Der Gleichberechtigungssatz - neue Form, alter Inhalt?: Untersuchung zu Gehalt und Bedeutung des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG unter Einbeziehung Europäischen Gemeinschaftsrechts [1 ed.] 9783428493531, 9783428093533


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German Pages 265 Year 1998

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Der Gleichberechtigungssatz - neue Form, alter Inhalt?: Untersuchung zu Gehalt und Bedeutung des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG unter Einbeziehung Europäischen Gemeinschaftsrechts [1 ed.]
 9783428493531, 9783428093533

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KERSTIN SCHWEIZER

Der Gleichberechtigungssatz - neue Form, alter Inhalt?

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 749

Der Gleichberechtigungssatz neue Form, alter Inhalt? Untersuchung zu Gehalt und Bedeutung des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG unter Einbeziehung Europäischen Gemeinschaftsrechts

Von Kerstin Schweizer

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schweizer, Kerstin:

Der Gleichberechtigungssatz - neue Form, alter Inhalt? : Untersuchung zu Gehalt und Bedeutung des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG unter Einbeziehung Europäischen Gemeinschaftsrechts / von Kerstin Schweizer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 749) Zugl.: München, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09353-4

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09353-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meiner geliebten Mutter Gerda Schweizer-Gr einer zum Gedenken

Vorwort

Das Thema "Gleichberechtigung der Geschlechter" ist aus der heutigen politischen und rechtlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken, auch wenn die tagespolitische Bedeutung den generellen Schwankungen der 'Beliebtheit' von Themen unterliegt und die Annäherung an die sog. "Frauenfrage" (ich bevorzuge demgegenüber den Begriff: Familienfrage) nicht immer mit Ernst betrieben wird. In den Blickpunkt geriet die Gleichberechtigungsproblematik insbesondere im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, schließlich bot das Zusammentreffen unterschiedlicher Familien- und Erwerbsstrukturen hinreichend Anlaß, sich mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft überhaupt näher auseinanderzusetzen. Die darauf folgende Diskussion auf der Basis jahrzehntelanger Erfahrung mit dem Gleichberechtigungssatz des Grundgesetzes und letztlich die Novellierung desselben entsprechend dem Vorschlag der 'Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat' bilden den Anlaß für die vorliegende Arbeit, die Anfang 1997 abgeschlossen und im Sommersemester 1997 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität München als Dissertation angenommen wurde. Bedanken möchte ich mich auf diesem Wege nochmals bei meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Peter Badura, der mir bei steter Gesprächsbereitschaft für die Bearbeitung des Themas die gewünschte Freiheit ließ und gegenüber anderen Ansichten trotz kritischer Anmerkungen stets offen war. Herrn Professor Dr. Rupert Scholz möchte ich dafür danken, daß er das Zweitgutachten übernommen hat, zumal er als einer der beiden Vorsitzenden der Gemeinsamen Verfassungskommission aktiv an den Debatten um den Gleichberechtigungssatz teilgenommen hatte. Zu danken habe ich auch der Konrad-Adenauer-Stifiung (Graduiertenförderung), die mich während der Erstellung dieser Arbeit finanziell und ideell unterstützte. Der Mathews-Stiftung danke ich für die mir gewährte Druckkostenbeihilfe.

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Vorwort

Das größte Dankeschön jedoch gilt meiner Familie, die mich immer wieder motivierte und meine Stimmungen und gelegentlichen Launen mit einer Engelsgeduld und viel Wohlwollen ertrug. In tiefer Dankbarkeit, aber auch voller Trauer denke ich dabei insbesondere an meine liebe Mutter, welche an der vorliegenden Arbeit großen Anteil nahm und das Rigorosum gerade noch miterleben konnte, ehe sie uns viel zu früh genommen wurde. Ihre grenzenlose Liebe und ihr Zutrauen haben mich auf all meinen Wegen begleitet und mir stets Kraft gegeben. Ich vermisse sie mehr als ich sagen kann. Freiburg, im März 1998 Kerstin Schweizer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

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1. Kapitel Die Gleichberechtigung von Mann und Frau als Thema der (Verfassungs-)Geschichte und der europäischen Integration

I. Die Frauenfrage - eine unendliche Geschichte ? 21 1. Der Gegensatz von Erwerbsarbeit im Sinne von wirtschaftlicher Betätigung auf der einen und Familienarbeit/Hausarbeit als "Frauenarbeit" auf der anderen Seite 21 a) Der (Ehe-)Mann als Ernährer der Familie 21 b) Die Unterscheidung zwischen ledigen und verheirateten Frauen 23 c) Frauen als "Reservearmee" 25 2. Vom traditionellen Patriarchalismus zum "sekundären Patriarchalismus". Insbesondere: die theoretische Fundierung eines Geschlechterdualismus seit dem letzten Drittel des 18. Jh 26 3. Die "bürgerliche Familie" und ihre staatstragende Funktion 31 4. Zusammenfassung 34 II. Die deutsche Frauenbewegung und der Niederschlag von Frauenforderungen im deutschen Recht 1. Vom Beginn der Frauenbewegung bis zur Weimarer Reichsverfassung a) Die deutsche Frauenbewegung um 1848 aa) Die bürgerliche Frauenbewegung bb) Die proletarische Frauenbewegung b) Niederschlag von Frauenrechten bis zur Weimarer Reichsverfassung 2. Der lange Weg zu Art. 3 Abs. 2 GG a. F 3. Zusammenfassung der historischen Entwicklung und Würdigung 4. Die "neue Frauenbewegung"

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10

nsverzeichnis

III. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Europarecht 1. Regelungen des Gemeinschaftsrechts a) Art. 119EGV b) Die Richtlinien des Rates zur Geschlechtergleichberechtigung 2. Die Auswirkungen europäischen Rechts auf das deutsche Recht. Insbesondere: die "frauenfreundliche" Rechtsprechung des EuGH

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2. Kapitel Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG im Zuge der Verfassungsreform 1994

I. Entstehungsgeschichte 1. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und ihre verfassungsrechtliche Bewältigung. Die Einrichtung der Gemeinsamen Verfassungskommission 2. Hintergrund der Beratungen und Diskussionen in der GVK im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern: das faktische Gleichberechtigungsdefizit a) Die Situation im ehemaligen Bundesgebiet aa) Die ungleiche Verteilung der Arbeit bb) Horizontale und vertikale geschlechtsspezifische Segregation b) Die Situation in den Neuen Ländern (1992 und später) c) Die Sache mit der freien Entscheidung 3. Die Formen der Diskriminierung a) Die unmittelbare Diskriminierung b) Die mittelbare Diskriminierung c) Die strukturelle Diskriminierung 4. Vorschläge zur weitergehenden Verankerung von Frauenrechten in der Verfassung a) Vorschläge, auf die sich die Partei-Gruppen in der Gemeinsamen Verfassungskommission intern geeinigt hatten b) Sonstige Formulierungsvorschläge

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II. Der Ablauf der Diskussion in der GVK 74 1. Erste Befassung mit der Frage einer Novellierung von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. in der 10. Sitzung vom 24. 9.1992 74 2. Die 5. Öffentliche Sachverständigenanhörung vom 5.11.1992 einschließlich der Gutachten der Sachverständigen 77 3. Die 23. Sitzung der GVK vom 27. 5. 1993 82

nsverzeichnis III. Inhalt und Zielsetzung der Ergänzung 1. Zielsetzung der Ergänzung - insbesondere: der Inhalt des Abschlußberichts 2. Die Rechtsqualität des "Förderauftrages" in Art. 3 Abs. 2 GG a) Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG als Staatszielbestimmung bzw. Verfassungsauftrag b) Art. 3 Abs. 2 GG n. F. als Grundrecht oder soziales Grundrecht ? aa) Die soziale Dimension der Grundrechte bb) Art. 3 Abs. 2 GG als (soziales) Grundrecht ? c) Parallelität von Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 6 Abs. 5 GG

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IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes durch die Einfügung des Verfassungsauftrages 1. Die deutliche Betonung der Notwendigkeit faktischer Gleichberechtigung bzw. ihrer 'tatsächlichen Durchsetzung' durch den Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG 2. Rechtliche Relevanz der Verstärkung dieses faktischen Elements a) Keine lediglich symbolische Bedeutung b) Kein Schluß von mangelnder Justitiabilität auf rechtliche Irrelevanz möglich 3. Das Verhältnis des Art. 3 Abs. 2 GG n. F. zu anderen Verfassungsgütern a) Der relative Vorrang des Ziels faktischer Gleichberechtigung gegenüber anderen Staatszielen und Grundrechten aa) Das Grundgesetz als "objektive Wertrangordnung" bb) Möglichkeit eines bedingten Vorrangs ? cc) Ergebnis b) Auswirkungen des bedingten Vorrangs

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V. Adressat der Neuregelung 1. "Der Staat" als Adressat 2. Ausgestaltungsvorrang des Gesetzgebers ? 3. Fazit

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92 95 95 98 99

3. Kapitel Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

I. Die Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. - insbesondere: die Förderung tatsächlicher Gleichberechtigung von Frauen und Männern 1. Keine Benachteiligung oder Bevorzugung "wegen" des Geschlechts 2. Die Einbeziehung der sozialen Realität a) Die Rentenalterentscheidung b) Das Nachtarbeitsurteil

110 110 113 113 114

12

nsverzeichnis

II. Die Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 1. Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. als Anknüpfungsverbot 2. Art. 3 Abs. 2 GG als Träger eines über Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehenden Gehalts a) Der Gleichberechtigungssatz des Art. 3 Abs. 2 GG als objektive Wertentscheidung für eine auch faktisch gleichberechtigte Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft b) Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als Verfassungsauftrag c) Die Rolle des Sozialstaatsprinzips 3. Die "gruppenorientierte" Perspektive des Art. 3 Abs. 2 GG a) Slupik und Raasch b) Sacksofsky c) Chancengleichheit oder Parität im Geschlechterverhältnis als Ziel des Verfassungsauftrages bzw. der Verfassungsaufgabe 4. Zusammenfassung

115 115 118

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III. Ziel des Verfassungsauftrages: Gleichberechtigung als Chancengleichheit ? Zum Begriffspaar Chancengleichheit - Ergebnisgleichheit 128 1. Erläuterung des Problems anhand allgemeiner Gerechtigkeitsdogmatik und theoretische Unterscheidung. Insbesondere: das aristotelische Gerechtigkeitsverständnis 128 2. Die Tragfähigkeit der Gleichsetzungen Gleichberechtigung Chancengleichheit und Gleichstellung - Ergebnisgleichheit 129 a) Grammatisches Verständnis 129 b) Konvention 131 3. Die Trennung zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit: eine klare Sache ? 133 a) Unklarheiten im Abschlußbericht der GVK 133 b) Die 5. Öffentliche Anhörung in der GVK sowie die Beratungen in der Kommission selbst 134 c) Stellungnahme 135 d) "Faktische Gleichberechtigung" als Gefahr fur Familie und Gesellschaft ?.. 135 e) Stellungnahme 137 f) Ergebnis 141 IV. Chancengleichheit als ergebnisorientierte Chancengleichheit 141 1. Der formale Charakter von Chancengleichheit bei völliger Außerachtlassung der Ergebnis- bzw. Gruppenebene 141 2. Die Vorstellung von der "einseitigen und kostenneutralen" Verbesserung der Lebensumstände von Frauen 146 3. Chancengleichheit als reale Möglichkeit zur Ergebnisgleichheit und die Folgen 147 4. Ergebnis 148

nsverzeichnis V. Die Nachteilbeseitigungsklausel 1. Die Hinwirkung auf die Beseitigung bestehender Nachteile als Überbleibsel einer "Kompensationsklausel" 2. Das Verhältnis der Nachteilbeseitigungsklausel zur "Förderklausel" 3. Inhalt der "Nachteilbeseitigungsklausel" und ihr Verhältnis zur "Kompensationsklausel" a) Grammatische und historische Auslegung aa) Der Begriff der "Nachteile" bb) Nachteilbeseitigung als Abgrenzung zur Kompensationsklausel cc) Der Standpunkt der Sozialdemokraten: Harmonisierung von Kompensations- und Nachteilbeseitigungsklausel dd) Zusammenfassung b) Teleologische Interpretation c) Zusammenfassung 4. Das Ziel der Chancengleichheit als Einschränkung der staatlichen Handlungsbefugnis ?

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4. Kapitel Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

I. Konfliktbeschreibung 1. Quotierung 2. Die Frauenförder- bzw. Gleichstellungsgesetze der Länder und des Bundes 3. Der Ausgleich von tatsächlich erlittenen "Nachteilen"

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II. Der Standpunkt der Rechtsprechung 1. Die Typisierungsrechtsprechung des BVerfG seit der Rentenalter-Entscheidung a) Die Rentenalterentscheidung b) Das Nachtarbeitsurteil 2. Die Rechtsprechung der Fachgerichte

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III. Die Ansichten zur Zulässigkeit von Frauenfördermaßnahmen, insbesondere von Quoten, im Schrifttum 1. Konsequentes Festhalten am Differenzierungsverbot ohne Aufweichung der Kriterien - die "Dogmatiker" 2. Die Lösungen von Schmitt Glaeser und Ladeur a) Die Ansicht Schmitt Glaesers zur Verfassungsmäßigkeit von Quotenregelungen b) Der Standpunkt Ladeurs

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169 169 171 171 172

14

nsverzeichnis 3. Stellungnahme zu den dargestellten Ansätzen 4. Die Herstellung "praktischer Konkordanz" a) Quoten im öffentlichen Dienst b) Frauenförderung in der Privatwirtschaft: Beschäftigungsbereich c) Frauenförderung in der Ausbildung 5. Der Ansatz Maidowskis 6. "Umgekehrte Diskriminierung" als Ausgestaltung des Gleichberechtigungssatzes ? 7. Spezialität a) Slupik und Raasch b) Sacksofsky

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IV. Zusammenfassung und Würdigung

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V. Der neue Verfassungsauftrag und seine Folgen 1. Das Verhältnis rechtliche Gleichheit - faktische Gleichheit. Das Paradox der Gleichheit 2. Das Verhältnis rechtliche Gleichheit - faktische Gleichheit - Freiheit 3. Zusammenfassung 4. Die Lösung des Konflikts nach dem Prinzipienmodell von Alexy a) Das Prinzipienmodell b) Vorrang des Rechts auf Gleichbehandlung ? c) Ergebnis

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VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung 1. Frauenfördermaßnahmen und sozialpolitische Maßnahmen 2. Die Unterscheidung zwischen einem vergangenheitsbezogenen Kompensationsansatz und einem zukunftsgerichteten Förderansatz a) Kompensation zwischen Entschädigung und Frauenförderung b) Die Perpetuierung von Geschlechterrollen c) Fazit 3. Reaktionen der Rechtsprechung auf den neuen Art. 3 Abs. 2 GG a) Die Entscheidung des ΒVerfG zur Feuerwehrabgabe b) Die Rechtsprechung der Fachgerichte c) Zusammenfassung und Stellungnahme 4. Quoten als Maßnahmen zur Förderung künftiger "faktischer" Gleichberechtigung a) Die zukunftsbezogene Dimension von Quoten b) Durch Quoten Förderung der Chancengleichheit für die bevorzugten Frauen selbst ? c) Die Notwendigkeit bereichsspezifischer Unterscheidung 5. Die Verfassungsmäßigkeit von zukunftsorientierten Quotenregelungen a) Frauenquoten im öffentlichen Dienst

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nsverzeichnis b) Frauenquoten in der Privatwirtschaft: Beschäftigungsbereich c) Quoten im Ausbildungsbereich 6. Zulässigkeit kompensatorischer Maßnahmen im Sinne von reiner Entschädigung 7. Zulässigkeit von Quoten mit dem Zweck, sogleich - nicht erst über die Zwischenstufe Chancengleichheit - die Parität der Geschlechter durchzusetzen 8. Zusammenfassung

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5. Kapitel Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte und Bindungen

I. Das Ziel faktischer Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Europa- und Völkerrecht 1. Die Relevanz der sozialen Lage von Frauen 2. Das Problem der gleichheitsdurchbrechenden Maßnahmen

229 229 231

II. Der Fall "Kaianke" und die Folgen 1. Der Fall Kaianke und die Entscheidung des EuGH a) Sachverhalt und Vorlagefrage b) Die Entscheidung des EuGH 2. Reaktionen a) Reaktionen im Schrifttum b) Die deutsche Rechtsprechung nach "Kaianke" 3. Der Gehalt des EuGH-Urteils a) Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit b) Die "positiven Maßnahmen" des Art. 2 Abs. 4 RL 76/207 c) Zulässige Fördermaßnahmen nach Gemeinschaftsrecht 4. Fazit

234 234 234 236 237 237 238 239 239 240 241 243

Zusammenfassung und Ausblick

244

Literatur- und Quellenverzeichnis

246

Sachwortverzeichnis

261

Abkürzungsverzeichnis a. Α. a. a. Ο. a. E. Abg. Abi. a. F. AG AjP ArbG ArbuR ARSP Art. BGBl. Bd. BR BT BVerfG BVerfGE bzw. DB d. h. ders. dies. Diss. DRdA Ds. DuR ebd. EMRK EuGH EuGRZ EuZW EV

anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende Abgeordnete(r) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften alte Fassung Amtsgericht Aktuelle juristische Praxis (Zeitschrift Schweiz) Arbeitsgericht Arbeit und Recht Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Bundesgesetzblatt Band Bundesrat Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Der Betrieb das heißt derselbe dieselbe Dissertation Das Recht der Arbeit (Zeitschrift Österreich) Drucksache Demokratie und Recht ebenda Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einigungsvertrag

Abkürzungsverzeichnis FS FuR GA GG grds. GVK h. A. Herv. h. M. i. d. R. i. e. S. insb. i. S. i. V. m. i. w. S. Jh. Kap. KJ LG m. E. m. w. N. n. F. NWVB1. NZA ö. ä. PersR PR RdA RGBl. RiA Rn. RL Rs. Rz. S. s. S.C. SchlHA Slg. soz. Sp. Sten. Prot.

2 Schweizer

Festschrift Familie und Recht Generalanwalt Grundgesetz grundsätzlich Gemeinsame Verfassungskommission herrschende Ansicht Hervorhebung herrschende Meinung in der Regel im engeren Sinn insbesondere im Sinne in Verbindung mit im weiteren Sinn Jahrhundert Kapitel Kritische Justiz Landgericht meines Erachtens mit weiteren Nachweisen neue Fassung Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht oder ähnliches Der Personalrat Parlamentarischer Rat Recht der Arbeit Reichsgesetzblatt Recht im Amt Randnummer(n) Richtlinie Rechtssache Randzahl Seite; Satz siehe Supreme Court Schleswig-Holsteinische Anzeigen Entscheidungssammlung sozusagen Spalte Stenographisches Protokoll

Abkürzungsverzeichnis

18 st. Rspr. s. u. u. a. u. U. v. a. Verf. vgl. WiB WRV ζ. B. ZBR ZfA zit. ζ. T. ZRP

ständige Rechtsprechung siehe unten unter anderem; und andere unter Umständen vor allem Verfasserin vergleiche Wirtschaftsrechtliche Beratung Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht zitiert zum Teil Zeitschrift für Rechtspolitik

Hier nicht aufgeführte, auch eher gängige Abkürzungen sind "Kirchners Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache" (4. Aufl., Berlin 1993) zu entnehmen.

Einleitung

Die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist heute zu einem gewissen Stillstand gekommen. Ging es der Frauenbewegung des 19. und auch noch desfrühen 20. Jh. vorrangig um eine staatsbürgerliche Gleichheit der Geschlechter, später dann um eine umfassende rechtliche Gleichstellung insbesondere im Familienrecht, so sind diese Ziele heute im wesentlichen erreicht. Allen Bemühungen zum Trotz führte dies jedoch nicht zu einer wirklichen Angleichung der Lebensverhältnisse, wie schon das BVerfG in seinem Nachtarbeitsurteil inzidenter anerkannte. Noch immer sind es die Frauen, die zwar den größten Teil der gesellschaftlichen Arbeit leisten, auf der anderen Seite jedoch weitgehend von wirtschaftlichem Erfolg und politischem Einfluß ausgeschlossen sind. Geändert hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch nichts an der Tatsache, daß es vielfach als unvorstellbar gilt, zur Herstellung gleicher Lebensverhältnisse Männer gegenüber Frauen im Einzelfall zu benachteiligen (Stichwort: Quote), auf der anderen Seite jedoch eine - zumeist inoffizielle - Männerbegünstigung auf dem Arbeitsmarkt, in Gesellschaft und Politik mindestens toleriert wird. Man kann in diesem Zusammenhang mit Fug und Recht von einer "selektiven Wahrnehmung" sprechen1. Als im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten große Teile des Grundgesetzes auf Reformbedarf durchgesehen wurden, wurde der Tatsache immer noch bestehender faktischer Diskriminierung durch eine Ergänzung des Gleichberechtigungssatzes Rechnung getragen, die da lautet: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."

1 Nicht immer tritt diese Diskrepanz so deutlich hervor wie im Jahre 1986, als Oberlandesgerichtspräsidenten aus Sorge vor 'zu vielen' Richterinnen dafür eintraten, bei männlichen Bewerbern die formal erforderliche Qualifikation abzusenken. Es läßt sich leicht denken, daß im umgekehrten Fall eine solche Regelung vor dem Hintergund des Art. 3 Abs. 3 GG, der eine Benachteiligung wegen des Geschlechts verbietet, schärfsten Angriffen ausgesetzt gewesen wäre, vgl. dazu Der Spiegel v. 10.2.1986, S. 50: "Um Juristen vor der Konkurrenz ihrer weiblichen Kollegen zu schützen, wurden die Qualifikationen für das Richteramt gesenkt".

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Einleitung

Gegenstand dieser Arbeit ist es, diese Neufassung des Art. 3 Abs. 2 GG auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen. Nach Ansicht der Verf. kann dabei die heutige Problematik nicht befriedigend aufbereitet werden, ohne auf die historischen Wurzeln heutiger Frauendiskriminierung einzugehen, um auf lineare Entwicklungen bis in die heutige Zeit aufmerksam zu machen. Dieser Aspekt ist Inhalt des ersten Kapitels. Das zweite Kapitel befaßt sich mit der Novellierung des Gleichberechtigungssatzes selbst, d. h. mit der Entstehungsgeschichte vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Zustände im Westen und Osten Deutschlands, sowie mit der Frage, wie sich der neue Art. 3 Abs. 2 GG in das System des Grundgesetzes einfügt. Nachdem zunächst die Diskussion über Einordnung und rechtliche Konsequenzen von Gleichberechtigung auch in der sozialen Wirklichkeit unter Geltung desfrüheren Gleichberechtigungssatzes beleuchtet wurde, ist Gegenstand des dritten Kapitels herauszufinden, welche Vorstellung von Gleichberechtigung in der neugefaßten Norm zum Ausdruck kommt und welche Konsequenzen dies für das Verhältnis rechtliche - faktische Gleichberechtigung hat. Die insbesondere für die Praxis wichtige Frage, welche Frauenfördermaßnahmen zur Herstellung faktischer Gleichberechtigung verfassungsrechtlich zulässig sind, wird in Kapitel 4 ausführlich behandelt. Schließlich wird im letzten Kapitel noch auf die Einflüsse und Verflechtungen des deutschen mit dem Europäischen und Internationalen Recht eingegangen und ein Weg zur Harmonisierung deutschen und Europäischen Rechts aufgezeigt, ehe die Betrachtung mit einem Ausblick schließt.

1. Kapitel

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau als Thema der (Verfassungs-)Geschichte und der europäischen Integration I. Die Frauenfrage - eine unendliche Geschichte ? Ziel dieser kurzen Einführung soll es nicht sein, die Geschichte der Frauenfrage und der Frauenbewegung chronologisch nachzuvollziehen - das ist bereits oft und ausführlich geschehen, auf die entsprechenden Darstellungen soll hier nur verwiesen werden1. Vielmehr ist Absicht dieser Einführung in die Problematik, einen Bogen zu schlagen von der gesellschaftlichen Lage der Frau und ihrer spezifischen Benachteiligung in den vergangenen Jahrhunderten bis hin zu der Situation heute. Es sollen diesbezüglich Parallelen aufgezeigt werden und Argumentationsmuster, die auch heute noch gerne und oft verwendet werden. 1. Der Gegensatz von Erwerbsarbeit im Sinne von wirtschaftlicher Betätigung auf der einen und Familienarbeit/Hausarbeit als "Frauenarbeit" auf der anderen Seite a) Der (Ehe-)Mann als Ernährer der Familie Der Mann als "Ernährer" der Familie - die Frau zuständig für Haushaltstätigkeit und Kindererziehung - das war entgegen mancher Äußerungen nicht immer so. Blickt man zurück auf das vorindustrielle Zeitalter2, so kann man vielmehr feststellen, daß Frauen schon immer zum Lebensunterhalt der Familie beitrugen, sei es durch Heimarbeit (neben der eigentlichen Hausarbeit) oder durch Mitarbeit in städtischen Handwerkerbetrieben 3; im Bereich der Landwirtschaft kann 1

B. Greven-Aschoff, Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894 - 1933, 1981; M. Twellmann, Die deutsche Frauenbéwegung, 1993; F. Hervé/E. Steinmann/ R. Wurms (Hrsg.), Das Weiberlexikon, 1994, S. 171 ff. zur Geschichte der Frauenbewegung bis in die heutige Zeit. 2 Noch bis zu Beginn des 19. Jh. bestand das 1806 zerbrochene Hl. Römische Reich Dt. Nation fast aus reinem Ackerbauland, H. Böhme, Prolegomena zu einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, 1968, S. 9.

22

1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

man sogar von der Frau als eigentlicher "Ernährerin" der Familie sprechen, war sie es doch, der die Eigenproduktion aller wichtiger Güter, von den Nahrungsmitteln bis hin zur Kleidung oder zum Sammeln der Heizmittel aufgegeben war4, während der Mann die körperlich schwere Arbeit des Ackerpflügens übernahm und auf sonstige Weise wie ζ. B. Tagelohn versuchte, etwas zum Haushalt beizusteuern. Frauenarbeit in den verschiedensten Formen war in jener Zeit alles in allem selbstverständlich und "schlechthin entscheidend für Wohlstand und Gedeihen der Familie"5. Im Zuge der Industrialisierung änderte sich das Bild. Mit der Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte setzte ein Verdrängungswettbewerb um die begehrten, qualifizierten Arbeitsplätze ein, in dem sich die Männer letztlich durchsetzen konnten. Je mehr die Bedeutung des Geldverkehrs und damit der vergüteten Arbeit zunahm, um so mehr verlor die bisherige weibliche Arbeit an Ansehen und Gewicht. Befand sich die Frau bis ins 18. Jh. und zum Teil noch darüber hinaus "in einem wirtschaftlich bedingten, theoretisch begründeten und religiös sanktionierten Gefüge, in dem sich ihr Leben als Hausfrau, als Gattin, als Mutter sinnvoll und von innen her bejaht erfüllte, solange die konkreten Aufgaben in der mehr oder weniger ländlichen Hauswirtschaft, aber auch im Handwerkeroder Kaufmannshaus, überzeugend genug waren"6, so führte die neue Aufgabenteilung in der bürgerlichen Schicht seit dem späten 18. Jh. (Frau: häuslicher Bereich und Familie, Mann: entlohnte Erwerbsarbeit außer Haus) mehr und mehr zu einer ganz neuen, noch nie dagewesenen Isolation der betroffenen Frauen, während ihre Geschlechtsgenossinnen aus den unteren Schichten im Kampf um Arbeit in schlecht bezahlte und von Arbeitslosigkeit bedrohte Beschäftigungen wie etwa Fabrikarbeit, Gesindedienst und Heimarbeit abgedrängt wurden. In diesen Bereichen kam es dabei als Folge der enorm hohen Konkur-

3 Bereits im Mittelalter waren Frauen erwerbstätig, auch selbständig. Der Titel "Meisterin" war nicht außergewöhnlich, erst zum Ende des Mittelalters wurden in den Ständebüchern weibliche Berufsbezeichnungen unterschlagen, vgl. dazu und allgemein zur Erwerbstätigkeit von Frauen im Handwerk, als "Beamtinnen", als Lehr- und Schulfrauen, als Heilkundlerinnen, Schreiberinnen und im Handel A. Wolf-Graaf, Frauenarbeit im Abseits, 1981, S. 311 f., S. 315 ff., 319 ff.; C. Bücher, Frauenarbeit im Mittelalter, in: U. Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen, 1978, S. 246 ff./249 ff. 4 U. Gerhard, Verhältnisse und Verhinderungen, 1978, S. 24, S. 30 ff.; daß diese Ernährerinneneigenschaft auch heute noch in Entwicklungsländern zu beobachten ist, darauf weist zutreffend R. König, Die Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft, in: Materialien zur Soziologie der Familie, 2. Aufl. 1974, S. 253 ff./267, hin. 5 H. Meister-Trescher, Frauenarbeit und Frauenfrage, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1927, S. 303 ff./S. 303; U. Gerhard, Verhältnisse, S. 120: "Frauenarbeit sowohl im Hause als auch außer Haus diente somit dem Zusammenhalt und nicht der Zerstörung der Familienbeziehungen." 6 E. Blochmann, Das "Frauenzimmer" und die "Gelehrsamkeit", 1966, S. 14.

I. Die Frauenfrage - eine unendliche Geschichte ?

23

renz und Austauschbarkeit der Arbeiterinnen zu einer stetigen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung7. Daß es im Rahmen dieser Entwicklung schlicht um die Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz ging, belegt ζ. B. die Bekämpfung selbständiger Schneiderinnen durch männliche "Kollegen". Schon als kleine Mädchen im Rahmen einer geschlechtsspezifischen Erziehung unablässig darin geschult, mit Nadel und Faden umzugehen, war es Frauen im Gebiet des Deutschen Bundes verboten, das Schneiderhandwerk als Selbständige auszuüben. Eine entsprechende Tätigkeit war ihnen nur als Tagelohnarbeit im Hause der Kunden gestattet, nahmen sie die Arbeit mit nach Hause, so liefen sie Gefahr, durch Konfiskation der Waren ihre Arbeit und ihren Verdienst zu verlieren 8.

Als Gewinner aus dem Konkurrenzkampf hervorgegangen war es nun der Mann, der aufgrund seiner Erwerbsarbeit als der eigentliche Träger der Produktion und damit des Familien- und Volkswohlstandes, als "Ernährer" angesehen wurde, "während der in der Regel berufs- und erwerbslosen Frau als der Vertreterin der Konsumtion eine unwesentliche Rolle im wirtschaftlichen und damit im öffentlichen Leben überhaupt zugesprochen wurde"9. b) Die Unterscheidung

zwischen ledigen und verheirateten

Frauen

Schon immer wurden ledigen Frauen, die sich ja selbst versorgen mußten, hinsichtlich der Erwerbsarbeit mehr Rechte zugebilligt als den verheirateten. Bereits im Mittelalter waren erwerbstätige Frauen angesichts des in dieser Zeit bestehenden "Frauenüberschusses" in der Regel ledig10. Da unverheiratete Frauen keinen Ehemann als "Vormund" hatten, sie andererseits jedoch oft erwerbstätig waren, kann man seit dem 18. Jh. eine ganz allmähliche Angleichung ihrer Rechtsstellung im Vergleich zu der Rechtsstellung von Männern verzeichnen. So stand ihnen ab Volljährigkeit nicht nur die Vertragsfreiheit zu, sondern auch dementsprechend das Recht, sich selbst vor Gericht zu vertreten 11. Auch innerhalb der bürgerlichen Schicht, die sich im Rahmen der Industrialisierung entwickelte, waren die vielen ledigen Frauen auf Erwerbsarbeit angewiesen. Da Fabrikarbeit o. ä. als nicht standesgemäß von vornherein ausschied, blieb diesen Frauen meistens nichts anderes übrig, als sich als Gouvernante oder

7

Dazu R. König, S. 263; zu den elenden Arbeitsbedingungen von Frauen in Fabriken noch um die Jahrhundertwende vgl. M Ellenkamp/B. Jungmann, Unendliche Arbeit, in: K. Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, 1987, S. 130 ff. 8 Zum "Kampf um die Schneidermamsell" U. Gerhard, Verhältnisse, S. 38; dies., Über die Anfänge der Frauenbewegung um 1848, in: K. Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, 1987, S. 200 ff./S. 214. 9 H. Meister-Trescher, S. 303. 10 R. König, S. 262. 11 B. Greven-Äschoff, S. 23.

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

Erzieherin anstellen zu lassen12. Die Forderung, solchen Frauen mehr Entfaltungsmöglichkeiten zuzugestehen, war denn auch ein Hauptanliegen der bürgerlichen Frauenbewegung Mitte des 19. Jh. Deutlich wurde im Rahmen der berühmten "Zölibatsklausel" zur Vermeidung des "Doppelverdienertums" noch im 20. Jh. zwischen ledigen und verheirateten Frauen unterschieden. So konnten 1932 verheiratete weibliche Beamte auch gegen ihren Willen entlassen werden, "wenn die wirtschaftliche Versorgung des weiblichen Beamten nach der Höhe des Familieneinkommens dauernd gesichert [erschien]"13. Im Jahr 1933 wurde das Gesetz dahingehend geändert, daß eine 'gesicherte Versorgung' stets dann angenommen wurde, wenn der Ehemann unkündbar angestellter Beamter war. Außerdem wurde die "Kann"-Vorschrift aus dem Jahre 1932 zu einer "Muß"- Vorschrift 14. Die Tatsache, daß die Beamtinnen nur 1,1 % der weiblichen Erwerbstätigen ausmachten, jedoch zu dieser Zeit 8,7 % der Beamten stellten, sowie die allgemeine Verdrängung von Frauen v. a. aus höheren akademisierten Positionen15, lassen wiederum ganz deutlich erkennen, daß die Bekämpfung der Frauen(erwerbs)arbeit nur dann konsequent durchgeführt wurde, "wenn es darum ging, Frauen aus attraktiven Stellungen zu verdrängen, die auch von Männern angestrebt wurden"16. Noch in den 50er Jahren wurden verheiratete Frauen mit dem Argument entlassen, sie seien schließlich "versorgt" 17. Auch in der Wissenschaft wurde ζ. T. versucht, diese Praxis unter Geltung des Gleichberechtigungssatzes zu rechtfertigen. So schrieb etwa Beitzke noch im Jahr 1953: "Doppelverdienst ist zwar nicht unzulässig; ja, er ist in vielen Fällen nützlich und manchmal sogar notwendig. Aber er muß nicht notwendig geschützt werden. Die 12

B. Greven-Aschoff, S. 45 ff.; H. Däubler-Gmelin, Frauenarbeitslosigkeit oder Reserve zurück an den Herd!, 1977, S. 25. 13 Vgl. § 1 Abs. 1, 2 Gesetz über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten v. 30. Mai 1932, RGBl. I S. 245. 14 "Die vorgesetzte Dienststelle hat die Entlassung ... zu verfügen...", vgl. § 7 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts v. 30. Juni 1933, RGBl. I S. 433. Endgültige Fassung dann mit § 63 Abs. 1 des Dt. BeamtenG v. 26. Jan. 1937 (RGBl. 1937 I, 39), der lautete: "Ein verheirateter weiblicher Beamter ist zu entlassen, wenn er es beantragt oder wenn seine wirtschaftliche Versorgung nach der Höhe des Familieneinkommens dauernd gesichert erscheint. Die wirtschaftliche Versorgung gilt als gesichert, wenn der Ehemann in einem Beamtenverhältnis steht, mit dem ein Anspruch auf Ruhegehalt verbunden ist." 15 Zur Verdrängung von Frauen aus leitenden Positionen im Unterrichts- und Erziehungswesen, aus der Ärzteschaft und der Justiz und dem offensichtlichen Zusammenhang mit der hohen (männlichen) Akademikerarbeitslosigkeit zu dieser Zeit vgl. D. Win/der, Frauenarbeit im "Dritten Reich", 1977, S. 50 ff. 16 D. Winkler, S. 52. 17 Zu der entsprechenden Praxis von Arbeitgebern und Behörden vgl. H. Pfarr/ K. Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, 1989, S. 373 ff

I. Die Frauenfrage - eine unendliche Geschichte ?

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Entlassung eines der beiden verdienenden Gatten ist daher im allgemeinen kein Verstoß gegen § 138 BGB. Wenn in Fällen des Doppelverdienstes die Neigung besteht, bei Notwendigkeit von Entlassungen Frauen eher zu entlassen als Männer, so wird damit nur der soziologischen Tatsache Rechnung getragen, daß die Frau geeigneter ist, sich zeitweise auf die Haushaltsführung zu beschränken, als der Ehemann."

Ob und wenn ja inwieweit ein solches Denken heute noch existiert, soll Gegenstand der Betrachtungen in Kap. 2 sein. c) Frauen als "Reservearmee" Sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg mitsamt der Nachkriegszeit erforderte aufgrund der Abwesenheit der Männer die Mobilisierung der "Reservearmee Frauen"19. Während des Ersten Weltkrieges mußten die zumeist ungelernten Frauen auch in qualifiziertere Männerarbeit einspringen und meisterten diese Aufgabe auch20. Nach dem Krieg setzte jedoch die Verdrängung der weiblichen Erwerbstätigen aus lohnenden Positionen durch die zurückkehrenden Männer ein. Im Rahmen des Zweiten Weltkrieges wiederholte sich dieser Vorgang. Wieder wurden vorhandene Arbeitsschutzbestimmungen aufgehoben und Vorurteile von der natürlichen Unfähigkeit von Frauen zu bestimmten Arbeiten zurückgestellt21. Erst als die Produktion durch den Einsatz von Zwangsarbeitern zum großen Teil aufrecht erhalten werden konnte, stockte der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit wieder. Jetzt konnte wieder stärker Bevölkerungspolitik betrieben werden22. Daß es im Dritten Reich nie zu einer umfassenden Gesetzgebung gegen weibliche Erwerbstätigkeit kam, obgleich doch das Ziel der Propaganda war, Frauen zu einer Tätigkeit als Hausfrau zu bringen23, lag im übrigen wesentlich an der Rücksichtnahme auf die Unternehmer, die auf die billigen Arbeitskräfte nicht verzichten wollten24. In Krisenzeiten oder in Zeiten von Arbeitskräftemangel wurde also gerne auf Frauen als (billige) "Reserve" zurückgegriffen, "die man holt, wenn der Arbeitsmarkt sie braucht, und die man wieder an den Herd zurückschickt, wenn 18

G. Beitzke, Zur Gleichberechtigung von Mann und Frau im Arbeitsrecht, in: RdA 1953, S. 281ff./S. 283. 19 H. Pfarr/K. Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 40. 20 H. Meister-Tr escher, S. 308: "So hat der Krieg das Vorurteil von der Minderwertigkeit der weiblichen Arbeit in der Industrie widerlegt, bzw. er hat gleichzeitig die Notwendigkeit der gelernten Arbeit der Frau erwiesen ...". 21 Allgemein zu dieser Entwicklung H. Pfarr/K. Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 40. 22 D. Winkler , S. 155 ff. So wurde 1942 ein erweitertes Mutterschutzgesetz erlassen. 23 D. Winkler, S. 48. Zu den praktischen Gründen des Abbaus der Männerarbeitslosigkeit S. 38 ff., 42 ff. 24 Vgl. D. Winkler, S. 43.

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

die Arbeitsplätze knapper werden" 25 . Inwieweit das heute auch noch der Fall ist, läßt sich vielleicht schon daraus ersehen, daß erst in einer Situation drohenden Facharbeitermangels in vielen "männlichen" Branchen zunehmend auch junge Frauen aufgefordert werden, in diese Berufe einzusteigen.

2. Vom traditionellen Patriarchalismus zum "sekundären Patriarchalismus". Insbesondere: die theoretische Fundierung eines Geschlechterdualismus seit dem letzten Drittel des 18. Jh. Noch nie in der Geschichte waren Frauen und Männer gleichberechtigt, vielmehr mußten Frauen es zu allen Zeiten hinnehmen, als Unmündige behandelt zu werden. Teilweise wird von verschiedenen Autorinnen insbesondere das frühe und das Hochmittelalter sozusagen als "goldenes Zeitalter" im Hinblick auf die Geschlechtergleichheit angesehen26. Betrachtet man die vielfältigen Berufsmöglichkeiten von Frauen27 sowie die Tatsache, daß sie über eigenen Besitz verfügten, selbständig testierfähig waren und selbständig Urkunden ausstellen und empfangen konnten28, so erscheint diese Annahme auf den ersten Blick auch gar nicht so abwegig. Jedoch muß dazu gesagt werden, daß sich diese selbständigen Erwerbsmöglichkeiten eben sehr häufig auf ledige Frauen beschränkten und daß gerade im Mittelalter die "natürliche" Unterordnung der Frau unter die Herrschaft des Mannes eine biblische Begründung erfuhr 29. Es ist deshalb Opitz zuzustimmen, wenn sie sagt, daß sich eine solche Epoche als Vorbild für eine frauenfreundliche Welt wohl kaum eigne30. In der Gesellschaft des Mittelalters, in der streng zwischen Freien und Unfreien, zwischen Herrschenden und Dienenden unterschieden wurde 31 , war eine ähnlich hierarchische Aufgaben- und Machtverteilung in der (zumeist bäuerli-

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W. Zöllner, Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter, in: FS für R. Strasser, 1983, S. 223 ff/S. 225. 26 C. Opitz, Weiblichkeit oder Feminismus ?, in: C. Opitz (Hrsg.), Weiblichkeit oder Feminismus ?, 1984, S. 9 ff./S.13, spricht fast spöttisch von einem "Geheimtip unter emanzipations- und geschichtsbewußten Feministinnen"; C. Bücher, S. 251: "Einer der höchsten Träume unserer modernen Emancipationsfreude war somit im Mittelalter schon einmal volle Wirklichkeit". 27 Vgl. Fn. 3. 28 H. Dienst, Rollenaspekte von Männern und Frauen im Mittelalter, in: C. Opitz (Hrsg.), Weiblichkeit oder Feminismus ?, 1984, S. 137 ff/S. 148 für die zweite Hälfte des 14. Jh. 29 H. Dienst, S. 139 ff., insb. S. 140 f. 30 C. Opitz, S. 13. 31 Zur Staats- und Sozialordnung im Hl. Römischen Reich bis in die frühe Neuzeit hinein vgl. Th. Schieder (Hrsg.), Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 3, 1971, S. 8 ff., insb. S. 10, S. 384 ff.; M Botzenhart, Reform. Restauration, Krise, 1985, S. 48 ff.

I. Die Frauenfrage - eine unendliche Geschichte ?

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chen) Familie nur konsequent. Familie bezeichnete dabei die große Hausgemeinschaft aus engeren und weiteren Verwandten sowie der Dienerschaft 32. Der Familienvater war Vorsteher dieses "ganzen Hauses", in ihm allein bündelten sich politische und ökonomische Macht33. Als dieser bäuerlichen Ordnung des "ganzen Hauses" mit dem Hausvater an der Spitze im Zuge der Industrialisierung nach und nach der Boden entzogen wurde und zudem im Rahmen der Aufklärung eine eher individualrechtliche Deutung von Ehe und Familie aufkam, war nicht nur die gesellschaftliche Ordnung als Ganzes im Wanken, sondern auch die Existenz der "Familie" in Frage gestellt. Es ist deshalb kein Zufall, daß gerade zu dieser Zeit des Umbruchs, im Laufe des letzten Drittels des 18. Jh.34, in Deutschland die Theorie des Geschlechterdualismus aufkam. Neu an dieser Theorie war dabei nicht das Festhalten an der "gottgewollten" Unterordnung der Frau unter die Gewalt des Mannes, sondern vielmehr, daß diese Ungleichheit nun aus einer pauschalen Beschreibung unterschiedlicher GeschlechtercAaraAtere heraus legitimiert wurde35. Danach war der Mann Inbegriff von Aktivität/Rationalität, die Frau von Passivität/Emotionalität, wobei sich diese Begriffspaare vom Geschlechtsakt und vom sozialen Betätigungsfeld herleiteten36. Aus dieser angenommenen Schwäche und Passivität der Frau wurde ihre Unterordnung unter den Willen des Mannes begründet. Zwischen den beiden Charakteren bestanden keine Übergänge. Die Vorstellung, daß jedes Geschlecht auch Anlagen des jeweils anderen haben könnte, wurde nicht thematisiert, vielmehr wurde eine absolute Gegensätzlichkeit, Polarität angenommen. War Fichte mit seiner dogmatischen Aufbereitung der Theorie der Geschlechterpolarität - er entsann den "Kunstgriff', die Unterordnung der Frau unter den Mann als noch immer für die Frau "vernünftig" zu erklären 37, indem er konstatierte, daß die Frau in ihrer Unterwerfung unter die Herrschaft des 32

Auch wenn dieses Bild charakteristisch nur für reichere Familien war, darf dennoch nicht deren Vorbildfunktion unterschätzt werden, U. Gerhard, Verhältnisse, S. 83. 33 U. Gerhard, Verhältnisse, S. 83. 34 K. Hausen, Die Polarisierung der "Geschlechtercharaktere", in: H. Rosenbaum (Hrsg.), Familie und Gesellschaftsstruktur, 1978, S. 161 ff./S. 161 f. 35 Vgl. K. Hausen, Polarisierung, S. 162 f., mit dem Hinweis, daß zuvor kein allgemeiner Charakter von Mann und Frau angenommen worden war, sondern sich die Pflichten und Rechte von Personen aus dem jeweiligen Stand ergeben hatten. Erst jetzt traten an die Stelle von Standesdefinitionen Charakterdefinitionen, die universal für alle Frauen und alle Männer galten. 36 K. Hausen, Polarisierung, S. 161. 37 Wäre dies nicht gelungen, dann hätte schließlich der Frau eine Vernunftbegabtheit (und damit die Menschlichkeit) schlicht abgesprochen werden müssen, denn es heißt nach Fichte: "Der Charakter der Vernunft ist absolute Selbstthätigkeit: bloßes Leiden um des Leidens willen widerspricht der Vernunft und hebt sie gänzlich auf', J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts, darin: Grundriß des Familienrechts, 1970, § 3 S. 97.

1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

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Mannes lediglich ihrem Naturtrieb folge, "zu lieben und geliebt zu sein"38 - sozusagen der Wegbereiter für die Ausbreitung dieser Theorie mit ihrer ganzen weitgehenden Rechtlosigkeit für Frauen, so wurde die "gute Ordnung" des (bürgerlichen) Hauses mit der ordentlichen, biederen, tüchtigen und fügsamen Hausfrau und Mutter als Familienmittelpunkt als eigentümlich deutsches Phänomen von Campe und Riehl39 vervollkommnet.

Dabei scheute man sich auch nicht, den berühmten Satz Rousseaus "La femme est faite spécialement pour plaire à Γ homme" aus seinem auch in Deutschland zur Bedeutung erlangten Erziehungsroman "Emil oder Über die Erziehung", in dem Rousseau an der Geschlechterpolarität festhielt und daraus Folgerungen für eine geschlechtsspezifische Erziehung zog, für das eigene Ideal der bürgerlichen Ehe- und Hausfrau heranzuziehen und den Bildungsanspruch der Frau zu übersehen bzw. unterzubewerten40. Ganz deutlich wird dies bei Campe, der die Bestimmung der Frauen darin sah, "beglückende Gattinnen, bildende Mütter und weise Vorsteherinnen des inneren Hauswesens zu wer den"41. Anders als man auf den ersten Blick denken könnte, spricht er damit der Ehefrau jeglichen intellektuellen Anspruch ab, versteht er doch 'gebildet' schlicht als 'gesunden Menschenverstand', geleitet durch den Rat des 'einsichts-

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"So nur erhält der Trieb, sich hinzugeben, den Charakter der Freiheit und Thätigkeit, den er haben mußte, um neben der Vernunft bestehen zu können", J. G. Fichte, Grundriß des Familienrechts, § 4 S. 100 f., ders., § 6 S. 102: "Ihre [der Frau] eigene Würde beruht darauf, daß sie ganz, so wie sie lebt, und ist, ihres Mannes sey, und sich ohne Vorbehalt an ihn und in ihm verloren habe. Das geringste, was daraus folgt, ist, daß sie ihm ihr Vermögen und alle ihre Rechte abtrete, und mit ihm ziehe ...". Dabei muß man Fichte zugute halten, daß er angesichts dieser weiblichen Opferbereitschaft von der männlichen Seite sozusagen ein Äquivalent einforderte, nämlich Großmut und ehrenhaftes Verhalten vgl. dazu J. G. Fichte, Grundriß des Familienrechts, § 7 S. 102 bzw. §7 S. 103: "Nichts tödtet unwiederbringlicher die Liebe des Weibes, als die Niederträchtigkeit und Ehrlosigkeit des Mannes". Kennzeichen der auf Fichte folgenden Diskussion über Geschlechtercharaktere ist jedoch, daß solche Anforderungen an den Mann überhaupt nicht mehr thematisiert wurden - es ging schlicht um die Absicherung einer männlichen Vormachtstellung durch die Gegenüberstellung von instrumenteller Rationaliät auf der einen und Emotionalität auf der anderen Seite, vgl. Κ . Hausen, Polarisierung, S. 169; U. Gerhard, Verhältnisse, S. 137, spricht diesbezüglich von einer "Vulgarisierung der Geschlechterrollen". 39 Dazu sogleich I 3. 40 So plädierte Rousseau dafür, die Frauen müßten denken, urteilen, lieben, wissen und ihren Geist pflegen lernen; dies entspreche schließlich der Natur, "die den Frauen einen so angenehmen und feinen Geist gab", J.-J. Rousseau, Emil oder über die Erziehung, in deutscher Fassung besorgt von L. Schmidts, 1993, S. 393; Ε. Βlochmann, S. 29, nennt diese spezifisch deutsche Rezeption eine "eigentümliche und folgenschwere Umbiegung" der Intention Rousseaus. 41 J. Η Campe, Vaeterlicher Rath für meine Tochter, 1791, S. 14 f.; Herv. im Original.

I. Die Frauenfrage - eine unendliche Geschichte ?

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vollen Gatten' 42 . Campe ist sich dabei der bedrückenden Enge einer solch ausgelieferten Existenz durchaus bewußt. Um das eheliche Leben mit einem möglicherweise tyrannischen und gefühllosen Ehemann erträglich zu machen, empfiehlt er - sozusagen als Gegenmittel - die 'weiblichen Tugenden' der "Geduld, Sanftmuth, Nachgiebigkeit und Selbstverleugnung" 43. Dies will so gar nicht zum Rousseauschen Verständnis einer Beziehung eines Mannes mit einer gebildeten, lebendigen und Achtung erweckenden Frau mit Witz und Verstand passen44. Nur wenige entlarvten schon damals diese erdrückende, theoretisch legitimierte Enge, in der sich die bürgerliche Ehefrau befand - an dem Heer der schuftenden Arbeiterinnen ging diese Ideologie ja völlig vorbei - als Voraussetzung für die Sicherung der eigenen (männlichen) politischen und ökonomischen Macht, wie etwa v. Hippel mit seiner klaren Aussage, es sei "das künstliche Spinngewebe von Gründen, wodurch wir das weibliche Geschlecht zu einer ewigen Vormundschaft verurtheilen" 45 . "Warum sollt' ich es bergen, daß wir Männer von Gottes Gnaden es so gern bemänteln, wie wir zu dieser Überlegenheit gekommen sind ?" ... "Um alles in der Welt möchten wir die andere Hälfte des menschlichen Geschlechts überreden, nicht wir, sondern die Natur habe sie zurückgesetzt und uns unterworfen." 46 Man mag sich angesichts dieser recht ausführlichen Beschreibung fragen, was denn diese Theorie der Geschlechtercharaktere zur Lösung der heutigen Probleme beitragen kann, schließlich könnte man sich auf den Standpunkt stel-

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J. H. Campe, S. 49 f.; S. 134 f.: Eine kunstsinnige und gebildete Frau könne ein Mann gerade noch als Freundin oder vielleicht sogar als bewunderte Gesellschafterin haben, als Gattin jedoch müßte ein Mann eine solche Frau "von ganzem Herzen verachten und sie als Hindernis seiner Glückseligkeit sehen". 43 J. H Campe, S. 178 ff., 188 ff.; S. 19: An diesem Los könne man nichts ändern. Es sei eben so, daß das weibliche Geschlecht "nach unserer dermaligen Weltverfassung, in einem abhängigen und auf geistige sowohl als körperliche Schwächung abzielenden Zustand lebt, und so lange jene Weltverfassung die nämliche bleibt, nothwendig leben muß". 44 J.-J. Rousseau, S. 402: Frau als "Gefährtin", nicht "Sklavin". Jedoch sollte man den Gedanken der Gleichwertigkeit der Geschlechter auch bei Rousseau letztlich nicht überbewerten, geht doch auch er von einer Polarität der Geschlechtercharaktere aus, die sich insbesondere in der Erziehung auswirke. So müßten junge Mädchen schon beizeiten an den 'grausamen' Zwang der "Schicklichkeit" gewöhnt werden und ihre ganze Erziehung müsse auf die Männer Bezug nehmen, a. a. O. S. 399, 394. 45 T. G. v. Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, 1792, S. 106. Trotz seines mitunter etwas flapsigen Tonfalls (z. B. S. 28 ff.) kann meines Erachtens aufgrund des gerade für seine Zeit untypischen Tiefgangs seiner Ausführungen davon ausgegangen werden, daß v. Hippel seine Ansichten auch ernst meinte. 46 T. G. v. Hippel, S. 105 f.; S. 191: "Und Männer ! ihr wollt glauben, eine halbe Welt wäre zu eurem bon plaisir , zu eurem eigentlichen Willen, das ist verdollmetscht: zu eurem Eigenwillen, da ?"

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

len, eine solche Problematik gehöre der Geschichte an. Ob dem tatsächlich so ist, muß sich jedoch erst einmal herausstellen: Einhellig wird auch heute das Problem auf dem Weg zu einer wirklichen Gleichberechtigung von Frauen und Männer in den hemmenden Strukturen von Staat und Gesellschaft gesehen, die auf einem noch immer verinnerlichten Rollendenken beruhen. Rollenklischees fallen jedoch nicht vom Himmel, sondern sind Ausdruck bestimmter Erwartungen an das jeweilige Geschlecht. Diese bestimmten Erwartungen und Aufgabenzuweisungen werden heute natürlich nicht mehr aus einer natürlichen oder gar gottgewollten Überlegenheit des Mannes abgeleitet, aber sie ergeben sich aus Strukturen, die sich aus eben jenem Bild des traditionellen Patriarchalismus erst entwickeln konnten - man spricht auch von einem "sekundären Patriarchalismus". Dieser sekundäre Patriarchalismus, entstanden als "das Ergebnis besonderer sozialer, wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen", ist nicht mehr mit dem archaiischen Patriarchalismus auf eine Stufe zu stellen, wenn auch seine sozial-moralischen Leitideen auf diesen zurückgehen47. König kennzeichnet den "sekundären Patriarchalismus" als eine allgemeinkulturelle Norm, "die sich durch philosophisch-theologisch-weltanschauliche Motive zu begründen suchte und dabei notwendigerweise immer ideologischer werden mußte". Dabei verlor das ursprüngliche patriarchale Vorurteil zwar seine Schärfe, auf der anderen Seite jedoch wurde diese Form der Absicherung männlicher Dominanz auch gefährlicher als der ursprüngliche Patriarchalismus, wurde sie doch mit immer neuen kulturellen, historischen, sozialen und politischen Inhalten angereichert. Kurz: Die männliche Vorherrschaft entwickelte sich von einem System der Familienorganisation in einer streng hierarchischen Gesellschaft (Unterwerfung der Ehefrau unter die Gewalt des Mannes) zu einem hochkomplexen "kulturellen Zwangssystem"48, das darauf beruhte, "daß die Hausfrauen- und Mutterrolle potentiell Abhängigkeit von den materiellen Ressourcen des Mannes bedeutete"49, und vor dessen Auswirkungen wir auch heute noch stehen.

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R. König, S. 267. R. König, S. 267. 49 B. Greven-Aschoff, S. 31 ; dazu auch M Horkheimer, Theoretische Entwürfe über Autorität und Familie, in: M. Horkheimer/E. Fromm/H. Marcuse u. a., Studien über Autorität und Familie, 1987, S. 3 ff./S. 71: "Die Idealisierung väterlicher Autorität, als gehe sie aus göttlichem Ratschluss, aus der Natur der Dinge oder aus der Vernunft hervor, erweist sich bei näherer Prüfung als Verklärung einer wirtschaftlich bedingten Einrichtung". 48

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3. Die "bürgerliche Familie" und ihre staatstragende Funktion Die bürgerliche Familie mit ihrer klaren Aufgabenteilung hat sich im Zuge der Industrialisierung als Gesellschaftsideal durchsetzen können. Dem standen weder die adeligen Lebens- und Familienformen noch das Arbeiterelend entgegen, angesichts dessen die bürgerliche Familie nie für eine Mehrheit der Bevölkerung Wirklichkeit werden konnte. Die Unterordnung der Frau unter den Willen des Mannes war dabei Voraussetzung für das "friedvolle häusliche Leben, die private bürgerliche Idylle" 50 , Hand in Hand damit ging eine Überhöhung der Mutterrolle 51. Dabei wurde dem "göttlichen Willen" jedoch durch geschlechtsspezifische Erziehung "nachgeholfen". Mädchen und Jungen sollten so erzogen werden, "daß das Weib schwach, klein, zart, empfindlich, furchtsam, kleingeistisch - der Mann hingegen stark, fest, kühn, ausdauernd, groß, hehr und kraftvoll an Leib und Seele würde" 52. Die Vermutung liegt nahe, daß dieser enorme Begründungsaufwand im Hinblick auf die Ordnung der bürgerlichen Familie und die strikte Unterscheidung zwischen Mädchen- und Jungenerziehung auch noch andere Gründe und Ziele hatte. Um diese zu finden, braucht man nicht lange zu suchen. Schon Campe betonte neben der Feststellung, die Überlegenheit des Mannes fuße auf göttlichem Schöpfungsakt, die staatstragende Rolle der Ehefrau als Stütze und sittlicher Mittelpunkt der Familie53. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte die diesbezügliche Instrumentalisierung der bürgerlichen Familie mit den Darstellungen Riehls - Riehl gilt heute als bedeutender Kulturhistoriker und als einer der Begründer der Familiensoziologie - aus dem Jahre 1855: Ganz deutlich rechtfertigt er die Aufgabenverteilung mit den Anforderungen der Gesellschaft. Die Familie, bestimmt durch die Idee der Sitte, sei Grundlage und Fundament des Staates, der auf der Idee des Rechts ruhe54. Die Frauen in der Familie wirkten demgemäß als "Hüterinnen der Sitte"55 am öffentlichen Wohle mit, wenn 50 B. Greven-Aschoff, S. 33. In dem Maße, wie das "Heim" als Ort der Harmonie verklärt wurde, sei entsprechend auch die Rolle der Hausfrau akzentuiert worden. 51 So gehörten schon nach J. G. Fichte, Das System der Sittenlehre, 1977, S. 293, Frau und Mutterliebe untrennbar zusammen. Eine Frau ohne Mutterliebe erhebe sich nicht über das Tier. Dagegen sei die Liebe des Vaters zu seinem Kind nur mittelbarer Natur, da sie erst aus "seiner Liebe zur Mutter" entspringe. 52 J. H. Campe, S. 20; so spricht denn auch U. Gerhard, Verhältnisse, S. 131, von den angeblich von der "Natur" vorgegebenen Schwächen und Tugenden der Frau als "Verbildungen und Verformungen ihres Sozialcharakters". 53 J. Κ Campe, S. 15 ff., 17. 54 Zu dieser Gegenüberstellung von Familie und Staat vgl. W. H. Riehl, Die Familie, in: H. Naumann/R. Haller (Hrsg.), Die Naturgeschichte des deutschen Volkes, 1934, S. 321 ff/S. 344. 55 W. H. Riehl, Die Familie, in: G. Ipsen (Hrsg.), Die Naturgeschichte des deutschen Volkes, 1935, S. 160 ff/S. 180.

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auch nur mittelbar über die Beeinflussung ihrer Männer und über die Erziehung ihrer Söhne. Denn es heißt ganz klar: "Sie [die Frauen] sollen wirken für das öffentliche Wohl, aber man soll ihrer dabei nicht ansichtig werden, denn sie sollen zu Hause bleiben."56 Dementsprechend kritisiert Riehl Versuche, Mädchen mit "männlicher", künstlerischer und wissenschaftlicher Bildung auszustatten, und sieht als Folge, über die man sich nicht wundern dürfe, "daß die Sitte des deutschen Hauses schwindet, daß unsere Kinder den inneren sozialen Halt und die rechte Selbstbeschränkung im Hause nicht mehr eingepflanzt erhalten ! Der Unterschied von Mann und Weib konnte nicht dadurch ausgeglichen werden, daß wir die Frauen wie Männer erziehen, aber die Grundfesten unserer Gesellschaft werden erschüttert"57. In dieser Zeit machen sich auch Tendenzen bemerkbar, Frauen, die sich mit ihrer beengten Situation nicht abfanden, als "unweiblich" zu charakterisieren. Wurden Frauen, die sich in der Geschichte durchgesetzt hatten, als "Männer in Weiberkleidern" angesehen, so wurden dementsprechend solchen, die sich für mehr Gleichheit einsetzten, ihre Weiblichkeit schlicht abgesprochen und als "Blaustrümpfe" abgekanzelt58. Man kann also festhalten, daß die Geschlechtertheorie immer schon als Instrument zur Stabilisierung des Staates verstanden wurde - der Frieden in der Familie mit der Mutter als der "ruhende Pol" und Vermittlerin von Werten und Sitte sollte zur Aufrechterhaltung des Staatsgefüges mit seinen (von Männern geprägten) Machtstrukturen dienen. Diese Aufgabenzuweisung zog jedoch nicht etwa eine höhere Achtung der Frau in der Öffentlichkeit oder gar die Zubilligung einer historischen Bedeutung nach sich. Das zeigt sich m. E. nirgendwo deutlicher als in der - trotz aller Beschwörungen der Wich-

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W. H. Riehl, Die Familie (1935), S. 167. W: H. Riehl, Die Familie (1935), S. 181. Die Bildung der Frau dürfe deshalb auch keine der gelehrten Schule sein, sondern eben eine weibliche, nämlich "eine gemütliche, sittliche, religiöse, eine Bildung des Lebens". 58 W. Κ Riehl, Die Familie (1935), S. 175: "Deutschland besitzt kein revolutionäres Proletariat unter den Frauen. Unsere armen Tagelöhnerinnen stecken noch viel zu tief in der Weiblichkeit, um revolutionär seyn zu können. Die weiblichen Demagogen sind gebildete Frauen, Blaustrümpfe, die ihr Geschlecht verleugnen, vornehme Damen, die monatelang in den Logen der Parlamente zuhörten, weil sie zu Hause nichts zu tun hatten. Eine Frau, die an die Gleichstellung ihres Geschlechts mit den Männern denkt, muß bereits sehr viele konfuse Bücher gelesen haben. Von selber verfällt eine deutsche Frau nicht auf den Gedanken der 'Emanzipation der Frauen'." Diese Charakterisierung engagierter Frauen als unweiblich taucht seither immer wieder auf, wie sich später noch zeigen wird. Einmal sind es die "Blaustrümpfe", dann die "Sufragetten", die "Frauenrechtlerinnen", schließlich die "Emanzen" und die "Feministinnen". Dies erwies sich auch immer wieder als wirksames Mittel, Frauen von derlei Tun abzuschrecken. 57

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tigkeit der Mutter - Betonung des Vaters als 'Erzeuger1, 'Urheber' 59, als alleiniger Vormund der Kinder und Oberhaupt der Familie, manifestiert im Namen des Mannes als Familienname. So sagte schon Riehl: "Die Frau gibt ihren Namen auf und nimmt den Namen des Mannes dafür hin; denn in diesem Namen allein ist zugleich der durch die langen Reihen der Generation fortlebende Namen der Familie gegeben. Ohne den "Familiennamen", der naturgemäß von der Frau das Opfer ihres eigenen Namens fordert, hätten wir keine Familiengeschichte."60 Nur kurz zu erwähnen bleibt hier, daß die Regelung, daß bei mangelnder Einigung der Eheleute automatisch der Name des Mannes als Familienname galt, erst im Jahre 1993 mit Wirkung zum 1.4.1994 geändert wurde61.

Immer schon war Hintergrund der Förderung "der" Familie mit der Frau als Hausfrau und Mutter auch die Sorge um ein Sinken der Geburtenrate, sollte es zu einem Eindringen von Frauen in "männliche" Arbeitsbereiche kommen. Schon die ergriffenen oder geplanten Maßnahmen gegen das "Doppelverdienertum" in der Weimarer Republik waren gekennzeichnet durch dem Verdacht, "Doppelverdiener" könnten u. U. nicht so viele Kinder wie benötigt in die Welt setzen62. Auch die großangelegte Propagandakampagne während des Dritten Reiches, die die Frau zurück in ihren "angestammten Wirkungskreis" drängen sollte, war geprägt von bevölkerungspolitischen Erwägungen, was sich nicht nur in später stark erweiterten Mutterschutzvorschriften zeigte, sondern auch in der Gewährung des sogenannten Ehestandsdarlehens als Gegenleistung für ein langdauerndes Ausscheiden der künftigen Ehefrau aus dem Erwerbsleben63. Noch bis in die heutige Zeit wird die vorrangige Zuständigkeit der Frau für die Familie als "Keimzelle des Staates" - bewußt oder unbewußt - häufig als notwendig für die Gesellschaft und ohne Alternative angesehen. Es wird sozusagen versucht, Gleichberechtigung der Frau und Bedürfnisse "der Familie" und damit der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen, indem auf geradezu verheerende familiäre Auswirkungen verwiesen wird, sollte die Mutter ihre "traditionelle" Rolle als Familienzentrum nicht mehr in ausreichendem Maße 59

W. H. Riehl, Die Familie (1935), S. 185, 186. W. H. Riehl, Die Familie (1935), S. 186; vgl. dazu J. G. Fichte, Grundriß des Familienrechts, § 6 S. 102: Mit der Heirat habe die Frau aufgehört, "das Leben eines Individuums zu führen; ihr Leben ist ein Theil seines Lebens geworden (dies wird trefflich dadurch bezeichnet, daß sie den Namen des Mannes annimmt.)" 61 FamNamRG v. 16.12.1991 (BGBl. I S. 2054) mit Wirkung vom 1.4.1994. 62 So war ζ. B. in Art. 119 Abs. 1 WRV ausdrücklich von "Erhaltung und Vermehrung der Nation" die Rede. 63 "Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit" vom 1. Juni 1933 (RGBl. I 1933, 323), zum Ehestandsdarlehen Abschnitt V: unverzinsliches Darlehen bis zur Höhe von 1000 RM, wenn die künftige Ehefrau vorher erwerbstätig war und sich verpflichtete, nach der Eheschließung die Arbeit aufzugeben und nicht wieder aufzunehmen, solange der Ehemann eine bestimmte Summe verdiente und das Darlehen nicht zurückgezahlt war. D. Winkler, S. 48 f., spricht diesbezüglich von einer regelrechten "Fruchtbarkeitsprämierung" . 60

3 Schweizer

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wahrnehmen64. Bedenken werden auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Reproduktion formuliert und die unerwünscht niedrige Geburtenrate auf die wachsende Gleichberechtigung der Frau zurückgeführt 65. All diese Argumente - auf sie wird an anderer Stelle noch einzugehen sein - sind Nachwirkungen der beschriebenen historischen Entwicklung. 4. Zusammenfassung Wirtschaftliche Betätigung von Frauen ist keine Neuerscheinung des 20. Jh. Nie in der Geschichte gab es eine klare Abstinenz von Frauen hinsichtlich Erwerbstätigkeit. Vielmehr haben Frauen zu allen Zeiten die Arbeit geleistet, welche im Rahmen der herrschenden Wirtschaftsweise nach ihrer jeweiligen Lage von ihnen gefordert wurde. Die Ernährerfunktion des Mannes ist eine neuzeitliche bürgerlich-kapitalistische "Erfindung". Erst im Laufe der Industrialisierung wurde der Mann, zumindest in bürgerlichen Familien, der eigentliche "Ernährer", während die Frau ins Haus verbannt und ihr allein die Kindererziehung anheim gegeben wurde66. Die bürgerliche Familie war Lebensweise einer Minderheit. Die Betonung scheinbar unverrückbarer, geschlechtsabhängiger Charaktermerkmale und die Verherrlichung der Weiblichkeit als Inbegriff der Liebe, Schönheit und Sanftmut sowie die klare Aufgabentrennung zwischen den Geschlechtern ging an der großen Masse der Frauen, an den Arbeiterinnen, vorbei. Für sie war aufgrund finanzieller Not Beschäftigung zu Hungerlöhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen als für Männer Alltag. Dennoch verlor die bürgerliche Familie nie ihre Vorbildfunktion. Der Konkurrenz- und Verteilungskampf um begehrte Arbeitsplätze führte zur Verdrängung der Frau vom Arbeitsmarkt, zumindest hinsichtlich der begehrten Stellen. Legitimiert wurde dies mit dem "weiblichen Wesen" unter Zugrundelegung eines Geschlechterdualismus. Die faktische Bindung der Frau an das Haus durch die Trennung von Wohnstätte und Arbeitsplatz und die daraus folgende zunehmende Isolierung wurde den Frauen durch die Beschreibung als natürlich bzw. gottgewollt schmackhaft gemacht und durch eine entsprechende ge64

Es drohe dann ein Auseinanderbrechen der Familie, was wiederum Folgen für die Gesellschaft als Ganze habe, dazu W. Zöllner, S. 229; K. Adomeit, Hausarbeit: Männersache !, in: NJW 1996, S. 299 f./S. 300. 65 So W. Zöllner, S. 230: "Es spricht viel dafür, daß der Wunsch der Frau auf Teilnahme am Erwerbsleben eine beträchtliche Ursache für den Geburtenrückgang darstellt."; noch drastischer K. Adomeit, S. 300: "Praktisch gesehen geht volle Gleichstellung nur auf, wenn wir auf jede Fortpflanzung kollektiv verzichten." 66 Diesbezüglich stellt denn auch U. Gerhard, Verhältnisse, S.121 fest, daß es vor dieser Zeit auch noch nicht das strukturelle Problem der "abwesenden Väter" gab.

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schlechtsspezifische Erziehung vorbereitet. Schon immer war also eines auffällig: Der "Natur" oder der "natürlichen Bestimmung" der Frau mußte durch Erziehung und Fernhalten von Bildung immer "nachgeholfen" werden, wobei die Definitionsmacht über Wesen und Glück des weiblichen Geschlechts immer beim Mann lag. Es gibt eine lange Tradition, Ansprüche von Frauen als Angriff auf Familie, Staat und Gesellschaft zu werten, indem immer wieder die wichtige gesellschaftliche Rolle der (bürgerlichen) Familie herausgestellt wird. Diese Verknüpfung eines persönlichen Opfers an Freiraum zum Wohle der Allgemeinheit tritt auch heute noch auf. Dabei wird jedoch offensichtlich nicht daran gedacht, daß Frauen selbst die Hälfte der Gesellschaft stellen.

Π . Die deutsche Frauenbewegung und der Niederschlag von Frauenforderungen im deutschen Recht 1. Vom Beginn der Frauenbewegung bis zur Weimarer Reichsverfassung a) Die deutsche Frauenbewegung um 1848 aa) Die bürgerliche Frauenbewegung Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Bewegung um 1848 machten auch Frauen ihrer Unzufriedenheit mit weitgehender Rechtlosigkeit und hemmenden Familienstrukturen Luft. Über das ganze Gebiet des Deutschen Bundes verteilt gründeten sich Frauenvereine mit der politischen Zielrichtung, die Situation der Frauen zu verbessern67. Im Mittelpunkt dieser eher dem bürgerlichen Lager zuzurechnenden Frauenbewegung standen neben dem Aufzeigen des Arbeiterinnenelends v. a. berufsbezogene Ziele und Bildungsansprüche68. Ging es dabei in erster Linie um die Schaffung neuer Betätigungsfelder für Ledige und junge Frauen bis zum Zeitpunkt ihrer Heirat, so wurde grundsätzlich auch das Recht jeder verheirateten Frau anerkannt, sich selbst etwas hinzuzuverdienen. "Statuserhaltende" Berufsmöglichkeiten wurden insbesondere im "sozialen" Bereich gesehen, aber auch in Handel und Verkehr, Büro und Dienstleistungen aller Art, in denen sich im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung neue Arbeits67

So gab es Frauenvereine u. a. in Wien, Berlin, Hamburg. Chemnitz, Breslau, Mainz, Heidelberg. Neu daran war nicht die Tatsache, daß es Frauenvereinigungen gab, sondern ihre grundsätzliche politische Zielrichtung, U. Gerhard, Frauenbewegung, S. 215. 68 Zu den bildungspolitischen Ansätzen, die bis zur Einrichtung einer Hochschule nur für Frauen in Hamburg reichten, vgl. U. Gerhard, Frauenbewegung, S. 218 ff.

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

felder auftaten 69. Die Durchsetzung solcher Ziele macht sich auch heute noch in den "typischen" Frauenberufe wie Sekretärin, Assistentin, Kauffrau im Handel etc. bemerkbar. Eine weitere wichtige Forderung der bürgerlichen Frauenbewegung war die Gleichheit vor dem Gesetz, allerdings unter Zugrundelegung der dualistischen Theorie der Geschlechter70. Das "Ewig-Weibliche" wurde als Mittel zur Vollendung der Menschheit gesehen71, die Natur der Frau erschien nicht nur als andersartig, aber gleichwertig, sondern vielmehr sogar als überlegen72. Die Frau sollte gerade nicht dem Manne gleich werden, sondern sich "als Frau" emanzipieren73. "Formale Gleichheit wurde Mittel zum Zweck, die weibliche Andersartigkeit in den Dienst der gesellschaftlichen Erneuerung zu stellen."74 Doch der Elan der Frauenvereine konnte sich nicht lange halten. Im Rahmen der Reaktion ab Mitte des Jahres 1850 wurden die Vereine zunehmend kontrolliert, aufgelöst und schließlich verboten. Durch entsprechende Pressegesetze wurden Frauen von der verantwortlichen Redaktion einer Zeitschrift ausgeschlossen und die in nahezu allen Bundesstaaten erlassenen Vereinsgesetze verboten nicht nur die Mitgliedschaft von Frauen in politischen Vereinen, sondern sogar den Besuch politischer Versammlungen75. Dieser Rückschlag führte jedoch nicht zu einem Verschwinden der Frauenbewegung. Im Jahre 1865 wurde der Allgemeine Deutsche Frauenverein gegründet76, 1894 der "Bund deutscher Frauenvereine" (BDF), der sich weiterhin für rechtliche Gleichheit und das Recht auf Bildung einsetzte. bb) Die proletarische Frauenbewegung Im wesentlichen gab es neben der bürgerlichen Frauenbewegung die proletarische Frauenbewegung. Teilweise werden darüber hinaus auch noch weitere

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Dazu H. Däubler-Gmelin,, S. 25. B. Greven-Aschoff, S. 39; vgl. auch F. Hervé/E. Steinmann/R. Wurms, S. 173. 71 In gewisser Weise wurde also rechtliche Emanzipation und soziale Teilhabe in der Politik unter dem Aspekt des allgemeinen staatlichen Interesses gefordert und nicht so sehr als Anspruch des einzelnen, darauf weist B. Greven-Aschoff, S. 152, hin. 72 B. Greven-Aschoff, S. 40. "Veredelung" des Mannes als Ziel der Bewegung. 73 B. Greven-Aschoff, S. 39. Dementsprechend distanzierte man sich auch von der "Frauenrechtlerei ". 74 B. Greven-Aschoff,, S. 39 m. w. N. 75 U. Gerhard, Frauenbewegung, S. 221. 76 Aus diesem Grunde wird zuweilen auch dieses Jahr als "Geburtsdatum" der bürgerlichen Frauenbewegung genannt, vgl. F. Hervé/E. Steinmann/R. Wurms, S. 173; zu den Anfangen jedoch in der Zeit um 1848 wie gesehen U. Gerhard, Frauenbewegung, S. 200 ff.; ebenso M. Twellmann, S. 1 ff. 70

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Strömungen unterschieden77, jedoch ist dies näher zu untersuchen nicht Ziel dieser Arbeit. Vielmehr gilt es, auch im Hinblick auf die heutige Diskussion, wesentliche Unterschiede an Hand der Hauptströmungen aufzuzeigen: Entsprechend den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen war Hauptanliegen der proletarischen Frauenbewegung der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen, insbesondere um Arbeitsschutz, Mutterschutz, höhere und gerechtere Löhne sowie die Bekämpfung der Ausbeutung78. Ideologisch war diese Frauenbewegung an die marxistische Überzeugung angelehnt, daß Ehe, Familie und bürgerliche Lebensordnung insgesamt aus den Angeln gehoben werden müßten79. Vertreterin dieses rigorosen Standpunktes war die Sozialdemokratin Clara Zetkin, die später 1916/17 zur neugegründeten Kommunistischen Partei überwechselte. b) Niederschlag von Frauenrechten bis zur Weimarer Reichsverfassung Erste Erfolge der Frauenbewegung trotz weiter bestehender rechtlicher Ungleichheit zeigten sich am Anfang des 20. Jh.: 1908 durften auch Frauen in politische Parteien eintreten80, ebenfalls 1908 wurden in Preußen Frauen grundsätzlich zum Studium zugelassen81. Obgleich mit dem Ersten Weltkrieg der Schwung der bürgerlichen Frauenbewegung wiederum merklich abebbte82, war 77 Vgl. dazu nur die Ausführungen von V. Slupik, Die Entscheidung des Grundgesetzes für Parität im Geschlechterverhältnis, 1988, S.26 ff., die die Außerachtlassung einer dritten Gruppe, nämlich der sog. "radikalen Frauenbewegung", kritisiert; Meyer zu Natrup hingegen nennt als dritte Gruppe die "konfessionelle Frauenbewegung", vgl. M. Meyer zu Natrup, Von der Chancengleichheit zur Frauenförderung, in: E. MohnenBelau/H.-E. Meixner (Hrsg.), Frauenförderung in Verwaltung und Wirtschaft, 1993, S. 41 ff./S. 45 ff.; immer jedoch werden die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung unterschieden, vgl. nur H. Däubler-Gmelin, S. 19 f. 78 H. Däubler-Gmelin,, S. 19. 79 M. Meyer zu Natrup, S. 44. 80 Dies war im Vereinsgesetz geregelt, vgl. B. Greven-Aschoff, S. 149. 81 Vgl. Erlaß des preußischen Kulturministeriums v. 18.8.1908, aus A. Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 1974, S. 204. Zu den Argumenten gegen eine Zulassung von Frauen zum Studium Anfang des 20. Jh., a. a. Ο. S. 202 ff.: Die Bedenken reichten von der Sorge um die Erhaltung der "Eigentümlichkeiten" der deutschen Frau für die "deutsche Familie" über das Argument, ein gemeinsames ζ. B. medizinisches Studium widerspreche der Schicklichkeit und Moral bis hin zu dem ganz anderen Ansatz, Frauen sei die "Rohheit" der Studenten nicht zuzumuten. 82 Insbesondere die Gemäßigten stellten sich als Folge ihrer eher staatstragenden Orientierung in den Dienst des Staates und ließen sich in kriegswichtige Bereiche einspannen, B. Greven-Aschoff S. 149. Im Gegensatz zu den radikalen Kräften in der Frauenbewegung, die während des Krieges pazifistische Traditionen weiterführten, verloren sich mehr und mehr die Reibungspunkte zwischen der Regierung und der bürgerlichen Frauenbewegung, Greven-Aschoff (a. a. O. S. 150) spricht diesbezüglich von einer "gouvernementalen Orientierung".

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

die politische Einflußnahme trotzdem noch so groß, daß in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 einige ihrer Forderungen erfüllt wurden: In Art. 22 WRV wurde den Frauen das Wahlrecht zugestanden, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Ehe war Inhalt des Art. 119 Abs. 1 und Art. 109 Abs. 2 WRV bestimmte: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Eine Sondervorschrift für den öffentlichen Dienst stellte Art. 128 WRV dar. Dessen Absätze 1 und 2 lauteten: (1) Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind nach Maßgabe der Gesetze und entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen zu den öffentlichen Ämtern zuzulassen. (2) Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.

Auch wenn die Aufnahme von Frauenrechten in die Weimarer Reichsverfassung einen Fortschritt darstellte, so hielt sich dieser doch - mit Ausnahme des gleichen Wahlrechts - in Grenzen, da die Vorschriften teils lediglich Programmsatzcharakter hatten bzw. sich Art. 109 Abs. 2 WRV aufgrund des erheblich einschränkenden Wortes "grundsätzlich" geradezu als Einfallstor für alle möglichen Ungleichbehandlungen erwies83. Mit der Beschränkung der Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz auf "staatsbürgerliche Rechte und Pflichten" wurde außerdem ganz bewußt die Ebene der bürgerlich-rechtlichen Beziehungen außer acht gelassen, verstand man unter jenen Rechten und Pflichten doch nur solche, "die ein organschaftliches Handeln oder persönliche Dienstleistungen für den Staat zum Gegenstand haben"84 bzw. eine "aktive Teilnahme an den Funktionen des Staates eröflhen" 85. 2. Der lange Weg zu Art. 3 Abs. 2 GG a. F. Daß es nach dem Zweiten Weltkrieg zur Einfügung einer Norm in die neue deutsche Verfassung kam, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau statuierte, war keineswegs selbstverständlich. Die Frauen, die nach dem Kriege auf 83 Der Terminus "grundsätzlich" wurde schließlich verstanden als "... unter Vorbe- ' halt aller Reichs- und Landesgesetze, welche Ausnahmen von dem Grundsatz vorschreiben oder zulassen ... ", G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 1933, S. 529 zu Art. 109 WRV. 84 G. Anschütz, S. 529. 85 F. Stier-Somlo, in: H. C. Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 1929, S. 201 zu Art. 109 Abs. 2 GG. Er faßte darunter außer dem politischen Stimmrecht, dem aktiven und passiven Wahlrecht auch das Recht und die Fähigkeit, als Schöffe oder Geschworener tätig zu werden, schließlich "überhaupt die Fähigkeit zu öffentlichen Ämtern, die an der Willensbildung des Staates oder der Selbstverwaltungskörper teilhaftig werden". Deutlich setzte er die "staatsbürgerlichen Rechte" den "bürgerlichen" entgegen.

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den Trümmern ihrer Existenz standen, Mütter und Ernährerinnen waren und dabei den größten Teil des Wiederaufbaus leisteten, waren in ihrer großen Mehrheit vom täglichen Überlebenskampf zu erschöpft, um sich auch noch für ihre Rechte zu engagieren. Außerdem hatten sich trotz des Zusammenbruchs die traditionellen Geschlechtervorstellungen erhalten - in dieser Hinsicht gab es keine "Stunde Null". Die ungeheure Erweiterung ihres Tätigkeitsbereiches, die Solidargemeinschaften von Frauen im Sinne von Frauenwohngemeinschaften etc., all das wurde von den Frauen selbst als notwendiger Ausnahmezustand (erzwungenes Matriarchat) angesehen. Ehe und Familie im herkömmlichen Sinn waren im Bewußtsein noch immer als Leitbild verankert 86. Die Einführung des Gleichberechtigungssatzes in das Grundgesetz gestaltete sich schwierig. So waren im Entwurf des Herrenchiemseer Konvents, der als Grundlage für die Beratungen im Parlamentarischen Rat diente, Frauen nicht einmal explizit erwähnt87, blieb man also noch hinter der Weimarer Reichsverfassung zurück. Der für Grundrechte zuständige Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates übernahm immerhin Art. 109 Abs. 2 WRV, allerdings unter Auslassung des Wortes "grundsätzlich", "weil das im Staatsrecht gerade das bedeutet, was der normale Mensch nicht darunter vermutet"88. Der Vorschlag Elisabeth Seiberts (SPD): "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", wurde aus Sorge vor einem Zustand der Rechtlosigkeit abgelehnt. Berühmt ist hierzu der Ausspruch des Abg. Dehler, der zu dem Vorschlag meinte: "Dann ist das Bürgerliche Gesetzbuch verfassungswidrig." 89 Seibert versuchte daraufhin, ihren im Grundsatzausschuß abgelehnten Vorschlag noch im Hauptausschuß durchzusetzen. Allerdings standen die Chancen hierfür schlecht, da in diesem Gremium nicht wieder jeder Grundrechtsartikel aufgerollt werden konnte. Als Argumente gegen den Selbertschen Vorschlag wurden vorgebracht einmal die nach Darstellung der Mehrheit unübersehbaren rechtlichen Auswirkungen, die durch die Gleichstellung der Frau auf allen Rechtsgebieten ausgelöst würden90, ferner die bedenklichen Auswirkungen ei86

Vgl. B. Böttger, Das Recht auf Gleichheit und Differenz, 1990, S. 95 ff., S. 100 f. In dem 95-Seiten-Dokument lautete Art. 14: (1) Vor dem Gesetz sind alle gleich (2) Der Grundsatz der Gleichheit bindet nur den Gesetzgeber (3) Jeder hat Anspruch auf gleiche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten, vgl. Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht übe den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. - 25.8.1948, S. 62 f. 88 Abg. Dr. Bergsträsser, 6. Sitzung des Grundsatzausschusses v. 5.10.1948, aus: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949, Akten und Protokolle Band 5/1, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 142. 89 Abg. Dehler, 26. Sitzung des Grundsatzausschusses v. 30.11.1948, aus: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.) Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949, Band 5/II, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 748. 90 So wies etwa der Abg. Dr. Becker (FDP) auf etwaige Probleme beim Ehe- und Familiennamen, beim Namen der Kinder sowie auf die Frage der elterlichen Gewalt 87

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

ner 'Gleichmacherei', wie sie in Sowjetrußland zu sehen seien, und schließlich wurde auch darauf aufmerksam gemacht, daß bestimmte Vorzugsrechte etwa bei Mutterschaft o. ä. erhalten werden müßten und sich schon daran zeige, daß Frau und Mann eben nicht gleich seien91. Seibert hingegen argumentierte unablässig für ihren Gleichberechtigungssatz: "Die Frau soll nicht nur in staatsbürgerlichen Dingen gleichstehen, sondern muß auf allen Rechtsgebieten dem Manne gleichgestellt werden. Die Frau, die während der Kriegsjahre auf den Trümmern gestanden und den Mann an der Arbeitsstelle ersetzt hat, hat heute einen moralischen Anspruch darauf, so wie der Mann bewertet zu werden."92 Auch der Vorsitzende Schmid (SPD) stimmte für den Selbertschen Vorschlag mit der Begründung, die Frau könne den Anspruch erheben, "als ein Wesen gleicher Mündigkeit wie der Mann angesehen zu werden". Die "fürsorgliche Vormundschaft" über sie müsse aufgehoben werden93. Es gehe den Frauen letzten Endes um die Ehre, nicht um Besserstellung. Dennoch konnte Selbert mit ihrem Vorschlag nicht durchdringen. Nach dieser Niederlage in der ersten Lesung des Hauptausschusses kam es zu einer starken außerparlamentarischen Einflußnahme von Frauen in Form von Briefen und Petitionen. Die Einsenderinnen forderten in den meisten Fällen die Verabschiedung des Selbertschen Antrags94. Erst jetzt kam Bewegung in die Diskussion, auch wenn gerade von eher konservativer Seite immer wieder betont wurde, dieser (für sie unverständliche) Protest habe überhaupt keine Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung gehabt, und Heuss gar von einem "Quasi-Stürmlein" bzw. "Aufgerege" sprach, das erst nach dem Hinzukommen einer "Frauenrechtlerin" entstanden sei95. Einzig der Abg. Strauß zeigte ein über minderjährige Kinder hin, vgl. Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 1948/49, 17. Sitzung des Hauptausschusses vom 3.12.1948, Stenographisches Protokoll, S. 207. All dies sollte sich ja auch in der Tat ändern. 91 Abg. Dr. v. Mangoldt (CDU), Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 17. Sitzung, Sten. Prot., S. 208 im Hinblick auf Schutzbestimmungen für Frauen: "Es gibt gewisse Gebiete, auf denen die Männer auf Grund ihrer Verschiedenheit weniger Rechte als die Frauen haben. Deshalb ist dieser Satz ... nicht richtig". 92 Abg. Dr. Seibert (SPD), Parlamentarischer Rat, 17. Sitzung des Hauptausschusses, Sten. Prot., S. 206. Hinsichtlich des Bevorzugungs- und BenachteiligungsVerbots des späteren Art. 3 Abs. 3 GG meldete sie Bedenken an, daß sie sich Doktoranden vorstellen könne, die nachweisen, daß die Frau im bürgerlichen Recht gar nicht benachteiligt sei. Dieser Ansatz wurde vom Vors. Dr. Schmid aufgegriffen und fortgeführt (a. a. O. S. 208): Benachteiligungen könnten als Begünstigungen ähnlich wie im Minderjährigenrecht ausgelegt werden. 93 Vors. Dr. Schmid (SPD), Parlamentarischer Rat, 17. Sitzung des Hauptausschusses, Sten. Prot., S. 208. 94 Näher dazu, wer die Einsenderinnen waren und über den Inhalt der Briefe B. Böttger, S. 191 ff., insb. S. 197. 95 Schließlich seien sich die schon vorher anwesenden 'verständigen Frauen und Männer' über die Behandlung der Problematik einig gewesen, Abg. Dr. Heuss (FDP),

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wenig Verständnis, als er eingestand, man habe die Dinge zu juristisch und zu wenig politisch gesehen96. Schließlich brachte die CDU-Fraktion doch noch einen weiteren Antrag ein, der da lautete: "Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten. Die Gesetzgebung hat dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen." Auch damit gab sich Selbert jedoch nicht zufrieden, auch weil von Seiten der CDU betont wurde, daß man damit keine inhaltliche Änderung zum Vorschlag des Grundsatzausschusses beabsichtige, sondern lediglich eine offenbar als unklar und unzureichend erscheinende Formulierung durch eine andere Formulierung ersetzen wolle 97 . Sie versuchte immer wieder, Bedenken gegen eine "Gleichmacherei" auszuräumen: "Es ist ein grundlegender Irrtum, bei der Gleichberechtigung von der Gleichheit auszugehen. Die Gleichberechtigung baut auf der Gleichwertigkeit auf, die die Andersartigkeit anerkennt. Mann und Frau sind nicht gleich."98 Die Sonderbestimmungen des Mutterschutzes und des Arbeitsschutzes seien in Wirklichkeit gar keine Vorrechte, es seien vielmehr nichts weiter als Sonderbestimmungen, die einen Ausgleich für die Belastungen darstellten, die der Frau aufgrund ihrer "natürlichen Aufgaben" als Mutter entstünden99. Den Einwand des drohenden "Rechtschaos" suchte sie durch eine Übergangsregelung, den späteren Art. 117 Abs. 1 GG, auszuräumen. Gleichzeitig sollte dieser Artikel einer endlosen Vertagung des Gleichberechtigungssatzes entgegenwirken 100. Parlamentarischer Rat, 42. Sitzung des Hauptausschusses, Sten. Prot., S. 542. Mit der "Frauenrechtlerin" konnte dabei nur Elisabeth Seibert gemeint sein. Hier ist zu beachten, daß es zu jener Zeit eine regelrechte Phobie vieler Frauen vor diesem Begriff gab, da dieser oft als Inbegriff für Unweiblichkeit benutzt wurde. Gerade für Seibert, die sich immer wieder dagegen wehrte, als Frauenrechtlerin dargestellt zu werden (vgl. Parlamentarischer Rat, 42. Sitzung des Hauptausschusses, Sten. Prot., S. 540: "Ich bin .. nie Frauenrechtlerin gewesen und werde es nie sein"), mußte diese Bezeichnung beleidigend wirken. Noch später konnte Seibert gar nicht glauben, daß der sonst so höfliche Heuss sie damit gemeint hatte, vgl. B. Böttger, S. 227 Fn.141. 96 Abg. Dr. Strauß (CDU), PR, 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 538. Für diesen hatte Heuss später nur die spöttische Bezeichnung als "Kavalier" übrig, Abg. Dr. Heuss (FDP), PR, 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 542. 97 Abg. Frau Dr. Weber (CDU), PR, 42. Sitzung des Hautausschusses, S. 539. 98 Abg. Dr. Seibert, PR, 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 540. 99 Abg. Dr. Seibert ebd. Seibert war ein Kind ihrer Zeit. Eine gewisse traditionelle Auffassung über die Aufgaben von Mutter und Vater hatte auch sie. Nur trat sie eben für eine absolute Gleichwertigkeit von Erwerbstätigkeit und Hausfrauentätigkeit ein. So betonte sie auch immer wieder, daß die Arbeit der Hausfrau soziologisch der Arbeit der "berufstätigen" Frau gleichwertig sei. 100 So E. Seibert, in: B. Böttger, S. 165: "Dadurch, daß ich also das Bestehen des bisherigen Rechts limitierte, gab ich, oder gaben wir [gemeint ist Wiltraud Rupp-von Brünneck, die spätere Richterin am Bundesverfassungsgericht] den imperativen Auftrag expressis verbis an den Gesetzgeber, alle dem Grundgesetz zuwiderlaufenden Gesetze binnen vier Jahren zu ändern." S. 166: " ... ich wollte die Gleichstellung als imperativen

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

Schließlich fand man doch noch zu einer Einigung: Der Vorschlag Seiberts wurde angenommen. Sie selbst stimmte - sozusagen als Kompromiß - für den zweiten Satz des CDU-Antrags, allerdings nur unter der Bedingung, daß durch diesen der erste Satz nicht eingeschränkt würde, denn sie befürchtete anfangs eine Aufschiebung der Bindungswirkung des Satzes 1. Sie wollte sichergehen, daß mit der Annahme der Verfassung diese Bindung bereits eintreten würde 101. Diesbezüglich beruhigte sie der Abg. Fecht: Der zweite Satz sei ein "Auftrag an den Gesetzgeber, mit möglichster Beschleunigung - obwohl das nicht ausdrücklich drinsteht - den Gedanken des ersten Satzes zu verwirklichen" 102. Die Fassung, die schließlich angenommen wurde, lautete: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Die Gesetzgebung hat dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechts ... benachteiligt oder bevorzugt werden103.

In dieser Fassung passierte der 'Gleichberechtigungsartikel' als Artikel 4 dann auch die dritte Lesung des Hauptausschusses. Festzuhalten ist dabei, daß die Verankerung der Gleichheit der Geschlechter vor dem Hintergrund traditioneller Aufgabenverteilung gesehen und deshalb auch kritisch beäugt wurde. Deutlich wurde das bereits in einer Sitzung des Grundsatzausschusses, in der es die Abg. Weber (CDU) als 'jammervoll' bzw. als 'unheimlichen Zustand' ansah, sollte die Frau die Erwerbstätigkeit der Kindererziehung vorziehen und somit gar der Mann die Kinder versorgen. Sie trete dafür ein, daß die Frau für das Familienleben frei werde. Ähnlich dachte der Abg. v. Mangoldt104: man könne sich nur sehr schwer vorstellen, daß etwa der Mann die Kinder versorgen solle. Hierbei spielte auch wieder die Sorge um die

Auftrag an den Gesetzgeber, im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung, verstanden wissen. Ich hatte nicht geglaubt, daß 1948/49 noch über die Gleichberechtigung überhaupt diskutiert werden mußte und ganz erheblicher Widerstand zu überwinden war !" 101 Abg. Dr. Seibert, 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 541. 102 Abg. Dr. Fecht (CDU), 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 543. 103 Später wurden dann der 2. Satz des Abs. 2 und der 2. und 3. Satz des 1. Absatzes vom Al lg. Redaktionsausschuß gestrichen. Dieser änderte nach der Streichung des Absatz 2 Satz 2 den Artikel 138 c - 2 (den späteren Art. 117 GG) folgendermaßen ab: "Das dem Artikel 4 Absatz 2 entgegenstehende Recht bleibt bis zu seiner Anpassung an diese Vorschrift des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953." 104 Abg. Dr. Weber (CDU), 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 30.11.1948, in: Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949, Akten und Protokolle Band 5/II, Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 749; Abg. Dr. v. Mangoldt, ebd. S. 748.

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Stabilität der Gesellschaft mit herein. Interessanterweise kam man in eben jener Sitzung auch auf das Doppelverdienerargument zu sprechen, wobei aus arbeitsmarktpolitischen und sozialen Gründen einiges Verständnis dafür aufgebracht wurde 105. D. h.: Die Auffassung, Gleichheit könne doch hur bedeuten, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden solle, bot genügend Raum für traditionelle Rollenvorstellungen. 3. Zusammenfassung der historischen Entwicklung und Würdigung Art. 3 Abs. 2 GG a. F. entstand zu einer Zeit, in der die traditionelle Rollenaufteilung mehrheitlich akzeptiert war und man sich eine frei bestimmte Aufgabenverteilung entweder gar nicht oder nur sehr schwer vorstellen konnte. Wer sich mit einer Austauschbarkeit oder Durchlässigkeit der Rollen jedoch noch nicht einmal theoretisch befassen konnte oder wollte, legte der Interpretation des Absatz 2 immer noch den ursprünglichen Inhalt des Absatz 1 zugrunde, wonach Ungleiches ungleich behandelt werden konnte. Man konnte und wollte sich einfach nicht von den gängigen Geschlechterstereotypen trennen und hatte für "Frauenrechtlerei" nichts übrig. Die Bezeichnung von engagierten Frauen als hysterische "Frauenrechtlerinnen" schließt sich dabei beinahe nahtlos an die Verunglimpfung als "Blaustrümpfe" an, ebenso wie die spöttische Bezeichnung von Männern mit Verständnis für Frauenforderungen als "Kavaliere" meines Erachtens symptomatisch dafür ist, wie wenig in Wirklichkeit diese Gleichberechtigungsproblematik ernst genommen wurde 106. Aufgrund des Mißtrauens gegen die jahrtausendealte Herrschaft der Männer wurde Art. 117 Abs. 1 GG eingeführt. Er sollte einmal einen Zustand des Rechtschaos nach Inkrafitreten des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. verhindern, zugleich aber auch die Verwirklichung des Gleichberechtigungssatzes nicht auf den Sankt Nimmerleins Tag hinausschieben. Wie berechtigt dieses "Mißtrauen" war, zeigt sich an der - trotz Art. 117 GG - nur zögerlichen Verwirklichung des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. Erst 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz107 verabschiedet, das zwar das Familienrecht verbesserte, aber unvollständig blieb: Noch immer war gesetzlich vorgeschrieben, daß der Beitrag der Ehefrau zur gemeinsamen Lebensführung durch die Haushaltsführung zu leisten und ihre Erwerbstätigkeit nur insoweit zulässig sei, soweit sie mit den Pflichten in Ehe und Familie nicht kollidiere. Erst im Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts von 1976108 wurde diese ge105 106 107 108

Vgl. die Abg. Dehler, Nadig und Bergsträsser, ebd. Vgl. dazu Fn. 58, 95, 96 in diesem Kapitel. G. v. 18.6.1957, BGBl. I S. 609. 1. EheRG v. 14.6.1976, BGBl. I S. 1421.

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

setzliche Zuschreibung der Haushaltsführung an die Ehefrau aufgehoben und beide Ehegatten ohne Unterschied zur Erwerbsarbeit unter Rücksichtnahme "auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie" berechtigt; ferner wurde die Möglichkeit geschaffen, den Ehenamen untereinander auszumachen, wobei es jedoch in Fällen mangelnder Einigung beim Namen des Mannes blieb. Beibehalten wurde auch der Stichentscheid des Vaters in Kindesangelegenheiten, der erst drei Jahre später aufgehoben wurde 109. Die automatische Festlegung des Mannesnamens bei mangelnder Einigung über den Familiennamen wurde wie gesagt erst 1993 geändert. 4. Die "neue Frauenbewegung" Im Zuge der allgemeinen Protestbewegung Ende der 60er Jahre formierte sich auch der Protest der Frauen gegen ihre Lebensumstände und ihre gesellschaftliche Behandlung. Mit zunehmender Erwerbstätigkeit ergaben sich Konflikte zwischen Beruf und Kindererziehung. Wie seit eh und je war die Trennung zwischen dem Privatbereich für Frauen und Politik für Männer zementiert 110 . Hauptforderungen, denen durch demonstrative Aktionen Nachdruck verliehen wurde, waren Abschaffung des § 218 StGB und Befreiung von ökonomischer Abhängigkeit vom Mann, zusammengefaßt in der Forderung nach Selbstverwirklichung. Damit lebten Grundgedanken des radikalen und sozialistischen Flügels derfrühen Frauenbewegung wieder auf und führten auch jetzt zur Flügelbildung: Den Radikalfeministinnen traten die Anhängerinnen der neuen Weiblichkeit gegenüber, die weibliche Werte und weibliches Denken in die Gesellschaft tragen wollten111. Mit "neuer" Frauenbewegung ist gemeint, daß es im Unterschied zur "alten" Frauenbewegung nicht nur um GleichberecArigung ging, sondern um tiefgreifende Veränderungen auf der Bewußtseinsebene und in den Verhaltensweisen112. Die Geschlechterrollenfixierung des üblichen Frauen- und Männerbildes wurde von den Feministinnen als zentrales Problem analysiert und, ausgehend von der Annahme der Gleichheit von Mann und Frau, bekämpft. Wichtig diesbezüglich war und ist bis heute die Deutung von Rollenstereotypen als Folge unterschiedlicher Erziehung und Sozialisation113, getreu dem Schlagwort: "Wir 109

Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge v. 18.7.1979, BGBl. I S. 1061. 110 Dazu F. Hervé/E. Steinmann/R. Wurms, S. 178. 111 A. Lissner/R. Süssmuth/K. Walter, Frauenlexikon, 1988, Spalte 329. 112 F. Hervé/E. Steinmann/R. Wurms, S. 178. 113 Vgl. dazu aus der neueren Literatur C. Dowling, Der Cinderella - Komplex, 1994, S. 102 ff.: Schilderung unterschiedlicher Erziehung, mehr Fürsorge für Mädchen als für Jungen, Vermeidung von Angst- und Streßsituationen; ebenso U. Erhardt, Gute Mäd-

II. Die deutsche Frauenbewegung

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werden nicht als Mädchen geboren - wir werden dazu gemacht." 114 Erschwerend komme jedoch hinzu, daß diese Rollenstereotype oft sehr versteckt sei115

en Wurde zur Bekämpfung von Vorurteilen und Rollenklischees zunächst der Aspekt der Gleichheit betont, so kam nach und nach auch eine selbstbewußte Anerkennung der weiblichen "Andersartigkeit" auf. Deutlich wird seither der "Maßstab Mann" in der Gesellschaft kritisiert, der dazu geführt habe, daß das Anderssein der Frau außerhalb des Familienkreises nur immer zu ihrem Nachteil ausgelegt werde 116 . Dies äußere sich v. a. in einem "Minderheitenstatus" von Frauen, obwohl sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. In der feministischen Literatur wird dabei durchaus gesehen, daß bei vielen Frauen die "Liebe zur Freiheit" erst geweckt werden müsse. Psychische und ökonomische Abhängigkeit seien dafür ebenso Gründe wie Angst vor Liebesentzug oder Aberkennung der Weiblichkeit durch das Streben nach Unabhängigkeit 117 . Auch hierfür

chen kommen in den Himmel, böse überall hin, 1994, S. 187 if., 188 mit der Bemerkung, unabhängig von der Streitfrage, ob bestimmte Verhaltensweisen nun angeboren oder sozial erworben wurden, gebe es nun einmal vom frühesten Jugendalter an geschlechtsspezifische Erziehung. 114 So der populäre Buchtitel von U. Scheu, 1977. 115 So U. Erhardt, S. 189. Das Problem liege in der heute subtilen Weise unterschiedlicher Erziehung, da es durchaus ein 'echtes Bemühen' zur geschlechtsneutralen Erziehung gebe. Zur Tatsache, daß man versteckte Rollenstereotype oft gar nicht wirklich wahrnimmt vgl. etwa F. Pabst/V. Slupik, Das Frauenbild im zivilrechtlichen Schulfall, in: U. Gerhard/J. Limbach (Hrsg.), Rechtsalltag von Frauen, 1988, S. 199 ff. 116 Zur Erwartunghaltung "typisch männlicher" Attribute (unabhängig, konkurrenzfreudig, sachlich, aggressiv) in der Wirtschaft, dem "male model of management" S. Hefftner , Betriebliche Frauenförderung - wozu ?, in: U. Battis/U. Schultz (Hrsg.), Frauen im Recht, 1990, S. 184 ff./198 f.; zum Maßstab einer typisch männlichen Berufsbiographie unter Ausblendung familiärer Belange C. Eckart, Wie Teilzeitarbeit zu Frauenarbeit gemacht wurde, in: U. Gerhard/J. Limbach, Rechtsalltag von Frauen, 1988, S. 46 ff./S.47; zur Kritik am Maßstab Mann in der Wissenschaft, insb. in der Moraltheorie V. Held, Feminist Morality and the Role of Law, in: R. Alexy/R. Dreier/ U. Neumann, ARSP Beiheft 51, S. 145 ff./145 f. 117 Dazu C. Dowling, S. 163 ff.: "Krise durch Erfolg"; zum Rollenkonflikt karriereorientierter Frauen auch 77z. Just, Frauenförderung für Führungspositionen, 1991, S. 17. Beim Aufstieg in Führungspositionen übernehmen Frauen meist das männliche Stereotyp und versuchen den daran geknüpften Erwartungen gerecht zu werden. Gelinge ihnen dies, werde ihnen als 'Karrierefrau' ihre Weiblichkeit abgesprochen (sie 'stehen ihren Mann im Beruf), verzichten sie aber freiwillig auf einen Aufstieg, so scheine sich zu bestätigen, daß Frauen einfach nicht geeignet sind, Führungsaufgaben zu übernehmen. D. h.: Beruflicher Erfolg steht bis zu einem gewissen Grade im Widerspruch zur Weiblichkeit, er ist "Männersache". Hier setzt sich die Tendenz fort, Frauen, die aus der "Rolle" fallen, als "unweiblich" zu charakterisieren; zu der Angst von Frauen vor Neuem und dem Aspekt, daß sich das Alltagsbewußtsein gegen die Erkenntnis gesellschaftlicher Benachteiligung wehrt U. Gerhard, Über Frauenalltag und Frauenrechte, in: U. Gerhard/J. Limbach (Hrsg.), Rechtsalltag von Frauen, 1988, S. 17 ff./S. 20.

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

werden gesellschaftliche Normen und geschlechtsspezifische Erziehung verantwortlich gemacht118. Besonderer Wert wird bis heute auch darauf gelegt, Hemmnisse und Ungerechtigkeiten als strukturelles gesellschaftliches, also auch öffentliches Problem zu begreifen. Damit soll der Tendenz entgegengewirkt werden, das Problem ins Private abzuschieben und auf die Ebene des Bewußtseins zu reduzieren - nach dem Motto: Vorurteile kann man nicht verbieten - und sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, daß von staatlicher Seite aus sowieso nichts getan werden könne 119 . Mit dem Slogan "Das Private ist politisch" wird seit den 70er Jahren vielmehr der Tatsache Ausdruck verliehen, daß es letztlich um die Verteilung von Macht, Einfluß, Arbeit, Besitzständen und Lebenschancen in der Gesellschaft geht120. Diesbezüglich wurde auch ein gewisser Einfluß auf die eher traditionellen Verfechterinnen von Frauenrechten, sozusagen auf die Nachfahren der bürgerlichen Frauenbewegung, ausgeübt. Während der Ersten Berliner Frauenkonferenz 1977 unternahmen die eher traditionellen Frauenverbände und autonome Gruppen zum ersten Mal den Versuch der Verständigung. Seitdem hat der Prozeß gegenseitiger Tolerierung Fortschritte gemacht121. Heute gilt die Frauenbewegung in all ihren Facetten als politischer Faktor; dabei lassen sich die unterschiedlichen Strömungen in (1) Radikalfeministinnen, (2) gewerkschaftlich Orientierte und Sozialistinnen und schließlich (3) Traditionelle aufteilen122.

118 U. Erhardt, S. 187: "Die Erziehung zum Mädchen ist nahezu gleichbedeutend mit der Erziehung zur Hilflosigkeit. Früh lernen Mädchen, daß sie nur wenige Dinge allein können. Eine hilfreiche Hand räumt ihnen Hindernisse aus dem Weg, bevor diese als solche erkannt sind"; C. Dowling, S. 14: "Nicht die Natur schenkt den Männern diese Unabhängigkeit, sie wird durch Training erworben. Von Geburt an werden Männer auf die Unabhängigkeit vorbereitet." 119 Dazu V. Slupik, Verrechtlichung der Frauenfrage - Befriedungspolitk oder Emanzipation, in: KJ 1982, S. 348 ff./S. 349, 352 f. 120 V. Slupik, Verrechtlichung, S. 353. Damit zeigt sich ganz im Sinne der Interessenjurisprudenz das Recht als Instrument, gegensätzliche gesellschaftliche Interessen zum Ausgleich zu bringen. 121 A. Lissner/R. Süssmuth/K. Walter, Spalte 330 m. w. N. 122 Näher dazu F. Hervé/E. Steinmann/R. Wurms, S. 180.

III. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Europarecht

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Ι Π . Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Europarecht 1. Regelungen des Gemeinschaftsrechts Das Europarecht gewinnt für die deutsche Rechtsordnung immer stärker an Bedeutung, es genießt gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht Anwendungsvorrang 123. Grund genug also, sich die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Normen und Gerichtsentscheidungen näher zu betrachten. Es soll dabei an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick gegeben werden, der Versuch einer Koordinierung von deutschem und europäischem Recht ist Gegenstand des letzten Kapitels. a)Art. 119EGV Im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaften ist die Gleichheit von Mann und Frau in Art. 119 EWG-Vertrag, jetzt Art. 119 EGV geregelt, allerdings nur im Hinblick auf die Gleichheit des Entgelts für gleiche Arbeit. Die Vorschrift begründet ein subjektives Recht der Arbeitnehmer auf Gleichbehandlung in bezug auf den Arbeitslohn bei gleicher Arbeit ohne Rücksicht auf das Geschlecht. War Hauptgrund für die Einführung dieser Bestimmung zunächst die Sorge insbesondere Frankreichs vor Wettbewerbsverzerrungen durch den Einsatz von Frauen zu niedrigeren Löhnen124, so trat mit der Zeit diese wirtschaftliche Betrachtungsweise zugunsten des sozialrechtlichen Aspekts in den Hintergrund - es wird teilweise sogar von einer "Umkehrung" der Zielsetzung gesprochen125. Art. 119 EGV wird inzwischen als Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (allgemeine Gleichberechtigungsidee) angesehen. Der EuGH hat der großen Bedeutung dieses Aspekts auch dadurch Ausdruck verliehen, daß er feststellte, Art. 119 EGV gehöre zu den Grundlagen der Gemeinschaft 126. Zu beachten ist, daß Art. 119 EGV noch nie über Fälle des Entgelts hinaus angewendet wurde. Eine Ausweitung hat die Vorschrift jedoch dahingehend erfahren, daß durch den EuGH eine 123

M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1993, S. 215. In Frankreich war die Lohngleichheit von Männern und Frauen für gleiche Arbeit schon 1957 festgeschrieben worden. Zum wirtschaftspolitischen Hintergrund des Art. 119 EWGV C. Langenfeld, Die Gleichbehandlung von Mann und Frau in der Europäischen Gemeinschaft, 1990, S. 31 m. w. N. 125 C. Langenfeld, S. 40. "Waren die sozialpolitischen Inhalte in Art. 119 ... doch mehr ein Nebenprodukt der wirtschaftlichen Integration, so gewinnen sie heute zunehmend Selbständigkeit und folgen eigenen Gesetzen." 126 EuGH Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, 472 ff./473. 124

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1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

unmittelbare Drittwirkung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen auch für die Privatwirtschaft konstatiert wurde 127. b) Die Richtlinien des Rates zur Geschlechtergleichberechtigung Artikel 119 EGV wurde durch bislang fünf Richtlinien konkretisiert 128. Dadurch wurde der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter auch in seinem sachlichen Anwendungsbereich erweitert. Die RL 75/117/EWG129 erstreckt den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit auch auf gleichwertige Arbeit, RL 86/378/EWG130 beschäftigt sich mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit und die bislang letzte Richtlinie zum Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern bezieht sich auf selbständig Erwerbstätige sowie den Mutterschutz131. Für die vorliegende Untersuchung ist insbesondere die RL 76/207/EWG132 bedeutsam. Diese befaßt sich mit der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen. Wichtig ist diese Richtlinie u. a. deshalb, weil sie in ihrem Art. 2 Abs. 1 nicht nur eine "unmittelbare", sondern auch eine "mittelbare" Diskriminierung wegen des Geschlechts verbietet, wobei dieser Grundsatz erst einige Jahre später vom EuGH definiert und angewendet wurde 133. Klar 127

EuGH Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, 476/472. Kurze Inhaltsangabe zu allen Richtlinien, insbesondere zu denjenigen, die im folgenden nicht näher behandelt, sondern nur genannt werden, in: I. List-Knopik, Aspekte zur Gleichbehandlung von Mann und Frau als Teil europäischer Sozialpolitik, in: ZRP 1992, S. 181 ff./184 ff. 129 RL des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, ABl. L 45/19. 130 RL des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, ABl. L 225/40. 131 RL des Rates vom 11. Dezember 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit auch in der Landwirtschaft - ausüben, sowie über den Mutterschutz (86/613/EWG), ABl. L 359/56. 132 RL des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. L 39/40. 133 EuGH Rs. 96/80 (Jenkins/Kingsgate), Slg. 1981, S. 911 ff. Dazu sogleich und C. Langenfeld/B. Jansen, in: E. Grabitz/M. Hilf, EGV, Art. 119 EGV, Rn. 15. 128

III. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Europarecht

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war anfangs nur, daß sich der Begriff "mittelbare Diskriminierung" auf die faktischen Auswirkungen scheinbar geschlechtsneutraler Regelungen beziehen sollte134. Ein Verbot mittelbarer Diskriminierung findet sich auch in Art. 4 RL 79/7/EWG135. 2. Die Auswirkungen europäischen Rechts auf das deutsche Recht. Insbesondere: die "frauenfreundliche" Rechtsprechung des EuGH Die Behandlung der Geschlechtergleichberechtigung auf europäischer Ebene ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung auch für das deutsche Recht. Das gilt v. a. für die Einbeziehung auch mittelbarer Diskriminierung in das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen des Geschlechts. Das deutsche Recht hatte sich - wie noch zu zeigen sein wird - bis zu diesem Zeitpunkt nämlich kaum mit faktisch diskriminierenden Folgen scheinbar neutraler Regelungen beschäftigt. Als "frauenfreundlich" erwies sich insbesondere die Rechtsprechung des EuGH in bezug auf Teilzeitarbeit, eine "Frauendomäne". Hier wurde das Verbot mittelbarer Diskriminierung im Rahmen des Art. 119 EGV (das Verbot wurde also nicht nur als auf die Richtlinien beschränkt angesehen) entfaltet. Zum ersten Mal befaßte sich der EuGH mit dieser Materie in der Rs. Jenkins/Kingsgate: In einem Betrieb bekamen Teilzeitbeschäftigte einen 10 % niedrigeren Stundenlohn als ihre in der gleichen Lohngruppe Vollzeit arbeitenden Kollegen. Nach Angaben des Arbeitgebers sollte damit ein Anreiz zur Vollzeitarbeit geschaffen werden. Fünf Frauen und ein Mann arbeiteten Teilzeit. Eine der Teilzeitarbeitnehmerinnen ging vor Gericht, da sie einen Verstoß gegen Art. 119 EGV darin erblickte, daß sie 10 % weniger in der Stunde verdiente als ihr (Vollzeit arbeitender) männlicher Kollege. Zu diesem Fall führte der EuGH aus: Grundsätzlich sei die Absicht des Arbeitgebers, einen Anreiz für Vollzeitarbeit zu geben, nicht zu beanstanden. "Stellt sich dagegen heraus, daß ein erheblich geringerer Prozentsatz der weiblichen Arbeitnehmer als der männlichen Arbeitnehmer die Mindestzahl der Wochenarbeitsstunden leistet, die die Voraussetzung für den Anspruch auf den Stundenlohn zum vollen Satz ist, so steht das ungleiche Entgelt dann in Widerspruch zu Art. 119 E WG-Vertrag, wenn - unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, die die weiblichen Arbeitnehmer haben, um diese Mindeststundenzahl pro Woche leisten zu können - die Lohnpolitik des betreffenden Unternehmens

134 Dazu C. Langenfeld/B. Jansen, in: E. Grabitz/M. Hilf, EGV, Art. 119 EGV, Rn. 20. 135 RL des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (79/7/EWG), ABl. 1979 L 6/24. 4 Schweizer

1. Kapitel: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau

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nicht durch Umstände zu erklären ist, die eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausschließen."136

Schließlich stellte der Gerichtshof fest: "Ein unterschiedliches Entgelt für Vollzeitarbeitnehmer und Teilzeitarbeitnehmer stellt nur dann eine durch Art. 119 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung dar, wenn es in Wirklichkeit nur ein indirektes Mittel dafür ist, das Lohnniveau der Teilzeitarbeitnehmer aus dem Grunde zu senken, weil diese Arbeitnehmergruppe ausschließlich oder überwiegend aus weiblichen Personen besteht."137

Fortgesetzt und weiter ausgeführt wurde diese Rechtsprechung in der BilkaEntscheidung des EuGH, in der es ebenfalls um die Zulässigkeit einer Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten beim Entgelt ging. Im Anschluß an die Rs. Jenkins stellte hier das Gericht Kriterien auf, wann eine mittelbare Diskriminierung nicht vorliege, nämlich dann, wenn der Unternehmer in der Lage sei darzulegen, daß seine Lohnpolitik auf Faktoren beruhe, die objektiv gerechtfertigt seien und nichts mit einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu tun haben138. Dafür müßten die angewandten Mittel "einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmers dienen und für die Erreichung des Ziels geeignet und erforderlich sein"139. Die deutschen Gerichte, allen voran das BAG, übernahmen diese Definition im wesentlichen. Sei der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung im Sinne der Jenkins - und ßz'/fo-Entscheidung gegeben, so müsse der Arbeitgeber zur Rechtfertigung seiner Regelung darlegen und beweisen, "daß die Differenzierung einem wesentlichen Bedürfiiis des Unternehmens dient und für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist" 140 . Auch sonst machte sich das Europäische Recht als Schrittmacher für die Bundesrepublik in Sachen Gleichberechtigung bemerkbar. So wurden nicht nur erst auf Druck der Kommission die beiden ersten EG-Richtlinien zur Gleichberechtigung der Geschlechter endlich 1980 im Wege des EG-Anpassungsgesetzes umgesetzt141 - es war die erste bundesgesetzliche Regelung zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter außerhalb des Familienrechts; vielmehr mußte der durch eben jenes Gesetz eingefügte § 611a BGB, der im Falle einer Diskriminierung wegen des Geschlechts bei Einstellungen lediglich einen 136

EuGH Rs. 96/80 (Jenkins/Kingsgate), Slg. 1981, S. 911 ff/925 f., Rn. 13. EuGH Rs. 96/80 (Jenkins/Kingsgate), Slg. 1981, S. 911 ff/928 sowie 926. 138 EuGH Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986 I, S. 1607 ff., 1620 ff./Rz. 30. 139 EuGH Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986 I, S. 1607 ff., 1620 ff./Rz. 36. 140 BAG NZA 1987, S. 445 ff./445; auch BAG NZA 1990, S. 778. 141 Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz und über die Erhaltung von Ansprüchen bei Betriebsübergang vom 13.8.1980 (Arbeitsrechtliches EG-Anpassungsgesetz), BGBl. I S. 1308; vgl. dazu H Hörburger/F. RathHörburger, Europas Frauen - gleichberechtigt ?, 1985, S. 20 ff. 137

III. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Europarecht

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Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gewährte (deshalb auch abfällig "Portoparagraph 11 genannt), auf eine Entscheidung des EuGH hin abgeändert werden, da diese Sanktion nach Ansicht des Gerichts nicht den Anforderungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes entsprach142. Alles in allem ergaben sich Konflikte zwischen deutschem und europäischem Recht i. d. R. daraus, daß der EuGH konsequenter als der deutsche Gesetzgeber Frauen als "potentielle Erwerbstätige" ansah143.

142

EuGH Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 ff., 1906. Die Umsetzung von Richtlinien müsse im Ergebnis wirksam sein, d. h. die Sanktionen müssen schon eine gewisse Druckwirkung entfalten. Ebenso der EuGH in der Rs 79/83, Slg. 1984, 1921 ff./insb. Rz. 14, 23. 143 Vgl. R. Jaeger, Probleme der Gleichbehandlung im Sozialrecht, NZA 1990, S. 1 ff./9 m. w. N. aus der Rechtsprechung des EuGH; zum Unwillen diesbezüglich in Teilen der deutschen Politik vgl. H. Hörburger/F. Rath-Hörburger, S. 26 ff.

2. Kapitel

Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG im Zuge der Verfassungsreform 1994 I. Entstehungsgeschichte 1. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und ihre verfassungsrechtliche Bewältigung. Die Einrichtung der Gemeinsamen Verfassungskommission Grund und Anlaß für eine Durchsicht des Grundgesetzes bezüglich möglicher Veränderungen war die "Wende" in der DDR und die sich daran anschließende Frage, welche Auswirkungen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf das Grundgesetz haben sollte, war es doch schließlich - wie schon allein die Vermeidung des Begriffs "Verfassung" zeigte - 1949 als Provisorium für den Westteil Deutschlands gedacht gewesen. Diskutiert wurde, ob gem. Art. 146 GG a. F. eine neue Verfassung für ganz Deutschland ausgearbeitet werden sollte oder ob eine Vereinigung über Art. 23 GG a. F., also über einen Beitritt unter grundsätzlicher Beibehaltung des Grundgesetzes, vorzuziehen war1. Diese Streitfrage über den "Königsweg" zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurde jedoch bekanntermaßen durch die erste und letzte frei gewählte Volkskammer der DDR entschieden, als sie am 23. August 1990 den Beitritt der DDR gem. Art. 23 Satz 2 GG a. F. zum Geltungsbereich des Grundgesetzes mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 beschloß. Dementsprechend sprach auch Art. 5 des EV hinsichtlich künftiger Verfassungsänderungen - zwingende beitrittsbedingte Änderungen waren dabei bereits Gegenstand des Art. 4 EV - auch nicht von einer "Totalrevision" des Grundge1 Im Sinne der erstgenannten Ansicht stimmten die Regierungsparteien CDU/CSU und F.D.P.; für den Weg über Art. 146 GG a. F. traten die SPD und DIE GRÜNEN ein. Zu diesen Auseinandersetzungen im Vorfeld des Beitritts vgl. R. Scholz, Neue Verfassung oder Reform des Grundgesetzes ?, in: ZfA 1991, S. 683 ff.; für Art. 23 GG etwa R. Leicht, Einheit durch Beitritt, in: B. Guggenberger/T. Stein (Hrsg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, 1991, S. 186 ff; für den Weg über Art. 146 GG a. F. etwa E. G. Mahrenholz, Das Volk muß "Ja" sagen können, in: B. Guggenberger/T. Stein (Hrsg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, 1991, S. 220 ff.; ebenfalls für Art. 146 GG a. F. als der Ansicht der SPD H.-J. Vogel, Die Reform des Grundgesetzes nach der deutschen Einheit, in: DVB1. 1994, S. 497 ff./498.

I. Entstehungsgeschichte

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setzes, sondern hob lediglich einzelne Punkte hervor, über die im Rahmen einer Verfassungsänderung nachgedacht werden sollte. "Artikel 5 Künftige Verfassungsänderungen Die Regierungen der beiden Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere - in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990, - in bezug auf die Möglichkeit einer Neugliederung für den Raum Berlin/Brandenburg abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 des Grundgesetzes durch Vereinbarung der beteiligten Länder, - mit den Überlegungen zur Aufnahme von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz sowie - mit der Frage der Anwendung des Artikels 1462 des Grundgesetzes und in deren Rahmen einer Volksabstimmung." Allerdings kam dadurch die Diskussion über den Umfang einer Durchsicht des Grundgesetzes zu keinem Ende, vielmehr fühlten sich beide Seiten durch Art. 5 EV bestätigt: Diejenigen, die schon vor dem Beitritt der DDR für den Weg über Art. 23 GG a. F. plädiert hatten, um den geringen Reformbedarf des "bewährten" Grundgesetzes zu unterstreichen 3, führten Art. 5 EV neben dem Beitritt als solchem ebenso als Argument an wie jene, die auf die beispielhafte Aufzählung des Art. 5 EV ("insbesondere") und auf die ausdrückliche Erwähnung des Art. 146 GG a. F. verwiesen 4. Insbesondere letztere sahen den Zeitpunkt als günstig an, aufgrund der seit 1949 gewandelten Lebensverhältnisse

2

Art. 146 GG war durch Art. 4 Ziff. 6 EV wie folgt abgeändert: "Dieses Grundgesetz, das nach der Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist." 3 Zum Argument, das Grundgesetz habe sich "bewährt" bzw. sei die "freiheitlichste und beste Verfassung, die wir Deutschen je hatten", F.-A. Jahn, Keine Totalrevision des Grundgesetzes, in: Das Parlament v. 10.4.1992, S. 13; R. Seiters (damaliger Bundesminister des Innern), Das Grundgesetz - die Verfassung der Deutschen, in: Das Parlament v. 10.4.1992, S. 12; für das Argument, daß aufgrund Art. 5 EV mit seinem Verweis auf die "gesetzgebenden Körperschaften" nur das Verfahren über Art. 79 GG in Frage komme, während der geänderte Art. 146 GG "weder einen Auftrag noch eine außerordentliche Ermächtigung zu einer Revision des Grundgesetzes oder zu seiner Ersetzung durch eine neue Verfassung" enthalte, P. Badura, Das Grundgesetz - Verfassung für Deutschland, in: B. Guggenberger/ T. Stein (Hrsg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, S. 325 ff./328, 333; ebenso R. Scholz, Neue Verfassung, S. 685. 4 Dazu H.-J. Vogel, Vom Grundgesetz der alten Bundesrepublik zur Verfassung der neuen Bundesrepublik, in: Das Parlament v. 10.4.1992, S. 13; eingehend zu dieser Problematik F. Ossenbühl, Probleme der Verfassungsreform, in: DVB1. 1992, S. 468 ff./ 469 ff.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

und Umweltbedingungen das Grundgesetz gründlich zu überprüfen, evtl. Defizite abzubauen, ggf. neue oder andere Prioritäten zu setzen und auch die Erfahrungen der Menschen in der DDR zu berücksichtigen. Diesen Dissens trotz der Vorschrift des Art. 5 EV kann man nur dadurch erklären, daß das Verhältnis zwischen Art. 23 GG und Art. 146 GG a. F. unterschiedlich gesehen wurde. Während im Regierungslager die Ansicht vertreten wurde, mit dem Weg über Art. 23 GG sei Art. 146 GG hinfällig geworden und die Erwähnung in Art. 5 EV beziehe sich nur noch auf die Frage einer Volksabstimmung, begriff die Opposition die beiden Verfassungsnormen nicht als sich ausschließende Alternativen. Vielmehr sei Art. 146 GG auch für den Fall im Grundgesetz verankert worden, daß die Einheit gem. Art. 23 GG zustandekomme. Der Einigungsvertrag habe daran nichts geändert5. Eine Orientierung am Regelverfahren für Verfassungsänderungen gem. Art. 79 GG wurde abgelehnt6. Vielmehr forderten SPD7 und DIE GRÜNEN8 die Einrichtung eines Verfassungsrats zur Erarbeitung einer neuen Verfassung, dem neben Politikerinnen und Politikern unabhängige Persönlichkeiten aus Ost und West - gerade auch aus der Bürgerbewegung - angehören sollten. Auch im außerparlamentarischen Bereich gab es - unter Beachtung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR" des Runden Tisches9 verschiedene Versuche, doch eine weitergehende Reform des Grundgesetzes zu erreichen. Am 23.5.1991 wurde von einem "Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder" in der Frankfurter Paulskirche ein eigener Verfassungsentwurf vorgestellt. Es war dies eine Versammlung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Verfassungsexperten aus Ost und West 10 , deren Ziel die Erarbeitung einer neuen deutschen Verfassung auf Grundlage einer breit ange-

5 So H.-J. Vogel, Vom Grundgesetz der alten Bundesrepublik zur Verfassung der neuen Bundesrepublik, in: Das Parlament v. 10.4.1992, S. 13. 6 H.-J. Vogel, Reform des Grundgesetzes, S. 497 ff. 7 Antrag der SPD-Fraktion im Bundestag v. 24.4.1991, BT-Ds. 12/415 zur "Weiterentwicklung des Grundgesetzes zur Verfassung für das geeinte Deutschland". Für einen Verfassungsrat aus 120 Mitgliedern, je zur Hälfte Frauen und Männer. Abschließende Volksabstimmung über neue Verfassung. 8 Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN v. 13. 5. 1991, BT-Ds 12/563: "Vom Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung". Paritätischer Verfassungsrat mit 160 Mitgliedern, Verabschiedung einer neuen gesamtdeutschen Verfassung durch das Volk. 9 Diese Arbeitsgruppe hatte im April 1990 den Entwurf für eine als fortdauernd gedachte DDR ausgearbeitet. Nach J. Limbach/M. Eckertz-Höfer (Hrsg.), Frauenrechte im Grundgesetz des geeinten Deutschland, 1993, S. 247, war dieser ein wichtiger Anstoß für die gesamte Verfassungsdebatte in der Folgezeit. Diese Arbeitsgruppe hatte einen Art. 3 für die Verfassung vorgeschlagen, der lautete: "(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt. (2) Der Staat ist verpflichtet, auf die Gleichstellung der Frau in Beruf und öffentlichem Leben, in Bildung und Ausbildung, in der Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung hinzuwirken. " 10 Das Kuratorium selbst bezeichnete sich als 'unabhängige und überparteiliche Bürgerinitiative', vgl. Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, Vom Grundgesetz zur deutschen Verfassung, 1991, S. 16.

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legten Verfassungsdebatte war, die Ost und West gleichermaßen miteinbeziehen sollte 11 . Auch zur gewandelten Rolle der Frau in der Gesellschaft nahm das Kuratorium Stellung12. Art. 3 und Art. 33 GG hätten - so der Vorschlag - folgendermaßen lauten können: Art. 3 Abs. 2 GG: "Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen und zu sichern." Außerdem sollte Art. 3 GG in einem Abs. 4 durch eine Kompensationsklausel ergänzt werden, wonach eine Bevorzugung wegen des Geschlechts zur Förderung von Frauen zum Ausgleich bestehender Nachteile zulässig gewesen wäre ("Maßnahmen zur Förderung von Frauen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugung wegen des Geschlechts")13. Für Art. 33 GG wurde in einem Abs. 3 eine Konkretisierung der Verpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG vorgeschlagen: Bei der Vergabe öffentlicher Ämter hätten "Bund, Länder und Gemeinden" dafür Sorge zu tragen, "daß Frauen und Männer im öffentlichen Dienst zu gleichen Anteilen vertreten sind"14. Außerdem achtete der Kuratoriumsentwurf darauf, die Verfassung durchgängig mit geschlechtsneutralen Bezeichnungen zu versehen, um die "sprachliche Ausgrenzung von Frauen" zu beenden, und strebte die Herstellung von Parität zwischen den Geschlechtern bei den obersten Gerichtshöfen, in Wahlvorschlagslisten etc. an 15 . Die Befürworter einer breit angelegten Verfassungsdiskussion mit anschließender Volksabstimmung konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Vielmehr beschloß der Bundestag nach langen Verhandlungen zwischen den Fraktionen zur Erfüllung der Aufgabe aus Art. 5 EV mit Zustimmung des Bundesrates im November 1991, eine Gemeinsame Verfassungskommission (im folgenden: GVK) einzusetzen16. Die gleichlautenden Einsetzungsbeschlüsse von Bundestag und

11 Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, S. 17; kr tisch im Hinblick auf dieses Kuratorium R. Scholz, Neue Verfassung, S. 685, der diesbezüglich vom Weg einer "verkappten Verfassungsneugebung" spricht, nachdem der Weg über Art. 146 GG a. F. verschlossen war. Außerdem sei eine 'auffällige Übereinstimmung' inhaltlicher und materieller Art mit dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches und deren Autoren festzustellen. 12 Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, S. 31 ff. 13 Zur Novellierung des Art. 3 GG vgl. Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, S. 70. 14 Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, S. 100. 15 Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, S. 32 f. 16 BT - Ds 12/1590, 1670; BR - Ds 741/91.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

Bundesrat vom 28. und 29. Nov. 1991 waren dabei dieförmliche, Art. 5 EV die materielle Grundlage für die Tätigkeit der GVK 17 . Die 64 ordentlichen Mitglieder der GVK stammten je zur Hälfte aus dem Bundestag und aus den 16 Bundesländern, d. h. wurden von den Landesregierungen entsandt18. Die konstituierende Sitzung fand am 16. Januar 1992 statt. Als gleichberechtigte Vorsitzende wurden der Abg. Prof. Dr. Rupert Scholz (CDU) und der Regierende Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Henning Voscherau (SPD), gewählt. Einschließlich der Abschlußsitzung im November 1993 wurden 26 Sitzungen und 9 zum Teil ganztägige Anhörungen durchgeführt 19. Eine Totalrevision des Grundgesetzes unterblieb. Da Art. 5 EV ("insbesondere") den Katalog der zu behandelnden Fragen jedoch relativ offen ließ, lag es an den durch die Mitglieder repräsentierten politischen Gruppierungen, jeweils die "eigenen" Themen vorzuschlagen, die sich auf diese Weise zur Agenda der GVK summierten. Man kann deshalb mit Recht von einer Art "Selbstbefassungsrecht" 20 sprechen. Die Anhörungen und Sitzungen waren öffentlich. Um zu verhindern, daß die Ergebnisse der GVK beim Verfassungsgesetzgeber keine Umsetzungschance haben würden, wurde als Quorum für Abstimmungen die 2/3 - Mehrheit der Mitglieder festgelegt. Anders als bei den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates gab es keine Unterausschüsse, Entscheidungen traf das Plenum nach den Beratungen selbst. Intensive Beratungen, die zum Teil auch zu Vorentscheidungen führten, wurden jedoch in kleinem Kreis, in den sogenannten Berichterstattergesprächen, geführt. Die Berichterstatter wurden jeweils von den verschiedenen politischen Kräften benannt. Berichterstatter für den Themenbereich "Gleichberechtigung" waren21: Für die CDU/ CSU: MdB Susanne Rahardt-Vahldieck, Dr. Franz-Hermann Kappes und das Land 17 Für diese Unterscheidung zwischen förmlicher und materieller Grundlage F.-A. Jahn, Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes, in: DVB1. 1994, S. 182 ff./182. 18 Zu Beginn waren 11 der 64 ordentlichen Mitglieder Frauen (17,2 %), später dann 12 (18,8 %), jeweils Stand 16.1.1992 und 10.2.1993, vgl. J. Limbach/M. Eckertz-Höfer, S. 295. Trotz dieser Männerdominanz gab Vogel jedoch später zu bedenken, daß der Frauenanteil damit immer noch deutlich über dem durchschnittlichen Frauenanteil in Gremien, Ämtern und Funktionen, auf deren Besetzung die Bundesregierung Einfluß habe, gelegen habe (zum damaligen Zeitpunkt 7,2 %), H.-J. Vogel, Verfassungsreform und Geschlechterverhältnis, in: FS für E. Benda, 1995, S. 395 ff./404. 19 S. Rohn/R. Sannwald, Die Ergebnisse der Gemeinsamen Verfassungskommission, in: ZRP 1994, S. 65 ff./66. 20 So F.-A. Jahn, Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission, S. 182. Am Ende wurden etwa die Hälfte der Grundgesetzartikel auf eine Notwendigkeit der Änderung oder Ergänzung hin überprüft, vgl. ebd. 21 Nach J. Limbach/M. Eckertz-Höfer, 296.

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Mecklenburg-Vorpommern (insbesondere in Person des Justizministers Herbert Helmrich). Für die SPD: MdB Ulrike Mascher, Dr. Edith Niehuis, Christel Hanewinckel sowie die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen (insbesondere in Person der schleswig-holsteinischen Frauenministerin Gisela Böhrk und der niedersächsischen Justizministerin Heidrun Alm-Merk). Für die FDP: Zunächst MdB Sabine LeutheusserSchnarrenberger, später Hans-Joachim Otto. Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: M d B Dr.

Wolfgang Ullmann. PDS/LL: MdB Dr. Gerhard Riege (später Dr. Uwe-Jens Heuer).

Da diese Berichterstattergespräche nicht protokolliert sind, kann man nur aus einigen Anmerkungen während der Diskussionen im Plenum auf deren Inhalt und Ergebnisse schließen. 2. Hintergrund der Beratungen und Diskussionen in der GVK im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern: das faktische Gleichberechtigungsdefizit a) Die Situation im ehemaligen Bundesgebiet Die Mitglieder der GVK standen im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter vor einer anderen Situation als die Väter und Mütter des Grundgesetzes: Das Engagement der "neuen" Frauenbewegung im Westen hatte eine höhere Sensibilität für hergebrachte Rollenstereotype geschaffen, direkt und offen benachteiligende Regelungen waren weitestgehend verschwunden. Das Erwerbsverhalten der Geschlechter hatte sich - insbesondere bei den kinderlosen Ledigen - immer weiter angenähert, Ehe und Familie wurden zunehmend nicht mehr als Grund für das Ende einer Erwerbstätigkeit von Frauen angesehen22. An der grundsätzlichen Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft und insbesondere im Erwerbsleben hatte sich jedoch noch nichts geändert: aa) Die ungleiche Verteilung der Arbeit Als größtes Problem für eine tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter stellte sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dar. So waren und sind es noch immer Frauen, denen die Verantwortung für die Erledigung des Haushalts sowie die Betreuung und Erziehung der Kinder scheinbar selbstverständlich übertragen wird. Wer in einer Partnerschaft vornehmlich für den "Familienbereich" zuständig ist, zeigt sich schon allein daran, welcher Elternteil 22 Waren noch 1988 rund 38,8 % aller Erwerbstätigen weiblich, so lag ihr Anteil 1992 (alte Bundesrepublik) schon bei 41,2 % (Quelle: Statist. Jahrbuch 1994, Tab. 6.2. S. 109). Insgesamt 52,6 % der verheirateten Frauen gingen einer Erwerbstätigkeit nach, bei den Frauen von 20 bis 50 Jahren lag die Erwerbsquote zwischen 67,5 und 73,9 %, bei den unverheirateten zwischen 73,6 und 77,2 %. Bei den ledigen Frauen bis 30 Jahre ist eine äußerst starke Annäherung an das männliche Erwerbsverhalten festzustellen.

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den Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt - zu über 99 % sind dies die Mütter 23. Auch später wird weiterhin der Mutter die Aufgabe der Kinderbetreuung überantwortet, kaum ein Vater macht sich überhaupt Gedanken über einen evtl. zeitgebundenen Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit zugunsten seines Kindes - die "männliche Normalbiographie" ist nahezu unberührt von familiären Belastungen (das fängt schon bei der Pflege kranker Kinder an). Männer können deshalb i. d. R. ungeachtet familiärer Bindungen ihren beruflichen Lebensweg planen und ausführen, während Frauen ihre Arbeitskraft nicht unter den gleichen Bedingungen und mit den gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt anbieten können, entweder weil sie auch bei voller Erwerbstätigkeit zusätzlich den weitaus größten Teil der häuslichen Arbeit verrichten 24 oder aber weil sie sich mit den Schwierigkeiten des Wiedereinstiegs nach der Familienphase und mit den damit verbundenen geringen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten auseinandersetzen müssen. Dabei nehmen Arbeitgeber diese geschlechtsspezifische Rollenverteilung vorweg: Bei Männern wird Heirat und Familie als stabilisierender Faktor angesehen, während bei Frauen die Erwartung und Befürchtung besteht, daß der Beruf für sie in den Hintergrund gerät und sie sich für die Familie bzw. für die Kinder statt der Karriere entscheiden25. Eine echte Chancengleichheit für Männer und Frauen auf dem Arbeitsmarkt kann daher erst unter der Vorbedingung eines Systems gut geführter Kinderbetreuungseinrichtungen gelingen26. Gerade hier mangelt es jedoch in der alten Bundesrepublik. So gab es in den Jahren 1986/ 1987 nur für etwa 3 % der Kinder unter 3 Jahren Plätze in öffentlich finanzierten Betreuungseinrichtungen - ein stummes Eingeständnis der Ansicht, daß in dieser Zeit sich die Eltern, sprich die Mutter, um ihr Kind doch lieber selbst kümmern sollte. Jedoch geht es nicht nur um diese berühmten "drei Jahre", sondern die Betreuungssituation läßt auch später stark zu wünschen übrig: So standen längst nicht für alle Kinder ab 3 Jahren Kindergartenplätze für Verfügung, wobei im Regelfall diese Kindergärten vormittags vier Stunden öffnen und evtl. nach einer zweistündigen Mittagspause, während der die Kinder nach Hause gehen müssen, wiederum zwei Stunden. Eine Vollzeittätigkeit, ja auch eine Teilzeiterwerbstätigkeit ist also auch 23

Im Jahr 1988 waren 98,5 % derjenigen, die in Deutschland Erziehungsgeld beantragten, Frauen. Dabei waren 70 % der männlichen Zulagenempfönger vor der Antragstellung arbeitslos, Kommission der EG (Hrsg.), Frauen Europas, Sonderheft Nr. 31 : Kinderbetreuung in der Europäischen Gemeinschaft, S. 17; vgl. dazu auch den Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1986, BT Ds. 10/6340, S. 27. 24 H. Bertram, Familienernährer contra Familienvater ?, in: Konrad-AdenauerStiftung (Hrsg.), Vater, Mutter - und Beruf?, 1995, S. 19 ff/23. 25 Tk Just, Frauenförderung für Führungspositionen, 1991, S. 23. Aus Sicht der Personalleitung bilden danach Familie und Kind für Frauen die "Soll-Bruchstelle" in ihrer Berufsbiographie. 26 Zu dieser Feststellung und dem Recht jeder Frau auf Erwerbstätigkeit Kommission der EG (Hrsg.), Frauen Europas, Sonderheft Nr. 34: Chancengleichheit für Frauen und Männer, S. 8 f.

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bei Kindergartenkindern nur dann möglich, wenn man Verwandte oder Freunde hat, die das Kind ab Mittag versorgen bzw. es zumindest abholen. Noch nicht einmal in der Grundschule kann sich die Mutter ohne Hilfe Dritter zumindest auf eine Halbtagsbeschäftigung einstellen, schließlich hat die Mehrzahl der Grundschulen nur vormittags 4 oder 5 Stunden geöffnet, haben die Kinder häufig wechselnde Schulzeiten und gibt es nach der Schule kaum staatliche Betreuungsmöglichkeiten27.

Mütter, die trotz Familie erwerbstätig sein wollen oder müssen, sind deshalb in vielen Fällen gezwungen, auf Teilzeitarbeit oder sonstige "geringfügige Beschäftigungen" mit schlechterer Bezahlung und Absicherung, kaum Aufstiegschancen und hohem Arbeitsplatzrisiko auszuweichen. Dabei kann Teilzeittätigkeit als absolute Frauendomäne28 nicht nur positiv als "Allheilmittel" für das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesehen werden29. Teilzeitarbeit kann zwar Frauen, die keiner Vollbeschäftigung nachgehen können, den Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnen und ihnen somit die Möglichkeit zur beruflichen Eingliederung bieten; genausogut kann sie aber auch dazu führen, daß Frauen aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen werden: "sind sie einmal in den Teufelskreis von instabiler Beschäftigungssituation, Unterqualifizierung und niedriger Bezahlung hineingeraten, endet dies häufig mit dem Rückzug vom Arbeitsmarkt." 30 Frauen, die wie Männer ihren Beruf bis in höhere Positionen weiterverfolgen wollen, sind also häufig bis regelmäßig vor die Wahl Familie oder Karriere gestellt. Alles in allem kann man feststellen, daß Belange der Familie den Berufsweg der Familienväter kaum behindern oder zeitlich belasten. Die Familienarbeit

27

Vgl. Kommission der EG, Frauen Europas, Sonderheft Nr. 31, S. 19: 1986/87 hatten in Deutschland nur 4 % der Kinder zw. 6 und 10 Jahren die Möglichkeit, außerhalb der Schulstunden in von den Kommunen finanzierten Horten betreut zu werden. Ganz anders in Dänemark oder Frankreich: Im diesbezüglichen "Musterland" Dänemark waren 1989 für fast die Hälfte aller Kinder unter 3 Jahren Plätze in den öffentlich finanzierten Betreuungseinrichtungen vorhanden, auch danach wurde für eine Betreuung der Kinder gesorgt. In Frankreich wurden 1988 etwa 20 % der Kinder unter 3 Jahren von öffentlichen Einrichtungen betreut, ungefähr 40 % der 2-Jährigen (13 % aller Kinder unter 3 Jahren) besuchten eine vorschulische Einrichtung. Etwa 95 % der Kinder zwischen 3 und 5 Jahren besuchten eine vorschulische Einrichtung, die für eine Ganztagsbetreuung sorgte, ähnlich war die Situation bei den Grundschulen, vgl. ebd. zu den verschiedenen Staaten. 28 Daß es fast ausschließlich Frauen sind, die das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie lösen müssen, zeigt sich auch an der Verteilung von Teilzeitarbeit: Im früheren Bundesgebiet lag (Stand April 1993) das Verhältnis Männer/Frauen bei ungefähr 2:13, in den Neuen Ländern und in Berlin-Ost bei 2:14, aus: Statistisches Jahrbuch 1995, Tab. 6. 6.4, S. 111. 29 So aber Κ Adomeit, S. 300. 30 Kommission der EG, Frauen Europas, Sonderheft Nr. 42: Frauenförderung in der Europäischen Union, S. 39.

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wird in den meisten Fällen noch immer ausschließlich oder überwiegend von den Frauen trotz ansteigender Erwerbstätigkeit geleistet. Diese ungleich verteilte Arbeit ist eine der Hauptursachen für die mangelnde Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Erwerbsleben. bb) Horizontale und vertikale geschlechtsspezifische Segregation Die "Feminisierung" der Erwerbsbevölkerung und der Arbeitnehmerschaft hat keineswegs zu einer gleichmäßig gemischten Beschäftigung geführt. Vielmehr ist nach wie vor festzustellen, daß die Mehrheit erwerbstätiger Frauen im Dienstleistungsbereich und dort in den "typischen Frauenberufen" 31 mit kürzerer Ausbildungsdauer, oft mangelnden Aufstiegschancen und niedriger Bezahlung beschäftigt ist (Frauendomäne Angestelltentätigkeit im Dienstleistungssektor 32), während sich die Situation bei den Beamten, Selbständigen33 und im verarbeitenden Gewerbe34 gerade umgekehrt darstellt. Auch bei der universitären Ausbildung sieht das Bild nicht viel differenzierter aus: Die jungen Frauen strömen in die "typischen Frauenfächer" Sprach- und Kulturwissenschaften, Spitzenreiter ist hier Germanistik/Deutsch, während die technischen Fächer ganz am Ende der Beliebtheitsskala stehen35.

31

Vgl. Statistisches Jahrbuch 1995, Tab. 16. 7 S. 394 (Stand 1992): In der Aufzählung der 15 beliebtesten Ausbildungsberufe gibt es gerade mal einen, der in beiden Statistiken vorkommt, und das ist Kaufmann/-frau im Einzelhandel. Typische Frauenberufe sind Arzthelferin, Friseurin, Zahnarzthelferin, Hotelfachfrau, Verkäuferin etc. 32 Im Jahr 1992 waren 61,6 % der erwerbstätigen Frauen Angestellte, 26,5 % Arbeiterinnen. Deutlich überrepräsentiert sind die Frauen im Diensleistungsbereich und im Handel, wo 35,1 % bzw. 16,7 % der Frauen tätig waren, aber nur 14,8 % bzw. 8,5 % der Männer. Dagegen waren 45,7 % der Männer als Arbeiter beschäftigt, aber nur 34,1 % als Angestellte (Quelle: Stat. Jahrbuch 1994, Tab. 6. 5 S. 114); Verstärkung der Tätigkeit im Dienstleistungsbereich im Jahr 1993 (36,9 %, Statist. Jahrbuch 1995 Tab. 6. 5, S. 108). 33 Bei den Beamten: 8,8 % der Männer gegenüber 3,8 % der Frauen; bei den Selbständigen: 10,6 % der Männer gegenüber 5,2 % der Frauen, vgl. Statist. Jahrbuch 1994 Tab. 6. 5, S. 114 (für das Jahr 1992). 34 Der größte Teil der Männer, nämlich 36,4 % (aber nur 20,7 % der Frauen), arbeitete dagegen im verarbeitenden Gewerbe, Statist. Jahrbuch 1994 Tab. 6. 5, S. 114 (Stand 1992). 35 Dazu Statist. Jahrbuch 1995 Tab. 16. 11. 4, S. 402. Bei den Studienanfängerinnen im WS 92/93 waren wie erwartet der Maschinenbau und das Bauingenieurwesen bzw. der Ingenieurbau Schlußlicht. Rangieren diese Fächer bei den Männern auf den ersten zehn Plätzen, tauchen sie bei den Frauen auf den ersten zwanzig Plätzen noch nicht einmal auf. Eine deutliche Annäherung ist jedoch bei den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften zu verzeichnen. So waren die Rechtwissenschaften im WS 1992/93 sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern das am viertstärksten besetzte Fach, das Fach Betriebwirtschaftslehre rangierte gar bereits hinter Germanistik/Deutsch auf Platz 2 (bei den Männer Platz 1 ). Bei den Studienanfängerinnen im WS 92/93 konnte die Betriebs-

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Generell ist eine Konzentration von Frauen auf helfende, unterstützende, erzieherische und pflegende Berufe festzustellen 36. Außer dieser horizontalen Segregation ist jedoch auch zu beobachten, daß der Frauenanteil exponentiell zur Höhe der Position und des Einkommens abnimmt {vertikale Segregation). So ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen sowohl im öffentlichen Dienst als auch (verstärkt) in der Privatwirtschaft nach wie vor marginal, in Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik sind Männer quasi unter sich. Nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1986 betrug der Anteil von Frauen im mittleren Management der Privatwirtschaft noch über 10 %, in der hohen Führungsebene (Filialleiter etc.) etwa 6 % und im Top-Management gerade 3,6 %, wobei zu beachten ist, daß Frauen in Führungspositionen entsprechend der aufgezeigten horizontalen Segregation häufig im Handel und in den im allgemeinen weniger "aufstiegsträchtigen", da eher unterstützenden Bereichen Finanzen/ Rechnungswesen/ Controlling beschäftigt sind37. Im öffentlichen Dienst sieht die Lage aufgrund des hohen Lehrerinnenanteils im höheren Dienst zwar etwas besser aus, jedoch ergibt sich bei den Spitzenbesoldungsgruppen eine ähnliche Lage der Dinge wie in der Privatwirtschaft - Frauen sind hier noch immer eine Seltenheit38. Hinsichtlich der Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik - mag dieser Bereich auch aufgrund unterschiedlichster "Ausleseverfahren" und Abhängigkeiten nicht ganz mit der Situation im sonstigen Beschäftigungsbereich vergleichbar sein - bemerkte einmal Birgit Laubach, nach wie vor geschehe hier die Privilegierung von Männern bei der Besetzung von Machtposten der politischen Klasse wie ein "Naturereignis" 39. Deutlich wird das Phänomen der vertikalen Segregation auch abseits der "Führungspositionen", wenn man nämlich das Niveau der Nettolöhne miteinander vergleicht: Frauen verdienen hier im Schnitt deutlich weniger als Männer 40 , in Branchen mit hohem Verdienst sind Männer "weitgehend unter sich" 41 .

wirtschaftslehre sogar Germanistik/Deutsch - wenn auch knapp - überrunden (Quelle: Statist. Jahrbuch 1995, Tab. 16.11.4 S. 402). 36 Dazu Th. Just, S. 14 ff., S. 20; vgl. auch Fn. 31 in diesem Kapitel; zu diesem Phänomen vgl. für Bayern Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.), Politik für Frauen in Bayern. Fortschreibung 1994, 1995, S. 101. 37 Nach Th. Just, S. 8 f. Ganz andere Zahlen werden hier aus den USA vermeldet. Dort soll sich der Anteil von Frauen in "Chefsesseln" Mitte der 80er Jahre auf 20 % belaufen haben, zitiert nach E. Witte, Gleichberechtigt in 245 Jahren ?, in: Die Zeit v. 17.5.1985, S. 22. 38 Nach Th. Just, S. 10 f. Stand 1986: 2,47 %. 39 B. Laubach, Die Frau als Citoyenne, in: B. Guggenberger/T. Stein (Hrsg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, 1991, S. 155 ff./156. 40 Während 75,7 % aller Frauen bis 2200 DM netto verdienten, waren dies auf männlicher Seite nur 30,8 % (Stand Mai 1992, Quelle: Stat. Jahrbuch 1994 Tab. 6.6.4, S. 117). 41 Zu diesem deutlichen Ergebnis kommt eine Studie in Bayern, vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.), S. 109.

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Einkommensnachteile von Frauen gegenüber ihren männlichen Kollegen sind aber auch bei Führungskräften festzustellen 42. Im Alter werden die Unterschiede noch krasser: Aufgrund ihrer typischen familienbedingten Abwesenheit vom Arbeitsmarkt betrug 1992 der durchschnittliche Rentenbetrag für Frauen in der Arbeiterrentenversicherung nicht einmal ein Drittel von dem der Männer43, was v. Münch zu folgendem Fazit veranlaßte: "Armut ist weiblich, kinderreich und alt."44 Alles in allem kann man folgendes als gegeben ansehen: Trotz verstärkter Präsenz in der Arbeitswelt sind Frauen in sämtlichen Beschäftigungsbereichen, auch in jenen, in denen sie überrepräsentiert sind, in hohem Maße auf niedrigbezahlte, niedrigqualifizierte und gefährdete Arbeitsplätzen beschränkt. Obwohl immer mehr Frauen in mittleren Beschäftigungshierarchien angesiedelt sind, erreichen sie praktisch keine höheren Positionen45. Als eine der Hauptursachen für diese ungleiche Verteilung von Positionen und Chancen ist wie gesagt die ungleiche Verteilung der Arbeit anzusehen. Da Familienarbeit auch heute noch eindeutig "Frauensache" ist, gehen entsprechende Ausfallzeiten auf dem Arbeitsmarkt deshalb fast ausschließlich zu ihren Lasten, behindert die Doppeloder besser Dreifachbelastung (Erwerbstätigkeit, Haushalt, Kindererziehung) ihren beruflichen Aufstieg. Daneben werden Frauen dazu gedrängt, sich der männlich dominierten Arbeitswelt anzupassen, in denen sie ständig mit Klischees von "männlichen" und "weiblichen" Eigenschaften konfrontiert werden, was zur Folge hat, daß Frauen gerade in höheren Positionen unter ständigen Erfolgsdruck stehen, wollen sie von den männliche Kollegen akzeptiert werden46. Dabei führt gerade die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen zu einer Verstärkung von Stereotypen, "da die wenigen weiblichen Führungskräfte nicht als Individuen, sondern stellvertretend für das weibliche Geschlecht wahrgenommen werden. Sie stehen immer im 'Rampenlicht', so daß Fehler und Versagen schneller und häufiger bemerkt werden und dann nicht auf die einzelne Person, sondern auf das gesamte Geschlecht bezogen werden"47. 42

77z. Just, S. 11 f. Aus: Ε. Μ. v. Münch, Familienpolitik auf dem Prüfstand, in: Konrad-AdenauerStiftung (Hrsg.), Vater, Mutter - und Beruf?, 1995, S. 7ff./8 f. 44 Ε. Μ. v. Münch, S. 9. 45 Zu diesem europaweiten Phänomen vgl. Kommission der EG, Sonderheft 34, Chancengleicheit für Frauen und Männer, S. 10. 46 Von den meisten Männern wird dabei durchaus zugegeben, daß nach ihrer Erfahrung Frauen für vergleichbare Positionen härter als Männer arbeiten müssen. Man findet das zwar nicht wirklich gut, nimmt es jedoch offenbar als "schicksalhaft" hin, wie Untersuchungen gezeigt haben, vgl. dazu U. Müller, Der Mann, in: Hessisches Ministerium der Justiz (Hrsg.), Frauen in juristischen Berufen, 1988, S. 71 ff./79 Tab.3; Bundesministerium für Frauen und Jugend (Hrsg.), Gleichberechtigung von Frauen und Männern - Wirklichkeit und Einstellungen in der Bevölkerung 1994, 1994, S. 61. 47 Th. Just, S. 19. 43

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b) Die Situation in den Neuen Ländern (1992 und später) Die Situation in den Neuen Ländern wurde bereits als "in der Geschichte Deutschlands bisher einmalige Ausgrenzung von Frauen aus dem Erwerbsleben" bezeichnet, die zu einer Benachteiligung von Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens geführt habe48. Deutlich sind hier historische Verhaltensmuster, wie sie im 1. Kapitel vorgestellt wurden, wiederzufinden die Reserve wird an den Herd zurückgeschickt: War die weibliche Erwerbsquote in der DDR mit 90 % eine der höchsten in der Welt49, so vollzog sich nach der "Wende" ein rapider Absturz weiblicher Erwerbstätigkeit. Schon 1992 waren 2/3 aller Arbeitslosen Frauen, damit waren sie doppelt so schwer von der Talfahrt der Beschäftigung betroffen wie die Männer50. Außer auf die relativ häufige Niedrigqualifizierung weiblicher Arbeitnehmer in der DDR und auf die Konzentration der Frauen auf solche Wirtschaftszweige, die besonders unter dem Anspassungsdruck an das neue Wirtschaftssystem zu leiden hatten, kann diese unverhältnismäßige Betroffenheit der Frauen von Arbeitslosigkeit insbesondere auf den entstandenen Verdrängungswettbewerb um Arbeitsplätze zurückgeführt werden: so besetzten Männer mehr und mehr auch bislang typische "Frauenberufe" und begegneten Unternehmen Frauen aufgrund angenommener familiärer Verpflichtungen - das Kinderbetreuungsnetz war (zunächst) ζ. T. zusammengebrochen - mit Vorbehalten51. Diese Situation hat sich auch im folgenden Jahr nicht geändert: Zwar konnte bis 1993 in der überwiegenden Zahl der Partner-Haushalte (86 %) zumindest ein Partner seine Erwerbstätigkeit aufrecht erhalten, doch waren das in der Regel die Männer 52 - d. h.: nach einem Zeitraum von 3 Jahren (von 1990 - 1993) übten nur noch in rd. der Hälfte der Paar-Haushalte beide Partner eine reguläre Beschäftigung aus53. Dadurch sind wieder "nicht unbedeutsame Abhängigkeiten ... entstanden, die traditionell bereits als überholt galten"54, schließlich war und ist bei ostdeutschen Frauen eigene Erwerbstätigkeit selbstverständlich. Deutlich ist wieder die Tendenz auszumachen, daß bei "Doppelverdienern" eher der Frau zugemutet wird, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. Dabei entspricht dies ganz 48

So/. Kurz-Scherf/G. Winkler {Hrsg.), Sozialreport 1994, 1994, S. 122. Zu den deutlichen Unterschieden in der Erwerbsbeteiligung der Frauen in der DDR und der BRD sowie dem unterschiedlichen Umfang der außerhäuslichen Betreuung von Kindern vgl. Denkschrift zum Einigungsvertrag, BR - Ds 600/90, S. 371. 50 Vgl. G. Winkler (Hrsg.), Sozialreport 1992, 1993, S. 79 f. 51 Zu dieser Entwicklung G. Winkler, Sozialreport 1992, S. 79 f. 52 Der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen stand weiterhin bei 2/3, dazu kam, daß unter den Langzeitarbeitslosen (Arbeitslosigkeit mehr als 1 Jahr) 74,4 % Frauen waren (Stand September 1993), I. Kurz-Scherf/G. Winkler, S. 122 Tab. 3.19. 53 Dazu I. Kurz-Scherf/G. Winkler, S. 114. 54 I. Kurz-Scherf/G. Winkler, S. 114. 49

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und gar nicht den Wunschvorstellungen ostdeutscher Frauen, vielmehr veränderten sich diese im Laufe der Zeit hinsichtlich der Arbeitszeit sogar weg von Teilzeit- hin zu Vollzeiterwerbstätigkeit: Waren in der DDR 27 % der Frauen teilzeitbeschäftigt 55, so äußerten 1994 nur noch 17,2 % der Verheirateten den Wunsch nach Teilzeitarbeit, im übrigen wurde fast durchgehend das Modell einer Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen und Männern bevorzugt56. Daß es auch in der DDR Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt gab, sie etwa weniger verdienten als Männer und in leitenden Positionen und Gremien in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik kaum oder nicht vertreten waren57, ändert nichts daran, daß die Frauen in Ostdeutschland sich nach der Vereinigung angesichts vieler neuer Abhängigkeiten und auch angesichts einer bislang nicht gekannten Isolation als die sozioökonomischen Verliererinnen der Einheit sahen58. Die Konsequenz aus fehlender Kinderbetreuung und gleichzeitiger Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ließ nicht auf sich warten - Anfang der neunziger Jahre wurde im Osten Deutschlands ein extremer Geburtenrückgang59 registriert. Die Frauen wollten sich nicht an den heimischen Herd abschieben lassen und versuchten daher, der männlichen Lebenswelt möglichst zu entsprechen (Anpassung an die männliche Normalbiographie). Nach alledem ist Vogel Recht zu geben, wenn er sagt, es sei "kein Zufall" 60 gewesen, daß mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten das Problem der Gleichberechtigung aufs Tapet kam. c) Die Sache mit der freien Entscheidung Nun könnte man natürlich sagen, die Tatsache, daß mehr Frauen als Männer die Familienarbeit übernehmen, bedeute noch lange nicht, daß Frauen benachteiligt seien. Dem könnte vielmehr eine freie Entscheidung der Frauen vorausgegangen sein, schließlich sprach sich im Rahmen einer Meinungsumfrage aus dem Jahre 1994 die große Mehrheit der Befragten in Ost und West (und nicht

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Daß auch in der DDR rollenspezifisches Verhalten nicht "abgeschafft" war, läßt sich schon allein an den statistischen Daten in bezug auf die Frage ablesen, wer sich in der Familie vorwiegend um den Haushalt kümmerte - auch das waren nämlich wiederum die Frauen, und zwar auch dann, wenn sie ebenso vollzeiterwerbstätig waren wie die Männer, vgl. G. Winkler (Hrsg.), Sozialreport '90, Tabellen 10. 8 ff. S. 269 ff. 56 /. Kurz-Scherf/G. Winkler, S. 281 f. 57 Christel Hanewinckel (SPD), GVK, 10. Sitzung vom 24.9.1992, Stenographisches Protokoll, S. 28. 58 Dazu auch H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 400. 59 1993 wurden in den neuen Bundesländern 2/3 weniger Kinder geboren als 1988 in der DDR, vgl. /. Kurz-Scherf/G. Winkler, S. 273. 60 H.-J; Vogel, Verfassungsreform, S. 400.

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nur Männer) dafür aus, daß bei Nachwuchs die Mutter mindestens den dreijährigen Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, wenn nicht gar ihre Erwerbstätigkeit noch für einen längeren Zeitraum unterbrechen sollte61, wobei für eine darauffolgende Erleichterung und Förderung des Wiedereinstiegs in den Beruf 90 % aller Befragten im Westen und 95 % aller Befragten im Osten plädierten62. Daß eine jahrelange Unterbrechung der Erwerbstätigkeit geradezu unvermeidlich zu einem Verlust an Aufstiegsmöglichkeiten und Verdienst führt, war den Befragten dabei u. U. nicht wirklich klar, jedoch wäre wohl auch dieses Argument als nicht entscheidend angesehen worden, sah doch die Mehrheit beruflichen Erfolg für Frauen nicht als so wichtig an wie für Männer63. Man könnte sich deshalb auf den Standpunkt stellen, da eine freie Entscheidung der Frauen zugunsten Kinder und Familie bestehe, könnten die daraus resultierenden Folgen nicht als Ausdruck einer Benachteiligung von Frauen gewertet werden. Ganz so einfach kann man es sich jedoch nicht machen, da es genügend Anhaltpunkte dafür gibt, daß Frauen seit ihrer Kindheit eine andere Sozialisation erfahren als Männer. In neueren Studien konnte nachgewiesen werden, daß die meisten Mädchen während ihrer Kindheit und Jugend immer wieder geschlechtsspezifischen Ungleichbehandlungen begegnen: Es fängt schon damit an, daß Mädchen häufiger zur Vorsicht, Rücksichtnahme, Kooperation und genereller Nachgiebigkeit erzogen werden, während die gleichaltrigen Jungen im spielerischen Wettbewerb "ihre Kräfte messen" und lernen, sich gegen andere durchzusetzen - alles Fähigkeiten, die im späteren Berufsleben oft als "typisch männliche" Verhaltensweisen vorausgesetzt und verlangt werden und deren Kenntnis und Beherrschung zu den "männlichen Spielregeln" gehören64. In der Schule setzt sich diese Entwicklung fort. Die gesellschaftlichen Normen prophezeien erfolgreichen Mädchen, die sich deutlich aus der Masse hervorheben und dies u. U. sogar genießen, eine düstere, meist "partnerlose" Zukunft, während herausragende Leistungen und Konkurrenzdenken bei Jungen als grundsätzlich positiv angesehen werden. Dementsprechend werden erfolgreiche Mädchen eher als fleißig und ordentlich, erfolgreiche Jungen eher als aufgeweckt, intelligent und begabt angesehen65. 61

Bundesministerium für Frauen und Jugend, S. 28 f. Zu beobachten ist hier jedoch ein West-Ost-Gefälle insoweit, daß im Westen 42 % für eine längere Berufspause und 10 % sogar für eine Aufgabe des Berufs eintraten, während im Osten der diesbezügliche Anteil bei 11 % bzw. 3 % lag. 62 A. a. O S. 23 f. 63 A. a. O. S. 53 ff., 56. Entsprechend oft wird insb. im Westen nichts davon gehalten, die Berufstätigkeit von Frauen zufördern, so im Westen 26 %, im Osten 12 %. 64 Vgl. dazu die Anmerkungen in Fn. 113 und Fn. 115 (1. Kapitel). 65 Aus: Der Spiegel Nr. 19 v. 6.5.1996, Macker und Miezen, S. 112 ff./116; eingehend zur geschlechtsspezifischen Sozialisation vgl. den gleichnamigen Beitrag von 5 Schweizer

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

Diese Einstellung bzw. Geschlechterstereotypen setzen sich auch im späteren Berufsleben fort. Untersuchungen haben ergeben, daß Erfolg bei Frauen eher auf Anstrengung und Glück zurückgeführt wird, während der Erfolg bei Männern ihrer fachlichen Kompetenz und Fähigkeit zugeschrieben wird. Umgekehrt werden Mißerfolge von Frauen sogleich ihren mangelnden Fähigkeiten zugeschrieben, während Männern eher zugestanden wird, einfach "Pech" gehabt zu haben66.

Die erst in den 60er Jahren flächendeckend eingeführte Koedukation von Jungen und Mädchen erweist sich außerdem v. a. in den angeblich "männlichen" Fächern mehr und mehr als "Holzweg"; Mädchen, die es mit den dominanten Jungen nicht aufnehmen können, verlieren das Interesse an dem Fach, was zu der oft gehörten Annahme verleitet, daß "Mädchen sich eben nicht für Technik interessieren"67. Dabei wurde überdies herausgefunden, daß die häufiger störenden Jungen auch noch den größeren Teil der Lehrerzuwendung für sich beanspruchen - sie werden viel häufiger aufgerufen und weniger unterbrochen68. Es kann deshalb ganz und gar nicht von wirklich gleichen Lern- und Lebensbedingungen von jungen Frauen und Männern gesprochen werden, vielmehr ist eine diskrete Diskriminierung festzustellen. Daß Frauen angesichts vieler Widerstände den für sie nicht rechtfertigungsbedürftigen Lebensweg als zumindest "Teilzeitfamilienmutter" wählen, ist angesichts dessen (noch) nicht als wirklich freie Entscheidung anzusehen. Vielmehr ist festzustellen, daß gerade Frauen gesellschaftliche Rollenbilder verinnerlicht haben und häufig - objektiv gesehen unbegründete - Schuldgefühle empfinden, wenn sie dieser Rolle nicht voll entsprechen. So können sich etwa erwerbstätige Mütter im Gegensatz zu erwerbstätigen Vätern oft nicht von Schuldgefühlen gegenüber ihren Kindernfreimachen, auch wenn die Kinder selbst und auch der Partner keine Betreuungsdefizite erkennen können und solche auch objektiv nicht gegeben sind69. Wie fest alte Rollenstereotype noch beG. Nunner-Winkler, Zur geschlechtsspezifischen Sozialisation, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft/Senatskommission für Frauenforschung, Sozialwissenschaftliche Frauenforschung in der Bundesrepublik Deutschland, 1994, S. 61 ff. 66 Dazu Th. Just, S. 18 f. 67 Daß Mädchen sich im Gegenteil sehr wohl für Technik interessieren und mit ihr umgehen können, zeigt sich, wenn Betriebe bewußt Mädchen als Auszubildende für technische Berufen annehmen, vgl. nur die Erfahrungen der Audi AG mit weiblichen Auszubildenden in gewerblich-technischen Berufen, aus: E. Witte, Gleichberechtigt in 245 Jahren ?, in: Die Zeit v. 17.5.1985, S. 22. 68 Der Spiegelt. 19 v. 6.5.1996, S. 116. 69 Vgl. die Ergebnisse der Untersuchung des Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg (Hrsg.), Die Situation der Frau, S. 63 ff., Tab. 44 ff., S. 66: "Angesichts der negativen Bewertung der Berufstätigkeit von Müttern durch die Gesellschaft liegt die Hypothese nahe, daß der Eindruck, den Kindern zu wenig Zeit zu widmen, teilweise durch die Übernahme allgemein geteilter Vorstellungen über die Auswirkungen der Berufstätigkeit der Mutter auf die Kinder verursacht wird und nicht immer in objektiv gegebenen Defiziten der Betreuungssituation begründet ist."

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stehen, zeigt sich auch daran, daß in der öffentlichen Diskussion die Problematik des "abwesenden Vaters" im Gegensatz zur "Rabenmutter" kaum thematisiert wird, und das, obwohl ζ. B. eine Untersuchung in Baden-Württemberg aus dem Jahre 1983 zum Ergebnis kam, daß gut 3/4 der befragten Kinder und Jugendlichen die Ansicht vertraten, ihre Mutter habe genügend Zeit für sie, während 42 % häufiger den Vater vermißten70. Daß Geschlechterrollen dabei letztlich auch dazu benutzt werden, um die oft als bequem und zweckmäßig empfundene männliche Entlastung von Familienpflichten abzusichern, zeigt sich einmal daran, daß die meisten Männer es zwar grundsätzlich als sinnvoll ansehen, wenn (neben der Mutter) auch der Vater zu Lasten seiner allzeit zur Verfügung stehenden Arbeitskraft kleine Kinder betreut 71, diese Möglichkeit jedoch von kaum einem Vater - auch nicht abwechselnd mit der Mutter - tatsächlich wahrgenommen wird 72 , sowie an der Tatsache, daß die klassische Aufgabenteilung nicht mehr so sehr als von der Natur vorgegeben bezeichnet wird, sondern als sachlich begründbare Folge daraus, daß eben der "arbeiten gehen" solle, der am meisten verdiene73. Als "Handicap" für Frauen erweist sich außerdem der Mangel an Frauenvorbildern mit anderen als den typischen weiblichen Lebensläufen, von Frauen in Führungspositionen, an denen man sich orientieren könnte bzw. deren Existenz es als zunehmend "normal" erscheinen ließe, aus der traditionellen Rolle auszubrechen74. 70 Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg (Hrsg.), S. 68 f.: Tab. 46, 48. Bezeichnend für verinnerlichtes Rollendenken ist vor diesem Hintergrund, daß sich nur jede vierte Mutter ein stärkeres Engagement des Vaters für die Kinder wünschte, während mehr als jede zweite ganztags erwerbstätige Mutter meinte, sie selbst müsse sich mehr um Kinder und die Familie überhaupt kümmern, a. a. O. S. 72: Tab. 52, S. 66: Tab. 44. 71 71 % der Befragten im Westen und 65 % der Befragten im Osten sind sogar bei Kleinkindern der Ansicht, daß die Betreuung von beiden Elternteilen erfolgen sollte, und 66 % im Westen und 63 % im Osten finden es auch gut, daß auch der Vater den Erziehungsurlaub nehmen kann (Stand 1994), vgl. Bundesministerium für Frauen und Jugend, S. 41,31. 72 Da gleichzeitig die meisten Männer die Betreuung ihrer Kinder durch öffentliche Stellen ablehnen, eine solche Kinderbetreuung jedoch unter diesen Umständen zentrale Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben ist, gibt es in der Tat, wie Müller es ausdrückt, "allen Anlaß zu der Vermutung, daß die Männer ganz bestimmt nicht ihren Partnerinnen dabei helfen werden, das schlechte Gewissen zu zerstreuen, das viele berufstätige Mütter plagt - eher werden sie das Gegenteil tun", U. Müller, S. 75. 73 So ζ. B. mit schlichtem Verweis auf "die Umstände" W. Zöllner, S. 230; zu diesem Argument U. Müller, S. 76: "Die Problematik, daß diese Einkommensdifferenzen zwischen Männern und Frauen Resultat einer Vorab-Diskriminierung sind, wird damit argumentativ umgangen". 74 Dieser Mangel an alternativen Rollenvorbildern im Zusammenhang mit der nicht erlernten Fähigkeit, mit Frauen zu konkurrieren, kann m. E. auch erklären warum sich insbesondere viele Frauen eher einen männlichen Vorgesetzten wünschen würden, vgl. Bundesministerium für Frauen und Jugend, S. 59.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

Aus alldem läßt sich folgendes Fazit ziehen: Solange sich Frauen keine selbstverständliche Palette der Möglichkeiten der Lebensgestaltung bietet, solange Mädchen in ihrer Entwicklung durch das Aufstellen gesellschaftlicher geschlechterstereotyper Normen und diskrete Diskriminierung gehemmt werden, solange kann von einer freien Entscheidung der Frauen für den "typischen Lebenslauf ' einer Ehefrau und Mutter, modifiziert durch Teilzeitarbeit, keine Rede sein. Damit keine Mißverständnisse entstehen. Hier soll nicht der (typische) Lebenslauf vieler Frauen verdammt werden. Nur ist sicherzustellen, daß diese Entscheidung ganz bewußt unter Einbeziehung realer Alternativen fällt. Meines Erachtens kann auch deshalb vielfach noch nicht von einer freien Entscheidung für ein Leben vorrangig als "Familienfrau" gesprochen werden, da die Frauen in diesen Fällen einer wirtschaftlich äußerst unsicheren Zeit entgegengehen, Zeidler spricht gar von einem Leben "in jahrzehntelanger relativer sozialer Deklassierung"75, sofern sie nicht über eigenes Vermögen verfügen. Mag manche Frau die ökonomische Abhängigkeit vom Mann noch nicht als Last empfinden, solange die Partnerschaft funktioniert, so treten ζ. T. drastische Situationen auf, wenn diese in die Brüche geht - und das ist schließlich immer häufiger der Fall. Bleibt die Frau mit einem oder gar mehreren Kindern zurück, so beginnt für sie - von Fällen großzügiger Unterhaltszahlungen abgesehen - der soziale Abstieg: Geht das moderne Scheidungsrecht an und für sich vernünftigerweise vom Prinzip der Eigenverantwortlichkeit aus, müßte sich die Mutter nun eigentlich eine Arbeit suchen, was bei betreuungsbedürftigen Kindern wie schon gesagt kaum möglich ist. Liegt die letzte Erwerbstätigkeit schon länger zurück, wird es ihr i. ü. auch schwerfallen, überhaupt eine Anstellung zu finden. Der letzte Weg führt dann häufig zum Sozialamt76. Scheitert die Beziehung dagegen nicht und überlebt die Frau ihren Mann, so erhält sie noch nicht einmal eine von ihrem Mann unabhängige Rente für ihre eigene, jahrzehntelange Arbeit 77. Vor diesem Hintergrund kann meiner Auffassung nach nur in wenigen Fällen von einer freien, gut überlegten und freudigen Entscheidung der Mutter für eine überwiegend hausfrauliche Tätigkeit gesprochen werden.

3. Die Formen der Diskriminierung a) Die unmittelbare Diskriminierung Im Mittelpunkt der Diskussion stand noch bis in die siebziger und achtziger Jahre hinein die offene direkte Diskriminierung von Frauen im Sinne einer unmittelbaren rechtlichen Schlechterstellung gegenüber Männern (unmittelbare Diskriminierung). 75 W. Zeidler, Ehe und Familie, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, S. 555 ff./598. 76 Zum Ganzen M. Körner, Erwerbs- und Familienstrukturen als unlösbarer Gegensatz ?, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Vater, Mutter - und Beruf?, 1995, S. 29 ff./33 f. 77 W. Zeidler spricht nicht ohne Grund von der "Familienfrau" als "Packesel des Sozialstaats", S. 597.

I. Entstehungsgeschichte

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Heute ist diese Form der Diskriminierung weitestgehend verschwunden. Allerdings stellt sich auch heute noch das Problem der "verdeckten" unmittelbaren Diskriminierung. Eine solche liegt dann vor, wenn scheinbar geschlechtsneutrale Anforderungen fast ausschließlich von einem Geschlecht erfüllt werden können, ohne dabei in einer Beziehung zu der betreffenden Tätigkeit zu stehen78 es wird also an "Surrogatsmerkmale" angeknüpft, um das Abstellen auf das Merkmal Geschlecht zu vermeiden 79. b) Die mittelbare Diskriminierung Der Begriff der "mittelbaren Diskriminierung" wurde bereits im 1. Kapitel behandelt. Entscheidend ist, daß von einer geschlechtsneutral gefaßten Maßnahme aufgrund der sozialtypischen Rollenverteilung erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig betroffen werden 80 . In einem zweiten Schritt 81 ist dann zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung durch zwingende Gründe gerechtfertigt ist.

78

G. Kyriazis, Die Sozialpolitik der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in bezug auf die Gleichberechtigung männlicher und weiblicher Erwerbstätiger, 1988, S. 81; ähnlich C. Langenfeld, S. 212: verdeckte unmittelbare Diskriminierung liege dann vor, "wenn nicht geschlechtsspezifische, aber im Grunde nur ein bestimmtes Geschlecht betreffende Formulierungen verwendet werden, oder wenn Anforderungen gestellt werden, die zwar formal Männer und Frauen erfüllen können, aber nicht unmittelbar an die Arbeit anknüpfen und zudem weit überwiegend oder gar ausschließlich von Angehörigen eines Geschlechts erfüllt werden". Über die Höhe der faktischen Betroffenheit herrscht dabei keine Einigkeit. So spricht E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst, 1986, S. 5 f., von verdeckter Diskriminierung, wenn geschlechtsneutral formulierte Regelungen oder Maßnahmen im Ergebnis nur die Beschäftigten eines Geschechts treffen; ebenso H. Pfarr/K. Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 113; H. Pfarr, Mittelbare Diskriminierung von Frauen, in: NZA 1986, S. 585 ff./586. 79 Deshalb nennen H. Pfarr/K Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, 1985, Rn. 47, dies auch "unmittelbare Diskriminierung mit vorgeschobenen Gründen". Zustimmend G. Kyriazis, S. 80. Zur Unterscheidung zwischen offener und verdeckter unmittelbarer Diskriminierung auch Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 64, für den Bereich des Arbeitsrechts. 80 R. Wank, Die Teilzeitbeschäftigung im Arbeitsrecht, in: RdA 85, 1 ff./20; ähnlich A. Dix, Gleichberechtigung durch Gesetz, 1984, S. 12, der direkte Diskriminierung als "Benachteiligung durch unterschiedliche Behandlung", indirekte Diskriminierung hingegen als "Benachteiligung durch Gleichbehandlung" (bei ungleichen sozialen Ausgangsbedingungen) definiert; zur "mittelbaren Diskriminierung" insb. Kap. 1 a. E. 81 Wichtig ist, daß man zwischen Ungleichbehandlung und Diskriminierung unterscheidet, ähnlich dem Verhältnis von Tatbestand und Rechtswidrigkeit im Strafrecht, die nur zusammen den Unrechtstatbestand bilden. So ist eine Ungleichbehandlung nur dann als Diskriminierung anzusehen, wenn sie nicht gerechtfertigt werden kann, vgl. dazu C. Langenfeld, S. 211; G. Kyriazis, S. 75.

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

70

Oftmals wird mittelbare Diskriminierung auch gleichgesetzt mit "faktischer Diskriminierung" 82 oder aber mit Verdeckter Diskriminierung' 83, da vielfach nicht beachtet wird, daß es auch eine verdeckte bzw. faktische wranittelbare Diskriminierung gibt. Auf den ersten Blick ist die Grenzlinie zwischen mittelbarer und verdeckter Diskriminierung auch in der Tat schwer zu ziehen, da sie sich scheinbar nur im Gewicht der faktischen Auswirkungen unterscheiden. Wohl aus diesem Grunde verstehen manche auch eine Regelung, die sich nur an Frauen richtet, deren diskriminierender Charakter jedoch versteckt ist, als Verdeckt diskriminierend' 84. Diese Betrachtung leidet jedoch darunter, daß sie ein Umgehen des strikten Verbots unmittelbarer Diskriminierung durch Surrogatsmerkmale nicht verhindern kann. Außerdem läßt sich in der Praxis verdeckte unmittelbare und mittelbare Diskriminierung leichter voneinander abgrenzen als gedacht85: Zum einen gilt der Merksatz, daß beim Anknüpfen an ein Merkmal, das ausschließlich oder regelmäßig nur von Angehörigen eines Geschlechts erfüllt wird, wie ζ. B. Muskelkraft, das Vorliegen einer verdeckten unmittelbaren Diskriminierung zu prüfen ist86, und zum anderen wird eine solche in der Praxis dann leicht auszumachen sein, wenn etwa ein Arbeitgeber die Einstellung oder berufliche Vorteile vom Vorliegen einer Voraussetzung abhängig macht, welche überhaupt nichts mit der Tätigkeit zu tun hat87. c) Die strukturelle

Diskriminierung

Das Problem, vor dem die Mitglieder der GVK standen, war jedoch nicht nur die mittelbare und unmittelbare Diskriminierung der Frauen insbesondere im Erwerbsleben. Ausgehend bereits von einer "diskreten Diskriminierung" von Mädchen in Kindheit und Jugend, ist wie gesehen Hauptursache für eine noch immer nicht verwirklichte faktische Gleichberechtigung von Frauen und Män82

1050. 83

Vgl. J. Kokott, Zur Gleichstellung von Mann und Frau, in: NJW 1995, S. 1049 ff./

D. Schiek, Kaianke und die Folgen, in: ArbuR 1996, S. 128 ff./131. Vgl. BAG DB 84, 1577; ebenso R. Wank, S. 20. 85 Daß man eine Abgrenzung finden muß, ergibt sich schon daraus, daß eine unmittelbare Diskriminierung "mit vorgeschobenen Gründen" unter strengeren Voraussetzungen der Rechtfertigung fähig ist als eine mittelbare Diskriminierung. 86 So C. Langenfeld, S. 214, zur Abgrenzung von verdeckter und mittelbarer Diskriminierung. 87 Als Beispiel hierfür wird immer wieder genannt der Fall, daß für eine beliebige Tätigkeit außerhalb der Sportbranche Voraussetzung für die Einstellung profunde Fußballkenntnisse sind. Für eine in der Praxis leichte Abgrenzbarkeit auch F. Gamillschegg, Die mittelbare Benachteiligung der Frau im Arbeitsleben, in: FS für H. Fioretta, 1983, S. 171ff./178. Bei einer Diskriminierung mit vorgeschobenen Gründe werden demnach z. B. für eine Einstellung "unsinnige" Forderungen gestellt, also auf Faktoren abgehoben, die mit der Sache nichts zu tun haben. 84

I. Entstehungsgeschichte

71

nern die ungleiche Verteilung von Arbeit und die Zuschreibung der Familienverantwortlichkeit an Frauen, getragen von einem fortgeführten traditionellen Rollenverständnis und der Verteidigung von Macht und Einfluß in der Gesellschaft. Es geht demnach um die Verteidigung von Besitzständen durch das, was bereits v. Hippel als "künstliches Spinngewebe von Gründen" bezeichnet hat und schon früher in der Wissenschaft als "sekundärer Patriarchalismus" Anerkennung fand 88. Im folgenden soll dafür der Begriff zugrundegelegt werden, der heute in der Diskussion immer wieder auftaucht: "strukturelle Diskriminierung" 89. Kennzeichen einer solchen strukturellen Diskriminierung ist, daß es keine empirisch leicht zu erfassenden Diskriminierungsvorgänge gibt, wie dies etwa bei klar differenzierenden Rechtsregeln der Fall ist. Die Diskriminierung folgt vielmehr aus Strukturen, die sich in Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgrund einer bestimmten Auffassung über Natur und natürliche Aufgabe und Fähigkeiten von Frauen und Männern verfestigt haben, ohne daß heute noch ausdrücklich auf solche Unterschiede Bezug genommen wird. Ein gutes Bild zur Verdeutlichung der strukturellen Diskriminierung entwarf während der 10. Sitzung der GVK die Senatorin Peschel-Gutzeit (Hamburg)90: "Solange die eine Hälfte unserer Bevölkerung quasi auf einer mehr oder minder glatten und geraden Asphaltstraße in einem gut gefederten Gefährt daherkommt, während die andere Hälfte mühsam auf holpriger, gewundener Straße über Berg und Tal zu Fuß daherwandern muß, sind wir fern von jeder Chancengleichheit, mögen schließlich auch beide Teile dasselbe Ziel erreichen; denn der eine Teil kommt ausgeruht und der andere Teil viel später übermüdet und angestrengt an, was wiederum unmittelbare Auswirkungen auf die Erreichung des nächsten Zieles hat."

4. Vorschläge zur weitergehenden Verankerung von Frauenrechten in der Verfassung Die Mitglieder der GVK hatten folgende Anregungen zur Neufassung des Gleichberechtigungsartikels vorliegen91 :

88

Kap. 112. Als einer der ersten brachte E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 7 f., diesen Begriff in die Diskussion um die Gleichberechtigung der Geschlechter ein; zur strukturellen Diskriminierung auch eingehend R. Francke/B. Sokol/ E. Gurlit, Frauenquoten in öffentlicher Ausbildung, 1991, S. 17 ff. 90 Abg. Dr. M. L. Peschel-Gutzeit (Hamburg), Gemeinsame Verfassungskommission (nachfolgend: GVK), 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 30. 89

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

72

a) Vorschläge, auf die sich die Partei-Gruppen in der Gemeinsamen Verfassungskommission intern geeinigt hatten SPD - GRUPPE IN DER G V K :

Art. 3 II 2 GG: "Der Staat gewährleistet die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen." Art. 3 III 3 GG: "Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig." BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Art. 3 II 2 GG: "Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen und zu sichern." Art. 3 IV GG: "Maßnahmen zur Förderung von Frauen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugungen wegen des Geschlechts." PDS/LINKE LISTE:

Art. 3 II 2 und 3 GG: "Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens herzustellen und zu sichern. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen wie Quotierungen und Förderpläne zulässig."

b) Sonstige Formulierungsvorschläge SACHSEN - ANHALT ( G V K ) :

Art. 3 II 2 GG: "Es ist Aufgabe des Staates, die Bedingungen für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu schaffen." MECKLENBURG - VORPOMMERN ( G V K ) :

Art. 3 II 2 GG: "Es ist Aufgabe des Staates, die Bedingungen für die Durchsetzung der Gleichberechtigung zu schaffen." VERFASSUNGSREFORMKOMMISSION REGŒRTEN LÄNDER):

BUNDESRAT92 (EINFACHE MEHRHEIT DER SPD-

Art. 3 II 2 und 3 GG: "Der Staat hat die Bedingungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft zu schaffen. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig."

91 92

Nach J. Limbach/M. Eckertz-Höfer, S. 243 ff. Zu dieser Kommission sogleich Kap. 2 II 1.

I. Entstehungsgeschichte

73

BUNDESMINISTERIN FÜR FRAUEN UND JUGEND DR. ANGELA MERKEL:

Art. 3 II GG: "Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen und zu sichern. Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugungen im Sinne von Abs. 3." CDU-FRAUEN-UNION:

Art. 3 II 2 GG: "Aufgabe des Staates ist es, Bedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen; Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind zulässig." ARBEITSGEMEINSCHAFT SOZIALDEMOKRATISCHER FRAUEN:

Art. 3 II 2 und 3 GG: "Der Staat ist verpflichtet, die Gleichstellung und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen und zu sichern. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung und Bevorzugung von Frauen, wie ζ. B. Quotenregelungen, zulässig. Frauenförderung zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten ist keine Bevorzugung oder Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Absatz 3 GG." DEUTSCHER FRAUENRAT:

Art. 3 II 2 und 3 GG: "Der Staat ist verpflichtet zur Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig." DEUTSCHER JURISTINNENBUND:

Art. 3 II GG: "Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat gewährleistet ihre gleichberechtigte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen. Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugungen im Sinne von Abs. 3." KURATORIUM FÜR EINEN DEMOKRATISCH VERFABTEN BUND DEUTSCHER LÄNDER 93 :

Art. 3 II GG: "Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen und zu sichern." Art. 3 IV GG: "Maßnahmen zur Förderung von Frauen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugung wegen des Geschlechts."

93

Vgl. Kap. 211.

74

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

Π . Der Ablauf der Diskussion in der G V K 1. Erste Befassung mit der Frage einer Novellierung von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. in der 10. Sitzung vom 24. 9.1992 Die Beratungen über eine Novellierung des Gleichberechtigungssatzes standen von Anfang an nicht unter dem Zeichen einerfraktionsübergreifenden Interessenparallelität. Schon in der Bundesratskommission Verfassungsreform, die im März 1991 ins Leben gerufen worden war und ihre Arbeit ein Jahr später abschloß, war im Arbeitsausschuß 2, der sich mit dem Thema Staatsziele und Grundrechte einschließlich der Verbesserung der Stellung der Frauen befaßte, keine Einigung über einen "Gleichstellungsauftrag" erzielt worden. Weder der Vorschlag Schleswig-Holsteins zur Ergänzung des Gleichberechtigungssatzes, der da lautete "Der Staat gewährleistet die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen", noch weitere Anträge der Länder Hessen und Niedersachsen fanden die erforderliche 2/3-Mehrheit. Auch der letzte Versuch nach mehreren Fehlschlägen, die Gegenseite doch noch zum Einlenken oder zumindest zu einer eigenen Initiative zu bewegen, schlug fehl. So erlangte der Ergänzungsvorschlag "Der Staat hat die Bedingungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft zu schaffen. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig"

nur die absolute Mehrheit der SPD-mit-regierten Länder, während BadenWürttemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen dagegen stimmten94. Einziges Ergebnis in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter war, daß der Änderungsvorschlag eingebracht wurde, die Reihenfolge der Subjekte "Männer" und "Frauen" in Art. 3 Abs. 2 GG a. F. umzukehren. Dieses geradezu irritierende Ergebnis wurde zudem noch widersprüchlich begründet, zunächst nämlich mit dem Argument, die Änderung der Reihenfolge sei Ausdruck der Erkenntnis, daß in den vergangenen 40 Jahren mehr staatliches Handeln zum Ziel der Gleichstellung von Frauen vonnöten gewesen wäre, um dann den Änderungsvorschlag des weiteren mit dem Argument der neutralen alphabetischen Reihenfolge abzusichern95. Unter diesen Vorzeichen kamen die Mitglieder der GVK zur 10. Sitzung zusammen, um zum ersten Mal über die Frage einer möglichen Überarbeitung des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. zu diskutieren. Die Debatte läßt sich in zwei Teile fassen: Zunächst war Gegenstand der Diskussion der Wortlaut eines

94 Vgl. dazu den Bericht der BR-Kommission in BR- Ds 360/92, S. 17.; J. Limbach/M. Eckertz-Höfer, S. 251, 294 f. 95 Bericht der BR - Kommission, BR - Ds. 360/92, S. 17.

II. Der Ablauf der Diskussion in der GVK

75

"Gleichstellungsauftrages" bzw. überhaupt die Notwendigkeit einer solchen Ergänzung des Gleichberechtigungssatzes. Des weiteren befaßte man sich mit der Frage, ob im Verfassungstext festgestellt werden sollte, daß Frauenförderungsmaßnahmen zulässig seien (sog. Kompensationsklausel, vgl. dazu die vorgenannten Vorschläge). Dabei setzten sich die Meinungsverschiedenheiten, die sich bereits in der Bundesrats - Kommission zu diesem Thema gezeigt hatten, fort: So war man teils gar nicht von der Notwendigkeit einer Überarbeitung des Gleichberechtigungsartikels überzeugt96 und es gab auch keinen allgemeinen CDU/CSU oder FDP-Vorschlag97. Von konservativ-liberaler Seite war man sich lediglich dahingehend einig, daß man einen Gleichste//w«g.sauftrag, wie ihn etwa der sozialdemokratische Vorschlag vorsah, ablehnte, und zwar aus Sorge vor einer "Gleichmacherei" im Sinne einer "Ergebnisgleichheit"98, sprich Quote. Wenn überhaupt, dann könne man nur von Gleichberechtigung sprechen und damit klarstellen, daß es lediglich um CAa«ce«gleichheit für Männer und Frauen gehen könne. Darüberhinaus machte die Abg. Berghofer-Weichner (CSU) den Einwand geltend, "Gleichstellung" (mit den Männern) mache letztlich wieder den Mann zum Maßstab aller Dinge. Es könne jedoch nicht das Ziel sein, daß Frauen möglichst wie Männer werden99. Unterstützung bekam sie in dieser Hinsicht von der SPD-Ministerin Waltraud Schoppe aus Niedersachsen100: "Wenn Gleichstellung für die Frauen bedeutet, daß wir sozusagen als defizitäre Wesen angesehen werden, die gleichgestellt werden müssen, daß uns gegenüber den Männern, die mit ihrer Moral, mit ihren Wertvorstellungen da oben irgendwo stehen, noch ein bißchen fehlt, daß wir noch Förderung und Unterstüt-

96 Zur skeptischen Auffassung bezüglich einer Ergänzung aus verschiedenen Gründen: Abg. Dr. Mathilde Berghofer-Weichner (Bayern), GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 17 ; auch der Abg. Hans-Joachim Otto (F.D.P.), GVK, 10. Sitzung, S. 10 f., war nicht ganz überzeugt: Nach seiner Auffassung beinhaltete bereits die alte Fassung eine Handlungspflicht i. S. einer Pflicht des Staates zur aktiven Förderung, damit die Gleichberechtigung gewährleistet sei. Auch er zweifelte deshalb daran, ob die Ergänzung sinnvoll sei, ohne jedoch einer solchen eine definitive Absage zu erteilen. 97 Genau diese Haltung gab es auch schon in der Verfassungskommission des Bundesrates - hier konnten sich die überwiegend konservativ regierten Länder bis zum Schluß nicht zu einem eigenen Vorschlag durchringen. 98 Vgl. Abg. H.-J. Otto (F.D.P.), GVK, 10. Sitzung, S. 10; Abg. Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU/CSU), GVK, 10. Sitzung, S. 33; Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU), GVK, 10. Sitzung, S. 21. 99 Abg. M. Berghofer-Weichner, GVK, 10. Sitzung, S. 16. 100 Abg. Waltraud Schoppe (Niedersachsen), GVK, 10. Sitzung, S. 20. Es gehe ganz ausdrücklich darum, daß gleichberechtigt nebeneinander verschiedene Lebensmodelle und Wertvorstellungen über Politik etc. existieren. Schoppe hob damit auf einen Gedanken ab, an dem sich schon Elisabeth Seibert orientiert hatte: Gleichwertigkeit bei Andersartigkeit.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

zung brauchen, um so zu werden wie die Männer, muß ich sagen: Das lehne ich ab. Das will ich nicht." Ansonsten jedoch waren die Fronten leicht zu erkennen: So hielten die Sozialdemokraten, BÜNDNIS ' 9 0 / D I E GRÜNEN und auch der Abgeordnete der PDS einen zusätzlichen Auftrag und damit eine 'Verstärkung1 des Art. 3 Abs. 2 GG für unverzichtbar, wolle man nicht Gefahr laufen, daß Gleichstellungspolitik in schwierigen Zeiten zum "Luxusobjekt" werde 101. Die Verankerung einer Kompensationsklausel wurde ebenfalls als unbedingt notwendig angesehen. Nur durch solch gruppenbezogene Fördermaßnahmen könnten Frauen angesichts der strukturellen Diskriminierung "das nachholen, was sie nachzuholen haben" und könnte so die Perpetuierung eines gesellschaftlichen Zustandes, der die Frauen immer in die zweite Reihe schiebe, verhindert werden102. Dies sei ein Gebot der Effektivität, wolle man faktische Gleichberechtigung nicht erst "im Jahr 3000" 103 erreichen.

Die ausdrückliche Klarstellung im Verfassungstext solle solche Förder- bzw. Kompensationsmaßnahmen aus dem verfassungsrechtlichen Streit ζ. B. im Zusammenhang mit dem Recht des Mannes auf rechtliche Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 3 GG) heraushalten, solange Frauen noch typischerweise benachteiligt seien104. Der konservativ-liberalen Haltung, die sich aus Sorge vor dem "Gespenst der Quote"105 in einer Ablehnung eines Gleichstellungsauftrages äußerte, wurde vorgeworfen, sie sei Ausdruck einer Doppelmoral der Männer in der Frage der Gleichberechtigung - auf der Ebene der Postulate seien sie ganz groß und sehr egalitär, wenn es jedoch praktisch werde, würden sie nach dem Grundsatz verfahren: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!"106

101

Abg. Gisela Böhrk, (Schleswig-Holstein), GVK, 10. Sitzung, S. 18. So Abg. W. Schoppe , GVK, 10. Sitzung, S. 21. In die gleiche Richtung Abg. M.-L. Peschel-Gutzeit (Senatorin Hamburg), ausgehend von ihrer bildhaften Beschreibung struktureller Diskriminierung: Es gehe darum sicherzustellen, daß nun auch Frauen in gleicher Zeit, mit gleicher Anstrengung dasselbe Ziel erreichen können wie Männer, 10. Sitzung, S. 30. 103 Abg. L. M. Peschel-Gutzeit, GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 30; beachtenswert hierzu auch die Berechnung von Frau Dingwort-Nusseck (damalige Vorsitzende der LZB Niedersachsen), bei gleichbleibendem Tempo werde Parität zwischen Frauen und Männern in Spitzenpositionen der Wirtschaft im Jahre 2230 erreicht sei, so zitiert in: E. Witte, Gleichberechtigt in 245 Jahren ?, Die Zeit v. 17.5.1985, S. 22. 104 Abg. L.-M. Peschel-Gutzeit, GVK, 10. Sitzung, S. 30. 105 So später H.-J Vogel, Verfassungsreform, S. 409. 106 Abg. Dr. Jutta Limbach (Berlin), GVK, 10. Sitzung, S. 32. Zustimmend Abg. Dr. C. Hohmann - Dennhardt (Hessen), a. a. O. S. 33: Gleichberechtigung werde "hoch gehängt ..., bei gleichzeitiger Offenlegung, dafür aber nichts tun zu wollen." 102

II. Der Ablauf der Diskussion in der GVK

77

2. Die 5. Öffentliche Sachverständigenanhörung vom 5.11.1992 einschließlich der Gutachten der Sachverständigen Die Sachverständigen zum Thema Novellierung des Gleichberechtigungssatzes 107 hatten u. a. zu folgenden Formulierungsvorschlägen Stellung zu neh108

men Variante 1 : "Der Staat gewährleistet die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig." Variante 2a: "Aufgabe des Staates ist es, Bedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen; Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind zulässig/erforderlich." Variante 2b: "Der Staat hat die Bedingungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft zu schaffen. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig." Variante 3: "Es ist Aufgabe des Staates, die Bedingungen für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu schaffen." Variante 4: "Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen und zu sichern. Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugungen im Sinne von Abs. 3." Hinsichtlich des Komplexes Gleichberechtigung - Gleichstellung ähnelten die Meinungsverschiedenheiten unter den Sachverständigen hinsichtlich des Wortlauts eines wie auch immer gearteten Frauenförderaufirages den Argumenten der Abgeordneten in der 10. Sitzung der GVK: Wer einen Gìeìchstellungsauftrag ablehnte, warnte in der Regel vor einem Verständnis von Gleichberechtigung als "Ergebnisgleichheit". So hatte der Sachverständige Schmitt Glaeser Sorge vor der Anpeilung einer "totalen Geschlechterparität" 109 bzw. "Ge-

107

Sachverständige waren: Ernst Benda, Heide Hering, Andrea Maihofer, Ute Sacksofsky, Edzard Schmidt-Jortzig, Walter Schmitt Glaeser, Helmut Simon. 108 Zitiert nach J. Limbach/M. Eckertz - Höfer, S. 238 f. 109 Sachverständiger W. Schmitt Glaeser, Schriftliche Stellungnahme zur 5. Öffentlichen Anhörung der GVK (Anhörung zu Art. 3 GG - Gleichberechtigung der Frau), in: Sten. Prot, der 5. Anhörung, S. 113 ff./119: "Der Begriff "Gleichstellung" mutiert das Ziel des Gleichberechtigungsgebots von der Chancen- zur Erfolgsgleichheit, mit anderen Worten: zu einer totalen Geschlechterparität."

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

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Schlechteregalität"110. Er befürchtete in diesem Zusammenhang ein Diktat der Gleichheit über das Prinzip der Freiheit. Um klarzustellen, daß es nur um eine faktische Bewegung auf der Stufe der Chancen gehen könne, schlug er deshalb die Formulierung "tatsächliche Verwirklichung von Gleichberechtigung" vor 1 1 1 . Aus denselben Gründen lehnte Schmitt Glaeser auch die Formel von der "gleichberechtigten Teilhabe" sowie eine Kompensationsklausel ab. Eine solche Klausel stehe im Widerspruch zu dem subjektiven Abwehrgrundrecht auf Unterlassung von Diskriminierung (Art. 3 Abs. 3 GG), sei verfassungswidriges Verfassungsrecht 112. Unterstützung bekam Schmitt Glaeser diesbezüglich vom Sachverständigen Schmidt-Jortzig, der eine 'umgekehrte Diskriminierung' von Männern ebenfalls für unzulässig hielt 1 1 3 . Einen Einwand anderer Art hatte die Sachverständige Maihofer gegen den Begriff der "Gleichstellung": Wie schon die Abgeordneten Berghofer-Weichner und Schoppe in der 10. Sitzung der GVK kritisierte auch sie hinsichtlich "Gleichstellung" die mögliche Bedeutung im Sinne von "Angleichung" an den "Maßstab Mann" 1 1 4 , denn: "Wirklich gleichberechtigt werden Frauen ... erst dann sein, wenn sie auch bei der Gestaltung und Organisation der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche gleichberechtigt beteiligt sind, diese also

110

Sachverständiger W. Schmitt Glaeser, Schriftliche Stellungnahme, S. 117. Sachverständiger W. Schmitt Glaeser, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 32. 112 W. Schmitt Glaeser, Schriftliche Stellungnahme, S. 117: "Eine verfassungskräftige Kompetenz zum Ausgleich von typischen (Geschlechts-)Gruppennachteilen durch geschlechtsspezifische Bevorzugungen ist und bleibt ein unheilbarer Widerspruch zum individuellen Anspruch auf Unterlassung solcher Diskriminierungen, wie er in Art. 3 Abs. 3 GG ausdrücklich und in Art. 3 Abs. 2 GG im Kern enthalten ist. Es handelt sich daher um verfassungswidriges Verfassungsrecht." A. a. O. S. 118: Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts müssen danach auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen sie zur Lösung von Problemen zwingend erforderlich seien, die ihrer Natur nach nur, d. h. ausschließlich, entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können. Diesbezüglich übt Schmitt Glaeser auch Kritik an der Typisierungsrechtsprechung des BVerfG, auf die später (vgl. Kap. 3 I 2 sowie Kap. 4 II 1) noch einzugehen sein wird. 1,3 Sachverständiger E. Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme zum Themenbereich "Art. 3 GG (Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern) "/ Öffentliche Anhörung der GVK, in: Sten. Prot, der 5. Anhörung, S. 107 ff./110. 114 Sachverständige A. Maihofer, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 9. Damit kritisierte sie entsprechend der "neuen Frauenbewegung" (Kap. 1 II 4) den "Zwang zur Anpassung und Angleichung an "männliche" Standards und Wertvorstellungen" (so dies., Schriftliche Stellungnahme für die Anhörung zu Art. 3 GG (Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern) der GVK am 5. Nov. 1992, in: Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 79 ff/81). In einem patriarchalen System lasse sich dieses Problem nicht lediglich durch eine Erhöhung der Präsenz von Frauen lösen, sondern es seien grundlegende strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft nötig. 111

II. Der Ablauf der Diskussion in der GVK

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gleichberechtigt auch ihren Vorstellungen entsprechen." 115 Sie regte deshalb als 'Minimalvariante' 116 die Verpflichtung des Staates auf'Herstellung und Sicherung gleichberechtigter Teilhabe' an und befürwortete auch eine Kompensationsklausel im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 1 1 7 . Keine Bedenken im Hinblick auf den Begriff der "Gleichstellung" (sofern es um eine etwa damit verknüpfte Ergebnisgleichheit ging) hatte, wer sich für die Formel von der "gleichberechtigten Teilhabe" 118 aussprach. Allerdings wird nicht ganz klar, ob dem zugrundelag, daß Gleichstellung nicht als Ausdruck von Ergebnisgleichheit gesehen wurde, oder ob das Erreichen von Ergebnisgleichheit einfach befürwortet wurde. So ging etwa die Sachverständige Hering 119 wohl von Gleichstellung als tatsächlicher Chancengleichheit aus und reservierte den Begriff der Gleichberechtigung für die rein rechtliche Gleichbehandlung, während bei Maihofer wie gesehen "gleichberechtigte Teilhabe" nach gleicher Mitsprache klingt. Festzustellen bleibt ferner, daß alle Befürworter von 'gleichberechtigter Teilhabe' oder 'Gleichstellung' überdies für die Einführung einer "Kompensationsklausel" stimmten 120 . Einer solchen ausdrücklichen Klausel komme im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit konkreter FrauenfÖrdermaßnahmen Gewicht im Sinne einer Legitmationsfunktion zu, indem sie sicherstel115

Sachverständige A. Maihofer, Schriftliche Stellungnahme, S. 81 f. mit Verweis auf die Äußerung Seiberts: "Gleichberechtigung baut auf der Gleichwertigkeit auf, die die Andersartigkeit anerkennt." 116 Ihr Wunschvorschlag lautete: "Frauen und Männer sind gleichberechtigt; das heißt gleichberechtigt auch in ihrer jeweiligen Verschiedenheit. Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen durch geeignete Maßnahmen (wie ζ. B. Quotierung, Förderpläne) herzustellen und zu sichern", Schriftliche Stellungnahme, S. 86. 117 A. Maihofer, Schriftliche Stellungnahme, S. 86. 118 Sachverständige H. Hering, Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung der GVK am 5.11.92, in: Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 73 ff./75: "Der Staat ist verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen durch geeignete Maßnahmen (z. B. Quotierung oder Förderpläne) herzustellen und zu sichern. Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind keine Bevorzugungen im Sinne von Abs. 3 GG."; A. Maihofer, Schriftliche Stellungnahme, S. 86.; Sachverständige U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme zum Themenbereich "Änderung des Art. 3 GG" anläßlich der Öffentlichen Anhörung der GVK (Bonn, 5. November 1992), in: Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 91 ff./98: "Der Staat gewährleistet die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen." 119 Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 5; undeutlich U. Sacksofsky: sie bevorzugte "gleichberechtigte Teilhabe" vor "Gleichstellung" aus sprachlichen Gründen (Schriftliche Stellungnahme, S. 98). Allerdings ist anzunehmen, daß auch sie vom Gebot der Chancengleichheit ausging, schließlich sah sie den Sinn von Frauenfördermaßnahmen darin sicherzustellen, daß nicht länger schlechtere Männer besseren Frauen vorgezogen würden (Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 11). 120 H. Hering, Schriftliche Stellungnahme, S. 75; A. Maihofer, Schriftliche Stellungnahme, S. 86; U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme, S. 99 f.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

le, daß Gerichte solche Maßnahmen nicht aufheben könnten, die von der zuständigen Stelle erlassen worden seien und sich in den verfassungsrechtlichen Grenzen der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit bewegten121. Auch der Sachverständige Simon trennte zwischen Gleichstellung und Ergebnisgleichheit122: Bei der Gleichstellung gehe es um tatsächliche Verwirklichung. Allerdings sei der Staat gar nicht in der Lage, das Ergebnis selber herbeizuführen. Er könne nur die Bedingungen dafür schaffen, daß Gleichheit herbeigeführt werde. Insofern gehe es aber nicht nur um Chancengleichheit; das war nach Ansicht Simons zu wenig. Vielmehr heißt es in seiner schriftlichen Stellungnahme123: "Bei der Gleichstellung geht es ... um einen ergebnisbezogenen Prozeß zur Verwirklichung einer Pflicht" (was Schmitt Glaeser zu der Bemerkung veranlaßte, Simon denke offenbar an eine "ergebnisorientierte Chancengleichheit" 12*). Auch Simon befürwortete dabei die Einfügung einer Kompensationsklausel125 und teilte die Bedenken einer völligen Unterwanderung des Rechtes des Mannes auf Gleichberechtigung nicht - hier baue die Verfassung selbst hinreichend vor: "Ob durch kompensatorische Förderungsmaßnahmen Männer unter Verletzung des Art. 3 Abs. 3 GG, also des Diskriminierungsverbots, diskriminiert werden, ist eine Frage der konkreten Ausgestaltung dieser Maßnahmen und nicht der vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung." 126 Die Kritik von Schmitt Glaeser und Schmidt-Jortzig hinsichtlich der individualrechtlichen Struktur der Grundrechte und der Vorwurf, man dürfe das Recht des einzelnen Mannes auf Gleichbehandlung nicht beeinträchtigen, sah er als nicht begründet an - die Rechtslage bei kompensatorischen FrauenfÖrdermaßnahmen sei nicht 121

U. Sacksofsky , Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 11; H. Simon, Schriftliche Stellungnahme zur 5. Öffentlichen Anhörung der GVK (Anhörung zur Frage der Gleichstellung von Frauen und Männern), in: Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S.123 ff/128. 122 Sachverständiger H. Simon, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 29. 123 Κ Simon, Schriftliche Stellungnahme, S. 129. 124 W. Schmitt Glaeser, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 29. 125 Sein Vorschlag lautete insgesamt: "Der Staat hat die Bedingungen für die Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen" als Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG. Ergänzung des Art. 3 Abs. 3 GG durch zweiten Halbsatz: "; zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig." 126 H. Simon, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 18. D. h.: Keine pauschale Verurteilung als unzulässig, sondern Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Simon (Schriftliche Stellungnahme, S. 126) spricht denn auch davon, daß er sich die Lösung des Widerspruchs zum Recht des einzelnen Mannes auf Gleichbehandlung im Sinne "praktischer Konkordanz" vorstellen könne. So dürften beispielsweise bei Quotenregelungen gleichqualifizierte Männer nicht auf unbegrenzte Zeit völlig chancenlos bleiben, bis die Frauenquote ganz aufgefüllt sei.

II. Der Ablauf der Diskussion in der GVK

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grundsätzlich anders als bei Vorschriften zur Begünstigung von Behinderten und Spätheimkehrern (§ 4 SchwbG, 9a HeimkehrerG) 127. Einen etwas vorsichtigeren Standpunkt in Sachen Kompensationsklausel nahm Benda ein: Ausgehend von einer individualisierenden Betrachtung der Benachteiligungs- und Diskriminierungsproblematik, forderte er grundsätzlich für eine Förderung von Frauen den Nachweis einer eigenen konkreten Benachteiligung. In diesem Zusammenhang seien nach der Rechtsprechung des BVerfG lediglich "Typisierungen", nicht jedoch "Pauschalierungen" erlaubt, aber auch nur dann, wenn es sich nicht um 'allzu erhebliche Vorteile' handele128. Bendas Haltung zu einer Kompensationsklausel war v. a. auch deshalb zwiespältig, da er die Auffassung vertrat, diefraglichen Ausgleichsmaßnahmen seien nur für den Bereich des öffentlichen Dienstes zulässig129, während er bei einer allgemein gehaltenen Ausgleichsklausel die Gefahr sah, daß diese auch Fördermaßnahmen im Bereich der privaten Wirtschaft legitimieren und damit schwerwiegende Eingriffe in die bestehende Wirtschaftsordnung nach sich ziehen könnte130. Seien diese Punkte jedoch klargestellt, habe auch er keine Einwände gegen eine solche Klausel131. Als weiterer Gesichtspunkt für die Einfügung einer Kompensationsklausel wurde - ähnlich wie bei der Diskussion um "Gleichstellung" und "Gleichberechtigung" - von der Abg. Schoppe angeführt, Frauenförderung sei das einzige Mittel, um die Anerkennung der Lebenswelt der Frauen zu erreichen, die von der Lebenswelt der Männer unterschiedlich sei, indem nämlich Frauen eigener Raum zur Entfaltung zugestanden werde 132. Nach der Anhörung ergab sich also folgendes Bild: Nur Schmitt Glaeser und Schmidt-Jortzig lehnten den Terminus "Gleichstellung" als Festschreibung von Ergebnisgleichheit ab. Die Mehrheit der Sachverständiigen sah in diesem Begriff keine Probleme, zog jedoch die Formel von der Schaffung einer "gleichberechtigten Teilhabe" vor. Strikt gegen jede Kompensationsklausel waren ebenfalls nur die Sachverständigen Schmidt-Jortzig und Schmitt Glaeser, wobei letzterer schon eine typisierende Betrachtung für bedenklich hielt, wäh127

H. Simon, Schriftliche Stellungnahme, S. 126. Sachverständiger E. Benda, Schriftliche Äußerung zur öffentlichen Anhörung der GVK am 5. Nov. 1992 zu Art. 3 GG (Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern), in: Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 61 ff./ 66. 129 E. Benda hielt leistungsbezogene Quotierungen für den öffentlichen Dienst für zulässig, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 3 f. 130 E. Benda, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 4. 131 E. Benda, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 4. 132 Abg. W; Schoppe (Niedersachsen), GVK, 23. Sitzung, Sten. Prot., S. 11 f.; zu diesem Thema eindrücklich auch H. Pfarr, Die heimliche Hoffnung auf die Frauen, in: FS für H. Simon, 1987, S. 437 ff./445: "Quoten allüberall", um nicht ständig dem männlichen Normendruck ausgesetzt zu sein. 128

6 Schweizer

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rend die Mehrheit eine solche Klausel als zulässig und wünschenswert erachtete - allerdings mit der Einschränkung, daß dies keine starren Quoten legitimiere 133. Auch Benda sperrte sich nicht eigentlich gegen eine solche Klausel. 3. Die 23. Sitzung der GVK vom 27. 5.1993 In der 23. Sitzung kam es zur Aussprache und Abstimmung über den in den Berichterstattergesprächen vom 6. und 13. Mai gefundenen Kompromiß: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. "

Die meisten der Abgeordneten waren mit dem gefundenen Ergebnis zufrieden. Dies rührte nicht zuletzt daher, daß insbesondere von sozialdemokratischer Seite bereits am Erfolg der Bemühungen um einen Kompromiß gezweifelt worden war 134 , hatte doch die CDU/CSU-Gruppe erst in der fünften Berichterstatterrunde überhaupt einen eigenen Vorschlag vorgelegt, der da lautete: "Es ist Aufgabe des Staates, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und Nachteile abzubauen."135 Im konservativ-liberalen Lager war man froh und "dankbar", daß auf den Begriff 'Gleichstellung' sowie auf die Kompensationsklausel verzichtet worden war 136. Man sah in dem Kompromiß sozusagen die Garantie, daß Ausgleichsregelungen wie die "Quote" nun "vom Tisch" waren 137. Die Sozialdemokraten hingegen waren zufrieden mit der verfassungsrechtlichen Klarstellung, daß es zwischen der Normenwelt und der Realität auf dem Gebiet der Gleichberechtigung der Geschlechter ein Spannungsverhältnis gebe, und begrüßten den ausdrücklichen Auftrag an den Staat, diesen Zustand zu än133

Zu diesem Konsens unter den Sachverständigen H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 408. 134 Dazu Abg. Ulrike Mascher, (SPD), GVK, 23. Sitzung, Sten. Prot., S. 3; die Abg. H. Alm-Merk (Niedersachsen) gab zu Protokoll, sie habe fast nicht mehr an eine tatsächliche Änderung geglaubt; nach ihrer Ansicht sei bei vielen Männern - insb. in konservativen Kreisen - ein Stück Angst dabeigewesen, nur die Hälfte der Macht behalten zu können, vgl. 23. Sitzung, S. 10. Ähnlich froh darüber, daß der Kompromiß überhaupt zustandekam, Abg. J. Limbach, a. a .0., S. 12 f. 135 Zitiert nach J. Limbach/M. Eckertz- Höfer, S. 298. 136 Vgl. Abg. F.-A. Jahn (CDU/CSU), GVK, 23. Sitzung, S. 7; Abg. H.-J. Otto (FDP), 23. Sitzung, S. 6. Die Abg. M. Berghofer-Weichner (Bayern) hatte bereits in der 10. Sitzung darauf hingewiesen, daß das Gefühl, als Mann benachteiligt zu werden, "mindestens" [!] gleich schlimm sei wie als Frau benachteiligt zu werden, GVK, 10. Sitzung, S. 16. 137 Dazu Abg. H.-J. Otto (FDP), GVK, 23. Sitzung, S. 8: Eine Kompensationsklausel hätte zu unüberwindlichen rechtlichen Problemen geführt.

II. Der Ablauf der Diskussion in der GVK

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dem. Außerdem hatte man - sozusagen als 'Gegenleistung' für den Verzicht auf den Terminus der "Gleichstellung" und auf die Kompensationsklausel - erreichen können, daß statt des CDU-Vorschlags "... Nachteile abzubauen" der SPDVorschlag "beseitigen" Eingang gefunden hatte. Damit sollte deutlich gemacht werden, daß die Ergänzung nicht lediglich auf den Prozeß des Abbaus, sondern auf das Endergebnis abziele138. Der Staat sei eben nicht lediglich gehalten, "langfristig für die Zukunft die Bedingungen für die faktische Durchsetzung der Gleichberechtigung zu schaffen oder zu fördern, sondern die heute und jetzt bestehenden wie auch in Zukunft noch entstehenden Nachteile zu beseitigen"139. Dagegen zeigte sich die Abg. Schoppe tief enttäuscht insbesondere davon, daß die Kompensationsklausel nicht durchgesetzt werden konnte140. Die Zufriedenheit beinahe aller rührte jedoch v. a. auch daher, daß von sozialdemokratischer Seite aus versucht wurde, in den Kompromiß letztlich den Inhalt des eigenen Vorschlags hineinzuinterpretieren: Während die Gegner von "Gleichstellung" und "Kompensationsklausel" froh waren, daß der "Kelch der Quote an ihnen vorübergegangen war", und darauf Wert gelegt wurde, daß sich durch die Novellierung eigentlich gar nichts geändert habe141, wurde von jener Seite an einer Gleichsetzung des gefundenen Kompromisses mit dem SPDVorschlag gearbeitet. So sah insbesondere Vogel hinsichtlich des Gleichberechtigungsauftrages keinen Unterschied zwischen den beiden Formeln: Er habe 138

Abg. L M. Peschel-Gutzeit (Hamburg), GVK, 23. Sitzung, S. 4: "Wir wollen, daß der Staat die Hindernisse ganz beseitigt"; dazu auch Abg. H.-J. Vogel, 23. Sitzung, S. 18; zufrieden mit diesem Ergebnis war eigentlich auch die Abg. C. HohmannDennhardt (Hessen), 23. Sitzung, S. 15. Dennoch verweigerte sie aus Sorge vor einer restriktiven Interpretation des Gleichberechtigungsauftrages aufgrund der Ablehnung einer Kompensationsklausel die Zustimmung für den Kompromiß. 139 Abg. L M. Peschel-Gutzeit, ebd. 140 Sie persönlich hielt zwar schon unter Geltung der alten Fassung, die sie als Dominierungsverbot auffaßte, Kompensationsmaßnahmen für zulässig, hatte jedoch Bedenken: "Aber machen wir uns doch nichts vor: Es gibt auch eine konservative Auslegung des Art. 3 GG. Und wenn es um Frauenrechte geht, gibt es sozusagen eine Affinität zum Konservativismus", Abg. W. Schoppe (Niedersachen), GVK, 23. Sitzung, S. 12. Letzteres bezog sie auf alle Parteien, auch auf die ihre (SPD). 141 Vgl. etwa Abg. W. von Stetten (CDU/CSU), GVK, 23. Sitzung, Sten. Prot., S. 10 f.: "Diese neue Formulierung ist als Staatsziel gedacht. Es ist keine neue Aufgabe des Grundgesetzes, sondern wir möchten es so nennen, wie man es heute zu sagen pflegt: Es ist eine ergänzende Klarstellung, sicher keine bloße Lyrik, aber eben auch kein neues Grundrecht und im Grunde genommen auch nur eine Ausführung des bereits im Grundgesetz vorhandenen Staatsziels, das in Art. 3 GG nur seine Bekräftigung erfährt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Zur Gegenposition Abg. L. M. Peschel-Gutzeit (Senatorin Hamburg), GVK, 23. Sitzung, S. 6: Mit dem Auftrag zur Nachteilsbeseitigung werde der Auftrag zur Gleichberechtigungsdurchsetzung weiter verstärkt. "Es wird klargestellt, daß der Staat nicht lediglich gehalten ist, langfristig für die Zukunft die Bedingungen für die faktische Durchsetzung der Gleichberechtigung zu schaffen oder zufördern, sondern die heute und jetzt bestehenden wie auch in Zukunft noch entstehenden Nachteile zu beseitigen".

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unter "Gleichstellung" immer verstanden, daß das, was in der Normenwelt bisher Auftrag gewesen sei, auch in der Realität durchgesetzt werde 142. Wenn es im niedersächsischen Antrag (identisch mit SPD-Antrag) heiße, zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten seien Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig, und in der Kompromißformel von der Beseitigung bestehender Nachteile die Rede sei, dann müsse der Staat eben entsprechende Maßnahmen treffen und diese seien dann "doch wohl zulässig". Dies sei ein Gebot der Logik, ansonsten habe der zweite Halbsatz gar keinen Sinn143. Durch das Weglassen der Kompensations- oder Ausgleichsklausel habe sich nichts wesentliches geändert vielmehr seien und blieben leistungsbezogene Bevorzugungen, sprich Quoten, zulässig144. In diesem Zusammenhang bemerkte Vogel* schon die CDUFraktion selbst habe eine enge Beschränkung der "Nachteile" auf diejenigen Benachteiligungen, die aus Schwangerschaft der Kindererziehung erwachsen, verworfen; außerdem sei in den Berichterstattergesprächen schließlich Einigkeit darüber erzielt worden, daß Kompensationsmaßnahmen wie leistungsbezogene Quoten zulässig seien145. Die Reaktion darauf ließ nicht lange auf sich warten. Vehement wandte sich der Vorsitzende Scholz (CDU/CSU) gegen solche "Interpretationsmanöver" mit dem Ziel, den ursprünglichen SPD-Antrag mit dem Kompromiß gleichzuset„ 1 4 6

zen Man kann also festhalten: Schon in der letzten Sitzung wurde der Charakter der Ergänzung als "Formelkompromiß" 147 augenfällig. Er wurde dennoch oder aber gerade deswegen mit nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen. Der Verfassungsgesetzgeber übernahm diese Empfehlung mit verfas-

142

Abg. H.-J. Vogel, GVK, 23. Sitzung, S. 18. Abg. H.-J. Vogel,, GVK, 23. Sitzung, S. 19. 144 Abg. H.-J. Vogel stellt dabei klar, daß er sich auf Benda beziehe (das heißt auf die Zulässigkeit leistungsbezogener Quoten) und nicht die starre Quote meine, GVK, 23. Sitzung, S. 19. 145 Ebenso wie H.-J. Vogel auch Abg. J Limbach, GVK, 23. Sitzung, S. 13: "Wir waren uns - und da muß man vielleicht hinzufügen, daß Sie - Herr Jahn und Herr von Stetten, an diesem Tag nicht dabeigewesen sind - in dem letzten Berichterstattergespräch auch darin einig, daß diese Ergänzung auch einen Kompromißvorschlag insoweit enthält, als sie eine leistungsbezogene Frauenförderung möglich macht. Das ist in diesem Fall auch besprochen worden, und ich darf nur daran erinnern, daß einer ihrer eigenen Gutachter [gemeint ist E. Benda, die Verf.] das schon für heute als grundrechtskonform angesehen hat." 146 Vors. Prof. Dr. Rupert Scholz, GVK, 23. Sitzung, S. 19. 147 So später J. Isensee, Mit blauem Auge davongekommen - das Grundgesetz, in: NJW 1993, S. 2583 ff./2585: 'dilatorischer Formelkompromiß' ;zutreffend die Bemerkung von U.-J.Heuer (PDS/Linke Liste), GVK, 23. Sitzung, S. 14: "Wir haben unsere Probleme vor die Tür von Karlsruhe gelegt." 143

III. Inhalt und Zielsetzung der Ergänzung

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sungsänderndem Gesetz vom 27. Oktober 1994148. Die Grundgesetzänderung trat am 15. November 1994 in Kraft.

Ι Π . Inhalt und Zielsetzung der Ergänzung 1. Zielsetzung der Ergänzung - insbesondere: der Inhalt des Abschlußberichts Ausgehend von der Tatsache, daß Rechtsgleichheit von Männern und Frauen allein bislang nicht viel an der noch immer gegenwärtigen Benachteiligungssituation von Frauen hat ändern können149, nennt der Abschlußbericht der GVK als Ziel der Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG, dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter zu einer "stärkeren Durchsetzung in der Lebenswirklichkeit" 150 zu verhelfen. Es gehe nicht nur darum, Rechtsnormen zu beseitigen, die Vor- oder Nachteile an die Geschlechtszugehörigkeit knüpften, sondern darum, "die Lebensverhältnisse von Männern und Frauen auch real anzugleichen" 151. Dabei handele es sich insoweit weniger um den Versuch der Lösung eines rechtlichen als eines gesellschaftlichen Problems. Die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG - so heißt es im Abschlußbericht weiter - sei keine Verfassungslyrik, sondern hier werde eine verbindliche Handlungsanweisung, ein Staatsziel normiert, durch welches die zuständigen staatlichen Organe verpflichtet werden, Maßnahmen zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung zu ergreifen; ein Individualanspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln werde jedoch nicht eingeräumt. Die positive Formulierung "Der Staatfördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" solle gegenüber anderen, schwächeren Formulierungen diese Verbindlichkeit deutlich machen. In den Beratungen sei des weiteren immer wieder auch die Appellund Signalfunktion einer solchen Bestimmung betont worden. Die neue Verfasssungsbestimmung solle auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene eine sachgerechte Förderungspolitik zur Erreichung einer tatsächlichen Gleichberechtigung bewirken. Dabei habe zumindest Einigkeit über die Unzulässigkeit sogenannter "starrer Quoten" bestanden152.

148

BGBl. 1994 IS. 3146. So auch die Einleitung des Abschlußberichts der GVK, in dem noch einmal auf die gesellschaftliche Situation von Frauen hingewiesen wird, vgl. BT-Ds. 12/6000, S. 49. 150 GVK, Abschlußbericht, Ds. 12/6000, S. 50 (Hervorhebung nicht im Original). 151 GVK, Abschlußbericht, Ds. 12/6000, S. 50 (Hervorhebung nicht im Original). 152 GVK, Abschlußbericht, Ds. 12/6000, S. 50. 149

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Wird im Abschlußbericht noch auf den Streit hinsichtlich ChancengleichheitErgebnisgleichheit eingegangen, so heißt es zur "Nachteilsbeseitigungsklausel" lapidar 153: "Mit dem Auftrag zur Nachteilsbeseitigung wird der Auftrag zur Durchsetzung der Gleichberechtigung weiter verstärkt. Die Beseitigung eines bestehenden Nachteils selbst soll dabei das Ziel des staatlichen Handelns darstellen. Eine vom Nachteil losgelöste Kompensation durch einen mit der konkreten Benachteiligung sachlich nicht verbundenen Vorteil soll hingegen nicht zulässig sein. Der Staat soll vielmehr auf die Beseitigung von Nachteilen hinwirken, also etwa berufliche Nachteile durch berufliche Vorteile ausgleichen. Diesem Ziel würde er nicht gerecht, wenn Kompensationen ermöglicht würden, die mit dem eigentlichen Nachteil nicht in unmittelbarem Zusammenhang stünden."

Von den Meinungsverschiedenheiten, die sich bereits in der Schlußberatung während der 23. Sitzung ergaben, ist also keine Rede. 2. Die Rechtsqualität des nFörderauftrages ,f in Art. 3 Abs. 2 GG a) Art. 3 Abs. 2S.2 GG als Staatszielbestimmung bzw. Verfassungsauftrag Zu prüfen ist der Rechtscharakter der Ergänzung. In den Debatten der GVK und im Abschlußbericht geht man ganz klar von einer Staatszielbestimmung aus. Unter Staatszielbestimmungen versteht man Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben - sachlich umschriebener Ziele - vorschreiben154. Auch der Förderauftrag samt der Nachteilbeseitigungsklausel richtet sich an 'den Staat' - unterscheidet sich also von einem Auftrag lediglich an den Gesetzgeber - und hat im Gegensatz zu einem bloßen Programmsatz verbindlichen Charakter. Insofern ist die Qualifizierung als Staatszielbestimmung gerechtfertigt. Da der neue Förderauftrag gegenüber dem allgemeinen sozialen Staatsziel spezieller ist, könnte man auch von einer Staatsaufgabennorm sprechen155. Al-

153

GVK, Abschlußbericht, BT-Ds. 12/6000, S. 50. P. Badura, Staatsrecht, 1996, D 42; ders., Staatsaufgaben und Teilhaberechte als Gegenstand der Verfassungspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Nr. 49 vom 29. Nov. 1991, S. 20 ff./23; H. H. Klein, Staatsziele im Verfassungsgesetz, in: DVB1. 1991, S. 729 ff/733, m. w. N. 155 Zu "Staatsaufgaben" im technischen Sinn als verfassungsrechtliche Zielbestimmungen, die einen höheren Grad an Konkretheit aufweisen als die Generalklauseln wie Sozialstaatlichkeit und gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht vgl. H.-P. Bull, Staatszwecke im Verfassungsstaat, in: NVwZ 1989, S. 801 ff./802; J. Isensee, Gemeinwohl 154

III. Inhalt und Zielsetzung der Ergänzung

87

lerdings würde dies möglicherweise verwirren, da der Ausdruck "Aufgabe" zuweilen auch als minus zu "Auftrag" gebraucht wird 1 5 6 . Der Begriff "Staatsaufgabe" erlangt außerdem erst dann Bedeutung, wenn es um die Abgrenzung von Staatsaufgaben und öffentlichen Aufgaben geht 157 . Dieses Problem stellt sich hier jedoch (noch) nicht - es taucht vielmehr erst dann auf, wenn es um evtl. staatliche Einflußnahmen auf die Privatwirtschaft geht 158 . Um die Verbindlichkeit der Handlungsanweisung zu betonen, bietet sich auch die Bezeichnung als Verfassungsauftrag an. Damit wird ganz deutlich gemacht, daß hinsichtlich des anzustrebenden Zustands keine freie Ziel- und Zweckwahl des Staates mehr besteht, er vielmehr diesbezüglich sozusagen "an die Leine" der Verfassung genommen wird 1 5 9 .

und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III, § 57, S. 3 ff./Rn. 137. 156 Vgl. dazu H. Simon in seiner schriftlichen Stellungnahme zur 5. Anhörung der GVK, S. 129, der den Terminus "Aufgabe" vor dem Hintergrund bestehender "Gleichstellungdefizite" als zu schwach ansah; zur Unterscheidung zwischen Verfassungsaufgabe und -auftrag hinsichtlich ihres Rechtspflichtcharakters auch S. Raasch, Frauenquoten und Männerrechte, 1991, S. 162, wobei sie als Synonyme für Verfassungsaufgaben Staatszielbestimmungen und Programmsätze in einen Topf wirft und die gegebene Rechtspflicht bei Staatszielbestimmungen verkennt; W. Schmitt Glaeser, Abbau des tatsächlichen Gleichberechtigungsdefizits der Frauen durch gesetzliche Quotenregelungen, 1982, S. 32: 'Zwar nicht Auftrag, aber doch Aufgabe'. 157 Zu dieser Problematik, die an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden kann vgl. J. Isensee, Gemeinwohl, Rn. 137; insb. zur Abgrenzungsproblematik staatliche Aufgabe - öffentliche Aufgabe H. Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, in: FS für H. C. Nipperdey, 1965, S. 877 ff./878 ff.; anschaulich auch F. Ossenbühl, Grundfragen zum Rechtsstatus der Freien Sparkassen, 1979, S. 35: "Staatliche Aufgaben sind demgegenüber nur solche, die der Staat nach der jeweils geltenden Verfassungsordnung zulässigerweise für sich in Anspruch nimmt und an sich gezogen hat." 158 Dazu F. Ossenbühl, Grundfragen, S. 36: "Der handfeste und praktische Unterschied zwischen den staatlichen und öffentlichen Aufgaben ist wegen ihrer Orientierung und Anbindung an die unterschiedlichen Wirk- und Zuständigkeitsbereiche der, daß nur die Erfüllung staatlicher [...] Aufgaben dem staatlichen Reglement, der staatlichen Organisationsgewalt und der staatlichen Direktion unterliegt, die Erfüllung öffentlicher Aufgaben demgegenüber nach dem Prinzip der freiheitlichen Betätigung den gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen überlassen bleibt." 159 Die Verwendung von "Verfassungsauftrag" ist uneinheitlich; wie hier E. W\ Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsgefüge, in: E. W. Böckenforde/ J. Jekewitz/T. Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte, 1981, S. 7 ff./14; für "Verfassungsauftrag" als Oberbegriff für Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge R. Weber-Fas, Das kleine Staatslexikon, 1995, S. 535; als Bezeichnung von Gesetzgebungsaufträgen, vgl. K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I, 1984, § 3 III 3 S. 85, für den Terminus Verfassungsauftragsnormen § 4 II 3 S. 122; ebenso wohl Roman Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. III, § 58 S. 83 ff./Rn. 29; ebenso H Tilch (Hrsg.), Deutsches Rechtslexikon, 1992, S. 927: "Von Verfassungsauftrag spricht man, wenn es um eine konkrete, speziell an die Legislative gerichtete und verpflichtende Anweisung, gesetzgeberisch tätig zu werden, geht."; D. Merten, Ober

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

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b) Art. 3 Abs. 2 GG n. F. als Grundrecht oder soziales Grundrecht ? Man könnte sich jedoch auch die Frage stellen, ob und wenn ja welche Bedeutung es hat, daß diese Staatszielbestimmung in ein Grundrecht eingefügt wurde. aa) Die soziale Dimension der Grundrechte Schonfrüh wurden die Grundrechte vom BVerfG nicht nur als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe in die Privatsphäre des Bürgers, sondern auch als Ausdruck einer "grundgesetzlichen Wertentscheidung" angesehen, den Bürgern ein Optimum nicht nur an rechtlicher, sondern auch an realer Freiheit zu sichern - die Grundrechte selbst bekamen diesbezüglich den Charakter "objektiver" oder "wertentscheidender Grundsatznormen" 160. Diesem Wandel der Grundrechtstheorie ging ein Wandel der Staatsauffassung bzw. der Verfassungstheorie voraus161. Der moderne Staat mit den vielfältigen Abhängigkeiten seiner Bürger von staatlichen Leistungen, sprich staatlicher Daseinsvorsorge, entsprach nicht mehr dem Bild des autarken Bürgers im liberalen Staatsverständnis. Im Staat des Grundgesetzes rückten die sog. "Grundrechtsvoraussetzungen" - d. h. die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, die eine Nutzung der Grundrechte als Abwehrrechte und als Bedingungen realer Freiheit erst möglich machen162 immer mehr in den Mittelpunkt. In Synthese mit dem Sozialstaatsprinzip (manchmal auch in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG genannt163) gewährleisten die Grundrechte nach heutigem Verständnis nicht nur subjektive Abwehrrechte gegen Akte der öffentlichen Gewalt, sondern ihr Staatsziele, in: DÖV 1993, S. 368 ff./370, spricht dagegen bei unverbindlichen Direktiven ohne formende Kraft für den Staat von "bloßen Verfassungsaufträgen". 160 Vgl. nur BVerfGE 39, 1/47; maßgeblich BVerfGE 7, 198 (Lüth): "Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt." 161 Zu diesem Verhältnis zwischen Staatsauffassung/Verfassungstheorie und Grundrechtstheorie E.-W. Böckenforde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: NJW 1974, S. 1529 ff./l 529. 162 Zum Problem der "Freiheit ohne Inhalt" K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1993, Rn. 214, wenn er sagt, für den Arbeitslosen sei Berufsfreiheit nutzlos, die Garantie des Eigentums habe nur für den Eigentümer Bedeutung usw. "Sollen diese und andere Freiheiten mehr sein als Freiheiten ohne Inhalt, so setzen sie auch mehr voraus als ein Verbot staatlicher Eingriffe, nämlich jenes System planender,fördernder und erhaltender Maßnahmen, der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Kultur - und der Bildungspolitik, der Gesundheits- und Familienpolitik, das den heutigen Sozialstaat kennzeichnet ..." 163 P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 43 ff./

108, 112.

III. Inhalt und Zielsetzung der Ergänzung

89

Schutzumfang umfaßt auch die Aufgabe des Staates, die grundrechtlich gewährleistete Freiheitsbetätigung durch aktive Förderung und Unterstützung zu sichern, ja u. U. überhaupt erst zu ermöglichen. Der Staat übernimmt damit eine Art "Garantenstellung" 164 für die Umsetzung der Freiheit in die Verfassungswirklichkeit mit der Folge, daß sich aus den Grundrechten Rechte des einzelnen auf Schutz vor Eingriffen Dritter 165 oder auf Teilhabe an staatlichen Leistungen ergeben können. Allerdings hat das BVerfG bereits in seiner ersten N.C.- Entscheidung klargestellt, daß sich letztere grundsätzlich nicht zu subjektiven Leistungsansprüchen verdichten, stehen sie doch auf jeden Fall unter dem 'Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise beanspruchen könne' 166 . In der Regel laufen solche "Teilhaberechte" deshalb auf die Gewährleistung eines chancengleichen und leistungsgerechten Verfahrens für die Zuteilung von Positionen und Ansprüchen hinaus 167 , beziehen sich also auf schon bestehende Leistungssysteme (derivative Teilhaberechte) 168. Das BVerfG regte damit eine Entwicklung an, die Friauf 169 die "Renaissance institutionellen Grundrechtsdenkens" nannte, wobei es an dieser Stelle keinen Unterschied macht, ob man das damit bezeichnete Grundrechtsverständnis als "institutionell" oder als "wertsystematisch" bezeichnet170. Wichtig ist jedoch, daß diese Objektivierung der Grundrechte deren subjektiv-rechtlichen Charakter nie verdrängen konnte. Es bleibt dabei, daß die "Grundrechte ... in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat" sind171, wobei das BVerfG gelegentlich ausdrücklich davor warnt, "die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien ... von dem eigentlichen Kern [zu] lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen zu verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt" 172.

164

E.-W.Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 1536. Allerdings kritisch zur sozialstaatlichen Grundrechtsauslegung. 165 Zur grundrechtlichen Schutzpflicht BVerfGE 39,1, 41 ff /41 f.; 56, 54/80 f.; vgl. dazu auch mit kritischen Ansätzen zur herrschenden Dogmatik E. Klein, Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, in: NJW 1989, S. 1633. 166 BVerfGE 33, 303, 330 ff./333. 167 Vgl. BVerfGE 33, 303/330 ff., 338; 43, 291/317 ff. 168 W. Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff./ 21 ff., insb. S. 30 f.; ebenso Κ Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1993, Rn. 289; ausführlich zur Unterscheidung von derivativen Teilhabeansprüchen und originären Leistungsansprüchen W. Martens, a. a. O., S. 21 ff. 169 Κ Η Friauf, Zur Rolle der Grundrechte im Interventions- und Leistungsstaat, in: DVB1. 1971, S. 674 ff./674. 170 Näher zu den Unterschieden E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 1533 f. 171 BVerfGE 7, 198. 172 BVerfGE 50, 290/336 f.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

bb) Art. 3 Abs. 2 GG als (soziales) Grundrecht ? Aus diesem Ziel des Grundgesetzes, nicht nur rechtliche, sondern auch reale Freiheit für die Bürger zu schaffen, wird allgemein gefolgert, daß sich Verfassungsaufgaben einerseits und Grundrechte andererseits aufeinander zubewegt hätten. Auf Art. 3 Abs. 2 GG n. F. angewandt könnte man also auf den Gedanken kommen, der Verfassungsauftrag stelle lediglich die - herausgenommene - objektiv-rechtliche Dimension des Grundrechts auf Gleichberechtigung dar, denn gleiches Recht kann man schließlich dann am effektivsten nutzen, wenn auch annähernd gleiche soziale Verhältnisse geschaffen sind. Infolgedessen wäre Art. 3 Abs. 2 GG als Ganzes schlicht als "Grundrecht" zu bezeichnen. Allerdings hätte das wenig Sinn: Zunächst müßte man begründen, warum das Problem der "Freiheit ohne Inhalt" auch ein Thema bei Gleichheitsrechten sein soll. Dieses Problem ist jedoch zu lösen, da man das Recht auf Gleichbehandlung dogmatisch auch als Abwehrrecht gegen staatliche Ungleichbehandlung sehen kann173. Entscheidend ist jedoch der Einwand, daß bei der Sicht des neuen Gleichberechtigungssatzes als "Grundrecht" große Schwierigkeiten entstehen würden, die Trennlinie zwischen eher appellativer und streng normativer Verfassungsfunktion zu ziehen, und das ganz ohne Not, da man Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG mit der Bezeichnung als Verfassungsauftrag der unmittelbaren Normativität "echter" Grundrechte im Sinne von subjektiven Abwehrrechten entziehen kann. Um zu verdeutlichen, daß der Förderauftrag zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung mit der Normativität eines klassischen Grundrechts im Sinne eines Abwehrrechts nichts zu tun hat, bietet sich höchstens die Qualifizierung von Art. 3 Abs. 2 GG als "soziales Grundrecht" an. In der äußeren Form von grundgesetzlichen Freiheitsrechten, ζ. B. "Recht auf Arbeit", werden im Rahmen solcher Vorschriften Forderungen nach staatlichen Leistungen aufgestellt. Da Kennzeichen von sozialen Grundrechten wie der Name schon sagt ihre grundrechtliche, subjektiv-rechtliche Formulierung ist 174 , Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG jedoch nicht als "Recht auf tatsächliche Verwirklichung von Gleichberechtigung" oder "Männer und Frauen haben Anspruch auf..." formuliert ist, müßte man dies auf Art. 3 Abs. 2 GG als Ganzes beziehen. Allerdings brächte dies im Vergleich zu der oben angesprochenen Trennung zwischen Grundrecht auf der einen und Verfassungsauftrag auf der anderen Seite keine Vorteile: 173 Dazu M. Sachs, Zur dogmatischen Struktur der Gleichheitsrechte als Abwehrrechte, in: DÖV 1984, S. 411 ff/414, 416. 174 Dazu W. Graf Vitzthum, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen morgen, in: ZfA 1991, S. 695 ff./698.

III. Inhalt und Zielsetzung der Ergänzung

91

Auch wenn hinsichtlich sozialer Grundrechte Einigkeit darüber besteht, daß solche Normen in der Regel keine subjektiv-öffentlichen, also einklagbaren Rechtspositionen statuieren - schließlich würde andernfalls den Gerichten eine umfangreiche Kompetenz zur eigenverantwortlichen Sozialgestaltung eingeräumt und dem Gesetzgeber der ihm zustehende Handlungsspielraum hinsichtlich der Verteilung wirtschaftlicher Güter abgeschnitten werden175 -, bleibt nämlich das Problem, daß durch die Bezeichnung als "Grundrecht" der Unterschied zwischen objektiv-rechtlicher und subjektiver-rechtlicher Verfassungsfunktion verwischt wird. Schließlich erwartet man von einem Grundrecht, daß es sich um eine Norm des Verfassungsrechts handelt, "durch die dem Einzelnen ein gerichtlich verfolgbarer Anspruch erwächst"176. Hinzu kommt, daß soziale Grundrechte im Grunde sowieso nichts weiter sind als Normen objektiv-rechtlicher Qualität in subjektiv-rechtlichem Gewand und somit dem Gehalt von Staatszielbestimmungen bzw. Verfassungsaufträgen entsprechen177. Nach alldem sollte man die Möglichkeit, im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG von einem (sozialen) Grundrecht zu sprechen, als mißverständlich und auch sinnlos verwerfen. c) Parallelität

von Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 6 Abs. 5 GG

Versteht man Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG als Verfassungsauftrag zur Verwirklichung von Gleichberechtigung auch in der Realität, so fällt die Ähnlichkeit zu Art. 6 Abs. 5 GG auf, der bis zur Verfassungsreform 1994 die einzige Bestimmung im Grundgesetz war, die den Staat dazu verpflichtete, eine bestimmte diskriminierte Gruppe einer nicht diskriminierten Gruppe sowohl rechtlich als auch in der sozialen Wirklichkeit gleichzustellen. Es liegt deshalb der Gedanke nahe, daß bei evtl. auftauchenden Fragen zum neuen Staatsziel des Art. 3 Abs. 2 GG auf den Gehalt des Art. 6 Abs. 5 GG und die einschlägige Rechtsprechung u. U. im Wege der vergleichenden Auslegung zurückgegriffen werden kann. Folgende Parallelen sprechen für eine Vergleichbarkeit beider Regelungen: Nachdem der Gesetzgebungsauftrag in Art. 6 Abs. 5 GG mit dem Ablauf der 5. Legislaturperiode nicht ganz erfüllt worden war, statuierte das BVerfG, daß hinsichtlich der noch nicht angepaßten Regelungen Art. 6 Abs. 5 GG direkt

175 D. Sterzel, Staatsziele und soziale Grundrechte, in: ZRP 1993, S. 13 ff./17; M. Kutscha, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen in den neuen Landesverfassungen, in: ZRP 1993, S. 339 ff./341. 176 P. Badura, Das Prinzip der sozialen Grundrechte und seine Verwirklichung im Recht der Bundesrepublik Deutschland, in: Staat 14 (1975), S. 16 ff./24. 177 Für die Austauschbarkeit von sozialen Grundrechten und Staatszielbestimmungen vgl. E.-W. Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 14.

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

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vom Richter anzuwenden sei178. Damit hat Art. 6 Abs. 5 GG wie Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG den Inhalt eines Verfassungsauftrages, nicht nur den eines Gesetzgebungsauftrages. Beide Handlungsaufträge erfassen insbesondere die soziale Lage der zu Fördernden. Es geht nicht nur um rechtliche Diskriminierung, sondern v. a. auch um die Beseitigung gesellschaftlicher Benachteiligung. Damit ist hier wie dort der Staat aufgerufen, das ihm Mögliche zu tun, um gesellschaftliche Auffassungen zu beeinflussen 179. Dabei geben sich beide Vorschriften nicht damit zufrieden, wenn durch staatliche Maßnahmen Vorurteile und Benachteiligungen abgebaut werden. Genauso wie Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG deutlich von 'Beseitigung' statt 'Abbau' spricht, darf sich auch nach Art. 6 Abs. 5 GG der Gesetzgeber nicht mit einer bloßen Annäherung der Stellung nichtehelicher Kinder an die der ehelichen begnügen, vielmehr ist ihm das Ziel - die Schaffung wirklich gleicher Bedingungen - verbindlich vorgegeben180.

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes durch die Einfügung des Verfassungsauftrages 1. Die deutliche Betonung der Notwendigkeit faktischer Gleichberechtigung bzw. ihrer 'tatsächlichen Durchsetzung* durch den Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG Vor der Novellierung war die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch in der sozialen Wirklichkeit nicht ausdrücklich Gegenstand des Art. 3 Abs. 2 GG. Die Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. läßt m. E. vielmehr den Schluß dahingehend zu, daß damals die Auffassung vorherrschte, mit der rechtlichen Gleichstellung komme sozusagen automatisch die Anerkennung von Frauen als Wesen "gleicher Mündigkeit" und damit auch die "wirkliche", gesellschaftliche Gleichberechtigung181. Nachdem sich dies als falsch herausgestellt hatte, es sich vielmehr zeigte, daß gleiche Rechte bei Ungleichheit der gesellschaftlichen Ausgangslage nicht den gewünschten Erfolg

178

BVerfGE 25, 167. Zu Art. 6 Abs. 5 GG vgl. T. Maunz in: T. Maunz/G. Dürig/R. Herzog, Art. 6 VI Rn. 51. 180 BVerfGE 85, 80/88. 181 Α. A. zur Bewertung der Entstehungsgeschichte H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, 1988, S. 36 ff./44: sie entnimmt der historischen Entwicklung durchaus die Verfolgung des Zieles, Gleichberechtigung auch in der sozialen Wirklichkeit zu erreichen. Allerdings ist auch diese Feststellung mit etwas Vorsicht zu genießen, da 1949 Rollenstereotype noch fest in Gesellschaft und Bewußtsein verankert waren, vgl. Kap. 1. 179

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes

93

hatten, sondern die gesellschaftliche Benachteiligung weiterging, wurde im Schrifttum überwiegend versucht, die Schaffung auch faktischer Gleichberechtigung zumindest als staatliche Aufgabe aus Art. 3 Abs. 2 GG herauszuinterpretieren 182, wenn nicht sogar einen Verfassungsauftrag zur Herstellung auch tatsächlicher Gleichberechtigung anzunehmen183. Das BVerfG Schloß sich dieser Entwicklung im Jahre 1992 an, als es in seinem Nachtarbeitsurteil ausführte, Art. 3 Abs. 2 GG enthalte ein über das "Diskriminierungsverbot" des Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehendes Gleichberechtigungsgebot auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit 184. Nur noch wenige hielten daran fest, daß Art. 3 Abs. 2 GG a. F. mit Abs. 3 a. F. identisch sei und lediglich ein Verbot rechtlicher Differenzierung aufstelle 185. Einen ganz anderen Ansatz entwickelte Sacksofsky. Sie lehnte ausdrücklich sowohl die Ableitung eines Verfassungsauftrags als auch die dogmatische Figur der objektiv-rechtlichen Wertentscheidung oder Richtlinienaufgabe zur Schaffung faktischer Gleichberechtigung ab und verstand Art. 3 Abs. 2 GG als gruppenbezogenes Dominierungsverbot 186. Unter Zugrundelegung dieser Ausgangslage ist nun zu untersuchen, welche Folgen sich aus der Novellierung des Gleichberechtigungssatzes hinsichtlich der faktischen Komponente von Gleichberechtigung ergeben. a) Wenn man der Auffassung war, Art. 3 Abs. 2 GG a. F. habe sich lediglich auf ein Gleichberechtigungsgebot hinsichtlich der Rechtsgleichheit beschränkt, so ist eine deutliche Veränderung eingetreten, da erst jetzt die tatsächliche Ebene wirklich relevant wird und gleichzeitig der Staat die ausdrückliche Aufgabe hat, auch diese faktischen Nachteile zu beseitigen. Der jetzige Verfassungsauftrag geht damit klar über Art. 117 Abs. 1 GG hinaus. b) Auch gegenüber der bisher überwiegenden Ansicht bringt der neue Verfassungsauftrag Veränderungen: Hatte man aus der objektiv-rechtlichen Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als Konsequenz lediglich eine Richtlinienaufgabe im Sinne einer Gestaltungsbefugnis zum Ergreifen von Maßnahmen mit dem Ziel faktischer Gleichberechtigung gefolgert, wird jetzt ein verbindlicher Auftrag zum diesbezüglichen Handeln statuiert. Der Staat, allen voran der Gesetzgeber, hat nun keine Gestaltungsfreiheit mehr hinsichtlich der Frage, ob 182

E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 135; U. Maidowski, Umgekehrte Diskriminierung, 1989, S. 117; W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 31 f.; M. Sachs, Zur Bedeutung der grundgesetzlichen Gleichheitssätze für das Recht des öffentlichen Dienstes, in: ZBR 1994, S. 133 ff./140. 183 Z. B. A. Dix , Gleichberechtigung durch Gesetz, 1984, S. 374 f.; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 27 ff., 73. 184 BVerfGE 85, 19/207. 185 V. a. C. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/ C. Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. I, 1985, Art. 3 Abs. 2 Rn. 209 ff. 186 U. Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1991, S. 312 ff., 322 (näher dazu Kap. 3 II 3 b).

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

und inwieweit er faktische Gleichberechtigung fördern soll oder nicht. Dogmatisch muß also die Ergänzung als eine Verstärkung des faktischen Elements erscheinen, denn ein verbindlicher, verpflichtender Gestaltungsauftrag sagt eindeutig ein Mehr an Dringlichkeit und Wichtigkeit aus als eine (zudem lediglich durch Interpretation gewonnene) Gestaltungsbefugnis. c) Selbst wenn man unterstellt, Art. 3 Abs. 2 GG a. F. sei bereits Träger eines Verfassungsauftrags gewesen, könnte man, obgleich es sich bei der Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. durch den Satz 2 materiell nur um eine Klarstellung des Verfassungsauftrages handeln würde, eine Verstärkung darin erblicken, daß es eben für notwendig angesehen wurde, diese aus Interpretation gewonnene Erkenntnis noch einmal ausdrücklich in das Grundgesetz hineinzuschreiben. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG hätte dann die Funktion, angesichts des immer noch bestehenden Gleichberechtigungsdefizits im Tatsächlichen die Notwendigkeit der Verwirklichung einer Gleichberechtigung auch in der sozialen Wirklichkeit nochmals vor Augen zu führen. Die Vertretbarkeit dieser Annahme wird von der Genese des neuen Verfassungsauftrages gestützt, stimmten doch auch diejenigen Mitglieder der GVK für die Ergänzung, die gleichzeitig betonten, daß sich am materiellen Gehalt des Art. 3 Abs. 2 GG dadurch nichts ändern werde. Ganz abgesehen davon sprechen m. E. auch dogmatische Bedenken gegen die Tendenz, aus objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten bzw. 'objektiven Wertentscheidungen ' Verfassungsaufträge zur Herstellung der sozialen Voraussetzungen für die Grundrechtsausübung herzuleiten187 mit der Folge, daß letztlich die Grundrechte selbst den Charakter von "(Quasi-) Staatszielbestimmungen"188 bekommen: Eine solche Betrachtung würde nämlich gerade eine Umkehrung der ursprünglichen Intention der Grundrechte - Begrenzung staatlichen Einflusses - bedeuten, und das, obgleich auch das BVerfG immer wieder erkennen läßt, daß jene abwehrrechtliche Dimension nicht auf dem Altar eines "totalen Wohlfahrtsstaates" geopfert werden darf. Mit Recht wird außerdem zur Frage der Hereinnahme weiterer ausdrücklicher Staatszielbestimmungen auf die Gefahr einer Kompetenzverschiebung zu Lasten der Politik hingewiesen18 und vor der Konsequenz gewarnt, daß mit der Aufnahme vielfältiger Versprechungen die Normativität der Verfassung Schaden nehmen könnte190. Es ist nicht einzusehen, weshalb diese Nachteile und Risiken bei einer Umdeutung der Grundrechte in Staatsziele ausbleiben sollten, denn an der Verpflichtungswirkung von Verfassungsauf-

187 So aber P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 112; zustimmend J. Isensee, Gemeinwohl, Rn. 170. Wenn er hinsichtlich der Ambivalenz der Grundrechte sagt, sie seien einerseits Abwehrrechte und andererseits 'Staatsaufgaben', verwendet er diesen Terminus als Unterfall von Staatszielbestimmungen immer technisch (zu diesem Aspekt bereits Kap. 2 III 2 a). 188 D. Sterzel, S. 15; W. Brohm, Soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen in der Verfassung, in: JZ 1994, S. 213 ff./218. 189 D. Merten, Staatsziele, S. 376; E.-W. Böckenförde, Grundrechtstheorie, S. 1538; W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 28 ff., 31. 190 J. Isensee, Mit blauem Auge davongekommen, S. 2584, spricht diesbezüglich von einer Entwicklung vom Rechtsgesetz zum "Volkskatechismus".

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes

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trägen ändert sich ja nichts und damit auch nichts am dauernden Zielkonflikt zwischen gleichermaßen verpflichtenden Handlungsanweisungen. Vielversprechender erscheint deshalb, die objektiv-rechtliche Dimension als staatliche Aufgabe im untechnischen Sinn, also nicht als Staatszielbestimmung zu verstehen, etwa so, wie Schmitt Glaeser von einer Aufgabe mit "Richtlinienfunktion" oder Raasch von "Verfassungsaw/&flôe" spricht 191. Solche Aufgaben betreffen mehr die Befugnis des Gesetzgebers zum sozial wirksamen Handeln als daß sie ihn verbindlich "an die Kandare" nehmen. Dann würde es zwar stimmen, daß sich Staatsziele bzw. Staatsaufgaben (im technischen Sinn) und Grundrechte aufeinander zubewegt hätten - deckungsgleich könnten sie jedoch nie werden! Diese Lösung harmoniert zudem mit der Rechtsprechung des BVerfG insbesondere in der ersten N.C.- Entscheidung und im Rentenalterbeschluß, in denen das Gericht ausdrücklich offen ließ, ob aus der objektiv-rechtlichen Dimension der betreffenden Grundrechten "Vtâassungsauftrâge" ableitbar seien192.

d) Dagegen schwächt die Novellierung die Ansicht Sacksofskys, die nichts von einem Verfassungsauftrag o. ä. wissen wollte. Die Frage, ob mit der Novellierung die faktisch-soziale Komponente von Gleichberechtigung betont wurde, stellt sich unter Zugrundelegung dieser Auffassung erst gar nicht. Ergebnis: Durch die Neufassung des Art. 3 Abs. 2 GG ergibt sich eine deutliche Verstärkung des Aspekts tatsächlicher Gleichberechtigung, d. h. von Gleichberechtigung nicht nur auf rechtlicher Ebene, sondern auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. 2. Rechtliche Relevanz der Verstärkung dieses faktischen Elements a) Keine lediglich symbolische Bedeutung Während der Debatten in der GVK wurde immer wieder die "bloße" Appellund Signalfunktion des neuen Staatsziels betont193 bzw. darauf hingewiesen, daß sich gegenüber der alten Fassung des Gleichberechtigungssatzes eigentlich überhaupt nichts geändert habe194. Damit wollte man offenbar zum Ausdruck bringen, daß man angesichts der komplexen Struktur der Problematik in Sachen Gleichberechtigung von Sinn und Wirkkraft des Verfassungsauftrags nicht überzeugt war. Könnte man dem neuen Verfassungsauftrag aber tatsächlich eine nur symbolische Wirkung attestieren, so hätte dies natürlich auch Folgen für die rechtliche Relevanz der Verstärkung der faktisch-sozialen Dimension des Gleichberechtigungssatzes. Zu prüfen ist deshalb, ob dieser Standpunkt, der

191

Vgl. Fn. 156 (2. Kapitel). BVerfGE 33, 303/333; 74, 163/179 f. Hervorhebung nicht im Original. 193 Abg. H.-J. Otto (FDP), GVK, 23. Sitzung, Sten. Prot., S. 8, der zugleich vor "überspannten Erwartungen" warnte. 194 Vgl. Abg. W. v. Stetten (CDU/CSU), (Fn. 114 in diesem Kapitel). 192

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

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sich im Grunde aus dem Gedanken der Ineffektivität von Recht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme speist, zumindest vertretbar ist: Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, daß Ineffektivität Rechtsnormen schon begriffsimmanent ist, denn schließlich würde sich keine Gesellschaft die Mühe machen, Regeln aufzustellen, die nie gebrochen werden195 - man kann diesbezüglich von einem "Ineffektivitätspostulat" sprechen. Beim Gesetzeserlaß wird dabei dem Gesetzgeber ein weiter Prognosespielraum hinsichtlich der erwarteten Effektivität der Normen zugebilligt, man denke nur an die Verbote des Strafrechts, gegen die "am laufenden Band" verstoßen wird. Dabei kann ein Aspekt "effektiven" Rechts durchaus gerade auch die symbolische, wertsetzende Bedeutung von Normen sein196. So stellte das BVerfG in seiner ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich fest, das Gesetz sei nicht nur Instrument zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse, sondern auch "bleibender Ausdruck sozialethischer und - ihr folgend - rechtlicher Bewertung menschlicher Handlungen"197. Insoweit gibt es also keinen Gegensatz zwischen instrumentellem und symbolischem Recht198. Anders liegen die Dinge jedoch, wenn die wertsetzende Kraft des Rechts nicht mehr als Faktor der instrumenteilen Dimension begriffen wird, vielmehr die Symbolik in reiner Rhetorik verharrt. Ein solches Gesetz rückt - untechnisch gesprochen - deutlich an die Grenze zum "Betrug" und gerät damit in Konflikt mit dem Rechtsstaatsprinzip. Für den Bereich der Politik unterscheidet ganz in diesem Sinn ζ. B. Lautmann zwischen einer auch positiv zu sehenden "Politik der Symbole" und einer bloß 'symbolischen Politik1, die nicht auf das ziele, was sie vorgebe199. D. h.: Ein Verständnis des neuen Verfassungsauftrages zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter lediglich als Feigenblatt, um von Versäumnissen abzulenken und aufgebrachte Frauen zu besänftigen, würde m. E. gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Da jedoch diese Haltung - Recht könne für die Gleichberechtigung der Geschlechter in dem Komplex von Tradition, Vorurteilen und Zweckmäßigkeiten doch nichts bewirken - während des Entstehungsprozesses des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zumindest nicht herrschend war, ist (notfalls im Wege verfassungs-

195

B.-O. Bryde, Die Effektivität von Recht als Rechtsproblem, 1993, S. 9. So sprach etwa der Sachverständige H. Simon, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 19, von einer "Impuls-, Edukations-, Sensibilisierungs- und Integrationsfunktion". 197 BVerfGE 39, 1,59. 198 Dazu B.-O. Bryde, S. 12. 199 Vgl. dazu auch R. Lautmann, Die Gleichheit der Geschlechter und die Wirklichkeit des Rechts, 1990, S. 16; E. Blankenburg, Rechtssoziologie und Rechtswirksamkeitsforschung, in W. Schreckenberger, Gesetzgebungslehre, 1986, S. 109 ff./110, spricht diesbezüglich von "symbolischer Wirkung bei intendierter Unwirksamkeit". 196

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes

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konformer Auslegung) der neue Verfassungsauftrag als auf Effektivität gerichtet anzuerkennen, wobei in diesem Rahmen auch die Symbolik eine Rolle spielen kann. In der Literatur wird jedoch das Problem symbolischen Rechts nicht in seiner möglichen gänzlichen Ineffektivität gesehen, sondern im Gegenteil in seiner Teileffektivität: So gibt etwa Bryde zu bedenken, ein Richter oder eine Richterin könne vor dem Hintergrund der Bindung an das Gesetz (Art. 1 Abs. 3 GG) schwerlich die Anwendung eines Rechtssatzes mit der Begründung verweigern, er sei nur symbolisch gemeint, und die Wissenschaft werde sich immer darum bemühen, einen Sinn in das Gesetz hineinzuinterpretieren, den der Gesetzgeber ihm gar nicht zugedacht hatte200. Treffe jedoch das symbolisch gemeinte Recht nur den "Ehrlichen", "Dummen" oder schlicht den "Pechvogel", dann sei die Grenze des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraumes hinsichtlich möglicher Effektivität bzw. Ineffektivität einer Norm erreicht, eine solch willkürliche Anwendung nicht mehr mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz vereinbar und damit die entsprechende Norm verfassungswidrig 201. Vor diesem Hintergrund muß man ebenso annehmen, daß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG auf Effektivität ausgerichtet ist, soll die Staatszielbestimmung dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit entgehen. Schließlich wäre es durchaus denkbar, daß auch bei (unterstellt) 'nur symbolischem' Gehalt das Gebot der Förderung faktischer Gleichberechtigung manchen Rechtsanwendern ζ. B. bei der Auslegung von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen202 jetzt viel bewußter wäre als vorher und deshalb in der Tat die Möglichkeit bestünde, daß die ein oder andere Entscheidung doch anders ausfiele als unter Geltung des alten Gleichberechtigungssatzes, zumal jetzt ja auch eine entsprechende Handlungspflicht besteht. Ergebnis: An einer "bloß symbolischen" Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG kann eine rechtliche Relevanz der Verstärkung des wirklichkeitsbezogenen Aspekts des Gleichberechtigungsgrundsatzes nicht scheitern.

200

B.-O. Bryde, S. 13. B.-O. Bryde, S. 20. Bryde stützt die Verfassungswidrigkeit eines solchen Rechtssatzes auch auf die Verletzung des Gleichheitssatzes. Gegen den Einwand "keine Gleichheit im Unrecht" bringt er vor, es gehe schließlich nicht um ein Recht auf Fehlerwiederholung wie in den dafür typischen Fällen, sondern um die Belastung durch ein verfassungswidriges Gesetz, a. a. O. S. 17 f., 15. 202 Zur Wirkung von Staatszielbestimmungen als Auslegungshilfen und Abwägungsgesichtspunkte für Ermessen- und Beurteilungsspielräume vgl. M Kutscha, S. 343; U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme, S. 97; K-P. Sommermann, Die Diskussion über die Normierung von Staatszielen, in: W. Blümel/S. Magiera/D. Merten/K.-P. Sommermann, Verfassungsprobleme im vereinten Deutschland, 1993, S. 63 ff./73. 201

7 Schweizer

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

b) Kein Schluß von mangelnder Justitiabilität

auf rechtliche Irrelevanz möglich

Allerdings könnte der immer wiederkehrende Verweis auf die lediglich appellative Wirkung des neuen Verfassungsauftrages auf ein weiteres Problem hindeuten, nämlich auf das Argument der mangelnden Justitiabilität der neuen Staatszielbestimmung. Es gilt also zu prüfen, ob dieses Argument einer auch rechtlich erheblichen Verstärkung des Gehalts des Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG durch den Verfassungsauftrag in Satz 2 entgegengehalten werden kann: In der Tat ist es allgemeine Ansicht, daß aus Staatszielbestimmungen grundsätzlich keine subjektiven, einklagbaren Rechte entstehen, die gegenüber der öffentlichen Gewalt durchgesetzt werden können, da sich ansonsten die Rechtsprechung an die Stelle der für Sozialgestaltung zuständigen Legislative und Exekutive setzen würde. Nur bei totaler Untätigkeit oder evidenter und grober Vernachlässigung eines Verfassungsauftrages greift die Kontrollfunktion der Dritten Gewalt ein und kann in solchen Fällen auch ein Staatsziel zu Leistungsansprüchen führen 203. Das spricht Staatszielbestimmungen jedoch nicht die grundsätzliche Justitiabilität ab. Vielmehr entfalten sie in mancherlei Hinsicht Rechtswirkungen: Staatszielbestimmungen sind bei exekutiven und judikativen Entscheidungen im Rahmen von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen sowie allgemein als Auslegungshilfen und Abwägungsgesichtspunkte heranzuziehen204. Des weiteren gewährleisten sie einen gewissen Schutz vor einer ersatzlosen Aufhebung bislang ergriffener Maßnahmen und Regelungen auf das Ziel hin bzw. gegen eine Minderung, welche die Grenze zur groben Vernachlässigung überschreitet 205. Staatszielbestimmungen können außerdem - unter Wahrung des Vorbehalts des Gesetzes - zur verfassungsrechtlichen Legitimation für sozialstaatliche Eingriffe in entgegenstehende Grundrechtspositionen herangezogen werden. Und schließlich ist es, wenn schon aus objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, so doch erst recht aus Verfassungsaufträgen möglich, chancensichernde Verfahrensrechte herzuleiten206. Unabhängig davon zeigt sich die "Interdependenz von Recht und Sozialleben"207 auch hier. Nicht nur die repressive, sondern auch die integrative Wir203 Vgl. nur Η. Κ Klein, Staatsziele, S. 733; M. Kutscha, S. 343; U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme, S. 97. 204 M Kutscha, S. 343; U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme, S. 97; K-P. Sommermann, S. 73. 205 E.-W: Böckenförde, Soziale Grundrechte, S. 14. 206 Vgl. Fn. 167, 168 in diesem Kapitel. 207 Zur Frage "sozialen Wandels durch Recht" spricht allen Gegenstimmen zum Trotz auch R. Lautmann, S. 112, vom Recht als einem der 'Stimmträger öffentlicher Moral'.

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes

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kung von Normen ist Teil der Realität des Rechts. D. h.: Justitiabilität ist nicht alles. Eine einseitig prozessualistische Betrachtungsweise verengt und verzerrt das Bild von der Wirksamkeit und Geltungskraft einer Norm 208 . In Sachen Gleichberechtigung herrscht dabei gerade in dieser Hinsicht Handlungsbedarf, weil "Diskriminierer" ζ. Z. noch sicher sein können, sich im Rahmen gesellschaftlicher Normen zu bewegen, während das Einhalten der sozialen Gegennorm sehr wahrscheinlich Nachteile nach sich zieht209. Fazit: Es ist eine rechtlich erhebliche Verstärkung des Gleichberechtigungssatzes des Inhalts festzustellen, daß nicht lediglich GleichberecArigung i. e. S. erreicht werden soll, sondern die Durchsetzung von Gleichberechtigung auch in der Lebenswirklichkeit anzustreben ist. 3. Das Verhältnis des Art. 3 Abs. 2 GG n. F. zu anderen Verfassungsgütern Von Beginn der Diskussionen an war gegen einen Verfassungsauftrag zur Verwirklichung auch faktischer, sozialer Gleichberechtigung eingewandt worden, dies könne eine Vormachtstellung des neuen Gleichberechtigungsartikels vor anderen Verfassungsgütern zur Folge haben. Vor diesem Hintergrund ist es wohl auch zu sehen, daß ζ. T. immer wieder die lediglich appellative Wirkung des neuen Staatszieles betont wurde. Es soll deshalb der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis der neugefaßte Art. 3 Abs. 2 GG zu anderen Verfassungswerten steht. a) Der relative Vorrang des Ziels faktischer Gleichberechtigung gegenüber anderen Staatszielen und Grundrechten aa) Das Grundgesetz als "objektive Wertrangordnung" Seit der Lüth-Entscheidung sieht das BVerfG das Grundgesetz als Ausdruck einer "Wertordnung" bzw. einer "Wertrangordnung" 210 an. Diesem System ist immanent, daß sich zwischen den verschiedenen Werten Spannungen ergeben können, besonders bekannt ist hierbei etwa die Kollision des Rechts auf freie Meinungsäußerung mit dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgelei-

208 E. A. Kramer, Integrative und repressive Wirksamkeit des Rechts, in: M. Rehbinder/H. Schelsky (Hrsg.), Jahrbuch ftlr Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1972, S. 247 ff./257. 209 Dazu V Slupik, Verrechtlichung der Frauenfrage - Befriedungspolitik oder Emanzipation ?, in: KJ 1982, S. 348 ff./358. 210 St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 7, 198, 205, 215 (Lüth); 39, 1 ,41 ff., 41/47: Grundrechte als wertentscheidende Grundsatznormen.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

teten Ehrenschutz. Diese Spannungslagen müssen aufgelöst werden, soll die Rechtsordnung nicht an einem inneren Widerspruch leiden. Es kommt hier dem Staat mit all seinen Gewalten - insbesondere jedoch dem Gesetzgeber und der Gerichtsbarkeit - das Recht und die Pflicht zu, die Verwirklichung der Grundrechte sicherzustellen211 und Kollisionen im Wege des schonendsten Ausgleichs auszuräumen, so daß jedes Rechtgut Wirklichkeit gewinnen kann - das ist Sinn und Zweck der Herstellung "praktischer Konkordanz"212. Wurde nun mit der Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG ein "Übergrundrecht" geschaffen mit der Folge, daß andere Verfassungsbestimmungen, insbesondere Grundrechte, sich ihm unterzuordnen haben ? (1) Schon in den Diskussionen der GVK war die Sorge vor einer "Vormachtstellung" des zu ändernden Gleichberechtigungssatzes Hintergrund vieler skeptischer Stimmen213. Auch während der Anhörung kamen die Sachverständigen auf diesen Punkt zu sprechen. So meinte etwa Benda zu der geplanten Ergänzung des Gleichberechtigungssatzes um einen Verfassungsauftrag, in dieser Auswahl liege, "gewollt oder ungewollt, aber unvermeidlich, die Gefahr, daß die benannten Staatsziele einen höheren Stellenwert erlangen als andere, die vielleicht so selbstverständlich sind, daß niemand ihre besondere Erwähnung für erforderlich hält" 214 . Dem scheinen die Ausführungen Sacksofskys zu entsprechen, daß durch einen Verfassungsauftrag - sie sprach von "Gleichstellungsauftrag" - die Durchsetzung tatsächlicher Gleichberechtigung als "staatliche Aufgabe besonderen Ranges, d. h. besonderer Vordringlichkeit" festgelegt werde 215, auch wenn sie andererseits nicht davon ausging, daß ein solcher Auftrag "alle anderen verfassungsrechtlichen Vorschriften überlagern oder außer Kraft setzen" werde, vielmehr auftretende Konflikte "im Rahmen der üblichen verfassungsrechtlichen Auslegungsmethoden" gelöst werden müßten216. Zu prüfen ist, wie diese Bedenken eingeordnet werden können und ob sie berechtigt sind: (2) Schon früh stellte das BVerfG die Frage nach dem "höheren Gewicht" einer Verfassungsbestimmung, wenn es galt, Spannungslagen aufzulösen. Die Sorge Bendas vor einem abstrakten Vorrang des Förderauftrages vor anderen Verfassungsnormen könnte also begründet seni. Jedoch spricht bei näherem 211

Man spricht deshalb vom Staat auch als "Grundrechtsgara/tf", K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. III/l § 72 III 2. 2,2 Dazu K. Hesse, Grundzüge, Rn. 72, 317 f. 213 Schon in früheren Diskussionen, als es darum ging, ob schon aus der alten Fassung des Art. 3 Abs. 2 GG ein Verfassungsauftrag abzuleiten sei, kam diese Sorge vor einem "Superrecht" oder "Über-Grundrecht" auf, vgl. W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 33. 214 E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 9. 215 U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme, S. 96. 216 U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme, S. 97.

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes

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Hinsehen viel dafür, daß das Gericht trotz der Verwendung des Begriffs "Wertrangordnung" echte Rangordnungen vermeiden wollte. So wurden abstrakte, d. h. fallunabhängige Güterabwägungen zumeist dann durchgeführt, wenn es um die Menschenwürde bzw. um das menschliche Leben als deren "vitale Basis" oder um den Kernbereich privater Lebensgestaltung ging 2 1 7 . Ansonsten hat sich das BVerfG hinsichtlich "echter", abstrakter Güterabwägungen mit anschließender Rangaussage sehr zurückgehalten 218, vielmehr häufig darauf hingewiesen, daß eine Abwägung entgegenstehender Interessen unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen sei 219 . Damit bewegt sich das Gericht letztlich auf der Linie der h. A. im Schrifttum, die die Festsetzung eines abstrakten Rangverhältnisses als nicht aus dem Grundgesetz ableitbar kritisiert hatte 220 . Alles in allem ist festzustellen, daß in der Regel an Stelle einer "abstrakten" Güterabwägung eine eher generelle Gewichtung bzw. "Bedeutungsermitt-

217

Ganz im Sinne einer Wertrangordnung stellte das Gericht ζ. B. fest, die freie menschliche Persönlichkeit sei der "oberste Wert" des Grundgesetzes bzw. der Kernbereich privater Lebensgestaltung sei unantastbar, BVerfGE 7, 377/405; 27, 1/6; zum "Höchstwert" des menschlichen Lebens als vitale Basis der Menschenwürde und Voraussetzung aller anderen Grundrechte BVerfGE 39, 1/42 (Schwangerschaftsabbruch); Menschenwürde als oberster Wert E 5, 204; 25,167, 179. 218 Feststellung eines abstrakten Vorrangs nach Rangvergleich etwa in BVerfGE 12, 45/53 ff.; 20, 162/187 ff.; 28, 175/186; 26, 186/205; ausführlich dazu H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts bei Grundrechtskonflikten, 1979, S. 170 ff.; Andeutung einer Änderung der Rechtsprechung in BVerfGE 35, 202/225 (Lebach) zum Konflikt zwischen Persönlichkeitsrecht und Recht auf freie Kommunikation: "Beide Verfassungswerte müssen ... im Konfliktfall nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht werden; läßt sich dies nicht erreichen, so ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, welches Interesse zurückzustehen hat." 219 So bereits BVerfGE 7, 198/211: "Es wird deshalb eine Güterabwägung erforderlich: Das Recht zur Meinungsäußerung muß zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist auf Grund aller Umstände des Falles zu ermitteln"; ebenso BVerfGE 30, 173/195 (Mephisto); Abwägung unter Einbeziehung der Umstände des Einzelfalles auch in BVerfGE 25, 256/ 264 ff; zum abstrakten Rangvergleich als "Ausnahme" vgl. H. Schneider, S. 174; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland III/2, 1994, § 82 IV 8 S. 677; auch E. Denninger, Freiheitsordnung - Wertordnung - Pflichtordnung, in: JZ 1975, S. 545 ff./546 macht darauf aufmerksam, daß das BVerfG zwar von objektiver Wertordnung spreche, es jedoch vermieden habe, abgesehen von der Bezeichnung der Menschenwürde als obersten Wert eindeutig generalisierbare Aussagen über das Wertsystem als Wertrangordnung zu machen; ähnlich M. Kriele, Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung, in: NJW 1976, S. I I I ff/782. 220 F. Müller: Die Positivität der Grundrechte, 1990, S.18 f.; E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 98 (1973), S. 568 ff./577/609; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 72, 299 ff.

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

lung" 221 der betroffenen Verfassungsgüter, die miteinander in Einklang gebracht werden müssen, stattfindet, die in der Tat - ganz im Sinne des "Abwägungsgesetzes", daß die Wichtigkeit der Erfüllung eines Verfassungswertes um so größer sein muß, je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des anderen Wertes ist 222 - zu einem gewissen Präferenzverhältnis führen kann. Alexy spricht diesbezüglich von einer "bedingten Vorrangrelation" oder einem •relativem Gewichten'223, Schneider von einer "Erhöhung" oder 'erhöhten Bedeutung'224. Im folgenden soll deshalb untersucht werden, ob solch eine besondere Stellung des neuen Gleichberechtigungssatzes angenommen werden kann. bb) Möglichkeit eines bedingten Vorrangs ? Es wurde gezeigt, daß im Rahmen der "Bedeutungsermittlung" gewisse Präferenzentscheidungen zugunsten einzelner Verfassungsgüter durchaus möglich sind. Eine solche Präferenz hat das BVerfG stets für den grundrechtlichen Freiheitsanspruch bei den Kommunikationsgrundrechten, insbesondere bei der Kunstfreiheit und bei den Grundrechten der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit angenommen, da diese "schlechthin konstituierend" für eine freiheitliche Ordnung seien225. Diese werden deshalb auch als "preferred freedoms" bezeichnet226. Vor diesem Hintergrund ist nun zu prüfen, ob dem Förderauftrag des Art. 3 Abs. 2 GG gegenüber anderen Verfassungswerten eine ähnliche erhöhte Bedeutung zukommt. Dafür ist zunächst zu klären, welche Kriterien das BVerfG bislang für eine solche "Erhöhung" herangezogen hat: Gerade bei der Ermittlung des Bedeutungsgehalts und des Gewichts eines Verfassungsrechtsgutes ist zu beobachten, daß sich die Verfassungsinterpretation des BVerfG immer stärker an der Wirklichkeit und nicht mehr so sehr an den klassischen Auslegungs- bzw. Konkretisierungsmethoden orientiert 227. Man 221

H. Schneider, S. 176. Nach R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, der entsprechend seiner Prinzipientheorie (die später noch zu erläutern sei wird, vgl. Kap. 4 V) statt von Verfassungswerten von Prinzipien spricht. 223 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 81, 146. Das Herausarbeiten einer "Bedeutungsskala" (H. Schneider, S. 179) als minus zu einem echten Rangverhältnis steht dann auch immer noch im Einklang mit der Statuierung eines Wertesystems. 224 H Schneider, S. 76, 79. 225 Vgl. BVerfGE 5, 85/134 f.; 20, 56/97; 28, 55/63. 226 K. Stern, Staatsrecht III/2, § 82IV 8 S. 677. Zur "preferred freedoms" - Doktrin in den USA vgl. H Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 437 ff. 227 F. Müller, Juristische Methodik, 1995, S. 42, 44 ff; K. Hesse, Verfassungsrechtsprechung im geschichtlichen Wandel, in: JZ 1995, S. 265 ff/266: "der von der Norm geordneten Wirklichkeit kommt wesentliche Bedeutung für die Auslegung der Norm zu. 222

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes

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kann diesbezüglich von einem "Zusammenspiel verfassungsrecAtf/cAer und verfassmgssozialer Aspekte" sprechen228. Es findet eine regelrechte Materialsammlung zu Inhalt, Bedeutung und Notwendigkeit des Verfassungsgutes statt, wobei diese Entscheidungselemente "von motiviertem Überspielen des Wortlauts der Vorschrift über das Zurückgehen allein auf die subjektiven Vorstellungen des Gesetzgebers im Umkreis der überlieferten Methodik bis zur unmittelbaren Einführung politologischer, volkswirtschaftlicher, soziologischer, statistischer und sonstiger Teilergebnisse in den Fallzusammenhang [reichen] ..." 229 , um die Bedeutung einer Grundgesetznorm in einer lebendigen "Alltags-Verfassung" 230 zu ermitteln. Auch das Hinzukommen anderer einschlägiger Grundrechte kann eine Erhöhung auf der 'Bedeutungsskala' bewirken231. Wenn man diese Kriterien bzgl. der Frage einer bedingten Vorrangrelation des neuen Verfassungsauftrages des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG vor anderen Staatszielen oder Grundrechten anwendet, ergibt sich folgendes Bild: Schon durch die äußerliche Hervorhebung im Wege eines zusätzlichen Verfassungsauftrages wird die Verstärkung bzw. die Dringlichkeit des Gebots, Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch in der Lebenswirklichkeit zu schaffen, deutlich gemacht. Wichtiges Argument ist hinsichtlich der Einbeziehung der sozialen Wirklichkeit, daß es um soziale Gerechtigkeit für die Mehrheit der Bevölkerung geht. An der gesellschaftlichen Entwicklung kann man dabei ablesen, daß die bisherige Handhabung des Problems angesichts der Tatsache struktureller Diskriminierung von Frauen v. a. im Erwerbsleben keine großen Erfolge zeitigte. Des weiteren geht es um eine eigene freie Persönlichkeitsentfaltung von Frauen, ohne am Maßstab Mann gemessen zu werden - hier spielt ganz deutlich der Aspekt der Menschenwürde und der freien Persönlichkeit mit hinein, also diejenigen Werte, denen das BVerfG immer den höchsten Stellenwert beigemessen hat. Die erhöhte Bedeutung des zukunftsgewandten, auf faktische

So spielen in der Rechtsprechung des Gerichts sorgfältige und tief eindringende Sachverhaltsanalysen eine entscheidende Rolle: politischen, wirtschaftlichen, technischen und sozialen Zusammenhängen wird erhebliches Gewicht beigemessen." 228 H. Schneider, S. 178. Kritisch zum Druck oder Zwang des "Zeitgeistes" B. Rüthers, Verantwortete Interpretation in der Sicht eines Juristen, in: R. Alexy/ R. Dreier/U. Neumann (Hrsg.), ARSP Beiheft 44, S. 312 ff/313. 229 F. Müller, Juristische Methodik, S. 45. 230 So H. Schneider, S. 177; auch F. Ossenbühl, Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognoseentscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, 1976, S. 458 ff./458 weist auf den engen Zusammenhang zwischen Wirklichkeit und Norm hin. Allerdings müsse die Tatsachenermittlungsbefugnis des BVerfG auch ihre Grenzen haben (S. 471). 231 K. Stern Staatsrecht III/2, § 82 IV 8 S. 677 f.

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Gleichberechtigung gerichteten Gehaltes des Art. 3 Abs. 2 GG im Verfassungsgefüge ist deshalb mit guten Gründen vertretbar. cc) Ergebnis Mit der Einfügung des Verfassungsauftrags hat das Gebot, die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der Realität durchzusetzen, eine erhöhte Bedeutung im Sinne eines relativen Vorrangs vor anderen Verfassungsgütern, die ihrerseits nicht zu den "preferred freedoms" gehören, zugesprochen bekommen. Die Sorge vor einem abstrakten Vorrang im Sinne eines "Superrechts" war und ist jedoch unbegründet. b) Auswirkungen des bedingten Vorrangs Aus der Tatsache, daß dem Verfassungsgut der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung eine besondere Bedeutung zuerkannt wird, folgt wie gesagt kein abstrakter Vorrang vor anderen Verfassungsgütern. Es wird lediglich ein "Regel-Ausnahme-Prinzip"232 statuiert. Kollidiert im Einzelfall das Interesse an der Erreichung faktischer Gleichberechtigung mit einem anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgut, so ist es an der rechtsprechenden Gewalt, sorgfältig zu überprüfen, ob es in der Tat Erwägungen gibt, die eine Verdrängung des erstgenannten zur Folge haben. Entgegenstehende Verfassungsgüter müssen nach hier vertretener Auffassung ihrerseits schon sehr gewichtig bzw. nicht nur in Randgebieten, sondern in ihrem Kernbereich betroffen sein, um das von der Verfassung ausdrücklich herausgehobene Ziel der Gleichberechtigung der Geschlechter auch in der sozialen Wirklichkeit überlagern zu können. Praktisch läuft deshalb die Erhöhung des Gebots auch faktischer Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kollisionsfällen mit anderen Verfassungsgütern auf eine Vermutung zugunsten dieses Gebots im Sinne einer Art Beweislastumkehr hinaus233. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Kontrolldichte des BVerfG in bezug auf entsprechende fachgerichtliche Entscheidungen. Diese können vom BVerfG intensiver überprüft werden, ohne daß sich das Gericht dem begründeten Vorwurf einer "Superrevisionsinstanz" aussetzen muß234.

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K. Stern, Staatsrecht III/2, § 82 IV 7 S. 672. Vgl. dazu W. Schmitt Glaeser, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 97 (1972), S. 276ff./282; E. Grabitz, S. 616. 234 Zur Konsequenz einer intensiveren Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen auch K. Stern, Staatsrecht III/2, § 82 IV 8, S. 677. 233

IV. Die Verstärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes

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Der relative Vorrang zeigt sich jedoch auch bei der Überprüfung des Abwägungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers. Grundsätzlich steht dem Gesetzgeber eine weitgehende Einschätzungsprärogative hinsichtlich des verfolgten Zwecks einer Regelung, ihrer Effektivität sowie der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der zur Erreichung des Ziels angewandten Mittel zu. Hinsichtlich der auftauchenden Kompetenzfragen zwischen Gesetzgeber und BVerfG ist dabei Ausgangspunkt folgender: Weder kann der Gesetzgeber von beliebigen Prognosen und Güterabwägungen ausgehen noch kann das BVerfG diese unbegrenzt durch die seinen ersetzen, noch läßt sich eine einfache Regel formulieren, die die Prognose- und Abwägungskompetenz des Gesetzgebers und die Kontrollkompetenz des BVerfG in allen Fällen definitiv abgrenzt235. Wie das BVerfG im Mitbestimmungsurteil dargelegt hat, kann die Lösung vielmehr nur in der Erarbeitung "differenzierte(r) Maßstäbe" liegen, "die von einer Evidenzkontrolle ... über eine Vertretbarkeitskontrolle ... bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen ,.." 236 . Dabei unterscheiden sich Prognosespielräume hinsichtlich der Einschränkung des grundrechtlichen Schutzes im Ergebnis nicht von Schrankensetzungskompetenzen237. Deshalb kann das Ausmaß des Prognosespielraumes auch nicht unabhängig vom Gewicht des jeweiligen Grundrechts festgestellt werden238. Ganz in diesem Sinne heißt es im Mitfahrerzentralenbeschluß: "Je mehr ... der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, um so sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden." 239 Das Prognoseproblem wird damit zu einem Problem der Abwägung zwischen dem jeweils betroffenen materiellen grundrechtlichen Prinzip und dem formellen Prinzip der demokratisch legitimierten Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers. Fazit: Auch bei Abwägungs- und Prognosespielräumen ist das nun stärkere Gewicht des Ziels tatsächlicher gesellschaftlicher Gleichberechtigung zu be-

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Vgl. dazu F. Ossenbühl, Kontrolle, S. 503. BVerfGE 50, 290, 333; zur Forderung nach einem "differenzierten, inhaltlich und thematisch abgestuften Kontrollsystem" vgl. ferner F. Ossenbühl, Kontrolle, S. 502 f.; Ausgangspunkt für eine Begründung dieses Postulats ist, daß der Umfang des Schutzes der Grundrechte durch das Verfassungsgericht und damit der Umfang der im Rechtssystem existierenden definitiven Grundrechtspositionen nicht unbeträchtlich vom Umfang des Prognosespielraums abhängt, vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 427. 237 Zu diesem Punkt und zum folgenden R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 427. 238 Zum Abstellen auf die "Wertigkeit" oder die "Stärke" des jeweils betroffenen Grundrechts vgl. U. Seetzen, Der Prognosespielraum des Gesetzgebers, in: NJW 1975, S. 429 ff./432 f.; F. Ossenbühl , Kontrolle, S. 506 f.; M. Kriele, Recht und Politik, S. 782. 239 BVerfGE 17, 306,314. 236

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2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

rücksichtigen. Geht es also etwa um die Einschränkung von Positionen, die dem Ziel tatsächlicher Verwirklichung von Gleichberechtigung dienen, so kann sich der Gesetzgeber nicht mehr ohne weiteres auf seinen weiten Einschätzungsspielraum berufen. Vielmehr kann das BVerfG diesbezüglich eine je nach Fall und Intensität der Beeinträchtigung mehr oder weniger strenge Vertretbarkeitsprüfung anstellen. Bemerkbar dürfte sich dieser Punkt ζ. B. bei der Überprüfung von Regelungen machen, die Frauen mittelbar diskriminieren oder aber zu einer bestimmten Lebensführung anhalten wollen. Hier ist eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung angezeigt.

V. Adressat der Neuregelung 1. Der Staat'1 als Adressat Der Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet "den Staat", die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern und bestehende Nachteile zu beseitigen. Dabei ist "Staat" hier als Gegenbegriff zur Gesellschaft, d. h. zu den grundrechtsgeschützten Individuen zu sehen. Wie schon aus dem Abschlußbericht der GVK hervorgeht, in dem es heißt, die Bestimmung solle "auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene eine sachgerechte Förderungspolitik zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung bewirken" 240, sind damit nicht allein der Bund und die bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern alle Träger grundgesetzgebundener öffentlicher Gewalt angesprochen241. Als Staatsziel richtet sich der Förderauftrag an alle drei staatlichen Gewalten. Er verpflichtet nicht nur den Gesetzgeber zum Tätigwerden, sondern bindet auch Rechtsprechung und Verwaltung im Rahmen des Art. 20 Abs. 3 GG 242 direkt und unmittelbar bei der Rechtsanwendung und Gesetzesauslegung, insbesondere wie oben schon angesprochen bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe oder der Ausübung und Kontrolle von Ermessensentscheidun-

240

Vgl. Abschlußbericht der GVK, BT - Ds. 12/6000, 50. H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 413. 242 Zum Gesetzgebungsvorbehalt im neuen Staatsziel Umweltschutz H. -J. Vogel, Verfassungsreform, S. 413 in FN 68: "Aus der ausdrücklichen Betonung der Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung im neuen Staatsziel "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" kann nicht der Umkehrschluß gezogen werden, im übrigen gelte Art. 20 Abs. 3 GG bei Staatszielen nicht." 243 So H.-J; Vogel, Verfassungsreform, S. 413. 241

V. Adressat der Neuregelung

107

2. Ausgestaltungsvorrang des Gesetzgebers ? Wenn es um den Adressaten von Staatszielbestimmungen geht, heißt es häufig, es seien zwar alle drei Gewalten angesprochen, "insbesondere" jedoch der Gesetzgeber244. Dies könnte auf einen gewissen Ausgestaltungsvorrang des Gesetzgebers hindeuten. Ein solcher Vorrang könnte schon aufgrund des Prinzips des Parlamentsvorbehalts und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerechtfertigt sein. Man könnte jedoch einen solchen Ausgestaltungsvorrang des Gesetzgebers auch dadurch zu begründen suchen, daß die ausdrückliche Verankerung eines bindenden Verfassungsauftrages, der in der Praxis ohne ein gesetzgeberisches Handeln ohnehin kaum wirksam werden kann, gerade bedeuten solle bzw. darauf abziele, daß sich nun der Gesetzgeber um die angesprochenen Probleme wirklich kümmern wolle. Gerade wenn man die bisherige Entwicklung betrachtet, daß nämlich die Gleichberechtigung der Geschlechter insbesondere von den Gerichten vorangetrieben wurde 245, könnte man also zu dem Schluß kommen, durch diese Staatszielbestimmung werde nun die Verantwortung an die Legislative zurückgegeben, d. h. an das Organ, welches für die Gestaltung der sozialen Ordnung auch vorrangig zuständig ist. Gegen eine solche Deutung sprechen jedoch folgende Argumente: a) Ein solcher Vorrang würde einen großen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers durch die Zurückdrängung der Gerichte, insbesondere des BVerfG, nach sich ziehen. Genau das würde aber dem gerade gefundenen Ergebnis widersprechen, daß aufgrund der erhöhten Bedeutung des Gebots der tatsächlichen Gleichberechtigung dem BVerfG hinsichtlich des Gestaltungs- und Prognosespielraums des Gesetzgebers jetzt eine weitergehende Kontrollkompetenz zugestanden werden muß. Die gesteigerte Kontrollkompetenz des BVerfG hat dabei nichts mit der Problematik von Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung 246 zu tun. Das Argument, das BVerfG solle die politischen Entscheidungen des Gesetzgebers im Rahmen der Gewaltenteilung respektieren, ist hier fehl am Platze. Denn 244

Ζ. Β. P. Badura, Staatsrecht, D 42. So mußte der Gesetzgeber erst durch Entscheidungen des BVerfG zur Aufhebung des Stichentscheids (E 10, 59), zur Gleichstellung von Frauen in Sachen Staatsangehörigkeit (E 37, 217) und durch zwei Entscheidungen zum Ehenamensrecht (E 48, 327; BVerfG NJW 1991, 1602 ff.) zu entsprechendem Handeln gedrängt werden. Daß auch die europäische Rechtsprechung Einfluß auf den deutschen Gesetzgeber nahm, wurde bereits in Kap. 1 III aufgezeigt. 246 Vgl. dazu ζ. Β. M. Kriele, S. 777: hier habe auch die Problematik "judicial self restraint" im Sinne richterlicher Selbstzügelung, Zurückhaltung ihren Platz; Hans H. Klein, Bundesverfassungsgericht und Staatsraison, Berlin 1968, S. 16 ff. 245

108

2. Kapitel: Die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG

das Gericht ist schließlich verpflichtet zu kontrollieren, ob sich der Gesetzgeber an die Vorgaben und Aufträge der Verfassung hält. Wird dieser den u. U. wie bei Art. 3 Abs. 2 GG gesteigerten Anforderungen des Grundgesetzes nicht gerecht, so trifft das BVerfG eine diesbezügliche Rechtsentscheidung und mischt sich nicht in politische Angelegenheiten ein 247 - vielmehr ist es die Verfassung selbst, die dem Gesetzgeber Grenzen zieht. b) Außerdem könnte sich ein Konflikt lediglich für den Fall ergeben, daß das BVerfG die Bedeutung solcher Staatsziele bzw. -aufgaben überprüft, denen der Gesetzgeber selbst in Verfolgung seiner besonderen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Ziele eine erhöhte Bedeutung beigemessen hat, und dann zu einer anderen, niedrigeren Bewertung auf der "Bedeutungsskala" käme. Das BVerfG darf nämlich "den Anschauungen des Gesetzgebers ... die Anerkennung nur versagen, wenn sie offensichtlich fehlsam oder mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind"248. Zu einem solchen Konflikt kann es in diesem Fall aber gar nicht kommen, denn schließlich trägt die Bedeutungsermittlung durch das BVerfG bzw. die genauere Kontrolle der Entscheidungen des Gesetzgebers exakt der gewollten und erzielten Verstärkung des Gebots faktischer Gleichberechtigung Rechnung. c) Im übrigen macht gerade die spezifische Historie des Gleichberechtigungssatzes deutlich, daß ein vorhandenes Mißtrauen gegenüber der Legislative i. d. R. begründet war und die Entwicklung in Sachen Gleichberechtigung wesentlich von der Rechtsprechung vorangetrieben wurde. Auch diese speziellen Erfahrungen zum Gleichberechtigungssatz sind zu berücksichtigen. Sollte diese in der Vergangenheit positive Rolle der Rechtsprechung zurückgedrängt werden, so würde dies im Ergebnis dem Anliegen einer Verstärkung des Gleichberechtigungsgebots zuwiderlaufen. d) Letztlich spricht auch die Parallelität zu Art. 6 Abs. 5 GG - bei dem ebenfalls kein Ausgestaltungsvorrang des Gesetzgebers angenommen wird - gegen einen solchen Vorrang.

247

Zur Unterscheidung zwischen politischen Willensentscheidungen und Rechtsentscheidungen F. Klein, Bundesverfassungsgericht und richterliche Beurteilung politischer Fragen, 1966, S. 34 f. Rechtsentscheidungen sind danach "Entscheidungen von reinen /tec/tfsstreitigkeiten und solchen politischen Ree ht s Streitigkeiten, in denen politische Fragen als Kernfragen des Streits für die richterliche Beurteilung ausscheiden"; deutlich diesbezüglich M Kriele, S. 778: "Die Grenzlinie zwischen Recht und Politik ist nicht gekennzeichnet durch den Gegensatz: Hier methodische Ableitung, dort Entscheidung, sondern durch den Gegensatz: Hier juristisch begründbare Entscheidung, dort nur politisch begründbare Entscheidung." 248 BVerfGE 13, 97/107.

V. Adressat der Neuregelung

109

3. Fazit Adressat des Verfassungsauftrages sind gleichermaßen alle drei Gewalten. Aufgrund der Gesetzesbindung von Rechtsprechung und Exekutive und der Lehre vom Gesetzesvorbehalt bzw. Vorbehalt des Gesetzes gibt es jedoch immer einen "de-facto M-Vorrang des Gesetzgebers. Geht es um Fragen der Auslegung oder um die Überprüfung von Ermessensentscheidungen und Entscheidungen im Rahmen eines Beurteilungsspielraumes, dann können Rechtsprechung und Exekutive die durch den Verfassungsauftrag zum Ausdruck gebrachte Wertung des Art. 3 Abs. 2 GG berücksichtigen, auch ohne konkretisierendes Gesetz. Hier ist dann lediglich der Vorrang des Gesetzes zu beachten.

3. Kapitel

Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG I. Die Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. insbesondere: die Förderung tatsächlicher Gleichberechtigung von Frauen und Männern 1. Keine Benachteiligung oder Bevorzugung "wegen" des Geschlechts Seit jeher sah das BVerfG sowohl in Art. 3 Abs. 2 wie in Abs. 3 GG a. F. ein Differenzierungsverbot verankert im Sinne eines Verbots an die öffentliche Gewalt, bei Regelungen und Maßnahmen an das Merkmal Geschlecht anzuknüpfen 1. An dieser angenommenen Inhaltsgleichheit hinsichtlich des Merkmals "Geschlecht"2 änderte auch die teilweise unterschiedliche Bezeichnung der Gehalte von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nichts3. Dabei wurde Art. 3 Abs. 2, 3 GG als Konkretisierung bzw. Verstärkung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) angesehen4. In diesem Rahmen beschränkte sich das Gericht lange Zeit auf die Betrachtung der rechtlichen Ebene der Gleichberechtigung. So ist auch die Grundsatzentscheidung5 zu sehen, wenn es heißt: "Die politische Frage, ob die in Art. 3 Abs. 2 und 3 genannten Ungleichheiten einen beachtlichen Grund für Differenzierungen im Recht abgeben - worüber erfahrungsgemäß verschiedene Meinungen möglich sind -, ist damit verfassungskräftig verneint. Ob der Geschlechtsunterschied heute noch als rechtlich erheblich anzusehen ist, kann daher nicht mehr gefragt werden; diese Frage überhaupt stellen hieße, in einem circulus vitiosus die vom Grundgesetz bereits getroffene politische Entscheidung in die Hände des einfachen Gesetzgebers zurückspielen und Art. 3 Abs. 2 (3) GG seiner rechtlichen Bedeutung zu entkleiden."

1 Seit BVerfGE 3, 225/241 st. Rspr.; vgl. auch BVerfGE 5, 9/12; 15, 337/343; deutlich für Anknüpfungsverbot BVerfGE 43, 213/225; 85, 191/206; zum manchmal auch kausalen oder finalen Verständnis des Begriffs "wegen" M Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, 1987, S. 390 ff. 2 Vgl. BVerfGE 3, 225/240 f. (Gleichberechtigung); 6, 389/420; 39, 169/185; 43, 213/225. 3 So ζ. B. BVerfGE 10, 59/72: "Gleichberechtigungsgebot" zu Absatz 2 und 3 ; E 3, 225/241; 5, 9/12: "Differenzierungsverbot". 4 BVerfGE 10, 72; 31, 4. 5 BVerfGE 3, 225, 240 (Gleichberechtigung).

I. Die Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 2 GG a. F.

111

Dies hatte jedoch nicht zur Folge, daß nun jegliche Differenzierung als unzulässig galt; vielmehr wurden rechtliche Unterscheidungen nach dem Geschlecht in st. Rspr. dann als zulässig erachtet, "wenn im Hinblick auf die objektivbiologischen oder funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses eine besondere Regelung erlaubt oder sogar notwendig" war 6 . Von dieser Formel rückt die neuere Rechtsprechung jedoch ab. So sprach das BVerfG in seiner Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen davon, daß Differenzierungen dann verfassungsgemäß seien, wenn sie "zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind" 7 . Da das Gericht in der Folgezeit nur noch auf diese "neue Formel" 8 Bezug nimmt 9 , ist anzunehmen, daß damit die "alte Formel" von den biologischen und funktionalen Unterschieden zumindest faktisch verabschiedet worden ist. Insbesondere die funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede waren von Anfang an als mögliche Einfalltore für hergebrachte Rollenvorstellungen kritisiert worden10. Allerdings ist festzustellen, daß diese Befürchtung nur in der "1. Phase" der Rechtsprechung des BVerfG zum Gleichberechtigungssatz, die unter der Prämisse "Gleichwertigkeit bei Andersartigkeit" stand und die bis ungefähr Ende der 60er Jahre reichte, begründet war 11. Danach bemühte sich das Gericht, deutlich zu machen, daß es nicht die Absicht hatte, Auswirkungen traditioneller Arbeitsteilung als Grundlage "funktionaler" Unterschiede mit rechtfertigender Wirkung anzuerkennen12. Vor diesem

6

BVerfGE 3, 225/242; 52, 369/374; 63, 181/194; 68, 384/390; 71, 224/229. Nach BVerfGE 39, 169/185 f. ist eine unterschiedliche Behandlung nur erlaubt, "wenn der sich aus dem Geschlecht ergebende biologische oder funktionale Unterschied das zu regelnde Lebensverhältnis so entscheidend prägt, daß gemeinsame Elemente überhaupt nicht zu erkennen sind oder zumindest vollkommen zurücktreten". 7 BVerfGE 85, 191,207. 8 So L. Osterloh, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 3 Rn. 273. 9 Vgl. in allerjüngster Zeit BVerfG NJW 1995, 1733 ff./1734. Da diese Entscheidung nach der Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG erfolgte, paßt sie zwar streng genommen nicht unter den Titel "Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 2 GG a. F.", jedoch ist sie dennoch heranzuziehen, da auf diese Weise geklärt werden kann, ob mit der Entscheidung des Gerichts zum Nachtarbeitsverbot tatsächlich eine neue Rechtsprechung eingeleitet wurde. 10 F. Baur, Anmerkung zum Beschluß des BGH zur Bevorzugung des männlichen Geschlechts bei der Hoferbfolge v. 5.5.1959, in: JZ 1959, 443 f., nannte sie eine "pseudoverfassungsrechtliche Einbruchstelle für eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Frau". 11 Zu den verschiedenen Phasen in der Rechtsprechung des BVerfG U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 80 ff., 91 ff. So richtete sich das Bemühen des Gerichts in den 50er und 60er Jahren insb. auf eine Aufwertung der Stellung der Frau und ihrer Arbeitsleistung innerhalb der traditionellen Rollenverteilung, ζ. B. BVerfGE 10, 59, 78 (Stichentscheid): Wesen der Frau wurzele am tiefsten in der Mutterschaft; ähnlich BVerfGE 17, 1,20 f.

112

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Hintergrund ist die "neue Formel" als konsequente Fortführung der Entscheidung des BVerfG zum Namensrecht aus dem Jahre 1991 anzusehen, in der das Gericht deutliche Anzeichen dafür gab, sich von der Formel der funktional (arbeitsteiligen) Unterschiede praktisch verabschieden zu wollen13, weshalb auf diese Art legitimierender Unterschiede im folgenden auch nicht weiter eingegangen werden soll. Alles in allem bewirkt die neue Formel des BVerfG zur Zulässigkeit von Differenzierungen nach dem Geschlecht eine Stärkung des Gleichberechtigungsgrundsatzes, da durch das Erfordernis der "zwingenden Notwendigkeit" einem schlichten, u. U. vorurteilsbehafteten Verweis auf biologische (Stichwort: "Das hat die Natur eben so eingerichtet") oder gar funktionale Unterschiede der Boden entzogen wird. Bis in die achtziger Jahre hinein konzentrierte sich das BVerfG auf die Schaffung "gleichen Rechts" 14 , frauendiskriminierende Folgen scheinbar "neutraler" Regelungen waren kein Thema, obwohl die Einbeziehung faktischer Wirkungen von Rechtsregelungen nicht gänzlich unbekannt war 15 . Auch im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Objektivierung der Grundrechte wurde eine Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der sozialen Wirklichkeit nur zögerlich anerkannt 16.

12

Deutlich in der Entscheidung zum Hausarbeitstag, BVerfGE 52, 369/376: "Es gehört nicht zu den geschlechtsbedingten Eigenheiten von Frauen, Hausarbeit zu verrichten. Wenn in diesem Bereich gleichwohl in erster Linie die Tätigkeit von Frauen erwartet wird, beruht dies allein auf der herkömmlichen Vorstellung, daß es der Frau zufällt, den Haushalt ganz oder mindestens überwiegend zu besorgen." 13 BVerfG NJW 1991, 1602 ff./1602: "Dabei kann die Frage, inwieweit funktionale (arbeitsteilige) Unterschiede überhaupt noch herangezogen werden können, um eine Benachteiligung der Frau zu begründen, dahingestellt bleiben." 14 Zu dieser "2. Phase" der Betonung der Rechtsgleichheit in der Rechtsprechung vgl. U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 89, mit der Bemerkung, daß in diese Zeit deshalb die "Paradebeispiele" der Anwendung des Art. 3 Abs. 2 GG als Differenzierungsverbot fallen. 15 Vgl. bereits BVerfGE 6, 104/114 f. zu den Auswirkungen der 5 % -Klausel im Kommunalwahlrecht; BVerfGE 2, 336/340: Folgen einer Regelung für finanziell Schwache. 16 In der Entscheidung zur Witwenrente (BVerfGE 48, 346, 366) ließ das BVerfG (immerhin) offen, ob eine einseitige praktische Folge einer an sich verfassungsrechtlich nach Art. 3 Abs. 2 GG unbedenklichen Regelung (kein Verstoß gegen das Anknüpfungsverbot) in besonderen Fällen gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau verstoßen könnte.

.Die Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 2 GG a. F.

113

2. Die Einbeziehung der sozialen Realität a) Die Rentenalterentscheidung

17

In diesem Beschluß des BVerfG ging es um die Frage, ob das vorgezogene Eintrittsalter für Frauen hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung (Frauen: 60 Jahre statt für Männer: 65 Jahre gem. § 25 Abs. 3 AngestelltenversicherungsG, § 1248 Abs. 3 RVO ) mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar sei. Das BVerfG ging hier zum ersten Mal von der rechtlichen Relevanz auch faktischer, gesellschaftlicher Nachteile von Frauen aus. Das Gericht sah typische Nachteile von Frauen in der Doppelbelastung erwerbstätiger Mütter, im Ausbildungsdefizit, das sich - "in typischen Fällen durch eine Antizipierung der erwarteten Stellung der Frau als spätere Mutter verursacht" - in einer Beeinträchtigung der beruflichen Stellung, damit des Arbeitsentgelts sowie der Rentenerwartung niederschlage sowie darin, daß Frauen durch typische Unterbrechungen durch Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung im Gegensatz zu Männern häufig nicht Gebrauch von dem flexiblen Altersruhegeld ab dem vollendeten 63. Lebensjahr machen könnten, weil sie die besondere Voraussetzung einer 35-jährigen Versicherungszeit nicht erfüllten 18. Der Gesetzgeber sei - so fuhr das Gericht fort - im Zusammenhang mit solchen faktischen Benachteiligungen befugt, diese in typisierender Weise, also bezogen auf alle Frauen, abzugleichen19. Darin liege keine Ungleichbehandlung "wegen des Geschlechts", sondern eine Maßnahme, die auf eine Kompensation erlittener Nachteile ziele. Damit wurde, obgleich das Gericht an der Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als Differenzierungsverbot festhielt, das Augenmerk auf die tatsächliche Situation von Frauen in der Gesellschaft gerichtet, auch wenn offen gelassen wurde, ob sich aus Art. 3 Abs. 2 GG eine positive Verpflichtung für den Gesetzgeber ergebe, "die Voraussetzungen für eine faktische Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu schaffen" 20. Allerdings tat das Gericht (noch) nicht den Schritt, diese typischen gesellschaftlichen Nachteile auch als solche zu benennen. Vielmehr folgt die Aussage, all diese Nachteile ließen sich im Kern auf die Funktion oder jedenfalls die mögliche Stellung weiblicher Versicherter als Ehefrau und Mutter, also auf biologische Umstände, zurückführen 21. Damit versuchte das BVerfG, innerhalb der Dogmatik des Differenzierungsverbots stringent zu bleiben.

17 18 19 20 21

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

8 Schweizer

74, 163 ff. 74, 163/180 f. 74, 163/180. 74, 163/179 f. 74, 163/181.

114

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

b) Das Nachtarbeitsurteil Im Nachtarbeitsurteil wurde diese Typisierungsrechtsprechung im Wege eines obiter dictums ausdrücklich bestätigt22. Gegenstand des Verfahrens war die Überprüfung des für Arbeiterinnen geltenden Nachtarbeitsverbots, was von Seiten des Antragsgegners insbesondere mit dem Argument der Doppelbelastung erwerbstätiger Mütter gerechtfertigt wurde23. Im Rahmen der Entscheidungsgründe hielt das Gericht zunächst an der st. Rspr. fest, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG seien hinsichtlich des darin enthaltenen Anknüpfungsverbotes, welches zum ersten Mal auch Diskriminierungsverbot genannte wurde, deckungsgleich24. Es fügte dann jedoch hinzu - und das ist ebenfalls neu -, daß Art. 3 Abs. 2 GG einen über das Diskriminierungsverbot des Abs. 3 hinausreichenden Regelungsgehalt habe, der darin bestehe, "daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt" 25. Der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" wolle nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er ziele auf Angleichung der Lebensverhältnisse. Überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder zu sonstigen Nachteilen für Frauen führten, dürften durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden26. Spätestens seit dieser Entscheidung des BVerfG wird von der Rechtsprechung allgemein Art. 3 Abs. 2 GG als Träger einer objektiven Wertentscheidung zur Herstellung auch faktischer, sozialer Gleichberechtigung verstanden27. Neben diesem Durchbruch in Sachen faktischer Gleichberechtigung sind folgende zwei Aspekte im Rahmen dieser Entscheidung wesentlich:

22

BVerfGE 85, 191/207: "Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden." 23 Das weitere Argument der mangelnden nächtlichen Sicherheit soll hier nicht diskutiert werden. Auch daß als Prüfungsmaßstab Art. 3 Abs. 3 GG und nicht Abs. 2 gewählt wurde, ist hier nicht von Belang. 24 BVerfGE 85, 191/206. 25 BVerfGE 85, 191/207. Herv. nicht im Original. 26 BVerfGE 85, 191/207. 27 Vgl. BAG DB 1994, S. 429 ff/430; OVG Münster NVwZ 1991, S. 501 ff/502; schon vorher zum Verständnis des Art. 3 Abs. 2 GG als objektiver Wertentscheidung auf Herstellung von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sowohl auf rechtlichformeller Ebene als auch in der sozialen Wirklichkeit, hergeleitet aus der Rechtsprechung des BVerfG und den Argumenten des Schrifttums, VG Bremen, NJW 1988, 3224 ff, 3225.

II. Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 115

Einmal stellte das Gericht in bezug auf die Formulierung im Rentenalterbeschluß, eine typisierende Bevorzugung von Frauen stelle keine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts dar, klar, daß hierbei keinesfalls einem finalen Verständnis von "wegen" das Wort geredet worden sei. Damit wurden Stimmen in der Literatur bestätigt, die schon vorher die Auffassung vertreten hatten, die mißverständliche Formulierung in der Rentenalter-Entscheidung sei nur als "resümierende Feststellung" der zuvor anderweitig begründeten Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 3 zu verstehen und stelle nicht etwa eine zusätzliche Begründung für das Ergebnis dar 28. Zum zweiten wurden gesellschaftliche Benachteiligungen nicht mehr als "biologische Unterschiede" verbrämt, sondern klar und deutlich gesagt, die in der Tat häufige Doppelbelastung der erwerbstätigen Mutter mit Hausarbeit und Kinderbetreuung sei kein "hinreichend geschlechtsspezifisches Merkmal" 29.

Π . Die Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 1. Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. als Anknüpfungsverbot Ähnlich wie in der Rechtsprechung verstand man auch in der Literatur Art. 3 Abs. 2 GG a. F. lange Zeit als Postulat der Gleichheit vor dem Gesetz, ohne jedoch an hergebrachten Rollenverständnissen zu rütteln 30. Noch 1958 gab es eine umfassende Monographie zu dem Thema Rechtfertigung des Stichentscheids des Ehemannes, in der die hergebrachte Aufgabenverteilung sogar mit unterschiedlichen Körperformen gerechtfertigt wurde31. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verwunderlich, daß neben der Tatsache, daß der Verfassungsauftrag aus Art. 117 Abs. 1 GG nicht erfüllt wur28

So zutreffend M Sachs, Die Quotenregelung und der Rentenaltersbeschluß des BVerfG, in: NVwZ, S. 437 ff./439. Dagegen hatte ζ. Β. A. Kruse, Verfassungsmäßigkeit von Frauenquoten im öffentlichen Dienst, in: DÖV 1991, S. 1002 ff./1007 ein solch finales Verständnis befürchtet; klarstellend BVerfGE 85, 191/206. 29 BVerfGE 85, 191/208. 30 Vgl. dazu G. Beitzke (Kapitel 1,1 1 b) bzw. Fn.18 ebd.). 31 A. Ziegler, Das natürliche Entscheidungsrecht des Mannes in Ehe und Familie, 1958, S. 245: "Beim Mann überwiegen die Extremitäten und weisen so nach außen; bei der Frau überwiegt der Rumpf und erscheint damit die Peripherie des Leibes auf die Mitte bezogen." Als Folge davon stellte er fest, S. 245 f.: "Die zentrifugale Mannesgestalt ermöglicht eine außerhalb des Mannes gelegene Aufgabe: Raumüberwindung und Sachbeherrschung." ... "Der zentripetale Leib der Frau deutet auf eine Aufgabe innerhalb dieses Leibes: die Mutterschaft. Er läßt die Frau darauf angelegt sein, mehr bei sich und innerhalb des Nahraumes ihrer unmittelbaren Umgebung zu verweilen."

116

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

de, die Ebene der faktischen Gleichberechtigung - obwohl das Problem schon sehr früh erkannt worden war 32 - erst gar nicht problematisiert wurde. Wohl als einer der ersten vertrat Säcker dann 1974 die Auffassung 33, eine Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als rechtliches Differenzierungsverbot sei ungenügend. Der zur Sozialstaatlichkeit verpflichtete Gesetzgeber sei gehalten, auch die faktisch-realen Voraussetzungen zu schaffen, unter denen die der Frau verfassungskräftig zugesagte Gleichberechtigung Wirklichkeit werden könne. Insoweit enthalte Art. 3 Abs. 2 zugleich auch eine Förderungsverpflichtung für die staatlichen Gewalten - insbesondere der Gesetzgeber sei angehalten, im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG a. F. "die notwendigen Maßnahmen zu treffen und die Einrichtungen zu schaffen, die die Gleichberechtigung der Frau faktisch ermöglichen". Gegner in diesem Gutachterstreit war Löwisch34: Art. 3 Abs. 2 GG ordne nur an, daß der Unterschied von Männern und Frauen keine rechtlichen Wirkungen haben dürfe. Im Gegensatz zu Art.6 Abs. 1, 5 GG sei in Art. 3 Abs. 2 GG kein besonderer Auftrag zur Förderung der Emanzipation der Frau und damit auch der Förderung der Teilnahme am Berufsleben zu sehen35. Ganz im Sinne von Löwisch wurde Art. 3 Abs. 2 wie Abs. 3 GG überwiegend als Verbot rechtlicher Differenzierung angesehen. Streitig war diesbezüglich, ob man dieses Verbot als Begründungsverbot oder aber als Anknüpfungsverbot zu sehen habe. Dieser Streit bekam insbesondere Nahrung durch das unterschiedliche Verständnis des Wortes "wegen" in Art. 3 Abs. 3 in der Rechtsprechung des BVerfG 36. Schließlich konnte sich jedoch die Sicht des Differenzierungsverbot als Anknüpfungsverbot durchsetzen37.

32

Vgl. bereits H. Lange, Das Endziel der Frauenbewegung, in: E. Frederiksen, Die Frauenfrage in Deutschland 1865 - 1915, 1981, S. 73 ff./81: Rechtsgleichheit als "notwendige Voraussetzung für das Ziel, keineswegs das Ziel selbst." ... "Sie ist die Schale, nicht der Kern; sie schafft der Frau nur einen Raum, und es kommt darauf an, wie sie ihn ausfüllt." 33 F. J. Säcker, Referat auf dem 50. DJT zum Thema: Welche rechtlichen Maßnahmen sind vordringlich, um die tatsächliche Gleichstellung der Frauen mit den Männern im Arbeitsleben zu gewährleisten?, in: Verhandlungen des 50. DJT, 1974, Bd. II, S. L 9 ff./25. 34 M. Löwisch, Gutachten für den 50. DJT zum Thema: Welche rechtlichen Maßnahmen sind vordringlich, um die tatsächliche Gleichstellung der Frauen mit den Männern im Arbeitsleben zu gewährleisten?, in: Verhandlungen des 50. DJT, 1974, Bd. I, D 11 ff./42. 35 M. Löwisch, D 42: "Die Frage, inwieweit der Staat die Teilnahme der Frau am Arbeitsleben und ihre auch faktische Gleichstellung mit den Männernfördern will, fällt vielmehr in sein allgemeines Gestaltungsermessen. Sie ist ihm gewiß nicht verboten, aber auch nicht geboten." 36 Vgl. M Heckel, Art. 3 III GG. Aspekte des Besonderen Gleichheitssatzes, in: FS für G. Dürig, 1990, S. 241 ff./244 ff., zu Art. 3 Abs. 3 GG hinsichtlich des Merkmals

II. Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 117 Nach der Theorie vom Begründungsverbot sind Differenzierungen dann zulässig, wenn diese nicht auf die verbotenen Merkmale gestützt werden38. D. h.: Eine rechtliche Unterscheidung zwischen Mann und Frau ist erst dann unzulässig, wenn die Merkmale, nach denen differenziert wird, zugleich Grund der Differenzierung sind. Gestützt wurde diese Ansicht auf ein kausales Verständnis des Begriffs "wegen" mit dem Argument, ansonsten hätte man die Formulierung Unterscheidung "nach" dem Geschlecht gewählt39. Allerdings wurde dieser Auffassung mit Recht entgegengesetzt, daß mit Hilfe vorgeschobener Gründe dann das Differenzierungsverbot ausgehöhlt werden könnte. Diese Gefahr besteht dagegen nicht bei Annahme eines Anknüpfungsverbotes. Aus Sicht des Anknüpfungsverbotes sind alle Regelungen, die - ohne Rücksicht auf mögliche Motive oder Ziele - an die Geschlechtseigenschaft anknüpfen, grundsätzlich unzulässig bzw. "verdächtig". Dabei sah die h. A. in der Literatur Art. 3 Abs. 2, 3 GG genau wie die Rechtsprechung als eine Konkretisierung bzw. Spezialisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes an 40 . Der Sicht eines Anknüpfungsverbotes ist immanent, daß bei der Beurteilung von Rechtsregelungen als zulässig oder unzulässig gesellschaftliche Realitäten außer acht gelassen werden. In diesem Sinne hielten Autoren wie etwa Starck 41, Roellecke42, Oebbecke43 und Zöllner 44 noch in den 80er Jahren strikt an der

Religion. Heckel stellt sich eindeutig gegen die Deutung des Abs. 3 als "Anknüpfungsverbot" zugunsten eines Begründungsverbots. 37 Grundlegend M. Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, 1987, S. 428 ff, der auch das Argument des kausalen Verständnisses von "wegen" damit ausräumte, "wegen" könne auch in Form eines Bezugs - "Um willen", "betreff'" - zu verstehen sein, S. 429 ; H. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 1995, Rn. 53 zu Art. 3; wohl auch M. Gubelt, in: I. v. Münch/P. Kunig, Grundgesetz, 1992, Art. 3 Rn. 86, da er sowohl das Verbot unmittelbarer wie auch das mittelbarer Diskriminierung, "gleichgültig an welchen Differenzierungsgesichtspunkt sie [die Regeln] anknüpfen", als vom Differenzierungsverbot erfaßt sieht; ebenso M. Blank, in: H. Fangmann/M. Blank/U. Hammer, Grundgesetz-Basiskommentar, 1991, Rn. 19 zu Art. 3. 38 Insb. A. Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, 1971, S. 94: "Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verbieten der öffentlich hoheitlich handelnden Gewalt nicht, nach den in diesen Absätzen genannten Merkmalen zu differenzieren. Sie verbieten vielmehr, etwaige Differenzierungen mit diesen Merkmalen zu begründen." 39 Vgl. A. Podlech, S. 94. 40 Vgl. M. Blank, in H. Fangmann/M. Blank/U. Hammer, GrundgesetzBasiskommentar, Rn. 19 zu Art. 3; M Gubelt, in: I. v. Münch/P. Kunig, Rn. 86 zu Art. 3; G. Dürig bezeichnet Art. 3 Abs. 2 GG als umgekehrtes Willkürverbot, in: T. Maunz/G. Dürig/R. Herzog, Grundgesetz, Rn. 2 zu Art. 3 Abs. 2 GG: Das Merkmal Geschlecht dürfe so lange nicht rechtserheblich sein, bis die Ignorierung seinerseits willkürlich wäre - dann Differenzierung erlaubt. 41 C. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck, Das Bonner Grundgesetz, 1985, Art. 3 Abs. 2 Rn. 209 ff. 42 G. Roellecke, Bewerberüberhang und "Doppel-Verdiener-Ehen" im öffentlichen Dienst, 1988. 43 J. Oebbecke, Quotierung auf Landeslisten, in: JZ 1988, S. 176 ff./177 f.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Deutung des Art. 3 Abs. 2, 3 GG als Sitz reiner Anknüpfungsverbote fest. Strukturelle gesellschaftliche Benachteiligungen wie etwa eine ungleiche Arbeitsverteilung in der Familie wurden aus dem Bereich des Art. 3 Abs. 2 GG als "Privatsache" ausgeblendet: "Über die Leitbilder, nach denen sich die Ehegatten so oder so entscheiden, hat der Gesetzgeber nicht zu befinden. Sie liegen jenseits seines Einflußbereiches. Mit anderen Worten: Die Freiheit von Ehe und Familie schließt die Fiktion ein, die Ehegatten entscheiden frei und ohne Einfluß irgendwelcher "Leitbilder" über die Aufgabenverteilung in der Ehe."45

2. Art. 3 Abs. 2 GG als Träger eines über Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehenden Gehalts Aus vielerlei Gründen hatte sich demgegenüber die Ansicht durchsetzen können, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (a. F.) seien nicht inhaltsgleich, sondern der Gleichberechtigungssatz enthalte eine über Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende Aussage. Diesbezüglich wurde einmal auf die unterschiedlichen Formulierungen der beiden Absätze hingewiesen - so habe Art. 3 Abs. 2 GG eher einen kollektivobjektivrechtlichen Bezug ("Männer und Frauen ..."), Art. 3 Abs. 3 hingegen eine subjektiv-rechtliche, individuelle Ausrichtung ("Niemand darf ,..")46 - sowie darauf, daß bei einer Inhaltsgleichheit Art. 3 Abs. 2 GG a. F. ja schlicht überflüssig wäre. Es sei jedoch unwahrscheinlich, daß eine - dazu noch sehr knappe - Verfassung dieselbe Aussage doppelt normiere, eine solche Auslegung widerspreche dem Grundsatz, daß Normen nach Möglichkeit so auszulegen seien, daß ihnen ein je eigenständiger Sinn zukomme47.

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W. Zöllner, S. 227: Der Trend zur Herbeiführung möglichst weitgehender faktischer Gleichstellung sei weder durch die Verfassung geboten noch durch Gerechtigkeitsüberlegungen getragen. 45 G. Roellecke, S. 46. 46 Zum Argument des unterschiedlichen Wortlauts H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 34, auch Κ. H. Friauf Gleichberechtigung der Frau als Verfassungsauftrag, 1981, S. 10 f.: "Gleichberechtigung" der Geschlechter könne sprachlich mehr bedeuten als bloße Nichtdiskriminierung durch den Staat. 47 Zu diesem Argumentationsstrang Κ Garbe-Emden, Gleichberechtigung durch Gesetz, 1984, S. 81; Κ Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 32; U. Battis/ Ά. SchulteTrux/N. Weber, "Frauenquoten" und Grundgesetz, in: DVB1. 1991, S. 1164ff./1169; dazu auch die Kritik von J. Kokott, Zur Gleichstellung von Mann und Frau - Deutsches Verfassungsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, in: NJW 1995, S. 1049 ff./1050: Art. 3 Abs. 2 GG sei jedenfalls bis Ende der 80er Jahre von der Rechtsprechung "quasi aus dem Grundgesetz weginterpretiert" und ihm somit sein 'effet utile' genommen worden. Nach dem Prinzip des effet utile ist davon auszugehen, daß das

II. Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 119 Die ζ. T. lebhaften Auseinandersetzungen um Art. 3 Abs. 2 GG im Parlamentarischen Rat, der den Frauen den Weg zu "Wesen gleicher Mündigkeit" ebnen sollte, seien nur vor dem Hintergrund unterschiedlicher Gehalte der Absätze 2 und 3 verständlich 48; außerdem ergebe sich aus dem Wortlaut " . . . sind gleichberechtigt" ein deutlicher Bezug zum Leitbegriff der historischen Frauenbewegung 49 , wobei aufgrund der 1949 nicht gegebenen Gleichberechtigung dieser Satz als normative, in die Zukunft weisende Aufgabe gesehen werden müsse, diesen Zustand herbeizuführen 50. Innerhalb dieser Auffassung gab es jedoch Unterschiede. a) Der Gleichberechtigungssatz des Art. 3 Abs. 2 GG als objektive Wertentscheidung für eine auch faktisch gleichberechtigte Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft Die meisten Autorinnen und Autoren gingen aus den oben genannten Gründen und als Ergebnis einer zunehmend sozialstaatlichen Auslegung der Grundrechte 51 von einer in Art. 3 Abs. 2 GG a. F. verankerten zukunfisgerichteten, positiven Bewertung einer auch faktisch gleichberechtigten Stellung von Frauen im Sinne einer objektiven Wertentscheidung auf Herstellung auch faktischer Gleichberechtigung aus 52 . Dieser objektiv-rechtliche Gehalt des Art. 3

Grundgesetz keine überflüssigen Vorschriften enthält; M. Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, 1993, S. 44 f. 48 Dazu H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 36 ff.; U. Battis/A. Schulte-Trux/ N. Weber, S. 1169 f. 49 U. Maidowski, S. 118. 50 K. Garbe-Emden, S. 81 f.; für einen solchen programmatischen Charakter des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. aufgrund des Bezugs zur historischen Frauenbewegung auch U. Maidowski, S. 114; V. Slupik, Die Entscheidung des Grundgesetzes für Parität im Geschlechterverhältnis, 1988, S. 75, zu "... sind gleichberechtigt": "Damit ist kein Zustand beschrieben, sondern eine normative Aussage gemeint, die lautet: Die Frauen sollen den Männern gleichberechtigt sein !" 51 Zum Problem der 'Freiheit ohne Inhalt' Kap. 2 III 2 b) aa). Die Einbeziehung der Wirklichkeit in den Gleichberechtigungssatz entsprach der allgemeinen Objektivierung der Grundrechte. Es war nicht ersichtlich, warum ausgerechnet dem Gleichberechtigungssatz dieses objektive Element fehlen sollte, U. Battis/A. Schulte-Trux/N. Weber, S. 1169. 52 E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 135; auch U. Maidowski, S. 117, betont das 'programmatische Signal' des Gleichberechtigungssatzes. "Als Grundrecht gewährleistet Art. 3 Abs. 2 GG den Anspruch von Männern und Frauen auf rechtliche Gleichstellung, um auf diesem Wege, als Element objektiven Rechts, die Forderung der Frauenbewegung nach ungehinderter Entfaltung des "Kultureinflusses" der Frauen in Staat und Gesellschaft zu erfüllen und die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter zu verwirklichen"; für eine programmatische Zielvorgabe auch M. Sachs, Bedeutung, S. 140. Diese habe als "programmatischer Gehalt" an der grundsätzlichen Verbindlichkeit der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte teil

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Abs. 2 GG a. F. wurde auch als "rechtsgrundsätzliche Zielvorgabe" 53 oder 'Aufgabe mit Richtlinienfunktion' 54 bezeichnet. b) Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als Verfassungsauftrag Einige 55 gingen jedoch noch darüber hinaus, indem sie diese aus der objektiv-rechtlichen Wertentscheidung des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. abgeleitete Richtlinienaufgabe zu einem Verfassungsauftrag verdichteten 56. Grundlegend dazu 67 war die Darstellung von Friauf in seinem Gutachten aus dem Jahre 1982. Dort äußerte er die Ansicht daß es sich bei dem Gleichberechtigungssatz des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. nicht lediglich um ein Abwehrrecht handele, sondern darin auch eine Rechtspflicht des Staates verankert sei, durch aktive Förderung und Unterstützung die in Art. 3 Abs. 2 GG grundrechtlich gewährleistete Gleichberechtigung zu ermöglichen und zu sichern. Bisweilen wurde auch auf die Interessenparallelität zu Art. 6 Abs. 5 GG, wie sie bereits beschrieben wurde, hin-

(a. a. O. S. 139 f.); W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 31 f. (in bezug auf Art. 3 Abs. 2 und 3 GG); K.-H. Ladeur t Gleichberechtigung und "Gleichstellung" von Mann und Frau im öffentlichen Dienst - Das Exempel des Bremer Landesgleichstellungsgesetzes, in: ZBR 1994, S. 39 ff./40. 53 M Sachs, Gleichberechtigung und Frauenquoten, in: NJW 1989, S. 553 ff./556; auch U. Battis/ Α. Schulte-Trux/N. Weber, S. 1170: "... Art. 3 Abs. 2 als eigenständige, und zwar grundsätzlich gleichrangig neben dem Gleichbehandlungsgebot stehende Zielvorgabe, wonach der Gesetzgeber sein Staatshandeln so auszurichten hat, daß das Ziel faktischer Gleichberechtigung der Frau verwirklicht wird". 54 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 32. 55 A. Dix , S. 374 f.; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 27 ff., S. 73; H. Pfarr/ C. Fuchsloch, Verfassungsrechtliche Beurteilung von Frauenquoten, in: NJW 1988, 2201 ff./2202 f.; V. Slupik, Parität, S. 136; S. Paasch, Frauenquoten und Männerrechte, 1991, S. 242 ff., spricht von "Gleichstellungsauftrag" des Art. 3 Abs. 2 GG; für Verfassungsauftrag und nicht nur Aufgabe, wohl auch C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichberechtigung, 1982, S. 44 f.; E. Mohnen-Belau, Frauenförderung als gesellschaftliche Herausforderung, in: E. Mohnen-Belau/H.-E. Meixner (Hrsg.), Frauenförderung in Verwaltung und Wirtschaft, 1993, S. 16 ff./25; unklar I. Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 1994, S. 263 ff./286: er benutzt zwar den Terminus des "Förderauftrags", jedoch scheint er den Unterschied zwischen Verfassungsauftrag und bloßer objektiv-rechtlicher Zielvorgabe als nicht relevant anzusehen. Klar für einen Verfassungsauftrag dagegen in ders., Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Arbeitsleben, in: B. v. Maydell (Hrsg.), Soziale Rechte in der EG, 1990, S. 97 ff./ 107 ff; als einziger entnahm K. Lange, "Frauenquoten" in politischen Parteien, in: NJW 1988, S. 1174 ff./l 175 f. einen Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 3 und nicht aus Art. 3 Abs. 2. 56 Zur Unterscheidung zwischen "Verfassungsaufgabe" und Verfassungsaw/frag hinsichtlich ihres Rechtspflichtcharakters, vgl. Fn. 156 im 2. Kapitel). 57 K.-H. Friauf, Verfassungsauftrag.

II. Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 121 gewiesen und im Zusammenspiel mit den o. g. weiteren Gründen daraus ein Verfassungsauftrages wie in Art. 6 Abs. 5 GG angenommen58. c) Die Rolle des Sozialstaatsprinzips Schon erwähnt wurde, daß die Einbeziehung sozialer Realitäten im Rahmen der Objektivierung der Grundrechte für gewöhnlich unter Heranziehung des Sozialstaatsprinzips erfolgte ("sozialstaatliche Auslegung der Grundrechte"). Angesichts der sonstigen Argumente, die für die Verankerung eines Gestaltungsauftrags bzw. Verfassungsauftrages in Art. 3 Abs. 2 GG a. F. sprachen, wurde jedoch zumeist offen gelassen bzw. nicht für erheblich gehalten, ob außerdem noch auf das Sozialstaatsprinzip zurückgegriffen werden sollte 59 bzw. zumindest dahingestellt, "ob dieses Prinzip von außen her auf Art. 3 Abs. 2 GG modifizierend einwirkt oder ob der gleiche Gedanke aus einer sozialstaatlich geprägten Auslegung des Grundrechts des Art. 3 Abs. 2 GG in dessen objektivrechtlicher Dimension zu entnehmen ist." 60 Soweit ersichtlich bestand nur Friauf ausdrücklich auf der Heranziehung des Sozialstaatsprinzips, da er ansonsten bei einer Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG aufgrund der Gefahr eines nicht offenbar gemachten Vorverständnisses (ζ. B. eine bestimmte Familienideologie) einen Zirkelschluß fürchtete 61.

58 H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 55 ff; indessen gaben Gegenstimmen zu bedenken, daß in Art. 3 Abs. 2 a. F. eben kein Verfassungsauftrag wie in Art. 6 Abs. 5 verankert sei, vgl. W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 24; E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 111. 59 Für die Unerheblichkeit etwa U. Battis/A. Schulte-Trux/N. Weber, S. 1170. 60 E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 153. Damit wird deutlich, daß der Gehalt des Sozialstaatsprinzips bei der Berücksichtigung sozialer Gegebenheiten schon eine Rolle spielt, dies jedoch bei der Interpretation der Grundrechte selbst "einfließen kann", ohne auf Art. 20 GG selbst ausdrücklich zurückzugreifen. So ist wohl auch /. Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, S. 286, zu verstehen, der eine gänzliche Trennung vom Sozialstaatsprinzip nicht für möglich hält, da auch für Art. 3 Abs. 2 GG a. F. gelte, "daß der Förderauftrag in den größeren Zusammenhang des dem Sozialstaatsprinzip zuzuordnenden Staatsziels gehört, nicht nur grundrechtliche Freiheiten zu gewährleisten, sondern auch die tatsächlichen Voraussetzungen für deren Ausübung zu schaffen und zu bewahren. Dem auf soziale Wirklichkeit bezogenen Sinn des Sozialstaatsprinzips entspricht es, das Ziel der Förderung faktischer Gleichberechtigung geradezu als Konkretisierung dieses Prinzips und als einen besonders überzeugenden Anwendungsfall sozialstaatlicher Grundrechtsinterpretation zu begreifen." 61 Friauf befürchtet einen hermeneutischen Zirkel, wenn nicht das allgemeine Grundrechtsverständnis herangezogen werde. Er kommt zu seiner Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als Verfassungsauftrag im wesentlichen dadurch, daß er die Rechtsprechung des BVerfG hinsichtlich Gestaltungs- und Förderungsaufträgen bzw. -aufgaben im Rahmen anderer Grundrechte heranzieht und diese Rechtsprechung nun für den

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Im Gegensatz dazu gab es jedoch Versuche, eine auf Herstellung faktischer Gleichberechtigung gerichtete Verfassungsaufgabe bzw. einen entsprechenden Verfassungsauftrag ganz bewußt allein aus dem "programmatischen Gehalt" des Gleichberechtigungssatzes v. a. unter Berücksichtigung der spezifischen Historie der Norm abzuleiten. Damit sollte die eigenständige Bedeutung gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) betont werden62 und das historische Problem der Frauendiskriminierung und deren Bekämpfung einen eigenen Stellenwert abseits der sonstigen sozialpolitischen Forderungen erhalten63. Diese Einstellung sollte v. a. Folgen für die Frage der Zulässigkeit von FrauenfÖrdermaßnahmen haben (vgl. Kapitel 4). 3. Die "gruppenorientierte" Perspektive des Art. 3 Abs. 2 GG Bestand weitgehend Einigkeit zumindest hinsichtlich der Annahme einer objektiv-rechtlichen Wertentscheidung für eine Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch in der sozialen Wirklichkeit, so war man sich zumeist auch darüber einig, daß dies nichts an dem individualrechtlichen Verständnis von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ändern sollte; das Anknüpfungsverbot bzw. Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. gelte vielmehr für beide Geschlechter64. An der grundsätzlichen Deutung sowohl von Art. 3 Abs. 2 wie Abs. 3 GG a. F. als Anknüpfungsverbot wurde also festgehalten. Unterschiedliche Auffassungen bestanden diesbezüglich nur hinsichtlich der Frage, ob das Anknüpfungsverbot der Art. 3 Abs. 2

spezifischen Gehalt des Art. 3 Abs. 2 GG nutzbar macht, vgl. Κ. H. Friauf Verfassungsauftrag, S. 14. 62 Für eine Emanzipation des Art. 3 Abs. 2 GG von Art. 3 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte vgl. V. Slupik, Parität, S. 74 f. Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als "durch Frauenbewegung erkämpftes Recht" (S. 40); für eine vom allgemeinen Gleichheitssatz emanzipierte Betrachtungsweise auch U. Maidowski, S. 112; S. Raasch, Frauenquoten, S. 150. 63 Vgl. dazu V. Slupik, Parität, S. 92, 94 f. Faktische Gleichberechtigung von Frauen als der Mehrheit der Bevölkerung sei ein "selbständiges Gerechtigkeitserfordernis" (S. 95); S. Raasch, Frauenquoten, S. 149 f.: für eigenständige Betrachtung dieses Problems im Vergleich zu sonstigen Diskriminierungen sprechen für sie drei Gründe: mehr als 2000-jährige ununterbrochene Tradition der Diskriminierung von Frauen; die Geschlechtszugehörigkeit durchziehe "alle Dimensionen des Lebens, von den intimsten Bereichen der Sexualität und Liebe über Familie und Bildungsinstitutionen bis hin zu Beruf und Politik"; die Geschlechterfrage betreffe nicht eine Minderheit, sondern die Hälfte, derzeit sogar die Mehrheit aller Gesellschaftsmitglieder; kritisch zur Ableitung eines Verfassungsauftrags oder einer Verfassungsaufgabe lediglich aus dem Sozialstaatsprinzip auch H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 74 f. 64 E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 119; K. H. Friauf Verfassungsauftrag, S. 30; M. Sachs, Bedeutung, S. 138; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 73; W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 18 f.

II. Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 123 und 3 GG auch indirekte Differenzierung erfasse 65: Nach h. A. wurden Art. 3 Abs. 2 und 3 GG als Anknüpfungsverbot auch dann als betroffen angesehen, wenn eine staatliche Aktivität nicht an das Geschlecht, sondern an einen anderen Differenzierungsgesichtspunkt anknüpfte, diese aber de facto in allen oder fast allen Fällen zu Lasten eines bestimmten Geschlechts ging (mittelbare Diskriminierung) 66. Anders dagegen Sachs67: Für ihn war es für das Festhalten am Anknüpfungsverbot unerläßlich, ja begriffsimmanent, daß nur solche Regelungen darunter fallen könnten, die auch tatsächlich an dem "verpönten" Merkmal anknüpften. Sinn eines Anknüpfungsverbotes sei es ja gerade, daß man nach Feststellen der Anknüpfung und bei fehlendem Vorliegen rechtfertigender biologischer Unterschiede sogleich auf die Unzulässigkeit der Maßnahme schließen könne. In Fällen der mittelbaren oder indirekten Diskriminierung sei das jedoch nicht der Fall, da hier außerdem noch geprüft werden müsse, ob diese Ungleichbehandlung u. U. durch Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt war - dies widerspreche dem Charakter eines Unterscheidungsverbotes. Ort der Prüfung indirekter Benachteiligung war für Sachs vielmehr Art. 3 Abs. 1 GG, wenn auch unter einem strengeren Maßstab in Richtung Art. 3 Abs. 2 GG. Demgegenüber gab es jedoch auch Ansätze zu einer eher gruppenorientierten Perspektive. a) Slupik und Raasch Slupik warf den Vertretern einer subjektiv-rechtlichen Deutung von Art. 3 Abs. 2, 3 GG vor, sie seien zu sehr individuellem Rechtsdenken verhaftet und würden nicht die kollektive Problematik der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Geschlechtern sehen68. Damit kritisierte sie deutlich die symmetrische Schutzrichtung des Differenzierungsverbots. Sie selbst leitete aus der Entstehungsgeschichte des Gleichberechtigungssatzes, insbesondere aus den Diskussionen im Parlamentarischen Rat 69 , eine "Anhebungstendenz" des Art. 3 Abs. 2 GG ausschließlich zugunsten des weiblichen Geschlechts ab 70 . Damit hatten

65 Zu beachten ist nochmals, daß eine solche Deutung unter Zugrundelegung eines "Begründungsverbotes" überhaupt nicht möglich wäre. 66 Κ Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, Rn. 53 zu Art. 3; M. Gubelt, in: I. v. Münch/ P. Kunig, Grundgesetz, Art. 3 Rn. 86; ebenso M. Blank, in: H. Fangmann/M. Blank/ U. Hammer, Grundgesetz-Basiskommentar, Rn. 19 zu Art. 3; für die Einbeziehung mittelbarer bzw. indirekter Diskriminierung in das Diskriminierungs- bzw. Anknüpfungsverbot auch V. Slupik, Parität, S. 99 ff, wobei sie dieses Verbot der Anknüpfung an das Geschlecht nur in Art. 3 Abs. 3 GG verankert sieht. 67 M. Sachs, Bedeutung, S. 138; zustimmend U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 191. 68 V. Slupik, Parität, S. 87. Hält aus diesem Grunde auch die Sicht Friaufs als "Förderauftrag" für nur "begrenzt brauchbar" (S. 88). "Indem er [Friauf] ihn [den Förderauftrag] aus seinem Bezug auf das weibliche Geschlecht löst und auf beide Geschlechter bezieht, neutralisiert er seine soziale und historische Basis", ebd. 69 Dazu V. Slupik, Parität, S. 39 f. 70 V. Slupik, Parität, S. 41.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

nach Slupik die Absätze 2 und 3 des Art. 3 GG eine ganz unterschiedliche Schutzrichtung: Art. 3 Abs. 2 GG a. F. beinhaltete ein kollektives Förderungsgebot nur für Frauen und Art. 3 Abs. 3 ein individualrechtliches Diskriminierungsverbot zugunsten beider Geschlechter71. Am kollektiven Moment der Problematik komme man deshalb nicht vorbei, weil "Geschlecht" wie "Rasse" oder "Abstammung" "gruppenbezogen, d. h. eine Eigenschaft sei, die das Individuum zum Angehörigen der jeweiligen Geschlechtergruppe mache72. Dabei - und das ist besonders wichtig - seien die geschlechtsbezogenen Rollenfestlegungen so stark, daß alle Frauen davon betroffen seien. Slupik spricht diesbezüglich von einem 'weiblichen Sozialschicksal' 13. Ziel des allein aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt ohne Heranziehung des Sozialstaatsprinzips abgeleiteten Verfassungsauftrages zur "Gleichstellung des weiblichen Geschlechts"74 war nach Slupik das soziale Ideal der Geschlechterparität, realisiert im 'potentiellen Rollentausch': "Potentieller Rollentausch heißt, für das diskriminierte Geschlecht, also die Frauen, Voraussetzungen zu schaffen, die tatsächlichen Vorteile des bevorzugten Geschlechts in Anspruch zu nehmen. Äquivalenzmaßstab ist daher die Lage der Männer. Damit werden Machtverschiebungen zwischen den Geschlechtern nicht verhindert, sondern begünstigt."75 Raasch stimmte in vielen Punkten mit Slupik überein76. Auch sie vertrat eine kollektive und asymmetrische Sichtweise: Art. 3 Abs. 2 GG a. F. enthalte eine gruppenbezogene Zielsetzung allein für Frauen als Angehörige der bisher benachteiligten Hälfte der Bevölkerung, Art. 3 Abs. 3 GG hingegen sei als individualrechtliches Diskriminierungsverbot für Angehörige beider Geschlechter zu interpretieren 77. Allerdings führte sie den Ansatz Slupiks nach eigenen Angaben weiter, indem sie den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 GG hinsichtlich der 71 V. Slupik, Parität, S. 79. Das "Bevorzugungs- und Benachteiligungsverbot" des Art. 3 Abs. 3 GG - konstruiert als individualrechtliches Abwehrrecht - sei "sedes materiae des Diskriminierungsverbots", S. 98, 99. 72 V. Slupik, Parität, S. 80. 73 V. Slupik, Parität, S. 81. 74 V. Slupik, Parität, S. 136. Der Verzicht auf das Sozialstaatsprinzip wird nach Slupik soz. "aufgefangen" durch das Abstellen insbesondere auf die Anhebungstendenz des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. sowie das Abheben auf den "kollektivrechtliche[n] Charakter des Art. 3 Abs. 2 GG, der sich aus dem gemeinsamen Sozialschicksal der Gruppe der Frauen herleitet, von denen jede einzelne, obwohl Angehörige der gesellschaftlichen Mehrheit, der strukturellen Benachteiligung nicht ausweichen kann" (S. 92). 75 V. Slupik, Parität, S. 86. 76 Grundsätzliche Zustimmung für Slupik bei S. Raasch, Frauenquoten, S. 148 ff. 77 S. Raasch, Frauenquoten, S. 150. Als Argumente nennt sie ebenso wie Slupik den unterschiedlichen Wortlaut, die Tatsache, daß nach h. A. Art. 3 Abs. 3 1.Var. GG überflüssig wäre sowie Umstände, die im Sprachgebrauch Slupiks das selbständige Gerechtigkeitserfordernis begründen, dazu S. 148 ff.

II. Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 125

Gleichstellungsproblematik nicht reduzierte, sondern von vornherein eine strikte Trennung der Absätze 2 und 3 im Sinne einer Spezialität des Art. 3 Abs. 2 GG annahm78. b) Sacksofsky

Auch Sacksofsky nahm wie Slupik oder Raasch das kollektive Moment der Diskriminierungsproblematik ernst: Der einzelne werde nicht aufgrund seiner individuellen Eigenschaften diskriminiert, sondern wegen seiner Zugehörigkeit zu der durch das Merkmal definierten Gruppe. D. h.: Vorurteile und abwertende Ansichten, die gegenüber 'seiner' Gruppe bestehen, werden so auf ihn übertragen79. Deshalb müsse es um ein Verbot von Rechtsnormen gehen, die eine der besonders geschützten Gruppen diskriminieren, zu ihrer Diskriminierung beitragen oder ihre aufgrund früherer Diskriminierung schlechtere Ausganglage festschreiben. Um dies zu erreichen, faßte Sacksofsky Art. 3 Abs. 2 GG als "Dominierungsverbot" 80 auf. Danach ist der Gruppe, die in einem Gemeinwesen die wirtschaftliche und politische Macht hat, verboten, unterprivilegierte Gruppen zu benachteiligen, zu "dominieren". Das Dominierungsverbot beurteilt damit die Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns nicht danach, ob ein verpöntes Merkmal getroffen wird (wie beim Anknüpfungsverbot), sondern blickt auf die Auswirkungen, die eine Regelung auf die besonders geschützte Gruppe hat. Der Schutz des Dominierungsverbotes könne deshalb auch nicht symmetrisch sein81: "Die Gruppen, die die politische und wirtschaftliche Macht haben, deren Interessen ohnehin vertreten werden, brauchen aus der Sicht des Dominierungsverbots keinen über den allgemeinen Gleichheitssatz hinausgehenden verfassungsrechtlichen Schutz. Die Wahrnehmung ihrer Interessen kann getrost dem politischen System überlassen werden. Besonderen verfassungsrechtlichen Schutz benötigen nur die Gruppen, bei denen es zu befürchten steht, daß diejenigen, 78

S. Raasch, Frauenquoten, S. 245: "Die Gleichstellungsproblematik ist in Art. 3 Abs. 2 GG speziell und abschließend geregelt." S. 247: "Verfassungsauftrag zur Verwirklichung der Gleichstellung und Diskriminierungsverbot haben keine Überschneidungen. Eine Maßnahme, die unter den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 2 GG als der spezielleren, eine bestimmte historische Situation, das Andauern von Geschlechtsdiskriminierung struktureller Art, voraussetzende Norm fällt, ist nicht mehr tatbestandsmäßig im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG." 79 U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 312 ; ebenso bereits J. Salzwedel, Gleichheitsgrundsatz und Drittwirkung, in: FS für H. Jahrreiss, 1964, S. 339 ff., 345: Diskriminierung erfasse die Benachteiligten in ihrer Eigenschaft als Gruppenangehörige. 80 U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 312 ff./348. 81 U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 322. Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG als Dominierungsverbot, bei Art. 3 Abs. 3 GG bleibt es beim Differenzierungsverbot mit symmetrischer Schutzrichtung.

126

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

die die politische Macht innehaben, sie benachteiligen wollen, aus Belastungen, die sie ihnen auferlegen, Vorteile ziehen oder ihrer Schlechterstellung indifferent gegenüberstehen."82 Die Prüfung, ob das Dominierungsverbot durch eine Maßnahme verletzt wird, erfolgt wie bei den Freiheitsrechten: Zunächst gilt Art. 3 Abs. 2 GG als betroffen, wenn Rechtnormen die Frauen als Gruppe entweder direkt oder mittelbar benachteiligen83. Es folgt daraufhin die Prüfung, ob dieser Eingriff in Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt ist - es handelt sich hier um eine "gewöhnliche" Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hielt es Sacksofsky für kaum denkbar, daß unmittelbar diskriminierende Regelungen als schärfster Eingriff in den Schutzbereich des Dominierungsverbotes als notwendig gerechtfertigt werden könnten84. Gehe es um mittelbar benachteiligende Maßnahmen, so biete das Differenzierungsverbot die Möglichkeit, im Rahmen des Dominierungsverbots diskriminierende Strukturen aufzudecken. So würde dem Gesetzgeber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Argumentationslast dafür auferlegt darzustellen, daß ihm zur Erreichung des verfolgten Zweckes kein weniger benachteiligendes Mittel zur Verfügung stehe. Sacksofsky hoffte so auf einen Rückgang struktureller Diskriminierung 85. Wichtig zu Sacksofskys Ansicht bleibt noch zu erwähnen, daß sie auch selbst darauf Wert legte, daß sie mit ihrer Interpretation als Dominierungsverbot kein "Gruppenrecht" statuiere, denn schließlich sei "Gruppenbezug" nicht identisch mit "Gruppenrecht" 86. Beim Dominierungsverbot gehe es überhaupt nicht um "Gruppenrechte": "Geschützt bleibt das Individuum, allein der Begriff der Diskriminierung wird aus der Perspektive der Gruppe analysiert. Nur die geschützte Sphäre wird unter Bezugnahme einer Personengruppe bestimmt, nicht aber werden einer Gruppe als solcher Rechte verliehen."87

82

U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 314. Diese Asymmetrie entspreche auch der Funktion der Grundrechte als "Minderheitenschutz". 83 U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 364 f. 84 U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 370. 85 A.a.O. S. 371. 86 A. a. O. S. 334. 87 A. a. O. S. 335.

II. Ansichten im Schrifttum zum Gehalt des Gleichberechtigungssatzes (a. F.) 127

c) Chancengleichheit oder Parität im Geschlechterverhältnis als Ziel des Verfassungsauftrages bzw. der Verfassungsaufgabe Als anzustrebendes Ziel wurde in der Regel - unabhängig davon, ob man einen Verfassungsauftrag oder lediglich eine Verfassungsaufgabe annahm - das Erreichen faktischer Chancengleichheit von Frauen und Männer gesehen, insbesondere auf dem Sektor Erwerbstätigkeit 88. Nur wenige plädierten demgegenüber für die Schaffung von Parität im Geschlechterverhältnis89, wobei darunter die Gleichverteilung wirtschaftlich wertvoller Güter auf die Geschlechter im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil verstanden wurde. Eng mit diesem Standpunkt verbunden ist das Ziel, die Vorherrschaft des "Maßstabs Mann" zu brechen und der weiblichen Andersartigkeit eine positive Rolle in der Gesellschaft zukommen zu lassen - man merkt hier deutlich die Einflüsse der neuen Frauenbewegung. Dafür wird jedoch eine gleiche Partizipation von Frauen in der Gesellschaft als Voraussetzung angesehen, da ansonsten die patriarchale Struktur der Gesellschaft die Frauen immer wieder an den Rand drücken würde. 4. Zusammenfassung Die bislang erörterten Ansätze haben gemeinsam, daß sie Art. 3 Abs. 2 GG a. F. zumeist einen umfassenden Gehalt in Richtung Verwirklichung tatsächlicher Gleichberechtigung zumaßen. Dabei wurde diese objektive Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. im Sinne eines Gebots der Durchsetzung von Gleichberechtigung auch in der sozialen Wirklichkeit nur teilweise zu einem Verfassungsauftrag verstärkt. Streitig war insbesondere, ob man dem Ziel der Verwirklichung faktischer Gleichberechtigung ein kollektives Moment zugrundelegen sollte mit der Folge, daß Art. 3 Abs. 2 GG nicht mehr als Sitz eines Differenzierungsverbots gesehen werden konnte.

88

Vgl. zur Chancengleichheit E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 129 f.; H. Pfarr, Herstellung und Sicherung von Chancengleichheit durch Recht - dargestellt am Beispiel Frauen, in: W. Hassemer/ W. Hoffmann-Riem/J. Limbach, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, 1992, S. 255 ff./255; C HohmannDennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 39, 46 ff. 89 Vgl. V Slupik mit ihrer gleichnamigen Monographie. Von Herstellung "realer Machtgleichheit" spricht auch S. Raasch, Frauenquoten, S. 151; U. Maidowski spricht von einem "soziale[n] Gleichgewicht als Ebenbild einer gerechten Gesellschaftsordnung", (S. 132, im Original hervorgehoben), von einem zu erstrebenden Zustand des "gesellschaftlichen Gleichgewichts" (S. 133) bzw. von einer "gerechten Gesellschaftsordnung" (S. 131).

128

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Π Ι . Ziel des Verfassungsauftrages: Gleichberechtigung als Chancengleichheit ? Zum Begriffspaar Chancengleichheit - Ergebnisgleichheit Im neuen Verfassungsauftrag ist jetzt ausdrücklich das Ziel der faktischen Gleichberechtigung verankert. Dem ging ein heftiger Streit um "Gleichberechtigung" und "Gleichstellung" voraus, wobei von konservativer Seite Gleichberechtigung mit Chancengleichheit und Gleichstellung mit Ergebnisgleichheit gleichgesetzt wurde. Zu prüfen ist nun, ob mit der Verwendung des Terminus "Gleichberechtigung" die Ergebnisebene tatsächlich nicht tangiert wird. 1. Erläuterung des Problems anhand allgemeiner Gerechtigkeitsdogmatik und theoretische Unterscheidung. Insbesondere: das aristotelische Gerechtigkeitsverständnis Zunächst erscheint es sinnvoll, das Begriffspaar Chancengleichheit - Ergebnisgleichheit am allgemeinen Thema der Gerechtigkeitsdogmatik zu erläutern. Nach dem Aristotelischen Gerechtigkeitsverständnis unterscheidet man zwischen verteilender (später lat.: iustitia distributiva) und ausgleichender Gerechtigkeit (iustitia commutativa): Kennzeichen der Verteilungsgerechtigkeit ist, daß jeder bekommt, was ihm gebührt ("suum cuique"), während im Rahmen ausgleichender Gerechtigkeit ein gleichmäßiges Austauschverhältnis geschaffen wird, d. h. zwischen dem zu Großen und dem zu Kleinen die Mitte gesucht wird 90. Das heißt: Während sich ausgleichende Gerechtigkeit am Bild der Äquivalenz orientiert, findet sich verteilende Gerechtigkeit in dem Satz wieder: "Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln" und bedeutet soviel wie "verhältnismäßige Gleichheit"91. Diese beiden Dimensionen der Gerechtigkeit hat Salomon folgendermaßen beschrieben: "Das worum es letzten Endes geht, ist die Unterscheidung einer Gleichheit in Ansehung oder ohne Ansehung der Person, also symbolisch gesprochen einer iustitia ohne oder mit der Binde vor den Augen."92

90 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, 7. Kapitel: die ausgleichende Gerechtigkeit ("Das Gleiche") stellt die "Mitte zwischen dem zu Großen und dem zu Kleinen", "zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig" dar; M Salomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei Aristoteles, 1937, S. 26 zur aristotelischen Unterscheidung zwischen austeilender (verteilender) und ausgleichender Gerechtigkeit: "Gleichheit bedeutet einmal: jedem das Gleiche, einmal: jedem das Seine." 91 M.Salomon, S. 25. 92 M. Salomon, S. 26.

III. Ziel des Verfassungsaufirages

129

Auf das Geschlechterverhältnis bezogen heißt das: Auf der einen Seite sind Männer und Frauen durchaus verschieden. Daraus folgt nach dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit: Soweit diese (biologischen) Verschiedenheiten es unabdingbar machen, sind Männer und Frauen ungleich zu behandeln. Ansonsten ist jedoch eine Unterscheidung nach dem Geschlecht nicht gerechtfertigt, vielmehr die Behandlung jeder Frau und jedes Mannes ohne Ansehung des Geschlechts geboten. Der verteilenden Gerechtigkeit ist damit die rechtliche und tatsächliche Chancengleichheit zuzuordnen. Nur unter der Herrschaft von Chancengleichheit kann jeder Mann und jede Frau das bekommen, was ihm bzw. ihr gebührt. Der dem Begriff der Chancengleichheit immer gegenübergestellte Begriff der Ergebnisgleichheit orientiert sich dagegen nicht an den Möglichkeiten jedes einzelnen, nach seinen Fähigkeiten gesteckte Ziele zu erreichen oder zu verfehlen, sondern stellt sogleich auf das Ergebnis ab. Dem liegt der Gedanke der Parität zugrunde. Verdeutlicht werden kann das Ziel der Ergebnisgleichheit mit dem Bild einer auf beiden Seiten mit gleichem Gewicht versehenen Waage. Damit ist das Ziel der Ergebnisgleichheit der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) zuzuordnen. Hinsichtlich der Geschlechtergleichheit heißt das: Gibt es in bestimmten Bereichen einen Überhang von Männern, obwohl Frauen dafür gleich geeignet sind, Geschlechtsunterschiede also keine Rolle spielen, und kann durch die Anwendung individueller Verteilungsgerechtigkeit (Chancengleichheit) diesem Zustand nicht abgeholfen werden, dann gebietet es das Postulat der ausgleichenden Gerechtigkeit, die Frauen so zu fördern, daß eben bildlich gesprochen beide Waagschalen gleich schwer sind. Slupik nennt dies ausgleichende Gerechtigkeit in kollektivrechtlicher Dimension93. Nach Slupik war genau das auch schon Inhalt des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. Ideal der ausgleichenden Gerechtigkeit in dieser Dimension ist für Slupik der potentielle Rollentausch der Geschlechter. 2. Die Tragfähigkeit der Gleichsetzungen Gleichberechtigung Chancengleichheit und Gleichstellung - Ergebnisgleichheit a) Grammatisches Verständnis Gleichberechtigung bezeichnet zunächst einmal die Gleichheit der Rechte. Allerdings wird in GleichberecArigung heute im allgemeinen Sprachgebrauch auch die Gleichheit der Möglichkeiten gesehen, diese Rechte auch wahrzuneh-

93

V Slupik, Parität, S. 135 f.

9 Schweizer

130

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

men94. Eine dem ähnelnde Beziehung zwischen rechtlicher und faktischer Ebene wird bei Grimm hergestellt, wenn es heißt, daß unter "Gleichberechtigung" nicht nur das gleiche Maß von Rechten oder Ansprüchen, sondern auch "die daraus abzuleitende Gleichstellung" falle 95. "Gleichstellen" bedeutet demgegenüber 'auf die gleiche Rang-, Ordnungsoder Wertstufe stellen; in einer bestimmten Hinsicht Unterschiede aufheben, angleichen'96. Bei Grimm findet man "gleichstellen" auch im Sinne 'tatsächlicher Gleichmachung und Gleichordnung' bzw. "Gleichstellung" als Bezeichnung sowohl für den Akt des Gleichstellens wie für die sich daraus ergebende Stellung selbst97. Stellungnahme: Zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch kann "Gleichberechtigung" als Möglichkeit, gleiche Rechte auch (gleich) nutzen zu können, auch Chancengleichheit im Tatsächlichen bedeuten. Man kann dies Gleichberechtigung "im weiteren Sinn" nennen. Genau diese tatsächliche Möglichkeit, die gleichen Rechte auch nutzen zu können, in dieser Hinsicht also die Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufzuheben und sie insoweit alle auf die gleiche Rangstufe zu stellen, kann man aber auch "Gleichstellung" bezeichnen. Dies hat den Vorteil, daß man genau trennen kann: die rechtliche Ebene bleibt für den Terminus "Gleichberechtigung" reserviert, die tatsächliche Ebene füllt der Begriff "Gleichstellung" aus. "Gleichstellung" im Sinn von Ergebnisgleichheit auszulegen, ist also nach o. g. Definitionen nicht zwingend; eine 'tatsächliche Gleichmachung oder Gleichordnung", bis daß eine "gleiche Stellung" erreicht ist, muß sich zumindest nicht unbedingt auf die Resultatsebene beziehen. Vielmehr kann eine "gleiche Stellung" gerade auch auf der Ebene der grundsätzlichen Möglichkeiten hergestellt werden. D. h.: eine eindeutige Zuordnung von Gleichberechtigung zu Chancengleichheit und Gleichstellung zu Ergebnisgleichheit ist nicht zu finden. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß eine "tatsächliche Gleichordnung" im Sinne von Gleichstellung auch auf der Ebene der Resultate gemeint sein kann.

94

Vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1981, unter "gleichberechtigt", "Gleichberechtigung". 95 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Nachdruck 1984. 96 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1993; Brockhaus/Wahrig. 97 Grimm unter "gleichstellen", "Gleichstellung".

III. Ziel des Verfassungsauftrages

131

b) Konvention Auch Übereinkunft kann die Bedeutung eines Begriffs prägen. Der Ablauf der Diskussion in der GVK läßt sich folgendermaßen zusammenfassen. "Gleichberechtigung" wurde gewählt, um ganz deutlich zu machen, daß es nur um die Verankerung von Chancengleichheit gehen könne98. Zwar sahen manche genau dies auch als Inhalt von "Gleichstellung" an99, jedoch konnte sich dieser Begriff aus Sorge vor Ergebnisgleichheit nicht durchsetzen. D. h.: Die Entstehungsgeschichte ist im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit getrennt und den Begriffen Gleichberechtigung und Gleichstellung zugeordnet wurden. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Literatur: auch hier überwiegt eine eindeutige Zuordnung von "Gleichberechtigung" zu "Chancengleichheit" und "Gleichstellung" zu "Ergebnisgleichheit", wobei letztere mit "Quote" gleichgesetzt wird 100 . Hingegen ist die Verwendung des Begriffs "Gleichstellung" durch das BVerfG uneinheitlich: Ausgangspunkt ist, daß das Gericht den Ausdruck "Gleichberechtigung", sofern er auch auf die Ebene des Faktischen bezogen wurde, im Sinne von Chancengleichheit gebraucht: Auch wenn es heißt, der Gleichberechtigungssatz im Sinne eines Gleichberechtigungsgebots ziele auf die "Angleichung der Lebensverhältnisse"101, so gibt doch das Gericht eine Andeutung dergestalt, daß diese Angleichung wohl nur im Rahmen der Chancen stattfinden soll, wenn es meint: "So müssen Frauen die gleichen ErwerbscAa«cen haben wie Männer." 102 Den Begriff Gleichstellung benutzt das Gericht hingegen nur selten und auch nicht in einer Art und Weise, die eine eindeutige Zuordnung rechtfertigen würde: Im Rahmen des Art. 6 Abs. 5 GG bezeichnet es damit gerade eine "schematische" oder "rein formale" Gleichheit im Sinne einer formalen rechtlichen Gleichstellung103, während es in einem Nebensatz des Rentenalterbeschlusses Gleichstellung offenbar synonym für (auch faktische) Gleichberechti-

98

Vgl. Wortlaut des Abschlußberichts (Fn. 150 im 2. Kapitel). Ζ. B. die Sachverständige Heide Hering, Kap. 2 II 2, insb. Fn. 119 im 2. Kapitel. 100 Vgl. nur H Hofmann, Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung in dem neuen Art. 3 II S. 2 GG, in: FamRZ 95, S. 249 ff./257, 261; J. Isensee, Mit blauem Auge davongekommen, S. 2585. 101 So BVerfGE 85, 191/207. 102 BVerfGE 85, 191/207. Zu beachten ist hierbei, daß der Verweis auf BVerfGE 6, 55/82 nicht ganz korrekt ist, ging es in dieser Entscheidung doch ausdrücklich um "rechtliche Chancen". 103 BVerfGE 17, 280/284; 85, 80/87 f. 99

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

gung verwendet, wenn es von der "Angleichung der Rechtsordnung an die gebotene Gleichstellung von Mann und Frau" spricht 104. D. h.: Auch wenn der Begriff der "Gleichstellung" weiter im unklaren bleibt, ist dennoch als Ergebnis festzuhalten, daß Gleichberechtigung zwar auch auf die Ebene des Faktischen bezogen wird, dort jedenfalls aber nur die Ebene der Chancengleichheit im Blick hat. Stellungnahme: Hinsichtlich der Bedeutung von Gleichstellung scheiden sich also die Geister. Der Begriff der Gleichstellung kann grundsätzlich Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit im o. g. Sinne erfassen. Benutzt man diesen Begriff, so bedeutet das zwar nicht zwingend die Bezeichnung von Ergebnisgleichheit. Jedoch muß man klarstellen, ob man sich auf der Stufe der Chancen oder aber auf der der Resultate befindet (diese Notwendigkeit besteht bei "Gleichberechtigung" dagegen nicht). Hätte man diese Klarstellung auch im Verfassungstext vollzogen, so wäre die Sorge vor dem Begriff der Gleichstellung nicht gerechtfertigt gewesen. Zu dieser Einigung kam es jedoch nicht105. Da jedenfalls Gleichberechtigung klarer als Gleichstellung ausschließlich Chancengleichheit erfaßt, ist demnach festzuhalten, daß Ziel des neuen Verfassungsauftrages die Durchsetzung tatsächlicher Chancengleichheit ist 106 . Damit ist denjenigen Auffassungen, die im Rahmen des alten Gleichberechtigungssatzes als unmittelbares Ziel eines Verfassungsauftrages oder einer Verfassungsaufgabe die Schaffung von Parität im Geschlechterverhältnis sahen, der Boden entzogen.

104

BVerfGE 74, 163/181. Vgl. dazu die im 2. Kapitel geschilderten Versuche in der 23. Sitzung der GVK, die eigene Interpretation durchzusetzen. In diesem Zusammenhang ist auch die Bemerkung des Abg. Dr. Burkhard Hirsch (FDP) zu sehen, der ganz am Anfang schon hinsichtlich der verschiedenen Vorschläge sagte, er habe den Eindruck, manche Verfasser der ein oder anderen Formel wollten die Bedeutung und den Gehalt der vorgeschlagenen Formel in einem "wohltuenden Halbdunkel" belassen, "um dann später ausprobieren zu können, wohin das führt", GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 23. 106 Ebenso L. Osterloh, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 3 Rn. 282. 105

III. Ziel des Verfassungsaufrages

133

3. Die Trennung zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit: eine klare Sache ? Angesichts der Unklarheiten v. a. bezüglich einer "Gleichstellung" oder der Formulierung der "gleichberechtigten Teilhabe" ist die Frage gerechtfertigt, ob sich denn Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit für den Fall der Geschlechterfrage wirklich so klar trennen lassen, wie dies - zumindest in der Theorie den Anschein hat. a) Unklarheiten im Abschlußbericht der GVK Im Abschlußbericht der GVK wurde als Ziel des neuen Verfassungsauftrags in Anlehnung an den Wortlaut der Nachtarbeits-Entscheidung die 'reale Angleichung der Lebensverhältnisse' genannt. Diese Formulierung sollte, wie bereits ausgeführt 107, nach Ansicht der konservativ-liberalen Abgeordneten in der GVK das durch Förderung von Gleichberechtigung bezeichnete Ziel der tatsächlichen Chancengleichheit verdeutlichen. Auffallend ist jedoch, daß während der Diskussionen in der Kommission auch Befürworter einer "Gleichstellung" dieselbe Forderung wörtlich auf ihre Fahnen schrieben108, und auch die Fassung des Abschlußberichts läßt den Schluß zu, daß sich über sonstige Differenzen hinweg alle über dieses Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse einig waren 109. Bei näherem Hinsehen ist dies jedoch keineswegs selbstverständlich. Dem Begriff der "Lebensverhältnisse", nach dem Brockhaus-Wörterbuch 110 gleichbedeutend mit "Lebensumständen", haftet nämlich durchaus etwas Statisches an: Ein Umstand ist schließlich eher eine Bezeichnung für einen bestimmten Zustand oder eine bestimmte Situation denn für eine Entwicklung von einer gewissen Ausgangsposition aus. Der Ausdruck "Lebensverhältnisse" kann sich also auch und gerade darauf beziehen, wie jemand letztlich wirklich lebt, was er oder sie erreicht hat. Wenn es folglich im Abschlußbericht heißt, die Lebens-

107

Vgl. Kap. 2 II. So die Abg. U. Mascher (SPD) während der 23. Sitzung der GVK, Sten. Prot., S. 4: Gleichstellung sei so wie im Nachtarbeitsurteil gesehen worden. Es gehe also nicht nur darum, entsprechende Rechtsnormen zu beseitigen, sondern das Ziel sei eine "Angleichung der Lebensverhältnisse" von Männern und Frauen. 109 So beginnt im Abschlußbericht die Darstellung der Auseinandersetzungen um das Verständnis von Gleichberechtigung und Gleichstellung erst, nachdem in einer Art "Vorrede" unstreitige Punkte abgehandelt wurden, zu denen eben auch die Erklärung gehört, es gehe um eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Männern und Frauen, vgl. Abschlußbericht der GVK, BT-Ds. 12/6000, S. 50. 110 Vgl. Brockhaus, Deutsches Wörterbuch, Mannheim 1995. 108

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Verhältnisse von Mann und Frau sollten 'angeglichen1, also 'gleich gemacht' werden, dann heißt das im Klartext, daß es letztlich zu einer gleichermaßen möglichen Lebensführung von Frauen und Männern kommen soll. Deutlich ist hier die Nähe zu Slupiks Ideal vom potentiellen Rollentausch zu erkennen. Außerdem fällt auf, daß eine zumindest ähnliche Deutung von "Gleichstellung" Grund dafür war, in der GVK einen "Gleichyte//w«g.sauftrag" gerade abzulehnen. Damit bringt die Formulierung 'Angleichung der Lebensverhältnisse' im Abschlußbericht doch eine gewisse Nähe zu einer wie auch immer verstandenen "Ergebnisebene" mit sich111. Da sich jedoch wie gesagt auch die Befürworter einer "bloßen" Chancengleichheit auf diese Formel stützten, ist somit keineswegs klar, ob sich die Chancenebene in der Tat so zweifellos von der Ebene der "Ergebnisse" trennen läßt. b) Die 5. Öffentliche Anhörung in der GVK sowie die Beratungen in der Kommission selbst Unklarheiten gab es im Hinblick auf die hier aufgeworfene Fragestellung auch bei den Sachverständigen und während der sonstigen Sitzungen der GVK zum Thema Gleichberechtigung. Außer dem Abgeordneten der PDS/Linken Liste112 gab es in den Beratungen niemanden, der ausdrücklich als Ziel eines Verfassungsauftrages eine Parität der Geschlechter auf allen Ebenen gefordert hätte. Demnach müßten alle anderen das Ziel der Chancengleichheit verfolgt haben, auch diejenigen, die die Formel von der "gleichberechtigten Teilhabe" favorisiert hatten. Im Rahmen der Zusammenfassung der 5. Sachverständigenanhörung wurde jedoch schon daraufhingewiesen, daß die Sachlage so einfach nicht war. So war etwa bei der Sachverständigen Maihofer durchaus ein gewisser Hang zur Ergebnisebene festzustellen, schließlich ist für sie immer sehr wichtig gewesen, "daß die Verwirklichung der Gleichberechtigung die aktive gleichberechtigte Teilhabe/Beteiligung der Frauen an der Gestaltung und Organisation der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche impliziert" 113. Aber auch bei den Abgeordneten selbst stellt sich die Situation etwas widersprüchlich dar: So betonte etwa die Abg. Niehuis das Prozeßhafte des Begriffs

Auch L Osterloh, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 3 Rn. 282, hält die vom BVerfG aufgebrachte Formel von der "Angleichung der Lebensverhältnisse" für 'mißverständlich', geht jedoch nicht näher darauf ein. 112 Abg. Dr. Uwe-Jens Heuer, (PDS/Linke Liste), GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 13. 113 Sachverständige Λ. Maihofer, Schriftliche Stellungnahme, S. 87.

III. Ziel des Verfassungsaufrages

135

Gleichstellung114, während andere meinten, es gehe um eine gleichmäßige Verteilung der Macht auf Frauen und Männer 115. c) Stellungnahme Oftmals wollten diejenigen, die sonst der Gleichstellung vor Gleichberechtigung den Vorzug gaben, mit ihrem Vorschlag "gleichberechtigte Teilhabe" letztlich den Einfluß der Mehrheit der Bevölkerung sichern. Kern der Argumentation war dabei: Der Staat solle für gleiche Mitsprache von Frauen entsprechend ihrer zahlenmäßigen Stellung in der Gesellschaft sorgen, schließlich werde auch über ihr Leben und ihre Zukunft entschieden. Erst wenn ein solches reales gesellschaftliches Gleichgewicht der Geschlechter geschaffen sei, seien die Lebensverhältnisse wirklich angeglichen und der ausreichende Einfluß der Mehrheit der Bevölkerung gesichert. In diesen Ausführungen klingt durchaus - vorsichtig ausgedrückt - eine gewisse Nähe zur "Ergebnisgleichheit" an. Denn eine gleichwertige Mitsprache, die Sicherung des "weiblichen Einflusses" in wichtigen Entscheidungen kann ja nur dann als einigermaßen gesichert gelten, wenn auch eine zumindest annähernd große Anzahl von Frauen wie von Männern "an den Hebeln" sitzen, d. h. auch solche Positionen innehaben, in denen Verantwortung getragen wird. d) "Faktische Gleichberechtigung" als Gefahr für Familie und Gesellschaft? Es gibt Autoren, die sich strikt gegen eine "faktische Gleichstellung" aussprechen, diese jedoch ganz ähnlich beschreiben wie im Abschlußberichts der GVK meines Erachtens Chancengleichheit als 'faktische Gleichberechtigung"

114 Abg. Dr. Edith Niehuis (SPD), 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 25: "Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verwirklichen ist die Frage nach dem Prozeß. Es ist ein Prozeß und kein Ergebnis." 115 So Abg. H. Alm-Merk (Niedersachsen) in der 23. Sitzung der GVK, Sten. Prot., S. 10 zum SPD bzw. Niedersachsen-Vorschlag, der ja eine "Gleichstellung" bestimmte; ähnlich Abg. Dr. J. Limbach (Berlin) sogar zur neuen Fassung: Ziel sei das Teilen von Macht, Verantwortung und Prestige, 23. Sitzung, Prot. S. 13. Nach dem Abg. Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS '90/DIE GRÜNEN) meint "Gleichstellung" eine Gleichheit der gesellschaftlichen Partizipation, Gleichheit des Verhältnisses zur Öffentlichkeit und in allen Dimensionen sozialen und kulturellen Lebens, GVG, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 27.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

verstanden werden muß. Gegen eine tatsächliche "Gleichstellung"116 insbesondere im Erwerbsleben werden zuweilen nämlich folgende Argumente angeführt: "Faktische Gleichstellung" - gemeint als "gesamtheitlicher, rechtstatsächlicher oder auch soziologischer Befund" 117 - ziele ja letztlich auf eine Rollengleichheit bzw. wenigstens auf eine mögliche Rollenaustauschbarkeit118. Eine solche Entwicklung stelle jedoch eine Gefahr für die Familie als Keimzelle der Gesellschaft dar, weil durch das Fehlen der Mutter als Familienzentrum diese auseinanderzubrechen drohe 119 - der Familienvater könne diese Funktion (auch teilweise) nicht übernehmen, er leide diesbezüglich unter einer "konstitutionellen Schwäche"120. Schmitt Glaeser faßte diese Befürchtungen zusammen, indem er sagte, die faktische Ver-Wirklichung der Gleichberechtigung der Frau dürfe auf keinen Fall zu einer faktischen Un-Wirklichkeit von Ehe und Familie führen 121. Gleichstellung im Sinne einer immer weitergehenden Rollenangleichung stelle darüberhinaus aber auch eine Bedrohung der gesellschaftlichen Struktur, insbesondere des ökonomischen Systems dar: So sei es eben 'ökonomisch sinnvoll', daß in einer Partnerschaft der eine Teil voll erwerbstätig sei, während der andere Teil die Haushaltsführung und Kindererziehung übernehme. Wem die jeweiligen Aufgaben dann schließlich zufallen, erscheint so selbstverständlich, daß es offenbar nicht unbedingt einer weiteren Begründung bedarf. So meint dazu etwa Zöllner: "Mit einem solchen System ist zwar nicht normativ verbunden, daß die Haushaltsrolle von der Frau übernommen werden muß, aber wenn die Frau [!] Kinder haben möchte, und, wie für die Gesellschaft unverzichtbar, haben soll, legen die Umstände meist nah, daß die Rolle des qualifizierteren Geldverdienens dauerhaft dem Mann zufällt." 122 116 W. Zöllner benutzt zwar den Terminus der Gleichstellung, man wird jedoch sehen, daß er letztlich darunter all das faßt, was auch faktische Gleichberechtigung bewirken soll. 117 W. Zöllner, S. 226. 118 W. Zöllner, S. 228: "Es geht also bei dieser Wirkungsbetrachtung um Rollenveränderung, und zwar um Rollenangleichung. Diese Angleichung verläuft nicht nur in einer Richtung, indem etwa Frauen so werden wie Männer, sondern es gibt auch ein Aufeinanderzubewegen der Geschlechterrollen und es gibt auch einen partiellen Rollentausch." 119 Es folgt in diesem Zusammenhang sogleich das böse Wort vom "Schlüsselkind", W. Zöllner, S. 229. 120 K. Adomeit, S. 300: "Hand aufs Herz, Feministinnen: Wer möchte denn schon, rückblickend, in seinen ersten 18 Monaten seinem Erzeuger, auch zur Hälfte der Betreuungszeit, ausgeliefert gewesen sein ?" 121 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 36. 122 W. Zöllner, S. 230. Eine Begründung scheint angesichts dieser verblüffenden Klarheit offenbar nicht erforderlich und wird deshalb auch nicht gegeben. Siehe dazu schon oben den Einwand von U. Müller (Fn. 73 im 2. Kapitel).

III. Ziel des Verfassungsaufrages

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Wird doch einmal eine Begründung für diese 'sinnvolle1, weil effiziente Aufgabenteilung gegeben, dann rekurriert sie wie seit jeher auf den "Wesensunterschied" der Geschlechter - "Brutpflege" entspreche nun einmal nicht der Natur des Mannes, seine Sehnsucht sei "die Ferne" 123. Schließlich wird auch mit der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Reproduktion argumentiert und die unerwünscht niedrige Geburtenrate auf die wachsende Gleichberechtigung der Frau zurückgeführt 124. Deshalb sei, wolle ein junges Paar eine Familie gründen, die "fröhliche Fortführung des traditionellen Rollenspiels ganz unvermeidlich" - allenfalls eine Teilzeitbeschäftigung der Frau möglich125. Man kann also zusammenfassen: Die traditionelle bürgerliche Hausfrauenehe bzw. die teilzeitbeschäftigte Mutter wird - bewußt oder unbewußt - vielfach als die einzige Möglichkeit angesehen, den Erfordernissen von Familie und Gesellschaft - nicht etwa der Mutter (!) - Rechnung zu tragen. Insofern wird einer möglichen Angleichung der gar Austauschbarkeit der Rollen die Bedeutung einer "Kulturrevolution" zugesprochen, die über die chinesische weit hinausreiche126. e) Stellungnahme Wie seit eh und je 1 2 7 werden die (vermeintlichen) Erfordernisse von Familie und Gesellschaft gegen die Rechte und etwaigen Bedürfnisse der einzelnen Frau ausgespielt. Zu beachten ist dabei, daß in all diesen Abhandlungen nicht ein einziges Mal von irgendwelchen Wünschen der Mütter gesprochen wird, ganz so, als ob Frauen, v. a. wenn sie Kinder haben, überhaupt keine sonstige Lebenswelt oder -Vorstellung mehr hätten. Daß mit einer solchen Sichtweise der

123 K. Adomeit, S. 300. Auch der glossenhafte Stil des Kommentars kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Argumente ernst gemeint sind, wie sich an der Schlußfolgerung ablesen läßt: dort wird die Frau auf den Weg der Teilzeitarbeit verwiesen, wenn denn Erwerbsarbeit unbedingt sein müsse; zur jahrhundertealten Tradition der Berufung auf unterschiedliche Wesens- und Charaktermerkmale vgl. Kap. 1 12. 124 So W: Zöllner, S. 230: "Es spricht viel dafür, daß der Wunsch der Frau auf Teilnahme am Erwerbsleben eine beträchtliche Ursache für den Geburtenrückgang darstellt"; noch drastischer K. Adomeit, S. 300: "Praktisch gesehen geht volle Gleichstellung nur auf, wenn wir auf jede Fortpflanzung kollektiv verzichten." 125 K. Adomeit, S. 300. 126 W. Zöllner, S. 228. Dabei befürchtet er die Austrocknung des schon in der Antike entsprungenen Bildungsstroms. "Pallas Athene könnte ihren Platz in etwa noch behaupten, vielleicht auch Artemis, Zeus und Hera kaum mehr, und ganz gewiß müßte Aphrodite gestrichen werden" (228). 127 Vgl. Kap. 113.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Entgegensetzung von Familie und Gleichberechtigung gegen geltendes Recht verstoßen wird, wird dabei offensichtlich übersehen: So ist es nach st. Rspr. des BVerfG unzulässig, einen Widerspruch zwischen dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und dem Schutz der Familie heraufzubeschwören, etwa indem die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Frau von vornherein als ehezerstörend gewertet wird 128 . Ganz im Gegenteil hat der Staat darauf hinzuwirken, daß "Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt" 129. D. h.: Letztlich prägt der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter Form und Inhalt von Ehe und Familie, was nicht nur zur Folge hat, daß liebgewonnene Vorstellungen nicht mehr als Maßstab angewandt werden dürfen, sondern auch, daß auf die Gestaltung eines neuen Eheleitbildes verzichtet werden muß130. Genau dagegen verstoßen jedoch die Kritiker einer "faktischen Gleichstellung", wenn sie als Konsequenz aus gesellschaftlichen und ökonomischen Zwängen - im Hintergrund mögen vielleicht auch arbeitsmarktpolitische Erwägungen stehen - ganz deutlich das Bild der typischen "Hausfrauenehe" propagieren, höchstens modifiziert durch Teilzeitbeschäftigung der Mutter. Dabei wird versucht, dieses Ideal seinerseits mit dem Verbot staatlicher "Umerziehung" zu rechtfertigen: So wie eine Edukation in Richtung Hausfrauenehe abzulehnen sei, so sei auch eine Erziehung in Richtung "Doppelverdienerehe" unzulässig, wobei sich eine solche "Umerziehungswirkung" auch aus faktischen Auswirkungen rechtlicher Maßnahmen ergeben könne131. Letztlich stützt man sich also auf eine "Wahlfreiheit" der betreffenden Frauen, was ja auch durchaus anerkennenswert ist. Nurfragt sich, was denn von dieser "Freiwilligkeit" übrig bleibt: Die ganze Zeit wird schließlich beschrieben, welche verheerenden, ja gerade umstürzlerischen Folgen es hätte, würden sich Frauen tatsächlich wie Männer eher für eine (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit statt für Haushaltsführung und Kindererziehung entscheiden. Das Bild der Durchlässigkeit von Geschlechterrollen, d. h. das Ende von Rollenstereotypen und traditioneller Aufgabenteilung wird als nicht wünschenswertes Schreckgespenst an die Wand gemalt ganz nach dem Motto: "Es gibt einen "Zwang der Frau" mit ver128

BVerfGE 6, 55/82; dazu auch BVerfGE 3, 225/242; 10, 59/66 f. BVerfGE 88, 203. 130 So zutreffend E.-C. Frentz, Der Beitrag des Bundesgesetzgebers und der Rechtsprechung zur Erfüllung des Verfassungsauftrages aus Art. 3 Abs. 2 GG, in: SchlHA 1/1989, S. 2 ff/5. 131 Zu diesem Argument K. Adomeit, S. 300; W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 35, gestützt auf S. Braga , Reformgesetze und Zukunftsforschung, in: FS für G. Beitzke, 1979, S. 145 ff./149 f. 129

III. Ziel des Verfassungsaufrages

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fassungsrechtlicher Relevanz, nämlich den Zwang unter den Ausschließlichkeitsanspruch des (Klein-)Kindes."132 Von einer freien (Rollen-)Wahl kann unter diesen Umständen wohl nicht mehr gesprochen werden. Es ist deshalb auch nicht ganz zutreffend, wenn etwa Schiek133 meint, es sei eine politische Frage, ob man das Erreichen sozialer Gleichheit darin sehe, daß "Frauen und Männer tatsächlich dieselben sozialen Rollen übernehmen können sollen, wodurch ihnen mehr individuelle Gestaltungsfreiheit zuwächst" oder aber darin, daß es "in gewissem Umfang bei der Geschlechtersegregation bleiben soll, ohne daß die Unterbewertung weiblicher Differenz fortgesetzt wird". Dies ist eben keine "nur" politische Frage mehr, sondern spätestens mit der Neufassung des Gleichberechtigungssatzes hat die Verfassung darauf eine klare Antwort gegeben: Es muß ernst gemacht werden mit den zwei Seiten der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die da heißen: Einmal Verbot an den Staat, an die Wahrnehmung der traditionellen Rolle ungerechtfertigte Nachteile zu knüpfen, aber auch das Verbot, Frauen auf die traditionelle Rolle festzulegen bzw. deren Wahrnehmung durch die Frau zu fördern 134, wobei zu diesen Verboten durch den neugefaßten Gleichberechtigungssatz noch der Auftrag hinzukommt, aktiv darauf hinzuwirken, die traditionellen Geschlechterrollen durchlässig zu machen. Dadurch wird auch keine Hausfrau und Mutter genötigt oder "umerzogen", ihren Wirkungskreis zu verändern; vielmehr geht es, wie Häberle einmal im Zusammenhang mit der sozialstaatlich-teilhaberechtlichen Komponente der Grundrechte gesagt hat, darum, daß Freiheit möglich sein muß, ohne zur Pflicht zu werden 135. Dabei ist jedoch ein Aspekt im Auge zu behalten, den Schiek ganz deutlich angesprochen hat - die Rede ist hier von der Notwendigkeit, daß auch die Männer ihre Rolle überdenken und abändern müssen, um den Frauen einen Teil ihrer bisherigen Lasten abzunehmen: "Sonst könnte die Verwirklichung der Gleichberechtigung darauf hinauslaufen, daß Frauen nicht länger zwei Drittel, sondern demnächst vielleicht drei Viertel der Arbeit verrichten.... Verboten ist deswegen auch die Erschwerung der Rollentranszendenz von Männern." 136

Letztlich ist festzustellen, daß die o. g. Autoren und mit ihnen wohl noch viele andere sich vor einer wirklichen Wahlfreiheit und in diesem Zuge vor ei132

G. Dürig, in: T. Maunz/G. Dürig/R. Herzog, Grundgesetz, Art. 3 II Rn. 23. D. Schiek, Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen, 1992, S. 159. 134 So zutreffend U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 352 f. 135 P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 97; dies verkennt K. Adomeit, S. 300. 136 D. Schiek, Nachtarbeitsverbot, S. 160. 133

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

ner tatsächlichen Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt fürchten, da sie als Folge davon durchaus empfindliche gesellschaftliche Veränderungen sehen. So würde sich das Bild der "bürgerlichen Familie" tatsächlich ändern (obgleich diesbezüglich anzumerken ist, daß angesichts gewandelter Familienverhältnisse diese Lebensform längst nicht mehr herrschend ist). Der Verweis auf die sinkende Geburtenrate macht deutlich, daß man von diesen Veränderungen nichts Gutes erwartet. Gerade dieses Argument sinkender Geburtenzahlen zeigt jedoch, daß hier das "Pferd von hinten aufgezäumt" wird: Zu einer solchen unerwünschten Entwicklung konnte es nämlich nur deshalb kommen, weil Staat und Gesellschaft der tatsächlichen Entwicklung in vielen Familien bereits hinterherhinken. In einem Gemeinwesen, in dem die Strukturen mehr oder weniger auf eine Familienmutter ausgerichtet sind, die sich im wesentlichen um die Kindererziehung selbst kümmert, muß es geradezu zwangsläufig zu einem Geburtenrückgang führen, wenn sich immer mehr Frauen für eine Erwerbstätigkeit entscheiden. Auf dem Boden der Verfassung stehend, sind daran jedoch nicht die Frauen "schuld", denn sie fordern nichts, was ihnen nicht zusteht, sondern "schuld" sind Strukturen, die es den Müttern (und auch den Vätern, von deren Verantwortung für die Veränderungen in der Familie in der politischen Auseinandersetzung bezeichnenderweise kaum gesprochen wird) nicht ermöglichen, Familie und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren. Unerwünschte gesellschaftliche und familiäre Veränderungen sind also als Folgen von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzusehen, die Gleichberechtigung nur in unzureichendem Maße möglich machen, jedoch nicht mit der Neigung zu beantworten, sich nach der "guten alten Zeit" zurückzusehnen. Diesen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung - nicht nur in der Frage der Geburtenentwicklung, sondern für den Bereich familiärer Verhältnisse überhaupt - macht ζ. B. Metz-Göckel137 deutlich, wenn sie sagt: "Reaktionen auf die Unvereinbarkeiten [von beruflichen und persönlichen Lebensvorstellungen auf der einen und Familie auf der anderen Seite, die Verf.] sind auch die Reduzierung der Kinderzahl, ein Hinausschieben der Geburt des ersten Kindes sowie eine Anspruchssteigerung an die Qualität von privaten Beziehungen, insbesondere Partnerschaften, so daß Auflösungen von Ehen und privaten Lebensverhältnissen eher die Regel als die Ausnahme werden, die Gründe gegenüber früheren Zeiten aber andere sind .... Diese individuellen "Lösungen" führen in ihrer Häufigkeit wiederum zu eigenen Strukturverschiebungen: zu veränderten Kindheiten, Steigerungen der Scheidungsraten, Zunahme weiblicher Singles bzw. Alleinlebenden mit Kindern etc."

Man kann also feststellen, daß die zuweilen kritisierte "faktische Gleichstellung" genau dem entspricht, was eine faktische Chancengleichheit letztlich ei137

S. Metz-Göckel Legitimationskrise der traditionellen geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung, 1994, S. 47 ff/52.

IV. Chancengleichheit als ergebnisorientierte Chancengleichheit

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gentlich leisten soll, nämlichfreien, chancengleichen und v. a. leistungsgerechten Zugang von Frauen und Männern sowohl zum Familienleben als auch zum Erwerbsleben. Obgleich sich die o. g. Juristen zum Teil sogar ausdrücklich als Verfechter der Chancengleichheit bezeichnen138, wird mit den dort genannten Argumenten das Ziel der Chancengleichheit ad absurdum geführt: denn tatsächliche Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt kann sich überhaupt nicht anders äußern, als daß eben mehr Frauen und insbesondere Mütter, die den Wunsch dazu verspüren, auch voll erwerbstätig sein können, und das je nach Befähigung auch in höheren, verantwortungsreicheren Positionen. f) Ergebnis Es entsteht der Eindruck, daß ein ziemliches "Bedeutungswirrwarr" hinsichtlich der Begriffe "Gleichberechtigung", "Gleichstellung", "faktische Gleichstellung", "Angleichung der Lebensverhältnisse", "Chancengleichheit" und "Ergebnisgleichheit" herrscht. Dabei scheint es so, als wenn Hohmann-Dennhardt recht hätte, wenn sie von einem Hohelied auf Gleichberechtigung unter gleichzeitiger Bekräftigung, dafür aber nichts tun zu wollen, spricht 139. Es gibt in der Tat keine sachliche Diskussion darüber, was unter "Gleichberechtigung" und "Chancengleichheit" zu verstehen ist und welche Schlußfolgerungen aus der Unterrepräsentanz von Frauen in vielen Berufen zu ziehen sind140. Dies gilt es jetzt nachzuholen.

IV. Chancengleichheit als ergebnisorientierte Chancengleichheit 1. Der formale Charakter von Chancengleichheit bei völliger Außerachtlassung der Ergebnis- bzw. Gruppenebene Unter Chancengleichheit ist zu verstehen, daß jeder Mensch das Recht und auch die Möglichkeit hat, beim Einstieg in den Beruf nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bewertet zu werden. Allen Menschen soll also Gelegenheit gegeben werden, ihren Fähigkeiten und Wünschen zu folgen, so gut diese eben tragen141. Da dem Grundsatz der Chancengleichheit demzufolge eine enge Verwandtschaft zum Grundsatz der Gleichbehandlung und damit auch zur 138

W. Zöllner, S. 231 ff. Abg. C. Hohmann-Dennhardt (Hessen), GVK, 10. Sitzung, Sten.Prot., S. 33. 140 So M. Kowal, Frauenquotierung beim Zugang zum öffentlichen Dienst und Art. 3 II GG, in: ZRP 1989, S. 445 ff/445 f. 141 Vgl. M. Kowal, S. 446; R. Lautmann, S. 37. Man beachte schon hier die Anlehnung an das Leistungsprinzip ! 139

142

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

Gleichberechtigung i. e. S. innewohnt142, besteht immer die Gefahr, daß auch das Prinzip der Chancengleichheit den Gleichheitsgrundsatz nur formalisiert - in diesem Fall erschöpft sich Chancengleichheit in der Gleichheit vor dem Gesetz143. Es stellt sich demnach die Frage, wie Chancengleichheit denn beschaffen sein muß, um nicht in bloßer Rechtsgleichheit zu erstarren. Im folgenden soll dem nachgegangen werden: Das Prinzip der Chancengleichheit darf nicht auf der abstrakten Ebene "verhungern", sondern muß mit Inhalt, mit "Leben" gefüllt werden. Diese Konkretisierung ist eine sozialwissenschaftliche Aufgabe: es muß herausgefunden werden, worin die Sperren für Frauen v. a. im Erwerbsleben bestehen und mit welchen Mitteln sie heruntergeschraubt werden können. Erst wenn die typischerweise anzutreffenden Situationen und Verhaltensmuster geklärt sind, kann über Notwendigkeit und Richtung ihrer Veränderung befunden werden. Je mehr solche Erkenntnisse ins Detail einer Chancengleichheit eingehen, desto mehr verliert diese den Charakter des bloß Formalen144. Das ist jedoch leichter gesagt als getan angesichts der Schwierigkeit, daß viele versteckte, strukturell bedingte und zum Teil auch unbewußte Hemmnisse den Frauen den chancengleichen Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren, gerade wenn es um höhere Positionen in Wirtschaft und Politik geht. So sind denn auch Diskriminierungsvorgänge fast unmöglich aufzudecken. Probleme bereitet hier v. a. der Vorbildcharakter "typisch männlicher" Eigenschaften (Durchsetzungsfähigeit, Machtstreben etc.) und der "männlichen Normalbiographie". Das Ideal des flexiblen, nicht vom Alltag familiärer Bedürfnisse wie Kinderbetreuung und Haushaltsführung abgelenkten Mitarbeiters setzt die "Frau an seiner Seite" als notwendiges, zumindest aber zweckmäßiges Pendant voraus145, wie es sich umgekehrt jedoch nicht finden läßt. Das "Anderssein" von Frauen, ihre u. U. ande142

Dazu R. Lautmann, S. 37. Aus Sorge vor eben diesem rein formalen Charakter hatte sich ζ. B. auch die Sachverständige H. Hering in ihrer schriftlichen Stellungnahme zur 5. öffentlichen Anhörung in der GVK, S. 75, gegen die "Bedingungsformel" ausgesprochen: "Dazu gehören nur einige wenige Gesetze, dann sind die Bedingungen vorhanden, aber Frauen noch immer nicht in der Chefetage. Für aktive Frauenpolitik muß mehr getan werden als nur die Schaffung von "Bedingungen", es muß die "Teilhabe" hergestellt und gesichert werden. " 144 R. Lautmann, S. 38 f.; auf das Prozeßhafte von Chancengleichheit macht insb. S. Raasch, Frauenquoten, S. 156, aufmerksam: nicht nur Chancengleichheit am Start, auch der Entwicklungs-, Wettbewerbs- oder Ausleseprozeß müsse in seiner Gesamtheit in das Blickfeld rücken. 145 C. Eckart, S. 47: "Die Anpassung des männlichen Lebenslaufs an die formalrationalen, instrumenteilen Anforderungen des kapitalistischen Berufssystems setzt die gesellschaftliche Absicherung einer Komplementärrolle, der "Frau an seiner Seite" so selbstverständlich voraus, daß die notwendige Reproduktionsarbeit als subjektive Leistung aus dem Maßstab einer gelungenen männlichen Berufsbiographie ausgegrenzt werden konnte." 143

IV. Chancengleichheit als ergebnisorientierte C h a n c e n g l e i c h h e i t 1 4 3

ren Fähigkeiten, Eigenschaften und Erfahrungen werden als Defizit wahrgenommen - und so die Hälfte bzw. die Mehrheit der Bevölkerung oftmals an den Rand gedrängt146.

Die Schwierigkeiten beim Erkennen von Diskriminierungen resultieren dabei v. a. daraus, daß Frauen - wie schon Slupik und Sacksofsky richtig feststellten nicht als einzelne diskriminiert werden, sondern in ihrer Eigenschaft als Mitglied der "Gruppe Frau". Schon per definitionem (Diskriminierung kommt von discernere bzw. discriminare , was "unterscheiden" bedeutet, und genau dieses "Anderssein" erfuhr nach und nach eine pejorative Bewertung) ist Kennzeichen einer Diskriminierung die den einzelnen benachteiligende willkürliche Ungleichbehandlung auf Grund der Zugehörigkeit zu solchen sozialen Kategorien, die weder an persönliche Fähigkeiten oder Verdienste noch an ein bestimmte zurechenbares Verhalten des betroffenen Individuums anknüpfen 141. Darau folgt, daß die Individuen beliebig auswechselbar sind, solange sie in die gleiche soziale Kategorie fallen, d. h. die gleichen Gruppenmerkmale vorhanden sind. Dabei sind Ursachen von Diskriminierung i. d. R. Vorurteile 148. Vorurteile gegen Frauen im Sinne einer Stereotypisierung ihrer Wünsche, Fähigkeiten und Eigenschaften sind jedoch historisch bedingt149 noch immer fest in unserer Zivilisation und Kultur verwurzelt - hier zeigt sich deutlich die Gefährlichkeit eines Patriarchalismus, der als solcher nicht mehr benannt wird. Ein großes und oft auch unterschätztes Problem bei Diskriminierungen ist dabei insbesondere die Interdependenz von Ursache und Wirkung: Die Erkenntnis und Bekämpfung von Diskriminierungen und Vorurteilen wird nämlich dadurch erschwert, daß diese sich in einer Vielzahl von Fällen auf äußere Umstände berufen können, welche sie scheinbar rechtfertigen. Sieht man jedoch genauer hin, so sind solche Umstände nur die Folgen vorausgegangener Diskriminierung im Rahmen von Erziehung und Sozialisation150. Zu diesem Aspekt führt Rehbinder klar und lehrreich aus: "... da jedes Vorurteil zu einer entsprechenden Diskriminierung tendiert und die Diskriminierung Fakten schafft, die

146 U. Maidowski, S. 133, dort insb. FN 131, verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der "sozialen Minderheit". Dieser Status sei unabhängig von der zahlenmäßigen Stärke einer gesellschaftlichen Gruppe; auch K.-H. Ladeur, S. 42, bemerkt bei der Diskussion über die Frage der Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern durchaus die argumentative Nähe zur "Minderheitenproblematik". 147 M Rehbinder, Die Diskriminierung, in: Einführung in die Rechtssoziologie, 1971, S. 155 ff./155 m. w. N., S. 161. 148 M. Rehbinder, Diskriminierung, S. 164. Es gibt nach Rehbinder zwar auch Vorurteile ohne Diskriminierung (Bsp.: Antisemitismus, der aber i. d. R. unterdrückt wird) und Diskriminierung ohne Vorurteil, jedoch seien dies Grenzfälle (S. 163, 164). 149 Vgl. Kap. 1. 150 M Rehbinder, Diskriminierung, S. 170. Zieht hier zur Verdeutlichung das Beispiel der SchWarzendiskriminierung in den USA heran.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

das Vorurteil vordergründig rechtfertigen, kann man sagen, daß jedes Vorurteil die Tendenz hat, seine eigene Rechtfertigung zu bewirken, die es nicht mehr als Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und damit nicht mehr als Vorurteil im engeren, negativen Sinn erscheinen läßt. Ist also ein Vorurteil erst einmal in der Welt, dann kann es leicht geschehen, daß es durch einen circulus vitiosus von Ursache und Wirkung diskriminierender Praktiken aufrechterhalten und sogar verstärkt wird." 151 Bei der Problematik der Geschlechtergleichberechtigung ist also auch der Aspekt der "sich selbst erfüllenden Prophezeiung"152 zu berücksichtigen. So fand ζ. B. Just153 im Rahmen von Beförderungs- und Personalentscheidungen heraus: "Weibliche Nachwuchskräfte werden weniger gefördert als männliche, so daß ihre Aufstiegschancen geringer sind. Stellt man dann fest, daß weniger Frauen als Männer aufgestiegen sind, wird dies auf die geringe Aufstiegsorientierung und fehlende Führungsqualitäten von Frauen zurückgeführt und in der Zukunft werden sie dann entsprechend weniger gefördert."

Fazit Diskriminierung ist schon qua defmitione ein Gruppenproblem, ein kollektives Phänomen, wobei ein enger Zusammenhang zwischen Vorurteilen und Diskriminierung besteht. "Diskriminierung" kommt von 'unterscheiden'; die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau wurde immer schon v. a. zum Nachteil der Frau ausgelegt: zum menschlichen Maßstab wurde der Mann154. Letztlich resultiert hieraus bis zum heutigen Tage auch der hohe Anpassungsdruck für Frauen, die im Berufsleben im wahrsten Sinne des Wortes "ihren Mann stehen müssen". Angesichts dieser Situation erscheint es als nicht sehr ergiebig, sich darauf zu beschränken, genau das Vorhandensein und die Ursachen einer Diskriminierung aufzuspüren und zu beseitigen. Denn das Problem liegt viel tiefer - in unserem System und in unserer Kultur. Will man vor diesem Hintergrund das Prinzip der Chancengleichheit nicht zur bloßen Rechtsgleichheit herunterschrauben, so bleibt nur die Möglichkeit, anhand der Statistik auf Diskriminierungen zu schließen. So kann es etwa nicht mit "rechten Dingen" zugehen, daß Frauen trotz gleich guter bzw. oft besserer Ausbildung und Qualifikation letztlich über

151 M Rehbinder, Diskriminierung, S. 171. Die Bekämpfung von Diskriminierung durch Recht stoße deshalb auch in dieser Hinsicht auf Probleme (172). 152 "Self-fulfilling prophecy"; dazu Peter H. Ludwig, Sich selbst erfüllende Prophezeiungen im Alltagsleben, 1991, S. 139 ff. für den Bereich der Stereotypen und Stigmata. 153 Th. Just, S. 18. 154 Vor diesem Hintergrund werden auch die Bedenken der GVK-Abg. BerghoferWeichner und Schoppe sowie der Sachverständigen Maihofer gegen den Begriff der "Gleichstellung" verständlich, vgl. Kap. 2 I 1 und 2.

IV. Chancengleichheit als ergebnisorientierte Chancengleichheit

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ein gewisses Stadium einfach nicht hinauskommen bzw. in typischen "Frauenberufen" einem erhöhten Arbeitsplatzrisiko und niedrigerer Entlohnung ausgesetzt sind. Zumindest aber sind solche krassen Mißverhältnisse Alarmzeichen dafür, daß die berufsbezogenen Chancen ungleich verteilt sind. Dem kann - wie oben bereits ausgeführt wurde - auch nicht entgegengehalten werden, dies sei Ergebnis einer "freien Wahl" 1 5 5 . Dazu haben geschlechtsspezifische Erziehung und Sozialisation sowie das Rollenverständnis überhaupt noch ein viel zu großes Gewicht. Diesen Aspekt verkennt ζ. B. Laubinger 156, wenn er sagt, es könne nicht von Diskriminierung in "nennenswertem Umfang" gesprochen werden, wenn nach wie vor Frauen - aufgrund einer unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungshaltung - eben eher "geneigt" seien, "ihren Lebenskreis auf den Beruf des Mannes auszurichten". Damit stellt er nämlich die Dinge auf den Kopf. Wenn ein Mann, der keine Karriere macht, in der Tat als "Versager" gilt, eine Frau im gleichen Fall jedoch als "aufopferungsvolle Frau und Mutter" , dann liegt ja gerade darin das Problem ! Im übrigen widerspricht sich Laubinger in dieser Hinsicht selbst, wenn er am Ende seiner Ausführungen schließlich doch 'geschlechtsneutrale' Maßnahmen wie eine familienfreundliche Gestaltung von Arbeitsplätzen oder die Bereitstellung von mehr Kinderbetreuungsplätzen vorschlägt, um für Frauen und Männer gleiche Wettbewerbschancen zu schaffen 158. Wäre nämlich die Situation der Frau im Erwerbsleben, wie sie sich heute darstellt, wirklich das Ergebnis einer "freien Wahl", bräuchte man ja - bliebe man konsequent - überhaupt nichts zu ändern. D. h.: Angesichts der oben aufgezeigten subtilen mittelbaren und strukturellen Benachteiligung von Frauen sind paritätswidrige Lagen als "Indikator fortbestehender Unterschiede in den Ausgangsbedingungen, also für weiterhin zu beseitigende Chancenungleichheiten"159 anzusehen. Konkret: Eine krasse Verteilung von bestimmten begehrten (Berufs-)Positionen fast nur an Männer, ist ein Indiz für fehlende Chancengleichheit. Damit kann die "Ergebnisebene", auch wenn es um individuelle Chancengleichheit geht, nicht ganz außer acht gelassen werden, vielmehr ist sie Grundlage für eine Art "Anscheinsbeweis".

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Zu diesem Standpunkt vgl. M. Kowal, S. 447, sie nennt ihn "neokonservativ". H.-W. Laubinger, Die "Frauenquote" im öffentlichen Dienst, in: VerwArch 87 (1996), S. 169 ff., fortgesetzt S. 473 ff./509. 157 So H.-W. Laubinger, S. 509. 158 A. a. O. S. 532 f. 159 H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 418; ähnlich L. Osterloh, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 3 [n. F.] Rn. 284 f.; auch I. Ebsen, Quotierung politischer Entscheidungsgremien durch Gesetz ?, in: JZ 1989, S. 553 ff./553, läßt den Schluß von geschlechtsspezifischer Unterrepräsentation auf geschlechtsspezifische Diskriminierung zu, jedenfalls solange, "wie nicht entkräftende Besonderheiten jeweiliger Lebensbereiche dargetan sind". 156

10 Schweizer

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

2. Die Vorstellung von der "einseitigen und kostenneutralen11 Verbesserung der Lebensumstände von Frauen Nach dem gerade Gesagten ist es durchaus gerechtfertigt zufragen, weshalb für so viele Stimmen die Ergebnisebene scheinbar ein "rotes Tuch" darstellt. Die Antwort läßt sich leicht finden, wenn man einmal betrachtet, wie nach der Vorstellung vieler denn Chancengleichheit der Geschlechter aussehen soll: Schonfrüh war hier die Rede davon, eine Gleichberechtigung der Geschlechter könne und dürfe nur durch eine "Standardisierung nach oben" erreicht werden160, Ziel der Gleichberechtigung sei die "Angleichung an die Mannesstellung" 161 ; heute stellt man an Frauenfördermaßnahmen immer wieder die Anforderung, es dürfe dabei nicht der einzelne Mann benachteiligt werden. Das bedeutet: Indem man die Ergebnisebene ausblendet, hofft man, Opfer und Verzicht auf Seiten des bislang dominierenden Geschlechts vermeiden zu können. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, die (faktische) Gleichberechtigung der Frau könne sozusagen "einseitig und kostenneutral"162 ohne Verschlechterung der männlichen Position bewerkstelligt werden. Das ist jedoch nicht der Fall. Eine tatsächliche Durchsetzung von Gleichberechtigung hat zwangsläufig zur Folge, "daß jemandem etwas genommen wird, woran er hing oder worauf er hoffte" 163. Eine Standardisierung nach oben im Sinne einer Privilegierung beider Geschlechter kann es gar nicht geben. Geradezu denknotwenig - "denn wir kennen nur zwei Geschlechter"164 - kann die Situation der Frau im Arbeitsleben, in der Gesellschaft und in der Politik überhaupt nicht unabhängig von der des Mannes verbessert werden, schließlich lassen sich entsprechend begehrte Positionen nicht beliebig vervielfachen 165. Das bedeutet: Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu realisieren, bringt zumindest faktisch immer einen Abbau männlicher Privilegien und möglicherweise eine Reduzierung konkreter Chancen mit sich. Frauengleichstellung ohne 160

M. Löwisch, D 43. G. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 3 II Rn. 11. 162 R. Lautmann, S. 34. 163 R. Lautmann, S. 12. Sie vermehre insofern "Glück ebenso wie Unglück". 164 Abg. J. Limbach, GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 32. 165 Dazu M. Kowal, S. 448; Abg. J. Limbach, GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot,. S. 32; R. Lautmann, S. 12, spricht diesbezüglich von einem "Nullsummenspiel"; S. Raasch, Frauenquoten, S. 152 f.: " ... die Unterdrückung der einen Hälfte der Menschheit ist conditio sine qua non der Privilegierung der anderen Hälfte. Beide Positionen sind Kehrseiten derselben Medaille, ergänzen und stützen sich. Will man die eine Seite, die der Frauen, verändern, muß sich auch die andere Seite verändern. Die Zielsetzung, Angleichung der Frauen an die Position der Männer, ist damit nicht praktikabel." 161

IV. Chancengleichheit als ergebnisorientierte Chancengleichheit

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Opfer für die Männer gleicht der Quadratur des Kreises. In diesem Sinne ist auch Limbach zu verstehen mit ihrer Bemerkung, viele Männer würden in puncto Gleichberechtigung nach dem Grundsatz verfahren: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß."166 3. Chancengleichheit als reale Möglichkeit zur Ergebnisgleichheit und die Folgen Die Ergebnisbezogenheit einer tatsächlichen Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern zeigt sich auch noch an einem weiteren Punkt, der in der Diskussion, soweit ersichtlich, noch nicht direkt angespochen wurde. Wer für eine wirkliche Chancengleichheit eintritt, der muß auch die sich daraus ergebenden Konsequenz akzeptieren (lernen), daß eben Frauen entsprechend ihrer Qualifikation und ihrer Neigung vollerwerbstätig sind und ggf. auch Führungspositionen übernehmen. Sofern es genausoviele gut qualifizierte männliche wie weibliche Bewerber gibt, bedeutet das letztlich auch die reale Möglichkeit zur Ergebnisgleichheit. Echte Chancengleichheit bedeutet dann auch das Ende des "Doppelverdienerarguments": Die Ehe kann nicht mehr als "Versorgungsinstitut" gesehen werden, wenn sich die Frau erkennbar nicht "versorgen" lassen will. Entscheidet sich eine (Ehe)Frau für eine Erwerbstätigkeit, so will Art. 3 Abs. 2 GG nicht mehr und nicht weniger als die Geltung von Chancengleichheit garantieren, die sich in diesen Fällen in der Anwendung des Leistungsprinzips niederschlägt. Akzeptiert werden müssen dann auch alle Konsequenzen, die eine solche Entwicklung mit sich bringt - insbesondere für die Familie. Denn hier heißt es klipp und klar - die entsprechende Entscheidung der Frau vorausgesetzt endgültig Abschied nehmen vom Ideal der Hausfrauenehe und auch von einer Mutter, die sich nahezu uneingeschränkt um die Familie, insbesondere um die Kinder kümmern kann. Es muß also zu einem grundlegenden Umdenkprozeß kommen. Findet dieser nicht statt bzw. werden aus dem konsequent verstandenen Postulat der tatsächlichen Chancengleichheit keine entsprechenden Folgerungen gezogen, dann bleibt "Chancengleichheit" nur eine Illusion. Oder anders ausgedrückt: wer im Grunde genommen an den "bewährten Strukturen" festhalten will, gleichgültig ob aus familienpolitischen oder aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, der kann schon gar keine Chancengleichheit wirklich wollen. Das heißt: Eine echte Chancengleichheit mit der gleichen Möglichkeit für Mütter und Väter, erwerbstätig zu sein, würde, wenn auch nicht das Abendland 166

Abg. J. Limbach, GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 32; vgl. dazu Kap. 2 II 2 a. E.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

umkrempeln, so doch eine ganz gewaltige Veränderung gesellschaftlicher Strukturen nach sich ziehen. Entscheiden sich freiwillig (denn es kann wie schon gesagt nicht darum gehen, Frauen auf Erwerbstätigkeit zu 'trimmen') etwa genausoviele weibliche wie männliche Personen in bestimmten Bereichen für eine (Voll-)Erwerbstätigkeit, so ist als Ideal auch eine (alle Hierarchiestufen betreffende) paritätische Besetzung von Stellen durch Frauen und Männer zu akzeptieren, wenn nicht sogar anzustreben. Insoweit ist also die Diskussion um Gleichberechtigung und Gleichstellung, um Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit, in der Tat eine "Scheinkontroverse" 167. Angesichts der vielfältigen Aufgaben, die sich infolgedessen gerade im Bereich der Kinderbetreuung und der familiengerechten Ausgestaltung von Arbeitsplätzen (für Frauen und Männer) ergeben, ist deshalb dem Abgeordneten Ullman voll und ganz recht zu geben, als er bemerkte, wer "Gleichstellung" wolle, der müsse wirklich über die Schwelle. Das ist tatsächlich eine "Dimensionsfrage" 1™ \ 4. Ergebnis Chancengleichheit ernst genommen heißt also: Gleichheit der Chancen im Sinne einer realen Möglichkeit zur Ergebnisgleichheit. Diesen Bezug zur Ergebnisgleichheit wollte wohl auch der Sachverständige Simon verdeutlichen. Nach seiner Auffassung 169 sollte es bei "Gleichstellung" ja wie gesagt zwar nicht um die Herbeiführung des Ergebnisses selbst (keine Ergebnisgleichheit) gehen, jedoch um einen "ergebnisbezogenen Prozeß zur Verwirklichung einer Pflicht". Der von Schmitt Glaeser dafür gewählte Begriff der "ergebnisorientierten Chancengleichheit" 170 bezeichnet dabei treffend, worum es bei effektiver Chancengleichheit gehen muß. Die Ergebnisebene spielt dabei in zweierlei Hinsicht eine Rolle: Erstens zur Aufdeckung von Diskriminierung (Indikatorfunktion) und zweitens als mögliches und zu akzeptierendes Fernziel bei entsprechender Nachfrage von weiblicher Seite.

167

H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 420.

168

So Abg. Dr. W. Ulimann (BÜNDNIS 90/DŒ GRÜNEN), GVK, 10. Sitzung, S. 26.

Auch wenn Ulimann selbst dem Begriff "Gleichstellung" von vornherein eine paritätische Bedeutung zuspricht (a. a. O. S. 27), ändert sich dadurch an der Richtigkeit dieser Aussage nichts. 169 Sachverständiger W. Schmitt Glaeser, GVK, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 29. 170 Sachverständiger W. Schmitt Glaeser, GVK, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 29.

V. Die Nachteilbeseitigungsklausel

149

V. Die Nachteilbeseitigungsklausel 1. Die Hinwirkung auf die Beseitigung bestehender Nachteile als Überbleibsel einer "Kompensationsklausel" Die vorgeschlagenen Kompensations- bzw. Ausgleichsformeln 171, die sich letztlich nicht durchsetzen ließen, enthielten einen Fingerzeig dahingehend, auf welchem Wege das Ziel der faktischen Gleichberechtigung erreicht werden könnte und sollte. Privilegierende Maßnahmen zugunsten von Frauen, d. h. solche Maßnahmen, die an das Merkmal Geschlecht anknüpfen und darauf abzielen, die "ungleiche Verteilung der verschiedenen Formen von Arbeit" 172 zu beenden, sollten als verfassungsgemäß abgesichert werden. Genau hiergegen wandten sich die Gegner einer solchen Klausel mit dem Argument, eine pauschale Bevorzugung von Frauen sei unzulässig. Mit dem Vorschlag "Es ist Aufgabe des Staates, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und Nachteile abzubauen 1,173 sollten Kompensationsregelungen, die nicht dem Ausgleich einer konkret erlittenen Benachteiligung wegen des Geschlechts dienten, ausgeschlossen werden, der Schwerpunkt vielmehr ganz auf dem Abbau der tatsächlichen Hindernisse liegen. Wie gesehen konnten die Sozialdemokraten der konservativ-liberalen Seite im folgenden, wenn sie sich schon nicht hinsichtlich einer Kompensationsklausel durchzusetzen vermochten, so doch wenigstens noch die Verpflichtung des Staates zur 'Beseitigung' und nicht nur zum 'Abbau' bestehender Nachteile abringen. Fazit: Man kann demnach mit Fug und Recht behaupten, daß die jetzige Nachteilbeseitigungsklausel das Überbleibsel der vorgeschlagenen Ausgleichsregelung ist.

171

Dazu die Übersicht in Kap. 2 I a. E. So Abg. Dr. Konstanze Wegner (SPD), GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 36; Abg. Dr. C. Hohmann-Dennhardt (Hessen), GVK, 10. Sitzung, S. 35: " .. denn wir reden heute nicht nur über rein verfassungsrechtliche Fragen, sondern wir reden auch über das Teilen, über das Teilen von Macht, von Einfluß und von Chancen." .. "Wenn wir hier Gleichberechtigung in diesem Sinne fordern, müssen Männer auch bereit sein zu teilen. Das ist für Frauen also nicht nur eine verfassungsrechtliche Frage - es ist eine verfassungsrechtliche Hürde -, sondern auch eine Frage nach der Gerechtigkeit der Verteilung von Chancen in dieser Welt." Auch Hohmann-Dennhardt befürwortete deshalb die Einfügung einer Kompensationsklausel. 173 Vorschlag der CDU/CSU-Gruppe vom 28. April 1992, zitiert nach J. Limbach/ M. Eckertz-Höfer, S. 298. 172

150

3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

2. Das Verhältnis der Nachteilbeseitigungsklausel zur "Förderklausel" Auf den ersten Blick mutet die Formel von der Hinwirkung auf die Beseitigung bestehender Nachteile lediglich als Wiederholung bzw. Verstärkung des Förderauftrages an. Das liegt nicht zuletzt an der syntaktischen Verbindung der beiden Halbsätze durch die Konjunktion "und", die in der Regel gleichgeordnete Satzteile verbindet. Eine solche Gleichordnung im Sinne von Gleichsetzung erscheint jedoch wenig sinnvoll und könnte auch nicht die vielen Meinungsverschiedenheiten während der Diskussion begründen, wenn sowieso nur dasselbe ausgedrückt werden sollte. Man könnte höchstens versuchen, auch auf dieser Grundlage den beiden Halbsätzen eine unterschiedliche Bedeutung zu entnehmen. Diesen Versuch unternimmt ζ. B. Vogel, wenn er die beiden Satzteile zwar als gleichrangig ansieht - "Die Förderung der "tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung" der Geschlechter und die Pflicht zur Beseitigung bestehender Nachteile sind aufeinander bezogen und verstärken sich wechselseitig" 174 -, jedoch der Förderklausel einen zukunftsgerichteten und der Nachteilbeseitigungsklausel einen vergangenheitsorientierten Ansatz zuordnet175. Ein solches Verständnis ergibt sich jedoch weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte, während der eine solche Zuordnung nicht einmal erwähnt wurde. Außerdem hat auch das Hinwirken auf die Beseitigung von Nachteilen durchaus einen zukunftsbezogenen Gehalt176. Es bleibt also dabei, daß im Falle einer Gleichordnung der beiden Satzteile die Nachteilbeseitigungsklausel eine überflüssige Wiederholung des Förderauftrages wäre. Dazu muß es jedoch nicht kommen, denn der Gang der Diskussion spricht vielmehr für eine Zweck-Mittel-Relation von Nachteilbeseitigungs- und Förderklausel. Denn wie bereits erwähnt stellt die Kompromißformel der 'Beseitigung von Nachteilen' sozusagen das "Überbleibsel" der Kompensationsklausel dar, wobei letztere einen Hinweis auf mögliche Maßnahmen zur Erreichung des Ziels faktischer Gleichberechtigung enthalten hatte. Somit erscheint es als einleuchtend und sinnvoll, daß mit dem Auftrag an den Staat, bestehende Nachteile von Frauen zu beseitigen, noch immer der Weg hin zur wirklichen Gleichberechtigung aufgezeigt bzw. wenigstens angedeutet wird. Man kann nach alldem sagen, daß es - um eine Wiederholung zu vermeiden sinnvoller erscheint, die beiden Halbsätze des Art. 3 Abs. 2 GG n. F. als im Zweck-Mittel-Verhältnis stehend zu bezeichnen: Faktische Chancengleichheit 174

H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 419. H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 419. 176 Vgl. dazu die Stellungnahme der Abg. L. M. Peschel-Gutzeit (Hamburg), GVK, 23. Sitzung, S. 6: Der Staat sei dazu angehalten, "die heute und jetzt bestehenden wie auch die in Zukunft noch entstehenden Nachteile zu beseitigen". Die von Vogel aufgeworfene Unterscheidung spielt jedoch an anderer Stelle eine Rolle (Kap. 4). 175

V. Die Nachteilbeseitigungsklausel

151

soll erreicht werden durch die Beseitigung von Nachteilen, die Frauen auch heute immer noch treffen. Das schließt eine Verstärkung des Förderauftrags durch die Pflicht, auf die "Beseitigung" bestehender Nachteile hinzuwirken, ja nicht aus, im Gegenteil: Denn mit der Wortwahl "beseitigen" statt "abbauen" wurde ganz deutlich gemacht, daß die Ergänzung und damit auch der Gleichberechtigungsauftrag nicht lediglich auf die Verbesserung der Situation der Frau, sondern auf eine umfassende Beseitigung der Hindernisse abzielt177. Auch im Abschlußbericht der GVK wird von einer Verstärkung des Auftrags zur tatsächlichen Verwirklichung der Gleichberechtigung durch den Auftrag zur Nachteilbeseitigung ausgegangen178. Insofern ist auch Vogel recht zu geben. Zwischenergebnis: Die besseren Gründe sprechen für eine Zweck-MittelRelation zwischen dem Förderungsauftrag und der Nachteilbeseitigungsklausel, wobei die Feststellungen der Kompensationsklausel ("Maßnahmen zum Ausgleich ... sind zulässig") zu einem Auftrag avanciert sind, die jeweils verfassungsmäßigen Mittel - auf die sogleich eingegangen werden soll - auch einzusetzen ('Staat wirkt auf Beseitigung bestehender Nachteile hin'). 3. Inhalt der "Nachteilbeseitigungsklauser und ihr Verhältnis zur "Kompensationsklausel" Mit der Ablehnung der Kompensationsformeln waren sich die konservativliberalen Mitglieder der GVK sicher, entsprechende Ausgleichsmaßnahmen von vornherein ausgeschlossen zu haben. Zu prüfen ist, ob diese Ansicht untermauert werden kann oder ob die Auffassung Vogels, die beiden Formeln seien bedeutungsgleich179, vertretbar ist. Käme man entsprechend letztgenanntem Standpunkt zu einer Vergleichbarkeit von Nachteilbeseitigungs- und Kompensationsklausel, so könnte man dem Art. 3 Abs. 2 GG u. U. selbst Aussagen über die zulässigen und gebotenen Mittel zur Erreichung effektiver Chancengleichheit entnehmen.

177 In diesem Zusammenhang ist auch die Äußerung der Abg. L. M. Peschel-Gutzeit, 23. Sitzung, S. 6, zu sehen: Mit dem Auftrag zur Nachteilsbeseitigung werde der Auftrag zur Gleichberechtigungsdurchsetzung weiter verstärkt. 178 GVK, Abschlußbericht, BT - Ds. 12/6000, S. 50. 179 Vgl. dazu oben Kap. 2 II 3 a. E.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

a) Grammatische und historische Auslegung aa) Der Begriff der "Nachteile" Der Wortlaut "Nachteile" allein läßt nicht erkennen, ob damit nur die aus der Schwangerschaft bzw. Mutterschaft entstehenden oder sonstigen konkreten Benachteiligungen gemeint sein sollen (enges Verständnis) oder aber ob der Begriff "Nachteile" weiter zu verstehen ist im Sinne typischer sozialer Benachteiligungen von Frauen. bb) Nachteilbeseitigung als Abgrenzung zur Kompensationsklausel Der Wortlaut 'Beseitigung von Nachteilen' spricht zunächst dafür, daß an die Hindernisse selbst angeknüpft werden soll. Diese gilt es so gut wie eben möglich ausfindig zu machen, um sie daraufhin zu eliminieren. Genau dieses Verständnis von "beseitigen" hatten die konservativ-liberalen Abgeordneten in der GVK, die unter keinen Umständen eine Kompensationsklausel passieren lassen wollten. Im wesentlichen war man hier den Argumenten der beiden Sachverständigen Schmitt Glaeser und Schmidt-Jortzig gefolgt. Diese hatten sich in ihren Gutachten und während der Anhörung gegen eine Kompensationsklausel ausgesprochen: Derartige Ausgleichsregelungen, die pauschal die Frauen als Gruppe bevorzugten, stellten einen Verstoß gegen den Individualrechtscharakter der Grundrechte, insbesondere gegen das Recht des einzelnen Mannes auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 3 GG) dar. Man müsse daran festhalten, daß nur tatsächliche konkret erlittene Nachteile ausgeglichen werden dürften 180. Eine der Kompensationsklausel entsprechende Erweiterung bedeute eine "Überordnung der gruppenmäßigen Gleichstellung über die individuelle Gleichbehandlung" und verändere das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 2 GG vom "Individualrecht zum Gruppenrecht" 181. Der Staat dürfe nicht - gleich in welche Richtung - ausdrücklich normativ zu Ungerechtigkeiten antreten, "sondern nur

180

W. Schmitt Glaeser, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 29. W. Schmitt Glaeser, Schriftliche Stellungnahme, S. 118 Von diesem Standpunkt aus hielt Schmitt Glaeser auch die Typisierungsrechtsprechung des BVerfG für bedenklich, vgl. Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 30. Da Schmitt Glaeser diese Unstimmigkeiten offenbar schon vorhergesehen hatte, war er zunächst überhaupt dafür gewesen, jegliche "Nachteilsklausel", ja, die Einfügung überhaupt eines Verfassungsauftrages zu vermeiden. Die "Grundrechtsverwirklichungskompetenz", die dem Staat bei jedem Grundrecht zustehe, sei völlig ausreichend, vgl. Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 30. 181

V. Die Nachteilbeseitigungsklausel

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zur (angestrengtesten) Beseitigung faktisch bestehender Ungleichheiten". Eine "umgekehrte Diskriminierung" sei deshalb unzulässig182. Diese Gefahr "umgekehrter Diskriminierung" durch Ausgleichsmaßnahmen hielt man durch die Einfügung der Nachteilbeseitigungsklausel für gebannt183. Ganz klar äußerte sich der Vorsitzende Scholz zum Unterschied zwischen der nicht angenommenen Kompensationsklausel und der Verpflichtung des Staates, bestehende Nachteile zu beseitigen: "Das Ziel ist in der Tat, die Nachteile, die ja in der Realität sind, über die wir uns ja im Grunde einig sind, zu beseitigen, aber nicht durch die Gewährung sozusagen von Drittvorteilen, die nicht unmittelbar auf der Ebene der Nachteilbeseitigung liegen, abzugleichen."184 In diesem Rahmen der 'Beseitigung' wurde der Begriff "Nachteile" also allgemein und sehr weit auch im Sinne gesellschaftlicher Benachteiligungen verstanden185. cc) Der Standpunkt der Sozialdemokraten: Harmonisierung von Kompensations- und Nachteilbeseitigungsklausel Vorstellbar wäre es jedoch auch, "beseitigen" weit im Sinne von "aus dem Weg räumen" zu verstehen. Ziel wäre dann, daß die betreffenden Nachteile Frauen nicht mehr wirklich treffen können. Diese Auslegung liegt (gerade) noch im Rahmen des äußersten Wortsinnes. Von einem solchen weiten Verständnis ging offensichtlich Vogel aus, der wie bereits erwähnt den Versuch unternahm, den Inhalt der Kompensationsformel in den Kompromiß des Art. 3 Abs. 2 hineinzuinterpretieren. Allerdings sahen nicht alle Befürworter einer Kompensationsklausel den Kompromiß als so 'unproblematisch' an. So wurde z. T. - wie bereits während der 5. Anhörung auch von Seiten mancher Sachverständiger - ein Problem darin gesehen, daß der Terminus "Nachteile" restriktiv im Sinn von tatsächlich erlittenen konkreten Benachteiligungen ausgelegt werden könnte186, auch wenn man 182 E. Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme, S. 110. "Alles andere würde gegen Gerechtigkeitsmaßstäbe verstoßen, die der höchste materielle Bezug des Rechtsstaates sind." Er versteht darunter offensichtlich nur austeilende Gerechtigkeit. 183 So Abg. Walter Remmers (Sachsen-Anhalt), GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot. S. 25. 184 Vors. R. Scholz, 23. Sitzung, S. 20. 185 Vor diesem Hintergrund ist auch die Äußerung der Abg. U. Mascher (SPD), GVK, 23. Sitzung, S. 4, begründet, daß die CDU-Fraktion eine enge Beschränkung allein auf die Benachteiligungen aus Schwangerschaft oder Kindererziehung von sich aus verworfen habe. 186 So die Abg. C. Hohmann-Dennhardt, GVK, 23. Sitzung, Sten. Prot. S. 15; ebenso U. Sacksofsky, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 34. Sie sah die Gefahr, daß die Formulierung "bestehende Nachteile" von den Gerichten zu individualisiert ausgelegt werde. Gerichte könnten verlangen, daß die Frau konkret nachweisen

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

selbst nicht davon abrückte, Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile nach wie vor als zulässig anzusehen. Damit nahm man jedoch eine weite Auslegung von "beseitigen" vorweg, offenbar ohne zu erkennen, daß genau hier das Problem liegt. dd) Zusammenfassung Der Streit in den Beratungen in der GVK ging nicht so sehr um das Verständnis der "Nachteile", solange es sich nur um deren Beseitigung i. e. S. handelte. Niemand hatte etwas gegen die Forderung einzuwenden, daß nicht nur Nachteile, die auf biologischen Unterschieden beruhen, beseitigt werden sollten, sondern jede Art von Benachteiligung auch sozialer oder gesellschaftlicher Art, ausgelöst durch Vorurteile, Rollenverständnisse etc. Erhebliche Unterschiede ergaben sich nur bei der Frage des Ausgleichs von Benachteiligung. Hier gingen die Sozialdemokraten inzident von einem weiten Verständnis von "beseitigen" aus und blieben auch vor diesem Hintergrund bei einer ebenso weitreichenden Auslegung der "Nachteile" (gesellschaftliche Nachteile aller Art) 187 . Anders dagegen auf konservativ-liberaler Seite: Der Auftrag, bestehende Nachteile zu beseitigen, stelle klar, daß ausdrücklich keine Ausgleichsmaßnahmen legitimiert werden sollten, es sei denn, es gehe um einen Ausgleich nach konkret, d. h. im Einzelfall tatsächlich erlittener Benachteiligung wegen des Geschlechts188. müsse, welche Nachteile sie in ihrem Leben erlitten habe. Dies würde dem Zweck der Kompensationsklausel zuwiderlaufen; andere trösteten sich wegen der Ablehnung der Kompensationsklausel unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG mit der Aussicht, daß die Formulierung "Nachteile" alle "tatsächlichen, individualisierbaren sowie in typisierter Weise feststellbaren Umstände, die Frauen einzeln oder als Gruppe benachteiligen", umfaßten, so Abg. M. L. Peschel-Gutzeit, GVK, 23. Sitzung, S. 6. Auch hier gilt aber - und das wurde nicht klar ausgesprochen -, daß Voraussetzung dafür erst einmal ist, daß "beseitigen" sehr weit verstanden wird. 187 Zu weit gehend jedoch wohl U. Maihofer, Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 36. Nach Maihofer ist die Vorstellung, daß Frauen die Möglichkeit haben sollen, in der Weise und in dem Umfang erwerbstätig zu sein, wie sie es selbst möchten, nur unter folgenden Voraussetzungen realistisch: "Es muß eine Form der Arbeitszeitregelung geben, die es möglich macht, daß Frauen (allein lebend oder auch mit einem Mann/Frau lebend) Kinder erziehen und erwerbstätig sein können und daß sie das unter Umständen auch mit einem Mann tun können, der nicht bereit ist, sich im Haushalt gleichberechtigt zu verhalten." Insbesondere gegen letzteres ist jedoch einzuwenden, daß man wohl nicht alles auf "die Gesellschaft" schieben kann, wenn man sich selbst im Privatleben "unterbuttern" läßt. Der Aspekt der Eigenverantwortung darf m. E. - trotz aller Benachteiligung - nicht ganz hintangestellt werden. 188 Dieser Aspekt wurde von den Abgeordneten - soweit ihre Gespräche protokolliert sind - zwar nie in dieser Weise, d. h. ausdrücklich, angesprochen. Jedoch ergibt sich die

V. Die Nachteilbeseitigungsklausel

155

Mit diesem Minimalkonsens hinsichtlich eines individuellen Ausgleichs tatsächlich erlittener Nachteile aufgrund des Geschlechts beschritt man jedoch nicht etwa neue Wege. Vielmehr folgte die Zulässigkeit solcher Maßnahmen schon aus der alten Fassung des Art. 3 Abs. 2 GG, nämlich aus der Schutzpflicht des Staates zur Verstärkung des subjektiv-rechtlichen Gehalts des Gleichberechtigungssatzes189. b) Teleologische Interpretation Ziel des Verfassungsauftrages ist die Herstellung echter Chancengleichheit auch auf faktischer Ebene. Dieser Chancengleichheitsbegriff ist zwar durchaus ergebnisbezogen, richtet sich jedoch nicht unmittelbar auf die Schaffung von Ergebnisgleichheit. Vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, kompensierende Regelungen im Sinne der Kompensationsklausel allein könnten dieses Ziel erreichen. Dafür ist nämlich der Wortlaut einer solchen Klausel viel zu pauschal190. Es mag zwar Ausgleichsregelungen geben, die auf das Erreichen von Chancengleichheit zielen. Jedoch können von einer allgemein gehaltenen Kompensationsformel auch Maßnahmen erfaßt sein, die unmittelbar auf die Schaffung von Geschlechterparität in bestimmten Bereichen abzielen, und dies würde den Ergebnisbezug individueller Chancengleichheit wiederum überstrapazieren191. D. h.: Ohne eine genauere Beschreibung der nach einer Kompensationsklausel zulässigen "Ausgleichsmaßnahmen" (und eben das war bei den bereits genannten Vorschlägen nicht der Fall) kann man auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des neuen Vefassungsauftrages keine Vergleichbarkeit oder Gleichbedeutung der Nachteilbeseitungsklausel mit der Kompensationsklausel annehmen.

einhellige Akzeptanz dieses Standpunkt - im Wege des Umkehrschlusses - aus dem Abschlußbericht (BT - Ds. 12/6000, S. 50), in dem es im Rahmen der Erläuterungen zur Nachteilsbeseitigungsklausel heißt, daß (nur) eine "vom Nachteil losgelöste Kompensation durch einen mit der konkreten Benachteiligung sachlich nicht verbundenen Vorteil ... nicht zulässig sein [solle] "; i. ü. sprach sich ausdrücklich auch der eher konservative Sachverständige Schmitt Glaeser (Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 29) für die Zulässigkeit derartiger Ausgleichsregelungen auf individuell-konkreter Ebene aus, und die Sachverständige Sacksofsky (Schriftliche Stellungnahme, S. 100) fürchtete ja gerade, daß es - würde es zu keiner Kompensationsklausel kommen - hinsichtlich Ausgleichsmaßnahmen bei diesem Minimalkonsens bleiben könnte. 189 Vgl. dazu L. Osterloh, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Rn. 281 ff/284 und 261 zu Art. 3. 190 Ganz in diesem Sinne ist wohl auch Abg. Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU) zu verstehen, wenn er sagt, die Diskussion habe darunter gelitten, daß sehr viel mit generellen Formulierungen gearbeitet wurde und diejenigen, die die Fraueninteressen vertreten wollten, "fast nie genau sagen, was sie wollen", 23. Sitzung, S.17. 191 Zu dieser Problematik Kap. 4 VI.

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3. Kapitel: Der Gehalt des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG

c) Zusammenfassung Es kann nach Auslegung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 2. HS GG nicht festgestellt werden, daß die Nachteilbeseitigungsklausel letztlich den gleichen Gehalt wie die in der GVK nicht erfolgreiche Kompensationsklausel hat. Zweifelsfrei kann nur gesagt werden, daß die Nachteilbeseitigungsklausel den Staat dazu verpflichtet, die bestehenden Hindernisse für eine faktische Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu "beseitigen" (i. e. S). Die Frage, ob Ausgleichsmaßnahmen zu Lasten von Männern (ohne Nachweis einer vorherigen konkretindividuellen Diskriminierung) zulässig sind, kann damit nicht allein aus der "Hinwirkungsverpflichtung" des Staates beantwortet werden, sondern bedarf einer breiteren Erörterung im Rahmen der Gesamtverfassung (dazu sogleich Kapitel 4). 4. Das Ziel der Chancengleichheit als Einschränkung der staatlichen Handlungsbefugnis? Da Art. 3 Abs. 2 S. 2 2. Hs. GG eine Verpflichtung dahingehend enthält, Nachteile zum Zwecke der Chancengleichheit zu beseitigen (i. e. S.), besteht dahingehend natürlich auch eine Befugnis. Insofern ist die Nachteilbeseitigungsklausel auch eine Legitimationsgrundlage. Fraglich ist aber, ob damit sogar die Möglichkeiten des Gesetzgebers eingeschränkt sein könnten, Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen. So wird im Verwaltungsrecht etwa von Knemeyer vertreten, eine "Aufgabenzuweisungsnorm" habe nicht nur "raumöffnende Funktion", sondern auch schrankensetzenden Charakter für die Frage einer evtl. Befugnis 192, indem sie nämlich nur zu einem Handeln ermächtige, das sich im Rahmen der Aufgabenerfüllung bewege. Dieser Aspekt, der aus dem Rechtsschutzbedürfnis der Bürger gegen staatliche Maßnahmen resultiere, werde zumeist übersehen193. Da kein Grund ersichtlich ist, warum dieser Gedanke von vornherein nur auf das Verwaltungsrecht zutreffen sollte und angesichts der Tatsache, daß auch eine Staatszielbestimmung als (jedoch verfassungsrechtliche) "Aufgabenzuweisungsnorm" angesehen werden kann, stellt sich die Frage, ob entsprechend auch dem Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG eine solche begrenzte Legitimationswirkung zugesprochen werden soll:

192

Vgl. dazu F.-L. Knemeyer, Funktionen der Aufgabenzuweisungsnormen in Abgrenzung zu den Befugnisnormen, in: DÖV 1978, S.llff./ll; in gewisser Weise auch H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 21 Rn. 52 193 F.~L. Knemeyer, ebd.

V. Die Nachteilbeseitigungsklausel

157

Wäre Knemeyer zuzustimmen, würde dies für Art. 3 Abs. 2 GG bedeuten, daß von vornherein nur solche Maßnahmen zulässig wären, die der Erreichung ergebnisbezogener CAdwcewgleichheit dienen. Würden dagegen einzelne Maßnahmen darüber hinaus sogleich auf die paritätische Besetzung von Positionen, also auf das Ergebnis abzielen, so könnten diese allein schon mit Verweis auf Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG für unzulässig erklärt werden. Stellungnahme: Gegen einen solchen Begrenzungscharakter des Förderauftrages sprechen v. a. zwei Gründe: (1) Das Ziel echter Chancengleichheit läßt ja eine Parität in bestimmten Bereichen durchaus zu, indem es eine gleichmäßige Verteilung von Arbeit und leitenden Positionen als Fernziel akzeptiert und unter der Voraussetzung einer genügend hohen Nachfrage von Seiten der Frauen sogar anstrebt. Insofern könnten auch Ausgleichs- und Fördermaßnahmen zugunsten von Frauen diesem Ziel dienen, etwa wenn sie in Gestalt von Fortbildungsmaßnahmen auftreten (näher dazu Kapitel 4). (2) Wollte man aus dem Ziel der Chancengleichheit gleichzeitig eine Grenze staatlicher Handlungsbefugnis ableiten, hieße das, daß die Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG u. U. zu einer Einschränkung der Zulässigkeit frauenprivilegierender Maßnahmen geführt haben könnte, die vor der Ergänzung noch verfassungsgemäß gewesen wären. Das jedoch kann nicht Sinn und Zweck der gewollten Verstärkung des Schutzes von Frauen durch den neuen Verfassungsauftrag sein. Im Ergebnis ist daher eine Einschränkung der staatlichen Handlungsbefugnis durch die Pflicht, bestehende Nachteile zu beseitigen, abzulehnen.

4. Kapitel

Frauenforderung Insbesondere: die Quotenproblematik I. Konfliktbeschreibung Fraglich ist, ob und wenn ja inwieweit Maßnahmen einer Frauenförderung zum Ziel faktischer Gleichberechtigung zu rechtfertigen sind, die wegen einer Bevorzugung von Frauen gegenüber Männern den Tatbestand des Art. 3 Abs. 3 GG erfüllen können. Es geht also kurz gesagt um das Verhältnis des (neugefaßten) Art. 3 Abs. 2 GG zum Benachteiligungs- und Bevorzugungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG. Dieses äußerst umstrittene verfassungsrechtliche Problem wird insbesondere mit dem rechtspolitischen Instrument der Quotierung in Verbindung gebracht, obwohl durchaus auch andere Fällefrauenbevorzugender Regelungen denkbar sind. Da jedoch die Problematik immer die gleiche ist, soll das Problem der Ausgleichsmaßnahmen am Beispiel von Quotenregelungen erläutert werden. 1. Quotierung "Quotierung" bedeutet begrifflich nichts anderes als die zahlenmäßige Festlegung eines Anteils, bezogen auf eine Gesamtheit. Einem bestimmten Personenkreis soll bei der Besetzung von Positionen - vorzugsweise im öffentlichen Dienst - ein bestimmter Prozentsatz zugestanden werden1. "Frauenquoten" werden dabei als Mittel zum Abbau der Unterrepräsentation der Frauen in den verschiedenen Berufsbereichen - und dort für alle Hierarchiestufen - diskutiert2. Es werden verschiedene Arten von (gesetzlichen) Quoten3 unterschieden: Am häufigsten ist die Unterscheidung zwischen sog. "starren" und "leistungs-

1

M. Kowal, S. 446. V. Slupik, Parität, S. 119. "Insofern sind sie ein Mittel zur Herstellung von Geschlechterproporz...." 3 Es soll hier und im folgenden nur auf durch Gesetz bestimmte Quotenregelungen eingegangen werden. 2

I. Konfliktbeschreibung

159

abhängigen" bzw. "leistungsbezogenen" Quoten4, Pfarr nennt letztere auch Quoten mit vorrangiger Berücksichtigung bei gleicher (exakter: gleichwertiger) Qualifikation 5. Dabei ist Kennzeichen von starren Quoten, daß ein bestimmter Anteil der zu vergebenden Positionen zwingend mit Frauen besetzt werden muß mit der Konsequenz, daß entgegen dem Leistungsprinzip eine Frau auch einem besser qualifizierten Mann vorgezogen werden kann; dagegen wird bei der leistungsbezogenen Quote nur dann eine Frau statt eines Mannes eingestellt, wenn beide gleich qualifiziert, also gleich gut für den Posten geeignet sind, und zwar so lange, bis wiederum der festgelegte fixe Anteil an Frauen erreicht ist - man spricht deshalb auch von starren Quoten als Ergebnisquoten und Leistungsquoten als Entscheidungsquoten6. Werden die Qualifikationsvoraussetzungen ζ. T. abgesenkt, spricht man von Quoten mit Mindestqualifikation 7. Wenn daneben noch von "influenzierenden Quoten"8 die Rede ist, so ist damit hingegen keine zwingende staatliche Anordnung eines bestimmten Frauenanteils gemeint - insofern ist der Begriff mißverständlich9. Vielmehr meint "influenzierende Quotierung" den Einsatz abgestufter Mittel, um ein gewolltes Verhalten herbeizuführen, "und zwar nicht mit hoheitlich sanktionierten Zwängen, sondern vornehmlich mit Anreizen und Begünstigungen in Gestalt von Subventionen, Kreditsicherungen, Steuerermäßigungen, Auftragszusagen, Abschreibemöglichkeiten u. a."10. Ein gewünschtes Zahlenverhältnis von Männern und Frauen wird also für bestimmte Bereiche als Zielvorgabe festgelegt, ansonsten jedoch den jeweiligen Entscheidungsstellen freie Hand gelasssen, auf welche Art und Weise sie ihrer Verpflichtung nachkommen wollen11. Sofern im folgenden nicht ausdrücklich von influenzierenden oder wirtschaftlich binden-

4

Vgl. K. Garbe-Emden, S. 147; C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 30. 5 H Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 203. 6 V. Slupik, Parität, S. 121; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 205 f.; auch C. Zimmermann-Schwarz, Quotierung - ein rechtlich mögliches Instrument zur Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst ?, in: NWVB1. 1987, 65 ff./65. 7 Dazu H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 206. 8 Der Begriff stammt von W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 9. 9 Der Gegensatz zu "influenzierender Quote" ist nämlich "imperative Quotierung", vgl. W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 9; I. Weber, Die Gleichstellung der Frau im Erwerbsleben - Neue Chancen durch Quotenregelungen ?, in: DB 1988, S. 45 ff/47. 10 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 9; I. Weber, S. 47, spricht diesbezüglich von einer "flexiblen Quotierung" und schägt über die von Schmitt Glaeser angeführten Anreize auch noch Anschubfinanzierungen mit teilweiser Lohn- und Gehaltserstattung für die verstärkte Besetzung qualifizierter Arbeitsplätze mit Frauen vor; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 204, wählt deshalb auch die Bezeichnung "wirtschaftlich bindende Quoten". 11 So C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 30, zu "Quoten als Ziel vorgäbe".

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4. Kapitel: Frauenforderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

den Quoten die Rede ist, treffen die Ausführungen nicht auf diese Art "Quotierungen" zu. 2. Die Frauenförder- bzw. Gleichstellungsgesetze der Länder und des Bundes Quotierungsregeln für den öffentlichen Dienst finden sich heute nicht nur im europäischen Ausland12, sondern inzwischen auch in zahlreichen Ländergesetzen. Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Regelungen in Form und Ausgestaltung: Hinsichtlich Einstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst sieht die Mehrheit der Frauenfördergesetze eine leistungsbezogene Quotierung vor, in der Regel kombiniert mit einer expliziten bzw. impliziten "Härteklausel"13. Unter einer solchen ist die in unterschiedliche Formulierungen gegossene Bestimmung zu verstehen, daß bei im Einzelfall überwiegenden Gründen in der Person des männlichen, gleich qualifizierten Mitbewerbers für eine Position die Quotierungsregel nicht angewandt werden darf 14. Der Vorrang von (besserer) "Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG gilt jedoch nicht absolut: so bestimmen die Gleichstellungsgesetze von Bremen, Berlin, Brandenburg und Hessen, daß bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen im öffentlichen Dienst weibliche Bewerber mindestens zur Hälfte Berücksichtigung finden müssen bzw. sollen, sofern 12

Zu starren und leistungsbezogenen Quotenregelungen im öffentlichen Dienst in Schweden vgl. C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 31 ff., wobei zu beachten ist, daß damit auch ein Abbau weiblicher Überrepräsentanz im Erziehungswesen angestrebt wurde. Zur gesetzlichen Verpflichtung von schwedischen Arbeitgebern, durch positive Maßnahmen auf eine verstärkte Integration der Frau in das Arbeitsleben hinzuwirken vgl. P. Hanau, Die umgekehrte Geschlechterdiskriminierung im Arbeitsleben, in: FS für W. Herschel, 1982, S. 191 ff/200 ff. 13 Vgl. §§ 8 Abs. 4 S. 1, 25 Abs. 5 LBG NRW (geändert durch Art. 1 FFG NRW); § 7 Abs. 1, 2 LGG Rh.-Pf. (explizite Härteklausel: § 9); §§ 4, 9 BraLGG; §§ 8 Abs. 1, 2 BerlLGG; §§ 4, 5 GStG SLH (explizite Härteklausel: § 6); §§ 6, 7 HambGleichstG (Abweichungs- und Härteregel: § 8 Abs. 1, 2); Quotierungsregeln ohne Härtevorschriften: § 5 NGG (Niedersachsen); § 4 Abs. 1, 2 BremLGG; eher angedeutete, zurückhaltende Quotierung in Sachsen-Anhalt (§§4 Abs. 2, 5 Abs. 1 FFG LSA: Bei gleicher Qualifikation Unterrepräsentanz von Frauen als ein Auswahlkriterium heranzuziehen), ähnlich vorsichtig § 5 Abs. 1 GleichstellungsG M-V. 14 Beispiel für explizte Härteklausel etwa § 6 GStG SchlH: "Die §§ 3 bis 5 gelten nicht, wenn in der Person eines Mitbewerbers so schwerwiegende Gründe vorliegen, daß seine Nichtberücksichtigung auch unter Beachtung des Gebotes zur Gleichstellung der Frauen eine unzumutbare Härte bedeuten würde"; implizite Härteklausel vgl. ζ. B. § 2 FGG Saarl: Bevorzugung, "sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen"; § 8 Abs. 1, 2 LGG Berlin: Bevorzugung "unter Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit".

I. Konfliktbeschreibung

161

Frauen in den entsprechenden Ausbildungsberufen unterrepräsentiert sind15. Es handelt sich hierbei um eine Ergebnisquote unter Vorbehalt der Mindestqualifikation, die Abweichungen nur erlaubt, wenn nicht genügend Bewerbungen von Frauen mit der formal erforderlichen Qualifikation vorliegen16. Im übrigen ist zumeist in den Ländergesetzen, die eine leistungsorientierte Bevorzugung von Frauen bei Einstellung und beruflichem Aufstieg kennen, die gleiche Form von Quotierung auch bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen zu finden 17. Bewußt gegen Quotierungsregelungen jeglicher Art haben sich die Länder Baden-Württemberg18, Bayern19 und Sachsen20 sowie der Bund in seinem 1994 erlassenen Frauenfördergesetz 21 entschieden. Auch hier wird zwar unmißverständlich eine Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst angestrebt22, jedoch setzt man zur Erreichung dieses Zieles auf die Verbesserung der Gesamtumstände denn auf Bevorzugungen im Einzelfall. Schwerpunkte sind dabei Verbesserungen bei der Fort- und Weiterbildung von Frauen, die Schaffung familiengerechter, flexibler Arbeitszeiten, verstärkte Bereitstellung von Teilzeitarbeitsplätzen (auch auf Leitungsebenen) sowie Erleichterung und Förderung des Wiedereinstiegs nach Beurlaubung aus familiären Gründen23. Wo und 15 § 3 Abs. 1 BremLGG, § 7 Abs. 1 BerlLGG, § 7 Abs. 1 HG1G (Hessen), § 10 BraLGG, § 5 Abs. 2 HambGleichstG: Quote mit Mindestqualifikation nur bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen für Berufe, die auch außerhalb des öffentlichen Dienstes ausgeübt werden und für die auch außerhalb des öffentlichen Dienstes ausgebildet wird; z.T. Abschwächung des festgesetzten Anteils von Frauen für die sog. "Männerberufe" (Entscheidungsquote statt Ergebnisquote), da man offenbar von wenig weiblichen Bewerbern ausgeht, vgl. § 7 Abs. 3 BerlLGG. 16 Ausnahme: § 3 Abs. 1 BremLGG. Nach dieser Vorschrift darf die 50 %-Quote auch dann nicht durchbrochen werden, wenn nicht genügend Bewerberinnen vorhanden sind - es bleiben dann eben Ausbildungspätze frei. Zu den dennoch geringen Auswirkungen dieser Regelung vgl. D. Schiek, in: dies. u. a., Frauengleichstellungsgesetze, 1996, S. 502 Rn. 927 f. 17 Vgl. etwa § 8 Abs. 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 LGG Rh.-Pf.; § 3 Abs. 1 GStG SLH. Sämtliche Fördervorschrifien finden jedoch keine Anwendung auf Ausbildungsberufe, die auch außerhalb des öffentlichen Dienstes ausgeübt werden, für die jedoch ausschließlich der öffentliche Dienst ausbildet (ζ. B. Referendariat), vgl. etwa § 3 Abs. 2 BremLGG; § 8 Abs. 1 LGG Rh.-Pf.; § 6 Abs. 1 S. 2 NGG (Niedersachsen); § 7 Abs. 1 S. 2 HG1G (Hessen). 18 Vgl. §§ 1,9 Abs. 1 FGBaWü. 19 Art. 8 BayGlG. 20 § 8 SächsFFG; das Land Thüringen hat als einziges Bundesland ζ. Z. noch keine gesetzliche Regelung, jedoch wird auch diese Lücke in absehbarer Zeit geschlossen werden (so die Auskunft des zuständigen Fachbereichs im Januar 1997). 21 Vgl. §§ 2 und 7 FFG-Bund, Art.l des Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Zweites Gleichberechtigungsgesetz - 2. GleiBG) v. 24.6.1994, BGBl. I, S. 1406. 22 § 2 FFG-Bund, § 2 SächsFFG, § 1 FG BaWü., Art. 2 Abs. 1, 2 BayGlG. 23 Dazu §§ 6 ff. FFG-Bund; §§ 7 ff., 16 ff. FG BaWü; Artt. 7 ff. BayGlG, §§ 9 ff. SächsFFG. 11 Schweizer

1 6 2 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

wie diese "Umfeldverbesserungen" vorzunehmen sind (die natürlich auch in denjenigen Gesetzen vorgesehen sind, die zusätzlich auch eine Quotierungsregel enthalten)24, ist Gegenstand eines Frauenförderplans, wie er in sämtlichen Gleichberechtigungsgesetzen vorgeschrieben ist. Inhalt eines solchen Planes, der auf Jahre hinaus erstellt wird und gemäß den meisten Fördergesetzen alle zwei Jahre überprüft und angepaßt werden muß, ist - nach einer Analyse der Beschäftigungsstruktur und der zu erwartenden Personalentwicklung - die Darstellung, mit welchen personellen, organisatorischen und fortbildenden Maßnahmen der Anteil der Frauen an den Beschäftigten erhöht werden soll25. Konkret werden dabei verbindliche Zielvorgaben und Zeitrahmen aufgestellt. Allen Förder- und Gleichstellungsgesetzen ist also gemein, daß sie eine Erhöhung des Frauenanteils in den Bereichen des öffentlichen Dienstes anstreben, in denen Frauen bislang unterrepräsentiert sind. Obgleich nur einige Gesetze den Begriff der Unterrepräsentation ausdrücklich definieren, ist inzwischen anerkannt, daß eine solche dann vorliegt, wenn - wie es im FrauenfÖrdergesetz des Bundes heißt - "Frauen in einzelnen Bereichen in geringerer Zahl beschäftigt sind als Männer"26. Der Begriff "Bereich" ist dabei von essentieller Bedeutung. Als "Bereich" ist nämlich "derjenige Teil der Verwaltungs- bzw. Beschäftigungsstruktur anzusehen, auf den sich ein Frauenförderplan und dessen Vorgaben bzw. andere konkrete Fördermaßnahmen beziehen"27. Man unterscheidet hier zwischen "bezahlungsbezogenen" und "tätigkeitsbezogenen" Bereichen: Erstere erfassen die einzelnen Besoldungs-, Vergütungs- oder Lohngruppen. Letztere sind im Beamtenbereich die Laufbahnen, die sämtliche Ämter derselben Fachrichtung umfassen, die eine gleiche Vor- und Ausbildung bzw. eine gleichwertige Befähigung voraussetzen, einschließlich Vorbereitungsdienst und Probezeit28. Die Zugehörigkeit zu einer Laufbahn bestimmt sich dabei nach dem Eingangsamt. 24

Vgl. z. B. §§ 10 ff. LGG Rh.-Pf., §§7 ff. BremLGG, §§8 ff. HG1G (Hessen), §§9 ff. BerlLGG. 25 Zur Aufstellung eines Frauenförderplans vgl. z. B. §§ 4, 5 i. V. m. § 2 FFG-Bund; §§ 4, 5 FG BaWü; § 4 SächsFFG; §§ 5, 6 LGG Rh.-Pf.; § 6 BremLGG; § 3 GleichstellungsG M-V; §§ 5, 6 BraLGG; § 4 NGG, Artt. 4 ff BayGIG (statt "Frauenförderplan" wird hierbei der Ausdruck "Gleichstellungskonzept" bevorzugt). 26 § 2 S. 2 FFG-Bund; zu diesem "Fachbegriff des Rechts" D. Schiek, in: dies. u. a., Frauengleichstellungsgesetze, 1996, S. 497 Rn. 908; präziser jedoch Art. 2 Abs. 1 BayGIG: Ziel der Förderung von Frauen sei die Erhöhung ihres Anteils in Bereichen, "in denen sie in erheblich geringerer Zahl" beschäftigt seien als Männer (Herv. nicht im Original). 27 S. Wankel, in: D. Schiek u. a., Frauengleichstellungsgesetze, S. 327 Rn. 383. 28 Vgl. für den Bund § 11 BRRG, § 15 BBG i. V. m. § 2 Abs. 1, 2 BLV und entsprechend für die Länder die jeweiligen Bestimmungen der Beamtengesetze und der Landeslaufbahnverordnungen, z. B. § 19 Abs. 1, 2 LBG BaWü, § 1 Abs. 1, 2 LVO; § 19 Abs. 1 SächsBG, § 1 Abs. 1 SächsLVO.

I. Konfliktbeschreibung

163

Dieses wiederum richtet sich nach der jeweiligen durch Laufbahnverordnung oder Besoldungsgesetz zugewiesenen Besoldungsgruppe29. D. h.: Je nach Bereichsbestimmung verändern sich auch die Auswirkungen der Bemühungen, den Frauenanteil im öffentlichen Dienst zu erhöhen. Mit dem Abstellen auf die Bezahlung soll sichergestellt werden, daß eine Förderung von Frauen sich auch auf Leitungsebenen bemerkbar macht, während bei Zugrundelegung der Laufbahn als solcher es möglich wäre, daß - in Anbetracht der Tatsache, daß vielfach Frauen in hierarchisch niedrigeren Positionen überrepräsentiert sind bzw. in etwa Gleichverteilung zwischen den Geschlechtern besteht30 die Durchsetzung echter Gleichberechtigung im Sande verlaufen könnte. Jedoch ist in den Ländergesetzen ebenso wie im Frauenfördergesetz des Bundes regelmäßig Vorsorge getroffen worden, daß letztgenannte Gefahr sich nicht verwirklicht. Die "Bereiche" werden - immer wenn es um Einstellungen und Beförderungen geht - nicht allein tätigkeitsbezogen bestimmt, sondern zumindest auch oder sogar ausschließlich bezahlungsbezogen31. Damit wird in bemerkenswerter Klarheit ausgedrückt, daß das Ziel aller Bemühungen letztlich darin zu sehen ist, den Anteil von Frauen überall, in allen Laufbahnen und dort in allen Besoldungs- Vergütungs- und Lohngruppen, zu erhöhen, höchstens jedoch bis zur Grenze von 50 % (letzteres ist die notwendige Folge davon, daß Frauenförderung "Unterrepräsentanz" voraussetzt und eine solche wie gesagt bei einem Frauenanteil von unter 50 % angenommen wird). Ζ. T. wird darüber hinaus hinsichtlich der Besetzung von Führungspositionen durch Frauen soz. "auf Nummer sicher" gegangen, indem - wie etwa in § 3 Abs. 3 FFG-Bund ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß sich die Frauenförderung auch auf "Funktionen mit Vorgesetzten- und Leitungsaufgaben" bezieht. Gemeint sind 29

Für den Bund: § 2 Abs. 3 BLV i. V. m. §§ 23 f. BBesG; für die Länder vgl. die entsprechenden Ländervorschriflen, ζ. B. Bad.-Württ.: § 19 Abs. 2 LBG, § 1 Abs. 2 und 3 LVO i. V. m. §§ 23 f. BBesG bzw. § 3 LBesG bzw. § 1 Abs. 3 Nr. 2 LVO. 30 Dazu H.-W: Laubinger, S. 504 f. m. w. N. 31 Zur bezahlungsbezogenen und tätigkeitsbezogenen Bereichsbestimmung vgl. ζ. B. § 3 Abs. 3 FFG-Bund; rein bezahlungsbezogene Bereichsbestimmung ζ. B. in § 4 Abs. 3 BraLGG; § 4 Abs. 3 LGG Rh.-Pf.; § 4 Abs. 2 BerlLGG; § 4 Abs. 5 BremLGG; § 3 Abs. 2 HG1G, wobei in S. 2 klargestellt wird, daß die Eingangsämter von Laufbahnen nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern die Verteilung von Positionen in der gesamtem Laufbahn im Auge zu behalten ist; ähnliche "Zwischenlösung" auch in § 3 Abs. 4 FG BaWü: Zwar grds. bezahlungsbezogene Perspektive. Jedoch soll innerhalb dieser Gruppen auf Antrag der Frauenvertreterin eine weitere Differenzierung nach Laufbahn oder Beschäftigungsbereich vorgenommen werden, "wenn die Repräsentation von Frauen bei verschiedenen Laufbahnen oder Beschäftigungsbereichen innerhalb einer Lohn-, Vergütungs- oder Besoldungsgruppe erheblich voneinander abweicht"; unklar aber Artt. 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 BayGlG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 BayPVG, Artt. 4 Abs. 1, 5 Abs. 3 BayGlG. Von "Bereich" wird hier nur in bezug auf "die Dienststellen" gesprochen, unter denen jedoch die einzelnen Behörden selbst, d. h. ohne Aufspaltung nach Verdienstgruppen, zu verstehen sind.

1 6 4 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

damit faktische Über-/Unterordnungsverhältnisse aufgrund konkret übertragener Aufgaben 32, die sich nicht unbedingt auf die Bezahlungskategorie auswirken müssen. Die Fördergesetze mit ihren breit angelegten Maßnahmenkatalogen gelten nicht nur für Beamte und Richter innerhalb des objektiven Geltungsbereichs dieser beinhaltet im wesentlichen die Verwaltungsbehörden und Gerichte sowie die Gemeinden und die sonstigen (der Aufsicht des jeweiligen Landes bzw. in bezug auf das Bundes-Frauenfördergesetz der Aufsicht des Bundes unterstehenden) Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts33 -, sondern auch für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst34. An die Stelle des Begriffs Laufbahn tritt in diesem Zusammenhang i. d. R. die Bezeichnung "(Berufs-)Fachgruppe". Nicht einheitlich beantworten läßt sich die Frage, auf welche Gruppen von Beamten die Gleichstellungs- bzw. Frauenfördergesetze Anwendung finden: Im Grundsatz kann zwar festgehalten werden, daß zu den in den Gesetzen aufgeführten "Beamtinnen und Beamten" alle Personen zählen, die durch die Aushändigung einer Ernennungsurkunde in ein Beamtenverhältnis berufen worden sind - unabhängig davon, ob auf Lebenszeit, Widerruf etc. - und die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen35, es gilt hier also der sog. "staatsrechtliche" Beamtenbegriff. Jedoch gibt es im einzelnen erhebliche Unterschiede. So werden in einigen Ländergesetzen ζ. B. Wahlbeamtinnen und -beamte und/oder Ehrenbeamtinnen und -beamte oder auch die 'politischen' Beamtinnen und Beamten ausdrücklich vom personalen Geltungsbereich ausgenommen, in anderen Gesetzen hingegen nicht36. Wichtig wird dieser Unterschied insbesondere bei den kommunalen Wahlbeamten, d. h. vor allem bei Bürgermeistern bzw. Gemeindedirektoren und Beigeordneten. 32

S. Wankel, in: D. Schiek u. a., Frauengleichstellungsgesetze, S. 331 Rn. 397; dazu auch § 4 Abs. 3 LGG Rh.-Pf.; § 4 Abs. 5 S. 2 BremLGG. 33 Ζ. Β. § 1 FFG-Bund; § 3 Abs. 1 FG BaWü; § 1 SächsFFG; § 1 GleichstellungsG M-V; § 2 BraLGG; § 2 Abs. 1 HG1G; § 2 Abs. 1 LGG Rh.-Pf. 34 Zum subjektiven Geltungsbereich vgl. etwa § 3 FFG-Bund; § 3 Abs. 1 FG BaWü; § 3 Abs. 1 SächsFFG; § 3 Abs. 2 BraLGG; § 2 Abs. 5 HG1G; § 4 Abs. 2 LGG Rh.-Pf. 35 S. Wankel, in: D. Schiek u. a., Frauengleichstellungsgesetze, S. 312 ff. 36 Ausschluß von Wahlbeamtinnen und -beamten (ζ. T. auch im Rahmen eines Ausschlusses von "Beamtinnen und Beamten auf Zeit") durch Art. 3 Abs. 1 BayGIG, § 3 Abs. 2 S. 5 BraLGG, § 2 Abs. 5 HG1G, § 3 Abs. 1 SächsFFG,§ 2 Abs. 2 GStG SLH (Beschränkung des Ausschlusses auf kommunale Wahlbeamte), § 4 Abs. 2 LGG Rh.-Pf. (kommunale Wahlbeamte); Ausschluß der Geltung für Ehrenbeamtinnen und -beamte ζ. B. in § 4 Abs. 2 LGG Rh.-Pf., § 3 Abs. 1 SächsFFG i. V. m. § 4 Abs. 5 Nr. 1 SächsPersVG, § 2 Abs. 2 GStG SLH; keine Geltung für politische Beamte ζ. B. gem. § 4 Abs. 2 LGG Rh.-Pf.

II. Der Standpunkt der Rechtsprechung

165

3. Der Ausgleich von tatsächlich erlittenen "Nachteilen" Wichtig ist nochmals anzumerken, daß die hinsichtlich ihrer Zulässigkeit streitigen Bevorzugungen von Frauen wie etwa die Quote nichts mit dem Ausgleich tatsächlich erlittener individuell-konkreter Nachteile aufgrund der Gechlechtseigenschaft Frau zu tun haben. Ein solcher ist und bleibt verfassungsgemäß. Das ergibt sich schon aus der Qualität des Art. 3 Abs. 2 GG als subjektives Grundrecht. Auch in den Beratungen und Diskussionen in der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde wie bereits ausgeführt an diesem Grundsatz nicht gerüttelt37. Fragen und Probleme tauchen erst dann auf, wenn es um die Erweiterung von Ausgleichsmaßnahmen weg vom Einzelfall geht, und zwar in zweierlei Hinsicht: (1) Einmal bei der Frage, ob die Nachteile, die ausgeglichen werden sollen, auf biologische Unterschiede zurückgehen müssen oder ob auch soziale Ungleichheiten ausreichen. (2) Zweitens, wenn es darum geht, ob dieser Nachteil bei genau der Frau vorliegen muß, die den Vorteil erhalten soll, oder ob eine Generalisierung, Erweiterung auf Frauen schlechthin denkbar ist. Bevor jedoch erörtert wird, wie diese Problematik heute aufzulösen ist, soll zunächst auf die Behandlung dieses Problems unter Geltung des "alten" Gleichberechtigungssatzes eingegangen werden.

Π . Der Standpunkt der Rechtsprechung 1. Die Typisierungsrechtsprechung des BVerfG seit der Rentenalter-Entscheidung a) Die Rentenalterentscheidung Als grundlegende Entscheidung in bezug auf diese Problematik ist die bereits erwähnte Entscheidung zum Altersruhegeld zu bezeichnen. In diesem Bechluß beschränkte sich das Gericht nicht mehr darauf, Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als Rechtfertigung für den Ausgleich konkret-individueller Nachteile anzusehen, sondern ging wie gesehen38 darüber hinaus, indem es feststellte, der Gesetzgeber sei befugt, für Frauen typische soziale Nachteile durch eine Bevorzugung 37 38

Vgl. Kap. 3 V 3 a) a. E. Kap. 3 I 2 a).

1 6 6 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

von Frauen überhaupt abzugleichen, sofern der gewährte Vorteil "nicht allzu erheblich" sei. Dabei billigte das Gericht dem Gesetzgeber einen recht großen Einschätzungsspielraum dahingehend zu, "ob solche Nachteile entstanden sind, wie lange sie fortwirken und welche Maßnahmen als Ausgleich in Betracht kommen"39. Die Bevorzugung von Frauen aus Gründen faktischer Benachteiligung wurde jedoch (noch) nicht als Durchbrechung des Grundsatzes der Gleichberechtigung angesehen, sondern im Rahmen der Dogmatik des Differenzierungsverbots begründet40. D. h.: Bezogen auf die gerade genannten Erweiterungsmöglichkeiten fand formal eine Erweiterung nur in puncto (1), materiell jedoch in beide Richtungen statt. b) Das Nachtarbeitsurteil Erst im Nachtarbeitsurteil gibt es eine deutliche, wenn auch nicht gefestigte Tendenz, die Bevorzugung von Frauen aufgrund typischer gesellschaftlicher Nachteile als Durchbrechung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit zu begreifen. So heißt es in der Entscheidung: "Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden ... " 4 1 und das Gericht prüft später in der Tat, ob ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG u. U. durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein könnte42. Obwohl sich das Gericht im Nachtarbeitsurteil ausdrücklich in Übereinstimmung mit den Typisierungsgrundsätzen des Rentenalterbeschlusses sah, ist nicht zu verkennen, daß es sich diesbezüglich sehr zurückhielt. So befand es eine Typisierung trotz Anknüpfens an die Rentenalterentscheidung für unzulässig: Der soziale Befund einer häufigen Doppelbelastung der erwerbstätigen Frau reiche zur Rechtfertigung einer geschlechtsbezogenen Ungleichbehandung nicht aus. Dem nicht zu leugnenden Schutzbedürfiiis von Nachtarbeiterinnen, die zugleich Kinder betreuen und einen Mehrpersonenhaushalt zu führen haben, könne sachgerechter durch Regelungen Rechnung getragen werden, die an diesen Tatbestand anknüpfen 43, "denn die zusätzliche Belastung mit Hausarbeit und Kinderbetreuung ist kein hinreichend geschlecht^spezifisches Merkmal" 44. Diese zusätzliche Belastung treffe außerdem in ihrer ganzen Schwere nur Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern, soweit sie alleinstehen oder der männliche Partner ihnen trotz ihrer Nachtarbeit die Kinderbetreuung und den Haushalt überlasse. In gleicher Weise treffe sie auch alleinerziehende Männer und in 39 40 41 42 43 44

BVerfGE 74, 163/180. Vgl. Kap. 3 12 a) a. E. BVerfGE 85, 191/207. Herv. nicht im Original. BVerfGE 85, 191, 209 f. BVerfGE 85, 191/209. BVerfGE 85, 191/208. Herv. nicht im Original.

II. Der Standpunkt der Rechtsprechung

167

abgemilderter Form Männer und Frauen, die sich die Arbeit im Haus und mit den Kindern teilen45.

Damit führte das Gericht die individualisierende Rechtsprechung aus der Entscheidung zum Hausarbeitstag fort. In dieser hatte das BVerfG - anders als zuvor das BAG - die Gewährung eines Hausarbeitstags/Monat nur für Frauen mit eigenem Hausstand für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 2 GG a. F. gehalten, da es "unerheblich [sei], ob es für die alleinstehende berufstätige Frau der typischen Gestaltung der sozialen Verhältnisse entspricht, daß sie im Gegensatz zum Mann den Haushalt selbständig führt.... Selbst wenn dies auch heute noch zutreffend sein sollte, rechtfertigt es nicht die Benachteiligung der Männer, die ihren eigenen Hausstand tatsächlich selbst führen." 46 Es verglich damit nicht die typische Lebenssituation beider Geschlechter, sondern stellte darauf ab, daß es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Frauen und Männern in (wenn auch untypischer) individuell gleicher Lage gebe47. Dieser Widerspruch zwischen den Entscheidungen zum Hausarbeitstag und zum Altersruhegeld ist bislang noch nicht aufgelöst worden, auch nicht im Nachtarbeitsurteil, da hier das BVerfG ausdrücklich an den Grundsätzen des Rentenalterbeschlusses festhielt, auch wenn diese im konkret zu entscheidenden Fall wie gesagt keine Anwendung fanden 48. 2. Die Rechtsprechung der Fachgerichte Im Gegensatz zum BVerfG hatten sich die Fachgerichte schon einige Male mit der Rechtmäßigkeit von leistungsabhängigen Quoten im öffentlichen Dienst zu befassen. So vertrat das OVG Münster49 die Auffassung, § 25 Abs. 5 S. 2 1. HS LBG NRW, der eine leistungsbezogene Quotierung mit Härteklausel vorsieht, verstoße gegen Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (a. F.): 45

BVerfGE 85, 191/209. BVerfGE 52, 369/378. 47 BVerfGE 52, 369/378. 48 Man kann diese Diskrepanz auch nicht dadurch umgehen, indem man sagt, schließlich habe das Gericht auch in der Rentenalterentscheidung anklingen lassen, das Argument der Doppelbelastung allein hätte wohl nicht ausgereicht, um die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern zu rechtfertigen (so aber das BVerfG in BVerfGE 74, 163/180, wobei der ausdrückliche Verweis auf die Hausarbeitstagentscheidung deutlich macht, daß es zumindest ansatzweise den Widerspruch erkannte). Denn auch die übrigen Argumente, die im Rahmen des Rentenalterbeschlusses herangezogen wurden wie schlechtere Berufsausbildung etc. sind ja letztlich Auswirkungen stereotypen Rollendenkens (Antizipierung der Mutterschaft im Sinne der herkömmlichen Mutterrolle). 49 OVG Münster NVwZ 1991, S. 501 ff/502 f.; im Anschluß daran auch OVG Berlin NVwZ 1992, 1227 f.; OVG Münster NWVB1. 1992, 401. 46

1 6 8 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

Es könne nicht angehen, daß der einzelne Mannfrüheres Unrecht ausgleichen müsse bzw. dafür einstehen müsse, daß sich aus welchen Gründen auch immer weniger Frauen als Männer für die betreffende Laufbahn entschieden hätten. Eine solche Handhabung von Personalentscheidungen verstoße gegen Art. 3 Abs. 2, 3 GG. Darüberhinaus liege ein Verstoß gegen § 7 BRRG und Art. 33 Abs. 2 i. V. m. Art. 3 Abs. 2, 3 GG vor, weil die Heranziehung des Hilfskriteriums "Frau" ebenso wie etwa das Abstellen auf das Bekenntnis (Art. 33 Abs. 3 GG) unzulässig sei. Anders entschied das BAG 50 hinsichtlich der in § 4 BremLGG verankerten leistungsbezogenen Quote. Wie schon zuvor das LAG Bremen51 hielt es diese Regelung für mit dem Grundgesetz vereinbar. Wesentlich für diese Auffassung war, daß sich das BAG auf die im Nachtarbeitsurteil gemachten Ausführungen stützte mit der Konsequenz, daß das Gericht hinsichtlich Art. 3 Abs. 2 GG von einem über Absatz 3 hinausreichenden Gehalt ausging, den es so beschrieb, daß der Gleichberechtigungssatz "ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dies auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt" 52. Das Problem bei der Quote sah das Gericht in der Kollision dieses Gehaltes des Gleichberechtigungssatzes mit dem Verbot der Differenzierung wegen des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 GG. Diese Kollision sei (hier führt das BAG konsequent die Rechtsprechung des BVerfG aus dem Nachtarbeitsurteil fort) "allgemeinen Grundsätzen folgend durch Herstellung praktischer Konkordanz zu lösen"53. Ob eine Quotierung wie in § 4 BremLGG zulässig sei, könne sich deshalb nur nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zeigen. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung billigte das Gericht dem Gesetzgeber hinsichtlich der Frage der Erforderlichkeit einen Prognosespielraum zu, "ob und welche Maßnahmen er ergreift und wie er deren Effektivität im einzelnen einschätzt"54. Außerdem bestritt das BAG, daß durch eine solche Quotierung wie in Bremen über Jahre hinweg ein beruflicher Aufstieg von Männern verhindert werde, schließlich finde die angegriffene Bestimmung nur bei gleicher Qualifikation Anwendung. Einen "schützenswerten Anspruch auf Beförderung" habe hingegen "nur der qualifiziertere von zwei Bewerbern", dessen Anspruch auf Beförderung werde jedoch durch die Quotenregelung gerade nicht tangiert55. Lediglich den unbedingten Vorzug von gleichqualifizierten Frauen hielt das Gericht für problematisch, räumte jedoch diese Schwierigkeit dadurch aus dem Weg, daß es § 4 BremLGG verfassungskonform dahingehend auslegte,

50 BAG DB 1994, S. 429 ff. Inhaltlich ähnlich zur vorausgegangenen Bremer Frauenförderungsrichtlinie bereits VG Bremen, NJW 1988, 3224 ff 51 LAG Bremen, ArbuR 1992, 376. 52 BAG, DB 1994, 429 ff/430. 53 BAG, DB 1994, 429 ff./430. 54 BAG, DB 1994, 429 ff/431; damit folgt das Gericht ausdrücklich U. Battis/ Λ. Schulte-Trux/N. Weber, S. 1174. 55 BAG, DB 1994, 429 ff./431.

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

169

"daß in bestimmten Härtefällen von der grundsätzlichen Bevorzugung der Frau bei der Beförderung eine Ausnahme zu machen [sei]"56.

Als Fazit ist festzuhalten, daß es hinsichtlich der Vereinbarkeit von (leistungsabhängigen) Quoten mit dem Grundgesetz unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Rechtsprechung gab.

Ι Π . Die Ansichten zur Zulässigkeit von Frauenfördermaßnahmen, insbesondere von Quoten, im Schrifttum 1. Konsequentes Festhalten am Differenzierungsverbot ohne Aufweichung der Kriterien - die "Dogmatiker" Kritiker der Rechtsprechung hielten an der strikten Anwendung des Differenzierungsverbotes fest. Die typisierende Betrachtung und die de-factoAusweitung der "biologischen Unterschiede" auch auf gesellschaftliche Verhältnisse wurden abgelehnt. Die Dogmatik des Differenzierungsverbotes werde nämlich gesprengt, wenn eine unterschiedliche rechtliche Behandlung von Männern und Frauen schon bei geschlechtstypischen statt bei geschlechtsspezifischen Unterschieden für zulässig erachtet werde. Allein die konsequente Absage an jede Typisierung werde dem Sinn des Unterscheidungsverbotes gerecht, jeden Menschen ohne Rücksicht auf die verbotenen Merkmale nach seinen individuellen Verhältnissen zu beuteilen57. Insofern wurde denn auch die Nachtarbeits-Entscheidung hinsichtlich dessen begrüßt, daß das Gericht die typische Doppelbelastung von erwerbstätigen Frauen nicht als hinreichend geschlechtsspezifisch angesehen hatte58. Die in der Entscheidung gleichzeitig angedeutete Möglichkeit, eine Durchbrechung des Differenzierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG durch den objektiv56

BAG, DB 1994, 429 ff/431. M. Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 439; ähnlich H.-J. Menget, Maßnahmen "Positiver Diskriminierung" und Grundgesetz, in: JZ 1982. S.530 ff./534; den Symmetriegedanken des Differenzierungsverbotes betont auch E. Mohnen-Belau, Frauenförderung, S. 26 f., mit der Folgerung, Frauenförderung dürfe niemals eine unmittelbare Benachteiligung von Männern zur Folge haben. Unzulässig seien deshalb nicht nur "starre Quoten", sondern auch leistungsabhängige Quoten. Außerdem wäre es "verfehlt, aus einer Förderpflicht eine verfassungsrechtliche Benachteiligungsakzeptanz abzuleiten" (S. 27). 58 M. Sachs, Typisierende Diskriminierung der Männer im Rentenversicherungsrecht ?, in: NVwZ 1993, S.345 ff./347, der jedoch gleichzeitig bedauert, daß grds. an den Ausführungen des Rentenalterentscheids festgehalten wurde. 57

1 7 0 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

rechtlichen Gehalt des Art. 3 Abs. 2 GG zu rechtfertigen, wurde aus dogmatischen Gründen verworfen: Auch sofern eine solche Dimension anzuerkennen sei, könne diese nur der Unterstützung des primären subjektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte dienen59 (in dieser Hinsicht konnte man sich insbesondere auf die Entscheidung des BVerfG zur betrieblichen Mitbestimmung stützen60). Es sei deshalb nicht denkbar, daß objektiv-rechtliche Gehalte einmal den subjektiv-rechtlichen Abwehrgehalt eines Grundrechts überwinden könnten, ja vielmehr sei - bezogen auf den Gleichberechtigungssatz - die Geltung des rechtlichen Unterscheidungsverbots als "essentiale" jeder Chancengleichheit anzusehen61. D. h.: Auf Grundlage dieser Auffassung wurden rechtliche Bevorzugungen zugunsten von Frauen zur Überwindung gesellschaftlicher Benachteiligungen wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 GG zumeist für unzulässig gehalten62, eine Erweiterung hinsichtlich der beiden o. g. Punkte63 fand nicht statt64. Damit befand man sich auf der gleichen Linie wie das OVG Münster.

59

M. Sachs, Bedeutung, S. 140 f. spricht von einem "Hilfs- und Ergänzungscharakter" objektiv-rechtlicher Gehalte; zu ihrer "dienenden Funktion" D. Merten, Handlungsgrundrechte als Verhaltensgarantien - zugleich ein Beitrag zur Funktion der Grundrechte, in: VerwArch 73 (1982), S. 103 ff./l 11. 60 Vgl. BVerfGE 50, 290, 337 (Mitbestimmung): "Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind sie [die Grundrechte] in erster Linie subjektive Rechte ... Die Funktion der Grundrechte als objektiver Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft ..., hat jedoch ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung ... . Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt." 61 M. Sachs, Gleichberechtigung, S. 558. 62 Dagegen wurde ein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG bei Quotierungen im öffentlichen Dienst i. d. R. nicht angenommen, vgl. M. Sachs, Gleichberechtigung, S. 554 m. w. Ν ; E. Schmidt-Aßmann, Leistungsgrundsatz des Art. 33 II GG und soziale Gesichtspunkte bei der Regelung des Zugangs zum Beamtenverhältis, in: NJW 1980, S. 16 ff./18; für Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG H.-J\ Mengel, S. 535; B. SchmidtBleibtreu/F. Klein, Grundgesetz, 1990, Art. 33 II, Rz. 7. 63 ' Vgl. Kap. 4 I a. E. 64 H.-J. Mengel, S. 534, fordert ausdrücklich für eine Bevorzugung den Nachweis einer konkreten Diskriminierung der einzelnen Frau.

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

171

2. Die Lösungen von Schmitt Glaeser und Ladeur a) Die Ansicht Schmitt Glaesers zur Verfassungsmäßigkeit von Quotenregelungen Zum Teil wurden jedoch auch unter den Vertretern der "reinen Dogmatik" Bevorzugungen von Frauen aus Gründen gesellschaftlicher Benachteiligung für zulässig erachtet. So wollte etwa Schmitt Glaeser, obgleich er Quotenregelungen wie Sachs grundsätzlich als unzulässige umgekehrte Diskriminierung ("reversed discrimination") ansah65, die Zulässigkeit von Quotenregelungen für den öffentlichen Dienst im Grunde nicht völlig ausschließen. Seiner Ansicht nach ließ sich eine solche Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Gleichberechtigungsgebots im wesentlichen jedoch nur von Art. 3 Abs. 1 GG her rechtfertigen und verlangte eine "besondere Lage"66. "Eine solche Lage wird man in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG dann annehmen können, wenn der zu ordnende soziale Lebenstatbestand essentiell unvergleichbar ist, d. h. wenn er vom Geschlecht der Betroffenen abgesehen, weitere Elemente umfaßt, die ihrerseits nicht gleich sind. Zu diesen essentiell ungleichen Elementen gehören in erster Linie auch Fakten, die ζ. B. weibliche Bewerber am Arbeitsmarkt erheblich benachteiligen, die faktische Ungleichheit also gleichsam so groß ist, daß die rechtliche Gleichbehandlung zur reinen Theorie wird. Nur eine gewichtige "Wirklichkeitsverzerrung" rechtfertigt trotz Art. 3 Abs. 2, 3 GG die Bevorzugung des benachteiligten Geschlechts."67

Allerdings schränkte er die Möglichkeiten zulässiger Quotierung wieder erheblich ein: so könne ein statistisches Ungleichgewicht von Männern und Frauen in einem bestimmten Bereich für die Ermittlung einer Wirklichkeitsverzerrung nicht ausreichend sein68 und auch bei der Höhe der Quote seien keine generellen Aussagen angebracht69. Aus praktischen Gründen, die jedoch auch rechtlich erheblich seien - das Recht könne schließlich nichts Unmögliches verlangen und der Gesetzgeber nichts anordnen, was sich letzten Endes doch nicht durchführen lasse70 - hielt er außerdem Einstellungsquoten für "nicht machbar"71, da es schließlich noch andere unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen gebe bzw. man auch im Hinblick auf die anderen Merkmale des Art. 3

65 66 67 68 69 70 71

W; Schmitt Glaeser, Abbau, S. 34. W: Schmitt Glaeser, Abbau, S. 34. Jedoch nur für den öffentlichen Dienst. W; Schmitt Glaeser, Abbau, S. 34. W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 48. Dazu W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 65. W: Schmitt Glaeser, Abbau, S. 47. Abau, S.47.

1 7 2 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

Abs. 3 eine regelrechte "Quotierungswelle" 72 bzw. ein "Quotierungspuzzle 1,73 zu befürchten hätte. Letztlich hielt Schmitt Glaeser Frauenquoten als ultima ratio nur bei Beförderungen hinsichtlich Art. 3 Abs. 2,3 GG für zulässig74. Art. 33 Abs. 2 GG stehe solchen Regelungen nicht entgegen. Vielmehr zeigten die Ausnahmeregelungen für Schwerbehinderte, Spätheimkehrer u. a.75, daß die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG nicht in sich abgeschlossen seien76. Allerdings müßten für Frauenquoten die QualifikationsVoraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GG gewahrt bleiben, denn die Bevorzugung von Frauen sei mit den vorgenannten Regelungen nicht zu vergleichen. Die Begründung dafür lautet kurz und bündig: "Dies wäre nicht Gleichberechtigung, sondern geschlechtsbezogenes Mitleid."77 Für die Privatwirtschaft lehnte Schmitt Glaeser hingegen jegliche imperative Quotierung als tiefgreifenden und damit unzulässigen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers ab78, wobei er auf die Artt. 2 Abs. 1, 12 und 14 GG verwies sowie darauf, daß die Möglichkeiten einer gesetzlichen Quotenregelung im Privatbereich nicht extensiver sein könnten als im öffentlichen Dienstrecht. Einzig für den (privaten) Ausbildungsbereich sah er aufgrund der besonderen Wichtigkeit der Ausbildung für das spätere (nicht nur berufliche) Leben und der ungebrochenen gechlechtsspezifischen Aufteilung der Ausbildungsberufe größere Möglichkeiten für eine zulässige (leistungsabhängige) Quotierung79, wobei er hier zwischen Groß- und Kleinbetrieben eine Unterscheidung vornahm: Bei Kleinbetrieben hielt er Quotierungen erstens für nicht praktikabel und zweitens aufgrund eines engeren personenrechtlichen Bezuges zwischen Arbeitgeber und Auszubildenden für den Arbeitgeber unzumutbar80. b) Der Standpunkt Ladeurs Im Gegensatz zu Schmitt Glaeser, dessen dogmatische Begründung mit dem Abstellen auf den allgemeinen Gleichheitssatz und dem Erfordernis einer

72

Abbau, S. 46; ebenso ders., Die Sorge des Staates um die Gleichberechtigung der Frau, in: DÖV 1982, S. 381 ff./388. 73 Abau, S. 47. 74 Abbau, S. 47 f. 75 Dazu § 4 SchwbG, § 9 a HeimkG, § 10 SoldatenversorgungsG. 76 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 44. 77 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 44. 78 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 60 f. 79 Abbau, S. 62 ff.; zur Wichtigkeit des Ausbildungsbereiches s. u. Kap. 4 VI 4. 80 Abbau, S. 64.

III. Die Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

173

"Wirklichkeitsverzerrung" unklar bleibt, läßt sich Ladeurs Auffassung besser einordnen: Zunächst ist Ladeur wie Sachs der Ansicht, die Verwirklichung faktischer Gleichberechtigung durch Diskriminierung von Männern sei grundsätzlich ein Verstoß gegen das abwehrrechtliche Prinzip 81. Allerdings folgt daraus anders als bei Sachs keine apodiktische Ablehnung jeglicher Quotierung. Vielmehr hält sich Ladeur eine "Hintertür" offen, wenn er sagt, eine Restriktion der Gleichberechtigung müsse eben vor dem abwehrrechtlichen Prinzip des Art. 3 Abs. 2 GG begründet werden82. Ladeur ging von den Bevorzugungsregelungen für Spätheimkehrer, Behinderte u. a. aus: Diese Minderheiten, die von staatlicher Seite aus - teils auch bei eindeutig niedrigerer Qualifikation - bevorzugt werden, stellten eine in sich konsistente Gruppe mit etwa gleich stark Betroffenen dar. Ladeur bezeichnet sie als "Sondergruppen", "die mehr oder weniger aus der Reichweite der gleichsetzenden Funktion der Diskriminierungsverbote ausgegliedert werden"83. Die Bevorzugung dieses Personenkreises sei für Nicht-Behinderte oder NichtHeimkehrer ein Zwang, dem diese sich leichter beugen könnten als der Bevorzugung anderer Gruppen, handele es sich doch bei dem jeweiligen bevorzugten Personenkreis auch um eine "relativ kleine Gruppe ..., die auch im übrigen vielfach benachteiligt ist" 84 . Ene solche Situation sei jedoch bei "den" Frauen in ihrer Gesamtheit nicht gegeben85: Ladeurs Standpunkt beruht auf der These, daß sich die Lebenssituationen von Frauen sehr viel stärker unterscheiden als die des vorgenannten Personenkreises (Sondergruppen)86. So würde eine pauschale Bevorzugung aller Frauen auch solche Frauen bevorzugen, die eine solche gar nicht nötig hätten,

81

K.-H Ladeur, S. 40 f. K -Η. Ladeur, S. 41 re. Sp. unten. 83 Κ.- H Ladeur, ebd. S. 42. 84 K.-H Ladeur, ebd. S. 42. Daß etwa die Sonderregel des § 4 Abs. 1 SchwbG noch nie in Frage gestellt wurde, beruht schlicht und einfach auf gesellschaftlichem Konsens über die Zulässigkeit dieser Regel, C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 31 FN4. 85 Auf den Aspekt des Konsenses, der gesellschaftlichen Akzeptanz auch für die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter stellen außer Ladeur auch E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 184, und W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 15 f., ab. Zur Kritik daran als 'logischer Zirkelschluß' H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 32: "Voraussetzung für kompensatorische Regelungen ist deren gesellschaftliche Akzeptanz. Weil es an Akzeptanz der Frauen im beruflichen und gesellschaftlichen Bereich fehlt, soll diese durch entsprechende Förderung von Frauen erreicht werden; die Förderung ist aber wegen der fehlenden Akzeptanz unzulässig." 86 K.-H Ladeur, S. 43. 82

1 7 4 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

"die sich [bereits] duchgesetzt haben"87. Demgegenüber gebe es aber sicherlich einzelne Teilgruppen innerhalb der großen Masse der Frauen, bei denen die Benachteiligungen so gravierend seien, "daß die Möglichkeit zur Bildung von Sondergruppen, für die die Diskriminierungsverbote flexibilisiert werden, nicht als funktionswidrig erscheint"88. Ladeur hielt deshalb eine leistungsbezogene Quotierung (im öffentlichen Dienst) dann für zulässig, wenn alles getan werde, um sozusagen sicherzugehen, daß auch nur der tatsächlich belastete Personenkreis etwas davon habe: Zulässig wäre seiner Ansicht nach eine Sollvorschrift gewesen, die in der Regel eine bevorzugte Einstellung von Frauen bei gleicher Eignung vorgesehen, dabei aber die Berücksichtigung von Sonderfällen zugunsten von Männern nicht ausgeschlossen hätte89. Das geschlechtsbezogene Diskriminierungsverbot sei insofern teleologisch zu reduzieren 90. Damit sollte letztlich die gleiche Situation wie bei den "Sondergruppen" hergestellt werden; die bevorzugte Gruppe fällt sozusagen aus dem Diskriminierungsverbot heraus. Wie Schmitt Glaeser, so war auch Ladeur der Ansicht, daß Art. 33 Abs. 2 GG lediglich eine leistungsorientierte Quotenregelung zulasse, und zwar deshalb, weil Art. 33 Abs. 2 GG gerade auch dem Schutz der Funktion des öffentlichen Dienstes diene91. 3. Stellungnahme zu den dargestellten Ansätzen Als Hauptproblemfrauenbevorzugender Maßnahmen wurde das Verhältnis Art. 3 Abs. 2 GG a. F. zu Art. 3 Abs. 3 GG angesehen. Hält man konsequent an der Deutung von Art. 3 Abs. 2 GG als Differenzierungsverbot und an dem Vorrang des subjektiv-rechtlichen Gehalts vor dem objektiv-rechtlichen fest, dann ist die Ablehnung jeglicher generalisierender Frauenprivilegierung nur folgerichtig. Dieser dogmatischen Klarheit widerspricht es, wenn man wie etwa Schmitt Glaeser im Falle einer "Wirklichkeitsverzerrung" doch Privilegierungen (zumindest theoretisch) zulassen will, ohne eine einleuchtende Begründung darzulegen (der kurze Verweis auf Art. 3 Abs. 1 GG erscheint etwas befremdlich). Eine dogmatisch besser begründbare Möglichkeit, trotz der gerade genannten

87 K.-H Ladeur (ebd. S. 43) kritisiert hier soz. das Gießkannenprinzip. Auf diesen Einwand wird später noch einzugehen sein. 88 K -Η. Ladeur, S. 43. 89 K -Η. Ladeur, S. 44 - zu den einzelnen Forderungen im Detail an eine nach seiner Auffassung Zulässige Quotierungsvorschrift (Gesetz) vgl. S. 44 ff. 90 K -Η. Ladeur, S. 44. 91 K.-H. Ladeur, S. 43.

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

175

Prämissen zu einer zulässigen Bevorzugung zu kommen, zeigte jedoch Ladeur auf, indem er den Weg der teleologischen Reduktion wählte.

4. Die Herstellung "praktischer Konkordanz" Vom größten Teil des Schrifttums bekam das BVerfG Zustimmung hinsichtlich seiner grundsätzlichen Annahme, daß eine Durchbrechung des Gebot der Rechtsgleichheit nicht nur bei Vorliegen entsprechender biologischer Unterschiede, sondern auch zum Ausgleich gesellschaftlicher Benachteiligungen zulässig sein kann. Diesbezüglich wurde überwiegend mit der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem objektiv-rechtlichen Gehalt und dem subjektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 3 Abs. 2, 3 GG "gearbeitet" - es sei ein "schonender Ausgleich erforderlich, der so weit als möglich das subjektive Grundrecht mit der durch die Sozialstaatsklausel beeinflußten objektiven Wertentscheidungen in Einklang bringt" 92 . Leistungsabhängige Frauenquoten wurden vor diesem Hintergrund zumindest für den öffentlichen Dienst 93 , zum Teil auch im Rahmen der Privatwirtschaft für zulässig gehalten.

92 E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 155; für Herstellung praktischer Konkordanz auch M. Eckertz-Höfer, Frauen kommen ... Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot, in: FS für H. Simon, 1987, S. 447 ff./472; I. Ebsen, Gleichberechtigung im Arbeitsleben, S. 115 ff.; C. Fuchsloch, Erforderliche Beseitigung des Gleichberechtigungsdefizits oder verfassungswidrige Männerdiskriminierung ?, in: NJW 1991, S. 442 ff./444; H. Pfarr/C. Fuchsloch, S. 2203; H Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 78 ff.; unklar U. Bumke, Art. 3 GG in der aktuellen Verfassungsreformdiskussion: Zur ergänzenden Änderung des Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, in: Der Staat 32 (1993), S. 117 ff/127 f./132 ff., die sich zwar ausdrücklich für eine Lösung im Wege der Herstellung praktischer Konkordanz ausspricht, im Anschluß daran jedoch die These aufstellt, dies ziehe im Hinblick auf frauenprivilegierende Maßnahmen keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne einer Überprüfung von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i. e. S. nach sich. M. E. bleibt im dunkeln, mit welchem Konstrukt und v. a. welcher Begründung sie zu der Schlußfolgerung kommt, die Geeignetheit und Erforderlichkeit solcher Maßnahmen ergebe sich aus Art. 3 Abs. 2 GG a. F. allein, der eine staatliche Gestaltungsbefugnis für derartige geschlechtsspezifischen Bevorzugungen enthalte. 93 Vgl. E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 168 ff.; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 95.; I. Ebsen, Gleichberechtigung im Arbeitsleben, S.116 f.; K. Garbe-Emden, 166 f.; C. Zimmermann-Schwarz, S. 70; Friauf jedoch, der die Idee eines Verfassungsauftrages erst "salonfähig" gemacht hatte, ist diesbezüglich wohl etwas vorsichtiger: auch wenn eine Unterrepräsentation von Frauen auf verschiedenen Ebenen des öffentlichen Dienstes mit den strukturellen Problemen von verheirateten Beamtinnen oder v. a. Beamtinnen mit Kindern zusammenhingen, ist nach seiner Ansicht zunächst zu prüfen, wie man diese Nachteile durch Maßnahmen "bei der Ausgestaltung der Dienstzeiten, der Zuweisung geeigneter Dienstposten, Maßnahmen zur Kinderbetreuung usw." abbauen könne (so K. H. Friauf, Grundrechtsprobleme bei der Durchführung von Maßnahmen zur Gleichberechtigung, 1981, S. 32).

1 7 6 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

Grund dafür war die einhellige Meinung, ein unüberwindlicher Vorrang der formal-subjektiven Seite würde den Gleichberechtigungssatz zu einer "Besitzstandsklausel männlicher Bevorzugung" machen94. Wie schon Helene Lange95 sah man, daß Rechtsgleichheit nur die Schale, aber nicht der Kern, nur eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für eine tatsächliche Gleichberechtigung sein konnte. Wollte man diese erreichen, sei es unvermeidbar, Männer mit dem Verlust konkreter Rechtspositionen zu konfrontieren (Gleichberechtigung als Nullsummenspiel). Nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz mußte allerdings eine solche Benachteiligung von Männern zumutbar sein, weshalb ein völliger Ausschluß gleichqualifizierter Männer für eine Position als unzulässig angesehen wurde. Unter dem sozialstaatlichen Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit 96 hielten die meisten deshalb eine Härteklausel im Rahmen einer Quotierung für unverzichtbar. a) Quoten im öffentlichen

Dienst

Einhellige Ansicht im Rahmen dieses Ansatzes war, daß Art. 33 Abs. 2 GG Quotenregelungen im öffentlichen Dienst nicht entgegenstehe, sofern die Geschlechtseigenschaft nicht die Qualifikationsanforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG berühre 97. Teilweise wurde jedoch angesichts der Ineffektivität leistungsorientierter Quoten98 versucht, die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG aufzuweichen, sei es dadurch, daß man aufgrund der vielfältigen Benachteiligungen von Mädchen und Frauen zu dem Ergebnis kam, ihre Leistungen müßten entsprechend höher

94

C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 45; U. Battis/ Α. Schulte-Trux/N. Weber, S. 1171; zustimmend E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 116 f.; zu diesem Dilemma auch K. Garbe-Emden, S. 161 ff./163; S. Raasch, Chancengleichheit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, in: DuR 1985, S. 319 ff./319; M. Eckertz-Höfer, S. 467; A. Dix, S. 375. 95 Vgl. Kap. 3 II 1 Fn. 422. 96 So E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 191: "Es muß demnach Einzelfallgerechtigkeit erreicht oder doch angestrebt werden. "Außerdem wurde der Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit auch aus dem Sozialstaatsprinzip gefolgert, wobei der Frage, ob zur Rechtfertigung des Gleichberechtigungsgebots das Sozialstaatsprinzip noch gesondert herangezogen werden sollte, kein Gewicht beigemessen wurde (U. Battis/A. Schulte-Trux/N. Weber, S. 1170). 97 Vgl. nur U. Battis/A. Schulte-Trux/N. Weber, S. 1166; C. Fuchsloch/I. Weber, G schlechterquoten im öffentlichen Dienst, in: ArbuR 1994, S. 409 ff./415. E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 179 ff. 98 Vgl. dazu nur W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 46.

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

177

bewertet werden" oder daß Differenzierungen beim Merkmal "Eignung" vorgenommen wurden 100 : So könne sich aus der speziellen Eignung von Frauen für Tätigkeitsbereiche, in denen sie bislang unterrepräsentiert oder gar nicht vorhanden waren, eine daraus folgende größere Gesamtqualifikation (eben aufgrund besserer Eignung) ergeben, und zwar auch dann, wenn etwa männliche Bewerber in den Aspekten Befähigung und fachliche Leistung besser eingeschätzt würden. In diesem Zusammenhang wurde die Möglichkeit einer solchen speziellen Eignung nicht nur dann angenommen, wenn spezifisch weibliche Problemstellungen konkret zum Arbeitsbereich der Diensstelle gehörten, sondern überall dort, "wo Frauen bisher nicht oder nur marginal vorkamen" 101 . Dabei verzichtete man jedoch nicht auf jegliche Qualifikation, sondern gedacht war offenbar mehr an eine Quote mit Mindestqualifikation 102. Zu gleichen Ergebnissen kam man auch, wenn man Art. 33 Abs. 2 GG als durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG einschränkbar sah mit dem Argument, schließlich zeigten schon bestehende leistungsunabhängige gesetzliche Bevor-

99 Diesen Gedanken hatte K. Garbe-Emden, S. 164 f. FN 5, da "es eine weibliche Lebensgeschichte ohne geschlechtsspezifische Diskriminierung nicht gibt"; vgl. dazu auch die Abg. L. M. Peschel-Gutzeit, GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 31: "Der oft gehörte Satz, es dürfe doch nicht einem individuellen Mann die Last auferlegt werden, den Nachteil auszugleichen, den Frauen in der Vergangenheit erfahren hätten, ist ebenso griffig wie falsch; denn die bis heute bestehende Benachteiligung von Frauen im Berufsleben hat natürlich und notwendig ihre Entsprechung in einer Bevorzugung von Männern. Der heute und hier konkurrierende männliche Mitbewerber hat seine sog. Positivdiskriminierung längst erlebt." 100 So H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 95. Sie spricht diesbezüglich von einer "Modifizierung" des Leistungsprinzips; S. Raasch, Chancengleichheit, S. 332. 101 H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 93; ebenso S. Raasch, Chancengleichheit, S. 333: "In einer Situation der Unterrepräsentanz von Frauen in bestimmten Bereichen und Funktionen des öffentlichen Dienstes sind Frauen nämlich "geeigneter" als Männer, die durch diese Unterrepräsentanz hervorgerufenen Probleme und Mängel zu beseitigen"; in die gleiche Richtung C. Fuchsloch, Gleichberechtigungsdefizit, S. 443; die meisten Frauenförder- und Gleichstellungsgesetze sind an diesem Punkt etwas vorsichtiger und schreiben - wenn es um die Ermittlung der Qualifikation geht - eine Berücksichtigung typisch weiblicher Erfahrungen und Kompetenzen aufgrund Familien- oder ehrenamtlicher Arbeit (die in § 9 Abs. 2 NGG im Sinne von "Flexibilität, Kommunikations- und Teamfähigkeit, Tatkraft und Organisationsfähigkeit" näher beschrieben werden) ausdrücklich nur dann vor, sofern diese bei der Ausübung der jeweiligen Tätigkeit dienlich sind, vgl. § 4 Abs. 4 BremLGG,§ 5 Abs. 2 GleichstellungsG M-V, § 9 Abs. 2 NGG (Niedersachsen), § 9 Abs. 2 BraLGG; ebenso auch z. B. § 7 Abs. 2 LGG Rh.-Pf., Art. 8 Abs. 2 BayGlG (beide Gesetze nach der Grundgesetzänderung erlassen); unklar § 8 Abs. 3 BerlLGG, § 9 HambGleichstG. 102 So spricht z. B. S. Raasch, Chancengleichheit, S. 333, von 'entsprechend fachlich qualifizierten Frauen', bei denen jedoch geringfügige Nachteile auf der fachlichen Ebene im Vergleich zu männlichen Konkurrenten durch bessere Eignung aufgewogen werden könnten. 12 Schweizer

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4. Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

zugungen bestimmter Bevölkerungsgruppen (Schwerbehinderte, Heimkehrer etc.), daß Art. 33 Abs. 2 GG beschränkt, modifiziert oder auch durchbrochen werden könne 103 . b) Frauenförderung in der Privatwirtschaft: Beschäftigungsbereich Größere Unterschiede als bei der Frage der Zulässigkeit von Frauenquoten im öffentlichen Dienst gab es hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Quoten in der Privatwirtschaft, wobei es diesbezüglich hier bei einigen skizzenhaften Bemerkungen sein Bewenden haben muß: aa) Einmal gab es eher pauschale Ansätze wie etwa bei Benda, der den Ordnungsgedanken einer freien sozialen Marktwirtschaft in die Waagschale warf und deshalb Quotenregelungen jeglicher Art für die Privatwirtschaft als unzulässig erachtete 104. Teilweise wurde auch mit dem 'personenbezogenen Element' des Dauerarbeitsverhältnisses sowie wiederum mit dem Argument des gesellschaftlichen Konsenses und sozialer Akzeptanz argumentiert 105. bb) Hinsichtlich der einzelnen Grundrechtsvorschriften wurde ein Eingriff in die Unternehmerfreiheit (Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG) angenommen 106 , der zumeist jedoch - ein pauschale Antwort auf die Frage gebe es 103

So H. Pfarr/C. Fuchsloch, S. 2206. E. Benda, Schriftliche Äußerung, S. 63, hält es mit dem bestehenden Ordnungsgedanken einer freien sozialen Marktwirtschaft für unvereinbar, "wenn der Staat über die geltenden zivilrechtlichen Diskriminierungsverbote hinaus Arbeitgebern vorschreiben wollte, wen sie als Mitarbeiter einstellen wollen"; bestätigt auch in: ders., Sten. Prot, der 5. Öffentlichen Anhörung der GVK, S. 3. Es ist allerdings nicht so, daß Benda der herrschenden Ansicht, das Grundgesetz enthalte keine Festlegung auf eine bestimmte "Wirtschaftsverfassung", widersprechen wolle. Benda bezog sich hier durchaus auf die Einzelaspekte "Vertragsfreiheit", "Berufs-(Unternehmer-)freiheit" sowie auf den Gesichtspunkt des "Eigentumsschutzes". 105 1. Weber, S. 47. Ein Konsens lasse sich nicht feststellen, "nicht einmal bei den betroffenen Frauen selbst"; Sorge vor einem Bumerang-Effekt bei D. Coester-Waltjen, Zielsetzung und Effektivität eines Antidiskriminierungsgesetzes, in: ZRP 1982, S. 217 ff./221. 106 Betroffen sei dabei die Berufsawiwòwwgjfreiheit Zur Berufsfreiheit der Arbeitgebers vgl. H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 103 ff./insb.l04. Pfarr stimmt hier ausdrücklich mit K. H. Friauf Grundrechtsprobleme, S. 18, überein, "daß Maßnahmen, die den Arbeitgeber verpflichten, einen bestimmten Anteil von Frauen einzustellen bzw. bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eingestellt zu haben, nur als Regelungen der Berufsausübung anzusehen sind." Art. 14 GG hingegen wurde gemeinhin als nicht einschlägig erkannt: K. H. Friauf, Grundrechtsprobleme, S. 28 f., führte diesbezüglich zwar als denkbares Gebiet das Wohnungsmietrecht an, wies jedoch auch daraufhin, daß Art. 14 GG recht selten als Prüfungsmaßstab in Betracht komme; zustimmend Κ Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 108, mit der Feststellung: "Insgesamt muß die Eigentumsgarantie für das Problem der Zulässigkeit von Quotenregelungen als eine nur sekundär und höch104

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

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nicht, die Maßnahme sei in jedem Einzelfall anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu überprüfen - unter der Voraussetzung gleichwertiger Qualifikation als noch verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen wurde. Als zulässig angesehen wurden in diesem Rahmen - wenn überhaupt - nur leistungsabhängige Quoten 107 . cc) Unterschiedliche Auffassungen bestanden hinsichtlich der Frage, ob auch die Berufsfreiheit der konkurrierenden männlichen Bewerber durch (leistungsbezogene) Quotierungen tangiert werde. Überwiegend wurde dies verneint mit dem Argument, der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG umfasse weder ein Recht gegenüber Unternehmen der Privatwirtschaft auf Einstellung oder Beförderung noch einen Abwehranspruch gegen staatlich geförderte Konkurrenz 108 . Andere hingegen bejahten durchaus einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG und wandten sich gegen das Argument, leistungsbezogene Frauenquoten versperrten schließlich nicht gänzlich den Berufszugang für Männer, wirkten vielmehr lediglich chancenmindernd und nicht chancenausschließend109. Damit werde der Schutzbereich der Berufsfreiheit verkannt, der nicht erst bei einer absoluten Zugangssperre Platz greife 110 , Art. 12 Abs. 1 GG

stens in Einzelfällen relevante Schutznorm angesehen werden"; K. Garbe-Emden, S. 169 f.; auch Art. 9 Abs. 3 GG sei nicht verletzt, vgl. H Pfarr/C Fuchsloch, S. 2205, im Anschluß daran M. Sachs Gleichberechtigung, S. 554; dazu auch H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 108 ff.; K. Garbe-Emden, S. 170 ff. 107 C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 39 f., mit Effektivitätsbedenken; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 218 f., allerdings ebenfalls mit Bedenken hinsichtlich der Effektivität solcher Regelungen; I. Ebsen Gleichberechtigung im Arbeitsleben, S. 117, mit dem Zusatz, daß unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit i. e. S. Ausnahmen im Einzelfall, insbesondere zugunsten von Kleinunternehmen, geboten sein könnten. 108 H Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 102 f.: "Frauenfördermaßnahmen in der Form von Frauenquoten berühren nicht den Schutzbereich der Berufsfreiheit männlicher Arbeitnehmer"; vgl. auch O. Deinert, Frauenförderung beim Zugang zu Ämtern, in: RiA 1996, S. 5 ff., der im Rahmen der Prüfung, inwieweit männliche Mitbewerber gegen die Bevorzugung einer Frau im Rahmen einer beamtenrechtlichen Konkurrentenklage vorgehen können, ebenfalls nur Art. 3 Abs. 2, 3 GG als Prüfungsmaßstab heranzieht, nicht aber Art. 12 GG; selbst E. Mohnen-Belau, S. 29 f., obgleich Quotenregelungen ablehnend gegenüberstehend, geht davon aus, daß bei einer staatlichen Frauenquote kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 (Berufsausübungsfreiheit) hinsichtlich männlicher Konkurrenten vorliegt; auch nach C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 48, verstoßen nur starre, nicht jedoch leistungsabhängige Quoten gegen Art. 12 Abs. 1 und auch Art. 3 Abs. 1 GG hinsichtlich der Mitbewerber, vorrangiges und ausschlaggebendes Auswahlkriterium sei schließlich die Qualifikation der einzelnen Bewerber, der einzelne habe keinen Anspruch auf eine bestimmte Arbeitsstätte; H. Pfarr/ C Fuchsloch, S. 2204. 109 Vgl. H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 100 f. im Zusammenhang mit dem Ausbildungsbereich, was jedoch für die grundsätzliche Problematik keine Rolle spielt. 110 R. Francke/B. Sokol/E. Gurlit, S. 132 (ebenfalls vor dem Hintergrund des Ausbildungsbereichs).

1 8 0 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

schütze nämlich auch das Recht, ohne staatliche Behinderung im Erwerbsleben zu konkurrieren 111. Die Frage, ob eine Frauenquote die Chancen für Männer nur mindere, jedoch nicht auschließe, spiele erst bei der Frage der Verhältnismäßigkeit eine Rolle112. Alles in allem ist festzustellen, daß bei der Frage der Zulässigkeit gesetzlicher Frauenquoten für privatwirtschaftliche Betriebe Uneinigkeit bestand. Wenn überhaupt, dann wurde nur eine leistungsabhängige Quote als noch zumutbar für Unternehmen und Konkurrenten angesehen. Abgesehen davon gab es eine deutliche Tendenz, Zielvorgaben (influenzierende Quoten) für die Unternehmen gegenüber imperativen Quoten zu bevorzugen. Dies befürworteten nicht nur Kritiker von Quoten in der Privatwirtschaft 113, sondern zum Teil auch jene, die leistungsabhängige Quotierungen zwar für zulässig hielten, jedoch an der praktische Umsetzbarkeit des Kriteriums "gleiche Qualifikation" zweifel-

et Frauenförderung

in der Ausbildung

Ansonsten ist festzustellen, daß vielfach Zielvorgaben bzw. Quoten insbesondere im privaten Ausbildungsbereich eher bzw. leichter für zulässig gehalten wurden als etwa Einstellungsquoten. Begründet wurde dies mit der besonderen Wichtigkeit dieses Bereichs für das spätere berufliche und private Leben115 sowie im Hinblick darauf, daß auf der einen Seite Mädchen selbst mit besseren Schulabschlüssen größere Schwierigkeiten hätten als Jungen, einen Ausbildungsplatz zu finden und ihnen auf der anderen Seite überwiegend sog. "Frauenberufe" wie Verkäuferin, Friseurin, Bürokauffrau und Arzthelferin angeboten würden 116. Neben einer leistungsbezogenen Quotierung117 wurde aufgrund dessen manchmal auch eine gewisse Absenkung der Leistungsanforderungen befürwortet. So plädierte etwa Hohmann-Dennhardt aufgrund der "Schlüsselposition" des Ausbildungsbereiches für ein System starrer Quoten, das lediglich unter

111 112 113 114

42 f.

K. Garbe-Emden,, S. 167. Λ Francke/B. Sokol/E. Gurlit, S. 134. So/. Weber, S. 47. So etwa C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 39 f.,

115 Vgl. für die besondere Relevanz des Ausbildungsbereiches etwa R. Francke/ B. Sokol/E. Gurlit, S. 98; S. Raasch, Frauenquoten, S. 278; Η Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 225. 116 Dazu I. Weber, S. 47 m. w. N. 117 R. Francke/B. Sokol/E. Gurlit, S. 131 ff.

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

181

dem Vorbehalt des benötigten Schulabschlusses stehen sollte118. Es müsse darauf hingewirkt werden, "daß bei der Vergabe sämtlicher Ausbildungsplätze eines Betriebes, auch bezogen auf die verschiedenen Ausbildungsrichtungen, jeweils eine gleichmäßige Berücksichtigung von Männern und Frauen erfolgt" 119. Aufgrund vielfach besserer Schulabschlüsse von Mädchen als von Jungen sei dabei nicht zu befürchten, daß die Betriebe bei quotenmäßig mehr weiblichen Auszubildenden mit weniger qualifizierten Azubis rechnen müßten120. Pfarr kritisierte hinsichtlich Quoten im Ausbildungsbereich die Unterscheidung Schmitt Glaesers zwischen Klein- und Großbetrieben: Ein Abstellen auf die persönliche Nähe zwischen Ausbilder und Auszubildenden sei nicht angebracht, schließlich werde bei Großbetrieben auf solche Ressentiments des Ausbilders auch keine Rücksicht genommen, komme diesem Aspekt also kein rechtsrelevanter Gehalt zu 121 . Aufgrund der besonderen Wichtigkeit des Ausbildungsbereichs hielt Pfarr in diesem Bereich sowohl starre Entscheidungsquoten (bei jedem Einstellungsvorgang zu χ % Frauen zu berücksichtigen) als auch Entscheidungsquoten mit Anknüpfung an eine Mindestqualifikation sowie Zielvorgaben für zulässig122. Ergebnis: All diese Stimmen geben dem Ausbildungsbereich erhöhtes Gewicht und lassen dies auch in die Frage nach der Rechtfertigung frauenbevorzugender Maßnahmen einfließen.

118 C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 40 f. Dem folgend /. Weber, S. 47; auch wenn man grds. die Auffassung Hohmann-Dennhardts teilen sollte, ist ihr im Zusammenhang mit dem (von ihrer Seite aus kritisierten) Bemühen eines Ausbilders, möglichst die besten Bewerber für sich herauszusuchen, wohl kaum darin beizupflichten, Ziel einer praktischen Ausbildung sei es nicht, eine "möglichst hohe Rendite für den Kapitaleinsatz der Ausbildungskosten dem ausbildenden Unternehmen zukommen zu lassen, sondern für die Zukunft qualifizierte Arbeitnehmer heranzubilden". Eine solche Polarität läßt sich m. E. nicht aufbauen, schließlich können bereits erbrachte Leistungen durchaus ein Indikator für eine künftig zu erwartende Leistung sein und jeder Unternehmer hat wohl auch ein (berechtigtes) Interesse an der Ausnutzung seines Kapitals. Jedoch ist Hohmann-Dennhardt hinsichtlich dessen recht zu geben, daß das Ausbildungsverhältnis schließlich nicht automatisch in ein Beschäftigungsverhältnis übergehe und dem Unternehmer deshalb Freiheitseinschränkungen dort eher zuzumuten seien (Hohmann-Dennhardt, a. a. O. S. 41). 119 C. Hohmann-Dennhardt, Ungleichheit und Gleichbehandlung, S. 42. 120 /. Weber, S. 47. 121 H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 227 f. 122 Η Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 225 ff./insb. 229.

182

4. Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

5. Der Ansatz Maidowskis Maidowski ging - ausgehend von der Annahme eines Gebots, "tatsächliche Gleichstellung" der Geschlechter zu verwirklichen 123 - einen ähnlichen Weg wie Ladeur, um gesetzliche Privilegierungen von Frauen zu rechtfertigen. Ansatzpunkt für seine Überlegungen waren auch für ihn die Sonderregelungen für Schwerbehinderte, Spätheimkehrer etc124. Auch dort sei das Ziel der Privilegierungen, eine möglichst vergleichbare faktische Lage zwischen diesen Personengruppen und dem Rest der Bevölkerung herzustellen. Um dies zu erreichen, könne der Grundsatz der Rechtsgleichheit durchbrochen werden. Dieselbe Situation und dieselbe Zielrichtung einer auch faktischen Gleichberechtigung sah Maidowski auch bei dem Problem der Geschlechtergleichberechtigung. Dabei ging er wie die vorgenannte Auffassung in der Literatur davon aus, daß angesichts struktureller Diskriminierung das ausnahmslose Festhalten am Grundsatz der Rechtsgleichheit einer Besitzstandsklausel gleichkomme - das Dilemma bestehe darin, daß "eine Entscheidung für ein neutrales Recht gegenwärtig keine neutrale Entscheidung" sein könne125.

Im Unterschied zu Ladeur nahm Maidowski in diesem Zusammenhang jedoch keine gewichtigen und damit rechtserheblichen Unterschiede in der Gruppe der Frauen an, so daß nur Teilgruppen in den Genuß privilegierender Regelungen kommen dürften. Vielmehr bezog er sich auf alle Frauen, wenn er als Quintessenz seiner Darlegungen zu dem Schluß kam, Durchbrechungen der grundrechtlichen Rechtsgleichheit von Mann und Frau seien dann zulässig, "soweit und solange sie der Verwirklichung des Normziels dienen, während gleichzeitig die Beibehaltung der strikten Rechtsgleichheit eine weitere Annä herung der Verfassungswirklichkeit an das Verfassungsrecht behindern wü de" 126. Die dogmatische Figur, die Maidowski damit im Auge hatte, ist dabei wohl die teleologische Reduktion, auch wenn dies nirgends ausdrücklich angesprochen wird. Gegen das Argument einer drohenden "Quotierungswelle" führte Maidowski aus, daß die Situation der Frauen mit der anderer Bevölkerungsgruppen nicht vergleichbar sei. So privilegiere die Frauenförderung gerade diejenige Ziel123

U. Maidowski, S. 117 f. Wie bereits erwähnt, wertet Maidowski dieses Ziel jedoch nicht zum Verfassungsauftrag auf. 124 U. Maidowski, S. 123 ff.; § 4 SchwbG, § 9 a HeimkG, § 10 SoldatenversorgungsG. 125 U. Maidowski, S. 135. 126 U. Maidowski, S. 126. Zu beachten ist aber, daß nach Maidowski, der ja eine Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als Verfassungsauftrag ablehnte, eine solche Politik der "umgekehrten Diskriminierung" zur Frauenförderung zwar zulässig, jedoch nicht verfassungsrechtlich geboten war (S. 138).

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

183

gruppe, die sich in der sozialen Situation einer Minderheit befinde, gleichzeitig aber die Mehrheit der Bevölkerung bilde; schon dieser Gesichtspunkt bewahre die Frauenförderung vor dem Vorwurf einer gleichheitswidrigen (weil willkürlichen) Benachteiligung anderer Zielgruppen127. "Zum anderen und vor allem aber hebt Art. 3 Abs. 2 GG in seiner positiven Formulierung die Gruppe der Frauen aus allen weiteren, im übrigen vergleichbaren Gruppen heraus. Während diese sich zur Rechtfertigung ihrer Förderungswürdigkeit lediglich auf den Gedanken der Sozialstaatlichkeit stützen können, stellt die programmatische Zielsetzung des Art. 3 Abs. 2 GG einen besonderen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt dar, der eine Entscheidung der öffentlichen Gewalt für die Förderung gerade dieser Gruppe rechtfertigt." 128 Da Maidowski auf die Heranziehung des Sozialstaatsprinzips für die Begründung des "programmatischen Signals" des alten Gleichberechtigungssatzes verzichtete, standen bei ihm auch keine Überlegungen zur Einzelfallgerechtigkeit im Mittelpunkt, so daß er die evtl. Notwendigkeit einer Härteklausel noch nicht einmal erwähnte. Letztlich hielt Maidowski eine Quotierung zugunsten von Frauen bei Einstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 GG für zulässig. Allerdings sei Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Da dieser nicht nur die individuelle Rechtsstellung der Bewerber absichere - gleiches Recht auf Zugang zu allen öffentlichen Ämtern -, sondern auch die Anwendung des Leistungsprinzips verfassungsrechtlich festschreibe, könnten nur leistungsbezogene Quotierungen zulässig sein, eine "Modifizierung" des Merkmals "Eignung" kam für ihn nicht in Betracht129. 6. "Umgekehrte Diskriminierung" als Ausgestaltung des Gleichberechtigungssatzes ? Zuweilen kam auch der Gedanke auf, Quoten dienten schließlich der Durchsetzung faktischer Gleichberechtigung und gestalteten damit den Gleichberechtigungssatz des Art. 3 Abs. 2 GG erst aus130. Ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff liege deshalb noch gar nicht vor. Argumentiert wurde folgendermaßen: Es habe sich gezeigt, daß in derzeitigen Auswahlverfahren bislang zumeist Männer die "Nase vorn" hätten und dies auch fast zwangsläufig so sein müsse, 127 U. Maidowski, S. 137 FN 142 und 143 vertritt dabei die Auffassung, daß die Situation in Deutschland nicht der in den USA vergleichbar sei. Dort sei bei zahlreichen gleich gewichtigen Bevölkerungsgruppen das Argument des Verteilungskampfes in der Tat nicht von der Hand zu weisen. 128 U. Maidowski, S. 137. 129 U. Maidowski, S. 182 f. 130 Vgl dazu ausdrücklich R. Francke/B. Sokol/E. Gurlit, S. 85 ff., 87 ff.

184

4. Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

wenn man nur an die systematisch frauenbenachteiligenden Hilfskriterien wie etwa die Zahl der "unterhaltsberechtigten Angehörigen" 131 oder überhaupt an die Zugrundelegung der "männlichen Normalbiographie" denke 132 : Zum "Schutzbereich" des Art. 3 Abs. 2 GG 1 3 3 gehöre aber auch die Sicherung eines fairen Verfahrens, wenn es um Arbeitsplätze, gesellschaftlichen Einfluß etc. gehe. Da der Gleichberechtigungssatz sich aber nicht als "Besitzstandsklausel" interpretieren lasse 134 , ziele er auf Veränderung dieser frauendiskriminierenden Situation, also auf die Schaffung eines chancengleichen Verfahrens ab. Würden Frauen beim Zugang zur Beschäftigung durch Quotierungen begünstigt, so könnte auf diese Weise Chancengleichheit erreicht werden. Von einem "Eingriff' in den "Schutzbereich" des Benachteiligungs- bzw. Bevorzugungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG könne erst dann gesprochen werden, "wenn unter der faktischen Voraussetzung einer extrem auseinanderfallenden Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern um jeweils die gleiche Anzahl von Plätzen oder Stellen durch die Quote drastisch ungleiche Chancen eines Bewerbungserfolges geschaffen wären... " 1 3 5 . Stellungnahme: Auf den ersten Blick ist der Grundgedanke dieser Auffassung faszinierend, schließlich hat das BVerfG selbst in seinen N.C.-Urteilen

131

Bei den "unterhaltsberechtigten Angehörigen" ziehen Frauen in der Regel den kürzeren, vgl. dazu die Zahlen bei C. Fuchsloch/I. Weber, Geschlechterquoten im öffentlichen Dienst, in: ArbuR 1994, S. 409 ff./416, FN 64; Schiek weist dabei auf die Widersprüchlichkeit des Angehörigenauswahlkriteriums hin: Im Rahmen sozialer Beweggründe könnten nur solche Gesichtspunkte als Rechtfertigungsaspekte in Betracht kommen, die ihrerseits eben nicht mit der Geschlechterrolle oder mit dem Geschlecht zusammenhängen, D. Schiek, Die EuGH-Entscheidung "Kaianke" - Folgerungen für antidiskriminierende Maßnahmen im öffentlichen Dienst, in: PersR (Der Personalrat) 1995, S. 512 ff/518. 132 Dazu im Rahmen der Diskussion um Art. 2 Abs. 1 RL 76/207/EWG etwa D. Schiek, "Kaianke" und die Folgen - Überlegungen zu EG-rechtlichen Anforderungen an betriebliche Gleichstellungspolitik, in: ArbuR 1996, S.128 ff./133, mit der provozierenden Frage, ob Männer etwa aus individuellem Recht das Festhalten an einem diskriminierenden Verfahren verlangen könnten. Werde diese Frage verneint, wäre die "Frauenquote mit Härteklausel" nach Schiek gar keine Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 RL; den Aspekt der Chancengleichheit durch ein faires Verfahren sieht auch Y. Hangartner, Gleicher Zugang von Männern und Frauen zu öffentlichen Ämtern, Bemerkungen zum Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Fall Kaianke, in: AjP 1995, S. 1554 ff./1557. Dieser Effekt könne u. U. auch durch Quotierungen erreicht werden. 133 Zum "Schutzbereich" bei Gleichheitsrechten vgl. M. Sachs, Zur dogmatischen Struktur der Gleichheitsrechte als Abwehrrechte, in: DOV 1984, S. 411 ff. 134 R. Francke/B. Sokol/E. Gurlit, S. 90. Dazu auch die schon o. g. Äußerung Schieks, "Kaianke" und die Folgen, S. 133, ob Männer etwa aus individuellem Recht das Festhalten an einem diskriminierenden Verfahren verlangen könnten. 135 R. Francke/B. Sokol/E. Gurlit, S. 90.

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

185

darauf hingewiesen, daß sich aus der objektiv-rechtlichen Dimension eines Grundrechts im Sinne eines Teilhaberechts immerhin ein definitives Recht auf ein faires Auswahlverfahren ergeben könne136. Dies muß dann natürlich erst recht für Verfassungsaufträge gelten. Unter dem Druck, genügend qualifizierte Frauen anstellen zu müssen, könnte durch Quoten auch in der Tat ein besserer Anreiz dazu geschaffen werden, Bewerbungen von Frauen ernster zu nehmen, Dienstzeiten flexibler und familienfreundlicher zu gestalten, Teilzeitarbeit auszuweiten, Wiedereingliederungen nach der Familienpause zufördern etc. Je familienfreundlicher jedoch eine Behörde ist, desto größer sind dann auch wieder die Chancen für weibliche Bewerber mit Familie eingestellt zu werden. Auf der anderen Seite muß man sich aber auch vor Augen halten, daß unter dem Logo "Ausgestaltung"137 der Schutz der Grundrechte nicht beeinträchtigt werden darf. Denn welche Unsicherheiten auch immer in bezug auf die Frage der Abgrenzung von Ausgestaltung eines Grundrechts und Eingriff in dessen Schutzbereich bestehen; durch die Ausgestaltungs- bzw. Konkretisierungsbefugnis dürfen die Eingriffsmöglichkeiten des Gesetzgebers nicht erweitert werden. Es läßt sich deshalb mit guten Gründen die Regel aufstellen, daß im Zweifel eher ein Eingriff als eine Ausgestaltung anzunehmen ist 138 . Dafür, daß die Schwelle zum Eingriff im Fall der Quotierung schon überschritten ist, sprechen m. E. folgende Argumente: -

Zunächst besteht die Gefahr, daß die Schaffung eines chancengleichen Verfahrens - wenn auch nur aus Bequemlichkeits- oder schlicht aus fiskalischen Gründen - auf der Stelle tritt und die Quote dann lediglich dazu benutzt wird, weibliche Bewerber wegen ihres Geschlechts zu bevorzugen139.

136

BVerfGE 33,303/338; 43, 291/316 ff.; W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 31, spricht hier von derivativen Teilhabrechten; zum allgemeinen Thema der "Grundrechtsverwirklichung und -Sicherung durch Organisation und Verfahren" vgl. den gleichnamigen Aufsatz von H. Bethge, in: NJW 1982, S. 1 ff. sowie K. Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte, in: EuGRZ 1978, S. 427 ff., 434 ff./insb. 436. 137 Dabei ist schon die Terminologie in diesem Bereich uneinheitlich. Zwischen Konkretisierung und Ausgestaltung unterscheidet ζ. Β. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 305; andere hingegen verwenden den Terminus "Ausgestaltung" schlicht als Oberbegriff zur Beschreibung des bereits unter dem Stichwort "sozialstaatliche Auslegung der Grundrechte" geschilderten Gedankens, daß der Staat die Voraussetzungen für den Gebrauch der Grundrechte zu schaffen habe. In diesem Sinn habe dann jedes Grundrecht einen "Ausgestaltungsvorbehalt", vgl. A. Bleckmann, Staatsrecht II, 1989, S. 366; ebenso H Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 1995, Vorb. zu Art. 1 Rn. 25 f. 138 Vgl. dazu D. Schmalz, Grundrechte, 1991, S. 48; H Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz, 1995, vor Art. 1 Rn. 26. 139 Zu dieser Gefahr Y. Hangartner, Gleicher Zugang von Männern und Frauen zu öffentlichen Ämtern, in: AjP 1995, S. 1554 ff/1558.

1 8 6 4 . Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

-

Die Frauenquote dient nur insofern einem fairen Verfahren, als daß sie dieses durch Erfolge auf der Ergebnisebene sicherstellen will. Eine Frau, die gegenüber einem Mann bevorzugt wird, hat jedoch sofort die Stelle selbst und nicht lediglich ein faires Auswahlverfahren. Will heißen: Der Anspruch auf ein faires Verfahren wandelt sich zu einem Einstellungs- bzw. Beförderungsanspruch. Insofern schießt eine Quote, egal ob mit oder ohne Härteklausel, zu weit über das Ziel hinaus. 7. Spezialität a) Slupik und Raasch

Slupik war eine derjenigen, die Art. 3 Abs. 2 GG a. F. gerade nicht als Differenzierungsverbot verstanden. Außerdem orientierte sie sich mit ihrem kollektivrechtlichen Verständnis des Art. 3 Abs. 2 GG und dem Verzicht auf die Heranziehung des Sozialstaatsprinzips ganz bewußt nicht am Gebot der Einzelfallgerechtigkeit. Für sie entscheidend war das Ziel der Parität zwischen den Geschlechtern als einzige Möglichkeit, den Einfluß der Mehrheit der Bevölkerung zu sichern und damit letztlich auch Chancengleichheit herzustellen. Damit bereiteten ihr Frauenfördermaßnahmen und insbesondere Quoten keine Schwierigkeiten, vielmehr reduzierte ihrer Auffassung nach kompensatorisches Recht zugunsten von Frauen die Anwendung des Benachteiligungsverbotes für Männer auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dies sei eine Konsequenz aus dem Gruppenbezug der geschlechtsbezogenen Gleichheitssät_ _ 140

ze. Das oft angesprochene Problem, ob es denn gerecht sei, eine Frau unabhängig davon zu bevorzugen, ob sie sich konkret in einer förderungswürdigen Situation befindet (etwa weil sie nachweislich diskriminiert wurde), stellte sich für Slupik gerade nicht. Vielmehr seien alle Frauen dem "weiblichen Sozialschicksal"141 unterworfen. Das ist auch der wesentliche Unterschied zu Ansätzen, wie ihn etwa Ladeur vertritt, wenn er sagt, man müsse verhindern, daß "unbelastete Frauen" bevorzugt würden. Kurz gefaßt bzw. auf einen Nenner gebracht heißt das: Slupik setzt dem Postulat der Heterogenität das Postulat der Homogenität entgegen. Aus dieser Sicht heraus bekräftigt sie ihre Kritik an der Individualisierung sowie an der Gleichsetzung des Gleichberechtigungsanliegens mit anderen sozialen Belangen. Andernfalls sei ein "Quotierungspuzzle"142 unter Einbeziehung 140 141 142

V. Slupik,, Parität, S. 109. V. Slupik, Parität, S. 81. W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 47.

III. Ansichten im Schrifttum zu Frauenfördermaßnahmen

187

auch anderer 'Minderheiten'143 nämlich durchaus denkbar144. Eine Gleichsetzung verkenne, "daß die faktische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau selbständiges Gerechtigkeitserfordernis 145 ist, das sich aus dem gemeinsamen Sozialschicksal der Gruppe der Frauen herleitet" 146. Slupik räumte alle Bedenken gegen Quoten aus, indem sie den Konflikt zwischen Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG a. F. im Wege der Annahme eines Vorrangs der kollektivrechtlichen vor der individualrechtlichen Komponente des Grundrechts auf Gleichberechtigung auflöste 147. Ihr Standpunkt war dabei getragen von dem Gedanken, egalitäre Strukturen in der Gesellschaft seien die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Individualgerechtigkeit, sprich Chancengleichheit. "Auf diesem Hintergrund einer Chance zu sozialer Gleichheit erhält die Rechtsgleichheit für beide Geschlechter erst ihren Sinn."148 Bei starren Quoten sei das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG teleologisch so zu reduzieren, daß der abgelehnte Bewerber sich lediglich auf Gleichbehandlung im Rahmen der Männerquote und daher auf den allgemeinen Gleichheitssatz berufen könne149. Im Endeffekt wurde keine Form der Frauenquote von Slupik als unzulässig angesehen, ihr Ergebnis lautete lapidar: "Eine Bevorzugung der Frauen ist zulässig, wenn der Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG leer liefe, weil geschlechtsspezifische Ungleichgewichte in der Verteilung der Erwerbschancen in Betrieben und Behörden durch die Anwendung formaler Rechtsgleichheit zementiert würden." 150 Raasch griff diese Gedankengänge Slupiks auf, kritisierte jedoch, daß diese nicht ausdrücklich Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als im Verhältnis zu Art. 3 Abs. 3 GG speziell genannt habe, sondern ihrer Ansicht nach die Kollisionslage zwischen dem Gruppenrecht der Frauen (Absatz 2) und dem Individualrecht beider Geschlechter (Absatz 3) letztlich doch durch Abwägungs- und Vorrangüberlegungen gelöst habe151. Raasch vollendete nach eigenen Angaben den Ansatz Slupiks, indem sie folgenden Standpunkt vertrat: "Kompensatorisches Recht in Erfüllung des Art. 3 Abs. 2 GG berührt den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 GG 143

So bezeichnend W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 34. V. Slupik, Parität, S. 95. 145 Gerade dieser Ansatz ist sehr wichtig, ζ. B. dagegen W. Zöllner, S. 226: faktische Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben - gemeint als gesamtheitlicher rechtstatsächlicher oder soziologischer Befund - sei kein selbständiges, d. h. aus sich heraus einsichtiges Gerechtigkeitserfordernis. 146 V. Slupik, Parität, S. 95. 147 V. Slupik, Parität, S. 123. 148 Parität, S. 123. 149 Parität, S. 123. 150 Parität, S. 124. 151 So die Kritik S. Raasch, Frauenquoten, S. 245. 144

188

4. Kapitel: Frauenfrderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

nicht und ist auch kein Fall des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die Gleichstellungsproblematik ist in Art. 3 Abs. 2 GG speziell und abschließend geregelt. Gegenrechte der Männer können im Fall der Nachteilskompensation noch aus anderen Verfassungsnormen, aber nicht mehr aus den Gleichheitssätzen des Art. 3 hergeleitet werden." 152 Nach Raasch standen also die Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. im Verhältnis der Spezialität mit der Folge, daß eine Maßnahme, die unter den Schutzbereich des Gleichberechtigungssatzes fiel, nicht mehr tatbestandsmäßig im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG sein konnte. Allerdings sollte das nur für solche Maßnahmen gelten, die für das Erreichen des Ziels tatsächlich geeignet und erforderlich waren, einer zeitlichen Begrenzung unterlagen und auf ihre tatsächliche Wirksamkeit hin in Abständen kontrolliert wurden 153. b) Sacksofsky Auch Sacksofsky hatte von ihrem Standpunkt aus gesehen keine Probleme dogmatischer Art, Quotenregelungen und sonstige Bevorzugungen von Frauen für verfassungsgemäß zu erklären: sie verstand wie gesagt Art. 3 Abs. 2 GG a. F. als gruppenbezogenes Dominierungsverbot zum Schutz von Frauen, während Art. 3 Abs. 3 GG ein Differenzierungsverbot beinhaltete, auf das sich sowohl Frauen als auch Männer stützen konnten154. Im Bereich 'klassischer' Differenzierung nach dem Geschlecht (unmittelbare Diskriminierung) sei dabei für Frauen sowohl das Dominierungsverbot als auch das Differenzierungsverbot einschlägig155, wobei wegen der unterschiedlichen dogmatischen Struktur beide Vorschriften zu prüfen seien156. Männer könnten sich hingegen allein auf das Differenzierungsverbot berufen 157. Für Fälle mittelbarer Diskriminierung hingegen sei allein das Dominierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG einschlägig, wobei sich dieser Schutz nur auf Frauen erstrecke. Männer seien vor mittelbarer Benachteiligung verfassungsrechtlich dagegen nicht geschützt158. Im Rahmen der Problematik der Frauenfördermaßnahmen sah Sacksofsky durchaus den Widerspruch zwischen Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3. Auch sie löste diesen Konflikt im Wege der Spezialität: "Frauenfördermaßnahmen, die darauf gerichtet sind, den Frauen bisher ver152 153 154 155 156 157 158

S. Raasch, Frauenquoten, S. 245. So S. Raasch, Frauenquoten, S. 247. U. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 372. U; Sacksofsky, Gleichberechtigung S. 373. U. Sacksofsky Gleichberechtigung, S. 374. Gleichberechtigung, S. 373. U. Sacksofsky Gleichberechtigung, S. 374.

IV. Zusammenfassung und Würdigung

189

schlossene Möglichkeiten im beruflichen Leben zu eröffnen, zielen auf eine ... Verwirklichung des Schutzzwecks des Gleichberechtigungssatzes. In diesem Bereich tritt Art. 3 Abs. 3 GG als subsidiäre Norm zurück." 159 Der Schutz von Männern ergebe sich aus dem Schutzzweck des Dominierungsverbots 160: So sei Besitzstandswahrung kein zulässiger Zweck der Fördermaßnahmen, auch seien Quoten nicht mehr gerechtfertigt, wenn Männer nicht mehr als das dominierende Geschlecht anzusehen seien (zeitliche Schranke) 161 . Im Ergebnis seien daher alle bislang ernsthaft diskutierten Formen von Quotenregelungen zulässig162.

I V . Zusammenfassung und Würdigung I. Nach überwiegender Auffassung im Schrifttum war das Verbot rechtlicher Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts durch das in Art. 3 Abs. 2 GG a. F. verankerte, auf die soziale Wirklichkeit bezogene Gleichberechtigungsgebot bzw. den entsprechenden Auftrag grundsätzlich überwindbar. Leistungsbezogene Quotierungen im öffentlichen Dienst wurden für zulässig gehalten, sofern sie keine ausnahmslose Bevorzugung von gleichqualifizierten Frauen vorsahen. Skeptischer war man hinsichtlich gesetzlicher Frauenquoten für privatwirtschaftliche Betriebe, wobei hier zwischen Beschäftigungsbereich und Ausbildungswesen unterschieden wurde. Bei letzterem wurde eine leistungsbezogene Frauenquotierung von vielen Autorinnen und Autoren für zulässig erachtet, ζ. T. wurden die Anforderungen sogar auf eine "Mindestqualifikation" heruntergeschraubt. Es herrschte Übereinstimmung, daß bloße Zielvorgaben keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG a. F. oder andere Grundrechtsvorschriften darstellten. II. Nur eine Minderheit betonte den "Gruppenbezug" des Gleichberechtigungssatzes, indem ein Gruppenrecht auf Schaffung von Parität im Geschlechterverhältnis angenommen wurde (Slupik, Raasch) oder die Frage der Diskriminierung aus einer Gruppenperspektive heraus betrachtet wurde (Sacksofsky). In diesem Zusammenhang sind auch die Meinungsunterschiede hinsichtlich der Frage erheblich, ob alle Frauen als diskriminiert gelten oder ob nur wirklich diskriminierte Frauen in den Genuß von Vorzugsbehandlungen kommen sollten. 159

Gleichberechtigung, S. 378. Gleichberechtigung, S. 378 f. 161 Gleichberechtigung, S. 379. "Sobald Frauen und Männer (annähernd) gleichmäßig in einem Berufszweig vertreten sind, entfällt die Berechtigung zu Quotenregelungen." 162 Gleichberechtigung, S. 379. 160

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

Schon im Anschluß an die Untersuchung des Begriffpaares Gleichberechtigung - Gleichstellung und dem Ergebnis, daß es dem neuen Verfassungsaufirag um effektive, individuelle Chancengleichheit geht, wurde jedoch festgehalten, daß sich mit der Neufassung die Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG als kollektives Grundrecht nicht mehr halten läßt. Der Garantie einer auf die Einzelperson bezogenen Chancengleichheit wohnt nämlich inne, daß sich dieser Schutz auf den einen Menschen gerade ohne Unterschied des Geschlechts bezieht. Deshalb hat das neue Staatsziel auch eine symmetrische Schutzrichtung, dient also nicht allein dem Schutz von Frauen, auch wenn dies Antrieb für die Verfassungsänderung gewesen war. Auf diese Weise ergänzt der Verfassungsauftrag auch das ebenfalls symmetrisch wirkende Differenzierungsverbot, welches - da nach hier vertetener Auffassung eine Entgegensetzung von Art. 3 Abs. 2 (Schutz nur für Frauen) und 3 GG (Differenzierungsverbot) nicht haltbar ist - sowohl in Art. 3 Abs. 3 als auch in Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG verankert ist und bleibt. Im übrigen trägt m. E. ein solches Verständnis (der Geltung für Frauen und für Männer) der Tatsache Rechnung, daß es schließlich auch (und notwendigerweise) um Rollentranszendenz für Männer gehen muß163. III. Auch in der Rechtsprechung gab es unterschiedliche Standpunkte zum Problem generalisierender Frauenprivilegierungen, insbesondere zu Quoten. Das BVerfG hatte in seinem Nachtarbeitsurteil - ohne sich über die Zulässigkeit von Quotenregelungen zu äußern - eine Annäherung an den Lösungsweg "praktische Konkordanz" angedeutet, was anschließend so auch vom BAG gesehen wurde. Demgegenüber lief die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte eher auf den "dogmatischen Standpunkt" zu. Alles in allem ist festzustellen, daß - von den stark gruppenbezogenen Auffassungen abgesehen - das Hauptproblem im Verhältnis von Art. 3 Abs. 2 zu Abs. 3 GG im Sinne des Konflikts von faktischer und rechtlicher Gleichheit lag. Es bleibt zu untersuchen, ob die Novellierung des Gleichberechtigungssatzes diesbezüglich Klarheit geschaffen hat.

V. Der neue Verfassungsauftrag und seine Folgen Die o. g. genannten Schwierigkeiten ergeben sich wie gesehen daraus, daß eine faktische Gleichberechtigung der Geschlechter durch eine rechtliche Benachteiligung von Männern im Einzelfall erreicht werden soll. Auch in der Diskussion in der GVK wurden Bedenken laut, ob rechtliche und faktische Gleichheit wirklich nebeneinander bestehen könnten. So hatte der Abg. Friedrich Jahn in der 10. Sitzung der GVK, als man über Sinn und Unsinn einer Ergänzung des 163

Vgl. dazu Kap. 3 III 3 d).

V. Der neue Verfassungsauftrag und seine Folgen

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Art. 3 Abs. 2 GG durch einen Gleichste//wrtg.sauftrag diskutierte, die Bemerkung gemacht, für ihn würde eine solche Erweiterung den Gleichberechtigungssatz sprengen: "Denn Gleichberechtigung und Gleichstellung schließen einander aus."164 Zwar bezog sich Jahn damit auf die Bedeutung von Gleichstellung als Ergebnisgleichheit und eine solche wurde wie gesehen ja gerade nicht in Art. 3 Abs. 2 S.2 GG verankert. Jedoch wären seine Bedenken nur dann von vornherein gegenstandslos, wenn man dem neuen Verfassungsauftrag ausschließlich eine Verbürgung von Chancengleichheit im (rein) formalen Sinn entnehmen würde. Genau dies wird aber nach hier vertetener Auffassung dem Problem der strukturellen Diskriminierung nicht gerecht. Macht man mit dem Ziel der effektiven Chancengleichheit ernst, darf vielmehr die Ergebnisebene - wie gezeigt nicht außer Betracht bleiben. Wenn dem aber so ist, d. h. in Art. 3 Abs. 2, 3 GG ein Nebeneinander von rechtlicher Gleichheit165 und ergebnisorientierter Chancengleichheit besteht, dann gewinnt die Bemerkung des Abg. Jahn durchaus wieder an Relevanz. Im folgenden soll daher das Verhältnis zwischen rechtlicher und faktischer Gleichheit im System einer freiheitlichen Verfassung näher betrachtet werden. 1. Das Verhältnis rechtliche Gleichheit - faktische Gleichheit. Das Paradox der Gleichheit Daß rechtliche Gleichheit nicht zu einer Gleichheit im Tatsächlichen führt, ist eine geradezu historische Erfahrung. Schon die Durchsetzung der Gleichheit vor dem Gesetz gegen den Ständestaat im Rahmen der französischen Revolution und der Aufklärung führte nicht zu einer Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse, sondern wiederum war die Folge häufig eine Differenzierung faktischer Art nach Besitz und Lebensart166. Dieses Phänomen hat einen ganz einleuchtenden Grund - die Ungleichheit der Menschen sowie die Unterschiedlichkeit ihrer Ausgangsbedingungen. Immer ist deshalb zu beachten, daß Menschen nicht gleichberechtigt sind, weil sie gleich, sondern vielmehr, obwohl sie verschieden sind - Gleichheit impliziert Verschiedenheit167. Infolgedessen ist es ge164

Abg. F.-A. Jahn, GVK, 10. Sitzung, Sten. Prot., S. 33. Bei der Verankerung eines rechtlichen Differenzierungsverbotes in Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG n. F. bleibt es, da wie gesehen keine der vorgenannten gruppenbezogenen Ansichten überzeugen konnte. 166 Vgl. M. Heckel, S. 252 f. 167 C Gusy, Der Gleichheitssatz, in: NJW 1988, 2506 ff./2506; G. Robbers, Der Gleichheitssatz, in: DÖV 1988, S. 749 ff./749f. 165

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

radezu zwingend, daß eine rechtliche Gleichbehandlung Ungleicher wiederum zu einer fortschreitenden Differenzierung der sozialen Lebensverhältnisse führt 168. Bei genauerer Betrachtung bleibt es jedoch nicht bei unterschiedlichen Wirkungen lediglich im tatsächlichen Bereich, sondern die tatsächlichen sozialen Unterschiede wirken sich auch wiederum auf das (gleiche) Recht selbst aus: "Das Recht nimmt stets mit seinen juristischen Tatbeständen auf faktische Voraussetzungen Bezug: Die Norm ist auf das Sein bezogen, will die Wirklichkeit bestimmen, muß auf sie passen, wenn sie greifen soll. Bei allen Freiheitsrechten, Förderungen, Berücksichtigungs- und Kooperationsnormen hängt ihre rechtliche und faktische Effizienz davon ab, was der Berechtigte bzw. Begünstigte mit welchen Mitteln und in welcher Zeit und Lage daraus machen will und machen kann. Die Rechtsgleichheit nimmt deshalb die Ungleichheit als Wirkungsvoraussetzung und Wirkungsfaktor in sich auf und treibt entsprechende Verschiedenheiten aus sich hervor." 169

Kennzeichen des Sozialstaats ist es vor diesem Hintergrund, im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft 170 diese faktischen Ungleichheiten wiederum durch rechtliche Differenzierungen aufzufangen und abzugleichen - durch Vergünstigungen für Schwächere und stärkere Belastungen für Leistungsfähigere, man denke hier nur an die Steuerprogression. Faßt man also rechtliche und faktische Gleichheit unter dem Oberbegriff der Gleichheit zusammen, so gerät man in eine geradezu fundamentale Kollision. Zutreffenderweise spricht denn auch Alexy von einem "Paradox der Gleichheit"™. Der neue Art. 3 Abs. 2 GG stellt sich jedoch dieser Paradoxie und schließt sich nicht etwa derfrüheren Doktrin des US Supreme Court im Rahmen der Rassenfrage an, wonach betont wurde, man müsse sich auf die Gewährleistung gleicher Rechte beschränken, da soziale Vorurteile durch den Gesetzgeber ohnehin nicht ausgeräumt werden könnten und eine gesellschaftliche, soziale Gleichstellung das Ergebnis natürlicher Anziehung, gegenseitiger Wertschätzung und individueller freier Entschließung sei172. 168 Dazu M. Heckel, S. 255; auch nach R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 378, gilt, daß rechtliche Gleichheit wegen der faktischen Verschiedenheiten der Menschen einige faktische Ungleichheiten stets bestehen läßt und diese oft verstärkt; vgl. auch W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 24: "aus der Gleichheit im Recht resultiert nicht automatisch eine Gleichheit im Tatsächlichen"; R. Francke/B. Sokol/E. Gurlit, S. 85: formale Gleichbehandlung ignoriere die zunächst gegebene soziale Ungleichheit und trage zu ihrer Verstärkung statt zu ihrer Auflösung bei. 169 M. Heckel, S. 255. 170 Vgl. BVerfGE 22, 180/204; 35, 202/236; M Heckel, S. 254. 171 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 379; vgl. auch BVerfGE 12, 354/367: "Einzelne Gruppenfördern heißt bereits, andere ungleich zu behandeln." 172 So A. Heldrich zur Rechtsprechung des S.C., in: Höchstrichterliche Rechtsprechung als Triebfeder sozialen Wandels, in: Rehbinder/H. Schelsky (Hrsg.), Jahrbuch für

V. Der neue Verfassungsauftrag und seine Folgen

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2. Das Verhältnis rechtliche Gleichheit - faktische Gleichheit - Freiheit Spricht man vom Verhältnis rechtlicher Gleichheit zu faktischer Gleichheit, so stellt sich schon bald das allgemeine Problem des Verhältnisses von rechtlicher sowie faktischer Gleichheit zur Freiheit. Die Diskussion hierzu bewegt sich im wesentlichen zwischen zwei Polen: Einerseits wird Gleichheit als Gegenbild zur Freiheit gesehen. Entwicklungsund Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen können - so die Befürchtung durch das Postulat der faktischen Gleichheit behindert werden. Diese Sorge vor einer Beeinträchtigung der Freiheit durch ein Zuviel an Gleichheit im Sinne von faktischer "Gleichmacherei" hatte während der Diskussionen in der GVK auch Schmitt Glaeser vor Augen, als er "um der Freiheit willen" für eine Selbstregulierung gesellschaftlicher Kräfte im Gefüge der GleichberecArigung eintrat 173. Wer auf eine Geschlechterparität abziele, der stelle "die Idee der Freiheit unter das Joch einer Ideologie der Gleichheit"174. Auf der anderen Seite stellt sich jedoch das bereits angesprochene Problem der "Freiheit ohne Inhalt", das schon Lorenz von Stein175 folgendermaßen beschrieb: "Der Begriff der Freiheit ist aber ein abstrakter. Die Freiheit ist erst eine wirkliche in dem, der die Bedingungen derselben, die materiellen und geistigen Güter als die Voraussetzungen der Selbstbestimmung, besitzt." D. h.: eine gewisse, mehr oder weniger gleichmäßige Verteilung an Gütern muß schon vorhanden sein, damit die Grundrechte als Freiheitsrechte überhaupt ihren Sinn entfalten können. Die "sozialstaatliche Auslegung der Grundrechte" 176 trägt eben diesem Verhältnis von Freiheit und (faktischer) Gleichheit Rechnung, es sei in diesem Zusammenhang nochmals an die Kernaussage erinnert: Freiheit ist

Rechtssoziologie und Rechtstheorie "Zur Effektivität des Rechts", 1972, S. 305 ff./309. Heldrich vermutet darin eine bewußte Anlehnung an den Soziologen William Graham Summer und dessen These: "stateways cannot change folkways". 173 W. Schmitt Glaeser , Schriftliche Stellungnahme, S. 117; auch P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 102, sieht durchaus die Gefahr von zu viel Gleichheit im "Umschlag zum totalen Wohlfahrtsstaat". 174 W. Schmitt Glaeser, Schriftliche Stellungnahme, S. 115. Schmitt Glaeser geht bei diesen Ausführungen von einem Verständnis faktischer Gleichheit als Ergebnisgleichheit aus, befürwortet jedoch faktische Gleichheit auf der Ebene der Chancen; auch H.-J. Mengel, S. 534, sieht Gefahr für die Freiheit des einzelnen Bürgers, wenn der Abbau von Ungerechtigkeiten (gemeint sind faktische Ungleichheiten) durch rechtliche Maßnahmen erfolgen soll. 175 L. von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage Bd. III. Das Königtum, die Republik und die Souveränität der französischen Gesellschaft seit der Februar-Revolution 1848, 1959, S. 104. 176 Dazu Kap. 2 III 2 b). 13 Schweizer

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

ohne die tatsächlichen Voraussetzungen, sie in Anspruch nehmen zu können, wertlos 177. Hingegen gestaltet sich das Verhältnis rechtliche Gleichheit - Freiheit nicht problematisch. Die Gleichheit vor dem Gesetz gewährleistet einen hinlänglich freien, unverzerrten Wettbewerb und wird so zum "Medium zur optimalen Herstellung gleicher Freiheit"™. Da nur Gleiches gleich behandelt werden muß, jeder Fall also entsprechend seiner Eigenart betrachtet wird, daneben aber auch etwa traditionell bedingte Privilegierungen bestimmter Gruppen unzulässig sind, sichert das Gleichbehandlungsgebot die Möglichkeit größter individueller Entfaltung und Differenzierung 179. Gleichheit vor dem Gesetz und gleiche Freiheit für alle stehen danach in einem Verhältnis der Interdependenz180. 3. Zusammenfassung Rechtliche und faktische Gleichheit stehen in einem paradoxen Verhältnis zueinander. Andererseits sind jedoch beide Gleichheitsdimensionen erforderlich, um wirkliche Freiheit zu garantieren, wobei Rechtsgleichheit und Freiheit in einem Verhältnis der Interdependenz, hingegen faktische Gleichheit und Freiheit in einem zwar 'korrelativen, aber nicht spannungsfreien Verhältnis' stehen181.

177 P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 96. Ebd.: "... der Leistungsstaat muß Voraussetzungen dafür schaffen, daß alle tatsächlich von den Freiheiten Gebrauch machen können ..."; zu Art. 12 Abs. 1 GG BVerfGE 33, 303/331: "... das Freiheitsrecht wäre ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos". 178 C. Gusy, S. 2507. 179 Dazu G. Robbers, S. 752 f. 180 Gusy weist der Gleichberechtigung diesbezüglich sogar eine (nur) instrumenteile Funktion zu, geht jedoch ebenfalls von einer gegenseitigen Abhängigkeit aus, C. Gusy, S. 2507: "Wird so das Anliegen der Freiheit am besten durch gleiche Freiheit verwirklicht, so rechtfertigt die Idee der Freiheit zugleich diejenige der Gleichberechtigung"; nach G. Robbers, S. 753, stehen rechtliche Gleichheit und Freiheit nicht nur in einem Verhältnis "wechselseitiger Beeinflussung", sondern auch in "innerer Gleichordnung". 181 So P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 97.

V. Der neue Verfassungsauftrag und seine Folgen

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4. Die Lösung des Konflikts nach dem Prinzipienmodell von Alexy a) Das Prinzipienmodell Die erste logische Möglichkeit zur Lösung des Konflikts zwischen rechtlicher und faktischer Gleichheit ist, eines von beiden aus der Rechtsordnung zu verabschieden182. Im sozialen Rechtsstaat besitzen jedoch sowohl rechtliche (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch faktische Gleichheit (Sozialstaatsprinzip) Geltung, so daß dieser Lösungsweg ausscheidet. Es muß also ein System gefunden werden, in dem sowohl rechtliche als auch faktische Gleichheit ihren Platz haben. Beide Grundsätze - oder wenn man schon von einem "Wertesystem des Grundgesetzes" spricht, beide "Werte" müssen die Möglichkeit haben, einander zu überspielen. Um es vorwegzunehmen: Nach Alexy gibt es ein Lösungsmodell, das sowohl der rechtlichen als auch der faktischen Gleichheit Rechnung trägt und zugleich Raum für ein weites Spektrum unterschiedlicher Auffassungen für die Entscheidung des konkreten Falles läßt. Die Rede ist vom sog. "Prinzipienmodell". Unter Prinzipien versteht man dabei Optimierungsgebote, die darauf abzielen, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohem Maße realisiert wird 183 . Optimierungsgebote können in unterschiedlichen Graden erfüllt werden, wobei der Grad ihrer Erfüllung wesentlich von gegenläufigen Prinzipien bestimmt wird. Letzterers impliziert, daß Prinzipien abwägungsfähig und - bedürftig sind184 und somit im untrennbaren Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz185 stehen. Erst durch die Abwägung kann man für den konkreten Fall zu einer Vorrangrelation kommen186, wobei diese immer unter dem Abwägungsgesetz steht: Je höher der

182

Dazu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 379. R. Alexy, Individuelle Rechte und kollektive Güter, in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 232 ff./238. 184 R. Alexy, Rechtssystem und praktische Vernuft, in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 213 ff./216. Das unterscheidet sie von den "Regeln". Unter Regeln sind definitive Gebote zu verstehen. Während die Abwägung die für die Prinzipien kennzeichnende Form der Rechtsanwendung ist, ist die charakteristische Form der Rechtsanwendung bei Regeln die Subsumtion. è 185 R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und objektive Normen, in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 262 ff./269. 186 Alexy spricht deshalb auch von prima-facie-Rechten. Zu beachten ist, daß es im Prinzipienmodell diesbezüglich weder eine "kardinale" noch eine "ordinale" Prinzipienrangordnung gibt, R. Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: ders., Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, S. 177 ff./208 f.; ders., Theorie der Grundrechte, S. 138 ff. Hier trifft sich die Diskussion mit der schon oben (Kap. 2 IV 3 a) aa)) beschriebenen Problematik einer Wertrangordnung des Grundgesetzes. 183

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

Grad der Nichtrealisierung des einen Prinzips ist, desto größer muß die Wichtigkeit der Realisierung des anderen sein187. Dabei bestehen zwischen Prinzipien und Werten strukturelle Übereinstimmungen188. Denn jede Prinzipienkollision kann als Wertekollision und umgekehrt dargestellt werden. Bei Prinzipienkollisionen geht es dabei darum, was im Ergebnis, also definitiv, gesollt ist, bei Wertekollisionen dagegen um die Frage, was im Ergebnis, also definitiv, besser ist 189 . Damit sind Prinzipien und Werte dasselbe, einmal in deontologischem und einmal in axiologischem Gewände190.

Auf die vorliegende Problematik des Paradox' der Gleichheit angewandt heißt das: Die Prinzipientheorie ist in der Lage, das Nebeneinander von rechtlicher und faktischer Gleichheit zu erklären, ohne in sich widersprüchlich zu werden b) Vorrang des Rechts auf Gleichbehandlung ? Allerdings spricht Alexy auch von einem "prima-facie"-Vorrang "individueller Rechte" vor "kollektiven Rechten"191. Es ist deshalb zu untersuchen, ob damit - ganz im Sinne von Sachs192 - etwa doch ein Vorrang des subjektiven Rechts auf Gleichbehandlung angenommen werden kann, falls versucht wird, faktische Gleichberechtigung auf Kosten einzelner Männer durchzusetzen - schließlich besteht nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG eine lediglich objektive Pflicht des Staates auf Herstellung auch faktischer Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Dazu ist folgendes zu sagen: Alexy versteht "individuelle Rechte" weiter als die h. M. den Terminus "subjektive Rechte"193. Zugrunde liegt dem ein anderes Verständnis auch von objektiven Grundrechtsgehalten. So spricht Alexy nicht

187 R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte, S. 269. Nach Alexy gilt das auch umgekehrt, wenn er sagt: "Wer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz akzeptiert, muß auch den Prinzipiencharakter der Normen akzeptieren, in deren Bereich er Anwendung findet." 188 R. Alexy, Rechtssystem, S. 218. Damit kann das Wertesystem des Grundgesetzes nach der Terminologie von Alexy auch als Prinzipiensystem gesehen werden. 189 R. Alexy, Rechtssystem, S. 219; ders., Theorie der Grundrechte, S. 133. 190 R. Alexy, Rechtssystem, S. 219; ders., Theorie der Grundrechte, S. 126 ff, 133. Zu diesen Begriffen R. Alexy, Rechtssystem, S. 219: Ein Maßstab, der sagt, was gesollt ist, was geboten, verboten oder erlaubt ist, hat deontologischen Charakter. Sagt er demgegenüber, was gut und schlecht oder besser oder schlechter ist, so hat er einen axiologische Status. 191 R. Alexy, Individuelle Rechte, S. 260 f. 192 Vgl. Kap. 4 III 1. 193 Zum subjektiven öffentlichen Recht H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, §8 Rn. 2.

V. Der neue Verfassungsauftrag und seine Folgen

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von einer "bloß objektiven Dimension" objektiver Grundrechtsgehalte oder sozialer Grundrechte. Vielmehr können seiner Ansicht nach individuelle bzw. subjektive Rechte auch den Charakter von Optimierungsgeboten, also von Prinzipien haben - er spricht in solchen Fällen von subjektiven "prima-facieRechten". Alexy geht damit von einem anderen Verhältnis zwischen subjektiven und objektiven Gehalten als gemeinhin üblich aus: seines Erachtens korrespondieren jeder bindenden grundrechtlichen Pflicht des Staates grundsätzlich Grundrechte in Gestalt subjektiver Rechte194. Als Argumente für diese These zieht Alexy den primär subjektiv-rechtlichen Charakter der Grundrechte heran und verweist auf den Aspekt der Grundrechtsoptimierung: "Grundrechte haben jedenfalls auch - Prinzipiencharakter. Als Prinzipien verlangen sie, daß sie relativ auf die tatsächlichen und die rechtlichen Möglichkeiten in möglichst hohem Maße realisiert werden. Es gilt ganz allgemein, daß die Zuerkennung subjektiver Rechte ein höheres Maß an Realisierung bedeutet als die Statuierung inhaltsgleicher bloß objektiver Pflichten. So ist eine bloß objektive Schutzpflicht weniger als ein inhaltsgleiches Schutzrecht."195 Nach alldem sind unter Zugrundelegung der Auffassung von Alexy auch Verfassungsaufträge als subjektive Rechte anzusehen, wenn eben auch nur als "prima-facie-Rechte", die aufgrund der Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung nur in Evidenzfällen zu definitiven subjektiven Rechten werden können196 - d. h., hier wäre in bezug auf Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG ein subjektives prima facie- Recht jeder Frau (und jedes Mannes) auf tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung gegeben. c) Ergebnis aa) Will man angesichts des hier vertretenen Ergebnisbezuges effektiver Chancengleichheit verhindern, daß Art. 3 Abs. 2 GG n. F. ein Paradox enthält, muß man sich von dem Gedankenfreimachen, das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG (bzw. des Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG) stelle ein unüberwindbares Hindernis gegenüber Eingriffen zum Zweck der Erreichung faktischer Gleichberechtigung dar. Vielmehr kann das Prinzipienmodell erklären, daß die Postulate rechtlicher und faktischer Gleichberechtigung von Mann und Frau nebeneinander bestehen und beide Geltung beanspruchen können. Es verdeutlicht und erklärt das Auf und Ab zwischen rechtlicher Gleichheit und Durchbrechung von rechtlicher Gleichheit zur Schaffung einer Gleichberechtigung auch in der som R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte, S. 277, nennt diese These " Subj ekti vierungsthese". 195 R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte, S. 278. 196 Dazu R. Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte, S. 279 f.; ders., Theorie der Grundrechte, S. 465.

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

zialen Wirklichkeit. Das Argument, Art. 3 Abs. 2 GG dürfe keine "Besitzstandsklausel" darstellen, wird somit auf eine dogmatische Grundlage gestellt. Damit ist zugleich ausgesagt, daß die Anwendung des vom BVerfG im Rahmen der Dogmatik von Freiheitsrechten entwickelten Verhältnisses von objektiven und subjektiven Grundrechtsgehalten hier - angesichts der spezifischen, historisch bedingten Problematik, die die Implikation der Ergebnisebene in die Gewährleistung von Chancengleichheit notwendig macht - nicht paßt. Dies hat zur Folge, daß die Ablehnung von pauschalisierenden Fördermaßnahmen jeglicher Art (über die Entschädigung für das konkrete Erleiden von Nachteilen aufgrund des Merkmals Geschlecht hinaus) nicht mehr darauf gestützt werden kann, Inhalt des Art. 3 Abs. 2, 3 GG seien ausschließlich Differenzierungsverbote bzw. die objektiv-rechtliche Dimension des Gleichberechtigungsgebots könne das subjektive Recht auf Gleichbehandlung nie überwinden; letzteres würde nämlich einen eindeutigen Vorrang der rechtlichen Gleichheit darstellen und das wäre mit dem Prinzipiencharakter rechtlicher und faktischer Gleichberechtigung nicht vereinbar. Schließt man sich darüberhinaus der Subjektivierungsthese Alexys an, so kann dieser Vorrang des "subjektiven Rechts auf Gleichbehandlung" vor "lediglich objektiven Gehalten" schon deshalb nicht angenommen werden, weil auch der Verfassungsauftrag ein subjektives (primafacie-)Recht darstellt. bb) Das Verhältnis von Art. 3 Abs. 2 zu Abs. 3 GG gestaltet sich demnach folgendermaßen: Es gibt nur eine Möglichkeit, all diese Erkenntnisse in eine dogmatisch befriedigende Form zu bringen, nämlich Abwägung der gegenläufigen Interessen, entweder schon innerhalb des Art. 3 Abs. 2 oder aber im Verhältnis zwischen Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG. Die beiden Prinzipien rechtliche und faktisch-soziale Gleichberechtigung (wie sie in der vorliegenden Arbeit verstanden wird) müssen in ein Verhältnis praktischer Konkordanz gebracht werden. Dabei ist das verstärkte Gewicht zugunsten von Maßnahmen zu beachten, die auf das Erreichen effektiver, ergebnisorientierter Chancengleichheit abzielen ("Erhöhung"). Daraus folgt auch eine endgültige Abkehr von der "sex blindness" der Verfassung, Art. 3 Abs. 2 GG beinhaltet jetzt sowohl ein Differenzierungsverbot (= Rechtsgleichheit, Art. 3 Abs. 3 GG) wie auch soz. ein Differenzierungsgebot. Dies entspricht auch der Parallele von Art. 3 Abs. 2 GG n. F. und Art. 6 Abs. 5 GG. Im Rahmen des Art. 6 Abs. 5 GG hat das BVerfG trotz des grundsätzlichen Verbots der Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern schon immer die Auffassung vertreten, es könne nicht lediglich um eine schematische, rechtliche Gleichstellung gehen. Vielmehr könne es geradezu geboten sein, abweichende Regelungen zugunsten nichtehelicher Kinder zu treffen, um für sie die gleichen Bedingungen lür ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen 197.

V. Der neue Verfassungsauftrag und seine Folgen

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cc) Die Lösung der (optimalen) verhältnismäßigen Zuordnung 198 wurde zwar wie gesehen auch schon vor der Novellierung des Gleichberechtigungssatzes von der überwiegenden Auffassung in der Literatur vertreten. Jedoch wurde von den betreffenden Autorinnen und Autoren m. E. die ausschlaggebende Bedeutung der Erfolgsorientiertheit von Chancengleichheit nicht hinreichend klar herausgearbeitet; vielmehr begnügte man sich allzu oft mit dem Hinweis auf den eigenständigen Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 2 GG a. F. im Sinne eines Gebots bzw. eines Auftrags zur Durchsetzung tatsächlicher Gleichberechtigung, ohne diesen Begriff näher zu hinterfragen, oder aber man konstatierte aufgrund dessen einfach eine in Art. 3 Abs. 2 GG a. F. verankerte Legitimation für (i. d. R. nicht näher bezeichnete) Frauenfördermaßnahmen und hielt diesen "objektiven Gehalt" dann dem subjektiven Abwehrrecht aus Art. 3 Abs. 3 GG 199 entgegen . Nicht zuzustimmen ist in diesem Zusammenhang im übrigen Sacksofsky, die sich durch die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG in ihrer Deutung des Gleichberechtigungssatzes als Dominierungsverbot bestätigt sieht200. Sacksofsky geht nämlich (noch immer) davon aus, die Schutzrichtung des Art. 3 Abs. 2 GG n. F. sei nicht symmetrisch, sondern auch der neue Verfassungsauftrag habe ausschließlich die Verbesserung der Lebensumstände von Frauen zum Gegenstand201. Ganz abgesehen davon, daß diese Annahme unter der Prämisse der Gewährleistung individueller Chancengleichheit m. E. nicht zutreffen kann202, bleibt unverständlich, wieso Sacksofsky im Rahmen der Erläuterung ihres Standpunktes darauf verweist, unter Geltung des neuen Art. 3 Abs. 2 GG seien alle Frauenfördermaßnahmen verfassungsmäßig, solange sie dem "Nachteilsausgleich" dienten203. Schließlich wurde diese Formulierung wie gesehen gerade nicht geltendes Recht.

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BVerfGE 17, 280/284. Zur Herstellung praktischer Konkordanz als Optiminierung der verhältnismäßigen Zuordnung verschiedener Rechtgüter vgl. K. Stern, Staatsrecht III/2, § 84 IV 7, S. 835 m. w. N. 199 Vgl. z. B. H. Pfarr/C. Fuchsloch, S. 2202; E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 154 ff.; ebenso im Rahmen einer Zusammenfassung dieser Stimmen in der Literatur U. Bumke, Art. 3 GG in der aktuellen Verfassungsreformdiskussion: Zur ergänzenden Änderung des Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, in: Der Staat 32 (1993), S. 117 ff./127 ff. 200 U. Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung [nachfolgend: Gleichberechtigung II], 1996, S. 403 ff. 201 U. Sacksofsky, Gleichberechtigung II, S. 403, 411. 202 Dazu Kap. 4 IV. 203 U. Sacksofsky, Gleichberechtigung II, S. 415. 198

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung 1. Frauenfördermaßnahmen und sozialpolitische Maßnahmen Bevor auf die Verfassungsmäßigkeit von Frauenfördermaßnahmen eingegangen wird, ist zunächst einmal dieser Begriff abzuklären und von den hinsichtlich Art. 3 Abs. 3 GG unproblematischen sozialpolitischen Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Familie und Erwerbstätigkeit abzugrenzen (da es in der gerade dargestellten Diskussion zumeist um "Quoten" ging, war diese Gegenüberstellung bislang entbehrlich). Betrachtet man sich die Auseinandersetzungen zum Thema Frauenförderung einmal näher, fällt nämlich auf, daß einerseits überhaupt keine Einigkeit darüber besteht, welche Maßnahmen eigentlich unter "Frauenförderung" oder "Frauenprivilegierung" fallen, auf der anderen Seite vielfach aber auch gar nicht darüber diskutiert wird - der Streit konzentriert sich ganz auf die "Quote". Da jedoch für die Frage der Rechtfertigung solcher Maßnahmen entscheidend ist, ob sie den Tatbestand der Bevorzugung von Frauen im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG erfüllen, ist in der gebotenen Kürze auf diesen Punkt einzugehen: Häufig wird eine Trennlinie gezogen zwischen einer 'besonderen Förderung' von Frauen einerseits und "aktiven Kompensationsmaßnahmen" bzw. "Maßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile" andererseits204, während ζ. B. Sacksofsky auch besondere Förderprogramme für Frauen als von einer Kompensationsklausel erfaßt ansieht, ihnen also differenzierenden Charakter zuspricht205. Laut der Definition von Scholz zeichnen sich Kompensationsmaßnahmen wie gesehen dadurch aus, daß sie sog. "Drittvorteile" gewähren, "die nicht unmittelbar auf der Ebene der Nachteilsbeseitigung liegen"206. "Drittvorteile" gewähren dann alle besonderen Maßnahmen, die nicht unmittelbar auf die Beseitigung von Rollenvorurteilen oder die Anerkennung typisch weiblicher Erfahrungen und Lebensläufe abzielen. Damit fallen aber ζ. B. auch besondere Fort- oder Weiterbildungskurse unter den Begriff der "Ausgleichs-

204

Vgl. E. Schmidt-Jortzig, Schriftliche Stellungnahme, S. 110; E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S. 130, unterscheidet zwischen "begleitende[n] Fördermaßnahmen wie Hilfen bei der Ausbildung oder ähnliches" einerseits und Quoten andererseits; D. König, Die Grundgesetzänderung in Art. 3 Abs. 2 GG, in: DÖV 1995, S. 837 ff./841. 205 Nach Sacksofsky fallen unter "Ausgleichsmaßnahmen" o. ä. neben "Quoten" auch Fortbildungskurse nur für Frauen ebenso wie Zielvorgaben, die den Frauenanteil in bestimmten Bereichen zu erhöhen suchen (wobei an das Erreichen der Vorgabe auch gewisse Vorteile geknüpft sein können), U. Sacksofsky, Schriftliche Stellungnahme, S. 98. 206 Vors. R. Scholz, GVK, 23. Sitzung, S. 20.

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

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maßnahmen", schließlich verfolgen auch sie das Ziel, Frauen bestimmte Defizite, die in einer diskreten oder strukturellen Diskriminierung wurzeln, nachholen zu lassen - d. h. an der Diskriminierung selbst ändert sich nichts. Im übrigen liegt immer dann, wenn Frauen bei beruflichen Maßnahmen bevorteilt werden, spiegelbildlich dazu auch eine Benachteiligung von Männern vor. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, durch eine derartige Frauenförderung werde den betreffenden männlichen Kollegen nichts weggenommen, worauf sie einen Anspruch hätten, es handele sich vielmehr um eine "zusätzliche Leistung" nur für Frauen. Denn mit demselben Argument könnte man auch bei leistungsbezogenen Quoten eine Benachteiligung des gleich qualifizierten Mannes ablehnen, schließlich hätte er nur bei besserer Qualifikation einen Anspruch auf Einstellung207. Meines Erachtens bietet sich - sozusagen um den Kopf frei zu machen - in Zweifelsfällen immer die Gegenprobe an: stellt man sich bestimmte berufliche Kurse, Lehrgänge o. ä. nur für Männer vor, dann würden wohl die wenigsten an einer Differenzierung nach dem Geschlecht zweifeln. Der Aspekt, daß Frauen in besonderen Förderkursen nur das aufholen, was ihnen nicht beigebracht wurde, spielt zwar eine - wie noch zu sehen sein wird - große Rolle, jedoch m. E. erst auf der Ebene der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung. Dasselbe Bild ergibt sich bei Zielvorgaben bzw. "influenzierenden Quoten": Auch hier muß der einzelne Mann keine Abstriche von garantierten Rechtspositionen auf sich nehmen. Werden jedoch auf Grundlage von Frauenförderplänen im Endeffekt mehr Frauen eingestellt als in den Jahren vorher, so geht das zwangsläufig zu Lasten männlicher Bewerber. Zielvorgaben unterscheiden sich von Entscheidungsquoten zwar dadurch, daß im Einzelfall nicht ausdrücklich eine Frau vor einem Mann bevorzugt wird, jedoch ist m. E. dieser Unterschied im Rahmen der Zumutbarkeit von Frauenförderung für den einzelnen Mann in Betracht zu ziehen und nicht etwa schon eine Differenzierung nach dem Geschlecht überhaupt zu verneinen. Stellt man also für die Charakterisierung sozialpolitischer Maßnahmen streng auf die Beseitigung von Nachteilen ab, kommen im wesentlichen folgende Maßnahmen in Betracht, wie sie ζ. T. auch in den Frauenfördergesetzen angesprochen und gefordert werden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)208: -

familienfreundlichere Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen (Frauenfrage als Familienfrage). Erweiterung des Angebots an Kinderbetreuungsstätten, Kindergärten, Ganztagsschulen. Entlastung der Eltern von den Kosten der Kinderbetreuung. Steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen.

207 208

Dies verkennt z. B. H.-W. Laubinger, S. 527. Ζ. T. aus H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 201; K.-H. Ladeur, S. 41.

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

-

Abschaffung der speziellen Privilegierung der Ehe gegenüber der Elternschaft.

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Entlastung der Arbeitgeber von den Kosten von Schwangerschaft und Elternschaft. 209 volle Anrechnung von Erziehungszeiten im Arbeitsverhältnis und bei der sozialen Sicherung. wissenschaftliche Akzeptanz frauenspezifischer Forschungsschwerpunkte. Hinausschieben beruflicher Altersgrenzen für Personen, die Kinder zu betreuen hatten. Förderung der Wiedereingliederung in den Beruf nach "Familienpause". Abschied von der ausnahmslosen Koedukation.

-

2. Die Unterscheidung zwischen einem vergangenheitsbezogenen Kompensationsansatz und einem zukunftsgerichteten Förderansatz a) Kompensation zwischen Entschädigung und Frauenförderung Ziel des Förderauftrages in Art. 3 Abs. 2 GG ist die Schaffung künftiger effektiver Chancengleichheit. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Vorschrift Eingriffe in die Rechtsgleichheit zugunsten von Frauenförderung legitimieren kann. Bei der Beantwortung dieser Frage gingen bisher zwar die Meinungen auseinander, jedoch wurde für gewöhnlich auf die Typisierungsrechtsprechung des BVerfG und in diesem Zusammenhang auf den Gedanken der Kompensation zurückgegriffen 210. Letzteres ist jedoch nicht unbedenklich: Etymologisch von compendere bzw. compensare (gegeneinander abwiegen, etw. gegen etw. abwägen) abstammend, bezeichnet Kompensation nichts anderes als einen Ausgleich im Sinne von Schadensersatz211. Damit hat Kompensation grundsätzlich rückwärtsgewandten Charakter. 209 Zutreffend H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 90: "Die kostenmäßig negativen Folgen von Schwangerschaften, die nach bisherigen gesetzlichen Regelungen die Unternehmen einzelwirtschaftlich belasten, werden auf alle Frauen übertragen, auch auf die, die nicht Mutter werden, und die Chancen aller Frauen gegenüber gleichaltrigen Männern auf Einstellung oder Beförderung sinken. Schwangerschaft und Kindererziehung sind jedoch gesellschaftlich und volkswirtschaftlich betrachtet notwendige und wünschenswerte Leistungen, die weder zu Lasten einzelner Frauen zu privatisieren noch allein von der Gruppe der Frauen zu tragen sind." 210 Ζ. Β. Κ Simon, Schriftliche Stellungnahme, S. 124 f.; V. Slupik, Parität, S. 109; H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S. 60 ff.; M. Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 441 f. 211 Α. H. Goldman, Justice and Reverse Discrimination, 1979, S. 67: "The principle of compensation ... is: An individual harmed in violation of his rights should be restored by the perpetrator of the injury to the position he would have occupied, had the injury not occured." Diese Perspektive der Kompensation läßt sich auch nicht einfach auf die Zukunft übertragen, wie es etwa D. Schiek, Nachtarbeitsverbot, S. 169, tut, wenn sie sagt, daß eine Anknüpfung an gesellschaftliche Nachteile von Frauen nur (!) dann der

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

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Diese rückwärtsgewandte Sicht ist jedoch nicht Schwerpunkt der Diskussion um die Schaffung faktischer Gleichberechtigung. Wenn in diesem Rahmen Benachteiligungen ausgeglichen werden sollen, dann zumeist mit dem Ziel,/wr die Zukunft effektive Chancengleichheit für Frauen und Männer herbeizuführen und nicht einen Ausgleich für erlittenes Unrecht herbeizuführen, auch wenn dies vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sozialisation und diskreter Diskriminierung zwangsläufig eine Rolle spielt. Wozu eine Verquickung von Kompensation und Frauenförderung führen kann, zeigt sich deutlich an der Auffassung Bendas, die er vor der GVK darlegte212: Wie schon erwähnt, billigte er zwar eine "typisierende", nicht jedoch auch eine "pauschalierende" Betrachtung im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen zugunsten von Frauen, wohl weil ansonsten die Gefahr bestehe, daß auch unbelastete Frauen die Vergünstigung erhalten könnten. Für zukunftsgerichtete Frauenfördermaßnahmen kann es jedoch gar nicht darauf ankommen, ob eine Frau schon einmal in der Vergangenheit (konkret oder typischerweise) diskriminiert wurde oder eben nicht; wird für sie durch Ausgleichsmaßnahmen (zukunftsgerichtete) CAùwce/îgleichheit hergestellt, wird sie doch nie etwas bekommen, was ihr nicht zusteht, gleichgültig, ob sie selbst mehr oder weniger Diskriminierung in ihrem bisherige Leben erfahren hat ("chancengleicher" als chancengleich kann man schließlich nicht werden). Der Blick in die Vergangenheit der einzelnen zu bevorzugenden Frau ist vielmehr dann gestattet und sinnvoll, wenn es um reine Entschädigung (im untechnischen Sinn) geht. Das ergibt sich bereits aus der Bedeutung von "Kompensation": ein Schadensersatz ist in der Tat nur dann gerechtfertigt, wenn auch wirklich ein Schaden entstanden ist 213 . Mit der Anerkennung des reinen Kompensationsgedankens im Rentenalterbeschluß hat das BVerfG keinen gemeinhin üblichen Weg beschritten. Weicht das Gericht mit dieser Entscheidung schon von seinen eigenen in der Entscheidung zum Hausarbeitstag aufgestellten Maßstäben ab, so befindet es sich auch nicht auf gleicher Linie mit der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprechung. So hat der EuGH in der Rs. Barber 214 eine Privilegierung von Frauen durch frühere Eintrittszeiten hinsichtlich betrieblicher Altersrenten "mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit"215 als unzulässige Diskriminierung der Männer und damit als Verstoß gegen Art. 119 EGV angesehen. Mit keinem Wort wurde dabei auf die Frage der Rechtfertigung unter dem Aspekt der Kompensation für Kompensation diene, wenn sie dazu beitrage, "daß benachteiligende soziale Geschlechtsunterschiede längerfristig verschwinden oder nivelliert werden". 212 E. Benda, Schriftliche Äußerung, S. 66. 213 Dazu auch I. Ebsen, Zur Koordinierung der Rechtsdogmatik beim Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen zwischen Europäischem Gemeinschaftsrecht und innerstaatlichem Verfassungsrecht, in: RdA 1993, S. 11 ff/16. 214 EuGH Rs. C - 262/88, Slg. 1990 I 1889. 215 /. Ebsen, Koordinierung, S. 12.

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

faktische Benachteiligungen von Frauen eingegangen216. In der die Bundesrepublik direkt betreffenden Rs. Moroni 217 hielt der EuGH an dieser Linie fest: Dort ging es um den Fall, daß eine betriebliche Versorgungsordnung in Form einer Direktzusage einem Arbeitnehmer mit Vollendung des 65. Lebensjahres, einer Arbeitnehmerin jedoch bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres eine Betriebsrente in Aussicht stellte. Obwohl von deutscher Seite unter Hinweis auf die Konnexität des deutschen Zusatzsystems der betrieblichen Altersversorgung mit dem gesetzlichen Rentenversicherungssystem und den in dessen Rahmen geltenden unterschiedlichen Altersgrenzen ein Verstoß verneint wurde, nahm der EuGH eine Verletzung des Art. 119 EGV an, ohne sich mit dem Argument der Kompensation näher auseinanderzusetzen. Deutlich ablehnend gegenüber einer Bevorzugung von Frauen beim Renteneintrittsalter unter Heranziehung des reinen Kompensationsgedankens äußerte sich auch der österreichische Oberste Gerichtshof in seinen Anträgen auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens, in denen es wie beim Rentenalterfall des BVerfG um die Zulässigkeit eines unterschiedlichen Renteneingangsalters für Frauen und Männer ging. Das vorlegende Gericht hielt die pauschale Privilegierung von Frauen beim Rentenalter für unzulässig: Es bemängelte, daß die gesetzlichen Ausgleichs- und Bevorzugungsbestimmungen gar keinen zukunftsgerichteten Charakter hätten, es könnten jedoch nur solche Ungleichbehandlungen vorübergehend zulässig sein, die wenigstens "in Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken ... ,,21S . Ausdrücklich wurde in diesem Zusammenhang die Parallelentscheidung des BVerfG kritisiert. Der Verfassungsgerichtshof folgte der Auffassung des Obersten Gerichtshofes in diesem Punkt und hielt (auch aus weiteren Gründen) dasfrühere Renteneintrittsalter für Frauen für verfassungswidrig. Man kann also zusammenfassen: Im Rentenalterbeschluß ging es bei dem herabgesetzten Renteneingangsalter für Frauen um eine reine Entschädigungsmaßnahme für eine typischerweise höhere Belastung durch eine noch immer weit verbreitete traditionelle Aufgabenverteilung. Mit Frauenförderung und dem Ziel künftiger Chancengleichheit hatte dies jedoch nichts zu tun. Als einer der wenigen in der deutschen Diskussion um die Zulässigkeit frauenprivilegierender Maßnahmen kritisierte ζ. B. Huster ausdrücklich diese rückwärtsgewandte Sicht des BVerfG in der Entscheidung zum Altersruhegeld und unterschied ganz klar zwischen einem rein vergangenheitsbezogenen Entschädigungsansatz

216

Dazu /. Ebsen, Koordinierung, S. 15. EuGH Rs. C -110/91, Slg. 1993, 6591, 6616, insb. Rz. 20. 218 Oberster Gerichtshof, EuGRZ 1991, 484 ff/486 (Herv. nicht im Original). Diesen Ausführungen in seiner Entscheidung folgend VerfGH, EuGRZ 1991, S. 491. 217

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

und einem zukunftsgerichteten hei? 9.

Förderansatz

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mit dem Ziel Chancengleich-

b) Die Perpetuierung von Geschlechterrollen Macht man sich diese beiden verschiedenen Ansätze klar, dann leuchtet auch ein, warum die Entscheidung des BVerfG zum Renteneintrittsalter von der Literatur hinsichtlich ihrer Verfestigung von Rollenklischees kritisiert wurde 220. Will man nämlich vergangene, durch traditionelle Arbeitsverteilung hervorgerufene Nachteile ausgleichen und stellt man dabei nicht auf die Nachteile als solche, sondern wiederum auf das Merkmal "Frau" ab, dann bestätigt man ja geradezu die entsprechende Rollenverteilung und verstärkt so den unerwünschten Effekt. c) Fazit Die Ausführungen, die das BVerfG im Rentenalterbeschluß machte und die es im Wege eines obiter dictums im Nachtarbeitsurteil bestätigte, werden überwiegend auch als Rechtfertigung für zukunftsweisende Frauenfördermaßnahmen angesehen, obgleich sie sich eigentlich nur auf reine Entschädigungsmaßnahmen beziehen. Es findet keine Unterscheidung zwischen vergangenheitsbezogener Entschädigung und zukunftsbezogener Förderung von Chancengleichheit statt. Ganz deutlich wird der Unterschied zwischen diesen beiden Ansatzpunkten unter Geltung des neugefaßten Art. 3 Abs. 2 GG. Denn hier wird - da Chancengleichheit der Blick nach vorn immanent ist - ausdrücklich nur die zukunftsorientierte Dimension faktischer Gleichberechtigung angesprochen.

219 S. Huster, Frauenförderung zwischen individueller Gerechtigkeit und Gruppenparität, in: AöR 1993, S. 109 ff./112 ff./l 18 ff.; ähnlich U. Bumke, S. 129 f., wobei sie im Rahmen zukunftsgerichteter Frauenförderung nicht von "Chancengleichheit" spricht; zur theoretischen Unterscheidung zwischen der Vergangenheitsbezogenheit eines Kompensationsansatzes und der Zukunftsgerichtetheit von Chancengleichheit vgl. Α. H Goldman, Justice and Reverse Discrimination, 1979, S. 65 ff.: "Compensation and the Past", S. 141 ff.: "Equal Opportunity and the Future". 220 Zu dieser Kritik vgl. M. Sachs, Typisierende Diskriminierung, S. 346; V. Slupik, Parität, S. 93; R. Jaeger, S. 1 ff; J. Kokott, S. 1050. Sie hält es allerdings für ausreichend, daß sich diese Tendenz im Nachtarbeitsurteil nicht fortsetzte, a. a. O. S. 1051; U. Maidowski, S. 107.

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

3. Reaktionen der Rechtsprechung auf den neuen Art. 3 Abs. 2 GG Seit der Novellierung des Gleichberechtigungssatzes gab es einige Entscheidungen der Fachgerichte und auch des BVerfG zu Art. 3 Abs. 2 GG n. F. Zu prüfen ist, ob manche der inzwischen gefundenen Ergebnisse Eingang in die Rechtsprechung gefunden haben. a) Die Entscheidung des BVerfG zur Feuerwehrabgabe Auch in der ersten einschlägigen Entscheidung des BVerfG nach der Novellierung des Art. 3 Abs. 2 GG hielt das Gericht an der Anerkennung von Typisierungen wie im Rentenalterbeschluß und im Nachtarbeitsurteil fest. In dieser Entscheidung ging es um folgenden Fall: Die Feuerwehrgesetze von BadenWürttemberg und Bayern sahen eine mögliche Dienstpflicht für Männer vom 18. bis zum 50. bzw. 60. Lebensjahr vor. Von den Männern, die nicht herangezogen wurden, wurde eine Feuerschutzabgabe erhoben. Das waren praktisch alle betreffenden Männer, da es keinen Fall der Einziehung gab221. Als Prüfungsmaßstab wurde u. a. das "Diskriminierungsverbot" des Art. 3 Abs. 3 GG herangezogen, wobei an einer diesbezüglichen Inhaltsgleichheit mit Art. 3 Abs. 2 GG n. F. festgehalten wurde 222.

An dieser Entscheidung des BVerfG sind folgende Punkte herauszuheben: Das BVerfG hält an den Rechtsauffassungen, die im Rentenalterbeschluß und im Urteil zum Nachtarbeitsverbot dargelegt wurden, fest. Art. 3 Abs. 2 GG enthalte einen über Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehenden Gehalt, der darin bestehe, "daß er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt", und der Gesetzgeber sei befugt, "faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen auszureichen" 223 . Wie in der Nachtarbeitsentscheidung werden diese beiden Aussagen dabei aufeinander bezogen, indem das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG als durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG überwindbar angesehen wird - im Einzelfall könne es sich also um kollidierendes Verfassungsrecht handeln224. Auf die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG durch den neuen Verfassungsauftrag wird diesbezüglich nur kurz eingegangen, dieser wird offenbar lediglich als Klarstellung des Standpunkts im Nachtarbeitsurteil aufgefaßt 225.

221 222 223 224 225

So die Sachverhaltsfeststellung des BVerfG NJW 1995, S. 1733 ff./1733. BVerfG NJW 1995, 1733. BVerfG NJW 1995, S. 1734. BVerfG NJW 1995, S. 1734. BVerfG NJW 1995 S. 1734 f.

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Des weiteren fällt auf, daß der im Nachtarbeitsurteil angedeutete Trend zur Individualisierung fortgeführt wird: Dies zeigt sich an den Ausführungen des Gerichts zum Argument einer möglichen stärkeren Belastung von Frauen im Rahmen eines Feuerwehrdienstes aufgrund der für Frauen typischen körperlichen Konstitution. Das Gericht stellte diesbezüglich nämlich fest, daß dies für einen generellen Auschluß nicht ausreiche, vielmehr sei eine individuelle Tauglichkeitsprüfung, wie sie denn auch bei Männern stattfinde, erforderlich. Dieselbe Linie verfolgt das Gericht beim Argument der schwangerschaftsbezogenen Gefährdungen durch den Feuerwehrdienst: Auch den Gefährdungen während der Schwangerschaft oder nach der Entbindung könnten durch entsprechende Ausnahme- oder Befreiungsregeln hinreichend Rechnung getragen werden, ein Ausschluß aller Frauen sei also nicht erforderlich 226. Deutlich erkennt das Gericht die Gefahr, durch pauschale Vorschriften "zugunsten" von Frauen gängige Rollenverteilungen zu verfestigen. Im konkreten Fall werden in diesem Zusammenhang deshalb keine Anhaltspunkte dafür gesehen, daß die Begrenzung der Pflicht auf Männer mit dem Ziel erfolgt sei, faktische, typischerweise Frauen treffende Nachteile abzugleichen. Eventuellen Doppelbelastungen durch häusliche und kinderbezogene Pflichten könne und müsse durch Freistellungsregelungen Rechnung getragen werden; dabei verlangt das BVerfG ausdrücklich, daß solche Freistellungsregelungen in geschlechtsneutraler Weise an die Mehrfachbelastung als solche anknüpfen müssen227. Die Einziehung nur von Männern zum Feuerwehrdienst sei alles in allem als Ausdruck überkommener Rollenbilder anzusehen und diene deshalb auch nicht den jetzt im geänderten Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG ausgesprochenen Zielen, die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Lebenswirklichkeit durchzuset-

b) Die Rechtsprechung der Fachgerichte Auch nach der Novellierung des Gleichberechtigungssatzes hatten sich die Gerichte mit Klagen männlicher abgewiesener Bewerber gegen die Ländergesetze zu beschäftigen, die im öffentlichen Dienst Quotenregelungen zugunsten von Frauen in der ein oder anderen Form vorsehen. Dabei zeigt sich, daß von der Neufassung des Art. 3 Abs. 2 GG kaum Notiz genommen wurde. Wichtiger war für die deutschen Gerichte vielmehr die Entscheidung des EuGH in der Rs. Kalanke/Freie Hansestadt Bremen, die im letzten Kapitel noch Gegenstand der Untersuchung sein wird. An dieser Stelle soll der kurze Hinweis genügen, daß

226 227 228

Vgl. BVerfG NJW 1995, S. 1734. BVerfG NJW 1995, S. 1735. BVerfG NJW 1995, S. 1734 f.

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

der EuGH in dieser Rechtssache die "automatische und ausnahmslose" Bevorzugung gleichqualifizierter Frauen, die durch das Bremer Landesgleichstellungsgesetz (BremLGG) angeordnet worden war, aus verschiedenen Gründen für mit der RL 76/207/EWG nicht vereinbar gehalten hatte. Aufgrund des "Anwendungsvorrangs" des Europarechts vor entgegenstehendem nationalen Recht flöß diese Entscheidung des EuGH in manch ein Urteil deutscher Fachgerichte hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit von Frauenquoten ein. Ein klares Bild deutscher Rechtsprechung zur Quotenproblematik läßt sich aber nicht finden: Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, insbesondere des OVG Münster, blieb nach der Ergänzung des Gleichheitssatzes unverändert 229: Leistungsbezogene Bevorzugungen von Frauen im öffentlichen Dienst mit oder ohne Härteklausel werden nach wie vor für unzulässig gehalten. Dabei lassen sich die Argumentationsstränge wie folgt zusammenfassen: Art. 3 Abs. 2 GG n. F. wird zwar als Auftrag verstanden, faktische Chancengleichheit für Frauen und Männer durchzusetzen, jedoch wird dem jeder Ergebnisbezug abgesprochen. Vielmehr befinden sich etwa das OVG Lüneburg und das OVG Münster ganz auf der Linie der konservativ-liberalen Mitglieder der GVK und sehen Quotierungen als Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 i. V. m Art. 3 Abs. 2, 3 GG an, da mit solchen Maßnahmen eine Parität der Geschlechter angestrebt werde, genau diesem Ziel jedoch mit der Nichthereinnahme des Terminus "Gleichstellung" und der Kompensationsklausel in den geänderten Gleichberechtigungssatz eine Absage erteilt worden sei. Eine Auslegung, die den Inhalt jener Formulierungen in die gefundene Kompromißformel hineininterpretiere, gehe an dem expressis verbis geäußerten Willen des Verfassungsgesetzgebers vorbei 230 und hätte zur Folge, daß das Recht auf Gleichberechtigung letztlich zum Gruppenrecht der Frauen "insgesamt"231 und über das individuelle Abwehr- und Teilhaberecht aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG gestellt würde. Im übrigen werde im Rahmen von Frauenquoten der männliche Mitbewerber als Mittel benutzt, um das gesellschaftspolitische Ziel eines (zumindest) gleichen Anteils von Frauen und Männern im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn zu erreichen. "Das beinhaltet eine unzulässige Benachteiligung aus Gründen der Geschlechtszugehörigkeit, indem in der konkreten Konkurrenz229

Vgl. zuletzt OVG Münster, NVwZ 1996, 495. OVG Lüneburg NVwZ 1996, S. 497 ff./499, nimmt dabei ausdrücklich Bezug auf H. Hofmann, Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung in dem neuen Art. 3 II S. 2 GG, in: FamRZ 1995, 257, 261; OVG Münster NVwZ 1996, S. 495 ff./496; VG Schleswig NVwZ 1995, S. 724 f./725; zur strikten Trennung von Chancengleichheit von der Ergebnisebene auch VG Gelsenkirchen ArbuR 1996, S. 155 f./l 56. 231 OVG Münster NVwZ 1996, S.495ff./496; VG Schleswig, NVwZ 1995, 724. 230

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Situation um eine Beförderungsstelle jeweils ein bestimmter männlicher Bewerber Unrecht ausgleichen soll, das Frauen allgemein, insbesondere in der Vergangenheit unter früheren gesellschaftlichen Voraussetzungen, widerfahren ist... ." 2 3 2 Schließlich wird auch die Berücksichtigung des Dienstalters als "leistungsbezogenes Hilfskriterium" im Gegensatz zum leistungsunabhängigen Hilfskriterium "Frau" für unbedenklich gehalten, ohne auf dessen möglicherweise mittelbar benachteiligende Folgen einzugehen233. Dabei wird der Auffassung widersprochen, der Leistungsbezug des Dienstalters sei bereits (abschließend) in der dienstlichen Beurteilung zum Ausdruck gekommen. Später wurde von den Gerichten oftmals sogleich ein Verstoß gegen europäisches Recht im Sinne der EuGH-Entscheidung postuliert und ein Verstoß gegen nationales Recht nur noch (wenn überhaupt) am Rande erwähnt234. Hingegen sah das ArbG Berlin eine leistungsbezogene Quotierung mit "Öffiiungsklausel" als durch Art. 3 Abs. 2 GG legitimiert an 235 . c) Zusammenfassung und Stellungnahme In seiner Entscheidung zur Feuerwehrabgabe knüpft das BVerfG an die Nachtarbeitsentscheidung mit seiner eher skeptischen Sicht der Typisierung an, ohne jedoch von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen abzurücken236. Mit seiner Gegenüberstellung von Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 3 GG schließt sich das Gericht letztlich der überwiegenden Ansicht in der Literatur an, die eine Kollision zwischen den Prinzipien faktischer und rechtlicher Gleichheit schon vor der Novellierung im Wege der verhältnismäßigen Zuordnung löste. Insgesamt ist festzustellen, daß noch immer nicht zwischen einem vergangenheitsorientierten Kompensationsansatz und einem zukunftsbezogenen För232

OVG Münster NVwZ 1996, S. 495 ff/496. OVG Lüneburg NVwZ 1996, 497 ff/498; zum Thema Dienstalter A. Buglass/ J. Heilmann, Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung bei beruflichem Aufstieg, in: ArbuR 1992, S. 353 ff. 234 So OVG Münster ArbuR 1996, S. 154 f.; VG Trier ArbuR 1996, S. 156. 235 ArbG Berlin v. 10.1.96, in: ArbuR 1996, S. 156 f. Allerdings entsteht nach Durchsicht der Entscheidungsgründe der Eindruck, daß das Gericht von der Neufassung des Gleichberechtigungssatzes noch gar keine Kenntnis erlangt hatte. 236 Genau dies sieht auch M Sachs, Anmerkung zur Feuerwehrabgabe-Entscheidung, in: JuS 1995, 736 f., 737, wenn er zwar auf eine "zukunftsweisende Tendenzfeststellung, die in solchen Fällen typisierende Anknüpfungen an das Geschlecht als solches ein für allemal ausschließen sollte" hofft, auf der anderen Seite aber auch feststellen muß, daß das Gericht an seinen "problematischen Ausführungen im Rentenalterbeschluß" festgehalten habe. 233

14 Schweizer

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

deransatz unterschieden wird, wenngleich das BVerfG bewußt die Gefährlichkeit rückwärtsgewandter Bevorzugungen darlegte. Vielmehr wird gerade auch der neue Verfassungsaufirag - dem gegenüber dem alten Gleichberechtigungssatz auch in dieser Hinsicht kein neuer Gehalt entnommen wird - ohne Diskussion auf Entschädigungs- und Fördermaßnahmen angewandt. Die Probleme, die sich aus dieser mangelnden Unterscheidung ergeben und die oben aufgezeigt wurden (Stichwort: Perpetuierung von Rollenbildern) werden zwar erkannt - die Beziehung zwischen Schutz und Vormundschaft wird in der Entscheidung zur Feuerwehrabgabe offensichtlich. Jedoch versucht das Gericht, diesem Problem quasi aus dem Weg zu gehen, indem zwar im Wege eines obiter dictums an der Typisierungsformel des Rentenalterbeschlusses festgehalten wird, im konkreten Fall man es jedoch vorzieht, auf tatsächlich erlittene Sonderlasten bzw. tatsächliche Nachteile abzustellen. Der Feuerwehrabgabe-Entscheidung ist keine Antwort auf die Frage zu entnehmen, ob und wenn ja inwieweit pauschale Privilegierungen wie etwa Frauenquoten zulässig sind. Damit beschäftigen sich jedoch die Fachgerichte: Hier ist festzustellen, daß sich zur Zeit die Verwaltungsgerichte ohne ausführliche Diskussion der konservativ-liberalen Ansicht in der GVK hinsichtlich der Gleichsetzung und gleichzeitigen Ablehnung von "Gleichstellung" und "Quoten" anschließen. Überlegungen, daß eine "Annäherung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern" nicht ganz ohne Blick auf die Ergebnisebene zu erreichen ist, werden nicht angestellt. Insbesondere wird auch immer noch nicht der bereits systemimmanente Gruppenbezug von (Frauen-)Diskriminierung gesehen. 4. Quoten als Maßnahmen zur Förderung künftiger "faktischer" Gleichberechtigung a) Die zukunftsbezogene Dimension von Quoten Zunächst ist das Ergebnis vorgenannter Überlegungen nochmals festzuhalten: Quotenregelungen oder sonstigefrauenbevorzugende rechtliche Maßnahmen zu Lasten der Männer, ohne daß biologische Unterschiede dies zwingend gebieten, stehen nur dann unter dem Schutz des Verfassungsauftrages des Art. 3 Abs. 2 GG, wenn sie das Ziel verfolgen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau für die Zukunft auch in der sozialen Wirklichkeit durchzusetzen bzw. präziser: echte Chancengleichheit für Männer und Frauen herzustellen. Eine Möglichkeit diesbezüglich ist, daß derartige frauenfördernde Maßnahmen auf den Abbau von Rollenstereotypen und Vorurteilen zielen. Hier findet dann auch das Stichwort "positive Rollenvorbilder" Anwendung: Nachdem die traditionelle Aufgabenteilung mit der Beschränkung der Frau auf den häuslichen Kreis nicht mehr selbstverständlich ist, Frauen jedoch trotzdem eher für die

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Familienaufgaben zuständig sind bzw. "gemacht werden" und weit weniger als die Männer durch eine eigene, qualifizierte Berufstätigkeit abgesichert sind, ist BeckGernsheim Recht zu geben, wenn sie sagt: "Die Lebensperspektiven von Frauen sind 'vorbildlos' geworden - offener und ungeschützter als früher" . Insbesondere in höheren Positionen fehlten Frauen in der Regel Vorbilder wie auch Unterstützung von ähnlich Betroffenen. Dadurch sei ihre Situation durch Vereinzelung und Isolation gekennzeichnet238. Deshalb erscheint es Beck-Gernsheim notwendig, "die Isolation der Frauen in leitenden Berufen aufzuheben. Die Frauen stellen dann auf diesen Positionen nichts Besonderes mehr dar und können in solcher Atmosphäre spontaner und kreativer sein. Andere Frauen werden ermutigt, es ihnen gleich zu tun." 239

Werden also Quoten zu dem Zweck eingesetzt, um das Vorhandensein von (qualifizierten) Frauen in männerdominierten Branchen und Positionen selbstverständlich werden zu lassen, bleibt hier ein individualistischer Zug erhalten hergestellt werden soll (individuelle) Chancengleichheit von Frauen und Männern 240. Zu beachten ist aber, daß solche Maßnahmen nur mittelbar wirken. Nicht sie selbst stellen Chancengleichheit her, sondern erst die daraus resultierenden Einstellungsveränderungen tun dies. Die so "quotierten Frauen" haben keinen Anspruch auf Bevorzugung gegenüber Männern aus eigenem Recht, sondern werden nur als Identifikationsfiguren für andere Frauen eingesetzt241. Allerdings hat diese nur mittelbare Wirkung von Frauenfördermaßnahmen einen ganz erheblichen Nachteil, und der liegt in der angepeilten Höhe des "Anteils" - ganz unabhängig von der Frage, wie zulässige Quotierungsregeln im Einzelfall überhaupt beschaffen sein müssen. Da nämlich solche Quotierungen letztlich rein symbolhafte Wirkung haben, ist es jedenfalls nicht zwingend, daß Frauen so lange bevorzugt werden dürfen bis ein ausgeglichenes Verhältnis herbeigeführt wird. Huster kann sogar so verstanden werden, daß nichts dafür spreche, überhaupt einen festen Wert anzunehmen242. Allerdings scheint letzteres übertrieben: Um als "Rollenvorbilder" überhaupt bemerkt zu werden, reicht zweifellos eine "Alibifrau" hier und da nicht aus; vielmehr muß es ein Anteil sein, der dem Auge des Betrachters so auffällt, daß auf eine gewisse "Normalität" geschlossen werden kann. Wie hoch ein solcher Anteil sein wird,

237 E. Beck-Gernsheim, Vom "Dasein für andere" zum Anspruch auf ein Stück "eigenes Leben", in: Soziale Welt 3/1983, S. 307 ff., S. 309. 238 H. Stach, Gleichstellung im Erwerbsleben ? - Situation der Frauen zwischen Forderungen und Realität -, in: M. Bolle/B. Strümpel (Hrsg.), Beiträge zur Sozialökonomik der Arbeit Bd. 13, S. 105. 239 H Stach, S. 111. 240 S Huster, S. 119. 241 S. Huster, S. 119. 242 Es spreche nichts dafür, "daß Frauen so lange bevorzugt werden dürfen, bis ihr Anteil an einer bestimmten Position ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, an der Bewerbergruppe o. ä. entspricht", S. Huster, S. 122.

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

liegt im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers. Nach meiner Auffassung dürfte er 1/3 nicht unterschreiten. b) Durch Quoten Förderung der Chancengleichheit für die bevorzugten Frauen selbst ? Die Probleme mit dem angestrebten Anteil von Frauen im Hinblick auf Positionen, in denen sie bislang unterrepräsentiert waren, würden sich erledigen, käme man zum Ergebnis, daß Frauenquoten u. U. doch unmittelbar dem Erreichen individueller echter Chancengleichheit dienen - dann wäre nämlich die Festsetzung des Ziels der Parität mit dem Ideal der Verwirklichung ergebnisbezogener Chancengleichheit vereinbar. Für Huster ist dies jedoch ganz klar nicht der Fall. Er hält an der rein symbolhaften, vorbildkonstituierenden Wirkung zukunftsorientierter Quoten fest. Sei man hiermit nicht zufrieden, dann müsse man sich vom Ziel individueller Chancengleichheit verabschieden. Es gehe dann nämlich um das Ziel der Gleichheit der Geschlechter als solcher, um "Geschlechterparität" 243, und damit um ein Verständnis des Gleichberechtigungssatzes244 als kollektives Förderungsgebot oder Gruppenrecht mit der Folge, daß die einzelne Frau als Angehörige der diskriminierten Gruppe gefördert werde 245. Andererseits fällt bei der Diskussion um "die Quote" auf, daß von vielen zwar die symbolische, u. U. verhaltensändernde Wirkung von Quoten als Argument für solche Regelungen angeführt wird 246 , jedoch die mittelbare Wirkung solcher Maßnahmen zur Schaffung von Chancengleichheit für Dritte nicht (deutlich) zur Sprache kommt. Ganz im Gegenteil gewinnt man den Eindruck, daß häufig erst durch eine paritätische Verteilung von Positionen Chancengleichheit sichergestellt werden soll. Als konsequente Vertreterin dieses Ansatzes ist Slupik zu nennen, die ausdrücklich ihrer Auffassung Ausdruck verleiht, daß für sie erst in einer Gesellschaft mit egalitären Strukturen eine wirkliche

243

S. Huster, S. 123. Huster und die anderen in diesem Abschnitt genannten Autorinnen und Autoren formulierten ihre Ansichten noch unter Geltung des "alten" Art. 3 Abs. 2 GG. Jedoch ist dies für die an dieser Stelle zu behandelnde Problematik irrelevant, da es um grundsätzliche Fragen geht. 245 S. Huster, S. 123. 246 Vgl. dazu H. Pfarr, Quoten und Grundgesetz, S.198 f. Betonung des Sozialisationprozesses, der Verinnerlichung bestimmter Verhaltensmuster und Rollenverständnisse. S. 199: "Schließlich wird es solange keine Gleichstellung der Frauen im Erwerbsleben geben, solange in den Köpfen von Arbeitgebern und Beschäftigten keine grundlegende Änderung in der Einstellung zu der Rolle der Frau in der Gesellschaft und im Beruf erreicht wird." 244

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

213

Chancengleichheit von Frauen und Männern realisierbar sei247. In diese Richtung tendiert auch Maidowski, wenn er sagt, ein Zustand des gesellschaftlichen Gleichgewichts erhöhe auch für die betroffenen Frauen die Chance, ihre Rechte im beruflichen, politischen und kulturellen Bereich effektiver nutzen zu können als dies aus der Position einer sozialen Minderheit heraus möglich sei248. Auch Maidowski hat dabei nämlich ein - wie er selbst auch zugibt - eher "gruppenbetontes Gerechtigkeitsmodell"249 vor Augen, sah er doch das Ziel des Art. 3 Abs. 2 GG (a. F.) in der Verwirklichung einer "gerechten Gesellschaftsordnung" und plädierte in diesem Zusammenhang sogar - mit Verweis auf den Nutzen für die Gesamtgesellschaft, der sich dann aus der pluralistischen Vielfalt ergebe250 - für einen Zustand gleichmäßiger Partizipation aller sozialen Grup^

251

pen Letztgenanntem Standpunkt schließt sich ausdrücklich auch Bumke an, obgleich sie (wie Huster, jedoch anders als Maidowski) den Kompensationsgedanken in der BVerfG-Entscheidung zum Rentenalter deutlich vom zukunftsbezogenen Aspekt der Frauenförderung abgrenzt252. Die Dogmatik Bumkes leidet in diesem Zusammenhang trotz zutreffender Ansätze darunter, daß sie die Zukunftsgerichtetheit von Frauenfördermaßnahmen nicht wie Huster genauer "unter die Lupe nimmt", sondern diese sogleich ausschließlich auf das Ziel der Parität der Geschlechter festlegt 253. Bezeichnenderweise benutzt Bumke nicht ein einziges Mal den Begriff der "Chancengleichheit". Genaugenommen folgt sie deshalb auch nicht der Auffassung Maidowskis, der ja nach eigener Aussage immer das Erreichen von Chancengleichheit im Blick hat, sondern stimmt an dieser Stelle mit Slupik überein 254, nur eben mit dem Unterschied, daß sie sich für eine Legitimierung frauenprivilegierender Regelungen ausdrücklich nicht auf die Rentenalter-Entscheidung bzw. vergangenheitsbezogene Argumente 247

V. Slupik, Parität, S. 123. U. Maidowski, S. 133. 249 U. Maidowski, S. 130. 250 U. Maidowski, S. 132 f. 251 U. Maidowski, S. 133. So trügen zwar Männer allein die Kosten umgekehrter Diskiminierung, nähmen aber auch am Nutzen teil. 252 U; Bumke, S. 129 f. (Verweis auf Maidowski in FN 63 und 64). 253 U. Bumke, S. 130: 'gruppenbetontes Gerechtigkeitsmodell'. 254 Vgl. U. Bumke, S. 130: "Zukunftsorientierte Maßnahmen lösen sich von der personellen Gleichung, nehmen die Diskriminierungsproblematik zum Anlaß, um strukturellen Gleichberechtigungsdefiziten in der Zukunft entgegenzuwirken und damit die tatsächlichen Bedingungen zu schaffen, die der rechtlichen Gleichheit der Geschlechter entspricht. " Daß sich Bumke nicht ausdrücklich auf Slupik, sondern auf Maidowski beruft, mag u. U. daran liegen, daß sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, sie verstehe Art. 3 Abs. 2 GG [a. F.] als Gruppenrecht. Genau diesen möglichen Vorwurf weist sie nämlich zurück, indem sie sich in dieser Hinsicht auf Sacksofsky beruft, vgl. Bumke a. a. O. S. 130, insb. FN 65. 248

214

4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

überhaupt stützt (und deshalb auch keine Notwendigkeit besteht, die Rechtfertigung für eine Bevorzugung in einem "weiblichen Sozialschicksal" zu suchen). Letztlich fußen all diese Ansätze auf der Prämisse, daß es angesichts struktureller Dominanz des männlichen Geschlechts nur dann zu einer echten Chancengleichheit der Geschlechter kommen kann, wenn Frauen gesellschaftliche Freiräume ohne "Bedrohung" durch männliche Konkurrenz zugestanden werden255, damit u. U. auch und gerade weiblicher Andersartigkeit Entfaltungsmöglichkeiten geschaffen werden können. Ein solches Verständnis ließ sich wie gesehen256 während der Beratungen auch bei manchen Befürwortern der verfassungsrechtlichen Garantie "gleichberechtigter Teilhabe" feststellen. Stellungnahme: So verständlich die Forderung nach Parität zum Zwecke der Herstellung effektiver Chancengleichheit auch sein mag, so konnte jedoch andererseits auch gezeigt werden, daß dieses Ziel nicht unter den Schutz des neuen Verfassungsauftrages fällt. Der zufördernde Zweck des Verfassungsauftrages heißt ergebnisbezogene (individuelle) Chancengleichheit. Allerdings bedeutet das nicht, daß der Paritätsgedanke grundsätzlich falsch ist: Was Slupik, Maidowski, Maihofer u. a. beschreiben, ist ja doch das Fernzieldas letztlich auch von der Durchführung echter Chancengleichheit zu erreichen erhofft wird. Der Unterschied ist aber: Dieses Fernziel soll nach dem Willen des neuen Verfassungsauftrages mit Maßnahmen erreicht werden, die auf die Förderung von Chancengleichheit angelegt sind. Nur für Maßnahmen und Regelungen dieser Art gilt die Verstärkung durch die Staatszielbestimmung. Ansonsten bleibt es bei der alten Rechtslage. Es scheint also alles in allem so, daß die Förderung künftiger Chancengleichheit durch Quoten nur auf mittelbarem Wege erreicht werden kann. M. E. darf man hier jedoch den weiten Anwendungsbereich von "Quoten" nicht über einen Kamm scheren, sondern muß sich fragen, ob es Bereiche gibt, die von fundamentaler Bedeutung für eine wirkliche Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen sind und die bisher überproportional von Männern beansprucht und ausgefüllt werden. Dieser Frage soll im folgenden nachgegangen werden. c) Die Notwendigkeit

bereichsspezifischer

Unterscheidung

aa) Wenn es um Einstellungen oder Beförderungen geht, dann besteht bei paritätischen Quotenregelungen in diesem Rahmen zumindest der starke Verdacht, daß es bereits um das Erreichen des Fernzieles (Parität) für die Geförderten selbst geht. 255 So ausdrücklich H. Pfarr, Die heimliche Hoffnung auf die Frauen, in: FS für Helmut Simon, 1987, S. 437 ff./445. 256 Kap. 3 III 3 b).

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

215

Zufragen ist jedoch, wie es mit dem "Vorfeld" des Beschäftigungsbereichs steht, mit der Ausbildung von jungen Männern und Frauen. Im Rahmen der Quotendiskussion ist ja aufgefallen, daß von vielen Autorinnen und Autoren die Wichtigkeit der Ausbildung für den späteren Lebensweg, insbesondere für den beruflichen Werdegang, aber auch für die Lebenschancen überhaupt, aufgezeigt wurde. Quoten wurden für diesen Bereich entweder "erst recht" befürwortet oder aber zumindest für diesen Bereich Quoten überhaupt erst für zulässig erachtet257, wobei dies außer mit dem Verweis auf die "Wichtigkeit" dieses Bereiches in der Regel nicht weiter begründet wurde. Ist man sich jedoch immer des Ziels "effektive Chancengleichheit" bewußt, läßt sich eine Sonderstellung der Berufsausbildung dogmatisch gut begründen: Daß Frauen in stark gefährdeten Branchen, in niedrig qualifizierter und auch niedrig bezahlter (Teilzeit-)Arbeit mit einem nur geringen Verantwortungsbereich und wenig Aufstiegschancen überrepräsentiert sind, liegt noch immer zum großen Teil daran, daß Mädchen unvermindert in typische Frauenberufe mit kürzerer Ausbildungsdauer streben und zukunftsträchtigere, v. a. technisch orientierte Arbeitsfelder eher meiden. Geht man davon aus, daß diese Entscheidung aus den oben genannten Gründen, angefangen von geschlechtsspezifischer Erziehung und Sozialisation, nicht als ganz freiwillig anzusehen ist, dann ist hier viel Raum für Fördermaßnahmen zur Erreichung von Chancengleichheit gegeben - sei es durch staatliche Anreize für Unternehmen, die den Frauenanteil zu erhöhen suchen, oder durch eine andere spezifische Förderung von Frauen im Bereich des Ausbildungswesens, wozu auch Quoten gehören können. Solche Quoten würden die Arbeitgeber dazu bringen, vermehrt und zielgerichtet nach weiblichen Auszubildenden Ausschau zu halten, wodurch sich die Perspektiven für Frauen auf bislang männerdominiertem Gebiet nicht unbeträchtlich verbessern könnten, gerade auch deshalb, weil sie während der Ausbildung die Gelegenheit bekommen würden, bestehende Vorurteile gegen Frauen in typischen 'Männerbranchen' abzubauen. Das bedeutet: Eine solche Ausbildungsoffensive zielt auf Schaffung individueller Chancengleichheit. Dem könnte höchstens entgegengehalten werden, es komme nur auf die Perspektive an, ob eine bestimmte Privilegierung der Förderung zukunftsbezogener Chancengleichheit diene, gleich das Ziel der Parität im Auge habe oder aber eine Zwischenstufe betreffe 258: "Die quotierte Vergabe von Ausbildungs- oder Studienplätzen kann als Endpunkt des Wettbewerbs um Qualifikationsmöglichkeiten gesehen werden oder als erster Zugang zu späterer qualifizierter, berufli257

Vgl. nur W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 62 ff. So S. Raasch. Dabéi steht auch Raasch auf dem Standpunkt, daß eine Verengung des Begriffs der Chancengleichheit allein auf die "Startphase" dem strukturellen Problem der Frauendiskriminierung nicht gerecht wird, S. Raasch, Frauenquoten, S. 154 f. 258

216

4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

eher Praxis und zum beruflichen Aufstieg. Dasselbe gilt für Einstellungs- und Aufstiegsentscheidungen, für Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Nicht das Punktuelle von Start und Ziel, sondern das Prozeßhafte, Lebenslange ist in der Gleichstellungsfrage zu betonen."259 Dem ist folgendes zu entgegnen: In letzter Konsequenz ist der Gedanke, daß der nächste Schritt, das nächste Ziel immer auch die Ausgangsbasis für ein noch weiteres Ziel ist, sicher richtig. Kurz gesagt: wer sich bis in die Spitze eines Unternehmens hocharbeiten will, der muß eben zunächst einmal eingestellt werden, um die entsprechenden Leistungen überhaupt erbringen zu können. Dennoch ist m. E. der Standpunkt gerechtfertigt, daß Einstellungs- und Beförderungsquoten nur in mittelbarer Hinsicht der Schaffung von echter Chancengleichheit dienen im Gegensatz zu Quotierungen im Ausbildungswesen. Denn wohin würde das führen, wenn man mit Raasch das "Prozeßhafte" und "Lebenslange" von Chancengleichheit derartig ausdehnt ? Es würde dazu führen, daß egal welcher Privilegierung von Frauen in egal welcher Hierarchieebene immer das Mäntelchen der "Chancengleichheit" umgehängt werden könnte. Einen Endpunkt gibt es in letzter Konsequenz so gut wie gar nicht: ist man am "Ziel" angelangt, wenn man Vorstandsvorsitzende eines Konzerns ist (wobei es ja immer noch andere, größere, mächtigere Konzerne gibt) oder wenn man Bundeskanzlerin oder -präsidentin ist ? Ein derartiges Verständnis von Chancengleichheit führt dieses Prinzip ad absurdum260, es müssen einfach Grenzen gezogen werden. Der beste Ort dafür scheint mir die Grenzlinie zwischen Ausbildung und Beruf zu sein. bb) Ganz ähnlich wie im Bereich der Ausbildung ist die Sachlage bei Fortbildungskursen und der Vorbereitung auf Führungsaufgaben: von der Sozialisation her nicht auf Durchsetzung getrimmt, fällt es Frauen oft schwer, sich für verantwortliche Aufgaben zur Verfügung zu stellen, viele rücken auch bei besserer Qualifikation eher ins "zweite Glied". Auch hier könnten also gesonderte Kurse und Veranstaltungen nur für Frauen für Chancengleichheit sorgen. Ebenso haben Ziel vorgaben den Effekt, daß sich ζ. B. das Auswahlverfahren verstärkt auf weibliche Bewerber einstellen muß und so individuelle Chancengleichheit gefördert wird. Da Zielvorgaben "Soll-Vorschriften" darstellen und das Ziel - die Erhöhung des Frauenanteils in allen Bereichen, in denen sie bislang unterrepräsentiert waren - nicht mit Mitteln hoheitlichen Zwangs herbeigeführt wird, sondern vernünftigerweise dann erreicht werden kann, wenn alle Aspekte des Förderplans mit ernsthafter Anstrengung erfüllt werden261, ist die 259

S. Raasch, Frauenquoten, S. 159. Auch Raasch unterscheidet nicht mehr zwischen "Ergebnisgleichheit" und "Zielchancengleichheit", S. Raasch, Frauenquoten, S. 158. 261 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 61. 260

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

217

Situation auch nicht wie bei leistungsbezogenen Quoten so, daß der Anspruch auf ein faires Verfahren in einen Anspruch auf Einstellung umschlägt. Deshalb stellen Zielvorgaben auch im Beschäftigungsbereich Chancengleichheit her. Fazit: Es ergibt sich die Notwendigkeit bereichsspezifischer Unterscheidung: Einstellungs- und Beförderungsquoten können nur als mittelbar auf Chancengleichheit abzielende Privilegierungen gerechtfertigt werden. Dies wirkt sich insbesondere bei der Frage der Höhe des vorgeschriebenen bzw. zu erstrebenden Anteils von Frauen aus. Wie schon gesagt, besteht unter diesen Umständen kein Grund, gerade eine paritätische Verteilung von Stellen auf beide Geschlechter zu verlangen. Da jedoch der Effekt der Gewöhnung an Frauen insbesondere in Leitungspositionen erzielt werden soll, dürfen es auch nicht zu wenige sein. Deshalb erscheint ein Anteil von 1/3 als angemessen. Diese Grenze besteht jedoch im Rahmen von Ausbildungsverhältnissen, Weiterbildungsveranstaltungen, Zielvorgaben ö. ä. nicht. 5. Die Verfassungsmäßigkeit von zukunftsorientierten Quotenregelungen Damit ist aber noch nicht gesagt, welche Art von Quoten zulässig sind. Wie oben bereits dargelegt, sind hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit von Quotierungsvorschriften insb. die Artt. 3 Abs. 3 und 12 Abs. 1 GG als entgegenstehende Grundrechtsvorschriften ernst zu nehmen. Im folgenden soll deshalb in der hier gebotenen Kürze auf die Voraussetzungen zulässiger Quotierung eingegangen werden. a) Frauenquoten im öffentlichen

Dienst

Hinsichtlich der Kollision zwischen Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 3 GG sowie u. U. Art. 12 Abs. 1 GG 262 muß in einer Abwägung zwischen dem Interesse der einzelnen Männer auf Gleichbehandlung und dem Interesse der Frauen an Förderung ein verhältnismäßiger Ausgleich erzielt werden263. Da dem Gesetzgeber hinsichtlich der Frage der Erforderlichkeit ein Gestaltungsspielraum 262

Ob die Berufsfreiheit der männlichen Konkurrenten durch Frauenquoten überhaupt eingeschränkt wird, ist wie oben gesehen umstritten. Falls man jedoch einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit - einen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl scheint ausgeschlossen, da keinem Mann durch solche Quotierungen "als Mann" eine ganze Branche versperrt werden wird - annimmt, so gelten für ihn die gleichen Rechtfertigungsvoraussetzungen wie für Art. 3 Abs. 3 GG. 263 So auch H.-J. Vogel, Verfassungsreform, S. 416: "Die Lösung des Konflikts zwischen dem objektivrechtlichen Gehalt des Staatszieles und dem subjektiven Grundrecht des (einzelnen) Mannes auf Ungleichbehandlungsabwehr wird so zum Problem der verhältnismäßigen Zuordnung beider Verfassungsbestimmungen."

218

4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

zusteht und angesichts der Wirkungslosigkeit bisheriger Maßnahmen die Verfolgung des Ziels faktischer Gleichberechtigung durch den Einsatz von Frauenquoten nicht als evident verfehlt anzusehen ist 264 , konzentriert sich das Problem auf die Behandlung der "Angemessenheit" von Frauenquoten im Verhältnis zu den Männerrechten aus Art. 3 Abs. 3 GG. Die "Erhöhung" des Ziels faktischer Gleichberechtigung kommt hier dann voll zum Tragen. D. h.: Quoten oder sonstige Ungleichbehandlungen, die dieses Ziel verfolgen, sind zulässig, wenn sie erforderlich sind und die Rechte des einzelnen Mannes unter Berücksichtigung der herausgehobenen Stellung des Verfassungsguts 'Verwirklichung von Gleichberechtigung auch in der sozialen Wirklichkeit' nicht unzumutbar beeinträchtigen. Zuzustimmen ist hierbei der ganz h. M., daß es für den einzelnen Mann unzumutbar wäre, trotz höherer Qualifikation nicht eingestellt oder befördert zu werden. Starre Quoten sind deshalb verfassungswidrig. Für unzumutbar wird es gängigerweise auch gehalten, wenn bei gleicher Qualifikation weiblicher und männlicher Bewerber durch Frauenquoten letzteren jede Möglichkeit genommen würde, den angestrebten Posten zu erhalten. Hier wurde durch die Forderung nach einer Öflhungs- oder Härteklausel eine Lanze für die Männer gebrochen. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich relevanten Verstärkung des Anliegens faktischer Gleichberechtigung muß m. E. eine Lösung dieses Konflikts folgendermaßen aussehen: Grundsätzlich ist dem Kompromiß einer Öfifhungsklausel aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zuzustimmen. Sofern jedoch entgegen der Quotenregelung doch einmal ein (gleichqualifizierter) Mann aus "in seiner Person liegenden überwiegenden Gründen" bevorzugt wird, muß sichergestellt werden, daß dies nicht wieder mit Hilfe von (mittelbar) diskriminierenden Kriterien geschieht. Konkret: Das Hilfskriterium des Dienstalters und ähnliche Aspekte müssen entfallen, solange nicht sichergestellt ist, daß Familienarbeit voll auf diese Zeiten angerechnet wird 265 . Die sozialen Gründe, die die Bevorzugung des Mannes im 264

Zum Prognosespielraum des Gesetzgebers hinsichtlich Erforderlichkeit und Effektivität von Quotierungen vgl. U. Battis/A.Schulte-Trux/N. Weber, S. 1174, mit der Andeutung, daß für die Entscheidung des Gesetzgebers auch die Signalwirkung einer solchen Regelung Bedeutung haben könne (symbolische Wirkung instrumentellen Rechts); im Anschluß daran ebenso BAG DB 1994, S. 431; zum Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich gesellschaftlicher Nachteile von Frauen und in Betracht kommender Gegenmaßnahmen im Anschluß an den Rentenalterbeschluß auch J. Kokott, S. 1051. 265 Zu den diskriminierenden Auswirkungen des Hilfskriteriums Dienstalter, da Frauen durch familienbedingte Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit oder häufigeren Stellenwechsel aufgrund "Mitziehens" mit dem Partner typischwerweise kein so hohes Dienstalter erreichen wie ihre männlichen Kollegen vgl. C. Fuchsloch/I. Weber, S. 409 ff.; A. Buglass/J. Heilmann, Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung bei beruflichem Aufstieg, in: ArbuR 1992, S. 353 ff; D. Schiek, "Kaianke" und die Folgen - Überlegungen zu EG-rechtlichen Anforderungen an betriebliche Gleichstellungspolitik, in: ArbuR 1996, S. 128 ff./128; dagegen für die Heranziehung dieses

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

219

Einzelfall begründen, dürfen - wie ζ. B. auch § 9 des Brandenburgischen Gleichstellungsgesetzes klarstellt 266 - nicht vorschnell aus dem Gesichtspunkt der "unterhaltsberechtigten Angehörigen" entnommen werden. Wenn ζ. B. ein männlicher Bewerber eine Frau und zwei Kinder zu versorgen hat, ist das schließlich ein so typischer Fall, daß keine "Härte" angenommen werden kann. Sofern aus sozialpolitischen Gründen doch einmal auf die Tatsache des "Ernährers" Rücksicht genommen werden muß, weil ansonsten nachweislich die Gefahr einer Existenzvernichtung droht, ist dies jedoch nur bei Einstellungen, nicht jedoch bei Beförderungen denkbar267. Grundsätzlich gilt, daß eine erwerbstätige Frau nicht für den von ihr eingeschlagenen Lebensweg bestraft werden darf - hier ist die Rechtsprechung des EuGH eindeutig, der Frauen ganz selbstverständlich als "potentiell Erwerbstätige" ansieht. Außerdem ist für den öffentlichen Dienst Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten, wobei hier der wohl überwiegenden Ansicht, nach Ausschöpfen der Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG stelle eine Quotierung keinen Verstoß gegen diese Vorschrift dar, zuzustimmen ist. Hinsichtlich der Frage der Leistungsabhängigkeit von Quoten gilt: Auf der einen Seite schreibt Art. 33 Abs. 2 GG für den öffentlichen Dienst eindeutig die Geltung des Leistungsprinzips vor, welches aufgrund des auch staatsschützenden Charakters der Vorschrift auch nicht in Zweifel gezogen werden darf 268. auf der anderen Seite ist insbesondere das Kriterium der "Eignung" sehr schwammig und führt die Notwendigkeit der Ermittlung gleichwertiger Qualifikation bei leistungsabhängigen Quoten zu kaum lösbaren Effektivitätsproblemen 269. Maidowski hat dieses Problem jedoch zutreffend als ein verfahrensrechtliches beschrieben. So könnten etwa zur Schaffung von Transparenz im Auswahlverfahren im Hinblick auf das Merkmal "Eignung" Beurteilungsrichtlinien erlassen werden, die dem ansonsten nahezu unbegrenzten und nicht kontrollierbaren Spielraum des Dienstherrn gewisse Bahnen ziehen, auch an eine mögliche Be"klassischen Hilfskriteriums" BVerwG DVB1. 1989, 199 f.; BVerwG DVB1. 1994, S. 118 ff. 266 In § 9 Abs. 1 Nr. 3 BraLGG heißt es ausdrücklich, daß die "Einkommenssituation des Partners oder der Partnerin" bei Einstellung, Beförderung etc. nicht zum Nachteil der Betroffenen berücksichtigt werden dürfen. 267 Anders das OVG Münster NVwZ 1996, S.495 ff./497 für einen verheirateten Mann mit drei Kindern, der sich um eine Beförderungsstelle bewarb. 268 Zum öffentlichen Interesse an einer dem Leistungsprinzip verpflichteten funktionstüchtigen Verwaltung und Rechtsprechung U. Battis , in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Rn. 19 zu Art. 33. 269 Vgl. dazu W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 46: entweder man halte sich an das Erfordernis gleicher Qualifikation, dann sei die Quote zur Ineffektivität verurteilt oder aber man behandele das Erfordernis gleich(wertig)er Qualifikation großzügig und verstoße damit gegen Art. 33 Abs. 2 GG; U. Maidowski, 157 ff.; zur mangelnden Effektivität auch C. Fuchsloch, Gleichberechtigungsdefizit, S. 444.

220

4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

griindungspflicht bei ablehnender Entscheidung sei zu denken. Im übrigen könnte an einer Versachlichung der Auslese durch bewußt nicht an "männlichen" Denkstrukturen, Vorstellungen und Interessen ausgerichtete Anforderungen, durchgeführt von nicht nur mit Männern besetzten Kollegialorganen, gearbeitet werden 270 . Auch die Frauenförder- und Gleichstellungsgesetze der Länder und des Bundes haben - unabhängig davon, ob sie eine Quotierungsregel enthalten oder nicht - die Gewährleistung eines fairen Verfahrens zum Gegenstand, schließlich bringt ein solches Verfahren nicht nur Nutzen in bezug auf die Möglichkeit der Ermittlung einer "gleichwertigen Qualifikation", sondern für die Durchsetzung von Chancengleichheit überhaupt. In den Gesetzen ist etwa bestimmt, daß Stellenausschreibungen des öffentlichen Dienstes so abgefaßt werden müssen, daß sie ausdrücklich auch Frauen ansprechen271, oder daß möglichst viele qualifizierte Frauen zu einem Vorstellungsgespräch zu laden sind272. Neben Quotierungen sind auch Zielvorgaben zulässig, da sie im Vergleich zu Quoten das mildere Mittel darstellen. Eine Begrenzung des zu erreichenden Frauenanteils auf unter 50 % ist hier jedoch nicht erforderlich, da solche Vorgaben auf das Ziel effektive Chancengleichheit angelegt sind. b) Frauenquoten in der Privatwirtschaft:

Beschäftigungsbereich

Hier ist insbesondere das Verhältnis zur Unternehmerfreiheit problematisch. Durch gesetzliche Frauenquoten wird in die Berufsausübungsfreiheit der Arbeitgeber eingegriffen, wobei das in der Verfassung zum Ausdruck kommende hohe Gewicht einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung zu beachten ist. Danach sieht es so aus, als ob Frauenquoten für private Betriebe im Beschäftigungsbereich unzulässig sind. Es soll hier nur die Zulässigkeit von Quoten hinsichtlich der Berufsfreiheit der Unternehmer geprüft werden. Hinsichtlich der Rechte der männlichen Bewerber aus Art. 3 Abs. 3 GG und u. U. Art. 12 Abs. 1 GG kann auf die obigen Ausführungen im Rahmen 270

U. Maidowski, S. 169 ff. Maidowski plädiert in diesem Zusammenhang sogar für eine Schwerpunktverlagerung in den Beurteilungskriterien vom Merkmal "Eignung" im Sinne von "Persönlichkeit", "Charakter" hin zu einer stärkeren Betonung der "Befähigung" und "fachlichen Leistung". Auf die Tatsache, daß alle drei Kriterien in Art. 33 Abs. 2 GG nebeneinanderstehen und somit davon auszugehen ist, daß der Verfassungsgesetzgeber eine gleichrangige Berücksichtigung angestrebt hat, geht Maidowski allerding nicht ein. 271 Vgl. z. B. § 6 Abs. 1, 2 FFG-Bund; § 10 Abs. 1, 2 HambGleichstG; § 8 Abs. 1, 2 HG1G; § 5 BerlLGG; § 7 FG BaWü; § 7 BraLGG. 272 Nach § 8 BraLGG sind alle Bewerberinnen oder mindestens ebensoviele Frauen wie Männer zum Vorstellungsgespräch zu laden, sofern sie die für die Stelle erforderliche Qualifikation besitzen; ähnlich § 9 HG1G, § 8 Abs. 1 NGG, § 4 FFG LSA, § 7 Abs. 1 SächsFFG (Soll-Vorschrift), § 6 BerlLGG; etwas vorsichtiger § 8 Abs. 1 FG BaWü.

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

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des öffentlichen Dienstes verwiesen werden, da sich m. E. hier wie dort die gleichen Probleme stellen. Danach ist also hinsichtlich der Rechte männlicher Mitbewerber eine leistungsbezogen Quotierung mit einer oben beschriebenen Härteklausel zulässig.

Allerdings ist zu beachten, daß mit der Neufassung des Art. 3 Abs. 2 GG eine Staatsaufgabe (im technischen Sinn) statuiert wurde. Damit ist das Anliegen der Durchsetzung auch faktischer Gleichberechtigung der Geschlechter aus dem durch das Prinzip Freiheit gekennzeichneten gesellschaftlichen Bereich gewissermaßen herausgenommen und staatlicher Tätigkeit überantwortet worden 273. Die erhöhte Bedeutung des Gleichberechtigungssatzes, die nun staatliches Handeln erfordert, hat m. E. auch zur Folge, daß die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in privatwirtschaftliche Abläufe erweitert werden. Damit ließe sich eine Legitimation staatlicher Eingriffe in die Berufsfreiheit der Unternehmer wohl rechtfertigen, wobei es auch dann Fälle geben kann, in denen es dem Unternehmer unzumutbar ist, sich an die gesetzlichen Handlungsanweisungen zu halten - Ebsen274 führt hier etwa Bedürfhisse von Kleinunternehmen an - und die dementsprechend im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit durch eine Ausnahmevorschrifi aufzufangen sind. Als milderes Mittel sind in diesem Bereich ebenfalls Zielvorgaben (flexible Quoten) zulässig. Fraglich könnte höchsten das Vorliegen eines faktischen Eingriffs sein, sofern förderungswillige Unternehmen etwa mit staatlichen Aufträgen oder sonstigen Vergünstigungen "belohnt" werden275. Jedoch stellt sich hier die Situation nicht anders dar als bei der allgemeinen Wirtschaftslenkung durch Subventionen276, so daß ein Verstoß gegen die Artt. 2 Abs. 1 GG, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG so lange nicht vorliegt, "als dem Arbeitgeber die Möglichkeit verbleibt - wenn auch unter Verzicht auf staatliche Vergünstigungen - keine Maßnahmen zum Abbau faktischer Benachteiligungen von Frauen zu ergreifen, d. h. weibliche Bewerber bei der Besetzung von Arbeitsplätzen und bei Beförderungen nicht bevorzugt zu berücksichtigen"277. Die Tatsache, daß nach hier vertretener Auffassung leistungsbezogene Quoten sowohl im öffentlichen als auch im privaten Beschäftigungsbereich zulässig sind, heißt noch lange nicht, daß solche Regelungen per se als sinnvoll angesehen werden müssen. Dies zu beurteilen liegt im Rahmen des politischen Gestaltungsspielraums der jeweiligen Gesetzgeber in Bund und Ländern und wie gesehen bestehen ja durchaus unterschiedliche Auffassungen, was den Sinn von Quotierungsregeln im öffentlichen Dienst

273

Vgl. Kap. 2 III 2. 1. Ebsen, Gleichberechtigung im Arbeitsleben, S. 117. 275 Brandenburg und Berlin haben diesen Schritt in ihren Gleichstellungsgesetzen bereits getan, vgl. §§ 14, 15 BraLGG, §§ 13, 14 BerlLGG. 276 Vgl. dazu nur Institut "Finanzen und Steuern" (Hrsg.), Zur Problematik von Subventionen als Instrument der Wirtschaftspolitik, 1986, S. 80. 277 W. Schmitt Glaeser, Abbau, S. 62. 274

222

4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

angeht278. Ansonsten ist zu berücksichtigen, daß die Ermittlung einer gleichwertigen Qualifikation im öffentlichen Dienst durch Verfahrensregelungen (v. a. bei Beförderungen)279 vielleicht noch realistisch, in der Privatwirtschaft - in der es bisweilen sogar schon an klaren Anforderungsprofilen mangelt - im Ergebnis jedoch wohl kaum durchfuhrbar ist, so daß in diesem Bereich wohl schon allein aus Effektivitätsgründen den Zielvorgaben, verbunden mit staatlichen "Subventionen" im weiteren Sinn, gegenüber Quotenregelungen der Vorzug zu geben ist.

c) Quoten im Ausbildungsbereich Hinsichtlich der Zulässigkeit von Frauenquoten im Ausbildungsbereich kann auf die Ausführungen zum privaten Beschäftigungsbereich verwiesen werden. Änderungen können sich jedoch - abgesehen von der Tatsache, daß hier ein angestrebter Anteil von Frauen in Höhe von 50 % zulässig ist - aus folgenden Punkten ergeben: Die Tatsache, daß Unternehmen - falls sie sich denn überhaupt in dieser Richtung betätigen - zumeist mehr Personen ausbilden als sie letztlich brauchen, sowie die kurze Ausbildungsdauer mit anschließender Möglichkeit, sich vom jeweiligen Auszubildenden zu trennen, sprechen dafür, daß bei leistungsabhängigen Quoten diese "Leistung" auch im Sinne einer Mindestqualifikation (erforderlicher Schulabschluß) verstanden werden kann. Dies böte v. a. den Vorteil größerer Effektivität der Maßnahme, auch wenn es keineswegs so ist, daß Mädchen in der Schule schlechter abschneiden als Jungen - im Gegenteil. Jedoch könnte sich eine solche Regelung angesichts der typischen "Abwahl" technisch-naturwissenschaftlicher Fächer in der Schule als sinnvoll erweisen Auf der anderen Seite ist jedoch das Interesse des Unternehmers zu berücksichtigen, möglichst gute bzw. die besten Bewerber um den Ausbildungsplatz einzustellen. Ein Kompromiß könnte sein, daß bei Vorliegen der erforderlichen Mindestqualifikation der Frau der Vorzug gegeben wird, es sei denn, der männliche Bewerber weist eine deutlich bessere Eignung auf. Für die männlichen Konkurrenten wäre eine solche Regelung ebenfalls deshalb zumutbar, da nicht anzunehmen ist, daß nun eine Masse junger Frauen plötzlich geballt in "Männerberufe" strömt und dort alle Zugänge verstopft. Für Männer werden immer noch genügend Plätze zur Verfügung stehen. Die Problematik quasi eines Einstellungsstopps für männliche Bewerber stellt sich deshalb (noch lange) 278

Vgl. dazu die Übersicht Kap. 4 I 2. So hielt das BVerwG ζ. B. eine Beförderung unter Anwendung des 'Hilfskriteriums' Dienstalter bereits bei Vorliegen einer "im wesentlichen" gleichen Qualifikation für zulässig (BVerwGE 80, 123 ff./125 f.). Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum diese "im wesentlichen" gleiche Qualifikation - wohlgemerkt nach hier vertretener Auffassung über die Zulässigkeit von Quotierungen überhaupt - nicht auch für die Anwendung des Kriteriums "Geschlecht" ausreichen sollte. 279

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

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nicht, so daß diesbezüglich m. E. zumindest zum jetzigen Zeitpunkt auch die Notwendigkeit einer Härteregelung entfällt. 6. Zulässigkeit kompensatorischer Maßnahmen im Sinne von reiner Entschädigung a) Ausgangspunkt der Überlegungen hierzu ist zunächst, daß die Tatsache, daß reine Kompensationsmaßnahmen nicht in den Anwendungsbereich des neuen Verfassungsauftrages in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG fallen, nicht sogleich auf eine Unzulässigkeit solcher Maßnahmen schließen läßt. Vielmehr bleibt es hinsichtlich solcher Ausgleichsregelungen bei der "alten Rechtslage"280. b) Gegen Kompensationsmaßnahmen zugunsten von Frauen kann auch nicht eingewendet werden, dies komme einer "Bestrafung" der heute lebenden Männergeneration für die Diskriminierungen der letzten Jahrhunderte gleich281. Es geht nämlich überhaupt nicht um historische Diskriminierung, sondern die Frauen haben sich jetzt und heute mit den Nachwirkungen der vergangenen Jahrhunderte auseinanderzusetzen, wobei die heute lebenden Männer - ob sie wollen oder nicht - noch immer Nutznießer historischer Diskriminierung sind. Es geht damit nicht um den Ausgleich historischer Diskriminierung, "sondern um gegenwärtige diskriminatorische Wirkungen historischer Tatbestände"282. c) Will man im Zusammenhang mit Kompensationsmaßnahmen typische Benachteiligungen von Frauen erfassen, sind dabei die vom BVerfG aufgestellten allgemeinen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer solchen Typisierung zu beachten. Typisierungen kommen insbesondere im Sozial- und Steuerrecht mit seinen Massenerscheinungen sehr häufig vor 283 . Die Rechtfertigung von Typisierungen ergibt sich dabei aus dem Interesse an Rechtssicherheit, Praktikabilität, Verwaltungsvereinfachung und Verfahrensökonomie. Dabei darf jedoch das

280 Daß man mit eben diesem neuen Verfassungsauftrag einen Kompensationsansatz von vornherein ausschließen wollte, findet sowohl in der Enstehungsgeschichte als auch im Rahmen der teleologische Auslegung keine Stütze - schließlich wollte man durch die Novellierung die Möglichkeiten zur Schaffung von Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern eher erweitern als verengen. 281 Vgl. nur OVG Münster NVwZ 1991, S. 501 ff./502; dazu auch E. Benda, Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen, S.120; M. Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 442. 282 U. Maidowski, S. 129 FN 112; deutliche Unterscheidung auch S. 127 ff., S. 129: Damit stelle sich auch nicht die Frage, ob ein historischer Zustand an heutigen Maßstäben gemessen werden dürfe. 283 1. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im öffentlichen Recht, 1991, S. 246 m. w. N. aus der Rechtsprechung.

224

4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

Interesse des einzelnen, nach seiner individuellen Lage beurteilt zu werden (Grundrechtsinteresse) 284, nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Es ist vor diesem Hintergrund eher hinnehmbar, wenn durch die Typisierung mehr Personen in den Genuß eines Vorteils kommen, als dies bei Anwendung eines individuellen Maßstabes der Fall gewesen wäre (bevorzugende Typisierung), als wenn durch eine typisierende Betrachtung bestimmten Personen etwas genommen wird, worauf sie nach ihrer individuellen Lage eigentlich einen Anspruch gehabt hätten (benachteiligende Typisierung)285. An die benachteiligende Typisierung stellt das BVerfG denn auch strengere Anforderungen als an die bevorzugende Typisierung: Während es bei letztgenannter in Kauf zu nehmen sei, wenn ein "mäßiger Prozentsatz" an Personen unverdientermaßen einen Vorteil erhalte, setze eine noch hinzunehmende benachteiligende Typisierung voraus, daß nur eine verhältnismäßig kleine Zahl - ζ. T. ist hierbei auch von "Einzelfällen" 286 die Rede - von Ungerechtigkeiten betroffen werde, wobei der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv sein dürfe. Das bedeutet für die Zulässigkeit von Frauenquoten: (1) Zulässigkeit benachteiligender Typisierung: Eine typisierende Betrachtung wäre unzulässig, wenn sich herausstellen würde, daß sich nicht nur in Einzelfällen Männer aufgrund familiärer Bindungen denselben Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt gegenübersehen wie Frauen. Geht man nach der Statistik, und eine andere Möglichkeit wird man diesbezüglich wohl kaum haben, so werden jedoch die wenigsten Männer durch Familienpflichten an ihrer beruflichen Tätigkeit bzw. einem evtl. Aufstieg gehindert bzw. lassen sich schlicht nicht dadurch beengen. So ist der Anteil derjenigen Väter, die etwa Erziehungsurlaub nehmen oder zugunsten der "Familie" sogar für viele Jahre auf Beruf und Karriere verzichten, nahe Null 287 . Die für Frauen typischen Hindernisse auf dem Weg "nach oben" liegen bei Männer also nur in absoluten Ausnahmefällen vor (etwa alleinerziehende Väter, die ihr Kind auch nicht einer Betreuungsperson übergeben). Unabhängig davon ist jedoch diesbezüglich auch wichtig die gesellschaftliche Erwartungshaltung: Frauen haben häufig nicht die gleichen Chancen wie ihre männlichen Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, weil potentielle Arbeitgeber schlicht davon ausgehen, daß bei Nachwuchs die Mutter und eben nicht der Vater zeitweise aus der Erwerbstätigkeit ausscheidet288 - dieser Aspekt wird in der Regel übersehen, wenn im284

Vgl. /. Pernice, S. 248 m. w. Ν. BVerfGE 17, 1/23 f. 286 BVerfGE 17, 1/24. 287 Vgl. Kap. 2 I 2 a). 288 Zu dem Phänomen, daß Frauen im Erwerbsleben häufig im Vorstellungsbild der Männer nur als schwangere Frauen oder als Mütter existieren, obgleich zum Zeitpunkt der Befragung in dem entsprechenden Beschäftigungsbereich nur knapp über 50 % der 285

I . Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

225

mer wieder demonstrativ auf die Handvoll wirkliche "neue Väter" gezeigt wird 289 und Entscheidungen, bei denen herkömmliche Rollenklischees eine Rolle spielen, als "atypische Fälle" 290 bezeichnet werden. Solange nämlich Müttern noch immer die Verantwortung und insb. die Zeit für Kindererziehung überantwortet wird, ohne Möglichkeiten von Kinderbetreuung etc., solange wird es jedem Arbeitgeber, der auf lange Zeit verläßliche Mitarbeiter sucht, sicherer erscheinen, auf einen Mann statt auf eine Frau im "gebärfähigen Alter" zu setzen - auch wenn er selbst keinerlei Vorurteile in bezug auf weibliche Arbeitskräfte hat ! 2 9 1 Angesichts dieser Sachlage ist der Verstoß gegen den Gleichheitssatz bei Einstellungs- und Beförderungsquoten als noch verhältnismäßig anzusehen. (2) Bleibt das Problem der bevorzugenden Typisierung: Hier ist zu prüfen, ob ein noch "mäßiger" Prozentsatz von Frauen die Vergünstigungen erhalten würde, ohne in ihrem bisherigen Leben strukturelle Diskriminierung erfahren zu haben. In der ersten Witwerrenten-Entscheidung akzeptierte das BVerfG diesbezüglich einen Prozentsatz von 7,5 292 . Zu fragen ist also, ob ein nur verhältnismäßig kleiner Teil der Frauen insgesamt - wie das OVG Münster es ausdrückt - "keinerlei geschlechtsbedingte Nachteile in ihrem bisherigen Werdegang zu erleiden hatte"293. Vielfach wird dieser Teil der "unbelasteten Frauen" offensichtlich als nicht klein genug angesehen. So meint etwa Sachs, die Zahl der typisierend bevorzugten Frauen, die ledig oder zumindest kinderlos seien und daher die Nachteile der geschlechtstypischen Aufgabenteilung in der Familie nicht so zu tragen Frauen verheiratet waren und nur knapp 20 % der Frauen Kinder hatten, vgl. U. Krautkrämer-Wagner, Frauenförderung in der Justiz, in: Hessisches Ministerium der Justiz (Hrsg.), Frauen in juristischen Berufen - ein Brevier für Referendare und Referendarinnen, 1989, S. 106 f. 289 So etwa M. Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 441 f., mit der Bemerkung, dies seien wohl eher wenige Personen, jedoch immerhin mehr als "Einzelfälle"; ebenso wie hier H. Stach, S. 103. Sie kommt nämlich zu dem Schluß, daß eine tatsächliche Doppelbelastung gar nicht nötig sei, damit diskriminierende Strukturen entstehen. Vielmehr reiche bereits die Erwartung einer solchen aus. Es muß nach Stach deshalb festgestellt werden, "daß allein die gesellschaftliche Zuordnung der Verantwortung für Familie und Haushalt an die Frauen ausreicht, sie zu benachteiligen. Es hat dabei nicht so große Bedeutung, ob die Frauen diese Aufgaben tatsächlich ausüben"; ebenso C. Fuchsloch, Gleichberechtigungsdefizit, S. 444 f. 290 M Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 442. 291 So spricht auch J. Limbach, Trügerische Frauen-Freiheit, in: Die Zeit v. 24. 2. 95, S. 41, 42, davon, daß nicht erkannt werde, "[daß] die Verhandlungsmacht von Frauen auf dem Arbeitsmarkt von vornherein durch ihr Geschlecht und die diesem gesellschaftlich zugeschriebenen Aufgaben beeinträchtigt ist". Hier wird also Slupiks Gedanke des "weiblichen Sozialschicksals" extrem relevant. 292 BVerfGE 17, 1/24. 293 OVG Münster NVwZ 1991, S.501 ff./503. 15 Schweizer

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4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

hätten, dürfte heute kaum mehr verhältnismäßig gering sein, jedenfalls den im ersten Witwerrentenurteil akzeptierten Prozentsatz von 7,5 bei weitem überschreiten294. Dem ist jedoch schon entgegenzuhalten, daß solche Einlassungen wohl kaum als ein Argument für schon bestehende Chancengleichheit begriffen werden können: wer darauf abstellt, daß es schließlich viele gut ausgebildete Frauen gebe, die keine Kinder hätten und auch keine wollten, der vergißt zu fragen, warum das denn so ist, daß gerade Frauen in einem "guten Job" oder mit der Hoffnung auf einen solchen auf eine Familie mit Kindern verzichten. Man kann schließlich nicht ernsthaft von Chancengleichheit sprechen, wenn Frauen auf Kinder verzichten (müssen), damit sie u. U. das erreichen können, was Männern offensteht, ohne daß diese sich ihrerseits über die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" je Gedanken machen295. In der Theorie ist das auch anerkannt, so gab bereits im Jahre 1986 die Bundesregierung auf eine Große Anfrage hin folgende Erklärung ab 296 : "Tatsächliche Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie ist für die Eltern nämlich nur dann gegeben, wenn sie die Entscheidung nicht nur nach dem Prinzip "entwederoder" fällen müssen, sondern ihre Arbeit in der Familie und ihre berufliche Tätigkeit ohne unzumutbare Belastung miteinander vereinbaren können."

Auch die noch immer existierende strukturelle Diskriminierung in Verbindung mit der ζ. Τ noch ganz enormen Unterrepräsentanz von Frauen in vielen Berufsfeldern und höheren Positionen spricht dafür, daß der allergrößte Teil der Frauen tatsächlich eine solche Diskriminierung noch immer erlebt, auch wenn es in der Tat im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen immer mehr Frauen gibt, die alleine leben und /oder kinderlos sind und durch entsprechende Qualifikationen doch in der Lage sind, im Gegensatz zufrüher manch einer Diskriminierung zu entgehen297.

294

M. Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 441. Zu diesen Bedenken, daß auch Nichtbenachteiligte in den Genuß der Privilegierung kommen, auch S. Huster, S. 117; K.-H. Ladeur, S. 43. 295 Vgl. dazu für den Bereich der Hochschule J. Limbach, Trügerische FrauenFreiheit, S. 41: Ein junger Mann könne sich im Gegensatz zu einer jungen Frau "auf das Wagnis Habilitation auch angesichts künftiger Ehe- und Familienfreuden einlassen. Darf er doch auch heute noch darauf vertrauen, daß ihm seine Gefährtin den Rücken frei halten wird - im wohlverstandenen Interesse beider, versteht sich." 296 BT-Ds. 10/6340, S. 33. 297 Auf die Relevanz zeitlicher gesellschaftlicher Veränderungen geht ζ. B. auch M. Sachs ein, wenn er in bezug auf die Rentenalterentscheidung meint: "Ohne dies hier näher darstellen zu können, ist auch die typisierende Verwendung des Merkmals "Frau" für heute im Rentenalter befindliche Personen, die durch Übernahme familiärer Aufgaben vielfache rentenrechtliche Nachteile erlitten haben, zumindest nachvollziehbar", aus: Rentenaltersbeschluß, S. 441.

VI. Grundlagen zulässiger Frauenprivilegierung

227

Dennoch ist m. E. aus folgenden Gründen die Zulässigkeit typisierender Kompensationsmaßnahmen grundsätzlich abzulehnen. -

Gerade die Probleme, die bei der Prüfung auftauchen, ob in Sachen Gleichberechtigung eine bevorzugende Typisierung zulässig ist, zeigen deutlich, daß dieses vornehmlich im Sozial- und Steuerrecht angewandte Mittel der Typisierung hier zu kaum lösbaren Problemen führt, wenn sich nicht einmal klar feststellen läßt, wieviele Personen denn überhaupt durch das "Netz der Typisierung" fallen.

-

Außerdem ist Sachs zuzustimmen, wenn er die im Rentenalterbeschluß begonnene Typisierungsrechtsprechung als "Bruch in der Judikatur des BVerfG" bezeichnet298. Die Typisierung in diesem Beschluß steht in der Tat im direkten Widerspruch ζ. B. zu der Entscheidung zum Hausarbeitstag, ohne daß dies je erläutert worden wäre. Im übrigen ist wie gesehen in der neuesten Rechtsprechung des BVerfG ja auch eine gewisse Abwendung von der Typisierungsrechtsprechung zu beobachten, gerade wenn es um die Verfassungsmäßigkeit typisierender Schutzvorschriften geht, so daß vielleicht Sachs mit seiner Hoffnung, die Typisierung des BVerfG im Rentenalterbeschluß möge ein "einmaliger Ausreißer" bleiben und das Gericht zur "klaren Linie seiner vorhergehenden neueren Judikatur" zurückfinden 299, recht behalten könnte. Mit einer solch "heimlichen Abkehr" würde sich das BVerfG überdies im Einklang mit dem Europäischen Recht befinden, denn wie in der Rs. Barber und Moroni gesehen verschwendet der EuGH keinen Gedanken an die Möglichkeit einer typisierenden kompensatorischen Privilegierung von Frauen für vergangene Benachteiligungen300.

-

Obgleich mehr dafür als dagegen spricht, daß eine typisierende Bevorzugung von Frauen zum Ausgleich von strukturell bedingten Benachteiligungen nach den allgemeinen Grundsätzen über die Verfassungsmäßigkeit von Typisierungen zulässig ist, ist es also dennoch vorteilhaft, möglichst an die tatsächlichen Benachteiligungen anzuknüpfen und nicht an die hiermit "mehr oder minder stark korrelierende Geschlechtseigenschaft" 301. Das erscheint auch als die beste Möglichkeit, der Gefahr gerade einer Perpetuierung von Geschlechterstereotypen vorzubeugen und damit in dieser Hinsicht dem Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG Genüge zu tun. Diesen Weg hat allem Anschein nach auch bereits das BVerfG eingeschlagen, wenn es wie in seiner Entscheidung zur Feu-

298

M. Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 440. M. Sachs, Rentenaltersbeschluß, S. 440. So sieht das ζ. B. auch I. Ebsen, Koordinierung, S. 16. L Ebsen, Koordinierung, S. 16.

299 300 301

228

4. Kapitel: Frauenförderung. Insbesondere: die Quotenproblematik

erwehrabgabe eine typisierende Anknüpfung an das Merkmal "Frau" sogar bei schwangerschaftsbedingten Nachteilen ablehnt. Man wird deshalb alles in allem eine typisierende Betrachtung nur dann als sinnvoll ansehen können in Fällen, in denen ansonsten eine praktikable Lösung überhaupt nicht zu erreichen wäre. 7. Zulässigkeit von Quoten mit dem Zweck, sogleich nicht erst über die Zwischenstufe Chancengleichheit die Parität der Geschlechter durchzusetzen Art. 3 Abs. 2 GG gibt diesbezüglich keine Hilfe. Vielmehr wurde durch die jetzt ausdrückliche Verankerung und dadurch Verstärkung des Zieles der Chancengleichheit in der Verfassung dieser Ansatz sogar geschwächt. Negative Signale kommen diesbezüglich v. a. auch aus dem Europarecht (dazu sogleich), so daß ζ. Z. nicht von einer Zulässigkeit solcher Quotierungen auszugehen ist. 8. Zusammenfassung Nach hier vertretener Auffassung sind sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft leistungsbezogene Frauenquoten zulässig, sofern sie auf die Schaffung von Chancengleichheit abzielen. Bei Quotierungen im Beschäftigungsbereich ist dabei der erstrebte Anteil von Frauen auf ca. 1/3 zu begrenzen. Im Ausbildungsbereich hingegen sind paritätische Quotierungen zulässig, wobei hier aus Gründen der Effektivität an eine grundsätzliche Absenkung der Qualifikationsanforderungen zu denken ist. Gesetzliche Privilegierungen von Frauen aus einem Kompensationsgedanken heraus kommen nur dann in Betracht, wenn die Anknüpfung an die tatsächlichen Belastungen nicht machbar, das Geschlecht soz. als "Surrogatsmerkmal" unverzichtbar ist.

5. Kapitel

Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte und Bindungen

I. Das Ziel faktischer Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Europa- und Völkerrecht 1. Die Relevanz der sozialen Lage von Frauen Wie schon im 1. Kapitel angesprochen stellt die RL 76/207/EWG klar, daß es dem Gemeinschaftsrecht nicht nur um die Rechtsgleichheit der Geschlechter, sondern auch um die "Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen" geht1, hinsichtlich letzterer insbesondere um die Schaffung gleicher Bedingungen in bezug auf den Zugang zur Beschäftigung, zur beruflichen Bildung sowie zum beruflichen Aufstieg. Mit der Konkretisierung des Verbots mittelbarer Diskriminierung durch den EuGH ist dem Gemeinschaftsrecht damit eine Motorfunktion hinsichtlich der Entwicklung nationaler Rechtssysteme zugewachsen. Dabei konnte es auch auf einer Entwicklung im Völkerrecht hin zur Anerkennung und Förderung faktischer Gleichberechtigung aufbauen: Stand das Völkerrecht nach dem Zweiten Weltkrieg noch ganz im Zeichen der Gewährleistung von Rechtsgleichheit für Männer und Frauen - was seinen Niederschlag v. a. in Normen zur Stellung der Frau im Privat- und Familienrecht fand 2 sowie in der Gewährleistung des aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in der Convention on the Political Rights of Women von 19533 -, so war man sich jedoch bereits Ende der 60er Jahre darüber klar, daß allein dies in Widerspruch mit Taditionen und Herkommen treten konnte, wenn nicht sogar mußte. So heißt es in der Präambel der Convention on Consent to Marriage, Minimum Age for Marriage and Registration of Marriages klipp und klar, entsprechende Bräuche und Gesetze 1

Vgl. Präambel der RL 76/207/EWG, ABl. 1976 L 39,40. Vgl. Convention on the Nationality of Married Women, 1957 (BGBl. 73 II, 1249 ff), wonach jede Frau, ob verheiratet oder nicht, ein Recht auf eine eigene Staatsangehörigkeit haben soll; Convention on Consent to Marriage. Minimum Age of Marriage and Registration of Marriage, 1962 (BGBl. 69 II, 161). 3 Für die Bundesrepublik Deutschland Gesetz v. 25.9.1969, BGBl. II, 1929 (berichtigt in BGBl. 1970 II, 46), in Kraft seit dem 2.2.1971 (Bekanntgabe v. 11.1.1972, BGBl. II, 17). 2

230

5. Kapitel: Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte

müßten eben beseitigt werden4. Es kann also gerade im Hinblick auf manche Diskussionen in Deutschland über das Für und Wider "faktischer Gleichstellung"5 von Männern und Frauen festgestellt werden, daß sich das Völkerrecht der kulturellen und sozialen Bedeutung der Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter bereits zu einemfrühen Zeitpunkt durchaus bewußt war und diesbezügliche Veränderungen in Kauf genommen hat, und das, noch ehe etwaige Durchbrechungen des Grundsatzes der Rechtsgleichheit zur Verwirklichung faktischer sozialer Gleichberechtigung thematisiert wurden. Der Aspekt tatsächlicher Chancengleichheit fand zum ersten Mal Ausdruck in der ILO - Convention No. Ill Concerning Discrimination in Respect of Employment and Occupation von 19586. Mit dem Verständnis von Gleichheit als "equality of opportunity and treatment" wird der Gleichberechtigungsbegriff über die Gewährleistung rechtlicher Gleichheit auf die Ebene der tatsächlichen Chancen ausgedehnt, auch wenn die Konvention in ihrem Zusammenhang noch weitgehend auf die traditionelle Frage des Schutzes der Frauen bezogen war7. Ganz deutlich wird dann jedoch der Aspekt auch faktischer, sozialer Gleichberechtigung in der Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women von 19798 (künftig: Konvention). In Art. 3 dieses Übereinkommens9 heißt es: "Die Vertragsstaaten treffen auf allen Gebieten, insbesondere auf politischem, sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet, alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Sicherung der vollen Entfaltung und Förderung der Frau, damit gewährleistet wird, daß sie die Menschenrechte und Grundfreiheiten gleichberechtigt mit dem Mann ausüben und genießen kann."

Hier kommt ein ganzheitliches Verständnis von Gleichberechtigung zum Ausdruck. Obschon die RL 76/207/EWG früher als die Konvention wirksam wurde, kann man aufgrund der sehr langen Vorlaufzeit dieser völkerrechtlichen Vereinbarung durchaus auf eine gewisse Vorbildfunktion des Völkerrechts schließen10.

4 "... all states ... should take all appropriate measures with a view to abolishing such customs, ancient laws and practics ...", vgl. BGBl. 1969 II, S. 161 ff. (Präambel). 5 Vgl. nur W. Zöllner. 6 Für die Bundesrepublik Deutschland geltend mit Gesetz v. 8.3.1961, BGBl. II 97, in Kraft seit 15.6.1962. 7 U. Maidowski, S. 76. 8 Für die Bundesrepublik G. v. 25.4.1985, BGBl. II, 647 ff., in Kraft seit dem 9.8.1985 (Bekanntgabe v. 13.11.1985, BGBl. II, 1234). 9 Für die Bundesrepublik: G. v. 25.4.1985, BGBl. II S. 647 ff./651. 10 Dazu U. Maidowski,, S. 92 f., insb. FN 141.

I. Das Ziel faktischer Gleichberechtigung im Europa- und Völkerrecht

231

Hingegen ist die Europäische Menschenrechtskonvention11 für die vorliegende Thematik unergiebig. So heißt es in Art. 14 EMRK: "Der Genuß der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten muß ohne Unterschied des Geschlechts [...] gewährleistet werden."12 Art. 14 EMRK entspricht damit weitgehend der Struktur von Art. 3 Abs. 3 GG. Dabei formuliert die Vorschrift noch nicht einmal die allgemeine Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz, sondern garantiert lediglich, daß die aus der EMRK selbst fließenden Rechte ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausgeübt werden können. Rechtliche Differenzierungen nach dem Geschlecht sind diesbezüglich unzulässig. Die Ebene der faktischen Gleichberechtigung bleibt von Art. 14 EMRK jedoch unberührt, zulässige Differenzierungen nach dem Geschlecht kann es zwar geben13, nicht aber mit dem Ziel der Schaffung gleicher Lebens- und Arbeitsbedingungen14. 2. Das Problem der gleichheitsdurchbrechenden Maßnahmen Grundsätzlich gehen sowohl Europa- als auch Völkerrecht vom Grundsatz der Rechtsgleichheit von Frauen und Männern aus15. Sowohl in der RL 76/207/EWG als auch in der Konvention sind jedoch Vorschriften enthalten, die im Hinblick auf die Sicherung von Rechtsgleichheit auslegungsbedürftig sind.

11

Für die Bundesrepublik: BGBl. 1952 II, 686, in der Fassung durch die Protokolle Nr. 3 v. 6.5.1963 (BGBl. 1968 II, 1116), Nr. 5 v. 20.1.1966 (BGBl. 1968 II, 1120), Nr.8 v. 19.3.1985 (BGBl. 1989 II, 546 ff.). 12 Im Original (BGBl. 1952 II 686/ 690 f.): "The enjoyment of the rights and freedoms set forth in this Convention shall be secured without discrimination on any ground such as sex, race [etc.]." 13 Trotz der französischen Fassung "sans distinction aucune", vgl. J. Frowein/ W. Peuckert , Kommentar zur EMRK, 1985, Art. 14 Rz. 17. 14 Zu den zulässigen Differenzierungen J. Frowein/W. Peuckert, a. a. Ο., Art. 14 Rz. 17. 15 Art. RL 76/207; Art. 2 der Convention: "Die Vertragsstaaten verurteilen jede Form von Diskriminierung der Frau; sie kommen überein, mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu verfolgen, und verpflichten sich zu diesem Zweck, a) den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau in ihre Staatsverfassung oder in andere geeignete Rechtsvorschriften aufzunehmen ... b) durch geeignete gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, gegebenenfalls auch Sanktionen, jede Diskriminierung der Frau zu verbieten;...."

232

5. Kapitel: Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte

Die entscheidenden Passagen der für dieses Thema wichtigsten Richtlinie 76/207/EWG lauten 16 : Artikel 1 (1) Diese Richtlinie hat zum Ziel, daß in den Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, einschließlich des Aufstiegs, und des Zugangs zur Berufsbildung sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen und in bezug auf die soziale Sicherheit unter den in Absatz 2 vorgesehenen Bedingungen verwirklicht wird. Dieser Grundsatz wird im folgenden als "Grundsatz der Gleichbehandlung" bezeichnet.

(2) ...

Artikel 2 (1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf. (2) ... (3) Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen. (4) Diese Richtlinie steht nicht den Maßnahmen zur Förderung von Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlichen Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen, entgegen. In der Konvention heißt es: Artikel 4 (1) Zeitweilige Sondermaßnahmen der Vertragsstaaten zur beschleunigten Herbeiführung der De-facto-Gleichberechtigung 17 von Mann und Frau gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens, dürfen aber keinesfalls die Beibehaltung ungleicher oder gesonderter Maßstäbe zur Folge haben; diese Maßnahmen sind aufzuheben, sobald die Ziele der Chancengleichheit und Gleichbehandlung erreicht sind. (2) Sondermaßnahmen der Vertragsstaaten - einschließlich der in diesem Übereinkommen genannten Maßnahmen - zum Schutz der Mutterschaft gelten nicht als Diskriminierung. Überwiegend werden Art. 2 Abs. 4 RL und Art. 4 Abs. 1 Konvention so verstanden, daß um des Ziels faktischer Gleichberechtigung willen auch gleichheitsdurchbrechende Sondermaßnahmen zugunsten von Frauen erlaubt sind. (Unwiderlegbares) Hauptargument dafür ist, daß ansonsten diese Bestimmun16 17

RL 76/207/EWG Abi. 1976 Nr. L 39 S. 40 ff. "de facto equalitiy", "égalité de fait".

I. Das Ziel faktischer Gleichberechtigung im Europa- und Völkerrecht

233

gen schlicht überflüssig wären, sind doch alle gleichheitswahrenden Maßnahmen der Sozialpolitik ohnehin zulässig18. Andererseits wird aber auch deutlich, daß das Ziel gemeinschaftsrechtlicher Anstrengungen das Erreichen von CAa/îcewgleichheit zwischen den Geschlechtern ist. Das ergibt sich nicht nur aus der RL 76/207 selbst, sondern auch aus den Entschließungen des Rates zur Gleichberechtigung von Männern und Frau19

en . Insbesondere vor diesem Ziel der Chancengleichheit konnte bislang keine Einigung darüber erzielt werden, welche Art von Fördermaßnahmen Art. 2 Abs. 4 RL 76/207 denn überhaupt erlaube. In der Rs. Kommisssion/ Frankreich 0 meinte das Gericht zu dieser Vorschrift lediglich, sie lasse Maßnahmen zu, "die zwar nach ihrer äußerlichen Erscheinung diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen". Zu untersuchen wird sein, ob die jüngst ergangene Entscheidung des EuGH zu Art. 2 Abs. 1, 4 RL 76/207/EWG diesbezüglich Klarheit geschaffen hat.

18

Dazu U. Maidowski, S. 85 f., S. 95; A. Epiney/N. Refaeil, Chancengleichheit: ein teilbarer Begriff?, in: AjP 1996, S. 179 ff/185 f.; im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 GG kann man hier also schon aus den Vorschriften selbst entnehmen, daß gleichheitsdurchbrechende Maßnahmen grds. zulässig sein sollen. Das ist kein Widerspruch zu dem zu Art. 3 Abs. 2 GG Gesagten. Denn in Art. 4 der Konvention wird eindeutig das Mittel der Fiktion verwendet, was aber nur notwendig ist, wenn der Tatbestand einer Diskriminierung eigentlich erfüllt ist. Eine solch klare Fiktion besteht bei Art. 2 Abs. 4 RL zwar nicht. Jedoch hätte es einer gesonderten Vorschrift sicher nicht bedurft, um eine eng verstandene Beseitigung von Ungleichheiten abzusichern - insofern Anlehnung an das Völkerrecht. Gegen den Einwand, dann sei ja auch die Nachteilbeseitigungsklausel des Art. 3 Abs. 2 GG überflüssig, ist vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte folgendes zu sagen: Man konnte deshalb der Nachteilbeseitigungsklausel allein keine grds. Zulässigkeit gleichheitsdurchbrechender Maßnahmen entnehmen, weil eine eindeutige "Kompensationsklausel" ja gerade abgelehnt wurde. Die Befürworter eines engen Verständnisses von "beseitigen" störten sich nicht an einer evtl. Überflüssigkeit der Nachteilbeseitigungsklausel. Außerdem hat diese Klausel doch noch einen eigenen Sinn, indem sie nämlich klarstellt, daß es nicht nur um einen Abbau, sondern um die "Beseitigung" bestehender Nachteilen geht. 19 Entschließung des Rates vom 7. Juni 1984 zur Bekämpfung der Frauenarbeitslosigkeit, Abi. 1984, Nr. C 161/4 f. ("Eröffnung gleicher Chancen ...", "... Förderung der Chancengleichheit..."); Empfehlung des Rates vom 13. Dezember 1984, Nr. L 331/34, 35 ("Notwendigkeit, die Chancengleichheit der Frauen im Berufsleben zu fördern"); Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Minister für das Bildungswesen vom 3. Juni 1985 mit einem Aktionsprogramm zur Förderung der Chancengleichheit für Mädchen und Jungen im Bildungswesen, ABl. 1985, Nr. C 166/1 ff; Zweite Entschließung des Rates vom 24. Juli 1986 zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen, ABl. 1986, Nr. C 203/2 ff, 3 ("echte Chancengleichheit"). 20 EuGH Slg. 1988, 6315, 6336 Rz. 15.

234

5. Kapitel: Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte

Alles in allem ist also zunächst festzustellen, daß schon lange bevor in Deutschland dieses Thema auf die Tagesordnung kam, im Internationalen und im Europäischen Recht das Problem der faktischen Ungleichheit von Mann und Frau gesehen und diskutiert wurde mit dem Ergebnis, daß gleichheitsdurchbrechende Maßnahmen zur Förderung faktischer Gleichberechtigung zulässig sein können. Damit hat das deutsche Verfassungsrecht spätestens mit der Neufassung des Art. 3 Abs. 2 GG den Anschluß an Völkerrecht und Gemeinschaftsrecht gefunden.

Π . Der Fall "Kalanke" und die Folgen 1. Der Fall Kalanke und die Entscheidung des EuGH a) Sachverhalt und Vorlagefrage In der Sache Kalanke/Freie Hansestadt Bremeri 21 ging es um eine Beförderung im öffentlichen Dienst, genauer um die Stelle eines Sachgebietsleiters beim Gartenbauamt der Stadt Bremen: Beide Bewerber waren nach den Bewerbungsunterlagen im wesentlichen gleich qualifiziert. In solchen Situationen wird die Entscheidung - noch immer traditionell für den öffentlichen Dienst - nach dem "Hilfskriterium" des Dienstalters gefällt. Hr. Kalanke hatte 17 Dienstjahre, die Konkurrentin 15 Dienstjahre vorzuweisen. Der Bewerber Kalanke hatte außerdem drei "unterhaltsberechtigte Angehörige", nämlich Ehefrau und noch zwei in der Ausbildung befindliche Kinder, während die Bewerberin zwar verheiratet, der Ehemann jedoch finanziell selbständig war. Die Dienststelle schlug dem Personalrat letztlich die Beförderung des Herrn Kalanke vor. Auf den darauf folgenden Einspruch des Personalrats nach § 52 BremPersVG entschied die Schlichtung im Sinne der Dienststelle. Der Personalrat erklärte daraufhin die Schlichtung für gescheitert und rief die Einigungsstelle an. Diese schließlich entschied für den Arbeitgeber bindend, daß beide Bewerber, Herr Kalanke und Frau Glißmann, gleich qualifiziert seien und daß deshalb aufgrund des Landesgleichstellungsgesetzes der weiblichen Bewerberin der Vorrang gebühre § 4 BremLGG lasse in solchen Fällen keine Entscheidung nach traditionellen Hilfskriterien zu.

21

Rs. C-450/93 (Eckhard Kalanke/Freie Hansestadt Bremen, unterstützt durch Heike Glißmann).

II. Der Fall "Kalanke" und die Folgen

235

Die Vorschrift lautet: §4. Einstellung, Übertragung eines Dienstpostens und Beförderung. (1) Bei der Einstellung, einschließlich der Begründung eines Beamten- und Richterverhältnisses, die nicht zum Zwecke der Ausbildung erfolgt, sind Frauen bei gleicher Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber in den Bereichen vorrangig zu berücksichtigen, in denen sie unterrepräsentiert sind. (2) Bei der Übertragung einer Tätigkeit in einer höheren Lohn-, Vergütungs- und Besoldungsgruppe sind Frauen bei gleicher Qualifikation wie ihre männlichen Mitbewerber vorrangig zu berücksichtigen, wenn sie unterrepräsentiert sind. Das gilt auch bei der Übertragung eines anderen Dienstpostens oder bei Beförderung ... (3) ... (4) Die Qualifikation ist ausschließlich an den Anforderungen des Berufs, der zu besetzenden Stelle oder der Laufbahn zu messen. Spezifische, ζ. B. durch Familienarbeit, durch soziales Engagement oder ehrenamtliche Tätigkeit erworbene Erfahrungen und Fähigkeiten sind Teil der Qualifikation i. S. des Abs. 1 und 2, wenn sie bei der Ausübung der jeweiligen Tätigkeit dienlich sind. (5) Eine Unterrepräsentation liegt vor, wenn in den einzelnen Lohn-, Vergütungsund Besoldungsgruppen der jeweiligen Personalgruppe einer Diensstelle nicht mindestens zur Hälfte Frauen vertreten sind. Dies gilt auch fur die nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Funktionsebenen.

Kalanke griff diese Entscheidung gerichtlich an: Er verlangte die ausgeschriebene Stelle und darüber hinaus Schadensersatz, da er wegen seines Geschlechts diskriminiert worden sei. Vor dem ArbG machte er geltend, er sei besser qualifiziert als die Konkurrentin, was von der Einigungsstelle verkannt worden sei. Außerdem verstoße das LGG mit seiner Quotenregelung gegen die Verfassung des Landes Bremen, gegen das Grundgesetz sowie gegen § 611a BGB. Das ArbG wies die Klage ab, desgleichen das LAG die Berufung 22. Kalanke legte Revision ein. Das BAG ging wie das LAG von der gleichen Qualifikation der Bewerber sowie davon aus, daß Frauen im Gartenbauamt unterrepräsentiert seien, und sah die in § 4 BremLGG verankerte leistungsabhängige Quote als gesetzes- und verfassungskonform an. Evtl. Zweifel aufgrund der Tatsache, daß diese Vorschrift keinerlei Regelung zur Berücksichtigung von Härtefällen, Ausnahmen o. ä. enthielt, räumte das Gericht beiseite, indem es feststellte, § 4 BremLGG sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß Frauen bei der Beförderung grundsätzlich zu bevorzugen seien, daß aber in bestimmten Härtefällen eine Ausnahme von dieser Bevorzugung zu machen sei23. Das BAG setzte dennoch das Verfahren am 22.6.1993 aus und legte dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 177 EGV die 22 23

Urteil v. 8.7.1992; vgl. LAG ArbuR 1992, 376, auch PersR 1992, 529. BAG DB 1994, 429 ff./431.

236

5. Kapitel: Gemeinschafsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte

Frage vor, ob die Regelungen des Bremer Gleichstellungsgesetzes mit der RL 76/207 EWG vereinbar seien24. b) Die Entscheidung des EuGH 25 Die Entscheidung des Gerichts lautete: Zwar seien nach Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 nationale Maßnahmen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung einschließlich des Aufstiegs zulässig, "die die Frauen spezifisch begünstigen und darauf ausgerichtet sind, deren Fähigkeiten zu verbessern, auf dem Arbeitsmarkt mit anderen zu konkurrieren und unter den gleichen Bedingungen wie die Männer eine berufliche Laufbahn zu verwirklichen" 26. Jedoch sei Art. 2 Abs. 4 RL als Ausnahme von einem in der Richtlinie verankerten individuellen Recht - gemeint ist das Recht auf Gleichbehandlung - eng auszulegen. Vor diesem Hintergrund hatte der EuGH im wesentlichen zwei Kritikpunkte im Hinblick auf das Bremer Landesgleichstellungsgesetz: So gehe eine nationale Regelung, die den Frauen bei Ernennungen oder Beförderungen "absolut und unbedingt" den Vorrang einräume, über eine Förderung der Chancengleichheit hinaus und überschreite damit die Grenzen der in Art. 2 Abs. 4 Richtlinie vorgesehenen Ausnahme. Außerdem setze eine solche Regelung insofern, als sie darauf abziele, daß in allen Vergütungsgruppen und auf allen Funktionsebenen einer Dienststelle mindestens ebenso viele Frauen wie Männer vertreten seien, an die Stelle der in Art. 2 Abs. 4 vorgesehenen Förderung der Chancengleichheit das Ergebnis, zu dem "allein die Verwirklichung einer solchen Chancengleichheit" führen könne27. Mit diesen Erwägungen begründete das Gericht seine Auffassung, daß eine Regelung, wie sie § 4 BremLGG enthalte, gegen Art. 2 Abs. 1 und Abs. 4 der RL 76/207/EWG verstoße.

24

Zum genauen Wortlaut der Fragen an den EuGH vgl. BAG EuZW 1993, 552 L. Urteil v. 17.10.1995, Rs. C-450/93. 26 EuGH NJW 1995, 3109f./3110. Unklar und dogmatisch etwas schwammig ist in diesem Zusammenhang die Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, Art. 2 Abs. 4 RL 76/207 erlaube solche Maßnahmen, "die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen ...", ebd. Wären solche Maßnahmen nämlich wirklich nur dem "Anschein" nach diskriminierend, fielen sie überhaupt nicht unter das Verbot des Art. 2 Abs. 1 RL. 27 EuGH NJW 1995, S. 3110, Rz. 23. 25

II. Der Fall "Kalanke" und die Folgen

237

2. Reaktionen a) Reaktionen im Schrifttum Vielfach wurde das Urteil des EuGH als Bestätigung der Unzulässigkeit von Quoten überhaupt angesehen nach dem Motto: Jetzt ist die Sache endlich vom Tisch28. Der Schlagabtausch fand auch in den Medien statt, die Diskussion war hochpolitisiert29. Wer einen Rückschlag im Bemühen um die Schaffung faktischer Gleichberechtigung annahm, kam jedoch nicht unbedingt zu dem gleichen Schluß wie die Quotengegner, die nun die Frage der Zulässigkeit von Quoten endlich entschieden sahen. Ganz im Gegenteil wurde von vielen schon kurz nach dem Urteil daraufhingewiesen, daß es in dem entschiedenen Fall um eine ganz bestimmte Form der Quote gegangen sei, die Feststellung der Unzulässigkeit dieser Quotierung jedoch nicht als Argument benutzt werden könne, Quoten überhaupt als Verstoß gegen Europarecht zu werten30. Der EuGH habe vielmehr nur eine solche Quotierung für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1, 4 RL gehalten, die eine automatische und unbedingte Bevorzugung von Frauen bei Unterrepräsentanz und gleicher Qualifikation vorgeschrieben habe. Auf Quotierungsvorschriften, die eine Härteklausel im Sinne einer Möglichkeit zur Einzelfallprüfung beinhalten, könne daher das Urteil überhaupt keine Anwendung finden31. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß das BAG ausgeführt habe,

28

K.-G. Loritz, Anmerkung zur "KalankeM-Entscheidung, in: EuZW 1995, 763 ff./764; R. Scholz/Hans Hofmann, Anmerkung, WiB 1995, S. 951 ff., die als Voraussetzung für eine Bevorzugung von Frauen eine "individuelle Benachteiligung im Lebenslauf der zufördernden Personen", etwa in Gestalt von Nachteilen durch Kindererziehungszeiten, fordern (S. 953). 29 Vgl. z. B. U. Ott, 1:0 gegen die Quote, in: Die Woche v. 20.10.1995, S. 8: "Eckhard Kalanke ist es gelungen, zehn Jahre Frauenpolitik an einem Vormittag ad absurdum zu führen", zitiert Gisela Böhrk (Frauenministerin Schleswig-Holstein, SPD) mit der Bemerkung "Rückschritt in die 50er Jahre"; von einem 'ungeheuren Rückschlag' spricht auch H. Pfarr, Sorge älterer Herren, Interview, in: Die Woche v. 20.10.1995, S. 8, mit der Bemerkung, wenn man den Schlußantrag des Generalanwaltes lese, auf den sich ihrer Auffassung nach das Gericht stütze, dann merke man, "daß da ältere Herren sitzen, die langsam Sorge kriegen, daß die Welt sich verändert"; D. Schiek, Die EuGHEntscheidung "Kalanke" - Folgerungen für antidiskriminierende Maßnahmen im öffentlichen Dienst, in: PersR 1995, S. 512 ff./517, fürchtet gar eine paradoxe Reaktion der Verwaltung, nämlich daß nun bei gleicher Qualifikation eher der Mann eingestellt werde. 30 Vgl. schon U. Ott, 1:0 gegen die Quote; dies., Der Euro-Hammer, in: Die Woche v. 20.10.1995, S. 1: "kein generelles "Aus" für Quote, aber doch ein herber Rückschlag"; ähnlich H. Pfarr, Sorge älterer Herren, Interview, die ohnehin eher für Frauenförderpläne plädiert. 31 D. Schiek, EuGH-Entscheidung "Kalanke", S. 513; C Fuchsloch, Kalanke und die Folgen, in: FuR 1996, S. 87 ff./89; A. Sporrer, "Automatische" Frauenquoten widersprechen EU-Recht, in: DRdA 1996, S. 79 ff/81.

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5. Kapitel: Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte

§ 4 BremLGG sei verfassungskonform dahin auszulegen, daß Frauen bei Beförderungen grundsätzlich zu bevorzugen seien, daß aber in bestimmten Härtefällen eine Ausnahme von dieser Bevorzugung zu machen sei. Diese Feststellung habe das BAG nämlich nicht in seine Vorlage/fage einfließen lassen. Da der EuGH aber nicht befugt sei, das nationale Recht selbst auszulegen, habe diese Auslegung des BAG daher auch nicht Gegenstand der Entscheidung des EuGH in Sachen Kalanke sein können32. Daß der EuGH in seine Überlegungen keine Härteklausel miteinbezogen habe, zeige sich außerdem schon allein daran, daß in der Zusammenfassung der Vorlagefrage duch den EuGH von der Zulässigkeit einer automatischen Bevorzugung gleichqualifizierter Frauen gesprochen werde und dementsprechend auch die Entscheidungsformel sich auf eine Bevorzugungsregel beziehe, nach der Frauen bei gleicher Qualifikation und Vorliegen von Unterrepräsentanz in dem betreffenden Bereich automatisch der Vorrang eingeräumt werde. b) Die deutsche Rechtsprechung nach "Kalanke " In eben diese Richtung, der EuGH habe in seiner Entscheidung nur eine bestimmte Form von Quote für unzulässig erklärt, geht auch die Entscheidung des BAG 33 nach der Beantwortung seiner Vorlagefragen durch den EuGH. Das BAG stellte zwar fest, daß die Quotenregelung des Bremer LGG nicht mit Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren sei, hielt sich jedoch sozusagen ein "Hintertürchen" offen, indem es nun von zwei unterschiedlichen Arten von Härtekausein ausging. So sei für eine gemeinschaftskonforme Auslegung der Klausel deshalb kein Platz gewesen, weil der bremische Gesetzgeber bewußt keine allgemeine Härteklausel vorgesehen habe und sich damit von differenzierten Klauseln in den Gleichstellungsgesetzen anderer Bundesländer habe unterscheiden wollen. Zwar seien Ausnahmen für krasse Härtefälle und sinnwidrige Ergebnisse auch durch die Bremer Quote nicht ausgeschlossen. Das genüge jedoch nicht für die Annahme, die bremische Regelung enthalte keine automatische Bevorzugung von Frauen und sei deshalb nach der Entscheidung des EuGH zulässig. Gegenüber anderen Gleichstellungsgesetzen, die ausdrücklich Ausnahmen in unterschiedlicher Weise zulassen oder sehr differenzierte Quoten vorschreiben, gelten diese Bedenken nach Ansicht des BAG jedoch nicht 34 . Das OVG Münster35 hingegen sah seine restriktive Haltung zu Quotenregelungen durch die Entscheidung des EuGH bestätigt. § 25 Abs. 5 S. 2 Halbs. 1

32 33 34 35

D. Schiek, EuGH-Entscheidung "Kalanke", S. 513; C. Fuchsloch, Kalanke, S. 89. BAG ArbuR 1996, S. 145. Vgl BAG v. 5.3.96 - 1 AZR 590/92 (A), Kalanke, Pressemitteilung. OVG Münster v. 19.12.95, ArbuR 1996, S. 154.

II. Der Fall "Kalanke" und die Folgen

239

LBG-NW, der ebenfalls eine leistungsorientierte Frauenquote für Beförderungen vorsieht, sei seit dem 'Kalanke-Beschluß' durch ein EG-rechtliches Anwendungsverbot außer Kraft gesetzt. Ebenso entschied das VG Trier 36 zur "Frauenquote1' des § 7 des Rheinland-Pfälzischen Landesgleichstellungsgesetzes. Beide Gerichte halten es für unerheblich, daß die von ihnen zu beurteilenden "Frauenquoten" im Gegensatz zu § 4 BremLGG eine "Härteklausel" ausdrücklich vorsehen. Demgegenüber ging das ArbG Berlin 37 davon aus, der 'Kalanke-Beschluß1 stehe der Anwendung der "Frauenquote" in § 8 des Berliner Landesgleichstellungsgesetzes - ebenfalls mit Härteklausel - nicht entgegen, und gab der Klage einer Arbeitnehmerin statt, die sich gegen die Besetzung einer Leitungsposition mit einem anderen, ebenfalls im öffentlichen Dienst Berlins beschäftigten Bewerber wandte, da sie gleich qualifiziert sei und außerdem über längere Berufserfahrung verfüge. Das VG Gelsenkirchen38 hielt § 25 Abs. 5 S. 2 HS. 1 LBGNW zwar ebenfalls für unvereinbar mit EG-Recht und nationalem Verfassungsrecht, hatte aber Zweifel, ob Frauenquoten mit oder ohne "Härteklausel" gleich zu beurteilen sind, und legte deshalb dem EuGH die Frage vor, ob eine "Frauenquote" mit "Härteklausel" mit RL 76/207/EWG vereinbar ist. Die Frage liegt also zur Zeit wieder beim EuGH. Fazit: Die Situation ist etwas verworren und unklar. Eine Prüfung des Gehalts der EuGH-Entscheidung vor dem Hintergrund der in Kap. 3 und 4 gewonnenen Ergebnisse erscheint unter diesen Umständen angezeigt. 3. Der Gehalt des EuGH-Urteils a) Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit Der EuGH störte sich insbesondere daran, daß seiner Auffassung nach mit der leistungsabhängigen Quote das Bremer Gleichstellungsgesetz eine Parität der Geschlechter auf allen Arbeits- und Funktionsebenen hergestellt wissen wollte. Dieses Ziel gehe jedoch über das Ziel der Schaffung von Chancengleichheit hinaus. Was das Gericht genau unter Chancengleichheit und entsprechend zulässigen Maßnahmen versteht, kommt in der kurzen Begründung des Urteils jedoch nicht genau zum Vorschein.

36 37 38

VG Trier v. 4.12.1995 , ArbuR 1996, S. 154. ArbG Berlin v. 10.1.1996, ArbuR 1996, S. 154. VG Gelsenkirchen v. 21.12.95, ArbuR 1996, S. 154.

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5. Kapitel: Gemeinschaftsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte

Eine ausführliche Darstellung über die Ziele der RL 76/207 findet sich jedoch in den Schlußanträgen des GA Tesauro39, die das Urteil letztlich auch geprägt haben. Tesauros Standpunkt ist nicht leicht abzuklären. Versteht er das Ziel der RL einmal als die Herstellung inhaltlicher Gleichheit, wobei er darunter "Gleichheit der Gruppen" versteht40, so spricht er an anderer Stelle vom Ziel der Chancengleichheit, ohne diese beiden Begriffe gerade mit Blick auf die in inhaltlicher Gleichheit angesprochene kollektive Dimension näher zueinander ins Verhältnis zu setzen oder zu beschreiben. Klar wird nur, daß Tesauro mit inhaltlicher Gleichheit der Gruppen offenbar kein paritätisches Verständnis verbindet, schließlich wendet er sich ganz deutlich gegen eine Gleichheit des Ergebnisses etwa in Form einer gerechten Verteilung von Arbeitsplätzen "in rein numerischer Hinsicht"41. Nun wurde ζ. T. daraufhingewiesen, daß das Gericht im Gegensatz zum GA keine strikte Trennung von Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit vollzogen habe, wenn es sich auf den Standpunkt stellt, daß nur die Verwirklichung von Chancengleichheit zu einer Ergebnisgleichheit führen dürfe 42. M. E. ist das so nicht ganz richtig. Auch in den Ausführungen Tesauros wird ein gewisser Ergebnisbezug in dem Sinn deutlich, daß er Chancengleichheit durchaus darin sieht, "in die Lage zu versetzen, gleiche Ergebnisse zu erreichen ..."43 D. h.: Man kann feststellen, daß sowohl das Gericht als auch der GA Tesauro der Chancengleichheit einen Ergebnisbezug insofern nicht absprechen, als daß letztlich das Ziel faktischer Gleichberechtigung durchaus in einer Ergebnisgleichheit gesehen wird. Insofern befindet sich der EuGH ganz auf der Linie des hier vertretenen Modells "ergebnisorientierter Chancengleichheit". b) Die "positiven Maßnahmen" des Art. 2 Abs. 4 RL 76/207 Hauptproblem in der Rs. Kalanke war die Frage, ob Quotenregelungen, wie sie das Bremer Landesgleichstellunggesetz vorsieht, unter Art. 2 Abs. 4 der RL 76/207 fallen. Es ist also zu untersuchen, welche Art von Maßnahmen von die39

Schlußanträge des GA G. Tesauro in der Rs. C-450/93, Slg. 1995, 3051 ff. Schlußanträge Tesauro (Fn. 39), Rz. 7. 41 Schlußanträge Tesauro, Rz. 13. 42 EuGH NJW 1995, S. 3110 Rz. 23. So D. Schiek, "Kalanke" und die Folgen Überlegungen zu EG-rechtlichen Anforderungen an betriebliche Gleichstellungspolitik, in: ArbuR 1996, S. 128 ff./129. 43 Schlußanträge Tesauro (Fn. 39), Rz. 13; vgl. dazu auch Y. Hangartner, Gleicher Zugang von Männern und Frauen zu öffentlichen Ämtern, in: AjP 1995, S. 1554 ff/1554, der überhaupt annimmt, daß das Gericht den Anträgen Tesauros gefolgt ist. 40

II. Der Fall "Kalanke" und die Folgen

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ser Vorschrift erfaßt werden. Ist bereits festgestellt worden, daß Art. 2 Abs. 4 nur dann sinnvoll sein kann, wenn er gleichheitsdurchbrechende Maßnahmen legitimiert, so ist bei Tesauro die Tendenz erkennbar, auch Maßnahmen sozialpolitischer Art als von Art. 2 Abs. 4 abgedeckt zu sehen44. Abgesehen davon ist jedoch für die vorliegende Untersuchung wichtig, daß er Durchbrechungen der Rechtsgleichheit durch Art. 2 Abs. 4 RL nur für zulässig hält, "um die Ausgangspositionen der benachteiligten Gruppen zu verbessern, um eine echte Situation der Chancengleichheit zu gewährleisten"45. Auch dieser Ansatz Tesauros wird vom EuGH übernommen, wenn er sagt, die angegriffene Vorschrift des Bremer Gleichstellungsgesetzes setzte statt auf Chancengleichheit auf die Gleichheit der Ergebnisse. In diesem Rahmen wird jedoch nicht klar und eindeutig aufgezählt, welche "positiven Maßnahmen" denn von Art. 2 Abs. 4 RL genau gemeint sein könnten. Vielmehr stellt sich diesbezüglich eine gewisse Tendenz heraus - v. a. auf Seiten Tesauros - den Art. 2 Abs. 4 RL auch auf Maßnahmen anzuwenden, die entsprechend dem etwas mißverständlichen Wortlaut der Vorschrift auf die Beseitigung von Nachteilen i. e. S. abzielen46. Das heißt: GA Tesauro erweckt durchaus den Eindruck, er wolle Art. 2 Abs. 4 RL zwar nicht ganz wegreden, aber auch nicht wirklich benutzen. Eines ist jedoch klar und das kam auch im Urteil selbst zum Ausdruck: Dem Vorfeld der Beschäftigung - das Gericht spricht schließlich von einer Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit von Frauen und von gleichen Bedingungen für eine berufliche Laufbahn 47 - kommt erhöhte Bedeutung zu und deshalb ist das Gericht offenbar auch gewillt, in diesem Bereich eher gleichheitsdurchbrechende Maßnahmen zuzulassen als im Beschäftigungsbereich ("Arbeitsplätze" als "Endpunkte"). Alles in allem stellt sich meines Erachtens die Situation im Europäischen Recht vor dem Hintergrund der in den Kapiteln 3 und 4 gewonnenen Ergebnisse deshalb folgendermaßen dar: c) Zulässige Fördermaßnahmen nach Gemeinschaftsrecht Indem das Gericht betont, Art. 2 Abs. 4 RL erlaube solche Maßnahmen, die darauf ausgerichtet seien, die Fähigkeiten von Frauen zu verbessern, auf dem Arbeitsmarkt mit anderen zu konkurrieren, billigt es etwa gesonderten Fortoder Weiterbildungsveranstaltungen sowie Privilegierungen von Frauen im Bereich der Ausbildung den grundsätzlichen Schutz dieser Vorschrift zu. 44 45 46 47

Schlußanträge Tesauro (Fn. 39), Rz. 18. Schlußanträge (Fn. 39), Rz. 19. Schlußanträge (Fn. 39), Rz. 13, 24. EuGH NJW 1995, S. 3110, Rz. 19.

16 Schweizer

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5. Kapitel: Gemeinschafsrechtliche und völkerrechtliche Aspekte

Hingegen sieht der EuGH eine unmittelbar beschäftigungswirksame Bevorzugung nicht mehr als unter das Ziel der Chancengleichheit fallend an. D. h.: Die Auffassung des EuGH verträgt sich durchaus mit dem in Kapitel 4 vertretenen System der Schaffung von Chancengleichheit durch Fördermaßnahmen. Auffällig ist, daß der EuGH hinsichtlich Frauenquoten im Beschäftigungsbereich überhaupt nicht auf den Aspekt der zukunftsgerichteten Funktion solcher Maßnahmen im Sinne der Bekämpfung von Rollenstereotypen eingeht (mittelbare Wirkung), und das, obwohl das BAG ihm diese Argumente quasi in den Mund gelegt hatte und der EuGH selbst diese auch nochmals erwähnt48. Jedoch stört sich das Gericht offenbar an der Höhe des erstrebten Anteils weiblicher Mitarbeiter (50 %) und sieht das Ziel einer solchen Regelung deshalb in der Schaffung von Ergebnisgleichheit49. Genau dieses Problem der Anteilsbemessung bei symbolisch wirkenden Quoten wurde bereits angesprochen. Aufgrund des von § 4 BremLGG angepeilten Ziels gleicher Verteilung von Frauen und Männern auf die Arbeitsplätze glaubten die Richter wohl nicht mehr so recht daran, daß mit den Quoten lediglich das Ziel der individuellen Chancengleichheit verfolgt werden sollte. Außerdem wird aus den Ausführungen des GA Tesauro deutlich, daß Quoten vielfach lediglich aus einem vergangenheitsbezogenen Kompensationsansatz heraus betrachtet wurden, und hier spielt eine künftige Einstellungsveränderung natürlich keine Rolle50. D. h.: Es spricht nichts dagegen, daß Frauenquoten im Beschäftigungsbereich als zukunflsbezogene, chancensichernde Maßnahmen nach den Kriterien des EuGH zulässig sind. Hinsichtlich der Kritik an einer "absoluten" und "unbedingten" Bevorzugung weiblicher Bewerber ist wie schon angesprochen bereits aus sprachlichen Gründen davon auszugehen, daß nur eine Bevorzugung von Frauen ohne Blick auf die individuelle Lage des Mannes gegen Art. 2 Abs. 1 RL verstößt. M. E. handelt es sich hier um die Frage der Verhältnismä-

48

EuGH NJW 1995, S. 3109. In diese Richtung wohl auch L. Osterloh, in: M. Sachs, GG, 1996, Rn. 288 zu Art. 3 GG, wenn sie im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH zustimmend meint, leistungsabhängige "50%-Quoten" würden dann den Rahmen zulässiger Förderung von Chancengleichheit sprengen, "soweit sie erkennbar das Ziel paritätischer Repräsentanz ..., nicht aber das des Schutzes vor Diskriminierung verfolgen ... ". Allerdings wird daraufhin nicht näher ausgeführt, welche Konsequenzen sich daraus für konkrete Maßnahmen ergeben. Osterloh beläßt es diesbezüglich bei der Bemerkung, erforderlich seien "differenzierend bemessene und formulierte Entscheidungs- oder Zielquoten, die für die konkrete Einstellungs- oder Beförderungsentscheidung einen adäquaten Abwägungsspielraum offenhalten", vgl. ebd. 50 Schlußanträge Tesauro (Fn. 39), Rz. 9. 49

II. Der Fall "Kalanke" und die Folgen

243

ßigkeit, die eben vom EuGH anders beurteilt wurde als vom Bremer Landesgesetzgeber51. 4. Fazit Alles in allem harmoniert die hier für Art. 3 Abs. 2 GG vertretene Auslegung mit dem Standpunkt des EuGH. Der EuGH hat in der Rs. Kalanke nur solchen Beschäftigungsquoten eine Absage erteilt, die - gestützt auf den Gedanken der Kompensation - auf Schaffung von Parität abzielen. Sofern jedoch durch die Privilegierung von Frauen eine verbesserte Chancengleichheit (im ergebnisbezogenen Sinn) erreicht werden soll, ergeben sich aus der Kalanke-Entscheidung des EuGH keine Einschränkungen der Möglichkeiten deutschen Rechts, das Gericht verlangt lediglich eine zusätzliche Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand des jeweiligen Einzelfalles.

51

So auch A. Sporrer, S. 80.

Zusammenfassung und Ausblick

(1) Die faktische Benachteiligung von Frauen ist trotz erheblicher Erfolge bzgl. rechtlicher Gleichstellung nach wie vor fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Noch immer verhindert die Zuschreibung der Familiensorge an die Frauen, daß sie v. a. ihren beruflichen Lebensweg unter gleichen Bedingungen gehen können wie die Männer. Auch wenn sich Frauen für die traditionelle Rolle als Mutter und Hausfrau, evtl. variiert durch Teilzeiterwerbstätigkeit, entscheiden, setzt sich die Benachteiligung in ökonomischer Abhängigkeit, mangelhafter Altersvorsorge etc. fort. (2) Die Verankerung des neuen Verfassungsauftrags im Grundgesetz bewirkt eine erhöhte Bedeutung des Prinzips faktischer Gleichberechtigung im Grundrechtsgefüge. Dies ist zu berücksichtigen, wenn Maßnahmen zur Förderung echter Chancengleichheit in Konflikt zu anderen Verfassungsgütern treten. Außerdem äußert sich dieser relative Vorrang in einer weitreichenden Kontrollkompetenz des BVerfG hinsichtlich gesetzlicher Regelungen. (3) Der neue Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zielt auf die Schaffung effektiver individueller Chancengleichheit. Damit ist klargestellt, daß Art. 3 Abs. 2 GG kein Gruppenrecht ist. Allerdings ist es nicht möglich, Chancengleichheit ganz ohne Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten, insb. auf die geringe Partizipation von Frauen an ökonomischer und politischer Macht zu beurteilen. Vielmehr erlangt die "Ergebnisebene" Bedeutung als Indikator für (chancen)gleichheitswidrige Lagen. Darüber hinaus ist eine gleichmäßige Verteilung von Positionen und Mitsprachemöglichkeiten letztlich auch Ausdruck einer chancengleichen Lebensführung selbst. Aufgrund dieses Ergebnisbezuges sind Opfer auf Seiten des bislang dominierenden Geschlechts zwangsläufig. Hierbei auftretende Konflikte sind im Wege der Abwägung der entgegenstehenden Interessen zu lösen. Art. 3 Abs. 2 GG enthält diesbezüglich sowohl ein Differenzierungsverbot als auch ein Differenzierungsgebot. (4) Geht es um die Zulässigkeit von Frauenförderung, hängt diese zunächst vom angestrebten Ziel der betreffenden Maßnahmen ab. Privilegierungen von Frauen gegenüber Männern müssen dem Ziel individueller Chancengleichheit dienen, um unter den Schutz des neuen Verfassungsauftrages zu fallen. In diesem Rahmen können begrenzt leistungsbezogene Quoten im Beschäf-

Zusammenfassung und Ausblick

245

tigungsbereich zulässig sein, sowohl im öffentlichen Dienst als auch durch gesetzliche Anordnung in der Privatwirtschaft. Ein größerer Spielraum existiert im Bereich der Ausbildung. Dennoch sind aus Gründen der Effektivität m. E. bloße Zielvorgaben, verbunden mit der Inaussichtstellung staatlicher Vergünstigungen, gegenüber Quotenregelungen vorzuziehen. Frauenförderung im Sinne von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ist zulässig. Dabei ist immer der Zweck solcher Maßnahmen im Auge zu behalten, der nicht etwa in einer Durchbrechung, sondern angesichts struktureller Benachteiligung von Frauen gerade in der Verwirklichung des Leistungsprinzips liegt. (5) Die Entwicklung im Gemeinschaftsrecht hat dem deutschen Recht wichtige Impulse in Sachen Gleichberechtigung gegeben. Es ist nach hier vertretener Auffassung kein Grund ersichtlich, warum sich dies durch das "Quotenurteil" des EuGH aus dem Jahre 1995 geändert haben sollte. Vielmehr ist es bei Zugrundelegung eines zukunftsorientierten Förderansatzes möglich, nationales und Gemeinschaftsrecht zu harmonisieren. (6) Das Gebot effektiver Chancengleichheit nimmt in Kauf, daß sich das Gesicht der Gesellschaft erheblich wandelt. Hauptaufgabe wird deshalb sein, sich der Herausforderung neuer Familienverhältnisse zu stellen. Dabei kommt den sozialpolitischen Maßnahmen eine immense Bedeutung zu, man denke nur an Modelle zur Kinderbetreuung, an Entlastung der Arbeitgeber von schwangerschafts- und mutterschaftsbedingten Kosten etc. Hier muß "Farbe bekannt werden": Einerseits an bewährten Strukturen festhalten zu wollen, etwa mit dem Argument, eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter wirke sich zuungunsten von Familie und Kindern aus, andererseits jedoch in Sonntagsreden für die Gleichberechtigung der Frau einzutreten, ist ein Widerspruch in sich. Richtig ist, daß die Entlastung der Frau von ihrer Alleinzuständigkeit für familiäre Belange nicht zu Lasten der Kinder gehen sollte. Richtig ist aber auch, daß sich Männer hartnäckig weigern, einen Teil dieser Lasten zugunsten der Familie und damit auch der Kinder zu übernehmen. In dieser Situation darf aber nicht den Frauen der "schwarze Peter" zugeschoben werden, sondern hier ist der Staat als Grundrechtsgarant verpflichtet, durch sozialpolitische Maßnahmen vielerlei Art auf eine, wie auch Art. 3 Abs. 2 GG jetzt deutlich sagt, "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" hinzuwirken. Auch wenn dies in Zeiten angespannter Haushaltslagen keine gern gehörte Forderung ist, muß nochmals betont werden, daß es um soziale Gerechtigkeit für die Hälfte des (Wahl)Volkes geht.

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Sachwortverzeichnis

Anknüpfungsverbot 114, 115 ff., 122 f., 125 Arbeit - ungleiche Verteilung 57 ff. Bedeutungsermittlung 101 f., 108 Begründungsverbot 116 f. "Blaustrümpfe" 32,43 Bundesratskommission s. Verfassungsreform Bundesverfassungsgericht, Entscheidungen - zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen ("Nachtarbeitsurteil") 93, 111, 114, 133, 166 ff., 190, 205 ff. - zum Renteneintrittsalter 95, 113, 115, 131, 165 ff., 203 ff., 210, 213,227 - zum Hausarbeitstag 167, 203, 227 - zur Feuerwehrabgabe 206 f., 209 f., 228 - s. auch Typisierungsrechtsprechung Campe 28 f., 31 Chancengleichheit 58, 71, 75, 79, 80, 86, 126 ff., 140 ff., 150 ff., 170, 184 ff., 197 ff., 220, 226, 228, 230 ff., 240 ff. - ergebnisorientierte 80, 141 ff., 147 f., 157, 191, 198,212,214, 240 - und Rechtsgleichheit 142, 144 - als Einschränkung der staatlichen Handlungsbefugnis? 157 Differenzierungsverbot 110, 113, 116 f., 123, 126 f., 166, 169 f., 174, 186 ff., 190, 197 f.

Diskriminierung 48 ff., 68 ff., 92, 122, 125, 143 ff. - Begriff 143 ff. -umgekehrte 78,183 - und Gruppenebene 125,143 f. - und Vorurteile 125,143 f. - und die Interdependenz von Ursache und Wirkung 143 f. Diskriminierung, diskrete 66, 68, 70 Diskriminierung, mittelbare 48 ff., 69 f., 123, 232 - Entscheidungen des EuGH in den Rs. Bilka und Jenkins 49 f. Diskriminierung, strukturelle 70 f., 103, 191, 225 f. Diskriminierung, unmittelbare 48, 68 f., 188 Diskriminierung, verdeckte 69 f. Diskriminierungsverbot 80,93, 114, 124, 166, 173 f., 187, 206 Dominierungsverbot 83, 93, 125 f., 188 f., 199 Doppelbelastung 62, 113 ff., 166 f., 170, 207 - s. auch Arbeit Doppelverdiener(tum) 24, 33, 43, 63, 138, 147 Ehestandsdarlehen 33 Ergebnisgleichheit 75, 77, 79 ff., 86, 128 ff., 135, 141, 147 f., 155, 191, 239 f., 242 - s. auch Parität Erhöhung bzw. erhöhte Bedeutung 102 ff., 108, 198,218, 221

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Sachwortverzeichnis

- s. auch Vorrang, relativer; Vorrangrelation, bedingte Erwerbstätigkeit -derFrau 21 ff., 57ff. - von Frauen in der DDR und in den Neuen Ländern 63 ff. - s. auch Doppelbelastung Europäische Menschenrechtskonvention 231 Europarecht -Art. 119 EGV 47 f. - Ablehnung des Kompensationsgedankens durch den EuGH 203 f. - s. Diskriminierung, mittelbare Familie, bürgerliche 28, 31 ff., 34 f. - die bürgerliche Familie als staatstragendes Element 31 ff. - und die Gleichberechtigung der Frau 33, 140 - und der Aspekt der Geburtenrate 33, 135 ff., 140 - und Rollenverteilung 57 f., 136 - und Gesellschaft bzw. Ökonomie 135 ff. - s. auch Hausfrauenehe; Frauenarbeit; Doppelverdienertum Familienarbeit 57 ff. - s. auch Arbeit Familienname 33, 44 Fichte -Theorie der Geschlechterpolarität 27 "Formelkompromiß" 84 Frauenarbeit 21 ff., 57 ff. - s. auch Familienarbeit; Arbeit Frauenbewegung - deutsche Frauenbewegung 35 ff. - "neue" Frauenbewegung 44 ff. Frauenförderung 73, 75, 81, 158, 163, 178, 180ff., 200 ff, 213 - s. auch Quotierung Frauenfördergesetze 160 ff. Frauenförderplan s. Frauenfördergesetze Freiheit s. Gleichheit "Freiheit ohne Inhalt" 90,193

Garantenstellung 89 Gemeinsame Verfassungskommission - Entstehungsgeschichte und Einrichtung 52 ff. -Mitglieder 56 - Berichterstatter für den Themenbereich "Gleichberechtigung" 56 f. - der Kompromiß 82 - Abschlußbericht 85 f., 106, 133 ff, 151 Gerechtigkeit - aristotelisches Gerechtigkeitsverständnis 128 f. - ausgleichende Gerechtigkeit 128 f. - Verteilungsgerechtigkeit 128 f. Geschlechterdualismus 27, 34 - Theorie des Geschlechterdualismus 27 - vgl. auch Fichte, Campe, Riehl, v. Hippel Geschlechterstereotypen 43, 66, 227 Gesetzesvorbehalt 109 Gleichberechtigung, faktische 71, 76, 92 ff, 103, 113, 135 ff, 156, 187, 190, 196 ff. - als Gefahr für Familie und Gesellschaft? 135 ff. - in Europa- und Völkerrecht 229 ff. - s. auch Gleichberechtigung in der sozialen Wirklichkeit Gleichberechtigung in der sozialen Wirklichkeit 92, 94, 104, 112, 122, 127, 197 f., 210, 218 Gleichberechtigungsdefizit 57, 94 - s. auch Diskriminierung, mittelbare; Gleichberechtigung, faktische Gleichberechtigungssatz, Der 39 ff, 74 ff, 90, 93, 95 ff, 108, 111, 115 ff, 139, 155, 165, 168, 170, 183 ff, 206 ff. - s. auch Seibert, Elisabeth - Vorschläge zur Neufassung 72 ff. - als Gleichberechtigungsgebot 168; s. auch Verfassungsaufgabe

Sachwortverzeichnis - als "Besitzstandsklausel"? 176, 182, 184, 198 - η. F. und Art. 6 Abs. 5 GG 91 ff., 108, 198 - n. F. als Differenzierungsgebot 198 - s. auch Anknüpfungsverbot, Begründungsverbot Gleichheit 190 ff. - Paradox der Gleichheit 191 ff. - s. auch "Freiheit ohne Inhalt" "Gleichmacherei" 40 f., 75, 193 Gleichstellung 72 ff., 92, 124, 128 ff., 138, 140 f., 146, 148, 152, 190 ff., 198, 208,210,216 Gleichstellungsauftrag 100, 124, 134, 191 Grundgesetz - als Wert(rang)ordnung 99 ff. - s. auch praktische Konkordanz Grundrechte 88 ff. - als Abwehrrechte 88 f., 94 f. - als wertentscheidende Grundsatznormen 88 - soziale Dimension 88 f. - und Verfassungsaufgaben 95 - s. auch Garantenstellung; Grundrechtsdenken, institutionelles Grundrechte, soziale 90 f. - und Staatszielbestimmungen/ Verfassungsaufträge 91 Grundrechtsdenken, institutionelles 89 Hausfrauenehe 138, 147; s. auch Familie, bürgerliche v. Hippel 29, 71 Kinderbetreuung 58, 63 f., 115, 142, 145, 148, 166 f., 201,225 Kompensation 84, 86, 113, 188, 200 - rückwärtsgewandter Charakter 202 ff. - und Typisierungsproblematik 223 ff. Kompensationsklausel 55, 75 ff., 149 ff., 200

Kontrollkompetenz des BVerfG 105, 107; s. auch Vorrang, relativer Maßstab Mann 45, 75, 78, 103, 127 Normalbiographie, männliche 58, 64, 184, 142 - und Anpassung der Frauen 64 Parität 55, 77, 124 ff., 132, 134, 155, 157, 186, 189, 193, 208, 212 ff., 228, 239 f., 243 Patriarchalismus - traditioneller und sekundärer 26 ff, 30 - sekundärer 71, 143 - s. auch Diskriminierung, strukturelle; Geschlechterdualismus praktische Konkordanz 100,190 "preferred freedoms" 102, 104 - s. auch Vorrang, relativer; Vorrangrelation, bedingte; Erhöhung Prinzipien s. Prinzipienmodell Prinzipienmodell 195 ff. Quote 73, 75 f., 82 ff., 131, 158 ff., 200 f., 207 ff., 215 ff. -Begriff und Arten 158 f. - und Europarecht 234 ff. Quotierung s. Quote Riehl 28, 31 ff. Rollentranszendenz 139, 190 Rollenverteilung 58, 69, 114, 205, 207 - "potentieller Rollentausch" 124, 129, 134 - Perpetuierung der Geschlechterrollen/ -stereotypen 205, 210, 227; s. auch Kompensation - und Erziehung 31, 64 - s. auch Segregation, geschlechtsspezifische; Familienarbeit; Frauenarbeit; Arbeit; Sozialschicksal, weibliches; Diskriminierung, diskrete Rollenvorbilder, positive 210 f.

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Sachwortverzeichnis

Segregation, geschlechtsspezifische 60 ff., 139 Seibert, Elisabeth 39 ff. Sozialschicksal, weibliches 124, 186 f., 214 Staatsaufgabe 86 f., 95, 108, 221 Staatsziel 74, 85, 94 f., 98 f., 100, 103, 106, 108, 190 - s. Staatszielbestimmung Staatszielbestimmung 53, 86 ff, 91, 94 ff., 107, 156,214 - und Staatsaufgabennorm 86 f. - und Programmsatz 86 - s. auch Verfassungsauftrag Teilhaberechte, derivative 89 Teilzeitarbeit 49 f., 59, 64, 68, 161, 185 Typisierungsrechtsprechung 114, 165 ff., 202, 227 - und der Trend zur Individualisierung 166 f., 206 f. Verfassungsaufgabe 87, 90, 95, 122, 126, 132

- als minus zu Verfassungsauftrag 87, 95 - als Gestaltungsbefugnis 95 - als Ausdruck der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte 95 Verfassungsauftrag 86 f., 90 ff., 120 ff., 132, 156 f., 187,190, 198 f., 206, 210, 214, 223, 227 - und Verfahrensrechte 98 -Adressat 106 ff. - s. auch Grundrechte, soziale; Verfassungsaufgabe Verfassungskommission, Gemeinsame s. Gemeinsame Verfassungskommission Verfassungsreform, Bundesratskommission 74 Vorrang, relativer 99 ff; s. auch Erhöhung Vorrangrelation, bedingte 102 f.; s. auch Vorrang, relativer; Erhöhung Vorurteile s. Diskriminierung Zölibatsklausel 24