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German Pages 175 Year 2001
OLIVER LAMPRECHT
Das Streben nach Demokratie, Volkssouveränität und Menschenrechten in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts
Schriften zur Verfassungs geschichte Band 63
Das Streben nach Demokratie, Volkssouveränität und Menschenrechten in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts Zum Staats- und Verfassungsverständnis der deutschen Jakobiner
Von Oliver Lamprecht
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lamprecht, Oliver: Das Streben nach Demokratie, Volkssouveränität und Menschenrechten in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts: zum Staats- und Verfassungsverständnis der deutschen Jakobiner / von Oliver Lamprecht. Berlin : Duncker und Humblot, 200} (Schriften zur Verfassungsgeschichte ; Bd. 63) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10008-5
D25 Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2001
ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-10008-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Meiner Frau Seema
Vorwort Die vorliegende Arbeit - im Sommersemester 1999 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. als Dissertation angenommen - entstand größtenteils in den Jahren 1996 bis 1998 während meiner Mitarbeit am Institut für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Th. Würtenberger, gebührt Dank für die zahlreichen Gespräche im Rahmen der Betreuung der Arbeit. Frau Prof. Dr. K. Nehlsen-van Stryk danke ich für das Zweitgutachten und weiterführende Anregungen. Den Kollegen und Freunden am Lehrstuhl, insbesondere Frau Ursula Seelhorst, MA., und Herrn Dr. Ralf Peter Schenke, bin ich für ihre Diskussionsund Hilfsbereitschaft verbunden. Schließlich danke ich der FriedrichNaumann-Stiftung, die die Arbeit aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützt hat. Berlin, im Mai 2001 Oliver Lamprecht
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel
Einleitung
13
A. Fragestellung.............................................................................................
13
B. Literatur - Methode - Quellen ....................................................................
16
Zweites Kapitel
Die Strömungen im verfassungsrechtlichen Denken im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts
19
A. Ausgangslage ............................................................................................
19
B. Allgemeine Strömungen ............................................................................
20
C. Strömungen mit verfassungsrechtIichen Bezügen ....................................... I. Reichsstaatsrechtslehre und Reichspublizistik ...................................... 11. Das Naturrecht ..................................................................................... 111. Kameralismus und "Policeywissenschaft" ............................................ IV. Der Physiokratismus ............................................................................ V. Rechtsfortbildung durch das Reichskammergericht ..............................
23 24 27 28 30 31
Drittes Kapitel
Der Jakobinismus
33
A. Der Jakobinismus in Frankreich................................................................. I. Voraussetzungen und geschichtliche Einordnung ................................. 11. Herkunft des französischen Jakobinismus ............................................ 111. Französischer Jakobinismus und die Entwicklung der Verfassung in Frankreich .......... ....... .................................. ...... ...... ..... ............... ..... ...
33 33 35
B. Der Jakobinismus in Deutschland .............................................................. I. Historische und heutige Definitionsversuche ........................................ 1. Zeitgenössische Beschreibungen des deutschen Jakobinismus .......... 2. Die Definition des deutschen Jakobinismus in der modernen Forschung ........................................................................................ 11. Herkunft und Organisationsformen ...................................................... 1. Das Freimaurertum ..........................................................................
42 42 42
36
45 48 52
10
Inhaltsverzeichnis 2. Die Illuminaten ................................................................................ 3. Die Deutsche Union ......................................................................... 4. Die Lesegesellschaften ..................................................................... 5. Die Jakobinerklubs .......................................................................... 6. Die Konstitutionellen Zirkel.............................................................
54 57 59 61 64
Viertes Kapitel
Aktives Engagement oder Theorie zu den Berührungspunkten zwischen deutschem Jakobinismus und dem Staats- und Verfassungsrecht
67
A. Vorbetrachtung - Die Bedeutung von Staat und Verfassung ......................
67
B. Praktische Aktivitäten ............................................................................... I. Konkreter jakobinischer Einsatz........................................................... 11. Jakobinische Symbolik ........................................................................ 1. Die Bedeutung der Freiheitsbäume ................................................... 2. Das Beispiel der Roten und Schwarzen Bücher .................................
70 70 72 72 74
C. Theoretische Bezüge zum Verfassungsrecht ............................................... I. Verfassungstexte.................................................................................. 1. Die "Konstitution für die Stadt Köln" .............................................. 2. Der "Ulmer Verfassungsentwurf" ..................................................... 3. Die "Republikanische Verfassungsurkunde" ..................................... 4. "Erklär- und Erläuterung der Rechte des Menschen" ........................ 5. "Grundlinien zu einer allgemeinen deutschen Republik" .................. 11. Erklärungen und Reden des organisierten Jakobinismus ....................... 1. Reden im Mainzer Jakobinerklub ..................................................... 2. Reden und Beschlüsse im Nationalkonvent ...................................... 3. Reden in den Konstitutionellen Zirkeln ............................................ 111. Jakobinische Publizistik....................................................................... 1. Zeitschriften .................................................................................... 2. Sonstige Publizistik .........................................................................
76 78 78 82 85 90 92 97 97 105 109 112 112 116
Fünftes Kapitel
Ausgewählte und vertiefte Aspekte des jakobinischen Staats- und Verfassungsverständnisses
A. Aussagen zur Staatsorganisation ................................................................ I. Republik .............................................................................................. 1. Die eine Säule: Volkssouveränität.................................................... 2. Die andere Säule: Republikanische Gewalten und ihr Verhältnis zueinander - die Gewaltenteilung ..................................................... 11. Demokratie und Repräsentation ........................................................... 111. Föderalismus .......................................................................................
117 117 117 118
121 122 127
Inhaltsverzeichnis B. Aussagen zu Menschen- und Bürgerrechten ............................................... I. Der Begriff der Menschen- und Bürgerrechte ....................................... 11. Freiheit ................................................................................................ HI. Gleichheit ............................................................................................ IV. Eigentum ............................................................................................. V. Sicherheit ............................................................................................ VI. Sonstige...............................................................................................
11 128 128 130 134 136 137 138
C. Die Deutschen Jakobiner und ihr Verhältnis zur Revolution....................... 140 Sechstes Kapitel
Fortwirkungen des jakobinischen Gedankenguts
147
Siebentes Kapitel
Zusammenfassung und Schlußbetrachtung
151
Literaturverzeichnis
155
A. Primärliteratur ........................................................................................... I. Monographien, Aufsätze, gesammelte Schriften eines Verfassers ......... 11. Quellensammlungen ............................................................................. 111. Zeitschriften ........................................................................................
155 155 156 157
B. Sekundärliteratur ....................................................................................... 158 Personen- und Sachregister
171
Erstes Kapitel
Einleitung A. Fragestellung Als vor kurzem die 150. Wiederkehr des Jahrestages der deutschen Revolution von 1848/49 gefeiert wurde, ging der Blick damit zurück auf die Entstehung der Paulskirchenverfassung, welche für die deutsche Verfassungsgeschichte eine zentrale Bedeutung besitzt. 1 Gleichzeitig rückte aber auch die Zeit vor 1848 in den Vordergrund, denn die Wurzeln eines modernen Verfassungsverständnisses, welches in der Paulskirchenverfassung seinen Ausdruck gefunden hat, werden regelmäßig zu Beginn des 19. Jahrhunderts oder in dem in die Geschehnisse von 1848 einmündenden Vormärz verortet. Einen wichtigen Bezugspunkt in diesem Zusammenhang stellen die ersten Landesverfassungen 1808 in Bayern, 1809 in Sachsen - Weimar, 1810 im Großherzogtum Frankfurt und im Herzogtum Anhalt - Köthen dar, die noch auf napoleonische Einflüsse in Deutschland zurückzuführen sind. Eingerahmt von diesen frühen Verfassungen auf einer Seite und der Revolution 1848 auf der anderen entwickelten sich in einer deutschen "Verfassungswelle"2 zunächst in Bayern, Baden und Württemberg die ersten Verfassungen nach dem Wiener Kongreß, bevor bis zum Jahre 1824 26 weitere der 41 Staaten des Deutschen Bundes nachzogen. Bei dieser Verfassungswelle nach 1815 setzt die heutige Verfassungsgeschichtsschreibung häufig an, wenn es um den modernen Verfassungsstaat geht, während vorherige Zeitabschnitte ausgeklammert werden oder man sich auf kurze Darstellungen geistesgeschichtlicher Voraussetzungen für die Entstehung der Verfassungen beschränkt.3 Diese Vorgehensweise ist allerdings nicht unkriti-
1 Vgl. umfassend Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, 1998. 2 So die Begrifflichkeit bei Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1988, S. 71. 3 Vgl. zum "Durchbruch des modernen souveränen Staates in Deutschland" mit dem napoleonischen Staatssystem Hofmann, Hanns Hubert, Entstehung des modernen souveränen Staates, 1967, S. 259 ff.; weiterhin Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1997,3. Teil, 1. Kapitel: Das deutsche Staatensystem zwischen Spätabsolutismus und Frühkonstitutionalismus (1806 - 1848), S. 217 ff. m. w. Nachw.; Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1990, S. 53 ff.; Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1950, im 10. Abschnitt: Einleitung in die deutsche Verfassungsgeschichte der neuesten Zeit, S. 163 ff.; Botzenhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte, 1993, S. 30 ff., der den Früh-
14
1. Kap.: Einleitung
siert geblieben. Es mehren sich Stimmen, die die Auslassungen der verfassungsgeschichtlichen Forschung benennen und gleichzeitig zur Lückenschließung beitragen.4 Die vorliegende Arbeit möchte denselben Weg beschreiten und konzentriert sich ebenfalls auf das ausgehende 18. Jahrhundert, um zu belegen, daß modernes deutsches Verfassungsrechtsdenken und Staatsverständnis nicht erst im Jahre 1806 bzw. im Vormärz seinen Anfang nimmt. Insbesondere das Klima der 1790er Jahre war durch die ,,Begegnung von Vergangenheit und Zukunft" bestimmtS , wobei das Nachdenken über das Wesen der Republik den besonders fortschrittlichen Part übernommen hatte. Auf der Suche nach den Trägem des modemen Verfassungsrechtsdenkens leistet die Betrachtung einer Personengruppe Hilfe, die als solche zwar keinen homogenen Gesellschaftsausschnitt darstellte und auch nicht als Vorläufer einer überregionalen Partei gelten kann, die aber immerhin eine Verbindung von 'Gesinnungsgenossen' war, die häufig in Kontakt zueinander standen, ähnliche Vorstellungen vertraten und auf regionaler Ebene einen gewissen Organisationsgrad erreicht hatten. Die Rede ist von den sogenannten deutschen Jakobinern, deren Vorhandensein die historische Forschung trotz unermüdlichen Ringens um Definitionen und Bedeutungen und trotz zeitweiliger Schreibung in Anführungszeichen 6 weitgehend akzeptiert hat.1 In den Werken von Juristen oder Verfassungshistorikern finden sich bislang allerdings nur sehr versteckte, meistens jedoch gar keine Hinweise auf Beiträge, die von seiten der deutschen Jakobiner im Hinblick auf die Verfas-
konstitutionalismus ab 1815 beginnen läßt. Ebenso Böckenförde, Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, 1981; Fehrellbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung, 1992. 4 Insbesondere Dippel, Anfänge des Konstitutionalismus in Deutschland, 1991, hat bisherige Versäumnisse der verfassungsgeschichtlichen Forschung und Literatur offengelegt und leistet durch die Veröffentlichung einiger ansonsten schwer zugänglicher Verfassungstexte einen wichtigen Beitrag zu einer Neubewertung der verfassungsgeschichtIichen Situation im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts; vgl. auch bereits: Ders., Französische Revolution und die ersten deutschen Verfassungsprojekte, in: Herzig/Stephall/Wimer, Sie, und nicht Wir, Bd. 2, 1989, S.671 ff. Weitere Stimmen setzen in der Verfassungsgeschichtsschreibung unter Hinweis und besonderer Herausarbeitung von Kontinuitäten ebenfalls schon im 18. Jahrhundert an, vgl. etwa Würtellberger, Staatsverfassung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1993), S. 85 ff. m. w. Nachw., oder sie legen 'modernes Verfassungsverständnis' durch eine genaue Analyse vermeintlich bekannter, in Wahrheit jedoch vernachlässigter Primärliteratur frei, vgl. Würtellberger, Verfassungsentwicklung in Frankreich und Deutschland, in: Birtsch, Reformabsolutismus im Vergleich, 1996, S. 75 ff. 5 Bralldt, Der lange Weg in die demokratische Moderne, 1998, S. 13. 6 Etwa bei Bralldt, ebenda, S. 9; Lallgewiesche, Liberalismus in Deutschland, 1988, S.13. 7 Zu den Auseinandersetzungen um die Definition und Einordnung des deutschen Jakobinismus s. unten im 3. Kap. B. I. 2.
A. Fragestellung
15
sungsentwicklung um 1800 geleistet wurden oder wodurch sich jakobinisches Denken in diesem Bereich auszeichnete.8 Dies mag zum einen an dem bereits beschriebenen Umstand liegen, daß die Wurzeln eines modemen Verfassungs- und Staatsverständnisses in Deutschland grundsätzlich nicht im 18. Jahrhundert gesucht werden. Zum anderen ließe sich zur Begründung einer gewissen zögerlichen Annäherung der westdeutschen Rechtswissenschaft nach dem 11. Weltkrieg an den deutschen Jakobinismus anführen, daß dieses Feld - und hierin insbesondere die gesellschaftstheoretischen Vorstellungen der Jakobiner - jahrzehntelang eine Domäne der DDR - Forschung darstellte, mit deren Hilfe eine eigene ideengeschichtliche Legitimation versucht wurde und wodurch das Terrain der Jakobinismusforschung quasi mit Alleinvertretungsansprüchen besetzt war.9 Nach der Wiedervereinigung hat insofern eine gewisse Kehrtwendung eingesetzt, als sich zunehmend Juristen auf deutsche Jakobiner mit demselben Beruf - und hiervon gab es relativ viele - konzentrieren, um auf diese Weise einen Zugang zu Beispielen fortschrittlichen Rechtsdenkens vor 200 Jahren zu finden und für die Geschichte von Recht und Justiz fruchtbar zu machen.\O Die Schlaglichter, die damit auf einzelne deutsche Jakobiner geworfen werden, sollen vorliegend zu einem Strahl gebündelt und ausgebaut werden, der das Staats- und Verfassungsverständnis der deutschen Jakobiner erstmals umfassender beleuchtet. In bezug auf das jakobinische Republikverständnis wurde bereits ein entsprechendes Forschungsdesiderat geäußert1t, doch auch in den Bereichen der Bürger- und Menschenrechte und des Staatsorganisationsrechts erscheint eine Beschäftigung mit dem deutschen Jakobinismus lohnend. Ohne eine abschließende Bewertung vorwegnehmen zu wollen, läßt sich nämlich die These aufstellen, daß vormals als radikal, ja revolutionär charakterisierte Rechtsvorstellungen sich heutzutage durchaus mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbaren ließen. 8 Am ehesten sind noch Hinweise auf die Mainzer Republik anzutreffen. Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1967, S.27 (wenige Zeilen); AzzolaIWehrlein, Demokratie in Mainz, in: Deutsche Jakobiner. Mainzer Republik und Cisrhenanen 1792 - 1798, Bd. 1, 1981, S. 37 ff. (etwas ausführlicher); Heun, Mainzer Republik (1984), S. 51 ff. (eingehende verfassungsgeschichtliche Würdigung). Neuerdings auch Umbach, 1794 - 1994: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in: WissinglUmbach, 40 Jahre Landessozialgerichtsbarkeit, 1994, S. 425 ff. 9 Für die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit den Jakobinern hat dies betont Stephan, Literarischer Jakobinismus, 1976, Einleitung. Umfassend zur Entwicklung der Jakobinismusforschung in beiden Teilen Deutschlands seit den 50er Jahren Wilharm, Historische Demokratieforschung in Deutschland, 1981. 10 Vgl. etwa die Arbeiten von Wal/rum, Christian Sommer, 1995; Wir/h, Der Jurist Johann Andreas Georg Friedrich Rebmann, 1996; sowie einige juristisch ausgerichtete Abhandlungen in: Wadle/Sauder, Georg Friedrich Rebmann, 1997. 11 Stephan, Literarischer Jakobinismus, 1976, S. 68.
16
1. Kap.: Einleitung
B. Literatur - Methode - Quellen Die Sekundärliteratur zum deutschen lakobinismus ist ebenso umfangreich in quantitativer Hinsicht wie uneinheitlich und widerspruchsvoll in inhaltlichen Fragen, und zwar insbesondere dann, wenn sie juristisch überlagertes Terrain betritt und staats- und verfassungsrechtliche Probleme streift oder aufwirft. Wenn diese einer Lösung aus rein historischer, gesellschaftswissenschaftlicher, philosophischer oder literaturwissenschaftlicher Sicht zugeführt werden bzw. dieses, wie sich der DDR - Forschung in weiten Bereichen vorwerfen läßt, noch mit marxistisch - leninistischer Ideologie verbrämt wird, werden die Schwierigkeiten einer verläßlichen Heranziehung der Sekundärliteratur in manchem Punkte augenscheinlich. Der unbestreitbare Verdienst vieler Autoren, so manchen Jakobiner der drohenden Vergessenheit entrissen und wertvolles Material für weitergehende Forschungen auch im juristischen Bereich bereitgestellt zu haben, soll demgegenüber nicht geschmälert werdenY Von vielem kann der Jurist, wenn nicht immer unmittelbar, so doch wenigstens mittelbar, erheblich profitieren. Die Sekundärliteratur vermag Wege zu ebnen, die zu den staats- und verfassungsrechtlichen Seiten der deutschen Jakobiner führen. Als wegweisend sind in diesem Zusammenhang die grundlegenden Arbeiten von Heinrich Scheel und Walter Grab zu bezeichnen, deren breites Werk zum Jakobinismus eine unverzichtbare Einstiegshilfe bietet. 13 Es zeigt die Quellen auf, aus denen sich das jakobinische Staats- und Verfassungsverständnis extrahieren läßt. In erster Linie sind die sogenannten jakobinischen Verfassungsentwürfe zu nennen, die die wichtigste Erkenntnisgrundlage der vorliegenden Untersuchung darstellen. 14 Sie liegen in gedruckter und neu veröffentlichter Form vor und sind damit inzwischen leicht zugänglich. An zweiter Stelle der herangezogenen Quellen folgen überlieferte 'amtliche Äußerungen' des organisierten Jakobinismus. Damit sind hauptsächlich Reden und Vorträge gemeint, die in jakobinischen Zirkeln und Klubs gehalten wurden, um die Bevölkerung mit dem jakobinischen Gedankengut vertraut zu machen und für die jakobinische Sache zu werben. In weiten Teilen waren diese Beiträge über Flugschriften und Zeitungen verteilt, doch die wichtigsten von ihnen finden sich heutzutage in umfangreichen Quelleneditionen, von denen insbesondere die von Scheel herausgegebenen Protokolle des Mainzer Jakobinerklubs und des Rheinisch-
12 Zur Erkennung der historischen, literaturwissenschaftlichen und sonstigen Dimensionen des lakobinismus ist die vorhandene Sekundärliteratur ohnehin unverzichtbar und bietet durch ihr breites Spektrum eine große Meinungsvielfalt. 13 Vgl. das Literaturverzeichnis für die im Rahmen dieser Arbeit herangezogenen Schriften. 14 Vgl. unten 4. Kap. C. I.
B. Literatur - Methode - Quellen
17
Deutschen Nationalkonvents zu nennen sind. 15 Schließlich ist noch auf das weite Feld der jakobinischen Publizistik hinzuweisen, in der sich Material zur Herausarbeitung des jakobinischen Staats- und Verfassungsverständnisses finden läßt. Bibliographischen Zugang zu den damit angesprochenen demokratisch und z. T. revolutionär eingestellten Zeitschriften, die den ergiebigsten Teil der jakobinischen Publizistik ausmachen, verschaffen die Werke von Hocks/Schmidt und Inge Stephan 16, die über die Beschreibungen der Inhalte der Zeitschriften eine verläßliche Vorausauswahl für solche mit rechtlichen Inhalten getroffen haben. Trotz dieser Hilfe war es aber erforderlich, die Zeitschriften im Einzelfall Seite für Seite durchzugehen, da, aus Angst vor Zensur, viele brisante und den zeitgenössischen Status quo der Reichsverfassung in Frage stellende Überlegungen unter irreführenden Kapitelüberschriften verfaßt wurden. Daß jedoch auch hier das historische Material in Form leicht zugänglicher Nachdrucke der alten Werke veröffentlicht ist, hat die Sucharbeit vereinfacht. Eines der methodischen Hauptanliegen der Untersuchung war es, die deutschen Jakobiner so oft wie möglich selbst zu Wort kommen zu lassen. Der Rahmen, in den ihre Äußerungen einzubetten sind, also insbesondere die verfassungsrechtliche Ausgangslage in Frankreich und Deutschland und die sonstigen geistigen Strömungen, die sich mit dem Staats- und Verfassungsrecht am Ende des 18. Jahrhunderts auseinandersetzten und -setzen, wurde demgegenüber bewußt knapp geschildert. Einzelheiten, weiterführende Gedanken und Literatur können jedoch in den Anmerkungen gefunden und weiter verfolgt werden. Die Konzentration auf die authentischen Aussagen der Jakobiner soll den Zugang zu ihrem Denken erleichtern. Der Umstand, daß sie in ihren Reihen viele Juristen hatten 17 , erleichterte dabei das Erkennen von argumentativen Überschneidungen mit Positionen der vorherrschenden Rechtsauffassungen der jüngeren Naturrechtier und der Reichspublizisten. Wichtige und zentrale Äußerungen stammen jedoch auch aus dem Munde von Geistes- und Naturwissenschaftlern. 18 Das Zitieren von Originalpassagen aus den Quellen verfolgt dabei 15 Andere wichtige Quelleneditionen sind u.a. die, allerdings recht unsystematischen, Bände zur Geschichte des Rheinlands von Joseph Hansen und eine Zusammenstellungjakobinischer Flugschriften aus dem Süden Deutschlands von Scheel. 16 HockslSchmidt, Literarische und politische Zeitschriften 1789 - 1805, 1975; Steplrall, Literarischer Jakobinismus, 1975. 17 Beispielsweise genannt seien Karl Clauer, Friedrich Cotta, Georg Friedrich Rebmann, Eulogius Schneider, Christi an Sommer und Heinrich Würzer. 18 In der zweiten Gruppe ist vor allem der juristische Sachverstand der Ärzte erwähnenswert - hinzuweisen ist etwa auf Johann Benjamin Erhard, Georg Kerner und Georg Christian Wedekind -, wobei die Ausführungen des letzteren mit zu den ergiebigsten Quellen für das jakobinische Staats- und Verfassungsverständnis zählen. 2 Lamprcchl
18
1. Kap.: Einleitung
neben dem Zweck der 'Beweisführung' auch das Anliegen, einen Eindruck von der Lebendigkeit, Bildhaftigkeit und Überzeugungskraft der jakobinischen Argumentation zu geben. Insgesamt gesehen wird dabei jedoch die Gruppe der im einzelnen betrachteten Jakobiner eher klein gehalten. Die Beschränkung auf den Kern des deutschen Jakobinismus mag zwar den Nachteil in sich bergen, daß mit jeder Erweiterung des Untersuchungskreises eine nicht vorhersehbare Verlagerung von Gewichtungen einhergehen und eine weitere Differenzierung nötig machen kann. Jedoch sollen in der vorliegenden Untersuchung Aussagen getroffen werden, die als kleinster gemeinsamer Nenner das jakobinische Staats- und Verfassungsverständnis insgesamt erhellen können, ohne daß Streulichter den Blick auf das Wesentliche erschweren.
Zweites Kapitel
Die Strömungen im verfassungsrechtlichen Denken im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts A. Ausgangslage Nach dem Westfälischen Frieden bildeten über 300 mehr oder weniger unabhängige Territorien das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Seine Charakterisierung als "Flickenteppich"19 mit einer Staatsform, die wegen ihrer verschiedenartigen Komponenten als ,)rregulär" und ,,monströs" bezeichnet wurde 20 , kann man schon fast als Gemeingut betrachten. Die Machtfülle der Territorialfürsten, die nicht nur vom 30-jährigen Krieg profitiert hatten, sondern auch von den Bauernkriegen und der Reformation, über 1800 Zollschranken und eine sehr verschiedenartige Ausübung von Hoheitsrechten - sei es in der Finanzverwaltung, bei der Rechtspflege oder in anderen Bereichen - führten in der Tat zu einem isolierten Nebeneinander der deutschen Staaten. Insofern stellte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit seinen vielfaltigen Institutionen, die die Traditionen des Mittelalters bewahrten, wahrlich das ,,komplizierteste Staatswesen" im Europa des 18. Jahrhunderts dar.21 Drastischer formulierte es der Jurist und Jakobiner Georg Friedrich Rebmann, der mit Blick auf ,~ oder 6 Hauptstädte" und ,,300 kleine Zentralstädte" die deutsche Konstitution als ,,anarchisch" kennzeichnete. 22 Eine voranschreitende wirtschaftliche Entwicklung wie sie in den zentral ausgerichteten und gelenkten Staaten wie Frankreich und England schon seit dem 17. Jahrhundert zügig eingesetzt hatte, blieb zwar auch in Deutschland nicht vollkommen aus. Allerdings ging sie hier deutlich langsamer vonstatten, was zur Folge hatte, daß Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts noch sehr agrarisch geprägt war. Lediglich 10% der Bevölkerung lebten in Orten mit mehr als 5.000 Einwohnern und von diesen nur etwa jeder siebente in Großstädten mit 100.000 Einwohnern und 19 Etwa bei Rebmann, Vollständige Geschichte meiner Verfolgungen und meiner Leiden (1796), S. 22. 20 So das bekannte Wort Samuel von Pufendorfs, in: Verfassung des Deutschen Reiches (1667), S. 227. 21 Erbe, Deutsche Geschichte 1713 -1790, 1985, S. 67. 22 Rebmaml, Holland und Frankreich (1796), S. 280. 2·
20
2. Kap.: Historische Ausgangslage
mehr?3 Der ländliche Raum war überdies durch traditionelle feudale Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet und kann daher als besonders rückständig beschrieben werden. In den Städten zeichnete sich hingegen in geringerem Maße eine Entwicklung ab, wie sie vor allem in Paris die Voraussetzung für die Französische Revolution war. Ein erstarkendes Bürgertum, aufgeklärt, gebildet und daher selbstbewußt, besann sich zunehmend auf seine Rechte. Es schuf den intellektuellen Nährboden für die Herausbildung von neuen geistigen und politischen Strömungen, die für den Eintritt in die Neuzeit und die Überwindung des Absolutismus kennzeichnend sind.
B. Allgemeine Strömungen Einbezogen, überlagert und immer wieder angestoßen wurde die geistige Entwicklung in Deutschland wie auch in den Nachbarländern von den Ideen der Aufklärung. Mit ihr verbindet sich die Herausbildung der modemen Menschheit auf das Innigste. In Deutschland hat sie das, was Humanismus und Reformation hinsichtlich der Ablösung vom Mittelalter versucht, aber nur zum Teil erreicht haben, mit großer Kraft vollendet. Der Glaube an die Notwendigkeit von Reformen und den Übergang in eine neue Welt wurde zur grundlegenden Überzeugung in weiten Teilen der Bevölkerung. Dabei machten verschiedene geistige Grundannahmen das Wesen der Aufklärung aus. 24 Der Maßstab des Vernünftigen wurde zur Richtschnur menschlichen Verhaltens gemacht. Geistige Kräfte und Fähigkeiten des Menschen sollten hierfür ebenso erschlossen und fruchtbar gemacht werden wie die Aneignung von Wissen und Erkenntnissen, wie sie sich vornehmlich aus den Naturwissenschaften ergeben haben. Wieland formulierte prägnant: ,,Aufklärung, das ist so viel Erkenntnis, als nötig ist, um das Wahre und Falsche immer und überall unterscheiden zu können."25 Und der bedeutende Mainzer Jakobiner Georg Christian Wedekind definierte Aufklärung als "vernünftige Erkenntnis aller derjenigen Dinge, welche ohne Rücksicht auf unsern besondern Beruf oder Metier zu unserer Glückseligkeit unentbehrlich sind."26
23 Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1966, S. 421. 24 Vgl. Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung, 1961, S. 11 ff. 25 Christoph Martin Wieland , Sechs Antworten auf sechs Fragen (1789), zitiert nach BrunnerlConzelKoselieck, Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, 1972, S. 251 f. 26 "Über Aufklärung, eine Anrede an seine lieben Mainzer, gehalten in der Gesellschaft der Volksfreunde zu Mainz am 28. Oktober im ersten Jahre der Freiheit und Gleichheit von Georg Wedekind, Mainz 1792." Abgedruckt bei Scheel, Mainzer Republik, Bd. 1,1975, Anm. e.) zum Protokoll der Sitzung vom 28.10.1792, S. 74 ff. (77). Wedekind setzte ganz praktisch an und gab sieben Lernziele vor, deren Befolgung es
B. Allgemeine Strömungen
21
In diesem neuen geistigen Klima der Aufklärung wurden seit Mitte des 18. Jahrhunderts die Fundamente der gesellschaftlichen und politischen Grundlagen nicht mehr nur freigelegt, sondern auch in Frage gestellt. Ständegesellschaft und absolutistische Herrschaft wurden nicht mehr von allen Seiten als gottgegeben und natürlich empfunden. Diese Entwicklung der neuen Erkenntnisse betraf sogar den absoluten Staat als solchen, der sich zunehmend an der Verbreitung aufklärerischen Gedankenguts beteiligte.27 Auf diese Weise bildeten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschiedene politische Strömungen heraus, die die Aufklärung in verschiedene Richtungen und zu verschiedenen Zwecken fruchtbar machen wollten. In systematisierender Herausarbeitung lassen sich unter diesen Richtungen drei voneinander trennen und weltanschaulich typisieren. 28 Zunächst ist die Strömung des Liberalismus zu nennen, der die Aufklärung als Prozeß geistiger Kritik fortsetzt. 29 Obwohl an den Rändern Überschneidungen sowohl zur demokratischen als auch zur konservativen Strömung möglich sind 30 , ist sie im Grundsatz dadurch gekennzeichnet, daß sie sich gegen absolutistische Bevormundung richtete und ein Schwergewicht auf die Durchsetzung der Freiheitsrechte legte. Allerdings stand neben der vernunftrechtlichen Idee der Gewährung freiheitlicher Rechte an das Individuum auch das Gedankengut der ständischen Rechte und Freiheiten, die bewahrt werden sollten. Als schriftliche Grundlage des menschlichen Zusammenlebens wurde die Verfassung angesehen, die auch den Anker für staatliche Institutionen darstellte. Das Staatsoberhaupt konnte durchaus der Monarch sein, wenn er sich an die Verfassung binden ließ. Beschrieben wurden die Inhalte der liberalen politischen Theorie von bedurfte, um ein "vernünftiges Wesen, ein Mensch" zu werden: ,,1. Die Kunst, mit Geld gehörig umzugehen und in der Haushaltung geübt zu sein. 2. Die Kunst, auf seine Gesundheit zu achten. 3. Die Kenntnis der Menschen- und Bürgerrechte. 4. Die Kenntnis der Verfassung und Gesetze eines Landes. 5. Die Kenntnis der Religion. 6. Die Kenntnis der Naturwissenschaft. 7. Die Kenntnis von Geographie und Geschichte." Vgl. Wedekilld, ebenda, S. 76 f. 27 Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung, 1961, S. 22. Dieses war ein zentraler Grund für die Revolutionsunlust der deutschen Bevölkerung, denn die aufgeklärten Monarchen boten naturgemäß weniger Angriffsfläche. 28 In Detailfragen zwar überholt, doch in seinem Gesamtwert nach wie vor unerreicht, ist es das grundlegende Werk von Valjavec, Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770 - 1815, 1951, welches für die hier vertretene Systematisierung herangezogen wird. 29 Aus der neue ren Forschung zum Liberalismus vgl. Wilhelm, Der deutsche Frühliberalismus, 1995; Lallgewiesche, Liberalismus in Deutschland, 1988. 30 Zu der Schwierigkeit, Zuordnungen von politischen Autoren zu verschiedenen Denkrichtungen vorzunehmen, die z. B. dann zu widersprüchlichen Ergebnissen führen, wenn man eher auf staatstheoretische Ansätze achtet als auf freiheitsrechtliche oder eher auf politische als auf philosophische, vgl. Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 26.
22
2. Kap.: Historische Ausgangslage
einem großen Teil der in den 1790er Jahren erschienenen Naturrechtssysteme, die daher auch als Träger und Hauptvermittler des Liberalismus bezeichnet werden. 31 Die Französische Revolution wurde von vielen Liberalen als zur Durchsetzung aufgeklärter Gedanken geeignet und hilfreich angesehen. Nach der Hinrichtung Ludwig XVI., welche negativ aufgenommen wurde, kam es jedoch häufig sogar zur Ablehnung der positiven Errungenschaften der Revolution. Unter anderem in diesem Punkt unterschieden sich die Liberalen von der sogenannten demokratischen Strömung.32 Die Demokraten akzeptierten auch das Frankreich nach 1792 als Vorbild 33 und hielten an den Zielvorstellungen Volkssouveränität, Abschaffung der Monarchie sowie Sicherung der Menschenrechte fest und rechtfertigten unter Umständen auch die gewaltsame Revolution als letztes Mittel auf dem Weg zur Republik. Dem Spektrum der demokratischen Strömung, dem sich die vorliegende Arbeit näher widmet, lassen sich die deutschen Jakobiner zuordnen.34 Als der demokratischen Strömung entgegengesetzt ist noch auf die konservative Bewegung hinzuweisen.35 Ihre Anhänger stammten zum einen aus dem Lager der Stände, welche sich zwar gegen den Absolutismus richteten, doch zu weiteren Reformen nicht bereit waren; zum anderen waren sie unter den religiös motivierten Gegnern der Aufklärung zu finden. Sie lehnten den Rationalismus in der Politik ab und glaubten nach den Ereignissen des Jahres 1789 verbreitet an eine Verschwörung der Aufklärer zur Überwindung der bestehenden guten Ordnung. Alles Neue galt es daher zu bekämpfen. Als ,,Eudämonisten" bezogen sie gegen die deutschen Jakobiner häufig vehement Stellung.
31 Klippel, ebenda, S. 13 ff., der überdies eine Zusammenstellung der Literaturmeinungen zum kontrovers diskutierten Begriff des Liberalismus gibt. 32 Zu den dennoch auftretenden Schwierigkeiten einer Unterscheidung zwischen Liberalen und Demokraten vgl. Grab, Leben und Werke norddeutscher Jakobiner, 1973, S.12. Ihm folgend Reinalter, Französische Revolution und Mitteleuropa, 1988, S. 42 ff. 33 Grab, Zur Definition des mitteleuropäischen Jakobinismus, in: Büsch/Grab, Demokratische Bewegung in Mitteleuropa, 1980, S. 8, m. w. Nachw. auf die Primärliteratur zur Rechtfertigung des Königsmords in Frankreich. 34 Die z.B. bei Reinalter, Französische Revolution und Mitteleuropa, 1988, S.43, erwähnte weitere Untergliederung der demokratischen Untergrupppe der Jakobiner in gemäßigte und radikale erscheint hingegen wenig hilfreich, da sich in ihr die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Liberalen und Demokraten noch verstärkter widerspiegeln. 35 Umfassend hierzu Epstein, Ursprünge des Konservatismus in Deutschland, 1973, der weiterhin zwischen Verteidigern des status quo, Reformkonservativen und Reaktionären unterscheidet, S. 19 ff.
C. Strömungen mit verfassungsrechtlichen Bezügen
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c. Strömungen mit verfassungsrechtlichen Bezügen Umfaßt von den allgemeinen geistigen Strömungen im 18. Jahrhundert und in teilweiser Überschneidung zu den politischen Richtungen finden sich spezifisch verfassungsrechtlich geprägte Denkansätze.36 Unter dem Stichwort "Verfassungsdiskurs im ausgehenden 18. Jahrhundert" werden sie von der Forschung zunehmend erfaßt und kategorisiert?7 Die zeitgenössische Entwicklung wurde belebt durch das Umfeld in Europa und Amerika, doch ihre katalytische Verstärkung fand sie durch die Französische Revolution.J8 Ihr Ausgangspunkt war durch einen überlieferten Verfassungsbegriff bestimmt, wie er etwa von Montesquieu und Diderot in der Mitte des 18. Jahrhunderts vertreten wurde. Der Verfassung eines Staates kam eine historisch-legitimierende Funktion zu, denn sie verkörperte die Gesamtheit der allgemeinen Gesetze, die der Verwaltung eines Staates als Regeln dienten und als der allgemeine, historische Zustand einer vorgegebenen politischen Ordnung verstanden wurden.J9 Die Amerikanische Revolution brachte in Überwindung dieses Denkens erstmals die Vorstellung des pouvoir constituant des Volkes in die staatsrechtliche Praxis. Die Verfassungen der Einzelstatten der amerikanischen Konföderation zwischen 1776 und 1784 und die Bundesverfassung von 1787 stellten die ersten Verfassungen moderner Prägung dar. In Europa war die polnische Verfassung vom Mai 1791 die erste geschriebene Verfassung 'neuen Typs', bevor dann die französischen Verfassungen im Anschluß an die Französische Revolution Vor-
36 Eine erste anschauliche Zusammenfassung der Beziehung zwischen Aufklärung und Recht bei Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung, 1961, S. 294 ff. 37 Vgl. Dippel, Anfänge des Konstitutionalismus in Deutschland, 1991, S. 7 ff. Ursprünglich begonnen wurde die Erschließung der Quellen des 18. Jahrhunderts durch die Suche nach den Traditionen der Gewährung von Menschenrechten in Deutschland seit den 1980er Jahren. Das Ergebnis besteht in einer überwältigenden Fülle an Material zu den Menschenrechten, weIches zusammengefaßt wird von Birtschl TrauthlMeenken, Grundfreiheiten, 5 Bde., 1991/92. Zu einem Uberblick über die angesprochenen unterschiedlichen juristischen Strömungen vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1,1988. 38 Vgl. auch den Willzelm Traugott Krug zugeschriebenen Verfassungsentwurf "Grundlinien zu einer allgemeinen deutschen Republik", unten 4. Kap. C. I. 5., in dessen Anhang es heißt: "Wenn wir aber im Jahre 1796 nicht so bescheiden als jene großen Männer auftreten, weil wir unsere neu zu organisierende Staatsverfassung auf deutschen Grund und Boden setzen, so liegt die Ursache daran nicht sowohl an uns, als vielmehr in der Natur der Dinge und in den politischen Umständen, die sich seit der Einrichtung der nordamerikanischen und neuerlich der französischen Regierung so gewaltig verändert haben, daß vielleicht vor einem halben Jahrhundert noch kein Mensch daran dachte, ob man wohl mit vieler Wahrscheinlichkeit eine Änderung der Dinge voraussehen konnte." 39 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748), und Diderot, Art. "Constitution", in: Encyclopedie (1754), zitiert nach: Dippel, Anfänge des Konstitutionalismus in Deutschland, 1991, S. 10.
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2. Kap.: Historische Ausgangslage
bildfunktionen für die Verfassungsdiskussionen in Deutschland, und hier insbesondere für die Betrachtungen der deutschen Jakobiner, übernahmen. Der Boden für die Entwicklungen des verfassungs rechtlichen Denkens in Deutschland nach der Französischen Revolution war indessen vorher, und zum Teil durchaus abgekoppelt von dem Fortgang in Frankreich, gelegt worden. Er orientierte sich seit Anfang des 17. Jahrhunderts an der Geltung und Interpretation der Leges fundamentales, also der Grund- und Fundamentalgesetze, die eine Zusammenstellung schriftlich fixierter Normen waren. Sie wirkten konstitutiv für die Herrschaftsausübung, hatten Funktionen übernommen, die zum Teil denen späterer Verfassungsgesetze entsprachen, und wurden deshalb als Vorläufer der formellen Verfassungen angesehen. 40 Im einzelnen sind folgende Strömungen mit verfassungsrechtlichen Bezügen zu behandeln, die für das deutsche Verfassungsrechtsdenken im 18. Jahrhundert Zeugnis ablegen: An erster Stelle steht die Beschäftigung mit den Lehren des Naturrechts in all seinen Schattierungen. Als weitere Denkrichtungen sind der Physiokratismus, die Lehren vom Reichsstaatsrecht und der Kameralismus zu nennen. Neuerdings hat die Forschung darüber hinaus auch das Reichskammergericht als Träger modemen verfassungsrechtlichen Denkens entdeckt und dabei gleichzeitig Bezüge zu Illuminaten und Jakobinern hergestellt.41 All diese Strömungen bildeten den Teppich des Rechtsdenkens, an den, wie zu sehen sein wird, die deutschen Jakobiner nach 1789 ein Stück anknüpften, um ihn zu verbreitern, den sie jedoch auch betraten, um sich seine Ideen zu eigen zu machen. Der Beginn der Betrachtung soll einer kurzen Würdigung der Reichspublizistik gewidmet sein, denn in ihr findet sich anfangs der direkte positivrechtliche Bezug zu den Leges fundamentales und damit eine faßbare Grundlage, die die Basis für Weiterentwicklungen war.
I. Reichsstaatsrechtslehre und Reichspublizistik Ausgangspunkt der Reichspublizistik waren die altständischen Verfassungssysteme, die im 17. und 18. Jahrhundert von der Staatsrechtswissenschaft aufgearbeitet und einer abstrakten Betrachtung zugeführt wurden. Dabei konnten sehr weitgefächerte rechtliche Grundlagen studiert werden; zum Kanon der Reichspublizistik zählte nicht alleine die Verfassungsordnung des Reiches, 40 Vgl. Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in: Buschmann, Festschrift für Rudolf Gmür, 1983, S. 9; Peters, Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus, 1993, S. 34. 41 Vgl. auch unten 3. Kap. B. 11. 2.
C. Strömungen mit verfassungsrechtlichen Bezügen
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sondern auch die der Glieder des Reiches in Gestalt der Reichsstände. Insgesamt kann von folgender Systematik ausgegangen werden, in die sich das Reichsverfassungsrecht einordnen läßt: 42 Geschriebenes Recht war vor ungeschriebenem angesiedelt, generelles Recht vor partikularem. Gesetze gingen Vertrags- und Privilegienrecht vor, Reichsrecht stand vor Territorialrecht. Mit den Reichsfundamentalgesetzen Goldene Bulle, Ewiger Landfriede, Augsburger Religionsfriede, Reichsexekutionsordnung, Reichskammergerichts- und Reichshofratsordnung und den Wahlkapitulationen war der Kern des Reichsverfassungsrechts bestimmt. Um diesen herum waren verfassungsrechtlich relevante Verträge nach innen, Konkordate und Friedensverträge nach außen ebenso versammelt wie Bestimmungen des Völkerrechts und des Lehnsrechts, welches in bezug auf seine innere Ausgestaltung vom Reichsrecht beeinflußt war. Ergebnis der von der Reichspublizistik angesammelten Materialien war einerseits eine ,)mmer größere Aufhäufung" von positivrechtlichen Regelungen. 43 Andererseits förderte die immense Fülle der geltenden Normen die Abschichtung von weniger bedeutsamen Vorschriften und die Freilegung von Grundlinien, wie sie vor allem von den Vertretern der historisch - dogmatischen Schule, unter denen insbesondere Johann Stephan Pütter, Carl Friedrich Häberlin und Justus Möser zu nennen sind, vorgenommen wurde.44 Aus der voranschreitenden Kategorisierung und einer Weiterentwicklung des geltenden Rechts45 resultiert die heute mögliche Bestimmbarkeit des grundlegenden Verfassungsverständnisses der Reichspublizistik, die zwischen den Grund- oder Fundamentalgesetzen einerseits und den bürgerlichen Gesetzen andererseits unterschied.46 Erstere waren die Normen staatsrechtlichen Inhalts, die durch Konsens der Parteien des Ständestaates zustandekamen, inter partes wirkten und als Kanon von Vorschriften gedeutet wurden, der die staatliche Ordnung konstitutionsähnlich prägte. Adressat der letzteren waren die 42 Nach Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1,1988, S. 261 f., der sich auf das Werk von Moser bezieht. 43 Vgl. Stolleis, ebenda, S. 260 ff. Einen Höhepunkt bildeten in diesem Zusammenhang die Kompendien von Johann Jacob Moser (1701 - 1785). Sein "Teutsches StaatsRecht", abgeschlossen 1754, umfaßt 53 Bände, sein "Neues Teutsches Staats-Recht", abgeschlossen 1782, noch einmal 43 Bände. 44 Zur Bedeutung der historisch - dogmatischen Schule vgl. Peters, Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus, 1993, S. 18 ff. Allgemein zum Verhältnis zwischen Reichspublizistik und Staatsrechtswissenschaft Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, 1997, S. 113 ff. 45 Würtenberger, An der SchwelIe zum Verfassungsstaat, in: Krause, Vernunftrecht und Rechtsreform, 1988, S. 56; Stolleis, Historische Schule und das öffentliche Recht, in: Ders., Bedeutung der Wörter, 1991, S. 499. 46 Hierzu und zum folgenden Peters, Späte Reichspublizistik und Frühkonstitutionalismus, 1993, S. 35 f., 135.
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2. Kap.: Historische Ausgangslage
"Unterthanen" und die ,'privatverhältnisse". Ergänzt wurde die Reichspublizistik von dem sogenannten ,,Herkommen", dem Verfassungsgewohnheitsrecht, das seinen Geltungsgrund in der Übung der Rechtsetzungsbefugten hatte. Aufgrund der geschlossenen Verträge zwischen Herrscher und Ständen ergab sich eine dauerhafte Unverbrüchlichkeit des rechtlichen Rahmens des Staates, solange alle Seiten das Vereinbarte respektierten. Dies bedeutete auch eine Bindung des Herrschers an die Grundgesetze.47 Einigen Reichspublizisten, die dieser Bindung des Herrschers besonderes Gewicht beimaßen, wird daher bescheinigt, daß sie im Grunde genommen die Volkssouveränität als oberstes politisches Legitimationsprinzip ansahen und die Ableitung der Herrschaftsbefugnisse des Regenten von Gottes Gnaden ablehnten.48 Allerdings konnten sie die Bindung an den Gedanken ständischer Repräsentation nicht überwinden, so daß sich treffender von Ständesouveränität sprechen ließe. Freiheitsrechte hingegen wurden von der Reichspublizistik von den altständischen Rechten, an denen der einzelne über seine Zugehörigkeit zu Korporationen teilhatte, abgelöst und als originäre Rechte des Individuums verstanden.49 Zurückhaltung bestand zwar im Bereich der Meinungsfreiheit, doch finden sich Ansätze zum Schutz der Freiheit der Person und des privaten Eigentums. Am weitesten entwickelt war die Vorstellung, daß dem einzelnen seine Glaubensfreiheit zu gewähren wäre. Hier hatten sich naturrechtliche Ansätze in der Reichspublizistik am stärksten durchgesetzt und verbreitet. Ein höherer Grad naturrechtlicher Abstraktion, als er in der Reichspublizistik zu finden war, hatte sich demgegenüber in einerspezielleren Strömung der deutschen Staatsrechtslehre gebildet - im ius publicum universale, also im ,,Allgemeinen Staatsrecht", welches als kritische Argumentationshilfe gegenüber der Irrationalität des geltenden Rechts benötigt wurde und frei von historischen Vorgaben sein sollte.50 Es stellte eine eigenständige Rechtsdisziplin dar und wurde, indem es naturrechtliche und völkerrechtliche Gedanken verband,
47 Die Bewertungen der Verfassungslage durch die Rechtsgelehrten insgesamt waren uneinheitlich. Begriffe wie ,,aufgelöste Verfassung", "Rätsel politischer Verfassung", "unsere ganz zerrüttete Verfassung" und "tiefer Verfall der Gesetze" sprachen Kritikpunkte offen an. Doch gab es auch Verteidiger der Reichsverfassung, die in ihr eine "Tochter altteutscher Freiheit" sahen und ihren Beitrag zu einem politischen Gleichgewicht in Deutschland und in Europa rühmten. Vgl. Würtenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, in: Krause, Vernunftrecht und Rechtsreform, 1988, S. 57 f. mit Nachweisen zu den Zitaten von Pufendorf und Friedrich earl von Moser einerseits und Vogt und von Soden andererseits. 48 Peters, Späte Reichspublizistik und FTÜhkonstitutionalismus, 1993, S. 49 ff. 49 Vgl. Peters, ebenda, S. 119 - 133. 50 Zu Naturrecht und ius publicum universale vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1,1988, S. 268 ff. m. w. Nachw.
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zu einem Grundlagenfach, welches insbesondere dort unterrichtet wurde, "wo es untunlich schien, den Studenten nur die positivrechtlichen Details des Reichs oder des jeweiligen Territoriums zu vermitteln.,,51
11. Das Naturrecht Das neuzeitliche Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts läßt sich in vier verschiedene Kategorien unterteilen, die in zeitlicher Abfolge zueinander standen und sich parallel zu der politischen Entwicklung auf jeweils neue Zweckrichtungen konzentrierten. Sie waren ,,Antworten auf Fragen der Zeit"52, die sich im Zuge politischer Entwicklungen ergeben hallen53 , und basierten auf folgenden Fundamenten54 : Das Naturrecht des 16. und frühen 17. Jahrhunderts war in einen Zusammenhang zu den theologischen Lehren von Scholastik und Reformation eingebunden. Die darauffolgende Phase, geprägt von dem Hochabsolutismus, brachte die sogenannten ,,klassischen Naturrechtssysteme" hervor, die im Zeichen einer rationalen Konstruktion des Staatsapparates und der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols standen. In der Aufklärung, dem dritten Abschnitt, kam es zur Herausbildung von moralischen Regeln, die bei der Überwindung der als überholt angesehenen tatsächlichen Rechtszustände helfen sollten. Mit der Differenzierung zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum begann das Naturrecht, sich auf die Seite des letzteren zu stellen und ihm bei der Durchsetzung seiner als natürlich empfundenen Interessen zur Seite zu stehen. Dieses Bemühen erreichte einen vorläufigen Höhepunkt in der vierten Phase, welche zeitlich mit der Französischen Revolution und den nachfolgenden Jahren zusammenfällt. Nun entfaltet sich "die dem Naturrecht immer schon inhärente revolutionäre Komponente'65, denn es verlangt eine umfassende Neugestaltung des bestehenden Zustandes. Grundrechte und Gewaltenteilung stehen auf der Wunschliste der Naturrechtler ganz oben.56 In dieser Zeit 51 Stolleis, ebenda, S. 291. 52 Stolleis , ebenda, S. 269. 53 Mit Hilfe des Naturrechts ließen sich Religionskonflikte ohne konfessionelle Parteinahme neutralisieren. Es diente zur Unterstützung des Ständestaates gegen den absolutistischen Herrscher durch Verankerung der Souveränität im Volk bzw. bei den Ständen. Und schließlich trug es in Form des Völkerrechts zur Friedensstiftung bei. 54 Die im folgenden aufgestellte Systematisierung lehnt sich an die Gedanken von Stolleis, ebenda, an. Zum anderen beruht sie auf Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 14 ff. 55 Stolleis, ebenda, S. 270. 56 Insbesondere zu den Grundrechten vgl. Link, NaturrechtIiche Grundlagen, in: Birtsch, Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 215 ff. Als inzwischen widerlegt dürfte die Aussage gelten, daß es nach 1790 zu einer Überwindung des naturrechtIichen Denkens gekommen sei. Vgl. zu diesem Themenkomplex Klippei, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 21 f.
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2. Kap.: Historische Ausgangslage
soll das Naturrecht den Übergang zum "Themenkatalog des deutschen Frühkonstitutionalismus ab 1800" bezeichnet haben, dessen eine zentrale Aufgabe die ,,Konstruktion einer Monarchie mit Verfassungsbindung" war.57 Daß die deutschen Jakobiner als Vertreter und Befürworter naturrechtlichen Denkens in ihren Forderungen über die Ausprägung des Naturrechts in der vierten Entwicklungsstufe hinausgingen, soll an dieser Stelle nur kurz angedeutet werden.58 Im einzelnen wird dies insbesondere bei dem Blick auf die jakobinischen Verfassungsentwürfe deutlich werden. Insoweit kann auch der angesprochenen These von der kontitutionellen Monarchie widersprochen werden, die Ziel und Aufgabe des Naturrechts gewesen sein soll. Bestand doch bei den deutschen Jakobinern ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Fürstenherrschaft, die gerade durch Berufung auf den 'wahren Inhalt' des Naturrechts abgeschafft werden sollte. Das 'bisherige' Naturrecht erschien nicht ausreichend, um den Gedanken von Volkssouveränität, Grundrechten und Gewaltenteilung zum Durchbruch zu verhelfen. Stellvertretend für die deutschen Jakobiner sei zum Thema Naturrecht Mathias Metternich zitiert, der im Mainzer Jakobinerklub polemisierte, warum man dieses Rechtsgebiet, so wie es im Staat praktisch gehandhabt wurde, für unzureichend hielt: ,,Das sogenannte Naturr't:cht war ein Gemische von elenden Voraussetzungen, die vor dem strengen Richterstuhle der Vernunft die Probe nicht aushielten. Und wie wurde nicht alles in diesem Naturrechte gewunden und gedreht, daß es ja mit dem Fürsten- und positivem Rechte sich gut vertrage; wenigstens so gut, wie sich der freie Mensch unter der Peitsche eines Tyrannen vertragen kann.'o9 III. Kameralismus und "Policeywissenschaft"
Das neue, vernunftrechtliche orientierte Denken des Naturrechts, wie es sich in der soeben vorgestellten dritten und vierten Phase herausgebildet hat, wurde nicht nur von Juristen beachtet, sondern fand ebenso Eingang in die Lehren der Nationalökonomie und Finanzwissenschaften, also der Kameralistik. Hier entwickelte es sich fort, und im Rahmen einer weit verstandenen "Policeywissenschaft", die das innenpolitische Handeln des Staates - einschließlich seiner Einnahmenverschaffung - zum Bezugspunkt hatte, kristallisierten sich Lehren des
57 Stolleis, ebenda, S. 269, 296. 58 In dem Standardwerk zum deutschen Naturrecht von Klippel (Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976), auf das sich neben Stolleis auch andere Autoren beziehen, wird das Verhältnis zwischen dem Wirken der deutschen Jakobiner und dem Naturrecht immerhin gestreift (S. 18, 150 - 152, 175), obwohl der Verfasser gleichzeitig darauf hinweist, daß jakobinische Quellen kaum ausgewertet werden (konnten), S. 18. 59 Vgl. Metternichs Rede vom 25.11.1792, abgedruckt bei Scheel, Mainzer Republik, Bd. I, 1975, S. 290.
C. Strömungen mit verfassungsrechtlichen Bezügen
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Verwaltungshandelns heraus sowie auch die Akzeptanz eines 'polizeifesten Terrains', welches individuelle Freiheitsrechte beinhaltete und dem Staat bei Eingriffen immerhin einen Rechtfertigungszwang auferlegte.60 Polizeiwissenschaftler wie Pfeiffer und Justi nahmen mit der angesprochen Entwicklung liberales Gedankengut in ihre Schriften auf. Zum Teil findet sich in ihren Abhandlungen erstaunlich fortschrittliches Gedankengut, welches auch die Bereiche des Staats- und Verfassungsrechts berührt. So sprach sich etwa Justi in seinem 1760 erschienenen Werk ,,Natur und Wesen der Staaten" für die Volkssouveränität aus, die der "Grund aller Gewalt im Staate" sei. Der "Grundverfassung" sollte die Aufgabe zukommen, Fragen der Ausübung der Staatsgewalt zu regeln, und außerdem sollte in ihr das Zusammenwirken zwischen Exekutive, Legislative und Judikative festgeschrieben sein.61 Insofern lehnte sich Justi an die Gewaltenteilungslehre von Montesquieu und das politische System in England an und entwickelte bereits geraume Zeit vor der Französischen Revolution die Grundzüge einer konstitutionellen Staatstheorie. Unter Hinweis auf die Erkenntnis, daß das Gemeinwesen insgesamt außerdem höheren Wohlstand erreichen könne, wenn man es von Reglementierungen und Zwängen befreit, verband Justi die Forderung nach staatlichem Schutz des Eigentums und weitgehender Gewerbefreiheit mit dem Willen, den gemeinsamen Nutzen zu stärken.62 Hinzu traten Forderungen nach Unabhängigkeit der Justiz, sowie ein am Gleichheitssatz ausgerichtetes Steuerrecht.63 Aufgrund seiner Argumentation anhand der gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten besaßen Justis Überlegungen große Überzeugungskraft. Justis Verständnis der politischen Freiheit knüpfte hingegen noch an die "Freyheit des Staats ( ...) in Ansehung seines Verhältnisses gegen andere Staaten" und damit an dessen "Unabhänglichkeit" an.64 Erst später entwickelte sich daraus die Freiheit in "Freystaaten", die sich schließlich auf den politisch freien Bürger in der Demokratie konzentrierte und damit die Grundlage des auf Rous-
60 Siol/eis, ebenda, S. 379. 61 Vgl. Würlenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, in: Krause, Vernunftrecht und Rechtsreform, 1988, S. 62 - 64 m. w. Nachw. und Erläuterungen zur Polizeiwissenschaft. Ebenfalls zu Justi s. Wilhelm, Staats- und Gesellschaftsverständnis von J. H. G. von Justi (1991), S. 415 ff. In Österreich wirkte der bedeutende Professor für Po-
licey- und Kameralwissenschaft v. Sonnenfels, der jedoch eher für einen aufgeklärten Absolutismus, denn für eine konstitutionelle Monarchie stand. Ausführlich zur kameralistischen Staatswissenschaft Brückner, Staatswissenschaften, Kameralismus und Naturrecht, 1977, S. 229 - 257. 62 Schöttle, Politische Theorien, 1994, S. 11 f. 63 Würlenberger, An der Schwelle zum Verfassungsstaat, in: Krause, Vernunftrecht und Rechtsreform, 1988, S. 66. 64 "Natur und Wesen des Staats", zitiert nach KUppel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte, 1976, S. 150.
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2. Kap.: Historische Ausgangslage
seau aufbauenden republikanisch-demokratischen Freiheitsbegriffs der deutschen Jakobiner schuf.65 IV. Der Physiokratismus In einem ähnlichen Umfeld wie die Kameralisten und Polizeiwissenschaftler, allerdings von einer neuen Wirtschaftstheorie ausgehend, ohne jedoch bei dieser stehenzubleiben, waren es die Physiokraten, die im 18. Jahrhundert ebenfalls eine neue Staatslehre entwickelten und die Forderung nach individueller Freiheit erhoben.66 In Abkehr vom bis dahin in Deutschland das Verhältnis von Staat und Wirtschaft beschreibenden Kameralismus67 verlangte der Physiokratismus jedoch eine uneingeschränkte wirtschaftliche Freiheit. "Unverletzlichkeit des ganzen Eigenthumsrecht eines jeden" war dabei der Hauptbestandteil in dem physiokratischen ,,system der natürlichen Ordnung", welches gekennzeichnet sei durch "die allgemeine absolute unveränderliche nothwendige Gerechtigkeit, oder welches einerley ist, die allgemeine Freyheit, die Gott in die Natur der Menschen gelegt hat."68 Nach Vorstellung der Physiokraten war es dem Herrscher also nicht gestattet, in die natürlichen Rechte des Individuums einzugreifen. Der Mensch sollte vielmehr im Staat dieselben Rechte genießen können wie im Naturzustand.69
65 Vgl. Klippei, ebenda, S. 150 f. 66 Zu den deutschen Physiokraten s. Klippei, Einfluß der Physiokraten auf die Entwicklung der liberalen politischen Theorie (1984), S. 205 ff. Allgemein zum Physiokratismus und dessen Ausstrahlung auf Deutschland Scllwab, SelbstverwaItungsidee, 1971, S. 141 ff. Die physiokratische Idee, welche gleichermaßen Wirtschaft, Politik und Moral erfaßte, und die auf den Leibarzt Ludwig XV., Fran\rois Quesnay, zurückgeht, basiert auf der Grundthese, daß der Boden die einzige Quelle des Nationalreichtums sei. Die besondere Rolle der Eigentumsrechte findet in diesem Gedanken seine Wurzel. Der Klasse der Grundeigentümer sollten besondere Aufgaben im Staat, insbesondere in der Justiz, zukommen, da sie aufgrund ihres materiellen Wohlstands unabhängig von materiellen Eigeninteressen entscheiden könnten. 67 Der Kameralismus stellte insofern einen Ableger des französischen Merkantilismus dar, als er staatliche Eingriffe zu Lasten des wirtschaftlich handelnden Marktteilnehmers rechtfertigte. 68 Aussagen des bedeutenden deutschen Physiokraten JO"OII11 August Sclllettweill (1731 - 1802), zitiert nach KUppel, Einfluß der Physiokraten auf die Entwicklung der liberalen politischen Theorie (1984), S. 210. 69 "So wenig also in der Gesellschaft überhaupt, wenn sie der Natur gemäß seyn soll, eine Aufopferung der Menschenrechte statt findet ( ...): So wenig und noch weit weniger ist eine Aufopferung der besondern Menschenrechte ( ...) der Bürger zu einer bürgerlichen Gesellschaft nothwendig. Dies soll nach dem gesunden MenschenSinne in der bürgerlichen Gesellschaft die HauptAbsicht seyn, daß ein jeder die vollkommenste Garantie aller seiner MenschenRechte, und des Genusses derselbigen darinne findet." Sclllettweill, Die Rechte der Menschheit, 1784, zitiert nach Klippei, ebenda, S. 216 f.
C. Strömungen mit verfassungsrechtlichen Bezügen
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Zu einer gewissen Widersprüchlichkeit hinsichtlich der staatstheoretischen Vorstellungen der Physiokraten gehört jedoch weiterhin, daß trotz der Betonung der Freiheitsrechte der Menschen auch eine Rechtfertigung absolutistischer Herrschaftsfonnen mit dem Physiokratismus möglich ist und auch vorgenommen wurde.70 Ausgangspunkt hierfür war die Vorstellung, daß die Durchsetzung der natürlichen Ordnung einer starken Hand bedürfe. Diese ,,Doppelgesichtigkeit" des Physiokratismus71 läßt also nur in dem Bereich einiger, vornehmlich ökonomischer Freiheitsrechte die Zuordnung der Physiokraten zu den Vertretern liberaler politischer Ideen im 18. Jahrhundert in Deutschland zu. In Fragen der Staats- und Gesellschaftslehre blieben die Physiokraten in ihrer Entwicklung hinter den Vertretern des kritisch - emanzipativen Naturrechts und selbst hinter den Ansichten eines Justi weit zurück.72
V. Rechtsfortbildung durch das Reichskammergericht In neueren Forschungsbeiträgen zum Reichskammergericht erfährt diese Reichsinstitution im Hinblick darauf, wie weit sich unter den Richtern Gedanken der Aufklärung durchsetzten und die Freiheitsrechte fördernden Einfluß auf die Rechtsprechung nahmen, besondere Beachtung?3 Fürsten und Herrscher bewerteten das damalige Eindringen aufklärerischen Gedankengutes als unter dem unheilvollen Einfluß von Illuminaten und Jakobinern stehend.74 Heutzutage ergibt eine Rückschau auf diesen Prozeß die Erkenntnis, daß sich im Zuge der Aufklärung in der reichskammergerichtlichen Spruchpraxis Ansätze entwickelten, Naturrechtsdenken in der juristischen Argumentation fruchtbar zu machen. Zwar ist zu Recht darauf hinzuweisen, daß das jüngere Naturrecht eher den Charakter von Gesetzgebungstheorien hatte und für seine
70 Holldack, Physiokratismus und absolute Monarchie, in: v. Areti1l, Der Aufgeklärte Absolutismus, 1974, S. 137 - 162. 71 Klippei, Einfluß der Physiokraten auf die Entwicklung der liberalen politischen Theorie (1984), S. 224. 72 Eine Ausnahme ist allerdings bei dem fortschrittlichen Physiokraten Jakob Mauvillon zu machen, der sich positiv zur Volkssouveränität äußert und insoweit den Vorstellungen der deutschen Jakobiner sehr nahe kommt. Vgl. Wilhelm, Der deutsche Frühliberalismus, 1995, S. 185 ff., 192 f. 73 Vgl. etwa den Sammelband von Diestelkamp, Politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993. Neugebauer- Wölk, Reichsjustiz und Aufklärung, 1993, S. 54, geht in der Bewertung sogar weiter und führt aus, daß die Assessoren ab 1787 ihre Kompetenz zur Rechtsprechung genutzt hätten, um verfassungspolitisch zu wirken und die Verfassungspolitik in Deutschland voranzutreiben. Vgl. auch Würte1lberger, Verfassungsrechtliche Streitigkeiten, in: Klei1l, Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, 1995, S. 452 ff. 74 Diestelkamp, Einleitung, in: Ders., Politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993, S. 5; vgl. auch unten 3. Kap. B. 11. 2.
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2. Kap.: Historische Ausgangslage
Einwirkung im Bereich der Rechtsanwendung bislang kaum nachgewiesener Raum war. 75 Allerdings bestehen zumindest Eindrücke und Vorahnungen, die durch weitergehende Forschungen in diesem Bereich verifiziert werden müßten, daß ,,naturrechtliche Begriffe und Argumente bei der Entscheidungsfindung ( ...) eine Rolle" spielten.76 Hierfür sprechen auch verwendete Begriffe wie ,,natürliche Freyheit", ,,natürliche Rechte", ,,natürliche Billigkeyt" und ,,natürliche Handlungsfreyheit" in den Relationen des Beisitzers am Reichskammergericht Steigentesch.77 Und womöglich sind die auf dem Vernunft recht basierenden Einflüsse der Reichskammergerichtsbarkeit doch so bedeutsam gewesen, daß man in ihr eine Hüterin der Bürgerrechte sehen konnte, die "eine gewisse Gewaltenbalance und damit einen Schutzwall zugunsten bürgerlicher Freiheit gegen absolutistisch - polizeistaatlichen Perfektionismus" ermöglicht hat. 78 Nachgewiesen werden kann trotz nur punktueller Entfaltung einer auf den Schutz der Freiheit abstellenden Judikatur immerhin die richterliche Abwendung von Eingriffen in Freiheitsrechte ohne gesetzliche Grundlage, die Sicherung von Baufreiheit und Niederlassungsfreiheit und der Schutz von Gewerbeund Pressefreiheit.79 Neben dem Einfluß des Naturrechts auf die freiheitssichernde Wirkung der Rechtsprechung des Reichskammergerichts wird zunehmend darauf hingewiesen, daß auch das Prozeßrecht an der Weiterentwicklung der Freiheitsrechte seinen Anteil gehabt hat. Über die Instrumente Verteilung der Beweislast und Ausgestaltung des Rechts auf ein ordentliches Verfahren konnte das Gericht unter Beachtung der Gemeinwohlformel vom Reichsrecht abweichen und freiheitlichen Ideen im Rahmen der bürgerlichen Emanzipationsbewegung Raum verschaffen .80
75 Weitzel, Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten, in: Diestelkamp, Politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993, S. 161. 76 Weitzel, ebenda, S. 176. 77 Zitiert nach Weitzel, ebenda, S. 165 f. 78 Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979, S. 69, mit zeitgenössischen Zitaten aus der Reichspublizistik. 79 Vgl. Würtenberger, Verfassungsrechtliche Streitigkeiten, in: KleiII, Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, 1995, S. 450 f. m. w. Nachw. 80 Vgl. zuletzt Sailer, Untertanenprozesse vor dem Reichskammergericht, 1998, S. 363 ff.
Drittes Kapitel
Der Jakobinismus Bevor dem Phänomen des Jakobinismus in Deutschland nachgegangen wird, soll der Blick zunächst auf das Ursprungsland des Jakobinismus gelenkt werden: Frankreich. Von hier kam er; hierhin richtete und richtet sich die Aufmerksamkeit zuerst, wenn von ihm die Rede ist. Erst auf ein zweites Hinsehen kommen Details und Nuancen zum Vorschein, die sich in der Suche nach italienischem, österreichisehern oder, wie hier, deutschem Jakobinismus niederschlagen und aufzeigen, daß der Jakobinismus außerhalb von Frankreich auch sehr eigenständige und unabhängige Züge aufweist. Trotz aller Abgrenzungsbemühungen oder auch echter Unterschiede bleibt der französische Jakobinismus dennoch Vorbild, und zwar nicht nur begriffliches, sondern auch inhaltliches.
A. Der J akobinismus in Frankreich I. Voraussetzungen und geschichtliche Einordnung Frankreich war bis zu den Umwälzungen im Zuge der Großen Revolution eine stabile absolute Monarchie.sl Die Generalstände Adel, Klerus und der sogenannte Dritte Stand, von allen Nichtprivilegierten gebildet, jedoch vom Bürgertum dominiert, waren seit 1614 nicht mehr einberufen worden - ein Zeichen für ihren mit der Stärkung des Absolutismus einhergehenden schwindenden eigenen Einfluß. In der Finanzkrise des Jahres 1788 sah sich die Krone jedoch gezwungen, die Einberufung der Generalstände vorzubereiten, da von diesen Steuererhebungen zu bewilligen waren. Zu ersten Streitigkeiten kam es, als der König Anstalten traf, an den im Jahre 1614 bestehenden Regelungen festzuhalten, die vorsahen, daß jeder Stand gleich viele Abgeordnete entsenden und eine Abstimmung nach Ständen erfolgen sollte.
81 Die folgende Darstellung beruht in ereignisgeschichtlicher Hinsicht im wesentlichen auf den Werken von Sc/lulin, Französische Revolution, 1989; Furet/Richet, Französische Revolution, 1974; Goodwin, Französische Revolution 1789 - 1795, 1964, und Brinton, Europa im Zeitalter der Französischen Revolution, 1948.
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3. Kap.: Der Jakobinismus
Durch die Regierung wurde in Gestalt von Minister Necker im Dezember 1788 schließlich die Forderung des Dritten Standes durchgesetzt, daß dieser mit 600 Abgeordneten doppelt so viele wie bisher umfassen durfte. Der Abstimmungsmodus als solcher wurde indessen in die Hände der Stände gelegt, was zu Auseinandersetzungen zwischen Privilegierten und Nichtprivilegierten zum Jahresende 1788 führte. 82 In dieser Zeit fragte der Abbe Sieyes: "Was ist der Dritte Stand?" und er gab die Antwort: ,,Alles", um dann fortzufahren: "Was ist er bis jetzt in der politischen Ordnung gewesen? - Nichts. Was verlangt er? Etwas zu werden.'