Sozialrechtsvergleich Im Bezugsrahmen Internationalen Und Supranationalen Rechts: Colloquium Der Projektgruppe Fur Internationales Und Vergleichendes ... Tutzing 1977 (German Edition) 3428041763, 9783428041763

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German Pages 280 [281] Year 1978

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Sozialrechtsvergleich Im Bezugsrahmen Internationalen Und Supranationalen Rechts: Colloquium Der Projektgruppe Fur Internationales Und Vergleichendes ... Tutzing 1977 (German Edition)
 3428041763, 9783428041763

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PROJEKTGRUPPE FüR INTERNATIONALES UND VERGLEICHENDES SOZIALRECHT DER MAX·PLANCK·GESELLSCHAFT

Sozialrechtsvergleich im Bezugsrahmen internationalen und supranationalen Rechts

Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht Herausgegeben von Ha n s F. Z ach er, München

Band 2

Sozialrechtsvergleich im Bezugsrahmen internationalen und supranationalen Rechts Colloquium der Projektgruppe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht der Max·Planck·Gesellschaft

Herausgegeben von

Hans F. Zacher

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Redaktion: Michael Faude

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany

© 1978 Duncker

ISBN 3 428 04176 3

Vorwort Dieser Band soll über das zweite Colloquium der Projektgruppe der Max-Planck-Gesellschaft für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht in München berichten. Das erste Colloquium dieser Projektgruppe, das 1976 stattgefunden hat, ist im Band 1 dieser Schriftenreihe unter dem Titel "Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs" wiedergegeben (erschienen 1977). Dort (S. 7 ff.) findet sich mehr auch über Zweck und Aufgaben der Projektgruppe. Dieser Band enthält außer dem Programm des Colloquiums und den Referaten jeweils eine sachliche Zusammenfassung der Diskussion zu den einzelnen Referaten. In die Aufgabe, diese Diskussionsberichte zu verfassen, haben sich die hauptamtlichen Mitarbeiter und ein Stipendiat der Projektgruppe geteilt. Daß die Beiträge der Diskussionsteilnehmer in den Diskussionsberichten weitgehend amalgamiert wurden, gibt besonderen Anlaß, außer den Referenten und den Diskussions-Berichterstattern auch den Diskussionsteilnehmern noch einmal zu danken, deren Beiträge das Colloquium wesentlich bereicherten. Die mit abgedruckte TeiLnehmerHste soll dem Leser einen Eindruck davon ermöglichen, wer zu den Ergebnissen des Colloquiums beigetragen hat, aber auch in welcher Weise die Projektgruppe durch das Colloquium versucht, mit ihr nicht angehörenden Experten, mit anderen Disziplinen, mit der Praxis und mit dem Ausland sowie den europäischen und internationalen Organisationen in Verbindung zu kommen oder zu bleiben. Der Unterfertigte hatte den Referenten einige Seiten über die Absichten des Colloquiums und das besondere Interesse der Projektgruppe an den Themen geschrieben. Im Lichte der Referate und Diskussionen gebot es sich aber, diese Vorüberlegungen zu differenzieren und zu ergänzen. So steht diesmal den Referaten und Diskussionen nicht eine "Vorbereitende Ausarbeitung" voran (wie in Bd. 1 der Schriftenreihe S. 21 ff.), sondern eine "Einleitung", welche die Problemsicht, die dem Colloquium vorauslag, bereits mit Anregungen und Antworten, die das Colloquium ergab, zu verbinden, und Gedanken und Strukturen, welche die Referate und Diskussionen durchlaufen, aufzuzeigen sucht. Die Gesamtredaktion des Bandes hat Michael Faude, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe, übernommen, dem hierfür ganz besonders gedankt sei. München, im November 1977

Hans F. Zacher

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Hans F. Zacher:

Einlteitung: Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsver,gleich

9

Zweiter Teil: Colloquium Das Programm des Colloquiums ................. ... ................

71

A. Allgemeines Dieter Blumenwitz: Rechtsvel"gl~ichung

und Völkerrecht

Zusammenfassung Sum·m ary ........................................................ DiskussionS'bericht (Faude) . .............................. . . . . . . . ..

75

89 90 9-2

Albert Bleckmann:

Die Rechtsvergleichung im Europäischen Gemeinschaftsrecht 97 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 120 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 121 Diskussionsbericht (Trenk-Hinterberger) ... . ................. . ...... 123 B. Sozialrechtsvergleichung und Internationales Recht (Völkerrecht) Johannes Schregle:

Internationale Sozialrechtsvergleichung in der normenschaffenden Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation .................. Zus·a mmenfassung ...... .... .. .. .. .. ....................... .... .. . Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Diskussionsbericht (Simons) ............. . ......... .. . . .. . . .... ... . .

133 150 151 153

8

Inhaltsverzeichnis

Siegtried-Günter Nagel:

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates (insbesondere bei der Gestaltung und Anwendung von Konventionen) ........ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Diskussionsbericht (IgI) .•..........................•...............

161 179 180 183

Joset Schuh:

Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Gestaltung und Anwendung zwischenstaatlicher SomalV'ersicherungsabkommen ........ Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Anhang: Zwischenstaatliche Verflechtung Österreichs im Bereich der Sozialen Sicherheit (Stand 1. Juni 1977) .............................. Diskussionsbericht (Barta) ......................................... ,

191 210 2;11 213 222

C. Sozialrechtsvergleichung und supranationales Recht Jörn Pipkorn:

Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Harmonisierung sozialrechtlicher Normen in den Europäischen Gemeinschaften ............ 229 Zusammenf.assung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 250 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252

Helmut Kaupper: Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Harmonisierung sozialrechtlicher Normen in den Europäischen Gemeinschaften ............ 255 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2·66 Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266 Anhang: Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ............................................................ 267 Diskussionsbericht der Referate Pipkorn und Kaupper (Schutte) . . . . .. 270

Teilnehmerverzeichnis

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ERSTER TEIL

Einleitung Horizontaler und vertikaler Sozialrecbtsvergleich Von Hans F. Zacher Inhaltsübersicht I. Projektgruppe und Thema ........................................ 1. Was ist "internationales und vergleichendes Sozialrecht"? ...... 2. Zum Anlaß des speziellen Themas des Colloquiums ............ 3. Insbesondere zur spezifischen Verflechtung von internationalem (supranationalem) und nationalem Sozialrecht .................. 4. Zum Folgenden ................................................

10 10 14

!I. Horizontaler und vertikaler Rechtsvergleich ...................... 1. Der weitere Sinn von "Rechtsvergleich" ........................

18 18

2. Zum spezifischen sozialrechtlichen Anlaß, "Rechtsvergleich" mehrdimensional zu denken ........................................ 3. Zum "vertikalen" Rechtsvergleich .............................. a) Zur Maßgeblichkeit höheren Rechts S. 21 - b) Die Gemeinsamkeit des Gegenstandes S. 23 - c) "Vertikalität" im weiteren Sinne S. 24 4. Zum "horizontalen" Rechtsvergleich ............................ 5. Dimensionen von Nähe und Distanz als analoge Probleme des horizontalen und des vertikalen Rechtsvergleichs ................ 6. Spezifische Elemente der vertikalen Dimension ... . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßgeblichkeit und funktionale Verklammerung als spezifische Vorgabe vertikaler Rechtsvergleichung S. 30 - aa) Insbesondere zur funktionalen Verklammerung S. 30 - bb) Zu den Sanktionen der Maßgeblichkeit S. 32 - ce) Ergebnis: Abfolgen horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung S. 33 - b) Koordination als spezifische Aufgabe "höheren" Rechts S. 34 - c) Die spezifische Nichtidentität koordinierenden "höheren" Rechts gegenüber den "unteren" Rechten S. 36 7. Insbesondere zur Begegnung nationalen Rechts mit konkurrierendem und koordinierendem supranationalem und Völkerrecht.... a) Die Konzentration des Interesses auf die Ebenen national supranational - international S. 40 - b) Die quasi-vertikale Rechtsvergleichung: Vertikalität unter Verzicht auf spezielle Maßgeblichkeit S. 42 !II. Horizontaler Rechtsvergleich im Dienst "höheren" Rechts .......... 1. Zur Vielgestaltigkeit von Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

2. Zu den Unterschieden im Bereich des "höheren" Rechts ........ a) Der horizontale Rechtsvergleich führt zu maßgeblichem oder nicht maßgeblichem "höheren" Recht S. 46 - b) Das "höhere"

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19 21

26 28 30

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Hans F. Zacher Recht wird frei oder gebunden gesetzt oder gefunden S. 46 - c) Unterschiede in Gegenstand und Weise der Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts S. 49 3. Zur Typik horizontaler Rechtsvergleichung .................... 50 a) Internalisierende und außengerichtete Rechtsvergleichung S. 51 - b) Feststellende und veränderungsgerichtete Rechtsvergleichung S. 51 - c) Umfassende und selektive Rechtsvergleichung S. 53 - d) Querverbindungen S. 53 4. Die subjektive Seite, insbesondere die verschiedenen sozialen Rollen, in denen horizontaler und vertikaler Rechtsvergleich betrieben wird .............................................•.. 54

IV. Sozialrechtsvergleichung im Bezugsrahmen internationalen und supranationalen Rechts ............................................ 1. Vorbemerkungen .............................................. 2. Völkerrecht und Sozialrechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Völkerrecht als Staaten-Recht S. 58 - b) Die völkerrechtliche Vorordnung des nationalen Sozialrechts S. 60 - c) Zur spezifischen Nicht-Identität von internationalem und nationalem Sozialrecht S. 63 - d) Colloquium S. 65 3. Supranationales Sozialrecht und nationales Sozialrecht .......... a) Das Terrain S. 65 - b) Die Einwirkungen der Europäischen Gemeinschaften auf das nationale Sozialrecht S. 67 - c) Zur spezifischen Nichtidentität supranationalen und nationalen Rechts

57 57 58

65

S.69

V. Abschließende Bemerkungen ......................................

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I. Projektgruppe und Thema 1. Was ist "internationales und vergleichendes Sozialrecht"?

Die Projektgruppe für internationales und vergleichendes Sozialrechtl hat einen Namen und somit einen Auftrag, welcher der Auslegung bedürftig ist. Schon der Inhalt des Begriffes "Sozialrecht" ist ungesichert. Und die Assoziationen, die er auslöst, sind recht unterschiedlich2 • Man kann hier aber davon ausgehen, daß Sozialrecht alles Recht ist, das von einer sozialpolitischen Aufgabe wesentlich bestimmt ist - diese sozialpolitische Aufgabe wieder definiert als Sicherung eines menschenwürdigen Daseins für alle, durch Abbau von Wohlstandsunterschieden sowie Aufhebung oder 1 s. dazu etwa "Projektgruppe für internationales und vergleichendes Sozialrecht", Max-Planck-Gesellschaft, Jahrbuch 1976, S. 633 f., Jahrbuch 1977, S. 682 ff.; Hans F. Zacher, Einleitung in: Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht, Bd. 1, 19'77, - im folgenden: "Methodische Probleme" - S. 7 ff. 2 s. dazu Hans F. Zacher, Einleitung (Anm. 1), S. 11 ff. m. w. Nachw. s. dazu denselben auch: Grundfragen theoretischer und praktischer sozialrechtlicher Arbeit, Vierteljahresschrift für Sozialrecht - im folgenden VSSR - Bd. IV (1976) S. 1 ff. (6 ff.); Was ist Sozialrecht? in: Festschrift für Horst Schieckei, 1977, S. 371 ff.

Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsvergleich

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Kontrolle von Abhängigkeitsverhältnissen. Aber was das unter den jeweiligen nationalen, historischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen konkret bedeuten kann, und was der jeweilige Sprachgebrauch mit "Sozialrecht" verbindet, bleibt auch und gerade von diesem sozialpolitischen Begriffsansatz her reicher Variation zugängig. Gerade im internationalen Zusammenhang ist diese Offenheit ebenso notwendig wie beschwerlich. Was nun bedeutet "Internationales und Vergleichendes Sozialrecht"? Bleiben wir zunächst beim "Vergleichenden". Die Wortfügung vom "vergleichenden Recht" macht vielleicht den genauen Leser stutzen: Recht "vergleicht" nicht. Gemeint ist die Rechtsvergleichung und zwar, um einen noch zu erklärenden Terminus hier vorwegzunehmen, die "horizontale" Rechtsvergleichung3, d. h. der Vergleich zwischen mehreren Rechtsordnungen gleicher Ebene - typischerweise zwischen mehreren nationalen Rechtsordnungen, insbesondere zwischen deren einzelnen Instituten, Regelungen, Prinzipien und dergleichen. "Sozialrechtsvergleich" versucht also prinzipiell, das Sozialrecht verschiedener Staaten zu vergleichen4 . Und er "heißt" hier "vergleichendes Sozialrecht" , weil jede andere Verbindung mit dem "internationalen Sozialrecht" von beträchtlicher Umständlichkeit wäre. Die Wortfügung vom "internationalen Sozialrecht" dagegen ist doppelsinnig: "international" dem Gegenstand nach (als das Sozialrecht für Tatbestände mit Auslandsberührung) oder "international" der Quelle und den Adressaten nach (als Sozial-Völkerrecht}5. Die Verbindung eines Teilrechtsgebietes wie des Privatrechts, des Verwaltungsrechts usw. mit dem Adjektiv "international" zu einem "Internationalen Privatrecht", einem "Internationalen Verwaltungs recht" usw. wird im deutschen Sprachraum üblicherweise dahingehend verstanden, daß der so gebildete Begriff das Konfliktsrecht (KolZisionsrecht) umfaßt, das die Begegnung verschiedener nationaler Rechte bei der Regelung von Sachverhalten, die Bezüge zu verschiedenen nationalen Rechten aufweisen, ordnet6 • In diesem konfliktsrechtlichen Sinn ist der Begriff des "Internationalen Sozialrechts" auch längst vertraut, wenngleich die Tendenz, als "internationales Recht" nicht nur die Bestimmung des zustän'so unten S. 18 ff., insbesondere S. 26 ff. Dazu, was das bedeuten kann, im Ansatz Hans F. Zacher, Vorfragen zu den Methoden der Sozialrechtsvergleichung, in: Methodische Probleme, S. 11 ff. s S. zu dieser Unterscheidung Klaus Vogel, Internationales und interlokales Sozialverwaltungsrecht - systematische Grundlagen, Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes Band IV, 1968, S. 46 ff. Zu noch weitergehenden Unterscheidungen S. dens., Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsnorm, 1965, S. 153 ff. S S. Paul Heinrich Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 2. Aufl. 1976, S. 1 ff.; Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich usw., insbes. S. 170 ff. 3

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Hans F. Zacher

digen nationalen Rechts, sondern allgemeiner alles Recht, das sich auf ausländische Tatbestände oder Beteiligte bezieht (Recht mit Auslandsberührung), zu bezeichnen, sehr viel größer ist7 als etwa im Privatrechts. Dagegen ist der andere Sinn von "internationalem Recht" -

der des

Rechts, das die Beziehung zwischen Staaten regelt, im deutschen Sprachgebrauch nur wenig gegenwärtig. International law, droit international, diritto internazionale oder derecho internaciona19 heißt im Deutschen eher "Völkerrecht". Dennoch darf nicht ausgeschlossen werden, "internationales Recht" auch im Sinne von "Völkerrecht" zu verstehen. Nicht nur Kombinationen (wie "Internationales Seerecht" oder "Internationales Luftrecht")lO, und Eindeutschungen (wie etwa "Internationaler Gerichtshof") gebieten das, sondern auch Sinnzusammenhänge mit "internationalen Organisationen", die solche des Völkerrechts sind l l , und endlich mit den Begriffen der internationalen Beziehungen und der internationalen Politik, deren rechtliche Entsprechung das Völkerrecht ist. So darf von einem "Internationalen Sozialrecht" auch und gerade dort gesprochen werden, wo völkerrechtliche Mittel (Rechtsinstrumente und Organisationen) eingesetzt werden, um internationale Sozialpolitik zu betreiben - sei es durch Einwirkung auf die nationale Sozialpolitik und gerade auf das nationale Sozialrecht12 , sei es im Sinne der Verbesserung der sozialen Relationen der Staaten zueinander, wie es das primäre Ziel des Kampfes um die sogenannte "neue Weltwirtschaftsordnung" ist13 • Schließlich stecken auch im "internationalen Sozial recht" im Sinne 7 s. zu Meinungsstand und Gründen statt aller anderen Bernd v. Maydell, Sach- und KolIisionsnormen im internationalen Sozialversicherungsrecht, 1967, insbes. S. 14 ff.; dens., Die dogmatischen Grundlagen des inter- und supranationalen Sozialrechts, VSSR Bd. I (1973) S. 347 ff.; s. a. dens., Sozialrechtsvergleichung und internationales Sozialrecht, in: Methodische Probleme, S. 97 ff. (S. 98 ff.). - Weiterführende Aspekte s. bei Walter Selb, Internationales Sozialversicherungsrecht, VSSR Bd. IV (1976) S. 293 ff. 8 s. Neuhaus (Anm. 6), S. 1: "Internationales Privatrecht in einem weiten, ungenauen Sinne ist alles Recht, das private Verhältnisse mit einem internationalen Element, mit einer ,Außenbeziehung' betrifft." s. zum verwandten internationalen Arbeitsrecht die Begriffsbestimmung bei Franz Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht, 1959, S. 1 ff. 9 Jeweils auch mit dem Adjektiv "public" usw. denkbar und möglicherweise vertrauter und klarer. 10 die meist schlecht durch eine Kombination mit Völkerrecht ersetzt werden können (wie "Luft-Völkerrecht" oder "Völker-Luftrecht"?). 11 s. Ignaz Seidl-Hohenveldern, Das Recht der internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, 2. Aufl. 1972, S. 3 ff. 12 So das Verständnis bei Hans F. Zacher, Internationales und Europäisches Sozialrecht, 1976, insbes. XXXV f. - Zum verwandten Arbeitsrecht s. in diesem Sinne vor allem Gerhard Schnorr, Das Arbeitsrecht als Gegenstand internationaler Rechtssetzung, 1960. 18 In diesem Sinne spricht vom "Internationalen Sozialrecht" Christian Tomuschat, in: Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, ZaÖRV 36 (1976) S. 444 ff. (459).

Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsvergleich

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des Sozialrechts für Tatbestände mit Auslandsberührung völkerrechtliche Elemente. Einerseits liegen ihm - wie allem Konfiiktsrecht - völkerrechtliche Vorgaben voraus 14• Andererseits, und nachhaltiger noch, wird es durch völkerrechtliche Verträge (Sozialversicherungsabkommen, Fürsorgeabkommen usw.) gesetzt. Damit aber tritt ein Gedanke zutage, der es auch ungeachtet aller Unsicherheiten der Bedeutung der Worte "Internationales Sozialrecht" gebietet, das "Sozial-Völkerrecht" in die Arbeit der Projektgruppe einzubeziehen. Selbst wenn nämlich "Internationales Sozialrecht" allein im engeren Sinne von Recht mit Auslandsbezug oder im engsten, konfliktsrechtlichen Sinn zu verstehen wäre, wäre Völkerrecht eine unerläßliche Implikation sowohl seiner Erforschung als auch der Sozialrechtsvergleichung. Sowohl durch völkerrechtssetzende Instrumente (insbesondere multi- und bilaterale Verträge) als auch durch die politischen, legislativen und administrativen Aktivitäten der internationalen Organisationen wirkt das Völkerrecht mittelbar und unmittelbar auf das nationale Sozialrecht und auf die (konfliktsrechtliche) Begegnung der nationalen Sozialrechte ein, ja ersetzt es mitunter rein nationales Sozialrecht, vor allem rein nationales Konfliktsrecht, durch zwischenstaatliche, unmittelbar anwendbare (self-executing) Verträge oder Vertragsbestimmungen. Sozialrecht kann in übernationaler - transnationaler und internationaler - Dimension nicht erfaßt, verstanden oder bewertet werden, ohne das Völkerrecht einzubeziehen. Sind somit die Ebenen des nationalen Sozialrechts und des VölkerSozialrechts in dem Auftrag der Projektgruppe enthalten, so bleibt die Frage nach dem supranationalen Sozialrecht 15 • In seiner Qualität sicher eigenständig, ist supranationales Recht für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften weitgehend in die Funktion teils des nationalen Rechts, teils von Völkerrecht eingetreten. Wie dieses kann es sich an 16 s. zusammenfassend m. w. Nachw. Alfred Verdross und Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, S. 571 ff. 15 s. dazu Hans Peter Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, insbes. S. 931; Jacques Jean Ribas, Marie-Jose Jonczy, Jean-Claude Seche, Droit soda! europeen, 1973; Gerard Lyon-Caen, Droit socia! international et europeen, 4. ed., 1976, insbes. S. 133 ff.; s. dazu auch: Die europäische Rechtsprechung nach zwanzig Jahren Gemeinschafts!eben", IV. Internationaler Kongreß für Europarecht vom 24. - 26. Mai 1973 in Luxemburg, veranstaltet von der Federation internationale pour le droit europeen (F.I.D.E.), Kölner Schriften zum Europarecht Bd. 24, 1976, dort: Kommission III. "Der Beitrag der Rechtsprechung zur Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft und zu den sozialen Fragen" (S. 871 ff.) mit dem Generalbericht von Thomas Oppermann (S. 871 ff.), dem Gemeinschaftsbericht von Italo Telchini (S. 917 ff.), dem belgischen Bericht von Etienne Cerexhe (S. 941 ff.), dem deutschen Bericht von Achim Andre (S. 981 ff.), dem französischen Bericht von Gerard Lyon-Caen (S. 1015 ff.), dem italienischen Bericht von Giuseppe Renato (S. 1033 ff.), dem niederländischen Bericht von J. J. Tromm (S. 1069 ff.) und der Zusammenfassung der Arbeitsresultate von Thomas Oppermann (S. 1105 ff.).

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Hans F. Zacher

Staaten wenden, wie jenes kann es sich an den Bürger und seine Zusammenschlüsse, an Gerichte und Vollzugsorgane unmittelbar wenden. Weder Sozialrechtsvergleichung noch Arbeit auf dem Gebiet des internationalen Sozialrechts sind deshalb heute auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedslandes der Europäischen Gemeinschaften noch möglich, ohne auch das Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaften einzubeziehen. 2. Zum Anlaß des speziellen Themas des Colloquiums

Bezieht sich der Auftrag der Projektgruppe auf den Vergleich der nationalen Sozialrechtsordnungen, auf das supranationale Sozialrecht und auf das Sozial-Völkerrecht, so stand es außerhalb ihrer Möglichkeiten, sich allen diesen Bereichen von vornherein mit gleicher Intensität zu widmen. Die Projektgruppe räumte deshalb der Sozialrechtsvergleichung Priorität ein 16 • Dabei stieß sie freilich rasch auf die Notwendigkeit, aber auch auf die Nützlichkeit, die supranationale und die völkerrechtliche Ebene - nicht nur wie ohnehin geboten, für sich, sondern gerade auch bei der Rechtsvergleichung - mit in Betracht zu ziehen17 • Dafür sind vor allem zwei Gründe entscheidend. Der eine Grund ist, daß gemeinsame oder unterschiedliche Vorgaben, welche die natio-

nalen Rechte vom internationalen und supranationalen Recht her bestimmen, den Vergleich der nationalen Rechte inhaltlich oder methodisch definieren. Sie bedingen Nähe und Distanz, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit der zu vergleichenden nationalen Rechtsordnungen. Diese Vorgaben sind daher für den Rechtsvergleich von evidentem inhaltlichen, bei näherem Zusehen auch von nachhaltigem methodischen Interesse. Sie bilden "Stilmerkmale" der verglichenen nationalen Rechtsordnungen und können zur Entwicklung von Rechtsfamilien führen 18 • 10 s. Anm. 1. Zur auslandsrechtkundlichen Vorbereitung weiterer Rechtsvergleiche s. ferner Gerhard IgI, Bernd Schulte und Thomas Simons, Einführung in das Recht der sozialen Sicherheit von Frankreich, Großbritannien und Italien, VSSR Beiheft 1, 1977. 17 s. Methodische Probleme, S. 24 f., 28, 40, 62 f., 69, 78. 18 s. dazu Hans F. Zacher, Vorfragen zu den Methoden der Sozialrechtsvergleichung, in: Methodische Probleme S. 34. Für das supranationale Recht ist das offensichtlich. Für das internationale Recht hat die stärkste Wirkung wohl die Arbeit der Internationalen Arbeitsorganisation zu verzeichnen (s. exemplarisch A. Mallet, Diversiflcation or Standardiflcation: Two Trends in Latin American Social Security, International Labour Review 101 (1970) S. 81 ff.) . Doch stößt die Projektgruppe auch in anderen Zusammenhängen immer wieder auf den intensiven Einfluß der lAD auf die nationalen Rechte und also auch auf deren Gemeinsamkeiten. s. dazu auch Johannes Schregle unten S. 13·3 ff.). Doch kann darauf vertraut werden, daß auch der sozialpolitischen Aktivität des Europarates mehr und mehr "stilbildende" Kraft für Sozialpolitik und -recht der Mitgliedstaaten zukommt.

Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsvergleich

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Der zweite Grund ist, daß sich Verwandtschaften zwischen dem "horizontalen" Rechtsvergleich (dem Vergleich also insbesondere zwischen verschiedenen nationalen Rechten) und dem "vertikalen" Rechtsvergleich (dem Vergleich also zwischen Völkerrecht und nationalem Recht,

Bundesrecht und Landesrecht, Verfassungsrecht und Gesetzesrecht usw.) zeigten19 , ja daß es im Geflecht von Geltungsgründen und -ansprüchen, sachlichen und örtlichen Geltungsbereichen, rechtssetzenden und rechtsanwendenden Autoritäten mitunter schwer schien, zwischen "horizontaler" und "vertikaler" Vergleichung zu unterscheiden20• Aus all dem erwuchs das Bedürfnis, dem internationalrechtlichen und supranationalrechtlichen Bezugsrahmen der Sozialrechtsvergleichung eine eingehendere Erörterung zu widmen. 3. Insbesondere zur spezifischen Verflechtung von internationalem (supranationalem) und nationa.lem Sozialrecht

Im Hintergrund steht freilich die Eigenart und die außerordentliche Dichte, mit der internationales und nationales Sozialrecht ineinandergreifen. Woraus ergeben sie sich? Sozialpolitik ist heute fast überall der größte Schatz der nationalen Politik. Fast jeder Staat will irgendwie Sozialstaat sein. Sozialrecht als zentrales Medium der Sozialpolitik zeichnet sich deshalb durch einen hohen Grad an nationaler Autonomie und Individualität aus. Auf der anderen Seite drängt vieles zu einer internationalen Vereinheitlichung des Sozialrechts: das Interesse am Abbau sozialer Hemmnisse gegen den Wechsel des Wohn- und Arbeitsortes über nationale Grenzen hinweg; das Interesse an der internationalen Angleichung der sozialen Daten des wirtschaftlichen Wettbewerbs; die Gleichheitsidee, die apriori zu den wichtigsten Impulsen einer Sozialpolitik gehört, und die nicht ohne Inkonsequenz an nationalen Grenzen enden kann; endlich die allgemeine Verantwortung des Menschen für den Menschen, die ihm den Kampf gegen Not und für eine menschenwürdige Existenz über die nationalen Schranken hinaus aufdrängt, und die in einer "immer kleiner werdenden" Welt immer bewußter gewor19 Der Verfasser glaubt, die ersten nachhaltigen Anregungen hierzu von J. J. M. van der Ven im Rahmen der Korrespondenz zur Vorbereitung des Colloquiums 1976 der Projektgruppe (s. Methodische Probleme) und des Referats van der Vens im Rahmen dieses Colloquiums (Das rechts vergleichende Forum der IAO, in: Methodische Probleme, S. 171 ff.) bekommen zu haben und möchte nicht nur diese Urheberschaft bekennen, sondern auch seinen Dank dafür abstatten. 20 s. dazu Hans F. Zacher, Vorfragen usw. (Anm. 4), insbes. S. 24 ff., 27 f., 34,40 f., 62 f., 69, 73; J. J. M. van der Ven, Das rechtsvergleichende Forum der IAO, ebenda S. 171 ff. sowie den Diskussionsbericht hierzu (S. 188 ff.); Kurt Jantz, Was ergeben die Erfahrungen bei der supranationalen Harmonisierung von Sozialrecht für einen Sozialrechtsvergleich? ebenda S. 195 ff., sowie den Diskussionsbericht hierzu (S. 125 ff.).

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Hans F. Zacher

den ist. Staatengemeinschaften endlich wie die Europäischen Gemeinschaften können darüber hinaus die ihnen aufgegebene funktionale und institutionelle Konkurrenz mit den Mitgliedstaaten nicht bestehen, wenn sie sich nicht in die "sozial-staatliche" Bewährung mit ihnen teilen. Wie aber läßt sich dieser für die Sozialpolitik heute kennzeichnende hohe Grad an nationaler Autonomie und Indivi,dualität mit dem nicht minder hohen Grad an internationalem Streben nach Angleichung und wechselseitiger Öffnung vereinbaren? Die Antwort ist ein Ineinandergreifen der Regelungen, das dem nationalen Recht seinen definitiven und umfassenden Charakter läßt, gleichwohl aber dem Unterschied und vor allem der Verschlossenheit nach außen Grenzen steckt. Das geschieht vor allem in zwei Richtungen. Die eine ist die der kollisionsrechtlichen Regelungen, die vor allem dem Abbau sozialpolitischer Wanderungs'hemmnisse dienen. Sie finden sich z. B. in den internationalen Sozialversicherungsabkommen und in den europarechtlichen Verordnungen über die soziale Sicherung der Wanderarbeitnehmer. Das nationale Sozialrecht in sich bleibt hier prinzipiell unbeeinflußt. Nur der Sachbereich der Fälle mit Auslands- und Ausländerberührung wird einem internationalen oder supranationalen Regime unterstellt. Der andere Weg ist der der Standardisierung des nationalen Rechts. Um hier die Autonomie des nationalen Sozialrechts zu schonen, muß sich das internationale Sozialrecht auf Prinzipielles und Programmatisches beschränken - wie das für die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation und des Europarates typisch ist. Das supranationale Recht versucht darüber hinaus den Weg der Angleichung, der inhaltlich wohl mehr Gleichheit will, aber ebenso größere nationale Resistenzen zu überwinden und mehr nationale Gefährdung des Erreichten zu gewärtigenhat. Nicht also das Völkerrecht, das sich an das Verhalten des Staates wendet, und abgesehen vom Kollisionsrecht auch nicht das "internationale Einheitsrecht", das auf möglichst unmittelbare Gleichheit der Regelungen zielt2l, bestimmen die Eigenart des internationalen und supranationalen Sozialrechts. Das bloß auf das äußere Staatsverhalten gerichtete Völkerrecht würde das nationale Sozialrecht zu wenig erreichen. Das "Einheitsrecht" würde die nationale Autonomie und Individualität zu sehr beeinträchtigen. Vielmehr sind es vor allem die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts und die Setzung internationaler Standards, die den Charakter des internationalen und europäischen Sozialrechts in der Sache bestimmen. Gerade aus dieser Eigenheit ergibt sich aber die Dichte des Neben- und Ineinander von internationalem und 21 s. Jan Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975 Kropholler -So 1 ff.; Neuhaus (Anm. 6), S. 8 ff.

im folgenden:

Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsvergleich

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supranationalem Recht einerseits und von nationalem Recht andererseits. Weder überläßt das internationale und supranationale Recht dem nationalen Recht das Feld, noch gibt sich das nationale Sozialrecht zugunsten des internationalen und supranationalen Rechts auf. Dieses sucht jenes zu beeinflussen. Und so findet sich weithin ein- und dieselbe Materie in beiden Ebenen geregelt. 4. Zum Folgenden

Dieses spezifische Miteinander von internationalem bzw. supranationalem und von nationalem Sozialrecht also sollte in dem in diesem Band wiedergegebenen Colloquium auf dem Nenner der Begegnungen von horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung gesehen und diskutiert werden. Dabei ergab sich die Fruchtbarkeit des Ansatzes gerade für den Sozialrechtsvergleich. Ebenso aber zeigten schon die Diskussionen und Korrespondenzen, die der Vorbereitung des Colloquiums dienten, als auch das Colloquium selbst, daß dieser Ansatz noch intensiver weiterer Klärung bedarf. Nach dem ihnen vorgegebenen Forschungsstand, aber auch im Hinblick auf die exemplarische Natur der meisten Themen konnten weder die Referate noch die Diskussionen die durchgehenden Linien einer solchen Klärung, wie sie sich bei der Vorbereitung und noch mehr im Verlaufe des Colloquiums abzeichneten oder zumindest andeuteten, zusammenhängend darstellen. Deshalb ist es das Bemühen dieser Einleitung, diese Linien festzuhalten (s. vor allem unten 11.). So möge einerseits der Rahmen, in dem die Referate und Diskussionen zu sehen sind, deutlicher werden. Andererseits aber soll so der weiteren systematischen Vertiefung und Nutzung dieses Ansatzes der Weg bereitet werden. Die Diskussionen stießen immer wieder auch darauf, wie stark horizontaler Rechtsvergleich sich mit seinen Zusammenhängen und Zwecken auch hinsichtlich seiner Gegenstände und Methoden wandelt2 2 • War die Vermutung zunächst vor allem die, daß die Beziehung horizontalen Rechtsvergleichs zu Recht "höheren" Ranges - und also die Begegnung mit vertikalem Rechtsvergleich dem horizontalen Rechtsvergleich spezifische Züge gibt -, so zeigte sich gerade während des Colloquiums, wie sehr sich auch innerhalb dieses Rahmens noch die Konstellationen zu ändern vermögen. Auch darüber mehr Notizen festzuhalten, als es ihrem konkreten Auftrag nach die Diskussionsberichte tun können, ist der Zweck dieser Einleitung (s. insbes. unten III.). 22 s. dazu vor allem Leontin-Jean Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. I 1971, und Bd. 11, 1972 (im folgenden Constantinesco I bzw. Constantinesco 11), Bd. 11 S. 58 - 68 und S. 331 ff. (= Dritter Teil), insbes. S. 371 ff.

2 Sozialrechtsvergleich

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Endlich sollen emlge speziellere überlegungen zum internationalen und supranationalen Sozialrecht und seinem Verhältnis zu den nationalen Sozialrechten und ihrer Vergleichung (s. unten IV.) die Brücke zum eigentlichen Colloquiumsbericht schlagen. Daß es bei allem nur darum gehen kann, den bisherigen Stand dieser überlegungen festzuhalten, kann nicht nachdrücklich genug betont werden. Die Ansätze scheinen der weiteren Verfolgung wert zu sein; nicht weniger scheinen sie ihrer zu bedürfen.

11. Horizontaler und vertikaler Rechtsvergleich 1. Der weitere Sinn von "Rechtsvergleich" Wenn hier von horizontalem und vertikalem Rechtsvergleich die Rede ist, so ist offensichtlich, daß der Rahmen des Spezifischen, das Rechtsvergleichung im Zusammenhang mit dem Vergleich zwischen verschiedenen nationalen Rechten meint, überschritten wird. Vergleichung wird hier in einem allgemeineren Sinn verstanden23 als das Aneinander-Heranführen von vermutlich Vergleichbarem, als die Feststellung der Gleichheiten und Ungleichheiten, Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten und schließlich - je nach dem Sinnzusammenhang - als die Ermittlung der Relevanz von Gleichheit und Ungleichheit, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit. Und Rechtsvergleichung wird dabei überall dort für möglich gehalten, wo rechtliche Regelungen in diesem Sinn aneinander herangeführt werden - nicht nur, wo ein hinreichend gleiches Problem je in mehreren in sich geschlossenen Rechtsordnungen "parallel" vom Recht aufgegriffen und zu lösen versucht wird, sondern auch dort, wo ein gemeinsames Problem von Normen oder Normgruppen verschiedener, einander zugeordneter Schichtung (wie etwa zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht) angegangen wird. Entscheidend ist, daß Rechtsnormen vergleichend aneinander herangeführt werden24 • Entscheidend ist, daß es ein gemeinsames Problem gibt, dem sie zugeordnet sind, an Hand dessen sie vergleichbar sind25 • Daß Problem und rechtliche Regelung sich anders zueinander verhalten, wenn etwa eine Norm (z. B. naConstantinesco II, S. 30 f. Siehe in einem weiteren Zusammenhang Rechtsbildung und Rechtsanwendung als ein "Zueinander-in-Entsprechung-Bringen" von Normen und Sachverhalten Arthur Kaufmann, Analogie und "Natur der Sache", in: Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie im Wandel, 1973, S. 272 ff. 25 Siehe Constantinesco II, S. 100 ff. Siehe auch Konrad Zweigert und Heinz Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 2 Bde. (Bd. I 1971, Bd. II .1969) I S. 42 f. - Siehe zu einer entsprechenden Ausweitung des Begriffs der Rechtsvergleichung auch Hans Michael von Heinz, Entsprechungen und Abwandlungen des privaten Unfall- und Haftpflichtversicherungsrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung nach der Reichsversicherungsordnung, 1973, S. 163 f. m. w. Nachw. 23 24

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tionalen Rechts) ein Problem direkt und abschließend zu regeln hat, während eine andere Norm (z. B. des supranationalen Rechts) nur die Grundlinie für die Lösung des Programms vorgibt, als weIUl zwei Regelungen (z. B. beide des nationalen Rechts) das hier wie dort auftretende Problem angehen, und daß von diesen Unterschieden auch das Geschäft der vorrechtlichen Problemformulierung26 geprägt wird, steht außer Frage27 • Manchen wird erschrecken, daß in diesem Sinn auch Phänomene wie die Normenkontrolle, die primär als Subsumtion begriffen werden, als Rechtsvergleichung verstanden werden. Doch sei dazu betont, daß die jeweilige spezifische Eigenart dieser "vertikalen" Beziehungsvorgänge nicht in Zweifel gezogen werden soll. Hier geht es primär darum, sie auch in diesem anderen Zusammenhang zu sehen und zu verstehen. Wie das auf die Interpretation des einzelnen Phänomens zurückwirkt, kann und braucht hier nicht weiterverfolgt zu werden. 2. Zum spezifischen sozialrechtlichen Anlaß, "Rechtsvergleich" mehrdimensional zu denken

Vielleicht ist es nützlich, ein Beispiel dafür zu geben, wie der Gedanke eines solchen weiteren Rechtsvergleichs in multiplen Zusammenhängen zustande kommen kann und warum er sich gerade für das Sozialrecht aufdrängt. Das Sozialrecht kennt - wie oben schon bemerkt28 - viele internationale Konventionen, die Standards nationalen Sozialrechts festsetzen und sie durch Kontrollverfahren sanktionieren29 • Die wichtigsten Beispiele sind die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und die Konventionen des Europarates3o• Auf Grund von Berichten prüfen Experten und schließlich politische Gremien, ob die Standards vom nationalen Recht auch eingehalten werden. Diese Anwendung internationalen Rechts auf die nationalen Rechtsordnungen erinnert an die Anwendung höherrangigen Rechts auf niederrangiges Recht, wie sie auch iIUlerhalb der nationalen Rechtsordnungen bekaIUlt ist: Verfassungsrecht auf Gesetzesrecht, Bundesrecht auf Landesrecht usw. Rechte verschiedener Ebenen werden aneinander herangeführt, Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung werden geprüft, und die Relevanz von Nichtübereinstimmungen steht zur Entscheidung. Schon bei der Vorbereitung solcher Konventionen wird aber ein ähnlicher Denkvorgang notwendig sein. Dabei ist ein Verhältnis zu den 26 27 28

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s. dazu Hans F. Zacher, Vorfragen (Anm. 4), S. 41 ff. s. dazu unten S. 23 f., 28 f., 31 f., 36 f. s. oben S. 16. Siehe die Texte bei Zacher, Internationales und Europäisches Sozialrecht

(Anm.12).

30 s. dazu noch einmal van der Yen (Anm. 20) und unten Johannes Schregle, S. 133 ff. und Siegfried Nagel, S. 161 ff.



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nationalen Rechten herzustellen, die ja entweder garantiert oder verändert werden sollen. Die nationalen Rechte sind also zu dem Projekt des nationalen Rechts, das die Konvention darstellt, in Beziehung zu setzen - mit ihm zu vergleichen. Dabei bleibt die Rechtsvergleichung in der herkömmlichen Dimension des Vergleichs nationaler Rechte erhalten. Sie gewinnt jedoch neue Aufgaben und Bezugspunkte. Bei der Vorbereitung der Konventionen ist diese Rechtsvergleichung notwendig, um die Relation des Projekts zu der Gesamtheit der potentiell zu betreffenden Rechtsordnungen, zu ihren Gemeinsamkeiten und Eigenarten, zu ihren Wesentlichkeiten und Unwesentlichkeiten herzustellenll1 • Dies wiederholt sich bei der Anwendung der Konventionen (die mehr oder weniger ja immer ein neues Stück konkreter Vertragsschöpfung ist)32. Dazu kommt für die Anwendung aber auch der Aspekt der Gleichheit der Handhabung gegenüber mehreren betroffenen Staaten. Er gibt der Rechtsvergleichung einen spezifischen Sinn und Auftrag. Ist Rechtsanwendung ein Denken in Konsequenzen, so erfordert die Anwendung internationaler Konventionen nicht zuletzt, daß bei der Anwendung einer Konvention auf ein Land bedacht wird, was die Konsequenzen für andere Länder sein werden33• Schließlich aber bleibt die "reine" Rechtsvergleichung in diesen Gesamtvorgang auch insofern einbezogen, als die Einmischung des internationalen Rechts in das nationale ein Faktor der Gemeinsamkeit für die betroffenen nationalen Rechte ist, bei deren Vergleich untereinander also ebensowenig vergessen werden darf wie bei ihrem Vergleich mit nicht einbezogenen Rechtsordnungen. Von hierher bietet sich das Denken in einem Dreieck an, dessen Grundlinie die Dimension der betroffenen nationalen Rechte und ihrer Vergleichung symbolisiert, während der Scheitelpunkt für die gemeinsame internationale Konvention und die Verbindungslinien zwischen ihm und der Grundlinie für den" Vergleich" zwischen nationalem und internationalem Recht stehen. Und weiter bietet es sich an, letztere Dimension als die "vertikale", erstere als die "horizontale" zu bezeichnen. Verläßt man freilich den Rahmen des Beispiels, so zeigen sich auch die Grenzen der Leistungsfähigkeit dieser Bildvorstellung und also auch ihre Bedenklichkeiten. 31 Constantinesco 11, S. 380 ff. Siehe zur Rechtsvergleichung im Dienst internationaler Gesetzgebung auch Hans G. Ficker, Zur internationalen Gesetzgebung, in: Vom deutschen zum .europäischen Recht, Festschrift für Hans Dölle, Bd. 11, 1963, S. 35 ff. 32 Siehe Constantinesco 11, S. 388 ff. Zur Exemplifikation siehe noch einmal die in Anm. 30 Zitierten und die Diskussionsberichte zu deren Referaten. 33 s. zum Vorigen die eindringlichen Beispiele bei Hermann Mosler, Rechtsvergleichung vor völkerrechtlichen Gerichten, Internationale Festschrift für Alfred Verdross, 1971, S. 381 ff.

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3. Zum "vertikalen" Rechtsvergleich

a) Zur Maßgeblichkeit höheren Rechts Vertikal meint ein Oben und Unten, hier also eine Hierarchie. Vertikal meint so in bezug auf zwei oder mehrere gleichzeitig34 bestehende Rechtsordnungen (Rechtsnormen) zugunsten der "oberen" eine Maßgeblichkeit, einen Geltungsanspruch, eine Verbindlichkeit oder eine Vorwegnahme. Wir finden eine solche Relation etwa zwischen -

Gesetzesrecht / Verordnungs- und Satzungsrecht Verfassungsrecht / Gesetzesrecht Bundesrecht / Landesrecht Supranationalem Recht / Mitgliedstaatenrecht Völkerrecht / nationalem Recht.

Lassen wir zunächst einmal- absichtsvoll: um die Voreingenommenheit gegenüber den übergreifenden Kategorien gering zu halten - die wichtige Zäsur beiseite, die zwischen innerstaatlichem und überstaatlichem Recht liegt35, so bleiben doch vor allem drei Unterscheidungen zu bedenken, die der Masse vertikaler Rechtsnorm-Beziehungen Gestalt geben und auch ihr Verhältnis zur horizontalen Rechtsvergleichung bestimmen: gleicher oder unterschiedlicher Geltungsbereich (1), Funktionsgleichheit oder Funktionsteilung (2) und Weise und Intensität der Maßgeblichkeit (3). (1) Zunächst zur Alternative: gleicher oder unterschiedlicher Geltungs-

bereich.

-

-

Vertikaler Rechtsvergleich kann Rechtsebenen vor sich haben, die sich nur durch Geltungsweise und Geltungsrichtung (meist artikuliert als "Rang") unterscheiden (Beispiel: Verfassungsrecht / Gesetzesrecht im Einheitsstaat). Die vertikale Dimension ist hier isoliert. Die horizontale Dimension fehlt. Vertikaler Rechtsvergleich kann Rechtsebenen vor sich haben, die sich durch den (meist) territorial oder personal partikularen oder den jeweils umfassenderen Geltungsbereich unterscheiden (Beispiel: Bun-

34 Maßgeblich ist im Verhältnis verschiedener Rechtsnormen zueinander auch in der zeitlichen Dimension denkbar: lex posterior derogat legi priori. (Hier zeigt sich einmal mehr, daß Rechtsgeschichte Rechtsvergleich in der zeitlichen Dimension ist). In der bisherigen Literatur wird eigentümlicherweise der Terminus "vertikale Rechtsvergleichung", soweit ersichtlich, speziell in dieser historischen Dimension verwendet. Siehe dazu Constantinesco II, S. 5lf.; Zweigert / Kötz (Anm. 25), S. 21. Diese Hierarchie kraft zeitlicher Folge muß hier aber außer Betracht bleiben. - Zur Zeitdimension im Sozialrechtsvergleich s. a. Methodische Probleme S. 30 ]l., 60 f., 70 ff. 35 s. U. S. 2-8 ff.

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desrecht / Landesrecht). Die Möglichkeit der Begegnung vertikaler und horizontaler Rechtsvergleichung zeigt sich hier an. (2) Sodann zur Unterscheidung: FunktionsgZeichheit oder Funktionsteilung. -

-

Vertikaler Rechtsvergleich kann Rechtsebenen vor sich haben, die einander in der Regelung eines Gegenstandes ausschließen. Was in der einen Ebene geregelt ist, kann dann in der anderen nicht auch sicher nicht abweichend, allenfalls also durch reine Rezeption der Regelung der anderen Ebene - geregelt sein (Beispiel: "Bundesrecht bricht Landesrecht"). Vertikaler Rechtsvergleich bedeutet in diesem Fall in der Regel, darüber zu befinden, ob zwei einander ausschließende Regelungen vorliegen, von denen die nachrangige dann ungültig wäre oder sonstwie weichen müßte. Diese Verkümmerung der vertikalen Rechtsvergleiche läßt den Fall auch für die Begegnung von horizontalem und vertikalem Rechtsvergleich als einen Grenzfall erkennen. Sehr viel häufiger bedeutet vertikale Rechtsbeziehung aber, daß von mehreren Rechtsebenen eine die unmittelbare Regelung eines Gegenstandes (etwa der sozialen Sicherheit) übernimmt, eine andere aber bestimmte Inhalte programmatisch vorgibt (z. B. multilaterale Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation oder des Europarates oder auch bilaterale Sozialversicherungsabkommen) oder auch verbietet (z. B. Diskriminierungsverbote des nationalen Verfassungsrechts, der Grundrechtskonventionen des Europarates oder der Vereinten Nl\tionen oder auch des supranationalen europäischen Rechts). Die höhere Ebene hat dann einen vorordnenden Charakter (besonders typisch etwa EG-Richtlinien). Dieses Zusammenwirken kann aber auch darin bestehen, daß das höhere Recht einen direkt geltenden Rahmen steckt, der von dem niedrigeren Recht zu einer insgesamt funktionsfähigen Regelung ergänzt wird, so daß dem höheren Recht vorordnender und ordnender Charakter zugleich zukommt (Hauptbeispiel: Rahmenrecht des Bundes, das selbst unmittelbar gilt und nicht nur für den Landesgesetzgeber). Für alle diese Fälle ist eine - im einzelnen sehr unterschiedlich strukturierte - Arbeitsteilung der verschiedenen Rechtsebenen zu beobachten, auf die noch zurückzukommen ist3 6• Sie bezieht sich auf die Bewältigung des gemeinsamen Problems, das die Möglichkeit und Notwendigkeit dann auch des Rechtsvergleichs konstituiert.

(3) Die Vielfalt der Rechtstechniken der MaßgebZichkeit der höheren Norm für die niedrigeren Normen ist wohl unerschöpflich. 36 S.

u. 8. 23 f. und S. 30 ff.

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-

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Die Vereinbarkeit mit dem höheren Recht kann für das niedrigere positive (Ermächtigung) oder negative Geltungsbedingung (mit der Sanktion der Nichtigkeit oder der Vernichtbarkeit, Anfechtbarkeit usw.) oder (obligatorische) Verpflichtung sein, die mit allgemeinen oder spezifisch gestalteten Sanktionsmechanismen des Völkerrechts, des supranationalen Rechts oder des staatlichen Rechts mittels gerichtlicher Rechtsbehelfe oder einseitig (z. B. staats- und verwaltungsrechtlich etwa im Wege der Aufsicht oder vertrags- oder allgemein völkerrechtlich etwa im Wege der Vergeltung) durchgesetzt wird, ohne daß die Verletzung schon die Geltung beeinträchtigte. Möglich ist auch, daß mehr oder minder nur eine prozessuale Rechenschaftspflicht oder die Feststellung der Pflichtverletzung und deren "moralische" Wirkung vorgesehen ist (wie etwa im Kontrollverfahren zur Europäischen Sozialcharta). Alle diese Zusammenhänge implizieren vertikalen Rechtsvergleich. Nicht auszuschließen ist, daß das "höhere Recht" nur deklaratorische Bedeutung hat (wie etwa Verfassung in autoritären oder auch radikal mehrheits-demokratischen Staaten, denen die juristisch wirksame Selbstbindung an ein Verfassungsrecht hinderlich ist, die aber gleichwohl Leitlinien für Politik und Recht deklarieren wollen; ähnlich auch die Funktion internationaler Proklamationen, wie zuletzt spektakulär etwa das Abkommen von Helsinki). Doch kann sein, daß das Aneinander-Heranführen von solchen Texten und Rechtsnormen dem Rechtsvergleich vollends unähnlich ist.

Vielfältig sind sodann die Möglichkeiten in Hinsicht darauf, wer die Nichtübereinstimmung geltend machen kann (z. B. nur Vertragspartner oder jedermann) und wer über sie zu entscheiden hat (z. B. die besonderen Kontrollorgane der Internationalen Arbeitsorganisation zur Durchsetzung ihrer Konventionen und des Europarates zur Durchsetzung der Europäischen Sozialcharta; oder das Verwerfungsmonopol des Bundes'verfassungsgerichts nach Art. 100 des Grundgesetzes). Dies zu systematisieren, ist hier nicht der Ort. Es geht nur darum, die Vielfalt der Zusammenhänge zu demonstrieren, in denen "vertikaler" Rechtsvergleich geboten sein kann. b) Die Gemeinsamkeit des Gegenstandes

Alle diese Fälle setzen ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit des Gegenstandes von "höherem" und "niedrigerem" Recht voraus. Vielfältig aber ist die Weise, auf die sie sich in die Bewältigung dieses gemeinsamen Gegenstandes teilen. Die Unterscheidung zwischen der "toten Alternative" der Ausschließlichkeit und der "vitalen Alternative" der Funktionsteilung wurde schon genannt. Und die vielfältigen Möglichkeiten eben dieser Funktionsteilung wurden schon angedeutet. Zu betonen ist

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aber noch eine Unterscheidung, die hier mit den Vokabeln von "Idealteilung" und "Realteilung" des gemeinsamen Gegenstandes artikuliert werden soll. Vorordnung durch Programme, Prinzipien usw. kann als "Idealteilung" betrachtet werden. Das "höhere" Recht regelt grundsätzlich und distanzi.ert, das "niedrigere" detailliert und definitiv, aber doch nach "oben" gebunden. Ihr Terrain aber ist dasselbe. Der letzte Satz freilich ist der Erläuterung bedürftig. Er gilt uneingeschränkt, wo etwa Programm und definitive Regelung beide "Feldcharakter" haben und sich darin decken: etwa internationale und nationale Regelungen über Krankenversicherung. Das gemeinsame Terrain hat dagegen im Verhältnis zu den Regelungsbereichen der beiden vertikal zueinander stehenden Instrumente Ausschnittscharakter, wenn etwa eine internationale Regelung über Wanderarbeitnehmer auf den Status eines Wanderarbeitnehmers im nationalen Krankenversicherungsrecht anzuwenden ist. Das gemeinsame Terrain ist der überschneidungs bereich der Krankenversicherung für Wanderarbeitnehmer. Und das gemeinsame Terrain schrumpft auf ein Minimum, wenn sehr prinzipielle internationale Garantien, wie etwa Menschenrechte, auf nationales Sachrecht anzuwenden sind. Der gemeinsame Gegenstand einer internationalen Garantie der körperlichen Unversehrtheit und des nationalen Krankenversicherungsrechts ist dann etwa die Sicherung der körperlichen Unversehrtheit im Krankenversicherungsrecht. "Realteilung" dagegen kann so aussehen, daß beide Rechtsschichten gleichermaßen detailliert und definitiv regeln und zwar getrennte Gegenstände, die aber so ineinander verklammert sind, daß sie zusammen einen einheitlichen Gegenstand bilden. Dann ist es zumeist auch der Zweck des Systems, daß die Befugnis des "höheren" Rechts, gewisse Gegenstände zu regeln, auf die Befugnis des "niedrigeren" Rechts, den "Rest" zu regeln, steuernd ausstrahlt. Dieses Phänomen hier hervorzuheben, besteht deshalb Anlaß, weil nicht selten "höheres" internationales oder supranationales Sozialrecht darauf reduziert ist, die Begegnung der "niedrigeren" nationalen Sozialrechte zu kontrollieren und die Durchlässigkeit der nationalen Systeme zu gewährleisten. Das geschieht vor allem durch Kollisionsrecht. In dem Maße, in dem das "höhere" Recht damit dem "niedrigeren" nationalen Sozialrecht rechtlich Verbindliches oder auch faktisch Zwingendes für die Gestaltung des nationalen Rechts vorgibt und vorgeben darf und soll, induziert das einen gemeinsamen Gegenstand beider Rechtsschichten. c) "Vertikalität" im weiteren Sinne

Gemeinsamkeit des Gegenstandes und Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts für das nachgeordnete in bezug auf den gemeinsamen Gegenstand

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konstituieren das Wesentliche der vertikalen Dimension. Vertikalität ist nun auch in einem allgemeineren Sinn denkbar. Das Vorstellungsbild vertikaler Anordnung von Rechtsebenen ist auch dann berechtigt, wenn eine Rechtsebene fürdie andere überhaupt - in bezug auf gewisse Gegenstände oder jedenfalls das Rechtssubjekt der anderen Ebene - maßgeblich sein kann (in diesem Sinne kann etwa Völkerrecht, das den Staat bindet, der die Gesetze erläßt, als das dem staatlichen Recht gegenüber genuin höhere Recht angesehen werden). Allgemeine hierarchische Vorstellungsbilder von einem Stufenaufbau von Rechtsebenen 37 entsprechen meist einer solchen Vertikalität. Dies zu sehen, ist nicht nur von Interesse, weil Rechtsvergleich in dieser Relation nicht weniger stattfindet als in der engeren "Vertikalität" (so etwa wenn nationales Wasserrecht dazu dient, internationales zwischenstaatliches Wasserrecht zu bilden oder zu ergänzen38 , wenn nationale Dienst- und Sozialsicherungsrechte die Muster für das Dienst- und SozialsicherungsrechtinternationalerOrganisationen abgeben, oder wenn im Bundesstaat - ganz selbstverständlich - die Regelungsvorräte des Landesrechts auf das Bundesrecht abwandern oder umgekehrt). Dies zu sehen, ist vor allem auch aufschlußreich, weil es erlaubt, die Eigenart des im engeren Sinne "vertikalen" Rechtsvergleiches zu erkennen. Im engeren "vertikalen" Rechtsvergleich stehen die Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts für das "niedrigere" Recht, die Funktionsteilung der beiden Rechtsschichten untereinander und die Gemeinsamkeit des Gegenstandes zueinander in einem bedingenden Zusammenhang. Im weiteren "vertikalen Rechtsvergleich fehlt es mangels Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts für das "niedrigere" Recht an einer entsprechenden Funktionsteilung und also auch an der Gemeinsamkeit des Gegenstandes. Die beiden Rechtsschichten können verglichen werden kraft der Gleichheit des vorrechtlichen Problems3o, das aber hier nicht auch einen gemeinsamen Regelungsgegenstand abgibt. Sie können also verglichen werden wie sonst "Rechte" gleichen Ranges horizontal miteinander ver37 s. dazu etwa Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. 1948, S. 30 ff., insbes. S. 43 ff. s. für den Einbezug des Völkerrechts ergänzend Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auf!. 1960, S. 228 ff., 324 f.; Verdross / Simma (Anm. 14), S. 66 ff.; s. ferner auch Harold Valladäo, International and Internal Law, The Primacy of the Higher Juridical Order, in: Essays in Jurisprudence in Honor of Roscoe Pound, Indianapolis, New York, 1962, S. 580 ff. Zum Zusammenhang solcher Stufen-Vorstellungen mit dem Kollisionsrecht s. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich usw. (Anm. 5), S. 241 ff. (mit eingehendem weiteren Material zu den "Stufenlehren" selbst). Zu der Relevanz für die Rechtsvergleichung s. Constantinesco II, S. 122 ff., 203 ff. Für das europäische Recht s. a. Edgar Reiners, Die Normenhierarchie in der Europäischen Gemeinschaft, Jahrbuch des öffentlichen Rechts n. F. Bd. 23 (1974) S. 1 ff. 38 Siehe dazu etwa Friedrich J. Berber, Die Rechtsquellen des internationalen Wassernutzungsrechts, 1955. 39 Siehe oben Anm. 25 und 26.

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glichen werden40 • Damit tritt aber gerade auch eine wesentliche Differenz des engeren "vertikalen" Rechtsvergleiches zum herkömmlichen "horizontalen" Rechtsvergleich hervor: die überschreitung der Schwelle von der Gemeinsamkeit eines vorrechtlichen Problems, die aller Rechtsvergleich voraussetzt, zu der Gemeinsamkeit eines Regelungsgegenstandes. 4. Zum "horizontalen" Rechtsvergleich

Horizontaler Rechtsvergleich also bezieht sich auf mehrere Rechte (generell) gleichartiger oder doch (speziell) analoger Funktion, die sich in keinem Verhältnis vorgegebener Maßgeblichkeit des einen Rechts für das andere befinden, z. B. -

das "normale" staatliche, die Lebensverhältnisse regelnde Recht (Gesetzesrecht, Verordnungsrecht, Richterrecht usw.) verschiedener Länder 41 völkerrechtliche Verträge verschiedener Partner Völkerrecht verschiedener internationaler Organisationen42

-

und apriori komplizierter: supranationales Recht und funktions gleiches Recht von Nichtmitgliedstaaten.

Diese Beispiele gehen davon aus, daß der Unterschied zwischen den zu vergleichenden "Rechten" vor allem dadurch konstituiert wird, daß die Vergleichsobjekte in jeweils verschiedenen Rechtsordnungen angesiedelt - d. h. verschiedenen Rechtsordnungssubjekten (Staaten, autonomen Rechtssetzungsträgern, Vertragspartnern usw.) zuzurechnen sind. Im Blick auf den im engeren Sinne vertikalen Rechtsvergleich sind hier zwei Klärungen anzubringen. Die eine betrifft den Makrovergleich. Siehe außerdem unmittelbar folg~md unten 4. Im nationalen Rahmen auch: - Landesrecht verschiedener Gliedstaaten - statutarisches Recht (Satzungsrecht) verschiedener Körperschaften oder Anstalten. Möglicherweise kann ein solcher Vergleich auch wieder den nationalen Rahmen verlassen (z. B. Vergleich deutschen und österreichischen Landesrechts, schweizerischen kantonalen Rechts usw. oder Vergleich deutschen und schweizerischen kommunalen Satzungsrechts). Dieser gerade auch im Sozialrecht interessante Bereich (kommunales Recht vor allem im Fürsorgebereich, Statuten von Sozialversicherungsträgern) muß im folgenden vernachlässigt werden, um den Gedankengang nicht durch Komplikationen und die Gefahr irre!ührender Assoziationen zu erschweren. 42 Insbesondere z. B. bei unterschiedlichem regionalem Zuschnitt (z. B. UNoder IAO-Recht einerseitslEuroparecht andererseits) oder bei funktionaler Differenz (etwa zwischen WHO und IAO). 40

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Horizontaler Rechtsvergleich wird bekanntlich als Mikrovergleich oder als Makrovergleich für möglich gehalten 4ll • Vertikaler Rechtsvergleich dagegen ist als Makrovergleich wohl undenkbar. Das ergibt sich aus der Alternative zwischen dem Verhältnis von Ausschließlichkeit und dem Verhältnis von arbeitsteiligem Zusammenwirken, in dem vertikal einander zugeordnete Regelungen zueinander stehen können. Keines von beidem verträgt sich mit der Parallelität, in der "makro" miteinander verglichene Rechtsordnungen nebeneinander existieren müssen. Die andere Klärung betrifft eben den Mikrovergleich. Er vollzieht sich gemeinhin, indem die Lösungen des gleichen Problems in verschiedenen Rechtsordnungen miteinander verglichen werden. Der Offenheit, mit der Vokabel und Denkvorstellung des "Vergleichs" herangezogen wurden, um vom "vertikalen Rechtsvergleich" zu reden, entspricht es nun aber, auch für den horizontalen Vergleich die Kategorien ProblemRechtsordnung - Lösung weiter zu "zerlegen"". Um den Rahmen eines Rechtsvergleichs abzugeben, müssen Rechtsordnungen nicht den Grad an Eigenständigkeit und Vollständigkeit haben, der nationale Rechtsordnungen auszeichnet. Das notwendige Minimum ist, daß das die "Rechtsordnung" tragende Subjekt (oder: die die "Rechtsordnung" tragenden Subjekte) oder die Gegenstände oder beides sich unterscheiden. Für den Mikrovergleich unerläßlich ist nur, daß innerhalb dieser "Rechtsordnungen" ein engeres Element ausgemacht werden kann, das eine Lösung für ein den mehreren "Rechtsordnungen" gemeinsames Problem darstellt. Um einige extreme Beispiele zu geben: (1) Zwei zwischen verschiedenen Vertragsparteien (Verschiedenheit der Subjekte!) geschlossene Mietverträge können verschiedene "Rechtsordnungen" darstellen, die daraufhin verglichen werden können, in welcher Weise sie das Problem der Haftung für Mitbenutzer der Mietsache gelöst haben; (2) selbst zwei zwischen den gleichen Vertragsparteien geschlossene Verträge über das Urheberrecht an zwei verschiedenen Büchern (Verschiedenheit des Gegenstandes!) können daraufhin verglichen werden, in welcher Weise sie die Beendigung des Vertrags geregelt haben45 • Für die überlegungen hier ist dies vor allem wichtig, um etwa auch den Vergleich von völkerrechtlichen Verträgen (z. B. Sozialversicherungsabkommen) untereinander, den Vergleich verschiedener Instrumente internationaler Organisationen", den Vergleich von partiku43 s. etwa Max Rheinstein, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1974, S. 31 ff. 44 s. allgemein hierzu Constantinesco H, Erster Teil, H. Kapitel (S. 277 ff). 45 s. noch einmal von Heinz (Anm. 25). 48 Siehe demgegenüber Hans Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, aus der Sicht eines Richters, in: Gerichtshof

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laren Gesetzen, Statuten usw. innerhalb eines nationalen Rechts oder dergleichen Vergleiche einbeziehen zu können. Im Lichte vorordnenden, höheren Rechts und somit in der Dreiecksbeziehung von vertikalem und horizontalem Rechtsvergleich, aber auch wegen der praktischen Unschärfe der Grenzen zwischen engerem und weiterem vertikalem Vergleich sowie zwischen weiterem vertikalem und horizontalem Vergleich ist die Offenheit gerade auch für solche Vergleichszusammenhänge von Bedeutung. 5. Dimensionen von Nähe und Distanz als analoge Probleme des horizontalen und des vertikalen Rechtsvergleichs

Diese Kriterien von Nähe und Entfernung der Vergleichsgegenstände, die Rechtsvergleichung immer in Rechnung zu stellen hat47 , sind nicht eindeutig jeweils horizontalen oder vertikalen Vergleichszusammenhängen zugeordnet. Vielmehr zeichnen sich gerade hier konkrete Gemeinsamkeiten zwischen vertikalen und horizontalen Rechtsvergleichen ab. Sie können das Begegnungsfeld von horizontaler UIl!d vertikaler Rechtsvergleichung im konkreten Zusammenhang in besonderer Weise herausheben. Das will heißen: die Einheit, die sie zwischen den implizierten Vorgängen horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung stiften, kann wirksamer sein als die Gemeinsamkeit, die sie mit jeweils "artgleichen" Vorgängen horizontaler oder vertikaler Rechtsvergleichung verbindet. So gibt vor allem die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen staatlichen Rechtsordnung dem Vergleich Bundesrecht / Landesrecht, dem Vergleich der Landesrechte untereinander und schließlich dem Dreieck, in das beide Vergleiche gefügt werden können, eine gemeinsame Qualität; so wie das Verlassen einer gemeinsamen staatlichen Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften, Begegnung von Justiz und Hochschule, 27. bis 28. September 1976, 1976, I - 24: "Man hat von rechtsvergleichender Auslegung gelegentlich auch dann gesprochen, wenn zur Interpretation der Bestimmungen eines Vertrages die Vorschriften der anderen Verträge herangezogen worden sind. Dies ist nicht berechtigt. Das Gemeinschaftsrecht ist, obwohl es auf mehreren Verträgen beruht - die jedoch einheitliche Organe vorsehen -, als Einheit, als Recht der Europäischen Gemeinschaft zu verstehen. Der Grundsatz der Einheit des Gemeinschaftsrechts, das die Abwesenheit von Widersprüchen innerhalb dieser Einheit fordert, gebietet eine harmonisierende Auslegung der drei Verträge". Kutschers These impliziert die Möglichkeit eines Vergleichs zwischen mehreren Verträgen unter den gleichen Subjekten. Nur sieht ihn Kutscher "vertikal" überlagert durch das Verbot von Widersprüchen. Das erscheint zu allgemein. Neben notwendiger Übereinstimmung sind auch zulässige Unterschiede zwischen den Verträgen denkbar, ja wohl auch notwendig. Und auch insofern kann Vergleich zulässig und für die Auslegung nützlich sein. 47 Siehe dazu etwa den Abschnitt "Die Vergleichbarkeit der zu vergleichenden Elemente" in: Constantinesco H, S. 68 ff.

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sowohl dem Vergleich Völkerrecht / nationales Recht als auch dem Vergleich mehrerer nationaler Rechte eine andere - gerade durch diese Distanz geprägte international oder transnational zu nennende - gemeinsame Qualität gibt. Auch der Gegenstand liefert Kriterien von Nähe und Distanz. So sind etwa völkerrechtliche Verträge und innerstaatliche Gesetze, die sich auf das Sozialversicherungsrecht beziehen, durch diese Gemeinsamkeit des Gegenstandes präsumptiv weiterreichend und intensiver vergleichbar als völkerrechtliche Verträge über Sozialversicherung mit völkerrechtlichen Verträgen über Besteuerung oder sozialversicherungsrechtliche Gesetze mit Steuergesetzen. Besonders nahe liegt das Beispiel der Verwandtschaft von völkerrechtlichen Verträgen über Kollisionsrecht mit sachlich entsprechendem nationalem Kollisionsrecht. Andere Kategorien von Nähe und Distanz der zu vergleichenden Rechtsordnungen oder Regelungen können Eigenarten des Geltungsbereiches sein: Gemeinsamkeit der betroffenen Personenkreise, regionale Gemeinsamkeiten (auch im Völkerrecht z. B. die Gemeinsamkeiten der Weltregionen, insbesondere der europäischen), oder institutionelle Parallelen (etwa zwischen Sozialversicherungsträgern oder Gerichtsbarkeiten). Endlich ist das Meer der Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten, Verwandtschaften oder Unterschiede in der rechtlichen, gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen oder technischen Ambiance48 , wie sie für den Rechtsvergleich zum Teil auch als Stilmerkmale des Rechts begriffen werden49 , zu nennen - die freilich mit Gegenstand und Geltungsbereich eng zusammenhängen. Auch und gerade diese Stilelemente haben ihren Sinn nicht nur für den horizontalen Rechtsvergleich, für den sie zunächst konzipiert wurden, sondern auch für den vertikalen Rechtsvergleich. Gleichheit und Ungleichheit, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit der Vergleichsgegenstände sind in der Regel das Produkt vieler Faktoren. Unter ihnen kommt im einzelnen Vergleichszusammenhang aber möglicherweise einem oder mehreren dominierende Bedeutung zu. Das gilt in horizontaler wie in vertikaler Richtung für Gleichheit, Ungleichheit, Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit des Gegenstandes und für die Zugehörigkeit entweder zu der umfassenden, dichten, differenzierten, wirkmächtigen und geschlossenen Ganzheit - desselben oder eines je anderen - staatlichen Rechts oder zu der sporadischen, in Dichte und Differenzierung unausgeglichenen, wirkschwachen und ergänzungsbedürftigen Sphäre des Völkerrechts. Jedenfalls aber gibt es typische Schwellen, an denen eine Reihe von Gemeinsamkeiten durch Verschiedenheiten ausgetauscht werden - oder umgekehrt: Verschiedenheiten durch Gemeinsamkeiten. 48 s. Constantinesco II, S. 106 ff., insbes. S. 109 ff.; s. speziell zum Sozialrechtsvergleich auch Zacher, Vorfragen usw. (Anm. 4), S. 33 ff. 49 Zweigert / Kötz (Anm. 25), Bd. 1.

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6. Spezifische Elemente der vertikalen Dimension

Die Skizze diente bisher dazu, die vertikale Rechtsvergleichung neben der vertrauten horizontalen Rechtsvergleichung zu identifizieren und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu umreißen. Nun erscheint es geboten, die Eigenart der vertikalen Rechtsvergleichung - im Rahmen des hier und jetzt Möglichen - noch etwas zu verdeutlichen.

a) Maßgeblichkeit und funktionale Verklammerung als spezifische Vorgabe vertikaler Rechtsvergleichung Oben wurde gesagt, daß sich die - im engeren, eigentlichen Sinn vertikale Dimension durch die Maßgeblichkeit eines Rechts für das andere auszeichnet - eine Maßgeblichkeit, deren Abwesenheit andererseits die horizontale Dimension konstituiert. Hat diese Maßgeblichkeit den Charakter der Ausschließlichkeit50, so führt Rechtsvergleich nur zur Feststellung, welche von mehreren Regelungen gelten kann oder darf. "Normale" Rechtsvergleichung aber richtet sich auf den Vergleich nebeneinander existierender, nicht einander verdrängender Rechte. Nur der Vergleich vertikal in Funktionsteilung zusammenwirkender Rechte 51 ist also im engeren Sinne analog zum üblichen horizontalen Rechtsvergleich. aa) Insbesondere zur funktionalen Verklammerung Diese Funktionsteilung zweier "Rechte" bei Maßgeblichkeit des einen "Rechts" für das andere "Recht" kann im Zusammenhang dieser Überlegungen am zweckmäßigsten typisiert werden wie folgt. Die "obere" Regelung kann sein:

-

unmittelbar verbindliche Sachregelung: wie die Regelung (z. B. kollisionsrechtlicher Fragen) durch unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Verträge, die im Zusammenhang nationalen Rechts wirken, diesem aber vorgehen und es binden; oder wie bundesrechtliche Regelungen, die vom Landesrecht auch dann zu respektieren sind, wenn sie sich erst zusammen mit Landesrecht zu einer "vollen" Regelung fügen (sei es, daß Bundesrecht - wie z. B. in der Sozialhilfe - im Sinne von Bundesrecht als Regel und Landesrecht als Ausnahme Einzelfragen für ergänzendes Landesrecht ausspart; sei es, daß Bundesrecht einen Rahmen steckt, der mit ergänzendem Landesrecht zusammen eine funktionsfähige Regelung bildet; sei es, daß Bundesrecht und Landesrecht einander berührender Gegenstände ineinan50

s. o. S. 22.

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s.

O.

S. 22.

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-

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dergreifen; wobei diese Beispiele im Verhältnis von europäischem Vorordnungsrecht und nationalem Recht der Mitgliedstaaten analog gebildet werden können); prinzipielle Regelung, die sich primär an "untere" Rechtssetzungssubjekte wendet und deshalb nie in gleicher Weise definitiv sein kann wie eine Sachregelung: wie der Erlaß supranationaler Richtlinien, an welche die nationalen Rechte gebunden sind; der Erlaß von Bundesrahmenrecht, das seinen Gegenstand nicht unmittelbar, sondern nur durch Vorgaben an den Landesgesetzgeber regelt52 ; oder auch wieauf wesentlich andere Weise - die Geltung von Grundrechten gegenüber dem differenzierten Gesetzesrecht;

programmatische Regelung, die stärker als die prinzipielle Regelung den Vorbehalt der Verwirklichung und ihre Eigengesetzlichkeit in sich trägt: wie die Festsetzung sozialrechtlicher Standards durch ILOübereinkommen oder Europaratskonventionen; oder wie Zusagen in völkerrechtlichen Verträgen, die durch nationales Recht erfüllt werden müssen; oder auch wie programmatische Verfassungsaufträge im Verhältnis zum Gesetzesrecht; Ermächtigung, die sich durch die Stringenz der Geltungsbedingung der Ermächtigung für derivatives Recht und die potentielle Minimalität der Sachaussage auszeichnet: wie weithin die Ermächtigung des Gesetzesrechts zu autonomem Satzungsrecht5ll •

Dabei sind übergänge und Kombinationen zwischen diesen Typen denkbar und verbreitet54• Diesem Verhältnis entspricht es, daß die vertikal zu vergleichenden Regelungen nie in gleicher Weise ähnlich sind wie etwa Regelungen 52 Ein Beispiel sind die in Kanada üblichen Sozialgesetze auf Gebieten, auf denen dem Bund die Gesetzgebungsfähigkeit fehlt. Der Bund erläßt in diesen Fällen ein Gesetz über die Regelung, die er bezuschußt - der Kompetenz nach also ein Finanzgesetz, der Sache nach aber überwiegend ein Sozialgesetz. Die bundesrechtlichen Modelle sind dabei ziemlich detailliert, wenn nicht erschöpfend. Und den Provinzen bleibt, wenn sie nicht den Bundeszuschuß einbüßen wollen, mehr oder minder nur die Ubernahme. 53 Es versteht sich, daß diese Erscheinung sich innerhalb der staatlichen Rechtsordnung und ihrer Normenhierarchie findet; denn nur hier ist die lineare Ableitung des "unteren" Rechts von den Ermächtigungen des "oberen" Rechts denkbar. 54 Nicht einheitlich einzuordnen in diese Kategorie ist das, was Jan Kropholler als "Internationales Einheitsrecht" beschreibt. Wesentlich ist diesem Einheitsrecht zwar die unmittelbare Sachregelung. Und somit stimmt es weitgehend mit dem überein, was hier mit der ersten Kategorie gemeint ist. Aber da für Kropholler die Einheitlichkeit Vorrang hat, genügt ihm auch übereinstimmung ohne Verbindlichkeit (Beispiel: Paralleles nationales Recht s. insbes. S. 105 ff.). Andererseits sind auch prinzipielle und programmatische Vorgaben nicht vollends ausgeschlossen (s. z. B. S. 291 f.). Jedoch hat gerade wegen dieser Offenheit Kropholler viele der hier interessierenden Probleme erörtert oder doch namhaft gemacht.

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gleicher Ebene (gleicher Maßgeblichkeit) des gleichen Gegenstandes (z. B. in verschiedenen nationalen Rechten)55. Haben die im herkömmlichen Sinn horizontal zu vergleichenden Regelungen den typischen Unterschied eines gleichartigen, aber konkret anderen Gegenstandes in einer anderen (rechtlichen, eventuell auch gesellschaftlichen, politischen usw.) Umwelt, so haben die vertikal zu vergleichenden Regelungen einen typischen funktionalen Unterschied. Dieser kann der oben angenommenen Typik folgend sein: -

-

-

-

partikulare Vorgabe des maßgeblichen Rechts und komplementäre Anfügung des untergeordneten Rechts im Falle der unmitteLbar verbindlichen SachregeLung; prinzipielle und primär begrenzende Vorgabe des maßgeblichen Rechts und sachregelnde Differenzierung und Vollständigkeit des untergeordneten Rechts im Fall der prinzipieLLen SachregeLung; prinzipielle, aber verpflichtende und steuernde Vorgabe des maßgeblichen Rechts und sachregelnde Differenzierung und Vollständigkeit des erfüllenden untergeordneten Rechts im Fall der programmatischen SachregeLung; prinzipielle Vorgabe des maßgeblichen Rechts in einer Ermächtigung, durch deren Einhaltung der Auftrag des unmittelbar sachregelnden untergeordneten Rechts begrenzt ist. bb) Zu den Sanktionen der Maßgeblichkeit

Die Fülle der Gewährleistungen der übereinstimmung von maßgeblichem und untergeordnetem Recht kann hier ebenso wie die Fülle der Sanktionen, die mit der Nichtübereinstimmung von maßgeblichem und untergeordnetem Recht verbunden sind, nicht einmal typisierend skizziert werden 56 • Im Verhältnis von Völkerrecht zu nationalem Recht, von supranationalem zu mitgliedstaatlichem Recht, von Bundesrecht zu Landesrecht, von Verfassungsrecht zu einfachem Recht, von staatlichem Recht zu autonomem Recht, stellen sie sich im Grundsätzlichen ebenso wie in den gegenständlichen und funktionalen, nationalen, regionalen und historischen Besonderheiten überaus vielfältig dar. Gleichwohl sind gerade diese Mechanismen und ihre Unterschiede für den Sinnzusammenhang vertikaler Rechtsvergleichung nicht fortzudenken. Vertikale Rechtsvergleichung57 hat Gleichheit und Ähnlichkeit immer unter der a. nochmals oben S. 18 f., 21 ff. s. a. nochmals oben S. 22 f. 57 Der Klarstellung halber sei folgendes angemerkt: 1. "vertikale" Rechtsvergleichung ist hier immer im engeren Sinne der Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts zu verstehen. 2. Die Alternative der Ausschließlichkeit des "höheren" Rechts wird vernachlässigt. 55 'S. 56

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Voraussetzung dieser funktionalen Differenz zu verstehen. Ungleichheit und Unähnlichkeit aber haben darüber hinaus von der Prämisse der Maßgeblichkeit her immer eine spezifische Relevanz: der Ungültigkeit der nachgeordneten Norm, der Änderungspflicht des verantwortlichen Rechtssetzungsträgers; der Sanktionsbefugnisse derer, die für die Wahrung des maßgeblichen Rechts verantwortlich oder auf die Einhaltung des Rechts berechtigt sind, usw. Diese Relevanz fehlt dem Ausgang horizontaler Rechtsvergleichung. Diese Relevanz ist rechtstechnisch aber nicht darstellbar ohne prozessuale und organisatorische Ausformung und subjektive Zuordnung der Kompetenz, über sie zu befinden. Vertikale Rechtsvergleichung ist, wenn sowohl das "obere" als auch das "untere" Recht schon bestehen und nicht erst geschaffen werden sollen, im einzelnen auf die verschiedenste Weise direkt eingebunden in Rechtsanwendung. Horizontale Rechtsvergleichung dagegen ist in Rechtsanwendung nur mittelbar einbezogen58 • Vertikale Rechtsvergleichung ist so nicht nur methodisch in anderer Weise zugleich gebunden und gefordert. Zwangsläufig sind vielmehr auch die Unterschiede in den Zwecken und Zusammenhängen solcher Verfahren (richterliche, administrative oder politische Verfahren; hauptsächliche oder inzidente Entscheidungen; Verfahren im individuellen oder im öffentlichen Interesse usw.) und in den Subjekten der Verfahren und insbesondere der Entscheidungen (Richter, Politiker, Sachverständige usw.) auch Unterschiede der vertikalen Rechtsvergleichung. Dient vertikale Rechtsvergleichung der Schaffung neuen Rechts, so gilt dies freilich nicht unmittelbar. Immerhin hat die Gestaltung "oberen" Rechts zu kalkulieren, ob es die beabsichtigte Wirkung gegenüber dem vorgefundenen "unteren" Recht wird haben können (Primat der spezifischen Maßgeblichkeit bei Anpassung des materiellen Inhalts), mit welchem Anspruch es die beabsichtigten Inhalte gegenüber dem vorgefundenen "unteren" Recht ausstatten kann und soll (Primat der Inhalte bei Anpassung der Maßgeblichkeit) oder wie beides miteinander harmonisiert werden soll. Wird "unteres" Recht geschaffen, so ist - gleichsam in Vorwegnahme der Maßgeblichkeit und Anwendung des "oberen" Rechts - zu fragen, was die Vorgaben des "höheren" Rechts, die Spielräume des" unteren" Rechts und die Risiken ihrer Verflechtung sind. cc) Ergebnis: Abfolgen horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung Für die Begegnung von horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung sind von daher verschiedene Ablaufmodelle denkbar. Beginnt die 58

Siehe z. B. Zweigert I Kötz (Anm. 25), S. 16 ff.

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Geschichte der Begegnung mit der Nachfrage nach einer maßgeblichen "höheren" Norm, so gibt der horizontale Rechtsvergleich die Ausgangsbasis, indem er Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der zu koordinierenden Rechte ermittelt, die ihre Bedeutung und möglicherweise auch ihren Wert oder Unwert aufzeigt. Das ist die Grundlage, von der her zu entscheiden ist, inwieweit die bestehende Lage durch "höheres" Recht stabilisiert oder verändert werden soll. Entwurf und Rechtsbefehl der "höheren" Norm treten nicht nur in einen Vergleich zu jedem einzelnen der betroffenen "unteren Rechte". Sie treten in einen Vergleich auch zu der erfaßten, verstandenen und bewerteten Summe der betroffenen und untereinander zu vergleichenden Rechte. Die Anwendung der "höheren" Norm ist in gewissem Sinne immer ein erneuter Vollzug dieses Kreislaufes, da der Normwille der "höheren" Norm immer nur in Konfrontation mit den betroffenen "unteren" Rechten ermittelt werden kann. Geht man von der einzelnen "unteren" Rechtsordnung aus, so stellt sich die Frage zunächst nach dem Inhalt der "höheren" Norm. Die Nachfrage vom "unteren" Recht her wird sich im allgemeinen nur ergeben, wenn die "höhere" Norm schon erlassen ist. Doch die Frage nach dem Inhalt der "höheren" Norm ist auch wieder die Frage nach dem Inhalt der anderen betroffenen Rechte. Der vertikale Rechtsvergleich löst den horizontalen mit aus. Schließlich kann der Anfang eines Kreislaufmodells aber auch im horizontalen Rechtsvergleich liegen. Die Frage nach der Gleichheit und Verschiedenheit nationaler Rechtsordnungen kann nicht an den supranational-rechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben der zu vergleichenden Rechtsordnungen oder Regelungen vorbeigehen. b) Koordination als spezifische Aufgabe "höheren" Rechts

Maßgebliches Recht kann seinen Sinn in der Koordination einer Mehrheit anderer Rechte haben. Das muß nicht so sein. So kann auch das Verfassungsrecht des Einheitsstaates für den einen Gesetzgeber, der es zu respektieren hat, maßgeblich sein59 • Aber weitgehend vollzieht sich in der vertikalen Dimension doch auch ein Aufstieg vom Besonderen zum Allgemeinen, letztlich vom Partikularen zum Universalen. Für diese Koordination gibt es vor allem zwei Zielrichtungen6o • Die eine ist, den betroffenen Rechtsordnungen in sich einen gleichen oder ähnlichen Inhalt zu geben (Harmonisierung): sei es durch übereinstim59 Auch kann etwa ein Vorvertrag maßgeblich sein für den Hauptvertrag zwischen den gleichen Parteien über den gleichen Gegenstand. 60 Siehe noch einmal oben S. 11 f., 24.

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mende Regelungen gewisser Sachbereiche (gleichsam durch Verwendung gleicher Einzelteile für im übrigen divergierende Mechanismen), sei es durch gemeinsame Prinzipien und Programme. Die andere ist, die Begegnung der Rechte zu erleichtern, wie es die klassische Aufgabe des Kollisionsrechts ist. Freilich ist auch dies eine Aufgabe der Vereinheitlichung nationaler oder sonstwie speziellerer Rechte. Der Unterschied zwischen beiden Erscheinungsformen liegt im Gegenstand der betroffenen spezielleren Rechte: ob die Koordination sie in ihrer reinen Binnenfunktion betrifft, oder ob die Koordination sie in ihren Schwierigkeiten und Bemühungen betrifft, das Zusammentreffen mit anderen Rechtsordnungen gleicher Ebene (gleicher Funktion) in einheitlichen regelungsbedürftigen Lebensverhältnissen zu bewältigen. Die übergänge sind notwendigerweise fiießend61 • Die Standardisierung des reinen Binnenrechts trifft auf ein sehr unterschiedliches Maß an Bereitschaft und Widerstand der betroffenen Rechtsordnungen. Es kommt darauf an, in welcher Rechtsebene sich koordinierendes und koordiniertes Recht jeweils befinden. Liegt das koordinierende Recht in einer Ebene zentraler, umfassender Rechtsverantwortung, so ist diese Koordination der partikularen Rechte "natürlich". Dies ist paradigmatisch so im Verhältnis von staatlichem zu autonomem (kommunalem, personalverbandlichem, anstaltlichem) Recht. Und es kann - je nach Konzeption und Entwicklung der Kompetenzen - so sein im Verhältnis des Bundesrechts zum Landesrecht im Bundesstaat. Liegt dagegen das koordinierte Recht in einer Ebene zentraler, umfassender Rechtsverantwortung, so erscheint die Einmischung durch ein "höheres" Recht "unnatürlich" und begegnet Widerständen, läuft größere Risiken sowohl der Unrichtigkeit als auch des Ungehorsams. Das ist der Fall dort, wo Völkerrecht nationales Recht zu standardisieren versucht. Und auch das supranationale Recht ist von dieser Belastung, im Verhältnis zum nationalen Recht das weniger umfassende und also schwächere zu sein, nicht frei. Diese Gefälle gelten auch für die andere Aufgabe "höheren" Rechts, nämlich die jeweils "niedrigeren" Rechte in ihrer Begegnung zu koordinieren. Nur erscheint diese Aufgabe des "höheren" Rechts ebenso als vorgegeben und "natürlich" wie die Bereitschaft des "niedrigeren" Rechts, die Koordination von außen anzunehmen, ja sie nicht selten so61 In der Projektgruppe wurde diskutiert, ob es nicht eine dritte Art gäbe, die etwa durch die Europäische Konvention zum Schutz der Wanderarbeitnehmer exemplifiziert sein könnte (s. dazu Gerhard Igl, Das Europäische übereinkommen über die Rechtsstellung des Wanderarbeitnehmers, Recht der Innationalen Wirtschaft, 23. Jg. [1977] S. 704 ff.). In der Tat liegt hier eine Mischung beider Typen nahe. Doch befaßt sich die Konvention mehr mit der jeweiligen Lage der Wanderarbeitnehmer im internen Sozialrecht als mit der Rechtsbegegnung.

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gar nachzufragen. Die Standardisierung der Rechtsbegegnung trifft die "niedrigeren" Rechtsordnungen ja auch buchstäblich an ihrer Peripherie, ist also, mit anderen Worten, von geringerer Eingriffsintensität. Somit zeigen sich hier die Gefälle wesentlich schwächer als bei der Standardisierung. Die kollisionsrechtliche "Schlagseite" internationaler und supranationaler Einwirkung auf das nationale Recht ist so nicht nur von internationalem Regelungsinteresse, sondern auch von der Bereitschaft der nationalen Rechte her zu verstehen. Diese Typik - Koordination des Binnenrechts versus Koordination der Rechtsbegegnung - ist für den praktischen wie für den theoretischen Umgang mit der vertikalen Rechtsvergleichung bedeutsam. Sie ist nicht nur eine Hilfe, das Material zu ordnen. Ihr folgen auch - wiederum nicht begriffsnotwendig - wohl aber typisch - Unterschiede in den Verfahren der Rechtsbildung und in den Relevanzen und Verfahren der Rechtsanwendung. Internationale und supranationale Koordination der Rechtsbegegnung ist direkter, stringenter/"juristischer". Das ist der Bereich etwa des internationalen Sozial rechts durch strikt bindende bilaterale Verträge und der supranationalen Verordnung und ihrer richterlichen Anwendung gegenüber nationalem Recht. Internationale Koordination des Binnenrechts ist vorsichtiger, weicher, "politischer". Das ist der Bereich der programmatischen Konventionen und ihrer Handhabung durch sachverständige und politische Gremien oder auch der europarechtlichen Richtlinien, Programme und Konsultationen. Daß dies kraft der Einbindung der vertikalen Rechtsvergleichung in Rechtsanwendungs- und Durchsetzungsvorgänge Auswirkungen auf die vertikale Rechtsvergleichung hat, wurde eben angedeutetG2 • c) Die spezifische Nichtidentität koordinierenden "höheren" Rechts gegenüber den "unteren" Rechten

In dem Maße, in dem das "höhere" Recht mehrere "niedrigere Rechte" koordiniert, stehen diese auch immer in dem VerhäLtnis von mehreren besonderen Elementen zu einem Allgemeineren. Das gibt der Nichtidentität der Vergleichsgegenstände die jedem Vergleich notwendig vorausliegt, einen besonderen Charakter. Er ist dadurch konstituiert, daß das "eine allgemeinere" Recht auf die "mehreren besonderen Rechte" bezogen oder doch beziehbar sein muß. Das definiert eine Untergrenze der Ähnlichkeit von "oberem" und "unterem" Recht, die nicht Gleichheit werden darf. Gleichheit (!) der "höheren" mit der "niedrigeren" Regelung würde voraussetzen, daß entweder die Besonderheit und damit die Verschiedenheit der "niedrigeren" Rechte nicht materiell, nicht "echt", sondern allenfalls noch formaler, deklaratorischer Natur wäre, oder daß 62

Siehe noch einmal oben S. 14, 18 ff.

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das "höhere" mit einem "niedrigeren" Recht gleich, mit anderen "niedrigeren" besonderen Rechten ungleich ist. In diesem Falle wäre die Verschiedenheit der "niedrigeren" Rechte echt, die Koordinationsfunktion des "höheren" Rechts dagegen in einem hegemonialen oder sonstwie ein "niedrigeres" Recht privilegierenden oder dominierenden und andere "niedrigere" Rechte diskriminierenden Sinn verfälscht, "unecht". In dieser Nichtidentität liegt die Problematik von jedem "internationalen Einheitsrecht" , das bei aller integrierenden Verstrickung in den verschiedenen Ebenen seiner Existenz (der völkerrechtlichen, supranationalen und nationalen) letztlich doch verschiedene Seinsweisen (der Bedeutung, des Verständnisses und der Wirkung, vor allem der Auslegung und der Anwendung) hat63 • In dieser Nichtidentität liegt etwa auch begründet, daß die These, Art. 31 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lasse neben Bundesrecht auch übereinstimmendes Landesrecht bestehen64 , entweder auch divergierende Entwicklungen der Interpretation scheinbar übereinstimmenden Bundes- oder Landesrechts zulassen muß oder nicht ernst gemeint ist und eine eigenständige interpretatorische Entwicklung der landesrechtlichen Norm im Verbund des Landesrechts und seiner Anwendung untersagt65. Die mit dieser Nichtidentität anvisierte Differenz scheint auf eine gleichsam "mechanische" Weise um so größer und inhaltlich bedeutsamer zu werden, je größer die Zahl der betroffenen "unteren" Rechte ist. So sind etwa bilaterale völkerrechtliche Verträge betroffenen nationalen Rechten potentiell und tendenziell näher als völkerrechtliche - gar weltweite - Konventionen (Bilaterale Sozialversicherungsabkommen z. B. können - und müssen auch - intensiver auf die durch sie zu verknüpfenden nationalen Sozialrechtsordnungen eingehen als etwa ein UN-Pakt, eine ILO-Konvention oder auch eine Europarats-Konvention auf die von ihnen vorgeordneten nationalen Rechtsordnungen). Jedoch hängt die Bedeutung der Differenz auch - und vermutlich mehr - von einem qualitativen Umstand ab: von der Verschiedenheit der betroffenen "unteren" Rechte (Regelungen des supranationalen europäischen Rechts etwa treffen in den spezifischen Wirkungsbereichen der Europäischen Gemeinschaften je länger je mehr auf historisch, sozial, ökonomisch, politisch relativ homogene und durch die Gemeinschaften weiter aneinander herangeführte nationale Rechtsordnungen; während bilaterale Abkommen zwischen einem westeuropäischen und einem osteuropäischen sozialistischen Land oder zwischen einem entwickelten Industrieland und s. dazu noch einmal Kropholler, S. 235 ff., insbes. '8. 258 ff., 292 ff. s. zum Meinungsstand etwa Manfred Gubelt, in: Ingo von Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, 1976, Art. 31 RdNr. 23. 65 s. Hans F. Zacher, in: Leusser I Gerner I Schweiger I Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Auf!., 1963 ff., Teil IV, RdNr. 21 ff., insbes. RdNr.24ff. 83 M

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einem Entwicklungsland große sachliche Distanzen zu überwinden haben). Hinzu treten die Unterschiede, die sich nicht aus der Vielfalt in der horizontalen Dimension ergeben, sondern unmittelbar in der vertikalen Dimension angelegt sind (wie eben die Unterschiede danach, ob etwa "höheres" nationales Recht "niedrigeres" nationales Recht, supranationales Recht mitgliedstaatliches Recht oder Völkerrecht nationales Recht zu koordinieren sucht). Das Reservoir der Unterschiede, aus denen sich diese notwendige Nichtidentität speist, sind nun gerade jene Dimensionen und Kriterien von Nähe und Distanz zu vergleichender rechtlicher Regelungen, von denen oben66 gesagt wurde, daß sie prinzipiell sowohl der horizontalen als auch der vertikalen Rechtsvergleichung vorgegeben sind. Dieses Prinzip ist hier zu präzisieren und zu differenzieren. Im Zusammenhang der vertikalen Beziehung von Rechten, von denen ein "oberes" mehreren "unteren" maßgeblich gegenübersteht, gewinnen gewisse Kriterien eine spezifische Relevanz und Gestalt. Entscheidend dafür sind zwei elementare Konstellationen. Die eine ist quantitativ durch das aufgezeigte Verhältnis eins: mehreren 67 und qualitativ durch den Koordinationsauftrag des "höheren" Rechts definiert. Die Spannung hinter der Nichtidentität heißt insofern Einheit versus Vielfalt. Die andere Konstellation ist jene Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts, ohne welche die Koordination der mehreren "niedrigeren" Rechte nicht denkbar ist. Das bedeutet, daß die Beziehung einen Ort in der Hierarchie der Rechtsnormen haben muß. Und hinter dieser steht die Differenz der Rechtsordnungseinheiten und -subjekte. In besonderem Maße beiden Konstellationen der Unterscheidungselemente zugeordnet ist die Differenz der Sprache. Im einzelnen bedeutet das, daß der spezifischen Nichtidentität vor allem anhand der folgenden Linien nachgefragt werden kann.

(1) Einheit des "höheren" versus Vielfalt der "niedrigeren" Rechte: - Die Zahl der koordinierten Rechte (z. B. bilaterale Verträge versus multilaterale Verträge; regionale versus weltweite Instrumente; Bundesrecht in den USA versus Bundesrecht in Deutschland oder Österreich). - Gleichheit oder Verschiedenheit der natürlichen Bedingungen des Koordinationsbereiches (räumliche Nähe oder gar Geschlossenheit versus räumliche Feme und Zersplitterung; klimatische Bedingungen usw). - Gleichheiten und Ähnlichkeiten versus Ungleichheiten und Unähnlichkeiten in der sozialen Ambiance (technische, wirtschaftliche, ge66

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Siehe oben S. 28 ff. Genau natürlich "eins: zwei oder mehreren".

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sellschaftliche, politische usw. Verhältnisse) der zu koordinierenden Rechte oder Regelungen und Regelungsbereiche. Gleichheiten und Ähnlichkeiten versus Ungleichheiten und Unähnlichkeiten in dem Charakter der zu koordinierenden Rechtsordnungen (gemeinsame oder unterschiedliche Traditionen und andere Familien- oder Stilmerkmale; insbesondere Zugehörigkeit zu gemeinsamen - z. B. europäischen oder bundesstaatlichen - Rechtsordnungen "höheren" Ranges).

-

(2) Aufbau der Rechtsordnung: -

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Unterschiede des Orts im Aufbau der Rechtsordnunrf8 und im Gefüge von Kompetenz und Verantwortung. Wie schon hervorgehoben69 , gibt es in dem übereinander der Rechtsordnungssubjekte und im Aufbau der Rechtsordnungen Konzentrationszonen umfassender Kompetenz, Verantwortung und Regelung, von denen hier die anderen Regelungsbereiche sich als fragmentarisch, sporadisch oder wenigstens partikular darstellen. Diese Konzentrationszone liegt - vom Einheitsstaat als Prototyp des modernen Staates her gedacht - in der Ebene des Staates und des staatlich gesetzten oder doch realisierten Rechts. Darunter kommt den Ebenen autonomer (regionaler, kommunaler, verbandlicher, anstaltlicher) "unterstaatlicher" Rechtssetzung partikularer Charakter und nicht letzte Verantwortung zu. Ebenso hat darüber das Völkerrecht exzeptionellen, sporadischen Charakter und kann es die staatliche Politik von ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen nur unzulänglich entlasten. Diese Konzentrationszone ist sowohl in Bundesstaaten (Zentralstaaten und Gliedstaaten) als auch in supranationalen Gemeinschaften gespalten. Die eindeutige Qualifikation einer dieser Schichten als die zentrale Schicht umfassender Ordnung und politischer Verantwortung ist in den Bundesstaaten fallweise unterschiedlich oder auch unmöglich70 • In den Europäischen Gemeinschaften dagegen ist die Dominanz der nationalen Ebene gegenwärtig noch offensichtlich. Jedenfalls steht eine Koordination von der Konzentrationszone her nach "unten" unter anderen Bedingungen als eine Koordination von "oben" her auf die Konzentrationszone ZU71. Der Koordination autonomer (etwa kommunaler) Satzungen durch den staatlichen Gesetzgeber liegt die politische und rechtliche Einheit des staatlichen Ge-

s. noch einmal oben Anm. 37. Siehe oben S. 35. _ 70 Staatstheoretisch gesprochen: Die Souveränitätsfrage ist dann offen. 71 s. dazu auch, was Kropholler, S. 252· zur Rücksichtnahme auf die Einheit staatlicher Rechtsordnung sagt. 88

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meinwesens ebenso voraus, wie die Durchsetzungskraft des staatlichen Rechts. Der Koordination nationalen Rechts durch Völkerrecht hingegen liegt die Dominanz der nationalen Räume des Rechts und der Politik ebenso voraus, wie der sporadische Charakter und die Durchsetzungsschwäche des Völkerrechts vorgegeben sind. -

Unterschiede im Subjekt der "höheren" und der "niedrigeren" Ordnungen 72 • Bedeutsamer aber ist die Frage: entspricht das Subjekt der gemeinsamen Ordnung dem Konsens der Subjekte der koordinierten Ordnung (Verträge) oder ist es davon mehr oder weniger unabhängig (organisierte Rechtssetzung: z. B. Bundesrecht versus Landesrecht).

(3) Sprache: -

Unterschiede der Sprache (im allgemeinen Sinn wie im besonderen Sinn von Rechts- und Begriffssprache), können von der Vielfalt der betroffenen ethnischen oder politischen Gemeinschaften her vorgegeben sein, können aber auch von der unterschiedlichen Funktion des "höheren" Rechts und der zu koordinierenden Rechte her geboten sein". Werden nämlich für das "höhere" Recht Ausdrücke verwendet, die in einem "unteren" Recht einen spezifischen Sinn haben, den sie in der Allgemeinheit des "höheren" Rechts nicht haben können, sollen oder dürfen, ist von der unterschiedlichen Funktion her eine sprachliche Differenz oder eine erklärende Entschärfung der sprachlichen Gleichheit geboten73 • 7. Insbesondere zur Begegnung nationalen Rechts mit konkurrierendem und koordinierendem supranationalem und Völkerrecht

a) Die Konzentration des Interesses auf die Ebenen national- supranational- international Die vertikale Dimension des Rechtsvergleichs wurde in den vorstehenden Bemerkungen immer auch in den nationalen Raum hineinge72 Die Frage mag ungewöhnlich erscheinen. Aber es ist durchaus denkbar, daß eine zentrale Autorität auch partikulares Recht setzt - so wie es etwa denkbar ist, daß das Parlament in London sowohl britisches als auch englisches oder schottisches Recht setzt. 73 Dieses Problem stellt sich nicht nur bei Partnern verschiedener Sprache. Vielmehr zeigt es sich auch· gerade dort, wo Staaten gleicher Sprache miteinander paktieren. So kann etwa ein Vertrags schluß zwischen mehreren Partnern englischer Sprache (z. B. zwischen USA, Australien und Indien) vor Divergenzen des Sprachgebrauches - vor allem des juristischen Sprachgebrauches - stehen oder "alten" Ausdrücken einen "neuen" Sinn geben. Das in diesem Zusammenhang interessanteste Problem aber ist, daß Ausdrücke als Regelungsbegriffe verbraucht sind, und so für die Ebene des koordinierenden Rechts durch neue Begriffe ersetzt werden müssen. s. unten S. 125·. s. zum

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dacht (etwa in den Relationen Verfassungsrecht/Gesetzesrecht; Bundesrecht/Landesrecht; staatliches Recht/autonomes Recht). Damit sollte der Problematik mehr Tiefenschärfe gegeben werden. Demgemäß wurde zunächst auch der horizontale Rechtsvergleich innerhalb des nationalen Rechts (von Landesrecht zu Landesrecht, von kommunalem Recht zu kommunalem Recht usw.) als eine Möglichkeit horizontalen Vergleichs einbezogen. Für den Zweck: dieser Zeilen - m. a. W. im Zusammenhang des Colloquiums - ist dieser innernationale Bereich aber beiseite zu lassen. Das bedeutet, daß die vertikale Dimension hier immer an der Ebene

maximaler Konzentration rechtlicher und politischer Kompetenz und Verantwortung - der Ebene des Staates - ansetzt, um von da her zum supranationalen und völkerrechtlichen Instrumentarium aufzustreben. Und es bedeutet, daß in der horizontalen Dimension der Vergleich zwischen nationalen Rechten stattfindet und also wieder über die Grenze hinweg, die sich aus der relativ maximalen Geschlossenheit der staatlichen Rechtsordnung ergibt. Die "Dreieck:sräume" endlich, in denen sich vertikaler und horizontaler Vergleich begegnen, werden also immer durch das internationale Recht einerseits und durch eine Mehrheit nationaler Rechte andererseits gebildet - durch das natürliche Gegenstück: also internationalen und supranationalen Rechts. Während dabei das supranationale Instrumentarium - wenn auch vielfach und schwerwiegend gehemmt - zu einer Konkurrenz mit der Bedeutung des staatlichen Rechts und der staatlichen Politik antritt, ist die Beziehung des nationalen Rechts zum Völkerrecht nach wie vor durch dessen fragmentarischen Charakter und seine Durchsetzungsschwäche bestimmt. Alles in allem haben wir es - bei aller Differenz zwischen supranationalem Recht und Völkerrecht - also damit zu tun, daß das "obere" Recht, bezogen auf den gesamten Ordnungsauftrag des Rechts die Ausnahme ist, die "unteren" Rechte die Regel sind, daß das "obere" Recht das - wenigstens tatsächlich - schwächere ist, die "unteren" Rechte die - wenigstens tatsächlich - stärkeren sind. Der vertikale Aufstieg verläßt mit den als "unteren" in Betracht zu ziehenden nationalen "Rechten" in der Regel die Zone maximaler Homogenität der Rechts- und Sozialgemeinschaften. Bereits zu dem supranationalen Recht hin nimmt diese Homogenität ab. Im Völkerrecht dann weicht sie einer Vielfalt von Verhältnissen: von der relativen Homogenität der Verhältnisse zweier bilateral kontrahierender Nachbarstaaten bis zu der Heterogenität der Verhältnisse distanzierter, gegensätzlich interessierter und entwickelter Staaten, die nichts verbindet als das allgemeine Völkerrecht, von der relativen Homogenität in einer permanent kooperierenSprachproblem im Zusammenhang des Textes Ficker (Anm. 31), S. 27 ff. m. w. Nachw., Kutscher (Anm. 46), S. 1- 18 ff., 26 ff., Kropholler, S. 249 ff., 226 ff.; s. a. Constantinesco 11, S. 80 ff.

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ren Staatengruppe (wie etwa den Staaten des Nordischen Rates) bis zur kaleidoskophaften Mannigfaltigkeit der Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Vereinten Nationen. Auch der Sprachsprung wird an der Grenze zwischen dem nationalen Recht und dem anderen nationalen und den supranationalen Rechten die Regel, während er im Raum dieses nationalen Rechts die Ausnahme ist. Auch in den so ausgegrenzten "Dreiecksräumen" von nationalen Rechten und supranationalem Recht oder von nationalen Rechten und Völkerrecht sind die Dimensionen und Kriterien von Nähe und Distanz und also die Elemente der Nicht-Identität reich differenziert und komplex. Aber es zeigt sich doch eine vereinfachende Typisierung der Relationen, die mit der Dominanz der nationalen Rechte gekennzeichnet werden kann. b) Die quasi-vertikale Rechtsvergleichung: Vertikalität unter Verzicht auf spezielle Maßgeblichkeit

Das Denkbild der vertikalen Anordnung von Rechtsebenen muß aber - wie schon angedeutet74 - über die Kategorie der Maßgeblichkeit hinaus ausgeweitet werden. Im Hintergrund steht eine Hierarchie von Rechtsetzungsträgern und Rechtsgemeinschaften, ein hierarchisches Vorstellungsbild vom Stufenaufbau des Rechts. Die Verbindung zum spezielleren Kriterium der Maßgeblichkeit liegt in zweierlei. Erstens: das konkrete Setzen der maßgeblichen Norm setzt die allgemeinere Fähigkeit, für die betroffenen "unteren" Rechtsgemeinschaften Maßgebliches tun zu können, voraus. Zweitens: der Aufstieg vom Besonderen zum Allgemeinen, wie er Vorstellungen vom Stufenaufbau der Rechtsordnung entspricht, vollzieht sich analog zu den hierarchischen Vorstellungsbildern, die mit der Maßgeblichkeit verbunden sind. In diesem komplexen und vagen Sinne 75 können supranationales RechF6 und VölkerrechF7 generell als die dem nationalen Recht gegenüber "höheren" Rechte bezeichnet werden. Dem so erzeugten Vorstellungsbild der hierarchischen über- und Unterordnung von Rechtsebenen entspricht es, auch einzelne Regelungen 74 s. o. zu Anm. 37. 75 Das darf nicht im Sinne der Identifikation mit einer bestimmten Theorie der Zuordnung von Völkerrecht und nationalem Recht oder von supranationalem Recht und mitgliedstaatlichem Recht verstanden werden. 76 Siehe dazu etwa Ipsen (Anm. 15), S. 225 ff.; zur späteren Debatte etwa Kar! Carstens, Rechtsprechung zu den allgemeinen Problemen der Integration, in: Die europäische Rechtsprechung nach zwanzig Jahren Gemeinschaftsleben, Kölner Schriften zum Europarecht, 24, 1976, S. 129 ff. (154 ff.). Weitere Nachweise siehe bei den Zitierten. 77 s. noch einmal oben Anm. 37.

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vertikal zueinander zu sehen, zwischen denen ein Verhältnis der Maßgeblichkeit gerade fehlt, die sich vielmehr im Verhältnis funktionaler Analogie zueinander befinden. Beispiele sind das Dienstrecht sowie das Recht der Organisation und des Verfahrens der Gerichte und der parlamentsähnlichen Organe internationaler und supranationaler Organisationen im Verhältnis zum nationalen Dienst-, Verfahrens- und Organisationsrecht78 • Der funktionale Verbund und der entsprechende gemeinsame Gegenstand, wie sie maßgeblich vertikal aufeinander zugeordnetes Recht auszeichnen, fehlt hier. Dementsprechend ist auch der Vorgang des Rechtsvergleichens ein anderer. Er ist dem des horizontalen Rechts... vergleichs näher als dem des vertikalen Rechtsvergleichs. Die Gleichheit oder Ähnlichkeit des zu lösenden Problems tritt wieder als der Ansatz des Vergleichs hervor. Historisch vollzog und vollzieht sich dieser nur im weiteren Sinne vertikale Rechtsvergleich vor allem so, daß Völkerrecht79 und supranationales Recht80 ihren Regelungsbedarf aus dem Modell- und Erfahrungsvorrat des nationalen Rechts befriedigt haben. Die gleichsam "äußersten Enden" dieses Phänomens finden wir, wenn Recht, das zwischen Bürgern gilt, auf die Beziehungen zwischen Staaten übertragen wird und so das Privatrecht zum Modell für das Völkerrecht wirilll 1• Horizontale Rechtsvergleichung hat dabei zunächst die Funktion des Auffindens und Sammelns des gegebenen Vorrats an Lösungen, ihrer Implikationen und Kontexte. Diese Aufgabe der horizontalen Rechtsvergleichung der nationalen Rechte untereinanderB2 kann vom Völkerrecht oder vom supranationalen Recht aber auch in Rechnung gestellt und ge78 s. dazu Georg Ress, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für das Recht internationaler Organisationen, ZaÖRV Bd. 36 (1976), S. 227 ff. 79 s. zum Völkerrecht statt älterer Helmut StrebeI, Einwirkungen nationalen Rechts auf das Völkerrecht, ZaÖRV Bd. 36 (1976), S. 168 ff.; Kay Hailbronner, Ziele und Methoden völkerrechtlich relevanter Rechtsvergleichung, ebenda S. 190 ff.; Georg Ress (Anm. 78); Michael Bothe, Die Beobachtung der Rechtsvergleichung in der Praxis internationaler Gerichte, ebenda S. 280 ff.; s. ferner Dieter Blumenwitz, unten S. 75 ff. und den Diskrussionsbericht hierzu S. 92 ff. 80 s. dazu statt älterer etwa Constantinesco H, S. 400 ff.; Karl Matthias Meessen, Zur Theorie allgemeiner Rechtsgrundsätze des internationalen Rechts: Der Nachweis allgemeiner Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Jahrbuch für internationales Recht, Bd. 17 (1974), S. 283 ff. (S. 295 ff.); Kutscher (Anm. 46), S. 1- 23 ff.; Albert Bleckmann, Die Rolle der Rechtsvergleichung in den Europäischen Gemeinschaften, Zeitschrift für Vervgl. Rechtswissenschaft Bd. 74 (1974), S. 106 ff.; ders., Europarecht 1976, S. 78 ff.; ders. unten: S. 97 ff. und den Diskussionsbericht hierzu. 81 s. zur herkömmlichen herrschenden Rolle des Privatrechts als Ergänzung des Völkerrechts Karl Zemanek, Was kann die Vergleichung staatlichen öffentlichen Rechts für das Recht der internationalen Organisationen leisten? ZaÖRV Bd. 24 (1974), S. 453 ff. (insbes. S. 454) m. w. Nachw. 82 Eventuell unter Einbezug supranationalen und speziellen Völkerrechts.

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regelt werden, so etwa, wo die übernahme nationalen Rechts nicht nur gestattet, sondern angeordnet wird, wenn dieses eine gewisse transnationale Allgemeinheit für sich in Anspruch nehmen kann. Das ist hinsichtlich des Völkerrechts vor allem normiert in Art. 38 Abs. 1 c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, wonach der Internationale Gerichtshof außer Vertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht auch "die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze" anzuwenden hat83 • Und es gilt analog für die Ergänzung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften durch die ., allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind"84. Dem Rechtsvergleich kommt dabei nicht nur der Nachweis des Vorkommens sowie der Bereich und die Zusammenhänge des Vorkommens übereinstimmender Rechtsgrundsätze in verschiedenen nationalen Rechten zu. Er hat dieses Geschäft auch von vornherein im Blick auf die völkerrechtliche oder supranationalrechtliche Ordnungs nachfrage durchzuführen85 . Letzteres gilt nicht nur, wo eine völkerrechtliche oder supranationale Norm die Rechtsvergleichung ausdrücklich bindet. Wo immer vielmehr Rechtsvergleichung im Dienst der Schaffung, Findung oder Auslegung "höheren" Rechts steht, hat sie den Befund der nationalen Rechte von vornherein auf die übertragbarkeit auf die Gegenstände und Interessenlagen des Völkerrechts oder des supranationalen Rechts hin zu sichten und die Problemlösungen nach den Zwecken und Gegebenheiten des Völkerrechts oder des supranationalen Rechts auszuwählen und zu bewerten86• Wenn Rechtsvergleichung der Entwicklung von Rechtsnormen dient, ist es letztlich immer die Gesamtheit des zu entwickelnden Rechts, welche den Vorgang und sein Ergebnis regiert. So ist es für den horizontalen Rechtsvergleich im Dienst nationalen Rechts. Und so ist es für den Rechtsvergleich im Dienst des Völkerrechts oder des supranationalen Rechts. Und dessen Eigenart als "höheres", allgemeineres, potentiell stärkeres Recht kommt dabei je nach Bereich und Zusammenhang zur Geltung. Somit zeigt sich, daß selbst dort, wo die vertikale Dimension im Verhältnis vom nationalen Recht zum Völkerrecht oder vom nationalen Recht zum supranationalen Recht nicht durch Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts konstituiert wird, die Rolle der Rechtsvergleichung nichts. z. B. Constantinesco II, S. 396 ff. So für das Recht der Amtshaftung Art. 215 Abs. 2 EWGV, Art. 188 Abs. 2 Euratom-Vertrag. Siehe dazu Kutscher (Anm. 46), S. 1- 24 ff. m. w. Nachw. Zur Ausweitung dieser Rezeption auf weitere Rechtsgebiete s. z. B. Helmut Lecheler, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, 1971. 85 s. ergänzend etwa Ignaz Seidl-Hohenveldern, Die Rolle der Rechtsvergleichung im Völkerrecht, in: Völkerrecht und rechtliches Weltbild. Festschrift für Alfred Verdross, 1960, S. 253 ff. 88 s. für das Europarecht Kutscher (Anm. 46), S. I - 30 f. m. w. Nachw. 83

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wie eine rein horizontale Rechtsvergleichung - als eindimensional begriffen werden darf. In modifiziertem Sinne kann und muß auch hier von einer Kombination von horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung gesprochen werden. III. Horizontaler Rechtsvergleich im Dienst "höheren" Rechts 1. Zur Vielgestaltigkeit von Rechtsvergleich Alle diese Überlegungen führen immer wieder auf den zentralen Satz zu: Rechtsvergleichung gibt es nicht schlechthin; sie unterscheidet sich in Gegenstand und Methode jeweils nach Sachzusammenhang und Aufgabe B7 • Das ist evident für den Unterschied zwischen horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung. Es zeigt sich für den - oft unscharfen Unterschied zwischen "echtem" und "unechtem" vertikalem Rechtsvergleich. Und es gilt auch für den horizontalen Rechtsvergleich, der je ein anderes Gesicht hat, wenn er der Rechtspolitik, der Rechtsauslegung, der theoretischen Systematik von Recht oder der akademischen Lehre von Recht dient, wenn er im Zusammenhang von Kollisionsrecht oder im Zusammenhang von "internem" Recht erfolgt, und was dergleichen Unterschiede mehr sind. Und so wandelt horizontaler Rechtsvergleich auch seine Gestalt je nach dem Ob und Wie seines Zusammenhangs mit höherem Recht. Überlegungen über die spezielle Adäquanz von Sachzusammenhang, Funktion, Gegenstand, Methode, Subjekt und Aussage von Rechtsvergleichung können zu zweierlei beitragen. Erstens dazu, Rechtsvergleichungsarbeit von der Belastung unspezifischer Anforderungen freizustellen, die ihre Richtigkeit unter möglichst vielen, im Einzelfall also unverhältnismäßig vielen Bedingungen gewährleisten würden; sie also auch vor einer Kritik zu bewahren, deren Maßstäbe für ihren konkreten Zusammenhang und Auftrag nicht gelten. Zweitens dazu, das jeweils Adäquate möglichst genau zu finden. Gerade der Zusammenhang mit der vertikalen Rechtsvergleichung gibt Anlässe, die spezielleren Zusammenhänge und Aufgaben der "normalen" horizontalen aufzusuchenBs• Daß dabei nur Hinweise gegeben werden können, die der Vertiefung und Bewährung bedürfen, ist einmal mehr anzumerken. 87 s. dazu Constantinesco II, S. 58 ff. sowie die beiden Kapitel über "Die theoretischen Ziele der Rechtsvergleichung" (S. 331 ff.) und über "Die praktischen Ziele der Rechtsvergleichung" (S. 371 ff.). 88 Die Notwendigkeit, die Diskussion um die Richtigkeit von Rechtsvergleichung auf diese Weise sowohl von Anforderungen einer unspezifischen Rundum-Richtigkeit zu entlasten, als auch die speziell richtigen Mittel mit den speziellen Zwecken typisierend und so praktikabel zu verbinden, zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen des Colloquiums.

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2. Zu den Unterschieden im Bereich des "höheren" Rechts

a) Der horizontale Rechtsvergleich führt zu maßgeblichem oder nicht maßgeblichem "höheren" Recht Was etwa kann es bedeuten, ob das "höhere" Recht, auf das sich der horizontale Rechtsvergleich bezieht, für die verglichenen Rechte maßgeblich sein soll oder maßgeblich ist oder nicht - ob der horizontale Rechtsvergleich also im Zusammenhang steht mit im engeren oder weiteren Sinne vertikalem Rechtsvergleich? Im ersteren Falle bedeutet der funktionale Verbund, in dem das "höhere" mit den "niedrigeren" Rechten stehen soll, daß diesen betroffenen Rechten eine ganz besondere Bedeutung zukommen muß. Die Gesamtlösung, die schließlich "höheres" und "niedrigeres" Recht zusammen darstellen sollen, muß stimmig sein. Die "niedrigeren" Rechte sind so nicht nur Lösungsvorrat und Anregung für das höhere Recht. Sie sind ein Tatbestand, der in Rechnung gestellt werden muß - ob man ihn nun belassen oder ändern will. Andere Rechte mögen zusätzlich als Lösungsvorrat für die Gesamtregelung dienen, vielleicht auch für die Technik des Ineinandergreifens von "höherem" und "niedrigerem" Recht. Insofern herrschen die Kriterien wertender Selektion, die von den Prinzipien regiert werden, die eben die Entwicklung des höheren Rechts regieren89 • Insofern handelt es sich um die Suche nach der in der Rechtsvergleichung mittlerweile sprichwörtlichen "relativ besten Lösung". Zu dem vorzuordnenden "niedrigeren" Recht und dem mit ihm gemeinsamen Gegenstand dagegen besteht eine dichtere, stringente, auf dem Bestand mehr als auf seiner Bewertung beruhende Beziehung. Ist das "höhere" Recht dagegen nicht maßgeblich für das "niedrigere", so beherrscht Opportunität die rechtsvergleichende Selektion - eine Opportunität, die nur gesteuert wird durch die rechtlichen, politischen und sachlichen Notwendigkeiten des "höheren" Rechts selbst, das ergänzt oder ausgelegt werden soll. Hier befindet sich der Rechtsvergleicher auf der vertrauten Suche nach der "relativ besten Lösung". b) Das "höhere" Recht wird frei oder gebunden gesetzt oder gefunden

Zu unterscheiden ist auch zwischen dem Rechtsvergleich auf "gewiHkürtes" höheres Recht (auf Vertragsschlüsse, Konventionen, Organbeschlüsse usw.) hin und dem Rechtsvergleich auf "gefundenes" Recht (lückenfüllendes Normgut, allgemeine Rechtsgrundsätze) hin. Gesetztes Recht ist weitgehend vorordnendes Recht (also vertikal übergeordnetes 89

s. noch einmal oben S. 19 f., 34.

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Recht im Sinne konkreter Maßgeblichkeit). Aber auch funktions-analoges, konkurrierendes Recht "höherer" Ebene kann disponierend gesetztes Recht sein (von internationalen Konventionen über friedens- und kriegsrechtliche Beziehungen der Staaten zueinander bis zu internem Recht internationaler und supranationaler Organisationen). Auf der anderen Seite kann - wenn auch selten - auch vorordnendes Recht der Ergänzung durch "gefundene" allgemeine Rechtsgrundsätze bedürfen. Nun dürfen die Unterschiede zwischen der Anwendung geschriebenen Rechts und der Findung lückenfüllenden Normgutes und zwischen dieser und der bewußten Setzung von Recht nicht übertrieben gesehen werden. Zwischen dem Inhalt des scheinbar klaren und keiner Auslegung bedürftigen Gesetzestexts und dem vom Rechtsanwender substituierend gefundenen (oft eben: erfundenen) lückenfüllenden, rechtsergänzenden oder rechtsfortbildenden Rechtssatz besteht kein unverbundener kontradiktorischer Gegensatz. Vielmehr sind beides die Enden eines Kontinuums unterschiedlicher Grade der Deutlichkeit von Recht und der Schwierigkeit von Rechtsfindung. Und Rechtsergänzung und -fortbildung durch den Rechtsanwender unterscheidet sich von evidenter originärer Rechtssetzung - wie etwa dem Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages oft nur durch die Legitimations- und Argumentationslast des rechtsergänzenden oder -fortbildenden Rechtsanwenders, nicht so sehr durch den Grad sachlicher Freiheit der Entscheidung. So besteht auch in der Hereinnahme der Rechtsvergleichung in alle diese Rechtsfindungs- und Rechtssetzungsprozesse eine elementare Gemeinsamkeit. Für sie alle dient die Rechtsvergleichung als kritisches und kreatives Potential. Aber die Unterschiede an Deutlichkeit und an Entscheidungsfreiheit engen eben doch den Spielraum ein, in dem jenes Potential genutzt werden kann 90• Gegenüber dem eindeutigen Text kann der Rückgriff auf Alternativen, welche die Rechtsvergleichung vorhält, sinnlos sein. Das zwischen Extremen gespannte Kontinuum von der Deutlichkeit zur Unklarheit, Offenheit oder gar Verborgenheit der Rechtsaussage und von der Bindung zur Freiheit und Willkür in Rechtsfindung und -setzung ist das Medium, in dem sich der Satz, daß die "aufnehmende" Rechtsordnung den Dienst der Rechtsvergleichung an Rechtssetzung und -anwendung regiert, verwirklicht. Ist das aber so, so kann dieses "aufnehmende" Recht spezifisch gerade die Hereinnahme des Rechtsvergleiches ordnen. Ein Beispiel dafür ist, wenn die Ermächtigung zur Rechtsschöpfung im "höheren" Recht an die Kette der Vorfindlichkeit entsprechender anerkannter Rechtsprinzipien 90 Im Sinne einer klaren Zäsur zwischen der Rolle der Rechtsvergleichung bei Rechtsetzung und Rechtsauslegung: Constantinesco H, S. 380 ff., 388 ff., s. auch Zweigert / Kötz (Anm. 25), S. 50 ff.

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im "niedrigeren" Recht gelegt ist, wie das exemplarisch für die Kompetenz des Internationalen Gerichtshofs der Fall ist, das Völkerrecht unter Bezugnahme auf das Recht der Kulturnationen zu ergänzen91 • Solche Bindungen finden sich nicht nur für die richterliche Rechtsschöpfung, sondern auch für "echte", politische Rechtssetzung. So ordnet etwa Art. 51 des EWG-Vertrages ausdrücklich an, die nationalen Systeme sozialer Sicherheit durchlässig zu machen; nicht dagegen sie anzugleichen (s. auch Art. 118 aaO). Und auch die in Art. 117 Abs. 2 i. V. m. Art. 100 EWGVertrag vorgesehene "Angleichung" von Rechts- und Verwaltungsvorschriften kann nicht im Sinne eines Ersatzes des Bestehenden durch Neues, sondern als eine angleichende Fortentwicklung des Bestehenden verstanden werden. Solche spezifischen Bindungen der Hereinnahme "unterer" Rechte und ihrer Vergleichung in die Findung und Schöpfung "höheren" Rechts wirken sich vor allem auf den Kreis der einzubeziehenden Rechte aus. Sie tendieren dazu, die Rechte der Vertragspartner oder Organisationsmitglieder zu bevorzugen. Wo es darum geht, nicht nur das "höhere" Recht anzureichern - also "höheres" Recht ohne konkrete Maßgeblichkeit für das "untere" zu finden oder zu schaffen -, sondern wo das "höhere" Recht das "untere" schließlich vorordnen soll, kommt dem Kreis der so betroffenen "unteren" Rechte eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie sind das Wirkungsfeld des "höheren" Rechts, und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen und zu ihnen bestimmen das rechtspolitische Kalkül des "höheren" Rechts. Ist dagegen "höheres" Recht nur in sich zu ergänzen, so ist es ganz von den konkreten Zusammenhängen und Zwecken abhängig, wohin Ausschau zu halten ist. Die Konzentration etwa auf Vertragspartner- oder Mitgliederrechte fördert die Innovation. Dem entspricht es, daß solche spezifischen Bindungen vor allem auch über die Alternativen von umfassender oder selektiver, von feststellender oder wertender Rechtsvergleichung entscheiden. In besonderem Maße informativ erscheint hierzu das Beispiel europäischer Rechtsangleichung92 • Hier sind die Rechte der Mitgliedstaaten als das Wirkungsfeld der vereinheitlichenden Schritte der Gemeinschaften und ihrer Mitglieder aufzunehmen. Welche Lösung die Gemeinschaften als für die Sache und für Technik und Intensität des funktionalen Verbundes von Gemeinschaftsrecht und Mitgliedstaatsrecht richtige Lösung anstreben, kann dagegen mit Hilfe eines weiter ausgreifenden selektiven und notwendig wertenden Rechtsvergleichs ermittelt werden 93 • 91 Analog gilt für die Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs, die allgemeinen, den Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsätze aufzufinden und anzuwenden. s. zu beiden Phänomenen oben Anm. 83 - 86 und den Text hierzu. 92 s. zu ihrem Verhältnis zur Rechtsvergleichung etwa Constantinesco II,

S.402.

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Diese Wertung aber hat sich auszurichten an den Gemeinschaftsverträgen und an der übereinstimmung mit dem sonstigen vorfindlichen Gemeinschaftsrecht94• Ebenso aber haben die Verträge die Politik der Gemeinschaften darin zu leiten, in welchem Maße der Bestand der mitgliedstaatlichen Rechte geschont oder in Richtung auf neue, gemeinschaftliche Lösungen hin überwunden werden kann und soll. So findet sich eine vielfache Interdependenz zwischen dem "höheren" Recht und den "unteren" Rechten. c) Unterschiede in Gegenstand und Weise

der Maßgeblichkeit des "höheren" Rechts

Verengt man die Betrachtung auf die Begegnung horizontalen Rechtsvergleichs mit vertikalem Rechtsvergleich im engeren Sinne, so zeigen sich einige weitere Zugänge, um unterschiedliche Aufgaben und Verfahrensweisen der Rechtsvergleichung zu beobachten. "Höheres" Recht kann die Aufgabe haben, "untere" Rechte in sich zu koordinieren (zu vereinheitlichen, zu standardisieren) oder aber ihre Begegnung zu vermitteln oder zu verbessern, also ihr Kollisionsrecht zu vereinheitlichen95 • Internationales und supranationales Kollisionsrecht haben es leichter, direkt und exakt zu regeln. Die Widerstände des nationalen Rechts sind wegen des "peripherischen " Charakters des Kollisionsrechts tendenziell geringer. Aber es erfüllt seinen Zweck nicht, wenn es im Vagen bleibt, oder wenn es den Kontakt mit den sich begegnenden Rechtsordnungen konkret verfehlt. Das ist für internationales Steuer-96 oder Sozialversicherungsrecht97 sicher noch deutlicher als für internationales Privatrecht98 • So ist die rechtsvergleichende Zuarbeit für seine Schaffung und die Anwendung von Kollisionsrecht in besonderer Weise vielfältig und anspruchsvoll. Es hat im nationalen Kollisionsrecht möglicherweise seine Muster, im nationalen Kollisions- und Sachrecht aber sein Wirkungsfeld zu ermitteln. 93 s. hierzu etwa Konrad Zweigert, Grundsatzfragen der europäischen Rechtsangleichung, ihrer Schöpfung und Sicherung, in: Vom deutschen zum europäischen Recht, Festschrift für Hans Dölle, Bd. H, 1963, S. 401 ff., insbes. S. 417 f. 94 s. noch einmal Kutscher (Anm. 46), S. I - 30 f. m. w. Nachw. 95 s. dazu schon oben S. 24 und S. 34 Lf. s. auch noch einmal KrophoHer, S. 167 ff., 176. 98 s. dazu Constantinesco H, S. 382 ff. 97 s. dazu noch einmal oben Anm. 4 sowie Bernd von Maydell, Sozialrechtsvergleichung und internationales Sozialrecht, in: Methodische Probleme, S. 97 ff.; Wilhelm Wanders, Was ergeben die Erfahrungen bei der internationalen Zusammenarbeit der Sozialversicherungen für die Frage der Vergleichbarkeit der nationalen Sozialrechtsordnungen? Ebenda S. 137 ff. Ferner Josef Schuh, unten S. 191 ff. und den Diskussionsbericht hier2lU S. 2·2·2 ff. 98 s. Constantinesco II, S. 407 ff.

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Internationale Vor ordnung "internen" nationalen Rechts muß sich dagegen von vornherein auf Spannungen und Differenzen mit den nationalen Rechtsordnungen einrichten9D • Nur äußerst selten kann es über einen einheitlichen Text!OO hinaus zu einer einheitlichen Wirkung, Auslegung!O! und Entwicklung!02 vorstoßen. Allenfalls für supranationales Recht sind dank der Befugnisse der Kommission und des Europäischen Gerichtshofes die Chancen "echter" Einheitlichkeit größer!()3. Aber auch hier ist das Eigengewicht der nationalen Rechtsordnungen bekanntlich groß. Von der apokryphen nationalen Differenz der Auslegung und Wirkung zur offenen Konzentration des "höheren" Rechts auf programmatische und prinzipielle Standards - wie sie für die Konventionen der Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeitsorganisation und des Europarates und die Richtlinien des supranationalen Rechts kennzeichnend ist - erstreckt sich daher ein weites Feld unterschiedlicher Distanzen zwischen den nationalen Rechten und dem internationalen oder supranationalen Recht seiner Vorordnung. Je intensiver danach die Sachregelung des internationalen oder supranationalen Rechts ist, desto wichtiger, aber auch komplizierter ist die rechtsvergleichende Zuarbeit, die das Wirkungsfeld der Regelung feststellend und umfassend aufzunehmen, möglicherweise aber auch die Muster der Lösung des "höheren" Rechts zu erbringen hat. Je distanzierter, prinzipieller oder programmatischer die "höhere" Regelung ist, desto eher kann die rechtsvergleichende Zu arbeit auch für das Wirkungsfeld selektiv verfahren. Freilich hat der Verzicht auf einen umfassenden feststellenden Vergleich der "unteren" Rechte immer Grenzen, jenseits deren Tragweite, Wirkung und Befolgung des "höheren" Rechts nicht mehr richtig eingeschätzt werden können!G4. 3. Zur Typik horizontaler Rechtsvergleichung

Von dem ausgehend, läßt sich die horizontale Rechtsvergleichung im Bezugsraum "höheren" Rechts fürs erste typisieren wie folgt: internalisierende und außengerichtete Rechtsvergleichung, feststellende und veränderungsgerichtete Rechtsvergleichung, umfassende und selektive Rechtsvergleichung. Bei al1 diesen Polaritäten handelt es sich nicht um K. Kropholler, S. 252. Dabei kann von einem wirklich einheitlichen Text im Hinblick auf die meist notwendige Mehrsprachigkeit ohnedies kaum je die Rede sein. s. dazu etwa Kropholler, S. 249 ff. 101 s. Kropholler, S. 258 ff., insbes. S. 291 f. 102 s. Kropholler, S. 292 ff. 103 s. etwa Kropholler, S. 65 ff., 112 ff. 104 s. zum Vorstehenden ergänzend Constantinesco II, S. 422 ff.; Kropholler, insbes. S. 30 ff., 159 ff., 254 ff., 278 ff., 299 ff. 99

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Eigentümlichkeiten, die ausschließlich dem Kreuzungsfeld von horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung zuzurechnen wären. Sie haben hier aber ihre besondere Bedeutung.

a) Internalisierende und außengerichtete Rechtsvergleichung Internalisierende Rechtsvergleichung zielt auf die Ergänzung des (gesetzten oder gefundenen) Normenvorrats des "höheren" Rechts. Sie zielt auf den Bestand des "höheren" Rechts, nimmt Substanz aus den "niedrigeren" Rechten in ihn hinein. Außengerichtete Rechtsvergieichungl05 zielt auf die Aufnahme des Kooperations- oder Konfliktfeldes von neu zu setzendem oder zu findendem "höherem" Recht. Internalisierende Rechtsvergleichung zielt auf den Inhalt des "höheren" Rechts. Außengerichtete Rechtsvergleichung zielt auf die durch die "niedrigeren" Rechte gesetzten Bedingungen der Wirksamkeit des "höheren" Rechts. Internalisierende Rechtsvergleichung kann für sich allein stehen, wo "höheres" Recht nicht maßgeblich für "unteres" Recht sein soll (also im Bereich derVertikalität im weiteren Sinn). Rein internalisierende Rechtsvergleichung haben wir etwa dort, wo Staaten-Staaten-Beziehungen durch rechtsvergleichende Ermittlung tragender Grundsätze nationalen Rechts geordnet werden sollen l06 • Desgleichen liegt internalisierende Rechtsvergleichung vor, wo supranationale Gemeinschaften ihr Recht nach nationalen Mustern gestalten wollen l07 • Außengerichtete Rechtsvergleichung ist notwendig, wo künftiges "höheres" Recht auf "unteres" Recht einwirken soll. Hier dient Rechtsvergleichung dazu, das Wirkungsfeld des neuen Rechts aufzunehmen. Dies ist das Vorgehen, das mit bi- und multilateralen Verträgen verbunden ist, die nationales Recht koordinieren sollen lOB. Sollen dabei auch Muster nationalen Rechts in die Gestaltung des "höheren" Rechts einbezogen werden, so verbinden sich die Vorgänge der außengerichteten und internalisierenden Rechtsvergleichung. b) Feststellende und veränderungsgerichtete Rechtsvergleichung

Feststellende Rechtsvergieichungl09 zielt darauf, das bestehende Recht festzustellen, um es im "höheren" Recht festzuschreiben oder mit ihm 105 Der Gegensatz zwischen internalisierender und außen gerichteter Rechtsvergleichung wurde im Verlauf des Colloquiums noch mit dem Begriffspaar internalisierender und externer RechtsveI1gleichung artikuliert. s. unten 8. 278. 106 s. noch einmal oben Anm. 83. 107 s. noch einmal oben Anm. 84. 108 s. dazu Constantinesco II, S. 382 ff., 400 ff. 109 Der Gegensatz zwischen feststellender und veränderungsgerichteter Rechtsvergleichung wurde im Verlaufe der Diskussion noch mit den Begriffen statischer und dynamischer Rechts'vergleichlung artikuliert. s. dazu unten 8.128.

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zu einem Ganzen zu verbinden. Feststellende Rechtsvergleichung finden wir also etwa dort, wo supranationales Recht die Begegnung nationaler Rechte zu vermitteln hat (wie z. B. in der Verordnung über die soziale Sicherung der Wanderarbeitnehmer), nicht aber die nationalen Rechte in sich zu ändern. Die richtige "Vermittlung" der nationalen Rechte setzt die Kenntnis der nationalen Rechte voraus.

Veränderungsgerichtete Rechtsvergleichung dagegen sucht nach neuen Lösungen - um mit der gängigen Sprache der Rechtsvergleicher zu rederi: nach der "relativ besten Lösung". Veränderungsgerichtete Rechtsvergleichung ist in besonderem Maße final orientiert. Sie sucht nach Mustern für das richtige Recht. Hier geht es insofern um ähnliche Zweckzusammenhänge, wie sie auch in der horizontalen Dimension anzutreffen sind, wenn nationale Rechte verglichen werden, um einer neuen Gesetzgebung oder auch einer neuen Rechtsprechung ausländische Lösungsund Erfahrungsvorräte zugute kommen zu lassen. Ebenso wie internalisierende und außengerichtete Rechtsvergleichung können sich auch feststellende und veränderungsgerichtete Rechtsvergleichung verbinden. So kann etwa eine harmonisierende Verordnung der Europäischen Gemeinschaften auf den feststellenden Rechtsvergleich der zu harmonisierenden nationalen Rechte angewiesen sein, zugleich aber für die eigene Aufgabe - für die "Harmonisierung nach vorne" wie auch für die Technik des Verbundes der supranationalen und der nationalen Regelungen - nach der "relativ besten Lösung" Ausschau halten. Eine andere höchst eigentümliche Mischung von feststellender und veränderungsgerichteter Rechtsvergleichung finden wir dort, wo den "unteren" Rechten allgemeine Rechtsgrundsätze zur Ergänzung des "höheren" Rechts entnommen werden sollenllO • Der Gesamtvorgang ist auf Veränderung gerichtet: auf Feststellung von Recht, dem bisher entsprechende Anerkennung und Aussage fehlte. Zunächst aber hat der Rechtsfinder hier nach den Beständen im Recht der "zivilisierten Nationen", der Mitgliedstaaten usw. zu forschen, sie also festzustellen. Auf der anderen Seite ist klar, daß Ungleichheiten und Widersprüche zwischen den "unteren" Rechten nicht mit mathematischen Formeln, nicht etwa im Sinne einer Minimal-, Medial- oder Maximalregel überwunden werden können, sondern daß dabei wertend zu verfahren ist1 11 • Und darin kommt s. dazu noch einmal Anm. 83 und Anm. 84. s. dazu z. B. Zweigert (Anm. 93), S. 418 ff.; Zemanek (Anm. 81), S. 465. Die Spielräume solcher Wertung stehen hier nicht zur Diskussion. Jedoch muß darauf hingewiesen werden, daß die geläufige Verabsolutierung der Formel von der "relativ besten Lösung" gefährlich ist. Wer bestimmt sie? Nach welchen Kriterien? Zumindest die Leitfunktion des zu ergänzenden "höheren" Rechts, das den Adaptionsvorgang regiert, muß klar sein. Aber auch darüber hinaus ist Rechenschaft darüber notwendig, welche Wertungsmaximen zur Auswahl der "relativ besten Lösung" führen sollen oder geführt haben und warum sie legitim sind. s. dazu insbes. Meessen (Anm. 80), S. 301 ff. mit ein110

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der veränderungsgerichtete Charakter des Gesamtvorgangs zum Ausdruck. c) Umfassende und selektive Rechtsvergleichung

Umfassende Rechtsvergleichung versucht einen gewissen Kreis nationaler Rechte hinsichtlich des gefragten Gegenstandes erschöpfend aufzunehmen. Sozialversicherungsabkommen etwa können nur richtig geschlossen werden, wenn die national rechtlichen Voraussetzungen der betroffenen Rechtsordnungen exakt bekannt sind. Entsprechendes gilt für die Rechtssetzungsakte der Europäischen Gemeinschaften, die nicht nationale Rechte ablösen, sie vielmehr in bessere wechselseitige Verbindung bringen und einander angleichen sollen 112 • In einem relativen Sinne hat auch die Ermittlung allgemeiner Jtechtsgrundsätze des nationalen Rechts als Quelle des Völkerrechts im Sinne des Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs umfassend zu sein113 • Auf der anderen Seite kann sich die rechtsvergleichende Suche nach der "relativ besten Lösung". - wo immer sie geboten und zulässig ist - auf Bereiche vermutlicher Fündigkeit konzentrieren 114• Sie verfährt selektiv. Aber auch die außengerichtete Ermittlung des Wirkungsfeldes neuen "höheren" Rechts, das (wie etwa Konventionen) für viele Staaten gelten und vielleicht auch nur prinzipiellen oder programmatischen Charakter haben soll, kann sich und muß sich oft mit Stichproben der betroffenen nationalen Rechte begnügen. d) Querverbindungen

Zwischen feststellender und umfassender Rechtsvergleichung besteht also ein tendenzieller Zusammenhang und ebenso zwischen veränderungsgerichteter und selektiver Rechtsvergleichung. Die letzteren beiden Kategorien finden sich deshalb auch beide gemeinhin als wertende Rechtsvergleichung bezeichnet 115 • Selektion setzt Wertung voraus. Und das Ergebnis der "selektiven Nachschau" wird eingebracht in den konkreten oder allgemeinen, gebundenen oder freien Rechtserzeugungsvorgang gehenden Nachweisen. S. aus neuerer Zeit vor allem Hailbronner (Anm. 79), insbes. S. 205 ff., 215 ff. 112 s. oben Anm. 92 und Anm. 95. 113 s. dazu aus neuerer Zeit etwa Hailbronner (Anm. 79), S. 207 ff. und seine Nachweise. 114 Allerdings ist die Gefahr, daß Vorurteile rechtsvergleichend untermauert werden, groß. Das ist dann der Fall, wenn die im Text behauptete Freiheit dahin mißverstanden wird, daß der Rechtsschöpfer oder Rechtsfinder und sein rechtsvergleichender Zu arbeiter nur mich den Rechten Ausschau halten, in denen eine vom Ergebnis her zusagende Lösung vermutet wird. Demgegenüber sollten sich die Beteiligten stets der Mühe unterziehen und der Kontrolle aussetzen, weiter auszugreifen. tl&Siehe noch einmal Anm. 111.

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und also auch Rechtsveränderungsvorgang, dessen Gesetze auch die Maßstäbe der Bewertung liefern müssen, kraft deren der Befund in den Rechtserzeugungsvorgang eingeht. Weniger eindeutig ist das Verhältnis der beiden Kategorien zu den Phänomenen der internalisierenden und der außengerichteten Rechtsvergleichung. Das notwendige Minimum internalisierender Rechtsvergleichung ist selektiv und veränderungsgerichtet: Ermittlung und Aufbereitung des kritischen und kreativen Potentials zur inneren Entwicklung des aufnehmenden "höheren" Rechts. Internalisierende Rechtsvergleichung kann aber auch in die Dimension feststellender und umfassender Rechtsvergleichung geraten, wenn dieser Rechtserzeugungsvorgang auf einen gewissen Kreis von Rechten verweist und deren Bestand wenigstens berücksichtigt werden muß - wie eben bei der Findung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Völker- und des Europarechts. Auf der anderen Seite hat außengerichtete Rechtsvergleichung kraft der Außenrichtung des Gesamtvorganges einen notwendigen Bezug zur möglichst umfassenden Feststellung der betroffenen Rechte. Sie will aber immer auch neues "höheres" Recht, das sich auf die betroffenen "niedrigeren" Rechte richtet und ist zumindest insofern immer auch selektiv und veränderungs gerichtet. 4. Die subjektive Seite, insbesondere die verschiedenen sozialen Rollen, in denen horizontaler und vertikaler Rechtsvergleich betrieben wird

Vermerkt muß schließlich werden, daß durch die vertikale Dimension der Rechtsvergleichung sich auch die Subjekte und Verfahren der Rechtsvergleichung verändern. Allein von der horizontalen Rechtsvergleichung her zeigt sich etwa das folgende Bild. Rechtssetzer und Rechtsanwender interessieren sich für die Hilfe, die ausländische Lösungs- und Erfahrungsvorräte für die Bewältigung inländischer Rechtsprobleme bieten können. Ferner interessieren sie sich - exakter - für die Entsprechungen inländischen und ausländischen Rechts, um adäquate Lösungen für Sachverhalte, die zu mehreren Rechten in Beziehung stehen, zu finden. Die Wissenschaft unterstützt sie dabei. Sie bemüht sich darüber hinaus im Sinne besserer Erkenntnis des Rechts als eines humanen und sozialen Phänomens, Gleichheiten und Ungleichheiten, Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zwischen Rechten zu erfassen, zu verstehen und zu bewerten. Der so gegebene Wissens- und Erfahrungsvorrat erweitert und intensiviert die Möglichkeiten jener Unterstützung. Bezieht sich nun internationales und supranationales Recht auf die nationalen Rechte, so kommen im eben skizzierten Sinne neue Bedürfnisse nach Rechtsvergleichung auf, treten neue Nachfragen nach Rechts-

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vergleichung auf, ergeben sich aber auch neue Austauschvorgänge, die zu wechselseitiger Kenntnis verschiedener Rechte führen. So werden Verhandlungsdelegationen, die bi- oder multilaterale Verträge aushandeln116, internationale oder supranationale Bürokratien, welche internationale Konventionen oder supranationale Rechtssetzungsakte vorzubereiten und anzuwenden haben, internationale und supranationale parlamentarische Gremien, die über internationale und supranationale Rechtssetzungsakte vorbereitend oder definitiv zu beschließen haben, internationale Kontrollorgane (wie die Expertenkomitees und die politischen Organe des Europarates und der Internationalen Arbeitsorganisa.tion oder auch der Vereinten Nationen) und schließlich vor allem internationale Gerichte 117 zu Stätten mehr oder minder konzentrierter rechtsvergleichender Erfahrung118• Für die Wissenschaft steigert sich die Möglichkeit praktischer Sinnerfahrung ihrer Arbeit. Die steigende Nachfrage nach Expertisen aktiviert die Forschung und verschafft ihr Effektivität. So scheint sich die Perspektive einer umfassenden Zunahme an rechtsvergleichender Aktivität und Interkommunikation abzuzeichnen. Jedoch darf nicht übersehen werden, daß die konkreten Zwecke, von denen diese Aktivitäten gesteuert werden, auch zu Verkürzungen der rechtsvergleichenden Vorgänge führen. Internationale Gerichte etwa stehen unter dem Eindruck des Einzelfalles. Er gebietet oder gestattet es ihnen, allgemeinere Aussagen zu unterlassen. Oft auch ist das schon eine Sache des Urteilsstiles. Und letztlich läuft das Gericht Gefahr, durch die Ausbreitung seiner rechtsvergleichenden Urteilsgrundlagen unnötige Angriffsflächen zu bieten - die bei dem anerkannt hohen Fehlerrisiko rechtsvergleichender Arbeit unvermeidlich sind 119 • Internationale und supranationale parlamentarische Gremien stehen vor allem vor der Aufgabe politischer Entscheidung. Pflicht und Neigung, die Grundlagen exakt offenzulegen, sind gering. Nationale, supranationale und internationale Bürokratien haben zumeist einen hohen Kenntnisstand 120 • m s. dazu in diesem Zusammenhang Constantinesco II, S. 380 ff. Zu diesem in diesem Zusammenhang vor allem Kropholler, S. 278 ff.; Bothe (Anm. 79) und die dortigen Nachweisungen. 118 s. zum Vorstehenden auch noch einmal Ficker (Anm. 31). UD s. zur Rechtsvergleichung durch internationale und supranationale Gerichte außer den in Anm. 7 Zitierten und deren Nachweisen vor allem die von Erfahrung durchdrungenen Berichte von Mosler (Anm. 33) und Kutscher (Anm. 46), S. I - 23 ff. 120 s. dazu als Beispiele Wanders, Jantz und Echterhölter (Methodische Probleme), S. 137 ff., 195 ff., 221 ff., sowie Schregle, Nagel, Schuh, Pipkorn und Kaupper unten S. 133 ff. - Hier ist noch einmal an ein Phänomen zu erinnern, das im Ductus dieser Überlegung nur peripherisch erwähnt werden kann. Internationale und supranationale Organisationen haben weitgehend die Aufgabe, auf die Entwicklung nationalen Rechts konsultativ einzuwirken. Das kann primär um des Gemeinwohls der betroffenen Nationen wegen geschehen - wie das weitgehend für die Beratungstätigkeit der Vereinten Nationen und 117

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Die Summe der technischen Details und die Dynamik stets neuer Herausforderungen auf der einen Seite, sowie andererseits die Gefahr, durch systematische Darlegungen Elastizität und politisches Anpassungs- und Durchsetzungsvermögen einzubüßen, wirken jedoch darauf hin, daß diese hoch zu veranschlagenden Vorräte an Kenntnissen und Techniken wenig systematisiert und nach außen hin nicht systematisch dargestellt werden. Besonders deutlich ist die Verkürzung rechtsvergleichender Vorgänge dort, wo nichtrichterliche internationale Kontrollorgane die Einhaltung nationaler Standards zu überwachen haben 121 • Die Darlegungen sind dabei weitgehend auf Regierungen und gesellschaftlich maßgebliche Kräfte (Verbände) beschränkt. Und die Kontrollorgane sind teils rechtlich, teils tatsächlich außerstande, die Sachverhalte über diese offiziellen Darlegungen hinaus zu untersuchen. Somit wird weitgehend ein bloßer Anschein von Normen und Verhältnissen mit den Anforderungen internationalen Rechts verglichen 122• Der Verdacht, daß solch spezialisierter und entsprechend teilhafter Rechtsvergleich den Blick eher verstellen als weiten kann, liegt nahe. Doch gibt es kaum Wege, diese Beschränkungen und Einseitigkeiten konkret zweckhafter Rechtssetzungsarbeit generell auszuräumen. Vielmehr ist es wichtig, den jeweils spezifischen, ausschnitt haften Charakter der Rechtsvergleichungsarbeit zu sehen. Er hat sich oben schon sachlich im Sinn des spezifischen, ja besonderen Charakters der verschiedenen Rechtsvorgänge gezeigt. Hier geht es um die subjektive Entsprechung - die nicht notwendig eine Entsprechung jeweils zwischen einem Typ von Akteuren und einem Typ sachlicher Spezialität von Rechtsvergleichung ist. Die größte Gefahr besteht nicht in dem hier auf die Subjekte bezogenen Teilcharakter jeder Rechtsvergleichungsarbeit an sich, sondern darin, die spezielle rechtsvergleichende Arbeit jeweils für die Rechtsihrer zahlreichen Unter- und Sonderorganisationen, der Internationalen Arbeitsorganisation usw. zutrifft. Es kann daneben oder primär den Zweck haben, eine internationale oder supranationale Gemeinschaft zu integrieren - wie das für die Europäischen Gemeinschaften zutrifft (s. insbes. Art. 118 EWG-Vertrag). Die Funktionäre und Experten dieser Organisationen sind im Rahmen solcher Aufgaben zur Rechtsvergleichung veranlaßt, ja gezwungen. Und ihre rechtsvergleichende Erfahrung ist ein wichtiger Beitrag auch zu der sonstigen Rechtsvergleichung im Rahmen dieser Organisationen. 121 So z. B. die Gremien nach Art. 8 ff. des Internationalen tlbereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966; Art. 28 ff. des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1976; Art. 16 ff. des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966; Art. 19,22,23,24 ff. der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation - dazu genauer van der Yen (Anm. 19), Schregle, unten S. 13·3 ff.; Art. 21 ff. der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961; Art. 74 ff. der Europäischen Ordnung der sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 (dazu genauer Nagel, unten S. 161 ff.). 122 Die Anwendung von Formelkompromissen auf oberflächlich wahrnehmbare Verhältnisse: Zacher laut Diskussionsbericht zu van der Ven (Anm. 19), S. 191 ff.

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vergleichung schlechthin zu halten. Je mehr Rechtsvergleichung rechtssetzend und rechtsanwendend relevant wird, desto mehr muß für die Rechtsvergleichung, wie im übrigen Rechtsleben auch, die Rollenverteilung bewußt werden123 • Auch die Wissenschaft vermag nicht das Ganze der Rechtsvergleichung darzustellen. Und je länger der Prozeß in der Verbindung von horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung anhält, desto deutlicher wird dies. Aber die Wissenschaft bleibt das Element mit der weitestreichenden Fähigkeit des überblicks und der Integration124 • IV. Sozialrechtsvergleichung im Bezugsrahmen internationalen und supranationalen Rechts 1. Vorbemerkungen Zusammenhänge zwischen dem internationalen und supranationalen Recht insbesondere dem internationalen Sozialrecht und dem supranationalen Sozialrecht und - dem nationalen Sozialrecht und der Vergleichung nationalen Sozialrechts herzustellen, war der Zweck dieses Colloquiums. Dabei konnte es sich schon deshalb nur um einen exemplarisch angelegten Versuch handeln, weil sowohl das internationale Sozialrecht125 als auch die nationalen Sozialrechte und insbesondere ihre Vergleichung l2t der Aufbereitung und Darstellung harren l27 • Die "Versuchsanordnung" bestand darin, daß die Referate über "Rechtsvergleichung und Völkerrecht" (Dieter Blumenwitz)128 und "Rechtsvergleichung im Europäischen Gemeinschaftsrecht" (Albert Bleckmann)129 die Problematik dieses Kreuzungsfeldes von horizontaler Vergleichung nationaler Rechte und vertikaler Vergleichung von Völkerrecht, supranationalem Recht und nationalem Recht ohne Beschränkung oder auch nur Konzentration auf das Sozialrecht zu skizzieren hatten. Die anderen Referate sollten konkrete sozialrechtliche Erfahrungsbereiche in diesem Kreuzungsfeld beschreiben. Der Versuch, dieses Kreuzungsfeld für jeweils das ganze nationale, supranationale und in-

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123 Zur Kooperation der juristischen Rolle s. Zacher, Grundfragen usw. (Anm. 2), S. 10 m. w. Nachw. 1!4 Zur Notwendigkeit, zwischen den verschiedenen Akteuren der Rechtsvergleichung zu unterscheiden s. den Dislrussionsberich,t unten S. 128. 125 s. oben Anm. 7. 126 s. oben Anm. 16. 127 Unter den angesprochenen Kategorien erscheint das supranationale Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaften am eingehendsten aufbereitet, s. oben Anm. 15. 128 s. unten S. 75 ff. 129 S. unten S. 97 ff.

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ternationale Sozialrecht darzustellen, konnte wegen des Standes der Forschung und der begrenzten Möglichkeit von Referaten niemandem zugemutet werden 130. 2. Völkerrecht und Sozialrechtsvergleichung

a) Völkerrecht als Staaten-Recht Völkerrecht ist in erster Linie Staaten-Recht: Recht des Werdens und Vergehens von Staaten, ihrer territorialen und personellen Grenzen, ihres Handelns gegen- und untereinander, ihrer Verpflichtungen untereinander und ihrer Streitigkeiten. Rechtsvergleichung hat hier den Normenvorrat nationalen Rechts für die Beziehungen zwischen gleichgeordneten Subjekten, insbesondere also des nationalen Privatrechts, für die Entwicklung des Rechts zwischen den Staaten erschlossen131 • Indem die internationalen Organisationen an Zahl und Bedeutung zunahmen, ergab sich auch ein wachsender Bedarf an Modellen des Organisationsrechts132• Sozialrecht als ein Recht gegen ökonomische und ökonomisch bedingte Unterschiede und Abhängigkeiten hatte in diesen Beziehungen keinen Ort. Und Nachfrage nach Rechtsvergleichung richtete sich nicht auf das nationale Sozialrecht. Erst die Diskussion um die "neue Weltwirtschaftsordnung" brach dann auch in größerem Umfang einer "Materialisierung" der Staaten-Staaten-Beziehung Raum133 • Internationale Verteilungsordnung und internationale Umverteilung sind keine Unvorstellbarkeiten mehr. Und von hier aus wird sich eine Nachfrage nach einem Sozial-Völkerrecht ergeben, die von nationalen Vorbildern - speziell von Mustern der Umverteilung - zum internationalen Recht hinaufführen kann134• Sowohl für die Suche nach den "relativ besten Lösungen" für diese Probleme, als auch für die Ermittlung des Koope130 Damit soll niemandem nahegetreten werden, der sich imstande gesehen hätte, ihn zu unternehmen. Die folgenden Zeilen können und sollen diesen Versuch nicht ersetzen. Sie sollen nur helfen, die herausgegriffenen Themen in der weiten Landschaft zu lokalisieren und eine Spur von Rechenschaft über die Lücken zu geben, die bleiben mußten. 131 s. dazu noch einmal die oben zitierten Arbeiten von StrebeI, Hailbronner und Bothe (Anm. 78). s. ferner Blumenwitz unten S. 75 U. 132 Siehe dazu noch einmal Ress (Anm. 78) und seine Nachweise. 133 Siehe dazu Tomuschat (Anm. 13); Ernst Petersmann, Die Dritte Welt und das Wirtschaftsvölkerrecht, ZaÖRV Bd. 36 (1976), S. 492 ff. Siehe auch die Zusammenstellung der wichtigsten internationalen Dokumente, in: Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung (Zweiter Bericht) - Entwicklungspolitische Konzeption der Bundesrepublik Deutschland (Neufassung 1975), Deutscher Bundestag, Drucksache 7/4293, S. 37 ff., ergänzend "Resumed Assembly Session Fails to Agree on Paris Conference Achievements", UNCronicle, Vol. XIV, N. 9, Oct. 1977, S. 32 ff. 134 s. dazu auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft über die "Fragen einer neuen Weltwirtschaftsordnung" BMWi, Studienreihe 1'5, 1976, S. 59 ff.

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rations- und Konftiktfeldes in den nationalen Rechtsordnungen, mit dem die Lösungen zu rechnen und in dem sie zu wirken haben, wird hierfür der Sozialrechtsvergleich135 in Anspruch genommen werden müssen. Freilich wird das so auf den Weg kommende "Internationale Wirtschaftsund Sozialrecht" selbst sich nur ausnahmsweise auf das nationale Sozialrecht beziehen. Im wesentlichen zielt die Entwicklung auf das Verhältnis der Staaten untereinander, nicht auf eine bestimmte völkerrechtliche Gestaltung ihrer internen Verhältnisse 136 • Wenn hier Sozialrechtsvergleichung Dienste leisten kann, so sind sie primär internalisierender und 185 So spielen die Transfers von Sozialleistungen im Rahmen internationalen Sozialversicherungsrechts bereits heute eine wesentliche Rolle in der internationalen Verteilung und Umverteilung. 138 Die internationalen Dokumente sind nicht eindeutig. Zwei Fragen vermischen sich: (1) Wirtschaftspolitik oder Sozialpolitik durch Wirtschaftspolitik? (2) Sind die Staaten als nach außen geschlossene Ganzheiten oder die Verhältnisse (auch der einzelnen, ihrer Gruppen, einzelner Regionen, Schichten usw.) in den Staaten Gegenstand der internationalen Politik? Von der Offenheit und Überschneidung dieser Fragen her ergeben sich vielfache Mehrdeutigkeiten und Dissense. Für den Überschneidungsbereich seien - in zeitlicher Reihenfolge - folgende Dokumente zitiert: 1. Declaration on Social Progress Developments vom 30. 12. 1969 (GAIRES/ 2542 rXXIVJ): Die ersten 22 Artikel zählen alle denkbaren Ziele nationaler Sozialpolitiken auf; Art. 23 und 24 bringen unter der Überschrift "Means and Methods" als Voraussetzung echten sozialen Fortschritts sowohl des Einzelstaates, wie der "intern. Community" alle im Rahmen einer "Neuen Intern. WeltwirtschaftsO" diskutierten Forderungen der E-Länder (Art. 23 lit. (b), (d), (e); Art. lit. (b), (c). 2. Proklamation der 11. Entwicklungsdekade der VN vom 16. 10. 1970 (GA/ RES/UN/Doc/A/8124), deutscher Text bei Meyer / Seul / Klingner, "Die zweite Entwicklungsdekade der VN", Bochumer Schriften zur Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik Bd. 10, Düsseldorf 1971, A. Präambel "Die Regierungen ... geloben, einzeln und gemeinsam eine Politik zu verfolgen, die so angelegt ist, daß eine gerechtere und vernünftigere Wirtschafts- und Sozialordnung geschaffen wird, in der die Gleichheit der Chancen ebenso sehr ein Vorrecht von Nationen wie von einzelnen innerhalb einer Nation sein sollte ... " 3. Erklärung über die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung vom 1. 5. 1974 (RES/3201 (S-VI) und RES/3202 (S-VI) der 6. Sondergeneralversammlung der VN: Präambel Ziff. 3 " ... daß die Interessen der entwickelten Länder und die der Entwicklungsländer untrennbar geworden sind; ... Internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung ist das gemeinsame Ziel und die gemeinsame Pflicht aller Länder ... " 4. Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten vom 12. Dez. 1974 (GA/RES/3281). Nach Kapitel I müssen die Grundlagen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen auf folgenden Grundsätzen beruhen: gegenseitiger und gerechter Nutzen, Förderung der internationalen sozialen Gerechtigkeit (lit. e und m). Kapitel Ir (insbes. Art. 17) bringt das Argument der "Bedürftürkeit eines Staates" als Grundlage für einen Anspruch auf Hilfe. Kapitel IX lautet: "Alle Staaten haben die Aufgabe, in wirtschaftlichem, sozialem, kultuturellem, wissenschaftlichem und theoretischem Bereich zusammenzuarbeiten, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in der ganzen Welt, insbes. in den Entwicklungsländern zu fördern,"

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- mangels Maßgeblichkeit des Völkerrechts für das nationale Recht nur im weiteren Sinne vertikaler Natur. Vertrauter schon ist die Nachfrage internationaler Organisationen nach sozialrechtlichen Modellen. Das Dienst- und Sozial recht der Bediensteten und Funktionäre verlangt nach Lösungen, deren Vorbilder im nationalen Arbeits-, Beamten- und Sozialrecht gesucht werden konnten. Darüber hinaus haben auch die sozialpolitischen Aufgaben einzelner Organisationen nach sozialrechtlichen Mustern verlangt. Doch damit ist bereits der Bereich der Einwirkung des Völkerrechts auf das nationale Sozialrecht betreten. b) Die völkerrechtliche Vorordnung des nationalen Sozialrechts

Hinter der "Kulisse" der Staaten-Staaten-Beziehungen und der Staaten-Organisationen vollzog sich nämlich seit dem Ende des 19. Jahrhunders ein durch die Geschlossenheit der Staaten als Völkerrechtssubjekte und die Mediatisierung der inneren Verhältnisse und des einzelnen gegenüber dem Völkerrecht137 lange gehemmter Prozeß: die Erkenntnis und Zunahme der Verantwortung der Staatengemeinschaft und somit des Völkerrechts für den Menschen und seine Lebensverhältnisse auch in den Staaten138. Der elementare Nenner dafür ist die Entwicklung der Menschenrechte im Völkerrecht - der Freiheits- und politischen Rechte sowie der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte: Daß dabei die nationalen Muster Pate standen und die Rechtsvergleichung helfen mußte, ist offensichtlich - ja für die wissenschaftliche Reflexion fast zu selbstverständlich. Parallel dazu verlief die Erkenntnis, daß die Unterschiede der nationalen Rechte dem Verkehr der Menschen und Güter hinderlich waren, daß also nach Vereinheitlichung oder Angleichung - jedenfalls nach Abbau der Hinderlichkeit der Rechtsgrenzen, insbesondere also im Kollisionsrecht - gesucht werden muß139. Wo man sich dabei nicht mit abgesprochener oder sich sonst ergebender - faktischer Annäherung begnügen, sondern rechtliche Wege und Garantien nutzen wollte, konnte das nur über das Völkerrecht geschehen140 • Und auch für all dies wurde Rechtsvergleichung zur unerläßlichen Voraussetzung141 .

Siehe z. B. Verdross I Simma (Anm. 14), S. 57 ff. Siehe etwa Verdross I Simma (Anm. 14), S. 57 ff. 139 Siehe etwa Verdross I Simma (Anm. 14), insbes. 599 ff. und die dortigen Nachweise. 140 Kropholler, S. 34 f., 43 ff., 93 ff., 112 ff. 141 Siehe etwa Zweigert I Kötz (Anm. 25), S. 23 ff.; Constantinesco II, S. 400 ff., 421 ff. 187 138

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Dies alles fällt in die Zeit, in der die soziale Verantwortung sich in der Politik Bahn bricht, so daß internationale Verantwortung für den Menschen auch internationale Sozialpolitik bedeutet142 • Mit der Entwicklung der sozialpolitischen Systeme in den Staaten werden die Unterschiede in Sozialpolitik und Sozial recht zu immer bedeutsameren Bestimmungs gründen für die Rolle des Faktors Arbeit im internationalen Wettbewerb der Wirtschaft. Auch von daher ergeht also ein Ruf nach Standardisierung. Wichtiger aber wird auf Dauer, daß die Idee der Gleichheit, die jeder Sozialpolitik immanent ist, nicht ohne Inkonsequenz an den Grenzen anhalten kann. Und endlich bewirkt die Angewiesenheit des Menschen auf die sozialpolitischen Systeme, insbesondere die Systeme sozialer Sicherung und seine Verstrickung in sie, daß deren nationale Unterschiede zu wichtigen Barrieren für die internationale Wanderung werden. Dies alles führt dazu, daß sich internationales Sozialrecht entwickelte, durch welches Völkerrecht auf die nationalen Rechtsordnungen einwirkt. Sowohl den Bedürfnissen der Koordination als auch den Möglichkeiten des Sozial-Völkerrechtes gegenüber den nationalen Rechten konnte und mußte dabei durch eine reiche Vielfalt verschiedener Instrumente entsprochen werden l43 . So ist etwa zu unterscheiden - nach dem Inhalt: zwischen der kollisionsrechtlichen Ordnung der Begegnung der nationalen Sozialrechtsordnungen (vor allem durch Sozialversicherungsabkommen, Fürsorgeabkommen USW.)l44 und der Standardisierung des "internen" Sozialrechts (elementar durch den UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und die Europäische Sozialcharta; detaillierter durch lLO-übereinkommen und Empfehlungen und durch weitere Empfehlungen des Europarates)145; - nach der Intensität und der Differenziertheit der Aussage: zwischen den unmittelbaren Sachregelungen (wie sie eher im Kollisionsrecht anzutreffen sind) und den prinzipiellen und programmatischen Garantien (wie sie sich eher für die Standardisierung "inneren" Sozialrechts zu eignen scheinen)l46; 142 S. z. B. Gertrud Savelsberg, Art. "Sozialpolitik (V) Internationale Sozialpolitik, Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 9 (1956), S. 564 ff.; Peter Heyde, Internationale Sozialpolitik, 1960; Ludwig Preller, Praxis und Probleme der Sozialpolitik, 2 Bde. 1970, Bd. 11 S. 692 ff. 143 Die nachfolgenden Hinweise können dem internationalen Arbeitsrecht nicht spezifisch Rechnung tragen. Deshalb sei generell auf die einander ergänzenden Werke von Gamitlscheg (Anm. 8) und Schnorr (Anm. 12) hingewiesen. 144 Siehe dazu für die deutsche Praxis Plöger / Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen (fortlaufend). Weitere Hinweise siehe bei den oben in Anm. 7 Zitierten. 145 Siehe dazu die Zusammenstellung bei Hans F. Zacher, Internationales und Europäisches Sozialrecht (Anm. 12). - Siehe zur Relevanz dieser Unterscheidung für den EiIl!bezug des Rechtsvergleichs oben S. 34 ff., 49' f.

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nach den Adressaten: zwischen wie innerstaatliches Recht anwendbaren - sich also auch an Bürger und Verwaltung wendenden - "selfexecuting" -Verträgen (wie sie wieder eher für das Kollisionsrecht typisch sind) und den nur die Staaten - sich also in der Sache an Regierungen und Gesetzgeber richtenden - "non-self-executing"Verträgen (wie sie vor allem der Bestimmung von Standards gemäß sind)147;

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nach der Zahl der beteiligten Staaten und dem Vorgang der Beteiligung: zwischen bilateralen und multilateralen Abkommen zwischen zwei oder wenigen Staaten, die auf diese Weise eine große Nähe zum nationalen Recht, eine große Regelungsintensität und einen direkten Geltungsanspruch erreichen können (wie etwa bei Sozialversicherungsabkommen, Fürsorgeabkommen usw.) und den breit ausgelegten und deshalb tendenziell dem nationalen Recht gegenüber distanzierteren und geltungsschwächeren Konventionen (weltweit der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation; europäisch des Europarates)148;

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nach den Sanktionsmechanismen: zwischen den schlichten allgemeinen Sanktionsmechanismen völkerrechtlicher Verträge (wie sie sich

z. B. aus dem Synallagma bilateraler Verträge oder aus den allgemeinen Grundsätzen völkerrechtlicher Rechtsdurchsetzung ergeben)149 oder den spezifischen Sanktionsmechanismen internationaler Organisationen (besonderen Organen und Verfahren, wie sie vor allem die Internationale Arbeitsorganisation und der Europarat, aber auch die Vereinten Nationen gerade für den sozialrechtlichen Bereich aufgebaut haben)150;

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endlich - und schon am Rande des Themas - nach dem "imperativen" oder "konsultativen" Charakter: zwischen der Herstellung von verbindlichen oder doch autoritativ empfohlenen Rechtstexten (wie Verträgen, übereinkommen oder Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation) oder der Konsultation (in Konferenzen, in Organen internationaler Organisationen oder durch Berater, die von internationalen Organisationen gestellt werden)151. Mit dieser letz-

Siehe zur Relevanz dieser Unterscheidrung oben S. 30 ff., 32, 50. Siehe dazu etwa Wilhelm Wengier, Die Unanwendbarkeit der Europäischen Sozialcharta im Staat, 1969. - Zur Relevanz dieser Unterscheidung siehe oben S. 33, 62; :flerner Constantinesco II, S. 391 f.; Kropholler, S. 101 ff. 148 Siehe zur Relevanz dieser Unterscheidung oben S. 21 f., 37 ff. 149 Siehe etwa Verdross I Simma (Anm. 14), S. 409 ff., 613 ff., 647 ff. 150 Siehe noch einmal Anm. 121, siehe ergänzend etwa die vergleichende Darstellung der Sanktionsmechanismen des Europarats (nach der Europäischen Sozialcharta) und der Internationalen Arbeitsorganisation bei F. M. van Asbeck, La Charte Sociale Europeenne: Sa Portee Juridique, La Mise en Oeuvre, in: Melanges offertes a Henri RoHn, Paris 1964, S. 427 ff. (445). - Zur Relevanz der Unterscheidung siehe oben S. 22 i., 32 f. 146

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teren Unterscheidung wird das Kriterium der Maßgeblichkeit des höheren Rechts preisgegeben und damit die Grenze engerer vertikaler Rechtsvergleichung überschritten. Daß alle diese Unterschiede ihre - zumindest potentielle - Relevanz für den Einbezug des Rechtsvergleiches in die Vorgänge der Rechtsbildung und Rechtsanwendung haben, sollte oben dargetan worden sein. c) Zur spezifischen Nicht-Identität von internationalem und nationalem Sozialrecht

Die Trias von (meist bilateralen) Sozialversicherungs- und Fürsorgeabkommen, regionalen (europäischen) Konventionen und weltweiten Konventionen exemplifiziert auch die typische schwellenbedingte Konzentration von Kategorien der Nicht-Identität, die den vertikalen Rechtsvergleich zwischen maßgeblichem "höherem" Recht und untergeordnetem nationalem Recht charakterisieren 152 • Bilaterale Abkommen, multilaterale, insbesondere regionale (z. B. europäische) Konventionen, und multilaterale weltweite Konventionen stehen jeweils vor sehr unterschiedlichen Problemen der Zahl der Rechtssetzungssubjekte, der natürlichen Bedingungen, der sozialen, technischen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Ambiance, der nationalen Rechtsordnungen und der Sprache. Und sie müssen und können in ganz verschiedener Weise darauf reagieren. Allen diesen Instrumenten aber ist gemeinsam, daß sie "über" oder vielleicht sollte man besser sagen "außerhalb" der Zone umfassender politischer und rechtlicher Verantwortung angesiedelt sind, die der Staat darstellt153 • Völkerrechtliche Abkommen und Konventionen können den nationalen Rechtsordnungen und Politiken ihre Verantwortung nicht abnehmen und müssen deren Prioritäten hinnehmen. Das wirkt sich gerade im sozialrechtlichen Bereich mehr aus als in irgendeinem anderen. Sozialrecht muß, soweit es nicht zwischenbürgerliche Ordnung l54 , sondern Verteilung und Umverteilung ist, permanent durch eine Politik realisiert werden, die zu einer gesamthaften Disposition über ein ko151 Si'ehe dazu oben S. 20, 55 f. und Anm. 120. Exemplarisch siehe etwa M. Garcia Cruz, La SeguriJdad Social en Mexico, Bd. 1, Mexiko 1972, S. 71 ff. 152 Siehe oben S. 29, 36 ff. Die beiden Typen sind auch in den beiden Colloquien (sliehe "Methodische Probleme" und diesen Band) immer wieder hervorgetreten. Zum Typ des bilateralen Sozialversicherungsabkommens uSW.: Wanders, Methodische Probleme, S. 137 ff.; Schuh, unten S. 191 ff. Zur standardisierenden Konvention: van der Yen, Methodisclle Probleme, S. In; Schregle und Nagel, unten S. 133 ff. und S. 161 ff. 153 Siehe oben S. 39 f. 154 Und insofern liegen die Dinge gerade für das internationale Arbeitsrecht oft anders als für das Recht der sozialen Sicherheit und des sonstigen sozialen Verteilungs- und Umverteilungsrechts. Siehe zum internationalen Arbeitsrecht noch einmal oben Anm. 143.

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härentes Maximum an Ressourcen, Zielen, Prioritäten und Gestaltungen imstande ist l65, wie das eben nur für die staatliche Politik zutrifft156 • Vor diesem Sachzwang stehen schon Zusagen des nationalen Rechts - wie etwa "soziale Rechte"157 - weitgehend hilfloSl 58 • Zusagen des internationalen Rechts - wie etwa in ,den UN-Pakten, der Europäischen Sozialcharta oder manchen ILO-Korlventionen - sind dadurch apriori in Frage gestellt, und zwar um so mehr, je genauer und verbindlicher sie sein wollen. Gerade im Lichte dieser durchgehenden Gemeinsamkeit heben sich aber auch die Unterschiede ab, die zwischen den verschiedenen Instrumenten bestehen. Zwei typische Gruppen, die einander gegenüberzustellen sich lohnt, sind etwa: die bilateralen Sozialversicherungs- und Fürsorgeabkommen, die direkt das Detail regeln und vorwiegend kollisionsrechtlichen Inhalt haben, und die großen europäischen oder weltweiten Konventionen, die sich den sozialpolitischen und sozialrechtlichen Standards vor allem des "inneren" Sozialrechts widmen 159 • Die Kombination von Inhalt, Regelungstechnik, Geltungsanspruch und Kreis der beteiligten Staaten ist dabei mitnichten zufällig. Bilaterale Abkommen über die Begegnung national verbindlich geregelter Leistungssysteme sind nicht nur durch die geringe Zahl der Beteiligten, durch die Identität der Betroffenen und rechtssetzenden Subjekte, durch die Möglichkeit maximaler Rücksichtnahme auf die natürlichen, sozialen, ökonomischen, technischen, kulturellen und politischen Bedingungen und auf die Integrität der nationalen Rechtsordnung "privilegiert". Sie sind häufig auch durch den Gegenstand bevorzugt. Sozialversicherung z. B. ist auch im nationalen Rahmen technisch extrem durchgebildet und verrechtlicht. Daran kann das internationale Recht anschließen. Für weltregionale (z. B. europäische) und noch mehr für weltweite Konventionen sind dagegen die Herausforderungen der Zahl der betroffe155

Dazu umfassend Ludwig Preller, Sozialpolitik, Theoretische Ortung,

1962; s. ferner etwa Herbert Ehrenberg, Von der Notwendigkeit und den Mög-

lichkeiten einer umfassenden, auf die gleichen Ziele ausgerichteten Wirtschafts- und Sozialpolitik, in: Alfred Christmann u. a. (Hrsg.), Sozialpolitik, Ziele und Wege, 1974, S. 79 ff. 158 Zu gewissen Grenzen der internationalen Sozialpolitik s. a. Heyde (Anm. 142), S. 157 ff., insbes. S. 159 f. - s. zum Vorigen auch Hans F. Zacher, Was können wir vom Sozialstaatsprinzip wissen?, in: Festschrift für Hans P. Ipsen, 1977, S. 207 ff., insbes. ab S. 240 ff. 157 s. dazu statt anderer Peter Badura, Das Prinzip der sozialen Grundrechte und seine Verwirklichung in der Bundesrepublik Deutschland, Der Staat Bd. 14 (1975), S. 17 ff. 158 s. dazu auch Hans F. Zacher, Freiheits- und Sozialrechte im modernen Verfassungsstaat, in Stanis-Edmund Szydzik (Hrsg.), Christliches Gesellschaftsdenken im Umbruch, 1977, S. 75 ff. (95 ff.); ders., Was können wir usw. (Anm. 156), S. 207 ff. 159 s. oben S. 34 M. und 49 f.

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nen Staaten, der Differenzierung der Rechtssetzungssubjekte, der unterschiedlichen natürlichen, sozialen, wirtschaftlichen, technischen, kulturellen und politischen Bedingungen, die Unterschiede der Rechtsordnungen und die Unterschiede der Sprachen extrem groß. Nur selten können sie unmittelbar anwendbares Recht beinhalten (allenfalls in arbeitsrechtlichen Sätzen). Weithin sind sie auf Prinzipien und Programme angewiesen. Diese bedürfen der Umsetzung einerseits durch die verpflichteten Staaten, andererseits durch entsprechende Kontrollorgane - wie etwa die zuständigen Ausschüsse und Organe der Internationalen Arbeitsorganisation oder des Europarates 160 - und diese Kontrolle ist eine permanente Balance zwischen der exzeptionellen Einmischung aus dem internationalen Raum und der generellen Verantwortung und Kompetenz der nationalen Politik 161 • d) Zum CoZloquium

Diesen Bereich konnten die Referate über "Internationale Sozial rechtsvergleichung in der normenschaffenden Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation" (Johannes SchregleJ162, "Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates" (Siegfried-Günter Nagel)163 sowie über "Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Gestaltung und Anwendung zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen" (Josef Schuh)164 weitgehend besetzen. Ausgespart blieb dabei vor allem der Bereich der Vereinten Nationen 165 • Da die Praxis der Vereinten Nationen speziell bei der Garantie sozialer Rechte jedoch erst anläuft, konnte diese Einschränkung vertreten werden. 3. Supranationales Sozialrecht und nationales Sozialrecht

a) Das Terrain

Von supranationalem Recht kann von vornherein nur konkret die Rede sein. Es ist das Recht der Europäischen Gemeinschaften. Die Referate über "Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Harmonisierung sozialrechtlicher Normen in den Europäischen Gemeinschaften" (Jörn Pipkorn und Helmut Kaupper)166 konnten deshalb auch die Problematik s. o. Anm. 121 u. Anm. 150. s. auch den Diskussionsbericht zu dem Referat van der Ven, in: Methodische Probleme, S. 188 ff. 162 s. unten S. 133 ff. 163 s. unten S. 161 ff. 164 s. unten S. 191 ff. 165 Insofern war es besonders dankenswert, daß Prof. Christi an Tomuschat, der deutsche Vertreter in dem Ausschuß nach Art. 28 ff. des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte an dem Colloquium teilgenommenhat. 160

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des Sozialrechts im Kreuzungsfeld von horizontaler Rechtsvergleichung der Europäischen Gemeinschaften und vertikaler Rechtsvergleichung zwischen dem supranationalen Recht und dem Recht der Mitgliedstaaten breiter besetzen als die "völkerrechtlichen" Referate dies für das internationale Sozialrecht tun konnten. Gleichwohl ist auch hier auf den Ort des Sozialrechts im Gesamtzusammenhang von Rechtsvergleichung und supranationalem Recht1 67 einzugehen. Auch hier ist zu unterscheiden zwischen dem Rechtsvergleich, der zur Bildung und Ergänzung des "höheren" (hier: Gemeinschafts-)Rechts vom nationalen Recht her führt, ohne daß das "höhere" Recht die gleichen Gegenstände des nationalen Rechts vorzuordnen suchte und auf diese Weise dafür maßgeblich würde (vertikaler Rechtsvergleich im weiteren Sinne), und dem Rechtsvergleich, der "höheres" (Gemeinschafts-)Recht mit Maßgeblichkeit für das nationale Recht des gleichen Gegenstandes hervorbringt1 68 • Die Väter der Gründungsverträge haben sich der Sozialpolitik zunächst zwar nur angenommen, soweit sie mit der Wirtschaftspolitik notwendig verbunden erschien - m. a. W.: hinsichtlich der gleichen Bedingungen für den Faktor Arbeit über die Gemeinschaft hin. Aber daraus ergab sich doch schon eine Reihe unmittelbarer sozialpolitischer Aufgaben und Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaften. Daß sowohl für die einschlägigen Vertragsbestimmungen als auch für das europäische Recht, das die Verträge ausführt, der nationale Sozialrechtsbestand Vorbild war, ist offensichtlich (so z. B. die Vorschriften über den Europäischen Sozialfonds Art. 123 ff. EWGV, und das sekundäre Gemeinschaftsrecht hierzu). Sozialrechtsvergleich für die ergänzende Auslegung der einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen hat freilich keine evidente Rolle gespielt1 69 • Aber für die Fortentwicklung 166 s. unten S. 2,2'9 ff. und S. 255 ff., s. a. noch einmal Jantz, Methodische Probleme (Anm. 20), S. 195 ff. 161 s. dazu noch einmal Bleckmann, unten S. 97 ff. 168 Interessant hierzu die Gliederung des Colloquiums über "Der Beitrag der Rechtsprechung zur Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft und zu den sozialen Fragen" (oben Anm. 15): 1. Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 3 c, 48 - 51 EWG-V) 1. Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Gleichbehandlung in arbeits- und sozialrechtlicher Beziehung 2. Soziale Sicherung der Wanderarbeitnehmer (Art. 51 EWG-V; Verordnungen Nr. 3 und 4). U. Freizügigkeit der selbständig Erwerbstätigen (Art. 3 c, 52 - 66, 221 EWG-V) IU. Sozialpolitik (Art. 3 i, 117, 128 EWG-V) 1. Allgemeine Sozialvorschriften (Art. 117 - 122, 128) 2. Der Europäische Sozialfonds (Art. 3 i, 123 - 127 EWG-V). IV. Freizügigkeits- und Sozialvorschriften des EGKS-Vertrags und des Euratom -Vertrages. Ziff. I 2 und IU, ergänzt durch die entsprechenden Elemente der Ziff. IV und erweitert durch die organisationsinterne (vor allem dienstrechtliche) Sozialpoltik der Gemeinschaften sind das Thema des Textes. 169 Zur Praxis die in Anm. 15 zitierten Berichte.

Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsvergleich

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der einschlägigen Rechtsinstrumente und Politiken ist der wirkungsfeldorientierte Sozialrechtsvergleich170 eine permanente Notwendigkeit l7l • Ein weiterer Bereich, in dem Sozialrechtsvergleich notwendig ist, ist der der internen sozialrechtlichen Probleme der Europäischen Gemeinschaften: das Dienstrecht der Funktionäre und Arbeitnehmer der Europäischen Gemeinschaften und ihre soziale Sicherung172 • Hier muß eine komplizierte Balance zwischen den Strukturen, Bedürfnissen, Normen und Leitbildern der Gemeinschaften und dem Dienst- und Sozialrecht der Mitgliedstaaten (insbesondere der öffentlichen Bediensteten der Mitgliedstaaten) hergestellt werden.

b) Die Einwirkungen der Europäischen Gemeinschaften auf das nationale Sozialrecht Handelt es sich dabei um vertikalen Rechtsvergleich im weiteren Sinne, der nicht der Bildung von maßgeblichem "höheren" Recht dient, so stehen demgegenüber die Gemeinschaftsbefugnisse, die gerade auf das nationale Sozialrecht hin orientiert sind. Hier sind vor allem zwei Bereiche zu unterscheiden: -

derjenige der Vermittlung zwischen den nationalen Sozialrechtsordnungen, die in ihrer Autonomie bestehen bleiben, jedoch für den Gemeinschaftsbürger durchlässig gemacht werden sollen (Hauptbeispiel: die soziale Sicherung der Wanderarbeitnehmer nach Art. 51 EWGVertrag)

-

und derjenige der Angleichung des Sozialrechts der Mitgliedstaaten in der Sache (s. insbes. Art. 117 - 122, s. a. Art. 128 EWG-Vertrag).

Was uns vor allem entgegentritt, ist also wieder der schon im internationalen Recht beobachtete Unterschied im Gegenstand der Koordination: die Koordination der Begegnung der nationalen Rechte und die Koordination der inneren Standards der nationalen Rechte. Dagegen ist die Vielfalt hinsichtlich der Kriterien der Intensität und Differenziertheit der vorordnenden Aussage, hinsichtlich der Adressaten, hinsichtlich der beteiligten Staaten und hinsichtlich der Sanktionen 173 durch die Einheit des gemeinschafts rechtlichen Rahmens begrenzt. Das gilt vollends für die Zahl der beteiligten Staaten. Intensität und Differenziertheit der Normaussage, Adressatenkreis und Sanktion dagegen folgen weitgehend dem Schema, das durch die Systematik der Rechtsquellen und Handlungsformen der Europäischen Gemeinschaften - Verträge, Verord170

"Außengerichtet" im Sinne von oben S. 51.

171

s. o. S. 20.

172

s. dazu Ipsen (Anm. 15), S. 382 ff.

173

s. o. S. 36 ff.

68

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nungen, Richtlinien, Statuten und Beschlüsse usw. 174 vorgegeben ist. Deren Implikationen brauchen hier nicht ausgebildet zu werden. Anzumerken ist nur, daß die allgemeine sozialrechtliche Angleichung (Art. 117, 11 8 EWG-Vertrag), vorbehaltlich aller spezielleren und stärkeren Kompetenzen der Gemeinschaft, auf die Einigung der Mitgliedstaaten unter dem konsultativen Einfluß der Gemeinschaftsorgane angelegt ist - ein Vorgang, in dem sich die vertikale Dimension verflüchtigt175 • Doch zurück zu der Alternative zwischen der Koordination der Begegnung der nationalen Rechte und der Koordination von internen Standards der nationalen Rechte! Hier beobachten wir eine eigentümliche Gemeinsamkeit und doch unterschiedliche Akzentuierung des Bedarfes an horizontalem Rechtsvergleich176 • Rechtsvergleich, der der Koordinierung der Rechtsbegegnung dient, hat außen ge richteten (Wirkungsfeldgerichteten), feststellenden Charakter. Er muß möglichst umfassend sein. Er muß ja die nationalen Rechtsbestände, deren Begegnung vermittelt werden soll, so verläßlich als möglich ermitteln. Hinsichtlich der zu suchenden gemeinschaftsrechtlichen Lösung der Begegnung selbst aber hat er internalisierenden, veränderungsgerichteten (innovierenden) und selektiven Charakter. Es geht um die "relativ beste Lösung". Er kann und muß auch Lösungen außerhalb des Rechts der Mitgliedstaaten in Betracht ziehen, um die "relativ beste Lösung" zu finden 177 • Rechtsvergleich, der der Harmonisierung durch Angleichung der nationalen Rechte - also der Angleichung der internen nationalen Standards - dient, steht dagegen auf ,andere Weise in dieser Spannung. Für ihn scheint die "relativ beste Lösung" im Vordergrund zu stehen: das richtige Ziel für die Veränderung, die mit der Angleichung von Verschiedenem notwendig verbunden ist. Damit scheint ihr auch ein selektiver und veränderungsgerichteter Charakter innezuwohnen. Auf der anderen Seite aber ist sie doch an die "konservative" Kette gelegt, da es ja das bestehende Recht der Mitgliedstaaten ist, das angeglichen werden soll. Und insofern hat sie feststellenden und (in bezug auf die Mitgliedstaaten) umfassenden Charakter. Endlich ist sie außengerichtet, weil die Gemeinschaft ja nur die Angleichung besorgen soll, die nationalen Rechte aber die Sachregelung behalten sollen 178• Sie sind letztlich zu verändern. Schillernd bleibt dabei, in welcher Weise das Gemeinschaftsrecht einbezogen ist oder wers. dazu Ipsen (Anm. 15), S. 405 ff., 446 ff., 467 ff. Oben S. 55 f. und S. 62 wurde hinsichtlich der internationalen Organisationen ein ähnlicher Grenzfall festgestellt: die Beratung nationaler Sozialpolitik durch internationale Organisationen. 178 Zur Rechtsvergleichung in bezug auf Europarecht s. noch einmal Constantinesco II, S. 400 ff. - Zur Praxis s. außer Pipkorn und Kaupper (je unten S. 229 ff' bzw. S. 255 ff.), Jantz (Anm. 20) und den Diskussionsberdcht hierzu (ebd., S. 214 ff.). 177 s. O. S. 46. 178 s. O. S. 46, 51, 53 f. 17(

175

Horizontaler und vertikaler Sozialrechtsvergleich

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den muß179. Teils ist es selbst Vorordnung des zu schaffenden Gemeinschaftsrechts (s. etwa Art. 51 EWG-Vertrag) und der sonstigen Gemeinschaftsaktivitäten (s. etwa Art. 117 ff. EWG-Vertrag). Teils weist es selbst schon Tatbestände auf, die bei der "feststellenden" und "umfassenden" Aufnahme des' Wirkungsfeldes nicht unberücksichtigt bleiben können. Doch kann das alles hier nur angedeutet werden. Was exemplifiziert werden soll, ist die vielfältige und je spezifische teleologische Bedingtheit horizontalen Rechtsvergleichs im Bezugsrahmen höheren Rechts. c) Zur spezifischen Nichtidentität supranationalen und nationalen Rechts

Die Problematik der Nichtidentität maßgeblichen "höheren" Rechts gegenüber dem untergeordneten partikularen Recht stellt sich, wie schon angedeutet180 , im supranationalen Rahmen wesentlich anders als im internationalen. Die Zahl der betroffenen Staaten ist im wesentlichen konstant, der Kreis geschlossen. Die Ungleichheiten hinsichtlich der natürlichen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen und politischen Bedingungen sind begrenzt und bekannt. Eine weitere Angleichung ist durch die Gemeinschaft angelegt. Ähnliches gilt hinsichtlich des Unterschiedes der Rechtsordnungen. Das Rechtssubjekt des Gemeinschaftsrechts ist zwar um eigenständige Elemente (Kommission, Parlament, Wirtschafts- und Sozialausschuß) angereichert. Das teils rechtliche, teils praktische Einstimmigkeitsprinzip im Rat sichert jedoch eine weitgehende Identität zwischen der politischen Führung in den Mitgliedstaaten und der Politik der Gemeinschaft 181 . Der wohl wichtigste Unterschied zum internationalen Recht aber ist, daß supranationales Recht schon in besonderer Nähe zu der Konzentrationszone umfassender rechtlicher und politischer Kompetenz und Verantwortung des Staates steht1 82 . Trotz allen prekären Charakters der Gemeinschaftspolitik können die nationalen Rechtsordnungen und nationalen Politiken nicht mehr die alleinige Kompetenz und Verantwortung für den innerstaatlichen Bereich in Anspruch nehmen. Es ist nicht notwendig, das hier näher zu definieren. Aber Gemeinschaftsrecht hat nicht nur den ganz exzeptionellen, sporadischen Charakter, mit dem Völkerrecht von außen in die staatliche Sozialpolitik eingreift. Gemeinschaftspolitik und mitgliedsta'atliche Politik tendieren - sich ineinander verwebend - dahin, sich zu einem Ganzen zu ergänzen.

179 180 181 182

s. o. S. 48 f., 52 f., 65 ff. s. O. S. 39.

s. zu all dem noch einmal oben S'. 36 ff. s. insbes. oben S. 39, 41, 50.

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V. Abschließende Bemerkungen Daß Völkerrecht und supranationales Recht sozialpolitisch aktiv werden, hat drei elementare Ziele l83 • Das eine Ziel ist das einer menschenwürdigen Existenz. Ihm dient der Kampf gegen Not - der Kampf um ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das andere Ziel ist das der Gleichheit. Ihm dient die Politik der Angleichung der Lebensverhältnisse, der internationalen Vereinheitlichung sozialrechtlicher Standards und der internationalen Verteilung und Umverteilung. Das dritte Ziel ist das der Freiheit: des Abbaues der Abhängigkeitsverhältnisse und insbesondere der Freizügigkeit. Der Mensch soll imstande sein, ohne unverhältnismäßige Einbußen von einem Land zum anderen zu wechseln. Dem dient schon alles, was zu einer Angleichung der sozialen Standards zwischen den Ländern führt. Jedoch kommt hier der Aspekt der Durchlässigkeit der nationalen Sozialrechtsordnungen hinzu. Hier liegt der Akzent auf der Vermittlung zwischen den Rechten, der Gestaltung eines Kollisionsrechts, das Wanderung erleichtert. Das ist der Werthorizont, in dem die Begegnung zwischen internationalem und nationalem Sozialrecht zu sehen ist. Im Dienste dieser Werte darf sich auch die wissenschaftliche Bemühung um die Begegnung der internationalen, supranationalen und nationalen Sozialrechtsordnungen sehen.

183 s. etwa auch Heyde (Anm. 142), S. 13 ff.; Zacher, Internationales und Europäisches Sozialrecht (Anm. 12), S. XXIX ff.

ZWEITER TEIL

Colloquium Das Programm des Colloquiums Zeit: 5. Juli 1977, Mittag, bis 8. Juli 1977, Mittag Ort: Akademie für Politische Bildung, Tutzing (Starnberger See) Themen und Referenten A. Allgemeines 1. Rechtsvergleichung und Völkerrecht Referent: Professor Dr. Dieter Blumenwitz (Würzburg) 2. Die Rechtsvergleichung im europäischen Gemeinschaftsrecht Referent: Professor Dr. Albert Bleckmann (Münster) B. Sozialrechtsvergleichung und Internationales Recht (Völkerrecht) 3. Internationale Sozialrechtsvergleichung in der normenschaffenden Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation Referent: Dr. Johannes Schregle, Leiter der Hauptabteilung Arbeitsbeziehungen und Arbeitsverwaltung, Internationales Arbeitsamt (Genf) 4. Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarats (insbesondere bei der Gestaltung und Anwendung von Konventionen) Referent: Klaus Fuchs*, Generalsekretariat des Europarats (Straßburg) 5. Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Gestaltung und Anwendung zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen Referent: Dr. Josef Schuh, Ministerialrat im Bundesamt für soziale Verwaltung (Wien)

* Verfasser des Referats war Dr. Siegfried-Günter Nagel, Generalsekretariat des Europarats. Da der Verfasser an dem Colloquium nicht teilnehmen konnte, wurde der Vortrag von Herrn Klaus Fuchs vorgelesen, der auch an der anschließenden Diskussion teilnahm.

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Das Programm des Colloquiums

C. Sozialrechtsvergleichung und supranationales Recht 6. Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Harmonisierung sozialrechtlicher Normen in den Europäischen Gemeinschaften Referenten: a) Dr. Jörn Pipkorn, Mitglied der Finanzkontrolle bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Brüssel) b) Dr. Helmut Kaupper, Ministerialrat im Btindesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Bonn)

A. Allgemeines

Rechtsvergleichung und Völkerrecht Von Dieter Blumenwitz Sieht man einmal von der Tatsache ab, daß das Völkerrecht als Rechtsordnung1 und die Rechtsvergleichung als eigenständige Rechtsdisziplin2 in ihrer Daseinsberechtigung und Existenz bestritten sind, gibt es auf den ersten Blick wenig Gemeinsames, das darauf hindeuten könnte, daß die im Thema verwandte Konjunktion "und" ("Völkerrecht und Rechtsvergleichung") auf eine echte Wechselbeziehung zwischen den beiden Normbereichen hindeutet. Bei der gewöhnlichen Rechtsvergleichung (z. B. Privatrechtsvergleichung, vergleichendes öffentliches Recht, Strafrecht, Sozialrecht, Verfassungsrecht usw.) bleibt die Nutzanwendung immer im Rahmen der nationalen Rechtsordnung bezogen auf die Rechtssubjekte des innerstaatlichen Rechts3 • Das Völkerrecht ist demgegenüber ein Recht, das dem Grundsatz nach nur zwischen den Staaten gilt. Ähnlich wie Völkerrecht - sollen seine Normen im innerstaatlichen Bereich Wirkung erzeugendurch einen besonderen Verfassungs-, Gesetzes- oder Verwaltungs akt in das jeweilige nationale Recht überführt werden muß, können auch die in den nationalen Rechtsordnungen entwickelten Grundsätze nicht ohne weiteres im zwischenstaatlichen Recht Geltung erlangen.

I. Trotz dieser grundsätzlichen und in ihrer Tragweite nicht zu unterschätzenden Schranke zwischen dem Völkerrecht und der Rechtsvergleichung als einer auf die nationalen Rechtsordnungen bezogenen Disziplin lassen sich zahlreiche Bezüge und Abhängigkeiten der beiden Rechtsmaterien schon von der Tatsache her erhellen, daß die nationale wie die internationale Ordnung das Produkt menschlicher Zivilisation ist und 1 Zu den sog. Leugnern des Völkerrechts s. statt vieler Berber, Lehrbuch des Völkerrechts Bd. I, 2. Auf!. 1976, S. 9 ff. 2 Vgl. z. B. Sauser I Hall, Fonction et methode du droit compare (1913), S. 11, 106, und Constantinesco, Rechtsvergleichung Bd. I, S. 16 einerseits, David, Traite elementaire du droit civil compare (1950), S. 6 andererseits. 3 Vgl. Hailbronner, Ziele und Methoden völkerrechtlich relevanter Rechtsvergleichung, in: ZaöRV 36 (1976), S. 190 ff. An den Erkenntnissen, die Ernst Rabel in seinem richtungsweisenden Beitrag "Rechtsvergleichung und internationale Rechtsprechung", in: RabelsZ Bd. 1 (1927) vor einem halben Jahrhundert formuliert hat, hat sich nichts Grundlegendes geändert.

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daß beide Ordnungssysteme sich auf den gleichen Bausteinen materialer Gerechtigkeit und auf ähnlichen Ordnungsstrukturen gründen4 • Man kann deshalb - vielleicht etwas überspitzt - den Satz formulieren, daß an der Wiege der abendländischen Völkerrechtsentwicklung (zumindest an einer ihrer bedeutsamsten Wurzeln) die Rechtsvergleichung stand: Die Bezeichnung "Völkerrecht" geht zurück auf das römische "ius gentium" , das keineswegs mit dem im Altertum geltenden und von den Römern anerkannten "zwischenstaatlichen" Recht identisch war, sondern das das vom praetor peregrinus auf die Beziehungen zwischen Römern und Nichtrömern (anstelle des nur für die Römer geltenden "ius civile") angewandte Recht darstellte 5• Es waren Rechtsregeln, die für alle Menschen und Staaten gleichermaßen verbindlich sein sollten, quasi das im Naturrecht verankerte, kleinste gemeinsame Vielfache der Rechtszivilisation. Die überzeugungskraft der so gewonnenen koordinationsrechtlichen Grundsätze und ihre von der nationalen römischen Rechtsordnung losgelöste Flexibilität (im Gegensatz zur Formenstrenge des "ius civile"!) ließen sie bis weit ins europäische Mittelalter hinein als einen geeigneten Normenkomplex für die Regelung zwischenstaatlicher Beziehungen erscheinen. Erst bei Francisco de Vittoria (1480 - 1546) taucht gelegentlich das "ius inter gentes" als eine spezifische zwischen den Staaten geltende Rechtsordnung auf; im Titel eines Lehrbuchs erscheint das "zwischenstaatliche" Recht erstmals in dem 1650 erschienenen Werk des Vertreters der frühen positivistischen Schule Zouche: "Juris et judicii fecialis sive juris inter gentes et quaestionum de eodem explicatio." Auch der internationale Schutz der Menschenrechte und das Kriegsrecht im engeren Sinne (das "ius in bello") wären in ihrem heutigen Bestand nicht ohne parallele Entwicklung der Sachnormen im innerstaatlichen Bereich denkbar. Ich möchte nur auf die letztlich im vorstaatlichen Bereich verankerte Respektierung des Asylrechts verweisen und in Erinnerung rufen, daß das Fehderecht ja nicht ursprünglich "Völkerrecht" war und daß sich erst in "langem Werdegang allmählich die Sphären des innerstaatlichen Strafrechts wie des zwischenstaatlichen Völkerrechts herauskristallisiert haben"6. Die völkerrechtlichen Beschränkungen der 4 Vgl. hierzu auch Seidl-Hohenveldern, Die Rolle der Rechtsvergleichung im Völkerrecht, in: Festschrift für A. Verdroß (1960), S. 252 ff.; eingehender zur rechtshistorisch-rechtsvergleichenden Methode Schwarz-Liebermann von Wahlendorf, Völkerrecht und Rechtsvergleichung, in: Juristische Rundschau 1952, S. 341 ff. 5 Vgl. z. B. Seagle, Weltgeschichte des Rechts - Eine Einführung in die Probleme und Erscheinungsformen des Rechts, 3. Auf!. 1967/69, S. 226 ff.; hierzu auch die treffende Feststellung bei Mosler, Rechtsvergleichung vor völkerrechtlichen Gerichten, in: Festschrift für Verdroß (1971), S. 381 ff. (410): "Der Praetor peregrinus bildet aus den Beiträgen aller Völker ein neues Recht, das ius gentium, das im Namen Roms angewandt wurde. Der völkerrechtliche Richter handelt ähnlich." 8 Brunner, Land und Herrschaft (1939), S. 52.

Rechtsvergleichung und Völkerrecht

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militärischen Kriegsführung beruhen auf den einzelstaatlichen Armeeinstruktionen über die Kriegsgebräuche (sog. Heeresordnungen)1. Erst die Entwicklung des Souveränitätsgedankens und der hieraus abgeleitete Anspruch des modernen Staates, seine Beziehungen zu anderen Staaten aus eigener Machtvollkommenheit zu regeln (Völkerrecht existiert nur im Rahmen der Selbstbindung der Staaten!)8 haben ganz generell die Bedeutung von Normen, die außerhalb und unabhängig der einzelstaatlichen Rechtsquellenhierarchie erzeugt werden, zurückgedrängt. Das klassische Völkerrecht mißt deshalb den allgemeinen Rechtsgrundsätzen nur mehr subsidiäre Bedeutung bei; die Rechtsvergleichung spielt allenfalls die Rolle einer Hilfswissenschaft. In der gegenwärtigen Epoche, die zwar noch nicht gekennzeichnet wird von einem Abrücken von der Souveränitätsdoktrin, aber doch schon bestimmt wird von einem wachsenden Grad der internationalen Verflechtung bis hinein in die nationalen Rechtsordnungen, sollten diese Funktionen der Rechtsvergleichung nicht gering geachtet und eingehender untersucht werden.

11. Das Völkerrecht als ein noch "unterentwickeltes" Normensystem bedarf bei seiner Bestätigung, Auslegung und notwendigen Ergänzung der Hilfe anderer Normenkomplexe, die im Wege der Rechtsvergleichung zu erschließen sind. Dieses Phänomen wird bei allen herkömmlichen Quellen des Völkerrechts - bei dem Völkergewohnheitsrecht, bei den sog. allgemeinen Rechtsgrundsätzen und beim Völkervertragsrecht - deutlich und läßt sich auch diesen Strukturen folgend darstellen. 1. Sowohl ein horizontaler, wie auch ein vertikaler Rechtsvergleich können zur Gewinnung von Völkergewohnheitsrecht beitragen

a) Von einem vertikalen Vergleich kann gesprochen werden, wenn mit Hilfe von auf dem Wege der Rechtsvergleichung zu ermittelnden Normen des innerstaatlichen Rechts eine "opinio iuris" im zwischenstaatlichen Recht belegt wird 9 • Zwar kann der Nachweis von Völkerrecht grundsätzlich nur mit einer zwischenstaatlichen Praxis erbracht werden, die nur von den Organen herrühren kann, die den jeweiligen Staat nach außen zu vertreten befugt sind. Doch läßt sich in einer Reihe von Fällen - zumindest indirekt 7 Vgl. Nys, Les origin.es du droit international (1894), S. 208. 8 Vgl. z. B. die Autolimitationslehre Jellineks in: Die rechtliche Natur der Staatsverträge (1880). 9 Genauer betrachtet handelt es sich hier um die Verknüpfung von vertikaler und horizontaler Rechtsvergleichung: Auf gleicher Ebene nationaler Rechtsordnungen werden zunächst sich entsprechende Normen ermittelt, um sie dann in einem übergeordneten Rechtskreis nutzbringend anzuwenden. Da

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- aus der nationalen Rechtsordnung entnehmen, was nach der überzeugung des betreffenden Staates auch völkerrechtlich für geboten oder t:rlaubt gehalten wird 1o • Ich möchte dies - und die damit zusammenhängenden Probleme - mit einem Beispiel aus dem Bereich "Völkerstrafrecht - innerstaatliches Strafrecht" erläutern: Nach allgemeinem Völkerrecht besteht neben der Verantwortung der kriegführenden Parteien für das Verhalten der Angehörigen ihrer bewaffneten Macht auch eine individuelle Verantwortung für Kriegsverbrechen. Die Verfolgung dieser Delikte ist unmittelbar aufgrund des Völkerrechts zulässig. Bei Kriegsverbrechen, die nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Befehl eines Vorgesetzten begangen werden, stellt sich die Frage, ob der verbindliche Befehl dem Täter Straffreiheit verschafft. Da dem kodifizierten Kriegsvölkerrecht des Zweiten Weltkriegs verbindliche Richtlinien fehlten, lag es 1945 nahe, die maßgeblichen Regeln eines Völkergewohnheitsrechts aus den Militärstrafgesetzbüchern der maßgeblichen Staaten zu erschließen. Die Stringenz dieser Methode - wie auch ihre fehlerhafte Anwendung - läßt sich am Beispiel des Zustandekommens des Art. 8 des Statuts des Internationalen Militärtribunals darstellen: Großbritannien und die Vereinigten Staaten änderten kurz vor Kriegsende im Jahre 1944 ihre innerstaatlichen Vorschriften (die zunächst keine strafrechtliche Haftung des Untergebenen für die auf Befehl begangenen Kriegsrechtsverletzungen vorsahl l), um eine umfassendere Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher zu ermöglichen. Art. 8 des Londoner Statuts für den Nürnberger Militärgerichtshof, der diesbezüglich nur bestehendes Völkergewohnheitsrecht wiederholen sollte, sah demgemäß im höheren Befehl keinen Strafausschließungsgrund mehr 12 • Die Offensichtlichkeit oder die Nichterkennbarkeit der Rechtswidrigkeit des Befehls (auf die das deutsche Reichsmilitärstrafgesetzbuch abstellte13) wurde nicht berücksichtigt; die Nichterkennbarkeit war höchstens Strafmilderungsgrund und selbst dies nicht unter bestimmten Rechtsvoraussetzungen, sondern ausschließlich nach Belieben des Gerichts. hier das Hauptproblem in der Projektion der Normen in den übergeordneten Rechtskreis zu suchen ist, kann gleichwohl vereinfachend - und die Schwelle zwischen Staatenrecht und Völkerrecht betonend - von "vertikaler" Rechtsvergleichung gesprochen werden. 10 Auch im innerstaatlichen Recht gibt es Belege dafür, daß ein übergeordneter Normenkreis mit Hilfe von nachrangigen Normen bestimmt und interpretiert werden kann. So weist z. B. das Bundesverfassungsgericht immer wieder auf die interpretative Wechselwirkung von Verfassungsrecht und Unterverfassungsrecht (einfache Gesetze) hin, vgl. BVerfGE 7, 198 (208); 20, 162 (177); 21, 27l (281, 287 f.); 27, 7l (85); 28, 191 (202); 33, 52 (69 f.); 34, 384 (401), ferner Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG, 1972, S. 126 ff. 11 Vgl. Art. 443 des britischen Militärhandbuchs (Military Manual) und Art. 366 der US-Rules of Land Warfare, Text bei: Fuhrmann, Der höhere Befehl als Rechtfertigungsgrund im Völkerrecht, Diss. München 1960, S. 67. 12 Vgl. Berber, Kriegsrecht (1962), S. 248. 13 § 47 des Reichsmilitärstrafgesetzbuchs von 1872 in der Fassung von 1935 bestimmte: "Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte in der Regel allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: 1. wenn er den ihm erteilten Befehl überschritten hat, oder 2. wenn ihm bekannt gewesen ist, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche offenbar ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte."

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Ich habe dieses Beispiel nicht nur deshalb gewählt, weil es sich hier um den bislang spektakulärsten Versuch der Erschließung völkerrechtlicher Normen durch Verweis auf innerstaatliche Regelungen handelt, sondern weil hier in Anbetracht des Prävalierens politischer Gesichtspunkte gegen Regeln der rechtsvergleichenden Methode verstoßen wurde und Sinn und Notwendigkeit dieser Methode besonders klar hervortreten. (1) Der Ausgangspunkt, das einzelstaatliche Militärstrafrecht zur Erschließung entsprechender Teile des Völkerstrafrechts heranzuziehen, ist nicht zu beanstanden, da das innerstaatliche wie das zwischenstaatliche Recht an völkerrechtlich relevante Tatbestände anknüpft (Kriegsverbrechen). In der Regel kann davon ausgegangen werden, daß die nationale Rechtsordnung sich als im Einklang mit dem zwischenstaatlichen Recht versteht. Dieser Einklang berechtigt jedoch zunächst nur zu einem "negativen" nicht "positiven" Schluß in bezug auf die "opinio iuris": Die Norm des nationalen Rechts vermittelt ihrem Selbstverständnis nach nur die überzeugung, daß sie nicht völkerrechtswidrig ist; ein Militärstrafrecht, das den höheren Befehl nicht für beachtlich erklärt, ist deshalb zunächst nur ausreichender Beleg dafür, daß ein Staat in diesen Fällen völkerrechtskonform bestrafen kann (nicht muß!) - also an einer Bestrafung nicht durch eine möglicherweise aus den Menschenrechten abzuleitenden Akzentuierung der persönlichen Vorwerfbarkeit gehindert wird. (2) Die innerstaatliche Rechtspraxis vermag allein nichts darüber auszusagen, ob das innerstaatlich gebotene Verhalten auch von einer entsprechenden Norm des Völkergewohnheitsrechts verlangt wird. Das völkerrechtliche "Gebotensein" einer Regelung des innerstaatlichen Rechts kann sich immer nur aus Umständen ergeben, die außerhalb ihrer selbst liegen. Die außerhalb der Norm des britischen und amerikanischen Militärstrafgesetzbuches liegenden Umstände, die Rückschlüsse auf Regierungsverhalten eröffnen, belegen wohl kaum die Existenz einer entsprechenden "positiven" Regelung des Völkerrechts. Die Tatsache, daß vor 1944 in England und in den Vereinigten Staaten lange Zeit eine abweichende Regelung gegolten hat (höherer Befehl gilt als Rechtfertigungsgrund14), diese Regelung während ihrer Geltungsdauer nicht als völkerrechtswidrig angesehen wurde und Völkergewohnheitsrecht nicht (wie Gesetzesrecht) von einem Tag auf den anderen entsteht, spricht gegen einen der Neuregelung entsprechenden Völkergewohnheitsrechtssatz. Wie unterstellt werden kann, verfolgten England und die Vereinigten Staaten mit der Novellierung ihres Militärstrafrechts gerade zwischenstaatliche Wirkung (effektivere Verfolgung der Nazi-Kriegsverbrechen). Aus dieser Absicht 14 Die Novellierung von 1944 kann nicht von vornherein als odios bezeichnet werden; dies träfe allenfalls zu, sofern Englahd und die Vereinigten Staaten - wie fälschlich behauptet wurde - nach Beendigung der Kriegsverbrecherprozesse zu ihrer alten Regelung zurückgekehrt wären. Vgl. hierzu Fuhrmann (0. Anm. 11).

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Dieter Blumenwitz wäre aber erst dann eine "opinio iuris" abzuleiten, wenn die angestrebte Regelung nicht nur einseitig gegen eine Partei der Kriegführenden gerichtet, sondern als allseitig geltend konzipiert gewesen wäre15 •

(3) Diese Wertung wird ex post durch die weitere Entwicklung nach 1945 bestätigt. Die Kodifikationen des Kriegsvölkerrechts haben das Problem ausgespart16 , was im Grunde besagt, daß wegen der anhaltenden Kontroversität der rechtfertigenden Wirkung des höheren Befehls verbindliches Völkergewohnheitsrecht auf diesem Gebiet noch nicht nachzuweisen ist. (4) Durch dieses - negative - Beispiel wird jedoch die Methode des Nachweises von Völkergewohnheitsrecht aufgrund einer rechtsvergleichenden Wertung innerstaatlicher Regelungen nicht in Frage gestellt. Hailbronner hat den Erfolg der Methode kürzlich mit Beispielen aus dem Luftrecht (Maßnahmen gegen das unerlaubte Eindringen eines fremden Flugzeuges in den nationalen Luftraum) belegt1 7 • In ähnlicher Weise sind auch andere nationale Rechtsgebiete mit zwischenstaatlichem Bezug relevant. Ich denke in erster Linie an das Staatsangehörigkeitsrecht und das Kollisionsrecht - insbesondere das Internationale Privatrecht18 • Aber auch hier werden sich in aller Regel nur negative, nicht positive Regeln des Völkergewohnheitsrechts ableiten lassen 19 ; das gilt vor allem für die nur als "einseitig" konzipierten Kollisionsnormen. Des weiteren gilt es zu bedenken, daß vieles, was im internationalen Rechtsverkehr aus einer gewissen einvernehmlichen Rücksichtnahme gegenüber ausländischen Rechtspflegeorganen geschieht, nicht unmittelbar im Völkergewohnheitsrecht verankert ist, sondern auf einer darunterliegenden Schicht, der sog. "comitas gentium" gründet. Umgekehrt stellt nicht die Verletzung allgemein anerkannter kollisionsrechtlicher Regelungen eine unerlaubte Intervention dar, da der Staat, der in seinen Interessen ver15 Ein staat, der die nach seinem Militärstrafrecht bestehende Verpflichtung zur Verfolgung der von seinen eigenen Soldaten begangenen Kriegsverbrechen versäumt, gleichwohl aber die Verfolgung gegnerischer Soldaten betreibt, macht sich des Rechtsmißbrauchs schuldig, da sich der Zweck seiner Verfolgungsmaßnahmen durch diese Einseitigkeit nicht in der Aufrechterhaltung des Rechts, sondern in einem Racheakt erweist, vgl. Berber (0. Anm. 12), S.

249.

Vgl. Fuhrmann (0. Anm. 11), S. 104. Vgl. Hailbronner, Der Schutz der Luftgrenzen im Frieden, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Bd. 58 (1972), ferner Hailbronner (0. Anm. 3), S. 202 f. 18 Vgl. hierzu neuerdings Schnitzer, Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Völkerrecht im System des Rechts, in: Zeitschrift für Rechtsvergleichung 1976, S. 13 ff. (19 ff.) mit weiteren Nachweisen. 19 Dies zeigt der anhaltende Streit um das "richtige" Kollisionsrecht; ist die Staatsangehörigkeit oder ein Wohnsitzbegriff der völkerrechtlich gebotene primäre Anknüpfungsmoment? Hierzu schon Frankenstein, Internationales Privatrecht Bd. I (1926), S. 35 ff.; Neumeyer, JW 1926, S. 1909; Rabel (0. Anm. 3), S. 42 ff. 16

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letzt wird, sich durch das Institut der Nichtanerkennung zu schützen vermag20 • Äußerste Sorgfalt ist immer dann geboten, wenn die Normen des innerstaatlichen Rechts, die für die Lösung zwischenstaatlicher Fragen erschlossen werden sollen, keinen unmittelbaren Auslandsbezug haben. Innerstaatliche Verjährungs-, Ersitzungs- oder Verzinsungsvorschriften können so z. B. in aller Regel nicht für den zwischenstaatlichen Bereich fruchtbar gemacht werden21 • (5) Führt die rechtsvergleichende Untersuchung zu dem Ergebnis, daß das innerstaatliche Recht nicht aller Staaten ein bestimmtes Rechtsinstitut kennt, lassen sich aber immerhin bestimmte Staatengruppen oder Regionen (Rechtsfamilien) darstellen, so kann dies auf die Entwicklung von partikulärem Völkergewohnheitsrecht hindeuten 22 • b) Von einem horizontalen Vergleich kann gesprochen werden, wenn Regelungen aus bi- oder multilateralen Verträgen 23 für das Völkergewohnheitsrecht nutzbar gemacht werden. Obgleich wir uns hier ausschließlich im zwischenstaatlichen Bereich bewegen, ist die Überwindung der Schwelle zwischen Vertrags- und Gewohnheitsrecht nicht problemlos: Es muß dargestellt werden, wie - über die Relativität der konkret gestalteten Vertragsbestimmungen hinaus - Rechte und Pflichten Dritter entstehen können; hierzu kurz folgendes: (1) Die Notwendigkeit einer vertraglichen Regelung zeigt im allgemeinen an, daß ein Satz des Völkergewohnheitsrechts den Vertragsgegenstand nicht oder allenfalls abweichend regelt, da sonst der Vertragsschluß überflüssig wäre; es bietet sich eher das "argumentum e contrario" an: Weil die Vertragsparteien einen Gegenstand für konkret regelungsbedürftig hielten, dürfte eine entsprechende Norm des Völkergewohnheitsrechts noch nicht vorliegen. 20 Zu den völkerrechtlichen Schranken der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt, zu dem polemischen Begriff der "juristischen Aggression" und zum Interventionsbegriff s. Blumenwitz, Rechtliche Probleme bei der Abgrenzung der beiden deutschen Staaten, in: Jahrbuch für Ostrecht, Bd. XlIII (1971), S. 7 ff. (20 ff.). 21 Ähnlich wie bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen (s. u. II 2) partizipiert hier nur der Kern innerstaatlicher Regelungen - nicht aber ihre Konkretisierung - an der Bildung völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts; d. h. die Völkerrechtsordnung muß im Hinblick auf ihre besonderen Verhältnisse Fristen und Zinssätze autonom entwickeln und erhält von den verschiedenen Landesrechten allenfalls Denkanstöße; vgl. hierzu Verdroß, Les principes generaux du droit dans le systeme des sources du droit international public, Melanges Guggenheim, S. 521 ff. (525). 22 Vgl. die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs im Fisheries Case, ICJ (International Court of Justice) Reports 1951, S. 131; hierzu Verdroß, Die Quellen des universellen Völkerrechts (1973), S. 103. 23 Sofern es sich nicht um sog. Kodifikationsverträge handelt (vgl. Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta), die nur bestehendes Völkerrecht kompilieren und außer Streit stellen.

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Dieter Blumenwitz Beispiel: Die rechtliche Folge der Nichtigkeit völkerrechtlicher Verträge (Unwirksamkeit "ex nune" oder "ex tune") ist im Recht der völkerrechtlichen Verträge nicht ausdrücklich geregelt. Das speziell im Völkerrecht geltende Effektivitätsprinzip verbietet es, im Wege der vertikalen Rechtsvergleichung sich entsprechende Regelungen des innerstaatlichen Privatrechts zu erschließen. Im Wege der horizontalen Rechtsvergleichung kann jedoch ermittelt werden, daß die Folgen eines als "nichtig" angesehenen völkerrechtlichen Vertrages in zwei- oder mehrseitigen Verträgen geregelt werden. Hieraus ergibt sich für die allgemeine Völkerrechtslage, daß es bei "ins Werk gesetzten" nichtigen Verträgen keine der Regelung im BGB vergleichbare "ex-tune-Nichtigkeit" gibt, sondern daß die staatsgewalt, die sich einmal effektiv etablieren konnte, in gewissen Grenzen zu respektieren ist 24 •

(2) Der synallagmatische Teil bi- und multilateraler Verträge - sollten sie auch noch so häufig in gleicher oder ähnlicher Weise abgeschlossen werden - weist in der Regel nicht auf eine entsprechende Verpflichtung des Völkergewohnheitsrechts hin, da hier die Leistung wegen der zugesicherten oder gleichzeitig erbrachten Gegenleistung versprochen wird. Beispiel: Auslieferungsverträge werden nach fast einheitlichen Mustern bi- und multilateral in einer kaum mehr zu übersehenden Vielzahl abgeschlossen. Trotzdem bleibt ein Staat nur seinem Vertragspartner gegenüber zur Auslieferung verpflichtet. Wird ein Straftäter bei vertragslosem Zustand ausgeliefert oder abgeschoben, so geschieht das nicht aufgrund einer Regel des Völkergewohnheitsrechts, sondern im Rahmen der "eomitas gentium". (3) Sog. "law-making-treaties", durch die Rechte um der Sache selbst willen anerkannt, begründet oder näher gestaltet werden (und nicht, weil ein anderer Staat ebenfalls zu respektieren bereit ist), können demgegenüber wichtigen Aufschluß über Entwicklung und Stand der opinio iuris im zwischenstaatlichen Bereich liefern. Zu diesem Vertragstypus zählen in erster Linie die großen Menschenrechtskonventionen, soweit sie sich nicht nur darauf beschränken, schon bestehendes Völkergewohnheitsrecht festzuschreiben 25 • 2. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze

Durch Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut, der die Anwendung der die Völkerrechtsordnung ergänzenden "general principles of law reeognized by eivilized nations" gebietet, wird der Rechtsvergleichung eines ihrer 24 Vgl. Frowein, Zum Begriff und zu den Folgen der Nichtigkeit von Verträgen im Völkerrecht, in: Festschrift für Scheuner (1973), S. 107 ff. Zum Problem der Nichtigkeit des Münchner Abkommens "von Anfang an": Blumenwitz, Zur Nichtigkeit des Münchner Abkommens vom 29. September 1938 - Einige Bemerkungen zum Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vom 11. Dezember 1973, Zweiter Teil (Analyse der Nichtigkeitsformel und ihrer rechtlichen Konsequenzen), Jahrbuch für Ostrecht, Bd. XVIII (1975), S. 181 ff. (208 ff.). 25 s. oben Anm. 23.

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Hauptanwendungsgebiete im internationalen Bereich eröffnet. Das Phänomen ist so bekannt und vielfältig beschrieben worden, daß ich mich kurz fassen kann: (1) Strittig ist zunächst, ob die Parallelität bestimmter rechtlicher Regelungen im innerstaatlichen Recht für die Erzeugung allgemeiner Rechtsgrundsätze ausreicht oder ob eine besondere Rezeption durch die Völkerrechtsordnung hinzutreten muß (so vor allem die sowjetische Völkerrechtsdoktrin26 , wohl aber auch Wengler2 7). Wieder andere sehen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen die gemeinsame Grundlage von innerstaatlichem und zwischenstaatlichem Recht28• (2) Die Rechtsvergleichung vermittelt Erkenntnisse, weil die nationalen Rechtsordnungen über eine erheblich ältere und reichere Erfahrung bei der Lösung von Spezialfragen verfügen29 • (3) Strittig ist weiter, ob die allgemeinen Rechtsgrundsätze nur zur Auslegung und Ergänzung der schon bestehenden völkerrechtlichen Strukturen verwandt oder ob auch mit ihrer Hilfe neue völkerrechtliche Verhaltensnormen begründet werden dürfen30 • Die internationale Rechtsprechung bietet nur Rückhalt für ersteres3t• 26 Tunkin, Völkerrechtstheorie (1972), S. 226; ders., General Principles of Law in International Law, in: Festschrift für Verdroß zum 80. Geburtstag (1971), S. 523 ff.; zusammenfassend Brunner, Quellen des Völkerrechts, in: Osteuropa-Handbuch, Sowjetunion - Völkerrechtstheorie und Vertragspolitik, herausgegeben von D. Geyer und B. Meissner (1976), S. 49 ff. (56 ff.). 27 WengIer, Völkerrecht, Bd. I (1964), S. 363 Anm. 2. 28 Vgl. Reuter, Droit international public (1968), S. 57: "La determination d'un fonds commun a l'ensemble de systemes juridiques." 2g So hat Rabel (0. Anm. 3), S. 10, schon darauf hingewiesen, daß "der Umfang und der Reifegrad der internationalen Rechtssätze es meistens nicht zulassen, einen bestimmten Streitfall ohne weiteres zu entscheiden." 30 Vgl. z. B. den Streit zwischen Indien und Portugal über die Zugangsrechte Portugals zu den Exklaven innerhalb des indischen Gebiets; Portugal wies unter Bezugnahme auf ein rechtsvergleichendes Gutachten von Prof. Rheinstein (Chicago) nach, daß in keinem Landesrecht in der Welt die Verpflichtung, Zutritt zu einem eingeschlossenen Grundstück zu gewährleisten, verneint werde (CIJ Memoires, Affaire du droit de passage sur territoire indien, Bd. IV, S. 517); der Internationale Gerichtshof lehnte es ab, hier einen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu entwickeln. Vgl. hierzu auch Bernhardt, Eigenheiten und Ziele der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, in: ZaöRV 24 (1964), S. 431 ff. (448). Im Streit um den Nordsee-Festlandsockel hat sich die Bundesrepublik auf den Grundsatz berufen, daß an einer gemeinsamen Sache jedem der Beteiligten ein "just and equitable share" zustehe; der Internationale Gerichtshof setzte sich mit dem von der Bundesregierung vorgetragenen allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht auseinander, da er den Festlandsockel nicht als zunächst "gemeinsame Sache" der Küstenstaaten ansah, vgl. ICJ Pleadings North Sea Continental Shelf, Vol. I, S. 30 und Urteil §§ 18 - 20. 31 Mosler (0. Anm. 5), S. 381 ff. (404) nennt als Beispiele: die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung; die Unzulässigkeit der Ausübung eines Rechtes, wenn der Verpflichtete eine ihm unzumutbare Leistung erbringen müßte; der Grundsatz, daß Ansprüche verjähren; das Estoppelprinzip; der Grundsatz,

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(4) Zu den "civilized nations", aus deren Rechtsordnungen allgemeine Rechtsgrundsätze herauszukristallisieren wären, zählen heute praktisch alle Staaten, was die Rechtsvergleichung in der derzeitigen Verfassung der Staatenwelt vor unüberwindbare Probleme stellt und eine Beschränkung der Prüfung auf die großen Rechtssysteme gebietet3 2 • (5) Soweit das Völkerrecht nicht unmittelbar anwendungsfähig ist, ist - im Gegensatz zur Zivilrechtsvergleichung33 - die Rechtsnorm gelegentlich entscheidender als die aktuelle Gerichtspraxis, da die förmliche Anerkennung eines internationalen Grundsatzes, auch wenn sich - wie z. B. bei vielen Menschen- und Sozialrechten - momentan rechtsvergleichend kein konkreter gemeinsamer Inhalt der Rechtsanwendung ermitteln läßt, eine wichtige Stufe in der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze wie völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts sein kann34• (6) Neben der formellen Übereinstimmung der einzelstaatlichen Rechtsordnungen ist bei der Ermittlung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu überprüfen, ob der ermittelte Grundsatz seinem Wesen nach auf die zwischenstaatlichen Beziehungen anwendbar ist. Hieran wird es immer dann fehlen, wenn die Lücke im völkerrechtlichen Normensystem oder seine Auslegungsbedürftigkeit nicht zufällig, sondern - weil Staaten sich nicht binden oder einigen wollten - intendiert ist. (7) Die Sonderproblematik der übernahme allgemeiner Rechtsgrundsätze ins regionale Völkerrecht (vgl. Art. 215 Abs. 2 EWG-Vertrag; Art. 188 Abs. 2 Euratom-Vertrag35) ist Gegenstand eines weiteren Referats.

daß Anleihen im Zweifel entgeltlich, d. h. verzinslich gewährt werden; der Grundsatz, daß ein Recht oder eine Sache im Zweifel nur mit der auf ihr liegenden Belastung auf einen Rechtsnachfolger übergeht. In Verfahrens fragen hat der Internationale Gerichtshof im Korfu-Fall entschieden, daß indirekte Beweismittel in allen Rechtssystemen zugelassen seien und ein Staat sich auch auf diese berufen dürfe, vgl. Corfu Channel Case, ICJ 1949, S. 18. 32 Näheres hierzu bei Drobnig, Methodenfragen der Rechtsvergleichung im Licht der "International Encyclopedia of Comparative Law", in: Ius privatum gen ti um, Festschrift für Rheinstein, Bd. I (1969), S. 221 ff. 33 Vgl. z. B. Zweigert / Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. I Grundlagen (1971), S. 31. 34 Näheres bei Hailbronner (0. Anm. 3), S. 209 ff. 35 Vgl. z. B. Ress, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für das Recht internationaler Organisationen, in: ZaöRV 36 (1976), S. 227 ff.; Bleckmann, Die Rolle der Rechtsvergleichung in den Europäischen Gemeinschaften, in: Deutsche Landesberichte zum IX. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung, Te:" heran 1974, S. 106 ff.; Lecheier, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze (1971); Pescatore, Les droits de l'homme et l'integration europeenne, Cahiers de droit europeen, 1968, S. 629 ff.; Mosler (0. Anm. 5), S. 388 ff.; Zemanek, Was kann die Vergleichung staatlichen öffentlichen Rechts für das Recht internationaler Organisationen leisten, in: ZaöRV 24 (1964), S. 453 ff.; Guggenheim, Landesrechtliche Begriffe im Völkerrecht, vor allem im Bereich der internationalen Organisationen, in: Festschrift für H. Wehberg (1956), S. 133 ff.

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3. Das Völkervertragsrecht

Die Rechtsvergleichung gewinnt hier in dreifacher Weise Bedeutung36 : a) Im Vorfeld aller gesetzesinhaltlichen Verträge, vor allem bei Verträgen, die die internationale Standardisierung (z. B. auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts, des Handels-, Wechsel- und Scheckrechts, des Urheberrechts und gewerblichen Rechtsschutzes) vorantreiben wollen: Der Vertragsgegenstand kann nur sinnvoll gestaltet werden, wenn die innerstaatlichen Rechtssysteme der kontrahierenden Staaten einschließlich ihres Auslandsbezugs und der Möglichkeit von Umgehungsgeschäften ausgelotet werden. Beispiel: Das übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 5. Oktober 196137• Ziel der Konvention ist es, Testamente, die nach den Vorschriften eines Staates gültig errichtet wurden, nicht aufgrund von IPR-Verweisungen scheitern zu lassen. Ein sinnvoller Vertragstext kann hier nur ausgearbeitet werden, wenn rechtsvergleichend folgende Fragen abgeklärt sind: - die verschiedenen Testamentsformen - die Anknüpfungen einschließlich möglicher intertemporaler Konflikte - die Abgrenzung des Formstatutes - die Abgrenzung der letztwilligen Verfügungen - der ordre public und - bedeutsame Rechtstatsachen 88 • b) Die Rechtsvergleichung gewinnt weiter Bedeutung bei der Bestimmung der Substanz völkervertraglicher Verpflichtungen (z. B. wenn diese durch das innerstaatliche Recht eines oder des verpflichteten Staates bestimmt wird 39 oder relativiert werden kann): 35 Die Völkerrechtslehre und -praxis hat sich wohl erstmals in größerem Umfang mit den Bezügen zwischen völkerrechtlichem Vertrag und nationalem Recht im Zusammenhang mit dem Friedensvertrag von Versailles zu befassen gehabt, vgl. hierzu Triepel, Les rapports entre le droit interne et le droit international, in: Academie de droit international, Recueil des Cours 1925, S. 17 ff.: Rabel (0. Anm. 3), S. 7 ff. 37 BGBl. 1965 Ir, 1145; für die Bundesrepublik in Kraft seit dem 1. 1. 1966 (BGBl. 1966 Ir, 11). 38 Bei der Ausarbeitung der Konvention hätte z. B. seitens der Bundesrepublik bedacht werden können, daß in den deutsch-amerikanischen Rechtsbeziehungen formnichtige Testamente relativ häufig von sog. Rückwanderern errichtet werden. Ein deutscher Staatsbürger, der im Zusammenhang mit den Ereignissen nach 1933 in die Vereinigten Staaten auswanderte, später aber in die Bundesrepublik zurückkehrte, um hier seinen Lebensabend zu verbringen, errichtet hier - noch von der amerikanischen Rechtsauffassung geprägt mit einem amerikanischen Anwalt ein schreibmaschinengeschriebenes Testament und stirbt mit letztem Wohnsitz (domicile) in der Bundesrepublik). 39 Ein klassisch gewordenes Beispiel kann wiederum dem Versailler Friedensvertrag entnommen werden: Sind die "tax es et impöts sur le capital ... leves en Allernagne" i. S. von Art. 297 j nach dem deutschen Steuersystem (so das Deutsch-Französische Tribunal Arbitral Mixte, Recueil 5, S. 847) oder nach der französischen Rechtsterminologie, oder nach selbständigen Kriterien zu beurteilen?

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(1) Bestimmt z. B. ein bilaterales Rentenabkommen, daß Renten vom Versicherungsträger des Staates gewährt werden, in dessen Gebiet der Berechtigte wohnt (so z. B. Art. 4 des deutsch-polnischen Rentenabkommens40), so ergibt sich der Rentenanspruch des Berechtigten ausschließlich aus den für den Rententräger seines Wohnsitzstaates geltenden innerstaatlichen Vorschriften. Der Vergleich dieser Vorschriften und die Zahl der Berechtigten kann dann auch erst darüber Aufschluß geben, ob eine zwischenstaatliche Abgeltung von RentenanspTÜchen 41 in der einen oder anderen Richtung gerechtfertigt ist. (2) Die Verpflichtungen, die zwei kontrahierende Staaten in völkerrechtlichen Instrumenten übernehmen, können wortwörtlich übereinstimmen, sich trotzdem aber in ihrem konkreten Inhalt in keiner Weise entsprechen. Beispiel: Der Briefwechsel vom 8. November 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten 42 : Die Bindung der gleichlautenden Verpflichtung an die jeweils innerstaatlichen Standards führt im Ergebnis zu einer völlig unterschiedlichen Behandlung der Journalisten des jeweiligen Entsendestaates im jeweiligen Empfangsstaat. Im hochpolitischen Bereich des Völkerrechts lassen sich ähnliche Ergebnisse durch das Ausschöpfen von Interpretations- und Dissensspielräumen erreichen, die noch dadurch gesteigert werden, daß vereinbarte Erklärungen in getrennten Instrumenten abgegeben werden; dieser "modus procedendi" ermöglicht es den erklärenden Staaten, jeweils ihre Erklärung gemäß dem eigenen Selbstverständnis zu interpretieren. Auch hier kann dann der eigentliche Informationsgehalt der völkerrechtlichen Erklärung nur dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Staates entnommen werden. Beispiel: Der Briefwechsel vom 21. Dezember 1972 mit dem Wortlaut der Noten der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu Art. 9 des Grundvertrages tS • Da die beiden deutschen staaten nicht in einer gemeinsamen Urkunde notifizierten, kann jede Seite den erzielten Formelkompromiß in ihrem Sinne interpretieren; die Bundesregierung versteht die "Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte" als Verantwortlichkeit für Deutschland als Ganzes, die DDR schließt einen Bezug der Rechte auf ihr Territorium demgegenüber von vornherein aus. 40 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (BGBI. 1976 II S. 396), nebst dazugehörender Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Rentenansprüchen vom 9. Oktober 1975 (BGBl. 1976 II S. 401). Cl Vgl. Anm. 40 am Ende. 4! Text: Verträge, Abkommen und Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (1973), S. 69. 43 BGBl. 1973 II S. 429.

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c) Schließlich ist die rechtsvergleichende Methode bedeutsam bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge: Interpretationsbedürftige Rechtsbegriffe können durch vertikalen Vergleich (Rückgriff auf das innerstaatliche Recht eines Vertragspartners oder beider Kontrahenten) oder durch horizontalen Vergleich (Rückgriff auf andere völkerrechtliche Verträge der Vertragspartner) erhellt werden. Die jeweilige Auslegungsmethode und der Rahmen der zur Rechtsvergleichung heranzuziehenden Rechtsordnungen wird von Art, Inhalt und Zweck des konkreten Vertrags bestimmt«. Beispiel: Art. 3 des VI. TeiLs des überleitungsvertrages 45 : Die BundesrepubUk wird hiernach in Zukunft keine Einwendungen gegen Maßnahmen, die gegen deutsches Auslandsvermögen durchgeführt worden sind, das beschlagnahmt worden ist zum Zwecke der Reparation, erheben. Frage: Zählt der Tabern'ake~schrank eines Sudetendeutschen, der 1945 in Prag konfisziert wurde und 1970 auf der Antiquitätenmesse in München wieder auftauchte, zum "deutschen Auslandsvermögen"48?

m. "Import und Export" von Normen zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht

Neben der eben angesprochenen mehr indirekten Hilfestellung anderer Normenbereiche für das Völkerrecht kommt es auch zu einem direkten Import und Export von Normen.

1. Das Völkerrecht importiert z. B. die Normen des innerstaatlichen Verfassungsrechts, um die Frage beantworten zu können, welche Organe eines Staates befugt sind, den Staat nach außen zu vertreten 47 • Die Wiener Vertragsrechtskonvention48 ergänzt diese Grundregel nur durch die Normierung einer besonderen Anscheinsvollmacht (schon kraft ihrer Funktion gelten Staatsoberhäupter, Außenminister und Regierungschefs als abschlußberechtigt, Art. 7) und durch das Offenkundigkeitsprinzip 44 Vgl. hierzu grundlegend Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge (1963), S. 156 ff., ferner Seidl-Hohenveldern, The Austrian German Arbitrial Tribunal (1972), S. 87 ff.; Mosler (0. Anm. 5), S. 392 ff., Hailbronner (0. Anm. 3), S. 222 ff. 45 Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen vom 26. 5. 1952 (BGBl. 1955 II S. 405). 46 Hierzu eingehender Blumenwitz, Zur Nichtigkeit des Münchner Abkommens vom 29. September 1938, S. 231 ff. 47 Hierzu grundlegend Geck, Die völkerrechtlichen Wirkungen verfassungswidriger Verträge - zugleich ein Beitrag zum Vertragsschluß im Verfassungsrecht der Staatenwelt (1963) und neuerdings wieder Zehetner, Staatliche Außenvertretungsbefugnis im Völkerrecht, in: ZaöRV 37 (1977), S. 244 ff. 48 Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (noch nicht in Kraft getreten, aber in weiten Teilen als Kodifizierung schon bestehenden Völkergewohnheitsrechts akzeptiert), UN Doc. A/Conf. 39/27, inoffizielle deutsche übersetzung in: JIR 15 (1971), S. 725.

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(Art. 46); im übrigen kann sich allerdings eine Vertragspartei nicht auf die Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts als Rechtfertigung für die Nichteinhaltung eines Vertrages durch sie berufen (Art. 27). 2. Obgleich das Völkerrecht weithin als ein unterentwickeltes Normensystem angesehen wird, kann es doch auch Normen "exportieren". Dies gilt vornehmlich für Bereiche der Menschenrechte, aber auch dort, wo das innerstaatliche Recht als ein subordinationsrechtliches System es versäumt hat, das koordinationsrechtliche System weiterzuentwickeln. So werden vielfach bei der Gestaltung des Bundesstaatsrechts (interföderale Kooperation, Wasserrecht, neuerdings beim Vertragsrecht) Anleihen bei vergleichbaren Instituten des Völkerrechts gemacht. Nach der Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts im Grundvertragsurteil bemessen sich die Beziehungen zwischen den Gliedstaaten im Bundesstaat nach Völkerrecht, falls eine Regelung in der Bundesverfassung fehlt (E 36,24). Die sog. Coburg-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben erneut Anlaß geboten, die Bedeutung des Völkerrechts als Sachnorm des Bundesstaatsrechts zu überdenken49 • Am weitesten ist wohl das österreichische Bundesstaatsrecht gegangen, das für Zwischenländer-Verträge wie für Verträge zwischen den Ländern und dem Bund die Grundsätze des völkerrechtlichen Vertragsrechts für anwendbar erklärtSO. Insgesamt betrachtet, wird die Rechtsvergleichung in Anbetracht vielfältiger internationaler Verflechtungen, im Zeitalter internationaler Organisationen und wachsender Supranationalität, in einer Epoche immer weiter um sich greifender Sorge um die Statuierung und Gewährleistung internationaler Standards auf dem Gebiet der Bürger- und Sozialrechte S1 als Mittlerin zwischen den unterschiedlichen Normgefügen eine 49 Entscheidungen zu den rechtlichen Konsequenzen des Staatsvertrages von 1920 zwischen Bayern und dem (damaligen) Freistaat Coburg: BVerfGE 22, 221; 34, 216; 38, 231. Vgl. hierzu Bleckmann, Völkerrecht im Bundesstaat Gedanken zum zweiten Coburg-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. 1. 1974, in: Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Bd. XXIX (1973), S. 9 ff., und Tomuschat, Die Auslegung von "Zwischenländerrecht" Bemerkungen zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. 11. 1974, in: DÖV 1975, S. 453 ff. mit weiteren Hinweisen. 50 Vgl. den durch BGBl. 1974/444 in das Bundesverfassungsgerichtsgesetz eingefügten Art. 15 a Abs. 3: "Die Grundsätze des völkerrechtlichen Vertragsrechtes sind auf Vereinbarungen im Sinne des Absatzes 1 (Vereinbarungen von Bund und Ländern untereinander über Angelegenheiten ihres jeweiligen Wirkungsbereiches, Anm. d. Verf.) anzuwenden. Das gleiche gilt auch für Vereinbarungen im Sinne des Absatzes 2 (Vereinbarungen der Länder untereinander, Anm. d. Verf.), soweit nicht durch übereinstimmende Verfassungsgesetze der betreffenden Länder anderes bestimmt ist. .. 51 Vgl. hierzu neuestens Zacher, Vorfragen zu den Methoden der Sozialrechtsvergleichung, in: Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht, Bd. 1, Berlin 1977, S, 21 ff.

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stetig wachsende Bedeutung gewinnen. Ihre Aufgabe wird es sein, bei der Befriedigung des gegenwärtig weltweiten Bedarfs an neuen Institutionen und Normen 52 konstruktiv mitzuwirken, um die Spannung zwischen einzelstaatlichem Souveränitätsanspruch und der Notwendigkeit einer über Einzelentscheidungen hinausgehenden internationalen Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet zu lösen. Hierbei wird eine nüchterne Beschränkung bei allen in den hochpolitischen Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen hineinreichenden Problemkreisen ebenso bedeutsam sein wie der der Rechtskultur gemeinsame Erfahrungsschatz und Beziehungsreichtum.

Zusammenfassung 1. Obgleich die Nutzanwendung der gewöhnlichen Rechtsvergleichung meist bezogen bleibt auf die Rechtssubjekte des innerstaatlichen Rechts und die Schwelle zwischen den nationalen Rechtsordnungen und dem zwischenstaatlichen Ordnungssystem nur schwer überwunden werden kann, ergeben sich doch zwischen den beiden Normbereichen zahlreiche Bezüge, die mittels eines Rechtsvergleichs auf vertikaler wie horizontaler Ebene erhellt werden können. 2. Das Einbeziehen auch des zwischenstaatlichen Rechts in einen umfassenderen Normenvergleich wird letztlich durch die Verwurzelung des Völkerrechts wie der innerstaatlichen Rechtsordnungen in gemeinsamen Gerechtigkeits- und Ordnungsvorstellungen gerechtfertigt. 3. Als "Hilfswissenschaft" des Völkerrechts vermag die Rechtsvergleichung indirekt Aufschluß über den Stand der Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts zu vermitteln; sie erlangt durch Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut mit den "allgemeinen Rechtsgrundsätzen" quasi einen offiziellen Stellenwert in der völkerrechtlichen N ormenhierarchie; sie gewinnt schließlich für das Völkervertragsrecht in dreifacher Hinsicht Bedeutung: im Vorfeld aller gesetzesinhaltlichen Verträge, bei der Bestimmung vertraglicher Verpflichtungen und ganz generell bei der Auslegung interpretationsbedürftiger Vertragsbestimmungen, wobei die Auslegungsmethode und der Rahmen der zur Rechtsvergleichung heranzuziehenden Rechtsordnungen von Zweck und Inhalt des konkreten Vertrags bestimmt werden. 4. Obgleich das Völkerrecht weithin als ein "unterentwickeltes" Normensystem angesehen wird, kommt es doch gelegentlich - z. B. wegen eines gewissen Mangels an koordinationsrechtlichen Regeln 1m Bundesstaatsrecht - auch zu einem "Export" völkerrechtlicher Nor52 Vgl. Fragen einer neuen Weltwirtschaftsordnung Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft, Studienreihe

15 (1977), S. 59.

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Dieter Blumenwitz men, also zu einer Erschließung innerstaatlicher Normen nach dem Vorbild zwischenstaatlicher Normen.

5. In der gegenwärtigen Epoche der zwischenstaatlichen Beziehungen, die zwar noch nicht gekennzeichnet wird von einem Abrücken vom einzelstaatlichen Souveränitätsdogma, aber doch schon bestimmt wird von einem wachsenden Grad der internationalen Verflechtung, von internationalen Organisationen, Supranationalität und einer immer weiter um sich greifenden Sorge um die Statuierung und Gewährleistung internationaler Standards auf dem Gebiet der Sozial- und Bürgerrechte, wird die Rechtsvergleichung als Mittierin zwischen den unterschiedlichen Normgefügen eine stetig wachsende Bedeutung gewinnen.

Summary 1. Although the application of ordinary comparative law mostly relates to the legal subjects of national law and it is difficult to cross the threshold between national legal systems and the international legal system, numerous references still exist between the two fields of legal standards that are conducive to interpretation through a comparison of law on the vertical and on the horizontal level.

2. The inclusion of international law in a more comprehensive comparison of legal standards is ultimately justified by the fact, that both international law and nationallaware firmly rooted in common notions of justice and order. 3. As an "auxiliarly branch" of internationallaw comparative law can provide information on the state of development of international customary law. Through Art. 38, Sect. llit. c of the ICJ Statute with its "general legal principles" it takes a quasi-official rank in the international hierarchy of legal standards. For the international law of contracts it is of threefold significance: at the preliminary stage of law contracts, as regards the definition of contractual and in general, as regards the interpretation of terms of contracts, the method of interpretation and the extent of inclusion of the law systems relied upon in the comparison of law being determined by the purpose and content of the individual contract. 4. Though internationallaw is vastly regarded as an "underdeveloped" system of legal standards, international standards are sometimes also "exported", i. e. national standards are interpreted after the example of international standards, e. g. if the federal state law is devoid of certain rules of coordination. 5. In the present era of international relations which, though they are not yet characterized by adeparture from the dogma of sovereignty

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of the individual country, are marked already by an increasing international dependency, by international organizations, by supranationality,and by an ever-growing concern for a legal fixation and safeguard of international standards in the fields of social and civil rights, comparative law will become more and more important as an intermediary between the different structures of legal standards.

DISKUSSIONSBERICHT

Zu Beginn der Diskussion wurde hervorgehoben, daß die Problematik des Verhältnisses zwischen Rechtsvergleichung und Völkerrecht wissenschaftlich noch wenig durchdrungen sei. Die möglichen Verbindungslinien zwischen be±den Rechtsdisziplinen seien noch zuwenig untersucht worden. Mit seinem Referat habe sich Professor Blumenwitz also weitgehend auf Neuland begeben. Dies sei vor allem deshalb sehr verdienstvoll und wichtig, weil sich die Völkerrechtsordnung in den letzten J ahrzehnten in einem tiefgreifenden Wandel befinde, insofern viele völkerrechtliche Regeln immer tiefer in innerstaatliche Bereiche eingriffen. Der Einfluß der Rechtsvergleichung auf die Herausbildung und Interpretation von Völkerrecht sei daher von großem Interesse. Hier entzündete sich eine kleine Kritik am Referat: Der Wert der Rechtsvergleichung für das Völkerrecht sei anhand von Beispielen mit zu hohem politischen Gehalt dargestellt worden. Es sei aber eine Erfahrungstatsache, daß die Rechtsvergleichung um so problematischer werde, je höher der politische Charakter einer Regelung zu veranschlagen sei. Es hätte daher stärker der Nutzen der Rechtsvergleichung für die Bereiche Völker- und Gewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze und Völkervertragsrecht betont werden sollen. Hier komme der Rechtsvergleichung eine große und noch wachsende Bedeutung zu (Bernhardt). Dies wurde zunächst am Beispiel des internationalen Nachbarrechts verdeutlicht. Eine Analyse der jeweiligen innerstaatlichen Nachbarrechtsregeln könne zur Herausbildung von internationalem nachbarrechtlichen Gewohnheitsrecht beitragen oder aber bei der vertraglichen Ausgestaltung nachbarrechtlichen Sonderrechts mit herangezogen werden, indem aus den unterschiedlichen Nachbarrechten gewisse allgemeine Grundsätze gewonnen und zur Grundlage eines internationalen Vertrages gemacht werden könnten (Blumenwitz). Ein wichtiges Arbeitsfeld der Rechtsvergleichung im Dienste des Völkerrechts bestehe des weiteren im Vergleich der nationalen Dienstrechte zur Bildung des internen Dienstrechtes der internationalen Organisationen, die heute schon Zehntausende von internationalen Angestellten beschäftigten (Bernhardt).

Schließlich sei Rechtsvergleichung auch für die Auslegung internationaler Konventionen, etwa der Menschenrechtskonvention der UN, nützlich. Das Auslegungsproblem bestünde hier darin, daß oft - bewußt oder unbewußt - sprachliche Formulierungen verwendet würden, die in ho-

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hem Maße ausfüllungsbedürftig seien. Insoweit seien drei Auslegungshilfen in Betracht zu ziehen: einmal könne man versuchen, auf gängige internationale Standards zurückzugreifen, die aber leider oft nicht feststellbar seien. Man könne sich auch darauf verständigen, daß jeder Staat die Konventionen nach eigenen Rechtsvorstellungen auslegen dürfe. Dies führe aber zu einer Minimierung der völkerrechtlichen Bindung (Bernhardt). Eine solche Praxis sei gleichwohl zu beobachten, z. B. im Falle des Europäischen übereinkommens über die soziale Sicherheit (Beitzke). Hier sei ins Protokoll zu einer bestimmten Vorschrift über die Arbeitslosenversicherung die Feststellung aufgenommen worden, jeder Staat könne diese Bestimmung in seinem Sinne auslegen. Dies führe aber das Rechtsvereinheitlichungsziel des übereinkommens ad absurdum. Es sei daher zu fordern, daß sich die Auslegung stärker auf die Materialien solcher Abkommen beziehe, um den Zweck jeder einzelnen Bestimmung konkret ermitteln zu können. Die historische Interpretation sei insoweit für die Auslegung internationaler Abkommen von herausragender Bedeutung. Allerdings seien die Materialien oft in einem unbrauchbaren Zustand; die ursprünglichen Intentionen der Verhandlungspartner änderten sich im Verlauf der Verhandlungen mehrmals, und es sei kaum herauszufinden, was wer am Ende wirklich gewollt habe. Eine brauchbare Auslegung sei daher nur dann möglich, wenn die Verhandlungsprotokolle mit Blick auf ihre spätere Auslegungsfunktion besser fixiert und bereitgehalten würden (Beitzke). Dagegen wurde eingewandt, daß eine internationale Konvention doch mehr Gesetzes- als Vertragscharakter habe, so daß zu überlegen sei, ob die Regeln der Gesetzesauslegung hier vorzuziehen seien. Dies aber bedeute eine erhebliche Relativierung der Autorität des historischen "Gesetz- bzw. Konventionsgebers" . Schließlich sei auch der Rechtsanwender überfordert, wenn er bei jeder Urteilsfindung gehalten sei, die Materialien zu studieren. Richtig sei allerdings, daß sichergestellt werden müsse, daß eine Konvention nicht letztlich so "ausgelegt" werde, wie keiner der Vertragspartner es gewollt habe (Barta). Hier könne schließlich Rechtsvergleichung zu einem wichtigen Auslegungskriterium werden. Sie könne dazu dienen, einen gewissen Grundbestand von Rechtsregeln und Rechtsauffassungen in den verschiedenen Vertragsstaaten zu fixieren, der zur Auslegung und zur Auffüllung von unbestimmten Rechtsbegriffen etc. herangezogen werden könnte (Be rnhardt). In logischem Zusammenhang damit stand die Diskussion über die unterschiedlichen Rechtsebenen, auf denen Rechtsvergleichung und Völkerrecht sich befinden und die auch für die Unterscheidung zwischen horizontalem und vertikalem Rechtsvergleich eine Rolle spielen. Nach dem Sprachgebrauch in der Projektgruppe unterscheiden sich vertikale und

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horizontale Rechtsvergleichung danach, ob gegebene Rechtsquellen sich auf unterschiedlichen oder gleichen Rang- und Funktionsebenen befinden; der Vergleich mehrerer nationaler Rechte gilt als horizontale, der Vergleich von Verfassungsrecht mit Gesetzesrecht oder von Völkerrecht mit Staatenrecht wird als vertikale Rechtsvergleichung bezeichnet (Zacher). Die Problematik des Beitrags der Rechtsvergleichung für die Entwicklung des Völkerrechts ist hauptsächlich in der vertikalen Linie anzusiedeln, d. h. dort, wo die Schwelle der verglichenen innerstaatlichen Rechte zur Völkerrechtsregel übersprungen werden soll.

Blumenwitz vertrat insoweit die Ansicht, diese Schwelle werde nicht durch bloße Addition der gleichen oder ähnlichen Normen der verschiedenen Staaten überwunden. Rechtsvergleichung könne hier nur die "opinio iuris" der Staaten erschließen und damit allenfalls bestimmte in der wissenschaftlichen Diskussion stehende Völkerrechts-Interpretationen ausschließen. Aus dem Konsens von nationalen Rechtsanschauungen entstünden keine supranationalen Rechtsnormen; der Konsens könne maßgebend sein für die Herausbildung von Völkerrechtsregeln, sei aber nicht unmittelbar normproduzierend. Dem wurde entgegengehalten, daß hier das "eigenständige völkerrechtliche Handeln" der Internationalen Organisationen etwas intensiver in Betracht zu ziehen sei (Zacher). Dieses Handeln eröffne für die Rechtsvergleichung eine ganz neue Dimension, insofern (Stichwort: "Mehrheitsvölkerrecht") das Völkerrecht nicht mehr so sehr auf den common sense der Staaten angewiesen sein solle, sondern schon partikulare Gemeinsamkeiten für die allgemeine völkerrechtliche Geltungskraft hinreichen sollen. Im übrigen wurde darauf hingewiesen, daß der" vertikale Schwellensprung" noch einen weiteren Aspekt habe, über den nachzudenken sich lohne. Der "vertikale Sprung" ziehe tiefgreifende Normveränderungen nach sich: so bekomme eine Norm, etwa eine Norm in bezug auf das Arbeitsrecht, die Geltung nur in einzelnen Staaten beansprucht, einen ganz anderen Sinn, wenn sie plötzlich gemeinsam für viele Staaten aufgestellt werde, die unterschiedliche kulturelle, soziale, ökonomische und vor allem juristische Gegebenheiten aufwiesen (Zacher). Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde betont, daß auch der "vertikale Sprung" vom Völkerrecht in die nationalen Rechtsordnungen im Sozialrecht von einer spezifischen Problematik sei. Teilweise habe das Völkerrecht versucht, einzelne Rechtsregeln mit stringenter Geltung zu schaffen. Dagegen sei das Völkerrecht auf dem Gebiet des internationalen Sozialrechts anders verfahren; hier seien vornehmlich Programme geschaffen worden. Schlaglichtartig suchten die ILO-übereinkommen gewisse Forderungen in die nationalen Rechtsordnungen hineinzupflanzen, während die Gesamtverantwortung bei dem nationalen Recht und

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bei der nationalen Politik verbleiben solle (Zacher). So verlangten Artt. 2 und 3 der UN-Konvention über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte des einzelnen von den nationalen Gesetzgebern, Maßnahmen zu ergreifen, um auf diesem oder jenem Gebiet gewisse Standards zu verwirklichen. Die richtige Auslegung und Ausfüllung solcher Programmsätze könne nicht aus den nationalen Regelungen der an den übereinkommen beteiligten Staaten geschlossen werden. Bei der Auslegung und der Beurteilung solchen Programmrechts müsse vor allem der Gedanke der Universalität gewahrt werden; nur wenn die Programmsätze eine gewisse Stufe der Abstraktheit behielten, könnten sie auch von allen Unterzeichnerstaaten beachtet werden; denn Sozial recht habe eine große Dynamik und könne bei Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und unterschiedlicher Entwicklungsstufe nicht inhaltsgleich sinnvoll und durchsetzbar sein (Blumen witz). In diesem Zusammenhang tauchte die Frage auf, wie sich denn etwa der Programmsatz des Rechts auf Arbeit, der im erwähnten UN-Pakt enthalten sei, den die Bundesrepublik Deutschland 1976 ratifiziert habe, auf unsere nationale Rechtslage auswirke, insbesondere, ob sich aus dieser Ratifizierung neue Gesichtspunkte ergeben hätten für die zu ergreifenden Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und für eine Aufnahme des Rechts auf Arbeit in das Grundgesetz (Schulte). Dabei wurde zwischen rechtlicher und politischer Auswirkung der Ratifizierung unterschieden. Die Unterschrift unter den UN-Pakt und seine Ratifizierung habe zwar keine unmittelbar-konkrete rechtliche Relevanz, weil der Gesetzgeber nur verpflichtet worden sei, das Recht auf Arbeit irgendwie zu verwirklichen, sei es durch Einräumung eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf einen Arbeitsplatz, sei es durch spezielle Arbeitsförderungsprogramme oder ähnliches; das Recht auf Arbeit sei nun aber eine Größe, die in der weltweiten politischen Diskussion eine Rolle spiele. Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes hätte womöglich ohne den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum UN-Pakt und schon früher zur Europäischen Sozialcharta die jetzige politische Dimension des Rechts auf Arbeit - auch für die innerstaatliche Diskussion nicht zu vermitteln vermocht, obwohl dieses Recht auch in Einzelgesetzen - formuliert als Vollbeschäftigungsziel - Eingang gefunden habe, wie z. B. im Stabilitäts- und Wachstums gesetz, im Sachverständigengesetz, im Arbeitsförderungsgesetz und im Sozialgesetzbuch. An der politischen Aufwertung des Rechts auf Arbeit partizipierten im übrigen über Art. 7 des EWG-Vertrages (Grundsatz der Nichtdiskriminierung) auch die ausländischen Arbeitnehmer aus den EG-Staaten. Die Unterzeichnung der völkerrechtlichen Vereinbarungen über ein Recht auf Arbeit könne vielleicht dazu führen, daß dieses Recht einmal explizit in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes aufgenommen werde. Dies würde eine äußerst wichtige Interpretationsgrundlage für unser ganzes Verfassungsleben

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bedeuten. Außerdem sei die Arbeitslosigkeit nun kein bloß innerstaatliches Problem mehr; es bedeute keine "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" fremder Staaten mehr, wenn von ihnen Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefordert würden (BZumenwitz). In Abgrenzung zu den völkerrechtlichen Programms ätzen im Bereich des internationalen Sozialrechts wurden in der Diskussion die sogenannten "self-executing-Normen" der bürgerlichrechtlichen Abkommen hervorgehoben; im Anschluß daran entbrannte eine kleine Kontroverse über die Unterschiede zwischen Privatrechtsvergleichung und Sozialrechtsvergleichung. Es wurde die Auffassung vertreten, der self-executing-Charakter der meisten privatrechtlichen internationalen Vereinbarungen lasse sich u. a. daraus erklären, daß das Privatrecht selber vornehmlich Gestaltungsmöglichkeiten für den einzelnen eröffnen wolle, wohingegen das Sozialrecht immer sozusagen "das letzte Wort" zu sprechen habe und sich daher nicht "selbst vollziehe", sondern nur durch konkrete hoheitliche Anordnungen wirksam werde (Zacher). Dem wurde aber entgegengehalten, daß auch das Sozialrecht für den einzelnen weitgehend Gestaltungsmöglichkeiten eröffne, etwa sich freiwillig in der Sozialversicherung weiterzuversichern etc. und auch im Zivilrecht zunehmend zwingende Gesetze geschaffen würden, so daß man sagen könne, das moderne Privatrecht bemühe sich geradezu, mehr und mehr Rechtsgestaltungsmöglichkeiten abzuschneiden und selbst "das letzte Wort" zu sprechen. Der Gegensatz zwischen Sozialrecht und Privatrecht sei daher insoweit gar nicht so schroff. Das Fehlen von selfexecuting-Normen im Bereich des internationalen Sozialrechts sei vielmehr ganz einfach wegen der Sozial rechts-Dynamik und deshalb nützlich, weil dem nationalen Gesetzgeber und der Rechtsentwicklung auf diese Weise mehr Spielraum eingeräumt werde (Beitzke). Bearbeiter: Michael Faude

Die Rechtsvergleichung im Europäischen Gemeinschaftsrecht Von Albert Bleckmann I. Die Rechtsvergleichung bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts 1. Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung aufgrund eines Vergleichs der einschlägigen nationalen Rechtssätze allgemeine Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts entwickeW. Trotz der Eigenständigkeit des Europäischen Gemeinschaftsrechts vom Völkerrecht, dessen Grad umstritten ist2, hat der EuGH sich dabei ganz offensichtlich stärker an dem Vorbild der nach der h. L.3 ebenfalls durch Rechtsvergleichung zu entwickelnden allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts nach Art. 38 Abs. I Buchst. c der Satzung des IGH angelehnt als an der Entwicklungsmethode allgemeiner Rechtsgrundsätze durch Richterspruch im nationalen Recht, insbesondere im nationalen Verwaltungsrechtl. Neben den durch den EuGH und in der europäischen Literatur entwickelten Anhaltspunkten kann für die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Europäischen Gemeinschaftsrecht deshalb auch auf die umfassendere völkerrechtliche Rechtsprechung und Literatur:; zurückgegriffen werden, wenn nur die Eigenarten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, insbesondere die stärkere Homogenität der europäischen Rechtsordnungen und der wesentlich höhere Grad an Integration der Europäischen Gemeinschaften berücksichtigt werden. Diese beiden Gesichtspunkte werden häufig dazu führen, die im Völkerrecht entwikkelten Ansätze nur als Minimalerfordernisse des europäischen Rechts zu betrachten, die im Europäischen Gemeinschaftsrecht wegen der engeren 1 Vgl. Bleckmann, Europarecht. Das Recht der EWG, 1976, 78 ff. und die dort zitierte Literatur. 2 Nach Ansicht des BVerfG (E 22, 293) ist das Europäische Gemeinschaftsrecht kein Völkerrecht. 3 Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, 1975, 63 und die dort zitierte Literatur. 4 Stärker an das nationale Verwaltungsrecht lehnt sich an: Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977. 5 s. o. Anm. 3.

7 Sozialrechtsvergleich

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Verbindung der Mitgliedstaaten in Richtung einer größeren Integration verstärkt werden können und müssen. Das Verhältnis zwischen dem Europäischen Gemeinschaftsrecht und dem Völkerrecht im Bereich der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist deshalb ähnlich wie das Verhältnis zwischen dem Völkerrecht und dem zwischen dem Bund und den Ländern einerseits, zwischen den Ländern im Bundesstaat andererseits geltenden Recht, für das der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich einmal trefflich gesagt hat6, daß im Verhältnis der Länder zueinander zumindest dieselbe Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Staaten eingreifen müsse wie im Völkerrecht, wobei er offensichtlich unterstellte, daß im Verhältnis der Länder zueinander eine größere Integration vorliege als im Verhältnis der Staaten in der Völkerrechtsgemeinschaft, so daß die Anforderungen an die Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Staaten im Bundesstaat weiter geht als in der Völkerrechtsgemeinschaft. Wie aber die größere Integration zwischen den Mitgliedstaaten eines Bundesstaates nicht nur dazu führt, daß derselbe Völkerrechtssatz im Bundesstaat ein stärkeres Gewicht bekommt, sondern auch die Anwendung einzelner Völkerrechtssätze ausschließen kann 7 , muß überprüft werden, ob die stärkere Integration zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere deren Ziele dazu führen, daß die im Völkerrecht entwickelten Methoden für die Fixierung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Europäischen Gemeinschaftsrecht im Einzelfall nicht anwendbar sind. 2. Diese Prinzipien sind schon bei der Frage zu beachten, welche Rechtsordnungen beim Vergleich herangezogen werden müssen. Im Völkerrecht stößt man für diese Frage auf gegenläufige Tendenzen. Ein Teil der Lehre scheint zu fordern, daß der entsprechende Rechtssatz sich in den Rechtsordnungen aller Staaten der Welt findet. Die wohl vorherrschende Meinung verlangt, daß der Rechtssatz in repräsentativen Staaten aller Rechtssysteme der Welt bekannt sei. Dabei wird teilweise verlangt, daß auch die afrikanischen und asiatischen Rechte berücksichtigt werdenS. Mir scheint allerdings, daß solange die afrikanischen und asiatischen Staaten zumindest im "modernen" Teil ihrer meist dualistischen Rechtsordnungen9 europäisches, nämlich englisches oder französisches Recht anwenden, diese Forderung übertrieben ist. Wie dem auch sei werden diese Prinzipien doch nur auf die Entwicklung universeller allgemE:'iner Rechtsgrundsätze des Völkerrechts angewendet. Dabei wird 6

29. 6. 1925 (Lammers I Simons, Bd. 1, 198).

Bleckmann, Völkerrecht im Bundesstaat, Schweiz. Jahrb. f. Internationales Recht, 1973, 1 ff. S So insbesondere Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1,2. Auf!. 1967. 9 Bleckmann, Das französische Kolonialreich und die Gründung neuer Staaten, 1969, 257 ff. 7

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anerkannt, daß für die Entwicklung regionaler Rechtsgrundsätze nur die Rechtsordnungen der Staaten der betreffenden Region herangezogen werden müssen lO - wobei im Gegensatz zur Entwicklung universeller Rechtsgrundsätze anscheinend die Rechtsordnungen aller Staaten insoweit übereinstimmen müssen, ohne daß für diese Abweichung vernünftige Gründe angegeben werden. Eine gewisse Parallele scheint insoweit zum Völkergewohnheitsrecht zu bestehen. In der Tat wird für die Entwicklung eines Rechtssatzes des universellen Völkergewohnheitsrechts nur verlangt, daß eine bestimmte, nicht näher fuderbare Zahl von Staaten, aber eben nicht alle Staaten der Welt eine entsprechende Praxis gesetzt habeni!, während für regionales Völkergewohnheitsrecht verlangt wird, daß alle Staaten der Region der Praxis zugestimmt haben l2 • Für die Entwicklung Europäischen Gemeinschaftsrechts scheint sich

in der Literatur die Auffassung durchzusetzen, daß der Rechtssatz allen,

aber nur den Staaten der Region bekannt ist l3 • Ansätze für diese Auffassung finden sich in den Stellungnahmen der Generalanwälte beim EuGH, welche die Rechtslage in den Mitgliedstaaten darlegen l4 • Der EuGH dagegen hat stets nur unterstrichen, daß der betreffende Rechtssatz in den oder in allen Mitgliedstaaten bekannt ist, ohne dazu Stellung zu beziehen, ob dies ein notwendiges Erfordernis ist. Ansätze zur Lösung dieser Frage gibt die Entscheidung des EuGH im Nold-Fall I5 • Der EuGH hat hier ausgesprochen, daß "die Verfassungsordnung aller Mitgliedstaaten das Eigentum schützt und in ähnlicher Weise die Freiheit der Arbeit, des Handels und anderer Berufstätigkeiten gewährleistet". Abgesehen davon, daß damit nicht notwendig gesagt ist, daß der Rechtssatz allen Mitgliedstaaten bekannt sein muß, trifft die Feststellung des EuGH nicht zu, daß die Verfassungsordnungen sämtlicher Mitgliedstaaten die Arbeits- und Berufsfreiheit schützen. Nimmt man die auf der Tagung zum fünfzigjährigen Geburtstag des Heidelberger Max-Planck-InstitutsI6 gefallene Äußerung des Richters Pescatore hinzu, es komme nicht darauf an, daß der Rechtssatz in allen Mitgliedstaaten bekannt sei, es reiche vielmehr aus, daß die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einem solchen Rechtssatz nicht entgegenstehen, wird man es grundsätzlich für ausreichend ansehen müssen, wenn Vgl. die Literatur in Anm. 1. Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, 279. 12 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, 289. 13 Vgl. die Literatur in Anm. 1. 14 Vgl. Bleckmann, Die Rolle der Rechtsvergleichung in den Europäischen Gemeinschaften, Zeitschr. f. vergleichende Rechtswissenschaft, 1974, 106. 15 14. 5. 1974, Nold, RsprGH XX, 491. 16 Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV 36 (1976). Vgl. auch Pescatore, Les droits de l'homme et l'integration europeenne, Cahiers de droit europeen, 1968, 629 ff.; ders., Human Rights, Common Market Law Review, 1972, 79; H. Claudi, Die Bindung der EWG an Grundrechte, 1976, 479. 10

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in der überwiegenden Mehrzahl der Mitgliedstaaten der Rechtssatz bekannt ist und die Rechtsordnungen der übrigen Mitgliedstaaten einem solchen Rechtssatz nicht widersprechen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Recht mehr Gemeinsamkeiten untereinander als mit der britischen, irischen und dänischen Rechtsordnung haben. Es ist zwar behauptet worden, nach dem Beitritt der neuen drei Mitgliedstaaten sei zumindest für die Entwicklung neuer allgemeiner Rechtsgrundsätze auch auf diese Rechtsordnungen Rücksicht zu nehmen, wobei offen bleibt, ob vom EuGH vorher aufgrund eines Vergleichs der Rechtsordnungen der ursprünglichen Mitgliedstaaten entwickelte Rechtsgrundsätze nachträglich wegfallen, wenn sich herausstellen sollte, daß die drei neuen Staaten entsprechende Rechtssätze nicht kennen oder daß deren Rechtsordnungen solchen Rechtssätzen zumindest entgegenstehen. Es ist auch richtig, daß die Gleichheit der Mitgliedstaaten grundsätzlich eine gleiche Berücksichtigung der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bei der Entwicklung des europäischen Rechts fordert. Dennoch meine ich, daß hier wie bei der auf Rechtsvergleichung beruhenden Auslegung der Verträge dem Recht der ursprünglichen Mitgliedstaaten ein übergewicht zukommen sollte, weil das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich auf den kontinentaleuropäischen gemeinsamen Rechtsanschauungen aufbaut. Auf der anderen Seite reicht häufig der Vergleich der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten für die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts nicht aus. Die demokratischen westlichen Staaten beruhen zumindest im Bereich des öffentlichen Rechts auf gemeinsamen rechtsstaatlichen Verfassungstraditionen, die manchmal im Recht der USA, der Schweiz oder Österreichs klarer und dogmatisch ausgefeilter zum Ausdruck gelangen als im Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften. Außerdem ist es möglich, daß eine Nichtgemeinschaftsordnung ein klareres Bild der zukünftigen Entwicklung des europäischen Rechts bietet als jede europäische Rechtsordnung. 3. In den Völkerrechtsraum übernommen werden nicht zufällig übereinstimmende Einzelrechtssätze der nationalen Rechtsordnungen, sondern den nationalen Einzelrechtssätzen zugrunde liegende abstrakte Rechtsprinzipien, die als Ausdruck der Gerechtigkeit in jeder Rechtsordnung und damit auch im Völkerrecht gelten müssen 17 • Solche abstrakten Rechtsprinzipien sind etwa pacta sunt servanda, Treu und Glauben, der 17 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 1976,311; Mosler, Rechtsvergleichung vor völkerrechtlichen Gerichten, Verdross-Festschr. 1971,404; Härle, Die allgemeinen Entscheidungsgrundlagen des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, 1973, 45 ff., 82 ff.; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, 1975, 65.

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Gedanke des Ausgleichs von widerrechtlichen Schäden und ungerechtfertigten Bereicherungen, die Grundsätze der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft, der Vertrauensschutz und die Rechtssicherheit. Im Europäischen Gemeinschaftsrecht scheint der EuGH eine ähnliche Methode einzuschlagen. Als allgemeine Rechtsgrundsätze hat er etwa Treu und Glauben 18 , den Grundsatz des rechtlichen Gehörs 19 , die gemeinsamen grundlegenden Verfassungsüberlieferungen20 angesehen. Allerdings werden auch die Einzelnormen über den Ausschluß des Widerrufs von Verwaltungsakten übernommen21 • Diese Methode stellt besondere Anforderungen an die Art der Rechtsvergleichung. Zunächst sind nicht die Einzelrechtsnormen, sondern die diesen Normen zugrunde liegenden abstrakten Rechtsgrundsätze zu vergleichen. Im Bereicherungsrecht kommt es also nicht auf die konkreten Voraussetzungen und Rechtsfolgen der in den §§ 812 ff. BGB und in den entsprechenden Bestimmungen der anderen Rechtsordnungen enthaltenen Einzelrechtssätze an. Diese Bestimmungen werden vielmehr dahin generalisiert, daß für eine ungerechtfertigte Bereicherung ein Ausgleich zu leisten ist. Die Normen einer bestimmten Institution sind also auf ihren allgemeinsten Nenner zu bringen. Technische Einzelheiten, Zweckmäßigkeitsbestimmungen usw. werden bei dieser Generalisierung ebenso beiseite geschoben wie zufällige historische Ausformulierungen dieser Grundsätze oder Besonderheiten, die auf den nationalen gesellschaftlichen oder rechtlichen Eigenarten beruhen. Dabei ist es gleichgültig, ob die betreffende Rechtsordnung das allgemeine Rechtsprinzip aus den Einzelrechtsnormen schon herausgelöst hat oder ob diese Herausschälung erst das Werk des Rechtsvergleichers ist. Auch die einer Rechtsmaterie oder verschiedenen Rechtsmaterien in einem Land stillschweigend zugrunde liegenden Prinzipien müssen so entwickelt und für die Herausbildung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des europäischen Rechts herangezogen werden. Auf der anderen Seite kommt es nicht immer darauf an, daß der vom Gesetz, von der Lehre oder der Rechtsprechung eines bestimmten Staates behauptete allgemeine Rechtsgrundsatz wirklich den Einzelrechtsnormen dieses Landes zugrunde liegt. In einem solchen Falle - etwa wenn in der Verfassung ein Grundrecht enthalten ist, das in der Rechtsordnung nicht realisiert wurde - wird man den Staat an seiner Rechtsbehauptung festhalten dürfen. Die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze hält nicht nur nach Art einer Photo graphie die im Augenblick der Rechtsvergleichung gel18 19 20

21

RsprGH VI, 989, 1012, 1139; XI, 1357. RsprGH VI, 732; XII, 385, 395, 426; XIV, 511, 513, 523. RsprGH XV, 419; XVI, 1125, 1161; XX 493. RsprGH III, 91 ff., 117 ff.; VIII, 565; VII, 173; XI, 938.

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tenden Prinzipien fest. Es kommt vielmehr auf die gemeinsame Tradition und die gemeinsame Zukunft als auf die Gegenwart an. Der allgemeine Rechtsgrundsatz des europäischen Gemeinschaftsrechts darf in seiner Entstehung und in seinem Fortbestand nicht von den zufälligen Augenblicksströmungen in den Mitgliedstaaten abhängen, sondern muß den langfristigen Entwicklungstendenzen der europäischen Rechtsordnungen gerecht werden. Deshalb muß die gesamte Spannbreite der Meinungen, die gesamten Potentialitäten der zukünftigen Entwicklung der nationalen Rechtssätze beobachtet werden. Mit anderen Worten kommt es nicht notwendig auf die in einem Mitgliedstaat herrschenden Rechtsansichten an. Die langfristigen Tendenzen der Rechtsordnungen, ihre Entwicklungspotentialität, kommt gerade auch in den Voten der Minderheitsmeinungen zum Ausdruck, die morgen zur Mehrheit werden und zeigen können, daß insgesamt gesehen ein bestimmter Rechtsgrundsatz auf der Linie der Rechtsordnung gerade auch dieses Landes liegt. Aber man kann und muß auch wohl noch einen Schritt weiter gehen. Es mag dahingestellt bleiben, ob für die Völkerrechtsebene der naturrechtliche Gedanke der Einheit des Menschengeschlechts mit der Folge akzeptiert werden muß, daß zumindest eine Vermutung für die übereinstimmung der Rechtsordnungen besteht. Im kontinentaleuropäischen Bereich ist die Einheit der Rechtskonzeptionen aufgrund der gemeinsamen philosophischen, historischen und rechtlichen Entwicklungsfaktoren weitgehende Wirklichkeit. Das vertraglich fixierte Ziel einer einheitlichen europäischen Rechtsordnung verlangt, daß stärker auf das die europäischen Rechtsordnungen Verbindende als auf das sie Trennende geschaut wird. Die Gemeinsamkeit der europäischen Rechtsordnung ist von der Rechtsvergleichung nicht mehr zu beweisen, sondern muß von ihr vorausgesetzt werden. So ist es möglich, bestimmte nationale Institutionen eines Mitgliedstaates, etwa das Rechtsstaatsprinzip des deutschen Rechts, als besonders prägnanten Ausdruck der gemeinsamen Verfassungstradition und andererseits als fortschrittlichen Ausdruck gemeinsamer Entwicklungstendenzen zu begreifen. Unter Umständen kann so ein Rechtsinstitut, das in dieser Art nur in einem einzigen Mitgliedstaat verwirklicht ist, als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Europäischen Gemeinschaftsrechts verstanden werden, wenn die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten zwar dieses Rechtsinstitut nicht ausdrücklich verankert haben, aber auf diesem Prinzip beruhen. Bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze kann also ein übermaß an Rechtsvergleichung gefährlich werden, bei der man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Es erscheint auch falsch, mit der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze warten zu wollen oder die Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze nur als Provisorium anzusehen, bis eine ins Detail gehende Vergleichung aller Einzelrechtsnormen einer bestimmten Rechtsinstitution in allen Mitgliedstaaten etwa

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nach dem Vorbild des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht im Bereich der Verfassungs- und Verwaltungsvergleichung22 und demnächst im Bereich des Koalitionsrechts die "wirklichen" Gemeinsamkeiten aufgezeigt hat. Man kann Gemeinsamkeiten auch zerreden und darf auf der anderen Seite die rechtsschöpferische Tätigkeit des Richters bei der Entwicklung dieser Gemeinsamkeiten nicht unterschätzen. Der Normhunger des Völkerrechts und des Europäischen Gemeinschaftsrechts ist gewaltig, und man wird ihm nicht gerecht, wenn man in einer detaillierten Einzeluntersuchung zeigt, daß bestimmte allgemeine Rechtsgrundsätze im Ergebnis eine Basis in den gemeinsamen Rechtssätzen der nationalen Rechtsordnungen nicht finden. 4. Auch die unterschiedliche Basisbreite der in den verschiedenen Rechtsordnungen übereinstimmenden allgemeinen Rechtsgrundsätze muß bei der Rechtsvergleichung vernachlässigt werden. Wenn das Vertrauensschutzprinzip z. B. in einem Land nur den Widerruf von Verwaltungsakten verbietet, kann es in anderen Rechtsordnungen für die Verbindlichkeit der Zusage, für die Anscheinsvollmacht, für das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen und Verwaltungsakten usw. herangezogen werden. Das verbietet nicht, für die europäische und völkerrechtliche Ebene das Vertrauensschutzprinzip generell als allgemeinen Rechtsgrundsatz zu entwickeln, der unter Umständen auch in ganz anderen Bereichen des Völker- und Europarechts zum Tragen kommt als im nationalen Bereich. 5. Häufig spielt bei bestimmten nationalen Rechtsinstitutionen nicht die Ableitung aus einem einzigen Prinzip, sondern die Abwägung zwischen zwei oder mehreren Prinzipien eine Rolle. Das gilt etwa für die Abwägung zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit23 oder für die Abwägung zwischen einem Grundrecht und entgegenstehenden öffentlichen Interessen. Dann ist nicht ein, sondern sind mehrere allgemeine Rechtsprinzipien in das Völker- und Europarecht zu übernehmen, die auf der Völkerrechtsebene unter sich oder mit weiteren völkerrechtlichen oder europarechtlichen Prinzipien oder Interessen abzuwägen sind. Wie das Beispiel des Nold-Falles zeigt, hat der EuGH so etwa das Grundrecht auf Eigentum und Berufsfreiheit gleichzeitig mit den diesen Grundrechten durch entgegenstehende öffentliche Interessen gezogenen Schranken in das Europarecht übernommen. Man kann deshalb auch sagen, daß in das Völker- oder Europarecht in einem solchen Falle nicht nur ein oder mehrere Prinzipien, sondern die Interessenjurisprudenz mit ihrer Abwägung der Interessen und die gesetzlichen Werte übernommen werden, welche diese Abwägung leiten. 22 H. Mosler (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in der Gegenwart, 1961; Staatshaftung, 1967; Gerichtsschutz gegen die Exekutive, 1969. 23 Dazu G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 1963, 169 ff., 353.

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6. Bis jetzt gingen wir davon aus, daß nur allgemeine Rechtsprinzipien des nationalen Rechts in das Europarecht übernommen werden können. Wie das Beispiel der übernahme der für den Ausschluß des Widerrufs von Verwaltungsakten geltenden nationalen Regeln durch den EuGH zeigt, kann die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze aber auch auf der Ebene von Einzelrechtssätzen anknüpfen. Erforderlich wird allerdings sein, daß diese Einzelrechtssätze Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips, hier des Prinzips des Vertrauensschutzes, d. h. der Rechtssicherheit darstellen, weil sie nur dann Ausdruck der Gerechtigkeit sind und damit in allen Rechtsordnungen nicht nur zufällig, sondern notwendig übereinstimmen. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß häufig die nationalen Rechtsordnungen dasselbe Ergebnis durch Anwendung anderer Rechtsprinzipien oder Einzelrechtssätzen erreichen. Alles Gemeinsame muß aber auch auf der völkerrechtlichen bzw. auf der europarechtlichen Ebene Ausdruck finden. In das europäische Recht übernommen werden können also nicht nur Rechtssätze, sondern auch übereinstimmende Einzelfallentscheidungen. Ob man auf der Ebene der Einzelrechtssätze oder auf der Ebene der abstrakten Rechtsprinzipien vergleichen soll, ist eine Frage des Grades der Entsprechung der Rechtsordnungen. In dem vom EuGH entschiedenen Fall stimmten die Einzelrechtssätze über den Widerruf von Verwaltungsakten überein. Damit konnten und mußten sie als allgemeine Rechtssätze ins Europarecht übernommen werden. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte der EuGH die den nationalen Rechtssätzen zugrunde liegenden Prinzipien, nämlich das Prinzip des Vertrauensschutzes oder noch abstrakter das Prinzip der Rechtssicherheit übernehmen müssen. Man kann das auch dahin formulieren, daß die abstrakten Rechtsprinzipien und die sie konkretisierenden Einzelsätze bis hin zu den Einzelfallentscheidungen in dem Maße übernommen werden, in dem sie gemeinsam sind. Ist nur der abstrakte Rechtsgrundsatz allen Mitgliedstaaten gemeinsam, muß er vom EuGH rechtsschöpferisch konkretisiert werden. Sind auch die Einzelrechtssätze und die Einzelfallentscheidungen gemeinsam, ist der EuGH an diese gemeinsamen Konkretisierungen des abstrakten Rechtsprinzips gebunden. 7. Die nach den dargelegten Methoden entwickelten gemeinsamen Rechtsgrundsätze werden zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts und des Europäischen Gemeinschaftsrechts erst, wenn sie sich der Völkerrechtsstruktur24 und der Struktur und den Zielen des Europäischen Gemeinschaftsrechts 25 einordnen lassen. Die Strukturen und Ziele des Europäischen Gemeinschaftsrechts oder einzelner seiner Rechtsinstitutionen sind bisher nur punktuell erforscht 24

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Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, 1975, 65. So die in Anm. 18 - 21 zitierte Rechtsprechung des EuGH.

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worden. Auch diese Erforschung verspricht nur dann Erfolg, wenn sie mit den Strukturen des nationalen und des Völkerrechts oder den Einzelinstitutionen dieser Rechtsordnungen verglichen werden, so daß das Gemeinsame und Trennende unterschieden werden kann. Bis diese Forschungsarbeit geleistet ist, kann deshalb hier nur punktuell umrissen werden, welche Grundsätze bei der Einpassung des gemeinsamen Rechtsprinzips in die Europäische Rechtsordnung beachtet werden müssen. Für das Völkerrecht ist behauptet worden, daß wegen der Koordinationsstruktur nur Rechtssätze des privaten Rechts übernommen werden könnten. So ganz stimmt dies auch für das Völkerrecht nicht, denn es hat zahlreiche Grundsätze des nationalen Gerichtsverfahrens-, Straf- und Beamtenrechts übernommen. Auf jeden Fall ist wegen der sich den staatlichen Strukturen nähernden Strukturen der Europäischen Gemeinschaften eine stärkere übernahme gerade auch des nationalen öffentlichen Rechts zu beobachten und weiter zu erwarten. Das gilt nicht nur für die Grundsätze des Verfassungsrechts, Bundesstaats-, Rechtsstaats-, Sozialstaats- und Demokratieprinzip, Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit der Rechtsordnungen, sondern auch für die Grundsätze des Verwaltungsrechts, insbesondere des allgemeinen Verwaltungsrechts, des Begriffs des Verwaltungsakts, der öffentlich-rechtlichen Verträge, des Beamtenrechts, des Parlamentsrechts usw. 8. Bei der Frage, ob das gemeinsame Rechtsprinzip in die Strukturen und Ziele des Europäischen Gemeinschaftsrechts paßt, ist zu beachten, daß das Prinzip bei der übernahme den Strukturen und Zielen des Europäischen Gemeinschaftsrechts angepaßt werden kann und muß. Meist wird das gemeinsame Rechtsprinzip schon bei der Vergleichung so stark generalisiert worden sein, daß es in die europäischen Strukturen paßt. Ist dies nicht der Fall, kann eine noch weitergehende Abstrahierung erforderlich werden, um den europäischen und den nationalen Rechtsordnungen zugrunde liegende Gemeinsamkeiten aufzufinden. So kann es vorkommen, daß ein bestimmtes, den nationalen Rechtsordnungen gemeinsames Prinzip, seine eigentümliche Ausformulierung der Tatsache verdankt, daß es gerade in nationalen Rechtsordnungen mit ihren staatlichen Strukturen entwickelt wurde. Dann ist der Kern des gemeinsamen Prinzips zu erforschen, der auf die den nationalen Strukturen entsprechenden Eigenarten verzichtet und auch in supranationalen Gemeinschaften verwirklicht werden kann. 9. Häufig läßt sich ein allgemeines Rechtsprinzip des Europäischen Gemeinschaftsrechts nicht allein aus dem Vergleich der nationalen Rechtsordnungen, sondern auch aus den Europäischen Gemeinschaftsverträgen entwickeln. Das gilt etwa für das Rechtsstaatsprinzip 21l und 26 Bleckmann, Der Rechtsstaat in vergleichender Sicht. Zugleich ein Beitrag zur Rechtsquellenlehre des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Jahrb. f. internationales Recht, 1977.

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das Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit der Rechtsordnung27 • Ist dabei das allgemeine Rechtsprinzip in den Verträgen hinreichend verankert, braucht man die Rechtsvergleichung eigentlich nicht mehr. Ist diese Rechtsquelle weniger klar, muß die Rechtsvergleichung bei der Entwicklung eines allgemeinen Rechtsprinzips hinzutreten. Noch weniger ais sonst braucht dann aber der Rechtsgrundsatz in allen Mitgliedstaaten verankert zu sein. 10. Kann ein bestimmter gemeinsamer Einzelrechtssatz in das Europäische Gemeinschaftsrecht übernommen werden, stellt sich meist die Frage der Konkretisierung dieser Einzelnorm nicht mehr. So war es bei der übernahme der Rechtssätze für den Widerruf von Verwaltungsakten durch den EuGH. Haben diese Einzelrechtssätze einen unbestimmten Begriffshof, kann auf die übereinstimmende Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden. Anders ist die Rechtslage bei den Einzelrechtssätzen, die zwecks Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten bei der Rechtsvergleichung generalisiert werden mußten und insbesondere bei den gemeinsamen abstrakten Rechtsprinzipien. Diese mehr oder weniger abstrakten Einzelgrundsätze oder Rechtsprinzipien bedürfen auf der europäischen Ebene der Konkretisierung. Diese Konkretisierung kann wegen der verschiedenen Ausprägung dieser Rechtssätze in den Mitgliedstaaten nicht selbst wieder durch Rechtsvergleichung erfolgen. Die Konkretisierung erfolgt vielmehr durch Rechtsschöpfung des EuGH, der dabei die Ziele und Strukturen der Europäischen Gemeinschaften im Auge behalten muß. Dabei kann der EuGH insbesondere auch auf Konkretisierungen der allgemeinen Rechtsprinzipien zurückgreifen, die sich in einem oder dem anderen Staat finden. Dieser Rückgriff kann einmal notwendig werden, weil eine bestimmte nationale Konkretisierung des entsprechenden abstrakten Rechtsprinzips den europäischen Bedürfnissen am besten entspricht. Er kann aber auch deshalb erforderlich sein, weil ein bestimmtes Rechtsinstitut in bestimmten Staaten dogmatisch und rechtspolitisch am weitesten entwickelt worden ist. Auch hier kommt es also auf die großen Tendenzen der gemeinsamen Rechtstradition und der gemeinsamen Zukunft an. Das gilt etwa für die Grundrechtsdogmatik in den USA, in Italien und in der Bundesrepublik Deutschland.

11. Anmerkungen zu einzelnen Rechtsgrundsätzen des Europäischen Gemeinschaftsrechts 1. Das Europarecht ist eine selbständige, vom Völkerrecht getrennte Rechtsordnung. Diese Rechtsordnung aber ist in das Völkerrecht einge27 Bleckmann, Die Position des Völkerrechts im inneren Rechtsraum der europäischen Gemeinschaften. Monismus .oder Dualismus der Rechtsordnungen? Jahrb. f. internationales Recht, 1975,300.

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bettet. Sie beruht auf völkerrechtlichen Verträgen, deren Wirksamkeit sich nach Völkerrecht beurteilt, wenn ihr Inhalt auch Europarecht enthält. Die Rechtslage ist insoweit ähnlich wie bei der Gründung eines Bundesstaates durch völkerrechtlichen Vertrag zwischen den ehemals souveränen Mitgliedstaaten. Der Vertrag selbst gehört dem Völkerrecht an, der Inhalt - die Verfassung des Bundesstaates - dem Staatsrecht. Dabei kann es sein, daß nach der tatsächlichen Gründung des Bundesstaats bzw. der Europäischen Gemeinschaften auch die Wirksamkeit des völkerrechtlichen Grundlagenvertrages sich nicht mehr ausschließlich nach Völkerrecht beurteilt. Wie im Bundesstaat das Staatsrecht, gilt im Rahmen der Materien der Europäischen Gemeinschaftsverträge grundsätzlich das Europäische Gemeinschaftsrecht, können aber die Grundsätze des Völkerrechts auch im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaften und zwischen den Organen der Gemeinschaften subsidiär angewendet werden28 • Die Grundsätze des Völkerrechts setzen insoweit aber nur einen Mindeststandard. Wie im Bundesstaat, muß auch in den Europäischen Gemeinschaften u. U. der höhere Integrationsgrad und die größere Homogenität zu strikten bzw. sogar zu anderen Regeln führen. Wie im Bundesstaat die Bundestreue, übernimmt in den Europäischen Gemeinschaften diese Funktion die in Art. 5 des EWGV verankerte Gemeinschaftstreue29 • Im Rahmen des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue können in Anlehnung an die Bundestreue selbständige allgemeine Rechtsprinzipien deduziert werden. Bei dieser Deduktion sind die allgemeinen Rechtssätze des Völkerrechts - Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsprinzipien - zu beachten. Das Völkergewohnheitsrecht dient so zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts - etwa für die Haftung der Mitgliedstaaten untereinander bei der Verletzung des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Allgemeine Rechtsgrundsätze können so auf dreierlei Weise im Europäischen Gemeinschaftsrecht entwickelt werden: 1. aus dem Vergleich der nationalen Rechtsordnungen, 2. aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue, u. U. in Verbindung mit allgemeinen Rechtssätzen des Völkerrechts, 3. aus der Generalisierung von Einzelnormen des Europäischen Gemeinschaftsrech ts. 2. Im Völkerrecht und im nationalen Recht gilt der Grundsatz des Rechtsmißbrauchs, der u. a. die Rücksichtnahme auf Gemeinschaftsinter28 29

483.

Bleckmann, Europarecht, 1976, 76. Bleckmann, Art. 5 EWG-Vertrag und die Geminschaftstreue, DVBl. 1976,

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essen und auf die Interessen der anderen Staaten fordert30• Im europäischen Gemeinschaftsrecht findet dieser Rechtsgrundsatz des Völkerrechts im Rahmen der Gemeinschaftstreue verstärkte Anwendung. Wie im Bundesstaat aufgrund des Prinzips der Bundestreue bei der Kompetenzausübung der Mitgliedstaaten und des Bundes die Interessen der Gesamtheit und der anderen Länder zu berücksichtigen sind 31 , müssen auch die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten die Interessen der Gemeinschaft und der anderen Mitgliedstaaten berücksichtigen, selbst wenn die Europäischen Verträge keine konkreten Regeln enthalten. Dabei gilt auch der Grundsatz der Rücksichtnahme auf die nationalen Rechtsordnungen der anderen Staaten, ein weiterer Ansatz für die Rechtsvergleichung im Europäischen Gemeinschaftsrecht. 3. Zu beachten ist ferner, daß sich Grundsätze des europäischen Verwaltungsrechts auch aus der Gesamtstruktur der Europäischen Gemeinschaftsverträge ergeben. So verlangen die Wahrung der objektiven Gemeinschaftsordnung und der Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen, daß ein Mitgliedstaat, der entgegen den Art. 92 ff. EWGV Beihilfen gewährt hat, diese Subventionen zurückverlangt und eventuell bei Verstößen gegen den Vertrag zum Ausgleich der Wettbewerbsnachteile Schadensersatz zahlt. Der Grundsatz der einheitlichen Effektivität der von den Europäischen Gemeinschaftsverträgen den Individuen gewährten subjektiven Rechte verlangt etwa ein effektives nationales Gerichtsverfahren32 • 4. Zu den Prinzipien der gemeinsamen westlichen Verfassungstradition gehört u. a. das Rechtsstaatsprinzip, das zwar nur in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten eine konkrete Verankerung in der Verfassung und eine dogmatische Entfaltung gefunden. 30 Zum Rechtsmißbrauch vgl. E. R. C. van Bogaert, Het rechtsmisbruik in het volenrecht, 1948; H. C. Gutteridge, Abuse of Rights, Cambridge Law Journal 5, 1933,22 ff.; A. C. Kiss, L'abus du droit en droit international, 1953; R. Laun, Bemerkungen zum freien Ermessen und zum detournement de pouvoir im staatlichen und im Völkerrecht, Festschr. H. Kraus 1954, 128 ff.; H. Lauterpacht, The Function of Law in the International Community, 1933, 286 ff.; G. Leibholz, Das Verbot der Willkür und des Ermessensmißbrauchs im völkerrechtlichen Verkehr der Staaten, ZaöRV 1 (1929), 77; G. van der Molen, Misbruik van recht in het volkenrecht, 1949; N. Politis, Le probU~me des limitations de la souverainite et la theorie de l'abus des droits dans les rapports internationaux, Rec. des cours, 6, 1925 I, 5 ff., 77 ff.; J. D. Roule, Le caractere artificiel de la theorie de l'abus de droit en droit international public, 1958; M. Sceneri, L'abuso di diritto nei rapporti internazionali, 1930; H. J. Schlochauer, Die Theorie des abus de droit im Völkerrecht, Zeitschrift f. Völkerrecht 17, 1933,373 ff.; A. Schüle, Rechtsmißbrauch, in Strupp ISchlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 1962, S. 69 ff.; G. Schwarzenberger, Uses and Abuses of the "Abuse of Rights", Transactions of the Grotius Society 42, 1956, 147 ff.; SeMa Trifu, La notion de l'abus de droit dans le droit international, 1940. 31 Leibholz /Rinck, Grundgesetz, 4. Aufl. 1971, Art. 20, Rdnr. 4 ff. 32 Bleckmann, Europarecht, 1976, 99 ff.

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hat, aber den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zugrunde liegt und in zahlreichen anderen Staaten - etwa in Frankreich, in Großbritannien, in den Niederlanden, in der Schweiz, in Österreich und in Italien dem Namen nach bekannt und ferner in den Präambeln der Satzung des Europarats und der MRK mit der Folge verankert ist, daß der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hieraus konkrete Folgerungen zog33. Der EuGH könnte also statt der einzelnen Grundrechte und der einzelnen Ausflüsse des Rechtsstaatsprinzips wie etwa des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit34 das Rechtsstaatsprinzip selbst als allgemeinen Rechtsgrundsatz in das Europäische Gemeinschaftsrecht übernehmen und es aus ihm ohne erneute Rechtsvergleichung, aber unter Rückgriff auf die Rechtsordnungen, welche dieses Prinzip dogmatisch am besten durchgebildet haben, den europäischen Bedürfnissen, Zielen und Strukturen entsprechende Rechtssätze ableiten. 5. Auch das Sozialstaatsprinzip liegt allen europäischen Rechtsordnungen zugrunde, wenn es auch nur in der französischen und in der deutschen Verfassung ausdrücklich enthalten und auch dort selbst dogmatisch noch nicht voll durchgebildet ist35 . Im Rahmen dieses Prinzips wären - ebenso wie im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips die EMRK und die UN-Charta über die bürgerlichen Rechte - die europäische Sozialcharta und die UN-Charta über die sozialen Rechte zu berücksichtigen. Ebenso wie die EMRK versucht, die europäische Verfassungstradition im Bereich der Freiheitsrechte zu verankern, präzisiert die Europäische Sozial charta die gemeinsamen Werte der Mitgliedstaaten im Bereich der sozialen Rechte. Eine nach den Artikeln 117 ff. EWGV mögliche Vereinheitlichung des Sozial rechts nach Art. 51 und insbesondere Art. 100 darf deshalb nicht unter dem Standard der Europäischen Sozialcharta und dem möglicherweise höheren, durch Rechtsvergleichung zu ermittelnden Standard der 9 Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zurückbleiben.

6. Zum gemeinsamen Standard der westeuropäischen Staaten gehört auch die soziale Marktwirtschaft, die für den zwischenstaatlichen Bereich durch die Bestimmungen der Europäischen Gemeinschaftsverträge, hinsichtlich des innerstaatlichen Bereichs durch einen auf der gemeinsamen Rechtstradition beruhenden allgemeinen Rechtsgrundsatz und die Tatsache abgesichert wird, daß die zwischenstaatliche freie Marktwirtschaft notwendig die innerstaatliche freie Marktwirtschaft voraussetzt. Golder-Fall, EuGRZ 1975, 91. Bei den in Anm. 20 zitierten Grundrechtsentscheidungen des EuGH wurde meist das Verhältnismäßigkeitsprinzip bemüht. 35 Zum 80zialstaatsprinzip im deutschen Recht vgl. insbesondere die von E. Forsthoff herausgegebene Aufsatzsammlung "Rechtsstaatlichkeit und 80zialstaatlichkeit", 1968. 33 34

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Die Tatsache, daß die allgemeinen Rechtsgrundsätze sich auch an die Mitgliedstaaten wenden36 , kann in Verbindung mit dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue auch zu einer Sperre der nationalen Rechtsentwicklung führen, wenn die Europäischen Gemeinschaften auf die Entwicklung gemeinsamen Rechts angewiesen sind und die nationalen Entwicklungen in verschiedene Richtungen führen und damit die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen noch vergrößern könnten. 7. Die Rechtsvergleichung kann und muß ferner herangezogen werden, um in weiteren, von den Verträgen nicht geregelten Bereichen neues Gemeinschaftsrecht zu entwickeln: a) Art. 211, 181 und 183 begründen die Fähigkeit der Gemeinschaft zum Abschluß privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verträge. Solche Verträge können mit Individuen und mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der Mitgliedstaaten abgeschlossen werden. Ob Art. 181 auch völkerrechtliche Verträge mit Mitgliedstaaten erfaßt, kann dabei dahingestellt bleiben. Die Erwähnung der öffentlichrechtlichen Verträge in Art. 181 zeigt, daß die EWG auch im Bereich ihrer öffentlichen Tätigkeit, d. h. von den Verträgen umrissenen Bereichen, Verträge schließen kann, selbst wenn die Einzelbestimmungen dies nicht vorsehen. Die EWG ist also insoweit nicht an die in Art. 189 EWGV aufgeführten Akttypen gebunden. Ob sie in den Bereichen des Vertrages zur Erreichung der Vertragsziele neben öffentlichen auch privatrechtliche Verträge abschließen kann und ob sie statt einer Einzelentscheidung privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verträge abschließen kann (Wahlfreiheit der Verwaltung), muß ein Vergleich der Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verträge zwecks Erreichung öffentlicher Zwecke in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zeigen, wobei einerseits von den durch die nationalen Strukturen geforderten Eigenarten zu abstrahieren ist, andererseits die Besonderheiten der Europäischen Gemeinschaften beachtet werden müssen. Art. 183 und 211 EWGV gehen davon aus, daß für solche Verträge die nationalen Gerichte zuständig sind. Das bedeutet offensichtlich, daß der Inhalt der Verträge nach dem betreffenden nationalen Recht zu beurteilen ist. Da es sich hier aber wegen der Beteiligung der Europäischen Gemeinschaften um Verträge mit Auslandsbezug handelt, muß das nationale IPR zur Anwendung gelangen. Selbst wenn die Schwierigkeit überwunden wird, daß das nationale Recht keine Verträge mit internationalen Organisationen erfaßt, bleibt die Lösung offen, wenn das IPR des betreffenden Staates auf die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften verweist. Dann müssen entweder die Regeln des IPR so umgestaltet werden, daß sie auch in diesem Fall auf die lex fori verweisen, 36

Bleckmann, Europarecht, 1976, 78 ff.; a. A. Rengeling

(0.

Anm. 4).

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oder es sind für die Europäischen Gemeinschaften allgemeine Rechtsgrundsätze des betreffenden Vertragsrechts zu entwickeln. Diese Regeln gelten auch nur dann, wenn es sich um privatrechtliche Verträge der EWG handelt, weil die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten für öffentlich-rechtliche Verträge der EWG nicht zuständig sind. Dann bleibt zwecks Wahrung des Rechtsschutzes nur die Aufnahme einer Schiedsklausel nach Art. 181 in den Vertrag, der nunmehr den EuGH zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze für die Bewertung und Auslegung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verträge der EWG zwingt37. b) Für das Verwaltungsverfahrensrecht, also für das Verfahren, das dem Erlaß eines Verwaltungsaktes oder dem Abschluß eines öffentlichrechtlichen Vertrages vorausgeht38 , fehlt im Vertrag mit Ausnahme des Begründungszwanges jede Vorschrift. Hier sind einerseits aus dem Rechtsstaatsprinzip, andererseits aus dem Vergleich der nationalen Verfahrensvorschriften allgemeine Rechtsgrundsätze zu entwickeln. Der EuGH hat solche Rechtsgrundsätze etwa für den Widerruf von Verwaltungsakten und im Bereich des rechtlichen Gehörs schon entwickelt. c) Der Vertrag gestattet den Europäischen Gemeinschaften, Beihilfen zu gewähren39 • Ob die Beihilfen aufgrund einer Entscheidung, eines zweistufigen Verfahrens oder eines öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vertrages gewährt werden, sagt der Vertrag nicht. Für diese Fragen wie für die anderen Subventionsprobleme sind die Regeln über die Subventionen in den Mitgliedstaaten zu vergleichen 40 • d) Die Europäischen Gemeinschaften besitzen Eigentum, das den öffentlichen Zwecken der Gemeinschaften gewidmet ist und teilweise individuellen Benutzern offensteht, also in der Terminologie der nationalen Rechte "öffentliche Sachen". Zwar wird der Erwerb dieser Sachen weitgehend nach dem nationalen Recht des jeweils zuständigen Staates zu beurteilen sein, doch können die Widmung und ihre Folgen sich nur nach europäischem Recht richten, das durch Rechtsvergleichung zu entwickeln ist. e) Das europäische Parlamentsrecht beruht weitgehend auf den den nationalen Parlamenten gemeinsamen Geschäftsordnungsregeln. Bei ihrer Auslegung und Ergänzung ist an die gemeinsame parlamentarische überlieferung anzuknüpfen. Dabei ist zu beachten, daß Struktur und Funktion des Europäischen Parlaments sich von denen der nationalen Parlamente unterscheiden. So hat das Europäische Parlament grundsätzBleckmann, Der öffentlich-rechtliche Vertrag im EWG-Recht, NJW 1977. Vgl. § 9 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes. 39 Etwa im Agrarbereich, ferner zur Arbeitsplatz- und Regionalförderung. 40 Vgl. etwa V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966; Scheuing, Les aides financieres publiques, 1974. 37

38

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lich nur Beratungs- und Kontrollfunktionen gegenüber der Kommission 41 • Ferner setzt sich das Parlament bisher nicht aus vom Volk, sondern von den Parlamenten gewählten Vertretern zusammen. Neben der Parteizugehörigkeit ist bei der Aufteilung der Rechte stets auch die nationale Zugehörigkeit der Abgeordneten zu beachten (Doppel proporz). f) Das Gerichtsverfahrensrecht ist zwar weitgehend von den europäischen Verträgen geregelt. Auch insoweit klaffen allerdings gewisse Lücken. Das gilt etwa für die Rechtskraft der Entscheidungen des EuCH in den verschiedenen Verfahrensarten. Die bisher verfolgte Methode 12, die Rechtskraft aus einem Vergleich der Rechtskraft der Entscheidungen nationaler Zivilgerichte abzuleiten, erscheint verfehlt, weil sie die Funktion des europäischen Gerichtshofs in den verschiedenen Bereichen (internationales Gericht, Verfassungsgericht, Verwaltungsgericht, ZiVIlgericht) übersieht. Hier muß die Rechtsvergleichung stärker die nationale Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vordergrund rücken. Es fehlt bisher noch eine gründliche Untersuchung über die Struktur und die Rechtsnatur des Europäischen Gerichtshofs, die allein eine zutreffende Auswahl der auf den EuGH anwendbaren Rechtssätze gestattet.

111. Rechtsvergleichung zwecks Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts 43

Die allgemeinen Rechtsgrundsätze dienen der Lückenfüllung des Europäischen Gemeinschaftsrechts in Bereichen, in denen die Europäischen Verträge nicht einmal Ansätze zu einer Regelung enthalten. Hier ist es notwendig, durch Rechtsvergleichung europäische Regeln erst einmal zu schaffen. Die Rechtsvergleichung hat aber auch zur Aufgabe, in den Bereichen, in welchen die Verträge eine mehr oder weniger dichte Regelung enthalten, zur Konkretisierung der europäischen Rechtssätze und zur Füllung von Einzellücken beizutragen. Diese Funktion der Rechtsvergleichung wird auch im Völkerrecht anerkannt. Soweit die Vertragspartner in einem völkerrechtlichen Vertrag juristische Begriffe aufnehmen, die dem nationalen Recht entlehnt sind, stellt sich das Problem der Rückgriffe auf die nationalen Rechtsordnungen zur Auslegung dieser Begriffe. Wegen der Gleichheit der Staaten ist dabei auf die Rechtsordnungen aller Vertragspartner zurückzugreifen, soweit der Vertrag nicht zu erkennen gibt, daß er seine Begriffe nur einer Rechtsordnung entnommen hat. Bleckmann, Europarecht, 1976, 76 ff. Gutsche, Die Bindungswirkung der Urteile des EuGH, 1967. 43 Vgl. Bleckmann, Die Rolle der Rechtsvergleichung in den Europäischen Gemeinschaften, Zeitschr. f. vergleichende Rechtswissenschaft, 1974, 106 ff. 41

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1. Im Recht der Europäischen Gemeinschaften ist zunächst die Frage zu entscheiden, ob die Verträge bestimmte Begriffe autonom verwenden oder ob sie auf die entsprechenden nationalen Begriffe verweisen wollten. Diese Frage stellt sich etwa für den in den Art. 92 ff. EWGV enthaltenen Begriff der "Beihilfe". Sollte damit auf den fast allen Mitgliedstaaten geläufigen Begriff der Subvention verwiesen werden, der finanzielle Zuwendungen zu einem öffentlichen Zweck umfaßt, oder ist der Begriff der Beihilfe auf jede sich wirtschaftlich auswirkende staatliche Hilfe zu erstrecken? Das Europarecht hat sich für den weiten Begriff entschieden und damit vom nationalen Begriff der Subvention Abstand genommen 44 • Dagegen scheinen die Begriffe der Zölle (Art. 12 ff.), der mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen (Art. 30 ff.), der Arbeitnehmer (Art. 48 ff.), der sozialen Sicherheit (Art. 51), der Dienstleistungen (gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche, freiberufliche Tätigkeiten: Art. 60), des Devisenrechts (Art. 68 ff.), der Verkehrsregelung (Art. 74 ff.), des Sozialrechts (Art. 117 ff.) auf die den Mitgliedstaaten gemeinsamen Begriffe zu verweisen. 2. Eine Reihe europäischer Begriffe sind so gefaßt, daß eine Verweisung auf den Mitgliedstaaten gemeinsame Rechtsbegriffe von vornherein ausgeschlossen erscheint. Das gilt etwa für die Abgaben gleicher Wirkung wie Zölle (Art. 2), für die Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen (Art. 307), für die Handelsmonopole (Art. 37), für die Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind und nicht den Charakter eines Finanzmonopols haben (Art. 90 Ir). 3. Andere Begriffe können schon deshalb nicht auf die gemeinsamen Begriffe der Mitgliedstaaten abstellen, weil solche Begriffe in den Mitgliedstaaten fehlen. Das gilt etwa für die Begriffe der Konjunktur-, Wirtschafts-, Agrar- und Verkehrspolitik, weil diese Begriffe zwar dem volkswirtschaftlichen Schrifttum der Mitgliedstaaten bekannt sind, in deren Rechtsordnungen aber meist keine klare Abgrenzung erfahren haben: meist handelt es sich hier in den Mitgliedstaaten überhaupt nicht um Rechtsbegriffe. 4. Bei einigen Begriffen des Europäischen Gemeinschaftsrechts ist es fraglich, ob sie auf das jeweilige nationale Recht verweisen oder eine gesamteuropäische Aussage enthalten. Das gilt etwa für die auf öffentliche Interessen verweisenden Begriffe der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sittlichkeit in Art. 36, 48 IIr und 56 EWGV. Diese Begriffe könnten dahin verstanden werden, daß sie von den jeweils zuständigen Mitgliedstaaten zu konkretisieren sind. Der EuGH hat sich dafür entschieden, daß diese Begriffe ein Minimum europäischer Begrifflichkeit 44 Bleckmann, Europarecht, 1976, 342 ff.; V. Götz, Das Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, 101 ff.

8 Sozialrechtsvergleich

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enthalten, wenn die nähere Konkretisierung auch durch die Mitgliedstaaten erfolgt45. 5. Im übrigen ist davon auszugehen, daß die durch die europäische Rechtsordnung geregelten Begriffe durch einen Vergleich aller Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auszufüllen sind. Die ursprünglich vertretene Auffassung, daß insbesondere die Vorschriften über den Rechtsschutz in den Europäischen Gemeinschaften auf der französischen Verwaltungsgerichtsordnung beruhen und deshalb allein durch Rückgriff auf das französische Recht auszufüllen sind, ist heute weitgehend aufgegeben worden. Man wird aber annehmen dürfen, daß die Schöpfer der Europäischen Verträge in erster Linie die Rechtsordnungen der ursprünglichen Mitgliedstaaten im Auge hatten, die mehr Gemeinsamkeiten untereinander haben als die kontinentaleuropäische Tradition einerseits, das britische, dänische und irische Recht andererseits.

6. Hinsichtlich der Funktion und der Methoden der Rechtsvergleichung bei der Auslegung sind folgende Fälle zu unterscheiden: a) Relativ oberflächlich bleibt die Rechtsvergleichung, wenn es nur gilt, einen europäischen Rechtsbegriff wie etwa den des Arbeitnehmers rechtlich zu fixieren. Hier sind die einzelnen nationalen Rechtsbegriffe miteinander zu vergleichen, die Gemeinsamkeiten und Abweichungen festzustellen. Dabei kommt es wohl auf die im jeweiligen Recht herrschende Meinung, nicht wie bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf die großen Tendenzen in den Rechtsordnungen an. Es ist anzunehmen, daß die Gemeinsamkeiten der Rechtsbegriffe in den nationalen Rechtsordnungen den Kern des europäischen Begriffs bilden. Der europäische Begriff erstreckt sich aber auf diese Gemeinsamkeiten nicht notwendig. Außerdem kann er über diese Gemeinsamkeiten hinausgehen. Im Gegensatz zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze werden bei der Auslegung eben nicht nur die Gemeinsamkeiten der nationalen Rechtsordnungen in das europäische Recht übernommen und beschränken sich die Methoden der Auslegung eben nicht auf die Rechtsvergleichung. Die Rechtsvergleichung ist bei der Auslegung vielmehr nur eine Methode unter vielen. Bei der Auslegung sind aber nicht wie bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze die gemeinsamen Rechtssätze zu entwickeln, die anschließend auf ihre übereinstimmung mit den Strukturen und Zielen der europäischen Rechtsordnung zu überprüfen sind. Die Rechtsvergleichung ist vielmehr bei der Auslegung von vornherein eine neben andere Methoden tretende Methode; sie tritt sogar meines Erachtens gegenüber der systematischen und vor allem der teleologischen Auslegung zurück. b) Eine Reihe von europarechtlichen Begriffen wird zwar nicht durch die den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gemeinschaftlichen Begrif45

Bleckmann, Zum Rutili-Urteil des EuGH, EuGRZ 1975, 265.

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fe geprägt. Ihre volle Erfassung ist aber nur nach einem Vergleich der nationalen Begriffe möglich. Das gilt etwa für die europarechtlichen Begriffe der Handels- und Finanzmonopole. Hier sind die unterschiedlichen Handels- und Finanzmonopole in den Mitgliedstaaten auf ihre Gemeinsamkeiten und Abweichungen hin zu untersuchen, um auf der europäischen Ebene eine eigenständige Begriffsentwicklung durchführen zu können, welche den Zielen und Strukturen der Europäischen Rechtsordnung entsprechende, die nationalen Rechtsordnungen richtig erfassende europäische Begriffe bilden zu können46 • Ein solcher Institutionenvergleich zwischen Institutionen des europäischen und des nationalen Rechts ist auch erforderlich, um die Gemeinsamkeiten und die Eigenheiten bestimmter europäischer Institutionen wie etwa des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Parlaments erfassen zu können. c) Eine vertiefte Rechtsvergleichung ist dort erforderlich, wo die europäischen Rechtssätze einer rechtlichen Grundlegung, einer umfassenden Rechtsordnung als Basis bedürfen, welche die Europäische Rechtsordnung selbst nicht zu geben imstande ist47 • Soweit ersichtlich, ist das nur bei der europarechtlichen Regelung des Rechtsschutzes vor dem EuGH erforderlich. Hier hat eine umfassende und vertiefte Rechtsvergleichung der Systeme des allgemeinen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsrechtsschutzes in den Mitgliedstaaten anzusetzen. Hier gelten grundsätzlich die für die Entwicklung der allgemeinen Rechtsgrundsätze aufgezeigten Methoden, also insbesondere die Prinzipien der generalisierenden Rechtsvergleichung. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, daß im Gegensatz zur Lage bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen bei der Auslegung dieser Bestimmungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts abstrakte Rechtssätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts schon vorhanden sind. Die Generalisierung zwecks Feststellung von Gemeinsamkeiten braucht und kann deshalb nicht so weit getrieben werden wie bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen; es kommt vielmehr stärker auf die Einzelheiten an, die zur Konkretisierung der abstrakten Rechtssätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts herangezogen werden müssen. Die vorgegebene Existenz europäischer Rechtssätze führt ferner dazu, daß nicht nur gemeinsame Lösungen übernommen werden können, sondern daß sich aus der Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts anhand anderer Auslegungsmethoden ergeben kann, daß eine bestimmte nationale Lösung oder sogar eine Lösung gewollt ist, die in keinem Mitgliedstaat verwirklicht worden ist. Ferner ist auch hier nicht nur der gemeinsame Rechtssatz auf seine übereinstimmung mit den Zielen und Strukturen der Europäischen Rechtsordnung zu überprüfen, sondern Bleckmann, Europarecht, 1976, 245. Badialo, 11 diritto degli stati negli ordinamenti della Comunita Europea, Milano, 1971. 46 47

S*

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tritt die Auslegung aufgrund der Rechtsvergleichung mit anderen Methoden der Auslegung zusammen, die sogar das übergewicht besitzen. IV. Rechtsvergleichung bei der Koordinierung der nationalen Rechtsordnungen

1. Der EWGV gibt den europäischen Gemeinschaftsorganen in verschiedenen Bereichen eine Kompetenz zur Koordinierung der nationalen Rechtsordnungen. Dabei ist zu beachten, daß die Koordinierungskompetenzen etwa hinsichtlich des Gesellschaftsrechts (Art. 54 Abs. 3 Buchst. g), hinsichtlich der Vorschriften über die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei der Niederlassung (Art. 56) und die Angleichungskompetenzen aus Art. 100 EWGV von den europäischen Organen nicht als Koordinierungskompetenzen im eigentlichen Sinne, sondern als Kompetenzen zur Rechtsvereinheitlichung angesehen werden 48 • Eine echte Koordinierungskompetenz im engeren Sinne enthält folglich nur Art. 57 Abs. 2 über die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten und die Kompetenzen bezüglich der Sozialversicherungssysteme aus Art. 51 EWGV. 2. Im Gegensatz zur Rechtsvereinheitlichung läßt die Koordinierung i. e. S. die nationalen Rechtsvorschriften des jeweiligen Bereichs grund-

sätzlich in vollem Umfang bestehen und bemüht sich nur, die Systeme aufeinander abzustimmen, um Rückwirkungen auf die fünf Freiheiten des EWGV zu vermeiden. So besteht etwa die Koordination der nationalen Rechtsvorschriften im Bereich des Niederlassungsrechts in der Regelung der gegenseitigen Anerkennung der Prüfungen und Diplome und in der Festlegung der Voraussetzungen, unter denen Unternehmer aus einem Mitgliedstaat, in dem Prüfungen und Diplome in diesem Gewerbe unbekannt sind, in einem Mitgliedstaat ihre Tätigkeiten entfalten können, in dem die Ausübung dieser Tätigkeiten von der Ablegung gewisser Prüfungen abhängig gemacht wird 49 • Im Sozialversicherungsrecht besteht die Koordinierung einerseits in der Abgrenzung der jeweiligen nationalen Zuständigkeiten, um zu vermeiden, daß bestimmte Arbeitnehmer doppelt oder überhaupt nicht versichert werden, und in der Aufhebung des der Freizügigkeit entgegenstehenden TerritorialitätsBleckmann, Europarecht, 1976, 346. Bleckmann, Etude sur l'adaptation du systeme juridique allemand a la liberte d'etablissement et a libre prestation des services, prevues par le Traite instituant la CEE., in: Maziotti / Foschini / Bleckmann / Doucou1aux / Favard / Verhoeven, La liberte d'etablissement et 1a libre prestation des services dans 1es pays de la CEE. Etudes sur 1es problemes de la circu1ation et de l'etablissement dans le Traite de Rome, sous la direction de G. Balladore Pallieri et G. Sperduti, Milano, 1970. 48 49

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prinzips, das die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten in verschiedenen Staaten und die Leistung ins Ausland verbietet. 3. Die Koordinationstätigkeit setzt der Rechtsvergleichung ein eigenes Ziel, das ihre Methoden bestimmt: a) Einerseits ist eine genaue Bestandsaufnahme der Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten erforderlich, um festzustellen, welche RechtsregeIn oder welche Unterschiede in den nationalen Rechtsregeln der Verwirklichung der fünf Freiheiten des EWGV entgegenstehen. Dabei muß im Gegensatz zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze eine individualisierende und nicht eine generalisierende Betrachtungsweise Platz greifen, die auf die h. L. in den Mitgliedstaaten und nicht auf die großen historischen Tendenzen abstellt, weil die herrschende Meinung in den Mitgliedstaaten und die Details die Verwirklichung der fünf Freiheiten verhindern. b) Bei der Festlegung des Inhalts der Koordinationsregeln ist auf die Rechtsvergleichung nur insoweit zurückzugreifen, als diese Regeln in das Rechtssystem aller Mitgliedstaaten passen müssen. Im übrigen wird der Inhalt der Koordinationsregeln auf europarechtlicher Ebene nicht durch die Gemeinsamkeiten der Rechtsanschauungen der Mitgliedstaaten bestimmt, sondern durch eine Zweckmäßigkeitsüberlegung festgelegt, welche die Hindernisse für die fünf Freiheiten aus dem Wege räumt.

V. Die Rechtsvereinheitlichung und die Rechtsvergleichung 1. Wie dargelegt, enthält der EWGV in Art. 100 eine umfassende, in Art. 54 Abs. 3 Buchst. g und im Art. 56 Abs. 2 beschränkte Kompetenz der Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts und zur Ausfüllung des Begriffs der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, welcher der Niederlassungsfreiheit und der Freizügigkeit entgegengesetzt werden kann. Dabei erstreckt sich Art. 54 Abs. 3 Buchst. g auf das gesamte Gesellschaftsrecht, wenn auch nur bestimmte Bereiche des Gesellschaftsrechts bisher vereinheitlicht wurden. Art. 100 EWGV gewährt dem Ministerrat eine umfassende Kompetenz zur Vereinheitlichung der Rechtssätze, deren Abweichungen in den nationalen Rechtsordnungen Auswirkungen auf die Verwirklichung der fünf Freiheiten im EWGBereich besitzen50 • Wenn Art. 100 bisher auch weitgehend nur zur Vereinheitlichung eher technischer Regeln etwa über die Ausrüstung von Kraftfahrzeugen und über die chemischen Beimischungen zu Lebensmitteln benutzt worden ist, kann diese Vorschrift doch zur Vereinheitlichung weiter Bereiche der nationalen Rechtsordnungen herangezogen werden. Auf diese Bestimmung wollen wir uns deshalb konzentrieren. 50 Vgl. neuerdings F. Marx, Funktion und Grenzen der Rechtsangleichung nach Art. 100 EWG-Vertrag, 1976.

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2. Wie bei der Koordinierung ist auch bei der Rechtsvereinheitlichung zunächst zu fragen, ob in den nationalen Rechtsordnungen Unterschiede bestehen, welche der Verwirklichung der fünf Freiheiten und der ande~ ren Ziele des EWGV entgegenstehen. Denn nur unter dieser Voraussetzung besteht die Kompetenz der EWG zur Rechtsvereinheitlichung. Hier greift eine individualisierende Rechtsvergleichung Platz: es kommt auf die Details der Rechtsordnungen und auf die jeweils herrschende Lehre an. 3. Im Gegensatz zur Koordinierung der Rechtsordnungen wird auch der Inhalt der europäischen Rechtsregeln bei der Vereinheitlichung weitgehend durch die Rechtsvergleichung geprägt: a) Es besteht zwar keine Pflicht der EWG, nur solche Rechtssätze im Wege der Rechtsvereinheitlichung zu übernehmen, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Die EWG kann vielmehr die Rechtssätze übernehmen, welche der modernen Entwicklung am besten angepaßt sind und welche die betreffenden Materien am gerechtesten und zweckmäßigsten regeln 51 • Welche Regeln das sind, wird sich aber nur der Rechtsvergleichung erschließen. Dabei sind auch die Rechtsordnungen nichteuropäischer Staaten heranzuziehen. b) Wie jede Kodifikation sollte auch die europäische Rechtsvereinheitlichung grundsätzlich nur Rechtssysteme übernehmen, die der gemeinsamen Rechtsüberzeugung entsprechen. Hier muß zwecks Feststellung der Gemeinsamkeiten eine generalisierende Vergleichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einsetzen, bei der die neuen Mitgliedstaaten ebenso stark zu berücksichtigen sind wie die ursprünglichen Mitgliedstaaten. c) Die Rechtsvergleichung muß schließlich bei der Rechtsvereinheitlichung sicherstellen, daß die gemeinsamen europäischen Regeln in das nationale Rechtssystem aller Mitgliedstaaten passen. Dabei gilt die Re~ gel, daß die Anpassungsfähigkeit des europäischen Rechts an die Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten um so größer sein muß, je kleiner der Ausschnitt des vereinheitlichten Rechts ist. Wenn die Europäischen Gemeinschaften ganze Rechtsmaterien einschließlich ihrer rechtlichen Basis vereinheitlichen, ist die Zusammenpassung des nationalen Rechts mit dem Europarecht nicht mehr erforderlich. Je umfassender der vereinheitlichte Bereich, um so stärker können auch dem europäischen Recht allgemeine Rechtsgrundsätze entnommen werden, die anstelle des nationalen Rechts zur Lückenfüllung des europäischen Rechts herangezogen werden können. Bei dieser Einpassung des europäischen Rechts in das nationale Recht kommt es auf eine individualisierende Betrachtung der Details und nicht 51

Bleckmann, Europarecht, 1976, 346.

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auf Generalisierungen an. Es ist auch zu untersuchen, inwieweit die Möglichkeit einer Verzerrung des europäischen Rechts durch Einwirkung allgemeiner Rechtsprinzipien des jeweiligen nationalen Rechts auf das Europarecht besteht und inwieweit die Prinzipien des vereinheitlichten Rechts die Kraft haben werden, das nationale Recht in anderen Bereichen zu verändern. Die Einpassung des Europäischen Rechts in die nationalen Rechtssysteme ist also dynamisch und nicht nur statisch zu sehen.

VI. Rechtsvergleichung und Strukturuntersuchung des Europäischen Rechts Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Rechtsvergleichung einen Kreis von anderen Aufgaben zu übernehmen hat, die in die verschiedensten Richtungen gehen und hier nur oberflächlich unter eine Rubrik zusammengefaßt werden. 1. Die Juristen der verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft reden häufig aneinander vorbei, weil die Grundlagen der Rechtsordnungen verschieden sind, die im deutschen Recht in den Wissenschaftszweigen der Rechtsphilosophie und der Rechtstheorie, im englischen Recht etwa unter dem Begriff der "Jurisprudence"52 untersucht werden. Insoweit ist eine vertiefte Vergleichung der Grundbegriffe wie Recht, subjektives und objektives Recht, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, Rechtsverhältnis usw. zu fordern. 2. Die Erforschung der Strukturen der Europäischen Rechtsordnung und ihrer einzelnen Institutionen verlangt eine vertiefte Rechtsvergleichung der Rechtsordnungen und der entsprechenden Institutionen der Mitgliedstaaten. Dies gilt etwa für die schon behandelte Frage, ob die Staatsformen Bundesstaat, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat usw. in der europäischen Rechtsordnung angelegt sind. Ferner kann nur eine vertiefte Rechtsvergleichung die einzelnen Institutionen des Europäischen Gemeinschaftsrechts wie die Rechtsnatur des Europäischen Parlaments, des EuGH usw. beleuchten. 3. Es ist ferner auch möglich, einzelne Strukturprinzipien des nationalen Rechts in das europäische Recht zu übernehmen. So kann etwa der Grundsatz der Einzelkompetenz im Europäischen Gemeinschaftsrecht nur soweit eingreifen, wie - dem deutschen Gesetzesvorbehalt entsprechend - die Europäischen Gemeinschaften durch ihre Rechtsakte die Rechte der Mitgliedstaaten und der Marktbürger berühren. 4. Die europäische Rechtsordnung muß grundsätzlich auf die Strukturen der nationalen Rechtsordnungen Rücksicht nehmen. So kann etwa 5!

Bleckmann, Europarecht, 1976, 198.

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vom europäischen Recht nicht verlangt werden, daß die Mitgliedstaaten ein rechtskräftiges Urteil eines nationalen Gerichts aufheben, das gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht verstößt. Das europäische Recht kann nicht den nationalen Rechten entgegen den Marktbürgern einen vor den nationalen Gerichten durchsetzbaren Anspruch auf den Erlaß eines nationalen Gesetzes gewähren.

Zusammenfassung I. Rechtsvergleichung hat in den Europäischen Gemeinschaften zunächst das Ziel, allgemeine Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu entwickeln.

1. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts werden in Analogie zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts gebildet. Es kann also auf die Voraussetzungen der völkerrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden.

2. Für allgemeine Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts kann es ausreichen, daß eine Regelung sich nur in wenigen Mitgliedstaaten findet, wenn die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten der Regelung nicht strikt entgegenstehen. 3. Als allgemeine Rechtsgrundsätze können alle Regelungen angesehen werden, die den Rechtsordnungen gemeinsam sind: Abstrakte Rechtsgrundsätze, konkrete Normen und Einzelfallentscheidungen. 4. Bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze ist nicht nur auf die herrschende Lehre in den Staaten abzustellen, auch Minderheitsmeinungen können ausreichen. 5. Allgemeine Rechtsgrundsätze können im Europäischen Gemeinschaftsrecht auf andere Materien angewendet werden als im nationalen Recht. 6. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze müssen in die Struktur des Europäischen Gemeinschaftsrechts passen.

II. Rechtsvergleichung zwecks Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts. 1. Die Rechtsvergleichung spielt hier nur bei bestimmten Normen des Europäischen Gemeinschaftsrechts eine Rolle. 2. Bei der Rechtsvergleichung ist nur das Recht der ursprünglichen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.

Die Rechtsvergleichung im Europäischen Gemeinschaftsrecht

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IH. Rechtsvergleichung bei der Koordinierung der nationalen Rechtsvergleichung. 1. Hier kommt es im Gegensatz zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf eine individualisierende und nicht eine generalisierende Rechtsvergleichung an. 2. Eine individualisierende Rechtsvergleichung ist bei der Koordination auch insoweit erforderlich, als das Koordinierungsrecht in das nationale Recht der Mitgliedstaaten passen muß. IV. Die Rechtsvereinheitlichung und die Rechtsvergleichung. 1. Zunächst ist zu fragen, ob die nationalen Rechtsordnungen einer Verwirklichung der Freiheiten des EWG-Vertrages entgegenstehen. Insoweit ist eine individualisierende Rechtsvergleichung erforderlich, die auf die herrschende Lehre abstellt. 2. Für den Inhalt der Normen kommt es dagegen auf eine generalisierende Rechtsvergleichung an. 3. Individualisierend muß die Rechtsvergleichung schließlich insoweit sein, als das gemeinsame Recht in die Rechtsordnungen jeden Mitgliedstaates passen muß.

Summary 1. The prime aim of comparative law in the European Community is to develop general principles of European Community law. 1. The general principles of European Community law are established analogously to the general principles of international law. Reference can therefore be made to the prerequisites for the general principles of internationallaw. 2. To lay dawn the general principles of European Community law it may be sufficient that a regulation exists in a few countries only, provided the legal systems of the other member states do not strictly oppose such regulation. 3. All regulations the legal systems of the member states have in common may be regarded as general principles of law, viz. - abstract principles of law - concrete standards of law - caselaw. 4. General principles of law should not be developed exclusively on the basis of the prevailing legal doctrine of a country, minority conceptions may be sufficient. 5. Under European Community law general principles of law can be applied to other matters than under nationallaw.

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6. General principles of law must fit into the structure of European Community law. 11. Comparative law for the interpretation of European Community law. 1. Comparative law is of importance only for certain standards of European Community law. 2. Comparative law only considers the law of the original member states. II!. Comparative law in the coordination of national systems of law. 1. Other than in the development of general principles of law comparative law must be individualizing and not generalizing. 2. Individualizing comparative law is necessary for coordination also because coordinating law must fit into the national law of the member states. IV. Standardization of law and comparative law. 1. Initially it must be clarified whether the national systems of law prevent the realization of freedoms provided by the EEC-Treaty. This necessitates individualizing comparative law oriented towards the prevailing legal doctrine. 2. The pattern of legal standards, by contrast, is established by generalizing comparative law. 3. Comparative law must, finally, be individualizing in as much as the common law must fit into the legal systems of all the member states.

DISKUSSIONSBERICHT

Die Diskussion bewegte sich zunächst um die Rolle der Rechtsvergleichung bei der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts und gleichzeitig um das Problem der Lückenfüllung durch Rechtsvergleich in Bereichen, in denen die Europäischen Verträge keinerlei Ansätze zu einer Regelung enthalten. Dabei wurde die Frage angeschnitten, ob sich die Rechtsvergleichung bei der Ausblldung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf einen bloßen Vergleich von Normen oder - in etwas weiterem Rahmen - von Interpretationen dieser Normen in Literatur und Rechtsprechung beschränken könne oder üb nicht der Vergleich von Problemlagen ausgehen müsse, aus denen dann die allgemeinen Rechtsprinzipien abzuleiten seien (Faude). In die gleiche Richtung wiesen auch die Ausführungen von Bernhardt, daß es zweifelhaft sei, ob eine generalisierende Rechtsvergleichung viel weiter helfe und überhaupt das primäre Anliegen sei. So werde man sicher sehr schnell feststellen, daß in allen Mitgliedstaaten Grundrechte in dieser oder jener Ausgestaltung anerkannt seien; das könne aber nicht das eigentliche Ziel der Rechtsvergleichung sein. Vielmehr müsse der Rechtsvergleich wohl stets vom konkreten Sachproblem ausgehen, das heute zu lösen oder in Zukunft neu zu regeln sei. Dabei müsse man aber durch mühsame Kleinarbeit feststellen, wie die Rechtslage gerade auch im Detail in den verschiedenen Staaten sei. Bernhardt gab ferner zu bedenken, daß der Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Grunde genommen viel zu eng und deshalb irreführend sei; er erwecke den Eindruck, daß es sich hierbei nur um die hehren Prinzipien handele, die - wie z. B. Treu und Glauben, Rechts- und Sozialstaat - mit der Gerechtigkeit aufs engste verbunden seien. Da es aber durchaus auch um technische Fragen gehe, müsse man genauer von allgemeinen Rechtsgrundsätzen und -regeln sprechen. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, daß der EuGH beide Wege beschreite, nämlich den des Normvergleichs (z. B. bei Verfassungsnormen des Eigentumsschutzes) als auch den des Vergleichs von konkreten Sachproblemen und Einzelfällen (etwa in den Fällen des Widerrufs von Verwaltungs akten) ; die Lehre hingegen scheine mehr den Normvergleich zu bevorzugen. Für die Beantwortung der Frage, wie sehr die Rechtsvergleichung im Europäischen Gemeinschaftsrecht ins Detail gehen müsse, wurde die Unterscheidung von zwei Ebenen vorgeschlagen (Bleckmann): Auf der ersten Ebene, d. h. beim ersten Durchgang, habe die Rechtsvergleichung auch bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen bis ins Detail zu erfolgen. Auf der zweiten Ebene

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Diskussionsbericht

stelle sich dann die Frage, was man aus diesem gesammelten, detaillierten Material herausfiltere und etwa in einem Schriftsatz für den EuGH oder für die Arbeit der Kommission in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen verwerte. Wanders vertrat in diesem Kontext die Ansicht, daß die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze nicht zu den originären Aufgaben der Gemeinschaft gehöre, sondern daß sich die Bildung solcher Grundsätze lediglich als praktisch notwendig erweise. Die entscheidende Frage sei aber, wie solche allgemeinen Rechtsgrundsätze unterstellt, man brauche sie, um die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zu erhalten oder zu verbessern - zu finden seien. Die These, daß es ausreiche, wenn die Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten dem gefundenen allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht entgegenstünden, sei höchst gefährlich, weil man sich auf diese Weise in bedenklicher Art die Arbeit vereinfache. Ferner sei es gerade im Bereich des Sozialrechts dringend notwendig, daß der EuGH bei der Aufstellung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen mehr als bisher gründliche rechtsvergleichende Untersuchungen anstelle. In der Praxis sei dem aber leider gerade nicht so. Das liege vor allem daran, daß es kaum Richter am EuGH gäbe, äie Kenntnis des nationalen Sozialrechts aus eigener Erfahrung besäßen und solche Kenntnisse in die rechtsvergleichende Arbeit einbringen könnten. Nachdrückliche Bedenken wurden im folgenden gegen den Gedanken angemeldet, aus der Europäischen Sozialcharta allgemeine Rechtsgrundsätze des Sozialrechts für das Europäische Gemeinschaftsrecht herzuleiten (Zacher): Diese Bedenken seien nicht politischer Art, sondern beträfen den "legitimen Ort" einer solchen Lösung, d. h. den Kompetenzbereich der Europäischen Gemeinschaft. Die Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Sozialrechts aus der Europäischen Sozialchal'ta für das Gemeinschaftsrecht würde nämlich den Ratifizierungsmechanismus überspringen, weil die Sozialcharta auf diese Weise dem Gemeinschaftsrecht durch Richterspruch inkorporiert würde. Damit würde aber die Geltung solcher allgemeiner Rechtsgrundsätze gefährdet oder ein Konflikt zwischen dem EuGH und den politischen Organen der Gemeinschaft heraufbeschworen. Ein weiterer Teil der Diskussion betraf die Frage, in welchem Maße das Recht der neuen Mitgliedstaaten der EG nach ihrem Beitritt bei der Modifizierung bereits entwickelter oder zumindest beim Entstehen neuer allgemeiner Rechtsgrundsätze zu berücksichtigen sei. Hier wurde die Sorge geäußert, daß bei einer Erweiterung der EG auf eine noch größere Zahl von Mitgliedstaaten das Auffinden allgemeiner Rechtsgrundsätze immer schwieriger und letztlich fraglich werde. Hinzu komme, daß gerade im Zusammenhang mit Auslegungsproblemen die gemeinsamen kontinentaleuropäischen Rechtsvorstellungen, die auch das Gemeinschaftsrecht insgesamt prägten, bisher im Vordergrund gestanden hätten und deshalb das übergewicht haben sollten (Bleckmann). Demgegenüber

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wurde geltend gemacht, daß eine Bevorzugung des Rechts der ursprünglichen Mitgliedstaaten unvereinbar sei mit der Gleichheit aller Staaten einer Gemeinschaft. Durch den Beitritt werde vielmehr jeder Unterschied beseitigt, so daß eine Differenzierung nach ursprünglichen bzw. beitretenden Mitgliedstaaten und damit eine Qualifizierung der neu hinzukommenden Rechtsordnungen als weniger gewichtig nicht gerechtfertigt sei. Der EWG-Vertrag sei zudem so auf Integration angelegt, daß die Ziele der EG nur dann verwirklicht werden könnten, wenn alle Mitgliedstaaten gleichermaßen und gleichberechtigt an der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze beteiligt würden (Bernhardt, Schulte, Tomuschat). An anderer Stelle der Diskussion wurde die Rolle des Rechtsvergleichs bei der Koordinierung unterschiedlicher nationaler Rechte im Rahmen der EG erörtert. Ogus machte darauf aufmerksam, daß die Koordinierung, d. h. die Herstellung von Beziehungen zwischen verschiedenen Rechtssystemen mit jeweils eigener linguistischer Struktur, nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten mit sich bringe. Die Notwendigkeit einer Koppelung mehrerer nationaler "Begriffshimmel " zwinge nämlich dazu, eine supranationale Sprache zu schaffen, also ein neues linguistisches Konzept zu bilden. Die Begriffe dieser "überwölbenden" Sprache müßten aber ihrerseits wieder in die nationale Begriffswelt zurückübersetzt werden, solle mit ihnen sinnvoll gearbeitet werden können. Im Bereich der Koordinierung spiele der Rechtsvergleich also bei zwei unterschiedlichen Prozessen eine wichtige Rolle: Einmal bei der Ausarbeitung des Sprachrahmens für das supranationale Recht und zum anderen bei der Rückübersetzung der supranationalen Formulierungen in die individuellen Begriffe der koordinierten nationalen Rechtssysteme. So werde etwa bei der Koordinierung von Sozialversicherungssystemen durch die Verordnung Nr. 1408/71 über die soziale Sicherheit von Wanderarbeitnehmern - in der englischen Fassung - der Begriff "worker" gebraucht, um den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung zu umschreiben. Die englische Sprache kenne nun zwar den Begriff "worker"; im britischen Sozialversicherungsrecht hingegen sei dieser Begriff nicht gebräuchlich. Hier müsse nun durch Rechtsvergleichung festgestellt werden, wie der Begriff "worker" als Koordinierungsformel zwischen verschiedenen nationalen Rechtssystemen konzipiert sei und wie dieser supranationale Begriff in die Sprache des britischen Sozialversicherungsrechts übersetzt werden könne. Zur Rolle der Koordinierung im Bereich der EG wurde teilweise die Ansicht vertreten, daß die Tendenz zur Rechtsvereinheitlichung zunehme, während die Koordinierung immer mehr in den Hintergrund trete (Bleckmann). Demgegenüber wurde von Selb geltend gemacht, daß die Entwicklung gerade umgekehrt verlaufe, nämlich die Koordinierung dominiere und in manchen Bereichen auch weiterhin dominant bleiben

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müsse. Die Einbindung vieler Materien in die übrige Rechtsordnung sei nämlich so stark, daß eine von oben "verordnete" Rechtsvereinheitlichung nur unter Mißachtung der wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Grundlagen der zu vereinheitlichenden Rechtsmaterie erfolgen könne, wahrscheinlich bei der Realisierung auch vom nationalen Bereich her sabotiert würde und deshalb eine Koordinierung hier zu bevorzugen sei. Im übrigen wurde vorgeschlagen, die Rechtsvereinheitlichung aus dem alleinigen Bezug zu den fünf Freiheiten des EWG-Vertrags zu lösen und ihr die weitergehende Aufgabe zuzuweisen, sog. "Delaware- oder Liechtenstein-Effekte" zu verhindern (Pipkorn), d. h. Rechtsräume zu beseitigen, die dazu benutzt werden, daß sich die wirtschaftlichen Produktionsfaktoren dort ansiedeln, wo die einschlägigen Rechtsvorschriften am wenigsten streng sind. Nur wenn die genannten "Effekte" auf diese Weise verhindert würden, könne es eine harmonische Entwicklung der Wirtschaft geben. Im Bereich der Rechtsvereinheitlichung wurde ferner die Frage aufgeworfen, wie der Bereich abgegrenzt werden könne, innerhalb dessen Sozialrecht überhaupt einer Vereinheitlichung zugänglich sei, und in welchem Umfang und mit welcher Regelungsintensität im Rahmen des Art. 100 EWG-Vertrag Richtlinien ergehen könnten. Denkbar sei ein breites Spektrum von Richtlinientypen: So könne die Richtlinie z. B. allgemeine Rechtsgrundsätze enthalten, sie könne ferner die Verwirklichung bestimmter Ziele zur Pflicht machen; denkbar sei auch, daß sie sogar eine loi uniforme enthalte, was freilich von Art. 100, 183 III EWG-Vertrag nicht mehr gedeckt wäre. Einig war man sich sodann in der Feststellung, daß sich Richtlinien heute nicht nur auf die Bestimmung des Ziels, sondern bis ins Detail auch auf die Mittel zur Realisierung des Ziels erstrecken, so daß aus Art. 100 EWG-Vertrag jedenfalls in der Praxis eine umfassende Richtlinienkompetenz der EG hergeleitet wird. Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion betraf die "Akteure" der Rechtsvergleichung im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Wichtig sei, wer sich mit Rechtsvergleichung befasse und wo er sie betreibe (Tomuschat): So sei bei der Rechtsvergleichung im Rahmen der Rechtsanwendung, die insbesondere in den Händen der Richter liege, bereits institutionell - nämlich durch Besetzung der Richterstellen am EuGH mit Personen aus allen Mitgliedstaaten - sichergestellt, daß in den Prozeß der Rechtsanwendung die unterschiedlichen Rechtstraditionen und Rechtsanschauungen der repräsentierten Länder eingebracht würden. Aber auch bei der Ausarbeitung neuen Rechts, vor allem bei den Vorarbeiten, die etwa in der Kommission und im Rat geleistet würden, sei durch die Präsenz von Vertretern aus den einzelnen Mitgliedstaaten garantiert, daß unterschiedliche Lösungen aus eben diesen Staaten in die Beratung der zu fällenden Entscheidung einfließen könnten. Es sei wichtig, daß es solche institutionellen Vorkehrungen für die Wah-

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rung des gemeinsamen Rechtserbes gebe, und zwar ohne daß als Grundlage spezifische rechtsvergleichende Untersuchungen benötigt würden. Die Erörterung der schon in den Institutionen der EG angelegten rechtsvergleichenden Arbeit setzte sich in der Diskussion des Verhältnisses von Rechtsvergleichung und anderen rechtsbildenden Verfahren fort. So wurde die Ansicht vertreten, daß der Rechtsvergleich bei der Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts nur eine subsidiäre Rolle spiele, weil der EuGH fast ständig bemüht sei, den autonomen Charakter des Gemeinschaftsrechts in den Vordergrund zu schieben und auf Rechtsvergleichung deshalb weitgehend verzichte. Zu überlegen sei auch, ob der Rechtsvergleich als Auslegungsmethode nicht stärker hinter die teleologische und systematische Auslegung zurückzutreten habe (Bleckmann). Bei der Rechtsschöpfung durch Rat und Kommission, wo man auf die gemeinsamen Rechtstraditionen in recht freier Weise zurückgreifen könne, werde die Rechtsvergleichung letztlich "verdünnt" und verliere ihre eigentliche Essenz und ihre "technische", auf das Detail achtende Funktion. Es sei vielleicht gar nicht falsch zu sagen, die Rechtsvergleichung habe nicht mehr als eine Appellfunktion und solle der EG in Erinnerung rufen, daß Rechtsanwendung und Rechtsschöpfung aus dem Geist der nationalen Rechtsordnungen zu erfolgen hätten (Tomuschat). Dann müsse man allerdings fragen, ob es sich noch um Rechtsvergleichung im eigentlichen Sinne handele oder ob es nicht eher darum gehe, aus einem freiheitlichen, sozial- und rechtsstaatlichen Geist heraus eine Rechtsentwicklung voranzutreiben. Eingehend diskutiert wurde ferner das Verhältnis von Europarecht, Völkerrecht und nationalem Recht: Gleich ob man das Europarecht als regionalen Unterbau des allgemeinen Völkerrechts oder als regionalen überbau der nationalen Rechtssysteme ansehe, erzwinge die Rechtswirklichkeit jedenfalls ein Europarecht, das weitgehend von nationalen Gesetzgebungen und nationalen gesellschaftlichen Realitäten ausgehe. Das Europarecht könne man deshalb als Umschlagplatz für verschiedene nationale Rechtsnormen bezeichnen (van der Ven). Gleichwohl sei das Europarecht eine selbständige, von den nationalen Rechtssystemen, aber auch vom Völkerrecht getrennte Rechtsordnung (Bleckmann). Für das Gemeinschaftsrecht seien nämlich inzwischen Regeln allgemeiner und besonderer Art entwickelt worden - vor allem für das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu nationalem Recht -, die das Europarecht vom Völkerrecht unterschieden. Diese Sonderregeln berechtigten dazu, das Europarecht als besondere Rechtsordnung anzusehen, die freilich in das Völkerrecht eingebettet bleibe, weil sie auf völkerrechtlichen Verträgen beruhe, deren Wirksamkeit sich nach Völkerrecht beurteile (Bleckmann). Zu grundsätzlichen Fragen der Rechtsvergleichung gelangte die Diskussion durch die These von Hippels, daß das oberste Ziel der Rechtsvergleichung darin bestehe, die relativ beste Lösung zu ermitteln. Dies

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gelte gleichermaßen für die Rechtssetzung auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene sowie für das Richterrecht. Wenn man von dieser Prämisse ausgehe, so komme man auch bei der Frage der Rechtsvereinheitlichung im Rahmen der EG zu ganz anderen Ergebnissen als bei Zugrundelegung einer möglichst auf breitem Konsens beruhenden "Durchschnittslösung". Dann sei nämlich von der progressiven, an zukünftigen Bedürfnissen orientierten Lösung auszugehen. Keine Rolle dürfe dabei spielen, daß diese Lösung bisher z. B. nur von einem Staat der Gemeinschaft realisiert worden sei oder nur von einer Mindermeinung befürwortet werde. Denkbar sei sogar, daß diese Lösung noch in keinem Mitgliedstaat der EG verwirklicht wurde. So habe man etwa bei den Arbeiten zur Angleichung des Rechts der Produzentenhaftung sowohl innerhalb der EG als auch im Europarat Lösungen vorgeschlagen, die in keinem Mitgliedstaat gelten, sondern sich an amerikanischen Vorbildern orientieren. Von anderer Seite wurde ergänzt, daß die EG bei der Rechtsvereinheitlichung - etwa im Rahmen des Art. 100 EWG-Vertrag - sicher nicht einen Durchschnitt der Rechtsauffassungen aller Mitgliedstaaten zu berücksichtigen habe, sondern versuchen müsse, die relativ beste Lösung für die Probleme zu finden (Bernhardt, Bleckmann). Es wurde freilich auch zu bedenken gegeben, daß bei der Suche nach der relativ besten Lösung die Frage nach den Akteuren der Rechtsvergleichung eine entscheidende Rolle spiele (Zacher): Wenn Wissenschaft Rechtsvergleichung betreibe, so müsse sie bei der Ermittlung einer solchen relativ besten Lösung offenlegen, was sie vergleiche, ferner welche sozialen, politischen und juristischen Kontexte sie berücksichtige und schließlich vor allem welches ihre Maßstäbe seien, nach denen sie die gefundene Lösung zur relativ besten erkläre. Gerade die Formel von der Zukunftsorientierung erscheine hier besonders gefährlich. Sei nun aber der Richter "Akteur" der Rechtsvergleichung, so komme es entscheidend darauf an, ob er wirklich die Freiheit habe, selbst zu bestimmen, was seiner Meinung nach die relativ beste Lösung sei. Meist sei es doch so, daß der Richter diese Freiheit gerade nicht habe, sondern eine Regelung anwenden müsse, die nicht die relativ beste Lösung darstelle, aber eben geltendes Recht sei. Schließlich wurden im Rahmen der Erörterung von Grundsatzfragen der Rechtsvergleichung prinzipielle Unterscheidungen zur Diskussion gestellt (Zacher): Einmal die Polarität von internalisierender und kooperations- bzw. konfliktsfeldorientierter Rechtsvergleichung, zum anderen die Polarität von statischer und dynamischer Rechtsvergleichung. Was die Einzelheiten dieser grundsätzlichen Unterscheidungen anbetrifft, so darf hier - um Wiederholungen zu vermeiden auf die Einleitung Zachers (oben S. 50 ff.) verwiesen werden, in die dieser Diskussionspunkt eingeflossen ist. Schließlich stellte Landheer einige Gedanken über den soziologischen und den juristischen Gesellschaftsbegriff zur Diskussion. In einem ersten

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Komplex erörterte er die Gründe des Gegensatzes zwischen der juridischen und der soziologischen Gesellschaftsauffassung. Seiner Ansicht nach hat der egalitäre Evolutionsbegriff, der aus dem Rationalismus entstanden sei, sehr großen Einfluß auf das juridische Denken gehabt und damit zu einer Egalisierung der juristischen überstruktur geführt. Im Gegensatz dazu gebe es einen Evolutionsprozeß der Differenzierung, der von eben den Kräften vorangetrieben werde, die sich im Industriesystem äußerten. Für diese zunehmende Differenzierung im Industriesystem brauche man eine korrigierende überstruktur, wie sie in besonderem Maße die juridische Ordnung darstelle. Wenn man nun den Differenzierungsprozeß als Beschränkung der egalitären Auswirkungen in der Sphäre der Rechtsordnungen und ferner das Sozi'alsystem einerseits als Differenzierungsprozeß, andererseits als Korrektur des Differenzierungsprozesses ansehe, so könne man die Frage stellen, ob die Integrationsmöglichkeiten Europas von der fortschreitenden Differenzierung dieses Kontinents abhingen. Im Anschluß an diese überlegungen wies Landheer darauf hin, daß man im Weltsystem einen deutlichen Differenzierungsprozeß zu einem pluralistischen System feststellen und insofern sagen könne, daß die europäische Integration mit der Zunahme der Differenzierungen im Weltsystem gleichfalls wachse, die Gegensätzlichkeit im Weltsystem also als Motiv für eine europäische Vereinheitlichung wirke. Abschließend hob Landheer hervor, daß im juridischen Denken nicht nur mit einem deterministischen Zukunftsbegriff, sondern auch mit einer Zukunftsprojektion gearbeitet werde, die im soziologischen Denken ganz anders sei. Man müsse jedoch - wolle man der Wirklichkeit gerecht werden - den Differenzierungsprozeß innerhalb des Sozialsystems in das Denken über regionale Systeme und über das Weltsystem einbeziehen, um den zwei bestimmenden Gedankenreihen - der egalitären und der differenzierenden - gerecht zu werden. Bearbeiter: Peter Trenk-Hinterberger

B. Sozialrechtsvergleichung und Internationales Recht (Völkerrecht)

Internationale Sozialrechtsvergleichung in der normenscbaffenden Tätigkeit der Internationalen Arbeitsorganisation Von J ohannes Schregle Historische Vorbemerkung Im Jahre 1788, also ein Jahr vor der Französischen Revolution, hat der damalige Finanzminister Ludwigs XVI., der Genfer Bankier Jaques Necker,eine bedeutsame Schrift veröffentlicht. In dieser Schrift wandte er sich gegen Versuche, im Zuge der Industrialisierung die damals allgemein gültige Arbeitsruhe am Sonntag abzuschaffen und - als Ausfluß der Vertragsfreiheit - die Sonntagsarbeit zu gestatten. Dies hätte nach damaligen Verhältnissen zu einer siebentägigen Arbeitswoche geführt. Seine Argumente waren vor allem humanitärer Art und zielten darauf ab, einer Ausbeutung der wirtschaftlich Schwachen entgegenzutreten. Aber was für den Zusammenhang dieses Kolloquiums wichtiger ist, war ein anderes Argument Neckers. Er sagte nämlich: "Ein Land, das im barbarischen Bemühen den durch die Gesetze der Religion festgesetzten Ruhetag abschaffen würde, würde sich dadurch wahrscheinlich einen Grad von überlegenheit verschaffen, wenn es allein eine solche Änderung vornähme; aber in dem Augenblick, in dem alle Länder diesem Beispiel folgten, würden sich die vorher zwischen den Ländern bestehenden Proportionen nicht ändern1." Necker wies also darauf hin, daß der Sonntagsruhetag nur dann beibehalten werden könnte, wenn alle Länder dies täten. Sollte ein Land die Sonntagsruhe abschaffen, so wären aus Konkurrenzgründen alle anderen Länder ebenfalls gezwungen, ein Gleiches zu tun. Necker sah richtig voraus. Die Sonntagsarbeit, d. h. die siebentägige Arbeitswoche, verbreitete sich in der Frühzeit der Industrialisierung, bis dann im Laufe des 19. J,ahrhunderts durch die Arbeitsschutzgesetzgebung allmählich die Sonntagsruhe wieder eingeführt wurde. Die Argumentation Neckers - und deshalb ist sie so bedeutsam im Zusammenhang dieses Kolloquiums - bildet, wenn man sie folgerichtig 1 Zitiert (und übersetzt) nach Andre de Maday, Necker-Precurseur du Pacifisme et de la Protection ouvriere, Revue de l'Institut de Sociologie, Brüssel, 1935, Nr. 1.

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weiterdenkt, historisch gesehen das erste Plädoyer für eine internationale Sozialpolitik. Der nächste Schritt, der von einer international vereinbarten gleichzeitigen und gleichmäßigen nationalen Sozialgesetzgebung zur Schaffung internationaler Normen des Sozialrechts durch zwischenstaatliche Abmachungen führt, ist dann gedanklich leicht getan. Männ€r wie Robert Owen, Adolphe Blanqui, Daniel Legrand, Emil Frey und andere haben im 19. Jahrhundert diese Gedanken geäußert, bis in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dann die zum ersten Mal international organisierte Arbeiterbewegung mit der Forderung nach einer international vereinbarten Verkürzung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich hervortrat. Juristische Konkretisierung erfuhren diese Bestrebungen erst im Jahre 1906 mit der Vereinbarung zweier internationaler Abkommen. Das eine über das Nachtarbeitsverbot der Frauen im Gewerbe, das zweite über das Verbot des gelben, weil giftigen, Phosphors bei der Zündholzherstellung. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde dann 1919 die Schaffung internationaler Mindestnormen des Arbeits- und Sozialrechts institutionalisiert in der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Verfassung in Teil XIII des Versailler Vertr,ags aufgenommen wurde. In ihrer nunmehr 58jährigen Geschichte hat die IAO bisher 149 internationale übereinkommen und 157 Empfehlungen zustande gebracht, zu den übereinkommen wurden bis zum 1. Juli dieses Jahres 4415 Ratifizierungen registriert. Diese internationalen Normen betreffen fast alle Bereiche des Arbeits- und Sozialrechts. Im Zusammenhang dieses Kolloquiums ist es nicht erforderlich, eine Beschreibung der Struktur und der Verfahrensweise der Internationalen Arbeitsorganisation zu geben2 • Das zentrale Thema dieses Kolloquiums ist Sozialrechtsvergleichung. Die Internationale Arbeitsorganisation und ihre normenschaffende Rolle sind hierbei als Bezugsrahmen zu sehen. Aufgabe dieses Exposes ist es, aus der Praxis der Internationalen Arbeitsorganisation etwas über deren Erfahrungen mit Sozialrechtsvergleichung zu sagen. Wer fast täglich mit Sozialrechtsvergleichung der verschiedensten Länder zu tun hat, bei dem wird Sozialrechtsvergleichung 2 Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen über die IAO seien genannt: Gerhard Schnorr, Das Arbeitsrecht als Gegenstand internationaler Rechtsetzung, München/BerUn 1960; Egbert Fried, Rechtsvereinheitlichung im Internationalen Arbeitsrecht, Frankfurt/Berlin 1965; Nicolas Valticos, Droit International du Ttavail (Bd. VIII des Traite de droit du travail,' Herausgeber G. H. Camerlynck), Dalloz, Paris 1970 (Supplement 1973). Von besonderer Wichtigkeit für den Zusammenhang dieses Kolloquiums ist der Aufsatz von J. J. van der Ven, Das rechtsvergleichende Forum der IAO, in: Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht Bd. 1, Berlin 1977, S. 171 ff. .

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gewissermaßen zur zweiten Natur. Wenn ich zu Ihnen als Praktiker spreche, so hoffe ich, für Ihre Arbeit -die mehr in der Forschung liegt trotzdem nützliche Anregungen geben zu können, denn aus der Praxis ergeben sich theoretische, methodologische und typologische überlegungen zur Sozialrechtsvergleichung als Arbeits- und Denkprozeß. Das Anliegen dieses Kolloquiums ist die Sozialrechtsvergleichung als Methode. Dieses Expose befaßt sich mit der Problematik des Wozu und des Wie der Sozialrechtsvergleichung in der Internationalen Arbeitsorganisation. Die Frage ist - anders ausgedrückt -, inwieweit die Sozialrechtsvergleichung der IAO, die mit fast 60jähriger Praxis, verglichen mit anderen internationalen Organisationen, die längste und intensivste Erfahrung auf diesem Gebiet hat, von Hilfe sein kann bei der Konzipierung und bei der Pflege der Sozialrechtsvergleichungan sich sowie auch bei der Nutzbarmachung der Sozialrechtsvergleichung für das Sozialrecht selbst und für seine Weiterentwicklung in den einzelnen Ländern.

Wertung im Sozialrechtsvergleich Internationale Sozialrechtsvergleichung in der Internationalen Arbeitsorganisation, jedenfalls soweit ,die übereinkommen und Empfehlungen in Frage kommen, ist in erster Linie Vergleichung zwischen den internationalen Normen und dem Sozialrecht der Mitgliedstaaten. Und hierbei ist sofort auf ein grundlegendes Wesensmerkmal dieser Vergleichung hinzuweisen. Internationale Sozialrechtsvergleichung innerhalb der IAO ist nicht wertfrei. Sie ist vielmehr wertend. In ihrer Konzeption, und hier ist auf Necker und die anderen genannten Denker zurückzuverweisen wie auch auf die Verfassung der IAO, sind internationale übereinkommen und Empfehlungen Mindestnormen. Dieser Begriff der "Mindestnormen" hat zweierlei Bedeutungen. Einmal bedeutet er einen allgemein als wünschenswert erachteten sozialen Mindeststandard, der als Weltziel für alle gelten soll. Dieser sozialpolitische Begriff der Mindestnormen interessiert in unserem Zusammenhang weniger als der sozialrechtZiche Begriff der Mindestnormen, in Vergleich gesetzt mit anderen Normen. In diesem letzteren Sinne beinhalten die übereinkommen der IAO einen Mindeststandard im Vergleich zu dem Sozialrecht der einzelnen Staaten. Soweit der Sozialstandard in einem Staat unter dem international fixierten Minimum liegt, wird er ,als ungenügend angesehen, besteht also das Ziel, ihn anzuheben, zumindest auf das internationale Minimalniveau. Was hingegen im Sozialrecht der einzelnen Staaten über dem internationalen Minimum liegt, wird gutgeheißen. Was günstiger ist, darf keineswegs auf das internationale Minimalniveau herabgedrückt

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werden. Artikel 19 Absatz 8 der Verfassung der IAO sagt dies deutlich: "In keinem Fall darf die Annahme eines Übereinkommens oder einer Empfehlung durch die Konferenz oder die Ratifizierung eines übereinkommens durch einen der Mitgliedstaaten so ausgelegt werden, als würden dadurch ein Gesetz, ein Rechtspruch, ein Gewohnheitsrecht oder ein Vertrag berührt, die den beteiligten Arbeitnehmern günstigere Bedingungen gewährleisten als sie in dem übereinkommen oder in der Empfehlung vorgesehen sind." Sozialrechtsvergleichung in der IAO wird also vorgenommen unter dem wertenden Begriff der "Günstigkeit", der Maßstab ist, was für ,die Arbeitnehmer günstiger ist3 • Dieses Prinzip befindet sich zwar in Übereinstimmung mit dem Sinn und Zweck des Sozialrechts an sich, d. h. eines Rechts, das im wesentlichen Schutzrecht ist, dessen Zweck der Schutz des wirtschaftlich Schwachen ist, aber so ganz unproblematisch ist dies alles nicht. In der Tat sieht sich die IAO augenblicklich einer Fülle neuer Fragestellungen gegenüber, die sehr tief gehen und die an die raison d'etre der IAO selbst rühren. Diese Fragen, mit wachsender Ungeduld gestellt, kommen vor allem aus den Ländern der Dritten Welt. Zwei Dinge sind es, die ins Feld geführt werden: zum einen erhebt sich die Frage, ob das von der IAO geschaffene System der in Übereinkommen und Empfehlungen verankerten internationalen Mindestnormen mit dem erklärten Ziel der Entwicklungsländer, nämlich ihre Entwicklung und ihre Industrialisierung rasch voranzutreiben, vereinbar ist. Wie rst ein rechtlich zu fixierender sozialer Mindeststandard für Arbeitnehmer in Einklang zu bringen mit der Priorität Nummer eins dieser Länder, der Schaffung von Arbeitsplätzen? Soll ein gesetzlicher Mindestlohn in wirtschaftlich schwächeren Betrieben (meist Handwerksbetrieben oder allenfalls mittleren Betrieben) sogar dann durchgesetzt werden, wenn der Betrieb dadurch bankrott gehen würde mit der Folge, daß die von diesen Betrieben geschaffenen Arbeitsplätze verloren wären? Diese Frage ist zu sehen in bezug auf Gesellschaften, in denen es für jeden Arbeitsplatz Hunderte von Anwärtern gibt, die fast zu jedem Lohn zu arbeiten bereit wären. Da das Sozialrecht der Dritten Welt normalerweise nur ·auf relativ kleine Gruppen, die im städtischen Bereich, auf den Plantagen, im primären Sektor und im Transportwesen beschäftigt sind, Anwendung findet, wird die Frage gestellt, ob in den Entwicklungsländern Sozialrecht nicht in Wirklichkeit das Recht einer kleinen Minderheit ist, deren Lage oft als privilegiert bezeichnet wird im Vergleich mit derjenigen der großen Mehrheit der Millionen in den ländlichen Gebieten. Da Sozialrecht im traditionellen Sinne von Arbeitnehmerrecht auf diese Millio3 Diese überlegungen wurden weiter ausgeführt in: Johannes Schregle, Gedanken zur internationalen Rechtsvergleichung im Arbeitsrecht, in: Festschrift für Friedrich Sitzler, Stuttgart 1956.

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nen, die am Rande des Existenzminimums zu leben gezwungen sind, keine Anwendung findet, erhebt sich die F~age nach der Rolle dieses Sozialrechts in diesen Gesellschaften. Das alte Argument "Das beste Mittel, mehr Frauenarbeitsplätze zu schaffen, wäre die Abschaffung der Mutterschutzgesetzgebung" oder "Das beste Mittel, mehr Arbeitsplätze überhaupt zu schaffen, wäre generell die Abschaffung der Arbeitsschutzgesetzgebung" ist zwar so alt wie das Sozialrecht selbst. Aber in der Dritten Welt, wo Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung das vorrangigste Sozialproblem sind, haben diese Fragen eine neue Aktualität und müssen deshalb mit Verständnis und mit Geduld erneut diskutiert werden. Das zweite Argument, das große Teile der Dritten Welt mit Blickpunkt auf die internationale Sozialnormenschaffung der lAD ins Feld führen, ist kultureller Art. Die Sozialrechtsnormen der übereinkommen und Empfehlungen der lAD sind, bewußt oder unbewußt, weitgehend von den kulturellen und gesellschaftlichen Vorstellungen Westeuropas und zu einem Teil Nordamerikas bestimmt. Mit asiatischen oder afrikanischen Augen gesehen, erscheint das Sozialrecht, wie es in den Übereinkommen und Empfehlungen reflektiert ist, als Ausdruck westlicher Werte wie pluralistische Gesellschaft, Liberalismus, Konkurrenz, Solidarität, Fürsorgepfiicht des Staates, Spannung zwischen Sta,at, Verbänden und Individuen usw. Warum, so argumentiert man, warum müssen diese Werte für alle gelten? Hat nicht Asien, hat nicht Afrika eigene Werte, eigene Vorstellungen und Traditionen für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen entwickelt? Hat nicht in Indien, in Kenia, in Malidie Familie und die Dorfgemeinschaft Funktionen der sozialen Sicherung zu erfüllen, die in Europa von Staat und Sozialversicherungsträgern übernommen werden? Diese kurzen Andeutungen sollen nur dartun, in welche Bereiche ein konsequent durchdachter Sozialrechtsvergleich vordringen kann, vielleicht sogar vordringen muß. Technik der Sozialrechtsvergleichung in der IAO: Durchführung der Vbereinkommen

Von diesen mehr allgemeinen überlegungen, auf die wir allerdings noch einmal zurückkommen müssen,abgesehen, hat die IAO eine Technik des Sozialrechtsvergleichs entwickelt, die im Laufe von sechs Jahrzehnten zunehmend verfeinert und vervollständigt wurde. Kurz gesagt, handelt es sich dabei im wesentlichen um den Vergleich zwischen dem Text der übereinkommen und Empfehlungen und dem Sozialrecht der Mitgliedstaaten. Methodisch ist dieser Vergleich zwischen übereinkommen und Empfehlungen nicht wesensverschieden. Bei Empfehlungen geht es im wesentlichen darum, daß Mitgliedstaaten in gewissen Zeit-

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a:bständen dem Internationalen Arbeitsamt zu berichten haben, inwieweit ihr innerstaatliches Recht den Erfordernissen der Empfehlungen entspricht und - wo dies nicht der Fall ist - inwieweit der Staat gewillt ist, den Inhalt der Empfehlungen in seinem innerstaatlichen Recht zu verwirklichen. Weitere Rechtspflichten bestehen nicht. Bei übereinkommen hingegen müssen diejenigen Staaten, die das betreffende übereinkommen ratifiziert haben, dem Amt berichten, wie ihr innerstaatliches Recht den Normen des übereinkommens Rechnung trägt. Die Ratifikation ist freiwillig. Die Durchführung eines ratifizierten übereinkommens ist eine Rechtspflicht, für ihre Kontrolle besteht ein detaillertes Verfahren, über das hier im einzelnen nicht berichtet werden soll. Vom Gesichtspunkt der Sozialrechtsvergleichung als Methode ist es jedoch wichtig, zwischen verschiedenen Stadien der Vergleichung zu unterscheiden. Am Anfang steht die Vergleichung zwischen innerstaatlichem und internationalem Recht durch die Regierung der Mitgliedstaaten selbst. Eine solche Vergleichung wird normalerweise der Entscheidung über die Ratifikation vorausgehen, denn kein Staat wil'd Verpflichtungen aus einem internationalen Vertrag übernehmen, ohne sich vorher zu vergewissern, ob die internationalen Normen in seinem nationalen Recht schon verwirklicht sind oder ob zu ihrer Verwirklichung eine Änderung des innerstaatlichen Rechts erforderlich wäre. Ist die Ratifikation erfolgt und das übereinkommen in Kraft getreten, so muß der Staat in gewissen Zeitabständen dem lAA Bericht erstatten darüber, wie dem Inhalt des Übereinkommens im innerstaatlichen Recht entsprochen wird. Dazu hat das IAA für jedes Übereinkommen einen detaillierten Fragebogen ausgearbeitet, der der betreffenden Regierung die Berichterstattung erleichtert und der danach dem IAA die Vorprüfung ermöglicht, inwieweit der Staat in seinem Sozialrecht den internationalen Verpflichtungen nachkommt. Dazu fertigt das Amt eine sogenannte "vergleichende Analyse" an zwischen den einzelnen Artikeln des übereinkommens und den Rechtsnormen des betreffenden Staates, die den jeweiligen übereinkommensartikel in innerstaatliches Recht umsetzen. Diese Vorarbeiten des Amtes dienen dann dem internationalen Expertenausschuß, der jedes Jahr im Frühjahr in Genf zusammentritt, als Grundlage für seine überprüfung, inwieweit die Staaten ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen. Der Bericht des Expertenausschusses wiederum wird dann im Juni jeden Jahres der Vollkonferenz der IAO unterbreitet. Dies ist in sehr summarischer Form die Prozedur. Zwei sehr wichtige Rechtsfragen, die sich aus diesem Verfahren ergeben, müssen im vorliegenden Zusammenhang ausgeklammert werden, sollen aber kurz erwähnt sein: Das ist zum einen die Frage nach der Rechtsnatur der

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Umwandlung völkerrechtlicher Verpflichtungen in innerstaatliches Recht und zum anderen die Frage nach den Sanktionen gegen Staaten, die ihren durch die Ratifizierung übernommenen Verpflichtungen nicht oder nur ungenügend nachkommen. Beide Fragen, die natürlich auch von großer politischer Wichtigkeit sind, haben den Gegenstand eingehender juristischer Erörterungen gebildet und es gibt über sie eine detaillierte Literatur. Unter dem Gesichtspunkt, der im Rahmen dieses Kolloquiums interessiert, d. h. unter dem Gesichtspunkt der Methodik der Sozialrechtsvergleichung, ist natürlich von ganz besonderer Bedeutung die sogenannte "vergleichende Analyse" ("comparative analysis" oder "analyse comparative"). Hier geht es jedoch nicht um eine Rechtsvergleichung im eigentlichen Sinne, sondern um eine Prüfung, ob einer internationalen Verpflichtung nachgekommen ist. Es kommt also - da es sich ja um eine internationale Mindestnorm handelt - darauf an festzustellen, ob das innerstaatliche Recht mindestens dem Niveau der internationalen Norm entspricht. Das wurde bereits unterstrichen. Ein Übereinkommen, das etwa einen Mindesturlaub von zwei Wochen im Jahr vorsieht, ist natürlich durch ein Urlaubsgesetz, das drei Wochen Urlaub bestimmt, erfüllt. Im Detail liegen die Fragen jedoch oft komplizierter. Als Beispiel sei erwähnt das internationale Übereinkommen über Mutterschutz vom Jahre 1952. Dieses Übereinkommen schreibt u. a. vor, daß während bestimmter Schutzfristen vor und nach der Niederkunft Frauen nicht beschäftigt werden dürfen. Dabei erhebt sich natürlich die Frage nach der Einkommenssicherung für die Frau während dieser Zeit. Das übereinkommen hätte sich damit begnügen können festzusetzen, daß während dieser Zeit den Frauen ein bestimmtes Einkommen garantiert werden muß, wobei die Quelle dieser Einkommensgarantie dem innerstaatlichen Recht überlassen hätte bleiben können. Aber man fürchtete, daß sich daraus eine Lohnfortzahlungspflicht für den Arbeitgeber hätte ableiten können, was sich - wie oben ,angedeutet - nachteilig auf die Beschäftigung von Frauen hätte auswirken können. Das Übereinkommen schreibt deshalb vor, daß das Einkommen der Frau durch eine Pflichtversicherung oder aus öffentlichen Mitteln zu garantieren sei. Das heißt mit anderen Worten, daß die Gesetzgebung eines Landes, die etwa während der dreimonatigen Schutzperiode die volle Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber vorschreiben würde, den Erfordernissen des Übereinkommens nicht gerecht würde. Das Übereinkommen sagt deshalb wörtlich: "In keinem Fall dürfen die Kosten für die den beschäftigten Frauen zu gewährenden Leistungen dem einzelnen Arbeitgeber persönlich auferlegt werden." Anders ausgedrückt - und dies ist im Zusammenhang dieses Kolloquiums von Bedeutung - kommt es bei dem übereinkom-

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men nicht nur auf eine Günstigkeitswertung im engeren Sinne an, sondern auf eine sozialpolitische Wertung im weiteren Sinne. Das Bestehen einer Sozialversicherung - auch wenn die Barleistungen an die Frau vor und nach der Niederkunft unter der vollen Lohnhöhe liegen - wird, sozialpolitisch gesehen, als vorteilhafter, als progressiver, als wünschenswerter erachtet als eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, selbst, wenn sie 100 Prozent des Lohnes betragen sollte. Vergleich sozialrechtlicher Institutionen und Funktionen Aus diesem Sachverhalt ergeben sich, unter dem Gesichtspunkt der Sozialrechtsvergleichung, interessante überlegungen. Wie dargelegt wurde, muß die Sozialrechtsvergleichung, aus der Natur dieses Rechtszweiges selbst und aus der Normensetzungsrolle der IAO heraus, wertend sein, aber diese Wertung wird eben dann problematisch, wenn es sich nicht um einen wertenden Vergleich des Niveaus sozialer Leistungen, sondern um einen wertenden Vergleich sozialrechtlicher Institutionen handelt. Ein Günstigkeitsvergleich - wenn man das unmittelbare Interesse der beteiligten Personen, im Fall der IAO der Arbeitnehmer, als Wertungsmaßstab nimmt -läßt sich allenfalls quantitativ durchführen für solche Normen, die unmittelbar die Lage dieser Personen betreffen. Eine 40-Stunden-Woche ist günstiger als eine 48-Stunden-Woche, eine sechswöchige Kündigungsfrist ist günstiger als eine dreiwöchige Kündigungsfrist, eine Altersrente oder Pension, die 75 Prozent des letzten Lohnes oder Gehaltes beträgt, ist günstiger als eine 50prozentige Leistung. Wie aber steht es um einen Vergleich zwischen Institutionen? Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg hat in der Bundesrepublik eine zentrale Stellung; in ihrer Hand sind Arbeitslosenversicherung, Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Arbeitsplatzförderung, Arbeitsmarktstatistik, Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer und andere Funktionen vereint. Aber kann man sagen, daß dies besser ist als die in anderen Ländern gefundenen Lösungen, wo diese Funktionen verschiedenen Institutionen übertragen sind? Ist eine aus staatlichen Mitteln, d. h. aus dem Steueraufkommen finanzierte Volkspension einer Altersrente, die im wesentlichen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen finanziert wird, vorzuziehen? Wie kann man die in westlichen Ländern den staatlichen Behörden übertragene Kontrolle der Durchsetzung des Arbeitsschutzes durch die Arbeitsinspektion oder Gewerbeaufsicht mit ähnlichen Funktionen vergleichen, die in der Sowjetunion durch die Gewerkschaften ausgeübt werden? Diese kurzen Beispiele zeigen, daß die Sozialrechtsvergleichung dazu zwingt, zwischen Institutionen und Funktionen scharf zu unterscheiden. Ein Institutionenvergleich allein - und dies ist eine wichtige Prämisse

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für jede Sozialrechtsvergleichung - ist wenig sinnvoll und kann oft sogar zu falschen Schlüssen führen. Als im Jahre 1952 das Betriebsverfassungsgesetz im Deutschen Bundestag diskutiert wurde, wurde in einer Rede, die die Annahme des Gesetzes unterstützte, gesagt, daß dieses Gesetz das fortschrittlichste der Welt sei. Dieses Argument war ein Argument des Sozialrechtsvergleichs, es ging von der stillschweigenden Annahme aus, daß jedes Land ein Betriebsverfassungsgesetz haben wolle. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Wenn man von Österreich absieht, so gibt es kein anderes Land in der Welt, das eine dem deutschen Betriebsrat ähnliche Form einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung (mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen) hätte oder haben möchte. Genauso wenig sinnvoll wäre es, etwa eine wertende rechtsvergleichende Untersuchung über Arbeits- oder Sozialgerichtsbarkeit im deutschen Sinne vorzuschlagen. Vergleichende rechtliche Analysen von sozialund arbeitsrechtlichen Institutionen sind eben nur von begrenztem Wert, in jedem Fall sind sie nur dann sinnvoll, wenn sie zwischen Ländern vorgenommen werden, die vergleichbare, oder in etwa vergleichbare, Institutionen haben. Wenn aber ein Vergleich von sozialrechtlichen Institutionen so wenig ergiebig ist, so könnte man dieses Hindernis vielleicht dadurch überwinden, daß man nicht die Institutionen, sondern die von ihnen ausgeübten Funktionen vergleicht und von dort her zu einem Vergleich solcher Institutionen findet, die gleiche, ähnliche oder wenigstens vergleichbare Funktionen ausüben. In der Tat kommt dieses Verfahren der Wirklichkeit, d. h. der Vielfalt verschiedenartigster Sozialrechte wie sie in den einzelnen Ländern bestehen, näher. Wenn man schon nicht die Institution eines Betriebsrates vergleichen kann - weil es sie außerhalb Deutschlands oder Österreichs einfach nicht gibt -, so könnte man doch vielleicht die Funktionen und die Rechte und Pflichten betrieblicher Arbeitnehmervertretungen in den verschiedensten Ländern vergleichen, denn die meisten Länder der Welt erkennen an, daß in Betrieben Vertretungsgremien bestehen müssen, die die kollektiven und auch die individuellen Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen haben. Unter diesem Gesichtspunkt könnte es nützlich sein, die Funktionen des deutschen Betriebsrats mit denjenigen des englischen shop steward, der amerikanischen oder japanischen Betriebsgewerkschaft oder der polnischen Betriebsgewerkschaftsleitung 2'lU vergleichen. So wenig Zweck es hat, einen internationalen Vergleich von Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit im deutschen Sinne zu versuchen, so wichtig kann es sein, sich vergleichend zu fragen, wie in verschiedenen Ländern arbeits- oder sozialrechtliche Ansprüche durchgesetzt werden, oder, mit anderen Worten, durch welche Verfahren Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnis und Sozialversicherungsverhältnis beigelegt werden. Unter diesem Gesichtspunkt kann man die

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Rolle der deutschen Arbeits- und Sozialgerichte vergleichen mit derjenigen der amerikanischen grievance arbitration, der französischen conseils de prud'hommes, der mexikanischen consejos de conciliaci6n y arbitraje oder der sowjetischen Konfliktkommissionen. Soziales Anliegen als tertium comparationis des Sozialrechtsvergleichs

Wer diese Art von Sozialrechtsvergleichung betreibt, geht von einem bestimmten sozialen, nicht jedoch sozialrechtlichen, Sachverhalt aus, von dem er annimmt, daß er so oder ähnlich in verschiedenen Ländern mit verschiedensten ökonomischen und ideologischen Orientierungen vorkommt. Solche Tatbestände oder Probleme können, wie die angeführten Beispiele zeigen, etwa sein die Notwendigkeit einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung, die Durchsetzung von arbeits- und sozial rechtlichen Ansprüchen, die Entscheidung über Streitigkeiten, die Sicherung des Einkommens in bestimmten Fällen unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit usw. Als nächster Schritt folgt dann die Frage, wie derartige Tatbestände oder Anliegen oder Fragestellungen in verschiedenen Ländern rechtlich geregelt sind. Erst dann kann - unter Bezugnahme auf den gemeinsamen Tatbestand - das Sozialrecht der einzelnen Länder verglichen werden. Das "tertium comparationis" ist also ein soziales Anliegen, ein soziales Problem oder ein sozialer Sachverhalt, ein soziales Bedürfnis oder eine soziale Notwendigkeit. Verglichen werden Rechte - doch unter dem Gesichtspunkt, wie sie dem Anliegen oder der Notwendigkeit Rechnung tragen. Die Wertung des Sozialrechtsvergleichs ergibt sich dann aus der vergleichenden Beurteilung, welches innerstaatliche Recht (mit seinen jeweiligen Institutionen) dem als Ausgangspunkt des Vergleichs gewählten sozialen Anliegen am besten zu seiner Verwirklichung verhilft. Dies deckt sich völlig mit der von Zacher vorgeschlagenen Dreistufenmethode, bestehend - chronologisch gesehen - aus dem Nacheinander von Problemfindung, Problemformulierung und Problemlösung. Von entscheidender Bedeutung ist es somit, eine sozialpolitische Fragestellung, eine sozialpolitische Erwartung (diesen Begriff hat Zacher in seinem Grundlagendokument verwandt), ein sozialpolitisches Anliegen oder Problem zu finden und so zu formulieren, daß es einen geeigneten Gegenstand für eine sinnvolle Vergleichung des dafür in Frage kommenden Sozialrechts bildet. Eigentlich setzt somit die Formulierung eines solchen Problems bereits eine vorher durchgeführte Sozialrechtsvergleichung voraus, denn für einen internationalen Vergleich eignet sich natürlich nur eine solche sozialpolitische Frage, di~ sich in gleicher oder doch

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ähnlicher Form in einer Mehrheit von Ländern stellt. Und um festzustellen, in welchen Ländern sich ein solches vergleichbares Problem stellt, bedarf es eben eines vorhergehenden Vergleiches. Etwas überspitzt gesagt, bedarf es also eines Sozialrechtsvergleichs, um festzustellen, ob ein Sozialrechtsvergleich sinnvoll ist. Wenn auch der Gegenstand des sozialrechtlichen Vergleichs ein Problem der Sozialpolitik sein wird, so sollte doch - jedenfalls soweit es sich um Sozialrechtsvergleich handelt - die zu vergleichende Materie "Recht" sein. Man muß sich also international vergleichend darüber verständigen, was man unter diesem Begriff versteht, und zwar nicht nur in Deutschland. Neben dem Gesetz müssen Vereinbarungen, Gewohnheit, Tradition und andere Normenquellen mit einbezogen werden doch wo soll die Grenze liegen? Wenn man etwa ,als Thema das sozialpolitische Anliegen der Einkommenssicherung im Alter - also wenn Arbeit nicht mehr geleistet oder nicht mehr zugemutet werden kann wählt, muß man den Begriff des zu vergleichenden Rechts, das eine derartige Einkommenssicherung vorschreibt, genau definieren. Soll es nur das Sozialversicherungsrecht im engeren Sinne sein? Soll es das Recht der Sozialen Sicherheit im weiteren Sinne sein? Wo ist die Grenze? Wer fragt, wie in verschiedenen Ländern das Recht auf Einkommenssicherung oder Lebensunterhaltssicherung im Alter geregelt ist, kann in Indien ,die Rolle der Familie nicht ausklammern. Sozialversicherung in Deutschland - Großfamilie in Indien - bei des Instrumente zur Erreichung des gleichen sozialpolitischen Anliegens, bei des anspruchsbegründende Normen (wenn man Recht im weitesten Sinne versteht) - kann man das noch vergleichen? Ist das noch Sozialrechtsvergleichung? Oder ist es vielleicht gar erst die einzig sinnvolle Form von Sozialrechtsvergleichung? Die Formulierung eines bestimmten sozialpolitischen Anliegens als Ausgangspunkt für die Vergleichung des dieses Anliegens regelnden Sozialrechts verschiedener Länder, d. h. also - nach Zachers Methodologie - die vorrechtliche Problemformulierung, steht auch - und hiermit kommen wir zurück zur IAO - am Anfang der Vorbereitungen für die Annahme eines neuen übereinkommens oder einer neuen Empfehlung. Wenn oben die Rede war von der Sozialrechtsvergleichung in der IAO als Mittel der Kontrolle der Durchführung bereits bestehender übereinkommen und Empfehlungen in den einzelnen Mitgliedstaaten, also eine Sozialrechtsvergleichung im Rahmen der "lex lata", so spielt die Sozialrechtsvergleichung in der IAO keine geringere Rolle bei den Vorarbeiten, die auf eine neue internationale Norm abzielen. Hier wird Sozialrechtsvergleichung zum Instrument der "lex ferenda".

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Vorbereitung neuer 'Obereinkommen der IAO

Nach internen Regelungen im Internationalen Arbeitsamt erwartet der Generaldirektor jedes Jahr von den einzelnen Fachabteilungen Vorschläge über Fragen oder Sachgegenstände, die für eine Ausarbeitung internationaler Normen geeignet sind. Der Generaldirektor unterbreitet dann einige dieser Fragen dem Verwaltungs rat, welcher über die Tagesordnung der Konferenz zu beschließen hat. Da ·die Fachabteilungen des Amtes laufend das Sozialgeschehen in allen Ländern der Welt verfolgen, ist die Sozialrechtsvergleichung gewissermaßen Amtsroutine. Für Fachleute des Amtes, die jeden Tag die einlaufenden Informationen aus allen Teilen der Welt ver.arbeiten, analysieren und in gegenseitige Beziehung setzen, hat sich die Sozialrechtsvergleichung zu einem ständigen, oft automatisch ausgeführten Denk- und Arbeitsprozeß entwickelt. Die Beamten sind laufend bemüht zu prüfen, ob sich aus der Vielfalt der Sozialrechtsentwicklung in allen Teilen der Welt gewisse gemeinsame Tendenzen heraus destillieren lassen, aus denen dann eine internationale Norm entwickelt werden könnte. Dabei genügt es keineswegs einen internationalen Text anzustreben, der den kleinsten gemeinsamen Nenner reflektiert. Die angestrebte internationale Norm muß auch sozialpolitisch wünschbar sein und sie muß weiterführend oder "fortschrittlich" sein. Zu diesen sozialpolitischen Überlegungen kommen noch weitere überlegungen, die eindeutig politisch sind, wie etwa -die übereinstimmung zwischen der angestrebten Norm mit den Grundsätzen des Sozialrechts der wichtigsten Staaten. Eine wichtige Frage ist es, ob es sich das Amt leisten kann, internationale Sozialnormen vorzuschlagen, die in ihrer Grundkonzeption im Widerspruch stehen zu sozialpolitischen Prinzipien wichtiger, d. h. einflußreicher Mitgliedstaaten. Was das rein Technisch-Methodologische der in diesem Verfahren angewandten Sozialrechtsvergleichung angeht, so ist darauf hinzuweisen, daß schon in einem sehr frühen Stadium die betreffende Fachabteilung eine Art Referentenentwurf internationaler Grundsätze oder Normen herstellt, der zeigen soll, was etwa der Inhalt eines internationalen übereinkommens oder einer Empfehlung zu der betreffenden Frage sein könnte. Dabei ist natürlich darauf zu achten, daß dieser erste Entwurf das in Kraft befindliche Sozialrecht wenigstens der wichtigsten Staaten berücksichtigt. Berücksichtigen heißt natürlich nicht, daß immer völlige übereinstimmung zwischen dem Recht der wesentlichen Staaten und dem Inhalt des vor~uschlagenden internationalen Textes bestehen muß. Aber das sind dann schon sozialpolitische und taktische überlegungen, die zwar auf Sozialrechtsvergleichung beruhen, aber weit darüber hinausgehen.

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Eine sehr wichtige Rolle spielt hierbei die Einschätzung der Chancen, die der vorgeschlagene Text hat, von der Konferenz mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit angenommen zu werden. Hierbei kommt es nicht nur auf die mutmaßliche Haltung der Regierungen an. Dies ist schon schwer genug angesichts der Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen den Industriestaaten und den Ländern der Dritten Welt usw. Es kommt auch sehr darauf an, welches Votum von der Arbeitnehmer- und der Arbeitgebergruppe, die normalerweise von den Regierungen unabhängig operieren, zu erwarten ist, da jede dieser Gruppen immerhin ein Viertel der Stimmenzahl der Konferenzdelegierten ausmacht. Sehr wichtig ist bei den Vorbereitungen, daß der Verwaltungsrat, bevor er endgültig entscheidet, welche Sachfragen in die Tagesordnung der Konferenz aufgenommen werden, zu jeder Frage vom Amt einen Bericht erhält, der in summarischer Form darstellt, wie das betreffende sozialpolitische Problem in Recht und Praxis verschiedener Länder behandelt ist. Dabei ist es bemerkenswert, daß dieser "Lawand Practice Report" oder "Rapport sur la loi et la pratique" nicht etwa in einer Aneinanderreihung nationaler Monographien besteht, sondern die Einzelaspekte des betreffenden Sachgegenstandes analytisch-komparativ darstellt. Der Bericht über Kündigungsschutz z. B. stellte nacheinander und jeweils vergleichend Einzelfragen wie Rechtfertigung der Kündigung, Sanktionen bei ungerechtfertigten Entlassungen, Kündigungsfrist, Kündigungsentschädigung, Sonderfragen bei Entlassungen wegen Personaleinschränkungen usw. dar. Wenn der Verwaltungsratdann, in Kenntnis wenigstens der großen Umrisse der Rechtslage in den verschiedenen Ländern, eine Frage auf die Tagesordnung der Konferenz setzt, wird ein weitaus detaillierterer Bericht über Recht und Praxis in einzelnen Ländern allen Regierungen der IAO zugesandt. Dieser Bericht enthält am Ende einen Fragebogen, der die Umrisse eines künftigen internationalen übereinkommens oder einer Empfehlung erkennen läßt. Auf Grund der dazu von den Regierungen eingegangenen Stellungnahmen bereitet dann das Amt einen ersten Diskussionstext vor, der der Konferenz bei ihrer ersten Beratung zugrunde liegt. Erst in einer nochmaligen Beratung während der Tagung der Konferenz im folgenden Jahr, nach erneuter Stellungnahme durch die Regierungen, wird die Konferenz dann den endgültigen Text des übereinkommens oder der Empfehlung verabschieden. Der Bericht des lAA über Recht und Praxis in verschiedenen Ländern in bezug auf eine bestimmte Sachfrage des Arbeits- und Sozialrechts hat eine große Bedeutung, die über -die Vorbereitung einer internationalen Norm hinausgeht. Diese Berichte geben einen überblick über die Praxis und Rechtslage der meisten Länder der Welt, sie sind als Information ge10 Sozialrechtsvergleich

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nau so wichtig wie als Versuch einer internationalen Typologisierung bestimmter sozialpolitischer Erscheinungen und ihrer sozialrechtlichen Antwort. Im weiteren Sinne lassen diese Berichte "Welt-Trends" zu bestimmten sozialrechtlichen Fragen sichtbar werden. Dieser etwas summarische und bewußt auf Feinheiten und Detailfragen verzichtende überblick sollte dartun, daß Sozialrechtsvergleichung ein Instrument ist, das die internationale Normenschaffung durch die IAO und die nachfolgende Kontrolle der Einhaltung dieser Normen in den einzelnen Ländern erst möglich macht. Keine Sozialrechtsvergleichung, in welchem Land auch immer sie vorgenommen wird, kann an den Vorarbeiten der IAO vorübergehen. Jede Sozialrechtsvergleichung kann von der langjährigen Erfahrung der IAO, sowohl was den materiellen Inhalt als auch was die Methode angeht, profitieren. Methodologische und rechtstheoretische überlegungen Eine der Grundfragen der Sozialrechtsvergleichung ist es, ob man das Sozial recht verschiedener Staaten in seiner jeweiligen Gesamtheit oder nur bestimmte Ausschnitte oder Bereiche des Sozialrechts verschiedener Länder miteinander in vergleichende Beziehung setzen soll. Beides hat seine Vor- und beides hat seine Nachteile. Wer die erste Lösung wählt, hat zwar den Vorteil zu unterstreichen, daß bestimmte Einzelaspekte des Sozialrechts nur in ihrem Zusammenhang mit dem gesamten Sozialrechtsgebäude des betreffenden Staates voll verstanden und gewürdigt werden können, aber er wird bald sehen, daß es außerordentlich schwierig ist, die gesamten Rechtssysteme von mindestens zwei Ländern zuerst in ihrer jeweiligen Gesamtheit darzustellen und sie dann in eine gegenseitige komparative Beziehung zu setzen. Wer das zweite Verfahren wählt, d. h. wer wie es die lAD tut, Einzelaspekte des Sozialrechts verschiedener Länder miteinander vergleicht, der ist der Praxis zwar näher, aber er läuft Gefahr, bestimmte Einzelaspekte aus ihrem jeweiligen Zusammenhang zu reißen und - im internationalen Vergleich - dadurch zu falschen Schlüssen zu kommen. Man kann natürlich die Mitbestimmung durch Betriebsrat, Aufsichtsrat und Vorstand in deutschen Unternehmen mit ausländischen Modellen vergleichen, aber die deutsche Mitbestimmung kann eben nur dann ganz verstanden und erklärt werden, wenn man sie im weiteren Rahmen der industrie- und branchenweiten Tarifverträge, der gesellschaftspolitischen Konzeption der Gewerkschaften und der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg sieht. Um die deutsche Mitbestimmung voll zu verstehen, muß man den deutschen juristischen Perfektionismus kennen und die deutsche Neigung, wider-

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strebende Interessen "organschaftlich" zu integrieren. Ähnliches gilt auch für andere Länder. Der Abschluß eines Arbeitsvertrags, der in Westeuropa eine Vereinbarung über den Austausch von Leistungen darstellt, bedeutet in Japan etwas anderes, nämlich die Aufnahme eines neuen Mitglieds in eine Familie, der es zeitlebens angehören soll. Der Begriff "collective bargaining" ist in den Vereinigten Staaten eben nicht nur die Aushandlung von Tarifverträgen über Löhne und Arbeitsbedingungen, sondern Ausdruck einer die gesamte amerikanische Gesellschaft bestimmenden Philosophie. Das Suchen eines Mittelwegs zwischen einem Vergleich des ganzheitlichen Sozialrechts verschiedener Länder und einem Vergleich von sozialrechtlichen Einzelaspekten ist eine der schwierigsten überlegungen beim internationalen Sozialrechtsvergleich überhaupt. Sozialrechtsvergleichung, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, muß objektiv sein. Das bedeutet aber, daß, wer deutsches Sozialrecht mit französischem oder italienischem Sozialrecht vergleicht, nicht nur das Recht dieser beiden Länder vom Bezugspunkt des deutschen Rechts her betrachtet, sondern auch in gleicher Weise das deutsche Recht aus dem französischen oder italienischen Blickwinkel her prüft. Wer Sozialrechtsvergleichung betreibt, muß also gewissermaßen aus seinem eigenen Rechtssystem heraustreten und eine Position außerhalb eines bestimmten staatlichen Normengebäudes beziehen. Dies ist äußerst schwierig, aber es ist Voraussetzung für den Erfolg. Es ist darum keineswegs verwunderlich, daß für den Sozialrechtskomparatisten die geeignetsten ausländischen Dialogpartner nicht etwa die besten Sachkenner des Sozialrechts des jeweiligen Landes sind, sondern vielmehr diejenigen Sozialrechtskenner des betreffenden Landes, die auch rechtsvergleichend gearbeitet haben, d. h. Personen, die neben ihrem eigenen Sozialrecht auch das Recht anderer Staaten kennen und die durch die Beschäftigung mit dem Recht anderer Länder die Fähigkeit erworben haben, ihr eigenes Sozialrecht gewissermaßen von außen zu sehen. Es wäre deshalb zu prüfen, wie internationale Kontakte zwischen Institutionen und Persönlichkeiten geknüpft werden könnten, die sich ihrerseits mit Sozialrechtsvergleichung befassen. Wer zum Zwecke der Rechtsvergleichung gedanklich aus seinem eigenen Rechtssystem heraustritt und sich um einen Standpunkt oder vielmehr Blickpunkt bemüht, der zwischen oder über verschiedenen nationalen Rechten liegt, der wird sehr schnell an ein Hindernis stoßen, an dem das Schild "Achtung - Terminologie" befestigt ist. Der Jurist, der mit Begriffen arbeitet, die verschiedenen menschlichen Gesellschaften mit ihren verschiedenen Wertungen entstammen, hat es im internationalen Verkehr ungemein viel schwieriger als etwa der Mediziner oder der Naturwissenschaftler, dessen Begriffe der überall gleichen Natur ent10·

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lehnt sind. Es kommt nicht nur darauf an, den Begriff "Sozialrecht" innerhalb des Bezugrahmens des deutschen Rechtes zu definieren, man muß auch ergründen, ob "Sozialrecht" als Begriff auch in anderen Ländern besteht und welche Umgrenzung dieser Begriff dort erfährt. Der Begriff des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses im deutschen Recht kann allenf.alls noch mit dem Arbeitsvertrag in Frankreich, Italien, Spanien oder den lateinamerikanischen Ländern gleichgesetzt werden, weil das gemeinsame Band - das römische Recht - bei uns rezipiert wurde. Schon im Vergleich mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten wird es problematisch und in Jugoslawien oder gar in Japan gilt der Begriff des Arbeitsvertrags in unserem Sinne überhaupt nicht. Keineswegs handelt es sich dabei um ein übersetzungsproblem zwischen verschiedenen Sprachen. Es handelt sich vielmehr um die Vergleichbarmachung verschiedener Institutionen, verschiedener Wertungen, verschiededener zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Beziehungsformen. Der Sozialrechtsvergleich eröffnet nicht nur neue Dimensionen räumlicher Art wie sie sich aus dem gedanklichen Heraustreten aus dem eigenen Rechtssystem ergeben, sondern er zwingt auch zu neuen gedanklichen Dimensionen in zeitlicher Hinsicht. Eine Ver gleichung zwischen dem Sozialrecht verschiedener Staaten, wie es zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft ist, würde lediglich in einer Vergleichung gesetzlicher Bestimmungen bestehen und deshalb wenig ergiebig sein. Sozialrechtsvergleichung im Sinne einer Vergleichung von photographischen Momentaufnahmen, die zum gleichen Zeitpunkt vom jeweils gültigen Recht verschiedener Länder angefertigt werden, wird kein verwertbares Ergebnis bringen. Sozialrechtsvergleichung muß auch das "Warum" des Rechts der einzelnen Staaten darstellen, muß neben dem gültigen Recht die Diskussionen, die zu seiner Abfassung geführt haben, mit einbeziehen wie auch die Diskussionen, die auf seine Änderung abzielen. Eine Rechtsnorm, die in einem Land heute in Kraft ist, kann in einem anderen Land einer Norm entsprechen, die dort gestern in Kraft war und wieder aufgegeben wurde, oder einer Norm,die morgen in Kraft sein wird. Sozialrechtsvergleichung muß das Recht als etwas Fließendes, sich ständig Änderndes, sich stetig Erneuerndes begreifen. Sozialrechtsvergleichung muß das Recht in seiner Bewegung sehen als Ausfluß sich wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse. Als Praktiker, der Sozialrechtsvergleich seit 25 Jahren betreibt, war ich deshalb ganz besonders beeindruckt von der Bedeutung, die Zacher der Zeitdimension im Sozialrechtsvergleich einräumt, der Notwendigkeit, den Akzent von "Rechtszustand" auf "Rechtsentwicklung" zu verlagern. Natürlich - und das betont auch Zacher - macht die permanente Bewegung des Sozialrechts einen Rechtsvergleich besonders schwierig. Aber

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man kann auch sagen, daß die historische, oder "evolutive" Methode die einzige ist, die Sozialrechtsvergleichung ergiebig macht. Dies gilt nicht nur im Sinne der praktischen Nützlichkeit durch die Erarbeitung von Argumenten - entnommen der ausländischen Erfahrung - für sozialpolitische Zielsetzungen und Auseinandersetzungen im eigenen Land. Es gilt auch - und dies interessiert dieses Kolloquium noch mehr für die Erarbeitung einer allgemeinen Theorie der Sozialrechtsvergleichung als juristische Methode an sich. Wer auf der Suche nach einer allgemeinen Theorie den Begriff - oder besser - das Bewußtmachen des Faktors "Zeit" in den juristischen Denkprozeß einführt - und dazu zwingt eben die Rechtsvergleichung -, der muß notwendigerweise seine Aufmerksamkeit von der Rechtsnorm, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Land gilt, abwenden und sie zurücklenken auf das Erkennen und auf die Formulierung des sozialen Problems, zu dessen Regelung die Norm dann erst zu schaffen ist. Rechtsnormen sind von Land zu Land, von Zeit zu Zeit verschieden. Gemeinsam jedoch ist - dies ist zumindest die vorgeschlagene Arbeitshypothese, die aus der Prozedur der Rechtsvergleichung abgeleitet wird -, das soziale Problem. Die Notwendigkeit, für die sozial Schwachen in bestimmten Lebenslagen rechtlich durchsetzbare Ansprüche zu schaffen, die - allgemein gesagt - durch die Werte Sicherheit, Gleichheit und Freiheit bestimmt sind - diese Notwendigkeit besteht - so muß man als Ausgangspunkt annehmen - überall und immer. Dies ist das "tertium comparationis" der Sozialrechtsvergleichung. Das Sichabwenden von den Rechtsnormen (die überall verschieden sind) und das Sichhinwenden zu den die Norm erst schaffenden Anliegen, Begehren oder Ansprüchen (die überall gleich sind) ist das eigentlich Faszinierende der Sozialrechtsvergleichung. Es ist Voraussetzung für die Entwicklung einer allgemeinen Theorie der Sozialrechtsvergleichung. Da wird der Anspruch nicht mehr als Ausfluß einer Rechtsnorm gesehen, sondern als Anstoß zur Schaffung der Norm selbst. Diese Fragen hat Ernst Herz vor 20 Jahren für das Arbeitsrecht in klarer und durchdringender Form in einer in Fachkreisen leider viel zu wenig beachteten Schrift4 ausgeführt (als Ergebnis einer 30jährigen Erfahrung in der Arbeitsrechtsvergleichung im Internationalen Arbeitsamt). Gedanken, die in die gleiche Richtung gehen, finden sich auch in der einführenden Schrift von Zacher. Wenn man in dieser Richtung weiter arbeitet, werden sich aus der Sozialrechtsvergleichung Perspektiven eröffnen, die den Rechtstheoretiker angehen. So zwingt die Sozialrechtsvergleichung zum Neu-Denken des "Rechts" an sich - nicht mehr im , Ernst Herz, Anspruch und Norm im Arbeitsrecht, Köln 1958.

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traditionellen Sinn des Rechtsnormengebäudes eines bestimmten Staates, sondern im Sinne der Rechtsnormenentwicklung als Prozeß, losgelöst von nationalen Grenzen. Aber selbst wer nicht gewillt ist - oder, besser gesagt, wer noch nicht bereit ist -, aus der Sozialrechtsvergleichung diesen Schritt in rechtstheoretische Gefilde an sich zu tun, kann sich dem Reiz kaum entziehen, der in der Vergleichung der Sozialrechte verschiedener Länder liegt, und der Erkenntnis, daß Sozialrechtsvergleichung zum Neudurchdenken der sozialrechtlichen Zielsetzungen des eigenen Landes zwingt. Neben den rechtstheoretischen sind die sozialpolitischen Impulse der Sozialrechtsvergleichung von nicht geringerer Wichtigkeit. In der heutigen Zeit kann sich kein Sozialrecht mehr in der Isolation des eigenen Staates entwickeln. Was innerhalb Westeuropas selbstverständlich geworden ist, gilt mehr und mehr für die Welt als Ganzes. Dazu sind die gegenseitigen Einwirkungen und Einflüsse, die Wechselwirkungen zwischen Ideen und Erfahrungen der verschiedenen Länder zu stark. Von allen unmittelbar praktischen Ergebnissen einmal abgesehen (wie etwa Nützlichkeit des Sozialrechtsvergleichs für regionale Integrationsbestrebungen oder für die Tätigkeit der multinationalen Gesellschaften), hilft der Sozialrechtsvergleich dabei allgemeine Entwicklungstendenzen zu erkennen, wechselseitige Einflüsse bloßzulegen und Erfahrungen bestimmter Länder anderen nutzbar zu machen. Sozialrechtsvergleichung hilft erkennen, ob das Sozialrecht des eigenen Landes sich in Synchronisation mit Welttendenzen entwickelt, ob es dahinter zurückbleibt oder ihnen vorauseilt. Sozialrechtsvergleichung ist die Klammer, die das Verbindende zwischen den Ländern stärkt und dabei hilft, das Trennende zu überwinden.

Zusammenfassung Internationale Sozialrechtsvergleichung ist ein wichtiges Instrument für die Vorbereitung internationaler Übereinkommen und Empfehlungen der lAD und für die Kontrolle der Durchführung der Übereinkommen in den Ratifikationsstaaten. Methoden der Sozialrechtsvergleichung sind deshalb ein wesentlicher Teil der Tätigkeiten der lAD. Da internationale übereinkommen und Empfehlungen einen Mindeststandard darstellen, ist Sozialrechtsvergleichung im wesentlichen eine vergleichende Wertung mit dem Ziel festzustellen, ob innerstaatliches Recht für die Arbeitnehmer mindestens so günstig ist wie die internationalen Normen. Günstigere innerstaatliche Normen werden durch die übereinkommen und Empfehlungen der lAD nicht berührt. Während ein Wertungsvergleich verhältnismäßig leicht durchführbar ist zwischen Rechtsnormen, welche die soziale Lage der betreffenden Personen unmittelbar be-

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treffen, ist eine vergleichende Wertung weitaus problematischer, wenn sie soziale Institutionen betrifft, die in verschiedenen Ländern bestehen. Es ist deshalb notwendig, scharf zwischen sozialen Institutionen und ihren Funktionen zu unterscheiden. Das tertium comparationis der Sozialrechtsvergleichung ist deshalb nicht eine Rechtsnorm, sondern das soziale Anliegen, das dieser Rechtsnorm zugrundeliegt. Ziel der Sozialrechtsvergleichung ist es deshalb festzustellen, welche Rechtsnormen der verglichenen Länder dem als Ausgangspunkt gewählten sozialen Anliegen am besten zu seiner Verwirklichung verhelfen. In rechtsvergleichender Sicht wird das Sozialrecht zu etwas Fließendem, sich ständig Änderndem. Als ein Mittel zur Sichtbarmachung des sozial rechtlichen Entwicklungsprozesses hilft Sozialrechtsvergleichung bei der Herausbildung einer neuen Theorie des Sozialrechts an sich. Eine Vergleichung des Sozialrechts verschiedener Länder macht es notwendig, nicht so sehr die zu einem bestimmten Zeitpunkt in Kraft befindlichen Normen zu vergleichen, sondern vielmehr die Ursachen und die Faktoren, die erst zur Schaffung der Rechtsnormen führen. Aus rechtstheoretischer Sicht steht im Brennpunkt der Sozialrechtsvergleichung nicht der Anspruch, den Arbeitnehmer oder Arbeitgeber aus einer bestimmten Rechtsnorm heraus erheben, sondern vielmehr der Anspruch, der aus einem sozialen Anliegen erhoben wird und der dann erst zur Formulierung und Inkraftsetzung einer Rechtsnorm führt.

Summary International comparison of labour and social security law is an important instrument for the preparation of the international Conventions and Recommendations of the ILO, and for the control of the application of Conventions by Member States which have ratified them. Thus, methods of comparative labour and social SE'-curity law have long been an essential part of ILO activities. As international labour standards are minimum standards, comparison of labour and social security law is mainly a method of comparative evaluation in order to see whether national standards are at least as favourable to workers as international standards. More favourable national standards are not affected by ILO Conventions and Recommendations. While comparative evalutation is relatively easy between standards affecting directly the social conditions of the protected persons concerned, it is more problematic as regards the comparison between social institutions operating in various countries. A clear distinction between, on the one hand, social institutions, and on the other hand, their functions is therefore necessary. The tertium comparationis in comparative labour and social security law is not the law as such, but the social problem which is the object of the legal rule or standard concerned. The objective of comparative labour and social

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J ohannes Schregle

security law is therefore to determine which national laws are best suited to solve a given social problem. From a comparative point of view, labour and social security law must be seen as a process. Considered in its evolutionary dimension, comparative and social security law assists in developing a new approach to this branch of law as such. Comparison between labour and social security law of different countries makes it necessary not to concentrate on a comparison between legal standards which are in force in the countries concerned at a given time, but rather to study the causes and factors which have led to the formulation of such standards. From the point of view of legal theory, the focus of the comparative study of labour and social security law is not the claim which workers or employers can raise on the basis of a given legal standard, but rather the claim arising from a social problem which leads to the formulation and adoption of legal standards.

· DISKUSSIONSBERICHT

Die Diskussion kreiste bevorzugt um die Problematik des heutigen Standorts der von der ILO übernommenen Aufgaben. Die Frage wurde erörtert, inwieweit ihr traditionelles Instrumentarium den Problemstellungen einer Welt noch gerecht werden kann, in der zu dem Gegensatz zwischen den westlichen und den sozialistischen Staaten immer stärker der Gegensatz zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern hinzutritt.

Van der Ven wies darauf hin, daß bei der Schaffung der ILO 1919 das Modell der damaligen Industriegesellschaft Pate gestanden habe. Von hierher rühre das Prinzip der Dreigliedrigkeit, das den Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber sowie der Regierungen der Mitgliedstaaten Sitz und Stimme einräumt. Von der Voraussetzung für dieses Modell, daß es sich dabei um die Repräsentierung durchaus unterschiedlicher Interessen handelt, könne heute vielfach nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ob bei den sozialistischen Staaten die unterstellte Neutralität des Staates gegenüber Gewerkschaften und Arbeitgebern vorausgesetzt werden könne, ist Gegenstand einer immer wieder aufgeworfenen politischen Streitfrage in der ILO. Der Referent wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß in den Entwicklungsländern in der Regel der Staat der größte Arbeitgeber sei, und zwar unabhängig von der ideologischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung. Die Vertretung der Arbeitgeber neben der Regierung sei im Hinblick auf diese Länder also gleichfalls unter dem Aspekt der Dreigliedrigkeit nicht unproblematisch. Die von dem Modell der Dreigliedrigkeit aufgeworfene Problemstellung rührt nicht zuletzt von der in ihr zum Ausdruck gelangenden Konzentrierung auf die soziale Stellung des Arbeitnehmers her. Zum Zeitpunkt der Gründung der ILO wurden soziale Frage und Arbeiterfrage weitgehend gleichgesetzt. Von einer solchen Identität, so wurde in der Diskussion verschiedentlich hervorgehoben, könne heute nicht mehr ausgegangen werden. Neben die unverändert auch weiterhin schutzbedürftige Stellung des Arbeitnehmers seien Formen sozialer Unterprivilegierung und sozialer Bedürftigkeit getreten, die unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses anzutreffen seien. Diesen gegenüber könne der Arbeitnehmer selbst wiederum vielfach als Besitzender angesehen werden (Zacher). In besonderem Maße müsse dies für die Entwicklungsländer gelten. Den Millionen der Armen in Indien, Pakistan etc., die nicht in einem

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Diskussionsbericht

Arbeitsverhältnis stehen, stünde in diesen Ländern vielfach ein Arbeitnehmeranteil von nicht mehr als 6, 8, 10 % der Bevölkerung gegenüber. In dem vielfachen Nebeneinander von Erscheinungsformen einer vorindustriellen, einer Industrie-, wie auch bereits einer postindustriellen Gesellschaft erscheine die Arbeiterfrage hier nur als eine aus einer Vielzahl von Problemstellungen. Auch in den industrialisierten Ländern stellt sich die Problematik einer über die Arbeiterfrage hinausreichenden sozialen Frage. Von Zacher kam der Hinweis, daß in Europa von der EG insoweit Anstöße zu einer supranationalen überbetonung der Arbeiterfrage ausgegangen seien, als bei dieser die soziale Frage zunächst als Anhängsel zur Wirtschaftspolitik erschienen sei: aus dem Blickwinkel der Wirtschaftspolitik, für die vor allem die Frage der Arbeitskosten im Vordergrund stehe, sei die Stellung des Arbeitnehmers vorrangig von Interesse. Aus britischer Sicht wurde von Lawson hervorgehoben, daß viele nationale sozialpolitische Maßnahmen in den letzten Jahren nicht mehr am Arbeitsverhältnis ansetzen. Leistungssysteme wie der nationale Gesundheitsdienst in Großbritannien, Einrichtungen wie die Volksrente, auch etwa der minimum social in Frankreich oder in Belgien hätten gegenüber der Versorgung allein des Arbeitnehmers zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Notwendigkeit, sich dem Auseinanderwachsen von Arbeiterfrage und sozialer Frage anzupassen, muß heute als eine der schwierigsten Problemstellungen für die ILO angesehen werden. Die Frage der Beschränkung auf die Problematik des Arbeitnehmers ist allerdings nicht neu und wurde auch bereits früher vielfach als schmerzlich empfunden; so wies Weidner auf das Beispiel der Mutterschutzgesetzgebung hin, die für Arbeitnehmer (und Beamte) recht weit ausgebaut sei, in der Regel jedoch nicht für Selbständige, wie etwa Landwirte oder Handwerker. Es müsse dabei unterschieden werden zwischen der sachlichen Beschränkung der Regelungsgegenstände auf Arbeitnehmer und der durch die Dreigliedrigkeit aufgeworfenen organisatorischen Problematik. Eine Änderung der Repräsentationsstruktur in der ILO wäre sicherlich nicht einfach und steht zur Zeit wohl auch kaum zur Diskussion. Pointiert formuliert läuft diese Problematik nach Auffassung des Referenten vielmehr auf die Frage nach der Rolle der Gewerkschaften in der Zukunft hinaus. Diese Frage müsse deshalb gestellt werden, weil die Gewerkschaften mit dem Anspruch aufträten, allgemein die Vertreter der sozial Schwachen und nicht allein der Arbeitnehmer zu sein. Vor allem müsse es auf eine Neudurchdenkung der Stellung der Gewerkschaften in der Dritten Welt ankommen. Diese seien zumeist längst selbst zu der Erkenntnis gelangt, daß ihre Aufgabe über das Aushandeln von Löhnen und Arbeitsbedingungen mit dem Arbeitgeber hin-

Diskussionsbericht

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ausgehe und sich darin nicht erschöpfe. So bemühten sich etwa die indischen Gewerkschaften heute um den Bau von Dörfern und Schulen und kümmerten sich um die Verteilung von Futter und Düngemitteln; in Malaysia werde eine Gewerkschaftsbank aufgebaut. Als Vorbild schaue man nicht selten nach Israel, wo der Gewerkschaftsbund Histadrut der größte Arbeitgeber des Landes ist. Hinzukomme, daß die Regierungen vielfach versuchten, sich der Gewerkschaften als Transmissionsriemen der nationalen Entwicklungspolitik zu bedienen; Bestrebungen, denen sich die Gewerkschaften zwar zumeist widersetzten, die in der Praxis jedoch häufig von ihnen akzeptiert würden. Die ILO sieht sich durch die Entwicklungsländer vor allem insoweit vor schwerwiegende Probleme gestellt, als ihr herkömmliches Instrumentarium der übereinkommen und Empfehlungen diesen gegenüber nur in begrenztem Maße als tauglich erscheint. Der Referent wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß 1977 zum zweiten Mal in der Geschichte der ILO der Bericht des Konferenzausschusses für die Durchführung der ILO-Normen von der Konferenz nicht angenommen worden sei. Den unmittelbaren Ausschlag hierfür habe die in diesem Bericht berührte politische Frage des Israel-Problems gegeben; im Hintergrund dieser Entscheidung müsse jedoch auch gesehen werden, daß von den Entwicklungsländern die Kontrollmechanismen nicht selten als ein westliches Tribunal empfunden würden, vor das sie sich zitiert sähen. Im Tätigkeitsbereich der ILO haben denn auch Maßnahmen außerhalb der Erzeugung internationaler Normen zunehmend an Bedeutung gewonnen. So sind für eine Reihe von Entwicklungsländern Untersuchungen durchgeführt worden, sind im Rahmen einer intensiven Beratungstätigkeit Vorschläge für die Schaffung von Arbeitsplätzen entwikkelt worden. In einer größeren Anzahl von Ländern beraten Experten der ILO die Regierungen bei der Schaffung von Arbeitsrecht. Der Referent führte das Beispiel Algeriens an: Bei der Unabhängigkeit hat dieses zunächst das bis dahin geltende französische Arbeitsrecht übernommen. Hier wurde beratende Hilfestellung bei der Aufnahme und Systematisierung des geltenden Rechts geleistet, um so zu den Voraussetzungen für eine Entwicklung nach den politischen Vorstellungen der algerischen Regierung beizutragen. Derartige Expertenberatungen gebe es in vielen Ländern; hier werde dann in nicht geringem Umfang auch praktische Arbeits- und Sozialrechtsvergleichung betrieben. Bei der Kontrolle der Durchführung der übereinkommen ist die ILO in weitem Umfang auf die Berichte angewiesen, die von den Mitgliedstaaten erstellt werden. Auf die Schwierigkeiten angesprochen, die sich aus den mangelnden Möglichkeiten unmittelbarer Kontrolle in der Praxis ergeben, hob der Referent die Bedeutung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen hervor,von denen vielfachSachinforma.;.

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Diskussionsbericht

tionen über die reale Situation in ihren Ländern geliefert würden. Diese zusätzliche Kontrolle versage nur in den Ländern, in denen sich vor allem die Gewerkschaften der Stellungnahme enthielten. Ein zusätzlicher Bezug zur Realität im jeweiligen Mitgliedstaat könne durch Kontakte, durch Gespräche an Ort und Stelle, hergestellt werden. Im Hinblick auf die im Rahmen der Tätigkeit der ILO stattfindende Rechtsvergleichung wurde auf einige Gesichtspunkte in der Diskussion vertiefend eingegangen. Als eine der Schwierigkeiten für die ILO wurde das Maß an Simplifizierung, an "Vereinheitlichung der Welt" herausgestellt, das hier gesucht werden müsse, und das der Differenzierung in den bestehenden Gesellschaften nur ungenügend Rechnung trage (V an der Ven). Von Tomuschat wurde angemerkt, daß bei Außenstehenden mitunter der Eindruck einer "Euphorie der hohen Zahl" bei der Schaffung von internationalen Abkommen entstehe. Die Frage müsse sich hier stellen, ob nicht zuweilen das Bestreben nach einer universalen Regelung auf Kosten der Effizienz der internationalen Normsetzung gehen müsse. Um eine höchstmögliche Wirksamkeit der Regelungen zu erreichen, sei es erforderlich, Möglichkeiten zu Differenzierungen zu eröffnen, indem etwa die Anforderungen bei den wirtschaftlich entwickelten Ländern höhergeschraubt, bei den Entwicklungsländern dagegen nachgelassen würden. Versperre man eine solche Möglichkeit sachlicher Differenzierung, so müsse dies letztlich auf den Einbau von in mehrfachem Sinne deutungsfähigen "sweeping clauses" in die Abkommen hinauslaufen, solle deren Universalität erhalten bleiben. Hiermit werde dann allerdings wiederum die Substanz der Bemühungen selbst in Frage gestellt. Von der Praxis der ILO-übereinkommen her gesehen stellen sich unter diesem Aspekt die von ihnen verfolgten sozialen Anliegen in durchaus unterschiedlicher Weise dar. Der Referent führte dazu zwei Beispiele an. Zu dem "Weltanliegen" Arbeitslosigkeit gebe es ein "programmatisches übereinkommen", das übereinkommen über Beschäftigungspolitik. Der Mitgliedstaat, der dieses ratifiziert, verpflichte sich damit noch nicht, jedem seiner Bürger einen subjektiven Anspruch auf einen Arbeitsplatz zu geben; es werde lediglich zu einer Politik verpflichtet, die auf eine Maximierung der Arbeitschancen abzielt. Dagegen könne ein Gegenstand wie der Individualkündigungsschutz gegenüber grundlosen Kündigungen nach der Willkür des Arbeitgebers sicherlich eher und ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Entwicklungsstand eines Landes überall Gültigkeit beanspruchen. Zu dieser Frage sei eine Empfehlung verabschiedet worden, die zugleich auch Maßnahmen des Einkommensschutzes für den Kündigungsfall vorsieht. Wie dieser Einkommensschutz im Einzelfall aussieht, ob etwa ein öffentliches System oder aber Leistungen des Arbeitgebers eingreifen, bleibe dann jedoch den Mitglied-

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staaten überlassen, die hier in weitem Umfang den bei ihnen im einzelnen bestehenden Besonderheiten Rechnung tragen könnten. Eine Möglichkeit, Besonderheiten zur Geltung kommen zu lassen, besteht weiterhin im Rahmen der Regionalkonferenzen der ILO. Diese haben allerdings nicht das Recht zur Verabschiedung von übereinkommen. Es handelt sich hierbei um eine alte Diskussion. Insbesondere die Entwicklungsländer treten häufig dafür ein, Sonderregelungen etwa für eine bestimmte Region treffen zu dürfen. Allerdings besteht auch hier das Problem, daß innerhalb einer Region Länder durchaus unterschiedlichen Entwicklungsstandes zusammengefaßt sein können. Ganz allgemein zur Rechtsvergleichung in der ILO stellte der Referent heraus, daß deren Aufgabe nicht zuletzt darin bestehe, apriori nicht vergleichbar Scheinendes vergleichbar zu machen. Ausschlaggebend sei hier der funktionale Vergleichsansatz, wie am Beispiel der Mitbestimmung exemplifiziert wurde. Zum internationalen Verständnis der deutschen Mitbestimmungsregelung habe der Hinweis auf funktional vergleichbare Rechtsformen, wie beispielsweise betriebsnahe Tarifverträge im Recht der USA, viel beitragen können. Man habe versucht, in die internationale Mitbestimmungsdiskussion eine gewisse Typologie einzuführen, um auf diese Weise in ein "internationales Vergleichsgespräch" kommen zu können. Auch die Problematik des Günstigkeitsvergleichs war Gegenstand der Diskussion. Schwierigkeiten wurden vor allem in der Auswahl der Vergleichskriterien gesehen. So sei es etwa hinsichtlich von Kündigungsfristen einsichtig, wenn 6 Wochen für günstiger als 2 Wochen befunden würden; problematisch werde das Günstigkeitsurteil aber dann, wenn etwa das Recht mit der kürzeren Kündigungsfrist andererseits eine Wiedereinstellungsgarantie bei rechtswidriger Kündigung kenne, während das Recht mit der längeren Frist eine solche nicht vorsehe (Faude). Häufig, so der Referent, wird diese Problematik in einer hinreichend konkreten Fassung der ILO-Normen aufgefangen; beispielsweise enthalte die Empfehlung über Kündigungsschutz einzelne Vorschriften über Kündigungsfristen, Einkommenssicherung, etc., zu denen die nationalen Gesetzgebungen bei der Kontrolle jeweils gesondert in Vergleich gesetzt würden, um die übereinstimmung festzustellen. Verschiedentlich könne es aber zu Schwierigkeiten in dieser Hinsicht kommen. Als Beispiel wurde ein derzeit diskutiertes übereinkommen über die Beteiligung der öffentlichen Bediensteten bei der Festlegung der Lohn- und Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst angeführt, für das eine Günstigkeitsklausel vorgesehen sei; das übereinkommen soll danach nur auf solche öffentlichen Arbeitnehmer Anwendung finden, für die keine günstigeren Bedingungen gelten. Hier tauche dann die Frage auf, ob beispielsweise der deutsche Beamte von einem solchen übereinkommen betroffen wer-

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de, der auf der einen Seite keine Tariffreiheit genieße, der aber andererseits unkündbar und mit dem Anspruch auf die beamtenrechtliche Versorgung versehen sei. Was die Frage der Problemfindung und Problemformulierung für den Rechtsvergleich anlangt, wies Zacher darauf hin, daß die Aussage, das hinter den internationalen Normen stehende soziale Anliegen sei als tertium comparationis anzusehen, einer Ergänzung bedürfe: Die Struktur des Sachproblems ändere sich in einem gewissen Maße, wenn dieses Anliegen eine internationale normative Formulierung finde. Sachprobleme seien in der Rechtsvergleichung insofern von Interesse, als sie einer normativen Lösung überhaupt fähig seien. In einer solchen Lösung werde das Sachproblem mit konstituiert. In der internationalen Ordnung müsse deshalb die Normierung derartiger Lösungsprogramme dem Sachproblem einen neuen Akzent verleihen. Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, daß die Formulierung des vorrechtlichen Problems für die Vergleichsbildung selbst wiederum als das Ergebnis vergleichender und wertender Erwägungen angesehen werden müsse. Die vorrechtliche Ordnungsnachfrage hänge im sozialrechtlichen Bereich ihrerseits von den vorgestellten sozialpolitischen Leitbildern ab; dies müsse bedeuten, daß Sozialrechtsvergleichung voraussetzt, daß zuvor bereits ein sozialpolitischer Vergleich für die betreffenden Staaten erfolgt sei (Faude). Zu der Problematik einer nur vordergründig gleichen Formulierung des Sachproblems führte Merkel das Beispiel der Bedeutung der Tatsache der Arbeitslosigkeit für den Betroffenen an: In den Entwicklungsländern stelle diese zumeist ein Problem des "nackten überlebens", während in vielen westlichen Ländern inzwischen auch die Möglichkeit einer "spezifisch menschlichen Selbstverwirklichung" mit im Vordergrund stehe. Die gleiche Problemstellung könne so ganz unterschiedliche Wertungen implizieren; dies führe auf die Frage, in welchem Maße es darauf ankommen müsse, das Sachproblem in einer Weise zu fassen, in der es nicht lediglich als begrifflich gleich, sondern auch real als gleichwertig angesehen werden könne. Die Möglichkeiten der Vergleichsbildung mit dem Recht der Entwicklungsländer wurde auch im Hinblick auf diese Problematik diskutiert. Von Hippel sprach von einem "Graben, der nicht leicht zu überbrücken sein wird". Man müsse für die Vergleichsbildung zwischen der Gruppe der Industrieländer und der Gruppe der Entwicklungsländer trennen. Aber auch innerhalb dieser Gruppen müsse soweit als möglich auf einen homogenen Entwicklungsstand geachtet werden, um dem Gesichtspunkt des Wettbewerbes besser Rechnung tragen zu können; der Angleichung des Sozial rechts komme etwa innerhalb der EG nicht zuletzt deshalb eine so große Bedeutung zu, weil im Wettbewerb die Sozialkosten als Teil der Unternehmenskosten eine wachsende Rolle spielten.

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Schließlich kam in der Diskussion auch die bereits am Vortage diskutierte Frage erneut zur Sprache, ob für die Sozialrechtsvergleichung grundlegende Besonderheiten gegenüber der Zivilrechtsvergleichung gegeben seien. Von Beitzke wurde hervorgehoben, daß zwar Unterschiede in der politischen Schwerpunktsetzung im Zivil- und im Sozialrecht nicht zu leugnen seien, daß jedoch der methodische Ansatz für die Vergleichung der gleiche sei. In beiden Fällen müsse der Vergleich am sozialen bzw. am wirtschaftlichen Problem entwickelt werden und in beiden Fällen gehe es um die unterschiedlichen Lösungsansätze, die in den einzelnen Rechtsordnungen zu dem gleichen Problem gefunden worden seien. Es müsse jeweils gefragt werden, welche Lösungen es gibt und welche Lösungen möglich seien, wo Lösungsansätze konvergieren und wo ihre Unterschiede liegen; jeweils sei zu überlegen, worauf es zurückgeführt werden könne, wenn unterschiedliche Regelungen zu vergleichbaren Ergebnissen führten. Von Hippel merkte dazu an, daß der Vergleich im Sozialrecht im Einzelfall schwieriger, weil sehr viel komplexer als im Zivilrecht sein könne; es sei nicht möglich, sich allein auf den Bereich der öffentlichen Sicherungseinrichtungen zu beschränken, sondern es müsse auch geprüft werden, ob der Betrieb, die Großfamilie, private Initiativen, das Steuerrecht, etc. relevant werden. Daß der methodische Schritt der Vergleichsbildung im Grundsatz der gleiche sei, wurde auch von Zacher nicht bestritten, der jedoch herausstellte, daß man es vom Inhalt her mit unterschiedlichen Dingen zu tun habe. Das Privatrecht sei von der Vorstellung des privaten Verfügungsspielraumes beherrscht, der mit ihm eröffnet sei; es sei darauf konzentriert, Freiheit zu schaffen und die Grenzen der Freiheit zu definieren. Das bedeute eine gewisse Einfachheit gegenüber dem Sozialrecht, wo in einer sehr viel unmittelbareren Weise Wertungen bezogen seien und sehr weitgehend ineinandergriffen. Bereits bei der Schaffung eines sozialen Leistungssystems seien diese kompakt mit einzubringen; so müsse etwa schon bei der Einrichtung einer sozialen Versicherung entschieden werden, welche Wertungen für diese dominierend sein sollen. Bearbeiter: Thomas Simons

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates (insbesondere bei der Gestaltung und Anwendung von Konventionen) Von Siegfried-Günter Nagel* Der Europaratl, die älteste internationale politische Organisation Europas, hat die Aufgabe, "eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze und zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern". Aus den Artikeln 1 und 15 des Statuts des Europarats geht hervor, daß diese Aufgabe u. a. durch den Abschluß von entsprechenden Abkommen und Vereinbarungen erfüllt wird. Bei diesen Abkommen und Vereinbarungen handelt es sich um "des instruments entre un certain nombre d'Etats qui ont exprime, ... , leur consentement a etre lies par les dispositions qu'ils renferment", d. h. diese internationalen Verträge "doivent leurs effets juridiques a l'expression de volonte des seules Parties Contractantes, effectuee en dehors de toute procedure suivie au sein du Conseil de l'Europe en tant qu'organisation internationale" (Golsong). Die konkreten Gründe, die die einzelnen Staaten veranlassen, der Ausarbeitung eines internationalen Vertrages zuzustimmen, dabei mitzuwirken und schließlich diesen Vertrag auch zu ratifizieren, sind verschiedenster Art und - im sozialen Bereich - im wesentlichen die folgenden: 1. der Zielsetzung des Europarats, die, wie bereits ausgeführt, u. a. eine Förderung des sozialen Fortschritts vorsieht, nachzukommen, 2. dazu beizutragen, daß der soziale Schutz der gesamten oder bestimmter Schichten der nationalen Bevölkerung gewährleistet wird,

* Für wertvolle Hinweise bei der Ausarbeitung dieses Vortrags dankt der Verfasser Dr. Hans Wiebringhaus, Abteilungsleiter im Generalsekretariat des Europarats. Da der Verfasser an dem Colloquium nicht teilnehmen konnte, wurde der Vortrag von Herrn Klaus Fuchs (Generalsekretariat des Europarats) vorgetragen, der auch an der anschließenden Diskussion teilnahm. 1 Eine allgemeine Information über den Europarat gibt: Das Europa der Siebzehn - Bilanz und Perspektiven von 25 Jahren Europarat, Europa Union Verlag GmbH, Bonn 1974. (Anm. d. Red.: mittlerweile - 1/1978 - hat der Europarat 20 Mitgliedstaaten; es sind dies: Österreich, Belgien, Zypern, Dänemark, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, Griechenland, Island, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei und Großbritannien.) 11 Sozialrechtsvergleich

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3. die eigenen Soziallasten mit denen anderer Länder in übereinklang zu bringen, um dadurch eventuelle Wettbewerbsverzerrungen zu reduzieren, die auf unterschiedliche Sozialleistungen in diesen Staaten zurückzuführen sind. Obwohl die internationale Sozialpolitik ursprünglich als Arbeiterschutzpolitik begriffen und betrieben wurde, wurde es nicht unterlassen, in deren Rahmen auch auf die verschiedenen Aspekte der Konkurrenzbedingungen zu verweisen. Necker hat bereits 1788 auf den Einfluß hingewiesen, der von den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in den einzelnen Ländern auf den internationalen Handel ausgeht. Dieses Problem ist im Hinblick auf das vorliegende Thema von grundlegender Bedeutung: Es kann - wenigstens unter rechtswissenschaftlichen Gesichtspunkten - nur gelöst werden im Rahmen eines Rechtsvergleichs im sozialen Bereich und letztlich durch eine entsprechende Rechtsharmonisierung, wobei der Begriff der Harmonisierung als inter-nationale und nicht supra-nationale Angleichung der Rechtssysteme zu verstehen ist. In diesem Zusammenhang ist es jedoch interessant, darauf hinzuweisen, daß trotz der bereits früh aufgetretenen Fragen der internationalen Konkurrenzbedingungen Montesquieus Auffassung über Sinn und Zweck des Rechtsvergleichs mehr als zwei Jahrhunderte die wissenschaftlichen Arbeiten in diesem Bereich weitgehend bestimmte. Montesquieu drückte seine Gedanken wie folgt aus: "Les lois politiques et civiles de chaque nation ... doivent etre tellement propres au peuple pour lequel elles sont faites, que c'est un grand hasard si celles d'une nation peuvent convenir a une autre." Die relativ uniforme Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialstrukturen in den modernen Industriegesellschaften hat aber inzwischen dazu beigetragen, daß das bestimmende Prinzip der Sozialpolitik, nämlich der Arbeiterschutzgedanke, in immer stärkerem Maße auf diese Staaten anwendbar ist; und schließlich hat der bereits erwähnte Gedanke der Reduzierung der durch unterschiedliche Soziallasten bedingten Wettbewerbsverzerrungen im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte eine fundamentale Bedeutung für wissenschaftliche und praktische Arbeiten im Bereich der Rechtsvergleichung erhalten. Im folgenden soll versucht werden, an Hand einiger Konventionen, die im Rahmen des Europarats ausgearbeitet wurden und sozialrechtliche Normen zum Gegenstand haben, aufzuzeigen, welche konkrete Bedeutung dem Rechtsvergleich 1. bei der Ausarbeitung,

2. bei den Vorarbeiten zur Ratifizierung und 3. bei der überwachung der Anwendung derartiger Konventionen zukommt.

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates

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Auf folgende internationale Verträge wird dabei Bezug genommen: 1. die Europäische Sozialcharta (das Schwergewicht der Ausführungen liegt auf diesem Vertrag); 2. die Europäische Ordnung für soziale Sicherheit; 3. das Europäische übereinkommen über den sozialen Schutz der Landwirte.

I. Rechtsvergleich bei der Ausarbeitung internationaler Verträge Bei der Ausarbeitung internationaler Verträge, die die Regelung sozialer Probleme zum Inhalt haben, kann nach folgenden Methoden vorgegangen werden: 1. bereits bestehende internationale Konventionen oder bilaterale Abkommen stellen den Bezugsrahmen dar; 2. die Rechtslage von Staaten, deren Normerfüllung unproblematisch ist, dient als Bezugsrahmen; 3. mehrere nationale Gesetzgebungen werden miteinander verglichen und auf dieser Basis eine internationale Norm ausgearbeitet; 4. bestimmte, "relativ" schwer erfüllbare Normen werden nach den vorgenannten Methoden ausgearbeitet; den evtl. Vertragsstaaten wird in einem flexiblen Ratifizierungssystem die Möglichkeit gegeben, nur bestimmte Vertragsverpflichtungen einzugehen. Die Europäische Sozialcharta wurde nach der letztgenannten Methode ausgearbeitet. An ihrer Ausarbeitung waren sowohl die beiden statutarischen Organe des Europarats - das Ministerkomitee und die Beratende Versammlung2 - als auch die Internationale Arbeitsorganisation beteiligt. Auf parlamentarischer Ebene, d. h. von der Versammlung, wurden dabei insgesamt drei Entwürfe ausgearbeitet, wobei die Redaktion des ersten vorwiegend vom Vorentwurf der beiden Weltpakte der Vereinten Nationen beeinflußt war, die sich einerseits auf die Menschenrechte und andererseits auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte beziehen. Auf intergouvernementaler Ebene war der Sozialausschuß mit der Ausarbeitung der Charta beauftragt. Seine Arbeit bestand in der ersten Phase vorwiegend in einem Vergleich der nationalen Gesetzgebungen untereinander und in der zweiten Phase in der Annahme eines Entwurfs, dessen vorgesehene Normen jedoch unter denen der Beratenden Versammlung lagen. Um zu einem Komprorniß zwischen den Arbeiten der 2

Heute nennt sich dieses Organ "Parlamentarische Versammlung".

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Beratenden Versammlung und des Sozial ausschusses zu gelangen, beauftragte das Ministerkomitee den letzteren, einen Entwurf auszuarbeiten, der auch den Vorstellungen der Beratenden Versammlung entsprechen sollte. Dieser Entwurf wurde einer Dreierkonferenz unterbreitet, die auf Bitte des Europarats von der Internationalen Arbeitsorganisation einberufen wurde und an der Vertreter der Regierungen, der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen teilnahmen. Der Entwurf des Sozialausschusses sowie die Empfehlungen der Konferenz wurden sodann der Versammlung zugeleitet, die auf Grundlage dieser Arbeiten und nach geringfügigen Änderungen einen Text annahm, der dem Sozialausschuß wieder übermittelt und von diesem in seine definitive Form gebracht wurde, so daß der Text der Charta am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichnet werden konnte. Die bereits erwähnte Bezugnahme auf Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation bei der Ausarbeitung der Charta reflektiert sich auch im Text des Fragebogens, auf dessen Grundlage die Vertragsstaaten der Charta ihre dem Generalsekretär des Europarats zuzuleitenden Zweijahresberichte über die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen erstellen müssen. Folgende Beispiele mögen dies erläutern: Artikel 1 der Charta enthält das Recht auf Arbeit; im Zusammenhang mit der Beantwortung der Fragen zum ersten Paragraphen, der sich auf Vollbeschäftigungspolitik bezieht, haben die Vertragsstaaten u. a. die Möglichkeit, eine Zusammenfassung der Berichte über die Einhaltung der Konvention Nr. 2 (Arbeitslosigkeit) oder Nr. 122 (Beschäftigungspolitik) dem Generalsekretär des Europarats zu übermitteln; - Artikel 4, Paragraph 3, sieht das Recht männlicher und weiblicher Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit vor; zur Beantwortung der entsprechenden Fragen können die Vertragsstaaten u. a. eine Zusammenfassung ihrer Berichte über die Einhaltung der Konvention Nr. 100 (Gleichheit der Entlohnung) dem Generalsekretär zusenden; - Artikel 5 beinhaltet das Vereinigungsrecht; zur Beantwortung der entsprechenden Fragen können die Vertragsstaaten u. a. eine Zusammenfassung der Berichte über die Konvention Nr. 87 (Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts) dem Gener,alsekretär mitteilen. -

Ferner wird in Artikel 12 der Charta (Recht auf soziale Sicherheit) auf das Übereinkommen Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation Bezug genommen. Nach Paragraph 2 dieses Artikels der Sozialcharta verpflichten sich die Vertragsparteien, "das System der sozialen Sicherheit auf einem befriedigenden Stand zu halten, der zumindest dem ent-

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spricht, der für die Ratifikation des übereinkommens (Nr. 102) der Internationalen Arbeitsorganisation über die Mindestnormen der sozialen Sicherheit erforderlich ist". Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Erfüllung der Normen bestimmter Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation nicht unbedingt eine Erfüllung der Verpflichtungen der Sozialcharta bedeutet. Die im Rahmen der Charta vorgesehenen Kontrollinstanzen sind auch bei der Begutachtung der Zweijahresberichte de jure nicht an die entsprechenden Schlußfolgerungen der Kontrollinstanz der Internationalen Arbeitsorganisation gebunden. Die Praxis zeigt aber deutlich, daß die Kontrollinstanzen der Charta, vor allem der unabhängige Expertenausschuß, diese Schlußfolgerungen bei der Prüfung der nationalen Berichte weitgehend berücksichtigen. Trotz dieser Bezugnahmen auf die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ist festzuhalten, daß die Sozialcharta, die in ihrem ersten Teil 19 Grundrechte postuliert und deren zweiter Teil 72 Verpflichtungen aufführt, die zur Verwirklichung dieser Grundrechte unumgänglich sind, ein Niveau anstrebt, das im allgemeinen höher liegt als das der entsprechenden Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation. Bei der Ausarbeitung der Sozialcharta wurde auch dem unterschiedlichen Industrialisierungsgrad und Entwicklungsstand der Mitgliedstaaten des Europarats Rechnung getragen, und zwar dadurch, daß die Charta einen "flexiblen" Ratifikationsmechanismus vorsieht, der es erlaubt, nur bestimmte Verpflichtungen dieses Vertrags anzunehmen. Artikel 20 sieht dementsprechend vor, daß sich jede der Vertragsparteien verpflichtet, a) "Teil I dieser Charta als eine Erklärung der Ziele anzusehen, die sie entsprechend dem einleitenden Absatz jenes Teils mit allen geeigneten Mitteln verfolgen wird; b) mindestens fünf der folgenden sieben Artikel des Teils II dieser Charta als für sich bindend anzusehen: Art. 1 (Recht auf Arbeit), Art. 5 (Vereinigungsrecht), Art. 6 (Recht auf Kollektivverhandlungen), Art. 12 (Recht auf soziale Sicherheit), Art. 13 (Recht auf Fürsorge), Art. 16 (Recht der Familie auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz) und Art. 19 (Recht der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand); c) zusätzlich zu den nach Maßgabe des Buchstabens b) ausgewählten Artikeln so viele Artikel oder numerierte Absätze des Teils II der Charta auszuwählen und als für sich bindend anzusehen, daß die Gesamtzahl der Artikel oder numerierten Absätze, durch die sie gebunden ist, mindestens 10 Artikel oder 45 numerierte Absätze beträgt." Ferner kann jede Vertragspartei "zu einem späteren Zeitpunkt durch eine an den Generalsekretär zu richtende Notifikation erklären, daß

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sie in Teil II der Charta einen anderen Artikel oder numerierten Absatz als für sich bindend ansieht, den sie bisher noch nicht nach Absatz 1 dieses Artikels angenommen hatte. Diese später übernommenen Verpflichtungen gelten als Bestandteil der Ratifikation oder Genehmigung und haben vom dreißigsten Tag nach dem Zeitpunkt der Notifikation an die gleiche Wirkung" (Art. 20 § 3). Von dieser Möglichkeit der teilweisen Ratifizierung wurde bisher weitgehend Gebrauch gemacht. Mit Ausnahme von Italien, das sämtliche Verpflichtungen der Charta annahm, haben die verschiedenen Vertragsstaaten folgende Anzahl von den insgesamt 72 Verpflichtungen angenommen: Zypern 34, Island 41, Dänemark 44, Schweden 59, Norwegen 60, Österreich 62, Großbritannien 62, Irland 63, Bundesrepublik Deutschland 67, Frankreich 70. Die Vertragsstaaten insgesamt haben somit rund 80 % der Verpflichtungen der Charta angenommen. An dieser Stelle ist aber auch darauf hinzuweisen, daß sich bis jetzt kein Vertragsstaat bereit erklärt hat, nach der Ratifizierung der Charta zusätzliche Verpflichtungen einzugehen, obwohl dies für einige Staaten keine Schwierigkeiten darstellen würde. Bei der Ausarbeitung der Europäischen Ordnung der sozialen Sicherheit von 1964, an der ebenfalls die Internationale Arbeitsorganisation beteiligt war, wurde im wesentlichen auf ein Übereinkommen dieser Organisation Bezug genommen, und zwar das übereinkommen Nr. 102 über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit. Diese Mindestnormen und die Bedingungen der Ratifizierung der Ordnung wurden an einen "wünschenswerten" Entwicklungsstand der Mitgliedstaaten des Europarats angepaßt. Wie bei der Sozialcharta wurde auch hier das Prinzip der teilweisen Ratifizierung beibehalten. Aus Artikel 2 der Ordnung ergibt sich: Jede Vertragspartei wendet an: a) Teil I (Allgemeine Bestimmungen), b) mindestens sechs der Teile II bis X (II: ärztliche Betreuung; III: Krankengeld; IV: Leistungen bei Arbeitslosigkeit; V: Leistungen bei Alter; VI: Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; VII: Familienleistungen; VIII: Leistungen bei Mutterschaft; IX: Leistungen bei Invalidität; X: Leistungen an Hinterbliebene), wobei Teil II als zwei und Teil V als drei Teile zählen, c) die entsprechenden Bestimmungen der Teile XI (Berechnung der sich regelmäßig wiederholenden Zahlungen) und XII (Gemeinsame Bestimmungen) sowie d) Teil XIII (Verschiedene Bestimmungen).

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Eurorparates

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Das Protokoll zur Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit, das ein vergleichsweise höheres Niveau anstrebt, sieht in diesem Zusammenhang vor, daß mindestens acht der Teile II bis X, für die der betreffende Mitgliedstaat die Verpflichtungen der Ordnung nach dem Artikel 3 unternommen hat, zu ratifizieren sind, wobei Teil II -als zwei und Teil V als drei Teile zählen. Bis zum heutigen Zeitpunkt haben die 10 folgenden Vertragsstaaten die Ordnung und das Protokoll ratifiziert: Tabelle 1

Teile der Ordnung

II

III

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Schweden Norwegen Niederlande Großbritannien Luxemburg Belgien Bundesrepublik Deutschland Irland Dänemark Italien

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angenommene Verpflichtungen der Ordnung. angenommene Verpflichtungen der Ordnung, die durch das Protokoll geändert wurden.

Die Europäische Ordnung sieht ebenfalls vor, daß zu jedem Zeitpunkt von den Vertragsparteien weitere Teile ratifiziert werden können; wie im Falle der Sozialcharta ist dies auch hier noch nicht geschehen. Bei der Ausarbeitung des Europäischen übereinkommens zum sozialen Schutz der Landwirte wurde Bezug genommen auf die Europäische Sozialcharta - eine Konvention also -, den Mansholt-Plan und auf nationale Gesetzgebungen im betreffenden Bereich. Auch diese Konvention beinhaltet die Möglichkeit einer flexiblen Ratifikation und gestattet den Vertragsparteien bestimmte Vorbehalte, sofern sie bei einem Vergleich ihrer nationalen Rechtslage mit den Normen dieser Konvention von der vorläufigen Notwendigkeit dieser Vorbehalte überzeugt sind. Die Vertragsparteien

168

Siegfried-Günter Nagel

-

haben die Möglichkeit, genau zu präzisieren, auf welchen Personenkreis sich die Konvention bezieht,

-

können einen Vorbehalt erklären im Hinblick auf die Anwendung bestimmter Absätze des Artikels 5, nämlich des Abs. 1 b (übergangshilfen bei der Vorbereitung auf eine andere Tätigkeit); Abs. 1 c (Aufrechterhaltung der Ansprüche und Anwartschaften im Rahmen der sozialen Sicherheit); Abs. 1 d (Gewährung von angemessenen Entschädigungen oder Beihilfen an Landwirte, die aus Altersgründen Schwierigkeiten haben, eine andere Tätigkeit aufzunehmen, sofern die Aufgabe ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit zu einer Strukturverbesserung führt); Abs.3 (Die Vertragsparteien gewährleisten, daß, wenn aus von ihnen festzulegenden strukturellen oder sonstigen Gründen ein Landwirt seine Tätigkeit in der Landwirtschaft nur teilweise aufgibt, dieser selbst, seine Familienangehörigen und gegebenenfalls die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer, die nach Absatz 1 Buchstaben a), b) und c) vorgesehenen, den Bedürfnissen entsprechenden Maßnahmen beanspruchen können).

Ferner wäre darauf hinzuweisen, daß Artikel 4 den Vertragsparteien die Möglichkeit gibt, nur vier der folgenden Zweige der Sozialversicherung zum Schutz der Landwirte auszuwählen: Krankheit, Mutterschaft, Invalidität, Alter, Tod, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten sowie Familienlasten. Diese Konvention wurde von folgenden Staaten ratifiziert, die die aufgeführten Vorbehalte erklären: -

Schweiz, 21. 11. 1975: die erwähnten Vorbehalte des Artikels 5;

-

Belgien, 24. 9. 1976: eine oder mehrere der nachstehenden Personengruppen kann bei der Anwendung der Konvention ausgeschlossen werden: - Personen, die als selbständige Erwerbstätige (travailleurs independants) ausschließlich oder hauptsächlich in der Landwirtschaft, im Gartenbau, in der Forstwirtschaft, im Weinbau oder in ähnlichen Bereichen tätig sind, deren Haupteinkommen jedoch nicht aus dieser Tätigkeit stammt; - Personen, die ausschließlich in der Forstwirtschaft tätig sind.

Ferner wurde ein Vorbehalt erklärt im Hinblick auf Artikel 5 § 3. - Luxemburg, 16. 3. 1977, hat ebenfalls einen Vorbehalt erklärt im Hinblick auf Artikel 5 § 3.

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates

169

11. Rechtsvergleich im Rahmen der Vorarbeiten zur Ratifizierung Bei Mitarbeit an der Ausarbeitung einer internationalen Konvention verpflichtet sich noch kein Staat, die in der Konvention enthaltenen Normen zu einem späteren Zeitpunkt zu ratifizieren. Es ist ihm somit möglich - wenigstens unter theoretischen Gesichtspunkten - dazu beizutragen, daß die Normen der auszuarbeitenden Konventionen auf einem hohen oder auch niedrigen Niveau liegen. Er muß in diesem Falle noch keinen Vergleich mit seiner eigenen Gesetzgebung anstellen. Ein Vergleich der nationalen Gesetze und Praktiken mit den Normen der Konvention obliegt dem Staat aber dann, wenn er beabsichtigt, die Konvention zu ratifizieren. Dieser Sachverhalt erklärt auch die lange Zeitspanne, die oft zwischen der Unterzeichnung eines internationalen Vertrags und dessen Ratifizierung besteht, bzw. erklärt auch die Tatsache, daß nationale Gesetzesänderungen unmittelbar nach der Ratifizierung festzustellen sind. Folgende Beispiele können dies verdeutlichen: Luxemburg beabsichtigt, die Sozialcharta, insbesondere auch deren Art. 6 § 4 (Recht auf kollektive Maßnahmen) zu ratifizieren. Dazu ist es aber erforderlich, daß auch den Beamten dieses Landes das Streikrecht zuerkannt wird; zu diesem Zweck wird dieses Problem z. Zt. im luxemburgischen Parlament diskutiert. Für die Schweiz ist im Zusammenhang mit Ratifizierungsabsichten der Charta zu erwähnen, und zwar bei Artikel 12 (Recht ,auf soziale Sicherheit), daß in diesem Land erst seit kurzem eine gesetzliche Arbeitslosenpflichtversicherung für Einheimische und Ausländer eingeführt wurde. Im Rahmen der Vorarbeiten zur Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta ist die Türkei z. Zt. dabei, ihr Sozialversicherungssystem den Anforderungen des Artikels 12 anzupassen und evtl. soweit auszuarbeiten, daß sie in der Lage sein wird, auch die Europäische Ordnung für soziale Sicherheit zu ratifizieren. Nachdem die Sozialcharta bereits 1961 zur Unterzeichnung aufgelegt wurde, nahmen die indirekten und direkten Vorarbeiten zu ihrer Ratifizierung so lange Zeit in Anspruch, daß sie von den einzelnen Staaten erst zu folgenden Zeitpunkten ratifiziert werden konnte3 : Irland Bundesrepublik Deutschland 3

7.10.64 27. 1. 65

Bereits zu einem früheren Zeitpunkt wurde sie ratifiziert von: Großbritannien 11. 7. 62 Norwegen 26.10.62 Schweden 17.12.62

170

S'iegfried-Günter Nagel Dänemark Italien Zypern Österreich Frankreich Island

3. 3.65 22.10.65 7. 3.68 29. 10. 69 9. 3.73 15. 1. 76

Auch im Falle der Europäischen Ordnung für soziale Sicherheit sind längere Zeitspannen zwischen Unterzeichnung und Ratifizierung festzustellen. Nach der Auflegung zur Unterzeichnung im Jahre 1964 wurde die Europäische Ordnung zu folgenden Zeitpunkten ratifiziert4: Großbritannien Luxemburg Belgien Bundesrepublik Deutschland Irland Dänemark Italien

12.1.68 3.4.68 13.8.69 27.1.71 14.2.71 16.2.73 20.1.77

Untersuchungsergebnisse über Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Europäischen Ordnung für Soziale Sicherheit liegen dem Verfasser leider noch nicht vor. Desgleichen verfügt er über keine Hinweise, ob z. Zt. Mitgliedstaaten dabei sind, ihre Gesetze zu ändern oder neue zu erlassen, um in der Lage zu sein, das Europäische übereinkommen über den sozialen Schutz der Landwirte zu ratifizieren.

III. Rechtsvergleich und tJberwachung der Anwendung internationaler Konventionen Aus den vorausgegangenen Ausführungen könnte der Schluß gezogen werden, daß die Aufgabe des Rechtsvergleichs mit der Ratifizierung der internationalen Verträge be endet ist, denn von diesem Zeitpunkt an sind die nationalen Regierungen davon überzeugt, ihr innerstaatliches Recht mit den internationalen Normen verglichen und es an diese angepaßt zu haben. In diesem Zusammenhang ist aber zu unterscheiden zwischen Konventionen, deren Einhaltung der überwachung eines besonderen internationalen Kontrollsystems unterliegt - z. B. die Europäische Sozialcharta und die Europäische Ordnung für Soziale Sicherheit - und Konventionen, für die ein solches System nicht vorgesehen ist (z. B. das Europäische übereinkommen über den sozialen Schutz der Landwirte), worauf hier nicht näher einzugehen ist, da diese Problematik • Bereits zu einem früheren Zeitpunkt wurde sie ratifiziert von: Schweden 25.9.65 Norwegen 25.3.66 Niederlande 16.3.67

S07Jialrechtsvergleich im Aufgaberrbereich des Europarates

171

an anderer Stelle dieses Buches behandelt wird5 • Während bei den Vorarbeiten zu der Ratifizierung der Konventionen ein Vergleich des nationalen Rechts mit den internationalen Normen vorgenommen wurde, wird im Rahmen des Kontrollsystems der Europäischen Sozialcharta und der Europäischen Ordnung für soziale Sicherheit der Blickwinkel des Vergleichs umgekehrt und es werden die internationalen Normen mit dem nationalen Recht verglichen. Was die Europäische Sozialcharta anbelangt, so kann diesbezüglich folgendes ausgeführt werden: Dieser Vertrag, der die wirtschaftlichen und sozialen Grundrechte der Bürger der Vertragsparteien zum Gegenstand hat, sieht auch ein Kontrollsystem auf internationaler Ebene vor, das erlaubt zu überprüfen, inwieweit diese Grundrechte durch die nationalen Gesetzgebungen und Praktiken garantiert sind. Dieses Kontrollverfahren sieht wie folgt aus: Die Regierungen jeder Vertragspartei müssen - wie bereits erwähnt - dem Generalsekretär des Europarats alle zwei Jahre einen Bericht einreichen, aus dem zu ersehen ist, inwieweit die ratifizierten Normen der Charta innerstaatlich angewandt werden. Diese Berichte werden von einem "unabhängigen Expertenausschuß" geprüft, dem, in beratender Eigenschaft, ein Vertreter der Internationalen Arbeitsorganisation angehört. Die "Konklusionen" dieses Ausschusses sowie die Berichte der Vertragsparteien werden einem Regierungsausschuß der Sozialcharta6 zur Prüfung vorgelegt, der sich aus Vertretern der Vertragsparteien, Beobachtern bestimmter Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sowie ggf. Beobachtern anderer nichtstaatlicher Organisationen zusammensetzt. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats übermittelt auf Grundlage der "Konklusionen" und der Prüfungs... ergebnisse des Regierungsausschusses dem Ministerkomitee ihre Stellungnahme; dieses kann unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme, der Konklusionen und des Berichts des Unterausschusses an die Vertragsparteien "notwendige Empfehlungen" richten, deren Annahme eine Zweidrittelmehrheit erfordert. Im Rahmen dieser vier Kontrollinstanzen, besonders jedoch im Rahmen der Arbeiten des unabhängigen Expertenausschusses, wird die nationale Rechtslage mit den Normen der Charta verglichen. Dieser Vergleich erfolgt u. a. anhand der Ausführungen zu dem bereits erwähnten Fragebogen, die dem Generalsekretär des Europarats übermittelt werden. 5 Im Hinblick auf das Vorhandensein von konkreten Forschungsergebnissen wäre zu erwähnen, daß das Europäische Übereinkommen zum sozialen Schutz der Landwirte erst seit kurzem für Luxemburg, Belgien und die Schweiz in Kraft getreten ist, und demzufolge noch keine Untersuchungen vorliegen, die den Einfluß dieses Übereinkommens auf die nationale Gesetzgebung dieser Länder zeigen. G In Art. 27 der Charta heißt dieser Ausschuß "Unterausschuß des Regierungssozialausschusses" .

172

Siegfried-Günter Nagel

Folgende Beispiele zeigen, daß der Fragebogen direkt auf die nationale Rechtslage Bezug nimmt: - Damit festgestellt werden kann, inwieweit die Vertragsparteien die Verpflichtungen des Art. 2 § 1 (angemessene tägliche und wöchentliche Arbeitszeit) erfüllen, müssen diese u. a. dem Generalsekretär des Europarats die diesbezüglichen Rechtsgrundlagen mitteilen; - Artikel 16 beinhaltet das Recht der Familie auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz. In diesem Zusammenhang müssen die Vertragsparteien u. a. Ausführungen machen, ob die Gesetzgebung der betreffenden Länder eine Teilnahme der Familie an der Verteidigung ihrer Interessen innerhalb entsprechender Beratungsstellen vorsieht und ob sie bestimmte Maßnahmen für den rechtlichen Schutz der Familie, besonders bei Ehekonflikten, enthält; - Artikel 18 § 3 sieht vor, die Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer einzeln oder gemeinsam zu liberalisieren. Zur Beantwortung der entsprechenden Fragen müssen die Vertragsparteien u. a. angeben, ob die Vorschriften, die die Beschäftigung au~ ländischer Arbeitnehmer regeln, seit Annahme dieser Verpflichtung ergänzt oder geändert wurden oder Gegenstand einer Derogation auf Grund internationaler Vereinbarungen waren; - Artikel 19 § 1 sieht vor, "geeignete Stellen zu unterhalten oder sich zu vergewissern, daß solche Stellen bestehen, die diese Arbeitnehmer (Wanderarbeitnehmer) unentgeltlich betreuen, insbesondere durch Erteilung genauer Auskünfte, sowie im Rahmen des innerstaatlichen Rechts geeignete Maßnahmen gegen irreführende Werbung zur Auswanderung und Einwanderung zu treffen". Hierbei müssen die Vertragsparteien dem Generalsekretär mitteilen, ob die nationale Gesetzgebung oder Verordnungen erlauben, Maßnahmen gegen irreführende Werbung in bezug auf die Aus- und Einwanderung zu ergreifen. Aus dem Vergleich der nationalen Gesetzgebung mit den Normen der Charta kann sich nun ergeben, daß nach Auffassung der unabhängigen Experten die Gesetzgebung den Normen nicht entspricht. Das Ministerkomitee des Europarats kann an die Vertragsparteien, denen u. a. die "Konklusionen" der unabhängigen Experten übermittelt werden, eine Empfehlung richten und sie auffordern, ihre Gesetzgebung und Praktiken mit den Normen der Charta in übereinklang zu bringen. Selbst durch eine bloße übermittlung der Konklusionen an die Vertragsstaaten sehen sich diese veranlaßt, ihre nationale Rechtslage an die "Rechtsprechung" der unabhängigen Experten anzupassen. Die wichtigsten Änderungen nationalen Rechts (Gesetz- und Verordnungsgebung und Praxis) auf Grund der Sozialcharta und ihres Kontrollsystems können wie folgt zusammengefaßt werden7 :

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates 1.

-

-

173

Artikel 1 Abs. 2 der Charta sieht vor, "das Recht des Arbeitnehmers wirksam zu schützen, seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen". Um dieser Norm zu entsprechen, wurden in mehreren Ländern Gesetzesänderungen vorgenommen. So wurde geändert: in Österreich Art. 305 des Strafgesetzbuches und das Gesetz von 1885 über Landarbeiter, in Zypern das Gesetz über die Arbeit der Seeleute, in Dänemark die Gesetzgebung über die Handelsmarine, in der Bundesrepublik Deutschland das Seemanns gesetz, in Irland die Gesetzgebung, welche den verheirateten Frauen den Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrte und ledige weibliche Beamte im Falle der Heirat dazu verpflichtete, um ihre Entlassung nachzusuchen, in Norwegen, Schweden und Großbritannien die Gesetzgebung für Seeleute.

2. Artikel 2 Abs. 4 verpflichtet die Vertragsparteien, "für die Gewährung zusätzlicher bezahlter Urlaubstage oder einer verkürzten Arbeitszeit für Arbeitnehmer zu sorgen, die mit bestimmten gefährlichen oder gesundheitsschädlichen Arbeiten beschäftigt sind". Im Zusammenhang mit dieser Verpflichtung hat die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Zweijahresbericht mitgeteilt, daß die Bergarbeiter im Untertagebau künftig ein Recht auf zusätzlich bezahlten Urlaub erhalten. 3. Artikel 4 Abs. 4 verpflichtet die Vertragsstaaten, "das Recht aller Arbeitnehmer auf eine angemessene Kündigungsfrist im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzuerkennen". Um dieser Anforderung zu entsprechen, sieht zum ersten Male in der Geschichte des irischen Arbeitsrechts ein Gesetz Mindestkündigungsfristen vor und in Großbritannien wurden die Kündigungsfristen für Angestellte wesentlich geändert. 4. Artikel 5 sieht vor: "Um die Freiheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gewährleisten oder zu fördern, örtliche, nationale oder internationale Organisationen zum Schutze ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu bilden und diesen Organisationen beizutreten, verpflichten sich die Vertragsparteien, diese Freiheit weder durch das innerstaatliche Recht noch durch dessen Anwendung zu beeinträchtigen. Inwieweit die in diesem Artikel vorgesehenen Garantien auf die Polizei Anwendung finden, bestimmt sich nach innerstaatlichem Recht. Das Prinzip und gegebenenfalls der Umfang der Anwendung dieser Garantien auf die Mitglieder der Streitkräfte bestimmen sich gleichfalls nach innerstaatlichem Recht." Um diesem Artikel zu entsprechen, wurde in Italien die Koalitionsfreiheit allen Gruppen der Polizeiangehörigen zuerkannt8• 7 In einigen Fällen sind diese Änderungen gleichzeitig auch anderen Faktoren zuzuschreiben, z. B. Beanstandungen des Internationalen Arbeitsamtes oder Eigeninitiativen der Staaten usw.

174

Siegfried-Günter Nagel

5. Artikel 7 Abs. 3 sieht vor, "die Beschäftigung Schulpflichtiger mit Arbeiten zu verbieten, die verhindern würden, daß sie aus ihrer Schulausbildung den vollen Nutzen ziehen". Um mit dieser Norm übereinzustimmen, änderte Österreich mit Gesetz Nr. 782 von 1974 das Gesetz von 1935 über Kinderarbeit in der Land- und Forstwirtschaft und Schweden entsprechende Bestimmungen der Gesetzgebung über den Schutz der Arbeitnehmer. 6.

Artikel 7 Abs. 9 verpflichtet die Vertragsparteien, "vorzusehen, daß Arbeitnehmer unter 18 Jahren, die in bestimmten, in dem innerstaatlichen Recht festgelegten Beschäftigungen tätig sind, einer regelmäßigen ärztlichen überwachung unterliegen". Im Zusammenhang mit dieser Verpflichtung sieht in der Bundesrepublik Deutschland eine Gesetzesänderung eine regelmäßige ärztliche Pflichtuntersuchung für eine ausreichende Anzahl von Kategorien jugendlicher Arbeitnehmer vor.

7. Artikel 8 Abs. 1 sieht vor, "daß Frauen vor und nach der Niederkunft

eine Arbeitsbefreiung von insgesamt mindestens 12 Wochen erhalten, und zwar entweder in Form eines bezahlten Urlaubs oder durch angemessene Leistungen der Sozialen Sicherheit oder aus sonstigen öffentlichen Mitteln". Um eine dieser Norm entsprechende Rechtslage zu schaffen, wurde in Italien das Mutterschaftsgeld, das für bestimmte Gruppen von Arbeiterinnen extrem niedrig festgelegt war, fühlbar erhöht.

8. Artikel 12 Abs. 1 verpflichtet die Vertragsparteien, "ein System der Sozialen Sicherheit einzuführen oder beizubehalten". In Zypern wurde die Gesetzgebung der Sozialversicherung geändert, um den Schutzstandard in diesem Bereich gemäß den Anforderungen der Charta anzuheben. 9. Artikel 12 Abs. 4 sieht vor, "durch den Abschluß geeigneter zwei- und mehrseitiger übereinkünfte oder durch andere Mittel und nach Maßgabe der in diesen übereinkünften niedergelegten Bedingungen Maßnahmen zu ergreifen, die folgendes gewährleisten: a) die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit ihren eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich der Ansprüche aus der Sozialen Sicherheit einschließlich der Wahrung der nach den Rechtsvorschriften der Sozialen Sicherheit erwachsenen Leistungsansprüche, gleichviel wo die geschützten Personen innerhalb der Hoheitsgebiete der Vertragsparteien ihren Aufenthalt nehmen". Um dieser Norm zu entsprechen, hat die französische Regierung ihre Absicht erklärt, die Bestimmung der Sozialversicherung zu ändern, die eine SchlechtersteIlung der Ausländerinnen bezüglich des Mutterschaftsgeldes enthielt. 10. Artikel 13 Abs. 2 verpflichtet die Vertragsparteien "sicherzustellen, daß Personen, die diese Fürsorge in Anspruch nehmen, nicht aus diesem 8

Diese Frage jedoch ist noch nicht definitiv geklärt.

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates

175

Grunde in ihren politischen oder sozialen Rechten beeinträchtigt werden". In Irland wurde durch Gesetz eine alte Rechtsvorschrift, welche eine Diskriminierung von Sozialhilfeempfängern bewirkte, an diese Norm angepaßt. 11. Artikel 13 Abs. 4 sieht vor, "die in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Bestimmungen auf die rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatsangehörigen der anderen Vertragsparteien anzuwenden, und zwar auf der Grundlage der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen, die sie in dem am 11. Dezember 1953 zu Paris unterzeichneten Europäischen Fürsorgeabkommen übernommen haben".

In diesem Zusammenhang hat die französische Staatsregierung Maßnahmen getroffen, damit österreichischen Staatsangehörigen9 in Frankreich die Gleichbehandlung im Bereich der Sozialhilfe zuerkanntwird. 12. Artikel 19 Abs. 6 verpflichtet die Vertragsparteien, "soweit möglich, die Zusammenführung eines zur Niederlassung im Hoheitsgebiet berechtigten Wanderarbeitnehmers mit seiner Familie zu erleichtern". Um dieser Norm zu entsprechen, wurde in der Bundesrepublik Deutschland, gemäß einem Beschluß der Konferenz der Innenminister der Bundesländer die Mindestfrist für die Genehmigung der Familienzusammenführung von drei Jahren auf 1 Jahr für Gastarbeiter aus anderen Vertragsparteien reduziert; in Frankreich wurde durch ein Dekret von 1976 die französische Verordnungsgebung an diesen Absatz angepaßt und in Großbritannien wurden Maßnahmen ergriffen, damit schwerkranke oder gebrechliche Kinder der Gastarbeiter nicht mehr vom Familiennachzug ausgeschlossen bleiben. Neben diesen Änderungen könnten eine Reihe anderer genannt werden; es ist jedoch nicht sicher, daß sie im wesentlichen auf die Charta zurückzuführen sind. Es ist indessen von Bedeutung zu betonen, daß die Sozialcharta nicht nur einen statischen Vergleich der Sozialgesetzgebung beinhaltet, sondern einen dynamischen, d. h. bestimmte Artikel der Charta müssen dynamisch interpretiert werden und fordern dementsprechend eine laufende Anpassung der nationalen Rechtslage an die sozio-ökonomische Entwicklung des entsprechenden Landes. Es handelt sich dabei insbesondere um folgende Artikel: 1 (1) - Vollbeschäftigung; 2 (1) - angemessene tägliche und wöchentliche Arbeitszeit; - Schulausbildung; 7 (3) - fortschreitende Verbesserung des Systems der Sozialen 12 (3) Sicherheit; 9 Für Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten (mit Ausnahme Zyperns) waren entsprechende Maßnahmen nicht notwendig, da diese, wie Frankreich, das Europäische Fürsorgeabkommen ratifiziert haben.

176

Siegfried-Günter Nagel 13 (1) - (4) 14 (1) + (2) 18 (1), (2) + (3) -

Recht auf Fürsorge; Recht auf Inanspruchnahme sozialer Dienste; Liberalisierung, Vereinfachung, Erleichterung der Vorschriften, die die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien regeln.

Das Kontrollsystem, das die Europäische Ordnung für soziale Sicherheit vorsieht, erlaubt ebenfalls festzustellen, inwieweit die Sozialversicherungsgesetzgebungen der Vertragsparteien den Normen dieser Ordnung entsprechen. Dieses System hat ebenfalls schon Änderungen der nationalen Gesetzgebung zur Folge gehabt, wobei folgende Beispiele angeführt werden können: -

in Luxemburg wurde die Zeitdauer für die Gewährung von Krankenhauskosten von 26 auf 52 Wochen verlängert. Auf den gleichen Zeitraum wurde auch die Zahlung des Krankengeldes erstreckt;

-

in Belgien werden die Kosten der ärztlichen Behandlung im Falle von Berufskrankheiten seit kurzem in voller Höhe erstattet.

Im Gegensatz zur Europäischen Sozialcharta bietet die Europäische Ordnung nicht die Möglichkeit, einen dynamischen Sozialrechtsvergleich durchzuführen. Aus diesem Grunde untersucht zur Zeit eine Arbeitsgruppe, inwieweit die normativen Instrumente der sozialen Sicherheit, die im Rahmen des Europarats ausgearbeitet wurden, an die Erfordernisse der modernen Industriegesellschaften angepaßt werden können. Wenn im Rahmen des internationalen Kontrollsystems festgestellt wird, daß die nationale Gesetzgebung den internationalen Normen nicht entspricht, so kann daraus geschlossen werden, daß der Rechtsvergleich im Falle der Vorarbeiten zur Ratifizierung nicht ausreichend durchgeführt wurde. Handelt es sich jedoch um dynamische Verpflichtungen, so kann diese Schlußfolgerung nicht gezogen werden.

Schlußbetrachtungen Den vorausgegangenen Ausführungen ist zu entnehmen, daß dem Rechtsvergleich bei der Ausarbeitung, bei den Vorarbeiten zur Ratifizierung und bei der Überwachung der Einhaltung der Konventionen eine grundlegende Bedeutung zukommt. Es wurde versucht, dies an Hand dreier im Rahmen des Europarats ausgearbeiteter und sich auf den sozialen Bereich beziehender Konventionen nachzuweisen. Dabei zeigte sich, daß der Rechtsvergleich im sozialen Bereich zu einer Harmonisierung des Niveaus der internationalen Garantie des sozialen Schutzes führt und eine Angleichung der vorwiegend durch unterschiedliche Soziallasten bedingten internationalen Wettbewerbsunterschiede nach sich zieht.

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates

177

Dieser Gedanke konnte und kann sehr gut an Hand der Europäischen Ordnung für soziale Sicherheit und der Europäischen Sozialcharta aufgezeigt werden, wobei noch besonders hervorzuheben ist, daß sich die Normen des letztgenannten Vertrags nicht nur auf Sozialleistungen i. e. S. beziehen, sondern selbst auf Aspekte der allgemeinen Wirtschaftsund Sozialpolitik. Folgendes Beispiel soll abschließend zur Illustrierung des Problems der Reduzierung der durch unterschiedliche Löhne bedingten Wettbewerbsverzerrungen aufgeführt werden. Durch Artikel 4 Abs. 1 der Sozialcharta verpflichten sich die Vertragsparteien, "das Recht der Arbeitnehmer auf ein Arbeitsentgelt anzuerkennen, welches ausreicht, um ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern". Der unabhängige Expertenausschuß der Sozialcharta hat im Rahmen seiner sogenannten "Rechtsprechung" festgehalten, daß ein Arbeitsentgelt dann noch "angemessen" ist, wenn es nicht weniger als 68 % des durchschnittlichen nationalen Arbeitsentgelts beträgt. Da die bisherigen Vertragsparteien der Charta, weitgehend vergleichbare Wirtschafts- und Sozialstrukturen haben, ist durch die Verwirklichung eines derartigen Mindestlohnes ein Lohndumping zwischen diesen Staaten ausgeschlossen. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die im Rahmen des Kontrollsystems über die Anwendung der Sozialcharta erzielten Ergebnisse nicht nur qualitativ analysiert werden können, wie dies oben durchgeführt wurde, sondern auch quantitativ aufgezeigt werden kann, wie die Vertragsparteien die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Dies kann aus folgender Tabelle entnommen werden 10 : Diese Quantifizierung soll keine Einführung der "mathematischen Methode" in den Sozialrechtsvergleich bringen. Sie hat vielmehr nur zum Zweck aufzuzeigen, inwieweit die einzelnen Normen der Sozialcharta von den Vertragsstaaten erfüllt wurden, ohne dabei zum Ausdruck brinden zu können, welche Normerfüllung für der. Staat schwierig oder weniger schwierig war. Ferner kann dieser Tabelle nicht entnommen werden, ob eine tatsächliche Nicht-Erfüllung der Normen der Sozialcharta durch die Vertragsstaaten vorliegt oder ob vielmehr unzureichende Ausführungen in 10 Die Prozentzahlen wurden errechnet an Hand der in den Konklusionen aufgeführten "Rechtsprechung" der unabhängigen Experten. Diese Zahlen und die folgenden Kommentare gründen sich im wesentlichen auf die Erkenntnisse der unabhängigen Experten und der Parlamentarischen Versammlung. Sie entsprechen in vielen Punkten nicht der Auffassung der beiden anderen Kontrollorgane.

12 Sozialrechtsvergleich

62

Großbritannien

55,7

75,9

61,0 31,2

13,8

32,2

39,4

51,6

25,4

20,9

0

13,1

10,3

6,8

16,9

25,8

11,9

7,0

-

65,6

87,9

79,7

46,5

45,2

82,1

79,1

41,2

+

14,7

3,5

13,6

36,6

19,3

8,9

18,6

41,2

0

19,7

8,6

6,7

16,9

35,5

9,0

2,3

17,6

-

2. Kontrollzyklus (1968 - 1969)

0/0

73,8

93,1

4,9

1,7

8,5

39,4

45,1 81,4

4,8

0

4,6

23,5

26,2

0

61,3

92,6

90,7

55,9

70,5

+

21,3

5,2

10,1

15,5

33,9

7,4

4,7

20,6

3,3

-

3. Kontrollzyklus (1970 - 1971)

8'89

96,6

81,4

60,6

62,9

95,5

81,4

73,5

70,5

+

6,6

0

8,5

18,3

8,1

0

16,3

5,9

14,8

0

24,6

3,4

10,1

21,1

29,0

4,5

2,3

20,6

14,7

-

4. Kontrollzyklus (1972 - 1973)

= zufriedenstellend, vorläufig zufriedenstellend sowie unter Vorbehalt zufriedenstellend und Bitte um zusätzliche Information. o = auf Grund unzureichender Information konnte keine Entscheidung getroffen werden. - = nicht zufriedenstellend.

+

59

Schweden

43,7

72

60

63

Irland

Italien

67

Bundesrepublik Deutschland

Norwegen

22,6

44

Dänemark

62,7

34

Zypern

72,1

62

+

(1966 - 1967)

1. Kontrollzyklus

Österreich

Angenommene Verpflichtungen

in

Tabelle 2

....

l

2!

1f

~

Cl S:;::

~

s:

Jg.cn

~

Sozialrechts'vergleich im Aufgabenbereich des Europarates

179

den Zweijahresberichten den unabhängigen Experten nicht erlaubten, die Rechtslage in den entsprechenden Staaten objektiv zu analysieren. Unter Berücksichtigung dieser Vorbehalte kann aus dem steigenden Erfüllungsgrad der Verpflichtungen der Charta dennoch eine gewisse internationale Anpassung der Sozialleistungen i. w. S. geschlossen werden. Von einer optimalen Anpassung der Soziallasten unter den Vertragsparteien der Charta kann aber erst dann gesprochen werden, wenn die Vertragsparteien sämtliche Verpflichtungen der Charta ratifizieren und sie auch erfüllen. Zusammenfassung 1. Im Rahmen des Europarats werden Konventionen sozialen Inhalts ausgearbeitet, um:

a) der Zielsetzung des Europarats, die eine Förderung des sozialen Fortschritts vorsieht, nachzukommen; b) den sozialen Schutz der gesamten oder bestimmter Schichten der Bevölkerungen zu gewährleisten; c) die Soziallasten der einzelnen Staaten auf internationaler Ebene aneinander anzugleichen. 2. Ein Rechtsvergleich wird durchgeführt a) bei der Ausarbeitung, b) bei den Vorarbeiten zur Ratifizierung und c) bei der überwachung der Anwendung von Konventionen. 3. Dies wurde aufgezeigt unter Bezugnahme auf a) die Europäische Sozialcharta (das Schwergewicht der Ausführungen lag auf diesem Vertrag), b) die Europäische Ordnung für soziale Sicherheit, c) das Europäische übereinkommen über den sozialen Schutz der Landwirte. 4. Die Ausarbeitung a) der Europäischen Sozialcharta erfolgte - unter Bezugnahme auf bestehende internationale Konventionen; - durch Rechtsvergleiche der nationalen Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten des Europarats; b) der Europäischen Ordnung für soziale Sicherheit erfolgte - unter Zugrundelegung des übereinkommens Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation; 12·

180

Siegfried-Günter Nagel c) des Europäischen übereinkommens über den sozialen Schutz der Landwirte erfolgte - unter Bezugnahme auf den Mansholt-Plan und die Europäische Sozialcharta ; - durch Rechtsvergleiche der nationalen Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten des Europarats. Bei der Ausarbeitung von Konventionen führt der Rechtsvergleich vorwiegend zu der Einschaltung von "Vorbehalten".

5. Bei den Vorbehalten zur Ratifizierung erfolgt ein Rechtsvergleich der nationalen Rechtslage mit den international festgelegten Normen. Dies führt zu Änderungen bestehender und Annahme neuer Rechtsnormen sowie dazu, daß die Staaten von den ggf. erforderlichen Vorbehalten Gebrauch machen. 6. Bei der überwachung der Anwendung internationaler Konventionen erfolgt ein Vergleich der nationalen Rechtslage mit den internationalenNormen. Ergibt sich aus diesem Vergleich, daß die nationale Rechtslage nicht den internationalen Normen entspricht, so kann daraus geschlossen werden, daß - mit Ausnahme "dynamischer" Dispositionen - der Rechtsvergleich im Rahmen der Vorarbeiten zur Ratifizierung nicht ausreichend durchgeführt wurde und daß nachträgliche Anpassungen notwendig werden. 7. An Hand von Beispielen kann aufgezeigt werden, daß die im sozialen Bereich abgeschlossenen Konventionen des Europarats dazu beigetragen haben und beitragen: - die nationale Rechtslage den Normen der Konventionen anzugleichen, - die Sozialleistungen zu harmonisieren, was zu einer Verminderung der durch sie bedingten Wettbewerbsverzerrungen führt. 8. Im Gegensatz zum Rechtsvergleich in anderen Rechtsgebieten zeichnen sich der Rechtsvergleich und die Ausarbeitung von rechtsangleichenden Abkommen im Rahmen des Sozialrechts dadurch aus, daß hierdurch nicht nur in einem bestimmten Umfang theoretische Fragen berührt, sondern auch als unmittelbare praktische Konsequenz die für den internationalen Wettbewerb wesentlichen Voraussetzungen für eine Angleichung der Soziallasten geschaffen werden.

Summary 1. Within the Council of Europe, social Conventions are prepared to: a) meet the aims of the Council of Europe, which include the furtherance of social progress;

Sozialrechtsvergleich im Aufgabenbereich des Europarates

181

b) provide social protection for the whole population, or certain sectors of the population, in member-countries; c) equalize the social expenditure of individual countries at internationallevel. 2. Legislation is compared: a) when an instrument is being drafted, b) when preparations are beingmade for ratification, and c) when the application of conventions is being supervised. 3. Three examples of the process are given: a) the European Social Charter (which receives the most attention), b) the European Code of Social Security, c) the European Convention on the Social Protection of Farmers. 4. In preparing a) the European Social Charter - existing international conventions were consulted, - nationallegislation in the various Council of Europe memberstates was compared, b) the European Code of Social Security - ILO Agreement No 102 was taken as a starting point, c) the European Convention on the Social Protection of Farmers - reference was made to the Mansholt Plan and the European Social Charter, - national legislation in the various Council of Europe memberstates was compared. When conventions are being prepared, the comparison of legislation leads mainly to the inclusion of "reservations". 5. In the case of reservations on ratification, nationallegislation is compared with the internationally established standards. This can lead to the modification of existing legal standards, to the adoption of new standards or to the use by states of such reservations as may prove necessary. 6. When the application of international conventions is being supervised, national legislation is compared with the international standards. If the comparison shows that national legislation does not correspond to the international standards, it can then be concluded work carried out before ratification was not sufficiently thorough and

182

Siegfried-Günter Nagel

except in the case of "dynamic" provisions that further adjustments must be made.

that the comparative

7. Examples can be given of the way in which the Council of Europe's conventions in the social field have helped, and still help: - to bring nationallegislation into line with the standards embodied in the conventions, - to harmonize social benefits, thus reducing the competitive distortions which can otherwise arise. 8. Work of this kind, involving the comparison and harmonization by agreement of legislation in the field of sociallaw, differs from comparative work in other areas of law in having, not merely theoretical relevance, but also immediate practical impact, insofar as it paves the way for the equalization of social expenditure - itself a vital factor in international competition. Kurze Bibliographie Europäische Sozialcharta - veröffentlicht im Bundesgesetzblatt lIder Bundesrepublik Deutschland, Nr. 43 vom 23. 9. 1964. Europäische Ordnung der sozialen Sicherheit - veröffentlicht im Bundesgesetzblatt der Bundesrepublik Deutschland II, Nr. 46 vom 18. 9. 1970. Europäisches "Übereinkommen über den sozialen Schutz der Landwirte (noch nicht veröffentlichte "Übersetzung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Bonn). Comite d'experts independants de la Charte Sociale Europeenne: Conclusions I - IV, Strasbourg. Conseil de l'Europe - Division des Affaires Sociales: Vingt-cinq annees d'activites dans le domaine social, Strasbourg 1975. Das Europa der Siebzehn - Bilanz und Perspektiven von 25 Jahren Europarat, Europa-Union Verlag GmbH, Bonn 1974. Golsong, H.: Ouverture a la signature des Etats membres de conventions et d'accords adoptes au sein du Conseil de l'Europe, in: Miscellanea W. J. Ganshof van der Meersch: Studia ab discipulis amicisque in honorem egregii professoris edita, Bruxelles/Paris 1972, Tome II. Kahn-Freund, 0.: On Uses and Misuses of Comparative Law, in: The Modern Law Review, London/January 1974. Nagel, S. G.: Die Europäische Socialcharta, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, München und Frankfurt, November 1976. Tennfjord, F.: The European Social Charter - an Instrument of Social Collaboration in Europe, in: Annuaire Europeen, Vol. IX, La Haye (Nijhoff) 1962. Valticos, N.: Droit international du Travail, Paris 1970. Wiebringhaus, H.: Jurisprudence du droit social europeen, in: Rivista di Diritto Europea, Roma 1972, Nr. 3. - L'etat d'application de la Charte Sociale Europeenne, in: Annuaire fran!;ais de droit international, 1973.

DISKUSSIONSBERICHT

Die Ausführungen des Referenten über die Kontroll- und Sanktionsmechanismen der Europäischen Sozial charta und der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit ("Sozialkodex") gaben Anlaß, näher auf die Erfahrungen mit solchen Instrumenten im internationalen Bereich, insbesondere im Rahmen der ILO, einzugehen. Gegenstand der Diskussion waren insoweit die verschiedenen Kontrollverfahren, die Erfassung der Wertigkeit von Vorschriften, die anzulegenden Beurteilungsmaßstäbe und schließlich die Problematik der gleichlaufenden Normen und Kontrollverfahren im Verhältnis ILO - Europarat. Der Sinn der Erörterungen bestand darin, Ansatzpunkte für rechtsvergleichende Tätigkeiten auf diesen Gebieten herauszufinden. Da mehrere Diskussionsredner auf praktische Erfahrungen bei der Arbeit mit den genannten Gegenständen verweisen konnten, wurden die Colloquiumsteilnehmer auch mit einer Fülle von Insider-Erkenntnissen konfrontiert. Zunächst wurden die Kontrollinstrumente der Europäischen Sozialcharta und des "Sozialkodex" mit denen anderer supra- oder internationaler Organisationen verglichen. So ist beispielsweise die EG-Kommission nach Art. 11 des EWG-Vertrages verpflichtet, jährlich einen Bericht über die Entwicklung der sozialen Lage in der Gemeinschaft zu veröffentlichen. Dieser Bericht enthält kompilatorisches Material über die Situation in den Mitgliedstaaten. Ein einschneidenderes Kontrollverfahren wird jedoch durch die Tätigkeit des EuGH ausgeübt. Dieses Verfahren kann durch Einzelpersonen eingeleitet werden, indem sie sich an die nationalen Gerichte wenden und rügen, daß nationales Recht mit Gemeinschaftsrecht nicht übereinstimme. In solchen Fällen können die nationalen Gerichte diese Frage dem EuGH vorlegen. Eine wichtige Rolle spielen des weiteren die Vertragsverletzungsverfahren, in denen sich die Kommission mit den Mitgliedstaaten darüber ins Benehmen setzt, ob ihre nationalen Rechte mit Gemeinschaftsrecht übereinstimmen. Kann im Vertragsverletzungsverfahren keine Einigung gefunden werden, muß der EuGH entscheiden. In jedem dieser Verfahren wird vom EuGH Rechtsvergleichung betrieben (Pipkorn). Beim Kontrollverfahren der ILO ist es möglich, den Gerichtshof in Den Haag anzurufen, sofern eine nationale Regierung mit Stellungnahmen der Sachverständigenkommission nicht einverstanden ist. Bis jetzt ist dies nur ein einziges Mal durch Frankreich in den 20er Jahren geschehen (Beitzke).

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Im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der UN ist ebenfalls ein Berichtsverfahren vorgesehen (Tomuschat). Fuchs erläuterte sodann noch einmal die Probleme der Kontrollverfahren. Im Rahmen der Sozialcharta und des "Sozialkodex" würden die Berichte der Mitgliedstaaten als wichtigste Beurteilungsgrundlage herangezogen; die einzelnen Berichte seien jedoch unterschiedlicher Qualität und manchmal sehr oberflächlich. Das Sekretariat des Europarates habe keine Möglichkeit, die Mitgliedstaaten zu detaillierterer Berichterstattung anzuhalten. Erst das Gremium der unabhängigen Experten könne in seinen Schlußfolgerungen ("conclusions") einen Mitgliedstaat darauf hinweisen, im nächsten Kontrollzyklus über bestimmte Sachverhalte genauere Auskunft zu geben. Eine sofortige Möglichkeit zur Beanstandung sei indessen nicht gegeben. Wenn die unabhängigen Experten einmal intensivere Aufklärung forderten, so könne der Fall eintreten, daß ein Mitgliedstaat in einem bestimmten Bereich nunmehr aufgrund der neuen Berichte anders als früher - und gegebenenfalls schlechter - beurteilt werde. Gerade bei den sog. dynamischen Vorschriften, die nicht die Festschreibung eines bestimmten Zustandes bezwecken, sondern jeweils die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Auge haben, könne es vorkommen, daß ein Staat den gesteigerten Standards nicht mehr entspreche.

Auf der anderen Seite sei es wünschenswert, daß sich die unabhängigen Experten aufgrund rechtsvergleichender Arbeit Kenntnis von den einschlägigen Durchführungs- und Verwaltungsvorschriften der einzelnen Länder verschaffen könnten. Die Kontrollorgane seien jedoch hier in ihrer Arbeitseffizienz allzu sehr eingeschränkt, als daß sie sich mit der tatsächlichen Situation in den Ländern hinreichend beschäftigen könnten. Immerhin seien die Kontrollgremien bei ihrer Arbeit nicht nur auf die Berichte beschränkt; sie könnten auch Material verwerten, das ihnen auf andere Weise zukomme. Fuchs verwies insoweit auf Art. 23 ESC, wonach die Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Recht haben, zu den Berichten der Mitgliedstaaten Stellung zu nehmen. In der Bundesrepublik Deutschland haben die Sozialpartner von diesem Recht bisher jedoch kaum Gebrauch gemacht. Das Sanktionssystem der Sozialcharta wurde dann folgendermaßen charakterisiert (Zacher): Der Kontrollmechanismus solle deshalb in Gang kommen, weil man glaube, die öffentliche Meinung greife die Beanstandungen des Ministerkomitees auf. In der Bundesrepublik Deutschland - und nach Auskunft des Referenten auch in anderen Ländern - kümmere sich die Presse jedoch wenig um diese Angelegenheiten. Das hänge damit zusammen, daß sich die Pressearbeit auf die Ergebnisse der letzten Stufe des Kontrollsystems, also auf die Empfehlungen des Ministerkomitees beziehen müsse. Deren mangelnde Substanz sei aber für die

Diskussionsbericht

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Presse wenig interessant. Diese "Verdünnung der Intensität von Feststellungen" werde zumindest von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats abgelehnt. Bei den ersten Kontrollzyklen habe die Parlamentarische Versammlung des öfteren versucht, das Ministerkomitee zu konkreten Verurteilungen zu bewegen. Das Komitee sei jedoch früher diesen Anregungen nicht gefolgt, mit der Begründung, daß die Sozialcharta ein noch junges völkerrechtliches Instrument sei und man deshalb beim ersten Kontrollzyklus noch nicht so stark eingreifen dürfe. Das Ministerkomitee, das Richter und Partei in einer Person sei, habe sich aber auch im fünften Kontrollzyklus noch nicht dazu durchringen können, Verurteilungen in Form von Empfehlungen auszusprechen. Hier liege ein Unterschied zur Europäischen Menschenrechtskonvention, bei der man über die Menschenrechtskommission und den Menschenrechtsgerichtshof verfüge, die beide ganz unabhängig Verurteilungen aussprechen könnten. Die Abstinenz des Ministerkomitees in dieser Hinsicht nehme dem Instrumentarium der Sozialcharta letztlich etliches an Schärfe und Wirkung. Auch beim Kontrollverfahren der ILO seien nicht nur die Berichte der Mitgliedstaaten Beurteilungsgrundlage, sondern auch weitergehendesnicht von den Mitgliedstaaten eingereichtes - verfügbares Material Da die ILO Gesetze und Entscheidungen der Mitgliedstaaten sammele, seien insofern bereits zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten gegeben. So habe etwa in den 20er Jahren ein Binnenland ohne Schiffahrt aus internationaler Solidarität heraus Konventionen ratifiziert, die die Schiffahrt betrafen. Als dann im Zuge der Kanalisierung dieses Land ebenfalls für Schiffe erreichbar wurde, habe das Kontrollgremium davon Kenntnis erhalten, daß die einschlägigen Bestimmungen, die zur Ausführung der fraglichen Konvention erforderlich gewesen wären, nicht vorhanden waren bzw. unzureichend angewandt wurden. Daraufhin habe das Gremium eine entsprechende Anfrage an das Land gerichtet (Beitzke). Im allgemeinen finde in solchen Fällen zunächst eine interne Rücksprache bei dem betreffenden Mitgliedsland statt; erst wenn diese Anfragen mehrmals ohne Antwort blieben, werde eine Anfrage im Bericht aufgenommen. Anders als bei der überprüfung im Rahmen der Sozialcharta machten die Sozialpartner bei der ILO öfter von ihrem Recht Gebrauch, zusätzliche Stellungnahmen zu den sie betreffenden Landesberichten abzugeben. Dadurch könne das Bild, das durch diese Regierungsberichte geliefert werde, manchmal korrigiert werden (Beitzke). Von seiten der Praxis (Schuh) wurde in der Diskussion darauf hingewiesen, daß das Kontrollgremium der ILO auch für die überprüfung im Rahmen der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit (Art. 74) zuständig sei. Im Unterschied zur Kontrolle im Rahmen der ILO-Abkom-

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men werde das Gremium hier aber nicht 1n richterlicher Funktion tätig, sondern leiste technische Hilfestellung. Kritisch sei anzumerken, daß das Kontrollgremium es sich zur Aufgabe gemacht habe, auch bestimmte Begriffe der Abkommen zu definieren. Wenn aber hierbei der Ausfüllungsspielraum des nationalen Gesetzgebers nicht hinreichend beachtet werde, so dämpfe dies auf lange Sicht die Bereitschaft zur Ratifikation eines solchen völkerrechtlichen Vertrages. Dem ratifizierenden Staat sollte vielmehr die Chance gegeben werden, ein Abkommen, wenn nicht sofort voll und ganz, so doch schrittweise zu erfüllen. Im Berichtsverfahren des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte der UN seien die genannten Schwierigkeiten in verstärktem Maße zu beobachten, da die Berichterstattung hier die ganze Breite der Menschenrechte erfassen solle. Als negatives Beispiel wurde schließlich der Bericht eines Landes des Nahen Ostens zitiert, in dem man sich lapidarisch auf den Abdruck von Verfassungsbestimmungen beschränkte und glaubte, damit seinen Berichtspfiichten in vollem Umfang nachgekommen zu sein (Tomuschat). Allgemein wurde zu den Kontrollverfahren ausgeführt, daß hier ein "horizontaler analytischer Rechtsvergleich" am Platze sei (Zacher). Das Kontrollverfahren der ILO sei zu lange das einzige in dieser Richtung gewesen. Deshalb sei es als singuläre Erscheinung uninteressant für grundsätzliche Erörterungen gewesen. Auch der Europarat habe noch zu wenig im Lichte der öffentlichen Beachtung gestanden. Erst die Entwicklung der UN lohne nun eine intensivere Betrachtung. Man könne das Problem folgendermaßen sehen: Vom Gerichtsverfahren her sei man gewohnt, eine Identität derjenigen vorzufinden, die an der Stoffsammlung beteiligt sind, mit denjenigen, die von der Entscheidung betroffen sind. Diese Identität treffe jedoch bei den internationalen Kontrollen nicht mehr zu; bei den internationalen Kontrollverfahren müsse man trennen zwischen denen, die zur Stoffsammlung beitragen dürfen oder müssen, und den Betroffenen. Weiter sei zu fragen, welcher Stoff von den Prüfenden oder Entscheidenden verwertet werden dürfe, ohne daß er von spezifisch Berechtigten beigebracht worden sei. Einen weiteren Problemkreis schließlich bezeichne die Frage, wer die Entscheidenden und die Entscheidungshelfer seien. Es mache etwa einen Unterschied, ob ehrenamtliche "Prüfer" sich kurz mit der Materie befaßten, oder ob ihnen von der Bürokratie zugearbeitet werde. Wichtig sei es auch zu wissen, ob von jedem Mitgliedstaat ein Beteiligter in den Kontrollgremien sitze. Wenn z. B. alle betroffenen Länder beteiligt wären, könne eine Kartellwirkung dahin eintreten, daß kein Land das andere beschuldigen wolle. Andererseits könne auch über die Ländervertreter jeder notorische Stoff eingebracht werden. Im übrigen gelte auch hier die Formel der "Anwendung dilatorischer Formelkompromisse auf ober-

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flächlich wahrnehmbare Verhältnisse"*. Dies sei in drei Richtungen zu akzentuieren: Erstens handele es sich um einen selektiven Rechtsvergleich; die Kontrolle könne nicht in die Tiefe gehen. Außerdem werde einer Tendenz zur Verrechtlichung Vorschub geleistet. So sei es leicht, in einem Land, in dem keine ausreichenden Löhne gezahlt würden, den Programmsatz rechtlich zu fixieren: "Jeder hat ein Recht auf angemessene Löhne". Die Oberflächlichkeit der Kontrolle bedinge diese Tendenz zur Vertextlichung und Verrechtlichung. Zweitens würden die komplexen Wertordnungen, die im nationalen Recht gegeben seien, vernachlässigt, um ein international sanktioniertes Ziel - das etwa in der Sozialcharta festgelegt sei - zu erreichen. Dies sei auch das Problem, das in der Menschenrechtsfrage noch nicht ausgelotet sei. Schließlich sei drittens bei dieser Art der Kontrolle durch Rechtsvergleichung ein Politisierungsprozeß zu beobachten. Es seien politische Instanzen, die berichten und die die Kontrolle vornehmen. Damit aber, daß letztlich Politiker ausschlaggebend seien, komme es zu einem Effekt, den man im deutschen Recht sehr gut studieren könne: kein Gericht nehme die Sozialcharta als Rechtsgrundlage für seine Entscheidungen an. Vielmehr werde immer die Auffassung vertreten, an die Sozialcharta seien nur die Regierungen nach außen gebunden. Es fehle also an der Internalisierung dieses Instrumentes. Damit scheide aber ein wichtiges Element des Rechtsvergleichs im vertikalen Rechtsbezug aus, nämlich die Notwendigkeit, daß sich die Juristen mit dem internationalen Instrument beschäftigen müssen (Zacher). Die Erörterungen zu der Frage nach der Bemessung der Bedeutung von Vorschriften in supra- und internationalen Instrumenten knüpften an die Methode der "Mathematisierung" an, wie sie in der Sozial charta zum Ausdruck kommt. Beim Kontrollverfahren im Rahmen der Sozialcharta werde die Erfüllung von Vorschriften benotet ("satisfait" - "ne satisfait pas"). Nach dieser Bewertung würden dann die prozentualen Anteile der erfüllten bzw. nicht erfüllten Bestimmungen errechnet. Die unterschiedliche Wertigkeit der Bestimmungen der Sozialcharta könne hierbei nicht berücksichtigt werden. So sei etwa ein Verstoß gegen das Prinzip der Vollbeschäftigungspolitik sicherlich gravierender als mehrere Verstöße gegen weniger bedeutende Normen. Im Europarat sei man sich dieser Unzulänglichkeiten bewußt. Immerhin könne ein Staat mit solchen Zahlen über die Erfüllung von Bestimmungen - unabhängig von deren Bedeutung - innenpolitisch beeindrucken (Fuchs). Am Beispiel der ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EG wur.;. de dann erläutert, zu welchen Mißverhältnissen eine mathematische Be-

* Vgl. Zacher, in: Diskussionsbericht zum Referat von J. J. M. van der Ven, Das rechtsvergleichende Forum der IAO, in: Zacher (Hrsg.), Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, Bd. 1 der Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht, Berlin 1977, S. 1911192.

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wertung der Erfüllung von Vorschriften führen könne: Ein EG-Land habe außer einem Unterabsatz eines Artikels der Richtlinie alle Vorschriften angewandt gehabt; der Schönheitsfehler habe nur darin bestanden, daß der fragliche Unterabsatz alle wichtigen Regelungen enthalten habe (Pipkorn). Ein weiteres Beispiel zur Bewertungsproblematik kam aus dem Bereich der ILO: Wenn ein Land seine Mutterschutzgesetzgebung endlich mit dem entsprechenden ILO-Abkommen in Einklang bringe und davon mehrere Millionen arbeitender Frauen profitierten, so werde dies in den Berichten ebenso als Erfolg verzeichnet, wie etwa die Durchführung einer Konventionsbestimmung des Schiffahrtabkommens durch die WestSamoa-Inseln, die nur ein einziges Schiff von der Größe hätten, auf das die Konvention anzuwenden sei. Deshalb sei es evident, daß die Zahl der erfüllten Bestimmungen nichts über das innere Gewicht jener Bestimmungen aussagen könne (Beitzke). Am Rande gestreift wurde die Frage nach dem Bewertungsmaßstab insbesondere bei den Vorschriften der Sozial charta , die Programmcharakter aufweisen. Der Referent führte hierzu aus, daß die Problematik ähnlich der des unbestimmten Rechtsbegriffes sei. Bei der Sozialcharta werde dabei die Unterscheidung zwischen statischen und dynamischen Vorschriften getroffen. Bei den Vorschriften dynamischen Carakters müsse die Rechtslage jeweils der wirtschaftlichen und sozialen Situation angepaßt werden. Die Vorschriften statischen Charakters seien dagegen ein für allemal und absolut festgelegt. Als Beispiel für die Erfüllung einer dynamischen Vorschrift, der Vollbeschäftigungspflicht, wurde die Situation in Zypern erwähnt. Die zypriotische Regierung konnte den Beschäftigungsschwierigkeiten im Gefolge des Zypernkrieges durch geeignete Maßnahmen nur in gewissen Grenzen abhelfen. Hier hätten die Kontrollorgane anerkannt, daß die zypriotische Regierung alles getan habe, um das Vollbeschäftigungsziel zu erreichen. Im Rahmen von dynamischen Vorschriften seien also keine absoluten Standards zu setzen, sondern alle, insbesondere auch außergewöhnliche Umstände zu berücksichtigen (Fuchs). Weiter wurde in diesem Zusammenhang erwähnt, daß auch bei der Erfüllung dynamischer Vorschriften einmal eine Obergrenze des Zumutbaren erreicht werden könne (Schuh). Weiteres Thema der Diskussion war die Problematik der gleichlaufenden Vertragsnormen und Kontrollverfahren bei ILO und Europarat. Da im Rahmen der ILO keine regionalen Abkommen geschlossen werden, müssen für den europäischen Bereich zum Teil zusätzliche Instrumente geschaffen werden, was dann zu einer teilweisen überlappung von Normen führen kann. Beispielsweise sind die Vertragsstaaten sowohl nach dem ILO-übereinkommen Nr. 102 als auch nach der Sozialcharta zur Einführung eines Systems der sozialen Sicherheit verpflichtet.

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Die Parallelität von Normen wirke sich auch auf die Kontrollverfahren aus. Da die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit weitgehend dem ILO-übereinkommen Nr. 102 nachgebildet sei, habe man in Art. 74 Abs. 4 der Europäischen Ordnung die überprüfung der Regierungsberichte dem zuständigen Organ der ILO anvertraut. Dabei erledige dieses Organ sämtliche Aufgaben im Zusammenhang mit dem Kontrollverfahren zum ILO-übereinkommen Nr. 102. Bei einem Vergleich der Kontrolltätigkeit von ILO und Europarat habe sich herausgestellt, daß der Sachverständigenausschuß für Soziale Sicherheit des Europarates, dem die Berichte des ILO-Kontrollorganes zugehen, bei der Überprüfung etwas großzügiger verfahre (Beitzke). Zum Schluß wurde noch auf die Notwendigkeit rechtsvergleichender Arbeit schon bei der Vorbereitung von Abkommen hingewiesen, wobei es sich nicht nur um einen Vergleich rechtstechnischer Regelungen handeln dürfe. Gerade die Rechtsvergleichung müsse auch das gesellschaftliche Element und die ideologischen Komponenten berücksichtigen. Die Erforschung konkreter und detaillierter Wertvorstellungen, die hinter den einzelnen Regelungen stünden, erweiterten dabei die Brauchbarkeit des Vergleichs und führten über ein bloßes Gegenüberstellen von Regelungen hinaus (Jantz). Bearbeiter: Gerhard Igl

Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Gestaltung und Anwendung zwischenstaatlicher Sozialversicherungsabkommen Von J osef Schuh I. Allgemeine Vberlegungen betreffend zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Bereich der Sozialen Sicherheitl hat in Europa - vor allem im Hinblick auf die immer enger werdenden wirtschaftlichen Beziehungen selbst zwischen Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen und Systemen - in den letzten Jahrzehnten eine sehr bemerkenswerte Entwicklung genommen. Die für diese Zusammenarbeit maßgebenden Gründe sind im wesentlichen von zwei gravierenden Kriterien bestimmt: a) Die zwischenstaatliche Wanderung von Arbeitskräften und b) die zum Teil sehr unterschiedlichen Systeme der Sozialen Sicherheit.

Es überrascht daher keinesfalls, daß seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa durch den Abschluß von mehr als 100 bilateralen Abkommen über Soziale Sicherheit eine enge Verflechtung zwischen den europäischen Staaten entstanden ist, die ständig weiter ausgebaut wird. Die bei Abschluß von bilateralen Abkommen zu lösenden Probleme lassen sich unter Bedachtnahme auf die zum Teil äußerst unterschiedliche Rechtslage hinsichtlich der jeweiligen Vertragspartner in folgende wesentliche Gruppen zusammenfassen: a) Sicherstellung der Gleichbehandlung der Wanderarbeiter hinsichtlich Versicherungsschutz und Leistungsgewährung durch Beseitigung jed1 Der Begriff "Soziale Sicherheit" wurde von den Vereinten Nationen in die allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufgenommen: "Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf Soziale Sicherheit." Unter "Sozialer Sicherheit" sind im Hinblick auf das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (Nr. 102) über Soziale Sicherheit (Mindestnormen), 1952 alle Rechtsvorschriften (Gesetze, Verordnungen und Satzungen) eines staates zu verstehen, die sich auf folgende Risiken bzw. Schutzbereiche ("Zweige") beziehen: Krankheit (ärztliche Betreuung, Krankengeld), Mutterschaft, Invalidität, Alter, Tod (Hinterbliebene), Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Arbei tslosigkei t sowie Familienleistungen.

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weder Diskriminierung (von besonderer Bedeutung dann, wenn ein System auf dem Personalitätsprinzip 2 beruht), b) Sicherstellung der Leistungsgewährung - vor allem im Bereich der Krankenversicherung - an die im Heimatstaat zurückbleibenden Familienangehörigen eines Wanderarbeiters, c) Sicherstellung der Leistungsgewährung an Wanderarbeiter nach Rückkehr in den Heimatstaat (von Bedeutung dann, wenn ein System eine Leistungsgewährung ausschließlich bei Inlandsaufenthalt vorsieht), d) Aufrechterhaltung von Anwartschaften durch Zusammenrechnung von Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Wohnzeiten (von Bedeutung dann, wenn ein System den Erwerb eines Leistungsanspruches von der Zurücklegung solcher Zeiten abhängig macht). Die bilateralen Abkommen sind in der Regel von den international anerkannten fundamentalen Grundsätzen a) b) c) d) e)

der Gleichbehandlung der Staatsangehörigen der Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Wahrung der erworbenen Leistungsansprüche, der Aufrechterhaltung der Anwartschaften und der Zahlungen von Leistungen ins Ausland

bestimmt, die ihr Vorbild in dem bereits 1935 angenommenen übereinkommen (Nr. 48) der Internationalen Arbeitsorganisation über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeiter haben. Die Methoden zur Verwirklichung dieser Grundsätze stützen sich überwiegend auf die Technik der Rechtskoordinierung im Bereich der Sozialen Sicherheit. Geht man davon aus, daß sich die nationalen Systeme der einzelnen Staaten zum einen historisch bedingt, zum anderen im Hinblick auf die unterschiedlichen nationalen Bedürfnisse bzw. die wirtschaftlichen Gegebenheiten heterogen darstellen, dann wird das Hauptziel der Koordinierung verständlich, nämlich ohne wesentliche Beeinträchtigung der grundsätzlichen sozialpolitischen Vorstellungen der einzelnen Staaten den Wanderarbeitern auf der Grundlage effektiver Gleichbehandlung einen vollständigen und kontinuierlichen Schutz zu gewährleisten. Wesentlichstes Konstruktionsmerkmal praktisch aller zwischenstaatlichen Abkommen ist die mehr oder weniger vollständige Herstellung einer Integration der Staatsgebiete der Vertragsstaaten hinsichtlich der von den jeweiligen Abkommen erfaßten Versicherungszweige, wodurch 2 Das System der Sozialen Sicherheit eines bestimmten Staates gewährleistet einen Versicherungsschutz nur den eigenen Staatsangehörigen. Eine Erstreckung des Versicherungsschutzes auf Ausländer ist grundsätzlich nur im Wege staatsvertraglicher Regelungen möglich.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungs abkommen 193 weitestgehende Gegenseitigkeitsverhältnisse mit all ihren Vor- und Nachteilen geschaffen werden. Diese Integration hat in den einzelnen Versicherungszweigen unterschiedliche Auswirkungen; im Bereich der Pensionsversicherung erreicht sie zweifellos ihre bedeutendste. Hier wird in der Regel für den Leistungsanspruch eine fortlaufende Versicherungskarriere konstruiert, die verständlicherweise auf die nationale Gesetzgebung Bedacht nehmen muß, die für den die Gesamtversicherungskarriere rekonstruierenden Versicherungsträger gilt. Der jeweilige Versuch einer Koppelung der unterschiedlichen Gesetzgebungen der potentiellen Vertragsstaaten wird sich in der Regel an bewährten Vorbildern orientieren und überwiegend zu Kompromissen führen. Lösungen dieser Art aber setzen einen eingehenden Rechtsvergleich voraus. 11. Die Bedeutung des Rechtsvergleichs in bezug auf die von Österreich geschlossenen zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen

Österreich hat durch den Abschluß von bisher 15 bilateralen Abkommen (hiervon stehen 13 und zwar mit der BR. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Jugoslawien, Liechtenstein, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden, der Schweiz, Spanien und der Türkei in Kraft, ein Abkommen mit Belgien wurde jüngst unterzeichnet, ein Abkommen mit Griechenland steht vor der Unterzeichnung) einen nicht unwesentlichen Anteil an der eingangs aufgezeigten internationalen Verflechtung. Für alle diese Abkommen waren überwiegend sozialpolitische Gründe maßgebend. Darüber hinaus ist Österreich durch den Abschluß von Abkommen mit der IAE03, der UNID04, dem CERN5 und dem Amt des Vertreters des Hochkommissars für die Flüchtlinge in Österreich eine Verflechtung besonderer Art eingegangen. Bei Abschluß der bilateralen Abkommen ist Österreich jeweils pragmatisch auf Grund ausschließlich statischer Rechtsvergleiche vorgegangen; Tendenz- oder sonstige Vergleiche schienen im Hinblick auf zu große Unsicherheitsfaktoren hierbei nicht geeignet. Abstrakt gesehen wurden jeweils sowohl horizontale als auch vertikale Vergleiche durchgeführt.

Internationale Atomenergie-Organisation. , Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung. S Europäische Organisation für Kernforschung.

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1. Horizontale Rechtsvergleiche

a) Vergleiche der österreichischen Rechtsvorschriften im Bereich der Sozialen Sicherheit mit dem Recht der jeweiligen Vertragspartner. Ein solcher Vergleich wurde hinsichtlich aller Abkommen durchgeführt, wobei aus präjudiziellen Erwägungen bezüglich der zu suchenden Lösungen auf die bekannten Rechtsfamilien der "Bismarck-Länder"6 bzw. der "Beveridge-Länder"7 Bedacht zu nehmen war. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, daß im Hinblick auf das als typisches "Bismarck-Länder-System" zu qualifizierende österreichische System der Sozialen Sicherheit sich bei Koppelung mit gleichartigen Systemen (wie z. B. der BR. Deutschland und Luxemburg) wesentlich leichter Lösungen finden ließen, denn mit Systemen der "Beveridge-Länder" (wie z. B. Großbritannien und Schweden). b) Vergleich der in Kraft stehenden österreichischen bilateralen Abkommensregelungen mit den jeweils sich anbietenden Lösungsmöglichkeiten in einem neuen Abkommen. Hierbei war vor allem auf bestehende Präjudize Bedacht zu nehmen. So konnte beispielsweise im Hinblick auf die in sämtlichen bis dahin geschlossenen zwölf Abkommen enthaltene Leistungsgewährung bei Invalidität nach dem Pro-rata-temporis-System 8 einem niederländischen Wunsch nach Leistungsgewährung im Sinne der Eingliederung9 nicht nähergetreten werden. Es mußte allerdings auch die Schaffung von Präjudizen verhindert werden, wie dies z. B. durch Ablehnung des deutschen Wunsches nach Export der "Ausgleichszulage"10 zu einer österreichischen Pension im Hinblick auf deren Fürsorgecharakter der Fall war. c) Vergleich der in Kraft stehenden fremden bilateralen Abkommensregelungen mit den jeweils sich anbietenden Lösungsmöglichkeiten in 6 Die Systeme dieser Länder haben die von Bismarck eingeführte Reichsversicherungsordnung zum Vorbild. 7 Die Systeme dieser Länder sind sogenannte "beitragsfreie Volkspensionssysteme". 8 Bei dieser Berechnungsmethode wird zunächst auf Grund aller nach den Rechtsvorschriften der beteiligten Vertrags staaten zurückgelegten Versicherungszeiten eine "fiktive Volleistung" berechnet, von der als geschuldete Teilleistung eines Vertragsstaates jener Teil gebührt, der dem Verhältnis der nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zurückgelegten Versicherungszeiten zur Summe der nach den Rechtsvorschriften aller beteiligten Staaten zurückgelegten Versicherungszeiten entspricht. 9 Nach diesem Prinzip sind die Leistungen ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates zu gewähren, die für die betreffende Person im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles gelten. 10 Erreicht die Pension zusammen mit sonstigen Einkünften (Nettoeinkommen) nicht einen bestimmten Betrag - den Richtsatz -, so wird dieses Nettoeinkommen durch die "Ausgleichszulage" auf den Richtsatz ergänzt. Der Richtsatz beträgt für das Jahr 1977 z. B. für einen alleinstehenden Pensionsbezieher S 2860,- bzw. für einen Pensionsbezieher, der mit dem Ehegatten (der Ehegattin) im gemeinsamen Haushalt lebt S 4090,-.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozial versicherungs abkommen 195

einem neuen Abkommen. Hier ist insbesondere festzuhalten, daß Schweden vor Verhandlungsaufnahme mit Österreich für den Bereich der schwedischen "Basispension" (Volkspension) in bilateralen Abkommen lediglich eine Gleichstellung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten bei Inlandsaufenthalt zugestanden hatte, daß demgegenüber aber im Abkommen mit Österreich erstmals die Gewährung von "Pro-rataPensionen" sowie deren Export nach Österreich vorgesehen ist. Als weiteres Beispiel ist die im Bereich der schweizerischen Invalidenversicherung bestehende Rechtslage, wonach eine der Anspruchsvoraussetzungen auf Leistung das Bestehen einer Pflichtversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalles ist, und die seitens der Schweiz in zwischenstaatlichen Abkommen zugestandene "Versicherungsklausel" anzuführen; darnach war die Schweiz lediglich bereit, auch eine im jeweiligen Vertragsstaat bestehende Pflichtversicherung entsprechend zu berücksichtigen. Österreich ist es gelungen, in die "Versicherungsklausel" analoge versicherungsrechtlich relevante Tatbestände, wie z. B. den Bezug von Pension oder Krankengeld, einzubeziehen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß hiedurch insoweit ein Präjudiz für ,die Schweiz geschaffen wurde, als beispielsweise die BR. Deutschland in kurz darnach durchgeführten Verhandlungen mit der Schweiz auf die vorerwähnte Neuregelung Bezug genommen hat. 2. Vertikaler Rechtsvergleich

Vergleich der sich anbietenden Lösungsmöglichkeiten in einem neuen Abkommen mit den Normen multilateraler Instrumente wie z. B. den EWG-Verordnungen Nr. 3 und 411 bzw. 1408/1971 und 574/1972 12 und dem Europäischen Abkommen über Soziale Sicherheit13 • Hinsichtlich der EWG-Verordnungen ist zu erwähnen, daß die zu Beginn der 60er Jahre geschlossenen Abkommen Österreichs über Wunsch fast aller Vertragspartner zum Großteil die eingangs erwähnten Verordnungen zum Vorbild hatten. Im Hinblick auf deren - aus österreichischer Sicht - aber allzu kasuistischen Entwicklung, die ihren Niederschlag schließlich in den neuen Verordnungen 1408 und 574 gefunden hat, wurde im Laufe der Zeit hievon mehr und mehr selbst bei Ver11 Verordnung Nr. 3 des Rates über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und Verordnung Nr. 4 des Rates zur Durchführung der Ergänzung der Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. 12 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. 6. 1971 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. 3. 1972 über die Durchführung dieser Verordnung. 13 Dieses Abkommen wurde am 14.12.1972 in Paris unterzeichnet; es ist am 1. 3. 1977 für Österreich, Luxemburg und die Türkei sowie am 9. 5. 1977 für die Niederlande in Kraft getreten.

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handlungen mit einzelnen EWG-Mitgliedstaaten abgegangen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit zeigt allerdings den Wert eines solchen Vergleiches hinsichtlich der präjudizierenden Wirkung der Verordnungen. In dem in Geltung stehenden Abkommen mit den Niederlanden ist vorgesehen, daß Pensionsbezieher den Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung des Wohnortstaates unterstehen. Dies hat zur Folge, daß Bezieher von Alterspensionen auf Grund des Abkommens (entweder Vollpensionen aus der österreichischen Pensionsversicherung oder Teilpensionen aus den Pensionssystemen der beiden Vertragsstaaten) bei Wohnort in den Niederlanden auf Grund der dort bestehenden Rechtslage grundsätzlich keinen Krankenversicherungsschutz genießen. Im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408 14 haben sich die Niederlande bei jüngsten Revisionsverhandlungen bereit erklärt, entgegen der bestehenden nationalen Rechtslage bestimmten Beziehern österreichischer Alterspensionen Sachleistungen der Krankenversicherung gegen Kostenersatz zu gewährleisten. Im übrigen ist festzuhalten, daß ein Vergleich mit den Normen des Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit nicht nur geboten, sondern auf Grund dessen Art. 7 sogar verpflichtend ist, erlaubt diese Bestimmung den Mitgliedstaaten dieses Abkommens den Abschluß weiterer Abkommen doch nur unter Beachtung der Grundsätze dieses Instrumentes. III. Rechtsvergleich in bezug auf die wesentlichen Regelungen der bilateralen Abkommen Im folgenden soll versucht werden, hinsichtlich wesentlicher Detailregelungen der Abkommen, dem System dieser Abkommen folgend, die Notwendigkeit bzw. die Bedeutung eines Rechtsvergleiches aufzuzeigen. 1. Sachlicher Geltungsbereich Dieser Geltungsbereich wird im wesentlichen durch die funktionale Gegenseitigkeit bestimmt, d. h., daß in den Vertragsstaaten funktional gleichartige Versicherungszeige bestehen. Eine funktionale Gleichwertigkeit der sich entsprechenden Zweige ist - entgegen früheren Auffassungen - grundsätzlich kein Kriterium mehr für deren Ein- oder Ausschluß. 14 Diese Bestimmung sieht gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Sonderregelungen im Anhang V zur Verordnung Nr. 1408 - Regelungen betreffend die Gewährung von Leistungen der Krankenversicherung in den Fällen vor, in denen ein Rentenanspruch auf Grund der Rechtsvorschriften eines einzigen oder mehrerer Staaten besteht, aber in denen ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung im Wohnortstaat nicht besteht.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 197 Ein Rechtsvergleich führte beispielsweise dazu, daß in Ermangelung funktionaler Gegenseitigkeit z. B. in den Abkommen mit der Schweiz und Liechtenstein die Krankenversicherung und im Abkommen mit Liechtenstein darüber hinaus auch die Unfallversicherung nicht in den GeItungsbereich einbezogen werden konnte; im Abkommen mit Israel war aus den gleichen Gründen eine Einbeziehung der Krankenversicherung nur hinsichtlich der Leistungen bei Mutterschaft möglich. Während in Österreich ein umfassender Versicherungsschutz sowohl für Dienstnehmer als auch für selbständig Erwerbstätige besteht, sind in Frankreich die letzteren - wenn überhaupt - nur in Sondersystemen erfaßt, die Frankreich in den Geltungsbereich nicht einzubeziehen bereit ist, solange nicht im EWG-Bereich die derzeit diesbezüglich geführte Diskussion abgeschlossen ist und Lösungen gefunden worden sind. 2. Persönlicher Geltungsbereich

Hier ist ganz allgemein zu prüfen, ob die zu koordinierenden Systeme auf dem Territorialitätsprinzip15 oder auf dem Personalitätsprinzip beruhen, da sich vor allem bei unterschiedlichen Systemen besondere KolIisionsprobleme ergeben. Die Festlegung dieses Geltungsbereiches ist im übrigen im besonderen Maße von den jeweiligen Vertragspartnern abhängig. Da das österreichische System der Sozialen Sicherheit praktisch ausschließlich vom Territorialitätsprinzip beherrscht ist, wird das Bestreben Österreichs verständlich, die Abkommen aus sozialpolitischen Erwägungen nicht auf die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten einzuschränken. Gerade die Erkenntnisse auf Grund jeweiliger Rechtsvergleiche aber waren u. a. dafür ausschlaggebend, das Österreich der Einschränkung auf Staatsangehörige hinsichtlich bestimmter Abkommen zuzustimmen bereit war. 3. Gleichstellung der staatsangehörigen

Die Gleichstellung der Staatsangehörigen in bezug auf die Anwendung der im sachlichen GeItungsbereich der jeweiligen Abkommen erfaßten Rechtsvorschriften ist - wie bereits erwähnt - als ein international anerkanntes Grundprinzip jeder Koordinierung in allen von Österreich geschlossenen Abkommen enthalten. Eingehende Rechtsvergleiche ließen eine Ungleichbehandlung österreichischer Staatsbürger z. B. in den Abkommen mit der Schweiz und 15 Das System der Sozialen Sicherheit eines bestimmten Staates gewährleistet einen Versicherungsschutz allen in Betracht kommenden Personen (Dienstnehmer, selbständig Erwerbstätige, gesamte Wohnbevölkerung) ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit.

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Liechtenstein in bezug auf den Versicherungsschutz bei Auslandsbeschäftigung, im Abkommen mit Frankreich bezüglich der beitragsfreien Systeme der französischen Altersversicherung und im Abkommen mit Jugoslawien bezüglich der sogenannten "Partisanenzeiten"16 akzeptabel erscheinen. Andererseits konnte Österreich im Hinblick auf das Verständnis seiner Vertragspartner eine Gleichbehandlung der Vertragsstaatsangehörigen bezüglich der Begünstigungen nach dem Auslandsrenten-übernahmegesetz (einem dem deutschen Fremdrentengesetz analogen Gesetz), der Versicherungslastregelung im Verhältnis zur BR. Deutschland und zu Jugoslawien (darnach hat Österreich für österreichische Staatsangehörige bestimmte fremdstaatliche Versicherungszeiten übernommen) sowie der Berücksichtigung von Kriegsdienstzeiten des 1. und 2. Weltkrieges ausschließen. 4. Gebietsgleichstellung - Leistungsexport

Durch die in allen Abkommen mehr oder weniger umfänglich vorgesehene Gebietsgleichstellung wird insbesondere die Gebietsbezogenheit der nationalen Rechtsvorschriften gelockert bzw. aufgehoben. Nach den üblichen Exportnormen "dürfen Geldleistungen, Pensionen und Renten nicht deshalb gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden, weil der Berechtigte im Gebiet des anderen Vertragsstaates wohnt". Eingehende Untersuchungen der österreichischen und deutschen Rechtsvorschriften ergaben nun seinerzeit u. a., daß die vorerwähnte Exportregelung den Normengehalt des deutschen Fremdrentengesetzes nicht ausreichend erfaßt. Es wurde sodann eine Lösung gefunden, nach der "die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist", nicht für bestimmte Personen bei Aufenthalt im anderen Vertragsstaat gelten. Diese generelle Gebietsgleichstellung hat über die Lösung des aufgezeigten Problems hinaus noch den entscheidenden Vorteil, daß hierdurch auch der Gesamtbereich der Sachleistungsgewährung aus der Kranken- und Unfallversicherung, der üblicherweise in positivrechtlicher, kasuistischer Form geregelt wird, erfaßt wird. Dies ist im übrigen derzeit von besonderer Aktualität im Hinblick auf das in der BR. Deutschland jüngst zur Diskussion gestandene "Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz" , wonach u. a. Kostenzuschüsse zu Kuren nur mehr künftig dann gewährt werden können, wenn diese Kuren im Geltungsbereich dieses Gesetzes durchgeführt werden. Die vorstehende Fassung ermöglicht durch die normierte Gebietsgleichstellung in bezug auf die "Gewährung von Leistungen" künftig auch die Durchführung von Kuren 16 Nach den jugoslawischen Rechtsvorschriften werden jugoslawischen Staatsangehörigen neben Kriegsdienstzeiten auch bestimmte gleichgehaltene Zeiten ("Partisanenzeiten") als Versicherungszeiten angerechnet. .

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 199 in Österreich, nicht aber in den EWG-Mitgliedstaaten, da die Exportnorm des Art. 10 Abs. 1 der VO. Nr. 1408 nur auf Geldleistungen abstellt.

Erwähnt sei, daß die dargelegte generelle Gebietsgleichstellung auch in den unmittelbar darnach geschlossenen neuen Abkommen mit der Schweiz und Liechtenstein ihren Niederschlag gefunden hat. In diesen Abkommen kommt ihr aber im Hinblick auf den eingeschränkten sachlichen Geltungsbereich dieser Abkommen (wie bereits erwähnt, erfassen beide Abkommen nicht die Krankenversicherung, das Abkommen mit Liechtenstein darüber hinaus auch nicht die Unfallversicherung) weniger Bedeutung zu. Ist an und für sich eine abstrakt gehaltene Norm, wie sie die generelle Gebietsgleichstellung darstellt, gesetzestechnisch vorteilhaft, so zeigt die bereits aufgezeigte Auswirkung hinsichtlich des deutschen Kostendämpfungsgesetzes bereits, daß vor ihrer Aufnahme in ein Abkommen eine ins Detail gehende Untersuchung ihrer Auswirkungen erforderlich ist. Eine solche Untersuchung kann sich aber nicht auf das eigene nationale Recht beschränken, sondern muß notwendigerweise auch das Recht des jeweiligen Vertragsstaates einschließen. Dieses Vorgehen führt zwangsläufig zu einem Rechtsvergleich, der die Auswirkungen der vorgesehenen Abkommensnorm auf die hiedurch berührten Rechtsvorschriften der beiden Vertragsstaaten registriert. 5. Gleichstellung von Tatbeständen

Die Gleichstellung von Tatbeständen stellt eine der wesentlichsten Komponenten im Gesamtkonzept einer "Integration" dar. Die Zielsetzung der entsprechenden Regelungen besteht darin, daß in dem durch ein Abkommen geschaffenen Gegenseitigkeitsverhältnis jene Rechtsvorschriften der nationalen Sozialversicherung eines Vertragsstaates, die mit gewissen Tatbeständen rechtliche Folgen für das Versicherungsverhältnis oder den Leistungsanspruch verbinden, auch dann Anwendung finden sollen, wenn der bezügliche Tatbestand im Gebiet des anderen Vertragsstaates vorliegt. Ob derartige Rechtsvorschriften umfänglich oder nur hinsichtlich bestimmter Tatbestände angewendet werden sollen, zeigt den Grad der Intensität der jeweiligen Verflechtung. Den von Österreich Anfang der 50er Jahre mit der Schweiz, Italien und der BR. Deutschland geschlossenen Sozialversicherungsabkommen lag der Gedanke einer umfänglichen Integration zugrunde. Aus der Sicht der damals maßgebenden Sozialpolitiker in Österreich sollte nämlich eine zwischenstaatliche Versicherungskarriere in jeder Phase so behandelt werden, als ob die betreffende Person ausschließlich den österr. Rechtsvorschriften unterliegen würde. Dieser Gedanke kommt am deutlichsten in Art. 6 des österr.-deutschen Sozialversicherungsabkommens

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zum Ausdruck; nach der darin festgelegten umfänglichen Tatbestandsgleichstellung hatte eine "Leistung aus der Sozialversicherung oder Bezüge anderer Art oder eine Erwerbstätigkeit oder ein Sozialversicherungsverhältnis" im anderen Vertragsstaat die gleichen Auswirkungen "auf eine Leistung der Sozialversicherung, auf die Versicherungspflicht, auf die Versicherungsfreiheit oder auf die freiwillige Versicherung", als ob der jeweilige Tatbestand im eigenen Staat eingetreten wäre. Im Zuge der Neufassung dieses Abkommens wurde die Integrationsidee zwar grundsätzlich aufrechterhalten, auf Grund der Tatsache aber, daß die sich aus einer solchen Regelung ergebenden Rechtsfolgen im Hinblick auf ständige Rechtsänderungen vergleichsweise unüberschaubar geworden waren und zu einer Rechtsunsicherheit geführt hatten, nur mehr leistungseinschränkende Auswirkungen einer solchen Gleichstellung vorgesehen. Darüber hinaus wurden unter Bedachtnahme auf Besonderheiten des österreichischen Rechtes einige unilaterale Bestimmungen aufgenommen, in denen die Gleichstellung bestimmter Tatbestände auch hinsichtlich anderer Bereiche festgelegt wurde. Diese Neukonzeption stellte einen entscheidenden Schritt in Richtung auf eine Neuentwicklung dar; sie war im übrigen auch Vorbild für analoge Regelungen in den Abkommen mit der Schweiz und Liechtenstein. Eine Reihe von Abkommen enthielten bzw. enthalten weiterhin dem erwähnten Art. 6 des österr.-deutschen Abkommens analoge, generell gehaltene Normen betreffend die Gleichstellung von Tatbeständen mit sowohl positiven als auch negativen Auswirkungen, so daß ein umfassender Vergleich der hiedurch berührten Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragsstaaten erforderlich ist. Das Ergebnis solcher Rechtsvergleiche zeigt sich in den von Abkommen zu Abkommen zum Teil verschiedenen ergänzenden unilateralen Regelungen. Diesbezüglich sei beispielsweise auf eine Besonderheit des österr. Pensionsversicherungsrechtes hingewiesen: Voraussetzung für den Anspruch auf eine normale Alterspension ist u. a., daß am Stichtag (d. i. in der Regel der der AntragsteIlung folgende Monatserste) im Falle eines unselbständig Erwerbstätigen keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz bestehen darf bzw. im Falle eines in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen die die Pflichtversicherung begründende Gewerbeberechtigung (Eintragung in das Handelsregister) bzw. das die Pflichtversicherung begründende Gesellschaftsverhältnis erloschen ist. Die uneingeschränkte Gleichstellung des Tatbestandes "Pflichtversicherung" im Verhältnis zu Staaten, in denen allein auf Grund des Wohnsitzes die Pflichtversicherung eintritt, wie dies z. B. in der Schweiz, Liechtenstein und im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland der Fall ist, hat es daher zur Vermeidung von ungewollten

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 201 Auswirkungen erforderlich gemacht, in den Abkommen mit diesen Staaten eine ergänzende Regelung vorzusehen, nach der eine Pflichtversicherung, während der eine Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt wird, das Entstehen eines Anspruches auf eine österr. Alterspension nicht ausschließt. In Ermangelung eines den österr. Rechtsvorschriften im Bereich des Gewerberechtes analogen Vertragsstaatsrechtes war es hingegen erforderlich, eine ergänzende Regelung dahingehend aufzunehmen, daß die Einstellung der selbständigen Erwerbstätigkeit im jeweiligen Vertragsstaat dem Erlöschen der Gewerbeberechtigung bzw. des Gesellschaftsverhältnisses nach den österr. Rechtsvorschriften gleichkommt. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, daß Abkommensregelungen, die eine weitestgehende Integration der betroffenen Versicherungssysteme herzustellen versuchen, einen mehr oder weniger umfassenden Rechtsvergleich dieser Systeme nach sich ziehen. Österreich hat nun in den letzten Jahren aus einer ganzen Reihe von Gründen einen Weg eingeschlagen, der unter dem Schlagwort "Entflechtung" nur insoweit eine Integration der betroffenen Systeme herbeiführen soll, wie dies im sozialpolitischen Interesse der betroffenen Personen geboten und vertretbar sowie hinsichtlich der beteiligten Versicherungsträger aus administrativen Gründen unbedingt erforderlich ist. Im Zuge dieser Entflechtung wurden in einer nächsten Phase die Tatbestandsregelungen auf "Erwerbstätigkeit" und "Pflichtversicherung" mit ihren Auswirkungen auf Leistungen der Sozialversicherung eingegeschränkt. Was nun die Pflichtversicherung am Stichtag als leistungsausschließendes Element anlangt, so hat der österr. Gesetzgeber im Laufe der Zeit eine Pflichtversicherung auf Grund geringfügigen Einkommens als nicht leistungsausschließend qualifiziert und die diesbezüglichen Freigrenzen mehr und mehr erhöht. Im zwischenstaatlichen Bereich waren nun diese Freigrenzen im Verhältnis zu den einzelnen Vertragspartnern unter Berücksichtigung der jeweiligen Wechselkurse umzurechnen. Dies führte z. B. dazu, daß ein monatliches Einkommen eines türkischen Hilfsarbeiters unter der Freigrenze, ein stundenweises Einkommen aber einer deutschen oder schweizerischen Haushaltshilfe über der Freigrenze lag. Diese unterschiedlichen, nicht beabsichtigten und ungerechtfertigten Auswirkungen in Verbindung mit der in den verschiedenen Vertragsstaaten bestehenden Rechtslage führten schließlich dazu, daß als Schlußpunkt einer langen Entwicklung der gänzliche Entfall einer Tatbestandsgleichstellung in den jüngst geschlossenen Abkommen bzw. Zusatzabkommen vorgesehen wurde. Diese Entwicklung in einem Detailbereich zeigt, daß der Weg über einen sehr umfassenden Rechtsvergleich, der seinen Ausdruck in der

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Notwendigkeit umfangreicher ergänzender Sonderregelungen fand, über einen nur mehr eingeschränkten Rechtsvergleich schließlich zum Entfall eines jeglichen Vergleiches auf diesem Teilgebiet geführt hat. 6. Anzuwendende Rechtsvorschriften

Dem im Sinne des "Integrationsdenkens" gelegenen "lex-Ioci-PrinZip"17 folgend, ist in den älteren Abkommen Österreichs die Zuordnung ausschließlich zu einem nationalen System normiert. Dies gilt selbst bei Ausübung mehrfacher Erwerbstätigkeiten in beiden Vertragsstaaten, womit Österreich seine innerstaatlich normierte Subsidiarität auch im zwischenstaatlichen Bereich zum Tragen bringen konnte. Im österr. System der Sozialversicherung ist nämlich in allen Fällen einer gleichzeitigen Ausübung mehrerer Erwerbstätigkeiten die Subsidiarität der selbständigen Erwerbstätigkeit gegenüber einer unselbständigen Erwerbstätigkeit vorgesehen, d. h., daß die Versicherungspflicht nur auf Grund der unselbständigen Erwerbstätigkeit eintritt. Auf den zwischenstaatlichen Bereich übertragen, hat ,dies zur Folge, daß neben einer Pflichtversicherung auf Grund einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in einem Vertragsstaat eine Versicherung auf Grund einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich nicht eintreten konnte. Regelungen dieser Art aber setzen einen Vergleich der sich gegenüberstehenden Versicherungssysteme u. a. hinsichtlich des erfaßten Personenkreises voraus, um hiebei etwa die Besonderheiten eines Wohnsitzsystems hinsichtlich der Versicherungspflicht oder die Tatsache berücksichtigen zu können, daß bestimmte Systeme für unselbständig Erwerbstätige teilweise auch selbständig Erwerbstätige erfassen, wie dies hinsichtlich der Handwerker in der BR. Deutschland der Fall ist. Es ist aber auch zu untersuchen, welche Auswirkungen die zwischenstaatliche Zuordnungsregelung durch den allenfalls dadurch eintretenden Entfall der Versicherung im jeweils anderen Vertragsstaat auf die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zustehenden Leistungen haben kann. Als Beispiel sei lediglich auf das bereits erwähnte Erfordernis des Bestehens einer Versicherung in der schweizerischen Invalidenversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalles sowie auf die analoge Rechtslage in den Niederlanden hingewiesen. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß in den jüngst geschlossenen Abkommen im Sinne der "Entflechtung" die Subsidiarität mit der Wirkung allenfalls eintretender Doppelversicherungen aufgehoben wurde. Leistungsrechtlich wird dementsprechend Rechnung getragen; näheres hiezu später. 17 Nach diesem Prinzip finden jeweils ausschließlich die Rechtsvorschriften des Staates Anwendung, in dessen Gebiet die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 203 7. Freiwillige Versicherung

Analog den Regelungen hinsichtlich der Plichtversicherung sind in älteren Abkommen auch die Regelungen hinsichtlich der freiwilligen Versicherung gestaltet. Ist im Sinne des "Integrationsdenkens" nur eine Pflichtversicherung möglich, so kann eine freiwillige Versicherung in einem Vertragsstaat neben einer Pflichtversicherung im anderen Staat nicht bestehen bzw. kann jeweils in den Vertragsstaaten auch nur eine freiwillige Versicherung zulässig sein. Dies gilt in der Regel nur bezüglich der Pensionsversicherung. Die Festlegung entsprechender Abkommensregelungen erfordert jedenfalls einen eingehenden Vergleich über die Voraussetzungen der freiwilligen Versicherung in den Vertragsstaaten und deren Auswirkungen hinsichtlich der Leistungsansprüche. Erst ein solcher Vergleich wird aufzeigen können, ob Ausschlußregelungen sozialpolitisch tragbar sind oder ab es, wie z. B. im Verhältnis zur BR. Deutschland und der Schweiz für den Bereich der Krankenversicherung der Festlegung von Sonderregelungen bedarf. Bei Zuordnung zur freiwilligen Versicherung in Österreich wird zur Erfüllung eines in den österr. Rechtsvorschriften geforderten Voraussetzungen ein Ausscheiden aus einer deutschen Pflicht- oder freiwilligen Versicherung bzw. ein Ausscheiden aus einer schweizerischen anerkannten Krankenkasse dem Ausscheiden aus einer österr. Pflichtversicherung gleichgehalten. Bezüglich der Auswirkungen auf Leistungsansprüche ist darauf zu verweisen, daß auf Grund freiwilliger Versicherung nach den österr. Rechtsvorschriften erworbene Versicherungszeiten für Leistungen aus den Versicherungsfällen der Invalidität und des Todes nur zur Hälfte zählen. Liegen demgegenüber auf Grund einer fremdstaatlichen freiwilligen Versicherung erworbene Versicherungszeiten vor, so zählen diese nach allen Abkommen - mit Ausnahme desjenigen mit dem Vereinigten Königreich - bei Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen nach den österr. Rechtsvorsschriften mit ihrem vollen Ausmaß. Diese unterschiedlichen Auswirkungen waren bei jeweiligen Zuordnungsregelungen ebenfalls zu beachten. 8. Leistungsgewährung in der Krankenversicherung

Die Regelungen im Bereich der Krankenversicherung folgen grundsätzlich den in bilateralen Abkommen üblicherweise enthaltenen Grundsätzen, und zwar a) Zusammenrechnung der in den Vertragsstaaten erworbenen Versicherungszeiten für den Leistungsanspruch und

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b) aushilfsweise Erbringung von Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des "aushelfenden Trägers"18 (sogenanntes "Betreuungsverfahren") gegen Kostenersatz. Lediglich drei Detailregelungen sollen hier näher beleuchtet werden, die aus österr. Sicht eingehende Rechtsvergleiche erforderlich machten. 1. Nach sämtlichen von Österreich geschlossenen Abkommen gelten als anspruchsberechtigte "Familienangehörige" "Familienangehörige im Sinne der anzuwendenden Rechtsvorschriften ", wodurch zum Ausdruck gebracht wird, daß für die Beurteilung der Eigenschaft einer bestimmten Person als "Familienangehöriger" im Sinne der Abkommensregelungen das Recht des zuständigen Trägers maßgebend ist. Österreich befindet sich hierbei in bewußtem Gegensatz zur entsprechenden Begriffsbestimmung in der EWG-Verordnung Nr. 1408, was insbesondere im Verhältnis zu Frankreich zu Schwierigkeiten geführt hat. Gerade auf Grund des Ergebnisses eingehender Rechtsvergleiche hinsichtlich des Umfanges des erfaßten Personenkreises (verschiedene nationale Rechtsvorschriften erfassen neben Kindern und Ehegatten auch Eltern, Großeltern und Geschwister einer versicherten Person) bzw. des zum Teil sehr unterschiedlich festgelegten Lebensalters der Kinder konnte sich Österreich noch nicht zu einer Änderung der Haltung entscheiden. Jüngst von einigen Vertragspartnern herangetragene Änderungswünsche könnten allenfalls dazu geeignet sein, einen Umdenkungsprozeß in Richtung auf eine Anerkennung der "Milieutheorie"19 einzuleiten.

2. Bis vor nicht allzu langer Zeit war die Leistungsgewährung in bezug auf Krankenpflege in Krankenanstalten nach den österr. Rechtsvorschriften zeitlich beschränkt. Rechtsvergleiche mit den in Aushilfefällen anzuwendenden fremdstaatlichen Rechtsvorschriften führten dazu, daß für die Dauer der Leistungsaushilfe das Recht des zuständigen Trägers maßgebend sein sollte. Infolge ei.ner Änderung der diesbezüglichen nationalen Rechtsvorschriften wurde in jüngst geschlossenen Abkommen einer ausschließlichen Anwendung des Rechts der Vertragspartner und damit sowohl hinsichtlich der Art und Weise der Leistungsgewährung als auch hinsichtlich der Dauer der Leistungsgewährung zugestimmt. 3. Die unterschiedlichen Regelungen in den jeweiligen Vertragsstaaten in bezug auf die Krankenversicherung der Bezieher von Pensionen (wo18 Als "aushelfender Träger" wird der Versicherungsträger des Wohn- bzw. Aufenthaltsortes bezeichnet, der die Leistungen auf Kosten des Versicherungsträgers, bei dem die betreffende Person versichert ist, erbringt. 19 Im Sinne der "Milieutheorie" sollen für die Feststellung der Familienangehörigeneigenschaft sowie für die Gewährung der Leistungen die Rechtsvorschriften des Staates maßgebend sein, in dessen Gebiet sich die Familienangehörigen gewöhnlich aufhalten.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 205 bei sogar noch Unterschiede hinsichtlich der Versicherungsfälle des Alters, der Invalidität und des Todes bestehen) machen in allen Fällen detaillierte Vergleiche erforderlich, um den Betroffenen einen möglichst umfänglichen Schutz durch Aufnahme allfälliger Sonderregelungen zu gewährleisten. Diesbezüglich sei das bereits erwähnte Beispiel bezüglich der Bezieher von Alterspensionen bei Wohnort in den Niederlanden in Erinnerung gebracht. 9. Leistungsgewährung in der Unfallversicherung

Ebenso wie in der Krankenversicherung folgen die Regelungen im Bereich der Unfallversicherung grundsätzlich den in bilateralen Abkommen überlicherweise enthaltenen Regelungen, betreffend die Gewährung von Sach- und Geldleistungen. über die diesbezüglich normalerweise anzustellenden Rechtsvergleiche hinausgehende eingehende Vergleiche waren in diesem Bereich bisher lediglich bei Abschluß der Abkommen mit Jugoslawien und den Niederlanden erforderlich. Nachdem in beiden Staaten keine der österr. Unfallversicherung vergleichbare Versicherung besteht - beide Staaten kennen nur eine Invaliditätsversicherung, aus der ohne Rücksicht auf Kausalität Renten wegen Invalidität gewährleistet werden -, mußten entsprechende, zum Teil unilaterale Sonderregelungen vorgesehen werden. 10. Leistungsgewährung aus der Pensionsversicherung (Versicherungsfälle des Alters, der Invalidität und des Todes)

In diesem - jedenfalls aus österr. Sicht - wesentlichsten Bereich aller Abkommen waren nach den bisherigen Erfahrungen die umfangreichsten und eingehendsten Rechtsvergleiche anzustellen, die sich vor allem mit folgenden Detailbereichen befaßten: 1. Berücksichtigung der sich deckenden Versicherungszeiten für die Berechnung von Leistungen 2. Feststellung der Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters und des Todes 3. Feststellung der Leistungen aus dem Versicherungsfall der Invalidität 4. Gewährung von Voll- bzw. Teilleistungen. Zul.: Die dargelegten Regelungen bezüglich des Bestehens nur einer einzigen Pflicht- bzw. freiwilligen Versicherung ziehen zwangsweise auch im Sinne des Integrationsdenkens gelegene Regelungen bezüglich der Berechnung der Leistungen nach sich. Kommt während des Erwerbs-

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lebens der Grundsatz zum Tragen, daß jeweils nur eine Versicherung bestehen soll, so folgt daraus, daß auch bei der Leistungsberechnung selbst in Fällen sich deckender Versicherungszeiten - nur jeweils eine Versicherungszeit zu berücksichtigen ist. In den älteren Abkommen finden sich daher auch dem innerstaatlichen Recht entsprechende Regelungen, denen die bereits in der EWG-VO Nr. 3 enthalten gewesene Rangordnung sich deckender Versicherungszeiten Vorbild ist. Darnach ist beim Zusammentreffen einer Pflichtversicherungszeit mit einer Zeit freiwilliger Versicherung nur die Pflichtversicherungszeit (ein solches Zusammentreffen ist in der Regel nur bezüglich von vor dem Inkrafttreten eines Abkommens erworbenen Versicherungszeiten möglich) bzw. ist beim Zusammentreffen einer Beitragszeit (der Pflicht- oder freiwilligen Versicherung) mit einer gleichgestellten Zeit nur die Beitragszeit zu berücksichtigen; treffen gleichgestellte Zeiten zusammen, so wird nach bestimmten Kriterien der Vertragsstaat festgelegt, nach dessen Rechtsvorschriften diese Zeiten zu berücksichtigen sind. Vor der Aufnahme einer solchen Rangordnung war es in allen Fällen erforderlich, sich auf Grund eines Rechtsvergleiches über die daraus im einzelnen Leistungsfall sich ergebenden Folgen klar zu werden, um beurteilen zu können, ob diese international üblich gewordene Rangordnung allenfalls ergänzender Regelungen bedarf, wie dies z. B. hinsichtlich der nicht berücksichtigten Beiträge zur österr. freiwilligen Versicherung erforderlich ist. Im Gegensatz dazu bedingt die im Sinne der Entflechtung ermöglichte Doppelversicherung auch entsprechende Regelungen hinsichtlich der Leistungsberechnung. Die hierfür in den jüngst geschlossenen Abkommen gefundene Lösung besteht darin, die sich deckenden Zeiten bei der Leistungsberechnung mit ihrem tatsächlichen (doppelten) Ausmaß zu berücksichtigen. Bei einer solchen Regelung kommt aber der Qualität einer Versicherungszeit keine Bedeutung mehr zu, so daß die Notwendigkeit eines Rechtsvergleiches entfallen kann. Zu 2.:

Die nach den österr. Rechtsvorschriften erworbenen Versicherungszeiten sind für einen Leistungsanspruch sowie die Berechnung einer Leistung nur dann zu berücksichtigen, wenn sie "anrechenbar" sind, d. h., daß bestimmte anwartschaftliche Voraussetzungen erfüllt sind. Im Sinne des "Integrationsdenkens" war es daher selbstverständlich, fremdstaatliche Versicherungszeiten ebenfalls nur dann zu berücksichtigen, wenn diese Zeiten "anrechenbar" sind. Auf Grund der unbefriedigenden Ergebnisse hinsichtlich der Leistungsgewährung, die ihre Ursache in der zum Teil sehr differenten Rechtslage haben, wurde zunächst auf die Erfüllung dieser Voraussetzungen bei der Leistungsberechnung und in der Folge aber auch hinsichtlich der Prüfung der Erfüllung der Anspruchs-

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voraussetzungen verzichtet. Fremdstaatliche Versicherungszeiten sind daher ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Lagerung sowohl für den Anspruch als auch für die Berechnung österr. Leistungen als "anrechenbare" Versicherungszeiten zu betrachten. Die als Ergebnis jeweiliger Rechtsvergleiche schrittweise getroffenen einfacheren Abkommensregelungen bewirken nunmehr, daß rechtsvergleichende Überlegungen hinsichtlich der "Anrechenbarkeitsproblematik" nicht mehr angestellt werden müssen. Hiedurch ist nicht nur die Rechtsposition der betroffenen Anspruchsberechtigten wesentlich verbessert, sondern auch die Durchführung der Abkommen für die österr. Träger entschieden vereinfacht worden. In diesem Zusammenhang ist aber auch an die weitere, für die Leistungsfeststellung entscheidende Verbesserung bzw. Vereinfachung durch den bereits aufgezeigten Entfall der Prüfung einer Pflichtversicherung am Stichtag zu erinnern. Als ein weiteres Detail sei hier auf die unterschiedliche Rechtslage hinsichtlich der Gewährung von Alterspensionen nach den schweizerischen und österr. Rechtsvorschriften in bezug auf Ehepaare verwiesen. Da das österreichische Sozialversicherungsrecht eine "Ehepaaraltersrente" nicht kennt, mußten für den Fall aufeinanderfolgender Versicherungsfälle von Ehegatten besondere unilaterale Regelungen vorgesehen werden. Ähnliches gilt hinsichtlich aller Abkommen im Hinblick auf die ausschließlich in der österr. Pensionsversicherung der selbständig Erwerbstätigen vorgesehenen Möglichkeit der Anrechnung von Versicherungszeiten in Fällen eines "Witwenfortbetriebes" ; darnach ist es der nach dem Tode eines selbständig Erwerbstätigen den Betrieb fortführenden Witwe möglich, über Antrag die vom Verstorbenen erworbenen Versicherungszeiten als "eigene" Versicherungszeiten angerechnet zu erhalten. Schließlich sei noch erwähnt, daß als Ergebnis entsprechender Vergleiche auch hinsichtlich der nach den österr. Rechtsvorschriften gebührenden "Hilflosenzuschüsse" und "Sonderzahlungen" (es sind dies ein 13. und 14. Pensionsbezug) in allen Abkommen unilaterale Sonderregelungen zur Wahrung des Besitzstandes in bestimmten Fällen vorgesehen werden mußten. Zu 3.:

Die Feststellung der Leistungen aus dem Versicherungsfall der Invalidität erfolgt- jedenfalls nach den für Österreich geltenden Abkommensregelungen - grundsätzlich in gleicher Weise wie diejenige für Leistungen bei Alter und an Hinterbliebene. Besonderer Regelungen bedurfte es allerdings in den Abkommen mit der Schweiz, Liechtenstein, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden im Hinblick auf Besonderheiten der nationalen Rechtsvorschriften dieser Staaten. Erwähnt sei hier die bereits aufgezeigte Pro-

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blematik, die zur Aufnahme der "Versicherungsklausel" im Abkommen mit der Schweiz führte; gleichartige Regelungen wurden auf Grund gleichartiger nationaler Rechtsvorschriften in den Abkommen mit Liechtenstein und den Niederlanden vorgesehen. Hervorzuheben sind auch noch die vollkommen neuartigen Regelungen im Abkommen mit Schweden hinsichtlich der Invaliditätsleistungen aus dem schwedischen "Basissystem ". Alle diese Sonderregelungen erforderten im Hinblick auf die völlig unterschiedliche einschlägige Rechtslage in Österreich und den erwähnten Staaten eingehende Rechtsvergleiche. Zu 4.:

Die nationalen Rechtsvorschriften Österreichs und seiner Vertragspartner sehen zum Teil wesentliche Unterschiede hinsichtlich des Anfallsalters für die Alterspension (in Österreich grundsätzlich 65. Lebensjahr für Männer und 60. Lebensjahr für Frauen, hingegen in der Türkei das 55. Lebensjahr, in Schweden grundsätzlich das 67. Lebensjahr und in der Schweiz und Liechtenstein das 65. bzw. das 62. Lebensjahr) sowie bezüglich des Grades der Invalidität, der Anspruch auf Leistungen gibt (in Österreich 50 %, hingegen in den Niederlanden 15 %, in Frankreich und Luxemburg aber 66,66 %), und der für solche Leistungen erforderlichen Wartezeit (in Österreich grundsätzlich 60 Versicherungsmonate, hingegen in der Schweiz, Liechtenstein und Frankreich 12 Versicherungsmonate und in Großbritannien 168 Tage Krankengeldbezug) vor. Auf Grund der in bilateralen Abkommen üblicherweise enthaltenen Regelungen betreffend die Gewährung von Voll- bzw. Teilleistungen bei unterschiedlichen Voraussetzungen hinsichtlich sich entsprechender Leistungen kommt einem Rechtsvergleich diesbezüglich für die Anwendung der Abkommen ganz wesentliche Bedeutung zu. Hier ist auf ein ganz besonderes Problem der Gewährung von "Vollleistungen" im Verhältnis zwischen der BR. Deutschland und Österreich hinzuweisen, das sich aus der Anwendung des deutschen Fremdrentengesetzes und des österreichischen Auslandsrenten-Übernahmegesetzes ergibt. Ausgehend von der auf deutscher Seite bestehenden Auffassung, daß die Berücksichtigung von "Vertriebenenzeiten"20 nach dem Fremdrentengesetz sich immer günstiger auswirkt als eine solche derselben Zeiten nach dem Auslandsrenten-übernahmegesezt, wurde im Schlußprotokoll zum österreichisch-deutschen Abkommen über Soziale Sicherheit die inzwischen viel umstrittene Bestimmung der Z. 19 aufgenommen. Nach dieser Bestimmung haben deutsche Versicherungsträger in Fällen, in denen sowohl nach dem zitierten deutschen als auch nach 20 Sowohl nach dem Fremdrentengesetz als auch nach dem Auslandsrentenübernahmegesetz sind unter bestimmten Voraussetzungen die von einer Person in bestimmten osteuropäischen Staaten zurückgelegten Versicherungsund Beschäftigungszeiten als deutsche bzw. österreichische Versicherungszeiten anzurechnen.

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dem zitierten österreichischen Gesetz zu berücksichtigende "Vertriebenenzeiten" vorliegen, eine vergleichsweise Berechnung der deutschen Rente ohne und mit Berücksichtigung solcher Zeiten vorzunehmen. Auf die unter Berücksichtigung der "Vertriebenenzeiten" berechnete Rente haben sie den Betrag der auf die "Vertriebenenzeiten" entfallenden österreichischen Leistung anzurechnen. Die Praxis zeigt nun in immer größerem Maße, daß die auf deutscher Seite angenommene Ausgangsbasis nicht nur unzutreffend ist, sondern, daß infolge Anrechnung von österreichischen, dem deutschen Recht unbekannten Leistungen (wie z. B. "Hilflosenzuschüsse" und "Pensionssonderzahlungen") Ansprüche auf deutsche Renten, trotz vorhandener westdeutscher Zeiten abgelehnt werden. Als Ergebnis derzeitiger überlegungen unter Bedachtnahme auf die unbefriedigenden Auswirkungen der zitierten Schlußprotokollregelung ist eine Änderung dieser Regelung im Zuge der dritten Revision des Abkommens zu erwarten.

IV. Schlußbetrachtungen Die Entwicklung des zwischenstaatlichen Rechtes Österreichs im Bereich der Sozialen Sicherheit ist von einem Prozeß gekennzeichnet, der mit den Worten "von der Integration zur Entflechtung" umrissen werden kann. Am Beginn dieses Prozesses war das sozialpolitisch unbestrittene Ziel aller Abkommen unter Bedachtnahme auf überkommene internationale Grundsätze, ein möglichst weitreichendes Gegenseitigkeitsverhältnis herzustellen. Der sozialpolitisch beherrschende Gedanke bestand darin, eine "zwischenstaatliche Versicherungskarriere" einer "innerstaatlichen Versicherungskarriere" absolut gleichzustellen. Die durch entsprechende Normen herbeigeführte "Integration" der Staatsgebiete und der Sachbereiche war aber, wie sich im Laufe der Zeit zeigte, der mit untauglichen Mitteln durchgeführte Versuch, eine Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen Systeme im Verhältnis zu den jeweiligen Vertragspartnern herbeizuführen. Ein Umdenkungsprozeß in bezug auf die wesentlichsten "Integrationsnormen" kam in Gang, der mit dem Schlagwort "Entflechtung" bezeichnet wird. Die oft sehr unterschiedlichen Auswirkungen gleichartiger Regelungen im Verhältnis zu den verschiedenen Vertragsstaaten wurden schließlich sogar von Sozialpolitikern als unbefriedigend und unerwünscht empfunden. Dies und Denkanstöße sonstiger Art ließen diese Sozialpolitiker schließlich sich mit dem Gedanken einer unterschiedlichen Beurteilung einer zwischenstaatlichen und einer innerstaatlichen Versicherungskarriere anfreunden. Erste Auswirkungen zeigte dieses Umdenken im Zuge der 1970 begonnenen Verhandlungen zur Vorbereitung eines Zweiten Zusatzabkommens mit der BR. Deutschland; in der Folge wuvde dieser Prozeß bis zu der in einzelnen Teilbereichen aufgezeigten gänzlichen "Entflechtung" fort14 Sozialrechtsvergleich

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gesetzt. Im Streben nach weitestgehender Harmonisierung der zwischenstaatlichen Rechtslage Österreichs ist diese Entwicklung Richtschnur bei Abschluß neuer Abkommen wie auch bei der forcierten Revision bestehender Abkommen. Die aufgezeigte Entwicklung ist unbestritten entscheidend den auf Grund der jeweiligen Rechtsvergleiche gewonnenen Erfahrungen zu danken. Diese Erfahrungen haben über den zwischenstaatlichen Bereich hinaus aber auch noch die Erkenntnis mit sich gebracht, daß das innerstaatliche österreichische Recht der Sozialen Sicherheit - vor allem hinsichtlich der Pensionsversicherung - aus internationaler Sicht nicht optimal koordinierungsfähig ist. Es darf erwartet werden, daß diese Erkenntnis eines Tages ein überdenken des nationalen Rechtes in Richtung auf eine Änderung auslöst, der die bestehenden linearen Systeme eines Großteils der Vertragspartner Österreichs Vorbild sein sollten. Abschließend ist festzustellen, daß der Rechtsvergleich beim Zustandekommen von bilateralen Abkommen auf dem Gebiete der Sozialen Sicherheit ein Instrumentarium darstellt, auf das zweifellos nicht verzichtet werden kann, daß seine Intensität aber von der jeweils von den beiden Vertragspartnern beabsichtigten Intensität der "Integration" der zu koordinierenden Systeme und der dadurch bedingten Normenkollision abhängt.

Zusammenfassung 1. Ziel vieler bilateraler Abkommen im Bereich der Sozialen Sicherheit ist die Gewährleistung eines umfänglichen Schutzes der Wanderarbeiter auf der Grundlage effektiver Gleichberechtigung ohne wesentliche Beeinträchtigung der grundsätzlichen sozialpolitischen Vorstellungen der jeweiligen Vertragspartner. Die Methode zur Verwirklichung dieses Zieles stützt sich überwiegend auf die Technik der Koordinierung der Rechtsvorschriften im Bereich der Sozialen Sicherheit. 2. Wesentlichstes Konstruktionsmerkmal praktisch aller Abkommen ist die mehr oder weniger vollständige Herstellung einer Integration der Staatsgebiete der Vertragsstaaten hinsichtlich der erfaßten Rechtsvorschriften, wodurch weitestgehende Gegenseitigkeitsverhältnisse geschaffen werden. 3. Der jeweilige Versuch einer Koppelung der unterschiedlichen Rechtsvorschriften der potentiellen Vertragsstaaten wird sich in der Regel an bewährten Vorbildern orientieren und führt überwiegend zu Kompromißlösungen. Lösungen welcher Art auch immer setzen jedenfalls einen eingehenden Rechtsvergleich voraus.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 211 4. Österreich ist bei Abschluß seiner bisher 15 bilateralen Abkommen jeweils pragmatisch auf Grund ausschließlich statischer Rechtsvergleiche vorgegangen. 5. Die Rechtsvergleiche wurden - abstrakt gesehen - jeweils sowohl horizontal als auch vertikal durchgeführt. Hiebei wurden verglichen

horizontal a) das jeweilige nationale Recht der Vertragspartner, b) die bestehenden österreichischen Abkommensregelungen mit den jeweils sich anbietenden Lösungsmöglichkeiten in einem neuen Abkommen, c) die bestehenden fremden Abkommensregelungen mit den jeweils sich anbietenden Lösungsmöglichkeiten in einem neuen Abkommen,

vertikal die sich anbietenden Lösungsmöglichkeiten in einem neuen Abkommen mit multilateralen Instrumenten, wie z. B. den EWG-Verordnungen Nr. 3 und 4 bzw. 1408/71 und 574172, und den Europäischen Abkommen über Soziale Sicherheit. 6. Die auf Grund forcierten Rechtsvergleiches geschlossenen Abkommen führten zum Teil zu sehr unterschiedlichen und daher unbefriedigenden Regelungen im Bereich gleicher Normengruppen. Zur Herstellung einer harmonisierten zwischenstaatlichen Rechtslage wurde von der ursprünglich durchgezogenen umfänglichen Integration abgegangen und im Sinne einer " Entflechtung " in den jüngst geschlossenen Abkommen nur mehr eine sehr lose Koppelung vorgesehen. 7. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen ist festzustellen, daß ein Rechtsvergleich bei der Lösungssuche im zwischenstaatlichen Bereich unbedingt erforderlich ist, daß sich seine Intensität aber linear proportional zur Intensität der angestrebten "Integration" verhält.

Summary 1. The aim of many bilateral agreements in the field of Social Security is the safeguard of a comprehensive protection of mi grant workers on the basis of an actual equality of rights without major impairment of the fundamental concepts of social policy of the various member states. The methods applied to realize this aim are mainly based on coordination of existing legal provisions in the field of Social Security. 14*

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2. The most essential feature of practically all agreements is the more or less complete integration of the national territories of the member states with respect to the legal provisions concerned so as to create the broadest possible mutual relations. 3. Attempts to couple the various legal provisions of the potential member states are, as a rule, oriented by approved patterns and mostly lead to compromises. Whatever the solutions may be, they must be preceded by a thorough comparison of law. 4. Austria in concluding its 15 bilateral agreements so far followed a pragmatical course that was based exclusively on static comparisons oflaw. 5. Theoretically, comparisons of law have been carried out on a horizontal and on a verticallevel.

Horizontal comparisons involved a) the nationallaw of the member states b) regulations of existing Austrian agreements and solutions offering themselves for new agreements c) regulations of existing foreign agreements and the solutions offering themselves for new agreements.

Vertical comparisons involved solutions offering themselves for new agreements including multilateral instruments, e. g. the EC Regulations Nos. 3 and 4, or 1408/71 and 574/72, respectively, and the European Agreement on Sodal Security. 6. The agreements concluded on the basis of a propulsive comparison of law resulted in diverging and thus unsatisfactory regulations within equal groups of standards. To establish a harmonized interstate legal status the comprehensive integration originally pursued has been abandoned to the benefit of agreements recently concluded that merely provide for a rather loose coupling in the sense of "decentralization". 7. Experience has shown that aprerequisite for interstate solutions is a comparison of law which in its intensity is linear proportional to the intensity of the desired "integration".

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Anhang

Zwischenstaatliche Verflechtung Usterreichs im Bereich der Sozialen Sicherheit (Stand 1. Juni 1977) 1.1. Abkommen mit anderen staaten 1. Abkommen zwischen der Republik österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit vom 15. 11. 1967, EGEL Nr. 4/1969, in der Fassung des Zusatzabkommens vom 17. 5. 1973, EGEL Nr. 341/1974.

Das am 1. 1. 1969 in Kraft getretene Abkommen hat das ursprüngliche Abkommen zwischen den beiden Vertragsstaaten vom 15. 7. 1950, EGEL Nr. 2321 1951, ersetzt. Das Abkommen umfaßt in seinem persönlichen Geltungsbereich die Staatsangehörigen der beiden Vertragsstaaten und - über den bisherigen Geltungsbereich hinausgehend - auch deren Angehörige und Hinterbliebene ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit. In seinem sachlichen Geltungsbereich geht es jedoch wesentlich über das außer Kraft getretene Abkommen hinaus. Umfaßte dieses Abkommen auf österreichischer Seite lediglich die Unfall- und die Pensions(Renten)versicherung der unselbständig Erwerbstätitgen (diese aus Gründen der Gegenseitigkeit auch nur hinsichtlich der Versicherungsfälle des Alters und des Todes) und auf schweizerischer Seite die Unfallversicherung und die Alters- und Hinterbliebenenversicherung, so umfaßt das neue Abkommen darüber hinaus auf schweizerischer Seite die 1960 eingeführte Invalidenversicherung und auf österreichischer Seite - im Hinblick auf die nunmehr gegebene Gegenseitigkeit - uneingeschränkt die Pensionsversicherung der unselbständig Erwerbstätigen und auch die der selbständig Erwerbstätigen. Außerdem sieht das neue Abkommen Regelungen bezüglich Familienbeihilfen vor. Nach wie vor sind jedoch die Kranken- und die Arbeitslosenversicherung mangels Gegenseitigkeit auf schweizerischer Seite nicht erfaßt. Das neue Abkommen sieht im übrigen die volle Gleichbehandlung österreichischer Staatsbürger mit Schweizerbürgern mit dem Ergebnis vor, daß den österreichischen Staatsbürgern - entgegen einer bisher erforderlichen fünfjährigen Wartezeit - bereits nach einem Versicherungsjahr Anspruch auf Leistungen aus der Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie auch aus der Invalidenversicherung zusteht. Ein Zweites Zusatzabkommen wurde bereits ausgearbeitet und wird demnächst unterzeichnet werden. Die Durchführung des Abkommens wird durch die Vereinbarung vom 1. 10. 1968, EGEl. Nr. 5/1969, in der Fassung der Zusatzvereinbarung vom 2. 5. 1974, EGEL Nr. 492/1974, geregelt. 2. Vertrag zwischen österreich und Italien über Sozialversicherung vom 30. 12. 1950, EGEL Nr. 52/1955. Der am 1. 2. 1955 in Kraft getretene Vertrag umfaßt in seinem sachlichen Geltungsbereich in beiden Staaten die Gesetze über die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Pensions(Renten)versicherung der unselbständig Erwerbstätigen sowie die Gesetze über die Arbeitslosenversicherung. Hiezu kommen auf österreichischer Seite die Regelungen über die zusätzliche Pensionsversicherung beim Pensionsinstitut der Privatbahnen und auf italienischer Seite die Gesetze über die Versicherung gegen Tuberkulose und die

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Gesetze über einige Sonderversicherungen für bestimmte Berufszweige. Der persönliche Geltungsbereich des Vertrages bezieht sich auf alle in den beiden Vertragsstaaten Versicherten sowie ihre Angehörigen und Hinterbliebenen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit. Eine Gesamtrevision des Vertrages wurde bereits eingeleitet, konnte aber noch nicht zum Abschluß gebracht werden. Die Durchführung des Vertrages wird durch die Vereinbarung vom 6. 10. 1955, AN. 1956, S. 470, geregelt. 3. Abkommen zwischen Republik österreich und der BR. Deutschland über Soziale Sicherheit vom 22. 12. 1966 und Erstes Zusatzabkommen vom 10. 4. 1969, BGBl. Nr. 382/1969, in der Fassung des Zweiten Zusatzabkommens vom 29. 3. 1974, BGBl. Nr. 280/1975. Das am 1. 11. 1969 wirksam gewordene Abkommen ist - soweit es in seinem Schlußprotokoll nichts anderes vorsieht - an die Stelle a) des Ersten Abkommens über Sozialversicherung vom 21. 4. 1951 und des Zusatzprotokolls vom 25. 1. 1952, BGBl. Nr. 8/1953, in der Fassung des Zweiten Abkommens über Sozialversicherung vom 11. 7.1953, b) des Zweiten Abkommens über Sozialversicherung vom 11. 7. 1953, BGBl. Nr. 250/1954, soweit dieses nicht bereits durch Artikel 18 des Finanz- und Ausgleichsvertrages vom 27. 11. 1961, BGBl. Nr. 28311962, außer Kraft gesetzt worden war, getreten. Das Abkommen bezieht sich - in gleicher Weise wie das außer Kraft getretene Erste Abkommen - in beiden Vertragsstaaten auf die Rechtsvorschriften über die Kranken- und Unfallversicherung sowie die Pensions(Renten)versicherung für unselbständig Erwerbstätige und enthält nunmehr auch Regelungen bezüglich Familienbeihilfen. Durch das Zweite Zusatzabkommen wurde der sachliche Geltungsbereich auf die Pensionsversicherungen der selbständig Erwerbstätigen ausgedehnt. Der persönliche Geltungsbereich ist - wie bisher - nicht auf die Staatsangehörigen der beiden Vertragsstaaten abgestellt. Die Durchführung des Abkommens wird in der Vereinbarung vom 22. 12. 1960 und der Ersten Zusatzvereinbarung vom 10. 4. 1969, BGBl. Nr. 382/1969, in der Fassung der Zweiten Zusatzvereinbarung vom 29. 3. 1974, BGBl. Nr. 281/1975, geregelt. 4. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 23. 10. 1969, BGBl. Nr. 35811970. Das am 1. 12. 1970 in Kraft getretene Abkommen hat das zwischen den beiden Vertragsstaaten geschlossene Abkommen vom 15. 7. 1964, BGBl. Nr. 8/1966, ersetzt. Das Abkommen bezieht sich - wie das unwirksam gewordene - auf die Rechtsvorschriften über die Kranken-, die Unfall- und die Pensionsversicherung der unselbständig Erwerbstätigen und nunmehr neu auch auf die Rechtsvorschriften über die Pensionsversicherung der selbständig Erwerbstätigen; ferner enthält es einseitig Regelungen bezüglich der österreichischen Familienbeihilfen. Der persönliche Geltungsbereich ist auf die beiderseitigen Staatsangehörigen sowie deren Angehörige und Hinterbliebene ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit abgestellt. Die materiell-rechtlichen Regelungen haben insbesondere im Bereich der Krankenversicherung die EWGVerordnungen Nr. 3 und 4 zum Vorbild. Ein Zusatzabkommen wurde bereits ausgearbeitet und soll demnächst unterzeichnet werden.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 215 Die Durchführung des Abkommens ist in der Vereinbarung vom 14. 5. 1970, BGBl. Nr. 358/1970, geregelt. 5. Abkommen zwischen der Republik österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 19. 11. 1965, BGBl. Nr. 289/1966. Das am 1. 1. 1967 in Kraft getretene Abkommen bezieht sich in beiden Staaten auf die Rechtsvorschriften über die Kranken-, Unfall-, Pensions(Renten)- und Arbeitslosenversicherung sowie über Familienbeihilfen; es erfaßt die Staatsangehörigen der beiden Vertragsstaaten sowie deren Angehörige und Hinterbliebene ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit. Die materiell-rechtlichenRegelungen entsprechen im wesentlichen dem Abkommen mit Spanien. Als Besonderheit enthält das Abkommen auch Regelungen über die gegenseitige übernahme der vor dem 1.1. 1956 in den beiden Vertragsstaaten entstandenen Versicherungslast in der Pensions- und Unfallversicherung. Die Durchführung des Abkommens ist in der Vereinbarung vom 17.12.1965, BGBl. Nr. 290/1966, in der Fassung der Zusatzvereinbarung vom 24.4. 1975, BGBl. Nr. 354/1975, geregelt. 6. Abkommen zwischen der Republik österreich und der Türkischen Republik über Soziale Sicherheit vom 12.10.1966, BGBl. Nr. 337/1969, in der Fas-

sung des Zusatzabkommens vom 6. 8. 1974, BGBl. Nr. 621/1976.

Das Abkommen ist am 1. 10. 1969 in Kraft getreten. Der sachliche Geltungsbereich umfaßt in beiden Staaten die Rechtsvorschriften über die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der selbständig und der unselbständig Erwerbstätigen. Auf österreichischer Seite sind weiters die Rechtsvorschriften über Familienbeihilfen erfaßt. Der persönliche Geltungsbereich ist auf die Staatsangehörigen der beiden Vertragsstaaten sowie deren Angehörige und Hinterbliebene ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit beschränkt. Die materiell-rechtlichen Regelungen entsprechen zum überwiegenden Teil denjenigen in den Abkommen mit Spanien und Jugoslawien. Die Durchführung des Abkommens wird in der Vereinbarung vom 24.2. 1977, BGBl. Nr. 239/1977, geregelt. 7. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein im Bereiche der Sozialen Sicherheit vom 26. 9. 1968, BGBl. Nr. 7211969. Das am 1. 3. 1969 in Kraft getretene Abkommen bezieht sich österreichischerseits auf die Rechtsvorschriften über diePensionsversicherung der unselbständig und der selbständig Erwerbstätigen sowie über Familienbeihilfen, liechtensteinischerseits auf die Rechtsvorschriften über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und die Invalidenversicherung sowie über Familienbeihilfen. Die Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung ist mit Rücksicht auf den Mangel derartiger öffentlich-rechtlicher Einrichtungen in Liechtenstein nicht erfaßt. Die materiell-rechtlichen Regelungen sind im Hinblick auf die Gleichartigkeit der liechtensteinischen und der schweizerischen Altersund Hinterlassenenversicherung und Invalidenversicherung den entsprechenden Regelungen im Abkommen mit der Schweiz nachgebildet. Ein am 16. 5. 1977 unterzeichnetes Zusatzabkommen bedarf zu seinem Inkrafttreten noch der Ratifizierung. Die Durchführung des Abkommens wird in der Vereinbarung vom 30.10. 1968, BGBl. Nr. 73/1969, in der Fassung der Zusatzvereinbarung vom 8.5. 1974, BGBl. Nr. 34211974, geregelt.

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8. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland über Soziale Sicherheit vom

18.6. 1971, BGEl. Nr. 346/1972, in der Fassung des Zusatzabkommens vom 16. 9. 1975, BGEl. Nr. 133/1977. Das am 1. 10. 1972 in Kraft getretene Abkommen bezieht sich in beiden Staaten auf die Systeme Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung sowie auf Familienbeihilfen (der in Großbritannien bestehende Volksgesundheitsdienst konnte aus rechtlichen Erwägungen nicht einbezogen werden). Das Abkommen erfaßt in beiden Staaten versicherte bzw. versichert gewesene Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit. Zu erwähnen ist, daß das Abkommen in territorialer Hinsicht England, Schottland, Wales, Nordirland, die Insel Man, die Insel Jersey und die Inseln Guernsey, Alderney, Herrn und Jethou erfaßt. Die materiell-rechtlichen Regelungen, mit Ausnahme jener im Bereich der Krankenversicherung, entsprechen den international üblichen Grundsätzen. Hinsichtlich der Krankenversicherung sind bilaterale Regelungen für die Gewährung von Geldleistungen vorgesehen; Bestimmungen in dem - einen Bestandteil des Abkommens bildenden Protokoll über Sachleistungen, die unter Bedachtnahme auf den in Großbritannien bestehenden Volksgesundheitsdienst aufgenommen wurden, ermöglichen es u. a. britischen Staatsangehörigen, bei Aufenthalt in Österreich Anstaltspflege kostenlos in Anspruch zu nehmen. Die Durchführung des Abkommens wird durch die Vereinbarung vom 10.8.1972, BGBL Nr. 347/1972, in der Fassung der Zusatzvereinbarung vom 1. 2. 1977, BGBL Nr. 134/1977, geregelt. 9. Allgemeines Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Französischen Republik über Soziale Sicherheit vom 28.5.1971, BGBL Nr. 383/1972. Das Abkommen ist am 1. 11. 1972 wirksam geworden; es bezieht sich in beiden Vertragsstaaten auf die Systeme Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung (nur der unselbständig Erwerbstätigen) sowie auf Familienbeihilfen. Der persönliche Geltungsbereich erfaßt die Staatsangehörigen der beiden Vertragsstaaten und deren Angehörige und Hinterbliebene ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit sowie auch Hinterbliebene von in Österreich oder Frankreich versichert gewesenen Dienstnehmern ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit, sofern die Hinterbliebenen österreichische oder französische Staatsangehörige sind. Die materiell-rechtlichen Regelungen sind weitgehend den EWG-Verordnungen Nr. 3 und 4 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer nachgebildet. Durch ein bereits ausgearbeitetes Zusatzabkommen sollen u. a. die in Österreich für selbständig Erwerbstätige bestehenden Sondersysteme einbezogen werden. Die Durchführung des Abkommens ist in der Vereinbarung vom 1. 9.1972, BGBL Nr. 384/1972, geregelt. 10. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Großherzogtum Luxemburg über Soziale Sicherheit vom 21. 12. 1971 und Erstes Zusatzabkommen vom 16.3. 1973, BGBL Nr. 73/1974. Das am 1. 1. 1974 in Kraft getretene Abkommen bezieht sich im sachlichen Geltungsbereich auf alle in den beiden Staaten bestehenden Rechtsvorschriften über die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sowie auf die Arbeitslosenversicherung und die Familienbeihilfen. Im persönlichen GeItungsbereich umfaßt es die Staatsangehörigen der beiden Staaten und deren Angehörige und Hinterbliebene sowie Flüchtlinge. Die materiell-rechtlichen

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 217 Regelungen entsprechen weitestgehend den Regelungen des Abkommens mit Frankreich. Die Durchführung des Abkommens ist in der Vereinbarung vom 4. 5. 1972, BGBl. Nr. 145/1974, geregelt. 11. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 28. 11. 1973, BGBl. Nr. 6/1975. Das am 1. 1. 1975 in Kraft getretene Abkommen umfaßt die Unfall- und Pensionsversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung und die Familienbeihilfen. Der Bereich der Krankenversicherung wird nur insoweit erfaßt, als diese Leistungen bei Mutterschaft vorsieht. Im persönlichen Geltungsbereich ist das Abkommen nicht auf die Staatsangehörigen eingeschränkt. Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Bestimmungen ist insbesondere im Verhältnis zu Israel die auch in den meisten anderen Abkommen enthaltene Bestimmung zu erwähnen, wonach die im Sinne der §§ 500 ff. ASVG begünstigten Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen allein unter Berücksichtigung der österreichischen Versicherungszeiten die allein auf Grund dieser Zeiten berechnete Pension erhalten können. Ferner sieht das Abkommen vor, daß Pensionen bereits für die Zeit ab 1. 1. 1973 nach den Bestimmungen des Abkommens festgestellt und gewährt werden. Die Durchführung des Abkommens ist in der Vereinbarung vom 28. 11. 1973, BGBl. Nr. 7/1975, geregelt. 12. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Königreich der Niederlande über Soziale Sicherheit vom 7. 3. 1974, BGBl. Nr. 754/1974. Das am 1. 1. 1975 in Kraft getretene Abkommen bezieht sich wie das Abkommen mit Luxemburg auf alle in den beiden Staaten bestehenden Rechtsvorschriften über die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung und die Familienbeihilfen. Im persönlichen Geltungsbereich ist es jedoch nicht eingeschränkt und umfaßt daher alle von den Rechtsvorschriften der beiden Staaten erfaßten Personen ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit. Im Hinblick auf die Zugehörigkeit der Niederlande zur EG sind die materiell-rechtlichen Bestimmungen wie bereits im Verhältnis zu Frankreich und Luxemburg ebenfalls an den EWG-Verordnungen Nr. 3 und 4 orientiert. Die Durchführung des Abkommens ist in der Vereinbarung vom 7.3.1974, BGBl. Nr. 75511974, geregelt. 13. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Königreich Schweden über Soziale Sicherheit vom 11.11. 1975, BGBl. Nr. 587/1976. Das am 1. 11. 1976 in Kraft getretene Abkommen bezieht sich auf alle in den bei den Staaten bestehenden Rechtsvorschriften über die Kranken-, Unfallund Pensionsversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung und die Familienbeihilfen. Im persönlichen Geltungsbereich ist es nicht eingeschränkt und umfaßt wie das Abkommen mit den Niederlanden alle von den Rechtsvorschriften der beiden Staaten erfaßten Personen ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit. Im Hinblick auf das in Schweden bestehende Volkspensionssystem enthält es im Bereich der Pensionsversicherung besondere Regelungen, die für österreichische Staatsangehörige u. a. auch einen Export von Leistungen aus dem Basissystem vorsehen. Die Durchführung des Abkommens ist in der Vereinbarung vom 1. 6. 1976, BGBl. Nr. 588/1976, geregelt.

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14. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Königreich Bel-

gien über Soziale Sicherheit vom 4. 4.1977.

Das Abkommen umfaßt wie das Abkommen mit Schweden alle Versicherungszweige, ist jedoch im persönlichen Geltungsbereich im wesentlichen auf die Staatsangehörigen der beiden Vertragsstaaten eingeschränkt. Das Abkommen bedarf zu seinem Inkrafttreten noch der Ratifizierung in den beiden Staaten. 1.2. Abkommen mit internationalen Organisationen 1. Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Internationalen Atomenergie-Organisation betreffend die Soziale Sicherheit der Angestellten

dieser Organisation vom 7. 8. 1973, BGBl. Nr. 330/1974.

Dieses am 1. 7.1974 in Kraft getretene Abkommen ist an die Stelle a) des Abkommens zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) über Sozialversicherung von Angestellten der IAEO vom 29. 12. 1958, BGBl. Nr. 22/ 1959, b) des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) über Regelungen in der österreichischen Pensionsversicherung für Angestellte der IAEO vom 12. 2. 1959, BGBI. Nr. 197/1959, getreten. Das neue Abkommen regelt, inwieweit den bei der IAEO beschäftigten Angestellten - ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit - ein Recht zum Beitritt zur Allgemeinen Sozialversicherung oder zu einzelnen ihrer Zweige und zur Arbeitslosenversicherung eingeräumt wird. Darüber hinaus sieht es für den Fall der Aufnahme in den gemeinsamen Pensionsfonds für das Personal der Vereinten Nationen oder des Ausscheidens aus diesem den §§ 308 und 311 ASVG entsprechende Regelungen unter Bedachtnahme auf Besonderheiten der Dienstverhältnisse bei der IAEO vor. 2. Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Organisation der der Vereinten Nationen für Industrielle Entwicklung betreffend die Soziale Sicherheit der Angestellten dieser Organisation vom 15. 12. 1970, BGBl. Nr. 424/1971. Das am 1. 1. 1972 in Kraft getretene Abkommen regelt, inwieweit den bei der UNIDO beschäftigten Angestellten - ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit - ein Recht zum Beitritt zur Allgemeinen Sozialversicherung oder zu einzelnen ihrer Zweige und zur Arbeitslosenversicherung eingeräumt wird. Darüber hinaus sieht es für den Fall der Aufnahme in den Gemeinsamen Pensionsfonds für das Personal der Vereinten Nationen oder des Ausscheidens aus diesem den §§ 308 und 311 ASVG entsprechende Regelungen unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten der Dienstverhältnisse bei der UNIDO vor. 3. Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Europäischen Organisation für Kernforschung im Bereich der Sozialen Sicherheit vom 1. 6. 1973, BGBl. Nr. 217/1974. Das am 3.5. 1974 in Kraft getretene Abkommen sieht für die beim CERN tätigen österreichischen Staatsangehörigen und ihre Hinterbliebenen sowie für Flüchtlinge beim Ausscheiden aus dem CERN eine Reintegration im Be-

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozial versicherungs abkommen 219 reich der österreichischen Kranken-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung vor. Im Bereich der Krankenversicherung wird dies durch die Ermöglichung einer Weiterversicherung unter erleichterten Bedingungen bzw. in der Pensionsversicherung durch den nachträglichen Erwerb von Versicherungszeiten für die Dauer der Tätigkeit beim CERN erreicht. 4. Abkommen zwischen der Republik Österreich und dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge, betreffend die Soziale Sicherheit der Angestellten beim Amt des Vertreters in Österreich des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge vom 6. 8. 1976. Das am 7. 8. 1977 in Kraft getretene Abkommen enthält dem Abkommen mit der UNIDO entsprechende Regelungen .. 1.3. Europäisches Abkommen über Soziale Sicherheit

Vom 14. 12. 1972 und Zusatzvereinbarung hiezu vom 14. 12. 1972. Das Abkommen ist nach der Hinterlegung der dritten Ratifikationsurkunde am 1. 3.1977 im Verhältnis zwischen Österreich, Luxemburg und der Türkei in Kraft getreten. Hinsichtlich der Niederlande wurde es in der Folge mit dem 9. 5. 1977 wirksam. Zielsetzung des Abkommens ist es, unter Berücksichtigung internationaler Grundsätze eine Koordinierung a) der Rechtsvorschriften, die "auf Beiträgen beruhende" Leistungen vorsehen, b) der Rechtsvorschriften, die "nicht auf Beiträgen beruhende" Leistungen vorsehen und c) der Rechtsvorschriften, die beide Arten von Leistungen vorsehen, herbeizuführen. Die große Unterschiedlichkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten des Europarates machte ihre Koordinierung außerordentlich schwierig, so daß - zur Ermöglichung einer potentiellen Ratifizierbarkeit des Abkommens durch sämtliche Mitgliedstaaten - die entsprechenden Lösungen und Regelungen nicht einfach sein konnten. Das Abkommen mußte daher zwar alle Sachbereiche umfassende, aber dennoch elastische Lösungen vorsehen, so daß es sich sowohl als vollständige als auch als anpassungsfähige Urkunde darstellt. Dies wird insbesondere dadurch dokumentiert, daß das Abkommen bei Ratifizierung nicht in seiner Gesamtheit in Kraft tritt, sondern daß es hinsichtlich der Anwendung der besonderen Bestimmungen betreffend Krankheit, Arbeitslosigkeit und Familienleistungen des Abschlusses bilateraler oder multilateraler Abkommen bedarf. Bei der Ausarbeitung dieses Abkommens waren die Vorläufigen Abkommen, die es in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien ablösen soll, das übereinkommen (Nr. 118) der IAO über Gleichbehandlung (Soziale Sicherheit) und die EWG-Verordnungen Nr. 3 und 4 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer sowie die Arbeiten zur Neufassung dieser Verordnungen zu berücksichtigen. Geltungsbereich

Das Abkommen gilt für alle Rechtsvorschriften, die sich auf folgende Zweige der Sozialen Sicherheit beziehen:

220 a) b) c) d) e) f) g) h)

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Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft; Leistungen bei Invalidität; Leistungen bei Alter; Leistungen an Hinterbliebene; Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; Sterbegelder; Leistungen bei Arbeitslosigkeit; Familienleistungen.

Der Geltungsbereich umfaßt die Rechtsvorschriften hinsichtlich allgemeiner und besonderer, beitragsgebundener und beitragsfreier Systeme sowie betreffend Systeme, die sich auf die Verpflichtungen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Leistungen im Sinne der vorangeführten Zweige beziehen. Das Abkommen gilt in seinem persönlichen Geltungsbereich im allgemeinen für alle Personen, die Staatsangehörige eines Vertrags staates sind oder als Flüchtlinge oder Staatenlose im Gebiet eines Vertrags staates wohnen, sofern sie den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Vertragsstaaten unterstehen oder unterstanden, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Auf Hinterbliebene von Personen, die zwar nicht die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates hatten, aber den Rechtsvorschriften einer oder mehrerer Vertragsstaaten unterstanden, sind ebenfalls die Bestimmungen des Abkommens anzuwenden, sofern diese Hinterbliebenen Staatsangehörige eines Vertragsstaates sind. Gleichbehandlung zwischen Inländer und Ausländern

Das Abkommen bekräftigt den Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich sämtlicher vom Abkommen erfaßter Personen; eine Leistungsgewährung aus beitragsfreien Systemen an Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten kann allerdings von der Erfüllung einer bestimmten Wohnsitzdauer abhängig gemacht werden. Leistungstransfer

Die Pensionen (Renten) bei Invalidität, Alter und an Hinterbliebene, die Renten bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie die Sterbegelder sind grundsätzlich im vollen Ausmaß an Berechtigte, die im Gebiet eines anderen als des Vertragsstaates wohnen, in dessen Gebiet der zahlungspflichtige Träger seinen Sitz hat, zu zahlen. Das Abkommen räumt aber bestimmte Ausnahmen ein, die sich vor allem auf beitragsfreie Leistungen und bestimmte Sonderleistungen beziehen. Diesbezüglich ist die Möglichkeit vorgesehen, beitragsfreie Leistungen, deren Höhe von der Aufenthaltsdauer unabhängig ist, zu kürzen und bestimmte Sonderleistungen von der überweisung ins Ausland überhaupt auszunehmen. Zur Vermeidung jedweder Kollision ist im Abkommen festgelegt, daß nur die Rechtsvorschriften eines einzigen Staates, und zwar desjenigen, in dessen Gebiet die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, anzuwenden sind. Ausnahmen und besondere Regelungen gelten vor allem für entsendete Dienstnehmer, die Dienstnehmer im internationalen Verkehrswesen und die selbständig Erwerbstä tigen.

Rechtsvergleichung und zwischenstaatl. Sozialversicherungsabkommen 221 Zusammenrechnung der Zeiten

Für den Erwerb, die Aufrechterhaltung und das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs sowie gegebenenfalls auch für die Leistungsbemessung sieht das Abkommen die Zusammenrechnung aller Versicherungs-, Wohn-, Beschäftigungs- und sonstigen Erwerbstätigkeitszeiten vor, die der Berechtigte zurückgelegt hat und die nach den verschiedenen in Betracht kommenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften für die erwähnten rechtlichen Kriterien zu berücksichtigen sind. Pensions(Renten)bemessung

Die Bemessung der nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften gebührenden Pensions(Renten)beträge erfolgt grundsätzlich nach dem prorata-temporis-Prinzip. Besondere Bemessungsregelungen sind für beitragsfreie Leistungen vorgesehen. Kollisionen mit anderen internationalen Urkunden über Soziale Sicherheit

Ziel des Abkommens ist es, die zwischen den Vertragsstaaten bestehenden bilateralen oder multilateralen Instrumente im Bereich der Sozialen Sicherheit abzulösen. Im Sinne des mehrfach betonten Erfordernisses der Flexibilität hinsichtlich seiner Ratifizierbarkeit steht es den Vertragsstaaten frei, geltende Abkommen durch Aufnahme in einem Anhang aufrechtzuerhalten. Nicht berührt werden durch das Abkommen a) die Verpflichtungen aus einem übereinkommen der IAO; b) die Bestimmungen über Soziale Sicherheit im Vertrag vom 25. 3. 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die in diesem Vertrag vorgesehenen Assoziierungsabkommen oder Durchführungsbestimmungen. Das Abkommen ist somit im Bereich der Pensions(Renten)versicherung auf Fälle anzuwenden, in denen a) ein Staatsangehöriger eines Vertrags staates, der nicht Mitglied der EWG ist, eine Versicherungskarriere sowohl in Mitgliedstaaten der EWG als auch in Nichtmitgliedstaaten der EWG zurückgelegt hat; b) ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaates, der nicht Mitglied der EWG ist, seine gesamte Versicherungskarriere in Mitgliedstaaten der EWG zurückgelegt hat; c) ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EWG zwar seine gesamte Versicherungskarriere in den Mitgliedstaaten der EWG zurückgelegt hat, in dieser Karriere aber auch eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, die durch ein vom Geltungsbereich der EWG-Verordnungen über Soziale Sicherheit nicht erfaßtes System geschützt war. Die Zusatzvereinbarung enthält Bestimmungen betreffend die Durchführung des Abkommens; zwei oder mehr Vertragsstaaten können jedoch, soweit es sie betrifft, von diesen Bestimmungen abweichende Durchführungsregeln festlegen.

DISKUSSIONSBERICHT

Zu Beginn der Diskussion wurde der Vortrag um eine kleine Berichtigung ergänzt. Der Referent hatte erwähnt, daß beim Zusammentreffen von Pflichtzeiten und freiwilligen Zeiten in der EG eine Umrechnung in sogenannte Höherversicherungszeiten stattfinde. Diese Möglichkeit sei durch die Verordnung 1392 aus 1974 beseitigt worden. Die Bundesrepublik Deutschland rechne nunmehr nicht mehr in Höherversicherungszeiten um, sondern die freiwilligen Versicherungs zeiten würden nach der pro-rata-temporis-Berechnung zusätzlich rentensteigernd berücksichtigt. Diese Regelung gehe auf die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern zurück, genauer: auf den Vorstoß der Gewerkschaften im Beratenden Ausschuß der Verwaltungskommission in Brüssel. Dies zeige, daß eine derartige ~usammenarbeit durchaus fruchtbar sein könne (Kaupper).

Den Ausführungen des Referenten über die allzu kasuistische Betrachtungsweise in vielen EWG-Verordnungen wurde allgemein beigepflichtet. Als Beispiel für eine verfehlte Kasuistik wurde das Abkommen über die Soziale Sicherheit der Rheinschiffer her,angezogen, an dessen Revision gearbeitet wird. Es sei z. B. überholt, an der diskriminierenden Regelung des Inhalts festzuhalten, daß etwa ein Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen bei Auslandsaufenthalt ruhe, wenn vor Wohnortverlegung die Zustimmung des zuständigen Krankenversicherungsträgers nicht eingeholt wurde. Dahinter verberge sich die überlegung, den zur Kostentragung verpflichteten Träger davor zu schützen, daß etwa Leistungen in Vertragsstaaten unter Umständen zu lange oder in unangemessener Höhe gewährt würden. Dabei werde unterstellt, der eigene Träger habe viel bessere Einrichtungen als der Wohnortsträger, mit der Folge, daß man postuliere, der Leistungsberechtigte könne nicht ohne weiteres z. B. von Deutschland nach Belgien reisen (Schuh). Kaupper hielt dem entgegen, daß die Zustimmung zur Wohnortverlegung nach diesem Abkommen nur dann verweigert werden dürfe, wenn medizinische Gründe dafür sprächen. Richtig sei allerdings, daß der ursprüngliche Ausgangspunkt der Vorschrift ein diskriminierender gewesen sei; man habe ursprünglich nicht gewollt, daß ausländische Arbeitnehmer wegen kleinerer Verletzungen ihren Wohnort ins Heimatland zurückverlegten und dort unter teilweise mangelhafter Krankenkontrolle monatelang Krankengeld bezogen. Die Diskussion ging dann näher auf spezifische Probleme der Rechtsvergleichung bei der Gestaltung zwischenstaatlicher Sozialversicherungs-

Diskussionsbericht

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abkommen ein. So werde oft genug die Frage des Rechtsschutzes zuwenig beachtet. Es gebe eine ganze Reihe von Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten, deren Regelungen insoweit unvollständig seien. Sie brächten nur Erleichterungen für das Sozialgerichtsverfahren, berücksichtigten aber nicht, daß es auch Leistungen gebe (Einkommenssicherung bei Krankheit und Mutterschaft), die vor den Arbeitsgerichten durchzusetzen seien. Hier sähen die Abkommen häufig nichts vor, und ihre inhaltliche Beschränkung führe mitunter zu großen Härten (Weidner). Ogus warf die Frage auf, warum bilaterale Abkommen so oft einseitig vom Versicherungsprinzip geprägt seien. Der Grund liege wohl darin, daß in jedem Versicherungssystem Beiträge gezahlt würden und damit argumentiert werde, es entspreche Gerechtigkeitsüberlegungen, diese Beiträge nicht verlorengehen zu lassen, wenn sich ein Arbeitnehmer in einen anderen Staat begebe. Offen ble~be dabei aber die Frage, wie es um jene Bereiche sozialer Sicherheit bestellt sei, in denen keine Versicherungsbeiträge erbracht würden, etwa die Sozialhilfe, Beihilfe für Behinderte, Haushaltszulagen: "Are not states too typically obsessed with this insurance principle and should they not be more concerned with other forms of social benefits?"

Schuh wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Sozialhilfe nach der österreichischen Bundesverfassung Landessache sei und es außerordentlich schwierig sei, darüber Staatsverträge zu schließen. Es gebe nur einen einzigen derartigen Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Seit Jahren sei ein Abkommen zwischen der Schweiz und Österreich ausgearbeitet; es scheitere jedoch bislang am Widerstand der österreichischen Bundesländer hinsichtlich seiner Ratifizierung. Der Diskussionsbeitrag von Selb rankte sich um die Frage, wo die Rechtsvergleichung beim Abschluß bilateraler Sozialversicherungsabkommen, d. h. von Abkommen, die Sozialversicherungsfälle mit Auslandsberührung regeln sollten, eigentlich ihren legitimen Platz habe. In den Sozialversicherungsfällen mit Auslandsberührung gebe es eigentlich zunächst keine Integration von Rechtssystemen, sondern nur eine Integration von Personen in einen fremden, personalen Rechtsverband; das heiße bei der Versicherung in einen fremden personal organisierten Risikoverband (im Sinne von Beitrags- und Leistungsverband). Hier sei auszuscheiden, was bei der Betrachtung immer wieder störe - auch bei der Frage der Rechtsvergleichung -, nämlich, daß es keine Integration in den fremden personalen Verband bedeute, wenn Leistungsexport betrieben werde. Die Maxime des Leistungsexports sei nur mit Blick auf das subjektive Recht des einzelnen, ins Ausland gehen zu dürfen, verständlich. Das Problem der Integration in einen fremden, personalen Verband bei der Anerkennung von im Ausland oder in der Fremde ver-

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wirklichten Tatbeständen könne auch gelöst werden durch schlichte Anwendung eigenen Rechts. Man könne im heimischen Recht Fälle mit Auslandsberührung abschließend regeln. Das gehe aber nur dann, wenn man in der Sozialversicherung das leitende Prinzip der Beitrags- und Leistungseinheit aufgebe. Beschreite man diesen Weg, wie etwa beim Fremdrentengesetz, dann leiste man aus der eigenen Kasse ohne Gegenleistung. Um dies zu vermeiden, müsse ein Ausgleich mit dem fremden Risikoverband gesucht werden, oder aber man müsse einen überregionalen Leistungs- und Beitragsverband bilden, den es zur Zeit aber noch nicht gebe. Festzuhalten sei jedenfalls, daß die sozialversicherungsrechtlichen Kollisionsfälle eigentlich nur hinsichtlich der angesprochenen Integration und ihrer Auswirkung auf das Prinzip der Beitrags- und Leistungseinheit problematisch seien. In den zwischenstaatlichen Abkommen fänden sich eine Fülle von Regeln, die für jene Fälle gebildet worden seien. Und diese Regeln müßten aus der Erfahrung des fremden Rechts und des eigenen Rechts und auf der Suche nach einem mittleren Weg gebildet werden, der beiden Systemen Rechnung trage. Auch wenn man pro rata temporis bei der Persionsversicherung zu einer geteilten Rente komme, müsse man doch die Regelungen so koordinieren, daß beiden nationalen Regelungen genüge getan werde. Hier habe die Rechtsvergleichung auch in Kollisionsfällen einen wichtigen Platz. Zacher meinte, die Nachfrage nach Rechtsvergleichung bei der Gestaltung bilateraler Sozialversicherungsabkommen könne wie folgt formuliert werden: sie sei im Spannungsverhältnis zwischen Kongruenz und Inkongruenz der einander begegnenden Systeme angelegt. Wenn man auf Inkongruenz stoße, dann stehe man vor der Frage, inwieweit Inkongruenz zu vernachlässigen sei, bzw. wie darauf zu reagieren sei, sowie vor der weiteren Frage, zu wessen Lasten man die Inkongruenz ausgleichen solle. Das könne zu Lasten des Betroffenen gehen, indem man ihm den Schutz versagt. Es könne aber auch zu Lasten eines der beteiligten Systeme gehen; hier sei dann zu fragen, wer die Kosten tragen solle: das übernehmende oder das entsendende System? Das Entflechtungsprinzip gehe wohl zu Lasten des aufnehmenden Systems. Auf die Frage nach der Befriedigung des Bedarfs an Rechtsvergleichung eingehend, führte Zacher aus, es komme darauf an, gewisse systematische Einstiege zu finden. Hier sei zunächst nach dem Systembezug zu unterscheiden. Vom sozialpolitischen Ansatz her dürfe zunächst das Territorialitätsprinzip als Regel angesehen werden. Der Personalbezug sei schon die Ausnahme von dieser elementaren sozialpolitischen Regel, die besage, daß man in seinem eigenen Staatsgebiet eine gewisse Notschwelle nicht unterschreiten möchte, ein gewisser Wohlstand aufrechterhalten werden solle. Personalbezogene Systeme entstünden im Bereich der beitragsgebundenen Vorsorge oder durch Ausgleichssysteme, die an einen Schaden anknüpfen (etwa in der Kriegsopferversorgung). Wenn also eine

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Leistung an der Biographie einer Person hafte, so scheine es das konstitutive Ausnahmeprinzip zu sein, daß überhaupt vom Territorialitätsprinzip abgewichen werde. Dagegen habe man dort, wo ein solcher persönlicher Anknüpfungspunkt nicht bestehe, eine ganz andere Ausgleichsmechanik. Dies werde deutlich etwa beim Problem der Fürsorgeabkommen. Bei Systemen mit Personalbezug stelle sich die Frage, wie die einzelnen Anknüpfungspunkte zu berücksichtigen seien: solle das Beitragssystem oder das Beitragssurrogat herangezogen werden? Und wie geschieht der Ausgleich dafür, daß der einzelne irgendwann einmal Vorsorge-Eigenleistungen erbracht hat? Dieser Systembezug scheine der erste Punkt für die Nachfrage nach Rechtsvergleichung zu sein, der zu berücksichtigen sei. In einem weiteren Beitrag wurde darauf hingewiesen, es sei zu beobachten, daß in gewissen Bereichen die Rechtsvergleichung von vergleichsweise geringer Bedeutung sei; es werde oftmals bei Abschluß eines Abkommens nicht auf die Gleichwertigkeit der nationalen Sicherungssysteme abgestellt. Diese Entwicklung gelte auch für die Bundesrepublik Deutschland. Bis in die 60er Jahre hinein sei kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen worden, ohne daß vorher geprüft worden wäre, ob das andere Land über ein gleichwertiges System verfüge. Davon sei man heute abgekommen. Der Referent habe das für Österreich dargestellt. Man schließe heute Sozialversicherungsabkommen auch dann ab, wenn man genau wisse, daß der andere Staat über kein vergleichbares oder gleichwertiges System verfüge. Diese Entwicklung führe mehr und mehr dazu, auf einen umfassenden Rechtsvergleich zu verzichten. Die gleiche Entwicklung sei auch in Frankreich zu beobachten (Wanders).

SchuUe kam zum Abschluß der Diskussion noch einmal auf die Frage des Versicherungsprinzips zurück. Der Referent habe dargestellt, daß Österreich - dasselbe gelte für die Bundesrepublik Deutschland - vom Versicherungsprinzip beherrscht sei. Das liege wohl daran, daß in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland im Gefolge der Tradition der Sozialgesetzgebung Bismarcks das Versicherungsprinzip besonders ausgeprägt sei. Bei Abkommen zwischen sog. Bismarckländern und sog. Beveridge-Ländern - etwa Großbritannien - träten dabei besondere Probleme der Koordinierung auf. Es sei zu fragen, ob eine der Ursachen dieser Problematik darin liege, daß es beim Zusammentreffen dieser beiden vom Ansatz her verschiedenen Systeme an funktionaler Gegenseitigkeit fehle? Wie könne die Brücke zum anderen System praktisch geschlagen werden? Im Bereich der Krankenversicherung sei diese Frage für den Österreicher, der in Großbritannien weile, leichter zu beantworten; er komme in den Genuß des national health service. Was aber, so sei zu fragen, geschehe mit Briten, die in Österreich erkranken? 15 Sozialrechtsvergleich

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Der Referent legte in diesem Zusammenhang dar, daß in einem sog. Sachleistungsprotokoll - im Hinblick auf die faktische Gegenseitigkeit - vereinbart worden sei, daß die Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten (Österreichs und Großbritanniens) berechtigt seien, Leistungen abzurufen. Jeder britische Staatsangehörige sei gegen Vorweisen seines Reisepasses berechtigt, den gesamten Leistungskatalog in Österreich - auf österreichische Kosten - in Anspruch zu nehmen. Eine ähnliche Lösung sei auch gefunden worden, um Kollisionsprobleme besonderer Art etwa im Verhältnis Österreichs als beitragsorientiertem System zu Schweden als Basissystem ohne Beitragsorientierung - auszuräumen (Schuh).

Bearbeiter: Heinz Barta

c.

Sozialrechtsvergleichung und supranationales Recht

Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Harmonisierung sozialrechtlicher Normen in den Europäischen Gemeinschaften Von Jörn Pipkorn I. Einleitung Die Behandlung dieses Themas haben Herr Kaupper und ich in der Weise untereinander aufgeteilt, daß Herr Kaupper über die soziale Sicherheit im engeren Sinne referieren wird, während ich der Frage der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer durch das Unternehmensverfassungs- und Arbeitsrecht nachgehen möchte. Die Hervorhebung gerade dieses Themenkreises scheint mir wegen des besonderen gemeinschaftsspezifischen Gehalts von Harmonisierungsmaßnahmen auf diesem Gebiet gerechtfertigt. Die den sozialrechtlichen Normen zugrundeliegende Rechtsidee, das sozialstaatliche Gebot der Verbürgung materieller Freiheit, des Ausgleiches bei der Verteilung der Früchte des Wirtschaftsprozesses und der Sicherung vor den Risiken wenig beherrschbarer Lebenssituationent, wird bekanntlich in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft durch eine den gesellschafts- und sozialpolitischen Prioritäten entsprechende Verbindung von Rechtsinstituten öffentlich- und privatrechtlichen Charakters verwirklicht!. Die Komplementarität dieser Institute liegt bei der Einkommenssicherung im Krankheitsfall offen zutage. Sie hat die deutsche Regelung zur Sicherung des Arbeitnehmers im Konkurs des Arbeitgebers maßgeblich geprägt3. Die Sicherheit der Arbeitnehmer bei derartig tiefgreifenden, aber auch bei weniger einschneidenden Veränderungen der Unternehmensstrukturen ist nicht allein wegen der gegenwärtigen Strukturkrise der europäischen Wirtschaft ein aktuelles gemeinschaftliches Anliegen. Sie ist bereits zuvor durch die - nicht zuletzt infolge des Wirkens des Gemeinsamen Marktes - zunehmende Mobilität transnationaler Unternehmen 1 Hierzu z. B. Lampert, Sozialpolitik, Evangelisches Staatslexikon, 2. Aufl., Stuttgart 1975. 2 Vgl. die "übersichten im von der EG-Kommission nach Art. 122 EWGV erstellten Bericht über die Entwicklung der sozialen Lage in den Gemeinschaften (1976, S. 169 ff.). 3 Zeuner, Schutz des Arbeitnehmers im Konkurs des Arbeitgebers, JZ 1976, 1.

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zu einem internationalen Regelungsproblem geworden. Dies hat auf Gemeinschaftsebene eine Harmonisierungsdynamik entfacht, die ich bei meiner langjährigen Tätigkeit am Statut für Europäische Aktiengesellschaften habe verfolgen können und die ich als Beispiel heranziehen möchte, um die gemeinschaftsspezifische Bedeutung der Rechtsvergleichung zu exemplifizieren. Zuvor möchte ich aber auf Wunsch von Herrn Professor Zacher noch einige allgemeine Ausführungen zur Rolle der Rechtsvergleichung bei der Rechtsangleichung in den Europäischen Gemeinschaften machen. Ich werde mich auf den EWG-Bereich beschränken und den Begriff der Angleichung an Stelle desjenigen der Harmonisierung verwenden. Dieser Begriff wird vom Vertrag selbst für den zu behandelnden Aktionsbereich der Gemeinschaft benutzt (Art. 3 h, 100), wenn dieser auch verschiedentlich die Begriffe der Harmonisierung oder der Koordinierung gebraucht, ohne daß dabei sachlich etwas anderes gemeint wäre. Bei diesen allgemeinen Bemerkungen kann ich zum Teil auf bereits Vorgetragenes Bezug nehmen' (Referate von Jantz, Bleckmann). Mein Referat wird sich daher in zwei Teile gliedern. Der erste behandelt die Rolle der Rechtsvergleichung im gemeinschaftlichen Verfahren der Rechtsangleichung. Der zweite soll dann die effektive Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Angleichung bestimmter Normenkomplexe ins Licht rücken. 11. Rechtsvergleichung und gemeinschaftliche Rechtsangleichung 1. Ziel der Rechtsangleichung

Das Ziel, das der Europäischen Gemeinschaft vom EWG-Vertrag gesetzt ist, weist der Angleichung sozialrechtlicher Normen andere Aufgaben zu als die der Rechtsvereinheitlichung nach klassischem Muster. Angestrebt wird nicht die Verwirklichung gemeinsamer Rechtsideen sozialer Gerechtigkeit auf internationaler Ebene oder die Rationalisierung eines Rechtsgebietes zur allgemeinen Erleichterung des internationalen Rechtsverkehrs. Vielmehr soll erreicht werden, daß die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten in einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammenwachsen, der nach den Vorstellungen des EWG-Vertrages durch einen Gemeinsamen Markt mit Freizügigkeit der Produktionsfaktoren und aufeinander abgestimmte Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten ( Insbes. Jantz, Was ergeben die Erfahrungen bei der supranationalen Harmonisierung von Sozialrecht für einen Sozialrechtsvergleich?, in: Zacher (Hrsg.), Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht, Bd. 1, Berlin 1977, S. 195 ff. Vgl. auch Gleichmann, Methoden der Rechtsangleichung und Rechtsvereinheitlichung in der EWG - Arbeiten zur Rechtsvergleichung, Heft 69 (1974), S.35.

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gekennzeichnet sein soll. Die Rechtsangleichung soll nach der ihr im Tätigkeitsprogramm der Gemeinschaft (Art. 3 h EWGV) zugewiesenen Aufgabe die hierfür erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen und jene Funktionsstörungen beseitigen, die sich mit zunehmender Verflechtung der Volkswirtschaften verstärkt ergeben können, weil das Wirtschaftsleben durch unterschiedliche, in ihrer territorialen Geltung beschränkte nationale Rechtsordnungen geregelt wird5 • 2. Angleichungsbedürfnis

Diese Bezogenheit der Rechtsangleichung auf die Ziele der Gemeinschaft, auf deren Integration zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum, bedingt eine besonders ausgeprägte funktionelle Ausrichtung der Rechtsvergleichung. Es genügt nicht, die Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen herauszustellen, den Vorrat an Lösungstypen zu ermitteln und zu bewerten und anhand eines Lösungstyps oder aus Elementen verschiedener Lösungstypen einen in sich sachgerechten, der gemeinsamen Rechtsidee, die den Lösungstypen zugrundeliegt, optimal entsprechenden Lösungstyp als Angleichungsziel vorzuschlagen. Vorrangig ist die Ermittlung eines gemeinschafts spezifischen Bedürfnisses für die Beseitigung oder Verringerung von Rechtsunterschieden. Dies kommt in der Generalklausel für die rechtsangleichende Tätigkeit der Gemeinschaft, Art. 100 EWGV deutlich zum Ausdruck. Er verleiht der Gemeinschaft die Kompetenz für die Angleichung derjenigen Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich "unmittelbar auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken". Diese Tatbestandsmerkmale haben in der Praxis der Gemeinschaft, der Rechtsprechung des EuGH und der wissenschaftlichen Diskussion eine sehr weite Auslegung bekommen. Darin werden die Angleichungsmaßnahmen eingeschlossen, die die Herstellung binnenmarktähnlicher Beziehungen im Gemeinsamen Markt erleichtern und die nicht von anderen Vertragsvorschriften abschließend geregelt werden6 • Sollten sich dabei Zweifel im Hinblick auf den zulässigen Regelungsinhalt oder die Intensität der Angleichung ergeben (Artikel 100 sieht als Angleichungsinstrument nur die Richtlinie vor und erlaubt deshalb z. B. 5 Ipsen, Eur. Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972, S. 686 f. Leleux, Le rapprochement des legislations dans la CEE, Cahiers de Droit Europeen 1968, 129 - 164. Everling, Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsangleichung in der EG, Festschrift f. R. Schmidt, Karlsruhe 1976, S. 165 ff. m. w. N. 6 Zur Diskussion um den Begriff der unmittelbaren Auswirkung vgl. auch Ficker, Art. 100, in: von der Groeben / Boeckh / Thiesing, EWG-Vertrag 2. Auf!. (1974). Vignes, Art. 100, in: Megret (Hrsg.), Le Droit de la Communaute economique europeenne, vol. 5, Bruxelles 1973.

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nicht, die aus der Territorialität der Rechtsordnungen als solche herrührenden Konfliktsituationen zu regeln), kann zur Abrundung des in Aussicht genommenen Regelungskomplexes auf Art. 235 EWGV zurückgegriffen werden. Diese Vorschrift hat in der Rechtsprechung des EuGH und in der Praxis der Gemeinschaft eine dynamische Auslegung erhalten, die zu Recht der Tatsache Rechnung trägt, daß mit wachsender Verflechtung der Volkswirtschaften in der EG Regelungsbedürfnisse für die Verwirklichung der Vertragsziele auftreten können, denen bei Vertragsschluß nicht oder nicht in der nötigen Regelungsdichte Rechnung getragen wurde 7 • Trotz dieser extensiven, dynamischen Auslegung der Kompetenznormen des EWG-Vertrages kann die Rechtsangleichung nicht als Selbstzweck betrieben werden; sie setzt voraus, daß die unterschiedlichen, territorial begrenzten Rechtsordnungen eine vor dem Hintergrund des erreichten Integrationsstandes zu bewertende Störung bei der Verwirklichung der Vertragsziele hervorrufen. Wenn eine solche Störung vorliegt, der mit gemeinschaftlicher Rechtsangleichung zu begegnen ist, ergibt sich aus einer Gesamtschau der Vertragsziele in ihrer Ausformung durch die einzelnen Vertragsartikel. Die Abgrenzung zwischen dieser gemeinschaftsspezifischen Aufgabe der vertraglich vorgesehenen Rechtsangleichung und der den Mitgliedstaaten eigenverantwortlich übertragenen Aufgabe der Koordinierung ihrer allgemeinen Wirtschaftspolitik ist gerade auf sozialpolitischem Gebiet schwierig. Sie wird durch die kompromißbehafteten Vorschriften des Vertrages über die Sozialpolitik noch zusätzlich erschwert, worauf noch näher einzugehen sein wird. Jedenfalls hat der EWG-Vertrag dem politischen Ermessensspielraum, der bei der Ermittlung eines gemeinschaftsspezifischen Angleichungsbedürfnisses und damit bei der Anwendung der Artikel 100 oder 235 EWGV besteht, dadurch Rechnung getragen, daß auch nach Ablauf der übergangszeit nur einstimmig auf diesen Rechtsgrundlagen Rechtsakte durch den Ministerrat erlassen werden können. 3. Stimmigkeit der Angleichungsmaßnahmen

Aus dieser Integrationsbezogenheit der Rechtsangleichung ergibt sich für die Rechtsvergleichung die Notwendigkeit, die konkreten Auswirkungen aller Rechtsnormen gleich welcher Rechtsquelle, gegebenenfalls einschließlich der Kollektivverträge, auf einen Sachkomplex zu erfassen, dessen Angleichung ins Auge gefaßt wird. Darüber hinaus müssen die als Angleichungsmaßnahmen anzubietenden Lösungen besonders intensiv daraufhin untersucht werden, ob der erstrebte Angleichungseffekt 7 Everling / Schwartz / Tomuschat, Die Rechtsetzungsbefugnis der EWG in Generalermächtigungen, insbes. in Art. 235 EWGV, EuR Sonderheft 1976.

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mit dem Geltungsanspruch von Normen vereinbar ist, die außerhalb des Angleichungsprogramms verblieben sind. Die Gefahr von "Unstimmigkeiten" scheint mir vor allem dort zu drohen, wo klassische Institute des Wirtschafts- und Handelsrechts einen intensiven sozialpolitischen Bezug haben und von sozialrechtlichen Normen überlagert werden. Das bekannte Wort Rabels von den "mit Pfeilen lauernden Eingeborenen", die auf den Rechtsvergleicher bei seinen Explorationen wartenB, hat hier besondere Aktualität. Ein illustratives Beispiel für eine solche überlagerung liefert das Konkursrecht. Auf diesem Gebiet erarbeiten die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Artikel 220 EWGV ein Abkommen über die internationale Anerkennung und. Erstreckung der Konkurseröffnung, das eine Vereinheitlichung der Konkursprivilegien voraussetzt. Außerdem hat die Kommission Arbeiten zur Angleichung der Ausfallsicherung von Lohnforderungen aus dem Arbeitsverhältnis9 aufgenommen. Die traditionellen Systeme der Konkursabwicklung werden aber zunehmend durch Rechtsentwicklungen gesprengt, die den Arbeitnehmer nicht mehr mit der Rolle des Gläubigers einer - privilegierten - Werklohnforderung abfinden, sondern seiner besonderen Beziehungen zum konkursverfangenen Unternehmen Rechnung tragen. Dies kann entweder dadurch geschehen, daß die Liquidation des Unternehmens im Interesse der Arbeitnehmer verhindert oder hinausgeschoben wird 10 • Oder der Verlust des Arbeitsplatzes wird zu Lasten der Konkursmasse in anderer Weise (etwa durch Regelungen in einem Sozialplanll ) kompensiert. Solche Entwicklungen haben gerade in einer Zeit struktureller Wirtschaftskrisen ganz erhebliche sozialpolitische Bedeutung. In letzter Konsequenz können durch sie wichtige Bestandteile einer wettbewerbsbezogenen Wirtschaftsordnung substantiell verändert oder evolutiv reformiert werden. Dadurch mündet die kontroverse Diskussion um die innere Rechtfertigung dieser Entwicklung schließlich in weit gespannte gesellschaftspolitische Reformüberlegungen zur Unternehmensverfassung und zu den Zielen unternehmerischen Handelns 12 • 8 Zitiert bei Zweigert / Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung I (1971), S.32. 9 Entwurf eines Übereinkommens über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren vom 16.2.1970. - Entwurf eines Berichts über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Dok. V/305/76. 10 Vgl. Art. 475 des belg. Konkursgesetzes und der davon gemachte Gebrauch, Tribunal de Nivelles Journal des Tribunaux 1975, 428. Chevrier, de la defaillance fiscale a une procedure collective R. com. 1976, 25. 11 Nach der Rechtsprechung des BAG hat der Konkursverwalter die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates zu achten und einen Sozialplan aufzustellen. Dazu Zeuner (FN 3), S. 5 m. N. 12 Wiedemann, Unternehmerische Verantwortlichkeit und formale Unternehmensziele in einer künftigen Unternehmensverfassung, Festschrift f. Barz (1974), S. 561 ff.

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Die gemeinschaftliche Rechtsangleichung kann auf absehbare Zeit wohl nicht beanspruchen, diese Entwicklungen global steuern zu können. Sie stellen aber an die Rechtsvergleichung hohe Anforderungen, damit für jene konkreten Regelungsprobleme, für die jetzt ein Konsens über ein gemeinschaftliches Vorgehen realistischerweise erwartet werden darf, konsensfähige, in sich stimmige Lösungen entwickelt werden können. Wir werden dies an einem vergleichbaren Beispiel - dem Kommissionsvorschlag einer Fünften Richtlinie für die Struktur der Aktiengesellschaft - noch untersuchen können. Die Gefahr von "Rechtsunstimmigkeiten" bei der Verwirklichung der Angleichung ergibt sich nicht nur aus der Komplexität von Regelungsgegenständen mit sozialpolitischem Gehalt. Sie droht auch auf einer mehr gesetzestechnischen Ebene durch das vom EWG-Vertrag induzierte, auf den jeweiligen Integrationsstand bezogene stufenweise Vorgehen bei der Rechtsangleichung (vgl. Art. 54 Abs. 1 EWGV). Nur ein solches stufenweises Vorgehen eröffnet jedoch bei der noch beschränkten Entscheidungskapazität des gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahrens realistische Erfolgsaussichten. Es ermöglicht, die Angleichungsziele in einem langsamen Prozeß zu entfalten, in dem die ihnen entgegenstehenden Widerstände in den Mitgliedstaaten gerade auch unter Berufung auf bereits erreichte Integrationsfortschritte nach und nach abgebaut werden. Den Nachteilen eines solchen Vorgehens kann dadurch vorgebeugt werden, daß die Angleichungsmaßnahmen in ein einheitliches, durch umfassende rechtsvergleichende Arbeiten gestütztes Programm eingebettet werden und daß sie jeweils zusammenhängende Materien regeln. 4. Bemessung der Angleichungsziele

Darüber hinaus erlaubt die sachbezogene Methode der gemeinschaftlichen Rechtsangleichung eine sehr flexible, realistische Bemessung der Angleichungsziele. Einheitlichkeit ist im wesentlichen nur bei technisen Handelshemmnissen oder bei Kollisionsnormen notwendig. Sonst genügt häufig für die Funktionszwecke des Gemeinsamen Marktes die funktionelle Gleichwertgkeit von Schutzeinrichtungen. Den Mitgliedstaaten können deshalb häufig alternative Lösungen zur Wahl gestellt werden. Oft kann es auch erforderlich sein, zunächst einmal nur einen Rahmen gemeinschaftlich geltender Mindeststandards sozialen Schutzes zu setzen, in deren Rahmen dann autonom konvergierende Entwicklungen des nationalen Rechts und gemeinschaftsbezogene Reformdiskussionen wirksam werden können. Bei solchen Diskussionen wird dann der rechtsvergleichenden Untersuchung der Entfaltung der gemeinschaftlichen Mindeststandards in den einzelnen Rechtsordnungen eigenes Gewicht zukommen.

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In.

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Verfahren der Rechtsangleichung

1. Rechtsvergleichung und Rechtsetzung

Die Sachgebiete, in denen Rechtsangleichungsmaßnahmen getroffen werden sollen, werden entweder aufgrund konkreter Regelungsbedürfnisse oder aufgrund von besonderen Aktionsprogrammen der Gemeinschaft abgesteckt. Auf sozialpolitischem Gebiet hervorzuheben sind die Entschließung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein Sozialpolitisches Aktionsprogramm (ABI C 13/1 vom 12.2. 1974) und das in dessen Anwendung erarbeitete Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien, über das der Rat am 9. 2. 1976 eine Entschließung gefaßt hat13 • Diese Aktionsprogramme sind politische Willenserklärungen der Gemeinschaftsorgane, die für deren Handeln Leitlinien aufstellen. Ist eine sozialrechtliche Angleichungsmaßnahme in dieser Weise geplant, werden über die Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten Berichte von sachkundigen Experten angefertigt, die dann in einem Synthesebericht im Hinblick auf mögliche Angleichungsmaßnahmen ausgewertet werden. Auch wenn den Länderberichten durch Fragenkataloge eine einheitliche Struktur gegeben wird, lassen sich doch Unterschiede in der Intensität der Untersuchung zwischen den befragten Experten kaum vermeiden. Je nach Sachlage werden zuweilen auch nur ein oder zwei Berichterstatter mit den rechtsvergleichenden Arbeiten betraut. Lücken oder persönliche "Tönungen" der rechtsvergleichenden Arbeiten werden im einen wie im anderen Fall in den nachfolgenden Vorbereitungsstufen offenbar. Der Synthesebericht wird nämlich den europäischen Dachorganisationen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände (U.N.I.C.E. und E.G.B.) zugeleitet, die ihn ihrerseits ihren nationalen Mitgliedsorganisationen zur Prüfung zuleiten und sodann jeweils eine gemeinsame Stellungnahme erarbeiten und mit den Kommissionsdienststellen erörtern. Der Synthesebericht wird sodann mit den zuständigen Beamten der Regierungen erörtert, die aber nicht als Delegierte ihrer Regierungen, sondern als Sachverständige ihr Urteil abgeben sollen. Dieselben Beamten sind dann allerdings sehr häufig als Regierungsvertreter in den Ratsgruppen mit dem Kommissionsvorschlag befaßt, bei dessen Vorbereitung sie sich jetzt gutachtlich äußern sollen. Auf der Grundlage all dieser Erörterungen wird dann von den Kommissionsdienststellen ein Vorentwurf eines Angleichungsvorschlages er18 Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien, Beilage 3/76 zum EG-Bulletin.

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arbeitet. Dieser wird dann noch einmal umfänglich diskutiert, bevor er je nach Sachgebiet und Rechtsgrundlage als Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie oder Verordnung des Rates in das vertragliche Rechtsetzungsverfahren mit dessen vielfältigen nationalen Rückkoppelungen einmündet. Dieser "offene" Willensbildungsprozeß bietet Gewähr für eine umfassende Einbeziehung des verfügbaren rechtsvergleichenden Argumentationsha ushal tes. Die Kommissionsvorschläge und die ihnen zugrundeliegenden Lösungstypen können dadurch ganz unabhängig von ihrer förmlichen Verabschiedung auf die in den nationalen Ministerien geplanten oder in der Öffentlichkeit diskutierten Reformvorhaben einwirken. Diese indirekten oder sekundären Wirkungen der Rechtsangleichung lassen sich am Beispiel der Europäischen Aktiengesellschaft illustrieren. 2. Zur Rechtsvergleichung bei Rechtsanwendung und Rechtsprechung

Die stilbildende, zur Rechtsvergleichung erziehende Funktion der gemeinschaftlichen Rechtsangleichung14 wird noch verstärkt, wenn die mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrauten nationalen Beamten in Verwaltungs- und Kontaktausschüssen zusammenkommen und die in der Praxis auftretenden Probleme grenzübergreifend diskutieren können. Eine sehr wichtige Rolle für die Angleichung des Sozialrechts der Mitgliedstaaten spielt schließlich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Auslegung des diesbezüglichen Gemeinschaftsrechts. Es ist hier nicht möglich, auf die Bedeutung der Rechtsvergleichung für seine Entscheidungspraxis einzugehen 15 • Immerhin sei darauf verwiesen, daß sich der Gerichtshof in seinem Urteil "Defrenne II" auch rechtsvergleichender Argumente bediente, um die unmittelbare Anwendbarkeit des Artikels 119 EWGV auf direkte Diskriminierungen bei der Entlohnung von Männern und Frauen Z'U begründen. Er hat damit überall in der Gemeinschaft den Gleichheitsgrundsatz im Arbeitsleben im Regelungsumfang des Art. 119 EWGV zur Anerkennung gebracht16 • Im übrigen wird der Gerichtshof künftig wohl noch stärker als bisher zu rechtsvergleichenden Methoden greifen müssen, nämlich dann, wenn 14 TalIon, Droit communautaire et droit compare, Miscellanea Ganshof v. d. Meersch, 1972, 11, S.943. 15 Hierzu den Bericht von Dumon zum Kolloquium über die Rolle des Gerichtshofes bei Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts vom 27.128. 9. 1976 in Luxemburg. - Tagungsbericht v. Sasse EuR 1977, 85. Tantaroudas, La protection jurid. des travailleurs migrants dans la CEE en matiere de securite sociale et la jurisprudence de la Cour des Com., Paris 1976. lß EuGH Rs. 43/74 v. 8. 4. 1976 Defrenne / SABENA Slg. 1976, 455 m. Anm. v. Schwarze EuR 1977, 44; Philip RT.D.E. 1976,521.

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er den Begriffen im übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 einen gemeinschaftsspezifischen Inhalt geben will 17 • Dieses übereinkommen ist seit dem 1. 2. 1973 zwischen den ursprünglichen Mitgliedstaaten der EG in Kraft und wird seit dem 1. 9. 1975 vom EuGH interpretiert. Es erstreckt sich auf die internationale Zuständigkeit in Arbeitsstreitigkeiten, nicht aber auf die soziale Sicherheit im engeren Sinne 18• IV. Einfluß der Rechtsvergleichung 1. Anstöße für Aktionsprogramme

Die Praxis der Angleichung auf dem Gebiet des Sozialrechts wurde lange Zeit durch unterschiedliche Auffassungen über die Auslegung der Vorschriften des EWG-Vertrags über die Sozialpolitik der Gemeinschaft (Art. 117 - 122) und deren Verhältnis zu den allgemeinen Vorschriften über die Rechtsangleichung überschattet. Der EWG-Vertrag geht davon aus, daß die Sozialpolitik ebenso wie die allgemeine Wirtschaftspolitik Angelegenheit der Mitgliedstaaten bleibt und daß der Gemeinschaft nur obliegt, deren "Zusammenarbeit" herbeizuführen (Art. 117 Abs. 1, 118). Man war sich aber bei Vertragsschluß in der Erwartung einig, daß eine Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in der EG "auf dem Wege des Fortschritts" aus dem Wirken des Gemeinsamen Marktes und aus der Angleichung der Rechtsund Verwal tungsvorschriften folgen würde (Art. 117 II EWG V). Die für Artikel 117 gewählten Formulierungen widerspiegeln einen Komprorniß in dem vor Abschluß des EWG-Vertrages virulenten Streit, ob die Sozialkosten künstliche Lasten der Unternehmen sind, die im Interesse der Wettbewerbsgleichheit harmonisiert werden müssen, oder ob sie natürliche, standortbedingte Kosten sind, die durch andere Faktoren kompensiert werden und deshalb nicht zu Produktivitätsdifferenzen führen. Der Vertrag folgt der These, Sozialkosten seien grundsätzlich wettbewerbsneutral, schließt aber nicht aus, daß Unterschiede im Einzelfall gleichwohl wettbewerbsrelevant sein können und gegebenenfalls im Wege der Rechtsangleichung beseitigt werden müssen. Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Sozialpolitik ist deshalb in Artikel 118 durch einen Vorbehalt für Gemeinschaftszuständigkeiten durchbrochen, der 17 EuGH Rs. 12/76 v. 6.10.1976 Tessili 1Dunlop; Rs. 29/76 v. 14.10.1976 LTVI Eurocontrol. 18 Art. 1; Vgl. Bericht über d. Übereinkommen Beil. 12172 Bull., S. 17. Allgemein Weser, Convention comm. sur les competences judiciaires et l'execution des decisions (1975).

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nach dem vorangehenden Artikel 117 Abs. 2 auch die Zuständigkeiten zur Rechtsangleichung neben jener zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 48 - 51) umfassen muß19. Es ist nicht erstaunlich, daß der Verlauf der recht undeutlich gezogenen Trennungslinie zwischen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Sozialpolitik und den Gemeinschaftszuständigkeiten umstritten war und wohl noch immer umstritten ist20 . Eine Reihe neuer Entwicklungen hat aber dazu beigetragen, daß die aufgrund gemeinschaftlicher Kompetenznormen (Art. 100, 54, 3 g, 235 EWGV) gesetzten Angleichungsziele in zunehmendem Maße sozialen Gehalt bekommen. Diese Entwicklungen stehen im Zeichen der Mobilität der transnationalen Unternehmen. Diese Mobilität hat zu einer Zunahme des Interesses an internationalen Regelungen gerade auf sozialrechtlichem Gebiet geführt. Die Gewerkschaften stießen auf Lücken in ihrem Aktionsarsenal. Die multinationalen Unternehmen sahen zunehmend ihre einheitliche Geschäftspolitik mit einander widersprechenden sozialen Anforderungen konfrontiert. Die Regierungen schließlich suchten nach neuen Möglichkeiten zur Bewältigung volkswirtschaftlich schädlicher sozialer Konflikte und interessierten sich für konsensfördernde Rechtsintitute in den Partnerländern der Gemeinschaft. All dies hat das Problembewußtsein für Rechtsunterschiede auf sozialem Gebiet geschärft und den Harmonisierungsbestrebungen in der EG Auftrieb gegeben. Bei der Ausarbeitung von Instrumenten, die eine internationale Verschmelzung von Aktiengesellschaften in der EG ermöglichen und dadurch eine rationelle Nutzung der Ressourcen der Gemeinschaft fördern sollen (Statut für Europäische Aktiengesellschaft (S. E.), Abkommen über die internationale Verschmelzung von Aktiengesellschaften) ergab sich, daß solche Instrumente ohne eine zufriedenstellende Lösung des Problems der unternehmerischen Mitbestimmung nicht geschaffen werden können21 . Ferner ergab sich, daß Produktions verlagerungen eintreten können, die nicht auf wirtschaftliche Faktoren, sondern auf Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen der Produktion zurückzuführen sind. So hat der AKZO-Konzern in einem auf Gemeinschaftsebene berühmt 19 Ipsen (FN 5), S. 932 ff., Heynig, Ist eine Lösung für das Dilemma der europäischen Sozialpolitik in Sicht? AWH 1969, 227; Jantz (FN 4); vgl. auch Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft (1973), S. 167 f. 20 Ipsen (FN 5); Heynig (FN 19). 21 Aus der Sicht der damaligen Kommission Coppe, Intervention vor dem Europäischen Parlament am 6. 10. 1970; Anhang 129 z. EG-ABl. S. 32. Vgl. auch von der Groeben in Eur. Aktiengesellschaft (1972), S. 7 ff.

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gewordenen Fall im April 1972 eine ursprünglich in Deutschland und den Niederlanden geplante Massenentlassung nicht in diesen beiden Ländern durchgeführt, sondern in Belgien22 • Dort besteht - anders als in den beiden anderen Ländern - kein ausgebauter Kündigungsschutz, wohl aber eine erhebliche Kündigungsentschädigung. Ich weiß nicht, ob diese Unternehmensentscheidung das Ergebnis rechtsvergleichender Untersuchungen der Unternehmensjuristen von AKZO war. Fest steht jedenfalls, daß sie die Richtlinie über Massenentlassungen mitverursacht hat23 • Sie kann als Beweis dafür herangezogen werden, daß Unterschiede im Netz sozialer Sicherheit zu künstlichen Produktionsverlagerungen führen können. Sie zu verhindern ist klassische Aufgabe der EG-Rechtsangleichung24 • 2. Das gesellschafts- und sozialpolitische Aktionsprogramm der EG

Neben diesen "Sachzwängen" haben auch politische Entwicklungen zu einer sozialpolitisch extensiven Auslegung der Rechtsangleichungskompetenzen der Gemeinschaft geführt. Die Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft haben in der Schlußerklärung der Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 betont, "daß für sie energische Maßnahmen im sozialen Bereich die gleiche Bedeutung zukommt wie der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion". Sie halten es für unerläßlich, zu einer wachsenden Beteiligung der Sozialpartner an den wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen der Gemeinschaft zu gelangen. Ferner hielten sie es für erforderlich, eine einheitliche industrielle Grundlage für die gesamte Gemeinschaft anzustreben und dabei durch geeignete Vorschriften zu gewähr leisten, "daß Zusammenschlüsse von Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft in übereinstimmung mit den wirtschaftlichen und sozialen Zielen der Gemeinschaft erfolgen"25. Das vom Rat am 21. 1. 1974 verabschiedete Sozialpolitische Aktionsprogramm der Gemeinschaft hat deshalb die "schrittweise Förderung 22 Vgl. die Debatte des E. P. über die mündliche Anfrage 3/72 am 19. 4. 1972 Verhandlungen des E. P. Anhang 148 zum EG-Amtsblatt, S. 85 ff. 23 Vgl. insbes. die Intervention des damals für soziale Angelegenheiten zuständigen Kommissionsmitgliedes Coppe vor dem Europäischen Parlament, S. 87 ff. 24 Dazu von der Groeben, Die Politik der Europäischen Kommission auf dem Gebiet der Rechtsangleichung, NJW 1970, 359; Ivo Schwartz, Zur Konzeption der Rechtsangleichung in der EWG, Festschrift f. Hallstein, S. 474 ff., Ipsen (FN 5), S. 474 ff. 25 Schlußerklärung der Pariser Gipfelkonferenz vom 21. 10. 1972 EG-Bulletin W-1972, S. 15 - 24.

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der Mitwirkung der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter am Leben der Unternehmen" als Ziel gemeinschaftlicher Maßnahmen gesetzt26 • Der Rat und die Mitgliedstaaten haben darüber hinaus im Vierten Programm über die mittelfristige Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft vom 14. 3. 1977 die Förderung des sozialen Konsenses durch makroökonomische Konzertation (vgl. Art. 109 GG) und durch Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmensentscheidungen als strukturelle Voraussetzung der dort gesetzten konjunkturpolitischen Ziele herausgestellt27 • Diese Beteiligung kann in zwei Richtungen verwirklicht werden: -

Die Arbeitnehmer können in die Unternehmensorgane einbezogen werden, damit eine Unternehmenspolitik hervorgebracht wird, die dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer angemessen Rechnung trägt. Diesem Ziel dient der Kommissionsvorschlag eines Statuts für Europäische Aktiengesellschaften (vom Juni 1970/ Mai 1975) und der Vorschlag einer Fünften Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft vom Oktober 1972 28 •

-

Andererseits können Normen geschaffen werden, die dem besonderen Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer in Krisensituationen des Unternehmens (Betriebsschließungen) oder bei sonstigen erheblichen strukturellen Veränderungen des Unternehmens (Unternehmensübergang) Rechnung tragen.

Die Mitgliedstaaten sind durch die Richtlinien über die Massenentlassungen vom 17. 2.1975 (ABI L 48/29 vom 22. 2.1975) und über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen verpflichtet, in ihrem nationalen Recht Vorkehrungen für ein Mindestmaß derartiger Schutzvorschriften zu treffen29 • Die Verwirklichung dieser Gemeinschaftsakte erfolgt in einem sozialpolitisch spannungsreichen Kräftefeld. Überall in der Gemeinschaft sind die Methoden, mit denen die Arbeitnehmer auf die Unternehmensentscheidungen Einfluß nehmen können, Gegenstand lebhafter Reformdiskussionen. In einigen Mitgliedstaaten sind diese Methoden in weiten Bereichen rechtlich ausgeformt und institutionell verfestigt. In anderen Mitgliedstaaten sind maßgebende Gewerkschaften der Auffassung, die ABI. C 13 v. 12. 2. 1974, S. 1 und 4. AB!. L 10111 v. 25. 4. 1977 Ziffer 144 ff. 28 Pipkorn, Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschafts- und Unternehmensrechts ZHR 136 (1972) 499; 137 (173) 35; (II) ZHR 141 (1977) m. N. 2~ Richtlinie (77 187 EWG des Rates vom 14. 2. 1977, AB!. L 61/26 v. 5. 3. 1977. Dazu F. Vandamme, Concentrations d'entreprises et protection des travailleurs C.D.E. 1977, 25. Zur Richtlinie über die Massenentlassungen Seche, Droit et Pratique du Commerce Internat. 1976, Heft 3. 28

27

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angestrebte "Demokratisierung der Wirtschaft" seiriur durch eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft zu verwirklichen. Nach ihrer Ansicht würde die Übernahme von Mitverantwortung im Rahmen der Institutionen des bestehenden privatwirtschaftlichen Systems die Position der Arbeitnehmer im Kampf um eine radikale Umgestaltung der Gesellschaftsordnung schwächen. Diese Unterschiede des sozialpolitischen Klimas stellen die Rechtsvergleichung, welche die Gemeinschaftsakte abstützen muß (dazu oben S. 230 ff.) vor hohe Anforderungen. 3. Die Diskussion über die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den EG

a) Societas Europaea Die Diskussion über die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der EG entzündete sich zuerst an dem von Professor Sanders im Auftrag der Kommission erarbeiteten Vorentwurf eines Statuts für Europäische Aktiengesellschaften30 • Das Statut soll den europäischen Unternehmen die Möglichkeit geben, sich unter einer einheitlichen gemeinschaftsweit geltenden Rechtsform über die innergemeinschaftlichen Grenzen hinweg zusammenzuschließen. Es stellt ihnen hierfür ein gemeinschaftsrechtliches Aktienrecht zur Wahl. Sanders suchte das in der Gemeinschaft bestehende Mitbestimmungsgefälle für die Zwecke der S. E. dadurch zu überwinden, daß er mehrere nach der Nationalität der Mehrheit der von der S. E. beschäftigten Arbeitnehmer differenzierende Lösungen vorschlug. Die europäischen Wirtschaftsverbände und Gewerkschaftsorganisationen waren sich in der Ablehnung dieses Vorgehens und im Wunsch nach einer einheitlichen Lösung einig, doch gingen ihre Vorstellungen über den hierfür einzuschlagenden Weg auseinander. Nach Anhörung der Sozialpartner hat die Kommission in ihrem Vorschlag vom Juni 1970 in Abweichung von dem von Lyon-Caen angeforderten Gutachten eine einheitliche, grundsätzlich an das BetrVG 1952 angelehnte Mitbestimmungsregelung vorgeschlagen31 • Die Arbeitnehmer sollten in einem Europäischen Betriebsrat vertreten sein, sie sollten die Möglichkeit zum Abschluß von Tarifverträgen haben und sie sollten grundsätzlich ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat besetzen können. Aufgrund der mit breiter politischer Mehrheit verabschiedeten Stellungnahme des Europäischen Parlaments hat die KomAbgedruckt in Studien der Kommission Reihe Wettbewerb Nr. 6 (1967). Beilage 8 - 1970 zum EG-Bulletin, Pipkorn ZHR 137, 48 f. m. N.; insbes. von der Groeben / Vetter / Friedrich, Eur. Aktiengesellschaft - Beitrag zur sozialen Integration? (1972). 30 31

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mission ihren Vorschlag im Mai 1975 geändert und insbesondere den Arbeitnehmern stärkeren Einfluß auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats eingeräumt32 • Der Aufsichtsrat soll sich nunmehr zusammensetzen zu - 1/3 Aktionärsvertreter - 1/3 Arbeitnehmervertreter - 1/3 von den beiden anderen Gruppen von Mitgliedern hinzugewählte unabhängige Mitglieder, die "allgemeine Interessen" vertreten. Dieses Modell verbindet Elemente der deutschen Montanmitbestimmung mit dem holländischen Mitbestimmungsmodell von 1971. Es entspricht in wesentlichen Zügen der Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Zentralgesellschaft "EsteI" der Hoesch-Hoogovensgruppe. Bei der Gründung dieses Konzerns (1972) wurde nach langwierigen Verhandlungen erstmals eine multinationale Mitbestimmungsformel entwickelt. Diese hatte auf die Diskussion des Europäischen Parlaments über die S. E. ganz erheblichen Einfluß 32a • b) Der KommissionsvorschZag einer fünften geseZZschaftsrechtZichen (Struktur-)RichtZinie Der Kommissionsvorschlag einer auf Art. 54, 3 g EWGV gestützten fünften Richtlinie über die Koordinierung der gesellschafts rechtlichen Vorschriften über die Struktur der Aktiengesellschaften vom Oktober 1972 geht auf dem vom S. E.-Vorschlag vorgezeichneten Weg einer pluralistischen Ausrichtung des Entscheidungsprozesses der Großunternehmen weiter. Alle Aktiengesellschaften in der EG sollen nach deutschem Vorbild eine dualistische Struktur mit Aufsichtsrat und Vorstand haben. Die Mitgliedstaaten sollen darüber hinaus sicherstellen, daß die Arbeitnehmer in allen Aktiengesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern an der Zusammensetzung des Aufsichtsrats beteiligt sind. Hierfür steht ihnen nach dem Richtlinienvorschlag ein weites Feld an Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die aber auf drei im nationalen Recht der Mitgliedstaaten damals bereits entwickelte Lösungstypen zurückgeführt werden können33 • Diese Regelung stieß in einigen Mitgliedstaaten auf sehr heftige Kritik. Vor allem in Großbritannien wurde ihr entgegengehalten, sie trüge 32 Beilage 4/75 zum EG-Bulletin Lutter (Hrsg.). Die Europäische Aktiengesellschaft (1976), Pipkorn ZHR 141 m. N. 32a VgI. die Plenardebatte in Anhang 179 zum EG ABI. v. Juli 1974, S. 126 - 243. 33 Beilage 10/72 zum EG-Bulletin. Dazu Niessen ZGR 1973, 218; Nobel, Zur Europäisierung des Aktienrechts (1974), 179 ff.

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den vielfältigen Einflußmöglichkeiten, welche die Arbeitnehmer durch unternehmensbezogene Kollektivverhandlungen gerade in diesem Lande haben, überhaupt nicht Rechnung. Die Frage erhob sich, warum auf diesem Gebiet eine gemeinschaftliche Regelung für alle Aktiengesellschaften nationalen Rechts unabhängig von ihrer etwaigen internationalen Verflechtung nötig ist, obwohl die Mitbestimmung im Aufsichtsrat nur ein Bestandteil von mehreren Rechtseinrichtungen zugunsten der Arbeitnehmer im Rahmen der deutschen und niederländischen Unternehmensverfassung ist. Um die Notwendigkeit zu begründen, in der Gemeinschaft übereinstimmende Grundanschauungen für die Ordnung des Zusammenwirkens von wirtschaftlicher Initiative, Kapitaleinsatz und Arbeit zu schaffen 34, hat die Kommission im November 1975 ihr "Grünbuch" über "Mitbestimmung und Struktur der Gemeinschaften" vorgelegt35 • Dadurch soll der gemeinschaftliche Konsens über die im Rahmen der fünften Richtlinie zu verwirklichenden Lösungen gefördert werden 36 • Dieses "Grünbuch" fußt auf umfangreichen rechtsvergleichenden Arbeiten. Für alle Staaten der Gemeinschaft werden die Möglichkeiten untersucht, mit denen die Arbeitnehmer auf Unternehmensentscheidungen Einfluß nehmen können. Die rechtlichen Regelungen und deren praktische Anwendung sowie etwaige politische Reformentwicklungen werden nach folgendem Schema behandelt: - Kollektivverhandlungen über Arbeitsbedingungen; - Arbeitnehmervertretungen mit Informations-, Anhörungs- und Zustimmungsrechten gegenüber unternehmerischen Maßnahmen; - Vertretung der Arbeitnehmer in den Entscheidungsorganen der GeseIlschaften; - Vermögens- und Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer. Der analytische Teil des "Grünbuchs" versucht darzulegen, weshalb die Mitbestimmung im Aufsichtsrat die übrigen Schutzeinrichtungen zugunsten der Arbeitnehmer nicht etwa verdrängen soll, sondern ganz spezifische, von keiner anderen Institution zu erfüllende Aufgaben hat: die Legitimationsbasis der Geschäftsführung des Unternehmens zu verändern und damit die Wirkungsweise aller anderen unternehmens-bezogenen Schutzeinrichtungen zu fördern und gleichzeitig die im Unternehmen drohenden sozialen Konflikte herabzusetzen37 • 34 Duden, Gemeinsame Rechtsfortbildung in der erweiterten EWG, EuR 1972, 213, 223. 35 Beilage 8/75 zum Bulletin der EG. 36 Ebd., S. 12, 50. 37 Zu den Aufgaben des Grünbuches ZHR 141 (1977).

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Jörn Pipkorn c) Wirkungen der gemeinschaftlichen Mitbestimmungsvorschläge

In den letzten Jahren ist in allen Ländern der Gemeinschaft eine interessen-pluralistische Ausrichtung der Unternehmen und eine breitere Legitimation der Unternehmensentscheidung durch Einbeziehung der Arbeitnehmer in die Unternehmensorgane in das Zentrum der Diskussion um die Unternehmensreform geraten. Der Bericht zur Einführung des Luxemburger Mitbestimmungsgesetzes von 1974, der in Frankreich vorgelegte Sudreau-Bericht und auch der Bericht der britischen Bullock-Kommission vom Januar 1977 stützen ihre Lösungsvorschläge auf rechtsvergleichende übersichten und Analysen. Den Mitbestimmungsvorschlägen der Kommission kommt darin eine erhebliche Rolle ZU 38 • Gleichwohl gibt es gerade in diesen beiden Ländern sowie in Italien noch starke Widerstände bei Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden gegen institutionell verfestigte Formen der wirtschaftlichen Mitbestimmung, so daß sich die Gestalt ihres gemeinschaftlichen Rahmens und der Zeitpunkt seiner Verwirklichung noch nicht absehen lassen39 • 4. Schutz der Arbeitnehmer in besonderen Krisensituationen für den Arbeitsplatz

Die Gemeinschaftsorgane haben auf dem Gebiet der Angleichung der Rechtsvorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer in besonderen Krisensituationen ihres Unternehmens bereits zwei auf Art. 100 EWGV gestützte Angleichungsrichtlinien verabschieden können. Es sind dies die Richtlinie des Rates vom 17. 2. 1975 über Massenentlassungen und die Richtlinie des Rates vom 14. 2. 1977 über die Wahrung von Arbeitnehmeranspruchen bei Unternehmensübergang.

a) Richtlinie über Massenentlassungen Die Richtlinie vom 17.2.1975 40 sieht zum Schutze der von einer in der Richtlinie näher definierten Massenentlassung bedrohten Arbeitnehmer vor, daß der Arbeitgeber mit den Vertretern der Arbeitnehmer Konsul38 Das neue S. E.-Mitbestimmungsmodell ist auch bei den Anhörungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages zum Regierungsentwurf des Mitbestimmungsgesetzes 1974 zur Sprache gekommen, Stenogr. Protokoll der 52. Sitzung vom 7. 11.1974. 39 Das Europ. Parlament hat zum Vorschlag einer Fünften Richtlinie und zum Grünbuch noch nicht Stellung genommen. 40 Richtlinie 75/129, ABI. L 48/29 v. 22. 2. 1975.

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tationsverhandlungen aufnehmen muß, um die Möglichkeiten einer Vermeidung oder Verminderung der Massenentlassung und der Herabsetzung ihrer sozialen Folgen zu erörtern. Die Verhandlungen hierüber sind mit dem Ziel zu führen, zu einer Einigung über diese Punkte zu gelangen (Art. 2). Ferner hat der Arbeitgeber die Entlassungsabsicht der dafür zuständigen Behörde anzuzeigen und diese über das Ergebnis der Konsultationsverhandlungen zu unterrichten (Art. 3). Diese Richtlinie ist aus einem von der Kommission veranlaßten Vergleich der in den Ländern der Gemeinschaft geltenden Bestimmungen über den Kündigungsschutz hervorgegangen41 • Fälle wie die bereits erwähnte Massenentlassung bei AKZQ42 haben die der Richtlinie zugrundeliegende Begründung gestützt, daß die erheblichen Unterschiede auf diesem Gebiet zu Produktionsverlagerungen führen können, die einer harmonischen Entwicklung des Wirtschaftslebens in der Gemeinschaft entgegenwirken und die deshalb nach Art. 100 durch Rechtsangleichung zu beseitigen sind. Die Angleichung ist entsprechend dem Ziel in Art. 117 auf dem Wege des Fortschritts vorzunehmen, wie dies einer dynamischen Auffassung der Angleichungskompetenz in Art. 100 entspricht43. Die den Mitgliedstaaten nunmehr aufgegebenen Schutzeinrichtungen der Richtlinie verbinden Grundelemente des in Deutschland entwickelten Kündigungsschutzrechts mit dem in Frankreich und den Niederlanden ausgebauten Schutz durch behördlichen Genehmigungsvorbehalt von Kündigungen. Die Richtlinie enthält aber nur Mindestregelungen, die keinen Mitgliedstaat zu einer völligen Rezeption eines ihm fremden Schutzsystems verpflichten. Deutschland braucht also nicht das französische Verfahren des Genehmigungsvorbehalts zu übernehmen. In Ländern wie Belgien allerdings, wo der Kündigungsschutz bisher nur auf Kündigungsentschädigungen beruht, ergaben sich erhebliche Änderungen, insbesondere hinsichtlich der behördlichen Mitteilungspflicht. Probleme tauchen dort auf, wo der Kündigungsschutz nicht durch Gesetz, sondern durch landesweiten Tarifvertrag geregelt wird wie in Dänemark. Das Mittel, wie die Mitgliedstaaten eine Richtlinie umsetzen, bleibt nach Art. 189 Abs. 3 EWGV ihnen überlassen. So können sie die Verwirklichung der Richtlinie der Autonomie der Sozialpartner überantworten, sofern sie Regelungslücken vorbeugen und sicherstellen, daß die derart geschaffenen Normen für 41 Vgl. die Begründung des ursprünglichen Vorschlags der Kommission vom 8. 11. 1972 (KOM [72] 1400). 42 Oben S. 238/239. 43 EuGH U. v. 8. 4. 1976 Rs 43/75 Defrenne f Sabena Slg 1976, 455, insbes. 480.

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alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf ihre Koalitionszugehörigkeit Geltung und gerichtliche Durchsetzung beanspruchen können. b) Richtlinie über die Wahrung von Arbeitnehmeransprüchen bei Unternehmensübergang

Ein besonders illustratives Beispiel für den weiten Rahmen der Rechtsvergleichung im nationalen wie im supranationalen Bezugsrahmen liefert die am 14. Februar 1977 verabschiedete Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen44 • Sie unternimmt es, die Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in der Behandlung des Arbeitsverhältnisses bei Wechsel des Arbeitgebers einzuebnen. Rechtsordnungen, die vom grundsätzlichen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ausgehen (§ 613 a BGB), stehen andere gegenüber, die einen solchen Fortbestand nur über eine Vertragsnovation durch stillschweigende Willenserklärungen konstruieren können. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn die Arbeitsbedingungen durch Kollektivvereinbarungen geregelt sind, an die der neue Arbeitgeber nicht gebunden ist. Diese Unterschiede und Schwierigkeiten können sich für die Wahrung der von den Arbeitnehmern im Rahmen des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses erworbenen Rechte insbesondere dann negativ auswirken, wenn der Arbeitgeberwechsel durch einen Unternehmensübergang über die innergemeinschaftlichen Grenzen hinweg bedingt ist. Deshalb hat sich ein aktuelles Regelungsproblem zunächst im Zusammenhang mit den Arbeiten der Regierungssachverständigen an dem in Art. 220 EWGV vorgesehenen übereinkommen über die internationale Verschmelzung von Aktiengesellschaften gezeigt. Als Ergebnis von seit 1965 geführten langwierigen Verhandlungen konnten sich die Delegationen der ursprünglichen Mitgliedstaaten auf die in Artikel 30 des Entwurfes eines übereinkommens über die internationale Verschmelzung von Aktiengesellschaften vom Dezember 1972 niedergelegte Lösung einigen 45 • Es erwies sich jedoch bei dieser Diskussion, daß das in Artikel 30 des Entwurfs des Fusions-übereinkommens geregelte Problem nicht nur bei internationalen Verschmelzungen, sondern auch bei anderen Formen internationaler Unternehmenskonzentration auftaucht 41J• " Richtlinie vom 14. 2. 1977 L 61/26 v. 5. 3. 1977 Zusammenf. Bericht über die Rechtslage Sek (74) 4647 v. 11. 12. 1974. 45 Hierzu den Bericht von Goldmann, dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zum Vorentwurf, Beilage 13/73 z. EG-Bull. Nr. 95 ff.

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Deshalb begann die Kommission 1972, die Konsequenzen internationaler Konzentrationsvorgänge für die Arbeitnehmer und mögliche Regelungen der auftretenden Probleme auf breiter rechtsvergleichender Grundlage zu untersuchen. Als Ergebnis dieser Untersuchungen unterbreitete sie dem Rat am 29. Mai 1974 einen bereits im Sozialpolitischen Aktionsprogramm vom 21. 1. 1974 angekündigten Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen und Vergünstigungen der Arbeitnehmer bei Gesellschaftsfusionen, Betriebsübertragungen sowie Unternehmenszusammenschlüssen47 • Neben Bestimmungen über den übergang des Arbeitsverhältnisses (wie jene in Art. 30 des Entwurfs des Fusionsübereinkommens) wurden verfahrensrechtliche Vorschriften entsprechend der Regelung des Sozialplans in § 112 BetrVG für alle erfaßten Konzentrationsvorgänge vorgeschlagen. Die endgültige Gestaltung dieser beiden Regelungskomplexe ist ein Beispiel für die Notwendigkeit einer optimalen Koordinierung des Anwendungsbereiches und des Regelungsinhaltes mehrerer verwandter Gemeinschaftsmaßnahmen (u. a. durch Rechtsvergleichung). Die ersten Elemente des Regelungssystems wurden auf Betreiben des Europäischen Gewerkschaftsbundes 1970 von der Kommission vorgeschlagen. Sie übernahmen in ihren Vorschlag einer auf Art. 54, 3 g EWGV gestützten Richtlinie zur Regelung der nationalen Verschmelzungen von Aktiengesellschaften eine Bestimmung, wonach die Arbeitnehmervertreter über die Auswirkungen der Verschmelzung zu unterrichten sind (Art. 6). Der nach Abschluß der Anhörungsverfahren vor dem Europäischen Parlament und dem Wirtschafts- und Sozialausschuß überarbeitete Vorschlag vom 4. 1. 1973 sah ein Konsulationsverfahren wie nach dem zuvor vorgelegten Richtlinienvorschlag über die Massenentlassungen vor48 • Im Vorschlag über die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche vom Mai 1974 ging die Kommission noch einen Schritt weiter. Sie sah ein Schiedsverfahren entsprechend der Regelung in § 112 Abs. 4 BetrVG 1972 für den Fall vor, daß bei den Verhandlungen über den Sozialplan keine Einigung zustande kommt (Art. 8 Abs. 2). Zuvor hatte sie ein solches Schiedsverfahren bereits in Artikel 128 des Vorschlags eines Statuts für Europäische Aktiengesellschaften für die Fälle vorgeschlagen, in denen der Europäische Betriebsrat zustimmungspflichtigen Entschei45 VgI. die Gemeinsame Erklärung Nr. 1 zum Vortentwurf und den Bericht von Goldmannhierzu (Nr. 175) sowie die Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 381/71 von Vredeling vom 22. 2. 1972 ABI. C 23/2 vom 8.3.1972. 47 Ursprünglicher Vorschlag ABI. C 10411 v. 13. 9. 1974. 48 Ursprünglicher Vorschlag einer dritten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie v. 16. 6. 1970, Beilage 5170 z. EG-Bulletin. Geänderter Vorschlag v. 4. 1. 1973 KOM (72) 1668.

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dungen des Vorstandes der S. E. widerspricht. Seit 1972 haben die Ausschüsse des Europäischen Parlaments gefordert, in dieses System einen Sozialplan bei wichtigen Veränderungen der Unternehmensstrukturen einzufügen. Das Plenum hat diese Forderung im Juli 1974 bestätigt und die Kommission ist ihr im geänderten S. E.-Vorschlag vom 13. Mai 1975 nachgekommen 49 • Ein Schiedsverfahren im Anschluß an Konsultationsverfahren erweckt jedoch in Mitgliedstaaten ohne die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen der Bundesrepublik die Befürchtung, damit werde das Streikrecht beeinträchtigtso. Die Kommission hat deshalb zu dem geänderten Vorschlag der Richtlinie über die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche vom 25. Juli 1975 ebenso wie zuvor in dem Vorschlag über die S. E. vom 13. Mai 1975 und danach in dem zum zweiten Mal geänderten Vorschlag einer dritten Richtlinie klargestellt, daß das Schiedsverfahren nur auf Verlangen der Arbeitnehmervertreter durchgeführt wird 51 • Der Rat hat gleichwohl ein solches Schiedsverfahren als verbindliches Angleichungsziel abgelehnt. Die Mitgliedstaaten haben nach der Regelung in Art. 6 der Richtlinie die Wahl, ob sie ein Informations- oder Konsultationsverfahren mit den Vertretern der Arbeitnehmer vor dem Unternehmensübergang vorschreiben oder ob sie entsprechend der Regelung in § 112 BetrVG verfahren wollen. Dann müssen sie aber auch das dort vorgesehene Schiedsverfahren einführen. Die Konsultationsverfahren sind nur für die Fälle des Unternehmensoder Betriebsübergangs, nicht aber, wie ursprünglich vorgeschlagen, für alle Konzentrationsvorgänge wie etwa die Konzernbildung obligatorisch einzuführen. Es bleibt abzuwarten, ob die weiteren Entwicklungen die Diskussion um die 3. Richtlinie und die S. E. - eine wenigstens teilweise Vervollständigung des gemeinschaftlichen Systems des "Sozialplans" ermöglichen.

49 Vgl. Art. 23 c, d; 31 C; 125 a; 248 a, 271 d, 272 c, 273 C des geänderten S.E.-Vorschlags mit Erläuterungen, Beilage 4/75 z. EG-Bulletin. Dazu Gitter/ Heinze in Lutter (FN 32), der Betriebsrat der S. E., S. 405, 417. 50 Vgl. Entschließungen des Europäischen Parlaments über die geänderten Vorschläge einer Dritten Richtlinie und Stellungnahme zum Vorschlag über die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche vom 8. 4. 1975 ABl. C 95 v. 28. 4. 1975, Debatten in Anhang 189 zum EG-ABl., S. 21 ff., bes. 26, 33, 63. 51 Geänderter Vorschlag über die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche KOM (75) 429 vom 25. 7. 1975. Zweiter geänderter Vorschlag einer Dritten Richtlinie vom 22. 12. 1975, KOM (75) 675.

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Auch der andere von der Richtlinie vom 14. 2. 1977 erfaßte Regelungskomplex ist noch ergänzungsbedürftig, damit ein in jeder Hinsicht abgerundeter sozialer Schutz der Arbeitnehmer auf Gemeinschaftsebene in seinen Mindestelementen gewährleistet ist. Art. 3 der Richtlinie regelt den automatischen übergang der Arbeitsverhältnisse einschließlich der kollektivvertraglich vereinbarten Bedingungen. Dies gilt aber nicht für Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Richtlinie verpflichtet aber die Mitgliedstaaten, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, damit auch insoweit die Rechte und Anwartschaften der Leistungsberechtigten geschützt sind. Dies ist eine bemerkenswerte rechtliche Interferenz in diesen strittigen Bereich52 • Artikel 4 Abs. 1 enthält einen gegenüber dem Kommissionsvorschlag zurückbleibenden Mindestschutz vor einer infolge des Unternehmensübergangs vom neuen Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung. Absatz 2 regelt den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer für den Arbeitnehmer unzumutbaren Änderung der Arbeitsbedingungen infolge des Unternehmensübergangs. In diesem Fall ist davon auszugehen, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis be endet hat53 • Die Folgen, die sich an eine nach der Fassung des Absatzes 1 zulässige Kündigung oder eine nach Absatz 2 erfolgte Beendigung des Arbeitsverhältnisses knüpfen, richten sich nach den allgemeinen nationalen Vorschriften. Wenn der Unternehmensübergang über die innergemeinschaftlichen Grenzen hinweg erfolgt und mit einem Arbeitsplatzwechsel verbunden ist, können Normenkonflikte entstehen. In einem Teil der Mitgliedstaaten wird nämlich davon ausgegangen, daß für das Arbeitsverhältnis das Recht des Arbeitsortes gilt, während in anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich von der Freiheit der Rechtswahl ausgegangen wil'd54 • Eine befriedigende Regelung des aufgetauchten Regelungsproblems setzt eine 52 Ob die Ansprüche der ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf betriebliche Zusatzrente bei Betriebsübergang nach Art. 613 a BGB oder analog übergehen, ist umstritten. 53 Die Verbindung zu Art. 30 des Fusions-übereinkommens ergibt sich aus der Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nach einer Interpretationserklärung des Rates zu gebenden Auslegung, VgI. F. Vandamme C.D.E. 1977,25,38. Nach wie vor gibt es für die rechtsetzenden Ratsbeschlüsse keine offiziellen Materialien. 54 VgI. hierzu Gamillscheg, Intereuropäisches Arbeitsrecht RabelsZ 1973, 284. Die gegen den ursprünglichen Vorschlag vom März 1972 (ABI. C 49/26 v. 18. 5. 1927) gerichtete Kritik wurde durch den geänderten Vorschlag vom 28. 4. 1976 KOM (75) 653 endg. zum Teil gegenstandslos. VgI. auch Rodiere, Le projet europeen de reglement uniforme des confiits de lois en matiere des relations de tar vail R.T.D.E. 1973, 1. Beitzke, EWG-Kollisionsnormenzum Arbeitsverhältnis, Festschrift für Dietz, S. 127.

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einheitliche Anknüpfung des Arbeitsverhältnisses in den Mitgliedstaaten voraus. Der geänderte Vorschlag einer Verordnung über das auf Arbeitsverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft anzuwendende Konfliktsrecht knüpft grundsätzlich an das am Arbei tsort geltende Recht an55 • Er vervollständigt damit die inden Verordnungen N r. 1.612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme sozialer Sicherheit enthaltenen Konfliktregelungen in Richtung auf eine einheitliche, das Arbeitsverhältnis in seinen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Aspekten erfassende Anknüpfung an den Arbeitsort, die ein harmonisches Ineinandergreifen der Sachnormen garantiert. Dies scheint mir ein anschauliches Beispiel für die Aufgabe der Rechtsvergleichung zu sein, Regelungslücken der Gemeinschaftsmaßnahmen ins Licht zu rücken und damit einen Erfolgsdruck auf weitere Integrationsschritte auszuüben.

Zusammenfassung

[1.] 1. Die Rechtsangleichung in der EG ist in ihrer Funktion auf die Integration der Gemeinschaft bezogen. Angleichungsziel ist deshalb nicht die Rechtsvereinheitlichung an sich, sondern die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die vom EWG-Vertrag bezweckte Verschmelzung der nationalen Volkswirtschaften in einem europäischen Wirtschafts raum mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen. Dabei ist ein schrittweises Vorgehen vorausgesetzt, das auf konkrete, nach dem jeweiligen Integrationsstand bemessene Angleichungsbedürfnisse ausgerichtet ist. 2. Unter anderem ist durch Rechtsangleichung anzustreben, daß im Hinblick auf die im Gemeinsamen Markt freigesetzten Wirtschaftsabläufe für alle davon betroffenen Interessen überall funktionell gleichwertige (nicht notwendig einheitliche) Schutzeinrichtungen bestehen. Dies gilt insbesondere für die unternehmensbezogenen Schutzund Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer, die insbesondere durch die 55 Von den in Art. 4 bis 7 gemachten Ausnahmen ist Art. 7 Abs. 1 hervorzuheben, wonach für die Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern in herausgehobener Stellung oder mit besonderer Qualifikation vorbehaltlich der zwingenden Vorschriften nach Art. 8 die vereinbarte Arbeitsrechtsordnung gilt. Soweit sie nicht von den Konfliktregeln in dieser Verordnung erfaßt werden, sollen auf Arbeitsverhältnisse die Bestimmungen des Vorentwurfs eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (vgl. Art. 2 dieses Entwurfs) Anwendung finden.

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Mobilität transnationaler Unternehmen in ihren Wirkungen herabgesetzt sein können, wenn sie nicht gemeinschaftsweit harmonisiert sind. Eine solche Harmonisierung erleichtert andererseits den Unternehmen die rationelle Ausrichtung ihrer Geschäftspolitik auf die sozialen Anforderungen in der Gemeinschaft. 3. Vorgezeichnet ist dabei ein schrittweises, auf den erreichten Integrationsstand bezogenes Vorgehen. Dabei ist es häufig erforderlich, nur gemeinschaftliche Mindeststandards als Angleichungsziel zu setzen und dadurch einen Rahmen zu schaffen, in dem die nationalen Entwicklungen trotz aller aus der Geschichte und den gewachsenen Denktraditionen herrührenden wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede langfristig konvergieren können. 4. Aus dieser Funktion der gemeinschaftlichen Rechtsangleichung ergibt sich für die Rechtsvergleichung besonders nachdrücklich die Notwendigkeit, die konkreten Auswirkungen der nationalen Normensysteme auf den regelungsbedürftigen Sachverhalt zu erfassen, und sicherzustellen, daß der erstrebte Angleichungseffekt mit dem Geltungsanspruch von Normen vereinbar ist, die außerhalb des Angleichungsprogramms verbleiben. Schwierigkeiten für die Rechtsvergleichung und die Rechtsangleichung bestehen insbesondere in den Bereichen, wo klassische Institute des Zivil- und Handelsrechts mit traditionellen internationalen Bezügen wie das Gesellschafts- oder Konkursrecht einen intensiven gesellschafts- und sozialpolitischen Bezug erhalten und von im weiteren Sinn sozial rechtlichen Normen überlagert werden (z. B. wirtschaftliche Mitbestimmung, Vermögensbildung der Arbeitnehmer, Sicherung der Arbeitnehmer beim Konkurs des Arbeitgebers oder beim Unternehmensübergang). 5. Die EG-Rechtsvergleichung hat die Aufgabe, in geeigneter Form eingegrenzte Lösungstypen zu entwickeln, damit auch auf Gebieten mit starkem gesellschafts- und sozialpolitischen Gehalt auf EG-Ebene konsensfähige Angleichungsziele entwickelt werden können. 6. Ihr steht hierfür ein institutionelles Verfahren zur Verfügung, in welchem die rechtsvergleichenden Arbeiten und die aus ihnen hervorgehenden Lösungstypen in einer umfänglichen Diskussion mit Sachkennern verschiedenen sozialpolitischen Hintergrunds problematisiert und von persönlichen Tönungen gereinigt werden können. Erst dann wird mit einem förmlichen Kommissionsvorschlag das Rechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft mit seinen vielfältigen nationalen Rückkoppelungen eingeleitet, das aber durch einen Ratsbeschluß abgeschlossen wird, der durch mangelnde Transparenz der Willensbildung gekennzeichnet ist.

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7. Die Rechtsangleichung auf sozialrechtlichem Gebiet wurde lange Zeit durch einen Streit über das Verhältnis zwischen den Vorschriften des EWG-Vertrages über die Sozialpolitik (Art. 117 -122) und den allgemeinen Vorschriften über die Rechtsangleichung (Art. 100 - 102) überschattet. Diese Auseinandersetzung verläuft aber im Hinblick auf die zunehmende Mobilität transnationaler Unternehmen und infolge der Schlußerklärung der Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 in der Richtung, daß nunmehr die allgemeine Rechtsangleichung und deren Instrumente verstärkt in den Dienst sozialpolitischer Vertragsziele (Art. 2, 117 EWGV) gestellt werden. Der EuGH hat diese Entwicklung im Urteil vom 8. 4. 1976 "Defrenne" - Rs 43/75 - Slg 1976, 455 gerechtfertigt und ihre Verstärkung im Hinblick auf die versteckten Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen im ArbeitsIeben angeregt. 8. Der Schutz der Arbeitnehmer und ihre Beteiligung am Leben der Unternehmen wird auf zwei Wegen angestrebt: - durch ihre Vertretung in den Organen von Kapitalgesellschaften, die Rechtsträger von Unternehmen sind (Vorschläge über die Europäische Aktiengesellschaft S. E., 5. gesellschaftsrechtliche Richtlinie); - durch den Schutz der Arbeitnehmer in besonderen Krisensituationen für den Arbeitsplatz (Richtlinien über die Massenentlassung und die Wahrung der Arbeitnehmeransprüche bei Unternehmensübergang). Die diesen Zielrichtungen verpflichteten Gemeinschaftsakte und Kommissionsvorschläge liefern zahlreiche Beispiele für die direkten und indirekten Wirkungen horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung. 9. Als Ergebnis der rechtsvergleichenden Untersuchungen auf Gebieten, die von Gemeinschaftsakten und Kommissionsvorschlägen zur sozialen Rechtsangleichung erfaßt werden, können sich Regelungslücken ergeben, die dann einen Erfolgsdruck auf ergänzende Rechtsangleichungsmaßnahmen ausüben. Summary [L] 1. Legal harmonization in the EC is related in its function to the inte-

gration of the Community. Therefore the aim of harmonization is

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not so much the uniformation of law but rather the creation of the legal framework for the amalgamation of national economies in a European trading area with more or less inland market conditions, as provided by the EEC Treaty. This implies a step-by-step procedure that is oriented by concrete requirements of harmonization determined by the actual state of integration. 2. One of the aims of legal harmonization is the general establishment of functionally equivalent (but not necessarily uniform) protective institutions for all interests involved, in view of the economic processes initiated within the Common Market. This holds true in particular for the rights of protection and participation of employees within an enterprise, which may be lessened in their effect particularly through the mobility of transnational enterprises unless they are being harmonized on the Community level. This harmonization in turn makes it easier for a business enterprise to adjust its policy to the social requirements within the Community. 3. All actions must be taken in steps, depending on the state of integration realized. Freqently it will be necessary to set as the aim of harmonization common minimum standards and thereby to create a framework in which national developments may ultimately converge in spite of the economic an social differences resulting from history and traditions of thinking. 4. The predominant necessity of comparative law resulting from the above-described function of legal harmonization is to determine the concrete effects of the national systems of standards on the circumstances to be regulated, and to ensure that the desired effect of harmonization is compatible with the validity and coverage of standards that remain outside the program of harmonization. Difficulties of the comparison and harmonization of law mainly exist in areas where classical institutions of civil and commerciallaw of tradition al international purport such as corporate law and bankruptcy law, have far-reaching social and socio-political significance and are superimposed by, in a wider sense, sociallaw standards (e. g. economic codetermination, capital formation by employees, proteetion of employees in case of bankruptcy of the employer or transfer of business). 5. The purpose of EC comparative law is the development of appropriately defined solutions so as to set up on the EC level also in fields of pronounced social and socio-political significance aims of harmonization that can be agreed upon. 6. For this purpose an institution al procedure is available by which comparative law studies and the various solutions proposed can be thoroughly discussed by experts in the various fields of social policy and

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Jörn Pipkorn thus freed of any personal implications. This is followed by the initiation, through a proposal of the Commission, of the law-fixing pro cedure of the Community with its many national backings, which is then finalized by adecision of the Council that is characterized by a lack of transparency in development of objectives.

[11.] 7. Harmonization in the field of social legislation has long been overshadowed by controversies on the relationship between the provisions of the EEC Treaty on social policy (art. 117 - 122) and general provisions on the harmonization of law (art. 100 -102). In view of the increased mobility of transnational enterprises and as a result of the final statement at the summit conference in Paris in October 1972 these controversies are being directed towards delegating the general harmonization of law and its instruments to the realization of socio-political agreements (art. 2, 117 EEC Treaty). This development has been substantiated by the European Court of Justice in its decision "Defrenne" of April 8, 1976 who suggested its intensification with a view to hidden job discriminations between men and women. 8. Protection of employees and employee participation in management decisions is pursued by two approaches: - through representation in the organizations of stock corporations, that are legal entities of an enterprise (proposals for a European stock corporation) - through protection of employees in critical job situations (directives on mass dismissals and maintenance of employee claims on transfer of business). The actions initiated and the proposals made by the Commission that are committed to these aims give many examples for the direct and indirect effects of a horizontal and a vertical comparison of law. 9. Investigations by comparative law in field:s comprised by the activity and proposals of the Commission as to harmonization of social law may lead to deficiencies of regulation that require the realization of supplementary measures of harmonization.

Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Harmonisierung sozialrechtlicher Normen in den Europäischen Gemeinschaften Von Helmut Kaupper Das Thema des Referates schließt eng an das Thema an, über das Herr Professor Jantz beim letztjährigen Kolloquium referiert hat l • Sein Bericht befaßte sich damals mit dem, was die Erfahrung bei der supranationalen Harmonisierung von Sozialrecht für den Rechtsvergleich ergibt. Das heutige Thema trägt einer Weiterentwicklung Rechnung, da die zukünftige Harmonisierung des Sozialrechts nunmehr bereits als gegeben hingenommen wird und man davon ausgeht, daß die dürftigen Erfahrungen, die in der Vergangenheit bei der supranationalen Harmonisierung beobachtet werden konnten, durch neue Erkenntnisse erweitert wurden. Die Impulse, die in den letzten Jahren, besonders seit der Entschließung des Rates vom 21. 1. 1974 über ein Sozialpolitisches Aktionsprogramm2 , von den verschiedensten Stellen ausgehen, bestätigen diese überlegungen. Es mag vielerlei Gründe geben, einen Vergleich bestimmter Rechtsbereiche zwischen einzelnen Staaten für zweckmäßig oder notwendig zu halten, verstärkt müssen alle diese Gründe aber in einem entstehenden europäischen Gemeinwesen gelten. Der Rechtsvergleich gibt uns bei den vielfältigen Formen der täglichen Zusammenarbeit in der Gemeinschaft die Möglichkeit, die Normen eigenen Verhaltens und Handelns abzuleiten, die Verhaltensweisen anderer zu verstehen und ihre Handlungen zu kontrollieren, aber auch darüber hinaus die Auswirkungen neuer gemeinschaftlicher Vorschriften zu beurteilen und Perspektiven zu entwickeln. Dies alles hätte bereits unabhängig davon, ob man eine Harmonisierung von Rechtsvorschriften in einem bestimmten Bereich anstrebt oder sie ablehnt, die Notwendigkeit eines Rechtsvergleiches bestätigen können, weil eine begründete Ablehnung die gleichen Erkenntnisse und überlegungen wie eine Zustimmung erfordert, um so mehr muß dies aber alles gelten, wenn man die jüngsten Harmonisierungs1 "Was ergeben die Erfahrungen bei der supranationalen Harmonisierung von Sozialrecht für einen Sozialrechtsvergleich", in: Zacher (Hrsg.), Methodische Probleme des Sozialrechtsvergleichs, Schriftenreihe für Internationales und Vergleichendes Sozialrecht, Bd. 1, Berlin 1977, S. 196. 2 Sozialpolitisches Aktionsprogramm (Bulletin der EG-Beilage 2/74).

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tendenzen im Bereich der Sozialen Sicherheit in der EG beobachtet. Ich glaube, man kann sagen, daß in nächster Zeit die Schwelle zur Harmonisierung des Kernbereiches des Sozialrechts erreicht und überschritten wird. Herr Professor Jantz hat im vergangenen Jahr aus der historischen Entwicklung heraus, d. h. aus der Rechtssituation, die der EWG-Vertrag in Artikel 117 und 118 gibt, die bisherigen schwachen Wirkungen der Harmonisierung im Sozialrecht geschildert. Er hat sich dabei weitgehend auf das Kernstück des Sozialrechts, nämlich die Soziale Sicherheit, bezogen und die Harmonisierungsansätze in der Vergangenheit dargelegt. Ansätze, die, von kleinen Randerfolgen abgesehen, gescheitert sind. Erlauben Sie mir kurz die beiden Phasen der Harmonisierung zu rekapitulieren und darzulegen, worauf dieses Scheitern zurückzuführen ist. Bis zur Europäischen Konferenz über Soziale Sicherheit im Dezember 1962 gab es hierfür mehrfache Gründe. Zunächst lehnten die Mitgliedstaaten fast einhellig die Heranziehung der Rechtsgrundlagen der Artikel100 und 235 des EWG-Vertrages für die Harmonisierung ab. Maßgeblich war weiter die Anlage und Durchführung der Rechtsvergleiche für die europäische Sozialkonferenz. Die Kommission hatte aus einer gewissen Unerfahrenheit heraus Sachverständige hauptsächlich der Sozialpartnerseite herangezogen und diese jeweils mit Themen beauftragt, die national besonders kontrovers waren. So wurde z. B. der Bericht über die Krankenversicherung von einem deutschen Arbeitnehmervertreter und einem französischen Arbeitgebervertreter erstattet, obwohl damals in der Bundesrepublik Deutschland, u. a. wegen der Lohnfortzahlung, die Situation der Krankenversicherung unter den Sozialpartnern und zwischen diesen und der Regierung besonders umstritten war. Dies führte zu lebhaften Auseinandersetzungen der deutschen Vertreter untereinander und verhinderte gemeinsame Entschließungen bei der Konferenz. Als einen weiteren Punkt, der einen Erfolg der Konferenz verhinderte, muß man die fehlende überzeugung von der Notwendigkeit der Harmonisierung ansehen. Das Funktionieren der Koordinierungsregeln, die nach Artikel 51 des Vertrages für die Wanderarbeitnehmer zu erlassen waren, beseitigte den Druck, der normalerweise von der Herstellung der Freizügigkeit auf eine Harmonisierung der Vorschriften über die Soziale Sicherheit hingewirkt hätte. Die Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer hatte die Konfliktmöglichkeiten im zwischenstaatlichen Bereich bereits weitgehend beseitigt. Probleme, wie sie im Referat von Herrn Pipkorn für das Arbeitsrecht geschildert wurden, tauchten im Bereich der Sozialen Sicherheit nicht mehr auf. Der zweite Harmonisierungsansatz Mitte der sechziger Jahre verlief deshalb im Sand, weil auch hier sich die restriktive Auslegung der Kompetenzen der Gemeinschaft noch nicht verändert hatte, aber darüber

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hinaus die Ziele zu unklar umrissen waren und das Vorgehen zu punktuell angesetzt war. Man versuchte damals, die Begriffsbestimmungen zu hannonisieren, geriet aber beim Vergleich der Auswirkungen in die Rechtsinhalte, die aus dem Bezugssystem herausgenommen und isoliert betrachtet wurden. Wenn man von den Empfehlungen über die Berufskrankheiten absieht, deren Inhalt weniger dem rechtlichen als dem medizinischen Bereich zuzurechnen ist, schlug dieser Ansatz gleichfalls fehl. Die Rechtsnormen des Vertrages haben sich bis heute nicht geändert. Es ist jedoch seit einiger Zeit das Bestreben unverkennbar, sie mit einer neuen Auslegung und damit auch mit einem neuen Inhalt zu erfüllen. Die formale Auslegung der Rechtsnormen, auf die sich die Harmonisierungstendenzen in der Vergangenheit gestützt haben, ist einer dynamischen politischen Auslegung gewichen. Dies hat sich zwar noch nicht im Bereich der Sozialen Sicherheit konkretisiert, jedoch in anderen Bereichen des Sozialrechts. Es gibt daher keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß die weiteren Bereiche und vor allem der große Bereich der Sozialen Sicherheit in die überlegungen der Gemeinschaftsorgane einbezogen sind. Auch im Bereich des Rechtes der Wanderarbeitnehmer sind neue Konfliktstoffe entstanden, vor allem durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der das Rentenberechnungssystem, das die Verordnungen über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer aufstellten, für unzulässig erklärt hat und die dadurch entstandene Lücke durch harmonisierte nationale Rechtsvorschriften ausgefüllt sehen will. Die Kommission und das Europäische Parlament hatten ohnedies die restriktive Auslegung der der Gemeinschaft zustehenden Befugnisse und Kompetenzen durch die Mitgliedstaaten nicht geteilt und immer eine gemeinschaftliche Sozialpolitik, gerade auch für den Bereich der Sozialen Sicherheit, gefordert. Zwar hat die Kommission im Sozialen Aktionsprogramm erklärt, daß es nicht ihre Absicht sei, alle sozialen Probleme der Gemeinschaft zentral zu lösen, und weiter, daß sie auch nicht eine Sozialpolitik anstrebe, die alle diese Probleme auf eine für alle einheitliche und ausschließliche Weise löse. Das Aktionsprogramm solle demnach nicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten im sozialen Bereich einengen. Andererseits hat die Kommission aber auch auf in allen Staaten gleichermaßen auftretende Probleme hingewiesen, die daher besser gemeinsam als einseitig behandelt werden sollten. Die Kommission wie auch andere Gemeinschaftsorgane haben erkannt, daß der Sozialbereich die größten Auswirkungen auf die Menschen in der Gemeinschaft hat. Deren enge Bindung an die Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn die Erfolge in· einem ihnen verständlichen Bereich unmittelbar ihren Wünschen und Vorstellungen entsprechen. Es ist sicherlich nicht zu bestreiten, daß der soziale Aspekt in der Europäischen Gemeinschaft bisher zu kurz gekommen ist. Allerdings lassen die von den Gemeinschaftsorganen bisher dargelegten Harmonisierungs17 Sozialrechtsvergleich

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gedanken das Gefühl aufkommen, daß die einschneidenden rechtlichen, strukturellen und finanziellen Implikationen noch nicht voll erkannt sind. Es seien Zweifel angemeldet, inwieweit hierzu die heutigen Methoden ausreichen. Bevor im einzelnen das Vorgehen dargelegt werden soll, sind noch einige Ausführungen über die Auslegung, die der EWGVertrag heute erfährt, notwendig. Art. 117 Abs. 1 des Vertrages wendet sich an die einzelnen Mitgliedstaaten und nicht an die Gemeinschaft. Die Staaten sind sich einig über die Notwendigkeit, auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hinzuwirken, um dadurch auf dem Weg des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen. Die Kommission soll nach Art. 118, unbeschadet der sonstigen Vertragsbestimmungen, u. a. auch im Bereich der Sozialen Sicherheit die enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördern. Art. 117 und 118 erkennen damit der Gemeinschaft, anders als in anderen im Vertrag aufgeführten Politiken, keine eigentlichen Regelungsbefugnisse zu. Unbestritten stellen aber Art. 117 und 118 auch eine Beziehung zu anderen Gemeinschaftspolitiken her. Nach Art. 117 Abs. 2 haben die Mitgliedstaaten ihre Auffassung bekräftigt, daß die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und ihre Angleichung auf dem Wege des Fortschritts sowie eine Abstimmung der Sozialordnungen durch das Wirken des Gemeinsamen Marktes begünstigt werden. Der Absatz spricht aber darüber hinaus auch von den im Vertrag vorgesehenen Verfahren sowie von der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, von denen diese Entwicklung gleichfalls erwartet wird. Hier standen sich zwei Meinungen gegenüber: Nach der einen Auffassung wurde das Verhältnis zwischen Art. 117 und 118 einerseits und anderen Vertragsvorschriften, insbesondere dem Art. 100 des Vertrages, von der Regelungskompetenz des Art. 117 aus betrachtet, d. h. der Kompetenz der Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik. Nach dieser Auffassung sollte die Kompetenzregelung nicht durch Rechtssetzungsbefugnisse der Gemeinschaft selbst beeinträchtigt werden können. Die der Gemeinschaft in einzelnen Bereichen zustehenden Handlungsbefugnisse können nach dieser Meinung nicht als eigenständig betrachtet und in den Bereich anderer Politiken übertragen werden. Als Folge solcher übertragungen wäre nämlich eine Allzuständigkeit der Gemeinschaft, wenn lediglich ein gemeinschaftliches Handeln angezeigt wäre, gegeben, ohne daß die Kriterien für das Erfordernis dieses Handeins selbst festliegen. Art. 100 soll also nach dieser Auffassung nicht als einer der Vorbehalte verstanden werden, der der Gemeinschaft das Recht gibt, im Bereich der Sozialpolitik Richtlinien für eine Angleichung derjenigen Rechtsund Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken.

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Die andere Auffassung sieht bereits aus der Einordnung des Art. 100 in den dritten Teil des EWG-Vertrages diese Vorschrift als eine gemeinsame Regel für den genannten Teil, zu dem auch die Art. 117 und 118 zählen, an. Dabei wird darauf verwiesen, daß Art. 117 Abs. 2 ausdrücklich auf die im Vertrag festgelegten Verfahren Bezug nimmt, womit er nach dieser Auffassung auf Art. 100 und damit auf das Verfahren der Rechtsangleichung Bezug nimmt. Weiter wird auch auf den Wortlaut des Art. 117 Abs. 2 und Art. 100 Bezug genommen, der jeweils mit dem gleichen Begriff "Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften" formuliert ist. Auch Art. 118 soll dabei dieser Auffassung nicht entgegenstehen, da hier der Vorbehalt der "sonstigen Vertragsvorschriften " gemacht wird, zu denen auch Art. 100 gehören soll. Seit einiger Zeit hat sich in der Gemeinschaft zunehmend die zweite Auffassung durchgesetzt, wie der Erlaß von Richtlinien in dem in Art. 117 und 118 angesprochenen Bereich bezeugt, die sich auf Art. 100 stützen. Die Kompetenz zum Erlaß solcher Richtlinien wird heute nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen. Wenn nun Art. 100 ursprünglich nur zur Beseitigung von Handelshemmnissen und später auch zur Beseitigung von Wettbewerbsunterschieden verwendet wurde, sind diese Kriterien vollständig in den Hintergrund getreten. Heute wird Art. 100 in einer so weitgehenden Weise ausgelegt, daß nur noch die Frage gestellt wird, ob die Regelung Einfluß auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes in seinem derzeitigen Entwicklungsstadium hat. Man kann daher uneingeschränkt sagen, daß Art. 100 heute eine Generalklausel zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften in der Gemeinschaft geworden ist. In diesem Zusammenhang soll noch darauf aufmerksam gemacht werden, daß der Europäische Gerichtshof bereits 1970 ein Urteil erlassen hat, in dem er die unmittelbare Wirkung von Entscheidungen und Richtlinien grundsätzlich bejaht (Rechtssache 9170). In den Entscheidungsgründen hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, daß in den Fällen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehörden einen Mitgliedstaat oder alle Mitgliedstaaten durch Entscheidung zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, die "nützliche Wirkung" ("effet utile") einer solchen Maßnahme abgeschwächt wäre, wenn die Angehörigen dieses Staates sich vor Gericht hierauf nicht berufen könnten und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschafts,.. rechts berücksichtigen könnten. Obwohl also Art. 189 Abs. 2 des EWGVertrages ausdrücklich nur den Verordnungen unmittelbare Wirkung zuerkennt, ist nicht ausgeschlossen worden, daß andere Rechtsakte, hierunter auch Richtlinien, ähnliche Wirkungen haben. Der Gerichtshof ist der Auffassung, daß Art. 189 Abs. 2 EWG-Vertrag nur bedeutet, daß 17·

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Verordnungen schon wegen ihrer Rechtsnatur unmittelbare Wirkung erlangen, was bei anderen Rechtsakten möglicherweise erst aus der Gesamtbetrachtung von Rechtsnatur, Systematik und Wortlaut sich ergibt. Aber noch eine weitere Vorschrift mit der Möglichkeit, eine Harmonisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften durchzuführen, wird zunehmend in Anspruch genommen. Die Pariser Gipfelkonferenz hat beschlossen, die Möglichkeit des Art. 235 des Vertrages voll auszuschöpfen3 • Zur Erreichung des Vertragszieles kann danach der Rat einstimmig tätig werden, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines seiner Ziele zu verwirklichen, wenn der Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorsieht. Auch diese Vorschrift wurde früher eng interpretiert, sie sollte danach als eine Ausnahmevorschrift nur dann eingreifen, wenn ein ausdrücklich im Vertrag angesprochenes Ziel auf anderem Wege nicht erreicht werden konnte. Seit 1972 wird nun Art. 235 unter Heranziehung der Präambel und der einleitenden Vorschriften des Vertrages, vor allem Art. 2 und 3, zunehmend extensiv interpretiert. Die in Art. 2 angesprochenen allgemeinen Anliegen des Vertrages, Wirtschaftsausweitung, Stabilität, Hebung der Lebenshaltung usw. genügen, um darauf das Handeln der Gemeinschaft selbst zu stützen. Auch die Verpflichtung, auf die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hinzuwirken, die in Art. 117 vorgesehen ist, wird als Vertragsziel angesehen, zu dessen Erreichung die in Art. 117 und 118 selbst genannten Mittel nicht ausreichen. Die Ergänzung der im Vertrag vorgesehenen Mittel zur Verwirklichung der Gemeinschaftsziele durch Inanspruchnahme des Art. 235 wird nicht nur als zulässig, sondern sogar als einziges Ziel dieses Artikels bezeichnet'. Die bisher aufgrund von Art. 100 bzw. Art. 235 erlassenen Richtlinien und Verordnungen gehören noch nicht zum Kernbereich der Rechtsvorschriften der Sozialen Sicherheit. Sie zeigen aber die mögliche Richtung einer Entwicklung, an deren Schwelle wir heute stehen. Dies soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: Gestützt auf Art. 235 hat die Kommission vorgeschlagen, eine Richtlinie zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der Sozialen Sicherheit zu erlassen. Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der Sozialen Sicherheit beinhaltet die Beseitigung jeglicher Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes hinsichtlich aller Verpflichtungen und Leistungen im Rahmen aller Systeme der Sozialen Sicherheit. Vgl. auch "Sozialpolitisches Aktionsprogramm", 7. von der Groeben / Boeckh / Thiesing, Kommentar zum EWG-Vertrag, Art. 137,248, Nomos-Verlag Baden-Baden, 2. Auf!., S. 768 ff. 3

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Die Hinterbliebenenleistungen sind nicht Gegenstand der Richtlinie. Mit der Einbeziehung dieser Leistungen wäre die Richtlinie ein schwerer Eingriff in das deutsche Sozialversicherungsrecht. An das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. 3. 75 5 in diesem Zusammenhang soll erinnert werden. Die Kommission hat wahrscheinlich in Anbetracht der finanziellen Auswirkungen, welche die Einbeziehung der Hinterbliebenen in die Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten gehabt hätte, von einer Regelung Abstand genommen. In der Begründung führt sie aber aus, daß die Richtlinie nicht beabsichtigt, die Gebiete, in denen Behandlungsunterschiede erlaubt sind, völlig auszuschließen. Ein ständiges überprüfungsverfahren ist vorgesehen. Das zweite Beispiel soll einen wesentlich wichtigeren Bereich der Sozialen Sicherheit ansprechen. In der Ratsentschließung vom 21. Januar 1974 über das Soziale Aktionsprogramm hat der Rat unter Punkt II Nr.7 "Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um ihre Angleichung im fortschrittlichen Sinn zu ermöglichen", die schrittweise Einführung von Verfahren zur Anpassung der Sozialleistungen an den wachsenden Wohlstand in den einzelnen Mitgliedstaaten vorgesehen. In Ausführung dieses Mandates hat die Kommission Auskünfte über die derzeitigen Anpassungen eingeholt und anhand dieser Auskünfte eine vergleichende übersicht über die verschiedenen Systeme und Verfahren zur Dynamisierung der Sozialleistungen ausgearbeitet. In einer Mitteilung der Kommission an den Rat vom 11. Januar 1977 hat die Kommission ihre ersten Vorschläge unterbreitet. Sie stellt sich folgende Harmonisierungsabläufe vor: In der ersten Phase (bis 1. Januar 1979) sollen im Bereich der Rentenversicherungen alle Leistungen systematisch an die allgemeine Entwicklung der Arbeitseinkommen angepaßt werden. Die Anpassung soll in mindestens jährlichem Abstand erfolgen, sie soll auf das laufende Lohnniveau irgendwann binnen der 6 Monate basieren, die dem Inkrafttreten der neuen Leistungssätze vorangehen. Bei Leistungen der Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie beim Kindergeld soll eine Anpassung an die Entwicklung der Verbra'Ucherpreise in den betreffenden Mitgliedstaaten unter den gleichen Voraussetzungen erfolgen. Lediglich die Familienzulagen für das erste Kind und Nebenleistungen, wie Sterbegeld, Geburtsbeihilfen usw. sollen in dieser ersten Phase ausgenommen werden, wenn "die eindeutige und wohlerwogene Politik des Mitgliedstaates darin besteht, den Nachdruck auf diese Leistungen zugunsten anderer Empfangsberechtigter zu verringern". Die zweite Phase (Durchführung bis 1. Januar 1983) sieht dann eine Anpassung aller Leistungen an die allgemeine Entwicklung der Arbeits5

1 BvL 15/71.

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einkommen in dem betreffenden Mitgliedstaat vor. Die Anpassung soll mindestens jährlich mit der Auflage häufigerer Neubemessungen während der Zeiten ausgeprägter Preissteigerungen erfolgen. Die Anpassungen sollen auf den irgend wann binnen der 6 Monate, die dem Inkrafttreten der Leistungssätze vorgehen, gültigen Stand der Arbeitseinkommen basieren. Ausnahmen können nur gemacht werden, wenn der Mitgliedstaat nachweisen kann, daß er durch die Nichtdynamisierung einer Leistung mit der wohl erwogenen Absicht handelt, seine Sozialversicherungsregelung umzustrukturieren, um sie mit geänderten Prioritäten in Einklang zu bringen. Auch die Beamtenversorgung und die betriebliche Altersversorgung sollen einbegriffen werden. Nach der Diskussion der Finanzierungsprobleme in der deutschen Sozialversicherung anläßlich des 20. Rentenanpassungsgesetzes und des Kostendämpfungsgesetzes muß wohl im einzelnen nicht geschildert werden, welche Auswirkungen sich ergeben würden, wenn Vorschläge wie die Dynamisierung des Kindergeldes zunächst nach dem Preis-, dann nach dem Lohnindex und die Änderung des Bezugszeitraumes in der Rentenversicherung (Beseitigung des time-lag) angenommen würden. Wie schwierig es aber auf der anderen Seite auch wird, von deutscher Seite die erforderliche Einstimmigkeit für einen Richtlinienvorschlag zu verweigern, kann man sich vorstellen, wenn man überlegt, daß die Einfügung des Punktes in das Soziale Aktionsprogramm auf deutsche Veranlassung geschehen ist. Interessant für unser Thema ist nun die Frage, wie sieht der Rechtsvergleich aus, den die Kommission in der Absicht, eine Harmonisierung dieser Vorschriften durchzuführen, hier vorgenommen hat. In der Mitteilung vom 11. 1. 77 wird auf wenigen Seiten eine summarische Zusammenfassung der Anpassungssysteme in den einzelnen Ländern gegeben. Beigefügt ist in einem Anhang eine nach Ländern geordnete kurze Darstellung über die augenblickliche Situation in den verschiedenen Mitgliedstaaten, die auf Mitteilungen der entsprechenden Regierung zurückgeht. Kurzprotokolle der Sitzung von Sachverständigen sowie die Meinungsäußerungen der verschiedenen Regierungssachverständigen über die Methoden, die einzuschlagen sind, sind gleichfalls angefügt. Es ist also ein Rechtsvergleich durchgeführt worden. Wenn ich hier trotzdem Kritik an diesem Rechtsvergleich übe, dann deshalb, weil es sich um eine kompilatorische Zusammenstellung von Angaben der betreffenden Länder handelt. Dabei ist die Dynamisierung der Sozialleistungen aus dem Gesamtzusammenhang des Leistungssystems herausgenommen und isoliert dargestellt worden. Damit lassen sich Auswirkungen rechtlicher und finanzieller Art nicht mehr erkennen. Es wird z. B. darauf verzichtet darzulegen, wie der Ausgangsstand in der Gemein-

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schaft ist, wie die Harmonisierungsverpflichtung die einzelnen Länder finanziell belasten würde und ob, wenn Art. 100 als Rechtsgrundlage herangezogen werden soll, neu entstehende Unterschiede nicht das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen würden. Der Vergleich mag für eine Mitteilung an den Rat ausreichen, er kann aber nur die Eingangsstufe einer sehr viel umfassenderen Untersuchung sein. Für eine so tiefgreifende Änderung nationaler Systeme muß er eingehender, detaillierter, ich möchte sagen, wissenschaftlicher erfolgen. Er darf sich nicht auf eine summarische Gegenüberstellung von Systemen beschränken, wobei häufig Unterschiede terminologisch oder übersetzungstechnisch überdeckt werden, sondern es müssen auch die Inhalte der Vorschriften, ihre praktische Durchführung herangezogen werden. Das Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander ist nicht so entwickelt, daß man die Positionen anderer ungeprüft übernehmen kann. Ein Staat darf gegenüber Versuchen anderer, Vorteile aus der Harmonisierung z. B. im wirtschaftlichen Bereich zu ziehen, keine schlechtere Position als die Wirtschaft selbst haben, die jede Maßnahme in ihren Auswirkungen auf die eigene und fremde Wettbewerbsfähigkeit genau untersucht. Alle Rarmonisierungsmaßnahmen der Sozialen Sicherheit geben vor, dem Menschen zu dienen. Tatsächlich kommt der Sozialen Sicherheit aber nur eine Umverteilungsfunktion zu, d. h. jede Verbesserung der Situation für den einzelnen bedeutet Belastungen für andere. In der Wirtschaft können Umstellungen auf neue Situationen i. d. R. leichter verkraftet werden, z. B. durch Rationalisierung und Betriebsumstellung, während in staatlichen Einrichtungen bei neuen Situationen meist nur der Rückgriff auf die Steuer- oder Beitragszahler bleibt. Auch ein weiterer Gesichtspunkt soll noch erwähnt werden. Es kann durchaus sein, daß ein einzelner Mitgliedstaat die Grenzen seiner eigenen Möglichkeiten nicht erkennt, wenn er politisch zu Maßnahmen gedrängt wird, die nicht sorgfältig in ihren Wirkungen untersucht sind und deshalb nicht zu überblicken sind, weil unterschiedliche Auslegungen die Zielsetzungen überdecken. Hier ist die Gefahr groß, daß der Ruf nach Vereinheitlichung oder wenigstens nach gemeinschaftlicher Finanzierung entsteht, und d. h. nichts anderes als eine Kostenverlagerung auf andere Staaten. Ich darf in diesem Zusammenhang an eine kürzliche Pressemitteilung erinnern, derzufolge unabhängige Wirtschaftssachverständige in Brüssel (auf deutscher Seite Prof. Biehl - TU Berlin) eine europäische Arbeitslosenversicherung mit einer Gemeinschaftsfinanzierung gefordert haben. Gestatten Sie mir nun, daß ich noch einmal auf die Frage der Koordinierungsvorschriften für die Soziale Sicherheit zurückkomme und die

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in diesem Bereich etwas anders liegende Notwendigkeit von Rechtsvergleichen beleuchte. Die Verpflichtung zur Koordinierung der Sozialen Sicherheit für Wanderarbeitnehmerergibt sich aus Art. 51 des EWG-Vertrages. Hierbei wird unter Koordinierung die Regelung von Tatbeständen mit Auslandsberührung, die die Rechtsordnung wenigstens zweier Staaten betreffen, verstanden. Die Auslandsberührung kann dabei sehr vielfältiger Art sein und in Staatsangehörigkeit der Betroffenen, Wohn- oder Aufenthaltsort, Versicherungszugehörigkeit, Renten- oder Leistungsbezug usw. bestehen. Dagegen versteht man unter Harmonisierung die direkte Einwirkung auf die nationalen Rechtsvorschriften, um sie aus irgendwelchen Gründen aneinander anzugleichen oder anzunähern. Die Koordinierungsregeln können dabei selbstverständlich auch Eingriffe ins materielle Recht beinhalten, z. B. die Verpflichtung, Leistungen in einen anderen Staat zu transferieren. Ich habe vorhin ausgeführt, daß die Koordinierungsregelungen für die Wanderarbeitnehmer ein Erfolg waren und dadurch die Harmonisierung in den Anfangsjahren der Europäischen Gemeinschaft erheblich an Dringlichkeit eingebüßt hat. Dieser Erfolg beruht im wesentlichen auf den Vorarbeiten, die bereits vor Gründung der Europäischen Gemeinschaften begonnen haben. Der Verordnung Nr. 3 ging nämlich ein praktisch irrhaltsgleiches Europäisches Abkommen über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer voraus, das aufgrund des Art. 69 Abs. 4 des EGKS-Vertrages in den Jahren 1955 -1957 beraten und im Dezember 1957 in Rom unterzeichnet, jedoch nicht mehr ratifiziert wurde. Der Rat hat dieses europäische Abkommen dann in die va Nr. 3 umgestaltet und in Kraft gesetzt. Das Abkommen stellte die Summe der bilateralen Abkommen und des sog. Westeuropäischen Abkommens 6 dar. Die Vielzahl der Bezugsmöglichkeiten untereinander führte zu einer sehr kasuistischen Aufzählung von Einzelfällen und zu detaillierten Regelungen. Diese Regelungen erforderten auch eine intensive Untersuchung der nationalen Rechtsvorschriften, da vielfach die abstrakt formulierten Probleme zweier Staaten auf Situationen anderer Staaten paßten, die aber nicht oder anders geregelt werden sollten. Neben dem horizontalen Rechtsvergleich wurde also auch ein vertikaler Rechtsvergleich der nationalen Systeme durchgeführt. In der va Nr. 1408/71, welche die Verordnung Nr. 3 ablöste, waren dagegen die Arbeiten weniger von einem Rechtsvergleich als vielmehr von den praktischen Erfahrungen der 10jährigen Anwendung der va Nr. 3 8 Convention du 7 novembre 1949, tendant a etendre et a coordonner l'application des legislations de SEkurite sociale aux ressortissants de parties contractantes du traite de Bruxelles (Journal Officiel de 1a Republique Fran!;aise du 5 mai 1953).

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geprägt. Die 10jährige Zusammenarbeit in den Gremien der Europäischen Gemeinschaften, vor allem in der Verwaltungskommission für die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, hat Kenntnisse auch von den Details der ausländischen Gesetzgebungen geschaffen, die es erlaubte, bei der Revision der Verordnung Nr. 3 schnell Einigungen zu erreichen und es auch bei Entstehen neuer Rechtssituationen ermöglichte, Verständnis für die auftretenden Probleme zu erhalten. Die Arbeit für die Koordinierungsregelungen erfolgte meist in Arbeitsgruppen. Durch die ständige Zusammenarbeit war dabei oft eine detaillierte Offenlegung aller Gründe für bestimmte Lösungen nicht mehr erforderlich. Natürlich kann dabei nicht ausgeschlossen werden, daß manche Motive trotzdem noch verdeckt blieben. Die Verordnung Nr. 1408/71 läßt viele Möglichkeiten für bilaterale Regelungen zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten offen, schreibt aber dann ein Prüfungsoder Zustimmungsverfahren vor. Die Mitgliedstaaten müssen dann im einzelnen die Motive dafür darlegen, welche Abweichungen von den EGRegelungen sie untereinander für notwendig halten. Es kommt vor, daß bei dem Vergleich der Rechtssituationen einzelne Staaten in ähnlicher Situation für ihre Arbeitnehmer dann die gleichen Regelungen fordern, so daß aus den bilateralen Absprachen Gemeinschaftsregelungen entstehen. In den Gremien der EG, vor allem in der Verwaltungskommission, werden die Koordinierungsarbeiten ständig weitergeführt, da die nationalen Gesetzgebungen ständig in Bewegung sind. r. d. R. werden die Diskussionen durch einen Bericht des betreffenden Mitgliedstaates über Änderungen der Gesetzgebungen eingeleitet, wobei auch die Vorstellungen über Koordinierungserfordernisse dargelegt werden. In der zweiten Phase wild dann von den einzelnen Mitgliedstaaten untersucht, welche Auswirkungen die neue Gesetzgebung auf die eigenen Staatsangehörigen hat und welche finanziellen Konsequenzen sich hieraus ergeben. Nach einer rechtlichen Prüfung beginnt dann i. d. R. das Verfahren durch einen Verordnungsvorschlag der Kommission an den Rat. Man kann also sagen, daß die Koordinierungsbestimmungen einen permanenten Rechtsvergleich erfordern, um angemessene Verhältnisse für die relativ kleine Gruppe der Betroffenen (i. d. R. Wanderarbeitnehmer) zu schaffen. Der Rechtsvergleich hat dabei ein statisches Element, weil er von einer national festliegenden Situation ausgeht. Bei der Harmonisierung dagegen erfordert der Rechtsvergleich ein dynamisches Vorgehen, weil hier die nationalen Situationen verändert werden sollen. Zusammenfassend ist noch einmal festzustellen, daß nach überwindung der restriktiven Handhabung der Rechtsgrundlagen die Harmonisierung der Sozialvorstellungen in greifbare Nähe gerückt ist. Die Har-

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monisierung beginnt, die Schwelle des Kernbereichs des Sozialrechts zu überschreiten. Eine Harmonisierung ohne wissenschaftlich fundierten Rechtsvergleich muß zu einer politischen Belastung der Gemeinschaft wie zur finanziellen Belastung des einzelnen und der Staaten führen. Wenn bereits für die Koordinierung der Rechtsvorschriften, d. h. für den kleinen Bereich der Wanderarbeitnehmer, ein Rechtsvergleich erforderlich ist, so kann für die Harmonisierung des Sozialrechts die Bedeutung eines qualifizierten Rechtsvergleichs gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zusammenfassung Nach überwindung tatsächlicher und rechtlicher Widerstände hat sich seit 1972 die Absicht der Gemeinschaft, eine soziale Harmonisierung durchzuführen, konsolidiert. Die Harmonisierung des Kernbereichs des Sozialrechtes, der Sozialen Sicherheit, ist in greifbare Nähe gerückt. Die Maßnahmen, die aufgrund des Sozialen Aktionsprogrammes vom 21. 1. 74 in Angriff genommen worden sind, deuten hierauf hin. Anhand von Beispielen wird erörtert, wie die Gemeinschaftsdienststellen im Bereich der Sozialen Sicherheit vorgehen. Die mit der Harmonisierung verbundenen Implikationen vor allem wirtschaftlicher und sozialer Art scheinen noch nicht ausreichend überlegt und durchdacht zu sein. Eine Harmonisierung erfordert dynamische Rechtsvergleiche, die sich sowohl von den mehr statischen Vergleichen bei den bisherigen Koordinierungsmaßnahmen für die Soziale Sicherheit wie auch von den Zusammenstellungen unterscheiden, die bei den bisherigen überlegungen unterbreitet worden sind. Harmonisierung ohne qualifizierte Rechtsvergleiche muß zu einer politischen Belastung der Gemeinschaft und zu einer Kostenbelastung des einzelnen und der Staaten führen. Summary Since 1972 the intentions of the Community to effect social harmonization have been consolidated after factual and legal obstac1es have been overcome. Harmonization of the central domain of social law, social security, has come within elose reach. The measures taken on the basis of the Social Pro gram of January 21,1974 make this evident. By means of examples it is explained how the agencies of the Community proceed in the field of social security. Yet it seems as if particularly the economic and social implications of harmonization have not been fully realized and considered. Harmonization requires a dynamic comparison of law that is distinguished both from the more static comparisons in connection with

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previous measures of coordination in the field of social security and from the surveys submitted in connection with previous considerations. Harmonization without a qualified comparison of law inevitably entails political tension within the Community and a burden of costs for the individual as weIl as for the countries concerned. Anhang

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Art. 100 (Richtlinien zur Angleichung gewisser Rechtsvorschriften)

Der Rat erläßt einstimmig auf Vorschlag der Kommission Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Die Versammlung und der Wirtschafts- und Sozialausschuß werden zu den Richtlinien gehört, deren Durchführung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eine Änderung von gesetzlichen Vorschriften zur Folge hätte. Art. 117 (Abstimmung der Sozialordnungen)

Die Mitgliedstaaten sind sich über die Notwendigkeit einig, auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte hinzuwirken und dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen. Sie sind der Auffassung, daß sich eine solche Entwicklung sowohl aus dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Gemeinsamen Marktes als auch aus den in diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren sowie aus der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften ergeben wird. Art. 118 (Zusammenarbeit in sozialen Fragen)

Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrages hat die Kommission entsprechend seinen allgemeinen Zielen die Aufgabe, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, insbesondere auf dem Gebiet - der Beschäftigung, - des Arbeitsrechts und der Arbeitsbedingungen, - der beruflichen Ausbildung und Fortbildung, - der sozialen Sicherheit,

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Helmut Kaupper

der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten, des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit, des Koalitionsrechts und der Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Zu diesem Zweck wird die Kommission in enger Verbindung mit den Mitgliedstaaten durch Untersuchungen, Stellungnahmen und die Vorbereitung von Beratungen tätig, gleichviel ob es sich um innerstaatliche oder um internationalen Organisationen gestellte Probleme handelt. Vor Abgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Stellungnahmen hört die Kommission den Wirtschafts- und Sozialausschuß. Art.llg (Gleiches Entgelt für Männer und Frauen)

Jeder Mitgliedstaat wird während der ersten Stufe den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und in der Folge beinhalten. Unter "Entgelt" im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber auf Grund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bedeutet, a) daß das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit auf Grund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird; b) daß für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist. Art. 120 (Bezahlte Freizeit)

Die Mitgliedstaaten werden bestrebt sein, die bestehende Gleichwertigkeit der Ordnungen über die bezahlte Freizeit beizubehalten. Art. 121 (übertragung von Aufgaben auf die Kommission)

Nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses kann der Rat einstimmig der Kommission Aufgaben übertragen, welche die Durchführung gemeinsamer Maßnahmen insbesondere auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit der in den Artikeln 48 - 51 erwähnten aus- oder einwandernden Arbeitskräfte betreffen. Art. 122 (Bericht über die soziale Lage)

Der Jahresbericht der Kommission an die Versammlung hat stets ein besonderes Kapitel über die Entwicklung der sozialen Lage in der Gemeinschaft zu enthalten.

Rechtsv