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German Pages 380 Year 2000
OLIVER SPU1ll..ER
Das System des internationalen und supranationalen Schutzes von Marken und geographischen Herkunftsangaben
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 67
Das System des internationalen und supranationalen Schutzes von Marken und geographischen Herkunftsangaben
Von Oliver Spuhler
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Spuhler, Oliver: Das System des internationalen und supranationalen Schutzes von Marken und geographischen Herkunftsangaben / von Oliver Spuhler. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum europäischen Recht; Bd. 67) Zugl.: Bayreuth, Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09996-6
D703 Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-09996-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Für Verena
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1998/ 1999 von der Rechtsund Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde das Manuskript auf den Stand August 1999 gebracht. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich zunächst bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rudolf Streinz, der mich jederzeit mit Anregungen und Ratschlägen unterstützt hat. Ein ganz besonderer Dank gebührt darüber hinaus Herrn Prof. Dr. Volker Emmerich für die äußerst zügige Zweitkorrektur und Herrn Prof. Dr. Diethelm Klippel für die rasche Terminierung des Kolloquiums. Während der Erstellung des Manuskripts wurde ich u. a. auch von der Dr. JostHenkel-Stiftung, Düsseldorf, materiell unterstützt. Die Drucklegung wurde ermöglicht durch den finanziellen Einsatz meines Arbeitgebers, der Rechtsanwälte Wessing & Berenberg-Gossler. Stellvertretend möchte ich mich insoweit bei Frau Dr. Sabine Rojahn, Frau Dr. UrseI Paal und Herrn Dr. Hans-Friedrich Loth bedanken. Maßgebliche Anregungen für die vorliegende Arbeit gingen ferner auch von der juristischen Arbeitsgruppe "Pilatus" aus. Für den permanenten Zuspruch bedanke ich mich bei Herrn Dr. Thorsten Bieg, Herrn Dr. Michael König und Herrn Lukas Mempel. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die "Schriften zum Europäischen Recht" danke ich den Herausgebern, Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera sowie Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten. Abschließend richte ich eine ganz spezielle Danksagung an meine Frau und meine Eltern für Hilfestellungen jeglicher Art und ständige Rücksichtnahme. München, im März 2000
Oliver Spuhler
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel
Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
23
§ 1 Einleitung und Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen .................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
A. Der Markenbegriff im internationalen, supranationalen und nationalen Recht
24
I. Das internationale Markenrecht ..................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
11. Das supranationale Markenrecht .........................................
26
III. Das nationale Markenrecht am Beispiel Deutschlands. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
B. Der Begriff der geographischen Herkunftsangaben im internationalen, supranationalen und nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
I. Das internationale Recht der geographischen Herkunftsangaben ... . . . . . . .
30
11. Das supranationale Recht der geographischen Herkunftsangaben .........
33
1. Grundlagen bis zum Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92
33
2. Das Schutzsystem der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 ...............
35
III. Das nationale Recht der geographischen Herkunftsangaben am Beispiel Deutschlands ............................................................
41
1. Definition und Arten geographischer Herkunftsangaben im MarkenG
44
2. Abgrenzung geographischer Herkunftsangaben von Gattungsbezeichnungen im MarkenG ..................................................
48
Zweites Kapitel
Der internationale Markenschutz
52
§ 1 Das internationale markenrechtliche Schutzsystem im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
§ 2 Pariser Verbandsübereinkunft und Madrider Markenabkommen als die zentralen Kodifikationen ....................................................................
54
10
Inhaltsverzeichnis A. Die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) ......................................
54
I. Historische Entwicklung .......................................... . . . . . . .
54
11. Zielsetzung und Struktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
III. Die PVÜ als Bestandteil des nationalen Rechts ..........................
56
IV. Unmittelbare Anwendbarkeit der PVÜ im nationalen Recht. . . . .. . .. . . . . .
57
V. Die Auslegung der PVÜ .................................................
58
VI. Die wesentlichen materiellen Regelungen der PVÜ ......................
59
1. Das Prinzip derInländerbehandlung ..................................
59
a) Das Gleichstellungselement ............................... . .......
60
b) Das kollisionsrechtliche Element ................... .. . . . . . . .. .. .. .
61
2. Überblick über die für den nationalen Markenschutz bedeutsamsten Mindestrechte der PVÜ ...............................................
63
a) Die Unionspriorität ...............................................
63
b) Der Schutz der notorisch bekannten Marke ........................
64
aa) Der Begriff der notorisch bekannten Marke ...................
64
bb) Die völkerrechtliche Ausgangslage ...........................
68
cc) Die Voraussetzungen des völkerrechtlichen Schutzes..........
69
c) Dertelle quelle-Schutz............................................
72
VII. Verbandsrecht ...........................................................
75
B. Das Madrider Markenabkommen (MMA) .. .. ..................................
77
I. Geschichtliche Entwicklung .............................................
77
11. Die internationale Markenregistrierung ..................................
77
III. Das Protokoll zum Madrider Markenabkommen (PMMA) ...............
79
1. Entstehung und Zielsetzung ..... .. . .. . .. . .. . . . .. . .. .. .. . .. .. .. . .. . . .. .
79
2. Abweichungen zwischen dem MMA und dem PMMA ................
80
IV. Die internationale Registrierung einer Marke nach dem System des MMA und des PMMA im Rahmen des deutschen MarkenG . . . . . . . . . . . . . .
83
§ 3 Reformversuche und Reformbestrebungen im internationalen Markenschutz .......
85
A. Revisionskonferenzen zur PVÜ .................................. . . . . . . . . . .....
85
B. Der Trade Mark Registration Treaty (TRT) von 1973...........................
86
Inhaltsverzeichnis
c.
II
Die Weiterentwicklung des internationalen Markenschutzes im Rahmen des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) und im Rahmen der World Trade Organization (WTO) ....................................................
87
I. Die Ministererklärung von Punta deI Este ............. . ..... . .... . ..... . .
87
Ir. Gründe für die Hinwendung zum GATT .................................
88
III. Der Abschluß der Uruguay-Runde und die Entstehung der WTO .........
95
IV. Das Abkommen über "Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights" (TRIPS) .........................................................
98
I. Ziele und Struktur des TRIPS-Abkommens ...........................
99
2. Überblick über den markenrechtlich relevanten Inhalt des TRIPS-Abkommens ........................................... ..................
99
a) Die im TRIPS-Abkommen verankerten Grundprinzipien ..........
99
aa) Inländerbehandlung .......................................... 100 bb) Meistbegünstigung ........................................... 100 cc) Das Gebot der Transparenz ................................... 103 dd) Das Prinzip der Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer.. 103 b) Das spezielle internationale Markenrecht im TRIPS-Abkommen .. 104 c) Die Rechtsdurchsetzung nach dem TRIPS-Abkommen............ 110 aa) Inhaltlicher Überblick ........................................ 111 (1) Allgemeine Pflichten .....................................
111
(2) Zivil- und Verwaltungsverfahren und Rechtsbehelfe ...... 112 (3) Einstweilige Maßnahmen................................. 114 (4) Besondere Erfordernisse bei Grenzmaßnahmen ........... 115 (5) Strafverfahren ............................................ 117 bb) Handlungsbedarf für das deutsche Recht ...................... 117 3. Die Zuständigkeits- und Umsetzungskompetenz für die markenrechtlich relevanten Teile des TRIPS-Abkommens im Spannungsverhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht ........................ 119 4. Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS-Abkommens im nationalen und europäischen Recht ........................................... 122 5. Das Verhältnis des TRIPS-Abkommens zur PVÜ und ihren Sonderabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123 D. Aktivitäten der WIPO zur Reform des internationalen Markenschutzes ......... 124
12
Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel
Das supranationale Markenrecht
127
§ 1 Die Markenrechtsrichtlinie (MarkenRL) ......... . ................................. 127 § 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV) ............................... 128
A. Entstehungsgeschichte. Struktur und Zielsetzung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 128 B. Grundprinzipien der Gemeinschaftsmarke ..................................... 131 I. Grundsatz der Einheitlichkeit ............................................ 131 11. Das Verhältnis zwischen nationalen Kennzeichenrechten und der Gemeinschaftsmarke ....................................................... BI III. Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Gemeinschaftsmarke ........... 132 IV. Markenbegriff. Markenformen und Markenfunktionen ................... 133 V. Eintragungsgrundsatz .................................................... 134 VI. Die Schaffung eines Ausschließlichkeitsrechts ........................... 135 VII. Grundsatz der Unabhängigkeit........................................... 135 VIII. Grundsatz der Verlängerbarkeit .......................................... 136
c.
Die Heranziehung europäischen und nationalen Rechts im Rahmen der GMarken V .................................................................... 136 I. Verknüpfungen im materiellen Recht .................................... 137 11. Kooperationen im Verfahrensrecht ....................................... 139
D. Überblick über das materielle Markenrecht auf Grundlage der GMarken V ...... 139 I. Markeninhaberschaft ............................. . ...................... 139 11. Prioritätsregelungen ..................................................... 140 III. Absolute Eintragungshindemisse ........................................ 142 IV. Relative Eintragungshindernisse .................. . ...................... 145
V. Die Wirkungen der Gemeinschaftsmarke ................................. 147 1. Umfang des Markenschutzes. ..... ... ... . . . . .. ... ... . .. . . . . . ... . . . . . .. 147
a) Absoluter Markenschutz gern. Art. 9 I lit.a) GMarkenV (Doppelidentität) .......................................................... 147
Inhaltsverzeichnis
13
b) Verwechslungsschutz der Gemeinschaftsmarke gern. Art. 9 I lit.b) GMarkenV ........................................................ 148 aa) Grundsätze zum Begriff der Verwechslungsgefahr in der GMarkenV ................................................... 149 bb) Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit ........... . ........... 160 ce) Markenähnlichkeit ........................................... 172 dd) Verwechslungsgefahr infolge gedanklicher Verbindung ....... 180 c) Der Schutz der bekannten Gemeinschaftsmarke gern. Art. 9 Ilit.c) GMarkenV ........................................................ 188 aa) Der Bekanntheitsbegriff ...................................... 191 bb) Markenidentität und Markenähnlichkeit ...................... 194 ce) Schutz der bekannten Marke auch innerhalb der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit? ................................... 196 dd) Markenmäßige Benutzung als Schutzvoraussetzung? ......... 200 d) Rechtsfolgen einer Verletzung der Gemeinschaftsmarke ........... 207 2. Schranken des Markenschutzes .............. . ..................... . .. 208 a) Lautere Benutzung durch Dritte ...... . ............ . ............... 209 b) Erschöpfungsgrundsatz .................. .. ........................ 210 c) Verwirkung durch Duldung ........................................ 210 d) Die Verjährung gemeinschaftsmarkenrechtlicher Ansprüche. .. . . .. 211 VI. Gemeinschaftsmarkenrechtlicher Benutzungszwang ..................... 212 I. Art. 15 GMarkenVals Ausgangsbestimmung .......................... 212 2. Rechtsfolgen der Nichtbenutzung ..................................... 215 VII. Die Rolle der Gemeinschaftsmarken als Vermögens gegen stand .......... 216 1. Der Rechtsübergang bei Gemeinschaftsmarken ....... . ............... 216 2. Gemeinschaftsmarkenlizenzen ........................................ 218 3. Weitere Rechtspositionen ............................................. 219 VIII. Verzicht, Verfall und Nichtigkeit ......................................... 220 IX. Gemeinschaftskollektivmarken .......................................... 222 X. Möglichkeit der Umwandlung einer gemeinschaftsmarkenrechtlichen Anmeldung in eine nationale Marke ..................................... 223
14
Inhaltsverzeichnis E. Das Verfahrensrecht der GMarkenV im Überblick.............................. 224 I. Die Verfahren vor dem Harmonisierungsamt ............................. 224 1. Das Anmeldeverfahren ............................................... 226
2. Das Widerspruchsverfahren ........................................... 228 3. Das Verfalls- und Nichtigkeitsverfahren ............................... 230 4. Das Beschwerdeverfahren ............................................ 231 11. Die gemeinschaftsmarkenrechtliche Klage zum EuGH ................... 232 III. Der Gemeinschaftsmarkenprozeß ........................................ 233
F. Das Verhältnis der GMarkenV zu anderen europäischen Rechtsakten und zu völkerrechtlichen Abkommen im Bereich des Kennzeichenschutzes ............ 234 G. Überblick über die Regelungen des MarkenG in bezug auf das Gemeinschaftsmarkenrecht ................................................................... 236
Viertes Kapitel
Das Spannungsverhältnis zwischen nationalen sowie supranationalen Markenrechten und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in der EU
238
§ 1 Einleitung ......................................................................... 238 § 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht ............................ 239
A. Rechtslage unter Geltung des WZG ............................................ 239 I. Der Erschöpfungsgrundsatz im Rahmen des WZG ....................... 239 11. Ausnahmen vom Erschöpfungsgrundsatz unter Geltung des WZG . . . . . . .. 240 III. Das Prinzip der internationalen Erschöpfung............................. 241 B. Rechtslage unter Geltung des MarkenG ........................................ 245
I. Die Regelung des § 24 I MarkenG ....................................... 245 I. Der territoriale Anwendungsbereich des § 24 I MarkenG .... . . . . . . . . .. 248 a) Die Auffassung des BGH ......................................... 248 b) Stellungnahmen in der Literatur...... . ... . ........................ 250 c) Die Auffassung des EuGH ........................................ 257 2. Fallgruppen zum Inverkehrbringen durch den Kennzeicheninhaber selbst bzw. mit seiner Zustimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266 a) Inverkehrbringen durch den Kennzeicheninhaber selbst ........... 266
Inhaltsverzeichnis
15
b) Inverkehrbringen im Rahmen einer Konzernstruktur . . . . . . . . . . . . . .. 266 c) Vom Kennzeicheninhaber konsentiertes Inverkehrbringen ... . ..... 267 aa) Die Zustimmung im Rahmen eines Lizenzvertrages . . . . . . . . . .. 268 bb) Die Zustimmung im Rahmen eines Vertriebsvertrages ........ 270 11. Die Begrenzung der Erschöpfungswirkung gern. § 24 11 MarkenG . . . . . . .. 270 § 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht auf Grundlage der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV ............................................................. 277
A. Die gemeinschaftsrechtliche Ausgangslage in bezug auf markenrechtliche Fallgestaltungen ................................................................... 277 B. Die Begrenzung des nationalen Markenschutzes durch das europäische Wettbewerbsrecht und Warenverkehrsrecht in der Rechtsprechung des EuGH ......... 278 I. Europäisches Wettbewerbsrecht und Warenverkehrsrecht im Verhältnis zueinander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278
11. Die historische Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf das Verhältnis der Artt. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV zu den Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30 ff.) EGV .................................................... 279 III. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung in der Rechtsprechung des EuGH ................................................................... 283 I. Ausgangssituation .................................................... 283
2. Die Behandlung der nationalen Markenrechte in der Rechtsprechung des EuGH ............................................................ 283 a) Die Rechtfertigung der Beschränkung des Warenverkehrs gern. Art. 30 (ex-Art. 36) S. I EGV ..................................... 286 aa) Unberechtigtes Kennzeichnen ................................ 288 bb) Markendifferenzierungen ..................................... 289 cc) Das Umpacken von gekennzeichneten Erzeugnissen.......... 290 dd) Markenaufspaltungen .................................. ; . . . . .. 294 (I) Markenaufspaltungen aufgrund hoheitlicher Entscheidun-
gen ....................................................... 294 (2) Markenaufspaltungen aufgrund voluntativer Entscheidungen ....................................................... 296 b) Die Schutzschranke des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV (willkürliche Diskriminierung und verschleierte Handelsbeschränkung) ... 304
16
Inhaltsverzeichnis c) Der territoriale Anwendungsbereich des Spannungsverhältnisses zwischen den nationalen Markenrechten und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs ............................................. 306 d) Die Bedeutung der warenverkehrsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH für die Auslegung des § 24 MarkenG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 309
Fünftes Kapitel Rechtsprobleme im Bereich des Schutzes geographischer Herkunftsangaben
311
§ I Einleitung ......................................................................... 311 § 2 Das Verhältnis der VO (EWG) Nr. 2081/92 zum nationalen Schutz geographischer Herkunftsangaben ................................................................. 311
A. Kritik an der VO (EWG) Nr. 2081 /92 ......................................... 311 I. Unzureichende Kompetenzgrundlage .................................... 311
11. Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 34 (ex-Art. 40) III UA2EGV .............................................................. 315 III. Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 319
IV. Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Eigentumsgrundrecht ........ 320 B. Der Ausschließlichkeitsanspruch der VO (EWG) Nr. 2081/92 ................. 323 I. Die Stellungnahme der Kommission ..................................". .. 323 II. Die Auslegung der VO (EWG) Nr. 2081/92 ............................. 325
III. Der Einfluß des Art. 22 I lRIPS-Abkommen auf die Auslegung der VO (EWG) Nr. 2081 /92 ..................................................... 336 IV. Auslegungsergebnis ..................................................... 348
Sechstes Kapitel Schlußbetrachtung und Zusammenfassung
349
Literaturverzeichnis ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 352
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 378
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
a. a. O.
arn angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
AbI. a.E.
a.F. Alt. Anm.
am Ende alte Fassung Alternative Anmerkung
Art.
Artikel (singular)
Artt.
Artikel (plural)
BayVGH
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
BB Bd.
Betriebsberater (zitiert nach Jahr und Seite) Band
Begr. BGB
Begründung Bürgerliches Gesetzbuch vorn 18. August 1896 (RGBI. S. 195)
BGHZ BI.
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BPatGE
Entscheidungen des Bundespatentgerichts Bundestags-Drucksache
BT-Drucks. BVerfG
Blatt für das Patent-, Muster- und Zeichenwesen (zitiert nach Jahr und Seite)
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
bzw. DB
beziehungsweise Der Betrieb (zitiert nach Jahr und Seite)
ders. d. h.
derselbe das heißt
dies. DÖV
dieselbe Die Öffentliche Verwaltung (zitiert nach Jahr und Seite)
Dok. DPMA
Dokument Deutsches Patent- und Markenamt
DSB
Dispute Settlement Body
DSU
Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes
DZWir
Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
ecolex
Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
ECTA
European Communities Trade Mark Association
2 Spuhler
Abkürzungsverzeichnis
18 EFTA EGBGB
European Free Trade Association Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGB\. I S. 2494, ber. 1997 I S. 1061)
EGV
Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft
Ein\. EIPR
Einleitung European Intellectual Property Review (zitiert nach Jahr und Seite)
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention (eigentlich: Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) vom 04. November 1950 (BGB\. 195211, S. 685)
EU
Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuG EuGH EuGHE EuR EuV EuZW EWG EWGV EWR EWS
f. FAZ ff. Fn. FS GATT gern. GG
Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Europarecht (Zeitschrift) (zitiert nach Jahr und Seite) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht (zitiert nach Jahr und Seite) und folgende Seite Frankfurter Allgemeine Zeitung und folgende Seiten Fußnote Festschrift General Agreement on Tariffs and Trade gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGB\. 11 I Nr. 100-1)
ggf. GMarkenV
gegebenenfalls Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20. Dezember 1993 (Ab\. EG Nr. L II vom 14. Januar 1994, S. 1) geändert durch Verordnung (EG) Nr. 3288/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 (Ab\. EG Nr. L 349 vom 31. Dezember 1994, S. 83)
GPÜ
(Luxemburger) Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt vom 15. Dezember 1975 in der Fassung vom 21. Dezember 1989 (BGB\. 1991 11 S. 1361)
Grdz.
Grundzüge
GRUR GRURlnt.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil (zitiert nach Jahr und Seite) Gemeinschaft unabhängiger Staaten (vormalige Sowjetunion)
GUS
Abkürzungsverzeichnis h.M. Hrsg. hrsg.
19
herrschende Meinung Herausgeber herausgegeben
HS
Halbsatz
IGH IIC
Internationaler Gerichtshof in Den Haag International Review of Industrial Property and Copyright Law (zitiert nach Jahr und Seite)
ILM WBPR
International Legal Materials
IPrax lTO i.Y.m. JZ Ht. LG LMBG
LRE LUA MA MarkenG
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGB\. 197311, S. 1533) Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (zitiert nach Jahr und Seite) International Trade Organization in Verbindung mit Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) litera Landgericht Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen in der Fassung der Bekanntmachung vom 09. September 1997 (BGB\. I S. 2296) Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen (zitiert nach Band und Seite) Lissaboner Abkommen über den Schutz der Ursprungsbezeichnungen und ihre internationale Registrierung vom 31. Oktober 1958 Markenartikel (zitiert nach Jahr und Seite) Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen vom 25. Oktober 1994 (BGB\. I S. 3082, berichtigt BGB\. 1995, I S. 156)
MarkenR
Zeitschrift für deutsches, europäisches und internationales Markenrecht (zitiert nach Jahr und Seite)
MarkenRL
Erste Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG) vom 21. Dezember 1988 (Ab\. EG Nr. L 40, vom 11. Februar 1989, S. 1)
MarkenV
Verordnung zur Ausführung des Markengesetzes vom 30. November 1994 (BGB\. I S. 3555)
MHA
Madrider Abkommen vom 14. April 1891 über die Unterdrückung falscher oder irreführender Herkunftsangaben in der Fassung vom 31. Oktober 1958 (BGB\. 196111 S. 293)
Mitt. MMA
Mitteilungen der deutschen Patentanwälte (zitiert nach Jahr und Seite)
MuW m.w.N. NAFTA 2·
Madrider Markenabkommen vom 14. April 1891 über die internationale Registrierung von Fabrik- und Handelsmarken in der Fassung vom 14. Juli 1967 (BGB\. 197011 S. 418) Markenschutz und Wettbewerb (zitiert nach Jahr und Seite) mit weiteren Nachweisen North American Free Trade Agreement
Abkürzungsverzeichnis
20 NJW
Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite)
NKA
Abkommen von Nizza über die Internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in der Genfer Fassung vom 13. Mai 1977 (BGB\. 1981 11 S. 359)
Nr.
Nummer
ÖB\.
Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht
OGH
Oberster Gerichtshof der Republik Österreich
OLG
Oberlandesgericht
PatG
Patentgesetz vom 5. Mai 1936 in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 (BGB\. 1981 I S. 2)
PMMA
Protokoll zum Madrider Markenabkommen über die internationale Registrierung von Marken vom 27. Juni 1989 (BGB\. 199511 S. 1017)
PVÜ
Pariser Verbandsübereinkunft vom 20. März 1883 zum Schutz des gewerblichen Eigentums in der Stockolmer Fassung vom 14. Juli 1967 (BGB\. 197011 S. 293)
RabattG
Rabattgesetz vom 25. November 1933 (BGB\. I S. 1001)
RabelsZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel (zitiert nach Jahr und Seite)
RBÜ
Revidierte Berner Übereinkunft
RG
Reichsgericht
RGB\.
Reichsgesetzblatt
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RIW/AWD
Recht der Internationalen Wirtschaft, Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (zitiert nach Jahr und Seite)
Rnr.
Randnummer
Rs.
Rechtssache
s.
siehe
S. SAB Sec. Slg. sog.
Seite
st.
ständige
Standing Appellate Body Section Sammlung (Rechtsprechungssammlung des EuGH) sogenannt
str.
streitig
TLT
Trademark Law Treaty
TRIPS
Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (BGB\. 1994 11 S. 1730)
TRT
Trademark Registration Treaty
Tz.
Textziffer
UA
Unterabsatz
u. a.
unter anderem
UNCTAD
United Nations Conference on Trade and Development
UNO
United Nations Organization
Abkürzungsverzeichnis UrhG U.S. USA UWG
v. vg\. VO Vorb. WiB WIPO WRP WTO WVRK WZG
z. B. ZGR ZHR ZIP
ZLR ZPO ZugabeVO
21
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 09. September 1965 (BGB\. I, S. 1273) United States United States of America Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909 (RGB\. S. 499, BGB\. III 4 Nr. 43 -I) von vergleiche Verordnung Vorbemerkung Wirtschaftliche Beratung (zitiert nach Jahr und Seite) World Intellectual Property Organization Wettbewerb in Recht und Praxis (zitiert nach Jahr und Seite) World Trade Organization Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGB\. 198511 S. 926) Warenzeichengesetz in der Fassung vom 2. Januar 1968 (BGB\. I S. 29, BGB\. III 4 Nr. 423 -I) zum Beispiel Zeitschrift für Untemehmens- und Gesellschaftsrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Zentralblatt für Handelsrecht; Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (früher: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis) (zitiert nach Jahr und Seite) Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (zitiert nach Jahr und Seite) Zivilprozeßordnung in der Fassung vom 12. September 1950 (BGB\. S. 535, BGBL. III 3 Nr. 310-4) Zugabeverordnung vom 09. März 1932 (BGB\. III 43-4-1)
Erstes Kapitel
Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen § 1 Einleitung und Gang der Arbeit Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem internationalen und supranationalen Schutz von Marken und geographischen Herkunfsangaben. Diesen Rechtsbereichen wurde in den letzten Jahrzehnten insgesamt wenig gesetzgeberische Beachtung geschenkt. Dies hat sich allerdings zu Beginn der 90er Jahre grundlegend geändert. Auf der internationalen Schutzebene ist in diesem Zusammenhang vor allem das TRIPS-Abkommen im Rahmen der Etablierung der WTO von herausragender Bedeutung. Das TRIPS-Abkommen erfaßt sowohl Marken als auch geographische Herkunftsangaben. Im Gemeinschaftsrecht hat nahezu zeitgleich eine parallele rechtsschöpfende Tätigkeit eingesetzt. Als Eckpunkte der Entwicklung im supranationalen Markenrecht sind diesbezüglich die Markenrechtsrichtlinie 89/104/ EWG und die Gemeinschaftsmarkenverordnung (Verordnung (EG) Nr. 40/94) zu nennen. Das supranationale Recht der geographischen Herkunftsangaben wird demgegenüber im wesentlichen durch die VO (EWG) Nr. 2081/92 geprägt. Infolge dieser jüngsten Rechtsakte wird für den internationalen und supranationalen Schutz der Marken und geographischen Herkunftsangaben ein neues Zeitalter eingeläutet.
Im Schrifttum finden sich in Anknüpfung an diese Entwicklung Stimmen, die die 90er Jahre als einen Siegeszug, insbesondere des Markenrechts, charakterisieren l . Diese Euphorie kann jedoch nicht uneingeschränkt geteilt werden. Sie ist insgesamt zu einseitig ausgerichtet, da sie die Ausdehnung des Schutzes von Marken und geographischen Herkunftsangaben in den Vordergrund stellt. Im Rahmen einer solchen Betrachtungsweise werden zwangsläufig der Schutz des freien Wettbewerbs und die Teilhabechancen neuer Markenanmeider vernachlässigt. Das reformierte Schutzsystem von Marken und geographischen Herkunftsangaben läuft daher Gefahr, zum Instrument einer Besitzstandswahrung degradiert zu werden. I
Fezer, WRP 1998,1,2.
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1. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
Die vorliegende Arbeit versucht, insbesondere im Bereich des supranationalen Markenschutzes, das Prinzip des freien Wettbewerbs und den primärrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit in den Mittelpunkt der rechtlichen Erörterungen zu stellen. Soweit im Rahmen dieser Arbeit auf das nationale Recht zum Schutze von Marken und geographischen Herkunftsangaben Bezug genommen wird, geschieht dies durchgängig am Beispiel des deutschen Markengesetzes. Die Untersuchung des internationalen und supranationalen Schutzsystems von Marken und geographischen Herkunftsangaben gliedert sich in sechs Kapitel. Zunächst erfolgt im ersten Kapitel eine nähere Bestimmung der Begriffe ,,Marken" und "geographische Herkunftsangaben" im internationalen, supranationalen und nationalen Recht. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem internationalen Markenschutz. Schwerpunktmäßig wird hier das TRIPS-Abkommen behandelt. Im dritten Kapitel wird das System des supranationalen Markenschutzes zum Gegenstand der Untersuchung gemacht. Dieses Kapitel dient insbesondere dem Anliegen, den Verwechslungs- und Bekanntheitsschutz von Gemeinschaftsmarken zu konkretisieren. Im vierten Kapitel wird das Spannungsverhältnis zwischen nationalen und supranationalen Markenrechten zum Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit problematisiert. Diese Darstellung orientiert sich am Erschöpfungsgrundsatz der Markenrechtsrichtlinie sowie des harmonisierten deutschen Markenrechts und der Gemeinschaftsmarkenverordnung unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zum spezifischen Gegenstand des Markenrechts. Das fünfte Kapitel behandelt rechtliche Problemstellungen an den Schnittstellen des nationalen, internationalen und supranationalen Systems der Gewährleistung geographischer Herkunftsangaben. Die Schlußbetrachtung ist dem sechsten Kapitel vorbehalten.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen A. Der Markenbegriff im internationalen, supranationalen und nationalen Recht Um sich dem Markenbegriff juristisch zu nähern, ist es zunächst notwendig, die verschiedenen Schutzebenen der markenrechtlichen Gewährleistung im internationalen, supranationalen und nationalen Recht daraufhin zu untersuchen, ob sie kodifizierte Definitionen enthalten.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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I. Das internationale Markenrecht
Für den Bereich des internationalen Markenrechts ist zunächst die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums (PVÜ)2 von maßgebender Bedeutung. Dieses Vertragswerk bestimmt in Art. 1 I PVÜ einleitend, daß die Staaten, auf die diese Übereinkunft Anwendung findet, einen Verband zum Schutze des gewerblichen Eigentums bilden. Was zum Anwendungsbereich des gewerblichen Eigentums im Sinne dieses völkerrechtlichen Vertrages gehört, ergibt sich aus Art. 1 II - IV PVÜ. Das gewerbliche Eigentum umfaßt im Rahmen der PVÜ daher die Erfindungspatente, die Gebrauchsmuster, die gewerblichen Muster oder Modelle, die Fabrik- oder Handelsmarken, die Dienstleistungsmarken (vgl. Art. 6 sexies PVÜ), den Handelsnamen und die Herkunfsangaben oder Ursprungsbezeichungen sowie die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs (Art. 1 II PVÜ). In Ergänzung hierzu sieht Art. 1 III PVÜ vor, daß das gewerbliche Eigentum begriffsmäßig in der weitesten Bedeutung verstanden werden und sich nicht allein auf Gewerbe und Handel beziehen soll. Nach der PVÜ unterfallen folglich die wesentlichen Markenarten der Fabrik-, Handels- oder Dienstleistungsmarke dem Oberbegriff des gewerblichen Eigentums. Die PVÜ verzichtet aber auf eine eigenständige Definition des Markenbegriffs. Dies wird den Rechtsordnungen und damit letztendlich den Rechtsanwendungsorganen der Mitgliedstaaten der PVÜ überlassen. Diese sind für die Frage der Schutzfähigkeit eines Zeichens als Marke zuständig. Zur Anwendung gelangt dann im Einzelfall die nationale Rechtsordnung des Verbandsstaates, in dem der Markenschutz nachgesucht wird. Dieser Rückgriff auf das im Einzelfall einschlägige nationale Recht verdeutlicht, daß die PVÜ insoweit kein identisches Recht für alle Verbandsangehörigen etablieren will. Ein Mindestschutz wird in diesem Zusammenhang aber durch den Grundsatz der Inländerbehandlung gern. Art. 2 PVÜ erreicht3 . Soweit in den einzelnen Verbandsstaaten der PVÜ unterschiedliche Rechtsansichten in bezug auf die Reichweite des Markenschutzes bestehen, wirkt das Rechtsinstitut der teile quelle-Marke gern. Art. 6 quinquies PVÜ als Ausgleichsfaktor: Eine im Ursprungsland eingetragene Marke genießt danach in allen Verbandsstaaten denjenigen Markenschutz, über den sie aufgrund ihrer Eintragung im Ursprungsland verfügt4 . Für die Frage der Markenfähigkeit eines Zeichens ist demnach die Rechtsordnung des Ursprungslandes maßgebend. Auch die weiteren wichtigen Kodifikationen des internationalen Markenrechts in Gestalt des Madrider Markenabkommens über die internationale Registrierung von Fabrik- oder Handelsmarken (MMA)5 und des Protokolls zum Madrider 2
3 4 5
Vgl. zur FundsteBe 2. Kapitel, § I, S. 52. Vgl. dazu 2. Kapitel, § 2, S. 59 f. s. dazu näher 2. Kapitel, § 2, S. 72 ff. Vgl. zur FundsteBe 2. Kapitel, § I, S. 52.
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Abkommen über die internationale Registrierung von Marken (PMMA)6 beinhalten keine Markendefinitionen. Beide völkerrechtlichen Verträge beschäftigen sich ausschließlich mit der internationalen Registrierung von Waren- oder Dienstleistungsmarken, die in einem Vertrags staat eingetragen wurden 7 • Die internationale Schutzfähigkeit eines Zeichens als Marke bestimmt sich demzufolge nach der Rechtsordnung des Staates, in dem die Eintragung der Ursprungsmarke vorgenommen wurde. Einen anderen Weg beschreitet das Abkommen über "Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights" (TRIPS-Abkommen)8. Es regelt im Wege einer einheitlichen Definition, welche Zeichen als Marke eintragungsfähig sind. Art. 15 I S. 1 TRIPS-Abkommen sieht vor, daß alle Zeichen und Zeichenkombinationen, die geeignet sind, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, eine Marke darstellen können. Art. 15 I S. 2 TRIPS-Abkommen zählt in nicht abschließender Weise in diesem Zusammenhang Wörter, einschließlich Personennamen, Buchstaben, Zahlen, Abbildungen und Farbverbindungen sowie alle Verbindungen solcher Zeichen als eintragungsfaltige Marken auf. Gern. Art. 15 I S. 4 TRIPS-Abkommen können die Mitgliedstaaten des TRIPS-Abkommens die Eintragung eines Zeichens als Marke von dessen visueller Wahrnehmbarkeit abhängig machen. Allerdings schweigt sich das TRIPS-Abkommen zu der entscheidenden Frage aus, wann die erforderliche Unterscheidungseignung des Zeichens vorliegt. Insoweit ist daher auch im Rahmen des TRIPS-Abkommens ein Rückgriff des nationalen Rechtsanwendungsorgans auf die im Einzelfall anwendbare nationale Markenrechtsordnung notwendig9 .
11. Das supranationale Markenrecht
Das supranationale Markenrecht im territorialen Anwendungsbereich des EUV wird im wesentlichen durch die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)lO und die Markenrechtsrichtlinie (MarkenRL) 1 1 bestimmt. Gern. Art. 1 I GMarken V werden die entsprechend den Voraussetzungen und Einzelheiten der GMarkenV eingetragenen Marken für Waren oder Dienstleistungen als Gemeinschaftsmarken bezeichnet. Nach Art. 4 GMarkenV kommen als solche Gemeinschaftsmarkenalle Zeichen in Betracht, die sich graphisch darstellen 6 7 8 9
Vgl. zur Fundstelle 2. Kapitel, § I, S. 53. Vgl. unten 2. Kapitel, § 2, S. 77 ff. Vgl. zur Fundstelle 2. Kapitel, § 3, S. 98. Näher zur Markendefinition des Art. 15 I TRIPS-Abkommen, unten 2. Kapitel, § 3,
S.104. 10 11
V gl. zur Fundstelle 3. Kapitel, § 2, S. 128 ff. V gl. zur Fundstelle 3. Kapitel, § I, S. 127 f.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Fonn oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Diese Umschreibung des Markenbegriffs steht in einer bewußten Parallele zur Aufzählung der schutzfahigen Markenfonnen in Art. 15 TRIPS-Abkommen. Ebenso wie dort, verzichtet auch die GMarkenVauf eine nähere Definition des Begriffs der Unterscheidungs eignung. Die entsprechende Auslegungsfrage fallt auf supranationaler Ebene gern. Art. 220 (ex-Art. 164) EGV aus Gründen einer einheitlichen Rechtsanwendung letztendlich in den Zuständigkeitsbereich des EuGH. Die MarkenRL regelt in Art. 2 die für ihren gern. Art. 1 MarkenRL festgelegten Anwendungsbereich zulässigen Markenfonnen. In inhaltlicher Übereinstimmung mit Art. 4 GMarkenV können Marken danach alle Zeichen sein, die sich graphisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Fonn oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Auch in diesem Zusammenhang ist der EuGH zur Frage der näheren Bestimmung der im Einzelfall erforderlichen Unterscheidungseignung berufen. Insoweit werden indirekt u. a. die nationalen Markenrechtsordnungen der Mitgliedstaaten zum Prüfungsmaßstab.
111. Das nationale Markenrecbt am Beispiel Deutschlands
Die vorstehende kurze Betrachtung des internationalen und supranationalen Markenrechts im Hinblick auf einschlägige Markendefinitionen hat gezeigt, daß die nationalen Markenrechtsordnungen in diese Schutzebenen ausstrahlen und zu einer notwendigen Ergänzung der ansonsten lückenhaften Markengewährleistung führen. Im Rahmen des deutschen MarkenG bildet zunächst § 1 MarkenG den ersten Anknüpfungspunkt einer definitorischen Annäherung an den Markenbegriff. Marken sind nach § 1 I MarkenG geschützte Kennzeichen 12. Darüber hinaus ist § 3 MarkenG von maßgebender Bedeutung. Nach dieser Vorschrift wird der Begriff der Marke dahingehend konkretisiert, daß alle Zeichen geschützt werden können, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Fonn einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben 12 Zum Kennzeichenrecht gehören nach der deutschen Rechtsordnung Name, Firma, Marke, geschäftliche Bezeichnungen, Unternehmenskennzeichen und Werktitel. Das Kennzeichenrecht ist als solches ein Teilrechtsgebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Hierzu zählen nach h.M. auch das Patent- und Gebrauchsmusterrecht, das Geschmacksmusterrecht und das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb. Vgl. näher zur terminologischen Einordnung des Sammelbegriffs "gewerblicher Rechtsschutz", Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Allgemeine Grundlagen, Rnr. 91 ff.
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und Farbzusammenstellungen, die geeignet sind, Waren 13 oder Dienstleistungen 14 eines Unternehmens 15 von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. § 3 I MarkenG findet sowohl auf den förmlichen Zeichenschutz (eingetragene Marke) als auch den sachlichen Zeichenschutz (benutzte Marke mit Verkehrsgeltung gern. § 4 Nr. 2 MarkenG l6 ) Anwendung. Durch diese beispielhafte Aufzählung der nach deutschem Recht schutzfähigen Markenformen 17 in § 3 I MarkenG wird die verbindliche Vorgabe des Art. 2 MarkenRL in nationales Recht umgesetzt. § 3 MarkenG enthält aber keine ausdrückliche Markendefinition. Die Marke wird aber - ebenso wie auf der internationalen und supranationalen Markenrechtsebene - auf Grundlage der zulässigen Markenformen als Unterscheidungszeichen gekennzeichnet. Hieraus läßt sich die Unterscheidungsfunktion der Marke im geschäftlichen Verkehr als die maßgebende Markenfunktion ableiten 18. Die Unterscheidungsfunktion ist sachlich auf die Waren oder Dienstleistungen eines am Markt operierenden Unternehmens gerichtet, um diese von den Waren oder Dienstleistungen der Mitbewerber abzugrenzen und hervorzuheben.
Die Marke dient folglich dazu, ein bestimmtes Produkt aus dem Blickwinkel des Konsumenten oder Endabnehmers einem bestimmten Unternehmen als Unternehmensleistung zuzuordnen. Die Marke macht ein Wirtschaftsgut eines Unternehmens identifizierbar und somit von den Wirtschaftsgütern anderer Unternehmen auf dem Markt differenzierbar l9 . In der deutschen Rechtsordnung wird die Marke darüber hinaus dogmatisch als ein subjektives Recht verstanden 2o . Hieraus folgt, daß dem jeweiligen Markeninhaber ein subjektives Ausschließlichkeitsrecht an der Marke zusteht. Soweit ein Dritter sein Markenrecht verletzt, kann er sich ihm gegenüber zur Wehr setzen. Die Marke ist damit Ausdruck einer von der Rechtsordnung anerkannten Unternehmensleistung. Weiterhin hat das BVerfG festgeZur Definition im deutschen Recht, Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 111 ff. Zur Definition im deutschen Recht, Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 123 ff. Zur Abgrenzung zwischen Waren und Dienstleistungen, Fezer, a. a. 0., Rnr. 129-147; Ingerll Rohnke, MarkenG, § 3 Rnr. 17. 15 Zur Definition im deutschen Recht, Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 85 ff. 16 Vormaliger Ausstattungsschutz gern. § 25 WZG. 17 Von dem Begriff der Markenformen müssen im deutschen Recht die Begriffe "Markenkategorien" und "Markenarten" abgegrenzt werden. Die Markenkategorien werden nach der Entstehung des Markenschutzes differenziert. Insoweit ist § 4 MarkenG einschlägig. Diese Vorschrift zählt drei Markenkategorien auf: die Registermarke, die Benutzungsmarke und die Notorietätsmarke. Bei den Markenarten wird unterschieden zwischen Defensiv-, Vorrats-, Zweit-, Begleit-, Serien-, Haus-, Sorten-, Hersteller-, Handels-, Konzern-, Holding-, Sammel-, Garantie-, Waren-, Dienstleistungs-, und Kollektivmarken sowie telle quelle-Marken. 18 Näher zu den Markenfunktionen, Fezer, WRP 1998, I, 11 ff.; ders., Markenrecht, MarkenG Einl., Rnr. 30 ff. m. w. N. 19 Fezer, Markenrecht, MarkenG Ein\., Rnr. 17. 20 V g\. Schluep, Das Markenrecht als subjektives Recht, 1964, passim. 13
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stellt, daß die Marke als Immaterialgüterrecht zum verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums im Sinne des Art. 14 I S. 1 GG zu zählen ist21 . Im Hinblick auf die Unterscheidungsfunktion der Marke ist im deutschen Recht zwischen der abstrakten Unterscheidungseignung der Marke und ihrer konkreten Unterscheidungskraft zu differenzieren 22 . Sedes materiae der abstrakten Unterscheidungseignung ist § 3 I MarkenG, wonach das Zeichen, um als Marke gelten zu können, geeignet sein muß, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. An diese abstrakte Unterscheidungseignung dürfen insgesamt keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, da bereits der Wortlaut des § 3 I MarkenG von einem sehr weiten Anwendungsbereich ausgeht und bewußt nicht als abschließende Enumeration formuliert wurde. Es reicht daher im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 3 I MarkenG aus, daß das Zeichen den Adressaten in die Lage versetzt, das gekennzeichnete und in den Markt eingeführte Produkt zu identifizieren 23 . Die so verstandene abstrakte Unterscheidungseignung ist Teil der Prüfung der Markenfähigkeit eines Zeichens 24 . Die konkrete Unterscheidungskraft des als Marke schutzfähigen Zeichens im Sinne des § 3 I MarkenG ist demgegenüber in § 8 11 Nr. 1 MarkenG geregelt. Diese Vorschrift entspricht Art. 3 I lit.b) MarkenRL 25. Die Unterscheidungskraft muß hier konkret in bezug auf die Waren oder Dienstleistungen, für welche die Eintragung begehrt wird, vorliegen 26 . Insoweit ist daher die Eintragungsfähigkeit der Marke, nicht aber deren Markenfahigkeit tangiert.
BVerfGE 51, 193, GRUR 1979, 773 - Weinbergsrolle. So zutreffend Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 203, 204. Der BGH ist demgegenüber dieser ,,zweischrittprüfung" bislang noch nicht gefolgt, vgl. BGH, GRUR 1995, 408 PROTECH; BGH, GRUR 1995,410 - TURBO. Die getrennte Überprüfung der abstrakten Unterscheidungseignung einerseits und der konkreten Unterscheidungskraft andererseits hat den Vorteil, daß die Markenfähigkeit im Sinne des § 3 I MarkenG und die absoluten Schutzhindernisse des § 8 MarkenG eindeutig auseinandergehaIten werden. Hierfür spricht auch der Wortlaut des § 8 III MarkenG, wonach das Fehlen einer konkreten Unterscheidungskraft für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen im Wege des Erwerbs einer Verkehrsdurchsetzung überwunden werden kann. Die Option des § 8 III MarkenG findet jedoch im Hinblick auf eine im Einzelfall fehlende Markenfähigkeit keine Anwendung. 23 Nach a.A. muß das Zeichen auch in der Lage sein, die gekennzeichneten Produkte im Hinblick auf ihre kommerzielle Herkunft voneinander abzugrenzen, so Kur, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 175, 183. 24 Neben der abstrakten Unterscheidungseignung gehört zur Markenfähigkeit des Zeichens auch dessen Selbständigkeit, Einheitlichkeit und graphische Darstellbarkeit. 25 Der Gesetzgeber des MarkenG hat sich jedoch bezüglich der Formulierung des § 8 11 Nr. I MarkenG nicht an der Vorgabe der MarkenRL orientiert, sondern aus Klarstellungsgründen den Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 6 quinquies B Nr. 2 PVÜ zum Vorbild genommen, vgl. dazu die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 70. 26 Zur Frage, wann die erforderliche konkrete Unterscheidungskraft im Einzelfall vorliegt, hat sich in der deutschen Rechtsordnung eine umfangreiche Kasuistik entwickelt. Vgl. dazu 21
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B. Der Begriff der geographischen Herkunftsangaben im internationalen, supranationalen und nationalen Recht I. Das internationale Recht der geographischen Herkunftsangaben
Auf internationaler Ebene werden geographische Herkunftsangaben sowohl durch bilaterale als auch multilaterale völkerrechtliche Verträge geschützt. Im Bereich des Staatsvertragsrechts ist zunächst der Schutz im Rahmen der PVÜ relevant. Gern. Art. 1 TI PVÜ umfaßt der Begriff des gewerblichen Eigentums auch Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichungen. Diese werden jedoch in der PVÜ nicht näher definiert. Auf der Grundlage des Prinzips der Inländergleichbehandlung gern. Art. 2 I PVÜ wird auch für die Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichungen ein Mindestschutz gewährleistet. Dieser richtet sich nach der Rechtsordnung des Staates, in dem der Rechtsschutz begehrt wird27 . Im übrigen sieht Art. 10 PVÜ vor, daß die Mitgliedstaaten Erzeugnisse zu beschlagnahmen haben, die mit einer falschen Herkunftsangabe versehen wurden. Desweiteren ist das Madrider Herkunftsabkommen (MHA)28 zu nennen. Nach Art. 1 MHA verpflichten sich die Vertragsstaaten, jedes Erzeugnis, das eine falsche oder irreführende Angabe trägt, durch die ein Vertragsstaat oder ein in diesem Staat befindlicher Ort unmittelbar oder mittelbar als Land oder Ort des Ursprungs angegeben ist, bei der Einfuhr in diese Länder zu beschlagnahmen. Ergänzt wird dieser internationale Schutz durch die Bestimmung des Art. 3 bis MHA. Die Vertragsstaaten des MHA gehen danach die Verpflichtung ein, beim Verkauf, Feilhalten oder Anbieten von Erzeugnissen den Gebrauch von Angaben zu unterbinden, die geeignet sind, das Publikum über die Herkunft der Erzeugnisse zu täuschen. Aber auch das MHA enthält keine eigenständige Definition der geschützten geographischen Herkunftsangaben. Welche Herkunftsangaben geschützt werden und welchen Umfang deren Schutz einnimmt, richtet sich nach dem im Einzelfall anwendbaren Recht des jeweiligen Vertragsstaates. Einen Sonderweg im Bereich des internationalen Schutzes geographischer Herkunftsangaben beschreitet - ebenso wie beim Markenschutz - das TRIPS-Abkommen. Zur Anwendung gelangen in diesem Zusammenhang die Vorschriften der Artt. 22-24 TRIPS-Abkommen. Gern. Art. 22 I TRIPS-Abkommen werden geographische Angaben als Angaben definiert, die eine Ware aus dem Hoheitsgebiet eines Mitglieds oder aus einer Gegend oder aus einem Ort in diesem Gebiet stammend kennzeichnen, wenn eine bestimmte Qualität, der Ruf oder eine sonstige Fezer, Markenrecht, § 8 MarkenG Rnr. 22 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 8 Rnr. 15 ff.; Althammer I Ströbele, MarkenG , § 8 Rnr. 10 ff.; Starck, WRP 1996, 269. 27 Vgl. auch Knaak, GRUR Int. 1995,642,643. 28 Madrider Abkommen über die Unterdrückung falscher oder irreführender Herkunftsangaben vorn 14.04.1891, zuletzt revidiert in Lissabon am 31. 10. 1958, BGBI. 196111 S. 293. Deutschland ist dem MHA im Jahre 1925 beigetreten.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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Eigenschaft der Ware im wesentlichen auf ihrer geographischen Herkunft beruht29 • Der Umfang des Schutzes richtet sich zunächst nach Art. 22 11, III TRlPS-Abkommen. Art. 2211 lit.a) TRIPS-Abkommen sieht vor, daß geographische Angaben einen allgemeinen Schutz gegen eine Benutzung in der Bezeichnung oder Aufmachung von Waren, die über die geographische Herkunft irreführt, genießen. Gleiches gilt gern. Art. 2211 lit.b) TRIPS-Abkommen im Hinblick auf eine Benutzung, die eine unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne des Art. 10 bis PVÜ darstellt. In Ergänzung hierzu unterbindet Art. 22 III TRIPS-Abkommen den markenrechtlichen Schutz von geographischen Angaben, wenn die im Einzelfall gekennzeichneten Waren ihren Ursprung nicht in dem angegebenen Hoheitsgebiet haben und durch die Benutzung der in der Marke enthaltenen geographischen Angabe das Publikum hinsichtlich des wahren Ursprungsorts irregeführt wird. Infolge dieser Vorschrift müssen die Mitgliedstaaten des TRlPS-Abkommens in ihren nationalen Markenrechtsordnungen das Verbot der Irreführung über die geographische Herkunft verankern 30 . Desweiteren begründet das TRIPS-Abkommen in Art. 23 einen zusätzlichen und speziellen Schutz in bezug auf geographische Angaben für Weine und Spirituosen. Innerhalb dieser Erzeugnisgruppen besteht ein Schutz gegen jede Benutzung von Waren, die nicht aus dem entsprechenden geographischen Gebiet stammen, ohne daß es insoweit auf eine Irreführungsgefahr ankommt. Art. 24 TRIPSAbkommen enthält schließlich Ausnahmebestimmungen zum Schutzsystem der Artt. 22, 23 TRIPS-Abkommen 31 • Im Bereich der mehrseitigen Abkommen zum Schutz geographischer Herkunftsangaben ist endlich das Lissabonner Abkommen über den Schutz der Ursprungsbezeichnungen und ihre internationale Registrierung vom 31. 10. 1958 (LUA) zu nennen. Diesem Abkommen ist Deutschland jedoch nicht beigetreten. Neben diesen mulitlateralen Verträgen sind die zweiseitigen Abkommen für die Gewährleistung geographischer Herkunftsangaben relevant 32 • Deutschland hat mit verschiedenen ausländischen Staaten bilaterale Herkunftsabkommen abgeschlossen 33 • Zu erwähnen sind hier die Abkommen mit Frankreich 34 ,ltalien 3s , GriechenNäher dazu 5. Kapitel, § 2, S. 336 ff. So z. B. in Deutschland in Form eines absoluten Schutzhindernisses gern. § 8 11 Nr. 4 MarkenG. 31 Näher zum Schutz geographischer Herkunftsangaben im Rahmen des TRIPS-Abkommens, Knaak, GRUR Int. 1995, 642ff. 32 Zum Stellenwert der bilateralen Abkommen im Schutzsystem geographischer Herkunfsangaben, Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 225; v. Gamm, in: FS für Brandner, 1996, S. 375 ff. 33 Näher zum bilateralen Herkunftsschutz in Deutschland Krieger, GRUR Int. 1960, 400; ders., GRUR Int. 1964,499; ders., GRUR Int. 1984,71; Kühn, GRUR Int. 1967,268; Lehmann, IPrax 1992, 221; Tilmann, EuZW 1992, 343; Streber, passim. 29
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1. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
land 36 , der Schweiz37 , Spanien 38 und Österreich39 . Abgerundet wird diese Aufzählung durch das deutsch-portugiesische Handels- und Schiffahrtsabkommen4o und das deutsch-kubanische Abkommen41 • Die Schutzstruktur der zuvor genannten völkerrechtlichen Verträge ist nahezu identisch42 . In den jeweiligen Anlagen A und B sind bestimmte Listen enthalten, in denen nach Produktgruppen43 geordnet die geschützten geographischen Herkunftsangaben der Vertragsstaaten enumerativ vermerkt sind. Eine allgemeine Definition, was unter dem Begriff der geographischen Herkunftsangabe zu verstehen ist, findet sich demgegenüber in keinem bilateralen Herkunftsabkommen. Das anstelle einer allgemeinen Definition verankerte Listensystem basiert insgesamt auf dem Grundsatz der "Staatenreservierung,,44. Danach sind die geschützten Bezeichnungen des jeweiligen Ursprungslandes im Schutzland - d. h. auf dem Gebiet des jeweils anderen Vertragsstaates - exklusiv für Waren aus dem Ursprungsland vorbehalten45 . Die einzelnen Schutzlisten können mit Zustimmung des anderen Vertragsstaates geändert und insbesondere erweitert werden 46 . In den Verträgen mit Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien, der Schweiz und Österreich ist zudem vorgesehen, daß sich die Zulässigkeit der Benutzung der von den jeweiligen Abkommen erfaßten Herkunftsangaben im Schutzland nach dem Recht des Ursprungslandes bemißt (Prinzip der Schutzrechtsübemahme). Desweiteren kann festgestellt werden, daß es für die Frage, ob überhaupt eine schutzfahige geographische Herkunftsangabe vorliegt, nicht auf die inländische 34 Abkommen vom 08. 03. 1960, BGB\. 1961 11 S. 22; vg\. auch BGHZ 52,216 - Champagner-Weizenbier; BGH, GRUR 1969,615 - Champi-Krone; BGH, NJW 1988,674; OLG Frankfurt, GRUR 1987,330. 35 Abkommen vom 23. 07. 1963, BGB\. 1965 11, S. 156; vg\. dazu auch Fritsche, WiB 1994, 329; Mayr, ZLR 1994, 445; BGH, GRUR 1994, 307 - Mozzarella I; BGH, GRUR 1994,310 - Mozzarella 11; BPatG, GRUR 1991, 145 - Mascasano. 36 Abkommen vom 16.04.1964, BGB\. 196511 S. 176. 37 Vertrag vom 07. 03. 1967, BGB\. 196911 S. 138; vg\. dazu Pastor, WRP 1980,591. 38 Vertrag vom 11. 09. 1970, BGB\. 1972 11 S. 109. 39 Vertrag vom 06. 10. 1981. Dieser völkerrechtliche Vertrag ist noch nicht ratifiziert worden. 40 Abkommen vom 24. 08. 1950, B\. 1950, 298. 41 Abkommen vom 22. 03. 1954,BGB\. 195411S. II 12. 42 Allgemein zum Aufbau und Inhalt der Verträge Baumbach/Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 260; Fezer, Markenrecht, Herkunftsabkommen, Rnr. I ff. 43 Unterteilt in die Kategorien Weine, Ernährung, Landwirtschaft und gewerbliche Wirtschaft. 44 Vg\. dazu Streber, S. 75 ff. 45 Darüber hinaus verhindert das Listensystem einen Markenschutz in bezug auf geographische Herkunftsangaben zugunsten Nichtortsansässiger, Streber, S. 160. 46 Denkbar ist jedoch auch ein Irreführungsschutz im Hinblick auf solche geographischen Herkunftsangaben, die nicht in den Anhanglisten verzeichnet sind, vgl. dazu z. B. BGH, GRUR 1982, 654, 567 - Elsässer Nudeln.
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Verkehrsauffassung im Schutzland ankommt, da der völkerrechtliche Vertragsschutz unabhängig von dieser Voraussetzung gewährt wird. Dies gilt auch dann, wenn die in einem Vertragsstaat benutzte geographische Herkunftsangabe in dem anderen Vertragsstaat lediglich als Gattungsbezeichnung angesehen wird. Soweit ein Verstoß gegen den im Einzelfall anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag im Schutzland gegeben ist, folgt ein Unterlassungsanspruch unmittelbar aus dem Abkommen47 . Von dem entsprechenden Benutzungsverbot sind auch Exporte aus den Vertragsstaaten in Drittstaaten erfaßt. Im deutschen Recht ist auch ein Unterlassungsanspruch gern. §§ 1,3 UWG bzw. § 1004 BGB begründet48 . Im übrigen besteht ein verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch gern. § 1 UWG bzw. § 823 11 BGB, weil die entsprechenden Staatsverträge im Bereich der geographischen Herkunftsangaben als Schutzgesetze angesehen werden49 •
11. Das supranationale Recht der geographischen Herkunftsangaben
I. Grundlagen bis zum Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92
Der Schutz geographischer Herkunftsangaben wird auch in zunehmenden Maße durch das supranationale Recht gewährleistet. Zunächst ist jedoch festzustellen, daß sich sowohl die MarkenRL als auch die GMarken V nicht mit dem Kennzeichenschutz geographischer Herkunftsangaben befassen. Art. 15 11 S. 1 MarkenRL sieht lediglich vor, daß die Mitgliedstaaten berechtigt sind, Zeichen oder Angaben, welche im Verkehr zur Bezeichnung der geographischen Herkunft der Ware oder Dienstleistung dienen, als Kollektiv-, Garantie- oder Gewährleistungsmarken eingetragen werden können 5o. Der einzige textliche Anknüpfungspunkt in der GMarken V zum Schutz geographischer Herkunftsangaben ist in Art. 64 11 S. 1 GMarkenV verankert worden. Danach können solche Angaben als Gemeinschaftskollektivmarken eingetragen werden. Ein Hinweis zur Gewährleistung geographischer Herkunftsangaben findet sich auch in der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung vom 10. 09. 1984 (84/ 450 EWG, sog. EG-Irreführungsrichtlinie)51. Nach Art. 4 I S. 1 EG-Irreführungsrichtlinie verpflichten sich die Mitgliedstaaten, geeignete und wirksame Möglich47 BGH, GRUR 1969,615 - Champi-Krone; OLG München, GRUR 1987, 182 - ParmaSchinken. 4R Baumbach / Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 260. 49 Baumbach/.Hefermehl, a. a. 0.; Krieger, A. GRUR Int. 1960,400,4\0. 50 Deutschland hat von dieser Option durch die Regelung des § 99 MarkenG Gebrauch gemacht. 51 AbI. 1984, Nr.L 250, S. 20 in der Fassung der Richtlinie vom 06. 10. 1997 über vergleichende Werbung, AbI. 1997 Nr.L 290, S. 18. Vgl. dazu Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 179, 180.
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1. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
keiten zur Bekämpfung der irreführenden Werbung zu schaffen. Gern. Art. 3 lit.a) EG-Irreführungsrichtlinie ist im Hinblick auf die Feststellung, ob eine Werbung irreführenden Charakter aufweist, auch die geographische Herkunft der Ware zu berücksichtigen. Die weiteren maßgebenden supranationalen Rechtsakte im Bereich des Schutzes geographischer Herkunftsangaben enstammen dem EG-Lebensmittelrecht. Fast kein nationaler Rechtsbereich wird in gleichem Ausmaß von europarechtlichen Vorgaben beherrscht wie das Lebensmittelrecht52 • In Ennangelung einer ausdrücklichen Kompetenzgrundlage im EGV und unter Berücksichtigung des in Art. 5 (ex-Art. E) EUV und in Art. 5 (ex-Art. 3b) I EGV verankerten Prinzips der begrenzten Ennächtigung wurden die bedeutenden EG-Verordnungen auf Art. 37 (ex-Art. 43) EGV gestützt. In bezug auf spezifisch lebensmittelrechtliche Vorschriften wurde demgegenüber regelmäßig die Rechtsetzungsfonn der Richtlinie gewählt53 • Im Hinblick auf den Schutz geographischer Angaben für Weine ist die Verordnung (EWG) Nr. 2392/89 des Rates vom 24. 07. 1989 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der Traubenmoste54 einschlägig. Gern. Art. 40 VO (EWG) Nr. 2392/89 genießen geographische Weinbezeichnungen einen umfassenden Schutz vor solchen Verwendungsfonnen, die Verwechslungs- oder Irreführungsgefahren bewirken können. Ein Verbot besteht nach Art. 40 I VO (EWG) Nr. 2392/89 auch für eine Verwendung mit Zusätzen. Darüber hinaus ist gern. Art. 40 11 S. 2 lit.b) VO (EWG) Nr. 2392/89 die Benutzung von Weinmarken, die falsche geographische Angaben enthalten, untersagt. In bezug auf das Spannungsverhältnis zwischen geschützten geographischen Weinangaben und prioritätsälteren gleichnamigen Weinmarken beinhaltet die VO (EWG) Nr. 2392/89 eine Koexistenzregelung 55 • Nach der Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 des Rates vom 29. 05. 1989 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung von Spirituosen56 werden geographische Angaben für diesen Produktbereich geschützt. Im Gegensatz zur Weinverordnung VO (EWG) Nr. 2392/ 52 So Streinz, GRUR 19%, 16, 18; ders., Europäisches Lebensmittelrecht unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf Österreich, 1994, passim; Nentwich, Das Lebensmittelrecht der Europäischen Union, 1994, passim. Den größten Einfuß auf das nationale Lebensmittelrecht üben in diesem Zusammenhang die primärrechtlichen Regelungen der Artt. 28, 30 (exArtt. 3D, 36) EGV aus. Näher dazu Hast! Krohn, in: Dauses, EG-WirtschaftsR, C. IV. 53 Vgl. dazu auch die Protokollerklärung zur Einheitlichen Europäischen Akte bei Art. 95 (ex-Art. l00a) EGV (AbI. 1987, Nr.L 169, 1,24). 54 AbI. 1989 Nr.L 232 vom 09. 08. 1989, S. 13, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1427 !96 vom 26. 06. 1996, AbI. 1996 Nr.L 184 vom 24. 07. 1996, S. 3. Vgl. insgesamt zum EG-Weinrecht, Zipfel, Lebensmittelrecht, Nr. 401a - 402w. 55 Vgl. hierzu Knaak, GRUR Int. 1995,642,645. 56 AbI. 1989 Nr.L 160 vom 12.06.1989, S. 1.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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89 erfolgt die Schutzgewährung für Spirituosen im Wege eines Listensystems57 • Gern. Art. 5 m VO (EWG) Nr. 1576/89 stehen die geschützten Spirituosenbezeichnungen denjenigen Erzeugnissen und Produkten exklusiv zu, deren wesentliche Produktionsphase in dem jeweiligen geographischen Gebiet stattgefunden hat. Gern. Art. 5 III lit.c) VO (EWG) Nr. 1576/89 verfügen die Mitgliedstaaten über die Option, den Schutz ihrer Spirituosenbezeichnungen mit bestimmten Qualitätsanforderungen zu verknüpfen. Die im Anhang II zur VO (EWG) Nr. 1576/89 aufgeführten Spirituosenbezeichnungen können innerhalb der EG einen umfassenden Schutz für sich in Anspruch nehmen. Die Gewährleistung erstreckt sich sowohl auf das Verbot der Verwendung von Gattungsbezeichnungen für Spirituosen, die nicht aus dem bezeichneten geographischen Gebiet stammen als auch auf das Verbot der Verwendung von Zusätzen58 . Schließlich sieht auch Art. 5 II VO (EWG) Nr. 1576/89 vor, daß auch für diejenigen Spirituosenbezeichnungen, die nicht in den Listen verzeichnet sind, ein ergänzender Irreführungsschutz besteht. Die VO (EWG) Nr. 1576/89 regelt allerdings nicht die Frage, in welchem Verhältnis die geschützten Spirituosenangaben zu einem konträren Markenschutz der identischen Bezeichnung in den einzelnen Mitgliedstaaten steht. Insoweit ist daher das jeweilige nationale Markenrecht anwendbar59 •
2. Das Schutzsystem der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 Mit der am 24. 07. 1993 in Kraft getretenen Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. 07. 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel60 geht der supranationale Schutz einen neuen Weg. Infolge dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung existiert nunmehr ein allgemein geltendes Schutzsystem, das nicht auf eine Produktsparte beschränkt ist61 • Gern. Art. 1 I VO (EWG) Nr. 2081 /92 umfaßt der Anwendungsbereich der Verordnung den Schutz von Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben der in Anhang II zum EGy62 genannten, zum menschlichen Verzehr bestimmten Agrarerzeugnisse sowie die in Anhang I und lIder VO (EWG) Nr. 2081 /92 aufgeführten Lebensmittel bzw. Agrarerzeugnisse. Weinbauerzeugnisse und alkoho57 Vgl. dazu das Verzeichnis der in Anhang 11 der VO (EWG) Nr. 1576/89 genannten Spirituosen, abgedruckt bei Zipfel, Lebensmittelrecht, Nr. 420a. Insoweit besteht eine Parallele zum Schutzsystem der bilateralen völkerrechtlichen Herkunftsabkommen. 58 Knaak, GRUR Int. 1995,642,645. 59 Knaak, GRUR Int. 1995,642,645. (j() AbI. 1992 Nr. L 208 vom 24. 07.1992, S. 1. 61 Allgemein zum Inhalt der VO (EWG) Nr. 2081/92, Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 130-136 Rnr. 3; Althammer/Klaka, MarkenG, § 126 Rnr. 10; Fezer, Markenrecht, MarkenG Vorb § 130 Rnr. 7 ff. Vgl. auch Meyenburg, MarkenR 1999, 227 ff. 62 Vgl. die Liste zu Art. 32 (ex-Art. 38) EGV.
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lische Getränke - mit Ausnahme von Bier - werden allerdings ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 2081/92 herausgenommen. Insoweit existieren bereits gemeinschaftliche Regelungswerke 63 . In Art. 2 VO (EWG) Nr. 2081/92 finden sich überaus komplizierte und verschachtelte Legaldefinitionen zu den Begriffen "Ursprungsbezeichnungen" und "geographische Angaben". Gem. Art. 211 lit.a) VO (EWG) Nr. 2081/92 bedeutet "Ursprungsbezeichnung" der Name einer Gegend, eines bestimmten Ortes, oder in Ausnahmef.illen eines Landes, der zur Bezeichnung eines Agrarerzeugnisses oder eines Lebensmittels dient. Voraussetzung ist zudem, daß das jeweilige Produkt aus dieser Gegend, diesem bestimmten Ort oder diesem Land stammt, Art. 2 11 lit.a) erster Gedankenstrich VO (EWG) Nr. 2081/9264 . Gem. Art. 2 III VO (EWG) Nr. 2081/92 werden als Ursprungsbezeichnungen auch bestimmte traditionelle geographische oder nichtgeographische Bezeichnungen angesehen, wenn sie ein Agrarerzeugnis oder ein Lebensmittel bezeichnen, das aus einer bestimmten Gegend oder einem bestimmten Ort stammt und die Anforderungen des Art. 2 11 lit.a) VO (EWG) Nr. 2081/92 erfüllen. Unter den besonderen Voraussetzungen des Art. 2 li-VII VO (EWG) Nr. 2081 /92 erfolgt schließlich eine Gleichstellung bestimmter geographischer Bezeichnungen mit Ursprungsbezeichnungen 65 . Insgesamt läßt sich feststellen, daß Ursprungsbezeichnungen im Sinne der VO (EWG) Nr. 2081/92 in jedem Fall eine besondere örtliche Radizierung aufweisen müssen66 . Demgegenüber handelt es sich bei den geographischen Angaben gem. Art. 2 11 lit.b) VO (EWG) Nr. 2081/92 um Namen einer Gegend, eines bestimmten Ortes oder in Ausnahmefällen eines Landes, die zur Bezeichnung eines Agrarerzeugnisses oder eines Lebensmittels dienen, das aus dieser Gegend, diesem bestimmten Ort oder diesem Land stammt (Art. 2 11 lit.b) erster Gedankenstrich VO (EWG) Nr. 2081/92) und bei dem sich eine bestimmte Qualität, das Ansehen oder eine andere Eigenschaft aus diesem geographischen Ursprung ergibt und das in dem begrenzten geographischen Gebiet erzeugt und / oder verarbeitet und / oder hergestellt wurde 67 . Aus der Gesamtschau dieser Definitionen läßt sich entnehmen, daß die VO (EWG) Nr. 2081/92 von dem Leitmotiv beherrscht wird, den Kennzeichnungsschutz auf europäischer Ebene von der Intensität der Beziehung des Produkts und seinen Eigenschaften bzw. Merkmalen zu einem geographischen Gebiet abhängig VO (EWG) Nr. 2392/89 und VO (EWG) Nr. 1576/89. Diese Definition der Ursprungsbezeichnungen entspricht im wesentlichen der Definition der Ursprungsbezeichnungen im Sinne des LUA, vgl. Knaak, GRUR Int. 1995, 103, 110. Zur Definition im TRIPS-Abkommen, Heine, GRUR 1993,96,99. 65 Vgl. dazu Heine, GRUR 1993, %, 99. 66 s. dazu auch EuGH, Slg. 1992,1-3669 - Delhaize. 67 Diese Definition stimmt weitgehend mit der Definition geographischer Angaben im TRIPS-Abkommen (Art. 22 I) überein. Vgl. aber zu den Abweichungen, 5. Kapitel, § 2, S.336. 63
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§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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zu machen 68 . Ein Zusammenhang zwischen dem Erzeugnis und der geographischen Bezeichnung ist regelmäßig erforderlich. Nach dem Grad dieser ProduktRaum-Relation kann dann zwischen Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben differenziert werden. In der zuletzt genannten Kategorie reicht bereits das (bloße) Ansehen eines Produkts als Anknüpfungspunkt aus. Durch die insgesamt weniger strengen Prämissen des Schutzes geographischer Angaben im Verhältnis zu den Ursprungsbezeichnungen wurde versucht, insbesondere den deutschen geographischen Herkunftsangaben einen möglichst umfassenden Platz im neUen gemeinschaftsweiten Schutzsystem zu sichern69 • Die Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben müssen scharf von den sog. Gattungsbezeichnungen abgegrenzt werden, da diese gern. Art. 3 VO (EWG) Nr. 2081/92 nicht am Schutzbereich dieses Gemeinschaftsrechtsakts teilnehmen. Gern. Art. 3 VO (EWG) Nr. 2081/92 ist eine Gattungsbezeichnung der Name eines Agrarerzeugnisses oder eines Lebensmittels, der sich zwar auf einen Ort oder ein Gebiet bezieht, in dem das betreffende Produkt ursprünglich hergestellt oder vermarktet wurde, der jedoch als der gemeinhin übliche Name für das jeweilige Produkt anzusehen ist7o . Für die Beantwortung der Frage, ob ein Name zur Gattungsbezeichnung geworden ist, bietet Art. 3 VO (EWG) Nr. 2081/92 einige, nicht abschließend aufgezählte Kriterien 71. Um die Kennzeichnung "geschützte Ursprungsbezeichnung" (g.U.) oder "geschützt geographische Angabe" (g.g.A.) führen zu können, muß das jeweilige Produkt auf Grundlage einer sog. Spezifikation im Rahmen eines aufwendigen und komplizierten Registrierungssystems erfaßt worden sein, Artt. 4 - 11 VO (EWG) Nr.2081/92 72 . Gern. Art. 4 11 VO (EWG) Nr. 2081/92 muß die Spezifikation des jeweiligen schutznachsuchenden Produkts über einen bestimmten Mindestinhalt, insbesondere im Hinblick auf die Art und Herkunft des Erzeugnisses, verfügen. Das Registrierungsverfahren zur Erlangung des Schutzes der Bezeichnungen "g.U." bzw. "g.g.A." wird gern. Art 5 VO (EWG) Nr. 2081/92 durch einen an den zuständigen Mitgliedstaat zu richtenden Antrag eingeleitet. Antragsberechtigt sind grundsätzlich Vereinigungen 73 und unter bestimmten Bedingungen, die auf Grundlage des Art. 15 VO (EWG) Nr. 2081/92 festzulegen sind, auch natürliche und juristische Personen. Über den Registrierungsantrag entscheidet die Kommission Heine, GRUR 1993,96,98. v. Müh1endahl, ZLR 1993, 187, 194. 70 Eine Relokalisierung ist gern. Art. 13 I letzter VA VO (EWG) Nr. 2081192 allerdings möglich. 71 Vgl. dazu Heine, GRVR 1993,96,98. 72 Vgl. dazu näher Meyer, GRVR 1997,91 ff.; Heine, GRVR 1993,96,100-102. 73 Definiert in Art. 5 I VA VO (EWG) Nr. 2081/92. 68
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I. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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in Zusammenarbeit mit einem Regelungsausschuß, ggf. wird eine Entscheidung des Rates herbeigeführt, Art. 6 LV.m. Art. 15 VO (EWG) Nr. 2081/92. Die für schutzwürdig befundenen Ursprungsangaben und geographischen Angaben werden gern. Art. 6 Ill, IV VO (EWG) Nr. 2081192 in ein von der Kommission geführtes Verzeichnis eingetragen und veröffentlicht. Gern. Art. 7 VO (EWG) Nr. 2081/92 kann innerhalb von sechs Monaten ab der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder von natürlichen oder juristischen Personen, die durch die Eintragung in ihren berechtigten Interessen betroffen sind, Einspruch eingelegt werden. Nach Art. 7 LY.m. Art. 15 VO (EWG) Nr. 2081/92 entscheidet über den Einspruch entweder die Kommission in Zusammenarbeit mit dem Regelungsausschuß oder der Rat. Die Artt. 8 - 11 VO (EWG) Nr. 2081/92 sollen sicherstellen, daß die auf der Gemeinschaftsebene geschützten Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben nur in Übereinstimmung mit der für sie geltenden Spezifikation benutzt werden. Art. 13 VO (EWG) Nr. 2081/92 begründet für die registrierten Bezeichnungen einen umfassenden Schutz. Insgesamt wird zugunsten der geschützten Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben ein Ausschließlichkeitsrecht begründet74 • Es besteht ein gemeinschaftsweiter Schutz vor der Benutzung entlokalisierender Zusätze, vor der Verwendung der geschützten Bezeichnung für vergleichbare Erzeugnisse, wenn deren Ansehen ausgenutzt wird, gegen jede sonstige, insbesondere irreführende Verwendung und gegen die Umwandlung in eine Gattungsbezeichnung. Das Verhältnis der im Rahmen der VO (EWG) Nr. 2081/92 registrierten Bezeichnungen zu den eingetragenen Marken Nichtortsansässiger ist in Art. 14 VO (EWG) Nr. 2081/92 geregelt75 • Insoweit ist der Koexistenzgrundsatz von entscheidender Bedeutung. Gern. Art. 14 I VO (EWG) Nr. 2081/92 muß der Antrag auf Eintragung einer Marke dann zurückgewiesen werden, wenn diese erst nach dem Zeitpunkt der in Art. 611 VO (EWG) Nr. 2081/92 vorgesehenen Veröffentlichung der Eintragung der Ursprungsbezeichnung oder geographischen Angabe eingereicht wird. In der umgekehrten Fallkonstellation gelangt Art. 1411 VO (EWG) Nr. 2081/92 zur Anwendung. Eine Marke, die vor dem Zeitpunkt des Antrags auf Eintragung einer geschützten geographischen Bezeichnung eingetragen wurde, darf unter bestimmten Bedingungen auch weiterhin benutzt werden, auch wenn eine spätere Registrierung der Bezeichnung auf Gemeinschaftsebene erfolgt ist. Die Benutzung der Marke ist in diesem Zusammenhang davon abhängig, daß sie nicht ausschließlich aus Zeichen oder. Angaben besteht, die im geschäftlichen Verkehr dazu dienen können, 74
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Vgl. dazu Heine, GRUR 1993,96,102. Näher dazu Knaak, GRUR 1995, 103, Ill.
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die Herkunft zu bezeichnen. Darüber hinaus darf die Marke nicht dazu geeignet sein, das Publikum insbesondere über die geographische Herkunft des Erzeugnisses zu täuschen. Schließlich ist zu beachten, daß der Gebrauch der Marke unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts zu erfolgen hat, d. h. es darf insbesondere kein Verstoß gegen die Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV vorliegen. In der Entscheidung "Gorgonzola/Cambozola" hat der EuGH in bezug auf das Verhältnis einer geschützten Ursprungsbezeichnung zu einer prioritätsälteren nationalen Marke festgestellt, daß die Bezeichnung "Cambozola" (ältere nationale Marke) eine Anspielung im Sinne des Art. 13 I lit.b) VO (EWG) Nr. 2081/92 darstellen kann76 • Allerdings könne eine Koexistenz beider Bezeichnungen nach Art. 14 11 VO (EWG) Nr. 2081/92 in Betracht kommen, wenn die Eintragung der Marke in gutem Glauben vorgenommen wurde. Hinsichtlich der Gutgläubigkeit des Markenanmelders hat das nationale Gericht auf die zum Zeitpunkt der Eintragung herrschende Rechtslage abzustellen. Zu beachten sei jedoch in diesem Zusammenhang, daß die Bezeichnung "Cambozola" als solche nicht schon als Irreführung des Verbrauchers eingestuft werden könne 77.
Das Verhältnis zwischen eingetragenen Marken und den auf Grundlage der Verordnung geschützten Bezeichnungen wird zusätzlich durch Art. 14 m VO (EWG) Nr. 2081 192 geprägt. Danach werden Ursprungsbezeichnungen und geographische Angaben dann nicht eingetragen, wenn in Anbetracht des Ansehens78, das eine Marke genießt, ihres Bekanntheitsgrads und der Dauer ihrer Verwendung, die Eintragung auf der Gemeinschaftsebene geeignet ist, die Verbraucher über die wirkliche Identität des Erzeugnisses irrezuführen. Art. 14 III VO (EWG) Nr. 2081/92 ist insbesondere auf den Schutz bekannter Marken auf Grundlage des nationalen oder supranationalen Markenrechts zugeschnitten, erschöpft sich jedoch hierdurch nicht in seinem Anwendungsbereich. Auf den Begriff der bekannten Marke im Sinne des harmonisierten deutschen Markenrechts bzw. im Sinne des Gemeinschaftsmarkenrechts kann jedoch in diesem Zusammenhang nicht zurückgegriffen werden. Im Rahmen des Art. 14 m VO (EWG) Nr. 2081/92 findet sich dieser Begriff nicht expressis verbis. Darüber hinaus stehen die qualitativen und quantitativen Markenkriterien hier in einem Alternativverhältnis, während das harmonisierte deutsche Markenrecht und das Gemeinschaftsmarkenrecht insoweit ein Kumulativverhältnis voraussetzen 79 . Art. 14 III VO (EWG) Nr. 2081/92 ist daher insoweit eigenständig und unabhängig auszulegen. Die letztverbindliche Begriffsbestimmung obliegt hier - wie auch bei den übrigen Vorschriften der VO (EWG) Nr. 2081 192 - exklusiv dem EuGH. 76 EuGH, WRP 1999, 486, 489 - Gorgonzola/Cambozola. Vgl. hierzu auch Schanda, MarkenR 1999, 149ff. 77 EuGH, WRP 1999,486, 489f. - Gorgonzola/Cambozola. Vgl. auch OLG Frankfurt, GRUR Int. 1997,751 - Gorgonzola I Cambozola. 78 Näher zu diesem Rechtsbegriff Knaak, GRUR 1995, 103, 11l. 79 Vgl. dazu 3. Kapitel, § 2, S. 193 f.
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1. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
Soweit eine Marke eines der Kriterien des Art. 14 III VO (EWG) Nr. 2081/92 erfüllt, wird das Koexistenzprinzip durch den Prioritätsgrundsatz ersetzt. Eine Ursprungsbezeichnung oder geographische Angabe, die im Verhältnis zu einer bereits eingetragenen Marke beim Publikum Tauschungsgefahren hervorruft, wird nicht eingetragen. Insoweit ist der nationale bzw. supranationale Markenschutz in der Lage, eine Sperrwirkung im Rahmen der Verordnung herbeizuführen. Art. 17 VO (EWG) NR. 2081/92 sieht desweiteren in Ergänzung zum eigentlichen Registrierungssystem ein sog. vereinfachtes Verfahren vor. Bestehende Ursprungsbezeichnungen und geographische Angaben konnten innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung listenmäßig erfaßt und in den gemeinschaftsweiten Schutz ohne Einzelantrag einbezogen werden 8o . In Art. 12 VO (EWG) Nr. 2081/92 findet sich schließlich eine Bestimmung, die das Verhältnis zu Drittstaaten regelt 81 . Unter bestimmten Voraussetzungen können die Erzeugnisse aus Drittländern in gleicher Weise wie die Produkte aus den Mitgliedstaaten in die Gemeinschaftsliste eingetragen werden. Die Schutzgewährung für fremde Erzeugnisse ist nicht nur von einer Reziprozität abhängig, sondern das Drittland muß vielmehr einen mindestens gleichwertigen Schutzstandard aufweisen. Bilaterale und multilaterale völkerrechtliche Verträge werden von der Regelung des Art. 12 VO (EWG) Nr. 2081/92 nicht berührt. Soweit bilaterale Abkommen nicht mit dem Schutzsystem der Verordnung kompatibel sind, kann aus Art. 307 (ex-Art. 234) EGV82 und dessen spezialgesetzlicher Ausprägung in Gestalt des Art. 12 VO (EWG) Nr. 2081/92 gefolgert werden, daß die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den früheren Verträgen nicht modifiziert werden. Die Mitgliedstaaten sind jedoch gern. Art. 10 (ex-Art. 5) EGV dazu angehalten, alle geeigneten Mittel anzuwenden, um etwaige Unvereinbarkeiten zu beheben. Insgesamt orientiert sich die VO (EWG) Nr. 2081/92 an den Vorgaben der nationalen Registrierungssysteme der Mitgliedstaaten, insbesondere am französischen Mode1l83 . Ein solch uQlfassendes Administrativsystem im Bereich geographischer Angaben ist vor allem der deutschen Rechtsordnung fremd. Zeitgleich mit der zuvor dargestellten Verordnung wurde zudem die VO (EWG) Nr. 2082/92 des Rates vom 14.07. 1992 über Bescheinigungen besonderer Merk80 Vgl. zum Streit um die Bezeichnung "Feta", EuGH, WRP 1999, 490ff. - Feta. Der EuGH hat in dem vorgenannten Urteil die VO (EWG) Nr. 2081/92 insoweit für nichtig erklärt, als die Bezeichnung ,,Feta" von der Kommission als geschützte Ursprungsbezeichnung eingetragen wurde. Zur Begründung führt das Gericht im wesentlichen aus, daß die Kommission nicht berücksichtigt habe, daß die streitige Bezeichnung in anderen Mitgliedstaaten als der Griechischen Republik seit langem von dortigen Unternehmen rechtmäßig verwendet werde, EuGH, WRP 1999,490, SOl - Feta. 81 Näher dazu Heine, GRUR 1993,96, 103. 82 Vgl. auch Art. 30 IV lit.b) WVRK. 83 Beier I Knaak, GRUR Int. 1993, 602, 609; Berg, GRUR Int. 1996, 425, 429; Meyer, GRUR 1997,91,92; Ahrens, GRUR Int. 1997,508,510.
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male von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln erlassen84 • Diese Verordnung bezieht sich auf diejenigen Produkte, die in Anhang 11 des EGV genannt sind sowie auf diejenigen, die im eigenen Anhang der va (EWG) Nr. 2082/92 erwähnt sind, sofern sie nicht der va (EWG) Nr. 2081/92 unterfallen. Die va (EWG) Nr. 2082/92 beschäftigt sich inhaltlich mit der Frage, unter welchen Bedingungen eine gemeinschaftliche Bescheinigung besonderer Erzeugnismerkmale erteilt werden kann. Auch die va (EWG) Nr. 2082/92 etabliert auf Grundlage einer individuellen Spezifikation ein umfangreiches Registrierungssystem zum Schutz von Produkten, die über bestimmte, besondere Merkmale verfügen. In Deutschland erfolgte in diesem Zusammenhang eine Schutzergänzung durch das Lebensmittelspezialitätengesetz vom 29. 10. 199385 . Die Durchführungsbestimmungen zur va (EWG) Nr. 2081/92 sind in Deutschland in den Bestimmungen der §§ 130-136 MarkenG enthalten.
In. Das nationale Recht der geographischen Herkunftsangaben am Beispiel Deutschlands
In den §§ 126-129 MarkenG sind die allgemeinen Vorschriften zum Schutz geographischer Herkunftsangaben im deutschen Recht enthalten86 . § 126 I MarkenG definiert den Begriff der geographischen Herkunftsangabe und § 126 11 MarkenG in Abgrenzung hierzu den Begriff der Gattungsbezeichnung. § 127 MarkenG legt demgegenüber den Schutzinhalt geographischer Herkunftsan-
gaben fest. In dieser Vorschrift finden sich drei Schutztatbestände: der Schutz einfacher geographischer Herkunftsangaben gern. § 127 I MarkenG (Unterbindung von Irreführungsgefahren über die geographische Herkunft), der Schutz qualifizierter geographischer Herkunftsangaben gern. § 12711 MarkenG (Sicherstellung, daß das so gekennzeichnete Erzeugnis über bestimmte Eigenschaften oder Qualitäten verfügt) und der Schutz bekannter geographischer Herkunftsangaben nach § 127 III MarkenG (Verhinderung sittenwidriger Beeinträchtigungen, selbst wenn im Einzelfall keine Irreführungsgefahren bestehen). Soweit im Einzelfall der Schutzinhalt einer geographischen Herkunftsangabe verletzt wurde, begründet § 128 I MarkenG einen Unterlassungsanspruch. In Ergänzung hierzu sieht § 12811 MarkenG einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch vor. Bereits aus § 1 Nr. 3 MarkenG folgt, daß die geographischen Herkunftsangaben dem markenrechtlichen Kennzeichenschutz unterliegen. Neben diesem markenrechtlichen Kennzeichenschutz auf Grundlage des MarkenG gelangt auch weiter84 AbI. 1992, Nr. L 208, 9. Die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 120, spricht insoweit von einer "Parallelverordnung" . 85 BGBI. 1993 1,1814. Vgl. dazu Streinz, GRUR 1996, 16,27. 86 Vgl. dazu allgemein Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 226ff.; Helm, in: FS für Vieregge, 1995, S. 335 ff.
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hin der Wettbewerbsschutz geographischer Herkunftsangaben gern. §§ 3, 1 UWG zur Anwendung. Dies folgt aus der Vorschrift des § 2 MarkenG, wonach dieses Gesetz die Heranziehung anderer als markengesetzlicher Bestimmungen zum Schutz der Kennzeichen nicht ausschließt. Gern. § 3 UWG sind geographische Herkunftsangaben gegen die Verwendung von Angaben, die geeignet sind, das Publikum über die geographische Herkunft der gekennzeichneten Produkte irrezuführen, geschützt87 • Die Angabe muß im Einzelfall nach Auffassung des Verkehrs auf die geographische Herkunft der gekennzeichneten Ware hinweisen und sowohl geeignet sein, beim Publikum unrichtige Vorstellungen über die geographische Herkunft der Ware hervorzurufen als auch geeignet sein, die umworbenen Verkehrskreise in wettbewerbsrechtlich relevanter Weise irrezuführen. Der wettbewerbsrechtliche Schutz geographischer Herkunftsangaben steht zum markenrechtlichen Schutz im Verhältnis der Anspruchskonkurrenz. Er dient nicht nur der Ausfüllung von Lücken im MarkenG 88 • Hierfür spricht der unterschiedliche Normzweck des UWG einerseits und der des MarkenG andererseits. Wahrend der Wettbewerbsschutz die geographischen Herkunftsangaben vor einer Irreführung des Publikums und damit mittelbar vor sittenwidrigen Wettbewerbshandlungen schützt, protegiert der markengesetzliche Kennzeichenschutz die geographischen Herkunftsangaben unmittelbar in ihrer Eigenschaft als subjektive Kennzeichenrechte 89 • Infolge des Inkrafttretens des MarkenG zum 01. 01. 1995 hat sich die dogmatische Einordnung des Schutzes geographischer Herkunftsbezeichnungen in Deutschland grundlegend verändert. Vor dem Inkrafttreten des MarkenG war § 3 UWG sedes materiae des Schutzes geographischer Herkunftsangaben90. Das BVerfG91 charakterisierte diesen wettbewerbsrechtlichen Schutz mit den folgenden Worten: "Der vom deutschen Recht gewährte Schutz geographischer 87 Vgl. zum wettbewerbsrechtlichen Schutz geographischer Herkunftsangaben Baumbach/Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 185ff.; Helm, in: Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, S. 754ff.; Köhler/Piper, UWG, § 3 Rnr. 188ff. 88 Vgl. dazu auch die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 1216581, S. 117. A.A. unter Hinweis auf den Kodifikationscharakter des Schutzes geographischer Herkunftsangaben im MarkenG, Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 227, 228. So auch BGH, GRUR 1999,252 - Warsteiner 11. 89 Fezer, Markenrecht, MarkenG Vorb § 126 Rnr. 3. 90 Daneben waren auch die Bestimmung des § 5 I UWG a.F. (Problem denaturierter geographischer Herkunftsangaben, vgl. dazu Baumbach/Hefermehl, UWG, 17. Auflage, § 5 UWG a.F. Rnr. 2; nunmehr in § 126 11 MarkenG geregelt) und die Strafvorschrift des § 26 WZG (vgl. dazu Klaka, GRUR 1970,517,520; Baumbach/Hefermehl, WZG, § 26 Rnr. I relevant. Für den Bereich des Lebensmittelrechts ist zudem die Vorschrift des § 17 Nr. 5 Iit.b) LMBG von maßgebender Bedeutung, vgl. dazu Streinz, GRUR 1996, 16,20. Allgemein zu den sondergesetzlichen Regelungen für spezielle Herkunftsangaben, Ulmer I Reimer I Beier, Bd. II1, TZ.755 ff.; Tilmann, S. 94 ff. Zum Verhältnis des sondergesetzlichen Rechtsschutzes zu § 3 UWG, BGH. GRUR 1982,423; BGH, GRUR 1982,495,497. 91 BVerfGE 51,193,214 = GRUR 1979,773,777 - Weinbergsrolle.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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Herkunftsangaben ist ein Schutz gegen Unlauterkeit und gegen Irreführung des Verkehrs; er ist seinem Schwerpunkt nach wettbewerbsrechtlich ausgestaltet. Die Schutzbestimmungen gehen nicht vom Schutzbedürfnis der Herkunftsbezeichnungen selbst aus ... ; sie sind vielmehr Vorschriften zur Unterdrückung falscher und irreführender Herkunftsangaben, die an den Tatbestand der Täuschung des Verkehrs anknüpfen. Schutzgut ist die Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs; die Institution des Wettbewerbs wird geschützt." Zum Rechtscharakter der geographischen Herkunftsangaben heißt es in derselben Entscheidung: "Das Gesetz gewährt kein absolutes Recht zur ausschließlichen Benutzung der Herkunftsangaben wie das Warenzeichen, die Ausstattung oder die Firma. Aus dem Verbot, im geschäftlichen Verkehr falsche Herkunftsangaben zu benutzen, folgt lediglich mittelbar und nur als Rechtsreflex der Schutz der Herkunftsangabe selbst". Ungeachtet der zum Teil immensen wirtschaftlichen Bedeutung geographischer Herkunftsangaben für ihre Benutzer92, hatte das BVerfG ein subjektives Recht an der geographischen Herkunftsangabe abgelehnt und dieses auch folglich nicht dem Anwendungsbereich des Art. 14 I GG unterstellt. Der erst infolge des MarkenG in die deutsche Rechtsordnung inkorporierte Kennzeichenschutz geographischer Herkunftsangaben weist demgegenüber einen veränderten Rechtscharakter aufH . Im MarkenG werden die geographischen Herkunftsangaben als Kennzeichnungsmittel verstanden, die Waren oder Dienstleistungen nach ihrer geographischen Herkunft identifizieren 94 . Geographische Herkunftsangaben sind subjektive Kennzeichnungsrechte und in dieser Eigenschaft immaterialgüterrechtliche Vermögensrechte95 . Unterstützt wird diese dogmatische Einordnung auch durch die Rechtsauffassung des EuGH, wonach geographische Herkunftsangaben dem Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gern. Art. 30 (ex-Art. 36) EGV unterfallen 96 • Im Gegensatz zu den Marken, die Waren oder Dienstleistungen nach ihrer betrieblichen Herkunft individualisieren, verfügen geographische Herkunftsangaben jedoch lediglich über eine eingeschränkte Ausschließlichkeitsfunktion. Der in den §§ 126ff. MarkenG verankerte Schutz wirkt nur gegenüber solchen Dritten, die die geographische Herkunftsan92 Vgl. zur wirtschaftlichen Dimension geographischer Herkunftsangaben, Tilmann, Die geographische Herkunftsangabe, S. 28 ff.; Harte-Bavendamrn, GRUR 1996,717,719. 93 So auch Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 226.; Fezer, Markenrecht, § 126 MarkenG Rnr. 4; Köhler/Piper, UWG, § 3 Rnr. 188a; Knaak, GRUR 1995, 103, 105; a.A. Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 126-139 Rnr. 1. 94 Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 1216581, S. 116. 95 Fezer, Markenrecht, § 126 MarkenG Rnr. 4; Knaak, GRUR 1995, 103, 105; Gloy, in: FS ftir Piper, 1996, S. 543, 544, 560; a.A. Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 1216581, S. 116, wonach geographische Herkunftsangaben keine individuellen Schutzrechte darstellen. Ebenso Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 126- 139 Rnr. 1. 96 EuGH, Slg. 1992,1-5529 = GRUR Int. 1993,76,78 - Turron de Alicante. Gegen dieses Argument Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 126-139 Rnr. 1.
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1. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
gabe in unrechtmäßiger Weise benutzen. Die rechtmäßige Benutzung der geographischen Herkunftsangabe durch Dritte bleibt demgegenüber sanktionslos. Hinsichtlich der dogmatischen Einordnung geographischer Herkunftsangaben im deutschen Recht vertritt der BGH jedoch auch nach Inkrafttreten des MarkenG die Auffassung, daß diese mangels einer Zuordnung der Kennzeichnung zu einem bestimmten (ausschließlichen) Rechtsträger auch nicht als eine Art weiteren geistigen Eigentums angesehen werden können97 . Nach Ansicht des BGH ergibt sich ein Individualschutz geographischer Herkunftsangaben nach wie vor nur reflexartig aus dem seiner Natur nach wettbewerbsrechtlichen Schutz. Zur Begründung dieser Einschätzung verweist der BGH auch auf die Vorschrift des § 128 I MarkenG, nach der Verstöße gegen § 127 MarkenG auch von Mitbewerbern und Verbänden verfolgt werden können98 .
1. Definition und Arten geographischer Herkunftsangaben im MarkenG § 126 I MarkenG enthält eine Legaldefinition des Begriffs der geographischen Herkunftsangaben 99 • Als solche sind die Namen von Orten, Gegenden, Gebieten oder Ländern sowie sonstige Angaben oder Zeichen, die im geschäftlichen Verkehr zur Kennzeichnung der geographischen Herkunft von Waren oder Dienstleistungen benutzt werden, anzusehen.
Zunächst rallt auf, daß der markengesetzliche Kennzeichenschutz im Einzelfall eine Benutzung der geographischen Herkunftsangabe im geschäftlichen Verkehr 100 erfordert. Insoweit ist der Anwendungsbereich des MarkenG im Verhältnis zum Schutz geographischer Herkunftsangaben auf Grundlage des § 3 UWG verengt. Der eingeschränkte Anwendungsbereich des § 126 I MarkenG wirkt sich z. B. im Hinblick auf sog. fiktive geographische Herkunftsangaben 101 aus. Diese können nur wettbewerbsrechtlich gern. § 3 UWG geschützt werden. Gleiches gilt auch in bezug auf den Schutz einer geographischen Herkunftsangabe im Vorfeld einer (späteren) Benutzung 102 • § 2 MarkenG gewährleistet in diesem Zusammenhang, daß der bisherige Schutzstandard des alten Rechtszustands mindestens erhalten bleibt 103 . 97
98 99
Vgl. BGH, WRP 1998, 998, 999 - Warsteiner I. BGH, a. a. O. Allgemein zum Schutz geographischer Herkunftsangaben im MarkenG, Michel, pas-
sim. 100 Vgl. zur Auslegung des Begriffs "geschäftlicher Verkehr" im MarkenG, im UWG und den wettbewerbsrechtlichen Nebengesetzen wie RabattG und ZugabeVO, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 40ff. Vgl. auch IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 34ff.; AIthammer I Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 21 ff.; Baumbach/Hefermehl, UWG, Einl. Rnr. 208ff. 101 Eine fiktive geographische Herkunftsangabe liegt dann vor, wenn die Bezeichnung von dem berechtigten Unternehmen zwar nicht als geographische Herkunftsangabe eingesetzt wird, aber von den beteiligten Verkehrskreisen als solche verstanden wird. 102 Vgl. dazu BGH, GRUR 1982,564 - Elsässer Nudeln.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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In Anlehnung an den Wettbewerbsschutz geographischer Herkunftsangaben ist auch deren kennzeichenrechtlicher Schutz nicht davon abhängig, daß die gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen über besondere objektive Produkteigenschaften verfügen 104. Ebenso wie nach der alten Rechtslage wird auch im Rahmen des MarkenG in Deutschland zwischen unmittelbaren und mittelbaren Herkunftsangaben unterschieden lO5 • Eine unmittelbare Herkunftsangabe (§ 126 I 1. Alt. MarkenG) ist gegeben, wenn die Bezeichnung als solche sprachlich einen geographischen Namen 106 aufweist, der auch in diesem Sinne von den angesprochenen Verkehrskreisen verstanden wird. Von einer mittelbaren Herkunftsangabe (§ 126 I 2. Alt. MarkenG) ist demgegenüber dann auszugehen, wenn der ausdrückliche Hinweis auf einen bestimmten geographischen Raum in der Bezeichnung zwar fehlt, der Verkehr aber dennoch eine gedankliche Verbindung zwischen der Angabe und deren räumlicher Herkunft herstellt lO7 • Sowohl bei unmittelbaren als auch mittelbaren Herkunftsangaben ist regelmäßig die Feststellung erforderlich, daß die im Einzelfall maßgebenden Verkehrskreise die geographische Angabe als Herkunftsangabe verstehen. Bei unmittelbaren Herkunftsangaben gilt der Grundsatz, eine Herkunftsvorstellung des Verkehrs kann um so eher angenommen werden, je eindeutiger der geographische Herkunftshinweis eingesetzt wird 108. Besondere Schwierigkeiten können sich bei der Überprüfung des Herkunftscharakters in bezug auf mittelbare geographische Herkunftsangaben ergeben. Die geographische Angabe muß hier - aus Sicht der Verkehrskreise - in einem Zusammenhang zum Produkt stehen (Produkt103 Näher zum Schutz geographischer Herkunftsangaben im Rahmen des § 3 UWG und des § 17 I Nr. 5b LMBG, Leible, in: Streinz, Lebensmittelrechtshandbuch, III. F, S. 40ff. Allgemein zur Bedeutung des § 2 MarkenG im deutschen Kennzeichnungsrecht, BGH, WRP 1998, 1181, 1182 - MAC Dog. 104 Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 117 f. Die besondere Qualifikation einer geographischen Herkunftsangabe kann sich jedoch auf den Schutzinhalt gern. § 127 MarkenG auswirken. 105 Vgl. zu dieser Differenzierung Baumbach/Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 192ff.; BGH, GRUR 1962,681,682 - de Paris; BGH, GRUR 1982,564 - Elsässer Nudeln; EuGH, Slg. 1992,1-5529 =EuGH, GRUR Int. 1993,76,78 - Turron de Alicante. 106 Erforderlich ist ein unmittelbarer geographischer Herkunftshinweis im Sinne des § 126 I I.AIt. MarkenG. 107 In diesem Zusammenhang können insbesondere fremdsprachige Bezeichnungen (vgl. aus der Rechtsprechung BGH, GRUR 1956, 187, 188 - English Lavender; BGH, GRUR 1958, 185 - Wyeth; BGH, GRUR 1963, 589, 591 - Lady Rose; BGH, GRUR 1971, 255 - Plym-Gin) oder die Verwendung bestimmter Herkunftssymbole (vgl. aus der Rechtsprechung BGH, GRUR 1981,666 - Ungarische Salami; BGH, MDR 1983, 197 - Ungarische Salami 11; BGH, GRUR 1971,313 - Bocksbeutelflasche) in Betracht kommen. 108 Desweiteren gilt, daß der für einen Schutz ausreichende Grad der Irreführung um so geringer sein kann, je eindeutiger der Herkunftscharakter einer Bezeichnung im Einzelfall ausfällt, vgl. zu § 3 UWG Beier 1 Knaak, GRUR Int. 1992, 411, 414.
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I. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
bezogenheit des Herkunftscharakters). Eine bloße geographische Assoziation reicht nicht aus lO9 • Die Feststellung, ob die jeweilige Bezeichnung über einen ausreichenden geographischen Herkunftscharakter verfügt und die Ermittlung von Irreführungsgefahren im Einzelfall, wird im Prozeß grundsätzlich mit Hilfe demoskopischer Meinungsumfragen ermittelt" o. Auch unter Geltung des MarkenG ist der Schutz geographischer Herkunftsangaben im wesentlichen als wettbewerbsrechtlicher Irreführungsschutz ausgestaltet worden lll . In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß sich die Ermittlung der relevanten Verkehrsauffassung am Verbraucherleitbild des EuGH im Sinne eines "verständigen Verbrauchers, der in der Lage und auch willens ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen und sich entsprechend zu verhalten" 2 , orientieren muß. In einem neueren Urteil umreißt der EuGH das normative Leitbild eines "durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers.. ll3 . Diese Maßstabsfigur hat das jeweilige nationale Gericht nach Auffassung des EuGH immer dann heranzuziehen, wenn es im konkreten Einzelfall eine Norm des sekundärrechtlichen Irreführungsschutzes auszulegen und in diesem Zusammenhang die maßgebliche Verkehrsauffassung zu bestimmen hat" 4 . Aus diesen zwingenden Vorgaben des EuGH folgt, daß das normative Leitbild eines verständigen Verbrauchers auch einschlägig ist, wenn im Einzelfall eine geographische Herkunftsangabe vorliegt, die dem Anwendungsbereich der Etikettierungsrichtlinie llS und damit dem speziellen lebensmittelrechtlichen IrreführungsBeier/Knaak,GRURlnt.1992,411,413. Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 280; BGH, MDR 1984, 290; BGH, NJW-RR 1987, 1059. Zur Kritik an diesem Beweismittel, Beier, GRUR Int. 1984,61, 64; Streinz, GRUR 1996, 16,21,22. Zur Entbehrlichkeit demoskopischer Meinungsumfragen im Einzelfall, Tilmann, Die geographische Herkunftsangabe, S. 157. Grundsätzlich versuchen die beteiligten Gerichte, die angesprochenen Problemkreise aufgrund eigener Sachkunde zu lösen. VgI. zum ganzen Problemkreis, Leible, in: Streinz, Lebensmittelrechtshandbuch, III. F, S. 56ff.; Kreft/Gloy, in: Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, S. 144ff. 111 Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 126-139 Rnr. I sprechen insoweit von einem Fremdkörper im Markenrecht. 112 EuGH, Slg. 1995, 1-1936 = ZIP 1995, 1137 - Mars. VgI. auch Streinz, Europarecht, S. 270; Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 181, 182; Hohmann/Leible, ZLR 1995, 265, 277ff. Allgemein zur europäischen Verkehrsauffassung, insbesondere im Lebensmittelrecht, Hohmann, passim.; Streinz, in: FS für Gitter, 1995, S. 977 ff. 113 EuGH, Slg. 1998, 1-4657 = EuZW 1998, 526, 528 - Gut Springenheide. 114 EuGH, Slg. 1998,1-4657 EuZW 1998,526,528 - Gut Springenheide. Nach zutreffender Auffassung des EuGH gelangt das zuvor skizzierte normative Verbraucherleitbild bei allen denkbaren Objekten der Irreführung, also insbesondere in bezug auf Bezeichnungen, Marken oder Werbeaussagen, zur Anwendung. 115 Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. 12. 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, AbI. 1979 Nr.L 33, l. VgI. insgesamt zum Einfluß des europäischen Lebensmittelrechts auf das deutsche Wettbewerbsrecht, Streinz, GRUR 1996, 16ff.; vgI. im übrigen Gorny, GRUR 1996, 447ff. 109 110
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§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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verbot des § 17 I Nr. 5b LMBG unterfällt 116 • Soweit daher eine irreführende Kennzeichnung von Lebensmitteln (äußere Darbietungsform eines Lebensmittels) betroffen ist, muß aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben auf das vom EuGH entwickelte Leitbild des verständigen Verbrauchers 1l7 rekurriert werden 118 • Der entsprechende Prüfungsmaßstab gelangt auch im Rahmen des § 3 UWG 1l9 und der §§ 126 ff. MarkenG sowie hinsichtlich reiner Inlandssachverhalte zur Anwendung 120• Diese Bestimmungsbasis auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung ist wesentlich enger gefaßt als das nach herrschendem Verständnis (bislang)121 im deutschen Wettbewerbsrecht maßgebliche Bild des "flüchtigen Durchschnittsbetrachters, der eine Werbebehauptung ungezwungen und unkritisch wahmimmt,,122. Näher dazu Hohmann, WRP 1993,225. Vgl. dazu z. B. auch EuGH, ZLR 1995, 667 - Sauce Bernaise. 118 So auch Leible, in: Streinz, Lebensmittelrechtshandbuch, III. F. S. 60 ff. 119 Ebenso Leible, a. a. 0., S. 61. Allgemein zum Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Wettbewerbsrecht, Everling, passim; Hösch, passim.; Handkommentar EUV 1 EGV 1Hailbronner, Art. 30 Ror. 32 ff. 120 Vgl. BVerwG, LRE 27,180 - becel. Vgl. auch BayVGH, ZLR 1996,95,100. 121 In der neueren Rechtsprechung des BGH ist eine gewisse Tendenz des Gerichts sichtbar, sich vom Leitbild des flüchtigen Durchschnittsbetrachters in Ansätzen zu lösen und auf den EuGH ,,zuzugehen". Vgl. z. B. BGH, WRP 1996, 729, 731 - Der meistverkaufte Europas; BGH, WRP 1996, 1156, 1158 - PVC-frei; BGH, WRP 1997, 302 - Naturkind. Besonders deutlich wird diese Tendenz in der Entscheidung "Testpreis-Angebot" (BGH, WRP 1998,718 ff.), in der das Gericht das seit der Hellegold"-Entscheidung (RG, MuW 1931,627 GRUR 1931, 1299) bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis hinsichtlich der Unzulässigkeit vergleichender Werbung in Deutschland vor dem Hintergrund der Richtlinie 97/551 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung (AbI. Nr. L 290 vom 23. 10. 1997, S. 18 ff.) in eine grundsätzliche Zulässigkeit der vergleichenden Werbung umgewandelt hat. In der "Testpreis-An.~ebot"-Entscheidung führt der BGH aus: ,,Die Generalklausel des § I UWG ermöglicht eine Anderung des deutschen (Richter-)Rechts. Sie verweist für die Beurteilung wettbewerblicher Verhaltensweisen auf den Wertmaßstab der guten Sitten. Damit eröffnet sie die Möglichkeit zu richterlicher Rechtsfortbildung und zu einer Rechtsanwendung, die der Entwicklung des Wirtschaftslebens und einem Wandel der Verkehrsauffassung (Hervorhebung durch den Verfasser) sowie auch langfristigen Änderungen der Auffassung der Allgemeinheit Rechnung tragen kann" (BGH, WRP 1998, 718, 722 - Testpreis-Angebot). Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich der "Wandel der Verkehrsauffassung" auch in einem modifizierten Verbraucherleitbild in der (zukünftigen) Rechtsprechung des BGH niederschlägt. Allgemein kann festgestellt werden, daß der BGH den angesprochenen Verkehrskreisen hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Werbea,!ssagen in neuerer Zeit "mehr zutraut". Diese Tendenz, die auch als Annäherung an den EuGH verstanden werden kann, wird insbesondere in den Entscheidungen BGH, WRP 1998, 1065 ff. - Preisvergleichsliste 11; BGH, WRP 1999, 9Off. - Handy für 0,00 DM; BGH, WRP 1999, 94ff. - Handy-Endpreis und BGH, WRP 1999, 414ff. - Vergleichen Sie, deutlich. Näher zum "neuen" Recht der vergleichenden Werbung in Deutschland, Tilmann, GRUR 1997, 790ff.; Gloy/Bruhn, GRUR 1998, 226ff.; Menke, WRP 1998, 811 ff.; EcklIkas, WRP 1999, 251 ff.; dies., WRP 1999, 772ff.; Plaß, WRP 1999,766 ff.; Tilmann, GRUR 1999,546 ff. 116 117
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I. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
2. Abgrenzung geographischer Herkunftsangaben von Gattungsbezeichnungen im MarkenG
Gern. § 126 11 S. 1 MarkenG nehmen Gattungsbezeichnungen nicht am Kennzeichenschutz geographischer Herkunftsangaben teil. Gattungsbezeichnungen sind nach § 12611 S. 2 MarkenG solche Bezeichnungen, die zwar eine Angabe über die geographische Herkunft im Sinne des § 126 I MarkenG enthalten oder von einer solchen Angabe abgeleitet sind, die jedoch ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben und als Namen von Waren oder Dienstleistungen oder als Bezeichnungen oder Angaben der Art, der Beschaffenheit, der Sorte oder sonstiger Eigenschaften oder Merkmale von Waren oder Dienstleistungen dienen. Geographische Herkunftsangaben können sich im Rahmen eines Bedeutungswandels im Laufe der Zeit zu Gattungsbezeichnungen oder reinen Beschaffenheitsangaben 123 entwickeln (sog. Denaturierung einer geographischen Herkunftsangabe). Denkbar ist in diesem Zusammenhang auch eine Rückentwicklung von Gattungsbezeichnungen und reinen Beschaffenheitsangaben in geographische Herkunftsangaben (umgekehrter Bedeutungswandel) 124. Im wettbewerbsrechtlichen Schutz geographischer Herkunftsangaben ist anerkannt, daß die Grenze zwischen den Beschaffenheitsangaben und den Gattungsbezeichnungen einerseits und den geographischen Herkunftsangaben andererseits nicht starr verläuft 125 • Eine entsprechende Änderung der Auffassung der angesprochenen Verkehrskreise kann einen Bedeutungswandel auslösen l26 . Nach welchen Kriterien und Voraussetzungen sich ein solcher Bedeutungswandel bemißt, ist im MarkenG nicht ausdrücklich geregelt worden. Der Gesetzgeber des MarkenG hat dies vielmehr bewußt offen gelassen l27 • Die Ausarbeitung der möglichen Differenzierungen in diesem Bereich wird der Rechtsprechung überlassen. Insoweit bietet sich zunächst ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Schutz geogra122 Näher dazu Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 188. Zur Kritik an diesem realitätsfremden Verbraucherleitbild im deutschen Wettbewerbsrecht, Emmerich: in FS für Gernhuber, 1993, S. 857, 870ff. A.A. Sack, WRP 1998,264,267,268, der von einer Vereinbarkeit des deutschen und des europäischen Verbraucherleitbilds im Wettbewerbsrecht ausgeht. Vermittelnd Gloy, in: Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, S. 141, der einen "sich vernünftig verhaltenden Durchschnittsverbraucher" für maßgebend erachtet. 123 Vgl. dazu § 5 I UWG a.F. und § 26 IV WZG. 124 Allgemein zu diesen Phänomenen Baumbach/Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 218ff. 125 BGH, GRUR 1961,349 - Almglocke. 126 In bestimmten bilateralen Abkommen ist demgegenüber ein solcher Bedeutungswandel infolge der Veränderung der Verkehrsauffassung ausgeschlossen, vgl. dazu die Verträge Deutschlands mit Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und der Schweiz. Gleiches gilt für verschiedene gesetzliche Regelungen im Inland, z. B. für die Bezeichnung "Solingen", vgl. dazu Fezer, Markenrecht, MarkenG § 126 Rnr. 5; Beier, GRUR 1963, 169, 175: Weitere Beispiele bei Baumbach I Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 221. 127 Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 118.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
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phiseher Herkunftsangaben an. Zu beachten ist jedoch zusätzlich, daß die entsprechenden Begriffe des MarkenG in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 2081/92 ausgelegt werden sollten, um Anwendungsdefizite zwischen den verschiedenen Schutzebenen zu verhindern 128. In der Rechtsprechung zum UWG ist vielfach die Möglichkeit anerkannt worden, daß eine geographische Herkunftsangabe ihre Herkunfts- und Unterscheidungsfunktion verlieren und zu einer bloßen Beschaffenheitsangabe degenerieren kann l29. Die Beweislast für einen solchen Vorgang trägt im Prozeß der sich hierauf berufende Verletzer der geographischen Herkunftsangabe. Die Umwandlung einer Herkunfts- in eine Beschaffenheitsangabe hängt nach der Judikatur davon ab, daß die beteiligten Verkehrskreise 130, abgesehen von einem nur noch ganz unwesentlichen Teil, d. h. bis auf einen zu vernachlässigenden Rest, in der Angabe im Einzelfall keinen Hinweis mehr auf die Herkunft der entsprechenden Waren oder Dienstleistungen mehr erblicken, sondern nahezu ausnahmslos von einer reinen Beschaffenheitsangabe ausgehen 131. Die Rechtsprechung setzt für diesen Umwandlungsvorgang einen sehr strengen Maßstab an. Zur Beibehaltung des wettbewerbsrechtlichen Schutzes einer geographischen Herkunftsangabe reicht daher eine noch vorhandene Herkunftsvorstellung bei ca. 10% der angesprochenen Verkehrskreise aus \32. Diese Richtgröße ist auch im markengesetzlichen Kennzeichenschutz geographischer Herkunftsangaben heranzuziehen und wird auch durch die Rechtsprechung des EuGH gestützt 133 . 128 Die letztverbindliche Auslegung der Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 2081/92 fallt gern. Art. 220 (ex-Art. 164) EGV in den Zuständigkeitsbereich des EuGH. 129 RGZ 79, 250 - Radeberger Pilsener; RGZ 139, 363 - Herrenhäuser Pilsener; BGH, GRUR 1957, 128 Steinhäger; BGH, NJW 1965,630 GRUR 1965,317 - Kölnisch Wasser; BGH, GRUR 1970,517 - Kölsch-Bier; BGH, GRUR 1977, 159, 160 - Ostfriesische Teegesellschaft; BGH, MDR 1982,380 - Maraschino; BGHZ 106, llO = NJW 1989, 1804 = GRUR 1989,440 - Dresdner Stollen I; BusseI Starck, WZG, § 26 Rnr. 8 ff. 130 Maßgebend sind in diesem Zusammenhang vor allem die Verbraucher, weniger die Marktkonkurrenten und die Händler, so Baumbach 1Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 219. 131 RGZ 100, 182, 184 - Gervais; BGH, GRUR 1956,270,272 - Rügenwalder Teewurst; BGH, GRUR 1965,317,318 - Kölnisch Wasser; BGH, GRUR 1965,681,682 - de Paris; BGH, GRUR 1970,517,518 - Kölsch-Bier; BGH, GRUR 1981,71,73 - Lübecker Marzipan; BGH, GRUR 1989,440,442 - Dresdner Stollen I. 132 BGH. GRUR 1979,716,717 - Kontinent-Möbel; Müller-Graff, GRUR 1988, 659ff. Bei diesem Wert. der aufgrund demoskopischer Meinungsumfragen ermittelt wird, handelt es sich lediglich um eine Richtgröße. Wie im gesamten Kennzeichnungsrecht kommt es bei der Festlegung absoluter Kennzahlen entscheidend auf die Umstände des Einzelfalles an, vgl. z. B. BGH, GRUR 1981,71,72 - Lübecker Marzipan (13,7 %); OLG Köln, GRUR 1983, 385, 387 - Lübecker Marzipan 11. Vgl. zur Bezeichnung ..Dresdner Stollen", die als Gattungsbezeichnung verstanden wird, BGH, GRUR 1989,440,442 - Dresdner Stollen I; OLG Koblenz, NJW-RR 1988, 1255 - Dresdner Stollen; LG Hamburg, WRP 1986, 359; LG Leipzig, GRUR 1994, 379 - Dresdner Butterstollen; Martell, ZLR 1985, 274, 282. 133 Der EuGH hat in der ..Turr6n"-Entscheidung (EuGH, Sig. 1992, 1-5529 = GRUR Int. 1993, 76. 79) festgestellt, daß geographische Herkunftsangaben dem gewerblichen und
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4 Spuhler
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1. Kap.: Einleitung, Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
Neben dem zuvor skizzierten Umwandlungsprozeß geographischer Herkunftsangaben in reine Beschaffenheitsangaben ist auch die folgende Konstellation denkbar: Eine geographische Herkunftsangabe hat sich zu einer reinen Beschaffenheitsangabe entwickelt. Dieser Zustand stellt jedoch nur ein Zwischenstadium dar. Die Beschaffenheitsangabe verwandelt sich im Laufe der Zeit wiederum in eine gern. § 3 UWG bzw. § 126 I MarkenG geschützte geographische Herkunftsangabe infolge einer erneut geänderten Verkehrsauffassung zurück (sog. Rückentwicklung oder Rückverwandlung) 134. Die Rechtsprechung steht einem solchen doppelten Umwandlungsprozeß aus Gründen des Freihaltebedürfnisses des Verkehrs und Rechtssicherheitserwägungen (Kontinuitätsgedanke) sehr skeptisch gegenüber 135 • Eine Rückentwicklung kommt nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall ein zahlenmäßiges Übergewicht der sich gegenüberstehenden Verkehrsauffassungen zugunsten der Annahme einer geographischen Herkunfsangabe besteht. Der überwiegende Teil der beteiligten Verbraucherkreise (d. h. mehr als 50 %) ist daher für eine wirksame Rückverwandlung im Wettbewerbsrecht notwendig l36 • Auch diese Richtgröße kann für den Bereich des MarkenG übertragen werden. Zu beachten ist allerdings auch hier, daß die Grenzziehung nicht starr verläuft. Im jeweiligen Einzelfall kann eine Interessenabwägung erforderlich sein 137. Von den geographischen Herkunftsangaben müssen schließlich die sog. Phantasiebezeichnungen abgegrenzt werden 138. Unter letzteren versteht man Angaben, die zwar geographische Begriffe aufweisen, aber im Verkehr nicht als ein Hinweis auf die geographische Herkunft eines Erzeugnisses verstanden werden l39 . Es hankommerziellen Eigentum im Sinne des Art. 30 (ex-Art. 36) EGV unterfallen und für den nationalen Schutz dieser Angaben die Vorstellungen im Ursprungsland maßgebend sind. An der bisherigen Rechtsauffassung kann daher - bis zu einer abweichenden Entscheidung des EuGH - auch weiterhin festgehalten werden. 134 Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 282. Dieses Phänomen kann insbesondere durch den Einsatz sog. relokalisierender Zusätze ausgelöst werden, vgl. dazu BGH, GRUR 1957, 128, 129f. - Steinhäger; BGH, GRUR 1982, lll, 114 - Original Maraschino; OLG Naumburg, WRP 1995,749,751 - Original Oettinger Bier. 13S RGZ 137, 282, 291 f. - Steinhäger; RGZ 139, 363, 373 ff. - Herrenhäuser Pilsener; RG, GRUR 1934,62 - Nordhäuser; BGH, GRUR 1957,128,131 - Steinhäger; BGH, GRUR 1965, 317 - Kölnisch Wasser; BGH, GRUR 1989, 440 - Dresdner Stollen I. 136 BGH, GRUR 1957, 128, 131 - Steinhäger; BGH, GRUR 1965, 317, 319 - Kölnisch Wasser. Diese Prozentangabe gilt auch für die Umwandlung einer originären Gattungsbezeichnung in eine geographische Herkunftsangabe, BGH, GRUR 1986,469,470 - Stangenglas 11. 137 s. dazu Fezer, Markenrecht, § 126 MarkenG Rnr. 15; Beier/Knaak, GRUR Int. 1992, 411,415. 138 Vgl. zur Unterscheidung der geographischen Herkunftsangaben von den Individualbezeichnungen (betriebliche Herkunftsangaben), Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 282. 139 Vgl. die Beispiele bei Baumbach I Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 208.
§ 2 Begriffsbestimmungen und Grundstrukturen
51
delt sich daher gerade nicht um geographische Herkunftsangaben im klassischen Sinne. Im Rahmen des § 3 UWG werden Phantasiebezeichnungen grundsätzlich als unbedenklich eingestuft l40 . Hiervon zu trennen ist jedoch die Frage, ob tatsächlich ein markenrechtlicher Individualschutz für diese Bezeichnungen gewährt werden kann l41 .
140 BGH, GRUR 1965,676 - Nevada-Skibindung; BGH, GRUR 1970, 311, 313 - Samos; BGH, GRUR 1971,255,257 - Plym-Gin. 141 Die Eintragbarkeit einer Phantasiebezeichnung mit geographischen Elementen als Marke hängt davon ab, daß der Ortshinweis nach der Verkehrsauffassung nicht ernstlich als Herkunftshinweis der Waren in Betracht kommt, BGH, GRUR 1963, 469 - Nola; BGH, GRUR 1970,311 - Samos; vgl. aber auch BGH, GRUR Int. 1984, 107 - Capri-Sonne; Beier, GRUR Int. 1992,243; zur Rechtslage im WZG, Althammer, WZG, § 4 Rnr. 74; Baumbachl Hefermehl, WZG, § 4 Rnr. 79.
4'
Zweites Kapitel
Der internationale Markenschutz § 1 Das internationale markenrechtIiche Schutzsystem im Überblick Der Marken- und Bezeichnungsschutz auf internationaler Ebene wird im wesentlichen durch fünf mehrseitige völkerrechtliche Verträge auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes gewährleistet. Im Bereich des Marken- und Herkunftsschutzes bestehen daneben zahlreiche bilaterale völkerrechtliche Verträge l . Eine markenrechtliche Gewährleistung erfolgt schließlich auch im Hinblick auf den Schutz geistigen Eigentums 2 im System der Menschenrechte und im Rahmen des völkerrechtlichen Mindeststandards 3 • Zu den fünf Bausteinen des multilateralen völkerrechtlichen Schutzsystems gehören4 - Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums (PVÜ) vom 20. 03. 1883, revidiert 5 in Brüssel am 14. 12. 1900, in Washington am 02. 06. 1911, im Haag am 06. 11. 1925, in London am 02. 06. 1934, in Lissabon am 31. 10. 1958 und in Stockholm am 14.07.19676 . - Das Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Fabrikoder Handelsmarken (MMA) vom 14. 04. 1891, revidiert in Brüssel am I Vgl. dazu Baumbach I Hefermehl, WZG, Zweiter Teil, Grdz, Rnr. 4; Fezer, Markenrecht, Zweiseitige Abkommen, S. 1903 ff. Im übrigen ist in diesem Zusamenhang die Bestimmung des Art. 15 PVÜ relevant. 2 Vgl. zur Definition dieses Begriffs Art. 2 viii des WIPO-Übereinkommens aus dem Jahre 1967. 3 Vgl. dazu Buck, S. 209ff. 4 Entsprechend der internationalen Terminologie werden diejenigen völkerrechtlichen Verträge, die eine umfassende Sachregelung herbeiführen sollen als "Übereinkommen" und diejenigen, die sich auf Sondergebiete beschränken als "Abkommen" bezeichnet, vgl. dazu Migosa, Einf. XXIX. S Vgl. zum Sinn und Zweck der Revisionen, Art. 18 PVÜ. 6 Stockholmer Fassung, vgl. dazu Krieger I Rogge, GR UR Int. 1967, 462 ff. Gesetz über die am 14. 07. 1967 in Stockholm unterzeichneten Übereinkünfte auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 05. 06. 1970, BGBI. 11, S. 293, 391; s. dazu auch die Bekanntmachung vom 13. 10. 1970 (BGBI. 11, S. 1073), wonach die Übereinkunft für Deutschland am 19. 09. 1970 in Kraft getreten ist.
§ I Das internationale markenrechtliche Schutzsystem im Überblick
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14. 07. 1900, in Washington am 02. 06. 1911, im Haag am 06. 11. 1925, in London am 02. 06. 1934, in Nizza am 15. 06. 1957 und in Stockholm am 14. 07. 19677 • Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Protokoll zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken vom 27. 06.1989 (PMMA)8. Das Abkommen von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für Fabrik- oder Handelsmarken (NKA) vom 15. 06. 1957, revidiert am 14.07.1967 in Stockholm und am 13.05.1977 in Genf 9. - Das Madrider Abkommen über die Unterdrückung falscher oder irreführender Herkunftsangaben auf Waren (MHA) vom 14.04.1891, revidiert in Washington am 02. 06. 1911, im Haag am 06. 11. 1925, in London am 02. 06. 1934, in Lissabon am 31. 10. 1958 und durch eine Zusatzvereinbarung ergänzt am 14.07.1967 in Stockholm JO • - Das Lissaboner Abkommen über den Schutz der Ursprungs bezeichnungen und ihre internationale Registrierung (LU A) vom 31. 10. 1958 11 •
7 Stockholmer Fassung. Das Abkommen ist nach der Bekanntmachung vom 26. 02. 1971 (BGB!. H, S. 200) am 22. 12. 1970 für Deutschland in Kraft getreten, BGB!. H, S. 293, 418. 8 Das PMMA wurde für Deutschland am 20.03. 1996 wirksam, BGB!. 11, S. 557. Vg!. im übrigen das Gesetz zu dem Protokoll vom 27. 06. 1989 zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken, BGB!. 11 1995, S. 1016. Gern. Art. 14 IV lit.a) PMMA ist dieses Protokoll am 01. 12. 1995 in Kraft getreten. Die Gemeinsame Ausführungsordnung zum MMA und zum PMMA trat am 01. 04. 1996 in Kraft, BGB!. 11, S. 562. Näher dazu Bock, GRUR Int. 1996,991 ff. 9 Genfer Fassung. Diese Fassung wurde durch das Gesetz vom 24. 06. 1981, BGB!. 11, S. 358, ratifiziert. Allgemein zum NKA, Richter, GRUR Int. 1958, 102; Migosa, MA 1967, 469; Krieger I Rogge, GRUR Int. 1967,462. Sinn und Zweck des NKA ist es, eine einheitliche Klassifikation für die Registrierung von Marken herbeizuführen. Die Klassifikation soll sich sowohl auf die internationale Registrierung nach dem MMA als auch auf die nationalen Registrierungen erstrecken. Die Klassifikation nach dem NKA besteht aus einer internationalen Warenklasseneinteilung und einer alphabetischen Liste der entsprechenden Waren und Dienstleistungen. Am 01. 01. 1999 gehörten dem NKA 58 Staaten an, GRUR Int. 1999,431. 10 Vg!. zur Lissaboner Fassung, BGB!. 1961 11, S. 293. Die Stockholmer Zusatzvereinbarung wurde bekanntgemacht durch BGBL. 197011, S. 1072. In Art. 1 MHA ist vorgesehen, daß jedes Erzeugnis, das eine falsche oder irreführende Angabe trägt, bei der Einfuhr zu beschlagnahmen ist, wenn hierdurch eines der Mitgliedsländer oder ein sich dort befindlicher Ort unmittelbar oder mittelbar unzutreffend als Ursprung angeben ist. Allgemein zum MHA, Ellenberger, RIW I AWD 1969, 269; Beier, GRUR Int. 1974,134; Krieger, GRUR Int. 1984,71. Dem MHA gehörten am 01. 01. 199931 Staaten an, GRUR Int. 1999,431. II Deutschland gehört nicht zu den Vertragsunterzeichnern. Dem LUA sind bislang nur 19 Staaten beigetreten, vg!. GRUR 1999, 429; allgemein zum LUA Beier, GRUR Int. 1968, 69 ff.; Knaak, GRUR Int. 1995,642,643 f.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
§ 2 Pariser Verbandsübereinkunft und Madrider Markenabkommen als die zentralen Kodifikationen Im Verhältnis der zuvor dargestellten völkerrechtlichen Regelungswerke untereinander, stellt sich die PVÜ insgesamt als die ,,Magna Charta des internationalen gewerblichen Rechtsschutzes" dar l2 . Die übrigen Verträge sind Sonder- und Nebenabkommen, die von der Hauptübereinkunft abgeleitet und von dieser abhängig sind 13. Im folgenden sollen die für den internationalen Markenschutz wichtigsten völkerrechtlichen Verträge, die PVÜ und das MMA, inklusive PMMA, dargestellt werden. A. Die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) I. Historische Entwicklung
Die Ausgangsbasis für die spätere PVÜ wurde bereits durch den ersten internationalen Patentkongreß, der anläßlich der Weltausstellung in Wien im Jahre 1873 stattfand, gelegt. In den Jahren 1878 und 1880 wurden diplomatische Vorbereitungs- und Entwurfskonferenzen durchgeführt 14 • Im Rahmen des 1878 anläßlich der Weltausstellung in Paris abgehaltenen internationalen Kongresses wurden die wesentlichen Prinzipien der künftigen Union niedergelegt. Zu diesem Zeitpunkt gingen die teilnehmenden Staaten noch davon aus, ein international einheitliches Recht zu schaffen. Auf der im Jahre 1880 einberufenen diplomatischen Konferenz wurde dann der endgültige Text der PVÜ niedergelegt. Aufgrund fehlender politischer und wirtschaftlicher Notwendigkeiten lS sah die Kodifikation in Abweichung zum Ausgangsziel des Jahres 1878 nunmehr keinen umfassenden einheitlichen Schutz vor, sondern lediglich die Schaffung eines Vertragswerkes, das durch das Prinzip der Inländerbehandlung und die Etablierung von Mindestrechten determiniert wurde. Die PVÜ wurde wegen des Widerstands einiger Staaten im jeweiligen nationalen Ratifikationsverfahren (erst) am 06. 03. 1883 in Paris von 11 Staaten verabschiedet 16. Der Unionsvertrag trat am 07. 07. 1884 in Kraft 17. Deutschland trat der PVÜ erst im Jahre 1903 bei l8 • So Migosa, Einf. XXIX. Dieser Befund wird durch Art. 19 PVÜ verdeutlicht. 14 Allgemein zur Vorgeschichte der PVÜ, Meister, S. 122 f.; Osterriethl Axster, S. IXff.; Beier, GRUR Int. 1983, 339 f.; Buck, S. 35 f. l~ Vgl. dazu Ladas, § 174. 16 Zu den Gründungsmitgliedern zählten die Staaten Belgien, Brasilien, Frankreich, Guatemala, Italien, die Niederlande, Portugal, San Salvador, Serbien, Spanien und die 12 13
§ 2 Pariser Verbands übereinkunft und Madrider Markenabkommen
n
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Zielsetzung und Struktur
Die Gründungsmitglieder der PVÜ strebten im wesentlichen vier Hauptziele an 19 • Hierzu zählte zunächst die weltweite Verbreitung des Gedankens des gewerblichen Rechtsschutzes. Im Rahmen der PVÜ sollte diese Zielsetzung dadurch bewerkstelligt werden, daß den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten im Ausland insbesondere im Hinblick auf Marken ein möglichst umfassender Schutz garantiert wurde. Darüber hinaus sollte der zu gewährende Schutz nach Möglichkeit einheitlich ausgestaltet sein. Die bestehenden nationalen Vorschriften sollten daher harmonisiert werden. Desweiteren wollten die Gründungsmitglieder den bislang unvollkommenen Schutz, der durch die nationalen Rechtsordnungen gewährleistet wurde, erweitern und verbessern. Schließlich war die Rationalisierung des Verfahrens zur Erlangung internationalen Rechtsschutzes beabsichtigt. Diesen Zielen soll zum einen die Nonnenstruktur der PVÜ dienen, die sich im wesentlichen in drei bzw. vier verschiedene Ordnungsgrundsätze unterteilen läßt2o• Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zunächst das sog. vertragseigene Recht, das ausschließlich an die Mitgliedstaaten als Vertragsparteien adressiert ist. Daneben enthält der Unionsvertrag Bestimmungen, die sich auf die Verpflichtung der Verbandsmitglieder zur Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben in das jeweilige nationale Recht beziehen. Als dritte Kategorie kommen Organisationsregelungen (z. B. in bezug auf die Aufnahme neuer Mitglieder) in Betracht21 . Darüber hinaus ist ein Regelungsaufbau innerhalb der PVÜ erkennbar. Der Unionsvertrag basiert auf dem Zusammenspiel von kodifizierten Mindestrechten22 und dem Prinzip der Inländerbehandlung. Hierdurch wird ein völkervertraglicher Regelungsrahmen für die Verbandsmitglieder vorgegeben23 • Internationales Einheitsrecht wird jedoch auf dieser Grundlage nicht geschaffen, sondern lediglich verbandseinheitliches Fremdenrecht24 • Schweiz. Zum selben Zeitpunkt hinterlegten das Vereinigte Königreich, Tunesien und Ecuador Beitrittsurkunden. Ecuador trat aus der PVÜ bereits im Jahre 1886 wieder aus. Der PVÜ gehören heute 151 Staaten an, vgl. Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR, Rnr. 2. Zu den Verbandsstaaten zählen auch alle Mitgliedstaaten der EU, vgl. GRUR Int. 1999, 427429. Die Bedeutung, die der PVÜ im Hinblick auf die Mitgliedstaaten der EU auch heute noch zukommt, spiegelt sich im 12. Erwägungsgrund zur MarkenRL wieder, vgl. GRUR Int. 1989,294,295. 17 Bodenhausen, S. 3. 18 Vgl. zu den Gründen des verspäteten Beitritts Osterriethl Axster, S. XVIff.; Beier/Kur, GRUR Int. 1991,677,678. 19 So Beier, GRUR Int. 1983,339,341; Ipsen-Gloria, S. 581. 20 Christians, S. 120f.; Troller, S. 31 ff.; Ladas, § 125, Buck, S. 46; Meister, S. 123. 21 Als vierter Ordnungsgrundsatz findet sich im Schrifttum der Verweis auf das Fremdenrecht, vgl. dazu Troller, S. 31 ff. 22 S. dazu näher Buck, S. 53 ff. 23 Buck, S. 51.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz 111. Die PVÜ als Bestandteil des nationalen Rechts
Das Volkerrecht regelt nur die Rechtsbeziehungen zwischen den Volkerrechtssubjekten. Die Einbeziehung völkerrechtlicher Normen in den Geltungsbereich der nationalen Rechtsordnungen bestimmt sich nach dem jeweiligen nationalen Verfassungsrecht 25 . Gern. Art. 25 I PVÜ ist jedes Vertrags land verpflichtet, entsprechend seiner Verfassung die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung der Übereinkunft zu gewährleisten. Im Hinblick auf den Geltungsgrund des Völkerrechts im nationalen Recht werden drei Theorien vertreten, die im engen Zusammenhang mit der Lehre vom Monismus26 bzw. Dualismus 27 stehen. Nach der monistisch geprägten Adoptions- oder Inkorporationstheorie bedarf es nicht eines speziellen staatlichen Vollzugsaktes 28 , um die innerstaatliche Geltung des Völkerrechts herbeizuführen. Die völkerrechtlichen Normen gelten daher unmittelbar im einzel staatlichen Bereich. Nach der dualistisch ausgestalteten Transformationslehre bedürfen die völkerrechtlichen Bestimmungen einer Umwandlung in innerstaatliches Recht, um in der nationalen Rechtsordnung Geltung beanspruchen zu können 29 • Durch den Transformationsakt erhält das Volkerrecht einen qualitativ neuen Geltungsgrund. Demgegenüber vertritt die sog. Vollzugstheorie den Standpunkt, der zwar notwendige innerstaatliche Umsetzungsrechtsakt führe nicht zu einer qualitativen Änderung der völkerrechtlichen Bestimmungen. Durch den nationalen Vollzugsbefehl wird das innerstaatliche Rechtsanwendungsorgan lediglich ermächtigt, eine Völkerrechtsnorm innerhalb der einzelstaatlichen Rechtsordnung anzuwenden. Das Völkerrecht behält nach dieser Theorie daher auch nach Erlaß des Vollzugsbefehls seinen völkerrechtlichen Charakter. 24 So im Ergebnis auch Beier, GRUR Int. 1983, 339, 342; Hubmann/Rehbinder, S. 73; Buck, S. 51, 52 (Schaffung von "beschränktem Einheitsrecht" in bezug auf Art. 6 quinquies B PVÜ und Art. 10 bis Il, III PVÜ) ; a.A. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, S. 64, 275; Fikentscher/Lamb, GRUR Int. 1987,758,759. 2S Ipsen-Gloria, S. 1086 ff. In Deutschland wird in diesem Zusammenhang zwischen Völkervertragsrecht (Art. 59 GG) und Völkergewohnheitsrecht differenziert (Art. 25 GG). 26 Nach der monistischen Theorie wird das gesamte Recht (Völkerrecht und Landesrecht) als einheitliches System verstanden. Vgl. zu den verschiedenen Ausprägungen innerhalb des Monismus (Monismus mit Staatsrechtsprimat I Monismus mit Völkerrechtsprimat), IpsenGloria, S. 1072-1074; Seidl-Hohenveldern, S. 118-120. 27 Nach der dualistischen Theorie wird die vom Monismus vertretene Einheit von völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtsordnung abgelehnt. Völkerrecht und Landesrecht werden nicht nur als verschiedene Rechtsteile, sondern auch als divergierende Rechtsordnungen angesehen. Vgl. zu den verschiedenen Ansichten innerhalb des Dualismus (strenger I gemäßigter Dualismus), Ipsen-Gloria, S. 1074 f.; Seidl-Hohenveldern, S. 118. 28 Dieser hat allenfalls deklaratorische Bedeutung. 29 Vgl. allgemein zur Transformation völkerrechtlicher Verträge, Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr. 36.
§ 2 Pariser Verbandsübereinkunft und Madrider Markenabkommen
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In Deutschland ist im Hinblick auf die Geltung völkerrechtlicher Verträge die Vorschrift des Art. 59 GG von maßgebender Bedeutung3o• Gern. Art. 59 11 S. 1, 2. Alt. GG sind Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen zustimmungsbedürftig. Das hiernach erforderliche Vertragsgesetz weist eine Doppelfunktion auf31 • Es ermächtigt zunächst den Bundespräsidenten zur Ratifikation und transformiert zugleich den Vertrag, soweit er normativen Inhalt hat, nach der innerstaatlichen Verkündung seines Wortlauts und seines völkerrechtlichen Zustandekommens zum Zeitpunkt seines völkerrechtlichen Inkrafttretens in innerstaatliches Recht mit der Geltungskraft eines Bundesgesetzes 32 • Aus diesem Rang als einfaches Gesetzesrecht folgt die Anwendung des Grundsatzes lex posterior derogat legi priori 33 • Streitig ist jedoch in diesem Kontext, ob Art. 59 11 GG als Ausdruck der Transformations- oder Vollzugstheorie zu verstehen sei 34 . Dieser dogmatische Streit wirkt sich in der Praxis nur dahingehend aus, welche Auslegungsgrundsätze in bezug auf die völkerrechtliche (nach der Vollzugslehre) bzw. innerstaatliche Regelung (nach der Transformationslehre) heranzuziehen sind.
IV. Unmittelbare Anwendbarkeit der PVÜ im nationalen Recht
Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm ist nach neuerer Auffassung von der Frage ihrer innerstaatlichen Geltung zu unterscheiden 35 • Die unmittelbare Anwendbarkeit bzw. der "self executing"-Charakter36 bewirkt, daß zugunsten einer natürlichen oder juristischen Person, die nicht Vertragspartei eines völkerrechtlichen Vertrages sein kann, durch die innerstaatlichen Gerichte direkt aus der völkerrechtlichen Norm Rechtsfolgen für den Einzelfall abzuleiten sind. Ob eine "self-executing"-Wirkung im Einzelfall vorliegt, ist anhand der konkreten völkerrechtlichen Vertragsbestimmung zu ermitteln 37 • Die unmittelbare Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm setzt voraus, daß es sich nach deren Inhalt und Fassung um einen privatrechtlichen Rechtssatz hanVgl. dazu Kunig, in: GrafVitzthum, Völkerrecht, S. 131 ff. BGHZ 52, 216, 219 - Champagner-Weizen; Rudolf, S. 177ff.; Bleckrnann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 255 f. 32 BVerfGE 1, 410f.; BVerfGE 6, 294f.; BVerfGE 29, 360; BVerfGE 42, 284; BVerfGE 63,354. 33 BGHZ 26, 200. 34 Für eine Einordnung des Art. 59 11 GG als Ausdruck der speziellen Transformation, Ipsen-Gloria, S. 1094. Für eine Einordnung unter die Vollzugslehre, Mosler, passim. AUgemein dazu Seidl-Hohenveldern, S. 124. 3S SO Ipsen-Gloria, S. 1090. 36 Vgl. zu den terminologischen Unterschieden die Nachweise bei Buck, S. 44 Fn. 59. 37 Bodenhausen, S. 3 ff. 30 31
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
delt38 . Keinen "self executing"-Charakter haben demgegenüber bloße Programmsätze, die die Mitgliedstaaten auffordern oder verpflichten, einen verbindlichen Rechtssatz zukünftig in ihre jeweilige Rechtsordnung einzuführen39 . Im Hinblick auf die PVÜ ist anerkannt, daß verschiedene Einzelbestimmungen unmittelbar anwendbar sind und ggf. subjektive Rechte zugunsten der Staatsangehörigen der Vertragsländer begründen können4o . Zu den unmittelbar anwendbaren Normen zählen insbesondere die Artt. 2, 4, 5, 6 quinquies PVÜ41 • Da es sich insoweit um fremdenrechtliche Gewährleistungen handelt, kann die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Konventionsbestimmungen lediglich von einem Staatsangehörigen eines anderen Verbandstaates gegenüber den Verwaltungsbehörden und Gerichten des Schutzstaates geltend gemacht werden42 • Der "self-executing"Charakter beinhaltet aber keine Aussage über die Anwendbarkeit der entsprechenden Norm für Inländer43 • Ausländische Staatsangehörige können daher im Vergleich zu inländischen Staatsangehörigen besser gestellt sein, wenn die PVÜ einen Mindestschutz bereitstellt, der über den entsprechenden nationalen Rechtsschutz hinausreicht. V. Die Auslegung der PVÜ
Soweit man der Vollzugstheorie im Rahmen des Art. 59 n GG folgt, wird das völkerrechtliche Vertragsrecht in nationales Recht überführt, ohne seinen Rechtscharakter als Völkerrecht zu verlieren. Die Auslegung der entsprechenden Norm hat daher nach völkerrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen44 • Der Wortlaut der PVÜ beinhaltet nur an wenigen Stellen Anknüpfungspunkte für eine Auslegung dieser Konvention. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zunächst Art. 29 I lit.c) PVÜ, der bestimmt, daß bei Streitigkeiten über die Auslegung der verschiedenen Texte der französische Text maßgeblich ist. Darüber hinaus sind auch die in Art. 4 A m und Art. 6 quinquies C PVÜ verankerten Auslegungsregeln in bezug auf einzelne konkrete Tatbestandsmerkmale zu berücksichtigen. Die maßgeblichen Prinzipien zur völkerrechtlichen Auslegung sind in Ermangelung spezieller Regelungen innerhalb der PVÜ dem Wiener Übereinkommen über RGZ 124,204,206; BGHZ ll, 135, 138 - Schallplatte. Differenzit"rend Ulmer, GRUR Int. 1960,57,62. 40 Vgl. BGHZ 71, 159f. 41 So Baumbach/Hefermehl, WZG, Zweiter Teil, Grdz, Rnr. 14; Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr. 37. Vgl. darüber hinaus Bodenhausen, S. 6; Pfanner, GRUR Int. 1966, 262, 264. 42 Geregelt werden daher nur die Rechtsbeziehungen des Inlands zum Ausland. 43 So Buck, S. 45. 44 Nach der speziellen Transformationstheorie müßte demgegenüber die Auslegung nach nationalem Recht durchgeführt werden. 38
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§ 2 Pariser Verbandsübereinkunft und Madrider Markenabkommen
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das Recht der Verträge (WVRK) vom 23. 05. 1969 zu entnehmen45 . Die Bestimmungen der WVRK können auch in bezug auf die PVÜ herangezogen werden, obwohl Art. 4 WVRK das Vertragsrechtsübereinkommen grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Verträge für anwendbar erklärt, die zeitlich nach der WVRK in Kraft getreten sind (Nichtrückwirkung). Eine Rückwirkung läßt sich jedoch mit dem Argument vertreten, daß die relevanten Artt. 31 und 32 WVRK kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht darstellen46 • Desweiteren werden die entsprechenden Vorschriften der WVRK als adäquate Grundsätze des internationalen Rechts angesehen, die auch für im Verhältnis zur WVRK prioritätsältere Verträge Geltung beanspruchen können47 • In Art. 31 WVRK sind die allgemeinen Auslegungsregeln verankert48 • Hierzu gehören gern. Art. 31 I WVRK die wörtliche, die systematische und die teleologische Auslegung49 • Als ergänzendes AuslegungsmiUel kommt zudem gern. Art. 32 WVRK die Entstehungsgeschichte des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrages in Betracht50. Die Auslegung der im Einzelfall relevanten PVÜ-Bestimmungen obliegt in Ermangelung eines speziellen PVÜ-Gerichts dem jeweiligen nationalen Rechtsanwendungsorgan.
VI. Die wesentlichen materiellen Regelungen der PVÜ
1. Das Prinzip der Inländerbehandlung
Von zentraler Bedeutung für die Staatsangehörigen der Verbandsmitglieder ist das in Art. 2 PVÜ verankerte Prinzip der Inländerbehandlung (Assimilationsprinzip )51. Art. 2 PVÜ beinhaltet die rechtsinstrumentale Grundlage des internationalen gewerblichen Rechtsschutzes 52 •
45 Die WVRK ist am 27. 01. 1980 in Kraft getreten, nachdem 35 Staaten durch Beitritt oder Ratifikation Parteien dieses Übereinkommens geworden sind, Art. 84 WVRK. 46 Buck, S. 127. 47 Vaver, GRUR Int. 1988, 191, 193. 48 Vgl. ausführlich zu den Auslegungsmethoden der WVRK Ipsen-Heintschel von Heinegg, S. 120ff.; Buck, S. 126ff. 49 Art. 31 I WVRK erwähnt zudem die Auslegung nach Treu und Glauben. Eine spezifische Ausprägung dieser Auslegungsmethode ist der Grundsatz in dubio mitius (Grundsatz der restriktiven Auslegung). 50 Schließlich sind außerrechtliche Auslegungsregeln, wie z. B. logische Schlußfolgerungen (argumentum e contrario; argumentum a maiore ad minus) zu berücksichtigen. 51 Beier, GRUR Int. 1983,339, 342f.; Meister, S. 123, 124. 52 Ballreich, GRUR Int. 1987, 747, 752f.; zur Geschichte des Prinzips der Inländerbehandlung vgl. Buck, S. 73; Drexl, S. 21.
60
2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Das Prinzip der Inländerbehandlung weist einen inhaltlichen DoppeIcharakter auf. Es enthält sowohl Elemente des völkerrechtlichen Fremdenrechts als auch kollisionsrechtIiche Bestandteile 53 .
a) Das Gleichstellungselement Gern. Art. 2 I PVÜ genießen alle Angehörigen der Verbandslände~4 im Hinblick auf den Schutz des gewerblichen Eigentums 55 die Vorteile, weIche die Gesetze des Verbandslandes (des jeweils maßgebenden Schutzstaats ) den eigenen Staatsangehörigen gewähren und in Zukunft gewähren werden. Nach diesem Gleichstellungsprinzip mit "self-executing"-Charakter ist eine Diskriminierung von Ausländern auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes verboten 56 . Ausländischen Staatsangehörigen muß folglich ein gleichberechtigter und unbeschränkter Zugang zum nationalen Rechtsschutz eröffnet werden 57 . Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, den begünstigten Ausländern in denjenigen Fällen, in denen das nationale Recht Anwendung findet, die Rechte zuzugestehen, die über die durch die Konvention gewährten Rechte der PVÜ hinausgehen 58 . Daneben ist der Wortlaut des Art. 2 11 S. 1 a.E. PVÜ ( ... , "und zwar unbeschadet der durch diese Übereinkunft besonders vorgesehenen Rechte") zu beachten59 • Hiernach können sich die Verbandsangehörigen auf die unmittelbar anwendbaren und an sie adressierten Normen der PVÜ auch dann berufen, wenn das entsprechende nationale Recht hinter diesem von der PVÜ etablierten Schutzstandard zurückbleiben sollte60 . Durch diese Formulierung soll daher ein völkerrechtlicher Mindestschutz 61 zugunsten der verbandsangehörigen Ausländer sichergestellt werden 62 • 53 So die h.M., vgl. Beier, GRUR Int. 1983, 339, 343; Ulmer, S. 10ff.; ders., RabelsZ 41 (1977), 479, 487; Buck, S. 24, 74; a.A. Schack, JZ 1986, 824, 827; ders., S. 28 ff.; Zweigert/ Puttfarken, GRUR Int. 1973,573,575. 54 Der Begriff ,,Länder" wird in der aktuel1en Literatur im Sinne des Begriffs "Staaten" interpretiert, vgl. Bodenhausen, S. 10, 11. Zur historischen Bedeutung des Begriffs ,,Länder" vgl. Meister, S. 131. 55 Sachlich erstreckt sich die PVÜ auf das gewerbliche Eigentum im weitesten Sinne, so daß neben den Patenten, Gebrauchsmustern und Marken auch die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs erfaßt ist, Art. 1 11, III PVÜ, vgl. auch Art. 10 bis PVÜ. 56 V gl. auch RGZ 117, 215, 222 - Eskimo Pie. 5? Beier, GRUR Int. 1983,339,342. 58 Migosa, S. 21. 59 Dieser Passus wurde auf der Haager Revisionskonferenz von 1925 eingefügt, Bodenhausen, S. 20. 60 Meister, S. 133. 61 Es handelt sich insoweit nicht um einen völkerrechtlichen Maximalschutz, vgl. Buck, S.77m.w.N. 62 Baumbach/Hefermehl, WZG, Art. 2 PVÜ Rnr. 2; Fezer, Markenrecht, PVÜ Art. 2 Rnr. 2; vgl. auch Buck, S. 55.
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Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob sich auch ein inländischer Staatsangehöriger auf diesen Mindestschutz, d. h. auf die besonderen Rechte der PVÜ in seinem Heimatland berufen kann. Dies wird von der h.M. zutreffend abgelehnt 63 • Zur Begründung wird auf die teleologische und historische Auslegung des Art. 2 I PVÜ verwiesen, wonach die Mindestrechte ausschließlich zugunsten von Ausländern gewährt werden sollen64 . Eine entsprechende Inländerdiskriminierung begründet jedoch einen Anpassungsdruck auf den jeweiligen nationalen Gesetzgeber, den bislang zugunsten der eigenen Staatsangehörigen fehlenden PVÜ-Mindestschutz in die nationale Rechtsordnung zu transformieren bzw. das nationale Recht in Übereinstimmung mit den PVÜ-Vorschriften auszulegen 65 . Die dargelegten Gleichbehandlungsgrundsätze gelten sowohl für natürliche als auch für juristische ausländische Personen66 . Zu beachten ist jedoch, daß Art. 2 III PVÜ bestimmte Einschränkungen des Grundsatzes der Inländerbehandlung vorsieht (Vorbehaltsregelung). Insoweit liegt eine zulässige Ausländerdiskriminierung vor67 . Darüber hinaus erweitert Art. 3 PVÜ den persönlichen Anwendungsbereich des Assimilationsgrundsatzes. Danach können sich auch Nichtangehörige eines Verbandsstaates, die in diesem jedoch über einen Wohnsitz oder eine echte Niederlassung 68 verfügen, auf die Inländerbehandlung berufen 69 .
b) Das kollisionsrechtliche Element Das Prinzip der Inländerbehandlung des Art. 2 PVÜ umfaßt zugleich eine kollisionsrechtliche Wertung. Bereits aus dem Wortlaut des Art. 2 PVÜ folgt, daß sich der Schutz ausländischer Gegenstände des gewerblichen Rechtsschutzes nach dem nationalen Recht des jeweiligen Schutzlandes richtet 7o . Das Assimilationsprinzip 63 Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1977, 293, 297; Troller, S. 37; FurIer, S. 35; Osterrieth! Axster, S. 15; Bodenhausen, S. 23; Baumbach!Hefermehl, WZG, Art. 2 PVÜ Rnr. 2; Buck, S. 57ff.; Busse!Starck, WZG, Art. 2 PVÜ Rnr. I; a.A. Pfanner, GRUR Int. 1966, 262ff.; vgl. auch BPatG, GRUR Int. 1973,602 f. 64 Vgl. dazu Buck, S. 58, 59. Eine Inländerdiskriminierung ist daher insoweit völkerrechtlich zulässig. Eine Berufung auf das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot des Art. 3 GG oder das Diskriminierungsverbot des Art. 12 (ex-Art. 6) EGV kommt nicht in Betracht, vgl. dazu BGH, GRUR 1976, 355, 356 - P-tronics. 65 V gl. dazu die Beispiele bezüglich des deutschen Markenrechts bei Fezer, Markenrecht, PVÜ Art. 2 Rnr. 2. 66 BGH, GRUR 1969,48. 67 V gl. auch Bodenhausen, S. 24 f. 68 Durch diese tatbestandliehe Einschränkung sollte einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der PVÜ vorgebeugt werden, Bodenhausen, S. 27. 69 Vgl. dazu Baumbach!Hefermehl, WZG, Art. 2 PVÜ Rnr. I; Fezer, Markenrecht, PVÜ Art. 2 Rnr. 4. Zur Streitfrage der Anwendung des erweiterten Rechtsschutzes gern. Art. 3 PVÜ in bezug auf die eigenen Staatsangehörigen des Schutzstaates, Busse! Starck, WZG, Art. 3 PVÜ Rnr. I; Osterrieth! Axster, Art. 3 PVÜ, S. 52. 70 Beier, GRUR Int. 1983,339,343.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
enthält daher auch eine Verweisung auf das bei Sachverhalten mit Ausländerbeteiligung anzuwendende Recht. Insoweit gilt daher der Territorialitätsgrundsatz als wesentliches Ordnungsprinzip des internationalen gewerblichen Rechtsschutzes71 . Das Territorialitätsprinzip, das als Ausfluß der Souveränität der Staaten im Völkerrecht verstanden werden kann, verpflichtet die Verbands mitglieder im Rahmen des Art. 2 PVÜ weder zu einer Rechtsvereinheitlichung noch zu einer Anwendung fremden Rechts. Gleichzeitig wird den Staaten hierdurch ein erhebliches Ermessen im Hinblick auf die Ausgestaltung des gewerblichen Rechtsschutzes in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung eingeräumt, das lediglich durch die Garantie von Mindestrechten, die unterschiedslos auch auf Ausländer Anwendung finden müssen, limitiert wird. Die Bedeutung der Territorialität der gewerblichen Schutzrechte im internationalen Rechtsverkehr und ihre Auswirkungen auf den Gestaltungsspielraum der Staaten wird in der PVÜ zusätzlich dadurch verstärkt, daß die Konvention keine Meistbegünstigungsklausel enthält72 und im Ergebnis auch auf die Geltung des Reziprozitätsprinzips verzichtet 73. Dieser Befund strahlt auch auf das Prinzip der Inländerbehandlung zurück, weil der Verzicht auf die Gegenseitigkeit des Schutzes die bestehenden Schutzniveauunterschiede innerhalb der Verbandsstaaten manifestiert und nicht korrigiert. Als Ausgleich für die fehlende Vereinheitlichung des internationalen gewerblichen Rechtsschutzes durch das Prinzip der Inländerbehandlung ist der Mindestschutz ("besondere Rechte" im Sinne des Art. 2 I PVÜ) in der PVÜ verankert worden74 • Zu den wichtigsten besonderen Rechten der PVÜ zählen die Unions priorität, der Schutz notorisch bekannter Marken und der teIle quelle-Schutz, die im folgenden dargestellt werden sollen75.
Vgl. dazu Ulmer, S. lU.; Beier, GRUR Int. 1968.8. 12. 13; Buck. S. 22 ff. Buck. S. 84. Vgl. zu den Arten der Meistbegünstigungsklauseln. Drexl. S. 347 ff. 73 So die h.M. vgl. Ladas. § 168; Bodenhausen. S. 6. 21 f.; Beier. GRUR Int. 1970.229. 231; ders .• in: FS rur Hefermehl. 1971, S. 9ff.; ders .• GRUR Int. 1983.339.343; BaIJreich. GRUR Int. 1987.747.756; einschränkend noch ders .• GRUR Int. 1983. 470ff. Vgl. zu den Arten der formeIJen und materielJen Reziprozität im Völkerrecht. Buck. S. 88 ff. 74 Eingehend zu den Auswirkungen des fehlenden Reziprozitätsprinzips in der PVÜ auf den Inländerbehandlungsgrundsatz und das System der Mindestrechte. Buck. S. 70ff.• 95. 97. 75 Darüber hinaus wird auf weitere wichtige materieIJ-rechtliche Bestimmungen verwiesen. Hierzu gehören Art. 5 C PVÜ (Benutzungszwang). Art. 6 sexies PVÜ (Schutz der Dienstleistungsmarken). Art. septies PVÜ (Agentenmarke). Art. 7 PVÜ (Eintragungsverbot wegen der Beschaffenheit von Produkten). Art. 8 PVÜ (Schutz des Handelsnamens) und Art. 10 bis PVÜ (Schutz gegen unlauteren Wettbewerb). Vgl. zur Bedeutung der letztgenannten Vorschrift. Emmerich. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs. S. 34. 71
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2. Überblick überdiefiirden nationalen Markenschutz bedeutsamsten Mindestrechte der PVÜ a) Die Unionspriorität Die zeitliche Rangfolge zwischen zwei sich gegenüberstehenden Zeichen wird im gesamten Kennzeichnungsrecht durch das Prioritätsprinzip bestimmt. Im Kollisionsfall bemißt sich die bessere Berechtigung aus einem Zeichen grundsätzlich nach dem Zeitrang der streitgegenständlichen Schutzrechte. Dieser Zeitrang richtet sich dabei nach deutschem Recht grundsätzlich nach dem Datum der Markenanmeldung76. In diesem Zusammenhang ennöglicht Art. 4 PVÜ die Berufung auf einen Zeitvorrang vor dem eigentlichen Datum der Markenanmeldung in dem entsprechenden Verbands staat (Prioritätsverschiebung zugunsten des Markeninhabers 77). Die in Art. 4 PVÜ verankerte sog. Unionspriorität bewirkt, daß sich eine Person, die in einem Vertragsstaat eine Marke 78 erstmals ordnungsgemäß angemeldet hat (Erstanmeldung) diesen Zeitrang auch im Hinblick auf die übrigen Verbandsstaaten sichern lassen kann. Die innerhalb der Frist des Art. 4 C I PVÜ (für Marken: sechs Monate)79 vorgenommene weitere Anmeldung der Marke in einem anderen Verbandsstaat wird dann so behandelt, als ob sie am Tag der Erstanmeldung durchgeführt worden wäre. Alle Verbandsstaaten gelten daher in bezug auf den Zeitvorrang der Unionspriorität als ein Staat80 . Im deutschen Markenrecht ist die Vorschrift des § 34 MarkenG als innerstaatliches Pendant zu Art. 4 PVÜ anzusehen 81 • Im Gegensatz zur völkerrechtlichen Ausgangsbestimmung bezieht sich § 34 MarkenG ausdrücklich auch auf Dienstleistungsmarken82 . Im Verhältnis zum vonnaligen § 35 IV WZG sieht das MarkenG 76 So § 6 11 MarkenG. Danach ist grundsätzlich der Anmeldetag gern. § 33 I MarkenG maßgeblich. Vgl. zu den Ausnahmen § 6 III MarkenG, §§ 34,35,3711 MarkenG. Allgemein zur Priorität nach dem MarkenG, Fezer, Markenrecht, § 6 MarkenG Rnr. 6 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 6 Rnr. I ff. 77 Zur praktischen Bedeutung der Prioritätsverschiebung Migosa, S. 29; Meister, S. 137. 78 Die PVÜ spricht in diesem Zusammenhang durchgängig von "Fabrik- oder Handelsmarken". Im Vergleich hierzu ist dem deutschen Markenrecht eine Unterscheidung nach der Natur des jeweiligen Gewerbebetriebes fremd, vgl. zur terminologischen KlarstelJung Meister, S. 124. Im Zuge der Revisionskonferenz von Lissabon im Jahre 1958 wurde der Begriff der Fabrik- oder Handelsmarken um die Kategorie der Dienstleistungsmarken gern. Art. 6 sexies PVÜ erweitert, vgl. dazu Migosa, S. 75 ff. 79 Gegen die Versäumung der Prioritätsfrist ist die Wiedereinsetzung gern. § 91 MarkenG zulässig. 80 Baumbach/Hefermehl, WZG, Art. 4 PVÜ Rnr. 1; Fezer, Markenrecht, § 6 MarkenG Rnr. 15a, 15b. 81 Diese Vorschrift regelt zum ersten Mal ausdrücklich die Priorität aufgrund einer ausländischen Anmeldung im deutschen Recht. Eine vergleichbare Regelung war dem vormaligen WZGfremd.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
im Hinblick auf die Unionspriorität von Dienstleistungsmarken nicht mehr das Kriterium der Reziprozität vor. Hierdurch erfolgt eine Gleichstellung der Angehörigen eines Nichtvertragsstaates der PVÜ mit den Angehörigen eines PVÜVertragsstaates83 • Das besondere Recht der Unionspriorität kann sowohl der Angehörige eines Verbandsstaates als auch der nach Art. 3 PVÜ Begünstigte ausüben. Die im Rahmen des Art. 4 PVÜ maßgebliche Erstanmeldung muß in Übereinstimmung mit den jeweiligen nationalen Vorschriften des Verbandsstaates bzw. den zwischen den Verbandsstaaten abgeschlossenen zwei- oder mehrseitigen Verträgen zustande gekommen sein, Art. 4 A 11 PVÜ. Eine ordnungsgemäße Anmeldung in diesem Sinne ist bereits dann gegeben, wenn sich aus ihr der Hinterlegungszeitpunkt zweifelsfrei feststellen läßt, Art. 4 A III, D I-III PVÜ. Weitere Förmlichkeiten sind dann nicht zu beachten, Art. 4 D IV PVÜ.
b) Der Schutz der notorisch bekannten Marke aa) Der Begriff der notorisch bekannten Marke Art. 6 bis PVÜ enthält keine Definition des Begriffs der notorisch bekannten Marke. Die Auslegung des Begriffs der notorisch bekannten Marke ist daher im Einzelfall- mangels eines eigenständigen PVÜ-Gerichts - Sache des nationalen Rechtsanwendungsorgans. Auch die internationale Rechtspraxis der Verbandsmitglieder hat nicht zu einer einheitlichen Auslegung des Begriffs der notorisch bekannten Marke geführt. Streitig war in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, wann der für den Notorietätsschutz erforderliche Bekanntheitsgrad erreicht sei 84 •
Die für den Einzelfall notwendige Konkretisierung des abstrakten Rechtsbegriffs der notorischen Bekanntheit erfolgt daher ausschließlich durch die Auslegung der entsprechenden nationalen Bestimmungen in den Markenrechtsordnungen, die sich mit dem Schutz notorisch bekannter Marken beschäftigen. Diese nationalen Rechtsvorschriften ergänzen als Umsetzungsakte der völkerrechtlichen Vorgabe des Art. 6 bis PVÜ dessen fehlende Begriffsbestimmung der notorisch bekannten Marke. Insoweit greifen die verschiedenen Markenschutzebenen ineinander. Die nationalen Markenrechtsordnungen schließen hier eine Schutzlücke im internationalen Markenrecht. Schließlich müssen bei der Auslegung der im Einzelfall relevanten nationalen Rechtsvorschriften der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und 82 Vgl. zum völkerrechtlichen Schutz der Dienstleistungsmarke, Baumbach / Heferrnehl, WZG, Art. 4 PVÜ Rnr. I; Fezer, Markenrecht, PVÜ Art. 4 Rnr. I. Allgemein ist die Regelung des Art. 6 sexies PVÜ relevant. 83 Vgl. zu den Motiven des Markengesetzgebers im Hinblick auf diese Rechtsänderung und ihres Modellcharakters für den gesamten gewerblichen Rechtsschutz, Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 137. 84 Vgl. dazu bereits Becher, GRUR 1951,489,491.
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das Ziel des Art. 6 bis PVÜ in angemessener und effektiver Weise berücksichtigt werden. Die Auslegung hat im Lichte des Art. 6 bis PVÜ zu erfolgen (Wechselwirkung zwischen dem internationalen und nationalen Markenrecht). Die nationalen Bestimmungen dürfen nicht einen völligen Leerlauf der völkerrechtlichen Schutzvorgabe des Art. 6 bis PVÜ bewirken. Im deutschen Markenrecht wurde der Begriff der Notorietät unter Geltung des WZG noch auf Grundlage einer eigenständigen Definition geregelt85 • § 4 11 Nr. 5 WZG sah vor, daß von der Eintragung in die Zeichenrolle solche Zeichen ausgeschlossen blieben, die nach allgemeiner Kenntnis der beteiligten inländischen Verkehrskreise 86 bereits von einem anderen Warenzeichen für gleiche oder gleichartige Waren benutzt wurden. Durch diese Definition wurde der in Art. 6 bis PVÜ verwendete Begriff der notorisch bekannten Marke in die deutsche Markenrechtsordnung transformiert und zugleich konkretisiert. § 4 11 Nr. 5 WZG begründete ein absolutes Eintragungshindernis. Insoweit stellte diese Bestimmung innerhalb des WZG eine Durchbrechung des Grundsatzes dar, daß Inhaber älterer Zeichenrechte diese im Wege eines Widerspruchs geltend zu machen hatten 87 . Fraglich war in diesem Zusammenhang nunmehr, wie das Kriterium der allgemeinen Kenntnis innerhalb der beteiligten inländischen Verkehrskreise nach § 4 11 Nr. 5 WZG auszulegen sei. Als maßgebend wurden insoweit ausschließlich quantitative Gesichtspunkte angesehen, während qualitative Aspekte, wie z. B. der kommerzielle Wert oder der gute Ruf als ideeller Firmenwert (..goodwill") in der Regel als unbeachtlich galten. Wann der erforderliche Bekanntheitsgrad für das Tatbestandsmerkmal der allgmeinen Kenntnis im Sinne des § 4 11 Nr. 5 WZG erreicht sein sollte, wurde innerhalb der Literatur und Rechtsprechung nicht allgemein verbindlich festgelegt. Ebenso wie in den Bereichen der Verkehrsgeltung (§ 25 WZG) und der Verkehrsdurchsetzung (§ 4 III WZG) eines Zeichens, existierten auch hier keine abstrakt-generellen Prozentsätze. Soweit überhaupt konkrete Prozentzahlen für den Notorietätsgrad des § 411 Nr. 5 WZG genannt wurden, bewegten sich diese ab einem Mindestwert von 60 %, bezogen auf die im Einzelfall beteiligten inländischen Verkehrskreise 88 . Einigkeit bestand in diesem Zusammenhang im deutschen Schrifttum, daß das Vorliegen der notorischen Bekanntheit nach deutschem Recht von einem höheren Bekanntheitsgrad abhängen sollte als dies im Hinblick auf die Verkehrsgeltung des § 25 WZG und der Verkehrsdurchsetzung des § 4 III WZG erforderlich war89 . Vgl. allgemein Lang, passim. Vgl. zur Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals, v. Gamm, WZG, Einf. Rnr. 63. Der Autor spricht in diesem Zusarnrnenhang von der .. Allmacht der Verkehrsauffassung" im Zeichenrecht. 87 Altharnrner, WZG, § 4 Rnr. 83. 88 Noelle-Neumann/Schramm, GRUR 1966,70,81 (63-65%); vgl. auch Giefers, S. 89 (ab 60%). 85
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Demgegenüber wurde jedoch zum Teil die Meinung vertreten, der in § 4 11 Nr. 5 WZG notwendige Bekanntheitsgrad sei mit dem im Hinblick auf berühmte Marken erforderlichen überragenden Verkehrsgeltungsgrad90 gleichzusetzen91 . Auf der anderen Seite wurde von Teilen der Literatur aus Gründen eines flexiblen, nationalen Schutzsystems zurecht eine Abstufung zwischen dem für notorisch bekannte Marken erforderlichen Bekanntheitsgrad und dem Verkehrsgeltungsgrad berühmter Marken vorgenommen, wobei der Bekanntheitsgrad für berühmte Marken92 quantitativ über demjenigen liegen sollte, den man im Rahmen des § 411 Nr. 5 WZG voraussetzte 93 . Im Gegensatz zum WZG enthält das MarkenG keine eigenständige Definition der Notorietät einer Marke. Die nunmehr maßgebende Vorschrift des § 4 Nr. 3 MarkenG verweist in ihrem Wortlaut unmittelbar auf Art. 6 bis PVÜ94 . Gleiches gilt auch für § 10 MarkenG (notorisch bekannte Marke als relatives SchutzhinderniS)95. Sinn und Zweck dieser Bezugnahmen im deutschen Markenrecht ist es, aktuelle Entwicklungen im Rahmen der Auslegung des konventionsrechtlichen Begriffs der Notorietät direkt in das nationale Recht einfließen zu lassen96 • Die Verweisungstechnik im MarkenG auf die internationale Markenschutzvorschrift des Art. 6 bis PVÜ ist jedoch lediglich auf das Tatbestandsmerkmal der notorischen Bekanntheit beschränkt. Die übrigen völkerrechtlichen Schutzvoraussetzungen dieser Norm müssen für das deutsche Markenrecht nicht vorliegen. Die §§ 4 Nr. 3, 10 MarkenG finden daher auch bei reinen Inlandssachverhalten Anwendung97 . Für die Auslegung des Begriffs der Notorietät im MarkenG ist diese Verweisung jedoch wenig hilfreich, weil - wie bereits festgestellt wurde - Art. 6 bis PVÜ hierzu keine Angaben enthält und sich bislang auch keine einheitliche internationale Rechtspraxis herausgebildet hat. Aus diesem Befund läßt sich ableiten, daß zur näheren Bestimmung des Begriffs der notorisch bekannten Marke im MarkenG auch weiterhin die bisherige nationale Rechtsprechung herangezogen werden kann. 89 Altharnmer, WW, § 4 Rnr. 83; v. Gamm, WZG, § 4 Rnr. 109; Sack, BB 1993,869; Baumbach 1Heferrnehl, WW, § 4 Rnr. ISO; Kur, GRUR Int. 1990,605. 90 Al1gemein zum Schutz der berühmten Marke im deutschen Recht, Zol1ner, S. 25 ff. Der Begriff "berühmte Marke" wurde von Becher, GRUR 1951, 489ff. geprägt. 91 Altharnmer, WW, § 4 Rnr. 83; v. Garnm, WW, § 4 Rnr. \08 ff. 92 Dieser wurde auch als ,.I!ypemotorisch" bezeichnet, vgl. zu dieser Formulierung, EmstMol1, GRUR 1993,8,9. 93 Lehmann, GRUR Int. 1986,6,9; Baumbach/Heferrnehl, WZG, § 4 Rnr. 150; Heydt, GRUR 1952, 321, 324. 94 Auch diese Verweisung im deutschen Markenrecht spricht gegen den "self executing"Charakter des Art. 6 bis PVÜ. 95 Eine mittelbare Verweisung enthalten die §§ 14,37 und 42 MarkenG. 96 Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 66. 97 Begr. zum MarkenG, a. a. O.
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Im deutschen Schrifttum wird in diesem Zusammenhang teilweise die Meinung vertreten, den für die notorisch bekannte Marke erforderlichen Bekanntheitsgrad auf 20 - 30 % der angesprochenen Verkehrskreise herabzusenken98 . Im Ergebnis würde dies eine Gleichsetzung mit dem Bekanntheitsgrad von Marken mit Verkehrgeltung (§ 4 Nr. 2 MarkenG)99 bedeuten. Zur Begründung wird vorgetragen, sowohl das Notorietätskriterium als auch die Verkehrs geltung hätten die Aufgabe, als Korrelat für den fehlenden Eintragungsakt der Marke zu dienen. Sinn und Zweck des Art. 6 bis PVÜ sei zudem die Verhinderung von Verwechslungsgefahren. Im deutschen Recht werde ein entsprechender Schutz schon dann gewährt, wenn ein nicht unerheblicher Teil der beteiligten Verkehrskreise 100 die Marke einem anderen Inhaber zuordne. Hierfür genüge im Einzelfall bereits ein Bekanntheitsgrad von 20 - 30 %. Ein höherer Wert sei für eine Marke, die im Inland nicht benutzt werde praktisch nicht zu erreichen. Art. 6 bis PVÜ und das Ziel der Bekämpfung der internationalen Marken- und Produktpiraterie würden in unangemessener Weise ausgehöhlt, wenn das nationale Recht einen höheren Bekanntheitsgrad erfordern würde. Der deutsche Gesetzgeber hat sich jedoch gegen diese Auffassung ausgesprochen. Die Systematik der gesetzlichen Regelung des § 4 MarkenG verdeutlicht, daß eine Gleichstellung der Schutzvoraussetzungen zwischen der Marke kraft Verkehrsgeltung und der notorisch bekannten Marke gerade nicht vorgesehen ist 101 • Anderenfalls hätte ein insoweit einheitlicher Tatbestand geschaffen werden müssen. Das Abstufungssystem der verschiedenen Bekanntheitsgrade des vormaligen WZG ist auch für das MarkenG maßgebend. Dafür spricht auch, daß die notorische Bekanntheit einer Marke begrifflich einen gesteigerten Bekanntheitsgrad zu (bloß) bekannten Marken voraussetzt!02. Schon diese bloße Bekanntheit einer Marke ist auf einer höheren Bekanntheitsstufe angesiedelt als die Verkehrsgeltung einer Marke. Schließlich ist exklusiv den notorisch bekannten Marken ein Sonderschutz im Eintragungsverfahren gern. § 37 I, IV und § 42 11 Nr. 2 MarkenG vorbehalten. Der Markengesetzgeber hat sich auch hier klar gegen eine Gleichstellung mit Marken kraft Verkehrsgeltung ausgesprochen. Im territorialen Anwendungsbereich des EUV werden sich in Zukunft die nationalen Auslegungsunterschiede in bezug auf den Begriff der notorisch bekannten Marke angleichen, sobald der EuGH im Rahmen eines VorabentscheidungsverfahKur, GRUR 1994,330,337. Vormaliger Ausstattungsschutz gern. § 25 WW. Vgl. allgemein Fezer, Markenrecht, § 4 MarkenG Rnr. 21 ff.; Ingerl I Rohnke, MarkenG, § 4 Rnr. 7ff. 100 Zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals, Fezer, Markenrecht, § 4 MarkenG Rnr. 124; AlthammerlStröbele, MarkenG, § 8 Rnr. 134ff. 101 Allgemein zum Verhältnis der notorisch bekannten Marke zu den anderen Markenkategorien des MarkenG, Fezer, Markenrecht, § 4 MarkenG Rnr. 224-226; Althammer/Klaka, MarkenG, § 4 Rnr. 24; IngerllRohnke, MarkenG, § 4 Rnr. 23, 24; vgl. auch Schneider, GR UR Int. 1998, 461 ff. 102 So auch Sack, GRUR 1995,81,91. 98 99
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rens gern. Art. 234 (ex-Art. 177) EGV von einem nationalen Gericht mit der abstrakten Rechtsfrage befaßt wird, wie der inhaltlich deckungsgleiche Begriff der notorisch bekannten Marke in den Bestimmungen des Art. 8 11 lit.c) GMarkenV bzw. Art. 4 11 lit.d) MarkenRL auszulegen sei. Für die Mitgliedstaaten der EU wird dann eine allgemein verbindliche Begriffsbestimmung der notorisch bekannten Marke gelten, die auch - im Falle einer inhaltlichen Abweichung - mittelbar über den Grundsatz der richtlinienkonfonnen Auslegung des nationalen Rechts bzw. über das Prinzip der Gerneinschaftstreue gern. Art. 10 (ex-Art. 5) EGV auf die nationalen Markenrechtsordnungen ausstrahlt. Hiergegen spricht auch nicht, daß der Begriff der notorisch bekannten Marke in Art. 8 11 lit.c) GMarkenV und Art. 4 11 lit.d) MarkenRL nicht unmittelbar europarechtlich detenniniert ist, sondern dem Völkerrecht zuzuordnen ist. Aus Gründen eines effektiven und angeglichenen 103 bzw. einheitlichen 104 Rechtsschutzes im System der GMarkenV und der MarkenRL als sekundärrechtlichen Rechtsakten, erstreckt sich die Jurisdiktion des EuGH gern. Art. 220 (ex-Art. 164) EGV auch auf den Begriff der Notorietät lOs . Hierdurch wird die Möglichkeit begründet, für das Territorium der EU eine bislang fehlende einheitliche Rechtspraxis in diesem Bereich zu etablieren.
bb) Die völkerrechtliche Ausgangslage Art. 6 bis PVÜ regelt den Schutz der notorisch bekannten Marke lO6 . Diese Bestimmung wurde im Rahmen der Revisionskonferenz von Den Haag im Jahre 1925 in die PVÜ eingefügtl07. Sinn und Zweck des Art. 6 bis PVÜ ist der Schutz der notorisch bekannten, jedoch nicht eingetragenen Marke gegen die Eintragung und Benutzung verwechslungsfähiger Zeichen 108. Vgl. dazu den 1. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989,294. Vgl. dazu den 2. Erwägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,403. lOS Im Ergebnis auch Fezer, Markenrecht, PVÜ Art. 6 bis Rnr. 4; a.A. Sack, GRUR 1995, 81,91. 106 Zur Streitfrage des möglichen "self executing" -Charakters der Vorschrift, Migosa, PVÜ Art. 6 bis, S. 49; Bodenhausen, Art. 6 bis, S. 75; Ulmer, GRUR Int. 1960,57,60; Kur, GRUR 1994,334. Insgesamt spricht der Wortlaut des Art. 6 bis PVÜ dafür, in dieser Norm lediglich eine mittelbare völkerrechtliche Berechtigung zu sehen, die als Reflex aus der Pflicht der Verbandsstaaten zur Umsetzung des Schutzes notorisch bekannter Marken resultiert. Dieser Rechtsstreit ist in Deutschland jedoch lediglich von theoretischer Bedeutung, weil insoweit bereits schon unter der Geltung des WZG nationale Bestimmungen existierten (vgl. §§ 4 11 Nr. 4, 10 11 Nr. 2 WZG), die über den in Art. 6 bis PVÜ niedergelegten Schutzstandard hinausreichten und einen Rückgriff auf die völkerechtliche Norm überflüssig machten. 107 Vgl. dazu Busch, GRUR Int. 1971,293. Zum Entstehungszeitpunkt der Norm gewährten etliche Verbandsmitlgieder Marken, die im jeweiligen Inland nicht eingetragen waren, keinen oder nur einen unzureichenden Schutz, so daß die Gefahr der Aneignung des betreffenden Zeichens durch Dritte bestand, Kur, GRUR 1994, 334. 103
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Die Mitgliedstaaten sind gern. Art. 6 bis I S. 1 PVÜ verpflichtet, die nationale Eintragung einer Marke, die mit einer notorisch bekannten Marke verwechslungsfähig ist, zurückzuweisen oder zu löschen und die Benutzung zu untersagen. Die völkerrechtliche Gewährleistung der notorisch bekannten Marke beruht nicht auf dem Prinzip der konstitutiven Eintragung der Marke. Dies folgt bereits aus der Natur der Vorschrift, die trotz markenrechtlicher Kriterien als eine Spezialregelung des internationalen Wettbewerbsrechts im Sinne des Art. 10 bis PVÜ anzusehen ist lO9 • Der Schutz nach Art. 6 bis PVÜ erstreckt sich nach dem Wortlaut der Bestimmung lediglich auf Warenmarken; .Dienstleistungsmarken werden demgegenüber nicht erfaßt. Die Verbandsmitglieder sind jedoch völkerrechtlich nicht gehindert, einen weitergehenden Schutz für Dienstleistungsmarken vorzusehen" O•
cc) Die Voraussetzungen des völkerrechtlichen Schutzes Die ausländische Marke, die die Gewährleistung als notorisch bekannte Marke anstrebt, muß im Inland als eine dem Angehörigen eines anderen Verbandsstaatesill für gleiche oder gleichartige (ähnliche) Waren benutzte Marke bekannt sein" 2 . Zunächst ist festzustellen, daß Art. 6 bis PVÜ nicht eine Benutzung der ausländischen Marke im Inland erfordert ll3 . Schutzvoraussetzung ist jedoch, daß die Marke im Inland notorisch bekannt ist" 4 . Im Regelfall ist daher davon auszugehen, daß die ausländische Marke im Inland bereits benutzt wurde, bevor sie dort notorisch bekannt wurde" S . Der Schutz der ausländischen notorisch bekannten Marke bezieht sich im Verhältnis zum inländischen Konkurrenzzeichen lediglich auf den Warengleichartigkeitsbereich (Produktähnlichkeitsbereich). Soweit dieser im Einzelfall für die 108 Busse I Starck, WZG, PVÜ Art. 6 bis Rnr. 1. Der letztendliche Zweck des Art. 6 bis PVÜ ist in der Verhinderung der internationalen Markenpiraterie zu erblicken, vgl. Kur, GRUR 1994, 338. 109 So Migosa, Art. 6 bis PVÜ, S. 49. 110 Im deutschen Markenrecht können in diesem Zusammenhang die Vorschriften der §§ 3, 4 Nr. 3 MarkenG als Beispiel herangezogen werden. Danach entsteht Markenschutz infolge der notorischen Bekanntheit im Sinne der PVÜ sowohl für Warenmarken als auch für Dienstleistungsmarken. 111 Der persönliche Anwendungsbereich des Art. 6 bis PVÜ umfaßt auch die von Art. 3 PVÜ Begünstigten. 112 So Fezer, Markenrecht, PVÜ Art. 6 bis Rnr. 4; RGZ 170,302,307. 113 Migosa, PVÜ Art. 6 bis, S. 49. 114 BGH, GRUR Int. 1969, 257, 258 - Recrin. 115 Vgl. zu möglichen Ausnahmefällen, Sack, GRUR 1995, 81, 92; Baumbach/Hefermehl, WZG, Art. 6 bis PVÜ Rnr. 3; Heydt, GRUR 1952,321,324.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
angemeldeten Waren eröffnet ist, verdrängt die notorisch bekannte Marke sowohl identische als auch verwechslungsfahige Marken. Die Beschränkung des völkerrechtlichen Gewährleistungsmechanismus auf den Gleichartigkeitsbereich bezüglich der angemeldeten Waren und das Erfordernis der notorischen Bekanntheit der Marke ausschließlich im Inland, sind die entscheidenden Schwachpunkte im Schutzsystem des Art. 6 bis PVÜ 116 • Die Hauptursache für diese Schutzlücken ist darin zu erblicken, daß der Inhalt des gegenwärtigen Art. 6 bis PVÜ als zum jetzigen Zeitpunkt größtmögliche und realisierbare Konsensbasis der Verbandsmitglieder anzusehen ist. Im Hinblick auf eine zukünftige Änderung des Art. 6 bis PVÜ oder Revision 117 der PVÜ ist das Erfordernis der Einstimmigkeit zu beachten. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluß zu Art. 17 PVÜ. Danach wird die Änderung der Artt. l3-17 PVÜ einem besonderen Verfahren unterworfen. Innerhalb dieser Prozedur sind Mehrheitsbeschlüsse zulässig. Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 17 PVÜ erschöpft sich aber aufgrund seines eindeutigen Wortlauts auf die dort genannten Organisationsnormen des Verbandes. In bezug auf die übrigen (materiellrechtlichen) Bestimmungen, zu denen auch Art. 6 bis PVÜ gehört, fehlt eine spezialgesetzliche Regelung, so daß die Vorschriften der Artt. 39, 40 WVRK einschlägig sind. Art. 39 WVRK legt in diesem Zusammenhang den Grundsatz fest, daß ein völkerrechtlicher Vertrag durch eine Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien geändert werden kann. Wie sich aus dem Wortlaut dieser Norm und ihrer systematischen Stellung zu Art. 41 WVRK ergibt, erfordert eine Vertragsänderung den Konsens aller Vertragsparteien l18 • Anderenfalls wäre die in Art. 41 WVRK eröffnete Möglichkeit, daß Modifikationen von Verträgen, die von vornherein nur für einen limitierten Kreis von Vertragsparteien gelten sollen (sog. inter se-Abkommen), überflüssig. Das Einstimmigkeitserfordernis im Hinblick auf eine potentielle Revision der PVÜ folgt demgegenüber vornehmlich aus dem Wortlaut des Art. 18 PVÜ. Diese Vorschrift regelt im Wege einer Soll-Bestimmung die Notwendigkeit von Revisionen der PVÜ. Art. 18 PVÜ beinhaltet jedoch keine Aussage zu der Frage, ob Revisionen nur einstimmig oder auch im Wege eines Mehrheitsbeschlusses vorgenommen werden können. Es bleibt daher - auch auf Grundlage eines erst-rechtZur Kritik, Busch, GRUR Int. 1971,293; Kur, GRUR 1994,334. In der völkerrechtlichen Vertragspraxis wird in diesem Zusammenhang zwischen der einvernehmlichen Änderung einzelner Vertragsbestimmungen (Änderung, z. B. Art. 108 UNCharta) und der umfassenden Änderung des gesamten Vertrages (Revision, z. B. Art. 109 UN-Charta) differenziert. 118 Dieser Konsensgrundsatz ist letztendlich eine Ausprägung des im Völkerrecht herrschenden Prinzips der (gleichwertigen) Souveränität der Staaten als Völkerrechtssubjekte. Kodifiziert ist dieser allgemeine völkerrechtliche Grundsatz in Art. 2 Nr. 1 UN-Charta, in der Präambel der ,.Friendly Relations Declaration" und in der Präambel der WVRK (vgl. auch Art. 6 WVRK). 116
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Schlusses - bei der Geltung des Einstimmigkeitsprinzips gern. der Artt. 39, 40 WVRK I19 . Die Beschränkungen des Schutzes der notorisch bekannten Marke in der PVÜ (Warengleichartigkeitsbereich und Erfordernis der Bekanntheit der Marke ausschließlich im Inland), lassen sich daher unmittelbar auf die völkerrechtliche ,,Fessel" des Einstimmigkeitsprinzips in der PVÜ zurückführen. Art. 6 bis PVÜ muß daher als größter gemeinsamer Nenner des internationalen Schutzes notorisch bekannter Marken verstanden werden. Die Vorschrift hat zudem den Charakter eines Mindeststandards. Die Verbandsstaaten sollen sich innerhalb ihrer nationalen Markenrechtsordnungen hieran orientieren und grundsätzlich nicht einen minderwertigen Schutz etablieren. Es bleibt den Verbandsstaaten aber zweifelsohne vorbehalten, weitergehende Schutzmöglichkeiten zu schaffen. In diesem Lichte ist beispielsweise auch die Vorschrift des Art. 16 m TRIPSAbkommen zu sehen. Danach sind eingetragene notorisch bekannte Marken auch außerhalb des Produktähnlichkeitsbereichs geschützt, wenn die Benutzung der Marke auf eine Verbindung zwischen den Produkten und dem Inhaber der notorisch bekannten Marke hinweisen und dem Markeninhaber hierdurch wahrscheinlich ein Schaden zugefügt würde. Soweit die Schutzvoraussetzungen des Art. 6 bis I PVÜ im Einzelfall erfüllt sind, gewährt Art. 6 bis 11 S. I PVÜ dem Inhaber der notorisch bekannten Marke eine Frist von mindestens fünf Jahren, die Löschung der verwechslungsflihigen inländischen Marke zu beantragen. Der Lauf der entsprechenden Frist wird durch die (gutgläubige) Eintragung der Marke in Gang gesetzt 120. Im Hinblick auf den Anspruch des Markeninhabers, den Gebrauch der verwechslungsfähigen Marke zu untersagen, verschafft Art. 6 bis 11 S. 2 PVÜ den Verbandsländern die Befugnis, diesbezüglich eine beliebige Frist festzusetzen 121. In Ergänzung dazu bestimmt Art. 6 bis m PVÜ, daß gegenüber bösgläubig erwirkten Eintragungen oder bösgläubig vorgenommenen Benutzungshandlungen der Antrag auf Löschung der verwechslungsflihigen Marke oder auf Untersagung ihres Gebrauchs an keine Frist gebunden ist.
119 Diese Bestimmungen erfassen Vertragsänderungen im weiteren Sinne, also auch Revisionen. 120 Im deutschen Markenrecht ist insoweit die Vorschrift des § 51IIMarkenG (Löschungsklage mit einer Frist von fünf Jahren) maßgebend. 121 Im deutschen Markenrecht richtet sich der entsprechende Unterlassungsanspruch nach den §§ 4 Nr. 3. 14 V MarkenG. Dieser verjährt innerhalb von drei Jahren nach Kenntniserlangung von der Rechtsverletzung und der Person des Verpflichteten. § 20 MarkenG. In Betracht kommt auch eine Verwirkung gern. § 21 MarkenG.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
c) Der teIle quelle-Schutz Art. 6 quinquies PVÜ beinhaltet das teIle quelle-Prinzip des internationalen Markenschutzes. Dieses besagt, daß jede im Ursprungsland 122 vorschriftsmäßig eingetragene Marke 123 "so, wie sie ist" ("teIle quelle"), in jedem anderen Verbandsstaat eingetragen und geschützt werden so1l 124 . Der teIle quelle-Schutz ist dabei an folgende Voraussetzungen geknüpft l25 : Die den Schutz des Art. 6 quinquies PVÜ begehrende Marke muß zunächst im Ursprungsland markenschutzfähig sein. Darüber hinaus ist eine vorschriftsmäßige Eintragung 126 und Aufrechterhaltung der Marke im Ursprungsland erforderlich. Desweiteren muß die um den teIle quelle-Schutz nachsuchende Marke im Verhältnis zur Eintragung im Ursprungsland eine gleiche äußere Gestaltung aufweisen. Der Schutzanspruch des Art. 6 quinquies PVÜ setzt grundSätzlich eine Marke in unveränderter Form voraus. In diesem Zusammenhang kommt es entscheidend darauf an, wie die Marke im Ursprungsland eingetragen wurde. Irrelevant ist hingegen, wie sie benutzt werden soll oder werden darf127 . Gern. Art. 6 quinquies C n PVÜ sind Markenabweichungen jedoch dann unschädlich, wenn sie die Unterscheidungskraft der Marken nicht beeinflussen und ihre Identität nicht berühren 128. Zudem setzt der teIle quelle-Schutz voraus, daß der Marke aufgrund des nationalen Markenrechts des jeweiligen Verbandsstaates die Eintragung als Kennzeichen verwehrt wurde. Schließlich muß für die gesamte Dauer der Inanspruchnahme des telle quelle-Schutzes im Ursprungsland die Eintragung der Marke aufrechterhalten werden, Art. 6 quinquies D pVÜ 129 • Diese Prämissen offenbaren den Sinn und Zweck der Regelung des Art. 6 quinquies PVÜ. Es sollen diejenigen Schwierigkeiten eleminiert werden, die sich aus den unterschiedlichen Reichweiten der nationalen Markengesetze der VerbandsDas maßgebende Ursprungsland bestimmt sich nach Art. 6 quinquies A 11 PVÜ. Nach dem Wortlaut des Art. 6 quinquies A I PVÜ bezieht sich der teile quelle-Schutz lediglich auf Fabrik- oder Handelsmarken. Ebenso wie im Rahmen der Unionspriorität (Art. 4 PVÜ) werden daher Dienstleistungsmarken im Sinne des Art. 6 sexies PVÜ nicht erfaßt. Für eine entsprechende Erweiterung des Anwendungsbereichs, Beier, GRUR Int. 1992,243, 246 Fn.24. 124 Der teile quelle-Schutz stellt in den Grenzen des Art. 6 quinquies B PVÜ dogmatisch eine Durchbrechung des in Art. 6 I PVÜ enthaltenen Geltungsvorrangs der innerstaatlichen Markenrechtsordnung als Ausdruck des Territorialitätsprinzips dar. 125 Vgl. auch Godemeyer I Weber, Mitt. 1993, 321. 126 Im Unterschied dazu genügt gern. Art. 4 A I PVÜ für die Begründung der Unionspriorität bereits die Anmeldung der Marke im Ursprungsland. 127 Migosa, S. 67. 128 An diesen Rechtsgedanken knüpft auch die Regelung des § 26 III MarkenG an; vgl. dazu Fezer, Markenrecht, § 26 MarkenG Rnr. 91. 129 Insoweit ist eine Ausnahme von dem in Art. 6 11, III PVÜ enthaltenen Grundsatz der Unabhängigkeit der Auslandsmarke von der Ursprungsmarke festzustellen. 122 123
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mitglieder in bezug auf den Markenschutz und die Markenschutzfahigkeit ergeben l3 o. Die Vorschrift dient daher als größter gemeinsamer Nenner innerhalb des internationalen Markenschutzes dazu, nationale Eintragungshindernisse zu überwinden und über diesen Weg bestehende Schutzunterschiede zwischen dem Ursprungsland und den übrigen Verbandsländern auszugleichen. Bis zur Etablierung des Art. 15 TRIPS-Abkommen verfügte das internationale Markenrecht nicht über eine allgemein akzeptierte Regelung zur Markenfahigkeit. Die teIle quelle-Klausel ist daher rechtshistorisch als das Korrektiv für das Fehlen einer umfassenden, einheitlichen und internationalen Definition der Markenschutzfähigkeit aufzufassen l3 '. Ware der teIle quelle-Schutz nicht in die PVÜ inkorporiert worden, würde sich die Ausgestaltung des Schutzes nationaler Marken im Ausland als äußerst lückenhaft darstellen. Auch die Regelung des Art. 2 PVÜ könnte in diesem Zusammenhang nicht weiterhelfen, da der Schutz nach dieser Vorschrift dann versagt, wenn auch den Inländern aufgrund der gesetzlichen Regelungen des jeweiligen Verbandsstaates keine Protektion gewährt wird 132. Insoweit wirkt sich wiederum der Verzicht auf das materielle Reziprozitätsprinzip aus. Von besonderer Bedeutung für die nationale Markenrechtspraxis vor Inkrafttreten des MarkenG war Art. 6 quinquies B PVÜ, der die absoluten Schutzhindernisse abschließend 133 aufzählt, bei deren tatbestandlichen Vorliegen ein teIle quelleSchutz versagt werden kann '34. Hinsichtlich der Schutzfahigkeitsbeurteilung der "telle quelle-Marken" ist allein diese Aufzählung maßgeblich 135. Dieser völkerrechtliche Katalog darf daher nicht um weitere Versagungsgründe nach nationalem Recht erweitert werden. Allerdings sind die nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichte in Ermangelung einer entsprechenden völkerrechtlichen Instanz im Rahmen der PVÜ für die Auslegung der Zurückweisungs- und Ungültigkeitsgründe zuständig l36 . Zu beachten ist aber, daß Art. 6 quinquies C I und 11 PVÜ zwei Auslegungsregeln enthält, die von den Verbandsstaaten zu berücksichtigen sind 137. In diesem Zusammenhang war es zwischen den Verbandsstaaten zunächst streitig, ob sich die Reichweite des teIle quelle-Schutzes nur auf die Form oder auch auf den Inhalt der streitgegenständlichen Marke erstreckt l38 . Durch die Aufnahme Busse I Starck, WZG, Art. 6 quinquies PVÜ Rnr. 1. Migosa, S. 65; vgl. auch Medcalf, GRUR Int. 1961,461 ff. \32 Z. B., wenn das Zeichen allgemein nicht im Schutzstaat als Marke akzeptiert wird. 133 Vgl. den Wortlaut ... "nur in folgenden Fällen ... ". 134 Gern. Art. 6 quinquies B letzter Satz PVÜ bleibt aber die Anwendung des Art. 10 bis PVÜ vorbehalten. Hierdurch wird klargestellt, daß im Rahmen des Art. 6 quinquies B PVÜ ausschließlich markenrechtliche Versagungsgründe enumerativ erwähnt sind. 135 Beier, GRUR Int. 1992,243,244; vgl. auch BGH, WRP 1999,858,860 - PREMIERE 11. 136 Migosa, S. 71. 137 Vgl. dazu Beier, GRUR 1968,492 ff. 138 Vgl. zu dieser Frage aus dem deutschen Schrifttum, Pinzger, WZG, Art. 6 PVÜ Anm. 3; Beier, GRUR Int. 1992,242,243. 130 131
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
des Art. 6 quinquies B Nr. 2 PVÜ 139 wurde klargestellt, daß sich die Schutzversagungsgründe auch auf den Inhalt der Marke beziehen, nicht jedoch auf darüber hinausgehende Eintragungsvoraussetzungen, wie z. B. die mangelnde Benutzung der Marke oder das Fehlen eines Geschäftsbetriebs (nach alter Rechtslage stand in Deutschland insoweit § 1 I WZG entgegen)I40. Hieraus folgt, daß hinsichtlich der Form des Zeichens das Recht des Ursprungslandes entscheidet, während der Inhalt, soweit er sich aus Art. 6 quinquies B PVÜ ergibt, der Prüfung der Behörde des Einfuhrlandes unterliegt 141. Insgesamt hat der in Art. 6 quinquies PVÜ verankerte teIle quelle-Schutz in Deutschland schon vor dem Inkrafttreten des MarkenG eine im Verhältnis zu den inländischen Zeichen liberalere Eintragungspraxis für ausländische Zeichen in bezug auf Buchstaben und Zahlenmarken 142 und in bezug auf geographische Herkunftsangaben als Individualmarken 143 bewirkt. Insbesondere im Hinblick auf Zahlen und Buchstabenmarken konnte sich daher vor Inkrafttreten des MarkenG die rechtliche Konstellation ergeben, daß eine in einem anderen Verbandsstaat eingetragene Marke in Relation zu einer ausschließlich nach der deutschen Markenrechtsordnung zu beurteilenden nationalen Marke trotz gleicher Sachverhaltsgestaltung privilegiert wurde l44 . Wie bereits dargelegt, stellt sich diese Inländerdiskriminierung als logische Konsequenz der nicht vorhandenen materiellen Reziprozität in der PVÜ und der hierdurch fehlenden Rechtsvereinheitlichung des internationalen gewerblichen Rechtsschutzes innerhalb des Inländerbehandlungsgrundsatzes des Art. 2 PVÜ dar. Die allgemeine Regel der Inländerbehandlung gebietet nur die Gleichbehandlung von In- und Ausländern. Es verbietet sich jedoch aus Art. 2 PVÜ im Wege eines Umkehrschlusses abzuleiten, die Inländer dürften auch die Vorteile für sich in Anspruch nehmen, die den ausländischen Markenanmeidern im Rahmen des Art. 6 quinquies zugestanden werden 145. 139 Diese Bestimmung wurde im Jahre 1911 auf der Washingtoner Revisionskonferenz auf Vorschlag der deutschen Delegation in den damaligen Art. 6 PVÜ eingefügt, vgl. Osterrieth, S. 52ff.; Beier, GRUR Int. 1992,243, 244. Vgl. zu den wichtigen Versagungsgründen des Art. 6 quinquies B Nr. 2 und Nr. 3 PVÜ, Fezer, Markenrecht, Art. 6 quinquies PVÜ Rnr. 715. 140 So zutreffend Beier, GRUR Int. 1992,243,244 Fn. 14; a.A. BGH, GRUR 1987,525 ff. - LITAFLEX; vgl. allgemein auch v. Garnm, WRP 1977, 230ff.; Beyerle, S. 12 ff. 141 Fezer, Markenrecht, Art. 6 quinquies PVÜ Rnr. 4. 142 Vgl. aus der Rechtsprechung BGH, GRUR 1991, 38 - FE; BGH, GRUR 1991,535 ST; BGH, GRUR 1991,839 - Z-TECH; BPatG, GRUR Int. 1992,923 - GG; BPatG, GRUR 1993,45 - Her; BPatG, GRUR 1993,742 - UHQ; BPatG, GRUR 1993,825 - Dos. Vgl. dazu auch Eisenführ, GRUR 1994, 34Off. Vgl. zur Eintragungspraxis des DPMA bei dreidimensionalen Marken vor Inkrafttreten des MarkenG, Busse/Starck, WZG, Art. 6 quinquies PVÜ Rnr. 3; vgl. aber auch BGH, GRUR 1976,355,356 - P-tronics. Im Hinblick auf Hörzeichen, v. Gamm, WRP 1977, 230, 232. 143 Vgl. dazu BPatG, GRUR Int. 1992,62 - Vittel; Beier, GRUR Int. 1992,243, 249f. 144 Vgl. nunmehr § 3 I MarkenG.
§ 2 Pariser Verbandsübereinkunft und Madrider Markenabkommen
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Obwohl die Verbandsstaaten daher generell eine mögliche Inländerdiskriminierung billigend in Kauf nehmen, darf nicht verkannt werden, daß hierdurch eine nicht unerhebliche Rückstrahlungswirkung auf die juristische Weiterentwicklung der nationalen Markenrechtsordnungen ausgelöst wird, um die bestehenden Schutzdefizite für die eigenen Staatsangehörigen zu beseitigen. Insoweit kann eine Inländerdiskriminierung auf lange Sicht zu einer (mittelbaren) Rechtsvereinheitlichung führen. In Deutschland kann in diesem Zusammenhang das im Verhältnis zum WZG in vielen Bereichen liberalisierte MarkenG als Beispiel herangezogen werden. VII. Verbandsrecbt
Gern. Art. 1 I PVÜ bilden die Mitglieder der Übereinkunft einen Verband zum Schutz des gewerblichen Eigentums. Hierdurch soll klargestellt werden, daß die völkemechtliche Qualität und Bedeutung der PVÜ über die Errichtung eines gewöhnlichen völkerrechtlichen Vertrages hinausreicht l46 . Die Bildung völkerrechtlicher Verbände war zum Zeitpunkt der Etablierung der PVÜ in der Staatenpraxis kein Einzelfall. In diesem Zusammenhang kann auf die Internationale Telegraphenunion von 1865 147 , den Weltpostverein von 1874 148 und die "Revidierte Berner Übereinkunft" (RBÜ)149 verwiesen werden. Seit 1970 wird die PVÜ von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) mit Sitz in Genf verwaltet 150. Grundlage hierfür ist das Übereinkommen zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum vom 14. 07. 1967 151 • Die WIPO genießt seit 1974 den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen i52 . Gern. Art. 3 WIPO-Übereinkommen besteht der Zweck der Organisation zum einen darin, den Schutz des geistigen Eigentums durch die Zusammen145 Im Rahmen der "besonderen Rechte" der PVÜ ist weder eine Besserstellung der Ausländer noch eine SchlechtersteIlung der Inländer verboten. Vg\. auch BusseI Starck, WZG, Art. 2 PVÜ Rnr. 1. 146 Vg\. zur rechtlichen Qualität des Verbandes und zur Wirkung des völkerrechtlichen Verbandsprinzips, Buck, S. 108 ff. 147 Vg\. Ipsen-Fischer, S. 764. 148 Ipsen-Epping, S. 394. Der Weltpostverein wird insgesamt als Vorbild für die Schaffung der PVÜ angesehen, so Buck, S. 108 m. w. N. 149 Diese Bezeichnung resultiert aus der im Jahre 1908 in Berlin revidierten ,,Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst" vom 09. 09. 1886, vg\. dazu Röthlisberger, passim. 150 Vg\. zur WIPO, Schäfers, GRUR Int. 1996, 763 ff. Der WIPO gehören heute 171 Staaten an, die zumeist auch Mitglieder der PVÜ sind, vg\. Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr. 16; GRUR Int. 1999,427 -429. 151 BGB\. 197011, S. 293, 295. Vg\. zum WIPO-Übereinkommen Krieger I Mast I Tilmann, GRUR Int. 1971, 29ff. 152 Ipsen-Epping, S. 396.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
arbeit der Staaten weltweit zu fördern. Zum anderen soll die verwaltungs mäßige Zusammenarbeit zwischen den Verbänden 153 gewährleistet werden. Die in Art. 4 WIPO-Übereinkommen verankerte Verwaltung der PVÜ durch die WlPO führte gleichzeitig zu einer grundlegenden Veränderung der Verwaltungsstruktur innerhalb der PVÜ. Vor Inkrafttreten des WIPO-Übereinkommens verfügte die PVÜ lediglich über eine Revisionskonferenz und ein sog. Internationales Büro 154. Dieser Verwaltungsaufbau wurde insgesamt als veraltet und reformbedürftig angesehen. 1970 etablierten die Verbandsstaaten ein verändertes Verwaltungssystem für die PVÜ, dessen rechtliche Grundlagen in den Artt. 13-17 PVÜ niedergelegt sind 155 • Im Zuge dieser Neuordnung wurden drei Organe geschaffen, die Generalversammlung (Art. 13 PVÜ), der Exekutivausschuß (Art. 14 PVÜ) und das Internationale Büro (Art. 15 PVÜ)156. Gern. Art. 18 I PVÜ soll die Übereinkunft Revisionen unterzogen werden, um Verbesserungen herbeizuführen, die geeignet sind, das System des Verbandes zu vervollkommnen 151. Die Aufnahme neuer Mitglieder ist in den Artt. 21-23 PVÜ geregelt. Gern. Art. 21 I PVÜ kann jedes verbandsfremde Land der Übereinkunft beitreten und dadurch Mitglied des Verbandes werden. Ein eigenes Streitbeilegungsverfahren enthält die PVÜ nicht. Art. 28 PVÜ 158 bestimmt in Anknüpfung an Art. 33 UN-Charta lediglich, daß von jedem Verbandsstaat eine Streitigkeit mit einem anderen Verbandstaat gern. Art. 34 I IGH-Statut vor den Internationalen Gerichtshof (lGH) gebracht werden kann. Die Streitparteien können daneben auch eine andere Regelung vereinbaren, z. B. ein Schiedsverfahren.
IS3 Gemeint sind in diesem Zusammenhang vor allem die PVÜ, die RBÜ und der Internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen. IS4 Vgl. zur alten Verwaltungsstruktur der PVÜ, Meister, S. 125; Buck, S. 48, insbesondere Fn.75. ISS Dieses völkerrechtliche Verwaltungssystem wird durch die nationalen Zentralbehörden, die in jedem Verbandsstaat gern. Art. 12 PVÜ errichtet werden müssen, ergänzt, vgl. dazu Baeumer, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 17 -19. Die gern. Art. 19 PVÜ abgeschlossenen Sonderanbkommen (MMA, MHA, NKA) orientieren sich am Verwaltungsaufau des "Dachverbandes" . 156 Der reformierte Verwaltungsaufbau der PVÜ orientiert sich insgesamt in vielen Punkten an der Verwaltungsstruktur der Vereinten Nationen. 157 Vgl. dazu Buck, S. 145ft. 158 Diese Vorschrift wurde im Rahmen der Stockholmer Revisionskonferenz eingefügt, vgl. Ballreich, GRUR Int. 1987,747,755.
§ 2 Pariser Verbands übereinkunft und Madrider Markenabkommen
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B. Das Madrider Markenabkommen (MMA) I. Geschichtliche Entwicklung
Durch die Schaffung der PVÜ im Jahre 1883 wurde im wesentlichen lediglich das Ziel erreicht, auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes in allen Verbandsstaaten bestimmte Mindestrechte zu etablieren, die zu einer auf größtem Nenner angesiedelten "Grundvereinheitlichung" der divergierenden nationalen Markenrechtsordnungen führen sollten. Dieser Basiskonsens in bezug auf das materielle Markenrecht erfaßte jedoch nicht das jeweilige Verfahrensrecht der Verbandsstaaten. Trotz Inkrafttreten der PVÜ mußten die Marken wegen des Territorialitätsprinzips auch weiterhin in jedem der in Frage kommenden Länder gesondert angemeldet werden, unter Beachtung der jeweiligen, zum Teil in erheblichen Maße voneinander abweichenden nationalen Gesetzesvorschriften. Diese Schwierigkeiten im Hinblick auf die Anmeldung einer Marke im Ausland veranlaßten einige Verbandsstaaten der PVÜ, am 14.04. 1891 in Madrid das ,,Abkommen betreffend die internationale Registrierung von Fabrik- und Handelsmarken" abzuschließen. Durch diesen völkerrechtlichen Vertrag, der ein Sonderabkommen im Sinne des Art. 19 PVÜ darstellt, wurde ein besonderer Markenverband (sog. union particuliere) gegründet, Art. 1 I MMA. Deutschland ist dem MMA erst im Jahre 1922 beigetreten 159.
11. Die internationale MarkenregIstrierung
Durch das MMA wird eine internationale Marke (IR-Marke) geschaffen. Hierdurch wird dem nationalen Markeninhaber ein relativ leichter und kostengünstiger l60 Weg eröffnet, internationalen Markenschutz zu erlangen. Das Entstehen der internationalen Marke ist gern. Art. 1 11 MMA von den folgenden Faktoren abhängig: Zunächst muß eine im Ursprungsland 161 für Waren oder Dienstleistungen 162 eingetragene Marke vorliegen. Der jeweilige Markeninhaber hat nunmehr die Möglichkeit, den für diese Marke 163 bestehenden Mar159 Zu den Gründen für den verspäteten Beitritt, Beier I Kur, GRUR Int. 1991,677 ff. Dem MMA gehören heute 51 Staaten an, die alle auch Mitgleidstaaten der PVÜ sind, vgl. Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr. 4. Vgl. auch GRUR Int. 1999,427 -431. 160 Soweit der Markeninhaber die internationale Markenregistrierung nutzt, entfällt für ihn das Erfordernis einer kostenintensiven Sonderanmeldung in den einzelnen Verbandsstaaten aufgrund der Registerkompetenz des Internationalen Büros in Genf, Baumbach I Hefermehl, WZG, Art. I MMA, Vorb. Rnr. I; Fezer, Markenrecht, MMA Vorb. Rnr. 1. 161 Das jeweilige Ursprungsland wird gern. Art. I III MMA bestimmt. 162 Vgl. Art. 6 sexies PVÜ, Art. 2 NKA.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
kenschutz durch eine einzige Registrierung beim Internationalen Büro in Genfl64 durch Vermittlung der zuständigen Behörde des Ursprungslandes auf jeden Markenverbandsstaat oder auf einzelne Markenverbandsstaaten nach seiner Wahl in der gleichen Weise auszudehnen, wie wenn. er die Marke dort unmittelbar hinterlegt hätte, Art. 4 MMA 165 • Nach dem Wortlaut des Art. I 11 MMA besteht diese Rechtswirkung der internationalen Registrierung nur "in den übrigen Verbandsländern", also nicht im Ursprungsland. Hier ist der Markenschutz direkt mit der Basismarke verknüpft. Im Rahmen der internationalen Registrierung kommt eine Schutzversagung in den einzelnen Verbands staaten nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 I S. 2 MMA LY.m. Art. 6 quinquies B PVÜ in Betracht 166 • Die Höchstfrist für die Geltendmachung von Schutzversagungsgründen durch die jeweiligen nationalen Markenbehörden beträgt ein Jahr, Art. 5 11 MMA. Diese Frist läuft ab dem Zeitpunkt der internationalen Registrierung der Marke und ist gern. Art. 5 V MMA als Ausschlußfrist konzipiert worden. Die internationale Registrierung der Marke bietet den weiteren Vorteil, daß die in Art. 4 PVÜ niedergelegte Unionspriorität gern. Art. 4 11 MMA Anwendung findet, ohne daß es erforderlich ist, die in Art. 4 D PVÜ vorgesehenen Förmlichkeiten zu erfüllen. Die in Art. I n MMA verankerte Schutzerstreckung können sowohl die Angehörigen der Verbandsstaaten als auch verbandsfremde Personen unter den Voraussetzungen der Art. 2 MMA, Art. 3 PVÜ beanspruchen. Insgesamt ist jedoch zu beachten, daß die Eintragung in das internationale Zeichenregister kein einheitliches internationales Markenrecht begründet, sondern (lediglich) eine Vielzahl nationaler Markenrechte, ein sog. ,,Bündel nationaler Marken" 167. Soweit die Marke international registriert wurde, richtet sich der jeweilige nationale Anteil an dem ,,Markenbündel" nach der entsprechenden nationalen Rechtsordnung. Die Dauer des internationalen Schutzes bemißt sich nach Art. 6 MMA. Gern. Art. 6 I MMA erfolgt die Registrierung einer Marke beim Internationalen Büro für 20 Jahre, verbunden mit der Option einer Erneuerung des 163 Es muß sich um dieselbe Marke handeln, die für dieselben Waren oder Dienstleistungen eingetragen wird, vgl. Baumbach I Hefermehl, WZG, Art. 1 MMA Rnr. 6. Gern. Art. 5 C 11 PVÜ bleiben unbedeutende Abweichungen dann unbeachtlich, wenn sie nicht kennzeichnend wirken. 164 Vgl. Art. 1 11 MMA, Art. 15 PVÜ. Die Registrierung richtet sich nach Art. 3 MMA LV.m. der Ausflihrungsordnung zum MMA, vgl. dazu Baeumer, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 18, 30ff. 165 Soweit der Markeninhaber eine internationale Schutzerstreckung seiner Marke auf Deutschland anstrebt, sind die Vorschriften der Art. 3 bis und Art. 3 ter MMA zu beachten. Seit dem 01. 07. 1973 erstreckt sich der Schutz der internationalen Registrierung nur dann auf Deutschland, wenn der Markeninhaber dies ausdrücklich beantragt. Ein Automatismus besteht daher nicht. 166 Vgl. auch BGH, GRUR 1976, 355, 356 - P-tronics; BGH, GRUR 1987, 525, 526 LITAFLEX. 167 So Baumbach/Hefermehl, WZG, Art. I MMA, Vorb. Rnr. I; vgl. auch BGH, GRUR 1960, 235 - Toscanella.
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Markenschutzes unter den Voraussetzungen des Art. 7 MMA. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Kontext die Vorschrift des Art. 6 11 MMA. Danach ist die internationale Registrierung fünf Jahre von der Eintragung der Basismarke im Ursprungsland abhängig (internationale markenrechtliche Akzessorietät). Die internationale Registrierung erlischt daher gern. Art. 6 III MMA, wenn die Eintragung im Ursprungsland innerhalb von fünf Jahren vom Zeitpunkt der internationalen Registrierung an entfällt, also der Markeninhaber den nationalen Markenschutz seiner Ausgangsmarke einbüßt. Diese Vorschriften zur relativen, auf fünf Jahre nach der internationalen Registrierung beschränkten Abhängigkeit der Marke, wurden im Zuge der Revisionskonferenz in Nizza im Jahre 1957 in das MMA inkorporiert 168 •
lll. Das Protokoll zum Madrider Markenabkommen (PMMA)
1. Entstehung und Zielsetzung
Im Rahmen der Diplomatischen Konferenz in Madrid im Jahre 1989 wurde am 27. 06. 1989 das ,,Protokoll zum Madrider Markenabkommen" (MMA) geschaffen 169 • Dem PMMA gehören heute 37 Staaten an l7o . Das PMMA sollte in seiner Grundkonzeption ursprünglich zwei Hauptzielen dienen. Erstens sollte nach Schaffung des Harmonisierungsamtes der Betritt der EG zum System der internationalen Markenregistrierung ermöglicht werden. Insofern besteht im Rahmen des MMA eine Schutzlücke, weil Art. 9 quater I lit.a) MMA lediglich bestimmt, daß eine gemeinsame Behörde an die Stelle der nationalen Behörden der Verbandsstaaten treten kann. Im Falle des Harmonisierungsamtes ist jedoch ein Nebeneinander im Verhältnis zu den nationalen Registrierungsbehörden vorgesehen. Demgegenüber begründet Art. 14 I lit.b) PMMA eine Beitrittsoption für die EG l7l . Die dort genannten Voraussetzungen werden erfüllt, weil die EG als zwischenstaatliche Organisation sowohl über ein eigenes Amt zur Markenregistrierung verfügt l72 als auch wenigstens eines der Mitgliedsländer dieser Organisation Verbandsstaat der PVÜ ist. 168 Der Grund für diese Entwicklung ist insbesondere darin zu sehen, daß die nach altem MMA-Recht bestehende zeitlich unbegrenzte Abhängigkeit der internationalen Registrierung vom markenrechtlichen Schutz im Ursprungsland aus Sicht der Verbandsstaaten und der Markeninhaber als unbefriedigend angesehen wurde, weil hierdurch die permanente Gefahr eines Angriffs auf die internationale Registrierung nicht beseitigt werden konnte. Allgemein zur Revisionskonferenz von Nizza, Richter, GRUR Int. 1958, J02ff.; Beier/Kur, GRUR Int. 1991,677, 681 f. 169 Vgl. zu dieser Konferenz Krieger/v. Mühlendahl, GRUR Int. 1989, 734ff. 170 Vgl. Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr. 6; GRUR Int. 1999,430,431. 171 Vgl. dazu den Verordnungsvorschlag der Kommission zum Beitritt der EG zum PMMA, GRUR Int. 1996, 1l6lf. 172 Vgl. dazu die Artt. 2, 111 ff. GMarken V.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Zweitens sollte eine Verbindung zwischen dem europäischen Markenrecht in Gestalt der GMarken V und dem MMA geschaffen werden. Hierfür mußte zunächst eine verbands staatliche Grundlage etabliert werden, weil ein Teil der Mitgliedstaaten der EG bisher dem MMA noch nicht angehörten 173 • Ein Beitritt dieser Staaten wurde angestrebt, um die Wirkung einer internationalen Registrierung mit Schutzerstreckung auf die Gemeinschaftsmarke für die gesamte EG sicherzustellen 174. Die genannten Staaten hatten sich einem Betritt zum MMA bislang verweigert, da sie als sog. Vorprüfungsländer Nachteile gegenüber den sog. Hinterlegungsländern befürchteten 175 . Diese Bedenken konnten durch die Aufnahme einiger Bestimmungen in das PMMA, die inhaltlich vom MMA abweichen, ausgeräumt werden. Infolge des Inkrafttretens des PMMA stellt sich das Verhältnis der IR-Marke zur Gemeinschaftsmarke auf Grundlage der GMarken V wie folgt dar: Die Angehörigen eines EG-Mitgliedstaates können sowohl IR-Marken als auch Gemeinschaftsmarken anmelden 176• Gern. Art. 2 I PMMA gilt auch die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke als Basismarke für die internationale Registrierung einer Marke. Desweiteren kann über die internationale Registrierung einer Marke auch der Schutz als Gemeinschaftsmarke gern. Art. 4 I PMMA begehrt werden. Durch das zunehmende Interesse der Staaten am MMA 177 zeigt sich nunmehr, daß das PMMA über die beiden ursprünglichen und eurozentrischen Regelungsziele hinauswächst und als treibende Kraft für einen erneuerten internationalen Markenschutz dienen kann.
2. Abweichungen zwischen dem MMA und dem PMMA
Zunächst ist zu klären, welche völkerrechtliche Rechtsnatur dem PMMA beizumessen ist. In Betracht kommt sowohl das Vorliegen einer Revision zum MMA als auch ein Zusatzvertrag zum MMA 178 • Mit der h.M. ist davon auszugehen, daß es sich um einen völkerrechtlichen Zusatzvertrag zum MMA handelt 179 • Dieser Weg wurde gewählt, um es den Nichtvertragsstaaten zu ermöglichen, sich an den Ver173 Hierbei handelt es sich um die Mitgliedstaaten Dänemark, Schweden, Finnland, Griechenland, das Vereinigte Königreich und Irland. Alle vorgenannten Staaten sind jedoch Mitglieder des PMMA. 174 Baeumer, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 17,24; vgl. auch Bock, GRUR Int. 1996, 991; Kunze, Mitt. 1996, 190. 175 Vgl. dazu Beier/Kur, GRUR Int. 1991,677, 678f.; Fezer, Markenrecht, Vorb. MMA Rnr.6. 176 Diese Alternativen bestehen auch für Angehörige von Staaten, die der PVÜ, nicht aber der EU angehören, vgl. Art. 5 I lit.b) GMarkenV. 177 Vgl. Baeumer, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 17,24,25. 178 Vgl. Buck, S. 164ff. 179 Baeumer, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 17,25. Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Schaffung eines Protokolls an statt der Durchführung einer Revision, Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1988, 809ff.; Buck, S. 165, 166.
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tragsverhandlungen aktiv zu beteiligen. Darüber hinaus konnte so das in der Praxis nur schwer zu verwirklichende Prinzip der Einstimmigkeit der abgegebenen Stimmen gern. Art. 19 PVÜ umgangen werden. An die Stelle der notwendigen Einstimmigkeit konnte dann Art. 9 11 WVRK (zwei Drittel der anwesenden und abstimmenden Staaten einer internationalen Konferenz) treten. Desweitern muß das Rangverhältnis zwischen dem PMMA und dem MMA untersucht werden. Insoweit ist Art. 9 sexies PMMA einschlägig. In Art. 9 sexies I PMMA ist eine Vorranggarantie ("safeguard clause") für das MMA verankert. Danach sind die Bestimmungen des Madrider Protokolls dann nicht anzuwenden, wenn zwei Vertragsstaaten des PMMA zugleich Mitglieder der MMA sind. Durch diese Schutzklausel wird gewährleistet, daß das durch das MMA etablierte Schutzniveau nicht durch die Bestimmungen des zeitlich nachfolgenden PMMA verdrängt wird. Zugleich wird erreicht, daß dieser völkerrechtliche Zusatzvertrag nur zwischen den direkten Vertragsparteien zur Anwendung gelangt. Art. 9 sexies I PMMA untermauert daher das Ziel dieses Regelungswerks, das bisherige System der internationalen Markenregistrierung zu erweitern, ohne den status quo ante zu beeinträchtigen. Die Vorrangklausel wurde in das PMMA aufgenommen, um dem Rechtssicherheitsbedürfnis der Verbandsstaaten Rechnung zu tragen, aus deren Sicht sich das Registrierungssystem des MMA vorteilhafter darstellt als das System des PMMA 180. Gern. Art. 9 sexies 11 PMMA kann die Schutzklausel modifiziert oder aufgehoben werden, wenn sich hierfür mindestens zehn Jahre nach Inkrafttreten des PMMA und fünf Jahre nach dem Beitritt der Mehrheit der MMAVertrags staaten zum PMMA eine Dreiviertelmehrheit der Staaten, die beiden völkerrechtlichen Verträgen angehört, findet. Im Hinblick auf die materiellen Unterschiede zwischen dem PMMA und dem MMA sind die folgenden Gesichtspunkte von herausragender Bedeutung: Eine wesentliche Schutzerleichterung im Rahmen der internationalen Registrierung beinhaltet Art. 2 PMMA. Hiernach genügt bereits die nationale Anmeldung der Ausgangsmarke als Basis rur die internationale Anmeldung. Art. 1 11 MMA verlangt demgegenüber die Eintragung der Marke im Ursprungsland. Durch diese Schutzvorverlagerung wurde insbesondere den Bedenken der Staaten mit einem umfangreichen Vorprüfungsverfahren (z. B. USA und Großbritannien) Rechnung getragen. Aufgrund der vollen Amtsprüfung vergeht in diesen Staaten in der Regel ein längerer Zeitraum als sechs Monate vom Anmeldedatum bis zur Eintragung im Ursprungsland, so daß der Anmelder aufgrund der Besonderheiten seiner nationalen Markenrechtsordnung oftmals nicht in der Lage ist, die Unionspriorität des Art. 4 PVÜ rur seine nationale Anmeldung im Hinblick auf das MMA in Anspruch zu nehmen l81 • Diese Gefahr wurde durch Art. 2 PMMA nunmehr entschärft. 180 Als Grund wurden insbesondere die günstigeren Gebühren des MMA genannt, vgl. Baeumer,in:FS 100 Jahre DPMA, 1994,S. 17,26. 181 Auch in der deutschen Markenrechtsordnung besteht oftmals ein identisches Fristproblem.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Nach Art. 5 11 lit.b) PMMA beträgt die Frist für die Schutzverweigerung durch die nationalen Behörden 18 Monate. Im Verhältnis zur Parallelvorschrift des Art. 5 V MMA (Jahresfrist) gewährt das PMMA den Vertragsstaaten eine Fristverlängerung von sechs Monaten. Auch diese Änderung geht auf Bedürfnisse der Vorprüfungsländer zurück, da die volle Amtsprüfung eine verlängerte Schutzverweigerungsfrist erfordert. Gern. Art. 5 11 lit.c) PMMA kann diese Frist im Einzelfall auf bis zu sieben Monate nach Beginn der Widerspruchsfrist oder einen Monat nach Ablauf der Widerspruchsfrist erweitert werden. Soweit das PMMA bereits zehn Jahre in Kraft ist, können die vorgenannten Bestimmungen durch einen einstimmigen Beschluß der Vertragsstaaten modifiziert werden, Art. 5 11 lit.e) PMMA. Im Unterschied zu Art. 7 I MMA (20jährige Schutzdauer der Registrierung) wird die Schutzdauer im Rahmen des PMMA auf zehn Jahre verkürzt, Art. 6 I PMMA I82 . Darüber hinaus ergeben sich Divergenzen im Hinblick auf das Gebührenrecht. Art. 8 I MMA bestimmt, daß ftir jede Schutzerstreckung eine Gebühr, die nach der Ausftihrungsordnung zum MMA festgelegt wird, zu entrichten ist. Nach Regel 35 der Ausftihrungsordnung 183 wurden die von der WlPO eingenommenen Gebühren anhand eines Verteilungsschlüssels auf die Mitgliedsländer verteilt. Der jeweilige Anteil richtete sich nach dem Umfang der Vorprüfung, die in den einzelnen Verbandsstaaten durchgeftihrt wurden 184. Dieses bisherige Verteilungssystem wurde im Rahmen der Vorarbeiten zum PMMA insbesondere von Großbritannien kritisiert, weil die nationalen britischen Gebühren wesentlich höher angesiedelt sind als die entsprechenden MMA-Gebühren ftir eine 20jährige Schutzerstreckung l8S . Um die diesbezüglichen Ressentiments der Vorprüfungsländer in der Gebührenfrage zu beseitigen, wurde in Art. 8 VII PMMA ein Gebührenkompromiß verankert. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten des PMMA wählen, ob sie auf die in der neuen Gemeinsamen Ausftihrungsordnung 186 niedergelegten Tarife zurückgreifen oder sog. "individuelle Gebühren" verlangen, die maximal den entsprechenden Betrag der nationalen Gebühren erreichen dürfen. Gern. Art. 6 sexies PMMA (Schutzklausel) gilt diese Gebührenneuregelung aber nur im Verhältnis der Staaten, deren Rechtsbeziehungen ausschließlich durch das PMMA geregelt werden. Die Erneuerung der internationalen Registrierung ist in Art. 7 PMMA geregelt. Ausführungsverordnung zum MMA in der Fassung des Beschlusses vom 22. 04. ·1988, BGBI. 11, S. 1103, zuletzt geändert durch Beschluß vom 02. 10. 1991, BGBI. 1992 11, S. 222. Diese Ausführungsordnung zum MMA galt bis zum 31. 03. 1996 und wurde durch die Gemeinsame Ausführungsordnung zum MMA und zum PMMA vom 18. 01. 1996, BGBI. 11, S. 562, zum 01. 04. 1996 abgelöst. 184 Vgl. zu den Einzelheiten Regel 35 I und 11 der Ausführungsverordnung zum MMA. 18S Baeumer, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 17,28. 186 Vgl. allgemein zur neuen Ausführungsordnung Baeumer, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 17, 30ff.; Bock, GRUR Int. 1996,991; Kunze, Miu. 1996,190. 182 183
§ 2 Pariser Verbands übereinkunft und Madrider Markenabkommen
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Schließlich wurden die Vorschriften zum Verhältnis der IR-Marke zur Basismarke modifiziert. Gem. Art. 6 m MMA ist die internationale Registrierung in den ersten fünf Jahren mit dem Schicksal der Basismarke im Ursprungsland verknüpft. Diese zeitlich begrenzte markenrechtliche Akzessorietät auf Grundlage des MMA weist aus Sicht der Neuanmeider die Schwachstelle auf, daß ein "Zentralangriff' auf die Basismarke den kompletten internationalen Markenrechtsschutz beseitigen kann. Der Grundsatz der temporären Abhängigkeit ist zwar auch in Art. 6 n PMMA beibehalten worden. Die Akzessorietät hängt nunmehr davon ab, daß die Basisanmeldung nicht zurückgewiesen oder zurückgezogen wird oder daß die spätere nationale Eintragung nicht ihre Wirkung verliert, Art. 6 m PMMA. Die Auswirkungen eines fristgemäßen Zentralangriffs auf die Basismarke werden aber gem. Art. 9 quinquies PMMA abgemildert. Nach dieser Bestimmung kann der jeweilige Markeninhaber bei Wegfall des Heimatschutzes beantragen, daß die zurückgewiesene internationale Registrierung, in denjenigen Staaten, auf deren Territorium sich der Schutz erstrecken sollte, als nationale Markenanmeldung unter Wahrung des Datums der internationalen Registrierung oder einer für diese Registrierung in Anspruch genommenen Priorität, anzusehen ist (Option der Markentransformation). Insgesamt sind die Abweichungen des PMMA dazu geeignet, das bestehende Schutzsystem auf Grundlage des MMA zu verbessern. Gleichzeitig erhöht sich hierdurch die Attraktivität eines Beitritts der bislang in einer ablehnenden Grundhaltung verharrenden Staaten zum System der internationalen Markenregistrierung. Dies gilt insbesondere für die EU-Mitgliedstaaten Großbritannien und Dänemark, die sich folgerichtig dem PMMA mittlerweile angeschlossen haben. Das PMMA hat daher seine (anfängliche) Grundaufgabe, die internationale Markenregistrierung zwischen den Mitgliedstaaten der EU im Hinblick auf die GMarkenV auf eine erneuerte, gemeinsame Basis zu stellen, erfüllt. Darüber hinaus besteht die Chance, daß durch den Beitritt weiterer nichteuropäischer Staaten zum PMMA die Reichweite des internationalen Markenschutzes verbessert wird l87 •
IV. Die internationale Registrierung einer Marke nach dem System des MMA und des PMMA im Rahmen des deutschen MarkenG
Das MarkenG enthält im 5. Teil (§§ 107 -125 MarkenG) ein eigenes Regelungssystem, das den Schutz von Marken nach dem MMA und dem PMMA sicherstellen soll. Nach alter Rechtslage waren die maßgeblichen Vorschriften für die Umsetzung des internationalen Markenschutzes sowohl im Beitrittsgesetz zum MMA 188 als 187 Die USA sind dem PMMA bislang nicht beigetreten. Die USA kritisieren, daß die EU in der Versammlung der WIPO über eine eigene Stimme verfügt, so Kur, GRUR Int. 1994, 987,989 Fn. 20. 188 Gesetz vom 12.07. 1922, BGB!. III. Gliederungsnummer 423 -3.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
auch in der Verordnung über die internationale Registrierung von Fabrik- und Handelsmarken 189 verankert. Entsprechend der Grundtendenz des MarkenG werden diese, in verschiedenen Rechtsakten angesiedelten Bestimmungen, nunmehr in einem einheitlichen Teil des MarkenG zusammengeführt. Gern. §§ 107 I, 119 MarkenG findet der 5. Teil des MarkenG dann Anwendung, wenn im Einzelfall eine internationale Registrierung von Marken nach dem MMA bzw. nach dem PMMA durch Vermittlung des Patentamts oder eine Schutzerstrekkung nach diesen völkerrechtlichen Verträgen vorgenommen werden soll. Der Antrag auf internationale Registrierung ist gern. §§ 108 I, 120 I MarkenG beim DPMA zu stellen. Der Tag und die Nummer der internationalen Registrierung sind gern. §§ 110, 122 11 S. 1 MarkenG in das Register einzutragen. Dies gilt im Hinblick auf das PMMA gern. § 12211 S. 2 MarkenG auch dann, wenn die internationale Registrierung auf der Grundlage einer zur Eintragung in das Register angemeldeten Marke vorgenommen worden ist und die Anmeldung zur Eintragung geführt hat l90 • Im Hinblick auf den Antrag einer nachträglichen Schutzerstreckung auf das Gebiet Deutschlands sind die §§ 111, 123 MarkenG zu beachten. Auch in diesem Zusammenhang sind entsprechende Anträge an das DPMA zu richten l91 . Die Wirkung der internationalen Registrierung ist in den §§ 112, 124 MarkenG niedergelegt. Danach wird die IR-Marke materiell so behandelt wie eine in Deutschland eingetragene Marke. Diese Gleichstellung der internationalen Registrierung hat ebenso zur Folge, daß internationale Anmeldungen und Schutzerstreckungen internationaler Registrierungen in gleichem Umfang wie deutsche Marken einer Überprüfung im Hinblick auf absolute Schutzhindernisse zugänglich sind, §§ 113, 124 MarkenG. § 37 I, rn-v MarkenG findet daher auch in bezug auf IR-Marken Anwendung. Dies gilt nicht für § 3711 MarkenG, weil die dort vorgesehene Verschiebung des Zeitrangs bei verkehrsdurchgesetzten Marken weder im MMA noch im PMMA durch eine Parallelvorschrift gedeckt ist l92 • Die Prüfung auf absolute Schutzhindernisse nach dem MarkenG darf sich in diesem Zusammenhang nicht in Widerspruch· zu dem vorrangigen Prüfungsstandard des Art. 6 quinquies B PVÜ (vgl. auch Art. 5 I MMA) begeben l93 • Soweit die Prüfung im Einzelfall einen Verstoß gegen absolute Schutzhindernisse ergibt, tritt an die Stelle der Zurückweisung der Anmeldung die Schutzversagung im Sinne des Art. 5 MMA bzw. Art. 5 PMMA, § 113 11 MarkenG. Gern. § 52 MarkenVerfolgt eine Unterrichtung des Internationalen Büros der WlPO, die dieses Ergebnis dem In189 Verordnung vom 05. 09. 1968, BGBI. I, S. 1001. Diese Verordnung stützte sich auf die Ermächtigungsnorm des § 4 des Beitrittsgesetzes zum Madrider Markenabkommen LY.m. Art.129GG. 190 Nähere Einzelheiten zu den Anträgen auf internationale Registrierung enthalten die §§ 49-51 MarkenV. 191 Ein Register über die international registrierten Marken, deren Schutz auf das Gebiet Deutschlands erstreckt worden ist, wird vom DPMA nicht geführt, vgl. § 53 I MarkenV. 192 Vgl. dazu die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 1216581, S. 113. 193 Begr. zum MarkenG, a. a. O.
§ 3 Reformversuche und Reformbestrebungen
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haber der internationalen Registrierung übennittelt. Sofern sich der ausländische Inhaber hiergegen verteidigen möchte, muß er einen Inlandsvertreter bestellen. Die IR-Marken können zudem auch Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens sein, § § 114, 124 MarkenG . Die Eintragung international registrierter Marken wird in Deutschland nicht veröffentlicht. Daher tritt gern. § 114 I MarkenG an die Stelle des § 41 MarkenG als maßgeblicher Beginn für den Lauf der Widerspruchsfrist die Veröffentlichung in dem vom Internationalen Büro herausgegebenen Veröffentlichungsblatt. Der erfolgreiche Widerspruch gegen die internationale Registrierung führt gern. § 114 m MarkenG zu einer Schutzverweigerung. Darüber hinaus kommt gern. § 115 I MarkenG ein Antrag auf Verfall nach § 49 MarkenG, ein Nichtigkeitsantrag wegen des Vorliegens absoluter Schutzhindernisse gern. § 50 MarkenG und ein Nichtigkeitsantrag wegen des Bestehens älterer Rechte gern. § 51 MarkenG gegen die internationale Registrierung in Betracht l94 • Die vorgenannten Widerspruchs- und Löschungsrechte stehen gern. § 116 MarkenG auch den Inhabern international registrierter Marken zu. Der Ausschluß von Verletzungsansprüchen wegen mangelnder Benutzung der Marke gern. § 25 MarkenG findet gern. §§ 117, 124 MarkenG auch im Hinblick auf IR-Marken Anwendung. Im Falle der Übertragung einer IR-Marke wird auch weiterhin gern. § 118 MarkenG von der nach Art. 9 bis MMA bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Eintragung der Marke beim DPMA zu verzichten 195. Die Einzelheiten der Umwandlung einer internationalen Registrierung gern. Art. 9 quinquies Madrider Protokoll sind in § 125 MarkenG verankert worden.
§ 3 Reformversuche und Reformbestrebungen
im internationalen Markenschutz A. Revisionskonferenzen zur PVÜ Die PVÜ befindet sich gegenwärtig in einer Phase der Stagnation. Als die letzten beiden erfolgreichen Revisionskonferenzen werden die Treffen der Verbandsstaaten in Nizza (1957) und Lissabon (1958) angesehen. Auf diesen Konferenzen konnte noch eine Weiterentwicklung des internationalen Markenschutzes im Rahmen der PVÜ erreicht werden l96 • Die weitere Entwicklung der PVÜ war durch zunehmende Spannungen und Meinungsunterschiede zwischen den Verbandsstaaten geprägt. Hierzu hat insbe194
Die Einzelheiten zu den maßgeblichen Fristabläufen ergeben sich aus § 115 11 Mar-
kenG. 195 Vgl. zur alten Rechtslage § 9 I der Verordnung über die internationale Registrierung von Fabrik- oder Handelsmarken vom 5. September 1968 (BGB\. I S. 1001). 196 Zur Konferenz von Nizza, Richter, GRUR Int. 1958, 102ff.; zur Konferenz von Lissabon, GRUR Int. Sonderheft 1959,57 -160.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
sondere die Tatsache beigetragen, daß der Kreis der Mitgliedstaaten der PVÜ ständig gewachsen ist. In diesem Zusammenhang hat der Anteil der Entwicklungsländer überproportional zugenommen. Die PVÜ teilte nunmehr das Schicksal vieler anderer internationaler Verbände und Organisationen: Die internationale Verständigung zwischen den Staaten wird zunehmend durch die Wahrung eigener Interessen blockiert. In der Folgezeit wurde es daher immer schwieriger, aufgrund der konträr ausgestalteten Zielsetzungen der Verbandsstaaten einen gemeinsamen Nenner zwischen ihnen zu finden. Auch innerhalb der PVÜ kristallisierte sich eine Blockbildung heraus. Insbesondere der Einfluß der Entwicklungsländer auf die Geschicke der PVÜ nahm stetig zu. Diese Staatengruppe formulierte ihre Forderungen nach einem umfasenden Nord-Süd-Ausgleich und einer Verbesserung der Einflußmöglichkeiten innerhalb der PVÜ immer deutlicher, wobei vornehmlich die UNCTAD l97 als Sprachrohr fungierte l98 • Dieser wachsende Einfluß der Entwicklungsländer wurde bereits während der Stockholmer Revisionskonferenz von 1967 sichtbar. Als Ergebnis der Stockholmer Konferenz wurde die WIPO als Sonderorganisation der UNO etabliert und die Organisations- und Verwaltungsstruktur der PVÜ in entscheidender Weise verändert l99 . Als Konsequenz hieraus nahm der Einfluß der einzelnen Mitgliedstaaten auf die Verbandsarbeit zu. Eine allgemeine Politisierung der Arbeit innerhalb der PVÜ war zu verzeichnen 2OO• Nicht zuletzt aufgrund dieser "inneren Lähmung" des Verbandes verliefen die folgenden Revisionskonferenzen der PVÜ in Genf201 (1980, 1982, 1984) und in Nairobi 202 (1981) ergebnislos.
B. Der Trade Mark Registration Treaty (TRT) von 1973 Im Zuge der Nizzaer Revisionskonferenz wurde der Versuch unternommen, durch ein reformiertes MMA die bisherigen Nichtmitglieder USA, Großbritannien und die skandinavischen Länder zu einem entsprechenden Beitritt zu bewegen. Dieses Unterfangen scheiterte jedoch. Unter maßgeblicher Beteiligung der WIPO wurde dann im Jahre 1973 in Form des TRT ein weiterer Versuch durchgeführt, insbesondere die USA in das interna197 United Nations Conference on Trade and Development. Diese Organisation der UNO geht auf einen Beschluß des Wirtschafts- und Sozialrates aus dem Jahre 1962 zurück. Hierdurch sollte vor allem die Lage der Entwicklungsländer im Welthandel verbessert werden. Die UNCTAD wurde am 30.12.1964 gegründet und hat ihren Sitz in Genf. 198 Beier, GRUR Int. 1983, 339, 345. Vgl. zu den Forderungen der Entwicklungsländer, Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1979, 369ff.; Meister, S. 126 ff. 199 V gl. dazu Krieger I Rogge, GRUR Int. 1967, 462 ff. 200 Beier, GRUR Int. 1983,339,345. 201 Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1981, 137ff.; Bodewig, GRUR Int. 1982, 686ff.; ders., GRUR Int. 1983, 59ff.; ders., GRUR Int. 1984, 317ff. 202 Bodewig, GRUR Int. 1981,713 ff.; Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1982,45 ff.
§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
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tionale Markenregistrierungssystem einzubeziehen 203 . Die USA und in ihrem Gefolge auch die übrigen wichtigsten Industriestaaten verweigerten jedoch die Ratifikation des TRT. Der TRT ist bislang lediglich von 14 Staaten unterzeichnet, jedoch von keinem ratifiziert worden204 • Im internationalen Markenschutz hat der TRT insgesamt bislang keine Rolle gespielt205 •
C. Die Weiterentwicklung des internationalen Markenschutzes im Rahmen des General Agreement on TaritTs and Trade (GATT) und im Rahmen der World Trade Organization (WTO) I. Die Ministererklärung von Punta dei Este
Am 20. September 1986 formulierten die Außen- und Wirtschaftsminister der damaligen 96 Vertragsparteien des General Agreement on Tariffs and Trade (GATI) den Beschluß, die "trade related aspects of intellectual property rights, including trade in counterfeit goods" zum Gegenstand der Uruguay-Runde des GATI zu machen 206• Diese GATI-Verhandlungen sollten unabhängig von entsprechenden Initiativen der WIPO durchgeführt werden207 . Hierdurch wurde ein entscheidender Richtungswechsel innerhalb des internationalen Markenschutzes vollzogen, da die Zuständigkeit für die Reformbemühungen im Hinblick auf das immaterielle Eigentum bis dato vornehmlich der WlPO als spezialisierter Sonderorganisation der UNO zugeschrieben wurde. Die Bedeutung dieser neuen Strategie, Lösungswege über das GATI zu suchen, überraschte die interessierte Fachwelt nicht zuletzt deshalb, weil sich das GATI im wesentlichen nur mit handelspolitischen Problemstellungen beschäftigte und sich die Erörterung eines neuen internationalen Schutzsystems des geistigen Eigentums im Rahmen des GATI an sich als thematischer Fremdkörper darstellte 208 • Im folgenden sollen zunächst die Gründe erörtert werden, die die internationale Staatengemeinschaft veranlaßte, den Weg einer Reform über das GATI zu wählen. 203 Vgl. allgemein zum TRT, Tilmann/v. Schleussner, GRUR Int. 1972.441 ff.; Derenberg, GRUR Int. 1973, 101 ff.; Steup/Tilmann, GRUR Int. 1974, 155 ff.; Bökel, Mitt. 1972. 221; Krieger, RIW 1AWD 1972, 153; ders., MA 1973,262; Madday, GRUR Int. 1970,81; Oppenhoff 1Sambuc, GRUR Int. 1970,236; Pfanner, DB 1972, 1569. 204 Vgl. Fezer, Markenrecht, MMA Vorb. Rnr. 4. 205 Vgl. zum Inhalt des TRT, Fezer, Markenrecht, MMA Vorb. Rnr. 5. 206 Dok. GATT 11396 (Ministerial Meeting, September 1986. Uruguay); 25 ILM 1623 (1986). Vgl. zur sachlichen Erweiterung der Verhandlungen in der Uruguay-Runde auch Buck/Baumann, in: Engels (Hrsg.), S. 131 ff. 207 Vgl. dazu den Wortlaut der Erklärung von Punta dei Este, auch abgedruckt bei Faupel, GRUR Int. 1990,255,257, Fn. 4. 208 Dies gilt aber nicht in bezug auf die Aspekte des Handels mit Piratenware, da dieses Thema bereits während der Tokyo-Runde des GATT diskutiert wurde.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz 11. Gründe für die Hinwendung zum GATT
Für die Favorisierung des GATI im Verhältnis zur PVÜ IWIPO durch die Staatengemeinschaft lassen sich verschiedene politische und juristische Gründe vortragen209 • Die Initiative zur Heranziehung eines Lösungswegs über das GATI wurde erstmals von den USA im Juli 1985 propagiert. Insbesondere die USA vertraten den Standpunkt, ein umfassendes Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums müsse im Rahmen des GATI verwirklicht werden, da eine unzureichende internationale Gewährleistung, insbesondere im Hinblick auf die Produkt- und Markenpiraterie, die Exportchancen der heimischen Industrie verschlechtere, zu immensen Verlusten führe und das Haushaltsdefizit stetig wachsen lasse 21O • Eine entsprechende Abhilfe sei durch die WIPO nicht zu erwarten, da diese Sonderorganisation durch das Blockdenken der Industriestaaten und der Entwicklungsländer und ihren gegenläufigen Gruppenegoismen gelähmt sei 211 • Darüber hinaus kamen die Vertragsstaaten des GATI auch darin überein, die Effektivität der bisherigen handelspolitischen Erfolge des GATI im Rahmen der Zollsenkungen durch die Erstrekkung der Verhandlungen auf die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse sicherzustellen und zu erhöhen 212 • Allerdings ist zu beachten, daß die Verhandlungen nach dem Beschluß von 1986 nicht kontinuierlich verliefen, sondern durch viele zeitaufreibende Rückschläge gekennzeichnet waren. Streitpunkt war vor allem, wie das Verhandlungsmandat von 1986 auszulegen sei. Auch in den GATI-Verhandlungen zeigte sich in diesem Zusammenhang zunehmend ein Konflikt zwischen den Industriestaaten, die grundsätzlich den weiten Verhandlungsansatz der USA unterstützten auf der einen Seite und den Entwicklungsländern auf der anderen Seite. Die Entwicklungsländer unter Führung von Indien, Brasilien und Ägypten lehnten es ab, ein umfassendes internationales Vertrags werk, das sich auf alle Bereiche des geistigen Eigentums erstrecken sollte, auszuhandeln. Im Rahmen des GATI könnten nur die Markenpiraterie und Urheberrechtsverletzungen erörtert werden. Für die übrigen Bereiche sei ausschließlich die WIPO als sachnähere Organisation zuständig 213 • Um die bisherigen Erfolge im GATI nicht gänzlich zu gefahrden, einigten sich die Vertrags209 Vgl. allgemein, Beier I Schricker (Hrsg.) GATI or WlPO ? New Ways in the International Protection of Industrial Property, 1989, insbesondere den Beitrag von Fikentscher, S. 99ff.; Ballreich, GRUR Int. 1987, 747ff.; Christians, S. 176ff.; Drexl, S. 292ff. 210 Faupel, GRUR Int. 1990,255. 2Il Näher zum amerikanischen Standpunkt, Kunz-Hallstein, in: Beier I Schricker, Gatt or WlPO? New Ways in the International Protection of Intellectual Property, 1989, S. 75 ff.; Cohen Jehoram, GRUR Int. 1989,23, 26f. 212 Trotzdem spielte das geistige Eigentum im ursprünglichen GATI-Text nur eine untergeordnete Rolle, vgl. z. B. Art. XX I Nr.llit.d) GATI. Vgl. dazu Schäfers, GRUR Int. 1996, 763,768f. 213 Faupel, GRUR Int. 1990,255,257.
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staaten darauf, ihre gegenteiligen Verhandlungspositionen als Zwischenbilanzen zu formulieren, die in den sog ...midterm-reviews" niedergelegt wurden214 . Daß die jahrelangen GATI-Verhandlungen zum Bereich des geistigen Eigentums letztendlich auf dem Mininstertreffen in Marrakesch im April 1994 erfolgreich endeten, ist neben den zuvor dargestellten politischen und wirtschaftlichen Beweggründen insbesondere auf diejenigen Vorteile zurückzuführen, die das GATI im Vergleich zur WIPO aus Sicht der Vertragstaaten bot. Das GATI basiert auf einer Resolution des Wirtschafts- und Sozialrates der UNO vom Februar 1946. Aufgrund dieser Resolution sollte eine internationale Konferenz über Handel und Beschäftigung mit der Zielsetzung einberufen werden, den Warenaustausch, die Produktion und den Verbrauch von Waren zu fördern. Zur Vorbereitung dieser Konferenz wurde am 30. 10. 1947 das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen abgeschlossen 215 . Das GATI wurde am 01. 01. 1948 vorläufig in Kraft gesetzt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß das Abkommen zum damaligen Zeitpunkt nicht von den Vertragstaaten - mit Ausnahme Haitis ratifiziert wurde. Die Unterzeichnerländer kamen jedoch überein, die GATIBestimmungen auf Grundlage des Protokolls über die vorläufige Anwendung des GATI vom 30.10.1947 anzuwenden. Dieses Abkommen war zunächst nur als eine Übergangslösung gedacht. Die Staatengemeinschaft ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, eine umfassendere Weltwirtschaftsordnung im Rahmen der ..Charter for an International Trade Organization (ITO) " (..Havanna-Charta") etablieren zu können. Die ITO sollte sich aus zwei Hauptteilen zusammensetzen. Die handelsbezogenen Aspekte sollten durch die ..Havanna-Charta", die monetären Aspekte durch die Schaffung eines Weltwährungsfonds abgedeckt werden 216 . Die ..Havanna-Charta" wurde im Jahre 1948 von 54 Staaten unterzeichnet, aber niemals ratifiziert. Als globales Handelsabkommen blieb lediglich das GATI bestehen. Demgegenüber wurden die internationalen monetären Zielsetzungen durch die Schaffung des Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung im Zuge der Verhandlungen von Bretton Woods im Jahre 1944 organisatorisch verwirklicht 217 • 214 Vgl. zum ergebnislosen ..midtenn-review" von Montreal (Dezember 1988), Krieger, DB 1989,865, 867f. Vgl. zum insgesamt erfolgreichen ..midtenn-review" von Genf (April 1989), Faupel, GRUR Int. 1990, 255, 258 ff. (das ..midtenn"-Ergebnis wird dort in Fn. 6 wiedergegeben). 215 BGBI. 1951 11, S. 173. Das GATI besteht nicht nur aus dem Übereinkommen vom 30.10. 1947. Es umfaßt zusätzlich Anlagen, Zollzugeständnisse und Vereinbarungen, die einzelne GATI-Vorschriften ergänzen und präzisieren, Ballreich, GRUR Int. 1987, 747, 749 Fn.lO. 216 Fikentscher, GRUR Int. 1995,529,530. 217 Abkommen über den Internationalen Währungsfonds vom 22. 07. 1944, BGBI. 1952 11, S. 638; Abkommen über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung vom 22.07. 1944, BGBI. 195211, S. 664.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Das GATI ist völkerrechtlich als ein multilateraler Vertrag anzusehen, der für die beteiligten Vertrags parteien gegenseitige Rechte und Pflichten begründet. Das GATI von 1947 ist daher im Gegensatz zur WIPO keine internationale, sondern eine autonome Organisation. Es kann als ein Kooperationsverhältnis unabhängiger Staaten bezeichnet werden und besitzt keine Völkerrechtspersönlichkeit218 • Dies erklärt sich nicht zuletzt aus seiner historischen Bedeutung als vorbereitendes Abkommen für die ITO. Zu den Zielen gehört vornehmlich die Liberalisierung des Welthandels durch den Abbau von Zöllen und anderen Handelsbarrieren. Der Handel zwischen den Vertragsstaaten soll darüber hinaus auf der Basis der Nichtdiskriminierung erfolgen. Das GATI von 1947 mit Sitz in Genf wird durch verschiedene Organe verwaltet219 • Als wichtigstes Organ ist die Vollversammlung der Vertragsparteien, Art. XXV GATI 1947 zu nennen. Jeder Vertraggspartner verfügt in der Versammlung über eine Stimme. Eine Stimmengewichtung, die sich an der ökonomischen Potenz einer Vertragspartei orientiert, findet nicht statt. Die Vollversammlung entscheidet gern. Art. XXV IV GATI 1947 mit Stimmenmehrheit, sofern das Abkommen keine anderen Bestimmungen trifft 220• Zur Entlastung der Vollversammlung wurde 1960 ein weiteres Organ, der sog. "Council of Representatives" (Rat der Vertreter, GATI-Rat) geschaffen. Dieser Rat setzt sich aus den Vertretern aller Vertragsparteien zusammen und führt die Geschäfte zwischen den Versammlungen. Daneben existiert ein "Committee on Trade and Development" (Ausschuß für Handel und Entwicklung, der die Erfüllung der Verpflichtungen, die die Vertragsstaaten in Teil IV des GATI 1947 übernommen haben, überwacht), eine "Consultive Group of 18" (Beratungsgruppe der 18, die den Welthandel beobachtet und für die Kooperation des GATI mit internationalen Organisationen zuständig ist) und eine große Anzahl weiterer Ausschüsse, die Spezialthemen koordinieren. Zum Verwaltungsaufbaugehört in Anknüpfung an die Verwaltungsstruktur der Sonderorganisationen der UNO auch ein eigenes Sekretariat, das von einem von den Vertragsparteien ernannten Generaldirektor geleitet wird. Die Fortentwicklung der GATI-Normen wird durch die sog. GATI-Runden der Vertragsparteien sichergestellt221 . Im Rahmen eines zwischen dem GATI und der PVÜ IWIPO vorzunehmenden Systemvergleichs222 fallen zunächst die divergierenden Abstimmungsverhältnisse auf. Im Hinblick auf die PVÜ müssen die Beschlüsse der Revisionskonferenzen einstimmig gefaßt werden 223 , während in der GATI-Versammlung grundsätzlich Ballreich, GRUR Int. 1987,747,749. Insoweit handelt es sich um einen faktischen Verwaltungsapparat und nicht um Organe im Rechtssinne. 220 Vgl. zu den Ausnahmen, Ipsen-Gloria, S. 568, 569. 221 z. B. Genf 1947, Annecy 1949, Torquay 1950/51; .. Kennedy-Runde" 1964-1967; ..Tokyo-Runde" 1973-1979; .. Uruguay-Runde" 1986-1994. 222 Vgl. auch Meesen, Journal of World Trade Law, Vol. 21, 1987, S. 67ff.; Christians, passim. 223 Bal1reich / Kunz-Hal1stein, GRUR Int. 1977, 251 ff. 218
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eine einfache Stimmenmehrheit genügt. Hierdurch ergibt sich im Rahmen des GATI eine Verfahrenserleichterung und Verfahrensbeschleunigung, die insbesondere den Interessen der Industriestaaten entgegenkommt. Zu beachten ist jedoch, daß die Beschlüsse der jeweiligen Gremien unterschiedliche Rechtsqualität besitzen. Während die Beschlüsse der PVÜ-Revisionskonferenz verbindliches Recht für die Verbands staaten schaffen, handelt es sich bei den Beschlüssen der GATIVersammlung um Empfehlungen, die von den Vertragsparteien ignoriert werden können 224 • Ein weiterer wichtiger Unterschied ist darin zu erblicken, daß die PVÜ vom Territorialitätsprinzip beherrscht wird, während im GATI das Universalitätsprinzip225 durch Schaffung einer materiellrechtlich vereinheitlichten Handelsrechtsordnung verankert wurde. Im Rahmen dieses Systemunterschieds erscheint das Territorialitätsprinzip jedoch nicht als nachteilig, weil die fehlende Rechtsvereinheitlichung durch das Prinzip der Gleichstellung von In- und Ausländern vor dem Recht des Inlands und durch die Gewährung bestimmter Mindestrechte ausgeglichen wird226 • Darüber hinaus erscheint auch die PVÜ in dem Sinne als "universal", weil sie gern. Art. 21 I PVÜ jedem verbandsfremden Staat zum Beitritt offensteht 227 . Auch das Prinzip der Reziprozität wird im GATI und in der PVÜ in unterschiedlicher Weise eingesetzt. Das GATI wird von der Grundforderung nach einer strikten Gegenseitigkeit der Handelsbeziehungen der Vertragsparteien beherrscht. Die Gegenseitigkeit wird hier als Grundlage der Ausweitung des internationalen Handels angesehen. Allerdings gilt dieses Prinzip nicht uneingeschränkt. Bereits im Jahre 1965 wurde Teil IV in das GATI eingefügt. Danach wird den Vertragsparteien des GATI die Option eingeräumt, durch globale Zollpräferenzen zugunsten bestimmter Produkte aus den Entwicklungsländern deren wirtschaftliche Prosperität zu steigern. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit gilt folglich nur noch zwischen GATI-Staaten derselben Entwicklungsstufe 228 • Demgegenüber ist der PVÜ nach h.M. der Grundsatz der Reziprozität fremd 229 • Aber auch aus diesem Befund ergibt sich kein Nachteil der PVÜ im Verhältnis zum GATI. Das materielle Gegenseitigkeitsprinzip bewirkt, daß die Anwendung einer völkerrechtlichen Bestimmung von der Prüfung zweier Rechtsordnungen (nationales Recht und ausländisches Recht) abhängig ist. Hierdurch erhöht sich die Komplexität der Einzelfallprüfung unter Ballreich, GRUR Int. 1987,747,751. Zur Idee des Universalitätsprinzips im internationalen Markenrecht, Katz, S. 101 ff.; vgl. auch Sosnitza, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1998, S. 181 ff. 226 Vgl. zur Diskussion der Vor- und Nachteile des Territorialitätsprinzips und des Universalitätsprinzips im System des internationalen Schutzes des geistigen Eigentums, Drexl, S. 34ff.; Christians, S. 100ff.; Buck, S. 26ff. Kritisch zum Territorialitätsprinzip, Meesen, Journal of World Trade Law, Vol. 21, 1987, S. 67, 68; kritisch zum Universalitätsprinzip, Ulmer, RabelsZ 41 (1977),479 ff. 227 Vgl. auch Ballreich, GRUR Int. 1987,747,752. 228 Ballreich, GRUR Int. 1987,747,752. 229 Vgl. 2. Kapitel, § 2, S. 62. 224 225
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
gleichzeitiger Reduktion der Rechtssicherheit23o • Das Gegenseitigkeitsprinzip führt zwar dazu, den Druck auf einen Vertragsstaat zu erhöhen, das in seinem Territorium bislang geltende Schutzniveau zu verbessern. Auf der anderen Seite ist das Kriterium der Reziprozität auch ein Mittel zur Schutzeinschränkung231 • Von besonderer Bedeutung für einen Systemvergleich zwischen GATT und PVÜ IWIPO ist das Prinzip der Meistbegünstigung. Ebenso wie das Prinzip der Inländerbehandlung ist die Meistbegünstigung als eine besondere Ausprägung des völkerrechtlichen Diskriminierungsverbots anzusehen. Im Rahmen des GATT handelt es sich hierbei um das maßgebliche Basisprinzip, das der Etablierung eines weltweiten Freihandels diene 32 • Es besagt im wesentlichen, daß der meistbegünstigte Staat in den Genuß aller Vergünstigungen gelangen soll, die einem dritten Staat eingeräumt wurden oder künftig eingeräumt werden. Die Meistbegünstigung bewirkt daher, daß bilateral vereinbarte völkerrechtliche Regelungen eine zusätzliche multilaterale, d. h. universale Wirkung entfalten. Im GATT wurde eine allgemeine und unbedingte Meistbegünstigungsklausel verankert. Gern. Art. I I GATT 1947 sind die Vertragsparteien verpflichtet, alle Vorteile, Vergünstigungen, Vorrechte und Befreiungen, die für Waren einer Vertragspartei gewährt werden, unverzüglich und bedingungslos für alle gleichartigen Waren zu gewähren, die aus dem Gebiet aller anderer Vertragstaaten stammen. Die Meistbegünstigung bezieht sich sachlich auf Zölle, Ein- und Ausfuhrabgaben, Ein- und Ausfuhrverfahren sowie auf die Anwendung innerer Abgaben auf Ein- und Ausfuhrgüter. Die Unbedingtheit dieser Meistbegünstigung bedeutet, daß ihre Effekte nicht von Prämissen abhängig gemacht werden dürfen, die an den Grenzübertritt der Waren anknüpfen. Darüber hinaus erhalten die begünstigten Staaten hierdurch auch diejenigen handelsrechtlichen Erleichterungen, die anderen Ländern nur für bestimmte Gegenleistungen eingeräumt wurden. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß das Prinzip der Meistbegünstigung im GATT nicht uneingeschränkt zur Anwendung gelangt. Art. I 11 GATT 1947 begründet für die Vertragsparteien die Befugnis, bestimmte Zollpräferenzen beizubehalten (z. B. in bezug auf Commonwealth-Sonderregelungen). Desweiteren besteht für die Vertragsstaaten die Möglichkeit, sich zu Zollunionen oder Freihandelszonen zusammenzuschließen, Art. XXIV IV-X GATT 1947233 • Art. XXIV IV GATT 1947 beinhaltet aber ein besonderes Diskriminierungsverbot dergestalt, daß die Zollunionen und Freihandelszonen dem Zweck dienen müssen, den Handel zwischen den teilnehmenden Parteien zu erleichtern, nicht aber den Handel anderer Vertrags staaten in diesen SonBuck, S. 95. Drexl, S. 124. 232 Daneben sind noch das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen, Art. XI I GATT 1947 und die Dumping- und Subventionsabwehr, Art. VI I, XVI I GATT 1947 zu nennen. Schließlich muß das warenbezogene Prinzip der Inländerbehandlung, Art. III GATT 1947, beachtet werden. 233 Als wichtigstes Beispiel kann in diesem Zusammenhang die EU genannt werden. 230
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§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
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dergebieten einzuschränken. Eine weitere Limitierung des Meistbegünstigungsprinzips enthält zudem Teil IV des GATT 1947. Die Meistbegünstigung der GATT-Staaten ist davon abhängig, daß die bilateral oder multilateral ausgehandelte Zollreduzierungsvereinbarung in eine Zoll-Liste eingetragen wird. Das GATT wird hierdurch ergänzt und erneuert, um allen GATTStaaten diese Vergünstigung zukommen zu lassen. Die ursprüngliche Reduzierung wird somit universalisiert. Im Unterschied dazu haben die Verbandsstaaten der PVÜ darauf verzichtet, eine Meistbegünstigungsklausel in dieses Regelungswerk einzufügen. Stattdessen wurde der Weg über die Inländerbehandlung und die Gewährung von Mindestrechten gewählt. Auch die Bewertung des Meistbegünstgungsprinzips erscheint ambivalent. Die Meistbegünstigung ist insgesamt dazu geeignet, das zwischen den Vertragsparteien eines universal wirkenden völkerrechtlichen Vertrages geltende Schutzniveau stetig zu erhöhen, da insbesondere bilaterale Vertragswerke, die Vergünstigungen enthalten, berücksichtigt werden können. Hierdurch besteht die Chance, die ökonomische Entwicklung der Vertragsparteien zu fördern und den Technologietransfer zu unterstützen 234 . Gegen die Meistbegünstigung spricht jedoch, daß die Gefahr einer Schutzstagnation nicht ausgeschlossen werden kann. Die Vorleistungsverpflichtung eines Staates ist im Verhältnis zur Gewährung einer Inländerbehandlung größer. Die Inländerbehandlung orientiert sich ausschließlich am nationalen Recht des jeweiligen Staates, während im Rahmen der Meistbegünstigung auf andere völkerrechtliche Vereinbarungen zurückgegriffen wird (fremdenrechtliche Regelungen)235. Darüber hinaus liegt die Meistbegünstigung letztendlich nur im Interesse deIjenigen Staaten, die über ein geringes eigenes Schutzniveau verfügen bzw. - bezogen auf das GATT - bislang hohen Zöllen ausgesetzt sind. Für die insoweit privilegierten Staaten folgen hieraus keine weiteren Vorteile, über die sie nicht auch jetzt schon verfügen können. Schließlich ergeben sich Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung des Meistbegünstigungsprinzips im Hinblick auf den Schutz geistigen Eigentums, weil insofern zunächst festgestellt werden muß, welche besonderen bilateralen oder multilateralen Abkommen das jeweilige Schutzland abgeschlossen hat 236 . Das Meistbegünstigungsprinzip stellt sich daher nicht als ein überragender Vorteil des GATT dar, um den Schutz des immateriellen Eigentums auf internationaler Ebene entscheidend voranzutreiben. Abschließend kommt ein struktureller Unterschied zwischen GATT und PVÜ in bezug auf die Regelungen der Streitbeilegung in Betracht. Das jeweilige System der Streitbeilegung ist von großer Bedeutung, weil der gewährte Schutz nur so Drexl, S. 351 ff. Buck, S. 87. 236 Drexl, S. 351 ff.; Buck, S. 88. Dieses Problem besteht aber im Rahmen des GATI-Verfahrens bei Zolltarifen (Eintragung in die Zoll-Liste) nicht. 234 235
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
effektiv sein kann, wie entsprechende Durchsetzungsmechanismen bestehen. Das völkerrechtliche Prinzip der friedlichen Streitbeilegung findet seine kodifizierte Grundlage in Art. 2 Nr. 3 UN-Charta. Die diplomatischen Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung sind in den Artt. 33 ff. UN-~harta niedergelegt. Im Rahmen des GATI ist das Streitbeilegungsverfahren dergestalt ausgebildet, daß bei einem gravierenden PflichtverstoB seitens eines Vertragsstaates, die übrigen Vertragsparteien in ihrer Gesamtheit, d. h. durch die GATI-Versammlung, die von dieser Pflichtverletzung betroffene Partei von ihren eigenen Verpflichtungen gegenüber dem Verletzer freistellen können, sofern vorherige Verhandlungen zwischen den Beteiligten erfolglos geblieben sind. Die betroffene Partei darf andere völkerrechtliche Reaktionsmittel 237 nicht einsetzen 238 • Diese Befreiungswirkung und Sanktionsermächtigung als ultima ratio im GATI-Streitbeilegungsverfahren steht allerdings unter dem Vorbehalt, daß hierdurch die "Harmonie des Gesamtsystems" nicht gestört wird. Demzufolge wurde dieser Mechanismus bislang nur in einem einzigen Fall (Zollstreit zwischen den Niederlanden und den USA aus dem Jahre 1952) herangezogen 239 • Praktisch bedeutsamer sind demgegenüber die "Guten Dienste" und Vermittlungen, die im GATI sowohl vom Sekretariat als auch von der Versammlung, inklusive ihrer Ausschüsse, als Vorschaltinstanzen (,,Drittpartei") angeboten werden. Einen anderen Weg der Streitbeilegung beschreitet die PVÜ. Sofern die Streitigkeiten zwischen den Verbandsstaaten nicht auf dem Verhandlungsweg beigelegt werden können, kann der IGH angerufen werden, der dann eine für die Parteien bindende Entscheidung trifft, Art. 28 I PVÜ240 • In diesem Zusammenhang besteht jedoch die Möglichkeit, daß sich ein Verbandsstaat gern. Art. 28 11 PVÜ von dieser vorgesehenen Streitschlichtung freizeichnet. Desweiteren bestimmt Art. 28 I PVÜ, daß die beteiligten Staaten eine andere Regelung als den Gang vor den IGH vereinbaren können241 • In der Praxis wurde bislang weder der IGH angerufen, noch eine andere Regelung getroffen 242 . Etwaige Streitigkeiten wurden daher auf dem vorgeschalteten Verhandlungs wege bereinigt. Ein Vergleich der Streitbeilegungsysteme zeigt, daß bei den nur eine theoretische Bedeutung zukommt. Beide Wege sind mit zahlreichen Vorbehalten versehen, so daß eine effektive Rechtsdurchsetzung erschwert wird. Das GATI kann für sich den Vorteil verbuchen, mit der Sanktionsermächtigung über das wirksamere Durchsetzungsmittel zu verfügen. Dieser Vorteil besteht jedoch nach den bisheZ. B. ein autonom festgelegtes Leistungsverweigerungsrecht oder eine Retorsion. Hiervon unberührt bleibt aber die Möglichkeit, politischen und wirtschaftlichen Druck auf den Verletzer auszuüben. 239 Vgl. Ballreich, GRUR Int. 1987,747,754. 240 Diese Vorschrift wurde durch die Stockholmer Revisionskonferenz 1967 eingeführt. 241 Schließlich besteht nach Durchführung des Verfahrens vor dem IGH keine Vollstrekkungsmöglichkeit, falls sich ein Staat einer Entscheidung des IGH nicht unterwirft. 242 Buck, S. 190. 237 238
§ 3 Reformversuche und Reformbestrebungen
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rigen Erfahrungen nur in der Theorie, so daß es nicht gerechtfertigt erscheint, das GATT nur aus diesem Grunde zu bevorzugen und mit der Zuständigkeit für die Reform des internationalen gewerblichen Rechtsschutzes zu betrauen. Als Ergebnis bleibt insgesamt festzuhalten, daß die Analyse der Schutzsysteme grundsätzlich keine nennenswerten Vorteile zugunsten des GATT hervorgebracht hat243 . Als praktischer Vorzug bleibt lediglich das einfachere Abstimmungsverfahren im Rahmen des GATT bestehen. Die Hinwendung zum GATT ist daher politisch motiviert gewesen, nicht jedoch juristisch determiniert.
m. Der Abschluß der Uruguay-Runde und die Entstehung der WTO Die 1986 eröffnete Uruguay-Runde endete formell auf dem Ministertreffen in Marrakesch am 15. April 1994. Im Zuge dieser Konferenz wurde das bislang bestehende GATT auf Grundlage der Marrakesch-Schlußakte in die WTO transformiert 244 • Die Zielsetzung, die diesem Vorgang zugrunde lag bestand darin, das bislang immer noch als Provisorium angesehene GATT in einer neuen, schlagkräftigen Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit24S zu verankern. Die WTO knüpft organisatorisch an das GATT an. So wurde beispielsweise das seit 1947 in Genf bestehende GATT-Sekretariat in die WTO integriert, Artt. VI, XVI 11 WTO-Übereinkommen. Der weitere Verwaltungsaufbau der WTO richtet sich nach Art. IV WTO-Übereinkommen 246 • Die WTO erhält als Organe die Ministerkonferenz (Art. IV I WTO-Übereinkommen)247, einen Allgemeinen Rat (Art. IV I WTO-Übereinkommen)248, spezielle Räte 249 und Ausschüsse25o • Vgl. auch Ballreich, GRUR Int. 1987,747, 755ff.; Christians, S. 104ff. Diese Schlußakte über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde ist abgedruckt in BT-Drucks. 12/7655 (neu), S. 192ff. Das WTO-Übereinkommen als Herzstück der Schlußakte wird wiedergegeben a. a. 0., S. 194 ff. 245 Art. VIII I WTO-Übereinkommen. 246 Vgl. dazu auch Schäfers, GRUR Int. 1996,763,768. 247 Die Ministerkonferenz ist das höchste Gremium der WTO. Es tritt mindestens einmal alle zwei Jahre zusammen und nimmt die Aufgaben der WTO (niedergelegt in Art. III WTOÜbereinkommen) wahr. Die erste Ministerkonferenz der WTO hat vom 09.12.-13. 12. 1996 in Singapur stattgefunden. 248 Der Allgemeine Rat setzt sich aus Vertretern aller Mitglieder zusammen und nimmt zwischen den Tagungen der Ministerkonferenz deren Aufgaben wahr. 249 Gern. Art. IV V WTO-Übereinkommen wird ein Rat für den Handel mit Waren, ein Rat für den Handel mit Dienstleistungen und ein Rat für die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (sog. "Rat für TRIPS", vgl. Art. 68 TRIPS-Abkommen) etabliert. Diese besonderen Räte stehen unter der Leitung des Allgemeinen Rates und können gern. Art. IV VI WTO-Übereinkommen nachgeordnete Gremien einsetzen. 250 Gern. Art. IV VII WTO-Übereinkommen setzt die Ministerkonferenz einen Ausschuß für Handel und Entwicklung, einen Ausschuß für Zahlungsbilanzbeschränkungen sowie 243
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Im Rahmen der Schaffung der WTO wurde insbesondere das Streitschlichtungssystem des GAIT 1947 reformiert. Das allgemeine Streitbeilegungsverfahren ist in Art. XXII und Art. XXIII GAIT 1994 niedergelegt. Diese Vorschriften gelten beispielsweise gern. Art 64 TRIPS-Abkommen auch für die TRIPS-Streitbeilegung251. Von besonderer Bedeutung für die gesamte Streitbeilegung nach dem WTOSystem ist das sog. "Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes" (DSU)252. Diese Vereinbarung ist das eigentliche Herzstück der neuen Streitbeilegung253 . Gern. Art. 3 11 DSU ist das Streitbeilegungssystem der WTO ein zentrales Element zur Schaffung von Sicherheit und Vorhersehbarkeit im multilateralen Handelssystem durch Auslegung der Abkommen in Übereinstimmung mit den Auslegungsregeln des Völkerrechts. Die Verwaltung des Streitbeilegungssystems wird von einem speziellen Streitbeilegungsgremium, dem sog. Dispute Settlement Body (DSB) gern. Art. 2 DSU übernommen. Bevor sog. Panels zur Streitbeilegung eingesetzt werden, versuchen die betroffenen Mitglieder, ihren Streit durch Konsultationen, Gute Dienste, Vergleiche und Vermittlungen zu beenden, Art. 4 und 5 DSU. Falls die beschwerdeführende Partei dies beantragt, wird - ebenso wie nach altem GAIT-Recht - ein Panel gern. Art. 6 DSU zur Streitbeilegung eingesetzt 254 . Gern. Art. 11 DSU besteht die Aufgabe der Panels allgemein darin, das DSB bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu unterstützen 255 . Das jeweilige Panel ist daher dafür zuständig, den im Einzelfall maßgeblichen Sachverhalt und die anwendbaren Bestimmungen objektiv zu beurteilen. Das Panel erstellt einen entsprechenden Bericht. Gern. Art. 16 IV DSU erfolgt die Annahme des Panel-Berichts durch das DSB, falls nicht ein Mitglied innerhalb von 60 Tagen nach Erlaß des Berichts dem DSB die Anrufung des sog. Standing Appellate Body (SAB, Ständiges Berufungsgremium) mitteilt oder das DSB einstimmig den Bericht ablehnt. Das SAß wird gern. Art. 17 DSU eingerichtet. Es handelt sich hierbei um eine Berufungskammer, die sich aus sieben Personen zusammensetzt. Die Mitglieder werden vom DSB für eine Amtszeit von vier Jahren ernannt. Eine einen Ausschuß für Haushalt, Finanzen und Verwaltung (vgl. auch Art. VII WTO-Übereinkommen) ein. Die Mitgliedschaft in diesen Ausschüssen steht den Vertretern aller Mitgliedstaaten offen. 251 Allgemein dazu Geiler, GRUR Int. 1995,935 ff. 252 Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten, Anlage 2 zum WTO-Übereinkommen. Zu den Auswirkungen des "New Dispute Settlement System" auf das Gemeinschaftsrecht, Beneyto, EuZW 1996, 295 ff. 253 Allgemein zum WTO-Streitbeilegungsverfahren, Petersmann, The GATT IWTO Dispute Settlement System, passim. 254 Gern. Art. 26 DSU kommt als alternatives Mittel der Streitbeilegung auch ein beschleunigtes Schiedsverfahren in Betracht, wenn sich die beteiligten Parteien einvernehmlich hierauf verständigen. 255 Die Zusammensetzung der Panels erfolgt auf Grundlage des Art. 8 DSU. Das jeweilige Panel besteht aus hochqualifizierten Personen, die dem öffentlichen Dienst angehören können, aber nicht müssen, Art. 8 I DSU. Gern. Art. 8 IX DSU sind die Mitglieder der Panel nicht an Weisungen der Mitgliedstaaten gebunden. Sie sind insoweit unabhängig.
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Wiederernennung ist einmal möglich, Art. 17 n DSU. Das SAß ist organisatorisch und funktionell insgesamt wie ein internationaler Gerichtshof ausgestaltet. Gern. Art. 17 VI DSU beschränkt sich die Überprüfungskompetenz des SAß auf die in dem Panel-Bericht behandelten Rechtsfragen und auf die Rechtsauslegung durch das Panel. Nach deutschem Rechtsverständnis ist das Ständige Berufungsgremium daher als eine Art Revisionsinstanz anzusehen. Gern. Art. 17 XIV DSU wird ein Bericht des Berufungsgremiums vom DSB angenommen und von den Streitparteien bedingungslos übernommen, sofern das DSB nicht innerhalb von dreißig Tagen nach Verteilung des Berichts an die Mitglieder durch Konsens beschließt, den Bericht des Berufungsgremiums nicht anzunehmen. Diese Bestimmung verdeutlicht die besondere Stellung, die das SAß als neue internationale Rechtsmittelinstanz im Rahmen der WTO-Ordnung genießt. Nach altem GATT-Recht war die Annahme eines Panel-Berichts davon abhängig, daß alle Vertragsparteien, d. h. auch der unterlegene Vertragsstaat, im GATT-Rat der Annahme zustimmten. Dieses völkerrechtliche Konsensprinzip erfährt im neuen WTOSystem eine entscheidende Umkehrung. Nunmehr bedarf die Ablehnung eines Konsenses der Mitglieder. Die Unterwerfung unter die Judikatur des neugeschaffenen SAB wird hierdurch entscheidend verstärkt. Das obsiegende Mitglied hat daher jetzt die Möglichkeit, die Entscheidung des SAß und des DSB auch gegen den Willen des Unterlegenen mit WTO-Mitteln durchzusetzen. Gern. Art. 19 I DSU empfiehlt das Panel oder das Berufungsgremium dem unterlegenen Mitglied, wie es den Verstoß gegen die WTO-Bestimmungen beseitigen kann. Gern. Art. 21 DSU überwacht das DSB die Umsetzung der Empfehlungen und der Entscheidungen. Als Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtbeachtung stehen gern. Art. 22 DSU Entschädigungszahlungen und das Aussetzen von Zugeständnissen oder sonstigen Pflichten nach WTO-Vorschriften zur Verfügung256 • Die Aussetzung von Zugeständnissen oder sonstigen Pflichten wird in Art. 22 In DSU spezifiziert. In diesem Zusammenhang gilt der allgemeine Grundsatz, daß sich die Aussetzung auf denjenigen Sektor5? beziehen muß, in dem der Verstoß gegen WTO-Vorschriften festgestellt wurde. Der Übergang vom GATT zur WTO wurde am 0 I. 01. 1995 vollzogen. Im zweiten Halbjahr 1999 hatte die WTO insgesamt 135 Mitglieder258 . Weitere 30 Staaten verhandeln gegenwärtig über einen Beitritt, darunter auch die Russische Föderation und China259 • In Deutschland stimmten Bundestag und Bundesrat dem WTOÜbereinkommen mit Wirkung vom 10.09.1994 ZU 260 • 256 Diese Maßnahmen sind jedoch subsidiär gegenüber der vollen Umsetzung einer Empfehlung. 257 Art. 22 III lit.f) DSU. 258 Gern. Art. XI I WTO-Übereinkommen werden die Vertragsparteien des GATI 1947 und die Europäischen Gemeinschaften als ursprüngliche Mitglieder der WTO bezeichnet. Im Gegensatz zum GATI erhält die EG nunmehr offiziell den Status einer Vertragspartei. Im GATI wurde sie lediglich als de facto-Partei angesehen. Näher zur Liste der aktuellen Mitgliedstaaten der WTO, www.wto.org. 259 FAZ vom 09. 12. 1996, S. 15.
7 Spuhler
2. Kap.: Der internationale Markenschutz
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Das Abkommen zur Errichtung der WTO kann insgesamt als ein organisatorisches Dachabkommen bezeichnet werden. Unter diesem Dachabkommen wurden verschiedene sektorielle Abkommen zusammengefaßt. In diesem Zusammenhang kann zwischen multilateralen und plurilateralen Abkommen unterschieden werden. Der Beitritt zu den plurilateralen Abkommen 261 hängt von einer speziellen Willenserklärung des WTO-Mitglieds ab, Art. XII m WTO-Übereinkommen. Soweit ein Beitritt erfolgt ist, gilt das plurilaterale Abkommen gern. Art. 11 m WTO-Übereinkommen als Bestandteil des WTO-Übereinkommens im Hinblick auf diesen Staat. Für einen nicht beitretenden Staat entfalten diese plurilateralen Abkommen weder Rechte noch Pflichten. Demgegenüber erfolgt die Mitgliedschaft in bezug auf die multilateralen Abkommen gern. Art. XIV I S. 2 WTO-Übereinkommen automatisch mit Annahme des WTO-Übereinkommens 262 . Zu diesen multilateralen Abkommen (Anlage I zum WTO-Übereinkommen) gehören die Abkommen über den Handel mit Waren, insbesondere das GATT 1994 (Anlage 1 A), das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS, Anlage 1 B) und das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (1RIPS-Abkommen, Anlage 1 C)263. Aufgrund dieser Konstellation ist das 1RIPS-Abkommen kein eigenständiger völkerrechtlicher Vertrag, sondern ein Zusatzübereinkommen, das institutionell in den Rahmen der WTO eingebunden ist.
IV. Das Abkommen über "Trade-Related Aspects of Intellectual Property R1ghts" (TRIPS)
Im Zuge des Uruguay-Mandats vom 20. 09. 1986 wurden die Verhandlungen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) aufgenommen 264 . Die USA hatten in diesem Zusammenhang den Wunsch geäußert, im Rahmen des GATT ein generelles Schutzabkommen im Bereich des geistigen Eigentums abzuschließen. Die EG und deren Mitgliedstaaten betonten demgegenüber jedoch, daß ausschließlich die handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentums im GATT erörtert werden sollten. Dieser beschränkte Verhandlungsansatz hat seinen Niederschlag nicht zuletzt im Titel des TRIPS-Abkommens gefunden. BGB\. 11, S. 1438. Hierzu gehören insgesamt vier Abkommen (Anlage IV zum WTO-Übereinkommen): Das Abkommen über den Handel mit zivilen Luftverkehrsmitteln, das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, die Internationale Übereinkunft über Milcherzeugnisse und die Internationale Übereinkunft über Rindfleisch. 262 Sog. Gesamtpaket, vg\. EuGH, GRUR Int. 1995,239. 263 BT-Drucks. 12 17655 (neu), S. 299ff. 264 Zum Ablauf der Verhandlungen zum TRIPS-Abkommen, Schäfers, GRUR Int. 1996, 763, 769f.; Buck, S. 166ff. Dem TRIPS-Abkommen gehören heute 134 Vertragparteien an, vg\. GRUR Int. 1999,427 -429. 260
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§ 3 Reformversuche und Reformbestrebungen
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I. Ziele und Struktur des TRIPS-Abkommens
Die allgemeine Zielsetzung dieses Zusatzvertrages zum wrO-Übereinkommen ist in der Präambel zum TRIPS-Abkommen verankert worden. Danach streben die Mitglieder an, Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels zu verringern und die Rechte des geistigen Eigentums 265 zu fördern. Dabei soll sichergestellt werden, daß diese eingeräumten Rechte nicht selbst zu Schranken für den rechtmäßigen Handel werden. Sinn und Zweck des TRIPS-Abkommens ist es insgesamt, die weltweite Verstärkung und Harmonisierung des Schutzes des geistigen Eigentums zu erreichen 266 • Das TRIPS-Abkommen umfaßt insgesamt sieben Teile. Im ersten Teil (Artt. 18 TRIPS-Abkommen) sind die allgemeinen Bestimmungen und die Grundprinzipien enthalten. Teil II (Artt. 9-40 TRIPS-Abkommen) umfaßt bestimmte materiellrechtliche Normen und Verfahrensvorschriften. Teil m (Artt. 41-61 TRIPSAbkommen) beschäftigt sich demgegenüber mit der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Im IV. Teil (Art. 62 TRIPS-Abkommen) ist die Durchführung von Verfahren zum Erwerb und zur Aufrechterhaltung von Rechten des geistigen Eigentums in Grundzügen geregelt. Teil V (Artt. 63, 64 TRIPS-Abkommen) kodifiziert die Prinzipien der Streitvermeidung und-beilegung. Im VI. Teil (Artt. 6567 TRIPS-Abkommen) finden sich Übergangsregelungen zur Anwendung der TRIPS-Bestimmungen267 • Der VII. Teil beinhaltet institutionelle Regelungen und Schlußbemerkungen. 2. Überblick über den markenrechtlich relevanten Inhalt des TRIPS-Abkommens
a) Die im TRIPS-Abkommen verankerten Grundprinzipien Bereits aus der Präambel des TRIPS-Abkommens wird deutlich, daß sowohl die Grundprinzipien des GATT 1994 als auch der internationalen Übereinkünfte über das geistige Eigentum Anwendung finden sollen. Das TRIPS-Abkommen will nicht hinter dem bereits erreichten Schutzstandard dieser völkerrechtlichen Verträge zurückbleiben. 265 Gern. Art. 1 11 TRIPS-Abkommen umfaßt der Begriff "geistiges Eigentum" im Sinne dieses Abkommens alle Arten des geistigen Eigentums, die Gegenstand der Abschnitte 1 - 7 des Teils 11 des TRIPS-Abkommens sind. Hierzu gehören demnach Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, Marken, gewerbliche Muster und Modelle, Patente und sog. nicht offenbarte Informationen (confidential information). 266 Vgl. EuGH, Gutachten 1/94, Sig. 1994,1-5267 = GRUR Int. 1995,239,240. 267 Gern. Art. 65 I TRIPS-Abkommen besteht eine allgemeine Übergangsfrist von einem Jahr nach Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens. Diese Frist ist für Deutschland am 31. 12. 1995 abgelaufen. Die Entwicklungsländer und die am wenigsten entwickelten Länder können verlängerte Sonderfristen nach Art. 65 11, Iß und Art. 66 TRIPS-Abkommen in Anspruch nehmen, die sich jedoch nicht auf die Art. 3,4 und 5 TRIPS-Abkommen beziehen.
7'
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
aa) Inländerbehandlung Gern. Art. 3 TRIPS-Abkommen wird zunächst der Grundsatz der Inländerbehandlung festgeschrieben. Dieser Grundsatz ist bereits aus Art. 2 PVÜ und dem GATf 1994 bekannt. Ebenso wie im Rahmen der PVÜ bewirkt die Inländerbehandlung, daß den Ausländern derselbe Schutzstandard im Schutzland zu gewähren ist wie den Inländern. Eine mögliche Besserstellung der Ausländer wird auch hier unter dem Gesichtspunkt der Inländerdiskriminierung in Kauf genommen. In Anknüpfung an die Rechtslage im GATf und in der PVÜ, die im Hinblick auf die allgemeinen Grundprinzipien als Vorbilder des TRIPS-Abkommens fungieren, sind die Regelungen des TRIPS-Abkommens als fremdenrechtlicher Mindeststandard konzipiert worden; sie weisen nicht den Charakter einer Harmonisierungsverpflichtung für die Mitglieder auf268 . Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 1 m S. 1 TRIPS-Abkommen, wonach die Mitglieder des TRIPS die in diesem Abkommen festgelegte Behandlung (lediglich) den Angehörigen der anderen Mitglieder gewähren. Aber auch hier ergibt sich ein mittelbarer Harmonisierungsdruck mit dem Ziel, niedrigere Schutzstandards für Inländer zu beseitigen. Die Inländerbehandlung gilt jedoch nicht ausnahmslos. Art. 3 I TRIPS-Abkommen stellt klar, daß die bislang in den internationalen völkerrechtlichen Verträgen vorgesehenen Einschränkungen und Vorbehalte zu berücksichtigen sind 269 . Diese Ausnahmen müssen allerdings im Einklang mit den Vorschriften des TRIPSAbkommens stehen und dürfen keine verschleierte Handelsbeschränkung darstellen27o•
bb) Meistbegünstigung Das Prinzip der Meistbegünstigung war bislang nicht Bestandteil der internationalen Abkommen zum Markenschutz. Diese Tradition ist nunmehr durch Art. 4 TRIPS-Abkommen beendet worden 271 • Die dort enthaltene Meistbegünstigungsklausel beruht rechtshistorisch auf der handelspolitischen Regelung des Art. I I GATf 1947. 268 Schäfers, GRUR Int. 1996,763,770,771; Katzenberger, GRUR Int. 1995,447,459; a.A. Ullrich, GRUR Int. 1995,623,632. 269 Im Hinblick auf den internationalen Markenschutz z. B. Art. 2 III PVÜ. Vgl. auch Art. 5 TRIPS-Abkommen. 270 So bereits die Präambel und Artt. 8,41 TRIPS-Abkommen. Der Wortlaut des Art. 3 I TRIPS-Abkommen fUhrt daher zu dem Ergebnis, daß die dort genannten Einschränkungen der Inländerbehandlung mit dem TRIPS-Abkommen vereinbar sind und akzeptiert werden. 271 Vgl. zur ursprünglich ablehnenden Haltung der EG, Schäfers, GRUR Int. 1996, 763, 771.
§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
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Auch im Rahmen des internationalen Schutzes des geistigen Eigentums gilt folglich, daß Angehörige eines 1RIPS-Mitglieds nicht schlechter gestellt werden dürfen als die Angehörigen eines anderen TRIPS-Mitglieds. Das Prinzip der Meistbegünstigung richtet sich daher im Verhältnis zur Inländerbehandlung an einen anderen Adressaten- und Begünstigtenkreis. Die Meistbegünstigung strebt eine Schutzgleichstellung zwischen den Ausländern verschiedener TRIPS-Mitglieder im Schutzland an und nicht die Verhinderung einer Diskriminierung zwischen In- und Ausländern im Schutzstaat. Diese positive Zielsetzung wird jedoch - ebenso wie im GATT - durch eine Fülle von Ausnahmen, die den TRIPS-Mitgliedern zur Wahrung ihrer Souveränität zugestanden werden und in Art. 4 lit.a)-d) 1RIPS-Abkommen verankert wurden 272 , letztendlich ausgehöhlt. Dieser Ausnahmekatalog verdeutlicht zudem, daß jenseits des gewährten 1RIPS-Mindeststandards eine reziproke Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten angestrebt wird, die auch als Druckmittel dahingehend eingesetzt werden kann, ein 1RIPS-Mitglied, das bislang von der Meistbegünstigung in einem bestimmten Bereich ausgeschlossen ist, zur Erhöhung und Anpassung seines eigenen Schutzstandards zu bewegen. Gern. Art. 4 lit.a)-d) TRIPS-Abkommen werden enumerativ bestimmte Ausnahmemöglichkeiten aufgezählt. Als wichtigste Einschränkung der Meistbegünstigung ist Art. 4 lit.d) TRIPS-Abkommen anzusehen. Danach erstreckt sich der Effekt der Meistbegünstigung nicht auf diejenigen von einem TRIPS-Mitglied gewährten Vorteile, Vergünstigungen, Sonderrechte und Befreiungen, die sich aus internationalen Übereinkünften betreffend den Schutz des geistigen Eigentums ableiten, die vor dem Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens in Kraft getreten sind. Diese Schutzlimitierung ist davon abhängig, daß diese Übereinkünfte dem TRIPS-Rat notifiziert wurden und keine willkürliche oder ungerechtfertigte Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitglieder darstellen. Diese zuletzt genannte "Schranken-Schranke" versucht, dem Prinzip der Inländerbehandlung im Rahmen der Meistbegünstigung Geltung zu verschaffen. Ein Verstoß hiergegen dürfte in der Praxis jedoch nur schwerlich nachzuweisen sein, weil die von der Meistbegünstigung ausgenommenen Übereinkommen entweder allen Staaten zum Beitritt offenstehen (z. B. PVÜ, RBÜ) oder kraft Natur der Sache in dem Kriterium der geographischen Begrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs des entsprechenden völkerrechtlichen Vertrages einen "sachlichen Differenzierungsgrund" aufweisen (z. B. EGV). Dem TRIPS-Rat wurden bislang zahlreiche bilaterale und multilaterale Abkommen notifiziert. Hierzu gehören aus deutscher Sicht sämtliche Kapitalschutzverträge, die bilateralen Verträge zum Schutz von Herkunftsbezeichnungen und über andere Gegenstände des geistigen Eigentums 273 • Daneben haben die EU und ihre Mitgliedstaaten am 19. 12. 1995
272 273
Vgl. zudem Art. 5 TRIPS-Abkommen. Schäfers, GRUR Int. 1996,763,771.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
den EU-Vertrag, den EG-Vertrag und den EWR-Vertrag notifiziert 274 • Hieraus folgt, daß das gegenwärtige und zukünftige primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht dem sachlichen Anwendungsbereich der Meistbegünstigung entzogen ist. Schließlich haben einige TRIPS-Mitglieder von dieser Ausnahmemöglichkeit auch im Hinblick auf die PVÜ und die RBÜ Gebrauch gemacht. Dieses Vorgehen der TRIPS-Mitglieder verdeutlicht, daß man den Auswirkungen der Meistbegünstigungsklausel insgesamt negativ gegenübersteht. Die Vorteile der Meistbegünstigung bestehen gerade für diejenigen Staaten, die noch über ein geringes Schutzniveau verfügen, also insbesondere für die Entwicklungsländer. Demgegenüber haben die Industrienationen nur ein geringes Eigeninteresse an der Meistbegünstigung, weil sie insgesamt schon einen ausreichenden Schutzstandard etabliert haben. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Bemühen der notifizierenden TRIPS-Mitglieder, die gewährten Vergünstigungen nicht ausufern zu lassen und ihre protektionistischen Eigeninteressen zu wahren. Die Entwicklung eines universellen Schutzstandards mit Hilfe der Meistbegünstigungsklausel wird hierdurch entscheidend beeinträchtigt. Der Ausnahmekatalog des Art. 4 lit.a)-d) TRIPS-Abkommen bewirkt daher im Endergebnis, daß die Meistbegünstigung innerhalb des internationalen Schutzes des geistigen Eigentums nur zwischen TRIPS-Mitgliedern derselben Entwicklungsstufe zur Anwendung gelangt275 . Die eigentliche Zielsetzung der Meistbegünstigung, die weltweite Verbesserung des Schutzes des geistigen Eigentums, wird so zu einer bloßen Absichtserklärung. Die Meistbegünstigung des Art. 4 TRIPS-Abkommen wird damit zu einer Stagnation der Schutzentwicklung führen und gleichzeitig die bislang bestehenden Schutzunterschiede im globalen Markt manifestieren. Die Unzulänglichkeit und fehlende systematische Abstimmung des Ausnahmekatalogs des Art. 4 lit.a)-d) TRIPS-Abkommen zeigt sich mit aller Deutlichkeit im Hinblick auf das Vorgehen einiger TRIPS-Mitglieder in bezug auf die Notifikation der PVÜ. Dieses Verhalten stellt sich vor dem Hintergrund des Art. 2 TRIPS-Abkommen und der dort niedergelegten Inkorporierung der materiellen Bestimmungen der PVÜ im TRIPS-Abkommen als perplex dar. Es ist daher auf der Grundlage systematischer und teleologischer Gesichtspunkte (Art. 31 I WVRK) eine restriktive Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 4 lit.d) TRIPS-Abkommen im Hinblick auf die Notifikation der PVÜ durch einige Mitglieder zu fordern. Anderenfalls könnten diese Mitglieder ihre aus Art. 2 TRIPS-Abkommen herrührenden Verpflichtungen gegenüber den TRIPS-Mitgliedern, die nicht zugleich PVÜ-Verbandsstaaten sind, im Wege einer Notifikation umgehen.
274 Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr. 19. Vgl. dazu auch die Website der WTO. www.wto.org. 275 Insoweit ergibt sich eine Parallele zur Geltung des Gegenseitigkeitsprinzips im GATT.
§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
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cc) Das Gebot der Transparenz Auch das Prinzip der Transparenz ist eine Errungenschaft des GATT276 , die nunmehr in das System des internationalen Schutzes des geistigen Eigentums überführt wurde. Gern. Art. 63 I TRIPS-Abkommen bestehen für die TRIPS-Mitglieder bestimmte Veröffentlichungspflichten 277 in bezug auf Gesetze, sonstige Vorschriften, allgemein anwendbare rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen sowie rechtswirksame Verwaltungsverfügungen, die einen Bereich des geistigen Eigentums im Sinnne des Art. 1 11 TRIPS-Abkommen betreffen. In diesem Zusammenhang hat die Veröffentlichung in einer der Amtssprachen der WTO (Englisch, Französich, Spanisch) zu erfolgen. Die entsprechenden nationalen Gesetze und sonstigen Vorschriften sind gern. Art. 63 11 TRIPS-Abkommen dem Rat für TRIPS zu notifizieren. Unter den Voraussetzungen des Art. 63 m TRIPS-Abkommen stellt ein Mitglied einem anderen Mitglied Informationen zur Verfügung, wenn eine bestimmte gerichtliche Entscheidung, Verwaltungs verfügung oder ein bilaterales Abkommen seine Rechte auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nach dem TRIPS-Abkommen tangiert. Insgesamt dient das Transparenzgebot dazu, den Stand der nationalen Rechtsordnungen der Mitglieder in bezug auf den Schutz des geistigen Eigentums zu dokumentieren und gleichzeitig festzustellen, ob die jeweiligen Mitglieder ihren Verpflichtungen aus dem TRIPS-Abkommen nachgekommen sind. Das Prinzip der Transparenz dient insoweit als Kontrollsystem zur effektiven Durchsetzung des TRIPS-Mindestschutzes. Der Rat für TRIPS betreibt daher eine völkerrechtlich determinierte Rechtsvergleichung mit dem Ziel, die noch bestehenden Schutzdefizite innerhalb der nationalen Rechtsordnungen aufzuzeigen 278 • Diese Vorgehensweise ermöglicht es, die entdeckten Schwachstellen in zukünftigen Verhandlungsrunden gezielter eliminieren und Druck auf die säumigen Mitglieder ausüben zu können.
dd) Das Prinzip der Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer Das TRIPS-Abkommen enthält an vielen Stellen Sonderregelungen für Entwicklungsländer, die die besonderen Belange dieser Mitglieder angemessen berücksichtigen sollen279 • Die so gewährte Vorzugsbehandlung stellt sich allgemein als ein Vgl. Art. 10 GAlT 1947. Ausnahmen sind in Art. 63 IV TRIPS-Abkommen niedergelegt. Gern. Art. 63 11 TRIPS-Abkommen werden auch die Verpflichtungen eines Mitgliedes aus Art. 6 der PVÜ (Verzeichnis der staatlichen Hoheitszeichen) berücksichtigt. 278 Schäfers, GRUR Int. 1996,763,771. 279 Zu den Auswirkungen des TRIPS-Abkommens im Hinblick auf die Entwicklungsländer, Pac6n, GRUR Int. 1995, 875 ff.; Heath, GRUR Int. 1996, II 69 ff. Allgemein zu den ökonomischen Interessen der Entwicklungsländer am TRIPS-Abkommen, Hilpert, GRUR Int. 1998, 91 ff. 276
277
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Verhandlungserfolg der Entwicklungsländer im Rahmen der Schaffung des TRIPSAbkommens dar. Im ersten Teil des TRIPS-Abkommens hat die Sondersituation der Entwicklungsländer Eingang in die Formulierungen des Art. 7 und des Art. 8 TRIPSAbkommen gefunden. Der im Rahmen der Zielsetzung des Art. 7 TRIPS-Abkommen angestrebte Technologietransfer soll insbesondere den ökonomisch minderprivilegierten Mitgliedern zugutekommen. Zudem beachten die in Art. 8 TRIPSAbkommen aufgestellten Grundsätze die jeweiligen sozio-ökonomischen und technischen Gegebenheiten der Mitglieder. Insoweit ergeben sich Rechtfertigungsgründe für Abweichungen der nationalen Rechtsordnungen im Verhältnis zum TRIPSAbkommen, sofern diese nicht im Widerspruch zum Schutzsystem des TRIPSAbkommens stehen 28o• Eine Sonderbehandlung der Entwicklungsländer zeigt sich auch im Zusammenhang mit den Übergangsregelungen gern. Artt. 65, 66 TRIPSAbkommen. Die Fristen zur Umsetzung des TRIPS-Abkommens orientieren sich am erreichten Entwicklungsstand eines Mitgliedes, auch unter Berücksichtigung etwaiger wirtschaftlicher Reformprozesse (Übergang von der Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft), Art. 65 11, III und Art. 66 I TRIPS-Abkommen. Die gewährten Fristerleichterungen beziehen sich jedoch gern. Artt. 65 11, 66 I TRIPSAbkommen regelmäßig nicht auf die tragenden Prinzipen der Inländerbehandlung und Meistbegünstigung (Art. 3 und Art. 4 TRIPS-Abkommen), inklusive der in Art. 5 TRIPS-Abkommen hierzu normierten Ausnahmen. Nach Art. 65 V TRIPSAbkommen verpflichten sich die Mitglieder schließlich, den status quo der Vereinbarkeit ihrer Rechtsordnungen mit dem TRIPS-Abkommen während der individuellen Übergangsfrist nicht zu unterschreiten. Hierdurch wird sichergestellt, daß das internationale Schutzsystem nur in Richtung auf eine zunehmende Integration verlaufen kann.
b) Das spezielle internationale Markenrecht im TRIPS-Abkommen In den Artt. 15 - 21 TRIPS-Abkommen sind die markenrechtlich relevanten Bestimmungen niedergelegt. Diese orientieren sich weitgehend an den Vorschriften der MarkenRL, so daß das europäische Markenrecht den Charakter eines internationalen Mindeststandard annimmt 281 . Art. 15 TRIPS-Abkommen definiert den Gegenstand des internationalen Markenschutzes im Sinne des TRIPS-Abkommens und schafft hierdurch eine grundlegende Rechtsvereinheitlichung im Markenrecht der jeweiligen TRIPS-Mitgliede~82. Gern. Art. 15 I S. 1 TRIPS-Abkommen wird zunächst die abstrakte 280 Diesbezüglich drängt sich eine Parallele zur Bestimmung des Art. 30 (ex-Art. 36) EGV und den dort genannten Ausnahmetatbeständen auf. 281 Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr. 21. 282 Zur Notwendigkeit einer einheitlichen Definition der Marke, Kur, GRUR Int. 1994, 987, 990f.
§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
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Unterscheidungskraft der Marke als Eingangsvoraussetzung des Markenschutzes genannt. Danach können alle Zeichen und Zeichenkombinationen, die geeignet sind, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, eine Marke darstellen. In Anknüpfung hieran enthält Art. 15 I S. 2 TRIPS-Abkommen eine beispielhafte und nicht abschließende ("insbesondere") Aufzählung möglicher Markenformen. Ausdrückliche Erwähnung finden Wörter, Buchstaben, Zahlen, Abbildungen, Farbverbindungen sowie alle Verbindungen solcher Zeichen. Eine Eintragung kommt darüber hinaus auch im Hinblick auf dreidimensionale Marken und Marken, die aus einzelnen Farben bestehen in Betracht, soweit im Einzelfall eine abstrakte Unterscheidungseignung gern. Art. 15 I S. 1 TRIPS-Abkommen gegeben ist283 . Art. 15 I S. 3 TRIPS-Abkommen bestimmt zudem, daß die fehlende abstrakte Unterscheidungskraft infolge einer durch Benutzung erworbenen (konkreten) Unterscheidungskraft überwunden werden kann. Eine Limitierung der Eintragungsfähigkeit von Marken folgt aus Art. 15 I S. 4 TRIPS-Abkommen. Den Mitgliedern' wird die Option geboten, die visuelle Wahmehmbarkeit eines Zeichens als Eintragungsvoraussetzung festzulegen. Diese Einschränkung betrifft insbesondere Geruchs- und Hörmarken 284 • Im Verhältnis zur PVÜ führt das TRIPS-Abkommen zu einer Schutzerweiterung im Bereich der Dienstleistungsmarken285 • Aus der systematischen Gesamtbetrachtung des Art. 15 I S. 1 und S. 2 TRIPS-Abkommen folgt eine Eintragungsverplichtung der Mitglieder in bezug auf diese Markenart. Bislang verpflichteten sich die Verbandsländer der PVÜ lediglich, Dienstleistungsmarken zu schützen. Eine Eintragung konnte aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 6 quinquis PVÜ ("Fabrik- oder Handelsmarken") gegen den Willen des jeweiligen Verbandsstaates nicht durchgesetzt werden. Durch Art. 1511 TRIPS-Abkommen wird klargestellt, daß weitere Eintragungsversagungsgründe von den Mitgliedern vorgebracht werden können, soweit diese nicht im Widerspruch zur PVÜ stehen. Im Ergebnis wird hierdurch der Verweigerungskatalog des Art. 6 quinquies B PVÜ in das TRIPS-Abkommen inkorporiert286 . Gern. Art. 15 III S. 1 TRIPS-Abkommen können die Mitglieder die Eintragungsfähigkeit der Marke von ihrer Benutzung abhängig machen. Gleichzeitig wird jedoch klargestellt, daß der Eintragungsantrag nicht mit der tatsächlichen Markenbenutzung verknüpft werden darf, Art. 15 III S. 2 TRIPS-Abkommen. Insoweit 283 Diese Markenfonnen waren in den Textvorschlägen der US-Delegation und der EGDelegation expressis verbis aufgeführt, Kur, GRUR Int. 1994,987,991, Fn. 43. 284 Insoweit ist der sachliche Anwendungsbereich des Art. 15 TRIPS-Abkommen enger gefaßt als der Kreis der möglichen Markenfonnen auf Grundlage des Art. 2 MarkenRL. Diese Vorschrift stellt auf die graphische Darstellbarkeit der Marke ab, vgl. auch § 3 MarkenG i.V.m. §§ 6, 11, 12 MarkenV. 285 Demgegenüber werden Kollektivmarken nicht schutzmäßig erfaßt. 286 Näher dazu Kur, GRUR Int. 1994,987,992.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
ergibt sich eine Parallele zur Rechtslage in den USA, die als einzige Industrienation am grundsätzlichen Erfordernis der Markenbenutzung im Rahmen des Eintragungsverfahrens festhalten 287 • Schließlich ist die Zurückweisung der Anmeldung aus Gründen der Nichtbenutzung der Marke gern. Art. 15 m S. 3 TRIPSAbkommen erst nach Ablauf von drei Jahren zulässig. Das Vorhandensein eines Geschäftsbetriebs als Voraussetzung der Markenanmeldung läBt sich dem TRIPSAbkommen ausdrücklich nicht entnehmen. Insofern verbleibt es bei der Regelung des Art. 15 11 TRIPS-Abkommen und der dort enthaltenen Verweisung auf die Regelungen der PVÜ. Eine entsprechende Prämisse findet sich auch nicht im Versagungskatalog des Art. 6 quinquies B PVÜ288 • Darüber hinaus ist zu beachten, daß die Markenübertragung nach Art. 21 TRIPS-Abkommen nicht mit dem Kriterium des Geschäftsbetriebs verbunden ist. Hieraus läßt sich eine allgemeine Wertungsentscheidung des TRIPS-Abkommens entnehmen. Die umfassende Einbeziehung von Dienstleistungsmarken in das System des internationalen Markenschutzes wird auch durch Art. 15 IV TRIPS-Abkommen verdeutlicht. Danach wird der Anwendungsbereich des Art. 7 PVÜ, wonach die Beschaffenheit des Erzeugnisses, das durch die Marke gekennzeichnet werden soll, nicht als Eintragungshindernis vorgebracht werden kann, auch auf Dienstleistungsmarken ausgedehnt. Infolge des Art. 15 V TRIPS-Abkommen werden den Mitgliedern einige verfahrensrechtliche Verpflichtungen auferlegt. Hierzu gehört das Gebot, Marken entweder vor ihrer Eintragung oder sofort nach ihrer Eintragung zu veröffentlichen (Publikationspflicht). Desweiteren muß in den nationalen Markenrechtsordnungen die Möglichkeit gegeben sein, Löschungsanträge gegen die eingetragene Marke vorzubringen. Demgegenüber liegt die Einführung eines Widerspruchsverfahrens gern. Art. 15 V S. 2 TRIPS-Abkommen im Ermessen der Mitglieder. Im übrigen enthält das TRIPS-Abkommen, abgesehen von den in Art. 62 I, 11 und IV TRIPSAbkommen niedergelegten Anforderungen, keine Vorgaben in bezug auf die Ausgestaltung des Eintragungs- und Löschungsverfahrens. Inhalt und Umfang der Rechte aus der Marke werden in Art. 16 TRIPS-Abkommen festgelegt. Gern. Art. 16 I TRIPS-Abkommen verfügt der jeweilige Markeninhaber über das ausschließliche Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung dasselbe oder ein ähnliches Zeichen im geschäftlichen Verkehr für dieselben oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn diese Benutzung die Gefahr von Verwechslungen begründet289 . Gern. Art. 16 I S. 2 TRIPS-AbkomSec. 1 (b) Lanham Act, vgl. Kur, GRUR Int. 1994,987,992,993. Die frühere Rechtsauffassung des BGH, die Verknüpfung von Marke und Geschäftsbetrieb sei als Bestandteil des "ordre public" (vgl. Art. 6 EGBGB) in Deutschland anzusehen, kann auch im Hinblick auf das TRIPS-Abkommen nicht mehr aufrechterhalten werden. Zur Rechtslage im MarkenG, Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 81 ff. 289 Die Möglichkeit, gegen die Eintragung einer identischen oder ähnlichen Marke vorzugehen, bestimmt sich ausschließlich nach Art. 15 V TRIPS-Abkommen. Dieser Fall wird 287
288
§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
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men wird bei der Benutzung identischer Zeichen für identische Waren oder Dienstleistungen das Bestehen einer Verwechslungsgefahr vermutet 290 • Nach Art. 16 I S. 3, 1.HS TRIPS-Abkommen kann das ausschließliche Recht des Markeninhabers gegenüber besser berechtigten, also prioritätsälteren Rechten291 , nicht geltend gemacht werden. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts erfaßt Art. 16 I TRIPS-Akommen nur eingetragene Marken. Art. 16 I S. 3, 2.HS TRIPS-Abkommen erweitert diesen Anwendungsbereich auch auf Marken, die ihre Unterscheidungskraft infolge Benutzung erlangt haben. Die rechtswirksame Benutzung ist auch in diesem Zusammenhang daran geknüpft, daß die Marke über einen ausreichenden Bekanntheitsgrad im Sinne einer Verkehrsgeltung verfügt292 . Art. 1611 und m TRIPS-Abkommen führen zu einer Reformierung des Schutzes notorisch bekannter Marken auf Grundlage des Art. 6 bis PVÜ. Gern. Art. 16 TI S. 1 TRIPS-Abkommen erstreckt sich Art. 6 bis PVÜ nunmehr auch auf Dienstleistungsmarken. Das Vorliegen einer notorisch bekannten Marke wird gern. Art. 16 TI S. 2 TRIPS-Abkommen lediglich vom Bekanntheitsgrad der Marke im jeweiligen Mitgliedstaat abhängig gemacht. Auf die Benutzung der Marke im betreffenden Mitglied kommt es im Gegensatz zum Wortlaut des Art. 6 bis I PVÜ nicht mehr an. Die Formulierung des Art. 16 TI S. 2 TRIPS-Abkommen verdeutlicht aber, daß auch in Zukunft im Rahmen der Feststellung des relevanten Bekanntheitsgrads der notorisch bekannten Marke auf die maßgeblichen Verkehrskreise innerhalb des Mitgliedstaats abgestellt werden muß. Die internationale Bekanntheit der Marke im Sinne eines universellen Konzepts der notorisch bekannten Marke wird demgegenüber nicht eindeutig als Bezugsgröße im TRIPS-Abkommen verankert 293 • Eine weitere wichtige Schutzerweiterung im Verhältnis zu Art. 6 bis PVÜ beinhaltet Art. 16 m TRIPS-Abkommen. Nach dieser Regelung besteht eine markenrechtliche Gewährleistung auch jenseits des Produktähnlichkeitsbereichs, wenn die notorisch bekannte Marke eingetragen wurde. Als weitere Voraussetzungen dieses Sonderschutzes müssen sowohl ein möglicher Hinweis auf eine Verbinvon Art. 16 TRIPS-Abkommen nicht erfaßt. Insofern ergibt sich eine Parallele zu den Vorschriften der Art. 4 I lit.a) und b) MarkenRL (§ 9 I Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG) und Art. 5 I lit.a) und b) MarkenRL (§ 14 II Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG). 290 Im europäischen Markenrecht wird demgegenüber bei dieser Sachverhaltskonstellation auf das Kriterium der Verwechslungsgefahr gänzlich verzichtet, vgl. nur Art. 4 I lit.a) MarkenRL. 291 In diesem Zusammenhang können alle Rechte in Betracht kommen. Eine nähere Spezifikation erfolgt nicht. 292 Diese zusätzliche Prämisse steht nicht im Widerspruch zum TRIPS-Abkommen, da hier nur die abstrakte Möglichkeit einer Eintragung infolge Benutzung niedergelegt ist. Die nähere Ausgestaltung des Schutzes obliegt den Mitgliedern. Vgl. auch Kur, GRUR Int. 1994, 987,993. 293 Kur, GRUR Int. 1994,987,994. Der Begriff ,Jm maßgeblichen Teil der Öffentlichkeit" im Rahmen des Art. 16 II S. 2 TRIPS-Abkommen deutet auf eine internationale Bestimmung der notorischen Bekanntheit hin, wird aber sofort durch die Fonnulierung "einschließlich der Bekanntheit der Marke im betreffenden Mitglied" eingeschränkt.
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dung zwischen der für die streitgegenständlichen Waren oder Dienstleistungen benutzten Marke und dem Inhaber der notorisch bekannten Marke 294 als auch die Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung hinzutreten. Im Unterschied zur bekannten Marke nach europäischem Markenrecht29S werden demgegenüber keine besonderen Qualitätsanforderungen an die notorisch bekannte Marke gestellt, aber das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne einer gedanklichen Verbindung verlangt296 • In den Markenrechtsordnungen der Mitgliedstaaten der EU gelangen daher zwei teilweise divergierende Schutzkonzepte der Gewährleistung außerhalb des Produktähnlichkeitsbereichs zur Anwendung. Hieraus ergeben sich jedoch keine Abstimmungsprobleme, zumal unterschiedliche Markenarten (bekannte Marken nach europäischem Markenrechtlnotorisch bekannte Marken nach PVÜbzw. TRIPS-Recht) betroffen sind. Art. 17 TRIPS-Abkommen ermöglicht es den Mitgliedern, begrenzte Ausnahmen vom Markenschutz festzulegen, soweit diese Ausnahmen die berechtigten Interessen des Inhabers der Marke und Dritter berücksichtigen. Beispielhaft (und nicht abschließend) erwähnt ist in diesem Zusammenhang die lautere Benutzung beschreibender Angaben. Diese Schutzschranke ist in Art. 6 I lit.b) MarkenRL (§ 23 Nr. 2 MarkenG) verankert worden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die gegen eine Erstreckung des Art. 17 TRIPS-Abkommen im Hinblick auf die übrigen Tatbestände des Art. 6 MarkenRL bzw. § 23 MarkenG sprechen (Benutzung von Namen; Ersatzteilgeschäft). Darüber hinaus stellt auch die Verwirkung von markenrechtlichen Ansprüchen gern. Art. 9 MarkenRL bzw. § 21 MarkenG eine zulässige Schutzschranke dar297 • Demgegenüber wurde die Frage der internationalen Erschöpfung der Markenrechte als Gewährleistungslimitierung im Rahmen des TRIPS-Abkommens aufgrund der gegensätzlichen Standpunkte der Industriestaaten und der Entwicklungsländer bewußt ausgeklammert298 • Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Regelung des Art. 6 TRIPS-Abkommen, wonach die Frage der Erschöpfung von Rechten des geistigen Eigentums grundsätzlich nicht zum Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens gemacht werden darf. Art. 18 TRIPS-Abkommen determiniert die Markenschutzdauer. Diese beträgt mindestens sieben Jahre. Die Eintragung kann unbegrenzt für jeweils mindestens weitere sieben Jahre verlängert werden. Das Erfordernis der Markenbenutzung ist in Art. 19 TRIPS-Abkommen geregelt. Den Mitgliedern wird die Befugnis eingeräumt, nach nationalem Recht die 294 Insoweit drängt sich eine Parallele zum Kriterium des "gedanklichen Inverbindungbringens" im Sinne des Art. 4 I lit.b) und Art. 5 I lit.b) MarkenRL bzw. §§ 9 I Nr. 2, 14 11 Nr. 2 MarkenG auf. 295 Vgl. dazu 3. Kapitel, § 2, S. 193 f. 296 So Kur, GRUR Int. 1994,987,994. 297 Fezer, Markenrecht, lnt. MarkenR Rnr. 25. 298 Kur, GRUR Int. 1994,987,994,995, insbesondere Fn. 78.
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Aufrechterhaltung der Eintragung von der Benutzung der Marke abhängig zu machen. Diese Möglichkeit gilt jedoch nicht unbeschränkt. Gern. Art. 19 I S. 1 TRIPS-Abkommen berechtigt lediglich die Nichtbenutzung während eines ununterbrochenen Zeitraums von drei Jahren zur Löschung der betroffenen Marke299 • Insoweit erfolgt eine Präzisierung des Art. 5 C I PVÜ, der von einer "angemessen Frist" spricht3OO • Darüber hinaus ist der Markeninhaber berechtigt, die fehlende Benutzung der Marke zu rechtfertigen. Art. 19 I S. 2 TRIPS-Abkommen nennt in diesem Zusammenhang beispielhaft (und daher nicht abschließend) Einfuhrbeschränkungen oder sonstige staatliche Auflagen, die unabhängig vom Willen des Markeninhabers eintreten. Auch die Benutzung einer Marke durch einen Dritten kann sich als rechtserhaltend darstellen, wenn sie der Kontrolle durch den Markeninhaber unterliegt, Art. 19 11 TRIPS-Abkommen 301 . In Betracht kommt hier z. B. die Benutzung einer Marke in konzern verbundenen Unternehmen oder im Rahmen von Lizenzbeziehungen 302. Gern. Art. 20 TRIPS-Abkommen wird es den Mitgliedern untersagt, die Benutzung der Marke im geschäftlichen Verkehr durch besondere Erfordernisse (sog. "linking") nach nationalem Recht zu erschweren. Beispielhaft genannt werden die Benutzung ausschließlich in Verbindung mit einer anderen Marke, die Benutzung in einer besonderen Form und die Benutzung in einer Weise, die die Fähigkeit der Marke beeinträchtigt, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Diese Vorschrift ist auf Druck der Industriestaaten in das TRIPS-Abkommen aufgenommen worden, um die in einigen Entwicklungsländern gängige Praxis zu unterbinden, die dortige Benutzung ausländischer Marken an Auflagen zu knüpfen mit dem Ziel, einheimische Marken zu privilegieren 303 • Art. 20 TRIPS-Abkommen kann als Beispiel dafür herangezogen werden, daß die Industriestaaten den Weg einer Reformierung des internationalen Schutzes des geistigen Eigentums über die WTO gegangen sind, um ihre Verhandlungspositionen in diesem institutionellen Rahmen besser durchsetzen zu können. Die Frage einer Schutzerweiterung des geistigen Eigentums konnte hier aufgrund der WTO-Abstimmungsregeln leichter und erfolgversprechender mit der Gewährung wirtschaftlicher Zugeständnisse gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern erreicht werden als in der PVÜ IWIPO. Schließlich beschäftigt sich Art. 21 TRIPS-Abkommen mit den Bedingungen für die Vergabe von Lizenzen und für die Übertragung von Marken. Maßgeblich ist insoweit grundsätzlich das jeweilige nationale Recht. Die Mitglieder dürfen 299 Zum Anpassungsbedarf des amerikanischen Rechts (Sec. 45 Lanham Act, Frist von zwei Jahren), Kur, GRUR Int. 1994,987,995. 300 Weiterhin anwendbar bleiben die Bestimmungen des Art. 5 eIl und III PVÜ. Diese bleiben aufgrund der Regelung des Art. 3 TRIPS-Abkommen unberührt. 301 Vgl. parallel dazu Art. \0 III MarkenRL, § 26 11 MarkenG. 302 So Kur, GRUR Int. 1994,987,995. 303 Vgl. dazu die Beispiele bei Kur, GRUR Int. 1994,987,995,996.
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jedoch in ihren Rechtsordnungen nicht Zwangslizenzierungen von Marken zulassen. Darüber hinaus gibt Art. 21 TRIPS-Abkommen den Rahmen dahingehend vor, daß Markenlizenzen und Markenübertragungen auch ohne den dazugehörigen Geschäftsbetrieb eingeräumt bzw. durchgeführt werden dürfen. Weitere Beschränkungen der Ausgestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers sieht Art. 21 TRIPSAbkommen nicht vor. In den Artt. 22 - 24 TRIPS-Abkommen ist zudem der Schutz geographischer Angaben niedergelege 04 •
c) Die Rechtsdurchsetzung nach dem TRIPS-Abkommen Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in TeilllI, Artt. 41-61 TRIPS-Abkommen. Die in Teil I und 11 TRIPS-Abkommen niedergelegten Grundsätze und materiellen Normen bieten nur dann einen effektiven Rechtsschutz, wenn sie auch tatsächlich vor den jeweiligen Rechtsprechungsorganen durchsetzbar sind. Dies soll durch Teil III und auch durch Teil IV TRIPS-Abkommen sichergestellt werden. Die Rechtsdurchsetzung nach dem TRIPS-Abkommen stellt sich als Novum im System des internationalen Markenschutzes dar, weil zum ersten Mal verfahrensrechtliche Vorschriften in einem eigenen Teil zusammenhängend kodifiziert wurden. In den bisherigen internationalen Abkommen fanden sich nur vereinzelte verfahrensrechtliche Regelungen. Im Hinblick auf die PVÜ sind in diesem Zusammenhang Art. 6 bis I, Art. 6 septies 11 PVÜ (Unterlassungsansprüche in bezug auf notorisch bekannte Marken und Agentenmarken), Art. 9 PVÜ (Beschlagnahmemöglichkeit bei Verletzerware)30S sowie Art 10 ter PVÜ (Gewährleistung von Rechtsbehelfen bei Verstößen gegen die Artt. 9, 10 und 10 bis PVÜ) zu nennen. Durch diese Vorschriften wurde jedoch nur ein punktuelles Rechtsdurchsetzungssystem geschaffen. Demgegenüber versuchten die TRIPS-Mitglieder in den Verhandlungen zu diesem Abkommen, einen möglichst weitreichenden und effektiven Rechtsschutz zu etablieren. Aufgrund der widerstreitenden Interessen der Industriestaaten und der Entwicklungsländer erschien es illusorisch, eine vollständige Harmonisierung der verfahrensrechtlichen Bestimmungen im Rahmen der TRIPS-Verhandlungen zu erreichen. Demzufolge stellen sich Teil III und Teil IV des TRIPS-Abkommens als ein Mindestschutz, als der kleinste gemeinsame Nenner internationaler verfahrensrechtlicher Regeln dar306 . Dieser Mindestschutzcharakter der Vorschriften wird Näher dazu Knaak, GRUR Int. 1995,642, 646ff. ZU beachten ist jedoch, daß die entsprechenden Beschlagnahmevorschriften gern. Art. 9 VI PVÜ nicht zwingend in die Rechtsordnungen der Verbandsstaaten eingeführt werden müssen. 306 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Teile III und IV TRIPS-Abkommen und zu den Verhandlungspositionen der Industriestaaten, Dreier, GRUR Int. 1996, 205, 208 f. 304
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auch durch den häufig anzutreffenden tatbestandlichen Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe, die einer divergierenden Auslegung durch nationale Rechtsanwendungsorgane zugänglich sind, symbolisiert.
aa) Inhaltlicher Überblick Teil m des TRIPS-Abkommens ist in fünf Abschnitte untergliedert: Abschnitt 1, Art. 41 TRIPS-Abkommen, begründet allgemeine Pflichten für die Mitglieder. Abschnitt 2, Artt. 42-49 TRIPS-Abkommen, beschäftigt sich mit den Zivil- und Verwaltungsverfahren und den Rechtsbehelfen. Abschnitt 3, Art. 50 TRIPS-Abkommen, beinhaltet einstweilige Maßnahmen. Abschnitt 4, Artt. 51 - 60 TRIPSAbkommen, legt die besonderen Erfordernisse bei Grenzmaßnahmen fest. Schließlich enthält Abschnitt 5, Art. 61 TRIPS-Abkommen, Regelungen zum Strafverfahren.
(1) Allgemeine Pflichten Art. 41 TRIPS-Abkommen begründet zunächst allgemeine Pflichten zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums 307 • In Art. 41 I TRIPS-Abkommen ist das grundlegende Prinzip verankert, daß die Mitglieder die in Teil m des TRIPSAbkommens niedergelegten Durchsetzungsmechanismen in ihr jeweiliges nationales Recht inkorporieren werden, um eine effektive Rechtsdurchsetzung zu gewährleisten. Dieser Rechtsschutz im Bereich des geistigen Eigentums soll auch Eilverfahren und Rechtsbehelfe zur Verhinderung weiterer Verletzungshandlungen umfassen. Art. 41 I S. 3 TRIPS-Abkommen verdeutlicht wiederum einen der Grundgedanken der TRIPS-Regelungen. Die zu schaffenden Verfahrensrechte dürfen nicht so angewendet werden, daß hierdurch Schranken für den rechtmäßigen Handel errichtet werden. Hierdurch wird die besondere Verknüpfung der TRIPSVorschriften mit dem GATT 1994 im Rahmen des WTO-Dachabkommens sichtbar. Desweiteren soll ein Schutz vor Rechtsmißbräuchen verankert werden. Aus Art. 41 V TRIPS-Abkommen folgt, daß die Mitglieder bei der Umsetzung ins nationale Recht über gewisse Spielräume verfügen. Durch diese Vorschrift wird den Interessen der Entwicklungsländer an einer erleichterten Umsetzung der TRIPS-Vorgaben Rechnung getragen 308 • Dementsprechend wird die Effektivität der Rechtsdurchsetzung auch in Zukunft in den einzelnen Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Weise ausgeprägt sein. Weitere generalklauselartige Verfahrensgrundsätze finden sich in Art. 41 n TRIPS-Abkommen. Danach müssen die Durchsetzungsverfahren fair und gerecht 307 Insoweit besteht eine Parallele zu Art. 1714 NAFfA, vgl. dazu Dreier, GRUR Int. 1996,205,207f. 308 Art. 41 V TRIPS-Abkommen beruht auf einem Vorschlag Indiens.
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sein (fair trial-Grundsatz)309. Sie dürfen nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigte Verzögerungen mit sich bringen. Gern. Art. 41 III TRIPS-Abkommen sind Sachentscheidungen der Mitglieder vorzugsweise schriftlich abzufassen und mit Gründen zu versehen. Über diese Ausflihrungen sind die Streitparteien ohne ungebührliche Verzögerung in Kenntnis zu setzen, z. B. in Form einer Zustellung. Zudem dürfen sich Sachentscheidungen nur auf solche Beweise stützen, die von den Parteien vorher erörtert werden konnten (Wahrung des Grundsatzes rechtlichen Gehörs)31O. Art. 41 IV TRIPS-Abkommen ernthält Verpflichtungen, die das Vorliegen eines Instanzenzuges in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung voraussetzen. Es sollen sowohl die Endentscheidungen der Verwaltungsbehörden gerichtlich nachprüfbar sein als auch die Rechtsfragen erstinstanzlicher Sachentscheidungen der Gerichte.
(2) Zivil- und Verwaltungsveifahren und Rechtsbehelfe Eine Konkretisierung dieser allgemeinen Pflichten wird in Abschnitt 2, Artt. 42-49 TRIPS-Abkommen vorgenommen. Gern. Art. 42 TRIPS-Abkommen stellen die Mitglieder den Rechtsinhabern 311 zivilprozessuale Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zur Verfügung. In diesen Verfahren hat die beklagte Partei Anspruch auf rechtzeitige schriftliche Benachrichtigung, inklusive der Angabe der entsprechenden Anspruchsgrundlage und weiterer Einzelheiten. Art. 42 TRIPS-Abkommen legt zudem das Recht der Parteien fest, sich durch einen unabhängigen Rechtsanwalt gerichtlich vertreten zu lassen. Darüber hinaus steht den Parteien die Befugnis zu, ihre Ansprüche zu begründen und durch sachdienliche Beweismittel darzulegen. Schließlich wird die Verpflichtung niedergelegt, vertrauliche Informationen nach Maßgabe des einschlägigen Verfassungsrechts festzustellen und zu schützen. Von besonderer praktischer Bedeutung für die Rechtsdurchsetzung vor Gericht sind die Beweisvorschriften des Art. 43 TRIPS-Abkommen. Gern. Art. 43 I TRIPS-Abkommen sind die Gerichte der Mitglieder befugt, der gegnerischen Partei die Beibringung der relevanten Beweismittel aufzuerlegen, wenn die beweisbelastete Partei alle ihr verfügbaren Beweismittel vorgebracht hat und sich weitere entscheidende Beweismittel in der Verfügungsgewalt des Gegners befinden. In Art. 43 11 TRIPS-Abkommen wurde die Frage der Beweisvereitelung geregelt 312 . Vgl. auch Art. 14 IPBPR. Vgl. auch Art. 6 I EMRK. 311 Hierunter sind auch Verbände und Vereinigung zu subsumieren, die gesetzlich zur Geltendmachung von Rechten des geistigen Eigentums befugt sind. In diesem Zusammenhang ist z. B. an § 98 MarkenG zu denken (rechtsfähige Verbände als Inhaber von Kollektivmarken). 312 Vgl. insoweit zum deutschen Zivilprozeßrecht, Thomas / Putzo, ZPO, § 286 Rnr. 17. 309
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In diesem Zusammenhang erhalten die Mitgliedstaaten die Befugnis, ihre Gerichte zu ermächtigen, ausschließlich anhand der bisher von den Parteien vorgetragenen Tatsachen und Rechtsansichten zu entscheiden, sofern die Parteien die Gelegenheit hatten, zu dem Vorbringen oder den Beweisen Stellung zu nehmen. Diese, insbesondere durch die Industriestaaten forcierte Erleichterung der Beweisbeibringung hängt davon ab, daß eine Prozeßpartei den Zugang zu notwendigen, ihr vefügbaren Informationen ohne rechtfertigenden Grund verweigert oder nicht innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt. Eine Pflicht der Mitglieder, diese Vorschriften in das nationale Recht aufzunehmen, besteht jedoch nicht. Gern. Art. 44 TRIPS-Abkommen sind die nationalen Gerichte befugt, eine Unterlassungsanordnung als Rechtsfolgenausspruch zu erlassen. Dieser Unterlassungsanspruch als Rechtsbehelf ist jedoch tatbestandiich durch Art. 44 I S. 2 TRIPS-Abkommen in entscheidender Weise limitiert. Die Mitglieder sind nach dieser Bestimmung nicht verpflichtet, eine Unterlassung gerichtlich zuzubilligen, wenn nach dem TRIPS-Abkommen geschützte Gegenstände von Personen erworben wurden, die zum Zeitpunkt des Erwerbs im guten Glauben annahmen, daß der Handel mit diesen Gegenständen keine Rechtsverletzung bedeute. Die Sanktionsfolgen des Unterlassungsanspruch ergeben sich aus Art. 44 n TRIPS-Abkommen. Art. 44 11 S. I TRIPS-Abkommen regelt zunächst den Spezialfall, daß die Rechtsverletzung durch die Benutzungshandlungen der Regierung eines Mitglieds oder durch ermächtigte Dritte begangen wurde. Den Mitgliedern steht dann die Befugnis zu, die Ansprüche des jeweiligen Rechtsinhabers auf die Zahlung einer angemessenen Vergütung nach Art. 31 lit.h) TRIPS-Abkommen zu beschränken. In (allen) anderen Fällen313 einer Rechtsverletzung gelangen die Rechtsbehelfe des Teil III des TRIPS-Abkommens zur Anwendung, soweit diese im Einklang mit dem Recht des jeweiligen Mitglieds stehen. Ist dies nicht der Fall, so muß der betreffende Mitgliedstaat zumindestens Feststellungsurteile und angemessene Entschädigungen als gerichtliche Sanktionen vorsehen. Soweit der gegnerischen Partei ein Verschulden 314 nachgewiesen werden kann, kommt gern. Art. 45 I TRIPS-Abkommen die Verurteilung des Verletzers zur Leistung eines angemessenen Schadensersatzes in Betracht. In Ergänzung hierzu können dem Verletzer auch die Verfahrenskosten, inklusive angemessener Anwaltshonorare, aufgebürdet werden, Art. 45 11 S. 1 TRIPS-Abkommen. Nach Art. 45 n S. 2 TRIPS-Abkommen können die Mitglieder die nationalen Gerichte zudem 313 Art. 44 11 S. 2 TRIPS-Abkommen ist so auszulegen, daß diese Vorschrift alle Rechtsverietzungen erfaßt, die nicht unter den Spezialfall des Art. 44 11 S. I TRIPS-Abkommen subsumiert werden können. Die Auffassung von Dreier (GRUR Int. 1996,205,212, Fn. 59), wonach Art. 44 11 S. 2 TRIPS-Abkommen nur Fälle einer Zwangslizenzierung erfaßt, schränkt den Anwendungsbereich dieser Bestimmung zu sehr ein. Aus Gründen einer effektiven Rechtsdurchsetzung ist hier eine weite Auslegung geboten. 314 In den Schuldfonnen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit. Der Wortlaut des Art. 45 I TRIPS-Abkommen spricht insoweit von einem Verletzer, "der wußte oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, daß er eine Verletzungshandlung vornahm".
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
ermächtigen, einen verschuldensunabhängigen Gewinnherausgabeanspruch und I oder die Zahlung eines festgestellten Schadensersatzbetrags zuzusprechen. Die mögliche Entschädigung des Beklagten ist in Art. 48 TRIPS-Abkommen verankert worden. Die Gerichte können dem Beklagten dann eine angemessene Entschädigung zubilligen, wenn die klagende Partei das von ihr angestrengte Durchsetzungsverfahren in mißbräuchlicher Weise benutzt hat. Zu den erstattungsfähigen Kosten des Beklagten gehören dann insoweit auch dessen Anwaltskosten für die Rechtsverteidigung, Art. 48 I S. 2 TRIPS-Abkommen. Im Rahmen eines nach nationalem Recht denkbaren Amtshaftungsanspruchs darf eine Haftungsfreistellung in bezug auf Behörden und Beamte der Mitglieder nur dann gern. Art. 48 n TRIPS-Abkommen erfolgen, wenn sie bei der Anwendung der entsprechenden TRIPS-Vorschriften gutgläubig gehandelt haben. In Ergänzung zu den Artt. 44, 45 TRIPS-Abkommen können die nationalen Gerichte im Interesse einer wirksamen Abschreckung im Rahmen des im Einzelfall anwendbaren Verfassungsrechts auch anordnen, daß Waren, die geistige Eigentumsrechte verletzen 315 vernichtet werden oder daß in sonstiger Weise über diese Waren verfügt wird (z. B. Sicherstellung oder Beschlagnahme), Art. 46 TRIPSAbkommen. Gern. Art. 46 S. 3 TRIPS-Abkommen müssen bei der Prüfung eines derartigen Antrags der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Interessen Dritter berücksichtigt werden. Nach Art. 47 TRIPS-Abkommen können die Mitglieder bestimmen, daß die nationalen Gerichte im Einzelfall einer Partei Auskunftspflichten in bezug auf die Identität Dritter, die an der Herstellung und am Vertrieb der rechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen beteiligt waren, auferlegen können. Sofern zivilrechtliche Ansprüche aus einem verwaltungsrechtlichen Verfahren resultieren, müssen sich diese Verfahren gern. Art. 49 TRIPS-Abkommen an den zuvor dargelegten prozeßrechtlichen Grundsätzen orientieren. Die Effektivität des Rechtsschutzes darf insoweit nicht verkürzt werden.
(3) Einstweilige Maßnahmen Die Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes wurde auf Betreiben der Industriestaaten im TRIPS-Abkommen verankert. Die Grundzüge dieses besonderen Verfahrens sind als Mindestschutzanforderungen in Art. 50 TRIPS-Abkommen niedergelegt316.
3U Dies ist insbesondere im Hinblick auf Markenverletzungen relevant. Für diese Sachverhaltskonstellationen enthält Art. 46 S. 4 TRIPS-Abkommen eine besondere Regelung. Im Hinblick auf nachgeahmte Markenwaren reicht das einfache Entfernen der rechtswidrig angebrachten Marke grundsätzlich nicht aus, um ein ungehindertes Inverkehrbringen der Ware zu ermöglichen. 316 Das Eilverfahren wurde zudem von den Mitgliedern bereits ausdrücklich in Art. 41 I TRIPS-Abkommen erwähnt.
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Das zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche 317 Eilverfahren soll vornehmlich dazu dienen, die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern, Art. 50 I lit.a) TRIPS-Abkommen318 • Darüber hinaus kann der Antragsteller hierdurch eine Beweissicherung gern. Art. 50 I lit.b) TRIPS-Abkommen erreichen. Gern. Art. 50 11 TRIPS-Abkommen kann eine einstweilige Maßnahme vom jeweiligen nationalen Gericht auch ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners getroffen werden 319 • Diese Bestimmung, die der Verfahrensbeschleunigung dient, gelangt beispielsweise dann zur Anwendung, wenn die Wahrscheinlichkeit eines nicht wiedergutzumachenden Schadeneintritts auf Seiten des Rechtsinhabers besteht oder eine bevorstehende Beweisvernichtung durch die Gegenseite vom Antragsteller nachgewiesen werden kann. Nach Art. 50 IV TRIPS-Abkommen ist der Antragsgegner spätestens nach der Vollziehung der Maßnahmen hierüber unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Der Antragsgegner kann weiterhin beantragen, daß die einstweilige Maßnahme abgeändert oder aufgehoben werden soll, wobei er in diesem Rahmen Stellungnahmen abgeben kann. Der Erlaß einer einstweiligen Maßnahme ist gern. Art. 50 m, V TRIPS-Abkommen davon abhängig, daß der Antragsteller seine Rechtsinhaberschaft und die drohende Rechtsverletzung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Beweisen glaubhaft macht. Gern. Art. 50 VI TRIPS-Abkommen muß der Antragsteller innerhalb einer Frist von 20 Arbeitstagen oder 31 Kalendertagen oder einer vom Gericht zu bestimmenden Frist das entsprechende Hauptsacheverfahren eingeleitet haben. Soweit diese Frist verstreicht, kann das Gericht auf einen entsprechenden Antrag des Antragsgegners anordnen, daß ihm der Antragsteller einen angemessenen Schadensersatz zu leisten habe. Diese Rechtsfolge kann auch dann eintreten, wenn einstweilige Maßnahmen aufgehoben werden 32o • (4) Besondere Erfordernisse bei Grenzmaßnahmen
Im Verhältnis zu den anderen Abschnitten des m. Teils des TRIPS-Abkommens wurde der 4. Abschnitt, Artt. 51 - 60 TRIPS-Abkommen, relativ umfangreich geregelt. Der EuGH hat diesbezüglich in seinem Gutachten zur TRIPS-Kompetenz321 festgestellt, daß dieser Abschnitt im Europarecht seine Entsprechung in den Vgl. insoweit Art. 50 VIII TRIPS-Abkommen. Der Erlaß einer einstweiligen Maßnahme ist auch bei andauernden Rechtsverletzungen zulässig, Dreier, GRUR Int. 1996,205,212. 319 Aus Grunden eines effektiven Rechtsschutzes wird insoweit der Rechtsgrundsatz audiatur et altera pars durchbrochen. Vgl. zum deutschen Recht die Regelung in § 921 ZPO. 320 Vgl. zur Auslegung des Art. 50 VI TRIPS-Abkommen auch den Schlußantrag des Generalanwalts in der Rechtssache C-53/96 (Hennes), Mitt. 1998, 79 und das entsprechende Urteil des EuGH, WRP 1999, 86ff. - Hennes. 321 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994,1-5267 =GRUR Int. 1995,239,248. 317
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Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 3842/86 des Rates vom 01. 12. 1986 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren in den zolJrechtlich freien Verkehr322 gefunden hat. Der sachliche Anwendungsbereich der Artt. 51 ff. TRIPS-Abkommen beschränkt sich auf die Einfuhr von Waren mit nachgeahmten Marken 323 und unerlaubt hergestellter urheberrechtlich geschützter Ware 324 , Art. 51 S. 1 TRIPSAbkommen 32s • Aus Fn. l3 zu Art. 51 TRIPS-Abkommen folgt, daß die Mitglieder in Anknüpfung an Art. 6 TRIPS-Abkommen die Frage einer Erschöpfung der Rechte des geistigen Eigentums bewußt ausgeklammert haben, da keine Verpflichtung besteht, die im 4. Abschnitt des TRIPS-Abkommens verankerten Verfahren auch auf die Einfuhr von Waren, die in einem anderen Land vom Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht wurden oder in bezug auf Transitwaren anzuwenden. Im Hinblick auf Exportwaren ist den Mitgliedern gern. Art. 51 S. 3 TRIPS-Abkommen die Einführung einer Sanktionsmöglichkeit freigestellt 326 • Die Aussetzung der Warenfreigabe durch die Zollbehörden ist gern. Art. 52 TRIPS-Abkommen grundsätzlich von einer entsprechenden AntragsteIlung durch den Rechtsinhaber abhängig 327 • Sofern Mitglieder ein Aussetzungsverfahren von Amts wegen einleiten, ist die Sondervorschrift des Art. 58 TRIPS-Abkommen zu beachten 328 • Der Rechtsinhaber muß den begründeten Verdacht einer Rechtsverletzung durch ausreichende Beweise untermauern, die seinen Vortrag vor den zuständigen Behörden des jeweiligen Mitglieds prima facie stützen. Desweiteren muß er die betroffenen Waren hinreichend genau beschreiben. Soweit der Antrag des Rechtsinhabers erfolgreich ist, sind die zuständigen nationalen Stellen befugt, von ihm eine angemessene Kaution oder eine vergleichbare 322 AbI. 1994 Nr. L 357, S. I ff. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung insbesondere auf das Urheberrecht erfolgte durch die VO (EWG) Nr. 3295/94 vom 22. 12. 1994, AbI. 1994 Nr. L 341, S. 8 ff. 323 Eine Legaldefinition nachgeahmter Markenwaren findet sich in Fn. 14) Iit.a) zu Art. 51 TRIPS-Abkommen. 324 Unerlaubt hergestellte urheberrechtlich geschützte Waren werden in Fn. 14) Iit.b) zu Art. 51 TRIPS-Abkommen legaldefiniert. m Die Einbeziehung weiterer Verletzungen geistiger Eigentumsrechte ist gern. Art. 51 S. 2 TRWS-Abkommen in das Belieben der Mitglieder gestellt. Sofern dies erfolgt ist. eröffnen sich für den Importeur gern. Art. 53 11 TRWS-Abkommen zusätzliche Möglichkeiten, die Freigabe der streitgegenständlichen Waren zu erreichen. In bezug auf markenrechtliche Verletzungen findet diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut keine Anwendung. 326 Dies gilt in umgekehrter Richtung nach Art. 60 TRIPS-Abkommen auch für die Einfuhr in Kleinstmengen. 327 Die Dauer der Aussetzung richtet sich nach der Vorschrift des Art. 55 TRIPS-Abkommen. 328 Die nach nationalem Recht zuständigen Behörden haben dann gegenüber dem Rechtsinhaber bestimmte Auskunftsrechte. vgl. Art. 58 Iit.a) TRIPS-Abkommen.
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Sicherheitsleistung zu verlangen, Art. 53 I TRIPS-Abkommen329 • Von der Aussetzung der Freigabe sind dann der Importeur und der Antragsteller gern. Art. 54 TRIPS-Abkommen zu benachrichtigen. Beiden steht gern. Art. 57 TRIPS-Abkommen zudem ein Untersuchungsrecht an der zurückgehaltenen Ware ZU 330. Nicht freigegebene Waren können durch die nationalen Behörden in Übereinstimmung mit Art. 46 TRIPS-Abkommen vernichtet oder beseitigt werden 33l . Der Antragsgegner hat in diesem Zusammenhang das Recht, eine gerichtliche Überprüfung einzuleiten, Art. 59 S. 1 TRIPS-Abkommen.
(5) Strafveifahren Auch im Hinblick auf die strafrechtlichen Sanktionen etabliert das TRIPS-Abkommen einen gewissen internationalen Mindestschutz. Die Mitglieder haben sich gern. Art. 61 TRIPS-Abkommen darauf verständigt, zumindest in bezug auf die Tatbestände der vorsätzlichen Nachahmung von Markenwaren und der vorsätzlichen unerlaubten Herstellung urheberrechtlich geschützter Waren Strafverfahren und Strafen in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zu verankern. Für andere Fälle einer Verletzung geistiger Eigentumsrechte besteht gern. Art. 61 S. 3 TRIPSAbkommen eine Option zur Einführung entsprechender Strafverfahren und Strafen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Handlungen vom Täter vorsätzlich und gewerbsmäßig durchgeführt wurden. Die Festlegung eines exakten Strafrahmens läßt sich Art. 61 TRIPS-Abkommen nicht entnehmen. Ein lediglich allgemein formulierter Konsens unter den Mitgliedern konnte nur insoweit erzielt werden, daß zur Abschreckung ausreichende Haftund / oder Geldstrafen verhängt werden können. Als weitere Sanktionen sieht Art. 61 TRIPS-Abkommen die Beschlagnahme, die Einziehung und die Vernichtung der rechtsverletzenden Ware, des übrigen Tatmaterials und der Tatwerkzeuge vor. bb) Handlungsbedarf für das deutsche Recht Die Bundesregierung geht in ihrer Begründung betreffend das "Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. 04. 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation und zur Änderung anderer Gesetze" vom 30. 08. 1994 davon aus, daß sowohl das 329 Eine auf Betreiben des Antragstellers unrechtmäßig erlassene Aussetzunganordnung löst eine Schadensersatzpflicht des Antragstellers gegenüber dem Importeur, dem Empfanger und (ggf.) gegenüber dem Eigentümer der zurückgehaltenen Waren nach Art. 56 TRIPS-Abkommen aus. Gleiches gilt bei einem Verstoß gegen Art. 55 lRIPS-Abkommen. 330 Soweit der Rechtsinhaber über eine positive Sachentscheidung verfügt, hat er - vorbehaltlich einer anderslautenden Regelung durch das jeweilige Mitglied - gern. Art. 57 S. 3 lRIPS-Abkommen ein Auskunftsrecht in bezug auf die Namen und Anschriften des Absenders, Einführers und Empfängers der streitgegenständlichen Waren. 331 Im Hinblick auf nachgeahmte Markenwaren wird deren Wiederausfuhr in einem unveränderten Zustand nur in Ausnahmefällen gestattet, vgl. Art. 59 S. 2 TRIPS-Abkommen.
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deutsche materielle Recht als auch die dazugehörigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen in vollständigem Einklang mit den TRIPS-Vorschriften des ill. Teils stehen 332 . Dementsprechend wurden im Zuge der Transformation in das nationale Recht keine Veränderungen in der deutschen Rechtsordnung vorgenommen. In der Literatur wurden demgegenüber jedoch zurecht Zweifel dahingehend geäußert, ob das deutsche Recht den Anforderungen des Art. 50 TI TRIPS-Abkommen in bezug auf die Befugnis der Gerichte, einstweilige Maßnahmen auch ohne Anhörung der anderen Partei zu treffen, wenn nachweislich die Gefahr besteht, daß Beweise vernichtet werden, genügt333. Im deutschen Verfahrensrecht ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Beweissicherungsverfahren gern. §§ 485 ff. ZPO einschlägig. Zu beachten ist hier aber zunächst, daß sich eine ensprechende Beweissicherung nur auf bestimmte Beweismittel, nämlich auf die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder auf die Begutachtung durch einen Sachverständigen beschränkt. Parteivernehmungen und Urkundsvorlagen werden tatbestandiich im Rahmen des § 485 I ZPO nicht erfaßt. Darüber hinaus ist es erforderlich, daß das zu sichernde Beweismittel konkret besteht. Die §§ 485 ff. ZPO können daher nicht eingesetzt werden, um nach möglicherweise existenten Beweismitteln zu forschen. Eine weitere Einschränkung der praktischen Nützlichkeit folgt aus den Beteiligungsrechten, die der gegnerischen Partei zustehen. Gern. §§ 491, 493 TI ZPO ist der Gegner rechtzeitig zu laden, wenn der Antragsteller im späteren Prozeß den gesicherten Beweis verwerten möchte. Ein eventuell bestehendes und prozeßtaktisch wichtiges Überraschungsmoment läßt sich daher aus dem Beweissicherungsverfahren zugunsten des Antragstellers nicht ableiten 334 . In Ergänzung zum Beweissicherungsverfahren dienen auch die §§ 809, 810 BGB der Förderung, der Erhaltung oder der Verteidigung einer Rechtsposition 335 • Der BGH hat diesbezüglich das Besichtigungsrecht an einer Sache gern. § 809 BGB auch auf Ansprüche aus gewerblichen Schutzrechten erstreckt336 . Allerdings sind bei diesen Ansprüchen besondere Voraussetzungen vom Anspruchsinhaber gegenüber dem jeweiligen Besitzer der Sache darzulegen. § 809 BGB gelangt im Hinblick auf gewerbliche Schutzrechte nur dann zur Anwendung, wenn mit erheb332 BT-Drucks. 12/7655 (neu), S. 347. Zur Begründung wurde insbesondere auf die bereits eingearbeiteten Veränderungen durch das Produktpirateriegesetz (PrPG) vom 07. 03. 1990 (BGBL. I, S. 422) verwiesen. Auch der Gesetzgeber des MarkenG ist der Ansicht, daß dieses Gesetzeswerk die im TRIPS-Abkommen (zum damaligen Zeitpunkt im Entwurf des Dunkel-Textes) enthaltenen Verpflichtungen bereits voIlständig berücksichtigt hat, Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 59, 60. 333 So Dreier, GRUR Int. 1996,205,217. AIlgemein zu diesem Problemkreis, Krieger, U., GRUR Int. 1997,421, 422ff. 334 Dreier, a. a. O. Durch die Kenntnis vom Beweisssicherungsverfahren infolge der Ladung besteht die Gefahr, daß der Gegner für ihn ungünstige Beweismittel vernichtet. m BGH, NJW 1981, 1733. 336 BGHZ 93,191 ff. GRUR 1985, 512ff. - Druckbalken (patentrechliche Streitigkeit).
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licher Wahrscheinlichkeit feststeht, daß die streitgegenständliehe Sache rechtsverletztend ise 37 . Durch diese strenge Anforderung ist die praktische Bedeutung des § 809 BGB bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte in entscheidender Weise eingeschränkt worden 338 . Die Effektivität der Rechtsdurchsetzung gewerblicher Schutzrechte wird daher im wesentlichen durch spezielle Auskunftsansprüche gegen Dritte gewährleistet 339 • Im Ergebnis bleibt damit das deutsche Recht - insbesondere in bezug auf die Notwendigkeit einer vorherigen Ladung des Gegners gern. §§ 491, 493 11 ZPO hinter den Anforderungen des Art. 50 11 TRIPS-Abkommen zurück. Da der ill. Teil des TRIPS-Abkommens insgesamt als ein Mindestschutzkatalog ausgestaltet ist und sich die Mitglieder gern. der Artt. 1 I, 41 I TRIPS-Abkommen zur Anwendung und Umsetzung der völkerrechtlich verankerten Rechte und Rechtspositionen verpflichtet haben, besteht insoweit ein Handlungsbedarf für den nationalen Gesetzgeber, das System der Beweissicherung im Rahmen gewerblicher Schutzrechte zu reformieren. Dies könnte beispielsweise durch eine liberalere Rechtsprechungspraxis des BGH im Hinblick auf § 809 BGB sichergestellt werden 340.
3. Die Zuständigkeits- und Umsetzungskompetenzjür die markenrechtlich relevanten Teile des TRIPS-Abkommens im Spannungsverhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht Im Hinblick auf die Zuständigkeits- und Umsetzungskompetenz für das TRIPSAbkommen hat der EuGH ein entsprechendes Rechtsgutachten erstelle41 • Der EuGH hatte hier festgestellt, daß die Zuständigkeit zum Abschluß des TRIPS-Abkommens zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten geteilt sei 342 • Die genaue Reichweite dieser Aufteilung wurde vom Gericht - abgesehen von Teilbereichen - nicht näher spezifiziert. 337 BGHZ 93, 191, 207. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen müssen daher bereits soweit vorliegen, daß nur noch die Besichtigung der Sache hinzutreten muß, um den geltend gemachten Anspruch vollständig substantiieren zu können. 338 Kritisch dazu Stauder, GRUR 1985, 518 (Anm. zum BGH-Urteil ,,Druckbalken Fritze/Stauder, GRUR Int. 1986, 342f.; Göuing, GRUR Int. 1988,729, 737ff. Dies gilt im Ergebnis auch für § 810 BGB, weil diese Einsichtnahmemöglichkeit in Urkunden voraussetzt, daß das entsprechende Schriftstück auch im Interesse des Anspruchsstellers errrichtet wurde. 339 Vgl. z. B. § 19 MarkenG, § 140b PatG. In Ergänzung hierzu ist der allgemeine, aus § 242 BGB resultierene Auskunftsanspruch zu nennen. 340 Im Ergebnis ebenso Dreier, GRUR Int. 1996,205,218. 341 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994,1-5267 = GRUR Int. 1995, 239ff. Vgl. dazu auch 5. Kapitel, § 2, S. 340 ff. 342 Dieses Ergebnis haben die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten in der praktischen Anwendung dadurch vorweggenommen, daß sie das TRIPS-Abkommen als sog. gemischtes Abkommen abgeschlossen haben. U
);
120
2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Eine exakte Abgrenzung der Kompetenzverteilung ist jedoch deshalb von grundlegender Bedeutung, weil die in diesem Zusammenhang heranziehbare Idee der Sachwalterschafe43 durch die Mitgliedstaaten zugunsten der Gemeinschaft im Rahmen der völkerrechtlichen Auswirkungen eines gemischten Abkommens nur dazu dienen kann, die gemeinschaftsrechtliche Unanwendbarkeit des jeweiligen gemischten Abkommens wegen einer Kompetenzüberschreitung der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten zu verhindern. Eine dauerhafte innergemeinschaftliche Kompetenzverschiebung oder eine Ausdehnung der Wirkung des Art. 300 (exArt. 228) VII EGV auf den Mitgliedstaatsanteil an dem gemischten Abkommen soll demgegenüber gerade nicht bewirkt werden 344 . Daraus folgt, daß für den in Abgrenzung zum Gemeinschaftsanteil zu bestimmenden Mitgliedstaatsanteil am gemischten Abkommen ausschließlich das jeweils anwendbare nationale Verfassungsrecht über die Umsetzung und den Rang des entsprechenden Teils des in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrags entscheidet. Der EuGH prüfte im Rahmen seines Gutachtens das Vorliegen einer ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft zunächst anhand der Vorschrift des Art. 133 (ex-Art. 113) EGV. Aus dieser Kompetenzregelung leitete das Gericht lediglich eine Alleinzuständigkeit der Gemeinschaft in bezug auf Abschnitt 4 des Teils III des TRIPS-Abkommens ab 345 • Im Hinblick auf alle übrigen TRIPS-Bestimmungen billigte der EuGH der Gemeinschaft auch keine stillschweigende Alleinkompetenz auf Grundlage der ,,AETR"-Rechtsprechung 346 zu, da eine europarechtliche Harmonisierung in bezug auf die vom TRIPS-Abkommen erfaßten Rechtsgebiete bislang nur teilweise erfolgte 347 • Hieraus läßt sich ableiten, daß eine Alleinzuständigkeit der Gemeinschaft zumindest soweit besteht, wie die Harmonisierung gewerblicher Schutzrechte im Binnenmarkt aufgrund europäischen Sekundärrechts reicht 348 • In bezug auf das Markenrecht stellt sich die Situation wie folgt dar: Die Gemeinschaft ist hier insbesondere durch den Erlaß der MarkenRL harmonisierend tätig geworden 349 • Bereits im 3. Erwägungsgrund zur MarkenRL wurde jedoch VgI. allgemein dazu Streinz, Europarecht, S. 48, S. 158, 159. So Streinz, Europarecht, S. 157 ff., S. 220f. 345 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994,1-5267 = GRUR Int. 1995,239,248,249 unter Hinweis auf das europarechtliche Pendant der VO (EWG) NR. 3842/86, AbI. 1994 Nr. L 357, S. 1 ff. 346 Außenkompetenz als Annex zu einer realisierten Innenkompetenz, EuGH, Slg. 1971, 263-AElR. 341 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994,1-5267 GRUR Int. 1995,239,249,250. 348 Der EuGH spricht in diesem Zusammenhang davon, daß "die Kommission mit Sicherheit eine Zuständigkeit für die Harrnonisierung der nationalen Vorschriften in diesen Bereichen (hat), soweit sich diese, wie es in An. 94 (ex-An. 100) EGV heißt, unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken", EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994,1-5267 GRUR Int. 1995,239,249,250. 349 Gleiches gilt auch im Hinblick auf die GMarkenV. 343
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§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
121
aufgezeigt, daß eine vollständige Angleichung der Markenrechte der Mitgliedstaaten nicht beabsichtigt war350• Nach den Grundsätzen der "AETR"-Rechtsprechung kann sich eine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft hinsichtlich Teil 11, Abschnitt 2 des TRIPS-Abkommens (Artt. 15-21 TRIPS-Abkommen, Verankerung des internationalen Markenschutzes als Mindeststandard) nur dann ergeben, wenn die dort niedergelegten materiellen Bestimmungen vom Harmonisierungsbereich der MarkenRL erfaßt werden. In diesem Zusammenhang läßt sich feststellen, daß nahezu alle Vorschriften der Artt. 15 - 21 TRIPS-Abkommen eine inhaltliche Entsprechung in bestimmten Einzelregelungen der MarkenRL gefunden haben 351 • Die TRIPS-Vorschriften zum Markenrecht werden daher im wesentlichen von den Parallelvorschriften der MarkenRL für die Harmonisierung der Markenrechte in der EU erfaßt. Die Gemeinschaft besitzt daher insoweit eine stillschweigende nach außen wirkende Alleinkompetenz, da sie von der ihr zustehenden Innenkompetenz in diesem Umfang durch die MarkenRL Gebrauch gemacht hat. Im Hinblick auf das System der Rechtsdurchsetzung nach dem TRIPS-Abkommen (Teil m, Artt. 41-61 TRIPS-Abkommen) läßt sich bereits unmittelbar aus dem EuGH-Gutachten im Wege eines Umkehrschlusses ableiten, daß insoweit kein umfassender gemeinschaftsrechtlicher Kompetenzanteil besteht. Dieser bezieht sich nur auf die Artt. 51-60 TRIPS-Abkommen (besondere Erfordernisse bei Grenzmaßnahmen). Für die übrigen Bereiche der Rechtsdurchsetzung (Artt. 41-50 und Art. 61 TRIPS-Abkommen) sind demgegenüber die Mitgliedstaaten zuständig. Der Mitgliedstaatsanteil erstreckt sich nach den oben dargelegten Grundsätzen zudem auch auf Teil I, IV und V des TRIPS-Abkommens, da insbesondere der MarkenRL ein entsprechender, parallel verlaufender Harmonisierungsgehalt nicht zukommt. Aus diesem Befund ergibt sich insgesamt, daß der Gemeinschaftsanteil am TRIPS-Abkommen das materielle Markenrecht, den Schutz geographischer Herkunftsangaben und die besonderen Erfordernisse bei Grenzmaßnahmen umfaßt. In diesem Rahmen weist das TRIPS-Abkommen einen europarechtlich determinierten Geltungsgrund auf. Art. 300 (ex-Art. 228) VII EGV ist insoweit anwendbar und bestimmt den Rang dieses Anteils. In Anknüpfung an die bisherige GATIRechtsprechung des EuGH ist das einschlägige europarechtliche Sekundärrecht grundsätzlich an den Schutzstandards des TRIPS-Abkommens zu messen 352 • Für entsprechende Auslegungsfragen ist der EuGH exklusiv zuständig 353 • Hinsichtlich GRUR Int. 1989,294. Es ergibt sich folgende Synopse: Art. 15 TRIPS-Abkommen! Artt. 1, 2 MarkenRL; Art. 16 TRIPS-Abkommen! Art. 5 MarkenRL; Art. 17 TRIPS-Abkommen! Art. 6 MarkenRL; Art. 18 TRIPS-Abkommen!keine direkte Parallele; Art. 19 TRIPS-Abkommen! Art. 10 MarkenRL; Art. 20 TRIPS-Abkommen!mittelbar aus Art. 10 MarkenRL; Art. 21 TRIPS-Abkommen! Art. 8 MarkenRL. 352 Vgl. dazu näher 5. Kapitel, § 2, S. 336 ff. 353 Im Hinblick auf Verletzungen des TRIPS-Abkommens besteht desweiteren die Möglichkeit, daß die Kommission innerhalb der sachlichen Reichweite des Gemeinschaftsanteils 350 351
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
des Gemeinschaftsanteils sind die Gemeinschaftsorgane zudem gleichzeitig dafür verantwortlich, daß der vertragskonforme Vollzug der Verpflichtungen aus dem TRIPS-Abkommen, ggf. durch Anpassungen des europarechtlichen Sekundärrechts, sichergestellt wird 354 •
4. Die unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS-Abkommens im nationalen und europäischen Recht
Die Erörterung der Kompetenzabgrenzungsschwierigkeiten zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten wirkt sich auch auf die Frage aus, ob die Regelungen des TRIPS-Abkommens für die Begünstigten überhaupt unmittelbar abwendbar sind. Diese Frage wird umfassend im 5. Kapitel anhand eines konkreten Beispiels zur VO (EWG) Nr. 2081/92 behandele55 . Die folgenden Ausführungen sollen an dieser Stelle nur einen ersten Überblick vermitteln. Zunächst ist in diesem Zusammenhang zu klären, ob die jeweilige TRIPS-Vorschrift dem Gemeinschaftsanteil oder dem Mitgliedstaatsanteil unterfällt, da sich insoweit divergierende Grundsätze für die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit ergeben. Im Hinblick auf den Gemeinschaftsanteil ist die eindeutige Stellungnahme des Rates zu berücksichtigen, wonach das WTO-Abkommen und seine Annexe (u. a. TRIPS-Abkommen) nicht unmittelbar anwendbar seien356 • Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung der EuGH zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des GATT in der Gemeinschaft357 • Insbesondere im Rahmen des materiellen Markenrechts und des Schutzes geographischer Herkunftsangaben scheidet daher eine unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS-Abkommens - vorbehaltlich einer (wenig wahrscheinlichen) abweichenden Einschätzung durch den EuGH - aus 358 • Eine mittelbare Anwendbarkeit ergibt sich jedoch hier daraus, daß die TRIPS-Vorauf Grundlage des ,,Neuen Handelspolitischen Instruments" (VO (EWG) Nr. 3286/94 des Rates vom 22. 12. 1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, AbI. 1994 Nr. L 349, S. 71 ff.) befaßt wird. 354 Schäfers, GRUR Int. 1996,763,775. 355 5. Kapitel, § 2, S. 336 ff. 356 So der letzte Absatz der Präambel zum Beschluß des Rates der EU vom 23. 12. 1994, Nr. 94/800, AbI. 1994 Nr. L 336. Hierdurch wurde auf europäischer Ebene die Annahme des WTO-Übereinkommes eingeleitet. 357 Vgl. dazu näher 5. Kapitel, § 2, S. 337 ff. 358 Demgegenüber spricht sich Meng, in: FS für Bernhard, 1995, S. 1063ff., 1072ff., im Ergebnis für eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts innerhalb der Gemeinschaft aus. Zur Begründung weist Meng auf das erneuerte System der Streitbeilegung und auf die verstärkte Adressierung der WTO-Rechtssätze an natürliche und juristische Personen hin.
§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
123
schriften als Auslegungsmaßstab für das entsprechende europarechtliche Sekundärrecht herangezogen werden können. Hinsichtlich des Mitgliedstaatsanteils und der entsprechenden Anwendbarkeit des nationelan Rechts, müssen die TRIPS-Bestimmungen individuell untersucht werden. Eine unmittelbare Anwendbarkeit nach deutschem Recht ist im Hinblick auf Teil III des TRIPS-Abkommens in Übereinstimmung mit der Begründung der Bundesregierung abzulehnen, weil sich diese Regelungen nahezu ausschließlich an die Mitgliedstaaten als Adressaten richten mit dem Ziel einer Überführung der Verpflichtungen in das jeweilige nationale Reche 59 • In Betracht kommt aber eine mittelbare Anwendung über den Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung nationaler Rechtssätze 360 • Demgegenüber stellen sich insbesondere die Art. 3 und Art. 4 TRIPS-Abkommen (Inländerbehandlung und Meistbegünstigung) als unmittelbar anwendbare tragende Prinzipien dar. Dies folgt hinsichtlich Art. 3 TRIPS-Abkommen bereits aus einem Vergleich mit der inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 2 PVÜ361 • Für Art. 4 TRIPS-Abkommen ergibt sich dies aus einem Vergleich mit Art. I GATT 1994362 •
5. Das Verhältnis des TRIPS-Abkommens zur PVÜ und ihren Sonderabkommen
Das Verhältnis des TRIPS-Abkommens zur PVÜ ist in Art. 2 TRIPS-Abkommen niedergelegt. Die Mitglieder haben sich gern. Art. 2 I TRIPS-Abkommen die Pflicht auferlegt, im Rahmen der Teile 11, III und IV des TRIPS-Abkommens die Artt. 1-12 und 19 PVÜ zu beachten. Als maßgeblicher Text der PVÜ wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Stockholmer Fassung von 1967 genannt. Als Nebenfolge dieser textlichen Verankerung steht damit fest, daß für alle PVÜ-Verbandsstaaten, die gleichzeitig auch TRIPS-Mitglieder sind, diese Stockholmer Fassung verbindlich ist. Das Problem der Anwendung verschiedender Konventionsfassungen ist insoweit durch das TRIPS-Abkommen entschärft worden. Darüber hinaus bestimmt 359 Begr. zum deutschen Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 1217655, S. 347. Weitere Gründe gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit des III.Teiis des TRIPS-Abkommens bei Dreier, GRUR Int. 1996,205,215 und Ullrich, GRUR Int. 1995,623,637 ff. 360 Insoweit gilt das Prinzip der V61kerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung, vgl. Bleckrnann, DÖV 1996, 137 ff. 361 Der Grundsatz der Inländerbehandlung nach Art. 2 PVÜ gilt unstreitig als unmittelbar anwendbar, vgl. nur Fezer, Markenrecht, Int. MarkenR Rnr.37. Dies muß auch in bezug auf Art. 3 TRIPS-Abkommen gelten, da sachliche Differenzierungsgründe fIlr eine Ungleichbehandlung der genannten Vorschriften in bezug auf ihre Rechtsqualität nicht gegeben sind. 362 Im Ergebnis auch Schäfers, GRUR Int. 1996, 763, 776.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Art. 2 11 TRIPS-Abkommen, daß die im Zuge der PVÜ übernommenen Verpflichtungen der Mitglieder nicht durch das TRIPS-Abkommen berührt werden. Das Verhältnis der genannten Verträge zum internationalen Schutz des geistigen Eigentums läßt sich daher in den Worten von A. Kur363 plastisch als ,,Paris-PlusAnsatz" beschreiben. Hieraus folgt, daß das bisherige Schutzsystem der PVÜ unangetastet bleibt und im Hinblick auf die materiellen Bestimmungen zusätzlich auf Nicht-PVÜ-Mitglieder erstreckt wird, sofern diese dem TRIPS-Abkommen beigetreten sind. Die PVÜ wird durch diesen Vorgang insgesamt als materiell-rechtliches Fundament des TRIPS-Abkommens eingesetzt. Sinn und Zweck des TRIPSAbkommens ist es nunmehr, das bisher im Rahmen der PVÜ Erreichte zu vervollkommnen. In bezug auf das MMA ergeben sich demgegenüber keine Berührungspunkte für das TRIPS-Abkommen. Diese Abkommen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themenkomplexen. Das TRIPS-Abkommen enthält keine Bestimmungen zur internationalen Registrierung von Schutzrechten. Dieser Regelungsbereich bleibt dem MMA vorbehalten. Das unbeeinflußte Nebeneinander des TRIPS-Abkommens und des MMA hat sich auch in der Vorschrift des Art. 5 TRIPS-Abkommen niedergeschlagen. Danach finden die Art. 3 und Art. 4 TRIPS-Abkommen (Inländerbehandlung und Meistbegünstigung) keine Anwendung auf Verfahren, die im Rahmen der WIPO geschlossen wurden und den Erwerb oder die Aufrechterhaltung von Rechten des geistigen Eigentums betreffen. Diese Vorschrift erfaßt tatbestandlich auch das MMA.
D. Aktivitäten der WIPO zur Reform des internationalen Markenschutzes Bis zum Ministerbeschluß von Punta dei Este fungierte die WIPO als alleinige Keimzelle für Reformen im Bereich des internationalen Markenschutzes. Infolge der Etablierung der WTO ist ein zweites internationales "Reformstandbein" und gleichzeitig ein "Konkurrent" für die WIPO durch die Staatengemeinschaft geschaffen worden. Das besondere Verhältnis zwischen diesen beiden internationalen Organisationen wird insbesondere durch den letzten Absatz der Präambel zum TRIPS-Abkommen dokumentiert 364 . Die WIPO hat die neu geschaffene Konkurrenzsituation zur WTO angenommen und ihrerseits Reformvorschläge unterbreitet. GRUR Int. 1994,987,989. Dort heißt es: ,,In dem Wunsch, eine der gegenseitigen Unterstützung dienende Beziehung zwischen der Welthandelsorganisation und der WeItorganisation für geistiges Eigentum sowie anderen einschlägigen internationalen Organisationen aufzubauen ... ". 363
364
§ 3 Refonnversuche und Refonnbestrebungen
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In diesem Zusammenhang kann vornehmlich auf den Markenrechtsvertrag (Trademark Law Treaty, TLT)36S verwiesen werden. Dieses Vertragswerk wurde bislang von insgesamt 51 Staaten unterzeichnet. Zu den Signataren zählen u. a. auch alle EU-Staaten mit Ausnahme Irlands 366 .
Die Vertragsparteien des TLT strebten urspünglich an, eine Harmonisierung des materiellen Markenrechts herbeizuführen, die sich insbesondere auf die eintragungsfahigen Markenformen, die absoluten und relativen Schutzhindernisse und auf den Markenschutz jenseits des Produktähnlichkeitsbereichs erstrecken sollte. Diese Regelungsziele ließen sich jedoch im Rahmen der TLT-Verhandlungen nicht realisieren. Als größter gemeinsamer "Harmonisierungsnenner" verblieb schließlich eine Vereinfachung der Anmeldung und Eintragung von Marken sowie die Änderung und Erneuerung von Markenregistrierungen. Die markenrechtlichen Vereinfachungen werden im Rahmen des TLT hauptsächlich dadurch bewirkt, daß dieses Vertragswerk die im jeweiligen Einzelfall zu beachtenden Formvorschriften enumerativ aufzählt und zugleich sicherstellt, daß die einzelnen Vertragsparteien keine weiteren formalen Anforderungen aufstellen. Der wesentliche Inhalt des TLT läßt sich wie folgt skizzieren: Gern. Art. 2 TLT erstreckt sich der sachliche Anwendungsbereich des Vertragswerkes lediglich auf visuell wahrnehmbare Marken, ohne Einschluß holographischer Marken. Inhalt und Form der Anmeldung bestimmen sich nach Art. 3 TLT. Art. 4 TLT beinhaltet die Prämissen einer wirksamen Vertretung, während Art. 5 TLT die Zuerkennung eines Anmeldedatums regelt. Unter den Voraussetzungen des Art. 6 TLT ist die Zusammenfassung verschiedender Waren- und Dienstleistungsklassen in einer Anmeldung zulässig. In den folgenden Artikeln sind die Teilung der Anmeldung (Art. 7 TLT), die Form erforderlicher Unterschriften (Art. 8 TLT), die Anwendung der Internationalen Klassifikation der Waren und Dienstleistungen (Art. 9 TLT), die formellen Voraussetzungen der Änderung des Namens oder der Anschrift des Markeninhabers (Art. 10 TLT) bzw. des Wechsels der Markeninhaberschaft (Art. 11 TLT), die Korrektur in bezug auf Fehler in der Anmeldung oder der Eintragung (Art. 13 TLT), und schließlich die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Zurückweisung einer Anmeldung (Art. 14 TLT) niedergelegt. Von besonderer Bedeutung ist die Bestimmung des Art. 15 TLT. Danach kommen die Vertragsstaaten überein, die markenrechtlich relevanten Vorschriften der PVÜ anzuwenden. Infolge dieser Konstruktion werden die Regelungen der PVÜ nunmehr auch für diejenigen Vertragsparteien verbindlich, die nicht zu den Verbandsstaaten der PVÜ gehören, aber den Markenrechtsvertrag ratifiziert haben 367 . 365 TLT vom 27. 10. 1994, WIPO-Dokument Nr. 225 (0) 1995. Die entsprechenden Vertragsentwurfsverhandlungen wurden von der WIPO bereits im Jahre 1987 aufgenommen. Al1gemein zum TLT, Kunz-Hal1stein, ORUR Int. 1992, 763ff.; Kunze, WRP 1996, 982ff. 366 Der TLT ist am 01. 08. 1996 in Kraft getreten. Ihm gehören heute 22 Staaten an, vgl. ORUR Int. 1999,431,432.
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2. Kap.: Der internationale Markenschutz
Aus Art. 16 TLT folgt die Verpflichtung der Vertrags parteien, Dienstleistungsmarken eine Eintragungsmöglichkeit nach nationalem Recht zu gewähren und diese in Übereinstimmung mit den Vorschriften der PVÜ für Warenmarken zu schützen. Auf Grundlage des Art. 17 TLT ist eine Ausführungsordnung zum Markenrechtsvertrag vorgesehen, die die einzelnen Vertragsregelungen weiter spezifiziert und zugleich Muster internationaler Formblätter enthäle68 • Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß sich das Verhältnis zwischen dem TLT und dem TRIPS-Abkommen durch eine teilweise inhaltliche Überlappung auszeichnet. Dies gilt insbesondere für den Schutz von Dienstleistungsmarken, die Eintragungsvoraussetzungen und dem Anliegen der Vereinfachung und Beschleunigung nationaler Markeneintragungsverfahren 369.
367 Dies trifft z. B. im Hinblick auf die Europäischen Gemeinschaften zu. Dasselbe Ergebnis wird in bezug auf die Artt. 1-12 und 19 PVÜ auch durch Art. 2 I TRIPS-Abkommen erzielt. 368 Die Markenanmeldungen werden hierdurch organisatorisch vereinfacht, weil die nationalen Markenämter Anträge, die mit Hilfe der speziellen Formulare eingereicht wurden, nicht aus formalen Gründen zurückweisen können, vgl. z. B. Art. 3 I1liti) TLT. 369 Zu den weiteren Einzelheiten des Verhältnisses des TLT zum TRIPS-Abkommen, Kur, GRUR Int. 1994,987,990.
Drittes Kapitel
Das supranationale Markenrecht § 1 Die Markenrechtsrichtlinie (MarkenRL) Bereits am 21. 12. 1988 hat der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere gestützt auf Art. 95 (ex-Art. 100a) EGV, die Erste Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken verabschiedet 1• Ziel dieses europarechtlichen Regelungswerkes ist es vornehmlich, die Angleichung der nationalen Markenrechte der Mitgliedstaaten der EU sicherzustellen2 • Zu beachten ist jedoch, daß die MarkenRL keine Totalharmonisierung der nationalen Markenrechte anstrebt. So heißt es in den Erwägungsgründen zur MarkenRL: ,,Es erscheint gegenwärtig nicht notwendig, die Markenrechte der Mitgliedstaaten vollständig anzugleichen. Es ist ausreichend, wenn sich die Angleichung auf diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beschränkt, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken,,3. Die MarkenRL soll insgesamt einen Mindeststandard der Vereinheitlichung der Markenrechte innerhalb der EU herbeiführen. Harmonisiert wird nur der Bereich der eingetragenen Marken. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 1 MarkenRL, der den Anwendungsbereich dieses sekundärrechtlichen Rechtsaktes festlegt. Als wichtigste Angleichungsbestimmungen sind in diesem Zusammenhang der Kreis der möglichen Markenformen (Art. 2 MarkenRL), die wesentlichen Schutzvoraussetzungen und Eintragungshindernisse (Artt. 3, 4 MarkenRL), die Rechte aus der eingetragenen Marke (Art. 5 MarkenRL), deren Erschöpfung (Art. 7 MarkenRL), die Markenlizenzierung (Art. 8 MarkenRL), der Benutzungszwang (Art. 10 MarkenRL) und der Verfall (Art. 12 MarkenRL) zu nennen. Auch nach dem Inkrafttreten der MarkenRL bleibt es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, die durch Benutzung erworbenen Marken zu schützen und 1 Richtlinie des Rates 891 104 1EWG vom 21. 12. 1988, AbI. 1989 Nr. L 40, S. I vom 11. 02. 1989 GRUR Int. 1989, 294ff. Allgemein dazu Meister, MA 1990, 525ff.; KunzHallstein, GRUR Int. 1990,747 ff.; Kraft, GRUR 1991, 339 ff. 2 So der l. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989, 294. Zur Umsetzung der MarkenRL in den Mitgliedstaaten mit Hilfe nationaler Markengesetze, Kur, GRUR 1997, 241, 242; dies., 28 He (1997), 1,4. 3 2. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989,294.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
bekannten Marken einen über die MarkenRL hinausgehenden Schutz einzuräumen4 • Von besonderer Bedeutung für das europäische Markenschutzsystem ist die Ausstrahlungswirkung, die der MarkenRL als europarechtlichem Sekundärrecht im Sinne des Art. 249 (ex-Art. 189) III EGVgegenüber dem im Einzelfall anwendbaren nationalen Markenrecht zukommt. So hat beispielsweise der deutsche Gesetzgeber die MarkenRL zum Anlaß genommen, eine Gesamtreform des deutschen Markenrechts in Gestalt des MarkenG durchzuführen 5 . Eine weitere Beeinflussung des nationalen Markenrechts durch die MarkenRL folgt mittelbar aus dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, der aus Art. 10 (ex-Art. 5) 11 i.V.m. Art. 249 (ex-Art. 189) III EGVabgeleitet werden kann6 . Dieser Grundsatz wirkt sich im deutschen MarkenG z. B. dahingehend aus, daß alle Rechtsbegriffe in diesem Gesetz, die der Umsetzung der Vorgaben der MarkenRL zu dienen bestimmt sind, aufgrund ihrer europarechtlichen Herkunft in letzter Instanz verbindlich durch den EuGH im Rahmen seiner Jurisdiktion zur MarkenRL gern. Art. 220 (ex-Art. 164) EGVanhand seiner Auslegungsgrundsätze ausgelegt werden. Die bisherige nationale Rechtsprechung in diesen Bereichen kann nicht mehr uneingeschränkt herangezogen werden, sondern steht vielmehr unter dem Vorbehalt einer (möglichen) Änderung durch den EuGH. Insoweit strahlen zukünftige Gerichtsentscheidungen des EuGH zur MarkenRL mittelbar auf das richtlinienkonform auszulegende nationale Recht aus7 •
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV) A. Entstehungsgeschichte, Struktur und Zielsetzung Die Idee der Schaffung eines einheitlichen Gemeinschaftsmarkenrechts wurde bereits in den 60er Jahren in Angriff genommen8 . Vgl. den 4. und 9. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989,294. Vgl. allgemein zur Markenrechtsreform in Deutschland, Berlit, passim; Dreiss 1Klaka, passim; Schmieder, NJW 1994, 1241; Ingerl/Rohnke, NJW 1994, 1247; v. Gamm, WRP 1993,793; Raßmann, passim, mit rechtsvergleichenden Hinweisen. Vgl. zu den Zielsetzungen, die der deutsche Gesetzgeber mit der Etablierung des MarkenG verfolgt hat, Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 55 ff. 6 Vgl. zum Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, EuGH, Slg. 1994,1-3325 = NJW 1994, 2473ff. = JZ 1995, 149ff. (mit Anm. Heß) - Paola Faccini Dori; Bleckmann, ZGR 1992, 364 ff.; Everling, ZGR 1992, 376 ff.; Brechmann, passim; Streinz, Europarecht, S. 143; Fezer, WRP 1998, 1,5. 7 Vgl. zu diesem europarechtlichen Einfluß auf die Auslegung des MarkenG auch die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 58. 8 Allgemein zur Entstehungsgeschichte der GMarkenV, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke S. 15 ff.; Schönfeld, S. 16 ff.; Hackbarth, S. 12 ff.; vgl. auch Gloy, in: FS für v. Garnm, 1990, S. 257ff.; v. MühlendahllOhlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 4ff.; vgl. auch Hubmannl Göuing, S. 408 ff. 4
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§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Eckpunkte dieser Entwicklung sind der Konventionsentwurf einer Arbeitsgruppe aus dem Jahre 19649 und die 1976 veröffentlichte Denkschrift der Kommission lO, die sich bereits seit Anfang der 70er Jahre für die Etablierung einer Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV) auf Grundlage des Art. 308 (exArt. 235) EGV eingesetzt hatte. Im Anschluß hieran erarbeitete die Kommission verschiedene Verordnungsvorschläge 11. Den Mitgliedstaaten gelang es trotz der umfangreichen Vorarbeiten erst am 20. 12. 1993, die GMarkenV zu verabschieden l2 • Gern. Art. 143 I GMarkenV ist diese Verordnung am 15. 03. 1994 in Kraft getreten 13 . Die GMarkenV besteht aus 13 verschiedenen Titeln, die insgesamt 143 Artikel umfassen. Titel I (Artt. 1 - 3 GMarken V) enthält al1gemeine Bestimmungen, die sich auf die Gemeinschaftsmarke als solche, das Harmonisierungsamt und die Rechtsfähigkeit beziehen. In Titel 11 Artt. 4-24 GMarkenV) wurde das materiel1e Markenrecht verankert. Die entsprechenden Vorschriften beschäftigen sich mit dem Begriff und dem Erwerb der Gemeinschaftsmarke, den Wirkungen und der Benutzung der Gemeinschaftsmarke. Daneben finden sich Bestimmungen zur Gemeinschaftsmarke als Vermögensgegenstand. Titel m und IV (Artt. 25 -45 GMarken V) beinhalten das Anmeldeverfahren, das Widerspruchsverfahren und das Eintragungsverfahren, inklusive Regelungen zur Prioritätsfrage. In Titel V und 9 Vorentwurf eines Übereinkommens über ein Europäisches Markenrecht, Luxemburg 1973, Dokument 5934/IV /64. 10 Denkschrift über die Schaffung einer EWG-Marke, GRUR Int. 1976,481 ff. 11 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Verordnungsvorschläge aus den Jahren 1978 (GRUR Int. 1978, 452ff.), 1980 (GRUR Int. 1981, l00ff.), 1984 (AbI. Nr. C 230, S. 1 ff.) und 1988 (GRUR Int. 1989, 388 ff.). 12 Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20. 12. 1993 (AbI. 1994 Nr. L 11 vom 14.01. 1994, S. 1 ff.). Die Verabschiedung der GMarkenV wurde insbesondere durch die streitigen Fragen des Sitzes des Harmonisierungsamtes und der Sprachenregelung verzögert, vgl. v. Mühlendahl, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, 215, 217 ff. 13 Geringfügige Modifikationen erfolgten durch die VO (EG) Nr. 3288/94 des Rates vom 22. 12. 1994 (AbI. 1994 Nr. L 349, S. 83ff.). Die Änderungen bezogen sich auf Art. 5 I lit.b) und lit.d), Art. 7 I lit.j) und Art. 29 I und V GMarkenV und dienten der Angleichung an die im Rahmen des TRIPS-Abkommens übernommenen Verpflichtungen. Das System der Gemeinschaftsmarke wird vervollständigt durch die VO (EG) Nr. 2868/ 95 der Kommission vom 13. 12. 1995 zur Durchführung der VO (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke (AbI. Nr. L 303, S. 1 ff.). Die Durchführungsverordnung besteht aus drei Artikeln. Art. 1, der in 12 Titel gegliedert ist, enthält insgesamt 101 Regeln. Art. 2 enthält Übergangsvorschriften, während Art. 3 das Inkraftrteten der Durchführungsverordnung regelt. Darüber hinaus ist die VO (EG) Nr. 2869/95 der Kommission vom 13. 12. 1995 über die an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zu entrichtenden Gebühren (AbI. Nr. L 303, S. 33ff.) zu nennen. Beide vorgenannten Verordnungen sind am 22.12.1995 in Kraft getreten. Markenanmeldungen konnten beim Harmonisierungsamt in Alicante ab dem 01. 01. 1996 eingereicht werden. Als entscheidender Stichtag für den Beginn der Anmeldewirkungen wurde der 01. 04. 1996 festgelegt.
9 Spuhler
130
3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
VI (Artt. 46 - 56 GMarken V) werden sowohl Dauer, Verlängerung und Änderung der Gemeinschaftsmarke als auch Verzicht, Verfall und Nichtigkeit derselben näher geregelt. Titel VII (Artt. 57 - 63 GMarken V) bezieht sich auf das Beschwerdeverfahren. Hieran anschließend finden sich Bestimmungen zum Recht der Gemeinschaftskollektivmarken (Titel VIII, Artt. 64-72 GMarkenV). Titel IX (Artt. 7389 GMarken V) regelt die Verfahrensvorschriften in bezug auf die Tatigkeit des Harmonisierungsamtes. In Titel X (Artt. 90 - 104 GMarken V) werden Zuständigkeits- und Verfahrens fragen für Klagen behandelt, die Gemeinschaftsmarken betreffen. Titel XI (Artt. 105 - 110 GMarken V) beschäftigt sich mit den Auswirkungen der GMarken V auf des Recht der einzelnen Mitgliedstaaten. Titel XII (Artt. 111 - 139 GMarken V) enthält demgegenüber die Organisationsvorschriften für das Harmonisierungsamt. Die Schlußbestimmungen im Hinblick auf die Durchführung der GMarkenV und den Zeitpunkt des Inkrafttretens wurden in Titel XIII (Artt. 140-143 GMarkenV) zusammengezogen. Die mit der GMarken V verfolgten Zielsetzungen lassen sich anhand der Erwägungsgründe 14 zu diesem Gemeinschaftssekundärrechtsakt bestimmen. Die GMarken V soll vornehmlich dazu dienen, den im Gemeinsamen Markt tätigen Unternehmen die Verwendung von Marken zur Waren- oder Dienstleistungskennzeichnung in der gesamten Gemeinschaft ohne Rücksicht auf die vorhandenen Grenzziehungen zu ermöglichen. Hierdurch erkennen die Mitgliedstaaten zunächst die überragende Bedeutung und Funktion der Marke im Wettbewerb als Integrationsfaktor an. Desweiteren soll der für das nationale und internationale Markenrecht maßgebende Grundsatz der Territorialität überwunden werden, der das angestrebte Binnenmarktkonzept im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes konterkariert. Die Schaffung einer einheitlichen Gemeinschaftsmarke dient letztendlich dem Ziel, die territoriale Beschränkung der Markenrechte aufzuheben und hierdurch Marktabschottungen zu verhindern. Dieser rechtliche Idealzustand kann alleine durch eine Harmonisierung der nationalen Markenrechte auf Grundlage der MarkenRL nicht bewirkt werden 15. Die GMarken V stellt in diesem Zusammenhang noch nicht den Endpunkt der Entwicklung dar. Sie ist lediglich als ein Zwischenschritt auf dem Weg einer immer weiter voranschreitenden Harmonisierung und Integration im Bereich des supranationalen Markenrechts anzusehen.
14 Die GMarkenV basiert insgesamt auf 18 ElWägungsgründen, vgl. GRUR Int. 1994, 402ff. I~ SO der 3. ElWägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,402,403. Vgl. zum Ziel der Abschaffung und Ersetzung der nationalen Schutzsysteme für Marken, Ingerl. Die Gemeinschaftsmarke, S. 26 f.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
131
B. Grundprinzipien der Gemeinschaftsmarke I. Grundsatz der Einheitlichkeit
Der Grundsatz der Einheitlichkeit wurde in der GMarkenV mit dem Ziel verankert, das Territorialitätsprinzip zu überwinden 16 . Gern. Art. 1 II GMarken V bezieht sich der räumliche Anwendungsbereich der Gemeinschaftsmarke auf das gesamte Gebiet der Gemeinschaft. In dieser räumlichen Ausdehnung verfügt die Gemeinschaftsmarke über eine einheitliche Wirkung und einen inhaltsgleichen Schutz. Nach dem sog. "Alles oder Nichts"-PrinZip 17 kommt eine Wirkungsbeschränkung auf ein Teilgebiet der Gemeinschaft (z. B. in bezug auf einzelne Mitgliedstaaten) nicht in Betracht. Die Gesamtwirkung erstreckt sich gern. Art. 1 11 GMarkenV auf die Eintragung und Übertragung, den Verzicht sowie auf die Entscheidung über den Verfall oder die Nichtigkeit der Gemeinschaftsmarke 18 • Demgegenüber findet der Grundsatz der Einheitlichkeit der Gemeinschaftsmarke im Hinblick auf eine Benutzungsuntersagung nur beschränkt Anwendung 19. Gern. der Artt. 14 II, 106 GMarkenV kann die Untersagung der Benutzung einer Gemeinschaftsmarke auf Grundlage außermarkenrechtlicher nationaler Anspruchsgrundlagen (insbesondere nationales Delikts- und Wettbewerbsrecht) auch auf das Gebiet eines Mitgliedstaates oder auf geographische Teilgebiete limitiert werden. Dies gilt nach Art. 107 GMarken V auch rur die Inhaber prioritätsälterer Rechte mit örtlicher Bedeutung2o •
11. Das Verhältnis zwischen nationalen Kennzeichenrechten und der Gemeinschaftsmarke
Das Verhältnis zwischen den Markenschutzsystemen auf nationaler und supranationeier Ebene wird durch den Grundsatz der Koexistenz geprägt21 • "Koexistenz" ist in diesem Zusammenhang im Sinne einer grundsätzlich bestehenden 16 Insoweit folgt die GMarkenV dem Beispiel des Benelux-Markenrechts, das die Territorien der Staaten Belgien, Luxemburg und der Niederlande zu einem einheitlichen Markengebiet zusamengefaßt hat. Allgemein zum Benelux -Markenrecht, Verkade, GR UR Int. 1992, 92ff. 17 Schwanhäuser, WRP 1984, 1. 18 Vg!. zum Grundsatz der Einheitlichkeit auch den 2. Erwägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,404,405. 19 Fezer, Markenrecht, MarkenG Ein!. Rnr. 83; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 33. 20 Eine weitere Einschränkung des Grundsatzes der Einheitlichkeit folgt aus Art. 22 I GMarkenV im Hinblick auf die Lizenzerteilung, die sich auch nur auf einen Teil der Gemeinschaft beziehen kann. 21 Nach dem 5. Erwägungsgrund zur GMarkenV (GRUR Int. 1994,402.403) erscheint es nicht gerechtfertigt, die Unternehmen zu zwingen, ihre Marken als Gemeinschaftsmarken anzumelden. Das gemeinschaftliche Markenrecht tritt daher (zum jetzigen Zeitpunkt) nicht an die Stelle der Markenrechte der Mitgliedstaaten.
9"
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Möglichkeit der parallelen Anwendung beider Schutzebenen zu verstehen. Im Kollisionsfalle gelangt auch hier das Prioritätsprinzip als maßgebendes Ordnungsprinzip zur Anwendung. Demgegenüber sah der Verordnungsvorschlag aus dem Jahre 198422 noch ein sog. Doppelschutzverbot vor. Bei Verwirklichung dieses Grundsatzes wäre der Schutz der Gemeinschaftsmarke insgesamt an die Stelle der einzelstaatlichen Markenschutzsysteme getreten 23 • Eine reine Koexistenz ohne Berücksichtigung verschiedener Zeitränge findet sich im Rahmen der GMarken V lediglich in den Verwirkungstatbeständen der Artt. 53, 106 I S. 2, 10711 , m GMarkenV und im Hinblick auf ältere nationale Rechte, die ausschließlich über eine lokale Bedeutung verfügen, Artt. 8 IV, 107 GMarkenV24 •
m. Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Gemeinschaftsmarke Bereits aus dem 10. Erwägungsgrund2s zur GMarken V folgt, daß die Gemeinschaftsmarke als ein von dem Unternehmen, dessen Waren oder Dienstleistungen sie bezeichnet, unabhängiger Gegenstand des Vermögens zu behandeln ist. Sie kann daher selbständig übertragen werden, an Dritte verpfändet werden oder Gegenstand von Lizenzen sein. Diese allgemeinen Zielsetzungen haben ihren Niederschlag in den Artt. 17, 19, und 22 GMarkenV gefunden. Gern. Art. 17 I GMarkenV kann die Gemeinschaftsmarke als solche unabhängig von der Übertragung des Unternehmens auf einen neuen Rechtsinhaber übergehen 26 . Die freie Übertragbarkeit bezieht sich gern. Art. 24 GMarkenVauch auf die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke als Gegenstand des Vermögens. Dieses Übertragungsprinzip, das die Fungibilität der Marke im Wirtschaftsverkehr entscheidend erhöht und einen Handel mit Marken ermöglicht, wird lediglich gern. Art. 17 IV GMarkenV aus Gründen des Irreführungsschutzes des Publikums begrenzt27 •
Art. 81 Verordnungsvorschlag 1984; vgl. auch Denkschrift Nr. 67. Zu den Vorteilen einer solchen Ersetzungswirkung, Ingerl. Die Gemeinschaftsmarke, S.26f. 24 Der EuGH, Sig. 1994,1-2789 GRUR Int. 1994,614,618 - Ideal Standard, spricht in diesem Zusammenhang von einer "Überlagerung" der Ansprüche nach nationalem Recht durch die Gemeinschaftsmarke. Kritisch dazu Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 29. 2S GRUR Int. 1994,402,403. 26 Vgl. dazu auch die Parallelvorschirft des § 27 MarkenG. 27 So auch der 10. Erwägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994, 402, 403. 22
23
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§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
133
IV. Markenbegriff, Markenfonnen und Markenfunktionen
Nach Art. 1 I GMarken V erstreckt sich der Anwendungsbereich der GMarken V sachlich nur auf Gemeinschaftsmarken 28 . Im Gegensatz zum MarkenG29 wird auf europäischer Ebene daher kein umfassenes Schutzsystem rur Kennzeichenrechte etabliert. So werden beispielsweise Unternehmenskennzeichen und geographische Herkunftsangaben 30 ausgeklammert. Zu beachten ist allerdings, daß Gemeinschaftskollektivmarken gern. der Artt. 64 ff. GMarkenV geschützt werden 3l . Die zugunsten des jeweiligen Inhabers in Betracht kommenden Markenformen werden in Art. 4 GMarkenV in nicht abschließender Weise erfaße 2 • Diese Vorschrift ist als Pendant zu Art. 2 MarkenRL 33 anzusehen. Als Gemeinschaftsmarke kann jedes Zeichen eingetragen werden, das sich graphisch darstellen läßt und aufgrund einer abstrakten Betrachtungsweise geeignet ist, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die nähere Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Unterscheidungs28 Gemeinschaftsmarken werden nach Art. 1 I GMarkenV legaldefiniert als Marken, die in Übereinstimmung mit der GMarkenV für Waren oder Dienstleistungen eingetragen wurden. Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 29, definiert die Gemeinschaftsmarke in Ergänzung hierzu "als ein zur Kennzeichnung von Produkten bestimmtes, durch Registereintragung förmlich zu begründendes, vom Bestand auch nationalen Schutzes unabhängiges Ausschließlichkeitsrecht mit einheitlich gemeinschaftsweitem Schutzgebiet, selbständiger Übertragbarkeit und beliebig verlängerbarer Schutzdauer". 29 Vgl. § 1 MarkenG. 30 Insoweit ist auf europäischer Ebene die VO (EWG) Nr. 2081/92 einschlägig. Vgl. dazu 5. Kapitel, § 2, S. 311 ff. 31 Schließlich werden Unternehmenskennzeichen und geographische Herkunftsangaben nach nationalem Recht gern. Art. 8 IV, Art. 52 I Iit.c) GMarkenVals relative Eintragungshindernisse bzw. relative Nichtigkeitsgründe erfaßt. 32 Insbesondere das Harmonisierungsamt hat daher eine Kompetenz, neue Makrenformen wegen der nicht enumerativen Aufzählung des Art. 4 GMarkenV zu etablieren. Es kann insoweit in bezug auf innovative Markenformen eine Vorreiterrolle einnehmen, vgl. Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 55f. Vgl. insoweit auch Bender, MarkenR 1999, 117ff.; Fezer, WRP 1999, 575ff.; 2. Beschwerdekarnmer des Harmonisierungsamtes, MarkenR WRP 1999, 681 ff. - Duft frischen, geschnitttenen Grases; Sieckmann, WRP 1999,618 ff. 33 Vgl. auch § 3 MarkenG. Zu den zulässigen Makrenformen nach deutschem Recht und den diesbezüglichen Abweichungen zum vormaligen WZG, Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 235 ff.; Althammer / Ströbele, MarkenG, § 3 Rnr. 13 ff.; Fuchs-Wissemann, MarkenR 1999, 183 ff. Vgl. speziell zum Schutz von Buchstabenkennzeichen, Krings, WRP 1999, 50ff.; Teplitzky, WRP 1999,461 ff. Zum Schutz von Farbmarken, Jaeger-Lenz, WRP 1999, 290ff.; BGH, WRP 1997,748 grau/magenta; BGH, MarkenR 1999, 64ff. - gelb/ schwarz; 3. Beschwerdekarnmer des Harmonisierungsamtes, MarkenR 1999, 38ff. - orange; vgl. auch U.S.-Supreme Court, GRUR Int. 1996,961 - grün-goldene Farbe; BPatG, GRUR 1999,60 - Rechteck in Pink; BPatG, GRUR 1999,61 - Aral/Blau I; vgl. auch Fezer, MarkenR 1999, 73ff.; 3. Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes, MarkenR 1999, 108ff. - LIGHT GREEN; BGH, MarkenR 1999, 198 ff. - Farbmarke magenta/ grau; BPatG, MarkenR 1999,211 - Violettfarben; Fezer, Markenrecht, § 4 MarkenG Rnr. 168 ff.
134
3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
eignung in Art. 4 GMarken V obliegt in diesem Zusammenhang letztendlich dem EuGH. Im Hinblick auf die Markenfunktionen ist zunächst der 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV 34 zu berücksichtigen. Danach ist der Zweck der eingetragenen Gemeinschaftsmarke insbesondere darin zu. erblicken, die Herkunftsfunktion der Marke zu gewährleisten. Diese primäre Zielsetzung wird durch die im Rahmen des Art. 4 GMarkenVerforderliche abstrakte Eignung der Marke zur Unterscheidung der betrieblichen Herkunft unterstrichen. Aus der Formulierung im 7. Erwägungsgrund "insbesondere" folgt jedoch zugleich, daß sich die Markenfunktion hierin nicht erschöpfen kann. Zusätzliche Markenfunktionen wie die Werbe- und Qualitätsfunktion sind auch auf der europäischen Ebene des Markenschutzes nicht ausgeschlossen 35 • Insoweit ergibt sich eine Parallele zur Lehre von den Markenfunktionen im deutschen MarkenG 36 . Insgesamt ergeben sich bislang keine Abweichungen im System der Markenfunktionen von Gemeinschaftsmarken im Verhältnis zu nationalen deutschen Marken auf Grundlage des MarkenG 37 • Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn der EuGH eine eigenständige Markenfunktionenlehre im Rahmen der GMarken V etablieren sollte 38 • In Betracht könnte hier eine Ergänzung der Markenfunktionen um das nach dem deutschen markenrechtlichen Verständnis fremde Kriterium des Verbraucherschutzes kommen 39 • V. Eintragungsgrundsatz
Gern. der Artt. 6, 83 GMarkenV wird die Gemeinschaftsmarke durch Eintragung in das vom Harmonisierungsamt in Alicante geführte Gemeinschaftsmarkenregister erworben. Die Wirksamkeit der Gemeinschaftsmarke und die Entstehung des entsprechenden Markenschutzes setzen daher einen konstitutiven Eintragungsakt voraus; es handelt sich um ein reines Registerrecht 40 • GRUR Int. 1994,402,403. Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 36; Schönfeld, S. 208 ff.; Hackbarth, S. 89ff. 36 Vg!. dazu Fezer, Markenrecht, MarkenG Ein!. Rnr. 39ff.; kritisch zur Funktionenlehre, Ingerl/Rohnke, MarkenG, Ein!. Rnr. 35. Zur traditionellen Lehre von den Markenfunktionen im WZG, Fezer, a. a. O. Rnr. 30ff. m. w. N. Zur Relativierung der Herkunftsfunktion im MarkenG, Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 82; TIlmann, ZHR 158 (1994), 371; Kunz-Hallstein, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 147. Vg!. allgemein auch Vanzetti, GRUR Int. 1999, 205ff. 31 Vg!. auch Schönfeld, S. 152ff. 38 Auch nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH besteht die Hauptaufgabe der Marke darin, die Herkunftsfunktion zu bewahren (EuGH, Sig. 1990, 1-3752 GRUR Int. 1990,960, 961, 962 - HAG 11). Der Begriff "Herkunft der Marke" wird definiert als diejenige Stelle, die die Herstellung des Produkts leitet, vg!. EuGH, Sig. 1994,1-2789 GRUR Int. 1994,614,617 - Ideal Standard. Näher zu den Markenfunktionen in der Rechtsprechung des EuGH, 4. Kapitel, § 3, S. 287. 39 Vg!. auch Lüder, EuZW 1995, 15, 18; Kaltner, EWS 1995, 12. 34
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§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
135
Hieraus folgt zugleich, daß die bloße Markenbenutzung, selbst bei Erlangung eines hohen Bekanntheitsgrades im Sinne einer Verkehrsgeltung, oder die notorische Bekanntheit einer Marke gern. Art. 6 bis PVÜ keine gesicherten Rechtspositionen im Rahmen der GMarkenV begründen41 • Diese nach dem MarkenG schutzfähigen Markenfonnen werden in der GMarken V lediglich als Eintragungshindernisse und Nichtigkeitsgründe anerkannt. Voraussetzung der Markeneintragung ist auch auf europäischer Ebene die Absolvierung eines vorgeschalteten Anmeldeverfahrens, das sich nach den Artt. 25 ff. GMarken V richtet.
VI. Die Schaffung eines Ausschließlichkeitsrechts
Gern. Art. 9 I GMarken V gewährt die Gemeinschaftsmarke ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht ist seinem Wortlaut nach als Verbietungsrecht konzipiert. Die Reichweite des Verbietungsrechts begründet reflex artig ein im Einzelfall bestehendes positives, markenrechtlich verankertes Benutzungsrecht42 • Es steht aber unter dem Vorbehalt der Geltendmachung prioritätsälterer Rechte Dritter und außennarkenrechtlicher Bentzungsverbote. Inhaltlich ist das subjektive Ausschließlichkeitsrecht des jeweiligen Markeninhabers auf das Verbot gegenüber Dritten gerichtet, nur mit seiner Konsentierung identische oder ähnliche Zeichen im geschäftlichen Verkehr zu benutzen.
VII. Grundsatz der Unabhängigkeit
Durch die Eintragung im Gemeinschaftsmarkenregister wird ein für das Territorium der Gemeinschaft supranationales einheitliches Markenrecht geschaffen, das vom Vorliegen eines entsprechenden einzelstaatlichen Markenschutzes unabhängig ist. Insofern ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zum MMA und zum PMMA. Nach diesen völkerrechtlichen Verträgen entsteht infolge der internationalen Registrierung kein einheitliches internationales Markenrecht, sondern (lediglich) eine Vielzahl nationaler Markenrechte (sog. ,,Bündel nationaler Marken"), die für einen gewissen Zeitraum von der Eintragung im Ursprungsland abhängig sind. Diesen Weg der Verknüpfung verschiedener Markenschutzebenen ist die GMarken V nicht gegangen. Nach ihrem Selbstverständnis wird mit der Gemeinschaftsmarke ein neuer Markentyp geschaffen, der eine Schutzalternative zu den nationalen Markenrechten der Mitgliedstaaten darstellen und in Konkurrenz zu diesen treten soll. Aus dieser Unabhängigkeit der Schutzsysteme folgt die grundsätzlich - unter dem So Fezer, Markenrecht, Ein!. MarkenG Rnr. 90. Insofern besteht ein inhaltlicher Unterschied zu § 4 Nr. 2 und Nr. 3 MarkenG. 42 Fezer, Markenrecht, Ein!. MarkenG Rnr. 101. Ein generelles positives Benutzungsrecht wird hierdurch nicht etabliert, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 32, 33; vg!. aber Schönfeld, S. 92 ff.; Lehmann/Schönfeld, GRUR 1994,481,484. 40 41
136
3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Vorbehalt des Prioritätsprinzips - bestehende parallele sachliche Anwendbarkeit derselben. Der Rechtsinhaber hat daher durch die Schaffung der GMarkenV eine zusätzliche Schutzalternative erhalten.
VIII. Grundsatz der Verlängerbarkeit
Nach Art. 46 S. 1 GMarkenV beträgt die Dauer der Eintragung der Gemeinschaftsmarke zehn Jahre gerechnet vom Tag der Anmeldung an. Gern. der Artt. 46 S. 2, 47 GMarkenV kann die Eintragung der Marke beliebig oft durch den Markeninhaber für jeweils zehn weitere Jahre verlängert werden. Ebenso wie im deutschen Markenrecht43 hat es der Markeninhaber daher in der Hand, ein zeitlich unbegrenzt wirkendes Markenrecht in der Gemeinschaft zu etablieren.
c. Die Heranziehung europäischen und nationalen Rechts im Rahmen der GMarkenV Die bereits aufgezeigte grundsätzliche Parallelität zwischen dem nationalen Markenschutz und der Gewährleistung auf europäischer Ebene durch die GMarkenV ist nicht in dem Sinne zu verstehen, daß keine rechtlichen Berührungspunkte zwischen den Schutzsystemen bestünden44 • Aus der Gesamtbetrachtung der GMarkenVergibt sich vielmehr, daß etliche Verzahnungen zwischen dem europäischen Recht und dem nationalen Recht im Hinblick auf die im Einzelfall anwendbaren markenrechtlichen Bestimmungen existieren. Die GMarken V ist daher kein autonomes Regelungswerk, sondern in vielfacher Hinsicht auf die Unterstützung durch die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten angewiesen bzw. verpflichtet, einzelstaatliche Belange in angemessener Weise zu berücksichtigen. Eine Autonomie der GMarken V folgt nur aus der Tatsache, daß dieser gemeinschaftsrechtliche Rechtsakt selbst die Entscheidung darüber trifft, an welchen SystemsteIlen ein Rechtsanwendungsbefehl zugunsten des jeweils anwendbaren nationalen Rechts eingefügt wird45 . Das Gemeinschaftsrecht verfügt auch in diesem Zusammenhang über die Kompetenz, die EinbruchsteIlen zugunsten des Rechts der Mitgliedstaaten festzulegen. Wichtige Verzahnungen zwischen beiden Rechtsebenen lassen sich sowohl im materiellen Recht der GMarken V als auch in den verfahrensrechtlichen Vorschriften feststellen. § 47 MarkenG. V gl. zum Verhältnis der GMarkenV zu internationalen Übereinkommen auf dem Gebiet des Markenrechts, v. Mühlendahl! Ohlgart. Die Gemeinschaftsmarke. S. 11 ff. 45 Vgl. auch Ingerl. Die Gemeinschaftsmarke. S. 37. 43
44
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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I. Verknüpfungen im materiellen Recht
Im Bereich des materiellen Rechts verfügt die GMarkenV im Hinblick auf den Erwerb und den Untergang der Gemeinschaftsmarken über eine grundsätzliche Regelungskompetenz46 • Eine Berücksichtigung des nationalen Rechts erfolgt im Rahmen der absoluten Eintragungshindernisse durch Art. 7 11 GMarken V47 , wonach ein Hinderungsgrund auch dann beachtlich ist, wenn er nur in einem Teil der Gemeinschaft vorliegt48 . Im Hinblick auf die relativen Eintragungshindernisse und Nichtigkeitsgründe sind Art. 8 IV und Art. 52 I lit.c) GMarkenV zu beachten. Danach sind sonstige ältere Kennzeichenrechte, sofern sie eine überörtliche Bedeutung aufweisen, zu beachten. Ob solche besser berechtigten Rechte gegeben sind, bemißt sich nach dem für den Schutz des jeweiligen Kennzeichens maßgeblichen Recht des Mitgliedstaats. Gern. Art. 14 I S. 1 GMarkenV bestimmt sich die Wirkung der Gemeinschaftsmarke ausschließlich nach dieser Verordnung. Allerdings sieht Art. 14 I S. 2 GMarkenV in Anknüpfung hieran vor, daß im übrigen das jeweils einschlägige nationale Recht nach Maßgabe des Titels X zur Anwendung gelangt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang Art. 97 GMarken V. Gern. Art. 97 11 GMarken V kann daher in bezug auf Markenverletzungsfragen, die nicht innerhalb der GMarkenV geregelt werden, auf das nationale Recht einschließlich des internationalen Privatrechts zurückgegriffen werden49 • Diese gemeinschaftsrechtliche Öffnungsklausel bezieht sich vornehmlich auf den zivilrechtlichen und strafrechtlichen Schutz der verletzten Gemeinschaftsmarke. Insoweit ist der sachliche Anwendungsbereich der GMarken V, nicht zuletzt aus kompetenzrechtlichen Gründen, zum Teil nicht eröffnet, so daß ein Rückgriff auf das nationale Recht zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes als unerläßlich erscheint. Eine weitere Verzahnung der Rechtsordnungen folgt aus Art. 1411 GMarkenV. Nach dieser Vorschrift hat die Etablierung der GMarkenV keinen Einfluß auf die gerichtliche Geltendmachung einer Gemeinschaftsmarkenverletzung, die auf innerstaatliche Anspruchsgrundlagen, insbesondere wegen zivilrechtlicher Haftung oder unlauteren Wettbewerbs, gestützt wird5o • Hinsichtlich des auch für Gemeinschaftsmarken bestehenden Benutzungszwangs (Art. 15 GMarkenV) begründen die Artt. 43 III, 56 III und 96 V GMarken V eine Erstreckung des Anwendungsbereichs auch auf Marken, die nach dem Fezer, Markenrecht, Ein\. MarkenG Rnr. 84. Gleiches gilt gern. Art. 51 GMarken V für die absoluten Nichtigkeitsgründe. 48 Das nationale Recht wird auch in bezug auf das Eintragungshindernis des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung (Art. 7 I lit.t) GMarkenV) Bedeutung erlangen können. 49 Im Hinblick auf Sanktionen infolge Gemeinschaftsmarkenverletzungen ist gern. Art. 98 11 GMarkenV das Recht des Mitgliedstaats, in dem die Verletzungshandlungen begangen worden sind oder drohen, maßgeblich. 50 Näher dazu Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 39. 46 47
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Recht der einzelnen Mitgliedstaaten eingetragen wurden. In diesem Fall bezieht sich das Benutzungskriterium räumlich nicht auf das Gebiet der Gemeinschaft, sondern auf das Territorium des jeweiligen Mitgliedstaats 51 . Soweit die Gemeinschaftsmarke als Gegenstand des Vermögens betroffen ist, ist Art. 16 GMarkenVals Kollisionsnorm anzusehen. Gern. Art. 16 I GMarkenV erfolgt eine Gleichstellung der Gemeinschaftsmarke mit den nationalen Marken der Mitgliedstaaten. Die Gemeinschaftsmarke wird in den einzelnen Mitgliedstaaten wie eine nach nationalem Recht eingetragene Marke behandelt. Die Gemeinschaftsmarke wird durch diese Gleichstellung in die jeweiligen nationalen Markenrechtsordnungen inkorporiert. Die hieraus resultierende Funktion des einzelstaatlichen Rechts zeigt sich z. B. anhand der Bestimmung des Art. 2011 GMarkenY. Soweit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen eine Gemeinschaftsmarke in Betracht kommen, sind die Gerichte und Behörden des nach Art. 16 GMarken V maßgebenden Mitgliedstaats ausschließlich zuständig. Die Zwangsvollstreckung bemißt sich daher exklusiv nach nationalem Recht 52 . Insoweit findet eine Kooperation zwischen den Bestimmungen der GMarken V und den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten statt. Die Integration der nationalen Markenrechte der Mitgliedstaaten in das System der GMarken V wird dariiber hinaus auch durch das Rechtsinstitut der Seniorität gern. Artt. 34, 35 GMarken V angestrebt. Diese Bestimmungen regeln die Inanspruchnahme des Zeitrangs einer nationalen Marke, wenn die identische Marke als Gemeinschaftsmarke eingetragen werden soll53. Eine weitere Berücksichtigung und Einbeziehung des einzelstaatlichen Rechts wurde in Art. 54 m GMarken V verankert. Die Wirkungen des Verfalls und der Nichtigkeit einer Gemeinschaftsmarke können Schadensersatzansprüche und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung begründen54 . Diese Rechtspositionen werden ausschließlich durch die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten determiniert. Schließlich ist die Anwendung des einzelstaatlichen Rechts zum Zweck der Untersagung der Benutzung von Gemeinschaftsmarken in den Artt. 106, 107 GMarkenV geregelt. Die gegen eine Gemeinschaftsmarke gerichteten Untersagungsansprüche aufgrund prioritätsälterer nationaler Rechte richten sich nach dem Zivil-, Verwaltungs- oder Strafrecht der Mitgliedstaaten 55 . 51 Ob eine rechtserhaltende Benutzung vorliegt, bestimmt sich dann nach dem im Einzelfall anwendbaren nationalen Recht. 52 Vgl. auch Art. 20 III GMarkenV. Im Hinblick auf Konkursverfahren enthält Art. 21 I GMarkenVeine im Ergebnis gleichwirkende Verweisung. Allgemein zur Zwangsvollstrekkung in Marken nach deutschem Recht, Volkmer, passim. 53 Vgl. dazu Schäfer, GRUR 1998, 350ff. 54 Vgl. zum deutschen Recht insoweit die Regelung des § 52 III MarkenG. Dazu Fezer, Markenrecht, § 52 MarkenG Rnr. 9ff.; Althammer I Klaka, MarkenG, § 52 Rnr. 5 ff. 55 Die Anwendung des einzel staatlichen Rechts wird gern. der Artt. 106 I S. 2, 10711, III GMarkenV lediglich durch den nach Gemeinschaftsrecht zu bestimmenden Verwirkungstatbestand limitiert.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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11. Kooperationen im Verfahrensrecht
Sowohl das Verfahrensrecht vor dem Harmonisierungsamt (inklusive Beschwerdeverfahren) als auch die Möglichkeit eines anschließenden Rechtsmittelverfahrens vor dem EuG und dem EuGH 56, werden in vollem Umfang durch das Gemeinschaftsrecht festgelegt57. In diesem Zusammenhang bestimmt Art. 79 GMarken V, daß eine eventuell im Vefahrensrecht des Harmonisierungsamts bestehende Regelungslücke durch die Heranziehung der in den Mitgliedstaaten im allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts zu schließen ist. Im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung einer Gemeinschaftsmarkenverletzung sind demgegenüber in den verschiedenen Instanzen gern. der Artt. 14 III, 97 III, 101 11, III GMarkenV hauptsächlich die Vorschriften der nationalen Verfahrensrechte zu befolgen58 .
D. Überblick über das materielle Markenrecht auf Grundlage der GMarkenV I. Markeninhaberscbaft
Der potentielle Kreis der Inhaber von Gemeinschaftsmarken ergibt sich aus Art. 5 GMarkenV. Gern. Art. 5 I GMarken V können Rechtsinhaber natürliche und juristische Personen59, einschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts, sein60 . Diese Rechtsinhaber sind entweder Angehörige der Mitgliedstaaten (Art. 5 I lit.a) GMarken V) oder Angehörige anderer Vertragsstaaten der PVÜ bzw. des WTOÜbereinkommens (Art. 5 I lit.b) GMarkenV)61. Desweiteren werden auch Angehörige von Drittstaaten einbezogen, wenn sie über einen Wohnsitz, Sitz oder eine Näher dazu 3. Kapitel, § 2, S. 232. Eine Ausnahme besteht lediglich im Hinblick auf die Vollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen gern. Art. 82 lI-IV GMarkenV. Insoweit gelangt das Zivilprozeßrecht des Mitgliedstaats zur Anwendung, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung stattfindet. 58 Vgl. zudem auch Art. 98 I S. 2 und Art. 99 GMarkenV. 59 Wegen der Gleichstellungsklausel des Art. 3 GMarkenV sind in Deutschland auch die Handelsgesellschaften oHG und KG fähig, Inhaber einer Gemeinschaftsmarke zu sein. Gleiches gilt auch für die Partnerschaftsgesellschaft (Partnerschaft) und die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) nach Art. 1 11 der Verordnung über die Schaffung der EWIV vom 25. 07. 1985 (AbI. Nr. L 199, S. I ff.), während die BGB-Gesellschaft nach h.M. nicht erfaßt wird, vgl. diesbezüglich zur Rechtslage in Deutschland, Fezer, Markenrecht, § 7 MarkenG Rnr. 34-38; AlthammerlStröbele, MarkenG, § 7 Rnr. 2; Ingeri/Rohnke, MarkenG, § 7 Rnr. 9. 60 Vgl. allgemein auch die deutsche Parallelvorschrift des § 7 MarkenG. 61 V gl. Art. 2 PVÜ und Art. 3 TRIPS-Abkommen. 56 57
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Niederlassung im Gebiet der Gemeinschaft oder eines Vertragsstaates der PVÜ bzw. WTO verfügen (Art. 5 I lit.c) GMarkenV)62. Schließlich können auch die Angehörigen derjenigen Drittstaaten Markeninhaber sein, die den Angehörigen aller EU-Mitgliedstaaten den gleichen Schutz gewähren wie ihren eigenen Angehörigen (Art. 5 I lit.d) GMarkenV)63. Die Voraussetzungen der Inhaberschaft werden gern. Art. 37 GMarkenV von Amts wegen geprüft64 • Wurde die Gemeinschaftsmarke unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Art. 5 GMarkenVeingetragen, ergibt sich ein absoluter Nichtigkeitsgrund gern. Art. 51 I lit.a) GMarkenV65 . Falls der Inhaber die Voraussetzungen des Art. 5 GMarken V nach der Eintragung nicht mehr erfüllt, entsteht ein Verfallsgrund gern. Art. 50 I lit.d) GMarkeny66.
11. Prioritätsregelungen
Ebenso wie im deutschen Markenrecht (§§ 611, 33 I MarkenG) basiert der Zeitrang und das hieraus folgende Prioritätsrecht einer Gemeinschaftsmarke gern. Art. 31 GMarken V auf dem jeweiligen Tag der Anmeldung. Als maßgeblicher Anmeldetag gilt gern. Art. 27 GMarkenV derjenige Tag, an dem die nach Art. 26 I GMarken V erforderlichen Anmeldeunterlagen beim Harmonisierungsamt in Alicante oder der nationalen zentralen Registrierungsbehörde (bzw. beim Benelux-Markenamt) eingereicht wurden67 . Gern. der Artt. 26 11, 27 GMarkenV ist die wirksame Markenanmeldung von der rechtzeitigen Entrichtung der Anmeldegebühr (Zahlung binnen eines Monats nach Einreichung der Unterlagen) abhängig 68 . Verstößt der Markenanmeider gegen diese Zahlungsfrist, verschiebt sich der maßgebliche Anmeldetag gern. der Artt. 27, 36 I lit.a), 11, III GMarken V auf den späteren tatsächlichen Zahlungszeitpunkt. Von besonderer Bedeutung für das Prioritätsrecht des Markenanmeiders ist die Vorschrift des Art. 29 GMarken V. Danach kann der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke auf das Prioritätsrecht einer früheren ausländischen Anmeldung, die von ihm in einem Verbandsland der PVÜ oder einem Vertragsstaat der WTO einVgl. Art. 3 PVÜ. Insoweit wird die Inländerbehandlung als Reziprozitätsvoraussetzung verankert. 64 Im deutschen Recht gilt insoweit § 36 I Nr. 4, V MarkenG. 65 Im deutschen Recht gelangt § 50 I Nr. 2 MarkenG zur Anwendung. 66 Als Parallelvorschrift kommt insofern § 49 11 Nr. 3 MarkenG in Betracht. 67 Gern. Art. 143 IV GMarkenV glit für die im Zeitraum vom 01. 01. 1996 bis 01. 04.1996 eingereichten Marken der 01. 04. 1996 als Anmeldetag. 68 Vgl. auch Regel 4 lit.a) der Durchführungsverordnung zur GMarkenV. Eine Verknüpfung zwischen dem Anmeldetag und der Zahlung eventuell anfallender Klassengebühren besteht gern. Art. 36 I lit.c), V GMarkenV jedoch nicht. Nach deutschem Recht besteht keine Abhängigkeit zwischen Anmeldetag und Gebührenentrichtung, vgl. §§ 33,36 MarkenG. 62 63
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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gereicht wurde 69 , zurückgreifen, wenn er die Gemeinschaftsmarke innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Einreichung der ersten Anmeldung zur Eintragung beim Harmonisierungsamt für identische Waren oder Dienstleistungen anmeldet. Art. 29 GMarkenV inkorporiert daher die Wirkungen der Unionspriorität des Art. 4 PVÜ in das System des supranationalen Markenschutzes. Eine ausdrückliche Regelung im Rahmen der GMarkenV war erforderlich, weil die Europäischen Gemeinschaften nicht zu den Verbandsländern der PVÜ zählen. Diese spezielle Vorverlegung des Zeitrangs ist davon abhängig, daß binnen zweier Monate nach dem Anmeldetag eine entsprechende Erklärung abgegeben wurde und binnen drei Monaten nach Eingang der Prioritätserklärung bestimmte Prioritätsbelege zugänglich gemacht wurden 7o . Gern. Art. 32 GMarken V kommt der ordnungsgemäßen Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke in den Mitgliedstaaten die Wirkung einer nationalen Hinterlegung zu. Der Gemeinschaftsmarkenanmelder kann daher die Priorität dieser Anmeldung auch im Rahmen des jeweiligen nationalen Rechts geltend machen71. Zu seinen Gunsten kann der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke desweiteren auch gern. Art. 33 GMarkenV, Regel 7 der Durchführungsverordnung zur GMarkenV die Ausstellungspriorität aufgrund des Übereinkommens über internationale Ausstellungen vom 22.11. 1928 in Anspruch nehmen72 • Schließlich sind die an systemwidriger Stelle eingebauten Artt. 34, 35 GMarken V zu beachten. Gern. Art. 34 GMarkenV kann der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke den Zeitrang einer nationalen Marke unter besonderen Voraussetzungen in Anspruch nehmen. Allerdings setzt dies gern. Art. 34 11 GMarken V voraus, daß der Inhaber der Gemeinschaftsmarke auf die ältere nationale Marke verzichtet oder sie im Wege der Nichtverlängerung erlöschen läßt. Die besondere Zielsetzung dieser Inanspruchnahme besteht darin, den Inhaber einer Gemeinschaftsmarke dazu zu bewegen, den zu seinen Gunsten bestehenden nationalen Markenschutz aufzugeben und hierdurch die Bedeutung des supranationalen Markensystems zu stärken73 •
69 Gern. Art. 29 V GMarkenV kommt die Inanspruchnahme einer früheren Priorität auch im Hinblick auf die Anmeldung in einem Staat in Betracht, der nicht zu den Mitgliedern der PVÜ bzw. der WTO zählt, soweit die nationale Rechtsordnung dieses Staates ein gleichwertiges Prioritätsrecht für eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung vorsieht (Reziprozitätsprinzip). 70 Regeln 6, 96 der Durchführungsverordnung zur GMarkenV, Art. 36 VI GMarkenV. 71 Vgl. z. B. § 34 MarkenG. 72 Insoweit besteht eine identische Rechtslage zu § 35 I Nr. I MarkenG. Näher dazu Fezer, Markenrecht, § 35 MarkenG Rnr. 4 ff. 73 Näher zur formellen und materiellen Kritik an dieser speziellen Verkoppelung des nationalen und supranationalen Markenschutzes, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 47ff.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
llI. Absolute Eintragungsbindernisse
Die hinsichtlich der Eintragung einer Gemeinschaftsmarke in Betracht kommenden absoluten Schutzhindernisse werden enumerativ im Katalog des Art. 7 GMarken V aufgeführt74. Die entsprechende Überprüfung der angemeldeten Gemeinschaftsmarken erfolgt gern. Art. 38 GMarkenV, Regel 11 der Durchführungsverordnung zur GMarkenV von Amts wegen75. Von besonderer Signifikanz für den Einfluß der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf den Bestand der Gemeinschafsmarke ist die Vorschrift des Art. 7 II GMarkenV. Nach dieser Bestimmung wird die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke schon dann verweigert, wenn ein absolutes Eintragungshindernis nur in einem Teil der Gemeinschaft vorliegt. Der Begriff "Teil der Gemeinschaft" kann sowohl die Territorien mehrerer Mitgliedstaaten oder eines Mitgliedstaates als auch lediglich Teilgebiete eines Mitgliedstaates betreffen76. Diese Reduktion der räumlichen Bezugsgröße für das Vorliegen eines absoluten Eintragungshindernisses kann auch nicht durch entsprechende Erklärungen des Anmelders, die Marke in den streitgegenständlichen Gebieten nicht benutzen zu wollen, umgangen werden77 • Insoweit besteht eine Kollision mit dem Prinzip der Einheitlichkeit der Gemeinschaftsmarke78. Die einzelnen absoluten Eintragungshindernisse werden in Art. 7 I lit. a)-j) GMarkenV aufgezählt79 • Nach Art. 7 I lit.a) GMarkenV werden zunächst alle Zeichen 80 von der Eintragung ausgeschlossen, die eine nach Art. 4 GMarkenV zulässige Markenform nicht aufweisen 81 • Desweiteren gelangen Marken, die keine 74 Näher dazu v. Mühlendahl /Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 28 ff. Vgl. zur Eintragungsflihigkeit von Marken im harmonisierten deutschen Markenrecht, Marz, passim. 75 Nach Art. 41 GMarkenV kann jedermann im Einzelfall nach der Veröffentlichung einer Markenanmeldung schriftliche Bemerkungen beim Harmonisierungsamt einreichen, die sich insbesondere auf die Vereinbarkeit dieser Marke mit Art. 7 GMarkenV beziehen können. Hierdurch wird eine weitere Kontrollmöglichkeit geschaffen, die dem Harmonisierungsamt zeitaufwendige Recherchen ersparen kann. 76 So die amtliche Begründung zu Art. 6 Verordnungsvorschlag 1980, GRUR Int. 1981, 87. 77 In Betracht kommen z. B. Beschränkungen des Vertriebsgebietes, vgl. Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG Rnr. 94. 78 Näher zur Regelung des Art. 7 II GMarken V, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 51 f. 79 Im deutschen Recht ist § 8 MarkenG, der die Vorgaben des Art. 3 MarkenRL umsetzt, als Parallelvorschrift anzusehen. Im supranationalen Markenrecht wird in diesem Zusammenhang die graphische DarsteIlbarkeit der Marke als allgemeines Kriterium der Markenfahigkeit verstanden (Art. 2 MarkenRL und Art. 4 GMarkenV), während das deutsche Markenrecht diese Anforderung an die Marke als absolutes Schutzhindernis begreift (§ 8 I MarkenG). Eine inhaltliche Abweichung ergibt sich infolge dieser unterschiedlichen Einordnung nicht. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für eine Verankerung in § 8 I MarkenG entschieden, weil sich das Kriterium der graphischen DarsteIlbarkeit nur auf die eingetragenen Marken auswirkt, so die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 65 und S. 70. 80 Vgl. zum Zeichenbegriff in der GMarken V, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 53 f.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Unterscheidungskraft aufweisen, nicht zur Eintragung in das Register (Art. 7 I Iit.b) GMarkenV)82. In einer ersten Entscheidung zur Auslegung des Begriffs der Unterscheidungskraft einer Marke im Rahmen der MarkenRL hat der EuGH darauf hingewiesen, daß zu deren Bestimmung im Einzelfall u. a. auch auf den von der Marke gehaltenen Marktanteil, auf ihre geographische Verbreitung, auf die Dauer ihrer Benutzung, auf den Werbe aufwand des Unternehmens für die Marke und auf Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden zurückgegriffen werden kann 83 . Das Gericht hat darüber hinaus ausgeführt, daß die Unterscheidungskraft einer Marke im Einzelfall mit Hilfe von Verbraucherbefragungen ermittelt werden kann 84 . Das Tatbestandmerkmal "Unterscheidungskraft" stellt einen auch nach der deutschen Rechtsterminologie unbestimmten Rechtsbegriff dar, der auszulegen ist85 . In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß hier ein unmittelbarer Rückgriff auf das deutsche Recht zum Zwecke der Auslegung aufgrund der europäischen Determinierung der GMarken V ausscheidet. Allein zuständig für die Auslegung aller Rechtsbegriffe der GMarken V ist der EuGH. Insofern ergeben sich aber keine Unterschiede zur Auslegung des MarkenG auf Grundlage der MarkenRL (richtlinienkonforme Auslegung des deutschen Rechts). Auch hier besteht eine verbindliche Auslegungskompetenz des EuGH. Infolge dieser Bündelung der Auslegungskompetenzen bei einem Gericht wird gewährleistet, daß auf den für das gesamte europäische Markenrecht maßgeblichen Hierarchieebenen der Normenpyramide (harmonisierte nationale Markengesetze der Mitgliedstaaten einerseits, MarkenRL, GMarken V als maßgebende sekundärrechtliche Rechtsakte andererseits) eine einheitliche Auslegung zur Anwendung gelangt. Hierdurch kann im Ergebnis der Grundsatz der Einheitlichkeit des Europarechts verwirklicht und eine effektive Verzahnung der nationalen und supranationalen Schutzsysteme herbeigeführt werden. Dem EuGH bleibt es daher in weiteren, zukünftigen Entscheidungen vorbehalten, die genaue Reichweite des Tatbestandsmerkmals "Unterscheidungskraft" für die GMarken V und damit auch für die harmonisierten Markenrechte der Mitgliedstaaten verbindlich festzulegen 86 . 81 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine im Einzelfall fehlende graphische DarsteIlbarkeit des Zeichens. 82 Zur Unterscheiungskraft bei Zahlen und Buchstaben im deutschen Markenrecht, BGH, GRUR 1998,403 f. - ,,442" und BGH, GRUR 1998, 404ff. - "A3". 83 So EuGH, WRP 1999,629,634 - Windsurfing Chiemsee. In diesem Urteil hat sich das Gericht auch für eine einheitliche Auslgung des Begriffs der Unterscheidungskraft im Rahmen des Art. 3 MarkenRL (gleiches gilt auch für Art. 7 GMarkenV) ausgesprochen. Demzufolge ist eine Marke, die eine geographische Bezeichnung enthält und infolge ihrer Benutzung die Eignung erlangt hat, die mit ihr gekennzeichneten Waren eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden auch dann eintragungsfähig, wenn im Einzelfall an dieser geographischen Bezeichnung ein Freihaltebedürfnis bestehen sollte. 84 EuGH, WRP 1999,629,635 - Windsurfing Chiemsee. 85 Zur Auslegung im deutschen Markenrecht, Fezer, Markenrecht, § 8 MarkenG Rnr. 22 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 8 Rnr. 15ff.; AlthammerlStröbele, MarkenG, § 8 Rnr. IOff.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Als weitere absolute Schutzhindernisse kommen im Einzelfall in Betracht: Das Vorliegen lediglich beschreibender Marken (Art. 7 I lit.c) GMarkenV)87, Gattungsbezeichnungen (Art. 7 I lit.d) GMarken V), produktbedingte, technisch bedingte und wertbedingte Formen (Art. 7 I lit.e) GMarkenV)88, ordnungswidrige und sittenwidrige Marken (Art. 7 I lit.f) GMarkenV), täuschende Marken (Art. 7 I lit.g) GMarken V), staatliche Hoheitszeichen, amtliche Prüf- und Gewährzeichen sowie Bezeichnungen internationaler zwischenstaatlicher Organisationen (Art. 7 I lit.h) LV.m. Art. 6 ter PVÜ), Abzeichen, Embleme und Wappen, die nicht unter Art. 6 ter PVÜ fallen, aber von besonderem öffentlichen Interesse sind (Art. 7 I liti) GMarkenV)89 und schließlich falsche geographische Angaben in bezug auf Weine und Spirituosen (Art. 7 I lit.j) GMarkenV)90. Insgesamt entspricht dieser Katalog nahezu vollständig der Auflistung der absoluten Schutzhindernisse in Art. 3 MarkenRL und der hierauf basierenden nationalen Umsetzung in § 8 MarkenG91 . Gern. Art. 38 GMarken Verfolgt eine umfassende Prüfung auf absolute Schutzhindernisse durch das Harmonisierungsamt. Dies gilt insbesondere auch in bezug auf täuschende Marken. Im Gegensatz hierzu bestimmt § 37 III MarkenG, daß das DPMA eine Anmeldung nur dann zurückweist, wenn die Eignung zur Täuschung ersichtlich ist 92 • 86 Näher zur Auslegung des Begriffs "Unterscheidungskraft" in der GMarkenV Ingerl, Die Gemeinschaftmarke, S. 57ff.; v. Mühlendahl/Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 28. 8? V gl. dazu im harmonisierten deutschen Markenrecht zuletzt BGH, WRP 1998, 492 ff. BONUS; Ingerl, WRP 1998, 473ff. Vgl. auch 3. Beschwerdekarnrner des Harmonisierungsamtes, GRUR Int. 1999,448 f. - NATURAL BEAUTY; 1. Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes, GRUR Int. 1999, 452f. - LEICHT; 1. Beschwerdekarnrner des Harmonisierungsamtes, GRUR Int. 1999, 546ff. - MODE = ADC; I. Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes, GRUR Int. 1999, 548ff. - EU-LEX. Vgl. zur Frage der Eintragbarkeit einer Marke, die fast ausschließlich aus einer geographischen Herkunfsangabe besteht, EuGH, WRP 1999, 629, 632, 633 - Windsurfing Chiemsee. 88 Im deutschen Recht wurden diese Ausschlußgrunde nicht im Rahmen der absoluten Schutzhindernisse des § 8 MarkenG verankert, sondern als schutzunfahige Markenformen gern. § 3 11 MarkenG aufgeführt. Näher zur Reichweite des markenrechtlichen Designschutzes im deutschen Recht (dreidimensionale Marken), Kiethe 1Groeschke, WRP 1998,541 ff.; Thewes, passim; dies., MarkenR 1999, 145 ff.; Körner 1Grundig-Schnelle, GRUR 1999, 535 ff. 89 Z. B. kommunale Wappen, die im deutschen Markenrecht unmittelbar von § 8 11 Nr. 6 MarkenG erfaßt werden. 90 Dieses absolute Schutzhindernis wurde im Zuge der VO (EG) Nr. 3288/94 des Rates vom 22. 12. 1994 (AbI. Nr. L 349, S. 83ff.) in die GMarkenVaufgenommen. Die Ergänzung des Schutzkatalogs wurde wegen Art. 23 II TRIPS-Abkommen notwendig, der falsche geographische Angaben im Hinblick auf Weine und Spirituosen auch dann verbietet, wenn im Einzelfall keine Tauschungsgefahr besteht (vgI. auch den 4. Erwägungsgrund zur VO (EG) Nr. 3288/94). Der deutsche Markengesetzgeber hat demgegenüber bislang noch keinen Umsetzungsbedarf für das MarkenG gesehen. 91 Art. 7 I lit.a)-h) GMarkenV finden ihr Pendant in Art. 3 I MarkenRL, während Art. 7 I Iit.i) GMarkenV mit der Regelung des Art. 3 II Iit.c) MarkenRL übereinstimmt. 92 Näher dazu Fezer, Markenrecht, § 37 MarkenG Rnr. 22, 23.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Gern. Art. 7 III GMarkenV können die Eintragungshindernisse des Art. 7 I lit.b), c) und d) GMarkenV (fehlende Unterscheidungskraft, beschreibende Marken und Gattungsbezeichnungen) dann überwunden werden, wenn die jeweilige Marke rur die Waren oder Dienstleistungen, rur die die Eintragung beantragt wurde, infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat93 • Der Begriff der Unterscheidungskraft im Rahmen des Art. 7 III GMarken V ist in gleicher Weise auszulegen wie der inhaltsgleiche Begriff der Unterscheidungskraft des Art. 7 I lit.b) GMarkenV 94 • Ausdrücklich abgelehnt hat der EuGH eine Bestimmung der durch die Benutzung einer Marke erworbenen Unterscheidungskraft im Einzelfall aufgrund genereller und abstrakter Angaben, wie z. B. bestimmter Prozentsätze9S • Insoweit bestehen direkte Parallelen zur Vorschrift des § 8 m MarkenG. Dieselben Prinzipien werden dort jedoch aufgrund anderer Prämissen erzielt. Im deutschen Markenrecht ist eine Verkehrsdurchsetzung der Marke in den beteiligten Verkehrskreisen erforderlich96.
IV. Relative Eintragungshindernisse
Neben den zuvor dargestellten absoluten Eintragungshindemissen sind die relativen Eintragungsversagungsgründe des abschließenden Katalogs in Art. 8 GMarken V zu berücksichtigen 97. Die relativen Eintragungshindernisse sind nur dann beachtlich, wenn der Inhaber einer prioritätsälteren Marke oder eines sonstigen nach nationalem Recht begründeten Kennzeichenrechts gegen die Eintragung der prioritätsjüngeren Marke Widerspruch (Artt. 42, 43 GMarken V) erhebt. Soweit das besser berechtigte Recht erst nach der Eintragung der streitgegenständlichen Marke geltend gemacht wird, entsteht ein Nichtigkeitsgrund gern. Art. 52 GMarkenV, der sowohl im Wege der Widerklage (Art. 96 GMarken V) als auch in Form einer Einrede im Verletzungsprozeß gerichtlich durchgesetzt werden kann (Art. 95 III GMarken V). Gern. Art. 8 II GMarkenV kommen folgende ältere Marken als relative Eintragungshindernisse in Betracht98 : Nach Art. 8 II lit.a) GMarkenV werden zunächst prioritätsältere Gemeinschaftsmarken, eingetragene nationale Marken99 und mit Vgl. v. Mühlendahl/Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 35. So EuGH, WRP 1999,629,634 - Windsurfing Chiemsee (zur Auslegung der Parallelvorschriften der MarkenRL). 95 EuGH, a. a. O. 96 Vgl. im einzelnen Fezer, Markenrecht, § 8 MarkenG Rnr. 415ff.; AlthammerlStröbele, MarkenG, § 8 Rnr. 119 ff. 97 Näher dazu v. Mühlendahll Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 36 ff. 98 Im deutschen Markenrecht sind die §§ 9 und 10 MarkenG als Parallelvorschriften zu Art. 8 I und 11 GMarken V anzusehen. 99 Hierunter fallen auch Marken, die beim Benelux-Markenamt eingetragen wurden. 93
94
IO Spuhler
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Wirkung für einen Mitgliedstaat international registrierte Marken genannt. Darüber hinaus erstreckt sich Art. 8 GMarkenVauch auf die entsprechenden Anmeldungen solcher Marken (Art. 8 n lit.b) GMarkenV). Schließlich werden auch Marken erfaßt, die am Tag der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke in einem Mitgliedstaat auf Grundlage des Art. 6 bis PVÜ notorisch bekannt sind lOo • Die Inhaber dieser Markenformen genießen für ihre Marken einen Identitätsschutz gern. Art. 8 I lit.a) GMarkenV 101, einen Verwechslungsschutz gern. Art. 8 I lit.b) GMarkenV I02 und unter besonderen Voraussetzungen einen Bekanntheitsschutz gern. Art. 8 V GMarkenV lO3 • Neben den begünstigten Markenformen des Art. 8 n GMarken V besteht ein relatives Eintragungshindernis auch in bezug auf rechtswidrige Agenten- oder Vertretermarken gern. Art. 8 m GMarkenV I04 . Eine wichtige Erweiterung des Kreises der relativen Eintragungshindernisse erfolgt durch die Bestimmung des Art. 8 IV GMarken V. Diese Vorschrift bezieht sich auf nicht eingetragene nationale Marken und sonstige im geschäftlichen Verkehr benutzte nationale Kennzeichenrechte, soweit diese eine überörtliche Bedeutung aufweisen lOS. Nach dem Wortlaut des Art. 8 IV GMarkenV ist das im Einzelfall anwendbare nationale Recht eines Mitgliedstaats für die Frage maßgeblich, ob ein kollisionsfähiges prioritätsälteres Kennzeichenrecht vorliegt. Ein solches Recht kann nur dann als relatives Eintragungshindernis in Betracht kommen, wenn nach nationalem Recht in der konkreten Sachverhaltskonstellation gegen die Benutzung der prioritätsjüngeren Gemeinschaftsmarke AbwehranspTÜche geltend gemacht werden könnten (hypothetische KollisionspTÜfung) 106. Soweit einem nationalen Kennzeichenrecht nur eine örtliche Bedeutung zukommt, ergeben sich Verbietungsrechte für den jeweiligen Inhaber nur nach Maßgabe des Art. 107 GMarken V.
100 Vgl. dazu § 10 MarkenG. Allerdings ergibt sich ein Unterschied zur Rechtslage in Deutschland dahingehend, daß eine prioritätsältere notorisch bekannte Marke von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wenn ihre Notorietät amtsbekannt ist, vgl. § 37 IV MarkenG. 101 Vgl. dazu auch Art. 9 I lit.a) GMarkenV. 102 Vgl. dazu auch Art. 9 I lit.b) GMarkenV. 103 Vgl. dazu auch Art. 9 I lit.c) GMarkenY. Die deutsche Rechtslage weicht insoweit ab, als daß die Geltendmachung des Schutzes einer bekannten Marke als relatives Eintragungshindernis (§ 9 I Nr. 3 MarkenG) aus verfahrensökonomischen Gründen gerade nicht im Widerspruchsverfahren (§ 42 MarkenG), sondern im Rahmen des Löschungsverfahrens gern. § 51 MarkenG angesiedelt wurde. 104 Vgl. auch Art. 11 GMarken V. Im deutschen Markenrecht entspricht die Vorschrift des § 11 MarkenG der Regelung des Art. 8 m GMarken V. 10~ Zur Auslegung dieses räumlich determinierten Rechtsbegriffs, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 71 f. Die letztverbindliche Auslegung dieses Rechtsbegriffs obliegt auch hier dem EuGH gern. Art. 220 (ex-Art. 164) EGV. 106 Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke. S. 71.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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v. Die Wirkungen der Gemeinschaftsmarke 1. Umfang des Markenschutzes
Nach Art. 9 I GMarkenV steht dem Inhaber der Gemeinschaftsmarke ein subjektives ausschließliches Recht zu 107. Dieses Recht gestattet es dem Berechtigten, Dritten zu verbieten, in bestimmten Einzelfallen ohne seine Zustimmung die Gemeinschaftsmarke im geschäftlichen Verkehr 108 zu benutzen. Gern. Art. 9 I GMarkenV gelangen in diesem Zusammenhang drei markenrechtliche Kollisionstatbestände zur Anwendung.
a) Absoluter Markenschutz gern. Art. 9 I lit.a) GMarken V (Doppelidentität) Art. 9 I lit.a) GMarken V regelt zunächst den Fall der doppelten Übereinstimmung lO9 in bezug auf die Identität der sich im Einzelfall gegenüberstehenden Zeichen und der entsprechenden Waren oder Dienstleistungen 110. In diesen Identitätsfällen existiert ein absoluter Schutz zugunsten der prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke 111. Dieser gemeinschaftsmarkenrechtliche Kollisionstatbestand entspricht den Artt. 4 I lit.a), 5 I lit.a) MarkenRL und den §§ 9 I Nr. 1, 1411 Nr. 1 MarkenG. Aus dem Wortlaut der zuvor genannten Bestimmungen folgt übereinstimmend, daß der Identitätschutz der Marke im nationalen und supranationalen Markenrecht nicht die Prüfung einer im Einzelfall bestehenden Verwechslungsgefahr erfordert 112 • Demgegenüber beschreitet das TRIPS-Abkommen einen anderen Lösungsweg. Nach Art. 16 I S. 2 TRIPS-Abkommen wird in den Fällen der Doppelidentität das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr vermutet. Die Auslegung der Begriffe "Zeichenidentität" und "Waren- oder Dienstleistungsidentität" dürfte im Einzelfall aufgrund der geforderten vollständigen 107 Dieses Recht aus der Gemeinschaftsmarke ist als Vermögensrecht anzusehen, daß in der deutschen Rechtsordnung ebenso wie das nationale Markenrecht der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie des Art. 14 GG unterflillt, Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG Rnr.101. 108 Auch dieses Tatbestandsmerkmal bedarf einer näheren Konkretisierung durch den EuGH. 109 Zum Begriff der Doppelidentität im deutschen Markenrecht, Sack, GR UR 1996, 663 ff. 110 In gleicher Weise besteht ein relatives Eintragungshindemis gern. Art. 8 I lit.b) GMarkenV. 111 s. dazu den 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,402,403. Vgl. dazu auch den 10. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989, 294. Der Identitätsschutz soll insbesondere die Herkunftsfunktion der Marke gewährleisten. 112 So zum deutschen Markenrecht Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 6; Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 138; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 74; vgl. auch BPatG, GRUR 1996, 204, 206 - Swing.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Übereinstimmung grundsätzlich keine Schwierigkeiten bereiten 113. Zu beachten ist jedoch, daß auch die Auslegung dieser beschränkt 114 revisiblen Rechtsbegriffe dem EuGH obliegt 11S • Ein alleiniger Rückgriff auf die deutsche Rechtslage unter Geltung des MarkenG kommt insoweit unmittelbar nicht in Betracht 116 • Die Auslegung wird vom EuGH vielmehr auf Grundlage einer Gesamtschau der markenrechtlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgenommen und daher in einen europäischen Kontext eingebunden. Insgesamt sollte der Identitätsbegriff des § 9 I lit.a) GMarken V eng ausgelegt werden, da der entsprechende doppelte Identitätsschutz expressis verbis vom tatbestandiich weiteren Anwendungsbereich des Verwechslungsschutzes gern. § 9 I lit.b) GMarkenV erfaßt wird. Eine eigenständige Bedeutung erlangt der Identitätsschutz in der Praxis vor allem in den Fällen der Markenpiraterie und der Inanspruchnahme des Zeitrangs identischer nationaler Markeneintragungen gern. den Artt. 34, 35 GMarken V.
b) Verwechslungsschutz der Gemeinschaftsmarke gern. Art. 9 I lit.b) GMarkenV Nach Art. 9 I lit.b) GMarkenV gewährt die Gemeinschaftsmarke ihrem Inhaber das ausschließliche Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Gemeinschaftsmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen erfaßten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird l17 • Aufgrund dieser Bestimmung besteht folglich ein Verwechslungsschutz im Hinblick auf ähnliche Zeichen oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen ll8 . Insoweit ergibt sich eine Parallele zur 113 Vgl. jedoch in diesem Zusammenhang zum deutschen Markenrecht, Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 141-147. 114 Die Revisibilität ist hier auch im Vorlageverfahren gern. Art. 234 (ex-Art. 177) EGV eingeschränkt, weil die Rechtsbegriffe der Zeichen- und Waren- bzw. Dienstleistungsidentität von vorherigen Tatsachenfeststellungen der nationalen Instanzgerichte abhängig sind. m Näher zu dieser Auslegung, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 73, 74. 116 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der EuGH in einer zukünftigen Entscheidung zur MarkenRL Stellung genommen hat und diese Entscheidung im Wege der richtlinienkonformen Auslegung auf das MarkenG ausstrahlt. Aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Europarechts folgt dann eine identische Auslegung der gleichlautenden Rechtsbegriffe in der MarkenRL, der GMarkenV und (mittelbar) dem MarkenG. 117 In gleicher Weise besteht ein relatives Eintragungshindemis gern. Art. 8 llit.b) GMarkenV. 118 Vgl. zum geographischen Bezug der Verwechslungsgefahr im System der GMarkenV, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 82.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Rechtslage der Artt. 4 I lit.b), 5 I lit.b) MarkenRL und den §§ 9 I Nr. 2, 1411 Nr. 2 MarkenG 119. Aus den Fonnulierungen der zuvor genannten supranationalen und hannonisierten nationalen Nonnen lassen sich drei Fallkonstellationen von Verwechslungsgefahren ableiten: Zunächst kommt eine im Einzelfall bestehende Identität des prioritätsjüngeren Zeichens und der prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke bei gleichzeitiger Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen in Betracht (Markenidentität und Produktähnlichkeit). Daneben wird der (umgekehrte) Fall der Ähnlichkeit des Zeichens und der Gemeinschaftsmarke bei bestehender Identität der Waren oder Dienstleistungen erfaßt (produktidentität und Markenähnlichkeit). Schließlich ist die Konstellation einer doppelten Ähnlichkeit, also Ähnlichkeit des Zeichens und der Gemeinschaftsmarke und Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen (Markenähnlichkeit und Produktähnlichkeit) zu nennen. Der Fall einer doppelten Identität, also Markenidentität und Produktidentität, ist nach dem Willen des Schöpfers der GMarkenV bereits tatbestandiich in den Artt. 8 I lit.a) und 9 I lit.a) GMarkenV verankert 120.
aa) Grundsätze zum Begriff der Verwechslungsgefahr in der GMarken V Anknüpfungspunkte für die Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr im Rahmen der GMarkenVergeben sich zunächst aus den Erwägungsgründen zu diesem Rechtsakt. So heißt es im 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV I21 : "Zweck des durch die eingetragene Marke gewährten Schutzes ist es, insbesondere die Herkunftsfunktion der Marke zu gewährleisten; dieser Schutz ist absolut im Falle der Identität zwischen der Marke und dem Zeichen und den Waren oder Dienstleistungen. Der Schutz erstreckt sich ebenfalls auf Fälle der Ähnlichkeit von Zeichen und Marke sowie Waren und Dienstleistungen. Der Begriff der Ähnlichkeit ist im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen. Die Verwechslungsgefahr stellt die spezifische Voraussetzung für den Schutz dar; ob sie vorliegt, hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt, der gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen". Ein nahezu identischer Erwägungsgrund findet sich auch in bezug auf den Ver119 Allgemein zum Markenschutz des § 14 MarkenG im harmonisierten deutschen Markenrecht, Will, passim; zum Begriff der Verwechslungsgefahr. Litpher. passim; Heil! KunzHallstein. GRUR Int. 1995. 227 ff. 120 Konsequenterweise erfordert diese Fallkonstellation - wie schon dargelegt - nicht das Vorhandensein einer Verwechslungsgefahr. 121 GRUR Int. 1994.403.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
wechslungsschutz im Rahmen der MarkenRL l22 . Im Unterschied zum 10. Erwägungsgrund in der MarkenRL findet sich im 7. Erwägungsgrund zur GMarken V kein Hinweis darauf, daß die Bestimmungen über die Art und Weise der Feststellung der Verwechslungsgefahr, insbesondere im Hinblick auf die Beweislast, Sache nationaler Verfahrensregeln sind. Hieraus folgt, daß das Harmonisierungsamt und der EuGH darüber zu entscheiden haben, ob beispielsweise demoskopische Gutachten zur Feststellung der Verwechslungs gefahr im Einzelfall herangezogen werden können. Insoweit kommt ein Rückgriff auf das nationale Verfahrensrecht im Rahmen der GMarken V nicht in Betracht. Der Begriff der Verwechslungsgefahr ist allein schon aufgrund seiner Verankerung in der GMarken V ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff. Der EuGH ist daher gern. Art. 220 (ex-Art. 164) EGV für die Auslegung dieses Begriffs exklusiv und originär zuständig (unmittelbare Auslegung der GMarkenV). Daneben ist zu beachten, daß der Begriff der Verwechslungsgefahr deckungsgleich auch in den Artt. 4 I lit.b), 5 I lit.b) MarkenRL und den entsprechenden nationalen Transformationsvorschriften ( in Deutschland: §§ 9 I Nr. 2 und 14 TI Nr. 2 MarkenG) enthalten ist. Der EuGH überwacht folglich über das Vorabentscheidungsverfahren des Art. 234 (ex-Art. 177) EGVauch die Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr und die Entwicklung entsprechender Beurteilungskriterien im nationalen Markenrecht der Mitgliedstaaten und prüft, ob-diese mit den verbindlichen Vorgaben der MarkenRL übereinstimmen (unmittelbare Auslegung der MarkenRL, verbunden mit einer simultanen, mittelbaren richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts 123). Infolge dieser "Gesamtjurisdiktion" des EuGH ist es vorhersehbar, daß das Gericht die inhaltlich gleichen Rechtsbegriffe der Verwechslungsgefahr und der Ähnlichkeit in der GMarkenV, der MarkenRL und (mittelbar) des MarkenG in identischer Weise auslegen wird. Nur dann wird der hier anwendbare Grundsatz der Einheitlichkeit des Europarechts gewährleistet bei gleichzeitiger Minimierung von Reibungsverlusten zwischen den Schutzebenen des nationalen und supranationalen Markenschutzes, die infolge einer divergierenden Auslegung zwangsläufig entstehen würden. Es würde dem in den Erwägungsgründen zur MarkenRL und zur GMarken V verankerten Harmonisierungsziel widersprechen, gleichlautende Rechtsbegriffe in divergierender Weise zu konkretisieren. Wollte man hier nicht 10. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989,294. Die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts reicht unmittelbar nur soweit wie der Anwendungsbereich der MarkenRL. Wie bereits festgestellt wurde, erfaßt die MarkenRL nur den Schutz eingetragener Marken (9. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989, 294). Im deutschen MarkenG wurde jedoch der Begriff der Verwechslungsgefahr im Tatbestand des § 14 MarkenG einheitlich für alle Markenformen des § 4 MarkenG (eingetragene Marke, Marke kraft Verkehrsgeltung und notorisch bekannte Marke) verwendet. Hieraus kann abgeleitet werden, daß sich die richtlinienkonforme Auslegung aufgrund entsprechender Vorgaben des EuGH mittelbar - im Interesse einer einheitlichen Auslegung des nationalen Rechts - auch auf die Marken kraft Verkehrsgeltung und die notorischen Marken erstreckt. Insoweit ist jedoch eine Vorlagefrage an den EuGH ausgeschlossen, weil der Anwendungsbereich der MarkenRL nicht eröffnet ist. 122 123
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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auf den Einheitlichkeitsgrundsatz rekurrieren, wäre die Effektivität und Durchsetzungskraft der supranationalen Rechtsakte im Bereich des Markenrechts in entscheidender Weise beeinträchtigt. Nicht zuletzt die wichtige Ausstrahlungswirkung auf das nationale Markenrecht wäre in erheblichem Maße geschwächt. Im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr im Rahmen der GMarkenV sind bislang zwei Grundsatzentscheidung des EuGH ergangen. Das Gericht hat in den Entscheidungen "SabeI/Puma,,124 und "Canon,,12S den Begriff der Verwechslungs gefahr hinsichtlich der Markenähnlichkeit und der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit im Sinne der MarkenRL präzisiert 126. Bereits aus diesen beiden ersten richtungsweisenden Entscheidungen des EuGH ergeben sich jedoch wegen des hier einschlägigen Grundsatzes der Einheitlichkeit des Europarechts auch Rückschlüsse für eine zukünftige Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr im Sinne der GMarkenY. Zukünftige Entscheidungen des EuGH unmittelbar zur GMarken V müssen sich in diesem Zusammenhang zunächst an den primärrechtlichen Normen orientieren. Insoweit sind die Vorschriften der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV zu nennen, die den Prüfungsmaßstab vorgeben. Der EuGH hat bereits mehrfach ausgeführt, daß das gesamte abgeleitete Recht im Lichte der EG-Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr auszulegen ist 127. In bezug auf markenrechtliche Bestimmungen erfolgte bislang lediglich eine Überprüfung der Vereinbarkeit des nationalen Markenschutzes mit dem Warenverkehrsrecht des EGV 128 • Ein entsprechendes Spannungsverhältnis besteht jedoch auch zwischen den Schutzregelungen der GMarken V und dem primärrechtlichen Grundsatz des freien Waren verkehrs. In der Rechtsprechung des EuGH ist anerkannt, daß das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen und von Maßnahmen gleicher Wirkung nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnah-
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124 EuGH, Slg.I997, 1-6191 ff. GRUR Int. 1998, 56ff. EuZW 1998, 20ff. - Sabell Puma. Vgl. dazu auch Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 85, 103, 113d, 119, 121, 126, 132,148,160,162,251,335,336a,341b. 125 EuGH, Slg. 1998, 1-5507 WRP 1998, 1165 ff. - Canon. Vgl. dazu auch die Vorlagefragen des BGH, GRUR 1997,221 - Canon und die mittlerweile getroffene Endentscheidung des BGH, MarkenR 1999, 242 ff. - Canon 11 (insbesondere zur Frage der Ähnlichkeit zwischen Waren und Dienstleistungen). Vgl. insgesamt auch Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 119,130, 132, 335,336a, 337,341a, 341b,345,347. 126 Von besonderer Bedeutung ist desweiteren auch das Urteil des EuGH ,,Lloyd/Klijsen" (WRP 1999, 806ff.) zur Frage der Verwechslungsgefahr bei klanglicher Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken. Schließlich ist auf die Rechtssache C-375197 - General MotorsISA Pylon, eines Vorabentscheidungsersuchens des Tribunal de Commerce de Tournai zum Schutz der bekannten Marke und die entsprechenden Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs (Mitt. 1999, 159), hinzuweisen. 127 EuGH, Slg. 1992, 1-3669 RIW 1992, 768 - Delhaize; EuGH, Slg. 1994, 1-317 GRUR 1994, 303 - Clinique; EuGH, Slg. 1996, 1-3457 GRUR Int. 1996, 1144, 1147 Bristol-Myers Squibb. 128 Vgl. dazu 4. Kapitel, § 3, S. 283 ff.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
men der Gemeinschaftsorgane gilt 129. Der Kollisionstatbestand einer Gemeinschaftsmarkenverletzung wegen Verletzungsgefahr nach Art. 9 I lit.b) GMarken V darf sich daher im Einzelfall nicht als eine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung 130 darstellen und ist daher an den Artt. 28, 30 (ex-Artt.30, 36) EGV zu messen. Nach der in diesem Zusammenhang maßgeblichen ,,Dassonville"-Formel des EuGH ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als eine Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen 13l • Der EuGH wird diesen weiten Anwendungsbereich in entsprechender Weise auch bezüglich der primärrechtlichen Überprüfung der GMarkenVanwenden können. Eine Einschränkung erfährt die ,,Dassonville"-Formel im Ergebnis durch die "Cassis de Dijon"Doktrin des EuGH 132 • Danach besteht eine immanente Schranke im Rahmen des Art. 28 (ex-Art. 30) EGV in bezug auf die Herstellung und Vermarktung von Erzeugnissen, für die bislang noch keine entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen bestehen, soweit die einschlägigen nationalen Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden. Als zwingende Erfordernisse wurden z. B. die Erfordernisse einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, der Schutz der öffentlichen Gesundheit, die Lauterkeit des Handelsverkehrs, der Verbraucherschutz und der Umweltschutz anerkannt. Im Hinblick auf die primärrechtliche Überprüfung der GMarkenV können diese Grundsätze der "Cassis"Rechtsprechung nicht unmittelbar herangezogen werden, da hiervon lediglich das nicht harmonisierte nationale Recht der Mitgliedstaaten erfaßt und privilegiert wurde. Allerdings ist zu beachten, daß der EuGH im Rahmen seiner Rechtsprechung zum Rechtfertigungsgrund des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Sinne des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV und der hier entwickelten Formel des spezifischen Gegenstands des nationalen Markenrechts vergleichbare Kriterien herangezogen hat, die sich - ebenso wie die "Cassis-Formel J33 " - als Ausprägungen des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auffassen lassen. Obwohl sich auch diese Rechtsprechung unmittelbar auf das nationale Markenrecht bezieht, besteht ein vergleichbarer Sachverhalt im Hinblick auf das Verhältnis der Rechte aus der GMarkenV zum Grundsatz des freien Warenverkehrs. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum spezifischen Gegenstand des nationalen Markenrechts kann daher auch auf den Konfliktfall der GMarken V übertragen werden. Hierfür spricht zudem, daß das Spannungsverhältnis zwischen der GMarkenV und den Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV in den Erwägungsgründen
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129 EuGH, Slg. 1994, 1-3879 - Meyhui; EuGH, Slg. 1996, 1-3457 GRUR Int. 1996, 1144, 1147 - Bristol-Myers Squibb. 130 Näher zu diesem Begriff, Becker, EuR 1994, 162 ff. l31 EuGH, Sig. 1974,837 - Dassonville. J32 EuGH, Sig. 1979, 649 - Cassis de Dijon. 133 Zur sprachlichen Neufassung der "Cassis-Formel" in Anpassung an andere Grundfreiheiten des EGV, EuGH, Sig. 1997,1-3589,3713 - Vereinigte Familapress I Bauer Verlag.
§ 2 Oie Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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zur GMarkenVausdrücklich erwähnt wird. Im 8. Erwägungsgrund 134 heißt es zur Erschöpfung der Rechte aus der Gemeinschaftsmarke: "Aus dem Grundsatz des freien Warenverkehrs folgt, daß der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke einem Dritten die Benutzung der Marke für Waren, die in der Gemeinschaft unter der Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht worden sind, nicht untersagen kann, außer wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, daß der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt". Insgesamt kann daher der spezifische Gegenstand einer Gemeinschaftsmarke als Gegenstück zur Erschöpfung der Rechte aus der Gemeinschaftsmarke mit dem spezifischen Gegenstand einer nationalen Marke nach der Diktion des EuGH gleichgesetzt werden. Eine entsprechende Heranziehung der bisherigen EuGHRechtsprechung in diesem Bereich stärkt zudem das Prinzip der Einheitlichkeit des Europarechts und bewirkt eine effektive Verzahnung des nationalen Markenrechts auf Grundlage der MarkenRL und dem eigenständigen Schutzsystem der GMarkenV. Von besonderer Bedeutung für den Kollisionstatbestand des Art. 9 I lit.b) GMarkenV könnte schließlich auch die Entscheidung "Keck und Mithouard" sein 135. Dieses Urteil zu den wettbewerbsrechtlichen Grenzen nationaler Vermarktungsregelungen bildete den Grundstein für eine entscheidende Beschränkung der als zu weit empfundenen "Dassonville"-FormeI 136• Nach der "Keck"-Doktrin stellen nationale Vorschriften, die sich auf Verkaufsmodalitäten beziehen, keine Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne des Art. 28 (ex-Art. 30) EGV dar, wenn die betroffene nationale Regelung im Einzelfall für alle Marktteilnehmer unterschiedslos gilt und der Absatz der inländischen Erzeugnisse und der aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Erzeugnisse rechtlich und tatsächlich von der Verkaufsmodalität in gleicher Weise betroffen wird 137 • Demgegenüber werden nationale Regelungen hinsichtlich der Warenmodalitäten nicht von den Vorteilen der "Keck"-Doktrin erfaßt. Hierzu zählen Vorschriften in bezug auf die Bezeichnung, die Form, die Abmessung, das Gewicht, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Etikettierung und die Verpackung von Waren. Dogmatisch ist die "Keck"-Entscheidung des EuGH als eine Einschränkung der tatbestandlichen Anwendung des Art. 28 (exArt. 30) EGV zu begreifen. Die "Dassonville"-Formel wird beschränkt, ohne jedoch zugleich auch die "Cassis de Dijon"-Doktrin zu tangieren 138 •
GRUR Int. 1994,403. EuGH, Slg. 1993, 1-6097 =GRUR Int. 1994, 56 ff. =EuR 1994, 89 ff. - Keck und Mithouard. Vgl. dazu auch Heermann, WRP 1999,381 ff. 136 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das "Clinique"-Urteil des EuGH (Slg. 1994, 1-317) und die "Mars"-Entscheidung des EuGH (Slg. 1995, 1-1936 = ZIP 1995, 1137 = GRUR 1995, 804). Zum ganzen Problemkreis, Streinz/Leible, ZIP 1995, 1236ff. 137 Streinz, Europarecht, S. 267f. Vgl. auch EuGH, Slg. 1997, 1-3843ff. - Oe Agostini. Näher dazu Heermann, GRUR Int. 1999,579, 586ff. 138 Vgl. dazu auch Streinz I Leible, ZIP 1995,1236,1239; Streinz, GRUR 1996,16,29. 134 135
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Im Hinblick auf den gemeinschaftsmarkenrechtlichen Schutz vor Verwechslungsgefahren läßt sich feststellen, daß insoweit eine unmittelbare Regelung der Warenmodalität gegeben ist 139 . Das Recht aus der Gemeinschaftsmarke als ausschließliches Recht beeinflußt direkt die Aufmachung, die Etikettierung und die Verpackung 140 der gekennzeichneten Waren. Die Grundsätze der "Keck"-Rechtsprechung können daher nicht auf die primärrechtliche Überprüfung des Art. 9 I lit.b) GMarkenV übertragen werden. Der Anwendungsbereich des Art. 28 (exArt. 30) EGV ist daher hier nicht durch die "Keck"-Doktrin versperrt. Eine zukünftige Entscheidung des EuGH in diesem Bereich wird sich folglich an den Vorgaben des Gerichts zur Auslegung des in Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGVenthaltenen Begriffs des kommerziellen und gewerblichen Eigentums und den Grundsätzen der "Cassis"-Rechtsprechung orientieren müssen. Anhaltspunkte für eine primärrechtskonforme Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr ergeben sich zudem auch aus der Entstehungsgeschichte der GMarkenY. Unter Berufung auf die Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV hatte die Kommission bei der Schaffung der MarkenRL und der GMarkenV versucht, einen insbesondere gegenüber dem deutschen Markenrecht engeren Begriff der "ernsthaften" Verwechslungsgefahr tatbestandiich zu verankern 141 • In beiden sekundärrechtlichen Gemeinschaftsrechtsakten hat diese Rechtsauffassung der Kommission jedoch keinen Niederschlag gefunden 142 • Auch die entsprechenden Erwägungsgründe enthalten keine anderslautenden Hinweise. Der EuGH hat demgegenüber sogar in seiner "quattro"-Entscheidung betont, daß das primäre Gemeinschaftsrecht keine restiktive Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr voraussetze 143 • Darüber hinaus beschränkte sich der EuGH in der "quattro"-Entscheidung und im "Ideal Standard II"-Urteil bei der Überprüfung nationaler Verwechslungsregelungen auf eine Diskriminierungs- und Willkürkontrolle gern. Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV, da er diese unter den Begriff des spezifischen Gegenstands des nationalen Markenrechts im Sinne des Art. 30 (ex-
139 Vgl. in diesem Zusammenhang auch EuGH, WRP 1999, 813, 815 f. - Pfeiffer Großhandel. 140 Näher zu den wettbewerbsrechtlichen Anforderungen im Hinblick auf Verpackungen und Werbeaufdrucke und ihre Auswirkungen auf Art. 28 (ex-Art. 30) EGV, EuGH, Sig. 1993, 1-6097 ZIP 1995, 1137 GRUR 1995, 804 - Mars. Vgl. zur ,,Mars"-Entscheidung auch Meyer, GRUR Int. 1996, 98 ff. 141 Vgl. zu den Bemühungen der Kommission, einen engen Verwechslungsgefahrenbegriff durchzusetzen, die Stellungnahme der Kommission im Verfahren "Terrapin/Terranova", GRUR Int. 1976, 408 und die Denkschrift, Nr. 38, Art. 7 I Verordnungsvorschlag 1978, GRUR Int. 1978, 452. Im Hinblick auf die MarkenRL ist der Vorschlag zur MarkenRL zu nennen, GRUR Int. 1981,30. Allgemein zur diesbezüglichen Rechtsauffassung der Kommission, Schönfeld, S. 146ff.; VierheIlig, GRUR Int. 1982,506; Hackbarth, S. 34ff. 142 Allgemein zur "ernsthaften" Verwechslungsgefahr, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenR Rnr.404ff. 143 EuGH, Sig. 1993, 1-6227 =GRUR Int. 1994, 168, 170 - quattro.
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§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Art. 36) S. 1 EGV subsumierte l44 • Aus diesen Entscheidungen könnte eine Grundtendenz des EuGH gegen eine enge Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr im europäischen Recht abgeleitet werden 145. Zu beachten ist jedoch, daß diese Entscheidungen des EuGH vor dem Inkrafttreten der GMarkenV und der MarkenRL ergingen und sich ausschließlich auf den nationalen Verwechslungsgefahrenbegriff des vormaligen WZG bezogen. Eine Aussage zur Bestimmung des Begriffs der Verwechslungsgefahr im supranationalen Recht läßt sich den zuvor erwähnten Urteilen daher nicht entnehmen. Dies bleibt der zukünftigen EuGHRechtsprechung überlassen. Aus dem Wortlaut des 7. Erwägungsgrundes zur GMarkenV kann im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr entnommen werden, daß dieser von den Kriterien der Markenähnlichkeit und der Waren- bzw. Dienstleistungsähnlichkeit abhängt. Der Begriff der Ähnlichkeit ist im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen. Der Ähnlichkeitsbegriff, der seinerseits als europäischer Rechtsbegriff der abschließenden Jurisdiktion des EuGH unterliegt, ist jedoch nicht der einzige maßgebende Faktor zur Bestimmung der Verwechslungsgefahr. Der 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV nennt daneben exemplarisch den Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt und die gedankliche Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zur Marke hervorrufen kann. Diese nicht abschließende Aufzählung möglicher Kriterien bedeutet, daß es für die Frage der Verwechslungsgefahr in maßgebender Weise auf die Umstände des Einzelfalls ankommt l46 . Ausdrücklich anerkannt hat der EuGH auch, daß die im Einzelfall bestehende Verwechslungsgefahr umso größer ist, je größer sich die Kennzeichnungskraft 147 der prioritätsälteren Marke darstellt l48 . Hieraus läßt sich ableiten, daß die Kennzeichnungskraft der Gemeinschaftsmarke als dritter maßgebender Faktor neben 144 EuGH, Slg. 1993, 1-6227 = GRUR Int. 1994, 168, 170 - quattro; EuGH, Slg. 1994, 1-2789 = GRUR Int. 1994,614,615,616 - Ideal Standard. 14S In diesem Sinne Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 22; Dreiss I Klaka, S. 77 ff. 146 So ausdrücklich der EuGH in der Entscheidung "SabeI/Puma" EuGH, Slg. 1997, 1-6191 ff. = EuZW 1998,20,21. 147 Näher zur Bestimmung der Kennzeichnungskraft einer Marke, EuGH, WRP 1999, 806, 808 f. - Lloyd I Klijsen. 148 EuGH, Slg. 1997,1-6161 ff. EuZW 1998,20,22 - Sabel/Puma. Der EuGH führt hier aus, daß einer älteren Marke entweder von Haus aus oder kraft Verkehrs geltung eine besondere Kennzeichnungskraft zukommen kann. Diese Entscheidung bezieht sich ausdrücklich nur auf die MarkenRL. Aufgrund der Parallelität des Schutzes zwischen der MarkenRL und der GMarkenV, die der EuGH ausdrücklich anerkannt hat, ist dieses Urteil jedoch auch für die Auslegung der Verwechslungsgefahr im Sinne der GMarkenV bedeutsam. Insgesamt bestätigt der EuGH mit seinen Ausflihrungen zur Kennzeichnungskraft die bisherige Rechtsprechung des BGH zum erhöhten Schutzumfang gegen Verwechslungsgefahr bei gesteigerter Kennzeichnungskraft der Altrnarke, vgl. BGH, GRUR 1952, 35 - Widial Arida; BGH, GRUR 1991,609 - SL; BGH, GRUR 1995,50,51,52 - Indorektalllndohexal; BGH, GRUR 1996, 198, 199 - Springende Raubkatze.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
der Markenähnlichkeit und der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit für die Bestimmung der Verwechslungsgefahr herangezogen werden kann 149. Die Verwechslungsgefahr übernimmt damit im System des Kollisionsschutzes in der GMarkenV die Rolle eines Oberbegriffs l50. Unter Kennzeichnungskraft versteht man die Eignung eines Zeichens, sich aufgrund seiner Eigenart und sonstiger im Einzelfall zu bestimmender Faktoren 151 , dem Publikum als Marke einzuprägen, d. h. in Erinnerung behalten und wiedererkannt zu werden i52 . Es handelt sich insoweit nicht um eine starre, sondern vielmehr um eine variable Größe, die sich im Laufe der Benutzungszeit der Marke verändern kann 153• Die Kennzeichnungskraft bestimmt den Schutzumfang der prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke. Dieser Schutzumfang ist eines der prägenden Kriterien für das markenrechtliche "Territorium", das die prioritätsältere Marke für sich im Falle einer Kollision mit einer jüngeren Marke in Anspruch nehmen kann. Auch die Kennzeichnungskraft markiert folglich den "Abstand", den das jüngere Zeichen einhalten muß, um Verwechslungsgefahren mit der besser berechtigten Marke auszuschließen. Die Auslegung des Begriffs der Kennzeichnungskraft im Sinne der GMarken V ist Sache des EuGH. Aufgrund der europäischen Dimension der GMarkenV und der sich hieraus ergebenden Notwendigkeit einer rechtsvergleichenden Auslegung, kann insoweit nicht unmittelbar auf die einschlägige deutsche Rechtsprechung zurückgegriffen werden 154. Der nationalen Rechtsprechung kommt im Rahmen der GMarkenV lediglich die Rolle einer Orientierungshilfe zu. Fraglich ist jedoch nunmehr, in welchem Verhältnis diese drei Faktoren zueinander stehen. In der "SabeI/Puma"-Entscheidung I55 hat der EuGH lediglich ausgeführt, daß das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr von einer Vielzahl von Umständen abhänge, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke am Markt, der gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. Nach Auffassung des EuGH kommt es daher auf eine umfassende Berücksich149 Dies entspricht auch der Rechtsauffassung des BGH zum MarkenG, vgl. BGH, GRUR 1996, 198, 199 - Springende Raubkatze; BGH, GRUR 1997,221 - Canon. Insoweit knüpft der BGH an seine schon unter Geltung des WZG entwickelte Rechtsprechung an, vgl. dazu Busse/Starck, WZG, § 31 Rnr. 26ff. 150 In diesem Sinne zum harmonisierten deutschen Markenrecht, Dreiss, Miu. 1995, 1, 6. 151 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere der Bekanntheitsgrad der jeweiligen Marke und der Charakter ihrer einzelnen Markenbestandteile (z. B. beschreibende Angaben). So auch EuGH, WRP 1999,806,808 f. - Lloydl Klijsen. 152 So IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 181. 153 Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 111. 154 V gl. zur deutschen Rechtsprechung hinsichtlich des Begriffs der Kennzeichnungskraft, Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 108ff.; IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 181 ff.; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 121 ff., 271 ff. 155 EuGH, Sig. 1997,1-6191 =EuZW 1998,20,21 - SabertPuma.
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tigung aller Umstände des Einzelfalles an. In der Entscheidung "Sabel/Puma,,156 findet sich jedoch noch keine ausdrückliche Stellungnahme zum Innenverhältnis derjenigen Faktoren, die im Einzelfall die Verwechslungsgefahr begünden können. Soweit bislang ersichtlich, hat sich auch das Harmonisierungsamt in den Entscheidungen seiner Beschwerdekammem noch nicht abschließend zu dieser Thematik geäußert 157. Allerdings hat der EuGH mittlerweile in der Entscheidung ,,Lloyd/ Klijsen" ausdrücklich anerkannt, daß die umfassende Beurteilung des Begriffs der Verwechslungsgefahr eine Wechselwirkung zwischen den im Einzelfall in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der von ihnen erfaßten Waren oder Dienstleistungen impliziere l58 . Der Begriff der Verwechslungsgefahr basiert daher auch im Gemeinschaftsrecht auf einem beweglichen System wechselseitiger Beurteilungskriterien 159. Auch die exemplarische Aufzählung der verschiedenen Faktoren der Verwechslungsgefahr im 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV I60 verdeutlicht, daß die im Einzelfall vorliegenden Kriterien der Verwechslungsgefahr in einer Wechselwirkung zueinander stehen. Eine Verwechslungsgefahr kann daher im Einzelfall auch dann gegeben sein, wenn ein Faktor nur schwach, ein anderer aber stärker vorhanden ist (Kompensationsmöglichkeit)161. Entscheidend ist somit das Zusammenspiel der einzelnen Kriterien auf Grundlage einer summarischen Gesamtbetrachtung l62. Ob der Ausgleich eines schwächeren Faktors durch einen ausgeprägteren Faktor in Betracht kommt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es ist z. B. denkbar, daß eine Verwechslungsgefahr vorliegt, wenn es sich im konkreten Einzelfall um identische Marken handelt und ein großer Schutzumfang der prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke gegeben ist, aber nur ein geringer Grad der Warenähnlichkeit festzustellen ist. In umgekehrter Weise kann dasselbe Ergebnis erzielt werden, wenn zwar nur eine geringe Markenähnlichkeit vorliegt, aber Warenidentität einschlägig ist. Schließlich kann eine Verwechslungsgefahr allerdings ausscheiden, EuGH, Sig. 1997,1-6191 ff. Vgl. zu den ersten Entscheidungen der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamtes, GRUR Int. 1998, 611-614; MarkenR 1999, 38 ff., 69ff. Al1gemein zur Tatigkeit der Beschwerdekammern, Bender, MarkenR 1999, II ff. mit zahlreichen Beispielen aus der Spruchpraxis der Beschwerdekammem. Vgl. im übrigen auch Preglau/Neuffer, MarkenR 1999,41 ff. 158 So EuGH, WRP 1999, 806, 808 - Lloyd I Klijsen. 159 Sog. Wechselwirkungstheorie, vgl. dazu Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 103; 335. Vgl. insgesamt auch Fezer, WRP 1998, 1123, 1124. 160 GRUR Int. 1994,403. Die Kennzeichnungskraft der Gemeinschaftsmarke ist zwar als Kriterium in der Aufzählung nicht ausdrücklich enthalten, ergibt sich aber sinngemäß aus der Formulierung ... "Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt. .. " (Marktstärke der Gemeinschaftsmarke ). 161 So zutreffend Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 76. Vgl. auch EuGH, WRP 1999, 806,808 - Lloyd/Klijsen. 162 Vgl. zur notwendigen begrenzten Wechselwirkung der Faktoren die nachfolgenden Ausflihrungen zum Begriff der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit. 156 157
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
wenn der älteren Gemeinschaftsmarke nur ein geringer Schutzumfang aufgrund fehlender Kennzeichnungskraft zukommt, obwohl Markenidentität und Warenähnlichkeit zu bejahen sind. Allgemein verbindliche Richtlinien lassen sich jedoch insgesamt nicht aufstellen. In dieser Weise wird auch das Verhältnis der Kriterien der Verwechslungsgefahr im harmonisierten deutschen Markenrecht verstanden l63 . Problematisch ist desweiteren, nach welchem Maßstab das Vorliegen der Verwechslungsgefahr zu bestimmen ist. Gern. Art. 9 I lit.b) GMarkenV muß die Gefahr von Verwechslungen für das Publikum bestehen l64 • Das Publikum ist für die Frage der Verwechslungsgefahr die maßgebliche Bezugsgröße. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß der Begriff der Verwechslungsgefahr in der GMarkenV ausschließlich als Tatfrage einzuordnen ist. Zur Bestimmung der Rechtsnatur des Begriffs der Verwechslungsgefahr bietet sich ein Vergleich zum harmonisierten deutschen Markenrecht an. Nach h.M. ist die Verwechslungsgefahr dort als Rechtsfrage einzuordnen, die als solche grundsätzlich nicht der Beweiserhebung z. B. in Form eines Sachverständigenbeweises zugänglich ist l65 • Im Rahmen der Feststellung der Verwechslungsgefahr sind jedoch auch tatsächliche Gegebenheiten als Vorfragen relevant, wie z. B. hinsichtlich des Bekanntheitsgrades, der Markenähnlichkeit und der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit l66 • Die Verwechslungsgefahr ist daher von einer Kombination vorgelagerter Tatsachenfeststellungen abhängig, die jedoch nicht die Rechtsnatur der Verwechslungsgefahr als Rechtsfrage bzw. Rechtsbegriff167 beeinflussen 168. Die festgestellten Tatsachen werden insgesamt rechtlich bewertet und so in die Gesamtrechtsfrage eingebunden. Aus der Einordnung der Verwechslungsgefahr als Rechtsfrage im deutschen Markenrecht folgt zudem, daß der Verwechslungsschutz des § 1411 Nr. 2 MarkenG als abstrakter Gefährdungstatbestand anzusehen ist l69 • Der Schutz der prioritäts163 Vgl. dazu Althamrnerl Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 14; Ingerl 1Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 180; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 103 (..bewegliches System wechselseitiger Beurteilungskriterien Vgl. darüber hinaus zur parallelen Bestimmung der Verwechslungsgefahr bei Kennzeichenkollisionen auf Grundlage des vormaligen § 16 UWG (nunmehr § 15 MarkenG), BGH, GRUR 1966,267 - White Horse und Fezer, Markenrecht, § 15 MarkenG Rnr.72ff. 164 Ebenso der Wortlaut des Art. 5 I Iit.b) MarkenRL und des § 1411 Nr. 2 MarkenG. 165 BGH, GRUR 1995, 216, 219 - Oxygenol 11; BGH, GRUR 1995, 808, 810 - P3plastoclin; BGH, WRP 1997,751,754 - B.Z./Berliner Zeitung; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 83; IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 164; AlthammerlStröbele, MarkenG, § 9 Rnr. 17 m. w. N.; Sack, WRP 1998,1127,1130,1131 m. w. N. 166 Vgl. zur Feststellung der Kennzeichnungskraft einer Marke, Ingerll Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 185 ff. 167 Zur dogmatischen Unterscheidung dieser Begriffe, Osterloh, in: FS f. Piper, 1996, S. 595ff. Die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 71, ordnet die Verwechslungsgefahr ebenfalls als Rechtsbegriff ein. 168 Vgl. zu dieser Kombination von tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch Althammer 1Ströbele, MarkenG, § 14 Rnr. 9. 169 Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 117. U
).
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älteren Marke setzt nicht das Vorliegen einer tatsächlichen, bereits eingetretenen Verwechslung im Publikum voraus 170. Es genügt in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer zukünftigen Verwechslung I71 . Das Vorhandensein einer realen Verwechslung im Publikum wird jedoch in der deutschen Rechtsprechung als Indiz für das Bestehen einer Verwechslungsgefahr bewertet l72 • Darüber hinaus wird die Verwechslungsgefahr auch als eine objektive Gefahr verstanden 173. Zur Frage der Rechtsnatur der Verwechslungsgefahr im System der GMarkenV haben sich - soweit bislang ersichtlich - weder das Harmonisierungsamt noch das EuG bzw. der EuGH geäußert. Für eine Einordnung der Verwechslungsgefahr als Rechtsfrage auch in der GMarkenV spricht, daß hierdurch ihre Revisibilität gewährleistet wird l74 . Im Instanzenzug zwischen dem Harmonisierungsamt und dem EuG bzw. dem EuGH wird dann eine einheitliche und effektive Auslegung des Rechtsbegriffs der Verwechslungsgefahr verfahrensrechtlich sichergestellt 175. Das EuG wäre jedoch im Hinblick auf die tatsächlichen Vorfragen bei der Bestimmung der Verwechslungsgefahr - im Gegensatz zum BGH als Revisionsinstanz - an die entsprechenden Tatsachenfeststellungen des Tatrichters (im Harmonisierungsamt) nicht gebunden (insoweit keine beschränkte Revisibilität auf supranationaler Ebene). Das EuG kann daher auf Grundlage seiner Verfahrensordnung 176 auch unbeschränkt die rechtliche Bewertung der vom Tatrichter (im Harmonisierungsamt) festgestellten und für den Begriff der Verwechslungs gefahr relevanten Tatsachen überprüfen 177 •
170 BGH, GRUR 1961,535,537 - arko; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 160; Althammer 1Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 19. 171 Im Hinblick auf bislang unbenutzte Marken wird daher das Bestehen einer hypothetischen Verwechslungsgefahr bei unterstellter Benutzung auf dem Markt geprüft, vgl. BGH, GRUR 1966,495,498 - UNIPLAST. 172 BGH, GRUR 1992,48,52 - frei öl; BGH, GRUR 1960, 130, 131 BI. 1960, 188 Sunpearl II; Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 71. Näher dazu Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 83; Ingerl/Rohnke. MarkenG, § 14 Rnr. 160. 173 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 163. 174 Vgl. zur Revisibilität der Verwechslungsgefahr im harmonisierten deutschen Markenrecht, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 84; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 166. 175 Aufgrund der Parallelität zwischen der MarkenRL und der GMarkenV strahlt eine entsprechende Entscheidung des EuGH zur GMarkenV unmittelbar auf die Auslegung des inhaltsgleichen Begriffs der Verwechslungsgefahr in der MarkenRL und mittelbar über den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Markenrechts auch auf das MarkenG aus. Hierdurch wird insgesamt eine einheitliche Rechtsanwendung im supranationalen und nationalen Markenschutz hergestellt. 176 Vgl. Artt. 49, 65 ff. Verfahrensordnung des EuG (Möglichkeit einer eigenständigen Beweisaufnahme). 177 Zum einschlägigen Prüfungsumfang des EuGH, 3. Kapitel, § 2, S. 232.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
bb) Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit Ein maßgebender Faktor zur Bestimmung der Verwechslungs gefahr ist die im Einzelfall bestehende Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit. Diese ist im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen 178 • Eine Definition des Begriffs der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit findet sich weder in der GMarken V noch in der MarkenRL. Die nähere Ausgestaltung dieses Kriteriums der Verwechslungsgefahr fallt daher in den Zuständigkeitsbereich des EuGH. Aus der rechtshistorischen Entwicklung der GMarkenVergibt sich, daß die Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit den in den Entwürfen zur GMarkenV noch enthaltenen Begriff der Gleichartigkeit ersetzt hat l79 • Ein paralleler Vorgang hat sich auch im harmonisierten deutschen Markenrecht vollzogen. Unter Geltung des vormaligen WZG war die Verwechslungsgefahr davon abhängig, daß im Einzelfall eine absolute und statische Gleichartigkeit der Waren oder Dienstleistungen festgestellt werden konnte l80. Der Schutz des Warenzeichens beruhte folglich auf den zwei Säulen der Warengleichartigkeit und der Verwechslungsgefahr l81 . Warengleichartigkeit im Sinne der §§ 5 IV Nr. 1, 11 I Nr. 1 WZG wurde angenommen, wenn die maßgeblichen Verkehrskreise davon ausgingen, die sich gegenüberstehenden Waren entstammten derselben Herkunftsstätte l82 . Im Verhältnis zum WZG wurde der Wortlaut des Markenschutzes in den §§ 9 I Nr. 2, 1411 Nr. 2 MarkenG in Übereinstimmung mit den Vorgaben der MarkenRL (Artt. 4 I lit.b), 5 I lit.b) MarkenRL) dahingehend geändert, daß an die Stelle der Gleichartigkeit der Waren oder Dienstleistungen deren Ähnlichkeit getreten ist. In der Begründung zum MarkenG heißt es in diesem Zusammenhang, auf den im früheren Recht entwikkelten Gleichartigkeitsbegriff könne künftig nicht zurückgegriffen werden, da insoweit mit der Wahl eines neuen Begriffs auch eine Neubestimmung des Schutzbereichs verbunden sein solle. Hinzu komme, daß der Gleichartigkeitsbegriff des früheren Rechts maßgeblich aus der Herkunftsfunktion der Marke abgeleitet worden sei, während nach dem geltenden Recht diese Funktion zwar auch anerkannt sei, aber im Begriff der Verwechslungsgefahr keinen Ausdruck gefunden habe l83 . So der Wortlaut des 7. Erwägungsgrundes zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,403. Vg\. dazu z. B. die Denkschrift (GRUR Int. 1976,481), Nr. 38, 114f.; Art. 10 Verordnungsentwurf 1978; Art. 8 Verordnungsvorschlag 1980. 180 Allgemein zum Kriterium der Warengleichartigkeit im WZG, v. Gamm, WZG, § 5 Rnr. 31 ff. 181 Baumbach/Hefermehl, WZG, Ein\. Rnr. 36; vg\. auch Busse/Starck, WZG, § 5 Rnr. 27. 182 Althammer, WZG, § 5 Rnr. 24. Näher zu den einzelnen Kriterien der Warengleichartigkeit, BGH, GRUR 1956, 172, 174 - Magirus; BGH, GRUR 1970, 80 - Dolan. Kritisch zur Warengleichartigkeitsrechtsprechung, Mitscherlich, GR UR 1980, 638 ff. 183 Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 72. Näher zur Bedeutung der Herkunftsfunktion im MarkenG, Ingerl 1 Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 156, 157. 178 179
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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In Anknüpfung hieran hat der BGH schon vor Inkrafttreten des MarkenG ausgeführt, daß das neue deutsche Markenrecht eine grundsätzliche und nicht nur formale oder oberflächliche Änderung der bisherigen Betrachtungsweise erfordere 184 . Der BGH betont aber zugleich, daß für die Bestimmung des maßgeblichen Ähnlichkeitsgrads der Waren auf die gleichen Kriterien zurückgegriffen werden könne wie bislang für die Konkretisierung des Warengleichartigkeitsbereichs 185 • Zur Bestimmung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit wird im deutschen Markenrecht auch nach Inkrafttreten des MarkenG im wesentlichen auf die Kriterien der wirtschaftlichen Bedeutung und Verwendungsweise der einschlägigen Waren oder Dienstleistungen abgestellt. Nach der deutschen Rechtsprechung werden in diesem Zusammenhang insbesondere die Auswirkungen der regelmäßigen Herkunfts-, Fabrikations- oder Verkaufsstätten, der Stoffbeschaffenheit, der Zweckbestimmung und Verwendungsweise der Produkte, sowie die Auswirkungen der eingesetzten Vertriebssysteme und -wege auf die Verkehrsauffassung herangezogen 186. Auch vom BPatG 187 und Teilen des Schrifttums 188 wird der Versuch unternommen, die bisherige Rechtsprechung zur Bestimmung der Warengleichartigkeit in das harmonisierte deutsche Markenrecht nahezu unverändert hinüberzuretten. Begründet wird diese Ansicht u. a. mit der ,Jdeal Standard IIU-Entscheidung des EuGH 189 • In dieser Entscheidung hat das Gericht ausgeführt, eine Verwechslungsgefahr kann durch die Verwendung desselben Zeichens für andere Erzeugnisse als die, für die ein Warenzeichenrecht erworben worden ist, herbeigeführt werden, sofern zwischen den betreffenden Erzeugnissen so enge Beziehungen bestehen, daß sich den Abnehmern, wenn sie an den Waren dasselbe Zeichen angebracht sehen, der Schluß aufdrängt, daß diese Waren vom selben Unternehmen stammen. Die 184 BGH, GRUR 1995,216,219 - Oxygeno1 II; vgl. auch BGH, GRUR 1997,221,223Canon. 18S BGH, GRUR 1995, 216, 219 - Oxygenol 11. Allgemein zur näheren Auslegung des Begriffs der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit im MarkenG auf Grundlage der Rechtsprechung zum Warengleichartigkeitsbereich, Althammer / Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 43 ff.; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 333 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 273 ff. Vgl. insgesamt auch Richter / Stoppel, passim. 186 Vgl. z. B. BPatG, GRUR 1995,584,585 - SONETI; BPatG, GRUR 1995,739,740GARIBALDI; BPatG, GRUR 1996, 204, 205 - Swing; BGH, WRP 1998,747 - GARIBAL01; BGH, WRP 1998, 1078 - JOHN LOBB. Allgemein steHt die deutsche Rechtsprechung zur Bestimmung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit auf die Präsentation und das Marktverhalten der jeweiligen Produktanbieter ab. 187 BPatG, GRUR 1995, 488, 489 - APISOL/ Aspisol; BPatG, GRUR 1995, 584, 585 SONETI; BPatG, GRUR 1995,739,740 - GARIBALOI; BPatG, Mit!. 1996, 133 - OKLAHOMA SOUND; BPatG, BI. 1996, 417, 418 - QUEENS CLUB/QUEENS GARDEN; BPatG, GRUR 1996, 204, 205 - Swing; BPatGE 36, 59, 62 - ROBOMAT. Kritisch zu dieser Rechtsprechung des BPatG, Teplitzky, GRUR 1996, 1,3. 188 Winkler, GRUR 1994,569,575; Kliems, GRUR 1995, 198; Ströbele, MA 1993,219, 220; Althammer / Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 33, 35. 189 EuGH, Sig. 1994, 1-2789 ff. EuGH, GRUR Int. 1994,614 - Ideal Standard.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Ähnlichkeit der Waren gehöre somit zum Begriff der Verwechslungsgefahr und sei anhand des Zwecks des Warenzeichenrechts zu beurteilen l90 • Obwohl der EuGH in dieser Entscheidung bereits den neuen Terminus der Waren ähnlichkeit verwendet hat 191 , bezog sich der zugrunde liegende Fall noch auf die Rechtslage vor Inkrafttreten der MarkenRL und der GMarkenV. Die Ausführungen in der ,Jdeal Standard II"-Entscheidung sind daher noch keine Standortbestimmung des EuGH in bezug auf die Auslegung des Kriteriums der Warengleichartigkeit im Sinne der MarkenRL und der GMarken V 192 . Im übrigen wird die vom BPatG und Teilen des Schrifttums vertretene Rechtsauffassung dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers des MarkenG nicht gerecht. Hierdurch wird ein vor dem Hintergrund des supranationalen Markenschutzes notwendiger und wirklicher Neuanfang im harmonisierten deutschen Markenrecht verhindert 193 • In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, den Warenähnlichkeitsbereich nur anband solcher Kriterien zu konkretisieren, die dem gemeinschaftsrechtlich determinierten Normzweck des Verwechslungsschutzes entsprechen l94 • Der Normzweck des Begriffs der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit ist darin zu erblicken, daß ein Markenschutz auch im Hinblick auf solche Waren oder Dienstleistungen gewährt werden soll, die zwar nicht eingetragen wurden, aber aufgrund ihrer Ähnlichkeit Verwechslungsgefahren beim Publikum hervorrufen können. Gleichzeitig erfolgt eine Begrenzung des Markenschutzes, da unähnliche Waren oder Dienstleistungen infolge der bestehenden Produktunterschiede tatbestandlich ausgeschlossen werden. Insoweit setzt sich dann das Prinzip des freien Wettbewerbs gegenüber dem Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers durch. Die letztverbindliche Bestimmung und Aufzählung der in Betracht kommenden Faktoren zur Ermittlung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit bleibt dem EuGH in zukünftigen Entscheidung zur MarkenRL und zur GMarken V überlassen 19S • Die bisherige nationale Rechtsprechung zum Gleichartigkeitsbegriff ist dann auf ihre Richtlinienkonformität hin zu überprüfen. Im harmonisierten deutEuGH, Sig. 1994, 1-2789ff. = EuGH, GRUR Int. 1994,614 - Ideal Standard. Hierauf steHen Altharnmer / Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 35 Fn. 59 ab. Der Begriff der Warenähnlichkeit wurde vom EuGH vielmehr wegen der bereits zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung inkraftgetretenen MarkenRL verwendet. 192 So im Ergebnis auch Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 77. 193 Bereits an dieser SteHe muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß die EuGH-Entscheidung "Canon" (EuGH, Sig. 1998,1-5507 = WRP 1998, 1165 ff.), die im RalImen dieses Abschnitts noch behandelt wird, bedauerlicherweise einen tatsächlichen Neuanfang hinsichtlich der Bestimmung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit sowohl auf supranationaler als auch nationaler Ebene verhindern wird. 194 Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 120. 195 Vgl. zu den entsprechenden Ansätzen im deutschen Schrifttum, Schönfeld, S. 180; Kiethe/KrauS, WRP 1996,495; Kunz-HaHstein, GRUR 1996,6,8; Schweer, S. 59. Kritisch zu diesen Ansätzen, Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 237. 190 191
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schen Markenrecht ist desweiteren streitig, ob es sich bei dem Begriff der Warenoder Dienstleistungsähnlichkeit tatsächlich um einen relativen, dynamischen Begriff handelt, der insbesondere auch in einer Wechselwirkung zum Grad der Markenähnlichkeit und zur Kennzeichnungskraft steht l96 • Teilweise wird die Ansicht vertreten, im Rahmen der Beurteilung der Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfaßten Waren oder Dienstleistungen sei auch die Kennzeichnungskraft, insbesondere die Bekanntheit der prioritätsälteren Marke am Markt, zu berücksichtigen 197 • Nach dieser Auffassung besteht eine horizontale Wechselwirkung zwischen dem Bekanntheitsgrad einer Marke und der Bestimmung ihres Produktähnlichkeitsbereichs 198 • Diese Ansicht begreift das Kriterium der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit daher als einen flexiblen, relativen Begriff. Es wird ausgeführt, das MarkenG habe die Schaffung eines Beurteilungsmaßstabs bezweckt, der flexibler sei als der abstrakte und "statische" Begriff der Warengleichartigkeit, bei dem der zeichenrechtliche Schutz bei Verneinung der Gleichartigkeit der Waren oder Dienstleistungen abhängig vom Ähnlichkeitsgrad der beteiligten Marken und der Bekanntheit der prioritätsälteren Marke zu versagen war. Es werde nunmehr ermöglicht, bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr die Warenähnlichkeit in eine Wechselbeziehung zum Ähnlichkeitsgrad der beteiligten Zeichen und der Kennzeichnungskraft der zu schützenden Marke dergestalt zu stellen, daß die Warenähnlichkeit um so geringer sein könne, je näher sich die Zeichen stünden und je stärker die Kennzeichnungskraft der schutzsuchenden Marke sich darstelle l99. Neu sei somit, daß die Beurteilung der Verwechslungsgefahr im neuen deutschen Markenrecht von der starren Anforderung der nach dem alten Recht vorrangig zu prüfenden Frage der Warengleichartigkeit befreit sei 2OO• (Theorie des flexiblen Ähnlichkeitsbegriffs) Eine Verwechslungsgefahr im Sinne der MarkenRL könnte auf Grundlage dieser Prämissen daher auch dann vorliegen, wenn das Publikum die Waren oder Dienstleistungen unterschiedlichen Herkunftsstätten zuordnen würde, sofern ein hoher 196 Vgl. allgemein zum Meinungsstand im deutschen Schrifttum, Raßmann, GRUR 1997, 580,581 ff. 197 Piper, GRUR 1996, 429, 431 f.; Teplitzky, GRUR 1996, I, 3; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 251-260; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 77, 78. Vgl. auch den Schlußantrag des Generalanwalts in der Rechtssache C-39/97 (Vorlagefrage des BGH im Verfahren "Canon"), Mitt. 1998, 279: ,,Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit von durch zwei Marken erfaßten Waren oder Dienstleistungen... kann die Kennzeichnungskraft, insbesondere die Bekanntheit der älteren Marke, bei der Entscheidung zu berücksichtigen sein, ob die Ähnlichkeit so groß ist, daß eine Verwechslung entstehen kann". 198 Fezer, WRP 1998.1123.1124. 199 Zur Einbeziehung der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in die Prüfung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit. Begr. zum MarkenG. BT -Drucks., 12/6581. S. 72; Winkler. in: FS 100 Jahre DPMA. 1994. S. 397; Meister, WRP 1995. 370; Ingerl/ Rohnke. NJW 1994. 1250; Fezer. Markenrecht. § 14 MarkenG Rnr. 275 ff. (Produktbezug der Kennzeichnungskraft). 200 Teplitzky. GRUR 1996. 1.3; Piper. GRUR 1996.429.431 f.
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Bekanntheitsgrad der prioritätsälteren Marke gegeben wäre. Diese Rechtsansicht führt im Ergebnis dazu, daß im Vergleich zum früheren Recht unter Geltung des WZG eine erhebliche Ausdehnung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr bewirkt wird 201 . Demgegenüber wird vorgetragen, daß die Ähnlichkeit und die Kennzeichnungskraft der sich gegenüberstehenden Marken - ebenso wie im früheren Recht keinen Einfluß auf die Ähnlichkeit der Waren- oder Dienstleistungen habe 202 . Es besteht daher nur eine vertikale Wechselwirkung zwischen der Markenähnlichkeit und der Produktähnlichkeit203 . Nach dieser Meinung wird der Begriff der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit als eine statische, feststehende Grenze der Verwechslungsgefahr verstanden. (Theorie des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs). Als Konsequenz läßt sich hieraus ableiten, daß eine Verwechslungsgefahr im Einzelfall ausscheidet, falls das Kriterium der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit verneint wird. Zu beachten ist jedoch in diesem Zusammenhang, daß die Vertreter des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs bei der Prüfung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit zunächst unterstellen, bei den sich im Einzelfall gegenüberstehenden Marken handele es sich um identische Marken 204 . Desweiteren wird regelmäßig angenommen, die prioritätsältere Marke verfüge über den größtmöglichen Schutzumfang205 • Wegen dieser Prämissen der zuletzt dargestellten Theorie wird im Schrifttum betont, daß beide Meinungen im praktischen Ergebnis nicht voneinander abweichen 206. So der BGH, GRUR 1997,221,223 - Canon. BPatGE 36, 68, 70 - LIBERO; BPatG, GRUR 1995, 584, 586 - SONETT; BPatG, GRUR 1995,739,740 - GARIBALDI; BPatG, GRUR 1996,20 - Swing; Kliems, GRUR 1995, 198, 200ff.; Ströbele, MA 1993,219,220; AlthammerlStröbele, MarkenG, § 9 Rnr. 31. Vgl. auch BGH, WRP 1998, 747 - GARIBALDI; BGH, WRP 1998, \078 - JOHN LOBB. 203 V gl. auch High Court, Chancery Division, GRUR Int. 1996, 1219 - Treat. 204 AlthammerlStröbele, MarkenG, § 9 Rnr. 29, 31, 35. Im Ergebnis wird hierdurch an die Rechtsprechung des BGH zur Unterstellung der Zeichenähnlichkeit bei der Bestimmung des Begriffs der Warengleichartigkeit zurückgegriffen. Vgl. dazu BGH, GRUR 1958,393 Ankerzeichen; BGH, GRUR 1963,572,573 - Certo; BGH, GRUR 1970,80 - Dolan. Eine Wechselwirkung wurde vom BGH unter Geltung des § 31 WW nur im Hinblick auf das Kriterium der Warenfeme bzw. -nähe anerkannt, vgl. BGH, GRUR 1956, 172, 174 - Magirus; BGH, GRUR 1968,550,551,552 - Poropan; BGH, GRUR 1993, 118, 119 - Corvaton/Corvasal; BGH, GRUR 1995,50,51,52 - Indorektaillndohexal. 205 Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 31, 35. Insoweit wird an die Rechtsprechung des BGH zur Nichtberücksichtigung der Kennzeichnungskraft des prioritätsälteren Zeichens bei der Bestimmung der Gleichartigkeit im WW angeknüpft. Vgl. dazu BGH, GRUR 1956, 172, 174 - Magirus; BGH, GRUR 1993,975 - CHEVY. Der BGH unterstellte jedoch nur eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft der schutzsuchenden Marke, so BGH, GRUR 1968, 550, 551 - Poropan. 206 Näher dazu lngerll Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 257; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 78; Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 32. 201
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Beide zum harmonisierten deutschen Markenrecht entwickelten Theorien vermögen in ihren jeweiligen Prämissen nicht zu überzeugen. Sie sind nicht geeignet, als ein Modell für die Bestimmung des Begriffs der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen in der GMarken V zu dienen. Im Rahmen des Schutzsystems der GMarken V ist zu beachten, daß der Ähnlichkeitsbegriff als ein maßgebliches Kriterium des übergeordneten Begriffs der Verwechslungsgefahr anzusehen ist 207 • Der Begriff der Verwechslungsgefahr ist seinerseits die spezifische Voraussetzung für den Verwechslungsschutz der Gemeinschaftsmarke208 als einem kollisionsrechtlichen Tatbestand. Dieser Verwechslungsschutz, der zum spezifischen Gegenstand des Gemeinschaftsmarkenrechts gehört, steht in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz des freien Warenverkehrs, der in den Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV verankert ist209 . Die sich gegenüberstehenden Prinzipien des Gemeischaftsmarkenschutzes und des freien Waren verkehrs müssen daher in ein angemessenes Ausgleichsverhältnis gebracht werden. Als entsprechende Richtgrößen kommen insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie das Übermaßverbot in Betracht. Würde man nun die Theorie des relativen Ähnlichkeitsbegriffs oder die Theorie des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs ohne Modifikationen in das Schutzsystem der GMarken V inkorporieren, wäre damit der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit und letztendlich das Prinzip des freien und fairen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt in unangemessener Weise tangiert und beschränkt. Gegen eine Übernahme der Theorie des relativen Ähnlichkeitsbegriffs in die GMarkenV spricht, daß hierdurch das Kriterium der Bekanntheit der Gemeinschaftsmarke in Form ihrer konkreten Kennzeichnungskraft gleich zweimal im Rahmen der Prüfung der Verwechslungsgefahr berücksichtigt und damit übergewichtet würde. Aus dem 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV 210 und dem Wortlaut der Artt. 8 I lit.b), 9 I lit.b) GMarkenV läßt sich nicht ableiten, daß die Ähnlichkeit der Marken und ihre Kennzeichnungskraft bereits bei der Bestimmung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit zu prüfen sind. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß sich das Kriterium der Kennzeichnungskraft (Bekanntheit der Marke am Markt) ausschließlich im Hinblick auf die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken auswirkt 211 . Dies ist der sachnähere Prüfungsstandort des Kriteriums der Kennzeichnungskraft, da hierdurch der Schutzumfang der prioritätsälteren Marke festgelegt wird. Die Ähnlichkeit und die Kennzeichnungskraft der 207 Dies folgt bereits aus dem 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,403 und aus dem Wortlaut der Artt. 8 I lit.b), 9 I lit.b) GMarkenV. 208 So die Formulierung im 7. Erwägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,403. 209 Dieses Spannungsverhältnis wird im 8. Erwägungsgrund zur GMarkenV näher umschrieben. 210 GRUR Int. 1994,403. 211 V gl. dazu auch den identischen Prüfungsort der Kennzeichnungskraft in der Entscheidung des EuGH, Slg. 1997,1-6191 ff. = EuZW 1998,20,22 - Sabel I Puma.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Marken können daher nur bei dem im Rahmen der Gesamtbetrachtung zur Verwechslungsgefahr notwendigen Vergleich der sich gegenüberstehenden Marken, nicht jedoch ein zweites Mal beim Vergleich der Waren und / oder Dienstleistungen einfließen 212 . Die Bestimmung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit im Einzelfall richtet sich daher ausschließlich nach der Auffassung des angesprochenen Publikums zu den jeweiligen Waren oder Dienstleistungen. Sofern das Publikum die streitgegenständlichen Waren oder Dienstleistungen beispielsweise wegen ihrer betrieblichen Herkunft, ihres Vertriebs- oder Erbringungsorts, ihrer Beschaffenheit, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung oder ihres Verwendungs- und Ersatzzwecks213 demselben Unternehmen bzw. derselben einheitlichen Kontrollstelle 214 zurechnet, ist eine Ähnlichkeit im Sinne der GMarkenV gegeben. Hierdurch wird insbesondere die Herkunftsfunktion der Gemeinschaftsmarke, die vornehmlich zur Begründung des Verwechslungsschutzes herangezogen wird21S , aber auch die sonstigen Markenfunktionen in angemessener Weise berücksichtigt216. Als Bezugsgröße für etwaige Beziehungen zwischen den streitgegenständlichen Erzeugnissen scheidet die Kennzeichnungskraft der Marken in diesem Zusammenhang jedoch aus. Demgegenüber wird zum harmonisierten deutschen Markenrecht die Meinung vertreten, die Ausdehnung des Begriffs der Herkunft der Ware über den eigentlichen Hersteller hinaus in Richtung auf eine einheitliche KontrollsteIle in der ,,Ideal Standard II"-Entscheidung des EuGH217 , erfordere eine Berücksichtigung der konkreten Kennzeichnungskraft bei bekannten Marken, weil das Publikum dann auch bei unterschiedlichen Produktbereichen eher von einer einheitlichen Kontrollverantwortung ausgehe 218 . Hiergegen spricht jedoch, daß im System der GMarken V in Art. 9 I lit.c) GMarkenV ein eigenständiger Tatbestand zum Schutz der bekannten Marke geschaffen wurde, der losgelöst vom Verwechslungsschutz betrachtet werden muß. Die bekannte Marke kann im Hinblick auf den Verwechslungsschutz nur im Rahmen des Kriteriums der Kennzeichnungskraft berücksichtigt werden. Gegen die Einführung der Theorie des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs in das System der GMarkenV spricht, daß sich ihre Prämissen zu sehr vom konkreten Einzelfall lösen und lediglich auf hypothetischen Betrachtungsweisen basieren. 212 So auch High Court, GRUR Int. 1996, 1219, 1220 - Treat. Insoweit bietet sich auch ein Vergleich zur Bestimmung der Branchennähe in § 15 MarkenG (Schutz geschäftlicher Bezeichnungen) an, bei der auch nicht auf die Ähnlichkeit oder Bekanntheit der sich gegenüberstehenden Kennzeichen abgestellt wird. Vgl. dazu Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 280, 281; Fezer, Markenrecht, § 15 MarkenG Rnr. 73 ff. 213 Näher zu den relevanten Faktoren im Rahmen der Bestimmung der Produktähnlichkeit, Eisenführ, GRUR 1998,214,217; IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 273ff. 214 EuGH, Slg. 1994,1-2789 GRUR Int. 1994,614,616,617 - Ideal Standard. 215 So der Wortlaut des 7. Erwägungsgrundes zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,403. Die Gewährleistung weiterer Markenfunktionen ist in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen. 216 So im Ergebnis auch Keller, S. 63, 64 in bezug auf Art. 5 I lit.b) MarkenRL. 217 EuGH, Slg. 1994,1-2789 GRUR Int. 1994,614,616,617 - Ideal Standard. 218 So IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Ror. 255.
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Für die Aufrechterhaltung einer unterstellten Zeichenidentität bei einer gleichzeitig angenommenen größtmöglichen Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke, die in Anknüpfung an die Warengleichartigkeitsjudikatur des BGH propagiert wird, lassen sich weder in den Erwägungsgründen zur GMarkenV noch im Wortlaut des Art. 9 I lit.b) GMarkenV Anhaltspunkte erkennen 219 . Aus der Formulierung der letztgenannten Vorschrift läßt sich vielmehr ableiten, daß eine mögliche Identität oder Ähnlichkeit zwischen der Gemeinschaftsmarke und dem konkurrierenden Zeichen getrennt von der Identität oder der Ähnlichkeit der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen erfaßten Waren oder Dienstleistungen zu prüfen ist. Würde man nunmehr in jedem Einzelfall eine Zeichenidentität im Rahmen der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeitsprüfung unterstellen, hätte dies eine unzulässige Vermischung der in einem kumulativen Verhältnis zueinander stehenden TatbestandsmerkmaIe zur Folge. Eine andere Auffassung führt zu realitätsfremden und vom konkreten Einzelfall losgelösten Ergebnissen. Die Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen ist nur anhand der im Einzelfall eingetragenen Waren oder Dienstleistungen zu bestimmen 22o • Irgendwelcher Unterstellungen bedarf es nicht. Die Theorie des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs privilegiert aufgrund ihrer Prämissen einseitig die Interessen des Inhabers der prioritätsälteren Marke und behindert dadurch in unangemessener Weise den freien Wettbewerb. Da beide Theorien in der praktischen Anwendung zu gleichen Ergebnissen führen, besteht auch hinsichtlich der Theorie des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs die Gefahr, daß der Begriff der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr erheblich zulasten des Grundsatzes des freien Warenverkehrs erweitert wird 221 • Vor dem Hintergrund der gemeinschaftsrechtlich determinierten Bedürfnisse des Gemeinsamen Marktes an einem verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Verwechslungsschutz der GMarkenV und dem primärrechtlichen Grundsatz des freien 219 Auch die Formulierung des EuGH in der Entscheidung ,,Ideal Standard" (Slg. 1994, 1-2789 GRUR Int. 1994,614,615) ... "wenn sie (die Abnehmer) an den Waren dasselbe Zeichen angebracht sehen" ... kann nicht für eine Beibehaltung der unterstellten Zeichenidentität im Rahmen der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit herangezogen werden, weil diese Entscheidung zum noch nicht harmonisierten deutschen Warenzeichenrecht erging. Der EuGH hatte in dieser Entscheidung - mangels anwendbarer Gemeinschaftsrechtsakte - noch die ausschließliche Maßgeblichkeit des nationalen Rechts für die Auslegung des Begriffs der Verwechslungsgefahr betont. Diese Ausgangslage hat sich durch das Inkrafttreten der MarkenRL und der GMarkenV grundlegend geändert, so daß der EuGH nicht gehindert ist, den nunmehr unmittelbar europarechtlich determinierten Begriff der Ähnlichkeit neu zu definieren. 220 Vgl. zur Auslegung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses, Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 244 ff.; Altharnmer / Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 38 ff. 221 Im Hinblick auf die Reichweite des Begriffs der Waren - oder Dienstleistungsähnlichkeit im Verhältnis zum früheren Gleichartigkeitsbegriff vertritt die h.M. in Deutschland die Ansicht, der Ähnlichkeitsbegriff des MarkenG umfasse zumindest den Gleichartigkeitsbereich des WZG und gehe tendenziell sogar über diesen hinaus, vgl. BPatG, GRUR 1995, 584 - SONETI; Starck, WRP 1996,269,272; Kliems, GRUR 1995,203; v. Mühlendahl, Innovation & Management, 11-12193, I, 3; a.A. Kunz-Hallstein, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 169, 170; ders., GRUR 1996, 8.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Warenverkehrs, erscheint es sachgerecht, einen dritten Interpretationsansatz zum Begriff der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit in der GMarken V zu etablieren. Dies ennöglicht auch eine effektivere Berücksichtigung der Auslegungsunterschiede in den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Begriffs der Verwechslungsgefahr vor der Harmonisierung durch die MarkenRL222 , die für eine entsprechende Begriffsbestimmung in der GMarken V relevant bleiben. Für die Verwirklichung dieser Ziele können die Prämissen der zuvor dargestellten Theorien zum Ähnlichkeitsbegriff des MarkenG kombiniert werden. Nach der hier vertretenen Theorie des gemischten Ähnlichkeitsbegriffs wird die Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit im System der GMarken V als selbständiges Kriterium neben der Markenähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft zur Bestimmung des übergeordneten Begriffs der Verwechslungsgefahr verstanden. Die Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit steht insoweit in einer Wechselwirkung zu den beiden übrigen Faktoren (Relativierung im Rahmen der übergeordneten Prüfung der Verwechslungsgefahr)223. Innerhalb der Prüfung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit erfolgt jedoch keine Relativierung (beschränkte Wechselwirkung). Insoweit scheidet eine Wechselwirkung und Beeinflussung durch das Kriterium der Kennzeichnungskraft gänzlich aus224 . Die Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistung wird ausschließlich durch einen Vergleich der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen im konkreten Einzelfall 22s erfaßten Waren oder Dienstleistungen bestimmt. Maßgeblich ist insoweit die Auffassung des Publikums, ob die sich gegenüberstehenden Waren oder Dienstleistungen derartige Berührungspunkte aufweisen, daß sie demselben Unternehmen oder derselben einheitlichen KontrollsteIle zugeordnet werden können. Im Rahmen dieser Prüfung wird weder eine Zeichenidentität noch ein größtmöglicher Schutzumfang der prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke unterstellt. Der Schutzumfang der älteren Gemeinschaftsmarke wird erst bei der Prüfung der Kennzeichnungskraft relevant und beschreibt den Abstand, den das prioritätsjüngere Zeichen im Falle einer zuvor festgestellten Identität oder Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen und der Marken einzuhalten hat. Durch diesen Prüfungsaufbau wird sichergestellt, daß die einzelnen Faktoren der Verwechslungsgefahr zunächst voneinander getrennt behandelt werden. Eine mehrfache Berücksichtigung oder Fehlgewichtung eines einzelnen Kriteriums wird hierdurch verhindert. Im Ergebnis wird so der Begriff der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit im Interesse der Mitbewerber sowie der Anmelder neuer Marken und damit aus Gründen eines funktionierenden Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt und unter BeV gl. dazu Altharnmer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 22. Zum Sinn und Zweck der Relativierung im Rahmen der Prüfung der Verwechslungsgefahr, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 336a. 224 Der Ähnlichkeitsbegriff ist insoweit eine statische und konstante Größe im Sinne einer lediglich vertikalen Wechselwirkung zwischen Markenähnlichkeit und Produktähnlichkeit. 225 Für eine konkrete Einzelfallbetrachtung und gegen eine generalisierende Betrachtungsweise auch IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 260. 222 223
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rücksichtigung eines limitierten Verwechslungsgefahrenbegriffs in anderen Mitgliedstaaten eng ausgelegt226 . Gleichzeitig kann auch eine notwendige Begrenzung des Begriffs der Verwechslungs gefahr erreicht werden, ohne den Gemeinschaftsmarkenschutz auszuhöhlen 227 . Eine Verwechslungsgefahr scheidet im konkreten Einzelfall immer dann aus, wenn sich eine Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit nicht feststellen läßt. Dies gilt auch dann, wenn die sich gegenüberstehenden Marken identisch sind und die prioritäts ältere Marke über eine starke Kennzeichnungskraft verfügt. Eine Überwindung der fehlenden Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit durch hochgradige andere Faktoren scheidet daher aus. Diese Beschränkung des Vorliegens der Verwechslungsgefahr führt jedoch nicht zu einer übermäßig engen Auslegung des Verwechslungsschutzes in der GMarken V, sondern ist eine Konsequenz des Wortlauts des Art. 9 I lit.b) GMarkenV, wonach zumindest eine Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen und der Marken kumulativ gegeben sein muß. Eine letztverbindliche Bestimmung des Begriffs der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit in der GMarken V bleibt dem EuGH vorbehalten, da es sich insoweit um eine revisible und europarechtlich verankerte Rechtsfrage handelt228 . Nur aufgrund der Revisibilität läßt sich eine einheitliche Rechtsanwendung zwischen dem Harmonisierungsamt und dem EuGH erreichen. Der EuGH hat bereits in der Entscheidung "Canon,,229 eine richtungsweisende Auslegung des Begriffs der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit vorgenommen 230 . In der Entscheidung "SabeIlPuma,,231 hatte der EuGH noch nicht zur Frage des Verhältnisses der Bekanntheit der prioritätsälteren Marke und der Ähnlichkeit der Waren- oder Dienstleistungen innerhalb des Kollisionstatbestandes der Verwechslungsgefahr Stellung nehmen müssen. Erst die Vorlageentscheidung des BGH im Fall "Canon,,232 zielte konkret auf die Reichweite einer gemeinschaftskonformen Auslegung der entsprechenden Wechselwirkung ab. 226 Für eine enge Auslegung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit plädiert auch Kunz-Hallstein, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 147, 167 ff.; ders., GRUR 1996, I, 7f. 227 In diesem Zusammenhang muß die Auffassung von A. Kur (GRUR 1997,241,249), eine Schutzbegrenzung im Rahmen des Begriffs der Verwechslungsgefahr könnte durch eine entsprechende Anwendung der Tatbestandsmerkmale des Bekanntheitsschutzes ("ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise") erreicht werden, abgelehnt werden. Der Verwechslungsschutz und der Bekanntheitsschutz sind getrennte Gewährleistungsbereiche. Die Übertragung von Tatbestandsmerkmalen ohne Rücksicht auf den ausdrücklichen Wortlaut der Bestimmung ist jedoch eine unzulässige Analogie. 228 Zur Rechtsnatur der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit im harmonisierten deutschen Markenrecht, IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 239. 229 EuGH, Sig. 1998,1-5507 = WRP 1998,1165 ff. -Canon. 230 Vgl. dazu auch Kur, MarkenR 1999, 2, 8 ff. m EuGH, Sig. 1997, 1-619lff. 232 BGH, GRUR 1997,221 ff. - Canon. Vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH, MarkenR 1999, 242 ff. - Canon 11.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Im "Canon"-Urteil führt der EuGH zum ersten Teil 233 der Vorlagefrage des BGH zu Art. 4 I lit.b) MarkenRL aus, daß die Kennzeichnungskraft einer prioritätsälteren Marke, insbesondere ihre Bekanntheit, bei der Beurteilung zu berücksichtigen sei, ob die Ähnlichkeit zwischen den durch die Marken erfaßten Waren oder Dienstleistungen ausreiche, um eine Verwechslungsgefahr herbeizuführen234 • Das Gericht beruft sich zunächst im Rahmen seiner Urteilsbegründung auf den Wortlaut des zehnten Erwägungsgrundes zur MarkenRL23s , wonach es erforderlich ist, den Begriff der Ähnlichkeit im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen, deren Beurteilung ihrerseits insbesondere vom Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt und dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen abhängt. Darüber hinaus sei in ausdrücklicher Anknüpfung an die "Sabel/Puma"Entscheidung 236 festzustellen, daß das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles umfassend zu beurteilen see3? Diese notwendige umfassende Beurteilung impiziere eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den maßgeblichen Faktoren, insbesondere zwischen der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen238 • Der EuGH verweist desweiteren auf den Umstand, daß die Verwechslungsgefahr um so größer sei, je größer sich die Kennzeichnungskraft der älteren Marke darstelle239 • Hieraus folge, daß die Eintragung einer Marke trotz eines eher geringen Grades der Ähnlichkeit zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen nach Art. 4 I lit.b) MarkenRL ausgeschlossen sein könne, wenn die Ähnlichkeit zwischen den Marken groß und die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, insbesondere ihr Bekanntheitsgrad, hoch sei24o• 233 Der zweite Teil der Vorlagefrage des BGH wird unter Gliederungspunkt dd) Verwechslungsgefahr infolge gedanklicher Verbindung behandelt. 234 EuGH, Slg. 1998,1-5507 = WRP 1998, 1165 - Canon. 23S Vgl. GRUR Int. 1989,294. 236 EuGH, Slg. 1997,1-6191 ff. - Sabel/Puma. 237 EuGH, Slg. 1998,1-5507 WRP 1998, 1165, 1166 - Canon. Vgl. auch EuGH, WRP 1999, 806, 808 - Lloyd I Klijsen. 238 So auch EuGH, WRP 1999, 806, 808 - Lloydl Klijsen. 239 So bereits EuGH, Slg. 1997, 1-6191 ff. = EuZW 1998,20, 22 - SabellPuma; so auch EuGH, WRP 1999, 806, 808 - Lloyd I Klijsen. 240 EuGH, Slg. 1998,1-5507 WRP 1998,1165,1167 - Canon. Die Kennzeichnungskraft einer Marke ist nach Auffassung des EuGH umfassend zu prüfen (EuGH, WRP 1999, 806, 808 - Lloyd/Klijsen). Zu berücksichtigen sind hierbei insbesondere folgende Umstände: beschreibende Elemente innerhalb der Marke in bezug auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, der von der Marke gehaltene Marktanteil, ihre geographische Verbreitung, die Dauer der Benutzung, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, sowie Erklärungen von Industrie- und Handelskammern und anderen Berufsverbänden. Eine allgemeine Bestimmung einer im Einzelfall vorliegenden hohen Kennzeichnungskraft, z. B. aufgrund eines Rückgriffs auf bestimmte Prozentsätze hinsichtlich des Bekanntheitsgrades der Marke, lehnt der EuGH jedoch ab, vgl. EuGH, WRP 1999, 806, 808 - Lloyd I Klijsen.
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Basierend auf dieser Argumentationsgrundlage kommt der EuGH dann zu dem Ergebnis, daß alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen seien, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen 241 . Hierzu gehören nach Ansicht des Gerichts insbesondere die Art der jeweiligen Waren oder Dienstleistungen, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen 242 • Auffallend ist in diesem Zusammenhang. daß in der zuvor genannten Aufzählung die nach deutscher Rechtsprechung entscheidenden Kriterien der regelmäßigen Herstellungs- oder Verkaufs stätten nicht ausdrücklich erwähnt sind. Allerdings betont der EuGH den nicht abschließenden Charakter ("insbesondere") seiner Enumeration. Insgesamt läßt sich aus der "Canon"-Entscheidung das Resultat ableiten, daß sich der EuGH klar und eindeutig zu einer horizontalen Wechselwirkung zwischen der Bekanntheit der prioritätsälteren Marke und der im Einzelfall notwendigen Bestimmung der Produktähnlichkeit ausgesprochen hat. Das Gericht hat sowohl der hier vertretenen Theorie des gemischten Ähnlichkeitsbegriffs als auch der Theorie des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs eine Absage erteilt. Die vom EuGH gelieferte Begründung für die Hinwendung zu einem flexiblen Ähnlichkeitsbegriff vermag jedoch nicht zu überzeugen. Aus dem Wortlaut des zehnten Erwägungsgrundes zur MarkenRL läßt sich nicht zwingend entnehmen, daß auch im Rahmen der Produktähnlichkeit die Bekanntheit der prioritätsäIteren Marke zu berücksichtigen ist. Der Wortlaut läßt sich vielmehr auch dahingehend interpretieren, daß die Bekanntheit der Marke ein Faktor unter vielen anderen ist, der quasi wie ein Puzzlestück zur Bestimmung der Verwechslungsgefahr im Einzelfall herangezogen werden kann. Der Wortlaut des zehnten Erwägungsgrundes zur MarkenRL schweigt jedoch zu der Frage, bei welcher konkreten Ähnlichkeitsprüfung die Bekanntheit der älteren Marke zu berücksichtigen ist. Somit ist auch eine Auslegung zulässig, die die Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke ausschließlich im Rahmen der Prüfung der Markenähnlichkeit verankert. Hierfür spricht auch, daß die Begriffe "Kennzeichnungskraft" und ,,Bekanntheit" per definitionem im Bereich der Prüfung der Markenähnlichkeit und nicht im Bereich der Prüfung der Prüduktähnlichkeit angesiedelt sind. Im zweiten Prüfungsstandort wirkt die Kennzeichnungskraft einer Marke eher als ein Fremdkörper. Sofern der EuGH im "Canon"-Urteil desweiteren von einer "gewissen Wechselbeziehung" zwischen den in Betracht kommenden Faktoren spricht, begründet das Gericht nicht klar und eindeutig, warum diese "gewisse Wechselbeziehung" zwangsläufig zu einer Einbeziehung der Bekanntheit in die Prüfung der Produktähnlichkeit 241 Sog. "Canon-Formel" des EuGH, vgl. Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 341a. Vgl. zur Übernahme dieser Formel im harmonisierten deutschen Markenrecht durch den BGH die Entscheidungen ,,LIBERO" (BGH, GRUR 1999,245 - LIBERO) und "TIFFANY" (BGH, MarkenR 1999,93 - TIFFANY). 242 EuGH. Slg.l998. 1-5507 = WRP 1998,1165,1167 -Canon.
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führen muß. Eine logisch nachvollziehbare Gedankenkette zwischen der Stufe der "gewissen Wechselbeziehung" und derjenigen Stufe, wonach "alle Faktoren" zu berücksichtigen seien, ist nicht erkennbar. Die vom EuGH zwischengeschaltete Stufe, die sich aus der Annahme zusammensetzt, daß die Verwechslungsgefahr um so größer sei, je größer sich die Kennzeichnungskraft der älteren Marke darstelle, kann auch auf die Theorien des konstanten Ähnlichkeitsbegriffs und des gemischten Ähnlichkeitsbegriffs übertragen werden. Auch aus dieser Annahme läßt sich daher nicht die Notwendigkeit eines flexiblen Ähnlichkeitsbegriffs ableiten. Schließlich ist zu kritisieren, daß sich der EuGH nicht mit dem Argument auseindergesetzt hat, wonach die doppelte Berücksichtigung der Bekanntheit der Marke sowohl im Rahmen der Markenähnlichkeits- als auch der Produktähnlichkeitsprüfung, die Interessen der Inhaber bekannter Marken unverhältnismäßig begünstigt. Der EuGH hat es in der Entscheidung "Canon" versäumt, den Markenschutz im Interesse der Mitbewerber der Markeninhaber und der Markenneuanmelder im Wege einer engen Auslegung des Begriffs der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit wirkungsvoll zu limitieren. Die besondere Bedeutung der "Canon"-Entscheidung besteht schließlich darin, daß sich diese unmittelbar auf die identischen Begriffe der GMarkenVauswirken und mittelbar über den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung auf das harmonisierte deutsche MarkenG und die übrigen nationalen Markenrechte der Mitgliedstaaten ausstrahlt243 . Auf Grundlage der "SabellPuma,,244-Entscheidung und der "Canon"-Entscheidung hat der EuGH die Reichweite des Verwechslungsgefahrenbegriffs im gesamten supranationalen und nationalen Markenschutzsystem schon in entscheidender Weise in Richtung auf eine Stärkung der Rechte der Markeninhaber beeinflußt245 .
cc) Markenähnlichkeit Neben dem Faktor der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit wird die Verwechslungsgefahr maßgeblich durch das Kriterium der Markenähnlichkeit bestimmt246 . Aus dem Wortlaut des Art. 9 I lit.b) GMarkenV folgt, daß eine Ver243 Der EuGH hat insbesondere die Chance vertan, einen wirklichen Neuanfang bei der Begriffsbestimmung der Verwechslungsgefahr im MarkenG in die Wege zu leiten, der bislang von der h.M. in Literatur und Rechtsprechung nicht für notwendig gehalten wird. 244 EuGH, Sig. 1997,1-6191 ff. 245 Vgl. zur berechtigten Kritik in bezug auf den extrem weiten "Verwechslungsgefahrenbegriff' des vormaligen WW, der vor einer "Wiedergeburt" im harmonisierten MarkenG steht, Beier, GRUR 1974,514; V61p, GRUR 1974,754; Tilmann, GRUR 1977,446; Winter, GRUR 1977, 467; Droste/Winter, GRUR 1979, 277; Krüger-Nieland, GRUR 1980, 425; Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1990,747,756; ders., GRUR 1996,6,7. Vgl. auch den Schlußantrag des Generalanwalts Jacobs im Verfahren "HAG 11" des EuGH, GRUR Int. 1990,962, 968. 246 Im harmonisierten deutschen Markenrecht wird die Markenähnlichkeit als "der sich bei Berücksichtigung aller der menschlichen Sinneswahrnehmung und Erinnerung zugänglichen äußerlichen und inhaltlichen Übereinstimmungen aber auch Unterschiede der beider-
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wechslungsgefahr im Einzelfall ausscheidet, wenn sich eine Identität oder Ähnlichkeit zwischen der Gemeinschaftsmarke und dem konkurrierenden Zeichen nicht feststellen läßt. Wann der Faktor der Markenähnlichkeit vorliegt, hängt im wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Eine generalisierende Betrachtungsweise scheidet grundsätzlich aus. In der Rechtsprechung zum deutschen MarkenG sind jedoch allgemeine Beurteilungsgrundsätze entwickelt worden 247 , die allerdings im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs der Markenähnlichkeit in der GMarken V lediglich als vorläufige Standortbestimmung und Orientierungshilfe bezeichnet werden können. Eine abschließende und verbindliche Begriffsbestimmung obliegt auch hier dem EuGH, der vor dem Hintergrund einer europäischen Gesamtbetrachtung eigene Kriterien entwickeln und hieran die bisherige nationale Rechtsprechung der Mitgliedstaaten messen muß. In der Entscheidung "Sabel/ Puma,,248 hat der EuGH zur MarkenRL bereits einige wichtige Grundsätze umrissen, die auch für die Bestimmung der Markenähnlichkeit in der GMarkenV maßgebend sind 249 . Das Gericht hat ausgeführt, daß bei der umfassenden Beurteilung der Ähnlichkeit der betreffenden Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung auf den Gesamteindruck abzustellen ist, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind 250 . Das Krititerium der Markenähnlichkeit stellt sich - wie auch der Oberbegriff der Verwechslungsgefahr - als eine beschränkt revisible Rechtsfrage dar. Die Revisibilität ist im Instanzenzug zwischen dem Harmonisierungsamt und dem EuGH in bezug auf die mit dem Faktor der Markenähnlichkeit untrennbar verbundenen Tatsachenfeststellungen limitiert 251 . Im relativen System der Bestimmung der Verwechslungsgefahr übernimmt der Faktor der Markenähnlichkeit - ebenso wie das Kriterium der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit - eine zweifache und ambivalente Funktion. Im Interesse des Inhabers der prioritäts älteren Gemeinschaftsmarke wird der Verwechslungsschutz der GMarken V über den Kreis der für ihn eingetragenen Marken ausgedehnt auf Fälle einer lediglich vorhandenen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken. Gleichzeitig erfolgt eine Schutzbegrenzung zugunsten des konkurrierenden seitigen Zeichen ergebende Grad der Übereinstimmung nach dem Gesamteindruck" definiert, so Ingerll Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 311. 247 Vgl. dazu Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 148ff.; A1thammerlStröbe1e, MarkenG, 9 Rnr. 63 ff.; IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 315 ff. 248 EuGH, Slg. 1997,1-6191 ff. =EuZW 1998,20- Sabel/Puma. 249 Zur Bedeutung der Entscheidung "SabeIlPuma" aus britischer Sicht, Annand, GRUR Int. 1998, 656 ff. 250 EuGH, a. a. 0., 21, 22 - SabellPuma. Zum Einfluß dieser ersten Entscheidung zur Markenähnlichkeit im Sinne der MarkenRL auf die bisherige deutsche Rechtsprechung, IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 324, 327, 372, 386, 387. 251 Zur parallelen Rechtsnatur der Markenähnlichkeit im harmonisierten deutschen Markenrecht, IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 312.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
prioritätsjüngeren Zeichens und damit im Interesse des freien Wettbewerbs ausschließlich auf ähnliche Marken. Soweit daher im Einzelfall aufgrund der Markenunterschiede keine Verwechslungsgefahren entstehen können, verliert das ausschließliche Recht des Gemeinschaftsmarkeninhabers nach Art. 9 I GMarken V seinen Geltungsanspruch. Gern. Art. 9 I lit.b) GMarkenV richtet sich das Vorliegen der Markenähnlichkeit im Einzelfall nach der Auffassung des Publikums 2s2 . Fraglich ist nunmehr, wie dieses Tatbestandsmerkmal im europäischen Recht auszulegen ist. Nach der bisherigen h.M. zum WZG und zum harmonisierten deutschen MarkenG hängt die Entscheidung der Frage, ob zwei Marken im Einzelfall als ähnlich betrachtet werden können von den beteiligten Verkehrskreisen ab, die mit den jeweiligen Waren oder Dienstleistungen in Berührung kommen2s3 . Maßgebend soll in diesem Zusammenhang die Auffassung eines nicht unerheblichen Teils der beteiligten Verkehrskreise sein 2s4 . Abgestellt wurde, insbesondere bei Massenartikeln und Produkten des täglichen Bedarfs, auf den "flüchtigen, unkritischen, gedankenlosen und ungebildeten" Abnehme~ss. Auf diese Rechtsprechung kann zur Bestimmung des Begriffs ,.publikum" im Sinne der GMarkenV nicht unmittelbar angeknüpft werden, da der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV bereits ein eigenständiges Bild des maßgeblichen Publikums entwickelt hat2s6 . In dieser Judikatur zur primärrechtlichen Warenverkehrsfreiheit hat der EuGH in Anknüpfung an seine Verbraucherschutzpolitik das Leitbild eines verständigen oder vernünftigen, umsichtigen und kritisch prüfenden Verbrauchers geprägt, der aufgrund ausreichender Informationen in der Lage ist, seine Entscheidungen auf dem Markt frei 252 Nach dem Wortlaut des Art. 9 I Iit.b) GMarkenV ist das Publikum lediglich die maßgebende personelle Bezugsgröße rür das Vorliegen der Verwechslungsgefahr. Da es sich insoweit um einen übergeordneten Begriff handelt, erstreckt sich die Maßgeblichkeit des Publikums auch auf die Faktoren der Markenähnlichkeit und der Waren- oder DienstIeistungsähnIichkeit. Vgl. dazu auch die entsprechende Prüfung des EuGH in der Entscheidung "Sabell Puma", Sig. 1997,1-6191 EuZW 1998,20,21,22. 253 AltharnmerlStröbele, MarkenG, § 9 Rnr. 69. Dieser Begriff wird im gesamten MarkenG einheitlich ausgelegt und ist daher auch bedeutsam fUr die Frage der Verkehrsdurchsetzung gern. § 8 III MarkenG und die Frage der Verkehrsgeltung gern. § 4 Nr. 2 MarkenG. 254 BGH, GRUR 1%2, 647, 650 - Strumpf-Zentrale; BGH, GRUR 1964, 71, 74 - Personifizierte Kaffeekanne; BGH, GRUR 1971,409,410 - Stallmeister; BGH, GRUR 1992, 110, 111 - dipal dip. Eine genaue und abstrakte Prozentzahl zur Bestimmung des nicht unerheblichen Teils der beteiligten Verkehrskreise läßt sich der deutschen Rechtsprechung nicht entnehmen. Insoweit sind die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich. 2SS Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 149; Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 70; Baumbach I Hefermehl, WZG, § 4 Rnr. 135; Baumbach/Hefermehl, UWG, § 3 Rnr. 27, 33. 256 Vgl. z. B. EuGH, Sig. 1995,1-1936 = GRUR Int. 1995,804 - Mars. v. Mühlendahll Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 42, sprechen zutreffend von einem europäischen Verbraucherbegriff.
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und selbstverantwortlich zu treffen2S7 . Im Urteil "Gut Springenheide" spricht der EuGH vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher2s8 . Gleiches gilt auch für das EuGH-Urteil "Sektkellerei Kessler,,2s9. Insoweit ergibt sich ein völlig unterschiedliches Verbraucherbild des EuGH im Verhältnis zur bisherigen deutschen Rechtsprechung260 . Zunächst ist zu beachten, daß sich diese Rechtsprechung zum normativen Verbraucherleitbild 261 auf das nationale Wettbewerbsrecht bezog (Irreführungsschutz). Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, das modeme und praxisnahe Verbraucherleitbild des EuGH könne nicht zur Auslegung der GMarkenV nutzbar gemacht werden. Aus dem ,,Mars"-Urteil des EuGH läßt sich entnehmen, daß das vom Gericht entwickelte Verbraucherleitbild in bezug auf solche Sachverhalte zur Anwendung gelangt, die in den tatbestandlichen Anwendungsbereich der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV fallen 262 . Dies trifft im Hinblick auf das Spannungsverhältnis des gemeinschaftsmarkenrechtlichen Verwechslungsschutzes zur Warenverkehrsfreiheit ZU 263 . Der Verwechslungsschutz der GMarkenV ist gemeinschaftskonform auszulegen. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung des normativen Verbraucherleitbildes. In diesem Sinne ist auch die Äußerung des EuGH zu verstehen, daß bei der Beurteilung der Frage, ob eine Bezeichnung, Marke (Hervorhebung durch den Verfasser) oder Werbeaussage den Käufer irreführe, auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen sei 264 . In der Entscheidung "Sektkellerei Kessler,,26s führt der EuGH mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit aus: ,,Es (gemeint ist das jeweilige nationale Gericht, Anmerkung des Verfas257 EuGH, Sig. 1990, 1-683, 686ff. - GB-Inno; EuGH, Sig. 1990, 1-4844, 4849 - Pali; EuGH, Sig. 1991, 1-2971, 2984f. - Piageme; EuGH, Sig. 1993, 1-2361, 2389f. - Yves Rocher; EuGH, Sig. 1994,1-317, 337 - Clinique. Vgl. zum Verbraucherleitbild des EuGH bereits oben, l. Kapitel, § 2 B III. 1.) und Everling, ZLR 1994,221 ff.; Leisner, EuZW 1991, 498 ff.; Streinz, ZLR 1991, 242ff. 258 EuGH, Sig. 1998,1-4657 EuZW 1998,526,528 - Gut Springenheide. 159 EuGH, WRP 1999, 307 ff. - Sektkellerei Kessler. 260 Vgl. dazu bereits oben, l. Kapitel, § 2 BIll. 1.). Vgl. im übrigen Dauses, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, C. 1 Rnr. 155, 156; Kiethe I Groeschke, WRP 1998,541,548; a.A. Sack, WRP 1998, 264, 267, 268; vgl. auch ders., WRP 1999, 399ff. 261 Vgl. zu diesem Begriff Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 181; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 125 f., 149. 262 So auch Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 18l. 263 Vgl. im übrigen zur streitigen Frage der Auswirkungen des EuGH-Verbraucherleitbildes auf das Irreführungsverbot des § 3 UWG, Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 181, 182 mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur sowie die bei Streinz/Leible, ZIP 1995, 1236, 1241 Fn. 7 genannten FundsteIlen und Sack, WRP 1998,264-268. Vgl. auch Ahrens, WRP 1999, 389ff. Zur Erstreckung des normativen Verbraucherleitbilds auf das harmonisierte deutsche MarkenG, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 123 ff., 149; Teplitzky, GRUR 1996, 1,5. 264 EuGH, Sig. 1998,1-4657 = EuZW 1998,526,528 - Gut Springenheide. 265 EuGH, WRP 1999, 307, 310, 311 - Sektkellerei Kessler.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
sers) hat anhand der Umstände des jeweiligen Falles zu prüfen, ob eine Marke (Hervorhebung durch den Verfasser) oder ihre Bestandteile unter Berücksichtigung der Erwartung der Verbraucher, an die sie sich richtet, mit der gesamten Bezeichnung bestimmter Weine oder einem Teil da:von venvechselt (Hervorhebung durch den Verfasser) werden kann. Hierbei muß, wie sich ebenfalls aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, das nationale Gericht auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstellen." Im Urteil "SabeI/Puma,,266, der ersten Entscheidung des EuGH zur näheren Konkretisierung der Verwechslungsgefahr in der MarkenRL, formuliert das Gericht jedoch folgendermaßen: "Aus dem Wortlaut des Art. 4 I Iit.b) Richtlinie, wonach "für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht", geht nämlich hervor, daß es für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr entscheidend darauf ankommt, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher dieser Art von Waren oder Dienstleistungen wirkt. Der Durchschnittsverbraucher nimmt eine Marke aber normalerweise als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten,,267. Durch die Bezugnahme auf den Durchschnittsverbraucher - ohne nähere Spezifizierung seines Verhaltens am Markt und seiner diesbezüglichen Fähigkeiten besteht die Gefahr, daß sich der EuGH im supranationalen Markenrecht von seinem normativen Verbraucherleitbild, das zur gemeinschaftskonformen Auslegung des nationalen Wettbewerbsrechts entwickelt wurde, inhaltlich entfernt und sich gleichzeitig der bisherigen deutschen Rechtsprechung zum markenrechtlichen Verwechslungsschutz annähert 268 . Hierfür bestehen jedoch keine gemeinschaftsrechtlich begründeten Veranlassungen. Es ist im Gegenteil gerade nicht durch einen sachlichen Differenzierungsgrund begründet, im wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz ein anderes europäisches Verbraucherleitbild heranzuziehen als im markenrechtlichen Verwechslungsschutz. Im deutschen gewerblichen Rechtsschutz handelt es sich insoweit um parallele Teilrechtsbereiche 269. Eine entsprechende Parallele besteht auf europäischer Ebene zwischen der Irreführungsrichtlinie 27o , der MarkenRL und der GMarken V, so daß sich im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Verwechslungsschutzes ein Rückgriff auf das normative Verbraucherleitbild aus Gründen einer einheitlichen Rechtsanwendung und der Prinzipien der EuGH, Slg. 1997,1-6191 = EuZW 1998,20 - SabellPuma. EuGH, a. a. 0., 20, 22 - Sabell Puma. 268 Diese Interpretation teilen im Ergebnis auch IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 158. Vgl. auch Sack, WRP 1998,264,267,268. 269 Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 125, 126. Vgl. im übrigen die berechtigte Kritik von Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 280, an der fehlenden Gleichstellung dieser Rechtsgebiete im "Sabell Puma"-Urteil des EuGH (Slg. 1997, 1-6191 EuZW 1998,20,22). Vgl. schließlich Fezer, NJW 1998,713,715. 270 AbI. 1984, Nr.L 250/20 Ld.F. der Richtlinie vom 06. 10. 1997 über vergleichende Werbung, AbI. 1997 Nr.L 290/18. Vgl. dazu Sack, WRP 1998,241 ff. 266
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Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geradezu anbietet. Der Begriff der Verwechslungsgefahr im Markenrecht übernimmt insgesamt dieselbe Funktion wie der Begriff der Irreführungsgefahr im allgemeinen Wettbewerbsrecht271 • Beide Bereiche dienen derselben Zweckbestimmung, nämlich der Verhinderung von Tauschungen (im Sinne einer Fehlvorstellung über Tatsachen) bei den angesprochenen Verkehrskreisen. Dieser teleologische Gleichlauf ist Ausdruck der Einheit des Wettbewerbsrechts und des Markenrechts sowohl auf nationaler als auch supranationaler Ebene. Dementsprechend kann auch im Rahmen des markenrechtlichen Verwechslungsschutzes die bisherige EuGH-Rechtsprechung zur Begrenzung des wettbewerbsrechtlichen Irreftihrungsschutzes auf Grundlage des § 3 UWG oder sonstiger Normen des gemeinschaftsrechtIich determinierten Irreftihrungsschutzes sinngemäß herangezogen werden. Der EuGH hatte beispielsweise im Urteil ,,PalI" festgestellt, daß selbst wenn eine Irreftihrungsgefahr vorliege, eine Anwendung des § 3 UWG ausgeschlossen sein könne, falls das Verbot der Irreführung zu einem Hemmnis für den innergemeinschaftlichen Handel führe und nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Vorschrift verfolgten Zweck des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs stehe 272 • Diese Ausprägungen des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes finden inhaltsgleich auch im Hinblick auf den markenrechtlichen Verwechslungsschutz Anwendung. Dies gilt auch für die bisherige Rechtsprechung des EuGH, wonach eine Irreführung nur dann als relevant angesehen wird, wenn diese .tatsächlich vorliegt oder sich eine hinreichend schwerwiegende Gefahr einer solchen feststellen läßt273 • Für eine entsprechende Gleichbehandlung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes und der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr spricht darüber hinaus, daß hierdurch eine inhaltsgleiche Kollisionsprüfung zwischen Marken und geographischen Herkunftsangaben gewährleistet wird. Es erscheint weder auf nationaler noch supranationaler Ebene sinnvoll, ein divergierendes Verbraucherleitbild in bezug auf geographische Herkunftsangaben einerseits und Marken andererseits einzusetzen. Anderenfalls würde man die angestrebte Vereinheitlichung des A.A. Kur, MarkenR 1999,2,5,6. EuGH, Slg. 1990, 1-4827 - Pali. 273 Vgl. EuGH, Slg. 1994,1-317 ff. - Clinique; EuGH, Slg. 1995,1-1923 ff. - Mars; EuGH, Slg. 1996, 1-6039 ff. - Graffione. In gleicher Weise sind auch die Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache C-342197 - Lloyd I Klijsen, zu verstehen. Auch der Generalanwalt spricht sich ausdrücklich für eine Übernahme des Verbraucherleitbildes des EuGH im Rahmen des Markenrechts aus. Er verlangt auf dieser Grundlage desweiteren, daß die Verwechslungsgefahr exakt begründet und echt sein muß. Sie dürfe nicht nur hypothetisch und vage sein, vgl. Mitt. 1999, 40. Kritisch dazu Kur, MarkenR 1999,2,5,6. Im Urteil ,,Lloyd/Klijsen" (WRP 1999, 806, 808) hat der EuGH leider nicht die vom Generalanwalt geforderten erhöhten Anforderungen an das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr übernommen, sondern insoweit lediglich auf seine bisherigen Urteile "SabeIlPuma" (Slg. 1997, 1-6191 ff.) und "Canon" (Slg. 1998, 1-5507 ff.) Bezug genommen. Von einer einschränkenden Betrachtungsweise des Begriffs der Verwechslungsgefahr hat der EuGH daher (bislang) Abstand genommen. 271
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Kennzeichnungsrechts auf allen Ebenen ohne Not aufgeben. Dies läßt sich auch anband eines weiteren Beispiels verdeutlichen: Art. 3 a I lit.a) und Art. 3 a I lit.d) der Richtlinie 97/551 EG 274 sehen vor, daß vergleichende Werbung, was den Vergleich anbelangt, als zulässig gilt, wenn u. a. sichergestellt ist, daß sie nicht irreführend im Sinne des Art. 2 11 Nr. 2, des Art. 3 und des Art. 7 I der Richtlinie 97 I 55/EG ist und keine Verwechslungen auf dem Markt zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den Marken, den Handelsnamen, anderen Unterscheidungszeichen oder den Waren oder Dienstleistungen des Werbenden und denen eines Mitbewerbers verursacht. Im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Überprüfung einer vergleichenden Werbung, die im Einzelfall sowohl den Tatbestand des Art. 3 a I lit.a) (Irreführungsschutz) als auch des Art. 3 a I lit.d) (u. a. markenrechtlicher Verwechslungsschutz) der Richtlinie 97/551 EG erfüllt, könnte sich das groteske Ergebnis ergeben, daß man im Rahmen ein und derselben Werbung zwei unterschiedliche Verbraucherleitbilder heranziehen müßte, sofern man die Auffassung vertritt, das Verbraucherleitbild des EuGH beziehe sich ausschließlich auf den wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur unpraktikabel und lebensfremd, sondern stünde auch im Widerspruch zum Prinzip der Rechtssicherheit. Gegen eine Gleichstellung des wettbewebsrechtlichen Irreführungsschutzes und des markenrechtlichen Verwechslungsschutzes läßt sich auch nicht deren unterschiedliche Rechtsnatur vorbringen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang zunächst, daß der EuGH bislang lediglich Ausführungen zur Rechtsnatur des Irreführungsbegriffs gemacht hat. In der Entscheidung "Gut Springenheide,,275 hat der EuGH festgestellt, daß das nationale Gericht, sofern es Schwierigkeiten hat, zu beurteilen, ob eine Angabe irreführend ist oder nicht, dies nach Maßgabe des nationalen Rechts durch ein Sachverständigengutachten oder eine Verbraucherbefragung ermitteln kann, ohne daß gemeinschaftsrechtliche Normen insoweit entgegenstehen 276. Hieraus läßt sich ableiten, daß der EuGH den wettbewerbsrechtlichen Irreführungsbegriff als Tatfrage einordnet. Demgegenüber finden sich weder im Urteil "Sabel/Puma,,277 noch in der "Canon"-Entscheidung des EuGH278 Ausführungen zur Rechtsnatur des markenrechtlichen Verwechslungsgefahrenbegriffs. Aber selbst dann, wenn man mit der h.M. in Deutschland davon ausgeht, die markenrechtliche Verwechslungsgefahr sei als Rechtsfrage (mit lediglich vorgelagerten Tatsachenelementen) einem demoskopischen Gutachten ent274 Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06. 10. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/4501 EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, AbI. Nr. L 290/18. 275 EuGH, Slg. 1998, 1-4657 EuZW 1998, 526ff. Näher dazu Reese, WRP 1998, 1035 ff. 216 EuGH, Slg. 1998,1-4657 = EuZW 1998,526,528. Vgl. auch EuGH, WRP 1999, 307, 310, 311 - Sektkellerei Kessler. 271 EuGH, Slg. 1997,1-6191 ff. 278 Slg. 1998, 1-5507 ff.
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zogen 279, läßt sich aus diesem Befund kein Argument für eine Ungleichbehandlung der Irreführungsgefahr und der Verwechslungsgefahr gewinnen. Zu beachten ist hier, daß auch eine ausschließlich normativ bestimmte Verkehrsauffassung im Rahmen der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr von einer objektiven Bezugsgrüße ausgehen muß. Anderenfalls wäre die Revisibilität nicht gewährleistet. In den entsprechenden Kollisionstatbeständen der MarkenRL und der GMarkenV findet sich daher konsequenterweise auch eine personale Bezugsgröße, nämlich das Tatbestandsmerkmal ,,Publikum". Die markenrechtliche Verwechslungsgefahr läßt sich folglich nicht "in einem luftleeren Raum" bestimmen, sondern setzt vielmehr einen nachprüfbaren Beurteilungsmaßstab voraus. Dies anerkennt auch der EuGH im Urteil "SabellPuma", wenn er feststellt, daß es für die umfassende Beurteilung der Verwechslungs gefahr entscheidend darauf ankommt, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher dieser Art von Waren oder Dienstleistungen wirkt28o • Der jeweilige Tatrichter muß sich daher auch bei der Bestimmung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr - wenn auch ohne Rückgriff auf ein demoskopisches Gutachten - quasi in die Rolle eines objektiven Durchschnittsbetrachters hineinversetzen. Insoweit ist das Eingangstor für das Verbraucherleitbild des EuGH auch im Rahmen des Markenrechts eröffnet. Im Interesse des gemeinschaftsweit liberalisierten Wettbewerbs im Sinne eines freien und fairen Wettbewerbs 281 bleibt zu hoffen, daß sich der EuGH in zukünftigen Urteilen zur GMarkenV und zur MarkenRL klar und eindeutig zu seinem bisherigen Verbraucherleitbild eines verständigen und mündigen Konsumenten auch im supranationalen Markenrecht bekennt282 . Sollte der EuGH jedoch tatsächlich zum Leitbild des flüchtigen Durchschnittsbetrachters im markenrechtlichen Verwechslungsschutz konvertieren bzw. den nationalen Gerichten überhaupt keine Vorgaben in diesem Bereich machen, wäre die Notwendigkeit einer engen Auslegung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit auf Grundlage der Theorie des gemischten Ähnlichkeitsbegriffs noch deutlicher geworden, weil primär nur das normative Verbraucherleitbild des EuGH als unmittelbares Korrektiv eines ausufernden Verwechslungsgefahrenbegriffs dienen kann283 • Die enge Auslegung des Begriffs der Produktähnlichkeit hätte dann eine wichtige Auffangfunktion übernommen. Allerdings ist zu beachten, daß der EuGH bereits in der Entscheidung "Canon" der Theorie des gemischten Ähnlichkeitsbegriffs eine Absage erteilt hat. Sofern der EuGH auch noch auf sein modemes Verbraucherleitbild im GemeinNäher dazu Sack, WRP 1998,1127,1130, 113l. EuGH, Slg. 1997,1-6191 ff. = EuZW 1998,20,22. Vgl. auch EuGH, WRP 1999,806, 809 - Lloydl Klijsen. 281 Vgl. zu diesem Referenzsystem Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S.50. 282 Auch der BGH scheint sich mittlerweile vom Leitbild des lediglich flüchtigen Verbrauchers zu entfernen, vgl. BGH, WRP 1998, 990, 992 - ALKA-SELTZER. 283 Vgl. zu dieser Begrenzungsfunktion des normativen Verbraucherleitbildes im harmoniserten deutschen Markenrecht, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 337. 279 280
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
schaftsmarkenrechtsschutz verzichten sollte, wäre kein wirksames Kriterium mehr vorhanden, eine effektive Schutzbegrenzung im Sinne einer Verhinderung gemeinschaftsmarkenrechtlicher Monopolisierungstendenzen herbeizuführen.
dd) Verwechslungs gefahr infolge gedanklicher Verbindung Gern. Art. 9 I lit.b) GMarkenV 284 muß wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Gemeinschaftsmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen erfaßten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen bestehen. Dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird28s • In identischer Weise wurde auch der Wortlaut der Artt. 4 I lit.b), 5 I lit.b) MarkenRL formuliert. In Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben der MarkenRL findet sich dieser Begriff schließlich in den §§ 9 I Nr. 2,14 TI Nr. 2 MarkenG. Das Tatbestandsmerkmal der gedanklichen Verbindung wird auch als Assoziationsgefahr bezeichnet286 • Eingeführt wurde der fUT das deutsche Markenrecht völlig neuartige Begriff der gedanklichen Verbinduni87 auf Veranlassung der Benelux-Staaten, um eine einheitliche Auslegung des harmonisierten nationalen Rechts mit Art. 13 A des Einheitlichen Beneluxgesetzes über die Warenzeichen, in dem zur Abgrenzung des Umfangs des ausschließlichen Rechts aus der Marke nicht der Begriff der Verwechslungsgefahr, sondern der Begriff der Ähnlichkeit zwischen den Marken verwendet wurde, sicherzustellen 288 • Nach der Spruchpraxis in den Beneluxstaaten 289 wurde der prioritätsälteren Marke ein Ausschließlichkeitsrecht auch dann gewährt, wenn der Verkehr einen Zusammenhang zwischen dem konkurrierenden Zeichen und der Marke dergestalt herstellte, daß das Zeichen geeignet war, gedankliche Verbindungen zur Marke hervorzurufen. Ein solcher Zusammenhang wurde nicht nur dann gesehen, wenn der Verkehr der Annahme war, daß die gekennzeichneten Waren gleicher oder ähnlicher Herkunft seien, sondern auch dann, wenn keine Gefahr der Verwechslung von Zeichen und Marke bestand. Im Benelux-Markenrecht ist in diesem Zusammenhang anerkannt, daß eine gedankliche Verbindung zwiVgl. ebenso Art. 8 I lit.b) GMarkenV. Aus diesem Wortlaut folgt, daß sich das Kriterium der gedanklichen Verbindung auf den Priifungsschriu der Markenähnlichkeit auswirkt. 286 So Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 173; Berlit, S. 78. 287 Insoweit besteht eine Parallele zum Kriterium der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit. 288 So der EuGH in der Entscheidung "SabeI/Puma, Slg. 1997,1-6191 = EuZW 1998,20, 21. Vgl. allgemein zur Entstehungsgeschichte des Begriffs der gedanklichen Verbindung, Schönfeld, S. 182ff.; Lehmann/Schönfeld, GRUR 1994, 481, 484; Verkade, GRUR Int. 1992, 92, 96; Gloy, in: PS für Rowedder, 1994, S. 77 ff., 90. 289 Vgl. dazu näher Gielen I Strowel, Miu. 1995, 198, 208 f. 284 28S
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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schen dem Zeichen und der Marke auch dann in Betracht kommt, wenn der Verkehr den an die ältere Marke geknüpften goodwill auf das Zeichen überträgt und folglich die Gefahr einer Imageverwässerung der Marke besteht. Von dem Begriff der gedanklichen Assoziation werden daher im Benelux-Markenrecht jedwede Assoziationsgefahren, auch wenn diese wettbewerbsrechtlich veraniaßt sind, erfaßt (extensive Auslegung)290. Aus diesem speziellen entstehungsgeschichtlichen Hintergrund des Begriffs der gedanklichen Verbindung zwischen der Marke und dem Zeichen läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß sich die Auslegung des entsprechenden europarechtlichen Tatbestandsmerkmals ausschließlich an der BeneluxSpruchpraxis orientieren müsse291 . Vielmehr gilt auch in diesem Zusammenhang Art. 220 (ex-Art. 164) EGV mit der Maßgabe, daß das abgeleitete supranationale Recht exklusiv durch den EuGH ausgelegt und interpretiert wird. Nach Auffassung der Regierungen der Benelux-Staaten umfaßt der Begriff der gedanklichen Verbindung in Anknüpfung an ihr Heimatmarkenrecht drei verschiedene Fallgruppen292 . Danach wird zunächst die sog. unmittelbare Verwechslungsgefahr erfaßt. Hierunter verstehen die Benelux-Staaten den Fall, daß das Publikum das Zeichen und die Marke direkt verwechselt (Markenverwechslung). Desweiteren wird die sog. mittelbare Verwechslungsgefahr oder die Gefahr der gedanklichen Verbindung genannt. Dieser Fall liegt dann vor, wenn das Publikum einen Zusammenhang zwischen dem Inhaber des Zeichens und dem Inhaber der Marke herstellt und sie miteinander verwechselt (Markeninhaberverwechslung). Schließlich beinhaltet die gedankliche Verbindung nach dem Benelux-Verständnis die sog. Gefahr der gedanklichen Verbindung im eigentlichen Sinne. Eine solche liegt vor, wenn das Publikum zwar nicht das Zeichen und die Marke direkt verwechselt, aber einen Zusammenhang zwischen dem Zeichen und der Marke herstellt, weil die Wahrnehmung des Zeichens die Erinnerung an die Marke beim Publikum geweckt hat. Aus der letztgenannten Sachverhaltskonstellation läßt sich ableiten, daß eine gedankliche Verbindung im Sinne des Benelux-Markenrechts nicht das Vorliegen einer Verwechslungs gefahr im Einzelfall voraussetzt. Dementsprechend könnte auch der Wortlaut der Artt. 8 I lit.b), 9 I lit.b) GMarkenV bzw. der Artt. 4 I lit.b), 5 I lit.b) MarkenRL zu verstehen sein. Es stellt sich jedoch dann das semantische Problem, daß der Begriff der Verwechslungs gefahr einen Faktor enthalten soll, der gar keine Verwechslungsgefahr voraussetzt. Insoweit liegt ein textlicher und begrifflicher Widerspruch vor93 .
Verkade, GRUR Int. 1992, 92, 96. In diesem Sinne auch der High Court, GRUR Int. 1996,735, 736ff. - WAGAMAMA. V gl. zu dieser Entscheidung Kampermann Sanders, EIPR 13 (1996), 3 ff. 292 EuGH, Slg. 1997,1-6191 EuZW 1998,20,21- SabellPuma. 293 Der BGH spricht in diesem Zusammenhang zutreffend von einer nicht eindeutigen Wortwahl, vgl. dazu den Vorlagebeschluß des Gerichts im Fall "Springende Raubkatze", GRUR 1996,198,200. In diesem Sinne auch AlthammerlStröbele, MarkenG, § 9 Rnr. 175; Sack, GRUR 1995,81,89; ders., WRP 1998, 1127, 1136 m. w. N. 290 291
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Im Verhältnis zum Benelux-Markenrecht wird im harmonisierten deutschen Markenrecht nach h.M. eine andere Subsumtion möglicher Fallgruppen unter den Begriff der gedanklichen Verbindung vorgenommen. Gestützt auf die Begründung zum MarkenG 294 wird vorgetragen, daß der Begriff der gedanklichen Verbindung in den §§ 9 I Nr. 2, 14 11 Nr. 2 MarkenG mindestens295 die unter Geltung des vormaligen WZG entwickelten Fallgruppen der mittelbaren Verwechslungsgefahr und der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne umfasse 296 . Das Kriterium der gedanklichen Verbindung stellt sich insoweit als ein Oberbegriff für diese Fallgruppen dar97 • Nach dem deutschen Rechtsverständnis erfaßt die mittelbare Verwechslungsgefahr den Gesichtspunkt der sog. Serienmarke. Bei dieser Sachverhaltskonstellation erkennt das Publikum zwar Unterschiede zwischen den Vergleichsmarken des Einzelfalles, verwechselt diese also nicht unmittelbar, aber es gelangt aufgrund der Übereinstimmung des in beiden Marken enthaltenen Bestandteil eines Stammzeichens zu der Überzeugung, die Waren oder Dienstleistungen seien dem Unternehmen des Inhabers der prioritätsälteren Marke zuzuordnen 298 . Im deutschen Markenrecht wird diese Fallgruppe zusammen mit der unmittelbaren Verwechslungsgefahr (Fall der direkten Markenverwechslung)299 als Verwechslungsgefahr im engeren Sinne bezeichnet. Demgegenüber beinhaltet die Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne diejenigen Fälle, in denen das Publikum weder die Marken noch die beteiligten Unternehmen direkt verwechselt, aber aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles zu der Annahme gelangt, zwischen den Unternehmen bestünden Beziehungen geschäftlicher, wirtschaftlicher oder organisatorischer Art3OO• Zur Frage des Umfangs der gedanklichen Verbindung werden im deutschen Schrifttum jedoch auch divergierende Auffassungen vertreten. Teilweise wird vor294
BT-Drucks. 1216581, S. 71.
Zu darüber hinausgehenden möglichen Fallkonstellationen im deutschen Markenrecht, IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 443 ff.; Altharnrner I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 198 ff. 29~
296 Vgl. in diesem Zusarnrnenhang aus der Rechtsprechung BPatG, GRUR 1995,416,417 - Rebenstolz; BPatG, Mitt. 1995,255 - JACOMOI Jac; BPatG, GRUR 1995,739,740 - GARlBALDI; BPatG, GRUR 1996, 282, 283 - Adalbert Prinz von Bayern; BPatG, GRUR 1996, 287, 288f. - BRANDT ECCO/ECCO MILANO. Vgl. darüber hinaus aus dem deutschen Schrifttum, Schönfeld, S. 185; Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1990,747, 756f.; Rößler, GRUR 1994,564; Winkler, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994,401; Teplitzky, GRUR 1996, 1,2; Starck, WRP 1996, 269, 273; Kiethe I Krauß, WRP 1996, 495, 500. 297 Altharnrner I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 178. 298 Näher dazu Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 220 ff.; Althammer I Ströbele, MarkenG, § 9 Rnr. 179ff.; IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 428ff.; Berlit, S. 77ff.; Fuchs-Wissemann, GRUR 1998, 522, 524f. 299 V gl. dazu Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 179 ff. 300 AltharnrnerlStröbele, MarkenG, § 9 Rnr. 195ff.; IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 438ff.; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 244ff.; Berlit, S. 81 ff.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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getragen, hierunter könne nur die mittelbare Verwechslungsgefahr subsumiert werden 301 . Andere wiederum extensivieren den Begriff der Gedankenverbindung im deutschen MarkenG auch auf Fälle einer lediglich wettbewerbsrechtlich begründeten behindernden, rufausbeutenden oder verwässernden Wirkung zwischen den Vergleichsmarken 302. Welches Auslegungsmodell für die Bestimmung der Gedankenverbindung im System der GMarkenV herangezogen werden kann, wird letztendlich durch den EuGH entschieden. Von maßgebender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zunächst das Urteil "SabeI/Puma,,303 des EuGH, das zur parallelen MarkenRL ergangen ist. Im Hinblick auf Art. 4 I lit.b) MarkenRL hat der EuGH zunächst festgestellt, daß der Begriff der gedanklichen Verbindung keine Alternative zum Begriff der Verwechslungsgefahr darstellt, sondern die Aufgabe hat, den Umfang der Verwechslungsgefahr genauer zu bestimmen304 . Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift leitet das Gericht bereits ab, daß ein entsprechender gemeinschaftsmarkenrechtlicher Kollisionsschutz nicht in Betracht kommt, wenn für das Publikum keine Verwechslungsgefahr besteheos. Infolge dieser restriktiven Bestimmung der Gedankenverbindung hat der EuGH dem weiten Benelux-Ansatz eine klare Absage erteilt und im Ergebnis die Rechtsauffassung des Vereinigten Königreichs und der Kommission bestätigt, die sich gegen die Einbeziehung der gedanklichen Verbindung im eigentlichen Sinne nach der Diktion des Benelux-Markenrechts ausgesprochen hattten 306 . Ausdrücklich abgelehnt hat der EuGH auch eine Gleichstellung der Tatbestände des Art. 4 I lit.b) MarkenRL einerseits und der Artt. 4 m, IV lit.a), 5 11 MarkenRL 307 andererseits 308 . Nach den letztgenannten Vorschriften besteht ein Verbietungsrechts zugunsten des Inhabers einer bekannten Marke sogar dann, wenn die 301 So Keller, S. 64 zur Auslegung des Art. 5 I Iit.b) MarkenRL; vgl. auch v. Gamm, WRP 1993,797; ders., GRUR 1994,780. Ablehnend hierzu Krüger, GRUR 1995,529; Winkler, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 576. 302 Sack, GRUR 1995, 81, 88ff.; ders., GRUR 1996, 663; ders., WRP 1998, 1127, 1136 ff.: Weite Auslegung der Gedankenverbindung vor dem Hintergrund des Schutzes der bekannten Marken im Ähnlichkeitsbereich. Vgl. dazu 3. Kapitel, § 2, S. 196 ff. 303 EuGH, Sig. 1997,1-6191 EuZW 1998, 20 - SabeI/Puma. 304 EuGH, Sig. 1997,1-6191 EuZW 1998,20,21- SabC:l/Puma. Vgl. hierzu auch Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 113a ff. 305 EuGH, a. a. O. Das Gericht begründet diese enge Auslegung der Gedankenverbindung u. a. mit dem 10. Erwägungsgrund zur MarkenRL (GRUR Int. 1989,294), in dem niedergelegt ist, daß die Verwechslungsgefahr die spezifische Voraussetzung für den Markenschutz darstellt. 306 Vgl. dazu EuGH, Sig. 1997, 1-6191 = EuZW 1998, 20, 21 - Sabel/Puma. Kritisch dazu Sack, WRP 1998, 1127, 1137. 307 Die Artt. 8 V, 9 I Iit.c) GMarkenV sind insoweit die einschlägigen Parallelvorschriften. 308 EuGH, Sig. 1997,1-6191 =EuZW 1998,20,21- Sabel I Puma.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Waren im Einzelfall nicht identisch sind, aber die mit seiner Marke identischen oder ähnlichen Zeichen ohne rechtfertigenden Grund benutzt werden und dabei die Unterscheidungskraft oder Wertschätzung in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen, ohne daß das Bestehen einer Verwechslungsgrfahr nachgewiesen werden müßte. Der EuGH betont in diesem Zusammenhang die besondere Eigenständigkeit der verschiedenen Kollisionstatbestände und führt aus, daß Art. 4 I lit.b) MarkenRL gerade nicht für bekannte Marken gilt. Aus dem "SabeIlPuma"-Urteil 309 läßt sich insgesamt ableiten, daß der Begriff der Verwechslungsgefahr in den Artt. 8 I lit.b), 9 I lit.b) GMarkenVeine absolute Schutzgrenze dieser Kollisionstatbestände darstellt. Auch der Begriff der Gedankenverbindung ist vom Vorliegen einer Verwechslungsgefahr abhängig und kann deren Fehlen im Einzelfall nicht überwinden. Die Möglichkeit eines Zusammenhangs ohne Verwechslungen zwischen den konkurrierenden Marken ist daher als ein aliud und minus zur Verwechslungsgefahr zu begreifen. Die rein assoziative gedankliche Verbindung, die das Publikum über den Sinngehalt zweier Marken zwischen diesen herstellen könnte ohne sie zu verwechseln, begründet daher für sich genommen keine Gefahr von Verwechslungen, die die Gefahr einschließt, daß das Zeichen mit der älteren Marke in Verbindung gebracht wird 31O• Aus dem "SabeIlPuma"-Urteil des EuGH311 ergeben sich über den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung weitreichende Konsequenzen für die harmonisierten nationalen Markenrechtsordnungen, insbesondere für das BeneluxMarkenreche 12 und das deutsche Markenrecht. Sofern man die "SabeIlPuma"-Doktrin des EuGH isoliert betrachtet, können vom Begriff der gedanklichen Verbindung nur solche Fallgruppen umfaßt werden, die unmittelbar eine Verwechslungsgefahr in bezug auf die konkurrierenden Marken begründen. Soweit nur ein Zusammenhang besteht, der im Einzelfall keine Verwechslungen begründet, ist der Anwendungsbereich des Verwechslungsschutzes nicht eröffnet. In bezug auf das Benelux-Markenrecht unterfällt folglich die Fallgruppe der gedanklichen Verbindung im eigentlichen Sinne nicht mehr dem Tatbestand des Art. 4 I lit.b) MarkenRL. Die unmittelbare Verwechslungsgefahr und die mittelbare Verwechslungsgefahr oder Gefahr der gedanklichen Verbindung erweist sich demgegenüber wegen tatsächlich vorhandener Verwechslungsgefahren als richtlinienkonform. Im Hinblick auf das deutsche Markenrecht ist auch die unmittelbare und die mittelbare Verwechslungsgefahr vor dem Hintergrund des "SabeIlPuma"-Urteils 313 309 310
311 312 313
EuGH, Slg. 1997,1-6191 ff. So der EuGH, EuZW 1998,20,22 - SabellPuma. Slg. 1997,1-6191 ff. VgI. dazu van Manen, GRUR Int. 1998,471 ff. EuGH, Slg. 1997,1-6191 ff.
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gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei der unmittelbaren Verwechslungsgefahr werden die konkurrierenden Marken verwechselt. Bei der mittelbaren Verwechslungsgefahr besteht eine Fehlassoziation des Publikums in bezug auf die Markeninhaber. Diese Verwechslung ist markenrechtlich noch relevant 314 • Es gilt jedoch zu beachten, daß sich der EuGH im "SabellPuma"-Urteil zur Fallgruppe der mittelbaren Verwechslungsgefahr nicht ausdrücklich geäußert hat. Es kann daher noch als offen bezeichnet werden, ob der EuGH im Hinblick auf die MarkenRL oder die GMarken V eine Gleichstellung der Markeninhaberverwechslung mit der Markenverwechslung für geboten hält. Hierfür spricht, daß das Publikum in beiden Sachverhalten einer direkten Fehlassoziation unterliegt. Nach dem Wortlaut des "Sabel / Puma"-Urteils könnte jedoch auf die Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne nach Maßgabe des harmonisierten deutschen Markenrechts nicht mehr zurückgegriffen werden, da bloße Zusammenhänge zwischen den Unternehmen nach der "SabellPuma"-Doktrin als nicht mehr relevant zu bezeichnen sind, wenn im Einzelfall keine Verwechslungsgefahren vorliegen 315 • Obwohl der EuGH im "SabellPuma"-Urteil die nach deutschem Rechtsverständnis sog. Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne nicht ausdrücklich angesprochen hat, ließe sich deren fehlende Richtlinienkonformität mit Hilfe der Formel argurnenturn a maiore ad minus (argurnenturn a fortiori) begründen316 • Wenn der EuGH bereits die Fallgruppe der Gefahr der gedanklichen Verbindung im eigentlichen Sinne als nicht zum Tatbestand des Art. 4 I lit.b) MarkenRL gehörig betrachtet, muß dies erst recht für die Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne gelten, weil bei dieser Sachverhaltskonstellation weder die Marken noch die jeweiligen Markeninhaber vom Publikum verwechselt, sondern lediglich wirtschaftliche Verbindungen zwischen den Unternehmen vermutet werden 317 • Derartige Verbindungen könnten den bloßen Zusammenhängen zwischen Marken gleichgestellt werden, da in bei den Fällen für das Publikum keine Verwechslungsgefahren bestehen. Damit scheiden regelmäßig auch Assoziationsgefahren jenseits mittelbarer oder weiterer VerSo im Ergebnis auch Fezer, NJW 1998,713,716. So im Ergebnis auch Keller, S. 64.; Gloy, in: FS für Rowedder, 1994, S. 77ff., 91. A.A. insoweit Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 439, die die Richtlinienkonformität der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne als noch offene Frage ansehen. A.A. insoweit auch Fezer, NJW 1998,713, 716 unter Hinweis auf die Produktidentifizierungsfunktion der Marke; ders., Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 251. 316 Im Ergebnis führt die so verstandene "SabCl/Puma"-Doktrin zu einer Umkehrung der Grundsätze, die der EuGH in der Entscheidung "quattro" (Slg. 1993, 1-6227 GRUR Int. 1994, 168, 170) zur Gemeinschaftskonformität der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne noch unter Geltung des WZG aufgestellt hat. Infolge des Inkrafttretens der MarkenRL und der GMarkenV hat sich die damalige Rechtslage nunmehr grundlegend geändert und ist daher offen für einen Wandel der Rechtsprechung gewesen. 317 Die Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne wäre daher markenrechtIich nur noch dann einschlägig, wenn sie zugleich den Tatbestand einer unzulässigen Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der älteren Marke erfüllt (Schutz bekannter Marken). Insoweit bestünde aber kein Automatismus. 314 315
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
wechslungsgefahren aus 318 • Diese werden ebenfalls nicht vom markenrechtlichen Verwechslungsschutz erfaßt und begrenzen daher in entscheidender Weise die Monopolisierung der Marke zugunsten des jeweiligen Markeninhabers. Im System der GMarkenV würden diese Grundsätze wegen der Parallelität der Schutzausgestaltung in der MarkenRL und der GMarkenV in gleicher Weise Anwendung finden. Die zuvor dargelegte restriktive Interpretation des Begriffs der gedanklichen Verbindung wäre nach der hier vertretenen Auffassung insgesamt ein weiterer wichtiger Baustein zur angemessenen Limitierung des gemeinschaftsmarkenrechtlichen Verwechslungsschutzes im Spannungsverhältnis zur primärrechtlichen Warenverkehrsfreiheit und zur Gewährleistung des Referenzsystems eines freien und fairen Wettbewerbs gewesen. Der EuGH hat sich jedoch im bereits erwähnten "Canon"-Urteil 319 (zweiter Teil der Vorlage frage des BGH) anders entschieden. Bereits die Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs in dieser Rechtssache deuteten auf eine Einbeziehung der Fallgruppe der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne in das gemeinschaftsrechtliche Schutzsystem 32o• Dort heißt es: ,,Eine Verwechslungsgefahr im Sinne dieser Vorschrift wird jedoch nur vorliegen, wenn die Gefahr besteht, daß das Publikum zur nicht zutreffenden Vorstellung veranIaßt wird, daß in irgendeiner Form eine geschäftliche Verbindung zwischen den Lieferanten der betroffenen Waren oder den Erbringern der betroffenen Dienstleistungen besteht". Schon hieraus ließ sich auch ableiten, daß die Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne im Rahmen der MarkenRL (und damit auch im Rahmen der GMarkenV) als allgemeines Bestimmungskriterium einer im Einzelfall zu prüfenden Verwechslungsgefahr herangezogen wurde und nicht nur als Ergänzung für die Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke im Rahmen der Prüfung der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit fungierte 321 • Im Anschluß hieran hat der EuGH dann im "Canon"-Urteil ausgeführt, daß eine relevante Verwechslungsgefahr im Sinne des Art. 4 I lit.b) MarkenRL auch dann vorliege, wenn das Publikum glauben könnte, daß die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen322• Für die Verneinung einer solchen Verwechslungsgefahr genüge es nicht, lediglich nachzuweisen, daß für das Publikum keine Verwechslungsgefahr in bezug auf den Ort bestehe, an dem die betreffenden Waren oder Dienstleistungen hergestellt oder erbracht 318 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf solche Assoziationsgefahren, die lediglich wettbewerbsrechtlich abgeleitet sind, vgl. dazu OLG Hamburg, GRUR 1997, 297, 298, 299 WM '94. Zu diesem Problemkreis auch Schönfeld, S. 182 ff. 319 EuGH, Sig. 1998,1-5507 WRP 1998, 1165 ff. - Canon. 320 Vgl. dazu den Abdruck der entsprechenden Schlußanträge in Mitt. 1998,279. 321 So auch Fezer, NJW 1998,713,716. 322 EuGH, Sig. 1998,1-5507 = WRP 1998, 1165, 1168 - Canon.
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werden 323 • Dementsprechend kommt der EuGH zu dem Ergebnis, daß eine Verwechslungsgefahr auch dann vorliege, wenn für das Publikum die betreffenden Waren oder Dienstleistungen an unterschiedlichen Orten hergestellt oder erbracht werden. Dagegen sei das Bestehen einer Verwechslungsgefahr ausgeschlossen, wenn das Publikum nicht glaube, daß die betreffenden Waren oder Erzeugnisse aus demselben Unternehmen oder aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen324 • Zur Begründung beruft sich das Gericht vor allem auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Hauptfunktion der Marke darin bestehe, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu garantieren 32s • Insofern betont das Gericht die besondere Bedeutung der Herkunftsfunktion der Marke 326 • Nach Auffassung des Gerichts muß die Marke in diesem Zusammenhang Gewähr dafür bieten, daß alle Waren oder Dienstleistungen, die mit ihr versehen wurden, unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt oder erbracht wurden, das für die Qualität der so gekennzeichneten Produkte verantwortlich gemacht werden könne327 • Auf Grundlage des "Canon"-Urteils läßt sich daher feststellen, daß nunmehr die Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne nach deutscher Markenrechtstenninologie die äußerste Grenze einer gemeinschaftsrechtlich relevanten Verwechslungsgefahr bildet 328 • Dieses zu extensive Auslegungsergebnis ist aber aus den bereits oben genannten Gründen abzulehnen. Es steht insbesondere im Widerspruch zu der Feststellung des EuGH im "Sabel/Puma"-Urteil, wonach eine Verwechslungsgefahr begrlffsnotwendig das Vorliegen von Verwechslungen (im Sinne von unmittelbaren fehlerhaften Zuordnungen) voraussetzt und daher ausscheidet, wenn die angesprochenen Verkehrskreise im Einzelfall nicht die sich gegenüberstehenden Marken verwechseln, sondern lediglich assoziieren 329 . In der Fallgruppe der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne unterliegt das Publikum jedoch gerade keinen Verwechslungen im Sinne eines direkten Vertauschens der Marken oder der Markeninhaber, sondern lediglich einer Fehlassoziation in bezug auf mögliche wirtschaftliche Verflechtungen zwischen den sich im Einzelfall gegenüberstehenden Unternehmen. Ein sachlicher Differenzierungsgrund, der eine unterschiedliche Behandlung der fehlenden Markenverwechslung (bloße Markenassoziation) einerseits und der fehlenden 323 EuGH, a. a. O. Mit dieser Aussage hat das Gericht die Bedeutung des Herstellungsortes relativiert. 324 EuGH, a. a. O. 325 EuGH, Slg. 1998,1-5507 WRP 1998, 1165, 1167 - Canon. 326 Kritisch dazu Sack, WRP 1998, 1127, 1141. 327 Vgl. EuGH, Slg. 1990,1-3711 - HAG 11. 328 So auch Fezer, WRP 1998, 1123, 1126. Ablehnend Sack, WRP 1998, 1127, 1141; Kur, MarkenR 1999,2,8,9. 329 A.A. Fezer, a. a. 0.; ders., Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 251; vgl. auch Kur, MarkenR 1999, 2, 8, 9.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Unternehmensverwechslung (bloße Annahme einer geschäftlichen Verbindung) rechtfertigt, ist nicht ersichtlich. Insofern können bloße Markenassoziationen und bloße Annahmen einer geschäftlichen Verbindung zwischen den beteiligten Unternehmen - wegen der jeweils fehlenden Verwechslungsgefahren im Einzelfall gleichgestellt werden. Aufgrund der nunmehr vom EuGH ausdrücklich gebilligten Einbeziehung der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne hat die "Canon"-Entscheidung daher nach der hier vertretenen Ansicht zu einer erheblichen und einseitig die Interessen der Markeninhaber begünstigenden Ausdehnung des bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Verwechslungsgefahrenbegriffs auf Grundlage der "SabeI/Puma"-Entscheidung geführt33o •
c) Schutz der bekannten Gemeinschaftsmarke gern. Art. 9 I lit.c) GMarken V Nach Art. 9 I Iit.c) GMarkenV besteht ein Ausschließlichkeitsrecht zugunsten des Inhabers der prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke dergestalt, daß er Dritten verbieten kann, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit seiner Gemeinschaftsmarke identisches oder ihr ähnliches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die nicht denen ähnlich sind, für die die Gemeinschaftsmarke eingetragen wurde, wenn diese in der Gemeinschaft bekannt ist und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Gemeinschaftsmarke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. Eine entsprechende Gewährleistung jenseits des Warenähnlichkeitsbereichs sieht Art. 8 V GMarkenV vor. Hiernach ist der Inhaber einer in der Gemeinschaft bekannten Marke oder einer im Inland bekannten nationalen Marke 331 mit älterem Zeitrang befugt, der Eintragung einer fremden identischen oder ähnlichen Marke außerhalb des Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeitsbereichs zu widersprechen, wenn die Benutzung der fremden Marke die Unterscheidungskraft oder Wertschätzung der prioritätsälteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde 332 • 330 Demgegenüber vertritt Sack (WRP 1998, 1127, 1141) jedoch die Ansicht, die "Canon"-Entscheidung habe aufgrund der starken Betonung der Herkunftsfunktion der Marke sogar zu einer Einengung des Begriffs der Verwechslungs gefahr im Verhältnis zum "SabeI/Puma"-Urteil geführt. 331 Ob eine solche Marke vorliegt, richtet sich ausschließlich nach dem im Einzelfall anwendbaren nationalen Markenrecht. Dieser Rückgriff auf das nationale Recht im Rahmen der GMarkenV verdeutlicht die Notwendigkeit einer gleichmäßigen Auslegung der nationalen Markenechte, um zu verhindern, daß Schutzunterschiede zwischen den nationalen Rechten ungefiltert in die GMarken V transportiert werden. 332 Dieses relative Schutzhindernis des Art. 8 V GMarkenV wird gern. Art. 42 GMarkenV im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geltend gemacht. Im Gegensatz dazu unterfallt das
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Die in den zuvor genannten Normen enthaltenen Tatbestandsmerkmale sind als autonome Rechtsbegriffe des Gemeinschaftsrechts anzusehen 333 • Im Rahmen der GMarken V wird eine zukünftige eigenständige Auslegung 334 der entsprechenden Rechtsbegriffe durch den EuGH entweder im Wege einer Klage im Beschwerdeverfahren gern. Art. 63 GMarkenV oder durch eine Vorabentscheidung im Verletzungsprozeß gern. den Artt. 92, 102 GMarkenV, Art. 234 (ex-Art. 177) EGV vorgenommen werden. Parallelvorschriften zum Schutz bekannter Marken finden sich in den Artt. 4 IV lit.a), 5 TI MarkenRL 335 . Im Hinblick auf die MarkenRL handelt es sich allerdings nicht um einen obligatorischen Schutz. Der Schutz bekannter Marken ist hier nicht als verbindliche Vorgabe des Europarechts an die nationalen Markenrechte der Mitgliedstaaten ausgestaltet, sondern in Form einer Option gefaßt worden 336 . Dies bedeutet jedoch nicht, daß die entsprechenden Tatbestandsmerkmale in der MarkenRL nicht einer abschließenden Interpretation durch den EuGH zugänglich wären. Um sicherzustellen, daß die Harmonisierung der Markenrechte der Mitgliedstaaten in bezug auf eingetragene Marken effektiv bewerkstelligt werden kann, muß auch der optionale Schutz bekannter Marken in der MarkenRL der Jurisdiktion des EuGH unterliegen, da ansonsten die Gefahr einer Aushöhlung der verbindlichen Vorgaben durch eine Überdehnung des nationalen Schutzes bekannter Marken bestehe37 • Wegen Art. 234 (ex-Art. 177) EGVentscheidet der EuGH daher zukünftig338 auch über die gemeinschaftskonforme Auslegung des nationalen markenrechtlichen Bekanntheitsschutzes 339 . parallele Schutzhindernis des § 9 I Nr. 3 MarkenG aus verfahrensökonomischen Gründen dem Löschungsverfahren des § 51 MarkenG. 333 So zutreffend Piper, GRUR 1996,657,658. 334 Zur Notwendigkeit einer eigenständigen Auslegung, Starck, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 291, 301 f.; Tilmann, ZHR 158 (1994), 371, 373. 335 Im übrigen ist Art. 16 III TRIPS-Abkommen zu erwähnen. Vgl. dazu Kur, GRUR Int. 1994, 987 ff. 336 Vgl. dazu auch den 9. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989,294. 337 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 456; vgl. auch Altharnmer/Klaka, MarkenG, § 14 Rnr.4. 338 So z. B. in der Rechtssache C-375 197 , General Motors I Yplon SA, in der es um die Auslegung des Bekanntheitsschutzes in der MarkenRL, insbesondere um die Reichweite des Begriffs "bekannte Marke" geht. 339 In Deutschland ist der Schutz bekannter Marken in den §§ 9 I Nr. 3, 14 II Nr. 3 MarkenG verankert worden. Vgl. dazu näher Baeumer, in: FS für Beier, 1996, 227ff.; Boesl Deutsch, GRUR 1996, 168ff.; Ernst-Moll, GRUR 1993, 8ff.; v. Gamm, in: FS für Piper, 1996, S. 537ff.; Krings, GRUR 1996, 624ff.; Pagenberg, in: FS für Beier, 1996, S. 317ff.; Piper, GRUR 1996, 429ff.; Rößler, GRUR 1994, 559ff.; v. Schultz, GRUR 1994, 85ff.; Schultze/Schwenn, WRP 1997, 536ff.; Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 135 ff. (auch zum wettbewerbsrechtIichen Schutz der Ausbeutung fremden Rufs; vgl. dazu auch Thomasberger, passim). Allgemein zur Rechtsentwicklung des Schutzes bekannter Marken im deutschen Recht, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 4IOff.; Keller, S. 105 ff.; zum Verhältnis des wettbewerbsrechtlichen Schutzes bekannter Marken zum Markenschutz,
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Diese Bündelung der Überprüfungskompetenz beim EuGH gewährleistet eine abgestimmte Auslegung der identischen Tatbestandsmerkmale in der GMarken V und der MarkenRL und stärkt damit den Grundsatz der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts. Aus dem Wortlaut des Art. 9 I lit.c) GMarkenV lassen sich insgesamt vier verschiedene Kollisionstatbestände entnehmen. Denkbar sind im Einzelfall die Ausnutzung der Wertschätzung, die Beeinträchtigung der Wertschätzung, die Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft und schließlich die Ausnutzung der Unterscheidungskraft. In Anknüpfung an terminologische Vorschläge im deutschen Schrifttum zum MarkenG kann die Ausnutzung der Wertschätzung als Rufausbeutung, die Ausnutzung der Unterscheidungskraft als Aufmerksamkeitsausbeutung, die Beeinträchtigung der Wertschätzung als Rufschädigung und die Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft als Verwässerung bezeichnet werden340 • Die nähere Bestimmung der zuvor genannten Fallgruppen obliegt der zukünftigen Rechtsprechung des EuGH341 • Im Gegensatz zur Vorschrift des Art. 9 I lit.b) GMarken V setzt der Schutz bekannter Gemeinschaftsmarken nach Art. 9 I lit.c) GMarkenV nicht das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken in bezug auf die von diesen Marken erfaßten Waren oder Dienstleistungen voraus. Beiden Kollisionstatbeständen ist jedoch gemein, daß sie lediglich einen relativen Markenschutz begründen, der von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt342. Der Sinn und Zweck des Schutzes bekannter Gemeinschaftsmarken entstammt einer wettbewerbsrechtlichen Zielsetzung. Die Anstrengungen des Markeninhabers zur Etablierung einer gewissen Marktstärke seines Kennzeichens werden im Rahmen eines markenrechtlich verankerten Leistungsschutzes honoriert 343 • Die Verzahnung markenrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Elemente in der Gewährleistung bekannter Marken wird schon im Wortlaut des Art. 9 I lit.c) GMarkenV durch die Tatbestandsmerkmale der Ausnutzung oder Beeinträchtigung ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise deutlich 344 • Baumbach/Hefennehl, UWG, § 1 Rnr. 559a ff. Allgemein zum Schutz bekannter Kennzeichen im deutschen Recht, Eichmann, GRUR 1998,201 ff.; GroBner, passim. 340 So Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 493; vgl. in diesem Zusammenhang auch Fezer. Markenrecht. § 14 MarkenG Rnr. 424; Begr. zum MarkenG. BT-Drucks. 12/6581. S.72. 341 Vgl. näher dazu Piper, GRUR 1996.657,660.661. Vgl. zum MarkenG Althammerl Klaka. MarkenG. § 14 Rnr. 12-17; IngerllRohnke. MarkenG. § 14 Rnr. 498 ff.; Fezer. Markenrecht. § 14 MarkenG Rnr. 424ff.; GroBner. passim. 342 So zum deutschen Markenrecht. Fezer. Markenrecht. § 14 MarkenG Rnr. 413. 343 IngerllRohnke. MarkenG. § 14 Rnr. 458; Fezer, Markenrecht. § 14 MarkenG Rnr. 419. 344 Kritisch zu dieser (parallelen) Vennengung im MarkenG. Kraft. GRUR 1991, 342; v. Gamm. WRP 1993, 794. Allgemein zur Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale. Piper. GRUR 1996.657,661; Ingeri/Rohnke. MarkenG. § 14 Rnr. 496. 497; Althammer/Klaka.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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aa) Der Bekanntheitsbegriff Aus dem Wortlaut des Art. 9 I lit.c) GMarkenV läßt sich zunächst entnehmen, daß der Schutz bekannter Marken nicht allein durch das Kriterium der Bekanntheit der Gemeinschaftsmarke bestimmt wird. Es müssen weitere Faktoren im Einzelfall hinzutreten, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die bekannte Gemeinschaftsmarke jenseits des Bereichs der Warenähnlichkeit zu privilegieren. Der Begriff der Bekanntheit stellt jedoch in diesem Zusammenhang das Zentralkriterium, gewissermaßen das Einfallstor des Schutzes aus Art. 9 I lit.c) GMarkenV dar. Bei dem Kriterium der Bekanntheit der Gemeinschaftsmarke handelt es sich um einen autonomen Rechtsbegriff des Europarechts. Bislang hat sich der EuGH nicht zur Auslegung des Begriffs der Bekanntheit geäußert34s . Dies wird sich jedoch im Rahmen der Rechtssache C-375/97 - General Motors / Yplon SA -, einem Vorabentscheidungsverfahren auf Initiative des Tribunal de Commerce de Tournai, ändern 346 . In dem entsprechenden Ausgangsrechtsstreit geht die Firma General Motors aus der Marke "CHEVY" gegen das belgische Unternehmen Yplon vor, das über die identische Marke für Wasch- und Reinigungsmittel verftigt347 . Der EuGH wird hinsichtlich der Auslegung des Bekanntheitsbegriffs zunächst zu beachten haben, daß weder in der MarkenRL noch in der GMarkenV eine unmittelbare tatbestandliche Konkretisierung des Bekanntheitserfordernisses erfolgt348. Eine erste Annäherung an den Begriff der Bekanntheit der Gemeinschaftsmarke kann jedoch aus der Entstehungsgeschichte der MarkenRL und der GMarkenV abgeleitet werden. In beiden Sekundärrechtsakten wurde von dem zunächst verwendeten Begriff der Berühmtheit der Marke Abstand genommen und der Begriff der Bekanntheit eingeführt349 . Hieraus folgt, daß der Schutz in der GMarkenV jenseits der Warenähnlichkeitsgrenze zumindest nicht den Grad der Bekanntheit erfordert, den das deutsche Recht für den Schutz berühmter Marken vorsieheso. Insoweit findet daher eine Schutzerweiterung statt. Desweiteren läßt sich aus einem systematischen Vergleich zu Art. 6 bis PVÜ entnehmen, daß im supranationalen Markenrecht auch keine Gleichsetzung mit dem PVÜ-Begriff der notorisch bekannten Marke bezweckt iseS1 • MarkenG, § 14 Rnr. 18; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 428, 429. Die letztverbindliche Auslegung obliegt auch hier dem EuGH. 345 Zu dieser Frage schweigen auch die Erwägungsgründe zur GMarken V. 346 Vgl. dazu EuGH, Mitt. 1999,159. 347 Insoweit ergeben sich Sachverhaltsparallelen zum Urteil des Benelux-Gerichtshofes im Fall "Claeryn I Klarein", vgl. GRUR Int. 1975.399. 348 Dies gilt auch für Art. 16 III lRIPS-Abkommen. 349 Vgl. Sack. GRUR 1995,81,86; Piper, GRUR 1996,657,659; Kur, GRUR 1994,330, 332 f.; Schönfeld, S. 145 ff.; v. Mühlendahl, GRUR Int. 1989.355. 350 V gl. allgemein zum Schutz berühmter Marken im deutschen Recht, Zollner, S. 25 ff.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Ebenso wie im hannonisierten deutschen Markenrecht hängt der maßgebliche Bekanntheitsgrad der Marke in der GMarkenV von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Eine allgemeingültige und starre Grenze des erforderlichen Bekanntheitsgrades läßt sich auch im System der GMarkenV nicht entwickeln 352 • So vertritt beispielsweise auch der Generalanwalt in den Schlußanträgen353 zur Rechtssache C-375/97 - General Motors / Yplon SA - die Ansicht, hinsichtlich des Bekanntheisbegriffs in der MarkenRL würden keine starren Maßstäbe ("fixed criteria") gelten. Entscheidend seien vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalles. Desweiteren ist zu beachten, daß der EuGH im Hinblick auf die Auslegung des Bekanntheitsbegriffs in der GMarken V nicht unmittelbar auf die bisherige nationale Rechtsprechung zurückgreifen kann. Die Judikatur in den Mitgliedstaaten übernimmt auch hier lediglich die Rolle einer Orientierungshilfe. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer fehlenden einheitlichen Rechtspraxis in den Mitgliedstaaten 354 • Die Etablierung einer entsprechenden Rechtspraxis ist Sache des EuGH. Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus, welchen geographischen Bezug der Schutz der bekannten Marke im System der GMarkenV voraussetzt. Nach dem Wortlaut der Artt. 8 V 1. Alt., 9 I lit.c) GMarkenV muß es sich um eine "in der Gemeinschaft" bekannte Marke handeln. Demgegenüber reicht in bezug auf nationale Marken deren Bekanntheitsgrad in dem betreffenden Mitgliedstaat aus, Art. 8 V 2. Alt. GMarken V. Hinsichtlich der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in der Gemeinschaft" ist zu berücksichtigen, daß frühere Verordnungsentwürfe noch davon ausgingen, die schutzsuchende Marke müsse "zumindest in der gesamten Gemeinschaft" bekannt sein355 . Die Neuformulierung der GMarkenV spricht dafür, daß es regelmäßig nicht auf den Bekanntheitsgrad der Gemeinschaftsmarke in der Gesamtbevölkerung der EU ankommt, sondern auch die beschränkte Bekanntheit in abgrenzbaren Teilgebieten der Gemeinschaft - bezogen auf das Absatzgebiet des Markeninhabers - ausreiche 56 • Aus dem Grundsatz der Einheitlich351 Schweer, S. 114; Schönfeld, S. 200; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 468 m. w. N. Vgl. auch die Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache C-375197 General Motors/Yplon SA, Mitt. 1999,159. 352 In diesem Sinne zum harmonisierten deutschen Markenrecht, Piper, GRUR 1996.657, 659; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 420. Vgl. diesbezüglich aus der deutschen Rechtsprechung bereits BGH, GRUR 1985, 550 - Dimpie; BGH, GRUR 1991,465,466 Salomon; BGH, GRUR 1991,609,612 - SL. Zu den konkret genannten Prozentsätzen in der deutschen Rechtsprechung und Literatur Althammer/Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 8; Ingerll Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 477, 478. 353 Vgl. dazu Mitt. 1999, 159. 354 Näher dazu Kur, GRUR 1997,241,249. m Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 86. 356 So auch Piper, GRUR 1996,657,660; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 86. In diesem Sinne sind auch die Schlußanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-375/97 General Motors/Yplon SA formuliert, vgl. Mitt. 1999, 159.
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keit der Gemeinschaftsmarke (Art. 1 II GMarkenV) folgt dann in diesem Zusammenhang, daß sich die Schutzwirkungen der bekannten Marke nicht nur auf dieses räumlich abgegrenzte Teilgebiet erstrecken, sondern die gesamte Gemeinschaft erfassen (keine örtliche Radizierung der Gemeinschaftsmarke). Der im Einzelfall erforderliche Bekanntheitsgrad ist zunächst als ein quantitatives Kriterium anzusehen 357 • Der Begriff der Bekanntheit der Gemeinschaftsmarke wird als Rechtsbegriff verstanden, der jedoch gleichzeitig durch Tatsachenfeststellungen determiniert ise 58 • So kann der Bekanntheitsgrad mit Hilfe demoskopischer Sachverständigengutachten359 , sofern eine eigene Sachkunde oder Lebenserfahrung des erkennenden Gerichts im Einzelfall ausscheidet, ermittelt werden. Fraglich ist dann allerdings, welche personelle Bezugsgröße für die Feststellung der Bekanntheit in Betracht kommt. Insoweit läßt sich den Regelungen der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenV unmittelbar kein Hinweis entnehmen. Es ist jedoch aus Gründen einer einheitlichen Rechtsanwendung davon auszugehen, daß auch bei diesem Kollisionstatbestand auf das im Einzelfall maßgebende Publikum, basierend auf dem Verbraucherleitbild des EuGH, als personelle Bezugsgröße abgestellt werden kann. Problematisch ist schließlich, welche Art von Kriterien den Bekanntheitsbegriff in der GMarkenV ausfüllen sollen. In bezug auf das harmonisierte deutsche Markenrecht konzentriert sich das parallele Problem auf die Frage, ob die Bekanntheit ein kumulatives Vorliegen quantitativer ( z. B. empirische Verkehrsbekanntheit der Marke, Zeitraum ihrer Benutzung, Intensität der Werbung, Marktanteil und Produktumsatz) und qualitativer Faktoren (guter Ruf der Marke 360, Image, Werbewert) voraussetzt oder nicht. Zum Teil wird in der Literatur die Meinung vertreten, der Bekanntheitsbegriff erfordere keine qualitativen Kriterien 361 . Zur Begründung wird vorgetragen, daß sich das Kriterium der Wertschätzung, welches die qualitativen Aspekte der Marke zusammenfassend beinhaltet, als ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal darstelle. 357 In den Schlußanträgen des Generalanwalts in der Rechtssache C-475197 - General Motors/Yplon SA heißt es insoweit: ,,Eine Marke genießt "Wertschätzung" ... , wenn nachgewiesen wird, daß die Marke einem erheblichen Teil der betreffenden Publikumskreise bekannt ist." (Miu. 1999, 159). 358 So zum harmonisierten deutschen Markenrecht, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 417; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 483. 359 Näher dazu Boes/Deutsch, GRUR 1996, 168, 170ff. Allgemein verbindliche Prozentangaben hinsichtlich des im Einzelfall erforderlichen Bekanntheitsgrades lassen sich nicht aufstellen. Die relevante Verkehrsbekanntheit variiert in bezug auf die relevanten Verkehrskreise. Näher hierzu unter Angabe von Prozentwerten aus der deutschen Rechtsprechung, Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 420. 360 Näher dazu Großner, S. 178 ff. 361 Piper, GRUR 1996,429,433; Boes/Deutsch, GRUR 1996, 168, 169; Ingerl/Rohnke, MarkenG. § 14 Rnr. 479; im Ergebnis auch Althammer/Klaka. MarkenG. § 14 Rnr. 8. Differenzierend Ingerl. Die Gemeinschaftsmarke. S. 85.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Es sei daher getrennt vom Bekanntheitsgrad zu prüfen und dürfe nicht mit diesem vermengt werden. Insgesamt sei die Bekanntheit wertneutral und als isoliertes Tatbestandsmerkmal aufgefaßt worden. Im Anschluß an die Begründung zum MarkenG 362 wird im deutschen Schrifttum jedoch zutreffend die Ansicht vertreten, der Bekanntheitsgrad der Marke setze sich sowohl aus quantitativen als auch qualitativen Faktoren zusammen 363 . Diese Auffassung ist im Hinblick auf das Schutz system in der GMarken V vorzuziehen, weil sie eine sachnähere Auslegung des Begriffs der Bekanntheit ermöglicht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der semantische Gehalt der in den anderen Amtssprachen der Gemeinschaft verwendeten Begriffe, wie z. B. ,,reputation", "renommee", ,,rinomanza" und "velkendte Maerke" zu berücksichtigen 364 , der es im Rahmen einer notwendigen europäischen Auslegung der Rechtsbegriffe der GMarkenV notwendig erscheinen läßt, auch qualitative Kriterien bei der Bestimmung der Bekanntheit einfließen zu lassen 365 • Allerdings sind die praktischen Unterschiede in der Rechtsanwendung beider Meinungen nicht gravierend, da das Publikum mit einer Marke, die über einen erhöhten Bekanntheitsgrad verfügt, grundSätzlich auch positive Wertvorstellungen verbindet 366 . Zu einer letztverbindlichen Klärung dieser Frage ist auch hier der EuGH berufen. Die Einbeziehung auch qualitativer Elemente in den Bekanntheitsbegriff kann insgesamt als ein (minderbedeutendes) Korrektiv zur Eingrenzung des erweiterten Schutzumfangs bekannter Gemeinschaftsmarken jenseits der Warenähnlichkeitsgrenze angesehen werden.
bb) Markenidentität und Markenähnlichkeit Neben dem Bekanntheitskriterium erfordert der Tatbestand der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenV, daß das konkurrierende Zeichen mit der prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke identisch oder dieser zumindest ähnlich ist. Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 1216581, S. 72. Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 422; Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1990, 747, 756; Kraft, GRUR 1991, 342; Schweer, S. 115; Rößler, GRUR 1994, 562; Sack, GRUR 1995, 81, 86; v. Mühlendahll Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 44. 364 Dies wird auch von den Befürwortern eines rein quantitativen Bekanntheitsbegriffs anerkannt, vgl. Althammer I Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 7; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S.85. 365 Allgemein zum Problem der Wortlautauslegung in bezug auf die verschiedenen gleichrangigen Sprachfassungen, Borchardt, in: Lenz, Kommentar zum EGV, Art. 164 Rnr. 13; Pernice, in: Grabitzl Hilf, Art. 164 Rnr. 23; EuGH, Sig. 1988, 1-3845, 3871 - Moksel; EuGH, Sig. 1969, 419 - Stauder I Ulm. 366 So IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 480. In der Praxis divergieren beide Meinungen nur hinsichtlich der Einbeziehung von sog. "berüchtigten Marken" (Marken, die in negativer Weise bekannt sind) in den Schutzkreis der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenY. 362 363
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Im Hinblick auf den Fall der Identität zwischen der Marke und dem Zeichen ergeben sich keine Besonderheiten zum Tatbestand der Artt. 8 I lit.b), 9 I lit.b) GMarken V. Der Begriff der Markenidentität hat in beiden Kollisionstatbeständen denselben Inhalt. Insoweit ist eine gleichlautende Auslegung geboten. Problematisch ist jedoch in diesem Zusammenhang, ob eine gleichlautende Auslegung auch im Hinblick auf den Begriff der Markenähnlichkeit in Betracht kommt. Hierfur spricht der identische Wortlaut hinsichtlich des Begriffs der Ähnlichkeit im Verwechslungsschutz und im Bekanntheitsschutz. Eine nähere Bestimmung der Markenähnlichkeit im Bekanntheitsschutz darf jedoch nicht bei der reinen Wortlautauslegung stehenbleiben. Hinsichtlich des Verwechslungsschutzes wurde festgestellt, daß auch der Faktor der Markenähnlichkeit im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr als Oberbegriff auszulegen ist 367 . Die Markenähnlichkeit ist hier demnach ausdrücklich auf die Verwechslungsgefahr bezogen. Diese unmitelbare Verknüpfung ist zwar im Bekanntheitsschutz nicht allein auf Grundlage des Wortlauts festzustellen, folgt aber hier aus der identischen Verwendung des Rechtsbegriffs der Markenähnlichkeit sowohl im Verwechslungsschutz als auch im Bekanntheitsschutz. Der gemeinschaftsmarkenrechtliche Bekanntheitsschutz ist lediglich in bezug auf die erfaßten Waren oder Dienstleistungen nicht vom Vorliegen einer Verwechslungsgefahr abhängig. Als Unterschied läßt sich daher lediglich ermitteln, daß die Markenähnlichkeit im Verwechslungsschutz in einer Relation zur Warenoder Dienstleistungsähnlichkeit steht. Der Verwechslungsschutz setzt mindestens eine kumulative Ähnlichkeit der Marken und der Waren oder Dienstleistungen voraus. Diese Einschränkung besteht beim Bekanntheitsschutz aufgrund der fehlenden tatbestandlichen Verknüpfung mit dem Verwechslungsgefahrenbegriff nicht. Hier reicht nach dem Wortlaut bereits die singuläre Ähnlichkeit der Marken (insoweit muß aber eine Verwechslungsgefahr beim Publikum bestehen) bei Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen aus 368 • Der Anwendungsbereich des Bekanntheitsschutzes ist demnach wegen des Verzichts auf ein Ähnlichkeitskriterium wesentlich erweitert. Aufgrund dieses entscheidenden systematischen Unterschieds bietet sich insgesamt im Rahmen der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenVeine teilweise Modifikation der Markenähnlichkeit an, die dem Bekanntheitsschutz als einem Ausnahmeschutz 367
Vgl. hier nur den Wortlaut des 7. Erwägungsgrundes zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,
403. 368 Auch der High Court, Chancery Division, (GRUR Int. 1998, 424ff. - Baywatch) verlangt zur Bestimmung des Schutzes der bekannten Marke auf Grundlage von Section 10 (3) Trade Marks Act 1994 das Vorliegen einer Verwechslungs gefahr in bezug auf die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen . Im genannten Fall hatte der High Court aber ohne nähere Begründung bereits eine Markenähnlichkeit zwischen der Marke "Baywatch" und dem Zeichen "Babewatch" abgelehnt und daher insgesamt einen markenrechtlichen Bekanntheitsschutz verneint. Eine letztverbindliche Klärung der Voraussetzungen des markenrechtlichen Bekanntheitschutzes im harmonisierten nationalen Recht und im Gemeinschaftsrecht bleibt dem EuGH in einer zukünftigen Entscheidung überlassen.
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jenseits der Warenähnlichkeitsgrenze gerecht wird. Die Anforderungen an den Bekanntheitsschutz dürfen nicht zu niedrig angesetzt werden 369 . Aufgrund der ausreichenden Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen ist es erforderlich, den Begriff der Markenähnlichkeit im Bekanntheitsschutz restrktiver zu interpretieren als im Verwechslungsschutz. Das Kriterium der Markenähnlichkeit wirkt hier insofern als direktes Korrektiv. Schließlich sind die Tatbestandsalternativen der Ausnutzung oder Beeinträchtigung in der Regel nur bei der Benutzung identischer Marken oder beim Vorliegen einer deutlichen Markenähnlichkeit vorstellbar37o. Der Bekanntheitsschutz erfordert daher insgesamt einen geringeren Markenabstand (im Sinne einer gesteigerten Markenähnlichkeit) als der Verwechslungsschutz 371 • Als Modell einer sachgerechten Auslegung kann insoweit die Rechtsprechung des BGH zum Schutz der berühmten Marke herangezogen werden. Ein entsprechender Schutz wurde im Hinblick auf unähnliche Waren nur dann gewährt, wenn es sich um identische oder wenigstens in den charakteristischen Elementen weitgehend gleiche Zeichen handelte 372 •
cc) Schutz der bekannten Marke auch innerhalb der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit? Aus dem Wortlaut der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenV läßt sich entnehmen, daß der Schutz bekannter Marken zweifelsfrei jenseits der Warenähnlichkeitsgrenze besteht. Es heißt dort expressis verbis: ... "für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die nicht denen ähnlich sind, für die die Gemeinschaftsmarke eingetragen ist, ... ". Im Vergleich zu den Artt. 8 I lit.b), 9 I lit.b) GMarkenV stellt sich jedoch nunmehr die Frage, ob der Bekanntheitsschutz auch in bezug auf den Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeitsbereich erstreckt werden kann. So auch IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 456. So Ingeri/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 487. 311 In diesem Sinne auch Althammer/Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 6; OLG München, GRUR 1996,63,65 - Mc Donald's; zurückhaltender Ingeri/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 487; a.A. Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 430, der von ,,fließenden Übergängen" zwischen dem Verwechslungsschutz und dem Bekanntheitsschutz spricht. Diese Auffassung ist abzulehnen, da beide Tatbestände aufgrund des Kriteriums der Verwechslungsgefahr als voneinander getrennt zu behandeln sind. In diesem Sinne ist auch das Urteil des EuGH im FaU "SabellPuma" (EuGH, Slg. 1997,1-6191 EuZW 1998,20) zu verstehen. 312 Vgl. BGH, GRUR 1956, 172 - Magirus; BGH, GRUR 1957,438 - Euverin; BGH, GRUR 1968,258 - Zwillingskaffee; BGH, GRUR 1972, 182 - Cherie; BGH, GRUR 1991, 863 - Avon;vgl. auch OLG Hamburg, GRUR 1987,400 - Pirelli. Vgl. aus der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung zum Rufausbeutungsschutz (identische Zeichen), BGH, GRUR 1983,247 - RoUs Royce; BGH, GRUR 1985,550 - Dimple; BGH, GRUR 1987,711 - Camel Tours; BGH, GRUR 1991, 465 - Salomon; OLG Stuttgart, WRP 1991, 751 - WeUa; OLG Köln, GRUR 1993,688 - Bailey's. 369 310
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Ein paralleles Problem besteht im harmonisierten deutschen Markenrecht hinsichtlich der §§ 9 I Nr. 3, 1411 Nr. 3 MarkenG. Zum möglichen Schutz bekannter Marken innerhalb des Ähnlichkeitsbereichs existieren bislang weder entsprechende EuGH- noch BGH-Entscheidungen. In der Literatur wird diese Auslegungsfrage streitig behandelt. Teilweise wird vertreten, auf Grundlage eines "erst recht Schlusses" rechtfertige sich der Schutz bekannter Marken innerhalb des Warenähnlichkeitsbereichs, wenn der Gesetzgeber diesen Marken bereits einen Schutz jenseits der Warenähnlichkeitsgrenze zubillige 373 . Innerhalb des Ähnlichkeitsbereichs dürften bekannte Marken nicht schutzlos gestellt werden 374 • Dies sei jedoch der Fall, wenn im Einzelfall eine Ausnutzung oder Beeinträchtigung der bekannten Marke im Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeitsbereich vorliege, die nicht zugleich eine Verwechslungsgefahr begründe375 • Insoweit bestehe hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit bekannter Marken ein Wertungswiderspruch zwischen dem Verwechslungsschutz und dem Bekanntheitsschutz 376 . Desweiteren wird modifizierend vorgetragen, der Bekanntheitsschutz sei direkt auch bei einer Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit anwendba?77. Der Begriff der Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen wird dann nicht als positive Voraussetzung des Bekanntheitsschutzes verstanden, sondern als Mindestschutz jenseits der Ähnlichkeitsgrenze ausgelegt. Nach dieser Interpretation besteht daher der Bekanntheitsschutz der Marke selbst dann, wenn keine Ähnlichkeit gegeben ist. Er besteht aber auch dann, wenn im Ähnlichkeitsbereich keine Verwechslungsgefahr besteht. Soweit man dieser Auffassung folgt, besteht für den Bekanntheitsschutz einer Marke keine Schutzlücke. Dieser Auslegungsansatz ist jedoch mit dem Wortlaut der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenV nicht zu vereinbaren 378 • Der Bekanntheitsschutz wird hier gerade davon abhängig gemacht, daß keine Verwechslungsgefahr vorliegt, weil die Waren oder Dienstleistungen unähnlich sind. Der Unähnlichkeitsbegriff ist daher als ein unverzichtbares Kriterium für den Bekanntheitsschutz anzusehen. Die Unähnlichkeit als positive Eingangsvoraussetzung des Bekanntheitsschutzes ist der negative und spiegelbildliche Begriff zum Kriterium der Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit im Rahmen des Verwechslungsschutzes. Die Grenze zwischen der Ähnlichkeit und der Unähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen im Einzelfall 373 In diesem Sinne Keller, S. 120,121; Deutsch, GRUR 1995, 319, 321; Krüger, GRUR 1995,527,529. Vgl. auch Sack, WRP 1998,1127,1137. 374 Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 81. 375 Insoweit wird auf die Sachverhaltskonstellation in den Entscheidungen BGH, GRUR 1995, 57 - Markenverunglimpfung 11 (Nivea), BGH, GRUR 1991, 609 - SL und BGH, GRUR 1981, 142 - Kräutermeister, verwiesen. 376 IngerllRohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 488. 377 Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 431, 431a. 378 So auch Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 488.
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markiert zugleich die Grenze des Anwendungsbereichs zwischen dem Verwechslungsschutz (innerhalb der Ähnlichkeit) und dem Bekanntheitsschutz (außerhalb der Ähnlichkeit). Mit Hilfe des Ähnlichkeitsbegriffs sollte eine Überlappung zwischen beiden Kollisionstatbeständen gerade vermieden werden. Verwechslungsschutz und Bekanntheitsschutz stellen zwei voneinander getrennte markenrechtliche Gewährleistungsbereiche dar379• fließende Grenzübergänge bestehen in diesem Verhältnis nie he 80. Soweit im Schrifttum eine Schutzlücke im Bekanntheitsschutz der Marke angenommen wird, werden zu ihrer Schließung verschiedene Lösungsmöglichkeiten angeboten. Zum Teil wird vorgetragen, der Schutz der bekannten Marke innerhalb des Ähnlichkeitsbereichs lasse sich mit Hilfe einer weiten Auslegung des Begriffs der gedanklichen Verbindung im Rahmen des Verwechslungsschutzes sicherstellen 381 . Ein gedankliches Inverbindungbringen liegt nach dieser Meinung auch dann vor, wenn keine markenrechtlich begründete Herkunftstäuschung gegeben ist, sondern wettbewerbsrechtliche Elemente der Rufausbeutung oder der Schwächung der Kennzeichnungs- oder Werbekraft der Marke vorliegen. Nach dieser Meinung wird die gedankliche Verbindung nicht als ein Unterfall der Verwechslungsgefahr eingeordnet, sondern als ein Tatbestand angesehen, der über den Begriff der Verwechslungsgefahr hinausgeht und von diesem nicht abhängig ist. Dieser Auslegungsansatz wird von der h.M. in der Rechtsprechung 382 und Literatur383 unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer regelmäßig erforderlichen markenrechtlich determinierten Verwechslungsgefahr zurecht abgelehnt. Daß es keine gedankliche Verbindung ohne eine Verwechslungsgefahr im Sinne einer Herkunftstäuschung geben kann, hat der EuGH auch im "Sabel / Puma"-UrteiI 384 festgestellt. Eine Extensivierung des Begriffs der gedanklichen Verbindung kommt daher nicht in Betracht, weil dieser Begriff keine Alternative zur Verwechslungsgefahr darstellt, sondern (nur) deren Umfang näher bestimmt. Andere wiederum streben den Schutz bekannter Marken im Ähnlichkeitsbereich auf Grundlage einer erweiterten oder analogen Anwendung der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenV (bzw. der §§ 9 I Nr. 3,14 n Nr. 3 MarkenG) an 385 • 379 In diesem Sinne ist auch der EuGH im Urteil "Sabel/Puma" (Slg. 1997, 1-6191 = EuZW 1998, 20, 21) zu verstehen. Vgl. zum Verhältnis der Auslegung des Bekanntheitsschutzes zur Reichweite des Verwechslungsschutzes, BGH, GRUR 1997,221,223 -Canon. 380 A.A. Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 431, 431a. 381 Sack, GRUR 1995,81, 87ff.; ders., GRUR 1996, 663ff.; ders., WRP 1998, 1127,1136 m. w. N.; Schmieder, NJW 1997, 2908ff., 2912. 382 BGH, GRUR 1996, 198,200 - Springende Raubkatze; BGH, GRUR 1996, 200, 202InnovadicIophlont; BGH, GRUR 1996,406,407 - JUWEL; BPatG, GRUR 1996,287,288 f. BRANDTECCO/ECCO MILANO; BPatG, GRUR 1996,417,418 f. - König Stephan Wein. 383 Vgl. nur AlthammerlStröbele, MarkenG, § 9 Rnr. 176 m. w. N.; Piper, GRUR 1996, 657,662 m. w. N. 384 EuGH, Slg. 1997,1-6191 = EuZW 1998,20,21 - SabellPuma.
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Den Vertretern der zuvor genannten Meinungen ist zuzugestehen, daß der Wortlaut des Bekanntheitsschutzes in der GMarken V, in der MarkenRL und im MarkenG eine Gewährleistungslücke im Ähnlichkeitsbereich aufweist. Eine Analogie scheidet jedoch aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Artt. 8 V, 9 I lit.c) GMarkenV, der Artt. 4 IV lit.a), 5 TI MarkenRL, §§ 9 I Nr. 3, 1211 Nr. 3 MarkenG aus. Die Analogie ist eine juristische Argumentationsform, die die Übertragung der für einen oder mehrere Tatbestände im Gesetz vorgesehenen Regeln auf einen anderen, aber rechtsähnlichen Tatbestand zum Gegenstand hat 386• Sie überschreitet die Grenze des möglichen Wortsinns, die für die eigentliche Auslegung eine Schranke darstellt. Hinsichtlich des Bekanntheitsschutzes einerseits und dem Verwechslungsschutz andererseits besteht jedoch nicht das für eine Analogie notwendige Rechtsähnlichkeitsverhältnis. Es bestehen hier vielmehr grundlegende systematische Unterschiede. Der Verwechslungsschutz erfordert das Vorliegen einer Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit. Deren Negation ist umgekehrt die posititve Voraussetzung für den Bekanntheitsschutz. Darüber hinaus werden beide Schutzbereiche von weiteren Elementen geprägt, die in dem jeweils anderen Tatbestand keine Parallele aufweisen, wie z. B. im Hinblick auf die wettbewerbsrechtlich dominierten Tatbestandsmerkmale der Ruf- und Wertbeeinträchtigung einer Marke in unlauterer Weise. Desweiteren setzt die Anwendung der Analogie eine planwidrige Regelungslücke innerhalb einer Kodifikation voraus. Hiervon kann im Rahmen des Schutzsystems der GMarken V nicht ausgegangen werden. Die Schöpfer der MarkenRL und der GMarken V haben bewußt den Begriff der Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit der im Einzelfall betroffenen Waren oder Dienstleistungen und nicht den Begriff der Verwechslungsgefahr als tatbestandliches Abgrenzungskriterium zwischen dem Verwechslungsschutz und dem Bekanntheitsschutz verankert. Daß es sich insoweit um einen textlichen Regelungsfehler handeln könnte 387 , der sich dann bei der Schaffung der MarkenRL im Jahre 1989 und bei der Schaffung der GMarkenV im Jahre 1994 gleich zweimal ereignet haben müßte, ist auszuschließen 388 • Der markenrechtlich determinierte Verwechslungsschutz und der dem Wettbewerbsrecht zuzuordnende Bekanntheitsschutz stehen vielmehr in einem Regel385 Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 489; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 81, 86; Meister, MA 1993,407,413; Deutsch, GRUR 1995, 319, 320, 321; Krüger, GRUR 1995, 527,529; vgl. auch Keller, S. 119ff.; van Manen, GRUR Int. 1998, 417ff.; Kur, MarkenR 1999,2,7. 386 Vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, Einl. Rnr. 40. 387 So Ingerl I Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 488. 388 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausflihrungen des High Court (Chancery Divison), der festgestellt hat, daß die Ausdehnung eines dem Markeninhaber zustehenden Ausschließlichkeitsrechts einen deutlichen textlichen Anknüpfungspunkt für einen entsprechenden Willen des europäischen Gesetzgebers voraussetze (High Court, GRUR 1996,735WAGAMAMA).
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Ausnahme-Verhältnis. Nach der textlichen und systematischen Fassung der einschlägigen Bestimmungen im harmonisierten nationalen Recht und im supranationalen Recht stellt der Verwechslungsschutz den Regelfall einer markenrechtlichen Kollision dar. Dem Bekanntheitsschutz als Sonderschutz einer Marke fallt demgegenüber die Rolle einer Ausnahmekollision zu. In diesem Sinne ist auch eine Stellungnahme des EuGH zum Verhältnis des Verwechslungsschutzes zum Bekanntheitsschutz im "SabeI/Puma"-Urteil 389 zu verstehen. Es heißt dort: "Gegen die in Tz. 18 vertretene Auslegung sprechen auch nicht die Art. 4 III und IV lit.a) sowie 5 11 Richtlinie, wonach der Inhaber einer bekannten Marke es sogar dann (Hervorhebung durch den Verfasser), wenn die betreffenden Waren nicht ähnlich sind, verbieten kann, mit seiner Marke identische oder ähnliche Zeichen ohne rechtfertigenden Grund zu benutzen, ohne daß eine Verwechslungsgefahr nachgewiesen werden müßte,,390. Da sich der Bekanntheitsschutz der Marke als ein Ausnahmetatbestand im System der GMarken V darstellt, ist insgesamt eine einschränkende Auslegung geboten. Insoweit scheidet eine Analogie aufgrund des eindeutigen Wortlauts hinsichtlich eines Schutzes innerhalb des Ähnlichkeitsbereichs aus 391 . Eine Analogie würde eine vom europäischen Rechtsaktgeber gerade nicht gewollte Vermengung des Bekanntheitsschutzes mit dem Verwechslungsschutz bewirken. Die Ablehnung einer Analogie im Rahmen des Bekanntheitsschutzes führt jedoch nicht zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes bekannter oder gar berühmter Marken im Sinne der deutschen Rechtsprechung. Dies folgt im Bereich der GMarkenVaus der Bestimmung des Art. 1411 GMarkenV i.Y.m. § 1 UWG bzw. § 823 I BGB 392 . Insgesamt kann daher festgestellt werden, daß bekannte Marken im System der GMarkenV ausschließlich jenseits der Warenähnlichkeitsgrenze geschützt werden.
dd) Markenmäßige Benutzung als Schutzvoraussetzung? Im Gegensatz zu Art. 8 V GMarken V, der auf die Anmeldung oder Eintragung der konkurrierenden Marke abstellt393 , setzt Art. 9 I lit.c) GMarkenV die Benutzung eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr voraus 394 . Der Begriff der BenutEuGH, Slg. 1997,1-6191 = EuZW 1998,20,21. EuGH, a. a. O. Demgegenüber interpretieren IngerI/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 489, diese TextsteIle im Sinne eines "erst recht Schlusses". 391 So auch Althammer/Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 5; Piper, GRUR 1996,657,662. 392 In diesem Sinne auch Piper, GRUR 1996, 657, 661, 662; Eichmann, GRUR 1998,201, 207. Kritisch zu diesem Ansatz, IngerI, Die Gemeinschaftsmarke, S. 87. Ablehnend auch Sack, WRP 1998, 1127, 1138. 393 Ebenso Art. 5 I und 11 MarkenRL und § 9 I Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG. 394 In gleicher Weise sind auch die Artt. 4 IV Iit.a) und 5 V MarkenRL formuliert. V gI. im übrigen die §§ 9 I Nr. 3 und 1411 Nr. 3 MarkenG. Allgemein zum Begriff des geschäftlichen 389 390
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zung ist von großer Bedeutung für das gesamte System der GMarkenV, vor allem für den Kollisionstatbestand des Art. 9 GMarkenV in tot0 395 . Spezielle Auswirkungen bestehen zudem im Hinblick auf die Auslegung der Artt. 12 und 15 GMarkenV. Seit der Etablierung des supranationalen Markenrechts in Form der MarkenRL und der GMarken V ist streitig, wie der Benutzungsbegriff in diesen Regelungswerken und in den harmonisierten nationalen Markenrechtsordnungen auszulegen ist. Das Problem auf allen Schutzebenen konzentriert sich auf die streitige Frage, ob eine Markenrechtsverletzung eine markenmäßige Benutzung der kollidierenden Marke voraussetzt 396 • Soweit man diese Frage verneint, wäre jede Benutzungsform 397 der prioritätsälteren Marke vom Ausschließlichkeitsanspruch des besser berechtigten Markeninhabers erfaßt. Die markenmäßige Benutzung kann als ein Gebrauch des Zeichens verstanden werden, bei dem das Publikum in der Kennzeichnung einen Hinweis auf die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen aus einem Unternehmen oder einen sonstigen Markenschutz zur Unterscheidung gegenüber den Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft erblickt398 • Zur Problemlösung können im Ergebnis weder die Entstehungsgeschichte zur MarkenRL noch zur GMarkenV konstruktive Gesichtspunkte beitragen399 • Gleiches gilt auch für die Umsetzung der MarkenRL in den übrigen Mitgliedstaaten. Daß beispielsweise in Frankreich und dem Vereinigten Königreich eine Markenverletzung auch bei einer nicht markenmäßigen Benutzung angenommen wird4OO , kann der EuGH bei der von ihm vorzunehmenden eigenständigen AusVerkehrs im harmonisierten deutschen Markenrecht, Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 34ff. 395 Dem Kollisionstatbestand des Art. 9 GMarkenV liegt insgesamt ein einheitlicher Benutzungsbegriff zugrunde. 396 Vgl. zum Streitstand im deutschen Markenrecht, Nägele, S. 49 ff. 397 Z. B. rein dekorative Gebrauchsformen, kommerzialisierte Verunglimpfungen (s. z. B. die Fallkonstellationen bei BGH, GRUR 1995, 57 - Markenverunglimpfung 11 (Nivea), BGH, GRUR 1994, 808 - Markenverunglimpfung I (Mars), BGH, GRUR 1986, 759 BMW; BGH, GRUR 1984, 684 - Mordoro; BGH, GRUR 1982, 319 - Lusthansa), gezielter Vorspann für die eigene Ware (s. z. B. die Sachverhaltskonstellationen bei BGH, GRUR 1983,247 - Rolls Royce; BGH, GRUR 1990,711 - Telefonnummer 4711) und die Markennennung in der vergleichenden Werbung (allgemein dazu BGH, WRP 1998, 718ff. - Testpreis-Abgebot). 398 In diesem Sinne auch Altharnrner 1Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 21 Fn. 83. 399 Näher dazu Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 88. Auch die Begr. zum MarkenG (BTDrucks. 12/6581) ist insgesamt ambivalent. Es finden sich verschiedene TextsteIlen, die in beide Richtungen interpretiert werden können, vgl. dazu näher Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 34; Ingeri/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 51. Fezer, a. a. 0., spricht daher zutreffend davon, daß der Gesetzgeber des MarkenG der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsentwicklung auf der Grundlage einer zukünftigen Entscheidung des EuGH nicht vorgreifen wollte. 400 Näher dazu Kur, GRUR 1997,241,250; Althammer/Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 21; Peschel, S. 66ff., 76ff., 98; vgl. auch High Court, GRUR Int. 1996, 1219, 1220 - Treat.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
legung allenfalls als Standortbestimmung bewerten, ohne hieran inhaltlich gebunden zu sein. Zur parallelen Streitfrage im harmonisierten deutschen Markenrecht wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Beschränkung der markenrechtlichen Kollisionstatbestände auf eine lediglich markenrechtliche Benutzung des konkurrierenden Zeichens sei abzulehnen40l . Dieses weite Verständnis eines Markenschutzes wird zunächst auf den Wortlaut des § 14 MarkenG (bzw. Art. 5 MarkenRL und Art. 9 GMarkenV) gestützt. In den genannten Vorschriften sei das Kriterium der markenmäßigen Benutzung ausdrücklich nicht tatbestandlich verankert worden. Etwas anderes lasse sich auch nicht aus dem Wortlaut des Art. 5 V MarkenRL ableiten. Desweiteren lasse ein Vergleich zur früheren Rechtslage unter Geltung des WZG und ein systematischer Vergleich im MarkenG Rückschlüsse im Hinblick auf eine Ausdehnung der ßenutzungsformen im MarkenG zu. Unter Geltung des WZG wurde im Rahmen der §§ 15, 24, 25 WZG eine Warenzeichen- oder Ausstattungsverletzung nur dann angenommen, wenn ein nicht ganz unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise annahm, das Zeichen diene als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung402 • Insoweit bestand das Erfordernis eines zeichenmäßigen Gebrauchs als ungeschriebene Schutzvoraussetzung zur Sicherstellung der Herkunftsfunktion. Lediglich im Tatbestand des § 16 WZG wurde das Merkmal des warenzeichenmäßigen Gebrauchs expressis verbis verankert. Demgegenüber enthalte die mit § 16 WZG grundsätzlich vergleichbare Vorschrift des § 23 MarkenG als Rückausnahme zu § 14 MarkenG keine ausdrückliche Limitierung auf bestimmte Benutzungsformen. Entsprechendes gelte für die Vorschrift des Art. 6 I lit.b) MarkenRL im Verhältnis zu Art. 5 MarkenRL. Eine Erweiterung des Markenschutzes über den markenmäßigen Gebrauch des Konkurrenzzeichens wird darüber hinaus aus einem systematischen Vergleich innerhalb des Tatbestands des § 14 MarkenG abgeleitet. § 14 III MarkenG zähle beispielhaft und nicht abschließend die in Betracht kommenden Benutzungshandlungen auf,
401 Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 29ff.; ders., GRUR 1996, 566, 568ff.; Starck, GRUR 1996,688,691; ders., DZWiR 1996, 313, 316; Meyer, A., GRUR Int. 1996,592,602; Krüger, GRUR 1.995,527,529; Meister, WRP 1995, 366, 369; Schmieder, NJW 1994, 1241, 1244; Ingerl/Rohnke, NJW 1994, 1247, 1251 f.; v. Gamm, GRUR 1994,775,780; Nordemann, Wettbewerbs- und Markenrecht, Rn. 430g; v. Mühlendahl, Deutsches Markenrecht, S. 13; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 88f.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 50ff.; Althammer/Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 21; Schweer, S. 120; Schönfeld, S. 207,239. Vgl. zum WZG bereits Heydt, GRUR 1976, 7. 402 Vgl. nur RGZ 117,408,4\0 - Lysol; BGH, GRUR 1957,433,434 - Hubertus; BGH, GRUR 1975, 275 - Budelei; BGH, GRUR 1977, 789, 790 - Tina-Spezialversand; BGH, GRUR 1989,5\0,513 - Teekanne 11; BGH, GRUR 1991, 138, 139 - Flacon; Baumbachl Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 22 ff.; Althammer, WZG, § 16 Rnr. 7 ff.
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ohne ein gegenüber § 14 11 MarkenG einschränkendes Tatbestandsmerkmal in Form einer markenmäßigen Benutzung einzuführen. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß das MarkenG im Gegensatz zum WZG nicht nur die Herkunftsfunktion als schützenswerte Markenfunktion403 akzeptiere, sondern auch die ökonomischen Funktionen der Marke anerkenne und in den Markenschutz einstelle. Hierdurch relativiere sich das Erfordernis eines markenmäßigen Gebrauchs als Ausdruck der Herkunftsfunktion der Marke. Die zuvor dargestellten Argumente vermögen insgesamt nicht zu überzeugen. Mit Teilen der Literatur und der Rechtsprechung404 ist zutreffend davon auszugehen, daß auch das harmonisierte deutsche Markenrecht vom markenmäßigen Gebrauch als unverzichtbare Schutzvoraussetzung des Markenschutzes ausgeht. Bereits aus dem Wortlaut des § 1411 MarkenG läßt sich entnehmen, daß es Dritten untersagt sein soll, ein Zeichen ohne Zustimmung des Markeninhabers zu benutzen. Das Verb "benutzen" ist hier seinem Wortsinn nach auf das Substantiv ,,zeichen" bezogen. Ähnliche Formulierungen finden sich im Rahmen der Enumeration des § 14 III MarkenG. Dort wird u. a. von der Anbringung des Zeichens auf Waren, deren Angebot unter dem Zeichen oder von der Benutzung des Zeichens in Geschäftspapieren und in der Werbung gesprochen. Der Markengesetzgeber wollte daher im Tatbestand des § 14 MarkenG sprachlich und juristisch die Benutzung als Zeichen erfassen, also die markenmäßige Benutzung einführen40s • Gegen diese Wortlautinterpretation spricht auch nicht, daß die nicht abschließende Aufzählung des § 14 III MarkenG bestimmte nicht als Herkunftshinweis zu verstehende Benutzungsformen erfaßt (§ 14 III Nr. 2 2.Alt; § 14 III Nr. 5 MarkenG)406. Dies ist in 403 Allgemein zu den Markenfunktionen im MarkenG, Fezer, Markenrecht, Ein!. MarkenG Rnr. 30ff. m. w. N.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, Ein!. Rnr. 33 ff. 404 v. Schultz, GRUR 1997,408,409; Pi per, GRUR 1996,429,434; ders., GRUR 1996, 657,660; Keller, GRUR 1996,607; ders., S. 12,80; Sack, GRUR 1995, 81, 93ff.; Dreiss/ Klaka, S. 80; Ernst-Moll, GRUR 1993,8, 17; Loewenheim, MA 1991,238,248; Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1990,747,757; BGH, GRUR 1996,68,70 - COTION UNE (obiter dictum); BGH, GRUR 1995, 354,358 - Rügenwalder Teewurst II (obiter dictum); OLG Hamburg, WRP 1997, 106, 108, 110 - Gucci; OLG Hamburg, GRUR 1996,982,983 - Für Kinder; KG, GRUR 1997,295,296 - Alles wird teurer; OLG Hamburg, WRP 1996, 572, 576Les-Paul-Gitarren; OLG München, Mitt. 1996, 174, 175 - FAT TlRE. Unmittelbar hat der BGH die streitige Frage eines markenmäßigen Gebrauchs als Voraussetzung für die Zubilligung der Ansprüche aus § 14 MarkenG bislang noch nicht entschieden, sondern vielmehr ausdrücklich offengelassen, vg!. BGH, WRP 1998, 732, 738 - Les-Paul-Gitarren. 405 Zur aktuellen Frage der markenmäßigen Benutzung bei der Verwendung einer Bezeichnung im Internet, insbesondere im Hinblick auf die Fälle des sog...Domain Grabbing", Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 14 Rnr. 65; Ubber, WRP 1997, 497ff.; Völker/Weidert, WRP 1997, 652ff.; Beninger, GRUR Int. 1997, 402ff.; Omsels, GRUR 1997,328 ff.; LG Düsseldorf, Mitt. 1997, 225 ff. - epson.de; OLG Karlsruhe, WRP 1998, 900 f. - Zwilling; LG Mannheim, WRP 1998,920 ff. - Zwilling.de. Vg!. insgesamt Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 296 ff. 406 Allgemein zu den relevanten Benutzungshandlungen im deutschen Markenrecht, Schulz, passim.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
dem Sinne einer möglichen Ausdehnung des Benutzungsbegriffs hinsichtlich bestimmter Ausnahmekonstellationen aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles aufzufassen. Aus der Existenz dieser Benutzungsformen kann nicht entnommen werden, der Gesetzgeber habe das Kriterium der markenmäßigen Benutzung generell nicht einführen wollen. Darüber hinaus ist zu beachten, daß sich die Frage der markenmäßigen Benutzung als eine Grundsatzfrage des gesamten Markenrechts darstellt. Hätte der Gesetzgeber eine Erstreckung auch auf nicht markenmäßige Benutzungsformen angestrebt - was zweifelsohne einen Fremdkörper im markenrechtlichen Schutzsystem bedeutet-, hätte er dies im Wege einer textlichen KlarsteIlung ( ... "ein Zeichen auch nicht markenmäßig zu benutzen ...") bewerkstelligen können und müssen. Der Verzicht auf diese eindeutige Formulierung indiziert die Absicht des Gesetzgebers, an der Benutzung als Zeichen festzuhalten. Diese Wortlautanknüpfungen gelten in gleicher Weise für den Tatbestand des Art. 9 I GMarkenV. Auch aus den Formulierungen in der MarkenRL, die die Ausgangsbasis für die Harmonisierung der nationalen Markenrechte darstellen, ergeben sich gewichtige Gründe für das Erfordernis einer markenmäßigen Benutzung. Art. 5 V MarkenRL geht davon aus, daß Art. 5 I-IV MarkenRL nicht die in einem Mitgliedstaat geltenden Bestimmungen über den Schutz gegenüber der Verwendung des Zeichens zu anderen Zwecken als der Unterscheidung von Waren oder Dienstleistungen berührt, wenn die Benutzung dieses Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt. Hieraus läßt sich im Wege eines Umkehrschlusses entnehmen, daß Art. 5 I-IV MarkenRL ausschließlich die markenmäßige Benutzung erfassen möchte. Anderenfalls hätte es einer solchen Formulierung des Art. 5 V MarkenRL nicht bedurft. Art. 5 V MarkenRL verdeutlicht, daß der dort angesprochene Schutz bekannter oder berühmter Marken gerade nicht unmittelbar dem markenrechtlichen Schutzsystem entstammt, sondern außermarkenrechtlichen Rechtskreisen, insbesondere dem nationalen Wettbewerbsrecht zuzurechnen ist. Dies bestätigt zugleich den Ausnahmecharakter des Schutzes bekannter Marken innerhalb des Markenschutzsystems. Desweiteren läßt sich ableiten, daß der eigentliche Markenschutz, der in Art. 5 I-IV MarkenRL niedergelegt ist und auch den Schutz bekannter Marken umfaßt, in erster Linie immer noch der Unterscheidung der Waren oder Dienstleistungen des Markeninhabers von den Waren oder Dienstleistungen der anderen Marktteilnehmer dient407 • Insoweit wird die besondere 407 Der Schutz bekannter Marken läßt sich daher auf Grundlage des Art. 5 MarkenRL in zwei Katgeorien einteilen. Zum einen gibt es den (nunmehr) markenrechtlich verankerten Schutzteil, der dann eingreift, wenn das konkurrierende Zeichen gegenüber der bekannten Marke im Sinne einer Herkunftsunterscheidung gebraucht wird. Zum anderen gibt es den wettbewerbsrechtlich oder zivilrechtlich verankerten Schutz bekannter Marken, wenn im Einzelfall kein markenmäßiger Gebrauch vorliegt. Die MarkenRL geht daher insgesamt von
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Rolle der Herkunftsfunktion der Marke wiederum betont. Hierfür spricht auch die Formulierung des 10. Erwägungsgrundes zur MarkenRL408, wo es sinngemäß heißt, daß der Zweck des Schutzes der eingetragenen Marke darin bestehe, insbesondere die Herkunftsfunktion der Marke zu gewährleisten. Infolge dieser nicht abschließenden Aufzählung der Markenfunktionen ist die Herkunftsfunktion zweifelsohne in ihrer Bedeutung relativiert worden. Allerdings ist sie immer noch als die wichtigste Markenfunktion im neuen Markenschutzsystem anzusehen. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, daß die übrigen Markenfunktionen, insbesondere die Qualitäts- und Werbefunktion der Marke, an keiner Stelle in den Erwägungsgründen zur MarkenRL409 ausdrücklich genannt werden, sondern nur mittelbar im Rahmen der Formulierung "insbesondere" anklingen. Hierdurch ist ein Rangverhältnis und Bedeutungsverhältnis zwischen der Herkunftsfunktion und den übrigen denkbaren Markenfunktionen nach dem Willen des europäischen Gemeinschaftsaktgebers erkennbar. Insoweit orientiert sich die MarkenRL an der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu den Markenfunktionen. Im Urteil " HAG 11" hat der EuGH ausgeführt, daß die Herkunftsfunktion als Hauptfunktion anzusehen sei410 • Die Einordnung der Herkunftsfunktion als der entscheidenden Funktion im Schutzsystem der MarkenRL spricht nachdrücklich dafür, auch das Tatbestandsmerkmal der Benutzung vor diesem Hintergrund auszulegen. Einer angemessenen Berücksichtigung der Herkunftsfunktion als Basisfunktion wird nur das Kriterium der markenmäßigen Benutzung gerecht. Die Benutzung als Zeichen ist daher auch weiterhin als Ausdruck der Herkunftsfunktion zu verstehen. Diese Ausführungen gelten in gleicher Weise für das Schutzsystem der GMarkeny411. Eine gleichlautende Auslegung der identischen Rechtsbegriffe in beiden supranationalen Rechtsakten ist bereits infolge des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts geboten. Desweiteren betont auch der 7. Erwägungsgrund zur GMarken V die besondere Bedeutung der Herkunftsfunktion. Schließlich ist zu beachten, daß ein etwaiger systemfremder Verzicht auf das Kriterium der markenmäßigen Benutzung zu einem ausufernden Markenschutz führen würde. Hierdurch würde der Umfang der aus der GMarkenV stammenden Ausschließlichkeitsrechte in unangemessener Weise zulasten der gemeinschaftsweiten Warenverkehrsfreiheit und des liberalisierten Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt insgesamt ausgedehnt. Dieses spezielle Spannungsverhältnis412 zeigt einem dogmatisch gespaltenen Bekanntheitsschutz aus. Eine Schutzlücke im Rahmen der MarkenRL entsteht jedoch infolge der Existenz des Art. 5 V MarkenRL nicht. 408 GRUR Int. 1989,294. 409 Gleiches gilt für die Erwägungsgründe der GMarkenV. 410 EuGH, Slg. 1990,1-3711 EuZW 1990,545,546- HAG 11. 411 Die Rolle des Art. 5 V MarkenRL wird in der GMarkenV durch die Bestimmung des Art. 14 GMarkenV i. V.m. den Artt. 97 11, 98 11 GMarkenV übernommen. Auch insoweit erfolgt eine Schließung möglicher Schutzlücken durch das im Einzelfall anwendbare nationale Recht. 412 Dieses Spannungsverhältnis war dem europäischen Gesetzgeber bei der Schaffung der MarkenRL und der GMarkenV bewußt. So heißt es im 9. Erwägungsgrund zur MarkenRL
=
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
sich insbesondere beim eigentlich systemfremden markenrechtlichen Schutz der bekannten Marke. Im Interesse der berechtigten Anliegen der mit dem jeweiligen Markeninhaber konkurrierenden Marktteilnehmer und der Anmelder neuer Marken ist bereits der Bekanntheitsschutz jenseits der Ähnlichkeitsgrenze zu kritisieren. Dieser Bekanntheitsschutz bedeutet als solcher eine wettbewerbsverhindernde Zementierung etablierter Marktstrukturen in Bereichen, in denen keine Verwechslungsgefahren für das Publikum bestehen. Es erscheint insgesamt wenig verständlich, warum gerade im Hinblick auf bekannte Marken mit großer Marktstärke eine Extensivierung ihrer bereits bestehenden markenrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte vorgenommen werden sollte. Überall dort, wo der freie Wettbewerb mit Hilfe markenrechtlicher Rechtspositionen ausgeschaltet wird, werden künstliche Monopole geschaffen, die zukunftsweisende Innovationen und hiermit verbundene Investitionen verhindern. Der Markeninhaber kann sich ungestört auf seinem Markterfolg ausruhen und sieht keine Veranlassung, weitere Anstrengungen zu unternehmen. Die markenrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte müssen daher im Interesse eines stetigen Leistungsanreizes insgesamt restriktiv interpretiert werden. Diesem Ziel dient insbesondere das Erfordernis einer ausschließlich markenmäßigen Benutzung konkurrierender Zeichen. Unverhältnismäßige Schutzlücken zulasten der Markeninhaber sind dabei weder in der GMarken V noch in den harmonisierten nationalen Markenrechtsordnungen zu befürchten. In der GMarken V bietet sich gern. Art. 1411 GMarkenVein Rückgriff auf außermarkenrechtliche nationale Rechtspositionen an413 • Im MarkenG werden etwaige Schutzlücken gern. § 2 MarkenG geschlossen. Diese Vorschriften zeigen, daß das neue supranationale und nationale Markenschutzsystem nicht zu einer Verringerung der Markengewährleistung im Verhältnis zum Stand vor der Harmonisierung der nationalen Markenrechte und der Etablierung der GMarken V führt. Dies ist im Interesse eines liberalen Wettbewerbs in der EU zu bedauern. Dem EuGH wird vor diesem Hintergrund zukünftig die bedeutende Rolle zukommen, die markenrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte nicht noch weiter auszudehnen, sondern - auch im Interesse der Konkurrenten des jeweiligen Markeninhabers und im Interesse der Markenneuanmelder - in eine wettbewerbsverträgliche Form zu gießen. In der ,,BMW /Deenik"-Entscheidung 414 hat der EuGH im Rahmen der MarkenRL zum ersten Mal die Reichweite einer markenrechtlich relevanten Benutzungshandlung bestimmt. Nach Auffassung des Gerichts ist eine Markenbenutzung im Sinne des Art. 5 I und 11 MarkenRL (im Gegensatz zu einer nicht markenmäßigen Benutzung im Sinne des Art. 5 V MarkenRL) immer dann gegeben, wenn die (GRUR Int. 1989.294): .. Zur Erleichterung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs (Hervorhebung durch den Verfasser) ist es von wesentlicher Bedeutung, zu erreichen. daß die engetragenen Marken in Zukunft im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen". Im 8. Erwägungsgrund zur GMarkenV (GRUR Int. 1994.403) wird formuliert: .,Aus dem Grundsatz des freien Warenverkehrs folgt, daß ...". 413 Vgl. dazu näher Piper. GRUR 1996.657.661 ff. 414 EuGH. GRUR Int. 1999. 438 ff. - BMW / Deenik.
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Benutzung des Zeichens im Einzelfall zum Zwecke der Unterscheidung von Waren oder Dienstleistungen erfolgt415 . Hierzu zählt der EuGH ausdrücklich auch die Benutzung einer Marke in der Werbung ohne Zustimmung des Markeninhabers, um die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, daB ein Unternehmer Waren dieser Marke instandsetzt und wartet oder daß er Fachmann für solche Waren oder auf diese spezialisiert ist416 . Der EuGH begründet daher im Rahmen der Entscheidung ,,BMW I Deenik" eine extensive Sichtweise möglicher Markenverletzungshandlungen417 . Die Schranken einer unzulässigen Markenbenutzung durch Dritte ohne Zustimmung des Markeninhabers leitet das Gericht (bislang) nur aus den Artt. 6, 7 MarkenRL ab.
d) Rechtsfolgen einer Verletzung der Gemeinschaftsmarke Soweit eine Verletzung von Rechten aus der Gemeinschaftsmarke im Einzelfall gegeben ist, steht dem Markeninhaber gern. Art. 98 I GMarkenV grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zur Seite418 . Die FesteIlung, daß eine Gemeinschaftsmarkenverletzung vorliegt, trifft das zuständige Gemeinschaftsmarkengericht (Art. 91 GMarkenV)419. Weitere allgemeine Verletzungsansprüche, wie z. B. Schadensersatz, Vernichtungs- und Auskunftsansprüche stehen dem Rechtsinhaber nur nach Maßgabe des Art. 98 11 GMarken V zu. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob das Recht des Mitgliedstaats, in dem die Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht, entsprechende Rechtspositionen zugunsten der Markeninhaber bereithält42o . Einen speziellen Verletzungsanspruch sieht Art. 10 GMarkenV vor. Danach kann der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke verlangen, daß spätestens in der Neuauflage eines Nachschlagewerkes im Zusammenhang mit der Wiedergabe einer Marke der Hinweis beigefügt wird, es liege insoweit eine eingetragene Marke vor, wenn anderenfalls der Eindruck entstehen könnte, es handele sich um eine Gattungsbezeichnung für die von der Eintragung erfaBten Waren oder Dienstleistungen. Dieser Präzisierungs- und KlarsteIlungsanspruch richtet sich gegen den VerEuGH, GRUR Int. 1999,438,441 - BMW I Deenik. EuGH, a. a. O. Insofern ergibt sich eine Parallele zu Art. 14 III Nr. 5, 2. Alt. MarkenG. 417 In diesem Sinne auch Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 30c. 418 Gern. Art. 98 I GMarkenV wird ein Unterlassungsanspruch nur dann nicht zugebilligt, wenn besondere Gründe entgegenstehen. Die Bestimmung dieser speziellen Rechtfertigungsgründe obliegt dem EuGH. 419 Umfassend zur Durchsetzung der gemeinschaftsmarkenrechtlichen Befugnisse, Bumiller, passim; vgl. auch Knaak, GRUR Int. 1997, 864ff. 420 Dies gilt auch im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Sanktionen. Zur Rechtslage des Gemeinschaftsmarkenschutzes im Rahmen des MarkenG, vgl. 3. Kapitel § 2 G. Allgemein zu den Rechtsfolgen einer Markenverletzung im MarkenG, Ingerl/Rohnke, § 14 MarkenG Rnr. 532; Althammer I Klaka, MarkenG, § 14 Rnr. 36ff.; Fezer, Markenrecht, § 14 MarkenG Rnr. 503ff.; Beuthien/Wasmann, GRUR 1997, 255ff. 415
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leger des Werkes. Im deutschen Markenrecht findet sich eine inhaltsgleiche Regelung in § 16 MarkenG421 • Von besonderer Bedeutung für den Schutzumfang der Gemeinschafsmarken ist schließlich die Vorschrift des Art. 9 III S. 2 GMarkenV. Der hier verankerte Entschädigungsanspruch, der ohne rechtliches Pendant im MarkenG geblieben ist, bewirkt eine zeitliche Schutzerstreckung auf Verletzungshandlungen, die in der Phase zwischen der Anmeldung und der Eintragung der Gemeinschaftsmarke begangen wurden422 . Gleichzeitig wird der in Art. 9 III S. 1 GMarkenVaufgestellte Grundsatz durchbrochen, wonach das Recht aus der Gemeinschaftsmarke Dritten erst nach der Veröffentlichung der Eintragung der Marke entgegengehalten werden kann. Hierdurch wird ein effektiver Rechtsschutz erreicht, der sich insbesondere dann auswirkt, wenn der Anmelde- und der Eintragungsakt zeitlich weit auseinanderliegen. Voraussetzung für den verschuldens- und kenntnisunabhängigen Entschädigungsanspruch ist lediglich, daß die Verletzungshandlung im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung sanktionsfähig wäre.
2. Schranken des Markenschutzes Auch im Rahmen der GMarken V ist der Grundsatz anerkannt, daß das markenrechtliche Ausschließlichkeitsrecht des Rechtsinhabers nicht schrankenlos gewährt werden kann423 . Neben der näheren Bestimmung des Umfangs des Markenschutzes hat sich auch die Auslegung der Schutzschranken in der GMarken V daran zu orientieren, daß dem freien Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft ein möglichst großer Anwendungsbereich bewahrt bleibt. Umfang und Schranken des Markenschutzes sind daher als spiegelbildliche Elemente aufzufassen. Soweit Auslegungsspielräume vorliegen, sind diese im Sinne des liberalisierten Wettbewerbs zu nutzen. Um die berechtigten Interessen der Mitbewerber und des Verkehrs im allgemeinen angemessen zu berücksichtigen, limitieren zunächst die Artt. 12 und 13 GMarkenV die Wirkungen aus der Gemeinschaftsmarke 424 .
421 Gern. § 16 III MarkenG werden auch ausdrücklich Nachschlagewerke in Form einer elektronischen Datenbank sachlich erfaßt. Auf der Ebene des Gemeinschaftsmarkenschutzes läßt sich dieses Ergebnis durch eine extensive Auslegung des Begriffs "Nachschlagewerk" herbeiführen. Eine Schutzlücke entsteht daher nicht. 422 Zur Bestimmung der Höhe des Entschädigungsanspruchs. Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 92. 423 Allgemein zu den Grenzen des Markenschutzes, Berlit, GRUR 1998, 423 ff. 424 Gern. Art. 14 I S. 1 GMarkenV (argurnenturn e contrario) werden die Schranken des Markenschutzes exklusiv durch die GMarkenV festgelegt.
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a) Lautere Benutzung durch Dritte Nach Art. 12 GMarkenV kann der Markeninhaber gegenüber Dritten nicht gegen die lautere Benutzung des Namens oder der Anschrift (Art. 12 lit.a) GMarkenV), beschreibender Angaben (Art. 12 lit.b) GMarkenV) oder gegen die Verwendung der Marke im Zubehör- und Ersatzteilgeschäft (Art. 12 lit.c) GMarken V) vorgehen. Als Schranken-Schranke in bezug auf die vorgenannten Benutzungshandlungen wirkt insoweit der Rechtsbegriff "der anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel". Art. 12 GMarkenV knüpft insgesamt an die Rechtslage des Art. 6 MarkenRL und dem hierauf basierenden § 23 MarkenG an. Die Auslegung dieser drei Bestimmungen muß aus Gründen der einheitlichen Anwendung des Europarechts in übereinstimmender Weise durchgeführt werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Auslegung der Schranken-Schranken "Verstoß gegen die guten Sitten" (§ 23 MarkenG) und "der anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel" (Art. 12 GMarkenV)425. Zuständig für diesen Auslegungsvorgang, der sich sowohl auf das supranationale als auch mittelbar auf das nationale Markenrecht auswirkt, ist auch in diesem Rahmen der EuGH. Nach der hier vertretenen Auslegung der GMarkenV-Bestimmungen unter Berücksichtigung der Belange der Warenverkehrsfreiheit, ist Art. 12 GMarkenV ebenso wie Art. 6 MarkenRL und § 23 MarkenG nicht auf eine nicht markenmäßige Benutzung durch den Dritten limitiert426 . Dies folgt bereits aus dem klaren Wortlaut der zuvor genannten Bestimmungen und ihrem Sinn und Zweck, eine Ausgangsvermutung zugunsten des freien Gebrauchs zu etablieren. Insoweit erfolgt im Interesse einer effektiven Schutzbegrenzung der markenrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte eine getrennte Auslegung des Begriffs der Benutzung in den Kollisionstatbständen (dort nur markenmäßige Benutzung des konkurrierenden Zeichens) und im Rahmen der lauteren Benutzung durch Dritte Uedwede Gebrauchsform, unabhängig davon ob markenmäßig erfaßbar oder nicht). Diese divergierende Auslegung rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der verschiedenartigen Schutzzwecke des Art. 9 GMarken V einerseits (Etablierung von Ausschließlichkeitsrechten) und des Art. 12 GMarken V andererseits (Limitierung dieser Ausschließlichkeitsrechte). Eine endgültige Klärung kann auch hier nur durch die zukünftige Judikatur des EuGH erreicht werden.
Fezer, Markenrecht, Ein!. MarkenG Rnr. 108, § 23 MarkenG Rnr. 3. Vg!. zur Rechtslage im MarkenG und im früheren Recht unter Geltung des WZG (Limitierung des § 16 WZG auf den nicht warenzeichenmäßigen Gebrauch), IngerllRohnke, MarkenG, § 23 Rnr. 5 ff., 34 ff.; Fezer, Markenrecht, § 23 MarkenG Rnr. 8 ff. Vg!. zur Gegenansicht, die im Ergebnis zu einer Aufrechterhaltung der WZG-Rechtslage führt Althammer I Klaka, MarkenG, § 23 Rnr. 5; OLG Nürnberg, GRUR 1996,206, 207, 208 - alpex; OLG Nürnberg, WRP 1996, 242, 246 - Am Stadtpark; OLG Stuttgart, WRP 1996, 634, 637 Baggerparty. Allgemein zum Tatbestand des § 23 MarkenG, v. Schultz, GRUR 1997, 408ff.; Raßmann, GRUR 1999, 384ff. 425
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14 Spuh1er
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
In einer ersten Entscheidung zu Art. 6 MarkenRL hat der EuGH ausgeführt, daß die Benutzung einer Marke im Rahmen von Werbernaßnahmen ohne Zustimmung des Inhabers zu dem Zweck, die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, daß ein Unternehmer Waren dieser Marke instandsetzt und wartet oder daß er Fachmann für solche Waren oder auf sie spezialisiert ist, grundsätzlich eine Benutzung der Marke im Sinne des Art. 5 I lit.a) MarkenRL darstellt427 • Gleichzeitig hat der EuGH festgestellt, daß der Inhaber einer Marke einem Dritten nach den Artt. 5 - 7 MarkenRL nicht die Benutzung einer Marke in der vorstehend beschriebenen Art und Weise verbieten kann, sofern die Marke nicht in einer Weise benutzt wird, die den Eindruck erwecken kann, daß eine Handelsbeziehung zwischen dem Drittunternehmen und dem Markeninhaber besteht, insbesondere dergestalt, daß das Unternehmen des Wiederverkäufers dem Vertriebsnetz des Markeninhabers angehört oder eine Sonderbeziehung zwischen den Unternehmen besteht428 • Nach Ansicht des EuGH ist das Tatbestandsmerkmal der "anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel" somit erst dann erfüllt, wenn im konkreten Einzelfall beispielsweise Verwechslungsgefahren im weiteren Sinne zwischen dem Unternehmen des Markeninhabers und Drittunternehmen aufgrund der Benutzung der identischen Marke gegeben sind429 • Diese Judikatur kann auch auf das gleichlautende Tatbestandsmerkmal im Rahmen des Art. 12 GMarkenV übertragen werden. b) Erschöpfungsgrundsatz In Art. 13 GMarken V ist als weitere Schutzschranke der Grundsatz der europäischen Erschöpfung des Gemeinschaftsmarkenrecht normiert worden43o • Als Parallelvorschriften sind diesbezüglich Art. 7 MarkenRL und § 24 MarkenG einschlägig. Eine systematische Gesamtbetrachtung dieser Regelungen erfolgt im 4. Kapitel dieser Arbeit. c) Verwirkung durch Duldung Im Gegensatz zu Art. 9 MarkenRL und § 21 MarkenG431 wird der Tatbestand der Verwirkung auf der Ebene des Gemeinschaftsmarkenrechts erst im Rahmen des Titel VI (Verzicht, Verfall und Nichtigkeit), Art. 53 GMarkenV432 , aufgeführt. 427 EuGH, GRUR Int. 1999,438, 440ff. - BMW I Deenik. Vgl. zur Benutzung von Marken im Rahmen von Werbevergleichen auch Nägele, MarkenR 1999, 177 ff. 428 EuGH, GRUR Int. 1999,438,441 f. - BMW lDeenik. 429 Insoweit zeigt diese EuGH-Entscheidung eine Parallele zum "Canon"-Urteil (EuGH, Slg. 1998,1-5507) auf. 430 Vgl. dazu Uberblicksartig v. Mühlendahl I Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 54ff. 431 Zur Verwirkung im harmonisierten deutschen Markenrecht, Fezer, Markenrecht, § 21 MarkenG Rnr. 6 ff.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
211
Diese Einordnung ist systemwidrig, weil gerade die Verwirkung zu einer Begrenzung der Wirkungen der Gemeinschaftsmarke führt. Gern. Art. 53 I GMarkenV kann der Inhaber einer prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke eine prioritätsjüngere Genieinschaftsmarke nicht mit Hilfe von Nichtigkeits- oder Benutzungsuntersagungsansprüchen433 in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen, wenn er die Benutzung der zeitlich schlechter berechtigten Gemeinschaftsmarke für die eingetragenen Waren oder Dienstleistungen während eines Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren geduldet hat. Dies gilt gern. Art. 53 TI GMarkenV auch für den Inhaber eines prioritätsälteren nationalen Kennzeichenrechts 434 • Die Verwirkung der Rechte durch Duldung tritt jedoch dann nicht ein, wenn die Anmeldung der jüngeren Gemeinschaftsmarke bösgläubig vorgenommen worden ist43s • Die letztverbindliche Bestimmung des Begriffs der Bösgläubigkeit obliegt hier dem EuGH. Aufgrund der Regelung des Art. 53 m GMarkenV gelangt auch im Rahmen des Gemeinschaftsmarkenrechts das Prinzip der vollkommenen Koexistenz zwischen den sich gegenüberstehenden Rechten zur Anwendung436 • Der Inhaber der jüngeren Gemeinschaftsmarke ist dahingehend in seinen Befugnissen beschränkt, daß er die Benutzung des älteren Zeichens trotz der eingetretenen Verwirkung nicht verhindern kann.
d) Die Verjährung gemeinschaftsmarkenrechtlicher Ansprüche Auf der Ebene des Gemeinschaftsmarkenschutzes ist die Verjährungsfrage nicht ausdrücklich geregelt. In bezug auf die sonstigen, nicht in der GMarkenV geregelten Ansprüche ist die Verweisung des Art. 98 TI GMarkenV auf das jeweils einschlägige nationale Recht auch für die Verjährung dieser Rechtspositionen maßgeblich. Diese "Zuhilfenahme" des nationalen Rechts erstreckt sich auch auf die Verjährung der unmittelbar in der GMarken V verankerten Ansprüche aus der Gemeinschaftsmarke, da anderenfalls eine systemwidrige Regelungslücke entstehen würde. Die Unvollständigkeit des Schrankensystems der GMarken V kann daher durch das nationale Recht gern. Art. 98 TI LV.m. Art. 14 I S. 2 GMarkenV geschlossen werden. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit wäre es vorteilhafter gewesen, die 432 Eine parallele Regelung findet sich auch in Art. 10711, III GMarkenV hinsichtlich des Verhältnisses zwischen älteren Rechten von örtlicher Bedeutung und jüngeren Gemeinschaftsmarken. 433 Umfaßt werden auch die nach Art. 98 11 GMarkenV bestehenden und nach nationalem Recht determinierten weiteren Rechtspositionen. 434 Die Verwirkung betrifft hier gern. Art. 106 I S. 2 GMarkenV auch die Verletzungsansprüche, die älteren nationalen Rechten zustehen. 435 Vgl. dazu Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 99. Zur Bestimmung der Bösgläubigkeit im MarkenG, Helm, GRUR 1996, 593ff. 436 Vgl. dazu auch das rechtliche Pendant des § 21 III MarkenG.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Frage der Verjährung gemeinschaftsmarkenrechtlicher Ansprüche direkt in der GMarken V zu regeln. Soweit nach der Verweisungsnorm des Art. 98 11 GMarken V deutsches Recht Anwendung findet, richtet sich die Verjährung nicht nach § 20 MarkenG, weil gern. § 125b MarkenG diese Vorschrift nicht für anwendbar erklärt wird. In Betracht kommt daher lediglich ein Rückgriff auf § 852 BGB.
VI. Gemeinschaftsmarkenrechtlicher Benutzungszwang
Die Wirksamkeit und ungestörte Ausübung der aus der Gemeinschaftsmarke fließenden Rechte hängt neben der Nicht-Existenz von Schutzschranken entscheidend davon ab, daß der Rechtsinhaber die Gemeinschaftsmarke ernstlich benutzt. Auch insoweit bietet sich ein markenrechtliches Einfallstor für die angemessene Berücksichtigung des freien Wettbewerbs. Diese besondere Bedeutung des Erfordernisses der Benutzung folgt bereits aus dem 9. Erwägungsgrund zur GMarkeny437. Danach ist der Schutz der Gemeinschaftsmarke sowie jeder eingetragenen älteren Marke, die ihr entgegensteht, nur insoweit berechtigt, als diese Marken tatsächlich benutzt werden.
J. Art. J5 GMarken Vals Ausgangsbestimmung
Als Grundregelung des Benutzungszwangs auf Gemeinschaftsmarkenebene bestimmt Art. 15 GMarken V, daß der Inhaber der jeweiligen Gemeinschaftsmarke diese für die betreffenden Waren oder Dienstleistungen ernsthaft benutzt 438 . Zugunsten des Gemeinschaftsmarkeninhabers besteht eine fünfjährige Benutzungsschonfrist, die mit dem Zeitpunkt der Eintragung beginnt. Insoweit ist eine Anknüpfung an Art. 10 MarkenRL und die §§ 25, 26 MarkenG zu konstatieren. Die Regelungen der gemeinschaftsmarkenrechtlichen Benutzung umfassen gern. Art. 43 III, 56 III und 96 V GMarken V auch nationale Marken, wenn diese im Rahmen des Widerspruchs, der Verfallserklärung oder der Widerklage im Verletzungsprozeß als Angriffsobjekt gegen eine Gemeinschaftsmarke eingesetzt werden. Isoliert betrachtet kann diese Extension als Systembruch bezeichnet werden. Die Benutzungsausdehnung ist jedoch aus Gründen eines effektiven gemeinschaftsmarkenrechtlichen Schutzes gerechtfertigt, da anderenfalls das nationale Recht eines Mitgliedstaats mit den geringsten Anforderungen an eine rechtserhaltende Benutzung als Schlupfloch dazu mißbraucht werden könnte, Gegenrechte hinsichtlich einer streitgegenständlichen Gemeinschaftsmarke zu eriangen 439 . GRUR Int. 1994,403. AIJgemein zum Benutzungszwang in der GMarkenV, Hackbarth, passim; Ubertazzi, GRUR Int. 1995, 474ff.; KeIJerhals, GRUR Int. 1999, 14ff. Zum Benutzungszwang im deutschen Markenrecht, Hubmann I Götting, S. 264 ff. 439 Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 102, 103. 437 438
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
213
Im Rahmen des Art. 15 GMarkenV ist streitig, in welchem räumlichen Umfang der Markeninhaber die Gemeinschaftsmarke in rechtserhaltender Weise benutzen muß. Aus der Entstehungsgeschichte der GMarken V läßt sich ableiten, daß zunächst eine Benutzung in mindestens drei Mitgliedstaaten verlangt werden sollte44o . Diese Anforderung hat sich im Tatbestand des Art. 15 GMarkenV nicht niedergeschlagen. Aus den Protokollerklärungen zur GMarkenV ergibt sich vielmehr, daß die räumliche Ausdehnung der Benutzung lediglich auf einen Mitgliedstaat beschränkt wird441 . Nach anderer Ansicht reicht eine Benutzung in nur einem Mitgliedstaat der EU nicht aus442 . Diese Auffassung stützt sich vor allem auf einen Vergleich der Regelung des Art. 15 GMarkenV zur Vorschrift des Art. 108 TI lit.a) GMarkenV, wonach die Umwandlung einer für verfallen erklärten Gemeinschaftsmarke in eine nationale Markenanmeldung dann einschlägig ist, wenn die Gemeinschaftsmarke nach den Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats dort rechtserhaltend benutzt worden ist. Hieraus wird gefolgert, daß Art. 15 GMarkenV höhere Prämissen an das räumliche Benutzungsgebiet aufstellt, weil sich die Umwandlungsmöglichkeit als Minus zum eigentlichen Gemeinschaftsmarkenschutz darstellt. Zutreffend wird jedoch darauf hingewiesen 443 , daß es mit dem Grundgedanken der Schaffung eines Gemeinsamen Marktes unvereinbar ist, das maßgebliche Benutzungsgebiet ausschließlich anhand der tenitorialen Grenzen der Mitgliedstaaten zu bestimmen. Der räumliche Benutzungsumfang sollte daher lediglich bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit der Benutzung berücksichtigt werden444 • Im Hinblick auf die Auslegung des Benutzungsbegriffs im Rahmen des Art. 9 GMarkenV, erscheint es sachgerecht, den Benutzungsbegriff des Art. 15 GMarkenV grundsätzlich in gleicher Weise auszulegen. Eine rechtserhaltende Benutzung durch den Markeninhaber kommt daher nur dann in Betracht, wenn diese markenmäßig erfolgt445 . An den Benutzungsbegriff des Art. 15 GMarken V sind im Interesse des freien Warenverkehrs insoweit hohe Anforderungen zu stellen 446 . Die Aufrechterhaltung eines Markenschutzes infolge einer nicht markenmäßigen Benutzung ist system fremd und daher abzulehnen 447 . Vgl. Hackbarth, S. 111 f. So die gemeinsame Protokollerklärung von Rat und Kommission zu Art. 15 GMarkenV, abgedruckt in ECTA LAW BOOK 3/1994, Nr. 9. Vgl. auch Ubertazzi, GRUR Int. 1995,475,476; v. Mühlendahl, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 215, 224. 442 Hackbarth, S. 113ff.; Heil, in: FS 25 Jahre BPatG, 1986, S. 371, 392, 393; Schwanhäuser, WRP 1984, 1,3. 443 Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 103, 104; v. MühlendahllOhlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 69. 444 Ingerl, a. a. O. 445 Vgl. auch Hackbarth, S. 99f. 446 s. in diesem Zusammenhang auch den 8. Erwägungsgrund zur MarkenRL (GRUR 1989,294). Die dortigen Argumente gelten in gleicher Weise für das System der GMarkenV. 447 So im Ergebnis auch der BGH zum harmonisierten deutschen Markenrecht, GRUR 1995,583,584 - MONTANA. Vgl. auch Schmieder, NJW 1994, 1241, 1245; zurückhaltend Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 26 Rnr. 19. 440 441
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Die rechtserhaltenden Benutzungsformen sind in Art. 15 11 GMarkenV enthalten. Gern. Art. 1511 lit.a) GMarkenV wird der Grundsatz, daß die Gemeinschaftsmarke in der Form, in der sie in das Gemeinschaftsmarkenregister eingetragen wurde, benutzt werden muß, gelockert. Ebenso wie im deutschen Markenrecht448 reicht es auch hier aus, daß die Gemeinschaftsmarke in einer Form benutzt wurde, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, soweit hierdurch nicht die Unterscheidungskraft der Marke beeiriflußt wird449 • Im Gegensatz zu § 26 m S. 2 MarkenG enthält der Tatbestand des Art. 15 GMarken V keine Regelung zu der Frage, ob eine rechtserhaltende Benutzung auch dann vorliegt, wenn die abweichende Form ihrerseits als Marke eingetragen ist. Aus dieser tatbestandlichen Nichtberücksichtigung läßt sich auf Grundlage eines Umkehrschlusses eine Sperrwirkung dergestalt entnehmen, daß im Gemeinschaftsmarkenrecht bei diesen Sachverhaltskonstellationen keine rechtserhaltende Benutzung in Betracht kommt4SO • Im Interesse eines möglichst weit liberalisierten Wettbewerbs in der Gemeinschaft, ist auf der Ebene der GMarkenV die rechtserhaltende Benutzung von der Nichteintragung der abgewandelten Form abhängig zu machen. In Anknüpfung an die Rechtslage in der MarkenRL und im MarkenG geht auch das Gemeinschaftsmarkenrecht davon aus, daß die Benutzung der Marke grundsätzlich durch den Inhaber der Marke zu erfolgen hat. Nach Art. 15 m GMarkenV gilt jedoch die Benutzung der Gemeinschaftsmarke mit Zustimmung des Inhabers (z. B. durch Lizenznehmer oder im Konzernverbund verflochtene Firmen) als Benutzung durch den Inhaber4s1 •
448 Näher dazu Altharnrnerl Ströbele, MarkenG, § 26 Rnr. 51 ff.; Fezer, Markenrecht, § 26 MarkenG Rnr. 89 ff. 449 Die Auslegung dieser Vorschrift hat in Übereinstimmung mit Art. 10 11 lit.a) MarkenRL und § 26 III S. 1 MarkenG zu erfolgen. Das gemeinsame Vorbild dieser Bestimmungen kann in der Regelung des Art. 5 C 11 PVÜ erblickt werden. Vgl. zur systemwidrigen Verankerung des Begriffs "Unterscheidungskraft" in der MarkenRL, in der GMarkenV und in der PVÜ, Hackbarth, S. 213. Aus Gründen einer klarstellenden Abgrenzung zu § 8 11 Nr. 1 MarkenG spricht § 26 III MarkenG daher vom Erhalt des ,.kennzeichnenden Charakters" der Marke. Dieser Begriff ist richtlinienkonform auszulegen. Die entsprechende Konkretisierung fallt in den Zuständigkeitsbereich des EuGH. 450 Der Wille des europäischen Gesetzgebers ist insoweit eindeutig. Im Ergebnis auch Hackbarth, S. 223 f.; a.A. Fezer, Markenrecht, Ein!. MarkenG Rnr. 113; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 106. Die Gegenauffassung führt jedoch zu einer Extensivierung des Tatbestandes des Art. 15 11 lit.a) GMarkenV über seinen Wortlaut hinaus. Eine solche "Korrektur" der textlichen Fassung des Art. 15 GMarkenVausschließlich im einseitigen Interesse der Markeninhaber, ist aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit abzulehnen. 451 Vg!. Art. 10 III MarkenRL und § 26 11 MarkenG.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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2. Rechts/algen der Nichtbenutzung
Die nicht rechtserhaltende Benutzung führt nicht unmittelbar zum Verlust des Ausschließlichkeitsrechts aus der Gemeinschaftsmarke. Der Benutzungszwang begründet für den jeweiligen Markeninhaber eine rechtliche Obliegenheit, deren Nichtbeachtung Rechtsnachteile auslöst452 . Die Nichtbenutzung ist nach Art. 15 I GMarkenV nur dann sanktionslos, wenn diese durch berechtigte Gründe auf Seiten des Markeninhabers gerechtfertigt ist. Die verbindliche Reichweite des Begriffs der berechtigten Gründe wird durch die zukünftige Rechtsprechung des EuGH bestimmt. Die Sanktionen der Nichtbenutzung zum Nachteil des Markeninhabers sind im Gemeinschaftsmarkenrecht in verschiedenen Vorschriften verankert worden. Gern. Art. 50 I lit.a) GMarken V verfallt die Gemeinschaftsmarke, wenn sie innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der Gemeinschaft nicht in Übereinstimmung mit Art. 15 GMarken V ernsthaft benutzt worden ist. Diese Verfallssreife kann jedoch dann nach Art. 50 I lit.a) GMarkeny453 geheilt werden, wenn der Markeninhaber die Benutzung seiner Marke vor dem Antrag eines Dritten auf Verfallserklärung gutgläubig begonnen oder wiederaufgenommen hat454 . Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ist Art. 43 TI GMarkenV zu beachten. Danach muß der widersprechende Inhaber einer älteren Gemeinschaftsmarke auf die Einrede des Anmelders die rechtserhaltende Benutzung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der Anmeldung der prioritätsjüngeren Gemeinschaftsmarke bzw. die berechtigten Gründe der Nichtbenutzung nachweisen455 . Soweit der Inhaber der besser berechtigten Marke diesen Nachweis nicht erbringen kann, wird sein Widerspruch zurückgwiesen. Dieser Nichtbenutzungseinwand gilt entsprechend auch im Hinblick auf das Nichtigkeitsverfahren nach Art. 56 TI GMarken V. Darüber hinaus kann diese Einrede auch im Verletzungs- oder Entschädigungsprozeß gern. Art. 95 m GMarkenV (Art. 92 lit.a) und c) GMarkenV) geltend gemacht werden. Schließlich erfolgt eine Anwendung im Rahmen der Widerklage, die auf eine nationale Marke gestützt wird, gern. Art. 96 V GMarkenV. Nach h.M. ist diese Vorschrift über ihren Wortlaut auch dann aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes einschlägig, wenn die Widerklage eine prioritätsältere Gemeinschaftsmarke zum Gegenstand hat456 . Für die sich aus dem Wortlaut des
Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG Rnr. 115. Vgl. auch Art. 12 I MarkenRL und § 49 I MarkenG. 454 Näher dazu Hackbarth, S. 51 ff.; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 107. 455 Vgl. zu den Nichtbenutzungseinreden im deutschen Markenrecht, Kliems, GRUR 1999, 11 ff. 456 Die im Rahmen des Art. 96 V GMarken V fehlende Bezugnahme auf Art. 56 11 GMarken V wird als Redaktionsversehen des EG-Verordnungsgebers angesehen, so Fezer, Markenrecht, Ein\. MarkenG Rnr. 115; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 102; Ubertazzi, GRUR 1995,474,478 Fn. 27. 452
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Art. 96 V GMarken Vergebene Ungleichbehandlung ist kein sachlicher Differenzierungsgrund ersichtlich. Aus kompetenzrechtlichen Gründen trifft die GMarkenV selbst keine Regelung hinsichtlich der Berufung auf den Nichtbenutzungseinwand gegenüber der Gemeinschaftsmarke, aus der Widerspruch gegen eine nationale Anmeldung bzw. Eintragung erhoben oder die Löschung einer nationalen Marke begehrt wird. Entsprechende Regelungen müssen die Markenrechtsordnungen der Mitgliedstaaten enthalten 457.
vrr. Die Rolle der Gemeinschaftsmarken als Vermögensgegenstand Gern. Art. 16 I GMarkenV wird die Gemeinschaftsmarke als Vermögensgegenstand mit einer nationalen Marke nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Gemeinschaftsmarkeninhaber seine Wohnsitz bzw. Sitz oder Niederlassung hat, gleichgestellt. Diese Gleichstellung entfaltet ihre Wirkung nur soweit, wie in den Artt. 17 - 24 GMarkenV nichts anderes bestimmt ist458 .
1. Der Rechtsübergang bei Gemeinschaftsmarken Auf Gemeinschaftsmarkenebene richtet sich der Rechtsübergang nach Art. 17 GMarkenV. Aus dieser Vorschrift läßt sich zunächst der Grundsatz der Selbständigkeit der Gemeinschaftsmarke in bezug auf das Unternehmen, zu dem sie organisatorisch gehört, entnehmen 459 • Ebenso wie im deutschen Markenrecht kann die Markenübertragung auch lediglich für einen Teil der eingetragenen Waren oder Dienstleistungen übertragen werden460 • Gern. der Auslegungsregel des Art. 17 TI GMarken V besteht eine Akzessorietät zwischen der Marke und dem dazugehörigen Unternehmen aber im Zweifel dann, wenn das Unternehmen in seiner Gesamtheit übertragen wird. Art. 17 In GMarken V verlangt für die rechtsgeschäftliche Übertragung der Gemeinschaftsmarke aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die Einhaltung der Schriftform 461 . Wird gegen diese Formvorschrift verstoßen, ist die rechtsgeschäftliche 457
In Deutschland ist in diesem Zusammenhang § 125b Nr. 4 und Nr. 5b MarkenG rele-
vant. 458
Näher zur Verkehrsfahigkeit der Gemeinschaftsmarke, Zorzi, GRUR Int. 1997, 781,
789ff. 459 Zu dieser Nichtakzessorietät der Marke, die parallel auch im deutschen Markenrecht besteht, Fezer, Markenrecht, § 3 MarkenG Rnr. 52 ff. v. Mühlendahl/Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, sprechen insoweit zutreffend von ,,Leerübertragungen". 460 § 27 I, IV MarkenG. 461 Eine Äusnahme besteht nur dann, wenn das Unternehmen in seiner Gesamtheit übertragen wird.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Übertragung nichtig 462 . Da Art. 17 III GMarkenVim Gegensatz zu Art. 1711 S. 2 GMarkenV die rechtsgeschäftliche Verpflichtung zur Übertragung nicht ausdrücklich erfaßt, gelangt die h.M. zutreffend zu der Ansicht, daß ein solches Rechtsgeschäft dem Schriftformerfordemis nicht unterliegt463 . Gern. Art. 17 V GMarken V wird der Rechtsübergang an der Marke auf Antrag eines Beteiligten in das Register eingetragen und veröffentlicht. Dieser Eintragungsvorgang wirkt nicht konstitutiv, ist jedoch nach Art. 17 VI GMarken V Voraussetzung dafür, daß der Rechtsnachfolger seine Rechte aus der Marke geltend machen kann464 . Durch diese Regelung wird in der Zeit zwischen der Rechtsübertragung und der Eintragung dieses Vorgangs in das Register ein gefährlicher Schwebezustand geschaffen, in dem weder der alte noch der neue Rechtsinhaber gegen Dritte markenrechtlich vorgehen können. Auf der einen Seite ist der Markenerwerber bis zur Eintragung der Umschreibung nicht aktivlegimiert, während der Veräußerer auf der anderen Seite nicht mehr materiell berechtigt ist. Eine Entschärfung dieser Situation ergibt sich aus Art. 17 VII GMarken V. Auf Grundlage dieser Vorschrift ist der Rechtsnachfolger bereits ab Eingang des Antrags auf Eintragung des Rechtsübergangs beim Harmonisierungsamt im Hinblick auf solche Erklärungen aktivlegitimiert, die fristgebunden sind465 • In Anknüpfung an die alte Rechtslage unter Geltung des WZG sollte auch die Einleitung eines Widerspruchsverfahrens von der Regelung des Art. 17 VII GMarkenVaus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes zugunsten des Markenerwerbers erfaßt werden466 . Demgegenüber bestimmt Art. 17 VIII GMarkenV, daß die nach Art. 77 GMarken V zustellungspflichtigen Dokumente regelmäßig an den als Inhaber Eingetragenen gerichtet werden müssen467 • Die Eintragung des Rechtsübergangs steht gern. Art. 17 IV GMarkenV unter dem allgemeinen Vorbehalt, daß hierdurch keine Irreführungsgefahren für das Publikum468 hinsichtlich der Art, der Beschaffenheit und der geographischen 462 Dieses Schriftformerfordernis stellt eine Besonderheit der GMarken V dar, die ohne Gegenstück in der MarkenRL oder dem MarkenG ist. 463 Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 109, 110; Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG Rnr. 117. 464 Diese Regelung findet ihr Pendant in der früheren Bestimmung des § 8 11 WZG. Das MarkenG hat auf die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift verzichtet. Nach jetzigem Recht gilt aus Gründen der Rechtssicherheit lediglich die Vermutungswirkung des § 28 I MarkenG. 465 Ein weiterer Schutz des Rechtsnachfolgers ergibt sich aus Art. 23 I S. 2 GMarkenV in bezug auf einen gutgläubigen Rechtserwerb durch Dritte. Die Möglichkeit eines gutgläubigen lastenfreien Erwerbs durch Dritte stellt eine Besonderheit des Gemeinschaftsmarkenrechts dar. 466 Vgl. zum WZG, Althammer, WZG, § 8 Rnr. 22. Im Ergebnis auch Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 110; Schönfeld, S. 72. 467 Im Gegensatz hierzu sieht § 28 III S. 2 MarkenG auch die Möglichkeit der Zustellung an den Rechtsnachfolger vor, wenn dem Patentamt ein Antrag auf Eintragung des Rechtsübergangs zugegangen ist. 468 Die Frage der Konkretisierung des im Einzelfall maßgeblichen Publikums kann rechtsverbindlich nur durch den EuGH im Wege der Auslegung festgelegt werden.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Herkunft der Waren oder Dienstleistungen, für die die entsprechende Marke eingetragen wurde, entstehen 469 . Soweit die streitgegenständliche Marke bereits eingetragen wurde, greift der Verfallsgrund des Art. 50 I lit.c) GMarkeny470.
2. Gemeinschajtsmarkenlizenzen Art. 22 GMarken V enthält Reglungen zur Lizenzierung einer Gemeinschaftsmarke471 . Aus Art. 22 I S. 1 GMarkenVergibt sich der Grundsatz, daß die Gemeinschaftsmarke für alle oder einen Teil der eingetragenen Waren oder Dienstleistungen Gegenstand einer Lizenz sein kann. Die Lizenz kann auschließlich (dinglich) oder nicht ausschließlich (einfach) ausgestaltet sein, Art. 22 I S. 2 GMarkenY. Auch im Rahmen des Gemeinschaftsmarkenrechts kann der Markeninhaber gegen den Lizenznehmer nach Art. 22 II GMarken V gerichtlich vorgehen, wenn dieser gegen eine Bestimmung des Lizenzvertrags verstößt472 . In Abweichung von der Rechtslage in Art. 8 MarkenRL und § 30 MarkenG steht dem ausschließlichen Lizenznehmer gern. Art. 22 m S. 2 GMarkenV die Befugnis zu, im eigenen Namen eine Verletzungsklage anzustrengen, wenn der Markeninhaber trotz Aufforderung (Fristsetzung473 ) im Hinblick auf die Rechtsdurchsetzung untätig bleibt. Hinsichtlich des einfachen Lizenznehmers gelangt der in Art. 22 III S. 1 GMarkenVenthaltene Grundsatz zur Anwendung, wonach dieser ein Markenverletzungsverfahren nur mit Zustimmung des Markeninhabers einleiten kann, soweit die Parteien des Lizenzvertrags nichts anderes vereinbart haben474 . Desweiteren wird die Rechtsposition der einfachen und der dinglichen Lizenznehmer dadurch verstärkt, daß diese auf Grundlage einer entsprechenden Ermächtigung durch den Inhaber gern. Art. 42 I lit.a) GMarkenV Widerspruch erheben und einen Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit nach Art. 55 I lit.b) GMarken V stellen können475. Ebenso wie im deutschen Markenrecht kann der Lizenznehmer gern. Art. 22 IV GMarken V einer vom Markeninhaber erhobenen Verletzungsklage beitreten, um den Ersatz seines eigenen Schadens geltend zu machen476. Eine Besonderheit der Gemeinschaftsmarkenlizenz, die ohne Parallel469 Näher dazu Schönfeld, S. 65 f.; Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 111. Das MarkenG enthält keine vergleichbare Vorschrift. 470 Vgl. dazu auch § 49 11 Nr. 2 MarkenG. 471 Diese Vorschrift deckt sich mit Art. 8 MarkenRL und größtenteils mit § 30 MarkenG. Zu den Abweichungen und aIlgemein zum Lizenzrecht auf Grundlage des MarkenG, Ingerll Rohnke, MarkenG, § 30 Rnr. 5 ff. 472 Vgl. insoweit Art. 811 MarkenRL und § 3011 MarkenG. Zur Frage der Notwendigkeit von QualitätskontroIlen durch den Lizenzgeber, Schönfeld, S. 85 f. 473 Näher dazu Schönfeld, S. 11 0 f. 474 Ebenso § 30 III MarkenG. 475 Insoweit räumt die GMarkenV dem Lizenznehmer mehr Befugnisse ein als das MarkenG. 476 Vgl. § 30 IV MarkenG.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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vorschrift in der deutschen Markenrechtsordnung geblieben ist, folgt aus Art. 22 V GMarkenY. Auf Antrag eines Beteiligten wird die Erteilung oder der Übergang einer Lizenz an einer Gemeinschaftsmarke in das Register eingetragen und veröffentlicht. In Anknüpfung an Art. 17 V GMarken V wirkt die Eintragung auch hier nicht konstitutiv, sondern löst lediglich die in Art. 23 I und 11 GMarkenV verankerten Rechtsfolgen aus477 • Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die auch im Rahmen von Lizenzvereinbarungen geltende Vertragsfreiheit nicht schrankenlos gewährt wird. Der jeweilige Lizenzvertrag, der eine Gemeinschaftsmarke zum Gegenstand hat, steht unter dem Vorbehalt der kartellrechtlichen Zulässigkeit478 • Einschlägig ist insoweit sowohl das primärrechtliche Kartellrecht (Art. 81 (ex-Art. 85) EGV) als auch ggf. das jeweilige nationale Kartellrecht. Kartellrechtliche Probleme werfen insbesondere Exklusivlizenzen auf, die räumlich gern. Art. 22 I GMarken V entweder das gesamte Gebiet der Gemeinschaft oder Teile der Gemeinschaft (jedes beliebig abgrenzbare Gebiet) betreffen können479 • Lizenzverträge werden in diesem Zusammenhang oftmals eingesetzt, um unerwünschten "intra-brand-Wettbewerb" auszuschalten. 3. Weitere Rechtspositionen
Gern. Art. 19 GMarkenV kann die Gemeinschaftsmarke unabhängig vom Unternehmen verpfändet oder mit sonstigen beschränkt dinglichen Rechten belastet werden. Die wirtschaftliche Bedeutung der Marke wird hierdurch im Rechtsverkehr zusätzlich untermauert480 • Die in Art. 19 GMarkenV bezeichneten Rechtshandlungen sind gegenüber Dritten nur dann wirksam, wenn sie im Register eingetragen worden sind (Art. 1911 LV.m. Art. 23 I GMarkenV). Nach Art. 20 I GMarken V ist die Gemeinschaftsmarke auch den nach nationalem Recht zulässigen Maßnahmen der Zwangsvollstreckung unterworfen481 • Für den Erlaß dieser Maßnahmen sind die Gerichte und Behörden des nach Art. 16 GMarkenV maßgebenden Mitgliedstaats zuständig, Art. 20 11 GMarkenV. Die Gemeinschaftsmarke kann auch Gegenstand eines Konkursverfahrens sein, Art. 21 GMarken V482 •
477 Vgl. dazu Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 112; v. Mühlendahl/Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 78. 478 Vgl. dazu auch 4. Kapitel, § 3, S. 280. 479 Vgl. allgemein EuGH, Sig. 1982,2015 =GRUR Ißt. 1982, 530ff. - Maissaatgut; Koch, in: Grabitz/Hi1f, Art. 85 Rnr. 251 ff.; Sucker, in: GTE, Art. 85, Rnr. 478. 480 Vgl. auch § 29 I Nr. 1 MarkenG. 481 Vgl. insoweit § 29 I Nr. 2 MarkenG. 482 So auch § 29 III MarkenG.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht VIII. Verzicht, VerfaD und Nichtigkeit
Die aus der Gemeinschaftsmarke abgeleiteten Rechte können ihre Wirkungen auf unterschiedliche Art und Weise verlieren. Neben dem bereits erwähnten Tatbestand der Verwirkung483 umfaßt Titel VI der GMarkenV die Rechtsinstitute des Verzichts, des Verfalls und der Nichtigkeit der Gemeinschaftsmarke. Gern. Art. 49 GMarkenV kann der Inhaber auf die Gemeinschaftsmarke verzichten484 . Hierfür ist eine schriftliche Verzichtserklärung erforderlich, die in das Register eingetragen werden muß, Art. 49 11 GMarken V (Regel 36 der Durchführungsverordnung zur GMarken V). Desweiteren erfordert der Verzicht die Zustimmung, derjenigen Personen, die als Inhaber eines Rechts an der Marke im Register eingetragen sind, Art. 49 m S. 1 GMarken V. Soweit eine Lizenz an der Marke besteht, muß der Markeninhaber gegenüber dem Harmonisierungsamt glaubhaft machen, daß er den Lizenznehmer über seine Verzichtsabsicht informie11 hat, Art. 49 m S. 2 GMarkenV485 • Der Verfall der Gemeinschaftsmarke ist in Art. 50 GMarkenV geregelt. Nach erfolgter Eintragung kann die Gemeinschaftsmarke auf Antrag beim Harmonisierungsamt oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für verfallen erklärt werden. Die in Betracht kommenden Nichtigkeitsgründe werden in Art. 50 I lit.a)-d) GMarken V enumerativ aufgezählt (Verfall wegen Nichtbenutzung, Entwicklung zu einer Gattungsbezeichnung, Tauschungsgefahr und Verlust der Markenfähigkeit)486. Gern. Art. 5011 GMarkenV kann die Verfallswirkung auch nur einen Teil der eingetragenen Waren oder Dienstleistungen erfassen. Damit der Verfall einer Gemeinschaftsmarke Rechtswirkungen entfalten kann, ist eine entsprechende Feststellung durch das Harmonisierungsamt bzw. durch ein nationales Gericht notwendig487 . Das Verfahren zur Erklärung des Verfalls ist in den Artt. 55, 56 bzw. 92, 95 und 96 GMarkenV niedergelegt worden. Demgegenüber kann die Gemeinschaftsmarke auch für nichtig erklärt werden, wenn ein absoluter oder relativer Nichtigkeitsgrund im Einzelfall einschlägig ist. Als absolut wirkende Rechtsmängel nennt Art. 51 GMarkenV die absoluten Eintragungshindemisse der Art. 5 und 7 GMarken V. Daneben ist die Bösgläubigkeit des Anmelders bei der Anmeldung zu nennen, Art. 51 I lit.b) GMarken V488 . Im Vgl. dazu auch Femandez-Novoa, GRUR Int. 1996,442. Ebenso § 48 MarkenG . 485 Die Eintragung der Verzichtserklärung erfolgt dann erst nach einer Frist von drei Monaten ab Unterrichtung des Lizenznehmers, Regel 36 II der Durchführungsverordnung zur GMarkenV. Im deutschen Markenrecht ist der Lizenznehmer aufgrund der fehlenden Eintragung der Lizenzgewährung in das nationale Register nicht in dieser Weise geschützt. 486 Vgl. insgesamt auch Art. 12 MarkenRL und § 49 MarkenG. 487 Eine eigenständige Löschungsklage, wie in § 55 MarkenG verankert, kennt die GMarkenV nicht. 488 § 50 I Nr. 4 MarkenG. 483
484
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Gegensatz zur deutschen Rechtslage sieht Art. 51 11 GMarkenV die Möglichkeit einer nachträglichen Heilung der Nichtigkeit infolge der Erlangung von Unterscheidungskraft durch die streitgegenständliche Gemeinschaftsmarke vor. Gern. Art. 52 I GMarkenV müssen als relative Nichtigkeitsgründe die relativen Eintragungshindemisse des Art. 8 GMarken V berücksichtigt werden. Desweiteren nennt Art. 52 11 GMarken V alle sonstigen prioritätsälteren nationalen Rechte, die ihrem jeweiligen Inhaber die Befugnis einräumen, die Benutzung der Gemeinschaftsmarke auf Grundlage des anwendbaren nationalen Rechts zu untersagen489 • Nach Art. 52 III GMarkenV kann der Inhaber eines Rechts, das einen relativen Nichtigkeitsgrund bildet, ein entsprechendes Nichtigkeitsverfahren nicht mehr einleiten, wenn er der Eintragung der Gemeinschaftsmarke ausdrücklich zugestimmt hat490 • Gern. Art. 52 IV GMarkenV ist der Inhaber des besser berechtigten Rechts verpflichtet, alle zu seinen Gunsten bestehenden relativen Nichtigkeitsgründe bereits im ersten Antrag bzw. in der ersten Nichtigkeits-Widerklage aufzuführen (gemeinschaftsrnarkenrechtliches Bündelungsgebot). Ein Verstoß gegen diese Konzentrationsvorschrift führt zu einer entsprechenden Sperrwirkung in bezug auf spätere Nichtigkeitsanträge bzw. Nichtigkeits-Widerklagen. Die Wirkungen des Verfalls und der Nichtigkeit einer Gemeinschaftsmarke folgen aus Art. 54 GMarkenV. Gern. Art. 54 I S. 1 GMarkenV gelten die Wirkungen der Gemeinschaftsmarke ab dem Zeitpunkt der AntragsteIlung zur Verfallserklärung oder der Erhebung der Widerklage als nicht eingetreten. Das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers existiert dann nicht mehr. Von besonderer Bedeutung in bezug auf Markenverletzungsstreitigkeiten ist in diesem Zusammenhang, daß auf Antrag einer Partei ein früherer Verfallszeitpunkt festgelegt werden kann, Art. 54 I S. 2 GMarkenV491 . Im Hinblick auf die Nichtigkeitserklärung ordnet Art. 54 11 GMarken V an, daß die Wirkungen aus der Gemeinschaftsmarke als von Anfang an nicht eingetreten gelten (Rückwirkung der Nichtigkeitserklärung, ex tune-Wirkung). Dieses Prinzip wird durch Art. 54 III lit.a) und lit.b) GMarkenV teilweise durchbrochen492 . Die ex tune-Wirkung erfaßt nicht Entscheidungen in Verletzungs verfahren, die bereits zeitlich vor der Nichtigkeitserklärung rechtskräftig geworden und vollstreckt worden sind sowie bereits erfüllte Verträge. Insoweit gelangt ein gemeinschaftsmarkenrechtlicher Bestandsschutz zur Anwendung.
489 Beispielhaft werden Namensrechte, Rechte an der eigenen Abbildung, Urheberrechte und gewerbliche Schutzrechte aufgezählt. Vgl. dazu auch §§ 1311 i.V.m. 51 I MarkenG. 490 Diese Vorschrift ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens des venire contra factum proprium und erfaßt auch die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) zur Eintragung, Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG Rnr. 129. 491 So auch § 52 I S. 2 MarkenG. 492 Vgl. auch die Parallelvorschrift des § 52 III MarkenG.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
IX. Gemeinschaftskollektivrnarken
Das Recht der Gemeinschaftskollektivmarken 493 ist in Titel VllI, Artt. 64 - 72 GMarkenV geregelt494 • Nach der Legaldefintion des Art. 64 I GMarkenV ist eine Gemeinschaftskollektivmarke eine Gemeinschaftsmarke, die dazu dient, Waren und Dienstleistungen der Mitglieder des Verbandes, der als Markeninhaber anzusehen ist, von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Bei der Anmeldung muß die Gemeinschaftskollektivmarke als solche bezeichnet werden. Gern. Art. 64 1lI GMarkenV ist das Gemeinschaftsmarkenrecht auch auf Gemeinschaftskollektivmarken anzuwenden, soweit die Artt. 65 - 72 GMarkenV nicht Abweichungen vorsehen. So besteht z. B. ein Unterschied zu den Individualmarken in bezug auf den Kreis der möglichen Inhaber einer Gemeinschaftskollektivmarke. Gern. Art. 64 I S. 2 GMarkenV können Verbände von Herstellern, Erzeugern, Dienstleistungserbringern oder Händler sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts Gemeinschaftskollektivmarken anmelden. Im Gemeinschaftsmarkenrecht können in Parallelität zum deutschen Markenrecht auch Dach- und Spitzenverbände, deren Mitglieder ihrerseits Verbände sind, als anmeldeberechtigt gelten495 . Als weitere Besonderheit sieht Art. 64 11 GMarkenV vor, daß geographische Herkunftsangaben als Gemeinschaftskollektivmarken eintragungsfähig sind. Insoweit gilt das absolute Eintragungshindernis des Art. 7 I lit.c) GMarkenV nicht. Allerdings muß der jeweilige Gemeinschaftskollektivmarkeninhaber die lautere Benutzung dieser Marke durch Dritte dulden. Ebenso wie § 102 1lI MarkenG bestimmt Art. 65 I S. 2 GMarkenV, daß der Zutritt zum Verband, der als Markeninhaber fungiert, jeder Person offenstehen muß, die die in der entsprechenden Markensatzung niedergelegten Anforderungen an die Mitgliedschaft erfüllt (Aufnahmezwang). Nach Art. 66 11 GMarkenV kann die Anmeldung einer Gemeinschaftskollektivmarke unter erweiterten Voraussetzungen einer für das Publikum bestehenden Verwechslungsgefahr zurückgewiesen werden. Spezielle Prämissen gelten auch für die rechtserhaltende Benutzung. Gern. Art. 68 GMarkenV reicht es aus, wenn die Gemeinschaftskollektivmarke durch eine "hierzu befugte Person" benutzt wird, soweit die übrigen Voraussetzungen des Art. 15 GMarkenV im Einzelfall erfüllt werden496 • Ein einzelnes Verbandsmitglied kann daher die notwendige markenmäßige Benutzung der Gemeinschaftskollektivmarke sicherstellen. Darüber hinaus ist die Erhebung der Verletzungsklage eigenständig geregelt worden. Gern. Art. 70 I GMarkenV wird jede Person, die zur Benutzung der GemeinNäher dazu v. Mühlendahll Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 83 ff. Im Rahmen der MarkenRL sind diesbezüglich die Artt. I, 10 III und 15 MarkenRL zu erwähnen. Im deutschen Markenrecht sind die §§ 97 -106 MarkenG einschlägig. Näher dazu Helm, WRP 1999,41 ff. 495 Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 42, 43. 496 Vgl. auch Art. 10 III MarkenRL und § 100 II MarkenG. 493
494
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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schaftsmarke im Sinne der Artt. 68, 15 GMarkenV befugt ist, prozessual als Lizenznehmer angesehen. Dem einzelnen Verbandsmitglied stehen daher die Rechte aus Art. 22 III und IV GMarkenV zur Seite. Nach Art. 7011 GMarkenV kann der Inhaber der Gemeinschaftskollektivmarke auch im Namen der zur Benutzung befugten Personen Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend machen. Schließlich werden die Verfalls- und Nichtigkeitsgründe gern. Artt. 71 und 72 GMarken V ausgedehnt.
X. Möglichkeit der Umwandlung einer gemeinschaftsmarkenrechtIichen Anmeldung in eine nationale Marke
Das Ziel der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes zugunsten des jeweiligen Markenanmeiders bzw. -inhabers und die Verzahnung zwischen Gemeinschaftsmarkenebene und dem nationalen Markenrechtsschutz auf Grundlage der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, werden besonders deutlich durch die Vorschriften der Artt. 108 - 110 GMarken y491 symbolisiert. Gern. Art. 108 I GMarkenV kann der Anmelder oder Inhaber einer Gemeinschaftsmarke beantragen, daß seine Anmeldung oder seine Gemeinschaftsmarke in eine Anmeldung für eine nationale Marke umgewandelt wird. Von der Umwandlungsoption werden sowohl Anmeldungen von Gemeinschaftsmarken, die untergegangen sind (Art. 108 I lit.a) GMarkenV) als auch eingetragene Gemeinschaftsmarken, die kein Ausschließlichkeitsrecht mehr begründen (Art. 108 I lit.b) GMarken V) erfaßt. Die Umwandlung ist jedoch nach Art. 108 11 lit.b) GMarken V ausgeschlossen, wenn in dem Mitgliedstaat, auf den sich die nationale Anmeldung beziehen soll, der Anmeldung oder der Gemeinschaftsmarke aufgrund einer Entscheidung des Harmonisierungsarnts oder eines nationalen Gerichts des betreffenden Mitgliedstaats ein entsprechendes Eintragungshindernis oder ein Verfallsoder Nichtigkeitsgrund entgegensteht498 . Soweit die Umwandlung nach diesen Grundsätzen statthaft ist, entfaltet die nationale Anmeldung, die aus dem gemeinschaftsmarkenrechtlichen Anmelde- oder Eintragungsakt hervorgegangen ist, die Wirkung des Art. 108 III GMarkenV. Die nationale Anmeldung kann daher den Zeitrang des Ausgangsaktes für sich in Anspruch nehmen. Insofern erfolgt eine Aufrechterhaltung der nach Gemeinschaftsmarkenrecht maßgeblichen Priorität. Der Antrag auf Umwandlung ist beim Harmonisierungsarnt innerhalb einer Frist von drei Monaten zu stellen. Er kann nur eingereicht werden, wenn die Umwandlungsgebühr entrichtet wurde. Für den Fristbeginn ist der im jeweiligen Einzelfall vorliegende Untergangsgrund maßgeblich (Artt. 108 IV-VII, 109 GMarken V; 497 In Ergänzung hierzu seien die Regeln 44 ff. der Durchführungsverordnung zur GMarkenV genannt. 498 Im Hinblick auf die Verfal\serklärung wegen Nichtbenutzung gilt dies nur dann, wenn die Benutzung der Gemeinschaftsmarke in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht erfolgte bzw. nicht als ernsthaft anzusehen ist, Art. 108 11 lit.a) GMarkenV.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Regeln 44, 45 Durchführungsverordnung zur GMarkenV). Soweit diese Voraussetzungen erfüllt sind, übermittelt das Hannonisierungsamt den Umwandlungsantrag an die für den gewerblichen Rechtsschutz zuständige nationale Zentralbehörde, Art. 109 III GMarkenV. Gern. Art. 110 I GMarkenVentscheidet die nationale Behörde dann über die Zulässigkeit des Antrags, insbesondere darüber, ob die Tatbestände des Art. 108 11 GMarkenV gegeben sind. Die Umwandlung darf von der nationalen Behörde gern. Art. 11 0 11 GMarken V nicht aus formalen Gründen abgelehnt werden, die keine Entsprechung im Gemeinschaftsmarkenrecht aufweisen.
E. Das Verfahrensrecht der GMarkenV im Überblick Die Schöpfer der GMarkenV sahen die Notwendigkeit, im Gemeinschaftsmarkenrecht zumindest in den Grundzügen ein eigenständiges Verfahrensrecht zu verankem499 . Schon aus dem 3. und 5. Erwägungsgrund zur MarkenRL500 ergab sich der Befund, daß die MarkenRL nicht eine umfassende Hannonisierung der Markenrechte der Mitgliedstaaten anstrebte. Unterschiede, insbesondere in bezug auf die nationalen Verfahrensrechte, wurden billigend in Kauf genommen. Im Vordergrund stand lediglich die Angleichung der materiellen markenrechtlichen Bestimmungen, die sich unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkten. Aufgrund der fehlenden Rückgriffsmöglichkeit auf ein bereits vereinheitlichtes Verfahrensrecht, beinhaltet die GMarken V zum Teil eigene diesbezügliche Regelungen. Im übrigen wird gern. Artt. 79, 97 III GMarkenV das im Einzelfall einschlägige Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten als Ergänzungsrecht für anwendbar erklärt. Hierdurch wird deutlich, daß auch nach Etablierung der GMarken V die aus den einzelstaatlichen markenrechtlichen Verfahrensvorschriften resultierenden Unterschiede auch weiterhin - wenn auch in abgemilderter Form - bestehen bleiben.
I. Die Verfahren vor dem Harmonisierungsamt
Das Hannonisierungsamt ist für die Durchführung des Anmelde-, Widerspruchs-, Verfalls- und Nichtigkeitsverfahren sowie für das Beschwerdeverfahren sachlich zuständig50I . Vgl. im einzelnen v. Mühlendahll Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 91 ff. GRUR Int. 1989,294. 501 Vgl. zu den Statistiken des Harmonisierungsamtes aus dem Jahre 1998 in bezug auf Markenanmeldungen, Widerspruchs- und Beschwerdeverfahren, MarkenR 1999, 125 f. und MarkenR 1999, 152f. 499
500
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Für alle Verfahrensarten wurden in den Artt. 73 ff. GMarken V gemeinsame allgemeine Verfahrensbestimmungen niedergelegt, die durch die Regeln 52 ff. der Durchführungsverordnung zur GMarkenV vervollständigt werden. Zu den Verfahrensgrundsätzen zählt das Gemeinschaftsmarkenrecht zunächst den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 73 S. 2 GMarkenV) und die Begründungspflicht für Entscheidungen des Harmonisierungsamts (Art. 73 S. I GMarkenV). Darüber hinaus ist der Amtsermittlungsgrundsatz gern. Art. 74 GMarken V zu erwähnen, der sich allerdings nicht auf die relativen Eintragungshindernisse bezieht. Insoweit gilt die Dispositionsmaxime. Auch im Rahmen des Gemeinschaftsmarkenrechts gilt gern. Art. 75 GMarkenV der (eingeschränkte) Grundsatz der mündlichen Verhandlung. Nach Art. 75 I GMarkenVordnet das Harmonisierungsamt von Amts wegen oder auf Antrag eine mündliche Verhandlung an, sofern es dies für sachdienlich erachtet (Ermessensspielraum). Aus Art. 75 n GMarken V folgt schließlich, daß lediglich die fakultative mündliche Verhandlung im Anmelde- und Widerspruchsverfahren nicht öffentlich ist. Gern. Art. 75 1lI GMarkenV sind die Verhandlungen im Nichtigkeits-, Verfalls- und Beschwerdeverfahren demgegenüber grundsätzlich öffentlich. Im Hinblick auf die Fristberechnungen in Gemeinschaftsmarkensachen sind die Regeln 70-72 der Durchführungsverordnung zur GMarkenV502 zu beachten. Soweit eine Frist versäumt wurde, kommt ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gern. Art. 78 GMarkenV in Betracht. Der entsprechende Antrag ist begründet, wenn der Verfahrensbeteiligte trotz Beachtung der nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt (d. h. unverschuldet) die gesetzte Frist nicht einhalten konnte. Gern. Art. 78 V GMarkenV scheidet eine Wiedereinsetzung in bezug auf Prioritätsfristen, Wiederspruchsfristen und die Versäumnis der zweimonatigen Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung aus. Im Vergleich zum deutschen Recht der markenrechtlichen Wiedereinsetzung (§ 91 MarkenG) bestehen einige Abweichungen. In § 91 MarkenG findet sich kein
Ausschluß der Wiedereinsetzung in eine Prioritätsfrist. Die Abgabe eines Wiedereinsetzungsantrags ist dort auch nicht von der Entrichtung einer speziellen Gebühr abhängig (vgl. aber Art. 78 1lI GMarkenV). Schließlich fehlt im deutschen Recht eine Vorschrift, die mit Art. 78 VII GMarken V vergleichbar ist. Danach kann ein Dritter gegen die Wiedereinsetzungsentscheidung Drittwiderspruch einlegen. Die Grundsätze zur Vertretung vor dem Harmonisierungsamt ergeben sich aus den Artt. 88, 89 GMarken VS03 •
S02 Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 13. 12. 1995 (AbI. Nr. L 303 vom 15. 12. 1995, S. 1 ff.). S03 Vg1. im übrigen zum allgemeinen Verfahrensrecht im Gemeinschaftsmarkenrecht, Inger1, Die Gemeinschaftsmarke, S. 144ff.
IS Spuhler
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
1. Das Anmeldeverfahren Das gemeinschaftsmarkenrechtliche Anmeldeverfahren ist in den Artt. 25 ff. GMarkenV geregelt. Gern. Art. 25 I GMarkenV kann die Anmeldung beim Harmonisierungsamt in Alicante oder bei der nach nationalem Recht zuständigen Zentralbehörde eingereicht werden s04 . Soweit die Einreichung der Anmeldung im Mitgliedstaat erfolgte, ist diese innerhalb von zwei Wochen an das Harmonisierungsamt weiterzuleiten. Von besonderer Bedeutung ist nunmehr die Vorschrift des Art. 25 III GMarken V, wonach die Anmeldung, die über die nationale Behörde eingereicht wurde, als zurückgenommen gilt, wenn diese erst nach Ablauf eines Monats nach der Einreichung beim Harmonisierungsamt eingeht. Für den Markenanmeider besteht in diesem Zusammenhang eine Rechtsunsicherheit, weil er auf die Weiterleitung seines Antrags keinen Einfluß ausüben kann. Ihm steht zwar eventuell ein Amtshaftungsanspruch gegen die nationale Behörde zu, doch die Wahrung der ursprünglichen Priorität der Anmeldung wird hierdurch nicht sichergestellt. Diese Rechtsunsicherheit über den fristgemäßen Zugang der Anmeldung wird auch nicht durch die Empfangsbestätigung der nationalen Markenbehörde (Regel 5 TI der Durchführungsverordnung zur GMarkenV) beseitigt. Dieses Dokument erfaßt von seiner Beweiskraft her nicht den späteren Zugang in Alicante. Um die Wirkung des Untergangs der Anmeldung aufgrund einer verspäteten Weiterleitung gern. Art. 25 III GMarken V abzuwenden, ist dem Gemeinschaftsmarkenanmelder daher anzuraten, beim Harmonisierungamt rückzufragen, falls er die Empfangsbestätigung des Harmonisierungsamts (Regel 5 III der Durchführungsverordnung zur GMarken V) nicht vor Ablauf der Monatsfrist erhalten hat 50S . In Abweichung zum deutschen Markenrecht sieht das Gemeinschaftsmarkenrecht in Art. 38 11 GMarkenV vor, daß das Harmonisierungsamt in bezug auf Markenanmeldungen, die einen nicht unterscheidungskräftigen Bestandteil aufweisen, vom Markenanmeider die Erklärung verlangen kann, er werde an diesem Bestandteil kein ausschließliches Recht in Anspruch nehmen (sog. Disclaimerverlangen)S06. Sinn und Zweck des Disclaimerverlangens ist es, die Monopolisierung schutzunfähiger Markenbestandteile abzuwehren S07 . Gern. Art. 38 11 S. 2 GMarkenV wird die Erklärung zusammen mit der Anmeldung bzw. Eintragung der Gemeinschaftsmarke veröffentlicht. Die Abgabe der Diclaimererklärung durch den Anmelder kann vom Harmonisierungsamt gern. Artt. 4011, 3811 GMarkenVauch noch nach der Eintragung der entsprechenden Marke gefordert werden. Hierdurch Vg!. für Deutschland § 125a MarkenG. Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke. S. 125. 126. SOlI Das Gemeinschaftsmarkenrecht orientiert sich insoweit am britischen Markenrecht. Zur Frage der Verankerung dieses Rechtsinstituts im deutschen Markenrecht, Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1990,747,754. ~7 Fezer. Markenrecht, Ein!. MarkenG Rnr. 134. 504
~s
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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wird es der Markenkontrollbehörde ermöglicht, auf eventuelle Bemerkungen Dritter in bezug auf die Markeneintragung angemessen zu reagieren. Sofern im Einzelfall ein Disclaimer vorliegt, bewirkt dieses Rechtsinstitut, daß sich der Schutzumfang der Gemeinschaftsmarke im Falle einer Markenkollision nicht auf den vom Disclaimer erfaßten Zeichenbestandteil erstreckt. Die Verteidigungsfläche des Markeninhabers ist daher soweit beschränkt, wie der Disclaimer reichtS08 • Gern. Art. 39 GMarkenV wird das Anmeldeverfahren im Gemeinschaftsmarkenrecht vom Prinzip der Amtsrecherche beherscht. Hierdurch sollte ein verfahrensrechtlicher Komprorniß zwischen den verschiedenartigen Überprüfungsmethoden der Mitgliedstaaten im Rahmen der nationalen Anmeldeverfahren geschaffen werden s09 . So wird beispielsweise im deutschen Markenrecht keine Amtsrecherche durchgeführts 10. Dem Harmonisierungsamt kommt zunächst die Aufgabe zu, jede Gemeinschaftsmarkenanmeldung im Hinblick auf prioritätsältere Gemeinschaftsmarken und -anmeldungen zu überprüfen, die ein relatives Eintragungshindernis im Sinne des Art. 8 GMarkenV begründen können (Art. 39 I GMarkenV). Gern. Art. 39 lI-V GMarkenV können auch die nationalen zentralen Markenbehörden dem Harmonisierungsamt einen Recherchebericht hinsichtlich entgegenstehender nationaler Marken bzw. Anmeldungen übermitteln. Lediglich die Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und Italien werden keine derartige Recherche durchführenslI. Nach Art. 39 V GMarkenV übermittelt das Harmonisierungsamt dem Gemeinschaftsmarkenanmelder den Gemeinschaftsrecherchenbericht und die nationalen Berichte. Die Veröffentlichung der Anmeldung darf dann erst nach Ablauf eines Monats nach dem Übermittlungstag vorgenommen werden, Art. 39 VI GMarkenV. Zu diesem Zeitpunkt unterrrichtet das Harmonisierungamt auch die Inhaber älterer Gemeinschaftsmarken bzw. -anmeldungen, die in dem Gemeinschaftsrecherchebericht aufgeführt wurden, von der Veröffentlichung der Anmeldung der prioritätsjüngeren Gemeinschaftsmarke. Eine entsprechende Unterrichtung der in den einzelstaatlichen Rechercheberichten genannten Inhaber kollidierender nationaler Marken bzw. Anmeldungen ist in der GMarken V nicht ausdrücklich verankert worden. Dies ist jedoch aus Gründen der verfahrensrechtlichen Gleichbehandlung und im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten. Insoweit kann daher auf sos V gl. näher zum Disclaimer, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 126 ff. v. Mühlendahl, GRUR Int. 1989,353,356. 510 Unter Geltung des vormaligen WW bestand bis zum Jahre 1962 eine Abgrenzungshilfe gern. § 5 III WW. Aufgrund einer Mitteilung des Präsidenten des DPMA vom 01. 12. 1954 (BI. 1954, 426) wurde der Anmelder über die seiner Anmeldung entgegenstehenden Zeichen informiert. Dieses Benachrichtigungsystem wurde dann durch die Mitteilung des DPMA-Präsidenten vom 25. 05. 1962 (BI. 1962, 169) aus Gründen einer ArbeitsUberlastung des DPMA aufgegeben, vgl. Althammer, WW, § 5 Rnr. 8. m Fezer, Markenrecht, Einl. MarkenG Rnr. 135. Kritisch zum System der Amtsrecherche im Gemeinschaftsmarkenrecht, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 130f.; Lindner/Schrell, WRP 1996, 94, 97. S09
15·
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
entsprechende Protokollerklärungen von Rat und Kommission zurückgegriffen werden 512 . Von besonderer Bedeutung im Rahmen des Anmeldeverfahrens ist schließlich die Bestimmung des Art. 41 GMarken V. Jedermann kann beim Harmonisierungsamt nach der Veröffentlichung der Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke schriftliche Bemerkungen einreichen mit dem Inhalt, der Eintragung stehe ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Eintragungshindernis entgegen. Dieses markenrechtliche Popularverfahren dient insbesondere der Selbstkontrolle des Harmonisierungsamts und der Durchsetzung der Befugnisse aus Art. 40 11 GMarken V (Zurückweisung der Anmeldung auch nach ihrer Veröffentlichung).
2. Das Widerspruchsverfahren
Aus Art. 42 I GMarken V folgt zunächst, daß das Gemeinschaftsmarkenrecht von einem vorgeschalteten Widerspruchsverfahren geprägt wird513 . Der Widerspruch kann innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Veröffentlichung der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke und noch vor Eintragung derselben erhoben werden. Dieser Verfahrensablauf entspricht der alten Rechtslage in Deutschland unter Geltung des § 5 IV WZG. Um insbesondere rechtsmißbräuchliche Verfahrensverzögerungen infolge aussichtsloser Widerspruchseinlegungen zu verhindern, wurde im Rahmen der Gesamtreform des deutschen Markenrechts gern. § 42 I MarkenG ein nachgeschaltetes Widerspruchsverfahren etabliert. Auch das Gemeinschaftsmarkenrecht hat diese Gefahr erkannt, aber gleichzeitig einen anderen Lösungsweg beschritten. Ein Mißbrauch des vorgeschalteten Widerspruchsverfahrens soll mit Hilfe der Entschädigungsregelung des Art. 9 m GMarken V und des Kostenrechts (Art. 81 GMarkenV) unterbunden werden. Im Gegensatz zum MarkenG ist der Kreis der Widerspruchsberechtigten in der GMarken V weiter gezogen worden. Neben dem jeweiligen Markeninhaber kann auch ein (oder sogar mehrere) Lizenznehmer diesen Rechtsbehelf einlegen, Art. 42 I lit.a) GMarkenVS14 • Darüber hinaus ist auch der sachliche Anwendungsbereich des gemeinschaftsmarkenrechtlichen Widerspruchsverfahrens im Verhältnis zum deutschen Markenrecht ausgedehnt worden. Der Widerspruch kann regelmäßig auf den Vortrag 515 m Vgl. ECTA LAW BOOK 3/94, Nr. 13. 513 Allgemein zum Widerspruchsverfahren der GMarkenV, Pagenberg, GRUR 1998, 288 ff.; vgl. auch Preglau 1Neuffer, MarkenR 1999,41 ff. 514 Diese parallele Widerspruchsbefugnis folgt aus dem Wortlaut des Art. 41 I lit.a) GMarkenV ("sowie"). 515 Insoweit kommt als Beweismittel gern. Art. 76 I lit.e) GMarkenVauch die Begutachtung durch einen Sachverständigen in Betracht. Vgl. demgegenüber jedoch die Beschränkungen der Tatsachenermittlung im deutschen Markenrecht. S.dazu v.Linstow, GRUR 1996, 99; Osenberg, GRUR 1996, 101, 103; Füllkrug, MA 1995,498, 500ff.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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gestützt werden, daß der Eintragung der Marke ein auf Art. 8 GMarken V basierendes Hindernis entgegenstünde (Art. 42 I GMarkenV). Als Widerspruchsgründe kommen daher alle Arten prioritätsälterer Kennzeichenrechte auf gemeinschaftsrechtlicher und nationaler Ebene in Betracht. Insoweit besteht eine unbeschränkte Pürfungskompetenz des Harmonisierungsamts Sl6 . Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens kann insbesondere eine bekannte Gemeinschaftsmarke (gern. Art. 42 I i.V.m. Art. 8 V GMarkenV) und auch eine bekannte nationale Marke geltend gemacht werden s17 • Im Gegensatz zur deutschen Rechtslage ist der schriftlich einzureichende Widerspruch zu begünden, Art. 42 III S. 1 GMarkenV S18 . Der Nichtbenutzungseinwand kann als Verteidigungsmittel des Anmelders im Widerspruchsverfahren nur eingeschränkt geltend gemacht werden. Der Anmelder der Gemeinschaftsmarke kann auf Grundlage des Art. 43 11 S. 1 GMarkenV vom Inhaber der prioritätsälteren Widerspruchsmarke den NachweissI9 verlangen, daß er seine Marke innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veröffentlichung der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke ernsthaft benutzt hat oder berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen, wenn die Widerspruchsmarke im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Anmeldung der prioritätsjüngeren Gemeinschaftsmarke seit mindestens fünf Jahren eingetragen ist. Sofern der Widersprechende diesen Nachweis nicht erbringen kann, wird der Widerspruch gern. Art. 43 11 S. 2 GMarkenV zurückgewiesen. Demgegenüber kann der Nichtbenutzungseinwand im deutschen Markenrecht auch dann erhoben werden, wenn die fünfjährige Benutzungsfrist erst nach der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke, also während der Widerspruchsfrist oder im Verlauf des Widerspruchsverfahrens abläuft, § 43 I S. 2 MarkenG. In einem solchen Fall steht dem Anmelder der prioritätsjüngeren Gemeinschaftsmarke im Rahmen der GMarkenV nur die Befugnis zu, die Verfallserklärung der prioritätsälteren Widerspruchsmarke gern. der Artt. 50 I lit.a), 55 GMarken V zu beantragen. Aus deutscher Sicht ist die Frage der Kostentragung im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Widerspruchsverfahrens von besonderer Bedeutung. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang die Bestimmung des Art. 81 GMarken V. Danach gilt für alle kontradiktorischen Kostenentscheidungen der Grundsatz, daß die Partei, die im Rechtsstreit unterliegt, die Gebühren und alle für die Durchführung 516 Hierdurch besteht die Gefahr, daß sich die Verfahrensdauer der Widerspruchsbearbeitung auf gemeinschaftsmarkenrechtlicher Ebene sehr stark verlängert, um dem komplexen Prüfungsumfang gerecht werden zu können. Kritisch auch Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 134f. 517 Diese Möglichkeit besteht im deutschen Markenrecht gern. § 42 11 MarkenG nicht. Insoweit ist der Markeninhaber auf die Löschungsklage gern. §§ 51, 55 MarkenG verwiesen. Gleiches gilt auch für die Rechte der §§ 12, 13 MarkenG. 518 Kritisch zum Begründungsverzicht im Widerspruchsverfahren des MarkenG, Fezer, Markenrecht, § 42 MarkenG Rnr. 27. 519 Zur beweisrechtlichen Erbringung des Nachweises, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 137.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
des Verfahrens notwendigen Kosten, einschließlich der Reise- und Aufenthaltskosten sowie der Kosten der Bevollmächtigten, zu tragen hat. Gern. Art. 81 II GMarkenV ist eine andersartige Kostenverteilung aus Billigkeitsgründen nicht ausgeschlossen. Soweit ein gemeinschaftsmarkenrechtliches Verfahren durch die Rücknahme der Anmeldung bzw. des Widerspruchs oder infolge Verzichts beendet wird, trägt derjenige Beteiligte, der die entsprechende Erklärung abgegeben hat, die Kosten, Art. 81 III GMarkenV. Im Gegensatz zu dieser Ausgestaltung beruht das deutsche Markenrecht auf dem Prinzip, daß jeder Beteiligte die eigenen Kosten zu entrichten hat, §§ 63, 71, 90 MarkenG. Insgesamt besteht auf der gemeinschaftsmarkenrechtlichen Ebene ein nicht zu unterschätzendes Kostenrisiko sowohl für den widersprechenden Markeninhaber als auch für den Markenanmelde~2o. Im Rahmen des Vergleichs zwischen dem gemeinschaftsmarkenrechtlichen und dem deutschen Widerspruchsverfahren ist schließlich zu berücksichtigen, daß das Rechtsinstitut der Eintragungsbewilligungsklage, das in § 44 MarkenG niedergelegt wurde, nicht über ein Gegenstück in der GMarken V verfügt. Hieraus folgt, daß das Widerspruchsverfahren der GMarkenV mit einer abschließenden Entscheidung zwischen den Beteiligten endet.
3. Das Verfalls- und Nichtigkeitsverfahren Im Hinblick auf das Verfalls- und Nichtigkeitsverfahren kennt das Gemeinschaftsmarkenrecht weder eine selbständige Löschungsklage521 noch die Löschung der Eintragung einer Marke von Amts wegen522 . Verfalls- und Nichtigkeitswirkungen in bezug auf eine Gemeinschaftsmarke können lediglich infolge eines Antrags, einer Widerklage oder infolge einer Einrede im Verletzungs- oder Entschädigungsprozeß durchgesetzt werden (Artt. 55, 56, 92, 95, 96 GMarkenV). Soweit der Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit auf die Artt. 50, 51 GMarkenV (Verfallsgründe und absolute Nichtigkeitsgründe) gestützt wird, ist gern. Art. 55 I lit.a) GMarken V jedermann antragsbefugt 523 . Hinsichtlich der Geltendmachung relativer Nichtigkeitsgründe ist der Kreis der Antragsberechtigten jedoch gern. Art. 51 I lit.b) GMarkenV auf die in Art. 42 I GMarkenV genannten Personen (Markeninhaber sowie Lizenznehmer) limitiert. Auch im Rahmen des Verfalls- und Nichtigkeitsverfahrens sind die entsprechenden Anträge schriftlich einzureichen und zu begründen, Art. 55 11 S. 1 GMarkenV. Eine Entscheidung in 520 Allerdings sieht die Durchführungsverordnung zur GMarkenV in den Regeln 19 I, III; 21 11, III und 94 VI, VII Kostenerleichterungen vor, vgl. Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 138, 139. 521 Vgl. § 55 MarkenG. 522 Vgl. § 50 III MarkenG. 523 Zu den Auswirkungen dieser Popularantragsbefugnis in bezug auf Mißbrauchstatbestände, Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 140, 141.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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der Sache erfolgt erst, wenn die Antragsgebühr entrichtet wurde. Vorher gelten die Anträge gern. Art. 55 n S. 2 GMarkenV als nicht gestellt. Die Gefahr kollidierender Entscheidungen auf gerneinschaftsrnarkenrechtlicher und nationaler Ebene wird durch Art. 55 III GMarken V entschärft. Hiernach ist der Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit unzulässig, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats bei Identität der Streitgegenstände und der Pareien bereits rechtskräftig entschieden hat. Gern. Art. 56 VI GMarken V wird schließlich die Entscheidung, durch die die Gemeinschaftsmarke für verfallen oder für nichtig erklärt wird, in das Gemeinschaftsmarkenregister eingetragen, sofern diese unanfechtbar geworden ist.
4. Das Beschwerdeverfahren
Die Entscheidungen der Prüfer und Abteilungen des Harmonisierungsamts können von den Beteiligten, die hierdurch gern. Art. 58 GMarken V beschwert sind, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angegriffen werden. Hierfür sind im Harmonisierungsamt entsprechende Beschwerdekammern eingerichtet worden524 • Die Beschwerde muß nach Art. 59 GMarken V innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung schriftlich beim Harmonisierungsamt eingelegt werden. Die Begründung der Beschwerde muß dann innerhalb von zwei weiteren Monaten erfolgen525 • Nach Art. 57 I S. 2 GMarkenV kommt der Einlegung der Beschwerde ein Suspensiveffekt zu. Soweit die Dienststelle, deren Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für zulässig und begründet erachtet, hat sie ihr bei nicht kontradiktorischen Verfahren gern. Art. 60 I GMarken V abzuhelfen. Anderenfalls erfolgt gern. Art. 60 n GMarken V eine Vorlage an die Beschwerdekammern. Die Entscheidung über die eingelegte Beschwerde obliegt dann gern. Artt. 62, 130-132 GMarkenV den Beschwerdekammern, die als besondere Abteilungen innerhalb des Harmonisierungsamts eingerichtet werden. Diese können in der Sache selbst entscheiden oder mit Bindungswirkung in bezug auf die rechtliche Beurteilung an die Ausgangsdienststelle zurückverweisen, Artt. 62 I S. 2, 11 GMarkenV. Das Beschwerdeverfahren dient insgesamt als Vorschaltverfahren der Selbstkontrolle des Harmonisierungsamts. Es soll eine einheitliche Amtspraxis auf gemeinschaftsrnarkenrechtlicher Ebene sichergestellt werden526 • 524 Für die Beschwerdekammern gilt neben der GMarkenV und der Durchführungsverordnung zusätzlich die auf Art. 140 III GMarkenV gestützte VO (EG) Nr. 216/96 der Kommission vom 05.02. 1996 über die Verfahrensordnung vor den Beschwerdekarnmem des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle), AbI. Nr. L 28 vom 06.02. 1996, S. 11. VgI. auch BI. 1996, 178f. VgI. allgemein dazu Bender, MarkenR 1999, 11 ff. 525 Bis zum 21. 12. 1998 waren bei den derzeit drei Beschwerdekammern des Harmonisierungsamtes insgesamt 227 Beschwerden anhängig, vgI. Preglau/Neuffer, MarkenR 1999,41, 49,50. 526 v. Mühlendahl, GRUR Int. 1989,353,358.
232
3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Der gerichtliche Rechtsschutz der Verfahrensbeteiligten gegenüber der Tätigkeit des Harmonisierungsamts wird letztendlich durch den EuGH gewährleistet. Gern. Art. 63 GMarken V sind die Entscheidungen der Beschwerdekammern zunächst mit der Klage zum EuG anfechtb~27.
11. Die gemeinschaftsmarkenrechtliche Klage zum EuGH
Gern. Art. 111 I GMarken V ist das Harmonisierungsamt als Einrichtung der Gemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit konzipiert worden. Die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen dieser Einrichtung obliegt daher gern. Artt. 220 ff. (ex-Artt. 164 ff.) EGVausschließlich und in letzter Instanz dem EuGH. Nach Art. 63 I GMarkenV können die Entscheidungen der Beschwerdekammern mit der Klage zum Gerichtshof angefochten werden s28 . Diese Klage kann gern. Art. 63 11 GMarkenV auf diejenigen rechtlichen Gründe gestützt werden, die im wesentlichen auch im Rahmen der Nichtigkeitsklage gern. Art. 230 (ex-Art. 173) EGV relevant sind (Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrages, Verletzung der GMarken V oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm, Ermessensmißbrauch). Klagebefugt sind diejenigen Verfahrensbeteiligten, die durch die streitgegenständliche Entscheidung der Beschwerdekammer beschwert sind, Art. 63 IV GMarkenV. Nach Art. 63 V GMarken V läuft eine zweimonatige Klagefrist ab Zustellung der Entscheidung. Der Gerichtshof ist gern. Art. 63 III GMarkenV befugt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben oder abzuändern. Die in Art. 63 III GMarkenV dem Gerichtshof übertragenen Befugnisse werden vom EuG (Art. 225 (ex-Art. 168a) EGV) als ,,zwischen- oder Eingangsinstanz" wahrgenommenS29 . Gegen die Entscheidungen des EuG steht das lediglich auf Rechtsfragen beschränkte Rechtsmittel zum EuGH gern. Artt. 49 ff. (insbesondere Art. 51) EuGH-Satzung zur Verfügung (Rechtsbeschwerde zum EuGH)s3o. Als richtiger Beklagter kommt regelmäßig das Harmonisierungsamt in BetrachtS31 .
527 Das EuG hat mit Beschluß vom 06. 07. 1995 seine Verfahrensordnung geändert (AbI. Nr. 172 vom 22. 07. 1995, S. 4) und einen neuen Vierten Titel unter der Überschrift ,,Rechtsstreitigkeiten betreffend die Rechte des geistigen Eigentums" in die Verfahrensordnung eingefügt. Der entsprechende Titel sieht besondere Vorschriften für Klagen gegen das Harmonisierungsamt vor. Vgl. auch EuZW 1995, 7oof.; GRUR Int. 1995,741. 528 Bis Ende des Jahres 1998 war erst eine Klage gegen eine Entscheidung einer Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes beim EuG anhängig, vgl. Bender, MarkenR 1999,11,13. 529 Vgl. Beschluß 93 13501 EURATOM, EGKS, EWG vom 08. 06. 1993, AbI. Nr. L 144, S.21. 530 Vgl. v. Mühlendah11 Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 206, 207. 531 v. Mühlendahl, in: FS 100 Jahre DPMA, 1994, S. 215,226,227.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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[11. Der Gemeinscbaftsmarkenprozeß
Im Gegensatz zu den Verfahren vor dem Harmonisierungsamt und den Klagen gegen die Entscheidungen dieses Amts, sind die Gemeinschaftsmarkengerichte zunächst für die Streitigkeiten über die Verletzung und die Rechtsgültigkeit der Gemeinschaftsmarken ausschließlich zuständig (Artt. 91-101 GMarkenV)532. Diese ausschließliche Zuständigkeit bezieht sich gern. Art. 92 GMarken V auf Verletzungsklagen (inklusive vorbeugender Unterlassungsklagen), negative Feststellungsklagen (Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung), Entschädigungsklagen gern. Art. 9 III GMarkenV und auf Widerklagen hinsichtlich der Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit533 . Nach Art. 99 GMarkenV können die Gemeinschaftsmarkengerichte auch einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen erlassen534 . Im Hinblick auf sonstige Streitigkeiten über Gemeinschaftsmarken 535 sind diejenigen Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats sachlich und örtlich zuständig, die bei der entsprechenden Sachverhaltskonstellation unter Beteiligung rein nationaler eingetragener Marken zur Entscheidung berufen wären, Art. 102 GMarkenV 536 . Die Gemeinschaftsmarkengerichte erster und zweiter Instanz werden gern. Art. 91 I GMarkenV durch die Mitgliedstaaten benannt. In Deutschland ist insoweit die Vorschrift des § 125e MarkenG einschlägig537 . Von besonderer Bedeutung innerhalb des Gemeinschaftsmarkenprozesses ist die Regelung der internationalen Zuständigkeit gern. Art. 93 GMarken V. Diese Vorschrift enthält Sonderregelungen, die die in Art. 90 TI GMarken V niedergelegten allgemeinen und besonderen Zuständigkeiten nach dem EuGVÜ verdrängen. Gern. Art. 93 I GMarken V sind die im Rahmen des Art. 92 GMarkenV erfaBten Klagen zunächst bei dem Gericht des Mitgliedstaats zu erheben, in dem der Beklagte seinen Wohsitz bzw. seine Niederlassung hat. Soweit der Beklagte weder über einen 532 Allgemein zur gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen aus Gemeinschaftsmarken, Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300ff. 533 Hierdurch wird nicht die Geltendmachung anderer Widerklagen vor den Gemeinschaftsmarkengerichten ausgeschlossen. Es soll lediglich sichergestellt werden, daß die genannten speziellen Widerklagen nicht vor einem anderen Gericht erhoben werden. 534 Diese Befugnis steht auch den übrigen Gerichten der Mitgliedstaaten zu, soweit nicht eine einstweilige Maßnahme mit gemeinschaftsweiter Geltung im Anwendungsbereich des Art. 92 GMarkenVerlassen werden soll, Art. 9911 GMarkenV. S3S Hierzu zählen insbesondere Klagen, die sich auf die Rechtsübertragung oder die Lizenzierung einer Gemeinschaftsmarke beziehen. Näher dazu Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 159, 160. 536 Gern. Art. 10211 GMarkenV besteht insoweit eine Auffangzuständigkeit zugunsten der spanischen Gerichte. In Deutschland ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 140 MarkenG zu beachten. Hiernach sind bestimmte Landgerichte als Kennzeichenstreitgerichte ausschließlich zuständig. 537 Das nationale Recht regelt auch die örtliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsmarkengerichte, s. z. B. § 125g MarkenG.
234
3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
Wohnsitz noch über eine Niederlassung in einem der Mitgliedstaaten verfügt, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem Wohnsitz, hilfsweise der Niederlassung des Klägers in einem Mitgliedstaat, Art. 93 11 GMarken V. Gern. Art. 93 III GMarkenV wird eine Auffangzuständigkeit der spanischen Gerichte begründet, wenn weder der Beklagte noch der Kläger entsprechende Wohnsitze bzw. Niederlassungen in den Mitgliedstaaten aufweisen. Desweiteren erklärt Art. 93 IV lit.a) und b) GMarken V die Artt. 17, 18 EuGVÜ für anwendbar. Die Zuständigkeit eines anderen Gemeinschaftsmarkengerichts kann daher auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen oder rügelosen Einlassens basieren. Diese Zuständigkeitsregelungen des Art. 93 I-IV GMarkenV begründen eine gemeinschaftsweite internationale Zuständigkeit. Demgegenüber tritt in Art. 93 V GMarken V eine weitere Zuständigkeitsbestimmungen hinzu, die in ihrer örtlichen Reichweite allerdings auf das Territorium des Mitgliedstaats limitiert ist, in dem die Markenverletzungshandlung begangen wurde oder droht (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, Tatortprinzip). Im Falle einer gemeinschaftsweiten Verletzung kann der Kläger daher ggf. zwischen verschiedenen Gerichtsständen wählen. Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 93 V GMarkenV ist des weiteren auf Verletzungs- und Schadensersatzklagen beschränkt. Das von den Gemeinschaftsmarkengerichten im Einzelfall anzuwendende Recht wird auf Grundlage des Art. 97 GMarkenV bestimmt. Nach Art. 97 I GMarkenV ist zunächst auf die Vorschriften der GMarkenV zurückzugreifen. Soweit die GMarkenV eine im Rahmen des individuellen gerichtlichen Verfahrens aufgeworfene Fragestellung nicht regelt, findet das für das Gemeinschaftsmarkengericht maßgebliche nationale Recht einschließlich des internationalen Privatrechts aus Gründen der Lückenfüllung Anwendung, Art. 97 11 GMarken V. Im Hinblick auf das Verfahrensrecht ist die Vorschrift des Art. 97 III GMarkenV (Grundsatz der Heranziehung des nationalen Rechts) zu beachten. Aus prozeßökonomischen Gründen und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wurden schließlich die in Art. 100 GMarkenVenthaltenen Verfahrensaussetzungsregeln etabliertS38 •
F. Das Verhältnis der GMarkenV zu anderen europäischen Rechtsakten und zu völkerrechtlichen Abkommen im Bereich des Kennzeichenschutzes In bezug auf andere Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts ist ausschließlich Art. 142 GMarkenV zu erwähnen. Danach bleibt die va (EWG) Nr. 2081/92 von den Regelungen der GMarken V unberührt. Dies wirkt sich insbesondere auf Art. 14 va (EWG) Nr. 2081/92 aus, der Regelungen im Hinblick auf die Kollision von 538
Näher dazu Ingerl, Die Gemeinschaftsmarke, S. 157, 158.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
235
Marken und geschützten geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen enthält. Im Hinblick auf völkerrechtliche Abkommen im Bereich des Kennzeichenschutzes ist das Verhältnis der GMarkenV zum MMA und zum PMMA (Schutz der IR-Marke) von besonderer praktischer Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, daß die Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats zwischen dem Schutzsystem nach der GMarkenV und dem Schutzsystem nach dem MMA und dem PMMA wählen können. Eine effektive Verzahnung zwischen beiden markenrechtlichen Gewährleistungsbereichen ergibt sich aus der Ratifikation des PMMA durch die EG 539• Gern. Art. 14 I lit.b) PMMA konnte die EG als zwischenstaatliche Organisation Vertrags partei des PMMA werden, da sie die dort niedergelegten Bedingungen erfüllt (PVÜ-Mitgliedschaft mindestens eines Mitgliedstaats der zwischenstaatlichen Organisation und Errichtung einer regionalen Markenbehörde. Letzteres ist durch die Etablierung des Harmonisierungsamts geschehen). Gern. Art. 2 I PMMA kann daher die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke als Basismarke für die internationale Registrierung verwendet werden. Desweiteren kann in entgegengesetzter Richtung auf Grundlage der internationalen Registirierung ein gemeinschaftsmarkenrechtlicher Schutz begehrt werden, Art. 4 I PMMA. Für diejenigen Unternehmen, die als Markeninhaber auf den internationalen Märkten präsent sind, stellt sich daher zukünftig die Frage, welches Schutzsystem gewählt werden solls4o. Entscheidend sind insoweit die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen als Markeninhaber. Als maßgebliches Kriterium kommt in diesem Zusammenhang der Umfang des angestrebten Schutzterritoriums in Betracht. Soweit leidiglich ein EU-weiter Schutz begehrt wird, ist es vorteilhaft, eine Gemeinschaftsmarke anzumelden. Für eine Registrierung unter dem Regime der GMarkenV sprechen insbesondere Kostengesichtspunkte. Infolge der Entrichtung der Anmeldegebühr des Art. 26 11 GMarkenV und einer Eintragungsgebü~41 kann ein Markenschutz in Anspruch genommen werden, der sich auf das gesamte Territorium der EU bezieht. Die individuellen Anmeldegebühren in den einzelnen Mitgliedstaaten würden demgegenüber ungleich höher ausfallen. Darüber hinaus kann der Inhaber der Gemeinschaftsmarke bereits durch rechtserhaltende Benutzungshandlungen in einem Mitgliedstaat die Prämissen des Art. 15 GMarkenV erfüllen. Desweiteren kann gern. Artt. 34, 35 GMarken V eine Prioritätsverschiebung zugunsten des Markeninhabers einer Gemeinschaftsmarke dann erfolgen, wenn er 539 Diese Ratifikation ist mittlerweile erfolgt, vgl. dazu EuZW 1997,515. Allgemein zu den Berührungspunkten der beiden Systeme mit praktischen Beispielen, Kunze, GRUR 1996, 627ff. 540 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hane-Bavendamm/v.Bombach, WRP 1996, 534ff.; Over, WRP 1996, 274ff. 541 Vgl. insgesamt zu diesen Gebühren die VO (EG) Nr. 2869/95 über die an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zu entrichtenden Gebühren, AbI. 1995 Nr. L 303, S. 33 ff.
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3. Kap.: Das supranationale Markenrecht
zugleich Inhaber einer identischen nationalen Marke ist. Schließlich ist zu beachten, daß gern. Artt. 108 ff. GMarkenV die Option einer Umwandlung der Gemeinschaftsmarke bzw. ihrer Anmeldung in eine nationale Anmeldung unter Wahrung der ursprünglichen Priorität besteht. Der Gemeinschaftsmarkenanmelder erleidet daher grundsätzlich keinen Rechtsnachteil, wenn die Anmeldung auf Gemeinschaftsmarkenebene zurückgewiesen werden sollte. Strebt der jew.eilige nationale Markeninhaber demgegenüber an, die Marke nur in einigen wenigen Mitgliedstaaten der EU zu etablieren, erscheint es kostengünstiger, eine internationale Registrierung in bezug auf die gewünschten Länder zu beantragen, die auf der eingetragenen Basismarke beruht. Insoweit bietet es sich an, den Weg über das MMA oder das PMMA zu beschreiten. Die Attraktivität der IR-Marke wird durch die in Zukunft zu erwartende Zunahme der Mitglieder des MMA bzw. des PMMA noch steigen. Als dritte Variante kommt schließlich eine Schutzerstreckung auf die EU und nichteuropäische Staaten im Rahmen eines internationalen Schutzes in Betracht. Falls eine globale Markengewährleistung erreicht werden soll, bietet es sich an, die zuvor dargestellten Schutzsysteme miteinander zu kombinieren. Für den territorialen Bereich der EU ist auch hier die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke vorteilhaft. Im Hinblick auf das außereuropäische Ausland kann dann zusätzlich auf die internationale Registrierung nach dem MMA oder dem PMMA zurückgegriffen werden. Als Basismarke kommt dann insoweit eine nationale Markeneintragung oder die Eintragung der Gemeinschaftsmarke in Betracht.
G. Überblick über die Regelungen des MarkenG in bezug auf das Gemeinschaftsmarkenrecht Teil 5, Abschnitt 3 des MarkenG (§§ 125a-125h MarkenG) beinhaltet die deutschen Ausführungsvorschriften zur GMarken V. Diese Bestimmungen wurden durch das Markenrechtsänderungsgesetz 1996542 in das MarkenG eingefügt. Obwohl die GMarkenVals Verordnung gern. Art. 249 (ex-Art. 189) EGVallgemeine Geltung beansprucht und in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in den Mitgliedstaaten wirksam ist, war es notwendig, diese Vorschriften einzuführen, um die Koexistenz des Gemeinschaftsmarkenrechts und des deutschen Markenrechtssystems auf rechtlich sicheren Boden zu stellen und die Schnittstellen zwischen beiden Markenschutzebenen klar zu definieren. § 125a MarkenG regelt die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke nach Art. 25 I lit.b) GMarkenV. Soweit eine entsprechende Anmeldung beim DPMA eingereicht wird, wird deren Eingang vermerkt und ohne weitere Prüfung an das Hannonisierungsamt weitergeleitet. 542
BGBl. I, S. 1014. s. dazu Vogt, NJW 1996, 2776ff.
§ 2 Die Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMarkenV)
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Gern. § 125b MarkenG werden bestimmte Vorschriften des MarkenG im Hinblick auf Gemeinschaftsmarken für anwendbar erklärt. Hierdurch soll sichergestellt werden, daß die Rechte aus einer Gemeinschaftsmarke in Deutschland durchgesetzt werden können. Diese Regelung dient daher als Einfallstor für eine Verankerung der Gemeinschaftsmarke im deutschen Markenrecht. § 125b MarkenG erklärt daher die nationalen Vorschriften zu den relativen Schutzhindernissen (Nr. 1), zu den kennzeichenrechtlichen Ansprüchen bei einer Markenverletzung (Nr. 2), zur Verwirkung kennzeichenrechtlicher Ansprüche (Nr. 3), zur Glaubhaftmachung der Benutzung im Widerspruchsverfahren (Nr. 4), zum Löschungsverfahren (Nr. 5) und zur Grenzbeschlagnahme (Nr. 6) in bezug auf Gemeinschaftsmarken für entsprechend anwendbar. Insoweit erfolgt eine inhaltliche Gleichstellung im Verhältnis zu deutschen Marken. Nach § 125c MarkenG kann nachträglich die Ungültigkeit einer nationalen Marke wegen Verfalls oder wegen Nichtigkeit festgstellt werden, wenn deren Zeitrang für eine angemeldete oder eingetragene Gemeinschaftsmarke gern. der Artt. 34, 35 GMarken V in Anspruch genommen wurde. Diese Regelung ist im Zusammenhang mit Art. 14 MarkenRL zu sehen. § 125c MarkenG ist darauf gerichtet, die für den jeweiligen Inhaber der Gemeinschaftsmarke vorteilhafte Priorität einer nationalen Marke zu beseitigen, soweit der verbesserte Zeitrang auf einer nationalen Marke beruht, die löschungsreif ist. Wahrend § 125d MarkenG die nationalen Umsetzungsvorschriften zur Möglichkeit der Umwandlung einer Gemeinschaftsmarke (Artt. 108 ff. GMarkenV) in eine deutsche Markenanmeldung bereitstellt, legt § 125e MarkenG die in Deutschland maßgeblichen Gemeinschaftsmarkengerichte in Übereinstimmung mit Art. 91 GMarken V fest 543 • Gern. § 125e I MarkenG sind als Gemeinschaftsmarkengerichte erster Instanz alle Landgerichte ohne Rücksicht auf den Streitwert sachlich zuständig544 • In zweiter Instanz entscheidet das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das Gemeinschaftsmarkengericht erster Instanz seinen Sitz hat, § 125e 11 MarkenG. Revisionsgericht in Gemeinschaftsmarkenstreitsachen ist in diesem Zusammenhang gern. Art. 101 III GMarkenV der BGH. In bezug auf die Gemeinschaftsmarkengerichte erster und zweiter Instanz bestehen gern. § 125 f. MarkenG bestimmte Unterrichtungsverpflichtungen des Bundesministeriums der Justiz gegenüber der Kommission. Insoweit erfolgt eine Umsetzung des Art. 91 11, III GMarkenV. Soweit eine angemeldete oder eingetragene Gemeinschaftsmarke zur Insolvenzmasse im Rahmen eines anhängigen Insolvenzverfahrens gehört, ist die Bestimmung des § 125h MarkenG zu beachten. Hierdurch wird die Vorschrift des Art. 21 GMarken V ergänzt. 543 Im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit der deutschen Gemeinschaftsmarkengerichte ist die Vorschrift des § 125g MarkenG zu beachten. 544 Nach § 125e III MarkenG besteht für die Landesregierungen - ebenso wie im Rahmen des § 140 II MarkenG - die Option, eine Konzentrationswirkung im Hinblick auf die zuständigen Gerichte herbeizuführen. Näher dazu Althammer I K1aka, MarkenG, § 140 Rnr. 2.
Vienes Kapitel
Das SpannungsverhäItnis zwischen nationalen sowie supranationalen Markenrechten und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in der EU § 1 Einleitung Innerhalb des Territoriums der EU kann der einzelne Markeninhaber das ihm zustehende markenrechtliche Ausschließlichkeitsrecht dazu einsetzen, die Wirkungen des Gemeinsamen Marktes infolge künstlicher Marktabschottungen aufzuheben. Dieser Angriff auf den freien Wettbewerb kann sowohl mit einem nationalen Ausschließlichkeitsrecht als auch mit einer markenrechtlichen Befugnis aus der GMarken V geführt werden 1. Im Rahmen des Gemeinschaftsmarkenrechts ergibt sich eine weitere Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs durch die Möglichkeit, daß der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke nachträglich nationale Markenrechte erwirbt und diese auf rechtlich und wirtschaftlich vollständig voneinander unabhängige Unternehmen überträgt und hierdurch eine künstliche Marktaufteilung bewirkt2• Als wirksames Verteidigungsmittel dient in diesem Zusammenhang der Grundsatz der Erschöpfung. Im folgenden soll diese Rechtsfigur sowohl in ihren Ausprägungen im harmonisierten deutschen Markenrecht3 als auch in der Rechtsprechung des EuGH dargestellt werden.
1 Die folgenden Ausführungen gelten daher sinngemäß auch für das Ausschließlichkeitsrecht aus Art. 9 GMarkenV. 2 Fezer, WRP 1998, 1,9. 3 Diese Ausführungen gelten in gleicher Weise für die Bestimmung des Art. 13 GMarkenV.
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
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§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht A. Rechtslage unter Geltung des WZG I. Der Erschöprungsgrundsatz im Rahmen des WZG
Gern. § 15 I WZG stand dem Inhaber eines eingetragenen Warenzeichens das ausschließliche Recht zu, Waren der angemeldeten Art, die aus seinem Geschäftsbetrieb herrrührten, oder ihre Verpackungen oder Umhüllungen mit dem Warenzeichen zu versehen. Desweiteren verfügte er über die Befugnis, die so gekennzeichneten Waren in den Verkehr zu setzen, sowie das Warenzeichen auf verschiedenen betriebsbezogenen Dokumenten anzubringen. In Ergänzung hierzu gewährte § 24 WZG dem Zeicheninhaber Abwehransprüche gegen unrechtmäßige Zeichenverletzungen durch Dritte. Das in dieser Weise näher definierte ausschließliche Recht des Zeicheninhabers galt jedoch nicht schrankenlos. Im Interesse eines weitgehend ungehinderten Handels und Warenaustauschs wurde bereits vom Reichsgericht der Grundsatz der Erschöpfung (Konsumtion) des Zeichenrechts entwickelt. Diese Rechtsfigur, die vom BGH nahtlos übernommen wurde, beinhaltete eine der wichtigsten zeichenrechtlichen Befugnisgrenzen. Die Erschöpfungslehre war eine richterrechtliche Konstruktion, da eine entsprechende ausdrückliche Regelung in der Warenzeichenrechtsordnung fehlte 4 . Sie besagte für den Bereich des Warenzeichenrechts, daß das aus dem Zeichen fließende ausschließliche Benutzungsrecht erschöpft (verbraucht) wird, wenn der Zeicheninhaber die mit dem Zeichen versehene Ware selbst oder mit seiner Zustimmung durch einen Dritten im Inland erstmalig in Verkehr bringts. Diese Schutzlimitierung basierte rechtssystematisch im wesentlichen auf der zentralen Funktion des Zeichenrechts, die betriebliche Herkunft des mit dem Warenzeichen versehenen Produkts zu dokumentieren (Herkunftsfunktion und die hiermit verbundene Vertrauensfunktion des Warenzeichens)6. Der so verstandene Herkunftsschutz war demnach dann verbraucht, wenn der Zeicheninhaber die 4 Bis zum Inkrafttreten des MarkenG war der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Immaterialgüterrecht lediglich in § 17 11 UrhG kodifiziert. s RGZ 50, 229 - Kölnisch Wasser; RGZ 51, 263 - Mariani; RGZ 161,29,38 - Zählerersatzteile; BGHZ 41, 84, 88 - Maja; BGHZ 60, 185, 190 - Cinzano; BGH, GRUR 1982, 114, 116 - Öffnungshinweis; BGH, GRUR 1984,530 - Valium Roche; BGH, GRUR 1987, 438, 439 - Handtuchspender; OLG Stuttgart, GRUR 1988, 592, 593 - Limo; OLG Köln, GRUR 1991,52 - Bayotensin; Baumbach/Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 46; Busse/Starck, WZG, § 15 Rnr. 19. Zur rechtshistorischen Entwicklung der Erschöpfungslehre, v. Bar, S.33ff. 6 Zur absatzwirtschaftlichen Bedeutung des Zeichens, Ebenroth/Parche, GRUR Int. 1989, 738, 740 f.; vgl. auch Sieben I Schildbach, in: HefermehllIpsen I Schluep I Sieben, Nationaler Markenschutz und freier Warenverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, 1979, S. 267 ff.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
gekennzeichnete Ware unmittelbar oder mittelbar (Fälle des konsentierten Handelns durch Dritte) auf den Markt einführte. Der jeweilige Zeicheninhaber hatte dann die auf seinem ausschließlichen Recht basierenden Vorteile bereits umfassend wahrgenommen. Folglich war es nicht erforderlich, dem Zeicheninhaber ein weitergehendes Exklusivitätsrecht einzuräumen, um die betriebliche Herkunft des Markenprodukts zu gewährleisten. Einer Ausdehnung der zeichenrechtlichen Befugnisse standen die legitimen Bedürfnisse des Wirtschaftsverkehrs entgegen. Unter Geltung des WZG war es dem Zeicheninhaber daher vor allem untersagt, den Weitervertrieb der mit dem Zeichen versehenen Waren auf Grundlage seines Zeichenrechts zu verhindern. Ein zeichenrechtliches Vertriebsmonopol bestand daher nicht. Der Zeicheninhaber konnte das Vertriebssystem nur mit Hilfe schuldrechtlicher Vereinbarungen beeinflussen, nicht aber mit Mitteln des WZG 7 • Der Geltungsgrund der Erschöpfungslehre ist daher letztendlich darin zu sehen, daß der Rechtsinhaber durch das erstmalige rechtmäßige Inverkehrbringen der gekennzeichneten Ware bereits alle Rechtsvorteile wahrgenommen hat, die ihm aus der entsprechenden zeichenrechtlichen Rechtsposition zugestanden werdens.
11. Ausnahmen vom Erschöpfungsgrundsatz unter Geltung des WZG
Der Erschöpfungsgrundsatz als Schutzrechtslimitierung galt jedoch schon unter dem Regime des WZG nicht uneingeschränkt. Von der Rechtsprechung wurden verschiedene Schranken-Schranken entwickelt. Zu den wichtigsten gehörten die Tatbestände der unberechtigten Kennzeichnung und des Umverpackens. So war es anerkannt, daß die zeichenrechtlichen Ansprüche dann nicht konsumiert wurden, wenn die betriebliche Herkunft des mit dem Zeichen versehenen Produkts auf dem weiteren Vertriebswege verfälscht worden war. Der Zeicheninhaber konnte daher zur Gewährleistung der Herkunftsfunktion insbesondere eine Neukennzeichnung seiner Ware oder Verpackung oder Umhüllung zeichenrechtlich abwehren. Der Erschöpfungsgrundsatz gelangte insoweit nicht zur Anwendung9 . Diese Begrenzung der zeichenrechtlichen Erschöpfung ließ sich damit begründen, daß die Anbringung eines unberechtigten Kennzeichens das Bindeglied zwischen der betrieblichen Herkunft der Ware und ihrer durch das Zeichen verbürgten gleichbleibenden Qualität und Güte zerschneidet. Die veränderte Kennzeichnung mußte in diesem Zusammenhang allerdings zu einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Beschaffenheit der Ware geführt haben lO • Einwirkungen, die Ebenroth, S. 21. Vgl. BGHZ 41,84,88 - Maja. 9 BGH, GRUR 1982, 114, 116 - Öffnungshinweis; BGH, GRUR 1984, 352, 354 - Ceramix; BGH, GRUR 1984, 530, 531 - Valium Roche; BGH, GRUR 1988,213,214 - Griffband; BGH, WRP 1989,369,372 - Entfernung von Kontrollnummern 111. 10 Ebenroth, S. 22. 7
8
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
241
nach der Verkehrsauffassung als unwesentlich bezeichnet werden konnten oder übliche Begleiterscheinungen des normalen Geschäftsverkehrs darstellten, waren zu tolerieren 11. Darüber hinaus kam eine Erschöpfung des Zeichenrechts dann nicht in Betracht, wenn die gekennzeichnete Ware unberechtigterweise umverpackt wurde. In diesen Sachverhaltskonstellationen wurde dem Zeicheninhaber die ausschließliche Befugnis zugesprochen, die Änderung der Kennzeichnung vorzunehmen. Anderenfalls bestand die Gefahr, daß sowohl die Identität als auch die Integrität der Ware, die maßgeblich auf dem Goodwill des Zeichens basieren, durch die Umverpackung in Mitleidenschaft gezogen wurden. Der jeweilige Zeicheninhaber mußte in diesem Zusammenhang grundsätzlich keine konkrete Gefährdung nachweisen, weil alleine der Vorgang des Umverpackens eine Tauschungsgefahr über die betriebliche Herkunft der Ware beinhaltete. Etwas anderes galt nur dann, wenn das vom Zeicheninhaber angebrachte Zeichen unversehrt blieb. Das erneute Inverkehrbringen, nicht das Anbringen des Zeichens mußte dann das Ausschließlichkeitsrecht des Zeicheninhabers tangiert und eine konkrete Gefährdung begründet haben l2 •
III. Das Prinzip der internationalen Erschöpfung
Nach der ursprünglichen höchstrichterlichen Rechtsprechung bezog sich der Erschöpfungsgrundsatz räumlich nicht nur auf ein erstes Inverkehrbringen durch den Zeicheninhaber im Inland. Auf Grundlage der Lehre vom persönlichkeitsrechtlichen Einschlag des Warenzeichenrechts 13 vertrat das Reichsgericht zunächst die sog. Einheits- oder Universalitätstheorie. Im Unterschied zu den Immaterialgütern sei das als Persönlichkeitsrecht aufzufassende Zeichenrecht nicht an eine örtliche Lage gebunden, sondern vielmehr ein örtlich unbeschränktes und lokal nicht abteilbares Rechtsgut l4 • Aus der internationalen Natur des Warenzeichenrechts folge daher, daß das erstmalige Inverkehrbringen der gekennzeichneten Ware in irgendeinem Staat dazu führe, daß die Sache hierdurch auf der ganzen Welt frei sei 15 (Grundsatz der internationalen Erschöpfung). 11
Jackenneister, in: FS für Klaka, 1987, S. 160, 175ff.; Baumbach/Hefennehl, WZG,
§ 15 Rnr. 14; BGH, GRUR 1982, 114, 117 - Öffnungshinweis. 12
BGH, GRUR 1984,530,531 f. - Valium Roche; BGH, GRUR 1984,553,554 - Cera-
mix. 13 Diese im Gegensatz zur heutigen Zuordnung des Markenrechts als Immaterialgüterrecht stehende Persönlichkeitslehre wurde von Kohler (Markenschutz, S. 446; Warenzeichenrecht, S. 206 f.) und von v. Gierke (Dt. Privatrecht, S. 717, 731 ff.) etabliert. 14 RGZ 18, 28 - Hoff; RGZ 45,145; RGZ 51, 263, 267 - Mariani; vgl. auch RG, MuW 26 (1926/27), S. 110, 111 - Nelson. 15 RGZ 51,263,268 - Mariani; RG, MuW 24 (1924/25), S. 81 - Gilsonite; RG, MuW 26 (1926/27), S. 11 0, 111 - Nelson. 16 Spuhler
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
In anderen Urteilen rückte das Reichsgericht jedoch von dieser Verknüpfung des Universalitätsprinzips mit dem Erschöpfungsgrundsatz ab 16 . Die Lehre vom Persönlichkeitsrecht wurde aufgegeben und eine Hinwendung zum Territorialitätsprinzip vollzogen 17 • Zur Begründung verwies das Reichsgericht insbesondere auf die völkerrechtlichen Abkommen der PVÜ und des MMA, zu deren Mitgliedern das Deutsche Reich mittlerweile zählte. Diese völkerrechtlichen Verträge verdeutlichten, daß die vertragsschließenden Staaten von der räumlichen Begrenztheit des nationalen Warenzeichenschutzes ausgegangen seien 18 • Das Reichsgericht äußerte sich jedoch nicht zu der Frage, wie das nunmehr favorisierte Territorialitätsprinzip und die Erschöpfungslehre zu verbinden seien. Über die Zulässigkeit von Parallelimporten auf Grundlage einer internationalen Erschöpfungswirkung wurde nicht entschieden. Eine Beantwortung dieser Fragestellung erfolgte erst durch den BGH. Der lokale Anknüpfungspunkt für die maßgebliche Konsumtionshandlung des Zeicheninhabers wurde durch die Judikatur des BGH auch auf Benutzungshandlungen im Ausland ausgedehnt 19• Die Etablierung eines weltweiten Erschöpfungsgrundsatzes wurde im wesentlichen damit begründet, daß rechtserhebliche Handlungen des Zeicheninhabers im Ausland nicht unberücksichtigt gelassen werden könnten, wenn hierdurch die Herkunftsfunktion des Zeichens nicht beeinträchtigt werde. Anderenfalls würde eine räumliche Aufteilung der Marktgebiete nach Staatsgrenzen bewirkt und dem Rechtsinhaber das zeichenrechtlich nicht geschützte Recht zugebilligt, den Vertriebsweg der Ware zu kontrollieren 20• Eine solche Befugnis sei weder mit der Eigentumsordnung noch mit dem Wesen des Warenzeichenrechts vereinbar. Das Recht des Zeicheninhabers sei nicht dazu bestimmt, ein Vertriebsmonopol bis zum Endverbraucher sicherzustellen. Konsequenterweise wurde der Erschöpfungsgrundsatz daher von der h.M. dahingehend formuliert, daß ein inländischer Zeicheninhaber, der eine gleichartige Ware selbst oder mit seiner Zustimmung durch Dritte im Ausland in den Verkehr gebracht und diese mit einem identischen oder verwechslungsfähigen Zeichen versehen hat, seine zeichenrechtlichen Abwehransprüche aus § 24 WZG verbraucht hat. Unter Geltung des WZG war der Zeicheninhaber, der eine entsprechende Auslandshandlung vorgenommen hatte, nicht (mehr) befugt, den Import
16 Allgemein zu den Gründen für die Aufgabe des Universalitätsprinzips in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, v. Bar, S. 20ft'. 17 RGZ 118, 76ft'. GRUR 1927, 890, 892 - Springendes Pferd (Hengstenberg-Urteil); vgl. aber auch RGZ 45, 143, 145; RGZ 54, 414, 417. Das Reichsgericht knüpfte in diesem Zusammenhang maßgeblich an die in bezug auf das Universalitätsprinzip kritischen Ausführungen von Hagens (S. 188) und Seligsohn (S. 200) an. 18 RGZ 118,76, 82 - Springendes Pferd. 19 Grundlage hierfür ist die Entscheidung BGHZ 41, 84ff. GRUR Int. 1964, 202ft'. Maja (mit Anm. Beier). 20 BGHZ41, 84, 92-Maja.
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§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
243
der im weltweiten Ausland gekennzeichneten Ware nach Deutschland zu unterbinden 21 • Ein Parallelimport unveränderter Originalware konnte daher unter den zuvor genannten Voraussetzungen nicht mit zeichenrechtlichen Mitteln verhindert werden. Demgegenüber wurde unter Hinweis auf das Territorialitätsprinzip die Ansicht vertreten, das erstmalige Inverkehrbringen der Original ware im Ausland führe keine Erschöpfungswirkung der zeichenrechtlichen Befugnisse herbei 22 • Der Import der Originalware, die erstmals im Ausland in den Verkehr gesetzt wurde, sei gegenüber dem inländischen Zeicheninhaber als ein widerrechtliches, erneutes Kennzeichnen anzusehen. Diese Rechtsansicht hatte sich jedoch in der deutschen Warenzeichenrechtsordnung nicht durchzusetzen vermocht. Die Berufung auf das Territorialitätsprinzip wurde von der h.M. mit der Begründung zurückgewiesen, daß dieses Prinzip die Frage der internationalen Erschöpfung des Zeichenrechts überhaupt nicht erfasse 23 • Das Territorialitätsprinzip besage lediglich, daß die Eintragung eines identischen Zeichens in verschiedenen Staaten nicht ein einheitliches Zeichenrecht begründe, sondern eine Vielzahl national eigenständiger Zeichenrechte. Die Rechtswirkungen des einzelnen Zeichenrechts seien dabei auf das Hoheitsgebiet des zeichenrechtlichen Ursprungsstaats limitiert24 • Das Territorialitätsprinzip beinhalte daher insbesondere eine kollisionsrechtliche Aussage 2s • Hierdurch werde diejenige Rechtsordnung bestimmt, die für das einzelne Zeichenrecht maßgeblich sei. Die Frage, ob das inländische Zeichenrecht durch den Import der im Ausland erstmalig gekennzeichneten Original ware verletzt sei, beantworte sich daher ausschließlich nach dem Inhalt, den das Zeichenrecht nach der im Einzelfall anwendbaren inländischen Rechtsordnung aufweise 26 . Soweit daher der Zeicheninhaber selbst oder durch einen Dritten die gekennzeichnete Ware im Ausland in den Verkehr gebracht habe, sei eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion des streitgegenständlichen Zeichens nicht zu befürchten. Nach h.M. konnte dieses Ergebnis auch dann erzielt 21 BGHZ 41, 84, 87 f. - Maja; BGH, GRUR 1973, 468 ff. - Cinzano; BGH, GRUR 1983, 177, 178 - AQUA KING; BGH, GRUR 1984, 530, 531 - Valium Roche; Baumbach 1Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 48, 49; Busse/Starck, WZG, § 15 Rnr. 19; Althammer, WZG, § 15 Rnr. 11, 12; Röttger, GRUR Int. 1964, 125; Heydt, GRUR 1969,450,456; Körner, GRUR Int. 1970,215; Beier, GRUR Int. 1968,8, 10; Riehle, S. 209. 22 LG Düsseldorf, MA 1963, 127 - Revlon I; Troller, GRUR Int. 1960,244; Hoth, GRUR 1968,64,68; Kraft, GRUR 1969, 120, 123; Ballhaus, S. 81 ff. 23 Ebenroth, S. 24; Baumbach/Hefennehl, WZG, § 15 Rnr. 48; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 13 unter gleichzeitiger Kritik am internationalen Erschöpfungsgrundsatz der h.M. zum WZG. 24 Vgl. nur RGZ 118, 76 ff. - Springendes Pferd (Hengstenberg-Urteil). Dieses Urteil besiegelte - wie bereits dargelegt - die Abkehr des Reichsgerichts vom ursprünglich favorisierten Universalitätsprinzip (vgl. z. B. RGZ 45, 145; RGZ 51, 263, 267 - Mariani; RG, MuW 26 (1926/27), S. 110, 111 - Nelson) und die Hinwendung zum Territorialitätsprinzip. Allgemein zur Geschichte des Territorialitätsprinzips, v. Bar, S. 17 ff. ~ Emmerich, DB 1972, 1275, 1277. 26 Baumbach/Hefennehl, WZG, § 15 Rnr.48.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
werden, wenn in dem Staat, in dem die Benutzungshandlung vorgenommen wurde, ein ausländisches paralleles Warenzeichen existierte 27 • Die Wirkungen der internationalen Erschöpfung traten auch gegenüber demjenigen ein, dem das Alleinvertriebsrecht für die gekennzeichneten Waren und das ausschließliche Benutzungsrecht im Inland vom Zeicheninhaber übertragen wurde 28 . Zur Begründung wurde darauf verwiesen, daß ein solcher Beteiligter nicht über eine größere Rechtsposition als der Zeicheninhaber selbst verfügen könnte 29 . Die gleiche Rechtsfolge galt auch dann, wenn das Zeichen des ausländischen Herstellers mit dessen Zustimmung für den zum Alleinvertrieb berechtigten Händler im Inland eingetragen wurde. Auch dann ergab sich keine zeichenrechtliche Befugnis, einen Parallelimport aus dem Ausland abzuwehren 3o• Im Rahmen der genannten Fallkonstellationen war es regelmäßig für das Eingreifen des internationalen Erschöpfungsgrundsatzes von entscheidender Bedeutung, daß zwischen dem inländischen Zeicheninhaber und dem ausländischen Hersteller und Zeicheninhaber ein warenzeichenrechtliches Abhängigkeitsverhältnis bestand 31 • Eine zeichenrechtliche Abwendungsbefugnis stand dem formellen inländischen Zeicheninhaber nur dann zur Seite, wenn ihm auch materiell-rechtlich das Warenzeichen zustand, wenn er also gegenüber dem ausländischen Hersteller nicht aufgrund wirtschaftlicher oder juristischer Abhängigkeit im Hinblick auf die Benutzung des Zeichens weisungsgebunden W~2. Nur dann konnte sich eine konkrete Gefahr für die Herkunftsfunktion des Zeichens ergeben. Darüber hinaus hatte die Rechtsprechung die Anwendung des internationalen Erschöpfungsgrundsatzes auch in bezug auf ausländische Lizenznehmer und in einem Konzern verbundene Unternehmen erstreckt. Eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion wurde dann abgelehnt, wenn der ausländische Lizenznehmer die lizenzierte Ware im Ausland in den Verkehr setzte. Soweit ein Import dieser Ware erfolgte, mußte sich der inländische Lizenzgeber und Zeicheninhaber diesen Vorgang zurechnen lassen 33 • Desweiteren wurden Konzernunternehmen als warenzeichenrechtliche Einheit mit der Folge angesehen, daß sich auch das inländische Konzernunternehmen als Zeicheninhaber das Inverkehrbringen der gekennzeichneten Ware durch ein Konzernunternehmen im Ausland zurechnen lassen mußte. So konnte sich insbesondere eine inländische Tochtergesellschaft nicht auf eine widerBGHZ 41,84, 87f. - Maja; BGHZ 81,101, 100ff.; Reimer, GRUR Int. 1972,221,223. BGHZ 41,84, 92f. Maja. 29 Baumbach/Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 50. 30 BGH, GRUR 1983, 177, 178 -AQUA KING. Vgl. im Hinblick auf eine inländische Tochtergesellschaft eines ausländischen Herstellers, OLG Düsseldorf, GRUR Int. 1965,204 -Revlon IV. 31 Ebenroth, S. 25. 32 BGH, GRUR 1973,468,469 -Cinzano; BGH, GRUR 1983, 177, 178 - AQUA KING; vgl. auch v. Bar, S. 43 ff. 33 BGH, GRUR 1973, 468 ff. - Cinzano; Baumbach I Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 52. 27 28
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
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rechtliche Zeichenverletzung im Sinne des § 24 WZG berufen, wenn die Ausübung des Ausschließlichkeitsrechts durch die Muttergesellschaft oder eine andere ausländische Tochter erfolgte 34 • Schließlich wurde ein Auschluß der Erschöpfung des Warenzeichenrechts nicht dadurch bewirkt, daß die importierte Ware im Verhältnis zur inländischen Ware qualitativ unterschiedlich beschaffen war, sofern die Auslandsware aus dem Kontroll- und Einflußbereich des Zeicheninhabers stammte35 • Eine sog. qualitative Produktdifferenzierung tangierte nach h.M. unter Geltung des WZG nicht die Herkunfts- und Garantiefunktion des Warenzeichens, weil es im Rahmen des WZG keine rechtliche Garantie für diegleichbleibende Güte und Beschaffenheit der Ware gebe.
B. Rechtslage unter Geltung des MarkenG L Die Regelung des § 24 I MarkenG
Als Neuerung innerhalb der deutschen Markenrechtsordnung wird zum ersten Mal der Grundsatz der Erschöpfung der Rechte aus einer Marke (§ 4 Nr. I-Nr. 3 MarkenG) oder einer geschäftlichen Bezeichnung36 (§ 5 MarkenG) als Schutzschranke kodifiziert 37 . Gern. § 24 I MarkenG erfolgt eine Erschöpfung (Konsumtion) des Kennzeichenrechts, wenn der Rechtsinhaber Waren unter dieser geschützten Bezeichnung in den Verkehr bringt. Dies gilt auch dann, wenn die markierten Waren mit seiner Zustimmung in den Verkehr gesetzt wurden. Soweit der Erschöpfungsgrundsatz reicht, ist es dem Kennzeicheninhaber daher verwehrt, einem Dritten die Benutzung der Marke oder der geschäftlichen Bezeichnung im Hinblick auf die hiermit gekennzeichneten Waren zu untersagen 38 . § 24 I MarkenG basiert insgesamt auf der Regelung des Art. 7 MarkenRL. Diese europarechtliche Vorgabenorm ist jedoch von ihrem sachlichen Anwendungsbereich lediglich auf eingetragene Marken beschränkt. Nur hinsichtlich dieser Kennzeichenkategorie besteht nach dem 4. und 9. Erwägungsgrund zur MarkenRL 39 34 BGH, GRUR 1973,468,470 - Cinzano; Ullrich, GRUR Int. 1983,371,373 f.; Baumbach I Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 55; Busse/Starck, WZG, § 24 Rnr. 13. 35 BGH, GRUR 1973,468, 471-Cinzano; Baumbach I Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 56. 36 Näher dazu Sack, GRUR 1997, 1,4. 37 Allgemein zum Erschöpfungsgrundsatz des § 24 MarkenG, Litpher, passim; vgl. auch Litten, WRP 1997, 678. Allgemein zum markenrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz im deutschen und europäischen Recht, Sack, WRP 1998, 549 ff. Vgl. zum gemeinschaftsrechtlichen und WTO-rechtlichen Erschöpfungsgrundsatz, Stucki, passim. 38 Vgl. zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 24 MarkenG, Pucher, WRP 1998, 362ff. 39 GRUR Int. 1989,294.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
eine Harmonisierungsnotwendigkeit zur Schaffung eines Gemeinsamen Marktes mit einheitlichen Wettbewerbsbedingungen. Der sachliche Anwendungsbereich des § 24 I MarkenG erfaßt demgegenüber auch Markenrechte, die infolge der Benutzung einer Marke mit Verkehrsgeltung (§ 4 Nr. 2 MarkenG) oder aufgrund der notorischen Bekanntheit der Marke (§ 4 Nr. 3 MarkenG) entstanden sind4o. Schließlich bezieht sich die Rechtsfolge der Erschöpfung auch auf geschäftliche Bezeichnungen im Sinne des § 5 MarkenG. Der Grundsatz der Konsumtion markenrechtlicher Schutzrechte findet sich zudem auch inhalts gleich in Art. 13 GMarken V. Im Unterschied hierzu weisen die internationalen Abkommen zum Markenschutz (PVÜ, MMA und TRIPS-Abkommen) keine entsprechenden Bestimmungen auf. Nach dem Wortlaut des § 24 I MarkenG erstreckt sich der Erschöpfungsgrundsatz nur auf gekennzeichnete Waren, nicht jedoch auf Dienstleistungen. Dies entspricht auch den europarechtlichen Bestimmungen des Art. 7 MarkenRL und Art. 13 GMarkeny41. Sofern der Erschöpfungsgrundsatz als Befugnisschranke zu lasten des jeweiligen Kennzeicheninhabers einschlägig ist, bedeutet dies nicht, daß ein hierdurch begünstigter Dritter über ein regelmäßig völlig uneingeschränktes Benutzungsrecht im Sinne der §§ 14, 15 MarkenG verfügt. Von der Reichweite der kennzeichenrechtlichen Erschöpfung wird in der Regel die Benutzung des Kennzeichens im Zusammenhang mit dem Weitervertrieb der unveränderten Originalware erfaßt (§ 14 m Nr. 2, Nr. 4 MarkenG)42. Gleiches gilt auch für die Verwendung des Kennzeichens in der Werbung (Ankündigungsrecht, § 14 m Nr. 5 MarkenG)43. Fraglich ist jedoch, ob auch das Kennzeichnungsrecht (Markierungsrecht, § 14 III Nr. 1 MarkenG) des originären Rechtsinhabers, d. h. die Befugnis zum Anbringen des Kennzeichens auf der Ware bzw. ihrer Verpackung, vom Erschöpfungsgrundsatz unberührt bleibt. Nach der Rechtslage unter Geltung des WZG erfaßte die Erschöpfungswirkung nicht das Recht des Markeninhabers, einem unbefugten Dritten die Benutzung seiner Marke zur Neukennzeichnung von Waren zu untersagen, selbst wenn die so gekennzeichneten Produkte von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht wurden44 • Zum harmonisierten deutschen Markenrecht wird in Altharnrner / Klaka, MarkenG, § 24 Rnr. 2. Diese Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs des europarechtlichen Erschöpfungsgrundsatzes rechtfertigt sich aus dem Normzweck der Vorschriften, die diese markenrechtliche Schutzschranke beinhalten. Insoweit bietet sich ein Vergleich zur unterschiedlichen europarechtlichen Ausgestaltung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ft. (ex-Artt. 30ft.) BGV) einerseits und der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (Art. 49ft. (ex-Artt. 59ft.) EGV) andererseits an. Näher dazu Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 8.; Ingerll Rohnke, MarkenG, § 24 Ror. 6. 42 So die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 81. 43 Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Ror. 7b. 40 41
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
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der Literatur teilweise vertreten, an diesem Grundsatz sei weiterhin festzuhalten. Dementsprechend wird die Neukennzeichnung nach dieser Ansicht von der Erschöpfungswirkung des § 24 I MarkenG grundsätzlich ausgenommen4S • Diese Auffassung läßt sich vor dem Hintergrund der neueren EuGH-Rechtsprechung zum Umpacken fremder Waren46 nicht mehr aufrechterhalten. In seiner früheren diesbezüglichen Rechtsprechung ist der EuGH noch davon ausgegangen, daß das Kennzeichnungsrecht grundsätzlich dem spezifischen Gegenstand des Markenrechts zuzurechnen sei47 • Nunmehr geht der EuGH davon aus, daß das Kennzeichnungsrecht des Markeninhabers unter bestimmten Voraussetzungen48 dem Erschöpfungsgrundsatz der Artt. 28, 30 (ex-Art. 30,36) EGV und dem kodifizierten Erschöpfungsgrundsatz des Art. 7 MarkenRL49 unterfalle. Hierfür spricht auch der Wortlaut des Art. 7 MarkenRL und des Art. 13 GMarkenV. Nach den genannten Bestimmungen erschöpft sich das Markenrecht insgesamt. Die Konsumtion ist nicht auf abtrennbare Teilpositionen innerhalb des markenrechtlichen Ausschließlichkeitsrechts beschränkt. Das Neukennzeichnungsrecht ist daher als solches - ohne Hinzutreten besonderer Umstände des Einzelfalles - nicht geeignet, der Erschöpfungswirkung zu entgehenso. Dies gilt auch im Hinblick auf die gemeinschaftskonforme und richtlinienkonforme Auslegung des § 24 I MarkenG. Insgesamt kann daher festgestellt werden, daß sich sowohl im harmonisierten nationalen Markenrecht als auch im Gemeinschaftsmarkenrecht sämtliche Benutzungsrechte des Markeninhabers erschöpfen5l , wenn nicht im Einzelfall eine Begrenzung der Konsumtionswirkung gern. § 24 11 MarkenG bzw. Art. 7 11 MarkenRL und Art. 13 11 GMarken V einschlägig ist.
44 RGZ 103, 359, 363 f. - Singer; RGZ 124,273,275 f. - Stellin; RGZ 161, 29, 38 - Zählerersatzteile; BGH, GRUR 1982, 115, 116 - Öffnungshinweis; BGH, GRUR 1984, 352, 354 - Ceramix; Baumbach I Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 47, 83, 84; Ebenroth I HUbschle, S. 115, 127. 45 Rechtsdogmatisch soll dies entweder im Wege einer teleologischen Reduktion des § 24 I MarkenG oder im Wege einer erweiteren Auslegung des § 24 II MarkenG bewerkstelligt werden, so die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 81. Im Ergebnis auch Berlit, S. 131; Ingerl/Rohnke, NJW 1994, 1247, 1253; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 11. 46 Näher dazu 4. Kapitel, § 3, S. 290 ff. 47 EuGH, Sig. 1978, 1139, 1165 GRUR Int. 1978,599 - Hoffmann-La Roche/Centrafarm; EuGH, Sig. 1978, 1823, 184Of. GRUR Int. 1979,99 - Centrafarml American Horne Products; EuGH, Sig. 1981,2913,2926 - Pfizer I Eurim-Pharm. 48 Der EuGH nennt folgende Kriterien: Keine Beeinträchtigung des Originalzustands der Ware, keine imageschädigende Neuverpackung, Information des Markeninhabers, Hinweis auf der Verpackung, daß umgepackt wurde. Vgl. EuGH, Sig. 1996, 1-3457 = GRUR Int. 1996, 1144 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Sig. 1996 1,3603, 3620f. - Eurim-Pharm; EuGH, Sig. 1996 1,3671, 3684f. - MPA Pharma; vgl. auch EuGH, Sig. 1997,1-6227 = GRUR Int. 1998, 145, 147 - Loendersloot I Ballantine. Näher dazu 4. Kapitel, § 3, S. 290 ff. 49 Gleiches gilt aufgrund des identischen Wortlauts auch in bezug auf Art. 13 GMarkenV. 50 Vgl. auch Sack, GRUR 1997, 1,4,9. 51 So auch Sack, WRP 1998,549,569.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Im Gegensatz zur Rechtslage unter Geltung des WZG kann nunmehr im Rahmen der Bestimmung der Reichweite des Erschöpfungsgrundsatzes nicht ausschließlich auf eine im Einzelfall vorliegende Verletzung der Herkunftsfunktion abgestellt werden. Die im Zuge des MarkenG eingetretene Relativierung der Herkunftsfunktion wirkt sich auch in bezug auf die Kodifikation des Erschöpfungsgrundsatzes aus. Eine Beschränkung der Konsumtionswirkung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn die Herkunftsfunktion der Marke verletzt ist, sondern auch dann, wenn die ökonomischen Funktionen der Marke (z. B. deren Qualitätsfunktion)S2 im Hinblick auf das Vermarktungs- und Werberecht des Markeninhabers im Einzelfall tangiert werden s3 . 1. Der territoriale Anwendungsbereich des § 24/ MarkenG
Nach dem Wortlaut des § 24 I MarkenG erstreckt sich der räumliche Anwendungsbereich des Erschöpfungsgrundsatzes auf Deutschland, die übrigen Mitgliedstaaten der EU und die anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)s4. Nur in diesem räumlichen Geltungsbereich wird auf Grundlage des Tatbestands des § 24 I MarkenG ein Inverkehrsetzen durch den Rechtsinhaber oder einen Dritten markenrechtlich relevant. In diesem Zusammenhang ist jedoch nunmehr fraglich, ob die Kodifikation des § 24 I MarkenG die bislang unter dem Regime des WZG geltende Lehre von der internationalen Erschöpfung des Zeichenrechts verdrängt hat. Dieser Problemkreis soll im folgenden behandelt werden. a) Die Auffassung des BGH Von grundlegender Bedeutung für die Frage der Aufrechterhaltung des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung im Rahmen der neuen deutschen Markenrechtsordnung ist das BGH-Urteil"Gefärbte Jeans"ss . S2 Vgl. dazu Funk, passim. Zur eingeschränkten Bedeutung der Qualitäts- oder Werbefunktion im Rahmen der Erschöpfung, Wichard, GRUR 1997, 711, 713. S3 Vgl. Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 9 ff. S4 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum in der Fassung vom 02. 05. 1992 (AbI. 1994 Nr. L I, S. 3 ff.). Das EWR-Abkommen führt zu einer territorialen Ausdehnung des Erschöpfungsgrundsatzes nur insoweit, als es sich auch auf Staaten bezieht, die nicht zugleich Mitglieder der EU sind, da anderenfalls dem Tatbestandsmerkmal ,,in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum" infolge einer territorialen Deckungsgleichheit mit dem Gebiet der EU keine eigenständige räumliche Bedeutung zukommt. Das EWR-Abkommen wird daher im Rahmen des § 24 I MarkenG nur in bezug auf die Vertragsstaaten Island, Liechtenstein und Norwegen (Stand: 01. 01. 1997, BI. 1997, 157) relevant. Die übrigen Vertrags staaten sind zugleich Mitglieder der EU. ss BGHZ 131, 308ff. GRUR 1996, 271 ff. (mit Anmerkung Albert I Heath) - Gefärbte Jeans. Vgl. auch Loewenheim, in: FS für Vieregge, 1995, S. 569; ders., GRUR Int. 1996, 307. Vgl. auch OLG Hamburg, MarkenR 1999,202 ff. - Eastpak.
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§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
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Diesem Rechtsstreit lag kurzgefaßt der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist Inhaberin mehrerer deutscher Marken, die u. a. für Bekleidungsstücke eingetragen wurden. Die Beklagte führte von der Klägerin in den USA hergestellte Jeans nach Deutschland ein, um sie in ihrem Einzelhandelsgeschäft weiterzuverkaufen. Diese Markenprodukte wurden von dritter Seite - ohne Zustimmung der Klägerin 56 - chlorgebleicht, eingefärbt und teilweise zum Gebrauch als Shorts in der Länge gekürzt. Die Klägerin hat nunmehr den Verkauf dieser bearbeiteten Jeans als eine Verletzung ihrer Zeichenrechte angesehen und u. a. Unterlassung verlangt. In dieser Grundsatzentscheidung zu § 24 MarkenG hat der BGH zunächst Ausführungen zur zeitlichen Anwendung des MarkenG gemacht. Allgemein findet das im Zeitpunkt der Entscheidung maßgebliche Recht Anwendung, soweit es nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfaßt57 • Der von der Klägerin in diesem Rechtsstreit geltend gemachte und in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch unterliege gern. § 152 MarkenG dem MarkenG. Das Unterlassungsbegehren richte sich daher nach § 14 I MarkenG unter Berücksichtigung der aus § 24 I MarkenG resultierenden Schranke. Eine Konsumtion des Unterlassungsanspruchs der Klägerin komme vorliegend nicht in Betracht. Dies folge aus der Tatsache, daß die Ware ohne Zustimmung der Klägerin in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt worden sei und der Vertrieb der entsprechenden Produkte in den USA nicht zu einer Erschöpfung der markenrechtlichen Positionen der Klägerin geführt habe 58 • Aus § 24 I MarkenG sei abzuleiten, daß eine Erschöpfung des Rechts aus der Marke nicht bereits dann eintrete, wenn der Markeninhaber die Ware unter der Marke irgendwo auf der Welt in den Verkehr gebracht habe oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr habe bringen lassen. Ein Verbrauch markenrechtlicher Befugnisse könne erst dann angenommen werden, wenn die Ware mit der Marke vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung im Inland, in einem der übrigen Mitgliedstaaten der EU oder in einem anderen Vertrags staat des Abkommens über den EWR in den Verkehr gebracht worden sei59 • Der nationale Gesetzgeber habe im Rahmen des § 24 I MarkenG in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Art. 7 MarkenRL (und des Art. 13 GMarkenV) den bislang geltenden Grundsatz der internationalen Erschöpfung des Zeichenrechts zugunsten einer territorial limitierten und maximal auf den EWR erstreckten Erschöpfungswirkung aufgegeben 60• Die bislang anwendbare und hiervon abweichende höchstrichterliche Rechtsprechung könne nicht mehr aufrechterhalten werden61 • Der streitentscheidende Richter sei in diesem vom Hierauf hatte die Beklagte durch ein Schild hingewiesen. BGH, GRUR 1996,271,273 - Gefärbte Jeans, unter Hinweis auf BGHZ 36,348,350; BG H, GR UR 1996, 198 - Springende Raubkatze. 58 BGH, GRUR 1996,271,273 - Gefärbte Jeans. 59 BGH, a. a. O. 60 Insoweit beruft sich der BGH auf die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 1216581, S. 81. 56
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Gesetzgeber gezogenen Rahmen nicht dazu befugt, zur Frage Stellung zu nehmen, ob die so verstandene räumliche Beschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes der Förderung des internationalen Handels zuwiderlaufe62 • Es sei zudem nicht erkennbar, daß eine so verstandene Auslegung des § 24 I MarkenG auf der Grundlage des Art. 7 MarkenRL mit europarechtlichen oder nationalen Verfassungsgrundsätzen kollidiere 63 . Für die Etablierung eines lediglich EWR-weiten Erschöpfungsgrundsatzes sprächen schließlich praktische Erwägungen. Die EU würde hierdurch als Vertrags partner in die Lage versetzt, die in verschiedenen Drittstaaten bislang nicht einheitlich durchgeführte Anwendung des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung dadurch sicherzustellen, daß mit den wichtigsten Handelspartnern bilaterale Verträge zur Regelung dieser Frage abgeschlossen werden könnten64 • Bereits vor Erlaß dieses Urteils haben sich verschiedene andere Gerichte in derselben Weise geäußert und im Ergebnis den Grundsatz der internationalen Erschöpfung aufgegeben 65.
b) Stellungnahmen in der Literatur Die Aufgabe des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung im deutschen Markenrecht ist im Schrifttum auf ein geteiltes Echo gestoßen. Schon im Vorfeld des zuvor dargestellten Grundsatz-Urteils des BGH wurde die Auffassung vertreten, Art. 7 MarkenRL als gemeinschaftsrechtliche Vorgabe des § 24 MarkenG sei nicht als eine zwingende Verankerung der limitierten EWRweiten Erschöpfung anzusehen. Diese Vorschrift enthalte vielmehr lediglich eine Mindestbestimmung, aber keine abschließende Regelung, so daß der Grundsatz der internationalen Erschöpfung im deutschen Markenrecht auch weiterhin aufrechterhalten werden könne66 • 61 Diese Äußerung bezieht sich insbesondere auf die BGH-Urteile BGHZ 41, 84, 88 Maja und BGHZ 60, 185, 191 - Cinzano. 62 In diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf die Ausführungen von v. Mühlendahl, in: Hilf/Oehler, Der Schutz des geistigen Eigentums in Europa, 1991, S. 69, 81 und Ullmann, in: Henssler/Kolbeck/Moritz/Rehm, Europäische Integration und globaler Wettbewerb, 1993, S. 613, 617. In diesen Untersuchungen wird eine Beeinträchtigung des internationalen Handelsverkehrs durch den territorial begrenzten europarechtlichen Erschöpfungsgrundsatz abgelehnt. 63 BGH, GRUR 1996,271,274 - Gefarbte Jeans. 64 BGH, a. a. O. Vgl. auch Harte-Bavendamm/Scheller, WRP 1994, 571, 575. 65 Vgl. LG Düsseldorf, GRUR 1996,66 - adidas-Import, unter Hinweis auf die Begründung des Gesetzgebers zum MarkenG; OLG München, GRUR 1996, 137 - GT ALL TERRA. Das OLG München stützte sich insbesondere auf die Entstehungsgeschichte der MarkenRL und die Absicht des nationalen Gesetzgebers, mit Hilfe des MarkenG eine gemeinschaftskonforme Regelung zu erreichen. Weitere landgerichtliche Entscheidungen finden sich bei Pickrahn, GRUR 1996, 383, 384 Fn. 21. 66 Beier, GRUR Int. 1989,603,615; v. Gamm, WRP 1993,793,795; Mailänder, in: FS für Gaedertz, 1992, S. 369,389; Ingerl/Rohnke, NJW 1994, 1247, 1253; Ebenroth, S. 27ff.
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Zur Begründung dieser Auffassung wird ausgeführt, daß die MarkenRL nicht eine umfassende Harmonisierung der nationalen Markenrechte anstrebe, sondern ihre Angleichungswirkungen auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften beschränke, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkten67 . Hieraus lasse sich entnehmen, daß die Regelung in bezug auf die Erschöpfung nur auf die Herstellung eines funktionierenden Binnenmarktes gerichtet sei und daher nur den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, nicht jedoch im Verhältnis zu Drittstaaten betreffe68 . Die Frage der internationalen Erschöpfung sei daher vom Anwendungsbereich der MarkenRL nicht erfaßt. Hierfür spreche auch, daß der Rat keine ausdrückliche europarechtIiche Kompetenz69 besitze, um eine entsprechende Richtlinienwirkung herbeizuführen. Die MarkenRL sei insbesondere auf Art. 95 (ex-Art. lOOa) EGV gestützt worden, um einen funktionierenden Binnenmarkt mit Hilfe vereinheitlichter nationaler Markenrechte herzustellen. Die Grenze des Wirkungsbereichs des Art. 7 MarkenRL beziehe sich daher territorial auch nur auf diesen Raum, so daß konsequenterweise im Rahmen dieser Vorschrift nur ein gemeinschafts weiter Erschöpfungsgrundsatz niedergelegt werden konnte70. Eine andere Sichtweise würde zu einem Eingriff in die Handelsbeziehungen der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten führen, die nicht mehr von der Kompetenznorm des Art. 95 (ex-Art. lOOa) EGV gedeckt sei71 • Ein Verzicht auf den internationalen Erschöpfungsgrundsatz im innerstatlichen Recht sei daher nicht gemeinschaftsrechtlich determiniert 72. Demgegenüber wurde bereits vor Erlaß des maßgeblichen BGH-Urteils ("Gefärbte Jeans,,)73 die Meinung vertreten, Art. 7 MarkenRL als Basis für die Regelung des § 24 MarkenG sei restriktiv auszulegen und verbiete eine unzulässige Extension dergestalt, den Grundsatz der internationalen Erschöpfung auch weiterhin beizubehalten. Eine über den Bereich der gemeinschaftsweiten Erschöpfung hinausreichende weitere Beschränkung der markenrechtlichen Abwehrrechte, wie Vgl. den 3. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989,294. Ebenroth, S. 28. 69 Auch nicht kraft Sachzusammenhangs. Vgl. auch Loewenheim, GRUR Int. 1996, 307ff. 70 Ebenroth, S. 29. 71 In diese Richtung wies auch das OLG Stuttgart als Vorinstanz zu BGHZ BI, 308 - Gefarbte Jeans. Nach Auffassung dieses Gerichts unterliege eine über den Binnenmarkt hinausgehende gemeinsame Handelspolitik den Voraussetzungen des Art. 131 (ex-Art. 110) I EGV, wonach eine harmonische Entwicklung des Welthandels und der Abbau von Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr angestrebt werde. Diese Zielsetzungen würden durch die Aufgabe des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung konterkariert, OLG Stuttgart, Urteil vom 03. 09. 1993, 2 U 291/92, zitiert nach Albert/Heath, GRUR 1996, 275, 277 (Anmerkung zum BGH-Urteil ..Gefarbte Jeans"). 72 Vgl. auch Beier, GRUR Int. 1989,603,615; v. Gamm, WRP 1993, 793, 795; Ingerl/ Rohnke, NJW 1994, 1247, 1253; Mailänder, in: FS für Gaedertz, 1992, S. 369, 389; Litpher, S.207ff. 73 BGH, GRUR 1996,271. 67 68
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sie der Grundsatz der internationalen Erschöpfung vorsehe, sei nicht beachsichtigt gewesen und daher abzulehnen 74. Kritische Stimmen im Schrifttum finden sich jedoch zurecht auch nach Erlaß der BGH-Entscheidung ("Gefärbte Jeans")75. Zunächst ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß für den BGH in jenem Urteil keine Notwendigkeit bestand, zur Frage der internationalen Erschöpfung im Rahmen des § 24 I MarkenG Stellung zu nehmen, weil sich das Verhalten der Beklagten eindeutig unter den Tatbestand des § 24 11 MarkenG (nichtkonsentierte Veränderung des Zustands der Waren nach dem Inverkehrbringen) subsumieren ließ und daher der Anwendungsbereich des § 24 I MarkenG in jenem Rechtsstreit schon aus diesem Grund nicht eröffnet war. Im Hinblick auf die maßgebliche Auslegung des Art. 7 MarkenRL wird in der Literatur zutreffend vorgebracht, daß aus dem Wortlaut nicht zweifelsfrei gefolgert werden könne, es handele sich hierbei um eine zwingende Maximalvorschrift. Im Rahmen einer Gesamtschau mit anderen gemeinschaftsrechtlichen Normen sei insbesondere die Regelung des Art. 911 der Richtlinie lOO/92/EWG zum Urheberrecht zu beachten76. Hier erschöpft sich das Urheberrecht tatbestandiich ausdrücklich nur mit dem Erstverkauf des Gegenstandes in der Gemeinschaft. Desweiteren folge aus der nicht vorhandenen Kompetenz der EG zur Regelung der internationalen Erschöpfung, daß der deutsche Gesetzgeber insoweit gemeinschaftsrechtlich auf Grundlage der MarkenRL nicht gebunden war77 . Es stand ihm daher frei, die internationale Erschöpfung weiterhin aufrechtzuerhalten, zumal auch der Wortlaut des Art. 7 MarkenRL und damit des § 24 I MarkenG - wie bereits erwähnt - diesbezüglich auslegungsfahig sei78 . Auch die im Zuge der Einführung des MarkenG erfolgte Ergänzung der Herkunftsfunktion um weitere anerkennenswerte Markenfunktionen (z. B. Qualitäts- und Werbefunktion) führe nicht zu einer grundlegenden Neubewertung der Zulässigkeit von Parallelimporten auf Grundlage der markenrechtlichen Erschöpfung79 . In diesem Zusammenhang wird zurecht auf den 10. Erwägungsgrund zur MarkenRL80 verwiesen, wonach die Herkunftsfunktion immer noch als Zentralfunktion des Markenrechts anzusehen ist. 74 Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1990, 747, 758f.; vgl. auch Meister, MA 1990,60,68; ders., MA 1990,293,305 f.; ders., MA 1990,425,441; Klaka, GRUR 1994,321,325; Pickrahn, GRUR 1996, 383, 384; Harte-Bavendamrn/Scheller, WRP 1994, 57l. 75 V gl. Albert I Heath, GRUR 1996, 275 ff. (Anm. zum BGH-Urteil "Gefärbte Jeans"). 76 Albert I Heath, GRUR 1996,275,277 (Anmerkung zum BGH-Urteil "Gefärbte Jeans"); dies., GRUR 1998, 642ff. 77 Vgl. dazu unten, Gliederungspunkt c). 78 Albert I Heath. GRUR 1996,275,277 (Anmerkung zum BGH-Urteil "Gefärbte Jeans"). 79 Demgegenüber spricht Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 15, jedoch von einern ,,Paradigmenwechsel in der Funktionenlehre". Vgl. auch Nordemann, DZWir 1995, 315ff. mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 80 GRUR Int. 1989,294.
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Schließlich werden auch zurecht wirtschaftspolitische Argumente vorgetragen, aus denen sich eine Beibehaltung des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung ergibt81 • Die Einführung der lediglich EWR-weiten Erschöpfung führt zu einer einseitigen Bevorteilung international operierender Unternehmen gegenüber solchen, die nur innerhalb der territorialen Reichweite des § 24 I MarkenG I Art. 7 MarkenRLl Art. 13 GMarkenV produzieren und folglich in der EU Arbeitspältze schaffen und hier auch ihre Steuern entrichten. Das auf verschiedenen internationalen Märkten vertretene Unternehmen kann - nunmehr auch markenrechtlich abgesegnet - insbesondere seine lohnintensiven Produktionsprozesse in Billiglohnländer verlagern, ohne hierdurch die markenrechtlichen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, die nur dann eintreten, wenn auch weiterhin der Grundsatz der internationalen Erschöpfung gelten würde. Hierdurch wird geradezu ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, Produktionsstätten in das außereuropäische Ausland zu verlagern. Es sei nochmals betont, daß unter dem Regime der lediglich EWR-weiten Erschöpfung der Markeninhaber seine markenrechtlichen Befugnisse bei einem erstmaligen konsentierten Inverkehrbringen im außereuropäischen Ausland nicht verliert. Er kann daher ohne rechtliche Einbußen die Vorteile des Preis- und Lohngefälles auf den globalen Märkten für sich ausnutzen, unmittelbar zum Nachteil derjenigen Unternehmen, die ausschließlich im Territorium der EU verbleiben. Insoweit wird auch rechtlich eine Zweiklassengesellschaft von Unternehmen im Binnenmarkt geschaffen. Die Beschneidung des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung führt daher im Ergebnis zu einer Diskriminierung gerade derjenigen Hersteller, die ausschließlich in Europa produzieren. Eine Gefahr auch für lohnintensive europäische Arbeitsplätze läßt sich nicht von der Hand weisen. In diesem Zusammenhang ist allerdings festzustellen, daß die wirtschaftspolitische Kritik an der Aufgabe der internationalen Konsumtion markenrechtlicher Befugnisse einen ambivalenten Charakter aufweist. Es kann zwar nicht bestritten werden, daß durch die Beschränkung auf eine EWR-weite Erschöpfung multinationale Unternehmen unmittelbar bevorteilt werden. Allerdings ist zu beachten, daß sich diese Entwicklung als logische Konsequenz aus der zunehmenden internationalen Verflechtung und Globalisierung der Weltmärkte ergibt. Der Wettbewerb der multinationalen Unternehmen um Anteile am Weltmarkt hat sich in den letzten Jahren zunehmend verschärft. Die entscheidende wirtschaftliche Strategie der "global player" besteht gerade darin, als Großunternehmen auf allen wichtigen Teilmärkten mit eigenen Produktionsstätten präsent zu sein. Der entscheidende Vorteil dieser Omnipräsenz ist darin zu sehen, die am jeweiligen Standort herrschenden Vorteile des Wirtschafts- und Rechtssystems unmittelbar nutzen zu können. Im Mittelpunkt dieser weltweiten Standortwahl steht die aus betriebswirtschaftlichen Gründen nachvollziehbare Verlagerung arbeits- und lohnintensiver Produktionsvorgänge in sog. Billiglohnländer. Es erscheint illusorisch, diese Ent81 Albert I Heath, GRUR 1996, 275, 278f. (Anmerkung zum BGH-Urteil "Gefärbte Jeans"); dies. GRUR 1998,642,645.
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wicklung durch ein Festhalten am Grundsatz der internationalen Erschöpfung aufhalten zu wollen, solange sich nicht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Investitionen in der EU und insbesondere in Deutschland grundlegend verändern. Die Hinwendung zur lediglich EWR-weiten Erschöpfung symbolisiert daher die Erkenntnis und gleichsam die Resignation der europäischen Staaten, bestimmte klassische Industriezweige, wie z. B. die Textilherstellung, endgültig an außereuropäische Staaten verloren zu haben. Vor diesem realen Hintergrund ist es sogar wirtschaftlich sinnvoll, die Wettbewerbsposition europäischer Unternehmen, die international tätig sind, zu stärken, wenn sie Produktionskapazitäten ins außereuropäische Ausland verlagern, da sie insoweit direkt mit anderen multinationalen Unternehmen konkurrieren. Diese Entwicklung läßt sich nicht mehr aufhalten. Gerade um diese außereuropäischen Produktionsstandorte und Zukunftsmärkte ist der Wettbewerb zwischen den Großunternehmen entbrannt. Die These der wettbewerblichen Stärkung international operierender Unternehmen mag auf den ersten Blick überraschen. Sie ermöglicht es jedoch, auf die zuvor dargestellten wirtschaftlichen Entwicklungen angemessen zu reagieren. Auch in Zukunft wird Europa diejenigen Arbeitsplätze verlieren, die im Ausland zu geringeren Kosten bereitgestellt werden können - mit oder ohne internationale Erschöpfung. Nach dem jetzigen Stand der Entwicklung werden jedoch die administrativen und forschungsintensiven Tätigkeiten in Europa verbleiben. Diese hochwertigen und anspruchsvollen Arbeitsplätze müssen erhalten bleiben. Demgegenüber bleibt jedoch der Einwand bestehen, daß die international operierenden Unternehmen aufgrund der Neuregelung der markenrechtlichen Konsumtion gegenüber den lediglich EWR-weit agierenden Unternehmen bevorteilt werden 82 • In den zuletzt genannten Unternehmen sind daher - wie bereits erwähnt - auch die lohnintensiven Arbeitsplätze in Gefahr. Auf Grundlage einer wirtschaftspolitischen Betrachtungsweise lassen sich daher insgesamt sowohl positive als auch negative Aspekte der EWR-weiten Erschöpfung im Markenrecht feststellen. Von den Befürwortern einer EWR-weiten Konsumtion wurde auch im Rahmen der BGH-Entscheidung "Gefärbte Jeans" vorgetragen, daß die EU auf internationaler Ebene zusätzliche Verhandlungsstärke und Handlungsspielräume gewinne, wenn der Grundsatz der internationalen Erschöpfung aufgegeben werde83 • Die EU könnte dann die in den Drittstaaten nicht einheitliche Anwendung des internationalen Erschöpfungsgrundsatzes dadurch beeinflussen, daß sie mit den wichtigsten Handelspartnern bilaterale Verträge abschließt, in denen dieser Grundsatz festgeschrieben wird. Der EWR-weite Erschöpfungsgrundsatz soll dann die Rolle eines vertraglichen Druckmittels übernehmen. Hiergegen spricht jedoch, daß eine solche 82 Albert/Heath (GRUR 1998, 642, 645) sprechen zureffend davon, daß hier die internationale Erschöpfung bislang als Korrektiv für den Wettbewerbsvorteil international operierender Unternehmen gegenüber lediglich lokal operierenden Unternehmen diente. 83 Harte-Bavendamml Scheller, WRP 1994, 571, 575 ff.; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 15 ff.; vgl. auch BGH, GRUR 1996,271,274 - Gefärbte Jeans.
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vertragliche Kodifizierung für die ökonomisch potenten Vertragsparteien 84 wenig sinnvoll erscheint, weil der Grundsatz der internationalen Erschöpfung letztlich den Schwellenländern oder anderen wenig entwickelten Staaten mit geringem Lohnniveau zu Gute kommt. Darüber hinaus ist zu beachten, daß der internationale Erschöpfungsgrundsatz z. B. in den meisten asiatischen Staaten, inklusive Japan, bereits jetzt schon geltendes Recht ist8S und daher als Verhandlungsmasse grundsätzlich nicht mehr zur Verfügung steht. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die USA86 und die Schweiz87 • Der internationale Erschöpfungsgrundsatz könnte dann allenfalls als taktisches "Lockmittel" eingesetzt werden, um bestimmte außereuropäische Handelspartner zu anderen vertraglichen Zugeständnissen zu bewegen, die sich als das eigentliche Ziel der bilateralen Verhandlungen aus EU-Sicht darstellen. Allerdings ist in bezug auf solche möglichen bilateralen Abkommen zu beachten, daß diese gern. Art. 4 TRIPS-Abkommen einer Meistbegünstigung hinsichtlich aller TRIPS-Mitglieder unterliegen könnten88 • Hierdurch würde quasi wieder eine internationale Erschöpfung eingeführt. Gegen eine solche Betrachtungsweise ließe sich jedoch nur vorbringen, daß im Rahmen des TRIPS-Abkommens bewußt die Frage der Erschöpfung gewerblicher Schutzrechte ausgeklammert wurde 89• Ein wichtiges Argument, daß gegen die Beibehaltung der internationalen Erschöpfung spricht, läßt sich jedoch aus der historischen Auslegung des Art. 7 MarkenRL gewinnen90 • Im ersten Entwurf zur MarkenRL und zur GMarkenV war der Grundsatz der internationalen Erschöpfung noch ausdrücklich verankert91 . Die EG-Legislative hat jedoch demgegenüber durch die jetzigen Fassungen92 des Art. 7 MarkenRL und Art 13 GMarkenV dokumentieren wollen, daß lediglich ein EWRweiter Erschöpfungsgrundsatz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH93 gelten solle94 • Darüber hinaus ist zu beachten, daß der Gesetzgeber zum MarkenG die Abkehr vom Grundsatz der internationalen Erschöpfung für die JudiZ. B. in bezug auf einen potentiellen Vertrag zwischen den USA und der EU. Vgl. Albert/Heath, GRUR 1996, 275, 279 (Anmerkung zum BGH-Urteil "Gefärbte Jeans"); dies., GRUR 1998,642,646. 86 Vgl. dazu die Entscheidung des U.S.Supreme Court vom 09.03. 1998, No. 96-1470, IIC 29 (1998), 472 = GRUR Int. 1999, 369ff. - Quality King Distributors Inc./L'Anza Research International Inc. (zur Erschöpfung des Einfuhrrechts im amerikanischen Urheberrecht); grundlegend, 486 U.S. 281 (1988) - K mart Corp./Cartier Inc., GRUR Int. 1989,68. 8? Vgl. Schweizerisches Bundesgericht, GRUR Int. 1998, 520 - ChaneIl EPA. 88 So Albert 1Heath, GRUR 1998,642,646. 89 Vgl. dazu Joller, GRUR Int. 1998,751,758. Insoweit ist insbesondere auf den Wortlaut des Art. 6 TRIPS-Abkommen hinzuweisen. 90 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wichard, GRUR 1997,711,712. 91 So Dok. KOM (80) 635 endg., AbI. Nr. C 351 vom 31. 12. 1980, S. I. 92 Diese Fassungen beruhen maßgeblich auf der Kritik des Europäischen Parlaments an der Geltung einer internationalen Erschöpfung, vgl. AbI. Nr.C 307/44, 63 vom 14. 11. 1983. 93 EuGH, Slg. 1974, 1183 = GRUR Int. 1974,456 - Centrapharm 1Winthrop; EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 = GRUR Int. 1990,960,961 - HAG 11. 94 Vgl. auch Harte-Bavendamm 1Scheller, WRP 1994,571, 574f. 84
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kative in bindender Weise vorgeben wollte 95 • Der nationale Gesetzgeber hat sich bei der Einführung des MarkenG als Ausdruck einer Gesamtrefonn des deutschen Kennzeichnungsrechts die Befugnis vorbehalten, die unter Geltung des WZG von der Rechtsprechung erzielten Auslegungsergebnisse im Rahmen des MarkenG nur im Falle einer ausdrücklichen oder impliziten Anknüpfung an die alte Rechtslage für anwendbar zu erklären. Dies sollte im Hinblick auf den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der internationalen Erschöpfung nicht erfolgen. § 24 MarkenG sollte vielmehr dazu dienen, in bezug auf die Erschöpfungslehre einen Neuanfang im deutschen Markenrecht einzuleiten. Wäre der BGH demgegenüber in seinem Grundsatzurteil "Gefärbte Jeans" zu dem Ergebnis gelangt, der internationale Erschöpfungsgrundsatz sei auch unter Geltung des MarkenG weiterhin aufrechtzuerhalten, hätte sich die Frage gestellt, ob die Judikative hierzu überhaupt verfassungsrechtlich 96 befugt gewesen wäre. In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht übersehen werden, daß die nur begrenzte Erschöpfungswirkung im deutschen Markenrecht zu einer relativen Erweiterung des markenrechtlichen Schutzes führt. Dem Markeninhaber wird im Verhältnis zur früheren Rechtslage (internationalen Erschöpfung) eine bessere Rechtsposition eingeräumt, die es ihm ennöglicht, Parallelimporte aus Drittstaaten abzuwehren. Insofern wird ein freier Wettbewerb mit markenrechtlichen Mitteln verhindert. Gleichzeitig wird hierdurch ein möglicher Preisdruck auf die heimischen Produkte, der bei einer extensiven Zulässigkeit von Parallelimporten entsteht, nahezu ausgeschaltet. Die Hinwendung zur lediglich EWR-weiten Erschöpfungswirkung ist daher auch aus Gründen eines freien und fairen Wettbewerbs und im Interesse der Endabnehmer von Markenwaren abzulehnen. Schließlich ist zu beachten, daß der europäische Gesetzgeber die zuvor dargestellte Streitfrage der Geltung einer internationalen oder EWR-weiten Erschöpfung ohne großen Aufwand durch einen eindeutigen Wortlaut des Art. 7 MarkenRL bzw. des Art. 13 GMarkenV hätte verhindert können. Unter Anknüpfung an Art. 9 n der Richtlinie 92/100/EWG97 hätte sich folgende Fonnulierung angeboten: ,,Der Inhaber einer Marke hat nicht das Recht, einem Dritten zu untersagen, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung ausschließlich im Inland, in einem der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über 95 Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 81. Vgl. auch Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 15. 96 In Betracht kommt hier ein möglicher Verstoß gegen die in Art. 20 III GG verankerte Bindung der Judikative an Recht und Gesetz als Kernsatz des Rechtsstaatsprinzips. 97 Richtlinie des Rates vom 19. 11. 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, AbI. Nr. L 346 vom 27. 11. 1992, S. 61 ff. Art. 9 n Richtlinie 92/100 / EWG lautet: ,,Das Verbreitungsrecht in der Gemeinschaft hinsichtlich eines der in Absatz I genannten Gegenstände erschöpft sich nur (Hervorhebung durch den Verfassser) mit dem Erstverkauf des Gegenstandes in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung.
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den Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind". Mit Hilfe dieser Formulierung wäre der abschließende territoriale Anwendungsbereich des Art. 7 MarkenRL und des Art. 13 GMarkenV als Maximalvorschrift klargestellt worden. Insgesamt vermag die Aufgabe der internationalen Erschöpfung im deutschen Markenrecht auf Grundlage der BGH-Entscheidung "Gefärbte Jeans" nicht zu überzeugen. c) Die Auffassung des EuGH Eine endgültige Klärung der territorialen Reichweite der Erschöpfung im supranationalen Markenrecht in Gestalt des Art. 7 MarkenRL und damit mittelbar im harmonisierten nationalen Markenrecht wurde mittlerweile durch das EuGH-Urteil "Silhouette" herbeigeführt98 • Eine Entscheidung durch den EuGH war in diesem Zusammenhang insbesondere vor dem Hintergrund geboten, daß die Mitgliedstaaten bislang die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe des Art. 7 I MarkenRL in völlig unterschiedlicher Weise in ihr jeweiliges nationales Recht umgesetzt hatten 99 • Hierdurch konnten für die betroffenen Markeninhaber und ihre Konkurrenten Wettbewerbsverzerrungen im Rahmen der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30,36) EGVentstehen. Dem EuGH-Urteil "Silhouette" lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin stellt Brillen her und vertreibt diese weltweit unter der Marke "Silhouette". Auch die Beklagte vertreibt u. a. Brillengestelle. Eine Belieferung der Beklagten durch die Klägerin erfolgte nicht. Der Beklagten gelang es aber über das bulgarische Ausland, 21.000 Auslaufmodelle, die von der Klägerin stammten und von ihr mit der Weisung verkauft wurden, diese nur in Bulgarien und den GUS-Staaten abzusetzen, nach Österreich zu importieren und dort anzubieten. Gegen den Verkauf dieser Brillenfassungen in Österreich setzte sich die Klägerin mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung zur Wehr. Sie trug vor, ihre Markenrechte an den von der Beklagten im EWR-Ausland erworbenen Brillen seien noch nicht erschöpft, weil diese nicht von ihr selbst oder mit ihrer Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht worden seien. Dies entspräche auch dem Wortlaut des 98 Urteil des Gerichtshofes vom 16. 07. 1998 in der Rechtssache C-355/96 (Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG I Hartlauer Handelsgesellschaft mbH), Sig. 1998, 1-4799 WRP 1998, 851 ff. Dieses Urteil beruht auf einem Vorabentscheidungsverfahren des Obersten Gerichtshofes der Republik Österreich (OGH), vgl. dazu GRUR Int. 1997,548; Althammer I Klaka, MarkenG, § 24 Rnr. 5; Wichard, GRUR 1997,711; Schanda, ecolex 1998, 409f. Vgl. insgesamt auch Beckmann, NJW 1999, 1688 f. und Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 7a, 16a-16c, 75, 79. 99 Rechtsvergleichende Hinweise finden sich insoweit bei Wichard, GRUR 1997,711 und Althammer IKlaka, MarkenG, § 24 Rnr. 5. Vgl. auch Kur, GRUR Int. 1991,788; Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1992,90 und Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr.16a.
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17 Spuhler
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
§ 10a des österreichischen Markenschutzgesetzes. Die Beklagte beantragte, den Antrag der Klägerin abzuweisen und trug u. a. vor, die Klägerin habe die Brillengestelle nicht unter der ausdrücklichen Auflage verkauft, daß jeder Reimport in die EU ausgeschlossen sei.
Der Antrag der Klägerin auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung wurde sowohl in erster als auch in zweiter Instanz abgewiesen. Der in dritter Instanz mit diesem Rechtsstreit befaßte OGH legte schließlich dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung gern. Art. 234 (ex-Art. 177) EGV vor. Die erste Frage lautete, ob Art. 7 I MarkenRL dahingehend auszulegen sei, daß die Marke ihrem Inhaber das Recht gewähre, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke in einem Nicht-EWR-Staat in den Verkehr gebracht worden seien. Diese Vorlagefrage hat ihren Ursprung in der spezifischen österreichischen Markenrechtssituation. Vor dem Inkrafttreten des § 10a österreichisches Markenschutzgesetz hatten die österreichischen Gerichte - parallel zur (damaligen) Rechtslage in Deutschland - den Grundsatz der weltweiten Erschöpfung des Markenrechts entwickelt '00. Nach den Materialien zum österreichischen Markenschutzgesetz sollte das Problem der zukünftigen Anwendbarkeit der weltweiten Erschöpfung - trotz der tatbestandlichen Beschränkung des § 10a des österreichischen Markenschutzgesetzes auf das EWR-Territorium - durch die Rechtsprechung gelöst werden lO '. Der EuGH hat die skizzierte Vorlagefrage des OGH zum Anlaß genommen, den räumlichen Anwendungsbereich des Art. 7 I MarkenRL letztverbindlich festzulegen. In bezug auf die streitige Auslegung dieser Vorschrift wurden auch im Rahmen des "Silhouette"-Verfahrens zwei unterschiedliche Meinungen vertreten. Die Beklagte und die schwedische Regierung vertraten die Auffassung, die MarkenRL belasse den Mitgliedstaaten die Befugnis, nicht nur für Waren, die im EWR, sondern auch in Drittländern in den Verkehr gebracht wurden, eine Erschöpfungswirkung vorzusehen (Beibehaltung des Prinzips der internationalen Erschöpfung) 102. Im Gegensatz dazu nahmen die Klägerin, die österreichische, die deutsche, die französische, die italienische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission den Standpunkt ein, sowohl der Wortlaut des Art. 7 I MarkenRL als auch Aufbau und Zweck der Vorschriften der MarkenRL stünden einer Auslegung entgegen, die den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belasse, räumlich weiterreichende Erschöpfungsregelungen vorzusehen (ausschließliche Verankerung des Grundsatzes der gemeinschafts- bzw. EWR-weiten Erschöpfung) 103.
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100 EuGH, Sig. 1998, 1-4799 WRP 1998, 851, 852 (Rnr. 13) - Silhouette; vgl. dazu OGH, GRUR Int. 1971,90 - Agfa. 101 EuGH, a. a. O. 102 EuGH, Sig. 1998,1-4799 = WRP 1998, 851, 853 (Rnr. 20) - Silhouette. 103 EuGH, a. a. O. (Rnr. 21 und 22).
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
259
Der EuGH hat sich bedauerlicherweise der letztgenannten Rechtsansicht angeschlossen lO4 • Zur Begründung beruft sich das Gericht zunächst auf den Wortlaut des 3. Erwägungsgrundes zur MarkenRL lOs • Danach erscheine es zwar gegenwärtig nicht notwendig, die Markenrechte der Mitgliedstaaten vollständig anzugleichen, aber die MarkenRL enthalte eine Hannonisierung der zentralen Sachvorschriften, nämlich derjenigen innerstaatlichen Bestimmungen, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkten. Eine umfassende Hannonisierung dieser Rechtsvorschriften sei durch diese Begründungserwägung daher nicht ausgeschlossen 106. Hierfür spreche auch der 9. Erwägungsgrund zur MarkenRL 107, wonach es zur Erleichterung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs von wesentlicher Bedeutung sei, einen einheitlichen Schutz eingetragener Marken im Recht aller Mitgliedstaaten zu erreichen. Die Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, eine umfassende Harmonisierung der Rechte aus der Marke herbeizuführen, werde auch dadurch bestätigt, daß lediglich Art. 5 MarkenRL ausdrücklich den Mitgliedstaaten die Befugnis einräume, besonders aufgezählte Vorschriften, die über den Inhalt der MarkenRL hinausreichen, beizubehalten oder einzuführen 108. Aus dieser Gesamtschau lasse sich daher ableiten, daß den Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der MarkenRL die Kompetenz fehle, in ihrem innerstaatlichen Recht die Erschöpfung der Rechte aus der Marke für Waren vorzusehen, die lediglich in dritten Ländern in den Verkehr gesetzt wurden 109. Nach Ansicht des EuGH wird nur dieses Auslegungsergebnis dem Ziel der MarkenRL, das Funktionieren des Binnenmarktes im markenrechtlichen Bereich sicherzustellen llo, gerecht. Ein Verzicht auf die lediglich EWR-weite Erschöpfung im Rahmen der MarkenRL hätte zur Folge, daß einige Mitgliedstaaten (wie z. B. bislang Schweden, Dänemark und Österreich) an der bisherigen Geltung der internationalen Erschöpfung festhalten könnten. Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs seien dann unvermeidlich 111 • 104 In diesem Zusammenhang ist auch die ,,Maglite"-Entscheidung des EFTA-Gerichtshofes (vgl. GRUR Int. 1998, 174) relevant. In dieser Entscheidung hatte es das Gericht den nicht der EU angehörenden Mitgliedstaaten des EWR freigestellt, in ihren nationalen Markenrechtsordnungen auch nach dem Inkrafttreten des Art. 7 MarkenRL den Grundsatz der internationalen Erschöpfung vorzusehen. Der EFTA-Gerichtshof stellte jedoch ausdrücklich klar, daß im Rahmen des EWR keine Zollunion, sondern (lediglich) eine Freihandelszone geschaffen worden sei. Im Gegensatz zu den EU-Staaten hätten die (,,reinen") EWR-Staaten ihre Außenhandelsautonomie nicht auf eine supranationale Organisation übertragen. Dieser Aspekt einer anders gelagerten Qualität des EGV im Verhältnis zum EWR-Abkommen hat es dem EuGH im "Silhouette"-Urteil ermöglicht, unter Berufung auf handelspolitische Erwägungen von der ,,Maglite"-Entscheidung (ohne diese überhaupt zu erwähnen) inhaltlich abzuweichen. Vgl. hierzu insgesamt auch Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr.16d. 105 GRUR Int. 1989, 294. 106 EuGH, Sig. 1998,1-4799 WRP 1998, 851, 853 (Rnr. 24) - Silhouette. 107 GRUR Int. 1989, 294. 108 EuGH, Slg. 1998,1-4799 WRP 1998, 851, 853 (Rnr. 25) - Silhouette. 109 EuGH, a. a. O. (Rnr. 26). 110 Vgl. dazu den 1. Erwägungsgrund zur MarkenRL, GRUR Int. 1989,294.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Der EuGH setzt sich dann im weiteren Verlauf seiner knappen Entscheidungsgründe zum "Silhouette"-Urteil mit dem von der schwedischen Regierung vorgebrachten Argument auseinander, Art. 7 MarkenRL könne vor dem Hintergrund des Art. 95 (ex-Art. l00a) EGV und der hier verankerten sachlichen Beschränkung auf das Funktionieren des Binnenmarktes, nicht das Verhältnis der Mitgliedstaaten zu Drittländern regeln (fehlende Regelungskompetenz der EG)112. Das Gericht stellt in diesem Zusammenhang fest, daß Art. 7 MarkenRL nur die Rechte von Markeninhabern in der Gemeinschaft determiniere und nicht die Beziehungen der Mitgliedstaaten zu Drittländern zum Gegenstand habe 113. Die zuständigen Gemeinschaftsorgane hätten im Rahmen dieser restriktiven Bestimmung der Erschöpfungsreichweite immer noch die Möglichkeit, mit Hilfe völkerrechtlicher Verträge die Geltung der internationalen Erschöpfung zu vereinbaren 114 . Die Einführung der lediglich EWR-weiten Erschöpfung der Markenrechte durch den EuGH im "Silhouette"-Urteil ll5 vermag insgesamt nicht zu überzeugen 116. Zunächst ist zu beachten, daß der Hinweis auf eine völkerrechtliche Option zur Einführung der internationalen Erschöpfung im Verhältnis zu den wichtigsten Handeispartnern der EU - wie bereits im Rahmen der Analyse des BGH-Urteils "Gefärbte Jeans" festgestellt wurde - gerade nicht durchschlägt. Außerdem gilt auch in bezug auf die "Silhouette"-Entscheidung, daß die Verankerung der lediglich EWRweiten Konsumtion unter Berücksichtigung von Wettbewerbsgesichtspunkten und Verbraucherschutzinteressen negativ zu beurteilen ist. Insoweit gelten insgesamt dieselben Einwände, die bereits im Hinblick auf das diesbezüglich inhaltlich gleichlautende BGH-Urteil "Gefärbte Jeans" vorgetragen wurden. Der EuGH hat das "Silhouette"-Urteil insbesondere auf eine grammatikalische, systematische und teleologische Auslegung des Art. 7 MarkenRL gestützt. Entscheidend ist hier zunächst, daß der Wortlaut des Art. 7 I MarkenRL so unbestimmt und unklar formuliert wurde, daß sich auch ein anderes Auslegungsergebnis, nämlich die Geltung der weltweiten Erschöpfung, ohne Probleme begründen läßt 117 • Soweit sich der EuGH auf eine systematische Auslegung der Artt. 5 - 7 MarkenRL stützt, geht das Gericht offensichtlich davon aus, daß die zuvor genannEuGH, Slg. 1998,1-4799 = WRP 1998, 851 (Rnr. 27) - Silhouette. VgJ. in diesem Zusammenhang auch Litpher, S. 226ff. 113 EuGH, a. a. o. (Rnr. 29). So im Ergebnis auch Sack, WRP 1998, 549, 565, 566. 114 EuGH, a. a. O. (Rnr. 30). 115 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch das Folgeurteil des EuGH "Sebago", WRP 1999, 803 ff. In dieser Entscheidung hat der EuGH ausgeführt, daß eine Zustimmung zum Inverkehrbringen durch den Markeninhaber im Sinne des Art. 7 1 MarkenRL nur dann vorliegt, wenn sich diese auf jedes Exemplar der Ware erstreckt, für das die Erschöpfung geltend gemacht wird (EuGH, WRP 1999, 803, 805 - Sebago). 116 VgJ. auch Sosnitza, WRP 1998,951 ff.; a.A. Sack. GRUR 1999, 193, 2ODff.; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 15 ff. m. w. N. 117 So auch Sosnitza, WRP 1998,951,954. 111
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§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
261
ten Vorschriften eine umfassende Harmonisierung hinsichtlich der Rechte aus der Marke enthalten. Der EuGH verkennt in diesem Zusammenhang jedoch die Bedeutung des 3. Erwägungsgrundes zur MarkenRL, wonach es gegenwärtig gerade nicht notwendig erscheint, die Markenrechte der Mitgliedstaaten vollständig anzugleichen. Nach dem Willen des Richtliniengebers sollten nur diejenigen markenrechtlichen Vorschriften harmonisiert werden, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Hierzu zählt jedoch die Frage einer internationalen Erschöpfung markenrechtlicher Befugnisse gerade nicht, da insoweit lediglich das Außenverhältnis der EU zu Drittstaaten tangiert wird. Soweit sich der EuGH in seinen Ausführungen auf die Bestimmung des Art. 5 II MarkenRL beruft, deutet das Gericht an, daß es Art. 5 MarkenRL im Verhältnis zu Art. 7 MarkenRL als Grundtatbestand ansieht. Art. 7 MarkenRL würde dann eine Ausnahmevorschrift darstellen, die eng auszulegen sei 118. Diese Sichtweise ist jedoch nicht zwingend, weil kein überzeugendes Argument dafür ersichtlich ist, warum Art. 5 MarkenRL und Art. 7 MarkenRL nicht in einem Gleichordnungsverhältnis zueinander existieren können 119 • Nach Ansicht des EuGH führt schließlich insbesondere eine teleologische Auslegung des Art. 7 MarkenRL zur Notwendigkeit der Geltung einer EWR-weiten Erschöpfung im Markenrecht. Das Gericht geht davon aus, daß nur ein solches Auslegungsergebnis das zentrale Anliegen der MarkenRL, das Funktionieren des Binnenmarktes zu schützen, gewährleisten kann. Hiergegen läßt sich jedoch vorbringen, daß das internationale Erschöpfungsprinzip nicht zu einer Beeinträchtigung des Binnenmarktes führt. Die internationale Konsumtion bewirkt lediglich, daß der Handel für diejenigen Mitgliedstaaten, die die internationale Erschöpfung im nationalen Recht verankert haben, im Verhältnis zu Drittstaaten liberalisiert wird. Negative Einflüse auf den Binnenmarkt lassen sich insoweit nicht feststellen. Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die Ausführungen des EuGH zum Problem der fehlenden Kompetenz der EG zur Frage der Einführung der EWRweiten Erschöpfung - wie dies insbesondere von der schwedischen Regierung gerügt wurde - inhaltlich lückenhaft sind. Das Gericht stellt insoweit lediglich darauf ab, daß die MarkenRL jedenfalls nicht in die Beziehungen der Mitgliedstaaten zu Drittstaaten eingreife, sondern vielmehr ausschließlich die Rechte von Markeninhabern in der Gemeinschaft festlege. Diese rudimentäre Begründung berücksichtigt nicht in ausreichender Weise, daß jeder Gemeinschaftsrechtsakt auf Grundlage des Prinzips der begrenzten Ermächtigung, wie es beispielsweise in Art. 7 (exArt. 4) I UA 2 EGV verankert ist, einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung in den Gründungsverträgen bedarf 120. Art. 95 (ex-Art. lOOa) EGV, auf den die MarkenRL als Kompetenzgrundlage ausschließlich Bezug nimmt, sieht vor, daß der Rat ermächtigt wird, Maßnahmen 118 119
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In diesem Sinne auch Kunz-Hallstein, GRUR Int. 1990,747,758. Vgl. auch Sosnitza, WRP 1998,951,954. Sosnitza, WRP 1998,951,955 m. w. N.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, die die Erreichung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Wie bereits ausgeführt wurde, ist ein Verzicht auf die Geltung der internationalen Erschöpfung nicht erforderlich, um den Binnenmarkt zu sichern. Infolge der internationalen Erschöpfung werden im territorialen Anwendungsbereich des Binnenmarktes keine Handelshemmnisse errichtet, sondern es wird vielmehr der Handel zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten geöffnet, ohne daß hierdurch negative Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes ableitbar sind. Allerding finden die Artt. 14 (ex-Art. 7a) und 95 (ex-Art. 100a) EGVauch dann Anwendung, wenn sog. standortbedingte Wettbewerbsverfälschungen einschlägig sind, die insbesondere daraus resultieren können, daß die Unternehmen in einem Mitgliedstaat rechtlich nachteilige Produktionsbedingungen hinnehmen müssen, während in einem anderen Mitgliedstaat derartige Wettbewerbsnachteile gerade nicht bestehen 121. Die internationale Konsumtion markenrechtlicher Befugnisse begründet jedoch keine solche Diskriminierung, weil sie schon begriffsnotwendig keine Wettbewerbsverfälschungen erzeugt. Die internationale Erschöpfung bewirkt im Gegenteil vielmehr, daß wegen der mit ihr verbundenen Zulassung von Parallelimporten der Wettbewerb gestärkt und gefördert und damit unverfälscht wird 122 • Unter Hinweis auf Art. 95 (ex-Art. 100a) EGV läßt sich daher die internationale Erschöpfung im Markenrecht nicht ausschließen. Als geeignete Kompetenzgrundlage ist demgegenüber jedoch Art. 133 (exArt. 113) EGVanzusehen. Gern. Art. 133 (ex-Art. 113) I EGV wird die gemeinsame Handelspolitik der EG nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet. Nach Art. 133 (ex-Art. 113) 11 EGV unterbreitet die Kommission dem Rat Vorschläge in bezug auf die Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik. Hierüber hat der Rat gern. Art. 133 (ex-Art. 113) IV EGV mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden. Art. 133 (ex-Art. 113 EGV) eignet sich deswegen als Kompetenzgrundlage, weil sich der rechtliche Verzicht auf die Geltung der internationalen Erschöpfung, der sich unmittelbar auf den Außenhandel der EG auswirkt, als eine Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift darstellt 123. Als Zwischenergebnis läßt sich folglich festhalten, daß Art. 7 MarkenRL und die vom EuGH favorisierte Geltung der EWR-weiten Erschöpfung allenfalls auf einer Kompetenzgrundlage (nämlich Art. 133 (ex-Art. 113) EGV) beruhen können, die in der Einleitung zur MarkenRL nicht ausdrücklich erwähnt worden ist. Dort findet sich - wie bereits gezeigt - lediglich der Hinweis auf Art. 95 (ex-Art. lOOa) EGV. Insoweit könnte ein Verstoß gegen Art. 253 (ex-Art. 190) EGV in Betracht kommen. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, daß nach der Vgl. z. B. Pipkorn, in: GTE, Art. l00a Rnr. 25. Vgl. dazu auch Litpher, S. 217f. und 219 zur Frage einer möglichen Annexkompetenz aus Art. 95 (ex-Art. l00a) EGV. 123 Näher dazu Sosnitza, WRP 1998, 951, 956; vgl. auch JoIler, GRUR Int. 1998, 751, 757,758. 121
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§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
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Rechtsprechung des EuGH ein Rückgriff auf eine doppelte primärrechtliche Rechtsgrundlage ausscheidet, wenn die eine maßgebliche Kompetenznorm zur Anwendung des in Art. 252 (ex-Art. 189c) EGV (früher Art. 149 II EWGVa.F.) verankerten Verfahrens der Zusammenarbeit führt, während die andere maßgebliche Ermächtigungsnorm eine einstimmige Beschlußfassung innerhalb des Rates nach bloßer Anhörung des Europäischen Parlaments vorsieht. Der EuGH begründet diese Rechtsansicht mit der Gefahr einer Aushöhlung des Verfahrens der Zusammenarbeit 124 • Nach Ansicht des Gerichts ist in einer solchen Fallkonstellation nur diejenige Kompetenznorm heranzuziehen, die das Verfahren der Zusamenarbeit vorschreibt 12S • Sofern man diese Rechtsprechung des EuGH auf den Fall "Silhouette" überträgt, ist die ausschließliche Angabe der Kompetenznorm des Art. 95 (ex-Art. l00a) EGV in der Einleitung zur MarkenRL gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, weil nur diese Bestimmung zur Anwendung des Verfahrens der Zusammenarbeit führt. Dieser Befund ändert jedoch nichts an der hier vertretenen Auffassung, wonach die Verankerung der lediglich EWR-weiten Erschöpfung aus rechtlichen und wirtschaftspolitischen Gründen abzulehnen ist. Mit seiner zweiten Frage begehrte der OGH eine Klärung dahingehend, ob der Inhaber einer Marke allein aufgrund des Art. 7 I MarkenRL verlangen kann, daß ein Dritter die Benutzung der Marke rür Waren unterläßt, die unter dieser Marke vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden sind. Auch diese Vorlagefrage beruht auf den Besonderheiten des österreichischen Marken- und Wettbewerbsrechts 126 . Bislang besteht nach dem österreichischen Markenschutzgesetz kein entsprechender Unterlassungs anspruch. Dem östereichisehen Markenrecht ist insbesondere eine Bestimmung fremd, die Art. 5 I lit.a) MarkenRL (doppelter Identitätsschutz) umsetzt. Nach dem österreichischen Wettbewerbsgesetz (§ 9) kann der jeweilige Markeninhaber Unterlassung des Parallelimports verlangen, wenn im Einzelfall eine Verwechslungsgefahr gegeben ist. Im Hinblick auf den Reimport von Originalmarkenwaren ist dies schon begrifflich ausgeschlossen. Folglich könnte sich ein Unterlassungsanspruch nach bisherigem österreichischen Recht im Rahmen der "Silhouette"-Konstellation nur dann ergeben, wenn man einen solchen unmittelbar aus § 10a des österreichischen Markenschutzgesetzes, der Art. 7 I MarkenRL transformiert, ableiten kann. Dieser rechtlichen Konstruktion hatder EuGH im Rahmen seiner Ausführungen zur zweiten Vorlagefrage des "Silhouette"-Verfahrens eine Absage erteilt. Zur Begründung beruft sich das Gericht auf die Systematik der MarkenRL. Die Rechte aus der Marke werden in Art. 5 MarkenRL festgelegt, während Art. 7 MarkenRL Vgl. EuGH, Slg. 1991,1-2867, 2900 - Kommission /Rat (Titandioxid). EuGH, Slg. 1991,1-2867, 29OOf. - Kommission/Rat (Titandioxid). 126 EuGH, Slg. 1998, 1-4799 WRP 1998, 851, 853, 854 (Rnr. 33) - Silhouette. s. dazu auch Schanda, ÖBl. 1996, 167 ff.; vgl. allgemein zum österreichischen Wettbewerbs- und Markenrecht, Wiltschek, WRP 1998, 698 ff. 124
125
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
in diesem Zusammenhang als Schutzschranke dient 127. Es wäre daher zurecht systemwidrig, aus einer Norm, die dogmatisch zu einer Limitierung der markenrechtlichen Befugnisse führen soll, eine Rechtsposition in Form eines Unterlassungsanspruchs abzuleiten 128. Markenrechtliche Rechtsfolgen im Zusammenhang mit dem Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers ergeben sich nicht direkt aus Art. 7 MarkenRL, sondern exklusiv aus Art. 5 MarkenRL. Ein anderes Ergebnis läßt sich nach Auffassung des EuGH auch nicht vor dem Hintergrund der eigenen Rechtsprechung zur Verpflichtung der nationalen Gerichte, nationales Recht, das dem Anwendungsbereich einer Richtlinie unterfällt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der jeweiligen Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel in Übereinstimmung mit Art. 249 (ex-Art. 189) m EGV zu erreichen 129. Es verbleibt daher auch hier im Ergebnis bei dem Grundsatz, daß Richtlinien im horizontalen Verhältnis der Unionsbürger untereinander keine Verpflichtungen begründen 130. Die Klägerin im "Silhouette"-Verfahren kann daher nach bisherigem österreichischen Recht keinen gemeinschaftsrechlieh determinierten Unterlassungsanspruch gegen den Reimport ihrer Originalware, die mit ihrer Zustimmung im EWR-Ausland in den Verkehr gesetzt wurde, geltend machen. Das "Silhouette"-Urteil des EuGH offenbart daher eine entscheidende Schutzlücke im österreichischen Recht, die die österreichischen Markeninhaber im Verhältnis zu den Markeninhabern in denjenigen Mitgliedstaaten, in denen Art. 5 I lit.a) MarkenRL in nationales Recht umgesetzt wurde l3l , benachteiligt. Die Ausführungen des EuGH zur zweiten Vorlagefrage sind folglich auch als deutlicher Hinweis an den österreichischen Gesetzgeber zu verstehen, die bislang bestehende Schutzlücke im österreichischen Markenrecht eventuell mit Hilfe einer Transformation des Art. 5 I lit.a) MarkenRL zu schließen 132. Die "Silhouette"-Entscheidung des EuGH hat im Ergebnis in denjenigen Mitgliedstaaten, die über eine nationale markenrechtliche Regelung zum doppelten Identitätsschutz verfügen, zu einer Stärkung der Monopolsituation der Marken-
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EuGH, Sig. 1998,1-4799 WRP 1998, 851, 854 (Rnr. 34) - Silhouette. So im Ergebnis auch der EuGH, a. a. O. (Rnr. 35). 129 EuGH, a. a. O. (Rnr. 36) unter Hinweis auf EuGH, Sig. 1990,1-4135 - Marleasing und EuGH, Sig. 1994,1-3325 - Faccini Dori. 130 Grundlegend EuGH, Sig. 1986, 732, 749 - MarshallI Health Authority; EuGH, Sig. 1987,3969, 3985f. - Kolpinghuis Nijmegen; EuGH, Sig. 1994,1-3325, 3355f. - Faccini Dori; vgl. auch Streinz, Europarecht, S. 141 ff., 143. 131 Vgl. Z. B. Art. 1411 Nr. 1 MarkenG (Fallgruppe des doppelten Identitätsschutzes, die den Reimport von Originalware aus dem EWR-Ausland nach Deutschland verhindert). Vgl. allgemein auch Knaak, in: Schricker I Beier, Die Neuordnung des Markenrechts in Europa, S. 19ff., 23. 132 Zu einer möglichen Schutzlücke im Markenähnlichkeitsbereich aufgrund einer angeblichen Unvereinbarkeit der EuGH-Entscheidungen "Canon" und "Silhouette", Sack, WRP 1998,1127,114l. I27
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§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
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inhaber geführt, da sie lediglich den Reimport oder Parallelimport von Originalwaren, die von ihnen oder mit ihrer Zustimmung innerhalb der Union oder des EWR in den Verkehr gebracht wurden, dulden müssen. Im Verhältnis zum EWR-Ausland wird so eine markenrechtliche "Festung Europa" etabliert 133 • Dies ist jedoch unter Bezugnahme auf das Referenzsystem des freien und fairen Wettbewerbs 134, das hier maßgeblich durch einen von außen verursachten Preisdruck bei Markenwaren sichergestellt wird, abzulehnen. Es ist kein Grund ersichtlich, die Hersteller von Markenwaren vor einem Intrabrand-Wettbewerb zu schützen. Dies führt gerade zur Aufrechterhaltung künstlicher Preisdifferenzen 135. Anzumerken ist schließlich, daß das "Silhouette"-Urteil nicht unmittelbar die Frage beantwortet, ob die internationale Erschöpfungswirkung auch im Rahmen des Systems der GMarken V (Art. 13 GMarken V) anwendbar ist. Ein durchschlagender Grund, der gegen eine Erstreckung der Grundsätze des "Silhouette"-Urteils zur internationalen Erschöpfung auf die GMarken V spricht, ist jedoch nicht vorhanden. Vielmehr muß beachtet werden, daß Art. 7 I MarkenRL und Art. 13 I GMarken V den selben Wortlaut aufweisen 136 und daher der Grundsatz der Einheit1ichkeit des Europarechts l37 einschlägig ist. Darüber hinaus fand sich das Prinzip der internationalen Erschöpfung rechtshistorisch lediglich in den ersten Entwürfen zur Schaffung einer GMarken V und wurde in der letztendlich vom Rat und der Kommission gebilligten Fassung nicht weiter verfolgt 138. Es ist daher insgesamt davon auszugehen, daß der EuGH in einer zukünftigen Entscheidung zu Art. 13 I GMarkenVauf die Ausführungen in der "Silhouette"-Entscheidung zurückgreift. Mittlerweile liegt auch das Endurteil des OGH in der Rechtssache "Silhouette" vor. Nach Ansicht des Gerichts kann der durch die Verwendung der identischen Marke für identische Waren in seinen Kennzeichnungsrechten Verletzte seinen Unterlassungsanspruch zwar nicht allein auf § lOa I des österreichischen Markenschutzgesetzes stützen, wohl aber auf diese Bestimmung in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtssatz, daß bei Eingriffen in ein absolutes Recht ein Unterlassungsanspruch zusteht, wie dies § 9 des österreichischen UWG für den Fall einer Kennzeichenverletzung durch Gebrauch einer verwechse\bar ähnlichen Marke ausdrücklich vorsieht l39 • So auch Joller, GRUR Int. 1998,751,760. So Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, S. 50. 135 VgI. zum Einfluß des "Silhouette"-Urteils auf den Schutz von Vertriebsbindungssystemen, Fezer, GRUR 1999,99, 105.; Sack, WRP 1999,467 ff.; vgI. allgemein auch Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 57a ff. 136 Gern. Art. 65 11 EWR-Abkommen (AbI. Nr. L 1 vom 03. 01. 1994, S. 3 ff. LV.m. Art. 2 I des Protokolls 28 über geistiges Eigentum erstreckt sich das Erschöpfungsprinzip inhaltsgleich auf alle EWR -Mitglieder. VgI. auch Sack, WRP 1998, 549, 567. 137 Hier unterstützt durch das Ziel, einen effektiven Gleichlauf zwischen MarkenRL und GMarkenV herbeizuführen. 138 v. Mühlendahll Ohlgart, Die Gemeinschaftsmarke, S. 55. 139 OGH, WRP 1998, 1185 ff. - Silhouette. 133
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
2. Fallgruppen zum Inverkehrbringen durch den Kennzeicheninhaber selbst bzw. mit seiner Zustimmung
Der Eintritt der Erschöpfungswirkung des § 24 I MarkenG ist davon abhängig, daß die gekennzeichnete Ware durch den Kennzeicheninhaber selbst oder mit seiner Zustimmung im zuvor dargestellten territorialen Anwendungsbereich in den Verkehr gesetzt wurde. Aufgrund dieser tatbestandlichen Zweiteilung l40 ergeben sich folgende Fallkonstellationen. a) Inverkehrbringen durch den Kennzeicheninhaber selbst Soweit die gekennzeichnete Ware im Territorium des EWR von dem Markeninhaber oder Inhaber der geschäftlichen Bezeichnung erstmalig in den Verkehr gesetzt wurde, ist der Vertrieb des entsprechenden Produkts sowie die dazugehörige Werbung grundsätzlich markenrechtlich nicht mehr limitiert. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, wo und von wem die Ware hergestellt wurde. Entscheidend ist allein die Person und der Ort der Herstellung. Sind die zuvor dargestellten Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt, kann der jeweilige Markeninhaber oder Inhaber der geschäftlichen Bezeichnung weder den Reimport noch den Parallelimport der Ware in bezug auf die territoriale Reichweite des EWR unterbinden. Dies gilt im Hinblick auf Warenimporte aus dem EWR auch dann, wenn dem markenrechtlich Berechtigten in einzelnen Mitgliedstaaten oder Vertragstaaten kein nationales Markenrecht oder Recht an der geschäftlichen Bezeichnung zusteht 141. b) Inverkehrbringen im Rahmen einer Konzernstruktur Soweit konzernverbundene Unternehmen als Markeninhaber in Betracht kommen, gilt in bezug auf das jeweilige Inverkehrbringen der gekennzeichneten Ware der Grundsatz, daß dieser Vorgang dem Konzern als wirtschaftliche Einheit zugerechnet wird l42 • Hierdurch wird insbesondere verhindert, daß multinationale Konzerne einzelne nationale Inlandsmärkte mit markenrechtlichen Mitteln abschotten können. Dieses Prinzip wurde bereits unter Geltung des WZG entwickelt l43 • Anknüpfungspunkt für diese markenrechtliche Fiktion ist die intensive ökonomische VerEntsprechendes gilt für die Tatbestände des Art. 7 MarkenRL und Art. 13 GMarken V. Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 18. 142 Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 19 m. w. N. Differenzierend Sack, WRP 1998, 549, 552 unter Hinweis auf EuGH, Slg. 1997, 1-1729 - Phytheron International SA/Jean BourdonSA. 143 BGHZ 60, 185 - Cinzano; OLG Düsseldorf, GRUR 1964,267 - Revlon III; Ingerll Rohnke, MarkenG, § 24 Rnr. 7. Vg!. auch Schweizerisches Bundesgericht, GRUR Int. 1998, 520 ff. - Chane!. 140 141
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flechtung der Konzernmitglieder. Die Behandlung des Konzerns als homogenes Gebilde im Markenrecht ist weder von der im jeweiligen Einzelfall vorliegenden Konzernstruktur noch von der konkreten Zuordnung des Schutzrechts zu einem bestimmten Konzernunternehmen abhängig. Es wird zudem nicht zwischen originären und derivativen l44 Kennzeichenrechten im Rahmen eines Konzernverhältnisses differenziert l45 . Bereits unter Geltung des WZG vertrat die h.M. die Auffassung, das Prinzip der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns stehe nicht im Konflikt mit dem Informationsinteresse der Konsumenten in bezug auf die Individualisierung eines bestimmten Konzernunternehmens als Schutzrechtsinhaber l46 . Auch die Gefahr einer Irreführung des Verkehrs durch die regelmäßige Zuordnung des Inverkehrbringens zum Konzern als solchem wurde für vernachlässigenswert erachtet. Diese Rechtslage gelangt auch unter dem Regime des § 24 I MarkenG zur Anwendung. Im Hinblick auf die Frage, ob im Einzelfall überhaupt ein Konzern vorliegt, ist zu berücksichtigen, daß in den Mitgliedstaaten der EU und den Vertragsstaaten des EWR keine einheitliche Definition existiert. Um eine hierdurch bedingte markenrechtliche Ungleichbehandlung zu verhindern, zieht der EuGH daher eine irgendwie geartete rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit als ausschließliches Bestimmungskriterium heran 147.
c) Vom Kennzeicheninhaber konsentiertes Inverkehrbringen Nach dem Wortlaut des § 24 I MarkenG treten die Wirkungen des europaweiten Erschöpfungsgrundsatzes auch bei einem Inverkchrbringen der gekennzeichneten Ware durch Dritte ein, soweit dieser Vorgang durch die Zustimmung des Schutzrechtsinhabers gedeckt ist. Ein rechtliches oder wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Dritten und dem Markeninhaber ist insoweit nicht erforderlich und im Regelfall gerade nicht gegeben. Der Dritte ist grundsätzlich vom Markeninhaber unabhängig. Notwendig ist lediglich eine Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten, aus der sich eine ausdrückliche oder konkludente 148 Zustimmung des Markeninhabers ableiten läßt. Ein ausdrücklicher Konsens wird regelmäßig bei Z. B. aufgrund eines bestehenden Lizenzvertrages. Vgl. Hefermehl/Fezer, in: Hefermehl IIpsenl Schluep I Sieben, Nationaler Markenschutz, S. 117ff. 146 OLG Düsseldorf, GRUR 1964,267 - Revlon III; OLG Düsseldorf, GRUR Int. 1965, 204 - Revlon IV; Baumbach I Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 55; Beier, GRUR Int. 1968,8,17; Riehle, S. 225. 147 Vgl. EuGH, Slg. 1976, I039ff., 1063 GRUR Int. 1976,402 - Terranova/Terrapin. Al1gemein zur insoweit vergleichbaren Figur der wirtschaftlichen Einheit im EG-Kartel1recht, Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, S. 138, 139; Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, S. 55 ff.; Koch, in: Grabitz/Hilf, Art. 85 Rnr. 15. 148 Näher hierzu und zur Möglichkeit einer einseitigen Zustimmungserklärung durch den Markeninhaber, Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 21. 144 145
=
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
bestimmten Vertragsverhältnissen angenommen, so z. B. bei Vertriebs- und Markenlizenzverträgen. Der Rechtsbegriff der Zustimmung im Rahmen des § 24 I MarkenG wird definiert als einvernehmliches Inverkehrbringen 149.
aa) Die Zustimmung im Rahmen eines Lizenzvertrages Unter Geltung des WZG war es wegen der lediglich schuldrechtlichen Rechtsnatur der Warenzeichenlizenz 150 streitig, ob die Benutzungshandlungen des Lizenznehmers dem Lizenzgeber zugerechnet werden konnten 151. Eine relevante Zustimmung wurde unter der alten Rechtslage auch dann angenommen, wenn dem Lizenznehmer aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung lediglich eine Auslandslizenz gewährt wurde, die ihn zugunsten des Lizenzgebers verpflichtete, die gekennzeichnete Ware nicht in den inländischen Markt einzuführen 152. Soweit diese lizenzvertragliche Vertriebsbeschränkung kartellrechtlich unbedenklich war, konnte der Lizenzgeber im Falle eines Verstoßes Schadensersatz nur auf Grundlage des Rechtsinstituts der positiven Vertragsverletzung verlangen 153. Eine Erschöpfung des Zeichenrechts trat nicht nur dann ein, wenn der inländische Lizenzgeber einem ausländischen Lizenznehmer die Warenkennzeichnung gestattete, sondern auch in bezug auf die umgekehrte lizenzrechtliche Fallgestaltung (ausländischer Lizenzgeber und inländischer Lizenznehmer) 154. Dies galt jedoch nicht, wenn ein Dritter ein eigenes Markenrecht originär erwarb, da insoweit keine Basis für ein einvernehmliches Inverkehrbringen vorhanden war 155 • Mit der Anerkennung der dinglichen Rechtsnatur der Markenlizenz im MarkenG I56 hat sich die Rechtslage in bezug auf die Zustimmung zum Inverkehrsetzen bei Lizenzverträgen grundlegend geändert. Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 21. Althammer, WZG, § 8 Rnr. 11. \51 Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 25 ff. 152 Vgl. Reimer, GRUR Int. 1972,221,223. 153 Allgemein zur Frage der Einordnung von Lizenzverträgen im europäischen Wettbewerbsrecht, Ullrich, Mitt. 1998, SOff.; vgl. auch Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker, EG-WbR, S. 258ff., 263. 154 Vgl. dazu OLG Hamburg, GRUR 1953, 177 - Le Rouge Baiser. Zur Fallkonstellation, daß das jeweilige Warenzeichen für den inländischen Lizenznehmer im Inland eingetragen und der Lizenznehmer im Inland selbst Hersteller der lizenzierten Ware war, Riehle, S. 224; Beier, GRUR Int. 1968, 8, 16. Auch insoweit fand eine Privilegierung des abgeleiteten Warenzeichenrechts nicht statt. 15S Fallgruppe der privatautonomen Markenaufspaltung, vgl. Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 31 f. IS6 § 30 MarkenG. Näher dazu Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 30 Rnr. 7 ff. 149 150
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
269
Der Markeninhaber und Lizenzgeber muß sich nunmehr unstreitig die Benutzungshandlungen seines Lizenznehmers im Territorium des EWR zurechnen lassen, soweit nicht kennzeichenrechtliche Zustimmungsvorbehalte im Sinne des § 30 11 MarkenG einschlägig sind. Wenn der Lizenznehmer gegen einen kennzeichnungsrechtlichen Zustimmungsvorbehalt als lizenzvertragliche Vereinbarung verstößt, hindert dies den Eintritt der Erschöpfungswirkung. Der Lizenzgeber verliert insoweit - trotz seiner generellen Zustimmung zum Inverkehrsetzen der gekennzeichneten Produkte - nicht seine markenrechtlichen Befugnisse. Diese limitiere Erschöpfungswirkung kollidiert nicht mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs nach den Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV, soweit das nationale Markenrecht dem Markeninhaber und Lizenzgeber im Falle der Verletzung einer lizenzvertraglichen Klausel Abwehransprüche zubilligt l57 . Aus der Anerkennung der dinglichen Markenlizenz folgt nunmehr, daß eine vertragliche Verletzung der kennzeichenrechtlichen Zustimmungsvorbehalte des § 30 n Nr. 1 - 5 MarkenG automatisch eine Markenrechtsverletzung beinhaltet. Der Markeninhaber und Lizenzgeber kann sich insoweit gegenüber dem Lizenznehmer mit der Markenverletzungsklage zur Wehr setzen. Wird der rechtswidrige Vertrieb der gekennzeichneten Produkte durch Dritte weiter aufrechterhalten, kann der berechtigte Markeninhaber zugleich die Anspruche aus einer Kennzeichenrechtsverletzung gern. der §§ 14 ff. MarkenG geltend machen. Es läßt sich daher aus der Systematik der §§ 24, 30 n MarkenG feststellen, daß in dem Umfang, in dem eine Markenverletzungsklage zur Anwendung gelangt, eine Erschöpfung der Markenrechte gesperrt ist l58 • Die kennzeichenrechtlichen Zustimmungsvorbehalte mit dinglicher Wirkung beziehen sich auf die Dauer der Lizenz (§ 30 11 Nr. 1 MarkenG), die Markenform (§ 30 11 Nr. 2 MarkenG), die Art der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen ( § 30 11 Nr. 3 MarkenG), das Gebiet der Markenbenutzung (§ 30 n Nr. 4 MarkenG) und die Produktqualität (§ 30 n Nr. 5 MarkenG). Demgegenüber wirken sich schuldrechtliche Zustimmungsvorbehalte nicht auf die Erschöpfung markenrechtlicher Befugnisse aus. Die Abgrenzung zu den dinglichen Zustimmungsvorbehalten richtet sich nach dem Anwendungsbereich der abschließenden und zwingenden Enumeration des § 30 11 MarkenG. Alle lizenzvertraglichen Klauseln der Parteien, die nicht unter diese Aufzählung subsumiert werden können, weisen lediglich eine schuldrechtliche Natur auf. Die Vertragsparteien können daher den Kreis der dinglich wirkenden Zustimmungsvorbehalte nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Privatautonomie erweitern. Eine entsprechende Kompetenz steht nur dem Gesetzgeber zu. Vertragsverstöße gegen die schuldrechtlichen Zustimmungsvorbehalte begründen dementsprechend nur Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung 159. 157 Heferrnehll Fezer, in: Heferrnehillpsen 1Schluep 1Sieben, Nationaler Markenschutz, S. 119ff. 158 Vgl. auch die Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 87. 159 Insoweit kann an die alte Rechtslage unter Geltung des WZG angeknüpft werden.
270
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
bb) Die Zustimmung im Rahmen eines Vertriebsvertrages Soweit der Kennzeicheninhaber einen Vertriebsvertrag mit dem Ziel der Vermarktung und Distribution der gekennzeichneten Produkte abschließt, erklärt er hiennit seine Zustimmung nicht nur zum Kennzeichnungsvorgang, sondern auch zum Inverkehrsetzen der Ware. Die Markenrechte haben sich damit erschöpft. Die gleiche Rechtsfolge tritt auch im Hinblick auf einen Händler oder Importeur ein, der aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Kennzeicheninhaber über das Alleinvertriebsrecht oder das ausschließliche Benutzungsrecht an den gekennzeichneten Produkten verfügt l60. Zur Begründung läßt sich vortragen, daß der Händler oder Importeur aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze vertraglich nicht über mehr Rechte verfügen kann als der Kennzeicheninhaber selbst 161 • Demzufolge können beispielsweise Parallelimporte unveränderter Originalware nicht unter Berufung auf das Alleinvertriebsrecht oder das Recht zur ausschließlichen Benutzung verhindert werden 162 . Der Erschöpfungsgrundsatz wirkt sich auch hier unmittelbar wettbewerbsfördernd aus. Eine Limitierung der Markenrechte ist auch dann gegeben, wenn die Marke eines ausländischen Herstellers mit seiner Zustimmung im Inland für einen zum Alleinvertrieb berechtigten Händler eingetragen wurde. Dieser kann den Import von Originalwaren, die vom Hersteller im Ausland produziert worden sind, nicht verhindern 163 . An diese Grundsätze kann auch - vorbehaltlich einer anderslautenden Entscheidung durch den EuGH - unter Geltung des MarkenG angeknüpft werden.
11. Die Begrenzung der Erschöpfungswirkung gern. § 24 11 MarkenG
§ 24 11 MarkenG beinhaltet einen Ausnahmetatbestand zu § 24 I MarkenG, der genera1klauselmäßig ("insbesondere") fonnuliert wurde. Diese Vorschrift bewirkt, daß eine Erschöpfung der Markenrechte nicht eintritt, selbst wenn die Voraussetzungen des § 24 I MarkenG erfüllt sind l64 •
Insoweit wird die europarechtliche Vorgabe des Art. 7 11 MarkenRL, die ebenfalls als Generalklausel ausgestaltet ist 165 , in das deutsche Markenrecht inkorporiert. 160 V gl. z. B. die Fallkonstellation in der Entscheidung BGHZ 41, 84 - Maja. Vgl. zu einer konzemrechtlichen Fallgestaltung die Entscheidung BGHZ 60, 185 - Cinzano. 161 In der Maja-Entscheidung (BGHZ 41,84) hatte der BGH den Grundsatz der internationalen Erschöpfung herangezogen. 162 Diese Rechtsfolge verstößt auch nicht gegen § 823 I BGB, weil dem Alleinimporteur kein entsprechendes absolutes Recht im Sinne dieser Vorschrift zusteht, vgl. OLG Düsseldorf, GRURlnt. 1965, 194, 195- VAT69; OLG Düsseldorf, GRURlnt. 1965, 204-Revlon IV. 163 BGH, GRUR 1983, 177, 178 - AQUA KING. 164 Näher zu den Ausnahmen vom markenrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz, Schuster, passim. 165 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 13 11 GMarkenV.
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
271
Die Aufrechterhaltung der Befugnisse des Markeninhabers setzt voraus, daß zu seinen Gunsten berechtigte Gründe eingreifen, die im Zusammenhang mit dem weiteren Vertrieb der gekennzeichneten Waren stehen. Ausdrücklich wird im Rahmen des § 24 11 MarkenG lediglich eine Fallgruppe genannt. Ein berechtigter Grund liegt beispielsweise vor, wenn der Zustand der gekennzeichneten Waren nach dem Inverkehrsetzen verändert oder verschlechtert wurde. Im Gesetzentwurf des MRRG war demgegenüber expressis verbis noch ein weiterer Ausnahmetatbestand verankert. Danach war der Eintritt der Erschöpfungswirkung blockiert, wenn die Marke oder geschäftliche Bezeichnung in einer Weise oder Erscheinungsform benutzt wird, die geeignet ist, die Wertschätzung der Marke oder der geschäftlichen Bezeichnung in unlauterer Weise zu beeinträchtigen. Diese Ausnahmealtemative sollte dann zur Anwendung gelangen, wenn die Marke oder Bezeichnung im Hinblick auf ihre Eigenart oder Erscheinungsbild ohne Zustimmung des Inhabers modifiziert wird l66 • Die Bekanntheit des Zeichens im Sinne des § 1411 Nr. 3 MarkenG oder des § 15 m MarkenG zählte jedoch nicht zu den Voraussetzungen dieses berechtigten Grundes zur Verhinderung des weiteren Vertriebs der gekennzeichneten Waren l67 • Diese Ausnahmeregelung wurde jedoch auf Betreiben des Bundesrates einer weiteren Prüfung dahingehend unterzogen, ob insoweit ein Konflikt mit den Artt. 28,30 (ex-Artt. 30, 36) EGV zu befürchten sei l68 • Im Vermittlungsausschuß wurde dann der zuvor dargestellte Ausnahmetatbestand ersatzlos gestrichen. Zur Begründung wurde vorgetragen, § 24 11 MarkenG laufe in seiner ursprünglichen Formulierung den sozialpolitischen Zielsetzungen der Gesundheitsreform zuwider. Im Hinblick auf den Reimport von Fertigarzneimitteln sei eine Verteuerung der Produkte bzw. die Verhinderung eines Preiswettbewerbs zu befürchten, weil auf Grundlage des § 24 11 MarkenG die Umverpackung von Arzneimitteln unter bestimmten Voraussetzungen zukünftig unterbunden werden könnte l69 . Hierdurch könne das deutsche Markenrecht in einen Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des EuGH in bezug auf die Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) S. 2 EGV (kein markenrechtlicher Unterlassungsanspruch nach nationalem Recht, wenn der Original zustand der Waren nach ihrem Inverkehrsetzen unangetastet bleibt) 170 geraten 171 • In diesem Zusammenhang wird in der Literatur die Meinung vertreten, ungeachtet der tatbestandlichen Reduzierung des § 24 11 MarkenG sei der Ausschlußgrund Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 81. Begr. zum MarkenG, a. a. O. 168 Stellungnahme des Bundesrates, Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 159. 169 Vgl. Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 33. Näher zum Verhältnis von Fertigarzneimitteln und Importarzneimitteln, Rehmann, AMG, Einführung Rnr. 14; vor § 21 Rnr. 23ff. 170 Vgl. insoweit EuGH, Slg. 1981, 29\3ff. - Pfizer/Eurim Pharm; EuGH, Slg. 1978, 1139ff. - Hoffmann-La Roche/Centrafarm. 171 Stellungnahme des Bundesrates, Begr. zum MarkenG, BT-Drucks. 12/6581, S. 159. 166 167
272
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
der unlauteren Markenbeeinträchtigung und auch der Rufausbeutung als berechtigter Grund im Sinne des § 24 II MarkenG im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung anzuerkennen 172. Hiergegen spricht jedoch, daß der deutsche Gesetzgeber aufgrund der tatbestandlichen Neufassung des § 24 II MarkenG eine eindeutige Entscheidung getroffen hat. Die nachträgliche "Wiedereinführung" der unlauteren Markenbeeinträchtigung im Wege einer Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der berechtigten Gründe im Sinne des § 24 II MarkenG, stellt eine Mißachtung des Willens des Gesetzgebers, wie er sich auf Grundlage der rechtshistorischen Betrachtung manifestiert hat, dar. Gerade die historische Auslegung des § 24 II MarkenG spricht gegen eine Einbeziehung der unlauteren Markenbeeinträchtigung. Ein anderes Ergebnis läßt sich auch nicht unter Hinweis auf die richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift erzielen. Würde die unlautere Markenbeeinträchtigung vom Anwendungsbereich des § 24 II MarkenG umfaßt, könnte sich tatsächlich ein Konflikt mit der Rechtsprechung des EuGH zum Umverpacken von Arzneimitteln ergeben, weil das MarkenG dann dem Markeninhaber unter bestimmten Voraussetzung Abwehransprüche gegenüber dem Reimport von Arzneimitteln zubilligen würde, soweit die betreffenden Produkte mit einer neuen Umhüllung versehen wurden, selbst wenn der Originalzustand der Ware unangetastet bleibt. In diesem Zusammenhang bewirkt das Argument der richtlinenkonformen Auslegung des § 24 II MarkenG nur, daß der tatbestandliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift, der nicht mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH übereinstimmt, nicht berücksichtigt werden kann. Anderenfalls würde die richtlinienkonforme Auslegung, die sich gerade an der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu orientieren hat, in ihr Gegenteil verkehrt werden. Mit Hilfe der richtlinienkonformen Auslegung kann daher die unlautere Markenbeeinträchtigung als Konkretisierung und Fallgruppe der Generalklausel des § 24 11 MarkenG gerade nicht aufrechterhalten werden. Gleiches gilt auch im Hinblick auf die Rufausbeutung einer bekannten Marke, die innerhalb des Oberbegriffs der unlauteren Rufausbeutung eingeordnet werden kann. Diese restriktive Interpretation des § 24 11 MarkenG ist im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes der Mitbewerber des Markeninhabers (bzw. Alleinvertriebsberechtigten oder Lizenznehmers) geboten. Der Erschöpfungsgrundsatz des § 24 I MarkenG ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Hilfsmittel, um die Wettbewerbsfreiheit im Bereich markenrechtlicher Schutzbefugnisse zu gewährleisten. Das tatbestandliche Ausschlußverhältnis innerhalb des § 24 MarkenG darf daher nicht zugunsten einer einseitigen Bevorzugung der Generalklausel des § 24 11 MarkenG verschoben werden.
172 So Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 33, 57a. Zur Begründung wird insbesondere vorgetragen, der Verzicht auf die tatbestandliche Verankerung der unlauteren Markenbeeinträchtigung aus sozialpolitischen Gründen sei sachwidrig gewesen.
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
273
Das Ziel der Generalklausel, den Kennzeichenschutz auch nach dem Inverkehrbringen der Waren unter bestimmten Voraussetzungen aufrechtzuerhalten, wird dadurch nicht gefährdet. Allgemein lassen sich die berechtigten Gründe im Sinne des § 24 11 MarkenG aus der Gesamtheit der Rechtsordnung ableiten. Insoweit kann ein Vergleich zu den Wirtschaftsklauseln des Gemeinschaftspatentübereinkommens gezogen werden, nach denen die Erschöpfungswirkung des Art. 32 GPÜ unter weiteren besonderen Voraussetzungen nicht eintritt 173. Berechtigte Gründe, die den Eintritt der Erschöpfungswirkung im Markenrecht sperren, folgen insbesondere aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die im Rahmen des § 242 BGB verankert sind, wie z. B. das Gebot von Treu und Glauben, dem Verbot einer mißbräuchlichen Rechtsausübung oder den Prinzipien des pacta sunt servanda oder des venire contra factum proprium. Zur Bestimmung der berechtigten Gründe des § 24 11 MarkenG ist regelmäßig eine umfassende Interessenabwägung, die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigt, notwendig. Die Konkretisierung der Generalklausel erfordert darüber hinaus eine Berücksichtigung der konkreten Unstände des Einzelfalles. Zur Verhinderung eines Konflikts mit gemeinschaftsrechtlichen Wertungen, muß das Abwägungsergebnis einer richtlinienkonformen AuslegUJlgstandhalten. Innerhalb des Abwägungsvorgangs müssen schließlich auch markenrechtlich fremde Interessen und Gesichtspunkte, wie das Warenverkehrsrecht und das Wettbewerbsrecht, eingestellt werden (sog. Parallelwertung)174. Die endgültige Bestimmung der Reichweite des § 24 11 MarkenG bzw. des Art. 7 11 MarkenRL und des Art. 13 11 GMarken V obliegt auch hier der Rechtsprechung des EuGH 175 . In diesem Zusammenhang ist insbesondere fraglich, ob unterschiedliche Produktqualitäten die Wirkung des Erschöpfungsgrundsatzes verhindern können. Dem Markeninhaber steht unstreitig die Befugnis zu, dieselbe Produktkennzeichnung auf den einzelnen Märkten der Mitgliedstaaten oder Vertragsstaaten des EWR für Waren, die in bezug auf ihre Qualität oder Eigenschaften voneinander abweichen (sog.Produktdifferenzierungen) 176, einzusetzen. Diese Produktdifferenzierungen können auf einer Entscheidung des Markeninhabers als Reaktion auf die Gepflogenheiten und Besonderheiten der einzelnen Absatzmärkte (z. B. divergierende Verbrauchererwartungen und Nachfrage173
Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 34; vgl. auch Krieger, GRUR Int. 1976,208,
212. Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 35. Näher zu den möglichen Fallgruppen im Rahmen des § 24 11 MarkenG, Ingerll Rohnke, MarkenG, § 24 Rnr. IOff.; Althammer/Klaka, MarkenG, § 24 Rnr. 6ff.; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 33 ff. 176 Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 56a f. 174 175
18 Spuh1er
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
gewohnheiten) beruhen. In Betracht kommen desweiteren hoheitliche Vorgaben in Form inhaltlich verschiedener nationaler Rechtsvorschriften. Soweit diese im Hinblick auf die gekennzeichneten Produkte einschlägig sind, ist der Markeninhaber hieran gebunden. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die nationalen Rechtsnormen als Maßnahmen gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs verstoßen (Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV). Diese rechtlich oder wirtschaftlich erzwungen Unterschiede innerhalb eines einheitlich gekennzeichneten Produkts können u.U. zu nachhaltigen Verwirrungen der Marktteilnehmer führen. Soweit das Erzeugnis auf den nationalen Märkten mit Qualitätsunterschieden in den Verkehr gesetzt wird, besteht zudem die Gefahr, daß der Ruf und das Ansehen der Marke beschädigt wird. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß der Einsatz einer identischen Produktkennzeichnung für Erzeugnisse mit Qualitätsabweichungen in der Regel auf einer autonomen Entscheidung des Markeninhabers beruht. . Nach der Rechtsprechung des BGH zum WZG stand dem Markeninhaber nicht die zeichenrechtliche Befugnis zu, den Import identisch gekennzeichneter Waren, die Qualitätsunterschiede im Verhältnis zur inländischen Ware aufweisen, zu untersagen l77 . Diese Rechtsauffassung wurde im wesentlichen auf den Grundsatz der internationalen Erschöpfung des Zeichenrechts gestützt l78 . Nach der Aufgabe dieses Prinzips in der BGH-Entscheidung "Gefärbte Jeans,,179 erscheint es fraglich, ob die vormalige Rechtsprechung des BGH zum Import qualitätsabweichender, aber identisch gekennzeichneter Waren im harmonisierten deutschen Markenrecht weiterhin uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur die Aufassung vertreten, eine kennzeichenrechtliche Marktaufteilung des EWR auf Grundlage der wesentlichen Qualitätsmerkmale des Produkts unterfalle dann dem Tatbestand des § 24 TI MarkenG, wenn die Handelsbeschränkung in Form der Verhinderung des Eintritts der Erschöpfungswirkung wegen der Besonderheiten der grenzüberschreitenden Produktvermarktung im Interesse der Verbraucher und Kennzeicheninhaber geboten sei 180. Diese Voraussetzung sei beispielsweise dann erfüllt, wenn die Untersagung des Imports der identisch gekenzeichneten, aber im Hinblick auf die Qualität abweichenden Erzeugnisse der Transparenz und der Verbesserung des Produktangebots diene. Soweit daher im Einzelfall verbraucherrelevante Produktdifferenzierungen gegeben seien, könnten diese als berechtigte Gründe im Sinne des § 24 TI 177 BGHZ 60, 185 - Cinzano; vgl. auch Hefennehll Fezer, in: Hefermehll Ipsen ISchluep I Sieben, Nationaler Markenschutz, S. 129 ff. 178 Vgl. dazu BGHZ 41,84,88 - Maja. 179 BGHZ 131, 308 - Geflirbte Jeans. IBO Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 56b.
§ 2 Der Erschöpfungsgrundsatz im deutschen Markenrecht
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MarkenG angesehen werden 181 • Zur Begründung dieser extensiven Auslegung der Generalklausel des § 24 II MarkenG wird auf einen Paradigmenwechsel der Markenfunktionen unter Geltung des MarkenG (insbersondere im Hinblick auf die Anerkennung der Werbe-, Identifikations- und Kommunikationsfunktion der Marke) verwiesen 182 . Die zuvor dargestellte Richtungsänderung in der Literatur in bezug auf die "Cinzano"-Rechtsprechung des BGH unter dem Regime des WZG ist abzulehnen. Die Subsumtion verbraucherrelevanter Produktdifferenzierungen unter den Tatbestand des § 24 II MarkenG führt im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Konsumtionswirkung des § 24 I MarkenG. Desweiteren wird der in den Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV verankerte Grundsatz des freien Warenverkehrs beeinträchtigt, weil dem Kennzeicheninhaber die Befugnis zugesprochen wird, Reimporte bereits in den Verkehr gesetzter Waren unter Berufung auf Verbraucherinteressen zu verhindern 183 • Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr, daß die qualitätsabweichenden Erzeugnisse gerade mit Zustimmung des Markeninhabers in den Verkehr gebracht wurden. Die relevanten Qualitätsunterschiede sind in der Regel dadurch bedingt, daß der Kennzeicheninhaber den verschiedenen Anforderungen auf den einzelnen nationalen Märkten gerecht werden möchte. Die Qualitätsabweichungen dienen daher ausschließlich den Absatzinteressen des Markeninhabers und beruhen letztendlich auf seiner eigenen, wenn auch durch äußere Einflüsse bedingten Entscheidung. Es wäre nun in sich widersprüchlich, den Import identisch gekennzeichneter Waren mit derselben Produktbezeichnung unter Berufung auf Verbraucherinteressen zu verhindern, weil sich die Produktabweichungen in der Regel als eine Reaktion des Markeninhabers auf die unterschiedlichen Verbrauchergewohnheiten auf den einzelnen nationalen Märkten darstellen. Maßgeblich sollte daher allein das konsentierte Inverkehrbringen der divergierenden Produkte durch den Markeninhaber auf den verschiedenen Teilmärkten sein. Dieses Inverkehrsetzen dient letztendlich dem Interesse des Markeninhabers, den Absatz seiner gekennzeichneten Produkte auf den einzelnen Märkten zu optimieren. Darüber hinaus ist zu beachten, daß das importierte und eventuell qualitativ schlechtere Produkt auf dem heimatlichen Markt des Kennzeicheninhabers zu einem günstigeren Preis angeboten werden könnte. Es liegt daher im eigenen Interesse des markenrechtlich Berechtigten, einen Preiswettbewerb innerhalb seiner identisch gekennzeichneten Produkte unter Hinweis auf den Nichteintritt der Erschöpfungswirkung zu verhindern. Durch diese Befugnis des Markeninhabers wird aber zugleich dem Verbraucher auf dem heimatlichen Markt die Chance genomFezer, Markenrecht, a. a. O. Vgl. zu diesem dogmatischen Anknüpfungspunkt bereits Heydt, GRUR 1969, 450, 464; ders., GRUR 1973,472,474 (Anm. zum BGH-Urteil "Cinzano", BGH, GRUR 1973, 181
182
468 ff.). 183 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des EuGH im Fall ,,Ideal Standard" (EuGH, Slg. 1994,1-2789 = GRUR Int. 1994,614).
18·
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
men, autonom darüber zu entscheiden, welche der identisch gekennzeichneten Produkte er erwerben möchte. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen, daß sich die Endverbraucher für ein qualitativ schlechteres Produkt aus Preisgründen entscheiden. Die kategorische Verhinderung des Imports veränderter Produkte unter Berufung auf Verbraucherinteressen stellt sich daher insgesamt als ein Scheinargument dar. Auch die Gefahr einer Verwirrung der Verbraucher erscheint eher unwahrscheinlich und könnte durch entsprechende Hinweise auf dem Produkt im Einzelfall eliminiert werden 184 • Die markenrechtliche Importuntersagung ist daher letztendlich als eine Bevormundung der Verbraucher anzusehen, die ausschließlich dem Interesse des Markeninhabers zugute kommt. Würde man dem Markeninhaber die Befugnis zubilligen, Importe qualitativ von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung veränderter Produkte unter derselben Kennzeichnung zu verhindern, ergäbe sich im Ergebnis eine künstliche Marktaufteilung des Gemeinsamen Marktes 18S . Insoweit liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen den Grundsatz des freien Waren verkehrs vor. Insgesamt ist daher die Einordnung der verbraucherrelevanten Produktdifferenzierungen unter die Generalklausel des § 24 11 MarkenG abzulehnen 186 . Der Markeninhaber könnte dann die Vorteile aus dem Inverkehrsetzen qualitativ unterschiedlicher Produkte vollständig in Anspruch nehmen, ohne die Nachteile in Form einer Duldung von Importen tragen zu müssen. Der Markeninhaber sollte daher nur dann den Import identisch gekennzeichneter Produkte verhindern können, wenn er zur Vornahme von Qualitätsabweichungen aufgrund rechtlicher Vermarktungsbedingungen gezwungen wurde, die nicht mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs im Sinne der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV vereinbar sind. Im Interesse eines weitgehend unbeschränkten europäischen Waren verkehrs sollte daher die "Cinzano"-Rechtsprechung des BGH 187 aufrechterhalten werden.
184 BGH, GRUR 1973,468,471 f. - Cinzano; BGH, GRUR 1983, 177, 179 - Aqua King; vgl. auch EuGH, GRUR Int. 1993,951 - Nissan. 185 Vgl. auch EuGH, Sig. 1994,1-2789 GRUR Int. 1994,614 - Ideal Standard; BGH, GRUR 1973,468, 470f. - Cinzano; BGH, GRUR 1983, 177, 179 - Aqua King; Sack, GRUR 1997, 1,7 m. w. N. 186 So auch Althammer I Klaka, MarkenG, § 24 Rnr. 8. Diese Auslegung gilt in gleicher Weise für Art. 7 II MarkenRL und Art. 13 II GMarkenY. 187 BGH, GRUR 1973,471 - Cinzano.
=
§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz i~ Gemeinschaftsrecht
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
auf Grundlage der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV A. Die gemeinschaftsrechtIiche Ausgangslage in bezug auf markenrechtIiche Fallgestaltungen Die praktische Anwendbarkeit und Nützlichkeit der rechtlichen Bestimmungen über den Gemeinsamen Markt wird durch die Grundfreiheiten des EGV, die im dritten Teil des Vertragswerks verankert worden sind, gewährleistet. Hierzu gehören die Freiheit des .Warenverkehrs (Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV, nebst der Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs, Artt. 26, 27 (ex-Artt. 28, 29) EGV (Artt. 18 - 29 a.F. EGV), die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artt. 3942 (ex-Artt. 48-51) EGV), die Niederlassungsfreiheit für selbständige Gewerbetreibende, Freiberufler und Gesellschaften, Artt. 43-48 (ex-Artt. 52-58) EGV), die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (Artt. 49-55 (ex-Artt. 59-66) EGV) und die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Artt. 56 - 60 EGV) (Artt. 67 - 73 EGVa.F.)188. Die der Gemeinschaft zugewiesenen Aufgaben werden in Art. 2 EGV aufgeführt. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wird die Gemeinschaft gern. Art. 3 EGV auf bestimmten Gebieten tätig. Für den Markenschutz relevant sind die Tätigkeitsfelder der Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten gern. Art. 3 lit.a) EGV und die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt gern. Art. 3 Iit.f) EGY. In diesem Zusammenhang dienen die Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV zur Erreichung der in Art. 3 lit.a) EGV niedergelegten Zielsetzungen, während die Artt. 81,82 (ex-Artt. 85, 86) EGV zur Umsetzung des Art. 3 Iit.f) EGV beitragen sollen. Sowohl das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung nach den Artt. 28 ff. (exArtt. 30 ff.) EGVals auch die europarechtlichen Wettbewerbsvorschriften der Artt. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV bilden die wesentlichen Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Binnenmarkt, in dem ein freier Warenverkehr und ein unverfälschter Wettbewerb gewährleistet werden sollen. Diese beiden wesentlichen Wirtschaftsprinzipien begründen in Verbindung mit dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz l89 eine marktwirtschaftlich orientierte Wettbewerbsordnung innerhalb der EU. 188 Allgemein zu den primärrechtlichen Grundfreiheiten, Streinz, Europarecht, S. 260 ff., S. 274ff., S. 278ff., S. 284ff. 189 Vgl. dazu EuGH, Sig. 1972,457,467 - Frilli; EuGH, Sig. 1978, 1991,2004 - Isoglukose.
278
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
In diesem wirtschaftlichen Ordnungsrahmen ist auch der Immaterialgüterrechtsschutz als wesentlicher und bedeutender Teilbereich verankert. Im Hinblick auf die Gewährleistung der Immaterialgüterrechte sind sowohl nationale, internationale als auch supranationale Rechtsvorschriften einschlägig. Soweit das nationale Recht der Mitgliedstaaten zur Anwendung gelangt und eine europarechtliche Kompetenzzuweisung fehlt, führt die Territorialität des jeweiligen nationalen Markenschutzes zu einem zwangsläufigen Konflikt mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs, der kompetenzrechtlich zum Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft gehört. Beide Ordnungsprinzipien stehen aufgrund ihrer konträren Zielsetzungen in einem Spannungsverhältnis l90 • Die Schaffung eines diesbezüglichen sachgerechten Ausgleichs ist Aufgabe der Rechtsprechung des EuGH.
B. Die Begrenzung des nationalen Markenschutzes durch das europäische Wettbewerbsrecht und Warenverkehrsrecht in der Rechtsprechung des EuGH I. Europäisches Wettbewerbsrecht und Warenverkehrsrecht im Verhältnis zueinander
Sowohl das Wettbewerbsrecht als auch das Warenverkehrsrecht kommen als Schutzbegrenzungen der nationalen Markenrechte in Betracht. Es ist daher notwendig, das Verhältnis dieser Schrankensysteme zueinander zu klären 191 . Die europäischen Wettbewerbsregeln und das Recht des freien Warenverkehrs sind aus rechtsdogmatischen Gründen grundsätzlich voneinander zu unterscheiden. Wahrend die Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30ff.) EGVan die einzelnen Mitgliedstaaten adressiert sind und deren staatliches Verhalten im supranationalen Warenverkehr kontrollieren sollen, richtet sich das europäische Wettbewerbsrecht der Artt. 81 ff. 190 Vgl. allgemein zu diesem Spannungsverhältnis, Axster, GRUR 1980, 594; Beier, GRUR Int. 1976, 1; ders., GRUR Int. 1976,363; ders., GRUR Int. 1978,263; ders., in: FS für Vieregge, 1995, S. 43; Beier/v. Mühlendahl, Miu. 1980, 101; Brändel, GRUR 1980,512; Ebenroth, in: FS für Piper, 1996, S. 133; Ehlermann, in: FS für Ipsen, 1977, S. 579; Emmerich, DB 1972, 1275, 1325; Fezer, in: FS 25 Jahre BPatG, 1986, S. 405; Fricke, WRP 1977, 7; ders., WRP 1977, 217; Ipsen, in: Hefermehl/lpsen/Schluep/Sieben, S. 163; Klaka, GRUR 1994, 321; ders., in: FS für Traub, 1994, S. 173; Knöpfle, BB 1977, 1073; Mailänder, in: FS für Gaedertz, 1992, S. 369; Mak, GRUR Int. 1975, 118; Moench, NJW 1982,2689; Nordemann, DZWir 1995, 315; Omsels, GRUR 1994, 162; Rupp, NJW 1976, 993; Sack, EWS 1994, 333; ders., RIW 1994,897; ders., GRUR 1997, 1; Schennen, Miu. 1989,7; Schricker, GRUR 1977,434; ders., GRUR Int. 1991, 185; Schröter, WRP 1971, 356; Sprick, GRUR Int. 1977, 285; U11rich I Konrad, in: Dauses, EG-WirtschaftsR, C. 111; Müller-Graff, in: GTE, Art. 36 EGV Rnr. 108 ff.; Matthies I v. Borries, in: Grabitz I Hilf, Art. 36 EGV Rnr. 21 ff.; Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, S. 299ff. 191 Vgl. in diesem Zusammenhang auch van Themaat, in: FS f. Günther, 1976, S. 373 ff.
§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
279
(ex-Artt. 85 ff.) EGVan die Unternehmen als Wirtschaftsteilnehmer im Gemeinsamen Markt l92 • Auf der anderen Seite ist zu beachten, daß beide Rechtsgebiete demselben Ziel dienen 193, nämlich der Schaffung einer funktionierenden europäischen Wirtschaftsordnung. Sie sind daher aufgrund des gemeinsamen Sachzusammenhangs ineinander verwoben und dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Zwischen den Regelungen des freien Warenverkehrs und den Vorschriften des Wettbewerbsrechts existiert jedoch kein Über- oder Unterordnungsverhältnis. Beide Regelungsbereiche befinden sich in der Normenhierarchie auf derselben Stufe (primäres Gemeinschaftsrecht). Insgesamt ist davon auszugehen, daß die Art. 28 ff. (ex-Artt. 30ff.) EGV und die Art. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV im Hinblick auf ihre Auslegung und ihre praktische Rechtsanwendung jeweils gemeinsam berücksichtigt werden müssen. Zwischen beiden Normbereichen bestehen Wechselwirkungen, die es rechtfertigen, von einer Parallelwertung zwischen Warenverkehrsrecht und Wettbewerbsrecht zu sprechen 194.
ß. Die historische Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH im HinbUck auf das Verhältnis der Artt. 81ft. (ex-Artt. 85ft.) EGV zu den Artt. 28ft. (ex-Artt. 30ft.) EGV
In den ersten Entscheidungen des EuGH zum Spannungsverhältnis des nationalen Immaterialgüterrechts zu den primärrechtlichen Bestimmungen des Europarechts zog das Gericht noch maßgeblich die Weubewerbsregeln der Artt. 81, 82 (ex -Artt. 85, 86) EGVals Prüfungs maßstab heran 195 . Diese Vorgehensweise erwies sich jedoch in vielerlei Hinsicht als unvorteilhaft. Der Anwendungsbereich des Art. 81 (ex-Artt. 85) EGV setzt tatbestandlich das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen oder ein sonstiges abgestimmtes Verhalten voraus l96 . Ist dies im Einzelfall nicht gegeben, sind die europarechtlichen WeUbewerbsregeln nicht einschlägig 197. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß der Inhaber eines gewerblichen Schutzrechts nicht bereits deshalb 192 Näher zum Schutz des Wettbewerbs gegen Beschränkungen im europäischen Recht, Emmerich, Kartellrecht, S. 395 ff.; Streinz, Europarecht, S. 298 ff. 193 Vgl. insoweit näher die in Art. 2 EGV niedergelegten Aufgaben der Gemeinschaft. 194 So Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 65. 195 EuGH, Slg. 1966,321 = GRUR Int. 1966,580 - Grundig/Consten; EuGH, Sig. 1971, 69 =GRUR Int. 1971,279 - Sirena/Novimpex; vgl. auch Hefermehl I Fezer, in: Hefermehll Ipsen/Schluep/Sieben Nationaler Markenschutz, S. 67ff.; Oliver, Free Movement ofGoods in the EEC, Paragraph. 8. 97. 196 Näher dazu Gleissl Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, S. 65 ff., S. 90 ff. 197 Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, S. 299ff. Zur Anwendung des Art. 81 (ex-Art. 85) EGV im Hinblick auf Konzernunternehmen, vgl. EuGH, Sig. 1971,949 GRUR Int. 1972,495 - BEGUELIN Import; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, S. 617f.
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280
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 82 (ex-Art. 86) EGV innehat, weil er wegen der Ausgestaltung des Schutzrechts als Ausschließlichkeitsrecht über die Kompetenz verfügt, Benutzungshandlungen durch Dritte im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu verhindern 198. Die wesentlichen Fälle einer künstlichen Marktabschottung mit Hilfe des nationalen Immaterialgüterrechts konnten daher nicht wirksam erfaßt werden l99. Trotz dieser Vorbehalte gegen die Heranziehung der europarechtlichen Wettbewerbsregeln, sind diese für die Begrenzung der nationalen Schutzrechtsausübung von großer Bedeutung2OO . Die Artt. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV können z. B. auch dann einschlägig sein, wenn ein abgestimmtes Verhalten von Unternehmen im Bereich des nationalen Markenrechts zu einer Marktaufteilung in bezug auf das Territorium der EU und Drittstaaten geführt hat. Insoweit ist der örtliche Anwendungsbereich der Artt. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV nicht auf das Gebiet der EU beschränkt, wenn die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen 201 . Die europarechtlichen Wettbewerbsregeln können auch dann im Hinblick auf die nationalen Markenrechte herangezogen werden, wenn im Einzelfall eine kartellrechtlich unzulässige Vereinbarung oder Abstimmung zwischen den Marktteilnehmern über nationale Markenrechte gegeben ist, die sich wettbewerbsbeschränkend auswirkt (insbesondere im Hinblick auf Lizenzverträgepo2. Ob eine solche Vereinbarung oder Abstimmung vorliegt, entscheidet der EuGH auf Grundlage der sog. Mißbrauchsformel. Danach liegt ein Verstoß gegen die europäische Wettbewerbsordnung vor, wenn die sich aus den divergierenden nationalen Markenrechten ergebenden Ansprüche dazu mißbraucht werden, das Gemeinschaftskartellrecht zu umgehen 203 . In diesem Zusammenhang anerkennt der EuGH jedoch die grundsätzliche Zulässigkeit von markenrechtlichen Abgrenzungsvereinbarungen. Solche Abgrenzungsvereinbarungen zwischen verschiedenen Markeninhabern ähnlicher Zeichen sieht der EuGH grundsätzlich als zweckmäßig an, wenn hierdurch der Umfang der Benutzung der sich gegenüberstehenden Zeichen im Inter-
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198 Vgl. dazu EuGH, Sig. 1971,69 GRUR Int. 1971,279, 280f. - Sirena/Novimpex; EuGH, Slg. 1971,487 =GRUR Int. 1971,450,453 - Deutsche Grammophon/Metro; EuGH, Sig. 1976, 811-EMIICBS. 199 s. auch Mertens de Wilmars, GRUR Int. 1976,93,96. 200 Vgl. dazu Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, S. 1217ff. 201 Näher zum Bereich der internationalen Marktaufteilung mit Hilfe gewerblicher Schutzrechte, Johannes, S. 36; vgl. auch Ullrich, GRUR Int. 1975,291,299; EuGH, Sig. 1976, 811 GRUR Int. 1976, 398 - EMI Records / CBS-Schallplauen. 202 Allgemein dazu Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, S. 286ff. Näher zur Zulässigkeit markenrechtlicher Lizenzverträge im Rahmen des Art. 81 (ex-Art. 85) EGV, Emmerich, Kartellrecht, S. 433ff.; Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, S. 1385ff., S. 1393 ff.; Sack, WRP 1999,592 ff. 203 EuGH, Sig. 1966, 321, 394 GRUR Int. 1966, 580 - Grundig/Consten; vgl. auch EuGH, Sig. 1985, 363 GRUR Int. 1985, 399 ff. - Toltecs / Dorcet 11.
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
281
esse einer Venneidung von Verwechslungen und der Verhinderungen von Rechtsstreitigkeiten festgelegt wird 204 • Im Hinblick auf die Ausübung eines nationalen Markenrechts hat der EuGH für die Anwendung der Artt. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGVeine eigene Abgrenzungsfonnel entwickelt. Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn die Ausübung des Markenrechts Gegenstand, Mittel oder Folge einer europarechtlich verbotenen Kartellabsprache ist205 • Die Ausübung des nationalen Markenrechts als solche stellt demnach keinen kartellrechtlich relevanten Tatbestand dar. Es müssen weitere im Einzelfall gegebene Umstände zur Annahme eines kartellrechtlichen Verstoßes hinzutreten. Schließlich wird auch der Tatbestand des Art. 82 (ex-Art. 86) EGV unter bestimmten Voraussetzungen in bezug auf markenrechtliche Fallgestaltungen maßgeblich. Wie bereits festgestellt, führt die bloße Ausschließlichkeitsbefugnis des nationalen Markeninhabers zur Abwendung markenrechtlicher Verstöße nicht zur Bejahung einer marktbeherrschenden Stellung. Auch insoweit müssen weitere konkrete Umstände des Einzelfalles hinzutreten, die eine andere Wertung zulassen. Eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 82 (ex-Art. 86) EGV wird in der Rechtsprechung des EuGH dann angenommen, falls der Markeninhaber unter Berufung auf sein Schutzrecht in der Lage ist, einen wirksamen Wettbewerb auf einem erheblichen Teil des relevanten Marktes zu unterbinden 206• Diese Anforderung soll jedoch dann nicht erfüllt sein, wenn dem Markeninhaber verschiedene weitere Konkurrenten mit ähnlicher Marktrnacht gegenüberstehen 207 • Die vorstehenden AusfLihrungen zeigen, daß die Art. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV im Rahmen markenrechtlicher Fallgestaltungen immer noch von besonderer Bedeutung sind, wenn im Einzelfall Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen einschlägig sind, die den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes negativ beeinflussen208 • Das EG-Wettbewerbsrecht ist in diesem Zusammenhang insbesondere dann anwendbar, wenn die beteiligten Unternehmen im Einzelfall kontinentale Marktaufspaltungen mit Hilfe des Markenrechts anstreben. Der räumliche Anwendungsbereich der Artt. 28 ff. (exArtt. 30 ff.) EGV wäre dann in der Regel versperrt. 204 EuGH, Sig. 1985, 363 = GRUR Int. 1985, 399ff. - Toltecs/Dorcet 11; näher zu den inhaltlichen Anforderungen an eine kartellrechtlich unbedenkliche, markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarung, Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 102ff.; Gleiss I Hirsch, Kommentar zum EG-Kartellrecht, S. 204ff. Vgl. auch Harte-Bavendamm/v. Bornhard, GRUR 1998, 530ff. 205 EuGH, Sig. 1971, 69, 83 = GRUR Int. 1971, 279 - Sirena/Novimpex; EuGH, Sig. 1971,487,499 = GRUR Int. 1971,450 - Deutsche Grammophon; EuGH, Sig. 1976, 1039 =GRUR Int. 1976, 402 - Terranova I Terrapin. 206 EuGH, Sig. 1971,69,83 GRUR Int. 1971,279 - Sirena/Novimpex. 207 EuGH, Sig. 1976,811 =GRUR Int. 1976,398 - EMI Records I CBS-Schallplatten. 208 Näher zum Anwendungsberich der Artt. 81 (ex-Artt. 85 ff.) EGV in bezug auf markenrechtliche Fallgestaltungen, Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 100ff.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Soweit sich jedoch ein einzelner Markeninhaber auf nationale Ausschließlichkeitsrechte aus seiner (nationalen) Marke oder seiner Gemeinschaftsmarke gegenüber Dritten beruft, ohne in irgendeiner Form mit anderen Unternehmen zusammenzuwirken, hat der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung auf die Vorschriften des freien Warenverkehrs als Prüfungsmaßstab zurückgegriffen. Die Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30ff.) EGV sind immer dann der geeignete Prüfungsmaßstab, wenn nationale oder gemeinschaftsrechtliche Markenbefugnisse einschlägig sind, deren (rechtmäßige) Ausübung durch den jeweiligen Markeninhaber eine Behinderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellt. In diesem Fall sind letztendlich die Mitgliedstaaten Verursacher eines gemeinschaftswidrigen Verhaltens 209 und gleichzeitig Adressaten der Regelungen zur primärrechtlichen Warenverkehrsfreiheit. Insoweit besteht ein entscheidender Unterschied zum ausschließlich unternehmensbezogenen Anwendungsbereich des EG-Kartellrechts. Soweit die Voraussetzungen der Artt. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV im Einzelfall nicht gegeben sind, spricht für die Heranziehung der Artt. 28 (ex-Artt. 30 ff.) EGV vor allem die große Sachnähe dieser Vorschriften zu den nationalen gewerblichen Schutzrechten (oder den Schutzrechten aus der GMarkenV), die sich in ihrer praktischen Auswirkung gerade als Beschränkungen des unions weiten Handelsverkehrs darstellen können. Darüber hinaus ist zu beachten, daß das natürliche Ziel der Markeninhaber grundsätzlich darin zu erblicken ist, den Gemeinsamen Markt mit Hilfe ihrer Ausschließlichkeitsrechte künstlich abzuschotten. Die Verhinderung eines solchen Eingriffs in den freien Warenverkehr kann in effizienter Weise mit Hilfe der Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30 ff.) EGV bewirkt werden. Hierfür sind diese Rechtsnormen gerade konzipiert worden. Soweit im Einzelfall die Artt. 81 ff. (ex-Artt. 85 ff.) EGV neben den Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30 ff.) EGV zur Anwendung gelangen können, prüfte der EuGH in älteren Entscheidungen die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit zunächst noch im Rahmen der EG-Wettbewerbsregeln 21O • In neueren Entscheidungen erfolgte dann eine originäre Prüfung auf Grundlage der Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30 ff.) EGV, unabhängig vom (eventuell einschlägigen) Prüfungsmaßstab der Artt. 81, 82 (ex-Artt. 85, 86) EGV211 •
209 So auch Müller-Graff, in: GTE, Art. 30 Rnr. 290 m. w. N., zum hier beschriebenen Fall der Einfuhrbehinderung durch Private aufgrund gewerblicher Ausschließlichkeitsrechte. 210 EuGH, Slg. 1971,69 GRUR Int. 1971,279 - Sirena/Novimpex. 211 Dieser dogmatische Ansatz wurde erstmalig in der Entscheidung EuGH, Slg. 1971, 487 =GRUR Int. 1971,450 - Deutsche Grammophon/Metro, hinsichtlich des Urheberrechts verfolgt. Im Hinblick auf das Urheberrecht kommen auch die Entscheidungen EuGH, GRUR Int. 1981, 229 - Musik-Vertrieb membran / GEMA; EuGH, Slg. 1988, 2605 - Warner / Metronome Video in Betracht. In bezug auf das Warenzeichenrecht sind als erste Entscheidungen zu nennen, EuGH, Slg. 1974,731 =GRUR Int. 1974,338 - HAG I; EuGH, Slg. 1974, 1383 =GRUR Int. 1974,456 - Centrafarm/Winthrop; EuGH, Slg. 1976,811,871,913 =GRUR Int. 1976, 398 - EMI / CBS. Aus dem Bereich des Patentrechts sind folgende Entscheidungen einschlägig: EuGH, GRUR Int. 1974,454 - Centrafarm/Sterling Drug; EuGH, GRUR Int.
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
283
Irr. Die gemeinschaftsrechtIiche Erschöpfung in der Rechtsprechung des EuGH 1. Ausgangssituation
Der Konflikt zwischen dem nationalen Markenrechtsschutz und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs basiert im wesentlichen auf der Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft in bezug auf diese sich gegenüberstehenden Rechtsgebiete. Auch das Inkraftsetzen der MarkenRL und der GMarken V hat im Ergebnis nicht zu einer grundlegenden Veränderung der Zuständigkeitsaufteilung geführt. Den Mitgliedstaaten verbleibt auch jetzt noch eine eigenständige Regelungskompetenz auf dem Gebiet des Markenrechts, da insbesondere die MarkenRL nicht zu einer vollständigen Angleichung der nationalen Markenrechte fUhren sollte 212 • Die europarechtlichen Bestimmungen zur Warenverkehrsfreiheit dienen wegen der dargestellten Zuständigkeitsdivergenzen nunmehr dazu, die markenrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten, die auf einer originären nationalen Kompetenznorm beruhen, auf ihre Vereinbarkeit mit den Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30 ff.) EGV213 als relevantem Prüfungs maßstab zu kontrollieren. Das europäische Warenverkehrsrecht soll daher verhindern, daß die nationalen Markeninhaber auf Grundlage des Territorialitätsprinzips den Gemeinsamen Markt mit Hilfe nationaler Rechtsvorschriften künstlich abschotten. Ein ähnlich gelagertes Spannungsverhältnis besteht auch zwischen den Gemeinschaftsmarken auf Grundlage der GMarkenV und der Warenverkehrsfreiheit. Das supranational determinierte Ausschließlichkeitsrecht des Gemeinschaftsmarkeninhabers kann wegen der in der GMarkenVerfolgten Überwindung der territorialen Beschränkung der markenrechtlichen Befugnisse214 in noch stärkerem Maße zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Warenverkehrsströme in der EU fUhren.
2. Die Behandlung der nationalen Markenrechte in der Rechtsprechung des EuCH
Die frühere Judikatur des EuGH zum Verhältnis der nationalen Markenrechte bzw. der nationalen Immaterialgüterrechte im allgemeinen zur Warenverkehrsfreiheit war geprägt von der Differenzierung zwischen dem Bestand und der Ausübung der im Einzelfall anwendbaren nationalen Schutzrechte.
1982,47 - Merck/Stephar; EuGH, GRUR Int. 1985, 822 - Pharmon/Hoechst. Vgl. zum Geschmacksmusterrecht, EuGH, GRUR Int. 1983,643 - Keurkoop/Nancy Kean Gifts. Vgl. zum Sortenschutzrecht, EuGH, GRUR Int. 1982, 530 - L.C. Nungesser KG I Kommission. 212 Vgl. dazu den 3. Erwägungsgrund der MarkenRL, GRUR Int. 1989,294. 213 Vgl. auch die Artt. 11, 13 EWR-Abkommen. 214 Vgl. dazu den 3. Erwägungsgrund zur GMarkenV, GRUR Int. 1994,403.
284
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Bereits in der Entscheidung Grundig I Consten215 gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, daß eine Anordnung der Kommission, die dem Ziel diente, den Einsatz nationaler gewerblicher Schutzrechte zur Verhinderung von Parallelimporten zu untersagen, nur die Ausübung der innerstaatlichen Rechtsposition limitiere, jedoch den Bestand dieser Rechte unberührt lasse 216 • Der Bestand sollte nur soweit beschränkt werden können, wie dies zur Durchsetzung des Verbots aus Art. 81 (exArt. 85) EGVerforderlich sei und sich kein Konflikt zu Art. 295 (ex-Art. 222) EGVergebe. Diese grundlegende Unterscheidung zwischen Bestand und Ausübung wurde auch beibehalten, nachdem der EuGH die Konsistenz nationaler gewerblicher Schutzrechte im Verhältnis zum primären Gemeinschaftsrecht originär und unabhängig vom Prüfungsmaßstab der Artt. 81, 82 (ex-Artt. 85, 86) EGVauch an den Bestimmungen der Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30 ff.) EGVausrichtete. Der EuGH stellte in diesem Zusammenhang fest, daß der Anwendungsbereich der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGVausschließlich die Ausübung der nationalen Schutzrechte betreffe und demgegenüber den Bestand der entsprechenden Rechtspositionen nicht tangiere 217 • Zur Begründung dieser differenzierten Sichtweise verwies der EuGH auf den Wortlaut der Artt. 28,30 (ex-Artt. 30, 36) EGY. Gern. Artt. 28, 30 (ex-Artt.30, 36) EGV seien mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten, soweit sie nicht zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt seien und kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine verschleierte Handelsbeschränkung darstellten. Vor Inkrafttreten der MarkenRL vertrat das Gericht die Aufassung, der Gesetzgeber in den einzelnen Mitgliedstaaten sei ausschließlich für den Bestand der gewerblichen Schutzrechte zuständig, solange die einzelstaatlichen Vorschriften im Bereich des Immaterialgüterrechts noch nicht vereinheitlicht seien 218 • Dieser Grundsatz gilt nunmehr nur insoweit, wie die einschlägigen sekundärrechtlichen Bestimmungen des Europarechts nicht zu einer Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen gefuhrt haben. Die Mitgliedstaaten sind jedoch jetzt nicht mehr exklusiv für den Bestand gewerblicher Schutzrechte zuständig. Im Anwendungsbereich der europäischen Harmonisierungsrechtsakte wird der Bestand der gewerblichen Schutzrechte europarechtlich determiniert. Dies gilt z. B. im Hinblick auf die nunmehr lediglich europaweite Erschöpfung nationaler Markenrechte oder die Neuregelung der Ähnlichkeit und Verwechslungsgefahr in bezug auf im Einzelfall EuGH, Slg. 1966, 693 = GRUR Int. 1966, 580, 583 - Grundig I Consten. Vgl. auch Axster, GRUR 1980,594; Beier, GRUR 1989,603,609. 217 So erstmalig der EuGH in der Entscheidung, EuGH, Slg. 1971,487,497 =GRUR Int. 1971, 450, 454 - Deutsche Grammophon I Metro. 218 EuGH, GRUR Int. 1983,643,644 - Keurkoop/Nancy Kean Gifts; EuGH, Slg. 1988, 6211, 6235 - AB Volvo/Erik Veng (UK) Ltd.; EuGH, Slg. 1988, 3585, 3606 - Thetfordl Fiamma; EuGH, Slg. 1989,79,96 - EMI Electrola GmbH I Patricia Im- und Export u. a. 215
216
§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
285
kollidierende Marken. Hinsichtlich der veränderten Regelung der europaweiten Erschöpfung haben die Vorschriften des freien Warenverkehrs mittelbar eine materiell-rechtliche Veränderung der nationalen Schutzrechte bewirkt. Im Hinblick auf das Schutzsystem der GMarkenV ist der Bestand der Gemeinschaftsmarke in toto gemeinschaftsrechtlich festgelegt. In der HAG II-Entscheidung 219 hat der EuGH nicht mehr expressis verbis an die Unterscheidung zwischen Bestand und Ausübung nationaler Schutzrechte angeknüpft. Im Schrifttum wurde daraufhin die Meinung vertreten, das Gericht habe seine frühere Differenzierung konkludent aufgegeben 22o• Hiergegen sprechen jedoch die Schlußanträge des Generalanwalts EG. Jacobs in der HAG II-Entscheidung 221 • Danach wurde der zuvor erwähnte Rechtsstreit auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des EuGH entschieden. Für diese Rechtsprechung war die Differenzierung zwischen Bestand und Ausübung von wesentlicher Bedeutung. Hieran sollte auch weiterhin festgehalten werden 222 , auch wenn wichtige Teilbereiche der geistigen Eigentumsrechte mittlerweile durch europarechtliche Vorgaben angeglichen wurden. Durch diese Entwicklung wird jedoch nicht der Bestand der nationalen Rechte als solcher abgelöst, sondern allenfalls modifiziert. Die Begriffe ,,Ausübung" und "Bestand" dienen als dogmatischer Anknüpfungspunkt auch weiterhin dazu, den Spannungs bereich zwischen den nationalen gewerblichen Schutzrechten und der Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit näher einzugrenzen. Die weitere Konkretisierung im Hinblick auf die Zulässigkeit der Ausübung nationaler Rechtspositionen kann dann auf Grundlage der Rechtsfigur des spezifischen Gegenstands des kommerziellen oder geistigen Eigentums im Sinne des Art. 30 (ex-Art. 36) S. I EGV vorgenommen werden. Der Konflikt zwischen den nationalen Markenrechten und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs verdeutlicht sich bereits anhand des Wortlauts der Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGY. Das Spannungsverhältnis läßt sich textlich fassen. Auf der einen Seite bestimmt Art. 28 (ex-Art. 30) EGV, daß mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten sind. Gemäß der Dassonville-Formel des EuGH223 handelt es sich bei den Maßnahmen gleicher Wirkung um alle nationalen Handelsregelungen, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Basierend auf dieser weiten Definition des Anwendungsbereichs des Art. 28 (ex-Art. 30) EGV können die nationalen Markenrechte eine unzulässige Maßnahme gleicher Wirkung darstellen, soweit die Aus-
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EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 GRUR 1990, 960ff. - HAG 11. JoHet, GRUR Int. 1991, 177, 182; ders., 22 IIC (1991), 303, 314f.; Rothnie, 13 EIPR (1991), 24, 28; vgl. auch Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 74. 221 GRUR Int. 1991,962,963 f., Ziff. 11-14; vgl. auch Ebenroth, S. 16, 17. 222 A.A. Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Ror. 74. 223 EuGH, Slg. 1974, 837, 852 - Dassonville; EuGH, Slg. 1979, 649 - Cassis de Dijon. 219 220
286
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
übung des Schutzrechts zu einem Importverbot gekennzeichneter Waren führt. Auf der anderen Seite sieht Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV vor, daß die Bestimmung des Art 28 (ex-Art. 30) EGV Einfuhr- und Ausfuhrbestimmungen nicht entgegensteht, die zur Gewährleistung des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Art. 28 (ex-Art. 30) EGV ist daher sedes materiae des Schutzes des freien Warenverkehrs, während Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV den Standort des europarechtlichen Schutzes der nationalen Markenrechte und in gleicher Weise der Gemeinschaftsmarkenrechte umschreibt. Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV gilt jedoch nicht unbeschränkt. Die Ausnahmevorschrift zu Art. 28 (ex-Art. 30) EGV wird ihrerseits in zweifacher Hinsicht limitiert. Zunächst muß nach dem Wortlaut des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV die Einschränkung des Art. 28 (ex-Art. 30) EGV gerechtfertigt sein (1. Schranke). Darüber hinaus bestimmt Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV, daß gerechtfertigte Verbote oder Beschränkungen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen dürfen (2. Schranke).
a) Die Rechtfertigung der Beschränkung des Warenverkehrs gern. Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV Die Zulässigkeit der Warenverkehrsbeschränkung im Hinblick auf nationale Markenrechte findet ihren Ausgangspunkt in der Verankerung des Tatbestandsmerkmals des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums im Rahmen des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV. Unter das gewerbliche oder kommerzielle Eigentum im Sinne dieser Vorschrift fallen u. a. Patente, Urheberrechte, Marken, Firmenbezeichnungen, Geschmacksmuster und Sortenschutzrechte224 • Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Beschränkungen des freien Warenverkehrs unter Berufung auf dieses Tatbestandsmerkmal nur dann zulässig, wenn im Einzelfall der spezifische Gegenstand des Immaterialgüterrechts betroffen ist 225 • In verschiedenen Entscheidungen hat sich der EuGH mit der Konkretisierung des spezifischen Gegenstandes der nationalen Markenrechte beschäftigt226• Matthies/v. Borries. in: Grabitzl Hilf. Art. 36 EGV Rnr. 19. St. Rechtsprechung seit EuGH. Slg. 1971, 487. 497 = GRUR Int. 1971. 450. 454 Deutsche Grammophon I Metro. VgI. EuGH. Slg. 1974. 1147 GRUR Int. 1974.454 - Centrafann/Sterling Drug; EuGH. Slg. 1974. 1183 = GRUR Int. 1974.456 - Centrafann/Winthrop; EuGH. Slg. 1976. 1039 GRUR Int. 1976.402.410 - Terranova/Terrapin; EuGH. Slg. 1978. 1139 GRUR Int. 1978. 599. 602 - Hoffmann-La Roche/Centrafann; EuGH. Slg. 1978.1823 = GRUR Int. 1979.99.104 - Centrafannl Arnerican Horne Products; EuGH. Sig. 1981. 2913. 2925 - Pfizer/Eurirn-Phann; EuGH. GRUR Int. 1982.47.48 - Merckl Stephar; EuGH. Sig. 1990.1-3711.3752 GRUR Int. 1990.960.961 - HAG 11.; EuGH. Slg. 1997.1-6227 GRUR Int. 1998. 145. 146 - Loenderslot/Ballantine. 226 EuGH. Sig. 1974. 1183 = GRUR Int. 1974.456 - Centrafann/Winthrop; EuGH. Sig. 1974.731 GRUR Int. 1974.338 - HAG I; EuGH. Sig. 1976.811 GRUR Int. 1976.398224 225
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
287
Das Gericht umschreibt den spezifischen Gegenstand des Markenrechts als das auschließliche Recht des Markeninhabers, das gekennzeichnete Produkt in den Verkehr zu setzen und hierdurch die Marke zu benutzen. Der Inhaber kann folglich Schutz vor Konkurrenten erlangen, die unter Ausnutzung der aufgrund der Marke erworbenen Stellung und Kreditwürdigkeit widerrechtlich gekennzeichnete Erzeugnisse verkaufen 227 . Diese nähere Bestimmung des spezifischen Gegenstandes basiert im wesentlichen auf der Hauptfunktion der Marke, die der EuGH in seiner Rechtsprechung wie folgt festlegt: Die Marke soll dem Konsumenten oder Endabnehmer die Ursprungsidentität des gekennzeichenten Produkts gewährleisten (Herkunftsgarantie, Unterscheidungs- und Herkunftsfunktion der Marke)228. Der Markeninhaber kann sich daher unter Berufung auf den spezifischen Gegenstand des Markenrechts allen Benutzungshandlungen widersetzen, die in diese Herkunftsgarantie eingreifen 229 . Daneben hat der EuGH auch das Recht des Markeninhabers anerkannt, die Qualität der Ware bis zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens zu kontrollieren 23o . Schließlich umfaßt der spezifische Gegenstand des nationalen Markenrechts auch Veränderungen des gekennzeichneten Produkts, die dazu geeignet sind, den Ruf des Markeninhabers zu schädigen231 • Soweit der spezifische Gegenstand des Markenrechts tangiert ist, kommt eine gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung der nationalen Rechtsposition nicht mehr in EMIICBS; EuGH, Slg. 1976, 1039f. =GRUR Int. 1976,402 - Terranova/Terrapin; EuGH, Slg. 1978, 1139, 1165 =GRUR 1978,599 - Hoffmann-La Roche/Centrafarm; EuGH, Slg. 1978, 1823 = GRUR Int. 1979, 99 - Centrafarml American Horne Products; EuGH, Slg. 1981,2913 =GRUR Int. 1980,302 - Pfizer/Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1991,1-1747, 1763 = EuZW 1991,409 - Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1993,1-6227 =GRUR Int. 1994, 168 - quattro; EuGH, Slg. 1994, 1-2789 = GRUR Int. 1994, 614 - Ideal Standard; EuGH, Slg. 1996, 1-3457 =GRUR Int. 1996, 1144 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Slg. 1996,1-3603 =GRUR Int. 1996, 1150 - Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1996,1-3671 =GRUR Int. 1996, 1151 - MPA Pharma. 227 EuGH, Slg. 1974, 1183 =GRUR Int. 1974,456 - Centrafarm I Winthrop. 228 Diese besondere Rolle der Herkunftsfunktion der Marke wird auch im 7. Erwägungsgrund zur GMarken V und im 10. Erwägungsgrund zur MarkenRL deutlich. 229 EuGH, Slg. 1978, 1139 = GRUR Int. 1978,599,602 - Hoffmann-La Roche/Centrafarm; EuGH, Slg. 1978, 1823 = GRUR Int. 1979,99, 106 - Centrafarml American Horne Products; EuGH, Slg. 1981,2913,2925 f. - Pfizer I Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1990,1-,3711, 3752 =GRUR Int. 1990,960,961 - HAG 11. 230 EuGH, Slg. 1996, 1-3457 =GRUR Int. 1996, 1144 - Bristol-Myers Squibb. Insoweit wird eine Qualitätssicherungsfunktion der Marke akzeptiert. 231 SO Z. B. im Falle einer erheblichen Beschädigung der Verpackung, EuGH, Slg. 1996, 1-3457 =GRUR Int. 1996, 1144 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Slg. 1996,1-3603 =GRUR Int. 1996, 1150 - Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1996,1-3671 =GRUR Int. 1996, 1151 - MPA Pharma. Insoweit anerkennt der EuGH die Werbefunktion der Marke, vgl. Sack, GRUR 1997,1,3. Vgl. aber auch EuGH, Slg. 1997,1-6013 =GRUR Int. 1998, 140ff. - Dior/Evora zum Recht des Wiederverkäufers von Luxusartikeln, die mit der Marke versehenen Waren weiterzuverkaufen und den weiteren Vertrieb dieser Waren anzukündigen. Insoweit haben sich die Verbietungsrechte des Markeninhabers erschöpft. Vgl. dazu auch EuGH, Slg. 1997 I, 1729 =EuZW 1997,310 - Phytheron International SAI Jean Bourdon SA.
288
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Betracht232 • Es besteht dann eine Suprematie des Markenrechts als Teil des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Sinne des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV gegenüber dem Grundsatz des freien Warenverkehrs auf Grundlage des Art. 28 (ex-Art. 30) EGY. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfungslehre wurde maßgeblich in der "Terranova/Terrapin"-Entscheidung des EuGH233 entwickelt. Unter Berufung auf die Hauptfunktion der Marke, dem Endabnehmer die Ursprungsidentität des gekennzeichneten Produkts zu gewährleisten, ist der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit dann vorrangig zu beachten, wenn der Markeninhaber mit markenrechtlichen Mitteln den Import der gekennzeichneten Erzeugnisse unterbinden will, obwohl diese in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gesetzt wurden234 • Ziel dieser Jurisdiktion ist es, künstliche Marktabschottungen zu verhindern. Diese Erschöpfungswirkung der nationalen Markenrechte sollte nach Auffassung des EuGH in der "Terranova/Terrapin"-Entscheidung auch dann gelten, wenn das im Einzelfall anwendbare nationale Markenrecht auf einer freiwilligen oder hoheitlich veranlaßten Aufspaltung einer ursprungsgleichen Marke basierte235 • Das nationale Markenrecht begrenzt jedoch dann den Anwendungsbereich der Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit, wenn die im Einzelfall gegenüberstehenden Unternehmen, die sich auf markenrechtliche Rechtspositionen berufen, keine wirtschaftliche oder rechtliche Verflechtung aufweisen und die jeweiligen Markenrechte nach nationalem Recht unabhängig voneinander etabliert wurden236 • In der an die "Terranova/Terrapin"-Entscheidung 237 anschließenden Rechtsprechung hat der EuGH verschiedene Fallgruppen zur gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfung nationaler Markenrechte entwickelt, die im folgenden dargestellt werden sollen. Diese Fallgruppen haben dazu geführt, daß im Gegenzug die Rechtsfigur des spezifischen Gegenstandes des Markenrechts immer mehr an Konturen gewonnen hat. aa) Unberechtigtes Kennzeichnen Auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH läßt sich der Grundsatz entwikkeIn, daß keine Abwehrbefugnis gegen die Einfuhr gekennzeichneter Erzeugnisse 232 Konsumtion und spezifischer Gegenstand des Markenrechts stehen daher in einem Ausschlußverhältnis zueinander. 233 EuGH, Slg. 1976, 1039f. = GRUR Int. 1976,402 - Terranova/Terrapin. 234 Vgl. auch EuGH, Slg. 1974, 1183 = GRUR Int. 1974, 456 - Centrafarrn I Winthrop. 235 EuGH, a. a. O. Im Hinblick auf die Fallkonstellation der hoheitlich bewirkten Markenaufspaltung erfolgte eine Modifikation der EuGH-Rechtsprechung in der Entscheidung "HAG 11", EuGH, Slg. 1990.1-3711,3752 =GRUR Int. 1990, 960ff. - HAG 11. 236 EuGH, Slg. 1976, 1039f. GRUR Int. 1976,402 - Terranova/Terrapin. 237 EuGH, a. a. O.
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
289
nach nationalem Markenrecht besteht, wenn diese vom Markeninhaber selbst oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht wurden 238 • In Abgrenzung hierzu ist der Importeur jedoch nicht befugt, die vom Markeninhaber ursprünglich gekennzeichnete Ware aus dem Ausland einzuführen und gleichzeitig umzuzeichnen. Eine solche Verhaltensweise eines Dritten beeinträchtigt das ausschließliche Recht des markenrechtlich Berechtigten zur exklusiven Anbringung der Marke auf dem Erzeugnis. Insoweit wird die Herskunftsgarantie der nationalen Marke tangiert. Eine entsprechende Limitierung der europäischen Warenverkehrsfreiheit wird dann vom EuGH aufgrund der berechtigten Interessen des Markeninhabers, die sich im spezifischen Gegenstand des Markenrechts manifestieren, toleriert 239 • bb) Markendifferenzierungen Im Gegensatz zu den sog. Produktdifferenzierungen 240 beruht die Markendifferenzierung auf dem Umstand, daß der Markeninhaber und gleichzeitige Hersteller eines Erzeugnisses in den einzelnen Mitgliedstaaten voneinander abweichende und nicht verwechslungsfähige Marken für das identische oder im wesentlichen ähnliche Produkt benutzt. Da sich der Bekanntheitsgrad und der gute Ruf der verschiedenen Marken weitestgehend auf das Verbreitungsgebiet des jeweiligen Produkts beschränken wird, kann die Markendifferenzierung als Instrument einer künstlichen Marktabschottung und effektiven Ausnutzung von Preisunterschieden auf den relevanten Teilmärkten vom Markeninhaber eingesetzt werden. Die Gefahr eines Parallelimports durch Dritte ist aufgrund der vorgenannten Argumente relativ gering241 • Aufgrund dieser Wirkungen befindet sich die Markendifferenzierung in einem generellen Konflikt mit der Regelung des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV (Kriterium der verschleierten Handelsbeschränkung). Die Zulässigkeit der Markendifferenzierung als Marktstrategie bedarf daher im Einzelfall einer sachlichen Legitimation 242 . In Betracht kommt in diesem Zusammenhang die Sachverhaltskonstellation, daß der Markeninhaber die identische Marke für sein Produkt im Ausland
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238 Vgl. EuGH, Sig. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990, 960ff. - HAG 11. Diese Rechtsprechung wurde tatbestandIich in den Vorschriften des Art. 13 GMarkenV, des Art. 7 MarkenRL und des § 24 MarkenG ausdrücklich niedergelegt. 239 EuGH, Sig. 1978, 1139 GRUR Int. 1978,599,603 - Hoffrnann-La Roche/Centrafarm; EuGH, Sig. 1978, 1823 = GRUR Int. 1979,99, 104 - Centrafarml Arnerican Horne Products; EuGH, Sig. 1981,2913,2926 - Pfizer I Eurirn-Pharm. 240 Vgl. dazu 4. Kapitel, § 2, S. 273 f. 241 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Troller, K., 10 EIPR (1988), 67 und die Schlußanträge des Generalanwaits F. Capotori im Fall Centrafarm I Arnerican Horne Products, EuGH, Sig. 1978, 1823 GRUR Int. 1979, lOS, 107f. 242 Ebenroth, S. 33.
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19 Spuhlcr
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
nicht erwerben kann, weil diese bereits zugunsten eines von ihm unabhängigen Dritten eingetragen und für eigene Erzeugnisse benutzt wurde. Allerdings scheidet eine Rechtfertigung der Markendifferenzierung aus, falls der nationale Markeninhaber bewußt eine Marke mit dem Effekt einer künstlichen Marktabschottung auswählt, von der er weiß, daß Schutzmöglichkeiten in anderen Mitgliedstaaten von vornherein nicht gegeben sind243 • Allgemein ist die Markendifferenzierung als Absatzsystem mit der Vorschrift des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV vereinbar, wenn sich die Marktabschottung als natürliche Konsequenz der jeweiligen Wettbewerbs- und Marktverhältnisse darstellt, die vom Markeninhaber nicht manipuliert wurden.
cc) Das Umpacken von gekennzeichneten Erzeugnissen Von besonderer quantitativer und qualitativer Bedeutung für das Spannungsverhältnis zwischen nationalen Marken und der Warenverkehrsfreiheit ist die geradezu akribische Rechtsprechung des EuGH zum Umpacken fremder Waren 244 . Sachverhaltsmäßig erfaßt diese spezielle Fallgruppe regelmäßig pharmazeutische Produkte 24s • Insbesondere im Hinblick auf den Handel mit Arzneimitteln offenbart sich der wirtschaftliche Hintergrund des Konflikts zwischen markenrechtlichen Schutzbefugnissen und liberalisierten Warenverkehrsströmen. Von dritten Unternehmen werden oftmals markenrechtlich gekennzeichnete Arzneimittel in neue Verpackungsgrößen umgepackt, um das für die Original ware und die umgepackte Ware bestehende Preisgefälle auf den verschiedenen Märkten der Mitgliedstaaten auszunuten 246 • Die Markeninhaber versuchen dann mit markenrechtlichen Mitteln, die unerwünschte Billigkonkurrenz auszuschalten, um die in einigen Mitgliedstaaten bestehenden hohen Arzneimittelpreise auch weiterhin ungestört erzielen zu können. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang zunächst festgestellt, daß zum spezifischen Gegenstand der nationalen Markenrechte insbesondere das Recht des Markeninhabers gehöre, Dritten jegliche Benutzungshandlungen zu verbieten, die geeignet sind, die Herkunftsgarantie der Marke, d. h. die Gewährleistung der So auch Ebenroth, S. 33. Vgl. dazu Althammer/Klaka, MarkenG, § 24 Rnr. 9; IngerllRohnke, MarkenG, § 24 Rnr. 19ff.; Müller-Graff, in: GTE, Art. 36 EGV Rnr. 121 ff.; Sack, WRP 1998, 549, 571 ff. 24S Der EuGH überträgt jedoch die zum Umpacken von pharmazeutischen Produkten entwickelten Grundsätze auch auf die Veränderung der Etikenierung anderer Erzeugnisse, z. B. alkoholische Getränke, so EuGH, Sig. 1997,1-6227 GRUR Int. 1998, 145, 147 - Loendersloot/Ballantine, und den Wiederverkauf von Luxusartikeln, so EuGH, Sig. 1997, 1-6013 = GRUR Int. 1998, 140, 143 - Dior/Evora. 246 Zu den Ursachen dieser Preisunterschiede im Gemeinsamen Markt und den divergierenden Interessen der Markeninhaber einerseits und den Zielvorstellungen der Importeure andererseits, Sack, GRUR 1997,1; Ingerl I Rohnke, MarkenG, § 24 Rnr. 19. 243
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
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Originalität und Ursprungsidentität der gekennzeichneten Ware im Interesse des Schutzes der Verbraucher vor Herkunftstäuschungen, zu beeinträchtigen247 . Diesbezüglich führt der EuGH jedoch aus, daß das Markenrecht den jeweiligen Markeninhabern nicht die Möglichkeit gebe, die nationalen Märkte abzuschotten und dadurch die Beibehaltung von Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu begünstigen248 . In Konkretisierung des spezifischen Gegenstands hatte der EuGH in früheren Entscheidungen noch die Meinung vertreten, daß eine Beschränkung des freien Warenverkehrs aufgrund nationaler Abwehrbefugnisse im Bereich des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Sinne des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV gerechtfertigt ist, wenn der Importeur eines Markenprodukts nach dem Umpacken der Ware die Marke ohne Zustimmung des Markeninhabers auf der neuen Umhüllung erneut anbringt249.
Zur Neukennzeichnung der umgepackten Ware erfolgt nunmehr in der Rechtsprechung des EuGH eine differenzierende Betrachtungsweise. Nach Auffassung des EuGH stellt die Neukennzeichnung der umgepackten Ware mit der Originalmarke nicht ohne weiteres und in jedem Fall einen berechtigten Grund im Sinne des Art. 7 n MarkenRL dar, der die Erschöpfungswirkung des Art. 7 I MarkenRL limitiert2so. Im Einzelfall müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die es rechtfertigen, den Tatbestand des Art. 7 n MarkenRL und damit die Rechtsfigur des spezifischen Gegenstands im Sinne des Art. 30 (ex-Art. 36) EGVanzuwenden 2S1 .
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247 EuGH, Sig. 1978, 1139, 1165 GRUR Int. 1978,599 - Hoffmann-La Roche I Centrafarm; EuGH, Sig. 1978, 1823 GRUR Int. 1978,99 - Centrafarml American Horne Products. 248 EuGH, Sig. 1997,1-6227 = GRUR Int. 1998, 145, 146, 147 - Loendersloot/Ballantine. Insoweit ist das Markenrecht dann nicht mehr Bestandteil des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs, den der EGV schaffen will. 249 EuGH, a. a. O. - Hoffmann-La Roche I Centrafarm; EuGH, Sig. 1981,2913, 2926f. Pfizer I Eurim-Pharm. 250 EuGH, Sig. 1996, 1-3457 GRUR Int. 1996, 1144, 1147, 1148 - Bristol-Myers Squibb. 251 Insgesamt ist festzustellen, daß Art. 7 MarkenRL und Art. 13 GMarkenV in gleicher Weise auszulegen sind wie Art. 30 (ex-Art. 36) EGV, da alle drei Bestimmungen dasselbe Ziel (angemessener Ausgleich zwischen Markenschutz und freiem Warenverkehr) verfolgen. Sowohl Art. 7 MarkenRL als auch Art. 13 GMarkenV dienen dazu, die bisherige Rechtsprechung des EuGH in diese sekundärrechtlichen Rechtsakte einfließen zu lassen. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich die Gleichstellung des Art. 7 ß MarkenRL (bzw. Art. 13 11 GMarkenV) mit dem Begriff des spezifischen Gegenstands des Markenrechts. In der Entscheidung ,,Bristol-Myers Squibb" (Slg. 1996,1-3457 = GRUR Int. 1996, 1144, 1147) spricht der EuGH in Anknüpfung an seine bisherige Rechtsprechung davon, daß Art. 7 MarkenRL als Sekundärrechtsakt im Lichte des Art. 30 (ex-Art. 36) EGVauszulegen sei. Vgl. auch EuGH, Sig. 1997,1-6013 = GRUR Int. 1998, 140, 143 - Dior/Evora. Unzutreffend wäre es jedoch, die Frage der Erschöpfung von Markenrechten abschließend anband des Art. 7 MarkenRL bzw. Art. 13 GMarkenV zu prüfen, ohne auf die Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGV bzw. die Artt. 11, 13, 65 11 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zu
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292
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Diese besonderen Umstände des Einzelfalls hat der EuGH unmittelbar in bezug auf den Umpackungsvorgang näher konkretisiert. Ein berechtigter Grund im Sinne des Art. 7 11 MarkenRL ist zunächst dann gegeben, wenn infolge des Umpackens der Originalware die Gefahr besteht, daß der Originalzustand der verpackten Ware beeinträchtigt worden ist (Veränderung der WarefS2. In diesem Zusammenhang präzisiert der EuGH den Begriff der Ware dahingehend, daß hierunter nur die Ware zu verstehen sei, die sich in der äußeren und gegeben falls inneren Verpackung befindet253 . Im Gegensatz hierzu wird im deutschen Markenrecht die Auffassung vertreten, Ware und Verpackung bildeten eine markenrechtliche Einheie54 . Diese Meinung kann vor dem Hintergrund der engeren EuGH-Interpretation nicht mehr aufrechterhalten werden. Im Rahmen des Umpackens fremder Waren lehnt der EuGH jedoch eine Veränderung der Ware ab, wenn die Arzneimittel, die in eine neue äußere Verpackung zusammengepackt werden, aus unterschiedlichen Chargen stammen und beispielsweise divergierende Verfallsdaten aufweisen. Hier bestehe nur das hypothetische Risiko eines isolierten Fehlers, der nicht für die Erschöpfungseinrede ausreiche 255 . Im Hinblick auf eine Änderung der (äußeren) Umverpackung der Ware ist der spezifische Gegenstand des Markenrechts bzw. ein berechtigter Grund im Sinne des Art. 7 11 / Art. 13 11 GMarken V grundsätzlich nur dann einschlägig, wenn hierdurch die Herkunftsgarantie der Marke in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies wird vom EuGH dann verneint, wenn das Umverpacken lediglich zu einem Eingriff in die äußere Umhüllung der Verpackung geführt hat und dieser Vorgang kenntlich gemacht und behördlich überwacht wird, um den Zustand der Originalware sicherzustellen256 . Denkbar ist beispielsweise, daß die äußere Umhüllung des Erzeugnisses, das in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht wurde, ausgetauscht und dabei mit Hilfe eines Klarsichtfensters auf die unversehrte innere Verpackung der Originalware hingewiesen wird. rekurrieren. Eine solche Auffassung stünde im Widerspruch zum Prinzip des Vorrangs des primären Gemeinschaftsrechts vor dem sekundären Gemeinschaftsrecht, so auch Sack, WRP 1998,549,560,561. 2S2 EuGH, Slg. 1996, 1-3457 = GRUR Int. 1996, 1144 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Slg. 1996, 1-3603 GRUR Int. 1996, ll50 - Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1996, 1-3671 GRUR Int. 1996, 1151 - MPA Pharma; vgl. auch EuGH, Slg. 1978, ll39, 1166 - HoffmannLa Roche/Centrafarm; EuGH, Slg. 1981,2913,2926 - Pfizer/Eurim-Pharm; Lüder, EuZW 1994, 112, 115. Beispiele fUr mögliche Warenveränderungen finden sich bei Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 24 Rnr. 20. 2S3 EuGH, Slg. 1996, 1-3457 GRUR Int. 1996, 1144, 1149 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Slg. 1996,1-3603 GRUR Int. 1996, ll50 - Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1996,1-3671 GRUR Int. 1996, ll51 - MPA Pharma. 2S4 Althammer, wro, § 15 Rnr. 5; Baumbach/Hefermehl, WZG, § 15 Rnr. 15; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 40 m. w. N. m EuGH, Slg. 1996,1-3457 =GRUR Int. 1996, ll44, 1149 - Bristol-Myers Squibb. 2S6 EuGH, Slg. 1978, ll39 = GRUR Int. 1978,599,603 - Hoffmann-La Roche/Centrafarm; EuGH, Slg. 1981,2913,2926 - Pfizer/Eurim-Pharm.
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
Desweiteren hat der EuGH den Grundsatz etabliert, daß eine Konsumtion markenrechtlicher Befugnisse im Gemeinschaftsrecht dann abzulehnen ist, wenn nach dem Umverpackungsvorgang nicht sichergestellt ist, daß die gekennzeichnete Ware aus dem Betrieb des Markeninhabers oder eines Lizenznehmers stammt257 . Das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers erschöpft sich jedoch in diesem Zusammenhang, wenn das umpackende Drittunternehmen in die äußere Verpakkung neben der Original ware auch Gegenstände (z. B. Zubehör), die vom Markeninhaber stammen, austauscht und durch fremde Erzeugnisse ersetzt258 . Notwendig ist in diesem Zusammenhang ein entsprechender Informationshinweis gegenüber dem Abnehmer der Original ware. Die umgepackte Ware muß darüber hinaus alle diejenigen Hinweise enthalten, die auch die original verpackte Ware aufwies 259. Im übrigen muß für den Verbraucher oder Endabnehmer durch entsprechende Hinweise erkennbar sein, wer umgepackt hat und wer Hersteller ist260. Eine Erschöpfung tritt auch dann nicht ein, wenn die Außen verpackung derart verändert wurde, daß hierdurch das Ansehen der Marke und des Markeninhabers beeinträchtigt werden kann (Rufschädigung)261. Ein entsprechender Imageschaden wird vom EuGH im Hinblick auf Arzneimittel dann angenommen, wenn die Verpackung im Einzelfall schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich ist262 . Schließlich ist es in der neueren EuGH-Rechtsprechung anerkannt, daß dem Markeninhaber gegenüber dem umverpackenden Unternehmen ein Informationsanspruch in bezug auf den Umverpackungsvorgang zusteht. Das Drittunternehmen ist auch verpflichtet, dem Markeninhaber ein Muster der umgepackten Ware zur Verfügung zu stellen263 . EuGH, GRUR Int. 1984, 240, 242 - Valium Roche. EuGH, EuGH, Sig. 1996, 1-3457 GRUR Int. 1996, 1144, 1149 - Bristol-Myers Squibb. Näher zu den Anforderungen an die beigefügte fremde Ware, Sack, GRUR 1997, 1, 5,6. 259 EuGH, Sig. 1996, 1-3457 = GRUR Int. 1996, 1144, 1149 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Sig. 1996,1-3603 GRUR Int. 1996,1150 - Eurim-Pharm; EuGH, Sig. 1996,1-3671 GRUR Int. 1996, 1151- MPA Pharma. 260 EuGH, Sig. 1996, 1-3457 = GRUR Int. 1996, 1144, 1150 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Sig. 1996,1-3603 =GRUR Int. 1996,1150 - Eurim-Pharm; EuGH, Sig. 1996,1-3671 = GRUR Int. 1996, 1151 - MPA Pharma. Vgl. auch BGH, GRUR 1997,629,632 - Sermion 11; Sack, GRUR 1997, 1,6. 261 Näher zur Schädigung des Rufs der Marke beim Wiederverkauf von Luxusartikeln, die infolge rechtmäßiger Parallelimporte erworben wurden, EuGH, Slg. 1997, 1-6013 GRUR Int. 1998, 140, 143, 144 - Dior/Evora. Der EuGH verlangt in diesem Zusammenhang im konkreten Einzelfall den Nachweis einer erheblichen Rufschädigung durch die Benutzung der streitgegenständlichen Marke. 262 EuGH, Sig. 1996, 1-3457 GRUR Int. 1996, 1144, 1150 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Slg. 1996,1-3603 =GRUR Int. 1996, 1150 - Eurim-Pharm; EuGH, Sig. 1996,1-3671 =GRUR Int. 1996, 1151 - MPA Pharma. 257
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
dd) Markenaufspaltungen (1) Markenaufspaltungen aufgrund hoheitlicher Entscheidungen In der Entscheidung "HAG 1,,264 hatte sich der EuGH erstmalig mit dem Verhältnis der Warenverkehrsfreiheit zum nationalen Markenrecht auseinanderzusetzen, wenn die nationale Abwehrbefugnis auf einer hoheitlichen Markenaufspaltung265 beruhte. Das Gericht etablierte in diesem Rechtsstreit die sog. Theorie der Ursprungsgleichheit. Die Ausübung des Schutzrechts zur Verhinderung des Imports und Vertriebs des gekennzeichneten Produkts ist danach gemeinschaftsrechtswidrig, wenn in den betreffenden Mitgliedstaaten ursprungsgleiche und identische Marken existieren266 . Der Sachverhalt der "HAG I"-Entscheidung bezog sich zunächst nur auf das Abwehrrecht des Inhabers des derivativen Markenrechts gegenüber dem Vertrieb der identisch gekennzeichneten Waren durch den Inhaber des originären Markenrechts, der ursprünglich über die in den verschiedenen Mitgliedstaaten begründeten Schutzrechte verfügte. Die Entscheidungsgründe zu "HAG I" konnten jedoch aufgrund der vom Gericht gewählten allgemeinen Formulierungen auch auf die umgekehrte Fallkonstellation übertragen werden267 . Die Theorie der Ursprungsgleichheit führte im Ergebnis auch zu einer Gemeinschaftswidrigkeit der Ausübung des Abwehrrechts des originären Markeninhabers gegenüber dem Vertrieb identisch gekennzeichneter Erzeugnisse durch den derivativen Markeninhaber. Die Befugnisse der jeweiligen Markeninhaber sind daher insgesamt im Interesse des freien Warenverkehrs gegeneinander aufgehoben ("beidseitige relative Schutzfreiheit,,268 zwischen den sich gegenüberstehenden Markeninhabern). Der Import der Markenware kann im eigenen Schutzterritorium nicht mit markenrechtlichen Mitteln verhindert werden. Insoweit haben sich die nationalen Markenrechte erschöpft. Die Theorie der Ursprungsgleichheit wurde im Schrifttum zum Teil heftig kritisiert, weil sie insbesondere die berechtigten Interessen des Inhabers des originären Markenrechts zu wenig berücksichtigte 269. 263 EuGH, Sig. 1996, 1-3457 = GRUR Int. 1996, 1144, 1150 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Sig. 1996,1-3603 = GRUR Int. 1996, 1150 - Eurim-Phann; EuGH, Sig. 1996,1-3671 = GRUR Int. 1996, 1151- MPA Phanna. 264 EuGH, Sig. 1974,731 = GRUR Int. 1974,338 - HAG I. 26S Unter diesen Begriff können alle unfreiwilligen Markenaufspaltungen, z. B. infolge einer Enteignung, Verstaatlichung oder Sozialisierung subsumiert werden, näher dazu Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 87. 266 EuGH, Sig. 1974,731 GRUR Int. 1974,338,339 - HAG I. 267 Ebenroth, S. 38, 39. 268 Ebenroth, S. 39. 269 Vgl. zur Kritik an der "HAG I"-Rechtsprechung, Röttger, GRUR 1974,574; Ladas, 5 He (1974),302; Schwab, GRUR Int. 1975,73; Johannes, GRUR Int. 1975, 111; Mak, GRUR
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
295
Der EuGH reagierte auf diese negativen Stellungnahmen in der nachfolgenden "Terranova/Terrapin"-Entscheidung zunächst im Wege eines obiter dictum, in dem festgestellt wurde, daß die Abwehrbefugnis des Markeninhabers schon deswegen nicht durchgreifen könne, weil infolge der Aufspaltung bereits die Herkunftsfunktion der Marke tangiert worden sei 27o • In der "HAG rr"-Entscheidung271 vollzog der EuGH dann eine Kehrtwendung. Die Theorie der Ursprungsgleichheit zur Aufspaltung nationaler Markenrechte wurde aufgegeben 272 • Nunmehr führt das Gericht aus, die Artt. 28 und 30 (ex-Artt. 30 und 36) EGV stünden den nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegen, die es einem Unternehmen, das Inhaber einer Marke in einem Mitgliedstaat sei, erlauben, sich dem Import gleichartiger Waren aus einem anderen Mitgliedstaat zu widersetzen, die in diesem Staat rechtmäßig mit einer gleichen oder mit einer dem geschützten Zeichen verwechslungsfahigen Marke versehen wurden 273 • Dies gelte selbst dann, wenn die Marke, die als Kennzeichnungsminel für die eingeführte Ware benutzt wurde, ursprünglich dem Unternehmen gehört habe, das nunmehr versuche, den Import mit markenrechtlichen Mitteln zu unterbinden und diese Marke nach der Enteignung der Tochtergesellschaft des ursprünglichen Markeninhabers von einem dritten Unternehmen erworben wurde274 • Anstelle der Theorie der Ursprungsgleichheit zog der EuGH jetzt ausschließlich das Kriterium der Zustimmung des Markeninhabers zum Inverkehrsetzen des gekennzeichneten Produkts im Territorium des Binnenmarktes heran 27s • Ein nicht konsentiertes Inverkehrbringen führt demnach auch im Falle eines markenrechtlichen Enteignungstatbestandes nicht mehr zu einer Erschöpfung der Abwehrbefugnisse. Insoweit besteht eine Suprematie der nationalen Markenrechte gegenüber dem Grundsatz des freien Warenverkehrs, die zum Schutz des spezifischen Gegenstandes des Markenrechts nach Ansicht des EuGH gerechtfertigt ist. Die Markenaufspaltung wirkt sich daher nicht im Bereich der Konsumtion nationaler Markenrechte aus, sondern läßt originäre und gleichberechtigte Marken entInt. 1975, 118; Kraft, GRUR Int. 1975, 283; Mertens de Wilmars, GRUR Int. 1976, 93; Schricker, GRUR 1977,434; Beier, 9 lIe (1978), 221; Axster, GRUR 1980,594; TIlmann, GRUR 1980,660; Kleiner, GRUR Int. 1987,229; Ebenroth/Parche, GRUR Int. 1989,738; Schennen, Mit. 1989,7; Kur, BB 1990,2424. 270 EuGH, Slg. 1976, 1039 = GRUR Int. 1976,402, 41Of. - Terranova I Terrapin. 271 EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960 - HAG 11. 272 Vgl. dazu auch die Schlußanträge des Generalanwalts F.G. Jacobs im Fall "HAG 11", Slg. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,962,965 f., der sich der Kritik des Schrifttums an der Rechtsprechung des EuGH im Fall "HAG I" angeschlossen hatte. Vgl. im übrigen Joliet, GRUR Int. 1991, 177; ders., 22 lIe (1991), 303; Oliver, EuZW 1991,274; Rothnie, 13 EIPR (1991),24; Kunze, 22 lIe (1991), 319; Ebenroth/Rapp, IPrax 1991,369. 273 EuGH, Sig. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960,961 - HAG 11. 274 EuGH, Sig. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960,961 - HAG 11. 275 EuGH, Sig. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960,962 - HAG 11.
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296
4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
stehen, soweit die sich im Einzelfall gegenüberstehenden Markeninhaber nicht rechtlich und wirtschaftlich miteinander verbunden sind. Wahrend das Gericht noch in der Entscheidung "Terranova/Terrapin,,276 die Herkunftsfunktion der Marke durch eine Markenaufspaltung geflihrdet sah, wurde nunmehr argumentiert, daß die aufgespaltenen Marken jeweils in ihrem räumlichen Geltungsbereich die Funktion übernähmen, die Herkunftsquelle der gekennzeichneten Produkte zu bestimmen, selbst wenn die Einzelmarken historisch aus einem einzigen Zeichen hervorgegangen seien 277 . Anderenfalls wären die Verbraucher nicht mehr in der Lage, den Ursprung des gekennzeichneten Erzeugnisses festzustellen. Darüber hinaus könnte der Markeninhaber für die schlechte Qualität eines Produkts verantwortlich gemacht werden (verbunden mit negativen Auswirkungen auf seine eigenen Erzeugnisse in Form eines Imageschadens), die ihm nicht zuzurechnen wäre 278 . Jeder Markeninhaber kann folglich seine nach nationalem Recht bestehende Abwehrbefugnis geltend machen. Obwohl die "HAG n"-Entscheidung279 einen Enteignungstatbestand betraf, der sich zeitlich vor Inkrafttreten des EGV ereignete, ist der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich der Zustimmungs lehre des EuGH hierauf nicht limitiert. Die Aufgabe der Theorie der Ursprungsgleichheit erfaßt aufgrund der allgemein gehaltenen Entscheidungsgründe im "HAG n"-Rechtsstreit jegliche Markenaufspaltungen, die durch hoheitliche Zwangsmaßnahmen verursacht wurden, selbst wenn diese nach Inkrafttreten des EGVerfolgten 28o. Die ,,HAG n"-Doktrin des EuGH beeinflußt jedoch nicht nur die Fallgruppe der hoheitlichen Markenaufspaltung, sondern strahlt auch auf privatautonome Markenaufspaltungen aus, die im folgenden dargestellt werden sollen. (2) Markenau/spaltungen au/grund voluntativer Entscheidungen
Zur Fallgruppe der privatautonomen Markenaufspaltung hat der EuGH zunächst in der "Terranova I Terrapin"-Entscheidung28 I Stellung genommen. In diesem Rechtsstreit etablierte das Gericht den Rechtssatz, wonach die Ausübung eines nationalen Markenrechts gegen die Bestimmungen des freien Warenverkehrs verstößt, wenn das Schutzrecht aus einer hoheitlich oder freiwillig bewirkten Markenaufspaltung hervorgegangen ist. Insoweit war der spezifische Gegenstand des Markenrechts nicht tangiert; die nationalen Markenrechte hatten
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EuGH, Slg. 1976, 1039 GRUR Int. 1976,402 - Terranova/Terrapin. EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960,962 - HAG 11. 278 EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 = GRUR Int. 1990,960,962 - HAG 11. Vgl. insoweit die parallele Argumentation des EuGH im Rahmen der Rechtsprechung zum Umpacken fremder Waren, EuGH, Slg. 1996,1-3457 GRUR Int. 1996, 1144 -. Bristol-Myers Squibb. 279 EuGH, Slg. 1990,1-3711, 3752 GRUR Int. 1990, 960 - HAG 11. 280 Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 87, 88. 281 EuGH, Slg. 1976, 1039 =GRUR Int. 1976,402 - Terranova/Terrapin. 276
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
297
sich folglich erschöpft. Bereits der Aufspaltungsakt als solcher sollte die Hauptfunktion der Marke, dem Verbraucher die Identität des Warenursprungs zu garantieren, beeinträchtigen und daher im Hinblick auf die Artt. 28 und 30 (ex-Artt. 30 und 36) EGV nicht zu einer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit führen 282 . Im Zuge der "Terranova/Terrapin"-Entscheidung283 wurde desweiteren die Ursache der Markenaufspaltung zur Nebensache, da eine Gleichstellung zwischen privatautonomen und hoheitlichen Maßnahmen vom EuGH vorgenommen wurde. Im Ergebnis übertrug das Gericht daher die Theorie der Ursprungsgleichheit, die zunächst für den Bereich der hoheitlichen Markenaufspaltungen entwickelt wurde 284 , auch auf Markenaufspaltungen, die durch voluntative Entscheidungen der Marktteilnehmer bewirkt wurden285 • Die Entscheidung "HAG 11,,286 bildete in der Folgezeit die Grundlage für die Aufgabe der Theorie der Ursprungsgleichheit und die Einführung des Zustimmungskriteriums. Allerdings wirkte sich diese Kehrtwendung des EuGH direkt und unmittelbar nur auf die hoheitlichen Markenaufspaltungen aus, weil "HAG 11" das Problem der privatautonomen Markenaufspaltung weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich erfaßte. Im Zuge dieser Entscheidung des EuGH war es in der Literatur streitig, ob die Grundsätze dieses Urteils auch im Hinblick auf freiwillige Markenaufspaltungen Anwendung finden können. Basierend auf der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre wurde im Schrifttum die Ansicht vertreten, daß in der privatautonomen Abtretung einer nationalen Marke in einem Mitgliedstaat unter Beibehaltung eines identischen nationalen Markenrechts in einem anderen Mitgliedstaat die Zustimmung der Parteien zu erblicken sei, die gekennzeichneten Erzeugnisse im jeweils anderen Mitgliedstaat ungehindert in den Verkehr bringen zu können 287 • Die freiwillige Veränderung der Markeninhaberschaft würde dann im Regelfall zu einer Konsumtion der markenrechtlichen Befugnisse der Beteiligten führen. In diesem Zusammenhang wird auch die Meinung vertreten, nur der Zedent gebe seine Zustimmung zum unbeschränkten Inverkehrsetzen und der Zessionar erhalte von vornherein ein lediglich erschöpftes Markenrecht288 • Insoweit wird der Grundsatz herangezogen, daß der originäre Markeninhaber (Zessionar) nicht mehr Rechte übertragen kann, als ihm selbst zustehen289 . Beide Rechtsansichten gelangen trotz ihrer unterschied-
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EuGH, Slg. 1976, 1039 GRUR Int. 1976,402,410 - Terranova/Terrapin. EuGH, Slg. 1976, 1039 =GRUR Int. 1976,402 - Terranova I Terrapin. 284 Vgl. EuGH, Slg. 1974, 731 =GRUR Int. 1974, 338, 339 - HAG I. 285 Vgl. auch Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 90. 286 EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 = GRUR Int. 1990,960 - HAG 11. 287 Oliver, EuZW 1991,274,277. 288 Vgl. diesbezüglich die Schlußanträge des GeneraIanwalts F.G. Jacobs, GRUR Int. 1990,962,972. 289 Vgl. zur Geltung dieses Grundsatzes bereits unter Anwendung der Theorie der Ursprungsgleichheit, Heferrnehll Fezer, in: Heferrnehll Ipsen I Schluep I Sieben, Nationaler Markenschutz, S. 121 ff.; Ebenroth/Parche, GRUR Int. 1989,738,743. 282 283
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
lichen dogmatischen Begründung zum selben Ergebnis: Die Argumentation des EuGH in der "HAG II"-Entscheidung wird übernommen. Das Zustimmungskriterium im Rahmen der Erschöpfungslehre wird aber dahingehend ausgelegt, daß die freiwillige Markenaufspaltung nicht mit der hoheitlichen Markenaufspaltung aufgrund des besonderen Verhaltens der beteiligten Parteien gleichgesetzt werden kann. Insoweit wird daher die "HAG ll"-Entscheidung des EuGH290 inhaltlich modifiziert und in ihrer Reichweite lediglich auf hoheitliche Markenaufspaltungen limitiert. Würde man dieser Rechtsansicht folgen, ergäbe sich im Hinblick auf freiwillige Markenaufspaltungen regelmäßig eine beidseitige relative Schutzfreiheit zwischen den beteiligten Parteien im Sinne der "HAG 1,,291 - und der "Terranoval Terrapin,,292 - Rechtsprechung. Die Behandlung der Lizenzierung und Übertragung eines nationalen Markenrechts wäre dann auf Grundlage der Erschöpfungslehre europarechtlich in gleicher Weise erfaßt. Demgegenüber wird jedoch in der Literatur zurecht darauf hingewiesen, daß die Grundsätze des "HAG ll"_Urteils293 aufgrund des allgemein gehaltenen Charakters der EntscheidungsgfÜnde auch im Hinblick auf freiwillige Markenaufspaltungen Anwendung finden können294. Für diese Gleichbehandlung der privatautonomen und hoheitlichen Markenaufspaltungen sprechen die folgenden Überlegungen: Auch in bezug auf eine privatautonome Markenaufspaltung ist zu beachten, daß die im Einzelfall kollidierenden nationalen Markenrechte trotz ihres gemeinsamen Ursprungs nach dem Abtretungsvorgang unabhängig voneinander bestehen und daher im Hinblick auf ihr jeweiliges Schutzterritorium die Hauptfunktion der Marke (Garantie der Ursprungsidentität der gekennzeichneten Produkte) selbständig erfüllen sollen. Ebenso wie bei der hoheitlichen Markenaufspaltung stellt sich im Rahmen der privatautonomen Markenaufspaltung das Problem, daß nur der jeweilige Markeninhaber die Kontrolle über die Qualität der gekennzeichneten Erzeugnisse effektiv gewährleisten kann. In bezug auf die Hauptfunktion der Marke sind daher beide Fallgruppen vergleichbar. Demzufolge ist grundSätzlich eine Gleichbehandlung der Fallgruppen bezüglich der Lehre vom gemeinsamen Ursprung aufgespaltender nationaler Markenrechte geboten. Soweit die Markenrechtsübertragung zwischen rechtlich oder wirtschaftlich abhängigen Unternehmen erfolgt, gelangen die verschiedenen in der Literatur vertretenen Rechtsansichten im übrigen zum selben Ergebnis. Auf Grundlage des Zustimmungskriteriums im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre ist insofern eine Gleichbehandlung zwischen hoheitlichen Markenaufspaltungen
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EuGH, Slg. 1990, I-3711, 3752 GRUR Int. 1990,960 - HAG 11. EuGH, Slg. 1974, 731 = GRUR Int. 1974, 338 - HAG I. 292 EuGH, Sig. 1976, 1039 = GRUR Int. 1976,402 - Terranova I Terrapin. 293 EuGH, Sig. 1990, I-3711, 3752 =GRUR Int. 1990,960 - HAG 11. 294 Ebenroth, S. 39,40; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 91; loliet, GRUR Int. 1991,177,184; ders., 22 IIC (1991), 303, 317; Kunze, 22 IIC (1991),319, 325ff.; vgl. auch Rothnie, 13 EIPR (1991), 24, 29f. 290 291
§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
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und freiwilligen Markenübertragungen geboten, weil der Markeninhaber, der sich auf sein Markenrecht beruft, sich das Verhalten des von ihm abhängigen anderen Markeninhabers zurechnen lassen muß295 • Die anschließende Geltendmachung einer markenrechtlichen Abwehrbefugnis würde sich dann als ein widersprüchliches Verhalten des Markeninhabers darstellen296 . Eine Beeinträchtigung der Herkunftsgarantie der Marken ist bei dieser besonderen Sachverhaltskonstellation nicht zu befürchten. Wegen der wirtschaftlichen oder rechtlichen Abhängigkeitsstellung kann der Markeninhaber auf die Kontrolle der gleichbleibenden Qualität und des identischen Ursprungs der gekennzeichneten Produkte Einfluß nehmen. Ein Vorrang der Ausübung des nationalen Markenrechts gern. Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV kommt insoweit nicht in Betracht, weil dies nicht zum Schutz des spezifischen Gegenstands des Markenrechts erforderlich ist297 • Das Abgrenzungsproblem zwischen den unterschiedlichen Rechtsansichten im Schrifttum stellt sich daher ausschließlich im Hinblick auf freiwillige Markenaufspaltungen zwischen rechtlich und wirtschaftlich vollständig voneinander unabhängigen Markeninhabern in verschiedenen Mitgliedstaaten. Die entscheidende Frage ist daher, ob der ursprüngliche Markeninhaber seine Abwehrrechte aus dem nationalen Markenrecht dadurch konsumiert, daß er die Marke auf Grundlage einer privatautonomen Entscheidung aufgespalten 298 hat. Dann müßte sich der Übertragungsakt als autonomer Willensakt bereits als Zustimmung zum Inverkehrbringen durch den derivativen Markeninhaber darstellen. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, die Abtretung als solche enthalte nicht automatisch die Zustimmung zur Benutzung der Marke durch den Zessionar im gesamten Gebiet der EU, wenn der Zedent die Marke in einem Mitgliedstaat oder in mehreren Schutzterritorien weiterhin beibehält299 • Der originäre Markeninhaber dokumentiere durch dieses Verhalten vielmehr, daß er seine Abwehrbefugnisse nicht in vollem Umfang aufgeben möchte. Das Zustimmungserfordernis im Rah295 Dies gilt z. B. im Hinblick auf Konzemverhältnisse, da der Konzern als markenrechtliche Einheit verstanden wird. Die "Terranova/Terrapin"-Rechtsprechung (EuGH, Slg. 1976, 1039 GRUR Int. 1976,402 - Terranova I Terrapin) kann daher insoweit uneingschränkt für freiwillige Markenaufspaltungen herangezogen werden. 296 Insofern wäre im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre der allgemeine Rechtsgrundsatz des venire contra factum proprium einschlägig. Das prioritätsjüngere Verhalten des Markeninhabers ist dann unbeachtlich. 297 Vgl. auch Joliet, GRUR Int. 1991, 177, 184; ders., 22 HC (1991), 303, 317f.; Ebenroth, S. 41; Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 91 (arg. e contrario). 298 Eine freiwillige Markenaufspaltung ist nicht nur dann gegeben, wenn ein paralleles Markenrecht rechtsgeschäftlieh übertragen wird. In Betracht kommt auch die Veräußerung der Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die Inhaberin eines nationalen Markenrechts ist. Darüber hinaus ist an das Freiwerden einer Marke infolge des Ablaufs einer Schutzfrist, der Einreichung eines Löschungsantrags oder an den Verzicht des Markeninhabers zu denken, wenn ein Dritter diese Marke für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen schützen läßt. 299 Vgl. z. B. Kunze, 22 HC (1991), 319, 326.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
men der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre ist jedoch nicht in dem Sinne auszulegen, daß sich die Konsumtion der nationalen Markenrechte als unmittelbare Rechtsfolge des Übertragungsakts als rechtsgeschäftlicher Willenserklärung darstellen muß. Erforderlich ist lediglich eine Zustimmung in Form einer normativen Zurechnung des Handeins Dritter3OO • Die Markenaufspaltung als solche begründet noch keinen normativen Zurechnungstatbestand, wenn die beteiligten Parteien weder rechtlich noch wirtschaftlich miteinander verbunden sind. Hierfür sprechen zunächst die bewußt allgemein gehaltenen Ausführungen des EuGH in der Entscheidung "HAG 11,,301. Das Gericht führt aus 302 , daß das nationale Markenrecht einen wesentlichen Bestandteil des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs darstelle. Dieses System sei dadurch geprägt, daß die Unternehmen über die Möglichkeit verfügten, die Kundschaft durch die Qualität ihrer Erzeugnisse an sich zu binden. Hierfür sei die Rolle der Kennzeichen, die markierten Waren und Dienstleistungen zu identifizieren, von besonderer Bedeutung. Die Marke müsse desweiteren die Gewähr dafür bieten, daß alle gekennzeichneten Erzeugnisse unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt worden seien, das für die Qualität der Produkte verantwortlich gemacht werden könne 303 • Schließlich beschreibt der EuGH die Hauptfunktion der Marke dahingehend, daß dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität des gekennzeichneten Erzeugnisses garantiert werden solle, so daß er dieses Erzeugnis ohne Verwechslungsgefahr von Erzeugnissen anderer Herkunft unterscheiden könne304 • Vor diesem judikativen Hintergrund ist die freiwillige Markenaufspaltung zwischen unabhängigen Wirtschaftssubjekten der hoheitlichen Markenaufspaltung grundsätzlich gleichzustellen. Hierfür spricht zunächst die folgende Überlegung: Vergleicht man zwei autonome Willensentscheidungen des Markeninhabers, nämlich die Einräumung einer Markenlizenz zugunsten eines Dritten und die räumlich beschränkte Übertragung der Marke an einen Dritten, so ist festzustellen, daß der originäre Markeninhaber nur im Hinblick auf die Gewährung einer Markenlizenz zwangsläufig die Kontrolle über den weiteren Qualitätszustand der gekennzeichneten Produkte behält30s • Insoweit ist daher die Herkunftsfunktion der Marke und deren Identitätsgarantie im Sinne der EuGH-Rechtsprechung nicht tangiert. Der spezifische Gegenstand des nationalen Markenrechts wird in bezug auf MarkenEbenroth, S. 44. EuGH, Sig. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960- HAG 11. 302 EuGH, Sig. 1990,1-3711,3752 = GRUR Int. 1990,960,961- HAG 11. 303 Vgl. auch EuGH, Slg. 1994,1-2789 = GRUR Int. 1994,614 - Ideal Standard; EuGH. Sig. 1996.3457 = GRUR Int. 1996. 1144 - Bristol-Myers Squibb; EuGH. Slg. 1996,1-3603 =GRUR Int. 1996, 1150 - Eurim-Phann; EuGH, Sig. 1996,1-3671 =GRUR Int. 1996, 1151 - MPA Phanna. 304 Vgl. nur EuGH. Sig. 1990,1-3711,3752 =GRUR Int. 1990,960,961 - HAG 11. 305 Vgl. z. B. in diesem Zusarnrnenhang die Tatbestände des Art. 8 11 MarkenRL und des § 30 11 Nr. 5 MarkenG. 300 301
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
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lizenzen nicht betroffen, so daß eine entsprechende Erschöpfung der markenrechtlichen Abwehrbefugnisse gerechtfertigt erscheint. In bezug auf Vollrechtsübertragungen ist demgegenüber grundsätzlich eine Einflußmöglichkeit des originären Markeninhabers auf die Qualitätsstandards der Erzeugnisse des derivativen Markeninhabers ausgeschlossen, wenn beide Markeninhaber nicht wirtschaftlich oder rechtlich 306 miteinander verflochten sind. Das Zustimmungskriterium ist daher im Hinblick auf privatautonome Markenaufspaltungen nur dann erfüllt, wenn der sich auf seine Schutzrechte berufene Markeninhaber gegenüber dem anderen Markeninhaber tatsächliche und effektive Kontrollbefugnisse zur Gewährleistung der gleichbleibenden Qualität der identisch gekennzeichneten Produkte besitzt. Nur dann kann er für Qualitätsverschlechterungen gegenüber den Verbrauchern oder Endabnehmern verantwortlich gemacht werden 307 . Eine entsprechende Produktverantwortlichkeit des Markeninhabers gegenüber den Konsumenten bedingt daher ausreichende Kontrollkompetenzen. Zwischen der hoheitlichen Markenaufspaltung und der freiwilligen Markenaufspaltung bei unabhängigen Markeninhabern ergibt sich folglich eine maßgebliche Paralle dahingehend, daß in beiden Fallgruppen der schutzrechtsausübende Markeninhaber nicht in der Lage ist, die Qualität der identisch gekennzeichneten und vermarkteten Produkte zu überwachen 308 • Beide Fallkonstellationen sollten daher im Ergebnis gleich behandelt werden. Zur Begründung dieser Rechtsansicht können nicht nur die berechtigten Interessen des betroffenen Markeninhabers herangezogen werden, sondern auch die Belange der involvierten Verbraucher oder Endabnehmer309 • Der EuGH anerkennt ausdrücklich das Interesse dieser Wirtschaftsteilnehmer, gekennzeichnete Produkte ausschließlich in einem unveränderten Originalzustand zu erhalten 31O• Die Marke gewährleistet daher auch auf europarechtlicher Ebene zugunsten des Konsumenten eine Qualitätsgarantie 311 • Diese markenrechtlich begründete Garantie gehört zum wesentlichen Inhalt des Verbraucherschutzes in der Rechtsprechung des EuGH. 306 Eine rechtliche Abhängigkeitskonstellation liegt z. B. auch im Falle eines schuldrechtlichen Treuhandverhältnisses vor. Der originäre Markeninhaber behält dann auch weiterhin Kontrollbefugnisse. Insoweit erfolgt eine Gleichstellung mit der europarechtlichen Behandlung von Markenlizenzen, vgl. auch Ebenroth, S. 46. 307 Aus diesem Grund verlangt der EuGH im Rahmen des Umpackens fremder Waren einen Hinweis auf das umpackende Unternehmen einerseits und den Hersteller des Erzeugnisses andererseits, EuGH, Slg. 1996, 1-3457 GRUR Int. 1996, 1144 - Bristol-Myers Squibb. 308 In diesem Sinne auch Joliet, GRUR Int. 1991, 177, 182; ders., 22 HC (1991), 303, 313. 309 So auch Kunze, 22 HC (1991), 319, 325 ff. 310 Vgl. EuGH, Slg. 1978, 1139 = GRUR Int. 1978,599 - Hoffman-La Roche/Centrafarm; EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960 - HAG II; EuGH, Slg. 1996, 1-3457 GRUR Int.1996, 1144 - Bristo1-Myers Squibb; EuGH, Slg. 1996, 1-3603 GRUR Int. 1996, 1150 - Eurim-Pharm; EuGH, Slg. 1996,3671 = GRUR Int. 1996,1151 - MPA Pharma. 311 A.A. unter Berufung auf die Herkunftsfunktion unter Geltung des WZG, Ebenroth, S. 47 (Verbraucherschutz lediglich als Rechtsreflex).
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Desweiteren ist zu berücksichtigen, daß eine generelle Bejahung des Zustimmungskriteriums bei privatautonomen Markenaufspaltungen den Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Marke als Vermögensgegenstand in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen würde. Auch wenn die MarkenRL keine eigenständige Regelung zur freien Übertragbarkeit der Marke enthält, ist dieses grundlegende Prinzip in allen nationalen Markenrechtsordnungen der Mitgliedstaaten, nunmehr auch in Griechenland, verankert312 . Darüber hinaus beinhaltet auch die GMarkenV in Art. 17 I GMarkenV den unlimitierten Rechtsübergang einer Gemeinschaftsmarke. Würde man nunmehr im Rahmen freiwilliger Markenaufspaltungen eine generelle Zustimmung des originären Markeninhabers zum Inverkehrsetzen der gekennzeichneten Produkte durch den Zessionar annehmen 313 , wäre das Prinzip der freien Übertragbarkeit der Marke, die oftmals den einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand einer Unternehmung darstellt, rechtlich und wirtschaftlich ausgehöhlt 314 . Die besondere ökonomische Bedeutung der Marke, die sich im Prinzip der freien Übertragbarkeit manifestiert, rechtfertigt eine differenzierte Betrachtung innerhalb der Fallgruppe der privatautonomen Markenaufspaltungen. Eine Erschöpfung der sich gegenüberstehenden nationalen Markenrechte ist nur dann gegeben, wenn die jeweiligen Markeninhaber wirtschaftlich oder rechtlich miteinander verbunden sind, so daß gegenseitige Qualitätskontrollen der gekennzeichneten Produkte möglich sind, um die in der Rechtsprechung des EuGH immanente Produktverantwortung des Markeninhabers 31S zu erfüllen. Schließlich ist zu beachten, daß eine andere Rechtsauffassung im Ergebnis zu einem Wiederaufleben der vom EuGH bereits aufgegebenen Theorie der Ursprungsgleichheit führen würde. Die Fallgruppe der freiwilligen Markenaufspaltung würde dann dogmatisch hinter den bereits in der "HAG II"-Entscheidung 316 erreichten status quo zurückfallen. Der besonderen praktischen und ökonomischen Bedeutung der privatautonomen Markenaufspaltungen im Gemeinsamen Markt wird die Theorie der Ursprungsgleichheit nicht gerecht. Das Zustimmungskriterium auf Grundlage der Erschöpfungslehre und des spezifischen Gegenstandes des nationalen Markenrechts ermöglicht eine differenziertere Betrachtungsweise, die die jeweiligen Umstände des Einzelfalles angemessen berücksichtigen kann. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die EuGH-Entscheidung "Ideal Standard,,317. In diesem Urteil anerkannte das Gericht die Ab312 Näher zu den einzelnen Regelungen in den Mitgliedstaaten, Fezer, Markenrecht, § 27 MarkenG Rnr. 6. V gl. zur deutschen Rechtslage § 27 MarkenG. 313 Die Zustimmung würde dann im übrigen auch in umgekehrter Richtung wirken, d. h. die Abwehrbefugnisse des derivartiven Markeninhabers gegenüber dem ursprünglichen Markeninhaber erschöpfen. 314 So auch Ebenroth, S. 49. 315 Vgl. dazu Fezer, in: FS für Gaedertz, 1992, S. 153, 169. 316 EuGH, Slg. 1990,1-3711,3752 GRUR Int. 1990,960- HAG 11. 317 EuGH, Slg. 1994,1-2789 =GRUR Int. 1994,614 - Ideal Standard.
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
303
wehrbefugnis eines Markeninhabers gegenüber dem Import verwechslungsfähig gekennzeichneter Erzeugnisse, auch wenn dieser Markeninhaber im Wege einer privatautonomen Markenaufspaltung mehrere internationale Markenrechte auf rechtlich und wirtschaftlich unabhängige Markeninhaber übertragen hatte. Zur Begründung dieser Rechtsansicht berief sich der EuGH auf den Grundsatz der Territorialität und das Prinzip der Unabhängigkeit nationaler Markenrechte 318 • Das Markenrecht könne seine Aufgabe nur dann erfüllen, wenn es die Gewähr biete, daß alle Erzeugnisse, die mit ihm versehen seien, unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt worden seien, das für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden könne. Entscheidend sei schließlich die Möglichkeit einer Kontrolle der Erzeugnisse und nicht die tatsächliche Ausübung dieser Kontrolle 319 • Diese Ausführungen bestätigen die Übertragung des Zustimmungsgedankens als wesentliches Abgrenzungskriterium in bezug auf die Fallgruppe der privatautonomen Markenaufspaltungen. In diesem Zusammenhang muß jedoch berücksichtigt werden, daß die Zulässigkeit der freiwilligen Markenaufspaltung und die hieraus abgeleitete Aufrechterhaltung der Schutzrechtsbefugnisse der jeweiligen nationalen Markeninhaber vor dem Hintergrund der Warenverkehrsfreiheit als Instrument einer Marktabschottung 320 mißbraucht werden und somit das Prinzip des Gemeinsamen Marktes mit Hilfe markenrechtlicher Mittel konterkariert werden kann. Um einer solchen Gefahr wirksam zu begegnen, unterliegt die europarechtliche Zulässigkeit freiwilliger Markenaufspaltungen zunächst den Wettbewerbsregeln der Artt. 81, 82 (ex-Artt. 85, 86) EGV als Schutzschranke. Kartellverträge und abgestimmte Verhaltensweisen bestimmter Markeninhaber können unter Bezugnahme auf diese Vorschriften im Interesse eines ungehinderten Marktzugangs abgewehrt werden. Darüber hinaus übernimmt auch das Zustimmungskritrium im Rahmen der Erschöpfungslehre die Rolle einer weiteren Schranke zur Verhinderung von künstlichen Marktabschottungen. Soweit sich der Markeninhaber, der den Parallelimport gekennzeichneter Waren unterbinden möchte, das Inverkehrsetzen dieser Produkte normativ zurechnen lassen muß, sind seine markenrechtlichen Befugnisse konsumiert. Der spezifische Gegenstand des Markenrechts ist nicht tangiert; eine Beschränkung des freien Warenverkehrs ist gern. Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV nicht gerechtfertigt. Diese Voraussetzungen sind in der Regel dann erfüllt, wenn die sich gegenüberstehenden Inhaber der nationalen Markenrechte wirtschaftlich oder rechtlich voneinander abhängig sind. Schließlich wirkt auch das System der Gemeinschafts318 EuGH, Sig. 1994,1-2789 = GRUR Int. 1994,614,615,616; vgl. auch Lüder, EuZW 1995, 15. 319 EuGH, Sig. 1994,1-2789 GRUR Int. 1994,614,617 - Ideal Standard. 320 Die Zulässigkeit einer solchen Marktabschottung beurteilt sich allgemein nach der Vorschrift des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
marke als Korrektiv. Die aufgespaltenen nationalen Marken wirken aufgrund ihrer Priorität als relative Eintragungshindernisse gern. Art. 8 GMarkenV, wenn der ursprüngliche Markeninhaber beabsichtigt, eine Gemeinschaftsmarke eintragen zu lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird er .sich daher zur Wahrung seiner eigenen Interessen einer vorherigen privatautonomen Markenaufspaltung enthalten. Die Gefahr einer künstlichen Marktabschottung kann jedoch auch nicht mit Hilfe der zuvor dargestellten Schutzschranken gänzlich beseitigt werden. Es besteht ein gewisses "Restrisiko" wettbewerbswidriger Verhaltensweisen der Marktteilnehmer unter Einsatz markenrechtlicher Befugnisse. Nach dem gegenwärtigen Stand der Harmonisierung der nationalen Markenrechte, der Etablierung des Gemeinschaftsmarkensystems und der Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH, ist dieses "Restrisiko" hinzunehmen, weil sich die maßgeblichen europäischen Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsorgane bislang nicht ausdrücklich gegen die Zulässigkeit territorialer Markenrechtsübertragungen ausgesprochen haben. Ein entsprechender Handlungsbedarf, privatautonome Markenaufspaltungen durch gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte zu verhindern, scheint nicht zu bestehen. Der Konflikt zwischen freiwilligen Markenaufspaltungen und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs kann daher nur durch das Zustimmungskriterium im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfungslehre gelöst werden321 . Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß nach der bisherigen Rechtslage hoheitliche und privatautonome Markenaufspaltungen grundsätzlich gleichbehandelt werden können. Beide Fallgruppen stehen zueinander in einem Verhältnis, das als inhaltlich umgekehrte "Terranova/Terrapin"-Situation umschrieben werden kann 322• b) Die Schutzschranke des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV (willkürliche Diskriminierung und verschleierte Handelsbeschränkung) Gern. Art. 30 (ex-Art. 36) S. I EGV sind Beschränkungen des freien Warenverkehrs zum Schutze des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums grundsätzlich gerechtfertigt. Als Schranken-Schranke fungiert in diesem Zusammenhang die Bestimmung des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGY. Danach ist die Ausübung eines nationalen Schutzrechts dann unzulässig, wenn hierdurch eine willkürliche Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten verursacht wird. 321 In diesem Sinne behandelt auch der V.S.-Supreme Court rechtsgeschäftliche Markenaufspaltungen, vgl. A. Bourjois & Co. v. Katzel, Supreme Court of the Vnited States, 260 V.S. 689 at 692 (1923). 322 In der "Terranova/Terrapin"-Entscheidung (EuGH, Slg. 1976, 1039 GRVR Int. 1976,402 - Terranova I Terrapin) hatte der EuGH zwar beide Fallgruppen gleichgestellt, aber markenrechtliche Abwehrbefugnisse gegen den Import und Vertrieb von Erzeugnissen jeweils abgelehnt.
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
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Im Verhältnis der zuvor genannten Vorschriften zueinander ist der Anwendungsbereich des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV limitiert. Sedes materiae der Integration der nationalen Markenrechte in den vom Grundsatz des freien Warenverkehrs beherrschten Gmeinsamen Markt ist Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV 323 • Der Tatbestand des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV wird grundsätzlich nicht (mehr) einschlägig sein, wenn sich die Schutzrechtsausübung im Einzelfall als Mittel einer willkürlichen Diskriminierung oder einer verschleierten Handelsbeschränkung darstellt, weil dann bereits die Berufung auf das nationale Markenrecht nicht vom spezifischen Gegenstand dieses gewerblichen Schutzrechts im Sinne der Rechtsprechung des EuGH gedeckt ist. Diese Einschränkung der tatbestandlichen Heranziehung des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV beruht auf der vorgeschalteten Prüfung der Voraussetzungen des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV. Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV kann daher demgegenüber als Kodifikation des allgemeinen Rechtsmißbrauchsprinzips im Interesse der Erhaltung der europäischen Warenverkehrsfreiheit aufgefaßt werden. Der EuGH hat den Anwendungsbereich des Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen nationalen Markenechten und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs in verschiedenen Entscheidungen konkretisiert. Das Gericht sieht beispielsweise die rechtsmißbräuchliche Ausübung eines Markenrechts dann als gegeben an, wenn der Schutzrechtsinhaber seine grundsätzlich bestehenden Befugnisse zur Abwehr einer erneuten Kennzeichnung nach dem Inverkehrbringen der Ware dazu benutzt, mit Hilfe des nationalen Markenrechts Märkte künstlich abzuschotten 324 • Insoweit ist das Tatbestandsmerkmal der verschleierten Handelsbeschränkung erfüllt. Ob tatsächlich eine künstliche Marktabschottung gegeben ist, läßt sich in diesem Zusammenhang nur auf Grundlage der jeweiligen besonderen Umstände des Einzelfalls feststellen. Soweit die Marktabschottung auf der vom Wirtschaftsteilnehmer vorgefundenen natürlichen Wettbewerbssituation beruht (wettbewerbsimmanente Marktabschottung), ist sie nicht als künstlich zu bezeichnen325 • Nach zutreffender h.M. liegt eine verschleierte Handelsbeschränkung dann vor, wenn sowohl der objektive Tatbestand der Marktabschottung erfüllt ist als auch der Markeninhaber dieses Ergebnis subjektiv anstrebt326 • Die Gegenansicht lehnt Fezer, Markenrecht, § 24 MarkenG Rnr. 96. EuGH, S!g. 1976, 1039 = GRUR Int. 1976, 402, 411 - Terranova/Terrapin; EuGH, Slg. 1978, 1139 = GRUR Int. 1978,599,603 - Hoffman-La Roche/Centrafarm; EuGH, S!g. 1978,1823 GRUR Int. 1979,99,104 - Centrafarml American Horne Products. 325 Vgl. OLG Kar!sruhe, GRUR Int. 1981,567 - Valium 11; BGH, GRUR 1984, 530 Valium Roche. 326 BGH, GRUR 1984,530,533 - Valium Roche; EuGH, S!g. 1978, 1139 GRUR Int. 1978,599, 603 - Hoffmann-La Roche/Centrafarm; EuGH, Slg. 1978, 1823 = GRUR Int. 1979, 99, 105 - Centrafarml American Horne Products; Beier, in: FS fUr Vieregge, 1995, S. 43, 49; Kleist, WRP 1979, 23, 26; Röttger, WRP 1979,292; ders., WRP 1980, 243, 248; ders., GRUR Int. 1982,512; van Empel, GRUR Int. 1979,539,542; Brände!, GRUR 1980, 512; Ebenroth, S. 34. 323 324
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20 Spuhler
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
eine derartige Kumulation der Voraussetzungen ab und führt als Abgrenzungskriterium zwischen dem spezifischen Gegenstand des nationalen Markenrechts (Art. 30 (ex-Art. 36) S. 1 EGV) und der künstlichen Marktaufteilung (Art. 30 (ex-Art. 36) S. 2 EGV) die im Einzelfall zu überprüfende sachliche Rechtfertigung des Vermarktungssystems des Markeninhabers an 327 • Durch die Einführung der sachlichen Rechtfertigung ist jedoch keine weitere Konkretisierung gewonnen, weil die Abgrenzung gegenüber den ausdrücklichen Tatbestandsmerkmalen des Art. 30 (exArt. 36) S. 2 EGV vorgenommen wird. In der Praxis weichen beide Meinungen nicht weit voneinander ab, da eine Absicht zur künstlichen Marktabschottung indiziert sein wird, wenn die Marktabschottung nicht gerechtfertigt ist. In der neueren Rechtsprechung zum Umverpacken hat der EuGH nunmehr festgestellt, der Begriff der künstlichen Abschottung der Märkte verlange nicht den Nachweis des Importeurs, daß der Markeninhaber durch das Inverkehrbringen einer identischen Ware in verschiedenen Packungen bewußt versucht habe, die Märkte zwischen den Mitgliedstaaten abzuschotten 328 • Diese Ausführungen sind jedoch lediglich als Regelungen zur Beweislastverteilung zu verstehen; eine Aufgabe der subjektiven Voraussetzungen der Marktabschottung läßt sich hieraus nicht ableiten.
c) Der territoriale Anwendungsbereich des Spannungsverhältnisses zwischen den nationalen Markenrechten und dem Grundsatz des freien Warenverkehrs In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Artt. 28, 30 (ex-Artt. 30, 36) EGVals maßgeblicher Prüfungsmaßstab auch dann herangezogen werden können, wenn die identisch gekennzeichneten Erzeugnisse nicht aus einem anderen Mitgliedstaat importiert werden, sondern aus einem Drittland329 • Insoweit sind die Außenbeziehungen der EG tangiert. Das Verbot des Art. 28 (ex-Art. 30) EGV (und die dazugehörigen Rechtfertigungsgründe im Sinne der "Cassis"-Formel und des Art. 30 (ex-Art. 36) EGV) gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut lediglich zwischen den Mitgliedstaaten. Die Frage, ob dieses Verbot oder ein vergleichbarer Rechtsgrundsatz auch im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und Nicht-Mitgliedstaaten zur Anwendung gelangen soll, ist dem Bereich der Handelspolitik zuzuordnen. Innerhalb der Gruppe der Nicht-Mitgliedstaaten ist zwischen Drittstaaten und Drittvertragsstaaten zu differenzieren. 327 Hefermehll Fezer, in: Hefennehll Ipsen I Schluep I Sieben, Nationaler Markenschutz, S. 37; Baumbach I Hefermehl, WW, § 15 Rnr. 85; Rehmann, EWS 1991, 169, 172. 328 EuGH, Sig. 1996, 1-3457 = GRUR Int. 1996, 1144 - Bristol-Myers Squibb; EuGH, Slg. 1996, 1-3603 GRUR Int. 1996, 1150 - Eurim-Pharm; EuGH, Sig. 1996, 1-3671 GRUR Int. 1996, 1151-MPA Pharma. 329 Zu den Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung auf rein innerstaatliche Sachverhalte, BGH, GRUR 1997, 629 - Sermion 11; Ingerll Rohnke, MarkenG, § 24 Rnr. 16.
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§ 3 Der Erschöpfungsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht
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Nach Auffassung des EuGH stehen die Vorschriften über den freien Warenverkehr nicht den Schutzbefugnissen des Markeninhabers entgegen, der sich der Einfuhr von gleich oder verwechslungsfähig gekennzeichneten Produkten aus einem Drittstaat widersetzt33o • Das Gericht hatte aber bislang nicht die Frage zu klären, ob dieser Grundsatz auch dann Anwendung findet, wenn dem Markeninhaber das Inverkehrsetzen der gekennzeichneten Erzeugnisse im Drittstaat zuzurechnen ist, d. h. dort durch ihn selbst oder mit seiner Zustimmung erfolgte. Dieser Problemkreis ist nunmehr in Übereinstimmung mit dem Prinzip der gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfung auf Grundlage des "Silhouette"-Urteils des EuGH331 zu lösen. Eine Konsumtion der markenrechtlichen Befugnisse kann daher nur bei einem konsentierten Inverkehrsetzen der Ware innerhalb des Territoriums der EU und des EWR in Betracht kommen 332 • Dies ist die Konsequenz aus der Aufgabe des Grundsatzes der internationalen Erschöpfung unter Geltung der MarkenRL, der GMarkenV und des MarkenG. Ein anderes Auslegungsergebnis würde dazu führen, den gerade vom EuGH im Ergebnis abgeschafften Grundsatz der internationalen Erschöpfung des Markenrechts wieder einzuführen. Soweit daher das Inverkehrsetzen der gekennzeichneten Waren im Drittstaat sogar mit Konsentierung des Markeninhabers erfolgte, kann sich dieser dem Import der Waren aus dem Drittstaat in die Gemeinschaft mit Hilfe seines Markenrechts widersetzen. Dieses Ergebnis ist aus wettbewerbspolitischen Gründen zu kritisieren, weil hierdurch das Territorium der Gemeinschaft im Verhältnis zu Drittstaaten zu einer ,,Preisinsel" umfunktioniert wird. Ein entsprechender Preisdruck aus dem EU-Ausland auf das Preisniveau von Markenwaren in der Gemeinschaft wird hier mit markenrechtlichen Mitteln ausgeschaltet. Aus globaler Sicht entstehen somit mindestens zwei ,,Preisräume" . Demgegenüber finden sich in verschiedenen Verträgen der EG mit Drittländern Klauseln, die eine unmittelbare Einbeziehung der Regelungen der Artt. 28 ff. (exArtt. 30ff.) EGV zwischen den Vertragsparteien bewirken oder einen inhaltlich vergleichbaren Schutz der Warenverkehrsfreiheit im Verhältnis der Vertragsschließenden untereinander inkorporieren sollen 333 • Diese Drittländer können dann als Drittvertragsstaaten bezeichnet werden. Ein Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung hat die EG z. B. in zahlreichen landwirtschaftlichen Marktordnungen und in Handelsabkommen (insbesondere im Hinblick auf die Freihandelsabkommen mit den EFTA-Staaten) vorgesehen. Zunächst ist in diesem Zusammenhang festzustellen, daß der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung in gleicher Weise wie im innergemeinschaftlichen 330 EuGH, Slg. 1976, 811 = GRUR Int. 1976, 398 - EMIICBS. So im Ergebnis auch EuGH, Sig. 1998,1-4799 WRP 1998,851 ff. - Silhouette. 331 EuGH, Sig. 1998,1-4799 =WRP 1998, 851 ff. - Silhouette. 332 Vgl. auch Baumbach/Hefermehl, WW, § 15 Rnr. 86; Fezer, in: FS für Gaedertz, 1992, S. 153, 163 zur Rechtslage unter Geltung des WZG. 333 Vgl. dazu Tilmann, RIW I AWD 1975,479, 484; Winkel, NJW 1977, 1992ff.; Matthies/v. Borries, in: Grabitz/Hilf, Art. 30 EGV Rnr. 46.
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4. Kap.: Spannungsverhältnis zwischen Markenrechten und Warenverkehr
Warenverkehr auszulegen ise 34 , auch wenn dies im entsprechenden Vertrag nicht ausdrücklich vereinbart wurde 33s . Fraglich ist in bezug auf die Rechtsbeziehungen zu den Drittvertragsstaaten jedoch, ob die zur Warenverkehrsfreiheit ergangene Rechtsprechung des EuGH - insbesondere die "Cassis"-Rechtsprechung und die Rechtsprechung zu den Rechtfertigungsgründen des Art. 30 (ex-Art. 36) EGV- auch in gleicher Weise in diesem Verhältnis zur Anwendung gelangt. Als Folge ergäbe sich eine räumliche Ausdehnung des Geltungsbereichs der EuGH-Rechtsprechung. Die rechtliche Behandlung der entsprechenden Sachverhaltskonstellationen ist im Schrifttum streitig336 ; der EuGH hat hierzu bislang noch nicht ausdrücklich Stellung genommen 337 . Zum Teil wird die Auffassung vertreten, die Erstreckung der Grundsätze zur gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfung im Hinblick auf die Vertragsbeziehungen zu Drittstaaten sei nur dann gerechtfertigt, wenn der Regelungszweck des konkreten Vertrages über die unmittelbare Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien hinausreicht und mit dem Ziel der Artt. 28 ff. (ex-Artt. 30 ff.) EGV (Herstellung und Gewährleistung eines einheitlichen Gemeinsamen Marktes) vergleichbar sei 338 . Dieser Ansicht kann grundsätzlich zugestimmt werden. Vorzuziehen ist jedoch regelmäßig eine umfassende Analyse des einzelnen Vertrages, die insbesondere den Gesamtzusammenhang und die Zielsetzung des jeweiligen Abkommens berücksichtigt. In diesem Sinne ist auch die Rechtsprechung des EuGH zu verstehen. Das Gericht hat beispielsweise in bezug auf Freihandelsabkommen ausgeführt, daß ein identischer Wortlaut (im Verhältnis zum EGV) nicht zwangsläufig zu einer identischen Auslegung führen muß. Grundsätzlich ist der Wortlaut bei einem Freihandelsabkommen enger auszulegen als im Rahmen des EGV, weil das Freihandelsabkommen lediglich die Liberalisierung des Waren verkehrs anstrebe, während der EGV auf den Zusammenschluß der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt abziele, der die Merkmale eines Binnenmarktes aufweise 339 • 33