaltungsakte an Stelle der zuständigen Landesverwaltungsbehörden zu erlassen, oder ein Selbsteintrittsrecht stehen dem Bund jedoch nicht zu. 50 Denn das Grundgesetz normiert einen entsprechend weitgehenden Eingriff in die Ländersphäre nicht. Zur Herstellung einer Außenwirkung müssen Verwaltungsentscheidungen des Bundes - etwa in Form einer Weisungserteilung - erst von den Landesvollzugsorganen „umgesetzt" werden, d. h., die Befugnis zum außenrechtswirksamen Handeln verbleibt einzig und allein bei der Landesbehörde.51 Der Bund besitzt hier eine lediglich intern wirkende Zuständigkeit.52 Seine Kompetenz ist gleichsam auf eine Reservefunktion beschränkt. 53

45 Aus der Rechtsprechung beispielshalber BVerfGE 63, 1 (42); BGH NJW 1974, 319; B AGE 13,45 (51). 46 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 4. 47 Bull, in: AK-GG II, 2. Aufl. 1989, Art. 85 Rdnr. 4 FN 10, benennt irrtümlich Zeidler, DVB1. 1960, 573 (578), als einen Vertreter der entgegengesetzten Ansicht. 48 BGHZ 16, 95 (99 ff.); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 5. 49 BGH NJW 1974, 319. 50 BVerfGE 81, 310 (332); Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (35). 51 BVerfGE 81, 310 (333); Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 63 m. w. Nachw.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 245. 52 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 47; Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (35). Ob der beschriebene verwaltungsinterne Vorgang, also beispielsweise eine interbehördlich ergehende Weisung, für das Außenverhältnis gänzlich unbeachtlich ist, wird unten zu klären sein. 53 Ossenbühl, ebenda, erkennt eine „potentielle ... Entscheidungsbestimmung".

. Die Bundesauftragsverwaltung

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Eine erteilte Weisung entfaltet in Hinblick auf das angewiesene Land sehr wohl Außenwirkung, da sie inter - (und nicht intra-) personal ergeht. Hier interessiert jedoch der Umstand, daß darüber hinaus keine (Außen-) Wirkung zu Gunsten oder zu Lasten Dritter zu erkennen ist. Es fragt sich, ob das dem Bund eingeräumte Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG zu einem organschaftlichen Verhältnis zwischen Bund und Ländern bei der Bundesauftragsverwaltung fuhrt, 54 zumal Art. 84 GG bei der Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheit ein entsprechendes Weisungsrecht nicht normiert. Dieses /erhöhte Einflußrecht des Bundes läßt indes die vorhandene körperschaftliche Beziehung auf diesem Gebiet unangetastet. Die bundesstaatliche OAiro/kompetenz besteht grundsätzlich nach Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG nur gegenüber den obersten Behörden der weisungsunterworfenen Länder. Bestünde dieses Recht uneingeschränkt auch gegenüber den nachgeordneten Behörden, könnte die Annahme eines organschaftlichen Rechtsverhältnisses naheliegen.55 Tatsächlich aber sind Anweisungsempfänger und Anweisender nicht zu einem einheitlichen Hoheitsträger verschmolzen. Vielmehr stehen sie sich als eigenständige und voneinander unabhängige Verwaltungseinheiten gegenüber. Die Berührungspunkte aufgrund des engen Kontaktes dürfen dennoch nicht außer acht bleiben. Aus der Zuständigkeitsgeneralklausel des Art. 83 2. HS GG ergibt sich als Regelwirkung, daß die bestehende landeseigene Verwaltungskompetenz nicht durch den einfachen (Bundes-) Gesetzgeber desavouiert werden darf. Eine Bundesauftragsverwaltung ist demzufolge nur dann zulässig, wenn sie im Grundgesetz für einen bestimmten Verwaltungsbereich vorgesehen ist oder durch eine grundgesetzliche Anordnung eingeführt werden darf. 56 Die Bereiche der Bundesauftrags Verwaltung sind - wie auch diejenigen der bundeseigenen Verwaltung - enumerativ festgelegt. Soll der auftragsweise Verwaltungstyp nach Art. 85 GG in weiteren, bislang noch nicht grundgesetzlich normierten Fällen eingeführt werden, so bedarf es eines verfassungsändernden Gesetzes.

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Diesen Schluß zieht Dehmel, Übertragener Wirkungskreis - Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970, S. 74. 55 Darauf weist Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 17 ff., insb. S. 25, hin. 56 v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. II 5 (m. w. Nachw. in FN 52).

III. Die Rechtsnatur der Bundesauftragsverwaltung

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Der gleichsam als Generalklausel wirkende Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG, der erst 1969 im Zuge der Finanzreform in das Grundgesetz eingefügt wurde 57 , hatte zur Folge, daß eine gewisse Öffnung des enumerativen Prinzips eintrat. Damit bestimmt das Grundgesetz die Sachbereiche, bei denen Art. 85 GG zur Anwendung kommt, erstmals nicht mehr selbst abschließend. Sie werden nur noch mittelbar festgelegt; das jeweils auszuführende einfache Bundesgesetz ist hierfür ausschlaggebend. Denn Geldleistungsgesetze, bei denen der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt, werden obligatorisch in Bundesauftragsverwaltung durchgeführt. Dadurch haben sich die Gegenstände der Auftragsverwaltung beträchtlich vermehrt. 58 Auch der die Wehrverwaltung regelnde Art. 87 b Abs. 2 GG bewirkte eine Erweiterung des Anwendungsbereiches der Bundesauftragsverwaltung. 59 Wenn auch weitgehender Konsens darüber besteht, daß die Bundesauftragsverwaltung als echte Landesverwaltung zu qualifizieren ist, wird zugleich jedoch kontrovers diskutiert, ob die Länder ungeachtet des Umstandes, daß sie aus eigener und selbständiger Verwaltungskompetenz handeln, eigene Aufgaben erfüllen 60 oder es sich hier um Aufgaben des Bundes handelt, deren Erledigung den Ländern übertragen worden ist. 61

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21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 12. 5. 1969 (BGBl. I S. 359). Zu Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG s. u. Ε. II. 3.e) cc) ß) ßß) (2). 59 Dazu siehe unten unter C. VI. 1. 60 Dafür sprechen sich aus BAGE 13, 45, 52 („Wenn ... bestimmt ist, daß die Länder ... im Auftrage des Bundes verwalten, so bedeutet dies, daß die Länder hier eine eigene Verwaltungsaufgabe selbständig zu erfüllen haben, wobei dem Bund lediglich eine verstärkte Einwirkungsmöglichkeit eingeräumt ist."); Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 72; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 8; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 16 f. (FN 1). Nicht eindeutig zuzuordnen ist BVerwGE 12, 253 (254): „Auch kann keine Rede davon sein, daß die Länder 'fremde Geschäfte' besorgen. Die Länder haben ihre Zuständigkeit vielmehr als selbständige Glieder des Bundesstaates." Von der Erfüllung von Bundesaufgaben ist nicht die Rede, ihre Zuständigkeit qua Bundesstaatsprinzips vermag hier nicht weiterzuhelfen. 61 Diese Ansicht vertreten BVerwGE 52, 226 (229) (Die Länder erfüllen Bundesaufgaben, „tun dies aber - dem Wesen der Auftragsverwaltung entsprechend - aus eigener und selbständiger Verwaltungskompetenz."); ähnlich auch BVerwGE 62, 342 (344); BGHZ 16, 95 (99) („..., daß der 'Beauftragte' bei der Erledigung der Auftragsangelegenheiten zwar Aufgaben des 'Auftraggebers' wahrnimmt, aber doch nicht als dessen Organ tätig wird ..."); v. Mangold t/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. II 4 a aa; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 808; Wolst, Die Bundesauf58

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. Die Bundesauftragsverwaltung

Die Antwort ist unmittelbar aus Art. 104 a GG zu entnehmen. Absatz 2 lautet: „Handeln die Länder im Auftrage des Bundes, trägt der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben." Handelte es sich nicht um Bundesaufgaben, so ergäbe sich ein Widerspruch zu dem das Grundgesetz im übrigen durchziehenden Kostentragungsprinzip i. S. des Konnexitätsprinzips. 62 Denn nach Absatz 1 des Art. 104 a GG tragen der Bund und die Länder gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Die praktische Bedeutung des Meinungsstreits ist letztlich nur als gering anzusehen. Treffend stellte Herrfahrdt 63 schon 1950 fest, daß die Frage, wem denn die Aufgaben der Bundesauftragsverwaltung zuzuordnen seien, gleichgültig für die rechtliche Konstruktion sei. Die Motive für die Einführung einer auftragsweisen Verwaltung in bestimmten Verwaltungsbereichen sind - je nach konkreter Verwaltungsaufgabe - verschiedener Natur. Überall im Vordergrund steht als praktischer Grund das Interesse des Bundes an der Sicherstellung eines einheitlichen und gleichförmigen Gesetzesvollzuges unter seiner Aufsicht, die eine strengere als bei der Landeseigenverwaltung ist. Ferner wird beim auftragsweisen Gesetzesanwendungsprozeß der kostspielige Aufbau besonderer Verwaltungseinheiten auf Bundesebene vermieden. 64 Eine permanente Überwachung der Gesetzesausführung durch den Bund und eine etwaige Aktualisierung der Aufsichtsrechte lassen sich mit einem Minimum an aufsichtsführenden Behörden bzw. Behördenteilen durchführen. Dabei steht einer ungebremsten Einführung von auftragsweiser Verwaltung das Mitwirkungsrecht des Bundesrates bei einer Grundgesetzänderung sowie das dahinter stehende Korrektiv des föderativen Aufbaus der Bundesrepublik entgegen.65 Zweckmäßigerweise lassen sich bundeseinheitliche Sicherheitsstandards für kerntechnische Anlagen im Wege der Bundesauftragsverwaltung durchsetzen.

tragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 54; Hohrmann, Bundesgesetzliche Organisation bundesunmittelbarer Selbstverwaltungskörperschaften, 1967, S. 138; speziell zum Fernstraßenwesen nach Art. 90 Abs. 2 GG Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 50; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 32 ff. 62 Dieser Grundsatz ist stark unter Kritik geraten; Einzelheiten dazu unten in Ε. II. 3. e) bb) ε). 63 In: BK, Art. 85 Anm. II 1. 64 Zur Atomverwaltung nach Art. 87 c GG S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 100. 65 Allg. zum Bundesstaatsprinzip in Deutschland BVerfGE 12, 205 (244 ff.); gut lesbare Übersicht bei Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnrn. 216 ff.; ferner Kimminich, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 1987, § 26 Rdnrn. 1 ff.; älterer Provenienz Lerche, in: WDStRL 21 (1964), S. 66 ff.

IV. Übersicht über Bundesingerenzen

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Praktische Erwägungen lassen es erforderlich erscheinen, daß die hochgradig komplizierte und gefährliche Atomtechnik von einer zentralen Stelle kontrolliert und diese Steuerung bundeseinheitlich gehandhabt wird. 66 Auch bei der Verwaltung von Steuern durch landeseigene Behörden in Auftragsverwaltung nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 GG kommt der Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt zum Tragen: Es soll eine einheitliche und weitestgehend gleichmäßige Belastung aller Steuerzahler im Bundesgebiet erreicht werden. Der einheitliche Wirtschaftsraum Deutschland soll gesichert werden, indem Freizügigkeit und Wettbewerb nicht durch ein denkbares steuerliches Belastungsgefälle gehemmt oder in unerwünschte Bahnen gelenkt werden. 67 Schließlich sind auch die finanziellen Belange des Bundes zu wahren. 68 Im Bereich des Lastenausgleichsrechts erfordert das Gebot der Gerechtigkeit und das Erfordernis einer identischen Behandlung aller gleichgelagerten Fälle eine zentrale Steuerung und uniforme Durchführung bei der Erledigung dieser Aufgaben. 69

I V . Übersicht über Bundesingerenzen Die wesentlichen Strukturmerkmale der Bundesauftragsverwaltung und Instrumentarien, mittels derer der Bund innerhalb dieses Verwaltungstyps auf den Gesetzesvollzug der Länder einzuwirken vermag, sind im folgenden darzustellen.

1. Befugnisse des Bundesgesetzgebers Nach Art. 85 Abs. 1 GG bleibt die Einrichtung der erforderlichen Behörden im Regelfall Sache der Länder, es sei denn, durch ein Bundesgesetz wird etwas anderes bestimmt. Grundsätzlich soll also das Prinzip des Art. 84 Abs. 1 GG Bestand haben, der unmittelbar nur den landeseigenen Vollzug von Bundesgesetzen unter Bundes-Rechtsaufsicht erfaßt. Dabei stellt die Personalhoheit und gleichzeitig die Organisationskompetenz der Bundesländer einen, wenn nicht 66

Haedrich, Atomgesetz, 1986, vor § 22 Rdnr. 1; S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 100. 67 Weyhausen, Steuerverwaltung und bundesstaatliche Verfassungsordnung, 1982, S. 128.

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Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1185. Schaefer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 a Rdnr. 4. 69

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. Die Bundesauftragsverwaltung

gar den entscheidenden Faktor der staatlichen Unabhängigkeit dar. Denn die grundsätzliche Verantwortung der Länder fur die Gestaltung der Verwaltungsorganisation soll nicht angetastet werden. Eine andere Regelung kann der Bundesgesetzgeber allein mit Zustimmung des Bundesrates anordnen. Art. 85 Abs. 1 GG läßt das Verwaltungsverfahren unerwähnt. Es ist jedoch weitgehend unbestritten, daß dem Bund die Kompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens zusteht. Hiervon wurde in den letzten Jahrzehnten auch umfangreich Gebrauch gemacht. Umstritten ist, woraus diese Zuständigkeit resultiert: 70 Teilweise sehen Autoren die Nichterwähnung des Verwaltungsverfahrens als reines Redaktionsversehen an, welches zu korrigieren sei. 71 Zum Teil wird auch eine ungeschriebene Kompetenz 72 oder eine Annexkompetenz73 des Bundes angenommen. Das BVerfG entnimmt die Berechtigung des Bundes unmittelbar aus Art. 85 Abs. 1 GG. 7 4

2. Befugnisse der Bundesregierung Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG gibt der Bundesregierung die Möglichkeit, allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Dazu bedarf es wie bei der landeseigenen Verwaltung der Zustimmung des Bundesrates. 75 Allgemeine Verwaltungsvorschriften sind generell-abstrakte Hoheitsakte, die als Rechtssätze nicht direkt an den Bürger, d. h. an die Allgemeinheit, adressiert sind, 76 sondern - nachgeordnete - (Landes-) Behörden verpflichten. Sie wirken unmittelbar allein verwaltungsintern, auch wenn sie zugleich als interpersonell anzusehen sind, wenn und soweit sie das Verhältnis zwischen zwei

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Zum Meinungsstreit s. Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 54. 71 So z. B. Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 10; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 3; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 27 f. m. w. Nachw. 72 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 27. 73 In diesem Sinne wohl Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 11; Schäfer, DÖV 1960, 641 (646). 74 BVerfGE 26, 338 (385). 75 Allgemein zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften nach dem GG s. T. Koch, Jura 2000, 179 ff. 76 Gegenüber der Allgemeinheit kann sich allenfalls eine mittelbare Wirkung ergeben, weil allgemeine Verwaltungsvorschriften in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG im Einzelfall zu einer generell-abstrakten Selbstbindung der Verwaltung fuhren können, vgl. dazu umfassend Ossenbühl, DVB1. 1981, 857 ff. (spez. 862 f.).

IV. Übersicht über Bundesingerenzen

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verschiedenen öffentlich-rechtlichen Körperschaften betreffen. 77 Die Vorschrift stimmt insoweit mit Art. 84 Abs. 2 GG wörtlich überein. Neben den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften treten seit langem einvernehmliche Übereinkommen - etwa Richtlinien u. ä. - zwischen den Ländern und dem Bund auf verschiedenen Gebieten, welche teilweise sogar anstelle dieser Verwaltungsvorschriften praeter constitutionem vereinbart werden. Der Umfang der Bindungswirkung dieser Übereinkommen erscheint dabei durchaus zweifelhaft. 78 Ein Grund für diese Entwicklung ist sicherlich in der zwingenden Beteiligung des Bundesrates zu sehen, da das eigentlich vorgesehene Verfahren langwierig und umständlich wird. 79 Insgesamt muß festgestellt werden, daß in allen der Auftragsverwaltung unterfallenden Materien nur in einem sehr bescheidenen Maße von der Möglichkeit, Verwaltungsvorschriften zu erlassen, Gebrauch gemacht wurde. 80 Eher marginaler Natur ist der zusätzliche Einfluß des Bundes im Personalbereich nach Art. 85 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG. Die Bundesregierung ist danach befugt, die einheitliche Ausbildung der Beamten und Angestellten zu regeln; 81 mittels welcher Rechtsvorschriften dies geschehen kann und ob hierfür auch die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist 82 , wird unterschiedlich beurteilt. Außerdem besitzt die Bundesregierung ein Vetorecht bei der Bestellung der Leiter der Mittelbehörden. 83

77

Diesen Umstand scheint Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 47 f., zu verkennen, der behauptet, daß allgemeine Verwaltungs Vorschriften wie auch Weisungen allein in einem zwischenbehördlichen Feld ergehen und die Tatsache, daß zwei öffentlich-rechtliche Körperschaften beteiligt seien, für den (betroffenen) Bürger keinen Unterschied mache. 78 Zum Atomrecht S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 101 m. w. Nachw. 79 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 40. 80 Überwiegend obsolete Beispiele aus dem Atomrecht referieren Fischerhof \ Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 2. Aufl. 1978, vor § 22 AtomG Rdnr. 5; Haedrich, Atomgesetz, 1986, vor § 22 Rdnr. 4. 81 Von der Möglichkeit der einheitlichen Ausbildung hat der Bund - soweit ersichtlich - keinen Gebrauch gemacht. Wegen der allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen, der Laufbahnvorschriften und der entsprechenden Normen des BAT ist ein Bedürfnis für die Ausfüllung dieser Ermächtigung von vornherein sehr gering; vgl. Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 18 m. w. Nachw. in FN 11. 82 Zu den Problemfeldern Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 29 f. m. w. Nachw. 83 Dazu v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. V 2 c; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 48.

. Die Bundesauftragsverwaltung

96

Da die Personalhoheit der Länder zu beachten ist, kommen nur selbständige Behörden der Mittelstufe, nicht dagegen solche der allgemeinen Landesverwaltung in Betracht, auch wenn sie im Einzelfall mit auftragsweiser Verwaltung befaßt sind bzw. sein können.

3. Befugnisse oberster Bundesbehörden - Das Weisungsrecht Im Zentrum dieser Arbeit und wohl auch des allgemeinen Interesses steht das Weisungsrecht des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG. Die Bundesauftragsverwaltung insgesamt und speziell das Weisungsrecht des Bundes mußten bis in die Achtziger Jahre hinein als Stiefkind der verfassungsrechtlichen Dogmatik angesehen werden. Die zunehmende praktische Bedeutung infolge politischer Auseinandersetzungen hat hier Abhilfe geschaffen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr Grundsätzliches judiziert. 84 Das Weisungsrecht des Bundes ist danach das prägende Merkmal, das Herzstück der Bundesauftragsverwaltung. Es ist nicht auf Einzelweisungen in besonderen Fällen beschränkt und unterscheidet sich dadurch maßgeblich von dem Weisungsrecht nach Art. 84 Abs. 5 Satz 1 GG fur den grundgesetzlich vorgesehenen Normalfall der landeseigenen Ausführung von Bundesgesetzen. Weitere Einzelheiten des Weisungsrechts werden im folgenden Kapitel der Arbeit darzulegen sein.

4. Bundesaufsicht Schließlich unterliegt der Gesetzesvollzug der Länder nicht nur der Gesetzmäßigkeitsaufsicht nach Art. 84 Abs. 3 GG, sondern weitergehender der Gesetz- und Zweckmäßigkeitsaufsicht nach Art. 85 Abs. 4 GG; 85 es handelt sich um eine Fachaufsicht, nicht um eine - weitreichendere - Dienstaufsicht (so etwa die Aufsicht des Dienstvorgesetzten über den jeweiligen Organwalter, § 3 Abs. 2 Satz 1 BBG) oder eine - weniger weitreichende - Rechtsaufsicht. Dabei umfaßt die bloße Rechtsaufsicht lediglich die Rechtmäßigkeit des landeseigenen Vollzuges von Bundesgesetzen, wohingegen die Fachaufsicht sich außerdem auf die Zweckmäßigkeit erstreckt. Noch umfassender sind die Aufsichtsbefug84

Sog. Kalkar-Entscheidung, BVerfGE 81, 310 (331). Umfassend dazu v. Danwitz, DVB1. 1992, 1005 ff. Diese Aufsicht gegenüber den Ländern wurde allgemein von Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 3, treffend als der „große Regulator in der Arbeitsmaschine des zusammengesetzten Staatswesens" bezeichnet. 85

V. Andere subordinationsrechtliche Beziehungen

97

nisse bei der Dienstaufsicht, bei der auch alle Personalentscheidungen aufsichtsfähig sind. Der Maßstab der Bundesaufsicht nach Art. 85 Abs. 4 GG ist danach ein anderer als der nach Art. 84 Abs. 4 GG. Gegenstand sind alle Bereiche der Auftragsverwaltung. Zuständig für die Ausübung der Bundesaufsicht nach Art. 85 Abs. 4 GG ist nicht allein die Bundesregierung als zentrales Organ, sondern auch die jeweils zuständige oberste Bundesbehörde, also im Regelfall ein Bundesministerium. 86 Die Mittel der (beobachtenden) Aufsicht ergeben sich unmittelbar aus der Verfassung, aus Art. 85 Abs. 4 Satz 2 GG: Danach kann die Bundesregierung Bericht und Vorlage der Akten von allen Landesbehörden verlangen und Beauftragte zu allen Behörden entsenden.

V . Andere subordinationsrechtliche Beziehungen Um eine weitere Annäherung an das Wesen der Bundesauftragsverwaltung zu erlangen, ist neben der vorangegangenen positiven Definition und Beschreibung dieser Verwaltungsform eine negative Abschichtung von denjenigen anderen Rechtsinstituten bzw. bivalenten subordinationsrechtlichen Rechtsbeziehungen zweckdienlich, die prima facie begrifflich und/oder inhaltlich verwandte Wesenszüge aufzuweisen scheinen. Durch einen solchen Vergleich kann die besondere eigenständige Physis der Bundesauftragsverwaltung deutlicher herausgeschält werden.

1. Aufgabenerfüllung auf kommunaler Ebene Zunächst soll der materielle Begriff der kommunalen Auftragsverwaltung von der bundesstaatlichen Auftragsverwaltung abgegrenzt werden. Augenfällig ist vorderhand, daß die verwendeten Begrifflichkeiten identisch sind, so daß eine gewisse Affinität beider Rechtsinstitute unabweislich ist. Teilweise wird auch behauptet, daß die staatsrechtliche Auftragsverwaltung aus der kommunalrechtlichen Auftragsverwaltung heraus entwickelt worden ist. 87 Bei den Pflichtausgaben zur Erfüllung nach Weisung nehmen die Kommunen Aufgaben wahr, die ihnen vom Staat übertragen worden sind. Dabei han-

86 So die überwiegende Ansicht: Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 16; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 813; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 7. 87 Dazu Β. II. 2. a). 7 Janz

98

. Die Bundesauftragsverwaltung

delt es sich nicht um originäre - also örtliche - Gemeindeangelegenheiten im Sinne der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG, sondern es werden Aufgaben überörtlicher oder auch örtlicher 88 Natur durch ein förmliches Gesetz den Organen der Gemeinden zur Erfüllung zugewiesen.89 Die Rechtsnatur dieses Aufgabentypus, insbesondere die Frage nach seiner Zuordnung zum eigenen oder übertragenen Wirkungskreis der Gemeinde, ist seit langem umstritten, 90 für die hier interessierende Abgrenzung zur Bundesauftragsverwaltung jedoch ohne Belang. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung zeichnen sich dadurch aus, daß sie durch Gesetz auferlegt werden und das Weisungsrecht im einzelnen in dem aufgabenübertragenden Gesetz enthalten und tatbestandlich begrenzt ist. 91 Eine Anweisung hinsichtlich des Ob und Wie der Aufgabenerfüllung muß demnach in dem Übertragungsgesetz eine Rechtsgrundlage finden; es gibt in diesem Bereich kein Fach-, sondern nur eine Sonderaufsicht. 92 Der Gesetzesvorbehalt, unter dem das Weisungsrecht bei diesem Verwaltungstyp steht, stellt den entscheidenden Unterschied zur Bundesauftragsverwaltung dar. Denn Art. 85 GG normiert ein umfassendes Weisungsrecht, das einer Begrenzung durch einfachgesetzliche Vorbehalte nicht zugänglich ist. Gleichzeitig bedarf es auch keiner einfachgesetzlichen Begründung, da es kraft Verfassung besteht.93

2. Beliehene Die Bundesauftragsverwaltung ist des weiteren von der Verwaltung durch Beliehene zu unterscheiden. Bei dieser Verwaltungsform werden ausschließlich Subjekte des Privatrechts (natürliche oder juristische Personen) mit der hoheitlichen Wahrnehmung einzelner gesetzlich normierter Aufgaben betraut, so daß

88

Vgl. Brandschutz, VerfG Bbg, LVerfGE 5, 79 (85 ff.). Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung kennen nur die Gemeindeordnungen der Länder Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Schleswig-Holstein. S. dazu auch v. Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rdnrn. 311 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Aufl. 1997, Rdnr. 381. 90 S. VerfG Bbg, LVerfGE 5, 79 (86 ff. [86: „Selbstverwaltungsaufgaben in abgeschwächter Form"]); T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 32 f. m. w. Nachw:; Waechter, Kommunalrecht, 3. Aufl. 1997, Rdnr. 165. 91 Vgl. etwa § 3 Abs. 6 Sätze 2 und 3 GO Bbg. 92 Waechter, Kommunalrecht, 3. Aufl. 1997, Rdnr. 165. 93 Zu Weisungsaufgaben kraft Bundesrechts s. u. Ε. II. 3. f) aa) γ). 89

V. Andere subordinationsrechtliche Beziehungen

99

sie als Behörden im funktionalen Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG-Bd. anzusehen sind; 94 indessen handeln diese Privatpersonen durchweg im eigenen Namen. Körperschaften des öffentlichen Rechtes können per se nicht beliehen werden, weil ihnen eine hoheitliche Handlungsfähigkeit bereits rechtsformimmanent zukommt. Ferner bezweckt eine Beleihung gerade die Entlastung öffentlichrechtlicher Körperschaften, 95 ein Motiv, welches für die Bereiche der Bundesauftragsverwaltung keine Rolle spielt.

3. Organleihe Wesensmerkmal der Organleihe ist die Konzentration aller Kompetenzen (also sowohl der Direktions- bzw. Sach- als auch der Wahrnehmungskompetenz) in einer Hand, nämlich der des Entleihers. Das entliehene Organ eines Hoheitsträgers handelt innerhalb der zugewiesenen Aufgabe für einen anderen Hoheitsträger; maßgebend ist, daß es im Namen und unter der Verantwortung des ausleihenden Verwaltungsträgers tätig wird: Es agiert gleichsam als verlängerter Arm des Entleihers. Das ausgeliehene Organ ist dem entleihenden Hoheitsträger funktionell und organisatorisch zugeordnet und seiner umfassenden Weisungsgewalt unterworfen. 96 Bei der Bundesauftragsverwaltung hingegen rückt das beauftragte Land und das konkret handelnde Organ nicht in die Rolle eines Bundesorgans. Vielmehr steht dem Land unentziehbar die Wahrnehmungskompetenz in diesem Verwaltungsbereich zu, diese Kompetenz obliegt also nicht etwa dem Bund. 97

4. Gemeinschaftsaufgaben Bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a GG, welche Ausfluß des Prinzips des kooperativen Föderalismus sind, gebührt die Sachkompetenz dem Bund und den Ländern gemeinsam, die Wahrnehmungskompetenz hingegen obliegt den Bundesländern allein. Die Norm statuiert die Pflicht des Bundes zur Mitwirkung bei der Aufgabenerfüllung durch die Länder in den grundgesetz-

94

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 23 Rdnr. 59; Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl. 2000, § 1 Rdnr. 58. Vgl. aber die „Zwitter" Landrat und Oberbürgermeister in Brandenburg. 95 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 23 Rdnr. 57. 96 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 21 Rdnr. 54. 97 Vgl. auch Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 66.

100

C. Die Bundesauftragserwaltung

lieh bestimmten Verwaltungsbereichen, die ursprünglich in die alleinige Länderkompetenz fielen. Wie bei der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG handelt es sich demgegenüber zwar auch um eine Kompetenzverteilungsregelung, jedoch sind der gesamte rechtliche Rahmen und insbesondere die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes völlig anders ausgestaltet. Ingerenzrechte wie diejenigen des Art. 84 Abs. 2 bis 4 GG oder Art. 85 Abs. 2 bis 5 GG beispielshalber stehen dem Bund bei den Gemeinschaftsaufgaben nicht zu. 9 8

5. Bürgerlich-rechtliches Auftragsverhältnis Immerhin vom Terminus her erinnert die Bundesauftragsverwaltung durchaus an die zivilrechtliche Rechtsfigur des Auftrages nach §§ 662 ff. BGB. Damit sind die Übereinstimmungen aber auch zur Gänze erschöpft. 99 Die §§ 662 ff. BGB sind für die rechtliche Beurteilung der Bundesauftragsverwaltung nicht - auch nicht in analoger Anwendung - heranzuziehen. 100 Nur beispielhaft sei darauf hingewiesen, daß die Länder bei der Bundesauftragsverwaltung nicht die Geschäfte des Bundes besorgen, sondern ihre eigenen im Rahmen ihrer durch das Grundgesetz bestimmten Zuständigkeit als selbständige Glieder des Bundesstaates.101 Außerdem handelt es sich bei der Bundesauftragsverwaltung um eine öffentlich-rechtliche, beim Auftrag um eine zivilrechtliche Rechtsbeziehung. Zudem wird der Beauftragte nach §§ 662 ff. BGB aus eigener Kompetenz tätig. Es bleibt mithin festzustellen, daß dem in beiden Rechtsinstituten verwandten Begriff „Auftrag" nicht der gleiche Begriffsinhalt zugrunde liegt.

98

Vgl. Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 68 f. Zu §§ 662 ff. BGB als Haftungsgrundlage im Verhältnis von Bund und Ländern s. u. Ε. II. a). 100 Unstr., s. nur Bliimel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 49. Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (433), möchte eine Entsprechung der grundgesetzlichen Ausgabenverteilung bei der Bundesauftragsverwaltung mit dem Regelungssystem des bürgerlichrechtlichen Auftragsverhältnis (§§ 662 ff. BGB) erkennen. Hiermit wird unnötigerweise und ohne erkennbaren praktischen Nutzen die Unvergleichbarkeit der Bundesauftragsverwaltung mit dem zivilrechtlichen Auftragsverhältnis verwässert. 101 BVerwGE 12, 253 (254). 99

I. Die

atr

der Bundesauftragsverwaltung

101

V I . Die Materien der Bundesauftragsverwaltung Die Materien, welche heute obligatorisch oder fakultativ in Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG ausgeführt werden, waren bei Inkrafittreten des Grundgesetzes überwiegend noch nicht als solche normiert. Nach der am 24. Mai 1949 in Kraft getretenen (Ur-) Fassung des Grundgesetzes wurden nur die Bundesfernstraßenverwaltung nach Art. 90 Abs. 2 GG und die Verwaltung derjenigen Steuern gem. Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG, 1 0 2 die dem Bund zufließen, als obligatorische Auftragsverwaltung sowie die Bundeswasserstraßenverwaltung (Art. 89 Abs. 2 Satz 3 und 4 GG) als fakultative Auftragsverwaltung ausgestaltet. Alle weiteren Bundesauftragsangelegenheiten sind später - in den Jahren von 1952 bis 1969 - eingeführt worden, wobei hierfür unterschiedliche Gründe eine Rolle gespielt haben. 103 Die einzelnen Verwaltungsbereiche werden entsprechend des grundgesetzlichen Aufbaus benannt. Die verschiedenen in der Literatur entwickelten Methoden zur systematischen Erfassung der auftragsgebundenen Verwaltungsmaterien 1 0 4 sind in der Sache nur wenig hilfreich und erzielen keinen Erkenntnisge102 Im Zuge der Großen Finanzreform von 1969 (BGBl. I S. 359) sind auf diesem Gebiet erhebliche Änderungen eingetreten. Dabei entspricht der ursprüngliche Art. 104 Abs. 4 Satz 1 GG weitgehend dem heutigen Art. 104 Abs. 3 Satz 1 GG. 103 Weshalb der Bundesgesetzgeber seit 1969 für keine weiteren Gesetzesmaterien eine auftragsgebundene Verwaltung nach Art. 85 GG festgelegt hat, ist nicht eindeutig zu erklären. Möglicherweise ist es von Bedeutung, daß die Länder erhebliche Vorbehalte gegen eine enge Fachaufsicht nach Art. 85 Abs. 3 GG haben und eine landeseigene Ausführung von Bundesgesetzen präferieren. Gleichzeitig scheint es, daß sich der Bund grundsätzlich mit den Einwirkungsmöglichkeiten des Art. 84 Abs. 2 bis 4 GG regelmäßig zufrieden gibt. Es existieren aber auch Vorschläge zur Einfuhrung der Bundesauftragsverwaltung (vgl. bereits frühzeitig Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970). Hintergrund dieser Bestrebungen ist es, daß bei einigen Bundesgesetzen das Verwalten und Umsetzen derselben zwischen dem Bund und den Ländern im einzelnen umstritten ist und der Bund zwecks Durchsetzung seiner Auffassungen effektivere rechtliche Möglichkeiten an die Hand bekommen möchte. Gesetzgeberische Bestrebungen diesbezüglich sind zur Zeit jedoch nicht zu beobachten. 104 Zu denken ist etwa an eine Unterscheidung dergestalt, daß zum einen eine obligatorische, d. h. vom Grundgesetz angeordnete, und zum anderen eine fakultative, also eine von Bundesverfassungs wegen (nur) zugelassene und nicht ausdrücklich festgelegte Bundesauftragsverwaltung besteht (in diesem Sinne v. MangoIdt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. II 5 a, b). Des weiteren läßt sich auch differenzieren, ob eine auftragsweise Verwaltung zugunsten oder zu Lasten eines Landes besteht (so Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 13). Ebenfalls möglich ist das Abstellen auf das Merkmal, ob eine Verwaltungsmaterie von Beginn an, also seit 1949, auftragsgebunden i. S. d. Art. 85 GG war oder erst später als Auftragsverwaltung ausgestaltet bzw. eingeführt wurde. Schließlich ist auch der jüngst von Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S.

102

C. Die Bundesauftrags Verwaltung

winn. 1 0 5 Schließlich handelt es sich auch nur um eine überschaubare Anzahl (acht) entsprechender Materien, was den möglichen Ertrag und die Notwendigkeit einer bestimmten Zuordnung von vornherein gering erscheinen läßt. 106

1. Verteidigungsverwaltung Die Bundeswehrverwaltung nach Art. 87 b Abs. 1 GG ist Gegenstand obligatorischer unmittelbarer Bundesverwaltung i. S. d. Art. 86 GG. Nach Art. 87 b Abs. 2 Satz 1 GG kann in den von Art. 87 b Abs. 1 GG nicht erfaßten Bundesgesetzen, die mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden, festgelegt werden, daß sie ganz oder teilweise in bundeseigener Verwaltung - mit einem entsprechenden bundeseigenen Verwaltungsunterbau - oder von den Ländern in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden. 107 Diese inhaltlich komplizierte und vorderhand nur schwer durchschaubare Regelung ist als Ergebnis eines Interessenausgleiches zwischen dem Bund und den Ländern anzusehen. Im Rahmen der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Norm im Jahre 1956 in das Grundgesetz eingefugt. 108 Dabei wurde ein Kompromiß geschaffen, der dem Interesse des Bundes an einer zentralen Steuerung und Beeinflussung der Verwaltungsentscheidungen auf dem Verteidigungsgebiet einerseits und der grundgesetzlich festgelegten föderativen Ausgestaltung der öffentlichen Verwaltung andererseits Rechnung trug. Die Befürchtungen der Länder, daß in ihre Domäne der Vollziehung von Bundesgesetzen wesentlich eingebrochen werde, 109 wurden durch die umfangreichen Zustimmungserfordernisse des Bundesrates und die fakultative Ausführung der Gesetze durch die Länder in 248 ff., 281 ff, 327 ff., unternommene Versuch abzulehnen, die Bundesauftragsverwaltung in einen „formellen" und einen „materiellen" Bereich zu untergliedern; Näheres s. u. D. II. 3. c). 105 So auch Τ Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG, 1988, S. 38 f. 106 Zur - für den Gegenstand der vorliegenden Arbeit nicht relevanten - Frage der Zulässigkeit einer Bundesauftragsverwaltung im gesetzesfreien Raum Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnrn. 10 f.; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG, 1988, S. 50 ff; Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 37 ff, jeweils m. w. Nachw. 107 Zur Ausnahme von dem Erfordernis der Weisungserteilung durch eine oberste Bundesbehörde (Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG) s. u. D. II. 3. b) ß). 108 Durch Art. I Nr. 10 des 7. Gesetzes zur Änderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes v. 19.3.1956 (BGBl. I S. 111). 109 Dürig, in: Maunz/ders., Art. 87 b Rdnr. 10; Reinfried, Die Bundeswehrverwaltung, 3. Aufl. 1976, S. 48.

I. Die

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der Bundesauftragsverwaltung

103

Bundesauftragsverwaltung, also durch bestehende oder zu schaffende Landesbehörden, entkräftet. 110 Dabei trifft Art. 87 b Abs. 2 GG nicht selbst eine Entscheidung über die Vollzugszuständigkeit, sondern enthält nur eine verfassungsrechtliche Ermächtigung an den einfachen Gesetzgeber, d. h. Bundestag und Bundesrat, eine endgültige Entscheidung über die Verwaltungsform zu treffen. 111 Neue Verteidigungsgesetze müssen daher immer wieder aufs Neue über die Frage der Vollzugszuständigkeit selbst entscheiden und den jeweiligen Erfordernissen und Gegebenheiten angepaßt werden. Die Zustimmungsgesetze können dabei auch Abweichungen von Art. 85 GG (als Grundnorm der Bundesauftragsverwaltung) enthalten. Die eigentliche Bundeswehrverwaltung gem. Artt. 87 a und 87 b Abs. 1 GG wird in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau durchgeführt. Art. 87 b Abs. 2 GG erfaßt nur die Verteidigungsverwaltung i. w. S. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm i. V. m. Abs. 1. Der maßgebende Passus lautet: „Im übrigen können Bundesgesetze, die der Verteidigung einschließlich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, ... bestimmen, daß sie ... von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt werden." Die Norm bezieht sich auf Gesetze, welche die militärische Verwaltung betreffen und auf solche, die mit der besonderen Lage in unmittelbarem Zusammenhang stehen; der rein militärische Bereich muß also verlassen sein. 112 Von seiner Befugnis zur Einführung auftragsweiser Verwaltung nach Art. 87 b Abs. 2 GG hat der Bundesgesetzgeber bei etlichen Spezialmaterien umfangreich Gebrauch gemacht 113 , so daß eine bundeseigene Verwaltung eher die Ausnahme darstellt. 114

1,0

Dürig, ebenda; v. MangoIdt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 87 b Anm. II 3; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 87 b Rdnr. 3. 111 Die Entscheidung über den Verwaltungstypus ist von einem Kompromißcharakter geprägt und im Ergebnis offengelassen. Dies hat in der damaligen Kommentarliteratur erhebliche Irritationen ausgelöst; dazu Dürig, in: Maunz/ders., Art. 87 b Rdnr. 10, der „in Sachen Verteidigung glasklare und schneidige Hierarchieverhältnisse" fordert. Kritisch auch v. Mango Idt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 87 b Anm. II 3. Heute zustimmend demgegenüber Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 87 b Rdnr. 25; Reinfried, Die Bundeswehrverwaltung, 3. Aufl. 1976, S. 48. 112 So v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 87 b Anm. II 2; Dürig, in: Maunz/ders., Art. 87 b Rdnr. 33. Allg. zur Auslegung der Absätze 1 u. 2 des Art. 87 b GG Lerche, in: FS Dürig, 1990, S. 401 ff. 113 Ausführliche Nachweise bei Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 102; T.

104

C. Die Bundesauftragserwaltung 2. Atomverwaltung

Nach dem zum 1. Januar 1960 in das GG eingefugten Art. 87 c GG können Gesetze, die aufgrund des Art. 74 Nr. I I a GG ergehen, bestimmen, daß sie von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt werden. Dank dieser Grundgesetzänderung 115 ist also die Einführung gesetzesakzessorisch-fakultativer Auftragsverwaltung durch den einfachen Gesetzgeber möglich. Das Sachgebiet des wohltuend klar und unmißverständlich formulierten Art. 87 c GG erschließt sich nur im Zusammenhang mit Art. 74 Nr. 11 a GG. Danach kann die Ausführung von Gesetzen, welche die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, bzw. die Beseitigung radioaktiver Stoffe betreffen, mit Zustimmung des Bundesrates in Bundesauftragsverwaltung ergehen. Die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie ist somit nach freiem Ermessen des Bundesgesetzgebers in Bundesauftragsverwaltung zu vollziehen. Aufgrund dieser Ermächtigung ist das Atomgesetz (AtomG) als Bundesgesetz ergangen. 116 Das Atomgesetz wurde dabei parallel mit der Grundgesetznovelle (Artt. 74 Abs. 1 Nr. 11 a, 87 c) beschlossen. Das zeitgleiche Ausfertigen, Verkünden und Inkrafttreten wurde wegen seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit kritisiert. Das Β VerfG hat diese Praxis später (1972) für verfassungswidrig erklärt. 117 Damit war das Atomgesetz - neben einigen anderen Gesetzen - „verfassungswidrig zustande gekommen". 118 Der Gesetzgeber reagierte durch eine zeitliche Fiktionsregelung und erließ am 25. März 1974 das Gesetz zur Bereinigung von Verfahrensfehlern beim Erlaß einiger Gesetze.119 Nach seinem § 1 Abs. 1 Nr. 3 wurde fingiert, daß das Atomgesetz am Tage Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG, 1988, S. 41 f.; Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 14 f.; Schäfer, DÖV 1960, 641 (645). 114 Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnrn. 101 f. 115 Art 87 c GG eingefügt durch Gesetz v. 23.12.1959 (BGBl. I S. 813). 116 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) v. 23.12.1959 (BGBl. I S. 814) i. d. F. d. Bekanntmachung v. 15.7.1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.4.2002 (BGBl. I S. 1351). Zur Genese s. zuletzt Ronellenfitsch, in: W. Bayer/Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atomausstieg, 2000, S. 141 (142 f.). S. auch unten D. III. 1. b). 117 BVerfGE 34,9(21 ff.). 118 BT-Drucks. 7/1000, S. 5. 119 BGBl. IS. 769.

I. Die

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der Bundesauftragsverwaltung

105

nach Inkrafttreten des Grundgesetzänderungsgesetzes, d. h. am 2. Januar 1960, erlassen worden ist. 1 2 0 Das Atomgesetz selbst bestimmt seinen Anwendungsbereich nicht ausdrücklich. Er ergibt sich vielmehr indirekt aus den enthaltenen Regelungen: Zentrale Regelungsmaterie ist der Umgang mit radioaktiven Stoffen nach § 2 AtomG, wobei insbesondere Kernbrennstoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AtomG), aber auch sonstige radioaktive Stoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AtomG) normiert werden. Abgesehen von entsprechend Art. 87 Abs. 3 GG durchgeführten Verwaltungsaufgaben, die selbständigen Bundesoberbehörden bzw. bundesunmittelbaren Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts zugewiesen worden sind, 121 werden nach § 24 Abs. 1 AtomG für die Verwaltungsaufgaben nach dem 2. Abschnitt dieses Gesetzes (§§ 3 bis 21) und seiner Durchführungsverordnungen 122 die Behörden der Länder im Auftrage des Bundes verwaltend tätig, soweit sich nicht aus §§ 22, 23, 24 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AtomG etwas anderes ergibt. Diese § § 2 2 ff. AtomG begründen vielfältige Bundesverwaltungszuständigkeiten, wobei zuvorderst der Zuständigkeitskatalog des Bundesamtes für Strahlenschutz nach § 23 AtomG zu nennen ist. Zu den Landeszuständigkeiten gehören Verwaltungsentscheidungen in zentralen Bereichen wie etwa Genehmigungen von Reaktoren oder von Bau und Errichtung von Brennelementefabriken nach §§ 7, 7 a AtomG sowie deren Rücknahme bzw. Widerruf. Für die wichtigsten Verwaltungsentscheidungen schreibt § 24 Abs. 2 GG die Zuständigkeit der obersten Landesbehörden vor. Insgesamt findet sich ein 120

Knapp zum Ganzen Rodi , NJW 2000, 7 (8). In concreto handelt es sich um die Zuweisung bestimmter Verwaltungsaufgaben an das Bundesausfuhramt (§ 22 Abs. 1 AtomG), den Bundesminister der Finanzen (§ 22 Abs. 2 AtomG) und das Bundesamt für Strahlenschutz (§ 23 Abs. 1 AtomG). Verfassungsrechtlich bestehen hier Bedenken, da in diesen Bereichen gerade keine Bundesauftragsverwaltung de lege latam angeordnet ist, so daß an sich eine Landeseigenverwaltung nach Art. 83 GG bestehen müßte. So Maunz, in: ders./Dürig, Art. 87 c Rdnr. 6; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG, 1988, S. 43 FN 2. Dem wird überzeugend entgegengehalten, daß der Errichtung neuer Behörden i. R. d. Art. 87 Abs. 3 GG die Übertragung auf bestehende Behörden gleichstehe; vgl. v. MangoIdt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 87 c Anm. II 6; v. Münch, in: ders./Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 87 c Rdnr. 8; Haedrich, Das Atomgesetz, 1986, vor § 22 Rdnr. 2 a. E. 122 Die Ausführung von Gesetzen nach Art. 87 c GG i.V.m. Art. 74 Nr. 11 a GG umfaßt auch die Ausführung von Rechtsverordnungen des Bundes, die Gesetze im materiellen Sinn darstellen; siehe dazu v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 87 c Anm. II 7; v. Münch, in: ders./Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 87 c Rdnr. 2; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 27 mit FN 26 (Zweitbearb.). Die wichtigsten atomrechtlichen Rechtsverordnungen gibt T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG, 1988, S. 43 FN 1, wieder. 121

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C. Die Bundesauftragserwaltung

buntscheckiges Bild an verschiedenen Zuständigkeiten, welches sich vom grundsätzlichen Verwaltungsvollzug der Länder bei Art. 85 GG sehr entfernt. Die meisten Vorschriften des Atomgesetzes befassen sich mit der Genehmigung und Überwachung von Vorhaben, die der Errichtung oder dem Betrieb kerntechnischer Anlagen zuzurechnen sind. Es handelt sich also um verwaltungsrechtliche Überwachungsvorschriften für die Ein- und Ausfuhr von Kernbrennstoffen (§ 3 AtomG), deren Beförderung (§ 4 AtomG), Verwahrung (§ 6 AtomG), Verwendung (§ 9 AtomG) und Verwertung (§ 9 a AtomG) sowie insbesondere die Errichtung und den Betrieb von Atomkraftwerken (§ 7 AtomG) und Zwischen- bzw. Endlager für radioaktive Reststoffe oder Anlagenteile (§ 9 b AtomG). Außerdem enthält das Atomgesetz in seinen §§25 ff. privatrechtliche Haftungsvorschriften, die international abgestimmt sind und dem Umwelthaftungsgesetz als leges speciales vorgehen, so ausdrücklich § 18 Abs. 2 UmweltHG. Eine eigene gesetzliche Regelung außerhalb des Atomgesetzes haben trotz der materiell-rechtlichen Affinität die Überwachung der Radioaktivität und verschiedene Maßnahmen der Strahlenschutzvorsorge durch das Gesetz zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung (Strahlenschutzvorsorgegesetz - StrVG) 123 erfahren. 124 Das StrVG soll nach seinem § 1 zum Schutz der Bevölkerung die Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt sicherstellen und bei Ereignissen mit möglichen nicht unerheblichen radiologischen Auswirkungen die Vornahme von Maßnahmen gewährleisten, welche die Strahlenexposition des Menschen und die radioaktive Kontamination der Umwelt so gering wie möglich halten. § 2 StrVG überträgt zu diesen Zwecken wesentliche Überwachungsaufgaben dem Bund; zu nennen sind dabei vor allem die großräumige Ermittlung der Umweltradioaktivität, die Entwicklung und Festlegung von Probenahme-, Analyse- und Berechnungsverfahren, die genaue Durchführung von Ver123

v. 19.12.1986 (BGBl. I S. 2610), zuletzt geändert durch Art. 8 § 8 Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungsgesetz vom 24.6.1994 (BGBl. I S. 1416). Vgl. zum Strahlenschutzvorsorgegesetz auch den Bericht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/8630. Einen vorzüglichen Überblick gibt Bischof, in: BK, Art. 74 Nr. 11 a Rdnm. 70 ff.; s. auch J. Wolf Umweltrecht, 2002, Rdnrn. 679 ff. 124 Konkreter Hintergrund für den Erlaß des StrVG waren die Auswirkungen des Reaktorunfalls im Kernkraftwerk Tschernobyl im Jahre 1986. Widersprüchliche Empfehlungen und Grenzwertfestsetzungen auf Bundes- und Länderebene hatten damals zu einer massiven Verunsicherung der Bevölkerung geführt, so ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 10/6082, S. 7. Dazu Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, § 15 Rdnr. 87; instruktiv zur gesamten Regelung Rengeling, DVB1. 1987, 204 ff. (207: „Wirrwarr").

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gleichsmessungen und -analysen sowie die Dokumentation und Bewertung der einschlägigen Daten. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StrVG wird für dieses Gesetz und die aufgrund des Gesetzes ergangenen Rechtsverordnungen ( § § 6 und 7 StrVG) im Grundsatz die bundesauftragsweise Verwaltung normiert, 125 es sei denn, das Gesetz schreibt die bundeseigene Verwaltung vor. Bei einer weitergehenderen Ermittlung nach § 2 Abs. 2 StrVG verbleibt es beim Regelgesetzesvollzug nach Artt. 83, 84 GG. 1 2 6 Hinsichtlich des materiellen Inhaltes der von Gesetzes wegen angeordneten Bundesauftragsverwaltung gilt das zum Atomgesetz Gesagte, m.a.W.: Die Regelung des Art. 85 GG findet in vollem Umfange Anwendung. Das Bund hat ersichtlich im Atom- und Strahlenschutzrecht umfassend von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht und eine auftragsweise Verwaltung nach Art. 85 GG eingeführt. Das Bundesumweltministerium veröffentlichte am 9. Juli 2001 den Entwurf für ein neues Atomgesetz, welches den Atomausstieg und die wesentlichen Inhalte der am 11. Juni 2001 unterzeichneten Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen in bindendes Recht umsetzen sollte. 127 A m 27. April 2002 ist das „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität" in Kraft getreten. 128 Damit wurde die gesetzliche Grundlage für den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie geschaffen. An dem Prinzip der auftragsweisen Verwaltung wurde festgehalten.

3. Luftverkehrsverwaltung Durch Änderung des Grundgesetzes 129 wurde 1961 Art. 87 d GG eingefügt. Danach wird die Luftverkehrsverwaltung nach Art. 87 d Abs. 1 GG grundsätzlich - jedoch nicht zwingend - in bundeseigener Verwaltung durchgeführt. Dabei stand das Interesse an der Einheitlichkeit des Vollzuges im Vordergrund. Der moderne Luftverkehr ist länder- und staatenübergreifend und bedarf demzufolge als weltweit schnellste Verkehrsart eines einheitlichen Gesetzesvollzuges, um andernfalls anfallende Reibungsverluste zu vermeiden. 125

Dazu Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnm. 45 ff. (Zweitbearb.). Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, § 15 Rdnr. 89 FN 261; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 47 (Zweitbearb.). 127 Einzelheiten dazu s. u. D. III. 2.1). 128 BGBl. I S. 1351. Ein erster Überblick bei Kühne/Brodowski, NJW 2002, 1458 ff. 129 Gesetz zur Einfügung eines Artikels über die Luftverkehrsverwaltung in das Grundgesetz (11. Änderung des Grundgesetzes) v. 6.2.1961 (BGBl. I S. 65). 126

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C. Die Bundesauftragserwaltung

Nach Absatz 2 besteht fakultativ die Möglichkeit, die Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung durch Zustimmungsgesetz den Ländern als Bundesauftragsverwaltung zu übertragen. Diese Anordnung steht im Ermessen des Gesetzgebers. 130 Dies stellt weiterhin eine zentrale und einheitliche Verwaltung sicher, auch wenn ortsnähere Verwaltungsträger die Gesetze vollziehen. Es existiert kein Teilsachbereich der Luftverkehrsverwaltung, der nicht auch den Ländern in Auftragsverwaltung überlassen werden könnte; die beiden Absätze der Vorschrift sind insoweit „flächengleich". 131 In Abweichung von dem Regelfall des Absatzes 1 (Bundeseigenverwaltung) sind eine Reihe von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 bis 19 LuftVG 1 3 2 der Landes Verwaltungstätigkeit nach Weisung zugeschrieben worden. Dabei handelt es sich überwiegend um die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen im Zusammenhang mit dem Luftverkehr. 133 Des weiteren war bis 1999 in § 10 Abs. 1 Satz 1 LuftVG für den Bereich der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung Bundesauftragsverwaltung angeordnet.

4. Bundeswasserstraßenverwaltung Die Bundeswasserstraßenverwaltung - ein Verwaltungsbereich mit langer Tradition 134 - ist in Art. 89 GG geregelt. Die Bundeswasserstraßen unterstehen dieser Norm zufolge grundsätzlich bundeseigener Verwaltung, Art. 89 Abs. 2 Satz 1 GG. Gem. Art. 89 Abs. 2 Satz 3 und 4 GG ist dem Bund, d. h. den zuständigen Bundesorganen, jedoch die Befugnis eingeräumt worden, seine Wasserstraßen fakultativ auch von den Ländern verwalten zu lassen, indem er ihnen die Wasserstraßenverwaltung auftragsweise nach Weisung überträgt und auf eine bundeseigene Regelverwaltung nach Art. 89 Abs. 2 Satz 1 GG verzichtet. Diese Auftragsverwaltung soll aber nur einen Ausnahmefall von der bundeseigenen Regelzuständigkeit darstellen. 135 130

Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 87 d Rdnr. 37. Maunz, in: ders./Dürig, Art. 87d Rdnr. 17; Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), GGKomm., 2. Aufl. 1999, Art. 87 d Rdnr. 38. 132 Luftverkehrsgesetz i. d. F. d. Bekanntmachung v. 27.3.1999, BGBl. I S. 550. 133 Ausführlich dazu mit Darlegung der einzelnen Materien M. Hofmann/Grabherr, Luftverkehrsgesetz, 2. Aufl. 1993 (Loseblatt), § 31 Rdnrn. 11 ff.; ferner Giemulla, in: ders./Schmid (Hrsg.), Luftverkehrsgesetz, Loseblatt, § 31 Rdnrn. 30 ff. 134 Siehe zum Kaiserreich oben Β. II. c) u. zur Weimarer Republik B. III. 1. d). 135 Im Gegensatz zur Reichswasserstraßenverwaltung in der Weimarer Republik, die als Prototyp einer auftragsweisen Verwaltung galt; dazu oben B. III. 1. d). 131

I. Die

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der Bundesauftragsverwaltung

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Den Beratungen zum Grundgesetz zufolge sollte ursprünglich allein die Verwaltung der Bundeswasserstraßen in auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG ausgeführt werden. Dies ist dem Herrenchiemseer Entwurf ausdrücklich zu entnehmen.136 Voraussetzung für eine auftragsweise Verwaltung den Regeln des Art. 85 GG entsprechend ist, daß ein beteiligtes Land für sich allein (Art. 89 Abs. 2 Satz 3 GG) oder auch für andere beteiligte Länder (Art. 89 Abs. 2 Satz 4 GG) einen entsprechenden Antrag stellt. Es muß eine Beteiligung dergestalt bestehen, daß die in Rede stehende Wasserstraße im Gebiet des Landes bzw. der Länder liegt. Diese Regelung ist im Vergleich zu den anderen fakultativen Auftragsverwaltungen einzigartig. Hintergrund ist die Vermeidung des Splittens von Verwaltungsaufgaben zwischen Bundes- und Landesbehörden 137 sowie eine größtmögliche wirtschaftliche Effektivität. 138 Von dieser Möglichkeit ist wegen Fehlens entsprechender Länderanträge bis heute noch kein Gebrauch gemacht worden, so daß auf diesem Gebiet keine auftragsweise Verwaltung vorliegt. Ausgerechnet also in demjenigen Verwaltungsbereich, der vor Geltung des Grundgesetzes und auch schon in der Zeit der Weimarer Republik 139 als geradezu prädestiniert für eine auftragsweise Verwaltung durch die Länder angesehen wurde, ist eine solche - obgleich grundgesetzlich zulässig - nicht eingeführt worden. Art. 89 Abs. 2 Satz 3 und 4 GG läuft also leer.

5. Bundesfernstraßenverwaltung Art. 90 Abs. 1 GG bestimmt, daß der Bund Eigentümer der früheren Reichsautobahnen und Reichsstraßen ist. 1 4 0 Nach Art. 90 Abs. 2 GG werden die Bundesautobahnen und sonstigen Fernstraßen des Fernverkehrs im Auftrage des Bundes verwaltet.

136

Siehe dazu oben C. I. v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band 3, 2. Aufl. 1970, Art. 89 Anm. IV 3 c; Maunz, in: ders./Dürig, Art. 89 Rdnr. 41. 138 Ibler, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 89 Rdnr. 64. 139 Siehe dazu das Urteil des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich vom 12.12.1925 (RGZ 112 Anhang S. 33 = JW 1926, 1454 = Lammers/Simon, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, Band 1, S. 115 ff.), und oben B. III. 1. d). 140 Zur historischen Entwicklung der Femstraßen Verwaltung in Deutschland in aller Kürze Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 111 ff. 137

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C. Die Bundesauftragserwaltung

Es handelt sich um eine obligatorische, also zwingende Auftragsverwaltung; 141 der Gesichtspunkt einer überörtlichen Abstimmung der Straßenverkehrswege aufgrund der überragenden Bedeutung bestmöglicher Verbindungen innerhalb des gesamten Bundesgebietes142 war das Hauptmotiv für die Schaffung dieser Norm. Die zu schaffenden Verbindungen müssen mit den jeweiligen lokalen oder landesweiten Belangen abgestimmt werden, ohne daß der Bund einen eigenen Verwaltungsapparat zu errichten hätte. Hier schien die Bundesauftragsverwaltung die einzige Verwaltungsform zu sein, die diesen divergenten Belangen Rechnung tragen konnte. In Ausführung des Art. 90 Abs. 2 GG ist das Bundesfernstraßengesetz (FStrG) ergangen. 143 Der Bundesgesetzgeber ist nicht dazu ermächtigt, selbst eine Bundesauftragsverwaltung einzuführen, vielmehr normierte das Grundgesetz selbst konstitutiv diese Verwaltungsform als die einzig zulässige; 144 § 20 Abs. 1 Satz 2 FStrG („Die Länder üben die Straßenaufsicht im Auftrag des Bundes aus.") hat daher nur eine deklaratorische Bedeutung. Gegenstand der Bundesauftragsverwaltung sind nicht nur Aufgaben der Straßenbaulast 145, sondern nach § 20 Abs. 1 Satz 2 FStrG auch solche der Straßenaufsicht; den Ländern sind also beide Aufgabengebiete zum landeseigenen Vollzug nach Weisung übertragen. Die Verwaltung der Bundesfernstraßen umfaßt also alle mit dem Bau und dem Unterhalt zusammenhängenden Aufgaben, so auch § 3 Abs. 1 Satz 1 FStrG. Die Verwaltung erfolgt durch die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungsköiperschaften. 146 Art. 90 Abs. 2 GG ist die einzige Norm im Grundgesetz, welche ausdrücklich bestimmt, daß auch die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften mit der auftragsweisen Wahrnehmung von Bundesaufgaben betreut werden können. 147 Diese Option gilt auch für die anderen Materien auftragsweiser Verwaltung: 148 Nach Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG bleibt die Einrich141 Nur als Ausnahme ist gem. Art. 90 Abs. 3 GG auf Antrag eines Landes die Übernahme in bundeseigene Verwaltung vorgesehen. 142 Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verschaffte den überörtlichen Planungsinteressen eine ungeahnte Renaissance. 143 Gesetz v. 6.8.1953 (BGBl. I S. 903), nunmehr i. d. F. v. 19.4.1994 (BGBl. I S. 854). 144 Mit der eben geschilderten Abweichung des Art. 90 Abs. 3 GG. 145 Der Bund ist nach Art. 90 Abs. 1 GG Eigentümer der Straßen. 146 Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 90 Rdnr. 23. 147 Dazu Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 54 ff. 148 Dies und die verfassungsrechtlichen Grenzen sind umstr.; vgl. etwa BVerfGE 77, 288 (298 ff.); Hoog, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 90 Rdnr. 6; Schäfer, DÖV 1960, 641 (647).

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der Bundesauftragsverwaltung

111

tung der Behörden Sache der Länder, so daß auch Behörden der kommunalen Selbstverwaltung mit der Verwaltungstätigkeit betraut werden können.

6. Geldleistungsverwaltung Nach dem mit der Finanzreform von 1969 in das Grundgesetz eingefugten Art 104 a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 GG werden solche Gesetze im Auftrage des Bundes durchgeführt, die von den Ländern ausgeführt werden und bestimmen, daß der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt. Der Anwendungsbereich des Art. 85 GG fand damit eine ganz beträchtliche Ausdehnung. Die Bundesauftragsverwaltung als anzuwendender Verwaltungstypus ist bei entsprechenden Gesetzen von Verfassungs wegen zwingend. Zum Bereich der Auftragsverwaltung nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG zählen beispielsweise folgende Gesetze: •

Bundesausbildungsförderungsgesetz 149



Opferentschädigungsgesetz 150

• Wohngeldgesetz (WoGG) 1 5 1 • Wohnungsbauprämiengesetz (WoPG) 1 5 2 • Sparprämiengesetz (SparPG) 153 , jetzt 5. VermBG. Die grundgesetzliche Regelung über die Geldleistungsgesetze wird unten unter Teil Ε II. 3. e) cc) ß) ßß) eingehend behandelt. Darauf sei an dieser Stelle verwiesen.

149 Bundesgesetz über die individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAFöG) v. 26.8.1971, BGBl. I S. 1409, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 6.6.1983, BGBl. I S. 645, ber. S. 1680; zul. geändert durch Art. 1 Zwanzigstes BAFöGÄndG v. 7.5.1999, BGBl. I S. 850. 150 Opferentschädigungsgesetz v. 11.5.1976, BGBl. I 1181, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 7.1.1985, BGBl. I S. 1; zul. geändert durch Gesetz v. 21.7.1993, BGBl. I S.

1262.

151 Wohngeldgesetz (WoGG) v. 14.12.1970, BGBl. I S. 1637, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 1.2.1993, BGBl. I S. 183; zul. geändert durch Art. 1 ÄndG v. 16.7.1998, BGBl. IS. 1860. 152 Wohnungsbau-Prämiengesetz v. 17.3.1952, BGBl. I S. 319, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 30.10.1997, BGBl. I S. 2678; zul. geändert durch Gesetz v. 15.12.1995, BGBl. IS. 1783. 153 Sparprämiengesetz v. 5.5.1959, BGBl. I S. 241, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 10.2.1982, BGBl. I S. 125; zul. geändert durch Gesetz v. 26.6.1985, BGBl. I S. 1153. Außer Kraft getreten zum 31.12.1999.

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C. Die Bundesauftragserwaltung 7. Finanzverwaltung

Die Landesfinanzbehörden werden im Auftrage des Bundes tätig, wenn sie Steuern verwalten, die ganz oder zum Teil dem Bund zufließen, Art. 108 Abs. 3 Satz 1 GG. Hierdurch wird die vom GG grundsätzlich angeordnete Trennung der Finanzverwaltung in Bund und Ländern (Art. 108 Abs. 1 und 2 GG) durchbrochen. Denn nach Absatz 1 sind die enumerativ aufgezählten Steuern und Zölle durch Finanzbehörden des Bundes zu verwalten, die übrigen Steuern gem. Absatz 2 durch die Landesfinanzbehörden. Die von der Regelung betroffenen Steuern ergeben sich unmittelbar aus Art 106 Abs. 1 und 3 GG i.V.m. Art. 108 Abs. 1 GG. Es sind folgende: • die Straßengüterverkehrsteuer; • die Kapitalverkehrsteuern, die Versicherungsteuer und die Wechselsteuer; • die einmaligen Vermögensabgaben und die zur Durchführung des Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben; • die Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer; • die Gemeinschaftssteuern - Einkommensteuer - Körperschafisteuer - Umsatzsteuer.

8. Lastenausgleichsverwaltung Gem. Art. 120 a Satz 1 GG können Gesetze, die der Durchführung des Lastenausgleichs dienen, mit Zustimmung des Bundesrates auf dem Gebiet der Ausgleichsleistungen die teilweise Ausführung durch die Länder im Auftrage des Bundes bestimmen. Durch die Einfügung des Art. 120 a GG im Jahre 1952 154 wurde dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit der Einführung der Bundesauftragsverwaltung gegeben. Dem Gesetzeswortlaut zufolge sind die verschiedendsten Möglichkeiten des Gesetzesvollzugs denkbar, um die Aufgabe zu bewältigen. Von diesen Optionen zur Verwaltungsorganisation (bis hin zu einer Kombination der Artt. 84

154

Gesetz zur Einfügung eines Art. 120 a in das Grundgesetz v. 14.8.1952 (BGBl. I S. 445).

VII. Fazit

113

und 85 GG) ist jedoch kaum Gebrauch gemacht worden. 155 Zentrale Norm innerhalb der Lastenausgleichs Verwaltung ist das Lastenausgleichsgesetz.156 Die Art. 85 GG unterfallenden Aufgaben finden sich in §§ 228 ff. LAG. 1 5 7 Es handelt sich ganz überwiegend um Kriegsfolgenlasten. Die Bedeutung dieser Verwaltungsbereiche ist heute eher als gering einzustufen. So bedeutend und zu einer Lösung drängend diese Aufgabe in den ersten Jahren nach Gründung der Bundesrepublik war, 1 5 8 so sehr ist im Laufe der folgenden Jahrzehnte die Bedeutung zurückgegangen. Nach 50 Jahren Geltung des GG war der Lastenausgleich weitgehend abgeschlossen.159 Schaefer 160 bemerkt zutreffend, daß mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21.12.1992 161 das gesetzgeberische Ende des Lastenausgleichs eingeläutet wurde.

V I I . Fazit Das Rechtsinstitut der Bundesauftragsverwaltung verbindet auf einzigartige Weise den administrativen Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder mit umfangreichen Aufsichts- und Einwirkungsbefugnissen des Bundes. Diese Verwaltungsform fungiert damit als verfassungsrechtlich unbedenklicher föderaler Zwischentyp gegenüber dem grundgesetzlichen Regelfall der landeseigenen Verwaltung von Bundesgesetzen einerseits und dem Ausnahmefall der bundeseigenen Verwaltung andererseits. Daß es sich dabei um echte Landesverwaltung handelt, steht heute nicht mehr in Frage. Die im einzelnen im GG aufgeführten Bereiche auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG legen das Territorium der Bundesauftrags Verwaltung - fakultativer oder obligatorischer Art - fest; nur innerhalb dieses Rahmens ist der

155

S. nur T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 49. Zum Bundesausgleichsamt als selbständiger Bundesoberbehörde und seinen Befugnissen Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 36 f.; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG, 1988, S. 49 m. w. Nachw. 156 1. d. F. vom 1.10.1969, BGBl. I S. 1909. 157 Auch in einigen weiteren (Speziai-) Gesetzen werden entsprechende Landesaufgaben benannt, s. dazu T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 49 f. 158 Dazu Muckel, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 120 a Rdnr. 1. 159 Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 120 a Rdnr. 3. 160 In: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 a Rdnr. 6. 161 BGBl. I S. 2094. 8

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C. Die Bundesauftragserwaltung

Bund imstande, die Ingerenzrechte des Art. 85 GG auszuüben, indem er seine „schlummernde" Sachkompetenz aktiviert. Die praktisch wichtigsten Gebiete der Bundesauftragsverwaltung finden sich im Atomrecht und der Fernstraßenverwaltung sowie in den Geldleistungsgesetzen.

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG I . Überblick und Literaturbefund Nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG sind die obersten Bundesbehörden befugt, im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung in Form von Weisungen auf die Gesetzesausführung durch die Landesbehörden einzuwirken. Diese Weisungen sind nach Satz 2 der Vorschrift regelmäßig an die obersten Landesbehörden zu richten. Der Vollzug der Weisung ist gem. Satz 3 der Norm durch die Landesbehörden sicherzustellen. Nur im Eilfall kann sich die Bundesregierung unmittelbar an die untergeordnete zuständige Landesbehörde wenden. Art. 85 Abs. 3 GG als Basisnorm begründet das auftragsrechtliche Weisungsverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern und gestaltet es zugleich aus. Die spezifische strukturelle Verknüpfung von Zentralstaat und Gliedstaaten markiert das besondere Gepräge der Bundesauftragsverwaltung und grenzt es gleichzeitig von der Landeseigenverwaltung nach Artt. 83, 84 GG ab. Am Anfang dieses Kapitels soll nach einem Literaturbefund eine umfassende Begriffsbestimmung der „Weisung" im Sinne des Art. 85 Abs. 3 GG stehen. Die zunächst festzustellende Vielfalt .der Begriffsinhalte gilt es auf das Verständnis im Kontext des Art. 85 Abs. 3 GG zu konzentrieren. Hieran schließt sich eine Darlegung der konkreten Ausgestaltung des Rechtsinstitutes und seiner Einbettung in die Bundesauftragsverwaltung an. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den inhaltlichen Umfang der Weisungskompetenz zu legen sein. Im folgenden werden die in der bundesdeutschen Geschichte erkennbaren Weisungskonflikte benannt und im einzelnen dargestellt. Den faktischen Gegebenheiten entsprechend wird das Hauptaugenmerk auf den Verwaltungsbereich des Atomrechts gelegt. Anschließend werden die Grenzen des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG erkundet und im einzelnen strukturiert. Hiernach gilt es, den Rechtsschutz der Länder gegen Bundesweisungen zu betrachten und - eng hiermit verknüpft - die Frage nach der zwangsweisen Durchsetzung einer Weisung aufzuwerfen. Abschließend wird eine vorläufige Gesamtbilanz des Weisungsrechts des Bundes nach nunmehr über 50 Jahren Grundgesetz gezogen.

116

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG 1. Auftragsrechtliche „Windstille"

Die Weisung als Aufsichtsmittel in der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG fand in den ersten drei Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland im Schrifttum keine große Aufmerksamkeit. Vielmehr wurde dieses Aufsichts- und Steuerungsmittel - gleichermaßen wie die Verwaltungsform, in welche sie mittels Art. 85 Abs. 3 GG eingebettet ist - in der staatsrechtlichen Literatur stiefmütterlich behandelt und nur von wenigen Autoren in nennenswertem Umfang aufgegriffen. 1 Auch die Rechtsprechung mußte zum Weisungsrecht - wie auch zur Bundesauftragsverwaltung allgemein - nur wenig judizieren. Ausführungen zur Bundesauftragsverwaltung finden sich in den Entscheidungen eher beiläufig und nicht an zentraler Stelle.2 Eine auch nur ansatzweise strukturvermittelnde Jurisdiktion ist nicht zu erkennen. Die Staatspraxis von Bund und Ländern bei der Ausführung von Gesetzen nach Art. 85 GG funktionierte weitgehend reibungslos 3 mit der Folge, daß es keine gerichtlichen Auseinandersetzungen gab oder die Beteiligten sich im Falle eines auftretenden Vollzugskonfliktes außergerichtlich einigten. Konflikte zwischen Bund und Ländern und speziell solche um den Vollzug von Bundesgesetzen entwickelten sich in Bereichen außerhalb der auftragsweisen Verwaltung nach Art. 85 GG.

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Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die Schrift von Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, wobei der Schwerpunkt der Darlegungen nicht die Weisung, sondern der Begriff der Bundesauftragsverwaltung ist; ferner sind zu erwähnen Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972; früher schon Schäfer, DÖV 1960, 641 ff. Auch die Kommentarliteratur hielt sich vergleichsweise knapp; vgl. beispielshalber Herrfahrdt, in: BK, Art. 85 (Erstbearb.) mit gerade zwei Seiten Kommentierung der Norm; v. Mangoldt, Das Bonner GG, 1. Aufl. 1955, Art. 85; ausführlicher schon v. Mangoldt/Klein, Das Bonner GG - Band III, 2. Aufl. 1970, Art. 85. 2 Vgl. Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 6 mit Hinweis auf BVerfGE 11, 6 (15); 26, 338 (395 ff.); 63, 1 (39 ff.). Ferner BAGE 13, 45 ff. zum Verwaltungstypus der Bundesauftragsverwaltung; BGHZ 16, 95 ff. zur Zulässigkeit allgemeiner Weisungen. 3 Symptomatisch etwa Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 54: „Ihre [also die der Bundesauftragsverwaltung, d. Verf.] unbestreitbare Praktikabilität sowie ihre Wirksamkeit als anerkanntes ausgleichendes Ordnungsprinzip in ihrer Mittelstellung zwischen Zentralismus und Dezentralisation qualifiziert die Bundesauftragsverwaltung als geeignete, unserem Staatsgefuge angemessene Verwaltungsform."

I. Überblick und Literaturbefnd

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2. Zunehmende energiepolitische Auseinandersetzungen Die jahrzehntelange „Windstille" im Bereich der Bundesauftragsverwaltung fand in den späten Siebziger Jahren und dann in den Achtziger Jahren ihr Ende; sie wich einer behördlichen wie literarischen, im Anschluß hieran auch rechtsprechenden Aktivität von ganz erheblichem Ausmaß, durch welche diese Verfassungsmaterie verstärkt ins juristische Scheinwerferlicht gerückt wurde. Der forensische und wissenschaftliche „Halbschlummer" 4 der Thematik fand damit ein Ende. Wurde anfangs der Siebziger Jahre aufgrund der OPEC-Ölpreisanhebungen noch auf einen beschleunigten Ausbau der Kernenergie gedrängt, so geriet diese Form der Energiegewinnung zusehends mehr in Verruf. Anlaß für dieses Echo war das zunächst verdeckte, später dann offene Auseinanderbrechen des wirtschafts- und energiepolitischen Konsenses in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zeitraum, 5 auch und gerade zwischen dem Bund und den Ländern, was eine zunehmende Polarisierung auf diesem Verwaltungs- und Rechtsgebiet bewirkte. Dieses Aufbrechen führte unwiderruflich zum Ende des geräuschlosen und konfliktfreien Funktionierens der Bundesauftragsverwaltung im Atomrecht. 6 Die Grundlagen einer gemeinsamen Energiepolitik von Bund und Ländern waren ins Wanken geraten, die Basis für gemeinschaftliche Verwaltungsentscheidungen fehlte von nun ab. Die Frage, ob der Einsatz der Kerntechnologie zum friedlichen Zwecke der Stromerzeugung sinnvoll und auch verantwortbar ist, wurde von nun ab nicht mehr konsensual bejaht. Grundlegende staats- und demokratietheoretische Probleme wurden virulent: die Grenzen von Staat und Recht sowie von demokratischer Legitimation.7

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Lerche, BayVBl. 1987, 321. Dieses Auseinanderbrechen wird etwa dokumentiert von T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 1 ff. Vgl. aus jüngster Zeit auch F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 32 ff. m. w. Nachw. Es überrascht daher nicht, wenn selbst juristische Dissertationen, die sich seinerzeit mit spezifischen Einzelheiten der Bundesauftragsverwaltung beschäftigten, der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie nur einen bescheidenen Rahmen einräumen; vgl. etwa wiederum Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, der trotz der „ständig steigenden wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bedeutung der Kernenergie" {Stein, aaO., S. 39) diesem Bereich auftragsweiser Verwaltung nur eine einzige Seite widmet. 6 Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (52); Feuchte, in: Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 5, 1987, S. 127 f.; Sommermann, DVB1. 2001, 1549 (1555). 7 Dazu Rodi, NJW 2000, 7 (9). 5

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Ohne an diesem Orte näher auf die sozio-politischen Hintergründe dieser Entwicklung einzugehen, sei nur stichwortartig auf die in breiten Gesellschaftsschichten angesichts der nicht zu leugnenden Risikodimensionen massiv veränderte Einstellung zum Atomstrom, das Aufkommen der Anti-AtomkraftBewegung mit ihrer selbstbewußten Protestbereitschaft, das gewachsene ökologische Bewußtsein allgemein sowie die Gründung der Partei DIE GRÜNEN und nicht zuletzt die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 und den schweren Störfall in Harrisburg/USA sieben Jahre zuvor hingewiesen.8 Bis zur Auflösung dieses energiepolitischen Konsenses bestimmte seit Inkrafittreten des Atomgesetzes am 1. Januar I960 9 einerseits eine ausgeprägte Kooperation zwischen dem Staat und der Energiewirtschaft das Bild, andererseits bestand ein breites Einvernehmen zwischen Politik, Wissenschaft und den privaten Energieunternehmen hinsichtlich der Entwicklung und Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Allerorts fand sich eine nahezu uneingeschränkt positive Grundeinstellung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, die heute kaum mehr vorstellbar ist. 10

3. Heutiger Befund Die Weisung im Rahmen einer Verwaltung nach Ait. 85 GG ist im Schrifttum seitdem relativ umfangreich erörtert worden. Als erste haben sich bereits 1979 Ost und Pelzer in einem knappen Aufsatz 11 mit den spezifischen Problemen des politisch brisanten Weisungsrechts im atomrechtlichen Genehmi-

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Eine besonders krasse Fehleinschätzung der schwindenden gesellschaftlichen Akzeptanz der Atomkraft Mitte der Siebziger Jahre liefert Röglin, atw 1977, 20, der den Widerstand auf eine „vagabundierende" Angst zurückführt, die sich die Atomenergie derzeit als Opfer ausgesucht habe. 9 In der Nachkriegszeit war die Bundesrepublik zunächst von jeglicher atomwirtschaftlicher Betätigung ausgeschlossen. Die deutsche Atomnutzung und -forschung fiel in die Alleinzuständigkeit der Besatzungsmächte. Das änderte sich erst mit Wiedererlangung der Souveränität im Jahre 1955. Bis zum Erlaß des Atomgesetzes und der dafür erforderlichen Grundgesetzänderung - das GG enthielt zunächst keinen Kompetenztitel auf dem Gebiet der Kernenergie - vergingen über vier Jahre. Einzelheiten zum Entscheidungsprozeß zur Nutzung der Kernkraft zur Energiegewinnung bei Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, 1983, S. 35 f.; Bischof, in: BK, Art. 74 Nr. 11 a Rdnrn. 17 ff.; Rodi , NJW 2000, 7 (7 f.). 10 Treffend Böhm, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 667 (669: „Lange Jahre war die friedliche Nutzung der Kernenergie im Bewußtsein der Öffentlichkeit weitgehend als Zeichen des Fortschritts gewertet worden."). 11 „Kann der Bund im atomrechtlichen Verwaltungsverfahren Landesbehörden anweisen?" in: atw 1979, 22 ff.

I. Überblick und Literaturbefìind

119

gungsverfahren beschäftigt. Ihnen folgte eine ganze Reihe von Spezialliteratur zu Art. 85 Abs. 3 GG, 1 2 wobei die politische Brisanz des atomrechtlichen Bereiches einer emotionsfreien Analyse des verfassungsrechtlichen Status quo nicht immer dienlich gewesen ist. Das BVerfG hat schließlich eingangs der Neunziger Jahre gleich zweimal Gelegenheit gehabt, sich mit der Materie der Bundesauftragsverwaltung eingehend zu beschäftigen. 13 Der Schwerpunkt der Entscheidungen lag neben der dogmatischen Einordnung der Bundesauftragsverwaltung an sich besonders auf dem Umfang und den Grenzen des bundesaufsichtlichen Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG. Anlaß für diese verfassungsgerichtliche Rechtsprechung boten die eben angesprochenen Auseinandersetzungen in Hinblick auf die Reichweite des Weisungsrechts bei der Kernenergieverwaltung. 2002 umriß das BVerfG in einer weiteren Entscheidung den Umfang der Sachkompetenz des Bundes beim Vollzug des Atomrechts. 14 Alle anderen Bereiche der Bundesauftragsverwaltung haben keine so umstrittenen Problemfelder mit einer vergleichbaren verfassungsrechtlichen Relevanz hervorgebracht. Die dort nach wie vor vorherrschende weitgehend einvernehmliche Verwaltung zwischen Bund und Ländern „produzierte" keine entsprechenden Rechtsstreitigkeiten, die zu einer gerichtlichen Klärung der verfassungsrechtlichen Implikationen von Art. 85 GG hätte führen können. Im Jahre 1990 geäußerte Befürchtungen dahingehend, daß etwa auf dem Gebiet der Verwaltung der Bundesfernstraßen vermehrt Meinungsverschiedenheiten vor dem BVerfG ausgetragen werden würden, 15 haben sich bislang nicht be-

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Es seien genannt mit teilweise unterschiedlichen Fragestellungen T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 III GG, 1988; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990; femer umfassend auch Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, der sich bei seinen Ausführungen jedoch mehr auf ein subjektives öffentlich-rechtliches Abwehrrecht der Länder gegen erteilte Bundesweisungen konzentriert und weniger auf die Weisung an sich; Steinberg, Bundesaufsicht, Landeshoheit und Atomgesetz, 1990; zuletzt F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998; sowie die neueren Kommentierungen des Art. 85 GG wie Lerche, in: Maunz/Dürig, 1987, Art. 85 Rdnm. 49 ff.; ders., BayVBl. 1987, 321 ff.; Winter, DVB1. 1985, 993 ff.; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 ff.; H. Wagner, DVB1. 1987, 917 ff. 13 Urteil vom 22.5.1990, 2 BvG 1/88, BVerfGE 81, 310 ff. (Kalkar-Entscheidung); Urteil vom 10.4.1991, 2 BvG 1/91, BVerfGE 84, 25 ff. (Grube Konrad-Entscheidung) = JZ 1992, 307 ff. mit Anm. Gornig = JuS 1992, 153 ff. mit Anm. Sachs. 14 Urteil vom 19.2.2002, 2 BvG 2/00, NVwZ 2002, 585 ff. (Biblis A-Entscheidung) mit Anm. Frenz (S. 561 ff.) = DVB1. 2002, 549 ff. mit Anm. Reicherzer. 15 In diesem Sinne BliimeU in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 59 a. E.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

wahrheitet. Durchaus erwähnenswert ist aber jüngst in diesem Sachzusammenhang das bisher vereinzelt gebliebene Urteil des Β VerfG vom 3. Juli 2000, welches den Umfang des Bundesweisungsrecht bei der Fernstraßenverwaltung zum Inhalt hat. 16 Vor allem die vorliegende Judikatur des BVerfG 17 hat die vormalig bestehende dogmatische Unterbilanz hinsichtlich der Bundesauftragsverwaltung zumindest in Hinblick auf den zulässigen Weisungsumfang - und die damit korrespondierende Weisungsgebundenheit seitens der Länder - offenkundig beseitigt und auf diesem besonders heiklen und hochpolitischen Terrain Rechtsklarheit geschaffen. Ob durch diese verfassungsgerichtliche Rechtsprechung der Regelungsgehalt des Art. 85 Abs. 3 GG wirklich - wie in der Literatur vereinzelt behauptet wird 1 8 - an Praxisrelevanz und Dynamik gewonnen hat, erscheint jedoch eher zweifelhaft. Ein signifikantes Ansteigen der Inanspruchnahme des Bundesweisungsrechts ist - soviel sei an dieser Stelle bereits festgestellt - seit den beiden in Rede stehenden Entscheidungen des BVerfG cum grano salis nicht zu verzeichnen. Gegenstand der ersten verfassungsgerichtlichen Entscheidung war der Streit um ein Kernkraftwerk vom Typ „Schneller Brüter" in Kalkar/NordrheinWestfalen im Jahre 1990 (sog. Kalkar-Entscheidung 19). Nur wenige Monate später erfolgte die Entscheidung des BVerfG zur ehemaligen Eisenerzgrube in Salzgitter/Niedersachsen namens „Konrad" (sog. Grube [oder: Schacht] Konrad-Entscheidung 20), die - jedenfalls nach dem Willen der Bundesregierung als Endlager für bestimmte radioaktive Abfälle eingerichtet werden sollte. 2002 stand der Atommeiler in Biblis, Block A, im Zentrum der Entscheidung.21

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BVerfG, 2 BvG 1/96, DVB1. 2000, 1282. Es handelte sich um einen Streit zwischen dem Bund und dem Land Schleswig-Holstein wegen der Abstufung eines Teilbereichs der Bundesstraße 75 in eine Straßenklasse nach Landesrecht und einer diesbezüglichen auf Art. 85 Abs. 3 GG gestützten Weisung des Bundesverkehrsministers vom 26.7.1995 an den zuständigen Landesminister für Wirtschaft, Technik und Verkehr. Einzelheiten s. u. D. III. 3. a). 17 BVerfGE 81, 310 ff.; £ 84, 25 ff. = JZ 1992, 307 ff. mit Anm. Gornig = JuS 1992, 153 ff. mit Anm. Sachs; BVerfGE 84, 25 ff.; BVerfG DVB1. 2000, 1282 = JZ 2001, 91 mit Anm. Hermes = JA 2001, 286 mit Anm. Beaucamp; BVerfG NVwZ 2002, 585 ff. mit Anm. Frenz (S. 561 ff.) = DVB1. 2002, 549 ff. mit Anm. Reicherzer. 18 Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 17. 19 BVerfGE 81, 310 ff. Einzelheiten s. u. D. III. 2. b). 20 BVerfGE 84, 25 ff. Einzelheiten s. u. D. III. 2. b) aa). 21 BVerfG NVwZ 2002, 585 ff. Einzelheiten s. u. D. III. 2. g).

I. Überblick und Literaturbefnd

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Mit diesen Urteilen des BVerfG sind zwar einige Streitfragen in einer fur die gesamte Staatspraxis verbindlichen Weise (vgl. § 31 BVerfGG) 22 geklärt worden, ohne daß aber eine umfassende verfassungsgerichtliche Rechtsdogmatik der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG vom BVerfG entwickelt worden wäre. Auch das Fernstraßenweisungsurteil 23 hat keine nennenswerten weiteren Klarheiten geschaffen. Ob daher Bundesweisungen heute noch als bundesstaatliches Kernproblem 24 angesehen werden können, erscheint zumindest zweifelhaft. Entsprechendes Konfliktpotential ist inzwischen eher in den Kompetenzstreitigkeiten im Bund-Länder-Verhältnis hinsichtlich der Gesetzgebungszuständigkeiten oder der Verteilung der Finanzzuständigkeiten25 zu finden. Daß jedoch bereits die Androhung einer Weisung und erst recht die Inanspruchnahme des Weisungsrechts einen krisenhaften Zustand des bundesstaatlichen Miteinanders ausdrückt, sollte nicht übersehen werden. 26 Stellt die Bundesauftragsverwaltung mitsamt ihrem Weisungsrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts also eine defizitäre Verwaltungsform dar, welche nur dort funktioniert, wo die Länder mit dem Bund politisch loyal zusammenarbeiten? 27 Ist die Bundesauftragsverwaltung daher ein Auslaufmodell, da letztlich kein dem Art. 85 GG unterfallender Verwaltungsbereich frei von Konfliktstoff ist? 28 Oder vermag der Bund besonders mit dem Weisungsrecht in den Verwaltungsbereichen des Art. 85 GG „Alleingänge" einzelner Länder wirksam zu

22 Allgemein zum Umfang und zur Reichweite von Entscheidungen des BVerfG Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichtes an seine Entscheidungen, 1977. 23 BVerfG DVB1. 2000, 1282. 24 So 1990 Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 208. 25 S. etwa die umfang- und kenntnisreiche Untersuchung von Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997. 26 Hierauf weist zutreffend Badura, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 87 (97), hin. 27 So ausdrücklich F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 41 m. w. Nachw. in FN 99. 28 Darauf macht Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, S. 113 mit FN 636, aufmerksam. Bemerkenswerterweise hat die Verfassungskommission Bundesrat 1991/92 im Rahmen des Abschnittes „Verwaltungsaufbau und Verwaltungskompetenzen" das Weisungsrecht bei der Bundesauftragsverwaltung kritisch überprüft, mehrheitlich Änderungsvorschläge, welche die Justitiabilität der Weisungen betrafen, jedoch abgelehnt; sie seien mit dem System der Bundesauftrags Verwaltung nicht zu vereinbaren, und es bestehe die Gefahr, daß die Handlungsfähigkeit des Bundes (sie!) untergraben werde. S. Bericht der Verfassungskommission Bundesrat, 1992, Abschnitt 5 Rdnm. 79 bis 81.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

beenden, die dazu geeignet sind, Entscheidungen mit gesamtgesellschaftlicher, also letztlich ganz Deutschland betreffender Bedeutung zu unterlaufen und zu desavouieren? 29 Diese Fragen sollen im weiteren Verlauf dieses Kapitels einer Antwort zugeführt werden.

I I . Begriff der Weisung 1. Vielfalt der Inhalte Die „Weisung" ist ein vielschichtiger Begriff. Sie findet sich auch in den unterschiedlichsten (Teil-) Rechtsgebieten wieder. Weisungen sind in der bundesdeutschen Rechtsordnung nicht allein in Art. 85 Abs. 3 GG - also eingebettet in die Bundesauftragsverwaltung - normiert, sondern als lenkendes Instrument im Rahmen unterschiedlicher Rechtsbeziehungen vorhanden.

a) Weisungen im Rechtssinne Das Wesen der Weisung und seine rechtliche Würdigung sind je nach spezieller Typologie und rechtlicher Einbettung offenkundig verschieden. Eine generelle feinziselierte juristische Definition des Begriffs „Weisung" ist wegen seiner stark variierenden Bedeutung nicht möglich. 30 Dies gilt sowohl hinsichtlich der gesamten Rechtsordnung als auch isoliert für das Gebiet des Öffentlichen Rechts. Dementsprechend fehlt es auch an einer umfassenden Legaldefinition. Die Definition des Dudens,31 wonach es sich bei einer Weisung um eine Anordnung oder einen Hinweis handelt, wie etwas zu tun ist bzw. wie man sich verhalten soll, bestimmt den Terminus im allgemeinen Sprachgebrauch. Juristisch-begrifflich betrachtet ist diese Umschreibung indes zu unpräzise und trägt den rechtlichen Besonderheiten, den jeweiligen Voraussetzungen, Rechtsfolgen etc. nicht ausreichend Rechnung. Im Grundsatz trifft diese allgemein29

Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 24. So auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 III GG, 1988, S. 54; Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen im öffentlichen Recht, 1969, S. 25. Das muß indes nicht dazu führen, daß - in Abwandlung eines Bonmots von N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, S. 59 f. („Das Wesen des Wesens ist unbekannt."), - sich der Begriff „Weisung" einer typisierenden Betrachtung entzöge. 31 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 8, 1995, S. 3882 Spalte 1. 30

II. Begriff der Weisung

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sprachliche Definition aber auch auf die verschiedenen (grund-) gesetzlichen Weisungskompetenzen zu, ohne daß die Besonderheiten klargestellt würden. Im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch werden als Weisungen die verwaltungsinternen bindenden Anordnungen zur Regelung konkreter Sachverhalte bezeichnet. Dabei ergehen sie regelmäßig entweder innerbehördlich oder zumindest zwischen zwei Behörden oder sonstigen Stellen im innerstaatlichen Bereich, also nicht gegenüber privaten Dritten mit der Folge, daß ihnen selbst keine unmittelbare Außenwirkung zukommt. 32 Die erheblich differierenden juristischen Begriffsinhalte im Verfassungs-, Verwaltungs-, Zivil- und Strafrecht werden von der genannten Definition nur unzureichend erfaßt. Immerhin ist als Gemeinsamkeit in sämtlichen Bedeutungszusammenhängen der anordnende Charakter der Maßnahme nicht zu übersehen. Die befohlene Reaktion ist gerade nicht in das Belieben des Empfängers gestellt oder beruht auf bloßen Loyalitätsgesichtspunkten, sondern wird zwingend erwartet, was die in Rede stehende Maßnahme von einfachen Empfehlungen, Anregungen o. ä. deutlich abhebt. Es handelt sich bei Weisungen im Rechtssinne immer um eine imperative Festlegung qua auctoritatem eines anderen auf ein bestimmtes Verhalten unter mehreren (zumindest zwei denkbaren) Möglichkeiten in der festen Erwartung, daß dieser Impuls von dem Empfanger akzeptiert und befolgt wird. 33 Offen bleibt zunächst, ob und welche Sanktionsmöglichkeiten dem Anweisenden zur Verfügung stehen für den Fall, daß der Angewiesene der Verpflichtung nicht nachkommt. Im übrigen jedoch sind beispielsweise die Unterschiede zwischen Weisungen, mittels derer ein Strafgericht auf einen verurteilten Straftäter für die Dauer der Führungsaufsicht einzuwirken vermag 34 , solchen, mittels derer ein Auftraggeber einzelne Pflichten des Beauftragten bei der Ausführung eines zivilrechtlichen Auftrages konkretisiert 35 , oder wiederum solchen, denen Beamte gem. § 37 BRRG unterliegen 36, so groß, daß eine einheitliche juristische Defi32 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, § 44 Rdnr. 17; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 9 Rdnr. 27. 33 Ähnlich Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen im öffentlichen Recht, 1969, S. 26 m. w. Nachw. 34 S. dazu § 68 b StGB; vertiefend Raabe, Die Führungsaufsicht im 2. Strafrechtsreformgesetz, 1973, S. 75 bis 168; vgl. auch Fernholz-Niemeier, Die Pönalisierung von Weisungsverstößen im Rahmen der Führungsaufsicht, 1992, insb. S. 27 ff. 35 Vgl. § 665 BGB; umfangreich dazu Knütel, ZHR 137 (1973), S. 286 ff. (insb. S. 287 bis 292). 36 Umfassend zum Weisungsbegriff und den Weisungsgrenzen im öffentlichen Recht Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen im öffentlichen Recht, 1969.

124

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

nition hieran scheitern muß. 37 Es ist auch zu berücksichtigen, daß entsprechende umfassende Definitionsversuche juristische Vorabentscheidungen und Voreingenommenheiten hervorrufen können, was völlig unnötigerweise den Begriff und seine Anwendung einschränkt. 38 Selbst bei isolierter Betrachtung des öffentlich-rechtlichen Terrains zeigen sich unterschiedliche Funktionen des Weisungsrechts. 39 Dabei reicht die erkennbare Spanne vom Kommunalrecht 40 über das Beamtenrecht 41 bis schlußendlich hin zum Verfassungsrecht. 42 Prägend und strukturbildend ist in allen diesen Bereichen jedoch, daß die Weisung das typische Steuerungselement der hierarchischen Verwaltung zwecks Sicherung bzw. erstmaliger Herstellung der Einheitlichkeit des staatlichen Verwaltens darstellt, 43 wobei regelmäßig dieser verwaltungsinterne Vorgang für das Außenverhältnis ohne Belang ist und daher zunächst keinerlei rechtliche Wirkungen erzeugt. Typischerweise ergehen Weisungen jedenfalls im Verwaltungsrecht im zwischenbehördlichen Komplex als Befehle des Vorgesetzten an den Untergebenen resp. solche der vorgeordneten an die nachgeordnete Behörde. 44 Im Kommunalrecht etwa sind die Gemeinden bei der Ausführung der kommunalen Auftragsangelegenheiten und bei den sog. Pflichtaufgaben zur Erfül37

25 f.

Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen im öffentlichen Recht, S.

38 Hierauf weist T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 54, hin. M. E. sollte diese Gefahr in realiter nicht überschätzt werden. 39 Zur rechtsstaatlichen und demokratischen Funktion der Weisung s. P. Kirchhof, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 1988, § 59 Rdnr. 169. 40 Ausdrücklich von Weisungen sprechen z. B. § 2 Abs. 2 GO R.-Pfl. u. § 3 Abs. 2 GO NRW. Zu Weisungen und der Selbstverwaltungsgarantie im Kommunalrecht s. Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 183 ff. 41 § 37 BRRG; § 55 Abs. 2 BBG. Vgl. zu staatlichen Weisungen im Beamtenrecht auch Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, S. 200 ff. 42 Art. 35 Abs. 3 S. 1, 37 Abs. 2, 38 Abs. 1 S. 2, 52 a Abs. 1 Satz 3 2. HS, 77 Abs. 2 S.3,84 Abs. 5S. 1,85 Abs. 3, 91 Abs. 2, 115 f Abs. 1 Nr. 2, 119 Satz 2 u. 3, 120 a Abs. 1 Satz 2 2. HS u. 128 GG. Auch Ausführungsgesetze zum Grundgesetz verwenden bisweilen den Begriff der Weisung. So bestimmt etwa das Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung (v. 25.4.1959 [BGBl. I S. 1593]) in seinem § 7 Satz 2: „Die Mitglieder [der Bundesversammlung, d. Verf.] sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden." 43 P. Kirchhof, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 1988, § 59 Rdnr. 168. 44 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 47.

II. Begriff der Weisung

125

lung nach Weisung aufgrund einfachgesetzlicher Anordnung (vgl. etwa Art. 97 Abs. 3 Satz 1 Verf Bbg i.V. mit § 3 Abs. 6 Satz 2 u. 3 GO Bbg) den zuständigen staatlichen Behörden unterstellt, denen ein ausdrückliches Weisungsrecht zusteht. Auch bei den klassischen Selbstverwaltungsangelegenheiten wie ζ. B. im Bereich der Planungshoheit der Gemeinden gibt es Anordnungsrechte, die durchaus mit einem Weisungsrecht vergleichbar sind, etwa § 126 GO Bbg oder Artt. 108 ff. GO Bay (insbesondere Art. 113 GO Bay). Im Beamtenrecht unterstehen sowohl die Bundes- als auch die Landesbeamten den Anordnungen ihrer Vorgesetzten; 45 als Weisungsunterworfenen obliegt ihnen daher grundsätzlich die Pflicht, den Weisungen nachzukommen.46

b) Weisungen im Grundgesetz Neben der Existenz von mannigfachen Weisungsrechten in einzelnen Rechtsgebieten soll nun kurz der Blick auf die Verfassung gerichtet werden. Das Grundgesetz verwendet die Begriffe „Weisung" bzw. „anweisen" vielerorts, genauer in den Artt. 35 Abs. 3 Satz 1, 37 Abs. 2, 38 Abs. 1 Satz 2, 52 a Abs. 1 Satz 3 2. HS, 77 Abs. 2 Satz 3, 84 Abs. 5 Satz 1, 85 Abs. 3, 91 Abs. 2, 115 f Abs. 1 Nr. 2, 119 Satz 2 u. 3, 120 a Abs. 1 Satz 2 2. HS und 128 GG. Es sind mithin exakt 13 Fundstellen im Grundgesetz zu verzeichnen. Trotz (oder gerade wegen) dieser häufigen Verwendung legaldefiniert das Grundgesetz den Begriff nicht. Innerhalb dieser verfassungsrechtlichen Fundstellen variiert die konkrete Bedeutung insbesondere hinsichtlich des jeweiligen Verfassungskontextes und der Voraussetzungen deutlich. Zwei zwar nicht dichotomisch angelegte, jedoch mit unterschiedlichen Begriffsinhalten ausgestattete „Weisungstypen" lassen sich im Grundgesetz erkennen.

aa) Die Weisung als föderales Steuerungselement Die Weisung bzw. das Anweisen markiert zunächst als imperative Steuerungsmaßnahme im Bund-Länder-Verhältnis die partielle Unterordnung der Gliedstaaten unter den Zentralstaat, indem der Bund ein verbindliches Verhalten den Ländern vorgeben kann. 47 Sie stellt ein wichtiges föderales Steuerungs45

Vgl. etwa § 37 Abs. 1 Satz 2 BRRG; § 20 Abs. 1 Satz 3 LBG Bbg. Zu den Ausnahmen und zur Remonstration Felix, Das Remonstrationsrecht und seine Bedeutung für den Rechtsschutz des Beamten, 1993. 47 Vgl. auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 55. 46

126

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

element dar. Dieser Umstand zeichnet den ersten Weisungstyp im eben genannten Sinne aus. Eine derartige Begriffsbildung findet sich etwa allgemein ohne Bezug auf einen bestimmten Verwaltungsbereich in Art. 84 Abs. 5 Satz 1 und Art. 85 Abs. 3 GG fur die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder oder in Art. 120 a Abs. 1 Satz 2 2. HS GG speziell für den Bereich der Lastenausgleichsverwaltung. Neben dieser Funktion im „normalen" Föderalverhältnis 48 wurde die Weisung vom Grundgesetz aber auch für Krisensituationen als bundesstaatlicher „Zügel" der Zentralstaatsebene gegenüber den einzelnen Gliedstaaten resp. ihren Behörden konzipiert. Krisen, die den Bund zur Weisung berechtigen, können dabei entweder auf einem gravierenden föderalen Konflikt beruhen (so bei der Durchführung des Bundeszwanges in den Fällen des Art. 37 Abs. 2 GG 4 9 ), oder sie haben ihren Ursprung in außerhalb des Bund-Länder-Verhältnisses liegenden Ursachen wie etwa Naturkatastrophen (Art. 35 Abs. 3 GG) oder einem Angriff auf das Staatsgebiet und der anschließenden Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115 f Abs. 1 Nr. 2 GG. Begrifflich beinhaltet sind diese beiden Situationen ebenfalls in der Regelung des Art. 91 Abs. 2 GG, der zufolge bei einem regionalen oder überregionalen Notstand der Bund die Gefahrenabwehr an sich ziehen kann, wobei Voraussetzung entweder die Unzulänglichkeit der Abwehrorgane (kein föderaler Konflikt) oder eine verweigerte Hilfeleistung des Landes (föderaler Konflikt) ist. 50

bb) Die Weisung als Abhängigkeitsmerkmal Das Grundgesetz spricht im übrigen auch im einem anderen Kontext von „Weisung", wenn die Unabhängigkeit von Mandatsträgern im Bundestag (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) charakterisiert wird. Ferner findet der Begriff Verwen-

48 Außer acht soll hier gelassen werden, daß schon allein die Androhung sowie die Inanspruchnahme des Weisungsrechts einen Konflikt zwischen Bund und Land markiert; dazu Badura, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 87 (97). 49 Allgemein zum Bundeszwang und speziell zum damit verbundenen Weisungsrecht s. u. D. VI. 2. 50 S. Maunz, in: ders./Dürig, Art. 91 Rdnrn. 28 ff; Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 91 Rdnrn 27 f.

II. Begriff der Weisung

127

dung, wenn parlamentarische Gremien beschrieben werden. 51 Konkret handelt es sich um den gemeinsamen Ausschuß als Notparlament von Bundestag und Bundesrat im Verteidigungsfall 52 nach Art. 53 a Abs. 1 Satz 3 2. HS GG und den sog. Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 Satz 3 GG 5 3 als Verfassungsorgan zur Kompromißsuche in dem Fall, daß das Zustandekommen eines Gesetzes am Bundesrat zu scheitern droht. In diesem Kontext wird also die Autonomie von Verfassungsorganen oder Teilen derselben geregelt und die Weisung als Merkmal einer Abhängigkeit begriffen. Es handelt sich um den zweiten Weisungstypus. Am deutlichsten wird diese individuelle Autonomie in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, der für die Bundestagsabgeordneten folgende Regelung trifft: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich."

cc) Fazit Die Begriffe „Weisung" bzw. „anweisen" finden im Grundgesetz mithin in zwei Funktionen Verwendung. Ob diese unterschiedlichen grundgesetzlichen Funktionen tatsächlich - wie T. Tschentscher 54 nachzuweisen versucht - zu einer definitorischen Zurückhaltung in der verfassungsrechtlichen Literatur insgesamt geführt haben, ist zweifelhaft. Die spezifischen Merkmale dieser Handlungsform lassen sich sehr wohl allgemeingültig umreißen. 55 Letztlich ist es kaum von rechtlicher Bedeutung. Von ihrer Struktur her beinhaltet die Weisung im verfassungsrechtlichen Sprachgebrauch immer eine auf einen speziellen Sachverhalt bezogene verpflichtende Anordnung gegenüber einem Anweisungsempfänger ohne unmittelbare Außenwirkung. 56 Mit diesem klaren Begriffsinhalt lassen sich definitorisch alle Anwendungsfälle von „(An-) Weisungen" im Grundgesetz beschreiben, ohne der von T. Tschentscher befürchteten Voreingenommenheit bei der Begriffsbildung 57 zu unterfallen.

51

So auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 55 f. 52 Allgemein Robbers, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 53 a. 53 Umfassend Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuß - Verfassungsgrundlagen und Staatspraxis, 1981. 54 Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, S. 56. 55 Dazu sogleich D. II. 3. 56 Ähnlich T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 57. 57 AaO., S. 54.

128

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG 2. Der Weisungsbegriff im Rahmen des Art. 85 Abs. 3 GG

Ist der Rechtsanwender sich somit nun der unterschiedlichen Begriffsinhalte der Weisung innerhalb des Gesamtkomplexes GG bewußt, soll der verfassungsrechtliche Weisungsbegriff im Sinne der Kompetenzvorschrift des Art. 85 Abs. 3 GG umrissen und analysiert werden. Neben der Grundstruktur der Weisung sollen die einzelnen Bestandteile, wie Weisungserteilender und Weisungsempfänger, die Verbindlichkeit und das Ziel einer Weisung, die weisungsbedingte Verbundenheit von Bund und Ländern und anderen Beteiligten sowie weitere Einzelfragen beleuchtet werden. Der Begriff der Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG im Zusammenhang mit der Bundesauftragsverwaltung ist im Grundgesetz selbst nicht näher erläutert. Er ist - wenig überraschend - hinsichtlich vieler Einzelfragen, die sich ζ. T. auf heiklem politischen Terrain bewegen, seit langem umstritten. Auch die Judikatur des BVerfG in den Neunziger Jahren (Stichworte: Fall Kalkar 58 und Fall Grube Konrad 59 ) konnte die bestehenden terminologischen Differenzen nicht vollständig beseitigen, auch wenn nicht verkannt werden sollte, daß durch sie gravierende Unsicherheiten bei der Anwendung des Art. 85 GG - insbesondere hinsichtlich des Weisungsrechts - eliminiert worden sind. Dabei zeitigen diese literarischen Unstimmigkeiten durchaus auch heute noch beachtliche rechtliche Konsequenzen mit der Folge, daß sie einer genauen Betrachtung bedürfen. Eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG beinhaltet als interne ad-hocRegelung und typisches Steuerungselement der hierarchisch organisierten Verwaltung eine befehlende Anordnung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen für einen konkreten Sachverhalt des Verwaltungsgeschehens. M. a. W.: Inhaltlich ist unter einer Weisung eine Regelung zu verstehen, die für einen konkreten Sachverhalt des Verwaltungsgeschehens rechtsverbindliche Aussagen trifft. 60 Eine Subordination der Länder ist hierfür wesensimmanent; ohne 58

BVerfGE 81, 310 ff.; dazu s. u. D. III. 2. b). BVerfGE 84, 25 ff. ; dazu s. u. D. III. 2. d) aa). 60 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50. Diese Definition entspricht - mit leichten Modifizierungen - der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum und der Rechtsprechung; siehe nur Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 113 (Zweitbearb.); Steinberg , Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 21, jeweils m. w. Nachw. T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 57, plädiert für den „verfassungsrechtlichen Weisungsbegriff 4, ohne daß dies meßbare Voreile hätte. Nicht übersehen werden sollte jedoch, daß über Einzelheiten des Begriffs „Weisung" kein literarischer Konsens besteht. Ζ. B. wird die Zulässigkeit „allgemeiner" Weisungen unterschiedlich beurteilt, vgl. zum Meinungsstand wiederum Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50 m. umfangreichen Nachw. zum 59

II. Begriff der Weisung

129

diese Über-/Unterordnungsstruktur ist die Existenz und Praktikabilität des Weisungsrechts schlechterdings nicht denkbar. 61 Diese Struktur kommt bereits im Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 GG deutlich zum Ausdruck: „Die Landesbehörden unterstehen..." Mit dieser allgemein gehaltenen Definition werden die prägenden Bestandteile des verfassungsrechtlichen Weisungsbegriffes benannt.

3. Die Ausgestaltung des Weisungsrechts Das Weisungsrecht ist vom GG selbst ausgestaltet und begrenzt. Die jeweilige Regelungsdichte ist bei verschiedenen Elementen des Weisungsrechts unterschiedlich intensiv. Einige verfassungstextliche Regelungslücken wurden durch die Rechtsprechung des BVerfG geschlossen. Andere Voraussetzungen der Weisungserteilung sind hingegen verfassungsgerichtlich nach wie vor unerörtert.

a) Grundsätzliche Struktur des Weisungsrechts Das Weisungsrecht des Bundes weist folgendes maßgebendes Strukturmerkmal auf: Dem Bund kommt gegenüber den Landesbehörden eine umfassende Leitungsgewalt, eine „umspannende Direktionskompetenz" 62 zu, die insoweit eine Überordnung des Bundes über das einzelne Land und seine Verwaltung zur Folge hat. 63 Es besteht mithin zwischen den Bundes- und Landesbehörden ein „echtes hierarchisches Verhältnis", 64 innerhalb dessen der Bund sich zum Herrn des Verfahrens machen kann. Dieses Grundverständnis einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG wird bereits vom bloßen Textbefund nahegelegt sowie von der verfassungspolitischen

Streitstand und unten D. IV. 2. h). Auch ist die Frage, ob ein gerichtliches Verfahren vom Weisungsrecht umfaßt ist, umstritten, instruktiv Steinberg, Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 67 (80 ff), und unten D. II. 3. e) bb). In der Rechtsprechung des BVerfG (E 81, 310 ff.; 84, 25 ff.) ist definitorische Zurückhaltung festzustellen. 61 So BVerfGE 81, 310 (331 f.). Vgl. femer T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 57, welcher in der Subordination das „dogmatische Fundament des Weisungsrechts" erkennen möchte. 62 Lerche, BayVBl. 1987, 321. 63 Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (425). 64 Begriff nach Maunz, in: ders./Dürig, GG, 2. Aufl., Art. 85 Rdnr. 6, zit. nach H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (918). 9 Janz

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Funktion der Bundesauftragsverwaltung und des in sie eingebetteten Weisungsrechts auch in Zusammenschau mit der Systematik des 8. Abschnitts des GG bestätigt.65 Im Verbund mit den weiteren Einwirkungsmöglichkeiten des Art. 85 GG zeigt sich die Andersartigkeit dieses speziellen Verwaltungstyps im Vergleich zum Regeltyp (Art. 83 GG) der Landeseigenverwaltung (Art. 84 GG). Diese verschiedenen Ingerenzrechte verleihen dem Verfassungsrechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern sein besonderes Gepräge: Der Bund ist gegenüber den Ländern prädominant. Die Verwaltungskompetenzen werden durch die Kompetenzvorschrift des Art. 85 GG bei der Bundesauftragsverwaltung aufgespaltet: Träger der sogenannten Wahrnehmungskompetenz - sie betrifft das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen - sind die Länder. Träger der sogenannten Sachkompetenz für die Sachbeurteilung und -entscheidung hingegen ist der Bund, da er durch die Inanspruchnahme des ihm zuerkannten Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG dieselbe an sich ziehen kann. 66 Die Verwaltungskompetenz des Landes ist daher „schon nach der ursprünglichen Zuweisung eine eingeschränkte." 67 Art. 30 GG hat für die Rechtsstellung der Länder in der Bundesauftragsverwaltung keine eigenständige Bedeutung, sondern wird vielmehr von Art. 85 GG und damit vom Weisungsrecht nach Absatz 3 überlagert. Die Sachkompetenz des Bundes ist jederzeit aktualisierbar. 68 Macht der Bund von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch (und das ist der Regelfall), werden die Verwaltungsaufgaben von den Ländern in alleiniger Verantwortung hinsichtlich der Recht- und Zweckmäßigkeit ausgeführt. In diesem „Normal"-

65 Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (34); Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GGKomm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 4; instruktiv auch Schulte, VerwArch 1990, 415 (425 ff.). 66 BVerfGE 81, 310 (332); BVerfG DVB1. 2000, 1282; BVerfG NVwZ 2002, 585 (586); BVerwGE 100, 56 (58); Broß, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 18; Börnig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 5; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 544; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (423 f.). 67 BVerfGE 81,310 (332), unter recht einseitiger Hervorhebung der Entstehungsgeschichte des Art. 85 GG; mit der gegenläufigen länderkompetenzstärkenden Argumentation setzt sich das BVerfG nicht auseinander. Ähnlich BVerwGE 100, 56 (58); Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 2. 68 Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (35), spricht von einer „Reservefunktion"; hiermit kommt aber nicht deutlich genug zum Ausdruck, daß gerade nicht etwas für den Bedarfsfall zurückbehalten wird, sondern das Weisungsrecht dem Bund jederzeit zur Verfügung steht.

II. Begriff der Weisung

131

Fall verbleiben die Wahrnehmungs- und Sachkompetenz bei den Ländern, ohne auseinanderzufallen. Neben der jederzeitigen Inanspruchnahmemöglichkeit des Weisungsrechts auferlegt der Normtext den ermächtigten obersten Bundesbehörden auch keine Beschränkungen auf den Ausnahmefall, so daß die Weisung „zum normalen Erscheinungsbild der Bundesauftragsverwaltung gehört" 69 und „nicht weiter rechtfertigungsbedürftig" 70 ist. Es ist evident, daß insbesondere bei divergierenden Vorstellungen über den konkreten Gesetzesvollzug politische Reibungspunkte provoziert werden, die sich zu manifesten Auseinandersetzungen ausweiten können. Der Vollzug des Atomgesetzes bietet hierfür umfangreiches Anschauungsmaterial. 71

b) Zuständigkeiten bei Weisungserteilung Die Weisungen sind gem. Art. 85 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG grundsätzlich von den zuständigen obersten Bundesbehörden an die obersten Landesbehörden zu richten. Hinsichtlich des Adressatenkreises bei der Weisungserteilung sind zweierlei verfassungsrechtliche Maßgaben zu beachten: Zum einen können Bundesweisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG naturgemäß nur an Landesbehörden ergehen. Zum anderen sind die Weisungen dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG zufolge in der Regel an die obersten Landesbehörden zu richten. Dieser Respekt vor der Geschlossenheit der Länder als einheitliche Verfassungs- und Verwaltungskörper 72 tritt bei einer Dringlichkeitsentscheidung der Bundesregierung dergestalt zurück, daß dann auch ein Durchgriff auf nachgeordnete Landesbehörden gestattet ist.

69 So Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 20. Nach BVerfGE 81, 310 (332), ist das Weisungsrecht des Art. 85 Abs. 3 GG „...als reguläres Mittel gedacht, damit sich bei Meinungsverschiedenheiten das hier vom Bund zu definierende Gemeinwohlinteresse durchsetzen kann." 70 BVerfGE 81,310 (332). So auch BVerfG DVB1. 2000, 1282; J. Ipsen, Staatsrecht 1, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 544. 71 Dazu Einzelheiten s. o. D. III. 2. 72 Ein nicht nur in diesem Zusammenhang wichtigerföderaler Aspekt; dazu Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnm. 5, 14 u. 62 f.; Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 26.

132

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG aa) Weisungsberechtigter

Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG räumt das Weisungsrecht den „zuständigen obersten Bundesbehörden" ein.

a) Oberste Bundesbehörden als Weisungsberechtigte

(Regelfall)

Weisungsberechtigter nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG ist regelmäßig die zuständige oberste Bundesbehörde.

αα) Zuständige oberste Bundesbehörden Zu den obersten Bundesbehörden sind zunächst einmal alle jene Behörden zu rechnen, die keinem Exekutivorgan unterstehen, also keiner anderen Behörde nachgeordnet sind. Der Kreis dieser Spitzenbehörden, die das Grundgesetz an eher versteckter Stelle - Art. 36 Abs. 1 Satz 1 GG - als oberste Bundesbehörden bezeichnet,73 ist verfassungsrechtlich geschlossen; es muß sich um solche Behörden handeln, denen Verfassungsrang zukommt. 74 Es handelt sich bei Auftragsangelegenheiten nach Art. 85 GG im wesentlichen um Bundesministerien, die von den Bundesministern als Mitglieder der Bundesregierung in eigener Ressortverantwortlichkeit (Art. 65 Satz 2 GG) geleitet werden. 75 Andere oberste Bundesbehörden außer den einzelnen Ministerien, d. h. Bundeskanzler-

73

Der Fachbegriff „oberste Bundesbehörden" findet sich in der Verfassung nur hier und in Art. 36 Abs. 1 Satz 1 GG, der vorschreibt, daß Landesbeamte bei den obersten Bundesbehörden in einem angemessenen Verhältnis zu verwenden sind (Grundsatz der proportionalen landsmannschaftlichen Zusammensetzung, vgl. W. Klein, ZBR 1988, 126 ff.). Die unterschiedlichen Funktionen beider Normen lassen jedoch keine parallele Definition zu; vertiefend T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 77 f. Zum Begriff „oberste Bundesbehörde" s. Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 68 ff. 74 Rudolf in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 54 Rdnr. 2. 75 Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 18; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 59; Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 16; Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 135 (Zweitbearb.); Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 16; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 542; Kremser/A. Leisner, Verfassungsrecht III, 1999, § 15 Rdnr. 13; Κ Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 23 f.; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 78; Ost/Pelzer, atw 1979,22 (23).

II. Begriff der Weisung

133

amt, Verwaltungen des Bundespräsidialamtes, 76 des Deutschen Bundestages, des Bundesrates, Bundesrechnungshof und Bundesbank, kommen zwar prinzipiell in Betracht, sie sind jedoch - soweit ersichtlich - mangels Zuständigkeiten in der Bundesauftragsverwaltung praktisch bedeutungslos.77 Ob die Bundesregierung als eine oberste Bundesbehörde anzusehen ist (und somit weisungsberechtigt ist), wird bestritten. 78 Dieses mag hier dahinstehen, da auch ihr ein Weisungsrecht mangels des Verwaltungsvollzuges einer Auftragsmaterie nach Art. 85 GG praktisch nicht zusteht.79 Gleichfalls uneinheitlich sind die Äußerungen zu der Frage, ob das BVerfG die Rechtsqualität einer obersten Bundesbehörde besitzt. 80 Auch dieser Streit spielt eo ipso bei der Ausfuhrung von Bundesgesetzen nach Art. 85 GG keine Rolle. Weiterhin scheiden die sog. Bundesoberbehörden als Weisungsermächtigte nach Art. 85 Abs. 3 GG grundsätzlich 81 aus. Unter Bundesoberbehörden werden den einzelnen Bundesministerien nachgeordnete Verwaltungsstellen verstanden, welche sachlich für eine spezielle administrative Aufgabe und örtlich uneingeschränkt für das ganze Bundesgebiet zuständig sind. 82 Sie sind den Mi-

76

Ablehnend seinerzeit noch Köttgen, DÖV 1954, 4 (5), der hier einen „dem Staatsoberhaupt attachierten Stab" feststellen möchte und damit - heute unstreitig - die Konzeption des Bundespräsidialamtes verkennt. 77 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 59; Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 10; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 78. Zumindest mißverständlich SchmidtBleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8, wonach neben den Bundesministerien (allein?) der Bundesrechnungshof eine Weisungsberechtigung innehat. 78 Für den Behördencharakter der Bundesregierung etwa Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 813; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 22 Rdnr. 37; prinzipiell auch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 23; dagegen ausdrücklich Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 134 u. 136 (Zweitbearb.); v. Mangoldt/Klein, Das Bonner GG - Band III, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. IV 2dbb. 79 Immerhin wurde in § 28 Abs. 2 LuftVG (Luftverkehrsgesetz i. d. F. d. Bekanntmachung v. 27.3.1999, BGBl. I S. 550) i.V.m. § 28 Abs. 3 LBG (Landbeschaffungsgesetz v. 23.2.1957, BGBl. I S. 134) der Bundesregierung ein Einzelweisungsrecht eingeräumt, wenn und soweit in dringenden Fällen dies notwendig ist, um die reibungslose Durchführung einzelner wichtiger Landbeschaffungen sicherzustellen. Davon wurde indes nie Gebrauch gemacht. 80 Pro etwa Rudolf, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 54 Rdnr. 2; contra ζ. B. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2000, Rdnr. 31. Begrifflichkeiten der Rechtsnatur des BVerfG beleuchten anschaulich Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnrn. 734 ff.; Schlaich/Korioth, Das BVerfG, 5. Aufl. 2001, Rdnrn. 25 ff. 81 Zu den Ausnahmen sogleich. 82 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 22 Rdnr. 38.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

nisterien ausgegliedert und als selbständige Behörden eingerichtet. 83 Beispiele hierfür sind etwa das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, das Umweltbundesamt, das Statistische Bundesamt oder etwa das Kraftfahrzeugbundesamt. Sie unterliegen allesamt jeweils noch der Aufsicht durch das zuständige Fachministerium und sind daher einer obersten Bundesbehörde nachgeordnet.

ßß) Zuständige oberste Bundesbehörden Die Weisung muß von der zuständigen obersten Bundesbehörde erteilt werden. Die konkrete Zuständigkeit einer obersten Bundesbehörde für eine spezielle Weisungserteilung läßt sich dem GG regelmäßig nicht entnehmen. Nur Art. 108 Abs. 3 Satz 2 GG normiert für die Finanzverwaltung ausdrücklich die Weisungskompetenz des Bundesministers für Finanzen. Ansonsten bemißt sich die Weisungszuständigkeit maßgebend nach dem Ressortprinzip des Art. 65 Satz 2 GG. 8 4 Danach leitet jeder Bundesminister selbständig seinen Geschäftsbereich. Den Ministern wird von der Verfassung eine Selbständigkeit und Verantwortlichkeit in ihrem Geschäftsbereich zuerkannt. 85 Dieses abgegrenzte Tätigkeitsgebiet umfaßt naturgemäß bestimmte Sachzuständigkeiten. Die Ressortleitungsbefugnis beinhaltet die Sachentscheidungskompetenz in allen Angelegenheiten des Geschäftsbereiches, 86 also auch den jeweiligen Weisungserlaß bei Materien auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG. 8 7 Der Bundeskanzler bestimmt durch Organisationserlaß die Zahl der Bundesministerien. 88 Der Geschäftsbereich der einzelnen Bundesministerien wird 83 Rudolf in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 54 Rdnr. 3. 84 Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 135 (Zweitbearb.); K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 24. 85 Diese Ressortkompetenz besteht im Rahmen der vom Bundeskanzler bestimmten Richtlinien der Politik, vgl. Art. 65 Satz 1 GG. Ausführlich zur Ressortzuständigkeit Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 204 ff. 86 Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 309; Oldiges, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 65 Rdnr. 21. 87 Deshalb ist ζ. B. auch die Abschaltung von Kernkraftwerken bei terroristischen Flugzeugangriffen weisungsfähig: Die Zuständigkeit der Atombehörden ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtomG; so zutreffend Sendler, NVwZ 2002, 681 (682 f.). A.A. Ossenbühl, NVwZ 2002, 290 ff. (insb. 295 f.). S. auch unten D. IV. 2. b). 88 Derzeit bestehen 14 Bundesministerien. Es sind die folgenden: Auswärtiges Amt, BM des Innern, BM der Justiz, BM der Finanzen, BM für Wirtschaft und Technologie, BM für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, BM für Arbeit und Sozialordnung, BM der Verteidigung, BM für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BM für

II. Begriff der Weisung

135

formell, durch § 9 GO-BReg 89 geregelt und gleichfalls mittels Organisationserlassen in den Grundzügen durch den Bundeskanzler festgesetzt. 90 Diese organisatorische Regierungsbildung 91 ist nicht starr, sondern - bis auf die vom GG garantierten Ministerien 92 - beweglich, so daß die Ressorts und ihre Zuständigkeiten nicht für immer festgelegt sind. Die Anzahl der Ministerien und ihr jeweiliger Zuschnitt können verändert werden, was insbesondere, aber nicht ausschließlich nach Regierungswechseln auf Bundesebene auch geschieht. Veränderte Regierungsaufgaben, die Aufnahme bestimmter Politiker ins Kabinett und auch koalitionstaktische Erwägungen bilden für Veränderungen auf der Ebene der Ministerien genügend Motive. 93 Bei Kompetenzüberschreitungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Bundesministern wird hingegen durch einen Kabinettsbeschluß entschieden, so Art. 65 Satz 3 GG. 9 4 Werden Geschäftsbereiche von Bundesministern neu abgegrenzt, so gehen die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen einem Bundesminister zugewiesenen Zuständigkeiten auf den nach der Neuabgrenzung zuständigen Bundesminister bruchlos über. Der Bundeskanzler obliegt es (nur), auf die Zuständigkeitsänderung und den Zeitpunkt des Überganges im Bundesgesetzblatt hinzuweisen (§ 56 ZuständigkeitsanpassungsG95). Bundesgesetze, die aufgrund besonderer grundgesetzlicher Regelung im Auftrage des Bundes ausgeführt werden, bestimmen die zuständige weisungsgebende Behörde selbst oftmals nicht. So schreibt zwar Art. 87 c GG i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 AtomG für die Verwaltungsaufgaben, die der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie dienen, eine auftragsweise Verwaltung nach Art. 85 GG vor, die weisungsberechtigte oberste Bundesbehörde wird indes nicht

Gesundheit, BM für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, BM für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BM für Bildung und Forschung sowie BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 89 v. 11.5.1951 (GMB1. S. 137), zuletzt geändert durch Bek. v. 17.7.1987 (GMB1. S. 382). 90 Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 135 (Zweitbearb.); umfassend Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 139 ff. 91 Dazu Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 284 f. 92 BM der Verteidigung nach Art. 65 a GG; bedingt auch BM der Justiz nach Art. 96 Abs. 2 Satz 4 GG und BM der Finanzen nach Artt. 112, 114 Abs. 1 GG. S. Oldiges, in Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 62 Rdnr. 31; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 283. 93 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 193 ff. 94 Vertiefend hierzu Oldiges, Die Bundesregierung als Kollegium, 1983, insb. S. 134 ff; ders., in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 65 Rdnrn. 26 ff; vgl. schon Köngen, DÖV 1954,4 (6). 95 v. 18.3.1975 (BGBl. IS. 705).

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

normiert. Tatsächlich war es auch so, daß die Zuständigkeiten auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahrzehnten durch Neuordnung mehrfach Wechselten. 96 Die Zuständigkeit ist vielmehr nach der Ressortaufteilung der Bundesregierung zu ermitteln. Die Ausführung des Atomgesetzes resp. dessen Überwachung obliegt danach derzeit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 97 so daß dieses Ministerium die für den Erlaß einer Weisung zuständige oberste Bundesbehörde ist. Allein diese Behörde ist aus dem Kreis der potentiell weisungsbefugten Bundesexekutivorgane die tatsächlich zuständige. Innerhalb der Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d GG) ist nach § 31 Abs. 1 Satz 1 LuftVG 9 8 das Bundesministerium für Verkehr die anweisungsberechtigte Behörde. Dieselbe Behörde ist auch auf dem Terrain des Fernstraßenverwaltung (Art. 90 GG) gem. § 22 FernStrG zuständig. Beim Vollzug von Bundesgeldleistungsgesetzen nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG kommt es bei der Bestimmung der weisungsberechtigten obersten Bundesbehörde auf den materiellen Regelungsgehalt eines jeden Gesetzes an. Die Vielzahl der Regelungsgebiete führt zu einer Zuständigkeit verschiedener Fachministerien. 99 Die klar abgegrenzten Gesetzesvollzugs- und Überwachungsbereiche weisen immer nur eine oberste Bundesbehörde als das zuständige weisungsberechtigte Bundesministerium aus, Doppelzuständigkeiten - und die damit notabene verbundenen rechtlichen Probleme - sind somit ausgeschlossen. Die jeweilige Zuständigkeit des konkreten Funktionsträgers einer obersten Bundesbehörde bemißt sich nach der Geschäftsverteilung und der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung und der Bundesministerien - Allgemeiner Teil (GGO I ) 1 0 0 . Typischerweise ist wegen der Bedeutung einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG der Behördenvorstand - also der jeweilige Minister als Exekutivspitze - zuständig, der sich dabei vertreten lassen kann. Der Minister 96 Genauer Überblick bei Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 137 ff. (Zweitbearb.). Vgl. femer Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 284 mit FN 69; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 82; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 192 ff. 97 Organisationserlaß des Bundeskanzlers v. 5.6.1986 (BGBl. I S. 864). 98 Luftverkehrsgesetz i. d. F. d. Bekanntmachung v. 27.3.1999, BGBl. I S. 550. 99 Weitere Einzelheiten bei T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 82 f. 100 GGO I i. d. F. 18.6.1970 (GMB1. S. 331). Dazu auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 80 f.; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 30.44 (S. 56 f.).

II. Begriff der Weisung

137

ist „Spitzenbehörde" 101 und daher keiner anderen hierarchischen Instanz mehr unterstellt. Daher und aufgrund der insoweit starren grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung kann der Bundeskanzler auch nicht kraft seiner Richtlinienkompetenz (Art. 65 Satz 1 GG) das Weisungsrecht an sich ziehen; Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG ist lex specialis zu Art. 65 Satz 1 GG.

ß) Bundesoberbehörden als Weisungsberechtigte

(Ausnahme)

In zwei Fällen macht das Grundgesetz eine Ausnahme von dem Erfordernis der Weisungserteilung durch eine oberste Bundesbehörde und erweitert den geschlossenen Kreis der Weisungsberechtigten über die Regelung des Art. 85 Abs. 3 GG hinaus.

αα) Verteidigungsverwaltung Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG enthält eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zugunsten des einfachen Gesetzgebers dahingehend, daß in Abweichung von der grundsätzlich maßgebenden Regelung des Art. 85 GG mit Zustimmung des Bundesrates 102 bei solchen Verteidigungsgesetzen 103, die von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt werden, bestimmt werden kann, daß die der Bundesregierung und den zuständigen obersten Bundesbehörden zustehenden Befugnisse - folglich auch das in Rede stehende Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG - ganz oder teilweise Bundesoberbehörden übertragen werden. 104 Der betroffene Verwaltungsbereich ist nicht derjenige des Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 GG, es handelt sich also nicht um die von den Streitkräften (vgl. Art. 87 a GG) getrennte zivile Bundeswehrverwaltung, die obligatorisch in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau durchgeführt wird, so Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 GG. Vielmehr eröffnet Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG die Möglichkeit der Erweiterung des Kreises der Weisungsberechtigten für die

101

Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 144. Nach allg. Ansicht muß die Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich im Zustimmungsgesetz erklärt werde, siehe nur Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGKomm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 87 b Rdnr. 18 m. w. Nachw. 103 Einschließlich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung. 104 Zu weiteren „Verfassungsfragen der Bundeswehrverwaltung" siehe Lerche, in: FS Dürig, 1990, S. 401 ff. 102

138

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

sonstige Verteidigungsverwaltung, 105 deren Verwaltungstypen und Vollzugszuständigkeiten nicht durch das Grundgesetz festgelegt werden (vgl. Art. 87 b Abs. 2 Satz 1 GG) mit der Folge, daß neben bundeseigener Verwaltung und Auftragsverwaltung durchaus auch Variationsformen dieser Verwaltungstypen zulässig sind. 106 Die konkrete Entscheidung hierüber ist dem einfachen Bundesgesetzgeber vorbehalten, um eine größtmögliche Effektivität zu gewährlei107

sten. Bei einer Kompetenzübertragung nach Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG liegt eine echte Delegation vor; sind also entsprechende Befugnisse auf obere Bundesbehörden per Bundesgesetz verlagert worden, so können sie von den ursprünglich zuständigen obersten Bundesbehörden nicht mehr wahrgenommen werden. 108 Ob es sich um bereits bestehende oder um neu zu schaffende Bundesoberbehörden handelt, ist rechtlich ohne Belang. 109 Dabei sind auch für den Fall, daß die Landesbehörden den Weisungen von Bundesoberbehörden unterstehen, die Weisungen grundsätzlich an die obersten Landesbehörden zu richten, 110 es sei denn, sie werden für dringlich erachtet; nur dann können sie mittels einer durchgreifenden Aufsicht unmittelbar an andere Landesbehörden gerichtet werden. 111 Unabhängig von der Frage, wer Weisungsadressat ist, haben die obersten Landesbehörden ohne weiteres auch bei Weisungsrechtsdelegation gem. Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG die Sicherung des Weisungsvollzuges nach Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG sicherzustellen. Ein plastisches Beispiel für eine Übertragung gem. Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG stellt § 4 Abs. 2 ZSG 1 1 2 dar. Die Ausführung des Zivilschutzgesetzes er105

Einen ersten Überblick über die Staatspraxis vermittelt Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990. § 101 Rdnr. 101. 106 Dabei ist nur eine nach Materien gegliederte („horizontale"), nicht jedoch eine nach Instanzen aufgeteilte („vertikale") Mischverwaltung zulässig, so Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 869; Dürig, in: Maunz/ders., Art. 87 b Rdnr. 39 f.; zu „Günther Dürig als Architekten" s. Lerche in: GS Dürig, 1999, S. 13 ff. 107 Darauf weist Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 87 b Rdnr. 17, hin. 108 Dürig, in: Maunz/ders., Art. 87 b Rdnr. 42; Jess, in: BK, Art. 87 b Anm. II 3 c; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 83 f. 109 Hernekamp, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 87 b Rdnr. 18. 110 Jess, in: BK, Art. 87 b Anm. II 3 c, weist in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz der strengen Verbandsaufsicht hin. 111 Zu der eher theoretischen Frage einer entgegengesetzten Landesweisung Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 127 f. 112 Zivilschutzgesetz (ZSG) v. 25.3.1997, BGBl. I S. 726.

II. Begriff der Weisung

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folgt gem. § 2 Abs. 1 ZSG in Auftragsverwaltung. Nach § 4 Abs. 1 ZSG nimmt das vom Bund zu unterhaltende Bundesamt für Zivilschutz als Bundesoberbehörde die Aufgaben des Bundesinnenministeriums wahr mit der Folge, daß auch die dem Minister nach Art. 85 Abs. 3 GG zustehenden Befugnisse auf das Bundesamt übertragen worden sind.

ßß) Lastenausgleichs Verwaltung Art. 120 a Abs. 1 GG stellt eine weitere weisungsrechtsdelegierende Norm dar. Ihr zufolge können Gesetze, die der Durchführung des Lastenausgleiches dienen, mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß sie auf dem Gebiete der Ausgleichsleistungen teils durch den Bund, teils im Auftrage des Bundes durch die Länder ausgeführt werden, wobei - wie bei Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG auch - eine nach Artt. 83 ff. GG systemwidrige und unzulässige Mischverwaltung eingeführt werden kann. 113 Dabei ist es zulässig, Befugnisse, also auch das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG, den eigentlich zuständigen obersten Bundesbehörden zu entziehen und ganz oder teilweise dem Bundesausgleichsamt zu übertragen. Es besteht ein verfassungsrechtlicher Zustand, der dem des Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG sehr nahe kommt. In der Rechtswirklichkeit hingegen stellt sich die Lage völlig verschieden dar. Im Gegensatz zur Delegationskompetenz des Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 GG hat der einfache Bundesgesetzgeber durch das Lastenausgleichsgesetz ( L A G ) 1 1 4 von seiner Übertragungskompetenz des Art. 120 a Abs. 1 GG Gebrauch gemacht und sie voll ausgeschöpft. 115 Es verwundert auch nicht, da die Ermächtigung im Grundgesetz synchron so zugeschnitten wurde, wie die Übertragung im L A G geregelt werden sollte; erklärend sei darauf hingewiesen, daß die Ermächtigungsvorschrift des Art. 120 a GG gleichzeitig mit der Verkündung des „engeren", die Verfassungsnorm ausfüllenden LAG in das Grundgesetz eingefügt worden ist.

113 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 120 a Rdnr. 1; Schaefer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 a Rdnrn. 2 u. 14. 114 v. 14.8.1952, BGBl. I S. 445 i. d. Bekanntmachung v. 10.10.1969, BGBl. I S. 1909. 115 Schaefer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 a Rdnr. 17; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 84.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Das Bundesausgleichsamt als selbständige Bundesoberbehörde 116 steuert nach Art. 120 a Abs. 1 GG i.V.m. § 307 L A G den Lastenausgleich selbstverantwortlich. Dabei wird das L A G in den Bundesländern im Auftrage des Bundes - § 305 L A G - nach den Weisungen und Vorschriften des Ausgleichsamtes ausgeführt. 117 Die gesamte Ausgleichsverwaltung ist weisungsgebunden. Inhalt, Umfang und Weg der Weisung entsprechen dem des Art. 85 GG. 1 1 8 Es liegt ein dreistufiger Verwaltungsaufbau vor, an dessen Spitze das Bundesausgleichsamt steht. Auf Länderebene bestehen zur Zeit 11 Landesausgleichsämter, denen 124 Ausgleichsämter auf Kreisebene nachgeordnet sind. 119

γγ) Weitere Weisungsberechtigte außerhalb des Art. 85 GG Eine Übertragbarkeit des Weisungsrechts auf andere Bundesbehörden ist von den dargelegten Spezialfällen der Art. 87 b Abs. 2 Satz 2 (Verteidigungsverwaltung) und Art. 120 a GG (Lastenausgleichsverwaltung) abgesehen nicht vorgesehen; der Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG ist insoweit unmißverständlich. Der Kreis der Anweisenden ist begrenzt und einfachgesetzlich nicht erweiterbar. 120 Auf eine etwaige Beteiligung des Bundesrates kommt es nicht an. Es besteht auch kein erkennbares Bedürfnis für eine Erweiterung der Weisungserteilungsbefugnis, so daß sonstige Bundesbehörden nicht weisungsberechtigt sind. 121

bb) Weisungsempfanger a) Normalfall Hinsichtlich der Weisungsempfänger bestimmt Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst, daß die Landesbehörden den Weisungen der zuständigen obersten

116

Zum Aufbau §312 LAG. Einzelheiten zum Weisungsrecht und zur Weisungserteilung bei Schaefer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 a Rdnr. 25. 118 Schaefer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 a Rdnr. 25. 119 Überblick über Funktionsverteilung und Organisation bei Schaefer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 a Rdnrn. 15 ff. 120 T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 85. 121 Unstreitig, siehe nur Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 59; Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 136 (Zweitbearb.). 117

II. Begriff der Weisung

141

Bundesbehörden unterstehen. 122 Dabei sind die Weisungen in der Regel an die oberste Landesbehörde zu richten, die ihrerseits für die Befolgung der Weisung zu sorgen hat, so Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG. Welche Landesbehörde konkret zuständig ist, bleibt wegen der organisationsrechtlichen Selbständigkeit den Regelungen der Länder vorbehalten. Nach Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG haben die obersten Landesbehörden den Vollzug der Weisung sicherzustellen. Sie haben die Weisung „gewissermaßen weiterzugeben" 123 und auf den ordnungsgemäßen Vollzug durch die tatsächlich zuständige Behörde acht zu geben. Nur im Falle der Dringlichkeit können auch untere Landesbehörden unmittelbar verpflichtet werden, Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG. Das GG differenziert also zwischen dem bundesstaatlichen Regel- und dem außergewöhnlichen Eilfall einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG. Diese grundsätzliche Inpflichtnahme oberster Landesbehörden erklärt sich gemeinhin vor dem Hintergrund des Respektes vor der Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Länder auch und gerade beim exekutiven Vollzug einer auftragsgebundenen Gesetzesmaterie, 124 ohne daß die Bindung an die Weisung damit relativiert werden würde. Konkreter Weisungsempfänger wird in aller Regel ein Landesministerium sein; 125 wie beim Kreis der Weisungsberechtigten ist auch ein Einschluß weiterer oberster Landesbehörden nicht ersichtlich, im Ergebnis wohl aber durchaus denkbar. Die auf den Umfang der jeweiligen Weisung beschränkte Inpflichtnahme der obersten Landesbehörde läßt diese Gesetzesausführung äußerlich betrachtet wie die Verschmelzung zweier zu einem einheitlichen Verwaltungskörper erscheinen, eine „eigentliche instantielle Verschränkung" 126 liegt jedoch gerade nicht vor.

122

Zum mittlerweile obsoleten Problem der Weisungsbefugnis gegenüber (West-) Berliner Behörden umfassend T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 136 ff. 123 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 64. 124 Siehe nur Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 15; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 25; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 20. 125 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 62; Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 17. Insoweit determiniert die Bundesverfassung entgegen der organisationsrechtlichen Freiheit der Länder in einem bestimmten Umfang den Adressatenkreis; vgl. auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 104 f. 126 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 59.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

ßj Eilfall In dringenden Fällen kann die Weisung auch unmittelbar an eine nachgeordnete Landesbehörde gerichtet werden. Die Dringlichkeit einer Weisung muß die Bundesregierung nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG als Gremium feststellen. 127 Dieser Beschluß obliegt der Bundesregierung nach freiem pflichtgemäßen Ermessen („erachtet"), ihr kommt daher eine weite Einschätzungsprärogative zu, welche nur einer allgemeinen Mißbrauchskontrolle unterliegt. 128 Erst nach einem entsprechenden Beschluß der Bundesregierung ist eine direkte Adressierung der Weisung an untere Landesbehörden zulässig. 129 Hierunter sind alle der Landesstaatlichkeit zuzurechnenden Behörden zu zählen, also auch diejenigen der mittelbaren Staatsverwaltung wie die gemeindlichen Behörden. 130

c) Inhaltlicher Umfang der Weisungskompetenz Die Weisung umfaßt nach der Vorschrift des Art. 85 Abs. 4 Satz 1 GG die gesamte Rechts- und Fachaufsicht gegenüber den Landesbehörden und ihren Beamten bei der verwaltungsmäßigen Gesetzesausführung und sonstigen Verwaltungshandlungen im Gebiet der betreffenden Verwaltungsmaterie. Der Bund kann also mittels dieses gubernativen aufsichtsrechtlichen Aktes seine Ansicht ggf. auch gegen den Willen der Länder neben Gesetzmäßigkeits- auch in Zweckmäßigkeitsfragen durchsetzen. 131 Die Bundesregierung kann zu die-

127

Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 63; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 25; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 20; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 105 ff.; Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 9 a Rdnr. 4. A.A.: Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 30.44 (S. 59), und Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 11, die die Herbeiführung eines Kabinettsbeschlusses für unnötig erachten, damit aber den eindeutigen Wortlaut der Norm ignorieren. 128 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 63 FN 145; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 25; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 20. 129 Einzelheiten bei T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 105 ff. Ob diese verfassungsrechtlichen Konstruktion zweckmäßig ist, erscheint durchaus zweifelhaft; s. Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 119 f. 130 Vertiefend Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnm. 65 f. 131 So ausdrücklich BVerfGE 81, 310 (331) - Kalkar-Entscheidung; s. femer BVerwGE 100, 56 (58); BVerwG NVwZ 1998, 500; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 54; Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85

II. Begriff der Weisung

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sem Zweck nach Art. 85 Abs. 4 Satz 2 GG jederzeit Berichte und Vorlagen der Akten verlangen sowie Beauftragte zu allen Behörden entsenden. Nur mit dem Mittel der Fachaufsicht läßt sich effektiv eine politische Vorgabe umsetzen, was insbesondere im Atomrecht ein nicht zu unterschätzender Faktor ist. Bei der Kontrolle der Gesetzmäßigkeit, also der Rechtsaufsicht, kommt es darauf an, daß sich die gesetzesausführende Verwaltung „dem geltenden Gesetze gemäß" verhält (vgl. Art. 84 Abs. 3 Satz 1 GG). Das stellt den Maßstab der Aufsicht dar und ist insoweit auch dogmatisch präzise von der Kontrolle der Zweckmäßigkeit des Verwaltungsvollzuges zu unterscheiden. Bei der Fach- oder auch Ermessensaufsicht beinhaltet die Aufsicht über den Gesetzmäßigkeitsmaßstab hinaus, daß der Gesetzesvollzug durch die Landesbehörden den Erfordernissen zweckmäßiger Verwaltung, d. h. nicht nur dem Einsatz zwecktauglicher bzw. geeigneter Mittel, gerecht wird. Die Direktionskompetenz umschließt neben der Entscheidung als solcher die einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen einer Norm resp. einer Entscheidung hinsichtlich der tatsächlichen wie auch der rechtlichen Seite und erstreckt sich darüber hinaus auch auf die Ausübung des Ermessens, wenn ein solches der Behörde eingeräumt ist. 1 3 2 Die Weisungskompetenz ist schließlich nicht an die jeweilige Verwaltungsentscheidung selbst gebunden. Die Weisung kann sich auch auf die konkrete Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, welches der Entschei-

Rdnr. 17; Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 18; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 23; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 18; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, §101 Rdnrn. 63 u. 67; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 542; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 21; Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 125; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 88; Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 18 f.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 21 f.; Schulte, VerwArch 1990, 415 (425 ff.); Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (423 u. 430); so ausdrücklich auch schon Zinn, DÖV 1950, 522 (524). Vor der Kalkar-Entscheidung des BVerfG war dies durchaus umstritten. Das Weisungsrecht auf Rechtmäßigkeitsfragen beschränkte beispielsweise Winter, DVB1. 1985, 993 ff. Zu der damit unmittelbar zusammenhängenden Frage des Rechtsschutzes gegenüber erteilten Weisungen s. u. D. V. 132 Die Entscheidung der zuständigen obersten Bundesbehörde über den Erlaß einer Weisung ist eine Ermessensentscheidung. Dieses Ermessen ist zweifacher Natur: Es beinhaltet zum einen eine Entscheidung, ob angewiesen werden soll, zum anderen, wie angewiesen werden soll (Entschließungs- und Auswahlermessen). Erwägungen unterschiedlichster Natur sind in der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, dabei liegt der Entscheidung nicht das Interesse an einem bundesgleichen Gesetzesvollzug zugrunde.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

dungsvorbereitung dient, beziehen.133 In der Rechtspraxis des Art. 85 GG „verfließen" diese Aufsichtstypen und ihre jeweiligen Inhalte mitunter und können eine unentwirrbare strukturelle Einheit darstellen. 134 Folgerichtig sind die Landesbehörden schon vom Verfassungstext her an die Weisungen der obersten Bundesbehörden gebunden mit der Folge, daß sich die angewiesene Landesbehörde nicht unter Berufung auf eine etwaige inhaltliche Rechtswidrigkeit der erteilten Weisung einem Vollzug derselben verweigern kann. 135 Nach den beiden Entscheidungen des BVerfG in dieser Frage muß diese Ansicht als die nunmehr praktisch herrschende (und nach § 31 Β VerfGG vor allem bindende) angesehen werden. 136 Roma locuta, causa finita. Rechtsungewißheiten durch regelmäßig vorhandene Auslegungsspielräume bei Verwaltungsgesetzen sind daher durch den Bund mittels des Instruments der Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG zu beseitigen; der Bund kann sie im ersten Zugriff ausräumen, 137 ihm bleibt „die inneradministrative Letztentscheidungskompetenz erhalten". 138 Ausgeschlossen hingegen ist als Inhalt einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG eine Dienstaufsicht (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 BBG) und gar eine Organaufsicht. 139 Die Dienstgewalt über die Landesbediensteten verbleibt unentziehbar bei den obersten Landesbehörden; allein diese, und nicht auch die obersten Bundesbehörden, können Zwangsmittel ergreifen oder Disziplinarverfahren einleiten, also mittels einer Organ- bzw. Dienstaufsicht für die Befolgung der Bundesweisungen Sorge tragen. Einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG kann aufgrund ihrer Konstruktion als lenkendes Aufsichtsmittel sowohl eine präventiv-leitende als auch eine repressiv-leitende Funktion zukommen: Denn das zunächst unbeschränkte, wenn 133

So ausdrücklich BVerfGE 81, 310 (335 f.); Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 23; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (430); Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 21. 134 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnm. 75 ff. 135 BVerfGE 81, 310 (333); Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnm 28 f.; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 66; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18. 136 Zu den damit zusammengehörenden Rechtswegfragen s. u. D. V. 137 Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (45). 138 Schulte, VerwArch 1990, 415 (428). 139 Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauflragsangelegenheiten, 1972, S. 125; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (425 f. m. w. Nachw. in FN 28). Die Bundesaufsicht bei Auftragsangelegenheiten „ähnelt" daher auch nicht der Dienstaufsicht; so aber noch Zinn, DÖV 1950, 522 (524). Zur fehlenden Organqualität der Länder s. o. C. IV.

II. Begriff der Weisung

145

auch nicht verfassungsrechtlich ungebundene Weisungsrecht des Bundes beinhaltet einerseits die Kompetenz, im Vorfeld von Entscheidungen dirigierend auf das Länderverhalten einzuwirken, andererseits aber auch, im nachhinein korrigierend einzuschreiten und eine andere Entscheidung in der Sache zu erzwingen. Diese beiden Inhaltstypen von Weisungen stehen sich nicht antagonistisch und einander ausschließend gegenüber; vielmehr können beide Elemente durchaus in einer Weisung miteinander verknüpft sein und damit präventive wie repressive Impulse enthalten, 140 wie etwa erteilte Weisungen zeigen, die einerseits die Rückgängigmachung einer Landesentscheidung verlangen und zugleich das Land zu einer anderen Verwaltungsdezision verpflichten. Abzulehnen ist der jüngst von Heitsch unternommene Versuch, dieses Ingerenzrecht des Bundes unter systematischer Einbeziehung der Anwendungsfälle der Bundesauftragsverwaltung differenziert zu betrachten und in der Folge bei einigen Materien das Weisungsrecht zu beschränken. 141 Ihm zufolge ist aus der Entstehungsgeschichte derjenigen GG-Artikel, die eine Bundesauftragsverwaltung (obligatorisch) vorschreiben oder (fakultativ) zulassen, eine Unterscheidung zweier unterschiedlicher Auftragsverwaltungstypen herauszulesen, 142 woran sich weisungsrechtliche Konsequenzen anschlössen. Zum einen sei eine „materielle" Auftragsverwaltung zur Ausführung von Bundesangelegenheiten (Artt. 87 d, 89 Abs. 2 Sätze 3 und 4, 90 Abs. 2, Art. 108 Abs. 3 GG), zum anderen eine „formelle" Auftragsverwaltung als zweckgebunden gesteigerte Bundesingerenz (Artt. 87 b Abs. 2, 87 c, 120 a Abs. 1GG) festzustellen. 143 Bei ersterer Kategorie habe der Bund das volle, nur durch die Bundestreue begrenzte Weisungsrecht, 144 bei letzterer nur ein „zweckgebundenes Direktionsrecht". 145 Der Wortlaut des GG bietet indes einer solchen - letztlich jedenfalls teilweisen länderfreundlichen 146 - Interpretation keine Stütze. Nirgends läßt sich eine 140

Hierauf weist zutreffend Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 21, hin. Zu solcherart Weisungen unten bei den bundesrepublikanischen Weisungsstreitigkeiten D. III. 2. 141 Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 253 ff., 281 ff., 327 ff.; ders., DÖV 2002, 368 (371 ff.). 142 Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 259 ff. 143 Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 326 bis 328 (Zusammenfassung). 144 Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 328. Diese Kompetenz soll auch der Klärung verfassungsrechtlicher Zweifelsfragen dienen können; so ausdrücklich ders., DÖV 2002, 368 (374). 145 Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 328. 146 Letztlich greift Heitsch damit bei den „formellen" Auftragsverwaltungen den Gedanken der Existenz von Länderabwehrrechten gegen inhaltlich rechtswidrige Weisun10 Janz

146

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

solche subtile Abgrenzung anbinden. Darüber hinaus ist es auch nicht ersichtlich, weshalb praeter constitutionem latam die Einheitlichkeit des Verwaltungstypus „Bundesauftragsverwaltung" aufgesprengt werden sollte, 147 zumal sich im GG selbst vereinzelt geringfügige Modifikationen der durch Art. 85 GG niedergelegten Vorgaben finden. 148 Wenn das GG bereits solcherart Abweichungen regelt, erscheint es nicht plausibel, daß sich die von Heitsch postulierte Einschränkung des Weisungsrechts, die fundamental in das Verhältnis von Bund und Ländern innerhalb des Art. 85 GG eingreift, nicht im Text des GG wiederfindet. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind insoweit eindeutig. Soll von ihnen abgewichen werden, so verbleibt nur die Möglichkeit einer GGÄnderung.

d) Verbindlichkeit

einer Weisung

Ergehende Weisungen sind für die obersten Landesbehörden grundsätzlich verbindlich mit der unmittelbaren von der Verfassung gewollten Folge, daß sie den konkreten Weisungsinhalt - gleich welcher Art er ist - ihrer administrativen Entscheidung zugrunde legen müssen. 149 Die Subordination der Länder unter den Bundeswillen in der Auftragsverwaltung ist durch und mit Art. 85 Abs. 3 GG institutionalisiert, einer einfachgesetzlichen Normierung der Befolgungspflicht bedarf es daneben nicht. Dieser Effektivität des Weisungsrechts entspricht es, daß das Grundgesetz in seinem Art. 85 GG Rechtsmittel zugunsten des Landes gegen die Weisungsvollziehungspflicht nicht normiert hat. 1 5 0 Vielmehr tritt die Befolgungspflicht als Kehrseite der verfassungsrechtlichen Weisungskompetenz des Bundes mit gen wieder auf. Dieser dogmatische Ansatz ist seinerzeit insbesondere von Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 79 ff, 179 ff, entwickelt worden, vermochte sich aber zu Recht nicht durchzusetzen. 147 So auch T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 10. 148 So z. B. die Zuständigkeit des Bundesausfuhramts gem. Art. 120 a Abs. 1 Satz 1 a.E. GG oder das Ersetzen der Bundesregierung durch den Bundesfinanzminister nach Art. 108 Abs. 3 GG. 149 BVerfG DVB1. 2000, 1282; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 27; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 279 f. m. w. Nachw. in FN 3. 150 Erwägenswert wäre etwa ein Rechtsmittel, welches die Bundesweisung suspendiert; dazu Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (37); F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 36. Auch eine denkbare Anrufung des Bundesrates mit einer damit verbundenen Suspensivwirkung ist dem Grundgesetz fremd.

II. Begriff der Weisung

147

Wirksamwerden der Weisung ein. 151 Ob und in welchem Umfang dem angewiesenen Land Rechtsschutz zukommt, wird unten in Teil D V. zu klären sein.

e) Weisungs-„Ziel" aa) Grundsätzliches Weisungs-„Ziel" Die Weisungsbefugnis ist umfassend und kann die gesamte Vollzugstätigkeit ergreifen, die vom Land in Auftragsverwaltung ausgeführt wird, unabhängig davon, ob diese Vollzugsform verfassungsrechtlich als zwingend angeordnet oder bloß fakultativ zugelassen ist. 152 Eine etwaige Einschränkungsmöglichkeit sieht Art. 85 GG nicht vor, das Weisungsrecht ist damit sehr weitreichend. Das Weisungsrecht umfaßt also sowohl eine abschließende Entscheidung als auch das ihrer Vorbereitung dienende Verwaltungshandeln etwa in Form der Sachverhaltsaufklärung, -ermittlung und -beurteilung. Darüber hinaus dient es der Festlegung auf eine bestimmte Gesetzesauslegung und beinhaltet auch den Inhalt von Ermessensentscheidungen, indem es sich gerade auch auf die Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung bezieht. 153 Neben dieser Funktion von aufsichtsrechtlichen Weisungen können sie auch lediglich der Informationsbeschaffung dienen. Der sachliche Umfang des Weisungsrechts im Atomrecht beispielshalber folgt aus Art. 87 c GG i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 AtomG, der den Ländern mit Ausnahme der in §§ 22, 23, 23 a AtomG normierten Bereiche die atomrechtlichen Vollzugsaufgaben in Bundesauftragsverwaltung überläßt. Hierzu zählen insbesondere die Genehmigung für Errichtung, Betrieb und Veränderung von Kernenergieanlagen (§§7 ff. AtomG), die Genehmigung der Verwendung von

151

Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (37). BVerfGE 81, 310 (335); 84, 25 (31); BVerfG DVB1. 2000, 1282; BVerfG NVwZ 2002, 585 (586); Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 63; Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 20; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (424); Rodi , NJW 2000, 7(11). 153 BVerfGE 81, 310 (335); 84, 25 (31); Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 23; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 63; Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 20; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 119 ff. (Zweitbearb.); Kastner, in: Marschall/Schroeter/ders., Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 22 Rdnr. 3; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (424 u. 430). 152

148

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Kernbrennstoffen außerhalb genehmigungspflichtiger Anlagen nach § 9 AtomG und die Genehmigung für Anlagen zum Zwecke der Verwertung radioaktiver Reststoffe und Beseitigung radioaktiver Abfälle gem. §§ 9 a und 9 c AtomG 1 5 4 und die Planfeststellung für solcherlei Anlagen, die der Endlagerung radioaktiver Abfälle dienen, § 9 b AtomG. 1 5 5 Auch die Möglichkeiten des § 17 Abs. 2 bis 5 AtomG der Rücknahme und des Widerrufs von bereits Dritten gegenüber erteilten Genehmigungen unterliegen der Weisungskompetenz des Bundes. Auch sind Weisungen bereits im Stadium des Anhörungsverfahrens zulässig. 156 Das Bundesweisungsrecht ist sehr damit weitgehender Natur. Ein ähnlicher Umfang ist auch in den anderen Verwaltungsgebieten festzustellen, die nach Art. 85 GG ausgeführt werden.

bb) Ein gerichtliches Verfahren als Weisungs-„Ziel" Ob sich dieses Ingerenzrecht darüber hinaus auf gerichtliche Verfahren erstreckt und damit auch auf Prozeßhandlungen der Länder wirksam wird, wenn und soweit ein Prozeß von den Ländern in einem Zusammenhang mit Bereichen auftragsweiser Verwaltung geführt wird, 1 5 7 ist umstritten. 158 Die prozeßrechtliche Zwickmühle, in die das Land dann gerät, wenn es die aufgrund der erteilten Weisung zu treffende Sachentscheidung für rechtswidrig hält und wider seine Überzeugung das Gerichtsverfahren führen muß, ist offenkundig. Im Ergebnis ist eine Erstreckung des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG auf die Prozeßführung zu befürworten. Die Treubindung der Länder im bundesauftragsrechtlichen Innenverhältnis gegenüber dem Bund umfaßt auch das gerichtliche Verfahren. Eine andere Frage ist, wie man sich eine solche Auseinandersetzung vorstellen soll, wie also in einem Prozeß mittels einer Bundesweisung das Verhalten des Landes zu steuern wäre. Hier scheint Art. 85 Abs. 3 GG letztlich ein unpraktikables Mittel zu sein.

154 Zur Sachkompetenz der zuständigen obersten Bundesbehörde hinsichtlich von Landesammelstellen für die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle nach § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtomG a.F. s. detailliert Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (431). 155 Hierzu speziell Ossenbühl, DVB1. 1991, 833 ff. 156 Ossenbühl, DVB1. 1991, 833 (835 f.). 157 Man denke an eine von dritter Seite angefochtene Genehmigung einer kerntechnischen Anlage. 158 Dafür etwa Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 162 (Zweitbearb.); K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 60 f.; dagegen Steinberg, Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 67 (80 ff.).

II. Begriff der Weisung

149

Das Interesse des Bundes an einer bestimmten, von ihm durch Weisung determinierten Ausführung eines in Auftragsverwaltung ausgeführten Gesetzes ist letztlich gleich stark wie bei der Führung eines Prozesses, wenn und insoweit der Streitgegenstand unmittelbar in den Bereich des Art. 85 GG reicht, da über ihn durch ein- oder zweiseitige Prozeßhandlungen verfügt werden kann. 159 Das Weisungsrecht wäre nur sehr unvollkommen, würde es nicht auch die gerichtliche Überprüfimg der durch eine Bundesweisung herbeigeführten Maßnahme umfassen. Die Art der Prozeßführung kann für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein. Eine entsprechende Beschneidung der Einflußnahmemöglichkeiten des Bundes würde zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, auch eine bloße Beiladung des Bundes - sozusagen als prozessuales Weisungsrechtsüberbleibsel - scheidet aus. 160 Der von Steinberg m konstatierte vermeintlich unauflösliche Konflikt, der das Land seiner Würde und Glaubwürdigkeit beraube, ist letztlich nur ein scheinbarer. Denn so wie die Wahrnehmungskompetenz dem Land unentziehbar zusteht und es daher ggf. auch entgegen seiner Überzeugung nach außen handeln muß (vgl. Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG), so obliegt dem Land diese Pflicht auch bei einem gerichtlichen Verfahren. Denn das Land kann durch Gerichtsentscheidung auch zu einer Gesetzesausführung verpflichtet werden, die den Intentionen des Bundes diametral entgegenläuft. 162 Art. 85 GG dient konzeptionell der Durchsetzung des Willens der zuständigen obersten Bundesbehörde. 163 Diese motivatorische Zwickmühle ist in der verfassungsrechtlichen Konstruktion der Bundesauftragsverwaltung begründet und daher von der Verfassung so gewollt. Sollte dieser Umstand geändert werden, so führt an einer ausdrücklichen Änderung des Art. 85 Abs. 3 GG kein Weg vorbei; bis dahin verbleibt es bei der insofern unbegrenzten Weisungskompetenz des Bundes.

159

Diese Wahrnehmungskompetenz hat zur Folge, daß Streitgegenstand das nach außen gerichtete Verwaltungshandeln des Landes ist. Verfahrensbeteiligter ist daher zwingend das Land und nicht der Bund. 160 Mit differenzierter Betrachtung teilweise a.A.: Steinberg, Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 67 (80 ff.). 161 AaO. 162 Darauf weist K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 60, hin. 163 Vgl. schon Parlamentarischer Rat, Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes, 1948/49, S. 40.

150

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

So umfassend die Weisungskompetenz auch ist, so darf nicht verkannt werden, daß sie nicht grenzenlos gilt. Diese Grenzen werden im Verlauf der Arbeit im einzelnen zu untersuchen sein. 164

f) Kein Umsetzungserfordernis Aufgrund der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Verankerung des Weisungsrechts bedarf es für seine Inanspruchnahme durch den Bund keiner „Transformation" 165 , d. h. keiner weiteren spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. 166 Vielmehr ist es so, daß entsprechende Befugnisnormen nur rein deklaratorische Bedeutung hätten, also ein Weisungsrecht ohne weiteres ohne dieses Gesetz wegen der grundgesetzlichen Festlegung besteht.

g) Wirksamwerden

einer Weisung

Die Weisung des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG muß zur Entfaltung von Rechtswirkungen wirksam werden. Die Frage des Wirksamwerdens einer Weisung stellt sich dabei nicht als eine praxisferne dar, sondern vermag beim Rechtsschutz gegen eine ergangene Weisung hinsichtlich einer möglichen Ausschlußfrist 167 erhebliche Bedeutung zu erlangen. Eindeutig dürfte es sein, daß ein Wirksamwerden spätestens im Moment des Zuganges der Weisung beim Weisungsadressaten vorliegt, da es einer Umsetzung für ihre Wirksamkeit nicht bedarf. 168 Teilweise wird bereits auf den Erlaß

164

S. u. D. IV. 2. So frühzeitig schon Schäfer, DÖV 1960, 641 (648); i. E. auch Zinn, DÖV 1950, 522 (524). 166 Heute unbestritten, vgl. BVerfGE 84, 25 (31); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 57; Pieroth, in: Jarass/ders. (Hrsg.), GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 6; Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 15; Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 115 (Zweitbearb.); Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 19; Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 16; Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 13. Umfassend dazu T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 280 ff. 167 Man denke an die Sechs-Monats-Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG (i.V.m. § 69 BVerfGG). 168 Mißverständlich insofern F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 22, der eine „volle Wirksamkeit" erst in dem Moment anerkennt, wenn die Weisung durch die Landesbehörden vollzogen worden ist. 165

II. Begriff der Weisung

151

der Weisung als wirksamkeitsbegründender Zeitpunkt abgestellt. 169 Dem kann nicht gefolgt werden. Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips erfordert es, daß die Wirksamkeit einer Weisung erst ab einer wirksamen Bekanntgabe - etwa im Sinne des § 43 VwVfG-Bd. - eintritt. Denn erst bei der Bekanntgabe an das betroffene handlungsfähige Land kann die Umsetzungspflicht in sinnvoller Weise entstehen. Eine vorherige Information des Landes kann diese In-Geltung-Setzung nicht zeitlich vorziehen. Ansonsten könnten bei inhaltlichen Differenzen zwischen Vorab-Information und tatsächlicher Bundesweisung erhebliche und i. ü. gänzlich unnötige Rechtsunsicherheiten aufkommen. Dieser Gedanke gilt erst recht, wenn die Kenntniserlangung des Landes nicht von Seiten des Bundes selbst, sondern durch andere Kanäle erfolgte. Daß die Frage des Zeitpunktes in der Rechtswirklichkeit eine nennenswerte Rolle spielen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Zu eindeutig dürfte regelmäßig der Weisungszugang sein. Hinzu tritt, daß zwischen Erlaß und Zugang höchstens wenige Tage liegen werden. 170 Kommt es dem Bund auf einen möglichst schnellen Zugang an, so bietet sich eine Botenübermittlung oder auch ein Fax an. Es bleibt damit festzuhalten, daß ausschließlich der tatsächliche Zugang der Weisung beim Weisungsadressaten wirksamkeitsbegründend ist.

h) Verflochtenheit

von Bund und Land

Für die Bundesauftragsverwaltung ist es kennzeichnend, daß die beauftragte Verwaltung die zugewiesenen Aufgaben als eigene Aufgaben wahrnimmt, dabei jedoch besonderen Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes nach Art. 85 GG unterliegt. Dadurch werden beide eigenstaatlichen Gebilde auf eigentümliche Weise miteinander verflochten. In materieller Hinsicht kann dabei die Grenze zur Bundesverwaltung verschwimmen, insbesondere dann, wenn der Bund seine ihm von Verfassungs wegen eingeräumten Einwirkungsmöglichkeiten umfassend ausschöpft. 171

Strikt hiervon zu trennen ist die Pflicht des angewiesenen Landes zur Umsetzung der Bundesweisung, dazu s. o. D. II. 3. d). 169 So Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (37). 170 Bei der Kalkarweisung im Frühjahr 1988 lagen zwischen der Unterzeichnung durch den zuständigen Bundesminister am 27.4.1988 und dem Zugang bei der obersten Landesbehörde am 2.5.1988 immerhin fünf Tage. Einzelheiten s. u. D. III 2. b). 171 Hierauf weist zutreffend Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 16, hin; i. E. auch Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 5.

152

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Es sollte diese Verflochtenheit gleichwohl nicht überbetont werden. Denn bei einem genau prüfenden Blick durch die feingeschliffene juristische Differenzierungsbrille ist eine Frühform oder gar bereits der Endzustand eines Verwaltungskondominiums nicht festzustellen; ein Instanzen- oder Rechtsmittelzug zu den obersten Bundesbehörden existiert nicht. 172 Hierzu sind die letztlich oberflächlichen Verschränkungen und Verbindungen der jeweiligen Bundesund Landesebene bei weitem nicht ausreichend. Die Verwaltung - also die nach außen gerichtete Vollzugstätigkeit 173 - liegt immer bei den jeweiligen Landesbehörden, die auch immer als Landesbehörden und nicht als Bundesbehörden beim Gesetzesvollzug tätig werden. 174 Die Länder üben immer Landesstaatsgewalt aus, und die Verantwortlichkeit nach außen bleibt stets eine Landesangelegenheit.175 Erst die Umsetzung der durch die Weisung erteilten Sachentscheidung des Bundes durch ein nach außen gerichtetes Verwaltungshandeln des Landes bewirkt als Vollzug der Weisung einen auch Dritten verpflichtenden Rechtszustand.

i) Weitere Rechtsbeziehungen Die Rechtsbeziehungen zwischen den durch Art. 85 Abs. 3 GG verklammerten obersten Bundes- und Landesbehörden als Weisungsgeber bzw. -empfänger zum einen und der jeweiligen Landesbehörde und durch den Weisungsvollzug letztlich Betroffenen zum anderen sind strikt zu unterscheiden und müssen isoliert voneinander gesehen werden. Daß rechtliche Zusammenhänge zwischen der Weisung und der außenrechtswirksamen Landesverwaltungsentscheidung bestehen, sei dabei nicht übersehen; schließlich entfaltet die Weisung eine Rechtswirkung beim Empfänger.

172 Unbestritten, s. nur Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 127 m. umfangr. w. Nachw. 173 Dies umfaßt sowohl die Durchführung des Verwaltungsverfahrens (vgl. § 9 VwVfG-Bd.) als auch die abschließende und nach außen wirkende Verwaltungsentscheidung selbst. Die Weisung selbst ist kein Bestandteil des Verwaltungsverfahrens und vermag daher auch nicht notwendige Bestandteile desselben „zu übernehmen", so zutreffend Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 23. 174 BVerfGE 81, 310 (332); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 15; Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 18; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 47 f.; Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 4; F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 21. 175 BVerfGE 81, 310 (332); BVerfG NVwZ 2002, 585 (586); T. Groß, in: Friauf/ Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 6; Sommermann, DVB1. 2001, 1549 (1551).

II. Begriff der Weisung

153

Von den allermeisten übrigen Weisungen des Verwaltungsrechts unterscheidet sich die Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG dadurch, daß sie nicht innerhalb eines Verwaltungsträgers erfolgt, sondern als hierarchisches aufsichtsrechtliches Steuerungsmittel an die Behörden eines anderen Rechtsträgers gerichtet ist, welche der anweisenden Körperschaft gerade nicht angehören. Insoweit entspricht sie der Weisung im Kommunalrecht. Für das Verhältnis zum Bürger ist dieses spezifische Bund-LänderVerhältnis innert des Art. 85 GG ohne Bedeutung: Weisungen sind daher in Ermangelung einer Außenwirkung gegenüber dem Bürger 176 und wegen ihrer verfassungsrechtlichen Qualität keine Verwaltungsakte gem. § 35 Satz 1 VwVfG-Bd. 1 7 7 und können somit von Dritten, also etwa Antragstellern (ζ. B. Betreiber von Atomkraftwerken) oder Einwendern (ζ. B. Nachbarn) in einem Genehmigungsverfahren, nicht angegriffen werden. 178 §§ 42, 68, 113 Abs. 1 VwGO sind nicht anwendbar. Auch eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO ist wegen des Fehlens eines rechtlichen Nachteils auf Seiten eines etwaig drittbetroffenen Bürgers unzulässig. 179 Denn diese Rechtsverhältnisse werden durch die Weisung nicht unmittelbar berührt. Bestimmte „Ausstrahlungswirkungen" einer erteilten Weisung auf einen sog. Dritten - also das Entstehen von Rechtsverhältnissen zwischen dem Dritten und dem Land oder dem Bund - etwa prozessualer oder haftungsrechtlicher Art sind jedoch durchaus möglich. 180

176

A.A.: Winter, DVB1. 1985, 993 (996 u. 998); K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 40 ff., der eine Außenwirkung nach § 35 Satz 1 VwVfG-Bd. anerkennen möchte, später jedoch (aaO., S. 43 ff.) die Verwaltungsaktsqualität einer Weisung wegen ihres verfassungsrechtlichen Charakters verneint. 177 Siehe nur Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 52; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 64; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 32 m. w. Nachw. in FN 132; F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 35; i. E. auch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 46, der darzulegen versucht, daß am Verwaltungsaktscharakter von Weisungen „nur sehr wenig" fehle, um dann (aaO., S. 46 ff.) eine Übertragbarkeit verwaltungsverfahrensrechtlicher Anforderungen auf die Weisung zu fordern; ein Ansatz, der sich zurecht nicht durchgesetzt hat. 178 Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 114 (Zweitbearb.); Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; Ost/Pelzer, atw 1979, 22 (23). 179 So zutreffend Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (443); Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 63, spricht treffend von einem „lediglich internen Charakter dieses Steuerungsmittels".

154

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Ganz anders ist die prozeßrechtliche Situation dann zu beurteilen, wenn der Bürger durch - wie auch immer rechtlich geartete - Ausführungsakte infolge einer Weisung in seinen Rechten berührt wird. Derartige Ausführungsakte werden allerdings erst von den an die Weisung gebundenen zuständigen Landesbehörden erlassen, d. h., Weisungen sind in dieser Hinsicht transformationsbedürftig. Diese „Umsetzung" erfolgt ganz überwiegend durch den Erlaß von Verwaltungsakten, die dann ihrerseits ohne erkennbare Besonderheiten von Dritten mit den vorhandenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzformen angegriffen werden können. Demzufolge besitzen Dritte keine unmittelbaren Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine bundesaufsichtliche Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG. 1 8 1 Sie müssen erst die Umsetzung, den Erlaß eines Verwaltungsaktes abwarten. Klagen der Bürger gegen solcherlei Maßnahmen, die in der Bundesauftragsverwaltung ergehen 182, sind daher unmittelbar gegen die Länder zu richten. Auch im Verhältnis zum Land handelt es sich bei Weisungen nicht um Verwaltungsakte. 183 Die fehlende Verwaltungsaktsqualität hat indes nicht zur Folge, daß ein Rechtsschutz gegen Weisungen von vorneherein völlig ausscheidet. 184 Vielmehr ist zu erkennen, daß einer Weisung zwar keine Außenwirkung

180 Schulte, VerwArch 1990, 415 (433), vgl. auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 309 ff.; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; näheres s. u. E. III. u. IV. 181 Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Folgerung folgt in E. III 2. b) cc) und dd). 182 Erwähnt seien ζ. B. Entschädigungs- oder Schadensersatzklagen wegen der Genehmigung zur Errichtung oder zum Betrieb einer Anlage innerhalb eines Bereiches auftragsweiser Verwaltung. 183 Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 63; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 114 m. w. Nachw. in FN 160 (Zweitbearb.). Die entgegenstehende Ansicht von K. Lange, NJW 1986, 2459 (2461), vermag nicht zu überzeugen. In einem anderen Zusammenhang wird die Doppelnatur eines Rechtsaktes durchaus anerkannt: Bei mehrstufigen Verwaltungsverfahren hat die Mitwirkung einer Behörde Doppelnatur, vgl. dazu BVerwGE 74, 124 (126 ff.). 184 Daher ist der Streit um die Verwaltungsaktsqualität einer Weisung auch letztlich unergiebig. Denn bei einer (drohenden) Rechtsverletzung ist zumindest ein Rechtsweg eröffnet; einen nichtjustitiabelen Bereich gibt es hier nicht. Etwas anderes gilt für den hier nicht weiter relevanten Bereich der staatlichen Aufgaben, die durch Gesetz auf unterstaatliche juristische Personen übertragen werden. Die Wahrnehmungskompetenz der Gemeinden ist hier gerade keine ursprüngliche wie bei der Bundesauftragsverwaltung. Hier gilt im Grundsatz, daß Weisungen bei diesen übertragenen Aufgaben nicht justitiabel sind, dazu Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Be-

II. Begriff der Weisung

155

gegenüber einem drittbetroffenen Bürger zukommt, wohl aber das angewiesene Land eine wie auch immer geartete Rechtsverletzung zumindest behaupten kann. Dieser Umstand führt zu der umstrittenen Frage, ob der Bund durch die Erteilung einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG in den Hoheitsbereich eines Bundeslandes eindringen kann - insoweit also der Weisung dann doch Außenwirkung zukommt 185 - und welche Voraussetzungen dafür vorliegen müssen. 186 Ohne diese Frage an dieser Stelle bereits abschließend klären zu wollen, 187 läßt sich jedenfalls festhalten, daß der Sachverhalt justitiabel sein muß. Denn die Tatsache, daß Weisungen keine Außenwirkung besitzen, schließt nicht von vorneherein aus, daß im Einzelfall der Bund mit einer förmlichen Weisungserteilung in den Hoheitsbereich des jeweiligen Landes eindringt, auch wenn ein dem Art. 85 GG unterfallender Verwaltungsbereich von Verfassungs wegen schon nur eingeschränkt den Ländern obliegt.

j) Minderintensive

Eingriffe

Ein- und Mitwirkungskompetenzen des Bundes innerhalb des Verwaltungsvollzuges auftragsgebundener Gesetze gibt es viele; dem Betrachter bietet sich ein farbiges Bild der unterschiedlichsten Beteiligungsformen. 188 Dabei differiert das jeweilige Maß der Fremdbestimmtheit vom gänzlichen Verbleiben der Entscheidungskompetenz beim Land über partielle Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Bundes bei der konkreten Verwaltungsentscheidung bis zum Weisungsrecht, durch welches die administrative Maßnahme gänzlich vom Bund bestimmt wird. Dabei können sich einige vom Bund ausgeübte Ingerenzen von ihrem materiellen Gehalt her schon annähernd in den Bereich der Verbindlichkeit bundesstaatlicher Weisungen schieben.189

rücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 215 ff. m. ausführlichen Nachw. Zum Rechtsschutz s. u. D. V. 185 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 52; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 22. 186 S. dazu BVerfGE 81,310 (332 ff.). 187 Einzelheiten s. u. D. V. 188 Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 28 f., mit einer Vielzahl von Beispielsfällen aus dem Straßen- und Luftverkehrsrecht, so etwa: Vorlage-, Berichts,- Anzeige-, Antrags- und Beteiligungspflichten, Pflichten zur Herbeiführung der Stellungnahme, des Benehmens und des Einverständnisses sowie die Berechtigung des Bundes zur Genehmigungs- und Zustimmungserteilung. 189 T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 2, benennt als Beispiele hierfür die besonders im Atomrecht an-

156

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Als ein rechtliches Minus umfaßt das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG als stärkste Form der Einflußnahme des Bundes auf den Gesetzesvollzug der Länder auch minderintensive Eingriffe, etwa also die Vornahme solcher Maßnahmen, die der Vorbereitung von Weisungen dienen. Die umfassende Direktionskompetenz des Bundes beinhaltet daher ζ. B. eine Berichtspflicht über und eine Vorlagepflicht von Akten (vgl. Art. 85 Abs. 4 Satz 2 GG) oder die Darlegung von Rechts-/Sachfragen zum Zwecke des Informationsaustausches.190 Auch die Ankündigung oder Androhung einer Weisung stellt - noch keine Maßnahme nach Art. 85 Abs. 3 GG dar, wird aber auch vom Weisungsrecht erfaßt und ist i. ü. auch vorgeschrieben. 191 In seiner Entscheidung zum Atommeiler in Biblis, Block A, hat das BVerfG 192 diese vorbereitenden Tätigkeiten genauer umrissen: Der Bund könne unter Beachtung der Wahrnehmungskompetenz der Länder grundsätzlich alle Aktivitäten zur Vorbereitung und Ausübung seines Weisungsrechts entfalten; hierunter fielen auch unmittelbare Kontakte zu und informelle Absprachen mit privaten Dritten, die kraft verfassungsrechtlicher Vorgabe nicht Weisungsempfänger sein können. Die Inanspruchnahme seiner nur in Form einer „Reservezuständigkeit" verliehenen Sachentscheidungsbefugnis müsse der Bund vorher deutlich zum Ausdruck bringen, indem er sie auf sich überleitet („Aktualisierung"). 193 Geschehe dies mit hinreichender Deutlichkeit, könne er sich in jeder von ihm als zweckmäßig erachteten Weise Informationen beschaffen. 194 Auf eine Mitwirkung des Landes sei er nicht angewiesen, dies würde seine Geschäftsleitungsbefugnis und Direktionsmacht unzulässig beschränken. „Auch im Bereich solchen informalen Verwaltungshandelns ist es dem Bund aber verwehrt, gleichsam eine 'SchattenVerwaltung1 neben der der Länder aufzubauen. Der Bund darf die Materie 'friedliche Nutzung der Kernenergie' nicht im Widerspruch zu Art. 87c GG der Sache nach dadurch an sich ziehen, daß er für alle Länder den Vollzug des Atomgesetzes über den Einzelfall hinaus gleichsam generell durch Kontakte nach außen regelt." 195 Denn ein Selbsteinzutreffenden „bundesaufsichtsrechtlichen Stellungnahmen" des zuständigen Bundesministeriums. 190 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnm. 55 f.; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 18; Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 18. 191 S. u. D. IV. 2. d) cc). 192 BVerfG NVwZ 2002, 585 ff. mit abw. Meinungen der Richter Di Fabio und Meilinghoff S. 588 ff. Kritisch zur Entscheidung Janz, JuS 2002 (im Erscheinen); Frenz, NVwZ 2002, 561 (562 f.). 193 BVerfG NVwZ 2002, 585 (586). 194 BVerfG NVwZ 2002, 585 (587). 195 BVerfG NVwZ 2002, 585 (587).

II. Begriff der Weisung

157

trittsrecht komme ihm keinesfalls zu; eine Doppelzuständigkeit schließe die zwingend angelegte Kompetenzordnung des GG aus. Vielmehr verbleibe dem Land immer die rechtsverbindliche Entscheidung mit Außenwirkung, also insbesondere der Erlaß von Verwaltungsakten und der Abschluß öffentlichrechtlicher Vereinbarungen. 196 Auch sog. Handlungsaufträge des Bundes an ein Land, die gerade der Vermeidung des scharfen Instruments der Weisung dienen, stellen einen entsprechenden geringer intensiven Eingriff dar. So stellt beispielshalber eine Aufforderung des Bundesverkehrsministers an die zuständige Landesbehörde, eine Bundesstraße abzustufen, einen bloßen Auftrag dar, obgleich vordergründig diese Aufforderung alle Begriffsmerkmale einer aufsichtsrechtlichen Weisung enthalten mag. 197 Ferner ist auch ein Beeinflussen der Landesverwaltungsentscheidung mittels Empfehlungen u. ä. ein rechtliches Weniger zum Weisungsrecht, welches aufgrund geringerer Einwirkungsintensität und der beim Land verbleibenden Entscheidungskompetenz ohne weiteres durch die Befugnisnorm des Art. 85 Abs. 3 GG legitimiert wird. 1 9 8 Zustimmungs- 199 , Einvernehmens- 200 und sonstige Einholungsvorbehalte jeglicher Couleur 201 stellen sich im Einzelfall kaum als ein Weniger zur Bundesweisungskompetenz dar, welches diese Einwirkungsmöglichkeit effektuieren und perfektionieren soll. Diese Instruktionen können vielmehr auch Weisungen ersetzen bzw. verdrängen. Sie gehen dessenungeachtet auf keinen Fall über das umfassend dem Bund eingeräumte Weisungsrecht hinaus, so daß sie inhaltlich immer mit in Art. 85 Abs. 3 GG eingeschlossen sind. Sie werden der umfangreichen Direktionskompetenz des Bundes voll gerecht. 202

196

BVerfG NVwZ 2002, 585 (587). Speziell dazu Zillmer, DÖV 1995,49 (50). 198 Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 28 f.; vgl. dazu speziell zum Steuerrecht Weyhausen, Steuerverwaltung und bundesstaatliche Verfassungsordnung, 1982, S. 130 f. 199 Z. B. § 5 Abs. 4 Satz 4 FStrG: „Die oberste Landesstraßenbaubehörde ... kann dabei mit Zustimmung des Bundesministers für Verkehr ... von der Regel... abweichen." 200 Z. B. § 2 Abs. 6 Satz 2 FStrG: „Sie [die oberste Landesstraßenbaubehörde, d. Verf.] hat vor einer Widmung oder Abstufung das Einverständnis des Bundesministers für Verkehr herbeizuführen." 201 Hierzu Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 56 m. w. Nachw. in FN 116. 202 Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 129 f., möchte hingegen das Weisungsrecht als ein Weniger im Vergleich zum Recht des Genehmigungsvorbehalts ansehen, verkennt aber hierdurch den Umfang der Bundesingerenzen bei der Bundesauftragsverwaltung; vgl. dazu Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 56 mit FN 116. S. früher schon Röttgen, DÖV 1955, 485 (489). 197

158

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Die Ausführung des Atomgesetzes und seine Konkretisierung in der Praxis beispielshalber ist geprägt von zahlreichen Bekanntmachungen, Rundschreiben, Richtlinien, Empfehlungen und Rahmenempfehlungen. 203 Sie sollen an dieser Stelle weder umfassend dargestellt noch systematisiert werden. 204 Ihre rechtliche Behandlung ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Das Weisungsrecht des Bundes schließt auch vereinzelt normierte Weisungseinholungspflichten zugunsten des Bundes 205 mit ein. Von einer sog. provozierten Weisung wird gesprochen, wenn bei bestimmten Fallkonstellationen, insbesondere dann, wenn die Verwaltungsverantwortung unterschiedlichen Behörden und/oder mehreren Verwaltungsträgern obliegt und sich bei den Beteiligten nicht ausräumbare Meinungsverschiedenheiten ergeben, die Pflicht normiert wird, eine Weisung der zuständigen obersten Bundesbehörde einzuholen. Vereinzelte, die Zulässigkeit provozierter Weisungen ablehnende Äußerungen in der Literatur vermögen nicht zu überzeugen. Denn diese seit Jahrzehnten in verschiedenen Materien der Bundesauftragsverwaltung praktizierte Staatspraxis muß als Minus zu der in Art. 85 Abs. 3 GG dem Bund eingeräumten Weisungsbefugnis angesehen werden. 206

203

So ausdrücklich BVerfG v. 2.3.1999 - 2 BvF 1/94, abgedruckt in DVB1. 1999, 976 ff., allerdings ohne die zitierte Stelle. 204 Vgl. dazu allgemein Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 28 f. u. 125 ff.; speziell zur Effektuierung und Perfektionierung des Weisungsrechts in der Fernstraßenverwaltung Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 97 ff.; zum Atomrecht Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 9 a Rdnm. 28 ff. 205 Eine solche Pflicht findet sich etwa in § 7 Abs. 4 Satz 2 AtomG: „Bestehen zwischen der Genehmigungsbehörde und einer beteiligten Bundesbehörde Meinungsverschiedenheiten, so hat die Genehmigungsbehörde die Weisung des für die kerntechnische Sicherheit zuständigen Bundesministers einzuholen." Ein anderes Beispiel bietet § 16 Abs. 1 Satz 2 Schutzbaugesetz (v. 9.9.1965, BGBl. I S. 1232, zuletzt geändert durch Gesetz v. 14.9.1994, BGBl. I S. 2325): „Hält die zuständige Behörde das Bauvorhaben ... für geeignet, so ist eine Weisung des Bundesministers des Inneren darüber einzuholen, ..." Auch § 25 Abs. 2 Schutzbaugesetz schreibt das Einholen einer Bundesweisung vor. Der in der älteren Literatur als Paradebeispiel zitierte § 18 Abs. 5 Satz 2 BFStrG wurde zwischenzeitlich gestrichen (durch Gesetz v. 28.6.1990, BGBl. I S. 1221); zu dieser vormaligen gesetzlichen Pflicht zur Weisungseinholung Fiebert, Planfeststellung für den Straßenbau, 1978, S. 352 ff., und Kersten, BayVBl. 1968, 189 ff. Ein Rechtsanspruch eines Dritten auf die Einholung einer Weisung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 FStrG wurde von der Rechtsprechung nicht anerkannt; vgl. BVerwG DVB1. 1970, 578 (579); dazu auch Kersten, BayVBl. 1968, 189 (192). 206 So auch BVerwG DVB1. 1970, S. 578 (579); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 56; Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (429); Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Ener-

II. Begriff der Weisung

159

Zusammenfassend läßt sich zu den „artverwandten" Einwirkungsrechten des Bundes auf den Verwaltungsvollzug durch die Länder folgendes sagen: Die unterschiedlichen Maßnahmen des Bundes geringerer oder ggf. gleich starker Intensität zur Einflußnahme auf die Verwaltungsausführung von Gesetzen nach Art. 85 GG durch die Länder sind zahlreicher und sehr verschiedener Natur. Sie differieren in den einzelnen Gebieten auftragsweiser Verwaltung stark. Sie sind als zulässiges Steuerungsmittel vom Umfang des Art. 85 Abs. 3 GG mitumfaßt.

k) Die Weisung als Mittel der Bundesaufsicht? Nach wie vor nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob die Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG ein Mittel der Bundesaufsicht nach Art. 85 Abs. 4 GG darstellt 207 oder ob sie - systematisch abgekoppelt von der Bundesaufsicht - ein selbständiges Mittel ist, welches sich in einer speziellen Leitungsgewalt des Bundes 208 begründet. Die tatsächlichen Auswirkungen dieses Streites um des Kaisers Bart sollten nicht überschätzt werden. 209 Für die vorliegende Untersuchung ist diese Frage ohne weiteren Belang. Vorzugswürdig scheint insbesondere in Hinblick auf den identischen Aufsichtsmaßstab der Recht- und Zweckmäßigkeit in Gesetzesvollzugsfragen und den identischen Aufsichtsgegenstand der Verwaltungsvollziehung die Annahme, das Weisungsrecht sei Mittel der Bundesaufsicht nach Art. 85 Abs. 4 GG. 2 1 0

gierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 208, H. Wagner, DVB1. 1985, 917 (918), Einschränkend Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 96 (Zweitbearb.); i. E. wohl auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 135 f., der die Länder zu einer „bloßen Ausführungshilfstätigkeit degradiert" sieht und damit eine qualitative Veränderung des Art. 85 Abs. 1 GG feststellen möchte, letztlich aber eine Erklärung zum „Normalfall" der Weisungserteilung schuldig bleibt. Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 98, vertritt die Auffassung, daß diese Bundesvorbehalte unzulässig seien. In diese Richtung früher schon Köttgen JöR 11 (1962), S. 173 (239 f.). 207 So ζ. B. Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 76. 208 In diesem Sinne etwa Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (425). 209 Folgerichtig läßt auch Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 73, eine Entscheidung offen. Zum Ganzen v. Danwitz, DVB1. 1992, 1005 ff. 210 Vgl. dazu Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 76 mit FN 31.

160

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG 1) Zusammenfassende Betrachtung

Die Weisungsbefügnis dient neben den weiteren Steuerungsbefugnissen der Bundesauftragsverwaltung regelmäßig dem gleichmäßigen und bundeseinheitlichen Gesetzesvollzug innerhalb eines Verwaltungsterrains des Art. 85 GG. 2 1 1 Daneben soll das Weisungsrecht als verwaltungsinternes Lenkungsmittel der effizienten und weitgehend reibungsarmen Durchsetzung gerade der Ansicht der obersten Bundesbehörden in Rechts- und/oder Zweckmäßigkeitsfragen bei der Ausführung eines Bundesgesetzes dienen. Mit der Weisung ist dem Bund ein wirksames Werkzeug an die Hand gegeben worden, mit dem er das Funktionieren der Auftragsverwaltung in seinem Sinne effektiv sicherstellen kann, indem er einzelne Verwaltungsentscheidungen verbindlich den Ländern vorgibt. 212 Das Instrument der Weisung stellt die markanteste Ausprägung der hierarchischen Föderalstruktur in der Bundesauftragsverwaltung dar. 213 Der Regelungsgehalt einer Weisung erschöpft sich im Innenverhältnis zwischen Anweisendem und Angewiesenem, bei der Bundesauftragsverwaltung also zwischen Bund und Land. Dritten gegenüber entfaltet sie als administrativ-interne Maßnahme grundsätzlich weder von der Intention her noch aufgrund einer tatsächlichen Betroffenheit eine Wirkung. Dem entspricht auch die Außenansicht des Verwaltungsadressaten: Die Weisung stellt für diesen einen Bestandteil der exekutiven Willensbildung dar. 214 Art. 85 Abs. 3 GG legitimiert die obersten Bundesbehörden unmittelbar in verfassungsrechtlicher Hinsicht dazu, die Sachbeurteilung und Sachentscheidung innerhalb von Auftragsverwaltungen materiell an sich zu ziehen, und führt damit letztlich zu einer Unterordnung der Landesbehörden unter den Willen des Bundes. Insoweit liegt es im Wesen dieser Kompetenzverteilung begründet, daß der Bund den auftragsausführenden Landesbehörden seinen Willen aufzwingen kann. Es sollte keine Scheu gezeigt werden, diese Zwangswirkung auch als eine solche zu betiteln.

211 So speziell zum Vollzug des Atomgesetzes und mit Hinweis auf die länderübergreifenden Auswirkungen der Kernenergie H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (918). 212 Erhebliche Zweifel an dieser Effektivität hegt Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (39 f.). 213 So resümierend T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 59. 214 P. Kirchhof in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 1988, § 59 Rdnr. 168.

II. Begriff der Weisung

161

Die Weisungskompetenz kann sich auf jede Gesetzesmaterie beziehen, die vom Land in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt wird. 2 1 5 Sie erfaßt auch jede Vollzugstätigkeit des Landes. 216 Jede einzelne Phase des Bundesgesetzesvollzuges der Länder ist mithin weisungsfähig. Resümierend läßt sich feststellen, daß es nicht übertrieben ist, die Weisung nach der Kompetenzvorschrift des Art. 85 Abs. 3 GG als das zentrale und prägende Strukturelement der Bundesauftragsverwaltung zu bezeichnen,217 in welchem sich in markanter und in seinen landesrechtlichen Auswirkungen mitunter einschneidender Weise der Unterschied zur landeseigenen Ausführung von Bundesgesetzen nach Artt. 83, 84 GG handgreiflich fokussiert. Er ist die kennzeichnende Bestimmung für die Bundesauftragsverwaltung. Mittels der Weisung werden Bundes- und Landesbehörden - wird sie unbefangen von einem neutralen Beobachter von außen betrachtet - zu einem einzigen Weisungsstrang 218 verbunden in einer Weise, wie sie sonst regelmäßig nur innerhalb der jeweiligen staatlichen Ebene anzutreffen ist. Das Weisungsrecht, welches sich unmittelbar nach Art. 85 Abs. 3 GG aus der Verfassung selbst ergibt, verstärkt neben den Einwirkungsmöglichkeiten nach den Absätzen 2 und 4 der Norm in entscheidender und auch einzigartiger Weise den „Bundeszugriff 4 auf den Landesverwaltungsbereich. Im Rahmen der Bundesaufsicht kann der Bund sich des „beobachtenden" Instrumentariums nach Art. 85 Abs. 4 Satz 2 GG bedienen. Zum Zwecke der Information kann die Bundesaufsicht Bericht und Vorlage der Akten verlangen und Beauftragte zu allen Behörden entsenden. Diese Beauftragten besitzen jedoch nur Informations- und Untersuchungsbefügnisse, nicht ein Weisungsrecht oder gar eine Geschäftsleitungsbefugnis. 219

215 Insoweit unstreitig, statt aller BVerfGE 81, 310 (335 f.); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 57; Pieroth, in: Jarass/ders. (Hrsg.), GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 6. 216 Dazu schon oben D. II. 3. c). 217 So ausdrücklich etwa Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 59 m. w. Nachw. in FN 324; Schulte, VerwArch 1990, 415 (425); ähnlich Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 16 f. 218 So treffend Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 546. 219 Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 814; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (438 m. w. Nachw. in FN 81); ders., Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 24 f. 11 Janz

162

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

I I I . Übersicht Weisungsstreitigkeiten 1. Die friedliche Nutzung der Kernenergie Politische und sich anschließende juristische Auseinandersetzungen um das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG zwischen Bund und Ländern sind in ganz unterschiedlichen Fallkonstellationen festzustellen. Herausragend und politisch besonders brisant sind die Auseinandersetzungen wegen des Vollzuges des (Bundes-) Atomrechts, also insbesondere des Atomgesetzes und des Strahlenschutzgesetzes.

a) Umfang der Kernenergienutzung

in Deutschland

Im Jahre 2001 existierten in Deutschland 19 in Betrieb befindliche Kernkraftwerke sowie neun Forschungsreaktoren, 220 fünf kernbrennstoffVerarbeitende Betriebe, zwei Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente in Gorleben und Ahaus und ein Endlager für radioaktive Abfälle in Morsleben. Das derzeit älteste energieliefernde Atomkraftwerk steht seit 1968 im badenwürttembergischen Obrigheim, das zuletzt (1989) an das bundesdeutsche Stromnetz gegangene befindet sich gleichfalls in Baden-Württemberg, in Neckarwestheim (Neckar II). Die Nettoleistung der Atommeiler ist sehr unterschiedlich, sie reicht von vergleichsweise bescheidenen 357 Megawatt (MW) in Obrigheim bis zu 1475 M W des Atomkraftwerkes Isar I I in Essenbach/Bayern. 221 In baulich-technischer Hinsicht sind in Deutschland ausschließlich die Typen des Druckwasserreaktors 222 (13 Blöcke) und des Siedewasserreaktors 223 (6 Blöcke) in Betrieb. Sog. Hochtemperaturreaktoren und Heißdampfreaktoren sind nicht mehr am Netz. 2 2 4

220 Es befindet sich kein Kernreaktor in der Planung oder gar im Bau. Bereits vor der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom Juni 2000 und der entsprechende Atomgesetznovelle war hiermit seit längerem nicht mehr zu rechnen. Vgl. dazu F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 33. 221 Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 5. 222 Beim Druckwasserreaktor handelt es sich um einen Leistungsreaktor, bei dem die Wärme aus der Spaltzone durch Wasser abgeführt wird, das unter hohem Druck (etwa 160 bar) steht, damit eine hohe Temperatur erreicht und ein Sieden in der Spaltzone vermieden wird. Das Kühlwasser gibt seine Wärme in einem Dampferzeuger an den Sekundärkreislauf ab. 223 Der Siedewasserreaktor ist ein Kernreaktor, in dem Wasser sowohl als Kühlmittel als auch als Moderator dient und in der Spaltzone siedet. Der entstehende Dampf wird im allgemeinen direkt zum Antrieb einer Turbine verwendet.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

163

Endgültig abgeschaltet sind 16 Kernkrafiwerksblöcke; die Stillegung von 15 Atommeilern hat 2000 bereits begonnen, wurde beantragt oder ist zumindest geplant. 225 Ein weiteres Kernkraftwerk (Niederaichbach) wurde im Jahre 1995 bereits vollständig abgebaut und der Standort rekultiviert (Standort „Grüne Wiese"). Der erste Atomstrom wurde in Deutschland am 17. Juni 1961 vom seit langem stillgelegten Versuchsatomkraftwerk Kahl in Bayern ins Netz eingespeist. In der DDR wurde seit Mai 1966 Atomstrom gewonnen (in Rheinsberg, einem Versuchskraftwerk sowjetischer Bauart 226 ). Das erste kommerzielle Kernkraftwerk ging 1968 in Obrigheim ans Netz. Seitdem sind bis zur Jahrtausendwende grob geschätzt ca. 50 Milliarden D M an Fördermitteln in Deutschland geflos227

sen. Die Kernenergie hat insgesamt seit einer Vielzahl von Jahren einen Anteil von gut einem Drittel an der Stromerzeugung der öffentlichen Versorgung in Deutschland inne, 228 wobei der prozentuale Anteil an der Stromversorgung von Bundesland zu Bundesland stark variiert. 2000 erbrachten die 19 Kernkraftwerksblöcke mit einer Stromerzeugung von insgesamt 169,7 GWh, d. h. 169,7 Milliarden Kilowattstunden Strom, einen Anteil von ca. 36 Prozent der Gesamt-Brutto-Stromerzeugung. 229 Die Kernenergie stellt somit eine tragende, wenn auch keineswegs die zentrale Säule der Energieversorgung dar.

224 Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 30 u. 32. 225 Zum Ganzen Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 9 ff; Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 63. 226 Hierzu umfassend W. Müller, Geschichte der Kernenergie in der DDR, 2001, S. 155 ff. 227 Stüer/Loges, NVwZ 2000, 9. 228 Zahlen nach Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/10735, S. 138 ff.; s. auch den Jahresbericht Umweltpolitik 1995 v. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998, S. 146 u. 150 f. S. auch Schmidt-Preuß, NJW 1995, 985; Langenfeld, DÖV 2000, 929 (930). 229 Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 5.

164

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Die Stromerzeugung in Deutschland sah in den Jahren 1999 und 2000 wie folgt aus: 230

Kernkraftwerk KWO Obrigheim KKS Stade Biblis A Biblis Β GKN-I Neckar GKN-II Neckar KKB Brunsbüttel KKI-1 Isar KKI-2 Isar KKU Unterweser KKP-1 Philippsburg KKP-2 Philippsburg KKG Grafenrheinfeld KKK Krümmel KRB-B Gundremmingen KRB-C Gundremmingen KWG Grohnde KBR Brokdorf KKE Emsland gesamt

Nennleistung brutto/MW 357 672 1.225 1.300 840 1.365 806 912 1.475 1.410 926 1.458 1.345 1.316 1.344 1.344 1.430 1.440 1.400 22.365

Brutto-Stromerzeugung - MWh Jahr 1999 Jahr 2000 2.959.358 2.803.373 5.169.040 4.874.815 6.274.800 7.719.660 9.289.300 8.868.400 6.310.632 6.634.487 11.202.280 11.227.420 6.483.053 6.035.515 7.830.097 6.926.699 12.268.287 11.942.563 8.538.544 10.111.138 7.251.420 7.226.330 11.287.670 11.722.195 10.239.255 8.808.055 9.430.460 10.955.481 10.094.882 9.797.119 10.697.907 8.610.938 11.679.822 11.830.080 11.672.294 11.926.546 11.385.996 11.320.283 169.716.564 169.689.630

Bereits diese kargen Zahlen verdeutlichen die gesellschaftspolitische und energiewirtschaftliche Relevanz der Nutzung der Kernenergie zur Stromgewinnung. Bereits seit Jahrzehnten gehen die Meinungen zum Umfang des notwendigen Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Gefahren ionisierender Strahlung auseinander. Dieser Streit bestimmt die Politik auf den Feldern der Reaktorsicherheit, der nuklearen Vor- und Entsorgung und des Strahlenschutzes. Unbestritten ist, daß grundsätzlich Sicherheit Vorrang hat vor Wirtschaftlichkeit. Die anschließenden Einzelfragen, (gesetzlichen) Bewertungen, konkreten Gewichtungen und Schlußfolgerungen weisen demgemäß eine große Bandbreite auf. 230 Pressemitteilung Deutsches Atomforum e.V. v. 17.1.2001; Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 5.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

165

b) Gesetzliche Grundlagen Dem Bund steht fur das Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 a GG i.V.m. Art. 72 GG zu; damit ist die Atompolitik Sache des Bundes. In Ausfüllung dieser Kompetenz hat der Bund das Atomgesetz erlassen. 231 Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bestehen nach einem Urteil des BVerfG im Jahre 1978 keine Bedenken. 232 Das Atomgesetz wird gem. Art. 87 c GG i.V.m. § 24 Abs. 1 AtomG von den Ländern ganz überwiegend in Bundesauftragsverwaltung gem. Art. 85 GG ausgeführt. 233 Nur einige wenige Verwaltungszuständigkeiten sind §§ 22, 23 AtomG zufolge auf Bundesoberbehörden übertragen und somit einer bundeseigenen Verwaltung zugeordnet. 234 Durch diese beiden Kompetenzzuweisungsnormen werden für bestimmte Genehmigungsverfahren das Bundesausfuhramt (§ 22 Abs. 1 AtomG), der Bundesminister der Finanzen (§ 22 Abs. 2 AtomG) und das Bundesamt für Strahlenschutz (§ 23 AtomG) für zuständig erklärt. Darüber hinaus sind die Bundesländer nach den Grundsatzbestimmungen der Artt. 83, 84 GG bei denjenigen (ganz vereinzelten) Verwaltungsaufgaben des Atomgesetzes zuständig, bei denen das Atomgesetz keine Verwaltungszuständigkeitsentscheidung trifft. 2 3 5 Diese beschränkten Kompetenzen für eigene Behörden des Bundes nach §§ 22 ff. AtomG können letztlich an der Grundentscheidung der Artt. 83 ff. GG, d. h. dem Landesvollzug von Bundesrecht, nichts wesentlich ändern, so daß sich das Verhältnis von Bund und Ländern konfliktträchtig entwickelte. Neben diesen beiden Ausnahmen sind die Bundesländer ausweislich des § 24 Abs. 1 Satz 1 AtomG für alle sonstigen Verwaltungsaufgaben nach dem Zweiten Abschnitt des Atomgesetzes nebst den hierzu ergangenen Rechtsver-

231 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) i. d. F. d. Bekanntmachung v. 15.7.1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.4.2002 (BGBl. I S. 1351). Kurz zur Entstehungsgeschichte jüngst Böhm, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 667 (668 f.). 232 BVerfGE 49, 89 (129 f.). Zur Gesetzgebungspraxis der parallelen Ingeltungsetzung von grundgesetzlicher Ermächtigungsnorm und einfachem ausführenden Bundesgesetz s. o. C. VII. 2. 233 Dazu oben C. VII. 2.; umfassend Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 32 ff. (Zweitbearb.). 234 Einzelheiten bei Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 35 ff. (Zweitbearb.). 235 Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 43 f. (Zweitbearb.).

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Ordnungen gem. §§ 12, 12 a und 12 b AtomG 2 3 6 nach den Regeln der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) für den Vollzug zuständig. Weder Art. 87 c GG noch das Atomgesetz selbst enthalten über die materielle Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern beim Verwaltungsvollzug besondere Vorgaben, so daß zwanglos Art. 85 GG als Basisnorm für das Bundesauftragsverhältnis zur Anwendung gelangt, 237 ohne daß der einfache Gesetzgeber ermächtigt wäre, widersprechende Regelungen zu treffen. 238 Insoweit unterstehen die Länder im Rahmen der Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitsaufsicht des Bundes dessen Weisungen (Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG). 236

Als wichtig sind ζ. B. zu nennen: Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) i. d. F. d. Bekanntmachung v. 30.6.1989 (BGBl. I S. 1321, ber. S. 1926). Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung - RöV) vom 8.1.1987 (BGBl. I S. 114), zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.7.1996 (BGBl. I S. 1172). Die Strahlenschutzverordnung soll zusammen mit der Röntgenverordnung sicherstellen, daß das Ziel des Atomgesetzes erreicht wird: Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen. Die Strahlenschutzverordnung ist das Regelwerk, um den Grundsatz des Strahlenschutzes zu erreichen: Erstens: jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütern oder der Umgebung zu vermeiden; zweitens: jede Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütern oder der Umwelt unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auch unterhalb der festgesetzten Grenzwerte so gering wie möglich zu halten. Mitte März 2001 legte die Bundesregierung einen Entwurf für eine neue Strahlenschutzverordnung vor. Danach sollen die Grenzwerte für die zulässige radioaktive Belastung gesenkt werden. Erstmals wird bundesweit einheitlich geregelt, wann und unter welchen Umständen Stoffe aus der strahlenschutzrechtlichen Überwachung freigegeben werden dürfen. Gleichzeitig werden neuere europäische Vorgaben in deutsches Recht umgesetzt; vgl. Pressemitteilung des BMU Nr. 57/2001. Am 1.6.2001 beschloß der Bundesrat einige Änderungswünsche für diese Strahlenschutznovelle. Diese wurden anschließend von der Bundesregierung berücksichtigt, so daß abschließend am 11.7.2001 die Novelle beschlossen werden konnte; Pressemitteilung des BMU Nr. 140/2001. Die Verordnung trat am 1.8.2001 in Kraft (BGBl. I S. 1714). Überblick über die Neuregelungen bei H. Wagner, NVwZ 2002,168 ff. Neben dieser Strahlenschutzverordnung sind zu nennen: Verordnung über die kerntechnischen Sicherheitsbeauftragten und über die Meldung von Störfällen und sonstigen Ereignissen (Atomrechtliche Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung - AtSMV) vom 14.10.1992 (BGBl. I S. 1766): Diese Verordnung regelt die Bestellung und den Aufgabenbereich des kemtechnischen Sicherheitsbeauftragten in Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen über einer thermischen Höchstleistung von 50 kW und enthält die Vorschriften zur Meldung sicherheitsrelevanter Ereignisse an die Aufsichtsbehörde; Verordnung zur Errichtung eines Strahlenschutzregisters (Strahlenschutzregisterverordnung) vom 3.4.1990 (BGBl. I S. 607); Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMRadV) vom 28.1.1987 (BGBl. I S. 502), zuletzt geändert durch 6. Überleitungsgesetz vom 25.9.1990 (BGBl. I S. 2106). 237 Schmidt-B leibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 87 c Rdnr. 3. 238 Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 49 (Zweitbearb.).

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Eine eigene gesetzliche Regelung außerhalb des Atomgesetzes hat das Strahlenschutzvorsorgegesetz - StrVG 2 3 9 geschaffen. Als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurde es mit dem Ziel erlassen, die gesamte Radioaktivität in der Umwelt kontinuierlich und deutschlandweit zentral zu überwachen. Alle weiteren geltenden Rechtsvorschriften stellt Bischof dar. 240

2. Konkrete atomrechtliche Weisungsstreitigkeiten Um der erheblichen verfassungsrechtlichen, aber auch gesellschaftlichpolitischen 241 Relevanz der atomrechtlichen Bund-Länder-Konflikte gerecht zu werden, sollen diese Auseinandersetzungen im folgenden wiedergegeben werden, sofern sie Bezugsmomente zum Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG aufweisen. Es wird die konkrete Fallgestaltung eher schlaglichtartig dargestellt, ohne den jeweiligen politischen Hintergrund in allen seinen Verästelungen genau zu beleuchten. 242 Weitestgehend unberücksichtigt bleiben sollen in dieser Darstellung diejenigen bundesaufsichtsrechtlichen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten in atomrechtlichen Fragen, die nicht bis zum Erlaß einer zwischen den Beteiligten umstrittenen Bundesweisung ausgetragen wurden. 243 Vorweggeschickt sei die Feststellung, daß fast alle diese Konflikte in ihrer Bund-Länder-Dichotomie dahingehend identisch sind, daß ein Land den atomrechtlichen Bundesvorgaben nicht ohne weiteres folgen resp. entsprechen wollte. Das von der Landesexekutive gewählte Verhalten differiert zwischen verschleierter Obstruktion der atomenergiepolitischen Vorgaben des Bundes und offener Zurschaustellung von Vollzugsilloyalität. Nach den 1998 geänderten bundesenergiepolitischen Zielsetzungen sind an diesen Konflikten seither solche „atomfreundlichen" Länder beteiligt, die vormals nicht an diesen Föderal-

239 Vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2610), zuletzt geändert durch Art. 8 § 8 Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungsgesetz vom 24.6.1994 (BGBl. IS. 1416). Dazu Bischof in: BK, Art. 74 Nr. 11 a Rdnrn. 70 ff. 240 In: BK, Art. 74 Nr. 11 a Anhang. 241 Vgl. ζ. B. „Die Vitalität eines angeblichen Auslaufmodells", in NZZ 13./14.1.1996, S. 25 f. 242 Vertiefte und detaillierte Darstellungen finden sich bei den in den jeweiligen Fußnoten genannten Fundstellen. Einen knappen Überblick liefert F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 23 ff. 243 Sie finden sich etwa bei Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 180 ff. (Zweitbearb.) m. w. Nachw.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Streitigkeiten beteiligt waren. 244 Bundesaufsichtliche Weisungen erstrecken sich in diesem Zusammenhang regelmäßig entweder auf die Zugrundelegung einer Rechtsauffassung beim Verwaltungshandeln einschließlich der Durchführung von Verwaltungsstreitverfahren oder auf die Durchführung oder Nichtdurchführung von Verwaltungsmaßnahmen. 245

a) Reaktorbetriebe

in Hanau/Hessen I.

Der erste, auch öffentliche Aufmerksamkeit hervorrufende atomrechtliche Konflikt entzündete sich an der Frage des Erlasses einer ersten Teilerrichtungsgenehmigung nach § 7 AtomG für den Neubau einer Hanauer Brennelementefabrik - sog. Nukem I I 2 4 6 - in den Jahren 1984/85. 247 Auch in den Folgejahren bargen die verschiedenen Nuklearbetriebe in Hanau ein umfangreiches bundesstaatliches Konfliktpotential in sich mit der Folge, daß die Bundesauftragsverwaltung „den Charakter eines Feldes verfassungsrechtlicher Problemlosigkeit verlor" 248 . Hintergrund dieses Konfliktes ist, daß in deutschen Kernkraftwerken jährlich unbestrahlte Brennelemente nachgeladen werden. 249 Diese Brennelemente werden seit langem zum Teil in Deutschland gefertigt oder kommen aus Fertigungsstätten in Frankreich, Schweden oder den USA. Das damals zuständige hessische Ministerium für Wissenschaft und Technik lehnte es im Spätsommer/Herbst 1984 ab, dem Genehmigungsantrag für eine Fabrik zur Herstellung von unbestrahlten Brennelementen zu entsprechen. Es war geplant, daß Nukem I I Ersatz schaffen sollte für die alte ausgediente Anlage Nukem I.

244 Zu dieser „Ausstiegspolitik" s. etwa Di Fabio , Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999; ders., atw 1999, 78 ff. 245 Vgl. BT-Drucks. 13/10056, S. 1 (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Schönberger sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren und zu bundesaufsichtlichen Weisungen). 246 Nukem bezeichnet die Nuklear-Chemie und Metallurgie (Nukem) GmbH. 247 Ausführlich zu diesem Konflikt Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnm. 197 ff. (Zweitbearb.). 248 So T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 2. Dazu auch dens., aaO., S. 1 ff.; F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 23 f. 249 Ende der Neunziger Jahre handelte es sich um ca. 400 bis 500 Tonnen Brennelemente; vgl. Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/10735, S. 141.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Nach dieser länderseitigen Ablehnung erteilte der zu diesem Zeitpunkt noch für Fragen der Reaktor- und Strahlensicherheit zuständige Bundesinnenminister mit Schreiben vom 20. November 1984 dem Landesminister unter ausdrücklicher Berufung auf § 7 Abs. 4 Satz 2 AtomG - und nicht etwa auf Art. 85 Abs. 3 GG - eine formelle bundesaufsichtliche Weisung. 2507251 Prompt erteilte die Genehmigungsbehörde noch in demselben Monat die beantragte erste Teilerrichtungsgenehmigung, ohne indes den sofortigen Vollzug anzuordnen. Im Verlauf des Folgejahres 1985 verweigerte das hessische Landesministerium hartnäckig eine entsprechende Anordnung und betrieb nunmehr offen eine Politik der Obstruktion. Schließlich wies der Bundesminister am 18. Juli 1985 unter ausdrücklich erklärter Bezugnahme auf Art. 85 Abs. 3 GG das Ministerium für Wirtschaft und Technik an, die sofortige Vollziehung der ersten Teilerrichtungsgenehmigung anzuordnen. Dem kam die Behörde am 2. August 1985 dann auch nach und verfügte den Sofortvollzug. Diese Vorfälle sollten sich nur wenige Zeit später als Auftakt für weitere administrative Weisungskonflikte zwischen dem Bund und dem Land Hessen darstellen. Im Mittelpunkt stand zunächst die Nuklearfirma Alpha-Chemie und Metallurgie GmbH, kurz ALKEM. In ihren Räumlichkeiten wurden zwar die plutonium- und uranhaltigen Brennelemente für Kernreaktoren nicht hergestellt, wohl aber zusammengebaut und endmontiert (sog. Assemblierung). Sowohl die Fertigung als auch das Montieren oblag dabei der Firma ReaktorBrennelemente-Union (RBU), die gleichfalls in Hanau beheimatet war. Ohne die sehr umfangreichen Einzelheiten im einzelnen darstellen zu wollen, 2 5 2 seien die entscheidenden Punkte kurz genannt: Nachdem im eben ge250 FAZ v. 22.11.1984, S. 1 f. Der maßgebende Passus lautet: „Ich [der Bundesinnenminister, d. Verf.] bitte Sie daher gemäß Paragraph 7 Absatz 4 Satz 2 Atomgesetz, davon abzusehen, die mir mit Schreiben vom 15./19.11.1984 mitgeteilte Regelung (oder vergleichbare Formulierungen) in den Genehmigungsbescheid aufzunehmen. ... Ich gehe davon aus, daß der Erteilung der ersten Teilerrichtungsgenehmigung ... nichts mehr im Wege steht." Zit. nach FAZ v. 22.11.1984, S. 12. 251 Diese - allerdings auf § 7 Abs. 4 Satz 2 AtomG beruhende - Weisung wird teilweise als der erstmalige Fall einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG angesehen; so ζ. B. Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (421); in diese Richtung, aber unklar K. Lange, NVwZ 1990, 928. Nach Gornig, JZ 1992, 307 (309 mit FN 7), hingegen datiert die erste atomrechtliche Weisung bereits 1969, ohne daß er jedoch diese Weisung spezifiziert. Selbst Steinberg, atw 1987, 282 mit FN 1, erklärt später, daß bereits früher im Bereich des Atomrechts Weisungen erteilt worden seien. Zu allem Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 4, § 101 Rdnr. 59 mit FN 325 f.; S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 102 f. Siehe zur Häufigkeit von Weisungen im Rahmen auftragsweiser Verwaltung auch unten D. III. 4. a). 252 Einzelheiten bei T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 1 ff.; Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnrn.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

nannten Streit das hessische Ministerium fur Wirtschaft und Technik am 3. Mai 1985 die Assemblierung von Brennelementen durch die RBU in den Räumen der A L K E M untersagt und eine Teilstillegungsverfügung nach § 19 Abs. 3 AtomG angeordnet hatte, wurden die massiv divergierenden atomrechtlichen Bewertungen überdeutlich. Denn die Bundesregierung hatte unmißverständlich kurz vor der Untersagungsverfügung eingehend und insbesondere gegenüber dem hessischen Wirtschaftsminister Steger ihre Rechtsauffassung zur atomrechtlichen Vorgehensweise bei der Brennelementeproduktion dargelegt. Ferner hatte der damals für die Atomaufsicht zuständige Bundesinnenminister Zimmermann das Land ausdrücklich darum gebeten, eine Maßnahme erst nach Rücksprache zu ergreifen und eine Stellungnahme abzuwarten. Konfrontiert mit der Anordnung der Teilstillegung vom 3. Mai 1985 reagierte der Bundesinnenminister am 15. Mai 1985 und wies das hessische Wissenschaftsministerium mit Verweis auf Art. 85 Abs. 3 GG an, keine weiteren Entscheidungen hinsichtlich dieses Verfahrens zu treffen, ohne zuvor eine bundesaufsichtliche Äußerung eingeholt zu haben. 253 Eine Verpflichtung zur Aufhebung der Teilstillegungsanordnung war mit der Weisung nicht verbunden; eine Entscheidung in dieser Frage behielt sich das Ministerium ausdrücklich vor. 2 5 4 Einige Wochen später - am 17. Juli 1985 - zog das Bundesinnenministerium dann die gesamte Sachentscheidung über die Frage der Assemblierung mittels einer weiteren Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG 2 5 5 an sich. Dem hessischen Minister für Wirtschaft und Technik wurde in Ergänzung zu der Weisung vom 15. Mai 1985 dreierlei aufgegeben: Erstens sei das Assemblierungsverbot für die RBU aufzuheben, zweitens die erste Teilerrichtungsgenehmigung für Nukem I I zu erteilen und drittens die Genehmigung für sofort vollziehbar zu er-

199 f. (Zweitbearb.). Vgl. auch Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (55). 253 T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 3, und Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (55/56), sehen diese Weisung als ersten Anwendungsfall des Art. 85 Abs. 3 GG in der bundesdeutschen Geschichte überhaupt an. I. E. wohl auch K. Lange,, NVwZ 1990, 928, der das erstmalige Gebrauchmachen von einer Weisung - zeitlich indifferent - in den Achtziger Jahren bei einer Weisung des Bundesministers des Inneren gegenüber dem hessischen Minister für Wirtschaft und Technik erkennen mag. S. zu dieser Weisung auch FAZ v. 17.5.1985, S. 1 f. 254 FAZ v. 17.5.1985, S. 1/2. 255 FAZ v. 19.7.1985, S. 1. Diese Weisung war mit einer weiteren Weisung desselben Datums verbunden, die sich gleichfalls auf einen Hanauer Nuklearbetrieb bezog, mit eben dieser jedoch nicht inhaltlich verflochten.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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klären. A m 5. August 1985 setzte die hessische Genehmigungsbehörde die Weisung um. Nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich eng mit dem geschilderten Vorgang verbunden stellt sich eine weitere atomrechtliche Auseinandersetzung dar. 256 Im Mittelpunkt stand hier die gleichfalls in Hanau/Hessen ansässige Firma ALKEM. Das Unternehmen hatte bereits 1975 einen Antrag darauf gestellt, die sog. Umgangsmenge des in ihrem Unternehmen zu bearbeitenden Plutoniums - also die genehmigte Lagerkapazität - etwa zu verfünfzehnfachen und gleichzeitig eine dafür unerläßliche neue Anlage zu bauen. Das Bundesinnenministerium hatte im Verlaufe des Jahres 1985 die Genehmigungsfahigkeit der Kernanlage festgestellt und diesen Umstand mittels einer bundesaufsichtlichen Stellungnahme dem zuständigen hessischen Wirtschaftsministerium mitgeteilt. Die Landesregierung 257 hielt hingegen den Antrag der A L K E M auf die erste Teilerrichtungsgenehmigung nach § 7 AtomG für „nicht entscheidungsreif 4 , brachte damit also zum Ausdruck, daß sie diesen negativ bescheiden werde, obgleich der Bundesinnenminister die hessische Genehmigungsbehörde mehrfach - letztmalig und ultimativ im Februar 1987 - aufgefordert hatte, die beantragte Genehmigung zu erteilen. A m 10. März 1987 wies der mittlerweile zuständig gewordene Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 258 gestützt auf Art. 85 Abs. 3 GG den hessischen Minister für Wirtschaft und Technik an, über die erste Teilgenehmigung für den Ausbau des ALKEM-Werkes positiv (wenn auch in einem mengenmäßig reduzierten Umfang) zu entscheiden und die beantragte Genehmigung auf der Grundlage eines zwischen beiden Ministerien diskutierten Arbeitsentwurfes zu erteilen. 259 Die hessische Landesregierung verweigerte offen den Vollzug dieser Weisung und reichte kurz darauf beim BVerfG eine schon im Februar des Jahres 1987 in Aussicht gestellte Normenkontrollklage gegen diejenigen Bestimmun256 Weitere Einzelheiten bei T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 4 ff.; Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 201 (Zweitbearb.); Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (55 f.); F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 23 f. Vgl. ferner H. Wagner, DVB1. 1987, 917; dens., NJW 1989, 1825; Steinberg, atw 1987, 282. 257 Die damalige hessische Regierungskoalition aus SPD und DIE GRÜNEN unter Führung des Ministerpräsidenten Holger Börner zerbrach letztlich an dieser Frage. 258 Organisationserlaß des Bundeskanzlers v. 5.6.1986 (BGBl. I S. 864). 259 FAZ v. 11.3.1987, S. 1. Der wörtliche Text der Weisung ist abgedruckt in atw 1987, 171; die wesentlichen Passagen auch bei T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 7.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

gen des Atomgesetzes ein, welche die Zulassung der Plutonium-Verarbeitung betreffen. 260 Damit war der Streit zwischen Bonn und Wiesbaden föderal eskaliert, die Bundesregierung erwog sogar den Einsatz des Bundeszwanges gem. Art. 37 GG in Form der Einsetzung eines Staatskommissars 261 - eine bis dahin unbekannte Schärfe im Umgang von Bund und Land miteinander. 262 Zu einer Entscheidung des BVerfG oder gar zur Anwendung des Bundeszwanges nach Art. 37 GG kam es jedoch nicht. Denn bei den Landtagswahlen am 5. April 1987 errangen die bis dahin in der parlamentarischen Opposition befindlichen Parteien CDU und FDP die Mehrheit der Landtagsmandate. Der designierte Ministerpräsident Hessens263 kündigte noch in der Wahlnacht den Vollzug der Bundesweisung an; am 9. Oktober 1987 wurde die erste Teilerrichtungsgenehmigung für die Anlage im weisungsbestimmten - also bezüglich der Plutonium-Lagerkapazität verringerten - Umfang genehmigt. Ferner nahm die Landesregierung den Normenkontrollantrag beim BVerfG zurück. Damit fanden diese juristischen Auseinandersetzungen um das Weisungsrecht des Bundes innerhalb auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG ein schnelles politisches Ende, ohne daß die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen einer Lösung zugeführt wurden oder an Brisanz eingebüßt hätten. Diese Lösung sollte einem anderen Konflikt vorbehalten bleiben. A m 23. Dezember 1988 hatte die N U K E M einen Antrag auf Stillegung der gesamten Betriebsstätte eingereicht. Der Betrieb ruht seitdem. Am 10. März 1993 wurde die Genehmigung zur Stillegung erteilt. Seitdem sind verschiedene Genehmigungen zum Abbau von Anlagenteilen beantragt und erteilt worden. Der endgültige Abbau steht bislang noch aus. 264

260

Zu der Frage, ob die Bestimmungen des Atomgesetzes über den Umgang mit dem Kernbrennstoff Plutonium verfassungswidrig sind, eingehend und mit ablehnendem Ergebnis H. Wagner, NJW 1989, 1825 ff. Dort (S. 1825) ist auch der Wortlaut des Normenkontrollantrages der hessischen Landesregierung abgedruckt. 261 FAZ v. 12.3.1987, S. 5; SZ v. 12.3.1987, S. 6; siehe auch F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 24, Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (56). 262 Zum Bundeszwang als Exekutionsmittel s. u. D. VI. 2. 263 Pikanterweise wurde der bisherige Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Walter Wallmann zum neuen hessischen Ministerpräsidenten gewählt. 264 Dazu Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 17.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten b) Schneller-Brüter-Prototyp

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in Kalkar/Nordrhein-Westfalen

Nur wenig später als die Auseinandersetzung um die Plutoniumverarbeitung im hessischen Hanau trat 1987/88 ein weiterer schwerer Konflikt hinsichtlich der Umsetzung atomrechtlicher Vorgaben aus Bonn zutage, der das Ausmaß des politischen Streitstoffes und die Fortdauer des verfassungsrechtlichen Dissenses eindrucksvoll belegt. 265 Diesmal waren beteiligt wiederum auf der einen Seite der Bund, auf der anderen Seite das Land Nordrhein-Westfalen. Streitpunkt war der Bau eines kerntechnischen Forschungsreaktors in Kalkar, des sog. „Schnellen Brüters" (SNR300). 266 Dieses Kernkraftwerk, ein deutsch-belgisch-niederländisches Gemeinschaftsprojekt, ließ die Schnell-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft mbH Essen (SBK) durch die Internationale Natrium-Brutreaktor-Bau GmbH (INB) errichten.

265 Der Schneller-Brüter-Prototyp SNR-300 in Kalkar/Nordrhein-Westfalen stand nicht erstmalig im Zentrum einer energiepolitischen Auseinandersetzung. Bereits im Jahre 1979 lehnte es die nordrhein-westfälische Landesregierung aus grundsätzlichen Gesichtspunkten ab, die für den Weiterbau des Reaktors unabdingbare 3. Teilerrichtungsgenehmigung zu erteilen. Hintergrund der Genehmigungsverweigerung waren bereits damals offene Divergenzen zwischen Bonn und Düsseldorf hinsichtlich der friedlichen Nutzung der Kernenergie, die auch zu einer politischen und staatsrechtlichen Diskussion über die Möglichkeit einer atomrechtlichen Weisung des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG an die Landesregierung maßgeblich den Anstoß gaben. Nachdem sich Ende 1978 dann der Deutsche Bundestag für den Weiter- und Fertigbau dieses neuen Reaktortyps ausgesprochen hatte (vgl. BT-Drucks. 8/1357, S. 9; 8/2370, S. 5 u. 26 f.; 8/2374), wurde diese Teilerrichtungsgenehmigung von den beiden zuständigen Landesministerien unverzüglich erteilt. Einer Bundesweisung bedurfte es daher nicht mehr, der evidente Vollzugskonflikt wurde - vorerst - beigelegt. Dazu seinerzeit Ost/Pelzer, atw 1979, 22 ff.; aus neuerer Zeit Zieger/Bischof \ in: BK, Art. 87 c Rdnr. 194 (Zweitbearb.) m. w. Nachw. in FN 313; Winter, DVB1. 1985, 993. Unerwähnt bleibt diese föderale Auseinandersetzung bei 71 Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 1 ff. 266 Alle wesentlichen Einzelheiten des Sachverhaltes bei Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 1 ff. u. 57 ff.; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnrn. 202 ff. (Zweitbearb.); F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 25 f. m. w. Nachw. in FN 17. Vgl. auch Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (56 ff.); T. Tschentscher, Bundesaufsicht in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 33 ff.; Böhm, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 667 (672 f.); Nobbe, atw 1990, 339 ff.; Pera, NVwZ 1989, 1120 (1125). Siehe schließlich BVerfGE 81, 310 (311 bis 329). Zum Typ des schnellen Brutreaktors, Michaelis, Handbuch der Kernenergie, Band 1, 1982, S. 92 ff.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Seit der ersten Antragstellung im Jahre 1970, dem ersten Genehmigungsbescheid vom 18. Dezember 1972 267 und dem Baubeginn dieses Reaktors 1973 waren von dem nordrhein-westfalischen Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie als zuständiger Genehmigungsbehörde bis zum Oktober 1985 auf der gesetzlichen Grundlage der §§ 7, 24 Abs. 2 Satz 1 AtomG bereits 17 Teilerrichtungsgenehmigungen erteilt worden, so daß nur noch zwei Teilgenehmigungen ausstanden. Gegenstand der beantragten vorletzten Genehmigung war zunächst die Einlagerung des Reaktorkerns, damit auch das gesamte Sicherheitskonzept des Reaktors hinsichtlich der Schutz- und Schnellabschaltsysteme. Diese Genehmigung bot den Gegenstand der Auseinandersetzung. Die nordrhein-westfälische, zu dieser Zeit von der SPD gebildete Landesregierung, die bereits 1985 die Beendigung der Entwicklung der Schnellbrutreaktortechnologie auf einem Landesparteitag beschlossen hatte, ließ im Verlauf des Verfahrens unmißverständlich erkennen, daß die beantragte 18. Teilerrichtungsgenehmigung nicht erteilt werden würde. Auch unter dem Eindruck des schweren Reaktorunfalles im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 mit der erheblichen Strahlenexposition durch γ-Strahlung 268 und seiner möglichen Auswirkungen sollte eine grundlegende Neuüberprüfung der Sicherheitsstandards des SNR-300 auf der Basis einer neuen gutachtlichen Bewertung vorgenommen werden. Im Mai 1987 bat daher der zuständige Landesminister die TÜVArbeitsgemeinschafit Kerntechnik West um die Anfertigung eines solchen Gutachtens unter Berücksichtigung der Unfallursache, des Unfallverlaufs und der Unfallfolgen in Tschernobyl. Die Landesgenehmigungsbehörde bezeichnete insbesondere die Folgen eines Kernzerlegungsstörfalls (sog. Bethe-TaitStörfall 269 ) als nicht ausreichend geklärt. Als Dauer für die Begutachtung wurde ein Zeitraum von etwa neun bis zwölf Monaten angegeben,270 ein wegen des umfangreichen Gutachtengegenstandes realistischer Zeitrahmen. Diese Form 267

Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (56), spricht plastisch von dem „Leidensweg des Genehmigungsverfahrens". 268 Zur heutigen Strahlenexposition durch den Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl vgl. den Bericht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/8630, S. 44. 269 Hierbei handelt es sich um den nach den beiden Physikern H. A. Bethe und J. H. Tait benannten schwerwiegendsten Störfall in einem Brutreaktor, der durch den simultanen Ausfall aller vorhandener Hauptkühlmittelpumpen und das Versagen sämtlicher Abschaltvorrichtungen hervorgerufen wird (BVerfGE 81, 310 [311]: „überprompt kritische Leistungsexkursion mit nachfolgender Kernschmelze"). 270 So Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 2.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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der Verweigerung kann durchaus als ein „Totprüfen einer Anlage" mit dem kaum verschleierten Ziel der Nichtinbetriebnahme bezeichnet werden. Die Bundesregierung und der fachlich zuständige Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vermochten hinsichtlich der Technologie des Schnellen Brüters keinerlei konzeptionelle Sicherheitsdefizite zu entdecken. Gestützt wurde diese Schlußfolgerung von einer Expertise der Reaktorsicherheitskommission 271 vom April 1987, deren wesentliches Ergebnis in der Unvergleichbarkeit der Reaktoren in Tschernobyl (RBMK-1000) und Kalkar lag mit der Folge, daß gegen die Inbetriebnahme des SNR-300 auch und gerade in Hinblick auf das Unglück in Tschernobyl keine durchgreifenden Bedenken bestanden. Der Bundesminister war mit dem Vorgehen des Landesministers nicht einverstanden und hielt eine weitere Gutachtenvergabe für nicht rechtmäßig. 272 Trotz etlicher Gespräche zwischen der obersten Bundesbehörde und der Genehmigungsbehörde in den Jahren 1987 und 1988 und eines ausführlichen Schriftwechsels, innerhalb dessen seitens des Bundesministers auch auf die Möglichkeit einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG hingewiesen wurde, 273 kam es nicht zu einer einvernehmlichen Lösung hinsichtlich der Erteilung dieses neuen Gutachtenauftrages. Der Reaktor lief seit 1986 weiterhin in einem vornuklearen Probebetrieb.

271 Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) ist ein seit 1958 bestehendes ursprünglich 24köpfiges unabhängiges Expertengremium, welches zur Aufgabe hat, den Bund und speziell den zuständigen Bundesminister in allen Fragen zu beraten, die den Bau und Betrieb von Kernreaktoren und anderen atomtechnischen Anlagen wie etwa Zwischenlagern für abgebrannte Elemente sowie die damit zusammenhängenden Angelegenheiten der Sicherung betreffen. Sie wirkt darüber hinaus maßgeblich an der Weiterentwicklung des Sicherheitsstandards von kemtechnischen Anlagen mit. Näheres zur RSK bei Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 144 f. m. w. Nachw. in FN 236 (Zweitbearb.). Nach Zustandekommen der rot-grünen Koalition ist die Kommission 1999 neu zusammengesetzt und gleichzeitig verkleinert worden, was teilweise auf Kritik stieß; Einzelheiten dazu in FAZ v. 15.3.1999, S. 17 u. FAZ v. 30.6.1999, S. 3; vgl. ferner exemplarisch den Kommentar von Graf Hohenthal, FAZ v. 16.4.1999, S. 17. Die 1974 gegründete Strahlenschutzkommission (SSK) hingegen gibt dem Bundesumweltministerium Empfehlungen zum Schutz der Bevölkerung sowie der Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen, Forschung, Gewerbe und kemtechnischen Anlagen vor den Gefahren ionisierender und nichtionisierender Strahlung. Sie besteht gewöhnlich aus 14 Mitgliedern. Nach dem Regierungswechsel wurde sie vom neuen Umweltminister Trittin zunächst aufgelöst und anschließend neu besetzt. Später gab es weitere Unruhe, als die Vorsitzende der Kommission nach Auseinandersetzungen mit Trittin zurücktrat; vgl. FAZ v. 18.5.2001, S. 4. 272 Scholz, et 1996, 386 (389), spricht plastisch von einem „Gutachterkrieg", der um den SNR-300 geführt wurde. 273 Einzelheiten in BVerfGE 81, 310 (315 bis 317).

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Schließlich erging am 2. Mai 1988 274 nach vorheriger schriftlicher Ankündigung 2 7 5 eine Weisung des Bundesumweltministers unter ausdrücklichem Einschluß der befürwortenden Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission. Mit dieser Weisung wurde der nordrhein-westfalische Wirtschaftsminister aufgefordert und verpflichtet, im weiteren Genehmigungsverfahren für das Kernkraftwerk Kalkar (SNR-300) von der näher konkretisierten Rechtsmeinung des Bundesministers zum positiven Gesamturteil und zum berechtigten Interesse des Antragstellers nach § 18 AtVfG sowie zur Bindungswirkung bereits erteilter Genehmigungen und dem Bestandsschutz genehmigter Anlagenteile auszugehen und diese Auffassungen auch umzusetzen.276 Ferner habe der Landesminister von der Erteilung eines Gutachtenauftrages zum Sicherheitskonzept des Schnellen Brüters abzusehen. Damit bezog sich die - i. ü. umfangreich begründete - Weisung allein auf das Genehmigungsverfahren. Die Verpflichtung zur Erteilung der 18. Teilerrichtungsgenehmigung selbst war nicht Weisungsinhalt, die Genehmigungserteilung war aber wohl bei Zugrundelegung des anordnenden Teils der Bundesweisung nicht zu vermeiden. Der Landeswirtschaftsminister verweigerte zunächst den Weisungsvollzug und remonstrierte gegen diese Weisung mit Schreiben vom 30. Juni 1988. Die Landesregierung erhob schließlich mit Schriftsatz vom 31. Oktober 1988 Klage gegen die Weisung vor dem BVerfG. Die Landesregierung beantragte, das BVerfG möge im Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG (Bund-LänderStreitigkeit) feststellen, daß die Weisung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit an den Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen Voraussetzungen und Schranken für die Ausübung der Weisungskompetenz des Bundes mißachtet und demzufolge die im Rahmen der Artt. 30, 85 GG gewährleistete Eigenstaatlichkeit des Landes verletzt habe. Sie sei darüber hinaus unvereinbar mit der den Staat aus Art. 2 Abs. 2 GG treffenden Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit, mit Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und den Grundsätzen des bundesfreundlichen Verhaltens.

274

Die Weisung wurde am 27.4.1988 vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit unterzeichnet. Das i. ü. undatierte Schreiben ging dem Landesminister am 2.5.1988 zu. In der Literatur wird die Weisung ζ. T. dem einen, ζ. T. dem anderen Datum zugeordnet. 275 Die Weisung wurde in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums vom 27.3.1988 angekündigt. 276 Diese Weisung ist abgedruckt in BVerfGE 81, 310 (317 bis 319); sowie auszugsweise bei Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 3 f. (Basis dieser Monographie war ein Rechtsgutachten, welches der Autor für die nordrheinwestfälische Regierung in eben dieser Sache erstellt hatte).

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Mit Urteil vom 22. Mai 1990 277 - also über zwei Jahre nach Erteilung der umstrittenen Weisung und weitere drei Jahre nach Erteilung der bis dahin letzten (17.) Teilerrichtungsgenehmigung für den Reaktor - hat das BVerfG den Feststellungsantrag des Landes als unbegründet zurückgewiesen. Tragende Begründung für die ablehnende Entscheidung ist, daß sich ein Land dem Bund gegenüber regelmäßig nicht auf die inhaltliche Rechtswidrigkeit einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG berufen könne. Daher müsse grundsätzlich das Land eine Weisung auch vollziehen. Bemerkenswerterweise hat sich das BVerfG in seinem Urteil mit den in der Staatsrechtslehre im Vorfeld dargelegten abweichenden Auffassungen über die Bindungswirkung von Weisungen in keiner Weise auseinandergesetzt. Damit schien der Weg zur Fertigstellung des Schnellen Brüters frei zu sein, wenn auch nur juristisch und nicht politisch. Zu einem Bauabschluß kam es nämlich dennoch nicht. Denn bereits im März 1991 - nur zehn Monate nach der Entscheidung des BVerfG - verkündete der damalige Bundesforschungsminister Riesenhuber, den Bau nicht vollenden zu wollen, den sog. Schnellen Brüter also niemals als Kernkraftwerk ans Netz gehen zu lassen, sondern den Reaktor endgültig stillzulegen. 278 Mit der Zustimmung der Landesregierung zur letzten noch ausstehenden Teilerrichtungsgenehmigung sei nach eindeutigem Bekunden des nordrhein-westfalischen Wirtschaftsministers nicht mehr zu rechnen, so daß es zu unkalkulierbaren Verzögerungen komme. Damit fand das bis dahin umstrittenste 279 Kernenergievorhaben in Deutschland sein trauriges Ende. Allein die endgültige Stillegung des Schnellen Brüters vom Typ SNR-300 in Kalkar soll insgesamt ca. 7,5 Milliarden D M verschlungen haben. 280 Heute fungiert das Gelände nach dem Rückbau als Erlebnispark. Die unbenutzten Brennelemente des aufgegebenen Schnellen Brüters lagern in vom Bundesamt für Strahlenschutz angemieteten Räumen des Plutoniumbunkers der Siemens AG in Hanau. 281

277

2 BvG 1/88, BVerfGE 81, 310 ff. Das Urteil kommentieren aus unterschiedlichen Blickwinkeln K. Lange, NVwZ 1990, 928 ff.; ders., Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 125 ff.; Nobbe, atw 1990, 339 ff.; Hantke, DVB1. 1990, 824 ff. 278 FAZ vom 22.3.1991, S. 1 u. 15; SZ vom 22.3.1991, S. 1; vgl. dazu auch F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 26 m. w. Nachw. in FN 22 u. 23. 279 Und i. ü. wohl auch kostspieligste Unternehmen, vgl. nachfolgende FN. 280 So die Schätzung von Scholz, et 1996, 386 (389), allerdings ohne Belege. Nach FAZ v. 3.2.2000, S. 10: 7 Milliarden DM. 281 Pressemitteilung 19/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 27.3.2001. 12 Janz

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG c) Kernkraftwerk

in Brokdorf/Schleswig-Holstein

Weit weniger spektakulär und nur eine kurze Zeit im Blick der bundesdeutschen Öffentlichkeit 282 stand im Sommer 1988 das Atomkraftwerk in Brokdorf am rechten Elbufer im schleswig-holsteinischen Landkreis Steinburg. 283 Dort wurde nach einem juristisch-politischen Schlagabtausch schließlich am 26. Juni 1988 vom damals zuständigen Bundesumweltminister eine Weisung an den schleswig-holsteinischen Minister für Soziales, Gesundheit und Energie erteilt mit dem Inhalt, das Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerkes Brokdorf unverzüglich zu genehmigen. Zuvor war das Kernkraftwerk zum Zwecke eines Brennelementewechsels vorschriftsmäßig abgeschaltet worden. Bei einer routinemäßigen Inspektion tauchten Probleme auf: Eine technische Überprüfung ergab den Bruch eines der 360 Zentrierstäbe im Druckwasserbehälter des Reaktors. Mittels dieser Stäbe werden die Brennelemente in ihrer Stellung gehalten. Weder die Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Garching noch der TÜV Norddeutschland erkannten diesem Ereignis jedoch sicherheitsoder betriebsrelevante Bedeutung zu, so daß sie gegen die Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerkes keine Bedenken geltend machten. Diese Probleme bewogen die Landesregierung dazu, eine allgemeine und i. ü. zeitintensive Materialüberprüfung zu verfügen sowie gleichzeitig die Wiederinbetriebnahme des Reaktors zu verweigern. Dieses Verhalten führte dann zu der beschriebenen bundesaufsichtsrechtlichen Maßnahme in Form einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG. Interessanterweise wurde die Weisung erst erteilt, nachdem der Bundesumweltminister vom Landesenergieminister zu einer bundesaufsichtlichen Stellungnahme resp. Weisung ausdrücklich aufgefordert worden war. Hintergrund für dieses bis dahin in dieser Form und Tragweite neue länderseitige Vorgehen war zum einen zwar die erklärte Nichterteilung der Zustimmung zum Wiederanfahren des Reaktors in Brokdorf. Zum anderen war die schleswigholsteinische Landesregierung davon überzeugt, daß durch diese Vorgehensweise dem Bund die Verantwortung für die Wiederinbetriebnahme des Werkes 282 Ganz anders stellte sich die Situation bei den handfesten Auseinandersetzungen um den Bau und die Fertigstellung dieses Atommeilers im Jahre 1981 dar, die mit der Entscheidung des BVerfG (E 69, 315 ff.) vier Jahre später ihren juristischen Endpunkt fanden. Diese Kontroverse bezog sich allerdings nicht auf auftragsrechtliche Fragestellungen, sondern hatte grundrechtliche und speziell versammlungsrechtliche Probleme zum Inhalt. Zur Brokdorf-Entscheidung des BVerfG vgl. Frowein, NJW 1985, 2376 ff. 283 Dazu Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (32); F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 26 f.; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 62; Scholz, et 1996, 386 (389).

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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zuwachse und das Land aus dieser entlassen sei. Neben diesem Zuspielen des „Schwarzen Peters" an den Bund konnte die Landesregierung in politischer Hinsicht nach außen deutlich machen, daß sie alles versucht habe, die Wiederinbetriebnahme zu verhindern. 284 Der schleswig-holsteinische Landesenergieminister verfügte nach Weisungserteilung unverzüglich Ende August 1988 die Freigabe, wobei erklärtermaßen die Furcht vor möglichen Schadensersatzansprüchen der Betreiberfirma - und nicht etwa bundesloyale Gesichtspunkte - die maßgebende Triebfeder war 2 8 5 Ob die anschließend erteilte (Bundes-) Weisung tatsächlich auf diese Aufforderung seitens des schleswig-holsteinischen Ministers zurückzuführen ist, läßt sich nur mutmaßen. Die äußeren Umstände jedenfalls legen diesen Schluß durchaus nahe. Greifbare Konsequenzen rechtlicher oder tatsächlicher Art wegen dieser vom Land erwünschten Verantwortungsverlagerung zum Bund hin sind im Nachgang hierzu nicht auszumachen. Die Klage eines Bürgers gegen die im Oktober 1986 erteilte Zweite Teilbetriebsgenehmigung, die u. a. den Einsatz von sog. MOX-Brennelementen umfaßte, 286 für das seit 1987 betriebene Kernkraftwerk Brokdorf ist endgültig gescheitert. 287 Der Kläger hatte 2 km vom Kernkraftwerk entfernt ein Hausgrundstück, auf dem er auch Obst und Gemüse zum Eigenverzehr anbaute. Er befürchtete gesundheitsschädigende Strahlenbelastungen aus dem Betrieb des Kernkraftwerks. Das klageabweisende Urteil des damals noch zuständigen OVG Lüneburg vom Juni 1989 wurde im Jahre 1993 vom BVerwG wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben. Nach erneuter Verhandlung hatte das nunmehr zuständige OVG Schleswig die Klage wiederum abgewiesen.288 Der Kläger sei mit einem großen Teil seiner Einwendungen wegen der Bestandskraft vorausgegangener Teilgenehmigungen ausgeschlossen. Im übrigen seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß dem beklagten Land bei der Erteilung der Genehmigung Ermittlungs- oder Bewertungsdefizite unterlaufen seien. Das BVerwG hat nunmehr die Beschwerde des Klägers gegen die vom OVG Schleswig ausgesprochene Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen, weil dem Beschwerdevorbringen keine Gründe zu entnehmen seien, die die Zu-

284

Auf diese Motivation weist - allgemein - Sendler, DÖV 1992,181 (188), hin. Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (32). 286 Zur Brennelementefertigung Michaelis, Handbuch der Kernenergie, Band 2, 1982, S. 620 ff. 287 BVerwG NVwZ 1999, 1231 f. 288 OVG Schleswig, Urteil vom 19.6.1998 - 4 K9/93. 285

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

lassung der Revision rechtfertigten. Damit ist die Klageabweisung rechtskräftig.

d) Atomare End- und Zwischenlagerung aa) „Schacht Konrad" in Salzgitter/Niedersachsen Den vorläufigen verfassungsgerichtlichen Schlußpunkt der Atomkonflikte zwischen dem Bund und einzelnen Ländern stellt die politische und juristische Auseinandersetzung zwischen dem Bundesumweltminister und dem niedersächsischen Umweltministerium um die vormalige Eisenerzgrube „Schacht Konrad" in Salzgitter dar, 289 die am 10. April 1991 wiederum in eine Entscheidung des BVerfG 2 9 0 mündete. Hintergrund der „Grube-Konrad"-Entscheidung des BVerfG war folgender Sachverhalt: Der Bund ist nach § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtomG verpflichtet, Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten. Bei der direkten Endlagerung wird das gesamte Brennelement einschließlich der Wertstoffe Uran und Plutonium nach einer Zwischenlagerung zum Zerfall der kurzlebigen Radionuklide und damit verbundener Reduzierung der zerfallsbedingten Wärmeentwicklung als radioaktiver Abfall entsorgt. In einer Konditionierungsanlage werden die Brennelemente zerlegt, in spezielle endlagerfähige Gebinde verpackt und dann als radioaktiver Abfall endgelagert. Zuständig für Anlagen des Bundes zur Endlagerung radioaktiver Abfalle ist gem. § 23 Abs. 1 Nr. 2 AtomG das Bundesamt für Strahlenschutz. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mit Sitz in Salzgitter nimmt die Vollzugsaufgaben des Bundes nach dem Atomgesetz und dem Strahlenschutzvorsorgegesetz wahr. Es unterstützt die Bundesregierung und speziell das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit fachlich und durch wissenschaftliche Forschung im gesundheitlichen und physikalischen Strahlenschutz, bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle, bei der staatlichen Verwahrung von Kernbrennstoffen, beim Transport radioaktiver Stoffe sowie

289 Umfassend hierzu F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 27 ff; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (58 f.); ders., DVB1. 1991, 833 ff. Vgl. auch BVerfGE 84, 25 (26 ff.); FAZ v. 11.4.1991, S. 4; sowie DIE ZEIT v. 20.1.2000, S. 27 f.; GarmsBabke, Die Unvereinbarkeit nicht-rückholbarer Endlagerung radioaktiver Abfälle mit dem Grundgesetz, 2002, S. 28 ff. 290 E 84, 25 ff.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

181

in der kerntechnischen Sicherheit bei der Wahrnehmung der Bundesaufsicht. 291 Darüber hinaus unterstützt es das Umweltministerium bei der Wahrnehmung der Bundesaufsicht. Zur Erfüllung seiner Aufgaben betreibt das BfS wissenschaftliche Forschung. Die Errichtung und der Betrieb einer solchen Kernanlage bedürfen nach § 9 b Abs. 1 AtomG der Planfeststellung. 292 Zuständig für die Durchführung der Planfeststellung ist gem. § 24 Abs. 2 Satz 1 AtomG die durch die Landesregierung bestimmte oberste Landesbehörde. Diese Behörde ist in Niedersachsen das niedersächsische Ministerium für Umwelt. 293 Um dieser gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen, beabsichtigte der Bund, das ehemalige Eisenerzbergwerk Konrad im niedersächsischen Salzgitter als Endlager einzurichten und zweckentsprechend umzubauen und neuzugestalten. Der Schacht (oder: die Grube) Konrad war 1976 geschlossen worden, da die deutsche Erzförderung sich als zu kostspielig erwiesen hatte. Ein Jahr zuvor begannen bereits wissenschaftliche Voruntersuchungen. Es sollten an diesem Ort alle schwach- und mittelradioaktiven Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung 294 , wie sie in Kraftwerken, bei der Industrie, in der Medizin und Forschung anfallen, sowie Abrißteile aus kerntechnischen Anlagen untergebracht werden. Dabei sollte die Grube Konrad ursprünglich als Endlager für alle bundesdeutschen Abfälle bis zum Jahr 2000 dienen. 295

291 Vgl. § 23 AtomG i.V.m. dem Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz v. 9.10.1989 (BGBl. I S. 1830), zul. geändert durch Gesetz v. 6.4.1998 (BGBl. I S. 694). Entsprechend seiner Aufgaben ist das BfS mit seinen ca. 600 Mitarbeitern in vier verschiedene Fachbereiche (Nukleare Entsorgung und Transport, Kerntechnische Sicherheit, Strahlenhygiene, Strahlenschutz) und eine Zentralabteilung aufgegliedert. Das BfS publiziert jährlich einen umfassenden Jahresbericht über seine Tätigkeit. Ebenso wie bei der Reaktorsicherheitskommission kam es auch beim Bundesamt für Strahlenschutz nach der Bildung der rot-grünen Koalition auf Bundesebene und anschließenden personellen Veränderungen zu Irritationen; vgl. dazu FAZ v. 30.6.1999, S. 3. 292 Grundlegend Breuer, Die Planfeststellung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984. 293 Anlage 2 Ziff. 6.1.6 der Verordnung über die Zuständigkeiten im Gewerbe- und Arbeitsschutz sowie in anderen Rechtsgebieten vom 29.5.1985 (GVB1. S. 119 [155]), zul. geändert durch Art. I Ziff. 1 der Dritten ÄnderungsVO vom 24.7.1986 (GVB1. S. 289). 294 Diese Abfallkategorien machen mehr als 95 Prozent des in Deutschland vorhandenen bzw. zu erwartenden Abfallvolumens von Kernenergieanlagen aus, Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BTDrucks. 13/10735, S. 143. 295 FAZ v. 11.4.1991, S. 4.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Nach umfangreichen Voruntersuchungen in den Jahren seit 1976 in Hinblick auf die Eignung als Endlager stellte der Bund 2 9 6 im August 1982 einen Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens bei der zuständigen obersten Landesbehörde, nachdem ein positiver Abschlußbericht erarbeitet und veröffentlicht worden war. A m 15. Juni 1990 teilte das zuständige Landesumweltministerium mit, daß die - inzwischen mehrfach überarbeiteten - Planungsunterlagen für die verfahrensrechtlich vorgeschriebene Beteiligung der Öffentlichkeit vollständig und somit auslegungsreif seien. 297 Die Landtagswahlen vom 13. Mai 1990 führten zu einer rot-grünen Mehrheit im Landtag und mündeten schließlich am 21. Juni 1990 in eine entsprechende Neubildung der niedersächsischen Landesregierung. Aus der politischen Inakzeptanz der Kernenergie wurde von der neuen Landesregierung kein Hehl gemacht, so daß bereits in der Koalitionsvereinbarung die Aufgabe des Schachtes Konrad als Endlager festgeschrieben wurde. 298 Einer der Punkte im Regierungsprogramm der rot-grünen Koalition war die Bewerkstelligung des „Einstieges in den Ausstieg aus der Kernenergie". Die neue Landesregierung verneinte die Auslegungsreife der Planungsunterlagen nach § 4 Abs. 1 AtVfV und änderte die Meinung, welche die bis dahin im Amt befindliche Landesregierung vertreten hatte. Die niedersächsische Umweltministerin Griefahn weigerte sich beharrlich, die Bekanntmachung und Auslegung der Planungsunterlagen für das Endlager Konrad vorzunehmen und damit das erforderliche Planfeststellungsverfahren einzuleiten. Begleitet wurde diese Weigerung von einem umfangreichen Schriftwechsel zwischen dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dem Landesumweltministerium, der jedoch nicht zu einer einvernehmlichen Lösung führte und wohl auch wegen der unvereinbaren Standpunkte nicht führen konn296 Den Antrag stellte vormals die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Seit der Änderung des Atomgesetzes durch Gesetz vom 9.10.1989 (BGBl. I S. 1830) obliegt diese Aufgabe dem Bundesamt für Strahlenschutz. Zu den Genehmigungsfragen s. auch Rengeling, Rechtsfragen zu Bundesendlagern für radioaktive Abfälle, 1990. 297 Einzelheiten der Durchführung des Genehmigungsverfahrens für die in § 7 Abs. 1 u. 5 AtomG genannten Anlagen wie die Beteiligung Dritter (Bekanntmachung und Auslegung des Plans sowie Einwendungen gegen denselben), der Erörterungstermin und die Genehmigung selbst sind in der Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes (Atomrechtliche Verfahrensordnung - AtVfV) i. d. F. d. Bekanntmachung v. 31.3.1982 (BGBl. I S. 411) geregelt. 298 Es war vereinbart, „alle Möglichkeiten auszuschöpfen, das Planfeststellungsverfahren für Schacht Konrad nicht weiter zu verfolgen." Zit. nach Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (58: „offene Verfassungskollision"); ders., DVB1. 1991, 833. Vgl. auch Scholz, et 1996, 386 (389).

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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te. Im November 1990 erklärte die Landesumweltministerin unter Hinweis auf eine angeblich fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung des Endlagers nach § 6 Abs. 3 Nr. 4 UVPG, daß die Unterlagen unvollständig seien und sie daher nicht ausgelegt werden könnten. 299 Diese Auffassung wies der Bundesminister wenig später zurück; die Vorwürfe seien ausschließlich politisch motiviert. Als schließlich keine Einigung mehr möglich erschien, erteilte der Bundesminister mit Schreiben vom 24. Januar 1991 eine Weisung gem. Art. 85 Abs. 3 GG. 3 0 0 Er wies die niedersächsische Umweltministerin an, im Verwaltungsverfahren für das radioaktive Endlager in der Grube Konrad in Salzgitter die Unterlagen für die Beteiligung der Öffentlichkeit bis zum 2. März 1991 vorzubereiten und das Vorhaben offiziell bekannt zu machen, die Unterlagen ihm vorzulegen sowie schließlich mit der Auslegung spätestens am 11. März zu beginnen, um das Planfeststellungsverfahren weiterzuführen. 301 In der beigefügten Anlage wurde die Weisung eingehend begründet. Das Land Niedersachsen erhob daraufhin eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO gegen die Weisung, und zwar instantiell gem. § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO vor dem BVerwG. 3 0 2 Gleichzeitig wurde dem Bundesminister übermittelt, daß sich das Land Niedersachsen aufgrund der nach § 80 Abs. 1 VwGO eingetretenen aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gehindert sehe, die Weisung zu beachten und zu vollziehen. Daraufhin hat die Bundesregierung ein Bund-Länder-Streitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3, §§ 13 Nr. 7, 68 - 70 i.V.m. 64 - 67 BVerfGG beim BVerfG anhängig gemacht. Sie begehrte einerseits die Feststellung, daß das Land Niedersachsen durch die Weigerung, die Weisung zu vollziehen, die dem Bund gem. Art. 85 Abs. 3 GG zustehende Sachkompetenz verletze, und andererseits den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG. Das Gericht hat innerhalb erstaunlich kurzer Zeit 3 0 3 zu diesem Streit mit Urteil vom 10. April 1991 Recht gesprochen, 304 ein knappes Jahr nach seinem 299

Vgl. FAZ v. 29.11.1990, S. 1. Zur vermeintlich erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung im Planfeststellungsverfahren des Schachts Konrad s. auch SchmidtEriksen, KJ 1992, 347 ff. 300 FAZ v. 25.1.1991, S. 1. 301 Diese Weisung ist teilweise abgedruckt in BVerfGE 84, 25 (27 f.). Vollständiger Text in atw 1991, 113 ff. 302 Ob verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, insbesondere hinsichtlich der Behauptung der Verletzung eines eigenen (Landes-) Rechts, gewährt wird, ist zumindest zweifelhaft. S. dazu unten D. V. 303 Zwischen Antragstellung und Entscheidung lagen gerade einmal zweieinhalb Monate; vgl. Sommermann, DVB1. 2001, 1549 (1555 f.). 304 2 BvG 1/91, BVerfGE 84, 25.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Grundsatzurteil (Fall Kalkar) zu den Grenzen der Weisungsbefugnis. 305 Es entschied dabei sogleich zur Hauptsache. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfugung wurde damit gegenstandslos und war als erledigt anzusehen, da es nichts mehr vorläufig zu regeln gab. 306 Das BVerfG stellte in der Sache mit bemerkenswert knappen, fast schroffen Worten 307 fest, daß das Land Niedersachsen durch sein Verhalten der Weisungsvollzugsweigerung gegen Art. 85 Abs. 3 GG verstoße. Der Weisung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sei Folge zu leisten. 308 Die Reaktion der niedersächsischen Umweltministerin auf das Urteil des BVerfG war gezielt janusköpfiger Natur: Zwar sicherte sie zum einen den Weisungsvollzug, also die Verkündung des Plans und das Auslegen der Planungsunterlagen innerhalb der vorgegebenen Zeiträume zu, zum anderen jedoch kündigte sie unmittelbar nach Urteilsverkündung eine Kampagne an, mit der die Bevölkerung über Einspruchsmöglichkeiten und Rechte aufgeklärt werden solle. 309 Die Planungsunterlagen wurden Mitte 1991 ordnungsgemäß ausgelegt. Der weitere Fortgang des Planfeststellungsverfahrens gestaltete sich trotz etlicher intensiver Abstimmungsgespräche - wie bei den greifbaren Diskordanzen nicht anders zu erwarten war - sehr zähflüssig, da das niedersächsische Umweltministerium, welches als Planfeststellungsbehörde fungierte, auch weiterhin bremsend und hemmend agierte, indem es eine schleppende und teilweise auch rechtswidrige Zulassungspraxis an den Tag legte, 310 ein eigenwilliger „kreativer Gesetzesvollzug".311 Sendler hat dieses Landesverhalten prägnant als einen 305

BVerfGE 81, 310. BVerfGE 84, 25 (33); vgl. auch E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 1235; Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 18 Rdnr. 9. 307 Die Ausführungen zur (Un-) Begründetheit des Antrages umfassen insgesamt nur zweieinhalb Seiten - ein eindeutiges verfassungsgerichtliches Verdikt. Das BVerfG nimmt dabei im wesentlichen Bezug auf seine ATa/Äar-Entscheidung (E 81, 310 ff.) aus dem Jahr zuvor. 308 BVerfGE 84, 25 (26). 309 FAZ v. 11.4.1991, S. 1 u. 4. Dazu Ossenbühl, DVB1. 1991, 833, mit kräftigen Worten: „... bildete die angekündigte Kampagne nur noch insofern ein Novum in der Geschichte des Grundgesetzes, als nunmehr unverblümt die Vollzugsilloyalität zum Regierungsprogramm erhoben und damit der bislang in Blüte stehenden Verfassungskultur ein schwerer Schlag versetzt wird." 310 Einzelheiten in: Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1997, S. A 24. Vgl. auch DIE ZEIT v. 20.1.2000, S. 27 (28): „Es folgten acht Jahre Dauergezänk zwischen Bonn und Hannover,..." Ferner H. Wagner, NJW 2000, 1538. 311 So Barth, in: W. Bayer/Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atomausstieg, 2000, S. 7(12), unter Bezugnahme auf Bundesumweltminister Trittin. 306

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

185

„ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug im Atomrecht" 312 bezeichnet. Nur mit weiteren verfahrenslenkenden Weisungen konnte ein völliger Stillstand des Planfeststellungsverfahrens vermieden werden. 313 Insgesamt sollen bis zum Januar 2000 sieben bundesaufsichtliche Weisungen erteilt worden sein. 314 So erließ der Bundesumweltminister am 2. April 1992 etwa eine weitere bundesaufsichtliche Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG, wonach der vorgeschriebene Erörterungstermin im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren (vgl. § 9 b Abs. 5 Nr. 1 AtomG i.V.m. § 7 Abs. 4 Satz 3 AtomG i.V.m. §§ 8 ff. AtVfV) spätestens vom 28. September 1992 an durchzuführen sei. 315 Dieser Termin wurde daraufhin von der niedersächsischen Landesregierung beachtet, auch wenn diese sowohl den Termin als auch die Weisung an sich als rechtswidrig beanstandete.316 Am 9. September 1997 wies das Bundesumweltministerium das niedersächsische Umweltministerium erneut nach Art. 85 Abs. 3 GG an, den Planfeststellungsantrag nicht wegen angeblich fehlender Planrechtfertigung abzulehnen. Die Vorgabe einer positiven Gesamtentscheidung beinhaltete die aufsichtsrechtliche Weisung - wie auch die Weisungen zuvor - nicht. Es handelt sich um die bislang letzte und insgesamt siebte bundesaufsichtsrechtliche Weisung im Planfeststellungsverfahren Konrad. 317 Auch nach dem Regierungswechsel auf Bundesebene wurde diese Weisung nicht zurückgenommen, da auch 2001 eine

312

DÖV 1992, 181. Sendler (S. 182 f.) zieht zutreffend die Parallele zum sog. „Dienst nach Vorschrift", der in den Siebziger und frühen Achtziger Jahren in der öffentlichen Diskussion stand und als eine Art Streiksurrogat betrachtet und betrieben wurde, um den öffentlichen Dienst (-betrieb) ganz oder teilweise lahmzulegen. Ein „Dienst nach Vorschrift" ist eindeutig ein vorschriftswidriger Dienst; s. dazu der gleichnamige Aufsatz von Isensee, JZ 1971, 73 ff. 313 Dazu F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 29; DIE ZEIT v. 20.1.2000, S. 27 (28). Von einem „exzessiven Gebrauch des Weisungsrechtes" durch den Bundesumweltminister (so aber SchmidtEriksen, KJ 1992, 347 [355]) kann keine Rede sein. Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (39), beklagt hingegen das Problem der Realisierung von Weisungen und konstatiert erhebliche Defizite des Bundesweisungsrechts. 314 So FAZ v. 6.1.2000, S. 4. 315 Allgemein zum atomrechtlichen Anhörungsverfahren und speziell zum Erörterungstermin für das Endlager Schacht Konrad Korbmacher, UPR 1994, 325 ff.; s. auch Rengeling, Rechtsfragen zu Bundesendlagem für radioaktive Abfälle, 1990. 316 Korbmacher, UPR 1994, 325 (327). 317 Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/10735, S. 143 f.; Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1997, S. ET 5; Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 40 f.; Garms-Babke, Die Unvereinbarkeit nicht-rückholbarer Endlagerung radioaktiver Abfälle mit dem Grundgesetz, 2002, S. 62.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Planrechtfertigung gegeben sei. 318 Ende 1997 waren es insgesamt 120 Genehmigungsunterlagen, die die Grundlage für den abschließend zu erstellenden Planfeststellungsbeschluß darstellten. 319 Auch 2001 war ein atomares Endlager in der Grube Konrad noch nicht eingerichtet, da weiterhin dem Betriebsbeginn juristische Auseinandersetzungen im Wege standen. 320 Nach dem Regierungswechsel im Bund im Herbst 1998 stellte es sich dergestalt dar, daß nunmehr auch die Bundesregierung kein Endlager Schacht Konrad haben wollte. Hintergrund ist, daß es nur ein Endlager in Deutschland geben sollte, wofür sich Konrad nicht eignet, da es nur radioaktive Abfalle mit geringer Wärmeentwicklung aufnehmen kann. „Heiß" strahlende Abfälle müßten andernorts - geplant ist ein Endlager im niedersächsischen Gorleben - endgelagert werden. Die Atomwirtschaft hielt zunächst gleichwohl an dieser Entsorgungsstätte für schwach radioaktiven Abfall fest. 321 Unverändert soll mit der Umrüstung der Schachtanlage Konrad zum Endlager zeitnah zum Vorliegen des Planfeststellungsbeschlusses begonnen werden; ein Antrag auf Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist beim niedersächsischen Umweltministerium bereits im Oktober 1994 gestellt worden. 322 Bis 2000 soll die geplante Anlage bereits etwa 1,6 Milliarden D M gekostet haben. 323 Die Fertigstellung würde in etwa noch einmal diese Summe erfordern und ca. vier Jahre dauern. 324 Hinzu kommen Offenhaltungskosten von ca. 50 Millionen D M pro Jahr. 325 In politischer Hinsicht waren sich Anfang 2000 hinsichtlich ihrer Ablehnung dieses atomaren Projektes Bundesumweltminister Trittin (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) und der niedersächsische Umweltminister Jüttner (SPD) einig. Jüttner sieht sich entgegen der erklärten Ausstiegspolitik auf Bundes- wie auf Landesebene von Gesetzes wegen nicht in der Lage, diese Anlagengenehmigung zu versagen, da ihre Voraussetzungen nach § 6 Abs. 2 AtomG vorliegen. Das dem Bundesumweltministerium nachgeordnete Bundesamt für Strahlen-

318

Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S.

40.

319

Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1997, S. ET 5. FAZ v. 2.3.1999, S. 24. 321 So der Vorstandsvorsitzende der Viag AG, s. FAZ v. 24.1.1996, S. 11. 322 Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1997, S. ET 5; Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 25 f. 323 Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 2000, S. 34. 324 DIE ZEIT v. 20.1.2000, S. 27. 325 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 14/4316. 320

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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schütz sieht gleichfalls die Voraussetzungen für eine Genehmigung des Endlagers ohne Einschränkung als erfüllt an, so daß auch keine Wege zur Verweigerung der Genehmigung gesehen werden. 326 Das Bundesamt für Strahlenschutz ist in dem Verfahren Antragsteller für die Errichtung und den Betrieb des Endlagers für radioaktive Abfalle und hat keinerlei fachliche Prüfungs- oder gar Weisungskompetenz gegenüber dem niedersächsischen Umweltminister Jüttner. Letztlich entscheidend dürfte sein, daß im Falle der Nichtfertigstellung der Bund auf den bislang angefallenen Planungs- und Errichtungskosten sitzen bleiben würde. 327 In der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 zum Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie wurde bestimmt, daß das laufende Planfeststellungsverfahren abgeschlossen und der Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses zurückgezogen werde. 328 Ferner erklärten die Energieversorgungsunternehmen, daß sie keine Rückzahlung von geleisteten Vorauszahlungen verlangen werden; die Offenhaltungskosten würden anteilig übernommen. 329 Tatsächlich zog wenige Wochen später der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz König den Antrag auf Sofortvollzug des beantragten Planfeststellungsverfahrens für den Schacht Konrad zurück und setzte damit insoweit die Vereinbarung über den Atomkonsens um. 3 3 0 Hierdurch wird eine gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses in der Hauptsache ermöglicht, und Klagen gegen eine Genehmigung, die u. a. von den Städten Salzgitter und Braunschweig angekündigt worden sind, haben eine aufschiebende Wirkung. 331 Bis zu einer gerichtlichen Entscheidung werden damit keine Umrüstmaßnahmen des Bergwerkes zum Endlager erfolgen. Nach erklärter Absicht der Bundesregierung sollen das Moratorium und die Rücknahme des Sofort-

326

FAZ v. 6.1.2000, S. 4: „Vergebliches Suchen nach Schwachstellen". S. auch Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 40 ff. 327 FAZ v. 6.1.2000, S. 4. Diese Rückzahlungspflicht verneinend die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 37 f. 328 Abschnitt IV. 6. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000. 329 Abschnitt IV. 7. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000. 330 Pressemitteilung 11/2000 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 17.7.2000; Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 60. 331 Atomausstieg - Fragen und Antworten, BMU, 2001.

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Vollzugs gewährleisten, daß weder für Gorleben noch für den Schacht Konrad Fakten geschaffen werden, bevor ein neues Endlagerkonzept festgelegt ist. 3 3 2 Nach Auskunft des Niedersächsischen Umweltministeriums war mit der Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses zunächst in der ersten Jahreshälfte 2001 zu rechnen. Angesichts von bereits angekündigten Rechtsmitteln Dritter gegen einen das Vorhaben zulassenden Planfeststellungsbeschluß sind Klageverfahren vor dem OVG Lüneburg und ggf. in der Revisionsinstanz vor dem Bundesverwaltungsgericht zu erwarten. 333 Später schien ein Termin im Sommer 2002 realistisch. 334 Zuvor gab der Bundesumweltminister bekannt, daß keine rechtlichen Einwände gegen den Planfeststellungsbeschluß bestünden, und er es ausdrücklich begrüße, daß die Einlagermenge für schwach- und mittelaktiven Atommüll um mehr als die Hälfte reduziert werde. 335 Anfang Juni 2002 wurde dem BfS der Planfeststellungsbeschluß vom niedersächsischem Umweltministerium zugestellt. Das einlagerbare Abfallgebindevolumen von radioaktiven Abfällen wurde auf nur noch 300.000 m 3 begrenzt - weniger als die Hälfte der ursprünglich veranlagten Menge. 336 Aufsichtsrechtliche Weisungen sind in diesem Zusammenhang nicht ergangen. 337

bb) Gorleben/Niedersachsen Der Ort Gorleben ist Standort für mehrere kerntechnische Einrichtungen in Niedersachsen. 338 Südlich der Gemeinde Gorleben im Landkreis LüchowDannenberg befinden sich drei Anlagen der Gesellschaft für Nuklear-Service mbH (GNS) - und zwar ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente (Transportbehälterlager), eine Pilotkonditionierungsanlage und ein Lager für schwachradioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken - sowie ferner das Erkundungsbergwerk Gorleben. Das Bergwerk liegt ca. 300 Meter von den Anlagen der GNS entfernt und wird von der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) betrieben. Diese Projekte sind in unterschiedlichem

332 333 334 335 336 337

40.

Atomausstieg - Fragen und Antworten, BMU, 2001. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks-14/4316. Pressemitteilung 92/2002 des BMU v. 19.4.2002. Pressemitteilung 92/2002 des BMU v. 19.4.2002; FAZ v. 20.4.2002, S. 2. Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 31/2002 v. 5.6.2002 Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S.

338 Pressemitteilung 18/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 23.3.2001; sowie Pressemitteilung 80/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 12.11.2001

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Maße Gegenstand politischer und/oder juristischer Auseinandersetzungen, teilweise auch mit einem weisungsrechtlichen Einschlag.

a) Das Endlagerprojekt Das fur strahlenden (heißen) radioaktiven Abfall konzipierte Endlagerprojekt Gorleben (exakt: das Erkundungsbergwerk), dessen Geeignetheit als Endlager für radioaktive Abfälle aller Art erkundet wird, harrt auch im Jahre 2001 weiterhin einer Fertigstellung. 339 Seit 1979 wird der Salzstock Gorleben auf seine Eignung als Endlager für alle Arten fester und verfestigter radioaktiver Abfälle untersucht. Der Fortgang der Erkundungsarbeiten ist zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen umstritten. Eine abschließende Aussage über die Eignung steht bislang aus. 340 Im März 1999 verlängerte das zuständige Oberbergamt die Betriebspläne für weitere sechs Monate. 341 Zuletzt wurde von der neuen rot-grünen Bundesregierung im Rahmen der Koalitionsvereinbarung sogar die Eignung des Salzstockes Gorleben zur Endlagerung generell in Zweifel gezogen, noch bevor die laufenden Erkundungsarbeiten abgeschlossen sind. Die Erkundung solle unterbrochen werden und weitere Standorte in unterschiedlichen Wirtsgesteinen auf ihre Eignung untersucht werden. Aufgrund eines dann anschließenden Standortvergleiches solle eine Auswahl des in Aussicht zu nehmenden Standortes getroffen werden. Das Unterbrechen der Erkundungsarbeiten sowie die Untersuchung weiterer Standorte lassen eine Endlagerung von Brennelementen in Gorleben bis 2010 unwahrscheinlich erscheinen. 342 Nach Einschätzung des Bundesamtes für Strahlenschutz ist mit einer Fertigstellung nicht vor dem Jahre 2030 zu rechnen. 343 In der Koalitionsvereinbarung wird kein zeitlicher Zielkorridor vorgegeben, bis 2030 sollen indes alle radioaktiven Abfalle entsorgt sein. Vorher ist aus tech-

339

Einzelheiten bei Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 23 f. S. auch Pressemitteilung 18/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 23.3.2001; Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 61. 340 Vgl. Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/10735, S. 143. 341 FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND v. 31.3.2000, S. 13. 342 Schmidt-Preuß, NJW 1995, 985 (986). 343 Rodi , NJW 2000, 7 (12). S. auch Atomtransporte - Fragen und Antworten, BMU, 2001, Atomausstieg - Fragen und Antworten, BMU, 2001. In einem wenige Monate zuvor publizierten Bericht des Bundesamtes für Strahlenschutz über Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 24, war noch von einer Betriebsaufnahme im Jahre 2012 die Rede.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

nisch-wirtschaftlicher Sicht jedenfalls nach Ansicht der Bundesregierung die Betriebsbereitschaft eines Endlagers nicht erforderlich. 344 Auch in der Atomkonsensvereinbarung vom 15. Mai 2001 zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen wurde festgelegt, daß ein Endlager fur hochradioaktive Abfalle erst im Jahr 2030 benötigt werde. Die abgebrannten und „nachbrennenden" Brennelemente sollen deshalb vor der Endlagerung mehrere Jahrzehnte in standortnahen Zwischenlagern abklingen. 345 Die bis Ende 1998 fur das Endlagerprojekt Gorleben aufgelaufenen Kosten belaufen sich auf 2,15 Milliarden D M , 3 4 6 Ende 1999 auf 2,19 Milliarden D M . 3 4 7 1999 hat das Bundesumweltministerium einen Arbeitskreis „Auswahlverfahren Endlagerstandorte" (AkEnd) eingerichtet, der fundierte Sicherheitskriterien und ein transparentes Auswahlverfahren fur Endlagerstandorte entwickeln soll. Im Jahr 2002 soll der Arbeitskreis seine Empfehlungen aussprechen. Die genehmigungsrechtliche Situation für das Erkundungsbergwerk Gorleben stellt sich aus Sicht des Bundesamtes für Strahlenschutz im Januar 2000 wie folgt dar: Ende des Jahres liefen der Hauptbetriebsplan, der Rahmenbetriebsplan und die Aufsuchungserlaubnis nach § 7 BBergG aus. Mit Rücksicht auf die laufenden Konsensgespräche waren zunächst dem zuständigen Bergamt Entwürfe für den Hauptbetriebsplan für ein Moratorium bzw. eine weitere Erkundung vorgelegt worden. Damit sollten unter notwendiger Wahrung der rechtlichen Positionen alle Optionen für die Zukunft offen gehalten werden. Die Verzögerung des Abschlusses der Konsensgespräche zunächst bis Ende des Jahres 1999 erforderte auf rechtlicher Ebene die Verlängerung der geltenden Betriebspläne bzw. Erlaubnis bis zum 31. März 2000. Dem stimmte das Bergamt mit den obengenannten Auflagen zu. Nachdem sich Ende des Jahres 1999 abzeichnete, daß ein Ende der Konsensgespräche möglicherweise erst im Frühjahr 2000 zu erwarten ist, kam das Bundesamt für Strahlenschutz der niedersächsischen Aufforderung nach und reichte die entsprechenden Anträge

344

Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S.

30.

345

346 347

37.

Dazu Näser, DVB1. 2002, 584 ff. Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1998, S. 5. Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S.

348 So die Presseinformation des BfS vom 6.1.2000, im Internet unter http://www.bfs.de/presse/index.htm#2.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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A m 14. Juni 2000 vereinbarten die Bundesregierung und die Atomanlagenbetreiber im Rahmen des sog. Atomkonsenses, daß die Erkundung des Salzstockes in Gorleben als Endlager bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen um zunächst drei und maximal zehn Jahre aufgeschoben werden soll. 3 4 9 Dabei stelle dieses Moratorium kein endgültiges Aufgeben von Gorleben als Standort für ein atomares Endlager dar. Vielmehr soll nach Bearbeitung der fachlichen Fragestellungen entschieden werden. In einem Standortvergleich auf der Grundlage einer neu zu schaffenden Bewertungsbasis sollen der endgültige Standort in transparenter und nachvollziehbarer Weise festgelegt und gleichzeitig die Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Stoffe überprüft werden. 350 Einem Schreiben des Bundeskanzlers an den niedersächsischen Ministerpräsidenten von April 2001 zufolge bestehen wie gehabt „erhebliche Zweifel" an der Eignung des Salzstockes als Endlager. 351 Dieses Moratorium wurde im Sommer 2000 dann auch umgesetzt; die laufenden Offenhaltungskosten belaufen sich auf 46 Millionen D M pro Jahr. 352 Einige Monate später beschloß die bayerische Landesregierung, gegen diesen Erkundungsstop Klage vor dem BVerfG einzureichen. 353 Das Gericht verwarf diesen Antrag alsbald als unzulässig (!). Es fehle an der Antragsbefugnis des Landes Bayern. Das im Rahmen des Atomkonsenses ausgehandelte Moratorium könne ohne Beteiligung der Länder vereinbart werden; der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens gebiete nichts anderes. 354

ß) Das Transportbehälterlager Das Transportbehälterlager Gorleben ist ein zentrales Zwischenlager für bestrahlte Brennelemente und verglaste Abfälle aus der Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente. 355 Die Transporte in dieses Lager können weisungs-

349

Abschnitt IV. 4. sowie Anlage 4 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000; s. femer FAZ v. 16.6.2000, S. 1 f. Nach BfS aktuell 4/2000, S. 2, werden die Erkundungsarbeiten für einen Zeitraum von mindestens drei, längstens zehn Jahren unterbrochen. 350 BfS aktuell 4/2000, S. 2; vgl. femer Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1999, S. 40; Atomausstieg - Fragen und Antworten, BMU, 2001. 351 Zit. nach FAZ v. 11.6.2001, S. 5. 352 Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 47. 353 FAZ v. 6.12.2000, S. 10. 354 Beschluß des BVerfG v. 5.12.2001, 2 BvG 1/00, NVwZ 2002, 591 f. = DVB1. 2002, 546 ff. 355 Dazu Näser, DVB1. 2002, 584 (585).

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

rechtlich relevant sein. Insgesamt verfugt das Transportbehälterlager über 420 Stellplätze auf einer Nutzfläche von rund 5.200 m 2 . In diesem Zwischenlager sind bereits bestrahlte Brennelemente und hochradioaktive Abfalle (Glaskokillen), insgesamt 8 Behälter, eingelagert. Bei dem Zwischenlager handelt es sich um eine überirdische Hallenkonstruktion. Eigentümer der Anlage ist die Brennelementelager Gorleben GmbH (BLG), ein Tochterunternehmen der GNS, die sich im Besitz der Energieversorgungsunternehmen befindet. 356 Stark Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle wie diese Glaskokillen müssen rund 20 Jahre zwischengelagert werden. In dieser Zeit verringert sich ihre Radioaktivität und sie kühlen soweit ab, daß sie danach in ein unterirdisches Endlager gebracht werden können; in ein Endlager, das in Deutschland bislang - wie eben gezeigt - (noch) nicht eingerichtet ist. Exakt diesem Abkühlzeitraum dient das Lager in Gorleben. Die Castor-Transporte aus La Hague im März 2001 357 ließen die Diskussion um das Projekt weiter anschwellen. Der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel (SPD) hatte daraufhin eine massive Reduzierung der CastorTransporte nach Gorleben gefordert. 358 Er sieht in ihnen eine Gefahr für die Demokratie. Der Energiekonsens sei durch einen „Entsorgungskonsens" zu ergänzen. Zugleich forderte Gabriel „endlich eine Verteilung der Entsorgungslasten auf alle Bundesländer". Der Ministerpräsident sprach sich dafür aus, künftig den Atommüll direkt bei den Kernkraftwerken in dezentralen Zwischenlagern unterzubringen.

y) Die Pilotkonditionierungsanlage In unmittelbarer Nähe des Zwischenlagers hat die Gesellschaft für NuklearService (GNS), ein Unternehmen der atomaren Energiewirtschaft, eine sog. Pilotkonditionierungsanlage errichtet, die sich seit 1995/96 im Probelauf, d. h. ohne radioaktives Material, befindet und damit weitgehend fertiggestellt ist. Mittels dieser Anlage soll neben der technischen Machbarkeit und der atomrechtlichen Genehmigungsfähigkeit der Konditionierung abgebrannter Brennelemente der Umgang mit verschiedenen Atommüllbehältern erprobt wer-

356 Pressemitteilung 18/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 23.3.2001; Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 56; Faltblatt, Die Rücknahme von Wiederaufarbeitungsabfällen aus Frankreich und Großbritannien, Brennelementelager Gorleben GmbH (Hrsg.), o. J., S. 4. 357 Einzelheiten s. u. D. III. 2. h) bb). 358 DER TAGESSPIEGEL v. 1.4.2001, S. 5.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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den, 359 wobei insbesondere ein sicheres Verfahren zum Umladen abgebrannter Brennelemente von großvolumigen Zwischenlagerbehältern in kompaktere Endlagerbehälter entwickelt werden soll. Diese Anlage war 1990 kurz vor der Landtagswahl von der damals CDU-geführten Landesregierung genehmigt worden. Die Anlage war von Beginn an politisch umstritten und wurde von der niedersächsischen SPD-Regierung seit 1990 kaum mit Wohlwollen behandelt. Im Zuge der Auseinandersetzungen um diese Anlage und die Teilerrichtungsgenehmigungen hatte der niedersächsische Umweltminister Jüttner am 18. November 1999 den Bundesumweltminister Trittin aufgefordert, ihn mittels einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG an der Genehmigung einer Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben zu hindern. 360 Zu einer solchen Bundesweisung kam es danach jedoch nicht. Von der Weisungskompetenz des Art. 85 Abs. 3 GG wurde mutmaßlich deswegen kein Gebrauch gemacht, weil ansonsten Regreßforderungen der Betreibergesellschaft aufgestellt werden würden. 361 Anfang Dezember 2000 wurde schließlich das Verfahren zur Genehmigung der Pilotkonditionierungsanlage abgeschlossen. Genehmigt wurde vom Land Niedersachsen die Reparatur von schadhaften Transport- und Lagerbehältern (sog. Castor-Behälter 362) mit abgebrannten Brennelementen. 363 Diese Genehmigung stellt sich als eine wesentliche Voraussetzung für die Rückführung radioaktiver Abfälle aus Frankreich dar.

e) Reaktorbetriebe

in Hanau/Hessen IL

Mit der Grube Konrad-Entscheidung des BVerfG ist - vorerst - die verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung um das Recht und den Umfang des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG im Atomrecht beendet. In der Staatspraxis jedoch blieb dieses Bundesingerenzrecht weiterhin präsent, wenn auch insge-

359

Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 22 f.; Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 56 f. 360 FAZ v. 19.11.1999, S. 1. 361 FAZ, aaO. 362 Dazu unten D. III. 2. h). 363 Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 49; FAZ v. 6.12.2000, S. 10; Pressemitteilung 26/2000 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 1.12.2000; Pressemitteilung 18/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 23.3.2001. 13 Janz

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

samt in einem geringeren und weniger von den Medien begleiteten Maße als zuvor. Wiederum standen Nuklearbetriebe im hessischen Hanau im Mittelpunkt der Konflikte. 364 Dort betrieb die Siemens AG eine Anlage zur Fertigung von plutoniumhaltigen Brennelementen, den sog. MOX-Brennelementen. 365 Diese Fertigungsstätte wurde im Juni 1991 nach einigen Kontaminationszwischenfällen vorläufig stillgelegt. 366 Parallel zu einer ursprünglich geplanten Stillegung des alten MOX-Brennelementewerkes zum Jahresende 1991 hin sollte eine neue Fabrik Ende 1991 ihren Betrieb aufnehmen. Notwendige Genehmigungen wurden jedoch nicht oder nur sehr zögerlich erteilt. 367 Im Oktober 1991 erteilte der Bundesumweltminister Töpfer dem hessischen Minister Fischer die Weisung, die Stillegungsverfügung aufzuheben und die Wiederaufnahme der Fertigung zuzulassen. Nachdem sich der hessische Landesminister aus unterschiedlichen technischen wie rechtlichen Gründen einem Vollzug der Weisung versagt hatte, erteilte der Bundesminister als oberste Aufsichtsinstanz über alle Kernenergieanlagen in Deutschland am 29. Januar 1992 eine zweite Weisung mit dem Inhalt, zeitlich befristet und im Umfang erheblich begrenzt („Aufarbeitung von Vorprodukten in der Produktionshalle") eine „Not"-Produktion zu genehmigen und die Produktion der Siemensbrennelementeanlage somit wieder anlaufen zu lassen.368 Anlaß für diese Weisung war ein nach Ansicht des Bundesumweltministers risikobehafteter und rechtswidriger Zustand der Lagerung von Vorprodukten in der Produktionshalle des Brennelementefertigungslagers. Aus sicherheitstechnischen wie auch rechtlichen Gründen müßten diese aufgearbeitet werden. Auch diese Weisung wurde vom hessischen Landesminister nicht exekutiert. 369 Vielmehr forderte dieser den Bundesminister auf, die atomrechtliche 364 Einzelheiten bei F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 29 ff. 365 Mischoxyd-Brennelemente werden durch eine Technologie der Wiederaufarbeitung von radioaktivem Plutonium aus abgebrannten Brennelementen hergestellt und sind damit in einem Kernreaktor erneut als Brennmaterial verwendbar. 366 Dazu DER SPIEGEL 16/1993, S. 56. Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 16 f. 367 FAZ v. 10.8.1994, S. 13. 368 FAZ v. 30.1.1992, S. 1 u. 4 mit weiteren Einzelheiten des Inhalts der Weisung. S. auch S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 103 mit FN 462 u. 464. 369 Dazu knapp F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 30 m. w. Nachw.

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Weisung zurückzunehmen. 370 Zur Begründung wurde angeführt, die Weisung sei rechtswidrig, da die Lagerung des Plutoniumoxyds als Alternative zu dessen Aufarbeitung nicht erwogen worden sei. Eine Klage vor dem BVerfG gegen die Weisung wurde bezeichnenderweise ausweislich der Stellungnahme des Umweltministers Fischer wegen fehlender Erfolgsaussichten nicht envoya« 371 gen. Ohne - was vielleicht nahe gelegen hätte - erkennbar die Durchsetzung der Weisung mit dem Mittel des Bundeszwanges nach Art. 37 GG in Betracht zu ziehen, reagierte die Bundesregierung wie wenige Monate zuvor bei der Errichtung des radioaktiven Endlagers Schacht Konrad im niedersächsischen Salzgitter mit einer Klageerhebung vor dem BVerfG. Die Bundesregierung begehrte mit ihrem Antrag, daß festgestellt werden möge, daß das Bundesland Hessen aufgrund seiner Weigerung, die erteilte Weisung bis zu dem gesetzten Termin zu vollziehen, gegen das Grundgesetz - hier speziell Art. 85 Abs. 3 GG - verstoßen habe. Ein Bund-Länder-Streitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 - 70 i.V.m. 64 - 67 BVerfGG war damit eröffnet. Nach der Erhebung der Klage erklärte das Land Hessen dann, es werde die bundesaufsichtliche Weisung uneingeschränkt und vorbehaltlos umsetzen. Als Konsequenz hob das BVerfG am 15. März 1992 einen bereits anberaumten Termin für die mündliche Verhandlung im März d. J. auf. 372 Trotz einiger weiterer Folgeweisungen373 wurde die Produktion im Brennelementewerk nicht wieder aufgenommen. Im April 1994 wurde seitens der Anlagebetreiber beschlossen, von einer Wiederinbetriebnahme der Fertigung von Mischoxyd-Brennelementen endgültig abzusehen und die Anlage stillzulegen. 374 Im Mai 1995 hat die Siemens AG einen Antrag auf Leerfahren der MOX-Anlage gestellt, im Januar 1997 wurde die erste und im November 1997 die zweite Teilgenehmigung zu diesem Leerfahren der Anlage erteilt. 375

370

FAZ v. 4.2.1992, S. 4. FAZ v. 4.2.1992, S. 4. 372 FAZ v. 16.3.1992, S. 4. Das Verfahren wurde erst im September 1994 nach einem Schreiben der Bundesregierung eingestellt. Dazu F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesaufitragsverwaltung, 1998, S. 30 FN 41. 373 Ζ. Β. erteilte der Bundesumweltminister am 21.12.1993 dem hessischen Umweltminister eine weitere Weisung mit dem Inhalt, bei der zu 90 Prozent fertiggestellten Fabrik die Zustimmung zu weiteren 30 Umbaumaßnahmen zu erteilen; FAZ v. 22.12.1993. 374 FAZ v. 23.4.1994, S. 1 u. 11. Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 16 f. 375 Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 64. 371

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Als Begründung wird in der Erklärung der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) in erster Linie aufgeführt, daß keine Aussicht auf Erlaubnis zum Weiterbetrieb erkennbar sei; „ein ausstiegsorientierter Gesetzesvollzug à la Fischer [damaliger hessischer Umweltminister, d. Verf.] macht die Weisungsbefugnis des Bundes zur stumpfen Waffe." 376 - so der Vorsitzende der Vereinigung in einem Pressegespräch. Bei bis dahin entstandenen Bau- und Errichtungskosten in Höhe von einer Milliarde D M und einer jährlichen Belastung für die Betriebsbereitschaft der Anlage von 100 Millionen D M sei eine Weiterführung der MOX-Anlage nicht vertretbar. 377 A m 9. Dezember 1994 teilte die Siemens AG als Betreiberin mit, daß sie bis zum September 1995 endgültig auch das Hanauer Uran-Brennelemente-Werk aufgeben werde. 378 Ein Wiederanfahren der Anlage wurde daraufhin ausgeschlossen und die Anlage für immer stillgelegt. Im August 2000 gab die Siemens AG bekannt, daß sie beabsichtige, die weitgehend fertiggestellte Anlage nach Rußland zu verkaufen. Bundeskanzler Schröder hatte keine Bedenken gegen den Export und stellte eine Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in Aussicht. 379 Wegen Finanzierungsprobleme wurde dieser Plan indes Anfang 2002 wieder aufgegeben. 380

f) Kernkraftwerk

Mülheim-Kärlich/Rheinland-Pfalz

Das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich ist für die vorliegende Untersuchung in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen war es Gegenstand weisungsrechtlicher Auseinandersetzungen, zum anderen besitzt es eine atomausstiegsrechtliche Seite.

aa) Weisungsrechtliche Dimension des Atommeilers Eine bundesaufsichtliche Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG wurde auch innerhalb des seit 1972 andauernden Genehmigungsverfahrens hinsichtlich der Errichtung und des Betriebes des Kernkraftwerkes Mülheim-Kärlich in Rhein-

376 FAZ, ebd. Vgl. dazu auch F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 39; sowie//. Wagner, NJW 2000, 1538. 377 S. auch FAZ v. 31.8.2000, S. 6. 378 FAZ v. 10.12.1994, S. 16. 379 FAZ v. 29.8.2000, S. 1 f.; FAZ v. 31.8.2000, S. 6. 380 DER SPIEGEL 6/2002, S. 18.

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land-Pfalz erteilt. 381 Das Bundeskabinett ermächtigte am 21. Dezember 1993 den Bundesumweltminister, das BVerfG anzurufen, um den Streit mit Rheinland-Pfalz hinsichtlich des Erteilens der Betriebsgenehmigung einem Abschluß zuzuführen. 382 Dem war eine bundesaufsichtliche Weisung des Bundesministers nach Art. 85 Abs. 3 GG vorausgegangen, der zufolge das zuständige Landesministerium die Inbetriebnahme des Kraftwerkes zu genehmigen habe. Die hessische Umweltministerin hatte dieses Ansinnen abgelehnt mit dem Hinweis darauf, daß die Entsorgung der Brennstäbe nicht gesichert sei. Dem hatte der Bundesumweltminister widersprochen. Zu einer Entscheidung des BVerfG kam es dann jedoch nicht. Das Atomkraftwerk selbst wurde am 9. September 1988 wegen Mängeln früherer Teilerrichtungsgenehmigungen abgeschaltet. Es hatte bis dahin nur 13 Monate Strom geliefert. Das BVerwG 3 8 3 hatte die erste Teilgenehmigung vom Januar 1975 aufgehoben. Seither steht es still am Ufer des Mittelrheins. 384 Ein Rechtsstreit um die Betriebsgenehmigung schwelte zwischen der Betreiberin, der RWE Energie AG, und dem Land Rheinland-Pfalz weiter, zumal die Betreiberin am 17. März 1998 nochmals die Fortsetzung des Genehmigungsverfahrens zur Erreichung einer erneuten ersten Teilgenehmigung angestrengt hat und es zunächst weiterverfolgte. 385 Die Betreiberfirma hat verschiedentlich Schadensersatz gerichtlich zugesprochen bekommen. So urteilte das LG Mainz 3 8 6 1992, daß der RWE Scha-

381 Die „unendliche Geschichte des mißglückten Ausfluges des Landes RheinlandPfalz in das Kernkraftzeitalter" referiert Kauntz, FAZ v. 16.1.1997, S. 3. Vgl. femer FAZ v. 16.6.2000, S. 3. 382 FAZ v. 22.12.1993, S. 1. Zur Genehmigungsproblematik dieses Kernkraftwerkes s. BVerwG NVwZ 1998, 628 ff. Anfang 1997 hat der BGH mit Urteil v. 16.1.1997, AZ: III ZR 117/95, BGHZ 134, 268 ff., der Kraftwerksbetreiberin RWE Energie AG einen Schadensersatzanspruch gegen das Land Rheinland-Pfalz wegen rechtswidriger und schuldhafter Nichterteilung der Betriebsgenehmigungen zugesprochen, s. FAZ v. 17.1.1997, S. 1 f. S. auch Blümel, Aktuelle Probleme des Atomrechts, 1993, S. 10 f. 383 BVerwGE 80, 207 ff. 384 1 991 hob das OVG Koblenz, DVB1. 1992, 57 ff., auch die neue erste Teilgenehmigung auf. Die Revision führte dann zur Aufhebung dieses Urteils und zur Zurückverweisung (BVerwGE 92, 185 ff.). 385 FAZ v. 30.6.1999, S. 4. Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 12. S. zum Ganzen auch FAZ v. 29.3.2000, S. 6. 386 1 995 hatte das OVG Koblenz abermals die erste Teilgenehmigung aufgehoben, was drei Jahre später in der Revisionsinstanz erneut korrigiert wurde (BVerwG DVB1. 1998, 339 ff.). Vgl. dazu auch Badura, DVB1. 1998, 1197 f.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

densersatzleistungen in Höhe der Hälfte der aufgelisteten Schäden zustünden. Die Berufungsinstanz (OLG Koblenz) 387 entschied drei Jahre später, daß das Land die Investitionskosten einschließlich der zur Erhaltung und Wartung notwendigen Personal- und Sachkosten während des Stillstandes zur Hälfte tragen müsse. Der B G H 3 8 8 schließlich bestätigte überwiegend das Urteil der Berufungsinstanz, lehnte aber wegen fehlenden Vertrauensschutzes einen Ersatz derjenigen Aufwendungen ab, die vor der Erteilung der 2. Teilgenehmigung angefallen waren oder auf vorher getroffenen, bindenden Investitionsentscheidungen beruhten. Die bis dahin noch geltende 1. Teilerrichtungsgenehmigung habe sich - was der Betreiberfirma bekannt gewesen sei - nicht auf die wesentlich geänderte Planung bezogen. Mit einer weiteren Klage wiederum vor dem OLG Koblenz verlangte die RWE nun Erstattung des Errichtungs- und Finanzierungsaufwandes nach der Erteilung der 2. Teilerrichtungsgenehmigung, die Kosten des Stillstandbetriebes seit der andauernden Stillegung 1988 sowie den Brennstoffaufwand. In allen diesen Punkten hatte der BGH den Rechtsstreit an das OLG Koblenz zurückgewiesen. 389 Eine aufsichtsrechtliche Weisung des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG stand in keinem dieser Rechtsstreite zur Diskussion. Anfang April 2000 sah sich die Landesumweltministerin Martini nach eigener Aussage möglicherweise gezwungen, für diesen Atommeiler eine Betriebsgenehmigung zu erteilen. 390 Eine Bundesweisung mit dem Inhalt, keine Genehmigung zu erteilen, erschien nicht ausgeschlossen. Bis Anfang April 2000 jedenfalls ist eine entsprechende auf Art. 85 Abs. 3 GG gestützte Maßnahme nicht ergangen. 391 Nach der Atomkonsens Vereinbarung wurde dieser Streit gegenstandslos.

bb) Atomausstiegsrechtliche Dimension Im Verlauf der Atomkonsensgespräche der Bundesregierung mit den Anlagenbetreibern stand im Juni 2000 zur Diskussion, daß RWE seinen Genehmigungsantrag sowie seine Schadensersatzklage zurücknehmen würde, wenn der Meiler mit einer bestimmten Strommenge in diesen Konsens miteingerechnet

387 388 389 390 391

AZ III ZR 117/95. BGH NVwZ 1997, 714 ff. BGH NVwZ 1997, 714 (715). DER TAGESSPIEGEL v. 4.4.2000, S. 4. DER TAGESSPIEGEL v. 4.4.2000, S. 4.

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wird. 3 9 2 Tatsächlich erhielt der Stromkonzern fur diesen Meiler ein bestimmtes Quantum (107,25 Terawattstunden 393) Energieleistung zugeteilt, welches auf andere Atomkraftwerke der Betreiberin übertragen werden kann. 394 Daraufhin nahm RWE wie vereinbart die Klage gegen das Land Rheinland-Pfalz auf Schadensersatz zurück und verfolgte auch den Genehmigungsantrag nicht mehr. Damit fand der Streit um Mülheim-Kärlich ein - weisungsloses - Ende. Im Atomausstiegspapier heißt es wie folgt: „Mit der Vereinbarung sind alle rechtlichen und tatsächlichen Ansprüche in Zusammenhang mit dem Genehmigungsverfahren sowie mit den Stillstandszeiten der Anlage abgegolten." 395 Einen Tag nach Unterzeichnung der Atomkonsensvereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen hat die Kraftwerksbetreiberin RWE am 12. Juni 2001 bei dem rheinland-pfälzischen Umweltministerium den Antrag auf Stillegung und Rückbau des Atomkraftwerks gestellt. Der Rückbau werde voraussichtlich zehn Jahre in Anspruch nehmen und könne bei zügiger Antragsbearbeitung 2003 beginnen, teilte RWE mit. 3 9 6 Ein weisungsrelevanter Sachverhalt steht nicht unbedingt zu erwarten, ist jedoch angesichts der langen Auseinandersetzungen nicht völlig ausgeschlossen.

g) Kernkraftwerk

Biblis/Hessen

Auslöser für einen weiteren Konflikt innerhalb des Landesvollzuges des Bundes-Atomgesetzes war einer der beiden Reaktorblöcke des Kernkraftwerkes in der südhessischen Gemeinde Biblis (Biblis A), der seit August 1975 am bundesdeutschen Stromnetz hängt. 397 Seit Ende der Achtziger Jahre sind Sicherheitsmängel dieses Atommeilers Gegenstand eines Schriftwechsels zwischen dem Bundesumweltministerium und der Landesbehörde. Anfang November 1996 forderte die hessische Umweltministerin die Abschaltung von Biblis A , 3 9 8 ohne daß die Betriebsgenehmigung schließlich widerrufen worden

392 FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND v. 9.6.2000, S. 1. Einzelheiten zu den Atomkonsensgesprächen s. u. D. III. 2.1). 393 Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden. 394 Genaueres in Abschnitt II. Ziffer 5 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000; FAZ v. 16.6.2000, S. 1. 395 Abschnitt II. Ziffer 5 der Vereinbarung; vgl. auch FAZ v. 16.6.2000, S. 3. 396 DER TAGESSPIEGEL v. 13.6.2001, S. 4. 397 Zur Geschichte der Kernreaktorblöcke FAZ v. 15.11.1999, S. 24. 398 FAZ v. 2.11.1996, S. 1.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

ist. 3 9 9 In der Folgezeit erteilte der Bund weitere Einzelweisungen zu Biblis A mit dem wesentlichen Inhalt, dem Reaktorbetreiber keine Stillegungsverfügung zuzustellen. 400 Die Bundestagswahl im Herbst 1998 und die hessische Landtagswahl im März 1999 stellten jedoch die vormalige politische Konstellation auf den Kopf: Während im Bund die atomstromfreundliche konservative Regierung einer rot/grünen Koalition weichen mußte, wurde auf Landesebene das Bündnis aus SPD und GRÜNEN durch ein christlich-liberales Kabinett abgelöst. CDU und FDP hatten sich bereits im hessischen Wahlkampf für den Weiterbetrieb des Atommeilers Biblis A ausgesprochen. 401 Gleichzeitig hatte der grüne Bundesumweltminister Trittin nach Amtsübernahme alle zehn (!) bestehenden Weisungen der alten Bundesregierung zu Biblis A aufgehoben, um damit den Weg zu einer Stillegungsentscheidung der hessischen Landesregierung frei zu machen. 402 Diese Stillegungsverfügung wurde auch noch unmittelbar vor dem Regierungswechsel fertiggestellt, der RWE als Betreiberin indes nicht mehr zugestellt. Ob von hessischer Seite an dieser Möglichkeit nunmehr noch ein Interesse besteht, war zunächst zumindest sehr zweifelhaft. Im April 1999 erklärte der neue hessische Ministerpräsident Koch, er sehe keinen Anlaß, über die Stillègungen zu entscheiden, so daß Biblis A weiterhin am Netz ist. 403 Anfang November 1999 erteilte der Bundesumweltminister eine Weisung mit dem Inhalt, alle Nachrüstmaßnahmen für Biblis A vom Bund genehmigen zu lassen. 404 Konkret ging es um eine Nachrüstgenehmigung für eine Maßnahme, die den Zwischenkühlkreislauf des Reaktors besser gegen Erdbeben sichern sollte. Das Bundesumweltministerium stellte die Richtigkeit von Prüfungen und Bewertungen des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft und Forsten sowie die Zuverlässigkeit des Meilers ausdrücklich in Fra399 Ein Verpflichtungsantrag der kommunalen Gebietskörperschaft, auf deren Gebiet sich das Kernkraftwerk befindet, auf Aufhebung der erteilten atomrechtlichen Betriebsgenehmigung für den Block A wurde vom VGH Kassel, NVwZ-RR 1998, 361 ff., abgelehnt. 400 Vgl. BT-Drucks. 13/10056, S. 2, wonach der Bund insgesamt neun diesbezügliche Weisungen erteilt hat. Nach der Pressemitteilung 44/1999 des BMU handelte es sich um insgesamt zehn Weisungen. S. auch Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 14/2543. 401 FAZ v. 7.4.1999, S. 9. 402 Pressemitteilung 44/1999 des BMU; Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 14/2543. Dazu DER TAGESSPIEGEL v. 3.4.1999, S. 6; FAZ v. 7.4.1999, S. 9. 403 DER TAGESSPIEGEL v. 17.4.1999, S. 6. 404 Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 14/2543; FAZ v. 2.11.1999, S. l;FAZv. 15.11.1999, S. 24.

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ge; 4 0 5 damit liege ein Verstoß gegen die Bundestreue vor. 4 0 6 Nach Ansicht der Landesregierung hingegen verhinderte der Bund mit dieser Weisung mehr Sicherheit im Atomkraftwerk Biblis A . 4 0 7 Auch in der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000 über den Atomausstieg wurde das Kernkraftwerk Biblis A gesondert erwähnt. 408 Außerdem wurde für Biblis A eine Restlaufzeit von acht Jahren vereinbart. Unter Verzicht auf eine Übertragung von Energiemengen und bei definitiver Festlegung der noch zu produzierenden Energiemenge wurde über einen gesicherten Betrieb - insbesondere durch eine Neustrukturierung des Verfahrens und eine klare Definition der Bewertungsmaßstäbe - bis zu einem Abschalten des Atommeilers Einigkeit erzielt. Ferner hieß es in dem Konsenspapier, daß „für einen mehij ährigen Weiterbetrieb Nachrüstungen als auch ein qualifiziertes Notstandssystem sicherheitstechnisch notwendig sind." 4 0 9 Kurz darauf wurde bekannt, daß die Kosten für die notwendige sicherheitstechnische Nachrüstung in Höhe von ca. 800 Millionen D M nicht mehr bis zum Laufzeitende 2008 verdient werden könnten, so daß die Betreiberfirma RWE offen von einem vorzeitigen VomNetz-Nehmen des Kernreaktors aus wirtschaftlichen Gründen sprach. 410 Vorkommnisse im Nachgang des Atomkonsenses führten im Spätsommer 2000 zu einer weiteren Föderalauseinandersetzung zwischen Hessen und dem Bund und mündeten erneut in ein Bund-Länder-Streitverfahren, welches im Februar 2002 vom BVerfG 4 1 1 entschieden wurde. Zwischen Juli und August 2000 fanden vier Gespräche zwischen dem Bundesumweltministerium und der RWE AG über das weitere Vorgehen bei der Nachrüstung von Biblis A statt. Die Termine der ersten beiden sowie des letzten Treffens wurden dem Land Hessen nicht mitgeteilt. Für das dritte Gespräch stellte das B M U eine Teilnahme anheim, Hessen lehnte jedoch ab. In einer Erklärung vom 29.8.2000 legte das B M U sodann Nachrüstforderungen für Biblis A fest, die unter Bezugnahme auf ein sicherheitstechnisches Konzept näher be-

405 Umfangreich zu diesem Komplex die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drucks. 14/2543. 406 So der Bundesumweltminister Trittin, s. Pressemitteilung des BMU Nr. 34/2000. 407 FAZ v. 2.11.1999, S. 1. 408 Anlage 2 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000. 409 AaO. 410 DER TAGESSPIEGEL v. 26.6.2000, S. 1 u. 4. 411 Urteil vom 19.2.2002, 2 BvG 2/00, NVwZ 2002, 585 ff. Kritisch hierzu Janz, JuS 2002 (im Erscheinen); Frenz, NVwZ 2002, 561 (562 f.).

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

gründet wurden. Diese Erklärung übersandte das B M U am gleichen Tage an das Hessische Umweltministerium mit der Einleitung: „Aufgrund der Erklärung zum weiteren Verfahren der Nachrüstung des K K W Biblis Block A (Anlage 2 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000) lege ich Ihnen gegenüber Maßnahmen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren fest; dazu gehören eine Strukturierung der Verfahren und eine Definierung der Bewertungsmaßstäbe". Die Hessische Landesregierung erhob im Dezember 2000 Klage. Sie sieht in diesem Verhalten einen Verstoß gegen Artt. 30, 85 GG sowie gegen den Grundsatz des bundes-/länderfreundlichen Verhaltens. Sie sieht sich durch die beiden Erklärungen und die geführten Besprechungen in ihrer „Wahrnehmungskompetenz" innerhalb auftragsweisen Verwaltungsvollzuges nach Art. 85 GG verletzt. Zudem habe die Bundesregierung die Verhandlungen mit der RWE A G „ i m Stile einer Geheimdiplomatie" geführt und das Land Hessen weder beteiligt noch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Auch dadurch sei das Gebot bundes-/länderfreundlichen Verhaltens verletzt worden. Das BVerfG vermochte sich dieser Argumentation nicht anzuschließen. Es lehnte den Antrag als unbegründet ab und sah die Wahrnehmungskompetenz des Landes in bezug auf die Nachrüstung des Kernkraftwerkes als nicht verletzt an. Es handele sich nur um die einer Weisung vorgelagerte Informationsbeschaffung hinsichtlich der sicherheitstechnischen Nachrüstung von Biblis A, welche von der Sachkompetenz des Bundes gedeckt sei. Auch direkte Gespräche mit den Kraftwerksbetreibern über Sicherheitsmaßnahmen seien zulässig. Unerheblich in diesem Zusammenhang sei es, ob es später zu einer Bundesweisung komme oder - wie hier - nicht. 412

h) Castor-Transporte Aus jüngster Zeit sind die Konflikte um die Transporte radioaktiven bundesdeutschen Atommülls in ein deutsches Zwischenlager für ausgediente Brennelemente (sog. Castor-Transporte) zu nennen. Das virulente Interesse der Öffentlichkeit an der Sicherheit dieser Brennelement-Transporte stand ganz offenbar im Vordergrund.

412

BVerfG NVwZ 2002, 585 (588).

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aa) Ausgangssituation Ausgediente Brennelemente müssen bis zur Verarbeitung in einer Wiederaufarbeitungsanlage oder bis zur direkten Endlagerung für eine Übergangszeit innerhalb oder außerhalb der Kernkraftwerke zwischengelagert werden. Zuständig für die Erteilung von Beförderungsgenehmigungen (§ 4 AtomG) für Kernbrennstoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AtomG) ist grundsätzlich gem. § 19 i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 3 AtomG das Bundesamt für Strahlenschutz. Neben der Einhaltung der atomgesetzlichen Vorgaben sind auch die entsprechenden verkehrsrechtlichen Bestimmungen einzuhalten, also insbesondere die Gefahrgutverordnung Schiene (GGVE) 4 1 3 und die Gefahrgutverordnung Straße (GGVS). 414 Spezielle Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für die Beförderung von Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen im Schienen- und Schiffsverkehr der Eisenbahnen ist nach § 19 i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 2 AtomG das mit Wirkung vom 1. Januar 1994 errichtete Eisenbahn-Bundesamt als selbständige, dem Bundesministerium für Verkehr nachgeordnete Bundesbehörde415 Neben Gorleben ist noch ein weiteres kraftwerksexternes atomares Zwischenlager in Deutschland in Betrieb, zu dem radioaktives Material bis zur weiteren Behandlung oder Endlagerung verbracht werden kann. Es befindet sich im nordrhein-westfalischen Ahaus und ist seit Juni 1992 im nuklearen Betrieb. 416 Darüber hinaus existiert ein drittes Zwischenlager in Lubmin bei Greifswald. Dieses ist ausschließlich der Stillegung und dem Abbau der alten DDR-Kernkraftwerke Greifswald und Rheinsberg zugeordnet und nimmt daher nur bestrahlte Brennelemente sowie andere radioaktive Stoffe aus diesen beiden Kraftwerken auf. 417 Dieses Zwischenlager Nord war im März 1999 von der 413

Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter mit Eisenbahnen (Gefahrgutverordnung Eisenbahn - GGVE), Neufassung vom 22.12.1998, BGBl. 3909. 414 Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (Gefahrgutverordnung Straße - GGVS), Neufassung vom 22.12.1998, BGBl. I S. 3993, zul. geändert am 23.6.1999 durch Art. 5 der Verordnung zur Änderung gefahrgutrechtlicher und anderer Vorschriften (GefÄndV), BGBl. I. S. 1435. 415 § 24 Abs. 1 Satz 2 AtomG neugefaßt durch Art. 3, § 2 Abs. 1 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes v. 27.12.1993, BGBl. I S. 2378. 416 Näheres in FAZ v. 2.3.1999, S. 24. Ferner Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 55. 4,7 S. zum Zwischenlager in Lubmin FAZ v. 2.3.1999, S. 24; Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

bundeseigenen Energiewerke Nord (EWN) nach gut vier Jahren Bauzeit in Betrieb genommen worden. In den acht Beton-Hallen sollen die strahlenden Überreste gelagert werden. Die Anlage hat Platz für insgesamt 5000 Brennelemente. Angesichts der dort gelagerten insgesamt 1000 Brennelemente aus Rheinsberg sowie weiteren 186, die sich dort bereits länger befinden, mutet die Anlage für den vorgesehenen Zweck überdimensioniert an, was von Atomkraftgegnern auch kritisiert wurde. 418 Ferner wird auch die Sicherheit gegen Überschwemmungen, terroristische Anschläge und Flugzeugabstürze bestritten. 419 Der Abtransport der letzten 246 abgebrannten Brennelemente aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Rheinsberg wurde vom brandenburgischen Umweltministerium im April 1999 genehmigt und war zunächst für Ende des Jahres 1999 vorgesehen. 420 Das Bundesamt für Strahlenschutz hat dann erst im März 2001 den Transport endgültig genehmigt und die Genehmigung bis Ende 2001 befristet. 421 A m 9. Mai 2001 wurde der Transport mit den Brennstäben in vier Castor-Behältern, die speziell für russische Brennelemente gebaut worden waren, aus dem stillgelegten Atommeiler in Rheinsberg durchgeführt, ohne daß es zu größeren Auseinandersetzungen gekommen wäre. 422 Als Castor (Cask for storage and transport of radioactive material) wird der Behältertyp 423 für den Transport und die Zwischenlagerung von radioaktiven abgebrannten Brennelementen und verglastem hochaktiven Abfall bezeichnet. Die Behälter bestehen aus einem hochzähen Gußwerkstoff („Sphäreguß") und sind gegen mechanische und thermische Belastungen, wie sie ζ. B. bei Transportunfallen oder anderen äußeren Einwirkungen entstehen können, besonders

13/10735, S. 142; Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1997, S. ET 7 ff. Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 18 f.; Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 57. 418 Vgl. etwa die Darstellung im Internet unter http://www.anti-atom.de/greifs.htm. 419 Vgl. FAZ v. 10.5.2001, S. 4. 420 DER TAGESSPIEGEL v. 21.4.1999, S. 16. 421 Pressemitteilung 15/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 14.3.2001. 422 FAZ v. 10.5.2001, S. 4. 423 Genau genommen handelt es sich um zwei Behältertypen: Der Behälter TS 28 V wurde von einer Tochtergesellschaft der Cogéma entwickelt, der andere (HAW 20/28) ist ein deutsches Produkt. Beide erfüllen die Anforderungen der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und sind vom Bundesamt für Strahlenschutz zugelassen; vgl. zu Neuerteilung im August 2001 die Pressemitteilung 63/2001 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 28.8.2001; femer Faltblatt, Die Rücknahme von Wiederaufarbeitungsabfällen aus Frankreich und Großbritannien, Brennelementelager Gorleben GmbH (Hrsg.), o. J., S. 4.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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geschützt. 424 Etwa 35 werden pro Jahr von ihnen produziert. 425 Im Jahresmittel werden ca. 70 Transporte zu den ausländischen Wiederaufbereitungsanlagen durchgeführt. Hinzu kamen bis zum Mai 1998 57 Transporte ins Zwischenlager Ahaus (seit Γ992) und drei Transporte nach Gorleben (seit 1995). 426 Neben Fragen, die sich auf die generelle Zulässigkeit entsprechender Verbringungen und deren Gefährlichkeit beziehen, beinhaltet ein weiterer Atomstreit zwischen dem Bund und den Ländern die Anordnung und ggf. Anweisung dieser Transporte nach Art. 85 Abs. 3 GG sowie der entgegengesetzte Fall der Untersagung derartiger Transporte. Bei den Atomtransporten muß dabei zwischen drei verschiedenen Typen unterschieden werden: erstens innerdeutsche Transporte von abgebrannten Brennelementen aus den Kernkraftwerken in die Zwischenlager Ahaus und Gorleben (die eigentlichen sog. Castor-Transporte); zweitens Transporte von den Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und England in deutsche Zwischenlager; drittens Transporte von abgebrannten Brennelementen in die ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen. Abgebrannte Brennelemente können wegen beschränkter Lagerungsmöglichkeiten, die von Kernreaktor zu Kernreaktor erheblich variieren, nicht in unbegrenzter Menge gelagert werden. Sind die Lagerkapazitäten erschöpft und sind keine Castor-Transporte möglich, so bleibt letztlich nur die Abschaltung der Reaktors übrig. Im November 1999 drohte deshalb beispielshalber ein Abschalten der Kraftwerke Stade, Biblis A und Philippsburg im Frühjahr 2000. 427 Die deutsche Kernenergieindustrie warf der Bundesregierung in Hinblick auf die Nichterteilung von Genehmigungen für Atomtransporte eine „Verstopfungsstrategie" vor. 4 2 8 Bundesumweltminister Trittin wies diesen Vorwurf zurück.

424

Kühn/Hawickhorst, atw 2000,453 (454 f.); vgl. auch FAZ v. 26.3.2001, S. 7. DER TAGESSPIEGEL v. 19.1.1999, S. 4. 426 Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/10735, S. 144. 427 FAZ v. 2.11.1999, S. 19; DER TAGESSPIEGEL v. 2.11.1999, S.l; DER TAGESSPIEGEL v. 27.1.2000, S. 2. 428 So der Vorstandsvorsitzende des Bayernwerk AG Majewski im November 1999; zit. nach. DER TAGESSPIEGEL v. 2.11.1999, S. 1. S. auch DER TAGESSPIEGEL v. 27.1.2000, S. 2. Bei einer solchartigen „Anlagen-Verstopfung" sollen durch den Produktionsausfall Kosten in Höhe von 500.000 DM pro Tag und Anlage entstehen; s. Hohlefeider, atw 2000, 147 (149). Zur „Verstopfung" der Abkling- und Lagerbecken s. auch Strecker, in: W. Bayer/Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atomausstieg, 2000, S. 123 ff. 425

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG bb) Konkrete Konflikte

Im Mai 1998 verhängte die Bundesumweltministerin Merkel einen totalen Castor-Transportstop, nachdem an den Außenwänden der Transportbehälter kleine Flächen mit ζ. T. stark überhöhten Strahlungswerten festgestellt worden 429

waren. •Am 26. Januar 2000 hat dann das Bundesamt für Strahlenschutz fünf innerdeutsche Castor-Transporte mit bestrahlten Brennelementen aus den Kraftwerken Biblis, Neckarwestheim und Philippsburg in das westfälische Zwischenlager Ahaus genehmigt. 430 Bis zum Jahr 2001 ergingen eine Vielzahl von Beförderungsgenehmigungen nach § 4 AtomG bzw. §§8 und 10 StrahlSchV, 431 ohne daß es zu Bundesweisungen kam. A m 23. Januar 2001 wies der Bundesumweltminister Trittin unter Berufung auf Art. 85 Abs. 3 GG das zuständige baden-württembergische Umweltministerium an, bei der Entscheidung über die Entladung der abgebrannten Brennelemente aus dem Reaktorkern die Rechtsauffassung des Bundes zugrunde zu legen und damit die zusätzliche Einlagerung von Brennelementen im Abklingbecken des Atommeilers Neckarwestheim zuzulassen.432 Konkret ging es um die weitere Nutzung der Freihalteplätze im Naßlager, obschon gleichzeitig Castor-Behälter auf dem Kraftwerksgelände zum Abtransport bereit stehen. Demnach stellt eine Nutzung der Freihalteplätze im Naßlager des A K W auch dann keine Überschreitung der genehmigten Kapazitätsbeschränkung dar, wenn gleichzeitig Castor-Behälter auf dem Kraftwerksgelände zum Abtransport bereitgestellt bleiben. Bundesumweltminister Trittin begründete seine Weisung mit der Notwendigkeit, für einen bundesweit einheitlichen Vollzug des Atomgesetzes sorgen zu müssen. Nicht von dieser Weisung betroffen waren die ausgebrannten Kernbrennstäbe, die Ende April 2001 nach Sellafield transportiert werden sollten, 433 was am 24. April 2001 auch geschah.434

429 Kühn/Hawickhorst, atw 2000, 453 (455); Schmidt-Preuß, et 1998, 750 (751 f.). Zu den Rechtsfragen hinsichtlich der Kontaminationsgrenzwerte und der Verantwortlichkeit für deren Einhaltung innerhalb der Beförderungskette instruktiv Posser, DVB1. 2001, 609 ff. S. auch Strecker, in: W. Bayer/Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atomausstieg, 2000, S. 123 (136 ff.); s. auch die Positionsbestimmung von Ronellenfitsch, in: W. Bayer/Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atomausstieg, 2000, S. 141 (149 ff.). 430 FAZ v. 27.1.2000, S. 1 f.; DER TAGESSPIEGEL v. 27.1.2000, S. 2. 431 S. dazu die Übersichtstabelle des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 9.7.2001, im Internet unter www.bfs.de/gv/transpg/index.htm abrufbar. 432 Pressemitteilung 10/2001 des BMU; FAZ v. 24.1.2001, S. 1; DER TAGESSPIEGEL v. 24.1.2001, S. 5. Außerdem FAZ v. 9.4.2001, S. 6. 433 FAZ v. 9.4.2001, S. 6.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Baden-Württemberg vertrat die Auffassung, daß der Betreiber die freien Positionen im Naßlager erst nach dem Abtransport von Brennelementen nutzen dürfe. Damit entstünde für den Betreiber ein Zwang, noch vor dem anstehenden Revisionstermin im April einen Castor-Transport durchzuführen. Mit dieser Weisung entfiel die Notwendigkeit, die bereits in Castor-Behältern eingeschlossenen Brennelemente in das Zwischenlager Ahaus zu überführen, um ein Abschalten des Kraftwerkes (in diesem Fall ging es um das Wiederanfahren) zu verhindern. Wirtschaftsminister Döring äußerte: „Der von Trittin eingenommene Rechtsstandpunkt ist nicht haltbar," und er halte die geplanten Castor-Transporte in das zentrale Zwischenlager in Ahaus nach wie vor für unverzichtbar. A m 1. April 2001 erteilte dann das Bundesamt für Strahlenschutz die atomrechtliche Genehmigung für das Interimslager. Damit war erstmals die vorübergehende Aufbewahrung abgebrannter Brennelemente auf dem Gelände eines deutschen Atomkraftwerkes möglich. 435

i) Kernkraftwerk

Obrigheim/Baden-Württemberg

Das älteste, seit 1968 sich am Netz befindliche Kernkraftwerk Obrigheim in Baden-Württemberg hat wegen seiner Umstrittenheit weisungsaufsichtsrechtliche Relevanz. Das Kraftwerk ist mit einer Leistung von 340 Megawatt das kleinste Kernkraftwerk in Deutschland. Über die friedliche Nutzung der Kernenergie divergierende Einstellungen führen seit dem Bonner Regierungswechsel zu Konflikten, die in dieser Konstellation von ganz neuartiger Natur sind und sich exemplarisch an Obrigheim darstellen.

aa) Kernenergiepolitischer Hintergrund Bisheriger politischer Hintergrund einer jeden Auseinandersetzung um den Vollzug des Atomgesetzes war es, daß sich einzelne Bundesländer der atomfreundlichen Bundesansicht widersetzten und sich den Bundesvorgaben zu entziehen suchten, indem beispielsweise erforderliche Genehmigungen nicht erteilt, atomrechtliche Weisungen nicht befolgt oder sonstige Maßnahmen ergriffen wurden, die den Verfahrensablauf zeitlich blockierten. Nunmehr zeichnen sich Auseinandersetzungen mit umgekehrten Vorzeichen ab. Ausschlaggebend dafür ist das erklärte energiepolitische Ziel der rot-grünen 434 435

FAZ v. 25.4.2001, S. 7. BfS aktuell 2/2001, S. 4; FAZ v. 11.6.2001, S. 5.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Bundesregierung, alle deutschen Kernkraftwerke bald und möglichst fur immer abzuschalten und die bestehenden Anlagen zu beseitigen: eine markante und bemerkenswerte Kehrtwende auf dem kernenergiepolitischen Weg des Bundes. „Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie wird innerhalb dieser Legislaturperiode umfassend und unumkehrbar gesetzlich geregelt." 436 So geschah es auch durch die Atomgesetznovelle von 2002. 437

bb) Konkrete Konflikte Die baden-württembergische Landesregierung stellte hingegen entgegen der gesamtstaatlichen, die Atomkraft ablehnenden Stimmungslage frühzeitig klar, daß sie sich mit aller Energie dagegen wehren werde, das Atomkraftwerk Obrigheim deshalb vom Netz zu nehmen. 438 Anfang September 2001 hat der Bundesumweltminister die baden-württembergische Atomaufsichtsbehörde angewiesen, in dem Verwaltungsstreitverfahren über die Zulässigkeit des weiteren Betriebs des Atomkraftwerks die Rechtsgrundsätze des BVerwG zu beachten. 439 Danach mußte das Landesministerium einen möglichen Genehmigungsverstoß erneut prüfen und dabei auch die Sichtweise der Anwohner zugrunde legen. In der Weisung wurde klargestellt, daß bei der behördlichen Feststellung dessen, was genehmigt worden ist, auf die Sicht des betroffenen Bürgers abzustellen sei. Sollte das Atomkraftwerk Obrigheim nicht ausreichend genehmigt sein, dann sei der Weiterbetrieb nur dann zulässig, wenn „ein atypischer Ausnahmefall vorliegt". Ein solcher Fall liege u.a. nur dann vor, wenn die Aufsichtsbehörde zweifelsfrei festgestellt habe, „daß die Anlage den materiellen zur

436

S. Kap. IV., Abschnitt 3.2 - Ausstieg aus der Kernenergie - des Koalitionsvertrages zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Nach Di Fabio , atw 1999, 78, scheint damit für die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland geradezu „das Totenglöcklein zu läuten." Dazu auch ders., Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999; Schmidt-Preuß, Kernenergie im Spannungsfeld zwischen Politik und Recht, Vortrag am 22.10.1998 vor dem Informationskreis Kernenergie, n. v.; detailliert zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit insbesondere hinsichtlich des Art. 14 GG sowie zum rechtsstaatlichen Vertrauensschutz Ossenbühl, AöR 124 (1999), S. 1 (5 ff. u. 35 ff.). 437 BGBl I, S. 1351; s. u. D. III. 2.1). 438 FAZ v. 9.2.1999, S. 5. Eine Klage auf Aufhebung der am 27.10.1992 erteilten abschließenden Teilgenehmigung für den Betrieb - nicht: Errichtung - des Kernkraftwerkes Obrigheim wurde im Januar 1997 letztinstanzlich abgewiesen, BVerwG NVwZ 1998, 623. Obrigheim beschäftigte schon seit den Achtziger Jahren die bundesdeutsche Justiz, dazu FAZ, aaO. 439 Es handelt sich um BVerwG, Urteil v. 25.10.2000, DVB1. 2001, 381 ff.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Zeit der Errichtung geltenden, drittschützenden atomrechtlichen Anforderungen genügt." 440 Über ein Abschalten des Druckwasserreaktors 441 wurde spekuliert, weil er von allen deutschen Atommeilern am längsten Strom liefert - seit dem Jahre 1968. Sollte die Landesregierung dem Verlangen des Bundesumweltministers nach Stillegung des Reaktors nicht entsprechen, so ist zur Durchsetzung des Bundeswillens die Erteilung einer Weisung entsprechenden Inhaltes nach Art. 85 Abs. 3 GG angezeigt. Dieser Vorgang wäre in der bundesdeutschen Geschichte einmalig. Einen weiteren möglichen Konfliktherd in Obrigheim stellt der im Herbst 1998 vom zuständigen baden-württembergischen Wirtschaftsminister genehmigte Betrieb eines externen, d. h. außerhalb der Reaktorkuppel befindlichen Brennelementelagerbeckens dar. Es vermag etwa 1000 abgebrannte Brennelemente aufzunehmen und macht über viele Jahre hinweg einen Transport dieser Elemente in andere Zwischenlager überflüssig. 442 Dieser Umstand ist angesichts des großen Protestes gegen die sog. Castor-Transporte in die Zwischenlager nach Gorleben und Ahaus ein nicht zu unterschätzender Faktor. Dieses Lagerbecken ist damit - neben dem stillgelegten Kraftwerk Greifswald 4 4 3 - das erste deutsche Zwischenlager für ausgediente Brennelemente, welches sich direkt am Standort des Atomkraftwerkes befindet. 444 Nach dem Willen der neuen rot-grünen Bundesregierung sollen die anfallenden radioaktiven Abfälle in entsprechenden direkt am jeweiligen Kernkraftwerk gelegenen Zwischenlagern deponiert werden. 445

440

BMU Pressedienst Nr. 174 v. 6.9.2001; ferner FAZ v. 7.9.2001, S. 4. Der Reaktor ist der weltweit älteste Leichtwasserreaktor, der noch am Netz ist; vgl. FAZ v. 27.1.2000, S. 5. 442 S. dazu FAZ v. 27.1.1999, S. 3 u. FAZ v. 9.2.1999, S. 6 u. FAZ v. 27.1.2000, S. 5. Eine Zwischenlagerung der bestrahlten Brennelemente ist zwingend erforderlich, damit die Strahlung abklingt und der Wärmeeintrag in ein zukünftiges Endlager auf ein akzeptables Niveau minimiert wird. Eine solche direkte Einlagerung erfordert, daß die abgebrannten Brennelemente zu diesem Zweck für etwa 25 bis 30 Jahre zwischengelagert werden. 443 Einzelheiten dazu Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 18 f. Zur Historie dieses Meilers W. Müller, Geschichte der Kernenergie in der DDR, 2001, S. 189 ff. 444 Gegen den Betrieb des Zwischenlagers reichten die Stadt Heidelberg und eine Klägergemeinschaft Klage ein. Auch für den Betrieb eines Zwischenlagers an einem Atomkraftwerk ist eine Genehmigung nach § 6 AtomG erforderlich. 445 FAZ v. 13.4.2000, S. 17. 441

14 Janζ

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG cc) Die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle - ein Überblick

Zusehends mehr von Interesse fur die Kernanlagenbetreiber und damit ins Licht der Öffentlichkeit rückend war seit 1998 die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland. 446 Immer mehr Atomkraftwerksbetreiber beabsichtigten nach anfänglicher Ablehnung und Bestehen auf ein zufriedenstellendes Ergebnis der Energiekonsensgespräche 447 ihre radioaktiven Abfalle an den Kraftwerksstandorten Zwischenlagern. So lagen 2001 für die Mehrzahl der Kernanlagen Genehmigungen oder Anträge für diese Zwischenlagerung vor. 4 4 8 Nach § 6 Abs. 4 AtomG n.F. werden sog. Interimslagergenehmigungen unter bestimmten Voraussetzungen erteilt. 449 Aufsichtsrechtliche Konflikte sind für die Zukunft nicht auszuschließen, bislang jedoch noch nicht aufgetreten.

j) Endlager Morsleben/Sachsen-Anhalt Das Endlager für Radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) , das einzige Atommüllendlager in Deutschland, 450 stellt eine zwischen dem Bund und dem Land Sachsen-Anhalt heftig umstrittene Kernanlage nach dem Atomgesetz dar. In dem Endlager werden ausschließlich Brennelemente und anderer radioaktiver Abfall aus den beiden stillgelegten ostdeutschen Kernreaktoren Greifswald und Rheinsberg eingelagert; aus anderen bundesdeutschen Reaktoren wird kein Material nach Morsleben verbracht.

446

S. dazu die Beiträge von Brejora („Standort-Zwischenlager - Technische Aspekte"), Scheuten (Genehmigungsvoraussetzungen) und M. Hoffmann (Aktuelle verfahrensrechtliche Aspekte von Genehmigungsverfahren nach § 6 AtG), in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2000, S. 105 ff., 111 ff. und 129 ff.; femer Näser, DVB1. 2002, 584 ff. 447 DER TAGESSPIEGEL v. 7.1.2000, S. 5. Allgemein zu diesen Gesprächen Stüer/ Loges, NVwZ 2000, 9 (9 f. m. w. Nachw. in FN 1). 448 Übersicht bei Bundesamt für Strahlenschutz, Pressemitteilung v. 6.1.2000. Zum gemeindlichen Einvernehmen bei der Genehmigung dieser Zwischenlager s. Kahl, BayVBl. 2001, 545 ff. 449 Ein erster Überblick bei Kühne/Brodowski, NJW 2002, 1458 ff. 450 Nach § 9 a Abs. 3 AtomG a.F. hatte der Bund Endlager für radioaktive Abfälle einzurichten. Er kann seit der Atomgesetznovelle 1994 die Wahrnehmung dieser Aufgabe auf einen privaten Dritten übertragen, § 9 a Abs. 4 AtomG a.F. Zum Projekt Morsleben s. allg. Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1997, S. ET 5 f. u. 17 ff.; ders., Jahresbericht 1999, S. 42; und ders., Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 26 f.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Die sachsen-anhaltinische Landesregierung wehrt sich - sicherlich auch wegen Fehlens eines eigenen Kernkraftwerkes 451 - seit etwa Mitte der neunziger Jahre gegen dieses noch zu DDR-Zeiten eingerichtete Endlager für schwachund mittelradioaktive Abfälle. 452 Das ERAM wurde im ehemaligen Kali- und Steinsalzbergwerk Bartensieben eingerichtet. Das Endlager wird vom Bund durch das Bundesamt für Strahlenschutz betrieben (§ 23 Abs. 1 Nr. 2 AtomG). Infolge dieser Auseinandersetzung kam es zu einer aufsichtsrechtlichen Maßnahme in Form einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG, die sich auf die Verwendung und Verbindlichkeit eines das Endlager betreffenden Sicherheitsberichtes aus dem Jahr 1989 bezogen hat. 453 Die 1986 vom staatlichen Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) beim Ministerrat der DDR ausgesprochene unbefristete Betriebsgenehmigung für diese Anlage galt zunächst nach § 57 a Abs. 1 Nr. 1 AtomG a. F. 4 5 4 als eine Genehmigung nach § 7 AtomG des Bundesamtes für Strahlenschutz (Planfeststellungsbeschluß im Sinne des § 9 b AtomG) fort, allerdings nur bis zum Ablauf des 30. Juni 2000. 455 Die Rechtmäßigkeit des Überganges dieser nach (ehemaligem) DDR-Recht erteilten und nach dem Einigungsvertrag fortgeltenden atomrechtlichen Genehmigung 456 für das Endlager Morsleben ist vom BVerwG nicht beanstandet

451 Alle Kernkraftwerke sowjetischer Bauart in den neuen Bundesländern (Rheinsberg/Brandenburg und Greifswald/Mecklenburg-Vorpommern) wurden nach der Wiedervereinigung abgeschaltet, endgültig stillgelegt und werden rückgebaut. Ein Weiterbetrieb der Anlagen wäre ohne erhebliche sicherheitstechnische Verbesserungen nicht vertretbar gewesen. Die Kosten hierfür sind immens, allein der seit 1995 erfolgende Rückbau des Kernkraftwerkes in Rheinsberg wird mit 800 Millionen DM veranschlagt, die mangels Rückstellungen der DDR vollständig vom Bund getragen werden, s. FAZ v. 1.6.1999, S. 11. Das stillgelegte Kernkraftwerk in Greifswald stellt in diesem Zusammenhang das größte Demontageprojekt dieser Art in der Welt dar. In Lubmin bei Greifswald besteht ferner ein atomares Zwischenlager, s. dazu oben D. III. 2. h) aa). Zur Stillegung dieser Reaktoren s. auch Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1995, S. 251 ff. Zur Rechtslage der Kernkraftwerke in der ehemaligen DDR allg. Roßnagel, LKV 1991, 90 ff. 452 S. W. Müller, Geschichte der Kernenergie in der DDR, 2001, S. 259 ff. 453 Nach OVG Magdeburg, NVwZ 1999, 93 (94). Der Pressemitteilung 6/2000 des Bundesamtes für Strahlenschutz v. 16.5.2000 zufolge wurden mindestens zwei Weisungen an das Land Sachsen-Anhalt zum Weiterbetrieb des Endlagers in den Jahren 1995 bis 1998 erteilt. 454 § 57 a AtomG eingefügt durch EVertr. v. 31.8.1990, BGBl. II S. 889, 1116; dazu Böhm, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 667 (675 f.). 455 Weitere Einzelheiten zur Fortgeltung von Genehmigungen für Kernkraftwerke bei Roßnagel, LKV 1991, 90 (91 ff.). 456 Details bei Roßnagel, aaO.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

worden. 457 Eine gegen das Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG 4 5 8 nicht zur Entscheidung angenommen: Sie habe weder eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, noch sei das angegriffene Urteil verfassungsrechtlich zu beanstanden. Damit erledigte sich auch der gestellte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG. Durch eine Änderung des Atomgesetzes wurde 1998 die Gültigkeit dieser Dauerbetriebsgenehmigung bis zum 30. Juni 2005 verlängert (§ 57 a Abs. 1 Nr. 1 AtomG n. F. 4 5 9 ). Motiv hierfür war, daß die bei Abschluß des Einigungsvertrages gestellte Prognose, es werde bis zum Jahrtausendende insbesondere die erforderliche Anschlußplanfeststellung im Falle des Endlagers Morsleben erfolgt sein, im Nachhinein nicht eintraf. 460 Im Herbst 1998 wurde einem Eilantrag auf Unterbrechung der Einlagerung durch den nach § 29 Abs. 2 BNatSchG in Sachsen-Anhalt anerkannten Naturschutzverband BUND durch einstweilige Verfügung des OVG Magdeburg 461 (teilweise) stattgegeben. Mit dem Beschluß des Gerichtes wurde die weitere Einlagerung von radioaktivem Abfall im Ostfeld bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache untersagt. Der Bund hat die Einlagerung radioaktiver Abfälle in des ERAM daraufhin bis auf weiteres ausgesetzt.462 Maßgebender Streitpunkt ist, ob die Einlagerung des Atommülls im sogenannten Ostfeld des ehemaligen Kalibergwerkes durch die DDR-Betriebsgenehmigung von 1986 abgedeckt ist oder nicht. 463 Denn in diesem Bereich wurde zuletzt der gesamte ra-

457

BVerwGE 90, 255. Vgl. dazu zustimmend auch Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, 553 (561). Zu einem entgegengesetzten Ergebnis gelangte noch die Vorinstanz, das vormals zuständige Bezirksgericht Magdeburg. 458 BVerfG LKV 1994, 25. 459 Änderung durch Art. 1 Ziff. 22 des Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz v. 6.4.1998 (BGBl. I S. 694). Gegen dieses Gesetz hat das Land Sachsen-Anhalt eine abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG vor dem BVerfG mit der Behauptung erhoben, daß diese Atomgesetznovelle einen Verstoß gegen den Einigungsvertrag darstelle; vgl. FAZ v. 27.1.1999, S. 3; DER TAGESSPIEGEL v. 27.1.1999, S. 2. Allgemein und zusammenfassend zu dieser 8. Atomgesetz-Novelle s. Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, 553 ff. 460 Schmidt-Preuß, NVwZ 1998, 553 (561). 461 OVG Magdeburg, Beschluß v. 29.9.1998, A 1/4 C 260/97, NVwZ 1999, 93 ff. Eine Entscheidung in der Hauptsache steht bislang aus. Dazu auch Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1998, S. ET 4; ders., Jahresbericht 1999, S. 42. 462 Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1998, S. ET 4; ders., Jahresbericht 1999, S. 42; Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 37/2001 v. 4.5.2001. 463 Femer rügte der Umweltverband die Art und die Größe der verwendeten Abfallbehälter. Dem vermochte das erkennende Gericht nicht zu folgen.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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dioaktive Abfall eingelagert. 464 Bis zu diesem Gerichtsbeschluß wurden etwa 37.000 m 3 radioaktive Abfalle mit einer Gesamtaktivität von ca. 1,7 χ IO 14 BQ eingelagert. 465 Das OVG Magdeburg sah in seinem Beschluß die Genehmigung als nicht ausreichend an. Die Einlagerung der radioaktiven Abfälle im Ostfeld des Endlagers sei von der Dauerbetriebsgenehmigung nicht gedeckt und bedürfe als wesentliche Änderung des Betriebes des ERAM gem. § 9 b Abs. 1 Satz 1 AtomG der Planfeststellung. 466 Denn die Nutzung des Ostfeldes stelle eine wesentliche Änderung dar, die zwingend und unabhängig vom Dafürhalten des Anlagebetreibers die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens nach sich ziehe. Daher wurde von dem Gericht durch eine Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen Vorliegens des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes die weitere Einlagerung radioaktiver Abfälle im Ostfeld des ERAM untersagt. Der antragstellende Naturschutzverband hätte an dem erforderlichen Planfeststellungsverfahren beteiligt werden müssen und konnte somit die Unterlassung auch verlangen. Ob das Bundesumweltministerium an einer Fortsetzung des Einlagerungsbetriebes interessiert ist, war zunächst offen. An einer weiteren Einlagerung im Südfeld zumindest bestand kein Interesse. 467 Das Verfahren vor dem OVG Magdeburg ruhte dementsprechend seit dem 28. Februar 2000 auf übereinstimmenden Antrag der Prozeßbeteiligten. 468 Ein gutes Jahr später zog dann die Bundesregierung einen „endgültigen Schlußstrich unter Morsleben". 469 A m 4. Mai 2001 ersuchte Bundesumweltminister Trittin das Bundesamt für Strahlenschutz, beim OVG Magdeburg eine Erklärung zur Erledigung von Klagen im Hauptsache-Verfahren abzugeben, die den Einlagerungsbetrieb im Endlager Morsleben (ERAM) betreffen. 470 Nach der ursprünglichen Atomgesetznovelle des Bundesumweltministeriums sollte die Einlagerung radioaktiver Stoffe insgesamt beendet und das lau464 1998 wurden ζ. B. ca. 98 % des gesamten eingelagerten Volumens im Ostfeld endgelagert; s. dazu Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1998, S. ET 4. 465 Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1999, S. 42. Nach Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 37/2001 v. 4.5.2001, sogar fast 40.000 m 3 . 466 OVG Magdeburg, NVwZ 1999, 93 (94). 467 Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 50. 468 Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 50. 469 So bereits die Schlagzeile der Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 37/2001 v. 4.5.2001. 470 Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 37/2001 v. 4.5.2001.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

fende Planfeststellungsverfahren für die Anlage in Morsleben auf die Stillegung der Anlage beschränkt werden. Das Bundesamt für Strahlenschutz betreibt zusammen mit dem Ministerium für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt das Planfeststellungsverfahren zur Stillegung des Endlagers und sicheren Verwahrung der Abfalle (Verfüllung des Bergwerkes). 471 Das bekräftigten im Mai 2000 der Präsident des Bundesamtes, König, und der Umweltminister des Landes Sachsen-Anhalt, Keller 411 Mit der Erteilung eines entsprechenden Planfeststellungsbeschlusses wird nicht vor 2006 gerechnet. 473 Die dazu u. a. erforderlichen Verfüllarbeiten sollen nach Ansicht des Bundesamtes als vorgezogene Maßnahmen im Vorfeld der eigentlichen Stilllegung alsbald realisiert werden. Die notwendigen Abstimmungen mit dem Bergami Staßfurt und der atomrechtlichen Planfeststellungsbehörde des Landes Sachsen-Anhalt, dem Ministerium für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt wurden eingeleitet. 474 Im April 2001 hatte das Bundesamt für Strahlenschutz ausdrücklich und unwiderruflich auf Teile der Dauerbetriebsgenehmigung für das ERAM verzichtet. Der Verzicht umfaßte die Teile der Genehmigung, die die Annahme weiterer radioaktiver Abfälle zur Endlagerung gestatteten.475 Am 26. Februar 2002 hat daraufhin das OVG Magdeburg wegen dieser Verzichtserklärung und auf Anregung des BfS das letzte noch anhängige Gerichtsverfahren zu ERAM eingestellt. 476 Sollte der Bund tatsächlich von sich aus darauf verzichten, an der Fortsetzung des Einlagerungsbetriebes festzuhalten und dies gerichtlich durchzusetzen versuchen, so bedarf es keiner prophetischen Gaben, um vorauszusagen, daß die privaten Anlieferer des Atommülls, die über gültige Abnahmeverträge verfügen, den ihnen durch das Bundesverhalten entstandenen Schaden gerichtlich geltend machen werden. Wird ins Kalkül gezogen, daß aufgrund dieser Verträge der Bund - jedenfalls bis zum 30. Juni 2000 - verpflichtet ist, die für das Endlager Morsleben geeigneten Abfalle zu einem Kubikmeterpreis von 12.500,- D M abzunehmen und Ende 1998 erst etwa die Hälfte (22.500 Kubik471 Bundesamt für Strahlenschutz, Jahresbericht 1999, S. 42; Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 37/2001 v. 4.5.2001; Rodi, NJW 2000, 7 (12); Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 59. 472 Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 6/2000 v. 16.5.2000. S. auch Kühn/Hawickhorst, atw 2000,453. 473 Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 49. 474 Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 52/2001 v. 3.7.2001. 475 Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 37/2001 v. 4.5.2001. 476 Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz 19/2002 v. 12.3.2002.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

215

meter) der zugesicherten Höchstmenge von 40.000 Kubikmetern bis zur vorläufigen Schließung eingelagert wurde, 477 so ergibt sich eine mögliche maximale Forderung seitens der Morsleben-Anlieferer von über 230 Millionen DM. Nach Presseberichten ist der Preis für Abfalle, die für das geplante Endlager Schacht Konrad vorgesehen sind, sogar doppelt so hoch. 478 Insgesamt wird die Anlage nach Auskunft des Bundesamtes für Strahlenschutz bis zu ihrer Stillegung im Jahre 2015 etwa 5,2 Milliarden D M gekostet haben. 479 Selbst die Bundesregierung schätzte Anfang 2001 die Kosten der Stillegung auf bis zu 4 Milliarden D M . 4 8 0

k) Streitpunkt

Wiederaufbereitung

Die Wiederaufarbeitung 481 abgebrannter Brennelemente aus Atomreaktoren schafft für viele gesellschaftliche Bereiche Probleme, deren Lösungen nicht auf der Hand liegen und im einzelnen umstritten sind. Neben den technischen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, und den energiewirtschaftlichen Problemen stellt die Wiederaufarbeitung auch einen zentralen politischen Konflikt um die „richtige" Energiezukunft dar. 482 Hinsichtlich dieser verschiedenen, die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Kernbrennelementen betreffenden Fragen sind Landesbehörden in die einzelnen Entscheidungen und deren Umsetzung involviert. Bei Differenzen etwa dergestalt, daß ein einzelnes Bundesland sich - in welcher Form auch immer - den sich radikal gewandelten bundesenergiepolitischen Vorgaben nicht zu fügen vermag, steht dem Bund das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG zwecks Durchsetzung seiner Vorstellungen zur Seite, zunächst unabhängig von der Rechtmäßigkeit seiner Inanspruchnahme. Dabei wirft die Entsorgung bzw. Verwendung der ausgedienten radioaktiven Brennelemente nicht nur auf nationaler deutscher Ebene Fragen auf, sondern

477 478 479 480

Zahlen nach FAZ v. 27.1.1999, S. 3. FAZ, ebd. FAZ, ebd. Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S.

49.

481

Die Begriffe Wiederaufarbeitung und Wiederaufbereitung sind synomym zu gebrauchen. 482 Instruktiv dazu Roßnagel, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprobleme der Wiederaufarbeitung, 1987, S. 5 ff. Zur Geschichte der Wiederaufarbeitung in Deutschland ders., aaO., S. 42 ff.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

auch international 483 sorgen atomrechtliche Vorgaben der rot-grünen Bundesregierung zusehends fur Aufsehen.

aa) Allgemeines und Begriffsinhalt Neben der Frage des praktischen Umsetzens eines Ausstieges aus der energiewirtschaftlichen Nutzung der Atomkraft ist die Problematik der Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente von sowohl politischer wie rechtlicher und schließlich auch wirtschaftlicher Brisanz. Die Brennelemente der Atomkraftwerke haben nach einigen Betriebsjahren ausgedient und müssen ausgewechselt werden. Anschließend können sie wiederaufbereitet („recycelt") werden. Bis 1994 war dieser Entsorgungsweg der nach dem AtomG einzig zulässige. 484 Bei der Wiederaufbereitung werden zunächst verbrauchte Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktoren zu Wiederaufbereitungsanlagen verbracht. Eine Wiederaufbereitung „vor Ort", also am Standort des Kernkraftwerkes, ist zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen, wird aber nirgends praktiziert. Der Stoff Uran, welcher nur zu einem geringen Prozentsatz zur Energieerzeugung genutzt, also „verbraucht" wurde und sich weiterhin als Brennstoff in den Brennelementen befindet, wird dort in einem aufwendigen Verfahren abgetrennt. Anschließend werden daraus neue Brennstäbe gefertigt. Dieser Vorgang stellt sich mittlerweile als industrielle Routine dar. 485 In den abgebrannten Brennelementen ist - durch den Reaktorbetrieb, also den Abbrand der Uranbrennelemente neu entstanden - das hochkonzentrierte, hochtoxische und nicht zuletzt auch waffentaugliche Plutonium 486 enthalten, 483 Frühzeitig zur Wiederaufarbeitungsanlage als Problem des Völkerrechts Gündling, in: Roßnagel (Hrsg.), Rechtsprobleme der Wiederaufarbeitung, 1987, S. 155 ff. m. w. Nachw. 484 Nach § 9 a Abs. 1 AtomG ist seither auch eine geordnete Beseitigung der radioaktiven Abfälle (sog. direkte Endlagerung) alternativ zulässig. Gem. § 9 a Abs. 1 Satz 2 AtomG n.F. ist die Abgabe von bestrahlten Brennelementen zur schadlosen Verwertung in Wiederaufarbeitungsanlagen vom 1. Juli 2005 an unzulässig. Danach kommt als Entsorgungsweg nur noch die direkte Endlagerung in Betracht. 485 Kühn/Hawickhorst, atw 2000,453 (454). 486 Plutonium (Pu) ist ein chemisches Element mit der Ordnungszahl 94 und gehört zu den Schwermetallen (wie Blei und Quecksilber). Daher ist es für den menschlichen Körper ähnlich giftig wie diese Schwermetalle. Es ist im wesentlichen ein künstliches Element und gehört zu den Transuranen. Es gibt verschiedene Plutonium-Isotope mit unterschiedlichen Eigenschaften. Plutonium kommt in der Natur fast nicht vor, sondern entsteht in Kernreaktoren, wenn Uran-238 in den Brennstäben einem Neutronenfluß ausgesetzt ist.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

217

wenn auch nur - je nachdem wie lange das in den Brennstäben enthaltene Uran bereits einem Neutronenfluß ausgesetzt war - zu etwa 1 Prozent. 487 Dieser Stoff wird bei der Wiederaufbereitung separiert. Anschließend sind zwei Wege möglich: Entweder wird das Plutonium wiederaufgearbeitet und in geringen Mengen neuen Mischoxyd-Brennelementen beigegeben,488 oder es wird verdünnt mit anderen radioaktiven Substanzen in eine Glasschmelze eingerührt, die zu Kokillen, d. h. metallischen Gußformen, vergossen wird. 4 8 9 Verpackt in Behälter können die Abfalle dann entsorgt, also eingelagert werden. 490 Die Wiederaufarbeitung dient somit zweierlei Zwecken: Zum einen ist sie ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Versorgung, weil sie die wiederverwendbaren Anteile der abgebrannten Brennelemente dem Kernbrennstoffkreislauf nach einer chemischen Bearbeitung erneut zur Verfügung stellt. Die Wiederaufarbeitung ist also zunächst ein chemisches Verfahren, um aus dem Kernbrennstoff nach seiner Nutzung im Kernreaktor (sog. abgebrannter Kernbrennstoff) die Wertstoffe, d. h. das Uran und das Plutonium, zu trennen. Zum anderen stellt sie eine Komponente der Entsorgung dar, da sie die radioaktiven

487

Nebst etwa 95 Prozent Uran und 4 Prozent Spaltprodukten (als Abfall) und geringen Anteilen von Transuran-Elementen. 488 Das Plutonium wird hier nicht als Abfall im Materialkreislauf mitgeschleppt, etwa um eine Endlagerung zu vermeiden, sondern ist als Energielieferant ein wertvoller Brennstoff. 489 Bei der Wiederaufarbeitung werden die Brennelemente mechanisch zerkleinert und durch ein chemisches Verfahren in wieder verwertbare Kernbrennstoffe und Abfall getrennt. Rund 95 % des Abfalls ist schwach- oder mittelradioaktiv und nur ein geringer Anteil hochradioaktiv. Letzterer enthält etwa 98 % der Aktivität des gesamten Abfalls und entwickelt durch seine Strahlung Wärme. Dieser geringe Teil wird mit einem Spezialglasgranulat zu einem Glasprodukt verschmolzen („Borosilikatglasprodukt"). Die noch flüssige Glasmasse wird in einen Edelstahlbehälter, eben die sogenannte Kokille, gefüllt und erstarrt beim Abkühlen. Anschließend wird diese Kokille mit einem Edelstahldeckel verschlossen und verschweißt. Dieses homogene Produkt weist eine hohe chemische Stabilität auf und ist beständig gegen Strahlung. Dadurch soll ein sicherer Einschluß der radioaktiven Stoffe über lange Zeiträume gewährleistet werden. S. dazu Faltblatt, Die Rücknahme von Wiederaufarbeitungsabfallen aus Frankreich und Großbritannien, Brennelementelager Gorleben GmbH (Hrsg.), o. J., S. 3. 490 Die Lösung des Plutonium-Problems auf deutschem Boden ist weiterhin offen. Zu einer Verbrennung von Plutonium in Kernkraftwerken, wie es bei der Technologie des „Schnellen Brüters" oder bei der Verwendung von Mischoxyd-Brennelementen möglich gewesen wäre, kam es nicht. Ein Kernreaktor diesen Typs (in Kalkar) wurde nie gebaut, und eine Fabrik, die Plutonium zu Mischoxyd-Brennelementen verarbeitet, hat die Betreiberin (Firma Siemens AG in Hanau) 1995 aufgegeben, nachdem bis zur Schließung an diesem Standort immerhin 8,5 Tonnen Plutonium verarbeitet wurden; vgl. Umweltbericht 1998 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drucks. 13/10735, S. 142. S. D. III. 2.b).

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Spaltprodukte abtrennt und in konzentrierter Form fur eine Entsorgung präpariert. Eine Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente ist in Deutschland selbst nicht möglich. Die geplante und teilweise bereits gebaute Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf wurde von der Betreibergesellschaft nicht fertiggestellt, sondern 1989 - nach teilweise bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen - ganz aufgegeben. 491 Neben massiven langjährigen öffentlichen Protesten spielten auch kommerzielle Aspekte eine entscheidende Rolle. Die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe wurde im Jahr 1971 in Betrieb genommen und bis 1990 betrieben. Rund 200 t bestrahlter Kernbrennstoff wurden insgesamt aufgearbeitet und über 1 t Plutonium abgetrennt. 492 Eine Wiederaufbereitung ist seither nur im Ausland möglich. 493 Folgerichtig haben die deutschen Kraftwerksbetreiber bereits Ende der Siebziger Jahre beschlossen, ihre ausgebrannten Brennelemente im europäischen Ausland recyceln zu lassen. Dabei hat die Bundesregierung im Juni 1989 erklärt, daß eine dauerhafte Wiederaufarbeitung von bestrahlten Brennelementen in EG-Staaten als Teil des integrierten Entsorgungskonzeptes anerkannt wird und insoweit die Wiederaufarbeitung im Inland ersetzen kann. 494 Wiederaufbereitungsanlagen werden in der EU in folgenden Staaten betrieben: Frankreich (Marcoule und La Hague), Großbritannien (Sellafield und Dounreay) und Italien (Rotondella). Weltweit befinden sich entsprechende Anlagen noch in Japan, Indien, Rußland und in den USA.

bb) Ausstieg aus der Wiederaufbereitung Zunächst war von der seit Oktober 1998 im Amt befindlichen Bundesregierung geplant, die Wiederaufarbeitung der ausgedienten Brennelemente 495 kurzfristig bis zum Jahr 2000 zu untersagen. Der zwischen der SPD und den GRÜNEN geschlossene Koalitionsvertrag und ein Gesetzesentwurf des Bundesumweltministers Trittin vom März 1999 sahen eine entsprechende Änderung des 491

Dazu etwa Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 64. Die Arbeiten zur Stillegung der Anlage haben begonnen. Die Demontagearbeiten sollen im Jahr 2004 mit dem Zustand 'grüne Wiese' abgeschlossen sein. S. Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 63. 493 Dazu sogleich. 494 Vgl. Bundesamt für Strahlenschutz, Stand und Entwicklung der Kernenergienutzung 1997 in der Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 21 f. 495 Einzelheiten zum technischen Verfahren bei Roßnagel, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprobleme der Wiederaufarbeitung, 1987, S. 48 ff. m. w. Nachw. 492

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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Atomgesetzes vor. 4 9 6 Danach sollte das gesetzgeberische Entsorgungskonzept umgekehrt werden: „Die Abgabe bestrahlter Brennelemente an Dritte zum Zwecke der Aufarbeitung ist unzulässig." 497 Dementsprechend seien auch alle zum Zwecke der Wiederaufarbeitung abgegebenen und noch nicht aufgearbeiteten Brennelemente der direkten Endlagerung zuzuführen 4 9 8 Damit sollte also eine Wiederaufbereitung ausgeschlossen und die Entsorgung der Brennelemente ausschließlich auf die Endlagerung beschränkt werden. Später wurde beabsichtigt, die Wiederaufbereitung abgebrannter Kernbrennstäbe bis spätestens Mitte 2000 zu beenden. 499 Ende Januar 1999 erklärte Bundeskanzler Schröder nach der ersten Runde der Energiekonsensgespräche zwischen der Bundesregierung und der Energiewirtschaft, daß auf dieses geplante Verbot der Wiederaufarbeitung verzichtet werde, so daß die angesprochenen Ausstiegsprobleme zumindest vorerst vom Tisch und Bundesweisungen zunächst nicht zu erwarten sind. 500 Nur ein knappes halbes Jahr später hingegen zeichnete sich bei den Atomkonsensgesprächen als Zeitpunkt für die Beendigung der Wiederaufbereitung von Atommüll der 1. Juli 2005 ab. 501 A m 14. Juni 2000 vereinbarten dann die Stromkonzerne und die Bundesregierung, daß die Entsorgung radioaktiver Abfälle von diesem Moment an auf die direkte Endlagerung beschränkt werden und damit der Transport zu Wiederaufbereitungsanlagen unzulässig sein soll. Bis dahin angelieferte Mengen dürfen noch verarbeitet werden. 502 Die Atomgesetznovelle 2002 änderte dann § 9 a Abs. 1 Satz 2 AtomG entsprechend.

496 Kritisch zu einer Ausstiegspolitik aus der Nutzung der Kernenergie Di Fabio , Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999, insb. S. 75 ff.; ders., atw 1999, 78 ff.; vgl. auch Ossenbühl, AöR 124 (1999), S. 1 ff. Speziell zum Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente gleichfalls kritisch Timm, atw 1999, 83 ff. 497 So wörtlich § 9 a Abs. 1 Satz 2 des Referentenentwurfes zur Änderung des Atomgesetzes vom 14.11.1998. 498 § 9 a Abs. 1 Satz 3 des Referentenentwurfes. 499 FAZ v. 13.4.2000, S. 17. 500 DER TAGESSPIEGEL v. 27.1.1999, S. 1; FAZ v. 27.1.1999, S. 1. Erstaunlicherweise keine Berücksichtigung findet diese konfliktvermeidende Form eines Atomausstieges bei Kube, ZG 2000, 11 (13 ff.), der ausschließlich den legislativen und den administrativen Beendigungsweg beleuchtet. 501 FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND v. 9.6.2000, S. 12; FAZ v. 10.6.2000, S.

2. 502 Abschnitt IV. 2. der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000; s. auch FAZ v. 16.6.2000, S. 1 f.

220

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG cc) Skandal in Sellafield

Auch jenseits der deutschen Grenzen machte die Wiederaufarbeitung Schlagzeilen. Ein Skandal im britischen Sellafield im Februar 2000 brachte neuen Auftrieb für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung. 503 Es waren offensichtlich gefälschte Sicherheitsunterlagen für neue in Sellafield aufgearbeitete MOX-Brennelemente aufgetaucht. 504 Konkret ging es um Manipulationen von Daten sowie das Umgehen von Sicherheitsstandards bei der Produktion der Brennelemente. 505 Dabei sind vier dieser nur mangelhaft bei der Herstellung überwachten Brennelemente auch nach Deutschland, genauer an die Kraftwerksbetreiberin PreussenElektra, geliefert worden. Diese vier Brennelemente waren zu diesem Zeitpunkt noch im niedersächsichen Atomkraftwerk Unterweser in Betrieb, welches von der PreussenElektra unterhalten wird. Genauer: Das Kraftwerk erhielt im Oktober 1996 vier von BNFL gefertigte Brennelemente, die während der Revisionsarbeiten 1997 eingesetzt wurden und sich seitdem störungsfrei im Einsatz befinden. Bisherige Inspektionen zeigten keine Auffälligkeiten. 506 Nach Bekanntwerden der Fälschung der Sicherheitsdokumente appellierte prompt Bundesumweltminister Trittin an die Betreiberfirma, den Atommeiler freiwillig vom Netz zu nehmen, um die vier fraglichen Brennelemente auszutauschen. Dieses lehnte das Unternehmen ab. 507 Nach Aussage von PreußenElektra hat die unzulängliche Dokumentation bei der Fertigung keinen Einfluß auf den sicheren Betrieb des Kernkraftwerkes Unterweser. Kurz darauf schaltete die Betreiberfirma dann aber doch den Atommeiler ab und wechselte die inkriminierten Brennstäbe aus. 508 Nach diesem Geschehen warf der niedersächsische Umweltminister Jüttner der Betreibergesellschaft vor, sie habe der Atomaufsicht aus wirtschaftlichen Gründen sicherheitsrelevante Informationen unterschlagen. Er stellte ausdrück-

503

Der britische Atomkomplex Sellafield ist aufgrund einiger Störfälle seit vielen Jahren umstritten. Bereits 1957 wurde bei einem der schwersten Atomunfälle weltweit durch einen Reaktorbrand eine radioaktive Wolke freigesetzt. Damals hieß die Anlage noch Windscale. Vgl. DER TAGESSPIEGEL v. 8.3.2000, S. 5; FAZ v. 3.12.2001, S. 3. 504 Einzelheiten in FAZ v. 23.2.2000, S. 9 u. FAZ v. 7.3.2000, S. 9. 505 DER TAGESSPIEGEL v. 8.3.2000, S. 5. S. auch später FAZ v. 25.4.2001, S. 7. 506 So die Pressemitteilung des Deutschen Atomforums v. 21.2.2000. 507 DER TAGESSPIEGEL v. 24.2.2000, S. 5. 508 DER TAGESSPIEGEL v. 25.2.2000, S. 1.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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lieh die Frage nach der Zuverlässigkeit des Betreibers. 509 Das Unternehmen wies die Vorwürfe umgehend zurück. 510 Wenige Wochen später wurde publik, daß es auch in einer französischen Wiederaufbereitungsanlage in der Stadt Cadarache Unregelmäßigkeiten bei der Kontrolle der Brennstofftabletten für die Brennelemente gegeben hatte. Anhaltspunkte dafür, daß auch nach Deutschland gelieferte wiederaufbereitete Brennstoffe betroffen waren und Qualitätsmängel aufwiesen, gab es jedoch nicht. 511 Eine Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG wäre vorliegend nicht ausgeschlossen gewesen, um eine Schnellabschaltung des Atomkraftwerkes Unterweser herbeizuführen. Hierfür - also für die Anordnung der Vom-Netz-Nahme - wäre als Landesaufsichtsbehörde das niedersächsische Umweltministerium zuständig. Nur bei dessen Weigerung käme die Weisung als Option in Betracht. Da aber auch in Niedersachsen wie auf Bundesebene die SPD in der Regierungsverantwortung stand und insoweit ein „Bund-Land-Energiekonsens" bestand, schied in tatsächlicher Hinsicht diese Möglichkeit aus.

I) Restlaufzeiten

von Kernkraftwerken

Gleichfalls im Zusammenhang mit den veränderten energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Zielsetzungen der rot-grünen Bundesregierung seit Ende 1998 sind schließlich die Restlaufzeiten der Atomkraftwerke von Interesse, da zur Durchsetzung der neuen energiepolitischen Zielsetzung des Bundes auch an die normative Festsetzung von Auslauffristen für bestehende Anlagen gedacht wurde. 512 Ein Störfall in einer japanischen Verarbeitungssanlage am 30. September 1999 513 heizte die Diskussion über einen Ausstieg aus der Atomkraft weiter an.

509

FAZ v. 7.3.2000, S. 9. DER TAGESSPIEGEL v. 8.3.2000, S. 5. 511 FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND v. 31.3.2000, S. 13. 512 Zum Sach- und Streitstand zum Ausstieg aus der Kernenergie s. Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung, 2000; H.-J. Koch/Roßnagel, NVwZ 2000, 1 ff.; H.-J. Koch, NJW 2000, 1529 ff. Diese neuen energiepolitischen Prämissen und die damit verbundenen verschiedenen Maßnahmen lassen es nicht überraschen, wenn von Seiten der Energieversorgungsunternehmen von einer „Politik der Nadelstiche" gesprochen wurde; s. FAZ v. 30.6.1999, S. 3. Femer FAZ v. 24.8.1999, S. 1. 513 FAZ v. 2.10.1999, S. 1 f. 510

222

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Nach zähen politischen Verhandlungen zwischen Kraftwerksbetreibern und der Bundesregierung wurde am 14. Juni 2000 5 1 4 schließlich eine Vereinbarung 5 1 5 getroffen, die im wesentlichen folgenden Inhalt hat: • Für die 19 betriebenen Reaktoren wird eine „Regellaufzeit" von 32 Jahren bestimmt; 516 ein Zeitraum, der erheblich über den ursprünglich von Seiten des Bundesregierung als Maximalwert angesetzten 30 Jahren liegt, zumal diesen 32 Jahren die eher ungewöhnlich hohe Auslastung der Atomkraftwerke von 91,8 Prozent zugrunde liegt. 517 Dieser Zeitraum wird von Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebes an errechnet. Damit gelten die bislang allesamt unbefristeten Betriebsgenehmigungen nunmehr als nur noch befristet. Das jüngste deutsche Atomkraftwerk würde danach im Frühjahr 2021 abgeschaltet werden. Ein Kraftwerk (Obrigheim), welches seine genehmigte Energiemenge vor der nächsten Bundestagswahl aufbrauchen würde, erhält eine zusätzliche Sonderfrist bis zum 31. Dezember 2002. Diese Regellaufzeiten sollen in einem Anhang zum Atomgesetz festgeschrieben werden. • Ausschlaggebend für das tatsächliche Abschalten ist die noch zu produzierende Strommenge. 518 Diese ab dem 1. Januar 2000 noch verbleibende Reststrommenge wird auf der Basis von 32 Betriebsjahren ab Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebes für jeden Atommeiler einzeln errechnet. Sie beläuft sich auf insgesamt ca. 2500 Terawattstunden. Zusätzlich wird das abgeschaltete Kraftwerk Mülheim-Kärlich mit 107,25 Terawattstunden in Ansatz gebracht. 519 Insgesamt dürfen noch 2623 Terawattstunden produziert werden. Die Reststrommengen variieren zwischen 8,7 Terawattstunden (Obrigheim) und 236,04 Terawattstunden (Neckarwestheim 2).

514 Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen v. 14.6.2000; im Internet abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/indexNN.htm. S. auch Langenfeld, DÖV 2000, 929 ff.; Kühne/Brodowski, NJW 2002, 1458 ff.; FAZ v. 16.6.2000, S. 1; DER TAGESSPIEGEL v. 16.6.2000, S. 1 f.; Die Wirtschaftswoche v. 22.6.2000, S. 24 ff. Rechtsnatur (Vertrag oder informelle Absprache?) und Rechtmäßigkeit (Vorwegbindung der Gesetzgebers? Vereinbarung zulasten Dritter? Verzicht auf Art. 14 Abs. 1 GG?) der Vereinbarung sind durchaus zweifelhaft; s. dazu Langenfeld, DÖV 2000, 929 (936 ff.); Klöck, Natur und Recht 2001, 1 (3 ff. m. umfangr. Nachw.); Böhm, Natur und Recht 2001, 61 ff. Vgl. allg. Sendler, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2000, S. 185 ff. 515 Zur Rechtsnatur dieser Vereinbarung Wagner, NVwZ 2001, 1089 (1090). 516 Abschnitt II. Ziffer 2 der Vereinbarung. 517 FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND v. 15.6.2000, S. 15. 518 Abschnitt II. Ziffer 1 und Anlage 1 der Vereinbarung. 519 Abschnitt II. Ziffer 2 und Anlage 2 der Vereinbarung.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

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• Die für jeden einzelnen Atommeiler errechnete Energiemenge kann von einer auf die andere Anlage übertragen werden. 520 Die Strommengen können also von weniger wirtschaftlichen auf wirtschaftlichere, d. h. im Klartext von älteren auf neuere, Atommeiler transferiert werden. Dies kann unmittelbar zur Folge haben, daß die Gesamtbetriebsdauer eines Atommeilers erheblich länger sein kann als die eingangs der Vereinbarung fixierten und die politische Diskussion beherrschenden 32 Jahre. • Den Konzernen wird ausdrücklich zugesichert, daß ihre Anlagen unter Beibehaltung des hohen Sicherheitsniveaus und unter Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen für die verbleibende Nutzungsdauer ungestört betrieben werden können. 521 Ein Neubau von Kernkraftwerken wird nicht mehr geplant. 522 • Die Energieversorgungsunternehmen verpflichten sich, dezentrale Zwischenlager an den Kernkraftwerksstandorten einzurichten. 523 Die Erkundung des Salzstockes in Gorleben wird für mindestens drei, längstens zehn Jahre unterbrochen. 524 • Die Deckungsvorsorge der Unternehmen vor möglichen Schadensfallen wird von 500 Millionen D M durch Aufstockung auf einen Betrag von 5 Milliarden D M erhöht. • Das Atomgesetz soll so modifiziert werden, daß bei Streichung des Förderzweckes nach der vollen Ausnutzung der Reststrommenge die Berechtigung zum Betrieb eines Kernkraftwerkes automatisch endet mit der Konsequenz, daß nur noch ein sog. Stillstandsbetrieb zulässig ist. Die Entsorgung radioaktiver Abfälle wird ab dem 1. Juli 2005 auf die direkte Endlagerung beschränkt. Nur bis zu diesem Zeitpunkt sind Transporte zu Wiederaufbereitungsanlagen zulässig. 525 Die Bundesregierung verpflichtet sich, einen entsprechenden Entwurf zur Novelle des Atomgesetzes zu erarbeiten. 526

520 Abschnitt II. Ziffer 4 der Vereinbarung. Der geplante Abriß des dann endgültig stillgelegten Atomkraftwerks wird nach Angaben des Betreibers RWE inklusive der Genehmigungsverfahren rund 15 Jahre dauern und voraussichtlich etwa eine Milliarde DM kosten (so Kraftwerksleiter Auer am 28.11.2000 in einer Presseerklärung). 521 Einleitung der Vereinbarung. 522 Abschnitt V. Ziffer 1 der Vereinbarung. 523 Abschnitt IV. der Vereinbarung. 524 Abschnitt IV. Ziffer 4 und Anlage 4 der Vereinbarung. 525 Abschnitt IV. Ziffer 2 und 3 der Vereinbarung. 526 Einleitung sowie Abschnitt V. und Anlage 5 der Vereinbarung.

224

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

• Vertragsparteien sind die Bundesregierung auf der einen und vier Energieversorgungsunternehmen (VEBA AG, V I A G A G , 5 2 7 RWE A G und die Energie Baden-Württemberg AG) auf der anderen Seite. Alle anderen Betreiber, wie ζ. B. die Hamburgischen Elektricitäts-Werke AG, die an vier Kernkraftwerken anteilsmäßig beteiligt sind, wirkten nicht mit und hatten auch kein allgemeines selbstbindendes Verhandlungs-/Vertretungsmandat erteilt. Mit dieser Vereinbarung hatte der Industriezweig der Kernkraftwerksbetreiber die erhoffte Planungssicherheit erlangt 528 - wenn auch nur durch Festlegung eines Ausstieges aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie zum Zwecke der Stromerzeugung. Die ursprünglichen strikten zeitlichen Vorgaben für einen Atomausstieg - Stichwort: 100-Tage-Programm der Bundesregierung - wurden mit dieser Vereinbarung vor allem in zeitlicher Hinsicht revidiert. Eine umfassende Änderung des Atomgesetzes ist erforderlich. 529 Die Inhalte des Novellierungsentwurfs entsprechen der Konsensvereinbarung vom 14. Juni 2000 zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen. Im Oktober 2000 wurde bekannt, daß 2003 das erste Kernkraftwerk (in Stade/Niedersachsen) vom Netz gehen soll, und zwar noch vor der Produktion des zugewiesenen Mengenkontingents.530 Einen entsprechenden Beschluß faßten die Betreiber (E.ON Energie AG und die Hamburgische Electricitäts-Werke AG) und planten einen anschließenden totalen Rückbau der Anlage. 531 Bundesumweltminister Trittin hat daraufhin diesen Beschluß, Stade noch vor Ablauf der Betriebsgenehmigung vom Netz zu nehmen, begrüßt. Fast exakt ein Jahr später wurde dieser Energiekonsens von der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen unterzeichnet. 532 Das Bundesumweltministerium erarbeitete von da ab einen Gesetzentwurf, um die Vereinbarung als Atomgesetznovelle umzusetzen. Die wichtigsten Regelungskomplexe lauten in Anknüpfung an die getroffene Vereinbarung wie folgt: 533 527

VEBA und VIAG fusionierten später zur E.ON-EnergieAG. Auf die Notwendigkeit einer solchen Planungssicherheit wurde seitens der Anlagebetreiber immer wieder hingewiesen; s. ζ. B. Majewski, atw 2000, 134 (135). Majewski ist Vorstandsvorsitzender der Bayemwerk AG, die mehrere Atomkraftwerke betreibt. 529 Zu vielen Einzelheiten dieser geplanten Novelle vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 14/5162, S. 6 ff. 530 DER TAGESSPIEGEL v. 10.10.2000, S. 20; DER TAGESSPIEGEL v. 11.10.2000, S. 4. 531 Deutsches Atomforum e. V. (Hrsg.), Jahresbericht 2000, S. 16. 532 FAZ v. 11.6.2001, S. l;FAZv. 12.6.2001, S. 1 f. 533 Synopse im Internet unter http://bmu.de/download/dateien/synopse_atomgesetz. 528

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

225

• Der Zweck des Atomgesetzes (vgl. § 1 AtomG) ist nicht länger die Förderung der gewerblichen Nutzung der Kernenergie (Ziffer 1), sondern ihre geordnete Beendigung und die Sicherstellung eines geordneten Betriebes bis zu diesem Zeitpunkt. • Die bisher unbefristeten Betriebserlaubnisse werden nachträglich befristet. Das Recht zum Leistungsbetrieb des jeweiligen Kernkraftwerkes erlischt, wenn die im Anhang zum Gesetz vorgesehene sog. Reststrommenge bzw. die durch Übertragung geänderte Strommenge für das jeweilige Kraftwerk erreicht ist. • Energiemengen können unter bestimmten Voraussetzungen auf andere Anlagen übertragen werden. • Errichtungs- und Betriebsgenehmigungen für neue Atomkraftwerke sind verboten. • Für die Restlaufzeit von (von heute) durchschnittlich 12 Jahren gibt es erstmalig eine gesetzliche Pflicht zur periodischen Sicherheitsüberprüfung. • Die Deckungsvorsorge für Atomkraftwerke wird auf 2,5 Mrd. € verzehnfacht. • Die Entsorgung wird auf die direkte Endlagerung beschränkt. • Es besteht eine Pflicht zur Errichtung und Nutzung von standortnahen Zwischenlagern. • Ab 1. Juli 2005 sind Transporte in die Wiederaufarbeitungsanlagen von La Hague und Sellafield verboten. • Es gilt die Pflicht zur Zwischenlagerung an den Kraftwerksstandorten, um Transporte zu vermindern und Gorleben und Ahaus zu entlasten. • Die Atomgesetznovelle vom 6. April 1998 wird weitgehend aufgehoben. Am 9. Juli 2001 hat daraufhin das Bundesumweltministerium den Entwurf für ein neues Atomgesetz veröffentlicht und Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und Fachkreisen zur Stellungnahme übersandt. Noch vor der weiteren Abstimmung des Gesetzentwurfs innerhalb der Bundesregierung und vor Beginn der parlamentarischen Beratungen wurden damit insbesondere Wirtschafts-, Umwelt- und Verbraucherverbände sowie Gewerkschaften am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. 534 Das von der deutschen Energiewirtschaft getragene Atomforum akzeptierte alsbald diesen Entwurf, auch wenn der Atom-

534

1089 ff. 15 Janz

BMU aktuell v. 9.7.2001. Kritisch zu dem Entwurf Wagner,

NVwZ 2001,

226

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

ausstieg grundsätzlich als „energiewirtschaftlich und klimapolitisch falsch" eingeschätzt wurde. 535 Das neue Atomgesetz sollte die wesentlichen Inhalte der am 11. Juni 2001 unterzeichneten Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen in bindendes Recht umsetzen. A m 14. Dezember 2001 hat der Bundestag diese Atomgesetznovelle verabschiedet. 536 A m 1. Februar 2002 passierte die Novelle den Bundesrat. Das „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität" wurde dann am 22. April 2002 verkündet und trat am 27. April 2002 in Kraft. 5 3 7 Auch wenn im Verlaufe des Jahres 1999 von einem schnellen, d. h. bis zum Jahre 2000 verwirklichten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie seitens der Bundesregierung Abstand genommen wurde, 538 verblieb die Bundesregierung doch bei ihrer Absicht, die von den Betreibern avisierten Restlaufzeiten nicht auszunutzen, sondern vorzeitig einzelne Kernkraftwerke stillzulegen. 539 So wie die Inbetriebnahme einer atomrechtlichen Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde bedarf (§ 7 i.V.m. § 24 AtomG), so obliegt auch die Entscheidung über die Abschaltung einer Anlage zunächst einmal der jeweiligen obersten Landesbehörde. Diese Landesbehörden unterstehen nach Art. 85 Abs. 3 GG den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde, also bei der Ausführung des Atomgesetzes durch die Länder nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AtomG dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. 540 Die Durchsetzung eines bundespolitischen Energiekurses, dem der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie zugrunde liegt, ist mit dem Aufsichtsinstrument der Weisung denkbar, wenn Landesregierungen, die anderer parteipolitischer Provenienz als die Bundesregierung sind, sich weigern, atomrechtliche Genehmigungen zurückzunehmen ( § 1 7 Abs. 2 AtomG) oder zu widerrufen

535

Pressemitteilung des Deutschen Atomforums v. 2.8.2001; FAZ v. 3.8.2001, S. 4. FAZ v. 15.12.2001, S. 1. 537 BGBl I, S. 1351 (1359). Eine erste Einschätzung bei Kühne/Brodowski, NJW 2002, 1458 ff. 538 Symptomatisch Bundeswirtschaftsminister Müller auf der Eröffnung der Jahrestagung Kerntechnik 1999 in Karlsruhe Mitte Mai, zit. nach FAZ v. 19.5.1999, S. 4, dem zufolge ein sofortiger Ausstieg nie von einem Kabinettsmitglied gefordert worden sei. Die Äußerungen des grünen Umweltministers Trittin vom Herbst 1998 sprechen indes eine andere Sprache. 539 FAZ v. 19.5.1999, S. 4. 540 Durch den Organisationserlaß des Bundeskanzlers v. 5.6.1986 (BGBl. I S. 864) wurde das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gebildet. 536

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

227

(§ 17 Abs. 3 bis 5 AtomG). 5 4 1 Zunächst unabhängig von der Rechtmäßigkeit der angewiesenen Maßnahme sowie einer möglichen Entschädigungspflicht nach § 18 AtomG ist das Land zur Umsetzung der Weisung und damit zur Rücknahme oder zum Widerruf verpflichtet. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß der Bund in Zukunft dergestalt von seinem Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG Gebrauch machen wird, um auf diesem Wege bundesweit einen Ausstieg aus dem Atomstrom auch gegen den Widerstand einzelner Landesregierungen zu erreichen. Schließlich ist ein Wiedereinstieg ist nicht ausgeschlossen, so daß auch in dieser Beziehung die Weisung als nicht obsolet darstellt.

m) Weisungen im Falle eines Betreiberkonkurses Bogler/Halstenberg 542 diskutieren, ob und wenn ja inwieweit der Bund bei einem Konkurs resp. einer Zahlungsunfähigkeit des Betreibers einer Kernanlage das Land, innerhalb dessen sich der Betrieb befindet, zu Maßnahmen im Rahmen des § 19 Abs. 3, 2. Fall AtomG anweisen kann. Es stellt sich also die Frage, ob in Hinblick auf die Verwirklichung des Schutzzwecks des Atomgesetzes543 bei drohenden Gefahren und Untätigkeit der Landesbehörde eine Bundesweisung zur Sicherstellung der angemessenen Berücksichtigung der atomrechtlichen Zweckbestimmungen ergehen kann. Ein völlig passives Abwarten und Untätigbleiben eines Landes erscheint sehr unwahrscheinlich. Über den Zeitpunkt und die Modalitäten eines Einschreitens hingegen sind verschiedene Standpunkte und Einschätzungen durchaus denkbar. Aus dieser Überlegung heraus steht es dem Bund zu, in diesem Zusammenhang etwa konkret den Weiter- oder Ruhebetrieb bzw. die Restabwicklung der Anlage mitsamt der notwendigen Vertragsabschlüsse verbindlich gegenüber der zuständigen Landesbehörde anzuordnen. 544

541 So stellte die baden-württembergische Landesregierung in Aussicht, daß sie sich einem schnellen Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie mit allen Mitteln entgegenstemmen werde, notfalls auch mit einer Klage vor dem BVerfG. Dies überraschte wenig, da Baden-Württemberg ca. 60 Prozent seines Stroms aus Atomkraftwerken bezieht. S. FAZ v. 19.5.1999, S. 4. 542 NWVB1. 1995, 49 (51 f.) 543 Vgl. § 1 Nr. 2 u. 3 AtomG. 544 So auch Bogler/Halstenberg, NWVB1. 1995, 49 (52), die bei Konkurs/Zahlungsunfähigkeit des Betreibers eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich einer Bundesweisung annehmen, wenn das Land untätig bleibt.

228

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG 3. Weisungskonflikte außerhalb des Atomrechts

Die bisher dargelegten Auseinandersetzungen um das Weisungsrecht in der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 Abs. 3 GG bezogen sich ausnahmslos auf die Ausführung des Bundes-Atomgesetzes durch die Länder. Für die anderen, sowohl quantitativ als auch qualitativ relevanten Verwaltungs- und Rechtsgebiete sind solchermaßen massive Konflikte der beschriebenen Art nicht belegt. Das soll nicht bedeuten, daß auf allen diesen Gebieten die Verwaltungsausführung - das Miteinander von Bund und Ländern - reibungslos funktionieren würde. Auch in diesen Bereichen sind durchaus Konflikte vorhanden.

a) Bundesfernstraßenverwaltung Nach Art. 90 Abs. 2 GG verwalten die Länder oder die nach Landesrecht benannten Selbstverwaltungskörperschaften die Bundesfernstraßen im Auftrage des Bundes. Dem Bund kommt ein Weisungsrecht zu. 5 4 5 In diesem Bereich auftragsweiser Verwaltung bestand ein Streit zwischen Bund und dem Land Schleswig-Holstein. Konkret ging es um eine ausdrücklich auf Art. 85 Abs. 3 GG gestützte Weisung, die der Bundesverkehrsminister am 26. Juli 1995 dem zuständigen Landesminister für Wirtschaft, Technik und Verkehr erteilt hatte. Der Landesminister wurde angewiesen, eine Teilstrecke der Bundesstraße 75 in eine Straßenklasse nach Landesrecht umzustufen. Unmittelbare Folge dieser Abstufung war, daß die Kosten für den Unterhalt dieser Straße nunmehr dem Land zur Last fielen. Der Bund war der Ansicht, die Bundesstraße habe die weiträumige Verkehrsbedeutung verloren, die § 1 Abs. 1 Satz 1 FStrG für Bundesfernstraßen vorsieht. Da die Voraussetzungen dieser Norm nicht mehr vorliegen, müsse die Straße entsprechend ihrer Verkehrsbedeutung in die sich aus dem Landesrecht ergebende Straßenklasse (hier: Landstraße gem. § 2 StrWG S-H a. F. 5 4 6 ) nach § 7 Abs. 1 StrWG S-H abgestuft werden. Daher habe die nach § 7 Abs. 2 Satz 545 Dieses Feld der Bundesauftragsverwaltung wurde 1990 auch von Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 4, 1990, § 101 Rehr. 101 a. E., für „weisungsträchtig" erachtet. In diese Richtung schon früher Winter, DVB1. 1985, 993. Speziell zum Rechtsschutz der Länder gegen bundesfernstraßenrechtliche Weisungen Zillmer, DÖV 1995, 49 ff., indes mit unzutreffendem Ergebnis, dazu unten D. V. 2. 546 Das Straßen- und Wegegesetz des Landes Schleswig-Holstein (GVOB1. S-H 1979, S. 163) wurde 1996 neu verkündet, GVOB1. S-H 1996, S. 413. Nach § 57 Abs. 1 StrWG S-H n. F. sind vormalige Landstraßen I. Ordnung und II. Ordnung nunmehr Landesstraßen und Kreisstraßen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StrWG S-H.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

229

1 StrWG S-H zuständige obere Straßenbaubehörde eine Abstufung vornehmen müssen, was in verfassungsrechtlicher Hinsicht keinerlei Bedenken unterliege. Das Land erhob am 13. März 1996 Klage vor dem BVerwG. Es beantragte, daß das BVerwG die Weisung aufheben möge. Als Begründung gab das Land an, daß der Bund sein Weisungsrecht überschritten habe und ferner die Voraussetzungen für ein solche Abstufung nicht vorlägen. Das Gericht erklärte sich in seinem Beschluß 547 zunächst instantiell für zuständig, verneinte anschließend jedoch die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 VwGO. Zur Begründung führt es umfangreich aus, daß Bund-Länder-Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG stets verfassungsrechtlicher Art seien. 548 Daß das Land letztlich materiellrechtlich in erster Linie eine zutreffende Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 FStrG erstrebt, was eine Streitfrage verwaltungsrechtlicher Natur darstellt, ist hierfür ohne Belang. 549 Maßgebend für die Beurteilung sei allein die äußere und vom Bund gewollte Handlungsform der auf Art. 85 Abs. 3 GG gestützten Weisung. Folgerichtig hat das BVerwG die Sache dem BVerfG durch einen Vorlagebeschluß nach § 50 Abs. 3 VwGO zur Entscheidung vorgelegt. Vor dem BVerfG war ein Verfahren anhängig, welches denselben Sachverhalt betraf, in dem jedoch der Bund Antragsteller und das Land Antragsgegner war. 5 5 0 Eine Entscheidung darüber stand zwei Jahre aus, 551 bis im Juli 2000 das BVerfG ein Urteil fällte. 552

547

AZ: 4 A 21/96, NVwZ 1998, 500 f.; vgl. auch die Urteilsanmerkung von Winkler, JA 1998, 16 ff. mit fehlerhafter Fundstellenwiedergabe, der zutreffend auf den unterschiedlichen Prüftmgsmaßstab von BVerfG und BVerwG hinweist. Auch das BVerwG, aaO., S. 501, erkennt das Problem der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte. Dazu mit z.T. abweichender Ansicht Zimmermann, DVB1. 1992, 93 ff. Allg. zu den Rechtsschutzmöglichkeiten des Landes Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (439 ff. m. w. Nachw.). 548 Zum Rechtsweg später ausführlich D. V. 2. 549 So ausdrücklich BVerwG NVwZ 1998, 500. A.A.: Zillmer, DÖV 1995, 49 (52 f.), der ausschließlich den Verwaltungsrechtsweg als eröffnet ansehen will. 550 Verfahren AZ 2 BvG 1/96. S. auch Beaucamp, JA 2001, 286 ff. Für die Zulässigkeit eines Antrages ist dies unerheblich, der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit kann nicht erhoben werden, s. BVerfGE 84, 25 (30). 551 S. dazu U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 (615). Für den Fall des Wegfallens der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BFStrG bejaht Kastner, in: Marschall/Schroeter/ders., Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 22 Rdnr. 3, ein Weisungsrecht des Bundes zwecks Abstufung einer Bundesstraße. 552 2 BvG 1/96 v. 3.7.2000, DVB1. 2000, 1282; dazu Beaucamp, JA 2001, 286 ff.; Hermes, JZ 2001, 92 ff.; Heitsch, DÖV 2002, 368 ff.

230

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Das BVerfG gab im Ergebnis dem Land Schleswig-Holstein Recht. Das Gericht verneinte es, daß der Bund vermittels einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG Bundesstraßen zu Landstraßen herabstufen könnte. Der Bund überschreite hier die vom GG vorgegebene und strikt einzuhaltende Grenze seiner Weisungskompetenz. Ein weiterer Ausbau des Bundesfernstraßennetzes kann in Zukunft über den beschriebenen konkreten Weisungsfall hinaus einen Herd für föderale Auseinandersetzungen darstellen, wenn sich der Bund bei bestehenden Kontroversen über rechtliche oder politische Vorgaben hinsichtlich der Fernstraßenplanung und des -baus seines Weisungsrechts bedient. 553

b) Weitere

Verwaltungsbereiche

Namentlich F. Loschelder 554 weist auf weitere denkbare Gesetzesvollzugsprobleme in der Luftverkehrsverwaltung (Art. 87 d Abs. 2 GG i.V.m. § 31 Abs. 2 LuftVG) sowie pauschal in Naturschutzfragen und der Umweltpolitik hin, die Konfliktpotential hinsichtlich bundesaufsichtlicher Weisungen nach der kompetenzrechtlichen Vorschrift des Art. 85 Abs. 3 GG in sich bergen. Jedoch ist kein Bezirk der Bundesauftragsverwaltung so umstritten und umkämpft sowie mit Risiken für das Leben schlechthin verbunden wie die Nutzung der Kernenergie. Letztlich muß festgestellt werden, daß innerhalb eines jeden Verwaltungsbereiches der Bundesauftragsverwaltung Vollzugskonflikte auftreten können, bei denen der Bund zur Durchsetzung seines Bundeswillens sich einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG bedient und dem Land die Erledigung der Instruktion überläßt. Es wäre vermessen, heute vorhersagen zu wollen, in welchem Verwaltungsareal in der Zukunft ein bislang zwischen Bund und Ländern bestehender Vollzugskonsens aus welchen Gründen auch immer im Einzelfall oder auch generell zerbrechen könnte.

553 Die von T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 345, geäußerte entsprechende Befürchtung hat sich indes bisher nicht bewahrheitet. S. auch Rieder, DVB1. 2001, 352 ff. 554 Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 31 f.

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

231

4. Befund der Inanspruchnahme des Weisungsrechts So unterschiedlich die Verwaltungsaufgaben sind, die nach Art. 85 GG ausgeführt werden, so verschieden stellt sich auch die Inanspruchnahme des Weisungsrechts durch den Bund dar. Erstaunlicherweise finden sich auch hinsichtlich der Inanspruchnahme des Weisungsrechts innerhalb ein und desselben Verwaltungsbereiches in der Literatur höchst unterschiedliche Angaben, die sich teilweise widersprechen. Die Verläßlichkeit der einzelnen Aussagen ist durchaus unterschiedlicher Natur. Das gilt insbesondere dann, wenn der bloßen Behauptung keine Bestandsaufnahme zugrunde liegt. 555

a) Die Kernenergieverwaltung Im Bereich der Kernenergieverwaltung (Art. 87 c GG) wird beispielsweise behauptet, daß mittels der Weisung des Bundesministers für Inneres an den hessischen Minister für Wirtschaft und Technik am 20. November 1984, die sich auf die erste Teilerrichtungsgenehmigung für die Brennelementefabrik Nukem I I in Hanau/Hessen bezog, zum ersten Mal von dem aufsichtsrechtlichen Akt nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG Gebrauch gemacht worden sei. 556 Gornig 557 hingegen datiert die erste ätomrechtliche Weisung bereits in das Jahr 1969, ohne jedoch Einzelheiten und Umstände zu benennen. Andere Autoren 558 wiederum wollen erst im aufsichtsrechtlichen Akt des Bundesinnenministers vom 15. Mai 1985 den erstmaligen Gebrauch einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG erkennen, mit welcher das hessische Wissenschaftsministerium unter ausdrücklichem Verweis auf Art. 85 Abs. 3 GG angewiesen wurde, keine weiteren Entscheidungen hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens zu treffen, ohne zuvor eine bundesaufsichtliche Äußerung eingeholt zu haben. Schließlich wird in der Literatur auch behauptet, daß fast jedes atomrechtliche Genehmigungsverfahren bisher von bundesaufsichtsrechtlichen Weisungen begleitet

555 Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 59. 556 So u. a. ausdrücklich Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (421). Einzelheiten des Sachverhaltes o. D. III. 2. a). 557 JZ 1992, 307 (309 mit FN 7). 558 71 Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 3; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (55/56); Κ Lange, NVwZ 1990, 928.

232

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

gewesen sei. 559 Wenn diese Ansicht überhaupt belegt und damit verifizierbar wird, dann dient als Grundlage hierfür eine Mitteilung des Bundesministers des Inneren aus dem Jahre 1974, in der es einleitend heißt: „Der zuständige Bundesminister erteilt in praktisch allen Verfahren Weisungen an die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden der Länder, beispielsweise...".560 Letztere Ansicht sieht sich mit dem nicht leichtfertig von der Hand zu weisenden Einwand konfrontiert, daß die zur Begründung zitierte Mitteilung mit erheblicher Skepsis zu lesen ist, da sie den Begriff Weisung offenbar nur untechnisch und den Begriff „Stellungnahme" synonym verwendet. 561 Eine bloße, nicht verpflichtende Stellungnahme des Bundes ist jedoch strikt von einer nach Art. 85 Abs. 3 GG zu vollziehenden Weisung zu unterscheiden und teilt nicht ihr rechtliches Schicksal. Außerdem ist festzustellen, daß einige der in dem Bericht ausdrücklich als Weisung bezeichneten Handlungen des Bundes („signifikante Beispiele für Weisungen des Bundes" 562 ) aus der Natur der Sache schon keine Weisungen sein können, wie etwa eine aufgeführte „Beteiligung an einer Kontrolle vor Ort bei Kernbrennstofftransporten". 563 Darüber hinaus stellt K. Lange564 fest, daß im Atomrecht viele sehr unklare Äußerungen des Bundes vorliegen, die etwa als Bitten formuliert, jedoch z.T. als förmliche Weisung aufgefaßt wurden oder als Weisung bezeichnet wurden, ohne eine solche inhaltlich zu sein. 565 Diese Kritikpunkte an der These, der Bund habe flächendeckend im Atomrecht von seinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht, sind überzeugend. Dieses

559 Ost/Pelzer, atw 1979, 22 (23); H Wagner, DVB1. 1987, 917; Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts, 1990, S. 208; Ronellenfltsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, 1983, S. 292 u. 297; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 10; wohl auch Steinberg, atw 1987, 282 mit FN 1, und Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 59. Ablehnend S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 102 f. 560 BMI (Hrsg.), Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und Anlagen, 2. Aufl. 1974, S. 12 f. 561 BMI, aaO., S. 12. Zum Ganzen s. auch S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 102 f. 562 BMI, aaO.,S. 13. 563 BMI, aaO., S. 13. 564 K. Lange, NVwZ 1990, 928. 565 Zu Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes, die sich im Vergleich zum Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG als ein Minus ausnehmen und von diesem mitumfaßt sind, s. o. D. II. 3. j).

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

233

Ergebnis wird auch durch die Antwort der Bundesregierung aus dem Jahre 1998 auf eine kleine parlamentarische Anfrage hin bestätigt. 566 Danach sind bis Anfang des Jahres 1998 zum Vollzug des Atomrechts durch Landesbehörden vom Bund insgesamt 52 bundesaufsichtliche Weisungen erteilt worden. 567 Das jeweilige Jahr der Weisungserteilung wird bei dieser Stellungnahme der Bundesregierung nicht wiedergegeben. Wohl aber ist die Reihenfolge keine zufällige, sondern entspricht offenbar der historischen Abfolge der Weisungsfälle. Die ersten beiden aufgelisteten Weisungen beziehen sich auf Aufsichts- bzw. Genehmigungsverfahren von Kernenergieanlagen im hessischen Hanau. Der konkrete Hintergrund der ersten Weisung ist offen, bei der zweiten jedenfalls handelt es sich offenkundig um die bundesaufsichtliche Weisung des zu diesem Zeitpunkt fur Reaktor- und Strahlensicherheit zuständigen Bundesinnenministers an das hessische Ministerium für Wissenschaft und Technik vom 20. November 1984 mit dem Inhalt, dem Genehmigungsantrag für eine Fabrik zur Herstellung unbestrahlter Brennelemente (§ 7 AtomG) zu entsprechen. Bundesaufsichtliche Weisungen erstrecken sich in der Regel auf folgende Gegenstände: • Zugrundelegung einer Rechtsauffassung beim Verwaltungshandeln einschließlich der Durchführung von Verwaltungsstreitverfahren (Kategorie

A),

• Durchführung oder Nichtdurchführung von Verwaltungsmaßnahmen (Kategorie B). Im einzelnen wurden nach dieser Übersicht folgende Weisungen erteilt:

Anzahl

1 1 2

Genehmigungs- bzw. Aufsichtsverfahren zu

Uranhexafluorid (UF6) - Lager in Hanau NUKEM II - § 7 AtomG RBU Hanau - § 7 AtomG -

566

Regelungsgehalt A oder Β bzw. A und Β Α, Β Β Β

Vgl. BT-Drucks. 13/10056, S. 1 ff. (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Schönberger sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren und bundesaufsichtlichen Weisungen, BT-Drucks. 13/9926). 567 BT-Drucks. 13/10056, S. 1 (2).

234 Anzahl

1 1 5 1 2 1 3 3 8 1

1 1 2 2 3 2 1 1 6 3 Summe: 52

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG Genehmigungs- bzw. Aufsichtsverfahren zu

SNR 300 Kalkar - § 7 AtomG Endlagerprojekt Schacht Konrad - § 9 b AtomG Endlagerprojekt Schacht Konrad - § 9 b AtomG Endlagerprojekt Schacht Konrad - § 9 b AtomG Faßlager Gorleben - § 3 StrlSchV Faßlager Gorleben - § 3 StrlSchV SIEMENS AG, Betriebsteil Uranverarbeitung, Hanau § 7 AtomG SIEMENS AG, Betriebsteil Uranverarbeitung, Hanau § 7 AtomG SIEMENS AG, Betriebsteil Uranverarbeitung, Hanau § 7 AtomG Im Zusammenhang mit der Einlagerung und Herausgabe nach § 5 AtomG in/aus der staatlichen Verwahrung in Hanau Pilotkonditionierungsanlage Gorleben - § 7 AtomG Pilotkonditionierungsanlage Gorleben - § 7 AtomG Transportbehälterlager Gorleben Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) § 9 b AtomG Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) § 9 b AtomG Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich - § 7 AtomG Kernkraftwerk Philippsburg II - § 7 AtomG Kernkraftwerk Krümmel - § 7 AtomG Kernkraftwerk Biblis - § 7 AtomG Kernkraftwerk Biblis - § 7 AtomG -

Regelungsgehalt A oder Β bzw. A und Β A A Β Α, Β Β Α,Β Β Β Α, Β Α, Β

Β Α, Β Β Β Α, Β Β Β Β Β Α, Β

Diese 52 bundesaufsichtlichen Weisungen bezogen sich überwiegend auf die Durchführung oder Nichtdurchführung von Verwaltungsmaßnahmen (Buchstabe Β in der Tabelle). Nur vereinzelt galten die Weisungen ausschließlich der Zugrundelegung einer Rechtsauffassung beim Verwaltungshandeln einschließlich der Durchführung von Verwaltungsstreitverfahren (Buchstabe A der Tabelle). 568

III. Übersicht Weisungsstreitigkeiten

235

Die Übersicht zeigt, daß neben den dargestellten Fällen auch in etlichen anderen Verfahren Weisungen vom Bund erteilt worden sind, ohne daß dieser Umstand zu einem nennenswerten literarischen oder tagespolitischen Echo gefuhrt hätte; nicht eine jede Inanspruchnahme der Kompetenz aus Art. 85 Abs. 3 GG ist spektakulärer Natur. Weisungen haben sich sowohl auf die Festlegung einer Rechtsauffassung beim Verwaltungshandeln der Länder als auch auf die Durchführung oder Nichtdurchführung von Verwaltungsmaßnahmen bezogen. Es ist daher unzutreffend, wenn Härtung 569 berichtet, es hätte im Atomrecht jedenfalls bis 1991 nur verfahrensleitende Maßnahmen gegeben.570

b) Die Fernstraßenverwaltung Auch bei der Verwaltung der Bundesfernstraßen besteht über die Häufigkeit der Weisungserteilung keinesfalls Einigkeit in der Literatur. Wolst m beispielsweise behauptete schon 1974, daß Weisungen im Rahmen der Leitungsgewalt des Bundes einen breiten Raum einnähmen und folglich zum Alltagsgeschäft des Bundesverkehrsministeriums gehörten. Ähnlich äußert sich Bull, 512 der von einer „großen praktischen Bedeutung" der Weisungen in diesem Verwaltungsbereich spricht. Entgegen dieser Feststellung vermag Zech 573 eine zurückhaltendere Staatspraxis zu erkennen; der Bund greife „nicht sehr oft durch Weisung in die Landesverwaltung ein". Auch auf diesem Verwaltungsgebiet liegen Begriffsungenauigkeiten und damit verbundene Abgrenzungsschwierigkeiten vor, welche Ursache für die widersprechenden Aussagen zur Weisungspraxis des Bundes sind.

568

Dazu oben D. II. 3. c). Die Atomaufsicht, S. 103 FN 461. 570 Zum Gegenstand von Weisungen s. auch Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 62. 571 Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 119; i. E. auch Ko dal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 30.44 (S. 57): „Im Schriftverkehr zwischen BMV und den obersten Landesbehörden sind Weisungen eine alltägliche Erscheinung...". 572 In: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 90 Rdnr. 9. 573 DVB1. 1987, 1089 (1093). In diese Richtung auch Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 59. 569

236

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Eindeutig bestimmbar ist die Weisung, die der Bundesverkehrsminister am 26. Juli 1995 dem zuständigen schleswig-holsteinischen Minister fur Wirtschaft, Technik und Verkehr mit dem Inhalt erteilt hat, eine Teilstrecke der Bundesstraße 75 in eine Straßenklasse nach Landesrecht umzustufen. 574 Der Streit um diese Weisung führte schließlich im Juli 2000 zum Weisungskompetenzurteil des BVerfG. 5 7 5 Weder für die Fernstraßenverwaltung noch für andere Verwaltungs- und Rechtsgebiete der Bundesauftragsverwaltung sind - soweit ersichtlich - derjenigen für den Bereich der Kerntechnik entsprechende Übersichten über die Inanspruchnahme des Weisungsrechts vorhanden.

c) Fazit Seit den Achtziger Jahren ist von dem Aufsichtsmittel der Weisung verstärkt Gebrauch gemacht worden. Insbesondere der weiterhin fehlende kernenergiepolitische Konsens in Deutschland, der Basis für die Verwaltungsentscheidungen der Versorgung und Entsorgung ist, läßt ein Zurückfallen des Art. 85 Abs. 3 GG in den vormaligen juristischen Halbschlummer nicht erwarten. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Verringerung der politischen und damit auch juristischen Polarisierung bei der Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland ist nicht zu erkennen. Das gilt auch nach dem gesetzlich geregelten Atomausstieg. Die „Abwicklung" der Kernanlagen beinhaltet viel politischen Sprengstoff für das Verhältnis von Bund und Ländern, so daß bei Konflikten auch weiterhin die Weisung ein probates Mittel für den Bund sein wird, seine Sicht der Dinge durchzusetzen. 576 Exemplarisch für die unterschiedliche Bewertung und Einschätzung der Kernenergie ist ein am 29. September 1999 veröffentlichtes Memorandum eines Initiativkreises von 570 Professoren: Danach habe die technische Weiterentwicklung die Atomenergie zu einer sicheren und umweltfreundlichen Methode der Stromerzeugung gemacht. Katastrophen wie eine Kernschmelze seien ausgeschlossen, die Risiken der Atomkraft nicht höher als die der Windkraft. Daher sei eine ernsthafte Neubewertung der Kernenergie vonnöten, die nicht „auf überholten Parteitagsbeschlüssen aus den Siebziger und Achtziger 574

S. o. D. III. 3. a). 2 BvG 1/96 v. 3.7.2000, DVB1. 2000, 1282, dazu Beaucamp, JA 2001, 286 ff.; Hermes, JZ 2001, 92 ff.; Heitsch, DÖV 2002, 368 ff. Einzelheiten s. o. D. III. 3. a). 576 Zuvörderst sind zu nennen die Restlaufzeit von Kernkraftwerken sowie die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente. Daneben ist auch an den Ausbau des Bundesfernstraßennetzes zu denken. 575

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

237

Jahren beruht." 577 Völlig entgegengesetzt ist die Haltung der fünf großen Umweltverbände Deutschlands einzuordnen, die gleichfalls am 30. September 1999 wegen der nach wie vor bestehenden Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit der atomaren Energiegewinnung einen raschen Atomausstieg und ein Transportverbot für radioaktiven Müll forderten. 578

I V . Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

1. Allgemeines Nicht jeder inhaltliche oder formale Mangel einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG zieht rechtliche Konsequenzen im Verhältnis zwischen dem beteiligten anweisenden Bund und dem angewiesenen Land nach sich. Vielmehr kann ein Land durch eine Weisung des Bundes nach der Rechtsprechung des BVerfG nur dann in seinen Rechten verletzt sein, wenn gerade die Inanspruchnahme der Weisungsbefugnis gegen die Verfassung verstößt, sei es aufgrund eines Verstoßes ihrer selbst, sei es aufgrund ihrer Modalitäten. 579 Allein diese fehlerhafte Inanspruchnahme, die auf der Mißachtung von verfassungsrechtlichen Vorgaben fußt, führt zur Unzulässigkeit der Weisung. Es geht also im folgenden um die einzelnen Schranken des Weisungsrechts, die sich entweder aus Art. 85 GG als der Grundnorm der Bundesauftragsverwaltung oder aus sonstigem (Bundes-) Verfassungsrecht ergeben. Diese Fokussierung auf die vom Bund als Anweisendem einzuhaltenden grundgesetzlichen Prämissen war über lange Jahre hinweg bis zum KalkarUrteil des BVerfG stark umstritten. Im staatsrechtlichen Schrifttum gab es beachtliche Stimmen, denen zufolge den Bundesländern weitergehende wehrfähige (Abwehr-) Rechte gegenüber Bundesweisungen zuerkannt wurden. 580 Von

577 DER TAGESSPIEGEL v. 30.9.1999, S. 5; FAZ v. 1.10.1999, S. 14; SZ v. 1.10.1999, S. 2. 578 DER TAGESSPIEGEL aaO. 579 Kalkar-Entscheidung, BVerfGE 81, 310 ff. (insb. 331 ff.); Grube KonradEntscheidung, BVerfGE 84, 25 ff. (insb. 31 ff.); Β 75-Entscheidung BVerfG DVB1. 2000, 1282; Biblis Α-Entscheidung, BVerfG NVwZ 2002, 585 (588). 580 Vor allem T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, insb. S. 140 ff.; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, insb. S. 97 ff; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, insb. S. 64 ff. u. 109 ff.; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, insb. S. 41 ff.; Winter, DVB1. 1985, 993 ff.; Schulte, VerwArch 1990,415 (425 ff.).

238

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

einem „Denken von den Ländern her" 5 8 1 war die Rede, Art. 30 GG sei eine verfassungsrechtliche „Fundamentalnorm" 582 , die nur vollständig rechtmäßige Weisungen als zulässigen Eingriff in das Kompetenzrecht der Länder zulasse. Dem tritt die praktisch herrschende Ansicht zu recht entgegen: Die Bundesländer können nicht geltend machen, daß der Bund seine im Einklang mit dem GG stehende Weisungsbefugnis inhaltlich, also dem einfachen Gesetzesrecht entsprechend, rechtmäßig ausübt oder einen Verfassungsverstoß, insbesondere eine Grundrechtsverletzung eines Bürgers, unterläßt. 583 Insoweit steht dem Land keine subjektive Rechtsposition zu, die durch einen rechtswidrigen Weisungsvollzug berührt werden könnte. Das Land hat die Weisung, auch wenn es sie für rechtswidrig hält, auszuführen und damit den Weisungsinhalt aufgrund der bestehenden verfassungsrechtlichen Verbindlichkeit nach außen umzusetzen.584 Das Land ist grundsätzlich an rechtmäßige wie rechtswidrige Weisungen im Rahmen des Art. 85 GG gebunden. Dieser rechtliche Umstand ist als konsequente Folge des Auseinanderfallens von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz zu begreifen und liegt der Konstruktion der verfassungsrechtlichen Bundesauftragsverwaltung zugrunde. 585 Unabhängig von der Verbindlichkeit einer Weisung für das Land ist die Frage, ob und inwieweit sich eine einfachgesetzlich formell und/oder materiell rechtswidrige Weisung auf betroffene Dritte auswirkt. Speziell muß der Frage nachgegangen werden, ob das Land, gegen das eine gegen einfaches Recht verstoßende Bundesweisung gerichtet, tatsächlich in toto rechtsschutzlos gegen

581

Winter,, DVB1. 1985, 993 (997). Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 97. 583 BVerfGE 81, 310 (333); 84, 25 (31); Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 23; Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8; zumindest mißverständlich Maunz, in ders./Dürig, Art. 90 Rdnr. 26, der von einer „absoluten Weisungsgebundenheit" der Länder bei der Verwaltung der Bundesfernstraßen spricht. 584 BVerfG DVB1. 2000, 1282. Schulte, VerwArch 1990, 415 (428), negiert dies mit Hinweis darauf, daß die Verpflichtung zum Vollzug einer gesetzwidrigen Weisung nicht damit vereinbar sei, daß der Bund seine Weisung grundsätzlich an die obersten Landesbehörden und nicht direkt an die zuständigen untergeordneten Landesbehörden zu richten hat. Ein interessanter Gedanke, der aber die trotz der umfassenden Direktionsmacht des Bundes verfassungsrechtlich klar umrissene kompetentielle Stellung der Länder und ihrer Behörden in der Bundesauftragsverwaltung außer acht läßt und deshalb nicht überzeugend ist. 585 BVerfGE 81,310 (333); J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 543; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (431 f.). 582

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

239

diese Weisung gestellt ist oder ob nicht doch - gleichwohl mittelbar und ggf. auf der Sekundärebene - dem angewiesenen Land ein Rechtsschutz zukommt. Diese Frage wird im Teil E III./IV. der Arbeit beantwortet. Die grundsätzliche Unbeschränktheit des Weisungsrechts 586 findet also nur, aber immerhin in der Verfassung ihre Grenzen. Daher sind im folgenden Einzelheiten dieser verfassungsrechtlichen Grenzziehung zu untersuchen und die Grenzen ihrer Verbindlichkeit zu bestimmen. 587

2. Anforderungen an die Verfassungskonformität a) Tatsächliches Vorliegen einer Weisung Die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Weisungsrechts durch den Bund nach der Kompetenzvorschrift des Art. 85 Abs. 3 GG setzt zuallererst voraus, daß es sich bei der umstrittenen Bundesmaßnahme tatsächlich um eine Weisung handelt. Der Bund muß also mittels des Instrumentes „Weisung" gegenüber dem Land gehandelt haben. „Die angewiesene Behörde muß erkennen können, daß ihr gegenüber eine Weisung [und nichts anderes, d. Verf.] erteilt worden ist...". 588 Dabei ist es unerheblich, ob die handelnde oberste Bundesbehörde die Weisung auch als eine solche bezeichnet hat. Eine bundesaufsichtliche Weisung kann durchaus auch in Form einer Bitte ausgesprochen werden. 589 Es gilt also letztlich das althergebrachte verwaltungsrechtliche Aperçu: „Entscheidend ist, wie die Verwaltung gehandelt hat und nicht, wie sie hätte handeln wollen." Außerdem findet der zivilrechtliche Grundsatz falsa demonstratio non nocet auch in diesem Sachzusammenhang Anwendung. Dennoch bietet die Bezeichnung einen wichtigen Hinweis für die Rechtsqualität des Bundes Vorgehens. Die Verwendung des Begriffs „Weisung" als terminus technicus indiziert die tatsächliche Existenz durchaus. Maßgebend ist jedoch, ob dem gewählten Bundesakt ein Wille zur Bindung der Landesverwal-

586

Dazu s. o. D. II. 3. c). Es ist daher zumindest grob mißverständlich, wenn Luther, Die Lasten Verteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 89, wie folgt formuliert: „Denn ihm [dem Bund, d. Verf.] steht bereits kraft Verfassung ein unbegrenztes Weisungsrecht zu." Denn gerade das GG selbst stellt bereits eine Grenze dar. 588 So BVerfGE 81, 310 (336); s. auch Lerche, BayVBl. 1987, 321 (323). 589 Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 129 (Zweitbearb.); Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 30.44 (S. 57). 587

240

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

tung zu entnehmen ist. Insoweit läßt sich das Aperçu modifizieren: Falsa vel obscura demonstratio non nocet. Das Schreiben des Bundesinnenministers vom 20. November 1984 an den zuständigen hessischen Fachminister, dem Genehmigungsantrag fur eine Fabrik zur Herstellung von unbestrahlten Brennelementen zu entsprechen, war beispielshalber als eine Bitte formuliert, ließ aber keinen ernsthaften Zweifel an seiner Verbindlichkeit. 590 Ohne äußere Not und innere Zweifel sollte daher die Namensgebung nicht in Frage gestellt werden. Ohne diesen Anhaltspunkt bleibt der Gesetzesanwender, wenn der Bund auf die Verwendung des Begriffs „Weisung" verzichtet. Vieles spricht in diesem Falle dafür, daß eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG gerade nicht vorliegt. In realiter werden Bundesweisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG ganz überwiegend ausdrücklich als solche bezeichnet, allein schon um Mißverständnissen vorzubeugen. 591 Denkbare mehrdeutigkeitsbegründende Interpretationsoffenheiten können zum einen zu nicht verpflichtenden Handlungsweisen des Bundes - wie ζ. B. bloßen Anregungen - und zum anderen zu weiteren verbindlichen Bundesbefugnissen - wie etwa allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Art. 85 Abs. 2 G G 5 9 2 - bestehen. Neben bloßen Mißverständnissen zwischen Bund und Land um die Rechtsnatur des fraglichen aufsichtsrechtlichen Aktes scheint auch ein bewußtes Fehlverständnis auf Länderseite als Weisungsempfänger denkbar zu sein, wenn und soweit gezielt die Umsetzung einer Weisung herausgezögert werden soll. Damit steht die Frage nach der Rechtsnatur der Bundesmaßnahme in einem völlig anderen Kontext: Es handelt sich nicht um einen Streit um des Kaisers 590

FAZ v. 22.11.1984, S. 12. Einzelheiten s. o. D. III. 2. a). A.A.: K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 28, der nicht überzeugend allein wegen der Verwendung der Höflichkeitsfloskel „Bitte" ein hinreichendes Klarwerden der rechtlichen Verbindlichkeit negiert und i. ü., aaO., die Bundesweisung vom 20.11.1984 unerwähnt läßt. 591 So bezeichnete der Bundesumweltminister seine an das Land NordrheinWestfalen gerichtete Weisung hinsichtlich des Atomkraftwerkes Kalkar - dazu oben D. III. 2. b) - im Betr. ausdrücklich als „Bundesaufsichtliche Weisung gem. Art. 85 Abs. 3 GG" betitelt und führt später aus: „... sehe ich mich veranlaßt, Sie gemäß Artikel 85 Abs. 3 des Grundgesetzes anzuweisen, ..." S. BVerfGE 81, 310 (317). Auch die Weisung im Grube Konrad-Verfahren - oben D. III. 2. d) aa) - lautete eingangs wie folgt: „Gemäß Artikel 85 Abs. 3 des Grundgesetzes weise ich Sie an, ..." S. BVerfGE 84, 25 (27). 592 Wegen der ausdrücklich in Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG normierten Zustimmungspflicht des Bundesrates sind Abgrenzungsschwierigkeiten zum Weisungsrecht eher theoretischer Natur. Denn eine Beteiligung des Bundesrates an Weisungen ist nicht vorgesehen, so daß die vom Bund gewählte Einwirkungsmöglichkeit unzweideutig sein dürfte.

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

241

Bart, sondern die Rechtsverbindlichkeit und Befolgungspflicht der vom Bund gewählten Handlungsform stehen in Streit. Auch wenn eine offene Vollzugsilloyalität evident einen Verfassungsverstoß darstellt, sind doch zumindest Ansätze dafür in kernenergierechtlichen Weisungsstreitigkeiten zwischen dem Bund und einzelnen Ländern erkennbar. 593 Zu beiden Seiten hin ist also bei Mehrdeutigkeit eine Abgrenzung vorzunehmen, um die Maßnahme als eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG mit ihren (verfassungs-) rechtlichen Konsequenzen zu qualifizieren.

b) Gegenstand der Weisung Die Bundesauftragsverwaltung und ihre konkrete rechtliche Ausgestaltung, wie sie sich insbesondere in Art. 85 GG findet, ist Teil der bestehenden bundesstaatlichen Kompetenzaufteilung und findet daher gleichzeitig auch an dieser Stelle ihre Grenzen. Diese bundesstaatliche Aufgabenverteilung stellt hinsichtlich des Gegenstandes eine eindeutige Schranke für die Einwirkungsmöglichkeit des Bundes in der Form einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG dar. Unzulässig ist eine Weisung dann, wenn sie außerhalb einer Materie der Bundesauftragsverwaltung ergeht. 594 Damit greift der Bund in die landeseigene Ausführung von Bundesgesetzen (Artt. 83 f. GG) ein und überschreitet seine verfassungsrechtliche Kompetenz. Dem Bund fehlt es dann an einer für die Weisung unbedingt erforderlichen Ermächtigungsgrundlage. Denn das Grundgesetz enthält eine enumerative Aufzählung derjenigen Fälle, in denen zwingend eine Bundesauftragsverwaltung vorgeschrieben ist oder fakultativ eingeführt werden kann. Wird also eine Weisung jenseits des grundgesetzlich bestimmten Verwaltungsterrains der Bundesauftragsverwaltung i. S. d. Art. 85 GG erteilt, werden ohne weiteres verfassungsrechtlich verbürgte Landesrechte (Art. 30 i.V.m. Artt. 83 f. GG) verletzt. 595 Eine solche in Länderkompetenzen eindringende Weisung ist verfassungswidrig und damit für das Land abwehrfahig. 596

593 Zu einer solchen Destruktionspolitik speziell auf dem Gebiet der Kernenergieverwaltung s. Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (32 f.). 594 Der Bund „verlässt" dann den Bereich der grundgesetzlich geregelten Auftragsverwaltung; s. BVerfG DVB1. 2000, 1282; i. E. auch BVerfG NVwZ 2002, 585 (587). 595 Zu der Frage, ob auch die Führung eines Prozesses noch von der Kompetenzvorschrift des Art. 85 GG gedeckt sein kann, s. o. D. II. e) bb). 596 Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 69 (Zweitbearb.); Trute,, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 30; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnm. 18 u. 24; K. Lange, Das Wei16 Janz

242

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Kaum von Interesse ist die Frage, ob für die konkrete administrative Tätigkeit überhaupt wirksam eine Bundesauftragsverwaltung begründet wurde, da diese gesetzliche Ausgestaltung auch in den Fällen fakultativer Bundesauftragsverwaltung umfassend geschehen ist. 5 9 7 Dabei ist es entscheidend, daß es sich um ein Nichteinhalten des vom Grundgesetz selbst gezogenen Rahmens handelt. Nicht ausreichend allein ist es, wenn der durch (einfaches) Bundesgesetz gesteckte Rahmen verlassen wird. Nur dann stellt sich die Inanspruchnahme des Weisungsrechts als rechtswidrig dar und ist somit von den Ländern abwehrfähig. Regelmäßig gibt der sachliche Geltungsbereich des Fachgesetzes, welches sedes materiae für die Bundesauftragsverwaltung ist, in kongruenter Weise mit dem GG den Regelungsbereich auftragsweiser Verwaltung vor. Auftretende Abgrenzungsfragen sind mittels des zu bestimmenden Regelungsbereiches der Bundesauftragsverwaltung zu klären. Jede Materie, die auftragsverwaltend von den Ländern ausgeführt wird, wird von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes begrenzt. Nur innerhalb dieser Kompetenz können dem Bund Verwaltungsbefugnisse zukommen. 598 In Bezug auf die Kernenergieverwaltung läßt sich diese Problematik besonders anschaulich illustrieren: 599 Die Zulassung und der Betrieb kerntechnischer Anlagen erfolgen in erster Linie nach den Vorschriften des Atomgesetzes und anderer untergesetzlicher atomrechtlicher Regelungen wie dem AtVfV. Parallel hierzu bestehen weitere Genehmigungspflichten aus anderen Gesetzen, die als Bundesgesetze in Landeseigenverwaltung aus Art. 83 GG oder als Landesgesetze von den Ländern nach Art. 30 GG ausgeführt werden. 600 In diesen Ver-

sungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 51 ff.; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 302; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; Lerche, BayVBl. 1987, 321 (323); Ost/Pelzer, atw 1979, 22 (23); Winter, DVB1. 1985, 993 f.; Steinberg,, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 28 f.; ders., Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches AtomrechtsSymposium, 1991, S. 67 (73); Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 9 a Rdnr. 4. 597 Skeptischer Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 28. 598 BVerfGE 12, 205 (229); 15, 1 (16); 78, 374 (386); zuletzt BVerfG DVB1. 2000, 1282; Sommermann, DVB1. 2001, 1549 (1554 f.); speziell zum Fernstraßengesetz Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 69 (Zweitbearb.). 599 Weitere Anwendungsfälle bei Ost/Pelzer, atw 1979, S. 22 (24); H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (920); Steinberg, Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches AtomrechtsSymposium, 1991, S. 67 (73 ff); ders., Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, S. 28 f.; Winter,, DVB1. 1985, 993 (995). 600 Zur Problematik der Parallelgenehmigungen Jarass, Konkurrenz, Konzentration und Bindungswirkung, 1984; insbesondere im Atomrecht Schmidt-Preuß, DVB1. 1991,

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

243

waltungsbereichen scheiden aufsichtsrechtliche Weisungen trotz des sachlichen Zusammenhanges aus. So wäre eine Weisung aus Gründen der Sicherheit der Energieversorgung unzulässig, da das insoweit berührte Energiewirtschaftsgesetz 601 von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt wird. Nur in den Fällen echter Verfahrenskonzentration, bei denen also die in Bundesauftragsverwaltung zu treffende Entscheidung andere Entscheidungen verdrängt oder entbehrlich macht, erstreckt sich die Bundeskompetenz nach Art. 85 Abs. 3 GG auch auf diese Verwaltungsangelegenheiten. 602 Die Anforderungen an eine Bundesweisung, die sich aus dem umgrenzten Bereich der verfassungsrechtlich geregelten Auftragsmaterie nach Art. 85 GG ergeben, wurden in der Β 75-Entscheidung des BVerfG exemplarisch für einen Bereich der Auftragsverwaltung dargestellt. 603 Die Bundesauftragsverwaltung umfaßt nach Art. 90 Abs. 2 GG in ihrer speziellen gegenständlichen Reichweite die gesamte Bundesstraßenverwaltung und beinhaltet demzufolge neben der eigentlichen Hoheitsverwaltung auch die sog. Vermögensverwaltung. 604 Die äußerste Grenze für den auftragsweisen Bereich und damit für ein Weisungsrecht des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG ist seine Gesetzgebungskompetenz nach Artt. 70 ff. GG: Wird diese mit der Weisung überschritten, so kommt dem Bund keine Ingerenzkompetenz mehr zu. Der Bund verläßt insoweit den Bereich der Auftragsverwaltung. Damit greift die Weisung notwendig in den Gesetzgebungs- wie in den Verwaltungsraum des Landes über. 605 Die Weisung ist in diesem Fall ohne weiteres verfassungswidrig. Dem angewiesenen Land kommt ein Abwehrrecht zu. Im konkreten Fall reichte die Kompetenz des Art. 90 Abs. 2 GG dementsprechend so weit, wie die damit korrespondierende Bundesgesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG „für den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr". Eine Abstufung einer Bundesstraße in eine Straßenklasse nach Landesrecht übersteigt diesen dem Bund zukommen229 ff.; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 52 ff.; Steinberg, Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches AtomrechtsSymposium, 1991, S. 67 (74 ff.), jeweils m. w. Nachw. Inwieweit dies wahrlich eine „Crux des gesamten Anlagenrechts", so Steinberg, aaO., darstellt, sei hier dahingestellt. 601 Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz EnWG) v. 24.4.1998, BGBl. I S. 730. 602 Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 28 m. w. Nachw. in FN 120. 603 BVerfG DVB1. 2000, 1282; dazu Beaucamp, JA 2001, 286 ff.; Hermes, JZ 2001, 92 ff.; femer Schliesky, JA 2001, 777 ff. 604 BVerfG DVB1. 2000, 1282. 605 BVerfG DVB1. 2000, 1282.

244

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

den Regelungsbereich. „Der Bund setzt mit seiner Weisung gerade an der Nahtstelle zwischen Bund- und Landeskompetenz an. Die Weisung zur Abstufung verlangt vom Bund nicht nur die Herausnahme der Straße aus einer Klasse nach Bundesrecht, sondern zwingend zugleich die Einstufung in eine Straßenklasse nach Landesrecht. Damit greift die Weisung in den Gesetzgebungs- wie den Verwaltungsraum des Landes über." 606 Deshalb hätte dem Bund die Möglichkeit offengestanden, die in Rede stehende Straße zu entwidmen oder sie dem Land nach einer speziellen gegenseitigen (!) Vereinbarung, die sicherlich auch - wenn nicht sogar zuvörderst - eine Kostentragungsbestimmung unter Einbeziehung des Bundes beinhaltet hätte, zu überlassen. Die Frage des Umfangs einer auftragsweisen Verwaltung kann sich ebenfalls bei der Abschaltung von Kernkraftwerken bei Flugzeugangriffen stellen. Ossenbühl 601 hat angesichts der Ereignisse in New York am 11. September 2001 dieses Schreckensszenario in einem Aufsatz erörtert. Eine Bundesweisung sei wegen Unzuständigkeit des Bundesumweltministeriums unzulässig. Denn das Atomgesetz enthalte in Ausführung der grundgesetzlichen Ermächtigung in Art. 87c GG - nur - eine abschließende Spezialregelung zur Anlagensicherheit. Die Gefahren, die aus anderen Quellen, also auch aus terroristischen Anschlägen resultieren, seien ausgeklammert. Zuständig zur Gefahrenabwehr sei in diesem Bereich entweder die Bundeswehr innerhalb des ihr verfassungsrechtlich obliegenden Verteidigungsauftrages, oder aber es seien unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Gefahrenabwehr ergänzend die Polizeibehörden der Länder. 608 Dem kann nicht zugestimmt werden. § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtomG verlangt vom Anlagenbetreiber, daß „der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist." Hierunter sind auch ohne weiteres terroristische Angriffe zu rechnen. Daher ist die Zuständigkeit der Atombehörden gegeben.609

c) Zuständigkeiten bei Weisungserteilung Die Weisungen sind gem. Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich von den zuständigen obersten Bundesbehörden an die obersten Landesbehörden zu richten.

606 607 608 609

BVerfG DVB1. 2000, 1282. NVwZ 2002, 290 ff. Ossenbühl, NVwZ 2002,290 (295 f.). Sendler, NVwZ 2002, 681 (682 f.).

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

245

Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG räumt das Weisungsrecht ausdrücklich der „zuständigen obersten Bundesbehörde" ein. Damit ist das formal einzuhaltende Verfahrensgerüst hinsichtlich des jeweils zuständigen Weisungsgebers festgelegt. Ist demzufolge die weisungserlassende nicht die zuständige Behörde, so ist die erteilte Weisung nicht von der grundgesetzlich ausgestalteten Kompetenz des Art. 85 Abs. 3 GG gedeckt und sind somit die verfassungsrechtlichen Grenzen nicht eingehalten.610 Rechte des Landes werden hierdurch verletzt, da die Länder dem klaren Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 GG zufolge ausschließlich den zuständigen obersten Bundesbehörden unterstehen, niemandem sonst. Erfolgen - mag es auch kaum vorstellbar sein - Weisungen unter Berufung auf Art. 85 Abs. 3 GG durch Bundesoberbehörden oder sonstige unzuständige Bundesbehörden, so kommt auch ihnen keine rechtlich verbindliche Wirkung zu, und sie müssen daher auch von den Weisungsadressaten nicht beachtet werden. 611 Durch das Nichteinhalten der kompetenzrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes hinsichtlich des Anweisenden werden die Grenzen der zulässigen Weisungsrechtsinanspruchnahme durch den Bund überschritten mit der Folge, daß die Weisung in toto rechtswidrig ist. Die praktische Bedeutung dieses Rechtmäßigkeitselementes einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG dürfte insgesamt bescheiden sein. Die jeweiligen Zuständigkeiten in den Verwaltungsbereichen, welche die Länder im Auftrage des Bundes ausführen, sind typischerweise eindeutig festgelegt und beinhalten darüber hinaus auch regelmäßig keine komplizierten und daher für Mißverständnisse hinsichtlich der Entscheidungszuständigkeit anfälligen Vorschriften, da nicht zuletzt einzig eine oberste Bundesbehörde 612 de constitutionem latam weisungsbefugt sein kann.

d) Verfahrensanforderungen:

Pflicht zum bundesfreundlichen

Verhalten

Art. 85 GG macht außer der Bestimmung der Weisungszuständigkeit613 hinsichtlich des einzuhaltenden Verfahrens keinerlei Vorgaben, die der Bund vor

610

So auch ausdrücklich Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 223 (Zweitbearb.); T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 24; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 302; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (440). 611 Ausdrücklich Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 59. 612 Zu den Ausnahmen sogleich. 613 Also die Festlegung von konkretem Weisungsgeber und Weisungsempfänger.

246

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Weisungserteilung zu beachten hätte. Ein „Verwaltungsverfahrensgrundgesetz der Bundesauftragsverwaltung" existiert nicht, das GG ist in dieser Hinsicht alles andere als feingliedrig. Auch finden für den Weisungserlaß die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes keine Anwendung. 614 Die formellen Voraussetzungen einer Weisungserteilung sind nur unvollkommen im GG normiert. Verfehlt wäre es jedoch, allein aus diesem Schweigen der Verfassung auf das Nichtvorhandensein von einzuhaltenden Verfahrenselementen zu schließen; argumentum e silentio non scribet. Vielmehr unterliegt der Bund bei der Ausübung seiner Weisungskompetenz sehr wohl formalen Verfahrensbegrenzungen, zu denen zuvörderst die zwar ungeschriebene, jedoch allgemein seit jeher anerkannte 615 Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten (sog. Bundestreue) 616 zu rechnen ist. Das gesamte verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedstaaten wird von dieser wechselseitigen Pflicht beherrscht. 617 Daher hat der Bund auf die Belange der Länder und die Länder auf das Gesamtinteresse des Bundes in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen. 618 Dem schrankensetzenden verfahrenslenkenden Grundsatz der Bundestreue muß daher in besonderer Weise Aufmerksamkeit geschenkt werden. Diese Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme beinhaltet im Zusammenhang mit einem Weisungserlaß zwar keine Verpflichtung für den Bund, sich 614

Τ Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 102 f.; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 30 ff. 615 Der Grundsatz war schon während der Geltung der Verfassung des Deutschen Kaiserreiches von 1871 anerkannt und behält auch unter der Ägide des GG seine Geltungskraft als staatsrechtliche Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Dazu Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 702; Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 98 Rdnr. 152. 616 Die Bibliographie ist kaum mehr zu überblicken. Allg. zur Bundestreue s. die beiden Monographien von H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, und von H.-W. Bayer, Die Bundestreue, 1961; sowie Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 699 ff.; Faller, in: FS Maunz, 1981, S. 53 ff; G. Müller, in: FS Kiesinger, 1964, S. 213 ff.; Bleckmann, JZ 1991, 900 ff; speziell zur Bundestreue als Maßstab der „Verfassungsaufsicht" Hieber, Gegenstand und Maßstab der Bundesaufsicht nach dem GG, 1963, S. 158 ff.; mit aktueller Literatur- und Rechtsprechungsübersicht Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 20 Rdnm. 45 ff. Der von Lerche, WDStRL 21 (1964), 66 (88), anstelle der Bundestreue vorgeschlagene Begriff „Bundessinn", um „allen nibelungenhaften Beigeschmack nach der Speisenkarte germanischer Genossenschaften zu entfernen ...", vermochte sich nicht durchzusetzen; dazu Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 699 f. 617 BVerfGE 81,310 (337); zuletzt BVerfG NVwZ 2001, 667 (668); zur Bundestreue auch unten E. IV. 2. 618 BVerfGE 32, 199 (218); 43, 291 (348); 81, 310 (337); BVerfG DVB1. 2000, 1282; BVerfG NVwZ 2002, 585 (587 f.).

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

247

um ein Einvernehmen mit dem Land hinsichtlich der streitigen Verwaltungsentscheidung zu bemühen oder gar ein solches herzustellen, auch wenn eine gemeinsame konsensuale Lösung dem Erlaß einer wesensimmanent einseitigen Weisung vorzuziehen ist. Denn der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens vermag die verfassungsrechtlich festgelegte Kompetenzverteilung nicht zu ändern. Eine Art Vetorecht kommt dem Land also auch bei fortbestehenden Dissensen in der Sache keinesfalls zu. 6 1 9 Wohl aber ergeben sich aus diesem Verfassungsprinzip eine Reihe modaler Voraussetzungen, die das BVerfG in seinem Kalkar-Urteil 620 wie folgt formuliert hat. Der Bund hat danach dem Land die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, die erhobenen Einwendungen zu prüfen, dabei auch die Möglichkeiten einer Einigung im Wege gegenseitiger Abstimmung auszuloten und - so das BVerfG - schließlich auch den Erlaß der Weisung anzudrohen; es besteht mithin eine Verpflichtung zur „Mäßigung, Rücksichtnahme und Verständigungsbereitschaft". 621 Alle diese vom Bund zu beachtenden Elemente des Weisungsprocedere wirken sich verfahrensgestaltend im Vorfeld eines Weisungserlasses aus. Die Nichtbeachtung dieser Pflichten und Beschränkungen der Bundestreue durch einen rechtserheblichen Akt des Bundes, also auch eine Weisung, läßt diesen Akt verfassungswidrig werden. 622

aa) Tatsächliche Gelegenheit des Landes zur Stellungnahme Bei der Ausübung seiner Weisungskompetenz muß der Bund grundsätzlich vor Weisungserlaß dem Land Gelegenheit zur Stellungnahme geben, um dem

619 So ausdrücklich BVerfGE 81, 310 (337); H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 354; Bethge/Rozek, Jura 1995, 213 (216). 620 BVerfGE 81, 310 (337 f.). 621 Vgl. H Wagner, DVB1. 1987, 917 (921). Diese Voraussetzungen, denen ausschließlich formelle Gesetzmäßigkeitsaspekte innewohnen, bestehen ungeachtet dessen, daß das GG in Art. 85 GG oder anderwärts ein auf Weisungserlaß gerichtetes besonderes Verfahren normiert hätte; so ausdrücklich BVerfGE 81, 310 (332). S. auch H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 354. 622 BVerfGE 81, 310 (337) m. w. Nachw.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 269; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 543; Schulte, VerwArch 1990, 415 (430 ff.); Lerche, BayVBl. 1987, 321 (323), der eine Mißachtung der Bundestreue als einen „wohl nur ausnahmsweise vorstellbaren Fall" erachtet. Unzutreffend Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts, 1990, S. 212, die eine Einschränkung des Bundesweisungsrechts durch das Bundestreueprinzip expressis verbis nicht für möglich hält.

248

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Erfordernis des bundesfreundlichen Verhaltens Genüge zu tun. 6 2 3 Der Bund soll das Land nicht mit einer Weisung „überfallen" dürfen. Vielmehr soll sich das betroffene Land vor der Bundesentscheidung sowohl zu den entscheidungsrelevanten Tatsachen als auch zu den einschlägigen Rechtsfragen äußern dürfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es sich um einen Eilfall handelt, d. h., der Bund eine Eilbedürftigkeit für die Weisung für gegeben ansieht und damit vom regelmäßigen Weisungserteilungverfahren abweicht. 624 Es handelt sich also um eine besondere Form der Kooperationsbereitschaft, welche auch und gerade für die Länder gilt, 6 2 5 jedoch als ein eine Weisung vorbereitendes Handeln in diesem Zusammenhang in erster Linie den Bund betrifft. Diese Anhörungspflicht konkretisiert die verfassungsrechtliche Bundestreue und vermittelt ihr in dieser Hinsicht eine handhabbare Struktur. Eine nur der Formwahrung halber durchgeführte Anhörung verstieße gegen diesen Grundsatz. 626 Der in verschiedenen Fachgesetzen normierte objektive rechtsstaatliche Verfahrensgrundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs findet sich hier wieder. Eine direkte Anwendung dieser Spezialgesetze - etwa § 28 VwVfG-Bd. hinsichtlich eines Verwaltungsverfahrens oder Art. 103 Abs. 1 GG für das gerichtliche Verfahren - ist im Verhältnis zweier selbständiger staatlicher Rechtsträger zueinander ausgeschlossen.

bb) Erwägung des Landesstandpunktes Eng mit den beiden zuvor genannten Voraussetzungen verknüpft ist das Postulat, daß der Bund den Länderstandpunkt erwägen und dem Land zu erken-

623

BVerfGE 81, 310 (337); s. auch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 25 ff.; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 98 f.; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 26; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 22; Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 9; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 543; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (433); Bethge/Rozek, Jura 1995, 213 (216); Sommermann, DVB1. 2001, 1549(1551). 624 BVerfGE 81, 310 (337); Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8. 625 Ein einfachgesetzlicher Ausdruck dieser besonderen Kooperationsbereitschaft findet sich in § 4 Abs. 4 Satz 1 AtomG, der zu einer Beteiligung aller Behörden des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstigen Gebietskörperschaften in einem Genehmigungsverfahren nach Absatz 1 der Norm verpflichtet, deren Zuständigkeitsbereich berührt ist. 626 Κ Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 354.

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

249

nen geben muß, daß der Erlaß der Weisung in Betracht gezogen wird. 6 2 7 Hieraus folgt auch unmittelbar, daß der Bund die Weisung mit einer Begründung versehen muß. Allzu hohe Anforderungen sollten an dieses Erfordernis nicht gestellt werden. Nur ein Minimum an Auseinandersetzung mit der abweichenden Meinung des Landes kann gefordert werden, ein Rückgriff auf den § 39 Abs. 1 VwVfG-Bd. (Angabe der „wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe") scheidet aus. 628

cc) Vorheriger Hinweis auf die Möglichkeit einer Weisungserteilung Schließlich ist es nach der Rechtsprechung des BVerfG notwendig, daß der Bund vor der ins Auge gefaßten Erteilung einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG dem Land die Möglichkeit der Weisungserteilung im streitigen Rechtsverhältnis darzulegen hat und „damit dem Land die Bedeutung dieses Konfliktes vor Augen führt." 6 2 9 Der Stil der Verhandlungen zwischen dem Bund und seinen Gliedern im Verfassungsleben mache dies erforderlich. Hieran sind keine besonderen Anforderungen zu stellen, da die Weisungskompetenz von vornherein per definitionem constitutam feststeht und dem betroffenen Land bekannt ist. Darüber hinaus wird dieser Hinweispflicht regelmäßig bereits dadurch Genüge getan, daß der Bund dem Land im Streitfall die Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Denn damit dürfte zumindest konkludent die Möglichkeit einer Weisungserteilung dargelegt sein, so daß dieses eher formale Rechtmäßigkeitskriterium des BVerfG in diesem Fall als erfüllt angesehen werden muß. Eine darüber hinaus gehende Bedeutung - etwa als Warnfunktion oder verhaltenskorrigierender Lenkungsimpuls für das Land - ist für die geforderte ausdrückliche Androhung einer Weisungserteilung kaum erkennbar, wenn auch ein Anstoß zur Selbstkorrektur möglich erscheint. Letztlich kommt dieser Verfahrensbestimmung aber keine nennenswerte rechtliche Relevanz zu. 6 3 0 Durch

627 BVerfGE 81, 310 (337); Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 26; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 22; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 543; Sommermann, DVB1. 2001, 1549(1551). 628 A.A.: K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 32. 629 BVerfGE 81, 310 (338). So auch Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; Bethge/Rozeky Jura 1995, 213 (216). 630 I. E. wohl auch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 134.

250

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

das vorherige durch die Bundestreue vorab strukturierte Procedere wird dem Land ein bevorstehender Weisungserlaß ungleich deutlicher vor Augen gefuhrt.

dd) Hinreichende Substantiierung des Pflichtenverstoßes Für die dargestellten Pflichtverletzungen müssen jedoch konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, daß der Bund seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. 631 Eine bloße in diese Richtung gehende Behauptung des angewiesenen Landes ist hierfür nicht ausreichend. Gleichfalls keine Veranlassung für die Annahme einer Pflichtverletzung bietet der Umstand, daß der Bund nicht alle vom Land ihm dargereichten rechtlichen Erwägungen detailliert beachtet und erwidert. 632 Divergierende Rechtsauffassungen müssen nicht zwingend mittels umfangreicher rechtlicher Erwägungen diskutiert werden. Vielmehr muß das Land, will es einen behaupteten Pflichtenverstoß des Bundes hinreichend substantiieren, Roß und Reiter benemien, also nachvollziehbar und plausibel einen Fehler im vorausgegangenen Weisungserlaßverfahren benennen. Bei üblicherweise bundesaufsichtlichen Weisungen vorausgehenden gegenseitigen Gesprächen und wechselseitigen Schreiben dürfte es in der Rechtspraxis kaum mehr möglich sein, erfolgreich Verletzungen des Grundsatzes der Bundestreue in der speziellen Form der vor Weisungserteilung zu beachtenden Verhaltensregeln zu rügen. Dieser Gedanke gilt um so mehr, als bei Vorliegen eines Eilfalls auf die Pflicht der gegenseitigen Rücksichtnahme seitens des Bundes verzichtet werden kann. 633 In diesem Fall entfaltet der Grundsatz keinerlei kompetenzbegrenzenden Wirkungen, da eine Beteiligung des Landes vor Weisungserteilung ausscheidet.

ee) Tatsächliche Relevanz dieser Kompetenzschranke Im Ergebnis muß festgestellt werden, daß der als verfassungsrechtliche Grenze der Weisungskompetenz postulierte Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens ein nur stumpfes Schwert in der Hand des die Weisung abwehren wollenden Bundeslandes verkörpert. Letztlich bilden diese verfahrensrechtli631

BVerfGE 81, 310 (346 f.). BVerfGE 81, 310 (347). 633 Unmißverständlich, aber ohne weitere Erläuterung BVerfGE 81, 310 (337); Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8. 632

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

251

chen Minimalanforderungen nur eine Mißbrauchsgrenze, 634 welche nur in ganz seltenen extremen Fällen eine tatsächliche begrenzende Funktion inne haben wird.

e) Gebot der Weisungsklarheit aa) Bestimmtheit Aus der Funktion der Weisung als eines effektiven Instrumentes der internen Verwaltungssteuerung 635 und der damit verbundenen Verlagerung von Sachkompetenz636 folgt unmittelbar das Gebot der Weisungsklarheit: Die Weisung hat die jeweiligen Verantwortungsbereiche zwischen Bund und Ländern klar voneinander abzugrenzen. Die angewiesene Landesbehörde muß zweierlei erkennen können; und zwar erstens, daß ihr gegenüber eine Weisung erteilt worden ist: Es muß also für das Land ersichtlich sein, daß überhaupt eine Weisung ausgesprochen wurde, und nicht etwa nur eine unverbindliche bundseitige Anregung, Stellungnahme o. ä. und zweitens, welche konkreten Vorgaben für welches Verwaltungshandeln die Weisung enthält. 637 Außerdem muß der Inhalt klar und hinreichend bestimmbar sein; 638 m. a. W.: Das Ob und Wie sind die beiden Wesensmerkmale des Gebotes der Weisungsklarheit. Welche Anforderungen im einzelnen an die Klarheit und Bestimmtheit einer Weisung gestellt werden müssen, kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall beantwortet werden. Nach dem BVerfG muß eine Weisung so abgefaßt sein, daß ihr Adressat unter Zuhilfenahme seiner Erkenntnismöglichkeiten, die ihm als mit spezieller Sach- und Rechtskunde ausgestatteter Landesbehörde zu Gebote stehen, ihren objektiven Sinn ermitteln kann. Die Verwendung von Begriffen, die eine Konkretisierung erfordern, ist dadurch nicht ausgeschlossen, sondern oftmals wird der Anweisende nicht umhin kommen, eine vom Angewiesenen zu treffende Konkretisierung innert der Maßnahme zu gebrauchen.

634 So auch Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 30. 635 Ausföderaler Sicht kommt der Weisung ein externer Charakter zu. 636 Dazu s. o. D. II. 3. c). 637 BVerfGE 81, 310 (336); BVerfG DVB1. 2000, 1282; Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, Art. 85 Rdnr. 8; s. auch Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 30; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 18; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 28 ff. u. 36 f.; Bethge/Rozek, Jura 1995, 213 (216). 638 Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; Hermes, JZ 2001, 92 (94).

252

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Dabei können durchaus auch die vorangegangenen Kontakte mit der weisungserteilenden obersten Bundesbehörde von Bedeutung sein. 639 Rechtstatsächlich scheint dieses Kriterium für die rechtmäßige Inanspruchnahme des Weisungsrechts von nicht allzu großer Bedeutung zu sein, da die anweisende Bundesbehörde immer ein ausgeprägtes Interesse an der Klarheit und Eindeutigkeit der Weisung haben wird und daher von sich aus tunlichst auf doppeldeutige oder ungenaue und damit mißverständliche Formulierungen verzichten wird. Für die unmißverständliche rechtliche Qualifikation einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG empfiehlt es sich, sie expressis verbis als „Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG" zu bezeichnen, um keine etwaigen Irritationen zu erzeugen. 640 Zwingend erforderlich ist das jedoch nicht. 641

bb) Schriftform Formal wie inhaltlich eng mit der Weisungsklarheit verknüpft ist das Erfordernis der Schriftlichkeit der Weisung. Danach ist eine Weisung in schriftlicher Form abzufassen, auch wenn der Text des Art. 85 GG hierzu keine Aussage trifft. 6 4 2 Eine darüber hinaus bestehende Pflicht zur Publikation besteht nicht. 643 Erst durch die schriftliche Fixierung der imperativen Maßnahme wird deren Inhalt verläßlich, klar und eindeutig festgelegt. Auf bestehende Dissense zwischen anweisender und angewiesener Behörde kommt es darüber hinaus nicht

639

BVerfGE 81,310 (336 f.); Bethge/Rozek, Jura 1995, 213 (216). So verfährt auch die Praxis überwiegend: Ζ. B. wies der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 10.3.1987 ausdrücklich gestützt auf Art. 85 Abs. 3 GG den hessischen Minister für Wirtschaft und Technik an, über die erste Teilgenehmigung für den Ausbau des ALKEM-Werkes positiv zu entscheiden. Details s. o. D. III. 2. a). 641 Dazu s. o. D. IV. 2. a). 642 So Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 32; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 31 f.; Schulte, VerwArch 1990, 415 (431). Nach Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2 Rdnr. 30.44 (S. 57), hingegen sollen Weisungen an keine Form gebunden sein. Auch Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 132 (Zweitbearb.), sehen ausnahmsweise von dem Erfordernis der Schriftlichkeit ab, ohne dies näher zu spezifizieren. 643 Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 132 (Zweitbearb.), die zur Begründung zutreffend auf den fehlenden Rechtssatzcharakter einer Weisung hinweisen. 644 In diesem Sinne aber Schulte, VerwArch 1990, 415 (431). Unklar T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 99, unter Berufung auf Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (435). 640

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

253

Die Bedeutung dieses Verfahrenserfordernisses tendiert gegen Null. In der Praxis bereitet es keine Schwierigkeiten. Eine bloß mündliche Weisungserteilung nach Art. 85 Abs. 3 GG erscheint - selbst im Eilfall - auch kaum vorstellbar. 645 Schließlich sind an die Befolgung bzw. Nichtbefolgung einer Weisung ganz erhebliche und ggf. einschneidende rechtliche Konsequenzen geknüpft.

f) Einfachgesetzlicher

rechtswidriger

Weisungsinhalt

Die Verpflichtung mittels einer Weisung zu einem außenwirksamen Handeln, welches von drittbetroffener Seite erfolgreich angefochten und damit gerichtlich für rechtswidrig erklärt wird, ist für das Land grundsätzlich bindend. Auf diesen Rechtswidrigkeitsmakel kann sich das Land gegenüber dem anweisenden Bund nicht berufen und die Umsetzung verweigern. Die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung des Landes ist auch insoweit ausgeschlossen, wenn die der Weisung zugrundeliegende Auslegung des einfachen Bundesgesetzes mit dem objektiven Recht unvereinbar ist. 646 Ob die Weisung zu einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Verwaltungshandeln anhält, also die Frage der einfachgesetzlichen Legalität, ist zunächst irrelevant. 647 Insbesondere aus der Funktion der Weisung als einem effektiven Instrument der Verwaltungssteuerung folgt, daß der materiellrechtliche Inhalt einer Weisung grundsätzlich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Weisung innerhalb der Bundesauftragsverwaltung unerheblich ist. Weder der Zweck des die Bundesauftragsverwaltung begründenden Gesetzes noch die im BundLänder-Verhältnis unanwendbare Verhältnismäßigkeit mit ihren Elementen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit stellen eine weitere

645 So auch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 32. 646 BVerfGE 81, 310 (333); BVerfG DVB1. 2000, 1282; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 53; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnrn. 28 f.; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (431 f.); Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 69 ff.; a.A.: T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 141 ff. u. 373 ff.; Winter, DVB1. 1985, 993 (996 f.). 647 Nach Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 6, soll dem Bund eine Befugnis zur Erteilung inhaltlich rechtswidriger Weisungen nicht zukommen, ein Abstellen allein auf die Abwehrposition der Länder sei unzutreffend.

254

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Schranke dar. 648 Auch vermeintlich „sinnlose" oder „unnötige" Weisungen sind daher ohne weiteres zulässig. Denn bereits von Verfassungs wegen ist die Sachkompetenz, d. h. die Zuständigkeit zur Sachbeurteilung und -entscheidung, dem Land entzogen und obliegt dem Bund nur dann, wenn er die Entscheidung an sich zieht; allein die Wahrnehmungskompetenz, also das Handeln gegenüber Dritten, verbleibt unentziehbar beim Land. 6 4 9 Fraglich ist, was für den Fall anzunehmen ist, wenn durch das Umsetzen einer Bundesweisung eine rechtswidrige Tat begangen würde, die womöglich sogar einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht. So hatte beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen innerhalb der Auseinandersetzungen um den Schneller-Brüter-Prototyp in Kalkar/Nordrhein-Westfalen 1987/88 gegen die bundesaufsichtliche Weisung vorgebracht, daß sie rechtswidrig sei, da sie gegen die in § 7 Abs. 2 AtomG festgelegte Verpflichtung der Genehmigungsbehörde auf den Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge verstoße und damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 AtomG vorliege. 650 Im Ergebnis kann hier nichts anderes gelten. 651 Denn sonst hätte es der einfache Gesetzgeber jederzeit in der Hand, die Kompetenzen aus Art. 85 GG einfachgesetzlich zu beschneiden. Dieser Umstand beansprucht um so mehr Geltung, da es möglich ist, daß sogar der Lartcfesgesetzgeber Strafvorschriften erläßt, deren Tatbestandserfüllung dann letztlich zu einer Nichtbefolgungspflicht der erteilten Weisung führen würde. Daher scheidet auch die gelegentlich in der Literatur 652 postulierte Anwendung des Rechtsgedankens des

648

Kritisch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 130 ff. 649 BVerfGE 81,310 (332); Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18. 650 Vgl. BVerfGE 81, 310 (321). 651 A.A.: T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 303 f., für den Fall, daß der Bund „evident rechtswidrige Vollzugszwänge schafft." I. E. auch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 132 f. u. 139 ff. Das BVerfG hat zu dieser Frage nicht ausdrücklich Stellung genommen, wohl aber eine im Einklang mit der Verfassung in Anspruch genommene Weisungsbefugnis bei inhaltlicher Rechtswidrigkeit für zulässig erachtet, E 81, 310 (333). 652 Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 20; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 23; ähnlich wohl auch Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (433), wobei nicht recht deutlich wird, ob die Anwendung des § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG-Bd. nur innerhalb eines Behördenzuges einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder auch bei Weisungen innerhalb der Bundesauftragsverwaltung befürwortet wird. Gegen die Anwendung des VwVfG-Bd. insgesamt T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 102 f.

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

255

§ 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG-Bd. aus, dem zufolge ein Verwaltungsakt dann nichtig ist, wenn er die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht. Offenbleiben kann die Frage, ob und inwieweit diese Norm überhaupt analogiefahig ist und in diesem Zusammenhang generell zur Anwendung kommen könnte. 653 Eine Grenze ergibt sich aber in dem Fall, „daß eine zuständige oberste Bundesbehörde unter grober Mißachtung der ihr obliegenden Obhutspflicht zu einem Tun oder Unterlassen anweist, welches in Hinblick auf die damit einhergehende allgemeine Gefährdung oder Verletzung bedeutender Rechtsgüter schlechterdings nicht verantwortet werden kann." 654 Ob ein solcher grober Verfassungsverstoß vorliegt, dem „eine unmittelbare Gefährdung der Allgemeinheit in Leben und Gesundheit oder eine andere Überschreitung der Grenze des verantwortbaren Handelns" 655 innewohnt, läßt sich nur mittels einer einzelfallweisen Betrachtung festlegen; generelle Maßstäbe oder gar Fallgruppen können nicht determiniert werden. Folgerichtig läßt auch das BVerfG diese Frage offen. Es ist vom Land jedoch zu fordern, daß es die Umstände eines solchen behaupteten Verfassungsverstoßes substantiiert darlegt. 656

g) Tatsächliche Unausführbarkeit Eine aus tatsächlichen - grundsätzlich nicht aus rechtlichen - Gründen unausführbare Weisung kann schlechterdings keinen rechtlichen Bestand haben. 657 Zu einem tatsächlich nicht möglichen Verhalten kann ein angewiesenes Land nicht angehalten werden, impossibilium non est obligatione. Einer entsprechenden Weisung muß das Land sich widersetzen können. Beispielshalber kann von dem Gliedstaat die Umsetzung einer Weisung, die auf ein naturwissenschaftlich unmögliches Verhalten gerichtet ist und daher nicht umgesetzt werden kann, nicht verlangt werden. Auch die Anweisung zur

653

Die Analogiefähigkeit des VwVfG-Bd. verneint mit Hinweis auf das völlig anders geartete Verhältnis T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 103. 654 So wörtlich BVerfGE 81, 310 (334); vgl. auch Broß, in: v. Münch/Kunig, GGKomm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 18; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18. 655 So die Formulierung des BVerfG in E 81, 310 (334). 656 BVerfGE 81, 310 (335). Vgl. dazu die parallele Problematik der Substantiierungspflicht bei behaupteten Verstößen gegen die Bundestreue, oben D. IV. d). 657 Dieses Erfordernis findet sich im Schrifttum und in der Rechtsprechung erstaunlicherweise kaum wieder; s. aber Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 20.

256

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Erteilung einer Genehmigung für ein Vorhaben, welches nicht geplant ist und kein Genehmigungsverfahren durchläuft, ist evidentermaßen gegenstandslos. Sie geht sozusagen „ins Leere". Hinsichtlich temporaler Fragen gilt es zu differenzieren: Setzt der Bund dem Land für eine Weisung eine bestimmte Frist, kann deren Vollzug nicht mit Hinweis auf eine zeitliche Unmöglichkeit verweigert werden. Denn die Geltungskraft der Weisung selbst ist unabhängig von der - noch so kurzen - Umsetzungsfrist. Sie bleibt verbindlich, wenn auch mit zeitlich gestreckter Umsetzungspflicht. Anders liegt es, wenn eine Weisung untrennbar mit einem zeitlichen Moment verbunden ist, etwa weil die Umsetzung ausschließlich bis zu einem bestimmten Termin sinnvoll und möglich ist, und dieser Termin, etwa weil falschlich für einen abgeschlossenen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt angewiesen wurde, verstrichen ist. 6 5 8 In diesem Fall folgt aus der zeitlichen Unmöglichkeit zwingend auch die tatsächliche Unmöglichkeit der Ausführung einer Bundesweisung. Das Letztentscheidungsrecht hierüber obliegt dem Bund mittels seiner umfassenden Direktionskompetenz aus Art. 85 GG. Die tatsächliche Unausführbarkeit einer Weisung dürfte in der Realität eine sehr seltene Ausnahme sein.

h) Einzelfallbezogenheit

einer Weisung

aa) Problemstellung Seit jeher ist es in der staatsrechtlichen Literatur umstritten, ob der Terminus „Weisung" des Art. 85 Abs. 3 GG nur Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Landesverwaltung in Form von Einzelweisungen umfaßt 659 oder ob die 658

Formale, leicht und unzweideutig zu korrigierende Fehler bleiben selbstverständlich außerhalb dieser Betrachtung. 659 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 51; Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 16 u. Art. 90 Rdnr. 9; Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 17; Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 21; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 19; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 812; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, § 38 VI; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 108 ff; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 237 ff.; Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 94 f.; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 75 f.; Dux, Bundesrat und Bundesaufsicht, 1963, S. 88 FN 20; i. E. wohl auch Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 20: Weisung für eine „Vielzahl konkreter Fälle"; Hantke, Bundes-

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

257

Norm auch allgemeine Weisungen beinhaltet. 6607661 Es handelt sich um eine mit „bemerkenswerter Dauerhaftigkeit" 662 kontrovers geführte Diskussion. Eine vorherrschende Ansicht hat sich im Schrifttum nach wie vor nicht herausgebildet. 663 Höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu ist kaum zu verzeichnen. 664 Das BVerfG hat sich bisher mit dieser Frage nicht beschäftigen müssen.

staatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 210; speziell zum Fernstraßengesetz Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 88 (Zweitbearb.); Kersten, BayVBl. 1968, 189; Zech, DVB1. 1987, 1089 (1092 f.); zum Atomgesetz Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (428 mit FN 37); zur Steuerverwaltung L. Müller/Zeidler, DtStZ 1975, 467 (470 f.). 660 So v. Mangoldt/Klein, GG-Komm., Art. 85 Anm. IV 2. b) bb); Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8; Pieroth, in: Jarass/ders. (Hrsg.), GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 6; Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 7; Badura, Staatsrecht, 2. Aufl. 1996, Kap. G Rdnr. 43; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 13; Ost/Pelzer, atw 1979, 22 (23); Schäfer, DÖV 1960, 641 (648); Blümel, AöR 93 (1968), S. 200 (215); ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 60; speziell zum Atomrecht Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 1978, § 22 Rdnr. 6; Haedrich, Atomgesetz, 1986, vor § 22 Rdnr. 4; zum Fernstraßengesetz Kastner, in: Marschall/Schroeter/ders., Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 22 Rdnr. 5; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 30.4 (S. 54 f.) mit Beispielen; zur Steuerverwaltung Weyhausen, Steuerverwaltung und bundesstaatliche Verfassungsordnung, 1982, S. 131; i. E. auch Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 280 ff. der aber allgemeine Weisungen nur bei Eilbedürftigkeit („Gefahr im Verzuge", S. 281) für zulässig erachtet. 661 Differenzierende Ansicht bei Depenbrock, DÖV 1970, 235 (236), der ein Denkmodell mit Orientierung an verwaltungsrechtlichen Allgemeinverfügungen (vgl. § 35 Satz 2 VwVfG-Bd.) entwirft. Dieser Ansatz vermochte sich nicht durchzusetzen; kritisch dazu Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 110. Streitfrage offengelassen von F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 62 FN 177. 662 So prägnant Zech, DVB1. 1987, 1089 (1092). 663 Anderslautende Äußerungen in der Literatur (so ζ. B. einerseits Kastner, in: Marschall/Schroeter/ders., Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 22 Rdnr. 5, und Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8, die eine überwiegende Ansicht für die Zulässigkeit allgemeiner Weisungen zu erkennen vermögen, und andererseits etwa K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 76, dem zufolge überwiegend nur Einzelweisungen für zulässig erachtet werden), die sich auf ein vermeintliches Überwiegen einer Meinung berufen, sind unzutreffend. 664 Der BGH hat in einem frühen Urteil allgemeine Weisungen ohne nähere Begründung für zulässig erachtet (BGHZ 16, 95 [97]: „... kann der Bund gemäß Art. 85 GG ... den Landesbehörden Weisungen [allgemeiner Art und Einzelweisungen] erteilen."). 17 Janz

258

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Strikt hiervon zu trennen ist die Frage, inwieweit ein etwaiges Überschreiten des Begriffsinhaltes der „Weisung" rechtliche Konsequenzen in bezug auf die Verbindlichkeit der Weisung nach sich zieht. Sog. Einzelweisungen, die unstrittig zulässig sind, beziehen sich auf einen konkreten Einzelfall. Dabei widerspricht es dem Vorliegen einer Einzelweisung nicht, wenn eine solche Weisung an mehrere Adressaten - also etwa mehrere oder alle Bundesländer - gerichtet wird; es handelt sich dann um eine Sammelweisung.665 Denn allein maßgebendes Unterscheidungskriterium ist der zugrunde liegende Sachverhalt; dieser muß konkret sein, um den Begriff der Einzelweisung auszufüllen. 666 Die sog. allgemeinen Weisungen beziehen sich nicht auf einen Einzelfall, sondern enthalten allgemeine Anweisungen mit generellen Maßgaben zum Vollzug von Bundesgesetzen in Auftragsmaterien. Ihr abstrakt-genereller Inhalt kann verschiedenster Natur sein, etwa Erlaubnis- oder Versagungsfragen, bestimmte technische Regelwerke oder andere Tatbestände umfassen.

bb) Eigene Ansicht Die Ansicht, Weisungen könnten sich nur auf einen konkreten Einzelfall beziehen, vermag letztlich nicht zu überzeugen. Eine Abgrenzung zwischen Einzelweisungen und allgemeinen Weisungen muß nicht vorgenommen werden. Neben dem offensichtlichen Bedürfnis für diese allgemeinen Weisungen und der jahrzehntelangen Verwendung in der Rechtspraxis als Elemente der Zweckmäßigkeit 667 muß die am Wortlaut des Art. 85 Abs. 3 GG ausgerichtete Argumentation in den Vordergrund gestellt werden. Danach spricht zunächst nichts für das Abheben auf den bloßen Einzelfall. Auch eine systematische Auslegung stützt dieses Ergebnis. Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG steht in einem erkennbaren Gegensatz zu Art. 84 Abs. 5 Satz 1 GG, 665

In diesem Sinne etwa Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50 m. w. Nachw. in FN 70 f. u. Rdnr. 51 a. Ε.; Κ Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 76; Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 210. 666 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 813. 667 Diese Praktikabilitätsgesichtspunkte betonen etwa Kastner, in: Marschall/Schroeter/ders., Bundesfernstraßengesetz, 5. Aufl. 1998, § 22 Rdnr. 5, und Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 60, der die Legitimität allgemeiner Weisungen jedoch allzu pauschal mit dem Bedürfnis der Staatspraxis begründet.

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

259

der das Weisungsrecht des Bundes auf Einzelweisungen in bestimmten Fällen beschränkt. Das Erstrecken des Art. 85 Abs. 3 GG auch auf allgemeine Weisungen wird zudem der stärkeren Stellung des Bundes gegenüber den Ländern in der Bundesauftragsverwaltung im Vergleich zur Durchführung von Gesetzen als eigene Angelegenheit der Länder gerecht. 668 Ein nur auf konkret-individuelle Fälle bezogenes Weisungsrecht (im Sinne des Art. 84 Abs. 5 GG) würde der besonderen Verantwortung des Bundes für Recht- und Zweckmäßigkeit des Gesetzesvollzuges kaum entsprechen können. Nur dann ist es bei Meinungsverschiedenheiten auch über Zweckmäßigkeitsfragen gewährleistet, daß der Bund bindende Erläuterungen zur Rechtsanwendung - etwa zur Durchsetzung gleicher Sicherheitsstandards für den Umgang mit Kernenergie 669 - festlegen kann. Daneben dürften die vorgebrachten entstehungsgeschichtlichen Argumente 6 7 0 sowie der Vergleich mit Art. 15 Abs. 2 W R V 6 7 1 eher zu vernachlässigen sein; vom Ergebnis her stützen sie indes die hier vertretende Ansicht. „Weisung" und „Einzelweisung" wurden vom Parlamentarischen Rat offenbar nicht als kongruent angesehen, vielmehr wurde im Gegenteil von der allgemeinen Weisung ausgegangen, die auch die Einzelweisung mitumfaßt. Die vorgebrachten Bedenken 672 greifen dagegen nicht durch. Der Umstand, daß eine Unterscheidung der allgemeinen Weisungen von den allgemeinen

668

Darauf weist Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 60, hin. 669 Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 87 c Rdnr. 18; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (430). 670 Zur Entstehungsgeschichte s. insb. v. Mangoldt/Klein, Das Bonner GG - Band III, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. IV 2. b) bb) m. w. Nachw. 671 Die Norm hatte folgenden Wortlaut: „Soweit die Reichsgesetze von den Landesbehörden auszuführen sind, kann die Reichsregierung allgemeine Anweisungen erlassen." Diese Regelung wurde als bewußter Gegensatz zu Art. 77 Satz 1 WRV angesehen, wonach zur Ausführung der Reichsgesetze durch die Länder „allgemeine Verwaltungsvorschriften" von der Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrates erlassen werden konnten. Über den jeweiligen Begriffsinhalt und die Abgrenzung der beiden Rechtsinstitute zueinander war sich das damalige Schrifttum nicht einig; vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1932, Art. 15 Anm. 5; Triepel, Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, 1923, S. 82 ff. (S. 82: „größte Unklarheit"). Es wird aber auch behauptet, daß das Grundgesetz nicht an die Regelung des Art. 15 Abs. 2 Satz 1 WRV angeknüpft und diese daher auch nicht habe Wiederaufleben lassen; so z. B. Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 16; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50; ähnlich Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 21. Zur WRV oben B. III. 672 Dezidiert Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50, und Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 108 bis 110.

260

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Verwaltungsvorschriften nach Art. 85 Abs. 2 GG schwierig ist, 673 kann nicht dazu führen, allgemeine Weisungen deswegen als unzulässig zu betrachten. Differenzierungsprobleme sind in der Rechtsanwendung nicht selten. Die Abgrenzung zu den allgemeinen Verwaltungsvorschriften ist deshalb von Interesse und auch erforderlich, weil deren Erlaß durch die Bundesregierung die vorherige Zustimmung des Bundesrates notwendig macht, 674 was evident im Einzelfall das Zustandekommen zumindest erschweren und zeitlich in die Länge ziehen, wenn nicht gar auf dem heiklen politischen Terrain unmöglich machen kann. Für den Erlaß einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift bedarf es zunächst eines Beschlusses der Bundesregierung als Kollegium 675 , der die Zustimmung des Bundesrates erfordert (Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG: „mit Zustimmung des Bundesrates"). Eine aufsichtsrechtliche Weisung erläßt indes der Ressortminister selbständig. Mit diesem Zustimmungserfordernis wird der größeren Bedeutung und dem umfassenderen Anwendungsbereich einer solchen Verwaltungsvorschrift gegenüber einer (Einzel-) Weisung dergestalt Rechnung getragen, daß durch die Einschaltung des Bundesrates als Vertreter der Länderinteressen die Länder in die Entscheidung miteinbezogen werden und gegen den Willen des Bundesrates keine allgemeine Verwaltungsvorschrift erlassen werden kann. 673

Ursache für die Abgrenzungsprobleme dürfte sein, daß mittels beider Rechtsinstitute vom Bund rechtsverbindliche Anordnungen gegenüber den Ländern getroffen werden, deren unmittelbarer Regelungsgehalt sich im staatlichen Innenkreis - wenn auch in zwei verschiedenen juristischen Körperschaften - erschöpft. Auf die Spitze wird dieses Argument von Depenbrock, DÖV 1970, 235 (236), getrieben, der allein aufgrund der Kompetenz der Bundesregierung, allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen, eine Kompetenz zur Erteilung allgemeiner Weisungen für „unverständlich" und damit für nicht gegeben ansieht. Diese Argumentation greift dann doch entschieden zu kurz. Allg. zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften T. Koch, Jura 2000,179 ff. 674 Dazu zuletzt BVerfG 2 BvF 1/94, DVB1. 1999, 976 ff. Das BVerfG untersucht den Rechtscharakter der Leitlinien nach § 7 Abs. 2 a Satz 1 2. HS AtomG. Bei diesen Leitlinien handele es sich um allgemeine Verwaltungsvorschriften i. S. d. Art. 85 Abs. 2 GG, da sie eine erhebliche Bedeutung für die Umschreibung und Festlegung der Genehmigungsvoraussetzungen für Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zwecks Erzeugung von Elektrizität besitzen und die Länder bei und in der Ausführung des Atomgesetzes an den Bundeswillen binden. Wegen fehlender Zustimmung des Bundesrates liege ein Verstoß gegen Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG vor, die vorgesehene Anhörung einer obersten Landesbehörde reiche zum Schutz der Verwaltungshoheit der Länder und für ein zwingend konsentiertes Vollzugswerk nicht aus. Das BVerfG ordnete daher die Nichtigkeit dieser Leitlinien und des zugrunde liegenden § 7 Abs. 2 a Satz 1 HS 2 AtomG an. Vgl. dazu auch die kritischen Urteilsanmerkungen von Bleibaum, DVB1. 1999, 1265 f., undA. Tschentscher, JZ 1999, 993 ff. S. ferner dazu T. Koch, Jura 2000, 179 ff. 675 Dabei wird grundsätzlich auch ein einzelner Minister für beschlußfähig erachtet, siehe nur BVerfG DVB1. 1999, 976 (977).

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

261

Die unterschiedlichen Voraussetzungen und Kreationsregeln von allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG einerseits und Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG andererseits zwingen zu einer scharfen Trennung der beiden Rechtsinstitute, um nicht die Kompetenz des Bundesrates aus Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG vorsätzlich oder fahrlässig zu unterlaufen. 676 Entscheidend muß die Frage sein, ob die Ausführung eines Gesetzes als Ganzes oder die Durchführung in sich geschlossener Gesetzesmaterien geregelt wird. Nur dann muß diese Regelung durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift erfolgen, um die Verwaltungskompetenz des Landes vor einer „Aushöhlung" durch die Bundesingerenzen 677 zu bewahren. Wird hingegen - nur, aber immerhin - eine für den Gesetzesvollzug wesentliche (Einzel-) Frage oder einige wenige dieser Fragen geregelt, so kann diese imperative Verhaltenssteuerung mittels einer allgemeinen Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG erfolgen. 678 Diese Grenze ist nur schwierig und mit wertender Betrachtung für den Einzelfall zu bestimmen; von einer behaupteten Unmöglichkeit der Abgrenzung mangels begrifflicher Klarheit kann indes nicht ausgegangen werden. 679 Besonders umstritten und bislang noch nicht entschieden ist es beispielsweise, ob die „Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke" von 1980 680 als allgemeine Verwaltungsvorschriften nach Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG oder als allgemeine Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG anzusehen und rechtlich zu behandeln sind oder ob sie möglicherweise bloße unverbindliche Empfehlungen darstellen. 681

cc) Ergebnis Im Ergebnis bleibt folgendes festzustellen: Wählt der Bund die unzutreffende bundesaufsichtsrechtliche Lenkungsmaßnahme, indem er von seinem ver676 Diese Gefahr betonen Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 88 (Zweitbearb.), und Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50. 67 7 Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 30.42.3 (S. 56); Haedrich, Atomgesetz, 1986, § 9 a Rdnr. 4. 678 So auch Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 7. Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50, spricht diesem Abscheidungskriterium jegliche Konturendeutlichkeit ab. 679 A.A.: Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 110. 680 BAnz. Nr. 58 vom 22.3.1980. 681 Zum Streitstand Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 61 m. w. Nachw. in FN 352 u. 354.

262

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

meintlichen Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG Gebrauch macht, obgleich in materieller Hinsicht eine allgemeine Verwaltungsvorschrift nach Art. 85 Abs. 2 GG - mit der erforderlichen Beteiligung des Bundesrates - das zulässige Mittel wäre, so fuhrt diese fehlerhafte Anwendung des Art. 85 Abs. 3 GG zu einer unrechtmäßigen Inanspruchnahme des Weisungsrechts und ist daher verfassungswidrig und von den Ländern rügbar. Ob diese konstruierte Fallkonstellation tatsächlich in der Rechtswirklichkeit relevant wird, sei durchaus bezweifelt, ausgeschlossen ist sie hingegen nicht.

i) Gesetzliche Ausgestaltung des auftragsweisen

Verwaltungsbereichs

In allen Verwaltungsbereichen, die nach Art. 85 GG in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden, existiert Bundesrecht einfachgesetzlicher Natur, welches den von dem Spezialgesetz geregelten Ausschnitt aus dem gesamten Rechtsleben umreißt und inhaltlich strukturiert. Zweifelhaft ist die rechtliche Behandlung, wenn ein bestimmtes in auftragsweiser Verwaltung ausgeführtes Verwaltungsgebiet einfachgesetzlich ausgestaltet ist und die erteilte Weisung darüber, d. h. über die Zweckbestimmung des betreffenden (Bundes-) Gesetzes hinaus geht. Als plastisches Beispiel mag die umfangreiche und detaillierte Zweckbestimmung des § 1 AtomG a.F. fungieren. Eine solche Weisung kann vom Land nicht beanstandet werden, da das verfassungsrechtlich garantierte Recht des Bundes auf Erteilung einer Weisung nicht durch den Gesetzgeber mittels eines einfachen Gesetzes beschnitten werden kann. 682 Eine bloße für falsch angesehene Gesetzesauslegung ändert an der Bindungswirkung der Weisung nichts. 683 Die beschriebenen verfassungsrechtlichen Grenzen des Weisungsrechts lassen eine einfachgesetzliche Einschränkung nicht zu. Modifikationen auf Verfassungsebene sind hingegen ohne weiteres zulässig. Das normenhierarchisch auf höherer Ebene stehende GG (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) widersetzt sich grundsätzlich einer materiellen Beschneidung des Weisungsrechts. Regelun682 Im Ergebnis auch Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 65; Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 93 (Zweitbearb.); Steinberg,, atw 1987, 282 (284). A.A.: H. Wagner, DVB1. 1987, S. 917 (920 f.); Ost/Pelzer, atw 1987, S. 22 (24); ähnlich Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 224, für den Fall, daß die Weisung das Atomgesetz unrichtig auslegt oder anwendet. 683 Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 18.

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

263

gen, die das Weisungsrecht einschränken, sind daher unzulässig mit der Folge, daß eine etwaige Überschreitung des einfachgesetzlich ausgestalteten Weisungsrechts fur die Beurteilung einer Rechts- oder gar Verfassungswidrigkeit von vorneherein ohne Belang ist. Vereinzelte in diese Richtung gehende Regelungen sind sehr selten und lassen sich regelmäßig entgegen ihres ersten Anscheins durchaus auf verfassungsrechtliche einschränkende Prinzipien zurückführen. So bestimmte z. B. § 18 a Abs. 1 Satz 2 BFStrG 1974 684 , daß sich der Bundesminister für Verkehr bei Meinungsverschiedenheiten der beteiligten Behörden über die Planfeststellung vor Erteilung einer Weisung mit den beteiligten Landesministern ins Benehmen setzen sollte. Weitere eher abseitige Regelungen finden sich in § 6 Abs. 1 Satz 2 BLG 6 8 5 , dem zufolge eine Einzelweisungserteilung zulässig sein soll, wenn und soweit es eine einheitliche oder planmäßige Handhabung des Vollzuges erfordert, oder in § 28 Abs. 3 L B G 6 8 6 , wonach Einzelweisungen der Bundesregierung 687 (!) zulässig seien, wenn und soweit in dringenden Fällen dies notwendig ist, um die reibungslose Durchführung einzelner wichtiger Landbeschaffungen sicherzustellen. 688 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Art. 85 Abs. 3 GG als abschließende Regelung bei der Bundesauftragsverwaltung zu betrachten ist, welche einfachgesetzliche Modifikationen nicht zuläßt.

j) Verfassungswidrigkeit

des Gesetzes

Ob auch die Gültigkeit der einer bundesaufsichtlichen Weisung zugrunde liegenden Vorschrift des einfachen Bundesrechts einen relevanten Rechtmäßigkeitsmaßstab aufstellt, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.

684

Bundesfernstraßengesetz v. 1.10.1974, BGBl. I S. 2413. Durch die Neufassung des Gesetzes v. 16.12.1986, BGBl. I S. 2441, wurde dieses Ins-Benehmen-Setzen ersatzlos gestrichen; vgl. hierzu auch Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 27. Aus der Rechtsprechung hierzu etwa HessVGH DÖV 1966,472 f. 685 Bundesleistungsgesetz v. 27.9.1961, BGBl. I S. 1769. 686 Landbeschafïungsgesetz ν. 23.2.1957, BGBl. I S. 134. Bis zur Neuverkündung des Luftverkehrsgesetzes im Jahre 1999 (BGBl. I S. 550) verwies der vormalige § 28 Abs. 2 LuftVG gleichfalls auf § 28 Abs. 3 LBG mit der Folge eines Einzelweisungsrechts der Bundesregierung. 687 Zur Bundesregierung als Anweisender s. o. D. II. 3. b) aa). 688 S. dazu auch Haun y Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 27.

264

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Teilweise wird eine Klage eines Landes gegen eine Weisung für begründet angesehen, wenn die angegriffene Maßnahme auf Normen 689 - etwa des Atomgesetzes oder des Bundesfernstraßengesetzes - gestützt wird, welche mit dem GG nicht vereinbar sind. 690 Dieser Ansatz vermag nicht zu überzeugen. Denn bei richtigem Verständnis der Bundesauftragsverwaltung und des darin harmonisch eingebetteten Weisungsrechts ist gerade das behauptete „Fehlen einer gesetzlichen Grundlage" 691 wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes deswegen unerheblich, weil eine in einem Bereich auftragsweiser Verwaltung ergehende Weisung des Bundes an die Länder immer auch gleichzeitig auf die Verfassung, konkret also auf Art. 85 Abs. 3 GG, gestützt ist. Der Hinweis in diesem Zusammenhang auf eine „strikte Gesetzesakzessorietät der Auftragsverwaltung" 6 9 2 geht mithin fehl. Der Bund hält sich auch bei - vom Land zunächst nur behaupteter - Ungültigkeit des Gesetzes mit seiner Weisung innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen des Art. 85 GG auf. Der rechtlich fundierte Rahmen seiner Weisungskompetenz bleibt gewahrt, da sie direkt auf dieser Verfassungsnorm fußt. 693 Ein Unterschied zur Frage der inhaltlichen (einfach-) gesetzlichen Rechtmäßigkeit der Weisung ist nicht auszumachen. Im Ergebnis bleibt also festzuhalten, daß eine „einfachgesetzliche Rechtsgrundlagenlosigkeit" der Weisung nicht in Abwehrrechte der Länder eingreift und demzufolge an der Verbindlichkeit nichts ändert. Unabhängig davon bleibt es dem Land unbenommen, durch einen Antrag der Landesregierung nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG beim BVerfG eine verfassungsgerichtliche Überprüfung und ggf. Verwerfung des Gesetzes herbeizuführen.

k) Dringlichkeitsentscheidung Ob auch die unzutreffende Annahme einer Dringlichkeit nach Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG eine Weisung rechtswidrig erscheinen läßt, ist zweifelhaft. Weisungen sind in der Regel an die oberste Landesbehörde zu richten, es sei denn, die 689

In Betracht kommen sowohl formelle Gesetze als auch Rechtsverordnungen. Typischerweise werden nicht ganze Regelungskomplexe, sondern nur Einzelnormen von einem verfassungsrechtlichen Verdikt - ggf. durch eine Feststellung der Teilnichtigkeit ereilt. 690 So Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 87 c Rdnr. 19; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 224 (Zweitbearb.); Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (440); Winter, DVB1. 1985, 993 (995). 691 So ζ. B. Winter, aaO. 692 Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 87 c Rdnr. 19; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (440). 693 So auch Lerche, BayVBl. 1987, 321 (324).

IV. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Inanspruchnahme

265

Bundesregierung erachtet ein anderes Vorgehen, nämlich die Weisungserteilung an untere Landesbehörden, fur dringlich. Die fehlerhafte Annahme einer Dringlichkeit durch die Bundesregierung wird in der Literatur teilweise als fehlerhafte Inanspruchnahme des Weisungsrechts selbst angesehen und damit als notwendige Seinsvoraussetzung der Weisung betrachtet. 694 Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Sie wird der Funktion der Weisung und ihrer grundgesetzlichen Ausgestaltung und Einbettung nicht gerecht. Es wird verkannt, daß der Begriff der Dringlichkeit i. S. d. Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG einen erheblichen Auslegungsspielraum eröffnet, der zumindest nicht zur Gänze gerichtlich nachgeprüft werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine „grundgesetzliche Entscheidungsprärogative", die der judikativen Kontrolle derart entzogen ist, daß der Entscheidungsvorgang nur auf logische Fehler zu überprüfen ist; es müssen Beurteilungsfehler vorliegen. Solche liegen vor, wenn der Sachverhalt unzutreffend oder nur unvollständig (in einem maßgebenden Punkt) von der zuständigen obersten Bundesbehörde ermittelt wurde, diese Behörde den Begriff „dringlich" fehlinterpretierte sowie dann, wenn sachfremde Erwägungen der Entscheidung zugrunde lagen. Weder bei der Ausführung des FStrG noch im Atomrecht sind bislang dringliche Weisungen erteilt worden. 695

I) Grundrechte Ein Land kann sich darauf berufen, daß durch eine Bundesweisung Grundrechte tangiert werden.

aa) Grundrechtsträgerschaft des Landes Ein Bundesland als juristische Person des öffentlichen Rechts ist nicht selbst Träger von Grundrechten (Artt. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). 6 9 6 Das Land selbst 694 So Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 230; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (440); T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 24, jeweils ohne Begründung. Wohl auch Broß, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 19, der dem Land die Möglichkeit eines Bund-LänderStreits einräumt, jedoch dann das BVerfG auf eine bloße Mißbrauchskontrolle beschränken möchte. 695 Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 30.46 (S. 57). 696 Zuletzt BVerfG DVB1. 2002, 547 (548).

266

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

kann nicht am Grundrechtsschutz teilhaben - auch und gerade nicht im Verhältnis zum Bund.

bb) Grundrechtstreuhand des Landes Eine weitere Fallgruppe, die möglicherweise eine Voraussetzung für die Weisungserteilung darstellen kann, zeichnet sich dadurch aus, daß das angewiesene Land behauptet, durch die Umsetzung der Weisung würden Grundrechte - insbesondere Art. 2 Abs. 2 oder Artt. 12, 14 GG - drittbetroffener Bürger oder Unternehmen (Artt. 12, 14 GG) verletzt. Es könnte sich um eine spezielle Form der treuhänderischen Wahrnehmung des Grundrechtsschutzes handeln. In diese Richtung etwa argumentierte die nordrhein-westfälische Landesregierung, als sie sich 1988 gegen die Bundesweisung wandte, die das atomrechtliche Genehmigungsverfahren für das Kernkraftwerk Kalkar betraf. 697 Neben Rügen anderer Art wird vorgebracht, die Weisung sei unvereinbar mit der den Staat aus Art. 2 Abs. 2 GG treffenden Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit; die Existenz des Landesstaatsvolks und damit des Landes selbst sei gefährdet. 698 Ein derartiges Recht auf grundrechtliche Prozeßstandschafit steht den Ländern indes nicht zu; die Länder sind trotz eines unbestreitbaren Interesses des Staates an der Gesundheit der Bevölkerung nicht Sachwalter des einzelnen. Die Grundrechte vermitteln den Ländern keine Garantenstellung für ihre Einhaltung. Es handelt sich hierbei nicht um Verletzung eigener Rechte der Länder. 699 Vielmehr obliegt die Wahrnehmung dieser Rechte dem einzelnen Bürger selbst.

m) Sonstige Grenzen des Weisungsrechts Andere Verfassungsgrundsätze, die als Kompetenzausübungsschranke für den Bund firmieren könnten, existieren neben der Pflicht zum bundesfreundli697

BVerfGE 81, 310 (317 ff.) sowie oben D. III. 2. b). BVerfGE 81, 310 (320). 699 BVerfGE 81, 310 (335 f.); BVerfG DVB1. 2002, 547 (548); T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 25; Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 426 ff.; Bethge/Rozek y Jura 1995, 213 (217); Frenz, NVwZ 2002, 561 (562); a.A. Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 72 ff. 698

V. Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen

267

chen Verhalten nicht. „Aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des einzelnen sind im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; ihm kommt eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu (...). Das damit verbundene Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff kann weder speziell auf die von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Land bestimmte Sachkompetenz noch allgemein auf Kompetenzabgrenzungen übertragen werden." 7 0 0

n) Zwischenergebnis Nur wenige Sachverhaltskonstellationen vermögen ein Abwehrrecht des Landes gegen eine innerhalb der Bundesauftragsverwaltung ergangene Bundesweisung zu begründen. Der Weisung muß ein verfassungsrechtlicher Malus anhaften, durch den die Aufsichtsmaßnahme des Bundes verfassungswidrig wird und keine Bindungswirkung mehr gegenüber dem angewiesenen Gliedstaat zu entfalten vermag. Weder eine einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit noch eine „einfachgesetzliche Rechtsgrundlagenlosigkeit" der Weisung reichen für das verfassungsrechtliche Verdikt aus. Ein solches kann aus geschriebenen Kompetenzschranken der Verfassung selbst oder aber aus der das staatliche Gemeinwesen durchdringenden Bundestreue folgen.

V . Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen 1. Allgemeine Problemstellung Streitigkeiten um Bundesweisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG werfen in prozessualer Hinsicht Rechtsschutzfragen unterschiedlicher Art auf. Diese Streitigkeiten beziehen sich naturgemäß nicht nur isoliert auf das spezielle Weisungsrecht, sondern auch auf die gesamte Bundesauftragsverwaltung und damit die verfassungsrechtlichen Basis der Weisung. Anders gesprochen: Unter welchen Voraussetzungen kann sich ein Bundesland gegen eine erteilte Weisung erfolgreich zur Wehr setzen, und welche gerichtliche Instanz ist zur Entscheidung berufen?

700

BVerfGE 81, 310 (338):

268

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Von dem Problem der Anfechtung einer bundesaufsichtlichen Weisung zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit dem betroffenen Land Rechtsschutz gegen Maßnahmen, die der Durchsetzung einer Weisung dienen, eröffnet ist. Die gerichtliche Geltendmachung einer Verletzung von Rechten der Länder kann dabei nur mittels eines verwaltungs- oder eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens in Betracht kommen. Die Klage des Landes, die auf Kassation der nach Art. 85 Abs. 3 GG ergangenen Weisung gerichtet ist, muß daher zunächst auf den zulässigen Rechtsweg hin untersucht werden. Dabei hat die Bestimmung des Rechtsweges Auswirkungen auf den Prüfungsmaßstab und -umfang und stellt dadurch letztlich ein zentrales Moment bei der Diskussion um den Rechtsschutz gegenüber Weisungen dar. Bei allen Unterschieden im einzelnen ist es beiden Rechtswegen gemein, daß ihr Beschreiten das Vorliegen öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten erfordert. Die zugrundeliegende Streitigkeit darf nicht privater Natur sein. Art. 85 GG als Verfassungsnorm und somit Teil des öffentlichen Rechts gebietet und verpflichtet einseitig Trägern öffentlicher Verwaltung, so daß sich die Weisung nach Art. 85 GG als eine dem öffentlichen Recht zugeordnete Handlungsweise des Bundes darstellt. 701

2. Rechtsweg a) Rechtswegmöglichkeiten Als Rechtsbehelf gegen eine erteilte Weisung kann einerseits durch Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 VwGO eine verwaltungsgerichtliche Klage in Betracht kommen. Instantiell zuständig wäre das BVerwG nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Andererseits kann auch die Möglichkeit der Anrufung des BVerfG bestehen, wenn es sich um ein verfassungsrechtliches Verfahren handeln sollte. Naheliegend ist der kontradiktorische BundLänder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG und § 13 Nr. 7 BVerfGG. 702 Für Bund-Länder-Streitigkeiten gelten - neben § 68 BVerfGG - nach § 69 BVerfGG die Vorschriften der §§64 bis 67 BVerfGG entsprechend, die Einzelheiten des Organstreitverfahrens regeln. 701

Der öffentlich-rechtliche Charakter von Weisungen wird im Schrifttum nicht weiter erörtert, sondern als selbstverständlich angenommen. Zum Merkmal einer öffentlichrechtlichen Streitigkeit s. nur Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 40 Rdnrn. 6 ff. m. umfangr. w. Nachw. 702 Der Bund-Länder-Streit ist das „Urgestein deutscher Verfassungsgerichtsbarkeit", Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 Rdnr. 69 (Zweitbearb.) unter Berufung auf Maunz, aaO., § 13 Rdnr. 43 (Erstbearb.).

V. Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen

269

Ein Mängelrügeverfahren nach Art. 84 Abs. 4 GG, welches in einen Beschluß des Bundesrates über die Verletzung eines Rechts durch ein Land mündet, scheidet als zulässige Verfahrensart zur Abwehr einer Weisung aus, wobei es entweder für von vorneherein unzulässig oder zumindest nicht erforderlich gehalten wird. 7 0 3 Das Schrifttum hat insbesondere im Zusammenhang mit atomrechtlichen Weisungen ganz überwiegend die Zuständigkeit des BVerfG als gegeben angesehen.704 Das BVerwG hat jüngst in einem Weisungskonflikt im Rahmen auftragsweiser Gesetzesausführung seine Zuständigkeit verneint und die Angelegenheit wegen des verfassungsrechtlichen Charakters der Streitigkeit zur Entscheidung dem BVerfG nach § 50 Abs. 3 VwGO vorgelegt. 705 Schließlich hat auch das BVerfG selbst sich im Verfahren um die Kalkar-Weisung für zuständig erklärt. 706 Nur vereinzelte Stimmen in der staatsrechtlichen Literatur hingegen haben den Rechtsweg vor das BVerfG als unzulässig angesehen und den Verwaltungsrechtsweg und somit die Entscheidungszuständigkeit des BVerwG bejaht, wobei teilweise eine ausschließliche Zuständigkeit des BVerfG, teilweise auch eine Doppelzuständigkeit vertreten wird. 7 0 7

703

Näheres dazu s. u. D. VI. 4. Ζ. B. Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 53; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 18 Rdnr. 18; Τ Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 340 ff. (insb. S. 368); Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (439 ff. [443]); H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (924); Sommermann, DVB1. 2001, 1549 (1553); Hermes, JZ 2001, 92 (94). Allgemein zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von BVerfG und BVerwG und der unterschiedlichen Qualität und Intensität der Rechtsschutzes der Länder gegenüber dem Bund Zimmermann, DVB1. 1992, 93 ff. Einen knappen Überblick über die Problematik bietet Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnm. 27 ff. 705 BVerwG NVwZ 1998, 500. 706 BVerfGE 81, 310 (329 f.). Ohne eine nähere Begründung wenig später auch beim Grube-Konrad-Verfahren, BVerfGE 84, 25 ff. sowie im Β 75-Urteil BVerfG DVB1. 2000, 1282. Dadurch wurde die „praktisch nahezu bedeutungslose Kompetenz des BVerfG" (so noch 1976 W. Leisner, in: FG BVerfG I, S. 260 [287]) unverhofft aufgewertet. 707 Für Alleinzuständigkeit des BVerwG noch K. Lange, NJW 1987, 2459 (2461). Differenzierter Ansicht ist Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 234 ff, der unzutreffend zwischen den jeweiligen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Weisungsvoraussetzungen unterscheidet und je nachdem das BVerfG oder das BVerwG als zuständig ansieht; ähnlich auch K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 116 ff.; in diese Richtung auch Winter, DVB1. 1985, 993 (997); Schulte, VerwArch 1990, 415 (429); Haedrich, Atomgesetz, 1986, vor § 22 Rdnr. 5. Neuerdings Zillmer, DÖV 1995, 49 (52 f.), dem zufolge bei einer bundesfernstraßenrechtlichen 704

270

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG eröffnet den Rechtsweg zum BVerfG „bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei Ausübung der Bundesaufsicht."

b) Rechtsweg bei Fehlen der verfassungsrechtlichen

Voraussetzungen

Bei einem Streit um die Rechtmäßigkeit einer auf Art. 85 Abs. 3 GG gestützten Weisung des Bundes geht es unzweifelhaft um eine Meinungsverschiedenheit über die Rechte des Bundes und des Landes „bei der Ausübung der Bundesaufsicht". Insoweit bestehen in der Zuständigkeitsdiskussion auch keine Differenzen. Die Geister scheiden sich jedoch an einem ungeschriebenen einschränkenden Tatbestandsmerkmal des Verfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG und den damit verbundenen Einordnungsfragen bei der konkreten Rechtswegabgrenzung. Nach ganz herrschender Meinung muß es sich beim Bund-Länder-Streit um solche Rechte oder Pflichten handeln, die sich aus dem GG oder zumindest einem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz ergeben. 708 Der Bund-Länderder nicht alle öffentlich-rechtlichen StreitigkeiStreit ist ein Verfassungsstreit, ten zwischen Bund und Ländern umfaßt. Dieser unmittelbar aus dem GG folgende Rechtscharakter stellt den Markstein der Rechtswegabgrenzung zum Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO dar. Keine Probleme bereiten Fallkonstellationen, in denen das Vorliegen von verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß der Weisung in Streit stehen. Die vom GG selbst umrissenen Konturen der Bundesauftragsverwaltung und damit auch die Grenzen des Weisungsrechts sind die konkreten Bestandteile der Auseinandersetzung zwischen dem Bund und dem Land, welche damit von einem materiellen Verfassungsrechtsverhältnis umschlossen sind. Es geht zuvörderst um ihre sich aus diesem sie umschließenden verfassungsrechtlichen Verhältnis ergebenden bundesstaatsspezifischen Rechte und Pflichten. Weisung auch der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Zillmer läßt dabei aber die eindeutige und diesbezüglich keinen Bewegungsspielraum gewährende Rechtsprechung des BVerfG unverständlicherweise außer acht und auch unerwähnt. 708 BVerfGE 41, 291 (303); BVerwGE 96, 45 (48 f.); Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnrn. 19 ff.; E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnrn. 1063 ff.; Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Aufl. 1996, vor § 68 Rdnr. 4; Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 9 Rdnr. 6; Schlaich/Korioth, Das BVerfG, 5. Aufl. 2001, Rdnr. 91 m. w. Nachw.; Selmer, in: FS BVerfG, 2001, S. 563 (567 u. 568 ff.); früher schon Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 35.

V. Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen

271

Einfaches Bundes- oder gar Landesrecht spielt für die vom Gericht zu treffende Entscheidung keine Rolle, so daß sich die Zulässigkeit des verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfs nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG und damit die Entscheidungskompetenz des BVerfG zwanglos ergibt. 709

c) Rechtsweg bei Fehlen der einfachgesetzlichen

Voraussetzungen

Eine wegen fehlerhafter Auslegung des einfachen Rechts und nicht der Verfassung inhaltlich rechtswidrige Bundesweisung hingegen weist hinsichtlich des zu beschreitenden Rechtsweges nicht diese Eindeutigkeit auf. 710 Es ist zunächst die Möglichkeit einer inhaltlichen Überprüfung der Weisung anhand ihrer (einfach-) gesetzlichen Voraussetzungen durch das BVerwG 7 1 1 nicht von der Hand zu weisen, da eine hierauf gerichtete Streitfrage - für sich allein betrachtet - verwaltungsrechtlicher Natur ist. 7 1 2 Dem wird zutreffend folgendes entgegengehalten: Das einfachgesetzliche „Abklopfen" und die sich anschließende Feststellung der Gesetzmäßigkeit oder -Widrigkeit einer Weisung ist für die Beurteilung des Rechtsweges nicht die zentrale Frage. Maßgebend ist vielmehr, ob der Adressat einer bundesaufsichtlichen Weisung überhaupt dadurch in seinen Rechten verletzt sein kann, wenn und soweit diese Weisung im Widerspruch zu einfachem Bundesrecht steht. 713 Das BVerfG stellt die Rechtsverbindlichkeit der Weisung für das betroffene Land fest. Das BVerfG ist indes kein „Superverwaltungsgericht". 714 Diese mögliche und behauptete Rechtsverletzung jedoch ist eine verfassungsrechtliche Streitfrage, deren Beantwortung in Auslegung des Art. 85 GG zu gewinnen ist. Bund und Land stehen sich unverändert als verfassungsrecht709 BVerfGE 81, 310 (329); Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 68; Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (42); Selmer, in: FS BVerfG, 2001, S. 563 (569 f.). 710 Instruktiv Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (441). 711 Zu sachlichen und instantiellen Zuständigkeit des BVerwG bei Weisungsstreitigkeiten s. BVerwG NVwZ 1998, 500. 712 Zutreffend BVerwG NVwZ 1998, 500 (501). 713 So BVerfGE 81,310 (329 f.: Der Antragsteller machte u. a. eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung von § 7 Abs. 2 AtomG geltend); BVerwG NVwZ 1998, 500 (Der Antragsteller rügte die Verletzung der §§ 2 Abs. 4 u. 1 Abs. 1 FStrG durch die Weisung). Dazu s. o. D. III. 3. a). 714 Dies weist schon 1976 W. Leisner, in: FG BVerfG I, S. 260 (268), von dem auch der Ausdruck stammt, im Hinblick auf die Kompetenz in Bund-Länder-Streitigkeiten nach. Dazu auch Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnm. 28 ff.

272

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

liehe Rechtsträger gegenüber, die um die Auslegung und Anwendung von Verfassungsrecht streiten. Es ist daher nicht der Inhalt der Weisung entscheidend, sondern vielmehr die äußere vom Bund gewollte und gewählte Handlungsform der Weisung, 715 Dabei mag die Rechtmäßigkeit und die Auslegung des einfachen Bundesrechts eine Vorfrage des Streitgegenstandes sein, die einzig entscheidende Hauptfrage jedoch ist die Verfassungsmäßigkeit des Verhaltens der Gliedstaaten beim Gesetzesvollzug. M. a. W.: Es geht um die Frage, ob die Länder ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Gesetzesausführung nach Art. 85 GG nachgekommen sind oder ob sie das grundgesetzlich geschützte Recht des Bundes verletzt haben. 716 Für den einzuschlagenden Rechtsweg ist die verwaltungsrechtliche Frage der materiellrechtlichen Rechtmäßigkeit ohne jeden Belang. Einfaches Bundesrecht ist dafür irrelevant, so daß zu einer Entscheidung ausschließlich das BVerfG berufen ist. Für die Konstruktion einer Entscheidungskompetenz des BVerwG ist daneben keinerlei Raum, der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO ist in diesen Streitigkeiten nicht eröffnet. 717 Es kann daher offen bleiben, ob das BVerfG bei sich innerhalb einer Weisungsauseinandersetzung stellenden einfachgesetzlichen Fragen mitentscheiden dürfte oder nicht. Denn das Land kann durch eine dem auszuführenden Gesetz widersprechende Weisung keinesfalls in seinen Rechten verletzt sein. Eine solche Rechtsfolge ist bei einfacher Rechtswidrigkeit schlechterdings nicht mög715

Exemplarisch für die Verkennung dieser Rechtstatsache neuerdings wieder Zillmer, DÖV 1995, 49 (51 ff). 716 Einzelheiten bei Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkung im Öffentlichen Recht, 1995, S. 407 f. S. auch Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 26. 717 So i. E. BVerfGE 81,310 (329 f.); 84, 25 (30); BVerwG NVwZ 1998, 500 (= JA 1998, 16 ff. mit Anm. Winkler = JuS 1999, 293 mit Anm. Sachs); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 53; Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 25; Herrfahrdt, in: BK, Art. 85 Anm. II. 6.; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnm. 222 u. 230 (Zweitbearb.); Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 21 ; Pieroth, in: Jarass/ders. (Hrsg.), GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 85 Rdnr. 7; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 29; Blümel in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 68; Schlaich/Korioth, Das BVerfG, 5. Aufl. 2001, Rdnr. 93; Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (42 ff.); Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (442 ff.); ders., atw 1987, 282 (284); H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (922 ff.); Pera, NVwZ 1989, 1120 (1124); Bethge/Rozek, Jura 1995, 213 (218); unklar Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts, 1990, S. 212 ff.; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 349 ff. A.A.: E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 1068 mit FN 46, für den Fall, daß sich ein Land gegen eine Bundesweisung zur Wehr setzt (keine Antragsbefugnis); der Bund hingegen sei ohne weiteres antragsbefugt (E. Klein, aaO., u. Rdnr. 1076).

V. Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen

273

lieh. Der als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltete Bund-Länder-Streit mutierte sonst zu einem Verfassungsstreit, innerhalb dessen die objektive Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zum Prüfungsmaßstab würde. Ein Anspruch des Landes auf eine fehlerfreie Gesetzesausführung durch den Bund besteht nicht. 7 1 8 Damit wird auch eine ansonsten unweigerlich sich ergebende Spaltung des Rechtsweges vermieden, der bei Annahme der Zuständigkeit von BVerfG und BVerwG als Konsequenz sehr wohl vorstellbar erscheint. 719 Schließlich sollte nicht völlig in Vergessenheit geraten, daß die Frage der Gesetzwidrigkeit von Bundesrecht kaum offenkundig zu Tage treten und unumstritten sein wird. Vielmehr werden regelmäßig entgegengesetzte Standpunkte eingenommen werden, deren „Richtigkeit" letztlich erst bei einer letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung feststehen wird. Der bloße Verweis auf die etwaige Gesetzwidrigkeit einer Weisung würde unweigerlich in eine föderale Auseinandersetzung und ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG münden mit der Folge, daß den obersten Bundesbehörden die ihnen nach Art. 85 Abs. 3 GG obliegende Aufgabe der verbindlichen Festlegung einer Rechtsansicht und Umsetzung mittels Weisung entzogen und unzulässigerweise dem BVerfG überantwortet würde. Ein Bund-Länder-Streit nichtverfassungsrechtlicher Art. nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Var. GG kommt wegen des abschließenden Prüfungsumfangs nicht in Betracht. Es bleibt bei inhaltlich rechtswidrigen Weisungen des Bundes in der Auftragsverwaltung dabei, daß Klagen der Länder gegen sie leerlaufen. Bemerkenswerterweise fand in der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates ein Vorschlag, an Art. 85 Abs. 3 GG einen Satz anzufügen, nach dem den Ländern das Recht auf gerichtliche Überprüfung der Bundesweisungen zustehen sollte, keine Mehrheit. 720 Begründet wurde die Ablehnung dieses reformatorischen Ansatzes mit dem Hinweis darauf, daß ein solches Recht mit dem System der Bundesauftragsverwaltung nicht zu vereinbaren sei und darüber hinaus die Gefahr existiere, daß die Handlungsfähigkeit des Bundes untergraben werde. 721 Von der Nichtexistenz einer judiziellen Kontrolle einer gesetzwidrigen Weisung unberührt bleibt die in vollem Umfange erhaltene gerichtliche Kontrolle 718

Dazu s. o. D. IV. 2. f). Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 27. Vgl. dazu auch Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 232 (Zweitbearb.). 720 Bericht der Verfassungskommission Bundesrat, S. 35 Rdnr. 79. 721 Bericht der Verfassungskommission Bundesrat, S. 35 Rdnr. 81. 719

18 Jaiiz

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

durch die vom Gesetzesvollzug Betroffenen. Diese Drittbetroffenen können also mittelbar sehr wohl das Produkt einer Weisung - und damit incidenter auch die Bundesweisung selbst - mit Erfolg gerichtlich angreifen.

3. Weitere Sachurteilsvoraussetzungen Neben dem Rechtsweg zum BVerfG ist die Zulässigkeit eines Bund-LänderStreits an weitere Zulässigkeitserfordernisse geknüpft. Diese einzelnen Sachurteilsvoraussetzungen finden sich ganz hauptsächlich in den §§68 bis 70 i.V.m. § § 6 4 bis 67 BVerfGG wieder. Bemerkenswerte Besonderheiten gegenüber landläufigen Bund-Länder-Streitverfahren sind nicht zu verzeichnen. 722 In der Rechtspraxis sind daher auch keine nennenswerten Schwierigkeiten zu erwarten.

a) Antrag Ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG kann allein durch einen schriftlichen Antrag eingeleitet werden. Insofern unterscheidet er sich nicht von den anderen Verfahren vor dem BVerfG. Die einzelnen allgemeinen Anforderungen für diesen Antrag ergeben sich aus § 23 Abs. 1 BVerfGG. Hinzu tritt, daß nach § 69 i.V.m. § 64 Abs. 1 und 2 BVerfG ein hinreichend substantiierter Vortrag des Antragstellers vorliegen muß.

b) Antragsberechtigung Die Antragsberechtigung ergibt sich aus § 68 BVerfGG. Danach sind ausschließlich die Landesregierungen berechtigt, einen Antrag beim BVerfG zu stellen und sich damit des Rechtsbehelfs des Bund-Länder-Streitverfahrens gegen die aufgrund des Art. 85 Abs. 3 GG ergangenen Bundesweisungen zu bedienen. 723 Die angewiesene Landesbehörde - sei es eine oberste, sei es eine

722 Unzutreffend daher T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 345, der bereits in der Zulässigkeitsprüfung „zahlreiche Probleme" feststellt. 723 Dazu allgemein Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 68 Rdnr. 4; E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnrn. 1059 f.; Sturm, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 93 Rdnr. 54; speziell T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 346 f. Nach Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 9

V. Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen

275

nachgeordnete Landesbehörde - ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm keinesfalls selbst antragsberechtigt. Eine Einbeziehung in den Kreis der Antragsteller ist auch nicht sachgerecht. Der Antrag ist nach § 68 BVerfGG gegen die Bundesregierung zu richten.

c) Streitgegenstand Eine aufsichtsrechtliche Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG stellt eine rechtserhebliche Maßnahme des Antragsgegners und somit einen tauglichen Streitgegenstand im Sinne des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 1 BVerfGG dar. 724 Die Weisung im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung ist der „Prototyp der Maßnahme" 725 nach § 64 Abs. 1 BVerfGG. Es handelt sich um einen föderalen Streit um grundgesetzliche Rechte und Pflichten.

d) Antragsbefugnis Nach § 69 i.V.m. § 64 Abs. 1 BVerfGG liegt die Antragsbefugnis vor, wenn der Antragsteller geltend machen kann, „daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist." Bei diesen angeblich verletzten Rechten muß es sich innert eines Bund-Länder-Streites um solche eigenen Rechte handeln, welche dem Land gegenüber dem Bund nach dem GG zustehen.726 Es muß also die Möglichkeit bestehen, daß durch das angegriffene Bundesverhalten - die Weisung - in ein grundgesetzlich geschütztes Abwehrrecht des Landes eingegriffen wird. Bei einer Weisungserteilung nach Art. 85 Abs. 3 GG wird regelmäßig die im Rahmen der Artt. 30, 85 GG gewährleistete Eigenstaatlichkeit der Länder nach Artt. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG in Betracht kommen. Diese kompe-

Rdnr. 9, sollen fallweise auch die Parlamente sich als Antragsteller gerieren können. Ohne äußere Not und innere Rechtfertigung überschreitet man aber mit dieser Ansicht den eindeutigen Gesetzeswortlaut. Ablehnend auch Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 68 Rdnr. 8. 724 Umfassend mit ζ. T. abweichender Ansicht T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 349 ff.; femer ausdrücklich auch E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 1076. 725 So Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 40. 726 Τ Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 347 ff.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

tentiellen Rechte vermitteln ohne weiteres eine Antragsbefugnis und können durch einen Bund-Länder-Streit geltend gemacht werden. 727

e) Übrige Zulässigkeitsvoraussetzungen Neben dem allgemeinen Rechtsschutzinteresse 728 ist eine Frist nach § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG zu beachten: Der Antrag muß binnen sechs Monaten, nachdem die Weisung als beanstandete Maßnahme dem Land bekannt (also wirksam 729 ) geworden ist, gestellt werden. 730 Es handelt sich um eine gesetzliche Ausschlußfrist. Wird sie vom Land mißachtet, so ist es präkludiert. Ein angewiesenes Land wird regelmäßig aus eigenem Interesse umgehend einen Antrag beim BVerfG stellen, so daß das Fristproblem scheinbar nur ein sehr gering zu veranschlagendes Gewicht besitzt. Die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse in einem Bundesland können sich aber während dieser SechsMonats-Frist verändern. Neu gebildete Regierungen beurteilen dann nicht selten umstrittene politische (Grundsatz-) Fragen - dazu sind insbesondere der Ausbau der Bundesfernstraßen sowie die friedliche Nutzung der Kernenergie, beides Materien auftragsweiser Verwaltung, zu rechnen - anders als ihre Vorgänger im Amte. Eine der möglichen Konsequenzen ist die Neubeurteilung einer erteilten Bundesweisung mit einer veränderten juristischen oder politischen Einstellung zu dieser. So verweigerte im Frühjahr/Sommer 1987 die hessische Landesregierung zunächst den Vollzug einer Bundesweisung vom 10. März 1987, mit der sie angehalten wurde, über die erste Teilgenehmigung für den Ausbau des ALKEM-Werkes in Hanau positiv zu entscheiden und die beantragte Genehmigung auf der Grundlage eines zwischen beiden Ministerien diskutierten Ar-

727 So ausdrücklich BVerfGE 81,310 (330); BVerfG DVB1. 2002, 547 (548); ferner Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 73. 728 Dazu E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnrn. 1080 f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 9 Rdnr. 14; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnrn. 96 ff. 729 Zum exakten Zeitpunkt des Wirksamwerdens einer Weisung s. o. D. II. 3. g). 730 Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 223 (Zweitbearb.); unklar Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 106: „Fristbeginn ist das Bekanntmachen bzw. das Bekanntwerden der Maßnahme." Weshalb nach T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 382, die Frist „bei Weisungskonflikten gewisse Ausstrahlungswirkungen auf die Rechtmäßigkeit weitergehender Zwangsmaßnahmen des Bundes über Art. 37 Abs. 1 GG" haben soll, ist nicht erkennbar.

V. Rechtsschutz gegen erteilte Weisungen

277

beitsentwurfes zu erteilen. 731 Nur wenig später nach Weisungserlaß erhob die Regierung beim BVerfG eine Normenkontrollklage gegen Bestimmungen des Atomgesetzes mit dem Ziel der Außerkraftsetzung der Weisung. Zu einer Entscheidung des BVerfG kam es jedoch nicht. Denn nach den Landtagswahlen am 5. April 1987, die eine neue Zusammensetzung des hessischen Landtages bewirkten, kündigte der designierte Ministerpräsident bereits in der Wahlnacht die ordnungsgemäße Umsetzung der Bundesweisung an. Außerdem nahm die Landesregierung den Normenkontrollantrag zurück. 732 Auch der entgegengesetzte Fall ist denkbar, daß eine neu gewählte Regierung allein schon als symbolische Geste gegen einen Weisungserlaß vorgeht und einen Bund-Länder-Streit vor dem BVerfG initiiert. Die Sechs-MonatsRegel gilt uneingeschränkt. Durch geänderte politische Mehrheitsverhältnisse wird die Frist nicht etwa verkürzt, dafür bietet der Gesetzestext keinerlei rechtliche Handhabe.

4. Die Entscheidung des BVerfG Ein Bund-Länder-Streit um eine bundesaufsichtliche Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 7, 69, 67 BVerfGG begründet, wenn „die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt." Dabei hat das BVerfG die verletzte Bestimmung zu bezeichnen. In der Entscheidungsformel kann das BVerfG zugleich eine für die Auslegung der betreffenden Bestimmung des GG erhebliche Rechtsfrage entscheiden, von der die Feststellung des Verstoßes gegen das GG abhängt, § 67 Satz 3 BVerfGG. Bei Weisungsstreitigkeiten ist in diesem Zusammenhang - wenig überraschend - primär an Art. 85 GG zu denken. Die Entscheidung des BVerfG ist gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG allgemein verbindlich, wirkt also nicht nur inter partes, sondern bindet die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Sie erwächst hingegen nicht in Gesetzeskraft, vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVerfGG. Das Urteil hat also einen rein feststellenden Charakter, eine etwaige Unwirksamkeit der Maßnahme spricht das Gericht nicht aus.

731 732

FAZ v. 11.3.1987, S. 1. Einzelheiten s. o. D. III. 2. a). Ob diese Antragsrücknahme zulässig gewesen war, ist durchaus nicht eindeutig.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG 5. Einstweiliger Rechtsschutz

Die Rechtsschutzmöglichkeit des Bund-Länder-Streits umfaßt für das antragstellende Land auch die Option eines Antrages auf einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG. Wenn und soweit die Voraussetzungen vorliegen, kann das BVerfG den Streitfall vorläufig regeln. Hierzu kann das Gericht die in Rede stehende Weisung vorläufig außer Vollzug setzen.733 Für ein angewiesenes Land erscheint ein verfassungsgerichtliches Eilverfahren - von den besonderen Entscheidungsvoraussetzungen einmal abgesehen zur Weisungsabwehr ein probates Mittel zu sein: Denn das zeitlich arg gestreckte Bund-Länder-Streitverfahren bietet keine rechtliche Handhabe, um während der Entscheidungsfindung die Geltung der Weisung außer Kraft zu setzen. Ein Suspensiveffekt ist dem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG fremd. 734 Dennoch ist von einem sich gegen eine Bundesweisung wendenden Land ein Antrag nach § 32 BVerfGG bislang - soweit ersichtlich - nicht gestellt worden. Möglicherweise spielen die gesteigerten Ansprüche an den Nachweis eines Anordnungsgrundes eine entscheidende Rolle. 735

6. Ergebnis Folgendes Zwischenergebnis für den Rechtsschutz gegen Weisungen bleibt demnach festzuhalten: Streitfragen über die Anwendung und Auslegung des Art. 85 GG und des ihm innewohnenden Weisungsrechts sind ausschließlich verfassungsrechtlicher Natur. Es besteht keine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte - weder in Form der Allein- noch einer Doppelzuständigkeit. Vielmehr obliegt eine Entscheidung über den Streitgegenstand ausschließlich dem BVerfG im Rahmen eines Bund-Länder-Streits. Eine einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit ist von den Ländern nicht rügbar, da ihnen in dieser Hinsicht mangels einer grundgesetzlichen Übertragung ein Abwehrrecht nicht zukommt. Die üblichen Sachurteilsvoraussetzungen für ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 733 Weiterführend T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 399 ff. Grundlegend BVerfGE 12, 36 ff. 734 Annähernd unbestritten, s. statt aller Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 226 (Zweitbearb.); T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 399; Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (37); Schulte, VerwArch 1990, 415 (428); a.A. unter Hinweis auf eine vermeintliche Ähnlichkeit mit der verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage nur Winter, DVB1. 1985, 993 (998), mit einem fehlgehenden Hinweis auf Triepel. 735 Vgl. zu diesen Voraussetzungen für die Annahme eines Anordnungsgrundes Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 18 Rdnrn. 16 ff. m. w. Nachw.

VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung

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Nr. 3 GG sind einzuhalten. Die Möglichkeit eines Eilverfahrens nach § 32 BVerfGG besteht.

V I . Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung 1. Ausgangssituation Eine zwangsweise Umsetzung einer vom Bund einem Land erteilten Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG kommt in zweierlei Fallkonstellationen in Betracht: Die erste Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, daß eine angewiesene oberste Landesbehörde (vgl. Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG) dem Bund die Gefolgschaft verweigert und eine Weisung - entgegen der Verpflichtung aus Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG - nicht vollzieht, weil sie die Weisung - aus welchen Gründen auch immer - als nicht bindend betrachtet. Die zweite mögliche Fallgruppe ist zunächst dadurch geprägt, daß der Bund wegen einer behaupteten Dringlichkeit nach Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG eine nachgeordnete Landesbehörde angewiesen hat, also vom Grundsatz der Einschaltung der zuständigen obersten Landesbehörde abgewichen ist. 7 3 6 Über diese Eilfallentscheidung bestehen nun Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und dem Land: Das angewiesenes Land negiert das Vorliegen eines Eilfalles nach Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG und sieht damit den Weisungsadressaten als unzuständig an. 737 Das Ergebnis die Nichtbefolgung der Weisung - ist identisch. Trotz Verschiedenheit dieser beiden denkbaren Konstellationen ist dem Bund durch ein weisungsmißachtendes Landesverhalten ein Weisungsvollzug zunächst verwehrt; es stellt sich die Frage, wie der Bund seine Weisung auch entgegen dem Landeswillen durchsetzen kann. Der Wortlaut des Art. 85 GG kann bei dieser bundesstaatlichen Krisis nicht weiterhelfen. Die Beanspruchung eines Selbsteintrittsrechts 738 oder das Recht zur Ersatzvornahme 739, also eine Kompetenz der obersten Bundesbehörde, die

736

Zu dieser Eilkompetenz s. o. D. II. b) aa) α). Vgl. dazu auch Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 19. 738 Vgl. etwa das Selbsteintrittsrecht der hessischen Aufsichtsbehörden - also insb. des Ministers (§ 86 Abs. 1 HSOG) - ggü. den nachgeordneten oder ihrer Aufsicht unterstellten allgemeinen Ordnungsbehörden, § 88 Abs. 1 HSOG (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung i. d. F. v. 31.3.1994, GVB1. II 310-63, zul. geändert durch G. v. 17.12.1998, GVB1.1 S. 562). 739 Vgl. etwa die Ersatzvornahme der Kommunalaufsichtsbehörde ggü. einer Gemeinde (ζ. B. in Brandenburg § 127 GO-Bbg) in Form der Selbst- oder Drittvornahme. 737

280

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Angelegenheit zur eigenen Erledigung an sich zu ziehen, kommt dem Bund über die Weisungsbefugnis nach Art. 85 Abs. 3 GG und die Aufsichtsmittel gem. Art. 85 Abs. 4 GG nach der ausgewiesenen Konstruktion der Bundesauftragsverwaltung zunächst nicht zu. 7 4 0 Auch kann daher eine unmittelbare Aufhebung eines landesbehördlichen Aktes vom Bund nicht ausgesprochen werden. 741 M.a.W.: Nur die obersten Landesbehörden können Zwangsmittel ergreifen und Disziplinarverfahren einleiten, um den Weisungsvollzug sicherzustellen (Art. 85 Abs. 3 Satz 2 u. 3 GG). Denn eine entsprechende Befugnis ist dem Bund schon von dem bloßen Wortlaut dieser Regelung her gerade nicht erteilt. Darüber hinaus besteht auch kein Devolutiveffekt, der einem einheitlichen Instanzenzug zwischen der obersten Bundesbehörde und der zuständigen Landesbehörde innewohnen würde. 742 740 BVerfGE 81, 310 (332); BVerfG NVwZ 2002, 585 (586); Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 19; Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 17; T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 20; Löwer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1987, § 56 Rdnr. 40; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnrn. 63 u. 67; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 813; J. Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 544; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 321; Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 128 f.; Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 17; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (423); Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (437 f.); ders., Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 22; ders., Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform des Atomgesetzes, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 67 (77 f.); Badura, Verfassungsrechtliche Fragen Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 87 (93); H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (918); wohl auch Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 23, der nur „Maßnahmen der Bundesaufsicht und des Bundeszwangs" zur Durchsetzung einer Weisung anerkennt. Vgl. dazu auch F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 45 (m. umfangr. Nachw. in FN 107). F. Loschelder diskutiert anschließend die Möglichkeit, daß Weisungen auch gegen den Willen des betroffenen Bundeslandes durch Bundesbehörden vollzogen werden könnten. Vgl. in diesem Zusammenhang auch das zumindest sehr mißverständliche Urteil des BGH DVB1. 1962, 488 (489), dem zufolge es einem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Satz entspreche, daß eine weisungsberechtigte oberste Behörde Aufgaben zur eigenen Erledigung an sich ziehen und insofern keine Zuständigkeitsüberschreitung vorliegen könne. Allerdings handelte es sich vorliegend um zwei in einem Instanzenzug verschränkte Behörden ein und desselben Verwaltungsträgers (örtliche Polizeibehörde und zuständiger Minister als oberste Landesbehörde). Kritisch auch Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 128. 741

So schon frühzeitig BVerwGE 4, 24 (27). Auf diesen Aspekt weist Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 22, hin. 742

VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung

281

Vielmehr steht der obersten Bundesbehörde als Mittel der Einflußnahme auf den Landesgesetzesvollzug nur die Weisung zur Verfügung. Dies hat unmittelbar zur Folge, daß die Weisung neben dem beschriebenen instrumentalen Aufsichtsmittel des Art. 85 GG zur Durchsetzung der Pflichterfüllung seitens der Länder auszureichen hat. 743 Die Rechtsverbindlichkeit einer erteilten Weisung für die obersten Landesbehörden ergibt sich unmittelbar aus der Regelung des Art. 85 Abs. 3 GG, gleich welchen Inhalt sie hat. Eines entsprechenden Transformationsaktes in das Landesrecht bedarf es daher wegen dieser verfassungsrechtlichen Determination nicht. 7 4 4 Wichtig in diesem Zusammenhang und von der Verbindlichkeit einer Weisung zu unterscheiden ist, daß die im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung erteilte Weisung nicht self-executing ist, sondern - ganz im Gegenteil - einer Umsetzung durch die Landesverwaltung bedarf. Dieses erhebliche Gesetzesvollzugsdefizit ist in der verfassungsrechtlichen Struktur der Bundesauftragsverwaltung, so wie sie in Art. 85 GG ihre konkrete Ausformung gefunden hat, angelegt und somit vom einfachen Gesetzgeber und dem Gesetzesanwender zugrunde zu legen. Die Weisung beinhaltet also immer eine Instruktion der Landesbehörde, zu einer Ersetzung der landesbehördlichen Maßnahme kommt es nicht. 745 Weitergehende Maßnahmen der eben genannten Natur, die Umsetzung der erteilten Weisung zu sichern, scheiden daher zunächst aus. Das Fehlen eines entsprechenden (Zwangs-) Rahmens innert des Art. 85 GG muß aber nicht dazu führen, daß der Bund taten- und hilflos die konsequente Verweigerungshaltung eines Landes hinnehmen müßte; 746 vielmehr stehen ihm neben den Inge-

743

S. 47 f. 744

Vgl. dazu z. B. Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974,

S. nur BVerfGE 84, 25 (31); Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 24. 745 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 54. 746 Insoweit sehr mißverständlich Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (40). Ihm zufolge sei der Bund bei einem weisungshemmenden und damit illoyalen wie illegitimen Verhalten der Länder „wehrlos", und auf Verfassungsebene werde „das Faustrecht eröffnet". Ihm folgend Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (291). Diese Sichtweite kann angesichts der bundesstaatlichen Machtbefugnisse außerhalb des Art. 85 GG, die Ossenbühl i. ü. anschließend auch benennt, so nicht auf Zustimmung stoßen.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

renzrechten des Art. 85 GG die „normalen", also bundesauftragsfremden Machtbefugnisse des Grundgesetzes zu. 7 4 7

2. Der Bundeszwang Diese weitergehenden Machtmittel finden sich namentlich in den Bundeszwangkompetenzen des Art. 37 GG. 7 4 8 Dieser Norm zufolge kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates bei Nichterfüllung von Bundespflichten aus dem Grundgesetz oder einem Bundesgesetz durch ein Land die notwendigen Maßnahmen treffen, um das betreffende Land zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Die Norm dient von ihrer Konzeption her als Vollstreckungsmittel und gestattet es also unter bestimmten Voraussetzungen, Zwang einzusetzen. Wird der Bundeszwang angewendet, so ist damit die Weisung umgesetzt. Verletzt ein Land in zurechenbarer Weise durch ein Handeln oder Unterlassen diese Umsetzungspflicht (vgl. dazu der Wortlaut des Art. 37 Abs. 1 GG), so steht der Anwendung des Bundeszwanges de constitutione lata nichts im Wege. Eine „Verletzung von Bundespflichten" als Tatbestandsvoraussetzung des Art. 37 Abs. 1 GG ist immer dann gegeben, wenn verfassungsmäßig begründete Weisungen 749 im Rahmen auftragsweiser Verwaltung von den Landesbehörden nicht beachtet werden, 750 auch indem entgegen Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG 747

Hierzu und zum folgenden eingehend T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 321 ff. m. w. Nachw.; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (437 ff.). 748 Umfassend zur Geschichte, zu den Voraussetzungen und den Maßnahmen des Bundeszwanges s. Nölting, Der Bundeszwang - Art. 37 des Grundgesetzes, 1956. In früheren deutschen Verfassungen war anschaulich von (Reichs-) „Exekution" die Rede, vgl. Art. 19 Verf Norddt. Bund, Art. 19 RV 1871; materiell-rechtlich ähnlich, aber ohne Verwendung des Begriffs „Exekution" Art. 48 Abs. 1 WRV; zu Art. 48 WRV im Vergleich mit Art. 37 GG Pötschke, Bundesaufsicht und Bundeszwang nach dem Grundgesetz, 1967, S. 162 ff. Zu den historischen Vorläufern des Art. 37 GG Maunz, in: ders./Dürig, Art. 37 Rdnr. 1 ; Evers, in: BK, Art. 37 Rdnm. 1 ff. (Zweitbearb.). 749 Bloße Hinweise oder Empfehlungen können mangels einer Rechtsverbindlichkeit keine Grundlage bieten, zutreffend Erbguth, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 37 Rdnr. 8. 750 So ausdrücklich Maunz, in: ders./Dürig, Art. 37 Rdnr. 14; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 715; E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 1068 FN 46; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/ders., GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 37 Rdnr. 1; Evers, in: BK, Art. 37 Rdnr. 9 (Zweitbearb.); Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 17; F. Loscheider, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 37; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föde-

VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung

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der Vollzug der Weisung von den obersten Landesbehörden nicht sichergestellt wird. 7 5 1 Denn die ordnungsgemäße Ausführung der Bundesgesetze im Auftrage des Bundes gehört zu den wesentlichen Bundespflichten der Gliedstaaten,752 und die Nichtbefolgung der Weisung stellt ein ausreichendes Nichthandeln dar, da im konkreten Fall hätte gehandelt werden müssen; eine nach Art. 85 Abs. 3 GG erteilte Weisung gebietet ein Handeln. 753 Der Bundeszwang stellt - wird auf seine Auswirkungen geschaut - eine Art der Zwangsvollstreckung dar. 754 Dem Bund wächst eine „partielle administrative Außenkompetenz" 755 zu, die ihm Art. 85 GG versagt. Gleichzeitig ist er das stärkste, resp. am massivsten in die Landeshoheit eingreifende Mittel, welches strikt von den Aufsichts- und Ingerenzrechten der Landesexekutive im Bundesauftrag zu unterscheiden ist. 7 5 6 Denn letzteres erfaßt die Mängelfeststellung bei der Gesetzesausführung und die Weisungserteilung, ersteres - Art. 37 GG - erlaubt hingegen die Durchführung von Zwangsmaßnahmen, falls das Land die beanstandeten Mängel nicht abstellt oder sich einer Weisung widersetzt. Art. 37 GG geht also ganz entscheidend und einschneidend über die Verwaltungsstrukturen nach Artt. 84, 85 GG hinaus, ihm unterliegt das gesamte Tätigwerden der Länder, nicht nur der Bereich der Gesetzesausführung. 757 Zutreffend läßt sich bildlich davon sprechen, daß Bundesaufsicht und Bundeszwang sich zueinander verhalten wie Tatbestandsfeststellung und Vollstreckung. 758 Die Mittel des Bundeszwangs sind in Art. 37 GG nicht näher beschrieben. Notwendige Maßnahmen i.S.d. Norm sind nach allgemeiner Ansicht „alle tat-

ralismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (291); i. E. auch Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (438); Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 67; H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (922). Speziell im Zusammenhang mit der Bundesfemstraßenverwaltung (Art. 90 Abs. 2 GG) s. Zillmer, DÖV 1995,49 (50). 75 1 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 64 a. E. 752 Unbestritten, s. nur Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. II, 3. Aufl. 1995, Art. 37 Rdnr. 6 m. w. Nachw. 753 S. vorangegangene FN. 754 Zutreffend Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. II, 3. Aufl. 1995, Art. 37 Rdnr. 1. 755 So Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (39). 756 Das Ziel ist allerdings identisch: Bundeszwang wie Bundesaufsicht sollen das Verhalten der Bundesländer in Einklang mit dem Bundesrecht bringen. 757 So Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 714 f. 758 So Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. II, 3. Aufl. 1995, Art. 37 Rdnr. 2; ähnlich Pieroth, in: Jarass/ders. (Hrsg.), GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 37 Rdnr. 2, dem zufolge „die Nichterfüllung von Pflichten ... Tatbestandsvoraussetzung für den Bundeszwang sein" kann.

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sächlich und rechtlich zur Verfügung stehenden Machtmittel", die der Durchsetzung der Pflichterfüllung dienen und dabei das Land am wenigsten beeinträchtigen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). 759 Von vorneherein unzulässig sind Maßnahmen mir einem repressiven Strafcharakter. 760 Eine Aufzählung zulässiger Bundeszwangelemente bieten Evers 761 und Stern. 162 Eine zulässige Maßnahme stellt die Ersatzvornahme der unterlassenen Handlung durch Bundesorgane dar, 763 welche gerade nicht zu den Aufsichtsmitteln des Art. 85 GG gehört. So kann etwa die Bundesregierung im Wege der Ersatzvornahme eine verweigerte atomrechtliche Genehmigung als angewiesene Maßnahme selbst erteilen, wenn das Land den Vollzug einer Weisung mißachtet. 764 Außerdem kommen für die Durchsetzung einer Weisung auch die Entsendung eines Bundesbeauftragten („Bundeskommissar") 765 sowie Maßnahmen in Betracht, mittels derer finanzieller oder wirtschaftlicher Druck auf das renitente Land ausgeübt werden kann. 766 Dieses schärfste dem Bund zur Verfügung stehende Schwert, gegen einen renitenten Gliedstaat effizient vorzugehen, mag in (verfassungs-) rechtlicher Hinsicht ein probates Mittel zur Sicherung der bundesstaatlichen Ordnung sein, in der bundesrepublikanischen Staatspraxis gibt es jedoch - auch außerhalb der Verwaltungs- und Rechtsgebiete des Art. 85 GG - keinen einzigen Fall der Anwendung des Art. 37 GG. 7 6 7 Bis auf ganz wenige und zudem mehrere Jahr-

75 9

Maunz, in: ders./Dürig, Art. 37 Rdnm. 47 u. 53; Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. II, 3. Aufl. 1995, Art. 37 Rdnm. 12 u. 15; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 716. 76 0 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 37 Rdnr. 54; Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. II, 3. Aufl. 1995, Art. 37 Rdnr. 12; Pieroth, in: Jarass/ders. (Hrsg.), GGKomm., 6. Aufl. 2002, Art. 37 Rdnr. 3. 761 In: BK, Art. 37 Rdnm. 54 ff. 762 Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 716 f. 763 Unbestritten, s. nur Evers, in: BK, Art. 37 Rdnr. 58; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 27; Pötschke, Bundesaufsicht und Bundeszwang nach dem Grundgesetz, 1967, S. 183 ff. 764 Dieses Beispiel für eine Ersatzvornahme bildet Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 67; allgemeiner Steinberg,, AöR 110 (1985), S. 419 (438), ders., Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, S. 27; sowie Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 233 mit FN 2. 76 5 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 37 Rdnr. 55; Pötschke, Bundesaufsicht und Bundeszwang nach dem Grundgesetz, 1967, S. 184 f. 76 6 F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 37. 767 Ganz im Gegensatz zur Weimarer Zeit, dazu Evers, in: BK, Art. 37 Rdnr. 3 (Zweitbearb.) m. w. Nachw. Fast visionär Evers, in: BK, Art. 37 Rdnr. 4 (Zweitbearb.),

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zehnte zurückliegende Ausnahmen 768 fehlt auch eine ergiebige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 37 GG. Politisch muß der Bundeszwfcng allein schon wegen seiner großen Eingriffsintensität nun doch als ultima ratio betrachtet werden. 769 Immerhin erwog die Bundesregierung, nachdem die hessische Landesregierung 1987 die Umsetzung einer bundesaufsichtsrechtlichen Weisung offen verweigerte, den Einsatz des Bundeszwanges.770 Die fehlende praktische Bedeutung in den vergangenen politisch verhältnismäßig ruhigen Jahrzehnten darf jedoch nicht zu dem (Trug-) Schluß führen, daß damit die Norm obsolet wäre; vielmehr garantiert ihr Bestehen in turbulenten föderalen Krisenzeiten die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der staatlichen Ordnung insgesamt und erweist sich demnach als unentbehrlich. 771 Dabei gilt keine Beschränkung auf „gravierende Verfassungsverletzungen", wie sie Storr 772 behauptet. Dieser Gedanke gilt auch unter dem Blickwinkel, daß bereits die Drohung mit dem Einsatz des Bundeszwangs ausreichen kann, ein Land zum Einlenken zu bewegen.

3. Der Bund-Länder-Streit Weniger effektiv als das Instrument des Bundeszwangs stellt sich eine andere Möglichkeit des Bundes zur Sicherstellung der Weisungsumsetzung durch die Landesbehörden dar. Die Bundesregierung kann vor oder anstelle der Ausübung des Bundeszwanges eine Entscheidung des BVerfG im Wege des Bund-Länder-Streites nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 - 70 BVerfGG herbeiführen. 773

der 1967 die [i. E. zutreffende, d. Verf.] Erwartung äußerte, der Bundeszwang werde auch in Zukunft entbehrlich sein. Auch Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 67, hält die Anwendung des Bundeszwanges in den hier interessierenden Fällen für nicht realistisch. 768 Nennenswert sind und daher erwähnt seien BVerfGE 3, 52 (57); 7, 367 (372). 76 9 Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (38). 770 S. o. D. III. 2 a). 77 1 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 37 Rdnrn. 9 f.; Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. II, 3. Aufl. 1995, Art. 37 Rdnr. 2; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 715. 772 Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (291). 773 BVerfGE 84, 25 (30); Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 67; Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 17; F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung,

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

In diesem Verfahren vermag die antragstellende Bundesregierung die Feststellung des BVerfG zu erreichen, daß das Land durch die Nichtbefolgung der erteilten Weisung gegen Art. 85 Abs. 3 GG verstoßen und somit seine verfassungsrechtlichen Pflichten verletzt hat (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 69 i.V.m. 67 BVerfGG). 7 7 4 Das BVerfG hat demnach als „Verfassungsfachgericht" den Streit über die Gesetzmäßigkeit des Landesvollzugs von Bundesgesetzen zu entscheiden. Es handelt sich gleichwohl nicht etwa um eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit (vgl. § 40 VwGO), die von den Verwaltungsgerichten zu entscheiden wäre. Tauglicher Streitgegenstand sind vielmehr die verfassungsrechtlichen Grenzen der Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die landeseigene Verwaltung, so daß die vom Grundgesetz gezogenen Funktionsgrenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit gewahrt bleiben. 775 Einer vorherigen Anrufung des Bundesrates, wie es etwa in Art. 84 Abs. 4 Satz 1 GG für den landeseigenen (Regel-) Vollzug von Bundesgesetzen vorgesehen ist, 7 7 6 bedarf es für Aufsichtsstreitigkeiten in der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG als Prozeßvoraussetzung für das verfassungsgerichtliche Verfahren nicht. Denn unbestrittenermaßen ist Art. 84 Abs. 4 GG eine Spezialnorm, die ihren Anwendungsbereich ausschließlich im verwaltungsmäßigen Bundesgesetzesvollzug findet. 777 Aufsichtsstreitigkeiten außerhalb dieser speziellen Konflikte benötigen daher kein Bundesratsvorverfahren. 778

1998, S. 37 m. w. Nachw. in FN 75; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (291); H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (922). Früher schon Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, 1950, S. 44. Speziell zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Vorliegens eines Eilfalles nach Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG s. Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 19. 77 4 Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (39), spricht plastisch von dem „sanften" Mittel der Bund-Länder-Streitigkeit im Gegensatz zum „harten" Mittel des Bundeszwanges. F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 37. 775 Dazu allgemein W. Leisner, in: FG-BVerfG I, 1976, S. 260 (268 ff.). 776 Das Verhältnis von Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG in Form des sog. Aufsichtsstreits zu Art. 84 Abs. 4 GG ist hinsichtlich der Frage, ob auch ohne vorherige Einschaltung des Bundesrates das BVerfG angerufen werden kann, umstritten; zum Meinungsstand ausführlich Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnm. 178 ff. m. umfangr. Nachw. Das BVerfG sieht die Entscheidung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 4 Satz 1 GG als unabdingbare Prozeßvoraussetzung an, ohne indes diese Zulässigkeitsprämisse ausdrücklich zu erörtern, so BVerfGE 6, 309 (329); 7, 367 (372); 8,122 (131 f.). 777 So unmißverständlich BVerfGE 6, 309 (329). 778 Statt aller Löwer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1987, § 56 Rdnr. 39 a. E.

VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung

287

4. Das Mängelrügeverfahren Als ein weiteres, den Weisungsvollzug sicherstellendes Instrument ist in Teilen des Schrifttums das Mängelrüge- und Mängelbeseitigungsverfahren des Art. 84 Abs. 4 Satz 1 GG benannt worden, 779 wobei die Anwendbarkeit dieses Verfahrens, welches zunächst nur für den Regelvollzug von Bundesgesetzen durch die Länder nach Artt. 83, 84 GG gilt, auch im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung denkbar ist. Bei diesem Verfahren kann bei Gesetzesvollzugsmängeln der Länder der Bundesrat entscheiden, ob das Land das Recht verletzt hat. Gegen eine entsprechende Entscheidung hat das betroffene Bundesland das Recht, das BVerfG anzurufen (Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG). Es ist jedoch im Ergebnis kein Mittel zur Weisungsdurchsetzung, dessen sich der Bund bedienen könnte, wenn ein Land einen Weisungsvollzug verweigert. Es stellt nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung eine nicht analogiefähige Spezialnorm dar, für deren Anwendung es aufgrund des zunächst sachlich nicht begrenzten Weisungsrechts auch keinen Bedarf gibt, so daß es als „entbehrlich" anzusehen ist. 7 8 0 Zudem erscheint es zweifelhaft, ob es im Bundesrat zu einer erforderlichen Mehrheit kommen würde. Schließlich würde die Mängelrüge im Ergebnis auch nur nach Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG zu einer Entscheidung des BVerfG führen, was weder in zeitlicher noch in sachlicher Hinsicht einen greifbaren Vorteil darstellen würde. 781 Ganz im Gegenteil: Nur bei einem Verzicht auf die Vorschaltung einer Mängelrüge ist die schnelle Durchsetzung einer Bundesweisung möglich. Selbst bei Annahme der Zulässigkeit im Bereich der Auftrags-

779

So etwa Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnrn. 81 ff.; Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 28; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 23; wohl auch Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 21, unter Hinweis auf Schäfer, DÖV 1960, 641 (648). Nach Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 113, ist das Mängelrügeverfahren jedenfalls nicht erforderlich. 780 So Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 15. 781 Ablehnend v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz - Band III, 2. Aufl. 1970, Art. 85 Anm. VI 6 a aa; Hantke, Bundesstaatliche Fragen des Energierechts unter besonderer Berücksichtigung des hessischen Energiespargesetzes, 1990, S. 233; H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (922); i. E. wohl auch Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 23 („...die Durchführung des Mängelrügeverfahrens ist insoweit entbehrlich."); T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 323 ff.; zusammenfassend dazu F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 40 f. m. w. Nachw.

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

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Verwaltung tendiert die praktische Bedeutung gegen Null, 7 8 2 was sich auch in der fehlenden Anwendung seit 1949 widerspiegelt.

5. Fernliegende Instrumentarien Das GG enthält weitere Sonderkompetenzen fur bestimmte Krisensituationen. So gibt Art. 91 Abs. 2 GG der Bundesregierung die Möglichkeit, im Fall eines sog. „inneren Notstandes" die Polizeistreitkräfte dieses Landes oder auch anderer Länder ihren Weisungen zu unterstellen sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes einzusetzen. Eine massivere bundesstaatliche Keule gegenüber sich dem Bundeswillen verweigernder Länder ist kaum denkbar. Es verwundert daher nicht, daß es zu einer Aktivierung der Kompetenzen aus Art. 91 Abs. 2 GG bislang nicht gekommen ist und auch - soweit ersichtlich - seine Inanspruchnahme nie ernstlich erwogen wurde.

6. Bundeszwang als ultima ratio? Für welchen Weg sich die Bundesregierung entscheidet, obliegt ihr und unterliegt einem verfassungsgerichtlich nicht überprüfbaren Ermessen. Beide Möglichkeiten stehen selbständig nebeneinander, eine bestimmte Reihenfolge ist nicht einzuhalten, auch nicht in Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprin•

783

zip. Diese Ansicht ist nicht unbestritten. 784 Es wird auch die Meinung vertreten, daß die vorherige Anrufung des BVerfG „regelmäßig geboten" 785 sei, da der 782

Das konzediert auch Bull, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 85 Rdnr. 28; femer Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 Rdnr. 113. 783 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 37 Rdnr. 30; Erbguth, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 37 Rdnr. 5; Gubelt, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. II, 3. Aufl. 1995, Art. 37 Rdnr. 1; Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 8; Hömig, in: Seifert/ders. (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 1995, Art. 85 Rdnr. 13; E. Klein, in: Benda/ders., Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 1075; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 716; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 67; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 233 f.; H. Wagner, DVB1. 1987, 917 (922); i. E. auch Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (38), auch wenn dieser „gute Gründe" für die Qualifikation des Bundeszwanges als ultima ratio entdecken will (aaO., S. 38 f.). 784 Frowein, Die selbständige Bundesaufsicht nach dem Grundgesetz, 1961, S. 60; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 (438); ders., Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, S. 25 f., demzufolge aber Ausnahmesituationen wie ζ. B. Gefahr in Verzug oder irreparable Schäden für das bundesstaatliche Gefüge denkbar sind; ihm ausdrück-

VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung

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Bundeszwang das einschneidendere der beiden Mittel sei. Außerdem werde das BVerfG aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin von dem „exekutierten" Land angerufen, so daß es letztlich doch mit der Aufsichtsstreitigkeit befaßt werde. 7 8 6 Eine solche, i. ü. nicht auf den Text des Grundgesetzes zu stützende Restriktion ist jedoch nicht sachgerecht und auch nicht erforderlich, da durch die absolut zwingende Einschaltung des Bundesrates vor Anwendung des Bundeszwanges nach Art. 37 Abs. 1 GG ein ausreichendes bundesstaatliches Korrektiv besteht; des weiteren ist es den Ländern unbenommen, ihrerseits gegen die Maßnahmen des Bundeszwangs das BVerfG anzurufen und ein Bund-LänderStreitverfahren einzuleiten. 787 Daß die von den Ländern beanstandete Bundeszwangmaßnahme gleichwohl postum noch einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, vermag hingegen einen Anwendungsvorrang nicht zu begründen. Denn stellt das Grundgesetz dem Bund diese scharfe Waffe zur Verfügung, so würde sie vollends entwertet und damit ohne Not zur juristischen kleinen Münze degeneriert werden, wenn sie gegenüber dem bundesverfassungsrechtlichen Bund-Länder-Streit subsidiär wäre. Der Einsatz (das „Ob") des Bundeszwanges stellt rein rechtlich folglich keine ultima ratio dar, sofern nur die Voraussetzungen des Art. 37 GG vorliegen. Daß der Gedanke der bundesstaatlichen Konfliktminderung die das Land in seiner Eigenständigkeit schonendere Möglichkeit, d. h. also den Bund-LänderStreit, nahelegt, dürfte auf der Hand liegen. Auch mag eine frühzeitige Einschaltung des BVerfG begrüßenswert sein. 788 Aus diesen rein praktischpolitischen Erwägungen jedoch juristische Schlüsse in bezug auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Anwendung des Bundeszwanges nach Art. 37 GG zu ziehen, ist nicht überzeugend.

lieh folgend Pera , NVwZ 1989, 1120 (1124 f.); mit ähnlichem Ergebnis sehr differenzierend T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 327 ff; ohne nähere Begründung ebenfalls Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 17 a. E.; ähnlich auch Zinn, DÖV 1950, 522 (524: „... in der Regel..."). Vgl. schließlich Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 64 a. E. („äußerstenfalls auch Anwendung des Bundeszwangs"). 785 Steinberg,, AöR 110 (1985), S. 419 (438). 786 Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 26. 787 Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 233 f. (FN 3). 788 So ausdrücklich Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 26. 19 Janz

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Abzuscheiden von dieser Frage ist folgendes: Wendet die Bundesregierung den Zwang nach Art. 37 GG an, so kann das betroffene Land ohne weiteres nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG das BVerfG anrufen und die Verfassungsmäßigkeit des Bundeszwangs nachprüfen lassen.789 Unerheblich ist, daß der Bundesrat nach Art. 37 Abs. 1 GG den Maßnahmen aufgrund einer eigenen Entscheidung zugestimmt hat. 790 Zulässigkeit, Inhalt und Umfang des Bundeszwangs unterliegen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Für die Wahl der Mittel zur Durchsetzung der Bundesweisung dürften letztlich praktische und psychologische Erwägungen eine gewichtige Rolle spielen. Dabei gilt es, verschiedene Aspekte differenziert zu betrachten und zu erkennen, daß eine rein vordergründig auf die Stärke einer Maßnahme abstellende Sichtweise den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht zu werden vermag. Der Bundeszwang mag dem ersten Anschein zufolge als massivste Einwirkungsmöglichkeit des Bundes auf die Länder auch als die effizienteste gelten. Dies ist indes nicht zwingend und ausnahmslos der Fall. Zunächst einmal stellt die Eingriffseffizienz im Bundesstaat nicht allein das Maß aller Dinge dar. Vielmehr ist auch die bei einer verfassungsgerichtlichen Klärung erheblich höhere Befriedungsfunktion in Rechnung zu stellen. Psychologisch betrachtet gilt es weiterhin festzustellen, daß Art. 37 GG kraft seiner Schlagkraft mit einer politisch hohen Verfahrensschwelle ausgestattet ist. 7 9 1 Denn das obligatorische Einschalten des Bundesrates im Bundeszwangverfahren nach Art. 37 Abs. 1 GG („...mit Zustimmung des Bundesrates...") kann sich zum entscheidenden verfassungsrechtlichen Hemmschuh entwickeln, wenn der Bundesrat seine Mitwirkung versagt und damit der Weg des Art. 37 GG nicht gangbar ist. Ein solches Szenario ist insbesondere in Zeiten denkbar und realistisch, in denen im Bundesrat keine politische Gleichgestimmtheit herrscht. Dann bleibt dem Bund, resp. der Bundesregierung nur noch der Gang vor das BVerfG und die Einleitung eines Bund-Länder-Streitverfahrens ggf. mit der Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG. 792

789 BVerfGE 7, 367 (372); F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/ders., GG-Komm., Art. 37 Rdnr. 7; Erbguth, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 37 Rdnr. 5. 790 Löwer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1987, § 56 Rdnr. 40. 791 Darauf weist z. B. Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (39), hin. S. auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (291). 792 Dazu sogleich.

VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung

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Nicht übersehen werden sollte, daß hinsichtlich der Handhabbarkeit und des Konfliktbeendigungsgrades der zu wählenden Vorgehensweise die Anrufung des BVerfG einen erheblichen zeitlichen Nachteil gegenüber der Anwendung des Bundeszwanges in sich birgt. Denn Bund-Länder-Streitverfahren ziehen sich typischerweise hin, 7 9 3 so daß regelmäßig die Anwendung des Bundeszwangs eine schnellere und damit wirksamere Maßnahme darstellt. Ein BundLänder-Streitverfahren endet möglicherweise erst nach vielen Jahren, und die Feststellung des BVerfG, daß das Land mit seiner Weigerung, die Weisung auszuführen, seine verfassungsrechtlichen Pflichten verletzt habe, vermag durch ihre Verzögerung am fait accompli, an einem irreversiblen Zustand, nichts mehr auszurichten. Denkbar ist es, zur Verhinderung eines ggf. unbehebbaren Schadens eine von der Bundesregierung behauptete Verletzung von Bundespflichten durch eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG abzuwenden.794 Ein entsprechender Verpflichtungsanspruch stellt eine wirksame Möglichkeit dar, das angewiesene Land zur Beendigung der Vollzugsweigerung zu bringen. 795 Das BVerfG hat in Bund-Länder-Streitigkeiten entsprechenden Zuschnitts einstweilige Anordnungen gem. § 32 BVerfGG getroffen, obwohl ebenfalls die Anwendung von Bundeszwang nach Art. 37 GG in Betracht gekommen wäre. 796 Bemerkenswert ist, daß nicht zuletzt die hohe und letztlich unbestrittene Akzeptanz der Rechtsprechung des BVerfG 7 9 7 dazu geführt hat, daß (verfassungsrechtliche) Streitigkeiten vor diesem Gericht ausgefochten werden und sich die an dem Konflikt Beteiligten an die Entscheidung des BVerfG ohne Wenn und Aber halten, so daß der Streit erledigt ist. Es entspricht guter und seit jeher geübter Staatspraxis, daß sich alle bundesdeutsche Gewalt freiwillig ohne etwaige Vollstreckungshandlungen dem Spruch des BVerfG beugt. In concreto wird erreicht, daß mit einem verbindlichen Spruch des BVerfG der reale Vollzug einer

793

Hierauf weisen Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 67, sowie F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 37 f., hin; vgl. ferner Ossenbühl Der Staat 28 (1989), S. 31 (38). 794 Details bei F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 38 f.; Blümel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 101 Rdnr. 67; Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989, S. 233. 795 So Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S. 31 (40 f.). 796 So etwa in den Entscheidungen BVerfGE 7, 367 (372); 7, 374 ff.; 8, 42 (44 ff.). 797 Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 84 Rdnr. 130, attestiert dem BVerfG die Rolle des „zentralen Konfliktschlichters".

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Weisung, die innerhalb der Bundesauftragsverwaltung ergeht, durch die Landesbehörden nach den bisherigen Erfahrungen sichergestellt ist. 7 9 8

7. Weisungsvollzug durch Bundesbehörden? Bis vor kurzem spielte ein denkbarer Weisungsvollzug bei der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG durch die Bundesbehörden selbst in der wissenschaftlichen Diskussion keine Rolle. Die allseits konzedierte Verfassungsrechtslage nebst der Rechtsprechung des BVerfG schien keinen Raum für Überlegungen in diese Richtung zu lassen. Die Ausschließlichkeit der Wahrnehmungskompetenz bei den Ländern schien ein unumstößliches Dogma zu sein, an dem niemand ernstlich zu rütteln wagte.

a) Der Ansatz F. Loschelders Erst durch die umfangreiche Arbeit von F. Loschelder 799 ist diese Sicht der Bundesauftragsverwaltung allgemein und des Weisungsrechts speziell offen in Frage gestellt worden. Dabei ist der Ausgangspunkt F. Loschelders folgender: Er beklagt die Unzulänglichkeit des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes und des Bundeszwanges. Er stellt sich die Frage, ob die Bundesauftragsverwaltung als „defizitäre Verwaltungsform" 800 zu charakterisieren sei. Letztlich in dieselbe Kerbe schlägt Schmidt-Preuß, wenn er konstatiert: „Die Weisung verträgt keine Fundamentalopposition der Landesregierungen." 801 Betreibt ein Land ζ. B. einen „ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug im Atomrecht" 802 , so besteht die Gefahr,

798

So auch Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 25. Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998. 800 AaO., S. 41. In seiner Schlußbetrachtung (S. 141) anerkennte. Loschelder zuletzt doch, daß jedenfalls für den Normalfall des ordnungsgemäßen Gesetzesvollzuges die Bundesauftragsverwaltung ob ihrer unbestreitbaren Vorteile auch weiterhin „ihre verfassungspolitische Funktion als Verwaltungsform zwischen landeseigener Verwaltung und Bundesverwaltung" erfüllt. Entsprechende Befürchtungen sind nicht neu: Schon 1951 wurde dieföderalistische Konstruktion des GG auch und insbesondere in Hinblick auf eine vermeintlich einseitig länderfreundliche Gesinnung bei der Ausgestaltung der Verwaltungskompetenzen und damit fehlender „Durchschlagskraft" des Bundes als ein „verhängnisvoller Mißgriff charakterisiert, so Weber, DÖV 1951, 509 (511); in diese Richtung auch Zinn, DOV 1950, 522 (524). 801 NJW 1995, 985 (986). 802 Sendler, DÖV 1992, 181. S. auch Langenfeld, DÖV 2000, 929 (931). 799

VI. Zwangsweise Umsetzung einer erteilten Bundesweisung

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daß die Aufsichtsrechte des Bundes ins Leere laufen und damit der auftragsrechtliche Vollzugswille nicht umgesetzt wird. Ein solcher „kreativer Vollzug" 8 0 3 lähmt. H. Wagner formuliert ähnlich pessimistisch: „Gegen die Nadelstiche einer Unzahl von kleinen und kleinlichen Verwaltungskniffen ... führt ein Schwertstreich des Weisungsrechts schon gar nicht zum Erfolg." 804 In diesem Zusammenhang verweist F. Loschelder hinsichtlich des BundLänder-Streites auf den beträchtlichen Zeitraum zwischen Einleitung des Verfahrens sowie Entscheidung des BVerfG. Bei einem entsprechend verspäteten Weisungsvollzug könne der gesamte Zweck des Bundesweisungsrechts vereitelt oder zumindest in Frage gestellt werden, sei es wegen (drohender) erheblicher finanzieller Verluste, sei es wegen der Schaffung eines irreversiblen Zustandes.805 Der Bundeszwang nach Art. 37 GG sei wegen des Erfordernisses der Zustimmung des Bundesrates ineffektiv und damit zur Bewältigung von Weisungsstreitigkeiten letztlich ungeeignet, was sich auch darin niederschlage, daß der Bundeszwang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht zur Anwendung gekommen ist. 8 0 6 Insgesamt sei eine unbefriedigende verfassungsrechtliche Situation bei Weisungskonflikten zu konstatieren. Die Lösung könne in einem Weisungsvollzug durch die Bundesbehörden selbst lie-

b) Kritische Stellungnahme Ob eine derartige Übertragung der Wahrnehmungskompetenz auf den Bund und seine obersten Bundesbehörden sinnvoll, praktikabel und letztlich verfassungsrechtlich zulässig wäre, erscheint zumindest zweifelhaft. Denn die gewichtigen und in den Jahrzehnten seit der Begründung der Bundesrepublik Deutschland nicht ernstlich kontrovers diskutierten Argumente gegen die Zusammenlegung der Verwaltungskompetenzen sowie die Vorteile, welche die Bundesauftragsverwaltung gegenüber dem bundeseigenen Gesetzesvollzug hat, sind nicht einfach von der Hand zu weisen.

803 Barth, in: W. Bayer/Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atomausstieg, 2000, S. 7 (12), unter Bezugnahme auf Bundesumweltminister Trittin. 804 NJW 2000, 1538. 805 F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 37 ff. 806 AaO., S. 40. 807 AaO., S. 42 ff.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Auch F. Loschelder übersieht diesen Umstand nicht und zuerkennt dem Bund eine eigenständige Eintrittsbefugnis schließlich nur, aber immerhin in extremen Fällen eines Weisungskonfliktes unter engen Voraussetzungen. 808 Ein echter Bedarf für dieses Theorem ist indes nicht erkennbar. Neben den angesprochenen Bedenken verfassungsrechtlicher Art bleibt zu fragen, ob in einem solchen „Extremfall" nicht bereits eine derart massive Störung des kooperativen Föderalismus vorliegt, daß gerade das Mittel des Bundeszwanges ernsthaft vom Bund in Betracht zu ziehen ist, als dem ultima-ratio-Instrument, welches gerade in Hinblick auf diese möglichen Ausnahmesituationen dem Bund an die Hand gegeben wurde. Bereits die normative Möglichkeit der Anwendung von Bundeszwang übt regelmäßig faktischen wie politischen einen Druck auf das Land aus, dessen es sich kaum zu entziehen vermag. Nicht zufällig ist es zu Zwangsmaßnahmen nach Art. 37 GG seit 1949 nicht gekommen. Außerdem gilt es zu berücksichtigen, daß durch die Inanspruchnahme einer Eintrittskompetenz des Bundes das betroffene Land nicht etwa rechtlos gestellt wird und dem Bundeshandeln tatenlos zusehen müßte. Vielmehr kann (und wird! Es bedarf keiner besonderen prophetischen Gabe, dies vorauszusehen) das Land sich gegen ein derartiges Übergreifen mit einer Klage vor dem BVerfG (Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG) zur Wehr setzen. Eine solche Sicht gilt um so mehr, als im Ergebnis die Mittel des Bundeszwanges denen einer ausnahmsweisen Übertragung der Weisungskompetenz auf den Bund inhaltlich entsprechen würden. 809 Darüber hinaus scheint auch der Bund-Länder-Streit nicht von vorneherein ein ungeeignetes Mittel zu sein. Zwar führt das Verfahren nicht unmittelbar zu einem „Weisungserfolg", da das BVerfG schlechterdings selbst eine Ersatzvornahme vornehmen kann. Immerhin besteht die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG. Der in rechtstatsächlicher Hinsicht diesbezüglich allein relevante Bereich des Vollzuges des Atomgesetzes war gekennzeichnet von einer juristisch kaum faßbaren Ausstiegspraxis insbesondere mit dem Ziel des „Totprüfens" einer kerntechnischen Anlage. Diese föderalen Auseinandersetzungen liegen indes entweder im einer Weisung temporal vorgelagerten oder ggf. auch nachgeordneten Bereich, so daß diese Vollzugsprobleme nicht als tragfähige Begründung für einen Weisungsvollzug durch Bundesbehörden selbst herhalten können. Im sehr unwahrscheinlichen hartnäckigen Weigerungsfalle eines Landes auch nach einer Entscheidung des BVerfG 808

Einzelheiten aaO., S. 46 ff. Die von F. Loschelder geäußerten Bedenken hinsichtlich des notwendigen Mitwirkens des Bundesrates sind - das sei zugestanden - nicht völlig von der Hand zu weisen. 809

VII. Vorläufige Bilanz

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gleich ob im einstweiligen Rechtsschutz oder im Hauptsacheverfahren - besteht als letztes Mittel noch die Möglichkeit der Vollstreckung nach § 35 BVerfGG. 810 Diese de constitutione lata unbestritten vorhandenen Handlungsoptionen lassen letztlich F. Loschelders Lösungsmodell für gravierende Weisungskonflikte auch und gerade aufgrund der ganz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken entbehrlich erscheinen. 811

V I I . Vorläufige Bilanz 1. Grundsätzliche Akzeptanz Das Aufsichtsmittel „Weisung" innerhalb der Ausführung von Gesetzen nach Art. 85 GG hat sich insgesamt bewährt. Der Bund kann durch dieses Instrument einerseits einen gleichmäßigen und bundeseinheitlichen Gesetzesvollzug sicherstellen und andererseits seine Ansicht in Recht- und Zweckmäßigkeitsfragen gegenüber dem Land - bei Bedarf auch gegen den erklärten Willen des Landes - durchsetzen. Damit ist der informellen und nicht auf Zwang fußenden Kooperation von Bund und Ländern ein wirksames Direktionsmittel an die Seite gestellt. Alleingänge einzelner Länder, die gesamtstaatliche oder sogar supranationale Entscheidungen unterlaufen, können wirksam beendet werden. 812 In die hierarchische bundesstaatliche Struktur nach Art. 85 GG paßt sich die Weisung harmonisch ein. Ihre Bedeutung erschöpft sich nicht nur in einem bruchlosen Einfügen. Vielmehr würde der Bundesauftragsverwaltung das wesentliche Merkmal fehlen, bestünde kein Weisungsrecht des Bundes gegenüber den gesetzesausführenden Ländern. Insofern ist es angemessen, die Weisung als das zentrale und prägende Strukturelement der Bundesauftragsverwaltung zu bezeichnen.

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Dazu in gebotener Kürze Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 84 Rdnr. 177; Steinberg, Bundesaufsicht, Länderhoheit und Atomgesetz, 1990, S. 25; H. Wagner, DVB1. 1987, 917(922). 811 Eine insgesamt positive Bilanz des Rechtsinstitutes Bundesauftragsverwaltung zieht auch Stein, Untersuchung der Möglichkeiten einer Erweiterung der Bundesauftragsverwaltung, 1970, S. 52 ff. 812 Broß, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 85 Rdnr. 24. A.A.: T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 31, der die Bundesauftragsverwaltung in toto und bar jeder Differenzierung für verfehlt erachtet.

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D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Die letztlich trotz erheblicher Auseinandersetzungen um die Reichweite des Art. 85 Abs. 3 GG zu konstatierende Akzeptanz der Verfassungskonstruktion „Weisung" zeigt sich zunächst im seit 1949 unveränderten Wortlaut des gesamten Art. 85 GG, wobei zu bemerken ist, daß die Vorschriften über die Ausführung der Bundesgesetze nach Artt. 83 ff. keinerlei reformatorische Änderungen haben über sich ergehen lassen müssen; die Artt. 83 bis 86 GG gelten heute noch in der Erstfassung des Jahres 1949 - eine bemerkenswerte Textkontinuität, die ihresgleichen sucht. Weiterhin sprechen für die Bewährung dieses Verwaltungstyps die nur geringen legislatorischen Reformanstöße, die der Bundesauftragsverwaltung im allgemeinen und der Weisung im besonderen widerfahren sind. So wurde im Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform 1976 813 eine Reduktion des Bundeseinflusses auf die Gesetzesausführung innerhalb des Art. 85 GG - im Gegensatz zur Verwaltung nach Artt. 83, 84 GG - gar nicht erst in Betracht gezogen. Auch die Wiedererlangung der deutschen Einheit gab keine Impulse in diese Richtung, wenngleich in anderen Bereichen durchaus das GG „refoderalisiert" wurde: 814 Das Verfassungsreformgesetz von 1994 815 kann als deutliche „Akzentverschiebung zugunsten der Länder" 816 betrachtet werden. In der Verfassungskommission Bundesrat 1991/92 fanden Vorschläge, das Weisungsrecht einzuschränken oder zumindest die Justitiabilität zu erweitern, keine Mehrheit. 817 Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat diskutierte eine inhaltliche Veränderung des Art. 85 GG dementsprechend überhaupt nicht und verwarf eine Erweiterung der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit von Weisungen, 818 obgleich sie in der Zeit ihrer Tä-

813 Schlußbericht der Enquête-Kommission, BT-Drucks. 7/5924, S. 143 bis 145. Zur Arbeit und den Ergebnissen dieser Kommission s. überblickartig Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 1507 ff. 8,4 Es seien beispielshalber genannt die Neufassung der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG, die sog. Rückholklausel des Art. 72 Abs. 3 GG oder das Rechtsverordnungsinitiativrecht des Bundesrates nach Art. 80 Abs. 3 GG; vgl. dazu Nierhaus/Janz, ZG 1997, 320 (324 ff.). 815 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994, BGBl. I S. 3146. 816 So H Hofmann, NVwZ 1995, 134 (138). 817 Bericht der Verfassungskommission Bundesrat, 1992, Abschnitt 5 Rdnm. 79 bis

81.

818 Abschlußbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000, S. 43; dazu auch Dittmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 85 Rdnr. 40. Allgemein zur Arbeit der Kommission aus der Sicht ihres Vorsitzenden Scholz, ZG 1994, 1 ff; vgl. femer Bremers, Die Gemeinsame Verfassungskommission, 2001, S. 215 ff.

VII. Vorläufige Bilanz

297

tigkeit sehr umfangreich das GG auf möglichen Veränderungsbedarf hin durchforstete. 819 Wurde und wird grundsätzlich die konkrete Ausgestaltung der Verwaltungsform der Bundesauftragsverwaltung durch Art. 85 GG als ausgewogen und sachangemessen angesehen, so stellt sich die Situation hinsichtlich der Bewertung, ob einzelne Verwaltungsmaterien ihrer Eigenart zufolge sachgerecht beim Gesetzesvollzugstyp des Art. 85 GG aufgehoben sind, anders dar. Insbesondere die auftragsweise Kernenergieverwaltung nach Art. 87 c GG wird in diesem Zusammenhang kritisch betrachtet. Ein von einzelnen Ländern contra legem latam ausstiegsorientierter Gesetzesvollzug ließ Stimmen laut werden, die nach einer Überführung dieser Verwaltungsmaterie in die Bundeseigenverwaltung nach Art. 86 GG riefen. 820 Erkennbare legislatorische Aktivitäten sind derzeit nicht auszumachen.

2. Tatsächliche Bedeutung des Weisungsrechts Die Dominanz des Weisungsrechts im Strukturgefüge der Bundesauftragsverwaltung zeigt sich in rechtstatsächlicher Hinsicht nicht auf allen Gebieten in derselben Weise. Zum einen variiert die Wichtigkeit (und damit die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wird) je nach dem jeweiligen Verwaltungsbereich auftragsweiser Gesetzesausführung. Zum anderen: tempora mutantur. Vor allem im Bereich der Kernenergieverwaltung ist die Bedeutung des Weisungsrechts in tatsächlicher Hinsicht von höchst unterschiedlicher Art. Nach Jahrzehnten fast völligen Verharrens im juristischen Dunkel hat dieses Aufsichtsinstrument seit etwa 15 Jahren eine bemerkenswerte Anwendungspraxis erfahren, was mit der politischen und juristischen Polarisierung bei der Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie zusammenhängt. Die unterschiedliche Bewertung des Atomstroms läßt auch für die Zukunft und trotz des Atomkonsenses erwarten, daß der Bund von seiner Weisungskompetenz Gebrauch machen wird, um seinen Willen auch auf Länderebene durchzusetzen. Fernerhin ist auch ein Wiedereinstieg denkbar, was der Weisung sicherlich eine Renaissance bescheren würde.

819 Immerhin hat die Kommission etwa die Hälfte der Artikel des GG auf ihre Reformbedürftigkeit hin überprüft, s. Abschlußbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000, S. 13. 820 Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 51 (59 bis 61); jüngst auch T. Groß, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Beri. Komm. GG, Art. 85 Rdnr. 31.

298

D. Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG

Die Effizienz des Weisungsrechts wird ganz entscheidend dadurch bestimmt, daß nur beim Anhaften des Stigmas der Verfassungswidrigkeit die Bindungswirkung und somit die Umsetzungspflicht entfällt. Nur wenn die Weisung in den aufgezeigten engen Grenzen als verfassungswidrig anzusehen ist, steht dem Land ein vor dem BVerfG geltend zu machendes Abwehrrecht zu. Dadurch scheint dieses Ingerenzrecht des Bundes ein geeignetes Mittel zu sein, dem Bundeswillen Geltung zu verschaffen und einen Gesetzesvollzug à la volonté fédérale herbeizufuhren. Der Blick auf die energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und einzelnen Ländern zeigt jedoch, daß zumindest die Gefahr besteht, einem Trugschluß zu erliegen. So wirksam die Weisung als Direktionsmittel im Einzelfall sein mag, so wenig kann sie aber fur jeden einzelnen Verfahrens(fort)schritt einer atomrechtlichen Anlagengenehmigung eingesetzt werden. Widersetzt sich ein Land konsequent und umfassend dem Bundeswillen, mutiert die Weisung wegen ihres zeitraubenden und aufwendigen Verfahrens zu einem stumpfen Schwert in der Hand des Bundes. 821 Ein länderseits zugesagtes „Vorgehen nach Recht und Gesetz", d. h. das Ausschöpfen aller eröffneten Auslegungs- und Ermessensspielräume, beinhaltet regelmäßig Verschleppen, Taktieren und Desavouieren. Eine solche Vollzugsilloyalität ganzer Landesbehörden ist fernerhin - jedenfalls wenn es geschickt angestellt wird 8 2 2 oftmals nur schwer zu belegen. An ihrer Verfassungswidrigkeit ist indes nicht zu deuteln. 823 Darüber hinaus kann es auf Dauer kein Zustand sein, wenn Bund und Land auf der Grundlage von Weisungen miteinander kommunizieren. 824 Die insoweit obstruktiven Länder bleiben aufgerufen, keinen auftragsrechtlichen Rechtsbruch zu begehen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG), der zuvörderst Gesetzesvorrang und -vorbehält 821 In diesem Sinne Schmidt-Preuß, NJW 1995, 985 (986: „Die Weisung verträgt keine Fundamentalopposition von Landesministerien."); H. Wagner, NJW 2000, 1538. Mißverständlich Rodi, NJW 2000, 7 (11), der behauptet: „Durch dieses 'scharfe Schwert' werdenföderale Konflikte im Atomrecht zugunsten des Bundes gelöst." Sendler, DÖV 1992, 181 (188 f.), anerkennt die grundsätzliche Geeignetheit einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG, um eine disziplinierende und vom Bund als zutreffend erachtete Gesetzesauslegung durchzusetzen, sieht das Instrumentarium der Weisung letztlich aber auch als zumindest zweischneidig an. 822 Es hat den Anschein, daß die Länge der energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und einigen Bundesländern - insbesondere Niedersachsen und Hessen - proportional zur Güte der verschleierten Atomstromobstruktion steht. Wurde anfangs noch relativ plump und durchsichtig der Verwaltungsvollzug des Atomgesetzes resp. einer aufsichtsrechtlichen Weisung verweigert, so zeigt sich das Landesverhalten später erheblich diffiziler und schwerer faßbar. 823 Vgl. nur Stüer/Loges, NVwZ 2000, 9(10). 824 Darauf weist zutreffend Sendler, DÖV 1992, 181 (188), hin.

VII. Vorläufige Bilanz

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beinhaltet, gilt nicht zufällig als ein Kernmerkmal der rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung des G G 8 2 5 und somit auch innerhalb des von Art. 85 GG konstruierten Geflechts zwischen Bund und Ländern; ein Geflecht, welches ganz entscheidend auch vom Prinzip der Bundestreue durchzogen und auf die Beachtung dieses Grundsatzes für ein gedeihliches Miteinander angewiesen ist. Die „Akzeptanz des Rechtsstaats"826 sollte auch und gerade bei Gebietskörperschaften dazu führen, (verfassungs-) rechtliche Bindungen nicht zu ignorieren. Ungehorsam gegen ein geltendes Gesetz oder sogar gegen die Verfassung sollte nicht zum Regierungsprogramm erhoben und anschließend praktiziert werden. Ohne die Einhaltung dieser fundamentalen rechtsstaatlichen Spielregel nimmt der Föderalismus nachhaltig Schaden. K. Langé11 stellte 1990 zusammenfassend zum Weisungsrecht des Bundes fest: „Überhaupt sollte die Chance zu selbständigem Handeln auch im Rahmen weisungsgebundener Verwaltung nicht unterschätzt werden. Sie eröffnet eigenständige Handlungsmöglichkeiten, soweit Weisungen nicht erteilt werden. Wo aber Weisungen erteilt werden sollen, eröffnet sie Möglichkeiten des Dialogs und damit einer Kontrolle, die im Sinne von Rationalität und demokratischer Transparenz liegen und nicht zuletzt im Interesse einer Konsensbildung, auf die in Fragen von so essentieller Bedeutung wie der Kernenergienutzung nicht vorschnell verzichtet werden darf." Diesen Bemerkungen ist auch heute noch zuzustimmen.

825

S. nur BVerfGE 30, 1 (24 f.). Dazu, wenn auch in einem anderen Zusammenhang (Ladenschlußregelungen) Rozek, NJW 1999, 2921 ff. (insb. 2929). 827 Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 146. 826

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen I . Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension 1. Einführung in die Problematik Die Einführung in die Problematik der Haftung bei Weisungen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung soll mit einem Schrifttums- und Rechtsprechungsbefund beginnen, um hiernach die eigentliche Themeneinführung zu geben. Insoweit orientiert sich der Gang der Untersuchung an der Herangehensweise bei der Darstellung des Bundesweisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG. Im Zentrum werden bei der eigentlichen Haftungsanalyse zwei Problemfelder stehen: Zum einen wird es um die Frage gehen, welche innerstaatliche Ebene die Kosten für eine fehlerhafte Bundesweisung, die von einer Landesbehörde ausgeführt wird, trägt. Denn bis zur Grenze der Verfassungswidrigkeit bindet eine Weisung nach Art. 85 GG die Landesexekutive;1 sie muß sich dem Bundeswillen beugen und die Weisung - auch gegen ihren Willen - vollziehen. Die primäre verwaltungsinterne Funktion der Weisung hat sich mit dem Umsetzungsakt erledigt. Hieran kann sich dann eine sekundäre verwaltungsexterne Wirkung anschließen, die häufig Schadensersatzansprüche des von dem weisungsgemäßen Verhalten des Landes betroffenen Dritten bilden. Dieser Private sieht sich einer Landesverwaltungsentscheidung gegenüber, die ihn ggf. in seinen Rechten berührt. Diese Dritten wenden sich gegen die Landesmaßnahme und nehmen ggf. mit Erfolg das Land in Regreß. Zum anderen wird der Frage nachzugehen sein, wer die Verantwortung dafür trägt, daß eine Bundesweisung - sei sie rechtmäßig oder rechtswidrig - fehlerhaft von den hierfür allein zuständigen Ländern 2 vollzogen wird. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen ist somit in zwei verschiedene Konstellationen zergliedert. Identisch sind die Gebietskörperschaften Bund und Länder als Handlungsobjekte sowie die einer Haftung zugrundelie1 Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG lautet: „Der Vollzug der Weisungen ist durch die obersten Landesbehörden sicherzustellen." S. o. D. II. 3. d). 2 Zum unzulässigen Eigenvollzug von Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG durch den Bund bzw. eine seiner Behörden s. o. D. VI. 7.

302

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

gende Weisimg als corpus delicti; gänzlich verschieden bei der Beurteilung der Haftungsfrage ist die Bedeutung der Bundesweisung: einmal als haftungsauslösende causa, einmal als nicht oder nur fehlerhaft umgesetzte zentralstaatliche Ofero/maßnahme. Diese beiden Haftungskonstellationen zeigen sich von einem ganz unterschiedlichen Inhalt. Nicht übersehen werden sollte jedoch, daß diese beide Haftungsstränge einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG nicht immer berührungslos sind, vielmehr sind auch Überschneidungen und Mischformen denkbar. Da „finanzielles Weisungsopfer" sowohl der Bund als auch ein Land sein kann und die hieraus resultierenden Fragen der Haftungsvoraussetzungen und -rechtsfolgen beträchtlich variieren, werden im folgenden diese beiden haftungsrechtlichen Dimensionen getrennt voneinander behandelt. Zuvor ist zu ermitteln, ob und welche Rechtsinstitute zur Lösung dieser föderalen Haftungsstreitigkeiten zur Verfügung stehen. Nach der Benennung einschlägiger Anspruchsgrundlagen werden deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen in abstractu darzustellen sein. Den Abschluß dieses Kapitels bildet dann ein zusammenfassender Blick auf die Funktion der Verwaltungshaftung im Bund-Länder-Verhältnis auch und gerade in Hinblick auf das Weisungsrecht des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG. Folgendes soll mit dieser vorliegenden Untersuchung nicht geleistet werden: Zunächst ist ein Gesamtabriß der Föderalhaftung zwischen Bund und Ländern nicht Zielstellung dieser Arbeit. Diese geradezu herkulische Anstrengung muß Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung sein.3 Die folgenden Ausführungen sollen und werden sich vielmehr auf die Problemstellungen konzentrieren, die sich aus weisungsrechtlich geprägten Situationen ergeben. Des weiteren ist die Einstandspflicht des Staates für Schäden hier nur insoweit von Interesse, als diese sich im Verhältnis der jeweiligen Hoheitsträger Bund und Land ereignen. Die Folgen einer Weisung, die regelmäßig einen Dritten betreffen und sich als eine Vermögensschädigung darstellen können, sollen nur insoweit herangezogen werden, als sie für die haftungsrechtliche Bund-Länder-Dimension relevant sind. Der einzelne Bürger ist niemals direkt von einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG tangiert, da eine solche ausschließlich an Verwaltungsstellen der Länder 4 ergehen kann.5 Eine direkte Haftung des Bundes scheidet daher von vorneherein aus.

3

S. die grundlegende Studie von U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998. In eine Bundesauftragsverwaltung integrierte Gemeinden sind hier zu den Ländern zu rechnen. 5 Zu den Weisungsadressaten s. o. D. II. 3. bb). 4

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

303

Die Rechtsbeziehung zwischen dem schädigenden Staat und dem Bürger sind andernorts bereits mehr als erschöpfend in einer kaum noch zu überblikkenden Literaturfülle dogmatisch durchdrungen und praktisch handhabbar gemacht worden. 6 Ihrer haftungsrechtlichen Struktur zufolge unterscheiden sie sich nicht wesentlich von den übrigen Haftungskonstellationen bei staatlichem Unrecht. Die Form der Schadensgeltungmachung, ihre Voraussetzungen und der konkrete Umfang entsprechen den allgemeinen Bestimmungen. Dies rechtfertigt es, nur dann die Rechtsbeziehung des Staates zum weisungsdrittbetroffenen Bürger zu behandeln, wenn sich weisungsbedingte Besonderheiten ergeben. Auf diese wird dann ausdrücklich hingewiesen. Eng hiermit verbunden ist die Möglichkeit einer persönlichen Amtswalterhaftung. Auch diese wird weitgehend ausgeklammert, da ansonsten der Umfang der vorliegenden Untersuchung vollends gesprengt würde. Des weiteren bleiben ausgeblendet diejenigen rechtlichen und haftungsrechtlichen Beziehungen, die über eine Bund-Länder-Verbindung innerhalb der Bundesauftragsverwaltung hinausgehen, insbesondere also bei der Einschaltung von Kommunen bei dem Verwaltungsvollzug nach Art. 85 GG, aber auch bei der Mitwirkung sonstiger Beteiligter (ζ. B. private Verwaltungshelfer, Beliehene) jenseits der Sphäre von Bund oder Land. Ihre Behandlung würde das Ausmaß der vorliegenden Untersuchung bei weitem übersteigen; dies gilt auch und vor allem deshalb, weil es hier unzählige Besonderheiten bzw. Fallkonstellationen gibt, die i. ü. mit den herkömmlichen haftungsrechtlichen Mitteln zu bewältigen sind, also keinen besonderen Bezug zum Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG aufweisen. Handeln die Gemeinden anstelle der Länder, so unterscheidet sich ihre Behandlung in rechtlicher Hinsicht nicht von derjenigen der Länder, deren Teil sie - jedenfalls in verfassungsrechtlicher Hinsicht (vgl. Art. 106 Abs. 9 GG) - sind. Ist insoweit hier von (Bundes-) Ländern die Rede, so werden immer auch die Gemeinden mit umschlossen.

a) Schrifttums-

und Rechtsprechungsbefund

aa) Allgemeine Übersicht der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis Die Frage der Haftung zwischen Bund und Ländern hat seit Jahrzehnten beständig eine rege Beachtung im Schrifttum gefunden. Sowohl kurze Stellungnahmen als auch umfangreiche Monographien sind der interkörperschaftli-

6

Vgl. nur Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998.

304

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

chen Haftung gewidmet.7 Es ist daher unzutreffend, wenn behauptet wird, diese Haftung habe „bisher vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfahren". 8 Vielmehr ist die Diskussion über eine Bund-Länder-Haftung nicht neu, sondern wird seit Jahrzehnten intensiv geführt.

7 Z. B. jüngst U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.) Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 ff.; früherer Provenienz Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963; Achterberg, Die innerkörperschaftliche Haftung im Bundesstaat am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, DVB1. 1970, 125; Rudisile, Die Haftung für ordnungsmäßige Verwaltung zwischen Bund und Ländern (Art. 104 Abs. 5 GG), DÖV 1985, 909; Hatje, Die Haftung der Länder für den ordnungsgemäßen Vollzug von Bundesgesetzen, NJ 1997, 285; F. Kirchhof Die Verwaltungshaftung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 1994, 105; U. Stelkens, Positiver Kompetenzkonflikt zwischen BVerfG und BVerwG im BundLänder-Streit und Verwaltungshaftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG, DVB1. 2000, 609; W. Schulze, Haftung für die ordnungsgemäße Verwaltung und Ersatzleistungspflichten im Verhältnis von Bund und Ländern, DÖV 1972, 409; Kölble, Wer haftet dem Bund bei fehlerhaftem Vollzug von Bundesgesetzen durch die Verwaltung?, DÖV 1959, 807; hinzuweisen ist insbesondere auch auf die Kommentarliteratur zu Art. 104 a Abs. 5 GG wie z. B. Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnm. 158 - 178; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnm. 62 bis 71; FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnm. 39 bis 43. Auch zu speziellen Teilbereichen der Föderalhaftung in Deutschland ist umfangreiches Schrifttum vorhanden; s. etwa Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973; Pappermann, Ansprüche des Staates bei fehlerhafter Erledigung übertragener Aufgaben durch Kommunalkörperschaften, 1971; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 133 ff; de Witte/Burmeister, Amtshaftung für rechtswidrig erteilte Genehmigungen?, NVwZ 1992, 1039; Saipa, Ausgleich überzahlter Subventionen im Verhältnis von Bund und Ländern, DVB1. 1974, 188; Sturm, Die Haftung der Länder (Gemeinden, Gemeindeverbände) bei fehlerhafter Verwendung von Haushaltsmitteln des Bundes im Gesetzesvollzug, DÖV 1966, 256; sehr früh schon Kleinsimon, Haftung für Schäden bei der Erledigung von Bauaufgaben des Bundes durch Baubehörden der Länder, DB 1954, 830. Zum Spezialschrifttum der Haftung aus Weisungen, die innerhalb der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 Abs. 3 GG ergehen, sogleich. 8 So aber vor kurzem noch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.) Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (269); ähnlich Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 5. Fernerhin unzutreffend H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512), die behaupten, Achterberg hätte mit seinem 1970 erschienen Aufsatz (DVB1. 1970, 125) erst darauf aufmerksam gemacht, daß die interkörperschaftliche Haftung im Bundesstaat zu den ungelösten Problemen derföderativen Ordnung unter der Ägide des GG gehörte.

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

305

Auch die Rechtsprechung - namentlich das BVerwG 9 und der BGH 1 0 , daneben auch Instanzgerichte 11 - hatte über den Komplex einer Bund-LänderHaftung zu befinden. Diese Urteile fanden - kaum verwunderlich - ein erhebliches Echo und führten zu einer literarischen Reflexion der Problematik im einschlägigen Schrifttum. 12 Wenn sich denn überhaupt ein „Befassungstrend" mit der Bund-LänderHaftung skizzieren läßt, so läßt sich zunächst sagen, daß zu Beginn bundesrepublikanischer Existenz diese Haftung nicht gerade im Mittelpunkt der rechtsund insbesondere staatsrechtswissenschaftlichen Betrachtungen stand. Dies änderte sich ab den Sechziger Jahren. Nach Einführung der Haftungsnorm des Art. 104 a Abs. 5 GG im Jahre 1969 hatte sich dann die Beschäftigung des Schrifttums mit dieser Frage noch verstärkt. Cum grano salis läßt sich eine kontinuierliche Befassung mit diesem Thema ohne Zeiten herausragender besonders intensiver rechtsprechender oder literarischer Aktivität feststellen. 13 Eine Föderalhaftung zwischen den deutschen Gebietskörperschaften hatte jedenfalls im Schrifttum beständig Konjunktur und ist nach wie vor en vogue, wie die jüngsten Veröffentlichungen zeigen.14 Angesichts der enormen finanziellen Dimension von bundesstaatlichen Haftungsftagen - Schadensersatzansprüche erreichen ohne weiteres schnell mehr9

Mit diesem „Kernbereich" bundesstaatlicher Haftung beschäftigten sich insgesamt drei Senate: Zuerst der 11. Senat BVerwGE 96, 45; dann der 2. Senat BVerwG NVwZ 1995, 991; und schließlich der 4. Senat BVerwGE 104, 29; früher schon BVerwG NJW 1976, 1468 ff; BVerwG BayVBl. 1980,473 ff. 10 Frühzeitig BGHZ 16, 95. Vgl. BT-Drucks. 14/2639. 11 VGH München NVwZ 1993, 794 ff. 12 Zuletzt U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 ff. 13 Entgegen Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.) Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (269); i. E. wohl auch Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 20: „Obwohl die Frage der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis bis auf den heutigen Tag wenig Beachtung gefunden hat,..." Diese Feststellung ist angesichts des erheblichen Literatur- sowie Rechtsprechungsbefundes kaum nachzuvollziehen. 14 S. U. Stelkens, Verwaltungshafitungsrecht, 1998; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.) Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 ff.; Hatje, Die Haftung der Länder für den ordnungsgemäßen Vollzug von Bundesgesetzen, NJ 1997, 285; F. Kirchhof, Die Verwaltungshaftung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 1994, 105. 20 Janz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

stellige Millionenbeträge 15 - sowie der hohen Zahl an möglichen Fallgestaltungen, bei denen der Bund auf der einen und die Länder auf der anderen Seite als Schädiger oder Geschädigter beteiligt sein können, 16 nimmt die wissenschaftliche und rechtsprechende Beschäftigung mit dieser Problematik auch nicht wunder. Vielmehr bestätigt sich, daß eine tatsächliche oder jedenfalls potentielle Bedeutung einer Rechtsfrage ohne weiteres auch rechtswissenschaftlich reflektiert wird, auch und gerade bei Fragen von großem finanziellem Gewicht.

bb) Speziell: Die Haftung aus Weisungen Weit weniger Beachtung als die allgemeine Bund-Länder-Haftung fanden diejenigen haftungsrechtlichen Fragestellungen im Verhältnis dieser Gebietskörperschaften untereinander, die sich aus erteilten Weisungen innerhalb der Bundesauftrags Verwaltung nach Art. 85 GG ergeben. Auf diesem Gebiet herrscht trotz enger Verflochtenheit von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Art. 85 GG 1 7 erstaunlicherweise fast durchweg eine literarische und gleichzeitig rechtsprechende Ödnis vor, obgleich die tatsächliche Bedeutung und der geldmäßige Umfang einer möglichen Einstandspflicht auch hier von einem ganz erheblichen Gewicht ist. Diese Tatsache überrascht um so mehr, da föderale Weisungsstreitigkeiten jedenfalls seit Anfang der Achtziger Jahre durchaus nicht selten waren und über Jahre hinweg an zentraler Stelle in der staatsrechtlichen Diskussion standen.18 Die defizitäre wissenschaftliche Behandlung der Haftungsproblematik bei Mitwirkungsakten ohne speziellen Blick auf die Weisung nach Art. 85 Abs. 3

15 Das OLG Celle, Urteil v. 29.10.1996, AZ 16 U 30/95, RdE 1997, 118 f., billigte beispielshalber dem Bund einen Schadensersatzanspruch gegen das Land Niedersachsen in Höhe von 5,7 Millionen DM wegen rechtswidriger Untersagung von Erkundungsarbeiten für das atomare Endlager in Gorleben zu. Insgesamt hatte der Bund 31,5 Millionen DM gefordert. Vgl. dazu Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 mit FN 2; femer FAZ v. 11.2.2000, S. 4. Weitere Einzelheiten zu den Schadensersatzprozessen des Bundes gegen das Land Niedersachsen im Zusammenhang mit verschiedenen Baustopps für das geplante Endlager für atomare Abfälle in Gorleben in den Jahren 1990 bis 1994 s. BT-Drucks. 14/2639. In weiteren vier Verfahren ging es um Streitwerte zwischen 3,3 und 10,2 Millionen Mark. 16 Schließlich existiert eine Vielzahl vonföderalen Verflechtungen, aus denen sich die Frage des Einstehenmüssens für einen Schaden ergeben kann. S. nur die 72 Fallgruppenbeispiele bei U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998. 17 Einzelheiten s. o. D. II. 3. 18 Diese Weisungskonflikte werden in D. II. 2. dokumentiert.

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

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19

GG wurde bereits 1975 von Pappermann gerügt: „Eigenartigerweise ist die wissenschaftliche Behandlung dieses Fragenkomplexes außerordentlich dürftig, obwohl er von großer praktischer Relevanz ist." Oftmals liest man nur die lapidare Feststellung der Möglichkeit einer Haftung des Bundes gegenüber einem Land oder eines Landes gegenüber dem Bund für den Fall, daß die erteilte Weisung selbst oder zumindest mittelbar zu einem Schaden geführt hat. 20 Nur in Einzelfallen finden sich umfangreichere Erörterungen wieder. Oftmals sind diese weisungsbezogenen Überlegungen eingebettet in die Verwaltungsform der Bundesauftragsverwaltung im allgemeinen, die der Weisung das wichtigste strukturelle Korsett verleiht. 2 Daneben sind an verschiedener Stelle einzelne weisungsbezogene Ausführungen zu erkennen. Diese beziehen sich auf den Verwaltungsvollzug von Bundesgesetzen ganz allgemein 22 oder in Hinblick auf den Vollzug einzelner spezieller Gesetze oder Gesetzesmaterien23 und schließen dabei - regelmäßig immerhin expressis verbis - die Haftung aus einer Bundesweisung mit ein. Selbst umfangreiche Spezialmonographien zur Bundesaufsicht bei der Auftragsverwaltung und zur Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG sowie insbesondere zum Umfang und zu den Grenzen derselben sind hinsichtlich der föderalen Haftungsfrage von erstaunlicher äußerer Knappheit

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DVB1. 1975,637 (639). Letztlich auch das BVerfG, wenn es in seinem Kalkar-Urteil ψ 81, 310 [333]) formuliert: „Daß das Land eine Weisung, deren Inhalt es für rechtswidrig hält, ausführen muß und für den nach außen wirkenden Weisungsvollzug insoweit einzustehen hat, als es selbst als Beklagter gerichtlich in Anspruch zu nehmen ist, ist nur die Folge des Auseinanderfallens von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz, begründet darüber hinaus aber keine eigene Verantwortung des Landes für die nach Weisung getroffene Sachentscheidung: Die parlamentarische Verantwortlichkeit hierfür liegt beim zuständigen Bundesminister; die Pflicht, diefinanziellen Lasten hieraus letztlich zu tragen, trifft den Bund (Art. 104 a Abs. 2 u. Abs. 5 Satz 1 GG)." S. dazu auch Κ Lange, NVwZ 1990, 928 (929). 21 G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961; Asam, Haftung der Länder gegenüber dem Bund im Rahmen der Auftragsverwaltung?, BayVBl. 1966, 228; L. Schmidt, Haftung der Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung?, DÖV 1959, 803. 22 So insbesondere U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 84 ff. u. 250 ff.; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.) Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 ff.; Hatje, Die Haftung der Länder für den ordnungsgemäßen Vollzug von Bundesgesetzen, NJ 1997, 285 ff; F Kirchhof, Die Verwaltungshaftung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 1994, 105 ff. 23 Ζ. B. seien genannt Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973. 20

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

und innerer Aussagearmut 24 mit der Folge, daß sie nur wenig weiterzuhelfen vermögen. Entsprechendes gilt für die Kommentarliteratur zu Art. 85 GG. 2 5 Es ist daher ein rechtsdogmatisches Defizit in diesem Spezialbereich festzustellen. Unbestritten sind die Themenkomplexe „Haftung für eine Weisung" und „Bund-Länder-Haftung" eng miteinander verwoben. Die haftungsrechtliche Dimension einer Weisung stellt sich als ein wichtiges, jedoch nicht dominierendes Element der Haftungsfrage zwischen Bund und Ländern dar; ein Element, welches wegen seiner nach wie vor anhaltenden Bedeutung und der gleichzeitigen Umstrittenheit von Bundesweisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG seinen Stellenwert auch in Zukunft nicht verringern, sondern - im Gegenteil eher noch vergrößern dürfte.

b) Fallkonstellationen aa) Relevante Verwaltungsbereiche Die haftungsrechtlichen Fragen von Weisungen erstrecken sich auf alle Bereiche, die in auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG von den Ländern als Gliedstaaten ausgeführt werden. Hierunter sind solche zu finden, die von enormer tatsächlicher wie rechtlicher Bedeutung sind, wie etwa die Kernenergieverwaltung und die Verwaltung der Bundesfernstraßen; beides sind Verwaltungsterrains mit erheblicher „Weisungserfahrung". Auch in diesem speziellen Problemkreis - der Haftung bei Weisungen innerhalb der Bundesauftragsverwaltung - werden das Ausmaß einer Schädigung und somit die monetären Folgen regelmäßig erheblich sein. Hintergrund hierfür ist zunächst, daß das Instrument der Weisung innerhalb der Bundesauftragsverwaltung kein alltägliches ist, sondern vielmehr verhältnismäßig selten ist und in der Regel nur bei Vorhaben bedeutender Art eingesetzt wird: Die bloße Inanspruchnahme der Kompetenz aus Art. 85 Abs. 3 GG durch den Bund spricht regelmäßig schon für eine politisch angespannte Situation zwischen

24 Vgl. etwa Pauly, Anfechtbarkeit und Verbindlichkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1989; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts nach Art. 85 III GG, 1988; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990; F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998; Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972; Steinberg, AöR 110 (1985), S. 419 ff.; Ossenbühl, Der Staat 28 (1989), S.31 ff. 25 Vgl. etwa Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85.

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

309

Bund und Land. 26 Betrachtet man ferner insbesondere das in Bundesauftragsverwaltung ausgeführte Atom- und Strahlenschutzrecht, so wird das Ausmaß der praktischen Relevanz ungleich greifbarer. 27 Dienen Bundesweisungen dem Inbetriebsetzen oder dem Außerbetriebsetzen atomarer Anlagen wie Kernkraftwerken oder Zwischen- bzw. Endlagern für radioaktiven Abfall, so wird der Streitwert immer etliche Millionen, wenn nicht gar Milliarden D M betragen. Der Haftungsfrage kommt also für alle Beteiligten eine besondere Bedeutung zu. Dieser hohe praktische Stellenwert wird in überschaubarer Zukunft nicht nennenswert schwinden, auch wenn die Erzielung des Atomenergiekonsenses28 eine gewisse Konfliktberuhigung erwarten läßt. Ganz aus der Welt sind atomrechtliche Auseinandersetzungen damit nicht, wie der Streit um die atomare Endlagerstelle Gorleben 29 mehr als deutlich zeigt. Außerdem muß hier auch die Betriebsdauer der einzelnen Atommeiler berücksichtigt werden, die sich bei einigen Kraftwerken über mehrere Jahrzehnte hinweg erstreckt. Allein dieser Zeitraum läßt bei der anhaltenden politischen Kontroverse um die friedliche Nutzung der Atomenergie Auseinandersetzungen und auch Weisungskonflikte erwarten, 30 zumal der Ausstieg nicht unumkehrbar ist und bei einem Wechsel der Regierungsparteien auf Bundesebene die Atombeendigungsentscheidung grundsätzlich rückgängig gemacht werden könnte. 31 Es sind bei aller Identität der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Art. 85 GG unterschiedliche Fallkonstellationen mit verschiedener Rollenverteilung von Bund und Land sowie möglicher Involvierung eines privaten Dritten oder einer gemeindlichen Ebene möglich. Es ist hier nicht der Ort, alle oder auch nur die meisten denkbaren Haftungskonstellationen und -fälle aufzuzeigen. Es soll vielmehr darum gehen, grundsätzliche und alle Fallvarianten betreffende Probleme wie die in Frage kommenden Haftungsgrundlagen, ihre jeweiligen Voraussetzungen und den Haftungsumfang zu bestimmen. Die (Weisungs-) Praxis und die damit verbundenen Haftungskonsequenzen sind zu vielschichtiger Natur, als daß sie einer ein-

26

Treffend Badura, Verfassungsrechtliche Fragen - Bundesauftragsverwaltung, in: Lukes/Birkhofer (Hrsg.), Neuntes Deutsches Atomrechts-Symposium, 1991, S. 87 (97). 27 Zu den konkreten Streitigkeiten s. o. D. II. 2. 28 Dazu s. o. D. III. 2.1). 29 Einzelheiten s. o. D. III. 2. d) bb) α). 30 Auch Sendler, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2000, S. 185 (189 f.), erwartet Streit über die Frage, wie die weitere Nutzung der Kernkraftwerke störungsfrei betrieben werden kann. 31 Zur Umkehrbarkeit s. D. III. 2. i) aa).

310

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

zelfallbezogenen Betrachtung zugänglich wären. Hiervon abgesehen ist auch der Wert einer umfassenden Haftungsfalldarstellung 32 mit möglicher Fallgruppeneinteilung en detail mehr als zweifelhaft. Dennoch gilt es zu beachten, daß eine gänzlich vom (Einzel-) Fall abgekoppelte Betrachtung der Haftungsproblematik allzu sehr theoretischer Natur ist und die Gefahr in sich trägt, jenseits des Erforderlichen und Nützlichen sich in abstrakten Rechtsausführungen zu erschöpfen, deren tatsächlicher Ertrag fragwürdig, wenn nicht gar überflüssig ist. An dieser Stelle soll nur, aber immerhin die Spannweite der Haftungsfalle vermittels eines groben Überblickes nach Erteilung einer Bundesweisung gem. Art. 85 Abs. 3 GG kenntlich gemacht werden. Eine vertiefende Übersicht wird anfangs der beiden Kapitel erfolgen, in denen die Konstellationen behandelt werden, bei denen der Bund bzw. das Land weisungsgeschädigt sind. 33

bb) Konkrete Haftungssituationen Die beiden „Hauptfelder föderaler Haftung" nach einer Maßnahme des Art. 85 Abs. 3 GG finden sich einerseits in der körperschaftlichen Haftung eines Landes gegenüber dem Bund und andererseits des Bundes gegenüber einem Land wieder. Angesichts der Beteiligung des Bundes auf der einen - weisungsgebenden - Seite und des Landes auf der anderen - weisungsempfangenden Seite kann dieser Befund nicht überraschen. Tatsächlicher Schwerpunkt soll dabei nach einer Ansicht im Schrifttum 34 in der Rechtswirklichkeit die Länderhaftung gegenüber dem Bund sein. Ob dies so zutrifft, sei an dieser Stelle noch dahingestellt, jedenfalls scheidet eine Haftung des Bundes nicht von vorneherein aus.35

32

Vgl. etwa U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, der allein bis S. 120 insgesamt 72 Haftungsfälle tatbestandlich beschreibt. Bei seinem umfassenden thematischen Ansatz und den sehr unterschiedlichen haftungsauslösenden causi mag dies noch der Sache dienlich sein, bei den rein weisungsbedingten Haftungsauseinandersetzungen liegen die Fallgruppen wegen der Weisung als Zentrum der Problematik nicht dermaßen weit auseinander. 33 Unten E. III. u. IV. 34 So z. B. Häde> Finanzausgleich, 1996, S. 61; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 130; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 52; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 FN 108; s. dazu auch unten E. II. 3. d) cc) δ) αα). 35 Einzelheiten zu dieser nicht unbestrittenen Haftungskonstellation s. u. E. III.

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

311

Fernerhin sind auch Haftungskonstellationen vorstellbar, bei denen verschiedene haftungsauslösende Ursachen zusammentreffen. Dabei können zum einen Landes- und Bundesverhalten kumulativ zusammenwirken, zum anderen ist auch die Verantwortlichkeit verschiedener Einzelpersonen denkbar. Neben Fällen, denen eine „gesamtkörperschaftliche Betrachtung" zugrunde liegt, ist an Sachverhalte zu denken, bei denen die schadensstiftende causa einem individuellen Amtswalter - sei es auf Bundesebene, sei es auf Landesebene - in vorwerfbarer Weise zuzuordnen ist. Eine geradezu klassische Haftungskonstellation ist die folgende: Die Bundesgesetze, die nach Art. 85 GG in auftragsweiser Verwaltung von den Ländern ausgeführt werden, beinhalten regelmäßig auch die Verwaltung von finanziellen (Bundes-) Mitteln. Daher ist die Bewirtschaftung dieser Mittel auch den zuständigen Landesbehörden übertragen. Dabei können Gelder innerhalb der Bundesauftragsverwaltung von einem Landesbediensteten persönlich veruntreut werden, wobei dies regelmäßig über einen längeren Zeitraum hinweg geschieht, so daß die Schadenssumme eine ganz beträchtliche ist. Beim Bund, der in bestimmten Bereichen nach Art. 104 a Abs. 3 GG die finanziellen Mittel ganz oder teilweise zur Verfügung stellt, 36 wird hiermit ein Schaden bewirkt, da typischerweise eine Vollstreckung beim eigentlichen Schädiger - der natürlichen Person - mangels Masse ganz oder teilweise scheitert. 37 Eine Weisungsrelevanz liegt insoweit typischerweise nicht vor. Derartige Fälle waren bereits mehrfach Inhalt der Rechtsprechung des BVerwG. 38 Den genannten BVerwG-Entscheidungen ist allen gemein, daß sich die jeweiligen Landesbediensteten, zu denen i. ü. jedenfalls in haftungsrechtlicher Hinsicht auch die Bediensteten der Gemeinden zu rechnen sind, zwar gesetzeswidrig, nicht aber weisungswidrig verhielten. In keinem der Fälle wurde zuvor eine aufsichtsrechtliche Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG erteilt. Dennoch ist ein vorsätzlich weisungswidriges Verhalten mit unmittelbar vermögensschädigender Wirkung auf Seiten des Bundes dadurch nicht ausgeschlossen, die relative Seltenheit einer Weisungserteilung in den meisten Bereichen auftragsweiser Verwaltung spielt hier sicherlich eine wichtige Rolle. Ferner fällt das schadenstiftende Verhalten in der Regel in einen Verwaltungsbereich, der zum Gesetzesvollzugsalltag ohne weitere Besonderheiten, die eine Inter-

36

Ζ. B. bei den Fällen des Art. 104 a Abs. 3 GG. Achterberg,, DVB1. 1970, 125 (126); Birk, BayVBl. 1981, 673 (676); dazu auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (270 f.) 38 Ζ. B. frühzeitig BVerwGE 12, 253 ff; neuerer Provenienz etwa BVerwGE 96, 45 ff. 37

312

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

vention des Bundes erforderlich machen würden, rechnet. Als Paradebeispiel kann in diesem Zusammenhang der Vollzug des BAFöG gelten.39 Es handelt sich um die Verwaltung solcher Bundesgesetze, die zwar im Auftrage des Bundes ausgeführt werden, bei denen es aber im Vollzug keine Differenzen zwischen Bund und Land gibt, so daß die Weisung als „föderales Krisenzeichen" nicht eingesetzt wird. Vielmehr handelt der konkrete Amtswalter gerade gegen den Willen von Bund und Land. Eine weitere Fallkonstellation findet sich im von vornherein weisungsträchtigen Atomrecht. Die Ausführung des Atomgesetzes erfolgt in Bundesauftragsverwaltung. Der Bund kann also - wie auch schon verschiedentlich geschehen ein Land konkret anweisen, den Weiterbetrieb einer atomaren Anlage, die Abschaltung einer laufenden oder das Anfahren einer ruhenden Anlage anzuordnen. Solange der Bund sich innerhalb der Gesetzesmaterie des Atomgesetzes befindet, steht ihm hier ohne weiteres die verfassungsrechtliche Kompetenz aus Art. 85 Abs. 3 GG zu. 40 Wird nun diese Weisung nicht oder nur verzögert bzw. fehlerhaft vollzogen, so kann auf dritter Seite ein Schaden bewirkt werden, der entweder auf einer rechtswidrigen Weisung des Bundes oder auf einem rechtswidrigen Verhalten des Landes oder gar auf beiden Ursachen beruht. Neben rein nationalen Dimensionen sind auch solche supranationaler, insbesondere europarechtlicher Art, denkbar. 4 1 Ohne den Ausführungen allzu weit vorgreifen zu wollen, sei bereits hier angemerkt, daß eine umfassende Haftungsnorm für das Verhältnis vom Zentralstaat zu den Gliedstaaten bis zur Schaffung des Art. 104 a Abs. 5 GG nicht existierte. Dies gilt einerseits sowohl für die Zeit unter der Ägide des GG bis 1969 als auch für die vergangenen Deutschen Reiche von 1870/71 sowie 1918/19,42 und andererseits für die verfassungsrechtliche wie die einfachgesetzliche Ebe-

39 Dazu auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (270 f.). 40 Einzelheiten s. o. D. IV. 2. b). 41 S. u. E. IV. 2. f)· 42 Einzelheiten s. o. B. II. 3. u. III. 2. 43 Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 18 f., führt dazu aus: „Der Grund hierfür [d. h. für die bis dahin fehlende Haftungsnormierung, d. Verf.] dürfte darin liegen, daß die gerade im Bereich der Verwaltung subtil ausgewogene Balance von gesetzlicher Steuerung, Aufsicht und Eigenständigkeit nicht durch eine Haftung und die mit ihr verbundenen Streitigkeiten belastet werden sollte."

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

313

U. Stelkens 44, hat in jüngster Zeit bei Vermögensverschiebungen zwischen Hoheitsträgern zweierlei Arten von Haftungskonstellationen unterschieden: Zum einen die unechten, zum anderen die echten Haftungsfälle. Als unechte Haftungsfälle sieht U. Stelkens diejenigen an, bei denen eine juristische Person des öffentlichen Rechtes zweckgebundene Finanzzuweisungen von einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts erhält und diese zweckverfehlend resp. jedenfalls unwirtschaftlich ausgibt. Der konkrete Schaden kann in diesen Fällen nur unter Rückgriff auf die zwischen den beteiligten Gebietskörperschaften geltenden Lastenverteilungsvorschriften aufgedeckt werden. Bei den echten Haftungsfällen ist durch eine Maßnahme des Schädigers ein Vermögensverlust beim Geschädigten eingetreten; das geschädigte Vermögen kann von vorneherein eindeutig bestimmt werden. Für die vorliegende Untersuchung, also die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen innerhalb der Bundesauftragsverwaltung, spielt diese, letztlich künstliche Unterscheidung keine Rolle und verdeckt nur die eigentlichen Probleme. Diese Differenzierung wird daher im weiteren Verlauf der Arbeit nicht aufgegriffen. Die nun folgende Darlegung der haftungsrechtlichen Problematik von Weisungen innerhalb der Bundesauftragsverwaltung orientiert sich beim Aufbau an reinen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten: Vor die Klammer gezogen werden allgemeine Fragen, die sich gleichermaßen unabhängig von der konkreten Art der haftungsrechtlichen Beziehung und der hieran Beteiligten immer stellen. Es werden hier insbesondere die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen für eine Bund-Länder-Haftung mit ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen erörtert werden. Nach der Klärung der grundsätzlichen Frage der anwendbaren Anspruchsgrundlagen werden die einzelnen haftungsrechtlichen Beziehungen mit ihren jeweiligen Besonderheiten dargestellt. Den Abschluß dieses Abschnittes soll ein kurzes Resümee bilden, welches die Ergebnisse der Untersuchung zusammenfaßt und einer kritischen Bewertung unterzieht.

2. Begrifflichkeiten a) Die Weisung als conditio sine qua non aa) Das Vorliegen einer Weisung Von vorneherein thematisch begrenzt wird die Untersuchung durch das Erfordernis einer Weisung. Dieses Instrument des Art. 85 Abs. 3 GG nimmt eine

44

Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 41 ff. (insb. S. 44).

314

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

zentrale Position in diesem haftungsrechtlichen Gefüge ein und stellt sich als conditio sine qua non fur die vorliegende Thematik dar. Nur durch die Weisung zieht der Bund seine in Wartehaltung stehende und jederzeit aktivierbare Sachkompetenz an sich und setzt seine Ansicht im Wege der Rechts- und Fachaufsicht auch und gerade gegenüber den Ländern durch. Dabei ist jede Landes Verwaltungsmaßnahme anweisungsfähig, solange sie nur in den Bereich der Bundesauftragsverwaltung fällt: Von einem rein vorbereitenden Handeln bis hin zur abschließenden Entscheidung ist eine Weisung möglich. Sie ist in präventiver und repressiver Form zulässig.45 Die Letztentscheidungskompetenz wird hierdurch zum Bund verlagert. Dieser imperative Gubernativakt des Bundes muß anschließend von den Ländern vollzogen werden, was sich als zwingende Konsequenz des Art. 85 Abs. 3 GG darstellt. Nur in extremen Fällen der Verfassungswidrigkeit der Weisung entfällt diese Verbindlichkeit. 46 A u f eine inhaltliche Rechtmäßigkeit kommt es nicht an. 47

a) Tatsächliches Vorliegen Es ist unabdingbar, daß die Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 3 GG hinsichtlich des Bundeshandelns vorliegen. 48 Es muß dem Land gegenüber also eine Weisung erteilt worden sein. Dabei ist die tatsächliche Bezeichnung49 irrelevant, sollte aber als Indiz nicht vernachlässigt werden. 50 Hier ist maßgebend, ob dem Bundesakt durch Auslegung hergebrachter Grundsätze ein Wille zur Bindung der Landesverwaltung zu entnehmen ist. Dieser imperative Charakter ist unter Würdigung der Einzelumstände auch in Form einer Bitte möglich und wurde tatsächlich auch so praktiziert. 51 falsa vel obscura demonstratio non nocet. Unmißverständlich und damit im Interesse des Anweisenden liegend ist immer die Verwendung des Begriffs Weisung. Die Eindeutigkeit dieses terminus technicus erkannte der Bund auch, nachdem er in den Anfangsjahren der

45

S. o. D. II. 3. c). S. o. D. IV. 2. 47 S. o. D. IV. 2. f)· 48 Einzelheiten zu den Voraussetzungen einer Weisung s. o. D. IV. 2. 49 So bezeichnete der Bundesumweltminister seine an das Land Nordrhein-Westfalen gerichtete Weisung hinsichtlich des Atomkraftwerkes Kalkar - dazu oben D. III. 2. b) im Betr. ausdrücklich als „Bundesaufsichtliche Weisung gem. Art. 85 Abs. 3 GG" und führt später aus: „... sehe ich mich veranlaßt, Sie gemäß Artikel 85 Abs. 3 des Grundgesetzes anzuweisen,..." S. BVerfGE 81, 310 (317). 50 Zum Grundsatz der „falsa demonstratio non nocet" s. o. D. IV. 2. a). 51 Dazu oben D. IV. 2. a) m. w. Nachw. 46

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

315

Verwendung atomrechtlicher Weisungen sich teilweise noch unklar äußerte, und deklarierte - soweit ersichtlich - aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Sinne des Art. 85 Abs. 3 GG auch immer ausdrücklich als „Weisung".

$) Minderintensive

Einwirkungsmöglichkeiten

des Bundes

Ein- und Mitwirkungskompetenzen des Bundes, mit denen er auf den Gesetzesvollzug durch und auf die Länder im Rahmen auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG Einfluß nimmt, gibt es in den verschiedendsten Ausprägun52

gen. Als haftungsauslösende causae reichen sie nicht aus. Derartige Ein- und Mitwirkungskompetenzen werden zwar als rechtliches minus vom Weisungsrecht des Art. 85 Abs. 3 GG umfaßt und unterliegen daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken,53 den Tatbestand einer Weisung können sie jedoch nicht erfüllen. Zustimmungs- und Einvernehmensvorbehalte, bloße Empfehlungen, Richtlinien und Rundschreiben, Berichts- und Vorlagepflichten sowie die Androhung einer Weisung bleiben demzufolge außer Betracht, da die Entscheidungskompetenz bei diesen „artverwandten" Einwirkungsmöglichkeiten ausnahmslos beim Land verbleibt, auch wenn teilweise eine gewisse Verantwortungsverlagerung zu konstatieren ist 5 4 und das Land jedenfalls nicht ohne äußere Not divergierend von der Bundesmeinung entscheiden wird. Ob diese Form der partiellen tatsächlichen Verantwortungsvermengung zwischen Bund und Ländern letztlich doch für den Fall, daß hieraus ein Schaden erwuchs, zu einer Verantwortungsteilung und somit Haftungsaufspaltung führt, kann wohl nur mit Blick auf die konkrete Fallgestaltung, d. h. auf das Maß der Bundeseinwirkungskompetenz in concreto und auf den beim Land verbliebenen administrativen Entscheidungsspielraum, bestimmt werden. Die Vielzahl der Bundesbeteiligungsformen ist kaum zu überblicken. 55 Eine generalisierende Betrachtung ist hier fehl am Platze und führt nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind ausschließlich Weisungen gem. Art. 85 Abs. 3 GG, so daß die haftungsrechtliche Betrachtung von Bundes-

52

Dazu s. o. D. II. 3. j). Einzelheiten dazu s. o. D. II. 3. j). 54 Τ Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 2. 55 Vgl. Haun, Die Bundesaufsicht in Bundesauftragsangelegenheiten, 1972, S. 28 f. 53

316

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

kompetenzen unterhalb der Weisungsschwelle einer anderen Untersuchung vorbehalten bleiben muß.

y) Nicht-Weisung? Ist vom Rechtsanwender die rechtliche Existenz einer Weisung festgestellt worden, indem der formale Weisungsrahmen eruiert und von anderen und ggf. ähnlichen Bundeskompetenzen innerhalb der Landesvollzuges von Gesetzen abgegrenzt worden ist, so stellt sich anschließend die Frage nach dem „inneren" Weisungswesen. Kann eine „Nicht-Weisung" ihre haftungsrechtliche Relevanz einbüßen?

αα) Der formale Rahmen Ausgangspunkt für die Ermittlung des formalen Rahmens einer Weisung ist die Tatsache, daß für die Einordnung der Maßnahme als Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG die inhaltliche Richtigkeit unerheblich ist und zunächst gänzlich außer Betracht bleiben muß: Ob die Weisung als rechts- oder gar verfassungswidrig zu qualifizieren ist, ist für die Frage des (äußeren) Vorliegens einer Weisung ohne rechtlichen Belang. 56 In dieser Hinsicht gibt es also für den Rechtsanwender „kein Zurück".

ßß) Das innere Wesen Das innere Wesen einer Weisung bezieht sich auf den Grad der Fehlerhaftigkeit und somit auf die Verbindlichkeit für die Landesadministrative. Diese Verbindlichkeit ist vom Vorliegen einer Weisung strikt zu trennen. Eine NichtWeisung etwa wegen schwerer und offenkundiger Fehlerhaftigkeit (vgl. § 44 VwVfG-Bd.) ist nicht anzuerkennen. Diese verwaltungsverfahrensrechtliche Konstruktion eignet sich - auch in analoger Anwendung - jedenfalls nicht dafür, das Zentrum der haftungsrechtlichen Bund-Länder-Verbindung im Nachhinein mit einer ex-tunc-Wirkung (!) entfallen zu lassen57, unabhängig davon, ob die Weisung unmittelbar oder mittelbar durch ein Landeshandeln den Scha-

56 Sehr wohl bedeutsam ist der Grad der Fehlerhaftigkeit für die Frage der Verbindlichkeit einer Weisung. S. o. D. II. 3. d). 57 So auch T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 102 f.

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

317

den bewirkte oder ein weisungswidriges Landesverhalten dazu führte. Eine nichtige Weisung gibt es insoweit nicht. Eine etwaige inhaltliche Unrichtigkeit bis hin zur Verfassungswidrigkeit wirkt sich ausschließlich auf der Sekundärebene der Haftung aus. Jede Weisung, die sich formal innerhalb des durch Art. 85 Abs. 3 GG gezogenen Rahmen hält, ist ein taugliches Haftungsobjekt. Ein inhaltlicher Fehler bis hin zu einer (groben) Verfassungswidrigkeit etwa bei Weisungserteilung jenseits des grundgesetzlich vorgegebenen Rahmens58 wirkt sich keinesfalls auf die rechtliche Existenz dieser Bundesingerenzmaßnahme aus.

δ) Folgerungen Die zentrale Position des Weisungserfordernisses führt nicht dazu, daß entsprechende rechtliche Probleme an diese Voraussetzung geknüpft wären. Denn regelmäßig werden in realiter Bundesweisungen als solche auch bezeichnet und unterliegen inhaltlich keinerlei Bedenken hinsichtlich ihrer Einordnung als einer Ingerenzmaßnahme nach Art. 85 Abs. 3 GG. Das Vorliegen eines Weisung steht mithin in aller Regel nicht in Streit. Außerdem sind die Elemente einer Weisung als interner ad-hoc-Regelung und typisches Steuerungsmittel der hierarchisch organisierten Verwaltung, die eine imperative Anordnung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen für einen konkreten Sachverhalt des Verwaltungsgeschehens beinhaltet,59 nicht von komplizierter Struktur. Die rechtliche Einordnung dieser bundesaufsichtlichen Maßnahme stellt sich daher fast ausnahmslos als unproblematisch dar.

bb) Unterschiedliche Weisungstypen Ohne eine systematische Gliederung vornehmen zu wollen, lassen sich ganz unterschiedliche Weisungstypen unterscheiden. Ihnen allen gemein ist Art. 85 Abs. 3 GG als verfassungsrechtliche Basis; verschieden sind sie wegen ihres

58 BVerfG DVB1. 2000, 1282: In diesem Fall hatte der Bund die durch Art. 90 Abs. 2 GG gesetzte Weisungskompetenz dadurch überschritten, daß er eine Bundesstraße in eine Landstraße abstufte, welche sich ausschließlich nach Landesrecht beurteilt. Dazu s. o. D. III. 3. a). 59 Zur Definition Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 50. Zur Problematik des konkreten Sachverhalts s. o. D. IV. h).

318

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

jeweiligen Inhaltes, des Zeitpunktes ihres Erlasses und ihres Zustandekommens.

60

a) Einzelne Weisungstypen αα) Verschiedene Weisungsinhalte Hinsichtlich ihres Weisungsgegenstandes lassen sich unterschiedliche Weisungstypen unterscheiden. Die Weisungsbefugnis ist umfassend und kann die gesamte auftragsweise Vollzugstätigkeit des Landes erfassen. 61 Die Bundeskompetenz umfaßt daher sowohl die abschließende Verwaltungsentscheidung als auch jedes vorbereitende Handeln, gleich ob es formeller oder materieller Art ist. Die Sachkompetenz erstreckt sich auf die Recht- und Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung. Dementsprechend kann der Inhalt einer Weisung ganz verschiedener Art sein. Alle diese Weisungen sind auch und gerade in haftungsrechtlicher Hinsicht gleich zu behandeln. Sie erfüllen allesamt die Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 3 GG und sind das verfassungsgewollte und -legitime Mittel der Durchsetzung der Bundesinteressen gegenüber den Landesinteressen in denjenigen Verwaltungsbereichen, die nach Art. 85 GG auftragsweise von den Ländern ausgeführt werden.

ßß) Die sog. provozierte Weisung Auch die sog. provozierte Weisung 62 stellt eine Weisung im Sinne des Art. 85 Abs. 3 GG dar. Sie unterliegt keinen auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.63 Diese nur sehr vereinzelt einfachgesetzlich geregelte Weisungseinholungspflicht (ζ. B. § 7 Abs. 4 Satz 2 AtomG) wird in der Staatspraxis seit langem praktiziert. Die Handlungskompetenz nach außen verbleibt auch hier beim Land, wohingegen die Sachkompetenz vollumfanglich auf den Bund überwechselt. Insofern unterscheidet sie sich von dem Normalfall des Art. 85

60

Insoweit entsprechen sie in ihrer Bandbreite fast schon den minderintensiven Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes, vgl. dazu oben D. II. 3. j). 61 Oben D. II. 3. c). 62 Zum Begriff Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 56. 63 Vgl. BVerwG DVB1. 1970, 578 (579); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 56; s. femer oben D. II. 3. j), auch zur vereinzelt gebliebenen Gegenansicht von Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 98.

I. Allgemeines zur haftungsrechtlichen Dimension

319

Abs. 3 GG nicht: Trotz Bestehenbleibens der Verantwortlichkeit des Landes nach außen ist das Land im Innenverhältnis dem Bundeswillen untergeordnet und zum Vollzug verpflichtet. Allein die Tatsache, daß ein Land intern zur Weisungseinholung verpflichtet ist, vermag eine andere Betrachtung nicht zu rechtfertigen.

γγ) Die angeforderte Weisung Von einer provozierten Weisung zu unterscheiden ist es, wenn ein Land den Bund zu einer Weisungserteilung auffordert oder gar aufgrund seines - den regulären Verwaltungsvollzug hemmenden - Verhaltens hierzu nötigt. In diesem Fall liegt also nicht eine einfachgesetzliche Regelung mit diesem Inhalt vor, vielmehr ist dem Land auch und gerade als politisches Zeichen nach außen daran gelegen, die bereits von Verfassungs wegen eintretende Verantwortungsverlagerung augenfällig zu machen. Es handelt sich hier weniger um ein (haftungs-) rechtlich relevantes Verhalten, als um das öffentlichkeitswirksame und rechtlich unerhebliche Distanzieren von einer nicht gewollten administrativen Maßnahme. Beispielhaft sei auf die Weisung des Bundesumweltministers vom 26. Juni 1988 hingewiesen, mittels derer der schleswig-holsteinische Fachminister zu einer unverzüglichen Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerkes Brokdorf angehalten wurde. 64 Diese Weisung erfolgte erst zu einem Zeitpunkt, nachdem der Bundesminister vom Landesminister zu dieser bundesaufsichtlichen Maßnahme ausdrücklich aufgefordert worden war, um zumindest in politischer und ggf. auch rechtlicher Hinsicht die Verantwortung für das Wiederanfahren des Reaktors dem Bund zuwachsen zu lassen.

P>) Rechtliche Konsequenzen? Die skizzierten unterschiedlichen Weisungsziele zeitigen keinerlei differierende rechtliche Konsequenzen. Der Bund zieht in allen Fällen die Entscheidungskompetenz, also die Sachherrschaft über den konkreten zu beurteilenden Verwaltungsbereich, an sich, so daß diese Maßnahmen als Ausdruck der Bundeskompetenz nach Art. 85 Abs. 3 GG einer identischen Betrachtung unterliegen.

64

Einzelheiten hierzu s. o. D. III. 2. c).

320

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Fraglich ist diese Beurteilung, wenn ein Land den Bund ultimativ zu einer Weisung hinsichtlich einer bestimmten Maßnahme auffordert. 65 Hintergrund hierfür kann zum einen sein, daß das Land eine Frage definitiv vom Bund geklärt wissen will und daher die Weisung anfordert. Zum anderen ist an den Fall zu denken, wo das Land ausdrücklich zur Verantwortungsverlagerung eine Bundesweisung einholt. 66 Vordergründig scheint die Weisungssituation im allgemeinen und die Länderposition im besonderen eine ganz unterschiedliche zu sein. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, daß eine unterschiedliche Behandlung nicht nur nicht geboten ist, sondern vielmehr unzulässig wäre. Denn das „Handlungs- und Verantwortungsgerüst" ist identisch: Ein außenwirksames Tätigwerden kann ausschließlich durch das Land erfolgen. Es ist zu einem bestimmten Handeln verfassungsrechtlich verpflichtet, wenn der Bund eine Weisung erteilt hat. Das Land muß diese Weisung umsetzen, es sei denn, die Weisung ist unter den genannten sehr engen Voraussetzungen 67 als verfassungswidrig zu qualifizieren. Letztlich ist nicht zwischen den einzelnen Weisungstypen hinsichtlich ihrer haftungsrechtlichen Wirkung zu unterscheiden. Entscheidend kann allein nur ihre tatsächliche rechtliche Einordnung und ihr „Anteil" an dem Schaden sein. Ob es sich um eine sog. provozierte oder nicht erbetene Weisung, eine thematisch umfassende oder inhaltlich auf eine Detailfrage beschränkte, eine verfahrensbegleitende oder verfahrensbeendende, eine formelle oder auch materielle Fragen betreffende Weisung handelt, spielt für ihre rechtliche Beurteilung keine Rolle. Es muß sich nur um eine Weisung im Sinne des Art. 85 Abs. 3 GG handeln. 68 Liegen deren Voraussetzungen alle vor, so kommt sie für die haftungsrechtliche Betrachtung in Betracht: tertium non datur.

b) Der Schaden als Voraussetzung einer Haftung Neben einer Weisung muß ein Schaden gegeben sein. Der Schaden stellt eine unabdingbare Voraussetzung für eine Haftung dar. Es ist an dieser Stelle 65 So z. B. forderte am 18.11.1999 der niedersächsische Umweltminister Jüttner den Bundesumweltminister Trittin auf, ihn mittels einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG an der Genehmigung einer Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben zu hindern. Bereits im Sommer 1999 hatte der Landesminister Trittin aufgefordert, die Genehmigung des Endlagerbergwerks Schacht Konrad durch eine Weisung zu unterbinden. S. FAZ v. 19.11.1999, S. 1. 66 Ob hier wirklich ein Verantwortungsübergang an den Bund auch bei einem außenwirksamen Handeln des Landes vorliegt, sei an dieser Stelle noch dahin gestellt. 67 Dazu s. o. D. IV. 2. 68 Zu „Vorstufen" einer aufsichtsrechtlichen Weisung s. o. D. II. 3. j).

II. Anspruchsgrundlagen

321

nicht angebracht, losgelöst von der jeweiligen Anspruchsnorm die Qualität und Quantität eines Schadens zu beziffern. Die Frage des Schadens wird erst später - nach Feststellung, welche Anspruchsgrundlage für eine Bund-LänderHaftung in Betracht kommt - erörtert.

c) Die Haftung als Rechtsfolge Schließlich gilt es, die Haftung als Rechtsfolge zu untersuchen. Grundlage hierfür kann nur eine Haftungs- oder Anspruchsgrundlage sein. Diese gilt es herauszufinden. Erst nachdem die im Geflecht von Bund und Ländern zunächst ohne Rücksicht auf weisungsgeprägte Besonderheiten anwendbaren Haftungsvorschriften geklärt sind, lassen sich die weiteren Einzelfragen erarbeiten.

I I . Anspruchsgrundlagen 1. Überblick über die möglichen Anspruchsgrundlagen Es soll zunächst ein Überblick über alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen verschafft werden. Die Notwendigkeit und das Bedürfnis einer Haftungsregelung für intrastaatliche Schadensfälle stehen dabei nicht in Frage. Unklar und umstritten ist nur, wie eine derartige Haftung der Länder gegenüber dem Bund oder des Bundes gegenüber den Ländern im einzelnen zu begründen ist. Wer sich die in der deutschen Rechtsordnung praktizierten Haftungsgrundlagen allesamt vornimmt, dem bietet sich ein breites Kaleidoskop von Regelungsmöglichkeiten für eine Bund-Länder-Haftung nach Weisungserteilung. Der Vollständigkeit halber werden bei der haftungsrechtlichen Analyse auch solche Grundlagen berücksichtigt, deren Anwendbarkeit in dem konkreten Falle eher fernliegend, wenn nicht gar im Einzelfall abwegig erscheinen mag. Zu betrachten sind fernerhin solche Rechtsinstitute, die sich nicht in erster Linie als Haftungsregelungen gerieren, sondern andere Kompetenzen und Befugnisse regeln und deren Schadensausgleichsfähigkeit erst noch in abstractu zu ermitteln sein wird. Dabei hält die Rechtsordnung ein wahres Füllhorn an möglicherweise anwendbaren Bestimmungen, Normkonstrukten oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen parat, die - ganz allgemein gesprochen - ein Einstehenmüssen zwischen einem Schädiger und einem Geschädigten festlegen. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang von vornherein das spezielle Bund-Länder-Verhältnis im allgemeinen und innerhalb der Bundesauftragsverwaltung im besonderen. Die fraglichen Haftungsnormen müssen hierzu „passen". 21 Janz

322

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Bevor innerhalb dieses thematischen Ansatzes die Einsatzfähigkeit einer Haftungsgrundlage im spezifisch geprägten Weisungs-Haftungsfall untersucht wird, ist es regelmäßig angebracht, zunächst die allgemeine An- bzw. Unanwendbarkeit bei einer Bund-Länder-Haftung zu klären. Denn erweist sich eine Anspruchsgrundlage bereits als strukturell ungeeignet für die Lösung föderaler Haftungsfragen, so ist auch ihr Einsatz bei einer Verwaltungshaftung nach Erteilung einer Weisung im Rahmen des Art. 85 GG von vornherein ausgeschlossen. In einigen Fällen können den allgemeinen Haftungsinstituten auch spezielle Besonderheiten des Bund-Länder-Verhältnisses innerhalb der Bundesauftragsverwaltung entgegenstehen. Seit langem steht speziell die Frage der „passenden" Anspruchsgrundlage für eine Haftung der Länder gegenüber dem Bund wegen unrechtmäßiger Zahlungen zu Lasten des Bundeshaushalts bei fehlerhaftem Vollzug von Bundesgesetzen nach Art. 85 GG in der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Die unterschiedlichsten Haftungsgrundlagen wurden und werden diskutiert, für anwendbar oder ungeeignet erklärt, anerkannt oder verworfen. Die Erörterungen sind überwiegend auf eine Haftung der Länder - und nicht des Bundes - fokussiert, was unmittelbar mit der weitgehenden Beschränkung der Diskussion auf diese Fallkonstellationen zusammenhängt.69 Dessenungeachtet sind die in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen über die Anwendbarkeit der einzelnen Anspruchsgrundlagen auf die gesamten haftungsrechtlichen Beziehungen von Bund und Ländern anzuwenden, d. h., bei einer möglichen Haftung des Bundes gegenüber den Ländern sind die angestellten Überlegungen gleichermaßen wertvoll und müssen - jedenfalls grundsätzlich - nicht eingeschränkt oder gar in Gänze fallen gelassen werden. Denn die Anwendbarkeit resp. Nichtanwendbarkeit spezieller Anspruchsgrundlagen berührt immer das grundsätzliche Bund-Länder-Verhältnis mit der Folge, daß es auf die Frage, wer Anspruchsberechtigter und wer Anspruchsverpflichteter ist, nicht ankommt. Daher erscheint eine „vorweggenommene" Behandlung aller Anspruchsgrundlagen unabhängig von der Art der konkreten Haftungssituation zulässig und geboten. Erst nach Benennung der relevanten Einstandsvorschrift(en) sind die einzelnen haftungsrechtlichen Beziehungen zu erörtern.

69

Dazu s. o. E. I. 1.

II. Anspruchsgrundlagen

323

2. Einzelne Anspruchsgrundlagen Im Verlauf werden nun alle in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen zunächst auf ihre Anwendungsfahigkeit innerhalb eines intrastaatlichen Haftungsfalles generell und innerhalb einer weisungsgeprägten Haftungskonstellation im besonderen untersucht. Dabei unterliegt die Reihenfolge keinen logischzwingenden Regeln, sie ist daher weitgehend willkürlich. Terminologisch naheliegend für eine Einstandspflicht sind zunächst die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen. Sie sollen daher am Anfang der Darstellung stehen.

a) „Auftrags "-Haftungsregelungen Als Haftungsgrundlagen kommen allein schon wegen der Namensidentität mit der Bundesaw/Zragsverwaltung die im Zivilrecht wurzelnden „Auftrags"Haftungsnormen in Betracht. Hier ist bei entsprechender Interessenlage einerseits an die analoge Anwendung der Vorschriften des bürgerlich-rechtlichen Auftrages nach §§ 662 ff. i.V.m. §§ 276, 278 BGB und andererseits der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB zu denken.

aa) Öffentlich-rechtlicher Auftrag Der öffentlich-rechtliche Auftrag wurde verschiedentlich als Anspruchsgrundlage für eine Haftung innerhalb des Bund-Länder-Verhältnisses erörtert und - soweit ersichtlich - durchgehend wegen der unterschiedlichen Interessenlage abgelehnt.70

70 BVerwGE 12, 253 (254); 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); BGHZ 16, 95 (99 f.); LVG Schleswig DÖV 1960, 464. Zur Unzulässigkeit der analogen Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Auftragsvorschriften ferner umfangreich Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 62 ff.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 89 ff.; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 58 ff.; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 190 ff.; ferner Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2 Rdnr. 32.62 (S. 65); Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 113 f.; Erichsen, Zur Haftung im Bund-LänderVerhältnis, 1986, S. 17; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 71 u. 79; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 32 f.; Pappermann, Ansprüche des Staates bei fehlerhafter Erledigung übertragener Aufgaben durch Kommunalkörperschaften, 1971, S. 16 f.; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht

324

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Ein öffentlich-rechtlicher Auftrag liegt vor, wenn ein Verwaltungsträger selbst oder eines seiner Organe auftragsweise Aufgaben eines anderen Verwaltungsträgers wahrnimmt. Dabei erfüllt das direkt oder mittels seines Verwaltungsträgers in Anspruch genommene Organ zwar Aufgaben des anderen Verwaltungsträgers, es handelt aber nicht als dessen Organ. 71 Nach §§ 662 ff., 276, 278 BGB analog gehört zu den Pflichten des Beauftragten die Haftung für diejenigen Schäden, die dem Auftraggeber durch eine schuldhafte mangelhafte Ausführung des Auftrages entstehen. Konkrete Anspruchsvoraussetzung ist, daß durch eine schuldhafte Pflichtverletzung im Rahmen eines Schuldverhältnisses ein zurechenbarer Schaden entstanden ist. Aufgrund der scheinbaren begrifflichen Nähe zur Bundesauftragsverwaltung liegt zunächst der Gedanke nahe, daß §§ 662, 276 BGB analog eine Haftungsgrundlage für weisungsgeprägte Haftungskonstellationen bieten könnten. Dieses Haftungsinstrument scheidet anerkanntermaßen für das föderale Verhältnis von Bund und Ländern in der Bundesauftragsverwaltung jedoch aus. Entscheidend dafür ist es, daß kein Vertrag zwischen Bund und Ländern vorliegt, durch welchen sich Bund und Länder zur Besorgung übertragener Geschäfte verpflichtet hätten. Treffend formuliert Wolst: „Die Affinität des Auftrages im Privatrecht mit der Auftragsverwaltung nach Art. 85 GG erschöpft sich in der Bezeichnung beider Rechtsinstitute."72 Aus der identischen Namensgebung erklären sich auch die terminologischen Mißverständnisse.

durch die deutschen Länder, 1998, S. 87 f.; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 302; Storr, Die Haftung im Bund-LänderVerhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (274 f.); Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 66; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 189; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 14; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 65; L. Schmidt, DÖV 1959, 803 (806 f.); Sturm, DÖV 1966, 257 (259), F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105; Achterberg,, DVB1. 1970, 125 (130); Sturm, DÖV 1966, 259; Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); W. Schulze, DÖV 1972, 409 (410 f.); H Bauer ilirbes, JuS 1997, 511 (513 FN 19); Hatje, NJ 1997, 285 (286); speziell in Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EG-Richtlinien auch Böhm, JZ 2000, 382 (385); vgl. auch U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 191 mit FN 100. Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (433), möchte eine Entsprechung der grundgesetzlichen Ausgabenverteilung bei der Bundesauftragsverwaltung mit dem Regelungssystem des bürgerlich-rechtlichen Auftragsverhältnisses (§§ 662 ff. BGB) erkennen. 71 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 21 Rdnr. 55. 72 Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 79; ähnlich auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 113; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 302.

II. Anspruchsgrundlagen

325

Der verfassungsrechtlichen Auftragsverwaltung sind samt und sonders die wesenstypischen Merkmale des bürgerlich-rechtlichen Auftrages wie ζ. B. das jederzeitige Widerrufsrecht des § 671 Abs. 1 BGB oder der Aufwendungsersatzanspruch des Beauftragten nach § 670 BGB fremd. Allein die Unentgeltlichkeit ist dem bürgerlich-rechtlichen Auftrag und der Bundesauftragsverwaltung gemeinsam. Der zivilrechtliche wie der öffentlichrechtliche Auftrag ist ein freiwilliger (!) Vertrag mit der gesetzlich angeordneten Folge der Pflichtenübernahme; er ist unmittelbarer Ausdruck der Privatautonomie. Bei einem Bund-LänderVerhältnis auch und gerade im Bereich auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG handelt es sich um eine (grund-) gesetzlich zwingende Verklammerung zweier Hoheitsträger und die daran gekoppelten Kompetenzen.73 Aufgaben und Wahrnehmungszuständigkeiten dieser Hoheitsträger sind durch kompetenzbegründende und -beschränkende Regelungen weit jenseits der das Bürgerliche Recht ausfüllenden und ausformenden Privatautonomie festgelegt. Ein wie auch immer gelagerter Handlungsspielraum in Form einer Wahlmöglichkeit, ob die Bundesgesetze durchgeführt werden sollen oder nicht, besteht für die Länder bei verfassungsrechtlicher Determinierung eines auftragsweisen Verwaltungsbereichs nicht. Wenn man so will, handelt es sich insofern um einen „Zwangsauftrag", der indes von dem gesetzlich geprägten „Auftrag" des § 662 BGB als einem gesetzlichen Schuldverhältnis grundverschieden ist. „Diese freiwillige Übernahme (des zivilrechtlichen Auftrages, d. Verf.) ist letztlich auch der Rechtfertigungsgrund für eine etwaige Schadensersatzpflicht." 74 Das staatsrechtliche Verhältnis wird geprägt durch die Stellung der Länder als Gliedstaaten gegenüber dem Bund als Gesamtstaat. Den Ländern obliegt der Verwaltungsvollzug von Bundesgesetzen nach Artt. 30, 83, 85 GG als unentziehbare eigene Aufgabe. Die Länder erfüllen demnach nicht „fremde" Auf-

73

Frühzeitig BGHZ 16, 95 (99 f.). I. E. auch BVerwGE 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); LVG Schleswig DÖV 1960, 464 (465); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 33; Nopper, BundLänder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 88; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 70; Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 94 u. 96; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 114; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (274 f.); L. Schmidt, DÖV 1959, 803 (806 f.); Sturm, DÖV 1966, 257 (259); Achterberg, DVB1. 1970, 125 (130). 74 So G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 93.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

gaben, so daß sich auch in dieser Hinsicht eine Parallele zum bürgerlichrechtlichen Auftrag verbietet. 75 Ferner spricht auch die Entstehungsgeschichte gegen eine Vergleichbarkeit dieser beiden Rechtsinstitute, da die Auftragsverwaltung nicht dem Privatrecht entlehnt wurde, sondern dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, da diese Verwaltungsform zumindest mittelbar ihre Wurzeln im Kommunalrecht hat. 76 Der Auftrag nach §§ 662 ff. BGB hingegen besitzt ausnahmslos eine privatrechtliche Entstehungsgeschichte. Diese Betrachtung bedarf auch nicht einer Korrektur, nur weil § 665 BGB die Zulässigkeit des Abweichens von Weisungen des Auftraggebers regelt. Die bloße Duplizität der Verwendung des Begriffs „Weisung" allein vermag eine vergleichbare (haftungsrechtliche) Situation nicht herzustellen. Die Weisung findet sich in der deutschen Rechtsordnung vielerorts wieder; 77 so häufig die Begriffsverwendung ist, so verschieden ist auch ihre Bedeutung in concreto. Für die Herstellung einer vergleichbaren Situation bietet § 665 BGB keinerlei Handhabe. Abschließend ist daher festzustellen, daß das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen Bund und Ländern letztlich so fundamental verschieden von einem zivilrechtlichen Auftragsverhältnis ist, daß eine Anwendung seiner Grundsätze aus diesem Grunde schon von vornherein ausscheiden muß: Es besteht kein ähnliches zivilrechtliches Auftragsverhältnis, d. h. kein Vertrag zwischen Bund und Ländern. Die Interessenlage ist eine völlig anders gelagerte. 78 Eine Haftung durch einen Rückgriff auf die zivilrechtlich geprägten und auf das öffentliche Recht transformierten Grundsätze des Auftragsrechts scheidet daher aus.

75

BVerwGE 12, 253 (254); 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); BGHZ 16, 95 (99 f.); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 33; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 88; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 59; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 114; Storr, Die Haftung im Bund-LänderVerhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275). 76 Das betont Zeis e, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 67 f. Zum Streit um den Ursprung der Auftragsverwaltung s. ο. Β. II. 2. a). 77 S. o. D. II. 1. 78 So frühzeitig G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 94, mit weiteren Argumenten gegen die Übernahme zivilrechtlicher Auftragsnormen aufS. 98 f.

II. Anspruchsgrundlagen

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bb) Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag Artverwandt mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag stellt sich öffentlichrechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag dar. Auch diesem Rechtsinstitut wohnt eine Haftungsgrundlage inne. Daher kann die Anwendbarkeit bei föderalen Haftungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern diskutiert werden. Dies gilt um so mehr unter dem Gesichtspunkt, daß ein wichtiges Argument gegen die Anwendbarkeit der Auftragsnormen des BGB (§§ 662 ff.) die fehlende „Auftrags"-Qualität des Rechtsverhältnisses von Bund und Ländern in der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG ist. Die Zulässigkeit einer Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht mitsamt den Aufwendungsersatz- und Schadensersatzansprüchen ist trotz erheblicher Meinungsdivergenzen allgemein anerkannt. 79 Dieses Rechtsinstitut ist nach den §§ 677 ff. BGB analog zu beurteilen. Eine öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag liegt vor, wenn jemand (der Geschäftsführer i. S. des § 677 BGB) ein fremdes öffentlich-rechtliches Geschäft ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung für einen anderen (Geschäftsherrn i. S. des § 677 BGB) ausführt. 80 Dabei ist der in der Rechtspraxis häufig umstrittene öffentlich-rechtliche Charakter und die damit verbundene und notwendige Abgrenzung zur privatrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag 81 bei föderalen Haftungsfragen eindeutig im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Beziehung von Bund und Land zu beantworten. Dieses Haftungsinstitut scheidet für das föderale Verhältnis von Bund und Ländern aus, auch wenn zunächst wegen des eben festgestellten Fehlens einer vertraglichen (Auftrags-) Beziehung eine Anwendbarkeit nahe liegen mag. 82 Denn die Länder erfüllen bei den Verwaltungsangelegenheiten, die ihnen aufgrund des Art. 85 GG zur Erledigung zugewiesen sind, keine fremden Geschäf-

79 BVerfGE 18, 429 (437); BVerwGE 80, 170 (173); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. \ \\KlutK in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 55 Rdnrn. 10 ff.; Dederer, NVwZ 2001, 258 (264); Schock, Jura 1994, 241 (242); Ossenbühl, NJW 2000, 2945 (2952); umfassend die Monographie von Nedden, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht, 1994. 80 Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 29 Rdnr. 8; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. 11. 81 Vgl. etwa Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 29 Rdnr. 16 m. w. Nachw. 82 Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 309; generell für eine Unanwendbarkeit im Verhältnis zwischen zwei Verwaltungsträgern Schoch, Jura 1994, 241 (244); speziell in Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EG-Richtlinien Böhm, JZ 2000, 382 (385).

328

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

te. 83 Vielmehr weist das GG diese Angelegenheiten ihnen als eigene Aufgabe zu. 84 Die Situation stellt sich insoweit entsprechend dem Auftragsverhältnis nach §§ 662 BGB (ggf. analog) dar. Die Zulässigkeitsvoraussetzung der Wahrnehmung „fremder Aufgaben" (vgl. § 677 BGB) ist nicht gegeben, da das Land eine ihm obliegende eigene Angelegenheit wahrnimmt. Darüber hinaus gelten die grundlegend gegen die analoge Anwendung der Vorschriften des BGB über den Auftrag vorgebrachten Argumente auch für die Geschäftsführung ohne Auftrag. Es handelt sich um eine grundgesetzlich determinierte Kompetenzordnung, die mit der zivilrechtlichen Privatautonomie nicht verglichen werden kann. Daher kann insoweit auf diese Ausführungen verwiesen werden. 85

b) Sonstige schuldrechtliche Haftungsregelungen Aus anderen schuldrechtlichen Haftungsgrundlagen außer den „auftragsgeprägten" der §§ 662 ff. und 677 ff. BGB lassen sich keine Regelungen für eine Bund-Länder-Haftung entnehmen. Das bundesstaatliche Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich des Art. 85 GG ist nicht von solcher Art, daß diese Grundsätze interessengerecht zur Anwendung gelangen könnten. 86 Eine öffentlich-rechtliche culpa in contrahendo oder die öffentlich-rechtliche positive Forderungsverletzung scheiden als schuldrechtliche Haftungsgrundlagen für die weisungsgeprägte Situation innerhalb der Bundesauftragsverwaltung aus.

83

Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 114; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 59. 84 S. o. C. III. 85 Oben E. II. 2. bb). 86 BVerwGE 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 412 ff; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 32 f.; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 80; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 309 f.; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 32.6 (S. 65); Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (274 f.); Dederer, NVwZ 2001, 258 (263 f.); Achterberg, DVB1. 1970, 125 (130); Cremer, JuS 1996, 333 (334 f.), Hatje, NJ 1997, 285 (286). Speziell in Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EG-Richtlinien auch Böhm, JZ 2000, 382 (385). Zu den „Grundanliegen des zivilrechtlichen Schadensersatzrechts" U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 409 ff. A.A. nur Godschalk, RiA 1959, 232 (233).

II. Anspruchsgrundlagen

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Grundgesetzliche Zuständigkeitsregeln und Kompetenzartikel lassen kein schuldrechtliches Verhältnis entstehen, weder gesetzlicher noch vertraglicher oder vorvertraglicher Art. Zwischen Bund und Ländern besteht weder allgemein im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG noch speziell innerhalb einer weisungsrechtlichen Lage ein Vertrag, eine anderweitige Vereinbarung oder sonstige Absprache. Vielmehr gestaltet eine Norm des GG die Rechtsverhältnisse zwischen Bund und Ländern, indem sie den Ländern die Verwaltungsaufgaben unwiderruflich und zwingend zuweist. Die Verfassung selbst normiert die Kompetenzen und grenzt sie voneinander ab, also kein einfaches Gesetz oder eine wie auch immer geartete Abrede oder ein Schuldverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern. Die Bundesauftragsverwaltung stellt sich nicht als eine vertragliche Rechtsbeziehung dar, die verletzt werden könnte, sondern als ein verfassungsrechtlich begründetes Rechts- und Pflichtenverhältnis. Dieses unterscheidet sich - wie gezeigt - grundlegend von einem vertraglichen (Schuld-) Rechtsverhältnis. Daher scheiden eine culpa in contrahendo oder positive Forderungsverletzung, die jeweils an vertragliche oder vertragsähnliche Beziehungen anknüpfen, als Anspruchsgrundlagen aus.87 In Ermangelung von schützenswerten Freiheitssphären öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger kann das zivilrechtliche Schadensersatzrecht bereits seine Funktion der Abgrenzung dieser Sphären nicht erfüllen. 88 Damit bleibt festzuhalten, daß die Verwaltungshaftung im Verhältnis der Hoheitsträger Bund und Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG nicht vermittels schuldrechtlicher Anspruchsgrundlagen geregelt ist. Die Einstandspflicht der einen Gebietskörperschaft gegenüber einer anderen Gebietskörperschaft kann sich nur aus Bestimmungen jenseits des zivilrechtlichen Haftungssystems ergeben.

c) Die Amtshaftung Verschiedentlich wurde eine Lösung des föderalen Haftungproblems mittels des Amtshaftungsanspruchs diskutiert. 89 Die Amtshaftung ist in § 839 BGB 87

So ausdrücklich zur positiven Forderungsverletzung BVerwGE 96, 45 (50); Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 189; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (274 f.); Cremer, JuS 1996, 333 (334 f.); H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (513 FN 19). 88 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 412. 89 Umfassend Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 49 ff; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 124 ff; G. Groß, Die

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG geregelt. Materiell-rechtliche Voraussetzung fur diesen deliktischen Anspruch ist es, daß jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt und dadurch einen Schaden verursacht hat, sofern kein Haftungsausschlußgrund oder -beschränkungsgrund vorliegt. Diese deliktische Amtswalterhaftung geht nach Art. 34 Satz 1 GG grundsätzlich auf den Staat über. Die Frage der Anwendbarkeit des Amtshaftungsanspruchs nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG als (deliktische) Anspruchsgrundlage des Bundes gegen ein Land oder eines Landes gegen den Bund wird zu verneinen sein. 90 Die Bedenken, die letztlich gegen eine Anwendbarkeit sprechen, speisen sich aus zweierlei Quellen: Zum einen fehlt es an der Drittbezogenheit der Amtspflicht, zum anderen entfällt - jedenfalls in aller Regel - eine Bereicherung der anderen Körperschaft.

Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 47 ff; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 424 ff. S. ferner folgende FN. 90 BVerwGE 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); BGHZ 26, 232 (233 ff.); 27, 210 (211 ff.); Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77 f.; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 425 ff. (insb. S. 430); Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (271 ff.); Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, S. 17; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 89; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 126 ff.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 90 ff.; Zeis e, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 80; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 302 f.; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 65; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 189; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 14; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 43; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 32.63 (S. 65 f.); Achterberg,, DVB1. 1970, 125 (129); Pappermann, DVB1. 1975, 637 (640 f.); Sturm, DÖV 1966, 256 (260); Cremer, JuS 1996, 333 (335); Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); W. Schulze, DÖV 1972, 409; Hatje, NJ 1997, 285. Für den Gesetzesvollzug nach Artt. 83 ff. GG auch Schäfer, in: Staudinger, Komm. BGB, 12. Aufl. 1986, § 839 Rdnr. 262. Speziell in Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EG-Richtlinien Böhm, JZ 2000, 382 (385); Dederer, NVwZ 2001, 258 (62). S. auch BGHZ 27, 210 (213), wo das Gericht zumindest mißverständlich davon spricht, daß zwischen dem Bund und den Ländern eine „einheitliche Verwaltungsorganisation" bestehe.

II. Anspruchsgrundlagen

331

aa) „Jemand" in Ausübung eines öffentlichen Amtes Für den Amtshaftungsanspruch ist es zunächst vonnöten, daß jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat. Der Begriff des „öffentlichen Amtes" ist hierbei anerkanntermaßen funktionell im Sinne eines hoheitlichen, also öffentlich-rechtlichen Tätigkeitsbereiches zu verstehen.91 Maßgebend ist es, ob jemand mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben betraut oder in dieser Hinsicht tätig geworden ist. Das Merkmal „ i n Ausübung eines öffentlichen Amtes" ist bei einem hoheitlichen anweisenden Handeln bzw. bei einer weisungsvollziehenden Maßnahme gegeben, da insoweit immer ein hoheitlicher öffentlich-rechtlicher Tätigkeitsbereich vorliegt. Dieses ist auch jeweils einem Amtswalter zuzuordnen, der entweder tätig geworden oder untätig geblieben ist. Die Rechtmäßig- bzw. Rechtswidrigkeit spielt insoweit keine Rolle. Das schadensersatzbegründende Verhalten ist jederzeit jemandem und dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Das öffentliche Amt ist dabei anerkanntermaßen funktionell zu verstehen („Beamter im haftungsrechtlichen Sinne"), so daß die öffentliche Hand nicht nur durch Verwaltungsbehörden mit amtshaftungsrechtlicher Relevanz handeln kann. Hiermit werden auch Personen, die sich wie etwa Minister in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis befinden, ohne weiteres haftungsrechtlich als Amtswalter im Sinne des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG miteinbezogen.92 Entsprechendes gilt für die für die Weisungsumsetzung zuständigen Amtswalter in den Landesministerien als oberste Landesbehörden (Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG), die gleichfalls im Anwendungsbereich der Amtshaftung agieren. Ein weisungsbezogenes Handeln stellt sich ferner auch in Ausübung des öffentlichen Amtes dar. Das schädigende Handeln erfolgt also nicht nur „bei Gelegenheit", 93 sondern steht in einem engen Zusammenhang mit der öffentlichrechtlichen Tätigkeit, sei es aufgrund der Weisungserteilung selbst, sei es beim Vollzug der Weisung. Das Tatbestandsmerkmal der „Ausübung eines öffentlichen Amtes" wird bei haftungsrechtlichen Konstellationen im Bund-Länder-Verhältnis keine Schwierigkeiten bereiten. 91

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 12 ff.; Detterbeck/Windthorst/ Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rdnr. 24; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 25 Rdnr. 12. 92 S. nur BGHZ 14, 319 (321); 63, 319 (324); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 13; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 67 Rdnr. 1; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 25 Rdnr. 13; Steinberg/Luhberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 270. 93 Dazu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 25 f.

332

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen bb) Drittgerichtete Amtspflicht

Ein Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG setzt des weiteren voraus, daß die handelnde Körperschaft eine ihr gegenüber der anderen Körperschaft als einem Dritten obliegende Amtspflicht verletzt hat. Der Amtswalter muß also eine Amtspflicht verletzt haben, die gerade dem Geschädigten gegenüber bestand. Diese Drittbezogenheit bildet seit jeher die „crux" 9 4 bzw. die „Achillesferse" 95 des Amtshaftungsanspruchs, wie auch die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung wieder beweist.

a) Drittgerichtete Amtspflicht Die verletzte Amtspflicht muß gegenüber dem Geschädigten bestanden, also gerade seinen Schutz bezweckt haben. Es muß ein „Bezug zur Rechtssphäre des Bürgers hergestellt werden bzw. bestehen."96 Dieses Erfordernis der Drittbezogenheit hat eine haftungsbegrenzende Funktion. 97 Nur wenn diese Drittbezogenheit positiv festgestellt werden kann, ergibt sich eine Aktivlegitimation. Voraussetzung dafür, daß auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts als „Dritte" im Sinne der Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB angesehen werden kann, ist eine Beziehung, die derjenigen zwischen Staat und Bürger inhaltlich entspricht und insoweit ein gleichartiges Verhältnis darstellt. Die beteiligten öffentlich-rechtlichen Körperschaften müssen sich in einer Weise gegenüberstehen, wie es kennzeichnend ist für das Verhältnis vom Staat zum Bür98

ger. Hier ist es zunächst fraglich, ob bei haftungsrechtlichen Verknüpfungen von Bund und Ländern überhaupt eine Körperschaft „Dritte" gegenüber der anderen Körperschaft im Sinne des § 839 BGB, Art. 34 Satz 1 GG sein kann. Es ist anerkannt, daß auch juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich

94

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 57. Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rdnr. 94. 96 Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 67 Rdnr. 66. 97 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rdnr. 96; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 67 Rdnr. 68; Steinberg/Luhberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 279 u. 293 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 25 Rdnr. 19; Ossenbühl, NJW 2000, 2945 (2949). 98 BGHZ 116, 312 (315); Thomas, in: Palandt, BGB-Komm., 60. Aufl. 2000, § 839 Rdnr. 50. 95

II. Anspruchsgrundlagen

333

„Dritte" im Sinne der Amtshaftungsvoraussetzungen sein können, wenn diese Amtspflichten gerade dem Schutz der anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu dienen bestimmt sind und eine Situation besteht, die fur das Verhältnis von Staat und Bürger charakteristisch ist." Ob innerhalb des Verwaltungsvollzuges von Bundesgesetzen durch die Länder die Eigenschaft eines Dritten begründet werden kann, ist nicht eindeutig. Schließlich ist die Eigenart der Bundesauftragsverwaltung bei der Analyse zu berücksichtigen, wobei besonderes Augenmerk auf die Spezifika dieses Verwaltungsvollzuges gerichtet sein muß. Auf die ersten beiden Fragen braucht für die hier relevante Problemstellung nicht eingegangen zu werden, wenn die Verbindung von Bund und Ländern innerhalb der Bundesauftragsverwaltung auch und gerade nach Erteilung einer Bundesweisung von solcher Art ist, daß dieses gleichfalls zivilrechtlich geprägte 1 0 0 Haftungsinstitut keine sachgerechten Ergebnisse zeitigen kann. Innerhalb der Bundesauftragsverwaltung stehen Bund und Länder nicht wie „Dritte" im Sinne dieser Normen zueinander, 101 sondern sind auf eine einzigartige Weise miteinander verbunden, auch wenn - entgegen Sturm 102 - von einem „einheitlichen Ganzen" nicht gesprochen werden sollte. Denn mit dieser Beschreibung wird die Verflochtenheit von Bund und Ländern bei der Ausführung von Gesetzen nach Art. 85 GG übertrieben und letztlich auch unrichtig charakterisiert, da sie die organisatorische und funktionale Trennung von Land und Bund im Bundesstaat Deutschland außer acht läßt. Der Bund hat bei der Vollziehung von Bundesgesetzen nach Art. 85 GG erhebliche Einwirkungsmöglichkeiten auf die Länder, die sich mit dem Status eines Dritten nicht vereinbaren ließen. 103 Werden die einzelnen Ingerenzmittel 99 OLG Celle, DÖV 1998, 478; Thomas, in: Palandt, BGB-Komm., 60. Aufl. 2000, § 839 Rdnr. 50; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 69 f. m. w. Nachw. in FN 366; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 67 Rdnr. 81; Steinberg/Luhberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 304; Detterbeck/Windthorst/SprolU Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rdnr. 162 („Gegnerschaft in der In teres s enWahrnehmung"); Dederer, NVwZ 2001, 258 (262); H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512 f.). S. auch U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 470 ff. 100 Vgl. die entsprechenden Überlegungen zu den auftragsrechtlichen Vorschriften des BGB und zur Drittschadensliquidation, Ε. II. 2. a) u. f). 101 So ausdrücklich BVerwGE 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); Vietmeyer·, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 302 f.; H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (513). 102 DÖV 1966, 256 (260). Kritisch auch Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 78: „Spaltung der Verwaltungskompetenz". 103 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 65; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr.

334

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

des Art. 85 GG und hier vor allem das in jeder Hinsicht umfassende Weisungsrecht des Absatzes 3 betrachtet, so erschließt sich die Wesensverschiedenheit der beiden Interessenlagen fast von allein. Es ist durch die Weisungskompetenz eine echte Hierarchisierung in diesem Bund-Länder-Verhältnis zu Gunsten des Bundes zu erkennen. 104 Die für das Verhältnis von Bürger und Staat charakteristische Situation des „Sich-Gegenüberstehens" ist mit dem Verhältnis von Bund und Ländern in der Bundesauftragsverwaltung nicht identisch und auch ansonsten nicht vergleichbar. Daher ist bereits vom Wortlaut her einiges gegen die Anwendbarkeit der Amtshaftung vorzubringen. 105 Die Beziehungen erscheinen daher wegen der engen Verbundenheit eher als Verwaltungsinternum, 106 welches eine Drittbezogenheit einer Amtspflicht nicht zuläßt. 107 Die Internum-Rechtsprechung des B G H 1 0 8 weist diesen Weg. Dieser Rechtsprechung zufolge ist die Anwendbarkeit des Amtshaftungsanspruchs im Verhältnis von Trägern öffentlicher Gewalt dann nicht gegeben, wenn zur Er-

43; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 14; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 36; T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 316 ff.; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 89; Vogel, JA 1980, 577 (578); Achterberg, DVB1. 1970, 125 (129), der ein Fingieren der Länder als „Dritte" jenseits der Grenzen der Bundesauftragsverwaltung als möglich ansieht, wenn die Länder nach Artt. 83 f. GG die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ohne engere Verflechtung lediglich unter (Rechts-) Aufsicht des Bundes ausführten. Kritisch zu diesem Gedanken Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 89, der zutreffend auf die auch hier vorhandene Verzahnung hinweist. 104 Auf diesen hierarchischen Aspekt stellen auch ab Steinberg/Luhberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 304. 105 Anders Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (272), der den Gegenschluß ziehen möchte. 106 Nach BGHZ 27, 210 (213), besteht zwischen Gemeinden, Ländern und Bund in der Bundesauftragsverwaltung eine „Verzahnung von Behörden verschiedener Rechtsträger" mit der Folge, „daß ihre Beziehungen untereinander insoweit als ein 'Internum' erscheinen." 107 S. dazu auch Cremer, JuS 1996, 333 (335); Hatje, NJ 1997, 285. 108 BGHZ 26, 232 (234 ff.); 27, 210 (213); 32, 145 (146 f.); 60, 371 (372); 116, 312 (315). Dazu auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 70; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 34 f. Kritisch zu dieser Verzahnungstheorie U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 430 f.

II. Anspruchsgrundlagen

335

füllung einer gemeinsamen Aufgabe Behörden verschiedener Rechtsträger derart miteinander verzahnt sind, daß sie dem Außenstehenden als Internum erscheinen. Sie müssen für eine gemeinsame Aufgabe eng miteinander verbunden sein. Auch wenn man die verfassungsrechtliche Zuständigkeitsordnung entgegen Kummer 109 für die Annahme einer gemeinsamen Aufgabe nicht für relevant erachten mag, liegt doch die gemeinsame Aufgabe in dem Wesen der Bundesauftragsverwaltung begründet. Das funktionelle Gefüge dieser Verwaltungsform ist von so einzigartiger und enger Verbundenheit von Bundes- und Landesbehörden auch und gerade bei der Weisungserteilung geprägt, daß es wie ein „Internum" zu werten ist. 1 1 0 Bund und Länder arbeiten gleichsinnig durch die Ausübung einer Teilkompetenz der gesamten Verwaltungskompetenz auf einem bestimmten Verwaltungssektor des Art. 85 GG zusammen.111 Der hiergegen vorgebrachte Einwand, daß durch die Annahme einer gemeinsamen Aufgabe von Bund und Ländern die nach wie vor existente staatsorganisationsrechtliche Trennung verdeckt und verwischt würde, 112 kann nicht durchgreifen. Mitnichten wird diese strikte Trennung negiert; selbstverständlich bleibt der Gesetzesvollzug formelle und materielle Landesverwaltung. Auch hat weiterhin das Land die volle Wahrnehmungskompetenz inne, während dem Bund die Sachkompetenz zukommt. Die Gemeinsamkeit der Aufgabe im Sinne dieses Internum-Denkens ergibt sich aus der engen Verbundenheit von Bund und Ländern in der Bundesauftragsverwaltung, was im Extremfall in

109 Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 56. 110 In diesem Sinne Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 56 f.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 54; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 35 f.; Achterberg, DVB1. 1970, 125 (129). In BGHZ 27, 210 (212 f.) möchte das Gericht diesen rigiden Schluß nicht ziehen, sondern hält einen Amtshaftungsanspruch in der Bundesauftragsverwaltung jedenfalls nicht für gänzlich ausgeschlossen, lehnt jedoch im konkreten Fall wegen der Besonderheiten in der Organisation zur Durchführung des Lastenausgleichs die Drittgerichtetheit einer Amtspflicht und damit einen Amtshaftungsanspruch ab. Auch S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 106 FN 473, hält einen Amtshaftungsanspruch bei einer rechtswidrigen Weisung innerhalb der Bundesauftragsverwaltung „wohl" für möglich, ohne indes auf die vorliegende Problematik einzugehen. 111 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 78; H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (513). 112 So Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (273). Auch Storr erachtet im Verlauf den Amtshaftungsanspruch als ungeeignet, aaO., S. 273.

336

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

eine völlige (Weisungs-) Unterworfenheit des Landes unter den Bundeswillen einmünden kann. Weder der Bund noch ein Land kann wie ein Bürger angesehen werden, die Amtshaftung ist von vorneherein gedacht für das Verhältnis Verwaltung - Bürger und damit für das bundesstaatliche Gemeinwesen nicht adäquat. Die historischen Wurzeln des Amtshaftungsanspruchs, der aus einer persönlichen (!) Beamtenhaftung hervorgegangen ist und der strikt von der Haftungsüberleitung zu trennen ist, sprechen gegen den Einsatz zwischen zwei Hoheitsträgern, gleich in welcher Rechtsbeziehung sie zueinander stehen.113 Darüber hinaus gebieten auch Sinn und Zweck der Vorschrift keine Anwendung zu Gunsten bzw. zu Lasten juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Auch das BVerwG hat sich dieser Meinung angeschlossen und zieht die Amtshaftung nicht zur Lösung haftungsrechtlicher Fragestellungen im BundLänder-Verhältnis heran, ohne sich allerdings umfassend mit den Gegenargumenten auseinanderzusetzen. 114 Das Merkmal der Drittbezogenheit der Amtspflicht ist daher bei einer auftragsweisen Verwaltungsausführung immer zu verneinen. Ein Anspruch nach den Grundsätzen des Amtshaftungsanspruchs scheidet damit schon deshalb sowohl für den Bund als auch das Land aus.

Drittgerichtete

Amtspflicht

Es muß sich zudem um eine drittgerichtete Λ/wtepflicht handeln. Eine Amtspflichtverletzung liegt vor, wenn der Amtswalter die sich aus seinem amtlichen Verhältnis zum Staat (Dienstherr) ergebenden Pflichten verletzt. 115 Die Amtspflicht muß auch den Schutz seiner Interessen (also diejenigen des Dienstherrn) bezwecken.

113

U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 429; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 35 u. 36; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (273). Zur Entwicklungsgeschichte der Amtshaftung BVerfGE 61, 149 (177 ff.); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 7 ff. 114 BVerwGE 96, 45 (50). 115 S. nur Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rdnr. 54; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 67 Rdnr. 48; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 25 Rdnr. 16.

II. Anspruchsgrundlagen

337

Es erscheint zweifelhaft, ob überhaupt eine gegenseitige Amtspflicht zur Wahrung des Bundes- bzw. Landesvermögens besteht.116 Immerhin besteht in Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) unbestrittenermaßen eine Amtspflicht zu einem rechtmäßigen Handeln, 117 die zu Recht als wichtigste Pflicht betitelt werden kann. 118 Zu bedenken ist auch, daß den Bund keine verfassungsrechtliche Pflicht zur Erteilung einer rechtmäßigen Weisung trifft, entscheidend ist vielmehr die Verfassungskonformität dieser Maßnahme. 119 Es würde nicht ohne weiteres überzeugen, gleichwohl mittels eines Umweges über § 839 BGB, Art. 34 Satz 1 GG durch die Hintertür doch zu einer Rechtmäßigkeitspflicht des Bundes im Rahmen des Art. 85 GG zu gelangen. Angesichts des eindeutigen Befundes, daß keine drittbezogene Amtspflicht besteht, braucht auf diese Frage nicht genauer eingegangen zu werden.

cc) Bereicherung der anderen Körperschaft? Dem Amtshaftungsanspruch begegnet ein weiterer Einwand, der die Ungeeignetheit der Verwendung als Haftungsgrundlage beweist. Teilweise wird behauptet, daß bei weisungsbedingten Haftungsfällen einer Entreicherung der einen Gebietskörperschaft keine Bereicherung der anderen gegenüberstehe. 120 Vielmehr ist - wenn überhaupt - ein Dritter bereichert. 121 Deshalb seien keine Ansprüche aus Amtshaftung gegeben. Es stellt aber keine weitere Voraussetzung des Amtshaftungsanspruchs dar, daß der Entreicherung der einen öffentlich-rechtlichen Körperschaft eine Bereicherung der anderen Körperschaft entsprechen müßte. Amtshaftungsansprüche sind von Bereicherungsansprüche zu unterscheiden. Es geht um einen Schaden und nicht um eine Vermögensver116 So Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 32.61 (S. 66); zweifelnd auch Achterberg, DVB1. 1970, 125 (129). S. umfassend zu Amtspflichten gegenüber juristischen Personen des öffentlichen Rechts U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 484 ff. 117 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 43 f. m. w. Nachw. in FN 204; Detterbeck/Windthor st/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rdnm. 65 ff.; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 67 Rdnm. 52 f. 118 Steinberg/Luhberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 283. 119 S. o. D. II. 3. d). 120 BVerwGE 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); Asam, BayVBl. 1966, 228 (229 f.). 121 Hier liegt der Rechtsgedanke der Liquidierung eines Drittschadens - die sog. Drittschadensliquidation - nahe. Ob diese Anspruchsgrundlage Raum zu greifen vermag, ist gleich in Ε. II. f) zu prüfen. Die sich stellenden Probleme sind grundsätzlich identischer Natur. 22 Janz

338

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Schiebung, die es auszugleichen gilt. Zwar mag es Fälle der Bereicherung geben, diese Bereicherung ist jedoch nicht Wesensmerkmal des Anspruchs, wobei eine derartige Vermögensverschiebung auch nicht anspruchsvernichtend wirkt. Daher scheitert ein Amtshaftungsanspruch nicht an einer fehlenden Bereicherung.

dd) Weitere Gesichtspunkte Nach einer wohlbegründeten Ansicht in der Literatur stellen die verfassungsrechtlichen Sanktions- und Korrekturmittel des Bundes einen zunächst abgeschlossenen Katalog dar, mittels dessen der Bund auf die Länderverwaltungen Einfluß nehmen kann. Dadurch seien Amtshaftungsansprüche zwischen Bund und Ländern innerhalb der Gesetzesausführung ausgeschlossen.122 Die grundgesetzliche Verteilung der politischen Macht mitsamt der erfolgten Kompetenzengrenzziehung würde in einem unerträglichen Maße durch die einfachgesetzliche Implantation eines Haftungsanspruchs, welcher auf ein Fehlverhalten eines Amtsträgers abstellt, ausgehebelt und zunichte gemacht werden. 123 Daneben wird teilweise behauptet, daß eine Haftung wegen Amtspflichtverletzung ausschließlich auf das Verhältnis Staat-Bürger beschränkt sei und schon deswegen eine Anwendung ausscheide.124

ee) Fazit und kritische Anmerkung Ob diese Sichtweise in dogmatischer Hinsicht in Hinblick auf die „drittgerichtete Amtspflicht" einwandfrei ist, erscheint durchaus zweifelhaft. 125 Jedenfalls wird sie der konkreten Haftungssituation nicht gerecht. Denn die Amtshaftung stellt auf die Persönlichkeit des einzelnen Amtswalters ab mit der grund122 Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 56 f.; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 128; i. E. auch BVerwGE 96, 45 (50). 123 In diese Richtung Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (273). 124 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; ihnen ausdrücklich folgend v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24. 125 Kritisch in diesem Zusammenhang insbesondere Storr, Die Haftung im BundLänder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (272).

II. Anspruchsgrundlagen

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sätzlichen Möglichkeit der Haftungsübernahme durch den Staat. Von einer gesamtkörperschaftlichen und damit entindividualisierten Haftung im Bundesstaat ohne jegliche Haftungsübernahme durch einen anderen ist diese Situation meilenweit entfernt. Auch kommt eine analoge Anwendung der Vorschriften über den Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB, Art. 34 Satz 1 GG nicht in Betracht. Dagegen sprechen zunächst die grundsätzlich gegen die Anwendung vorgebrachten Argumente, die auch hinsichtlich einer möglicherweise analogen Rechtsanwendung Geltung besitzen. Es mangelt zudem an einer Vergleichbarkeit der Beziehungen Staat - Staat und Staat - Bürger, so daß auch eine analoge Anwendung der Amtshaftung nicht in Betracht kommt. Sie wurde - soweit ersichtlich - auch nirgends im staatsrechtlichen Schrifttum diskutiert. Weshalb sich aufgrund dieses gefundenen Ergebnisses nach ζ. T. in der Literatur geäußerter Auffassung „die aus dem Mandatsverhältnis hervorgegangene Amtshaftung überlebt hat" 1 2 6 , ist nicht recht einsichtig. Schließlich ist in diesem Zusammenhang nur die Nichtanwendbarkeit der amtshaftungsrechtlichen Grundsätze geklärt, darüber hinaus läßt sich über das Rechtsinstitut der Amtshaftung keine Aussage treffen.

d) Die Bundestreue Als Anspruchsgrundlage für eine Haftung im Bund-Länder-Verhältnis wurde auch das Bundestreueprinzip erörtert und letztlich annähernd einhellig abgelehnt. 127 Die Negierung einer Anspruchsfahigkeit des Bundestreueprinzips je-

126 Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (273); Sturm, DÖV 1966, 256 (258); 127 Frühzeitig schon BVerwGE 12, 253 (255); LVG Schleswig DÖV 1960,464 (465). S. ferner BVerwGE 96, 45 (50); Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 66; Vogel/Kirchhof ,; in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 189; H Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 340 f.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 76 f.; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 17; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 67; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 118 f.; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 58 ff; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 301 f.; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 32.61 (S. 65); Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 68; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art.

340

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

denfalls im Rahmen auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG entspricht der einmütigen Rechtsprechung sowie der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum. Die Komplexität dieses Rechtsinstitutes sowie sein tendenziell etwas diffuser Inhalt führen zu einer nicht unproblematischen Handhabung. Es überrascht daher nicht, daß die Bundestreue als mögliche Haftungsgrundlage im BundLänder-Verhältnis regelmäßig eingehender als andere Normen oder Rechtsinstitute insbesondere in der Literatur diskutiert wird, ohne daß sie freilich als eine Haftungsbestimmung akzeptiert wird. Es ist consensus omnium, daß dem ungeschriebenen Grundsatz der Bundestreue neben einem politischen auch ein konkreter rechtlicher Gehalt zukommt. Diesem Grundsatz sind bestimmte wechselseitige Pflichten des Bundes und der Länder einschließlich spezieller Kompetenzausübungsschranken zu entnehmen. 128 Derartige Pflichten sind etwa solche zur gegenseitigen Information, Abstimmung, Rücksichtnahme, Mitwirkung und Zusammenarbeit sowie auch zur finanziellen und sonstigen Unterstützung. 129 Nur vereinzelt und im älteren Schrifttum wurde eine direkt aus dem Grundsatz der Bundestreue abgeleitete Länderhaftung bei fehlerhaftem Vollzug von Bundesgesetzen, wozu auch ein weisungswidriger Vollzug zu rechnen ist, angenommen. 130 Exemplarisch ist die Feststellung Schäfers: „Ob und inwieweit die Länder dem Bund für eine ordnungsmäßige Ausführung der Bundesgesetze im Rahmen der Auftragsverwaltung haften, ist in Art. 85 GG nicht ausdrücklich ausgesprochen. Gleichwohl ist diese Frage unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verpflichtung der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten zu bejahen." Und weiter: „Bei Verletzung dieser Verpflichtung müssen die Länder dem Bund gegenüber für den daraus entstandenen Schaden aufkom-

104 a Rdnr. 65; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (276); Dederer, NVwZ 2001, 258 (261 f.); Achterberg,, DVB1. 1970, 125 (128 f.); Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); Sturm, DÖV 1966, 256 (258); Hatje, NJ 1997, 285 (285 f.); Böhm, JZ 2000, 382 (85). Vgl. auch G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 65 u. 75 ff.; dens., DÖV 1961, 404 ff.; Cremer, JuS 1996, 333 (335); U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 191 mit FN 98. 128 Umfassend zu den wesentlichen Konkretisierungen H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 341 ff.; s. auch H.-W. Bayer, Die Bundestreue, 1961, S. 59 ff.; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 101 ff. 129 BVerfGE 43, 291 (348 f.) - std. Rspr. Aus dem Schrifttum statt aller Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 20 Rdnr. 21. Speziell zu Weisungen s. o. D. IV. 2. d). 130 Kölble, DÖV 1959, 807 (812); Schäfer, DÖV 1960, 641 (649).

II. Anspruchsgrundlagen

341

men." 131 Dieser nunmehr über 40 Jahre alten und auch damals vereinzelt gebliebenen Ansicht ist seither zu Recht entgegengetreten worden. Daß das Prinzip der Bundestreue fur die Frage der Haftung keine Lösung anbieten kann, entspricht heute einem gesicherten Rechtsverständnis. Neueren Studien zu Einzelfragen der Bund-Länder-Haftung fehlen daher auch Ausführungen zur Bundestreue. 132 Bei Schädigungen im Rahmen der Verwaltung nach Art. 85 GG lassen sich im Verhältnis von Bund und Ländern aus dem Prinzip der Bundestreue unmittelbar keine Ersatzansprüche ableiten. Hierzu bietet dieses Rechtsinstitut keine rechtliche Handhabe. Etliche Argumente sprechen gegen die Anwendung als Haftungsregelung: Zuvörderst ist die Bundestreue von ihrer Konstruktion her gänzlich ungeeignet, da konkrete Pflichten für das Wie der technischen Abwicklung der Verwaltungsbeziehungen ihr nicht zu entnehmen sind. 133 Ferner wird vorgebracht, daß die Bundestreue jedenfalls als alleinige Anspruchsgrundlage zu unbestimmt sei, da diesem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz weder Tatbestandsvoraussetzungen noch ein Haftungsumfang zu entnehmen sind. 134 Dieses Argument allein ist jedoch nicht als besonders schlagkräftig zu bewerten: Die bloße Offenheit einer Norm oder eines Prinzips hinsichtlich ihrer/seiner einzelnen Voraussetzungen und Rechtsfolgen kann eine Unanwendbarkeit nicht rechtfertigen. 135 Außerdem sei ratio legis der Bundestreue gerade ein friedliches ausgleichendes Zusammenführen von Bund und Ländern, dem ein Haftungsanspruch diametral entgegenwirken würde. Bund und Länder sollen stärker aneinander

131

DÖV 1960, 641 (649). S. etwa Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998. 133 BVerwGE 12, 253 (255); Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 119; Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften VerwaltungsVollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 68 m. w. Nachw. in FN 65; s. auch H. Bauer, Die Bundestreue, 1992, S. 340 f.; H.-W. Bayer, Die Bundestreue, 1961, S. 119. 134 LVG Schleswig DÖV 1960, 464 (465); Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 68; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 302; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (276). 135 Alle Einzelheiten hierzu unten zur Frage der unmittelbaren Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG Ε. II. 3. d). Kritisch auch Cremer, JuS 1996, 333 (336). 132

342

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

gebunden werden. 136 Insoweit verpflichtet die Bundestreue den Bund und die Länder bei allen ihren Handlungen zu gegenseitiger Rücksichtnahme. Die Bundestreue soll den Gebrauch und Mißbrauch von verfassungsrechtlichen Kompetenzen innerhalb des staatlichen Gemeinwesens gerade mäßigen und den einzelnen Mitgliedern Zurückhaltung auferlegen. Diesem Verfassungsgrundsatz ist eine Haftung daher „wesensfremd". 137 Die Ableitung einer Geldzahlungspflicht würde als eine Überdehnung des Grundsatzes der Bundestreue erscheinen. Es werden auch nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG 1 3 8 diesem Grundsatz ganz überwiegend nur sog. akzessorische Fähigkeiten zugesprochen. Die Bundestreue vermag Rechte und Pflichten innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses zu erfassen. Diese Rechte und Pflichten können mit Blick auf dieses Prinzip erweitert oder begrenzt werden. Selbständige Befugnisse und Kompetenzen können aus ihr allein heraus jedoch nicht begründet werden. 139 Auch aus diesem Grund kann ein Regreßanspruch als eine nur sekundäre Haftungsverpflichtung des Bundes oder eines Landes nicht auf dieses tragende Verfassungsprinzip gestützt werden. Das BVerwG 1 4 0 hat frühzeitig schon eine Haftung nach den Grundsätzen der Bundestreue abgelehnt. Es ging damals um eine Klage des Bundes gegen das Land Hamburg, mittels derer der Bund Ersatz eines Schadens begehrte, welcher durch Unterschlagung eines ungetreuen Bediensteten des Soforthilfeamtes in Hamburg entstanden war.

136 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 61; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 119; Sturm, DÖV 1966, 256 (259); Cremer, Jus 1996, 333 (336). 137 G. Groß, DÖV 1961, 404 (406). 138 E 13, 54 (75); 21, 312 (326); 42, 103 (117 f.); zuletzt BVerfG NVwZ 2001, 667 (668), und BVerfG DVB1. 2002, 547 (548). 139 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 59; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 69 ff; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 301 f.; Dederer, NVwZ 2001, 258 (261 f.); Achterberg, DVB1. 1970, 125 (129); Böhm, JZ 2000, 382 (386). 140 BVerwGE 12, 253.

II. Anspruchsgrundlagen e) Öffentlich-rechtlicher

343

Erstattungsanspruch

Im haftungsrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis ist auch auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch als Anspruchsgrundlage rekurriert worden. 141

aa) Wesen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs Dieser allseits anerkannte und auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und den Grundrechten beruhende 142 Anspruch setzt zunächst eine

141

Ablehnend BVerwGE 96, 45 (50); BVerwG, Buchholz 11 Art 104a GG Nr. 13; BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); BVerwGE 100, 56 (59 f.). Dazu BayVGH NVwZ 1993, 794 (795); Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 66; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 189; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 65; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 78 f.; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 17; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 73 ff. (insb. 81 ff); Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 115; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 240 ff. (242); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 36 f.; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275); Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 32.63 (S. 65); Achterberg, DVB1. 1970, 125 (131); Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); Asam, BayVBl. 1966, 228 (230); Hatje, NJ 1997, 285; speziell in Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EG-Richtlinien auch Böhm, JZ 2000, 382 (385); speziell beim Regreß des Bundes gegen ein Land bei Verletzung von EG-Recht Dederer, NVwZ 2001,258 (264). Differenzierend und z. T. a. Α.: Sturm, DÖV 1966, 256 (260 ff); Η Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (513 ff); Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 303 f., und G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 218, für die (sehr seltenen) Fälle, bei denen die Länder etwas erlangt haben, also bereichert sind, etwa indem ihnen eigene Aufwendungen erspart blieben. G. Groß benennt als Beispiel solche landeseigenen Angelegenheiten, die ausschließlich vom Bund finanziert werden. Eine derartige Querfmanzierang findet sich heute nirgendwo und stellt i. ü. auch einen Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG dar; dazu s. u. E. II. 3. e) bb). 142 Ableitung und dogmatische Begründung sind umstritten; vgl. Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 29 Rdnr. 20; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 55 Rdnr. 19 a, jew. m. w. Nachw. Diesem Meinungsstreit kommt jedoch jedenfalls in dem hier interessierenden Zusammenhang keine Bedeutung zu. Entwickelt wurde dieser Anspruch im wesentlichen von Lassar, Der Erstattungsanspruch im Verfassungs- und Finanzrecht, 1921, S.

344

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen zwei Rechtssubjekten voraus, die im Rahmen öffentlich-rechtlicher Rechtsbeziehungen eingetreten ist. Anderenfalls handelt es sich um einen privatrechtlichen Anspruch nach §§ 812 ff. BGB. Diese Vermögensverschiebung muß außerdem ohne Rechtsgrund {sine causa) erfolgt sein, oder der Rechtsgrund muß später weggefallen sein. Auf einen Wegfall der Bereicherung (entsprechend § 818 Abs. 3 BGB) kann sich der Staat oder ein sonstiger Verwaltungsträger dabei nicht berufen. 143 Abgesehen davon sind die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs mit denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruches identisch. 144 Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch dient von seiner dogmatischen Konstruktion her - wie der Name schon sagt - der Rückabwicklung von Vermögensverschiebungen, die rechtsgrundlos erfolgten. Dabei kann er grundsätzlich auch im Verhältnis zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts Anwendung finden. 145

bb) Anwendbarkeit bei der Bund-Länder-Haftung Eine Anwendbarkeit des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs bei der Bund-Länder-Haftung ist mit der ganz überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum abzulehnen. Zu diesem Ergebnis führen mehrere Wege: Zunächst wird sehr grundlegend argumentiert und behauptet, daß das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Haftungsfragen derart vom Verfas95: „Eine causa-lose Leistung, deren Inhalt einen Vermögenswert hat, ist demjenigen zu erstatten, auf dessen Konto sie bewirkt ist." 143 S. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnrn. 23 ff.; Erichsen, in: ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 29 Rdnrn. 19 ff.; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 55 Rdnr. 21 d. 144 BVerwGE 71, 85 (88); 100, 56 (59 f.). 145 BVerwGE 36, 108 (110); 100, 56 (59 f.); BayVGH NVwZ 1993, 794 (795); G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 126 f.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 78 f.; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 115; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 303; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 36 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. 20; Dederer, NVwZ 2001, 258 (264); Böhm, JZ 2000, 382 (385), H Bauerflirbes, JuS 1997,511 (513).

II. Anspruchsgrundlagen

345

sungsrecht geprägt sei, daß nur ein Verfassungsrechtssatz zur Anwendung kommen könne. Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch stelle jedoch mangels einer grundgesetzlichen Verankerung einen bloßen Rechtssatz des einfachen Rechtes dar, so daß er keine regelnde Wirkung entfalten kön146

ne. Ferner dient dieser Anspruch nicht der Regulierung von Vermögensschäden und ist nicht deliktischer Art. 1 4 7 Vielmehr handelt es sich um einen bereicherungsrechtlichen Anspruch, dem in dogmatischer Hinsicht nicht die Verantwortung fur ein Fehlverhalten zugrunde liegt. 148 „Der allgemeine Erstattungsanspruch ist seinem Wesen nach nämlich ein Anspruch auf Rückgewähr, kein Anspruch auf Entschädigung. Der Erstattungsanspruch ist die Kehrseite des Anspruchs auf die Leistung." 149 Abgesehen davon wird bei den in Rede stehenden Haftungsfragen weisungsgeprägter Art in der Auftragsverwaltung regelmäßig keine Bereicherung des jeweils anderen Verwaltungsträgers gegenüberstehen, die ausgeglichen werden sollte. 150 Vielmehr handelt es sich um eine Schädigung des Landes oder des Bundes selbst bzw. um eine Schädigung fremden Vermögens eines durch die Weisung betroffenen Dritten. Darüber hinaus wird oftmals auch und ggf.

146

Achterberg, DVB1. 1970, 125 (131); ähnlich wohl auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 114. 147 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. 20; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 37, Dederer, NVwZ 2001, 258 (264). 148 Auf die Verschuldensunabhängigkeit des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs weist auch das BVerwG hin, E 100, 56 (59); s. auch U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 243; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 37. 149 So Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 115. 150 BVerwGE 96, 45 (50); Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 189; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 65; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 79; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 128; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 115 f.; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275); Hatje, NJ 1997, 285; Asam, BayVBl. 1966, 128 (129).

346

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

neben der fehlenden wechselseitigen Bereicherung bzw. Entreicherung ein Rechtsgrund für eine etwaige Bereicherung gegeben sein. 151 Eine relevante Rechtsposition könnte hierbei in bestimmten Fallkonstellationen ein Innenregreß sein, welcher dem Land gegen einen Landesbediensteten zusteht, der in persönlich vorwerfbarer Weise gehandelt und damit den Bund geschädigt hat bzw. wenn ein persönlich vorwerfbares Handeln eines Bundesbeamten vorliegt, welches das Landesvermögen schädigte. Es liegt auf der Hand, daß derartige Fälle in der Rechtswirklichkeit bei Haftungsfragen nach Weisungserteilung gem. Art. 85 Abs. 3 GG eher die Ausnahme darstellen, da regelmäßig nicht das Handeln eines Amtswalters im Mittelpunkt stehen wird, sondern die Fehlerhaftigkeit einer Weisung oder deren fehlerhafte Umsetzung. Selbst wenn dies als eine Bereicherung i. S. d. Rechtsinstitutes gewertet wird, so kommt man nicht umhin zu erkennen, daß dieser Anspruch regelmäßig wegen der (überwiegenden) Uneintreibbarkeit der Forderung wertlos ist. 1 5 2 Ferner würde auch hier ein individuell-vorwerfbares Haftungskriterium in zumindest zweifelhafter Weise auf ein interkörperschaftliches Verhältnis übertragen werden, so daß die genannten Bedenken auch für den öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch Geltung beanspruchen und demzufolge seine Anwendbarkeit ausschließen. Schließlich wird behauptet, daß die Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 2. HS GG jedenfalls für Haftungsverhältnisse im Bereich der Bundesauftragsverwaltung eine abschließende Regelung darstelle, neben der ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch keine Daseinsberechtigung mehr habe. 153 Dieses Argument knüpft inhaltlich an das vorherige an und ergänzt es.

151 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 243 f.; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 82 ff.; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 116 f. 152 Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275). S. dazu auch die Ausführungen zur Drittschadensliquidation, unten E. II. 2. f). 153 BVerwGE 100, 56 (60). Kritisch zu dieser Annahme jedenfalls für das Verhältnis zwischen dem Land und einer Gemeinde innerhalb auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (515 f.).

II. Anspruchsgrundlagen

347

cc) Ergebnis Es besteht also eine ganze Handvoll an Argumenten, die zwar teilweise untereinander widersprüchlich sind, die aber insgesamt gegen eine Anwendung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs bei einem Haftungsverhältnis zwischen Bund und Ländern innerhalb eines Bereiches der Auftragsverwaltung sprechen. Ein genereller Ausschluß erscheint jedenfalls dann angemessen, wenn der Haftungsfrage eine Norm zugeordnet werden kann, die optimale Regelungswirkung entfaltet. Nur im Falle des Fehlens einer solchen Vorschrift müßte das hier gewonnene Ergebnis erneut auf seine Plausibilität überprüft werden.

J) Gedanke der Drittschadensliquidation aa) Die zivilrechtliche Drittschadensliquidation Die zivilrechtliche Drittschadensliquidation stellt sich als eine Anspruchsgrundlage eigener Art dar, die möglicherweise auch bei Haftungsfragen im weisungsgeprägten Bund-Länder-Verhältnis weiterzuhelfen vermag. Zwei Fragen sind auseinanderzuhalten: Kann das Rechtsinstitut der Drittschadensliquidation überhaupt im föderal ausgestalteten Bund-LänderVerhältnis zur Anwendung gelangen? Und zweitens: Vermag bei Bejahung der grundsätzlichen Anwendbarkeit im Föderalsystem dieses Haftungsprinzip auch in der speziell weisungsgeprägten Auftragsverwaltung Geltung zu entfalten? Bei einer Schadensliquidation im Drittinteresse soll ein Ausgleich hergestellt werden, wenn ein durch die Verletzung einer Pflicht- oder Schutznorm hervorgerufener Schaden nur deswegen nicht beim eigentlich Ersatzberechtigten eintritt, weil dieser in einem Rechtsverhältnis mit einem Dritten steht, welches den Schaden auf diesen Dritten verlagert. Hier soll anerkanntermaßen der Schädiger aus dieser für ihn zufälligen Situation der Schadensverlagerung keinen unberechtigten Vorteil ziehen. Bei einem derartigen Auseinanderfallen von Gläubigerstellung und geschützten Interessen lassen Rechtsprechung und Schrifttum eine Drittschadensliquidation zu. 1 5 4

154

S. nur BGHZ 40, 91 (100); 51, 91 (93); Heinrichs, in: Palandt, BGB-Komm., 60. Aufl. 2000, Vorbem. v. § 249 Rdnr. 112; Schiemann, in: Staudinger, Komm. BGB, 13. Aufl. 1998, Vorbem. zu §§ 249 ff. Rdnr. 62.

348

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen bb) Anwendung im Bund-Länder-Verhältnis

Ob sich ein Regreßanspruch im öffentlichen Recht zwischen Bund und Ländern generell mit dem Rechtsinstitut der Drittschadensliquidation begründen lassen kann, ist stark umstritten. 155 Fraglich ist bereits, ob dieses Institut im Verhältnis von Bund und Land überhaupt Anwendung finden kann. Denn auch dieser übergeleitete Regreßanspruch, der für bestimmte zivilrechtliche Fallgruppen 156 entwickelt worden ist, beansprucht zunächst Regelungswirkung für natürliche oder juristische Personen des Privatrechts, hingegen nicht für Gebietskörperschaften. Die Gleichsetzung der Beziehung von Bund und Ländern mit einem Gläubiger-Schuldner-Verhältnis im zivilrechtlichen Sinne und die damit verbundene holzschnittartige Implantation dieses durch Rechtsfortbil-

155

Eine Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation im Bund-LänderVerhältnis wird verneint von BVerwGE 96, 45 (50); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 65; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 189; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 85 ff. (insb. S. 88); Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 78 ff; Dederer, NVwZ 2001, 258 (264); Hatje, NJ 1997, 285 (286); H Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (513 FN 19). Die Anwendung der Drittschadensliquidation wird grundsätzlich bejaht von LVG Schleswig DÖV 1960, 464 (466); Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 14; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 376; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 121 ff; Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 117 ff.; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 307 f.; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2, Rdnr. 32.63 (S. 65 f.); Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (273 f.); Achterberg DVB1. 1975, 125 (131 f.); Pappermann, DVB1. 1975, 637 (642 f.); Asamf BayVBl. 1966, 228 (230); L. Schmidt, DÖV 1959, 803 (806); ausdrücklich für die Rechtslage vor 1969 auch Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 79 f., unter Hinweis auf die Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten; in diese Richtung und für die Haftung des Staates im Verhältnis zu den Gemeinden und in: BK, Art. 104 a Rdnr. 165; speziell in Gemeindeverbänden auch Vogel/Kirchhof\ Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EG-Richtlinien auch Böhm, JZ 2000, 382 (385). BVerwGE 12, 253 (255) läßt sich für die Zulässigkeit der Drittschadensliquidation nicht ins Felde führen (anders etwa Pappermann, DVB1. 1975, 637 [642], oder Heinrichs, in: Palandt, BGB-Komm., 60. Aufl. 2000, Vorbem. v. § 249 Rdnr. 113), da das Gericht nur feststellt, daß das Land wieder „hereingeholte" Beträge, die jedoch nicht der gesamten veruntreuten Summe entsprachen, an den Bund abführte; zur Verfassungsgemäßheit fehlen jegliche Ausführungen. 156 Übersicht bei Heinrichs, in: Palandt, BGB-Komm., 60. Aufl. 2000, Vorbem. v. §249 Rdnrn. 115 ff.

II. Anspruchsgrundlagen

349

dung praeter legem latam entwickelten Rechtsinstitutes erscheint zumindest rechtfertigungsbedürftig und alles andere als augenfällig. Denn unbestrittenermaßen ist das Rechtsverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern ganz überwiegend verfassungs- und verwaltungsgesetzlich geregelt und entzieht sich - zumindest ohne äußere Not - einer zivilrechtlichen Betrachtungsweise. 157 Letztlich kann eine Entscheidung hier offenbleiben, weil die Frage der Haftung in der weisungsgeprägten Auftragssituation ohnehin nicht mittels der Drittschadensliquidation gelöst werden kann. Zunächst einmal kann der Grundsatz der Drittschadensliquidation von vornherein überhaupt nur einen Bruchteil der weisungsgeprägten Haftungssituationen erfassen. Denn seine Tatbestandsmerkmale sind nur in den Fällen erfüllt, bei denen ein Organwalter eines Landes dem Bund durch einen fehlerhaften Verwaltungsvollzug einen Schaden zugefügt hat: Der Bund ist Geschädigter, weil zu seinem Nachteil durch einen Landesbediensteten eigenmächtig (und regelmäßig in die eigene Tasche) verfügt worden ist; mangels Dienstherreneigenschaft kann der Bund gegen diesen Landesbediensteten keinen Ersatzanspruch geltend machen; das Land selbst ist nicht geschädigt, da über seine Haushaltsmittel nicht verfügt wurde, hat aber einen Regreßanspruch. 158 Exakt diese Fallkonstellation liegt auch der literarischen Diskussion zugrunde. Nur für diesen speziellen Fall gelangt ein Teil des Schrifttums zur Anwendbarkeit der Drittschadensliquidation. 159 Für diese Sachlage der Haftung von Landesbeamten mag die Drittschadensliquidation sachgerechte Ergebnisse zeitigen, indem das Drittinteresse des Bundes von den Ländern liquidiert wird oder die Länder zur Abtretung des Anspruches verpflichtet werden. 160 Dennoch bleiben die gegen die Anwendung im föderalen Bund-Länder-Verhältnis sprechenden Einwände bestehen. Fraglich ist, ob wirklich von einer „zufälligen Schadensverlagerung" die Rede sein kann. Die zugrundeliegende Risikoverteilung ist grundgesetzlicher Natur und wird durch eine Schadensliquidation im Drittinteresse einfachgesetzlich konterkariert. 161 Dies zieht die Sachgerechtheit der Schadloshaltung des Bundes 157 So Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 88; ähnlich Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 79. 158 § 78 BBG, § 44 LBG Bbg. 159 Oben die in FN 155 genannten Autoren. 160 Beide Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder sind denkbar, s. dazu Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 80; Achterberg, DVB1. 1970, 125 (132); Asam, BayVBl. 1966, 228 (230). 161 Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 90.

350

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

nachhaltig in Zweifel. Alle anderen haftungsrechtlichen Beziehungen innerhalb auftragsweiser Verwaltung nach Erteilung einer Weisung werden hiervon nicht erfaßt. Selbst bei einem grundsätzlichen Anerkenntnis dieser Haftungsgrundlage erscheint die konkrete Durchsetzbarkeit des Anspruchs regelmäßig zweifelhaft zu sein, und zwar aus zweierlei Gründen: Zum einen ist als Anspruchsvoraussetzung entweder ein vorsätzliches, jedenfalls ein grob fahrlässiges Verhalten erforderlich, welches dem Amtswalter im Einzelfall nachgewiesen werden muß. 162 Zum anderen ist ausschließlich der Landesbeamte und nicht das Land Verpflichteter des Ersatzanspruchs. Bei Schäden, die aus einem persönlich vorwerfbaren weisungswidrigen Verhalten resultieren, wird es sich in aller Regel um solche handeln, die die persönliche finanzielle Einstandskraft des einzelnen Beamten bei weitem übersteigen werden. Der Anspruch würde also bestehen, wäre aber im Ergebnis unergiebig. 163

cc) Ergebnis Letztlich bleibt festzuhalten, daß eine selbständige Haftung aufgrund der Grundsätze der Drittschadensliquidation nur in einem Bruchteil der haftungsrechtlichen Bund-Länder-Konflikte nach Erteilung einer Bundesweisung gem. Art. 85 Abs. 3 GG in Betracht kommt. Ob für diese zufälligen Schadensverlagerungen die Bedenken, die gegen eine Anwendbarkeit der Drittschadensliquidation im öffentlichen Recht sprechen, überwunden werden können, hängt eng mit der Frage zusammen, ob eine Haftung ansonsten nicht bestünde. Existiert jedoch eine handhabbare Haftungsvorschrift, so ist der Rechtsanwender nicht gezwungen, unnötig ein zivilrechtliches Haftungsinstitut in das Rechtsverhältnis von Bund und Ländern zu inkorporieren.

162 Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (274). 163 Darauf weisen Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (274), und Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 90, hin.

II. Anspruchsgrundlagen

351

g) Fortgeltendes DDR-Recht aa) Das StHG-DDR Als Haftungsgrundlage im Föderalsystem von Bund und Ländern ist auch an fortgeltendes DDR-Recht zu denken. 164 So gilt das Staatshaftungsgesetz (StHG) der DDR aus dem Jahre 1969 165 mit seinen zwölf Paragraphen seit dem 3. Oktober 1990 in den neuen Bundesländern mit einigen Maßgaben als einfaches Landesrecht fort. 1 6 6 Es besitzt eine frappierende Ähnlichkeit mit dem System des 1982 fur verfassungswidrig erklärten Staatshaftungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. 167 Der Grundhaftungstatbestand des § 1 StHG-DDR hat nunmehr durch die Modifikation im Einigungsvertrag 168 folgenden Wortlaut: „Für Schäden, die einer natürlichen oder juristischen Person hinsichtlich ihres Vermögens oder ihrer Rechte durch Mitarbeiter oder Beauftrage staatlicher oder kommunaler Organe in Ausübung staatlicher Tätigkeit rechtswidrig zugefügt werden, haftet das jeweilige staatliche oder kommunale Organ." Die Norm begründet eine allgemeine unmittelbare verschuldensunabhängige Staatshaftung in weitgehender Abwesenheit sonst üblicher Haftungsbegrenzungen wie der Drittbezogenheit einer Amtspflicht. 169 Waren nach der ur164 Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275); Dederer, NVwZ 2001, 258 (262 f.). Allgemein zur Anwendung des Staatshaftungsgesetzes in den neuen Ländern der gleichnamige Aufsatz von Herbst/Lühmann, LKV 1998,49 ff. 165 Gesetz v. 12.5.1969, GBl. I, S. 34. 166 Art. 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kapitel III, Sachgeb. Β Bürgerliches Recht, Abschnitt III EinigungsV v. 31.8.1990, BGBl. II, S. 199. Die Fortgeltung als Landesrecht erklärt sich primär aus dem Umstand, daß zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Einigungsvertrages die Materie des Staatshaftungsrechts eine Ländersache (Artt. 30, 70 Abs. 1 GG) war. Erst 1994 wurde eine konkurrierende Bundesgesetzgebungskompetenz geriert. In Berlin galt das StHG-DDR bis zum 29.9.1995 nur im Ostteil der Stadt (Gesetz v. 21.9.1995, GVB1. S. 607) und wurde dann ersatzlos gestrichen; SachsenAnhalt hat ein eigenes Staatshaftungsgesetz geschaffen (GVB1. LSA 1992, S. 655), dazu Herbst/Lühmann, LKV 1998, 49 (51); Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 73 Rdnr. 34. Allgemein zu Fragen der Fortgeltung von DDRRecht Lerche, in: FS Heimlich, 1994, S. 57 ff. 167 Im Schrifttum wird ζ. T. von einer Wiederauferstehung gesprochen, so ζ. B. Cromme, DVB1. 1996, 1230; ähnlich auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. 39. 168 Der Haftungstatbestand wurde erheblich modifiziert; vgl. Kluth, in: Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 73 Rdnrn. 32 f. 169 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 475; Kluth, in: Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 73 Rdnr. 31; Maurer, Allgemeines Ver-

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

sprünglichen Fassung des StHG-DDR nur der Bürger resp. „sein persönliches Eigentum" Schutzobjekte, so werden nun auch ausdrücklich juristische neben den natürlichen Personen geschützt. Eine Einschränkung etwa auf juristische Personen des Privatrechts existiert nicht. Damit sind dem Grunde nach auch juristische Personen des öffentlichen Rechts aktivlegitimiert i. S. d. § 1 StHG. 170 Geschützte Rechtsgüter sind das „Vermögen" und die „Rechte", somit alle Rechte des Geschädigten und sein jeweiliges Vermögen. 171 Die enorme Ausweitung der Staatshaftung durch das StHG-DDR ist augenfällig, da annähernd das gesamte staatliche (auch wirtschaftliche) Handeln staatshaftungsfähig geworden ist. 1 7 2 Dem steht diametral entgegengesetzt gegenüber, daß das StHG in der Rechtswirklichkeit neben einem sehr geringen Bekanntheitsgrad auch kaum Geltung erlangt hat und nur eine untergeordnete Rolle spielt. 173

waltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. 39; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 184 f.; Cromme, DVB1. 1996, 1230; v. Komorowski, NJ 2001, 337. 170 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 485; Kluth, in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 73 Rdnr. 32; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. 41. Kritisch unter Hinweis auf die Verzahnungstheorie Cromme, DVB1. 1996, 1230 (1231); ihm folgend U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 185 f.; ähnlich auch Herbst/Lühmann, Die Staatshaftungsgesetze der neuen Länder, 1997, S. 170 ff, für den Fall, daß „die Handelnden und Geschädigten in einem staatlichen Willensbildungs- und Wahrnehmungsprozeß" stehen; dann liege keine „staatliche Tätigkeit" i. S. des § 1 StHG-DDR vor; so auch v. Komorowski, NJ 2001, 337 (339), der jedoch Ausnahmen zuläßt (aaO., S. 339 f.). Dieses wird bei einem weisungsbewirkten Handeln nach außen in einem auftragsweisen Verwaltungsbereich gegeben sein. Offen gelassen wird dies von Christoph, NVwZ 1991,536 (538 f.). 171 Einzelheiten bei Herbst/Lühmann, Die Staatshaftungsgesetze der neuen Länder, 1997, S. 205 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 475 f. 172 Darauf weist auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 476, hin. 173 Herbst/Lühmann, Die Staatshaftungsgesetze der neuen Länder, 1997, S. 166 f.; dies., LKV 1998, 49 (52 f.). Zudem liegen einschlägigen Urteilen in der Regel sog. Altfälle zugrunde; s. Herbst/Lühmann, aaO., S. 543 ff; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 491. Zu diesen Altfällen Christoph, NVwZ 1991, 536 (540). Auch in der neueren Literatur zur Bund-Länder-Haftung wird ein Anspruch nach § 1 StHG-DDR oftmals nicht untersucht; so etwa von Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998; Hatje, NJ 1997, 285 ff.

II. Anspruchsgrundlagen

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bb) Geltungskraft im Bund-Länder-Verhältnis? Das in den neuen Bundesländern als jeweiliges Landesrecht fortgeltende StHG der DDR schafft keine Haftungsgrundlage im Bund-LänderVerhältnis. 174 Eine Verpflichtung des Bundes scheidet bereits wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz der Länder aus: Eine Haftung des Bundes gegenüber einem Land kann also von vornherein nicht begründet werden. 175 Auch das seinerzeitige bundesdeutsche StHG 1981 wurde 1982 vom BVerfG wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz (in diesem Fall des Bundes) als nichtig bewertet. 176 Auch eine Länderhaftung läßt sich mittels des StHG nicht begründen. Entgegen seinem scheinbar neutralen und alle öffentlich-rechtliche Körperschaften sowohl auf der „Schuldner"- wie der „Gläubiger"-Seite umfassenden Wortlaut paßt sich diese Staatshaftung bereits von ihrer Grundstruktur her nicht in das filigrane, verfassungs- und verwaltungsrechtlich geprägte Bund-LänderVerhältnis ein. Auch das StHG-DDR ist in erster Linie auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat zugeschnitten. Die Argumentation, die zur Nichtanwendbarkeit der Drittschadensliquidation führte, greift auch hier entsprechend Raum. Außerdem bildet auch der nur einseitige Gebrauch zugunsten des Bundes ein handfestes Argument gegen die Übertragung des § 1 StHG-DDR auf das Bund-Länder-Verhältnis. Die tatbestandlich nicht eingeschränkte Staatshaftung nach § 1 StHG-DDR muß teleologisch dahingehend in ihrer Anwendung reduziert werden, daß das Bund-Länder-Verhältnis jedenfalls im Bereich auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG nicht erfaßt wird. Nur für den Fall, daß keinerlei haftungsrechtliche Handhabe für Bund und Länder zur Verfügung steht, ist zu überlegen, ob entgegen dieser grundsätzlichen Kritik am StHG-DDR nicht doch eine Anwendung auch im Bund-Länder-Verhältnis in Betracht gezogen werden muß, um

174

So auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275); Dederer, NVwZ 2001, 258 (263); ferner Gromme, DVB1. 1996, 1230 (1231); U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 185 f.; einschränkend Herbst/Lühmann, Die Staatshaftungsgesetze der neuen Länder, 1997, S. 171 f. Offen gelassen von F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105(106). 175 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 28 Rdnr. 42; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275); Dederer, NVwZ 2001, 258 (262); Christoph, NVwZ 1991, 536 (537). 176 BVerfGE 61, 149 ff. 23 Janz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

eine haftungsrechtliche Lücke zu vermeiden. Aber auch dann werden Staatshaftungsfälle von Bundesbehörden nicht von dieser Bestimmung geregelt werden. Es bleibt festzuhalten, daß jedenfalls bis auf weiteres auch § 1 StHG-DDR keine allgemeingültige Anspruchsgrundlage für eine Bund-Länder-Haftung zur Verfügung stellen kann. Etwas anderes mag Geltung beanspruchen, wenn es um /tfrtûfosstaatshaftungsrechtliche Ansprüche zwischen selbständigen Verwaltungsträgern geht. 177 Für das Thema dieser Untersuchung ist diese Fallgruppe nicht von Interesse.

h) Weitere Haftungsgrundlagen aa) Die Mittel des Art. 85 Abs. 3 und 4 GG Häufiger im Schrifttum diskutiert wurden die Mittel des Art. 85 Abs. 3 und 4 GG - also das Weisungsrecht und die Bundesaufsicht - als Haflungsgrundlagen im Bund-Länder-Verhältnis, wobei mitunter auch die Rechte des Bundes aus Art. 84 GG mit herangezogen werden. 178 Die dem Bund vom GG verliehenen Aufsichtsbefugnisse könnten bei einem fehlerhaften Gesetzesvollzug durch die Länder haftungsbegründend wirken. Wird der grundgesetzliche Zusammenhang ignoriert, innerhalb dessen das Weisungsrecht des Art. 85 Abs. 3 GG integriert ist, so spricht zunächst der nicht weiter spezifizierte oder begrenzte Begriff „Weisung" für die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche mit seiner Hilfe geltend zu machen. Angesichts der Tatsache, daß das Weisungsrecht kompetentiell beim Bund liegt, scheidet die Schadensgeltendmachung durch ein Land bereits begrifflich aus. Insoweit käme dieser Haftungsgrundlage von vornherein nur eine begrenzte Regelungsfähigkeit für die Bund-Länder-Haftung zu. Es erscheint mehr als zweifelhaft, ob diese Teilregelung mit der einseitigen Schadenstragungspflicht der Länder 179 verfassungsrechtlich zulässig ist. Die Mittel der Bundesaufsicht dienen

177

Dazu v. Komorowski, NJ 2001, 337 ff. S. dazu Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 32; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 3 ff.; Achterberg, DVB1. 1970, 125 (128); G. Groß, DÖV 1961,404 (406 f.). 179 Zur identischen Problematik bei der Anwendung der Drittschadensliquidation s. o. E. II. 2. f). 178

II. Anspruchsgrundlagen

355

der Kontrolle und ggf. Korrektur der zu beaufsichtigenden Verwaltung. Das Weisungsrecht wird durch die Aufsicht begrenzt. Eine anspruchsbegründende, also letztlich sanktionierende Funktion kommt der Aufsicht nicht zu. Sinn und Zweck der Bundesaufsicht stehen daher einer Auslegung des Weisungsbegriffes, wonach Schäden des Bundes durch fehlerhafte Gesetzesausführung der Länder von diesen ausgeglichen werden müssen, im Wege. Es ist nicht erkennbar, daß der Verfassungsgeber eine allgemeine Haftung im Gesetzesvollzug in Art. 85 GG hat mitregeln wollen. 1 8 0 Für diese Annahme spricht auch, daß die Mittel der Bundesaufsicht im GG offensichtlich abschließend aufgeführt sind. 181 Die Ausdehnung auf weitere Maßnahmen liegt weit außerhalb des Zweckes des Bundesaufsicht. Die Bundesaufsicht und mit ihr die Weisung beziehen sich auf die Art und Weise des Gesetzesvollzuges durch die Länder. Der Bund soll die Recht- und Zweckmäßigkeit überprüfen und jederzeit und ohne besondere Voraussetzungen korrigierend eingreifen können. Daher ist auch die berichtigende Aufsicht zum Zwecke der Beseitigung eines von Bund und Land rechtlich verschieden beurteilten Zustandes zulässig, d. h., der Bund kann auch nachträglich seine Recht- und Zweckmäßigkeitsansicht durchsetzen. Die materiellen Folgen eines fehlerhaften Verwaltungsvollzuges liegen jedoch außerhalb dieser Bundeskompetenz. Die Bundesaufsicht nach Art. 85 Abs. 4 GG „steht einer Schadensersatzpflicht der Länder entgegen." 182 Die Bundesaufsicht stellt sich daher als untaugliches Mittel der Haftungsbegründung im Bund-Länder-Verhältnis dar. 183 Es ist daher zumindest mißverständlich, wenn Seelmaecker 184 behauptet, es „...wäre allenfalls denkbar, daß der Bund ein Land durch eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG haftbar machen könnte." Denn hierdurch liegt die Weisung außerhalb ihres zulässigen aufsichtlichen Gehaltes. Diese Weisung erweist sich damit als jenseits der verfassungsrechtlichen Kompetenz des Bundes liegend

180 So zutreffend Zeis e, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 13. 181 Achterberg, DVB1. 1970, 125 (128). 182 G. Groß, DÖV 1961,404 (406). 183 Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 32; Zeis ey Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 14; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 310; Achterberg, DVB1. 1975, 125 (128); Sturm, DÖV 1966, 257 (258); G. Groß, DÖV 1961,404 (406). 184 Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 32.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

und damit als verfassungswidrig. Einer solchen Weisung stünde das Land nicht wehrlos gegenüber, sondern könnte mit Erfolg Klage beim BVerfG erheben. 185

bb) Bundeszwang Der Bundeszwang nach Art. 37 Abs. 1 GG ist im Schrifttum nur vereinzelt als eine Haftungsgrundlage im Bund-Länder-Verhältnis diskutiert worden. 186 Der Bundeszwang stellt sich unbestrittenermaßen nicht als Haftungsnorm dar. Es ist bereits von seinem Wortlaut her eine Maßnahme zur Abwehr der Verletzung einer Bundespflicht. Eine solche Pflicht kann dabei wohl auch - jedenfalls unter bestimmten Umständen - im ordnungsgemäßen Ausführen der Bundesgesetze gesehen werden. 187 Die Vorschrift stellt sich als ein Mittel zur Durchsetzung eines wie auch immer gearteten Anspruchs dar, kann denselben aber nicht begründen. 188 „Bundeszwang ist lediglich Erfüllungszwang." 189 Ein Schadensersatzanspruch ist strikt davon zu trennen. Außerdem begünstigt auch diese Regelung einseitig den Bund, da ein Land nicht vermittels des Art. 37 GG Ansprüche gegenüber dem Bund geltend machen könnte. Es gilt hier das zur Drittschadensliquidation und zu § 1 StHG-DDR Ausgeführte.

cc) Art. 85 GG Die Vorschrift des Art. 85 GG über die Bundesauftragsverwaltung wurde gelegentlich in der Literatur als Haftungsgrundlage diskutiert. 190 Es wurde erör-

185

Dazu oben D. V. 2. Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 14 ff. 187 Zeis e, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 15 f. 188 Ablehnend auch Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77; Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 14 ff.; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 310; i. E. wohl auch Böhm, JZ 2000, 382 (387), speziell in Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EG-Richtlinien . 189 Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 18 190 Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a 186

II. Anspruchsgrundlagen

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tert, ob aus der Organisationsverfassung der Bundesauftragsverwaltung selbst bereits eine Haftungskonstruktion abgeleitet werden könnte, ob also die Haftung ein der Bundesauftragsverwaltung immanentes Rechtsinstitut sei. Es ist also zu fragen, ob neben den Einwirkungsrechten des Bundes auf den Gesetzesvollzug durch die Länder, die i. E. keine Haftungsgrundlage beinhalten, eine ungeschriebene Haftungsgrundlage erkennbar ist. Sie kann nur eine ungeschriebene sein, da Art. 85 GG keine gegenseitige Haftungsregelung für Bund und Länder getroffen hat. Aus einer Gesamtschau des Art. 85 Abs. 3 oder 4 GG läßt sich keine Haftung begründen. Weder das Weisungsrecht noch die Bundesaufsicht können sei es direkt oder analog angewandt - einen wie auch immer gearteten Erstattungs- oder Ausgleichsanspruch, der im übrigen nur zu Lasten der Länder ginge, konstituieren. Nach keinem der anerkannten Auslegungsgrundsätze ist eine solche Deutung der Normen möglich. Es fehlt hier an jeglichem rechtlichen Anhaltspunkt für eine solche Haftung. Allein die postulierte Notwendigkeit einer Haftungsregelung kann diese nicht contra constitutionem latam begründen. 191

dd) Art. 85 GG i.V.m. § 1004 BGB Gleichfalls kann eine Verbindung des Art. 85 GG mit dem zivilrechtlichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des § 1004 BGB bei der Suche nach einer geeigneten Anspruchsbestimmung nicht weiterhelfen. Die fundamentale Kritik an der Anwendung des Art. 85 GG als direkte Haftungsnorm zulasten eines Landes greift auch hier durch.

ee) § 18 Abs. 4 AtomG (ggf. analog) Es ist auch an eine analoge Anwendung der Haftungsvorschrift des § 18 Abs. 4 AtomG zu denken. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: „Wenn ein Land eine Entschädigung zu leisten hat, sind der Bund oder ein anderes Land

GG, 1998, S. 31 f.; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 217 (Zweitbearb.); Sturm, DÖV 1966, 256 (258). Vgl. auch U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 191 mit FN 99. 191 So auch ausdrücklich Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 32; ferner Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77.

358

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

entsprechend ihrem sich aus der Gesamtlage ergebenden Interesse an der Rücknahme oder am Widerruf verpflichtet, diesem Land Ausgleich zu leisten. Entsprechendes gilt, wenn der Bund eine Entschädigung zu leisten hat." Die spezialgesetzliche Ausgleichsvorschrift gilt ausschließlich für den Fall der Rücknahme oder des Widerrufs einer erteilten Genehmigung für eine atomare Anlage nach dem AtomG. Dem betroffenen Genehmigungsinhaber ist nach § 18 Abs. 1 Satz 1 AtomG eine angemessene Entschädigung in Geld zu gewähren; an dieser soll die jeweilige andere Gebietskörperschaft beteiligt werden. Ein weisungsgeprägtes Fehlverhalten ist von den Tatbestandsstrukturmerkmalen der Norm nicht umfaßt, so daß die direkte Anwendung des § 18 Abs. 4 AtomG hier stets ausscheidet. Die Bestimmung stellt sich eher als Ausformung eines internen Ausgleichs- und Verteilungsprinzips denn als ein Haftungstatbestand im eigentlichen Sinne dar. Dennoch hat sie eine wechselseitige Einstandspflicht zur Folge. Auch eine analoge Anwendung - entweder im Bund-Länder-Verhältnis allgemein oder speziell innerhalb der Atomverwaltung - scheidet aus. Die Norm ist für die Besonderheiten der Atomverwaltung vom Gesetzgeber geschaffen worden. Ein verallgemeinerungsfahiger Rechtsgedanke überatomrechtlicher Natur läßt sich ihr nicht entnehmen. Sollte der Befund ergeben, daß überhaupt keine Haftungsvorschrift im Bund-Länder-Verhältnis besteht, so ist an eine analoge Anwendung allenfalls innerhalb des Atom- und Strahlenschutzrechts zu denken.

ff) Einfachgesetzliche Regelungen innerhalb der Materien des Art. 85 GG Zutreffend wird behauptet, daß mögliche Haftungsgrundlagen zunächst in den speziellen von den Ländern zu vollziehenden Bundesgesetzen - also im auftragsweisen Verwaltungsterrain - zu suchen sind. 192 Als leges speciales gingen diese Regelungen anderen einfachgesetzlichen Haftungsdeterminierungen vor. Diese Suche geht indes ins Leere, Grundlagen für eine spezielle BundLänder-Haftung sind den Gesetzen, die von den Ländern in auftragsweiser Verwaltung ausgeführt werden, nicht zu entnehmen.193

192

Sturm, DÖV 1966, 256 (257). Sturm, DÖV 1966, 256 (257 f.) mit weiteren Überlegungen. S. auch Zeise, Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 85 ff. 193

II. Anspruchsgrundlagen

359

Weder im Atomrecht 194 noch im Fernstraßenrecht finden sich Anhaltspunkte für eine Haftung im Bund-Länder-Verhältnis. Auch in der Lastenausgleichsverwaltung wird die Haftung nicht geregelt. § 5 Abs. 2 Satz 1 L A G 1 9 5 besagt, daß die Ausgleichsleistungen aus dem Ausgleichsfonds - ein Sondervermögen des Bundes - zu entnehmen sind. Daneben bestimmt § 351 LAG, daß und in welchem Umfang der Bund an den Verwaltungskosten der Länder zu beteiligen ist.

gg) Einfachgesetzliche Regelungen außerhalb der Materien des Art. 85 GG Einfachgesetzliche Spezialregelungen außerhalb der Verwaltungsbereiche des Art. 85 GG normieren eine unmittelbare Haftung für bestimmte Konstellationen. Teilweise sind diese Regelungen bereits nach ihrem Wortlaut auf das Bund-Länder-Verhältnis anwendbar, teilweise regeln sie auch andere Haftungskonstellationen. Diese Haftungstatbestände außerhalb des Bürgerlichen Rechts 196 finden sich in ganz unterschiedlichen Verwaltungsbereichen. Solche Sondertatbestände regeln namentlich § 19 Abs. 3 Satz 2 Altsparergesetz, §§ 102 bis 114 SGB X und § 55 Abs. 3 BGSG. Der Charakter dieser Bestimmungen als Haftungstatbestände, die innerhalb des Bund-LänderVerhältnisses Anwendung finden, führte dazu, daß im Schrifttum ihre generelle Eignung zur Lösung haftungsrechtlicher Ansprüche von Bund und Ländern diskutiert wurde. 197

a) § 19 Abs. 3 Satz 2 2. HS AltsparerG Denkbar ist ein Haftungsanspruch durch eine Analogie zu § 19 Abs. 3 Satz 2 2. HS AltsparerG 198 - ein Gesetz, welches kaum mehr eine Anwendungsak-

194

Mit der soeben genannten Ausnahme. Lastenausgleichsgesetz i. d. F. vom 1.10.1969, BGBl. I S. 1909. 196 Zu den zivilrechtlichen Haftungsgrundlagen s. ο. Ε. II. 2. b), c), e), f). 197 S. zu den einzelnen Spezialregelungen BVerwGE 12, 253 (254); Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 87; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275); F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105; H Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512); Sturm, DÖV 1966, 256 (259 f.); Kölble, DÖV 1959, 807 (811 u. 813). 198 Gesetz zur Milderung von Härten der Währungsreform - Altsparergesetz - v. 1.4.1959, BGBl. I. S. 70. 195

360

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

tualität besitzt. Dieser Norm zufolge haftet das Geldinstitut, welches den betreffenden Bescheid erteilt hat, dem Ausgleichsfonds auf Schadensersatz, wenn die Entschädigungsgutschrift aufgrund eines unrichtigen, auf vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten eines Bevollmächtigten des Geldinstitutes beruhenden Bescheides geleistet worden ist. Die Geldinstitute sind neben den Ländern in die Ausführung des AltsparerG eingeschaltet. Sie sind haftungsverpflichtet, nicht eine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Die Regelung ist also ausschließlich zu Lasten der an der Ausführung des Gesetzes beteiligten Kreditinstitute getroffen worden. Kreditinstitute sind mit den Bundesländern nicht vergleichbar, da den Ländern die Befugnisse aus eigenem Recht zustehen, den Instituten jedoch die Aufgaben nach Art eines zivilrechtlichen Auftrages übertragen worden sind und damit den Vorstellungen des Auftragsrechts nach §§ 662 ff. BGB entsprechen. Außerdem arbeiten sie im Stile privater Einrichtungen, was sie letztlich auch sind. 199 Ein auftragsähnliches Verhältnis liegt zwischen dem Bund und den Ländern bei der Bundesauftragsverwaltung trotz der Namensidentität indes nicht vor. Diese Tatsache hat neben der Unvergleichbarkeit der Bundesländer mit den Kreditinstituten zur Folge, daß eine Anwendung ausscheiden muß. 200 Abzulehnen ist daher die ganz vereinzelt vertretene Ansicht, daß § 19 Abs. 3 Satz 2 2. HS AltsparerG einfachgesetzlicher Ausdruck eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Haftungsanspruches des Bundes gegen die Länder wäre und demzufolge auch bei Bundesgesetzen, die von den Ländern ausgeführt werden und keine entsprechende Haftungsregelung beinhalten, zur Anwendung käme. 201

ft) § 55 Abs. 3 BGSG Auch § 55 Abs. 3 BGSG konstituiert eine Haftungsgrundlage. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: „Wurde ein Ausgleich auf Grund einer Amtshandlung eines Beamten der Polizei eines Landes gemäß § 64 Abs. 1 nur wegen der Art und Weise der Durchführung einer Maßnahme gewährt, so kann die Bundesrepublik Deutschland von dem Land, in dessen Dienst der Beamte

199

So Sturm, DÖV 1966, 256 (259). BVerwGE 12, 253 (254); Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; Zeis e, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 87; Sturm, DÖV 1966, 256 (259 f.). 201 Kölble, DÖV 1959, 807 (811 u. 813). 200

II. Anspruchsgrundlagen

361

steht, Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen, es sei denn, daß sie selbst die Verantwortung für die Art und Weise der Durchführung trägt." Dem Bund wird also ein Regreßanspruch gegen ein Land für den Fall zur Seite gegeben, daß ein Landesbeamter in persönlich vorwerfbarer Weise einen zum Ausgleich verpflichtenden Tatbestand nach § 51 BGSG geschaffen hat und der Bund als Ausgleichspflichtiger beim Vollzug des Bundesgrenzschutzgesetzes nach § 55 Abs. 1 Schadensersatz an einen geschädigten Dritten geleistet hat. Eine analoge Anwendung der Vorschrift verbietet sich. Diese haftungsrechtliche Situation ist weder allgemein mit dem Bund-Länder-Verhältnis innerhalb der Bundesauftragsverwaltung noch besonders mit einem weisungsgeprägten Haftungsfall zu vergleichen.

Ί

) §§102 ff. SGB X

Schließlich vermitteln auch die §§ 102 f f SGB X keine allgemeingültigen Haftungsgrundlagen für das Bund-Länder-Verhältnis im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG. 2 0 2 Dieser Regelungskomplex gestaltet die Erstattungsansprüche der sozialrechtlichen Leistungsträger untereinander aus für die Fälle der fehlerhaften Leistungserbringung. Grob vereinfacht begründen diese Bestimmungen den Grundsatz, daß zu Unrecht empfangene Erstattungen von dem Empfänger zurückzuzahlen sind. Die Interessenlage ist mit derjenigen des Art. 85 GG nicht vergleichbar. Auch geht es bei diesem Normenbereich um die Rechtsbeziehungen der Leistungsträger des SGB X untereinander, so daß es für die Anwendbarkeit der SGB X-Vorschriften erforderlich ist, daß mindestens zwei Sozialversicherungsträger beteiligt sind. 203 Dieser Umstand ist bei einer weisungsgeprägten Bund-Länder-Haftung niemals gegeben.

δ; Fazit Allen diesen Anspruchsgrundlagen ist gemein, daß sie nur für einen kleinen, klar bestimmten Bereich Geltungskraft besitzen. Es ist augenfällig, daß nur einige wenige öffentlich-rechtliche Spezialbereiche erfaßt sind, wobei insbeson202

F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105; i. E. auch BVerwGE 100, 56 (59); s. femer H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512). 203 So Κ Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512).

362

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

dere das Altsparergesetz ob seiner Exotik herausragt. In diesen Verwaltungskomplexen stellen diese Regelungen spezielle Anspruchsgrundlagen dar. Für die Thematik dieser Untersuchung spielen sie indes keine Rolle, da sie sich allesamt auf Verwaltungsmaterien außerhalb der Bundesauftragsverwaltung beziehen. Der Gesetzgeber läßt sie ausdrücklich nur auf dem jeweiligen Spezialgebiet zur Anwendung kommen und begründet hier eine Bund-Länder-Haftung. Eine darüber hinaus gehende Anwendbarkeit mittels eines Analogieschlusses verbietet sich, da diese Normen weder für sich betrachtet noch insgesamt verallgemeinerungsfähig sind. 204 Daher wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum übereinstimmend zutreffend ihre gesetzesübersteigende Anwendbarkeit abgelehnt.

hh) Finanzausgleich Der bundesstaatliche Finanzausgleich stellt sich als völlig ungeeignet für die Lösung haftungsrechtlicher Fragen im Bund-Länder-Verhältnis dar. Er bietet weder eine Haftungsgrundlage noch einen Haftungsmaßstab. Zwar unterfällt dem Finanzausgleich in einem weit gefaßten Sinne neben der Verteilung der Aufgaben auch die Verteilung der Ausgaben, auch wenn es rechtswissenschaftlich nur um die Verteilung der Einnahmequellen geht, 205 ein Haftungsinstitut enthält der allgemeine Finanzausgleich jedoch nicht. Im Schrifttum ist diese Möglichkeit der Haftungsregelung auch - soweit ersichtlich - nicht erörtert worden.

ii) Enteignungsgleicher Eingriff Als Haftungsgrundlage könnte auch das Haftungsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs in Betracht kommen. 206 Dieser Anspruch ist auf die Entschädigung rechtswidriger hoheitlicher Eingriffe in das Eigentum gerichtet und 204 Kölble, DÖV 1959, 807 (813); Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (275). 205 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, vor Art. 104 a Rdnr. 28. 206 S. zu diesem Haftungsinstitut in diesem Zusammenhang Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 432 ff.; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (276); Cremer, JuS 1996, 333 (336).

II. Anspruchsgrundlagen

363

wurde vom BGH im Wege des Richterrechts zu Beginn der Fünfziger Jahre praeter legem latam entwickelt. 207 Hintergrund für diesen Anspruch ist die Haftungslücke, die für rechtswidrig-schuldlose Eingriffe in das Eigentum besteht, die nicht vom Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB, Art. 34 Satz 1 GG abgedeckt werden. 208 Aufgrund dieses Anwendungsbereiches kann dieser Anspruch zunächst auch zumindest für den Teil der vorliegenden Fallkonstellationen von Interesse sein, bei denen Eigentumsbeeinträchtigungen in Rede stehen. Bevor die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen untersucht werden können, ist bereits die Geeignetheit dieses Anspruches für Haftungsfalle im BundLänder-Verhältnis zweifelhaft. Die Anwendbarkeit im Verhältnis zweier Hoheitsträger zueinander wird teilweise bereits deswegen verneint, weil Basis des Anspruchs Art. 14 GG sei und daher eine Berufung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts hierauf wegen ihrer fehlenden Grundrechtsfahigkeit bereits von vornherein ausscheide.209 Auch wenn einer Gebietskörperschaft in diesem Fall die Aktivlegitimation zugesprochen wird, so paßt doch der enteignungsgleiche Eingriff strukturell und historisch nicht für das körperschaftliche Verhältnis von Bund und Ländern, da dieser Anspruch für das Verhältnis von Staat - Bürger zugeschnitten ist. 2 1 0 Schließlich ist das Primat der spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlagen zu berücksichtigen; der enteignungsgleiche Anspruch ist gegenüber anderen gesetzlich normierten Staatshaftungsansprüchen subsidiär. 211 Läßt sich also die 207

BGHZ 6, 270 (290); s. zur Entwicklung dieses Anspruchs auch Ossenbühl, NJW 2000, 2945 (2950 f.). 208 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 17 Rdnr. 9; Steinberg/Luhberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 327 f. 209 So etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 26 Rdnr. 87; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (276). A.A.: Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 264, der juristische Personen des öffentlichen Rechts zum Kreis der Entschädigungsberechtigten zählt, da die Aktivlegitimation keine Grundrechtsfähigkeit voraussetze; dagegen U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 434 f. 210 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 84 ff.; Cremer, JuS 1996, 333 (336); i. E. auch LVG Schleswig DOV 1960, 464 (465); U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 434 u. 436. 211 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 260 ff.; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 17 Rdnr. 35; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (276). Ausdrücklich mit Sicht auf Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG als lex specialis Cremer, JuS 1996, 333 (336).

364

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Bund-Länder-Haftung mit Hilfe eines anderen Haftungsinstitutes bewältigen, ist für den enteignungsgleichen Eingriff kein Raum mehr. Zur Lösung interkörperschaftlicher Haftungsprobleme ist das Rechtsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs ungeeignet.

j j ) Allgemeines Veranlassungsprinzip Schlußendlich muß auch ein allgemeines Veranlassungsprinzip, welches sich aus einer verfassungsrechtlichen Gesamtschau mit dem Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG als Zentrum ergibt, abgelehnt werden. 212 Die Heranziehung des „Veranlassers" eines Schadens ist kein alles durchdringender verfassungsrechtlicher Ansatz, der sich konkret als Haftungsinstrument eignen würde. Neben der Haftungsbestimmung des Art. 104 a Abs. 5 GG ist für einen weiteren ungeschriebenen Grundsatz kein Raum.

i) Zwischenergebnis Bis auf die noch zu behandelnde Norm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG 2 1 3 ist festzustellen, daß eine haftungsbegründende Bestimmung oder ein solches allgemeines Rechtsinstitut weder im Verfassungsrecht noch im einfachen Gesetzesrecht oder im Gewohnheitsrecht ausfindig gemacht werden konnte. Alle in diese Richtung unternommenen Versuche sind letztlich aus den unterschiedlichsten Gründen mißglückt. 214 Es besteht also keine Rechtsgrundlage für eine interkörperschaftliche Haftung von Bund und Ländern. Diese Aussage trifft sowohl allgemein für den Verwaltungsvollzug nach Art. 85 GG als auch für speziell weisungsrechtliche

212 Speziell in Hinblick auf einen Regreß bei fehlerhafter Umsetzung von EGRichtlinien auch Böhm, JZ 2000, 382 (386 f.). Vgl. auch BVerwGE 18, 221 (224: „Es gibt aber auch keinen allgemeinen Satz des Bundesrechts, nach dem der Träger einer Verwaltung, der durch sein Tätigwerden besondere Kosten verursacht, diese Kosten demjenigen zu erstatten hat, dem sie entstehen."). 213 In diesem Zusammenhang ist auf den unmittelbaren Vorläufer dieser Norm - Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. - hinzuweisen, der eine Bund-Länder-Haftung auf einem konkret umrissenen Gebiet begründete. Die Norm trat 1969 außer Kraft. S. dazu sogleich E. II. 3. c). 214 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158.

II. Anspruchsgrundlagen

365

Haftungssituationen zu. 2 1 5 Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers gewesen, entsprechende Vorschriften fur eine Bund-Länder-Haftung zu erlassen, wenn er diese Regelungen für unumgänglich notwendig erachtet hätte. Die festgestellte Rechtslage läßt Gegenteiliges vermuten. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen innerhalb der Bundesauftragsverwaltung ist also mit den vorhandenen rechtlichen Mitteln bislang nicht zu bewältigen. Einzig die Vorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG kann somit zum Schließen dieser offenkundigen Rechtslücke in Betracht kommen.

3. Art. 104 a Abs. 5 GG als rocher de bronze a) Einführung Art. 104 a Abs. 5 GG hat folgenden Wortlaut: „Der Bund und die Länder tragen die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben und haften im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige Verwaltung. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf." Mit diesen kargen Worten, die offenbar eher eine kurze Andeutung als ein ausgereiftes und ausformuliertes Konzept darstellen und allein aufgrund ihrer lakonischen Kürze Aufmerksamkeit erregen, regelt das GG die hochsensible und nicht zuletzt monetär-(oder fiskal-)wichtige Materie der Verwaltungshaftung zwischen Bund und Ländern. Aufgrund des dürren Wortlautes stellt sich diese Norm anerkanntermaßen nicht als eine abgeschlossene und ohne weiteres zur Anwendung gelangende Anspruchsgrundlage dar, die selbst die wesentlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen anordnet. Um diesen Artikel, insbesondere um den 2. Halbsatz des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG, ranken sich etliche Streitfragen, die Anlaß für eine umfangreiche rechtswissenschaftliche Diskussion im Schrifttum und auch judikative Behandlung war. Zunächst ist innerhalb dieses Regelungskomplexes allein die Bedeutung des 1. Halbsatzes dieser lex incognita allgemein anerkannt. Dieser Normteil stellt eine Ausgabenkompetenzvorschrift für Verwaltungsausgaben dar. In grundsätzlicher Hinsicht ist bereits das innere Wesen der Regelung des 2. Halbsatzes ungeklärt: Handelt es sich um einen bloßen Auftrag an den Gesetzgeber, eine Haftungsregelung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG zu erlassen, oder liegt eine vollgültige Haftungsnorm vor, die unabhängig von einem (Aus-

215 So auch schon früher G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 118. Allgemein Böhm, JZ 2000, 382 (386).

366

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

führungs-) Gesetz von sich aus Bund und Länder haftungsrechtlich verklammert? Ein umfangreiches Bouquet an Argumenten wird sowohl pro als auch contra einer unmittelbaren Anwendbarkeit ins Feld geführt. Dabei überrascht es den Beobachter, daß sich eine herrschende Ansicht bei dieser für den deutschen Föderalismus so eminent wichtigen Fragestellung der interkörperschaftlichen Haftung trotz nunmehr über dreißigjähriger Existenz der Bestimmung nicht herausgebildet hat. Dies gilt auch angesichts des Umstandes, daß auch das BVerwG seit etwa einem Jahrzehnt Stellung bezogen hat, 216 ohne indes insgesamt eine verfassungsrechtliche tabula rasa geschaffen oder auch nur innerhalb der einzelnen Senate Einmütigkeit hinsichtlich wesentlicher Voraussetzungen erzielt zu haben. Es kann daher auch in Hinblick auf die konkrete finanzielle Bedeutung einer gegenseitigen Einstandspflicht von Bund und Ländern mit Fug und Recht von einer offenen verfassμngsrechtlichen Flanke gesprochen werden, die dringend einer dogmatischen und handhabbaren Festigung wie Auslegung bedarf. So denn eine unmittelbare Geltungskraft des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG angenommen wird, sind letztlich die Detail-Haftungsregelungen hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen wie des Haftungsumfanges in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Auch die ablehnende Ansicht ist sich bei der Frage uneins, ob die Vorschrift wegen des langen seit ihrer Ingeltungsetzung 1969 verstrichenen Zeitraumes nicht doch von einem reinen Gesetzgebungsauftrag in eine vollgültige Haftungsnorm „umgeschlagen" ist. Es ist auch und gerade Ziel dieser Arbeit, die Vorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 2. HS GG angesichts ihrer Bedeutung für die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung auf ihre Anwendbarkeit zu untersuchen. Dabei kommt der Entstehungsgeschichte der Bestimmung mehr als nur eine unbedeutende Nebenrolle insofern zu, als möglicherweise bereits hier wesentliche Ansatzpunkte für oder gegen die direkte Geltungskraft auszumachen sind.

b) Entstehungsgeschichte Im Gegensatz zu anderen Legislatiworhaben des Bundes bietet die konkrete mehijährige „Aufbauphase" des Art. 104 a Abs. 5 GG ein umfangreiches Entstehungsmaterial. Dies findet zuvörderst darin seine Erklärung, daß die Einführung dieser Haftungsnorm in eine umfassende Finanzreform eingebettet war,

216 Grundlegend das Urteil v. 18.5.1994, BVerwGE 96, 45 ff.; ferner BVerwG NVwZ 1995, 991; BVerwGE 100, 56 ff.; 104, 29.

II. Anspruchsgrundlagen

367

welche etliche Jahre der Vorbereitung benötigte. Daß deswegen nicht zwingend eine umfangreiche oder gar umfassende Auseinandersetzung mit dieser speziellen Haftungsvorschrift erfolgt ist, wird sich zeigen. Die fragliche Norm bildete den Bestandteil einer Reform der bundesdeutschen Finanzverfassung. Neben der Inkorporierung der Haftungsvorschrift wurden 1969 weitere Modifikationen der Finanzverfassung (Stichwort: Finanzreform 1969) vorgenommen, indem der gesamte Art. 104 a GG in das Grundgesetz eingefugt und Artt. 105 bis 108 GG erheblich modifiziert wurden. 217 Dieses Finanzreformgesetz trat am 1. Januar 1970 in Kraft. Hier ist nicht der Ort für ein Referieren der Einzelheiten des Gesamtfinanzreformpaketes. 218 Neben der Möglichkeit des besseren Erfassens und Einordnens der Vorschrift gilt es zu erkunden, ob die legislatorischen Motive des damaligen Verfassungsgebers eindeutige Vorgaben für ihre Handhabung, d. h. für oder gegen eine unmittelbare Geltung bzw. etwaige Haftungsinhalte, vermitteln. Die Regelung des gesamten Art. 104 a GG mit seinen fünf Absätzen wurde durch die 21. Grundgesetznovelle vom 12. Mai 1969 in das GG inkorporiert 219 und wegen der ihr zukommenden Bedeutung als tragendes Verfassungsprinzip für den gesamten Abschnitt des Finanzwesens an deren Spitze gestellt. Somit steht auch die Haftungsnorm des Abs. 5 mit am Anfang der Finanzverfassung als einem der entscheidenden Pfeiler der föderalen Ordnung. 220 Es ist eine juristische Binsenweisheit, daß der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers trotz der vorhandenen „Motive" 2 2 1 oftmals schwer und/oder nicht eindeutig zu ermitteln ist. Gerade bei umfassenden Reformvorhaben, die bereits während ihres Entstehens verändert werden, so daß die „Endversion" alles andere als identisch mit der „Ursprungsversion" ist, zeigen sich regelmäßig keine klaren legislatorischen Motive. Vielmehr findet sich ein Knäuel an ζ. T. widersprüchlichen Aussagen der an dem Gesetz Beteiligten. A u f Bundesebene sind hier von Interesse vor allem die Stellungnahmen der Bundesregierung, des Bundesrates und des Bundestages. Hinzu können weitere Begründungen treten, 217

Zur Entstehungsgeschichte der Finanzreform ausführlich Vogel/Waldhoff,\ in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 211 ff.; s. auch Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 1453 ff. 218 Umfassend dazu Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 211 ff. S. auch Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1072 m. umfangr. w. Nachw. in FN 122; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 340 ff. 219 BGBl. I S. 359. 220 BVerfGE 55, 274 (300); 72, 330 (388); 86, 148 (264); J.-P. Schneider, in: AKGG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 4; Sturm, DÖV 1968, 466 (473 f.); s. auch u. E. II. 3. d) cc) γ). 221 Dazu BT-Drucks. V/2861, Tz. 123 u. 301 bis 304. S. auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 19 ff.

368

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

wie etwa - wie bei der Finanzreform 1969 - vorbereitende Sachverständigengutachten o. ä. Bei der Bewertung aller dieser Stellungnahmen ist jeweils zu berücksichtigen, ob und inwieweit sie sich auf den schließlich Gesetz gewordenen Text beziehen.

aa) Das sog. 7Voeger-Gutachten Die wesentliche Grundlage dieser Finanzreform im Ganzen bildete ein Gutachten, welches von einer Sachverständigenkommission aufgrund eines vom damaligen Bundeskanzler Erhard und den Ministerpräsidenten der Länder am 20. März 1964 gemeinsam erteilten Auftrages erarbeitet wurde (sog. TroegerGutachten 222 ). Wegen dessen nachhaltigen Einflusses 223 ist als erstes dieses Gutachten auf seine Aussagen zur Bund-Länder-Haftungsbestimmung hin zu untersuchen. Es stellt damit den Ausgangspunkt der historischen Untersuchung dar. Im 7Voeger-Gutachten 224 heißt es zur Verwaltungshaftung von Bund und Ländern wie folgt: „Die Fassung in Art. 104 a Abs. 4 GG (Entwurf) 225 schafft auch Klarheit über die langumstrittene Frage der Haftung. Künftig sollen zu den Verwaltungsausgaben auch die Kosten der fehlerhaften Verwaltung, z. B. 222

Bei der sog. 7>oeger-Kommission handelte es sich um eine Sachverständigenkommission, der es obliegen sollte, ein Gutachten zur Vorbereitung einer umfassenden Bundesfinanzreform zu erstatten. Der Kommission wurde ausdrücklich die Aufgabe vorgegeben, die „finanzielle Verantwortung des Bundes und der Länder voneinander abzugrenzen" (7>oeger-Gutachten, S. 2). Dieses Gutachten wurde knapp zwei Jahre später vorgelegt. Es diente als Grundlage für die Finanzreform 1969 und wird wegen des Vorsitzenden der Kommission, des damaligen Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank und Staatsminister a. D. Dr. Troeger, 7>oeger-Gutachten genannt. Zur Arbeit der Kommission Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnrn. 211 bis 213; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 6; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 1446 ff. Speziell in Hinblick auf die Haftungsnorm Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 69 ff. 223 Auch die Bundesregierung stellte den Vorbildcharakter des Gutachtens heraus; vgl. BT-Drucks. 5/2861, S. 11. 224 Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1966. Dazu auch BVerwGE 96, 45 (52 f.); Erichsen, Zur Haftung im Bund-LänderVerhältnis, 1986, S. 19; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 213 f.; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 45 f.; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 397 f.; W. Schulze, DÖV 1972,409 (412); Saipa, DVB1. 1974, 188 (189). 225 Art. 104 a Abs. 4 des Entwurfes stimmt wörtlich mit dem dann Gesetz gewordenen Art. 104 a Abs. 5 GG überein.

II. Anspruchsgrundlagen

369

Haftungsverpflichtungen, Kassenfehlbeträge u. dgl. gehören. Das gilt auch dann, wenn ein Land für den Bund tätig wird. Diese Haftung folgt aus der Verantwortung des Verwaltungsträgers fur die ordnungsmäßige Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Aufgaben; sie ergibt sich auch daraus, daß allein die Behörde, in deren Verantwortungsbereich die Verwaltungsmängel aufgetreten sind, die rechtliche Möglichkeit hat, ihre Bediensteten zur Verantwortung zu ziehen und für Schäden haftbar zu machen. Im übrigen wird damit die in Art. 108 Abs. 4 Satz 2, 1. Halbsatz GG getroffene Regelung für die Steuerauftragsverwaltung gegenstandslos."226 Deshalb könne - so heißt es weiter - diese Spezialhaftungsvorschrift auch aufgehoben werden. Bei unvoreingenommenem Lesen derjenigen Passagen, welche die Frage der interkörperschaftlichen Haftung betreffen, liegt die Annahme einer unmittelbaren Auslösung der Haftung nahe, ohne daß dies jedoch unbedingt zwingend erscheint, zumal für die Bedeutung des späteren Ausführungsgesetzes (Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG) die Kommissionsbegründung unergiebig ist. Unfruchtbar ist der Kommissionsbericht zudem auch hinsichtlich der einzelnen Haftungselemente; sie finden keinerlei Erwähnung.

bb) Begründung der Bundesregierung Die Bundesregierung übernahm den Regelungsvorschlag der Kommission unverändert, stellte ihn nur in den Absatz 5. Wendet man sich nun der amtlichen Begründung der Bundesregierung zu, 2 2 7 so findet sich zunächst ohne spezielle Bezugnahme auf die konkrete Regelung des späteren Art. 104 a Abs. 5 GG folgender Passus: „ I m Zusammenhang damit [also mit der Verteilung der Verwaltungsausgaben, d. Verf.] soll die Frage der Haftung geregelt werden. Die Verantwortung des Verwaltungsträgers muß auch das Verwaltungsrisiko, d. h. die Finanzverantwortung für unrechtmäßige Zahlungen, die auf Mängel der Verwaltung zurückzuführen sind, umfassen. Die Zuordnung der Kosten einer fehlerhaften Verwaltung zu den Verwaltungsausgaben folgt einmal aus der Verantwortung des Verwaltungsträgers für die ordnungsmäßige Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Aufgaben, zum anderen daraus, daß allein die Behörde, in deren Verantwortungsbereich die Mängel aufgetreten sind, die rechtliche

226

Tz. 215. Die Bundesregierung war der Gesetzesinitiator nach Art. 76 Abs. 1 GG und versah den Entwurf daher nach § 76 Abs. 2 GeschO-BT mit einer sehr umfassenden Begründung. 227

24 Janz

370

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Möglichkeit hat, ihre Bediensteten zur Verantwortung zu ziehen und für Schäden haftbar zu machen." 228 In der Einzelbegründung der Bundesregierung zu Art. 104 a Abs. 5 GG heißt es in einer kurzen Stellungnahme folgendermaßen: „ I m Verhältnis zwischen Bund und Ländern hat der Verwaltungsträger nach Absatz 4 Satz 1 zweiter Halbsatz [= späterer Absatz 5, d. Verf.] für die ordnungsgemäße Verwaltung zu haften. Er muß somit für Mängel seiner Verwaltung einstehen und hat die durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln entstehenden Mehrkosten zu tragen. Das Nähere soll durch Bundesgesetz geregelt werden." 229 Sowohl die allgemeine Begründung wie auch die Einzelbegründung sind hinsichtlich der unmittelbaren Geltungskraft der Norm letztlich unergiebig. 230 Sie begründen zwar die Notwendigkeit einer solchen Vorschrift, haben damit aber auch ihr Bewenden. Auch die Entscheidung, einem einfachen Bundesgesetz eine nähere Regelung vorzubehalten, bietet keinen greifbaren Anhaltspunkt für oder gegen eine unmittelbare Geltung der Bestimmung. Insoweit ist die spätere Regelung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG mit der Gesetzesbegründung der Bundesregierung identisch. Schließlich sind ihnen auch keinerlei die Haftüng ausfüllende Tatbestandsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen zu entnehmen. Diese Begründungen zeigen immerhin, daß sich die Bundesregierung nicht nennenswert von der Vorstellung der 7>Oeger-Kommission entfernt hatte. 231 Die Bundesregierung hat vielmehr die Vorschläge der Kommission hinsichtlich der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis nicht nur vom Wortlaut her aufgegriffen, sondern auch hinsichtlich der Begründung sind große Gemeinsamkeiten festzustellen.

cc) Stellungnahme des Bundesrates Der Bundesrat, dem der Gesetzesentwurf ordnungsgemäß zugeleitet wurde, lehnte in seiner Stellungnahme eine entsprechende Haftungsregelung zunächst

228

BT-Drucks. V/2861, Tz. 123. BT-Drucks. V/2861, Tz. 303. 230 Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 21 f.; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 214 f. 231 BVerwGE 96, 45 (52 f.); i. E. auch F. Kirchhof NVwZ 1994, 105 (107); Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 70; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 129. 229

II. Anspruchsgrundlagen

371

rundweg ab und wies - in der Sache wenig überzeugend und auch indifferent darauf hin, daß Pflichtverletzungen im bundesstaatlichen Gefüge auch in anderer Weise „geahndet" werden könnten. 232 Konkret heißt es in dieser Stellungnahme: „Für eine besondere Haftungsvorschrift besteht kein Bedürfnis, weil die Beziehungen zwischen Bund und Ländern unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bundestreue stehen. Falls ein Land die ihm nach dem Grundgesetz obliegende Pflicht verletzt, regelt sich die Inanspruchnahme nach den allgemeinen Vorschriften des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen Bund und Ländern." 233 Hintergrund für diese ablehnende Haltung dürfte gewesen sein, daß die Länder beim Gesetzesvollzug sich selbst in allererster Hinsicht als Anspruchsgegner sahen und sich daher nicht freiwillig und ohne weiteres in eine Haftungssituation manövrieren wollten. 234 In diesem Zusammenhang ist das BVerwG zu erwähnen, welches in einem Urteil keinen Unterschied zwischen den Stellungnahmen und Gegenäußerungen von Bundesrat und Bundestag erkennen konnte; 235 das Gericht differenziert indes nicht ausreichend zwischen den einzelnen Teilhabern an der „Vorstellung des Verfassungsgesetzgebers", sondern generalisiert und würdigt die abweichende Stellungnahme des Bundesrates nicht ausreichend.

dd) Gegenäußerung der Bundesregierung Auf diese Stellungnahme des Bundesrates hin erneuerte die Bundesregierung die Forderung nach der Notwendigkeit einer intrastaatlichen Haftungsvor-

232

BT-Drucks. V/2861, S. 86. In diese Richtung schon früher Schäfer, DÖV 1960, 641 (649). Einzelheiten zur Stellungnahme des Bundesrates und zur anschließenden Replik des Bundestages bei Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 72; s. auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 23; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 215; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 46; Broß, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 2. Aufl. 1981, § 68 S. 468; Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); W. Schulze, DÖV 1972,409 (412). 233 BT-Drucks. V/2861, S. 86. 234 Darauf weist zutreffend Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (278), hin. 235 BVerwGE 96,45 (52 f.).

372

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

schrift und trat somit unmißverständlich dem Standpunkt des Bundesrates ent236

gegen. In ihrer Replik behauptete die Bundesregierung die Existenz einer Rechtslücke, die es zu schließen gelte. Es bestehe von Verfassungs wegen keine Möglichkeit, den Verwaltungsträger für die ordnungsmäßige Wahrnehmung seiner Aufgaben verantwortlich zu machen. Dargestellt wird die Problemlage am Beispiel der Bundesauftragsverwaltung, wenn unrechtmäßige Zahlungen erfolgen. Hier könne niemand die ausführenden Bediensteten des Landes für das fehlerhafte Auszahlen in Regreß nehmen: Der Bund, der den Schaden hat, nicht, weil der Bedienstete nicht in einem Dienstverhältnis zu ihm stehe; das Land nicht, weil es aufgrund der Finanzierungskonnexität des Art. 104 a Abs. 1 GG keinen Schaden habe; eine Drittschadensliquidation sei nur in privatrechtlichen Fallgruppen von der Rechtsprechung anerkannt, hier sei sie ausgeschlossen. Schadensersatzansprüche der einzelnen Länder sind demzufolge nur dann tatsächlich gegeben, wenn die Länder ihrerseits dem Bund regreßpflichtig sind und einen eigenen Schaden haben. Auch die Bundestreue begründe nach der Rechtsprechung des BVerwG 2 3 7 keine Schadenseinstandspflicht. Die Bundesregierung wollte also - das scheint kaum zweifelhaft zu sein - Regreßansprüche aufgrund dieser Norm unmittelbar durch die GG-Änderung festlegen. 238 Haftungsvoraussetzung und Rechtsfolgen einer Haftung bleiben auch an dieser Stelle außen vor. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Behauptung F. Kirchhofs, wonach der „Gesetzgeber nur stereotyp die allgemeinen Hinweise der TroegerKommission ohne weitere inhaltliche Auseinandersetzung wiederholt" habe, so daß dies letztlich für eine unabgeschlossene Haftungsregelung spreche. 239 Denn gerade durch die zunächst ablehnende Haltung des Bundesrates sah sich die Bundesregierung gezwungen, ihre Haltung zu bekräftigen und auch weiter auszuführen, wie die dargelegte Stellungnahme beweist. 236 BT-Drucks. V/2861, S. 94. Dazu auch Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); W. Schulze, DÖV 1972, 409 (412); Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 23 f.; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 72 f.; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 215 f.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 80 f.; Broß, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 2. Aufl. 1981, § 68 S. 468; Dederer, NVwZ 2001, 258 (261). Der Wortlaut der Gegenäußerung findet sich auch bei BayVGH NVwZ 1993, 794 (795). 237 Zitiert wird BVerwG DÖV 1961, 545 = BVerwGE 12, 253. 238 Das räumt auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 24, ein, der i. E. dann aber später (S. 24 ff.) von einer „unabgeschlossenen Regelung" ausgehen möchte. 239 NVwZ 1994, 105(107).

II. Anspruchsgrundlagen

373

ee) Schluß und Schlußfolgerung Schließlich passierte die Regelung ohne Änderungen Bundestag und Bundesrat, die Länderkammer hatte also stillschweigend ihre Ablehnung aufgegeben und der notwendigen GG-Änderung zugestimmt. Insgesamt ist festzustellen, daß die Haftungsvorschrift im Gesetzgebungsverfahren selbst und auch in den Beratungen zuvor erstaunlich wenig diskutiert worden ist. Es sind keine Wortbeiträge in den Beratungen von Bundestag und Bundesrat auszumachen.240 Damit teilt diese Vorschrift das Schicksal des gesamten Art. 104 a GG, der auch nicht gerade im Zentrum der Diskussion stand. 241 Dies überrascht um so mehr, als die schließlich (Grund-) Gesetz gewordene Fassung einerseits entgegen dem ausdrücklich zunächst erklärten Willen des Bundesrates in unveränderter Form verabschiedet wurde, und andererseits auf breiter und zunächst unbeschränkter Basis eine Haftung festlegt, unabhängig von der Frage einer unmittelbaren Geltung. Zu erklären ist dieses prä-legislative Schweigen wohl mit der Dominanz anderer in der Finanzreform zu regelnder Themen wie etwa der (Neu-) Verteilung des Steueraufkommens im Bundesstaat, dem Finanzausgleich und der Einführung der Gemeinschaftsaufgaben der Artt. 91 a und b GG. 2 4 2 Hinter diesen überragenden Regelungsanliegen trat die Verwaltungshaftung ganz offenbar zurück. Außerdem stellt die Verwaltungshaftung „einen Fremdkörper dar, den man angesichts der zahllosen anderen komplizierten Fragen bei der damaligen politischen Konstellation nicht hochspielen wollte." 2 4 3 Ob eine „fertige" Haftungsnorm geriert werden sollte, wird in Hinblick auf die bloßen Materialien des Gesetzes - damals wie heute - streitig behandelt. 244

240

Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73. 241 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 216; W. Schulze, DÖV 1972,409 (413); Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (107); Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 25 f. Vgl. Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 m. w. Nachw. in FN 110 bis 112; „Man kann von einer Nichtbefassung mit dem Thema in den Sitzungen der Gesetzgebungsorgane sprechen." 242 Vgl. Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 f. 243 So zutreffend Saipa, DVB1. 1974, 188 (189). 244 Dazu auch Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 71 ff, der (S. 72) zutreffend davon spricht, daß „das letzte Wort in der Frage der Bund-Länder-Haftung allein aufgrund der in Rede stehenden Grundgesetzänderung noch nicht gesprochen sei." A.A.: BVerwG NVwZ 1995, 56 (58).

374

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Insbesondere unter Hinweis auf die Stellungnahme des Bundesrates lehnt ein Teil der Literatur jedenfalls eine eindeutige Bewertung der Gesetzesmaterien im Sinne der unmittelbaren Geltung der in Rede stehenden Haftungsvorschrift ab. 245 Der geringe Widerstand gegen die Haftungsregelung und die sich anschließende Zustimmung zum Finanzreformgesetz seien nur vor dem Hintergrund erklärbar, daß eine konstitutive Regelung nicht habe getroffen werden sollen, wobei auch die weitgehend fehlenden Konturen einer Haftung und damit ihre faktische Unanwendbarkeit zu berücksichtigen seien. 246 Dieser Gedanke vermag vorderhand aber nicht zu überzeugen. Zunächst ist festzustellen, daß der Wille des Gesetzgebers im Sinne einer historischen Interpretation nicht in erster Linie in einer Stellungnahme der Länderkammer Bundesrat gesehen werden kann. Art. 77 Abs. 1 GG lautet: „Die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen." Daher muß das Hauptaugenmerk der Gesetzesbegründung des Bundestages, d. h. letztlich hier der einbringenden Bundesregierung, gelten, nicht aber der Stellungnahme des Bundesrates. Diese ist erst in zweiter Linie und ggf. ergänzend heranzuziehen, da nach Art. 50 GG die Länder durch den Bundesrat an der Gesetzgebung (nur) mitwirken. Außerdem gilt es zu erkennen, daß der Bundesrat schließlich seine Zustimmung zu dieser Norm mit ihrem Wortlaut („... haften zueinander...") erteilt hat. Die augenscheinlich auch von Bundesratsseite so eingeschätzte unmittelbare Geltungskraft manifestiert sich gerade in seiner zunächst ablehnenden Stellungnahme. Gibt er diese im Verlauf der Gesetzgebungsberatungen auf, so kann er schlechterdings später jedenfalls dann nicht mehr die Konstitutivität des Haftungsartikels bestreiten, wenn der Wortlaut unverändert blieb und der Bundestag ja gerade von einer bisherigen Nicht-Haftung - und somit einer Regelungslücke - ausging, die es zu beseitigen galt. 247 Genau so gestaltete sich die

245 So vor allem Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 ff; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 24 ff. (27). I. E. auch Bender, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1981, Rdnr. 713. Zweifelnd U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 216. 246 So Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 74; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 25 f. 247 In diesem Sinne Rudisile, DÖV 1985, 909 (910); Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 401; i. E. zuchSaipa, DVB1. 1974, 188 (189). Genau das aber übersieht z. B. Bender, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1981, Rdnr. 713, wenn er folgendes behauptet: „Man glaubte aber noch bei der Verabschiedung des Regierungsentwurfs, daß (trotz des Art. 104 a V GG) die Möglichkeit einer entsprechenden Rückgriffshaftung des Bundes gegenüber den Ländern und landesrechtlichen Rechtsträgem erst zu schaffen sei,..."

II. Anspruchsgrundlagen

37

Sachlage hier. Die Gesetzesmaterien sprechen also für eine unmittelbare Geltungskraft und Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG. Der Hinweis auf das Offenlassen des Maßstabes, des Umfanges und der Quotierung der Haftung und der hieraus gefolgerte Schluß auf keine unmittelbare Geltung der Haftungsbestimmung vermag nicht zu überzeugen. 248 Die bloße Nichtfestlegung bestimmter, wenn auch zugegebenermaßen gewichtiger Voraussetzungen und Folgen einer Verwaltungshaftung kann neben der historischen und der Wortlautargumentation nicht zum Beweis des Gegenteils herangezogen werden. Das Nähere ein Bundesgesetz regeln zu lassen ist eine typische gesetzgeberische Handlungsoption und kann nicht gegen eine verfassungsrechtliche Determinierung ins Feld geführt werden. Vielmehr ist die Rechtsprechung aufgefordert, angemessene und sachgerechte Konkretisierungen der Aussage des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG vorzunehmen. 249 Nicht stichhaltig ist das Argument, die Verwaltungshaftung sei bereits deswegen durch das GG konstituiert, weil es der Bundesrat ansonsten wegen der Zustimmungsbedürftigkeit eines Ausführungsgesetzes nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG in der Hand gehabt hätte, durch eine Blockadepolitik das Zustandekommen und damit die Geltungskraft einer Verwaltungshaftung in jeder Hinsicht und ggf. dauerhaft zu verhindern. 250 Diese Betrachtung ist zirkelschlüssig. Denn eine solche Regelung ist immer zustimmungspflichtig, gleich ob sie durch eine Verfassungsänderung (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG) oder durch ein einfaches Bundesgesetz (vgl. Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG) erfolgt. Verweigert der Bundesrat seine Zustimmung, kann eine Regelung nie zustande kommen. Es ist sein gutes Recht, für die Länder nachteilige Regelungen zu verhindern, wenn und soweit diese zustimmungspflichtig sind. Ein Argument für eine unmittelbare Geltung ist also dem Hinweis auf eine mögliche Blockade nicht zu entnehmen. Die Ausweitung der Entstehungsgeschichte des heutigen Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ergibt, daß diese Norm so verstanden werden muß, daß 248

So aber z. B. Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 24 f. u. 27. Dagegen v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24. 249 Auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 34 ff, hält dies für denkbar, allerdings erst für den Zeitraum ab 1991.1. E. auch dagegen v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 201. 250 So ausdrücklich etwa zuletzt Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436 f.). Dagegen v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24.

37

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

sie bereits von sich aus und damit ohne ein Ausführungsgesetz eine BundLänder-Haftung statuiert, auch wenn wesentliche Fragen - wie z. B. die Haftungsvoraussetzungen, der Maßstab und Umfang sowie die Quotierung - offen bleiben und einem (bislang nicht beschlossenen) Ausführungsgesetz vorbehalten bleiben. 251 Die Gesetzesmaterialien sind jedoch bei der Auslegung einer Norm mit Vorsicht heranzuziehen. Der historischen Interpretation kommt allenfalls eine unterstützende Funktion zu, und diese auch nur dann, wenn der Wille des Gesetzgebers im Text Niederschlag gefunden hat. 252 Von größerem Gewicht sind die weiteren am Wortlaut, an der Systematik oder am Sinn und Zweck orientierten Auslegungstopoi. Dies gilt um so mehr, je größer der verstrichene Zeitraum seit Inkrafttreten des Gesetzes ist. Daher darf die Entstehungsgeschichte des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht überbewertet werden. Vielmehr müssen die anderen herkömmlichen Auslegungsarten ohne „geschichtliche Klammer" Berücksichtigung finden, um an- und abschließend das Ergebnis mit dem der geschichtlichen Auslegung zu vergleichen.

c) Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. als unmittelbarer

Vorläufer

Die Bund-Länder-Haftung in der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht erstmals durch den 1970 in Kraft getretenen Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG geregelt. Eine Regelung hinsichtlich der Haftung im Bund-LänderVerhältnis fand sich vielmehr bereits seit seinem Inkrafttreten im GG, an eher versteckter Stelle in Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. 2 5 3 Nur hier beschäftigte sich das GG mit einer Haftung der Länder gegenüber dem Bund.

251

BVerwGE 96, 45 (52 f.); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 46 f.; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 64; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 401; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (279 f.); wohl auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 129 f. FN 5. 252 BVerfGE 62, 1 (45 m. w. Nachw.). S. auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 328 ff. 253 Einen informativen und knappen Überblick über diese Norm verschafft Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 65 ff.

II. Anspruchsgrundlagen

37

aa) Inhalt der Vorschrift Die Verwaltung der Bundessteuern durch die Länder wurde durch Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG festgelegt. 254 Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: „Soweit die Steuern dem Bund zufließen, werden die Landesfinanzbehörden im Auftrage des Bundes tätig. Die Länder haften mit ihren Einkünften für eine ordnungsgemäße Verwaltung dieser Steuern; der Bundesfinanzminister kann die ordnungsgemäße Verwaltung durch Bundesbevollmächtigte überwachen, welche gegenüber den Mittel- und Unterbehörden ein Weisungsrecht haben." Dieser Norm zufolge hafteten also die Länder mit ihren Einkünften für eine ordnungsgemäße Verwaltung der ihrer Verwaltung unterliegenden, dem Bund zufließenden Steuern, soweit die Länder im Auftrage des Bundes die Steuern verwalteten. 255 Es wurde mithin eine interkörperschaftliche Haftung im BundLänder-Verhältnis statuiert, welche auf einen ganz bestimmten und klar umrissenen Verwaltungsbereich - nämlich den der Steuerverwaltung im Rahmen des Art. 85 GG - beschränkt wurde. Es handelte sich um eine einseitige Haftungsregelung ausschließlich zu Lasten der Länder. Die Haftungsbestimmung des aus dem Jahre 1936 stammenden § 23 RAO, die gewissermaßen als der Vorgänger des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. bezeichnet werden kann, 256 wurde 1949 als lex inferior und gleichzeitig lex generalis von eben dieser GG-Vorschrift verdrängt. Auf ein strafbewehrtes Handeln der Mitarbeiter der Landesfinanzbehörden kam es von nun ab nicht mehr an. 257 Anerkanntermaßen begründete die Regelung eine Einstandspflicht der Länder für Defizite, die durch ein Fehlverhalten innerhalb ihrer Risikosphäre entstanden sind. 258 Es handelte sich um eine unmittelbar geltende Anspruchs-

254

Zum Hintergrund der Norm Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 66 f. 255 Kurzer Überblick zur Entstehungsgeschichte Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften VerwaltungsVollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 66 ff. 256 Dazu oben B. III. 2. 257 G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftrags Verwaltung, 1961, S. 58; Nopper y Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 67 m. w. Nachw. in FN 60. Offen gelassen von W. Schulze, DÖV 1972, 409 (411). 258 BVerwGE 96, 45 (53); Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 27; Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 18 ff; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 59; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, S. 38, 89; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 76; W. Schulze, DÖV 1972,409 (411).

37

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

grundlage von Verfassungs wegen für diesen speziellen Sonderfall, die hinreichend bestimmt war. Die Rechtsposition des Bundes wurde über die Einwirkungsrechte innerhalb der Bundesauftragsverwaltung hinaus weiter erheblich verstärkt. Eine über den Bereich der Steuerauftragsverwaltung hinausgehende Anwendbarkeit des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG wurde überwiegend abgelehnt. 259 Begründet wurde dies zumeist mit nur dürren Worten mit dem Ausnahmecharakter der Norm, der erne extensive oder gar wortlautübersteigende analoge Auslegung unmöglich mache. 260 Es handelte sich um eine beschränkte Sonderregelung, die nicht Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens war. Ob die Unmöglichkeit einer analogen Anwendung wirklich bestand, sei an dieser Stelle dahingestellt. Die Behauptung eines Ausnahmecharakters allein rechtfertigt eine solche Sichtweise nicht. Jedenfalls machte die Rechtspraxis von einer analogen Anwendung keinen Gebrauch. Exemplarisch für die wort-

259

Aus der Rechtsprechung BVerwGE 12, 253 (254 f.) besonders in Hinblick auf die Lastenausgleichsverwaltung; i. E. auch BVerwGE 96, 45 (53). So auch die fast einheitliche Ansicht im Schrifttum, s. Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 110 f.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 61 ff. (zusammenfassend S. 89); ders., DÖV 1961, 404 (404 u. 407); Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 18 ff.; Sturm, DÖV 1966, 256 (258); Asam, BayVBl. 1966, 228; L. Schmidt, DÖV 1959, 803 (804 f.); aus späterer Sicht vgl. Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 158; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 76; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 17; Luther, Die La-stenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 133; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 67 ff; Achterberg, DVB1. 1970, 125 (128). Vielzitierter und letztlich überschätzter Gegenansicht war Viaion, Haushaltsrecht - Haushaltspraxis, 2. Aufl. 1959, S. 192; in diese Richtung tendierend auch das vereinzelt gebliebene Urteil des LVG Schleswig DÖV 1960,464 ff. (465: „Das Grundgesetz steht einem solchen Anspruch daher nicht entgegen."). Mangels entsprechender einfachgesetzlicher Vorschriften lehnte das LVG Schleswig jedenfalls für den Bereich des Währungsausgleiches eine Haftung der Länder und Kommunen ab. Noch anders Kölble, DÖV 1959, 807 (812), und Schäfer, DÖV 1960, 641 (649), welche beide aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens eine Verpflichtung der Länder dergestalt fordern wollen, daß dem Bund bei fehlerhaftem Vollzug der Bundesgesetze der hieraus entstandene Schaden zu ersetzen sei. Ihnen zufolge begründete Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. nicht eine allgemeine Länderhaftung, sondern setzte sie als bereits bestehend voraus. Auch diese Ansicht konnte sich nicht durchsetzen und wurde auch nicht wieder aufgegriffen. 260 Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 76, weist immerhin noch auf die Andersartigkeit der Interessenlage hin mit der Folge, daß von einer planwidrigen Unvollständigkeit nicht die Rede sein kann, sondern vielmehr ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers festzustellen sei, welches es als bewußten Entschluß zu respektieren gelte.

II. Anspruchsgrundlagen

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lautorientierte und damit im Ergebnis einschränkende Betrachtung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG sei Groß zitiert: „Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Art. 108 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 GG unter keinem Blickwinkel (Hervorhebung im Original) als gesetzliche Ausprägung des Grundsatzes einer allgemeinen Länderhaftung anzusehen ist." Jedenfalls blieb dieser Haftungsspezialnorm de facto eine analoge Anwendung auch auf jenseits der Steuerverwaltung befindliche Verwaltungsmaterien versagt. Eine mehr oder minder umfassende Bund-Länder-Haftung wurde also nicht geschaffen. Diese Regelungslücke führte schließlich zur Einführung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG innerhalb des Finanzreformgesetzes 1969. 261

bb) Bedeutung der Vorschrift Die Bedeutung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. tendierte in der Rechtspraxis gegen Null. Es ist nicht ein Anwendungsfall einer Haftung nach dieser Bestimmung auszumachen.262 Diese Feststellung kann bei 30 Jahren Geltung durchaus überraschen, liegt aber - betrachtet man die Tradition der deutschen Nichthaftung bei auftragsweiser Verwaltung in der Vergangenheit 263 - sozusagen im Trend. Neben der Haftungsbeschränkung auf diese spezielle Art der Steuerverwaltung ist es bemerkenswert, daß die Norm ausschließlich eine Haftung der Länder festlegte; nur ihnen „ist in diesem Falle eine finanzielle Haftung auferlegt." 264 Die Funktion des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG, der eine Haftung jedenfalls seinem Wortlaut nach statuierte, ist nie umfassend herausgearbeitet worden. 265 Nur vereinzelt wurde die Vorschrift in einem nennenswerten Umfang im ein-

261

Die Bundesregierung beklagte im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich die Existenz einer „Rechtslücke"; vgl. BT-Drucks. V/2861, S. 94. S. dazu oben Ε. II. 3. b) bb). 262 Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 28 m. w. Nachw. in FN 69; W. Schulze, DÖV 1972,409 (411). 263 Einzelheiten im historischen Teil B. 264 Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 52. 265 Das konstatiert auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 28. Exemplarisch G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 57 bis 59, der auf gerade zweieinhalb Seiten nicht viel mehr als den Wortlaut wiedergibt.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

schlägigen Schrifttum diskutiert; 2 6 6 Rechtsprechung existiert zur Anwendung und den Voraussetzungen dieser Norm - soweit ersichtlich - nicht. 267 Die offenbare Randexistenz dieser Ausnahmevorschrift ließ auch eine erweiternde, ggf analoge Auslegung und Anwendung der Bestimmung jenseits der Steuerverwaltung nicht zu, was so auch ausdrücklich in der Rechtsprechung 268 und im Schrifttum 269 konstatiert wurde. Im Zuge der Finanzreform 1969 und der Neuschaffung des Art. 104 a GG einschließlich seiner Haftungsgeneralnorm des Absatzes 5 wurde der Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG aus dem GG gestrichen, 270 so daß die Vorschrift kein geltendes Recht mehr bildet. Außerkraftsetzen dieser Norm und Ingeltungsetzung des Finanzreformgesetzes wurden gleichzeitig auf den 1. Januar 1970 festgelegt. Seither ist die Bestimmung des Art. 104 a GG unverändert geblieben. Dieses zeitliche Zusammentreffen spricht für eine unmittelbare Wirksamkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG, da kaum anzunehmen ist, daß der Verfassungsgeber einen „verwaltungshaftungslosen" Zustand, der hinter der Rechtslage des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. zurückbleibt, schaffen wollte. 271 Angesichts der praktischen und dem Verfassungsgeber durchaus geläufigen Bedeutungslosigkeit dieser Haftungsvorschrift für die Steuerverwaltung kann diesem Argument gleichwohl kaum durchschlagende Wirkung zukommen, sondern es kann allenfalls ergebnisstützend Verwendung finden. 272

266

Beachtlich immerhin Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 18 ff.; Normenpostum recht umfangreich Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 38 ff. 267 S. dazu den Rechtsprechungsnachweis in Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 33 ff. 268 Frühzeitig schon BVerwGE 12, 253 (254); s. auch BVerwG DÖV 1976, 319. 269 Sturm, DÖV 1966, 256 (258); Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, S. 45 ff; vgl. dazu auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 17. 270 BGBl. IS. 361. 271 Dies betont BVerwGE 96,45 (53). 272 Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 28, weist hierauf hin und möchte diesen fehlenden „aktuellen Regelungsbedarf' zum Anlaß nehmen, eine unmittelbare Geltungskraft der Haftungsnorm zu negieren. Dies kann nicht überzeugen; vgl. dazu oben E. II. 3. c).

II. Anspruchsgrundlagen

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d) Anwendbarkeit der Regelung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG aa) Streitstand Weder die Frage der Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der Ausführung von Bundesgesetzen, insbesondere im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG, noch die der Haftung des Bundes gegenüber den Ländern ist durch das GG eindeutig geregelt worden. Einzig Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG kommt als Haftungsbestimmung im Bund-Länder-Verhältnis in Betracht; alle anderen im deutschen Rechtssystem existenten Haftungsvorschriften bzw. -institute scheiden als Grundlage aus. 273 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG stellt somit den rocher de bronze der Haftung im Bund-Länder-Verhältnis dar. Es ist durchaus zutreffend, wenn noch vor kurzem im Schrifttum konstatiert wird, daß bei Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG „nahezu alles umstritten" sei. 274 Die Norm verweist auf ein Bundesgesetz, welches bislang nicht ergangen ist. Dieses fehlende Ausführungsgesetz innerhalb des Art. 104 a Abs. 5 GG steht im Mittelpunkt des Streits um Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG. Zwei sich gegenüberstehende Auffassungen sind zu erkennen: Nach der einen liegt ein bloßer Verfassungsauftrag vor, der angesichts seiner fehlenden Gesetzesausführung (vgl. Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG) keine geltenden haftungsrechtlichen Regeln enthält; nach der anderen Ansicht handelt es sich bei dieser Vorschrift um vollgültiges und unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht mit der Folge, daß im Bund-Länder-Verhältnis eine gegenseitige Haftung besteht. 275

a) Keine unmittelbare Geltung Eine Auffassung lehnt die unmittelbare Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG und somit eine Haftung im Bund-Länder-Verhältnis ab. 276 273

S. die ausführlichen Darlegungen oben Ε. II. 2. So U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 269. 275 Instruktiver Überblick zum Streitstand bei Cremer, JuS 1996, 333 (337). Vereinzelt wird die Frage der Anwendbarkeit der Norm mit dem nicht nachvollziehbaren Hinweis, daß die Eigenschaft der Haftungsregelung als Lastenverteilungsvorschrift davon nicht berührt sei, offengelassen; so Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 134 f. 276 Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 10 ff.; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht 274

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Vereinzelt wird diskutiert, ob sich die Norm durch Fristablauf in unmittelbar geltendes Recht umgewandelt hat, was dann aber verneint wird. 2 7 7 Dieser Ansicht zufolge soll die Vorschrift einen wie auch immer gearteten Verfassungsauftrag an den einfachen Bundesgesetzgeber enthalten, den dieser auszufüllen habe. 278 Teilweise wird - über die Nichtgeltung hinaus - die gesamte Norm als „systemwidriger Fremdkörper" im GG empfunden und ihre ersatzlose Streichung empfohlen. 279 Begründet wird dies mit dem Hinweis auf vermeintlich unsachgemäße zivilrechtliche Kategorien, unter welche das Verhältnis von Bund und Ländern mittels dieser Haftungsvorschrift kautelisiert würde. Die Haftungsbestimmung treffe den Bürger, nicht dagegen die Verwaltung bzw. deren Spitze. Angemessenes Mittel zur Steuerung und ggf. Korrektur einer unzureichenden oder fehlerhaften Verwaltungsausführung bei der Bundesauftragsverwaltung seien die Aufsichtsmittel des Bundes, die - bei richtig dosier-

durch die deutschen Länder, 1998, S. 75 ff; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 129 f. mit FN 5; Bender, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1981, Rdnr. 713; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 300 f.; Salpa, DVB1. 1974, 188 (191); F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 ff; i. E. wohl auch Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 80 f.; W. Schulze, DÖV 1972, 409 (414); Böhm, JZ 2000, 382 (385); H Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (514); Pappermann, DVB1. 1975, 637 (641), sehr kritisch auch Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 216. 277 So Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 86 f.; in diese Richtung auch Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 60. Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 34 ff., wollte 1986 noch keinen Wandel des Verfassungsauftrages in unmittelbar geltendes Recht anerkennen; ein „Umschlagen" der in Rede stehenden Verfassungsnorm jedoch im Laufe des Jahres 1991 - nach 20 Jahren Geltungsdauer der Verfassungsnorm und voraussichtlichem Ende der Legislaturperiode - sei aber möglich. Ähnliches erwägt auch Hatje, NJ 1997, 285 (288), tendiert dann wohl aber eher zu einer längeren Wartefrist, ohne diese exakt zu bestimmen. S. femer - wenn auch ablehnend - F. Kirchhof NVwZ 1994, 105 (108 f.). 278 Es sei an dieser Stelle ausdrücklich offengelassen und auch dahingestellt, welche Bedeutung und welche Konsequenzen solchartige Verfassungsaufträge haben. Diese Aufträge können einen ganz unterschiedlichen Inhalt haben. Ist ihre Abgrenzung zu ähnlichen Kategorien von Verfassungsnormen wie Staatszielbestimmungen und Regelungsaufträgen noch weitgehend eindeutig, so ist ihre Bindungswirkung und -richtung im einzelnen zweifelhaft und umstritten. An diese begrifflichen Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten knüpfen naturgemäß manifest unterschiedliche Sichtweisen im Falle der Nichtumsetzung durch den Gesetzgeber an; vgl. zum Ganzen zuletzt U. Fischer, Rechtliche Qualifikationen von Verfassungsaufträgen, 2000, m. umfangr. w. Nachw.; zur Durchsetzung von Verfassungsaufträgen U. Fischer, aaO., S. 138 ff. 279 In diesem Sinne insbesondere Broß, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 2. Aufl. 1981, § 68 S. 468 f.; ähnlich auch Saipa, DVB1. 1974, 188 (189). Als „Fremdkörper" betrachtet die Norm auch Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 216.

II. Anspruchsgrundlagen

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tem Einsatz - systemkohärent die Verwaltungsmängel beheben würden. Nötigenfalls sei auch ein Gang nach Karlsruhe denkbar. 280

Unmittelbare Geltung Die andere Auffassung hingegen anerkennt die unmittelbare Geltungskraft der Bestimmung. 2 8 1 Es wird überwiegend eine direkte Anwendbarkeit der Norm seit ihrem Bestehen vertreten, vereinzelt wird zwar keine ursprüngliche Anwendbarkeit des bloßen, unergänzten Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG, wohl

m

Broß, aaO., § 68 S. 469. Aus der Rechtsprechung grundlegend das Urteil des BVerwG v. 18.5.1994, BVerwGE 96, 45 ff. = DVB1. 1994, 1307 ff. = NVwZ 1995, 56 ff. = JuS 1995, 747 ff. mit Anm. Sehner, BVerwG, Buchholz 11 Art 104a GG Nr. 13; BVerwG NVwZ 1995, 991 ff. = DVB1. 1995, 632 (LS) = BayVBl 1995, 475 ff. = Buchholz 11 Art 104a GG Nr. 14; BVerwGE 100, 56 ff. = NVwZ 1996, 595 ff. = DVB1. 1996, 986 ff. = DÖV 1996, 326 ff. = Buchholz 11 Art 104a GG Nr. 15; BVerwGE 104, 29 ff. = NVwZ 1997, 885 ff. = DVB1. 1997, 717 ff. = NJ 1997, 323 ff. = DÖV 1997, 596 ff. = Buchholz 11 Art 104a GG Nr. 16. Aus dem Schrifttum Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1139; Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 68; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. ; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 43; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 160; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 219 (Zweitbearb.); Pieroth, in: Jarass/ders., GGKomm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 13; Model/Müller, GG-Komm., Art. 104 a Rdnr. 6; Fangmann/Blank/Hammer, Grundgesetz Basiskommentar, 1991, Art. 104 a Rdnr. 14; Ruhe, in: Seifert/Hömig, GG-Komm., 5. Aufl. 1995, Art. 104 a Rdnr. 17; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 200; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 89 ff; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 45 ff. (78); Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2 Rdnr. 32.64 (S. 66); U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 226 ff. u. 269 ff; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 400 f.; Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 1978, vor § 22 Rdnr. 11; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (435 ff.); Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (277 ff.); Dederer, NVwZ 2001, 258 (260); Häde, JA 1994, 1 (2); Achterberg, DVB1. 1970, 125 (133); Zimmermann, DVB1. 1992, 93 (96); Storck, AgrarR 1988, 216 (218 f.); Keller, DÖV 1970, 844 (847); Vogel, JA 1980, 577 (578); wohl auch Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 80; Birk, BayVBl. 1981, 673 (676); Bogler/Halstenberg, NWVB1. 1995, 49 (51); sowie Broß, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 2. Aufl. 1981, § 68 S. 468 f., der zwar Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG als einen Fremdkörper im GG ansieht, diesen aber (wohl wegen seiner unmittelbaren Geltung) gestrichen haben will. 281

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

aber ein zwischenzeitliches „Aktualisieren" 282 anerkannt mit der Folge, daß nunmehr die Vorschrift als Haftungsgrundlage tauglich ist. Diese zweite Ansicht ist besonders bemerkenswert, weil sie zunächst eine Geltung ablehnt 283 und dann allein aufgrund des Faktors Zeit heute zu einer Anwendung gelangt. Wird die Rechtsprechung des BVerwG 2 8 4 im vergangenem Jahrzehnt zu Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG zugrunde gelegt, so muß mittlerweile von einer gefestigten Judikatur mit Annahme des konstitutiven Charakters der Norm gesprochen werden. Die mit der Frage befaßten Senate des BVerwG wenden allesamt Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG als eine unmittelbar geltende Anspruchsvorschrift an; Differenzên in der konkreten Anwendung sind jedoch vorhanden. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Behauptung Noppers, daß die Rechtsprechung des BVerwG zu der Frage der Geltungskraft der Norm in toto uneinheitlich sei. 285 Eine Judikatur des BVerfG zu Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG existiert bislang hingegen nicht. Anzuführen in diesem Zusammenhang ist allein eine Passage innerhalb der Kalkar-Entscheidung: „Daß das Land eine Weisung, deren Inhalt es für rechtswidrig hält, ausführen muß und für den nach außen wirkenden Weisungsvollzug insoweit einzustehen hat, als es selbst als Beklagter gerichtlich in Anspruch zu nehmen ist, ist nur die Folge des Auseinanderfallens von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz, begründet darüber hinaus aber keine eigene Verantwortung des Landes für die nach Weisung getroffene Sachentscheidung: Die parlamentarische Verantwortlichkeit hierfür liegt beim zuständigen Bundesminister; die Pflicht, die finanziellen Lasten hieraus letztlich zu tragen, trifft den Bund (Art. 104 a Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 GG)." 2 8 6 Dieser Passus der Gerichtsentscheidung läßt sich bei unbefangener Betrachtung als die Annahme einer unmittelbaren Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG deuten, auch wenn dies nicht in aller Deutlichkeit zum Ausdruck kommt. Insbesondere der pauschale und undifferenzierte Verweis auf die Art. 104 a Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 GG läßt angesichts der Verschiedenartigkeit der Regelungen in diesen Absätzen Zweifel aufkommen. Ferner stand ein 282 Zum terminus „Aktualisierung" und seinen einzelnen Voraussetzungen s. BVerfGE 25, 167 (182 f.). Nachweise bei Storr, Die Haftung im Bund-LänderVerhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (278). 283 Und i. ü. auch zu einer Nichtanwendbarkeit zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung - also 1986 - gelangt. 284 BVerwGE 96,45 ff.; BVerwG NVwZ 1995, 991; BVerwGE 100, 56 ff.; 104, 29. 285 Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 76 f. 286 BVerfGE 81, 310 (333).

II. Anspruchsgrndlagen

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haftungsrechtliches Verhältnis von Bund und Ländern nicht zur Entscheidung. Auch ergibt sich die finanzielle Tragelast des Bundes bei auftragsweisen Verwaltungsaufgaben schon aus Art. 104 a Abs. 2 GG. Jedenfalls ergibt sich aus dieser Sentenz keine Gewißheit, so daß letztlich die Rechtsprechung des BVerfG fur die Frage keine Klarheit schafft.

y) Tatsächliche Bedeutung des Streits und seine Folgen Die tatsächliche Bedeutung des Streits um die Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Allein die finanziellen Dimensionen von haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern sind enorm. Neben diesem finanziellen Aspekt treten noch weitere Gesichtspunkte hinzu. Pars pro toto sei ein Umstand genannt: Ein bereits vollumfänglich geltender und damit eine intrastaatliche Haftung begründender Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG hat zur Folge, daß der Bund im Einzelfall besser dasteht, als wenn seine eigenen Behörden die Bundesgesetze ausführen. Liegt nämlich eine Bundeseigenverwaltung nach Art. 86 GG vor, so beschränkt sich der Rückgriff auf seinen den Schaden verursachenden Bediensteten auf die einschlägigen dienstrechtlichen Vorschriften, also nach § 78 Abs.l Satz 1 BBG auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit des Beamten. Trifft den Bediensteten kein Verschulden oder ist dieser ganz oder teilweise zahlungsunfähig, so scheidet eine In-RegreßNahme aus mit der Folge, daß der Schaden beim Bund verbleibt. Entsprechendes gilt, wenn der Anspruch verjährt ist (drei Jahre, § 78 Abs. 2 Satz 1 BBG). Bei einer Verwaltungshaftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG liegt das Haftungsrisiko bei der Bundesauftragsverwaltung hingegen beim Land. 287 Eine Rechtfertigung für die Besserstellung des Bundes ist nicht recht ersichtlich, 288 wenn auch nicht per se verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Denn einerseits sind bei der Bundesauftragsverwaltung die jeweiligen Gebietskörperschaften Bund und Länder in einzigartiger Weise miteinander verflochten, 289 und andererseits stellt sich die angenommene Gültigkeit der Haftungsnorm als eine ver-

287 Dies gilt jedenfalls unter der Prämisse, daß keine Haftungsbeschränkungen existieren; dazu unten Ε. II. 3. f) mehr. 288 Darauf weist Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 81, hin. Auch das BVerwG hat eine Haftung der Länder gegenüber dem Bund im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung mit ausdrücklicher Bezugnahme auf diese vermeintliche Besserstellung abgelehnt; BVerwGE 12, 253 (255 f.) 289 Dazu oben C. III. 25 Janz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

fassungsgesetzliche Wertung dar, die es zu respektieren und ggf. einfachgesetzlich (Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG) oder richterrechtlich zu korrigieren gilt. bb) Streit im Schrifttum und langjähriges Rechtsprechungsvakuum Diese beiden Ansichten standen sich lange Jahre unversöhnlich gegenüber. F. Kirchhof spricht anschaulich von einem „Rätselraten", das die Vorschrift hinsichtlich ihrer Konstruktion als materielle Haftungsgrundlage ausgelöst habe. 290 Dabei war bis in die Neunziger Jahre hin dieser Streit nicht von praktischer Art, da keine Körperschaft des öffentlichen Rechts - also weder ein Land noch der Bund - einen Anspruch auf Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG stützte und somit auch die Rechtsprechung nicht mit dieser bzw. über diese Norm zu judizieren hatte. Mag dies heute auch überraschen, zeigt es doch indiziell das geräuschlose und reibungsarme Miteinander von Bund und Ländern bei der Bundesauftragsverwaltung. Bei den beteiligten Stellen dominierte augenscheinlich „eher die Neigung zur gütlichen Streitbeilegung als das Streben nach richterlicher Entscheidung ,..". 291 Dieses Rechtsprechungsvakuum begann sich mit Leben zu füllen, als 1992 der Bund das Land Baden-Württemberg aus diesem Artikel wegen Schadensersatzleistungen in Regreß nehmen wollte und das Land eine unmittelbare Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG (und damit eine Haftung generell) ablehnte.292 1980 hatte das BVerwG die Frage der unmittelbaren Geltung der Haftungsvorschrift noch ausdrücklich offen gelassen.293 Der zur Entscheidung berufene 11. Senat des BVerwG ging in seinem Urteil von einer unmittelbaren, auch ohne Vorliegen eines Ausführungsgesetzes gegebene Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG aus. Der Senat prüfte sodann die Voraussetzungen der Norm, sah sie als erfüllt an und verurteilte folgerichtig unter ausdrücklicher Anerkennung einer bundesstaatlichen Haftung in diesem „Kernbereich" das Land Nordrhein-Westfalen zum Schadensersatz.294 Weitere mit der Bund-

290

NVwZ 1994, 105. So treffend F. Kirchhof NVwZ 1994, 105. S. auch Κ Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512). 292 Vgl. Sachverhaltsdarstellung bei BVerwGE 96,45 (46 f.). Vgl. aber auch das vom Land Nordrhein-Westfalen bereits 1985 in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 5 (zum Gutachtenauftrag). 293 BVerwG BayVBl. 1980,473 (475). 294 BVerwGE 96,45. 291

II. Anspruchsgrundlagen

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Länder-Haftung befaßte Senate des BVerwG schlossen sich dieser Ansicht 295

an. Das BVerfG hatte es 1999 in der Hand, die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 GG endgültig zu klären. Es trat aber nicht in eine Sachprüfung ein, weil es den Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen auf Einleitung eines Bund-Länder-Streits wegen Verfiistung für unzulässig ansah. 296 Inhaltlich ging es bei diesem Verfahren um die Rückforderung von gem. Art. 104 a Abs. 2 GG geleisteten Bundesmitteln, die von einem Bediensteten des Landes veruntreut worden waren. Dem am 30. Juli 1995 eingegangenen Antrag gegen das Urteil des BVerwG vom 2. Februar desselben Jahres war daher ein Sachurteil - und somit eine verfassungsgerichtliche Klärung dieser Streitfrage - nicht beschieden. Die Sechs-Monats-Frist des § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG war verstrichen. Der Verwerfungsbeschluß wird dabei namentlich von U. Stelkens 297 dahingehend interpretiert, daß das BVerfG dazu „neigt, Streitigkeiten um Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Charakter zuzusprechen." Knapp zehn Jahre zuvor hatte sich das BVerfG bereits in einem obiter dictum zu der Haftungsregelung geäußert: „Die parlamentarische Verantwortlichkeit hierfür [gemeint ist die Pflicht zum Weisungsvollzug unabhängig vom seinem etwaigen rechtswidrigen Inhalt; d. Verf.] liegt beim zuständigen Bundesminister; die Pflicht, die finanziellen Lasten hieraus letztlich zu tragen, trifft den Bund (Art. 104 a Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 GG)." 2 9 8 Ob das BVerfG mit dieser Aussage von einer unmittelbaren Geltungskraft der grundgesetzlichen Haftungsregelung jedenfalls zugunsten der Länder als „Weisungsgeschädigten" ausgeht, ist nicht eindeutig und soll unten näher erörtert werden. Insgesamt läßt sich folgendes Meinungsbild feststellen: Die Rechtsprechung - an der Spitze das BVerwG - sowie ein leicht überwiegender Teil des Schrifttums gehen von einer unmittelbaren Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG aus. Eine eindeutige verfassungsgerichtliche Stellungnahme ist nicht auszumachen. Beachtliche Stimmen in der Literatur sprechen sich gegen eine direkte Anwendbarkeit aus. Dabei bewirkte die Judikatur des BVerwG seit Mitte der Neunziger Jahre nicht, daß die Gegenstimmen verstummten. Vielmehr wandten sich weiter einzelne Autoren gegen die unmittelbare Anwen-

295

2. Senat BVerwG NVwZ 1995, 991; 4. Senat BVerwGE 104, 29. BVerfG, Beschluß v. 31.1.1999 - 2 BvG 2/95 -, BVerfGE 99, 361 ff. S. kritisch U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 ff. Das Land wandte sich gegen das Urteil des BVerwG v. 2.2.1995, NVwZ 1995, 991. 297 DVB1. 2000, 609 (610). 298 BVerfGE 81, 310 (333). 296

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

dung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Die Gegenansicht wurde also nicht aufgegeben, sondern fortgeführt und i. ü. auch argumentativ verstärkt. Von einer „herrschenden Meinung" kann angesichts dieser Situation im Schrifttum nicht gesprochen werden; weder bestand sie vormals, 2 " noch liegt eine solche heute vor. Vielmehr läßt sich von einer „starken Strömung in der Literatur" 300 sprechen, die eine unmittelbare Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ablehnt.

cc) Eigene Ansicht Es ist angesichts der mittlerweile schier unübersehbaren Anzahl der Stellungnahmen in der Rechtsprechung und im Schrifttum zu der Geltung des Art. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG schwierig, alle vorgebrachten Argumente pro oder contra zu sichten und anschließend zu bewerten. Dennoch soll hier der Versuch unternommen werden zu klären, ob Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG eine vollgültige Haftungsnorm darstellt oder als ein bloßer Verfassungsauftrag anzusehen ist. Hilfreich, wenn nicht gar unentbehrlich sind dafür die herkömmlichen Auslegungstopoi. Sie liefern das Gerüst bzw. Rüstzeug für eine Systematisierung der vielen verschiedenen Argumente, Blickwinkel und Sichtweisen. Denn alle vorgebrachten Beweisführungen lassen sich schlußendlich in dieses Auslegungsschema integrieren. Daher wird im folgenden eine Gesamtdarstellung der für und gegen die Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG dargereichten Argumentationslinien versucht.

a) Wortlaut der Norm „Alle Auslegung fangt beim Worte an." Der Wortlaut liefert unbestrittenermaßen den ersten Anhaltspunkt für eine Auslegung der Bestimmung und muß daher die nötige Beachtung erfahren. Gleichzeitig bietet der Wortlaut auch die äußerste Grenze für eine Auslegung, das Überschreiten des Wortlautes einer Vorschrift stellt anerkanntermaßen keine Auslegung mehr dar. 301 Möglicherweise bietet der Wortlaut einen entscheidenden Fingerzeig auf die Gültigkeit 299 So aber unzutreffend v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24. 300 So zutreffend Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (277). 301 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320 ff.

II. Anspruchsgrundlagen

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der Vorschrift. Bei der Betrachtung des Wortlautes der Norm ist einmal deijenige der Haftungsbestimmung selbst von demjenigen der Regelung eines Ausfiihrungsgesetzes zu unterscheiden. Daher sind diese Bestimmungen getrennt zu betrachten.

αα) Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG Der Wortlaut des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG macht eine Haftung von einer nicht ordnungsgemäßen Verwaltung abhängig; diese direkte Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge sowie der verwendete Indikativ Präsens zeigen, daß der Eintritt oder Beginn einer Bund-Länder-Haftung nicht von einem weiteren Erfordernis - also speziell der Existenz eines Ausführungsgesetzes - abhängig gemacht werden soll. 302 Teilweise wird behauptet, daß dieser Tempus und Modus für sich genommen noch keine Rechtspflicht konkretisierten; das Präsens könne sich auch auf ein noch nicht begonnenes Geschehen beziehen.303 Dem ist entgegenzuhalten, daß eine Auslegung im Sinne von „werden haften" zwar möglich sein mag, jedoch die Ausnahme bildet. In aller Regel ist der Präsens auf die Gegenwart bezogen, so daß gerade diese verwandten Tempi und Modi eine unmittelbare Geltungskraft zum Ausdruck bringen. Direkt geltende deutsche Gesetze sind im Indikativ Präsens gefaßt. Hätte der Gesetzgeber von dieser seit jeher feststehenden Praxis abweichen und ausnahmsweise eine zukünftige Bedeutung dem Verb beilegen wollen, wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, durch die einfache Verwendung des Indikativs Futur („Bund und Länder werden im Verhältnis zueinander für eine ordnungsgemäße Verwaltung haften [wenn das Nähere durch ein Bundesgesetz, welches der Zustimmung des Bundesrates bedarf, geregelt ist]") diesbezüglich Klarheit zu schaffen und eine konstituierende Regelung dem Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG vorzubehalten. Da dies nicht geschehen ist, muß der Wortlaut der Haftungsbestimmung als eindeutig angesehen werden. Es fehlt bei der vorliegenden haftungsrechtlichen

302 BVerwGE 96, 45 (51); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 66; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436); i. E. auch Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 200; a.A.: insb. Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 10 ff. 303 Ausführlich Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 10 ff.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Bestimmung gerade das fur Gesetzgebungsaufträge typische FuturistischImperative in der Gesetzesformulierung. 304 Unabhängig von der Voraussetzungslosigkeit der Haftung und der Bedeutung des Indikativ Präsens ist - und das wird häufig mißachtet 305 - der konkrete Inhalt des „Haftens". Ist eine Entscheidung fur eine unmittelbare Haftungsregel gefallen, ergeben sich anschließend - und nur nachrangig - Fragen nach den Einzelheiten der Haftung. Diese terminologischen Schwierigkeiten bei dem unpräzisen Begriff der „Haftung" spielen aber für die am Wortlaut orientierte Auslegung hinsichtlich der Geltungskraft der Norm keine Rolle. A verbis legis non est recendendum.

ßß) Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG Nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG wird das Nähere durch ein Gesetz festgelegt, welches der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Da das „Nähere" durch Gesetz festzulegen ist, liegt es nahe, daß das Wesentliche bereits verfassungsrechtlich determiniert ist. Das Wesentliche kann sinnvollerweise nur die Geltungskraft selbst sein, da alle weiteren Fragen - wie Haftungsvoraussetzungen oder -umfang - nachrangiger Art sind. 306 Offen gelassene Fragen, die das Wie der Haftung betreffen, gehören sicherlich zu dem zu regelnden „Näheren", hierdurch wird jedoch keine unabgeschlossene Regelung in Form eines Verfassungsauftrages begründet. 307 Der Hinweis auf den besonders sensiblen Bereich der Finanzverfassung, der „für apokryphe Verschiebungen und Verflechtungen" besonders anfallig resp. gefährdet ist, 3 0 8 geht insoweit weitgehend fehl. Vielmehr fehlt jeder Hinweis auf ein mögliches Abwarten ei-

304 Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (278). Anders Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 45, der keine Folgerungen aus dem Wortlaut des Art. 104 a Abs. 5 GG ziehen möchte, dabei jedoch auf die vorliegende Problematik nicht eingeht. 305 Z. B. von Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 11 ff. u. 31 f.; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 78 ff. 306 In diesem Sinne auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (278 f.); ihm folgend Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 400. 307 A.A.: Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 31 f. 308 So aber Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 30.

II. Anspruchsgrundlagen

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nes Ausführungsgesetzes, um die Haftungsvorschrift in Geltung zu setzen.309 Die Auffassung Erichsens, wonach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG eine „funktionale Sperrwirkung" entfalte und es daher der Rechtsprechung versagt sei, das „Nähere" einer Haftung zu bestimmen, kann nicht überzeugen und blieb auch vereinzelt; nach Erichsen obliegt das „Nähere" von Verfassungs wegen nur dem Gesetzgeber. 310 Diese Sichtweise überspannt den Regelungsinhalt des Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG. Die Norm regelt Grundsätzliches und behält Einzelheiten, seien sie auch gravierender Natur, einem Ausführungsgesetz vor; eine Sperrwirkung ist nicht zu erkennen. 311 Es handelt sich bei dieser Bestimmung wegen des immanenten imperativen Elements daher um einen Gesetzgebungsauftrag. 312 Somit erweist sich auch der Wortlaut der Regelung über ein Ausführungsgesetz als unzweideutig und unterstützt die Wortlautargumentation bei der Haftungsbestimmung selbst.

Historische Auslegung Bei der historischen Auslegung ist in erster Linie auf die Entstehungsgeschichte des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zu verweisen. 313 Diese hat gezeigt, daß eher eine unmittelbare Geltung der Vorschrift anzunehmen ist, auch wenn gewichtige Stimmen im Schrifttum Gegenteiliges behaupten. Für eine unmittelbare Geltung läßt sich fernerhin die durch die Ingeltungsetzung des Art. 104 a GG obsolet gewordene Vorschrift des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG ins Feld führen. Diese stellte unbestrittenermaßen bis 1969 eine unmittelbare Haftungsvorschrift für das Bund-Länder-Verhältnis auf einem speziellen Verwaltungsterrain dar, auch wenn sie keine Bedeutung erlangte und aus-

309

Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436). Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 49. 311 So auch Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 50 ff., der detailliert die fehlenden strukturellen Merkmale für eine funktionale Sperrwirkung herausarbeitet. Auf diese Ausführungen soll hier verwiesen werden. 312 BVerwGE 96, 45 (54); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 52 f. Zum Wesen eines Verfassungsauftrages Kuhlmann, Der Verfassungsauftrag, 1975; Maunz, BayVBl. 1975, 601 ff.; Kalkbrenner, DÖV 1963,41 ff.; Hatje, NJ 1997, 285 (288 f.). 313 S. ο. Ε. II. 3. b). 310

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

weislich ihres Wortlautes keines Ausfuhrungsgesetzes bedurfte. 314 Mit Recht läßt sich behaupten, daß es nicht erkennbar ist, daß der Verfassungsgeber hinter diesem Rechtszustand zurückbleiben wollte, als er Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG gerierte. 315 Daß der Grundgesetzgeber einen „Zustand der Haftungslosigkeit im Bund-Länder-Verhältnis" 316 hat schaffen wollen, kann daher nicht vermutet werden. Vielmehr ist anzunehmen, daß er den Haftungsstreit zwischen Bund und Ländern „ab sofort" hat lösen wollen. 317 Gerade der Umstand der fehlenden Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes im Rahmen des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG läßt jedoch Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Argumentation zu. Denn immerhin stellt das Erfordernis des Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG den tragenden Pfeiler für die Ablehnung einer direkten Geltung dar, so daß der Hinweis auf das hierzu noch nicht ergangene Ausführungsgesetz erheblich relativiert wird.

y) Systematische Auslegung In systematischer Hinsicht ist zunächst die enge Verknüpfung von Verwaltungskostenlast und Verwaltungshaftung in einem Satz eines Absatzes einer Norm augenfällig. Haftungskosten sind Verwaltungskosten. 318 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG stellt sich als eine Ausnahme vom Konnexitätsprinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG dar, indem die Haftung nicht an die ursprüngliche Kostentragungspflicht angekoppelt wird, sondern an deren Veranlassung. 319

314

S. o. E. II. 3. c). Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 46 f.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 200; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436). Auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 27 f., räumt dieser normativen Ersetzung eine indizielle Bedeutung ein, möchte diese aber nur als gering einschätzen, da ein „aktueller Regelungsbedarf 4 nicht bestanden habe. 316 Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436). 317 BVerwGE 100, 56 (60); E 104, 29 (32). 318 BVerwGE 96, 45 (52 f.); Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 47 f.; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (279). S. u. E. II. 3. c) cc) γ). 319 Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a 315

II. Anspruchsgrundlagen

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Der unmittelbare - auch grammatikalische - Zusammenhang mit der Regelung des 1. Halbsatzes, wonach der Bund und die Länder die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben jeweils selbst zu tragen haben, ist zu berücksichtigen. Diese Bestimmung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz GG hat unbestrittenermaßen unmittelbare Wirkung, gleich ob sie einen nur deklaratorischen oder konstitutiven Charakter innehat. Die enge systematische Kopplung zweier inhaltlicher Regelungen innerhalb eines einzigen Satzes legt eine unmittelbare Geltungskraft sehr nahe. 320 Es steht zu vermuten, daß der Verfassungsgeber gerade durch diese Normenverklammerung eine direkte Anwendbarkeit beider Teilregelungen bezweckt hat. Jedenfalls wäre es ihm ein leichtes gewesen, wenn er - entgegen diesem Anschein - anders hätte verfahren wollen. Ip systematischer Hinsicht wird zur Ablehnung einer direkten Anwendung vereinzelt mit der untergeordneten Stellung der Haftungsbestimmung argumentiert. Die immense Bedeutung der Norm würde dieser Stellung nicht gerecht. 321 Immerhin steht die Verwaltungshaftung in dem ersten Artikel des X. Abschnittes des GG über das Finanzwesen. Damit befindet sich die Haftungsbestimmung an der Spitze dieses GG-Komplexes, was dann doch etwas überrascht; Haftungsfragen regelt der Gesetzgeber selten an allererster Stelle. Jedenfalls aber kann in diesem Zusammenhang gewiß nicht mit einer vermeintlich untergeordneten Stellung argumentiert werden. Das Gegenteil trifft zu: die Bestimmung ist fast allen anderen Regeln über das bundesdeutsche Finanzwesen übergQordnet. Darüber hinaus ist bereits vom methodischen Ansatz her nicht verständlich, weshalb gerade diese Norm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG eine untergeordnete Rolle im System des GG spielen sollte. Sie stellt vollgültiges Verfassungsrecht dar, so daß für eine Annahme einer untergeordneten Stellung dieser Regelung kein Raum ist. 322 Aus alledem ergibt sich, daß auch nach einer systematischen Auslegung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG eine unmittelbare Geltungskraft indiziert ist.

GG, 1998, S. 47 f.; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 271: „... eine Art Sonderlastenausgleich ..." 320 BVerwGE 96, 45 (51 f.); Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 9; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 200; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436); Hüde, Finanzausgleich, 1996, S. 60 f. 321 In diesem Sinne BVerwG BayVBl. 1980,473 (475). 322 So auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 32.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

δ) Teleologische Auslegung Es sind verschiedene Argumentationslinien zu erkennen; einige beziehen sich ganz oder überwiegend auf verfassungsrechtliche Strukturen, andere finden sich eher in einem rechtspolitischen Umfeld wieder.

αα) Verfassungsrechtliche Teleologie Zentrales Argument derjenigen, die in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG keine unmittelbar geltende Haftungsvorschrift erblicken, ist letztlich die Unbestimmtheit des Normtextes. Insbesondere das „Haften" erfülle nicht die Mindestvoraussetzungen der rechtsstaatlich zwingenden Bestimmtheit einer Vorschrift. 323 Die Bestimmung sei in verfassungswidriger Weise unbestimmt. 324 Die Offenheit der Norm mag - für sich allein genommen - für den Rechtsanwender mit erheblichen Schwierigkeiten beim Umsetzen der Vorschrift verbunden sein und - isoliert betrachtet - den Gedanken an einen bloßen Verfassungsauftrag nahelegen. A n dieser Stelle darf aber die rechtliche Analyse nicht abbrechen. Consensus omnium dürfte sein, daß unter Haftung das „Einstehenmüssen für die Erfüllung einer Verbindlichkeit" zu verstehen ist. 3 2 5 Insoweit kommt der Bestimmung eine eindeutige Bedeutung zu. Allein das Fehlen eines Ausführungsgesetzes und der damit offenen speziellen Regelungen (Voraussetzungen, Maßstab, Umfang und ggf. Quotierung der Haftung, Erfordernis eines Vorverfahrens, die Frage der Verjährung) führt

323

Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 10 ff; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 83; F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (106 f.); Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 300 f.; Hatje, NJ 1997, 285 (286 f.); wohl auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 129 f. FN 5; Saipa, DVBl. 1974, 188(190). 324 So ausdrücklich F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (107); Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 83, ähnlich Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 216. 325 S. Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 79. A.A.: Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 14, der keinen allgemeingültigen Begriffsinhalt erkennen mag.

II. Anspruchsgrundlagen

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nicht zu einem bloßen Gesetzgebungsauftrag. Häufig ist es so, daß die Verfassung Grundsätzliches anordnet und die weiteren Einzelheiten der Regelung des einfachen Gesetzgebers überläßt. Eine „unabgeschlossene Regelung" fuhrt fur sich allein noch nicht zur Annahme eines Verfassungsauftrages, welcher der Erfüllung durch den Gesetzgeber bedarf (vgl. z. B. Art. 38 Abs. 1 u. 2 u. 3 GG: Fehlen des Wahlsystems führt zu einer Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers). 326 Es ist nicht ganz nachvollziehbar, wenn in der Literatur allein wegen des Fehlens eines Ausführungsgesetzes ein „Dilemma" konstatiert wird, nur weil dann die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Haftung im Wege der Interpretation sinnvoll ausgestaltet werden müssen; auch von einem „schwierigen Unterfangen" und einer „prekären" Situation kann nicht die Rede sein. 327 Auch andere Haftungsnormen werden in der Verfassung nur im Grundsätzlichen, in ihren groben Zügen angelegt. Art. 14 Abs. 3 GG oder - mit Einschränkungen - Art. 34 GG sind gleichfalls mager hinsichtlich der Konturenschärfe-Ausbeute für den Rechtsanwender und somit detaillierungsbedürftig, ohne daß ihre unmittelbare Geltung in Frage stünde. Es ist daher alles andere als neu oder ungewöhnlich, daß die Verfassung einen bloßen Rahmen, eine Grundstruktur vorgibt, die unter Weglassen von Details erst noch präzisiert werden muß, bevor die Vorschrift handhabbar ist. Die Rechtsprechung bleibt in diesem Fall zu einer lückenausfüllenden Auslegung mittels der herkömmlichen juristischen Methodik aufgerufen. 328 Das BVerwG hat in diesem Zusammenhang - also zum „Wie" der Haftung - bereits einiges geleistet, wenn auch das Ergebnis noch nicht recht überzeugen kann. 329 Bei der Diskussion über den knappen Wortlaut des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG und die damit einhergehende Behauptung der völligen Unbestimmtheit der Norm sollte nicht unterschlagen werden, daß die Vorschrift immerhin drei materielle Aussagen trifft, die zusammen genommen die Elemente der Tatbestandsstruktur dieser Haftungsvorschrift bilden. 330 Zunächst normiert die Vor326

So aber Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 31; ähnlich auch Hatje, NJ 1997, 285 (288). Dagegen Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 201. 327 So indes ausdrücklich H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (515), 328 BVerwGE 96, 45 (54 f.); v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24. 329 S. u. Ε. II. 3. f) dd) ß). 330 Diese drei materiellen Aussagen konzediert auch F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (106). Ähnlich auch BVerwGE 104, 29 (32), wonach durch Festlegung des Haftungssubjektes und des Haftungsgrundes „hinreichende Anknüpfungspunkte für eine konkretisierende Auslegung" vorliegen.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

schrift eine Haftung. Diese Haftung besteht dann zwischen dem Bund und den Ländern. Schließlich soll für eine ordnungsmäßige Verwaltung gehaftet werden. Mit diesen vom GG vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen gewinnt die eigentliche Haftung zwar nur wenig an Kontur, die Existenz einer Haftung, die Haftungsbeteiligten sowie der Haftungsgrund werden indes normiert. Weitere Elemente der Tatbestandsstruktur müssen noch konkretisiert werden. Gleiches gilt für die angeordnete Rechtsfolge, also den Umfang der Haftung. Auch hier ist in Ermangelung eines Ausführungsgesetzes nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG der Rechtsanwender - also letztlich die Rechtsprechung - zur Entwicklung praxistauglicher Maßstäbe berufen. Voraussetzungen, Maßstab, Umfang und Aufteilung der Haftung sind mangels verfassungsrechtlicher oder einfachgesetzlicher Regelungen daher durch richterliche Auslegung zu bestimmen. Dabei kann die Rechtsprechung an die obsolete, aber vormals unmittelbar wirksame Haftungsregelung des Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 GG anknüpfen. 331 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG konstituiert daher einen Haftungskernbereich im Bund-Länder-Verhältnis, dessen Einzelheiten entweder vom Ausführungsgesetzgeber oder durch die Rechtsprechung konturiert werden müssen. 332 Die Norm genügt daher vollauf den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen. In Teilen des Schrifttums wird vorgebracht, daß eine unmittelbare Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zu einer einseitigen Belastung der Länder führte. 333 Begründet wird diese Ansicht mit dem Hinweis darauf, daß den Ländern nach Artt. 84, 85 GG solchartige Verwaltungsentscheidungen obliegen, die wegen Art. 104 a Abs. 2 und 3 GG für den Bund umfassende finanzielle Konsequenten zeitigten. Dem ist nicht zuzustimmen. Von einer unilatera331

BVerwGE 96, 45 (54). Grundlegend BVerwGE 96, 45 (55); später BVerwGE 100, 56 (69); E 104, 29 (32). S. ferner Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 66; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 14; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 201. 333 Eine einseitige Haftungsrichtung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG behaupten Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 61; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 130; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 52; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 FN 108; Saipa, DVB1 1974, 188 (189 f.); Hatje, NJ 1997, 285; wohl auch W. Schulze, DÖV 1972, 409 (414); H Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (515). Auch Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 198, sieht fast ausschließlich nur die Haftung der Länder als praxisrelevant an (Ausnahme Biersteuererhebung). Nach Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 192, ..." erlangt Abs. 5 S. 1 2. Alt., S. 2 vornehmlich Bedeutung für eine Haftung der Länder gegenüber dem Bund." 332

II. Anspruchsgrundlagen

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len Länderbürde kann angesichts der Haftungssubjekte Länder und Bund nicht die Rede sein. Gerade bei fehlerhaften Bundesweisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG stellt sich die Frage des Einstehenmüssens zulasten des Bundes. Letztlich bleiben auch die Belange der Länder durch das GG in diesem äußerst sensiblen Bereich durch den Zustimmungsvorbehalt des Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG gewahrt, wenn rechtstatsächlich eine stärkere Belastung der Länder postuliert wird. Hinzu tritt vor Erlaß eines Ausführungsgesetzes die Möglichkeit der Implantation von Haftungsminderungen 334 durch die Rechtsprechung. Die Wahrung der Belange der Länder durch das GG in diesem äußerst sensiblen Bereich erfolgt durch den Zustimmungsvorbehalt. Eine einseitige Bevorzugung des Bundes besteht nicht, da die Haftungsvorschrift sowohl zugunsten wie zulasten des Bundes wirken kann, wie bereits der Wortlaut unmißverständlich aufzeigt. Die Annahme einer unmittelbaren Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG entspricht dem Gesetzeszweck und verteilt die Risiken sachgerecht und angemessen sowohl auf die Schultern des Bundes wie auch auf die der Länder.

ßß) Rechtspolitische Teleologie Auch in rechtspolitischer Hinsicht erscheint eine direkte Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG sinnvoll. Bestünde keine unmittelbar geltende Haftungsregelung, so hätten die Länder eine durch das Ausführungsgesetz erst geschaffene Haftung völlig in der Hand und könnten ein solches Gesetz über den Bundesrat dauerhaft verhindern. 335 Das Erfordernis der Zustimmungspflichtigkeit macht eine Gesetzesentstehung erfahrungsgemäß nicht einfacher und erfordert ein hohes Maß an Kompromißwillen. Im Vordergrund juristischer Auseinandersetzungen um eine Verwaltungshaftung standen bislang die Fälle, bei denen der Bund sich an den Ländern schadlos halten wollte. Aus diesem Grunde verwundert das fehlende gesetzgeberische Engagement der Länder nicht - jedenfalls in den Siebziger 334

Etwa durch ein Verschuldenserfordernis oder eine Beschränkung auf grobe Rechtswidrigkeit; dazu s. u. E. II. 3. f) dd) ß). 335 v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 24; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 199; Hüde, Finanzausgleich, 1996, S. 58; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (436 f.); i. E. auch Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 9; s. zu dieser Problematik auch Cremer, JuS 1995, 333 (337), Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 216.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

und Achtziger Jahren, als das BVerwG noch nicht über die unmittelbare Geltung der Haftungsnorm judiziert hatte. Das in den frühen Siebziger Jahren eingeleitete Gesetzesvorhaben zur Ausfüllung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG stellte sich dementsprechend als ein Unterfangen des Bundesregierung dar und gelangte auch nur bis zum Stadium des Referentenentwurfes, 336 der letztlich am Widerstand der Länder gescheitert ist. 3 3 7 Vereinzelt wird vorgebracht, daß die Möglichkeit von Regreßansprüchen das Gegeneinander von Bund und Ländern betonen würde; es erhöhe die Gefahr des Mißtrauens der beiden Verwaltungsträger und führe zu erheblichen Reibungsverlusten im Verwaltungsablauf. 338 Dem ist entgegenzuhalten, daß bereits die Möglichkeit einer Haftung im Vorfeld von eventuell schädigenden Maßnahmen konfliktvermeidende Tendenzen zeigt. Ferner ist nicht ersichtlich, weshalb die verfassungsrechtliche Konstituierung eines gegenseitigen Einstehenmüssens - sei es mit unmittelbare Wirkung, sei es vermittels eines Verfassungsauftrages - derart massiv das föderale Gleichgewicht durcheinander bringen würde, daß völlig auf eine solche Regelung zu verzichten wäre. Außerdem ist das Gesamtvolumen der nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG in den letzten Jahrzehnten seit 1969 geltend gemachten Schäden nicht von so beträchtlicher Art, daß dieser Radikalschluß erforderlich erscheint.

γγ) Weitere Argumente Neben den Argumenten mit verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Gehalt finden sich vereinzelt noch weitere Ansatzpunkte zur Lösung der Anwendungsproblematik des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG. Immer wieder wird auch behauptet, daß bei Annahme einer unmittelbaren Geltungskraft des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG der Bund unangemessen bevorzugt werden würde; entweder dann, wenn ein Land auch für nicht schuldhaftes Fehlverhalten hafte, da der Bund in der Regel gegenüber eigenen 336

Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Dieser ist u. a abgedruckt bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff.; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 217 f.; s. dazu auch Pappermann, DVB1. 1975, 637 (643); Hatje, NJ 1997, 285 Fn 4; F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105(109). 337 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 216. 338 Pappermann, DVB1. 1975, 637 (641).

II. Anspruchsgrundlagen

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Bediensten nur bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln (s. § 78 Abs. 1 Satz 1 BBG) Regreß nehmen könne. 339 Die Voraussetzungen der Haftung spielen für deren unmittelbare Geltungskraft zunächst keine Rolle. Sie sind nachgeordneter Natur und sind durch eine konkretisierende Rechtsprechung oder durch ein zu erlassendes Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG festzulegen. Normanwendungshemmend wirkt dies jedoch nicht. Ferner ist eine „Besserstellung" des Bundes nicht allein deswegen abzulehnen, weil ein Rückgriff des Bundes bei eigenem Verwaltungsvollzug teilweise ausgeschlossen ist. Diese einfachgesetzliche Regelung vermag auf das von der Verfassung geprägte Verhältnis von Bund und Ländern nicht einzuwirken. Letztlich beschleicht den neutralen Leser das Gefühl, daß eine, wenn nicht gar die maßgebende Triebfeder der Argumentation gegen eine unmittelbare Geltungskraft der Haftungsbestimmung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG die aufgestellte Behauptung ist, daß die Norm im Ergebnis nur oder zumindest ganz überwiegend ein haftungsrechtliches Instrument in der Hand des Bundes sei, um das austarierte Gefüge der deutschen föderalen Finanzverfassung der Artt. 104 a ff. GG zu Lasten der Länder zu verschieben. 340 Für diese unilaterale Sichtweise zugunsten des Bundes spricht noch nicht einmal der Wortlaut der Vorschrift, sie ist - wie bereits ausgeführt - i. E. auch abzulehnen.341

ee) Ergebnis: Unmittelbare Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Hs. GG Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG hat konstitutiven Charakter und statuiert somit unmittelbar eine Haftung im Bund-Länder-Verhältnis. Nach Durchsicht aller vorgebrachten Argumente, die das gesamte Bouquet der klassischen Auslegungstopoi umfassen, erscheint das erzielte Ergebnis als das einzig richtige. Die Norm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG enthält nur eine Verpflichtung an den Gesetzgeber, deklaratorisch die Haftung zu normieren und Einzelheiten der Haftungsbeziehungen festzulegen. Sedes materiae für die rechtliche Lösung haftungsrechtlicher Fälle ist ausschließlich Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG, solange ein Ausführungsgesetz nicht erlassen worden ist. Der Gedanke einer Verwaltungshaftung von Bund und Ländern ist dem bundesdeutschen Recht nicht fremd, wie das Vorhandensein partieller Sonder339 So z. B. Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 80 f.; Vietmeyer, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 301. 340 Beispielhaft Hatje, NJ 1997, 285. 341 Einzelheiten dazu s. Ε. II. 3. d) cc) δ) αα).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

regelungen zeigt. 342 In den vergangenen deutschen Reichen von 1871 und 1919 hingegen konnte eine entsprechende Haftung nicht festgestellt werden. 343 Letztlich dahingestellt kann bleiben, ob der Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG ursprünglich wirklich einen bloßen Verfassungsauftrag 344 darstellte, der sich mittlerweile - nach über 30 Jahren seiner Existenz - aktualisiert hat und damit unmittelbar geltendes Recht wurde. Die dargelegten Argumente legen jedoch eine unmittelbare Geltung von Anfang an sehr nahe. Es findet ein „corriger la fortune" statt, d. h., Defizite des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 G G 3 4 5 lassen sich auf der haftungsrechtlichen Ebene ausgleichen. Allein die Möglichkeit eines Einstehenmüssens für einen schleppenden Weisungsvollzug dürfte verhaltenskorrigierend wirken. Denn allein durch eine (über-) lange Verfahrensdauer können Schäden in Millionenhöhe entstehen. 346 Abschließend sei noch daraufhingewiesen, daß die im Schrifttum befürchteten massiven Folgen bzw. finanziellen Wirkungen einer unmittelbaren Verwaltungshaftung 347 in der Realität nicht eingetreten sind. Die Anzahl der Verfahren zwischen Bund und Ländern, denen Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG zugrunde lag, ist sehr gering. Es handelt sich um einige wenige Verfahren in jeweils ein- oder maximal knapp zweistelliger Millionenhöhe. 348 Unabhängig davon sollte die edukatorische Wirkung auf Seiten des Bundes und der Länder nicht unterschätzt werden: Ein Herbeiführen eines offensichtlich verfassungswidrigen und die Voraussetzungen der Haftungsnorm auslösenden Zustandes etwa durch Verweigerung eines administrativen Vollzuges einer Bundesweisung durch ein angewiesenes Land wird es in Zukunft so nicht mehr geben. Auch wird der Bund sein weitgehend unbeschränktes Weisungsrecht nicht mit Hinweis auf die bloße Verfassungsgemäßheit seiner Inanspruchnahme und ohne Blick auf die ggf. rechtswidrigen Folgen ausüben. Hier

342 § 19 Abs. 3 Satz 2 Altsparergesetz, §§ 102 bis 114 SGB X oder § 55 Abs. 3 BGSG. S. dazu auch oben E. II. 2. h) gg). 343 Einzelheiten s. o. B. II. 3. u. III. 2. 344 So insbesondere Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986. 345 S. o. D. VI. 1. 346 Die sechswöchige Unterbrechung von Erkundungsarbeiten im Salzstock im niedersächsischen Gorleben führte beispielsweise nachweislich zu einem Schaden in Höhe von 5,7 Millionen DM; vgl. dazu OLG Celle, AZ 16 U 30/95, RdE 1997, 118 f. S. auch BT-Drucks. 14/2639. 347 So z. B. Hatje, NJ 1997,285 (287). 348 Vgl. etwa die Übersicht zu Schadensersatzprozessen im Zusammenhang mit dem Endlager Gorleben in BT-Drucks. 14 /2639.

II. Anspruchsgrundlagen erzeugt das Geradestehen des Bundes für die von ihm rechtswidrig herbeigeführten Folgekosten neben dem edukatorischen Effekt auch eine späte indirekte Rechtsschutzmöglichkeit der Länder gegen Bundesweisungen. Die im Wesen der Bundesauftragsverwaltung wurzelnde Wehrlosigkeit der Länder wird gleichsam postum wenigstens in Hinblick auf die verursachten Kosten zu einem gewissen wehrhaften Ausgleich gebracht. Die Bestimmung verringert damit auch die Häufigkeit föderaler Streitigkeiten, 349 indem sie Haftungsanlässe zu vermeiden sucht. Ein einträglicheres föderales Miteinander von Bund und Ländern auch in politisch bewegten Zeiten mit hart umkämpften Themen ist letztlich das telos der unmittelbaren Geltungskraft des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG. Die Norm paßt sich auch und insbesondere wegen der vorgenommenen Auslegung und Anerkennung als geltende Haftungsnorm harmonisch in das Bild der bundesdeutschen Finanzverfassung nach Artt. 104 a ff. GG ein. An vielen anderen Stellen mag ein Änderungsbedarf - sei es punktueller, sei es ganz grundlegender Natur - bestehen. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG entpuppt sich als eine das Verwaltungsrisiko austarierende Bestimmung, die jedoch für eine handhabbare Praktikabilität noch einer klar umrissenen Anwendungsstruktur bedarf. Dieses klare Bild soll später bei den einzelnen Voraussetzungen entworfen werden. 350 Einer Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation im Verhältnis von Bund und Ländern bedarf es daher nicht. 351 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG als voll einsatzfähige Anspruchsnorm für Hoheitsträger untereinander schließt die entsprechende Anwendung dieses zivilrechtlichen Rechtsinstitutes aus. Aus demselben Grund kommen § 1 StHG-DDR 352 sowie eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 4 AtomG 3 5 3 nicht zum Einsatz. Auch der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch und der enteignungsgleiche Eingriff bleiben ausgenommen.

349

Häufig wurden Haftungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern in der Vergangenheit gütlich, also außergerichtlich, beigelegt; vgl. F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (105: „Neigung zur gütlichen Streitbeilegung"); Hatje, NJ 1997, 285 (287). Seit einigen Jahren jedoch schwindet - nicht zuletzt wegen leerer öffentlicher Kassen - diese justizvermeidende Neigung zugunsten einer judiziellen Streitentscheidung; s. H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512). Zur gütlichen Streitbeilegung s. auch E. V. 5. 350 S. u. Ε. II. 3. f). 351 S. ο, Ε. II. 2. f). 352 S. ο. Ε. II. 2. g). 353 S. ο. Ε. II. 2. h) ee). 26 Janz

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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Allein die Einzelheiten einer Haftung gilt es zu klären. Daß dies allein schon wegen der gegenläufigen Interessen kein leichtes Unterfangen sein wird, liegt auf der Hand. Wie so oft, ist in erster Linie der Gesetzgeber gefordert - nicht erst seit dem Urteil des BVerwG, sondern der Sache nach bereits seit 1969, spätestens seit Anfang der Siebziger Jahre. Legislatorische Aktivitäten zum Erlaß eines konkretisierenden Ausfuhrungsgesetzes i. s. d. Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG sind bislang nicht zu verzeichnen. Auch steht ein solches Gesetz wohl nicht zu erwarten, so daß es dem Rechtsanwender, also letztlich den Gerichten, überlassen bleibt, die Haftungsvorschrift sachgerecht auszufüllen. Es wäre dies wahrlich nicht der erste und sicherlich nicht der nebensächlichste Bereich, dessen Regelung zumindest im Grundsatz entsprechend der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG 3 5 4 dem Bundesgesetzgeber obliegt und in dem dieser sich seiner verfassungsrechtlichen Verantwortung durch beharrliche Inaktivität entzieht.355

e) Das Konnexitätsprinzip innerhalb der Finanzverfassung und seine Durchbrechung Die Haftungsnorm für das Bund-Länder-Verhältnis ist nicht isoliert verfassungsrechtlich verankert. Vielmehr ist sie im X. Abschnitt des GG über das Finanzwesen eingebettet, und zwar an durchaus exponierter Stelle in der Eingangsvorschrift des Art. 104 a GG. Diese Regelung ist also bereits in systematischer Hinsicht in die Vorschriften über die deutsche Finanzverfassung integriert. Die Haftung wird dort geregelt, wo auch die fundamentale Lastenverteilungsregel des Konnexitätsprinzips und seine Durchbrechungen als entscheidendes Leitmotiv und somit Basis der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat zwischen dem Bund und den Ländern auf grundgesetzlicher Ebene niedergelegt worden sind. Diese beiden Determinanten bestimmen nicht unerheblich die rechtliche Einordnung und die konkrete Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Es ist daher für die weitere wissenschaftliche Durchdringung der weisungsgeprägten haftungsrechtlichen Konstellationen zwischen Bund und Ländern unabdingbar, sich zumindest holzschnittartig das Wesen der grundgesetzlichen Finanzverfassung - jedenfalls soweit es für die vorliegende Untersuchung relevant ist - sowie ihres integralen Bestandteils des Konnexitätsgrund354

Ständige Rechtsprechung, z. B. BVerfGE 48, 89 (126); 61, 260 (275). Es sei nur an das gesamte Arbeitskampfrecht erinnert - mit der wenig rühmlichen Ausnahme des § 116 AFG. Die Großzügigkeit des BVerfG in dieser Frage ist mehr als bemerkenswert. 355

II. Anspruchsgrundlagen

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satzes mitsamt seinen Durchbrechungen zu gegenwärtigen. Dabei müssen sich die Ausführungen auf das Notwendigste beschränken. Bevor also der Blick auf die einzelnen Haftungsvoraussetzungen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG gelenkt wird, sollen die Grundzüge der bundesdeutschen Finanzverfassung sowie der finanzverfassungsrechtliche Pfeiler der Konnexität von Aufgaben und Ausgaben übersichtartig ausgeführt und ihre Bedeutung speziell für das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG mit seinen haftungsrechtlichen Fragestellungen zwischen dem Bund und den Ländern erörtert werden. Erst danach werden sich die speziellen haftungsrechtlichen Beziehungen des Bundes und der Länder zueinander als jeweiliger Gläubiger oder Schuldner anschließen.

aa) Die grundgesetzliche Finanzverfassung - Begriffsbestimmung und Inhalt Die Finanzverfassung ist die Ordnung der Finanzbeziehungen im deutschen Bundesstaat und wird im X. Abschnitt des GG in den Artt. 104 a bis 115 GG („Das Finanzwesen") geregelt. Entgegen früheren deutschen Verfassungen 356 widmet das GG den öffentlichen Finanzen ein eigenes Kapitel. Das GG selbst verwendet den Begriff der Finanzverfassung nicht, sondern spricht nur von dem mit „Finanzwesen" betitelten zehnten Abschnitt. Eine authentische Klarstellung de constitutione lata liegt daher nicht vor. Es verwundert nicht, daß Streit um eine saubere Begriffsdefinition besteht mit der Folge, daß eine einheitliche Definition bislang aussteht. Dies zeitigt aber für die vorliegende Untersuchung keine Auswirkungen. 357 Zur Finanzverfassung sind ganz allgemein - diejenigen Regelungen des GG zu rechnen, die sich auf die öffentlichen Finanzen beziehen. 358

356 Instruktiv Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1050; Vogel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 87 Rdnr. 5; Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnrn. 8 ff.; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Vorb. zu Art. 104 a - 115 Rdnrn. 3 ff.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnrn. 62 ff., Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 34 ff. 357 S. zum Begriff der Finanzverfassung Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnrn. 1 ff. (insb. 5 ff.); Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1056 ff. m. umfangr. w. Nachw. 358 Statt aller Vogel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 87 Rdnr. 11; Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 1; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 41.

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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Der Regelungskomplex der Finanzverfassung zerfällt bei genauerer Betrachtung in zwei verschiedene Normgruppen: Die Artt. 104 a bis 109 GG enthalten die eigentliche bundesstaatliche Finanzverfassung, 359 wohingegen die Artt. 110 bis 115 GG das Haushaltsverfassungsrecht des Bundes 360 normieren. Im ersten Komplex sind Bund und Länder die Hauptadressaten der finanzverfassungsrechtlichen Regelungen. Dieser Teil der bundesstaatlichen Finanzverfassung hat im wesentlichen die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern und im Verhältnis der Länder untereinander zum Gegenstand. Im zweiten Komplex hingegen wird in allererster Linie der Bund selbst angesprochen. Vor allem geht es um die Regelung der Innerorganbeziehungen zwischen Parlament und Regierung im Bereich des Haushaltswesens. Zusammen stellen diese Bereiche in systematischer Hinsicht eine verfassungsrechtliches Unikum dar, da sie den einzigen GG-Abschnitt bilden, der sich mit einem geschlossenen Sachgebiet beschäftigt. 361 Die Bestimmungen bilden einen „Querschnitt" 362 durch alle drei Staatsfimktionen der Verwaltung, Rechtsprechung und Gesetzgebung. Der ganz überwiegende Teil des Finanzverfassungsrechts wird hier geregelt, nur vereinzelt finden sich finanzverfassungsrechtliche Regelungen auch andernorts. 363 Innerhalb des geltenden Verfassungsrechts stellt sich die Finanzverfassung aufgrund ihres in sich abgeschlossenen Bereiches als eine Teil- bzw. Sonderverfassung dar. 364 Die geltende Finanzverfassung ist nicht mehr dieselbe wie diejenige des Jahres 1949. Vielmehr unterlag das deutsche Finanzverfassungssystem seit In-

359

Konkret handelt es sich um folgende Materien: Befugnisse von Bund und Ländern, Kompetenzen zur Ausgabentätigung, Gesetzgebungsbefugnisse im Steuerrecht, Verteilung des Steueraufkommens, Länderfinanzausgleich, Bundesergänzungszuweisungen und Verwaltung der Finanzmittel. 360 Hier handelt es sich um alle unmittelbar auf die staatlichen Einnahmen und Ausgaben bezogenen Vorgänge, d. h. die inteme Ordnung der Finanzen des Bundes. Die Grundfragen des Budgetrechts sind die Grundsätze des bundesstaatlichen Finanzhaushalts, der Haushaltsplan des Bundes, die Grundsätze der Haushaltswirtschaft des Bundes sowie Grundfragen des Staatsvermögens und der Staatsschulden des Bundes. 361 S. bereits v. Doemming/Füßlein/Matz y JöR 1 n. F. (1951), S. 748. S. auch Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1049; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 38. 362 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, vor Art. 104 a Rdnr. 4; ähnlich auch Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, § 42 I. 363 Gemeint sind die Vorschriften über die Gemeinschaftsaufgaben (Artt. 91 a u. b GG), die Kriegsfolgenlasten und die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung (Artt. 120, 120 a GG) sowie über das Vermögen des Reiches und der aufgelösten Länder (Artt. 134,135 GG). 364 Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 12.

II. Anspruchsgrundlagen krafttreten des GG verschiedenen Modifikationen. 365 Die wesentliche Basis des heutigen Finanzwesens bildet die Finanzreform aus dem Jahre 1969. 366 Es handelt sich bei den Normen über die Finanzverfassung um vollgültiges striktes Verfassungsrecht, welches nicht etwa eine mindere Geltungskraft („soft law") besitzt. 367 Diese Regelungen weisen eine vollidentische Geltungskraft mit den übrigen Verfassungsnormen auf Etwaige abweichende vertragliche Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern sind ohne weiteres verfassungswidrig, es sei denn, sie sind ausdrücklich vorgesehen. 368 Die Bedeutung der Finanzverfassung für das bundesstaatliche Gemeinwesen in rechtlicher, praktischer wie politischer Hinsicht kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 369 Es ist daher nicht übertrieben, hinsichtlich der finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen der Artt. 104 a bis 108 GG von den „tragenden Pfeilern der bundesstaatlichen Ordnung" des GG zu sprechen. 370 Die Finanzverfassung stellt sich als ein Kernelement des bundesstaatlichen

365 Kurzer Überblick derfinanzverfassungspolitischen Entwicklung bei FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a 109 Rdnrn. 6 ff.; ferner Ster«, Staatsrecht II, 1980, S. 1071 ff. 366 Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 83. Einzelheiten zu dieser Reform etwa bei Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a - 109 Rdnrn 9 ff.; insbesondere in Hinblick auf die Regelung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG s. ο. Ε. II. 3. a) u. b). 367 BVerfGE 72, 330 (388); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, vor Art. 104 a Rdnr. 15; Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 639; FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a 109 Rdnr. 1; Vogel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 87 Rdnr. 127; F. Kirchof, in: VVDStRL 52 (1993), S. 71 (75 ff.). 368 BVerfGE 32, 145 (156); 39, 96 (109); 55, 274 (300); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, vor Art. 104 a Rdnr. 16. 369 Zur tatsächlichen Bedeutung der staatlichen Finanzwirtschaft in Deutschland s. Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnrn. 89 ff. m. umfangr. statistischen Material. Instruktiv auch Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnrn. 16 ff. 370 So BVerfGE 55, 274 (300); 72, 330 (388); 86, 148 (264); Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 1; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GGKomm., 2. Aufl. 1999, vor Art. 104 a Rdnr. 27; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 3; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Vorb. zu Art. 104 a - 115 Rdnr. 16; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1054; Degenhart, Staatsrecht I, 16. Aufl. 2000, Rdnr. 193; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 44; ähnlich auch Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, 1968, S. 9.

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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Aufbaus und auch des Funktionierens dar; sie ist daher auch für das übrige Verfassungsgefüge von allerhöchster Bedeutung. Neben dem Verhältnis des Staates zum Bürger und der Aufteilung der politischen Wirkungsbereiche von Bund und Ländern ist die föderale Lastenverteilung ein zentraler Punkt im verfassungsrechtlichen Koordinatensystem. Dieses Hauptproblem der föderativen Ordnung führt auch nicht zufällig dazu, daß dem Bundesrat ein umfassendes Zustimmungsrecht zu denjenigen Bundesgesetzen zukommt, die das Finanzwesen betreffen. Letztlich hängt die Existenz des staatlichen Gemeinwesens unmittelbar von einer angemessenen, also in der Realität funktionierenden Verteilung ab. Es ist daher erklärtes Ziel der Artt. 104 a bis 109 GG, die Finanzmacht zwischen Bund und Ländern sachgerecht aufzuteilen. 371 Vor allem sichert eine hinreichende Finanzausstattung die eigene Staatlichkeit der Länder auch und gerade gegenüber dem Bund. 372 M. a. W.: „Ob ein bundesstaatlicher Aufbau ernst gemeint ist, zeigt sich nicht zuletzt an seiner Finanzverfassung." 373 „Das Maß der gliedstaatlichen Autonomie hängt weitgehend vom Grad der finanziellen Autarkie ab." 3 7 4 Die Finanzverfassung sichert somit auch die bundesstaatliche Aufgabenverteilung in finanzieller Hinsicht ab. Nach Art. 109 Abs. 1 GG sind Bund und Länder in ihrer Haushaltsführung rechtlich selbständig und voneinander unabhängig. Keine Ebene ist daher grundsätzlich verpflichtet, die andere Ebene finanziell zu unterstützen; m. a. W.: Ein finanzieller Deckungsvorrang de constitutione lata besteht nicht. 375 Vielmehr legt das GG mittels dieser Norm und des Art. 104 a Abs. 1 GG durch dieses vertikale Trennsystem ein eindeutiges Fremdfinanzierungsverbot fest. 376 Jede Seite darf grundsätzlich nur ihre eigenen Aufgaben finanzieren.

371

Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 60. BVerfGE 72, 330 (388); J.-P. Schneider,, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 4; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 31; Vogel/Waldhoff,\ in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 61; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Vorb. zu Art. 104 a - 115 Rdnr. 17; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 53; F. Kirchof, in: WDStRL 52 (1993), S. 71 (81); Hatje, NJ 1997, 285 (286). 373 Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 36. 374 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, § 42 I (S. 390). 375 So ausdrücklich z. B. Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGKomm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 1. 376 J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 5; F. Klein, in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993,1. Abschn. Rdnr. 8; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 35 f. 372

II. Anspruchsgrundlagen

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Diese rechtliche Unabhängigkeit hat jedoch keine tatsächliche wirtschaftliche Unabhängigkeit der einzelnen Haushaltswirtschaften zur Folge, vielmehr sind mannigfache Interdependenzen auszumachen,377 die im einzelnen hier nicht von Bedeutung sind. Der Grundsatz der Haushaltstrennung wird in nicht geringem Maße in den Bestimmungen des Art. 109 Abs. 2 bis 4 GG eingeschränkt und begrenzt: Bund und Länder haben den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes 378 Rechnung zu tragen (Abs. 2). Bund und Länder können durch Zustimmungsgesetze gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehijährige Finanzplanung aufstellen (Abs. 3). Schließlich wird der Bund ermächtigt, bestimmte Regelungen zur Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes zu erlassen (Abs. 4). Diese Norm entspricht insoweit dem Grundsatz des Art. 104 a GG, daß Bund und Länder die Ausgaben, die sich aus der jeweiligen Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, auch jeweils gesondert zu tragen haben. Dieser Grundsatz der Haushaltstrennung stellt sich als das erste strukturbildende Merkmal der bundesdeutschen Finanzverfassung im Föderalsystem des GG dar. Eng mit dieser Haushaltstrennung verknüpft ist die gleichfalls vom GG selbst vorgegebene Prämisse der grundsätzlichen Konnexität von Ausgaben und Aufgaben (dazu sogleich). Dabei ist die entscheidende Aufgabe einer jeden bundesstaatlichen Finanzverfassung die Verteilung der Einnahmen auf den Bund als Zentralstaatsebene und die Länder als Gliedstaatsebenen. Es gilt zu beachten, daß die Ausgabenzuständigkeit nicht nur Pflichten, sondern ebenso Rechte begründet. Wer zahlt, schafft an. 3 7 9 Mit der Berechtigung zur Finanzierung ist oftmals die Möglichkeit der Einflußnahme auf den Zahlungsempfänger und/oder die konkrete Verwendung der Mittel gegeben.380 In Zeiten knapper Kassen der öffentlichen Hand finden sich in diesem Bereich typischerweise negative Kompetenzkonflikte.

377 Statt aller Vogel, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 87 Rdnr. 15; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 14 f. 378 Hierzu etwa BVerfGE 79, 311 (338 ff.); Selmer, in: WDStRL 52 (1993), S. 10 (19 ff.). 379 So ausdrücklich Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 186; ähnlich Birk, in: AK-GG II, 2. Aufl. 1989, Art. 104 a Rdnr. 3: „Die Regelung in Art. 104 a GG ist Ausdruck der Maxime, daß deijenige, 'der die Musik bestellt, sie auch bezahlen soll'." Ferner F. Klein, in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993,1. Abschn. Rdnr. 7. 380 Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 17.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Verteilung der Aufgabenund Ausgabenkompetenzen zwischen Bund und Ländern ganz entscheidend die Kräfteverteilung im Bundesstaat prägt. Folgerichtig regelt das GG auch die beiden Komplexe: Zunächst erfolgt die Verteilung der Aufgaben und der mit ihnen verbundenen Ausgaben; danach weist das GG dem Bund und den Ländern die erforderlichen Einnahmen zu. Daß das Finanzverfassungssystem des GG einer umfangreichen und alsbaldigen Reform bedarf, ist ein seit langem in der Politik und in der Rechts- wie der Finanz- und Politikwissenschaft anerkannter Umstand. 381 Nicht zuletzt die Wiedervereinigung Deutschlands hat an den Grundfesten der deutschen Finanzverfassung gehörig gerüttelt und dieses System mehr oder minder aus den Fugen gebracht, jedenfalls aber enorme neue Probleme geschaffen. Die Rechtsprechung des BVerfG legt beredt Zeugnis von der Reformbedürftigkeit der Finanzverfassung ab. 382 Insbesondere der Länderfinanzausgleich stand und steht im Zentrum der verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Auseinandersetzungen. Es ist hier nicht der Ort, diese Diskussion nachzuzeichnen.

bb) Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG a) Ausgangsüberlegungen Staatliche Ausgaben entstehen durch die Erfüllung staatlicher Aufgaben. Es ist daher unabdingbar, daß neben der Aufgabenverteilung auch festgelegt wird, wer die mit der Erfüllung der Aufgaben verbundenen Lasten trägt, m. a. W., wie diese Lasten im Bundesstaat zu verteilen sind. Die staatliche Aufgabenverteilung im GG war von Beginn an lückenlos geregelt, wie etwa ein Blick auf die Artt. 30, 70, 83 GG zeigt, die unverändert geblieben sind. Die finanzielle Lastenverteilung hingegen war nur fragmentarisch kodifiziert, 383 obgleich eine klare Regelung für das föderale System Deutschlands von eminenter Wichtigkeit ist. 381

S. dazu mit umfangreichen w. Nachw. Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, insb. S. 60 ff; H. Hofmann, ZRP 1999, 465 ff.; zur neueren Reformdiskussion Vogel/Waldhoff,\ in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 263 ff; s. auch die zehn Vorschläge zur Reform des deutschen Föderalismus von Arndt, Benda, Dohnanyi, H.-P. Schneider, Süssmuth, Weidenfeld, ZRP 2000, 201 ff. (m. weiterführenden und umfangreichen Nachw. in FN 1 u. 2). 382 Vgl. zuletzt das Urteil des BVerfG vom 11.11.1999 (E 101, 158 ff.), in dem das Gericht die einzelnen Stufen der Finanzverteilung in der Finanzverfassung des GG in grundsätzlicher Weise darlegt. 383 Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1136.

II. Anspruchsgrundlagen Als eng mit Aufgaben- und Ausgabenverteilung verbunden stellt sich die Einnahmenverteilung dar, also die Aufteilung der staatlichen Einnahmen zwischen Bund und Ländern. Es ist evident, daß die sachgerechte Kodifikation dieser drei maßgebenden Bereiche der Finanzverfassung das A und Ο eines funktionierenden Föderalismus und damit des gesamten staatlichen Gemeinwesens darstellt. Diese drei verschiedenen Verteilungskreise bestehen nicht losgelöst voneinander, sondern bedingen sich in vielerlei und insbesondere in finanzwirtschaftlicher Hinsicht. 384 Konkreter formuliert: Zwischen Aufgabenverteilung, finanzieller Lastenverteilung und Einnahmenverteilung in einem Bundesstaat besteht eine logische Reihenfolge. 385 Dieser enge innere Zusammenhang bewirkt, daß ohne einen Rückgriff auf die Ausgabenverantwortung eine sachgerechte Verteilung der Einnahmen nicht durchgeführt werden kann. Die Fixierung der finanziellen Lastenverteilung ist das „Scharnier" 386 zwischen der Aufgabenverteilung zum einen und der Einnahmezuordnung zum anderen. Diese finanzverfassungsrechtliche Interdependenz wirft bei der Aufgabenverteilung auf die Schultern mehrerer Träger öffentlicher Gewalt im deutschen Bundesstaat hinsichtlich der daraus zwingend resultierenden Ausgaben Fragen auf, die wegen ihrer Wichtigkeit für das staatliche Gemeinwesen auf der Ebene des Bundesverfassungsrechts gelöst werden müssen. Die Verteilung der Aufgaben muß zwei gegensätzliche Tendenzen berücksichtigen und zu einem sachgerechten Ausgleich führen: Einerseits ist dem Bund als Zentralstaatsebene so viel Einfluß auf die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuzubilligen, daß trotz des föderalen Staatsaufbaus ein Minimum an gleichwertigen bzw. einheitlichen Lebensverhältnissen (s. Art. 72 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG, ferner Art. 104 a Abs. 4 GG) herbeigeführt wird. Andererseits dürfen die Länder nicht zu bloßen Verwaltungseinheiten des Bundes degenerieren, sondern müssen als Gliedstaatsebene so viele Aufgaben zur selbständigen Wahrnehmung überlassen bekommen, daß ihre Eigenstaatlichkeit nicht in Frage gestellt ist.

384

Statt vieler Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 1; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 1; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 14 f. 385 Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 15. 386 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 7.

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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β; Die Regelung vor 1969 Bis zur Finanzreform 1969 war die Verteilung der Ausgaben zwischen dem Bund und den Ländern in ihrer Gesamtheit nicht im GG kodifiziert. Die Konnexität zwischen Aufgaben und Ausgaben entsprechend der bundesstaatlichen Zuständigkeitsverteilung wurde als selbstverständlich vorausgesetzt. Art. 107 Satz 3 GG 1949 verband bereits Aufgaben mit Ausgaben bei der Steuerverteilung. 387 Dieser Gedanke der Konnexität lag nach allgemeiner Ansicht auch dem Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG 1955 zugrunde, der bestimmte, daß eine Änderung des Beteiligungsverhältnisses von Bund und Ländern an der Einkommen- und Körperschaftssteuer u. a. von der Prämisse auszugehen habe, daß der Bund und die Länder gesondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Über den bloßen Wortlaut hinaus ist die allgemeine Geltung dieses Finanzierungsprinzips anerkannt, wonach die Ausgabenlast mit der Aufgabenverantwortung unmittelbar korrespondiert. 388

γ) Die Lastenverteilung seitdem Das GG versucht seit der Finanzreform 1969 diese Fragen in seinem Art. 104 a Abs. 1 - jedenfalls dem Grundsatze nach - zu beantworten. „Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt." Art. 104 a Abs. 1 GG regelt seinem Wortlaut zufolge allein die Ausgabenidistenverteilung und läßt die Aufgabçnve rteilung unberührt bzw. setzt diese voraus. Eine Aufgabenkompetenzbegründung stellt die Norm mithin nicht dar. 389 Die Regelung vereinigt die Aufgabenzuständigkeit einerseits mit der Ausga387

Diese Vorschrift wird von Birk, in: AK-GG II, 2. Aufl. 1989, Art. 104 a Rdnr. 1, übersehen. S. Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 37 f. 388 Frühzeitig schon BVerfGE 9, 305 (328 f.); 26, 327 (390 f.). S. auch Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 5 u. Rdnm. 27 ff. m. w. Nachw.; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 17; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 51; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 61 ff. m. umfangr. w. Nachw. in FN 14; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 49 f.; Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, 1968, S. 14 ff. m. w. umfangr. Nachw. in FN 22 (16: verfassungsgestaltende Grundentscheidung); femer Sturm, DÖV 1968, 466 (467 f.); R. Groß, DÖV 1967, 163. 389 Unbestritten, s. nur F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 11; Carl, DÖV 1986,581.

II. Anspruchsgrundlagen benverantwortlichkeit andererseits unter der Prämisse, daß aus dem Aufgabenbestand unmittelbar die Finanzverantwortung folgt. Dieser allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz ist in Art. 104 a Abs. 1 GG i.V.m. Artt. 30, 83 GG kodifiziert. Die kategorische Formulierung im imperativen Präsens läßt an dem zwingenden Charakter der Verpflichtung keinerlei Zweifel. Diese eigentümliche und für die bundesdeutsche Finanzverfassung herausragend wichtige Verklammerung wird allenthalben als Konnexitätsgrundsatz bezeichnet. 390 Vermittels dieser Verwaltungsanknüpfung trägt jede Ebene ihre Ausgaben selbst, es sei denn, das GG bestimmt etwas anderes. „Jeder zahlt seine Aufgabenerfüllung selbst." 391 Oder pejorativer: „Den ausführenden Arm beißt der Kettenhund." 392 Die Ausgabenlast folgt kraft dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe der Aufgabenverantwortung. Gleichzeitig geht die Norm unausgesprochenerweise von einer Aufgabenpriorität aus, da erst an die jeweilige Aufgabe finanzielle (Folge-) Lasten geknüpft werden und nicht etwa von einer Ausgabenlast auf das Bestehen einer Aufgabe geschlossen werden könnte. 393 Das Konnexitätsprinzip, wie es seine Ausgestaltung in Art. 104 a Abs. 1 GG gefunden hat, setzt mithin eine genaue Aufgabenverteilung voraus und knüpft an diese dann als Rechtsfolge eine Finanzierungsverantwortlichkeit. Art. 104 a Abs. 1 GG wird regelmäßig als Basisnorm im Bundesstaat eingestuft, 394 die nicht zufallig auch an der Spitze der verfassungsrechtlichen Bestimmungen über das Finanzwesen steht und damit den X. Abschnitt des GG

390 Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 19; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GGKomm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 1; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 3; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 10; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 5; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 21 Rdnr. 7; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 48; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 60; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 189; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 35 („Konnexitätsprinzip i. e. S."); Häde, JA 1994, 1 (2); Carl, DÖV 1986, 581. 391 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 9. 191 Beaucamp, JA 1998, 774. 393 S. nur Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 60; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnrn. 189 u. 204. 394 Dazu Erichsen, Zur Konnexität von Aufgaben und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, 1968, insb. S. 37 ff.; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997; S. 63.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

über das Finanzwesen einleitet. 395 Denn sie normiert die Verteilung der Ausgabenlasten und damit einen der heikelsten und empfindlichsten Punkte im Föderalverhältnis von Bund und Ländern. Dem einfachen Bundes- und Landesgesetzgeber sind entgegenstehende Regelungen zur Aufteilung der Finanzierungsverantwortung aufgrund des Vorranges der Verfassung verwehrt. 396 Auch ist eine Abweichung von diesem Grundsatz auf vertraglicher Ebene durch die betroffenen Hoheitsträger nicht möglich. 397 Der Begriff der „Aufgabe" in Art. 104 a Abs. 1 GG beschreibt regelmäßig die Verwaltungskompetenz. Aufgabe heißt Verwaltungsaufgabe, d. h. gemeint ist die Verteilung der Verwaltungskompetenzen und nicht der Gesetzgebungskompetenzen.398 Dieser Grundsatz stellt eine „gleichsam kostenrechtliche Ergänzung des grundgesetzlichen Systems der Länder- und der Bundesverwaltung (Artt. 83 ff. GG)" dar. 399 Dies ergibt sich eindeutig aus den Materialien des Finanzreformgesetzes von 1969. 400 Dieser Grundsatz ist weitgehend un395 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 3; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 4; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 189. 396 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 13. 397 So ausdrücklich Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (426 u. 427 u. 428 f.). 398 BVerfGE 26, 338 (390); BVerwGE 44, 351 (365); BGH NJW 1987, 1625 (1627); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 4; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 10 f.; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 4 f.; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 54; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 40; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 2; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 28; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1137; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 21 Rdnr. 7; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 52 ff; Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, 1968, S. 37; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 102; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 38 ff. u. 47; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 190; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (422); Häde, JA 1994, 1 (2); Beaucamp, JA 1998, 774; letztlich auch Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 180 f. Die vereinzelt gebliebene zeitlich überholte Gegenansicht von Friedrich Klein, Verfassungsrechtliche Grenzen der Gemeinschaftsaufgaben, 1961, der einen Schluß von der Gesetzgebungskompetenz auf die Verwaltungshoheit ziehen wollte, kann hier vernachlässigt werden. Umfangreich zur Auslegung des Begriffs der „Aufgabe" Trapp, aaO., S. 67 ff. 399 BVerwG BayVBl. 1980,473 (475). 400 Stellungnahme der Bundesregierung BT-Drucks. V/2861, Tz. 115: „Als Folge der bundesstaatlichen Verfassung ergibt sich daher aus der vollen Verwaltungszuständigkeit der Länder auch die volle Finanzverantwortung für die Ausführung dieser Bundesgeset-

II. Anspruchsgrundlagen

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bestritten, auch wenn er sich nicht direkt aus der Regelung des Art. 104 a Abs. 1 GG ergibt, der die „Aufgaben" nicht näher definiert. 401 Die Länder haben neben den Kosten für das Verwaltungspersonal und die Verwaltungseinrichtungen auch die Zweckausgaben, also die materiellrechtlichen, sich aus der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben ergebenden Ausgaben zu tragen, es sei denn grundgesetzlich ist etwas anderes bestimmt (Art. 104 a Abs. 1 letzter HS GG). Dies ist unschwer dem gesamten systematischen Aufbau des Art. 104 a GG sowie einem Umkehrschluß aus dem Art. 104 a Abs. 2 GG zu entnehmen.402 Dabei sind grundsätzlich sämtliche Kosten, die mit dem Gesetzesvollzug verbunden sind, umfaßt. Die Länder müssen also für den Aufgabenvollzug geradestehen. 403 Die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Gesetzgebung ist für die Finanzierungsverantwortung hingegen ohne rechtlichen Belang. Die Gesetzgebungszuständigkeit verursacht nur Kosten während des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens, die Gesetzeskostenfolgen treten in aller Regel erst bei der Ausführung der Gesetze auf. 404 Die Beurteilung, welche Angelegenheiten Ländersache und welche Bundessache sind, ist der Aufgabenverteilung des GG selbst zu entnehmen. Danach ist die Verwaltung nach Artt. 83, 84 GG regelmäßig Ländersache. Sonderregelungen des GG 4 0 5 bleiben von dieser Spitzennorm unberührt. Da die Länder die Bundesgesetze nach Art. 84 Abs. 1 GG grundsätzlich als eigene Angelegenheit ausführen, obliegt ihnen prinzipiell auch die Kostentragungspflicht hierfür. Die Bestimmung bildet eine stabile finanzwirtschaftliche Ordnung und trägt dazu bei, innerstaatliche Reibungsverluste zu verringern. Ferner gilt es, im Zusammenspiel mit dem Anspruch auf eine angemessene Beteiligung an den Einnahmen die finanzielle Unabhängigkeit und Selbständigkeit beider gliedstaatlicher Ebenen zu sichern, ein Grundgedanke, welcher dem gesamten bundesze." S. auch Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 40; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 21 Rdnr. 7. 401 Einzelheiten zur Auslegung des Begriffs „Wahrnehmung ihrer Aufgaben" in Art. 104 a Abs. 1 GG bei Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 67 ff. 402 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 40; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 30. 403 Statt aller Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 6; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 2; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (422); Hatje, NJ 1996,285 (286). 404 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 57; Schoch, ZRP 1995, 387 (388). 405 Zu diesen sogleich.

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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staatlichen Finanzverfassungssystem zugrunde liegt. Nicht zuletzt sollen durch diese Verwaltungsanknüpfung klare Verantwortlichkeiten erreicht und durch die Verbindung von Aufgabenzuständigkeit und Ausgabenverantwortung in einer Hand Anreize für eine wirtschaftliche Haushaltsführung geschaffen werden. 406 Art. 104 a Abs. 1 GG enthält nicht nur eine Verpflichtung zur Kostenübernahme, sondern umgekehrt auch ein Verbot der Finanzierung von Aufgaben der jeweils anderen Gebietskörperschaft. 407 Dies gilt indes nur im Verhältnis von den Ländern zum Bund, nicht für das der Länder untereinander. 408 Das Konnexitätsprinzip sowie auch die weiteren finanzverfassungsrechtlichen Regelungen des Art. 104 a GG regeln ausschließlich die Aufteilung der Finanzierungsverantwortung und -Verteilung im intrastaatlichen Innenverhältnis zwischen Bund und Ländern. Das Außenverhältnis von Staat und Bürger bleibt hiervon unberührt. 409 Gleichfalls unberührt bleibt auch eine mögliche einfachgesetzliche Kostenabwälzung auf einen privaten Dritten, deren Zulässigkeit sich jedenfalls nicht nach Art. 104 a GG richtet. Der Konnexitätsgrundsatz ist eigentlich im Bundesstaat selbstverständlich und kaum problematischer Natur, wenn Gesetzgebungskompetenz und Verwaltungskompetenz zusammenfallen. 410 In einem solchen Fall - wie z. B. bei der Ausführung von Landesgesetzen durch Landesbehörden - kann nur die betei-

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Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 37 ff.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 191. S. auch Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 3; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 20. 407 BVerfGE 86, 148 (215); BGH NJW 1987, 1625 (1627); BVerwG DÖV 1989, 640 - std. Rspr; aus dem Schrifttum Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 25; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 12; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnm. 48 u. 52; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 8; F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 10; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 48; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 34 ff. A.A.: Carl, DÖV 1986, 581 jedenfalls für den Bereich der sektoralen Wirtschaftsforderung. 408 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 26; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 53; Brockmeyer, in: Schmidt-B leibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 6. 409 In diesem Sinne BVerwGE 95, 188 (195); v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 1; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (426). 410 Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 21 Rdnr. 7; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 42 f.; Grote, JZ 1996, 832 (833).

II. Anspruchsgrundlagen ligte Ebene diese Aufgaben wahrnehmen und daher die verursachten Ausgaben tragen. Zweifelsfragen ergeben sich dann, wenn die konkrete Verwaltungszuständigkeit nicht mit der dazu „passenden" Gesetzgebungszuständigkeit einher geht, also die verwaltungsmäßige Umsetzung einer Gesetzesmaterie nicht ausschließlich einer staatlichen Ebene zugeordnet ist. Dies ist typischerweise bei Bundesgesetzen der Fall, wie ein Blick auf Artt. 83, 84 GG zeigt: Das Schwergewicht der Gesetzgebung liegt nach wie vor beim Bund, der seither seine Kompetenzen umfassend genutzt hat; 411 das Schwergewicht der Verwaltungstätigkeit hingegen liegt nach wie vor bei den Ländern, eine von der Verfassung nicht zwingend vorgesehene föderale Aufgabenteilung. Rechtstatsächlich ist es seit vielen Jahren in Deutschland so, daß ein großer Anteil der Länderhaushalte durch Ausgaben festgelegt wird, die in Bundesgesetzen angeordnet werden. Diese Kostentragungspflicht bei öffentlichen Aufgaben gilt zunächst umfassend. Insbesondere gilt sie unabhängig davon, ob der Bund von seinen Ingerenzrechten (Art. 84 Abs. 2 bis 5 GG) Gebrauch macht oder ob es sich um gebundene oder gesetzesfreie Verwaltung handelt. 412 Denn bei einer nicht durch Gesetz gesteuerten Verwaltung kann sich eine Kostentragungspflicht einzig aus der Verwaltungszuständigkeit und -ausfuhrung ergeben, da kein kostenverursachendes Gesetz vorhanden ist. 413 Die Finanzverfassung allgemein und die Grundnorm des Art. 104 a GG im besonderen behandeln die Gemeinden und Gemeindeverbände als Bestandteile der Länder, auch wenn sie, wie etwa in Art. 104 a Abs. 4 GG, gesondert angesprochen werden. Es wird von einem zweistufigen Staatsaufbau ausgegangen, die Gemeinden zählen zum Verfassungsrechtskreis der Länder. 414 Das GG ver411 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf den extensiven Gebrauch der Gesetzgebungskompetenzen auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung, begünstigt durch die lange Jahre hinweg praktisch leerlaufende Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG; vgl. dazu Nierhaus/Janz, ZG 1997, 321 (324 ff.). Bereiche, die hier noch den Ländern vorbehalten sind, sucht man weitgehend vergebens. 412 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 3. 413 Eindeutig, s. nur v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 13. 414 BGH NJW 1987, 1625 (1627); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, vor Art. 104 a Rdnr. 10; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 6; Vogel/Waldhof in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 48; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 68; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a - 109 Rdnr. 3; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnrn. 3, 18 u. 31 f.; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1053 f.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 51; U. Stelkens,

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

teilt demnach die Finanzierungszuständigkeiten nur zwischen Bund und Ländern. Die Gemeinden sind insofern Teil der Bundesländer. Ob innerhalb eines Landes eine Zuständigkeit der Gemeinden begründet wird, ist unerheblich, da einschlägiges Landesrecht nicht entgegenstehendes Bundesrecht (vgl. Art. 31 GG) verdrängen kann. Die Überschrift des II. Abschnitts des GG sowie der Wortlaut des Art. 106 Abs. 9 GG lassen daran keinen Zweifel. Ferner ergibt sich dieser Grundsatz auch aus einem Umkehrschluß aus Art. 104 a Abs. 4 GG, in welchem Ausnahmefalle determiniert sind, bei denen ausnahmsweise der Bund Aufgaben der Länder einschließlich solcher der Gemeinden mitfinanzieren darf.

δ) Exkurs: Lastenverteilung und Mischfinanzierung Bundesaufgaben sind nach der Lastenverteilungsnorm des Art. 104 a Abs. 1 GG zunächst ausnahmslos aus Bundesmitteln, Landesaufgaben aus Landesmittel zu bestreiten, gleich um welche Verwaltungsart es sich handelt. Einer Mischfinanzierung dergestalt, daß der Bund Landesaufgaben finanziert oder umgekehrt - er die Länder zur Finanzierung von Bundesaufgaben heranzieht, wird hiermit zunächst eine klare Absage erteilt, wenn nicht das GG sie für einen bestimmten Bereich der Verwaltung zugelassen hat. 415 In concreto bedeutet dieses Verbot, daß keiner Gebietskörperschaft jenseits ihrer konkreten Aufgabenzuständigkeit eine Finanzierungskompetenz zuwächst. Hintergrund dieser grundgesetzlichen Entscheidung ist folgender: Eine wie auch immer im Einzelfall ausgestaltete Mischfinanzierung, d. h. eine Beteiligung des Bundes an Aufgaben der Länder, entlastet zwar auf der einen Seite die Länder häufig in beträchtlicher finanzieller Höhe, aber es verbindet sich damit immer auch eine Schmälerung der Entscheidungskompetenzen der Län-

Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 36; F. Klein, in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993,1. Abschn. Rdnr. 75; Η Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (516 FN 59). 415 BVerfGE 26, 338 (390 f.); BVerwGE 44, 351 (363); BGH NJW 1987, 1625 (1627); Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 3; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 17; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 3; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 217; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 48; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (503 f.); Carl, DÖV 1986, 581 (582). Beachte aber die vom GG selbst in Artt. 91 a und b vorgesehenen Ausnahmen vom Konnexitätsprinzip; dazu unten E. II. 3. e) cc) β) δδ).

II. Anspruchsgrundlagen

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der. 416 Die Verantwortung der Länder wird schleichend ausgehöhlt und damit letztlich die Partizipation der Länder an dem bundesstaatlichen Gemeinwesen geschwächt mit der Folge, daß dem Bund kompetenzwidrige Einflußnahmen möglich sind. 417 „Wer zahlt, schafft an", ist nicht zufällig eine Parömie, welche auch im Finanzverfassungsrecht ihre Berechtigung hat. Daneben sind auch die Zuständigkeitsbereiche der Länder unter- und nebeneinander streng zu unterscheiden. Eine finanzielle Einflußnahme „reicher" auf „arme" Länder schadet gleichfalls dem Föderalismus, weil auch hier Einflußnahmen nicht auszuschließen, wenn nicht gar überwiegend gegeben sind. 418 Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die Finanzierung von Aufgaben ein Mittel der politischen Einflußnahme und Gestaltung sein kann und häufig auch ist. 419 Insoweit ist die Finanzierungs-„last" durchaus auch eine Finanzierungs„lust", zumal ein freiwilliger Verzicht auf Gestaltungs- und Einwirkungsmöglichkeiten der „freiwillig" und unter Umgehung der Finanzierungslastregel des Art. 104 a GG leistenden Gebietskörperschaft die Ausnahme bildet. 420 Eine Erosion der Verwaltungshoheit der Länder ist - wenn auch nicht zwingend in besorgniserregender Höhe - regelmäßig die Folge. Häufig ist länderseits eine Ablehnung von Finanzierungsangeboten des Bundes schon aus pragmatischpolitischen Gründen kaum möglich. 421 Diese Einflußnahme hat auch terminologische Konsequenzen. Besteht - wie etwa nach Art. 104 a Abs. 1 GG - eine Pflicht zur Kostentragung einer staatlichen Ebene, so wird charakteristisch von Ausgaben- oder Finanzierungslast gesprochen, wohingegen bei einer freiwilligen Kosten(mit)tragungsmöglichkeit

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Vogel/Waldhoff, in: BK, vor Art. 104 a Rdnr. 56; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 14; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 49. 417 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 17. 418 Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 49, verweist auf die Hilfeleistungen der alten für die fünf neuen Bundesländer und die damit einhergegangene Übernahme des jeweiligen Verwaltungs- und Regierungssystems. 419 Eine krasse Fehleinschätzung liefert Luther, Die Lasten Verteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 56 f. Ihm zufolge wird das Bestreben der Beteiligten bei mischfinanzierten Aufgaben immer dahin gehen, den eigenen Anteil möglichst gering zu halten. Luther erachtet außerdem die Mischfinanzierung gerade deswegen als unzweckmäßig und nicht den bundesstaatlichen Erfordernissen entsprechend. Den tatsächlichen Gegebenheiten wird diese Sichtweise nicht gerecht. 420 Vgl. v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnrn. 14 f.; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 2; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (428). 421 Dies erkennt auch das BVerfG, E 41, 291 (308). 27 Janz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

der Terminus Finanzierungsbeftignis zur Anwendung gelangt. Neutral verhalten sich die Begriffe Finanzierungsverantwortung bzw. -kompetenz. 422 Neben dem Schrumpfen der exekutiven Macht der Länder droht eine administrative Kompetenzvermengung, welche eine eindeutige Zuordnung unmöglich macht (Stichwort der Verantwortungsvermischung) 423 Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die Länder Kompetenzen und eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten durchaus nicht gezwungenermaßen, sondern oftmals neben den verfassungsrechtlichen Mischformen auch durch freiwillige Koordinierung zwischen den Ländern oder zwischen den Ländern und dem Bund angegeben haben, sei es durch Staatsverträge, Verwaltungsabkommen, Abstimmungen in Ministerkonferenzen oder länderübergreifende Fachausschüsse.424 Es entstand ein „Beteiligungsföderalismus statt Gestaltungsföderalismus in den Ländern". 425 Auf diesbezügliche Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden, da sie für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit irrelevant sind.

z) Kritik am Konnexitätsgrundsatz Die AusgabenVerantwortung folgt regelmäßig der Aw/ga£e/7verantwortung. Ob diese Regel des Art. 104 a Abs. 1 GG, die Finanzierungskompetenz an die Verwaltungskompetenz anzuseilen, immer und jederzeit zu verfassungspolitisch gewünschten, ausgewogenen und letztlich dem Gebot materieller Gerechtigkeit entsprechenden Lösungen führt, ist im einschlägigen staatsrechtlichen Schrifttum höchst umstritten; an Änderungsvorschlägen mit dem Ziel der vollständigen Beseitigung oder jedenfalls teilweisen Einschränkung des Konnexitätsprinzips und somit einer umfassenden Strukturreform der Finanzverfassung herrscht wahrlich kein Mangel 4 2 6 Bezeichnenderweise hat sich 1996 auch der 61. Deutsche Juristentag mit einer Reform des Art. 104 a GG beschäftigt. 427

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Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 41 m. w. Nachw. in FN 1. 423 Dazu H; Hoftnann, ZRP 1999,465 (466 f.) m. w. Nachw. 424 Darauf weist zutreffend Teufel, Föderalismus in Deutschland, 1999, S. 11 (15), hin. 425 Teufel, aaO., S. 13. 426 Vgl. umfassend Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997. S. z. B. auch die kritische Würdigung des Art. 104 a GG bei Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnm. 44 ff.; femer Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnm. 160 ff.; Heitsch, Die Ausführung der Bundes-

II. Anspruchsgrundlagen Insbesondere wenn der Bund großzügig Leistungsgesetze erläßt, die der Regierungskoalition die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit verschaffen, den Bund aber nichts kosten („Ausgabenwegdrückungsmechanismus"), erscheint der Konnexitätsgrundsatz in dem dargestellten Rahmen jedenfalls in rechtspolitischer Hinsicht zweifelhaft. 428 Gleiches gilt, wenn sich der Bund immer mehr aus bisherigen Leistungsniveaus zurückzieht und damit sowohl die Länder als auch die Kommunen zusätzlich belastet, etwa indem er Zahlungen an Rentner oder Arbeitslose reduziert und diese daher bestimmte Leistungen nicht weiter erhalten mit der unmittelbaren Folge, daß sich die Anforderungen an die Sozialhilfe vermehren 429 Ferner wird es nicht als sachgerecht empfunden, wenn der Bund zwar einerseits Geldleistungsgesetze teilweise derart „durchnormiert", daß die (landes-) behördlichen Gestaltungsmöglichkeiten gegen Null tendieren und keine (nennenswerten) Ermessensspielräume bestehen, andererseits trotz der beim (Bundes-) Gesetzgeber liegenden Aufgabenverantwortung (Art. 104 a Abs. 1 GG!) ihm nicht die Tragung der Zweckausgaben obliegt. Länder- und Kommunalverwaltungen werden zu überwiegend mechanischen Rechtsanwendungstätigkeiten eingesetzt, wobei durch die minutiös vorgegebene Gesetzesanwendung die verschärften Instrumente und Maßstäbe des Art. 85 GG überflüssig und vermieden werden. 430 Der Schutz durch die Mitwirkung des Bundesrates an der Gesetzgebung ist nur beschränkt, da die bloße Belastung der Länder durch die entstehenden Kosten ein Gesetz - mit Ausnahme der Fälle des Art. 104 a Abs. 3 GG - nicht zustimmungspflichtig werden läßt. 431 Auch ohne eine solche Absicht können sich (Fehl-) Entwicklungen in einzelnen Gesetzesbereichen ergeben, wie der Blick

gesetze durch die Länder, 2001, S. 351 ff.; Schock, ZRP 1995, 387 ff.; Grote, JZ 1996, 832 ff. 427 Empfehlen sich Maßnahmen, um in der Finanzverfassung Aufgaben und Ausgabenverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden stärker zusammenzuführen?, Gutachten D zum 61. DJT 1996, D 80 ff. S. auch Grote, JZ 1996, 832 ff. 428 Es ist hier ζ. B. auf den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nach § 24 Satz 1 SGB VIII für Kinder ab drei Jahren bis zur Schulpflichtigkeit zu verweisen; vgl. Grote, JZ 1996, 832 (835); ferner Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 21 Rdnr. 8. 429 Zum sog. Niedersachsenplan, der zum Inhalt hatte, daß der Bund die Länder und Gemeinden von 50 Prozent der Kosten der Sozialhilfe entlasten sollte, s. F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (505 ff.). 430 So z. B. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 212; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 161. 431 Hierauf weist F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 12, hin.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

auf die Sozialhilfe zeigt, wo durch die Langzeitarbeitslosigkeit den Kommunen extrem hohe finanzielle Lasten aufgebürdet sind. 432 Kernpunkt der Kritik ist, daß die ggf. erheblichen Folgekosten von Bundesgesetzen nicht dem jeweiligen Gesetzgeber zur Last fallen, also eine eigentliche Verursacherregelung keinen Platz greift. Die Diskrepanz von Aufgabenverursachung einerseits und Ausgabenverantwortung andererseits gerät zunehmend mehr in die Kritik. Jedenfalls hat das GG bei der Abgrenzung der Finanzzuständigkeiten von Bund und Ländern eine klare handhabbare Lösung determiniert. 433 Ob de constitutione ferenda eine andere Kostentragungsregelung angemessener, zeitgemäßer und/oder gerechter wäre, soll hier dahingestellt bleiben. Für eine Korrektur dieser GG-Entscheidung ist eine Verfassungsänderung unabdingbar. 434 Diese Arbeit ist nicht der Ort für entsprechende legislatorische Überlegungen. Andernorts findet sich reichlich Material hierzu. 435

cc) Durchbrechungen des Konnexitätsprinzips a) Grundsätzliches Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG gilt im bundesstaatlichen Gefüge bereits nach dem Wortlaut der Norm nicht ausnahmslos („ ..., soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt."). Es sind verschiedene Ausnahmen bzw. Durchbrechungen des Verbots der Mischverwaltung im GG kodifiziert, teilweise im Art. 104 a GG selbst, teilweise auch andernorts. Von dem Grundsatz des Art. 104 a Abs. 1 GG kann nur auf verfassungsrechtlicher Ebene abgewichen werden, einfachgesetzliche Regelungen scheiden aus, so daß eine gemeinsame Lastentragung von Bund und Ländern immer einer besonderen verfassungsrechtlichen Grundlage bedarf.

432 Vgl. Schoch, ZRP 1995, 387 (389 f.); femer Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Vorb. zu Art. 104 a - 115 GG Rdnr. 9; Grote, JZ 1996, 832 m. w. Nachw. in FN 4. 433 Das mitunter diffizile Auseinanderhalten von Verwaltungs- und Zweckausgaben sei hier unberücksichtigt; s. dazu E. II. 3. e) cc) γ). 434 Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 214. 435 Vgl. Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte Aufgaben, 1995; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnm. 213 ff.; Grote, JZ 1996, 832 ff.

II. Anspruchsgrundlagen β) Einzelne Regelungen Es finden sich Durchbrechungen der Verwaltungsanknüpfung für bestimmte Verwaltungsbereiche in den Absätzen 2 bis 4 des Art. 104 a GG, in Artt. 91 a und b sowie 120 GG. Bei allen diesen Materien wird der Bund mangels einer Aufgabenkompetenz mischverwaltend und damit jenseits des Konnexitätsprinzips des Art. 104 a Abs. 1 GG tätig. Es handelt sich dabei um höchst unterschiedliche Regelungsbereiche, die sich einer Systematisierung entziehen und daher im folgenden entsprechend ihrer grundgesetzlichen Reihenfolge kurz skizziert werden sollen. Diese Regelungen bilden kein einheitliches, in sich geschlossenes System, erst recht kein einheitliches Prinzip, welches vom Konnexitätsgrundsatz des Art. 104 a Abs. 1 GG abweicht. 436 Sie bilden vielmehr einen bunten, heteronomen Reigen von Abweichungen verschiedener Intensität, die ζ. T. auch noch in die Zuständigkeit des einfachen Gesetzgebers gelegt sind.

αα) Bundesauftragsverwaltung, Art. 104 a Abs. 2 GG (1) Inhalt und Reichweite der Regelung Art. 104 a Abs. 2 GG trifft die Kostenlastregel, daß der Bund für die Bereiche der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG die sich aus dem Gesetzesvollzug ergebenden Ausgaben trägt. Es besteht insoweit eine Finanzierungsverantwortung des Bundes, der er sich einfachgesetzlich nicht entziehen kann. 437 Auch diese Vorschrift wurde als Bestandteil der Regelung des Art. 104 a GG durch die Finanzreform im Jahre 1969 in das GG eingefügt. Bis dahin enthielt das GG keine Vorschrift über die Lastenverteilung bei der Bundesauftragsverwaltung. 438 Nach überwiegender Ansicht wurden auch schon damals

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Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im BundLänderverhältnis, 1968, S. 41. 437 Einfachgesetzliche Kostenerhebungsnormen wie ζ. B. § 21 a AtomG, dem zufolge für die Benutzung der in Rede stehenden Anlagen kostendeckende Gebühren und Auslagen von dem Ablieferungspflichtigen zu erheben sind, können an der internen Bund-Länder-Finanzierungskompetenz nichts ändern, da sie als zwingende Vorgabe nicht abdingbar ist. Sie betreffen ausschließlich das Verhältnis des Bürgers zum Staat. 438 Die Regelung des Art. 121 Ch. E., wonach der Bund u. a. die Kosten einer Verwaltung zu tragen hatte, „die die Länder nach den Weisungen des Bundes führen", d. h. einer der Bundesauftragsverwaltung vergleichbaren Verwaltungsform, wurde nicht in das GG übernommen.

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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„die sich aus der Bundesauftragsverwaltung ergebenden Kosten" vom Bund getragen. 439 Nach dem Grundsatz des Art. 104 a Abs. 1 GG müßten die Länder auch bei der Bundesauftragsverwaltung alle anfallenden Kosten gleich welcher Provenienz selbst tragen, da die Bundesauftragsverwaltung eine Form der Landesverwaltung - und nicht etwa eine Bundesverwaltung - ist und das Prinzip der Verwaltungsanknüpfung damit die Verwaltungslast auf den Schultern der Länder beläßt. 440 Es ist eine verfassungsrechtliche Entscheidung, die „sich ergebenden Ausgaben" vom Bund tragen zu lassen - auch und gerade in Hinblick auf die teilweise sehr kostspieligen betroffenen Verwaltungsbereiche wie etwa die Fernstraßenverwaltung; 441 ein irgendwie gearteter verfassungsrechtlicher Zwang hierzu besteht von Verfassungs wegen jedenfalls nicht. 442 Wird die spezielle Regelung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG betrachtet, wonach der Bund und die Länder die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben zu tragen haben, so besteht bei der Bundesauftragsverwaltung eine Finanzierungspflicht des Bundes, soweit es sich um die mit dem Gesetzesvollzug verbundenen sogenannten Zweckausgaben443 handelt. Diese Zweckausgaben fallen danach dem Bund zur Last, nur die Verwaltungskosten verbleiben nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 1. HS GG beim Land, weil es als Träger der Verwaltungskompetenz (vgl. Artt. 83, 84 GG) für den Personal- und Sachapparat, der für die Durchführung der Verwaltungsaufgaben bereitzustellen ist, verantwortlich zeichnet. 444 Hinsichtlich dieser Verwaltungskosten stehen dem Bund nämlich keinerlei Ermächtigungen für Einrichtungen, Verfahren und Personalausstattung der jeweiligen Landesbehörden zu, so daß hier der

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S. nur Maunz, in: ders./Dürig, Art. 106 Rdnr. 16 (Erstbearb.); Sturm, DÖV 1968, 466 (470). Vgl. auch Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 83 ff. 440 S. o. C. III. 441 So zutreffend Birk,, in: AK-GG II, 2. Aufl. 1989, Art. 104 a Rdnr. 11. 442 So auch v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 29; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (423). 443 Einzelheiten zu diesem Begriff unten E. II. 3. e) cc) γ). 444 Sehr instruktiv Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (422 ff.); s. femer FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 12; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 73; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 4; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 45; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 85; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 49.

II. Anspruchsgrundlagen

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Grundsatz des Abs. 1 zu Lasten der Länder Anwendung findet. 445 Es bedarf also bei der Bundesauftragsverwaltung immer einer genauen Unterscheidung zwischen den Verwaltungskosten im engeren Sinn und den übrigen Zweckausgaben. Der Bund wird als „Veranlasser" 446 letztlich aller Kosten herangezogen. Die Eigenständigkeit der Länder ist in den Bereichen auftragsweiser Verwaltung deutlich durch die Bundesingerenzen sowie den Aufsichtsmaßstab (Rechtsund Fachaufsicht) begrenzt. Dem Bund steht zwar kein Recht zur Ersatzvornähme 447 zu, wohl aber vermag er die Länder eng an seinen Willen zu binden, auch und gerade weil sich Weisungen auf die gesamte Vollzugstätigkeit des Landes erstrecken können. Das prinzipiell unbeschränkte und insbesondere nicht auf etwaige Ausnahmefalle reduzierte Weisungsrecht stellt sich dabei als die signifikanteste Ausformung der im Normalfall ruhenden Sachkompetenz des Bundes bei dem Verwaltungsvollzug nach Art. 85 GG dar. Der Vollzug einer Bundesweisung ist gem. Art. 85 Abs. 3 Satz 3 durch die obersten Landesbehörden sicherzustellen. Damit wird die Eigenständigkeit der Länder deutlich begrenzt. Auch wenn diese Ingerenzen und insbesondere das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG nicht ständig aktualisiert werden, schaffen sie doch eine jederzeit aktualisierbare verfassungsrechtliche Verantwortungsverschiebung, die sich in manifester Form vom Regelvollzug nach Artt. 83, 84 GG abhebt und schlußendlich eine entsprechende Modifikation der Lastenverteilungsregel des Art. 104 a Abs. 1 GG rechtfertigt. 448

445 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 9; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (504). 446 So treffend Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 13. 447 S. o. D. VI. 7. 448 Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 62 f.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 205; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (423 f.); Beaucamp, JA 1998, 774; Grote, JZ 1996, 832 (833). Keine Rechtfertigung erhält diese Lastenverteilungsregel aus dem Umstand, daß der Bund das Gesetz erlassen und die Ausgaben durch das Gesetz vorgeschrieben hat (so aber ausdrücklich Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 89). Denn selbstverständlich ist der Bund Urheber aller seiner Gesetze, auch derer, die nach dem Regelfall der Lastenverteilung gem. Art. 104 a Abs. 1 GG von den Ländern eigenverantwortlich ausgeführt und finanziert werden. Ein Anknüpfen an die Gesetzgebungskompetenz ergibt hinsichtlich der Lastenverteilung im Bundesstaat keinen Sinn.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Die Regelung soll die finanzverfassungsrechtliche Kehrseite der durch die weitgehenden Weisungsbefugnisse bedingten Kostenverursachung bilden. 449 Angesichts der in nur wenigen Verwaltungsbereichen gehäuft festzustellenden Bundesweisungen und darüber hinaus deren zumindest zweifelhaften geldlichen Auswirkungen erscheint diese Begründung gleichwohl nicht ganz schlüssig. 4 5 0 Terminologisch zutreffend kann von der „letzten Verwaltungsverantwortung" gesprochen werden. 451 In den Bereichen, die einer bundesauftragsweisen Verwaltung unterliegen, trägt der Bund also aufgrund des zwingenden Charakters der Vorschrift des Art. 104 a Abs. 2 G G 4 5 2 grundsätzlich die vom Landesgesetzesvollzug ausgelösten finanziellen Belastungen, gleich ob er sich seiner Steuerungs- und Ingerenzmittel des Art. 85 Abs. 2 bis 4 GG bedient oder nicht. 453 Möchte der Bund in einem bestimmten Fall die Kostentragungspflicht für eine bestimmte Maßnahme eines Landes im Bundesgesetzesvollzug vermeiden, muß er frühzeitig, also vor dem eigentlichen Landeshandeln, steuernd auf die jeweilige oberste Landesbehörde einwirken und insoweit die erwünschte Maßnahme (oder auch das Unterlassen eines konkreten Handelns) anweisen. Verpaßt der Bund diese frühzeitige Determinierung des Landeshandelns, so „kann er dies später, auf der nachfolgenden Ebene der Kostentragung und Finanzverantwortung, nicht mehr kompensieren und eigene Zweckmäßigkeits- und Angemessenheitsbeurteilungen nicht mehr mittels einer Entscheidung über die Kostenübernahme gewissermaßen nachholen." 454 Dem Bund ist also ein nachträgliches Entziehen aus der Kostenverantwortung von Verfassungs wegen verwehrt.

449 So schon die Gesetzesbegründung BT-Drucks. V/2861, Tz. 116 u. 290; Sturm, DÖV 1968, 466 (475); Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 4; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 29; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 70; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 9: „Derjenige, der das Weisungsrecht hat, muß auch die Ausgabenverantwortung haben." Die Schlüssigkeit dieser Behauptung ist zweifelhaft. 450 Kritisch in diesem Zusammenhang auch Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 72, die indes eine wesensmäßige Verwandtschaft mit den Einwirkungsrechten des Bundes bei der Landeseigenverwaltung nach Artt. 83, 84 GG als ausschlaggebend erachten, was letztlich auch nicht zu überzeugen vermag, da das kraftvolle Weisungsrecht des Art. 85 Abs. 3 GG mit dieser Sichtweise nicht angemessen berücksichtigt wird. 451 Bundesregierung in BT-Drucks. V/2861, Tz. 116; so auch Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 45. 452 Zur Unabdingbarkeit der Vorschrift s. o. E. II. 3. cc) ß) ßß). 453 So zutreffend Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (430). 454 Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (431).

II. Anspruchsgrundlagen Unerheblich ist es, ob das GG obligatorisch oder (nur) fakultativ Bundesauftragsverwaltung vorschreibt. 455 Denn in beiden Fällen richten sich die Voraussetzungen und der Umfang im einzelnen nach Art. 85 GG, der keinerlei Handhabe für eine unterschiedliche rechtliche Bewertung g i b t 4 5 6 (2) Konkrete Regelungsbereiche Viele Bundesgesetze werden nach Art. 104 a Abs. 2 GG von den Ländern in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt. Bei allen diesen Gesetzen verwalten die Länder Haushaltsmittel des Bundes. Es handelt sich im wesentlichen um folgende Gesetze:457 • Alle vom GG vorgesehenen Fälle auftragsweiser Verwaltung, insbesondere die Bundesfernstraßenverwaltung und die Atomverwaltung. • Zivilschutzgesetz (Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Zivilschutzes) vom 25. März 1997; 458 • Gesetz über den Selbstschutz der Bevölkerung vom 9. September 1965; 459 • Gesetz über bauliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (Schutzbaugesetz) vom 9. September 1965. 460

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Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 22; Vogel/Kirchhof; in: BK, Art. 104 a Rdnr. 74; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 85; mißverständlich Achterberg, DVB1. 1970, 125 (126), der wegen vermeintlicher Abweichungen im Lastenverteilungsgrundsatz die angeordnete und die vereinbarte Auftragsverwaltung unterschieden wissen will. 456 Nicht weniger eindeutig ist die - eher hypothetische - Frage zu beantworten, ob Art. 104 a Abs. 2 GG auch dann Raum greift, wenn die Länder nicht durch Bundesgesetz, sondern allein aufgrund einer Verfassungsnorm, die eine auftragsweise Verwaltung bestimmt oder jedenfalls zuläßt, unmittelbar tätig werden. Denn auch hier liegt eine Bundesauftragsverwaltung vor mit der Folge, daß auch hier der Bund die (Zweck-) Ausgaben trägt (so die amtliche Gesetzesbegründung BT-Drucks. V/2861, Tz. 291.S. auch Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 22; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 22; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 85 f. Vgl. auch die bei Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 154 in FN 35 zitierten Autoren. Indes ist kein Bereich auszumachen, innerhalb dessen die Länder (einfach-) bundesgesetzlos auftragsverwaltend nach Art. 85 GG tätig würden, da alle auftragsweisen Verwaltungsbereiche bundesgesetzlich geregelt sind. Die tatsächliche Bedeutung dieser Frage tendiert daher gegen Null. 457 Eine umfassende Übersicht - Stand 1969 - bei Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 52 ff. 458 BGBl. I S. 726. 459 BGBl. I S. 1240. 460 BGBl. IS. 1232.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Tatsächliches Zahlenmaterial ist in diesem Zusammenhang nicht zu erlangen. Grund hierfür dürfte sein, daß regelmäßig die Verwaltungskosten für die Bereiche auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG nicht isoliert berechnet werden können. Sie dürften - wird die Belastung der öffentlichen Haushalte mit den Personalkosten zugrunde gelegt - von einem beträchtlichen Umfang sein. Insbesondere beim Bau der Bundesfernstraßen durch die Länder werden Mittel des Bundes in Höhe einiger Milliarden D M jährlich bewirtschaftet. (3) Bestätigung oder Durchbrechung des Konnexitätsprinzips? Ob die Regelung des Art. 104 a Abs. 2 GG eine Durchbrechung oder Bestätigung des Konnexitätsprinzips darstellt, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird behauptet, die Norm diene bloß der Klarstellung, weil diese Verwaltungsmaterien wegen der Weisungskompetenz des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG zu Aufgaben des Bundes würden; diese Bundesaufgaben würden von den Ländern lediglich wahrgenommen. 461 Durch eine solche Sichtweise wird unnötigerweise die eindeutige Unterscheidung von Bundesaufgaben und Länderaufgaben und deren jeweilige Ausführungskompetenz verwässert und der Anschein einer Verwaltungsgemengelage erweckt. Die Bundesauftragsverwaltung stellt eine besondere Form der Landesverwaltungskompetenz dar, die Länder üben eigene Staatsgewalt aus, und ihre Behörden handeln auch als Landes-, und nicht als Bundesbehörden. 462 Daher vermag die Behauptung, daß sich diese Kostentragungsregelung dadurch rechtfertige, daß es sich um Aufgaben des Bundes handele, die - nur - von den Ländern in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden, nicht zu überzeugen. Die Länder handeln auch bei der Bundesauftragsverwaltung in eigenem Namen; sie sind nicht Vertreter des Bundes, sondern erfüllen eigene Aufgaben. Ohne die Kostentragungsregel des Art. 104 a Abs. 2 GG bestünde keine andere Lastenverteilung als bei der landeseigenen Ausführung von Bundesgesetzen nach Artt. 83 f. GG. Daher dient die Norm keinesfalls nur der Klarstellung, sondern stellt sich als eine Durchbrechung des allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatzes des Art. 104 a Abs. 1 GG dar. 463 Letztlich kann diese Frage offen

461

So ausdrücklich die amtliche Gesetzesbegründung BT-Drucks. V/2861 Tz. 116. In diesem Sinne auch Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 9; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 51 f.; wohl auch Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 205; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (504). 462 BVerfGE 81, 310 (331); BVerfG NVwZ 2002, 585 (586); Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 4. 463 Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 1139 f.; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 85 Rdnr. 8; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 72; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 70; Siekmann, in: Sachs

II. Anspruchsgrundlagen

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bleiben, da sie im wesentlichen nur eine theoretische Bedeutung hat. Nach beiden Ansichten muß der Bund für die Zweckausgaben finanziell geradestehen. 4 6 4

ßß) Ausnahme bei Geldleistungsgesetzen, Art. 104 a Abs. 3 GG Eine weitere Ausnahme vom Konnexitätsgrundsatz ist in Art. 104 a Abs. 3 GG piaziert. Dieser Norm zufolge kann für Geldleistungsgesetze des Bundes zur Entlastung der Länder 465 gesetzlich bestimmt werden, daß „Geldleistungen" vom Bund getragen werden. Trägt der Bund mindestens die Hälfte der Kosten, so ist obligatorisch für entsprechende Gesetze nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG die Verwaltungsform der Bundesauftragsverwaltung vorgeschrieben. Geldleistungsgesetze nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG bedürfen nach Satz 3 der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie bestimmen, daß die Länder ein Viertel der Kosten oder mehr zu tragen haben. Diese Regelung wurde im Zuge der Finanzreform 1969 in das GG eingefügt. Vor diesem Zeitpunkt galt Art. 106 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 GG a. F., aus dem überwiegend eine Pflicht der Länder zur Lastentragung abgeleitet wurde. 466 (1) Die Finanzierungszuständigkeit nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG Die Finanzierungszuständigkeit wird also in die Disposition des einfachen Bundesgesetzgebers gestellt. 467 Der Grundsatz der Aufgaben- und Ausgaben(Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 21; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 21; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 4; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 29; Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, 1968, S. 39; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 86 f.; i. E. wohl auch Grote, JZ 1996, 832 833 f. m. FN 20. Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (423), hält diese Begründung zumindest für „problematisch". Instruktiv zu dieser Frage und i. E. zustimmend Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 152 ff. 464 So auch F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 15. 465 Zu den Motiven dieser Regelung Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GGKomm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 15. Zum Verhältnis zu Art. 104 a Abs. 1 GG Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 157. 466 S. ο. Ε. II. 3. e) bb) ß), und Luther, Die Lasten Verteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 91; zur Entstehungsgeschichte FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 15. 467 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 27; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 14; F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vo-

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

konnexität wird mithin durchbrochen. Es ist die freie Entscheidung des Bundesgesetzgebers, ob er die spezielle Lastenverteilungsregel des Art. 104 a Abs. 3 GG eingreifen läßt oder nicht. 4 6 8 Dabei ist diese Kompetenz unabhängig von einer bestimmten Verwaltungsmaterie. Es muß sich ausweislich des Wortlautes der Norm um Geldleistungen handeln. Die Erstattung von Sach- oder Dienstleistungen jeder Art sowie sonstiger Gewährleistungen, zu denen der Staat wie etwa bei Entschädigung, Aufwendungs- und Schadensersatz oder Kaufpreiszahlung rechtlich verpflichtet ist, ist hingegen ausgeschlossen.469 Auch Gegenleistungen, die einen Austausch darstellen, werden von der Vorschrift nicht tangiert. 470 Geldleistungen im Sinne dieser Norm stellen eine besondere Ausprägung der Zweckausgaben dar. 471 Es handelt sich bei Geldleistungen um einmalige oder laufende Zuwendungen finanzieller Art an Dritte, die nicht von einer Gegenleistung abhängig sind. 472 Sie müssen aus öffentlichen Mitteln erbracht werden. 473 In Betracht kommen ins-

gel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 20; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 206; Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, 1968, S. 40. 468 Genau diese Un Verbindlichkeit der Norm führt zu Kritik im Schrifttum; vgl. etwa Grote, JZ 1996, 832 (834); Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 210. Vereinzelt wird eine Reduzierung dieses Ermessens gefordert, s. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 372 ff. Unbestritten, vgl. Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 33; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 25; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 81, der zutreffend auf die rechtspolitische Fragwürdigkeit dieser Regelung hinweist; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 64 f. Daher war die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des mittlerweile gestrichenen § 66 BSG, der neben einem Anspruch auf Geldleistungen auch einen solchen auf Sachleistungen (wie beispielshalber kostenlose Krankenbehandlungen) festlegte, umstritten; vgl. dazu Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 10a m. w. Nachw. 470 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 10. 471 v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 33; Grote, JZ 1996, 832 (834). 472 Allgemeine Ansicht, vgl. Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 5; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 24; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 79; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 81; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 65; Luther, Die Lasten Verteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 95 f.; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 48; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (505). 473 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 16; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (504).

II. Anspruchsgrundlagen besondere Unterstützungen, Förderleistungen, Subventionen, Prämien u. ä. 4 7 4 Gewähren i. S. dieser Bestimmung ist daher so zu verstehen, daß die Geldleistungen freiwillig und nicht wegen existenter vertraglicher, deliktischer oder sonstiger Verpflichtungen geleistet werden, d. h. nur aufgrund der spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage. 475 Alle weiteren Zuwendungsmotive sind unerheblich. 4 7 6 Dritte i. S. dieser Norm sind dabei private oder mit ihnen gleichgestellte öffentliche Empfangsberechtigte. 477 Es darf den Ländern nicht allein überlassen bleiben, ob und in welcher Höhe sie Geldleistungen aufgrund des Spezialgesetzes des Bundes erbringen. 478 Vielmehr muß das Gesetz selbst - ggf. unter Hinzuziehung einer Bundesrechtsverordnung - die Geldleistung anordnen und als Rechtsgrundlage für die Auszahlung fungieren. 479 Ist es den Ländern freigestellt, Geldleistungen zu gewähren, obliegt den Ländern also die Entscheidung über das „Ob" der Zahlung, so greift die Bestimmung des Art. 104 a Abs. 3 GG nicht Raum, da es an einem sachlichen Grund für eine Durchbrechung des Konnexitätsgrundsatzes mangelt. 480 Wird die Situation nicht aus der Sicht des Leistenden, sondern von der Empfängerseite her analysiert, so läßt sich - als Kehrseite der Medaille des Geldleistungsgesetzes - feststellen, daß jedenfalls dem Grundsatze nach dem 474 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 16; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 79; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1141; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 206. 475 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 34; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 5; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 24; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 82; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 65. 476 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 81. 477 Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 5; Vogel/Kirchhof,; in: BK, Art. 104 a Rdnr. 82; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 24; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 12; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 206. 478 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 10; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1142; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 97; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (504 f.). 479 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 83; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 26; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnrn. 83 f.; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 48; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 207; Grote, JZ 1996, 832 (834). 480 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 83; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 36; Grote, JZ 1996, 832 (834); Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 209.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Empfänger ein Anspruch auf die Geldleistung 481 zukommen muß. Das ist auch dann der Fall, wenn den Landesbehörden ein Ermessensspielraum eingeräumt wird. Nicht erforderlich ist es, daß dem Empfänger ein eigener Rechtsanspruch auf die Leistung eingeräumt wird. 4 8 2 Vielmehr sind auch Kannleistungen ausreichend. Die finanzielle Beteiligung des Bundes ist dabei unterschiedlich, ohne daß ein bestimmtes System zu erkennen wäre. Geldleistungsgesetze im Sinne des Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG sind z. B.: • das Wohngeldgesetz 483 , • das Wohnungsbau-Prämiengesetz 484, • das Spar-Prämiengesetz 485, • das Opferentschädigungsgesetz 486 oder • das Bundesausbildungsförderungsgesetz 487.

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Kaum anders v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 36, dem zufolge zwar nicht das „Bestehen eines Rechtsanspruchs" Voraussetzung für ein Geldleistungsgesetz ist, wohl aber die Auszahlung gesetzlich vorgeschrieben sein muß, was letztlich keinen entscheidenden Unterschied machen wird; ähnlich auch Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 17. Vgl. dazu auch Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 48 m. w. Nachw. in FN 33. 482 Str., wie hier Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 35; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 26; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 48; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (504); Grote, JZ 1996, 832 (834). A.A.: Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 85 483 Wohngeldgesetz (WoGG) i. d. F. d. Bekanntmachung v. 1.2.1993, BGBl. I S. 183; zul. geändert durch Art. 1 ÄndG v. 16.7.1998, BGBl. I S. 1860. Nach § 34 Abs. 1 WoGG wird das vom Land ausgezahlte Wohngeld vom Bund zur Hälfte ersetzt. Vgl. zur auftragsweisen Verwaltung in diesem Bereich Schwerz, Wohngeldgesetz, 2. Aufl. 1994, Einleitung Rdnm. 9 ff. 484 Wohnungsbau-Prämiengesetz v. 17.3.1952, BGBl. I S. 319, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 30.10.1997, BGBl. I 2678; zul. geändert durch Gesetz v. 15.12.1995, BGBl. I S. 1783. Der Bund trägt nach § 7 zehn Prozent der Zweckausgaben. 485 Sparprämiengesetz v. 5.5.1959, BGBl. I 241, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 10.2.1982, BGBl. I S. 125; zul. geändert durch Gesetz v. 26.6.1985, BGBl. I S. 1153. § 7 a des nunmehr (zum 31.12.1999) aufgehobenen Gesetzes bestimmte, daß die Geldleistungen gänzlich vom Bund getragen werden. 486 Opferentschädigungsgesetz v. 11.5.1976, BGBl. I 1181, i. d. F. d. Bekanntmachung v. 7.1.1985, BGBl. I 1; zul. geändert durch Gesetz v. 21.7.1993, BGBl. I S. 1262. 487 Bundesgesetz über die individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAFöG) v. 26.8.1971, BGBl. I S. 1409, i. d. F. d. Bekanntma-

II. Anspruchsgrundlagen

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Die Festlegung eines bestimmten Geldbetrages oder auch nur eines Sockelbetrages ist unzulässig; allein eine Verteilung aller Kosten insgesamt ist eine normgerechte Umsetzung. 488 Hinsichtlich der Quotierung seiner finanziellen Beteiligung kommt dem Bundesgesetzgeber ausweislich des Wortlautes der Vorschrift („kann") ein Ermessen zu. 4 8 9 (2) Bundesauftragsverwaltung als Rechtsfolge nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG Trägt der Bund kraft einer ausdrücklichen Kostenregelung mindestens die Hälfte aller (Zweck-) Ausgaben, so ist seit dem Stichtag 1. Januar 1970 obligatorisch für sämtliche, also auch ältere entsprechende Gesetze nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG Bundesauftragsverwaltung vorgeschrieben. 490 Einer gesonderten Bestimmung im Gesetz bedarf es nicht. Hintergrund der Regelung ist, daß bei Geldleistungsgesetzen der Bundeseinfluß beim Verwaltungsvollzug durch die Länder typischerweise ein großer ist, 491 so daß eine inhaltliche Rechtfertigung des Konnexitätsprinzips nicht mehr gegeben ist. Solcherart Gesetze überlassen der ausführenden Verwaltung typischerweise keine wesentlichen Entscheidungsspielräume, sondern schreiben im Gegenteil das konkrete Verwaltungshandeln detailliert vor. 4 9 2 Ferner soll der Bund aus seiner Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse finanzielle Kompetenzen an die Seite gestellt bekommen. 493 Schließlich spricht auch noch ein rein prag-

chung v. 6.6.1983, BGBl. I S. 645, ber. S. 1680; zul. geändert durch Art. 1 Zwanzigstes BAFöGÄndG v. 7.5.1999, BGBl. I S. 850. Nach § 56 BAFöG werden von den Ausgaben 65 % vom Bund und 35 % von den Ländern getragen. 488 Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 5; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 48; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 65. 489 Einzelheiten zu diesem Gesetzgebungsermessen bei Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnrn. 89 ff. 490 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 96; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 18; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 12; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 63. 491 Vogel/Kirchhof \ in: BK, Art. 104 a Rdnr. 79, sprechen von einem „Subsumtionsmechanismus". 492 F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 20; ders., in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993, I. Abschn. Rdnr. 33; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 77; Beaucamp, JA 1998, 774 (774 f.); Grote, JZ 1996, 832 (834). 493 Sturm, DÖV 1968, 466 (474).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

matisches Argument für diese Regelung, denn typischerweise sind die Ausgaben für diese Geldleistungsgesetze sehr hoch, so daß die Zuordnung zur Bundesauftragsverwaltung - und damit eine Entlastung der Länder - auch aus diesem Gesichtspunkt heraus sachgerecht ist. 4 9 4 Liegen die Voraussetzungen vor, so stehen dem Bund die verstärkten Ingerenzrechte des Art. 85 GG zu, welche namentlich sind: Möglichkeit der einheitlichen Ausbildung der Beamten, Einvernehmen bei der Bestellung der Leiter der Mittelbehörden, Weisungsrecht der obersten Bundesbehörden, Bundesaufsicht über Recht- und Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung. Schwierige Abgrenzungsprobleme können dann auftreten, wenn das Gesetz nicht ausschließlich Geldleistungen im Sinne dieser Norm, sondern teilweise Geldleistungen und teilweise Sachleistungen vorsieht. 495 Hier zeigt sich auch, daß die Regelung in tatsächlicher Hinsicht zumindest fragwürdig erscheint, da ein Grund für die Nichtanwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 3 GG auf Sachleistungen nicht erkennbar ist. Der systematische Bruch zu Abs. 2 durch diese lex specialis 496 ist offenkundig und vorderhand nur schwer zu verstehen. 497 Es kann also von Verfassungs wegen durchaus angehen, daß allein aufgrund einer einfachgesetzlichen Geldleistungslastenverteilung die Pflicht zur Bundesauftragsverwaltung nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG begründet wird und der Bund nicht - wie nach Abs. 2 dieses Artikels eigentlich vorgeschrieben - alle Kosten innerhalb dieses Verwaltungsbereiches, sondern nur einen prozentualen Anteil von ihnen trägt. Inhaltlich und systematisch sind an dieser Regelung erhebliche Zweifel angebracht, zumal es im GG einmalig ist, daß die Formenwahl der Verwaltungsart mit dem Maß der finanziellen Beteiligung verknüpft wird. 4 9 8 Verfassungswidrig dürfte diese Regelung nicht sein. 499 Insbesondere ist eine Pflicht zur absoluten Beibehaltung des Grundsatzes des Abs. 2, also der 494

So auch F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 20; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 21 Rdnr. 11. 495 Hierzu z. B. Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 89 m. w. Nachw. 496 Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 7; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 73. 497 Sehr kritisch auch Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 21. Vgl. auch Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 100. 498 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 28. 499 So auch Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 73, die diese Konstruktion für „verfassungssystematisch verunglückt" halten. Zur verfassungspolitischen Kritik s. auch

II. Anspruchsgrundlagen

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Durchbrechung des Konnexitätsprinzips im bundesdeutschen Finanzverfassungssystem bei auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG, nicht anzuerkennen. (3) Zustimmungserfordernis des Bundesrates nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 3 GG Dieses Zustimmungserfordernis 500 dient dem Schutz der Länder vor einer unangemessen hohen Kostenbelastung durch ein Geldleistungsgesetz des Bundes, dessen Grenzhöhe der Grundgesetzgeber bei 25 Prozent angesetzt hat. 501 Dieser Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten des Bundesrates gilt dann fur das Gesetz als Ganzes und nicht etwa nur für einen Teil. 5 0 2 Dabei kommt es nicht darauf an, ob - wie es der Wortlaut der Norm nahe legt - das Gesetz selbst über die Kostentragimg und deren Umfang expressis verbis eine Aussage trifft oder ob nur in tatsächlicher Hinsicht eine mehr als 24,99 prozentige Kostenlast die Bundesländer trifft. Denn es würde der Regelung und ihrem insoweit eindeutigen Schutzzweck nicht gerecht, könnte der Bund allein durch ein ggf. bewußtes Weglassen einer Finanzierungsnorm im Gesetzeswerk das Zustimmungsprivileg des Bundesrates unterlaufen. 503 Eine fachgerichtliche oder verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage steht bislang aus.

v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 37. 500 Guter Überblick bei Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 369 ff. 501 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 92; F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 20. 502 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 41; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 29; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 92. 503 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 17; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 67; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 34 m. w. Nachw. in FN 64: „Der Zweck des Zustimmungsvorbehalts würde praktisch zunichte gemacht." A.A.: Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 29; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 19; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 210; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 99 f.; Beaucamp, JA 1998, 774 (775); Grote, JZ 1996, 832 (834); Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im BundLänderverhältnis, 1968, S. 41: „Fehlt es an dieser Regelung, so ist selbst dann, wenn die Länder 100% der Kosten tragen, aus diesem Grund die Zustimmungsbedürftigkeit nicht gegeben." Diese vermeintliche „Einsicht" verkennt die ratio der Norm und stellt zu eng auf den Wortlaut ab. 28 Janz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

γγ) Finanzhilfekompetenz, Art. 104 a Abs. 4 GG Auch Art. 104 a Abs. 4 GG als Finanzhilferegelung stellt sich als eine Sonderregelung und damit einerseits eine Abweichung vom Grundsatz der Konnexität dar. Denn der Bund kann dadurch Vorhaben (mit-) finanzieren, fur deren Durchführung er von Verfassungs wegen nicht zuständig ist; es geht um die Finanzierung von Länderaufgaben durch den Bund. 504 Das GG erlaubt also an dieser Stelle gemeinsame Finanzierungen von Bund und Ländern. Dadurch, daß der Bund entsprechende Unternehmungen mittragen kann, bestätigt die Regelung andererseits die Grundannahme des Art. 104 a Abs. 1 GG. 5 0 5 Diese Investitionsfinanzierungskompetenz des Bundes ist von besonderer Bedeutung und will sicherstellen, daß unter bestimmten Voraussetzungen der Bund den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden gewähren kann. Der „Wildwuchs der Fondswirtschaft und der Mischfinanzierung" 506 von Bund und Ländern, der sich bis zum Inkrafttreten des Artikels am 1. Januar 1970 mit einer beachtenswerten Tradition weitgehend ohne jede verfassungsrechtliche Grundlage und daher umstritten entwikkelt hatte, wird nunmehr von Verfassungs wegen unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt und auf eine tragbare Grundlage gestellt. 507 Damit fand die „unklare und verfassungsrechtlich dubiose Situation" ein Ende. 508 (1) Der Tatbestand des Art. 104 a Abs. 4 Satz 1 GG Der Bund kann zum Ausgleich eines unzureichenden finanziellen Gleichgewichtes Finanzhilfen und Zuwendungen an die Länder erteilen, wenn diese Investitionen in Ausmaß und Wirkung besonderes Gewicht haben. 509 Diese Ermächtigung entspricht der Verfassungsrechtslage vor der GG-Änderung

504 Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im BundLänderverhältnis, 1968, S. 44 m. w. Nachw. in FN 123. Zu den hiermit verbundenen Kompetenzgewinnen auf der rechtstatsächlichen Seite s. ο. E. II. e) aa), und Vogel/Kirchhof,; in: BK, Art. 104 a Rdnm. 99 f. 505 Vogel/Kirchhof,\ in: BK, Art. 104 a Rdnr. 147; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 111. 506 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 35. 507 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 42; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1143; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 44; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 228. 508 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 30. 509 BVerfGE 39, 96 (115); Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 8; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 50.

II. Anspruchsgrundlagen

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1969 und kann daher als „Verrechtlichung der Finanzierungskompetenz" bezeichnet werden. 510 Für eine Anwendung des Art. 104 a Abs. 4 GG ist es zunächst erforderlich, daß es sich um „Finanzhilfen" handeln muß. Sie stellen Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts (vgl. 14 HGrG, § 23 BHO) für bestimmte Zwecke außerhalb der Bundesverwaltung dar, wenn es sich um Zahlungen an die Länder im öffentlichen Sektor handelt. 511 Die Finanzhilfen müssen für durchzuführende Investitionen der Länder oder Gemeinden (Gemeindeverbände) bestimmt sein. Diese Finanzhilfen dürfen ausschließlich an die Länder und nicht direkt an die Kommunen geleistet werden. 512 Dadurch wird die Organisationshoheit gewahrt. 513 Die Norm beinhaltet keine Generalklausel für die Beteiligung des Bundes an Investitionen der Länder oder Gemeinden. Vielmehr werden drei voneinander unabhängige und nicht kumulative Tatbestände geschaffen: Zunächst Finanzhilfen bei konjunkturellen Störungen („Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"), 514 dann Finanzhilfen zur Verhinderung resp. Behebung ungleichmäßiger wirtschaftlicher Entwicklungen in Teilen des Bundesgebietes („Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet") 5 1 5 sowie schließlich Finanzhilfen zur Förderung des wirtschaftlichen

510 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 98. Ähnlich auch Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 283 f.; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 99. 511 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 41; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 107; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 24; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 17. 512 Statt aller Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 34; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 8; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 236; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 73. 513 Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 236. 514 Das GG definiert den Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes" nicht, verwendet ihn aber andernorts noch zweimal, nämlich in Art. 109 Abs. 2 u. Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine nähere einfachgesetzliche Beschreibung findet sich in § 1 StWG v. 8.6.1967 (BGBl. I S. 582). Dazu vor allem BVerfGE 79, 311 (328 ff.); aus dem Schrifttum ζ. B. Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnrn. 124 ff.; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnrn. 45 ff; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnrn. 37 ff.; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnrn. 113 ff.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 239; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 74 f. 515 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnrn. 133 ff.; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnrn. 53 ff.; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Wachstums. 516 Die zweite und die dritte Fallgruppe sind als Elemente mittelbarer Wirtschaftsforderung in einem engen Zusammenhang zu sehen. Die verschiedenen Tatbestände sind daher Begrenzungen dieser Finanzierungsermächtigung und stellen klar, daß der Bund finanziell nur für die Verwirklichung dieser speziellen Förderungsziele aktiv werden kann. 517 Diesem Verfassungsartikel ist als Ausnahmevorschrift daher dem Grunde nach eine Begrenzungsfunktion innewohnend. 518 Bemerkenswert ist ihre außerordentliche Weite und Unschärfe. 519 Der Bund soll das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen zu wahren versuchen und etwaige besonders massive Diskrepanzen der wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb des Bundesgebietes abzugleichen trachten. 520 Im übrigen müssen alle diese Investitionen „besonders bedeutsame" sein. Das ist dann anzunehmen, wenn sie „in Ausmaß und Wirkung ein besonderes Gewicht haben", also von besonderer gesamtstaatlicher Bedeutung sind. 521 Eine „umgekehrte" Finanzhilfe der Länder an den Bund, also eine (Mit-) Finanzierung von Bundesaufgaben durch die Länder, ist ausgeschlossen, Empfanger einer Finanzhilfe können nur die Gliedstaaten sein (verfassungsrechtliches argumentum e contrario). 522 Dies ergibt sich unschwer aus dem Zweck der Norm, wonach nur gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen, die im Verwaltungskreis der Länder angesiedelt sind, finanziell förderfahig sind.

Komm., 2000, Art. 104 a Rdnm. 40 ff.; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnm. 117 ff.; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 75. 516 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnm. 137 ff; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnm. 56 ff.; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 43; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnm. 122 ff.; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 76. 517 J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 18. 518 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 23; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 31; Maurer, Staatsrecht, 2. Aufl. 2001, § 21 Rdnr. 12; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 233. 519 Auf diesen Umstand weist Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 283, hin. 520 Beaucamp, JA 1998, 774 (775). 521 BVerfGE 39, 96 (115); Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 44; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 43; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 110; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 20; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 237; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 74. 522 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 109; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 108.

II. Anspruchsgrundlagen

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Ob und inwieweit die einzelnen Tatbestände justitiabel sind, ist nicht ganz eindeutig, 523 ist aber für die vorliegende Untersuchung irrelevant. Das freie Ermessen des Bundes kann sich nach Ansicht des BVerfG wegen der besonderen Bedeutung der betroffenen Investitionen für den Gesamtstaat im Einzelfall zu einer Pflicht zur Gewährung von Finanzhilfe verdichten. 524 Dies ist dann anzunehmen, wenn eine besondere Gefährdung für die geschützten Rechtsgüter bzw. angestrebten Ziele vorliegt, welche durch die Finanzhilfe beseitigt werden soll. 525 (2) Die nähere Regelung nach Art. 104 a Abs. 4 Satz 2 GG Voraussetzung für die Gewährung von Finanzhilfen ist nach Art. 104 a Abs. 4 Satz 2 GG eine nähere Regelung durch ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz oder aufgrund des Bundeshaushaltsgesetzes durch eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern. Dieses Gesetz muß „alles Wesentliche" regeln. 526 Die Verwaltungsvereinbarung, die sich bei besonderer Eile anbietet, 527 bedarf aufgrund der normenvertretenden Wirkung der Schriftform 528 und muß für den Fall, daß sie an die Stelle eines Bundesgesetzes tritt, ebenfalls alles Wesentliche enthalten. 529 Der Bund ist gehalten, derartige Vereinbarungen mit allen betroffenen Ländern abzuschließen und keine willkürlichen Differen-

523

Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnrn. 119 bis 123. So ausdrücklich BVerfGE 39, 96 (113); i. E. auch Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 53; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 18; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 37; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 32; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 79; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 50 f.; F. Klein, in: FS Geiger, 1989, S. 501 (511). 525 Fischer-Menshausen y in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 23. 526 BVerfGE 39, 96 (116); Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1144; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 247. 527 Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 78. 528 BVerfGE 41, 291 (292); Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 35; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 10; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 46; F. Klein, in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993, I. Abschn. Rdnr. 61; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 78. 529 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 57; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 44. 524

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

zierungen vorzunehmen. 530 Legislatorischer Hintergrund dieser Regelung und insbesondere der Zustimmungspflichtigkeit ist die Sicherung der Mitwirkung der Bundesländer bei der Entscheidung über die Voraussetzungen einer Finanzzuweisung auch und gerade in verfahrenstechnischer Hinsicht. 531 Der Bund soll und kann in diesem Bereich den Länder nicht seinen Willen aufzwingen. 532 Anwendungsfälle fur Geldleistungsgesetze gem. Art. 104 a Abs. 4 GG sind z.B.: • das II. Wohnungsbaugesetz533, • das Investitionsforderungsgesetz Aufbau Ost 5 3 4 , • das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz 5357536 Neben diesen dauerhaften Finanzhilfen existieren noch einige befristete Sonderprogramme. 537 Seit einiger Zeit bemühen sich Bund und Länder um ei-

530 BVerfGE 39, 96 (121); Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 46; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 10; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 247. 531 BVerfGE 39, 96 (116); Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 44; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 25. 532 Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 247. 533 Zweites Wohnungsbaugesetz (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz - II. WoBauG) i. d. F. d. Bekanntmachung v. 19.8.1994, BGBl. I S. 2137, zul. geändert durch Art. 12 Erstes SGB III-ÄnderungsG v. 16.12.1997, BGBl. I S. 2970. Nach § 18 Abs. 1 II. WoBauG stellt der Bund Bundesmittel für die Finanzierung des von den Ländern geförderten sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung. Die Einzelheiten zum Förderungsumfang finden sich in den Absätzen 2 bis 4 der Norm. 534 Gesetz zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in den neuen Ländern (Investitionsforderungsgesetz Aufbau Ost) v. 23.6.1993 (Art. 35 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms, BGBl. I S. 944). Nach § 1 gewährt der Bund zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft den neuen Ländern einschließlich Berlins für die Dauer von zehn Jahren ab 1995 Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) in Höhe von jährlich 6,6 Milliarden DM. 535 Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrs Verhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz - GVFG) v. 18.3.1971 (BGBl. I S. 239), i. d. F. d. Bekanntmachung v. 28.1.1988 (BGBl. I S. 100), zul. geändert durch Gesetz v. 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378). 536 Weitere aktuelle Anwendungsfälle liefern Brockmeyer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 22a; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 60; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 46 FN 197. S. auch F. Klein, in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993,1. Abschn. Rdnm. 59 ff; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 76 ff.

II. Anspruchsgrundlagen

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nen Abbau dieser Finanzhilfen, 538 allerdings ohne einen durchschlagenen Erfolg.

δδ) Gemeinschaftsaufgaben nach Artt. 91 a und b GG Neben den in Art. 104 a GG selbst kodifizierten Ausnahmen von der Konnexität der Ausgabenlast und der Aufgabenwahrnehmung finden sich auch andernorts im GG entsprechende Modifikationen des Art. 104 a Abs. 1 GG wieder. Auch die Regelung der Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben nach Artt. 91 a, 91 b GG beinhaltet Ausnahmen in diesem Sinne. Sie stellen sich inhaltlich als eng verwandt mit der Investitionshilfekompetenz des Bundes nach Art. 104 a Abs. 4 GG dar. 539 Die Regelungen wurden gleichfalls im Zuge der Finanzreform 1969 in das GG eingefugt. Damit wurden einzelne Verwaltungsbereiche, die vormals zu den Länderaufgaben gehörten, zu Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern erklärt. Vereinzelt wurde Art. 91 a GG zum „Herzstück der Finanzreform" erklärt, 540 was letztlich etwas überzogen erscheint. Es wurde eine bis dahin verfassungsrechtlich umstrittene Staatspraxis grundgesetzlich abgesichert. 541 Die verfassungsrechtliche Fixierung mittels eines eigenen neuen Abschnittes

537

Beispiele etwa bei Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 60. 538 Einzelheiten bei Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 60; ferner J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 26; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 46; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnrn. 154 f. 539 Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1145. 540 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 285. 541 S. dazu Mager, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 91 a Rdnr. 1 m. w. Nachw.; Maunz, in: ders./Dürig, Art. 91 a Rdnr. 1; ders., in: Maunz/Dürig, Art. 91 b Rdnr. 1; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 a Rdnr. 6; ders., in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 b Rdnr. 1; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 1458; Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 292; Luther, Die LastenVerteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 106 f. u. 113, mit Hinweis auf die unterschiedlichsten Begründungen der Mittel für solchartige Aufgaben im letzten Rechnungsjahr (1969) vor der Finanzreform (S. 106 f.). Vgl. auch Sturm, DÖV 1968, 466 (474). Ob diese Staatspraxis contra constitutionem (so Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 47), oder nicht eher praeter constitutionem war (so wohl Heun, in: Dreier [Hrsg.], GG-Komm., 2000, Art. 91 a Rdnr. 6, und Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 82), sei an dieser Stelle dahingestellt. Allg. Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 118 ff.

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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( V i l i a) - der mit gerade einmal zwei Normen kürzeste Abschnitt des GG diente der Kenntlichmachung, daß hier ein neues verfassungsrechtliches Institut geschaffen würde. 542 Die beiden Bestimmungen sind Teil der bundesdeutschen Finanzverfassung im engeren Sinne, auch wenn sie nicht im X. Abschnitt des GG („Das Finanzwesen") geregelt sind. (1) Art. 91 aGG Nach Art. 91 a GG wirkt der Bund auf den Gebieten des Ausbaus und Neubaus von Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken (Abs. 1 Nr. 1), bei der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (Abs. 1 Nr. 2) und bei der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (Abs. 1 Nr. 3) mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben). Gekennzeichnet sind diese Verwaltungsbereiche nach Art. 91 a GG dadurch, daß nach Abs. 3 eine gemeinsame Rahmenplanung vorzunehmen ist, nach Abs. 4 eine gemeinsame Kostentragung bestehen muß und schließlich nach Abs. 5 eine gegenseitige Unterrichtungspflicht besteht. Diese Verquikkungen von Bund und Ländern stellen sich als das Wesen der Gemeinschaftsaufgaben dar. Eben durch die gemeinsame Rahmenplanung und Finanzierung von Bund und Ländern werden diese Bereiche zu Gemeinschaftsaufgaben. Das Motiv für diese Mischverwaltung bildet für alle drei Bereiche neben dem weit überdurchschnittlichen gesamtstaatlichen Koordinationsbedürfnis auch der enorme Finanzbedarf, der von Seiten der Länder eine Bundesbeteiligung nötig werden läßt. 543 Daher liegt auch eine Mitwirkungspflicht vor. 5 4 4 Trotz der Betitelung als Gemeinschaftsaufgaben bleiben die Aufgaben des Art. 91 a GG solche der Länder, an deren Erfüllung der Bund hinsichtlich des Verfahrens (Abs. 3) und der Finanzierung (Abs. 4) mitwirkt. Ein selbständiges Tätigwerden ist dem Bund untersagt. 545 Die Verwaltungsbereiche einer Mischverwaltung sind abschließend aufgezählt. Eine Erweiterung ist nicht zuläs-

542

Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 1458. Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 a Rdnr. 6. 544 Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 159; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 83. 545 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 91 a Rdnr. 20; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 a Rdnr. 9; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 91 a Rdnr. la; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 157; F. Klein, in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993,1. Abschn. Rdnr. 37. 543

II. Anspruchsgrundlagen Die Mitfinanzierungsquote ist nach Art. 91 a Abs. 4 Satz 1 und 2 GG nicht einheitlich; sie beträgt in den Fällen des Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG die Hälfte der Ausgaben in jedem Land, in den Fällen des Art. 91 a Abs. 1 Nr. 3 GG mindestens die Hälfte, wobei die Beteiligung fur alle Länder einheitlich festzusetzen ist. Tatsächlich trägt der Bund bei der Verbesserung der Agrarstruktur 60 Prozent und beim Küstenschutz 70 Prozent der Kosten. 547 Alle weiteren Einzelheiten sind durch Bundesgesetz zu regeln, welches der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Art. 91 a Abs. 2 Satz 1 GG. Ein einziges Bundesgesetz ist nicht notwendig, vielmehr ist auch eine Kodifikation durch mehrere Normen möglich. 548 Der Bundesgesetzgeber ist in Ausfüllung des Art. 91 a GG bisher dreimal tätig geworden. Es handelt sich um folgende Gesetze: • Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen" (Hochschulbauförderungsgesetz), 549 • Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes"550 und • Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" 551 Der Bundesgesetzgeber hat also von seiner Mitwirkungsbefugnis bei Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a GG vom Umfang der Verwaltungsterrains her umfassend Gebrauch gemacht. 552

546

Maunz, in: ders./Dürig, Art. 91 a Rdnrn. 6 u. 26; Pieroth, in: Jarass/ders., GGKomm., 6. Aufl. 2002, Art. 91 a Rdnr. 2; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 836; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 152; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 85 f. 547 § 10 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (BGBl. I S. 1573), i. d. F. d. Bekanntmachung v. 21.7.1988 (BGBl. I S. 1055), geändert durch Ani. I Kap. VI Sachgeb. Β Abschn. II Nr. 1 Einigungsvertrag v. 31.8.1990 (BGBl. I S. 885). 548 Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 a Rdnr. 22; Krüger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 a Rdnr. 14. 549 v. 1.9.1969 (BGBl. I S. 1556), zul. geändert durch VO vom 6.10.1994 (BGBl. I S. 2851). Zur Zulässigkeit der Finanzierung von Hochschulbauten aus Drittmitteln s. den gleichnamigen Beitrag von Thieme, in: WissR 31 (1998), S. 33 ff. 550 I. d. F. d. Bekanntmachung v. 21.7.1988 (BGBl. I S. 1055), zul geändert durch Änderungsgesetz ν. 11.11.1993 (BGBl. I S. 1865). 551 v. 6.10.1969 (BGBl. I S. 1861), zul. geändert durch Steueränderungsgesetz 1991 v. 24.6.1991 (BGBl. IS. 1322).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Durch die Festlegung des Aus- und Neubaus von Hochschulen als eine Gemeinschaftsaufgabe kann kein Bundesland mehr autonom entscheiden, wie viele Hochschulen es mit welchen Einrichtungen bauen will. Vielmehr sind die Entscheidungen hierüber bestimmten Bund-Länder-Kommissionen überantwortet mit der unmittelbaren Folge der Einflußmöglichkeit des Bundes. (2) Art. 91 b GG Art. 91 b Satz 1 GG zufolge können Bund und Länder aufgrund von Vereinbarungen bei der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenwirken. Es handelt sich um eine enumerative Aufzählung der Gebiete.553 Dieses Zusammenwirken in der Form der Verwaltungsvereinbarung bedarf wie auch bei Art. 104 a Abs. 4 GG - zur Gültigkeit der Schriftform. 554 Anders als bei Art. 91 a GG muß es sich nicht um Aufgaben der Länder handeln, vielmehr können auch die Länder bei der Erfüllung von Bundesaufgaben in den genannten Bereichen mitwirken. 555 Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Mitwirkung besteht im Gegensatz zu Art. 91 a GG nicht. 556 Es handelt sich um die Schwerpunktforschung der großen und bereits vor der Finanzreform 1969 bestehenden Sonderforschungsbereiche, wie sie vor allem bei der Max-Planck-Gesellschaft sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft bestanden und bestehen.557 Hier erscheint eine gemeinsame Planung und Finanzierung durch Bund und Länder sinnvoll. 558 Insbesondere ist eine Beteiii552

Luther, Die Lasten Verteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 108 f.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 161. 553 Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 91 b Rdnr. 2. 554 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 91 b Rdnr. 34; Brockmeyer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 91 a Rdnr. 2; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 b Rdnr. 7. A.A. offenbar Krüger, in: Sachs (Hrsg.), GGKomm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 3. 555 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 91 b Rdnr. 6; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 91 b Rdnr. 1; F. Klein, in: ders. (Hrsg.), Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 1993,1. Abschn. Rdnr. 51. 556 Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 91 a Rdnr. 1; Mager, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 91 a Rdnr. 7; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 163. 557 Sturm, DÖV 1968, 466 (474). S. auch Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 109 f., 117 f.; Stern, Staatsrecht V, 2000, S. 1459. 558 Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 47; Sturm, aaO.

II. Anspruchsgrundlagen

3

gung des Bundes wegen seiner Verantwortung für das Gemeinwohl und der gesamtstaatlichen Bedeutung der Forschung und des Bildungswesens auch in finanzieller Hinsicht vonnöten. 559 Hierfür bildet Art. 91 b GG die verfassungsrechtliche Handhabe. Nach Satz 2 der Norm wird die Aufteilung der Kosten in der jeweiligen Vereinbarung selbst geregelt. 560 Dabei ist die konkrete Ausgestaltung der Aufteilung beliebig; erforderlich ist es aber, daß überhaupt die Frage der Kosten und die Beteiligung des Bundes und der Länder an ihnen geregelt wird. 5 6 1 Eine alleinige Ausgabentragung durch den Bund oder die Länder ist unzulässig, da insofern nicht mehr von einer „Aufteilung der Kosten" im Sinne dieser Norm gesprochen werden kann. 562 Bund und Länder haben in Ausfüllung des Art. 91 b GG bisher zwei Vereinbarungen getroffen. Es handelt sich um folgende: • Die durch Verwaltungsabkommen am 25. Juni 1970 errichtete gemeinsame Kommission von Bund und Ländern für Bildungsplanung erarbeitete einen Bildungsgesamtplan, der im November 1973 verabschiedet wurde. 563 • Bund und Länder schlossen am 28. November 1975 eine Rahmenvereinbarung über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Art. 91 b GG mit ihren Ausführungsvereinbarungen. 5647565 559 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 1; Krüger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 1; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 b Rdnr. 5; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 47. Prägnant Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 839: „Art. 91 b GG böte eine rechtstechnische Handhabe, Bildung und Forschung im 'Lande der Dichter und Denker' wieder in den Rang zu versetzen, der unseren Einrichtungen und Leistungen einst Weltgeltung erworben hat." 560 Übersicht über die Finanzierungsschlüssel bei der Forschungsforderung bei Κ rüger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 10. 561 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 91 b Rdnr. 40. 562 Krüger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 10; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 91 a Rdnr. 4; Mager, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 91 a Rdnr. 24; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 91 b Rdnr. 12. 563 BT-Drucks. VII/1474. Einzelheiten dieses Bildungsgesamtplans bei Mager, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 91 a Rdnr. 14. Eine gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern scheiterte aber alsbald; dazu Krüger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 5; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 104 Rdnr. 67. 564 Die (Ausführungs-) Vereinbarungen zur Forschungsforderung sind nachzulesen bei Mager, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 91 a im Anhang (statistische Angaben).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

(3) Reformbestrebungen Von verschiedenen Seiten wird eine Abschaffung oder zumindest eine merkliche Reduzierung der mischfinanzierten Aufgaben, die Ausfluß eines kooperativen Föderalismus sind, gefordert. 566 Dabei steht Art. 91 a GG im Zentrum der Diskussion, weniger die Regelung des Art. 91 b GG, die ein freiwilliges Zusammenwirken im Bundesstaat postuliert. 567 So ist plastisch von einer „Angebotsdiktatur des Bundes" 568 die Rede. Teilweise wird die Mitwirkung der Parlamente bei der Planung der Gemeinschaftsaufgaben als unzureichend angesehen.569 Als weiterer Grund wird eine Stärkung des Föderalismus genannt. Mehr Subsidiarität in den Entscheidungsstrukturen müßte zu einer klaren Zuweisungspflicht der administrativen Aufgabe entweder in die Finanzierungskompetenz der Länder einerseits oder des Bundes andererseits fuhren. Insbesondere Hochschulbau, Städtebauförderung und Wohnungsbau könnten die Länder durchaus in eigener Regie betreiben gesetzt den Fall, sie erhalten die erforderlichen finanziellen Mittel. 5 7 0 Bislang führte die Mischfinanzierung dazu, daß die Länder kaum noch Projekte durchführen konnten, für die sie allein verantwortlich zeichneten. Daher wird auch und gerade im Bereich des Hochschulbaus ein Abbau der Mischfinanzierung postuliert. 571 Genau hier liegt wiederum die Crux. Der Bund soll zahlen, aber nicht mitentscheiden können, der Bund als Zahlmeister der Länder - keine Vorstellung,

565 BAnz. Nr. 240 v. 20.12.1975, S. 4. Einzelheiten bei Krüger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 5 m. w. Nachw. in FN 18, der auch den Finanzierungsschlüssel bei der Forschungsförderung wiedergibt, aaO., Rdnr. 10. Vertiefend femer Mager, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 91 a Rdnr. 18 f. 566 So etwa die Forderung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel, Föderalismus in Deutschland, 1999, S. 11 (17 f.). S. auch den achten von insgesamt zehn Vorschlägen zur Reform des deutschen Föderalismus von Arndt, Benda, Dohnanyi, H.-.P. Schneider, Süssmuth, Weidenfeld, ZRP 2000, 201 (205: Abbau der Mischfinanzierungen). Vgl. femer die bei Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 94 in FN 263 genannten Autoren. 567 Vgl. etwa Krüger, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 91 b Rdnr. 13 ff. 568 So Kewenig, VVDStRL 31 (1973), S. 113 (Aussprache). S. dazu Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 95. 569 So etwa Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 94. 57 0 Teufel, Föderalismus in Deutschland, 1999, S. 11 (18). 571 Zehn Vorschläge zur Reform des deutschen Föderalismus von Arndt, Benda, Dohnanyi, H.-.P. Schneider, Süssmuth, Weidenfeld, ZRP 2000, 201 (205: Vorschlag Nr.

8).

II. Anspruchsgrundlagen die auf der Zentralstaatsebene weithin Zustimmung finden wird. Eine Lösung könnte in einer Rückführung des Hochschulbaus in eine ausschließliche Länderkompetenz mitsamt einer Neuverteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern liegen. Damit läge die Verantwortung wieder in einer Hand, und das schwerfällige bürokratische Procedere der Rahmenplanung würde damit wegfallen. 572

εε) Kriegsfolgenlasten nach Art. 120 GG Schließlich ist sich noch in Art. 120 GG für die Kriegsfolgenlasten eine Ausnahme vom Konnexitätsgrundsatz eingefügt. Nach der kriegsbedingten Sonderregelung des Art. 120 GG trägt der Bund die Finanzierungskosten der Kriegsfolgenlasten, obwohl die Gesetze in landeseigener Verwaltung ausgeführt werden und somit nach dem allgemeinen Prinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG als Länderaufgabe auch von den Ländern finanziert werden müßten. Die Vorschrift gehört trotz ihrer Position im XI. Abschnitt des GG („Übergangsund Schlussbestimmungen") thematisch zur Finanzverfassung des GG 5 7 3 und stellt eine Dauerregelung und keine bloße Übergangsvorschrift dar. 574 Die Verwaltungszuständigkeiten der Artt. 30, 83 ff. GG läßt die Norm unberührt. 575 Das GG enthielt schon seit 1949 eine dem Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG entsprechende Regelung. Die Lastenverteilung bei Kriegsfolgelasten 576 ist also kein Kind der Finanzreform 1969. Angesichts der historischen causa dieser Regelungsmaterie ist dies auch nicht verwunderlich. Hintergrund dieser Regelung ist das Bedürfnis, die Kriegsfolgelasten von der gesamten deutschen Bevölke-

572

So die Begründung des achten der zehn Vorschläge zur Reform des deutschen Föderalismus von Arndt, Benda, Dohnanyi, H.-.P. Schneider, Süssmuth, Weidenfeld, ZRP 2000, 201 (205). 573 Eindeutig, s. nur Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 120 Rdnr. \\ Lübbe-Wolff, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 120 Rdnr. 4. 574 Unstreitig, statt aller Maunz, in: ders./Dürig, Art. 120 Rdnr. 1; Jarass, in: ders./Pieroth, GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 120 Rdnr. 1. 57 5 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 120 Rdnr. 5; Jarass, in: ders./Pieroth, GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 120 Rdnr. 1. 576 Zum Begriff BVerfGE 9, 305 (323 f.). S. auch Maunz, in: ders./Dürig, Art. 120 Rdnrn. 10 ff.; Schaefer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 120 Rdnrn. 8 ff.; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 120 Rdnrn. 11 ff.

4

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

rung ohne Rücksicht darauf tragen zu lassen, wie sie sich auf die einzelnen Länder verteilen. 577 Die Finanzverantwortung des Bundes für die Kriegsfolgekosten hat heute nur noch eine verhältnismäßig geringe Bedeutung, zumal echte Besatzungskosten heute nicht mehr entstehen. Art. 120 GG ist zwar weiterhin eine feste Größe im Bundeshaushalt, und alle diese Kosten werden im Bundeshaushalt veranschlagt. 578 Auch liegt das Schwergewicht der Finanzierung weiterhin beim Bund. 5 7 9 Der Hauptanwendungsfall einer weisungsfreien Landesverwaltung auf Bundeskosten ist er heutzutage indes nicht mehr. 580

y) Die Begriffe

Zweckausgaben und Verwaltungsausgaben

Innerhalb der bisherigen Ausführungen wurden an einigen Stellen die Begriffe der Zweckausgaben und der Verwaltungsausgaben verwendet, ohne daß diese einer eingehenden Klärung unterzogen wurden. Dieses soll nun geschehen. Dabei geht es zunächst um eine grundsätzliche Begriffsbestimmung dieser beiden termini technici. Die Frage, zu welcher Ausgabenart Haftungskosten innerhalb des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zu rechnen sind, wird anschließend zu erörtern sein.

αα) Verwaltungsausgaben Verwaltungsausgaben sind - insoweit weitgehend unstrittig - in erster Linie die Kosten für die Unterhaltung und den Betrieb des administrativen Behördenapparates, also insbesondere die Personalkosten, aber auch die Ausgaben für Dienstgebäude, erforderliche Geräte jeder Art oder sonstiges Material wie etwa die Einrichtung, Fahrzeuge, Kommunikationsmittel, allgemeine Geschäftsbedürfnisse, Reise- und Umzugskosten.581 Es muß sich also um Ausga57 7 Lübbe-Woljf, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 120 Rdnm. 1 u. 8; Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 47. 578 Umfassend Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 47 ff. Vgl. femer instruktiv Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 119 ff. 57 9 Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 256. 580 Anders noch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 47. 581 OVG NW DÖV 1992, 1066 (1067); Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 40; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-

II. Anspruchsgrundlagen

7

ben solcherart handeln, welche die reine Tätigkeit der Verwaltung möglich machen, also solche, die durch die Verwaltung selbst bedingt sind. Schlagwort: Es muß sich um Kosten der laufenden Verwaltung handeln. Dabei lassen sich sachliche und persönliche Verwaltungsausgaben trennen, 582 ohne daß dieser Ansatz einen nennenswerten Erkenntnisgewinn brächte. Die Verwaltungsausgaben müssen „entstanden" sein. Entstanden i. S. dieser Norm sind die Verwaltungsausgaben jeweils bei der Verwaltungsstelle (vgl. § 1 Abs. 4 VwVfG-Bd.), die hierdurch unmittelbar begünstigt ist. Bei Personalkosten handelt es sich um diejenige Behörde, wo die Personalkraft eingesetzt wird, bei Sachkosten diejenige Behörde, die diese Sache besitzt, in Anspruch nimmt oder über dieselbe verfügt. 583

ßß) Zweckausgaben Zweckausgaben hingegen sind solche, die aufgrund der Verwirklichung des eigentlichen Verwaltungszweckes entstehen, also verursacht werden durch die „Erfüllung der eigentlichen Sachaufgaben" 584 wie etwa Sozialhilfe oder Subventionen. Modern gesprochen lassen sie sich als „Output" der Aufgabenwahr-

Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 9; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 12; Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 154; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnm. 47 u. 175; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 15; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 20; F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 16; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 195; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 260; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 19; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (424 f.); Sturm, DÖV 1968,466 (475); Grote, JZ 1996, 832 (833). 582 Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 19. 583 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 154. 584 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 Rdnr. 40; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 154; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 15; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnm. 47 u. 175; F. Klein, in: Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 23 Rdnr. 16; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 195; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 260; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 19; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (425); Hatje, NJ 1997, 285 (286); Grote, JZ 1996, 832 (833).

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

4

nehmung bezeichnen.585 Sie werden - unstreitig - von Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG nicht erfaßt. 586 Die Zweckausgaben gliedern sich in die Ausgaben für Sachleistungen und in die Ausgaben für Geldleistungen. Letzteres liegt z. B. bei Zahlungen nach dem Bundessozialhilfegesetz vor; ersteres bei Maßnahmen des Fernstraßen- und Zivilschutzanlagenbaus oder bei der Errichtung oder der Unterhaltung von Anlagen, die der Lagerung für radioaktive Abfalle nach § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtomG dienen. Holzschnittartig läßt sich formulieren, daß Verwaltungsausgaben diejenigen Aufwendungen sind, die fär das Verwaltungshandeln anfallen, wohingegen Zweckausgaben solche sind, die durch das Verwaltungshandeln entstehen. 587

γγ) Konkrete Kostentragungslasten Das GG trifft nur für die Verwaltungsausgaben (in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG) eine Regelung, die Zweckausgaben werden von der Verfassung nicht erwähnt. Nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG trifft die Finanzierungspflicht für die Verwaltungskosten diejenige Gebietskörperschaft, in deren Verantwortungsbereich sie anfallen. Darüber hinaus gehende Erstattungen, Zuschüsse o. ä. sind grundsätzlich als Verstoß gegen diese Norm zu werten und damit ohne weiteres unzulässig. Die Bestimmung geht also unausgesprochenerweise von einer Unterteilung des Ausgaben in Verwaltungsausgaben einerseits und Zweckausgaben andererseits aus. 588 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz GG bestätigt also den allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz, wonach Bund und Länder immer die bei ihren eigenen Behörden anfallenden Verwaltungsausgaben tragen, unabhängig davon, welche konkrete Verwaltungsform vorliegt. Nur die jeweilige Gebietskörperschaft, die konkret mit der Wahrnehmung der Ausgabe betreut ist, besitzt die Gestaltungsmacht und Verantwortung für die Arbeitsabläufe innerhalb ihrer ei-

585

362.

So ζ. B. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S.

586 Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 40. 587 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 27; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1139; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 195. 588 Allg. Ansicht, vgl. nur Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnrn. 195 f.

II. Anspruchsgrundlagen genen Verwaltung. Die Norm ergänzt als lex specialis die Absätze 1 und 2, 5 8 9 dient aber letztlich nur der Klarstellung für den Bereich der Verwaltungskosten. 590 Abweichungen von der Grundregel des Art. 104 a Abs. 1 GG betreffen mithin ausschließlich die Zweckausgaben.591 Ausnahmen von dem Verbot der Verwaltungskostenerstattung finden sich bei der Amts- und Katastrophenhilfe nach Artt. 35 oder 91 G G 5 9 2 und bei der vereinbarten oder gesetzlich vorgesehenen Organleihe, wo der Bund oder die Länder aufgrund von Vereinbarungen Verwaltungsaufgaben des jeweils anderen Teils erfüllen. 593 Bei dem normalen Verwaltungsvollzug der Bundesgesetze durch die Länder gem. Artt. 83, 84 GG liegt die Kostenlast allein bei den Ländern, und zwar für die Verwaltungs- und die Zweckausgaben. Diese Lastenverteilung wird zutreffend aus dem Zusammenspiel von Art. 104 a Abs. 1 und Art. 104 a Abs. 2 GG geschlossen. Denn nach Absatz 1 des Artikels ist die Kostenlast zwingend bei der Landeseigenverwaltung von Bundesgesetzen an die Verwaltungskompetenz gekoppelt; diese Aufgabenveraritwortung liegt nun einmal bei den Ländern, mit der Folge, daß ihnen auch die Ausgabenverantwortung zukommt. 594 Weiterhin liegt die Kostenverantwortung bei dem landeseigenen Vollzug von Landesgesetzen immer und vollständig bei den Ländern. Die Länder tragen weiterhin ajle Verwaltungskosten im Bereich der Bundesauftragsverwaltung, die Zweckausgaben hingegen fallen dem Bund zur Last (Art. 104 a Abs. 2 GG). Die Bundesauftragsverwaltung ist Landesverwaltung, der Vollzug von Gesetzen nach Art. 85 GG und die Einrichtung der Behörden sind Sache der Länder. Die Bundesauftragsverwaltung stellt den Hauptanwendungsfall des Kostentragungsverbots dar. Bei der Gewährung von Geldleistun589

BVerwGE 95, 188 (195); Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 12. 590 Zur Klarstellungsfunktion Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 59; FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 39; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 13; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 155; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 26. 591 OVG NW DÖV 1992, 1066 (1067); Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 155; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 196. 592 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 60; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 39; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 18; Brockmeyer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 26. 593 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 60. 594 Trapp, Das Veranlassungsprinzip in der Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1997, S. 46. 29 Janz

4

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

gen (Art. 104 a Abs. 3 GG) und den vom Bund geforderten Investitionsprogrammen (Art. 104 a Abs. 4 GG) sind die Verwaltungsausgaben wiederum an die Länder gekoppelt. Der Grundsatz der Finanzierungskonnexität gilt hier ausnahmslos. Ohne daß durch eine Aufsplittung für den Rechtsanwender etwas gewonnen wäre, lassen sich die Verwaltungsausgaben in Personal- und Sachkosten unterscheiden. Die Zweckausgaben können in Sachleistungen und Geldleistungen zergliedert werden. 595 Graphisch läßt sich die Kostenstruktur der Verwaltungsausgaben i. w. S. nach Art. 104 a GG folgendermaßen darstellen: Verwaltungsausgaben i. S. d. Art. 104 a GG (Kosten der Verwaltung)

Verwaltungsausgaben (Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG)

Personalkosten

Sachkosten

Zweckausgaben

Sachleistungen

Geldleistungen

Ob dies auch für die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben nach Artt. 91 a (insbesondere In Hinblick auf Abs. 4) und 91 b GG gilt, ist nicht vorschnell zu beantworten. In diesen Normen ist eine Differenzierung wie in Art. 104 a GG Abs. 1, 5 GG nicht eingebettet, vielmehr ist pauschal von „Kosten" die Rede, was ein getrenntes In-Ansatz-Bringen von Verwaltungs- und Zweckausgaben nicht nahelegt mit der Konsequenz, daß Art. 104 a Abs. 5 Absatz 1 GG kein Verbot der Erstattung von Verwaltungskosten zwischen Bund und

595

So auch v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 20.

II. Ansprchsgrundlagen Ländern auch in den Verwaltungsterrains der Artt. 91 a und 91 b GG aufstellt. 596 Hiergegen läßt sich einwenden, daß der Konnexitätsgrundsatz des Art. 104 a Abs. 1, 5 GG eine lex specialis zu der allgemeinen Kostentragungsregel der Artt. 91 a und 91 b GG darstellt. 597 Letztlich kann dies dahinstehen, da beide Bestimmungen jedenfalls dem Bund einen Teil der Kostenlasten aufbürden.

δδ) Kritische Würdigung Die Differenzierung zwischen Verwaltungsausgaben einerseits und Zweckausgaben andererseits vermag insgesamt nicht vollends zu überzeugen, da bei genauerer Betrachtung auch die Verwaltungsausgaben dem Gesetzeszweck dienen. Eine weitergehende Klärung der jeweiligen Kostenart etwa durch ein Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG unterblieb, obgleich nach dem erklärten Willen des Verfassungsgebers dort die Einzelheiten geregelt werden sollten. 598 Es bleibt daher letztlich den Gerichten überlassen, Zweifelsfälle zu entscheiden. Die Verfassung selbst ist sicherlich nicht der rechte Ort, um diese Feinheiten festzulegen. 599 Ein solches Ausführungsgesetz kann sich einer Konkretisierung annehmen, ein Abweichen von der grundgesetzlichen Regelung des Art. 104 a Abs. 1, 5 GG ist dem einfachen Gesetzgeber selbstverständlich verwehrt. 600 Er hat von dieser Trennung auszugehen; das GG stellt ihm gerade keine Ermächtigung zum Abweichen - etwa wie in Art. 104 a Abs. 4 Satz 2 GG - zur Seite. Die Abgrenzung von Verwaltungs- zu Zweckausgaben ist im Einzelfall durchaus schwierig und muß letztlich von Fall zu Fall gesondert festgestellt werden, da es an allgemeinen Maßstäben mangeln wird. 6 0 1 Wegen der verfas-

596

So BVerwG BayVBl. 1980,473 (475). Vgl. zu dieser Problematik und in diesem Sinne v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 22; unentschieden Vogel/Kirchhof ; in: BK, Art. 104 a Rdnr. 155. 598 BT-Drucks. V/2861, Tz 212. S. auch Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnm. 156 f. 599 Das stellt auch die amtliche Gesetzesbegründung (BT-Drucks. V/2861, Tz. 302) ausdrücklich fest. S. auch Sturm, DÖV 1968, 466 (475). 600 Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 156 : „Zuordnung von Grenzfällen nach dem Maßstab einer inhaltlich bereits vorgegebenen Regel"; ferner Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (426). 601 Dazu Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnm. 62 ff; Brockmeyer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 27; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnm. 177 f.; i. E. auch v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik 597

452

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

sungsrechtlichen Vorgabe des Art. 104 a Abs. 1 und 5 GG ist eine positive Feststellung aufgrund ihres unterschiedlichen rechtlichen Schicksals zwingend erforderlich. Häufig wird in diesem Zusammenhang auch auf den Schwerpunkt der Ausgabe abgestellt werden und erkundet werden müssen, welchen Inhalt und Zweck die vom Gesetzgeber den Ländern übertragene Verwaltungsaufgabe hat. Als grobe Richtschnur mag dienen, daß regelmäßig die direkten Verwaltungsleistungen den sog. Zweckausgaben entsprechen; z. B. sind geldliche Zuwendungen bei Geldleistungsgesetzen (Art. 104 a Abs. 3 GG) ausnahmslos Zweckausgaben. Durchaus hilfreich kann mitunter die amtliche Begründung des Art. 104 a Abs. 5 G G 6 0 2 sein. Danach sind Personalausgaben (die „Kosten für das Verwaltungspersonal") typischerweise keine Zweckausgaben in diesem Sinne, wohingegen die Baunebenkosten, also etwa solche für die Entwurfsplanung oder die Bauaufsicht, beim Fernstraßenbau nach Art. 90 Abs. 2 GG durchaus Zweckausgaben sein können, indes nicht zwingend sein müssen.603 Ungeklärt in diesem Zusammenhang ist die Frage, weshalb die amtliche Gesetzesbegründung als einzige spezielle Kostenmaterie die Baunebenkosten aufführt und deren rechtliche Einordnung dann auch noch ausdrücklich offenläßt. Die Annahme, daß Personalkosten keinesfalls Zweckausgaben sein können, 604 muß dahin revidiert werden, daß eine andere Betrachtung dann angezeigt ist, wenn diese Kosten die zu erbringende (Dienst-) Leistung, der Gesetzeszweck selbst sind. 605 Hier muß unmittelbar unter den Begriff Zweckaufgaben subsumiert werden. Die vorzunehmende Abgrenzung dürfte im Einzelfall eine sehr schwierige sein.

Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 20; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, 1974, S. 19; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (425); Sturm, DÖV 1968, 466 (475); Grote, JZ 1996, 832 (833). 602 BT-Drucks. V/2861, Tz. 301 bis 304. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das 7Voeger-Gutachten, S. 54, Tz. 212, wo als nicht eindeutiger Fall die Durchführung der Bundestagswahlen erörtert wird. Vgl. ferner Sturm, DÖV 1968, 466 (475 mit FN 101). 603 Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 26; dazu auch Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 177; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 157 mit weiteren Einzelheiten. 604 In diesem Sinne noch die amtliche Gesetzesbegründung, BT-Drucks. V/2861, Tz. 301: „Die Vorschrift ... legt die Kosten für das Verwaltungspersonal... dem Träger der Verwaltung auf." 605 So auch Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 11.

II. Anspruchsgrundlagen

3

Bei einer kritischen Zusammenschau über die Trennung der Verwaltungsund Zweckausgaben und der damit einhergehenden Differenzierungsprobleme sollte bedacht werden, daß diese Verteilungsregel immerhin seit nunmehr über 30 Jahren gilt, ohne daß in diesem speziellen Bereich der Kostenzuordnung merkliche Konflikte aufgetreten wären. Es läßt sich daher mit Recht behaupten, daß sich diese Regelung letztlich in der Rechtswirklichkeit bewährt hat - trotz oder gerade wegen der schwierigen Abgrenzungsprobleme zwischen den beiden Begriffen Zweckausgaben und Verwaltungsausgaben.

δ) „ Einpassen " der Haftungskosten Satz 1 1. HS GG

in das System des Art. 104 a Abs. 1 und 5

Nachdem die Verwaltungsausgaben und die Zweckausgaben begrifflich geklärt sind, bleibt zunächst zu fragen, ob sich diejenigen Kosten, die sich als Teil einer Haftung darstellen bzw. ergeben, in das bundesstaatliche Lastenverteilungsprinzip einordnen lassen. Anschließend gilt es zu klären, inwieweit derartige Haftungskosten solche Ausgaben im Sinne des Art. 104 a Abs. 1 GG sind, ob es sich also bei einer Haftung im Bund-Länder-Verhältnis um Verwaltungsausgaben oder Zweckausgaben handelt. Der Verfassungsgeber hat 1969 durch die Implantation des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG und die Anbindung an die Verwaltungsausgabenregelung eindeutig und unmißverständlich diese Haftungsregelung für das BundLänder-Verhältnis als Teil der bundesdeutschen Finanzverfassung und somit als Element des föderalen Lastenverteilungssystems ausgestaltet.606 Zudem ist diese Föderalhaftung Bestandteil der Kopfnorm des X. Abschnitts des GG über das Finanzwesen, was die Bedeutung der Regelung für das staatliche Gemeinwesen unterstreicht. 607 Der Regelung kommt fernerhin eine unmittelbare Geltungskraft zu, sie bindet und verpflichtet also Bund und Länder ohne ein weiteres Zutun des einfachen Gesetzgebers. Es ist daher sachgerecht, diese Haftungsbestimmung nicht nur als einfaches Strukturelement der gesamtstaatlichen Lastenverteilung zu begreifen, sondern ihr eine herausgehobene Bedeutung zuzumessen. Daß dabei diese Norm nicht in den Verwaltungs- und Rechtsprechungsalltag gehört, sondern rechtstatsäch606

Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 63; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 48; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 135. 607 Das räumt auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 32, ein, der i. ü. eine unmittelbare Anwendbarkeit der Haftungsnorm anlehnt; vgl. dazu oben Ε. II. 3. d).

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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lieh bislang jedenfalls eher ein Schattendasein fristete, vermag an ihrer Bedeutung innerhalb dieses Regelungsbereiches nichts zu ändern. Zählen nun die Verwaltungshaftungskosten zu den Zweck- oder Verwaltungsausgaben? Relevant wird diese Frage immer dann, wenn die Ausgabenverantwortung fur die Zweckausgaben nicht bei dem ausfuhrenden Verwaltungsträger liegt, also insbesondere im Fall der Bundesauftragsverwaltung. Daher stellt sie sich auch für das Weisungsrecht des Bundes nach Art. 85 Abs. 3 GG und damit für den Inhalt dieser Untersuchung als klärungsbedürftig dar. Zweckausgaben dienen der Verwirklichung des Verwaltungszweckes. Dieser Zweck kann nicht in einer mangelhaften Verwaltung liegen, selbst wenn bei der Ausführung von Geldleistungsgesetzen zu hohe Ausgaben getätigt wurden; denn eine gesetzes- und damit zweckwidrige Mittelverwendung können schlechterdings gerade nicht der Verwirklichung des Verwaltungszweckes dienen. Dabei ist es in Hinblick auf das Thema dieser Untersuchung gleich, ob der Verwaltungsfehler beim Bund hinsichtlich der Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG oder beim Land hinsichtlich des Weisungsvollzuges entstanden ist. In beiden Fällen kann der Gesetzeszweck bereits begrifflich nicht durch ein mangelhaftes administratives Handeln erfüllt werden. Diese klare begriffliche Zuweisung vermeidet schließlich auch eine unnötige Aufspaltung des Begriffs der Haftungskosten innerhalb des Art. 104 a Abs. 5 GG. Für die rechtliche Einordnung der Haftungskosten bleiben daher zunächst nur die Verwaltungsausgaben nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz GG übrig, es sei denn, diese Haftungskosten stellten eine eigene besondere Kategorie staatlicher Ausgaben dar, die innerhalb des Begriffsdoppels Verwaltungsausgaben-Zweckausgaben nicht vorkommen. 608 Im Ergebnis sind Verwaltungsausgaben auch diejenigen Kosten, die durch verwaltungsinterne Fehlleistungen entstehen. Zwar dienen diese Kosten nicht unmittelbar der Unterhaltung und dem Betrieb des administrativen Apparates, so daß eine eindeutige Zuordnung zunächst nicht möglich ist. 6 0 9 Sie stellen sich aber als Verwaltungsausgaben im weiteren Sinne dar. 610 Sie entstehen als Verwaltungslast anläßlich der Gesetzesausführung, sei es durch den Bund, sei es

608

In diese Richtung etwa Littwin, DVB1. 1997, 151 (156). So ausdrücklich auch für die von den Ländern zu tragenden Schadensausgaben für Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 260 f. 610 So ausdrücklich auch Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GGKomm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 41; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 23. 609

II. Anspruchsgrundlagen durch das Land. Es ist insoweit also erforderlich, den Begriff der Verwaltungsausgabe weiter als bislang zu fassen und ein Einstehenmüssen für eine Fehlverwaltung zu den Verwaltungsausgaben nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz GG - und zwar konkret zu den Sach- und nicht den Personalkosten zu rechnen. 611 Ferner verbietet sich die Schaffung einer weiteren Ausgabenkategorie für Verwaltungskosten, da insoweit die beiden Bereiche der Verwaltungs« und Zweckausgaben nach Art. 104 a Abs. 1 und 5 GG abschließend sind. Die Lastenverteilungsnormen des GG müssen alle Ausgaben erfassen. 612 Damit ist jedoch - und das muß ausdrücklich klargestellt werden - noch keine Aussage über die endgültige Haftungskostenverteilung getroffen. Vielmehr sind diese Haftungskosten nur grundsätzlich den Verwaltungsausgaben im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz zugeordnet, über ihre endgültige Tragungspflicht ist nicht entschieden. Diese Pflicht ergibt sich ausschließlich aus Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG selbst. Der Haftungsartikel erweist sich damit als Durchbrechung des Konnexitätsprinzips. Jedenfalls stellt er eine lex specialis zur der Verwaltungsausgabentragepflicht des Bundes und der Länder nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz GG dar mit der Folge, daß diese Grundnorm zur Regelung der Verwaltungsausgaben nicht mehr gilt. Dies ergibt sich ohne weiteres bereits aus der systematischen Stellung der Vorschrift. 613 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß weisungsverursachte Haftungskosten sich in das bundesstaatliche Lastenverteilungssystem bruchlos einfügen lassen. Sie sind immer als Verwaltungsausgaben im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz GG anzusehen und stellen demzufolge von Verfassungs wegen Ausgaben der Länder dar. Über ihre schlußendliche Tragungspflicht ist 611 So auch Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 159; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 41; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 187; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 13; v. Arnim, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, 1990, § 103 Rdnr. 23; Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1139; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 197; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 56; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 135; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (288 f.); Zimmermann, DVB1. 1992, 93 (96); wohl auch Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GGKomm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 62. A.A.: Littwin, DVB1. 1997, 151 (156), der für die Haftungskosten eine eigene Regelungsmaterie eröffhet sehen will. 612 U: Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 261. A.A. hinsichtlich der Haftungskosten Littwin, DVB1. 1997, 151 (156). 613 Ε. II. 3. d) cc) γ).

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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hiermit noch nichts ausgesagt. Sie ist von anderen Voraussetzungen abhängig, die im folgenden untersucht werden.

f) Voraussetzungen einer Bund-Länder-Haftung: Der Tatbestand des Art 104 a Abs. 5 Satz 1 2. HS GG Bund und Länder „haften im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Diese kargen Worte des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG bilden die Elemente der Tatbestandsstruktur und umreißen somit den Haftungstatbestand. Nur bei klarer Konturierung von Voraussetzungen, Maßstab und Umfang der Haftung kann der Rechtsbetroffene die Rechtslage erkennen und sein Verhalten an dieser orientieren. 614 Die Bestimmung verliert erst dann ihre verfassungsrechtlich zumindest zweifelhafte Unbestimmtheit. Im einschlägigen Schrifttum finden sich mittlerweile mancherlei Versuche, die in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG konstituierte Bund-LänderHaftung mit ihren einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen auszuforschen und für den Rechtsanwender handhabbar zu machen. Einigkeit hinsichtlich der einzelnen Voraussetzungen und ihres jeweiligen konkreten Inhaltes wurde bislang nicht erzielt, was sich wohl in erster Linie mit dem „offenen" Wortlaut der Haftungsnorm erklären läßt. 615 Ferner steht eine Untersuchung über die BundLänder-Haftung in Hinblick auf die Bundesauftragsverwaltung und damit auch das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG aus. Auch die Rechtsprechung hatte Gelegenheit, die Haftungsvorschrift mit Leben zu füllen. Er überrascht kaum, daß es bei den letztlich nur wenigen Fällen nicht gelungen ist, die wesentlichen oder gar alle Unklarheiten hinsichtlich der Anwendung und des Umfanges des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zu beseitigen. Insbesondere hinsichtlich des Verschuldensmaßstabes ist die Rechtsprechung des BVerwG in sich nicht widerspruchsfrei. 616 Insgesamt läßt sich mit Blick auf die Rechtsprechung und das Spezialschrifttum feststellen, daß klare haftungsrechtliche Vorgaben oder gar eine halbwegs abgeschlossene Kasuistik des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG bis heu6,4

F. Kirchhof NVwZ 1994, 105 (107 m. w. Nachw. in FN 20 u. 21). Besonders bemerkenswert in dem Fehlen jeglicher praktischer Handhabe sind die Ausführungen zu Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG von Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 133 ff. Luther anerkennt zwar den Charakter einer Lasten Verteilungsnorm (S. 134), präzisiert die Haftungsvoraussetzungen indes in keinster Weise und läßt schließlich auch die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit zur Gänze offen. 616 Einzelheiten dazu unten E. II. 3. f) dd) β) γγ). 615

II. Anspruchsgrundlagen

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te ausstehen. Daß der Anwendungsbereich des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG „weitgehend ungeklärt" wäre, 617 ist nicht zutreffend. Der Wortlaut selbst bietet hinreichende Elemente der Tatbestandsstruktur, die Wesentliches bereits normieren. Darüber hinaus sind nun auch mehr als dreißig Jahre seit der Finanzreform ins Land gegangen; dreißig Jahre, die Rechtsprechung und Schrifttum genutzt haben, den Anwendungsbereich der Vorschrift, seinen Tatbestand und seine Rechtsfolgen zu konkretisieren. Mag auch in den ersten beiden Jahrzehnten auf diesem Gebiet nur marginale Arbeit erbracht worden sein, so ist doch seit Mitte der Neunziger Jahre diese Konkretisierungsödnis einer erstaunlichen Aktivität gewichen. Dabei wurde indes keine Übereinstimmung erzielt; konkrete handhabbare Ergebnisse finden sich nur in Teilbereichen. Abgesehen von dem grundsätzlichen Streit um die Anwendbarkeit der Haftungsnorm ist in diesem Zusammenhang zuvörderst an die Frage des Rechtswidrigkeitsmaßstabes und des Verschuldenserfordernisses zu denken. Entgegen einer verbreiteten Meinung in der Literatur 618 ist ein „Ausfüllen der Aktualisierung" mit den „erprobten Mitteln der Interpretation und rechtsschöpferischen Lückenfüllung" 619 insbesondere durch die Rechtsprechung nicht nur geeignet, sondern zulässig und auch erforderlich. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG muß zwecks verfassungskonformer Konkretisierung verfassungsrechtlich unterfüttert werden. Nur mit einem durch die Mittel der Verfassungsinterpretation gewonnenen praktikablen Rahmen kann der Rechtsanwender arbeiten - nicht ausschließlich, aber auch hinsichtlich der Weisungsproblematik innerhalb der Verwaltungshaftung. Im folgenden sollen also die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Verwaltungshaftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG dargestellt werden, soweit sie einen weisungsrechtlichen Bezug aufweist. Die Konkretisierung der Haftungsbestimmung ist in erster Linie „aus der Verfassung heraus" zu leisten. Ein Anknüpfen hinsichtlich der Voraussetzungen und der Rechtsfolgen an den Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. bietet sich hier an. Allzu große Gewinne sind angesichts des mageren und wenig aussagekräftigen Wortlautes der obsoleten Norm und auch wegen der fehlenden Anwendung bis zum Außerkrafttreten 1969 allerdings nicht zu erwarten.

617 So aber Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 20. 618 So insbesondere Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 35 ff. 619 BVerfGE 25, 167 (183).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Heranzuziehen fur die Ausformung des Haftungstatbestandes des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG wäre in allererster Linie das Ausfuhrungsgesetz nach Satz 2 der Vorschrift. Da dieses bis zum heutigen Tage fehlt und auch in naher Zukunft der Erlaß eines solchen Gesetzes nicht zu erwarten ist, bleibt der Gesetzesanwender de lege latam allein gelassen. Im Schrifttum wird daher auch allenthalben das Fehlen dieses Gesetzes und damit das Untätigbleiben des Gesetzgebers beklagt, 620 ohne daß dies bisher Folgen gezeitigt hätte. Angesichts dieser Situation bietet es sich an, auf den vormaligen Referentenentwurf aus dem Jahre 1973 zurückzugreifen. 621 Dies darf selbstverständlich nur ohne jeden bindenden Charakter geschehen und sollte vielleicht auch eher nur der Bestätigung gewonnener Ergebnisse dienen. Denn einerseits liegt dieser Entwurf bald dreißig Jahre zurück, und andererseits ist er gerade nicht Gesetz geworden, sondern über sein Entwurfsstadium nicht hinausgekommen, so daß an seiner inhaltlichen Sachgerechtheit durchaus Zweifel angeraten sind. Trotz dieser angebrachten methodologischen Skepsis soll der Blick mitunter zu diesem Referentenentwurf hinübergehen. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG trifft trotz seiner äußeren Wortlautkargheit immerhin drei materielle Aussagen, die zusammen genommen den verfassungsgesetzlich terminierten Haftungstatbestand bilden. Zunächst normiert die Vorschrift eine Haftung. Diese Haftung besteht zwischen dem Bund und den Ländern. Schließlich bestimmt die Norm, daß für eine ordnungsmäßige Verwaltung gehaftet werden soll. Diese drei materiellen Tatbestandsvoraussetzungen gilt es im folgenden zu untersuchen.

aa) Haftungsbeteiligte Erste Voraussetzung für die Ausfüllung der Haftungsbestimmung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist das Vorhandensein von Beteiligten der Verwaltungshaftung, und zwar zum einen auf der aktiven und die Haftung geltend machenden, und zum anderen auf der passiven und somit haftenden Seite.

620 Exemplarisch etwa Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 66. 621 Unveröffentlichter Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I Β 1 - F V 1160 - 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Text bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff.

II. Anspruchsgrundlagen a) Bund und Länder als Beteiligte Der Wortlaut des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG legt den Bund und die Länder als Beteiligte der Verwaltungshaftung fest. Die in Betracht kommenden Haftungssubjekte werden klar umrissen. Die genannten Gebietskörperschaften sind jedenfalls als Teil der unmittelbaren Staatsorganisation von der Norm erfaßt. Die Benennung der Zentralstaatsebene einerseits und der Gliedstaatsebenen andererseits läßt den Schluß zu, daß die Vorschrift zunächst eine gegenseitige Haftung von Bund und Ländern festlegt. Jedes einzelne der 16 Bundesländer kann Haftungspartner des Bundes sein. Gleichzeitig kann auch der Bund von jedem einzelnen Land uneingeschränkt haftbar gemacht werden. Es ist unzulässig, hinsichtlich dieser Haftungsbeteiligung Einschränkungen vorzunehmen. 622 Dem Bund kann also beispielshalber die Möglichkeit einer Inregreßnahme eines Landes nicht abgesprochen werden. Abzulehnen ist die vereinzelt gebliebene Ansicht von Bender. 613 Ihm zufolge ist Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG - neben seiner Rechtsqualität als Verfassungsauftrag 624 - gar nicht erst anwendbar, wenn ein Pflichtverstoß eines Landes darauf beruht, daß eine Norm des Bundesrechts vollzogen wurde. 625 Hintergrund soll sein, daß die Bestimmung keine Haftung des Bundes gegenüber den Ländern (oder umgekehrt) für eine nicht ordnungsmäßige Rechtsetzung vorsehe. Diese Argumentation trägt nicht, da regelmäßig und nicht nur innerhalb der Bundesauftragsverwaltung Bundesgesetze von den Ländern vollzogen werden und Fehler im Vollzug - wie auch Fehler bei der Umsetzung einer Bundesweisung - gerade von Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG abgedeckt werden sollen. Für weisungsbedingte Haftungsauseinandersetzungen bedeutet die Beteiligung von Bund und Ländern, daß alle denkbaren Auseinandersetzungen im Bereich der Bundesauftragsverwaltung und somit auch innerhalb des Weisungsrechts nach Art. 85 Abs. 3 GG von der Haftungsbestimmung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG erfaßt werden, und zwar unabhängig davon, auf wessen Seite ein Schaden entstanden und wer letztlich regreßpflichtig ist. Für weisungsgeprägte Streitigkeiten ist es nun einmal zwingend erforderlich, daß 622 Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 13; Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 164; Storr, Die Haftung im Bund-LänderVerhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (289 f.); U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 (615); Zimmermann, DVB1. 1992, 93 (96). 623 S. Bender, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl. 1981, Rdnm. 712 f. 624 Bender, aaO., Rdnr. 713. 625 Bender, aaO., Rdnr. 712.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

sich auf der einen 'befehlenden' Seite der Bund und auf der anderen 'ausführenden' Seite ein Land befindet. Angesichts der Existenz von 16 Bundesländern seit der deutschen Wiedervereinigung uiid dem Bund als Zentralstaats- und Anweisungsebene (vgl. Art. 85 Abs. 3 GG) sind also zunächst 16 verschiedene Haftungskonstellationen möglich. Da Handlungssubjekte uneingeschränkt Bund und Länder sein können, kommen weitere 16 denkbare haftungsrechtliche Beziehungen hinzu, so daß die weisungsrechtliche Dimension einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG insgesamt 32 verschiedene Haftungssubjektskonstellationen beinhaltet. Dies gilt jedenfalls unter der Prämisse, daß jeweils nur ein Land nach Art. 85 Abs. 3 GG vom Bund angewiesen wird. Doch selbst bei einer Weisung an mehrere Bundesländer verbleibt es bei dieser Anzahl, da jede einzelne BundLänder-Beziehung für sich allein betrachtet und isoliert rechtlich bewertet werden muß. Nicht Haftungssubjekt - weder auf der aktiven noch auf der passiven Seite können daher private Dritte sein. Ihnen steht die Norm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht zur Verfügung, da sie von Verfassungs wegen aus dieser speziellen föderalen Bund-Länder-Beziehung von vornherein ausgeklammert sind. Auch eine analoge Rechtsanwendung kommt nicht in Betracht, da kein Motiv für eine gesetzesübersteigende Auslegung der Bestimmung erkennbar ist. Dies ist auch folgerichtig im Schrifttum nirgends postuliert worden, und auch die Rechtsprechung erwog eine solche Analogie nicht, was für sich allein schon ein wichtiges Indiz für die Nichtanalogiefähigkeit der Vorschrift ist. 6 2 6 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG stellt insoweit eine verfassungsrechtliche lex specialis für den Bund und die Länder dar. Eine Haftung im Verhältnis zum Bürger wird weder von der Vorschrift erfaßt noch von ihr beeinflußt. Dementsprechend wird auch bei dem Referentenentwurf für ein Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG in § 1 eine Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung nur für den Bund und seine bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, für die Länder mit ihren juristischen Personen sowie den Gemeinden und Gemeindeverbänden benannt. 627 626

Zu der Fallkonstellation, daß das Land einem Dritten seinen Schaden ersetzt hat und sich nun an den Bund hält, s. u. E. III. 2. 627 Unveröffentlichter Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I Β 1 - F V 1160 - 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Text bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff.

II. Anspruchsgrundlagen β) Nur Länder als Beteiligte Wenn nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG Bund und Länder Haftungssubjekte sein können, fragt es sich, ob neben einer Bund-Länder-Haftung auch eine reine Länderhaftung untereinander ohne Beteiligung der Zentralstaatsebene möglich ist. Derartige Konstellationen sind vom bloßen Wortlaut der Norm her nicht von vornherein ausgeschlossen.628 Neben Bund-Land-Beziehungen sind - zumindest theoretisch - auch Land-Land-Beziehungen in haftungsrechtlicher Hinsicht denkbar. 629 Insoweit kann davon gesprochen werden, daß die Vorschrift neben einer vertikalen Regelungsrichtung auch eine horizontale Ebene haben könnte. 630 In Bezug auf eine Weisung, die aufgrund der grundgesetzlichen Vorgabe ausschließlich vom Bund erteilt werden kann, ist ein Anwendungsfall, bei dem allein zwei oder mehrere Bundesländer und nicht der Bund involviert sind, jedoch nicht denkbar. Weisungsgeprägte haftungsrechtliche Streitigkeiten zwischen zwei Ländern scheiden daher schon begrifflich aus. Für die vorliegende Untersuchung ist daher die Frage nach einer reinen Länderhaftung innert des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG irrelevant.

γ) Mittelbare Staatsverwaltung Von der fehlenden Haftungssubjektsqualität privater Dritter zu unterscheiden ist die Frage, ob auch die mittelbare Verwaltung für ein Fehlverhalten einstehen muß. 631 Vom Wortlaut her regelt die Norm nur eine Haftung von Bund und Ländern untereinander.

628 So ausdrücklich auch Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 93. 629 Für eine solche Haftung der Länder untereinander Vogel/Kirchhof j in: BK, Art. 104 a Rdnr. 164. Ablehnend unter Hinweis auf den rein vertikalen Charakter der Norm U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 386 ff.; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 199; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 93. § 1 des Referentenentwurfes lautet: „Der Bund... einerseits und die Länder ... andererseits sind einander bei der Ausführung von Verwaltungsaufgaben zur ordnungsmäßigen Verwaltung verpflichtet." Hiemach wäre eine reine Länderhaftung unzulässig. 630 So Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 164.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Anerkanntermaßen findet sie aber auch Anwendung, wenn Gemeinden oder Gemeindeverbände in den Vollzug auftragsweiser Verwaltungsbereiche durch die Länder integriert werden. 632 Für Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist es gleich, ob durch ein administratives Fehlverhalten ein Schaden bewirkt wird und dabei auf Länderseite eine kommunale Beteiligung vorlag oder nicht. Dementsprechend bezieht auch der Referentenentwurf die Gemeinden und Gemeindeverbände in den haftungsausfüllenden Tatbestand mit ein. 633 Denn die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung obliegt auch den jeweiligen bundesunmittelbaren und landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie in die staatliche Verwaltung miteinbezogen sind. 634 Einen anderes Problem im haftungsrechtlichen Beziehungsgeflecht stellt die Möglichkeit einer direkten Haftungsverbindung in Form eines Durchgriffs auf die beteiligten mittelbaren Verwaltungsträger dar. Hier gilt es für die vorliegende Untersuchung zunächst zwischen Verwaltungsträgern auf Bundesseite einerseits und Verwaltungsträgern auf Landesseite andererseits zu unterscheiden. Für Weisungskonflikte und ihre haftungsrechtlichen Konsequenzen sind dabei die bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts ohne Interesse. Zunächst kommt ihnen unter keinen Umständen ein Weisungsrecht nach Art 85 Abs. 3 zu, da weisungsbefugt ausschließlich die zuständigen obersten Bundesbehörden sind. 635 Bundesunmittelbare juristische Personen

631

Dazu Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (289 f.). 632 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 200. S. auch die Regelung des Referentenentwurfes für das Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG; abgedruckt bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff. 633 § 1 des unveröffentlichten Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Finanzen I Β 1 - F V 1160 - 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Text bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165. 634 Der Referentenentwurf für das Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG regelte demzufolge auch in seinem § 1 die Pflicht und benannte diese juristischen Personen ausdrücklich. 635 Zur Weisungsberechtigung oberster Bundesbehörden und - als Ausnahme - oberer Bundesbehörden s. o. D. II. 3. b) aa).

II. Anspruchsgrundlagen

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können solche Behörden begrifflich nicht sein. Ferner ist auch eine weisungsbedingte Schädigung durch ein Landesverhalten ausgeschlossen. Landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechtes können hingegen sehr wohl in das weisungsbedingte Geflecht von Bund und Land integriert sein, wenn sie durch ein Landesgesetz mit dem Vollzug einer Auftragsmaterie nach Art. 85 GG ganz oder teilweise betreut worden sind. Ihr (Fehl-) Verhalten ist dabei der Körperschaft Land als ein eigenes zuzurechnen. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG bietet für Gemeinden, jedenfalls soweit sie in die auftragsweise Verwaltung nach Art. 85 GG einbezogen sind, keine Anspruchsgrundlage, weder zu ihren Gunsten gegenüber dem Bund noch zu ihren Lasten. 636 Es haftet immer das Land. Für eine direkte gemeindliche Haftung wäre eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich. 637 Die Kompetenz hierzu liegt ausschließlich bei den Ländern und nicht beim Bund. 6 3 8 Selbst für den Fall, daß eine solche Regelung als nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG erlaßfahig angesehen werden sollte, wäre die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG eine kaum zu überwindende Hürde. 639 Ein unmittelbarer Durchgriff des Bundes auf die Kommunen oder ein solcher auf den Bund scheidet aus, weil die Gemeinden in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht und bei der Bundesauftragsverwaltung als Teil der Länder gelten und somit nur die Länder passivlegitimiert sein können. Sie sind Teil einer einheitlichen Verwaltungsorganisation nach Art. 85 GG, und nur das Land kann für ein Fehlverhalten „seiner" Gemeinden verantwortlich zeichnen, zumal 636

BVerwGE 96, 45 (56); 100, 56 (60); Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 104 a Rdnr. 72; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 13; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 200; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 70; FischerMenshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 42; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 94; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 374 f.; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 197; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 57; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (289 f.); H Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (515 f. mit FN 59). A.A. wohl Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 165; ausdrücklich offengelassen von F. Kirchhof NVwZ 1994, 105 (106). 637 BVerwGE 100, 56 (60); Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 200; Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 197. 638 So Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 200; offengelassen von BVerwGE 100, 56 (61 f.). 639 Allgemein zu den verschärften Kautelen des Art. 72 Abs. 2 GG n. F. Nierhaus/Janz, ZG 1997, 321 (324 ff.).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

bereits die Entscheidung über ihre Einbeziehung in eine aufiragsweise Verwaltung eine solche des Landes ist.

δ) Zusammenfassung Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG normiert eine gegenseitige Haftung von Bund und Ländern in allen Bereichen, die der Bundesauftragsverwaltung unterliegen. Wegen der verfassungsrechtlich vorgegebenen Aufgabenverteilung stellt sich diese Haftung des Bundes und der Länder zueinander nicht nur als nächstliegende, sondern auch als häufigste Konstellation dar. 640 Für weisungsgeprägte Haftungsstreitigkeiten ist ausnahmslos die föderale Haftungsnorm anwendbar. Im Falle der Bundesauftragsverwaltung kommt es auf die Frage, ob auch eine Haftung der Länder untereinander geregelt wird, nicht an. Die Gemeinden unterfallen der Haftungsregel, wegen des zweistufigen Finanzverfassungsaufbaus des GG werden sie allerdings als Teil der Länder angesehen, so daß eine unmittelbare Haftung für oder gegen sie nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ausgeschlossen ist.

bb) Der Begriff „haften" Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG spricht davon, daß Bund und Länder einander haften. Dieses Elemente der Tatbestandsstruktur verklammert die beiden Haftungssubjekte auf eine bestimmte Art und Weise miteinander. Getrennt von der Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zu behandeln ist die Rechtsfolge der Verwaltungshaftung, also insbesondere der konkrete Haftungsumfang und die Frage einer möglichen Verjährung des Anspruchs. 641

a) Fehlende Befassung in Rechtsprechung und Schrifttum Als flektiertes und einziges Verb innerhalb der Haftungsvorschrift stellt das Haften ohne weiteres ein Tatbestandsmerkmal der Bestimmung dar. Es muß vorliegen, damit die Rechtsfolge eintreten kann - eine juristische Binsenweis-

640 So auch Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 198. 641 Dazu unten E. II. 3. f) ee).

II. Anspruchsgrundlagen heit. Das bedeutet auch, daß bei NichtVorliegen eines Haftungstatbestandes die Rechtsfolge der Vorschrift ausbleiben muß. Angesichts des überaus dürftigen Wortlautes des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG liegt es vermeintlich nahe, jedem einzelnen dieser wenigen Tatbestandselemente eine besonders herausgehobene Bedeutung zuzumessen. Wird die Rechtsprechung und Literatur auf ihre Aussagen zum Haften nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG untersucht, so ergibt sich allerdings ein entgegengesetztes Bild: Es herrscht weitgehend Schweigen. Vor allem die einschlägige Rechtsprechung schenkt diesem Normelement kaum Bedeutung. Und auch die Stimmen im Schrifttum, die das Haften eigenständig erörtern, sind ganz im Loriots chen Sinne - übersichtlich. So schenkt beispielshalber kein (!) Grundgesetzkommentar dem Haften eine nennenswerte Beachtung. 642 Auch Monographien, die sich ausschließlich mit der Bund-Länder-Haftung befassen, vermitteln kaum ein anderes Bild. 6 4 3 Nur ganz vereinzelt wird das Haften i.S. des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG eigenständig erörtert. 644

ß) Begriffsinhalt Die überaus spärliche Befassung mit dem Begriff des Haftens durch die Rechtsprechung und das Schrifttum erfolgt zu recht. Denn letztlich erweist sich der Bedeutungsinhalt dieses Verbs - jedenfalls auf der Tatbestandsseite - als eher gering. Trotz der wenigen Begriffselemente des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG, die allerorts beklagt werden, kann diese Tatbestands Voraussetzung keine klaren Strukturierungen oder Begriffsinhalte vermitteln. 645 Deshalb überrascht es auch nicht, daß mit Hinweis auf die Unbestimmtheit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG von verschiedener Seite eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift negiert wird. 6 4 6 Das GG kennt - wie auch das übrige öffentliche Recht - keinen eigenständigen Haftungsbegriff. 647 Im GG findet ein „Haften" ausschließlich in Art. 104 a 642

Eine (kleine) Ausnahme bilden Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 163. S. etwa Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, der sich (auf S. 110 ff.) ausschließlich mit der Rechtsfolge der Haftung beschäftigt. 644 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 270 f.; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 11 ff. 645 In diese Richtung auch Rudisile, DÖV 1985, 909 (916). 646 S. ο. E. II. 3. d). 647 Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S._ 11. 643

30 Janz

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

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Abs. 5 Satz 1 GG Verwendung und wird an dieser Stelle nicht näher ausgeführt oder erläutert. 648 Das vorgesehene Ausführungsgesetz, welches einfachgesetzlich den Begriff ausfüllen könnte, ist bislang nicht ergangen. Das GG enthielt auch in früheren Fassungen keine Begriffsbestimmungen der Haftung. Vielmehr fand sich der Terminus nur in dem unmittelbaren Vorläufer des Art. 104 a Abs. 5 GG wieder, nämlich in Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG. Danach hafteten die Länder dem Bund mit ihren Einkünften für eine ordnungsgemäße Verwaltung derjenigen Steuern, die sie im Auftrage des Bundes verwalten und die dem Bund zufließen. 649 Der Ausdruck findet im deutschen Recht auf sehr unterschiedliche Weise Verwendung; 650 F. Kirchhof 61 spricht zutreffend davon, daß „bereits der Begriff der Haftung in der deutschen Rechtsordnung schillernd" ist. Der Bedeutungsreigen reicht von der zivilrechtlichen Pflicht zur Vertragserfüllung nach § 179 Abs. 1 und 3 BGB bis hin zur polizeirechtlichen Störerverantwortlichkeit. Für eine eigenständige Bestimmung der Haftung im Verfassungsrecht - konkret innerhalb des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG - besteht kein Bedürfnis. Das Sujet „haften" im Verfassungsrecht entspricht vielmehr der Verwendung, die sich im Zivilrecht findet. Die „normalen" zivilrechtlichen Haftungsbestimmungen und -definitionen finden auch im Verfassungsrecht Anwendung. Naturgemäß variiert die Bedeutung der einzelnen Voraussetzungen. So stellt sich die Frage der Kausalität von Weisung und Schaden eher als problematisch dar als die Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen des Landes. Hätte der Verfassungsgeber eine andere, spezifisch verfassungsrechtliche Verwendung der „Haftung" determinieren wollen, so hätte er dies im GG selbst, erläuternd 652 zumindest aber in dem Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG tun müssen, was indes nicht geschehen ist. Vielmehr wird der Begriff „haften" ohne jeden besonderen Zusatz gebraucht. 653 Die Haftung ist hier in fi648

Die „Haftung bei Amtspflichtverletzung" nach Art. 34 GG ist eine bloße inoffizielle Gesetzesüberschrift, die nicht Teil des (Grund-) Gesetzes ist. 649 Weiteres zu dieser Norm, s. o. E. II. 3. c). 650 Einzelheiten bei U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 270 ff.; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 11 ff; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (288); vgl. auch Rudisile. DÖV 1985, 909 (910); W. Schulze, DÖV 1972,409 f. 651 NVwZ 1994, 105 (106). 652 Das Ausführungsgesetz zu Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG kann an der grundsätzlichen, von der Verfassung vorgegebenen Haftung nichts ändern. 653 So auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 18 (zur Rechtslage vor 1969).

II. Anspruchsgrundlagen

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nanzieller Hinsicht zu verstehen, wie schon eine systematische Betrachtung in Hinblick auf die Einbettung der Norm in den X. Abschnitt des GG „Das Finanzwesen" zeigt. 654 Die Systematik beweist, daß es sich um eine Lastenverteilungsvorschrift handelt. 655 Nach allgemeiner Ansicht bedeutet haften im zivilrechtlichen Sinne, daß jemand für ein bestimmtes eigenes oder fremdes Verhalten oder für bestimmte Gefahren dergestalt verantwortlich ist, daß er dem dadurch Geschädigten ersatzpflichtig ist. 6 5 6 Kurz gesprochen geht es bei einer Haftung um eine Verantwortlichkeit mit der Folge einer finanziellen Schadensersatzpflicht. Der Umfang der Haftung bestimmt sich grundsätzlich nach dem Umfang des Schadens. Das „Haften" im Sinne dieser Bestimmung stellt keine eigentliche Sanktion dar, die Finanzierungspflicht hat keinen strafenden Charakter, 657 auch wenn die Wirkung mitunter dieselbe ist. 6 5 8 Häufig ist im Privatrecht das Bestehen einer Haftung von einem Verschulden abhängig gemacht. Nach § 276 BGB ζ. B. hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, sofern nicht gesetzlich oder vertraglich etwas anderes bestimmt ist. Dieser Gedanke greift indes innerhalb des Bund-LänderVerhältnisses keinen Platz, so daß ein die Haftung modifizierender Verschuldensmaßstab nicht in Betracht kommt. Wird nun der zivilrechtliche Haftungsbegriff auf Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG angewendet, so bedeutet das Haften das Einstehenmüssen mit eigenen Haushaltsmitteln. 659 Die Risikozuweisung ist insoweit eindeutig. 660 Sie kann ggf. abgeschwächt werden, wenn nicht nur ein Fehlverhalten, sondern derer mehrere vorliegen. Die Rechtsfolge der Haftung ist jedenfalls ein geldlicher 654

F. Kirchhof NVwZ 1994, 105 (106). Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 48; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 270, unter Hinweis auf Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 134. 656 S. nur BayVGH NVwZ 1993, 794 (796); F. Kirchhof NVwZ 1994,105 (106). 657 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 271. 658 Hatje, NJ 1997, 285 (287), mit Hinweis auf die parlamentarische Verantwortung der (Landes-) Exekutive wegen der haushaltrechtlichen Auswirkungen eines Haftungsfalles. 659 Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 162; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 271 ff.; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 401; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (288 f.); F. Kirchhof NVwZ 1994, 105 (106); Cremer, JuS 1996, 333 (337); Rudisile, DÖV 1985, 909 (910); W. Schulze, DÖV 1972,409 (410). 660 A.A.: F. Kirchhof NVwZ 1994, 105 (106), der den Umfang der Einstandspflicht nicht als festgelegt anerkennen möchte. 655

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Ausgleich. 661 Die Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG ist eine gegenseitige Verwaltungshaftung von juristischen Personen des öffentlichen Rechtes untereinander - bei Weisungen also von Bund und Ländern. Diese Haftung ist strikt von der „normalen" Amtswalterhaftung zwischen Staat und Bürger zu unterscheiden. Sowohl ein Land wie auch der Bund kann Haftender sein. Es gilt also keine Haftungsbeschränkung auf die Steuerverwaltung, wie es nach dem Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. der Fall war. 6 6 2 Letztlich bleibt festzustellen, daß das Haften auf der Tatbestandsebene weitgehend aussagelos ist: Bund und Länder stehen mit ihren eigenen Haushaltsmitteln für bestimmte Verwaltungsfehler ein. Dieser karge tatbestandliche Inhalt offenbart die Ambivalenz des Haftens. Denn der Begriff bezieht sich nicht nur auf die Tatbestands-, sondern notabene auch - und das in weit größerem Ausmaß - auf die Rechtsfolgenebene. Diese doppelte Verortung des Normteils Haften liegt in seiner eigentümlichen Struktur begründet, die eben auch auf die Rechtsfolge zielt. Dort gewinnt das Haften nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG auch seine eigentliche Bedeutung.

y) Fazit Das Element der Tatbestandsstruktur „Haften" verklammert Bund und Länder dergestalt miteinander, daß diese für die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung gegenseitig einstehen müssen. Ein darüber hinaus reichender Begriffsinhalt ist nicht zu erkennen. Demgemäß sind die Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur zum Haften nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG gering in der Anzahl und auch inhaltlich wenig ergiebig. Die entscheidende Bedeutung erlangt das Haften erst auf der Rechtsfolgenseite. Dort gewinnt dieser Begriff seine maßgebende Relevanz.

cc) Begriff „im Verhältnis zueinander" Bund und Länder haften im Verhältnis zueinander. Mit dieser Gesetzesformulierung wird die unmittelbare Beteiligung und Abhängigkeit von Bund und Ländern in dieser haftungsrechtlichen Beziehung deutlich. 661

Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 163; früher schon zur Rechtslage unter Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 58 („Die Länder trifft daher eine volle Abrechnungspflicht."). Genauer unten E. II. 3. f) ee). 662 Dazu ausführlich s. o. E. II. 3. c).

II. Anspruchsgrundlagen Die enge Verknüpfung von Bund und Ländern, die durch diesen Gesetzestext zum Ausdruck kommt, bildet eine selbständige Haftungsvoraussetzung. Auch diese Voraussetzung ist zunächst gerade in Hinblick auf den kargen übrigen Wortlaut des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG grundsätzlich von großer Bedeutung. Letztlich stellt sich auch hier die Situation wie bei dem Tatbestandsmerkmal des Haftens dar: Eine eigenständige normenkonkretisierende Bedeutung ist kaum auszumachen. Gerade auf den Verwaltungsterrains der Bundesauftragsverwaltung ist es deutlich, daß und wie sich Bund und Länder „im Verhältnis zueinander" gegenüberstehen. Die Länder führen die Bundesgesetze aus, unterliegen bei diesem Verwaltungstypus aber den weitgehenden Einwirkungsrechten und dem umfassenden Aufsichtsmaßstab des Art. 85 Abs. 3 und 4 GG. Auch wenn beide Ebenen staatlicher Administration auf bundesstaatlich einzigartige Weise durch die Weisung im Ergebnis zu einem einzigen Weisungsstrang 663 verbunden werden, sind doch beide Verwaltungskörper strikt voneinander getrennt, und es besteht keine Form der Mischverwaltung. Art. 85 GG konstituiert daher kein „Miteinander" in der Verwaltung, sondern vielmehr ein „Verhältnis zueinander" von Bund und Ländern. Dieses Tatbestandsmerkmal der Bund-Länder-Haftung ist daher bei der Bundesauftragsverwaltung ohne weiteres immer gegeben. Für den Rechtsanwender ist also das Tatbestandsmerkmal im Verhältnis zueinander jedenfalls für die haftungsrechtlichen Beziehungen nach einer Weisung innerhalb der Bundesauftragsverwaltung ohne Bedeutung. Ob dies in anderen verwaltungs- oder verfassungsrechtlichen Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern auch immer der Fall ist, soll an dieser Stelle offen bleiben. Jedenfalls erscheint es nicht ausgeschlossen, daß jenseits der auftragsweisen Verwaltung in Bereichen, in denen Bund und Länder nicht so eng verwaltungsorganisatorisch verklammert sind, dieses Tatbestandsmerkmal sehr wohl eine eigenständige begriffsbildende Wirkung entfalten kann.

dd) Begriff „Ordnungsmäßige Verwaltung" Die „ordnungsmäßige Verwaltung" enthält zwei geschriebene Elemente, die es getrennt voneinander zu betrachten gilt. Es handelt sich jeweils um Tatbestandsvoraussetzungen.

663

So treffend Ipsen y Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 546.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

a) Verwaltung Der Begriff der Verwaltung in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist ganz offensichtlich ein zentrales Element des haftungsausfüllenden Tatbestandes der Bestimmung. Daher ist es besonders wichtig, seinen Inhalt in Bezug auf die haftungsrechtliche Problematik von Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG zu ermitteln.

αα) Begrifflichkeiten (1) Der allgemeine Begriff „Verwaltung" Der Begriff „Verwaltung" ist vielschichtiger und teilweise auch schwer faßbarer Art, zumal er innerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht einheitlich verwendet wird. Von vorneherein unerheblich für die vorliegende Betrachtung ist eine Verwaltung im zivilrechtlichen Sinne. Sie scheidet als Ansatzpunkt aus. Vielmehr ist von einem öffentlich-rechtlichen Verwaltungsbegriff auszugehen. 664 Herkömmlicherweise wird Verwaltung im formellen und materiellen Sinne unterschieden. Ersteres ist die gesamte Tätigkeit der Verwaltungsorganisation, die aus allen Verwaltungsträgern, -organen und sonstigen -einrichtungen besteht, unabhängig von der konkreten Art der Tätigkeit 665 Unter letzterer wird die eigentliche Verwaltungstätigkeit verstanden, also diejenige hoheitliche Tätigkeit, die die Wahrnehmung aller Verwaltungsangelegenheiten zum Inhalt hat. 6 6 6 Darüber hinaus läßt der Verwaltungsbegriff noch eine weitere Deutungsmöglichkeit zu, nämlich diejenige im organisatorischen Sinne. Hier wird für die Bewertung an die Verwaltungsorganisation angeknüpft mit der Folge, daß sich diese Begriffsbildung eng an die Verwaltung im formellen Sinne anlehnt. 667 Eine klassische und auch heute noch verwendbare Definition der Verwaltung - genauer gesagt: der materiellen Verwaltung - findet sich bei Hans Julius Wolff. „Öffentliche Verwaltung im materiellen Sinne ist also die mannigfaltige, konditional oder nur zweckbestimmte, also insofern fremdbestimmte, nur teil-

664 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 283. Die Nähe und Parallele zum Bürgerlichen Recht betont aber Rudis ile, DÖV 1985, 909 (911), ohne daß ein konkreter Erkenntnisgewinn zu verzeichnen wäre. 665 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 1 Rdnr. 2. 666 Maurer, aaO., § 1 Rdnr. 2. 667 Maurer, aaO., § 1 Rdnm. 2 u. 4.

II. Anspruchsgrundlagen

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planende, selbstbeteiligt entscheidend ausführende gestaltende Wahrnehmung der Angelegenheiten von Gemeinwesen und ihrer Mitglieder als solcher durch die hierfür bestellten Sachwalter des Gemeinwesens."668 (2) Die „Verwaltung" in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG Das Tatbestandsmerkmal der „Verwaltung" wird weder in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG noch andernorts im GG, wo es Verwendung findet, weiter ausgeführt. Auch die Gesetzesmaterialien sind unergiebig. Schließlich bringt auch der Referentenentwurf keinen Erkenntnisgewinn, auch dort wird schlicht von „Verwaltung" gesprochen. Verschiedentlich ist es umfangreich unternommen worden, den Begriff der „Verwaltung" nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG zu analysieren, 669 indem zunächst die maßgebenden Kriterien für die Begriffsbestimmung ermittelt wurden, 670 um dann in einem zweiten Schritt die einzelnen öffentlich-rechtlichen Handlungsformen auf ihre „Verwaltungsadern" zu untersuchen. 671 Im Ergebnis wird postuliert, daß Verwaltung im Sinne der Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG die Inanspruchnahme einer Verwaltungskompetenz im Sinne des GG unabhängig davon bedeute, ob Handlungsformen des öffentlichen oder privaten Rechts eingesetzt worden sind. 672 Oder kurz gesprochen: Die Haftung kann sich nur auf das im GG geregelte System der Bundes- und Landesverwaltung nach Artt. 83 ff. GG erstrecken. 673

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Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 2 III. Vgl. insbes. U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 283 ff. S. ferner Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (281 ff.); Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 201. 67 0 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 284 ff. 67 1 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 286 ff. Stelkens grenzt dabei in der Sache zutreffend zu den Gesetzgebungs-, Regierungs- und Rechtsprechungskompetenzen sowie zu Kompetenzen militärischer Verwaltung und schließlich zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung ab; es handelt sich um Bereiche, die keine Verwaltung im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG darstellen. 67 2 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 285 f. 67 3 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 203; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 42. Ob darüber hinaus auch andere Verwaltungsformen, insbesondere der Bereich der gesetzesfreien Verwaltung, unter den Begriff der „Verwaltung" in Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG fallen, ist nicht eindeutig und i. ü. auch str.; dafür Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (282 f.); dagegen BVerwG BayVBl. 1980, 473 (475); Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 42; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 48. 669

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

So verdienstvoll dies auch generell sein mag, für weisungsrechtliche Problemkonstellationen spielt eine derart feingliedrige Untersuchung keine Rolle. Denn in allen denkbaren weisungsgeprägten Situationen liegt allein schon durch die Verwendung eines Mittels der Bundesauftrags Verwaltung nach Art. 85 GG in formeller und materieller Hinsicht Verwaltung vor. Es geht um die Wahrnehmung und Durchsetzung von grundgesetzlich determinierten Verwaltungskompetenzen, die zuvörderst durch die die Verwaltung betreffenden Artikel des GG geprägt sind. Art. 85 Abs. 3 GG normiert eine Verwaltungskompetenz des Bundes gegenüber den gesetzesausführenden Ländern und umreißt damit einen Vollzugsbereich mitsamt seinen Folge(haftungs)konstellationen, der ausschließlich unter den Begriff der Verwaltung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG fällt. Die Inanspruchnahme von Aufsichtskompetenzen - und somit eo ipso auch die aufsichtsrechtliche Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG stellt sich als eine typische und fast schon beispielhafte Handlungsform der Verwaltung und gleichzeitig innerhalb der Verwaltung dar. Entsprechendes gilt für die Wahrnehmung der Ausführungskompetenz durch die Länder, wenn diese eine Bundesweisung umsetzen und außenwirksam handeln. Dabei sind alle Verwaltungsbereiche, die entsprechend der Grundregel des Art. 85 GG von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, einfachgesetzlich ausgestaltet, so daß diese Gesetze auch der Ausführung zugrunde liegen. 674 Ob die Verwaltung im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG auch die sog. gesetzesfreie Verwaltung umfaßt, spielt daher bei der Betrachtung der auftragsweisen Verwaltung keine Rolle. Als Konsequenz dieser Eindeutigkeit bei der Bundesauftragsverwaltung hat sich die Rechtsprechung auch mit dieser Komponente der Tatbestandsstruktur nicht weiter beschäftigt, 675 sondern sie vielmehr als unproblematisch gegeben angesehen. Nach allen drei Deutungsmöglichkeiten des Verwaltungsbegriffes ist bei einer Weisung und den sich heraus ergebenden administrativen und haftungsrechtlichen Folgen eine „Verwaltung" nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG gegeben. Unerheblich ist es, aufgrund welcher grundgesetzlichen Vorgaben (obligatorische oder fakultative Bundesauftragsverwaltung, spezielle GG-Norm oder Geldleistungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 3 GG) der jeweilige Bereich von den Ländern in auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG ausgeführt wird. Entscheidend ist allein, daß eine Bundesauftragsverwaltung vorliegt.

674 Entsprechend für die Steuerverwaltung Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 103 ff. 675 Exemplarisch etwa stellte das BVerwG in seiner BAFöG-Entscheidung zwar das Erfordernis einer „nicht ordnungsmäßigen Verwaltung" fest, problematisierte im Anschluß hieran indes ausschließlich die Frage der Ordnungsmäßigkeit, zur „Verwaltung" verlor es kein einziges Wort (E 96, 45 [57]).

II. Anspruchsgrundlagen

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Angesichts der Vielzahl und der praktischen Relevanz sowie der finanziellen Bedeutung derjenigen Verwaltungsbereiche, die in Bundesauftragsverwaltung von den Ländern ausgeführt werden, läßt es sich mit Fug und Recht behaupten, daß die Bundesauftragsverwaltung im Kernbereich des von Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG umrissenen Verfassungsgefüges steht. Nicht zufällig betrifft die Rechtsprechung des BVerwG zu dieser föderalen Haftungsnorm bislang jedenfalls ausschließlich Fälle aus der Bundesauftragsverwaltung, namentlich aus den Bereichen Bundesfernstraßenverwaltung, Katastrophenschutz, BAFöG und Bundeskindergeldgesetz. 676

ßß) Verwaltung und Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG In Betracht kommen grundsätzlich all diejenigen Gesetze, die der Bund erlassen hat und die von den Ländern in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden. Eine Gesetzesausführung durch die Länder ist dann gegeben, wenn irgendeine Landesbehörde - sei es eine oberste Landesbehörde, sei es eine untere Landesbehörde - mit dem Vollzug des Bundesgesetzes beauftragt ist. 677 Eine Gesetzesausführung durch die Länder stellt es auch dar, wenn Gemeinden oder Gemeindeverbände in den Gesetzesvollzug miteingeschaltet sind. Aus dem Blickwinkel des Bundes heraus sind die Gemeinden/Gemeindeverbände Bestandteile der Länder. Oftmals werden sie auch unmittelbar in einem auftragsweise auszuführenden Bundesgesetz mit dem Vollzug betraut. Unerheblich ist, ob in diesen Gesetzen ein Weisungsrecht des Bundes niedergelegt wird. Denn dem Bund kommt bereits von Verfassungs wegen ein solches Recht nach Art. 85 Abs. 3 GG zu, so daß es hierfür einer einfachgesetzlichen Ermächtigung nicht mehr bedarf; sie ist vielmehr nur deklaratorischer Natur. 678 Es muß sich nur um eine auftragsweise Verwaltungsmaterie handeln. Gleichfalls irrelevant ist, ob es sich um Gesetze handelt, bei deren Vollzug durch Landesbehörden finanzielle Mittel des Bundes verausgabt werden. 679 Ein

676

BAFöG: BVerwGE 96, 45; Kindergeld: BVerwGE 100, 56; Fernstraßenverwaltung: BVerwGE 104, 29; Katastrophenschutz: BVerwG NVwZ 1995, 991; vgl. dazu auch BVerfGE 99, 361, indes ohne Sachentscheidung wegen Verfristung. 677 Unstreitig, s. nur Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 27. 678 S. o. C. 679 Auf diese Fälle beschränkt Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausfuhrung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 25, seine Überlegungen.

4

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Großteil des Schrifttums hat die Haftungsproblematik auf diese Fallkonstellationen verengt, 680 die Haftungsproblematik kann sich auch und gerade bei einer Bundesweisung hingegen auch dort ergeben, wo es nicht um die Verteilung von Bundesmitteln geht, sondern z. B. das Land durch diese Ingerenzmaßnahme zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt werden soll, welches wiederum schadensstiftend ist. Ob es sich hier z. B. um die Auszahlung von BAFöGGeldern oder um die Genehmigung eines Atommeilers handelt, ist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG (insbesondere eines Schadens) nicht von Interesse. Letztlich bleibt festzustellen, daß die Haftungsbestimmung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG im Bereich der Bundesauftragsverwaltung und damit bei allen erteilten Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG anwendbar ist.

ß) Ordnungsmäßigkeit αα) Strukturelemente des Ordnungsmäßigkeitsbegriffs Eine weitere Haftungsvoraussetzung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG stellt die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung dar. Sie bildet einen, wenn nicht sogar den entscheidenden Haftungsmaßstab. 681 Auch der Begriff der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung ist konkretisierungsfähig und »bedürftig. Auch und gerade hinsichtlich der vorliegenden Untersuchung von spezifisch weisungsgeprägten Haftungssituationen ist diese Voraussetzung von großem Interesse. Ausweislich der Gesetzesbegründung sowie der anschließenden Stellungnahmen des Bundesrates und Bundestages wurde innerhalb der Einstandspflicht für Mängel in der Verwaltung auch und gerade an die Bundesauftragsverwaltung gedacht, da hier Bund und Länder miteinander auf besonders enge Weise in der Verwaltung verflochten sind. Im Vordergrund der damaligen Betrachtungen stand der Fall der unrechtmäßigen Zahlung durch Bedienstete der Länder, die sich vermögensmindernd - vgl. Art. 104 a Abs. 2 GG - beim Bund 680 So etwa Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 61; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 130; Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 52; Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 FN 108. 681 Umfangreich dazu U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 298 ff.; S. auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (281 ff.); Rudisile, DÖV 1985,909 (911).

II. Anspruchsgrundlagen

7

auswirken, ihn mithin schädigen.682 Auf die spezielle Weisungsproblematik wurde nicht eingegangen. Der Wortlaut des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG allein vermag für eine Begriffsausfüllung kaum weiterzuhelfen. Eine „nicht ordnungsmäßige Verwaltung" liegt immer dann vor, wenn sie der geltenden Ordnung nicht gemäß ist, ihr mithin nicht entspricht. Welche Ordnung mit dieser Formulierung gemeint ist, bleibt offen. 683 Bei genauerer Betrachtung lassen sich zwei unterschiedliche Elemente der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltungstätigkeit unterscheiden: Zum einen wohnt der Ordnungsmäßigkeit ein objektiver Maßstab in Form einer materiellrechtlichen Ausgestaltung urne. Zum anderen ist auch ein subjektives Moment festzustellen, welches den Haftungstatbestand kumulativ um einen Verschuldensmaßstab erweitern kann. Ob diese zusätzliche subjektive Haftungskomponente tatsächlich als haftungseinschränkend anerkannt werden muß, bleibt zunächst fraglich, zumal ein ausdrückliches Verschuldenserfordernis dem Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht zu entnehmen ist. Erst wenn ein Verschuldenserfordernis als elementar für eine Föderalhaftung akzeptiert wird, ist hiernach zu klären, welche konkreten Anforderungen an ein Verschulden zu stellen sind. Soweit im Schrifttum die haftungsbegrenzende Funktion der Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung erörtert wird, wird häufig deren objektive wie subjektive Komponente erkannt. Anschließend wird jedoch der objektive Haftungsmaßstab isoliert als einziges Element der Ordnungsmäßigkeit erörtert und hieran als neues ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal das Verschulden hintangestellt. 684 Die naheliegende Anbindung der subjektiven Maßstäbe an die Ordnungsmäßigkeit unterbleibt also. Dieses Vorgehen erscheint wenig plausibel und dogmatisch fragwürdig. Denn es vermag nicht zu überzeugen, weshalb ohne äußere Not eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung postuliert wird, wenngleich doch der Wortlaut des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG selbst mit der „Ordnungsmäßigkeit" einen Begriff verwendet, der dieses sub-

682 Exemplarisch die Entgegnung der Bundesregierung auf die (ablehnende) Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. V/2861, S. 86 unter 4. B). 683 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 303. 684 So etwa Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 79 ff. u. 95 ff.; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 107 ff. u. 177 ff.; Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (282 ff. u. 286 ff.).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

jektive Element mit in sich bergen kann. 685 Unnötigerweise wird so die Ordnungsmäßigkeit auf einen rein objektiven Haftungsmaßstab verengt. Folgerichtig scheidet auch die Rechtsprechung des BVerwG diese Begriffspaare nicht künstlich voneinander ab, sondern verwebt beide Elemente eng miteinander, auch wenn mitunter subjektive und objektive Haftungsmaßstäbe annähernd untrennbar miteinander verbunden werden. Daher wird im folgenden das Verschulden als (möglicher) Bestandteil der Ordnungsmäßigkeit angesehen und zusammen mit dem objektiven Haftungsmaßstab erörtert.

ßß) Ordnungsmäßigkeit als objektiver Maßstab (1) Vielfalt der Inhalte Die Ordnungsmäßigkeit als ein objektiver Maßstab ist alles andere als mit einem eindeutigen Begriffsinhalt ausgestattet. Vielmehr kann ein ordnungsmäßiges Verwaltungshandeln in Hinsicht auf eine weisungsrechtliche Implantation und ohne das Verschuldenselement vielerlei bedeuten, wie folgende Übersicht beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit zeigt: • ordnungsmäßig

= zweckmäßige Weisung (Fachaufsicht)

• ordnungsmäßig

= keine administrativen Fehler auch unterhalb der Schwelle strafrechtlich relevanten Verhaltens bzw. der Rechtswidrigkeit



ordnungsmäßig

Handeln innerhalb eines gewissen Vertretbarkeitsspielraumes



ordnungsmäßig

rechtmäßige Weisung, mit der Parallele zu Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG (Rechtmäßigkeitselle als Prüfungsmaßstab)

• ordnungsmäßig

= kein Lenkungsversagen von Regierung und/oder Parlament

• ordnungsmäßig

=

auch bei leichten, nicht aber bei schweren Pflichtverstößen

• ordnungsmäßig

=

(nur) verfassungsgemäße Weisung

685 So auch die Vorgehensweise von U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 299 ff. Ähnlich auch Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnrn. 71 f.

II. Anspruchsgrundlagen

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Eine wortlautorientierte Auslegung der Haftungsvorschrift führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Sowohl ein umfangmäßig unbegrenztes Einstehenmüssen bei einer weiten Auslegung, die dennoch den Wortlaut als äußere Grenze akzeptiert, wie eine einschränkende Auslegung der Ordnungsmäßigkeit, die eine Haftung auf besonders schwerwiegende Fehler beschränkt, sind möglich. Jedenfalls muß der Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung zu einem konkreten Schaden geführt haben. Nur dann kann von einem „Haften" als Rechtsfolge gesprochen werden. (2) Erfordernis eines Haftungskernbereichs (a) Gedanklicher Ansatz Die Voraussetzungen einer Bund-Länder-Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Ordnungsmäßigkeit sind seit Inkrafttreten dieser Vorschrift umstritten. Seither wird die Abhängigkeit einer Haftung sowohl in objektiv-rechtlich wie in subjektivrechtlicher Hinsicht in Schrifttum wie Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Soweit es um die subjektive, also die Verschuldens-Komponente geht, sei auf das unten Teil Ε II. 3. f) dd) β) γγ) folgende Kapitel verwiesen. An dieser Stelle soll das Ausmaß der erforderlichen, eine Haftung auslösenden „Ordnungswidrigkeit" in rein objektiv-rechtlicher Hinsicht erörtert werden. Die Ansichten im Schrifttum divergieren in einem erstaunlichen Maße. Zwischen einer annähernd einschränkungslosen, vorwiegend auf den Gesichtspunkt der Kausalität abstellenden Haftung 686 über etliche Einengungen verschiedener Couleur 687 bis hin zu einer sich auf ganz schwerwiegende Verwaltungsfehler berufenden Ansicht 688 - teilweise mit einem Verschuldenserfordernis, teilweise ohne - ist im „Haftungsbegriffsbestimmungskorb" alles vertreten. Auch die Rechtsprechung zeichnet kein einheitliches und in sich geschlossenes Bild. Immerhin muß heute in einer Frage die Rechtsprechung des BVerwG zu Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG als gefestigt bezeichnet werden: Das BVerwG geht seit nunmehr einem knappen Jahrzehnt von der unmittelbaren 686

Vgl. etwa Birk, in: AK-GG II, 2. Aufl. 1989, Art. 104 a Rdnr. 31, und Hatje, NJ 1997, 285 (288), die auf eine Rechts- und Zweckwidrigkeit abstellen möchten. 687 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 307 ff.: Anknüpfen an ein Lenkungsversagen; ihm folgend Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 405 f. 688 In diese Richtung Vogel/Kirchhof.\ in: BK, Art. 104 a Rdnr. 161; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 69; J.-P. Schneider, in: AKGG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 28; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (437); Saipa, DVB1. 1974, 188(190).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Anwendung der Haftungsvorschrift aus, nachdem dieser wichtige Punkt vormals offen gelassen wurde. Darüber hinaus ist das Bild nicht einheitlich. Immerhin muß nach Ansicht aller zur Entscheidung bislang berufenen Senate des BVerwG 6 8 9 eine Beschränkung auf den Haftungskernbereich vorgenommen werden. 690 Der sanktionierte Haftungsbereich, in welchem ein Land für eine nicht ordnungsmäßige Verwaltung unmittelbar nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG hafte, sei auf „schwerwiegende Verletzungen der dienst- und arbeitsrechtlichen Hauptpflichten" und „zumindest" auf das „Einstehenmüssen für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit" zu reduzieren. 691 Diese Meinung des 11. Senats des BVerwG, der sich auch der 2. Senat ausdrücklich anschloß,692 ist wenig später vom 4. Senat desselben Gerichts dahingehend modifiziert, wenn nicht gar korrigiert worden, daß eine Haftung allein bei einem vorsätzlichen Handeln in Betracht komme; ein nur fahrlässiges Verhalten, sei es auch durch grobe Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, könne haftungsbegründend nicht wirken. 693 Hinsichtlich der Annahme eines Haftungskernbereiches herrscht also im Grundsatz Einigkeit. Das Gericht anerkennt die Notwendigkeit der Korrektur einer reinen Kausalitätshaftung; hinsichtlich einer - letztlich wohl der entscheidenden - Prämisse divergieren die Senate indes beträchtlich: Zwei Senate präferieren eine Differenzierung mittels Verschuldenselementen, ein Senat will hingegen eine Korrektur durch ein Rechtswidrigkeitsmoment durchführen. Diese divergierenden Ansichten innerhalb des BVerwG können zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und sind daher in dieser Art nicht hinnehmbar. Der Gedanke der Kernbereichshaftung in dem vom BVerwG verwendeten Sinne - wie erwähnt nicht widerspruchsfrei - hat auch im Schrifttum Anhänger gefunden. 694 Typischerweise beschränken sich dann die Aussagen auf eine 689

(988).

690

BVerwGE 96, 45 (57); BVerwG RiA 1994, 240 f.; BVerwG DVB1. 1996, 987

Umfassend zur „Kernbereichstheorie" des BVerwG U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 226 ff; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 41 ff.; i. E. auch Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2 Rdnr. 32.64 (S. 66). S. auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (280, 284 ff.); H Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (515). 691 BVerwGE 96, 45 (57, 58). 692 BVerwG, Buchholz 11 Art 104a GG Nr. 13; BVerwG NVwZ 1995, 991 (992). 693 BVerwGE 104, 29 (33 f.). Übersehen werden diese Divergenzen von Η Bauer/Zirbes, JuS 1997,511 (515). 694 S. etwa Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 50; Brockmeyer; in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28; Fi-

479

II. Anspruchsgrundlagen

Wiedergabe der höchstrichterlichen Fachrechtsprechung. Hinsichtlich des Erfordernisses einer Reduktion der Totalhaftung existieren über das „Wie" auch andere Stimmen. Rudisile beispielshalber spricht von der Notwendigkeit einer „Rückprojektion in die Verfassung", um einen sachgerechten Haftungsmaßstab vor allem unter Ausklammerung eines Verschuldens zu ermitteln. 695 Graphisch läßt sich der gedankliche Ansatz des Modells eines Haftungskernbereiches wie folgt darstellen: Haftungskernbereich (= Haftung)

Haftungsaußenbereich (= keine Haftung)

Das korrigierende Element des Haftungskernbereiches soll in dem hochsensiblen und fein austarierten Bereich der Verwaltungshaftung unter besonderer Berücksichtigung des speziellen Föderalaufbaus Deutschlands und unter Einbeziehung materieller Gerechtigkeit die überwiegend als unangemessen angesehene Totalhaftung einer Gebietskörperschaft abschwächen und die damit einhergehenden Nachteile ausgleichen, ohne die schadensauslösende Kausalität vollends zu negieren. Eine reine Kausalitätshaftung ohne einen korrigierenden Rechtmäßigkeits- oder Verschuldensmaßstab, wie sie der Wortlaut nahezulegen scheint, ist daher abzulehnea Der Schlüssel für eine sachgerechte Haftungsbestimmung resp. -begrenzung ist in dem Begriff der „ordnungsmäßigen Verwaltung" zu finden. Allein mit

sc her-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm. ΙΠ, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 43; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2 Rdnr. 32.64 (S. 66); Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 202. 695 DÖV 1985,909 (914).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

diesem Element der Tatbestandsstruktur lassen sich Haftungsvoraussetzungen und-grenzen feinsteuern. 696 (b) Festlegung des Haftungskernbereiches Im folgenden soll der Haftungskernbereich des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ermittelt werden. Wie weit reicht die Begrenzung des Haftungstatbestandes neben den Fällen fehlender Kausalität? Das Ergebnis sei vorweg geschickt: Eine Verwaltungsmaßnahme ist dann nicht mehr als „ordnungsmäßig" anzusehen, wenn sie rechtswidrig ist. Die Verwaltungshaftung muß also auf die Fälle der Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns beschränkt werden. 697 Es gilt insoweit ohne Einschränkung das Gesetzmäßigkeitsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Durch diese Verklammerung mit dem materiellen Recht ist die Haftung jederzeit eindeutig. Mit Blick auf die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen ist das Tatbestandsmerkmal der Ordnungsmäßigkeit in concreto hinreichend bestimmbar. Dieser Rechtmäßigkeitsmaßstab entspricht dem Sinn und Zweck des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Der Tatbestandsbegriff umfaßt sowohl die Verwaltungsorganisation als auch die konkrete Einzelmaßnahme.698 Hinsichtlich der weisungsgeprägten Fallkonstellationen wird es in erster Linie auf die Weisung als Einzelmaßnahme des Bundes bzw. auf das weisungsvollziehende (oder -verweigernde) Handeln der Länder ankommen. Eine weitergehendere Haftung, etwa für bloß zweckwidriges Handeln, scheidet aus. Ein solcher Haftungsmaßstab ist viel zu indifferent, nebulös und damit anwendungsfeindlich, als daß er in diesem hochsensiblen Föderalbereich, innert dessen besondere Anforderungen an die Klarheit und Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns gestellt werden müssen, zu sachgerechten Ergebnissen fuhren könnte. Die Rechtswidrigkeit einer administrativen haftungsauslö696 Treffend U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 (615): „Je nach dem, wie man den Begriff der 'ordnungsgemäßen Verwaltung' versteht, kommt hier auch eine sehr strenge Haftung des Bundes gegenüber den Ländern in Betracht." 697 So auch Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 81 ff (86); Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (283 ff. [286]); Rudisile, DÖV 1985, 909 (911); wohl auch Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 14; nicht eindeutig Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 1139, der ein „fehlerhaftes Verwaltungshandeln" als Tatbestandsvoraussetzung postuliert. 698 So wohl auch Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 15; offen gelassen von F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (106).

II. Anspruchsgrundlagen

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senden Maßnahme bietet eine markante, unübersehbare Wegmarke, die zu akzeptieren dem Rechtsanwender ohne weiteres - und insbesondere ohne zusätzliche Kautelen vermittels eines Ausfuhrungsgesetzes nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG - möglich ist. Wird außerdem der gesamte Verwaltungsvollzug der Bundesgesetze mit ins Kalkül gezogen, so bietet sich folgendes Bild: Die allermeisten dieser Gesetze werden von den Ländern ausgeführt, sei es durch die Eigenverwaltung nach Artt. 83, 84 GG, sei es durch die Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG. Nur einen Bruchteil fuhrt der Bund selbst aus. Unabhängig von der speziellen Konstellation bei Weisungsfällen innerhalb der Bundesauftragsverwaltung geht es allgemein in der Bund-Länder-Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG vorrangig um die Haftung der Länder gegenüber dem Bund, weil sie als verwaltungsausführende den Bund resp. seine Mittel schädigen können und nicht andersherum; die Länder tragen insoweit das Verwaltungsrisiko. Eine unbegrenzte Haftung der Länder gegenüber dem Bund ist aus diesem Grund unbillig. Nicht jeder Verwaltungs(zweck)fehler, der zu einer Vermögenseinbuße und folgend zu Regreßansprüchen des Bundes fuhrt, kann haftungsbegründend sein. Ein Abstellen auf eine Zweckwidrigkeit und damit auf einen Haftungsmaßstab, der nicht im materiellen hard law, sondern im wertungsoffenen soft law der Ermessensentscheidung angesiedelt ist, verwischt die bestimmbaren Grenzen des Anwendungsbereiches des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG durch die Implantation dieser Imponderabilien. Zweckmäßigkeitserwägungen sind naturgemäß - jedenfalls teilweise - fließend und in ihrer Gesamtschau nur wenig bestimmbar mit der Folge, daß auch „in die Zeit hinein" die Abwägungsergebnisse erheblich differieren können. 699 Vereinzelt wurde gegen den Rechtmäßigkeitsmaßstab vorgebracht, daß dann wegen der in § 34 Abs. 1 BHO/LHO normierten Pflicht, alle Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben, eine unerträgliche Überprüfungsflut vor allem seitens des Bundes in Bezug auf die Verwaltungstätigkeit der Länder ausgelöst würde. Letztlich werde damit die Aufteilung der Verwaltungskompeten-

699

Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 82, exemplifiziert diesen Gedanken am Bau des Schlosses Sanssouci in Potsdam, der zu der Zeit der Errichtung als unvertretbare Verschwendung angesehen werden konnte (und wurde), wohingegen heutzutage an der Zweckmäßigkeit und Bedeutung des Baus keinerlei ernsthafte Zweifel mehr bestehen. Ein zugegebenermaßen drastisches und den grundgesetzlichen Zeitrahmen sprengendes Beispiel, das dessenungeachtet die Problematik eines Zweckmäßigkeitsmaßstabes eindrucksvoll beleuchtet. 31 Janz

482

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

zen unterlaufen. 700 Für weisungsgeprägte Haftungskonstellationen innerhalb des Bund-Länder-Verhältnisses der Auftragsverwaltung kann diese Argumentation angesichts der überschaubaren Weisungsfälle keine Geltung beanspruchen. Auch die „Wirtschaftlichkeit" und „Sparsamkeit" der Haushaltsführung, also eine „geordnete Haushaltswirtschaft", kommt als Rechtmäßigkeitsmaßstab des Art. 104 a Abs, 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht in Betracht. Andere und ggf. weitergehendere Regelungen jeglicher Art sind einem Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG vorbehalten. Dem einfachen Gesetzgeber ist es also nicht verwehrt, andere Haftungsmaßstäbe als denjenigen der Rechtmäßigkeit zu fixieren. 701 Es ist auch weitgehenderen Bestimmungen des Haftungstatbestandes eine Absage zu erteilen. So etwa ist die Verfassungswidrigkeit der gerügten administrativen Maßnahme für sich allein genommen zwar ausreichend für eine Haftungsbegründung; denn jede verfassungswidrige Maßnahme stellt sich als eine rechtswidrige dar. Wohl aber bedarf es einer solchen Grundgesetzwidrigkeit nicht. Begründet wird dies z. B. mit dem lapidaren Hinweis darauf, daß ansonsten nicht die notwendige Sorgfalt wie bei der Verwendung eigener finanzieller Mittel verwendet würde. Ferner ist auch die spezielle Situation in der Bundesauftragsverwaltung zu berücksichtigen. Würde nur auf die Verfassungswidrigkeit der Maßnahme (Weisung) abgestellt, so blieben die Länder ausnahmslos auf einem Haftungsschaden sitzen, der durch eine bloß rechtswidrige Weisung bewirkt worden ist. Der Wertungswiderspruch zwischen der Vollzugspflicht nach Art. 85 Abs. 3 GG und der Außenhaftung gegenüber weisungsbetroffenen Dritten wäre eklatant und nicht tragbar. Gleichfalls keinen Maßstab bildet die Frage, ob ein inkriminiertes Verhalten innerhalb eines Verwaltungsvollzuges im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG strafrechtlich relevant ist oder nicht. Ein solcher Maßstab ist für die Bewertung gänzlich untauglich. Auch die Reduktion auf besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen vermag nicht zu überzeugen. Zunächst einmal lassen sich bei dieser Art der Haftungseinschränkung kaum mehr objektive und subjektive Anteile auseinanderdividieren. Vielmehr ergibt sich eine Melange dieser Bestandteile, was aber

70 0 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 304 f., der später (S. 307 ff.) die Ordnungswidrigkeit als Lenkungsversagen begründet; ferner Saipa, DVB1. 1974, 188 (190); W. Schulze, DÖV 1972,409 (414). 701 So auch ausdrücklich BVerwGE 96, 45 (57); ferner z. B. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 202.

II. Anspruchsgrundlagen

483

grundsätzlich - das sei eingeräumt - einer Anwendung nicht im Wege steht. 702 Entscheidend ist vielmehr etwas anderes: Es gelten die gegen einen Zweckmäßigkeitsmaßstab vorgebrachten Argumente der fehlenden Bestimmtheit und der hieraus folgenden Praktikabilitätsschwächen in gleicher Weise. Auch die mitunter als Schreckensbild an die Wand geworfene mögliche Lähmung der Verwaltung bei einer Rechtswidrigkeitshaftung 703 kann keine andere Sichtweise rechtfertigen. Bereits angesichts des Gesetzmäßigkeitsprinzips der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) mutet dieses Argument befremdlich an, jedenfalls aber kann bei einem rein staatshaftungsrechtlichen Anspruch der Haftungsmaßstab nicht unter Verweis auf verwaltungsmotivatorische Gründe bestimmt resp. verengt werden. 704 Darüber hinaus ist festzustellen, daß solchartige schwerwiegende Pflichtverletzungen wohl immer auch die Rechtswidrigkeit in sich bergen, und die meisten rechtswidrigen Administrativakte, die innerhalb des Bund-LänderVerhältnisses ergehen, ihrerseits als grobe Pflichtverletzungen anzusehen sein werden. Hier zeigt sich, daß cum grano salis diese beiden Haftungsmaßstäbe regelmäßig zu identischen Ergebnissen gelangen. Nicht geleugnet werden soll, daß das Abstellen auf die Rechtswidrigkeit nicht vollständig den im Referentenentwurf zum Ausfuhrungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 G G 7 0 5 niedergelegten Haftungsansätzen entspricht. Dieser bestimmte in seinem § 2 Abs. 2, daß eine Verpflichtung zum Ersatz dann eintreten sollte, wenn bei der Ausführung von Verwaltungsaufgaben gegen Rechts- bzw. Verwaltungsvorschriften, Weisungen, öffentlich-rechtliche Vereinbarungen oder Bewilligungsbescheide verstoßen wird oder sonst Sorgfaltspflichten verletzt werden, die dieser juristischen Person gegenüber einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts obliegen. Denn ganz überwiegend werden die als Haftungsfall eingestuften Konstellationen beide Haftungsbereiche erfüllen, so daß es auf eine Unterscheidung gar nicht ankommt. Dies

702

Auf die Verflechtung weist Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 82 f., hin, der hier bereits eine unzulässige Subjektivierung erkennen möchte. 703 In diesem Sinne etwa F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (107). 70 4 Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (286). 705 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung"; abgedruckt bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff.

484

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

gilt für weisungsgeprägte Schadensfälle mit anschließendem intrastaatlichen Regreß sogar in einem verstärkten Maße. Schließlich sollte auch die Bedeutung dieses Referentenentwurfes nicht überschätzt werden; es handelt sich eben nur um einen Entwurf, der - ob zurecht oder nicht, sei dahingestellt - über das Entwurfsstadium nie hinausgekommen ist. Für weitere haftungsbegrenzende Momente wie beispielshalber die Frage, ob ein Handeln eines Beamten „in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes" geschehen sein muß, 706 bietet die weisungsgeprägte Haftungssituation im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung keine Handhabe. Denn eine Verwaltungshaftung nach vorangegangener Weisung wird sich immer innerhalb eines Verwaltungsrechtsverhältnisses und damit im Rahmen der Verwaltungstätigkeit des Bundes oder eines Landes abspielen. Schließlich können auch etwaige sondergesetzliche Haftungsausschlüsse oder -begrenzungen bzw. Subsidiaritätsklauseln - weder auf Bundes- noch gar auf Landesebene - keinen Platz greifen, da sie die verfassungsrechtliche Bund-Länder-Haftung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht einschränken können. Der Haftungskern des Rechtswidrigkeitserfordernisses stellt sich somit als eine Mindesthaftung im Bund-Länder-Verhältnis dar. Dieses Haftungsminimum wird direkt durch Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG geschaffen. (c) Zusammenfassung Es bleibt also festzustellen, daß in objektiver Hinsicht ein Verwaltungshandeln dann als nicht ordnungsmäßig einzustufen ist, wenn es sich als rechtswidrig erweist. Jeder andere materiell-rechtliche Ansatz - sei es eine Haftungserweiterung, sei es eine Haftungsbeschränkung - ist unzutreffend. Insoweit ist der vom BVerwG gewählte Begriff des Haftungskernbereiches zu korrigieren. Jedes rechtswidrige Handeln befindet sich in diesem Kernbereich. Ob es darüber hinaus noch eine subjektive Kernbereichskomponente gibt, ist im folgenden zu klären.

γγ) Ordnungsmäßigkeit als subjektiver Maßstab Neben dem objektiv-rechtlichen Begriffsinhalt der Ordnungsmäßigkeit als Haftungsmaßstab des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG kann kumulativ auch das Erfordernis eines Verschuldens bestehen. Insbesondere die Rechtsprechung möchte den Haftungskernbereich des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. 706 Dazu BVerwGE 96, 45 (56 f.); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 83 ff.

II. Anspruchsgrundlagen

485

Halbsatz GG von einer subjektiven Komponente abhängig machen. Die Haftung soll auf grobe Vorsatz und Fahrlässigkeit beschränkt werden. 707 Dieser Ansicht sind auch Teile der Literatur gefolgt. 708 Entgegen dieser Ansicht postuliert ein anderer Teil des Schrifttums eine verschuldensunabhängige Haftung. Jedenfalls solange der Ausfuhrungsgesetzgeber nichts Gegenteiliges nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG bestimmt habe, sei für eine Haftungsbeschränkung auf einen bestimmten Verschuldensgrad kein Raum. 709 Die Norm ordnet ihrem Wortlaut zufolge - und i. ü. auch entgegen den Gesetzesmaterialien - kein Verschuldenserfordernis an und enthält auch im übrigen keine erkennbaren Hinweise auf das Erfordernis einer subjektiven Haftungsvoraussetzung, so daß jedenfalls nicht ohne weiteres ein Verschuldenserfordernis in diese Vorschrift implantiert werden kann. 7 1 0 Ganz allgemein läßt sich sagen, daß das Verschuldensprinzip im öffentlichen Recht die Ausnahme darstellt. Wer nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung den schadensstiftenden Fehler beherrscht, soll fur diesen auch

707 BVerwGE 96, 45 (57 f.); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992). Der 4. Senat des BVerwG hingegen möchte den Haftungskernbereich nur auf vorsätzliches Handeln begrenzen; vgl. BVerwG DVB1. 1997, 717 (718 f.). Kritisch zu dieser Divergenz Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 203. 70 8 Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 69; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28; Birk, in: AK-GG II, 2. Aufl. 1989, Art. 104 a Rdnr. 31 (andernorts a.A. ders., BayVBl. 1981, 673 [676]!); Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 71 f.; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 95 ff. u. 104 ff.; Saipa, DVB1. 1974, 188 (190); wohl auch Heun, in: Dreier (Hrsg.), GGKomm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 50; Cremer, JuS 1996, 333 (337). Für Beschränkung auf vorsätzliches Handeln Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnrn. 202 f. 70 9 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnrn. 161 u. 176; Fischer-Menshausen, in: v Münch/Kunig, GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a Rdnr. 41; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 206; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a Rdnr. 14; J.-P. Schneider, in: AKGG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 28; Storr, Die Haftung im Bund-LänderVerhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (287); Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 187; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 301; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 408; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (437); Hatje, NJ 1997, 285 (288); Birk, BayVBl. 1981, 673 (676); Rudisile, DÖV 1985, 909 (914 ff.). 710 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 301; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 408; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 187; Hatje, NJ 1997, 285 (288); Rudisile, DÖV 1985, 909 (914).

486

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

einstehen. Eine Schuld ist irrelevant; auf persönliche Vorwerfbarkeit gegenüber einer natürlichen Person kommt es nicht an. Das Anknüpfen an individuelle Dienstpflichtverletzungen einzelner Amtsträger wird dem Bund-LänderVerhältnis im Gesetzesvollzug nicht gerecht. Objektive Maßstäbe, nicht individuelle Vorwerfbarkeit sind entscheidend. Der Grund für eine Haftung im Bund-Länder-Verhältnis liegt mithin in einer rechtswidrigen Ausübung der staatlichen Tätigkeit, 711 hier gegenüber einem anderen Hoheitsträger. Das System der Amtshaftung gem. Art. 34 GG, § 839 BGB, welchem das Verschuldensprinzip zugrunde liegt und das an die persönliche Haftung des Amtswalters anknüpft, ist insoweit nicht exemplarisch und verallgemeinerungsfahig und kann daher nicht als Argument für eine subjektive Komponente in der Bund-Länder-Haftung herhalten. 712 Auch stellt sich die Föderalhaftung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht als ein Amtshaftungsanspruch dar. 713 Bestätigt wird dieses Bild dadurch, daß auch in dem Staatshaftungsgesetz von 1981, welches 1982 vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde, 714 auf ein Verschuldenserfordernis verzichtet wurde. Gleiches gilt für das StHG der DDR, das seit dem 3. Oktober 1990 in den neuen Bundesländern mit Maßgaben als einfaches Landesrecht fortgilt 715 und auch zwischen Bund und Ländern Anwendung findet. 716 § 1 StHG-DDR begründet dabei eine allgemeine verschuldensunabhängige Staatshaftung. Auch andere öffentlichrechtliche Haftungsinstitute verzichten auf ein Verschuldenserfordernis, wie der enteignende und enteignungsgleiche Eingriff sowie der Aufopferungsanspruch. Für weisungsgeprägte Haftungsstreitigkeiten sind einige Besonderheiten festzustellen: Die dokumentierten Auseinandersetzungen um die Weisung im Atomrecht 717 zeigen, daß jedenfalls beim Nichtbefolgen einer Weisung durch ein Bundesland nach der Kalkar-Entscheidung des BVerfG im Jahre 1990 718 erfolgte. Für eine differendies im klaren Anblick der Verfassungswidrigkeit

711

Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (287). 712 So ausdrücklich auch Rudisile, DÖV 1985, 909 (915). 713 Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (287). 714 BVerfGE 61, 149 ff. 715 Art. 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V.m. Anlage II, Kapitel III, Sachgeb. Β Bürgerliches Recht, Abschnitt III EinigungsV v. 31.8.1990, BGBl. II, S. 199. Dazu auch oben E. II. 2.g). 716 Dazu s. ο. E. II. 2. g). 717 Oben D. III. 2. b). 718 BVerfGE 81, 310 ff.

II. Anspruchsgrundlagen

487

ziertere Betrachtung hinsichtlich der Schwere des Rechtsverstoßes bzw. des Maßes der persönlichen Vorwerfbarkeit des Amtswalters, also letztlich des zuständigen Landesministers, ist insoweit kein Raum. Ein vorsätzlich schädigendes Verhalten erfüllt regelmäßig auch anhand des Rechtswidrigkeitsmaßstabes die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. 7 1 9 Dies zeigt sich deutlich anhand der „kalten" Atomausstiegspolitik einiger Bundesländer. Gerade bei den weisungsrechtlichen Beziehungen von Bund und Ländern ist wegen der besonderen Beziehung der Gebietskörperschaften zueinander ein subjektives Element nicht anwendbar. Ein Verschulden eines Bediensteten als Haftungsvoraussetzung erscheint hier nicht als systemgerecht. 720 Anders ist die Lage, wenn die Weisung selbst - also ihre Recht- resp. Verfassungsmäßigkeit - und das angewiesene Landeshandeln in Frage stehen. Hier ist die Rechtslage typischerweise nicht so eindeutig. Auch bei dieser Fallkonstellation erweist sich, daß es eben nicht sachgerecht ist, auf die persönliche Schuld des Amtswalters, also regelmäßig des jeweiligen Bundesministers, abzustellen, sondern vielmehr den Grad der Rechtswidrigkeit als Elle für das Erfüllen einer Haftungsvoraussetzung anzulegen. Daher ist für die Anwendung eines haftungsbeschränkenden Verschuldensprinzips keinerlei Raum. Auf die Frage, welcher konkrete Verschuldensmaßstab anzulegen ist, braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden. Ein Verschulden ist bei der Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG nicht erforderlich. Jede über diesen rein objektiven und auf ein Verschulden verzichtenden Maßstab hinausgehende Haftung unterliegt grundsätzlich keinen durchschlagenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Regelung ist allerdings dem einfachen Bundesgesetzgeber nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG vorbehalten. Hier wäre der Ort, ein anderes als das aufgezeigte grundgesetzlich determinierte Haftungssystem zu installieren. Auch die Haftungskernbereichsstruktur des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG belegt zusätzlich den rein objektiven Haftungsmaßstab.

719 720

BVerwGE 104,29 (33). In diesem Sinne ζ. B. Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (437).

488

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen ee) Umfang

Innerhalb des Haftungsumfanges sind verschiedene Aspekte zu untersuchen: Die Höhe des Schadensersatzes mitsamt der Mitverschuldensfrage, die Kausalität, die Zinsen sowie die Verjährung.

a) Die Höhe des Schadensersatzes Haftungsgegenstand nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG sind diejenigen Mehrkosten bzw. Mindereinnahmen, die durch die nicht ordnungsmäßige Verwaltung entstanden sind. 721 Es ist also ein Vergleich der Situation ex ante und danach ex post anzustellen. Die Differenz zwischen diesen beiden Marken ist der Schaden, welcher den Haftungsumfang im Rahmen dieses Artikels bildet. Nicht erfaßt werden mittelbare Schäden wie etwa ein entgangener Gewinn. 722 Dieser Haftungsgedanke liegt bereits den Gesetzesmaterien zugrunde 723 und wurde auch vom BVerwG ausdrücklich so formuliert. 724 Die schädigende Körperschaft hat auch den vollen Ersatz der Mehrkosten zu leisten. Für eine etwaige Einschränkung des Haftungsumfanges ist kein Raum und besteht kein Bedürfnis. 725 Die Festsetzung eines Mindestbetrages, der schadensmäßig erreicht werden muß, damit überhaupt erst eine Einstandspflicht begründet werden kann, ist nicht erforderlich. Die insofern im Referentenentwurf für ein Ausfuhrungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 G G 7 2 6 vorgesehene Höhe von 5.000,00 D M

721 Es handelt sich um einen Schadensersatz und nicht um eine Entschädigung mit den insoweit entschädigungstypischen Problemlagen und -bereichen. 72 2 Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 408. 723 BT-Drucks V/2861, Tz. 303. So auch das Troeger-Gutachten, S. 55, Tz. 215. 724 BVerwGE 96, 45 (58 f.); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992 f.). 725 BVerwGE 96, 45 (58 f.); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992 f.); U. Stelkens, Verwaltungshafitungsrecht, 1998, S. 275; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 110, der zutreffend auf die Autonomie dieser Anspruchsgrundlage hinweist. I. E. auch Vogel/Kirchhof \ in: BK, Art. 104 a Rdnr. 176; wohl auch Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (288 f.). 726 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Text bei Seelmaecker, Die

II. Anspruchsgrundlagen

489

kommt nicht zum Tragen. 727 Ein objektiver Grund für einen Mindestbetrag ist nicht erkennbar; liegen die einzelnen Haftungsvoraussetzungen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG vor, so tritt ohne weiteres eine Einstandspflicht ein. Für eine Haftungsreduktion auf einen bestimmten Mindestbetrag gibt auch der Grundgesetzeswortlaut keine Handhabe. Letztlich erschiene eine Begrenzung auch nicht sachgerecht oder notwendig. Die i. ü. praeter legem latam einzuführende Konstruktion eines haftungsrechtlichen Bagatellprinzips durch eine solchartige Mindestschadenssumme erscheint auch mit Blick auf die besondere haftungsrechtliche Situation nach einer Weisungserteilung nicht vonnöten, da diese Auseinandersetzungen wohl immer um Vermögensschäden geführt werden, die weit jenseits einer solchen Bagatellgrenze liegen. Es bleibt festzustellen, daß zumindest für den hier interessierenden Bereich eine Haftungsfreistellung wegen eines Bagatellschadens ausscheidet. Weitere Begrenzungsmöglichkeiten wie etwa eine absolute Haftungshöchstsumme oder eine zwingende Verteilungsquote sind von vornherein nicht sachgerecht und nicht Inhalt der Norm; sie sind daher nicht zuzulassen. „Geld muß man haben." 728 Schließlich ist auch der Ersatz nicht auf das beschränkt, was im Regreßwege selbst erlangt worden ist, 7 2 9 weil auch dafür das GG keinen Anhaltspunkt gibt und dies auch nicht sachgerecht erscheint. Es läßt sich also feststellen, daß ein voller, unbegrenzter Schadensersatz den Haftungsumfang des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG bildet. Begrenzungen lassen sich dem Haftungsartikel nicht entnehmen. Unabhängig von der geltenden Rechtslage ist die Frage zu beurteilen, ob und inwieweit der einfache Gesetzgeber nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG sich an diesem Haftungsumfang zwingend orientieren müßte. Zutreffend führt das BVerwG in diesem Zusammenhang aus, daß jedenfalls nicht von vornherein jeder Spielraum für eine andersgeartete einfachgesetzliche Regelung ausgeschlossen wäre. 730 Vorderhand ist ζ. B. an eine Bagatelluntergrenze oder bestimmte Schadenspauschalierungen zu denken, die dem Verfassungswortlaut gerade nicht zu entnehmen sind. Wie groß dieser im Einzelfall ist, läßt das Gericht offen und kann auch in der vorliegenden Untersuchung dahingestellt bleiben. Es ist de lege ferenda zu entscheiden.

Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff. 727 Da der Entwurf aus dem Jahre 1973 stammt, müßte der Betrag wohl sachgerecht angehoben werden. 72 8 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 275 f. 729 BVerwGE 96, 45 (58 f.); BVerwG NVwZ 1995, 991 (993); U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 275. In diese Richtung einer Begrenzung auf das Erlangte F. Kirchhof, NVwZ 1994, 105 (106), und W. Schulze, DÖV 1972,409 (410). 730 BVerwGE 96, 45 (59); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992 f.).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Als Haftungsinhalt ist in erster Linie an Schadensersatz in Geld zu denken. Gerade bei weisungsgeprägten Haftungsfällen werden regelmäßig in Geld bezifferbare Schäden Gegenstand der Auseinandersetzung sein. Auch ging es bei den bislang zu Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG vorliegenden Entscheidungen ausnahmslos um Geldforderungen. Dessenungeachtet schließt der Wortlaut der Norm es nicht aus, daß neben finanziellen Ansprüchen auch solche auf Naturalrestitution gem. § 249 Satz 1 BGB von der geschädigten Gebietskörperschaft geltend gemacht werden. 731 Denn kann ein eingetretener Schaden anders oder eben nur vermittels einer nicht monetären Leistung behoben werden, so ist nicht einzusehen, weshalb diese Form der Wiedergutmachung (etwa in Form des Widerrufs eines Verwaltungsaktes) nicht zulässig sein sollte. Fraglich ist schließlich, ob eine Mitverantwortung des Geschädigten entsprechend dem Rechtsgedanken des § 254 BGB mit in Ansatz zu bringen ist. § 3 des Referentenentwurfs für ein Ausfuhrungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 G G 7 3 2 nahm diesen Gedanken auf und formulierte wie folgt: „Hat die geschädigte juristische Person den Schaden mitverursacht, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden im Verantwortungsbereich der einen oder anderen juristischen Person verursacht worden ist." Es ist sinnvoll und letztlich ein Gebot der Gerechtigkeit, den allgemeinen Rechtsgedanken der Berücksichtigung einer Mitverantwortung, der in § 254 BGB kodifiziert ist, auch in haftungsrechtlichen Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern anzuwenden.733 Dabei kommt es weniger auf den Ver-

731

Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (289). Nur in Hinblick auf ein Ausfuhrungsgesetz Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 110. Nur für Geldausgleich Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 209; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 401. 732 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Text bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff. 733 BVerwG NVwZ 1995, 991 (993); Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 211; Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 188 ff.; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 111; Rudisile, DÖV 1985, 909 (916).

II. Anspruchsgrundlagen

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schuldens-, als vielmehr auf den Verursachungsanteil der Körperschaft an. Die hiergegen vorgebrachten Argumente, wonach die Anwendung des § 254 BGB gegen die Rechtsnatur des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG als Lastenverteilungsvorschrift verstoße, 734 greifen nicht durch. Die Berechnung des Maßes der jeweiligen Mitverantwortungsquote greift in die Rechtsnatur der Haftungsnorm nicht ein. Entscheidend sind dabei die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Sie gilt es genau zu erkunden, um eine Mitverantwortungsquote zu ermitteln. Bei der Betrachtung der einzelnen haftungsrechtlichen Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern wird hierauf gesondert eingegangen werden.

Kausalität Ersetzbar sind nur die sog. unmittelbaren Schäden.735 Unmittelbare Schäden sind solche Ausgaben und sonstigen Vermögensminderungen bzw. Mindereinnahmen, die durch die Schädigung selbst resp. die Schadensbeseitigung (Reparatur) unmittelbar entstanden sind. Die Kausalität wird regelmäßig bei weisungsgeprägten Fallgruppen nicht allzu problematisch sein. Das gilt zunächst ohne weiteres bei einer Weisungsbefolgung durch das Land mit einem anschließenden Schadensbewirken. Aber auch bei fehlerhaftem oder ganz unterbliebenem Weisungsvollzug einer Landesbehörde wird dieses Handeln bzw. Nichthandeln nachweisbar ursächlich fur einen Schaden sein. 736 Bei Caw^afolgeschäden handelt es sich um solche, die erst mittelbar entstanden sind, wie ζ. B. ein entgangener Gewinn (s. § 252 BGB). Diese Schäden sind nicht im Wege der Verwaltungshaftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ersetzbar, weil sie sich als gänzlich atypisch für die Lastenverteilung des GG darstellen und unberechenbar in die Zukunft wirken. 737

734

So U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 276. U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 274; Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, 2001, S. 408. 736 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 273, möchte allgemein bei „echten Haftungsfällen" ein typischerweise vorhandenes Kausalitätsproblem zwischen einem konkreten Verstoß gegen die Pflicht ordnungsgemäßer Verwaltung und einem Schaden erkennen, wobei für die Lösung die gerichtliche Schätzungsbefugnis hinsichtlich der Kausalität des § 287 Abs. 1 ZPO weiterhelfen soll. Das vermag - jedenfalls für weisungsrechtliche Problemlagen - nicht nennenswert weiterzuhelfen, so daß es eines solchen Rückgriffes nicht bedarf. 737 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 274. 735

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

y) Zinsen Fraglich ist schließlich noch die Ersetzbarkeit von Zinsverlusten der geschädigten Körperschaft. Auch wenn ein Zinsanspruch immer nur ein Nebenanspruch ist, der sich auf einen Hauptanspruch stützt, kann diesem bei einem entsprechend großen Rahmen des Hauptanspruches 738 eine erhebliche finanzielle Bedeutung zukommen, um derentwillen sich eine gesonderte Betrachtung geziemt, zumal dann, wenn seit Schadenseintritt bereits Jahre vergangen sind. Im Ergebnis ist ein Anspruch auf Verzugszinsen (§ 286 BGB) in der Verwaltungshaftung von Bund und Ländern nicht anzuerkennen. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG stellt keine diesbezügliche Rechtsgrundlage dar. Ohne eine gesetzliche Grundlage kann indes ein Anspruch auf Verzugszinsen nicht bestehen. Ein entsprechender allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsrechts existiert nicht. 7 3 9 Nach § 6 Abs. 2 des Entwurfes für ein Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG aus dem Jahre 1973 740 sollte eine Geldschuld vom Zeitpunkt des Entstehens des Schadens an mit 2 Prozent über dem für Kassenkredite des Bundes geltenden Zinssatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen sein. Der Hintergrund dieser einigermaßen originellen Regelung liegt im Dunkeln. Dieser Entwurf wurde nie Gesetz und kann daher auch nicht als Rechtsgrundlage dienen. Einem allgemeinen Grundsatz entspricht er - wie ausgeführt - nicht. Wohl aber ist ein Anspruch auf die Prozeßzinsen anzuerkennen. 741 § 291 BGB findet insoweit anerkanntermaßen entsprechende Anwendung. Ab Rechtshängigkeit hat der Schuldner Zinsen zu leisten, und zwar 5 Prozent über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskont-Überleitungsgesetzes, 742 so § 388 Abs.

738

Bei weisungsgeprägten Haftungsstreitigkeiten wird es sich typischerweise um ganz erhebliche Summen handeln. 739 BVerwGE 80, 334 (335); 81, 312 (317); 96, 45 (59); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 112. 740 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Dieser ist u. a abgedruckt bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff. 741 BVerwG NVwZ 1995, 991 (993); BVerwGE 96, 45 (59); Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 112. Anders wohl U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 274: keine Zinsen. 742 v. 9.6.1998 (BGBl. IS. 1242).

II. Anspruchsgrundlagen

493

1 Satz 1 BGB. Damit sind die bis dahin geltenden 4 Prozent Zinsen insgesamt 743 hinfallig geworden. Die Rechtshängigkeit tritt nach § 90 VwGO mit Erhebung der Klage ein, entscheidend dafür ist - im Gegensatz zum Zivilprozeß - der Eingang bei Gericht, § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

δ) Verjährung Alle vermögensrechtlichen Ansprüche unterliegen im öffentlichen Recht der Verjährung. 744 Der Referentenentwurf für ein Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG 7 4 5 ließ den Anspruch nach fünf Jahren ab Kenntniserlangung von dem Schaden und zehn Jahren ohne Rücksicht auf diese Kenntnis von der Entstehung des Schadens an verjähren (§ 8 Satz 1 des Entwurfes). Diese nicht zu knapp, sondern eher großzügig bemessene Frist ist aus Gründen der Rechtssicherheit geboten und sollte auch zur Anwendung kommen. 746 Ihre Bedeutung in der Praxis wird minimal sein. Die Hemmung bzw. Unterbrechung der Verjährung richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Eine abweichende Einschätzung der Bund-Länder-Haftung im weisungsrechtlich geprägten Bereich ist nicht geboten. Für Prozeßzinsen findet § 197 BGB analog Anwendung: Verjährungsfrist vier Jahre. Die Frage der Verjährung kann ohne weiteres durch den einfachen Gesetzgeber anders geregelt werden. Ihre Frist ist nicht vom GG vorgegeben.

g) Exkurs: Zusammenfassender Blick auf die Funktion der Verwaltungshaftung Die Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG in dem beschriebenen Umfange soll fein austariert das durch Art. 104 a Abs. 2 GG durchbrochene Kon-

743 S. etwa Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 112. 744 BVerwGE 28, 336 (338). 745 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 — 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Text bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff. 746 Anders Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 112 f., der für eine dreißigjährige (!) Verjährungsfrist analog § 195 BGB eintritt.

494

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

nexitätsprinzip in Haftungsfallen wieder ins Lot bringen. 747 Es wird dadurch eine föderale Lasten- bzw. Haftungssymmetrie (wieder-) hergestellt. Ein eingetretener Schaden wird bildlich gesprochen vom Kopf der Finanzierungskompetenz auf seine eigentlichen Füße der Verursachung gestellt. Unangebracht ist der isolierte Blick auf das vermeintlich größere Haftungsrisiko der Länder. 748 Zwar dient auch hier die Haftungsnorm bei weisungswidrigem und den Bund schädigendem Verhalten dem skizzierten Ziel, aber auch bei einer schadensstiftenden Weisung - sei es unmittelbar, sei es mittelbar nutzt die interkörperschaftliche Haftung der Herstellung einer materiellen Lastenverteilungssymmetrie, indem die geldlichen Konsequenzen behördlicher Fehlleistungen von derjenigen Körperschaft - hier also vom Bund - zu tragen sind, in deren Bereich sie entstanden waren.

h) Fazit Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG ist eine maßgebende finanzrechtliche Fundamentalvorschrift, deren Bedeutung bisher eher vernachlässigt wurde. Im Verhältnis Bund-Land stellt sie einen zentralen Fixpunkt dar, dessen Relevanz nicht unterschätzt werden sollte. Nach der mittlerweile schon als gefestigt zu bezeichnenden Rechtsprechung des BVerwG findet diese Bestimmung unmittelbare Anwendimg. Ein erst noch vom Bundesgesetzgeber zu beschließendes Ausfuhrungsgesetz hätte nicht die Wirkung eines Entfaltens des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG. Es hätte vielmehr eine rein deklaratorische Funktion. Unbeschadet davon ist der große Vorteil zu sehen, den ein entsprechendes Gesetz hätte: Es würde ein beträchtliches Mehr an Klarheit und Berechenbarkeit der Haftungsgrundlage schaffen. Denn es ist dem einfachen Gesetzgeber zwar verwehrt, im Rahmen der grundsätzlichen Haftung zwischen Bund und Ländern korrigierend legislatorisch tätig zu werden, wohl aber kann und sollte auch eine „Feinsteuerung" vorgenommen werden, indem die einzelnen Haftungsvoraussetzungen, Einschränkungen der Haftung sowie weitere Formalia normiert werden. Ein mehr als wünschenswerter Schritt auf dem Weg eines von vorneherein bestimmbaren föderalen Haftungsverhältnisses! Wahrlich nicht zum ersten Mal scheut sich der Gesetzgeber, einen sensiblen Bereich der Gesetzgebung anzupacken und ihn zu regeln. Es sei nur an den Be-

747 748

Hatje, NJ 1997, 285 (286). Statt vieler Hatje, NJ 1997,285 (287).

III. Das Land als Geschädigter

495

reich des Arbeitskampfrechts erinnert, innerhalb dessen eine annähernd vollständige gesetzgeberische Funkstille herrscht. Wegen weiter vorhandener massiver Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern in einigen Bereichen auftragsweiser Verwaltung ist nicht nur mit vermehrter Inanspruchnahme der Weisungskompetenz des Bundes zu rechnen, vielmehr kann auch von einer Mehrzahl haftungsrechtlicher Auseinandersetzungen sozusagen „im Nachgang" erteilter Bundesweisungen ausgegangen werden, entweder weil die Weisung vom Land nicht bzw. zu spät umgesetzt wird oder weil die Weisung sich inhaltlich als rechts- und/oder verfassungswidrig erweist. Hier findet sich fur den Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG ein weites Anwendungsfeld. Die Vorschrift ist nach allem in vollem Umfange und ohne weitere Einschränkungen anwendungsfähig. Insoweit kann die Behauptung aufgestellt werden, daß es eines - wegen der vormals beklagten „Offenheit" der Norm vermeintlich unabdingbaren - Ausführungsgesetzes gem. Art. 104 a Abs. 4 Satz 2 GG nicht mehr bedarf.

I I I . Das Land als Geschädigter Einen Gegenstand dieser Untersuchung stellen die haftungsrechtlichen Konsequenzen einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG im Föderalsystem des GG dar. Nachdem das Weisungsrecht verfassungsrechtlich analysiert 749 und die in Frage kommende Norm für eine Bund-Länder-Haftung festgestellt wurde, 750 waren anschließend deren Voraussetzungen und Rechtsfolge, also diejenigen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG in abstracto zu ermitteln. 751 Abschließend gilt es nun, die gewonnenen Erkenntnisse auf die spezielle Haftungssituation nach einer ergangenen Weisung anzuwenden. Die allgemeinen Erkenntnisse sind „in die Praxis zu bringen", wobei zunächst das Land als Weisungsgeschädigter behandelt werden soll. Fraglich ist zunächst im Hinblick auf ein geschädigtes Land, welche innerstaatliche Ebene die Kosten für eine fehlerhafte Bundesweisung, die von einer Landesbehörde ausgeführt wird, trägt. Es gilt also zu ermitteln, ob und in welchem Umfang der Bund für sein fehlerhaftes Verwaltungshandeln haftet. Speziell die Voraussetzungen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG sind in diesem Zusammenhang von gesteigertem Interesse. In spezieller Hinsicht ist 749 750 751

D. II. Ε. II. 3. d). Ε. II. 3. f).

496

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

für die „ordnungsmäßige Verwaltung" im Sinne dieser Haftungsvorschrift zu fragen, ob hier eine differenzierte Betrachtung hinsichtlich einer bloßen Rechtswidrigkeit oder einer Verfassungswidrigkeit der Maßnahme Weisung anzustellen ist, ob also ein bestimmter „Grad an Rechtswidrigkeit" erreicht sein muß. In diesem Zusammenhang ist auch zu erörtern, ob eine gemischte Haftung von Bund und Land in Frage kommt. Abschließend wird zu untersuchen sein, wie ein möglicher Schadensersatzanspruch des Landes gerichtlich geltend zu machen ist. Um die Problematik der Regreßnahme des Landes beim Bund zu verdeutlichen, seien nach einem ersten Überblick über die haftungsrechtlichen Beziehungen von Bund und Ländern zu Beginn zwei Fallbeispiele skizziert, welche die beiden Problemfelder innerhalb der Länderschädigung verdeutlichen. Am Ende dieses Abschnittes sollen sie dann mit Hilfe der gewonnen Erkenntnisse einer Lösung zugeführt werden.

1. Problemexposition und Schrifttumsbefund Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG normiert eine gegenseitige Haftung von Bund und Ländern. Die Regelung unterscheidet sich daher - jedenfalls in dieser Hinsicht - fundamental von der partiellen, bis 1969 im Steuerrecht geltenden Haftungsregelung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F., der zufolge nur die Länder Schädiger und der Bund Geschädigter sein konnten. Bis zu dieser neuen Rechtslage war es - auch aufgrund anderer anwendbarer Haftungsgrundlagen im Bund-Länder-Verhältnis - nicht möglich, daß ein Land Geschädigter einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG sein konnte. Seit 1970 ist es daher denkbar und auch realistisch, daß neben dieser „Rollenverteilung" auch der Bund eine schädigende causa setzt, die letztlich in die Haftung eines Landes nach außen einmündet. Dabei wird der Bund als Schädiger im Schrifttum nur spärlich erörtert. 752 Die meisten Autoren beschäftigen sich ausschließlich mit dem Bund als Geschädigtem.753 Auch in der Rechtsprechung ist kein Fall ersichtlich, der den 752 Die Länder als „haftende Weisungsopfer" werdenfragmentarisch bei T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 305 ff., im Abschnitt „Die Sekundärwirkungen eines Weisungserlasses" behandelt. Auch Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 220 (Zweitbearb.), sprechen sie kurz an; ebenso Wo Ist, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 84 f. Umfassender zuletzt U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 258 ff. 75 3 Erichsen, Zur Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, 1986, S. 25; Nopper, BundLänder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 FN 108; Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehler-

III. Das Land als Geschädigter

497

Bund als Schädiger ausweist, erst recht nicht mittels einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG. Insoweit wird mit der vorliegenden Untersuchung haftungsrechtliches Neuland betreten. Immer wieder wird im einschlägigen Schrifttum fälschlicherweise sogar von einer einseitigen Regelung ausschließlich zugunsten des Bundes ausgegangen mit der zwingenden Folge, daß eine wie vorliegend erörterte Fallkonstellation an sich ausscheiden müßte. 754 Symptomatisch hierfür ist etwa die vermeintliche Erkenntnis von Nopper: 155 „Die Haftungsbeziehung ist schon allein deswegen fast einseitig gegen die Länder gerichtet, weil der Bund nicht befugt ist, Landesgesetze auszuführen und er zudem im nicht gesetzesakzessorischen Bereich nur in wenigen Einzelfällen für die Länder administrieren kann." In diese Richtung zielt auch Hatje, der wie folgt formuliert: 756 „Dieses Haftungsinstitut könnte vor allem die Position der Länder schwächen, die in der föderalen Ordnung des Grundgesetzes die Hauptlast des Verwaltungsvollzuges und damit das größte Haftungsrisiko tragen." Auch Bauer/Zirbes 757 scheinen diesem Trugschluß zu unterliegen, wenn sie die Länderinteressen allein dadurch beeinträchtigt sehen, daß Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG durch richterliche Rechtsanwendung konkretisiert wird, ohne daß naturgemäß hier der Bundesrat beteiligt worden ist. Diese Befürchtung ergibt nur dann einen Sinn, wenn nur die Länder und nicht der Bund als haftende Körperschaften des öffentlichen Rechts angenommen werden. Gegen die fehlende Vollzugszuständigkeit des Bundes für Landesgesetze läßt sich inhaltlich auch nichts vorbringen; insoweit ist diese Behauptung wenn auch nicht neu - jedenfalls zutreffend. Hinsichtlich der Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG greift sie aber entschieden zu kurz. Der Artikel ist mit Bedacht und unter augenfälliger Abweichung von der Formulierung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG a. F. so offen gefaßt worden, daß eine Verengung auf bestimmte haftungsrechtliche Beziehungen mit ausschließlich dem Bund als Geschädigtem bereits aus diesem Grunde ausscheidet. Der Verfashafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 130; Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 61; Salpa, DVB1. 1974, 188 (189 f.); Hatje, NJ 1997, 285; wohl auch W. Schulze, DÖV 1972,409 (414); H Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (515). 754 So die Autoren in der vorangegangenen FN. Erichsen, aaO., stellt anschließend verwundert fest, daß diese von ihm postulierte Einseitigkeit der Regelung von den Ländervertretern in den der Finanzreform 1969 vorangegangenen mehrjährigen Beratungen nicht gesehen worden ist. Gegen diese Fehleinschätzung ausdrücklich U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 (615); dersVerwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 279. 755 Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 73 FN 108. 756 NJ 1997, 285 757 JuS 1997,511 (515). 32 Janz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

sungsgeber wollte 1969 gerade nicht an die enge Fassung der alten Haftungsvorschrift anknüpfen, sondern dessen Voraussetzungen in Hinblick auf die Haftungsbeteiligten erweitern. 758 Allein der Wortlautvergleich der alten Haftungsnorm mit der neuen Vorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG läßt bereits erkennen, daß sich Bund und Länder - auch und gerade im Bereich der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG - in haftungsrechtlicher Beziehung jeweils als Schädiger und Geschädigter gegenüberstehen können. Art. 104 a Abs. 5 GG regelt nunmehr eine Haftung von Bund und Ländern untereinander. Anspruchsberechtigte und -verpflichtete können daher jeweils der Bund und die Länder sein. Es ist daher unzutreffend und nachgerade ein Irrglaube, wenn der Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG als ausschließlich gegen die Länder gerichtet angesehen wird.

2. Überblick über die haftungsrechtlichen Beziehungen Haftungsrechtliche Beziehungen mit einem Schaden auf Seiten des Landes sind in mehrerlei Art denkbar. Identisch ist allen Sachverhalten der Kreis der Haftungsbeteiligten und das Ergehen einer Bundesweisung innerhalb eines auftragsweisen Verwaltungsbereiches des Art. 85 GG: Der Bund setzt die haftungsauslösende causa, indem er eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG erteilt. Verschieden sind der spezielle Weisungsinhalt und das Maß an Fehlerhaftigkeit bei dieser Bundesmaßnahme sowie der jeweilige Verwaltungsbereich, innerhalb dessen die Weisung ergeht. Diese differierenden Elemente bilden die Basis dafür, daß in haftungsrechtlicher Hinsicht ein erhebliches Potential an unterschiedlichen Fallgestaltungen besteht. Dabei ist die Weisung - nach der Themenstellung dieser Untersuchung conditio sine qua non für die Konstellation einer Länderschädigung, sei es unmittelbar, sei es mittelbar. Die schädigende Handlung (bzw. der Befehl zur schädigenden Handlung, wenn das Land selbst erst noch nach außen handeln muß) ist nur hinsichtlich ihres Inhaltes, also hinsichtlich ihrer Rechts/Verfassungswidrigkeit, für die vorliegende Untersuchung von Interesse; es müssen die Begriffsmerkmale einer Weisung vorliegen. Erst dann können sich aus dieser interstaatlichen Ingerenz entsprechende haftungsrechtliche Folgerungen ergeben. Neben diese Fixierung tritt ferner dann ein erweiternder Blick auf ein etwaiges Landeshandeln, wenn ein Schaden nicht allein mittels der Weisung oder deren unmittelbarer Umsetzung eingetreten ist, sondern sich die Frage nach einer gemischten Haftung stellt.

758

Zur Genese des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG E. II. 3. b).

III. Das Land als Geschädigter

499

So stellt sich die Konstellation bei einem Schaden des Landes dar. Für den Fall einer Bundesschädigung sieht die Sachlage anders aus. Zwar muß auch hier eine Bundesweisung vorliegen. Diese selbst spielt aber - jedenfalls bei monokausalen Haftungssituationen - keine Rolle bei der Schadenserzeugung. Hier ist das schädigende Verhalten des Landes alles andere als in allen Situationen identisch. Vielmehr sind verschiedenste schadens- und haftungsauslösende Handlungen denkbar, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, diese im einzelnen zu betrachten. Zurück zur gliedstaatlichen Beeinträchtigung nach Weisungserteilung: Ein Schaden beim angewiesenen Land kann grundsätzlich in zweierlei Form auftreten: Entweder erleidet das Land direkt/unmittelbar durch eine Bundesweisung einen Schaden, oder die Weisung führt indirekt/mittelbar durch die Beteiligung eines extrastaatlichen Dritten durch ein weisungsgeprägtes Handeln des Landes selbst zu einem Schaden auf Landesseite. Diese beiden Fallkonstellationen gilt es im folgenden zu unterscheiden.

a) Das Land als unmittelbar Geschädigter aa) Problemlage Allgemein läßt sich sagen, daß eine unmittelbare eine direkte Schädigung darstellt, mithin kein Dritter oder ein weiteres Handeln hinzutritt. Die haftungsrechtlich relevanten Geschehnisse verbleiben allesamt im intrastaatlichen Verhältnis von Bund und Land ohne eine Drittschädigung. Ein direkt durch den Vollzug einer rechtswidrigen Weisung erlittener Schaden liegt ζ. B. vor, wenn durch die Bundesmaßnahme dem Land unmittelbar höhere Kosten oder geringere Einnahmen entstehen. So können ζ. B. die Verwaltungsausgaben, die nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz GG 7 5 9 stets von den Ländern zu tragen sind, weisungsbedingt erhöht werden; auch sind Einnahmeunterschreitungen bei Gemeinschaftssteuern denkbar, wenn das Land durch eine Weisung gehindert wird, diese vollständig zu erheben. 760 Dabei erscheint die Fallkonstellation des unmittelbaren Schadenseintritts jedenfalls in der Fallgruppe, daß ein Land durch eine Weisung einen Vermögensschaden erleidet, die seltenere zu sein, da der Vollzug einer Bundesweisung typischerwei-

759

Zu der Frage, was zu den Verwaltungskosten zu rechnen ist und zur Abgrenzung zu den Zweckausgaben s. ο. E. II. 3. e) cc) γ). 76 0 U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 (615); ders. 9 Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 101 ff. (101 f.: Fallgruppe der „Schädigungen durch Aufsichtsmaßnahmen") u. 258 ff.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

se nicht direkt zu einem finanziellen Nachteil beim weisungsvollziehenden Land führt. Dieser tritt vielmehr regelmäßig erst durch das Zutun weisungsbetroffener Dritter ein. Quantitativ anders wird die Lage zu beurteilen sein, wenn der Blick nicht isoliert auf weisungsgeprägte Haftungssituationen gelenkt, sondern globaler eine Verwaltungshaftung betrachtet wird. Eine direkte Schädigung durch eine unmittelbare Sachbeschädigung oder eine Veruntreuung von Geld- und Sachmitteln eines Hoheitsträgers durch einen Amtswalter eines anderen Hoheitsträgers sind häufiger anzutreffen; es ermangelt ihnen jedoch eines weisungsrechtlichen Gehalts.

bb) Fallbeispiel Veranschaulichend sei folgendes Fallbeispiel entworfen: 761 Das Fallbeispiel ist einem wichtigen Teilbereich der innerkörperschaftlichen Haftung, nämlich der Haftung im Verhältnis Bund - Land im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung, entnommen, und zwar in dem finanzsensiblen Bereich der staatlichen Leistungsverwaltung. Im Zentrum steht eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG) wird von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt. Dafür stellt der Bund den Ländern 65 Prozent der Fördermittel zur Verfügung, die übrigen 35 Prozent müssen die Länder selbst tragen, so § 56 Abs. 1 Satz 1 BAFöG. Dieses Gesetz stellt ein Geldleistungsgesetz im Sinne des Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG dar. Es ergibt sich die grundgesetzlich vorgesehene Folge, daß wegen der Kostentragung von mindestens der Hälfte aller (Zweck-) Ausgaben des Bundes dieser Verwaltungsbereich automatisch in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt wird, Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG. Die Regierungskoalition auf Bundesebene kommt überein, die Fördergelder nach dem BAFöG großzügiger als bislang zu bemessen, indem der Kreis der Anspruchsberechtigten weiter als bislang gezogen werden soll. Nach länger andauernden Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über die Auslegung der §§ 8 ff. BAFöG weist der zuständige Bundesminister nach vorheriger unmißverständlicher Ankündigung und unter Berufung auf Art. 85 Abs. 3

761 Das Fallbeispiel ist an einige tatsächliche Vorkommnisse - teilweise in anderen Verwaltungsbereichen des Art. 85 GG - angelehnt, ohne auf einen speziellen einzelnen Fall zu rekurrieren, simplifiziert jedoch in beträchtlichem Umfange, was letztlich der Konzentration auf die hier in erster Linie interessierende Haftungsproblematik dienen soll.

III. Das Land als Geschädigter

501

GG jeden einzelnen Landesminister an, seine Rechtsauffassung bei der Berechnung des konkreten Satzes zugrunde zu legen. Diese Weisung wird auch eingehend begründet. Die angewiesenen Landesminister sehen sich damit gehindert, die ihnen obliegenden Ausgaben (restriktiv) entsprechend dem BAFöG zu tätigen. Sie fügen sich dem Bundeswillen und erlassen alsbald diese finanzwirksamen Maßnahmen. In einem späteren, von dritter Seite angestrengten Prozeß erweist sich diese Gesetzesauslegung als nicht tragfähig und darüber hinaus als materiell rechtswidrig. Ein betroffenes Bundesland hat aufgrund dieser bindenden rechtsfehlerhaften Weisung des zuständigen Bundesfinanzministers Auszahlungen von Fördergeldern in Millionenhöhe nach dem BAFöG aufgrund einer Vielzahl von Anträgen getätigt, die es ohne die Aufsichtsmaßnahme nicht vorgenommen hätte. Das Land sieht sich zwar nicht als Hauptgeschädigter, will dennoch wegen seines Anteils in Höhe von 35 Prozent bei diesen Ausgaben gegen den Bund vorgehen und diesen Betrag, also seinen Anteil, ersetzt bekommen. Eine Rückforderung bei den übermäßig geförderten Antragstellern schied aber aus unterschiedlichen Gründen aus. Dieses rückfordernde Ansinnen des Landes lehnt der Bund ab. Daraufhin versucht das Land gerichtlich unter Berufung auf die Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG seine Forderung durchzusetzen. Im Rahmen des Prozesses zeigt sich, daß ein Verfassungsverstoß in Hinblick auf die umfassende Weisungskompetenz des Bundes weder in formeller noch in materieller Hinsicht angenommen werden kann. Insbesondere hat der Bund bei der Inanspruchnahme seiner Weisungskompetenz hinsichtlich des Verfahrensprocedere die Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten ausreichend berücksichtigt. Dennoch wird es bei der Prüfung des Haftungsanspruches aus Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG auf diese Maßnahme und ihr rechtliches Schicksal ankommen. Inwieweit kann die Weisung als eine ordnungsmäßige Verwaltung im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden? Es bestehen zweierlei auffällige Besonderheiten bei diesem Haftungsfall: Zum einen geht es um einen Landesschaden bei der Bewirtschaftung fremder (Bundes-) Mittel, und nicht wie in der Rechtswirklichkeit üblich und zur Genüge im einschlägigen Schrifttum erörtert um einen Schadensersatzanspruch des Bundes wegen einer fehlerhaften Verwendung seiner Mittel durch Landesbehörden resp. -bedienstete. Zum zweiten handelt die landesstaatliche Ebene nicht aus eigenem Antrieb und nimmt eine schadensstiftende Vermögensverschiebung o. ä. vor. Vielmehr geschieht dies aufgrund eines vorangegangenen imperativen Impulses des Bundes. Dieses eine Fallbeispiel soll zur Benennung und Veranschaulichung der Haftungsproblematik zwischen Bund und Ländern nach ergangener Weisung

502

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

und anschließender mittelbarer Schädigung des Landes genügen. Von einer umfassenden Fallgruppendarstellung wird abgesehen.762 Denn zum einen ergeben sich in grundsätzlicher verfassungs- und haftungsrechtlicher Hinsicht bei den verschiedenen Konstellationen keine Besonderheiten; die gewählte Grundkonstellation steht damit gleichwohl pars pro toto. Zum anderen sind die denkbaren Fallkonstellationen auch wegen der verschiedenen Verwaltungsbereiche, die nach Art. 85 GG ausgeführt werden, mannigfacher Natur, so daß ihre Darstellung den Rahmen dieser Untersuchung vollends sprengen würde. 763 b) Das Land als mittelbar Geschädigter aa) Problemlage Eine Weisung als Aufsichtsmaßnahme nach Art. 85 Abs. 3 GG innerhalb der Bundesauftragsverwaltung kann dem angewiesenen Hoheitsträger, d. h. dem Land, Schäden auch mittelbar zufügen, indem das Land durch die Weisung zu einem rechtswidrigen Verhalten angehalten wird. Die Weisung selbst wirkt nicht schädigend, vielmehr muß ein weiteres Handeln hinzutreten, nämlich ein Umsetzungsakt des Landes, welcher sich extrastaatlich auswirkt. Einer Maßnahme nach Art. 85 Abs. 3 GG kann sich das Land - jedenfalls bis zur Grenze der Verfassungswidrigkeit - nicht entziehen, so daß es an diese Weisung unmittelbar gebunden ist und sie zu vollziehen hat. Gehen private Dritte, die durch die Umsetzung dieser Bundes-oktroi einen finanziellen Nachteil erlitten haben, mit Erfolg dagegen vor, so entstehen für das Land Aufwendungen wie insbesondere Prozeßkosten und Haftungsverpflichtungen. Diese Aufwendungen begründen eine mittelbare Schädigung des Landes und den jedenfalls politisch legitimen Wunsch, auf diesem Schaden nicht sitzenzubleiben, sondern ihn auf den Bund abzuwälzen. Das Land ist typischerweise dann durch den Vollzug einer rechtswidrigen Weisung mittelbar geschädigt, wenn durch die Bundesmaßnahme Haftungs762

Umfassende Fallgruppendarstellung für sog. Verwaltungsträgerschäden, also solche, die nur bei einem (oder mehreren) geschädigten Hoheitsträger(n) und nicht bei privaten Dritten entstehen, bei U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 93 ff. 763 Vgl. wiederum U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 93 ff., der allein zehn Fallgruppen innerhalb von Verwaltungsträgerschäden zu erkennen vermag. Stelkens unterscheidet: Schädigungen bei Amtshilfe und amtshilfeähnlicher Zusammenarbeit (Fallgruppe 1), in gestuften Verfahren (2), durch Aufsichtsmaßnahmen (3), durch Schuldnerverzug (4), in Treuhand- und treuhandähnlichen Verhältnissen (5), durch Begründung von Haftungsverpflichtungen gegenüber Dritten (6), bei Abgabenerhebung im Fremdinteresse (7), durch fehlerhafte Verwendung fremder Mittel (8), bei Kooperationsverwaltung (9) und durch legislatives Unrecht (10). Weisungsfälle können in diversen dieser Fallgruppen angesiedelt sein, ohne weiteres z. B. in den Bereichen 3, 6 und 7.

III. Das Land als Geschädigter

503

Verpflichtungen gegenüber Dritten ausgelöst worden sind. Bei dieser Form der indirekten Vermögensschädigung hat das Weisungsverhalten allein noch keinen Vermögensabfluß auf Länderseite zur Folge, vielmehr wird das Land durch diese Weisung zu einem bestimmten, vermögensmindernden Verhalten angehalten. Der Träger der angewiesenen Behörde - also regelmäßig eine oberste Landesbehörde, Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG - erleidet mittelbar einen Schaden. Regelmäßig wird es sich um Haftungsverpflichtungen handeln, die dadurch entstehen, daß ein Dritter, der durch das weisungsbefolgende Verhalten betroffen wird, diese Landesmaßnahme erfolgreich vor Gericht angreift. 764 Der Grund der Mittelbarkeit der Schädigung ist darin zu betrachten, daß nach außen das Land - und nur das Land! - für sein Handeln verantwortlich ist. Dies gilt auch dann, wenn es mittels einer Weisung hierzu verpflichtet worden ist. Allein diese Betrachtung wird dem Wesen der Bundesauftragsverwaltung als einer Form der Landesverwaltung gerecht. 765 Wird die Sachlage im Atomrecht zugrunde gelegt, so erscheint die haftungsrechtliche Dimension deutlich: Weist nach Art. 85 Abs. 3 GG der zuständige Bundesminister die Genehmigung einer atomrechtlichen Anlage an und hätte nach einfachem Bundesrecht diese Genehmigung verweigert werden müssen, steht das Land für den Fall, daß ein Dritter sich erfolgreich gegen die Genehmigung gerichtlich wehrt, in einer umfassenden Haftung. Auch der umgekehrte Fall kann eintreten. Weist der Bund rechtswidrig an, eine Genehmigung gerade nicht zu erteilen und unterläßt danach die zuständige Landesbehörde es, diese Genehmigung zu erteilen, so ist das Land dafür haftungsverpflichtet, wenn der von der begehrten Genehmigung begünstigte Kraftwerksbetreiber erfolgreich gegen die Verweigerung klagt und Schadensersatz begehrt. Zu den direkten Haftungskosten sind auch die Prozeßkosten 766 zu rechnen, die ein ganz erhebliches Maß erreichen können, zumal bei einer Verurteilung des Landes zum Schadensersatz gegenüber einem Drittbetroffenen auch dessen Anwaltskosten hinzutreten. So beliefen sich beispielshalber allein die Gebühren für Bevollmächtigte des Bundes im Rahmen eines Verfahrens wegen eines von Oktober 1990 bis Februar 1991 verhängten Baustopps für das geplante Endlager in Gorleben bei einem festgesetzten Streitwert von knapp 10,15 Millionen D M (2. Instanz) auf exakt 101.182,75 DM, zu dem sich weitere ge-

76 4

U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 102 f. u. 108 ff. u. 258 ff. Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 220 (Zweitbearb.); T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 307. 766 So ausdrücklich auch U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 (615); ders., Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 102 f. 76 5

504

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

schätzte 80.000 D M Sachkosten des Bundesamtes fur Strahlenschutz (rechtliche Beratung) addieren. 767 Diese zweigliedrige Schädigungsunterteilung ist zur Verdeutlichung der verschiedenen haftungsauslösenden Momente sinnvoll. Für die rechtliche Bewertung spielt es indes keine Rolle, jedenfalls dann, wenn keine weitere neue Haftungsursache nach der Weisungserteilung hinzutritt, was in aller Regel nicht der Fall sein wird. Die von U. Stelkens vorgenommene umfangreiche Fallgruppendarstellung 768 ist für die vorliegende Untersuchung daher nur von begrenztem Nutzen.

bb) Fallbeispiel Folgendes Fallbeispiel soll die konkrete Haftungsproblematik nach vorangegangener Bundesweisung und anschließender mittelbarer Schädigung des Landes verdeutlichen: 769 Seit Jahren schon bestehen hinsichtlich der Sicherheitsanforderungen an ein Atomkraftwerk im Land A Differenzen zwischen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dem Landesministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Forsten. Dieses Landesministerium stellt die zuständige Behörde nach dem AtomG dar. Die in Rede stehenden Differenzen zwischen der Bundes- und der Landesbehörde sind grundsätzlicher Art. Auf Bundesebene tritt die Regierungskoalition für eine Beendigung der friedlichen Nutzung der Atomenergie ein, wohingegen die im Bund oppositionelle B-Partei im Land A die Alleinregierung stellt und seit langem für die Energiegewinnung durch Atomspaltung eintritt. Die Bundesregierung ist aufgrund eines Gutachtens der Gesellschaft für Reaktorsicherheit 770 davon überzeugt, daß wegen eines Mangels im Kühlwassersystem des Atommeilers eine erhebliche Gefährdung für Mensch und Umwelt bestehe und daher die atomrechtliche Betriebsgenehmigung nach § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtomG widerrufen werden müsse. Das Landesministerium hingegen 767

S. dazu mit weiteren Beispielen und Angaben BT-Drucks. 14/2639. U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 84 ff. 769 Zur Exempelfunktion des Falls s. o., E. III 2. a) bb). 770 Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit ist eine Sachverständigenorganisation des Bundes, die der Bundesregierung den verfügbaren technisch-wissenschaftlichen Sachverstand auf dem Gebiet der kemtechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes zur Verfügung stellt. Für die einzelnen Bundesländer wird die Gesellschaft nur noch für Fragen übergeordneter sicherheitstechnischer Bedeutung und zu Problemen des Objektschutzes tätig. Vgl. auch BT-Drucks. 14/2543. 76 8

III. Das Land als Geschädigter

505

sieht keinen Grund zur Besorgnis und auch keinen Anlaß für ein sonderordnungsbehördliches Einschreiten. Diese Einschätzung wird von dem Ministerpräsidenten ausdrücklich gebilligt. Dieser umstrittene Mangel ist in den folgenden Monaten Gegenstand eines umfangreichen Briefwechsels zwischen dem Bundes- und dem Landesministerium, innerhalb dessen der Bundesminister seine Einschätzung der Sicherheitslage und somit seine Rechtsauffassung deutlich macht und das Land um ein Einschreiten bittet. Für den Fall der Weigerung spricht er ausdrücklich auch die Möglichkeit einer Weisung an das Land gem. Art. 85 Abs. 3 GG an. Das Land weigert sich beharrlich, dem Wunsch des Bundes zu entsprechen. Diesen Standpunkt teilt der zuständige Landesminister auch dem Bundesminister schriftlich mit. Dieser wiederum greift nunmehr zur Aufsichtsmaßnahme des Art. 85 Abs. 3 GG: Dem Land wird unter Berufung auf die grundgesetzliche Befugnis aufgegeben, die Genehmigung sofort zu widerrufen. Das Land sieht wegen der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG keine Möglichkeit, gegen diese Weisung erfolgversprechend vorzugehen. Daher setzt es die Bundesweisung um und widerruft dem Anlagenbetreiber gegenüber die Anlagengenehmigung. Der Atommeiler wird daraufhin heruntergefahren, so daß er keinen Strom mehr erzeugt. Dem Betreiber entstehen hierdurch beträchtliche Einnahmeausfälle. Gegen diesen Widerruf klagt der Anlagenbetreiber und verlangt vom beklagten Land Schadensersatz. Mit Recht. Die Weisung ist rechtswidrig, da die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtomG nicht vorgelegen haben. Vielmehr entspricht die Kühlung den Sicherheitsanforderungen, die das Atomgesetz für den Betrieb eines Atomkraftwerkes fordert. Daher ist das Land verpflichtet, Schadensersatz zu leisten. Hiernach wird die Anlage wieder angefahren und die Stromerzeugung beginnt aufs Neue. Durch den mehrmonatigen Stillstand der Anlage ist dem Betreiber ein Verlust in zweistelliger Millionenhöhe entstanden. Das unterlegene und zum Schadensersatz verurteilte Land möchte auf diesem Millionenschaden nebst den beträchtlichen Prozeßkosten nicht sitzen bleiben. Vielmehr beabsichtigt es, den Bund hierfür in Regreß zu nehmen. Der Bund lehnt eine Haftung kategorisch ab. Das Land möchte nun diese Schadensersatzforderung unter Berufung auf die einschlägige Bestimmung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG gerichtlich geltend machen. Von einer Verfassungswidrigkeit der Weisung kann im Rahmen dieses Schadensersatzprozesses weder in formeller noch in materieller Hinsicht ausgegangen werden, da sich die Weisung innerhalb des Art. 85 GG und des vom BVerfG umrissenen Rahmens hält.

506

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Auch dieses Fallbeispiel soll pars pro toto fur alle weiteren denkbaren Konstellationen der innerkörperschaftlichen Haftung stehen, wenn die Haftung im Verhältnis Bund - Land im Rahmen in der Bundesauftragsverwaltung in Rede steht, also insbesondere keine Haftung Bund/Land - Gemeinde oder im Zusammenhang mit einem privaten Dritten die Sachverhaltsbasis bietet.

cc) Keine unmittelbare Haftung des Bundes Eine unmittelbare Haftung des Bundes im Außenverhältnis gegenüber einem Weisungsgeschädigten Dritten scheidet aus. Dies ergibt sich zunächst bereits aus dem Umstand, daß nicht der Bund durch seine Behörden, sondern das Land durch eine seiner Behörden die schädigende außenwirksame Maßnahme vorgenommen hat. Die Auftragsverwaltung ist eine Form der Läwcferverwaltung, so daß keine unmittelbare Haftung des Bundes eintreten kann. Der Landesbehörde kommt bei der Umsetzung der Weisung keinerlei Eigenverantwortlichkeit zu. Der Bund kann nicht für das fehlerhafte Verhalten einer Landesbehörde unmittelbar haften, gleich ob es fehlerfrei oder fehlerhaft war. Dem Bund obliegt zwar die Sach-, nicht jedoch die Wahrnehmungskompetenz. 771 Entscheidend für eine (Außen-) Haftung ist nicht, wer die Tätigkeit veranlaßt hat, sondern bei wem bzw. durch wen die Tätigkeit vorgenommen wurde; nur dieser ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, und das ist bei den beschriebenen Fällen das Land. 772 Wolst stellt treffend fest: „Für das Außenverhältnis sind die internen Vorgänge irrelevant." 773 Es scheidet auch eine Zurechnung nach organschaftlichen Grundsätzen aus: Die Länder können keinesfalls als Organe des Bundes - mit der Folge einer unmittelbaren Bundeshaftung nach §§ 31, 89 BGB (ggf. analog) - angesehen werden. 774 Die Länder haben daher zwingend die entstandenen Kosten zu-

771

Einzelheiten hierzu s. o. C. III. u. D. II. 3. c). 1. E. z. B. auch Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 67; Bartlsperger, in: BK, Art. 90 Rdnr. 69 (Zweitbearb.); Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 220 (Zweitbearb.); T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 313 ff.; Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 84; Fischerhof \ Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 1978, vor § 22 Rdnr. 11. Anders noch unter bestimmten engen Voraussetzungen BGHZ 16, 95 (98); BGH NJW 1956, 1028; ablehnend auch Bettermann, MDR 1956, 604 f. 773 Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 84. 774 Zu der fehlenden Organqualität der Länder im Geflecht auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG s. o. C. III.; i. E. auch ausdrücklich z. B. BGHZ 16, 95 (99); Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 220 (Zweitbearb.); Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 84. 772

III. Das Land als Geschädigter

507

nächst immer selbst zu tragen. 775 Denn sie haben die (letzte) schadensstiftende Ursache gesetzt. Auch scheiden Amtshaftungsansprüche eines drittbetroffenen Bürgers oder Unternehmens direkt gegen den Bund als Anweisenden im Falle eines weisungsgemäßen, aber rechtswidrigen Verwaltungsvollzuges des Landes aus. Es besteht - neben dem Fehlen anderer Haftungsvoraussetzungen des Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB - keine drittgerichtete Amtspflicht des Bundes gegenüber dem Bürgers oder Unternehmen, solange der Bund sich an die durch Art. 85 GG gezogenen Grenzen hält. 776 Die z. T. im Schrifttum 777 vorgeschlagene Durchgriffshaftung ist abzulehnen. Die Bundesländer sind im Föderalsystem des GG nicht mit nachgeordneten eigenen Verwaltungsstellen eines Bundesministers ohne einen eigenen Ermessensspielraum zu vergleichen. 778 Es verbleibt also bei einer ausschließlichen Passivlegitimation der Länder nach außen, d. h. im Verhältnis zu einem geschädigten Dritten. Eine unmittelbare Bundeshaftung gegenüber dem privaten Dritten ist bereits aus rechtssystematischen Gesichtspunkten abzulehnen. Eine Einstandspflicht des Bundes läßt sich nur unter Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG begründen.

dd) Reine Länderhaftung Ausschließlich passivlegitimiert ist für Klagen betroffener Dritter das Land bzw. die handelnde Behörde nach § 78 Abs. 1 Ziffer 1 VwGO bei Existenz eines Ausfuhrungsgesetzes. 779 Der Weisung kommt keine Außenwirkung dergestalt zu, daß anstelle des Landes bzw. einer seiner Behörden nunmehr der Bund passivlegitimiert wäre. Zunächst ist also allein das Land gegenüber dem Bürger/Unternehmen der entschädigungspflichtige Hoheitsträger. Für den Bund kommt ausschließlich eine Beiladung nach § 65 VwGO in Betracht. 780

775

Statt vieler U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 259. Anders soweit ersichtlich allein S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 106 FN 473, der „wohl" eine gegenüber Dritten bestehende Amtspflicht des anweisenden Bundesministers jedenfalls als in Betracht kommend ansehen möchte, über diese rein apodiktische Behauptung aber nicht hinauskommt. 77 7 S. Härtung, Die Atomaufsicht, 1992, S. 106 FN 473. Dazu auch Ε. II. 2. c). 778 Der Vergleich mit BGHZ 63,319 (324 ff.) geht insoweit fehl. 77 9 T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 312. Ausfuhrungsgesetze, die eine Behördenzuständigkeit im Anfechtungsprozeß normieren, finden sich in beispielshalber in Brandenburg (§ 8 Abs. 1 BbgVwGG). 776

508

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Die Folge einer ausschließlichen Passivlegitimation des Landes ist es, daß der Bürger sich einer Verwaltungsentscheidung gegenüber sieht, die zwar inhaltlich von einer obersten Bundesbehörde fremdbestimmt ist, welche aber von einer Landesbehörde erlassen wurde. Die administrative Ausführungskompetenz liegt bei den Verwaltungsbereichen des Art. 85 GG nun einmal de constitutione lata unentziehbar bei den Ländern. Die unmittelbar kostenverursachende (letztlich rechtsrelevante) Prämisse hat auch beim Weisungsvollzug nach Art. 85 GG ausschließlich das Land gesetzt; das Land ist damit kostentragungspflichtig. 781 Eine Durchgriffshaftung scheidet aus. Dabei kann das Maß der Fremdbestimmtheit insbesondere bei verhaltensoktroyierenden Weisungen ein vollständiges sein: Inhaltlich 100 Prozent vom Bund vorgegeben, äußerlich eine reine Landesentscheidung, welche zu allem Übel auch noch jedenfalls bei verhaltenskorrigierenden Weisungen vom Landeswillen nicht mitgetragen wird. Ein verfassungsrechtliches Dilemma ersten Grades! Hintergrund hierfür ist die insoweit zwingende grundgesetzliche Konstruktion der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG, insbesondere Absatz 3. Danach unterliegt das angewiesene Land einem Befolgungszwang bis zur Grenze der Verfassungswidrigkeit der Weisung. Eine einfache Gesetzeswidrigkeit des angewiesenen Verhaltens ist für das Land nicht rügbar; es hat die Weisung schlicht zu vollziehen. Hier nicht im Vordergrund der Untersuchung steht die Anspruchsgrundlagen, deren Voraussetzungen und die Höhe der Geltendmachung eines Schadens des drittbetroffenen Privaten gegenüber dem handelnden Land. Die einzelnen Haftungsmodi bilden zwar bei einer mittelbaren Schädigung des Landes die unabdingbare Voraussetzung für einen haftungsrechtlichen Rückgriff auf den Bund nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG, 7 8 2 ihre Einzelheiten sind für das intrastaatliche Haftungsverhältnis jedoch ohne Belang. Insoweit finden die allgemeinen zivilrechtlichen und amtshaftungsrechtlichen Ansprüche sowie die speziellen öffentlich-rechtlichen Haftungsregeln Anwendung. 783

780 Dazu T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 312 ff. m. w. Nachw. 78 1 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 259. 782 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Norm s. o. E. II. 3. d). 78 3 Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 220 (Zweitbearb.).

III. Das Land als Geschädigter c) Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG als haftungsrechtlicher

509 Katéchon

Die einzige normative Regreßmöglichkeit des Landes gegen den Bund bietet Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. 7 8 4 Diese Vorschrift allein stellt eine taugliche und auch unmittelbar geltende Haftungsgrundlage für die BundLänder-Haftung nach Weisungserteilung (Art. 85 Abs. 3 GG) dar. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz GG, der die Tragung der Verwaltungskosten regelt, ist in diesen Haftungsfällen nicht einschlägig. Wie im Kapitel Teil Ε II. 3. f) ausführlich dargestellt, weist Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG wenige, aber doch einige geschriebene Tatbestandsmerkmale auf. Zunächst müssen Bund und Länder beteiligt sein, die im Verhältnis zueinander haften. Hiernach ist es als eigentliche Haftungsursache nötig, daß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung verstoßen wird. Es muß sich also um die Ausführung von Verwaltung im Sinne dieser Norm handeln, die als nicht ordnungsgemäß zu qualifizieren ist. Hieraus muß schließlich in zurechenbarer Weise ein Schaden resultiert sein. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Hinsichtlich der einzelnen Haftungsvoraussetzungen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG kann und soll an dieser Stelle auf die allgemeinen Ausführungen zu dieser Vorschrift verwiesen werden, deren Fazit darin bestand, daß der konkrete Regelungsgehalt der Haftungsnorm aufgrund des kargen Wortlautes zwar gering, aber dessenungeachtet existent ist und durch Konkretisierung und insbesondere durch Konturierung eines Haftungskernbereiches für den Rechtsanwender eine klar umrissene und praktisch handhabbare Struktur gewinnt. 785 Gerade diese tatbestandliche Einengung hilft, den ansonsten uferund konturenlosen Haflungskreis auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Bund und Länder sind als Teil der unmittelbaren Staatsorganisation direkt haftungsbeteiligt; private Dritte sind in diesen Verwaltungsvollzug nach den Maßstäben des Art. 85 GG nicht eingebunden. Bei der Kompetenz nach Art. 85 GG und der dort auch niedergelegten Vollzugspflicht der Länder für eine Weisung im Rahmen einer Verwaltungsmaterie, die durch die Länder im Auftrag des Bundes ausführt wird, handelt es sich um Fragen der formellen wie materiellen Verwaltung, die sich hinsichtlich des Bundes und der ausführenden Länder auch im Verhältnis zueinander stellen. Der Schaden ist durch die Verwaltung des Bundes hervorgerufen worden. Dabei macht es keinen Unterschied, wie die Genese der Weisung konkret vonstat-

784 785

S. o. E. II. 3. d). S. o. E. II. 3. f).

510

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

ten ging, ob es sich also um eine erbetene/angeforderte oder eine ungebetene/korrigierende Maßnahme nach Art. 85 Abs. 3 GG handelt. Wird an dieser Stelle noch das Rechtsschicksal der Weisung (Frage der Nicht-Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung) außer acht gelassen, so liegen auch die übrigen Haftungsvoraussetzungen des Artikels ohne weiteres vor, wenn durch die Weisung unmittelbar ein Schaden am Landesvermögen entstanden ist. Auch wenn es sich um eine mischfinanzierte, also eine vom Bund und den Ländern jeweils teilweise finanzierte Auftragsmaterie nach Art. 104 a Abs. 2 GG handelt, liegt bei der Fallgruppe einer unmittelbaren Länderschädigung durch die Weisung ein quantifizierbarer Schaden vor, und zwar in der Höhe der Länderfinanzierungsbeteiligung. Auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln kommt es nicht an. Die beiden Fallbeispiele zeigen jedoch augenfällig, daß in der großen Mehrzahl der Fälle, wenn nicht gar in aller Regel, dem die schadenssetzende causa in Form einer Weisung setzenden Bund bzw. dem anweisenden Minister ein Verschulden jedenfalls im mittleren Fahrlässigkeitsbereich zukommt. Denn um den Anforderungen des BVerfG an die Verfassungsmäßigkeit der Weisung zu entsprechen, ist die weisungsgebende Stelle vor Erlaß gezwungen, den Empfanger nicht nur davon in Kenntnis zu setzen, sondern sie muß grundsätzlich vor Weisungserlaß dem Land eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben, es sei denn, es liegt ein (äußerst seltener) Eilfall vor. Das betroffene Land muß sich vor der Bundesentscheidung sowohl zu den entscheidungsrelevanten Tatsachen als auch zu den einschlägigen Rechtsfragen äußern dürfen, um das Verdikt des BVerfG zu vermeiden. 786 In diesem Zusammenhang wird das Land auf (verfassungs-) rechtliche Bedenken hinweisen, die bei Kenntnisnahme des Bundes und anschließender Nichtberücksichtigung einen bestimmten Grad an Fahrlässigkeit begründen können. Der Bund hat wegen seiner Alleinverantwortlichkeit in voller Höhe mit seinen Haushaltsmitteln für den Schaden einzustehen. Liegt nur eine anteilige Finanzierung und hiernach ein „geteilter Schaden" vor, so haftet selbstverständlich der Bund im Rahmen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nur für den Schaden des Landes; seine Vermögenseinbuße hat er unabhängig von dieser Norm selbst zu tragen. Auch die Prozeßkosten und die Prozeßzinsen fallen dem Bund zur Last. Insgesamt bleibt festzustellen, daß bei einer Inanspruchnahme eines Landes durch einen Dritten aufgrund einer bundesseits durch eine Weisung herbeigeführten Landesmaßnahme das insoweit geschädigte Land beim Bund nach Art.

786

Oben D. IV. 2. d).

III. Das Land als Geschädigter

511

104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG Regreß nehmen kann. 787 Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Land von vornherein den Bund auf die Rechtswidrigkeit des Weisungsinhaltes hingewiesen hat. Zweifelhaft und im Anschluß zu entscheiden ist die Frage, wie die Situation zu beurteilen ist, wenn Bund und Land unbewußt kollusiv zusammengewirkt haben. Diese Schadenstragepflicht des Bundes stellt sich auch als eine an materieller Berechtigung orientierte Lösung dar. Derjenige, der nach verfassungsrechtlich vorgegebener Kompetenzverteilung die zum Schaden führende Fehlerquelle nicht beherrscht, soll grundsätzlich auch nicht für diese Fehler einzustehen haben. 788 Muß die betroffene Körperschaft wegen zwingender grundgesetzlicher Vorgaben nach außen, d. h. einem Dritten gegenüber, für den bewirkten Schaden allein deswegen einstehen, weil sie gehandelt hat, und zeichnet für dieses Handeln letztlich eine andere Körperschaft allein verantwortlich, so steht der nach außen haftenden Körperschaft die Regreßmöglichkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG offen. Diese Vorschrift gleicht insoweit das Risiko der fehlenden Letztentscheidungskompetenz und des Einstehenmüssens für fremde Fehler aus, 789 indem es die finanzielle Verantwortung zu Lasten des eigentlich verantwortlichen Hoheitsträgers verschiebt. Aus alledem ergibt sich, daß die Haftung im Außenverhältnis nicht notwendigerweise auch der Haftung im Innenverhältnis entspricht, wenn die schadensstiftende Ursache im Innenverhältnis einem anderen Hoheitsträger zugeordnet werden kann, ein in der deutschen Rechtsordnung seltenes, aber nicht unbekanntes Phänomen.790 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist in diesem Sinne der haftungsrechtliche Katéchon , welcher materieller Gerechtigkeit zum Sieg über unangemessene Haftungsverteilungen verhilft.

d) Der Grad der Rechtswidrigkeit als Maßstab des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG Hinsichtlich der Elemente der Tatbestandsstruktur des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG erscheint bei einem weisungsgeprägten Haftungsfall einzig

787

So auch Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 220 (Zweitbearb.). In diesem Sinne ζ. B. auch BayVGH, NJW 1993, 794 (795), unter Berufung auf Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 159. 789 BayVGH, aaO.; ebenso Zieger/Bischof in: BK, Art. 87 c Rdnr. 220 (Zweitbearb.). 790 Vgl. zur Situation in der Bundesauftragsverwaltung Wo Ist, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 75 ff. 788

512

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung problematisch. Denn bei dem knappen Tatbestand des Artikels bieten die Haftungsbeteiligten, die Haftung selbst sowie die rechtliche Einbettung der Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG in den Begriff der „Verwaltung" keinerlei Schwierigkeiten bei der rechtlichen Anwendung und Subsumtion. Fraglich ist allein der Inhalt der Weisung. Dies bildet den haftungsrelevanten Tatbestandsausschnitt für die hier in Rede stehenden Fallkonstellationen, und zwar konkret die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung.

aa) Grundsatz QL) Verantwortlichkeit

des Bundes

Die Einstandspflicht des Bundes läßt sich bei einer Unmittelbarkeit der schadensstiftenden Weisung, wenn also der weitere Geschehensvorgang als „Automatismus" anzusehen ist und das Land selbst die bundseitig vorgegebene Maßnahme vornimmt, ohne weiteres begründen. Ist eine Bundesweisung rechts- und/oder verfassungswidrig, so tritt ohne weiteres eine Haftung des Bundes für die durch die Weisung unmittelbar oder mittelbar beim Land eingetretenen Schäden ein. Denn eine rechts- bzw. verfassungswidrige Bundesweisung ist keine ordnungsmäßige Verwaltung. Der Bund und nur der Bund ist richtiger Adressat der Bund-Länder-Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Setzt der Bund also mittels einer Weisung die einzige schadensstiftende Ursache und erweist diese Weisung sich als rechtswidrig, so hat der Bund auch die hieraus resultierenden Kosten zu tragen. Gehaftet wird also für rechtswidriges Verhalten. Die endgültige Schadenslastverteilung wird also erst mit Hilfe des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG hergestellt. Letztlich entspricht diese Norm auch - jedenfalls in diesem Haftungszusammenhang - materiellen Haftungsverteilungsprinzipien. Auch das BVerfG hat sich in seiner grundlegenden und die Grenzen des Weisungsrechts festsetzenden Kalkar-Entscheidung - wenn auch nur am Rande - mit der Verantwortlichkeit und damit mit der Haftung befaßt. In der Entscheidung heißt es wie folgt: „Daß das Land eine Weisung, deren Inhalt es für rechtswidrig hält, ausführen muß und für den nach außen wirkenden Weisungsvollzug insoweit einzustehen hat, als es selbst als Beklagter gerichtlich in Anspruch zu nehmen ist, ist nur die Folge des Auseinanderfallens von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz, begründet darüber hinaus jedoch keine eigene Verantwortung des Landes für die nach Weisung getroffene Sachentscheidung: Die parlamentarische Verantwortlichkeit hierfür liegt beim zuständigen Bun-

III. Das Land als Geschädigter

513

desminister; die Pflicht, die finanziellen Lasten hieraus letztlich zu tragen, trifft den Bund (Art. 104 a Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG)." 7 9 1 Daß das Land einer „bloß" rechtswidrigen, jedoch noch verfassungskonformen Weisung letztlich hilf- und abwehrlos gegenübersteht, 792 ändert an der Außenverantwortung des Bundes nichts: Die insofern zwingende Folge der Konnexität von ordnungswidriger Weisungsverwaltung und Schadenstragungspflicht korrespondiert nicht mit einer Remonstrationsbefügnis (oder gar pflicht) des angewiesenen Landes gegenüber dem Bund. 793 Die Bundesauftragsverwaltung und das ihr eigene Machtmittel der Weisung sind nun einmal verfassungsrechtlich so konstruiert, daß dem Bund die Letztentscheidungskompetenz obliegt und das Land nach erfolgter Weisung sich zum verlängerten Arm, zum Verwaltungshelfer des Bundes degradiert sieht. Dies mag zwar politisch für unklug und sachlich für unangemessen gehalten werden, 794 an der geltenden Verfassungsrechtslage und der Rechtsprechung des BVerfG 7 9 5 führt aber insoweit kein Weg vorbei. Die Frage, wessen Aufgaben bei einem auftragsweisen Vollzug von Bundesgesetzesmaterien wahrgenommen werden, vermag an dieser Stelle jedenfalls nicht weiterzuhelfen. Die Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG ist eine Form der Landesverwaltung 796 und stellt sich somit - nicht unbestritten, aber letztlich nach herrschender Ansicht - als eine Landesaufgabe dar. Dabei handelt es sich um eine reine Länderaufgabe, also nicht um eine solche, die „eigentlich" dem Bund obliegen würde. Das Abstellen auf die Aufgabenzuständigkeit allein führt nicht immer zu einem sachgerechten Ergebnis bei der Schadenslastverteilung, da es sich bei der Wahrnehmung von Aufgaben des Art. 85 GG immer um solche der Länder handelt, unabhängig davon ob der Bund anweisend tätig geworden ist oder nicht. Die von U. Stelkens 797 entwikkelten Grundsätze der Schadenslastenverteilung bei Wahrnehmung fremder

791

BVerfGE 81, 310 (333). Dazu s. o. D. IV. 2. f). 793 Etwas anderes wird für den Fall anzunehmen sein, daß das Land den Umstand kennt, der zur Rechtswidrigkeit der Weisung führt (etwa wegen der typischerweise existenten größeren Sachnähe und Kenntnis), und dies dem Bund verschweigt. Hier wird eine Remonstrationsobliegenheit aus der Bund-Länder-Treue zu fordern sein 794 Zur Kritik ζ. Β. T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts des Bundes aus Artikel 85 III GG, 1988, S. 141 ff. u. 373 ff.; K. Lange, Das Weisungsrecht des Bundes in der atomrechtlichen Auftragsverwaltung, 1990, S. 130 ff.; Winter , DVB1. 1985, 993 (996 f.).. 795 BVerfGE 81, 310 ff.; 84, 25 ff.; BVerfG NVwZ 2002, 585 (586). 796 S. o. C. III. mit umfangreichen w. Nachw. 797 Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 262 ff. 792

33 Janz

514

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Aufgaben, d. h. bei Auseinanderfallen von aufgabenwahrnehmender Behörde und eigentlichem Aufgabenträger, kommen vorliegend daher nicht zur Anwendung. Ein bloß unzweckmäßiges Handeln eröffnet hingegen keinen haftungsrechtlichen Spielraum. 798 Denn es ist bereits begrifflich ausgeschlossen, daß eine nicht ordnungsmäßige Verwaltung im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG bei einem behördlichen Handeln innerhalb eines eröffneten Ermessensspielraumes vorliegt.

Einfügen der Verantwortlichkeit

in die Rechtsordnung

Die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,1. Halbsatz GG verlangt in rechtlicher Hinsicht ein entscheidendes Mehr an einzuhaltenden Voraussetzungen für eine staatliche Maßnahme (also auch eine Weisung), als die Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG für die Weisung nach Absatz 3 normiert. Dieser scheinbare Widerspruch und Bruch innerhalb der Rechtsordnung löst sich auf, wenn folgendes beachtet wird: Die Weisung dient dem schnellen und effektiven Durchsetzen der Bundesansicht in strittigen Fragen. Allein beim Bund soll die Sach- und damit Letztentscheidungskompetenz in Recht- und Zweckmäßigkeitsfragen innerhalb auftragsweiser Verwaltungsmaterien lokalisiert sein. Ein langwieriges, den Verwaltungsvollzug hemmendes gerichtliches Verfahren wäre diesem verfassungsmäßigen Anliegen abträglich. Bis auf den in der Rechtswirklichkeit kaum auftretenden Fall der Verfassungswidrigkeit einer Bundesweisung799 besteht konsequentermaßen eine Befolgungs- und Umsetzungspflicht der Länderbehörden. Diese verwaltungsinterne, wenn auch zwischen zwei verschiedenen Gebietskörperschaften angesiedelte einseitige Kompetenzverteilung zugunsten des Bundes hat für die letztendliche Einstandspflicht keine Auswirkungen. Daher ist von vornherein ein Rückgriff des Landes gegen den Bund nicht ausgeschlossen, sondern wird durch die Haftungsnorm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG erst möglich gemacht. Dies ist auch sachgerecht, da sich der Bund seiner Verantwortung und seiner Bindung an Verfassung und Gesetz nicht unter Berufung auf seine aus Art. 85 GG erwachsenden Kompetenzen entziehen darf - weder gegenüber dem Land noch einem privaten Dritten; m. a. W.: Eine verwaltungsinterne Kompetenz nach Art. 85 GG kann und darf jedenfalls im Rahmen einer „ordnungsmäßigen Verwaltung" nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG

798 799

S. o. E. II. 3. f) ß) ßß) (2). Einzelheiten der Verfassungswidrigkeit einer Weisung s. o. D. IV. 2.

III. Das Land als Geschädigter

515

nicht zur Exkulpation der „machtvollen" einen Körperschaft und zur Verantwortungsverschiebung und damit auch zum Einstehenmüssen gegenüber Dritten oder Einstandspflicht für einen eigenen Schaden auf Seiten der „machtlosen" Körperschaft führen. Das Gebot materieller Haftungsverteilungssymmetrie führt hier zu einer Begriffsbestimmung, die sowohl die Verfassungs- wie auch die bloße Rechtswidrigkeit als nicht mehr ordnungsmäßig ansieht. Im übrigen wird auch die bisweilen beklagte „Offenheit" der Vorschrift hinsichtlich der einzelnen Haftungsvoraussetzungen hier nicht zu einem Anwendungsproblem. Der Haftungsmaßstab der Rechtswidrigkeit führt - wie oben unter Teil E II. 3. f) dd) β bereits dargestellt wurde - in eindeutiger Weise zu sachgerechten und unmißverständlichen Ergebnissen, die dem Rechtsanwender nicht vor unnötig schwierige Auslegungsprobleme stellen. Ein weiterer interessanter und auch so gewollter scheinbarer Bruch in dieser grundgesetzlichen Konstruktion der Verflochtenheit von Bund und Ländern zeigt sich darin, daß im Außenverhältnis zum Bürger es bei der Bundesauftragsverwaltung dabei bleibt, daß ausschließlich das Land handelt und zunächst auch dafür verantwortlich ist. Dies dient auch dem Vertrauensschutz und der Rechtssicherheit für Bürger/Unternehmen, wenn diese sich an die handelnde Körperschaft halten können. Als die Maßnahme setzende Körperschaft ist bei einem Schadensersatzanspruch zunächst das Land passivlegitimiert und damit bei Vorhandensein eines Anspruchs auch ausgleichspflichtig. Es ist aber seinerseits wiederum berechtigt, sich beim Bund schadlos zu halten. Letztendlich liegt die finanzielle Verantwortlichkeit bei demjenigen, der durch den intrastaatlichen Befehl nach Art. 85 Abs. 3 GG den Stein ins Rollen gebracht hat. Mittels der Schadensgeltendmachung auf der Sekundärebene kann das Land gleich in zweierlei Hinsicht für sich vorteilhaft handeln: Neben dem zunächst vorrangigen Suchen nach finanziellem Ausgleich des Schadens, der durch die Bundesweisung unmittelbar oder mittelbar eingetreten ist, kann auch die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Weisung erreicht werden, sozusagen ein später Sieg des isolierten Rechts- und Bundesstaatsprinzips gegenüber den Strukturprinzipien der Bundesauftragsverwaltung. Die ggf. sehr späte Verpflichtung des Bundes zum Tragen der Folgekosten seiner Weisung relativierte insoweit die bis dahin bestehende absolute Rechtsschutzlosigkeit der Länder bei Weisungen, solange die Stufe der Verfassungswidrigkeit unerreicht bleibt. 800

800

U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 (615).

516

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

y) Folgen Der Bund muß für rechtswidrige Weisungen, die zu einem rechtswidrigen Verhalten und einem Schaden führen, haftungsrechtlich einstehen, und zwar in voller Höhe. Es gilt insoweit ohne Einschränkung das Gesetzmäßigkeitsprinzip. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob das Land durch die Weisung bzw. durch das angeforderte Verhalten direkt einen Schaden erlitten hat oder es sich einem Dritten gegenüber durch die Umsetzung der Weisung ausgleichspflichtig macht.

bb) Gemischte Haftung Sehr viel schwieriger für die Beurteilung der Schadenslastverteilung sind diejenigen Sachlagen zu beurteilen, bei denen nicht eine Bundesweisung allein letztlich zu einem Schaden führt, sondern weitere Faktoren hinzutreten und den Schaden mitverursachen, vergrößern oder auch nur schneller herbeiführen. Es sind Konstellationen denkbar, wo nicht allein die Weisung monokausal für den eingetretenen Schaden wirkt, sondern weitere schadensfördernde Umstände hinzutreten. Es liegt auf der Hand, daß in diesen Fällen die innerstaatliche Haftungsverteilung diesen Umständen angepaßt werden muß, es also nicht bei einer einseitigen Haftung des Bundes sein Bewenden haben kann. Hier erlangt die Frage der Unmittelbarkeit der Schädigung eine besondere Bedeutung. Auch der Referentenentwurf für ein Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 GG 8 0 1 sah in § 3 die Möglichkeit einer Mitverursachung vor: „Hat die geschädigte juristische Person den Schaden mitverursacht, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden im Verantwortungsbereich der einen oder anderen juristischen Person verursacht worden ist." Der Entwurf sah also zunächst einen völligen Haftungsausschluß vor („Die Verpflichtung zum Ersatz"). M.a.W.: Liegt dem Schaden ausschließlich ein Verhalten der geschädigten juristischen Person des öffentlichen Rechtes zugrunde, so entfällt in toto eine Haftung der anderen juristischen Person. Die-

801

Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Dieser ist u. a abgedruckt bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff.

III. Das Land als Geschädigter

517

se Feststellung vermag ohne weiteres zu überzeugen. Ferner normierte der Entwurf einen Mitverursachungsquotienten („der Umfang des zu leistenden Ersatzes"). Insoweit war die Möglichkeit einer gemischten Haftung daher vorgesehen. Die tatsächliche Aufteilung des Schadens sollte sich nach dem Grad der Verantwortlichkeit bemessen. Eine solchermaßen gemischte Haftung kann gerecht nur durch eine Ausgleichsteilung herbeigeführt werden. In jedem Einzelfall sind dabei die jeweiligen Schadensanteile zu ermitteln und prozentual aufzuschlüsseln. Der Bund ist wegen der Mehrschichtigkeit der Schadensursachen nicht mehr alleiniger Adressat der Bund-Länder-Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Faktor einer Teilung ist neben den schadensauslösenden Ursachen auch der Grad der Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit der Bundesweisung. Es läßt sich folgendermaßen formulieren: Je größer und evidenter das Maß an Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit ist, desto höher muß die Haftungsquote des Bundes ausfallen; es geht also um den „Grad der Verursachung" 802 . Eine bloße Rechtswidrigkeit fällt daher bei der Berechnung weniger ins Gewicht als die Verfassungswidrigkeit einer Weisung. Wird ζ. B. ein Land zur Genehmigung einer kerntechnischen Anlage durch Weisung angehalten, so wiegt es schwerer, wenn die Weisung etwa wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens 803 nicht verfassungskonform ist, als wenn etwa wegen Mängeln des Genehmigungsverfahrens nur ein Verstoß gegen das Atomgesetz vorliegt. Ein weiterer Grund für eine Haftungsaufteilung kann darin erblickt werden, daß der Schadensersatzprozeß vom Land nicht korrekt geführt wurde und durch diese bewußte oder unbewußte Fehlerhaftigkeit größere Haftungsverpflichtungen entstehen als bei korrekter Prozeßführung. Dabei kann es sich wohl nur um direkt von Dritten geltend gemachte Schadenssummen handeln; etwaige einhergehende Prozeßkosten (Gerichts- und Anwaltsgebühren) teilen hinsichtlich ihrer Übernahmepflicht das Schicksal der Hauptforderung. Daß ein Haftungsprozeß allein in Hinblick auf die Prozeßkosten vom Land fehlerhaft geführt wird, erscheint kaum vorstellbar. Denn die Höhe der Kosten wird vom Gericht durch die Streitwertfestlegung konkretisiert, und bei dieser Entscheidung ist das Gericht frei. Die konkrete Vornahme der Verteilung stellt den Rechtsanwender vor sehr schwierige Fragen, deren Beantwortung er sich nicht entziehen kann. Dies gilt 802 803

Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 167. Dazu BVerfGE 81,310 (337 f.).

518

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

insbesondere dann, wenn nicht eine einzelne Maßnahme den Gegenstand der Haftungsauseinandersetzung bildet, sondern ein ganzes Bündel von land- wie bundseitigen Aktivitäten über einen längeren Zeitraum zu beurteilen sind. Dennoch läßt sich ein sachgerechtes Ergebnis nur bei Zugrundelegung der dargestellten Voraussetzungen gewinnen. Wird bedacht, daß typischerweise nur wenige Ursachen schadensprägend sind, so erscheint die Berechnung nicht mehr unmöglich. Dies ist zuvörderst Aufgabe des erkennenden Gerichts mit Rückgriff auf anderweitig erarbeitete Methoden. Pauschale Urteile und Quoten verbieten sich im Grundsatz (z. B. immer eine Haftungsquote des Bundes in Höhe von 75 Prozent bei Verfassungswidrigkeit der Weisung); eine einzelfallbezogene Quotenbildung ist erforderlich unter Zugrundelegung von Beweislastregeln und Vermutungsregeln. Die Grundregel der Beweislastungsverteilung 8 0 4 (übertragen aus dem Staat-Bürger-Verhältnis in das Bund-LänderVerhältnis), wonach der Anspruchsteller die Beweislast für die tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen trägt, führt dazu, daß entweder der Bund oder ein Land beweislastpflichtig ist; stellt - wie in den vorliegenden Konstellationen das Land einen Anspruch, so trägt es auch grundsätzlich die Beweislast. Schwierigkeiten bei der Festlegung eines Mitverursachungsanteils und einer entsprechenden Haftungsquote gerade hinsichtlich der Beweisbarkeit eines nur halbherzig geführten Haftungsprozesses können nicht zu einer generellen Ablehnung eines solches Haftungsmodus führen. Eventuell ist hier an Beweiserleichterungen durch Senkung des Beweismaßes oder doch pauschalierte Haftungsanteile zu denken. Etwaige einfachgesetzliche Haftungsbeschränkungen, sei es auf Bundes-, sei es auf Landesebene, sind nicht in Ansatz zu bringen. Jedenfalls zwingt der Grundsatz der Bundestreue die Länder dazu, einen Haftungsprozeß, in dem sie Beklagte sind, pflicht- und ordnungsgemäß zu führen und nicht wegen eines möglichen Rückgriffs auf den Bund das Verfahren schlampig laufen zu lassen,805 indem es die Interessen des Bundes nicht oder nur unzureichend und halbherzig vertritt Die Bundestreue konstituiert also ganz konkrete Handlungspflichten des Landes gegenüber dem Bund im Haftungsprozeß, welchen ein betroffener Dritter gegen das handelnde Land führt. Sie bewirkt also in dieser speziellen haftungsrechtlichen Umhegung, daß bei einer länderseitigen Verletzung der Bundestreue eine vollumfängliche Regreßnahme des Bundes wegen einer fehlerhaften Weisung ausscheidet und an ihre Stelle eine aufgeteilte Haftung tritt, sofern ein Fehlverhalten des Landes sich - kausal!

804 Ausführlich Nierhaus, Beweismaß und Beweislast - Untersuchungsgrundsatz und Beteiligtenmitwirkung im Verwaltungsprozeß, 1989, insb. S. 117 ff. u. 214 ff. 805 So allg. auch Wolst, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 77.

III. Das Land als Geschädigter

519

- auf den Ausgang des Prozesses ausgewirkt hat. Die Verletzung der Bundestreue fuhrt zu einer Minderung des Schadensersatzanspruches. Es soll nicht verkannt werden, daß dies von den Ländern eine schier herkulische Arbeit verlangt: Sie sind im Einzelfall gehalten, einen Prozeß zu fuhren in einer Sache, die sie eigentlich im Sinne des (privaten) Klägers hätten regeln wollen, dazu aber wegen einer Bundesweisung nicht in der Lage waren. So schwierig diese Situation auch sein mag, das bundesstaatliche Kompetenzsystem läßt eine andere prozessuale Konstellation nicht zu. Außerdem gilt zumindest im Verwaltungsprozeß der Untersuchungsgrundsatz, so daß hier von Gerichts wegen die notwendigen Beweise zu erheben sind. Im Zivilprozeß, der vom Beibringungsgrundsatz beherrscht wird, sieht die Situation indes anders aus. Hier zwingt unmittelbar der Grundsatz der Bundestreue die Länder zu einem „bundesfreundlichen Verhalten" im Haftungsprozeß und wird - das darf prognostiziert werden - das Land wegen des drohenden „Regreßverlustes" in effektiver Weise zu einer korrekten und „bundesfreundlichen" Führung des Haftungsprozesses bewegen. Es läßt sich folgende Gleichung bei bi- bzw. multikausalen Geschehensabläufen aufmachen: Mitverursachung anteiliger Haftungsausschluß entsprechende Schadensaufteilung in Geld

Gerade hier zeigt sich auch, wie nützlich der Verzicht auf subjektive Elemente innerhalb der Bund-Länder-Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist. Die ohnehin bislang schwierige und diffizile Zuordnung einzelner Haftungsquotienten wird nicht durch einen (weiteren!) Zurechnungsmaßstab, in diesem Fall subjektiver Art, erschwert. Daneben ist eine Erweiterung um subjektive Elemente auch deswegen nicht angemessen, weil eine Haftung im Rahmen des innerstaatlichen Bund-Länder-Verhältnisses grundsätzlich mittels individuell-subjektiver Komponenten nicht sachgerecht zu erfassen und zu regeln ist; das (Haftungs-) Maß aller (Haftungs-) Dinge ist hier der Haftungskernbereich mit der Beschränkung auf eine Rechtswidrigkeit. Subjektive Tatbestandselemente mögen hinsichtlich eines Innenregresses - etwa des Landes auf einen Bediensteten oder nachgeordneten Verwaltungsträger - von Interesse sein, das Rechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern ist von anderer und nicht vergleichbarer Natur. Insoweit kann hier nur auf die Ausführungen oben Teil E II. 3. f) dd) β) γγ) verwiesen werden.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Diffizile Beurteilungsprobleme werden in diesem Zusammenhang aufgeworfen, wenn das Land vor Weisungserlaß nicht auf die Rechts-/Verfassungswidrigkeit des Weisungsinhaltes hingewiesen hat, es also an einer vorangegangenen „Remonstration" des Landes mangelt. Folgt daraus ein vollständiger oder teilweiser Haftungsausschluß? Dem wird nicht zugestimmt werden können, vielmehr verbleibt es bei der Verantwortlichkeit des weisungserteilenden Bundes. Denn allein- und letztverantwortlich ist er dank seiner uneingeschränkten Sachkompetenz innerhalb des Art. 85 Abs. 3 GG. Das Land kann daher durch eine „haftungsrechtliche Hintertür" nicht für die Folgen einer Bundesweisung verantwortlich gemacht werden. Auch bei dieserart gemischten Haftungsfällen erweist es sich, daß die „Offenheit" der Norm keine weiteren Anwendungsprobleme mit sich bringt, wenn und soweit die Rechtswidrigkeit als entscheidender Haftungsmaßstab zugrunde gelegt wird. In eindeutiger und leicht nachvollziehbarer Weise wird - jedenfalls in diesem Punkt - durch diese Elle der Haftungsraum umgrenzt. Die „Offenheit" der Bestimmung macht die notwendige Konkretisierung und Subsumtion nicht zu einem schwierigen Unterfangen oder erweitert etwa den Haftungskreis ins Unermeßliche. 806 Vielmehr erweist sich Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG insoweit als eine handhabbare Norm.

3. Abschließende Betrachtung Zuerst sollen die beiden vorgestellten Fallbeispiele einer haftungsrechtlichen Lösung zugefugt werden. Hieran schließt sich dann ein Resümee über das Land als geschädigte Körperschaft in der Bund-Länder-Haftung an.

a) Haftungsrechtliche

Lösung der Fallbeispiele

Zusammenfassend läßt sich fur diejenigen Fallkonstellationen, bei denen das Land die geschädigte Gebietskörperschaft darstellt, folgendes ausführen:

aa) Das Land als unmittelbar Geschädigter Im ersten Fall der direkten Schädigung des Landes durch die Bundesweisung haftet der Bund vollumfänglich für die von der Landesverwaltung vorgenommenen rechtswidrigen Auszahlungen der Fördermittel nach dem BAFöG, soweit sie vom Land zur Verfügung gestellt worden sind. 806

Vgl. etwa H. Bauerflirbes,

JuS 1997, 511 (515).

III. Das Land als Geschädigter

521

Der Haftungstatbestand des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist erfüllt. Solange der Gesetzgeber kein Ausführungsgesetz erlassen hat, muß der Rechtsanwender mit dem kargen Tatbestand der Vorschrift auskommen. Eine Erweiterung des Haftungsumfanges ist nicht zuzulassen.807 Der Bund ist haftungsverpflichtet, das Land anspruchsberechtigt, so daß die in der Norm genannten Haftungsbeteiligten - die Zentral- und die Gliedstaatsebene - auch tatsächlich die Haftungssubjekte sind. Ein privater Dritter, der von der Bestimmung nicht erfaßt wird, ist in diese Streitigkeit zwischen dem Bund und dem Land nicht involviert. Ferner ist auch kein Träger der mittelbaren Staatsverwaltung betroffen, so daß über die Zurechnung eines Fehlverhaltens hier nicht befunden werden muß. Es handelt sich um einen Fall der „nicht ordnungsmäßigen Verwaltung" nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Zunächst liegt bereits durch die Verwendung eines Mittels der Bundesauftragsverwaltung, in formeller wie in materieller Hinsicht Verwaltung vor: Der Bund nimmt eine grundgesetzlich determinierte Verwaltungskompetenz wahr. Allgemein läßt sich die Behauptung aufstellen, daß weisungsgeprägte, d. h. in Verwaltungsbereichen des Art. 85 wurzelnde Haftungsstreitigkeiten typischerweise im Anwendungsbereich des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG liegen. 808 Diese Verwaltung ist als nicht ordnungsmäßig zu qualifizieren. Der Inhalt der Bundesweisung erweist sich als rechtswidrig mit der Folge, daß das objektive Strukturelement der Gesetzeswidrigkeit der Maßnahme vorliegt. Es handelt sich also nicht um eine Weisung mit einem bloß zweckwidrigen Inhalt. Diese könnte dann nicht haftungsbegründend wirken, da eine Zweckwidrigkeit keine Nicht-Ordnungsmäßigkeit zur Folge hat. 809 Ein schuldhaftes Verhalten ist für den Haftungsrahmen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht erforderlich, 810 so daß sich eine Verschuldensprüfüng erübrigt. Gerade vorliegend zeigt sich, daß es sinnvoll und sachgerecht ist, auf ein solches subjektives Merkmal innerhalb des Haftungskerntatbestandes zu verzichten. Das Element des Tatbestandes „im Verhältnis zueinander" zeitigt vorliegend keine Probleme. Die Länder führen innerhalb des Art. 85 GG das BAFöG aus und unterliegen bei diesem Verwaltungstypus den weitgehenden Einwirkungsrechten und dem umfassenden Aufsichtsmaßstab des Art. 85 Abs. 3 und 4 GG. Beide administrativen Ebenen werden auf bundesstaatlich einzigartige Weise

807

S. ο. Ε. II. 3 f). So schon oben Ε. II. 3. f) dd) α). 809 S. ο. E. II. 3. f) β) ββ). 810 S. ο. Ε. II. 3. f) β) γγ). 808

522

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

durch die Weisung zu einem Weisungsstrang 811 verbunden und wegen der verwaltungsstrukturellen Umhegung des Art. 85 Abs. 3 GG derart eng verknüpft, daß dieses Tatbestandsmerkmal für diese haftungsrechtliche Beziehung gegeben ist. Der Bund haftet folglich gegenüber dem Land für die weisungsbedingte Schädigung. Der Bund ist für sein eigenes schädigendes Verhalten verantwortlich und dem Geschädigten ersatzpflichtig. Auch dieses Tatbestandsmerkmal weist keine Anwendungsschwierigkeiten auf, zumal der tatsächlich-rechtliche Bedeutungsinhalt dieses Verbs, welches die beiden Haftungssubjekte miteinander verklammert, sehr gering ist. Mehr Gehalt erlangt der Begriff auf der Rechtsfolgenebene: Danach statuiert er unmittelbar eine finanzielle Einstandspflicht für den geltend gemachten Schaden. Da das Land nur 35 Prozent der Lasten des BAFöG trägt, besteht eine Schadenstragepflicht auch nur in Höhe dieses Finanzierungsanteils. Der Anspruch geht auf Schadensersatz in Geld (keine Entschädigung). Eine Haftungshöchstsumme zugunsten des Haftungsverpflichteten besteht nicht. 812 Neben die Hauptforderung tritt noch der Anspruch auf Prozeßzinsen nach § 291 BGB analog ab Rechtshängigkeit.813 Als Verjährungsfrist gilt ein Zeitraum von fünf Jahren ab Kenntniserlangung von dem Schaden.814 Keinen Bedenken unterliegt die haftungsbegründende Kausalität. Durch die Weisung wurde das Land unmittelbar angehalten und verfassungsrechtlich verpflichtet, die schädigende außenwirksame Maßnahme vorzunehmen. Diese angeforderte Handlung nahm das Land dann auch weisungsgemäß vor. An der Unmittelbarkeit des Schadens bestehen also keine Zweifel. Haftungsbegrenzungen resp. eine Mitverantwortlichkeit des Landes sind nicht ersichtlich. Das Land hat schlicht die Weisung vollzogen und keine weitere Schadensursache gesetzt. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß es sich nicht um eine verfassungswidrige Weisung handelt. 815 Denn würde sich die vom Land gerügte administrative Bundesmaßnahme nach Art. 85 Abs. 3 GG innerhalb der vom BVerfG gezogenen Grenzen 816 als nicht verfassungskonform erweisen, stellte sich die Frage, ob dem Land dadurch, daß es „sehenden Auges" diese Maßnahme umgesetzt hat, nicht eine Mitverantwortung zuge811 812 813 814 815

IV. 2. 816

So treffend Ipsen, Staatsrecht I, 11. Aufl. 1999, Rdnr. 546. S. o. E. II. 3. f) ee) α). S. ο. E. II. 3. f) ee) γ). S. ο. E. II. 3. f) ee) δ) Zu den Voraussetzungen im einzelnen BVerfGE 81, 310 (337 f.); ferner oben D. BVerfGE 81, 310 (331 ff.).

III. Das Land als Geschädigter

523

rechnet werden müßte. Diese Frage sowie die etwaige Mitverursachungsquote lassen sich auf der Grundlage des hier vorgestellten Sachverhalts nicht ohne weiteres beantworten, sie können hier offenbleiben. Anders wäre die haftungsrechtliche Situation dann zu bewerten, wenn auch das Landeshandeln selbst mängelbehaftet gewesen wäre. In diesem Falle wäre die Mowokausalität des Bundesverhaltens einer iftkausalität gewichen. Hier wäre dann zu prüfen, ob und wenn ja in welchem Maße das hinzutretende Landesverhalten mitursächlich für den Schaden ist. Ohne genaue Aufklärung des Sachverhaltes, also mithin einer detaillierten einzelfallweisen Betrachtung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände läßt sich der konkrete Grad der Mitverursachung und somit die quotenmäßige Aufteilung des Schadens nicht ermitteln. Dies zu untersuchen und aufzuklären obliegt dem angerufenen Gericht.

bb) Das Land als mittelbar Geschädigter Auch im zweiten Fall besteht ein Staatshaftungsanspruch des Landes gegenüber dem Bund nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG, da alle Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs vorliegen. Zwar haftet im Außenverhältnis zunächst das Land im Verhältnis zu einem Dritten für dessen durch die Verwaltungsmaßnahme erlittenen Schaden. Die administrative Ausführungskompetenz liegt bei den Verwaltungsbereichen des Art. 85 GG unentziehbar bei den Ländern, eine Durchgriffshaftung zum Bund hin ist daher ausgeschlossen. Im Haftungs-Staats-Innenverhältnis hingegen kann das angewiesene Land gleichwohl beim Bund Regreß nehmen. Haftungssubjekte sind erneut Bund und Land ohne Beteiligung eines privaten Dritten oder eines Trägers der mittelbaren Staatsverwaltung. Die Verwaltungshaftung besteht allein zwischen diesen beiden Staatsebenen. Das Erteilen einer inhaltlich rechtswidrigen Weisung stellt sich als eine nicht ordnungsmäßige Verwaltungsmaßnahme dar. Es liegt ein Handeln innerhalb eines auftragsweise von den Ländern ausgeführten Verwaltungsbereiches (Atomgesetz) vor. Diese Maßnahme ist in Ausübung einer Administrativkompetenz des Bundes ergangen, die ihm nach Art. 85 Abs. 3 GG zukommt. Das Ziel der Weisung, nämlich der Widerruf der atomrechtlichen Genehmigung, hat sich als rechtswidrig herausgestellt. Damit liegt ein Eingriff in den objektiv-rechtlichen Haftungskernbereich des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG vor. A u f ein Verschulden kommt es daneben nicht an. Der Bereich der reinen Zweckwidrigkeit ist also verlassen, ohne daß die Weisung selbst jedoch als verfassungswidrig einzustufen wäre. Es liegt - nur, aber im-

524

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

merhin - ein Verstoß gegen materiell-rechtliche Vorgaben des Atomgesetzes durch die konkrete Einzelmaßnahme des Bundes vor. Auch die Tatbestandselemente „haften im Verhältnis zueinander" liegen vor. Es handelt sich auch hier um eine Maßnahme innerhalb der Bundesauftragsverwaltung. Sie führte in unmittelbar-kausaler Weise zu einem Schaden: Vorschriftsmäßig setzte das Land die Weisung um und widerrief im Außenverhältnis zum Anlagenbetreiber die Anlagengenehmigung. Da dies rechtswidrig geschah, konnte der Anlagenbetreiber erfolgreich vor Gericht den erlittenen Schaden (insbesondere Einnahmeausfall) nebst Prozeßkosten in mehrfacher Millionenhöhe von dem Land einklagen. Das Land hatte sich regreßpflichtig gemacht und damit selbst einen Schaden in dieser Höhe erlitten. Diese Regreßbzw. Haftungspflichtigkeit gegenüber einem betroffenen Dritten begründet ohne weiteres auf Seiten des Landes einen Schaden, für welchen der Bund einzustehen hat. Nach einem Vergleich der Situation ex ante und ex post ist die Differenz zwischen diesen beiden Polen zu ersetzen. Dabei richtet sich der Anspruch des Landes auf Schadensersatz in Geld. Der Anspruch besteht in voller Höhe nebst Prozeßzinsen, weil eine haftungsmindernde Mitverursachung aufgrund der Monokausalität des Bundeshandelns und der bloßen Rechtswidrigkeit der Weisung nicht vorliegt. Auch hier gilt die fünfjährige Verjährungsfrist nach Kenntniserlangung. b) Resümee Zusammenfassend läßt sich für unmittelbare wie mittelbare Schädigungen des Landes folgendes zusammenfassen: Eine rechtswidrige Weisung stellt ein verwaltungsstrukturelles Fehlverhalten dar. Erst recht gilt dies für eine verfassungswidrige Weisung. Diese inkriminierte Maßnahme erfüllt den Haftungstatbestand der Bestimmung und führt unmittelbar zu einem Sekundärersatzanspruch des Landes gegen den Bund, da der angewiesene Hoheitsträger einen Schaden durch die Inanspruchnahme eines privaten Drittgeschädigten erlitten hat, der nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG regreßfähig ist. Dieser Anspruch besteht auch im vollen Umfang, da eine Mitverantwortlichkeit des Landes - etwa durch eine unsachgemäße Führung des Schadensersatzprozesses mit dem Dritten - nicht anzuerkennen ist. Allgemein läßt sich also die Schadenslastverteilung bei einer weisungsbedingten Schädigung eines Bundeslandes wie folgt skizzieren: Für rechtswidrige Weisungen trägt im Ergebnis der Bund die finanzielle Verantwortung auch und gerade dann, wenn die Länder als Gliedstaaten aufgrund des auftragsrechtlichen Kompetenzgefüges nach Art. 85 GG diese Weisung vollziehen und sich hierdurch eine Schädigung durch Begründung einer Haftungsverpflichtung ge-

I. D

nd als Geschädigter

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genüber einem Dritten ergibt. Diese insoweit eindeutige Haftungsregel muß dann korrigiert werden, wenn zu dem Schaden neben der fehlerhaften Weisung noch weitere Umstände, die zur Verantwortung der Länder zu rechnen sind, beitragen. Dieses haftungsrechtliche Gesamtbild entspricht damit bei den praktischen Schadensfallen den Maßstäben der Sachgerechtigkeit, somit insgesamt der föderalen Haftungsverteilungssymmetrie. Durch das In-Rechnung-Stellen der Rechtswidrigkeit des Weisung und damit dem Heranziehen des Bundes als finalem Urheber wird gewährleistet, daß diejenige Körperschaft, die letztlich für das schadensstiftende Verhalten verantwortlich zeichnet, auch den Schaden im staatlichen Innenverhältnis von Bund und Land trägt. Der Bund stellt sich damit als richtiger Adressat der Bund-Länder-Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG dar.

IV. Der Bund als Geschädigter Nach denjenigen Fällen, bei denen ein Bundesland infolge einer aufsichtsrechtlichen Weisung geschädigt wurde, sind im folgenden diejenigen Konstellationen zu untersuchen, in denen der Bund der Geschädigte ist. Formaler Hintergrund und verfassungsrechtliche Einbettung ist auch hier der vorangegangene Weisungserlaß eines Bundesministers nach Art. 85 Abs. 3 GG. Die insoweit aufgestellten Voraussetzungen gelten auch für diejenigen Haftungskonstellationen, bei denen der Bund geschädigt ist. 8 1 7 Dort wie hier handelt es sich um einen Vermögensschaden in Geld, den es zu ersetzen gilt. Es gilt im folgenden zu untersuchen, wie die erarbeiteten allgemeinen Ergebnisse, also insbesondere die Voraussetzungen der Bund-Länder-Haftungsnorm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG, für derartige Haftungsmodelle gelten. Angesichts der erheblich variierenden Konstellationen innerhalb des Haftungskreises einer Bundesschädigung ist auch hier eine differenzierte Betrachtung vonnöten. Daher werden im folgenden die Konstellationen getrennt voneinander skizziert, wenn und soweit sie in rechtlicher Hinsicht unterschiedlich zu bewerten sind.

817

Oben Ε. II. 3. f) aa).

526

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

1. Einführung a) Überblick über die haftungsrechtlichen

Beziehungen

Den Anfang dieses Abschnittes soll ein Überblick über die möglichen haftungsrechtlichen Beziehungen bieten. Er wird zeigen, daß der Bund nach einer Weisung durch das Landesverhalten auf sehr unterschiedliche Art und Weise zu Schaden kommen kann. Insbesondere wird ein monokausales (Landes-) Verhalten hierbei davon zu unterscheiden sein, daß mehrere Ursachen haftungsbegründend bzw. -erhöhend zusammentreffen. Wenn die Fallkonstellation allgemein im Bereich der Bundesauftragsverwaltung angesiedelt und nicht speziell weisungsrechtlich (Art. 85 Abs. 3 GG) eingekleidet ist, ist der Bund als Geschädigter mit einer ggf. bestehenden Haftung der Länder als Gliedstaaten kein juristischen Neuland. Vielmehr ist dieses Problemfeld seit langem literarisch erschlossen und als typisches Bund-LänderHaftungsproblem umrissen. Auch Rechtsprechung ist zu diesem Themenkomplex nicht zu knapp auszumachen.818 Gerade wenn Behörden der Länder Bundesmittel bewirtschaften, kann bei der Verwaltungsausführung wegen eines Verstoßes gegen geltendes Bundesrecht oder wegen falscher konkreter Berechnung bewußt oder unbewußt durch Landesbediensteten ein nicht gerechtfertigter Fehlbetrag entstehen, der dem Bund zur Last fällt und für ihn eine Vermögenseinbuße bedeutet. Diese als „fehlerhafte Bewirtschaftung der finanziellen Mittel" bei dem Auseinanderfal-

818 Vgl. dazu aus der Rechtsprechung bereits BGHZ 16, 95 ff.; ferner BVerwG BayVBl. 1980, 473 ff.; BVerwG NVwZ, 1995, 991 ff.; BVerwGE 96, 45 ff.; aus dem Schrifttum beispielshalber Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 104 a Rdnr. 168; Birk, in: AKGG II, 2. Aufl. 1989, Art. 104 a Rdnr. 29; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 114: „Hauptproblem des Verwaltungshaftungsrechts"; Storr, Die Haftung im BundLänder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (270 f.); Wo Ist, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 75; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 134 ff.; Achterberg,, DVB1. 1970, 125 (126 f.); Saipa, DVB1. 1974, 188 (189); Birk, BayVBl. 1981, 673 (676); Hatje, NJ 1997, 285; älterer Provenienz G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 46; ; ders., DÖV 1961, 404 mit FN 1, der ausdrücklich auch eine weisungswidrige Verwendung von Bundesmitteln benennt; Zeis e, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei fehlerhafter Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 1 f.; Sturm, DÖV 1966, 256 ff. (256: „Im Laufe der Jahre häuften sich die Fälle immer mehr,..."). Es ist zu berücksichtigen, daß sich Rechtsprechung und Schrifttum vor dem Jahr 1969 selbstverständlich nur auf die Rechtslage vor der Neukonzeption der Finanzverfassung („Finanzreform") beziehen und demzufolge die zentrale Haftungsnorm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG nicht berücksichtigen konnten.

I. D

nd als Geschädigter

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len von Aufgaben- und Ausgabenzuständigkeit819 bezeichnete stellt sich zugleich als eine fehlerhafte Gesetzesanwendung dar. 820 Derartige Überzahlungen, die sowohl zu Gunsten des Bediensteten selbst etwa in Form der Unterschlagung nach § 246 StGB oder der Untreue nach § 266 StGB als auch zu Gunsten eines privaten oder öffentlich-rechtlichen Dritten möglich sind, werden seit jeher als Hauptfall der nicht ordnungsmäßigen Ausführung von Bundesgesetzen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG angesehen. Spezifisch weisungsgeprägte Haftungsfälle werden jedoch kaum oder nur kursorisch erörtert und sind darüber hinaus in der Judikatur nicht auszumachen. Durch dieses Auseinanderfallen von Finanzierungsverantwortung und Verwaltungsverantwortung innerhalb auftragsweiser Verwaltung ergab sich also schon früh die einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Problematik der Haftung bzw. des intrastaatlichen Regresses von Bund und Ländern. Die Gliedstaaten verwalten in den Verwaltungsbereichen des Art. 85 GG nach Art. 104 a Abs. 2 GG selbständig die Mittel der Zentralebene Bund. Anders als bei der Landeseigenverwaltung verfügen die Landesbehörden hier über fremde Mittel zur Umsetzung bzw. Zweckerreichung des Gesetzes. Ein Schaden trifft den Bund bei Fehlausgaben durch die Landesbehörden geradezu zwangsläufig. Typische Fallgruppen sind dabei neben denen der Überschreitung von Ausgaben auch diejenigen der Unterschreitung von Einnahmen. 821 Bei der Bundesauftragsverwaltung und somit auch bei weisungsrechtlichen Problemlagen sind Haftungsfalle in dieser Hinsicht speziell bei der Fernstraßenverwaltung und der Lastenausgleichsverwaltung sowie allgemein bei der Ausführung von Geldleistungsgesetzen nach Art. 104 a Abs. 2 GG denkbar. Ob die Länder oder ihre Bediensteten dem Bund für einen Schaden bei einer nicht ordnungsmäßigen Ausführung der Bundesgesetze haften, ist nach den allgemeinen Vorschriften zu beantworten. Die Föderalhaftung bemißt sich seit 1970 ausschließlich nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Einen insoweit typischen und eben nicht weisungsgeprägten Fall einer Verwaltungshaftung stellt der Sachverhalt dar, welcher dem Urteil des BGH vom 30. Dezember 1954 zugrunde liegt; 8 2 2 ein fast 50 Jahre altes Paradebeispiel der

819 Dieses Auseinanderfallen ist für die Bundesauftragsverwaltung kennzeichnend und i. ü. ihr auch inhärent; vgl. oben Ε. II. 3. e). 820 Dies verkennt Birk, BayVBl. 1981, 673 (676), der hier offenbar ein Ausschließlichkeitsverhältnis sieht. 821 So ζ. Β. Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, 1974, S. 134 f. 822 BGHZ 16, 95 ff.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Bund-Länder-Haftung vor dem Rechtsregime des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. In tatsächlicher Hinsicht ging es um einen Schadensersatzanspruch eines privaten Dritten. Dieser hatte auf einem öffentlichen Weg („einer Bundesstraße") einen Schaden erlitten. In rechtlicher Hinsicht 823 standen die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Bundesstraßen und die Frage im Vordergrund der Urteilsgründe, wer - Bund oder Länder - für diese Verletzung einzustehen hat. Eine Haftung des Bundes kam nach Ansicht des BGH für solchartige Ansprüche hinsichtlich der Bundesfernstraßen nicht in Betracht, da die Länder diese Straßen nach Art. 90 Abs. 2 GG verwalten und allein diese die Verkehrssicherungspflichten treffen. Jedenfalls solange der Bund keinen „besonderen und selbständigen Haftungstatbestand verwirklicht" 824 , scheide eine Bundeshaftung aus; weder § 831 BGB noch bürgerlich-rechtliche Auftragsansprüche lassen sich hierzu heranziehen. Damit schied auch ein Rückgriff des von einem geschädigten Dritten in Regreß genommenen Landes auf den Bund aus. Das Land blieb auf dem Schaden sitzen. In den folgenden Jahrzehnten sind unterschiedliche Haftungsfälle innerhalb des deutschen Föderalsystems literarisch oder justizformig relevant geworden. Ihnen soll an dieser Stelle nicht en detail nachgespürt werden, auch und gerade weil ihnen in aller Regel ein Weisungsbezug fehlt. Zuletzt hat Papier eindrucksvoll eine konkrete Haftungssituation im Atomrecht beschrieben, die auch und gerade weisungserhebliches Terrain berührt. 825 Er skizziert zunächst die Finanzierungsverantwortung bei der atomrechtlichen Zwischenlagerung. 826 Ausgangspunkt seiner Betrachtungen für ein haftungsrechtlichen Szenario ist die den Ländern obliegende Pflicht, nach § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtomG Landessammeistellen für die Zwischenlagerung radioaktiven Abfalls auf ihrem Gebiet einzurichten. Gem. Art. 87 c GG i.V.m. § 24 Abs. 1 GG wird diese Verwaltungsaufgabe von den Ländern dezentral in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt. Hierzu können sie sich der Hilfe Dritter bedienen, so ausdrücklich § 9 a Abs. 3 Satz 2 AtomG. Die Endlagerung resp. die Pflicht zur Erstellung von entsprechenden geeigneten Anlagen obliegt hingegen dem Bund, § 9 a Abs. 3 Satz 1 a. E. AtomG. Die Finanzierungsverantwortung hinsichtlich Planung, Errichtung und Betrieb der Anlagen nach § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtomG steht dem Bund zu, soweit es sich um sog. Zweckausgaben, die durch den Gesetzesvollzug hervorgerufen

823 824 825 826

Der konkrete Sachverhalt wird im Urteil leider nicht wiedergegeben. BGHZ 16, 95 (98), weist auf unsachgemäße Weisungen als Beispiel hin. Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 ff. So auch der Titel des Festschriftenbeitrages, aaO.

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werden, handelt; 8 2 7 ein Haushaltsposten mit einem beträchtlichen Umfang in mehrstelliger Millionenhöhe. Die einfachgesetzliche Kostenerhebungsnorm des § 21 a AtomG, der zufolge fur die Benutzung der in Rede stehenden Anlagen kostendeckende Gebühren und Auslagen von dem Ablieferungspflichtigen zu erheben sind, vermag an der internen Bund-Länder-Finanzierungskompetenz nichts zu ändern, da sie grundgesetzlich angeordnet und somit als zwingende Vorgabe nicht abdingbar ist. Eingezogene Gebühren bzw. Entgelte sind demnach an den Bund abzuführen. Dabei korrespondiert das rechtlichen Müssen mit einem rechtlichen Dürfen. Auch wenn in Zeiten knapper Kassen der öffentlichen Hand vielfach die Finanzierungskompetenz nur als eine Last erscheinen mag, so sollte nicht übersehen werden, daß die Bereitstellung finanzieller Mittel einen erheblichen faktischen Einfluß sichert. 828 Diese Pflicht zur (Zweck-) Ausgabentragung trägt eine Gefahr in sich, nämlich daß die nicht finanziell beteiligten Länder Projekte beschließen und vollziehen, die sich aus der Bundesanschauung heraus als zu teuer, unnütz oder gar schädlich darstellen. Dies exemplifiziert Papier anschließend an dem Ausbau von Landessammelstellen im Sinne des § 9 a Abs. 3 Satz 1 AtomG. Ein solches finanzielles „Ausgeliefertsein" 829 müsse jedoch im Ergebnis als inexistent betrachtet werden. Dies zeige ein kurzer Blick auf Inhalt und Grenzen der Weisungskompetenz des Bundes gegenüber den Ländern nach Art. 85 Abs. 3 GG. 8 3 0 Der Bund sei von Verfassungs wegen in die (günstige) Lage versetzt worden, alle Entscheidungen zur Einrichtung von Landesammelstellen an sich zu ziehen und seine kostendrückende Rechtsansicht bis hin zur Grenze der Verfassungswidrigkeit 831 durchzusetzen. Der Entscheidungskanon umfasse grundsätzliche Fragestellungen wie auch detaillierteste Einzelfragen, also ein denkbar weites Feld. 832 Unterlasse der Bund diese Aufsicht, fielen ihm die vom Land verursachten Kosten ohne Kompensationsmöglichkeit zur Last; das Land sei von der Kostentragung freigestellt.

827

Dazu oben Ε. II. 3. e) cc) γ). Dazu schon oben Ε. II. 3. e) aa). 829 Wörtlich Papier, aaO, S. 429. 830 Neben dem Wortlaut der Norm vgl. insbesondere BVerfGE 81, 310 (331 ff.) sowie die umfangreichen Ausführungen oben D. IV. 2. 831 Ein Recht des Landes auf Weisungen mit einem ausschließlich rechtmäßigen Inhalt besteht nicht. S. o. D. IV. 2. f). 832 Papier, aaO., S. 431, benennt als Beispiele Standort, Anzahl, Auslegung und Standards von Landessammelstellen, die Beauftragung Dritter und deren Auswahl, konkrete Anforderungen an die Erfüllungsgehilfen, die Benutzungsbedingungen der Anlage und die Ausgestaltung der zu erhebenden Entgelte. 828

34 Jaiiz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Die Haftungsfrage stellt sich nach Papier in diesem Zusammenhang in erster Linie wegen „unzureichender" Entgelterhebung durch die Länder, was sich als eine nicht ordnungsmäßige Verwaltung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG darstellt. Dies könne auch bei einem weisungswidrigen Verhalten geschehen. Neben Einzelfragen zu der einfachgesetzlichen Pflicht zur Erhebung kostendeckender Gebühren und Entgelte für die Benutzung von Sammelstellen nach § 21 a AtomG stellt sich nach Anerkennung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG als geltende Haftungsgrundlage für das Bund-LänderVerhältnis das Problem der konkreten Haftungsbegründung und -durchsetzung. Schlußendlich gelangt Papier zu dem Ergebnis, daß eine Haftung nur unter engen, in der Rechtswirklichkeit kaum auftretenden Voraussetzungen gegeben sein wird, wobei hier besonders die verzwickten Einzelheiten des § 21 a AtomG Schwierigkeiten bereiten. 833 Soweit dieses Fallbeispiel. Der vorliegenden Arbeit liegt die spezielle Problematik der Haftung bei Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG zugrunde. Damit wird der eben skizzierte Haftungsbereich einerseits teilweise erweitert und spezifiziert, andererseits aber auch teilweise verlassen, da sich andere Fragestellungen mit ggf. auch weiteren Haftungsbeteiligten ergeben. Eine weisungswidrige Verwendung von Bundesmitteln bzw. ein sonstiges bundesschädigendes Verhalten nach Weisungserteilung kann in allen Bereichen vorkommen, die in Bundesauftragsverwaltung durch die Länder ausgeführt werden. Insoweit gelten im Vergleich zu den „typischen" Haftungsfallen keine Besonderheiten. Die Verwaltungsträgerschäden zu Lasten des Bundes können durch die Reaktion resp. Nichtreaktion der Landesbehörde auf eine erteilte Bundesweisung als Aufsichtsmaßnahme im allgemeinen oder speziell durch weisungswidrige Verwendung fremder (also: Bundes-) Mittel durch eine Landesbehörde entstehen. Nachdem die in Betracht kommende Anspruchsnorm geklärt worden ist, 8 3 4 sind im folgenden die speziellen Fragen zu diskutieren, die sich dann stellen, wenn es um die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen innert der Bundesauftragsverwaltung geht. Auch für diese Fallkonstellationen, bei denen der Bund sich bei einem Land schadlos halten möchte, sei im folgenden zur Illustration ein Beispielsfall genannt, der am Ende dieses Kapitels gelöst wird.

833 834

In: FS Blümel, 1999, S. 421 (439 ff.). Vgl. dazu oben E. II. 3.

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b) Fallbeispiel Für diese Fallkonstellation, bei der der Bund die geschädigte Gebietskörperschaft ist, soll folgendes Fallbeispiel herangezogen werden: Zwischen dem Bund und dem Bundesland Β bestehen seit langem fundamentale Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie für die Erzeugung von Strom. In diesem Kontext besonders umstritten ist neben der Atomenergie schlechthin die Frage der Endlagerung des anfallenden atomaren Mülls. Eine endgültige Antwort auf diese Frage und insbesondere eine abschließende Festlegung auf einen innerdeutschen Standort (vgl. § 9 a Abs. 1 AtomG) steht bislang aus. Die Bundesregierung erachtet einen ehemaligen Salzstock in diesem Bundesland für geeignet, die Landesregierung hingegen nicht. Neben rechtlichen Einwendungen verschiedenster Art wird auch deutlich, daß die Landesregierung das Endlagerprojekt aus grundsätzlichen politischen Erwägungen und Überzeugungen ablehnt. Nach umfangreichen Voruntersuchungen und der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens, welches sich nun schon über etliche Jahre hinzieht, kann mit den notwendigen Erkundungs- und Errichtungsbauarbeiten schließlich begonnen werden. Die Landesregierung hält das Endlager nach wir vor für inakzeptabel. Nach diversen Querelen zwischen Bund und Land während der Voruntersuchungen und des Planfeststellungsverfahrens verhängt der zuständige Landesminister schließlich ohne Absprache mit dem Bund einen unbefristeten Baustopp für das geplante Endlager. Begründet wird dies damit, daß die Nachbarn Bedenken gegen dieses Endlager hätten. Ferner sei eine zusätzliche Umweltverträglichkeitsprüfung vonnöten. Der zuständige Bundesumweltminister lehnt den Baustop als rechtswidrig ab. Nach umfangreichen Schriftwechseln, die letztlich zu keiner einvernehmlichen Lösung fuhren, erteilt schließlich der Bundesumweltminister dem zuständigen Landesminister eine ausführlich begründete Weisung unter deutlicher Berufung auf Art. 85 Abs. 3 GG, derzufolge der verhängte Baustopp unverzüglich und ohne Auflagen irgendwelcher Art aufgehoben werden solle. Gegen diese Weisung remonstriert der Landesminister beim Weisungsgeber, jedoch ohne Erfolg. Der Fortgang des Verwaltungsverfahrens gestaltet sich trotz intensiver Gespräche zwischen Bund und Land sehr zähflüssig, da das Landesministerium auch nach dieser Weisung es unter Berufung auf verschiedene technische wie formal-rechtliche Gründe vier Monate lang vermag, den verhängten Baustopp nicht aufzuheben. Erst nach dieser Zeit können die Bauarbeiten in vollem Umfang wieder aufgenommen werden. Der Stillstand der Baustelle verursacht einen Schaden beim Bund in zweistelliger Millionenhöhe. Dieser Verlust setzt

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

sich aus verschiedenen Einzelposten zusammen und ist i. ü. vom Land hinsichtlich der Höhe nicht bestritten. Der Bund möchte nun für die seiner Ansicht nach rechtswidrig vereitelte Weisungsumsetzung Schadensersatz aufgrund der Haftungsbestimmung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG erlangen. Er ist der Ansicht, daß das Land in rechtswidriger Weise einen viermonatigen Stillstand auf der Baustelle des Erkundungsbergwerks für ein Atommüllendlager herbeigeführt habe. Trotz einer unmißverständlichen Bundesweisung sei der Bundeswillen erst gar nicht und schließlich nur sehr zögerlich ausgeführt worden, was erhebliche finanzwirksame Auswirkungen beim Bund zeitigte, die es nun abzugleichen gelte. Es stellt sich heraus, daß die vom Land vorgebrachten Widersprüche keine aufschiebende Wirkung auf die Bauarbeiten haben konnten, da sie offensichtlich unzulässig waren. Die vom Land geforderte Umweltverträglichkeitsprüfimg wird vom Gericht als entbehrlich betrachtet. Damit hat von Gesetzes wegen dem Weisungsvollzug nichts entgegen gestanden.

c) Hintergrund

und politische Bedeutung des Fallbeispiels

Das gewählte Fallbeispiel kann so oder jedenfalls sehr ähnlich jederzeit in Deutschland stattfinden. Es orientiert sich weitgehend an „Vorbildern", ist also nicht im eigentlichen Sinne fiktiv. Es beleuchtet eindrucksvoll die interkörperschaftliche Haftungsproblematik des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Gleichzeitig werden Parallelen und Unterschiede zu den Konstellationen einer weisungsbedingten Za«üfe.sschädigung deutlich. Die in den beiden Beispielsfällen changierten grundsätzlich-politischen Einstellungen des Bundes und des Landes hinsichtlich der Kernenergienutzung spiegeln die bundesrepublikanische Entwicklung und Realität wider: Bestand jahrzehntelang auf Bundesebene zunächst unter einer SPD/FDP-Regierung, später ab 1982 dann unter einer von CDU/CSU/FDP gebildeten Regierung ein klares Votum für und in einzelnen SPD-geführten Ländern ein ebenso klares Votum gegen die Atomenergie, so stellt sich das Bild heute anders dar, da die Bundesregierung seit dem Regierungswechsel von 1998 ein erklärter Gegner der atomaren Energiegewinnung ist und von Beginn an auf einen Ausstieg hinarbeitete. 835 Diejenigen „klassischen" Pro-Atom-Länder, die vormals mit der Bundesmeinung konvenierten, sehen sich seit 1998 plötzlich einer völlig anderen Meinungslage und einem dementsprechenden Druck aus Berlin ausgesetzt. Es bleiben massive Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und ein835

Einzelheiten oben D. III. 2.1).

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zelnen Ländern, gewechselt hat aber die bundespolitische Großwetterlage mit der Folge, daß nunmehr andere Länder potentielle Weisungsempfänger sind. Wird dieses Fallbeispiel mit demjenigen einer mittelbaren Schädigung des Landes verglichen, so ist eine bestimmte Parallelität der Situationen augenfällig. Wegen massiv divergierender Ansichten zwischen dem Bund und einem Land in dem hochsensiblen und -politischen Bereich der Stromerzeugung durch die Kernkraft sieht sich der Bund gezwungen, seinen Willen vermittels einer Weisung durchzusetzen. Die politische Ausgangslage ist insoweit identisch. Diese Weisung hat - und hier liegt der Unterschied zu den beiden Beispielsfällen einer Lawcfeyschädigung und den dahinter stehenden haftungsrechtlichen Problemstellungen - jedoch ganz unterschiedliche haftungsspezifische Konsequenzen: Im einen Fall liegt die Haftung in der Weisung selbst, da sich diese als makelbehaftet erweist; im anderen Fall ist der haftungsrechtliche Anknüpfungspunkt nicht in erster Linie die Weisung selbst, sondern vielmehr das von ihr ausgelöste Verhalten resp. Unterlassen des Landes. Nur fur den Fall, daß der Weisung selbst ein relevanter Makel anhaftet und außerdem ein schädigendes Landesverhalten festgestellt wird, ist zu fragen, wie dies rechtlich zu bewerten ist, wie also diese beiden Ursachen angemessen in einen Haftungskontext gestellt werden können. Erweist sich die Bundesweisung hingegen als rechtmäßig, so kommt der Bund fur eine Eigenhaftung (und damit für eine Schadensteilung innerhalb des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG) nicht in Betracht.

2. Haftungsvoraussetzungen a) Überblick Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG stellt sich auch hier als einzige anwendbare Haftungsnorm dar. Sie normiert einige wenige geschriebene Tatbestandsmerkmale. Die Haftungsvoraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn der geschädigte Bund beim Land Regreß nehmen will. Bund und Länder müssen die jeweiligen Beteiligten sein, die im Verhältnis zueinander haften. Zudem muß gegen die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung verstoßen worden sein. Schließlich muß ein Schaden - und zwar ein ersatzfähiger Vermögensschaden - in zurechenbarer Weise durch dieses Verhalten hervorgerufen werden. Die Schädigung muß eine unmittelbare sein. Die Frage der Unmittelbarkeit ist bei den Fallgruppen des Bundes als Geschädigtem noch weniger von Inter-

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

esse als bei Schäden auf Seiten des Landes. Denn im Vordergrund der Betrachtungen steht hier das Handeln des Landes, nachdem der Bund eine Weisung erteilt hat. Ob dieses direkt oder indirekt vermögensschädigend wirkt, ist ohne Belang. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob dieses Landeshandeln monokausal ist oder andere Ursachen fur den Schaden hinzutreten. Auch bei einem Schaden auf Seiten des Bundes bei einem weisungsgeprägten Haftungsfall erscheint hinsichtlich der (wenigen) Elemente der Tatbestandsstruktur des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG einzig die Ordnungsmäßigkeit problematisch. Alle anderen Tatbestandsmerkmale des Artikels liegen regelmäßig vor. Allerdings ist hier nicht die Weisung selbst als Aufsichtsmaßnahme von Interesse, sondern vielmehr das dadurch bewirkte (bzw. gerade unterlassene) Verhalten des Landes. Nur hier kann - jedenfalls bei einem monokausalen, zu einem Schaden fuhrenden Verhalten - das Tatbestandsmerkmal der Ordnungsmäßigkeit erfüllt sein, d. h., allein dieses Ländergebaren kann haftungsauslösend und damit tatbestandsrelevant wirken. Die Weisung selbst stellt ein Handeln des Bundes dar, auf welches das Land keinen, jedenfalls keinen rechtlich relevanten Einfluß hat, 836 und fallt daher aus der haftungsrechtlichen Betrachtung im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG heraus. Damit es überhaupt zu einem relevanten Verhalten des Landes kommen kann, bedarf es zunächst der Erteilung einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG. Erst sie bildet die Grundlage für ein Handeln bzw. Nichthandeln des angewiesenen Landes, jedenfalls innerhalb des von der vorliegenden Arbeit gezogenen Rahmens. Die Weisung stellt sich - jedenfalls bei monokausalem Schadenshandeln des Landes - als wenig aufschlußreich für die Beurteilung der Schadenstragung dar. Im Gegensatz zur Länderschädigung ist allein ihr tatsächliches Vorliegen von rechtlicher Relevanz. Um welche Art der Weisung es sich handelt, also insbesondere ob es sich um eine angeforderte/eingeholte oder ausschließlich vom Bund initiierte Weisung handelt, ist für die rechtliche Bewertung, d. h. für die Zurechenbarkeit innerhalb der Bund-Länder-Sphäre, ohne Belang: Weisung bleibt Weisung. Es muß sich nur um eine solche auf einem Gebiet der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG handeln. Sollte sich hingegen ergeben, daß es sich bei der Bundesmaßnahme nicht um eine Wei-

836

Faktisch kann das Land sehr wohl zumindest das „Ob" der Weisung entscheidend beeinflussen, etwa indem es vom Bund eine Weisungserteilung erbittet oder gar eine Weisung definitiv verlangt, sog. provozierte Weisung, s. ο. E. I. 2. a) bb) α) β β). Vereinzelt sind auch gesetzliche Weisungseinholungspflichten vor bestimmten Landesverwaltungsentscheidungen festgeschrieben. An der rechtlichen Verantwortung des Bundes für diese Ingerenzmaßnahme ändert sich jedoch nichts; vgl. oben II. 3. j).

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sung nach Art. 85 Abs. 3 GG handelt, 837 so liegt jedenfalls eine weisungsgeprägte Haftungssituation nicht vor. Ist die Weisung außerhalb eines auftragsweisen Verwaltungsbereiches ergangen ist, so stellt sich neben der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Bundesmaßnahme die der Mithaftung des Bundes, da eine solche Weisung verfassungswidrig ist. 8 3 8 Konkret kann das Kaleidoskop der Landesobstruktion gegenüber dem Bund die ganze Bandbreite des Landesadministrativhandelns umfassen: Scheinbar zufallige kleine Verzögerungen bei der Umsetzung einer Weisung etwa, aber auch dauerhaft verzögerte Genehmigungsverfahren durch künstlich geschaffene formale Hürden (Stichwort: „Totprüfen" einer Anlage) oder die offene Verweigerung einer beantragten Genehmigimg trotz einer entsprechenden Bundesweisung. Das mangelbehaftete Landesgebaren ist also nicht von vornherein auf einzelne Teilbereiche beschränkt. Das einer Weisung nachfolgende kalamierende Landesverhalten kann Handeln und Nichthandeln, offene und verdeckte Obstruktion, unbewußte, fahrlässige oder vorsätzliche Verhaltensweisen mit verschiedenen Graden an Rechtsund Verfassungswidrigkeit beinhalten. Ferner ist auch der Kreis derjenigen, denen ein Verwaltungsfehler bei der Umsetzung einer Weisung unterläuft, 839 unterschiedlich. Bei landespolitisch motiviertem Blockieren oder Hemmen einer Weisung nach Art. 85 GG wird es sich regelmäßig um eine politische Entscheidung der Landesregierung im Ganzen handeln. Dies zeigt sich ganz deutlich bei einem Blick auf die atomrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und einzelnen Ländern, wo nicht etwa das Handeln eines einzigen Verwaltungsbeamten die Weisung desavouiert. Hier wird sozusagen die ganze betroffene Verwaltung auf den Kurs der Regierung „eingeschworen". Die beim Weisungsvollzug involvierten Stellen „sprechen mit einer Stimme", was angesichts der hierarchischen Verwaltungsstrukturen auch nicht überrascht. Denkbar hingegen ist neben dieser ablehnenden „landeskollektiven" Verwaltungspraxis auch, daß ein einzelner Verwaltungsbeamter - sei es der zuständige Minister, sei es ein anderer mit der konkreten Umsetzung einer Weisung beauftragter Landesbediensteter - aus eigenen persönlichen Gründen 837 In diesem Zusammenhang ist insbesondere an minderintensive Maßnahmen zu denken, wie ζ. B. bloße Empfehlungen, Richtlinien, Zustimmungs-, Einvemehmensund sonstige Einholungsvorbehalte oder sonstige Handlungsaufträge des Bundes an ein Land, die gerade der Vermeidung des scharfen Instruments der Weisung dienen; s. dazu auchD. II. 3. j) u. IV. 2. a). 838 Oben D. IV. 2. b). 839 Ein solchen „Unterlaufen" kann insoweit durchaus auch vorsätzlich erfolgen.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

hemmend und desavouierend agiert, etwa weil er selbst die angeordnete Maßnahme wegen einer vermeintlichen Rechtswidrigkeit nicht ausführen will oder sich hierdurch einen eigenen (finanziellen) Vorteil verschaffen w i l l . 8 4 0 Der tatsächliche Befund der haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen zeigt, daß solcherart individuell geprägte Umstände eher unwahrscheinlich sind, was sich gleichfalls aus dem hierarchischen Verwaltungsaufbau erklärt. Denn die höhere Verwaltungsebene kann jederzeit korrigierend eingreifen, jedenfalls wenn sie den Fehler erkennt und handeln will. Entsprechende Ereignisse mit dem beschriebenen Haftungseinschlag sind auch nicht auszumachen. Daher gilt es, sich auf die Fälle landeskollektiver Natur zu konzentrieren. Neben den skizzierten einzelnen Variationen der Fehlerhaftigkeit beim Gesetzes· bzw. Weisungsvollzug sind auf der „Folgen"-Seite der fehlerhaften Weisungsumsetzung die unterschiedlichsten verursachten Schadenshöhen auszumachen. So wie eine minimale Verzögerung oftmals keinen oder kaum einen meßbaren Schaden herbeigeführt hat, so kann die hartnäckige Verweigerung einer Genehmigung für eine atomare Anlage oder das dauerhafte Nichtwiederanfahren einer solchen Anlage trotz entgegenstehender Weisung etwa ohne weiteres einen Schaden in zweistelliger Millionenhöhe bewirken. 841 Umgekehrt mündet nicht jeder Fehler während des Weisungsvollzuges - und zwar unabhängig von seiner Motivation und seinem Verschuldensgrad - in einen meßbaren finanziellen Schaden ein. Das Maß der Fehlerhaftigkeit ist nicht notwendigerweise ausschlaggebend für das Maß des bewirkten Schadens. Wie schon beim Land als Geschädigtem842 bilden auch hier diese differierenden Elemente den Grund dafür, daß in haftungsrechtlicher Hinsicht eine erhebliches Potential an unterschiedlichen Fallgestaltungen besteht. Hinzu tritt, daß alle diese Faktoren beliebig kombinierbar sind, so daß ein Überblick hierüber sporadisch bleiben muß und keinesfalls einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Wie der Blick auf die jahrzehntelange Verweigerungspraxis einiger Bundesländer in der Atomverwaltung zeigt, sollte der Einfallsreichtum einer unwilligen Landesverwaltung resp. -regierung nicht unterschätzt werden.

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Insoweit liegt ein Anwendungsfall der Überzahlung fremder (und zwar Bundes-) Mittel vor, allerdings unter Einschluß einer Bundesweisung. 841 Einzelheiten zu solchen Auseinandersetzungen des Bundes mit dem Land Niedersachsen in den Neunziger Jahren s. o. D. III. 2. D) bb). 842 S. o. E. III.

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b) Nicht ordnungsmäßiges Ausföhren einer Weisung Eine erste Gruppe der fehlerhaften Ausführung einer Bundesweisung ist in einem nicht ordnungsmäßigen Ausführen zu erkennen. Denkbare Fallkonstellationen gibt es in diesem Zusammenhang viele.

aa) Bewußte Ausführungsmängel Zuvörderst zu nennen ist ein Verschleppen der Umsetzung einer Weisung, etwa durch absichtliches Herauszögern von Vorbereitungen des Weisungsvollzuges oder ein (schikanöses) Beharren auf nebensächlichen Formalien. Das Land verzögert dabei - letztlich mit Erfolg - das Weisungsziel, auch wenn es die endgültige Nichtumsetzung nicht erreichen kann oder auch nicht will. Die motivatorischen Wurzeln für dieses Ländervorgehen können diverser Natur sein. Meinungsunterschiede in einem Bereich auftragsweiser Verwaltung zwischen dem Land und dem Bund - insbesondere im Atomrecht - lassen sich beispielshalber auf diese Weise populistisch in Szene setzen. Für eine einzelthemenbezogene Oppositionspolitik des Landes gegen den Bund wird die eigene Landesverwaltung ohne Rücksicht auf drohende finanzielle Verluste eingespannt. Ohne Rücksicht auf bestehende verfassungsrechtliche Vollzugspflichten kann sich eine Landesregierung innerhalb einer solchen Bund-Länder-Fehde medienwirksam profilieren und sich zugleich als Kämpferin für die Interessen des Bundeslandes - und damit für den einzelnen Bürger - darstellen: Sozusagen offene Vollzugsilloyalität als letzte Bastion gegen die übermächtige Bundeskompetenz. Ein derartiger Eindruck drängt sich dem Betrachter richtiggehend auf, wenn die beschriebenen Auseinandersetzungen und Weisungsverschleppungen im Atomrecht in diese Richtung analysiert werden. Endgültig verhindern kann das Land dabei die Weisungsumsetzung - wie erwähnt - aufgrund der klaren Verfassungsrechtslage und der Judikatur des BVerfG letztlich nicht. 843 Jedoch kann eine Verzögerung um wenige Wochen oder Monate durchaus einen Sinn ergeben und - wie das Fallbeispiel zeigt auch zu einem beträchtlichen Schaden führen. Gerade im Vorfeld von Landtagswahlen eröffnet sich einer Landesregierung hier ein weites Profilierungs-

843 Hartnäckiger Renitenz kann der Bund mit dem Einsatz des Bundeszwanges nach Art. 37 GG oder durch Einleitung eines Bund-Länder-Verfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG begegnen. Auf die Stumpfheit dieser Verfassungsschwerter ist bereits hingewiesen worden; s. o. D. VI. 2. u. 3.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

feld, welches durchaus geeignet erscheint, sich dem Wähler als eine Regierung zu präsentieren, die sich kompromißlos für die (vermeintlich) eigenen Landesinteressen einsetzt. Damit erschöpft sich das zeitliche Moment einer fehlerhaften Weisungsumsetzung durch die Landesbehörde nicht. Es sind auch Konstellationen denkbar, bei denen es nicht nur auf das „Ob", sondern auch auf das „Wann" der Weisungsumsetzung entscheidend ankommt, so daß die verschleppte und verspätet getroffene Verwaltungsmaßnahme den Weisungszweck nicht oder nicht mehr vollständig herbeiführen kann. Hier ist die Triebfeder des Landes noch viel manifester als bei einem politisch-populistisch motivierten Handeln. Neben diesem Handeln, dem ein bewußt eingesetztes Zeitmoment innewohnt, ist ein Weisungsvollzug möglich, indem die Weisung inhaltlich fehlerhaft ausgeführt wird. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an eine nicht vollständige oder dem Wortlaut der Weisung widersprechende Ausführung. Hier muß nicht zwangsläufig ein vorsätzliches und den Bundeswillen desavouierendes Handeln vorliegen, wie es bei den eben beschriebenen Fällen mit einer spezifisch temporären Bedeutung regelmäßig festzustellen ist. Beispiele für diese Fallgruppe der fehlerhaften Weisungsumsetzung bieten die Auseinandersetzungen um die friedliche Nutzung der Atomenergie in Deutschland bis in die heutige Zeit hinein reichlich. Inhaltliche und zeitliche Elemente sind häufig parallel anzutreffen. Oftmals reagierte ein Land - vorsichtig formuliert - unwillig auf eine Bundesweisung und ließ sich bei dem Vollzug unangemessen viel Zeit. Griffig und mit einem gehörigen Schuß Sarkasmus ist von einem „kreativen Vollzug" die Rede. 844 Das Genehmigungsverfahren des atomaren Endlagers im niedersächsischen Gorleben stellt ein besonders plastisches Beispiel für ein weisungsobstruierendes Landesverhalten dar. Nachdem schon vor dem Urteil des BVerfG 8 4 5 über eine Bundesweisung in dieser Sache das Land den Weisungsvollzug mit einem mehr als zweifelhaften Hinweis auf eine vermeintliche aufschiebende Wirkung einer verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage verweigert hatte, verschleppte das Land auch danach systematisch das Genehmigungsverfahren und agierte hier bremsend und hemmend. 846 In diesem Fall forderte die niedersächsische Landesregierung nach dem Urteil des BVerfG betroffene Bürger zum gerichtlichen Widerstand gegen das Projekt auf. 847 Auch dieses ist ein Verhalten, wel844

Barth, in: W. Bayer/Huber (Hrsg.), Rechtsfragen zum Atomausstieg, 2000, S. 7 (12), unter Bezugnahme auf Bundesumweltminister Trittin. 845 BVerfGE 84, 25 ff. 846 Einzelheiten s. o. D. III. 2. d) aa). 847 FAZ v. 11.4.1991, S. l u . 4.

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ches zwar nicht direkt den Weisungsvollzug verhindert, wohl aber als eine „Schlechterfüllung" desselben und somit als ein nicht ordnungsmäßiges Ausführen einer Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG angesehen werden muß.

bb) Unbewußte Ausführungsmängel Auch unbewußtes Vollzugsfehler sind denkbar, ζ. B. ist mangelhafte Sachkenntnis der mit dem Weisungsvollzug befaßten Stelle vorstellbar. An dieser Stelle eingesetzte Verwaltungsbedienstete können durch eine fehlerhafte Verwaltung nach Weisungserteilung finanzielle Schäden bei der anderen Gebietskörperschaft Bund bewirken. Derartige individuelle Ausführungsmängel sind insbesondere bei der Verwendung finanzieller Mittel vorstellbar, womit die klassische und viel besprochene Haftungskonstellation im Bund-LänderVerhältnis auch in einem weisungsrechtlichen Zusammenhang vorkommen mag. Im Ergebnis ist dies nicht allzu wahrscheinlich, und zwar aus zwei ganz unterschiedlichen Gründen. Einerseits werden erfahrungsgemäß in Bereichen, bei denen eine fehlerhafte Bewirtschaftung von - fremden oder teilweise fremden Haushaltsmitteln in Rede steht, kaum oder keine Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG erteilt. Gerade innerhalb des Vollzuges von auftragsweise ausgeführten Geldleistungsgesetzen (Art. 104 a Abs. 3 GG) 8 4 8 herrscht nach wie vor ein Miteinander von Bund und Ländern und kein auf Konfrontation ausgerichtetes Gegeneinander. Dieses ganz überwiegend reibungslose Funktionieren des Verwaltungsvollzuges wirkt sich massiv weisungsvermeidend aus, zumal auch einfachgesetzlich keine Weisungseinholungspflichten normiert sind. Andererseits stellt sich ein rechtmäßiger Aufgabenvollzug nach Erteilung einer Weisung regelmäßig als nicht besonders kompliziert, komplex oder fehlerträchtig dar, was auf mehrerlei Umständen basiert: Die Weisung hat einen klaren Inhalt, den es umzusetzen gilt. Darüber hinaus sind bei auftragsweise ausgeführten Geldleistungsgesetzen nach Art. 104 a Abs. 3 GG häufig die Verwaltungsspielräume der Länder von vornherein und bereits vor einer Weisung so gering, daß unbewußte schädigende Ausführungsmängel kaum vorkommen können. 849 ^ Ferner kommt die Weisung für die empfangende Landesbehörde nicht überraschend, sondern es gehen zur Vermeidung einer Verfassungswidrigkeit dieser Bundesmaßnahme entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG wei848 849

S. ο. E. II. 3.e) cc) ß) ßß). Dazu oben Ε. II. 3. e) cc) ß) ßß) (2).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

sungsvermeidende Gespräche und konkrete Ankündigungen voraus. Schließlich ist sie regelmäßig an eine oberste Landesbehörde zu richten, welche den Vollzug sicherzustellen hat (Art. 85 Abs. 3 Satz 2 und 3 GG). Die nötige Sachkenntnis darf in einem Landesministerium vorausgesetzt werden, so daß ein rechtmäßiger Aufgabenvollzug keine Schwierigkeit darstellen dürfte. Zu den unbewußten Umsetzungsmängeln sind neben simplen Umsetzungsfehlern auch z. B. unklare und/oder doppeldeutige Weisungen zu rechnen, die dem Empfänger nicht eindeutig das Weisungsziel verdeutlichen und damit das Risiko der fehlerhaften Umsetzung in sich tragen. Bei diesen Konstellationen wird bereits die Weisung selbst wegen fehlender Klarheit inkriminiert und ist ohne Zutun des Landes als nicht verfassungsmäßig einzuordnen, 850 so daß hieraus resultierende Fehler nicht zu Lasten des angewiesenen Landes gehen und damit aus dem Haftungskanon des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG von vornherein ausscheiden.

c) Nichtbeachtung einer Weisung Eine „Steigerung" der fehlerhaften Ausführung stellt die völlige Nichtbeachtung einer Weisung dar, etwa indem das Land die Erteilung der Weisung wohl zur Kenntnis nimmt, jedoch unabhängig von der Rechts-/Verfassungswidrigkeit der Bundesingerenzmaßnahme keinerlei Anstalten macht, diese auch umzusetzen. Die Form der völligen Weisungsignoranz ist dann nur noch als eine bewußte und vorsätzliche Entscheidung des Landes denkbar. Einzig eine völlige Unkenntnis von einer erteilten Weisung ließe ein unbewußtes Nichtumsetzen möglich werden. Dies ist angesichts der Weisungspraxis schlechterdings nicht vorstellbar. Würde außerdem eine Bundesweisung einer obersten Landesbehörde als Empfänger nicht zur Kenntnis gebracht werden, so träte mangels Wirksamwerden der Weisung überhaupt keine Befolgungspflicht ein. Denn der tatsächliche Zugang der Weisung beim Weisungsadressaten ist wirksamkeitsbegründend. 851 Die Übergänge von einer völligen Nichtachtung zu einem „bloß" schleppenden Weisungsvollzug sind fließend. Bildlich gesprochen stellt die totale Verweigerung den Endpunkt einer Verzögerung dar. Letztlich kommt es auf eine klare Unterscheidung dieser beiden Fallgruppen auch nicht an, denn diese

850

S. o. D. IV. 2. e) aa). S. auch Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 188 ff. 851 S. o. D. II. 3. g).

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Einteilung soll nur der Illustrierung der möglichen Länderrenitenz gegen entsprechende Bundesingerenzmaßnahmen dienen. Das vorsätzliche Ignorieren einer Weisung stellt immer eine Krisis des Bundesstaates dar. Verweigert ein Land sehenden Auges den ihm obliegenden Vollzug der Bundesweisung trotz eindeutigen Gebundenseins an den Weisungsinhalt, so tritt die Verfassungswidrigkeit offen zutage, und das Verhalten muß als eklatante Verletzung der vom GG vorgegebenen föderalen Pflichten des Landes gewertet werden. 852 Eine derartige offene Verweigerungshaltung eines angewiesenen Landes weit jenseits der vom GG gezogenen Grenzen ist trotz der Bindung auch der Landesgewalt an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht außerhalb jeder Vorstellungskraft. 853 Werden die langjährigen Auseinandersetzungen um die Brennelementefabrik A L K E M im hessischen Hanau zugrunde gelegt, so war die Verweigerungshaltung eines Landes offenkundig, ohne daß es indes zu finanziellen Folgen gekommen wäre. Am 10. März 1987 wies der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nach langen vorangegangenen Konsultationen den hessischen Minister für Wirtschaft und Technik an, über die erste Teilgenehmigung für den Ausbau dieses ALKEM-Werkes positiv zu entscheiden und die beantragte Genehmigung zu erteilen. 854 Die hessische Landesregierung verweigerte über einige Wochen hin entgegen dem insoweit eindeutigen Gesetzmäßigkeitsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG offen den Vollzug dieser Weisung und reichte dann eine Normenkontrollklage beim BVerfG ein. 8 5 5 Ein weiteres Beispiel für einen Nichtvollzug ereignete sich 1992. Wiederum stand die Hanauer Brennelementefabrik im Mittelpunkt des (Weisungs-) Geschehens. Eine Weisung des Bundesumweltministers am 29. Januar 1992, mit der ein Probebetrieb der Brennelementefabrik angeordnet wurde, exekutierte der hessische Landesminister nicht. 856 Vielmehr forderte dieser den Bundesminister auf, die atomrechtliche Weisung zurückzunehmen. 857 Zur Begründung wurde angeführt, die Weisung sei rechtswidrig. Erst nach Erhebung einer ver852

Vgl. dazu mit scharfen Worten Ossenbühl, DVB1. 1991, 833; dens., Der Staat 28 (1989), S. 31 (32 f.); H. Wagner, NJW 2000, 1538 (1539). 853 H. Wagner, NJW 2000, 1538 (1539), bezeichnet die Weigerung der Befolgung einer Bundesweisung als praktizierte „Spielart" eines ausstiegsorientierten Gesetzesvollzuges. 854 FAZ v. 11.3.1987, S. 1. 855 Einzelheiten zu dieser Auseinandersetzung oben D. III. 2. a). 856 F. Loschelder, Die Durchsetzbarkeit von Weisungen in der Bundesauftragsverwaltung, 1998, S. 30 m. w. Nachw. 857 FAZ v. 4.2.1992, S. 4.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

fassungsgerichtlichen Klage durch die Bundesregierung erklärte das Land Hessen dann, es werde die bundesaufsichtliche Weisung uneingeschränkt und vorbehaltlos umsetzen. 858 Insgesamt läßt sich feststellen, daß der Vollzug des Atomgesetzes reichlich Anschauungsmaterial für den Einfallsreichtum der Länder bietet. Da auch in jüngster Zeit von einem reibungslosen Miteinander von Bund und Ländern auf diesem Verwaltungsgebiet wahrlich nicht die Rede sein kann, steht es zu erwarten, daß sich auch in Zukunft weisungsgeprägte Fälle einer nicht ordnungsmäßigen Verwaltung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ergeben werden. 859

d) Haftungsrechtliche

Behandlung

Allen geschilderten Vollzugsmängeln ist es gemein, daß sie zu einer NichtOrdnungsmäßigkeit der Verwaltung führen und somit den Haftungstatbestand des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG erfüllen, wenn und soweit das Landeshandeln sich als rechtswidrig erweist. Denn die Rechtswidrigkeit bildet den Maßstab für eine Ordnungsmäßigkeit im Sinne dieser Bestimmung. 860 Anderen objektiven Maßstäben ist - wie auch der Heranziehung eines Verschuldensprinzips - eine Absage zu erteilen. Gleichfalls unerheblich ist es, ob es sich bei dem inkriminierten Landesverhalten um ein strafrechtlich relevantes handelt oder nicht. Weisungsvollzugsmängel in dem beschriebenen Ausmaß stellen sich als Verstoß gegen das Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG dar. Ihre haftungsrechtliche Behandlung weist daher keine Schwierigkeiten auf. Insbesondere die vielfach gerügte „Offenheit" der Norm macht die rechtliche Bewertung entsprechender auf Verweigerung fußender Maßnahmen nicht zu einem schwierigen Unterfangen. Der vermeintlich gerade in dieser Hinsicht „dünne" Regelungsgehalt der Haftungsvorschrift erweist sich angesichts der Deutlichkeit der Haftungsmaßstabes „Rechtswidrigkeit" (und auch der Schärfe des Landesadministrativhandelns) als ein probates Beurteilungskriterium zwecks Herbeiführung klarer und föderal angemessener Haftungsverteilungen.

858

Einzelheiten s. o. D. III. 2. e). In diese Richtung auch Sendler, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2000, S. 185 (189 f.). 860 S. o. E. II. 3. f) dd) ß) ßß) (2) (b). 859

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Bei einer absichtlichen Weisungsverschleppung wird nicht nur die Rechtswidrigkeit des Landeshandelns gegeben sein, sondern darüber hinaus auch schon eine Verfassungswidrigkeit vorliegen. Denn verweigert das Land bzw. die zuständige oberste Landesbehörde den Vollzug einer Weisung, verstößt sie damit gegen die ausdrücklich im GG normierte Vollzugssicherstellungspflicht des Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG, der unmißverständlich bestimmt: „Der Vollzug der Weisung ist durch die obersten Landesbehörden sicherzustellen." Ein rechtlicher Unterschied zwischen einfachgesetzlicher Rechtswidrigkeit und Verfassungswidrigkeit ist in Hinblick auf den Umfang einer Haftung nicht auszumachen, da beide Maßstäbe gleichermaßen eine Länderhaftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG begründen. Eine insoweit „verschärfte" oder „doppelte" Haftung des Landes ergibt keinen Sinn, da ein entstandener Schaden nur einmal ersetzt werden kann. Ein darüber hinaus gehendes, den Schadensumfang sprengendes Interesse des Bundes 861 ist nicht anzuerkennen. Insbesondere kommt das zivilrechtliche Institut des Schmerzensgeldes nicht in Betracht. Sinn und Zweck des Schmerzensgeldes (§ 847 BGB) lassen eine Anwendung im Verhältnis von Hoheitsträgern untereinander nicht zu. 8 6 2 Das Land hat dem Bund für etwaige Fehlleistungen bei dem Vollzug von Gesetzen, die in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden, einzustehen.863 Dabei bildet die Weisung ein Element der Verwaltung, und zwar ein ganz entscheidendes. Das Land haftet also im Verhältnis zum Bund für Verwaltungsfehler seiner Behörden, die bei der Umsetzung einer Weisung geschehen, wenn hierdurch der Bund in rechtswidriger Weise geschädigt wird. 8 6 4 Eine entgegen einer Weisung ergangene Entscheidung stellt sich insofern als eine offenkundige Verfehlung dar, 865 die bei bewußter und gewollter Landesrenitenz als besonders grober Verstoß gegen die ordnungsmäßige Verwaltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG angesehen werden muß.

861

Ein schadensübersteigender Wiedergutmachungsanspruch des Bundes gegen das Land allein wegen der Verfassungswidrigkeit des Handelns - in der Regel absichtlich herbeigeführt - scheidet also von vornherein aus. 862 Unbestritten, s. nur Schäfer, in: Staudinger, Komm. BGB, 12. Aufl. 1986, § 847 Rdnr. 18 („unanwendbar bei ... Verletzung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen"); frühzeitig schon RGZ 112, 290 (294). 863 Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 67; Fischerhof, Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 1978, vor § 22 Rdnr. 11. 864 T. Tschentscher, Inhalt und Schranken des Weisungsrechts aus Artikel 85 III, 1988, S. 320 FN 1: Kompensationsanspruch bei „weisungsbedingter Verletzung der Bürgersphäre". 865 Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 163; Zieger/Bischof, in: BK, Art. 87 c Rdnr. 218 (Zweitbearb.).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Gehaftet wird also für rechtswidriges Verhalten des Landes. Diese direkte Schädigung des Bundes läßt sich durch Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ausgleichen. Soweit keine weiteren Ursachen hinzugetreten sind, fallt dem Land die alleinige Verantwortung zu. Zu beachten ist, daß bei mischfinanzierten Verwaltungsbereichen der Schaden und somit die Einstandspflicht des Landes nur soweit reicht, wie hoch der jeweilige Finanzierungsanteil des Bundes ist. Finanziert also der Bund eine auftragsweise Aufgabe zu 60 Prozent, so trifft ihn ein entstandener Schaden auch nur in Höhe dieses Finanzierungsanteils. Die restlichen 40 Prozent werden vom Land getragen und können daher nicht zu Gunsten des Bundes in Ansatz gebracht werden. Es kommt also hier letztlich zu einer Schadensquotierung, wobei nicht eine Mitverursachung, sondern (nur) eine Mitfinanzierung ausschlaggebend ist. Das Land schadet sich also in der Höhe des Eigenfinanzierungsanteils selbst.

e) Ergebnis bei monokausalem Handeln des Landes Erweist sich die Weisung als nicht ordnungsmäßig im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG, d. h. als rechtswidrig und sogar verfassungswidrig, so ist das Land für Schäden, die der Bund erlitten hat, der richtige Adressat der Bund-Länder-Haftung, gleich ob es die Weisung fehlerhaft bzw. verzögert oder überhaupt nicht umgesetzt hat. Die verschiedenen Spielarten der länderseitigen Obstruktion sind insoweit ohne rechtlichen Belang. Durch die Anwendung der Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG wird unmittelbar eine Länderhaftung begründet. Handelt das Land also einer verfassungsgemäßen Weisung zuwider, liegt ein nicht ordnungsmäßiges Verwaltungshandeln nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG vor. Die mitunter monierte „Offenheit" der Bestimmung stellt sich nicht als ein Anwendungsproblem dar. Der Bund kann das Land bei schadenskausalen Verwaltungsfehlern im Nachgang einer Weisung in Haftung nehmen. Dies gilt natürlich nur dann, wenn auch die übrigen Haftungsvoraussetzungen der Norm 8 6 6 vorliegen. Bei mischfinanzierten Verwaltungsbereichen reicht die Einstandspflicht des Landes nur soweit, wie sich der Finanzierungsanteil des Bundes an dieser Verwaltungsaufgabe beläuft.

866

Oben E. II. 3. f)·

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f) Exkurs: Europarechtliche

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Besonderheiten

Es sei an dieser Stelle kurz auf die Besonderheiten bei der Bund-LänderHaftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG eingegangen, wenn es um die Vollziehung von europäischem Gemeinschaftsrecht durch die Bundesländer geht. Denn neben rein nationalen Haftungskonstellationen sind grundsätzlich auch Fälle mit europarechtlichem Einschlag denkbar. Zwei Problemfelder lassen sich hierbei unterscheiden: Zum einen die fehlerhafte Verwendung von Mitteln, die von der EU der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt worden sind; zum anderen die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH auf Antrag der Kommission.

aa) Fehlerhafte Mittelverwendung So stellt sich die Haftungsfrage etwa dann, wenn Gelder, die von der EU der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt werden, wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht durch die Länder unrechtmäßig Verwendung finden (also schlicht ausgegeben werden) und dieses Geld von der EU zurückverlangt w i r d . 8 6 7 Schuldner der EU ist der Bund nach Art. 8 VO (EWG), 8 6 8 Verfügender hingegen ein Land. Der Bund ist dann Geschädigter, wenn die EU solchartige inkriminierte Mittel zurückfordert. 869 Fraglich ist, ob und in welchem Umfang der Bund beim Land Regreß nehmen kann, wenn er die Mittel an die EU zurückzahlen mußte. Ein solches Rückzahlungsverlangen ist dabei durchaus nicht selten und kann ganz beträcht-

867 Dazu umfassend die Monographie von Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998. Ferner Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 204; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28a; Mögele, NJW 1987, 1118 ff.; Carl, NVwZ 1994, 947 ff.; Littwin, DVB1. 1997, 151 ff.; Storck, AgrarR 1988, 216 ff.; Storr, Die Haftung im Bund-LänderVerhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (270). 868 Nr. 729/70 v. 21.4.1970, ABl. Nr. 94/13. 869 Dies erfolgt durch eine sog. Anlastung: Von der EU nicht getragene Ausgaben werden von den Vorschüssen abgezogen, die an das Mitgliedsland überwiesen werden. Diese Kürzung der Vorschüsse verbleibt beim Mitgliedsland und stellt sich damit als ein Vermögensschaden dar; dazu Littwin, DVB1. 1997, 151 (156); Brockmeyer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28a; Nopper, BundLänder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 32 ff. 35 Janz

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

liehe Höhen erreichen. 870 Hintergrund hierfür ist die Praxis der EU, finanzielle Mittel nur unter dem Vorbehalt einer positiv verlaufenden Rechnungsabschlußprüfung den Staaten vorschußweise zur Verfügung zu stellen. 871 Fehlerhaft verwaltete Mittel werden von der EU nicht getragen. 872 Diese finanziellen Mittel werden vom Bund an die Länder transferiert. Von den Ländern werden diese unter strikter Beachtung des Gemeinschaftsrechts selbständig und in eigener Verantwortung verwaltet. 873 Wird in diesem Zusammenhang zwecks Durchsetzung bundesseitiger Ansichten eine Weisung erteilt und handelt das Land dieser zuwider mit der beschriebenen Folge der EU-Rechtswidrigkeit, so stellt sich auch hier die Haftungsfrage: Ist Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG anwendbar? Die Antwort ist eindeutig: Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist auch bei der Ausführung von Europäischem Gemeinschaftsrecht durch die Länder eine tragfähige Anspruchsgrundlage, die bei Vorliegen der einzelnen Voraussetzungen dem Bund einen Anspruch gegen ein Land zukommen läßt. 874 Letztlich handelt es sich auch hier um ein Problem der innerstaatlichen Haftung zwischen den beiden Gebietskörperschaften.

870 iQQ2 hat beispielshalber die EU von der Bundesrepublik Deutschland nachträglich Mittel in Höhe von 37,6 Millionen DM reklamiert; Storr, Die Haftung im BundLänder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (270). Weitere Haftungsfälle bei Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 23 ff. 87 1 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 204. Speziell zu diesem Verfahren hinsichtlich des Europäischen Ausrichtungsund Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 18 ff. Vgl. ferner Storch, AgrarR 1988, 216 ff. 872 Zu einzelnen Fehlerkategorien Mögele, NJW 1987,1118 (1121 f.). 87 3 Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 19 f. 87 4 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 204; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 28a; Storch, AgrarR 1988, 216 (218 f.). A.A.: Nopper, Bund-LänderHaftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, 1998, S. 120 ff., und Littwin, DVB1. 1997, 151 (156), beide allerdings wegen postulierter Nichtgeltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG (Fehlen eines Ausführungsgesetzes).

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bb) Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH Als weitere relevante Fallkonstellation kommt die körperschaftliche Haftung von Bund und Ländern nach der Verhängimg von Zwangsgeldern durch dçn EuGH 8 7 5 für den Fall in Betracht, daß einer europarechtlichen Verpflichtung nicht nachgekommen wurde. 876 Auch in diesen Fallkonstellationen kann es sich um ganz erhebliche Beträge handeln. Ende 1996 hat ζ. B. die EG-Kommission gegen Deutschland wegen Nichtbefolgung einiger Entscheidungen des EuGH ein Zwangsgeld von 870.000 D M pro Tag beantragt. 877 Schuldner ist in diesem Fall zunächst ausschließlich der Bund nach Art. 228 Abs. 2 EGV. 8 7 8 Dies gilt auch dann, wenn die Umsetzungsmängel sich allein im Verantwortungsbereich der Bundesländer wiederfinden, etwa weil sie sich im Kompetenzbereich der Länder abgespielt haben (Stichwort: Länderblindheit der EU). 8 7 9 Typische Fälle sind die der Nichtumsetzung von Richtlinien. 880 Fraglich ist nun, ob und inwieweit der Bund bei dem oder den verantwortlichen Land/Ländern Regreß nehmen kann. Grundsätzlich und ohne einen Blick auf die spezielle weisungsrechtliche Problematik innerhalb des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG läßt sich folgendes feststellen: In haftungsrechtlicher Hinsicht kommt hier die Anspruchsnorm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG grundsätzlich in Betracht. Allerdings wird dies überwiegend abgelehnt. Denn bei den Richtlinien der europäischen Gemeinschaft gehe es nicht mehr um Einzelheiten einer ordnungsmäßigen Verwaltung im Sinne des Haftungsartikels, sondern vielmehr um Regierungs- und Parlamentstätigkeiten, die auch aufgrund ihrer SupraStaatlichkeit jenseits der Tatbestandselemente liegen. 881 Auch für eine analoge An-

875

Zu den einzelnen Voraussetzungen Böhm, JZ 2000, 382 (383 f. m. w. Nachw.). Dazu instruktiv Böhm, JZ 2000, 382 ff.; Hellermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Band 3,4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 204. 87 7 Böhm, JZ 2000, 382 (382 f.) m. w. Nachw. in FN 3. 878 Die Norm lautet: „Hat der betreffende Mitgliedsstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofes ergeben, nicht innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist getroffen, so kann die Kommission den Gerichtshof anrufen. ... Stellt der Gerichtshof fest, daß der betreffende Mitgliedsstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er die Zahlung eines Pauschalbetrages oder Zwangsgelds verhängen." 879 Beispiele und Fundstellen derselben bei Böhm, JZ 2000, 382 (382 f. u. 384 f.). 880 Böhm, JZ 2000, 382 (382 f.). 881 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 204; Böhm, JZ 2000, 382 (385 f.). 876

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

wendung sei trotz der Existenz einer Regelungslücke in Hinblick auf die fehlende Vergleichbarkeit der jeweiligen Komplexe keinerlei Raum. 882 Letztlich kann jedoch für die vorliegende Untersuchung die Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG auf diese Fälle dahingestellt bleiben: Denn es ist nicht ersichtlich, wie in diesen Fällen ein Weisungsbezug hergestellt werden kann. Denn eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG kann schlechterdings nicht die Aufforderung an die Länder zur Umsetzung einer europarechtlichen Pflicht beinhalten. So stellt sich die Umsetzung von Richtlinien als eine nicht der Weisung unterliegende Materie dar, selbst für den durchaus vorstellbaren Fall, daß sie einen Bereich der auftragsweisen Verwaltung nach Art. 85 GG betreffen mögen. Eine weisungsrechtliche Dimension ist in diesem Zusammenhang ausgeschlossen.

g) Mischfälle aa) Überblick Neben den Fällen, bei denen ein eindeutiges rechtswidriges Handeln des Landes vorliegt, 883 welches für sich allein, also ohne Zutun weiterer Umstände, schadensbegründend und damit haftungsauslösend wirkt, sind diejenigen Fallkonstellationen hervorzuheben, bei denen vermischte schadensbegründenden Umstände vorliegen. Es treten neben dem eindeutig zu bestimmenden Handeln bzw. Unterlassen des Landes weitere Verhaltensweisen oder sonstige Umstände hinzu, die zu einem Schaden auf Bundesseite führen. In terminologischer Hinsicht kann von einer Bikausalität gesprochen werden, wenn es sich um zwei Ursachen handelt. Liegen drei oder mehr schadensstiftende Gründe vor, so ist von einer Multikausalität die Rede. Diese Bi- oder Multikausalität 884 kann grundsätzlich die Alleinverantwortlichkeit des Landes aufbrechen und den Bund unter bestimmten Voraussetzungen an dem Schaden beteiligen; die Anwendung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG bewirkt - wie schon in der entsprechenden Fallgruppe bei einem Schaden auf Seiten des Bundes - eine Schadenslastverteilung auf zwei Schultern - und zwar in einem Verhältnis zueinander, wie es der Verursachungsquote entspricht.

882

BöhmJZ 2000, 382 (386). Zu denken ist hier insbesondere an den Nichtvollzug einer Bundesweisung. 884 In der Praxis wird es sich regelmäßig um die Rechtswidrigkeit eines durch die Weisung intendierten Verhaltens handeln, welches den Schaden mit-herbeiführt. 883

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Innerhalb dieser mehrpoligen Haftungssituationen können mehrere Ursachen sowohl haftungsbegründend als auch haftungserhöhend zusammentreffen, wobei auch eine Kombination hiervon bei multikausalen Handlungsabläufen denkbar ist. Eine gemeinsame Haftungsbegründung liegt vor, wenn der konkrete Schaden nur durch das gemeinsame Agieren der beteiligten Stellen bewirkt worden ist. Wird (fiktiv) eine der beiden Ursachen hinweg gedacht, so entfiele dann der Schaden. Vorstellbar sind derartige Haftungskonstellationen dann, wenn ζ. B. verschiedene Behörden gleichrangig mit dem Weisungsvollzug betraut sind und nur gemeinsam außenwirksam (und weisungsumsetzend bzw. -hemmend) tätig werden können, etwa indem zuvor ein Einvernehmen hergestellt werden muß. Da im Verwaltungsvollzug (auch und gerade innerhalb der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG) regelmäßig trotz etwaiger vorangegangener Herbeiführung eines Einvernehmens o. ä. die eigentliche rechtswirksame Maßnahme - häufig ein Verwaltungsakt - dann doch nur einer einzigen Behörde (s. Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG: oberste Landesbehörden, d. h. regelmäßig Ministerien) obliegt, so stellt sich diese Haftungskonstellation letztlich als sehr unwahrscheinlich dar, gänzlich ausgeschlossen ist sie hingegen nicht. Viel häufiger hingegen wird sich die Haftungslage so darstellen, daß sich zwei oder mehrere Haftungsgründe zu einem konkreten Schaden addieren. Eine derartige Haftungserhöhung oder -Verschärfung liegt beispielsweise vor, wenn ein durch eine fehlerhafte Weisungsausführung beim Bund bewirkter Schaden durch das Hinzutreten weiterer Umstände vergrößert wird; dabei kann dieses eigenständige Hinzutun sowohl durch eine hoheitliche Stelle wie auch durch einen privaten Dritten erfolgen. Die eigentliche schadensbegründende Ursache kann naturgemäß jedoch nur die Verwaltungsstelle setzen, die unmittelbar mit dem Weisungsvollzug betraut ist. Bei diesen Mischfällen ist es naturgemäß um so schwieriger den Anteil der Schadenstragepflicht zu bestimmen, je komplexer sich der schadensbegründende Sachverhalt verhält. Neben Schwierigkeiten innerhalb des Schadensachverhalts wird auch die konkrete Bewertung und Gewichtung der einzelnen Haftungsursachen mannigfache Probleme bereiten. Auch die kausalen Mischfalle können strukturell und daher in ihrer rechtlichen Beurteilung verschieden sein. Die unterschiedlichen, letztlich den Schadenseintritt verstärkenden oder zumindest beschleunigenden Umstände gilt es im folgenden differenziert zu betrachten.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen bb) Ausschließliche Landessphäre

Als erstes können diejenigen Haftungskonstellationen zusammengefaßt werden, bei denen wenigstens zwei Ursachen, die allesamt in die Sphäre des Landes fallen, schadensauslösend zusammenwirken. Ein derartiger Anwendungsfall ist beispielhaft gegeben, wenn verschiedene Landesbehörden von Gesetzes wegen an der Umsetzung einer Weisung beteiligt sind und der Weisungsvollzug sich jeweils - also auf beiden Seiten - als fehlerhaft erweist. Hinreichende Beispiele für die gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit mehrerer Behörden innerhalb eines von der Bundesweisungskompetenz nach Art. 85 GG betroffenen Bereiches finden sich etwa bei den Genehmigungsverfahren für atomare Anlagen oder auch für Bundesfernstraßen; auf beiden Gebieten werden die Länder auftragsverwaltend tätig. Allerdings sollte nicht übersehen werden, daß oftmals zwar mehrere Behörden in die abschließende Verwaltungs-, also hier Genehmigungsentscheidung involviert sind, letztlich aber für diese endgültige und außenwirksame Maßnahme dann nur noch eine einzige zentrale Behörde zuständig ist. Auch die verfassungsrechtliche Konstruktion des Art. 85 Abs. 3 Satz 3 GG weist in diese Richtung, wenn der Vollzug durch die obersten Landesbehörden sicherzustellen ist, also regelmäßig ein Ministerium als oberste Behörde abschließend tätig wird.

a) Kollusives Zusammenwirken Denkbar ist in diesem Zusammenhang zunächst ein kollusives Zusammenwirken der ausführenden Landesstellen, wenn etwa der materiell-rechtliche Weisungsinhalt nicht durch eine Landesstelle allein zur Geltung gebracht werden kann, sondern es dafür zweier (oder auch mehrerer) vollziehender Stellen bedarf, und die Landesregierung bzw. der zuständige Minister, an den regelmäßig Bundesweisungen nach Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG zu richten sind, 885 administrativintern einen Weisungsboykott bzw. eine Weisungsverschleppung angeordnet hat. Dieses stellt angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des BVerfG zur Weisungsumsetzungsverpflichtung der obersten Landesbehörden jedenfalls seit Beginn der Neunziger Jahre 886 einen eklatanten Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) dar.

885 886

S. dazu oben D. II. 3. b) bb). BVerfGE 81, 310 ff.; 84, 25 ff.

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Solcherart schadensstiftende Bikausalitäten sind vor allem dann nicht ausgeschlossen, wenn nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und dem Land auf einem politisch umstrittenen Verwaltungsgebiet 887 abschließende und grundlegende Entscheidungen anstehen und der Bund seiner (Rechts-) Ansicht durch dieses Ingerenzmittel Geltung verschafft. Hier bietet es sich geradezu an, durch einen ministeriellen „Erlaß" die Bundesvorgaben und etwaige ergehende Weisungen zu konterkarieren.

ß) „Zufälliges"Zusammenwirken Es muß jedoch nicht immer ein absichtliches, vorher abgesprochenes Handeln verschiedener Landesbehörden vorliegen. Möglich ist auch ein unbewußtes Nebeneinander von fehlerhaftem Handeln derjenigen Landesbehörden, die bei der Weisungsumsetzung beteiligt sind. Werden die Weisungsstreitigkeiten der letzten Jahrzehnte gemustert, so zeigt es sich doch, daß typischerweise keine „zufallige" Fehlerhaftigkeit, sondern eine vorsätzliche Nicht- und Mißachtung durch die betroffenen Länder zu konstatieren ist. Daher ist diese Fallgruppe in der Praxis eine unwahrscheinliche.

y) Rechtliche Behandlung In allen „mehraktigen" Verwaltungs- und Haftungsfällen, wo neben der obersten Landesbehörde noch weitere, allgemein oder innerhalb der konkreten Verwaltungsentscheidung nachgeordnete Verwaltungsbehörden bei der Entscheidung zu beteiligen sind, liegt genau genommen keine Bi- oder Multikausalität vor, so daß die letztverbindliche und allein außenwirksame Maßnahme bei einer einzigen Landesbehörde verbleibt. Die betroffenen Behörden handeln - regelmäßig aufgrund zentraler politischer Vorgaben - gleichwohl zur gesamten Hand. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, ob ein absichtliches gemeinsames Fehlverhalten oder nur ein zufälliges Nebeneinander fehlerhafter Verwaltungsführung gegeben ist. Es handelt sich insoweit um eine unechte Mehrkausalität innerhalb der Landessphäre. Nur bei gleichgeordneten fehlerhaften Verwaltungsentscheidungen kann von einer echten Bi- oder Multikausalität gesprochen werden. Im Ergebnis ist eine Differenzierung dieser beiden Fallgruppen nicht erforderlich, da sie beide ausschließlich in den Hoheits- und Einwirkungsbereich ei887 Hier ist - wie so oft - an die Ausführung des Atomgesetzes zu denken, wo es etliche entsprechende Auseinandersetzungen gab und immer noch gibt.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

nes Landes fallen. Daher kommt es letztlich auf die Beweisbarkeit (und die Beweislast) bei einem kollusiven Zusammenwirken verschiedener Landesbehörden zu Lasten des Bundes auch gar nicht an. 888 Anders wäre die Sachlage nur dann zu beurteilen, wenn Behörden verschiedener Länder in fehlerhafter Weise eine Bundesweisung nach Art. 85 Abs. 3 GG umsetzen und hierdurch beide einen Schaden beim Bund verursachen. Anwendungsfalle hierfür sind indes nicht ersichtlich, zumal auch eine Weisung immer nur an ein Bundesland ergeht (und ggf. eine gleichlautende weitere Weisung an ein anderes), und auch innerhalb der Bundesauftragsverwaltung jedes Land für sich hinsichtlich des entsprechenden Bundesgesetzes verwaltend tätig wird. Die rechtliche Behandlung aller dieser Mischfälle wirft keinerlei Schwierigkeiten auf. Soweit es sich um Umstände innerhalb des Verantwortungsbereiches des Landes handelt, greift ohne weiteres die Pflicht des Landes zum Einstehen hierfür Raum. Dem Bund kann dies nicht zugerechnet werden, da ihm keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten zukommen. Eine solche Monokausalität beläßt es daher bei einer Alleinverantwortlichkeit des Landes und einer Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG.

cc) Teilweise Landessphäre Daneben sind diejenigen Fallgruppen zu kennzeichnen, bei denen die Ursachen nur teilweise zur Landessphäre zu rechnen sind und daneben andere nicht vom Land beherrschte Umstände hinzutreten. In diesem Schadens- und Haftungszusammenhang kann dann von einer echten Bi- oder Multikausalität gesprochen werden.

a) Fallgruppenbeschreibung Eine Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, daß neben das kausale Landesverhalten eine oder mehrere Ursachen tritt bzw. treten, die außerhalb des Verantwortungsbereiches des Landes liegen. So etwa liegt die haftungsrechtliche Situation, wenn die Weisung bereits verfassungswidrig ist und durch die Ausführung, also durch ein weiteres Hinzutun des Landes, in ihrer Schadenswirkung noch verschlimmert wird. 8 8 9 888 Allgemein dazu Nierhaus, Beweismaß und Beweislast - Untersuchungsgrundsatz und Beteiligtenmitwirkung im Verwaltungsprozeß, 1989.

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Ebenfalls ein Anwendungsfall für eine echte Bikausalität ergibt sich, wenn neben das schädigende Landesverhalten ein sonstiges Handeln - etwa von einem privaten Dritten - tritt, welches mitverursachend wirkt. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an die Einschaltung Dritter zum Zweck der Weisungsausführung. Tritt nun bei der staatlichen Stelle und dem privaten Dritten ein Mangel beim Vollzug auf, so liegt ein Mischfall in dem beschriebenen Sinne vor.

ß) Ähnliche Schadensßlle Eine Schadenslastverteilung bei gemeinsamer Erfüllung jeweils eigener Aufgaben - zu denken ist hier an Zuständigkeitsüberschneidungen von Bund und Ländern 890 - wurde zuletzt von U. Stelkens diskutiert. 891 Die für diese Kooperationsverhältnisse erzielten Ergebnisse sind für Weisungsfälle nicht anwendbar, da ein Zusammenschluß von Bund und Ländern zur konkreten Wahrnehmung einer Aufgabe beim Weisungsvollzug nicht vorliegt. Denn allein weisungsverantwortlich ist immer der Bund (vgl. Art. 85 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz GG), und das Land wird immer weisungsvollziehend mit Außenwirkung tätig. Eine anteilige Zuweisung der Aufgabenzuständigkeiten scheidet daher bereits begrifflich aus.

y) Haftungsrechtliche

Behandlung

Die haftungsrechtliche Behandlung von Multikausalitäten, die nur teilweise in der Landessphäre begründet sind, unterliegt grundsätzlich keinen Besonderheiten. Sie stellt an den Rechtsanwender erhebliche Anforderungen hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung und der anschließenden Bewertung. Bei diesen Mehrkausalitäten mit Beteiligung von Schadensverursachern außerhalb der Landes- und innerhalb der Bundessphäre ist insoweit der jeweilige Grad der Mitverursachung zu ermitteln, wenn bei allen Beteiligten die entsprechenden Haftungsvoraussetzungen gegeben sind. Dabei wird letztlich ein Schadensquotient festgelegt werden müssen, auf welchen sich die Beteiligten entweder selbst einigen oder aber der vom Gericht bestimmt wird. Die allge889 Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 211. 890 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 256, benennt die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 b GG als Anwendungsfälle. 891 Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 255 ff.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

meinen Haftungsteilungskategorien greifen an dieser Stelle erneut Raum, so daß also für die Ermittlung des konkreten Haftungsquotienten verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigt werden können und müssen. Es ist eine Gesamtschau der relevanten Aspekte (und natürlich der beteiligten Verursacher) vorzunehmen. 892 Genau an dieser Stelle beginnen die Probleme für den Rechtsanwender. Denn bei komplexen Verfahren, in denen es eine Vielzahl von rechtmäßigem und rechtswidrigem Verwaltungs- und sonstigem Handeln gibt, ist ein Entwirren dieses Ursachenknäuels und ein anschließendes Bestimmen der Haftungsquotienten nur äußerst schwierig vorzunehmen. Die durch Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG im Grundsatz hergestellte klare Haftungsverteilung zu Lasten des eigentlichen Veranlassers kann die hier auftauchenden diffizilen Zurechnungsfragen nicht beantworten, insoweit hilft der konkretisierte Haftungstatbestand nicht weiter. 893 Bei der Berechnung der Haftungsanteile ist neben der Zahl der (Mit-) Schadensverursacher und dem reinen Grad der Verursachung z. B. auch auf die Verschuldensart, 894 die Unmittelbarkeit oder darauf abzustellen, ob bei einem (gedachten) rechtmäßigen Verhalten der Schaden genauso groß oder nur minimal kleiner gewesen wäre. Hinzu tritt noch eine wertende Betrachtung, innerhalb derer die einzelnen Aspekte hinsichtlich einer Gesamtschau und somit der abschließenden Haftungsverteilung gewichtet werden müssen. Naturgemäß sind an dieser Stelle unterschiedliche Ergebnisse zu gewärtigen, je nach Position und (Haftungs-) Betroffenheit des Abwägenden. Da besondere persönliche Betroffenheit generell nicht erwarten läßt, daß hieraus eine besonders gelungene und insbesondere gerechte Rechtsfindung folgt, bleibt insoweit zu hoffen, daß ein „neutraler" Rechtsanwender sich erfolgreich um eine umfassende Ursachenaufklärung und sachgerechte Bewertung bemühen wird. Dieser haftungsrechtliche pouvoir neutre wird in der Justiz zu finden sein. Die bisweilen beklagte „Offenheit" der Haftungsnorm des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG und die damit verbundenen Anwendungsprobleme bilden auch in diesem mischfallgeprägten Zusammenhang keine Schwierigkeiten. Denn eine „geschlossenere" Vorschrift, d. h. ein solche, die exaktere Haftungs-

892 Noch diffiziler ist die rechtliche Behandlung, wenn nicht ein bund- oder landseitiges, sondern das Handeln eines privaten Dritten, der jenseits des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG agiert, hinzutritt. 893 So allg. auch Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a Rdnr. 67. 894 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG fordert kein Verschulden als Haftungsvoraussetzung, ein In-Ansatz-Bringen bei multikausalen Handlungssträngen innerhalb der Ermittlung einer konkreten Haftungsverteilung ist jedoch angezeigt: Vorsätzliches Handeln fällt bei der Bestimmung des Haftungsquotienten mehr ins Gewicht als ein bloß fahrlässiges Handeln.

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bestimmungen als die geltende vorgibt, könnte an der Komplexität der Haftungsverteilung nichts ändern, zumal der Haftungskernbereich mit der Rechtswidrigkeit als Maßstab klar bestimmt ist; das Dilemma für den Rechtsanwender bliebe folglich unverändert. Das alles sind sehr schwierige Beweis- und Bewertungsfragen, die bi- oder multikausale Haftungsverläufe in dem dargestellten Sinne nur mühsam juristisch aufarbeitbar machen. Unmöglich ist ein solches Unterfangen indes nicht. Hinzu kommt, daß selbstverständlich der Richter sich einer Rechtsfindung nicht unter Hinweis auf diese Schwierigkeiten entziehen kann. Hier besteht durchaus die Gefahr, daß das Haftungsresultat in großem Maße zu einer Frage der Geschicklichkeit (nämlich hinsichtlich der Beweisführung) wird; letztlich zu einer Frage richterlicher Dezision.

dd) Zusammenfassende Betrachtung der Mischfölle Die haftungsrechtliche Behandlung von Mischfallen wirft erhebliche praktische Probleme auf, die es dem Rechtsanwender schwer machen, zu einem sachgerechten und alle Feinheiten berücksichtigenden Ergebnis zu gelangen. Dabei sind nicht nur die Schwierigkeiten in der Sachverhaltsermittlung in Ansatz zu bringen. Vielmehr stellt sich auch zeitlich anschließend - selbst bei lükkenloser Aufklärung der konkreten haftungsauslösenden Umstände - die konkrete Bewertung und Gewichtung der einzelnen Ursachen innerhalb der Gesamthaftung als sehr diffizil dar. Für die Zurechenbarkeit eines weiteren Haftungsumstandes kommt es entscheidend darauf an, ob der Umstand aus der Sphäre des Landes stammt oder nicht. Nur wenn das Land insgesamt verantwortlich ist, können die gesamten schadensstiftenden causi ihm zugerechnet werden mit der Folge, daß eine ausschließliche Landeshaftung begründet wird. Diese 100-prozentige Quote ist nicht gegeben, wenn ein Verbindung aus rechtswidrigem und rechtmäßigem Landesverhalten festzustellen ist. Hier liegt eine Gemengelage dergestalt vor, daß die Schadensursachen zwar allesamt aus der Sphäre des Landes (und nicht etwa des Bundes) stammen, ihre rechtliche Einordnung aber verschieden ist. In einem solchen Fall ist unter Berücksichtigung der schadenshervorrufenden Intensität ein Haftungsquotient zu bilden. Dabei gelangt der Rechtsgedanke des § 254 BGB als allgemeine Verantwortungsverteilungsregel zur Anwendung.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Die Anwendung des § 254 BGB innerhalb des Haftungsrahmens und damit eine Berücksichtigung des Mitverschuldens des Geschädigten ist jedoch nicht unbestritten. 895 Es erscheint sachgerecht, diesen anerkanntermaßen als allgemeinen Rechtsgedanken in der deutschen Rechtsordnung existenten Grundsatz auch im Rahmen des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG gelten zu lassen. Die vermeintlich dagegen sprechende Rechtsnatur dieser Haftungsvorschrift als LastenverteilungsTQgéi des GG und das damit verbundene Anknüpfen an den Leistungsverpflichteten 896 ändert nichts an dem Umstand, daß es sich bei Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG um eine Haftungsvorschrift handelt und es nicht einzusehen ist, weshalb allgemeine Rechtsüberzeugungen des Haftungsrechts ohne erkennbare äußere Not nicht auch hier Anwendung finden sollten, um bei Multikausalitäten eine Einzelfallgerechtigkeit unter Billigkeitsgesichtspunkten zu erreichen. Das Verschulden als Haftungsvoraussetzung bleibt Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG weiterhin fremd. Die ausschließlich einzelfallbezogene Betrachtung und Bewertung wird nahezu immer eine schwierige, wertende und letztlich politisch umstrittene sein. Diese Kalamitäten müssen in Kauf genommen werden, soll eine einzelfallgerechte Lösung erzielt werden. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, in Zukunft typische Fallgruppen zu bilden. Erfahrungswerte liegen hierfür jedoch nicht vor. Sie werden auch in Zukunft wohl eher so rar bleiben, daß eine pauschalisierende und auf umfangreichen Erfahrungen beruhende Sichtweise als unwahrscheinlich angesehen werden muß. Offen ist die Frage, weshalb bislang keine einschlägige Rechtsprechung zu weisungsgeprägten Mischkausalfällen vorliegt. Zunächst einmal gilt es zu erkennen, daß finanzielle Einstandspflichten im Binnenbereich des Staates seit jeher selten im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehen. Konflikt- und insbesondere justizvermeidendes Agieren scheint in diesem Zusammenhang die Leitmaxime zu sein, auch wenn in Zeiten leerer Haushaltskassen die Tendenz zur gerichtlicher Durchsetzung einer Haftungsforderung zunehmen mag, was sich auch und gerade darin erweist, daß sich das BVerwG in den letzten Jahren mehrfach mit diesem Komplex beschäftigen mußte. 897 Zwei Ursachen der Ver895 Dafür Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 167; Papier, in: FS Blümel, 1999, S. 421 (434); Rudisile, DÖV 1985, 909 (916); Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 188. Ablehnend U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 276. 896 So vor allem Vogel/Kirchhof, in: BK, Art. 104 a Rdnr. 176 . 897 Dazu schon oben E. I. 1.; ferner H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 (512). Entgegen H. Bauer/Zirbes, aaO., konzentrieren sich die Gerichtsverfahren jedoch nicht auf den Bereich des Vollzuges von Geldleistungsgesetzen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 104 a Abs. 2 GG, wie bereits ein Blick auf die ergangene haftungsrelevante Judikatur zum Endlagerprojekt Gorleben zeigt; vgl. BT-Drucks. 14/2639.

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fahrensvermeidung sind darüber hinaus bei den Mischfallen auszumachen: Zum einen sind aufsichtsrechtliche Weisungen nach Art. 85 Abs. 3 GG als ultimae rationes verhältnismäßig selten; da nicht jede Weisung haftungsrechtliche Konsequenzen zeitigt, sind naturgemäß Haftungsstreitigkeiten noch rarer. Darüber hinaus ist zum anderen auch zu bedenken, daß der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens bei einem sog. Mischfall letztlich nicht vorherzusagen ist und damit alle Beteiligten einem großen Haftungsrisiko unterworfen werden. Dieser faktische Druck zu einer außergerichtlichen Beilegung einer Haftungsstreitigkeit im aufgezeigten Sinne wirkt verfahrensvermeidend.

4. Rückgriffsmöglichkeiten des Landes Zu klären bleibt schließlich, ob Rückgriffsmöglichkeiten zu Gunsten des Landes bestehen, mit deren Hilfe es sich ganz oder teilweise in den Vermögenszustand vor der Inregreßnahme (i.w.S.) durch den Bund versetzen kann. Solcherart Haftungsverlagerungen können sich einmal auf verwaltungsexterne Dritte und einmal auf eigene Bedienstete beziehen. Ein Rückgriff des Landes auf seine Bediensteten oder auf außenstehende Dritte scheidet von vornherein aus, wenn und soweit der Bund durch ein Länderhandeln oder -unterlassen direkt geschädigt wurde. Denn es liegt kein Vermögensschaden bei der Anstellungskörperschaft Land vor, der ausgeglichen werden könnte. Dem Land ist die Möglichkeit eines Rückgriffs von vornherein versagt. a) Zu Lasten verwaltungsexterner

Dritter

Fraglich ist die Haftungssituation, wenn ein Dritter durch das schadensverursachende Landeshandeln materiell Begünstigter geworden ist, sei es zu Recht, sei es zu Unrecht, insbesondere bei Überzahlungen zu Gunsten Dritter wird regelmäßig ein RückZahlungsanspruch von zu Unrecht geleisteten Mitteln nach den allgemeinen Regelungen, also namentlich gem. §§ 48, 49 VwVfGLd., in Betracht zu ziehen sein, deren einzelne Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Auch ist an eine Rückgängigmachung entsprechend dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu denken. Hier gelten die anerkannten Regeln. Sind die Tatbestandselemente erfüllt und erweist sich der ursprünglich Begünstigte als (noch) (rück-) leistungsfähig, so erwächst letztlich dem Land kein Schaden. Diese allgemeingültigen Regelungen greifen nur dann ein, wenn ein Dritter durch die inkriminierte Handlung eines Landesbediensteten etwas erhalten hat,

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

was zurückgewährt wird, und sei es vermittels eines Geldersatzes. Bei den hier interessierenden weisungsgeprägten Auseinandersetzungen innerhalb der Gebiete des Art. 85 GG ist die Anzahl möglicher Haftungskonstellationen von vornherein sehr begrenzt, da eine weisungswidrige Verwendung von Mitteln bzw. Auszahlung von Geldern sehr unwahrscheinlich ist und arg konstruiert anmutet; dementsprechend ist ein solcher Fall auch in der Rechtspraxis bislang nicht aufgetaucht. Neben der offenkundigen Seltenheit dieser Rückgriffsmittel ist noch ein zweiter Umstand auszumachen, der einer Anwendung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht im Wege steht. Häufig wird ein solcher Rückgriffsanspruch nämlich schlichtweg ausgeschlossen sein, etwa wegen bestehenden Vertrauensschutzes bei begünstigenden Verwaltungsakten nach § 48 Abs. 3 VwVfG-Ld. Neben diese rechtliche Unmöglichkeit der Rückforderung tritt eine tatsächlich, nämlich der Vermögensverfall des Begünstigten. Gerade die klassischen Fälle der Veruntreuung fremder Haushaltsmittel durch einen Landesbediensteten zeigen, daß Vollstreckungsversuche mit dem Ziel, das Dritten ausgezahlte Geld zurückzuerhalten, regelmäßig keinen oder nur einen geringen Erfolg zeiti898

gen. Aus den dargestellten Gründen wird innerhalb weisungsgeprägter Haftungsstreitigkeiten kaum mit den beschriebenen Rückgriffsmöglichkeiten zu rechnen sein.

b) Zu Lasten Landesbediensteter Wie bereits eingangs dieses Kapitels erwähnt, wird die persönliche Haftung des Amtswalters weitgehend ausgeklammert, da ansonsten der Umfang der vorliegenden Untersuchung vollends gesprengt würde. Im Mittelpunkt der Ausführungen stehen die Probleme der interkörperschaftlichen Haftung nach Weisungserteilung, und nicht die persönliche Haftung. Dieses betrifft sowohl die persönliche Haftung eines Landesbediensteten gegenüber dem Land als Dienstherrn wie auch gegenüber dem Bund. Kurze kursorische Hinweise sollen und müssen ausreichend sein. Andernorts findet sich reichlich Material zu diesem enormen Problemfeld. 899

898

Exemplarisch der von Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (270 f.), konstruierte Fall. S. auch Wo Ist, Die Bundesauftragsverwaltung als Verwaltungsform, 1974, S. 75; Saipa, DVB1. 1974, 188. 899 Vgl. etwa zuletzt die sehr instruktiven Ausführungen von U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 462 ff.; ferner Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehler-

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Die Inanspruchnahme eines Landesbediensteten durch die Anstellungskörperschaft Land aufgrund der von ihm zu verantwortenden nicht ordnungsmäßigen Verwaltungstätigkeit kommt grundsätzlich auch innerhalb weisungsgeprägter Haftungsstreitigkeiten in Verwaltungsbereichen, die dem Art. 85 GG unterliegen, in Betracht, wenn weisungswidrig gehandelt und hierdurch ein Schaden beim Bund hervorgerufen wird, etwa wenn ein Landesbediensteter weisungswidrig Zahlungen an Dritte oder sich selbst leistet. In diesem Zusammenhang hinzuweisen ist zunächst auf eine Haftung aus dem Dienstinnenverhältnis, mithin nach den beamtenrechtlichen Innenregreßnormen. 900 Ferner kommt auch eine Haftung nach speziellem Deliktsrecht gem. § 839 BGB 9 0 1 oder auch nach allgemeinem Deliktsrecht gem. §§ 823 ff. BGB 9 0 2 in Betracht. Angesichts der Rechtsnatur der Haftung und der großen Schadenshöhe stellt sich auch hier das Problem der mehr als zweifelhaften Realisierung eines Anspruches.

5. Zusammenfassung a) Haftungsrechtliche

Lösung des Fallbeispiels

Für das Fallbeispiel ergibt sich folgende Lösung: Wie in den beiden skizzierten Fällen eines Schadensersatzanspruchs eines Landes gegen den Bund steht auch hier dem Bund als geschädigte Gebietskörperschaft ein Schadensersatzanspruch gegen das Land nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zu. Die einzelnen Tatbestandselemente der Haftungsbestimmung liegen vor: Bund und Land sind als Teil der unmittelbaren Staatsorganisation direkt haftungsbeteiligt; andere Verwaltungsträger oder private Dritte agierten innerhalb des Verwaltungsvollzugs nicht. Das Land hat in rechtswidriger Weise den Stillstand auf der Baustelle des Endlagers herbeigeführt und trotz Bundesweisung über vier Monate hinweg andauern lassen. Damit handelte es gegen die in Art. 85 GG niedergelegte Vollzugspflicht einer Weisung im Rahmen einer Verwaltungsmaterie, die durch die Länder im Auftrag des Bundes ausführt

hafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 77 ff; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998 S. 118 ff. 900 Dazu U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 506 ff.; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 21 Rdnr. 14 ff. 901 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 463 ff.; auch speziell zu der Frage, ob der eigene Dienstherr „Dritter" i. S. des § 839 BGB sein kann, aaO., S. 470 ff. Ferner Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998 S. 12 ff. 902 U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 501 ff.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

wird. Diese Weisung selbst ist verfassungsgemäß. Durch die rechtswidrige Weisungsvollzugsverschleppung entstand unmittelbar ein Schaden, und zwar beim Finanzlastträger Bund, da es sich um eine vom Bund finanzierte Auftragsmaterie nach Art. 104 a Abs. 2 GG handelt. Daß das Land hierbei ganz offenbar vorsätzlich die Umsetzung verschleppte und damit auch jedenfalls mit Eventualvorsatz den Schaden herbeigeführt hat, macht die Verantwortung des Landes aus haftungsverteilungssymmetrischen Gesichtspunkten mehr als plausibel, auf die juristische Zurechnung hingegen hat es keinen Einfluß. Es liegt mithin eine nicht ordnungsmäßige Verwaltung vor, für die das Land im Verhältnis zum Bund wegen der Alleinverantwortlichkeit in voller Höhe mit seinen Haushaltsmitteln haftbar ist. Auch die Prozeßkosten und die Prozeßzinsen fallen dem Land zur Last. b) Resümee Für den haftungsrechtlichen Bereich der Bundesschädigung läßt sich zusammenfassend folgendes feststellen: Für die fehlerhafte Umsetzung einer Weisung trägt das Land die volle finanzielle Verantwortung, wenn und soweit gegen die Rechtmäßigkeit des durch die Weisung geforderten Landeshandelns keine Bedenken bestehen und keine weiteren (landesexternen) Schadensursachen hinzutreten. Diese insoweit eindeutige Haftungsregel und Verantwortungsverteilung muß dann korrigiert werden, wenn zu dem Schaden neben dem fehlerhaften und zugleich schadensstiftenden Landeshandeln noch weitere Umstände beitragen, die zur Verantwortung des Bundes zu rechnen sind. In der Praxis wird es sich regelmäßig um die Rechtswidrigkeit des durch die Weisung intendierten Verhaltens handeln. Hier ist es dann eine Frage des Einzelfalls, eine angemessene, dem Maß der Verursachung entsprechende Aufteilung des Schadens zu ermitteln.

V. Rechtswegfragen einer Bund-Länder-Haftung Nach der Untersuchung der sachlichen Voraussetzungen und Folgen einer Bund-Länder-Haftung nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG im allgemeinen und in weisungsgeprägter Hinsicht im besonderen sind abschließend Rechtswegfragen der Geltendmachung einer Bund-Länder-Haftung zu erörtern. Steht einer Gebietskörperschaft dem Grunde und der Höhe nach ein Schadensersatzanspruch nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG gegen eine andere Gebietskörperschaft zu, so stellt sich die Frage der Geltendmachung dieses Anspruchs. Haftungsbeteiligt können hier auf beiden Seiten sowohl der

V. Rechtswegfragen einer Bund-Länder-Haftung

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Bund als auch die Länder sein; beide sind haftungsbeteiligt nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG. 9 0 3 Der in Regreß genommene Hoheitsträger wird in aller Regel nicht freiwillig und ohne weiteres den geforderten Betrag zahlen, sei es, daß er den Anspruch dem Grunde nach nicht anerkennt, sei es, daß er den Anspruch in seiner konkreten Höhe bezweifelt. Hier wird dann der Geschädigte und mithin Anspruchsteller gezwungen sein, den Anspruch gerichtlich durchzusetzen. Im Mittelpunkt der Forderungsrealisierung steht die klageweise Geltendmachung. Die geschädigte Körperschaft wird mangels freiwilliger Leistung des anderen Hoheitsträgers regelmäßig nur durch ein gerichtliches Verfahren zu seinem Recht kommen. Es ist daher zu klären, welches Gericht in welcher Instanz zur Entscheidung berufen ist. Nicht immer jedoch - das zeigt ein Blick auf die Rechtswirklichkeit - ist ein förmlicher Haftungsprozeß das Maß aller Dinge und das Ziel der Streitbeteiligten. Denn oftmals liegt eine Prozeßvermeidung im Interesse von Bund und Land. Daher sollen anschließend kurz auch noch etwaige außergerichtliche „Rechtsbehelfe" erörtert werden.

1. Verwaltungsrechtsweg Es ist seit langem umstritten, welches Gericht für eine Entscheidung über Haftungsstreitigkeiten des Bundes und der Länder generell und seit 1969 speziell nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zuständig ist. 904 Da weisungsgeprägte Haftungsstreitigkeiten ausschließlich nach der Vorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zu beurteilen sind, ist diese Auseinandersetzung auch für die hier relevanten Haftungsfallgruppen ohne inhaltliche Abstriche von Bedeutung. Der einen Ansicht zufolge sind diejenigen Streitigkeiten, denen Art. 104 a Abs. 5 GG zugrunde liegt, als verwaltungsrechtliche Streitigkeiten nach § 40 Abs. 1 VwGO einzuordnen. Eine Zuständigkeit des BVerfG wird ausdrücklich 903

S. ο. Ε. II. 3. f) aa). Frühzeitig und umfassend schon Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 198 ff, auch zu der Zeit vor Geltung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG und damit zur Haftungsvorschrift für die Steuerauftragsverwaltung Art. 108 Abs. 4 Satz 2, 1. Halbsatz GG a. F. (aaO., S. 199 ff.); dazu auch Zeise, Die Haftung der Länder gegenüber dem Bund bei der fehlerhaften Ausführung von Bundesrecht, 1963, S. 127 ff.; G. Groß, Die Haftung der Länder in der Auftragsverwaltung, 1961, S. 133 ff; Wache, Das Finanzwesen der Bundesrepublik, 1950, S. 54; Schmidt, DÖV 1959, 803 f.; Kölhle, DÖV 1959, 807 (813). 904

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

negiert. Instantiell sei gem. § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die ausschließliche Zuständigkeit des BVerwG gegeben.905 Diese Ansicht kann als die herrschende qualifiziert werden. Tragendes Motiv für die Einordnung ist der Umstand, daß der Schwerpunkt eines Haftungsprozesses in den Fragen des Vollzuges einfachen Bundesrechts liegt. 906 Diesen verwaltungsgerichtlichen Weg beschritt 1973 auch der Referentenentwurf für ein Ausführungsgesetz nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 2 G G 9 0 7 in seinem § 7: „Für Streitigkeiten nach diesem Gesetz zwischen den in § 1 bezeichneten juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben."

905

So namentlich die Rechtsprechung: BVerwGE 96, 45 (48 f.); BVerwG RiA 1995, 240; BVerwG, Buchholz 11 Art 104a GG Nr. 13; BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); BVerwGE 104, 29 (31); BVerwG NJW 1976, 1468; BVerwG BayVBl. 1980,473 (474); BVerwG BayVBl. 1987, 23; VGH München, NVwZ 1993, 794; vgl. auch bereits zur alten Rechtslage vor 1969 BVerwGE 12, 253; LVG Schleswig, DÖV 1960, 464. Aus der Literatur Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 50; J.-P. Schneider, in: AK-GG III, 3. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 29; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 2. Aufl. 1999, Art. 104 a Rdnr. 71; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 50 Rdnr. 3; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 50 Rdnr. 2; P. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 50 Rdnr. 5; Kodal, in: ders./Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, Kap. 2 Rdnr. 32.53 (S. 65); Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 206 f.; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 115; unausgesprochen wohl auch H. Bauer/Zirbes, JuS 1997, 511 ff. Es mutet erstaunlich an, daß einige GG-Kommentare die Rechtswegfrage bei Art. 104 a Abs. 5 Satz 1,2. Halbsatz GG gänzlich offenlassen, so z. B. Maunz, in: ders./Dürig, Art. 104 a; Pieroth, in: Jarass/ders., GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 104 a; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Komm. III, 3. Aufl. 1996, Art. 104 a; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Komm., 9. Aufl. 1999, Art. 104 a. 906 So z. B. Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Komm., 2000, Art. 104 a Rdnr. 50. 907 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen I B 1 - F V 1160 2073 v. 5.6.1973: „Entwurf eines Gesetzes über die gegenseitige Haftung zwischen Bund und Ländern für eine ordnungsmäßige Verwaltung". Dieser ist u. a abgedruckt bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 165 ff; U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 217 f.

V. Rechtswegfragen einer Bund-Länder-Haftung

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2. Verfassungsrechtliche Streitigkeit Demgegenüber werden von der anderen Ansicht solcherart Haftungskonflikte als verfassungsrechtliche Streitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§13 Nr. 7, 68 bis 70 BVerfGG eingeordnet. 908 Begründet wird diese Ansicht in erster Linie mit dem Hinweis, daß es sich um eine Streitigkeit über die grundgesetzlich determinierte Finanzverfassung handelt; letztlich handele es sich um einen im Verfassungsrecht wurzelnden Streit. 909

3. Fehlende Rechtsprechung des BVerfG Das BVerwG sieht sich in mittlerweile gesicherter Rechtsprechung stets als zuständig an, 9 1 0 eine Entscheidung des BVerfG zu dieser Rechtswegfrage steht bislang noch aus. Das BVerfG hat ein Bund-Länder-Streitverfahren, welches die Verwaltungshaftung zwischen Bund und Ländern betraf, wegen Verfristung für unzulässig erklärt und damit diese Rechtsfrage offen gelassen.911 Damit harrt diese Frage auch weiterhin einer verfassungsgerichtlichen Klärung. Angesichts der zunehmenden Brisanz der Bund-Länder-Streitigkeiten auf diesem Terrain kann die Vermutung aufgestellt werden, daß in absehbarer Zukunft das BVerfG erneut mit der Frage seiner Zuständigkeit befaßt sein.

4. Eigene Ansicht In Betracht kommt ausschließlich der Rechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO oder nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG; andere Gerichtsbarkeiten sind von vorn908 Saipa, DVB1. 1974, 188 (190); U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 315 f.; ders., DVB1. 2000, 609 (613 ff.); wohl auch Jeddeloh, Die Frage der Haftung bei fehlerhafter Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder, 1970, S. 107 ff. (108: „in aller Regel das Bundesverfassungsgericht zuständig."), allerdings noch zur alten Rechtslage unter der Geltung des Art. 108 Abs. 4 Satz 2, 1. Halbsatz GG a. F. In diese Richtung gleichfalls Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 221. 909 So ausdrücklich Stelkens, DVB1. 2000, 609 (614); ähnlich Saipa, DVB1. 1974, 188(190). 910 S. etwa BVerwGE 96, 45 (48 f.); BVerwG NVwZ 1995, 991 (992); BVerwGE 104, 29 (31). 911 BVerfGE 99, 361 ff. Kritisch dazu U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 ff. Zu diesem Verfahren allgemein auch ders., Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 233 f.

564

E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

herein nicht begründbar. So scheidet eine finanzrechtliche Streitigkeit aus. § 33 FGO, der eine finanzgerichtliche Zuständigkeit begründen würde, ist als Zuweisungsnorm tatbestandlich nicht gegeben.912 Weder ist der Haftungsanspruch im Bund-Länder-Verhältnis ein solcher im Zusammenhang mit einer konkreten Abgabe, noch beruht er auf steuerrechtlichen Vorschriften. Gleichfalls liegt keine zivilrechtliche Streitigkeit vor, da es sich um eine öffentlich-rechtliche und nicht um eine bürgerliche Streitigkeit handelt, so daß die die Zivilgerichtsbarkeit begründende Norm des § 13 GVG nicht einschlägig ist. Überzeugend ist die Annahme des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art und um keinen Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG. Zwar findet die Haftung ihre Verankerung in der Verfassung, was insoweit für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit spricht. Es gilt aber zu beachten, daß letztlich die anstehenden Fragen und Rechtsprobleme solche des nichtverfassungsrechtlichen Bereiches nämlich solche der Ebene des Verwaltungsrechts - sind, so daß ein verfassungsrechtlicher Charakter der Streitigkeit nicht zu erkennen ist. Es geht um die Berechtigung von Sekundäransprüchen zum Ausgleich von Rechtsverletzungen auf der Ebene des einfachen (Bundes-) Rechts infolge eines Verwaltungsfehlers. Die Beteiligten streiten nicht um die Sicherung oder gegenseitige Abgrenzung der ihnen von der Verfassung zugewiesenen Rechte oder Pflichten, was Voraussetzung für einen verfassungsrechtlichen und somit die Zuständigkeit des BVerfG begründenden Streits wäre. 913 Die Verfassung normiert eine Einstandspflicht für den Bund und die Länder. Jedoch ergeben sich erst bei einem Vollzug von Bundesgesetzen in Bundesauftragsverwaltung im Einzelfall konkrete Vermögenseinbußen bei einem der beteiligten Hoheitsträgern, so daß es hier an einem verfassungsrechtlichen Bezug schlicht fehlt. Daß die Anspruchsbestimmung und ihre Auslegung eine solche des formellen und materiellen Verfassungsrechts ist, kann an dieser Einordnung nichts ändern. Entscheidend ist vielmehr, daß es um die Rechtsfolge einer fehlerhaften Gesetzesanwendung geht und nicht etwa um den Umfang von Zuständigkeiten oder Pflichten aus der Verfassung selbst, wie sie beispielsweise bei weisungsrechtlichen Auseinandersetzungen nach Art. 85 GG im Mittelpunkt stehen. Die Verknüpfung der Rechtsfolge mit dem GG-Artikel ist dabei nur ak-

912 Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 200 f. 913 BVerfGE 13, 54 (72); 81, 310 (329); BVerwGE 12,253; 104, 29 (31).

V. Rechtswegfragen einer Bund-Länder-Haftung

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zessorischer Natur. 9 1 4 Der Verwaltungsrechtsweg ist der einzig zulässige Rechtsweg.915 Diese Erkenntnis ist heute auch weitgehend unbestritten. 916 Damit greift die Generalzuweisungsklausel des § 40 Abs. 1 VwGO ein, und die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ist begründet. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es sich um eine Zahlungsklage vor dem BVerwG handelt.

5. Exkurs: Außergerichtliche Geltendmachung Neben einer gerichtlichen Forderungsdurchsetzung des Bundes oder eines Landes kann auch eine klagevermeidende Anspruchsdurchsetzung in Betracht kommen, und das aus zweierlei Gründen: Zum einen werden die beteiligten Körperschaften bereits vor einer möglichen Klageerhebung versuchen, den Streit gütlich beizulegen. Ein gerichtliches Verfahren birgt immer Ungewißheiten und Risiken in sich, so daß ein gewisser Druck mit dem Ziel einer durch gegenseitiges Nachgeben bewirkten konsensualen Lösung erzeugt wird. 9 1 7 Auch der Gesichtspunkt der Bundestreue spielt eine Rolle, wonach vor Klageerhebung erst einmal auf informeller Basis ein Ausgleich erzielt werden sollte. Optimal wäre eine solche Verständigung, wenn dadurch gänzlich eine Schadensersatzklage abgewendet wird. Zum anderen können die beteiligten Hoheitsträger auch ein gesteigertes Interesse an einer außergerichtlichen Einigung besitzen, um ζ. B. die ansonsten 914

Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 114, unter Berufung auf Hamann, GG, 2. Aufl. 1961, Art. 83 Anm. 7. 915 Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 114 f. 916 Vor Inkrafttreten des Art. 104 a GG war dies anders; s. die Nachweise bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 29 m. w. Nachw. in FN 28. Nach 1970 vertrat nur zunächst nur noch Saipa, DVB1. 1974, 188 (190), die entgegengesetzte Ansicht, konnte sich hiermit aber nicht durchsetzen. Zuletzt aber wieder a.A. U. Stelkens, Verwaltungshaftungsrecht, 1998, S. 315 f.; ders., DVB1. 2000, 609 (613 ff.). 917 Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 20 f., weist daraufhin, daß Gerichte mit Haftungsfällen im Bund-LänderVerhältnis auffälligerweise kaum befaßt worden sind, was den Schluß auf eine verwaltungsinterne (und damit intransparente sowie Mehrkosten verursachende) Streitbeilegung zuließe; eine zu gewagte These.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

allfällige Öffentlichkeit und den folgenden Medienniederschlag des Verfahrens gar nicht erst entstehen zu lassen. Bei politisch sensiblen Bereichen kann allseits ein Interesse an Geheimhaltung oder zumindest möglichst wenig Presse bestehen. Auch im übrigen eignen sich haftungsrechtliche Streitigkeiten nicht eben zur Imagepflege, weder auf Kläger- noch auf Beklagtenseite. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei beiden Beteiligten Fehler oder sonstige Versäumnisse aufgetreten sind und diese in einem Gerichtsverfahren ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Andere direkte rechtliche Möglichkeiten des Bundes, seine Haftungsansprüche gegen ein Land durchzusetzen, bestehen nicht. Vereinzelt diskutierte Mittel wie etwa der Bundeszwang nach Art. 37 GG, 9 1 8 die Bundesaufsicht nach Art. 85 G G 9 1 9 scheiden wegen NichtVorliegen der Voraussetzungen und im übrigen aufgrund völliger Ungeeignetheit zur Lösung dieser haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen aus. Auch eine Aufrechnung nach §§ 387 bis 396 BGB (ggf. analog) ist nicht möglich 920 . Das ursprünglich zivilrechtlich geformte Rechtsinstitut der Aufrechnung kann zwar anerkanntermaßen grundsätzlich auch im öffentlichen Recht Anwendung finden. 921 Letztlich aber sind die gegenseitigen Ansprüche so ungleichartiger Natur (Stichwort: Zweckbindung öffentlicher Gelder), daß gegenseitige Forderungen innerhalb des Bund-Länder-Verhältnisses jedenfalls dann nicht aufrechenbar sind, wenn eine der Forderungen aus der Verwaltungshaftung stammt. 922 Für den Fall allerdings, bei dem ein eigener Haftungsanspruch gegen einen fremden Haftungsanspruch gegengerechnet, also aufge918 Ablehnend Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 208 ff.; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 115. 919 Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 207 f. 920 Dazu Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 210 ff.; Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 115 ff. A.A. für den Fall, daß eine Aufrechnung mit Ansprüchen auf Erstattung von Zweckausgaben in Rede steht bejahend Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 104 a Rdnr. 210; Cremer, JuS 1996, 333 (334). 921 S. nur BVerwGE 66, 218 (221). Grundlegend etwa Grandiner, Die Aufrechnung als Handlungsinstrument im öffentlichen Recht, 1995; Gaa, Die Aufrechnung im Öffentlichen Recht, 1996. 922 Einzelheiten bei Seelmaecker, Die Verwaltungshaftung nach Art. 104 a V GG und ihre Anwendbarkeit auf die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern im Sinne des Art. 91a GG, 1998, S. 115 ff.

VI. Zusammenfassende Betrachtung

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rechnet wird, bestehen für die Zulässigkeit dieses Procedere keine Bedenken, da beide Forderungen (exakt) gleichartiger Natur sind. 923 Anders zu beurteilen könnte eine Sperrung anderer Finanzleistungen des Bundes an das Land sein. Es handelt sich hierbei nicht um eine direkte Aufrechnung, sondern um eine „politisch-finanzielle Antwort", gleichwohl eine Abstrafung des Landes wegen des vorangegangenen Fehlverhaltens. Eine solche einseitige Deckelung eines Landes durch den Bund dürfte gleichfalls verfassungsrechtlich ausgeschlossen sein. Das GG bietet für dieses Verhalten keine Handhabe, und es dürfte auch ohne weiteres gegen das Gebot der Bundestreue und gegen die Finanzverfassung verstoßen.

VI. Zusammenfassende Betrachtung Sedes materiae für die rechtliche Lösung haftungsrechtlicher Fälle ist ausschließlich die Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Die Vorschrift ist in vollem Umfang anwendungsfähig und kann somit ihrer Funktion als zentrale Föderal- und als einzige Haftungsnorm gerecht werden. Diese Vorschrift begründet eine aus sich heraus komplett anwendbare Finanzierungspflicht im Bund-Länder-Verhältnis bei Verstößen gegen die verfassungsrechtliche Pflicht zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG stellt sich als eine Ausnahme vom Konnexitätsprinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG dar, indem die Haftung nicht an die ursprüngliche Kostentragungspflicht angekoppelt wird, sondern an deren Veranlassung. Die Vorschrift ist damit ein Unikat im finanzverfassungsrechtlichen Gefüge. Die Wichtigkeit des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG wird nicht ausschließlich, wohl aber maßgebend von den finanziellen Dimensionen des Themas unterstrichen. Von einer untergeordneten Annexbestimmung im Finanzsystem des G G 9 2 4 kann deswegen keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich um einen zentralen finanzrechtlichen Artikel, die das Miteinander von Bund und Ländern im empfindsamen föderalen Geflecht regelt und finanzielle Streitigkeiten enormer Potenz in Zeiten knapper Kassen zu einem Ausgleich bringt. Dieser Ausgleich erweist sich - das hat die Untersuchung gezeigt - unter Zugrundelegung der ermittelten Haftungsmaßstäbe als stimmig und sachgerecht. „Die Bestimmung stabilisiert die Aufteilung der Staatsgewalt im Bun-

923 So auch Kummer, Die Haftung der Länder im Verhältnis zum Bund am Beispiel der Steuerverwaltung, 1973, S. 213. 924 In diesem Sinne hingegen BVerwG BayVBl. 1980,473 (475).

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

desstaat haftungsrechtlich." 925 Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist der haftungsrechtliche Katéchon , welcher materieller Haftungsverteilungssymmetrie zum Durchbruch bei unstimmigen Haftungsverteilungen verhilft. Es ist ein Irrglaube, wenn der Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ausschließlich als gegen die Länder als Gliedstaaten und nicht auch gegen die Zentralstaatsebene Bund gerichtet angesehen wird. Denn gerade rechts- oder sogar verfassungswidrige Weisungen, die vom Bund an ein Land im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung erteilt werden und von diesem grundsätzlich umgesetzt werden müssen, lassen erkennen, daß diese Haftungsnorm nicht ohne äußere Not dergestalt verengt auszulegen ist. Es bleibt zu hoffen, daß die vollumfanglich geltende Haftungsbestimmung nicht das verfassungspolitische Klima zwischen Bund und Ländern vergiftet, sondern ganz im Gegenteil als stabilisierender Baustein für das föderale Haus wirkt. Nicht auf Konfrontation und Geldersatz um jeden Preis ist der unmittelbare Haftungsanspruch gebaut, sondern auf umsichtigen, abwägenden Einsatz der zur Verfügung stehenden administrativen Mittel verschiedenster Art. Die tatsächliche Bedeutung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist weiterhin gering, auch wenn in den letzten ca. zehn Jahren die Existenz des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG weit abseits der tatsächlich wichtigen Fragen und handfesten Föderal-Auseinandersetzungen, unübersehbar obsolet geworden ist. Diese auf den ersten Blick überraschende Feststellung der Nebensächlichkeit, die so gar nicht zu dem von den Verfechtern der Nichtgeltung an die Wand geworfenen wahren Horrorszenario passen mag, erklärt sich aus dem edukatorischen, auf vorsorglichen Ausgleich und Mäßigung gerichteten telos der Vorschrift. Man darf gespannt sein, wie sich die praktische Relevanz einer gegenseitigen Haftung von Bund und Ländern auf der Grundlage des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG in Zukunft gestalten wird. Gerade die allseits beklagte Verschärfung der Haushaltslagen kann hier zu einer weiter verstärkten Geltendmachung von Haftungsansprüchen führen. Hinzu tritt der im vorangegangenen Kapitel ausgeführte Umstand, daß in politisch umstrittenen Terrains auftragsweiser Verwaltung - also namentlich im Atomrecht, ferner in der Fernstraßenverwaltung - zukünftig weiterhin zum Durchsetzen des Bundeswillens auch mit Weisungen operiert werden wird, wobei heute offenbleibt und sich einer seriösen Prognose entzieht, ob in einem stärkeren Maße als bisher der Art. 85 Abs. 3 GG das Verwaltungsverhältnis 925

Storr, Die Haftung im Bund-Länder-Verhältnis, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus - Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 269 (291).

VI. Zusammenfassende Betrachtung

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von Bund und Ländern bestimmen wird. Wie gezeigt, können die Bundesmaßnahmen dabei haftungsrechtliche Folgen nach sich ziehen. Die im Juni 2001 endgültig unterzeichnete Atomkonsensvereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Kernkraftwerksbetreibern beinhaltete die ausdrückliche Zusicherung, daß die Atommeiler unter Beibehaltung des hohen Sicherheitsniveaus und unter Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen für die verbleibende Nutzungsdauer ungestört betrieben werden können. Diese Übereinkunft zielt auch und gerade auf ein konfliktfreies Miteinander von Bund, Ländern und Kraftwerksbetreibern. Auseinandersetzungen, gleich ob weisungs-, genehmigungs- oder haftungsrechtlicher Art, sollen vermieden und durch eine, wenn auch befristete, Rechtssicherheit ersetzt werden. In dieser Hinsicht ist daher zunächst zu erwarten, daß atomrechtliche Streitigkeiten aller Art quantitativ abnehmen werden. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG wird wahrscheinlich an Bedeutung für das bundesdeutsche Föderalsystem jedenfalls in weisungsgeprägter Hinsicht verlieren. Ob entsprechende Auseinandersetzungen wirklich völlig von der verfassungsrechtlichen Bildfläche verschwinden werden, erscheint insgesamt doch fraglich. Denn ein „Einvernehmen" aller Beteiligten wird sich angesichts der weiterhin existenten massiven politisch-wirtschaftlichen Differenzen hinsichtlich der Einschätzung der Kernenergie kaum einstellen wollen. Die Meinungen über einen „ungestörten Betrieb" und seine konkreten Voraussetzungen werden wie gehabt auseinandergehen, so daß sich diese Vereinbarung als wenig wirksam erweisen könnte. Dieses könnte dann ohne weiteres zu dem heutigen „Weisungsbefund" im Bereich des Atomgesetzes führen. Ferner darf schon der Zeitkorridor bis zum Stillegen des letzten Kernkraftwerkes nicht außer acht gelassen werden, was gerade bei wechselnden politischen Vorzeichen und unterschiedlichen Regierungen auf Bundes- und Landesebene für Konflikte sorgen wird. Insgesamt läßt sich daher prognostizieren, daß die Atomkonsensvereinbarung die weisungsrechtliche Bedeutung des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht oder jedenfalls nicht wesentlich schmälern wird. Vieles ist zur Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nach über dreißig Jahren seiner Geltung mittlerweile geschrieben worden, das letzte Wort steht noch aus. Es obliegt - wie so oft - dem Hüter der Verfassung in Karlsruhe, dem BVerfG. Hatte es vor kurzem noch die Chance vertan, klärend tätig zu werden, 926 so bedarf es keiner prophetischen Gabe, um einen baldigen Richterspruch aus Karlsruhe in einem anderen Verfahren vorherzusagen. Möge es sachgerecht und gerecht urteilen. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. 926

BVerfG, Beschluß v. 31.1.1999 - 2 BvG 2/95 -, BVerfGE 99, 361 ff. S. kritisch U. Stelkens, DVB1. 2000, 609 ff.

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E. Die haftungsrechtliche Dimension von Weisungen

Halbsatz GG bietet auch und gerade für weisungsgeprägte Haftungsfälle zwischen Bund und Ländern eine klare und praktikable Haftungsgrundlage. An dem Maßstab der Sachgerechtheit und materiellen Haftungsverteilungssymmetrie orientiert lassen sich die verschiedenen Fallkonstellationen einer wohlausgewogenen einzelfallorientierten Lösung zuführen, indem diejenige Körperschaft, die letztlich für das schadensstiftende Verhalten verantwortlich zeichnet, als Urheber auch den Schaden im staatlichen Innenverhältnis von Bund und Land trägt. Das jeweilige gesetzesvollziehende Fehlverhalten wird unabhängig davon, ob es beim Bund oder einem Land lokalisiert wurde, eindeutig haftungsrechtlich zugeordnet. Schließlich kompensiert Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG die konstatierten Defizite des Weisungsrechts des Bundes aus Art. 85 Abs. 3 GG in praktischer Vollzugshinsicht: Denn so stumpf und ineffizient die Waffe des Art. 85 Abs. 3 GG bei einer fortdauernden Obstruktions- und Hinhaltetaktik eines Landes für den Verwaltungsvollzug letztlich auch sein mag, so sehr kann das Risiko einer späteren Haftung bereits im Vorfeld verhaltenskorrigierend wirken und so zur Vermeidung rechts- oder verfassungswidriger Zustände im Bund-Länder-Verhältnis dienen und dem Grundsatz der Bundestreue wieder gesteigerte Bedeutung verschaffen. Daß sozusagen „die Strafe nicht direkt auf dem Fuße folgt", weil sich diesbezügliche Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen können, schmälert die befriedende Wirkung der Bestimmung nur unwesentlich. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG zerstört mithin nicht das empfindliche Verhältnis von Bund und Ländern, sondern sorgt im Gegenteil dafür, daß ein gedeihliches föderales Miteinander auch in Zukunft erhalten bleibt.

F. Zusammenfassung Die Ergebnisse der Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die grundgesetzliche Regelung des Art. 85 GG läßt sich nur als Frucht ihrer Geschichte verstehen; sie ist kein Kind des Grundgesetzes. Die endgültige Fassung der Bundesauftragsverwaltung im Gefüge des Grundgesetzes bildet den Schlußpunkt einer Entwicklung, die sich über einen Zeitraum von annähernd einem Jahrhundert und nur vorübergehend unterbrochen von den 12 Jahren Terrorherrschaft des Dritten Reiches vollzogen hat. Ausgehend von den praeter constitutionem latam herausgebildeten unscheinbaren Anfängen auftragsweiser Verwaltung wurde schließlich 1949 eine eigenständige und nun auch verfassungsrechtlich normierte Verwaltungsform geschaffen. Bereits im Kaiserreich sind deutliche Ansätze einer Auftragsverwaltung erkennbar. Nach 1919 hat dieser Verwaltungstypus weiter an Kontur gewonnen, indem er auf der Grundlage einzel- und einfachgesetzlicher Ermächtigungen praktiziert wurde. Haftungsfragen, die im Rechtsverhältnis zwischen Reichsund Landesbehörden bei der Reichsauftragsverwaltung wurzeln, spielten unter beiden Rechtsregimen keine Rolle. Nach 1933 war für eine Reichsauftragsverwaltung in Deutschland kein Raum mehr; sie fiel der zentralistischen Gleichschaltung der Länder ersatzlos zum Opfer. 2. Mit der Bundesauftragsverwaltung gestaltet das Grundgesetz einen Verwaltungstyp positivrechtlich aus, bei dem Bundesgesetze weder von bundeseigenen Behörden noch von den Bundesländern als eigene Angelegenheiten ausgeführt werden. Die Auftragsverwaltung stellt echte Landesverwaltung dar. Das Rechtsinstitut der Bundesauftragsverwaltung verbindet auf einzigartige Weise den administrativen Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder mit umfangreichen Aufsichts- und Einwirkungsbefugnissen des Bundes, so daß sie sich von dem Normalfall bundesstaatlicher Aufgabenwahrnehmung deutlich abhebt. Der Bund kann mittels der ihm durch Art. 85 GG eingeräumten Kompetenzen auf die Länder einwirken. Dabei sind Befugnisse des Bundesgesetzgebers (Abs. 1) von denen der Bundesregierung (Abs. 2) und denen oberster Bundesbehörden (Abs. 3) zu unterscheiden. Generell unterliegt der Gesetzesvollzug der Länder der Bundesaufsicht (Abs. 4).

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F. Zusammenfassung

Die im einzelnen im GG aufgeführten Bereiche auftragsweiser Verwaltung nach Art. 85 GG legen das Territorium der Bundesauftragsverwaltung - fakultativer oder obligatorischer Art - fest; nur innerhalb dieses Rahmens ist der Bund imstande, die Ingerenzrechte des Art. 85 GG auszuüben, indem er seine „schlummernde" Sachkompetenz aktiviert. 3. Eine Weisung nach Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG beinhaltet als interne adhoc-Regelung und typisches Steuerungselement der hierarchisch organisierten Verwaltung eine befehlende Anordnung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen für einen konkreten Sachverhalt des Verwaltungsgeschehens. Art. 85 Abs. 3 GG legitimiert die obersten Bundesbehörden unmittelbar dazu, die Sachbeurteilung und Sachentscheidung innerhalb auftragsweiser Verwaltungen an sich zu ziehen. Damit dient dieses verwaltungsinterne Lenkungsmittel der effizienten und weitgehend reibungsarmen Durchsetzung der Ansicht der obersten Bundesbehörden in Rechts- und/oder Zweckmäßigkeitsfragen. Bundes- und Landesbehörden werden zu einem einzigen Weisungsstrang verbunden. Letztlich führt das Weisungsmittel als markanteste Ausprägung der hierarchischen Föderalstruktur der Bundesauftragsverwaltung zu einer Unterordnung der Landesbehörden unter den Willen des Bundes. Insoweit liegt es im Wesen dieser Kompetenzverteilung begründet, daß der Bund den auftragsausführenden Landesbehörden seinen Willen aufzwingen kann. Die Weisungskompetenz kann sich auf jede Gesetzesmaterie beziehen, die vom Land in Bundesauftrags Verwaltung ausgeführt wird. Sie erfaßt auch jede Landesvollzugstätigkeit in jeder einzelnen Phase. Der Regelungsgehalt einer Weisung erschöpft sich im Innenverhältnis zwischen Anweisendem und Angewiesenem, also zwischen Bund und Land. Dritten gegenüber entfaltet sie als interkörperschaftliche Maßnahme grundsätzlich weder von der Intention her noch aufgrund einer tatsächlichen Betroffenheit eine Wirkung. Seit den Achtziger Jahren ist von dem Aufsichtsmittel der Weisung verstärkt Gebrauch gemacht worden. Dabei stehen bis in die Gegenwart hinein vorwiegend atomrechtliche Weisungskonflikte im Mittelpunkt. Insbesondere der weiterhin fehlende kernenergiepolitische Konsens in Deutschland läßt ein Zurückfallen des Art. 85 Abs. 3 GG in den vormaligen juristischen Halbschlummer nicht erwarten. 4. Die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Weisungsrechts durch den Bund ist gewahrt, wenn ihr kein verfassungsrechtlicher Malus anhaftet. Erst bei einer Verfassungswidrigkeit kommt dem angewiesenen Land ein Abwehrrecht zu.

. Zusammenfassung

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Zunächst muß es sich um eine Weisung gem. Art. 85 Abs. 3 GG handeln. Diese darf nicht außerhalb einer Materie der Bundesauftragsverwaltung ergehen, da ansonsten der Bund in die landeseigene Verwaltung von Bundesgesetzen (Artt. 83 f. GG) eingreift. Die weisungserlassende muß die grundgesetzlich zuständige Behörde sein. Ferner muß die immer schriftlich abzufassende Weisung dem Gebot der Weisungsklarheit entsprechen und außerdem tatsächlich ausfuhrbar sein. Der Bund unterliegt bei der Ausübung seiner Weisungskompetenz formalen Verfahrensbegrenzungen, zu denen zuvörderst die Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten zu rechnen ist. Dieses Erfordernis hat vier Elemente: Der Bund muß grundsätzlich vor Weisungserlaß dem Land Gelegenheit zur Stellungnahme geben (1.). Dann muß der Bund den Länderstandpunkt erwägen und dem Land zu erkennen geben, daß der Erlaß der Weisung in Betracht gezogen wird (2.). Ferner hat er vor der ins Auge gefaßten Erteilung einer Weisung dem Land die Möglichkeit der Weisungserteilung im streitigen Rechtsverhältnis darzulegen (3.). Schließlich muß das Land, will es einen behaupteten Pflichtenverstoß des Bundes hinreichend substantiieren, nachvollziehbar und plausibel einen Fehler im vorausgegangenen Weisungserlaßverfahren benennen (4.). Auf eine einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit der Weisung kann sich das Land gegenüber dem anweisenden Bund nicht berufen. Auch das „Fehlen einer gesetzlichen Grundlage" wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ist unerheblich. Gleichermaßen führt die unzutreffende Annahme einer Dringlichkeit nicht zu einer relevanten Fehlerhaftigkeit. Schließlich kann ein Land selbst nicht am Grundrechtsschutz teilhaben. Ebenso scheidet eine Grundrechtstreuhand zugunsten der Bürger aus. 5. Streitfragen über die Anwendung und Auslegung des Art. 85 GG und des ihm innewohnenden Weisungsrechts sind ausschließlich verfassungsrechtlicher Natur. Es besteht keine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte - weder in Form der Allein- noch einer Doppelzuständigkeit. Vielmehr obliegt eine Entscheidung über den Streitgegenstand ausschließlich dem BVerfG im Rahmen eines Bund-Länder-Streits. 6. Für die Durchsetzung einer Weisung stehen dem Bund der Bundeszwang nach Art. 37 GG und das Bund-Länder-Streitverfahren zur Verfügung. Für welchen Weg sich die Bundesregierung entscheidet, obliegt ihr und unterliegt einem verfassungsgerichtlich nicht überprüfbaren Ermessen. Beide Möglichkeiten stehen selbständig nebeneinander, eine bestimmte Reihenfolge ist nicht einzuhalten. Das Mängelrügeverfahren ist kein Mittel zur Weisungsdurchsetzung. Schließlich ist auch ein Weisungsvollzug durch Bundesbehörden selbst ausgeschlossen.

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F. Zusammenfassung

7. Das Aufsichtsmittel „Weisung" innerhalb der Ausführung von Gesetzen nach Art. 85 GG hat sich insgesamt bewährt. Der Bund kann mit diesem Instrument einerseits einen gleichmäßigen und bundeseinheitlichen Gesetzesvollzug sicherstellen und andererseits seine Ansicht in Rechts- und Zweckmäßigkeitsfragen gegenüber dem angewiesenen Land durchsetzen. Der Blick auf die energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und einzelnen Ländern zeigt jedoch, daß die Herbeiführung eines Gesetzesvollzuges à la volonté fédérale mitunter erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt ist. Die Weisung mag als Direktionsmittel im Einzelfall wirksam und effektiv sein. Widersetzt sich ein Land jedoch konsequent und umfassend dem Bundeswillen, mutiert die Weisung wegen ihres zeitraubenden und aufwendigen Verfahrens zu einem stumpfen Schwert in der Hand des Bundes. 8. Bis auf Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG ist festzustellen, daß für haftungsrechtliche Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern eine haftungsbegründende Norm oder ein solches allgemeines Rechtsinstitut weder im Verfassungsrecht noch im einfachen Gesetzesrecht oder im Gewohnheitsrecht gefunden werden kann. 9. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG steht im Kernbereich des finanzrechtlichen Verfassungsgefuges und stellt eine unmittelbar geltende Verwaltungshaftungsnorm dar, die auch und gerade im Bund-Länder-Geflecht des Art. 85 GG zur Anwendung kommt. 10. Die Tatbestandselemente des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG lassen sich im Hinblick auf weisungsgeprägte Haftungsfalle wie folgt skizzieren: Haftungsbeteiligt können nur die Gebietskörperschaften Bund und Länder, nicht jedoch private Dritte sein. Sind landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts in das Weisungsgeflecht eingebunden, so haftet für sie das Land. Eine direkte gemeindliche Haftung ist abzulehnen. Das Verb „haften" im Verfassungsrecht entspricht der Verwendung, die sich im Zivilrecht findet. Das Tatbestandsmerkmal „Haften" verklammert Bund und Länder dergestalt miteinander, daß diese für die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung gegenseitig einstehen müssen. Auf den Verwaltungsterrains der Bundesauftragsverwaltung stehen sich Bund und Länder immer „ i m Verhältnis zueinander" gegenüber. Bei einer Weisung und den sich hieraus ergebenden administrativen und haftungsrechtlichen Folgen ist stets eine „Verwaltung" nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1 GG gegeben.

. Zusammenfassung

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Die meisten Probleme ergeben sich beim Merkmal der „Ordnungsmäßigkeit" der Verwaltung. Bei genauerer Betrachtung lassen sich zwei unterschiedliche Elemente der Ordnungsmäßigkeit einer Verwaltungstätigkeit unterscheiden: Zum einen kann der Ordnungsmäßigkeit ein objektiver Maßstab in Form einer materiell-rechtlichen Ausgestaltung innewohnen. Zum anderen ist auch ein subjektives Moment festzustellen, welches den Haftungstatbestand kumulativ um einen Verschuldensmaßstab erweitern kann. In objektiver Hinsicht ist ein Verwaltungshandeln nach Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG nicht ordnungsmäßig, wenn es sich als rechtswidrig erweist. Jeder andere materiellrechtliche Ansatz - sei es eine Haftungserweiterung, sei es eine Haftungsbeschränkung - ist unzutreffend. In subjektiver Hinsicht geht die Annahme eines Verschuldenserfordernisses fehl. Das rechtswidrige Verwaltungshandeln muß also nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen. Den Haftungsumfang bildet ein voller, unbegrenzter Schadensersatz. Ersetzbar sind nur die sog. unmittelbaren Schäden, also solche Ausgaben und sonstigen Vermögensminderungen sowie Mindeseinnahmen, die durch die Schädigung selbst resp. die Schadensbeseitigung unmittelbar entstanden sind. Ein Anspruch auf Verzugszinsen (§ 286 BGB) ist nicht anzuerkennen, wohl aber ein solcher auf Prozeßzinsen. Verjährung tritt nach fünf Jahren ein. 11. Hinsichtlich der Elemente der Tatbestandsstruktur des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist bei einem weisungsgeprägten Haftungsfall mit einem Land als Geschädigtem regelmäßig nur die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung problematisch. Eine rechtswidrige Weisung stellt ein verwaltungsstrukturelles Fehlverhalten dar. Erst recht gilt dies für eine verfassungswidrige Weisung. Diese Bundesweisung ist keine ordnungsmäßige Verwaltung. Setzt der Bund also durch einer Weisung die einzige schadensstiftende Ursache und erweist sich diese Weisung als rechtswidrig, so hat der Bund die entstandenen Kosten zu tragen. Ein bloß unzweckmäßiges Handeln eröffnet hingegen keinen haftungsrechtlichen Spielraum. Weisungsbefolgungspflicht des Landes und spätere Haftungsverteilung sind streng zu unterscheiden: Die Weisung dient dem schnellen und effektiven Durchsetzen der Bundesansicht in strittigen Fragen. Allein beim Bund soll die Sach- und damit Letztentscheidungskompetenz in Recht- und Zweckmäßigkeitsfragen innerhalb auftragsweiser Verwaltungsmaterien bis zur Grenze der Verfassungswidrigkeit lokalisiert sein. Diese interkörperschaftliche Kompetenzverteilung hat für die letztendliche Einstandspflicht keine Auswirkungen mit der Folge der Möglichkeit eines Rückgriffs des Landes gegen den Bund gem. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG.

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Bei mehreren schadensstiftenden Faktoren ist einzelfallbezogen eine Ausgleichsquotierung herbeizuführen. Je größer und evidenter das Maß an Rechtsbzw. Verfassungswidrigkeit ist, desto höher muß die jeweilige Haftungsquote ausfallen; es geht also um den Grad der Verursachung: Mitverursachung = anteiliger Haftungsausschluß = entsprechende Schadensaufteilung in Geld. 12. In der Konstellation des Bundes als Geschädigtem nach einer Weisungserteilung sind verschiedene Fallgruppen auszumachen: Ein nicht ordnungsmäßiges Ausführen einer Bundesweisung kann einerseits durch eine fehlerhaften Ausführung in der Form des Umsetzungsverschleppens (bis hin zur völligen Nichtbeachtung) oder des (schikanösen) Beharrens auf nebensächlichen Formalien geschehen. Andererseits sind auch unbewußte Vollzugsfehler denkbar, ζ. B. bei mangelhafter Sachkenntnis der mit dem Weisungsvollzug befaßten Stelle. Alle diese Weisungsvollzugsmängel stellen einen Verstoß gegen das Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG dar. Das Land hat dem Bund für etwaige Fehlleistungen bei dem Vollzug von Gesetzen, die in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden, einzustehen. Für die fehlerhafte Umsetzung einer Weisung trägt das Land die volle finanzielle Verantwortung, wenn und soweit gegen die Rechtmäßigkeit des durch die Weisung geforderten Landeshandelns keine Bedenken bestehen. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist dem Grundsatz nach auch bei der Ausführung von Europäischem Gemeinschaftsrecht durch die Länder eine tragfähige Anspruchsgrundlage, die bei Vorliegen der einzelnen Voraussetzungen dem Bund einen Anspruch gegen ein Land zukommen läßt. Letztlich handelt es sich auch hier um ein Problem der innerstaatlichen Haftung zwischen den beiden Gebietskörperschaften. Bei Richtlinien der europäischen Gemeinschaft jedoch geht es nicht mehr um Einzelheiten einer ordnungsmäßigen Verwaltung im Sinne der Haftungsnorm, sondern vielmehr um europäische Regierungs- und Parlamentstätigkeiten, die auch aufgrund ihrer SupraStaatlichkeit jenseits der Tatbestandselemente liegen. In allen „mehraktigen" Verwaltungs- und Haftungsfällen, wo neben der obersten Landesbehörde des Landes noch weitere Landesverwaltungsbehörden bei der Entscheidung zu beteiligen sind, liegt keine Bi- oder Multikausalität vor. Die betroffenen Behörden handeln zur gesamten Hand. Es handelt sich insoweit um eine unechte Mehrkausalität innerhalb der Landessphäre. Dem Bund kann dies nicht zugerechnet werden, da ihm keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten zukommen; es verbleibt bei einer Alleinverantwortlichkeit des Landes. Daneben sind diejenigen Fallgruppen zu kennzeichnen, bei denen die Ursachen nur teilweise zur Landessphäre zu rechnen sind und daneben andere nicht vom Land beherrschte Umstände hinzutreten. In diesem Schadens- und Haf-

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tungszusammenhang kann dann von einer echten Bi- oder Multikausalität gesprochen werden. Bei diesen Mehrkausalitäten mit Beteiligung von Schadensverursachern außerhalb der Landes, aber innerhalb der Bundessphäre ist, wenn und soweit bei allen Beteiligten die entsprechenden Haftungsvoraussetzungen gegeben sind, der jeweilige Grad der Mitverursachung zu ermitteln. Dabei wird letztlich ein Schadensquotient unter Gesamtschau der relevanten Aspekte festgelegt. Die allgemeinen Hafitungsteilungskategorien sind anzuwenden. 13. Für Verwaltungshaftungsprozesse auf der Grundlage des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG greift die Generalzuweisungsklausel des § 40 Abs. 1 VwGO Raum: Die Zuständigkeit des BVerwG ist begründet. 14. Sedes materiae für die rechtliche Lösung haftungsrechtlicher Fälle ist ausschließlich die Haftungsvorschrift des Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG. Sie begründet eine aus sich heraus komplett anwendbare Finanzierungspflicht im Bund-Länder-Verhältnis bei Verstößen gegen die verfassungsrechtliche Pflicht zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Art. 104 a Abs. 5 Satz 1, 2. Halbsatz GG ist der haftungsrechtliche Kaîéchon, welcher in allen weisungsgeprägten Verwaltungshaftungsfällen einer föderalen Lastensymmetrie zum Sieg über unangemessene Haftungsverteilungen verhilft.

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Sachwortverzeichnis Amtshaftung 329 Amtspflicht 332 Art. 104 a Abs. 5 GG 365,509 - Anwendbarkeit 381 - Aufrechnung 566 - außergerichtliche Geltendmachung 565 - Begründung 369 - Bundesaufsicht 566 - Bundeszwang 566 - Durchgriff 463 - Entstehungsgeschichte 366, 376 - Gemeinden 462 - haften 464 - Haftungsbeteiligte 458 - Haftungskernbereich 477,480 - Haftungskosten 454 - Historische Auslegung 391 - im Verhältnis zueinander 468 - Kausalität 491 - Mindestbetrag 488 - Mittelbare Staatsverwaltung 461 - Mitverantwortung 490 - Naturalrestitution 490 - Ordnungsmäßigkeit 474,484 - Rechtsweg 560 - Referentenentwurf 398, 458, 460, 462,471,483,490,493, 516, 562 - Schadensersatz 488 - Streitstand 381 - Systematische Auslegung 392 - Tatbestand 456 - Teleologische Auslegung 394 - Troeger-Gutachten 368 - Umfang 488

- verfassungsrechtliche Streitigkeiten 563 - Verjährung 493 - Verwaltung 469 - Verwaltungsrechtsweg 561,564 - Voraussetzungen 456 - Wortlaut 388 - Zinsen 492 Atomgesetz 225 Atomkonsens 187,190,198,201, 219, 222 Aufgabe 412 Aufgabenpriorität 411 Aufgabenverteilung 409,410,413 Auftragsverwaltung im Kaiserreich 32 - abhängige Reichsaufsicht 39,46 - allgemeine Verwaltungsvorschriften 41 - auftragsweise Verwaltung 41 - Ausführung der Reichsgesetze 35 - Bundesrat 40 - Delbrück 45 - Eisenbahnwesen 49 - Fachaufsicht 46 - Gesetzgebunskompetenzen 33 - Haftung 54 - Heereswesen 49 - Herkunft 46 - Impermeabilität 39 - Kommunalrecht 46 - Materien 48 - Militärverwaltung 50 - Militärwesen 44 - Norddeutscher Bund 32, 53 - Preußen 43, 53

600

Sachwortverzeichnis

-

Reichsaufsicht 36, 38,42,46, 49 Reichstagswahlen 53 selbständige Reichsaufsicht 39 Seuchenbekämpfung 51 Steuerverwaltung 52 Telegraphen-Wegegesetz 54 unmittelbare Reichsverwaltung 44 Vereinbarkeit mit der Verfassung 47 - Verfassungsdurchbrechung 47 - Verteilung der Verwaltungskompetenzen 35 - Weisungsrecht 40 - Zoll Vereins vertrag 55 - Zollverwaltung 52 Auftragsverwaltung in der Weimarer Republik 57 - Finanzverwaltung 68 - Haftung 73 - Länderkonferenz fur Reichsreform 71 - Mängelrüge 61 - Materien 66 - Reichsaufsicht 60, 61 - Reichsauftragsverwaltung 62 - Reichsexekution 61 - Staatsgerichtshof 61,66 - Verfassungsverwaltungen 58 - Wasserstraßenverwaltung 66 - Weisung 61 - Zulässigkeit 68 Ausgabenverteilung 409,410 Bund als Geschädigter 525 - Ausfuhrungsmängel bewußte 537 unbewußte 539,540 - EuGH 547 - Europarecht 545 - fehlerhafte Mittelverwendung 545 - Haftungsvoraussetzungen 533 - Mischfälle 548

- Nichtbeachtung einer Weisung 540 - Ordnungsmäßigkeit 537 - Rückgriff des Landes 557 - Überblick 526 - Zwangsgelder 547 Bundesamt für Strahlenschutz 180, 189, 203,214 Bundesauftragsverwaltung 31, 77, 83, 421,431 - Abgrenzung 97 - allgemeine Verwaltungsvorschriften 94 - Atomgesetz 104 - Atomverwaltung 104 - Behördeneinrichtung 93 - Beliehene 98 - Bundesaufsicht 96 - Bundesfernstraßenverwaltung 109 - Bundesingerenzen 93 - Bundeswasserstraßenverwaltung 108 - Bürgerlich-rechtliches Auftragsverhältnis 100 - Entstehung 77 - Finanzverwaltung 112 - Geldleistungsverwaltung 111 - Gemeinschaftsaufgaben 99 - Herrenchiemsee-Konvent 78 - Kommunalrecht 97 - Lastenausgleichsverwaltung 112 - Luftverkehrsverwaltung 107 - Materien 101 - Motive 92 - Organleihe 99 - Parlamentarischer Rat 80 - Rechtsnatur 86 - Verteidigungsverwaltung 102 - Weisungsrecht 96 Bundeseigenverwaltung 83 Bundesfernstraßengesetz 110 Bundesland als Geschädigter 495 - Gemischte Haftung 516

Sachwortverzeichnis

Geldleistungen 428 Geldleistungsgesetze 427, 438 Gemeinschaftsaufgaben 439

Art. 104 a Abs. 5 GG 365 Bundestreue 339, 565 Bundeszwang 356 conditio sine qua non 313 DDR-Recht 351 Drittschadensliquidation 347 einfachgesetzliche Regelungen 358 Enteignungsgleicher Eingriff 362 Fallkonstellationen 308 Finanzausgleich 362 Gemischte Haftung 516 Haftungskosten 454 Kausalität 491 Konkrete Situationen 310 Minderintensive Einwirkung 315 Nicht-Weisung 316 Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag 327 - Öffentlich-rechtlicher Auftrag 323 - Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch 343 - provozierte Weisung 318 - relevante Verwaltungsbereiche 308 - Schaden 320 - Schadensersatz 488 - Sonstige schuldrechtliche Haftungsregelungen 328 - StHG-DDR 351 - Umfang 488 - Vorliegen einer Weisung 313 - Weisungstypen 317 - Zinsen 492 - Zoll Vereins vertrag 55 Haftungskosten 454

Haftung 54, 73, 301 - „Auftrags"-Haftungsregelungen 323 - Amtshaftung 329 - angeforderte Weisung 319 - Anspruchsgrundlagen 321

Konnexität 450 Konnexitätsprinzip 411,414 - Durchbrechung 420,426 Kostentragungslasten 448 Kriegsfolgenlasten 445

- Haftung des Bundes 506 - Haftungsbeteiligung 509 - Haftungsquote 518 - mittelbar geschädigt 502 - Ordnungsmäßigkeit 510,511,514 - Passivlegitimation 507 - Rechtswidrigkeit 511 - Schrifttumsbefund 496 - Überblick 498 - unmittelbar geschädigt 499 - Verantwortlichkeit des Bundes 512 - Verwaltung 509 Bundestreue 246, 339 Bundeszwang 195,282,288,356 Bund-Länder-Streit 285 Castor 204 DDR-Recht 351 Drittschadensliquidation 347 Enteignungsgleicher Eingriff 362 EuGH 547 Europarecht 545 Finanzausgleich 362 Finanzhilfekompetenz 434 Finanzhilfen 435 Finanzierungsverantwortung 421 Finanzverfassung 403,415 - Konnexitätsprinzip 402, 408 - Lastenverteilung 408

-

602

Sachwortverzeichnis

Landeseigenverwaltung 82 Lastenverteilung 408,410,416 Mängelrügeverfahren 287 Mischfinanzierung 416 Mischverwaltung 440 Öffentlich-rechtlicher Auftrag 323 Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch 343 Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen 237 - Bestimmtheit 251 - Bundestreue 246 - Dringlichkeitsentscheidung 264 - Einzelfallbezogenheit 256 - Gegenstand 241 - Gelegenheit zur Stellungnahme 247 - Gesetzliche Ausgestaltung des auftragsweisen Verwaltungsbereichs 262 - Grundrechte 265 - Grundrechtsträgerschaft des Landes 265 - Grundrechtstreuhand des Landes 266 - Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten 245 - Schriftform 252 - tatsächliches Vorliegen 239 - Unausführbarkeit 255 - Verfassungswidrigkeit des Gesetzes 263 - Weisungsklarheit 251 - Zuständigkeit 244 Rechtsschutz 267 - Antrag 274 - Antragsbefugnis 275 - Antragsberechtigung 274 - Einstweiliger Rechtsschutz 278 - Entscheidung 277 - Rechtsweg 268

- Streitgegenstand 275 Rechtswidrigkeit - einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit 253 StHG-DDR 351 Strahlenschutzvorsorgegesetz 106 Troeger-Gutachten 368 Umsetzungspflicht 150 Verantwortungsvermischung 418 Verwaltungsausgaben 446,451 Verwaltungskosten 422 Vollzug durch Bundesbehörden 292 Weisung 115,128 - Aktualisierung 130 - als Abhängigkeitsmerkmal 126 - als förderatives Steuerungselement 125 - angeforderte Weisung 319 - Ausgestaltung 129 - Außenwirkung 153 - Begriff 122, 128 - Bindungswirkung 144 - Bundesaufsicht 159 - Bundesoberbehörde 137 - Bundesoberbehörden 133 - Bundesregierung 133 - Dienstaufsicht 144 - Eilfall 142 - Einholungspflicht 158 - Empfänger 140 - Fachaufsicht 142 - Funktion 144 - Inhaltlicher Umfang 142 - kein Verwaltungsakt 153,154 - Lastenausgleichsverwaltung 139 - Minderintensive Eingriffe 155 - Oberste Bundesbehörden 132

Sachwortverzeichnis - provozierte Weisung 158,318 - Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen 237 - Rechtsaufsicht 142 - Ressortaufteilung 136 - Sachkompetenz 130 - Struktur 129 - Umsetzungspflicht 150 - Verbindlichkeit 146 - Verflochtenheit 151 - VerteidigungsVerwaltung 137 - Wahrnehmungskompetenz 130 - Weisungen im Grundgesetz 125 - Weisung im Rechtssinne 122 - Weisungsberechtigter 132 - Wirksamwerden 150 - Ziel 147 - Zuständigkeiten 131 - Zwangsweise Umsetzung 279 Weisungsrecht 423 - Bilanz 295 - Fernstraßenverwaltung 235 - Sachkompetenz 506 - Tatsächliche Bedeutung 297 - tatsächliche Inanspruchnahme 231 - Übersicht 233 - Wahmehmungskompetenz 506 Weisungsstreitigkeiten 162 - ALKEM 169, 171 - Atomgesetz 165 - Betreiberkonkurs 227 - Biblis 199 - Brokdorf 178

-

Bundesamt für Strahlenschutz 165 Bundesfernstraßenverwaltung 228 Castor 192,202,204,206 Endlagerung 180,189 ERAM 210 erster Fall einer Weisung 169,170 Gesetzliche Grundlagen 165 Gorleben 188 Hanau 168, 193 Herabstufung einer Bundesstraße 228 Kalkar 173,512 Kernenergie 162 Morsleben 210 Mülheim-Kärlich 196 Nukem 168 Obrigheim 207 Pilotkonditionierungsanlage 192 Restlaufzeiten 221 Schacht Konrad 180 Schneller Brüter 173 Sellafield 220 Stromerzeugung 164 Transportbehälterlager 191 Tschernobyl 118, 174 Wiederaufarbeitung 215 Zwischenlagerung 180,203,210

Zwangsgelder 547 Zwangsweise Umsetzung 279 Zweckausgaben 413, 419, 422, 428, 431,446,451,528