Süddeutsche Jakobiner: Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts [Reprint 2021 ed.] 9783112530528, 9783112530511


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German Pages 855 [790] Year 1963

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Süddeutsche Jakobiner: Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts [Reprint 2021 ed.]
 9783112530528, 9783112530511

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DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN S C H R I F T E N DES I N S T I T U T S FÜR

GESCHICHTE

REIHE I: ALLGEMEINE U N D DEUTSCHE GESCHICHTE BAND 13

HEINRICH SCHEEL

SÜDDEUTSCHE JAKOBINER Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts

AKADEMIE-VERLAG

• BERLIN-1962

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3-4 Copyright 1962 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/141/62 Satz, Druck und Bindung: IV/2/14 • VEB Werkdruck Gräfenhainichen • 1687 Bestellnummer: 2083/1/13 • E S 14 E

MEINER

MUTTER

UND DEM ANDENKEN MEINES

VATERS

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort Kapitel I Die sozialökonomischen Verhältnisse und die Verschärfung der Klassenkämpfe nach dem Beginn des Reichskrieges 1. Das Kurfürstentum Bayern 2. Das Herzogtum Württemberg 3. Die Markgrafschaft Baden 4. Die Reichsstädte 5. Die übrigen Territorien und Territorialsplitter

1 5 35 51 58 81

Kapitel II Der Widerstand der Massen gegen den Interventionskrieg

97

Kapitel III Die Zusammenarbeit antifeudaler Kräfte mit Frankreich

146

Kapitel IV Das Scheitern der republikanischen Bestrebungen während des Feldzuges 1796 1. Die Stimmung der Massen bei Beginn des Feldzuges 2. Das Verhalten Frankreichs zu den republikanischen Bestrebungen . . . 3. Die Hintergründe der Politik des bourgeoisen Frankreichs 4. Das Verhalten der französischen Armeen und der Beginn des Volkswiderstandes

193 195 215 241 258

Kapitel V Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg 1796/1797 1. Die bürgerlich-liberale Bewegung in der Zeit der Vorbereitung des Landtages 2. Der Reformlandtag 1797

291 293 325

Kapitel VI Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten zu Beginn des Rastatter Kongresses 1797/1798 1. Die allgemeine politische und militärische Situation vom Ende des Jahres 1796 bis zum Rastatter Kongreß 2. Die Bestrebungen linksrheinischer Republikaner zur Revolutionierung Südwestdeutschlands 3. Der Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

353 355 364 385

VI

Inhaltsverzeichnis Kapitel VII Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung im gesamten Süden unter dem Einfluß der helvetischen Revolution 1798/1799 1. Die zunehmende Gärung in Oberschwaben und am Oberrhein . . . . 2. Die Radikalisierung in Württemberg und Franken 3. Das Anwachsen der antifeudalen Opposition in Bayern 4. Die revolutionär-demokratischen Bestrebungen zur Bildung einer süddeutschen Republik 5. Die französische Politik gegenüber den Fürsten und den Revolutionären

409 411 425 438 452 499

Kapitel VIII Der 2. Koalitionskrieg 1799-1801 und die Ausläufer der revolutionär-demokratischen Bestrebungen im außerbayerischen Süden 523 1. Die Haltung der süddeutschen Fürsten während des Krieges 525 2. Volksbewaffnungspläne und das Verhalten der Massen im Kriege . . . 535 3. Die Ausläufer der revolutionär-demokratischen Bestrebungen . . . . 555 Kapitel IX Die republikanischen Bestrebungen in Bayern als letzter Höhepunkt der antifeudalen Bewegung in Süddeutschland 1799-1801 1. Liberale Bestrebungen nach dem Regierungsantritt Maximilian Josephs in Bayern 1799 2. Die Radikalisierung der antifeudalen Bewegung mit dem Beginn des Jahres 1800 3. Republikanische Bestrebungen nach dem Einmarsch der Franzosen 1800 4. Das Scheitern der revolutionären Bestrebungen 1800/1801 Schlußbemerkungen

589 591 612 634 672 698

I. Literaturverzeichnis

714

II. Personen- und Ortsregister

740

VORWORT

Die vorliegende Arbeit möchte als ein Beitrag zu dem großen Thema des Einflusses der Französischen Revolution auf Deutschland verstanden sein; sie möchte Voraussetzungen schaffen helfen, die eine umfassende wissenschaftliche, das heißt marxistische Untersuchung des Gesamtproblems ermöglichen. Mit der Französischen Revolution beginnt die Periode des Sieges und der Festigung des Kapitalismus in den fortgeschrittenen Ländern. Das gilt auch für Deutschland. Die feudale Ordnung, die jede Entwicklung in jeder Sphäre des gesellschaftlichen Lebens zu ersticken drohte, war überreif; ihr Sturz und die Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft standen auf der Tagesordnung. Auf Deutschland - zumal es unmittelbarer Nachbar Frankreichs war - mußte darum das welthistorische Ereignis der Französischen Revolution einen besonders starken Einfluß ausüben. Im Zuge der Revolution in Frankreich und ihrer Folgen machte Deutschland tiefgreifende Veränderungen durch, die es auf den Weg zu einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung führten. Eine solche Feststellung ist verhältnismäßig leicht getroffen, besagt sie doch nur, daß auch in Deutschland die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Entwicklung vom Feudalismus zum Kapitalismus zum Durchbrach gelangte. Von besonderem Interesse aber und nur durch umfangreiche Detailforschungen zu ergründen ist die Art und Weise, wie sich unter den konkreten historischen und nationalen Bedingungen diese Entwicklung durchsetzte. Die Beantwortung dieser Frage hilft spezifische Züge erkennen, die den Verlauf der Geschichte des deutschen Volkes bis in unsere Zeit maßgeblich bestimmten. Sie hilft die Verderber unseres Volkes von den schöpferischen Kräften sondern und die rechte Orientierung im gegenwärtigen Kampf um die Lösung der Schicksalsfragen der Nation gewinnen. Nirgends werden die historischen Wurzeln der Kräfte des Fortschritts und der Reaktion von heute in dieser Deutlichkeit bloßgelegt wie an den Knotenpunkten unserer Geschichte. Die Französische Revolution als ein welthistorisches Ereignis, das unmittelbaren Einfluß auf die Entwicklung in Deutschland nahm, ist ein solcher Knotenpunkt. Das Schicksal der deutschen Nation hängt von der Entwicklung der Demokratie ab. Das ist eine Erkenntnis, die zu begreifen nicht schwerfallen sollte, nachdem die Diktatur der deutschen Imperialisten und Militaristen bereits zwei verheerende Kriege über die Völker gebracht hat. Die Erkenntnis ist zudem schon vor mehr als hundert Jahren von Marx und Engels formuliert worden. Nicht zufällig jedoch waren es die Begründer der proletarischen Ideologie, die damit die wahren nationalen Lebensinteressen des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit zum Ausdruck brachten. Die nationalen Lebensinteressen werden von den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmt und sind dann gewahrt, wenn die Nation den historisch notwendigen Fortschritt auf breitester Basis und darum mit maxi-

VIII

Vorwort

maier Gründlichkeit bewältigen kann, das heißt, die nationalen Lebensinteressen werden in dem Grade gewahrt, wie die Demokratie die inneren und äußeren Beziehungen der Nation gestaltet. Die Arbeiterklasse, deren Sieg über die kapitalistische Ausbeuterordnung Verhältnisse schafft, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" gerät zu keiner Zeit in Widerspruch mit den Grundinteressen der Nation, sondern ist umgekehrt die einzige Klasse, die uneingeschränkt die historischen Entwicklungsbedürfnisse der Nation zu erkennen und für sie einzutreten vermag. Anders die Bourgeoisie! Selbst in ihrem progressiven Stadium, da sie noch eine aufsteigende Klasse war und der Nation gegenüber einen Führungsanspruch erheben durfte, war sie „unfähig zu einem konsequenten Demokratismus", verhinderte ihr Charakter als Ausbeuterklasse, daß sich ihre Interessen mit denen der Nation vollkommen deckten. „Für die Bourgeoisie ist es vorteilhaft, daß die bürgerliche Revolution nicht gar zu entschieden alle Überreste der alten Zeit hinwegfegt, sondern einige von ihnen bestehen läßt, daß also diese Revolution nicht völlig konsequent ist, nicht bis zu Ende geht, nicht entschieden und schonungslos i s t . . . ; daß diese Umgestaltungen die revolutionäre Aktivität, Initiative und Energie des einfachen Volkes, das heißt der Bauernschaft und insbesondere der Arbeiter, möglichst wenig entwickeln, denn sonst wird es den Arbeitern um so leichter fallen, . . . die Waffen, mit denen die bürgerliche Revolution sie ausrüstet, die Freiheit, die sie ihnen gibt, und die demokratischen Einrichtungen, die auf dem von der Leibeigenschaft gesäuberten Boden entstehen, gegen die Bourgeoisie selbst zu kehren." 2 Das gilt mehr oder weniger für jede Bourgeoisie, auch für die französische, obwohl sie eine klassische Revolution durchführte, den König köpfte und eine Republik gründete. „Jawohl, sie hat die Republik errichtet, aber was für eine, - eine wirklich demokratische?" 3 Nein! Selbst unter den Jakobinern behielt das Gesetz Le Chapelier, das den Arbeitern das Assoziations- und Streikrecht verweigerte, seine Gültigkeit. War schon die französische Bourgeoisie „unfähig zu einem konsequenten Demokratismus", um wieviel mehr die deutsche! Sie kann geradezu den traurigen Ruhm für sich beanspruchen, das klassische Beispiel für die extremste Inkonsequenz und Kompromißlerei mit den Kräften der feudalen Reaktion geliefert zu haben. In ungleich stärkerem Maße waren darum auch ihre positiven Leistungen für die Entwicklung der Nation von vornherein mit negativen Elementen verbunden, die den Lebensinteressen der Nation widersprachen. Ihre antidemokratischen Tendenzen, die ihr in besonders starkem Maße bereits in der aufsteigenden Phase eigen waren, wirkten sich ebenso sehr als antinationale Momente aus. Mit dem Übergang in das Stadium des Imperialismus vermochte die Bourgeoisie, extrem antidemokratisch und reaktionär geworden, in gar keiner Weise mehr die Entwicklungsbedürfnisse 1

2

3

MarxjEtigels, Manifest der Kommunistischen Partei. In: Werke. Dietz Verlag, Berlin 1959, Bd. 4, S. 482. Lenin, W. I., Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution. In: Werke. Dietz Verlag, Berlin 1957, Bd. 9, S. 37/38. Stalin, J. W., Die provisorische revolutionäre Regierung und die Sozialdemokratie. In: Werke. Dietz Verlag, Berlin 1950, Bd. 1, S. 129.

Vorwort

IX

der Nation zu vertreten; im Gegenteil, sie hat sich in den schlimmsten Feind der Nation verwandelt, und es ist nun die Arbeiterklasse, die als konsequenteste demokratische Kraft die Führung der Nation übernimmt. So wie die Arbeiterklasse zu allen Zeiten der beste Sachwalter der nationalen Interessen war und ist, so ist auch die Ideologie der Arbeiterklasse, der Marxismus-Leninismus, allein in der Lage, eine nationale Konzeption zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Nation vollkommen entspricht. »Die Ziele der Kommunisten entsprechen den höchsten Interessen der Nation." 4 Eine solche auf der Basis des Marxismus-Leninismus entwickelte nationale Konzeption bestimmt heute die Politik der Deutschen Demokratischen Republik, des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden. Sie betrachtet als den Kern der nationalen Frage in der Gegenwart die Beseitigung des deutschen Imperialismus und Militarismus, deren Kriegsvorbereitungen die physische Existenz des ganzen deutschen Volkes bedrohen. Dieser Konzeption liegt die wissenschaftliche Analyse der Widersprüche der gesellschaftlichen Entwicklung und der Klassenkämpfe unserer Zeit zugrunde, gesehen auf dem weltweiten Hintergrund der Gegensätze zwischen den proletarisch-revolutionären Kräften auf der einen und den imperialistisch-reaktionären auf der anderen Seite. Die Wissenschaftlichkeit der Analyse schließt die Berücksichtigung der Lehren aus Jahrhunderten deutscher Geschichte ein. Die nationale Konzeption ist darum nicht nur der zuverlässige Kompaß für unseren Weg nach vorn, sondern sie bietet gleichzeitig die sichere Orientierung für das Verständnis unserer nationalen Geschichte insgesamt. Die proletarische Konzeption der nationalen Entwicklung hat ihre Vorgeschichte; Träger der notwendigerweise unreiferen, vorproletarischen Konzeption war die Gesamtheit der werktätigen Volksmassen, und ihre Verkünder waren zugleich die Verfechter der entschiedensten demokratischen Forderungen ihrer Zeit. Der Historiker, der über die Geschichte der deutschen Nation im Zeitalter der Französischen Revolution schreiben will, muß hier ansetzen; er muß für diese entschiedensten demokratischen Kräfte Partei ergreifen, denn sie gaben den nationalen Bedürfnissen ihrer Epoche den klarsten Ausdruck; er muß diese wahrhaft nationalen Kräfte der Vergessenheit entreißen, in die sie die bürgerliche Geschichtsschreibung gestoßen hat, und das verpflichtende Erbe wieder lebendig machen, damit es uns in unserem gegenwärtigen Kampf um ein einiges, friedliebendes und wahrhaft demokratisches Deutschland beseelt. Ausgerüstet mit einer nationalen Konzeption, die den Lebensinteressen des deutschen Volkes vollkommen entspricht, kann der marxistische Historiker Fragen an die Geschichte stellen, deren Beantwortung die Vergangenheit für die Gegenwart nutzbar macht, und gleichzeitig sicher sein, den richtigen Ansatzpunkt für eine exakte und umfassende wissenschaftliche Erforschung des Entwicklungsganges der deutschen Nation zu besitzen. Die bürgerliche Historiographie hat zu keiner Zeit eine solche zuverlässige Orientierung besessen. Imperialistisch entartet, verfälscht sie die Vergangenheit, um die 4

Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien. In: »Einheit, Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus", 15. Jahrg., H. 12, S. 1814, 1960.

X

Vorwort

antinationale Politik der Imperialisten und Militaristen mit historischen Argumenten zu versorgen. Es ist bezeichnend, daß die deutsche bürgerliche Geschichtsschreibung in mehr als einem Jahrhundert kein Werk zustande gebracht hat, das sich in umfassender Weise mit dem Problem des Einflusses der Französischen Revolution auf Deutschland auseinandersetzt. Ihr war nichts daran gelegen, eine Problematik zu untersuchen, die geeignet wäre, den Kampf der deutschen Arbeiterklasse um eine demokratische Entwicklung Deutschlands nach innen und außen durch die Aufdeckung der revolutionären und demokratischen Traditionen des deutschen Volkes zu unterstützen. Die Lücke wird auch nicht durch das 1951 erschienene Buch von Fritz Valjavec über die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland im Zeitraum von 1770 bis 1815 ausgefüllt. 5 Erstens läßt diese Thematik dem Einfluß der Französischen Revolution nur einen geringen Raum. Zum anderen leidet Valjavecs Darstellung unter der vorgefaßten Meinung, »daß unsere Nation in diesem wichtigen Abschnitt europäischer Geschichte auf der Höhe ihrer politischen und sittlichen Aufgaben gestanden hat".6 Das ist reinste Apologetik der deutschen Bourgeoisie, deren Versagen dem deutschen Volk aufgebürdet und als „legitime nationale Eigentümlichkeit" gerechtfertigt wird. Es ist nur nicht Apologetik von jener primitiven Art, die da historisch bewies: »Ausländer, Fremde sind es meist. Die unter uns gesät den Geist Der Rebellion. Dergleichen Sünder, Gottlob! sind selten Landeskinder." 7 Soweit Valjavec mit seinen Materialien dazu beiträgt, diese unsinnige Vorstellung zu zerstören, erwirbt er sich ein Verdienst; soweit er damit auch Plänen bestimmter imperialistischer Kreise in den USA nach 1945 entgegentrat, die mit der These von der politischen Unbegabtheit des deutschen Volkes die Notwendigkeit der Verwandlung Deutschlands in einen Kartoffelacker begründeten, leistete er Nützliches.8 Aber niemals kann man sich damit einverstanden erklären, daß er das Unvermögen des deutschen Bürgertrums als Gesamtklasse, seine historische Mission zu erfüllen und im Bündnis mit den Volksmassen die soziale und nationale Frage kompromißlos im bürgerlichen Sinne zu lösen, den Leistungen des französischen Bürgertums ebenbürtig zur Seite stellt. Ja, Valjavec erlaubt sich sogar die Ungeheuerlichkeit, die deutsche faschistische Barbarei mit der französischen Geschichte von 1792 bis 1814 als Verfehlungen beider Völker zu vergleichen.9 Von einer solchen Warte aus dem 5

Valjavec, Fritz, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815. Verlag von R. Oldenbourg, München 1951. 9 Ebenda, S. 416. 1 Heine, Heinrich, Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen. In: Werke und Briefe in zehn Bänden. Herausgegeben von Hans Kaufmann. Aufbau-Verlag, Berlin 1961, Bd. 2, S. 240. 8 Valjavec, Fritz, a. a. O., S. 415. • .Mögen unsere Fehler in einem bestimmten Zeitabschnitt der jüngsten Vergangenheit noch so grofj gewesen sein, der Wert oder Unwert eines Volkes darf nicht an einer einzelnen, im Grunde willkürlich herausgegriffenen Entwicklungsstufe gemessen werden. Es ist ja auch nicht üblich, Frankreich nach seiner Politik im Zeitalter Ludwigs XIV. oder der Zeit zwischen 1792 und 1814 zu beurteilen." Ebenda, S. 416.

Vorwort

XI

Problem des Einflusses der Französischen Revolution auf Deutschland gerecht zu werden, ist selbstverständlich unmöglich. Es sind ausländische bürgerliche Historiker, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. 1920 veröffentlichte der Engländer George Peabody Gooch und 1928 der Schweizer Alfred Stern ein Werk zu dieser Frage. 1 0 Beide Historiker sind dem Problem nicht auf den Grund gegangen, sondern haben lediglich das Echo der Französischen Revolution in den Köpfen einzelner deutscher Schriftsteller und Philosophen am Ausgange des 18. Jahrhunderts untersucht. Mit Recht sagt Jacques Droz von diesen beiden Werken: »Man weifj nicht, nachdem man sie gelesen, was die deutsche Nation gedacht hat." 1 1 Allerdings hält auch das eigene, 1949 erschienene Werk dieses französischen Historikers nicht das, was es im Vorwort verspricht, und schließt nicht die bei seinen Vorgängern richtig erkannte Lücke. Der Kreis, den er in die Betrachtung einbezieht, ist breiter gespannt, aber nimmt dennoch gerade die entscheidende Kraft der geschichtlichen Entwicklung, die Volksmassen, aus. Droz treibt, nicht anders als Gooch und Stern, abstrakte Ideologiegeschichte, losgelöst von den konkreten sozialen Verhältnissen in Deutschland, deren Erforschung er zwar für wünschenswert hält, von denen er jedoch absehen zu können meint. 12 Ein solcher idealistischer Ausgangspunkt muß mit Notwendigkeit zur Verzerrung der historischen Wahrheit führen: Die demokratischen Bewegungen, in denen die Wirkung der Französischen Revolution ihren gründlichsten und nachhaltigsten Ausdruck fand, werden in ein paar Zeilen oder gar in Anmerkungen abgehandelt 1 3 ; die rein metaphysische Rezeption französischer Ideen durch die Mehrheit der bürgerlichen Intelligenz dagegen - von Droz nicht begriffen als das in der allgemeinen Rückständigkeit der deutschen Bourgeoisie begründete Unvermögen, die in den Volksmassen vorhandenen revolutionären Potenzen in eine aktive und unüberwindliche Kraft zum Sturz des Feudalismus zu verwandeln - wird umgekehrt in aller Breite dargestellt und die Trennung des geistigen vom politischen Leben sogar als ein wertvoller Zug des Deutschen schlechthin interpretiert. Den Deutschen kennzeichne ein Missionsgedanke, der sich auf die von Schiller behauptete Überlegenheit seiner moralischen Kultur gründe. Droz ist in dieser abstrakten Vorstellung vom deutschen Wesen so befangen, daß er solchen praktischen Revolutionären wie Forster oder Rebmann natürlich nicht gerecht werden kann. Wenn er im August 1959 auf einem Kolloquium deutscher und französischer Historiker in Leipzig den Verfasser dieser Arbeit davor warnte, Verbreitung und Einfluß entschieden revolutionärer Flugschriften, wie sie in Süddeutschland umliefen, zu überschätzen 1 4 , so wäre dabei zu 10

11

12 13 14

Gooch, George Peabody. Germany and the French Revolution. London 1920. Stern, Altred, Der Einfluß der Französischen Revolution auf das deutsche Geistesleben. Stuttgart u. Berlin 1928. »On ignore, après les avoir lus, ce qu'a pensé la nation allemande." Droz, Jacques, L'Allemagne et la Révolution française. Presses Universitaires de France Paris 1949, S. III. Ebenda, S. IV. Ebenda, S. 41 Anm. 1, S. 105, 207. Laube, Adoli, Erstes Kolloquium von Historikern Frankreichs und der DDR. In: »Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", 7. Jahrg., H. 6, S. 1348, 1959.

XII

Vorwort

erinnern, daß sich zum Beispiel in ganz Bayern ein einziger Subskribent für Goethes Werke fand, und dieser eine war der preußische Gesandte in München. Droz unterschätzt nicht nur, sondern er sieht überhaupt nicht die in den Volksmassen lebendige demokratische Kraft. Zu welchen politischen verderblichen Konsequenzen ein solcher Standpunkt führt, zeigt der ungeheuerliche Satz, mit dem Droz seinen im Dezember 1951 am Institut für europäische Geschichte in Mainz gehaltenen Vortrag über »Deutschland und die Französische Revolution" schloß: «Zum Verständnis des gegenwärtigen Deutschland ist es höchst wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß der Begriff der deutschenMission dem des deutschen Nationalbewußtseins vorausging." 15 Gemeint ist das Deutschland Adenauers, der eben erst unser Vaterland gespalten hatte, um einer wahrhaft demokratischen Entwicklung des ganzen Deutschlands den Weg zu verlegen; gemeint ist das Deutschland der wiedererstarkenden Imperialisten und Militaristen, deren „Missionstätigkeit" nur wenige Jahre zuvor für Europa in einem Meer von Blut und Tränen endete; gemeint ist das Deutschland der Revanchisten, die nach dem Zusammenbruch 1945 klein begannen, heute aber als „Missionare des christlichen Abendlandes" schon wieder diktieren wollen und gewissenlos den Frieden der Welt bedrohen. Die Leugnung der Rolle der Volksmassen hat den französischen Historiker die grimmigsten Feinde auch seines eigenen Volkes verkennen lassen. Die Mißachtung der Volksmassen ist eine generelle Erscheinung in der bürgerlichen Historiographie. Sie versperrt ihr den Zugang zum wirklichen Verständnis der historischen Entwicklung, denn wie will man die Geschichte eines Volkes schreiben, wenn man das eigentliche Volk, die werktätigen Massen, negiert! Die deutsche Geschichte im Zeitalter der Französischen Revolution liegt wie ein riesiges, kaum beackertes Feld vor der marxistischen Geschichtsforschung, die allein die Mittel besitzt, es gründlich zu erschließen. Der Boden verspricht eine reiche Ernte an wissenschaftlichen Kenntnissen und Erkenntnissen, aber er verlangt zugleich, daß beträchtliche Arbeit investiert wird. Tausend Fragen sind zu klären. Für den marxistischen Historiker, der die Geschichtsforschung nicht um ihrer selbst willen treibt, ist es selbstverständlich, daß er solchen Fragen den Vorzug gibt, deren Lösung einen unmittelbaren ideologischen Beitrag für den Sieg der friedliebenden Kräfte des deutschen Volkes in der Gegenwart darstellt. Ausgehend von der nationalen Konzeption der Partei der Arbeiterklasse untersucht darum die vorliegende Arbeit in erster Linie den Kampf der Volksmassen und ihrer mutigsten Sprecher gegen den verrotteten Feudalismus und für die Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, gegen den Partikularismus und für einen deutschen Nationalstaat. Sie orientiert sich auf die entschiedensten demokratischen Kräfte, weil sie hinsichtlich der nationalen Entwicklung eine Grundlinie vertraten, die den Lebensinteressen des deutschen Volkes am meisten entsprach, die, von der Arbeiterklasse fortgesetzt, auf höherer Stufe in der Deutschen Demokratischen Republik zum Siege geführt wurde und auch das künftige einheitliche Deutschland bestimmen wird. Die Arbeit 15

DTOZ, Jacques, S. 33.

Deutschland und die Französische Revolution. Steiner Verlag, Wiesbaden 1955,

Vorwort

XIII

begrenzt die Untersuchung dieser Problematik zeitlich und territorial. Sie beschränkt sich auf das südliche Deutschland in der Zeit zwischen dem Beginn des Reichskrieges 1793 und seinem unwiderruflichen Ende 1801, dem Schritt um Schritt die Auflösung des alten Reichsverbandes folgte. Sie wählt also einen Teil Deutschlands und einen Zeitabschnitt aus, worin im Gefolge der Kriege zwischen dem bürgerlichen Frankreich und der feudalen Koalition die Gegensätze zwischen dem Neuen und dem Alten besonders scharf aufeinanderstießen. Dieser Tatbestand rechtfertigt eine so detaillierte Untersuchung wie die vorliegende; gleichzeitig erzwangen die Fülle des zu bewältigenden Materials und der Mangel an marxistischen Vorarbeiten eine solche Beschränkung. Was die bürgerliche Historiographie zur Geschichte Süddeutschlands im ausgehenden 18. Jahrhundert zusammengetragen hat, ist umfangreich, aber im Grunde doch vor allem Material und nur in begrenztem Sinne eigentliche Vorarbeit. Im wesentlichen hat sie historische Fakten gesichert und im günstigsten Falle Teilerkenntnisse geliefert, die für die vorliegende Arbeit genutzt werden konnten. Die Masse der Darstellungen behandelt landes- und lokalgeschichtliche Themen aller Art, meist in Form von Aufsätzen, die in den verschiedensten landesgeschichtlichen Zeitschriften verstreut sind. Ihr Wert für die vorliegende Untersuchung besteht darin, daß sie da und dort Mitteilungen über oppositionelle Regungen, wenn auch oft nur als lokale Kuriosa bringen. In dieser Art nützlich sind sogar die vielen rein chauvinistischen Machwerke, die sorgfältig alle Exzesse der französischen Truppen registrieren, um sich darüber zu entrüsten, und doppelt entrüstet sind, wenn die Bevölkerung den Franzosen vielfach dennoch vor den Soldaten der Koalition den Vorzug gab. Dasselbe gilt von den Darstellungen, die zu Nutz und Frommen des deutschen Militarismus den in einzelnen Gegenden aufflammenden Volkswiderstand gegen die republikanischen Armeen als Ausdruck eines völkischen Wehrwillens preisen, aber trotz ihrer Kunst in der Verzerrung am Material letztlich scheitern. Die allgemeine Tendenz der bürgerlichen Historiographie, eine Thematik zu meiden, die revolutionäre und demokratische Traditionen im deutschen Volke lebendig erhalten könnte, erstreckt sich auch auf die Landesgeschichte, obwohl gerade hier kaum ein Gegenstand unbearbeitet bleibt, aus dem sich ein Artikel fabrizieren läßt. Dynastische Geschichtsklitterung dominiert und gibt selbst den verschwindend wenigen Arbeiten, die tatsächlich einzelne revolutionär-demokratische Bestrebungen behandeln, noch das Gepräge. So liegen für das Gebiet des Oberrheins im wesentlichen nur zwei Aufsätze vor, um die Jahrhundertwende von dem Karlsruher Archivrat Obser verfaßt, die denn auch ganz im Sinne des Krähwinkler Magistrats die Revolutionäre als Werkzeuge des Auslandes verleumden und auf diese Weise die Leser zu treuer Anhänglichkeit an das angestammte badische Herrscherhaus erziehen wollen.16 Ähnliche Aufsätze lieferten Heigel und Du Moulin Eckart im ausgehenden 19. Jahrhundert über die 16

Obser, Karl, Der Marquis von Poterat und die revolutionäre Propaganda am Oberrhein im Jahre 1796. In: »Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins', NF Bd. 7, S. 385 ff., 1892. Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda am Oberrhein im Jahre 1798. In: »Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 24, S. 199 ff., 1909.

XIV

Vorwort

revolutionären Bestrebungen in Bayern, dessen Bevölkerung natürlich „gar nicht dazu angetan" war und die «in dem gesunden Sinne des Volkes nicht Wurzel zu fassen vermochten".17 Du Moulin Eckart insbesondere scheute keine Mühe, die „Ehre" eines so namhaften Bayern wie Utzschneider vor dem Verdacht revolutionärer Gesinnung zu retten und. Palmström antizipierend, zu beweisen, „daß nicht sein kann, was nicht sein darf".18 Maenner, der in der Zeit der Weimarer Republik schrieb, die immerhin das Kind einer Revolution war, glaubt ebenso in der Geschichte den Trost zu finden, daß der deutsche Volkscharakter den gallischen „Blutrausch" nicht kennt, „die schwärenden Wunden seines Staates nur selten und immer kurz zum Ausbruch treibt und zu völliger Heilung nicht ausbluten lägt" 19 ; seine Darstellung, die übrigens bereits dort schließt, wo die bayerischen Revolutionäre noch gar nicht zu massiver Offensive angesetzt haben, dient ganz eindeutig der Rechtfertigung aller Halbheiten der Novemberrevolution und der blutigen Unterdrückung der Münchener Räterepublik im besonderen. Für den engen Bereich der Stadt Nürnberg in der Zeit zwischen 1789 und 1796 hat jüngst Ernstberger einige wertvolle Materialien mitgeteilt. Die chronologische Anordnung und der Verzicht auf eine Analyse der sozialen Herkunft seiner Funde machen es ihm möglich, eine Tendenz zunehmender Mäßigung der oppositionellen Kräfte herauszulesen; wenn dann entgegen dieser angeblichen Tendenz dennoch ein Aufruhr ausbricht und die Stadt erschüttert, rettet sich Ernstberger in die Psychologie und meint, daß sich hier „etwas wie eine Torschlußpanik unter den Nürnberger Revolutionsgesinnten anzudeuten" scheine.20 Für Württemberg liefert Hölzle das meiste Material, bettet es jedoch ganz in den Streit zwischen Herzog und Ständen ein, so daß es darin förmlich untergeht. 21 Wertvoller als die Darstellungen waren für die vorliegende Arbeit die Aktenpublikationen bürgerlicher Historiker, seien es Veröffentlichungen kleinerer Funde in landesgeschichtlichen Zeitschriften, Dokumentenanhänge oder groß angelegte Editionen. Aus ihnen spricht die Zeit selbst, wenn auch nicht die Zeit schlechthin. In dreifacher Weise ist die Aussagekraft dieser Publikationen eingeschränkt: Erstens handelt es sich bei den kleineren Veröffentlichungen vielfach um Zufallsfunde; solchem Zufall muß man dankbar sein, aber er ist natürlich kein zulängliches Auswahlprinzip. Zweitens sind die Gesichtspunkte, unter denen vor allem bei größeren Editionen die Auswahl erfolgt, so sehr von den Interessen der bürgerlichen 17

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Heigel, Karl Theodor, Die Jakobiner in München. In: Aus drei Jahrhunderten. Vorträge aus der neueren deutschen Geschichte. Wien 1881, S. 206. Du Moulin Eckart, Richard Graf, Regierungsfeindliche Strömungen in Bayern und die auswärtigen Mächte im Jahre 1800. In: Beilage zur „Allgemeinen Zeitung", Jahrg. 1893, Nr. 205 (Beilagen-Nr. 170), S. 5. Du Moulin Eckart, Richard Grai, Eine Ehrenrettung. In: „Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns", Bd. 5, S. 129 ff., 1897. Maenner, Ludwig, Bayern vor und in der Französischen Revolution. Berlin u. Leipzig 1927, S. 164. Ernstberger, Anton, Nürnberg im Widerschein der Französischen Revolution 1798-1796. In: „Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte", Bd. 21, S. 462, 1958. Hölzle, Erwin, Das alte Recht und die Revolution. Eine politische Geschichte Württembergs in der Revolutionszeit 1789-1805. München u. Berlin 1931.

Vorwort

XV

Historiographie bestimmt, dag häufig Wesentliches zu Unwesentlichem erklärt und damit von der Aufnahme ausgeschlossen wird. In der von Erdmannsdörffer und Obser bearbeiteten und herausgegebenen mehrbändigen Politischen Correspondenz Karl Friedrichs von Baden zum Beispiel liest man die bezeichnende Anmerkung: „Weitläufige Untersuchungsakten finden sich im Generallandesarchiv, die für die Geschichte der geheimen Propaganda von Interesse sind, aber hier nicht eingehender mitgeteilt werden können." 2 2 Drittens sind diese Dokumente in ihrer weitaus überwiegenden Mehrzahl Äugerungen der herrschenden Klasse, die notwendig die Regungen des Volkes und revolutionäre Bestrebungen feindlich und darum verzerrt registriert. Während Archivstudien den zweiten genannten Mangel aufheben können, bleibt die letzterwähnte Schwierigkeit immer dieselbe; bei der Überfülle des archivalischen Materials ist auch der Zufall nicht völlig auszuschalten, der den Forscher manche brauchbare oder sogar wertvolle Quelle übersehen lägt. Gerade die Unmöglichkeit aber, sämtliche vorhandenen Archivmaterialien zu durchmustern, macht die genannten Publikationen bei allen Einschränkungen dennoch zu wertvollen Hilfen. Dasselbe gilt in noch höherem Mage von Memoiren, Tagebüchern, Briefwechseln etc., die bürgerliche Wissenschaftler herausgegeben haben. Einmal verhindert hier das in der Regel angewandte Prinzip der Vollständigkeit eine einseitige Auswahl; zum zweiten finden sich unter den Verfassern nicht nur Repräsentanten und Verteidiger der bestehenden Ordnung, sondern auch kritische Beobachter und oppositionelle Köpfe. Selbst wenn ihre Opposition nicht über liberale Tendenzen hinausging, beleuchten ihre Darstellungen die Ereignisse aus einem anderen Blickwinkel als die staatlichen Organe, ergänzen die amtlichen Verlautbarungen und gestatten so eine umfassendere und zuverlässigere Einschätzung. Dieselben Vorzüge besitzen die zeitgenössischen selbständigen Darstellungen und die zeitgenössischen Artikel in Zeitschriften und Zeitungen, die darum auch nach Möglichkeit stets herangezogen wurden. Soweit sie linksrheinischen Ursprungs sind und süddeutsche Probleme behandeln, waren sie für die vorliegende Untersuchung besonders interessant, da sie eine mehr oder minder demokratische Sprache sprechen. Einen ganz hervorragenden Quellenwert besitzt die zeitgenössische Kampfliteratur, in erster Linie natürlich die revolutionäre Flugschrift, das Flugblatt und das Pasquill. Ihre Existenz ist unmittelbares Zeugnis für die revolutionäre Tätigkeit; ihre Dichte und ihre Aufeinanderfolge geben Auskunft über die Intensität dieser Tätigkeit; ihr Inhalt zeigt den ideologischen Reifegrad und die Richtung an, in der die Revolutionäre unter den konkreten Bedingungen vorgehen wollten. Zahlreiche revolutionäre Flugschriften befinden sich in den öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken Süddeutschlands, vor allem Münchens; sie sind also ohne Schwierigkeiten zugänglich, sind auch von bürgerlichen Historikern eingesehen, aber von keinem einzigen analysiert und ausgewertet worden. Was bisher geboten wurde, waren armselige Hinweise, abschätzige Beurteilungen und im günstigsten Falle oberflächliche Zu22

Politische Correspondenz Karl Friedrichs von Baden 1783-1806. Heidelberg 1892, Bd. 2, S. 376 Anm. 1.

XVI

Vorwort

sammenfassungen. Wenn die vorliegende Arbeit diesen Zeugnissen eine vorzügliche Beachtung schenkt, so ist das keineswegs ein bloßer Akt der historischen Gerechtigkeit, sondern Ausdruck der prinzipiellen Erkenntnis, daß hier die Avantgarde der Kräfte zu Worte kommt, deren Forderungen den Lebensinteressen des deutschen Volkes am vollkommensten entsprachen und die zu allen Zeiten maßgeblich und am entschiedensten die historische Entwicklung vorangetrieben haben. Selbst wenn diese Kräfte keinen Sieg errangen und der Fortschritt sich nur langsam und qualvoll auf dem Wege von Reformen durchsetzte, die von oben gewährt wurden, so war dennoch die entscheidende innere Ursache auch für diesen Fortschritt der Kampf der demokratischen Kräfte des Volkes. Sinngemäß gelten hier die gleichen Worte Lenins, die er über die Bismarcksche Verfassung äußerte: »Deutschland hat Freiheiten erhalten, trotz Bismarcks, trotz der preußischen Liberalen, nur dank dem nachdrücklichen und hartnäckigen Streben der Arbeiterklasse (teilweise, aber zu sehr geringem Teil, der demokratischen Kleinbourgeoisie) nach weitestgehender Demokratisierung." 23 Ein gut Teil unmittelbarer Zeugnisse revolutionärer Aktivität förderte selbstverständlich die Durchsicht des archivalischen Materials zutage, von mittelbaren ganz zu schweigen. Hier lagern gewaltige Schätze, die alle zu heben unmöglich war. Weise Beschränkung war geboten. Am wichtigsten schien die Auswertung der badischen, württembergischen und bayerischen Archivalien. Das Badische Generallandesarchiv in Karlsruhe, das Hauptstaatsarchiv Stuttgart mit seinem Filialarchiv Ludwigsburg und das Bayerische Hauptstaatsarchiv in München mit seinen Abteilungen I, II, Geheimes Staatsarchiv und Kreisarchiv haben denn auch neben der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek und dem Stadtarchiv München viel Wertvolles geboten, das in die vorliegende Arbeit einging. Im Deutschen Zentralarchiv in Merseburg erwiesen sich vor allem die preußischen Gesandtschaftsberichte aus Paris, München, Stuttgart, vom Rastatter Kongreß, aus Regensburg usw. als sehr ergiebig; insbesondere für den fränkischen Kreis verfügt das Archiv über unentbehrliche Materialien. Auf glückliche Weise konnte das Sächsische Landeshauptarchiv in Dresden durch seine Gesandtschaftsberichte zur Ergänzung der preußischen beitragen; ihnen ist unter anderem zu danken, daß ein hochbedeutsamer Verfassungsentwurf südwestdeutscher Revolutionäre für ein republikanisches Deutschland wieder aufgefunden werden konnte. Als sehr nützlich hat sich schließlich auch die Durchsicht einiger tschechoslowakischer Archive erwiesen, so der Staatsarchive Trebon und Kuks, des Staatlichen Zentralarchivs in Prag und der Handschriftenabteilung der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag. Selbstverständlich treffen, was den Wert der Archivmaterialien angeht, dieselben Einschränkungen zu, die für die Aktenpublikationen gelten müssen, das Auswahlprinzip ausgenommen. Daß Aktenfetischismus insbesondere den Gesandtschaftsberichten gegenüber ganz und gar nicht angebracht ist, hat schon Heinrich Lang, 23

Lenin, W. 1., [Über Bismarck und das Bismarcksche Deutschland]. In: Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung. Aus Schriften, Reden, Briefen. Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 81.

Vorwort

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der der preußischen Gesandtschaft in Rastatt zugeteilt war und also die Praxis sehr wohl kannte, in seiner boshaften und doch treffenden Art festgestellt: „Überhaupt dürften alle Minister und großen Herren glauben, daß es mit solchen Berichten der Gesandten eine ganz eigene Sache ist. Die Herren geben gewöhnlich Dialoge zwischen sich und den fremden Ministern, die in ihrem Leben nicht so gehalten wurden; sie selbst geben dabei immer solche scharfsinnigen Antworten, die vielleicht recht zweckmäßig gewesen wären, dem Herrn Gesandten aber in der Tat einen Tag nachher einfallen; s i e . . . pflegen alles so zu deuten, anzustreichen und zu illuminieren, wie sie meinen, daß es der allgewaltige Premierminister gern sehen werde, so daß am Ende ein solcher Gesandtschaftsbericht ein Roman, aber ein schlechter ist." 2 4 Um die vorliegende Arbeit einem möglichst breiten Leserkreise zugänglich zu machen, hat der Verfasser alle Zitate, die aus französisch geschriebenen Quellen entnommen wurden, ins Deutsche übersetzt und den entsprechenden französischen Text in der Anmerkung gebracht. In Übereinstimmung mit dem Beschluß der deutschen Publikationsinstitute auf dem Historikerkongreß in Halle 1930 ist in allen Fällen bei der Zitierung der Texte aus dem 18. Jahrhundert die heutige Schreibweise verwendet worden.25 Nur ausgesprochen mundartliche Sonderheiten wurden beibehalten, ebenso einzelne Versehen, deren Verbesserung die Vorlage sehr verändert hätte. Der Verfasser hat vielen zu danken, die in verschiedener Weise zur Vollendung der vorliegenden Arbeit beitrugen; im besonderen dankt er der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin für ihre großzügige Förderung, Herrn Prof. Dr. Karl Obermann als wissenschaftlichem Betreuer der Arbeit, den Herren Archivaren der genannten Archive für ihre freundliche Hilfe und Frau Edith Korth, die bei den Korrekturarbeiten half und mit großer Sorgfalt das Register anfertigte. 21

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Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang. Skizzen aus meinem Leben und Wirken, meinen Reisen und meiner Zeit. In zwei Teilen. Braunschweig 1842, T. 1, S. 336. Schnitze, Johann, Grundsätze für die äußere Textgestaltung bei der Herausgabe von Quellen zur neueren Geschichte. In: .Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte", Bd. 43, S. 345 ff., 1930.

2 Süddeutsche Jakobiner

1. Das Kurfürstentum Bayern

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Staat mit einer zentral geleiteten Behördenorganisation zustande zu bringen. 10 Zu den kleinsten Landsplittern rechneten die reichsritterschaftlichen Besitzungen, die oft nicht mehr als ein Dorf und vielleicht noch ein halbes umfaßten. Die Masse lag im fränkischen und im schwäbischen Kreis; in jedem gab es etwa 700 reichsritterschaftliche Güter. Im Durchschnitt gebot der einzelne Reichsritter über rund 250 Untertanen. 11 Der Zersplitterung der politischen Organisation entsprach die der ökonomischen Interessen. Damit aber waren einer Überwindung des staatlichen Chaos die größten Hindernisse in den Weg gelegt. „Wo sollte politische Konzentration in einem Lande herkommen, dem alle ökonomischen Bedingungen derselben fehlten?" 1 2 Die Niederlage der frühbürgerlichen Revolution, der Verfall der Industrie und des Handels in einer Zeit, da sich mit der Entdeckung Amerikas der moderne Weltmarkt auftat, die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges haben die Bürgerklasse, die allein die ökonomischen Bedingungen für eine politische Konzentration im nationalen Maßstab schaffen konnte, eine verkrüppelte Entwicklung nehmen lassen. Nur sehr langsam erholte sie sich im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert; Engels sprach vom »Wiederemporkriechen des Bürgertums". 13 Angesichts des verkrüppelten bürgerlichen Elements konnte sich auch der Absolutismus in Deutschland nur in seiner „allerverkrüppeltsten, halb patriarchalischen Form" durchsetzen. 14 Während der Absolutismus in seiner klassischen Form die ökonomische Entwicklung der werdenden Bourgeoisie begünstigte und so die Mittel schuf, seine eigentliche historische Aufgabe, die Zentralisierung des Staats im nationalen Rahmen, zu lösen, verzerrten die besonderen Bedingungen in Deutschland diese Funktion des Absolutismus in der Weise, daß nur eine provinzielle Zentralisation übrigblieb, die die nationale Zersplitterung vertiefte. Bei dem niedrigen und dazu noch ungleichmäßigen Niveau der Entwicklung in Deutschland hatte sich selbst dieser Prozeß nicht vollkommen durchgesetzt. Darum konnten geistliche Fürsten, Reichsstädte und die Zwerggebilde feudaler Grafen und Herren neben den größeren Territorien bestehen bleiben, deren Absolutismus im übrigen auch recht unterschiedlich ausgebildet war. 1. Das Kurfürstentum Bayern An der Spitze Bayerns stand ein absoluter Fürst, neben dem die ständische Vertretung nur noch eine sehr geringe Rolle spielte. In der Oberpfalz war die landschaftliche Verfassung gänzlich unterdrückt; in dem Nebenlande Neuburg existierte 10

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Bader. Karl Siegiried, Der deutsche Südwesten in seiner territorialstaatlichen Entwicklung. Köhler Verlag, Stuttgart 1950, S. 115/16. Biedermann, Karl a. a. O., S. 11. Berghaus, Heinrich, a. a. O., Leipzig 1860, Bd. 2, S. 268. Marx/Engels, Die deutsche Ideologie. In: Werke. Dietz Verlag, Berlin 1958, Bd. 3, S. 178. Engels, Friedrich, [Notizen über Deutschland). In: Marx/Engels, Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung. Aus Werken, Schriften, Briefen. Dietz Verlag, Berlin 1961, Bd. 1, S. 565. Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, a. a. O., S. 178.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

zwar noch etwas davon, ohne jedoch für den Gesamtstaat Bedeutung zu haben; in Altbayern waren die Stände seit dem letzten Vollandtag 1669 auf eine Landschaftsverordnung reduziert, die sich aus 8 Rittern, 4 Prälaten und 4 Vertretern der Rentamtsstädte zusammensetzte.15 Als integrierende Bestandteile der absoluten Monarchie hatte sich eine umfangreiche Zivil-, Militär- und Pfaffenbürokratie herausgebildet. Dennoch war die Position des absoluten Fürsten sehr schwach. In Altbayern betrug sein Anteil am Bodenbesitz 1 4 % , während die Geistlichkeit über 5 6 % und der weltliche Adel über 24 % verfügte. Der Rest von 6 % verteilte sich auf freibäuerlichen und bürgerlichen Grundbesitz.16 Daß die Privilegierten a u ß e r d e m über 44 % des Territoriums die Gerichtsbarkeit ausübten, schmälerte die Macht des Fürsten beträchtlich.17 Geistlicher und weltlicher Adel konnten die Bevölkerung in einem Maße aussaugen, daß für die landesherrliche Kasse nur ein Bruchteil übrigblieb. Die Geistlichkeit bereicherte sich noch zusätzlich durch die unaufhörlichen Kollekten, von denen sich niemand auszuschließen wagte.18 Die Kapitalien sämtlicher geistlicher Stiftungen in Bayern wurden auf 60 Millionen Gulden geschätzt.19 Die ständige Finanznot zwang den Fürsten, hier Anleihen aufzunehmen, die ihn abhängig machten und der Geistlichkeit starken politischen Einfluß und finanziellen Gewinn garantierten. Der weltliche Adel, den nach dem Zeugnis des bayerischen Historikers und Zeitgenossen Westenrieder »schlechte Erziehung, tierische Unwissenheit und Dummheit" auszeichneten 2 0 , sicherte sich seinen Einfluß unter anderem dadurch, daß er neben dem Hofstaat den zivilen und militärischen Apparat zu seiner Domäne machte. Der zeitgenössische fortschrittliche Publizist Wekhrlin schrieb 1778 in seinem .Anseimus Rabiosus": «Die Ausschweifungen, die Ränke, die Erpressungen dieses Hofpöbels sind unerträglich. Der Kurfürst befindet sich mitten an seinem Hofe wie in einem Lande, in welches von allen Seiten die Feinde eindringen und das in der Plünderung begriffen ist. Dieses Unglück blickt er mit Gelassenheit an." 2 1 Der Ämterkauf war die Regel und sollte die Staatskasse füllen helfen; das Amt aber war wiederum das Mittel, durch Sportein, Taxen und Bestechungsgelder ein Vielfaches 15

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Zimmermann, Fritz. Bayerische Verfassungsgeschichte vom Ausgang der Landschaft bis zur Verfassungsurkunde von 1818. 1. Teil: Vorgeschichte und Entstehung der Konstitution von 1808. Phil. Diss. München 1940, S. 3/4. Steinwachs, Otto, Der Ausgang der landschaftlichen Verordnung in Bayern. In: .Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte", Bd. 55, S. 61, 1910. Brentano, Lujo, Gesammelte Aufsätze. Stuttgart 1899, Bd. 1, S. 235. Schmelzte, Hans, Der Staatshaushalt des Herzogtums Bayern im 18. Jahrhundert mit Berücksichtigung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse des Landes. Stuttgart 1900, S. 38. In der Oberpfalz lagen die Verhältnisse günstiger für den Kurfürsten, da er dort über 75 % des Territoriums als Gerichtsherr gebot; Maenner, Ludwig, a. a. O., S. 19. Hausmann, Sebastian, Die Grundentlastung in Bayern. Wirtschaftsgeschichtlicher Versuch. Strasburg 1892, S. 18. Biedermann, Kail, a. a. O., Leipzig 1880, Bd. 2, S. 1096 Anm. Wolt, Georg Jacob, Das kurfürstliche München 1 6 2 0 - 1 8 0 0 . Zeitgenössische Dokumente und Bilder. München 1930, S. 325. Wekhrlin, Wilhelm Ludwig, Anseimus Rabiosus Reise durch Oberdeutschland. Salzburg u. Leipzig 1778, S. 26.

1. Das Kurfürstentum Bayern

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des Kaufpreises aus der Bevölkerung herauszuholen.22 Viele Ämter waren bloße Sinekuren für adlige Fräulein; der Adrefjkalender vom Jahre 1799 führt zum Beispiel eine Grenzhauptmautnerin zu Stadt am Hof und eine Oberforstmeisterin zu Burglengenfeld auf, die sich nie irgendeiner amtlichen Tätigkeit unterzogen.23 Im Heer war die Zahl der Offiziere Legion. „Man hält zu zwei oder drei Rheinschiffen sogar einen Großadmiral", heißt es in einer zeitgenössischen Reisebeschreibung.24 Wekhrlin bemerkte bissig: „Die Menge der Stabsoffiziere ist so groß, daß die Bayern behaupten, wenn ein Feind vom Land käme, so könnte man ihn bloß mit Generals aus dem Felde schlagen." 2 5 Gegenüber der starken Position, die Adel und Geistlichkeit in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens innehatten, stellte das Bürgertum in Bayern kein Gegengewicht dar, auf das sich der Fürst stützen konnte. Nach den statistischen Erhebungen des Jahres 1794 lebten in Altbayern 82,2 % der Einwohner auf dem Lande. Von den restlichen 17,8%, die als Bürger galten, weil sie in Städten und Marktflecken wohnten, trieben viele ebenfalls als Ackerbürger Landwirtschaft.26 Das Gesicht der gewerblichen Produktion wurde nahezu völlig durch das zunftmäßig organisierte Handwerk bestimmt. Hazzi stellte in seinen „Statistischen Aufschlüssen über das Herzogtum Bayern" um 1800 fest, „daß beinahe alles bloß handwerksmäßig wie in kleinen Städtchen und nichts ins Große betrieben wird".27 Auch die Hauptstadt München war trotz ihrer 38 000 Einwohner kein Zentrum, von dem in industrieller Hinsicht eine mobilisierende Wirkung ausging. Wenn der Reisende Gercken „einige Fabriken von Sammet, Seide und Tapeten" anmerkte, so tat er es nur ihrer Seltenheit wegen.28 Einen gewissen Namen hatte sich die um die Mitte des 18. Jahrhunderts gegründete Nymphenburger Porzellanmanufaktur gemacht, die 1765/66 etwa 300 Arbeiter beschäftigte.29 Nicolai aber, der sie in den achtziger Jahren besichtigte, fand „in allem nur 30 Arbeiter" und bemängelte auch die dort hergestellten Tassen als „dick und unförmlich".80 Das wenige, was an Manufakturen vorhanden war, 12

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Meyer, Christian, Bayern vor 100 Jahren. Personen und Zustände in Bayern im Zeitalter des Napoleonismus. München 1900, S. 12/13. (Lang. Karl Heinrich Ritter von). Der Minister Graf von Montgelas unter der Regierung König Maximilians von Bayern, o. O. 1814, S. 22. Wolf, Georg Jacob, Das kurfürstliche München..., a. a. O., S. 266. Reinhardstöttner, Karl von, Bayern und seine Hauptstadt im Lichte von Reiseschilderungen und fremden Kundgebungen. In: „Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns", Bd. 3, S. 252, 1895. Lütge, Friedrich, Die bayerische Grundherrschaft. Untersuchungen über die Agrarverfassung Altbayerns im 1 6 . - 1 8 . Jahrhundert. Piscator Verlag, Stuttgart 1949, S. 9/10. Tyska, Karl von, Handwerk und Handwerker in Bayern im 18. Jahrhundert. Staatswiss. Diss. Tübingen 1908, S. 32. Gercken, Philipp Wilhelm, Reisen durch Schwaben, Bayern, angrenzende Schweiz, Franken und die rheinischen Provinzen etc. in den Jahren 1 7 7 9 - 1 7 8 2 . Stendal 1783, T. 1, S. 345. Stieda, W., Die keramische Industrie in Bayern während des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1906, S. 57. Nicolai, Friedrich, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781, nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Berlin u. Stettin 1786, Bd. 7, S. 25.

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arbeitete häufig auf staatliche Rechnung, verdankte seine Fortexistenz - wie die Landshuter Manufaktur für Wollenzeugwaren - ausländischen Unternehmern31 oder hielt sich mit Mühe kraft kurfürstlicher Privilegien und Einfuhrverbote.32 Daß der Verlag keine große Rolle spielte, ergibt sich schon aus der geringen Zahl der Landweber, die wenig mehr als 3000 Menschen ausmachten und noch dazu häufig für außerbayerische Unternehmer in Augsburg arbeiteten.33 „Industrie und Manufakturen muß man in diesem Lande nicht suchen", stellte Gercken in seiner Reisebeschreibung lakonisch fest. „Ebenso ist es mit Handel und Wandel beschaffen." 3 4 Der Export beschränkte sich im wesentlichen auf Salz, Vieh und Getreide, Ausfuhrartikel also, „die größtenteils der Agrikultur angehörten und darum fast nur die materiellen Lebensquellen des Landadels und darum seine relative Macht den Bürgern gegenüber vermehrten".35 Nur in der Oberpfalz, wo die Feudalverfassung schon stärker unterhöhlt war, lagen die Verhältnisse etwas günstiger.36 Allein in der Linnenweberei arbeiteten hier 1798 über 3000 Stühle mit entsprechend vielen Spinnern. Eine gewisse Bedeutung für den Export besaß auch die Oberpfälzer Glasindustrie.37 Der Erzbergbau blieb zwerghaft; das wichtigste Bergamt Amberg beschäftigte 1793/94 nur 50 Bergleute, die etwa die Hälfte der vorhandenen Hämmer mit Erz belieferten.38 Es fehlte nicht an Reform- und Förderungsversuchen des Kurfürsten in Industrie und Landwirtschaft, wenn er damit auch nur den engen Zweck verfolgte, mit der Erhöhung der Produktivität dem Fiskus größere Quellen zu erschließen. Jede erfolgreiche Reform half bewußt oder unbewußt, die Elemente des Neuen zu entwickeln. Nur waren in Bayern alle diese Versuche mehr oder weniger erfolglos. 1779 unternahm der Kurfürst einen vorsichtigen Versuch, die Verhältnisse wenigstens seiner Grundholden zu reformieren. Dem Bauern sollte ein besseres Besitzrecht, das Erbrecht, zuerkannt werden; die Laudemialabgabe, die häufig zur völligen Verschuldung geführt hatte, sollte ratenweise auf 20 Jahre verteilt und das Mortuarium sogar ganz abgeschafft werden. Aber nicht nur die in der Verfügung ausgesprochene Erwartung, daß die anderen Grundherren dem Beispiel des Landesherrn folgen würden, blieb unerfüllt, sondern auch auf seinen eigenen Domänen kam die Reform nicht voran. Die Bestimmung, daß jede der beabsichtigten Erleichterungen nur auf ausdrücklichen Antrag des Bauern erfolgen sollte, gab der reaktionären Beamtenschaft das 31

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Kreuter, B., Beiträge zur Geschichte der Wollengewebe in Bayern im Zeitalter des Merkantilsystems. In: „Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte", Bd. 50, S. 305, 1897. Schmelzte, Hans, a. a. O., S. 97. Tyska, Karl von, a. a. O., S. 4, 34. Gercken, Philipp Wilhelm, a. a. O., Stendal 1784, T. 2, S. 127. Marx, Karl, Die moralisierende Kritik und die kritisierende Moral. Beitrag zur Deutschen Kulturgeschichte. Gegen Karl Heinzen von Karl Marx. In: Werke. Dietz Verlag, Berlin 1959, Bd. 4, S. 346. Die Oberpfalz kannte z. B. keine Leibeigenschaft mehr; Lütge, Friedrich, a. a. O., S. 69 ff. Rapp, Georg, Geschichtliche Mitteilungen über die Stadt Amberg und ihre Nachbarstädte mit besonderer Rücksichtnahme auf deren Handel und Erwerbsquellen. Amberg 1881, S. 42. Knauer, Heinrich, Der Bergbau zu Amberg in der Oberpfalz. Ein Beitrag zur vaterländischen Wirtschaftsgeschichte. Phil. Diss. Erlangen u. Amberg 1913, S. 43/44.

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Mittel an die Hand, die Verordnung gründlich zu sabotieren. 39 Kein besseres Schicksal hatten andere landesherrliche Mandate, die den Anbau von Futterkräutern zu fördern suchten, indem sie sie für zehntfrei erklärten. 40 Von dem bestimmenden Einfluß des reaktionärsten Teils der herrschenden Klasse, der Geistlichkeit, zeugt unter anderem der Regierungserlaß vom 22. August 1786, der 50 schon abgewürdigte Feiertage erneut zu heiligen gebot. 41 Die Pfaffen waren daran wegen der Opfer und anderer Akzidentien, viele Adlige wegen des Besuchs ihrer Brau- und Wirtshäuser interessiert. 42 Die Resultate einer solchen Maßnahme waren für die Entwicklung der Produktivität geradezu verheerend angesichts der Tatsache, daß die Zahl der kirchlich vorgeschriebenen Feiertage in Bayern damit die der Sonntage mehrfach übertraf. Statt die feudalen Fesseln zu lockern und neue Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen, wurden die Bindungen verstärkt. Einer solchen Vereinigung aufgeklärter Männer wie der Sittlich-ökonomischen Gesellschaft zu Burghausen, die mit der Herausgabe des „Bayerisch-ökonomischen Hausvaters" zur Hebung des Ackerbaus beizutragen sich bemühte, wurde 1791 jede finanzielle Unterstützung durch den Staat entzogen, was einem Todesurteil gleichkam.43 Das Ergebnis einer solchen Adels- und Pfaffenherrschaft war wirtschaftliche Stagnation in Stadt und Land. Die kümmerlichen Möglichkeiten der Manufakturentwicklung charakterisierte Westenrieder durch folgendes Bild: »Ich sah . . . große Schiffe bauen, sah sie mit Waren aller Art befrachten, sah rüstige Steuermänner herbeikommen - aber diese ganz vergeblich auf die Ankunft eines Windes warten, welcher die Segel schwellen, das Schiff in Bewegung setzen und die Verführung der Waren begünstigen sollte."44 Die Lage des zunftmäßig organisierten Gewerbes wurde immer trostloser. Bei der geringen Kaufkraft der Bevölkerung und gegenüber den billigeren und besseren Manufakturprodukten des Auslands konnte es nicht bestehen. In verzweifeltem Kampf gegen diese Entwicklung griffen die Zünfte zu Mitteln, die das Übel nicht minderten, sondern letzten Endes nur vergrößerten. Sie verschanzten sich hinter ihren Privilegien, bekämpften wütend jede Neuerung, eiferten gegen den angeblichen Kleiderluxus der Bevölkerung, die auswärtige Manufakturprodukte den schlechteren und teureren einheimischen Waren vorzog, erklärten die Zünfte für geschlossen, begrenzten die Aufstiegsmöglichkeiten der Gesellen zum Meister und drosselten auf diese Weise die Produktion. Der Anteil der Handwerker an der erwachsenen männlichen Bevölkerung der bayerischen Städte und Märkte betrug 1771 durchschnittlich nur 37 %. 4 5 Die Meister waren bereits in der Mehrzahl *• Walch, Albert, Die wirtschaftspolitische Entwicklung in Bayern unter Montgelas (1799 bis 1817). Staatswiss. Diss. Erlangen 1935, S. 25/26. 40 Damianott, Athanasius D„ Die Zehntregulierung in Bayern. Stuttgart 1896, S. 16/17. 41 Maenner, Ludwig, a. a. O., S. 138. 42 (Rottmariner, Simon), Bemerkungen über Laudemial- und andere grundherrliche Rechte in Bayern. Frankfurt u. Leipzig 1799, S. 201. 43 Reinhardstöttner, Karl von. Die sittlich-ökonomische Gesellschaft zu Burghausen (1765 bis 1802). In-, .Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns", Bd. 3, S. 116, 1895. 44 Schmelzte, Hans, a. a. O., S. 99. 45 Tyska, Karl von, a. a. O., S. 20.

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Alleinmeister, die nicht einen einzigen Gesellen beschäftigten.46 Gesellen sanken zu Plebejern hinab. Viele trieben ihr Handwerk als Pfuscher außerhalb des Rahmens der Zünfte. In München erreichte 1771 die Zahl der Pfuscher im Schneidergewerbe nahezu die der zünftigen Meister; bei Schustern und Perückenmachern war sie sogar größer.47 Wenn die Hauptstadt trotz dieser elenden wirtschaftlichen Lage 38 000 Einwohner zählte und ernähren konnte, so war das zu einem guten Teil nur durch den kolossalen Hofstaat möglich, der unter Karl Theodor über 2000 Personen umfaßte und allein ein Sechstel des gesamten Haushalts verschlang.48 Wie das Gewerbe stagnierte die Landwirtschaft. Nur knapp 4 % des Bodens waren bäuerliches Eigentum.49 Sie verteilten sich vor allem unter die rund 13 000 »Bauernkönige", die mit Hilfe von Gesinde und Tagelöhnern ihre Einödhöfe, geschlossene, bis zu einer Viertelmeile große, an keinen Flurzwang gebundene Wirtschaften, bestellten.50 Es waren bei dem chronischen Landarbeitermangel und der geringen Arbeitsproduktivität des Gesindes weder Musterwirtschaften, noch gaben sie der bayerischen Landwirtschaft das Gesicht. Ebensowenig allerdings taten es auch die 1400 Hofmarksherren, die auf ihren aus der Vereinigung von Grund- und Gerichtsherrschaft entstandenen Hofmarken eine beträchtliche Eigenwirtschaft betrieben, so daß man von Ansätzen zu einer Gutswirtschaft sprechen kann.51 In der Masse war der Grund und Boden in kleine und mittlere Wirtschaften aufgeteilt, die von hörigen und leibeigenen Bauern bearbeitet wurden. Wie seit Jahrhunderten lastete »auf dem Bauer... der ganze Schichtenbau der Gesellschaft." 5 2 Er hatte die Masse der direkten Staatssteuern zu tragen, die das Neunfache dessen ausmachten, was Adel, Geistlichkeit und Städte zahlten.53 Weiter belasteten ihn hohe indirekte Steuern und Aufschläge und nicht zuletzt die schamlose Gewinnsucht der korrupten Beamtenschaft. »Beamte und Bauernschinder galten beinahe für Synonyme"; sie wurden als Leute angesehen, »die vom öffentlichen Raube lebten", stellte rückblickend das bayerische Finanzministerium in einem Bericht aus dem Jahre 1807 fest. 54 Dann aber drückten den Bauern vor allem die Unzahl feudaler Abgaben und Dienste, die er dem Grund-, Gerichts-, Zehnt- und Leibherrn schuldete und die nur zu einem geringen Teil in Geldleistungen umgewandelt waren. Am schlimmsten litt er dort, wo wie bei den Hofmarken der einzelne Feudalherr die verschiedenen Gerechtsame in einer Hand vereinigte. Relativ gering drückte die Leibherrschaft. Schwer wogen dagegen die grundherrlichen Lasten, zumal das in Altbayern verbreitete schlechte Besitzrecht ihre häufige Erhöhung begünstigte. Besonders verhaßt Schmelzte, Hans, a. a. O., S. 88. Tyska. Karl von, a. a. O., S. 113 ff. 45 Hoffmann, Ludwig, Geschichte der direkten Steuern in Bayern vom Ende des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1883, S. 163. Schaielzle. Hans, a. a. O., S. 21. 49 Brentano, Lujo, a. a. O., S. 235. 50 Lütge, Friedrich, a. a. O., S. 64. si Ebenda, S. 58 ff. 52 Engels, Friedrich, Der deutsche Bauernkrieg. In: Marx/Engels, Werke. Dietz Verlag, Berlin 1960, Bd. 7, S. 339. 53 Maenner, Ludwig, a. a. O., S. 19. 54 Schmelzle, Hans. a. a. O., S. 267. 44 47

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waren die Laudemien, die bei jedem Besitzwechsel erhoben wurden. Ursprünglich betrugen sie nur 3 % des Gutswertes, stiegen aber bald auf 5 % und 10 % , wobei der Grundherr und seine Eintreiber alle möglichen Schliche anwandten, diese Sätze zu verdoppeln und zu verdreifachen und schließlich auch die Laudemialpflicht auf die fahrende Habe auszudehnen. 55 Häufig genug war der Bauer, der den Hof übernahm, auf diese Weise gezwungen, beim Grundherrn einen Kredit aufzunehmen, der nur zu neuen Plackereien führte. 56 Von den aus der Gerichtsherrschaft abgeleiteten Verpflichtungen waren die Gerichtsscharwerke oder -fronen am schwersten und lästigsten. In der Hofmark Amerang zum Beispiel betrug Anfang des 18. Jahrhunderts die Höhe der Scharwerke im Jahr für einen Handdienstpflichtigen 50 Tage, für einen Spanndienstpflichtigen 30 Tage mit Gespann und 10 Tage ohne Gespann. 57 Um das Ausmaß dieser Belastungen voll zu begreifen, muß man sich der Fülle vorgeschriebener Feiertage erinnern. Der dem Zehntherrn gehörige Zehnt half schließlich jeden Anreiz zum Anbau von Kulturpflanzen zerstören, denn er wurde nicht nur von den größeren Feldfrüchten wie Getreide, sondern auch von Obst, Hopfen, Flachs, Hanf, Tabak usw. erhoben. 58 Unter diesen Bedingungen mußte Bayern zu 55 M 51

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Lütge, Friedrich, a. a. O., S. 141 ff. Hausmann, Sebastian, a. a. O., S. 69/70. Lütge. Friedrich, a. a. O., S. 127. Lütge verfolgt die reaktionäre Tendenz, die feudale Ausbeutung zu verharmlosen. Das zeigt sich u. a. auch bei der Behandlung der Ablösungssumme für die Scharwerke. Obwohl allgemein bekannt ist und auch Lütge selber es bestätigt, welch geringen Wert landesherrliche Mandate in Bayern besagen (Lütge, a. a. O., S. 103), beruft er sich auf das Mandat von 1724, um seine Annahme von 8 Gulden als in der Regel gültigen Höchstbetrag für die Ablösung zu stützen (ebenda, S. 122). Von dieser Basis aus ist es dann leicht, die von Hausmann übernommene Mitteilung, wonach die Bauern einer bestimmten Hofmark für die Ablösung der auf einem halben Hof liegenden Scharwerke 18 Gulden geboten haben, als Ausnahme abzutun (ebenda, S. 126/27). Die Quelle, die Hausmann anzog und die Lütge nicht kennt, findet sich als Nachtrag einer Schrift von Simon Rottmanner, einem der besten Kenner der bayerischen Agrarverhältnisse jener Zeit: .Beitrag zur Geschichte der Frone oder Scharwerk in Bayern. Frankfurt am Main 1798", S. 173 ff. Von der betreffenden Hofmark wird hier gesagt, dag die Voreltern des damaligen Besitzers sie 1656 im Rentamt München kauften (S. 173). Da Lütges wie auch Hausmanns Aufstellung der dieser Hofmark zu leistenden Scharwerke unvollständig ist (Lütge, a. a. O., S. 126; Hausmann, a. a. O., S. 60/61), soll hier noch folgende Ergänzung aus jener Schrift Platz finden: »Unter den oben angeführten Scharwerksverrichtungen habe ich die Jagdscharwerk beizusetzen vergessen, vermöge welcher jeder Untertan gehalten ist, sowohl in den eigenen herrschaftlichen als gestifteten Waldungen mehrere Wochen im Herbste bei dem Fuchsklopfen und Jagden zu erscheinen, wofür er weiter nichts erhält als zerrissene Kleider, müde Füße und nicht selten, wenn er nicht wie die Koppelhunde alle Hecken und Stauden durchschlieft, einen blaugeklopften Rücken" (S. 183). Auch die Flugschrift .Ober den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten in Bayern* vom Jahre 1797 sagt ausdrücklich, dag sich die Standesherren nicht mit 8 Gulden Scharwerkgeld begnügen: .Sie lassen sich, wenn sie auch die Frondienste nicht wirklich fordern, nach dem Beispiele der Landesherrschaft zum Scharwerkgelde vom Hofe nicht mit 6, 7, 8 Gulden begnügen, sondern fordern gemeiniglich vom Hofe 16 bis 18 und noch mehr Gulden, und die Untertanen müssen gleichwohl noch sonderbar die Jagdfronen und an einigen bestimmten Tagen die ordinäre Scharwerk verrichten " (S. 86). Damianoff, Athanasius D., a. a. O., S. 13/14. Hausmann, Sebastian, a. a. O., S. 76/77.

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den landwirtschaftlich rückständigsten Gebieten Deutschlands zählen. Weite Strecken anbaufähigen Bodens lagen wüst. »Wenn man, sagt ein Bayer selbst, zu den ungeheuren Sümpfen, verwildeten Heiden, zahlreichen Pfützen und Viehtriften noch die öden Höfe rechnet, deren Anzahl auf 5000 angegeben wird, so ist gewiß mehr als ein Drittel des Landes nicht bebaut." 59 Die veraltete reine Dreifelderwirtschaft herrschte nahezu uneingeschränkt. Gercken, der Anfang der 80er Jahre Bayern bereiste, stellte fest: „Der Landmann bleibt lediglich bloß bei seinem Getreidebau, ohne weiter auf etwas anderes auch zu raffinieren... Man findet also auf den Feldern weder Tabak, Färbekräuter, Welschkorn (nur dieses in wenigen Gegenden), Klee (auch nur in den wenigsten Gegenden), rote Burgunderrüben etc., nichts wie Getreide und etwas mit Kartoffeln angebaut. Auch die Kultur oder Bearbeitung des Ackers selbst ist nicht die beste." 60 Die bäuerliche Initiative war in Fesseln geschlagen. „Was soll ich ein schönes Haus bauen", sagte der Bauer, „daß meine Grundherrschaft sich dabei wieder den Beutel spicken und von meinen Kindern höhere Laudemien nehmen kann?" 61 Sozial unter den einen Hof bewirtschaftenden Bauern stand die Schicht der Tagelöhner und des Gesindes, die in Bayern ein Drittel der gesamten bäuerlichen Bevölkerung ausmachte. In der Masse rekrutierten sich diese landlosen Landarbeiter aus der Bauernschaft im engeren Sinne. Bei der herrschenden und von der Feudalklasse wegen der leichteren Eintreibung feudaler Leistungen begünstigten Unteilbarkeit der Höfe blieb für einen Teil der Kinder nur dieser Weg übrig. Darüber hinaus sorgte der in Bayern übliche Gesindezwangsdienst für Auffüllung dieser Schicht. Das Gesinde unterlag dem Züchtigungsrecht und war im Alter, wenn die Arbeitskraft nachließ, der Not und dem Elend schutzlos ausgeliefert. 62 Immer wieder eingeschärfte Heiratsverbote nahmen Knechten und Mägden jede Möglichkeit der Familiengründung, wenn man von der sehr seltenen Gelegenheit zur Einheirat in einen Hof absieht. Wer sich über das Verbot hinwegsetzte, wurde praktisch zum Bettler gemacht. Eine Weiterbeschäftigung als Gesinde gab es nicht, und der Übergang zum Tagelöhner war aus demselben Grunde versperrt, aus dem sich die Heiratsverbote für das Gesinde ableiteten. Der feudale Staat fürchtete die Vermehrung der Besitzlosen, für die die Gemeinden unterhaltspflichtig waren, und meinte, die Armut durch Polizeimaßnahmen bekämpfen zu können. Eine Verordnung aus dem Jahre 1783 verbot bei 100 Dukaten Strafe die Errichtung einer neuen Tagelöhnerwohnung. 63 Man wandte also trotz des Landarbeitermangels die rigorosesten Mittel an, um die Zahl der Tagelöhner, die einen eigenen Hausstand führten und darum auch teurere Arbeitskräfte waren, zugunsten der des Gesindes zu reduzieren. Bei diesen kurzsichtigen Methoden, der Armut beizukommen, und vor allem bei dem Fehlen aller Möglichkeiten, größere Massen einer industriellen Beschäftigung 59

Reinhazdstöttner, Karl von, B a y e r n . . a . a. O., S. 249. Gercken, Philipp Wilhelm, a. a. O., T. 2, S. 127/28. 61 Lütge, Friedrich, a. a. O., S. 15. 62 Platzer, Hanns, Geschichte der ländlichen Arbeitsverhältnisse in Bayern. München 1904, S. 199/200. «s Lütge, Friedrich, a. a. O., S. 173, 175 ff.

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zuzuführen, kann es nicht überraschen, daß die Bettler in Bayern eine wahre Landplage darstellten. Etwa 6 % der Gesamtbevölkerung lebten von der Bettelei. 64 Die Not sorgte dafür, daß Gewaltverbrechen an der Tagesordnung waren, die wiederum mit mittelalterlicher Grausamkeit bestraft wurden. »Hier sind die Landstraßen auf beiden Seiten mit Galgen bepflanzt, so wie sie in polizierten Ländern mit Maulbeerbäumen bepflanzt sind." 6 5 Das Bild, das Engels von dem Zustand Deutschlands gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwarf, trifft buchstäblich und in besonderem Maße auf Bayern zu: .Das ganze Land war eine lebende Masse von Fäulnis und abstoßendem Verfall. Niemand fühlte sich wohl. Das Gewerbe, der Handel, die Industrie und die Landwirtschaft des Landes waren fast auf ein Nichts herabgesunken; die Bauernschaft, die Gewerbetreibenden und Fabrikanten litten unter dem doppelten Druck einer blutsaugenden Regierung und schlechter Geschäfte; der Adel und die Fürsten fanden, daß ihre Einkünfte trotz der Auspressung ihrer Untertanen nicht so gesteigert werden konnten, daß sie mit ihren wachsenden Ausgaben Schritt hielten; alles war verkehrt, und ein allgemeines Unbehagen herrschte im ganzen Lande." 6 6 Die grundlegenden feudalen Abhängigkeitsverhältnisse waren noch so wenig gelockert, daß sich die Keime neuer Produktionsverhältnisse nur ganz kümmerlich entwickeln konnten. Entsprechend schwach war die bürgerliche Opposition. Immerhin gab sie sich doch bereits 1776 in dem von dem Ingolstädter Professor Weishaupt gegründeten Illuminatenorden einen tätigen Mittelpunkt. Was den Orden auszeichnete, war die scharfe Kritik am Bestehenden, das Interesse an wirtschaftlichen und sozialen Fragen und das Bestreben, unmittelbaren Einfluß auf die Staatsführung zu gewinnen. Der von Knigge entworfene Ordensplan formulierte als Aufgabe: „Unser kleiner Haufe in der Stille muß fest zusammenhalten und jedem unterdrückten Verdienste beistehen, jedem guten Mann zeitliche Vorteile äußeren Glücks verschaffen und alle Stellen, wo Macht für die gute Sache zu erringen ist, zu gewinnen versuchen." 6 7 Getragen wurde diese Organisation von der bürgerlichen Intelligenz, der Avantgarde des Bürgertums, zu der auch einige liberalisierte Adlige stießen. Ihre Geheimbündelei, selbst ein Zeichen der Schwäche, ließ sie nicht die Unterstützung der Volksmassen suchen, über die man sich in aufklärerischer Borniertheit erhob, „denn wie würde man dem dummen Bauernvolk die Aufklärung der Sitten in den Kopf bringen?" 6 8 Keine zehn Jahre nach seiner Gründung wurde dieser „kleine Haufe" von der feudalen Reaktion brutal und gründlich zerschlagen. Bayern wurde zum Tummelplatz des barbarischsten Obskurantismus, der die bescheidenste geistige Regung unterdrückte. Die Unzufriedenheit breitester Schichten der Bevölkerung mit den bestehenden Verhältnissen blieb und steigerte sich; aber es war zunächst noch eine ausweglose Unzufriedenheit. „Plötzlich schlug die Französische Revolution wie ein Donner64 65 66 67 68

Schmelzte, Hans, a. a. O., S. 34/35. (Wekhrliii. Wilhelm Ludwig), a. a. O., S. 22/23. Engels, Friedlich, Deutsche Zustände, a. a. O., S. 556. Lennhoft, Eugen, Politische Geheimbünde. Zürich-Leipzig-Wien 1931, Bd. 1, S. 44. Maenner, Ludwig, a. a. O., S. 87.

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schlag in dieses Chaos', heißt es bei Engels in seinen .Deutschen Zuständen".69 Das französische Volk demonstrierte den feudal geknechteten Massen der europäischen Länder, welch ein Ausweg möglich war. Auch in Bayern zündete das Beispiel. Die Voraussetzungen waren nicht so, daß es hätte kopiert werden können. Das Bürgertum war nicht in der Lage, die unzufriedenen Klassen und Schichten zu organisieren und zum Kampf gegen die bestehende Ordnung zu führen. Aber die spontanen Klassenkämpfe erhielten ausgeprägtere antifeudale Züge. Diese Feststellung gilt allgemein; im einzelnen zeigten sich beträchtliche Unterschiede des Reifegrades. Nicht immer und überall läßt sich nachweisen, daß die Unruhen, Forderungen und Wünsche der feudal geknechteten und gefesselten Klassen eine klare Perspektive entwickelten. In der allgemeinen Tendenz jedoch entspricht diese These der historischen Wirklichkeit. Allein die heftige Reaktion der erschreckten herrschenden Klasse könnte als genügender Beweis gelten. Nach 1789 jagte eine Verordnung die andere, die alle den Obskurantismus festigen und auf diese Weise die feudale Ordnung gegen die Wirkung des französischen Beispiels sichern sollten. Die Revolutionsfurcht ging so weit, daß sogar die Veröffentlichungen der Zensurbeamten unter Zensur gestellt wurden. 70 Darüber hinaus gibt es zahlreiche direkte Beweise für das Anwachsen und die schärfere Profilierung der antifeudalen Bewegung. Ihre Entwicklung wurde begünstigt durch Gegensätze innerhalb der herrschenden Klasse selbst. Drei Gruppierungen standen sich gegenüber: Der Kurfürst mit seiner Regierung und seinem Hof, die landschaftliche Verordnung als eine besonders privilegierte Schicht und die Masse der Feudalherren, die auf dem Lande lebte. Während die erste Gruppe die Politik des Landes bestimmte, bemühte sich die zweite, maßgeblichen Einfluß darauf zu gewinnen. Dabei trat sie als Sprecher des landständischen geistlichen und weltlichen Adels auf, den sie als landschaftliche Verordnung offiziell repräsentierte. Faktisch jedoch bestand ein ebenso großer Gegensatz zwischen der Verordnung und dem Landadel, der jener den Vorwurf machte, sich über die Gesamtheit des Adels erhoben zu haben, sie darum als seine Repräsentation nur bedingt anerkannte und seine Interessen selber auf einem Vollandtag, wie er 1669 zum letztenmal zusammengekommen war, vertreten wollte. Im Streit dieser verschiedenen Richtungen, der in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ständig an Intensität gewann, ergaben sich die verschiedenartigsten Kombinationen: Landschaftliche Verordnung und landständischer Adel fanden sich gegen den Absolutismus des Kurfürsten ebenso zusammen wie Kurfürst und landständischer Adel gegen die bevorrechtete Stellung der Verordnung oder wie Verordnung und Kurfürst gegen die Ansprüche des landständischen Adels. Die sich wandelnde konkrete politische Situation machte mal die eine, mal die andere Kombination möglich. Das Gegeneinander der einzelnen Fraktionen schwächte die herrschende Klasse insgesamt und konnte von dei bürgerlichen Opposition ausgenutzt werden. 69 70

Engels, Friedrich. Deutsche Zustände, a. a. O., S. 567. Heigel, Kail Theodor, Censurwesen in Altbayern. In: Neue historische Vorträge und Aufsätze. München 1883, S. 248/49.

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1794 erschien der landschaftlichen Verordnung die Finanznot, in die der Kurfürst durch den Reichskrieg geraten war und die ihn in stärkerem Maße von Geldbewilligungen der Landschaft abhängig machte, als die geeignete Gelegenheit, mit Forderungen hervorzutreten, die nichts Geringeres als die Mitregentschaft zum Inhalt hatten. Die Verordnung verlangte Einsicht in die Verwendung des Haushalts und nach dem Frieden die Einberufung des Landtages. 71 Die in zehn Punkten formulierten Gravamina vom 24. Mai 1794 forderten unter anderem die Zuziehung zur Gesetzgebung. 72 Der Kampf wurde öffentlich geführt, und so war diese Beschwerdenliste, wenn auch ungewollt, zugleich eine offene Anklageschrift gegen die bestehende Ordnung schlechthin. Schulz, der preußische Geschäftsträger am Münchener Hofe, schrieb über dieses libellum gravaminum: »Inzwischen ist das, was im § 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 9 von der Hemmung der ordentlichen Justizpflege, von außerordentlichen und die Gestalt geheimer Inquisitionsgerichte tragenden Kommissionen, von Kabinettsjustiz, vom widerrechtlichen faktischen Verfahren des Fiskus, von Übersetzung der Dikasterien mit einer unglaublichen Menge unwissender, unerfahrener und zu junger Subjekte, von zu großer Begünstigung der Ausländer und endlich vom abscheulichen Diensthandel gesagt wird, so vollkommen wahr, daß aus diesen Beschwerden die wichtigsten Hauptgrundzüge zu einem getreuen Gemälde der jetzigen inneren Landesadministration von Bayern abstrahiert werden können." 73 Die bürgerlich-liberalen Kreise nutzten die Gegensätze innerhalb der herrschenden Klasse, indem sie die Forderungen der feudal-aristokratischen Opposition aufgriffen und in progressivem Sinne veränderten. Eine anonyme dreibändige Schrift mit dem Titel »Freimütige Gedanken über die allerwichtigste Angelegenheit" erschien um diese Zeit und erregte Aufsehen. Der Verfasser behauptete von sich, ein grundbesitzender Edelmann in wichtigen Staatsämtern zu sein. Die Forderung nach der Wiederherstellung der Konstitution und der Landstände, dieser »allerwichtigsten Angelegenheit", war auch noch ganz im Tone der feudal-aristokratischen Opposition gehalten. Dann aber verließ die Schrift diesen engen Rahmen und steigerte sich zu eindeutig liberalen Ansichten. Scharf trat sie gegenüber der landschaftlichen Verordnung auf, die einen Landtag der Privilegierten einberufen wissen wollte. Im Gegensatz dazu und in Obereinstimmung mit dem Prinzip der Volkssouveränität wurde die Notwendigkeit einer gerechten Repräsentation der bisher schlecht oder überhaupt nicht vertretenen Bürger und Bauern betont. Aus dem Grundsatz, daß die Nation die Quelle jeder Souveränität darstellt, folgerte die Schrift, daß die Fürsten nur solange ein Recht zur Regierung haben, wie sie im Interesse des Volkes herrschen. Wird es verletzt und zeigt sich der Fürst allen gütlichen Vorstellungen abgeneigt, so ist als letztes Mittel die Insurrektion erlaubt. Diese schon an revolutionär-demokratische Anschauungen grenzende Feststellung beschränkte sich allerdings nur auf die Theorie; unter den gegebenen Umständen glaubte der Verfasser, n 72 73

Steinwachs, Otto, a. a. O., Bd. 55, S. 123 ff. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33 Bayern, Fase. 147, Bl. 96-107. Ebenda, Bl. 93.

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dag in Bayern die Insurrektion als letztes Auskunftsmittel vermieden und auf dem Wege über Reformen die Übereinstimmung zwischen Regierung und Volk wiederhergestellt werden könne. Als notwendige Reformen bezeichnete er die Einschränkung des Erbadels, die Verminderung des stehenden Heeres, die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Einführung gleicher Abgaben und vor allem die Wiederherstellung der Konstitution und der Landstände. Die Schrift fand reifenden Absatz; 1795 erlebte sie bereits die dritte Auflage.74 Diese Tatsache kann als ein Zeichen dafür gewertet werden, dag bei aller Rückständigkeit auch in Bayern das Neue sichtbar an Boden gewann. Andererseits hatte die Schrift keine Nachfolger, sondern blieb allein; ein Zeichen dafür, dag das Bürgertum noch keineswegs die Kraft besaß, den Kampf um die Durchsetzung jener Forderungen auch zu organisieren. Die kurfürstliche Regierung war der ständischen Opposition im Sommer 1794 so weit entgegengekommen, dag sie zwar nicht den Vollandtag, aber doch wenigstens den Adjunktentag Anfang August einberufen lieg. „... weil vor hergestelltem Frieden einen allgemeinen Landtag zu berufen nicht wohl tunlich sein will", wie es im Konvokationsreskript vom 15. Juli hieg, sollte die landschaftliche Verordnung mit ihren 16 Mitgliedern, den 4 Rechnungsaufnehmern und dem Landschaftskanzler lediglich um die 16 Adjunkten vermehrt werden, die sich aus dem landständischen Adel rekrutierten.75 Bei der allgemeinen Stagnation des politischen Lebens in Bayern war das ein bedeutsames Ereignis, an dem die Öffentlichkeit ernsthaften Anteil nahm und das sie auf bezeichnende Weise kommentierte. So erschien zur Eröffnung des Adjunktentages ein in München sehr verbreitetes Flugblatt mit dem Titel »Die bayerischen Bauern an die Landschaftsverordneten und Adjunkten": »Jüngst kamen Boten auf das Land und hatten groge Schreiben, Sie sollten, sagt man, d' Hofmarksherrn in d' Stadt zusammentreiben. Denn d' Landschaft und der gnädigst Herr, die hätten sich zertragen. Weil man uns Bauern gar zu sehr mit Steuern wollte plagen. Wenn dies ist, kommen wir auch her, zu sehen, wer von beiden Aus ihnen doch wohl Unrecht hat, um das Recht zu entscheiden. Der Kurfürst, sagt man, sei sehr reich und Herr von Millionen, Und dennoch fordert er stets mehr, um seinen Schatz zu schonen. Davon leiht er dann Gelder aus - dem Land, dem er's genommen. Und vermaskiert dann seinen Namen, um Zinsen zu bekommen. Die Landschaft wisse dann nicht mehr, woher was aufzutreiben. Und protestierte übers Land, was Neues auszuschreiben. Dann hat die Landschaft völlig recht; denn, Herr! Wir müssen zahlen So viel, dag uns die Nägel oft vom Finger möchten fallen." In den folgenden Zeilen zählt das Flugblatt die Unmenge drückender Lasten auf, kennzeichnet die Beamten als ein weiteres Instrument des Adels, Geld aus den Bauern zu pressen, und geigelt die Bettelmönche als betrügerische Parasiten. Das Flugblatt schliegt mit den Versen: 74 75

Steinwachs, Otto, a. a. O., Bd. 55, S. 124/25. HSA München, Abt. I, Altbayerische Landschaft, Nr. 255.

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.Kurz, glaubt es, Herrn, der Bauernsack muß unaufhörlich geben. Und wenn's noch mehr wollt, können wir wahrhaftig nicht mehr leben. Drum, wenn's gescheit seid, denket nach mit Ständen und Adjunkten und bessert, wo zu helfen ist, in vielen andern Punkten. Ein jeder tu seine Schuldigkeit und sei gerecht und bieder. Dann mag die Welt in Trümmern gehn, wir Bayern bleiben Brüder. Nehmt euch ein Beispiel an der Zeit und schreibt's euch an die Wände: In Frankreich hat man Könige 'köpft, in Polen hängt man Stände." 7 6 Die Kritik an den unerträglichen Verhältnissen ist scharf und radikal; selbst der Kurfürst wird nicht geschont. Es fehlt jedoch noch jede Entschlossenheit, selber Hand anzulegen und gründlichen Wandel zu schaffen. Obwohl brennend an der Auseinandersetzung interessiert, begnügen sich die Bauern mit der Rolle des Zuschauers. Die Tatsache, daß sich das Flugblatt an die Adresse des Adjunktentages richtete, schließt seine Anerkennung als rechtmäßige Vertretung auch der Bauernschaft ein. In der Aufforderung an jeden, seine Schuldigkeit zu tun, steckt die Bereitwilligkeit, weiterhin die feudalen Lasten zu tragen, die wohl gemindert; aber nicht prinzipiell beseitigt werden sollten. Trotzdem zeugen die Drohung der Bauern, „das Recht zu entscheiden", und insbesondere die Warnung am Schluß doch eindeutig von dem zunehmenden Selbstbewußtsein der antifeudalen Kräfte. Diese Tendenz äußerte sich auch in einer steigenden Flut von Pasquillen auf führende Männer im bayerischen Staatsapparat. Zahl und Ton dieser Schmähschriften beunruhigten diese Kreise in einem Grade, daß sie ein kurfürstliches Reskript vom 22. September 1794 erwirkten, das die Obere Landesregierung und insbesondere das Hofoberrichteramt zu schärfsten Gegenmaßnahmen anhielt: »Nachdem . . . seit einiger Zeit aber dergleichen ruchlose Stücke öffentlich in der Stadt und auf dem Lande immer häufiger und unverschämter in Umlauf gesetzt zu werden aufs neue beginnen, so ist es der Obern Landesregierung Pflicht ohnehin, auf die Urheber sowie auf die Verbreiter die . . . vorgeschriebene Auskundschaftung und Nachsuchungen einzuschlagen und gegen sie mit den verordneten Strafen zu verfahren, und das zwar um so mehr, wenn, wie bei einem gegenwärtigen der Fall ist, die verräterischen Absichten am Tage liegen, Mißtrauen und Unwillen wider die Staatsverwaltung und die Staatsdiener unter den Volksklassen zu verbreiten." 7 7 Manche dieser Pasquillen beschränkten sich darauf, den Betreffenden verächtlich oder hassenswert zu machen und ihm ein böses Ende zu wünschen. In diese Reihe gehört das folgende Pasquill auf den Grafen Rumford, den Günstling des Kurfürsten: „Es kam ein Mann aus Engeland, fälscht uns die Haar, stutzt uns das Gewand, Stiehlt uns anbei unser täglich Brot; Ebenda. Eine jüngere, in Schreibweise und Wortwahl geringfügig abweichende Abschrift des Flugblattes findet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Rheinwaldiana Nr. 8, Stück 59, S. 111/12. Die im Text gebrachte Fassung geht von der älteren Abschrift aus und übernimmt von der Rheinwaldschen Abschrift nur vereinzelte Abweichungen, wenn sie klarer und sinnvoller erscheinen. " HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 787, Nr. 4, Bl. 100.

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kommt er an' Galgen, so helf ihm Gott; Wir lachen alle und schreien ihm zu: es war ein Schelm und ein Filou. Und wer uns dieses widerspricht, dem sagen wir ins Angesicht: Wer dieses Schurken Tat verehrt, ist auch wie er des Galgens wert." 78 Andere gingen weiter. Sie griffen nicht nur den einzelnen mißliebigen Großen an, sondern das ganze System der Ausplünderung und Unterdrückung: »Fahr weg, du biederer Mann, fahr weg aus diesem Lande! Dein Schutzgeist leite dich, fahr weg von diesem Strande, Und blick nicht mehr dahin, wo man die Unschuld quält. Die Schurken glücklich macht, die schönste Tat verhehlt ...". Dieses Pasquill nahm auch den Kurfürsten nicht aus; es nannte ihn in einem Atem mit solchen verhaßten Gestalten wie dem milchgesichtigen Major Minucci oder dem teuflischen Pater Frank: „Allwo der Fürst kein Stund dem Wohl des Staates fronet. Wo Landesverräterei alleine wird belohnet, . . . Und wo das Milchgesicht zu Pferd den Helden spielt Und seinen Bubenmut an tapfern Helden kühlt. Auch wo ein schwarzer Mann mit noch weit schwärzrer Seele Im Namen Gottes uns verdammen will zur Hölle, .. Die Schrift steigerte sich sogar bis zur Aufforderung an die Bayern, zur Selbsthilfe zu schreiten: »Ihr lieben Bayern, fangt doch anders an zu denken; Das Jammern hilft euch nichts, die Schurken muß man henken. Die nur das Paradies von Grunde aus verderben .. Hier aber, gewissermaßen auf dem Höhepunkt des Angriffs, offenbarte das Pasquill seine Unentschlossenheit und seine mangelhafte Einsicht in die Ursachen der unerträglichen Zustände. Letztlich sind es doch wieder nur einzelne Persönlichkeiten, die dafür verantwortlich gemacht werden und darum totzuschlagen sind, während andere wie Oberndorff oder Hompesch ausdrücklich davon ausgenommen werden. Von der Übertragung des Regiments in solche Hände erhofft man sich einen gründlichen Wandel der Verhältnisse. Der Schluß des Pasquills zeigt, daß auch der Aufruf an die Bayern zum selbständigen Handeln mehr rhetorische als praktische Bedeutung besaß. Ausgerechnet der Fürstenbund wird um Hilfe gebeten, um Bayern von der Räuberbande im Staatsapparat zu befreien: „Werft keine Fenster ein, laßt diese Bubenstücke, Wir haben Waffen ja, wir haben Schwert und Stricke . . . Auf, edle Bayern! zeigt den alten deutschen Mut, Aus Lieb zum Vaterland laßt Leben, Leib und Blut! Hilf, deutscher Fürstenbund, laß uns nicht länger stecken, 78

Bayerische Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Rheinwaldiana Nr. 8, Stück 62, S. 115.

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Sonst müssen ja wir biedre Bayern wie Hunde noch verrecken. Nimm dann den wärmsten Dank, wir küssen dir die Hand, Wenn uns geholfen wird von dieser Räuberband." 79 Konsequenter in der Kritik des gesamten Herrschaftssystems war ein anderes Pasquill, indem es den Hof Karl Theodors vom Kurfürsten bis zum letzten Höfling hinab ohne Unterschied der Unterdrückung und schamlosen Bereicherung bezichtigte. Andererseits jedoch nannte es wieder keinen Weg, der aus dem Sumpf herausführte, und war außerdem nicht frei von dem bornierten Lokalpatriotismus des Altbayern, der gern die bestehenden Übel als fremden Import aus der Pfalz betrachtete. Das Pasquill bediente sich biblischer Formulierungen, die sich ähnlich wie Verse leicht einprägten: „In der Zeit, als der Herr Karl Theodor nach München gezogen war, so war in selber Gegend große Freude, und viel Volk war um ihn, und er tat seinen Mund auf und lehrte das Volk und sprach: 1. Selig sind die Bauern; so lange sie Geld haben, will ich sie regieren. 2. Selig sind die Soldaten, denn ich will ihnen die Flügel stutzen. 3. Selig sind die, die da weinen und Leid tragen über das, was meine Apostel zu sich ziehen werden. 4. Selig sind, die da hungert und durstet nach Gerechtigkeit, die ich ihnen auf ewig versagen will. 5. Selig sind, die reinen Herzens sind wie ich, so werden sie Kinder genug bekommen. 6. Selig sind, die da Verfolgung leiden um der Pfälzer willen, denn sie werden Bayern mit Not umringen. 7. Selig sind die sanftmütigen Proponisten, denn sie werden genug unterdrückt werden. 8. Selig ist München und ganz Bayern, so aller Wucher und Kauderei treiben darf mit Wissen meiner und meiner Apostel, um unsere Säcke zu spicken . . . " 8 0 Die Verfasser der Pasquille blieben naturgemäß verborgen; aus ihrem unterschiedlichen Stil, der von unbeholfener Reimerei bis zu wohlgesetzter Sprache reicht, ist jedoch einwandfrei zu entnehmen, daß sie ebenso in den werktätigen Schichten wie im gebildeten Bürgertum zu suchen sind. Alle genannten Beispiele nahmen nicht ausdrücklich Bezug auf die Französische Revolution, aber allein schon die Schärfe der Sprache verrät den Einfluß dieses welthistorischen Ereignisses. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bayern waren nicht so entwickelt, daß jede Opposition die französischen Erfahrungen sinnvoll auszuwerten vermochte. Ohne Zusammenhänge zu erkennen, konzentrierte sich der Zorn häufig auf einzelne Erscheinungsformen der herrschenden Ordnung und blieb daher ausweglos. Die Vergeltung mit Strick und Schwert war noch ein primitiver Wunschtraum, aber nicht Teil eines Programms. Je mehr sich darum die unzufriedenen Kreise der Bevölkerung an der Französischen 60

Ebenda, Stück 18, S. 40/41. Ebenda, Stück 9a, S. 32/33.

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Revolution und ihren Ergebnissen orientierten, um so klarere und entschiedenere Züge nahm die Opposition an. Eine solche Tendenz ist überall mit Händen zu greifen. Selbstverständlich war diese Entwicklung klassenmäßig sehr unterschiedlich. Wenn nach dem Zeugnis des Benediktinerpaters Roman Zirngibl die ganz Elenden, denen die herrschende Ordnung keine andere Existenzmöglichkeit als den Bettel bot, der Französischen Revolution wärmste Sympathien entgegenbrachten, so dominierten hier zweifellos solche primitiven Motive wie die Aussicht auf Plünderung feudaler Reichtümer: „Die Menge der Landstreicher, der Bettler, der Müßiggänger, die alle Waffen tragen könnten und die sich beim ersten Einfalle der Franzosen mit Vergnügen denselben beizählen würden, eben darum, weil sie nichts riskieren und weil die Franzosen sie gut auf unseren Conte bezahlen dürften, vermehren unseren Furcht und Schrecken. Allen diesen Taugenichts und zuvörderst der unzähligen Schinderschar, die im Land mit Weib und Kindern herumschweifen, dem Landesmanne unter Bedrohung des Abbrennens Geld und Mehl abpressen, behagen die französischen Grundsätze. Ich höre und sehe mir genug auf dem Lande . . . " 8 1 Auf ungleich höherer Ebene faßten die Lehren jenes großen Ereignisses im Bürgertum und namentlich in der Intelligenz langsam Fuß, um von hier den Weg aufs Land unter die Bauernschaft zu nehmen. Als ein hervorragendes Zeugnis soll hier ein Flugblatt stehen, dessen Klarheit der Gedankenführung und sprachliche Kraft seine unverkürzte Wiedergabe gebieten: „Gebet, welches alle guten Bayern in dieser Zeit der Not und Bedrängnis fleißig beten sollen. Es wurde bei der sogenannten schmerzhaften und wundertätigen Mutter Gottes im Herzogspital zu München gefunden. Wir liefern dasselbe ohne die geringste Geographie- oder Religionsabänderung. Allmächtiger ewiger Gott! Der du schon einmal uns arme und sündige Menschen durch den Tod deines eingeborenen Sohnes Jesus Christus von der Gewalt des Teufels erlöst hast, wende deine Augen, deine grundlose Barmherzigkeit auf unser Elend und sieh, wie wir unter der Gewalt noch weit ärgerer Teufel stehen, denn statt eines Satans sind viele tausend über uns gekommen, nämlich die Tyrannen, so sich Könige und Fürsten nennen, ihre schurkischen Minister, Maitressen, Priester, Beichtväter und ungerechte Beamte, die uns mit Füßen treten, unser Blut aussaugen und uns alle ihre erschrecklichen Sünden aufbürden und entgelten lassen. - Die Blutigel heißen Leiningen, Vieregg, Hertling, Lippert, Dietrich, Schneider und Tattenbach. - Ja, o Herr, sogar ein spitzbübischer Fremdling, ein Rumford, erfrecht sich, unsere Ketten noch enger zu schmieden. Sie mißbrauchen dein heiliges Wort zu unserem Verderben, sie wollen dein göttliches Ebenbild in uns fertigen, indem sie uns den Gebrauch der Vernunft versagen; sie lästern dich unaufhörlich, indem sie sich deines allerchristlichen Namens zum Vorwand ihrer höllischen Schandtaten bedienen und sich deine Stellvertreter nennen, wenn sie uns unterdrücken, schinden und auf die Schlachtbank führen. Die Welt, das Werk deiner Allmacht, ist so schön 81

Grill, Irene Maria Regis. Coelestin Steiglehner, letzter Fürstabt von St. Emmeram zu Regensburg. München 1937, S. 68.

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und ordnungsmäßig, deine Herrschaft so leicht und gerecht für alles, was ist und lebt, und wir sind noch die nämlichen Menschen, die du erschaffen, erlöst und erhalten hast, aber die ausgearteten Kinder der Finsternis, das Natterngezücht der Fürsten, der Adligen und der arglistigen Priester haben deine ganze Schöpfung verstellt und verunstaltet. Du weißt ja, o Gott, daß es ein König war, der deinen Sohn und unseren Heiland Jesus Christus mit dem Grimm eines Wüterichs zu Bethlehem verfolgte, du weißt, daß es nur Vornehme und Priester waren, die ihn zum schmählichsten Kreuztod verdammten, und daß er nur unter den gemeinen Menschen würdige Jünger, Freunde und Nachfolger gefunden hat. Dennoch sind jene ruchlosen Christusfeinde auch jetzt noch im Besitz unserer Rechte und unseres Eigentums. Sie schwelgen von unserem Schweiß und stolzieren mit unserer Stärke. Sie haben sich gleich einer gewaltigen Mauer zwischen dir und uns aufgetürmt, damit kein Strahl von deiner väterlichen Milde zu uns gelangen möge. Darum vernichte sie und erlöse uns von dem Joch der Fürsten, des Adels und arger Priester, die dich und uns verhöhnen. Segne, o Herr der Heerscharen, segne die Waffen des Frankenvolks, das der Hauch deiner Barmherzigkeit erweckt hat, um die zweite Erlösung des Menschengeschlechts an Bayern und der ganzen Menschheit zu vollbringen, sende deine Würgeengel vor ihnein Fahnen her, damit er den ruchlosen Stamm der Tyrannen von der Welt vertilge und auch ihre Bundesgenossen für ihre Verwegenheit strafe, stärke die edlen Kämpfer für unsere Rechte und Würden, die Franken, so du zu unserer Befreiung auserwählt hast, kröne sie mit Sieg und züchtige ihre und unsere Feinde, die auch deine Feinde sind, mit dreifachen ägyptischen Strafen, damit das Werk der Erlösung noch einmal vollbracht werde; gleichwie es schon einmal vollbracht wurde durch: Jesum Christum, unseren Herrn, Amen." 82 Solche Zeugnisse revolutionärer Gesinnung fanden sich nicht nur in der Haupstadt. Unter den Studenten der Universität in Ingolstadt gab es begeisterte Anhänger der französischen Prinzipien; sie sangen das erstmalig in Mainz 1793 veröffentlichte »Trinklied für Freiheitssöhne", eine Umdichtung des „Trinkliedes" von Matthias Claudius: .Umhängt mit Flor den umgestürzten Becher Und trauert um ihn her; Denn auf Europia, ihr Brüder Zecher, Liegt Despotismus schwer . . . Nach Deutschland will ich wohl noch keinem raten. Der aus nach Freiheit geht; Da gibt's nur Durchlaucht, Exzellenz und Gnaden, Auch etwas Majestät. Vom Rhein, vom Rhein, da rufen edle Brüder: Die Freiheit lebet noch! 82

Bayerische Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Rheinwaldiana Nr. 8, Stück 19, S. 42/43.

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Herab den Flor, und füllt die Becher wieder! Sie lebe lang und hoch) Und trinkt ihn aus, und lasset allerwegen Der Freiheit Fahnen wehn! Und jauchzt den Franken brüderlich entgegen: So wird, so mufj es gehn!" 8 3 Wenn einige der Studenten in einem nahen Dorf den Bauern halfen, zwei brennende Höfe zu löschen, und ihnen dabei eine Lektion über die Gleichheit hielten 84 , so zeugt diese Handlungsweise, selbst wenn jede Wirkung ausgeblieben wäre, für die Einsicht in die Notwendigkeit, das Bündnis mit der Bauernschaft zu suchen, und damit für einen beachtlichen Grad der ideologischen Reife. Dag solche Vorstellungen bei den Bauern auf keinen unfruchtbaren Boden fielen, beweist der Ausbruch des Bauern Huber zu Aich, der in einer Schenke zu Mosburg mit dem Gerichtsprokurator Steinberger in Streit geriet und ihm zurief: »Wenn du (den Steinberger meinend) und dein Graf Geld brauchen, so lagt halt eine Steuer einsagen. Wenn nur die Franzosen kommeten! Man mug halt auch's so machen, wie die Franzosen gemacht haben."85 Der Zensur zum Hohn wurden auf den Märkten Kupferstiche verkauft, die die Hinrichtung Ludwigs XVI. oder einzelne Helden der Französischen Revolution darstellten. Jakobinerlieder fanden im Volke Eingang.86 Gerade im Hinblick auf eine wirksame Propaganda unter den breiten Massen war auch die Tatsache von groger Bedeutung, dag sich Teile der niederen Geistlichkeit für die revolutionäre Ideologie durchaus empfänglich zeigten. Umfangreiche Untersuchungsakten über Vorkommnisse im Gebiet des Rentamts Burghausen bestätigen es, und da dieser östlichste Winkel Bayerns keineswegs revolutionären Einflüssen in besonderem Maße ausgesetzt war, sondern eher umgekehrt, so spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, dag es anderswo ähnlich aussah. Nach den Angaben eines Verhörsprotokolls vom 9. April 1794 weigerte sich der Pfarrvikar zu Köstlarn, Pater Marian Andlinger, die oratio pro bello während des Gottesdienstes zu beten: .Wir beten es nicht, was geht der Krieg uns an!" Auf Vorhaltungen eines Kollegen, dag die Revolutionsheere schweres Leid über viele geistliche Fürsten, insbesondere über Kurmainz, gebracht hätten, antwortete Andlinger: »Was haben sich die Schwanzpfaffen dareinzumischen; hätten sie sich nicht eingemengt! Jetzt nun können sie es selbst ausfechten, und bis da herein kommen die Franzosen nicht." Er wurde nach Rottalmünster strafversetzt, weil er die Bauern von einer Wallfahrt nach Köstlarn abgehalten hatte. Aber auch hier setzte er die Propaganda revolutionärer Anschauungen fort. Vor Gästen, die er an seine Tafel geladen hatte, äugerte er sinngemäg: »Die Untertanen insgesamt sind allzeit über ihren Souveränen, so zwar, dag sie berechtigt seien, Höchstdieselbe, wenn sie fehlten, zu ermahnen, zu züchtigen 83

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Maetmer, Ludwig, a. a. O., S. 171. Sauet, Eberhard, Die Französische Revolution von 1789 in zeitgenössischen deutschen Flugschriften und Dichtungen. In: Forschungen zur neueren Literaturgeschichte. Herausgegeben von Franz Muncker. Weimar 1913, Bd. 44, S. 42/43. Maenner, Ludwig, a. a. O., S. 156. HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 930, Nr. 18. Maetmer, Ludwig, a. a. O., S. 157.

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1. Das Kurfürstentum Bayern

und wohl gar nach Umständen der Sache ihnen das Leben zu nehmen, wie es die Franken ihrem König getan hatten." Indem er einzelne Einwände beantwortete, steigerte er sich schließlich zu der Erklärung, »daß sich diese Vollmacht auch auf die bayerischen Untertanen über das Leben ihres Landesfürsten erstrecke".87 In Altötting gab es unter den Priestern des Malteserkollegiums überzeugte Anhänger der Französischen Revolution. Eine Haussuchung beim Priester Denkler förderte Schriften von Hus, Kalvin und Hieronymus von Prag zutage. 88 Daß er mit der französischen Revolutionsliteratur vertraut war, vermochte er ebensowenig abzustreiten wie sein Kollege, der Priester Forster, bei dem man unter anderem die folgenden Bücher konfiszierte: Konstitutionsurkunde der Franken 1793, Geist der französischen Konstitution von Collot d'Herbois und zwei gedruckte Reden des Eulogius Schneider.89 Schneiders Reden waren in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, denn er hatte dem niederen deutschen Klerus ein mutiges Beispiel gegeben. Aus dem Franziskanermönch, der vor der Revolution in Augsburg und Stuttgart gewirkt hatte, war der jakobinische Publizist und öffentliche Ankläger beim peinlichen Tribunal in Straßburg geworden, der seiner geistlichen Würde abschwor. Die Priester Denkler und Forster waren, wenn auch auf einer ungleich niedrigeren Stufe, ebenfalls Propagandisten der Ideen der Französischen Revolution. Beide unterhielten enge Beziehungen zu einer Gruppe oppositioneller Bürger in Neuötting, die regelmäßig in den Wirtschaften der Brauer Pallauf und Schmall zusammenkamen. Zu dieser Gruppe gehörten neben den Genannten solche angesehenen Bürger wie der Kaufmann Gardier und der Stricker Leuterer, die beide die Funktionen von Ratsfreunden innehatten, weiterhin einige Handwerksmeister, ein Prokurist, ein Kapellmusikus, ein Verwalter vom Malteserkollegium und andere. 90 Nach dem Vernehmungsprotokoll des Denunzianten Kölbl vom 12. April 1794 hatte der Priester Denkler geäußert: »Ich mag keine Pfaffen; ich schäme mich, wenn ich einen sehe, denn ich muß es aufrichtig gestehen, daß wir Leutebetrüger seien." Vom Priester Forster sagte der Schreiber Kölbl aus, daß er die Hinrichtung Ludwigs XVI. mit den Worten kommentiert habe: »Was ist's hernach, wenn sie ihn umgebracht; haben sie halt um einen Esel weniger!" Denkler soll dieser Äußerung laut lachend Beifall gezollt haben. Bei anderer Gelegenheit erklärte Forster: »Die Franzosen haben recht, ihre Sache ist gut und billig für die Untertanen." Beide Priester scheuten auch nicht vor direkter und grundsätzlicher Kritik der bayerischen Verhältnisse zurück. So stellte Forster fest, das bayerische Gesetzbuch »sei dumm und einfältig und nur für Pfaffen und Adel gemacht", während Denkler sich sogar bis zu der Äußerung steigerte: »Ich respektier keinen kurfürstlichen Befehl." Dabei waren Forster und Denkler offensichtlich keineswegs die einzigen Geistlichen in Altötting, die revolutionären Ideen anhingen, denn auch dem Priester Koller wurde vorgeworfen, die Hinrichtung Ludwigs XVI. verteidigt und alle Fürsten als »Hurenjakln und Hurenkerle" bezeichnet zu haben. 91 87 88 88

HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 928, Nr. 9. Ebenda. Ebenda, Fase. 931, Nr. 41. Ebenda, Fase. 928, Nr. 9; Fase. 931, Nr. 41.

91

Ebenda, Fase. 928, Nr. 9.

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Diese Geistlichen spielten als die Gebildeten eine führende Rolle in der Gruppe der Oppositionellen. Den meisten anderen konnte auger ihrer Beteiligung an den Zusammenkünften nichts Belastendes vorgeworfen werden. Nur die beiden Wirte Pallauf und Schmall hatten sich stark exponiert. Bei Pallauf hatte man viele verbotene Bücher gefunden, und außerdem stand er im Verdacht, über anderthalb Jahre lang „einen sehr gefährlichen Menschen" beherbergt zu haben. Den Schmall belasteten die Äußerungen: „Patriotisch muß man denken, Pfaffen und Adel muß man ausrotten, Leibgerechtigkeiten und so weiter abschaffen." „Es hat vor älteren Zeiten keine gegeben; es soll alles Eigentum werden." Außerdem hatte er nachweislich seine jakobinische Gesinnung unter die Bauersleute zu tragen gesucht. Als einmal sechs Bauern aus Klebing nach Neuötting kamen, um ihre Getreideabgaben in das herrschaftliche Stadl zu liefern, und beim Schmall Einkehr hielten, redete er auf sie ein: „Ihr seid Narren! Wenn wir französisch wären, so dürften wir nichts geben; ihr Leute seid nicht gescheit, wenn ihr den Herrschaften etwas gebt." 9 2 Es war für die Behörden nicht leicht, wirksame Mittel gegen diesen Geist des Aufruhrs zu finden. Er hatte in den kleinen Städten insbesondere bei den bürgerlichen Schichten Fuß gefaßt, die auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihres Wohlstandes als Geistliche, Ratsfreunde, Kaufleute, Meister und Wirte Ansehen genossen und demzufolge auf die übrigen Einwohner großen Einfluß besaßen. Der Regierungsrat beim Rentamt Burghausen, Joseph Edler von Mussinan, hatte als Regierungskommissar der Ratswahl in Neuötting beigewohnt und schrieb am 7. März 1794 voll Sorge: „Ich zweifle, ob Eure Kurfürstliche Durchlaucht eine Stadtgemeinde an Lauigkeit im Christentum habe wie diese; ich trage Bedenken, ob ein Ort ist, wo mehr Freiheitssinn als in diesem herrscht; ich habe keinen Anstand, es auf Auffordern des Magistrats zu behaupten, daß die Bürger weder Gehorsam kennen, minder sich der Ordnung unterwerfen wollen." 9 3 Die Vorstellung, die dieser Bericht erwecken mag, daß Neuötting ein besonders extremes Beispiel von Aufsässigkeit darstellte, ist irrig. Derselbe Edle von Mussinan hatte zwei Tage zuvor in seiner Eigenschaft als Ratswahlkommissar einen Bericht über Krayburg geschrieben, der in mancher Hinsicht noch alarmierender war. Hier hatte der vermögende Bürger und Bäcker Johann Siegmund Lang eine sehr tatkräftige Oppositionsgruppe um sich versammelt: „Er lästerte auf Bierbänken ungescheut über Religion und Papsttum mit solchen Ausdrücken, die ich der Niederträchtigkeit wegen verschweigen will; las entgegen französische Piecen vor, zeigte seinen Saufbrüdern das Licht, welches nach seiner Behauptung er wünscht die Franzosen einmal anzünden. Was konnte anders erfolgen, als daß er von Seiten des Gerichts zum Soldaten abgegeben wurde. Kaum geschah das, so liefen dreißig Bürger und Gesellen im Markte herum, setzten nach ihrem Sinne den Kammerer ab und wollten alle in das Haus des Gerichtsbeamten, der es ihnen verschloß, hinein." 9 4 92 93 94

Ebenda. Ebenda. Ebenda.

1. Das Kurfürstentum Bayern

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Diese Meldungen beunruhigten die Herrschenden im höchsten Grade, so daß ein kurfürstliches Reskript vom 29. März 1794 Mussinan beauftragte und bevollmächtigte, diesen Erscheinungen in geheimen Untersuchungen nachzuspüren. Das Reskript sprach davon, „daß in verschiedenen Orten dero Kurlande ein unerlaubter und zum Teile höchst strafbarer Freiheitssinn, die ärgerliche Sittenlosigkeit sowohl bei einigen geistlich- als weltlichen Personen, Veracht- und Verspottung der Religion und überhaupt die heutige Afterphilosophie Wurzel gefaßt habe und, wenn nicht dagegen ungesäumt die wirksamsten Ausrottungsmittel vorgekehrt werden sollten, jene greulichen Übel noch mehr und schneller um sich greifen würden." 95 Mussinan führte die Untersuchungen mit Umständlichkeit und Gründlichkeit durch. Er trug umfangreiches Material gegen Andlinger, Denkler, Forster, Pallauf und Schmall zusammen. Er übersah auch nicht die schwer zu entziffernden Verse, die von fremder Hand mit Bleistift auf den Rand eines der beschlagnahmten Briefe des Bäckers Lang geschrieben waren: »Krön und Zepter, gute Nacht! Ihr werdet allgemein verlacht. Weil Freiheit der Fürstenpracht In diesen Zeiten den Garaus macht." 96 Dennoch war Mussinan mit den Ergebnissen seiner Schnüffelei gar nicht zufrieden. Und er hatte allen Grund dazu. Die Untersuchung verfolgte ja keinen Selbstzweck, sondern sollte das Mittel sein, den Geist der Opposition vernichtend zu treffen. Die Wirkung war eher umgekehrt. Wenn auch die unmittelbar Betroffenen vorsichtig wurden, sich anpaßten und durch Ergebenheitserklärungen den Ausgang der Untersuchung zu beeinflussen trachteten, so war andererseits für die Allgemeinheit die Tatsache der Einsetzung eines Untersuchungskommissars nur geeignet, die oppositionelle Stimmung noch zu verschärfen. Bitter beklagte sich Mussinan in seinem Bericht vom 29. Juli 1794: „Nicht einmal, sagte ich, vielmal geschah es, daß man über dieses Beginnen höhnte, spottete und mich mit Verachtung ansah, daß ich nun beinahe alles zu Feinden habe, die mich umgeben, wo ich ehevor keine wüßte, wenigstens sie nicht so fühlbar kannte, daß sogar an hundert Orten in München tausend Menschen sich erzählten, daß ich als ein Corpus Delicti die Gebeine von dem an Fasttagen gegessenen Fleisch an Eure Kurfürstliche Durchlaucht eingesandt hätte, wo man hier in Neu- und Altötting mancherlei besondere Stücke, die in das Verächtliche fallen, wider die Kommission herumtrug und den Commissair nichts weniger als verschont ließ. Es können ja diese Erdichtungen aus keiner anderen Ursache entspringen, als ja dem Ganzen eine so lächerliche Gestalt zu geben, es so zu erniedrigen, daß die Schuldigen durchschlüpfen und sich das Ganze, wenn es lächerlich gemacht, von selbst verlieren soll." 97 Eine solche Gegenpropaganda hatte offensichtlich Erfolg, denn die Urteile, die am 23. Dezember 1794 in der 95 90 97

Ebenda. Ebenda, Fase. 930, Nr. 34. Ebenda.

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Geheimen Deputation gesprochen wurden, fielen erstaunlich milde aus : Forster und Denkler erhielten einen bloßen Verweis; der über sie während der Untersuchung verhängte Zimmerarrest wurde als Strafe angerechnet. Pallauf und Schmall kamen mit drei Tagen Bürgerarrest davon, hatten aber außerdem die gesamten Untersuchungskosten in Höhe von 439 Gulden 30 Kreuzer zu tragen.98 Bei anderen Gelegenheiten wiederum wurden ausgesprochen brutale exemplarische Strafen verhängt, so im Falle eines Gastwirts von Deggendorf. Der sächsische Geschäftsträger am Münchener Hofe berichtete am 5. Oktober 1794 darüber: »Nachdem die Dreistigkeit, über das Zeitgeschehen zu räsonnieren, zu sehr tadelnswerten Ausschweifungen geführt hat, nicht nur in Privathäusern, sondern auch in den Wirtshäusern und Cafés, hat man geglaubt, sie unterdrücken zu müssen und ein Exempel zu statuieren. Ein Gastwirt, der sich bis zu Angriffen auf den König von Frankreich und mehrere andere Souveräne vergessen hatte, ohne seinen eigenen zu schonen, und sich diesbezüglich die empörendsten Äußerungen in Gegenwart mehrerer Personen erlaubte, die gegen ihn ausgesagt haben, ist zum Pranger und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden." 9 9 Wie aus dem nächsten Bericht vom 9. Oktober hervorgeht, mußte leichte Reiterei die Zurschaustellung des Wirtes sichern, um Proteste der Bevölkerung zu verhindern.100 Ein weiterer Bericht vom 26. Oktober bestätigt indirekt, daß solche Maßnahmen keine nennenswerten Erfolge hatten, denn der Hof wurde trotzdem „von allen Seiten durch skandalöse Flugschriften angegriffen, in denen man gegen verschiedene Zweige der Staatsverwaltung wütete." 1 0 1 Der sächsische Geschäftsträger räumte ein, daß ein großer Teil der Kritiken gut fundiert war. Gründe genug zu massiver Unzufriedenheit gab es allenthalben, also gab es auch überall der bestehenden Ordnung gefährliche Äußerungen dieser Unzufriedenheit. Die Bürgerschaft von Ingolstadt erhob 1795 laute Klagen gegen den Magistrat. 102 Die Bürger Ambergs bekämpften hartnäckig die bestehende Ratswahlvorschrift, die ihnen keine Einflußmöglichkeit einräumte.103 In Reichenhall protestierte die Bürgerschaft gegen die »widerrechtlichen Bedrückungen und Gelderpressungen" durch den Magistrat. 104 Nach Donauwörth schickte die Regierung am 19. August 1795 9S Ebenda, Fase. 928, Nr. 11. " La licence de raisonner sur les affaires du temps ayant été portée à des excès très blamables, non seulement dans des maisons particulières, mais aussi dans les auberges et les cafés, on a cru devoir la réprimer et statuer un exemple. Un aubergiste s'étant oublié jusqu'aux attaques sur le Roi de France et plusieurs autres souverains, sans menager le sien, et à se permettre à leur sujet les propos les plus révoltants, en présence de plusieurs personnes qui ont déposé contre lui, il a été condamné à être exposé sur un échaffaud et à être enfermé pendant dix ans dans la maison de correction." LHA Dresden, Loc. 3468, Minutes des dépêches à S. E. Mr. le Comte de Loss, 1794, Anhang, Nr. 1677. 1 0 0 Ebenda, Nr. 1678. 101 . . . . la Cour d'ici est exposée au désagrément d'être attaquée de tous cotés par des brochures scandaleuses, dans lesquelles on se déchaîne contre différentes branches de son administration publique." Ebenda, Nr. 1683. 102 HSA München, Abt. I, Ministerium des Innern, Nr. 26410. 1 0 3 Ebenda, Nr. 25651. 1 0 1 Ebenda, Nr. 26840.

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Untersuchungskommissare mit dem Auftrag, »den vorgekommenen Winkelzusammenkünften . . . der Jakobiner auf den Grund zu sehen und uns berichtliche Anzeige hierüber zu erstatten." 105 Hier hatte sich eine oppositionelle Gruppe unter Führung des Krämers Deiringer gegen die Stadtverwaltung zusammengetan. Da der Magistrat schriftlichen Vorstellungen gegenüber taub blieb, „so nahm Deiringer seine Zuflucht zu Tätlichkeiten; er stiftete tumultuarische Auftritte auf dem Rathaus, wobei es dann auch Mißhandlungen gegen Ratsglieder absetzte." 106 In allen diesen Fällen wagte die Regierung nicht, rigoros einzuschreiten, sondern bezog mehr die Linie der Vermittlung und Beruhigung. Verschiedentlich war sie sogar zu sehr weitgehenden Zugeständnissen gezwungen. Die im Juli 1795 vom Kurfürsten verfügte Absetzung der Landshuter Regierung, vom Präsidenten Baron von Dachsberg bis zum letzten Mitgliede hinunter, war ein sichtbarer Rückzug der Staatsgewalt vor der anwachsenden Gärung im Volke. »Seit einer Reihe von Jahren", so schrieb am 19. Juli 1795 der preußische Legationssekretär Schulz aus München nach Berlin, „war die Regierung von Landshut durch unbillige Verfahrensweise, die man nicht ohne Schaudern anhören kann, Gegenstand allgemeiner Klagen in ganz Bayern und der bittersten Beschwerden geworden, die an die Person des Landesherrn herangetragen wurden, ohne daß es jemals möglich gewesen war, eine wirkliche Prüfung der erhobenen Beschwerden gegen ein Kollegium zustande zu bringen, dessen Häupter mächtige Beschützer am Hofe besaßen." 107 Wenn nun schließlich doch eingegriffen werden mußte, so hatten daran den entscheidenden Anteil die »von Tag zu Tag sich ständig vervielfachenden und dringenderen Beschwerden eines beträchtlichen Bezirks, der bereit war, im Falle fortgesetzter Weigerung jede Art von Ausschreitungen zu begehen,..." 1 0 8 Um die feudale Ordnung insgesamt vor schweren Erschütterungen zu bewahren, mußte jene Handvoll ihrer Repräsentanten geopfert werden, obwohl sich ihre Verbrechen nicht prinzipiell, sondern nur gradmäßig von den allgemein in der bayerischen Staatsverwaltung üblichen unterschieden. Das kurfürstliche Kassationsreskript sprach von ungerechten Todesurteilen, ungesetzlicher Anwendung der Folter, Korruption, Erpressung, Aktenfälschung usw. 109 Gleichsam um ein Gegengewicht zu schaffen, das den Eindruck des Zurückweichens der Regierung wieder aufhob, führte sie um dieselbe Zeit mit einigem Lärm einen Schlag gegen angebliche Illuminaten, die Anzeigen zufolge eifrig an der Wiederherstellung des Ordens arbeiten sollten. Die Furcht vor solchen Geheimbünden 105 106 107

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Ebenda, Nr. 26130. Ebenda, Nr. 26131. ,11 y a nombre d'années que la Régence de Landshut par des procédures et iniquités dont le récit seul fait frémir était devenue l'objet des cris universels dans toute la Bavière et des plaintes les plus amères, portées à la personne du Souverain sans que jamais il eût été possible d'effectuer un examen solide des griefs élevés contre un collège dont les chefs avaient de puissants protecteurs à la Cour." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33 Bayern, Fase. 141, Bl. 177. »... réclamations de jour en jour plus multipliées et pressantes d'un district considérable prêt à se livrer à toute sorte d'excès en cas de refus plus prolongé, . . . " Ebenda, Bl. 178. Ebenda.

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war derart ausgeprägt, daß bis ins 19. Jahrhundert hinein von jedem Beamten vor seinem Amtsantritt der Illuminateneid verlangt wurde, worin er beschwor, keinerlei Bindungen zu diesem Orden zu besitzen. Der rationelle Kern dieser zweifellos übertriebenen Furcht bestand darin, daß der Illuminatismus damals vor allem unter Bürgerlichen und liberalisierten Adligen innerhalb der Beamtenschaft seine Anhänger gefunden hatte. Angesichts der zunehmenden Gärung im Volke aber waren Aufweichungserscheinungen im Staatsapparat, diesem wichtigsten Unterdrückungsinstrument oppositioneller Regungen, für die bestehende Ordnung besonders gefährlich. Die Gruppe, die im Sommer 1795 in und um Landshut unter diesem Verdacht verhaftet wurde, rekrutierte sich aus diesen Kreisen. Zu ihr zählte der Baron von Lerchenfeld-Aham, der kurfürstliche Kämmerer Freiherr von Berchem, ein Freiherr von Schleich, der kurfürstliche Rat und Syndikus der Stadt Landshut, Wieland, der pfalzgräflich^birkenfeldische Hofrat Hard, dann noch der Kammerschreiber des Lerchenfeld, Urfahrer, und ein Kaufmann Koidl. 110 Lerchenfeld, auf dessen Sitz zu Aham man das Originaldiplom seiner Aufnahme in die Freimaurerloge zu Frankfurt gefunden hatte, erhielt eine exemplarische Strafe von sechs Jahren Festungsarrest, der durch Reskript vom 12. September 1795 in einen Schloßarrest zu Trausnitz gemildert wurde.111 Die übrigen kamen mit geringeren Strafen davon, zumal die Öffentlichkeit in der Form für sie Partei ergriff, daß sie die Anklage auf Motive der persönlichen Rache und Intrige zurückführte.112 Wieland verlor seine Titel und Funktionen und hatte innerhalb einer bestimmten Frist den Aufenthaltsort zu wechseln; Freiherr von Berchem mußte für einen Monat nach Trausnitz in Schloßarrest; dem Urfahrer brachte „sein geäußerter revolutionärer Freiheitssinn" einen Verweis und acht Tage Arrest bei Wasser und Brot ein; Koidl ging ebenfalls in Bürgerarrest und wurde bei nochmaligem „Verbrüderungsverdacht" mit schärferer Strafe bedroht; die übrigen erhielten bloße Verwarnungen.113 Die genannten Beispiele zeugen eindeutig von der zunehmenden allgemeinen Gärung im ganzen Lande. Der Klassenkampf verschärfte sich. In der Hauptstadt München verdichtete er sich zu Aktionen, die sowohl in ihrem Ausmaß als auch in ihrer Intensität und Häufigkeit hervorragen und darum besondere Beachtung verdienen. Oft gab ein unbedeutender Vorfall den Massen Anlaß, ihrer Opposition sichtbaren Ausdruck zu verleihen. So war Anfang September 1794 ein Böttchergeselle, der im Englischen Garten zu München mehrere Bäumchen beschädigt hatte, zur Strafe des Prangers verurteilt worden. „Dieses Schauspiel rief einen außerordentlichen Volksauflauf hervor, der sich alle möglichen Äußerungen gegen die Regierung und im besonderen gegen den Grafen Rumford (Direktor des Englischen Gartens - H. S.) erlaubte, den er für das Unglück dieses jungen Mannes verantwortlich machte. So war man gezwungen, die Zeit abzukürzen, die er dem Anblick 110 1,1 112 113

HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 927, Nr. 6, Konvolut 3. Ebenda, Konvolut 2. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33 Bayern, Fase. 141, Bl. 178. HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R„ Fase. 927, Nr. 6, Konvolut 2.

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der Öffentlichkeit ausgesetzt sein sollte." Ende November führte die Entlassung eines Schlossergesellen, der die Arbeit an einem Montag verweigert hatte, zu Bewegungen seiner Zunftgenossen. Wenn der sächsische Geschäftsträger Beigel am 30. November noch glaubte, daß die Verhaftung der Rädelsführer die Ruhe gesichert hätte 115 , so mußte er am 18. Dezember umgekehrt feststellen, daß sie der Obrigkeit beinahe teuer zu stehen gekommen wäre. Die Gesellen von 34 Zünften hatten auf einen Schlag ihre Werkstätten verlassen und waren auf die Straße gegangen, die Freilassung ihrer zu Gefängnis und Militärdienst Verurteilten Kameraden fordernd. Die Drohung mit dem allerhöchsten Unwillen Serenissimi machte keinerlei Eindruck. Am folgenden Tage schloß sich die Mehrheit der übrigen Zünfte dem Ausstand an. Schließlich verweigerten sogar die Bäcker und Fleischer die Arbeit, so daß die Versorgung der Stadt unmittelbar bedroht war. Dabei bewahrten die 4000 bis 5000 Streikenden eine bewundernswerte Disziplin: Sie verboten, sich zu bewaffnen und sich in den Wirtshäusern zu betrinken. Gerade diese ruhige Entschlossenheit, die weitergehende Pläne vermuten ließ, erschien der Regierung besonders gefährlich. Sie wagte nicht, Gewalt anzuwenden, und kapitulierte bedingungslos vor den Gesellen. »Man versichert, daß der wahre Beweggrund, der die Haltung der Regierung in dieser Angelegenheit bestimmte, die Furcht vor den schlechten Gesinnungen des Militärs und der Bürgerschaft war, die das Übel verschlimmern konnten, wenn die Dinge bis zum Äußersten getrieben worden wären." 116 Um das Gesicht zu wahren, verurteilte die Regierung den Magistrat unter dem Vorwand, voreilig die Strafen verhängt zu haben, zur Zahlung des Lösegeldes für die Schlossergesellen, die zum Militär gesteckt worden waren. 117 Im Frühjahr 1795 kündigte sich in der Residenz bereits wieder ein neuer Ausbruch der allgemeinen Unzufriedenheit an, der diesmal nicht nur von den Gesellen, sondern von der gesamten Einwohnerschaft getragen wurde. Die freie Ausfuhr insbesondere von Getreide hatten Aufkäufer, die die verbündeten Armeen versorgten oder zum Teil auch über die Schweiz mit Frankreich Handel trieben, in einem Maße ausgenutzt, daß das Angebot auf dem Münchener Markt sank, die Preise stiegen und die Bedürfnisse der Einwohner nicht mehr befriedigt werden konnten. Da alle Vorstellungen bei Baron von Stengel, dem für die Finanzen Verantwortlichen im Geheimen Rat, dem Mangel und der Teuerung zu begegnen, wirkungslos blieben, begab sich am 12. März eine gemischte Deputation des Münchener Magistrats und 114

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»Ce spectacle attira un concours de peuple extraordinaire, lequel se permit toutes sortes de propos contre le gouvernement et en particulier contre le Comte de Rumford, auquel il attribuait le malheur de ce jeune homme. On fut ainsi obligé d'abréger le temps auquel il devait être exposé à la vue du public." LHA Dresden, Loc. 3468, Minutes des dépêches à S. E. Mr. le Comte de Loss, 1794, Anhang, Nr. 1668. LHA Dresden, Loc. 3468, Dépêches du chargé d'affaires Beigel adressées à S. E. Mr. le Comte de Loss, 1794/95, Bl. 28. .On assure que le vrai motif, qui avait déterminé la conduite du gouvernement dans cette affaire, était la crainte des mauvaises dispositions du militaire et de la bourgeoisie qui auraient pu empirer le mal, si les choses avaient été portées aux dernières extrémités.* Ebenda, Bl. 48. Ebenda.

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der Bürgerschaft direkt zum Kurfürsten. 118 Nach Beigeis Bericht ging ihre Absicht dahin, »ihm die Beschaffenheit ihrer Beschwerden vorzustellen und ihn zu bitten, das Ohr nicht den schlechten Ratschlägen seiner Minister zu leihen, die aus Ehrgeiz und Eigennutz nicht aufhören würden, das Volk zu tyrannisieren und die guten Absichten zu durchkreuzen, die Seine Kurfürstliche Durchlaucht für das Glück ihrer Untertanen haben könnte. Der Kurfürst war von diesem kühnen Schritt der Bürgerschaft merklich betroffen und noch mehr, als er erfuhr, daß man in der folgenden Nacht an mehreren Stellen der Stadt aufrührerische Zettel angeheftet hatte, die offen zur Empörung aufforderten und in denen man den Baron von Stengel an den Galgen wünschte.* 119 Tagelange Ministerkonferenzen berieten die Situation. Der preußische Legationssekretär rechnete mit einem Ergebnis, »das aller Wahrscheinlichkeit nach die Einführung eines Mittelweges zwischen dem absoluten Verbot der Getreideausfuhr und dem, was bisher praktiziert wird, zu sein scheint." 120 In den Beratungen jedoch setzte sich die Auffassung des Barons von Stengel durch, der jede Beschränkung der freien Getreideausfuhr, die dem Landesherrn wenigstens 200 000 Gulden im Jahr einbrachte, ablehnte. Nach Beigeis Bericht «berief er sich besonders auf die Notwendigkeit, in der man sich befand, ein Beispiel der Festigkeit zu geben nach dem der Mäßigung, die der Hof bei Gelegenheit der durch den Starrsinn der Handwerksgesellen im letzten Dezember hervorgerufenen Unruhen gezeigt h a t t e , . . 1 2 1 Mit dem Datum vom 16. März 1795 erschien eine .Höchst Landesherrliche Verordnung", die die geforderte Getreidesperre entschieden verweigerte. 122 Diese Unnachgiebigkeit verbitterte; Gerüchte gingen um, daß die Regierung eine Herabsetzung der Löhne anstrebte und sogar gesetzlich bestimmen wollte, »was und wie viel und oft die Einwohner essen und trinken sollten".123 Nur für einige Monate gelang es den Behörden, einen Ausbruch des allgemeinen Unwillens zu verhindern. Als dann aber nach einer reichen Ernte Mangel und Teuerung weiter anhielten, schritten die Münchener im September 1795 zur offenen 118 119

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DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33 Bayern, Fase. 143, Bl. 21. . . pour lui présenter l'état de ses griefs et le supplier de ne pas prêter l'oreille aux mauvais conseils de ses ministres, qui par des vues d'ambition et d'intérêt ne cessaient de tyranniser le peuple et de contrarier les bonnes intentions que S. A. S. E. pourrait avoir pour le bonheur de ses sujets. L'électeur fut sensiblement frappé de cette démarche de la bourgeoisie, et plus encore lorsqu'il apprit, qu'on avait affiché la nuit suivante dans plusieurs endroits de la ville des écrits séditieux qui invitaient ouvertement à la révolte et dans lesquels on dévouait le B. de Stengel à là potence." LHA Dresden, Loe. 3468, Dépêches du chargé d'affaires Beigel adressées à S. E. Mr. le Comte de Loss, 1794/95, Bl. 90. . . . . qui d'après toute probabilité paraît être rétablissement d'un moyen terme entre la défense absolue de la sortie des grains et ce qui s'est pratiqué jusque-là." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33 Bayern, Fase. 141, Bl. 76. .Mr. de Stengel... s'appuya particulièrement sur la nécessité où l'on était de donner un exemple de fermeté après celui de modération, que la Cour avait donné à l'occasion des troubles exités par la mutinerie des garçons de métier au mois de Décembre dernier,.. LHA Dresden, Loe. 3468, Dépêches du chargé d'affaires Beigel adressées à S. E. Mr. le Comte de Loss, 1794/95, Bl. 95. Ebenda, Bl. 91-94. .Deutsche Zeitung", Jahrg. 1795, 19. Stück, Sp. 306.

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Empörung, vor der die Staatsgewalt kapitulieren mußte. Der Aufruhr war nicht wie viele vorangegangene nur eine Angelegenheit der Gesellen, die meist kein Bürgerrecht besaßen, sondern erfaßte die gesamte Einwohnerschaft, die eingesessenen Bürger eingeschlossen. Darüber hinaus setzte er seine Ziele in einer Form durch, daß selbst die höchsten Repräsentanten des Staates dem unmittelbaren Druck der Volksmassen ausgesetzt wurden. Mehrfach schon war die Menge vor das Rathaus gezogen, ohne den Magistrat anzutreffen, der jedesmal schleunigst das Weite gesucht hatte. 124 Der sächsische Gesandte Graf Goertz schilderte den weiteren Verlauf in einem Bericht vom 24. September folgendermaßen: »Nachdem sich ein Teil derselben (der Menge - H. S.) gestern nachmittag auf dem Rathause versammelt, zogen sie, einige Hundert an der Zahl, zu dem Geheimen Kanzler Freiherrn von Hertling, verlangten von ihm, noch den nämlichen Abend dem Kurfürsten ihre Bitten und Beschwerden vorzustellen. Es war vergebens, Vorstellungen bei diesen Menschen Eingang zu verschaffen. Der Geheime Kanzler und der Landesregierungsvizepräsident Freiherr von Weichs waren genötigt, mit ihnen nach Hofe zu gehen. Seine Kurfürstliche Durchlaucht, welche eben ihren Sommeraufenthalt verlassen und dem Schauspiele beiwohnten, verließen dasselbe und erteilten einer Deputation des Rats und der Bürgerschaft eine Audienz, worinnen sie dieselben sich ruhig zu betragen befahlen, zugleich aber auch äußerten, es werde eine Kommission niedergesetzt werden, welche ihre Beschwerden untersuchen und, falls sie gegründet wären, ihnen abhelfen würde." 1 2 5 Der wartenden Menge vor dem Schloß wurde von einem Balkon aus das Ergebnis mitgeteilt.126 Die Massen schafften vollendete Tatsachen und verhinderten, daß die Regierung es bei leeren Versprechungen bewenden ließ. Der Marktscherg mußte auf Verlangen der Bevölkerung ins Gefängnis gesteckt werden, und »ein alter Bürger übernahm die Aufsicht über den Markt." 1 2 7 Die Häuser der verhaßten Aufkäufer, die mit den Lebensmitteln einen gewinnbringenden Handel nach dem Ausland getrieben hatten, wurden „von der Bürgerschaft mit Zuziehung eines Polizeibedienten durchsucht, diese Waren in Beschlag genommen und alle den Markt überfahrende zum Verkauf dahin genötigt..." 1 2 8 Die Unruhen beschränkten sich nicht auf die Hauptstadt. Ein Münchener Brief vom 25. Oktober 1795 versicherte, «daß die Bürger zu Landshut, Straubing und Amberg auch Auftritte gehabt; zu Amberg aber sollen gar 5 Soldaten und 10 Bürger auf dem Platz geblieben sein." 1 2 9 Mit Datum vom 24. September 1795 erschien dann das geforderte landesherrliche Ausfuhrverbot für alles Getreide, gemästetes Hornvieh, 124 125

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DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33 Bayern, Fase. 141, Bl. 222. LHA Dresden, Loc. 3468, Dépêches françaises et relations allemandes de S. E. Mr. le Comte de Goertz, 1795, Nr. 4. DZA Merseburg, Rep. 11. Nr. 33 Bayera, Fase. 141, Bl. 222. Kluckhohn, August, Aus dem handschriftlichen Nachlasse L. Westenrieders. München 1881/82, S. 54. LHA Dresden, Loc. 3468, Dépêches françaises et relations allemandes de S. E. Mr. le Comte de Goertz, 1795, Nr. 5. Ow, Anton Freiherr von. Münchener Neuigkeiten aus den Jahren 1 7 9 5 - 1 7 9 9 . In: »Altbayerische Monatsschrift", 3. Jahrg., S. 27, 1901/02.

4 Süddeutsche Jakobiner

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

Schafe und Schweine.130 Ein letzter Versuch der Regierung, wenigstens zu einem kleinen Teil den eigenen Standpunkt zu wahren und die Getreidesperre auf Franken und Schwaben, das Schweineausfuhrverbot auf sechs Wochen zu beschränken, scheiterte an der drohenden Haltung der Bevölkerung. „Es waren von neuem Bewegungen zu befürchten", teilte Graf Goertz am 1. Oktober mit. 131 Ein zweites landesherrliches Mandat vom 30. September dehnte die Sperre auf Tirol aus und verzichtete auf jede zeitliche Begrenzung. Die Regierung hatte kapituliert. Sie mußte sogar einräumen, dag eine 36köpfige Bürgerschaftsvertretung dem Magistrat zur Seite gestellt wurde. Der Magistrat selber war zufrieden, mit diesem Zugeständnis über die kritische Situation hinweggekommen zu sein. Jede schärfere Maßnahme, die gedacht war, das so sehr gesunkene Ansehen des Staates zu heben, schien ihm gefährlich und geeignet, die Erregung der Bürger erneut aufleben zu lassen. Nach den Septemberunruhen waren vier Bürger, der Bürstenbinder Stumpf, der Knopfmacher Böhm, der Perruqier Wery und der Seidenstrumpfstricker Seyfried, als angebliche Rädelsführer durch den Stadtoberrichter auf höchsten Befehl verhaftet worden. Um seinen mäßigenden Einfluß geltend machen zu können, drängte der Magistrat darauf, daß er in der dafür geschaffenen Untersuchungskommission ebenfalls vertreten war. Bürgermeister und Räte sandten am 9. Dezember 1795 an den Kurfürsten ein Schreiben, in dem sie sich »an Höchstdero bekannte Großmut und Gnade wenden und von da aus Nachsicht und Vergessenheit des Vergangenen untertänigst erbitten, . . . " Zur Bekräftigung ihres Anliegens verwiesen sie auf ihre eigenen Anstrengungen, »die Quelle derlei trauriger Auftritte für immer zu verstopfen, die zerrüttete Ordnung wiederherzustellen, alles Mißtrauen zu heben, den behörigen Verband zwischen Magistrat und Bürgerschaft zu bestimmen und letztere durch Aufstellung der Gemeinde-Ausschüsser in ihr gehöriges Geleis zurückzuführen." 132 Die Verhafteten wurden dann auch am 8. Januar 1796, ohne daß ein Urteil gesprochen war, aus dem Arrest entlassen. 133 Drei von ihnen. Stumpf, Böhm und Wery, gaben sich mit einem solchen Bescheid nicht zufrieden. Sie gingen zum Angriff über und reichten dem neugebildeten Gemeindeausschuß eine Beschwerdeschrift ein, die erstens eine eindeutige Erklärung forderte, daß ihre Inhaftierung zu Unrecht geschah, zweitens die Angabe des Namens des Denunzianten verlangte, um ihn gerichtlich belangen zu können, und drittens eine angemessene Entschädigung für die ausgestandene Pein beanspruchte. Der Gemeindeausschuß übergab die Beschwerde dem Magistrat, der sie am 20. Juni 1796 an den Kurfürsten weiterreichte. 134 Als dann am 19. August von höchster Stelle die Ablehnung der Forderungen erfolgte, wandten sich die drei Bürger mit ihrer Beschwerde sogar an die Landschaft. Sie lehnten entschieden die Auffassung ab, daß die Septemberunruhen das Werk einzelner Hetzer gewesen seien und baten um die 130 131 132 133 134

DZA Merseburg, Rep. 11., Nr. 33 Bayern, Fase. 143, Bl. 82/83. LHA Dresden, Loc. 3468, Dépêches françaises et relations allemandes de S. E. Mr. le Comte de Goertz, 1795, Nr. 6. HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 928, Nr. 12, S. 91/92. Ebenda, S. 99. Ebenda, S. 125 ff.

1. Das Kurfürstentum Bayern

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landschaftliche Unterstützung ihrer Sache. 135 Diese Hartnäckigkeit und Entschiedenheit im Auftreten dem Souverän gegenüber zeugen von dem gesteigerten Selbstbewußtsein der einfachen Bürger nach ihrer erfolgreichen Aktion im September 1295. Eine solche Haltung ist um so höher zu bewerten, als die Regierung nach dem September eine Reihe militärischer Maßnahmen getroffen hatte, die sich eindeutig gegen die Bevölkerung richteten. Schon bei dem Handwerkeraufruhr Ende 1794 war man sich an höchster Stelle des Militärs nicht mehr sicher gewesen. Nach der Niederlage im September beeilte sich darum die Regierung doppelt, durch Umgruppierungen die Zuverlässigkeit der Truppen zu erhöhen. »Die Furcht, nicht auf die militärische Gewalt im Falle von Volksunruhen rechnen zu können, die seit einiger Zeit ziemlich häufig hier stattfinden, ist die Ursache für die eben angeordnete Verlegung der hier garnisonierten bayerischen Regimenter", schrieb Graf Goertz am 8. Oktober 1795 aus München.136 Nach dem Bericht des Legationssekretärs Schulz vom 27. Dezember benutzte die Regierung als Vorwand für die außerordentlichen militärischen Sicherungsmaßnahmen »die angebliche Aussage eines hiesigen Franziskanermönches, welcher zu dem Hofkriegsratspräsidenten Fürsten von Isenburg gekommen und diesem die Anzeige gemacht haben soll, daß er im Beichtstuhl die Entdeckung einer weit ausgebreiteten Verschwörung gegen das Leben des Kurfürsten und die Ruhe des Staats gemacht habe." 1 3 7 Obwohl nach derselben Quelle der gesamte Franziskanerkonvent diese Angabe als von Anfang bis Ende erfunden bezeichnete, wurde eine Handvoll Münchener Bürger als der Verschwörung verdächtig ins Gefängnis geworfen.138 Wenn Schulz auch von fünf Bürgern sprach, so kann doch kein Zweifel bestehen, daß es sich um Stumpf, Böhm, Wery und Seyfried handelte, denn sein Kollege Harnier berichtete am 17. Januar 1796, auf das Schreiben des Schulz Bezug nehmend, daß jene fünf Bürger kürzlich wieder auf freien Fuß gesetzt worden wären.139 In der Tat hatte das kurfürstliche Reskript vom 8. Januar die Freilassung von Stumpf, Böhm, Wery und Seyfried verfügt. Ihre Verhaftung war also wesentlich ein Manöver der Regierung, das ihr helfen sollte, die militärischen Veränderungen vor der Öffentlichkeit zu motivieren. Das Prinzip, das dabei verfolgt wurde, bestand darin, die einzelnen Truppenteile aus der gewohnten Umgebung herauszunehmen und möglichst fern von ihrer engeren Heimat in Garnison zu legen. 140 Auf diese Weise kamen nach München vornehmlich Pfälzer und Oberpfälzer Einheiten, »keineswegs Freunde der Bayern", wie der preußische Legationssekretär Ebenda, A. R., Fase. 2636, Nr. 140. »La crainte de ne pouvoir compter sur la force militaire en cas d'émeutes populaires qui depuis quelque temps ont lieu assez fréquemment ici, est la cause d'une dislocation des régiments bavarois garnisonnés ici, qui vient d'être arrêtée." LHA Dresden, Loc. 3468, Dépêches françaises et relations allemandes de S. E. Mr. le Comte de Goertz, 1795, Nr. 81. 137 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33 Bayern, Fase. 152, Bl. 4. 1 3 8 Ebenda. 1S» Ebenda, Bl. 29. 1 4 0 Ebenda, Fase. 143, Bl. 84. 135

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

Schulz schrieb.141 Reibereien und Zusammenstöße mit der Bevölkerung ließen darum auch nicht auf sich warten. »Am Sonntagabend sind zwei schon allhier befindliche Mannheimer Soldaten in einem Bräuhaus brav abgeprügelt und zum Haus hinausgeworfen worden", berichtete ein Münchener in einem Brief vom 2. November 1795.142 Derselbe Briefschreiber teilte am 22. November mit: »Die hiesigen Mannheimer Truppen sind höchst mißvergnügt, und jetzt geben sie alle Schuld, daß sie hierher gemußt, Herrn Geheimen Kanzler und Baron von Stengel; da gibt's gewiß noch was ab. Es ziehen alle Tag über 400 Mann auf die Wacht, und die Stadt ist jetzt voller Schilderhäuser, auch um die Stadt herum gerade genug, was der Bürgerschaft auch nicht taugen will." 143 Der Klassenkampf in Bayern hatte mehr oder weniger alle Schichten des antifeudalen Lagers ergriffen. Die Bauern meldeten sich; die Plebejer der Städte, insbesondere die Gesellen, führten machtvolle Aktionen durch, die über den engen zünftlerischen Rahmen hinausragten; das eingesessene Bürgertum, in erster Linie Handwerksmeister und Kaufleute, opponierte gegen die oligarchischen Magistrate und kämpfte um Einfluß auf die Stadtverwaltung; Angehörige der bürgerlichen Intelligenz, zu der auch ein Teil der niederen Geistlichkeit zu rechnen ist, und einzelne liberalisierte Adlige steigerten ihre Kritik bis zur Negierung des Feudalismus überhaupt. Dennoch behielt der Klassenkampf in Bayern im wesentlichen immer noch spontanen Charakter. Die konkreten Zielsetzungen der einzelnen Aktionen richteten sich gegen bestimmte Erscheinungsformen der feudalen Ordnung und erhoben sich nicht zu einem prinzipiellen Programm; obwohl die Gärung das ganze Land erfaßt hatte, blieben die Unruhen lokal beschränkt; die Gegensätze innerhalb der antifeudalen Kräfte, so der zwischen Gesellen und Meistern, zwischen städtischen und ländlichen Bewohnern, erschwerten ihren Zusammenschluß gegen den gemeinsamen Feind. So waren die Münchener Unruhen im September 1795, in denen bereits Plebejer und besitzendes Bürgertum Schulter an Schulter kämpften, in ihrer Zielsetzung nicht geeignet, die breiten Massen der Bauernschaft in die Bewegung einzubeziehen. Einem Teil der Bauern brachte die freie Getreideausfuhr bei dem ungeheuren Bedarf der Armeen gute Preise; es fehlte darum auch nicht an Eingaben von dieser Seite, die sich entschieden gegen jede Sperre aussprachen. Ein Peter Sailer, Schwaiger zu Gergolting, verlangte im Namen der Landbauern die Zurücknahme des Ausfuhrverbots; er bezeichnete die Sperre als »gesetzwidrig veranlaßt", nannte sie »weder nötig, noch gerecht, noch nützlich" und behauptete, daß »sie den größten Teil der Nation zugunsten des kleineren drückt." 144 Alle diese Mängel in der antifeudalen Bewegung waren Ausfluß der ökonomischen Schwächie der Bürgerklasse in Bayern. Ihre Kraft reichte noch nicht aus, eine gemeinsame Front gegen den gemeinsamen Gegner zu organisieren und zu leiten. Dennoch ist eine zunehmende Reife und Verschärfung des Klassenkampfes unverkennbar, wobei die Gegensätze innerhalb der herrschenden U1

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„C'est ä dire nullement amis des Bavarois." DZA Merseburg, Rep. 96, Nr. 167, Lit. L, Bl. 158. Ow, Anton Freiherr von, a. a. O., S. 27. Ebenda, S. 28. HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 928, Nr. 12, S. 85.

2. Das Herzogtum Württemberg

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Klasse diese Entwicklung begünstigten. In einzelnen Aktionen, wie im September 1795 in München, entwickelte die Oppositiön eine Kraft, die sogar eine Zeitlang den feudalen Staatsapparat lahmlegen konnte. Hier wurde der herrschenden Klasse deutlich, welche Gefahr sie in ihrer Gesamtheit bedrohte; die einzelnen Fraktionen stellten unter dem Eindruck der Septemberunruhen die sie trennenden Sonderinteressen zurück, und die landschaftliche Verordnung bewilligte 1796 widerspruchslos die von der Regierung geforderten Gelder. 145 Die stärkste Förderung erhielt die oppositionelle Bewegung durch die Französische Revolution. Ihre Ideen drangen in die Volksmassen ein, mobilisierten sie und gaben ihren Bestrebungen klarere und bewußtere antifeudale Züge. 2. Das Herzogtum

Württemberg

Württemberg gehörte zu den wenigen Territorien, in denen sich die Stände, die merkwürdigerweise völlig vom oligarchischen Bürgertum beherrscht wurden, gegenüber dem Fürsten bedeutende Rechte zu wahren gewußt hatten. Das hauptsächlichste Privileg der ständischen Vertretung, der sogenannten Landschaft, war die Steuerbewilligung; daneben besaß sie ein Petitionsrecht, das mit der herzoglichen Verpflichtung, auf Eingaben zu antworten, verbunden war; sie hatte ihre Vertreter in zahlreichen Zweigen der herzoglichen Verwaltung sitzen; sogar auf die Außenpolitik und auf das Heerwesen versuchte sie Einfluß zu nehmen. 146 Dennoch war die Stellung des Landesherrn nicht so schwach, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. In die Steuereinkünfte zwar mußte er sich mit der Landschaft teilen; während etwa die Bete und die Schätzungen in die herzogliche Kasse flössen, gehörten andere Steuern wie die sehr einträgliche Akzise der Landschaft. Daneben aber verfügte der Herzog über umfangreiche Einkünfte als feudaler Gerichts-, Leib-, Grund- und Zehntherr. Die Gerichts- und Leibherrschaft hatte er fast ausschließlich in seiner Hand; die Grund- und Zehntherrschaft besaß er im größten Teile seines Herzogtums. 147 Er war der größte Landeigentümer, und die Einnahmen aus seinem Kammergut flössen so reichlich, daß aus ihnen in normalen Zeiten notfalls der gesamte Staatshaushalt bestritten werden konnte. 148 Außerdem verstand er, sich auch noch andere Finanzquellen zu erschließen; eifrig nutzte er die Konjunktur des unmenschlichen Soldatenhandels. Allein die 32 000 Landeskinder, die er zwischen 1786 und 1808 der holländisch-ostindischen Kompanie zur Unterdrückung der Eingeborenen in Südafrika und Indonesien lieferte, brachten ihm rund 900 000 Gulden ein. 1 4 9 In dieser Hinsicht war die Ausgangsposition für die Errichtung einer absoluten Herrschaft also nicht ungünstig. Auch der Feudaladel, der in Bayern kraft 145 146 147

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Steinwachs, Otto. a. a. O., Bd. 55, S. 303. Höhle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 16 ff. Knapp, Theodor, Neue Beiträge zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des württembergischen Bauernstandes. Tübingen 1919, Bd. 1, S. 156. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 5. Prinz. Johannes, Das württembergische Kapregiment 1 7 8 6 - 1 8 0 8 . Die Tragödie einer Söldnerschar. Stuttgart 1932, S. 295/96.

2. Das Herzogtum Württemberg

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Klasse diese Entwicklung begünstigten. In einzelnen Aktionen, wie im September 1795 in München, entwickelte die Oppositiön eine Kraft, die sogar eine Zeitlang den feudalen Staatsapparat lahmlegen konnte. Hier wurde der herrschenden Klasse deutlich, welche Gefahr sie in ihrer Gesamtheit bedrohte; die einzelnen Fraktionen stellten unter dem Eindruck der Septemberunruhen die sie trennenden Sonderinteressen zurück, und die landschaftliche Verordnung bewilligte 1796 widerspruchslos die von der Regierung geforderten Gelder. 145 Die stärkste Förderung erhielt die oppositionelle Bewegung durch die Französische Revolution. Ihre Ideen drangen in die Volksmassen ein, mobilisierten sie und gaben ihren Bestrebungen klarere und bewußtere antifeudale Züge. 2. Das Herzogtum

Württemberg

Württemberg gehörte zu den wenigen Territorien, in denen sich die Stände, die merkwürdigerweise völlig vom oligarchischen Bürgertum beherrscht wurden, gegenüber dem Fürsten bedeutende Rechte zu wahren gewußt hatten. Das hauptsächlichste Privileg der ständischen Vertretung, der sogenannten Landschaft, war die Steuerbewilligung; daneben besaß sie ein Petitionsrecht, das mit der herzoglichen Verpflichtung, auf Eingaben zu antworten, verbunden war; sie hatte ihre Vertreter in zahlreichen Zweigen der herzoglichen Verwaltung sitzen; sogar auf die Außenpolitik und auf das Heerwesen versuchte sie Einfluß zu nehmen. 146 Dennoch war die Stellung des Landesherrn nicht so schwach, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat. In die Steuereinkünfte zwar mußte er sich mit der Landschaft teilen; während etwa die Bete und die Schätzungen in die herzogliche Kasse flössen, gehörten andere Steuern wie die sehr einträgliche Akzise der Landschaft. Daneben aber verfügte der Herzog über umfangreiche Einkünfte als feudaler Gerichts-, Leib-, Grund- und Zehntherr. Die Gerichts- und Leibherrschaft hatte er fast ausschließlich in seiner Hand; die Grund- und Zehntherrschaft besaß er im größten Teile seines Herzogtums. 147 Er war der größte Landeigentümer, und die Einnahmen aus seinem Kammergut flössen so reichlich, daß aus ihnen in normalen Zeiten notfalls der gesamte Staatshaushalt bestritten werden konnte. 148 Außerdem verstand er, sich auch noch andere Finanzquellen zu erschließen; eifrig nutzte er die Konjunktur des unmenschlichen Soldatenhandels. Allein die 32 000 Landeskinder, die er zwischen 1786 und 1808 der holländisch-ostindischen Kompanie zur Unterdrückung der Eingeborenen in Südafrika und Indonesien lieferte, brachten ihm rund 900 000 Gulden ein. 1 4 9 In dieser Hinsicht war die Ausgangsposition für die Errichtung einer absoluten Herrschaft also nicht ungünstig. Auch der Feudaladel, der in Bayern kraft 145 146 147

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Steinwachs, Otto. a. a. O., Bd. 55, S. 303. Höhle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 16 ff. Knapp, Theodor, Neue Beiträge zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des württembergischen Bauernstandes. Tübingen 1919, Bd. 1, S. 156. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 5. Prinz. Johannes, Das württembergische Kapregiment 1 7 8 6 - 1 8 0 8 . Die Tragödie einer Söldnerschar. Stuttgart 1932, S. 295/96.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

seiner starken ökonomischen Stellung ein absolutistisches Regiment so sehr er' Schwerte, besag in Württemberg keinerlei politische Bedeutung. Er hatte sich schon im frühen 16. Jahrhundert in die Reichsunmittelbarkeit begeben, war als reichsfreier Stand also auch nicht in der Landschaft vertreten und beschränkte sich darauf, den herzoglichen Hof zu bevölkern. Sein zahlenmäßiger Anteil an den Ämtern, die der Landesherr zu vergeben hatte, war gering. So wenig aber der Adel für absolutistische Tendenzen ein Hemmnis darstellte, so wenig konnte ihn der Herzog auch wiederum als Gegenkraft benutzen, die den Einfluß des oligarchischen Bürgertums in der Landschaft paralysierte. Die Ausschweifungen und Verschwendungen des Hofes, an denen der Adel als Parasit teilhatte, boten umgekehrt der Landschaft Gelegenheit zu verstärkter Einflußnahme, weil sie den Herzog in Finanznot brachten, die nie endete und geschickt in politisches Kapital umgemünzt wurde. Die Landschaft, der entscheidende Gegenspieler der absolutistischen Tendenzen des Fürsten, war im wesentlichen eine Vertretung der städtischen Ehrbarkeit. Die Deputierten wurden von 58 bevorrechteten, größenmäßig sehr unterschiedlichen Stadt- und Amtskörperschaften und von den Behörden der 11 privilegierten Ortschaften gewählt. Bestand die wahlberechtigte Stadtkörperschaft aus Bürgermeister, Gericht und Rat, so traten in den Amtskörperschaften zu denselben Magistratspersonen der Amtsstadt noch die Schultheißen und Gerichte der umliegenden Landgemeinden hinzu. Ausgenommen die elf Dörfer, die die Landstandschaft besaßen und also Bauern als Abgeordnete entsandten, hatten ausschließlich die Stadtgemeinden das passive Wahlrecht. Die Gesamtzahl der Privilegierten, die das aktive Wahlrecht besaßen, betrug kaum mehr als 1500 Menschen. Die Massen der Stadtund Dorfbewohner waren ausgeschaltet und hatten auch keinen indirekten Einfluß auf die Wahlen, denn mit Ausnahme des Schultheißen, der von der gesamten Dorfgemeinde gewählt wurde, ergänzten sich alle anderen Magistratsangehörigen bei Ableben eines von ihnen selber. Eine gewisse Sonderstellung nahmen die 14 Prälaten ein, die ebenfalls Sitz und Stimme in der Landschaft besaßen, offiziell als Vertreter der Untertanen der Klosterämter galten, aber von niemandem gewählt und darum auch nicht im Gegensatz zu den anderen Abgeordneten an die Instruktionen einer Wahlkörperschaft gebunden waren. Da die Prälaten keinen gesonderten Stand bildeten und im übrigen auch ausnahmslos aus bürgerlichen Kreisen kamen, tauchten sie in der Masse der übrigen Deputierten unter. Das Gesicht der Landschaft wurde eindeutig durch die bürgerliche Ehrbarkeit bestimmt. 150 In noch stärkerem Maße zeigte es sich in der Zusammensetzung der beiden landschaftlichen Ausschüsse. Da der Landtag nicht in Permanenz tagen konnte und auch von der Berufung durch den Herzog abhängig war, besorgten in der Zwischenzeit ein engerer und ein größerer Ausschuß die Landschaftsgeschäfte. Entscheidend war der achtköpfige engere Ausschuß, denn der größere Ausschuß, der aus dem engeren und acht weiteren Mitgliedern bestand, konnte nur zusammentreten, wenn der engere ihn berief. Der engere Ausschuß iso Nicolai. Friedrich, a. a. O., Bd. 10, S. 27 ff. Hölzle. Erwin. Das alte Recht..., a. a. O., S. 8 ff.

2. Das Herzogtum Württemberg

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wurde so zum wichtigsten landschaftlichen Organ. Hier aber führte seit Jahrzehnten die aus der altwürttembergischen Ehrbarkeit stammende Familie Stockmayer Regie. Sie stellte oder bestimmte die einflußreichen juristischen Berater des Ausschusses, den Landschaftsadvokaten, die Konsulenten und Sekretäre, ebenso wie sie bei der Selbstergänzung des Ausschusses das entscheidende Wort sprach. 151 Hegel sagte über das Verhältnis zwischen dem Ausschuß und der Familie Stockmayer: »Der größere Teil folgte natürlich dem, der den Schlüssel zum Futterboden hatte, der mit soliderer Stimme zu locken und unter seinem Schafspelz die Wolfsnatur aim geschicktesten zu verbergen wußte. So wurde der Ausschuß und mit diesem das Land von den Offizialen des erstem an der Nase herumgeführt." 152 Die Macht der landschaftlichen Organe war um so fester gegründet, als auch die Beamtenschaft, dieses neben dem stehenden Heer wichtigste Instrument jedes absoluten Herrschers, engste Beziehungen zur Landschaft besaß. Statt sich mit Hilfe der Beamtenschaft über die Ständevertretung erheben zu können, wurde der Fürst durch die Beamten geradezu an sie gefesselt. Landschaft und Beamte waren aus demselben Holze geschnitzt; beide entstammten dem Bürgertum und sicherten sich gegenseitig ihre privilegierte Stellung. Versuche des Herzogs, Adlige und Nichtwürttemberger in den Verwaltungsapparat einzuschleusen, stießen auf ihren wirkungsvollen gemeinsamen Widerstand. Die höheren Beamten gehörten zu derselben Kategorie ehrbarer Familien, die in der Landschaft das Wort führten; und die mittlere und niedere Beamtenschaft war mit den Magistraten der Stadt- und Landgemeinden verschwägert und versippt. Die soziale Bindung des Verwaltungsapparates an die Stände machte es unmöglich, irgendein Geheimnis der Regierung vor ihnen zu bewahren. Darüber hinaus hatte die Landschaft auch eine rechtliche Bindung durchzusetzen gewußt, indem Eid und Anstellungsvertrag die Beamten zum Schutz der Verfassung verpflichteten. Die höchste Behörde, der Geheime Rat, den der Herzog bei allen Staatsangelegenheiten zuziehen mußte, war geradezu ein Kontrollorgan zur Sicherung der Verfassungsmäßigkeit aller herzoglichen Entschließungen.15* Endlich diente der Landschaft auch die Beschränkung der äußeren Souveränität des Herzogs als ein Mittel, seine innere zu beschränken: Preußen, Dänemark und Hannover waren offizielle Garantiemächte der landschaftlichen Rechte und hielten ständige Gesandte in Stuttgart, die von der Landschaft bezahlt wurden. Außerdem war dem kaiserlichen Reichshofrat ausdrücklich bei inneren Landesstreitigkeiten die Entscheidung eingeräumt, so daß die Landschaft im Notfalle jederzeit die kaiserliche Intervention anrufen konnte. 154 Landschaft und Beamtenschaft stellten eine bürgerliche Oligarchie dar, deren Existenz unlöslich mit der Erhaltung der feudalen Ordnung verbunden war. Trotz 151 152

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Hölzle, Erwin. Das alte Recht..., a. a. O., S. 13 ff., 110 ff. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Über die neuesten innern Verhältnisse Württembergs, besonders über die Gebrechen der Magistratsverfassung. In: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Georg Lasson. Leipzig 1923, Bd. 7, S. 153. Wintterlin, Zur Geschichte des herzoglich württembergischen Kommerzienrats. In: „Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", NF 20. Jahrg., S. 310/11, 1911. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 22/23, 34/35.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

ihrer bürgerlichen Herkunft verfochten sie darum keineswegs grundsätzlich progressiv-bürgerliche Tendenzen. Die eigene Bereicherung und die Sicherung ihres politischen Einflusses waren die wesentlichen Motive, die die Handlungen der Landschaft bestimmten. Landesherrliche Monopole bekämpfte sie, weil die daraus fließenden Einkünfte denHerzog finanziell stärkten und damit unabhängiger machten; die den Handel lähmende Akzise aber verteidigte sie, weil diese Einnahmequelle der Landschaft gehörte. 155 Wie wenig es dieser Oligarchie um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ging, zeigen die hartnäckigen Bemühungen Stockmayers 1780, den Salzhandel, den ein privilegiertes württembergisches Unternehmen betrieb, einem nichtwürttembergischen zuzuschanzen, das ihm und seinen Kindern beträchtliche Gewinnanteile versprochen hatte. 156 Dasselbe gilt im großen .und ganzen auch von der Beamtenschaft, die ihre Ämter als sichere Pfründe betrachtete und darum an keiner gründlichen Veränderung der Zustände interessiert war. Mehr als jede andere Schicht hemmte sie die Bauernbefreiung, so daß Tausenden die Auswanderung der einzige Ausweg schien. Nicolai, der auf seiner Reise durch den deutschen Süden 1781 einige dieser Auswanderer gesprochen hatte, teilte mit: „Die meisten klagten über Bedrückungen der Beamten, über die Prozesse, über das Sportulieren." 157 Im Gegensatz dazu war der Landesherr aus fiskalischen Gründen ein viel tatkräftigerer Förderer des wirtschaftlichen Fortschritts. So wurde auf seine Initiative 1755 eine Kommerziendeputation eingerichtet, die sich neben der mit Verwaltungsarbeiten überlasteten herzoglichen Rentkammer als Sachverständigenkollegium ausschließlich mit Fragen der industriellen Entwicklung beschäftigen sollte. 158 Im selben Jahr erging ein Aufruf, Projekte zur Verbesserung und Erweiterung der gewerblichen Produktion einzusenden. Unter den eingegangenen Denkschriften befanden sich zwei des Oberamtmanns Müller von Sulz, die sich für die Errichtung von Manufakturen aussprachen, zumal auch die Landwirtschaft dadurch gehoben würde, da die Industrie zum Anbau von Nutzkräutern anregte. Müller war so weitblickend, insbesondere die Entwicklung von Baumwollmanufakturen zu propagieren. Die Denkschriften wurden gedruckt und vom Herzog prämiiert. 159 Die zunehmende staatliche Förderung der Baumwollindustrie spiegelte sich in den Entscheidungen der herzoglichen Rentkammer wider. Hatte sie 1765 noch ein Gesuch eines Dr. Seubert, in Urach eine Baumwollspinnerei gründen zu dürfen, mit Rücksicht auf die dortige Leineweberschaft abgelehnt, so antwortete sie 1780 auf die Vorstellungen der Heidenheimer Leineweber gegen die geplante Anlage einer Baumwollspinnerei und -Weberei, daß es sich um ein freies, der Zunft nicht unterworfenes Gewerbe Wintterlin, a. a. O., S. 312/13. Rauch, Moritz von, Salz- und Weinhandel zwischen Bayern und Württemberg In: »Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", NF 33. Jahrg., 1927. 157 Nicolai, Friedrich, a. a. O., Bd. 10, S. 209. 158 Krauter, Gerhard, Die Manufakturen im Herzogtum Wirtemberg und ihre durch die wirtembergische Regierung in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Tübingen 1951, S. 276. "» Ebenda, S. 242 ff. 155

156

im 18. Jh. S. 233/34, Förderung Phil. Diss.

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handele. Sogar dem Gesuch des Manufakturisten Gülich im Jahre 1785, die Einrichtung einer Baumwollspinnerei mit einer englischen Spinnmaschine zu gestatten, stand die Rentkammer nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenüber. Sie bedauerte zwar mit Rücksicht auf die sich von der Spinnerei Ernährenden diese Entwicklung, wollte sich ihr aber nicht entgegenstemmen, da zweifellos andere Länder solche Maschinen einführen würden und Württemberg zu überflügeln drohten. 160 Die Entscheidungen der Rentkammer waren nicht immer so konsequent progressiv, aber in der großen Linie kann von der landesherrlichen Regierung gesagt werden, daß sie im Rahmen der bestehenden Ordnung den Forderungen der Zeit Rechnung zu tragen versuchte. In zunehmendem Maße entfernte sie sich von der merkantilistischen Bevormundung durch Ein- und Ausfuhrverbote, von Monopolverleihungen, von der Begünstigung staatlicher Unternehmungen, zog ausländisches Kapital ins Land und ging zu einer liberaleren Wirtschaftspolitik über. 161 Schließlich waren selbst Landschaft und Beamtenschaft, wenn auch oligarchisch in ihrer Gesamtheit, doch bürgerlicher Herkunft und darum dem bürgerlichen Fortschritt gegenüber nicht völlig immun. Dafür sprechen die Entscheidungen der Rentkammerbeamten, dafür sprechen die Denkschriften des Oberamtmanns Müller, der sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch durch eigenes Kapital an der Gründung einer Baumwollmanufaktur in Sulz beteiligte. 162 Die Barriere zwischen der bürgerlichen Oligarchie und dem bürgerlichen Kaufmann und Unternehmer war nicht so hoch, daß nicht einzelne Vertreter der ersteren im Kreise der letzteren Fuß faßten und umgekehrt. Für die Landschaft, die sich in den Ausschüssen auf einen ganz engen exklusiven Kreis reduzierte, galt das in beschränkterem Maße. Es ist kein Zufall, daß die erwähnte, auf herzogliche Initiative gegründete und auch von der Landschaft beschickte Kommerziendeputation nichts zuwege brachte.16* Dennoch war die Landschaft nicht so unabhängig, daß sie nicht, abgesehen von dem eigenen fiskalischen Interesse, Sorge für das Wohl der Städte und Amter tragen mußte, deren Magistrate ihr Auftrag und Vollmacht gegeben hatten. Außerdem veranlaßten die politischen Gegensätze zum Landesherrn die Landschaft häufig, sich zum Sprecher allgemeiner Beschwerden zu machen und bestimmte progressive Forderungen zu vertreten. Solche Motive waren in der landschaftlichen Stellungnahme vom 28. Mai 1782 zur Frage der Auswanderung enthalten. Als eine Ursache dieser bedenklichen Erscheinung nannte sie die außerordentliche Bevölkerungszunahme, der keine Vermehrung der Erwerbsmöglichkeiten entsprach. Wenn sie dabei auf die frühen Heiraten vieler Landeskinder hinwies, die auf diese Art der Rekrutenaushebung zu entgehen suchten, so richtete sich die Spitze dieser Feststellung eindeutig gegen das herzogliche stehende Heer. Aber auch die unerträgliche Wildplage als Folge des landesherrlichen Jagdregals wurde als eineUrsache der Auswanderung angeprangert. Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten bezeichnete sie als wirksamstes Mittel, dem Übel zu steuern; dabei erwog sie, sehr vorsichtig und durch das Wörtchen „vielleicht" 160 1,1 182 163

Ebenda, S. Ebenda, S. Ebenda, S. Wintteilin,

192, 235/36. 263 ff. 202. a. a. O., S. 326/27.

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eingeschränkt, als ergiebigste Methode die Vermehrung der Manufakturen, die vor allem einheimische Erzeugnisse wie Wolle und Flachs verarbeiten sollten; weiter sprach sie sich für einen verstärkten Anbau von Futterpflanzen aus, um die Viehzucht zu heben. 164 Unter diesen Bedingungen standen dem ökonomischen Fortschritt in Württemberg nicht solche erdrückenden Hemmnisse wie in Bayern entgegen. Auf industriellem Gebiete hatte Württemberg zudem schon in vergangenen Jahrhunderten einige Zweige entwickelt, die über die Landesgrenzen hinaus Bedeutung besagen: neben der Glasmacherei und Eisenindustrie, die nur wenige Hände beschäftigten, vor allem die Leinenweberei auf der Albhochfläche mit dem Zentrum Urach und die Wollenzeugindustrie am Ostrande des Schwarzwaldes mit dem Zentrum Calw. Die wenigen großen Städte, wobei neben Stuttgart mit 20 000 und Ludwigsbuig mit knappen 7000 nur noch ein halbes Dutzend andere über 3000 Einwohner zählten 165, waren keine industriellen Mittelpunkte. Enge Zunftgesetze schnürten ihre Gewerbetätigkeit ein und führten zu den bekannten Erscheinungen des Verfalls wie anderswo auch. .Es fällt auf", stellte Nicolai in seiner Reisebeschreibung fest, «daß seit langer Zeit nur an zwei einzelnen Orten Württembergs, die an Flüssen liegen, in Urach und Calw, und an beiden Orten durch große Handlungsgesellschaften ein ins Große gehender vorzüglicher Kunstfleiß ist erweckt worden; an anderen Orten n i c h t . . . In Stuttgart ist der Kunstfleiß im allgemeinen gar nicht zu suchen." 166 Beide Kompanien arbeiteten mit feudalen Privilegien. Die Calwer Kompanie hatte auf diese Weise die gesamte Zeugweberei Württembergs von sich abhängig gemacht. Jeder Zeugmacher mußte zunächst seine Produkte der Handelskompanie anbieten, die sie bei Ablehnung mit einem Stempel versah, womit die Ware als minderwärtig klassifiziert war und nur zu einem geringeren Preise anderwärts verkauft werden konnte. 167 Die Zeugmacher, die in direktem Auftrage der Kompanie arbeiteten, waren der Zunftordnung unterworfen und besaßen überhaupt keine Bewegungsfreiheit. Nur ein Bruchteil der 5000 bis 6000 Beschäftigten war in gemeinsamen großen Betriebsräumen bei der Endverarbeitung bzw. bei der Herstellung besonders feiner Warensorten tätig; die Masse arbeitete im Verlag, führte ein Hungersdasein und beackerte nebenbei noch ein kleines Stückchen Land, um überhaupt existieren zu können. 168 Bei der Uracher Leinwandhandelskompanie lagen die Verhältnisse ähnlich. Die Monopolstellung hemmte außerordentlich die Ausweitung dieser Industriezweige in Württemberg und bot dennoch keinerlei Sicherung gegenüber der anwachsenden ausländischen Konkurrenz. Um konkurrenzfähig zu bleiben, ließ die 1,4

Miller, Max, Die Auswanderung der Württemberger nach Westpreußen und dem Netzegau 1776-1786. Stuttgart 1935, S. 71/72. 185 (Rondel, Adolph Friedrich), a. a. O., S. 48. i«« Nicolai, Friedrich, a. a. O., Bd. 10, S. 44/45. 187 Kulischer, Josei, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Mit einer Einleitung von Professor Dr. Jürgen Kuczy.nski. Verlag Rütten & Loening, Berlin 1954, Bd. 2. S. 130. 1,8 Troeltsch, Walter, Die Calwer Zeughandlungskompagnie und ihre Arbeiter. Studien zur Gewerbe- und Sozialgeschichte Altwürttembergs. Jena 1897, S. 191, 235/36.

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Calwer Kompanie durch die Behörden die Aufkaufpreise senken, anstatt die Produktionstechnik zu verbessern und den Schritt von der dezentralisierten zur zentralisierten Manufaktur zu tun. Solche feudalen Methoden führten in die Sackgasse und zum Zusammenbruch der Kompanie 1797. 169 Es war ein Zeichen für das Heranwachsen kapitalistischer Produktions verhältnisse im Schote der bestehenden Ordnung, wenn die Uracher Kompanie 1793 auf die feudalen Privilegien verzichtete und sich in eine private Firma verwandelte. 170 Der Einbruch in die Monopolstellung der beiden Kompanien auf dem Textilgebiete erfolgte von der Baumwollindustrie her. Dieser Zweig machte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beachtliche Fortschritte, zumal ihm, war der Grundstein einmal gelegt, als einem nicht zunftgebundenen Gewerbe relativ weniger feudale Hemmnisse den Aufstieg erschwerten. Die 1757 gegründete dezentralisierte Zitzmanufaktur in Sulz beschäftigte 1764 schon insgesamt 1750 Personen. 1761 entstand in Kirchheim unter Teck eine andere Baumwollmanufaktur. 1766 verlegte der Augsburger Unternehmer Schüle seine Zitzmanufaktur nach Heidenheim; er machte sich auf dem Gebiete der Veredelung von Baumwollwaren zum Pionier, indem er dort eine zentralisierte Manufaktur für Kattundruck ins Leben rief, die zwar bald wieder einging, aber ebenso schnell wieder neu gegründet wurde. 1776 begann maniinLudwigsburger Waisenhaus mit der Baumwollspinnerei und -Weberei. Weitere Manufakturen entstanden 1780 in Cannstadt und Ebingen. 171 Diese ansteigende Entwicklung setzte sich bis in die Mitte der 90er Jahre fort. 172 Auch die Maschenwarenindustrie, insbesondere die Strumpfwirkerei mit ihrem Schwerpunkt im Stuttgarter und Baiinger Bezirk, machte Fortschritte. 1770 wurden anstelle der hölzernen eiserne Wirkstühle eingeführt. 173 Die Seidenweberei allerdings litt lange unter der Voreingenommenheit, sie mit der Seidenraupenzucht verbinden zu müssen, die in dem gegebenen Klima immer wieder Katastrophen erlebte. Als unrentabel erwies sich die vom Staate mit beträchtlichen Mitteln unterstützte Luxusindustrie, wie Golddrahtziehereien, Bijouterie- und Porzellanmanufakturen. 174 Da§ nur ein Teil der zahlreichen Manufakturgründungen Bestand hatte, zeigt die Stärke der feudalen Hemmnisse wie den Mangel an Kapital. Darum wurden auch die Bestrebungen der kapitalkräftigeren Schweizer Unternehmer von landesherrlicher Seite gern geduldet, württembergische Untertanen im Verlag für sich arbeiten zu lassen. In den Oberämtern Balingen und Tuttlingen wurde Seide für sie gesponnen; in Ebingen beschäftigten sie zahlreiche Strumpfwirker. Selbst in das Monopol der Calwer und Uracher Kompanien drangen 169

Berthold, Rudi, Zur Geschichte der Entwicklung der Produktionsverhältnisse in der württembergischen Zeugmacherei von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Institut für Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, Forschungsseminar Prof. Kuczynski. Arbeitsbericht Nr. 1, S. 31/32. 1,0 Kazr, Grete, Die Uracher Leinenweberei und die Leinwandhandlungskompagnie. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Altwürttembergs. Stuttgart 1930, S. 80 £f. 171 Riede, Hugo, Die Entwicklung der württembergischen Textilindustrie. Phil. Diss. Heidelberg 1937, S. 25/26, 50. 172 Krauter, Gerhard, a. a. O., S. 196 £f. "» Riede, Hugo, a. a. O., S. 42. 171 Wintterlin. a. a. O., S. 323.

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sie ein: Während in den Oberämtern Bebenhausen, Böblingen und Herrenberg Schweizer Leinwandverleger auftraten, liegen Wollenzeugmanufakturisten Tuchmacher in Ebingen für sich arbeiten. 175 Insgesamt zeigte also die industrielle Entwicklung Württembergs bei allen Hemmnissen und Unzulänglichkeiten deutlich eine aufsteigende Tendenz und förderte die Keime des Neuen. Ähnliches galt auch für die Landwirtschaft. Verschiedene Umstände wirkten sich für die Agrar- und Viehproduktion recht günstig aus. Erstens hatten die Bauern zumeist ein gutes Besitzrecht, das Erbrecht. Weiter war die Vereinigung der entscheidenden feudalen Rechte in der Hand des Landesherrn durchaus vorteilhaft im Vergleich etwa zu Bayern, wo der einzelne kleine Feudalherr dem Bauern unmittelbar im Nacken sag. Schließlich betrieb der Landesherr keine nennenswerte Eigenwirtschaft, so dag es auch keine Ackerfronen und keinen Gesindezwangsdienst gab. Unter diesen Bedingungsn konnte verschiedentlich und allmählich der Ackerbau intensiviert, der Schritt zur verbesserten Dreifelderwirtschaft getan und die Brache mit Klee, Esper, dann auch mit Kartoffeln, Reps und Runkeln bebaut werden.176 Auf dem Gebiete der Viehzucht besag das Land seit längerem einen guten Ruf. Es züchtete vor allem Pferde und Schafe, die einen wichtigen Exportartikel darstellten.177 Das Bild wäre einseitig und darum unrichtig, wollte man nur die schwachen Milderungen der feudalen Fesseln anmerken und darüber die starken feudalen Fesseln selber vergessen. Gab es auch keine Ackerfronen, so waren doch die verschiedenartigsten landesherrlichen Fronen, Gerichtsfronen, grundherrliche Fronen zu leisten, zu einem grogen Teil Fuhrdienste, die durch die willkürliche Ausschreibung und ihre meist ungemessene Höhe die bäuerliche Wirtschaft empfindlich störten.178 Am verhagtesten waren die Jagdfronen, zumal sich damit stets die Klage über den unermeglichen Wildschaden verband, den das herzogliche Jagdprivileg verschuldete. Wenn auch der Landesherr fern war und sich der Druck dadurch milderte, so blieb es doch nur eine Milderung. Die Höhe der Abgaben drückte ebenso hart wie ihre Vielzahl, die zu keiner Zeit des Jahres den Bauern zur Ruhe kommen lieg. Häufig schränkten sie die Bewegungsfreiheit auch noch dadurch ein, dag sie in der Form ganz bestimmter Naturalien gefordert wurden.179 Die Intensivierung der bäuerlichen Wirtschaft stieg darum beständig auf Schwierigkeiten. Charakteristisch sind die Beobachtungen Nicolais: „Der grögte Teil im Württembergischen kennt den Esper- und Kleebau nur noch sehr wenig und das so herrliche Produkt, den Reps,... kaum den Namen nach. Und an den wenigen Orten, wo man Reps-, Esper- und Kleebau besser kannte und treiben wollte, wurde man von unwissenden und eigennützigen Vorstehern und Kameralbeamten sogar daran gehindert." 180 Diese Hemmnisse wirkten sich auf die Lage der ländlichen Bevölkerung um so schlimmer aus, als das vorherrschende Erbrecht zu einer teilweise extremen Aufsplitterung der Bauerngüter geführt und eine breite Schicht 1,5 176

1,7 178 179

Krauter, Gerhard, a. a. O., S. 227. Herzog Karl Eugen und seine Zeit. Herausgegeben vom Württembergischen Geschichtsund Altertumsverein. Esslingen a. N. 1907, Bd. 1, S. 315. Ebenda, S. 323 ff. Knapp, Theodor, a. a. O., S. 17, 31, 114. 180 Nicolai, Friedrich, a. a. O., Bd. 10, Beilagen, S. 75. Ebenda, S. 154.

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Landarmer hervorgebracht hatte. Es gab Fälle, daß ein Hof unter 100 Besitzer aufgeteilt war und der einzelne nicht mehr als Vi« Morgen Land zu bewirtschaften hatte. 181 Andererseits half diese Entwicklung auch wieder dem Fortschritt zum Durchbruch, denn diese Masse der Landarmen stellte eine wesentliche Voraussetzung für den industriellen Aufschwung dar. Aus ihnen vor edlem rekrutierten sich die Arbeitskräfte der Verleger und Manufakturisten. Im Vergleich zu Bayern war Württemberg sozialökonomisch entschieden entwickelter. Auch das Selbstbewußtsein des Bürgertums litt nicht wie in Bayern unter der jede lebendige Regung erstickenden Pfaffenherrschaft und dem Druck des im Staatsapparat dominierenden Adels. Der zwar oligarchische, aber doch bürgerliche Charakter der Ständevertretung begünstigte die Entwicklung der bürgerlichen Ideologie. Selbst solche Männer wie Georg Kerner und Friedrich Christoph Cotta, die beide zu französischen Bürgern wurden und damit das entschiedenste Bekenntnis zur Revolution ablegten, haben sich nicht von der Vorstellung lösen können, in den Ständen die Vertreter der Volksfreiheit zu erblicken. 182 Es steht auf einem anderen Blatt, dafj eine solche Illusion früher oder später zu einem gewaltigen Hemmnis werden mußte, weil sie die Einsicht in die Notwendigkeit eines radikalen Vorgehens trübte. Zunächst förderte sie die Mündigkeitserklärung des Bürgertums. Es ist kein Zufall, daß Württemberg so viele und so überragende bürgerliche Ideologen hervorgebracht hat. Große Publizisten, die die öffentliche Meinung zu einer für den Feudalismus bedrohlichen Macht entwickelten, wie der leidenschaftliche Christian Daniel Schubart oder der überlegene Spötter Wilhelm Ludwig Wekhrlin, aufrechte Kämpfer gegen Fürstentyrannei und für den bürgerlichen Fortschritt, waren gebürtige Württemberger. Die Karlsschule, vom Herzog zur Heranbildung ergebener Staatsdiener gegründet, brachte den Dichter der «Räuber" und glühende Revolutionäre wie Georg Kerner hervor. Die mutigsten und begabtesten Zöglinge bildeten einen Freiheitsklub, der die despotische Ordnung der Schule ständig durchbrach, die großen Ereignisse jenseits des Rheins seit dem 14. Juli 1789 mit stürmischer Begeisterung verfolgte und Verbindungen zu den Klubs in Straßburg anknüpfte. Das Tübinger Stift war erfüllt von den Ideen Kants, Rousseaus und schließlich der Französischen Revolution. Der revolutionäre Klub der Tübinger Stipendiaten, als „Unsinnskollegium" getarnt, zählte solche hervorragenden Geister wie Hegel, Hölderlin und Schelling zu seinen Anhängern.183 «Die Franzosen fanden namentlich unter der jüngeren Generation die eifrigsten Bewunderer und die bereitwilligsten Nachahmer", stellte in seinen autobiographischen Notizen der Schriftsteller Rehfues fest, der damals selbst dem Tübinger Stift als Stipendiat angehört hatte. 184 Die 181 ,8ä 183

181

Knapp, Theodor, a. a. O., S. 155. Hölzle. Erwin. Das alte Recht..., a. a. O., S. 90, 95. Obermann, Karl, Deutsche Jugend zur Zeit der Französischen Revolution. In: .Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift", Jahrg. 1946, S. 687 ff. Kaufmann, Alexander, Bilder aus dem Tübinger Leben zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Aus dem literarischen Nachlaß Philipp Josephs von Rehfues. In: »Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte", NF 3. Jahrg., S. 112, 1874.

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bürgerliche Intelligenz, die sich in ihren besten Vertretern zu den Wortführern aller antifeudalen Schichten und Klassen aufwarf, hatte in Württemberg einen besonders kräftigen Boden. Ein anschauliches Bild, wie sehr bereits über die notwendig schmale Schicht der Intelligenz hinaus die Masse der Bürger an Selbstbewußtsein gewonnen hatte, vermögen die Ereignisse in Stuttgart kurz vor der Huldigung des neuen Herzogs Ludwig Eugen zu geben, der am 24. Oktober 1793 den Thron bestiegen hatte. Ein Zeitgenosse berichtet darüber in einem Brief vom 5. April 1794, den Hennings in seinem »Genius der Zeit" 1797 abdruckte: Die kritische militärische Lage hatte den Herzog gezwungen, sämtliche Reserven einschließlich seines Leibregiments an die Grenze zu werfen. Bevor und während ein neues Regiment für den Dienst in der Residenz errichtet wurde, hatte die Bürgerschaft ein rund 500 Mann starkes Korps aus angesehenen Bürgern gebildet, die sich selber ausrüsteten und täglich mit einer Kompanie den Dienst auf dem Schloß versahen. Am Huldigungstage war das neue reguläre Regiment aufgestellt, so daß die Bürgergarde wieder abgelöst werden konnte. »Diese Ablösung geschah durch eine Handvoll Invaliden, die einen Korporal an ihrer Spitze hatten, weil der adlige Offizier, der eigentlich mit einer Kompanie des neuen Regiments das Schloß besetzen sollte, es wider seine Ehre hielt, eine nur aus den angesehensten Bürgern der Residenzstadt bestehende Garde unmittelbar abzulösen." Dieser Schimpf erbitterte die ganze Stadt. Die Bürger »rannten auf den Schloßplatz, wo sich bald das Volk zu mehreren Tausenden versammelte, sprachen im Angesicht des Hofes von Undankbarkeit, verlangten Genugtuung für den so unverdienten Schimpf; und falls sie ihnen nicht widerfahre, so drohten sie laut damit, daß sie nicht huldigen würden. Es gab viele Absendungen und Unterhandlungen zwischen dem Hof und ihnen. Da sich aber die Gärung nur vermehrte und jeden Augenblick in Insurrektion und prompte Volksjustiz auszubrechen schien, so versprach der Herzog völlige Genugtuung. Diese bestand darin, daß die unschicklich abgelöste Bürgerwache gleich wieder aufs Schloß zog und den anderen Tag von dem adligen Herrn durch eine Kompanie Linientruppen und mit allen militärischen Ehrenbezeugungen von neuem abgelöst wurde. Eine Menge Volks war dabei versammelt und freute sich laut dieses erhaltenen Triumphs." 185 Dieser Vorfall zeigt das wohlhabende Bürgertum der Hauptstadt als gehorsame Untertanen, denen der Schutz des Landesherrn als ehrenhafte Pflicht erschien. In ihrer Stellung als vollgültige Staatsbürger aber durch den Adel beleidigt, scheuten sie nicht davor zurück, Unruhen zu erregen und dem Fürsten mit der Aufkündigung des Gehorsams zu drohen. Spontan solidarisierten sich mit diesen Bürgern die Massen der städtischen Bevölkerung, vor deren gewaltiger Kraft der Herzog schließlich kapitulierte. Der Aufruhr vor dem Huldigungstage verfolgte keine antifeudalen Ziele, aber er enthielt und entwickelte bereits beachtliche antifeudale Potenzen. 185

»Der Genius der Zeit", Jahrg. 1797, 8. Stück, S. 509/10. Vgl. auch Pñster. Albert, Aus den Tagen des Herzogs Ludwig Eugen von Württemberg. Nach bisher unbenützten Aufzeichnungen zusammengestellt. In: .Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", NF 3. Jahrg., S. 165/66, 1894.

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Es war vor allem die Französische Revolution, die diese Potenzen ins Bewußtsein hob und eine breite antifeudale Strömung hervorrief. Sie erfaßte sowohl die besten Vertreter des angesehenen Bürgertums, insbesondere die Intelligenz, als auch die Massen der städtischen und ländlichen Bevölkerung. Als der neuernannte sächsische Geschäftsträger für Bayern den Ort seiner künftigen diplomatischen Tätigkeit, München, erreicht hatte, schrieb er in seinem ersten Bericht vom 20. Juli 1794 nach Dresden: »Ich kann übrigens Euer Exzellenz nicht den Geist des Jakobinismus verheimlichen, der in allen Orten verbreitet ist, durch die ich gekommen bin, und namentlich im Herzogtum Württemberg, und was noch auffallender ist: Es sind die Priester und die Gebildeten, die zum Teil von diesem Irrwahn angefallen sind." 186 Ähnliches äußerte der Geheimsekretär Johann Christoph Schwab in seinen 1796 verfaßten Aufzeichnungen über die Regierungszeit seines Herzogs Ludwig Eugen: »... es ist gewiß, und ich weiß es aus eigener Erfahrung, daß, so wenig die Handlungsart des französischen und besonders des Pariser Volkes gebilligt wurde, doch die Grundsätze, auf welchen die Französische Revolution beruhte, einen beinahe allgemeinen Beifall fanden und daß selbst unter den aufgeklärten Klassen zwar kein grober, aber doch ein feiner Demokratismus herrschte. Die Grundsätze dieses feinen Demokratismus lassen sich nach dem Begriff, den ich davon habe, auf den Satz reduzieren, daß der Regent dem Volke subordiniert, oder, wie man sich auch auf eine gelindere Art auszudrücken pflegt, daß der Regent bloß um des Volkes und nicht das Volk um des Regenten willen da sei." 187 Knapp und präzise stellte er fest: »Das Publikum, im Durchschnitt genommen, war mehr oder weniger französisch gesinnt." 188 Solche Urteile stimmten mit den französischen Beobachtungen völlig überein; am 9. Mai 1794 berichtete der französische Gesandtschaftssekretär Bacher aus Basel nach Paris: »Die Einwohner Schwabens und des Herzogtums Württemberg im besonderen nehmen weiterhin lebhaftesten Anteil an der Französischen Revolution." 189 Bacher stützte sich dabei auf Agentenberichte wie den folgenden, in dem es unter anderem hieß: »Die Regierung ist außerdem gezwungen, die Rechte der Einwohner zu respektieren und selbst häufig ihren Wünschen und ihren Forderungen nachzugeben, die sie mit mehr Freimut und Energie aussprechen seit dem Beginn der Französischen Revolution und mehr seit dem Triumph Frankreichs über die verbündeten Despoten... Die Einwohner, der Bauer und der Bürger der Städte, haben . . . nach der Gelegenheit getrachtet, ihrer Liebe zu Frankreich Ausdruck zu geben. Die Jugend des Landes ist zum Teil von der Freiheit begeistert. Man kann hier sagen, daß in diesem Lande die Emigranten so schlecht angesehen wurden, daß 188

187 188 199

»Je ne saurais au surplus cacher à V. E. l'esprit de Jacobinisme répandu dans tous les endroits par où j'ai passé, et nommément dans le Duché de Wirtemberg, et ce qu'il y a de plus singulier, ce sont les prêtres et les gens lettrés qui sont en partie attaqués de cette manie." LHA Dresden, Loc. 3468, Minutes des dépêches à S. E. Mr. le Comte de Loss, l'année 1794, Nr. 1. Pfister, Albert. Aus den Tagen..., a. a. O., S. 134. Ebenda, S. 182. .Les habitants de la Souabe et du duché de Wurtemberg en particulier continuent à prendre la part la plus vive à la Révolution française." Papiers de Barthélémy, Ambassadeur de France en Suisse 1792-1797. Publiés par Jean Kaulek. Paris 1889, Bd. 4, S. 83.

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sie noch vor der Kriegserklärung zu dem Schluß kamen, sich davonzumachen. Patriotische Lieder und besonders die Hymne der Marseiller sind übersetzt und im ganzen Lande verbreitet worden. Zahlreiche junge Leute sind mutig genug gewesen, zu wiederholten Malen die Trikolore zu hissen und für die Sache der Freiheit glückliche Ereignisse zu feiern." 190 Übergriffe adliger Emigranten stießen darum nicht nur auf den Widerstand der unmittelbar Betroffenen, sondern lösten häufig förmliche Demonstrationen aus. Als einige Offiziere vom Corps Condé am 11. April 1795 in der württembergischen Stadt Herrenberg einzelne Bürger belästigten, liefen gleich etliche hundert mit Flinten, Prügeln und Äxten bewaffnete Einwohner zusammen, um diesem Gesindel auf den Leib zu rücken. Das Oberamt mußte zwei Emigranten in Schutzhaft nehmen, um sie vor dem Tode zu bewahren und „einem besorgenden größeren Unheil und allgemeiner Unordnung v o r z u b e u g e n , . . 1 9 1 Bezeichnend ist auch die Beschwerde eines nahe der württembergischen Landesgrenze am Kniebis stationierten Regimentskommandeurs dieses Emigrantenkorps vom 25. Mai 1796. Er beschuldigte die benachbarten Württemberger, seine Husaren systematisch zur Desertion zu verleiten, indem sie sie in ihren Quartieren aufsuchten, sie zum Verkauf ihrer Pferde bewegten, ihnen den halben Preis im voraus zahlten und sie so nach Freudenstadt und Dornstetten auf württembergischen Boden lockten, wo ihnen gegen den Rest des Geldes die Pferde abgenommen wurden. 192 Mochte immerhin hier der aus dem Pferdehandel erzielte materielle Gewinn die wesentliche Triebkraft gewesen sein, so schadeten diese Praktiken doch objektiv den Gegnern der Franzosen. Bei der verbreiteten profranzösischen Gesinnung erschien den beteiligten Württembergern eine solche Handlungsweise zweifellos auch moralisch gerechtfertigt. Die Franzosenbegeisterung war noch nicht die allgemeine Bereitschaft, es ihnen gleichzutun. Dennoch bedeutete allein die Übernahme bestimmter Losungen der Französischen Revolution, selbst wenn die Unruhen weiterhin spontan, lokal und klassenmäßig begrenzt blieben, eine Verschärfung des Klassenkampfes. Das zeigt beispielsweise der Gesellenaufruhr im Juni 1794 in Stuttgart. Er begann wie viele Handwerkerunruhen vor ihm als Kampf der ausgebeuteten Gesellen gegen die 190

1,1 192

.Le gouvernement est forcé au reste de respecter les droits des habitants et même de céder souvent à leurs vœux et à leurs demandes qu'ils prononcent avec plus de franchise et d'énergie depuis le commencement de la Révolution française et plus encore depuis le triomphe de la France sur les despotes coalisés . . . Les habitants, le paysan et le bourgeois des villes ont recherché . . . l'occasion de mettre au jour leur amour pour la France. La jeunesse du pays est en partie enthousiasmée de la liberté. On peut dire ici que dans ce pays les émigrés ont été si mal vus qu'ils ont pris le parti de s'en aller même avant la déclaration de guerre. Des chansons patriotiques et notamment l'hymne des Marseillais ont été traduites et répandues dans le pays. Grand nombre de jeunes gens ont été assez courageux pour arborer à plusieurs reprises la cocarde tricolore et célébrer les événements heureux pour la cause de la liberté." Obsei. Karl. Zwei Denkschriften eines französischen Agenten über Württemberg aus dem Sommer 1794. In: .Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", NF 11. Jahrg., S. 126, 1900. Pûstei, Albert, Die Condéer in Württemberg. In: »Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", 7. Jahrg., S. 97, 1884. HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 214, Nr. 311, Denkschrift des Louis Joseph de Bachy.

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ausbeutenden Meister. Im Mai hatten nahezu alle Schuhmachergesellen aus Protest gegen die Entscheidung eines Streits zwischen einem ihrer Berufsgenossen und seinem Meister Stuttgart verlassen und sich in die nahe Reichsstadt Ehlingen begeben. Im Einverständnis mit dem Eßlinger Magistrat hatte der Herzog von Württemberg sie durch Soldaten zurückholen und die Anführer in den Turm werfen lassen. Dieser Gewaltakt empörte die Gesellen der übrigen Handwerke, die Miene machten, die Eingekerkerten zu befreien. Aus einer innerzünftlerischen Auseinandersetzung wurde ein Kampf, dessen Spitze sich direkt gegen den feudalen Staat richtete. Die daraufhin angeordnete Verdoppelung der Wachen schreckte nicht ab, wie der preußische Gesandte von Madeweiß berichtete, «sondern sie rotteten sich nichtsdestoweniger den 22. des Abends gegen 6 Uhr zusammen, insultierten die Wache und jedermann, der ihnen begegnete, schrien in den Straßen Vive la Nation, es lebe Freiheit und Gleichheit. Bald gesellten sich zu ihnen Weingärtner, deren es hier viele gibt, eine Menge Buben und vorzüglich viel Weibsleute, und so zogen sie vor die Oberamtei, wo sie die Fenster und Jalousieladen mit Steinen einwarfen, die ihnen von den Weibsleuten zugetragen wurden." 199 Mit knapper Not nur konnten sich Oberamtmann und Kommandant vor der Menge retten. »Die hiesige Garnison, die ungefähr aus 600 Mann besteht, war zu schwach, um den Aufrührern, die mit den Weibsleuten fast auf 4000 angewachsen waren, zu widerstehen." 194 Eine zur Residenz des Herzogs nach Ludwigsburg geschickte Staffette mußte von dort ein Infanteriebataillon und Dragoner zu Hilfe rufen, um den Aufruhr ersticken zu können. Die Losung »Vive la Nation, es lebe Freiheit und Gleichheit" hob den Handwerkeraufstand über vorangegangene hinaus. Sie gab der Bewegung ein größeres Kraftgefühl, indem sie das Bewußtsein erzeugte, in den siegreichen Franzosen moralische Verbündete zu besitzen. Darüber hinaus erleichterte die Losung die Oberwindung des rein zünftlerischen Charakters der Bewegung und die Verbreitung der Front der Aufrührer durch die Weingärtner. Das wohlhabende Bürgertum allerdings blieb trotz Sympathie für die französischen Ideen unberührt. Es hatte nicht die Kraft und den Mut, sich an die Spitze zu stellen, sondern fürchtete in seiner Schwäche die Kraft der Volksbewegung und machte sich zum Verteidiger der bestehenden Ordnung. Der Herzog, der am 24. Juni für einige Stunden nach Stuttgart kam, dankte den Bürgern für ihr gutes Betragen. 195 Oberamtmann und Magistrat fühlten sich jedoch nach diesen Ereignissen und unter dem Eindruck zahlreicher anonymer Drohschriften so wenig sicher, daß sie in einer Eingabe vom 12. Juli den Herzog baten, »für beständig ein hinlängliches Militär allhier in Garnison" zu legen. 196 Zwei solche Pasquille beschäftigten Ende Oktober und Anfang November den Herzog und seinen Geheimen Rat, ein Beweis dafür, daß das Reskript vom 19. April, worin allen Verfassern anonymer Eingaben mit Strafe gedroht wurde, ohne Wirkung 1,3

195 1,6

DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 20. Ebenda. Ebenda, Bl. 21. HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 213, Bund 243, Nr. 63.

5 Süddeutsche Jakobiner

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geblieben war. 197 Dem Hofrichter und Regierungsrat von Normann war des Nachts ein Pasquill an die Haustüre geheftet worden, worin ihm geraten wurde, sein Amt schleunigst niederzulegen, wenn er nicht sein Haus in Flammen aufgehen sehen und selbst am Galgen enden wollte. In Normann griff das Pasquill den vom Herzog protegierten Adel nichtwürttembergischen Ursprungs an, der die Landeskinder wie „mecklenburgische oder pommersche Hunde" behandelte. 198 Die andere Drohschrift, von ungelenker Hand geschrieben, war an den Herzog selbst gerichtet. Die Skala der Forderungen reichte vom Verbot der Läusepuderherstellung - „der Puder muß verboten werden zu machen, und der Puder kostet sehr viel Frucht, denn die Vornehmen haben meistens Niß und Läus vor Faulheit" - über die Einschränkung der Luxusbauten - „was hilft uns die Solitude, das Säuhäusle bei Egolsheim, der Einsiedel und Gravendel und Hohenheim oder Euch" - die Abschaffung der hohen Beamtengehälter - „wir wollen es uns herzlich gefallen lassen, einen Herzog zu haben, aber nicht 6000 oder mehr Besoldungsherren" - bis zur schleunigen Beendigung des Krieges - „macht, daß es Frieden gibt, oder wir werden noch den Franzosen helfen." 199 Der Herzog wollte zunächst öffentlich zu beiden Schriften Stellung nehmen, das heißt den Ankläger Normanns zur ordnungsgemäßen Eingabe einer Beschwerde auffordern und dem zweiten Verfasser mit der dumm-frechen Erklärung antworten, „daß die niederen und dürftigeren Klassen von jeher die höheren und wohlhabenden mit scheelen Augen angesehen, welches besonders heutzutage bei den so sehr mißverstandenen Grundsätzen von Freiheit und Gleichheit der Fall sei; daß aber Seine Herzogliche Durchlaucht nicht alle Armen reich machen, noch alle Niederen in einen 'höheren Stand versetzen könne..." 200 Der Geheime Rat überzeugte ihn dann jedoch davon, daß es vorteilhafter sei, insgeheim nach den Verfassern zu fahnden, Militär nachts patrouillieren, die Beleuchtung verbessern und unter der Hand die Aussetzung einer Belohnung für die Ergreifung der Täter bekanntmachen zu lassen. 201 Im Vergleich zu Stuttgart fanden sich in kleineren Städten, wo die soziale Differenzierung weniger ausgeprägt war, die oppositionellen Kräfte leichter zusammen, wenn auch in der Regel auf niedrigerem politischen Niveau. So berichtete Madeweiß im März 1794 von großen Unruhen in Tuttlingen, „indem die Bürger daselbst den herzoglichen Oberamtmann förmlich in Verhaft genommen haben. Der Herzog ist daher genötigt gewesen, daselbst Militär hinzuschicken und demselben sogar Kanonen mitzugeben." 202 Aber mit Soldaten allein war es auch nicht getan. Die herzogliche Regierung mußte sich zu fühlbaren Zugeständnissen an die Bürgerschaft bequemen: „Wir wollen daher", hieß es in der Resolution vom 16. August 1794 an die Stadt Tuttlingen, „der Bürgerschaft überlassen haben, aus ihrer Mitte vier ihrer Stadtverfassung kundige, bescheidene und wohl prädizierte Männer als ihre künftigen Gemeindedeputierten zu erwählen, dem Magistrat zu präsentieren und bestätigen zu lassen, damit dieselbigen in Gemeinschaft mit dem Ratscollegio nicht nur bei den Kirchenvisitationen und Verlesung der Stadtrechnungen, sondern auch bei 197 199 802

198 Ebenda, A 211, Nr. 51. HSA Stuttgart, A 202, Rubr. 46, Nr. 113. 200 201 Ebenda. Ebenda. Ebenda. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 19.

2. Das Herzogtum Württemberg

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Verhandlungen in besonders wichtigen Gemeindeangelegenheiten anwohnen, die zuvor eingeholten Gesinnungen des beträchtlichsten Teils der Bürgerschaft in der Ordnung und mit Bescheidenheit vortragen, und, wenn sie je mit Überzeugung glauben, als ob durch den magistratischen Schluß zu viel oder zu wenig geschehe, geziemende Vorstellungen machen oder auch an die höhere Behörde die Sache anbringen mögen,..." 2 0 3 Wenn auch ihre Vorstellungen keine aufschiebende oder gar aufhebende Wirkung des obrigkeitlichen Beschlusses besaßen, sondern die Entscheidung der höheren Behörde vorbehalten blieb, so hatte sich die Tuttlinger Bürgerschaft doch Repräsentanten erkämpft, wie sie andere württembergische Städte nicht besaßen.204 Im Gegensatz zum Stuttgarter Beispiel, wo die eigentlichen, über das Bürgerrecht verfügenden Bürger die plebejischen Schichten in ihrem Kampf mit der Staatsgewalt allein ließen oder sogar hemmten, wurde in Tuttlingen die Aktion von eben diesen Bürgern im Bunde mit den übrigen Einwohnern getragen. Überhaupt ist festzustellen, daß die plebejischen Schichten sich stets als kampfbereite Bundesgenossen erwiesen, während die Bürger häufig genug mit der feudalen Staatsgewalt paktierten. Die Verhältnisse auf dem Lande waren ebenso mit sozialem Zündstoff angereichert wie die der Städte. Über die Stimmung der Bauern berichtete der Brief eines Zeitgenossen vom 24. April 1794 aus Stuttgart: »Das Landvolk gefällt mir hier recht gut; es ist verständig und doch naiv, hat mehr Gefühl seiner Würde, als man sonst in Deutschland unter den Bauern findet, und drückt sich seines breiten Dialekts ungeachtet wohl aus. Von dem französischen Krieg haben sie sehr einfache, aber desto fester gewurzelte Begriffe. Der Hof und der Adel waren liederliche Burschen und plagten die Landleute; diese haben sich ihrer endlich mit Gewalt erwehrt und sie aus dem Lande gejagt. Die großen Herren in der ganzen Welt nehmen sich der verjagten Vornehmen an, aber den Franzosen steht der liebe Gott sichtbarlich bei." 2 0 5 Die Sympathie für die Franzosen hatte neben der Übereinstimmung in den allgemeinsten Prinzipien für einen Teil der Landleute auch besondere konkrete wirtschaftliche Gründe. Der von den Feudalmächten verursachte Interventionskrieg beraubte sie eines wichtigen Absatzmarktes vor allem für ihre Pferdezucht.206 Bacher aus Basel meldete am 4. Mai 1794 nach Paris: »Sie haben soeben einen ihrer Vertrauensleute geschickt, um der französischen Republik Pferde anzubieten. Sie haben auch Lebensmittel im Überfluß und murren laut über die Hindernisse, die von den Österreichern gegen ihre Ausfuhr ebenso wie gegen die der Waren im allgemeinen errichtet sind." 207 Die verstreute Siedlungsweise der Bauern erschwerte 208

204 205 206 807

5*

Ober die Unwirksamkeit und Gebrechen der württembergischen Magistratsverfassung, o, O. 1797, S. 39. Ebenda, S. 36/37. »Der Genius der Zeit", Jahrg. 1797, 8. Stück, S. 517. Papiers de Barthélémy.. ., a. a. O., Bd. 4, S. 24/25. »Ils viennent d'envoyer un de leurs affidés pour offrir des chevaux à la République française. Ils regorgent aussi de denrées et murmurent hautement des entraves mises par les Autrichiens à leur exportation de même qu'à celles des marchandises en général." Ebenda, S. 83.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

naturgemäß im Gegensatz zu den Städten, wo auf engem Raum Tausende zusammenlebten, das gemeinsame Handeln, so daß sich der Klassenkampf auf dem Lande in geringerem Maße bis zu großen offenen Unruhen steigern konnte. Aber schon die stärkere Intensität der einzelnen Übergriffe gegen die feudale Ordnung verdeutlicht seine Verschärfung. So teilte der Geheimsekretär Schwab in seinen Aufzeichnungen mit: „... die Bauern überhaupt liefen mit Gewehr in die Wälder, wilderten daselbst und stahlen Holz. Wollten die Jäger sie abhalten und greifen, so liefen sie Gefahr, von ihnen erschossen zu werden." 2 0 8 Wiederholt und mit großer Sorge sprach Madeweiß in seinen Berichten von dem »Geist der Unruhe und Unbotmäßigkeit, der bald mehr, bald weniger ausbricht und fast immer durch das Militär gedämpft werden muß." 2 0 9 Am 27. August 1794 meldete er: . . . . die Unbotmäßigkeit ist hier so groß geworden, daß alle Augenblicke ein Kommando bald nach diesem, bald nach jenem Orte marschieren muß, um Ordnung und Ruhe daselbst wiederherzustellen,..." 2 1 0 Die Verschärfung des Klassenkampfes war eine Tatsache. Die Vorstellung dagegen, daß sich das Land am Vorabend einer Revolution befände, entsprach nicht dem gegebenen Entwicklungsstande der Klassenkräfte. Die Einschätzung, wie sie der französische Agent Rivais in Basel in einem Bericht vom 30. Juni 1794 nach Paris gab, bedarf daher starker Korrekturen. Er schrieb : .Nach dem, was wir von Württemberg erfahren, ist es nicht mehr eine aufrührerische Bewegung, die man dort fürchtet, sondern richtig ein allgemeiner Aufstand, dessen Ziel ein Regimewechsel sein wird: Die Umgegend von Stuttgart ist in Waffen, und diese Stadt ist schon im Begriff gewesen, den Vorzug, die obersten Werkzeuge des herzoglichen Despotismus zu beherbergen, teuer zu bezahlen . . . Einiger Beistand von unserer Seite würde genügen, um dort bald einen Nationalkonvent zu erleben." 2 1 1 Es ist richtig, daß die herrschende Klasse von einer solchen Furcht ergriffen war. Eine solche Furcht ist aber keineswegs ein zuverlässiger Maßstab für die reale Kraft der Opposition. Die Massen des werktätigen Volkes entwickelten starke revolutionäre Potenzen, aber ihnen fehlte die entsprechende Führung durch die Bürgerklasse. Sie hatte in größerem Maße als in Bayern die feudale Ordnung ökonomisch und ideologisch unterhöhlt, aber war andererseits durch den besonderen Charakter des ständischen Lebens in Württemberg auch wieder stärker gehemmt. Die bürgerliche Oligarchie verknüpfte die Gesamtheit der Bürgerklasse durch viele Fäden mit dem feudalen Staat. Einzelne oppositionelle Elemente, die in die Landschaft eindrangen, bildeten eine verschwindende

Pßstet, Albert, Aus den Tagen..., a. a. O., S. 187/88. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 55. 2i» Ebenda, Bl. 33. 298

209

211

.D'après ce que nous apprenons du Wurtemberg, ce n'est plus un mouvement séditieux qu'on y craint, mais bien une insurrection générale dont l'objet sera un changement de régime: les environs de Stuttgart sont en armes, et cette ville a déjà été sur le point de payer cher l'avantage de renfermer les premiers instruments du despotisme ducal... Il nous suffirait de quelque protection pour y voir bientôt une convention nationale.* Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 170.

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3. Die Markgrafschaft Baden

Minorität und vermochten den starken Einfluß der Oligarchie nicht anzutasten. Eine für Bacher bestimmte Denkschrift eines französischen Agenten vom Sommer 1794 sagte durchaus zutreffend: «Aber die Minderheit ist zu schwach . . . , und nur in dem gegebenen Augenblick, wo das Vaterland in Gefahr ist und mit lauter Stimme die Hilfe guter und talentierter Männer fordert, wird diese Minorität einiges Übergewicht haben." 212 Das Kräfteverhältnis der Klassen war für den historischen Fortschritt noch ungünstig, und es bedurfte mehr als bloß »einigen Beistandes" von französischer Seite, um die Ständevertretung in einen Konvent zu verwandeln.

3. Die Markgratschalt

Baden

Die Markgrafschaft Baden unterschied sich in ihrer politisch-staatlichen Struktur sowohl von Bayern als auch von Württemberg. Baden konnte als die reinste Verkörperung dessen gelten, was Marx und Engels in der »Deutschen Ideologie" vom staatlichen Leben in Deutschland zur Zeit des Absolutismus allgemein feststellten: »Die Ohnmacht jeder einzelnen Lebenssphäre (man kann weder von Ständen noch von Klassen sprechen, sondern höchstens von gewesenen Ständen und ungebornen Klassen) erlaubte keiner einzigen, die ausschließliche Herrschaft zu erobern. Die notwendige Folge davon war, daß während der Epoche der absoluten Monarchie . . . die besondre Sphäre, welcher durch die Teilung der Arbeit die Verwaltung der öffentlichen Interessen zufiel, eine abnorme Unabhängigkeit erhielt, die in der modernen Bürokratie noch weiter getrieben wurde. Der Staat konstituierte sich so zu einer scheinbar selbständigen M a c h t . . 2 1 3 Da es in Baden nie einen kräftigen landsässigen Adel gegeben hatte, ist es auch nicht zu erbitterten Kämpfen zwischen dem Fürsten und den Landständen gekommen; diese Adelsvertretung erlosch bereits im 17. Jahrhundert. Andererseits war die städtische Entwicklung durchaus zwerghaft; die große Mehrzahl der Einwohner der vielen kleinen Städte lebte als Ackerbürger; ein kräftiges Bürgertum, das politische Machtansprüche stellen konnte, gab es noch nicht.214 An der Spitze des darum abnorm unabhängigen Staatsapparates stand der Markgraf. Er bestimmte nach seinen Bedürfnissen die Höhe der jährlichen Schätzung, der wichtigsten direkten Steuer, von der Adel und Geistlichkeit und auch jedes Geldvermögen befreit blieben. Ebenso flössen die anderen direkten und die indirekten Steuern in seine Kassen. Als Feudalherr besaß er den weitaus größten Teil des Grund und Bodens und vereinigte in seiner Hand nahezu alle Rechte, die sich aus der Gerichtsherrschaft herleiteten. 215

212

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»Mais la minorité est trop faible..., et ce n'est que dans le moment actuel où la patrie en danger demande à grands cris l'assistance des hommes de bien et de talent, que cette minorité aura quelque prépondérance." Obset, Kail, Zwei Denkschriften..., a. a. O., S. 122. Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, a. a. O., S. 178. Windelband, Woligang, Die Verwaltung der Markgrafschaft Baden zur Zeit Karl Friedrichs. Leipzig 1916, S. 39. Ludwig. Theodor, Der badische Bauer im 18. Jahrhundert. Strasburg 1896, S. 16/17.

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3. Die Markgrafschaft Baden

Minorität und vermochten den starken Einfluß der Oligarchie nicht anzutasten. Eine für Bacher bestimmte Denkschrift eines französischen Agenten vom Sommer 1794 sagte durchaus zutreffend: «Aber die Minderheit ist zu schwach . . . , und nur in dem gegebenen Augenblick, wo das Vaterland in Gefahr ist und mit lauter Stimme die Hilfe guter und talentierter Männer fordert, wird diese Minorität einiges Übergewicht haben." 212 Das Kräfteverhältnis der Klassen war für den historischen Fortschritt noch ungünstig, und es bedurfte mehr als bloß »einigen Beistandes" von französischer Seite, um die Ständevertretung in einen Konvent zu verwandeln.

3. Die Markgratschalt

Baden

Die Markgrafschaft Baden unterschied sich in ihrer politisch-staatlichen Struktur sowohl von Bayern als auch von Württemberg. Baden konnte als die reinste Verkörperung dessen gelten, was Marx und Engels in der »Deutschen Ideologie" vom staatlichen Leben in Deutschland zur Zeit des Absolutismus allgemein feststellten: »Die Ohnmacht jeder einzelnen Lebenssphäre (man kann weder von Ständen noch von Klassen sprechen, sondern höchstens von gewesenen Ständen und ungebornen Klassen) erlaubte keiner einzigen, die ausschließliche Herrschaft zu erobern. Die notwendige Folge davon war, daß während der Epoche der absoluten Monarchie . . . die besondre Sphäre, welcher durch die Teilung der Arbeit die Verwaltung der öffentlichen Interessen zufiel, eine abnorme Unabhängigkeit erhielt, die in der modernen Bürokratie noch weiter getrieben wurde. Der Staat konstituierte sich so zu einer scheinbar selbständigen M a c h t . . 2 1 3 Da es in Baden nie einen kräftigen landsässigen Adel gegeben hatte, ist es auch nicht zu erbitterten Kämpfen zwischen dem Fürsten und den Landständen gekommen; diese Adelsvertretung erlosch bereits im 17. Jahrhundert. Andererseits war die städtische Entwicklung durchaus zwerghaft; die große Mehrzahl der Einwohner der vielen kleinen Städte lebte als Ackerbürger; ein kräftiges Bürgertum, das politische Machtansprüche stellen konnte, gab es noch nicht.214 An der Spitze des darum abnorm unabhängigen Staatsapparates stand der Markgraf. Er bestimmte nach seinen Bedürfnissen die Höhe der jährlichen Schätzung, der wichtigsten direkten Steuer, von der Adel und Geistlichkeit und auch jedes Geldvermögen befreit blieben. Ebenso flössen die anderen direkten und die indirekten Steuern in seine Kassen. Als Feudalherr besaß er den weitaus größten Teil des Grund und Bodens und vereinigte in seiner Hand nahezu alle Rechte, die sich aus der Gerichtsherrschaft herleiteten. 215

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»Mais la minorité est trop faible..., et ce n'est que dans le moment actuel où la patrie en danger demande à grands cris l'assistance des hommes de bien et de talent, que cette minorité aura quelque prépondérance." Obset, Kail, Zwei Denkschriften..., a. a. O., S. 122. Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, a. a. O., S. 178. Windelband, Woligang, Die Verwaltung der Markgrafschaft Baden zur Zeit Karl Friedrichs. Leipzig 1916, S. 39. Ludwig. Theodor, Der badische Bauer im 18. Jahrhundert. Strasburg 1896, S. 16/17.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

Die unabhängige Stellung ermöglichte es dem Landesherrn, in relativ starkem Maße die Entwicklung der Produktivkräfte zu fördern. Die Grenzen dieser Förderung wurden bestimmt durch die rein fiskalischen Motive, die den allgemein feudalen Rahmen nicht überschritten, den Konservatismus des Verwaltungsapparates und den gewaltigen Kapitalmangel. Immerhin konnte in Baden eine Zeitlang ein Mann wie Johann August Schlettwein, der bedeutendste deutsche Physiokrat, wirken. Vom physiokratischen System aber sagte Marx, daß es „die erste systematische Fassung der kapitalistischen Produktion" darstellte.216 Schlettwein erhielt 1769 sogar die Möglichkeit, seine Ideen in dem völlig heruntergewirtschafteten Dorf Dietlingen, dann auch in Bahlingen und Theningen, versuchsweise in die Praxis umzusetzen.217 Die Beamtenschaft begegnete in ihrer Mehrheit diesen und anderen Reformversuchen mit Mißtrauen und auch aktivem Widerstand. »Man kann die schönsten Verordnungen machen - was helfen diese einem Lande, wenn sie schlecht oder gar nicht befolgt werden?" fragten die »Briefe über die Verfassung der Markgrafschaft Baden" aus dem Jahre 1788. 218 Dennoch konnten die landesherrlichen Reformen nicht in dem Maße wie etwa in Bayern sabotiert werden. Wenn auch die gegebenen Bedingungen die volle Ausnutzung progressiver Reformen erschwerten, so schuf doch auch die Verordnung von 1760 immerhin einige Entwicklungsmöglichkeiten, indem sie in das erstarrte Zunftleben eingriff und die Bestimmung aufhob, wonach der Meister nur eine bestimmte Zahl von Gesellen beschäftigen durfte. 219 Das neugegründete Karlsruhe erhielt sogar die volle Gewerbefreiheit, so daß ein Wagenbauer Sattler-, Stellmacher- und Eisenschmiedegesellen in seiner Werkstatt arbeiten lassen konnte. 220 Ebenso bedeutete die Aufhebung der Leibeigenschaft 1783 zumindest eine potentielle Hebung der Produktivität in der Landwirtschaft.221 Die industrielle Entwicklung Badens litt unter der Zwerghaftigkeit und Zersplitterung des Territoriums, das noch nicht einmal einheitliche Maße kannte. Vor allem aber litt sie unter dem Kapitalmangel. Nicht badische, sondern kapitalkräftige Schweizer Bürger waren es daher, die mit einigem Erfolg als Pioniere des industriellen Fortschritts in Baden auftraten. Die vor den Toren Basels gelegenen badischen Oberlande, die Herrschaften Rötteln und Badenweiler und die Landgrafschaft Sausenburg, waren zunächst ganz auf Schweizer Kapital angewiesen. Sie hatten keine Städte, die diesen Namen verdienten, und kein finanzkräftiges Bürgertum. Das Eindringen des ausländischen Kapitals wurde dadurch begünstigt, daß die Oberlande im Gegensatz zu den übrigen Landesteilen weder Zölle noch Akzise kannten. Vor allem aber fanden sich hier in den vielen Landarmen, die der Ackerbau 219

217

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-19 220

221

Matx, Karl, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Herausgegeben von Friedrich Engels. Dietz Verlag, Berlin 1955, Bd. 2, S. 361. Krebs, Altred, J. A. Schlettwein und die physiokratischen Versuche in Baden. In: »Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 24, S. 601 ff., 1909. (Herzog, Ernst Siegmund), Briete über die Verfassung in der Markgrafschaft Baden, o. O. 1788. Windelband, Woligang, a. a. O., S. 101. Weech, Friedrich von, Karlsruhe. Geschichte der Stadt und ihrer Verwaltung. Karlsruhe 1895, Bd. 1, S. 50. Ludwig, Theodor, a. a. O., S. 153 ff.

3. Die Markgrafschaft Baden

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allein nicht ernähren konnte, die notwendigen Arbeitskräfte. Zum Teil traten die Schweizer Unternehmer als bloße Verleger auf, die ihre Baumwolle von Heimarbeitern, häufig mit ebenfalls gelieferten Werkzeugen, verarbeiten ließen. So erwarb ein Aargauer 1755 für Badenweiler und Hochberg die Konzession, einen solchen Verlag zu gründen. 222 Die Produzenten, von jedem Rohstoff- und Absatzmarkt getrennt und völlig auf Verleger angewiesen, mußten mit Löhnen zufrieden sein, die weit unter den in der Schweiz üblichen lagen. Außer Verlegern setzten sich auch Schweizer Manufakturisten in den Oberlanden und in Hochberg fest. So errichtete 1753 ein Berner in Lörrach eine zentralisierte Baumwollmanufaktur, die 200 Arbeiter beschäftigte. Im Gefolge der Schweizer traten dann schließlich einheimische Unternehmen hervor. Die Schopfheimer Bleiche verarbeitete jährlich bis zu 300 000 Ellen Schweizer Textilien und brachte solche Gewinne, daß sie in den 60er Jahren in Binzen bei Lörrach eine eigene Baumwollspinnerei und -Weberei errichten konnte. 225 Die Unterlande hielten in der Entwicklung der Textilindustrie mit den Oberlanden nicht Schritt, weil sowohl einheimisches wie ausländisches Kapital fehlte. Nur mit Hilfe staatlicher Monopolverleihungen waren einzelne Erfolge zu erzwingen. Das Konsortium Pforzheimer Kaufleute, das 1752 die bis dahin unter staatlicher Leitung unrentabel arbeitende Tuchmanufaktur des Waisenhauses übernahm, erhielt zahlreiche Privilegien, die das Unternehmen sicherten. Anfangs verlegte es die Meister in der unteren Markgrafschaft, später ließ es im Württembergischen arbeiten, wo die Calwer Zeughandelskompanie schon bessere Arbeitskräfte herangebildet hatte. Zwar überstand die Manufaktur manche schwere Absatzkrise und festigte sich, aber zugleich hemmte sie durch ihr Monopol eine Ausbreitung der Tuchindustrie. 224 Neben dem Textilgewerbe hatten andere Industriezweige, selbst wenn sie beträchtliche Posten im Außenhandel darstellten, für die Herausbildung fortgeschrittener Produktionsformen nur untergeordnete Bedeutung. Sie waren alle mehr oder weniger rein handwerksmäßig organisiert. Die Pforzheimer Bijouteriewarenindustrie beschäftigte zwar im Jahre 1800 über 1000 Personen, aber sie verteilten sich auf 80 Betriebe. 225 Die Glasmacher arbeiteten auf enger genossenschaftlicher Basis, und die Schwarzwälder Uhrenindustrie trug im Gegensatz zur Schweizer, die eine weitgehende Arbeitsteilung kannte, den Charakter eines Kunstgewerbes. 22 * Durchaus unbedeutend blieb in diesem Zeitraum die Schwerindustrie, der Erzbergbau und die Verarbeitung seiner Produkte, obwohl gerade auf diesem Gebiet der Landesherr immer wieder durch staatliche Vorschüsse größere Ergebnisse zu erzwingen versuchte. 227 222

223

224 225 226 227

Cothein, Eberhard, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften. Strasburg 1892, Bd. 1, S. 728. Kaiser, Wilhelm, Die Anfänge der fabrikmäßig organisierten Industrie in Baden. In: »Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 46, S. 617, 1933. Cothein, Eberhard, Wirtschaftsgeschichte..., a. a. O., S. 715 ff. Kaiser. Wilhelm, a. a. O., S. 618. Cothein, Eberhard, Wirtschaftsgeschichte..., a. a. O., S. 806, 836. Ebenda, S. 771 ff. Vgl. auch Baier, Hirmann, Die markgräfler Eisenwerke bis 1800. In: .Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 40, S. 351 Anm. 4, 1927.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

In der Landwirtschaft war man nirgends in Süddeutschland so weit wie in Baden auf dem Wege der Lockerung der feudalen Fesseln vorangegangen. Verschiedene Bedingungen, wie sie auch in Württemberg gegeben waren, erleichterten diese Entwicklung: Gutes Besitzrecht der Bauern, Konzentration der feudalen Rechte in der Hand des Landesherrn und seine geringe Eigenwirtschaft, schließlich seine relative Unabhängigkeit in Verbindung mit der Tatsache, daß er physiokratischen Ideen zuneigte, die eine Intensivierung der Agrarproduktion forderten. Wenn auch alle Reformen nur im fiskalischen Interesse erfolgten und sich selten in vollem Umfang durchsetzen ließen, so waren sie doch bemerkenswerte Ansätze. Die bemerkenswertesten waren die Schlettweins. Allein schon die gründliche Untersuchung des gegebenen Zustandes und der Ursachen der völligen Verarmung des Dorfes Dietlingen, dessen Bewohner dem Verhungern nur noch durch die Auswanderung nach Obersee entgehen zu können meinten, war ein Verdienst. Feudale Abgaben und Dienste, Plackereien der Beamten und Wucher hatten sie bis aufs letzte ausgesogen. 228 Schlettwein ging an die Gründung einer .Hilfskasse für die Landwirtschaft', da sich die Dietlinger unmöglich aus eigener Kraft emporarbeiten konnten. Er half ihnen bei der Vergrößerung ihres Viehbestandes, drängte auf Bebauung der Brache mit Klee und Esparsette, auf Übergang zur Stallfütterung, Verbesserung der Wiesen; er verlangte die Aufhebung aller Abgaben, die nicht nach dem Ertrage der Wirtschaft gemessen waren, die Umwandlung der Frondienste in Geldzahlungen, die Freiheit des Handels und Gewerbes für diesen Ort und anderes mehr. Bei der traurigen Ausgangsposition, bei den beschränkten finanziellen Mitteln, die Schlettwein durch Appelle »an Menschenfreunde für arme Dörfer" mühsam zusammenbettelte, bei der Isoliertheit dieses winzigen physiokratisch verwalteten Fleckchens konnte er, wie er selber wußte, keine schnellen und durchschlagenden Erfolge erringen. 1774 hatten ihn seine Gegner zur Strecke gebracht. Er nahm seinen Abschied.229 Immerhin war der Markgraf doch soweit von den physiokratischen Ideen beeinflußt, daß er das Experiment noch einige Jahre fortsetzen und auch verschiedene andere Reformversuche unternehmen ließ. 1783 fiel die Leibeigenschaft, soweit sie sich auf die Abgaben und nicht auf die Dienste der Bauern erstreckte; da sie nicht viel eingetragen hatte, war sie leicht zu beseitigen. 1785 erklärte eine Verordnung die feudalen Abgaben mit Ausnahme des Zehnt und aller unständigen Abgaben gegen einen 25fachen Jahresbetrag für ablösbar; die Höhe der Ablösung überschritt die Leistungsfähigkeit der meisten Bauern; darum ist von dieser Möglichkeit einzig in der Herrschaft Badenweiler merklicher Gebrauch gemacht worden, so daß dort bis 1800 etwa ein Viertel bis ein Drittel der Erblehen in freies Eigentum verwandelt war. 230 Die Fronordnungen von 1786 und 1790 verfolgten den Zweck, durch bessere Ausnutzung und gleichmäßigere Verteilung diese feudale Leistung gewinnbringend zu machen und gleichzeitig zu mildern. 231 Die Verwandlung der Fronen in Geldleistungen gelang nur in einzelnen 228 228 280 241

Krebs. Alhed. a. a. O., S. 606 ff. Ebenda, S. 614 ff. Ludwig, Theodor, a. a. O., S. 171 ff. Ebenda, S. 166.

3. Die Markgrafschaft Baden

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Gebieten wie in der Grafschaft Eberstein und der Herrschaft Mahlberg, wobei der Landesherr lohnende Geschäfte machte: Abgesehen davon, daß die Mahlberger Bauern die Jagdfronen nach wie vor leisten mußten, zahlten sie jährlich für die Befreiung von den Transport- und Baufronen über 5000 Gulden, während der Staat ganze 400 Gulden als Löhne für die früher in der Fron zu leistenden Arbeiten ausgab. 232 Bei aller Begrenzung schafften solche Reformen doch Raum für eine Weiterentwicklung der Produktivkräfte. Wertvolle Anregungen in dieser Hinsicht gingen dabei von der Gemeinnützigen Gesellschaft in Karlsruhe aus, die die besondere Förderung des Markgrafen genoß. Man schritt zur verbesserten Dreifelderwirtschaft, führte den Anbau von Futterkräutern und die Stallfütterung ein, hob dadurch die Viehwirtschaft, sicherte zugleich eine bessere Düngung des Ackers, man pflanzte Handelsgewächse wie Krapp und Hanf und verbesserte die Rebsorten. 233 Die Lage der Bauernschaft war trotz der Lockerung der feudalen Fesseln im ganzen gedrückt und unbefriedigend. Ein beträchtlicher Teil der Bauern, der privaten Grundherren wie fremden Fürsten, Reichsrittern, Reichsklöstern, Stiftungen unterstand, war davon überhaupt ausgeschlossen. Für die Gesamtheit ging die Lockerung nicht weit genug, so daß der badische Bauer im allgemeinen noch immer grundherrlich abhängig und dem Gerichtsherrn fronpflichtig blieb. 234 Die Landarmut war groß. In der Ebene setzte sich auf der Basis des Erbrechts eine derartige Aufsplitterung der bäuerlichen Güter durch, daß beispielsweise eine Abgabe von 14 Gulden und einigen Kreuzern, die auf dem Dorfe Bahlingen lag, sich auf 168 Posten verteilte. 235 In den höhergelegenen Gebieten des Schwarzwaldes kannte man diese Aufsplitterung des bäuerlichen Besitzes nicht, weil der karge Boden sie nicht gestattete. Dennoch waren diese Höfe nicht gut gestellt. Sie ertranken in Schulden; im Hochibergischen stand jeder zehnte Bauer kurz-vor dem Bankrott. Die Auswanderung ganzer Familien nach Übersee war in Baden zu einer gewöhnlichen Erscheinung geworden. 236 Die Bauernschaft bildete die Masse der werktätigen Bevölkerung, zumal auch die Ackerbürger der Städte noch halbe Bauern waren und die verlegten Weber und Spinner auf dem Lande ihr Gewerbe meist als Nebenbeschäftigung trieben. Der Bauer, der Hauptlastträger der feudalen Gesellschaft, hatte Grund zur Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen. Eine ökonomisch starke Bourgeoisie, die die aus jener Unzufriedenheit sich entwickelnden revolutionären Energien organisieren und politisch nutzen konnte, hatte das kleine badische Territorium noch nicht hervorgebracht. Den Bauern fehlte diese Führung, aber sie besaßen seit 1789 in unmittelbarer Nachbarschaft jenseits des Rheins das große Beispiel, an dem sie sich bis zu einem gewissen Grade selber orientieren konnten. Die Französische Revolution 232

Ebenda, S. 25. Drais, Karl Wilhelm Ludwig von, Geschichte der Regierung und Bildung von Baden unter Carl Friedrich. Karlsruhe 1816, Bd. 1, S. 103 ff.; Karlsruhe 1818, Bd. 2, S. 220 ff. Vgl. auch (Galler, Niklas), a. a. O., passim. 231 Ludwig, Theodor, a. a. O., S. 179/80. 235 Ebenda, S. 60. 2S « Ebenda, S. 89 ff. 833

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

gab ihren spontanen Ausbrüchen eine Perspektive, die sie aus sich selber nicht zu entwickeln vermochten. Der Rhein war kein unüberschreitbarer Graben gegen revolutionäre Ideen, zumal enge wirtschaftliche und auch verwandschaftliche Kontakte zwischen den Menschen beider Ufer bestanden. Die Kleineisenmanufaktur in Rastatt holte sogar einen guten Teil ihrer Arbeitskräfte aus der Gesellenherberge in Strasburg oder auch aus französischen Waffenfabriken. Sie importierte auf diese Weise jakobinische Propagandisten, die es später ungestraft wagen durften, die geforderten Kriegsfronen zu verweigern. 237 Durch die ständige Berührung mit dem revolutionären Frankreich verschärfte sich der Klassenkampf in Baden in besonderem Maße. Bereits 1789 waren hier am Oberrhein umfangreiche Bauernaufstände ausgebrochen, die nur mit starken militärischen Machtmitteln niedergeworfen werden konnten. 238 Die Ursachen der Unzufriedenheit beseitigte man damit nicht; sie vermehrten sich nach Ausbruch des Krieges vielmehr. Jetzt drückte zusätzlich die Gegenwart der feudalen Armeen, mit denen weitere Beschränkungen, Kriegsfronen und Verheerungen aller Art verbunden waren. Bezeichnend für die Stimmung ist die Tatsache, dag einerseits der Hofbuchhändler Macklot in Karlsruhe auf seinen konterrevolutionären Schriften sitzenblieb und in einer Eingabe vom 10. März 1794 die Behörde bat, sie ihm abzukaufen und umsonst unter der Landbevölkerung zu verteilen; andererseits wies das Oberamt Hochberg am 15. Februar mit großer Besorgnis darauf hin, daß der »Weltbote", eine Straßburger Zeitung, »auch von unseren Bauern, die ein solches mit den ärgerlichsten Invektiven gegen Deutschland, dessen Beherrscher und bürgerliche Verfassung angefülltes heilloses Blatt nicht gehörig zu verdauen wissen, in zerschiedenen Gemeinden ebenso wie in Freiburg und vorderösterreichischen Landen überhaupt häufig gelesen werde." 239 Am 1. Juli 1794 meldete Bacher nach Paris: »Es haben schon einzelne Insurrektionen stattgefunden, die Unzufriedenheit herrscht dumpf und wird nicht zögern, bei der ersten Gelegenheit auszubrechen. Die Österreicher setzen ihre unerhörten Plackereien fort und reizen dadurch die Bevölkerung der Reichsstände mehr und mehr zum Aufstand, die wie Feindesland behandelt werden und nur den Augenblick herbeisehnen, das Joch mit Sicherheit abwerfen zu können." 240 Der Bericht des Agenten Rivais vom 20. Oktober 1794 nach Paris sprach von einer Versammlung von rund 800 badischen Bauern, die über Mittel und Wege berieten, sich die Österreicher vom Halse zu schaffen; den dagegen einschreitenden Behörden gegenüber behaupteten sie, nur über Möglichkeiten des Lebensmittelexports beratschlagt zu haben. 241 Geradezu als ärgsten Feind betrachteten die Bauern das Emigrantenkorps des Prinzen Condé. 287 238 239 240

241

Gothein, Eberhard. Wirtschaftsgeschichte..., a. a. O., S. 779. Badischer Militäralmanach. Carlsruhe 1860, 7. Jahrg., S. 97 ff. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6289. »II y a déjà eu des insurrections partielles, le mécontentement règne sourdement et ne tardera pas d'éclater à la première occasion. Les Autrichiens continuent leurs vexations inouïes et soulèvent par là de plus en plus le peuple des États de l'Empire, qui sont traités en pays ennemis et ne soupirent qu'après le moment de pouvoir secouer le joug avec sûreté." Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 171/72. Ebenda, S. 373.

3. Die Markgrafschaft Baden

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Magister Laukhard, der selber als Korporal eine Zeitlang dieser Truppe angehört hatte, sagte in seiner Lebensbeschreibung : »Es ist ganz unbeschreiblich, wie verhaßt das Gesindel der Emigranten und ihre Truppen in den Gegenden des Oberrheins wegen ihres Stehlens und Raubens geworden sind. Wer nur ihren Namen nennt, setzt das Epithetum Spitzbube, Galgenstrick, Halunke oder sonst einen Ehrentitel dieser Art hinzu !" 242 Es fehlte nicht an Bemühungen sogar von markgräflicher Seite, einen Abzug dieser Truppen aus Baden bei der kaiserlichen Generalität zu erwirken. .Aber wohin?" fragte General von Seckendorff. „Kein Mensch will das Corps haben!" 243 Auf Grund von Berichten aus Karlsruhe und Schaffhausen konnte Bacher am 16. November 1794 dem Wohlfahrtsausschuß mitteilen, daß sich der Haß bereits in blutigen Auseinandersetzungen äußerte : „Die Bauern der Markgrafschaft Baden, verdrossen über die Quälereien durch die Emigranten, haben auf Husaren des Korps Condé Feuer gegeben. Sie haben einige getötet und mehrere andere verletzt." 244 Die Last der Einquartierungen führte zu ähnlichen Zusammenstößen mit dem österreichischen Militär. Eine Zeitungsmeldung aus Baden vom 2. Mai 1795 sagte: »Der Mißmut darüber und der eigene Mangel der Einwohner an den Notwendigkeiten des Lebens, der es ihnen unmöglich macht, die Forderungen der k.k. Truppen zu erfüllen, gibt Anlaß zu den traurigsten Mißhelligkeiten zwischen ihnen, welche an mehreren Orten bis zu Mordtaten und anderen Ausschweifungen gediehen sind." 245 Diese einzelnen Aktionen der Selbsthilfe waren mehr als dumpfe Ausbrüche einer geschundenen Bevölkerung. Dahinter steckte eine Gesinnung, wie sie sich auch bei den Bauern des Dorfes Tannenkirch in der badischen Herrschaft Rötteln dokumentierte. Hier war das vorderösterreichische Kloster St. Blasien Grundherr über verschiedene Bauerngüter, die es im Interesse eines geregelten Zinseinganges nicht zerstückeln lassen wollte. St. Blasien konnte sich dabei auf einen Vertrag mit dem Markgrafen von Baden berufen, der als Gerichtsherr ihm in dieser Frage Unterstützung zugesichert hatte. Nach dem Bericht des St. Blasischen Kammersekretärs erklärten die Tannenkircher darauf „in echt französischem Tone: Der Landesfürst habe kein Recht, ohne ihr Vorwissen und Einwilligung, in Betreff ihrer Güterverteilungen, mit einem fremden Fürsten Trakten einzugehen." 246 Die herrschende Klasse begriff die Gefahr, die ihr von .unten drohte. Es ist kein Zufall, daßMittel794 vonBaden die Anregung an verschiedene kleinere deutsche Fürsten ausging, zur Stärkung ihrer Sicherheit einen besonderen Bund zu bilden. Er sollte erstens dazu dienen, dem Kriege gegen Frankreich mehr Kraft und Einheitlichkeit zu geben, zweitens »auch wohl durch vertrauliche Zusammensicht all demjenigen, wo542

243 244

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Laukhard, Friedrich Christiaa, Leben und Schicksale, von ihm selbst beschrieben. Leipzig 1797, T. 4, Abt. 2, S. 187. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 218. »Les paysans du Margraviat de Bade ennuyés d'être vexés par les émigrés ont fait feu sur des houzards du corps de Condé. Ils en ont tué quelques-uns et blessé plusieurs autres." Papiers de Barthélémy a. a. O., Bd. 4, S. 434. »Deutsche Zeitung", Jahrg. 1795, 25. Stück, Sp. 423. Prasse, Max, Die Agrarverfassung des Schwarzwaldes vor der Bauernbefreiung. Wirtschaftsgeschichtliche Studien. Staatswiss. Diss. Basel 1937, S. 67.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

durch der gefährliche Revolutionsgeist angefacht und verbreitet werden möchte, sorgfältig nachspüren und über dagegen ohnverzüglich zu machende zweckmäßige landesherrliche Vorkehrungen sich gemeinsam zu benehmen."217 Nach dem Vorschlag führender badischer Staatsmänner sollte schon auf der vorbereitenden Konferenz in Wilhelmsbad beraten werden, »wie selbst nach hergestelltem Frieden ein gewisser ständiger Militärfuß ohne Aggravio der Untertanen zu unterhalten sei, um die etwa fortdauernde Verbreitung anarchischer Grundsätze und ihre Folgen hintertreiben zu können." 2 4 8 In Wilhelmsbad, wo Ende September 1794 der Markgraf von Baden und der Landgraf von Hessen-Kassel zusammenkamen, um sich über den Kreis der Fürsten zu einigen, die zum Eintritt in den Bund aufgefordert werden sollten, wurde als erste Maßregel gegen revolutionäre Umtriebe beschlossen, in beiden Ländern »einer Gesellschaft vonGelehrten zum Druck undHerausgabe ihrer antijakobinischen Schriften allen Vorschub gnädigst angedeihen zu lassen und sie allenfalls mit Privilegien zu versehen." 2 4 9 Ein zu diesem Punkt angefertigtes Memorandum führte im einzelnen aus, daß es darauf ankäme, „a) gefährliche Schriften anzuzeigen; b) gute Schriften anzupreisen; c) Antirezensionen über absichtlich boshafte Rezensionen zu machen; d) die Kunstgriffe der Gelehrten und Buchhändlerbande aufzudecken; e) wenn die Gegner schreien, noch weit lauter zu schreien." 250 Daß aus dem ganzen Projekt des Fürstenbundes nichts wurde, lag nicht etwa an einem Nachlassen des Klassenkampfes, sondern am Widerstand des Kaisers, der eine Neuauflage des antiösterreichischen Bundes von 1785 witterte und darum die Fürsten darauf hinwies, ihre Energie besser im Rahmen der bestehenden Kreisassoziationen wirken zu lassen.251

4. Die Reichsstädte Die Reichsstädte, früher Zentren des bürgerlichen Fortschritts, waren tief von ihrer einstigen Höhe herabgesunken. „Troia fuit!" So seufzte der fortschrittliche Publizist Wekhrlin, als er Augsburg kennenlernte.252 „Fuimus Troies!" wollte er über die Tore Nördlingens schreiben.253 Die territorialstaatliche Entwicklung in Süddeutschland hatte die Reichsstädte so isoliert und eingeschnürt, daß ihnen der Atem ausging und sie allmählich erstickten. Ihr Horizont schrumpfte zusammen, sie trockneten ein, versteinerten. Das in ihren Mauern konzentrierte Bürgertum stieß sich an den ungezählten Hemmnissen wund, die den Ausweg aus diesem Kerker versperrten. Die herrschende Oligarchie, das Patriziat, war völlig feudalisiert und kannte kein anderes Ziel als das der Erhaltung der eigenen Position, der jede Neuerung und jede Locke247 248 249 250

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Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 165. Ebenda, S. 181. Ebenda, S. 186. Ebenda, S. 188. Ebenda, S. 268 ff. (Wekhrlin, Wilhelm Ludwig), a. a. O., S. 36. Ebeling, Friedrich W., Wilhelm Ludwig Wekhrlin, Leben und Auswahl seiner Schriften. Zur Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Berlin 1869, S. 20.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

durch der gefährliche Revolutionsgeist angefacht und verbreitet werden möchte, sorgfältig nachspüren und über dagegen ohnverzüglich zu machende zweckmäßige landesherrliche Vorkehrungen sich gemeinsam zu benehmen."217 Nach dem Vorschlag führender badischer Staatsmänner sollte schon auf der vorbereitenden Konferenz in Wilhelmsbad beraten werden, »wie selbst nach hergestelltem Frieden ein gewisser ständiger Militärfuß ohne Aggravio der Untertanen zu unterhalten sei, um die etwa fortdauernde Verbreitung anarchischer Grundsätze und ihre Folgen hintertreiben zu können." 2 4 8 In Wilhelmsbad, wo Ende September 1794 der Markgraf von Baden und der Landgraf von Hessen-Kassel zusammenkamen, um sich über den Kreis der Fürsten zu einigen, die zum Eintritt in den Bund aufgefordert werden sollten, wurde als erste Maßregel gegen revolutionäre Umtriebe beschlossen, in beiden Ländern »einer Gesellschaft vonGelehrten zum Druck undHerausgabe ihrer antijakobinischen Schriften allen Vorschub gnädigst angedeihen zu lassen und sie allenfalls mit Privilegien zu versehen." 2 4 9 Ein zu diesem Punkt angefertigtes Memorandum führte im einzelnen aus, daß es darauf ankäme, „a) gefährliche Schriften anzuzeigen; b) gute Schriften anzupreisen; c) Antirezensionen über absichtlich boshafte Rezensionen zu machen; d) die Kunstgriffe der Gelehrten und Buchhändlerbande aufzudecken; e) wenn die Gegner schreien, noch weit lauter zu schreien." 250 Daß aus dem ganzen Projekt des Fürstenbundes nichts wurde, lag nicht etwa an einem Nachlassen des Klassenkampfes, sondern am Widerstand des Kaisers, der eine Neuauflage des antiösterreichischen Bundes von 1785 witterte und darum die Fürsten darauf hinwies, ihre Energie besser im Rahmen der bestehenden Kreisassoziationen wirken zu lassen.251

4. Die Reichsstädte Die Reichsstädte, früher Zentren des bürgerlichen Fortschritts, waren tief von ihrer einstigen Höhe herabgesunken. „Troia fuit!" So seufzte der fortschrittliche Publizist Wekhrlin, als er Augsburg kennenlernte.252 „Fuimus Troies!" wollte er über die Tore Nördlingens schreiben.253 Die territorialstaatliche Entwicklung in Süddeutschland hatte die Reichsstädte so isoliert und eingeschnürt, daß ihnen der Atem ausging und sie allmählich erstickten. Ihr Horizont schrumpfte zusammen, sie trockneten ein, versteinerten. Das in ihren Mauern konzentrierte Bürgertum stieß sich an den ungezählten Hemmnissen wund, die den Ausweg aus diesem Kerker versperrten. Die herrschende Oligarchie, das Patriziat, war völlig feudalisiert und kannte kein anderes Ziel als das der Erhaltung der eigenen Position, der jede Neuerung und jede Locke247 248 249 250

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Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 165. Ebenda, S. 181. Ebenda, S. 186. Ebenda, S. 188. Ebenda, S. 268 ff. (Wekhrlin, Wilhelm Ludwig), a. a. O., S. 36. Ebeling, Friedrich W., Wilhelm Ludwig Wekhrlin, Leben und Auswahl seiner Schriften. Zur Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Berlin 1869, S. 20.

4. Die Reichsstädte

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rung zur Gefahr wurde. Die Oligarchie hatte die gesamte politische Macht in ihren Händen vereinigt und lief} sich weder in der Anwendung tyrannischer Methoden, noch in dem parasitären Lebensstil von irgendeinem Feudalherrn übertreffen. .Nichts kommt dem infamen Benehmen dieser kleinen bürgerlichen Aristokraten der Städte gleich", sagte Engels. 254 Das nichtpatrizische besitzende Bürgertum stellte nur dort eine bedeutende Kraft dar, wo es dank besonders günstiger Umstände große Handels- und Finanzgeschäfte treiben konnte. So profitierten die Frankfurter Kaufleute aus der Tatsache, daß ihre Stadt das bedeutendste Messe- und Börsenzentrum Süddeutschlands und darüber hinaus war. Augsburg mit seinen zwölf Bankhäusern folgte als zweiter Börsenplatz. Für den ökonomischen Fortschritt aber hatte diese Kapitalkonzentration geringe Bedeutung. Die Gelder fanden kaum den Weg in den Handel, geschweige in die Industrie, sondern wurden vornehmlich in gewinnbringenden Anleihen untergebracht. »Die Kaufmannschaft verabsäumt den ökonomischen Handel, um der Spekulation mit barem Gelde anzuhängen. Diese Gattung Spekulation hat den Fehler, daß sie dem Publikum nichts nützt", stellte Wekhrlin fest. 255 Diese geldgierigen Bankiers lebten von der Schuldenwirtschaft der feudalen Territorialstaaten, die eigene Stadt nicht ausgenommen, und hatten wie alle Gläubiger höchstes Interesse daran, daß die Schuldner nicht starben. Verfall und Fäulnis wurden ihnen eine Quelle des Wohlstandes; »sie wußten", wie Engels sagt, »daß sie im trüben am besten fischen konnten; sie ließen sich unterdrücken und beleidigen, weil sie an ihren Feinden eine Rache nehmen konnten, die ihrer würdig war; sie rächten sich für das ihnen zugeiügte Umecht, indem sie ihre Unterdrücker betrogen." 2 5 6 Aber die meisten Reichsstädte boten noch nicht einmal diese Möglichkeiten des Erwerbs, so daß die Kaufmannschaft ganz auf den ständig schrumpfenden Handel angewiesen war. Ulms einstmals blühender Leinwandexport sank in der Zeit von 1780-1791 um mehr als 40 %. 2 5 7 Der Nürnberger Handel wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts förmlich erdrosselt: Preußen, Österreich und schließlich auch Rußland errichteten Schutzzölle; der polnische Markt ging mit den Teilungen Polens verloren; mit dem Beginn der Koalitionskriege fiel auch der Westen als Absatzmarkt nahezu aus. 258 Die Reichsstädte verfügten über keine Mittel, diesem Verfall zu begegnen. Der einzig mögliche Ausweg, die Produktion kapitalistisch zu entwickeln und die Konkurrenz durch billige Manufakturwaren aus dem Felde zu schlagen, war durch die versteinerte Zunftverfassung versperrt. Das Beispiel des Augsburger Unternehmers Schüle war eine seltene und nicht einmal vollkommene Ausnahme dieser Regel. Er verstand es, die Kapitalkraft der Bankiers und die alten Handelsbeziehungen der Kaufleute für seine Kattunproduktion auszunutzen, und war ebenso unermüdlich in der Verbesserung der Produktionstechnik tätig, vor allem auf dem Gebiete des Druckverfahrens und der Farbenbereitung. Die Weberzunft geriet völlig 2M as 258 257 258

Engels, Friedlich, Deutsche Zustände, a. a. O., S. 566. (Wekhrlin, Wilhelm Ludwig), a. a. O., S. 44. Engels, Friedrich, Deutsche Zustände, a. a. O., S. 566. Kahn, Rudolf, Die Leinenweberei auf der Schwäbischen Alb. Jena 1924, S. 13. Süssheim, Kail. Preufjens Politik in Ansbach-Bayreuth 1 7 9 1 - 1 8 0 6 . Berlin 1902, S. 228/29.

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in seine Abhängigkeit; er allein beschäftigte 1785 etwa 3500 Menschen. 259 Ein Gutachten der Augsburger Ratskonsulenten von 1794 machte ihn für die Zersetzung der alten Ordnung verantwortlich: „Die weitläufigen Bleichen, Rollen, Niederlagen, Druck- und Reibstuben und Farbgewölbe außer der Stadt wußte Herr v. Schüle gegen das Verbot von 1770 durchzusetzen." 260 Aber auch einem solchen erfolgreichen Unternehmer, um dessen Dienste sich bedeutende deutsche Territorialfürsten bemühten, beschnitt die reichsstädtische Enge wirklich echte Entwicklungsmöglichkeiten. »Man legte dem Aufkommen seiner Unternehmung tausend verhaßte Schwierigkeiten in den Weg." 261 Von oben hemmte der Magistrat, von unten rebellierten die Zünfte, von außen türmten die Nachbarn Zollmauern auf: In den 90er Jahren verschlechterten sich Augsburger Produktion und Handel rapide. Die Ausnahme zerbrach an der Regel. Typisch für die Verhältnisse in den süddeutschen Reichsstädten waren die Beobachtungen, die Nicolai in dem industriell immerhin noch bedeutenden Nürnberg machte: „Man wird gewiß kaum noch eine Stadt anzeigen können, worin so viel und so mancherlei Art von Industrie vereinigt ist und in der doch seit langen Zeiten fast keine Verbesserungen der Industrie vorgegangen sind." 262 Das gesamte gewerbliche Leben wurde durch die verknöcherte Zunftverfassung bestimmt. Das aus fünf Ratsherren bestehende Rugamt verfolgte mit unnachsichtlicher Strenge jede Verletzung und sorgte durch Vertreibung tüchtiger Kräfte ungewollt dafür, daß in dem nahen Fürth auf ansbachischem Boden und unter freieren Bedingungen eine gefährliche Konkurrenz entstand. 263 „Solange dieses Amt sich nach den alten Handwerksordnungen richtet, bringt es dem Staate mehr Schaden als Nutzen", stellte Nicolai fest. „Das Rugamt meint: Fiat justitia et pereat mundus!" 264 In anderen Reichsstädten sah es häufig noch schlimmer aus. „Welche Einöde würde Regensburg sein, wenn die sämtlichen Gesandtschaften aus der Stadt weg wären!" rief Nicolai aus. „Ohne die gemeinen Handwerker kennt man da keine Künstler, noch weniger Manufakturen." 265 Ähnlich urteilte Wekhrlin: „Regensburg ist eine finstere, melancholische, in sich selbst vertiefte Stadt. Kaum wird sie durch Höfe der Gesandten, welche den deutschen Reichskonvent formieren, aufgehellt, daß man sich von einer Straße in die andere finden kann." 266 Hoffnungslos war die Lage der kleinen Reichsstädte. Ein 259

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Dirr, P., Augsburger Textilindustrie im 18. Jahrhundert. In: „Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg", Bd. 37, S. 36 ff., 1911. Ebenda, S. 42. (Wekhrlin, Wilhelm Ludwig), a. a. O., S. 45. Nicolai, Friedrich, a. a. O., Bd. 1, S. 263. „Der Handwerksgeselle, der mit seinem Mädchen ohne priesterliche Einsegnung zu Bette geht, kann in Nürnberg nie das Meisterrecht erlangen, und so wird das naheliegende Fürth mit fleißigen Arbeitern bevölkert." (Rebmann, Andreas Georg Friedrich), Wanderungen und Kreuzzüge durch einen Teil Deutschlands, von Anseimus Rabiosus dem Jüngern. Altona 1796. In: Georg Friedrich Rebmann, Hans Kiekindiewelts Reisen in alle vier Weltteile und andere Schriften. Herausgegeben von Hedwig Voegt. Verlag Rütten & Loening, Berlin 1958, S. 162. Nicolai. Friedrich, a. a. O., Bd. 1, Beilagen, S. 97. Ebenda, Bd. 2, S. 392/93. (Wekhrlin, Wilhelm Ludwig), a. a. O., S. 34.

4. Die Reichsstädte

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Bericht aus Rottweil vom Jahre 1793 stellte fest, daß die Stadt „ohne alle Kommerzialeinflüsse, ohne allen Aktivgewerbshandel und Manufakturen" war. »Nicht ein einziger Stuhl von den ehemals so beträchtlichen Tuchmanufakturen ist mehr im Gange, und ebenso sind auch die übrigen Kunstgewerbsquellen . . . bis auf den Grund vertrocknet." 2 6 7 Die Reichsstädte ertranken in Schulden. Da trotz des allgemeinen Niedergangs die Ausgaben dieselben blieben bzw. sich sogar bei der wachsenden Verschuldung durch die notwendig zunehmenden Zinszahlungen erhöhten und die herrschende Oligarchie nicht ein Jota ihrer Pfründen aufzugeben bereit war, stieg die steuerliche Belastung der Einwohner relativ und absolut. Von dem Nürnberger Bürger wurde gesagt, dafj er dem Fiskus auf indirektem und direktem Wege jährlich mehr als zwei Drittel seines Einkommens abzugeben hatte. 268 Mit noch größerer Wucht aber drückte die Oligarchie dort, wo sie wie in Nürnberg, Ulm, Rottweil usw. über ein nennenswertes Hinterland gebot, auf die Bauernschaft. Die feudale Ausbeutung der Bauern durch die Stadt war schlimmer als in den größeren Territorien und hatte die heftigste Feindschaft zwischen Stadt und Land zur Folge. In einer Eingabe an den Kaiser um die Mitte des 18. Jahrhunderts erklärten die Rottweiler Bauern, lieber unter den Türken als unter den Rottweilern leben zu wollen. 269 Aus den komplizierten sozialen Verhältnissen der Reichsstädte ergaben sich die verschiedenartigsten Widersprüche. Mit dem zunehmenden Verfall verschärften sie sich; hinzu kam der Einfluß der revolutionären Ereignisse in Frankreich; im Ergebnis trat um die Mitte der 90er Jahre eine deutliche Häufung städtischer Unruhen ein. Entsprechend dem Entwicklungsgrad, dem Miteinander und Gegeneinander der einzelnen Klassenschichten und Klassen waren diese Unruhen in ihrem Umfang wie in ihren Zielen recht unterschiedlich: Reichsstädtische Bauern kämpften gegen ihre schamlose Ausbeutung durch die Stadt; rechtlose Plebejer empörten sich gegen die Bevorrechteten; Handwerksgesellen standen gegen ihre Meister auf, die ihnen alle Aufstiegsmöglichkeiten verwehrten; Meister und Gesellen erhoben sich gegen Kaufleute und Unternehmer, die die Zunftprivilegien durchbrachen; die gesamte Stadtbevölkerung kämpfte gegen die oligarchische Stadtverwaltung, die ihr jede Mitbestimmung versagte. Dabei ließen örtliche und zeitliche Besonderheiten noch die verschiedenartigsten Kombinationen der einzelnen 'sozialen Kräftegruppen zu. Bei aller Beschränktheit in ihren Möglichkeiten und in ihren Zielen, die nicht selten reaktionär zünftlerischen Charakter trugen, wirkten diese Unruhen fortschrittlich, indem sie die bestehende Feudalordnung erschüttern halfen. Verschiedene Reichsstädte entwickelten sich sogar zu Unruhezentren, deren progressive Wirkung über die Grenzen ihrer unmittelbaren Gebiete hinausging. Ein solches Zentrum war Nürnberg. „Man muß nach Nürnberg wandern", sagte Rebmann, »wenn man einen Kommentator zu den Proklamationen haben will, die in 267

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Rottweils wirtschaftliche Lage 1793. Denkschrift von Joh. B. von Hofer an den Schwäbischen Kreis. Mitgeteilt von Dr. Eugen Mack. Rottweil a. N. 1925, S. 7, 11. Süssheim. Karl, a. a. O., S. 230. Bader, Karl Siegfried, Die Reichsstädte des schwäbischen Kreises am Ende des alten Reiches. In: »Ulm und Oberschwaben, Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben", Bd. 32, S. 53, 1951.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

diesem Kriege tagtäglich erscheinen und so pomphaft von den Vorteilen der deutschen Verfassung sprechen." 2 7 0 Die Nürnberger zogen diesen Proklamationen die Korrespondenzen aus Frankreich vor, die der »Friedens- und Kriegs-Courier", die führende Tageszeitung Nürnbergs, abdruckte.271 Was dort vor sich ging, galt als beispielhaft. Der Wunsch, es den Bastillestürmern gleichzutun, beseelte die Handwerker, allen voran die Schlosser, Schneider und Schreiner, als sie Ende Juni 1793, »mit starken Prügeln versehen, unter ungestümer Absingung einiger Freiheits- und Aufforderungslieder" auf die Straße gingen. Mit Hilfe von 300 Mann fränkischer Kreistruppen wurde der Aufruhr am dritten Tage zwar niedergeschlagen, doch die Lage blieb nach wie vor kritisch. Andere Zünfte begannen, sich ebenfalls zu rühren, so daß der Magistrat sich zu Verhandlungen und schließlich auch zu Zugeständnissen herbeilassen mußte.272 Bezeichnend für die weiterhin rebellische Stimmung unter der Bevölkerung war das Mandat des Magistrats vom 1. März 1794. Es sollte eine angeblich letzte gütliche Mahnung an verschiedene Zünfte und einzelne Professionisten sein, „von dem Wege der Tätlichkeit abzustehen, das Erscheinen auf dem Rathause in ungewöhnlich großer Anzahl zu unterlassen, die öffentlichen Plätze, wo sie nicht eigne Geschäfte haben, zu meiden und aller ferneren Einmischung in die Polizeiangelegenheiten sowie aller unerlaubten Zusammenrottierungen und Verabredungen sich zu enthalten, auch weder das obrigkeitliche Amt noch ihre Mitbürger auf diese oder andere Art zu beeinträchtigen und zu stören, . . . " 2 7 3 Solche Mahnungen konnten ihren Zweck nicht erreichen, solange die Ursachen der Unzufriedenheit nicht beseitigt waren. Ständig fanden sich Anlässe, die die allgemeine Unzufriedenheit bis zu offenen Ausbrüchen steigerten. So hatte Ende Juli 1794 der Pfleger in Altdorf einige Bürger dieses Ortes nach Nürnberg bringen lassen, wo sie im Rathaus eine mehrtägige Arreststrafe „wegen unbegründeter und in einem empörenden Ton . . . angebrachter Beschwerden", die Gemeindewiesen betreffend, verbüßen sollten. Am 30. Juli früh erschienen rund 70 Altdorfer vor dem Rat und verlangten die sofortige Freilassung der Eingekerkerten. Sie machten ihre Drohung wahr, „daß im Weigerungsfalle noch mehr erscheinen würden", und erzwangen am Nachmittag die Erfüllung ihrer Forderung.274 Der Magistrat hielt den Vorfall für so wichtig, daß er ihn durch seinen Bevollmächtigten der fränkischen Kreisversammlung mitteilen ließ, zumal in dem nürnbergischen Städtchen Lauf ein gleichzeitiger Aufruhr nur mit Mühe verhindert werden konnte und „doch hieraus die 270

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(Rebmann, Andreas Georg Friedrich), Wanderungen..., a. a. O., S. 164. Eine frühere Schrift Rebmanns, „Kosmopolitische Wanderungen durch einen Teil Deutschlands. Leipzig 1793", hatte ähnlich schonungslos über die nürnbergischen Zustände geurteilt und wurde von dem Polizeiamtmann als „eines der infamsten und skandalösesten Pasquille" dem Magistrat denunziert, der daraufhin am 24. Dezember 1793 allen Nürnberger Buchhändlern auftrug, sämtliche in ihrem Besitz befindlichen Exemplare dem Verleger zurückzusenden. Ernstberger. Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 455. Ernstberger, Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 410. Ebenda, S. 448 £f. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a. Fränkischer Kreis, 15 B, Anlage zum Bericht vom 10. 3. 1794. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a. Fränkischer Kreis, 16 B, Bl. 4.

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Stimmung des Volkes immer hervorleuchte". Wie der Vertreter Ansbach-Bayreuths, Graf Soden, berichtete, ersuchte die Kreisversammlung sämtliche Mitglieder, dem Beispiel Nürnbergs zu folgen und derartige Vorfälle allen bekanntzumachen, um notfalls gemeinsam rechtzeitige Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. 275 War im Juli 1794 Lauf noch ruhig geblieben, so erlebte es Anfang September sogar blutige Auseinandersetzungen: Die zu den Plebejern gehörenden sogenannten Rußigen oder Feuerarbeiter waren in den Gemeindewald gegangen, um Eicheln zu schlagen, wurden aber von der in ihren Vorrechten verletzten Bürgerschaft mit Gewalt daraus vertrieben. Mit scharfgeladenen Gewehren und Säbeln kehrten die Rußigen zurück. Die Kämpfe setzten sich bis in die Stadt fort, wo schließlich die Bürgerschaft die Oberhand gewann, nachdem sie den vom Nürnberger Magistrat eingesetzten Pfleger, der dem Druck der Rußigen nachgegeben hatte, im Arrest genommen hatte. 276 In Nürnberg selber zeigten die Unruhen deutlich den radikalisierenden Einfluß der Ereignisse in Frankreich. Symbole der Französischen Revolution tauchten verschiedentlich auf. Am 30. Juli 1794 hatten Unbekannte auf dem Marktplatz eine Stange mit der roten Freiheitsmütze aufgestellt und »an mehreren Orten grobe Pasquille angeschlagen", wie Soden berichtete. 277 Es handelte sich um den 30strophigen .Psalm, vorzusingen Adel, Schreibern und Genannten, nach der geistreichen Melodie: Ein Vogelfänger bin ich ja". Die Verfasser waren in Kreisen zu suchen, die das Bürgerrecht genossen und dieses Recht im Sinne der Mitbestimmung anerkannt wissen wollten: „So lang die Bürgerschaft nicht wählt die Genannten selbst, so ist's gefehlt; sie wird von Adels Tyrannei, vom teuren Brot, Bier, Fleisch nicht frei." Diese Bürger sprachen noch nicht von der Notwendigkeit eines gewaltsamen Umsturzes, aber sie drohten immerhin damit, daß die Plebejer solche Absichten verfolgten: »Letzthin hört' ich an einem Ort reden viel bedenkliche Wort; der Schluß fiel endlich dahin aus: Mit'm Adel woll'n wir machen Garaus!... Ihr uns abgestohl'nes Gut teilen wir unter die Armut, wählen uns selbst einen Rat, wie es Franzosen und Polen tat. Will es Nachbar leiden nicht, dann, Brüder, ist es unsre Pflicht, uns so zu betragen dabei, damit ganz Franken werde frei... 275

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Ebenda. Ebenda, Bl. 175. DZA Merseburg, Rep. 44 C, Auswärtiges Departement, 670, Bericht vom 4. 8. 1794.

6 Süddeutsche Jakobiner

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

So sagten sie, und schwuren auch, nach dieser Leute ihrem Brauch, wenn's sein mufj, wollten sie eher sterben, als so nach und nach verderben. Lagt diesen Wink nicht auger Acht, Ihr, die bisher aus eigner Macht geherrschet über unser Geld, sonst kommt ihr schimpflich aus der Welt!" 278 Sehr aufschlugreich für den hohen Grad des plebejischen Radikalismus ist der Hinweis auf das französische Vorbild und die Bereitschaft, den Aufstand über die Mauern der Stadt hinauszutragen. Einzelnen Exemplaren des „Psalms" waren Nachschriften, offensichtlich plebejischer Herkunft, beigefügt. Das am Schönen Brunnen angeklebte Exemplar verkündete außerdem: »Mit so Kokarden ziehen wir Vor Eure Wohnung und Quartier, Euch Schurken und infamste Horden, Euch große Dieb im Staat zu morden. Dann machen wir uns alle frei I Vivat Frankreich, leb hoch dabei! In allem: Vivat! Hoch!" Eine andere Nachschrift war «Eure Todespost" überschrieben und lautete: »Euch Groge in dem Rat, Euch Bürgerfeind dazu. Die schlägt man in ein Fag Und schickt's dem Schinder zu!" 279 Es ist bemerkenswert und bestätigt die Existenz enger Kontakte mit dem revolutionären Frankreich, dag der Volkskommissar Bourbotte bei der Rhein-Mosel-Armee Kenntnis von dem Wortlaut dieser Nachschriften erhielt; er bezeichnete die erste als an die Bürgergarde, die zweite als an den Magistrat gerichtet und teilte sie beide in französischer Übersetzung am 27. August 1794 dem Wohlfahrtsausschug mit. 280 278

M0

Ditlurth, Franz Wilhelm Freiherr von, Die historischen Volkslieder vom Ende des Siebenjährigen Kriegs 1763 bis zum Brande von Moskau 1812. Berlin 1872, S. 154 ff. Ernstberger. Anton. Nürnberg.*.., a. a. O., S. 457. Aulard, François Alphonse, Recueil des actes du Comité de salut public avec la correspondance officielle des représentants en mission et le registre du Conseil exécutif provisoire. Paris 1904, Bd. 16, S. 377/78. Die französischen Obersetzungen der Pasquille lauten: »À la maison de ville. Vous les grands dans le conseil. Du bourgeois les ennemis déclarés. Souffrez que, pour votre sommeil. Les postes que votre conduite vous a préparés Soient d'être serrés dans un tonneau Et abandonnés ainsi aux bourreaux.

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Kennzeichnend für die verbreitete profranzösischeStimmung war auch der Vorfall am 16. August 1794, als eine Volksmenge »ein kleines Wachkommando von zwölf Mann, welches vier französische Auswanderer, die man irrig für die aus Lichtenau entwichenen vier französischen Offiziers angesehen und zu Verhaft nehmen wollte, mit Gewalt daran" hinderte.281 Mitte September 1794 fand man nahe dem Rathaus eine anonyme Drohschrift angeheftet. Unter dem Titel „Bekanntmachung allen Brüdern" wurden in 21 Strophen die an dem Elend der Bevölkerung Verantwortlichen angeprangert und alle Unterdrückten aufgefordert, sich auf den Tag der Rache vorzubereiten. Die Reihe derer, denen mit dem Galgen gedroht wurde, war lang; sie umfaßte einerseits die ganze herrschende Oligarchie mit ihrem Anhang, den Pfaffen, Beamten und Schreibern, die zum Teil sogar namentlich genannt wurden: »Nun, Brüder, hört, wie kann's mehr sein, daß einer mehr kann leben? Man tut uns vor das teuer Geld nur Dreck und Wasser geben. Das macht die große Adelsbrut, der Deputation Höllenglut, Die vielen Pflastertreter, die Pfaffenrott und Verräter." Andererseits griff die Drohschrift mit gleicher Schärfe die Zünfte der Bäcker, Fleischer, Fragner und die Kornjuden an. Diese Frontstellung kennzeichnet die Schrift als plebejisch. Sie machte keinen großen Unterschied zwischen den Hochgestellten und diesen Kleinen, denn in dem täglichen Existenzkampf erschienen den Plebejern gerade die letzteren als unmittelbare Gegner: »Ja ehender, Brüder, wird's nicht Fried, bis wir uns alle rühren. Und allen Schurken groß und klein die Hälse derb zuschnüren. Dann, Menschenfeinde, gute Nacht, euch Fragner hat man auch gedacht, Ihr tut die Armen schinden, man wird euch Wuchrer finden." Die angedrohten Mittel waren kompromißlos radikal, ohne daß aber eine Vorstellung von dem vorhanden gewesen wäre, was an die Stelle des alten Zustandes gesetzt werden mußte. Die Erkenntnis ging nur so weit, daß die bestehende Ordnung unerträglich und allein mit Gewalt zu beseitigen war:

281



Au corps de garde. C'est avec telle cocarde que nous passerons Devant vos quartiers et devant vos maisons. Horde infâme, scélérats conjurés. Voleurs dans l'État, votre sentence est portée. Nous ne serons libres que quand vous aurez péri. Vive la France et qu'elle soit à jamais chérie!" DZA Merseburg, Rep. 44 C, Auswärtiges Departement, 670, Bericht vom 17. 8. 1794.

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»In einigen Tagen bricht es aus, die großen Feuerflammen, Da ziehen wir mit Kanonen aus und lagern uns zusammen. Und hauen, stechen, schießen drein, kein Schurke soll nicht sicher sein. Die Redlichen im Lande schützt Gottes Vaterhande." 282 Gegen Ende des Jahres beunruhigte die Behörden ein neues Pasquill: .Aufforderung an alle braven Bürger." Es griff nicht wie das vorgenannte unterschiedslos die verschiedenen Schichten an, sondern konzentrierte die Wucht seiner Anklage auf den Rat der Stadt, dessen Herrschaft mit Waffengewalt gestürzt werden sollte. Die Anklage lautete auf Diebstahl an öffentlichen Geldern. Auf Heller und Pfennig wurden ihm die „dem aerario abgestohlenen" Summen präsentiert: 11 880 Gulden Erlös aus dem Eisen und Kupfer, das beim Abbruch der Zugbrücken gewonnen worden war, 166 082 Gulden 22 Kreuzer für die herausgenommenen und verkauften Wasserröhren, 5 075 350 Gulden 48 Kreuzer für das eingeschmolzene und zu Geld gemachte Geschütz und anderes mehr. Wo blieben, so wurde gefragt, die öffentlichen Einnahmen aus dem Waisenhaus, dem Zinsmeisteramt, dem Umgeld, dem Tuchhaus, dem Unschlitthaus, den Pflegeämtern, Pfarreien, Schulen, der Bürgerlosung? Mehr als 9 Millionen Gulden seien von den Ratsherren veruntreut und als ihr privater Besitz bei der Englischen Bank hinterlegt worden. Der Herrschaft dieser diebischen Despoten ein Ende zu machen, war dringendes Gebot: „Noch ist es Zeit! Noch habt Ihr Kräfte, aber säumt auch nicht mehr lange! Sonst seid Ihr unvermöglich, und die Fesseln der Tyrannei, die Ihr werdet zerbrechen wollen, wird man so eng schmieden, daß Ihr darunter werdet verschmachten. Darum auf, Ihr Brüder, oder Ihr seid auf ewig verloren!" 283 Ernstberger hat Unrecht, wenn er aus der Tatsache, daß diese Sprache im Vergleich zur „Bekanntmachung edlen Brüdern" „sichtlich lahmer und zahmer" war und daf; „eine weit humanere, viel weniger revolutionäre Art der Revolution" propagiert wurde, die Tendenz einer allgemeinen Mäßigung herausliest. 284 Wenn der Ton 182

iM

DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94a Fränkischer Kreis, 16 B, Bl. 244/45. Ditfurth hat dieses Gedicht mit einigen geringfügigen Abweichungen von dem im DZA Merseburg vorhandenen Text in seiner Sammlung der historischen Volkslieder abgedruckt; es fehlt lediglich die 7. Strophe, die Ditfurths 6. Strophe folgen mufj: „Dies ist der Wunsch der ganzen Stadt und auch der ganzen Lande, daf) so ein schönes Ende hat in unserm Vaterlande. Beamte schmeißen wir hinab, die Großen finden auch ihr Grab, und die Verwalter hängen; es trifft auch Consulenten." Ditiurth, Franz Wilhelm Freiherr von, a. a. O., S. 159 ff. Ernstberger. Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 460. Ebenda. S. 459.

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weniger gewalttätig war, so hatte das seine Ursache einzig in der sozialen Herkunft des Dokumentes. Die .Bekanntmachung allen Brüdern' stammte eindeutig aus plebejischen Kreisen, die am meisten geschunden wurden und dementsprechend radikal auf Vergeltung drängten. Die »Aufforderung an alle braven Bürger" dagegen verrät schon im Titel und erst recht durch seinen Inhalt, daß dahinter Kräfte standen, die auf der sozialen Stufenleiter eine höhere Sprosse erklommen hatten und darum auch keinen plebejischen Radikalismus entwickelten. Entgegen Ernstberger ist vielmehr umgekehrt festzustellen, daß die »Aufforderung* im Vergleich zum »Psalm", ebenfalls nicht-plebejischen Ursprungs, eine Steigerung der revolutionären Gesinnung ausdrückte; hatte der „Psalm" sich noch darauf beschränkt, echte Mitbestimmung zu fordern und mit der Wut der Plebejer zu drohen, so rief die »Aufforderung" bereits zum bewaffneten Sturz des Magistrats. Ebensowenig überzeugend ist der Kommentar Ernstbergers zu einem anderen Pasquill, das Anfang März 1795 in Nürnberg auftauchte: »An die sogenannten Genannten des Größeren Rats zur beliebigen Entsiegelung." Es ist eine vernichtende Satire auf die Nürnberger Verhältnisse, die mit einem Käsleib verglichen werden, und auf die Genannten, die sich zwar als Vertreter der Bürgerschaft bezeichneten, aber vom patrizischen Rat, dem auch die Ernennung der Mitglieder dieser Körperschaft allein zustand, nur bemüht wurden, um sich bei unpopulären Maßnahmen hinter ihnen zu verbergen: »Viertausend Jahre nach der Flut, Die Moses uns beschreiben tut. Da lag ein Käsleib voller Grind Und Maden, wie die Käsleib sind. Er lag an einem sichern Ort. Die Mäuse liefen fort und fort. Sie hielten manch Consilium, Wie sie den Käsleib wenden um. Doch keiner wollt ihn beißen an. Sie fanden soviel Unrat dran. Da gab es schwarze Mäuselein, Die wollten beim Consilio sein. Jedoch sie wurden exkludiert, Darob sie viel Verdruß verspürt. Der Käsleib blieb an seinem Ort Und fault und stinkt noch immer fort." 285 Ernstberger glaubt, hier einen neuen Beleg für seine These von der abnehmenden revolutionären Gärung gefunden zu haben: »Die Selbstironie, eine Nürnberger Sondereigenschaft, wenn nicht ein fränkischer Stammeszug, betrachtete sich im Zerrspiegel und fand das Bild zwar traurig, nahm es aber nicht tragisch." 28ft Diese gemütliche Deutung vergißt lediglich, daß eine Satire eben eine Satire ist und kein 285 i8

Ebenda, S. 461. « Ebenda, S. 460/61.

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revolutionärer Aufruf. Daß ausgerechnet noch keinen Monat darauf Nürnberg neuerdings von Unruhen geschüttelt wurde, paßt zwar ganz und gar nicht in seine Linie, aber wird flugs passend gemacht: Der Aufruhr wird aus einer „Torschlußpanik unter den Nürnberger Revolutionsgesinnten" erklärt und so entwertet.287 Offensichtlich haben die Akten des nürnbergischen Staatsarchivs, die Ernstberger benutzte, nicht viel über diese Unruhen hergegeben; dennoch hätten die von ihm selbst mitgeteilten Tatsachen, daß trotz Einsatz aller verfügbaren militärischen Kräfte die Empörung erst nach fünf Tagen im wesentlichen unterdrückt werden konnte und der Magistrat noch ein ganzes Vierteljahr danach die Bürgermiliz ständig aufziehen ließ, ihn vor solchen voreiligen Urteilen bewahren sollen. Ernstbergers Aufsatz, wenn er auch für ein enges Gebiet wertvolle Materialien zur Geschichte der revolutionären Bewegung erschließt, ist dennoch keine Ausnahme von der durch die bürgerliche Historiographie befolgten Regel, revolutionäre Erscheinungen in ihrer Bedeutung nach Möglichkeit herabzustimmen. In der Nacht vom 1. zum 2. April 1795 standen die Plebejer Nürnbergs auf. Dabei zeigten sie allerdings dieselben Schwächen, die in jener Drohschrift „Bekanntmachung allen Brüdern" zum Ausdruck kamen. Auf sich selber gestellt, trugen sie ihren Angriff nur gegen einzelne Erscheinungsformen der feudalen Mißwirtschaft vor, die sie am unmittelbarsten drückten; um ihre Aktivität gegen die Grundfesten der feudalen Ordnung zu wenden, hätten sie einer überlegenen Führung bedurft. Der Plebejeraufruhr, dem sich viele Gesellen anschlössen, richtete sich zunächst gegen die Meister der Bäckerzunft, wandte sich in seinem Verlauf aber auch gegen die Brauer, Fleischer und Fragner. Den Anlaß bildete die Weigerung der Bäckermeister, diesmal wieder dem alten Brauch zu entsprechen und die Ostereierkuchen ihren Kunden unentgeltlich abzugeben. Nach dem Bericht des Grafen Soden ging die aufgebrachte Menge in der Nacht des 1. April tätlich gegen die Meister vor, zog in der folgenden Nacht abermals »vor alle Bäckerhäuser der Stadt, hieb die Brotläden mit Beilen in Stücke, warf Fenster und Läden ein, trieb in einigen Häusern noch mehr Unfug und lärmte die ganze Nacht hindurch mit größter Ausgelassenheit und insolentesten Drohungen von Aufhängen und ähnlicher Behandlung der Fleischer und Bierbrauer." 288 Ein Dekret des Magistrats vom 3. April hatte an die Bürgerschaft mit dem Hinweis auf die Gefährdung ihres Eigentums appelliert, »diesem immer weiter um sich greifenden Unwesen nachdrücklichst und ernstlichst zu steuern".289 Der Aufruhr wäre mit diesen Mitteln nicht zu ersticken gewesen, wenn man nicht zugleich den rebellierenden Massen beachtliche Zugeständnisse gemacht hätte. Die meisten Bäcker hatten schon in der ersten Nacht die Lieferung der geforderten Eierkuchen zugesagt. Entweder auf Veranlassung des Magistrats oder, wie die „Deutsche Zeitung" berichtete, auf dringendes Verlangen der Bierbrauer selber wurde das Maß um 2 Pfennige billiger abgegeben. Die Zeitung bemerkte dazu, daß „es noch nie geschehen ist, daß der Preis des Bieres um soviel Ebenda, S. 462. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis, 18 B, Bl. 129. ss» Ebenda, Bl. 140/41. m

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auf einmal höher oder niedriger gestiegen sei".290 Man wagte auch nicht, mit aller Strenge gegen bestimmte, von den Plebejern angewandte Praktiken vorzugehen, die mit der bestehenden Ordnung nicht zu vereinbaren waren. Soden schrieb am 6. April 1795: »Indessen fährt der Pöbel annoch fort, Getränke und Viktualien wagenvollweise ohne Entrichtung der Abgaben öffentlich hier einzuführen und zu verkaufen." 291 Nicht zu Unrecht sahen die Plebejer in dem Ergebnis des Aufruhrs einen Erfolg. Dieses Bewußtsein bringt der Kupferstich zum Ausdruck, der in dsr ersten Aprilhälfte als Flugblatt verbreitet wurde: Er zeigt eine Gruppe vorwiegend Jugendlicher, die mit Steinen Fenster und Läden eines Bäckerhauses zertrümmern, während eine unübersehbare Menge dem zuschaut und der Bäckermeister selber sich auf das Dach zu retten sucht. Die Unterschrift stellt mit Genugtuung fest, daß auf diese Weise die Bäcker „zu ihrer Schuldigkeit verwiesen wurden". 292 Bevor sich schließlich der Magistrat daranwagte, die Anführer des Aufruhrs gefangenzusetzen, ließ er die Wachen verdoppeln und Tag und Nacht sieben Bürgerkompanien, davon eine zu Pferd, durch die Stadt patrouillieren.29® Erst am 22. Juni hob ein Erlag des Magistrats diese Ausnahmebestimmungen auf. 294 Bei den sich verschärfenden Spannungen fand die Obrigkeit häufig nicht einmal mehr die Kraft, durch nachträgliche Strafverfolgung die verletzte Autorität notdürftig wiederherzustellen. So konnten ein Jahr später, im März 1796, die Rußigen gegen einen Schreiber vom Schöffenamt, der sich der Erpressung schuldig gemacht hatte, tätlich vorgehen, ohne wegen dieser Übergriffe zur Rechenschaft gezogen zu werden. 295 Als dann im April der Magistrat wieder einmal ein Exempel statuieren wollte und die Anführer der unruhigen Schuhmachergesellen mit ein- und dreitägigem Arrest bestrafte, beschwor er nur einen Solidaritätsstreik aller anderen herauf. Sie beherrschten tagelang die Straße und drohten, „ihre Meister totschlagen zu wollen". Der Bericht des Grafen Soden fuhr fort: „Und kaum hatte sich dieser Lärm gelegt, so ging ein neuer mit den hiesigen Zimmergesellen... an." 296 Die Unruhen rissen 1796 kaum noch ab. Am 4. Juni griffen die Rußigen wieder zur Selbsthilfe. In einer Anzahl von mehr als 200 fielen sie auf dem Markt über die Bauern her, die die Butter zu einem überhöhten Preise feilboten. Sie nahmen ihnen die Ware fort und verkauften sie eigenmächtig zur Hälfte des geforderten Preises. 297 Eine Woche später wiederholte sich derselbe Vorgang, nur richtete er sich diesmal gegen die Holz feilbietenden Bauern, die unter tätlicher Bedrohung gezwungen wurden, das Holz abzuladen und um ein Drittel billiger zu verkaufen. 298 Rebmann nannte die Rußigen „echte deutsche Sanskulotten, rauh und gutmütig. Sie waren es, 290 291 292 293 294 295 244 297 298

Ebenda, Bl. 138. .Deutsche Zeitung", Jahrg. 1795, 17. Stück, Sp. 272/73. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis, 18 B, Bl. 138. Ebenda, Bl. 149. Ebenda, Bl. 172. Etnstbetget, Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 463/64. DZA Merseburg, Rep. 44 C, Auswärtiges Departement, 676, Bl. 25. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis, 20 B, Bericht vom 25. 4. 1796. Ebenda, Bericht vom 4. 6. 1796. Ebenda, Bericht vom 12. 6. 1796.

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welche die Wagen der bürgerlichen Deputierten zogen, als diese - leider vergebens den Kaiser um Hilfe gegen ihre Blutegel anflehten. Sie waren es, die sich's herausnahmen, ein kleines Maximum festzusetzen und mit gewissenhafter Redlichkeit die teuren Lebensmittel um einen wohlfeilen Preis auf dem Markte zu verkaufen. Gutes Volk! Du willst ja von deinen Despoten nicht mehr als satt Brot, und auch das verweigern sie dir!" 2 9 9 Verschärft wurde die Situation für den Nürnberger Magistrat noch durch den Druck, den Hardenberg von den Fürstentümern Ansbach und Bayreuth her auf die Stadt ausübte. Ein Bericht aus Nürnberg, den Rebmann in seiner Zeitschrift »Das neue graue Ungeheuer" abdruckte, sprach sogar im Zusammenhang mit jenem Plebejeraufruhr im April 1795 von einem allgemeinen Gerücht, »daß die unruhigsten Anführer des Haufens durch ausgeteilte Laubtaler ermuntert worden sein sollten". Daß die angeblichen Laubtaler nur preußischer Herkunft sein konnten, deutete der Korrespondent durch die unmittelbar darauffolgende Mitteilung an: »Der preußische Gesandte soll der Stadt Garnison angeboten haben, weil die gewöhnliche wahrscheinlich zu schwach sein würde, die Ordnung zu schützen." 3 0 0 Die Berechtigung jenes Gerüchts ist nicht verbürgt, dennoch ist es keineswegs ausgeschlossen, daß Hardenberg auch solche Mittel benutzte, um seinem Ziel, der Annexion Nürnbergs, näherzukommen. Frankfurt a. M. hat von Seiten des annexionslüsternen Hessen-Kassel ähnliche Erfahrungen machen müssen.301 Im übrigen hatten diese Methoden räuberischer Nachbarn für die Entwicklung des Klassenkampfes eine völlig untergeordnete Bedeutung; sie waren überhaupt nur anwendbar, weil bereits diese Kämpfe in den Reichsstädten tobten. Trotz des vielfältigen Druckes von unten und außen hat das Patriziat der Opposition keine nennenswerten politischen Zugeständnisse gemacht. Das einzige war die Zustimmung zur Einsetzung einer Ärarialdeputation 1794, die aus Rats- und Genanntenmitgliedern bestand und die Finanzverwaltung des Magistrats kontrollieren sollte. Aber erstens hatte diese Deputation ausschließlich beratende Befugnis, und zweitens sorgte ihre Zusammensetzung dafür, daß der herrschenden Oligarchie daraus keine ernste Gefahr erwuchs. Die Genannten bezeichneten sich zwar als Bürgerschaftsvertretung gegenüber dem Rat und führten auch gelegentlich das Wort von der Volkssouveränität im Munde. Aber ein Teil der Genannten gehörte selber zum Patriziat, und alle Mitglieder dieser Institution wurden durch den Rat bestimmt, so daß eine entschiedene Opposition von dort nicht ausgehen konnte. 302 Gefährlich für die Oligarchie war der Massendruck von unten. Wenn das Patriziat ihm zu widerstehen vermochte, so dankte es dies nicht der eigenen Stärke. Oft genug rettete es sich nur dadurch aus gefährlichen Situationen, daß es seine Autorität verleugnete und Verletzungen der bestehenden Ordnung nicht ahndete. Stark war das Patriziat dank der Uneinheitlichkeit seiner Gegner. Handgreifliche Auseinandersetzungen *** (Rebmann, Andreas Georg Friedrich). Wanderungen..., a. a. O., S. 163. »Das neue graue Ungeheuer", Altona 1795, 3. Stück, S. 92. ,01 Kiacauer, L„ Frankfurt am Main und die französische Republik 1795-1797. In: »Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst", 3. Folge, Bd. 3, S. 204, 1891. ®os Süssheim, Karl. a. a. O., S. 232 ff.

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zwischen Bauern und Plebejern auf dem Markt wegen der Lebensmittelpreise schädigten zwar das Ansehen des Magistrats, aber zugleich verhinderten sie das Zusammenfinden zweier mächtiger antifeudaler Kräfte. Gegen Gesellenunruhen konnte sich das Patriziat auf die Bürgergarde stützen. Preußenfreundliche Bestrebungen innerhalb der Kaufmannschaft, die sich von einer Annexion Nürnbergs günstige Perspektiven für den Handel versprach, begegnete es mit der preußenfeindlichen Haltung der Masse, die in der Zugehörigkeit zu dieser Militärdespotie kein lockendes Ziel erblicken konnte. 301 Dieses Gegeneinander war möglich bei weitgehend gemeinsamer Sympathie für die Französische Revolution. Diese Sympathie war beim besitzenden Bürgertum wesentlich passiv und bestätigte auf diese Art seine politische Unreife, im Kampf gegen die feudale Ordnung die Führung zu übernehmen. Die große Masse bewies Mut und Kraft zur Aktivität, aber führungslos verzettelte sie sich. So erklärt sich bei vielen die Hoffnung auf Hilfe von außen. In anderen Reichsstädten fanden sich die oppositionellen Kräfte besser zusammen, ohne jedoch in der Regel die nötige Einheitlichkeit zu erreichen, um die Oligarchie stürzen zu können. Was erreicht werden konnte, waren Teilerfolge wie in Ulm, wo die Bürgerschaft dem Patriziat die Anerkennung einer Interessenvertretung abtrotzte. Heftige Unruhen waren dem voraufgegangen. Sie entzündeten sich im August 1794, als der Magistrat, ohne die Bürgerschaft ausreichend zu unterrichten, fünf Kanonen abtransportieren ließ, die der schwäbische Kreis für den Reichskrieg angefordert hatte. Biesters »Berlinische Monatsschrift" berichtete: »Hierüber aufgebracht versammelte sich bei Anbruch des genannten Morgens (am 9. August H. S.) ein Haufen Bürger an dem Tore, spannte ohne allen Tumult mit Gelassenheit und Entschlossenheit die Pferde ab und zog die Kanonen selbst wieder in das Zeughaus zurück." 304 Sämtliche Zunftvorgesetzte erklärten sich mit dieser Selbsthilfe Ulmer Bürger solidarisch. Gegenüber dieser geschlossenen Front war der Magistrat machtlos. Er besaß nicht mehr die Kraft, den Vorfall zu untersuchen und Rädelsführer festzustellen. Die Vorgeladenen verweigerten jede Einzelaussage, da sie gleichsam im Auftrage aller Bürger gehandelt hätten. Große Menschenmengen, die sich in drohender Haltung vor dem Amt einfanden, demonstrierten die Richtigkeit dieser Erklärung.305 Sichtbarer Ausdruck der zunehmenden Radikalisierung war die in diesen Tagen erschienene Flugschrift »Freimütige Gedanken über die höchst notwendige Staatsverbesserung der freien Republik Ulm, von wahrheitsliebenden ulmischen Bürgern". Dem Magistrat wurde darin wegen zahlloser Verfehlungen das Recht abgesprochen, weiterhin das Regiment zu führen. Ausgehend von der Erkenntnis, daß alle Menschen von Geburt gleich sind, forderte die Schrift die Bürger auf, ohne Rücksicht auf Familie und Titel eine neue Obrigkeit zu wählen. Allerdings wurde dieser Gedanke nicht konsequent zu Ende geführt, denn die Bürger sollten dabei mit den gutgesinnten Elementen des alten Magistrats zus°» 904 305

Ebenda, S. 241 ff. .Berlinische Monatsschrift", Bd. 25, S. 18, 1795. Dürr, Lore. Innere Kämpfe in der Reichsstadt Ulm am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Ulm 1951 (Maschinenschrift), S. 46.

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sammenarbeiten.306 Die Schrift rief zu einer öffentlichen Versammlung am 28. August auf, um die zu treffenden Maßnahmen zu beraten. 307 Obwohl die Flugschrift anonym erschien, war doch der Säcklermeister Kaspar Feßlen als ihr Verfasser allgemein bekannt. Oer Magistrat lud ihn und den Webermeister Seitzer, der vor allem für die Verbreitung Sorge getragen hatte, zum Verhör vor. Wieder durfte die Obrigkeit es angesichts der drohenden Menge vor dem Rathaus nicht wagen, streng durchzugreifen und die beiden zu verhaften. Auf Umwegen nur gelangte sie zum Ziel. .Ordnung und Ruhe liebende Bürger, insonderheit aus der Zunft der Kaufleute und Krämer", wie es heißt, also die wohlhabenderen Bürger vor allem, sorgten dafür, daß die verfassungsmäßigen Formen nicht gröblich verletzt wurden.308 Sämtliche Zunftvorgesetzte, durch das Gespenst einer von Gesellen und Plebejern getragenen Revolution geschreckt, rückten von der Schrift des Feßlen ab. 309 Die Kaufmannsgilde regte an, aus Vertretern aller Zünfte »eine beständige Repräsentation zu wählen, um deren Anerkennung der hochlöbliche Magistrat geziemend gebeten werden solle, worauf sie mit Hochdemselben die Grundverfassung, Gesetze, Verhältnis zwischen Rat und Bürger, Finanzen usw. untersuchen möchte".310 Am 27. August hatten 19 Zünfte ihre Repräsentanten gewählt; als 21. und letzte Zunft folgte die der Bauleute am 1. September diesem Beispiel. Am 28. August fand die erste Versammlung der Repräsentanten statt, die einstimmig den Rechtsgelehrten Leonhard Holl zu ihrem Syndikus wählte, Außerdem wurde eine Einladung an die städtischen Kollegien und Beamten beschlossen, gemeinsam mit den gewählten Repräsentanten über die Mittel zur Beseitigung der Mißbräuche in der Verwaltung der Stadt zu beraten: „Wir sind entschlossen, Gut und Blut aufzuopfern, um Tumulte zu verhindern, Kommissionen, Exekutionen und Prozesse vor den höchsten Reichsgerichten zu verhüten. Bei solchen Gesinnungen glauben wir, berechtigt zu sein, Sie zu unseren Versammlungen einladen zu dürfen." 311 Angesichts der größeren Gefahr eines offenen Aufruhrs beeilte sich der Magistrat, am 5. September den Ausschuß unter dem Vorbehalt kaiserlicher Zustimmung »als ein von den Bürgern selbst vorgeschlagenes Mittel zur Beruhigung" anzuerkennen.312 Der Vorbehalt war die Hintertür, durch die der Magistrat allen echten Zugeständnissen auszuweichen gedachte. Während er beim Reichshofrat gegen die Bürgerschaft intrigierte, bewies nach den Worten eines zeitgenössischen Beobachters sein wieder schärfer werdender Ton, »daß die Sanftmut und Billigkeit, die sich im Anfange unverkennbar zeigte, mehr ein Kind der Furcht als eine Frucht fester, auf Gerechtigkeit und Liebe gebauter Grundsätze war". 313 Er verbot der Repräsentation 306

307 308 309 310 311 312 313

(Fehlen, Kaspar), Freimütige Gedanken über die höchst notwendige Staatsverbesserung der freien Republik Ulm, von wahrheitsliebenden ulmischen Bürgern, im Jahr des ulmischen Kanonen-Arrests, o. O. 1794. Ebenda, S. 11. „Berlinische Monatsschrift", Bd. 25, S. 20, 1795. Dürr, Lore, a. a. O., S. 49. »Berlinische Monatsschrift", Bd. 25, S. 46, 1795. Ebenda, S. 45. Dürr, Lore, a. a. O., S. 50/51. »Berlinische Monatsschrift", Bd. 25, S. 24, 1795.

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die Herausgabe jeder Art von Druckschriften. Ihren Eingaben, die neben zahlreichen kleineren Beschwerden, sich auf das Prinzip der Volkssouveränität berufend, in irgendeiner Form Beteiligung an der Regierung forderten, begegnete der Magistrat mit hartnäckigem Widerstand. »Der regierende Bürgermeister erlaubte sich sogar... gegen einige, die ihm eine Beschwerdeschrift überreichten, solche hart beleidigenden Worte, wie sie kein wohlgezogener Mensch, geschweige eine reichsstädtische Magistratsperson gegen ihre Mitbürger, sich erlauben sollte." 314 Am 12. Dezember 1794 schließlich konnte der Magistrat ein kaiserliches Patent vom 20. November veröffentlichen, das ihm ein scharfes Vorgehen zu ermöglichen schien. Das Patent verfügte folgende Maßnahmen: Strenge Untersuchung und Bestrafung in der Kanonenangelegenheit; sofortige Auflösung des Bürgerausschusses; Verbot aller vom Magistrat nicht ausdrücklich erlaubten Versammlungen; Verhängung einer Gefängnisstrafe über Feßlen und Seitzer von 6 bzw. 3 Wochen bei Wasser und Brot; Verwarnung des Syndikus Holl wegen »unanständiger und pflichtwidriger Schreibart". Der schwäbische Kreis wurde angewiesen, den Magistrat bei der Durchführung dieser Magnahmen notfalls militärisch zu unterstützen.315 Aber indem der Magistrat, dem Patent folgend, gleichzeitig gegen den Ausschuß, den Sprecher der Bürger im engeren Sinne, und gegen Fefjlen vorging, dem die Sympathie der Gesellen und Plebejer gehörte, führte er beide Kräfte wieder zu einer machtvollen Opposition zusammen. Wie im August erschienen die Einwohner zu den wiederaufgenommenen Verhören in großen Haufen; führenden Mitgliedern des Magistrats wurden nachts die Fenster eingeworfen oder gar vor ihren Türen Galgen aufgerichtet.316 Nach verbüßter Gefängnisstrafe brachte Feßlen einen Kupferstich heraus, der in Hunderten von Exemplaren in Ulm zirkulierte. Der Stich stellte Feßlen als Märtyrer der Wahrheit in der Gefängniszelle dar; unter dem Bild war zu lesen: „O Wahrheit! erstgebor'ne Tochter des Himmels! Dich - ach - ! dich darf ich zwar wohl kennen - ! aber - ! einstweilen nicht nennen - ! ! !" Links vom Bilde war eine Waage dargestellt, deren eine Schale mit dem Licht durch die andere Schale, die einen Geldsack trug, hoch nach oben geschnellt wurde. Der Kommentar lautete: „Ach, wo ist Bürgerehre, so lang es noch so ist." Das Pendant dazu rechts des Bildes zeigte eine Waage im Gleichgewicht; sie trug einen Handwerker und einen Patrizier; ein Totenkopf darunter stand als Symbol der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt. 317 Solchen Widerstand konnten Magistrat und Reichshofkanzlei nicht einfach negieren. Sie griffen zu dem bewährten Mittel der Spaltung der Opposition. Während der radikalen Richtung die Faust gezeigt und Feßlen als ihr sichtbares Haupt wegen des Kupferstiches erneut ins Gefängnis geworfen wurde 318 , kam man der liberalen Bürgerschaft, die in Wien einen Prozeß gegen ihre Obrigkeit angestrengt hatte, einen 314 315

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Ebenda, S. 26. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis, 17 B, Bl. 1 9 3 - 1 9 5 . Dürr, Lote. a. a. O., S. 59. Ein Faksimile des Kupferstiches findet sich bei Noutary, Jean, Les relations historiques avec la France. In: Le Wurtemberg. Ensslin und Laiblin Verlag, Reutlingen 1950, S. 241. Dürr, Lore, a. a. O., S. 64.

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Schritt entgegen. Das kaiserliche Urteil, das im Juli 1795 gefällt wurde, bestand einerseits auf der Untersuchung der Kanonenangelegenheit, andererseits aber willigte es in die Wahl eines neuen Bürgerausschusses zur Vorlage von Bitten und Beschwerden. Der neue Ausschuß repräsentierte das eingesessene Bürgertum mit verbrieftem Bürgerrecht. Die von ihm in einer Liste aufgeführten Beschwerden wiederholten die schon von der alten Repräsentation vorgebrachten liberalen Forderungen. Eine »Beleuchtung", die zur Begründung der einzelnen Klagepunkte erschien, vertrat unter Berufung auf Montesquieu die Notwendigkeit des Gleichgewichts der Gewalten und bezeichnete die bestehende Verfassung als von jeher fehlerhaft und der gegenwärtigen Zeit erst recht nicht mehr entsprechend. Der Magistrat versuchte, die Kritik als französisch beeinflußt zu diffamieren, vermochte sie aber nicht mehr zu unterdrücken; er nahm zur Verzögerungstaktik bei der Erörterung der Beschwerden Zuflucht, bis durch das Erscheinen der Franzosen in Ulm 1796 eine neue Situation eintrat. 319 Das in diesen Klassenkämpfen erreichte Ergebnis, die offizielle Anerkennung eines Bürgerausschusses, war dürftig genug; im Vergleich zu Nürnberg jedoch, das noch nicht einmal ein solches Resultat hervorbrachte, war es beachtlich. Dieser Erfolg war die Frucht des zeitweiligen Zusammengehens mit den niederen Schichten der Einwohnerschaft; diese beschränkte Aktionseinheit aber war wiederum nicht etwa Folge einer im Vergleich zu Nürnberg fortgeschritteneren Entwicklung Ulms, sondern gerade umgekehrt: Weil die Differenzierung der Ulmer Bevölkerung noch nicht den Grad wie in Nürnberg erreicht hatte, konnte die Bewegung einheitlicher sein. Ein anschauliches Bild von den geringen ökonomisch progressiven Energien der Ulmer Bürger vermittelt ein zeitgenössischer Beobachter in Biesters .Berlinischen Monatsschrift". Ohne die Verantwortung für die Verschuldung der Stadt von dem Magistrat nehmen zu wollen, stellte er dennoch fest: »Ich glaube nun zwar nicht zu irren, wenn ich, meinen Beobachtungen zufolge, einen Teil dieses Verderbens der Schläfrigkeit, womit die Gewerbe, der Ungeschicklichkeit und Unwissenheit, womit die Handwerke getrieben werden, zuschreibe. Denn eine kleine Anzahl tätiger Männer ausgenommen, begnügt sich der größte Teil der Kaufmannschaft mit lässiger Betreibung des meistens ererbten Handels; und finden sich gleich einige sehr geschickte Arbeiter in verschiedenen Professionen, so begnügen sich doch die meisten mit dürftiger Kenntnis und fahrlässiger Verrichtung ihrer Geschäfte, welches die schlimmen Begriffe bestätigt, die man mir von dem ulmischen Schul- und Erziehungswesen gemacht hat." 320 Die zeitweilige Einheit der bürgerlichen Opposition wurde hier also begünstigt durch die relative ökonomische Rückständigkeit. Ein Nachteil wirkte sich zum Vorteil aus. Selbstverständlich war eine solche Erscheinung nur sehr bedingt positiv; sie war verbunden mit liberaler Mäßigung der Opposition und konnte niemals wirklich aus der feudalen Sackgasse heraushelfen. Grundvoraussetzung jedes echten, in die Zukunft weisenden politischen Fortschritts blieb die Herausbildung einer ökonomisch starken Bourgeoisie. Nürnberg, in dem dieDifferenM

» Ebenda, S. 65 ff. »Berlinische Monatsschrift", Bd. 25, S. 29, 1795.

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zierung des Bürgertums in dieser Richtung bereits weiterentwickelt war, befand sich gleichsam in einem Zwischenstadium: Es litt unter dem Widerspruch einer relativ fortgeschritteneren Differenzierung, die denGegensatz zu den plebejischen Schichten schon deutlich empfinden lieg, und einer absolut genommen ungenügenden Differenzierung, die keine selbstbewußte, zur Führung und zum Zusammenschlug der divergierenden antifeudalen Kräfte befähigte Bourgeoisie hervorgebracht hatte. Augsburg dagegen, das immerhin einen Unternehmer wie Schüle entwickelt hatte, war weiter als Nürnberg, und darum führte der Klassenkampf hier auch zu größeren Ergebnissen als in Ulm. In Augsburg erzwang die Opposition die Bildung eines Bürgerausschusses, bestehend aus 6 Ratsdeputierten und 16 aus der Bürgerschaft frei gewählten Abgeordneten, der mit bedeutenden Machtbefugnissen ausgestattet war und die Herrschaft des Patriziats empfindlich beschränkte. Die Bewegung, die solche Erfolge erzielte, begann keineswegs einheitlich, aber wurde schließlich doch von dem Besitzbürgertum zu diesem einheitlichen Ziel gesteuert. Anfangs 1794 standen Weber, Meister und. Gesellen, gegen die Kaufleute und Unternehmer auf; während jene durch die Einfuhr ostindischer Textilien den einheimischen Handwerkern die Verdienstmöglichkeiten beschnitten, übten diese einen unerhörten Lohndruck aus, um der ausländischen Konkurrenz gewachsen zu sein. Zu Tausenden durchzogen am 25. Februar 1794 die Weber die Straßen, prügelten buchstäblich den Bürgermeister zur Ratssitzung und mahnten durch Steinwürfe in die Ratsstube, ihrem Begehren unverzüglich nachzukommen und die Einfuhr fremder Waren zu verbieten. 921 Die Stadtgarde wagte nicht einzuschreiten; der Zeugmeister verweigerte sogar die Ausgabe von Munition: .Auf keine Bürger schieße man nicht; er gebe keine Anweisung auch nicht zu einem Körnlein Pulver." 322 Der Bürgermeister wurde nach beendeter Ratssitzung als Geisel auf das Weberzunfthaus geschleppt und hier festgehalten, bis das Dekret verkündet war, das die Entfernung der in der Stadt .befindlichen ausländischen Waren verfügte und ihre Einfuhr für die Zukunft verbot. Mit Jubel und Gelächter und mit dem Ruf .Die Weber haben gesiegt!" quittierte die Menge diesen Entscheid. 323 Gleichzeitig aber nutzte die Reformpartei, die gerade von den Kaufleuten und Unternehmern geführt wurde, gegen die sich der Weberaufruhr eigentlich richtete, die bedrängte Lage der Obrigkeit geschickt aus: Mit der Forderung nach Mitwirkung der Gesamtbürgerschaft am Stadtregiment sicherte sie sich die politische Unterstützung der Massen; mit der Ablehnung des aufrührerischen Vorgehens, das die Interessen des Besitzbürgertums unmittelbar bedrohte, machte sie sich wiederum dem Patriziat angenehm. So kam jener Bürgerausschuß zustande, der einerseits das Vertrauen der Bevölkerung zu der auf diese Weise modifizierten Obrigkeit wieder hob, anderer321

322 328

Gullmann, Friedrich Karl. Geschichte der Stadt Augsburg seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1806. Augsburg o. J., Bd. 6, S. 424 ff. Gullmann schreibt darüber als ehemaliger Stadtgardehauptmann und Augenzeuge. Ebenda, S. 433. Ebenda, S. 427/28.

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seits einen sichtbaren Einbruch in die Machtsphäre der herrschenden Oligarchie darstellte. Die Ende März und Anfang April 1794 durchgeführten Wahlen brachten der Reformpartei eine klare Mehrheit im Ausschuß.324 Diese der Feudalordnung gefährliche Entwicklung beunruhigte den Reichshofrat in einem Maße, daß er durch zwei Dekrete vom 8. Mai 1794 die Aufhebung aller Zugeständnisse, des Bürgerausschusses wie des Einfuhrverbotes fremder Waren, vom Rat verlangte. Zunächst wurde im Juni das zugunsten der Weber erlassene Einfuhrverbot aufgehoben; an seine Stelle trat im August ein vertraglicher Kompromiß, der zwischen Kaufleuten, Unternehmern und Webern geschlossen wurde. Aber es verging noch geraume Zeit, bis die Herren vom Rat den Mut fanden, auch die Auflösung des Bürgerausschusses bekanntzugeben. Sie taten es erst, nachdem sie sich die militärische Hilfe des schwäbischen Kreises gesichert hatten. Am 24. Dezember 1794 rückten über 600 Mann württembergischer Infanterie und Kavallerie, sogar mit einigen Kanonen, in die Stadt ein. 325 Ein Ratsdekret vom 30. Dezember begründete diese Maßnahme damit, daß „der bessere Teil der Bürgerschaft selbst dem Magistrat seinen Beistand gegen die Ruhestörer aus übelverstandener Vorliebe gegen unwürdige Mitbürger entzogen h a b e , . . 3 2 6 Trotzdem ließen sich Kaufleute und Unternehmer nicht mehr aus ihren eroberten Positionen verdrängen. Bereits im Frühjahr 1795 war ein neuer Bürgeraiusschuß durchgesetzt, der nur in der Formulierung seiner Kompetenzen vorsichtiger und zurückhaltender, im übrigen aber dem alten durchaus ähnlich war. 327 Der Magistrat konnte um so weniger dagegen tun, als er diese Kräfte zu seinem eigenen Schutz gegen die Gefahr von unten brauchte. Mitte 1795 hatte er die beunruhigende Nachricht erhalten, daß kriegsgefangene Franzosen, die sich in augsburgischen Spitälern befanden, Zusammenkünfte mit verdächtigen Leuten abhielten.328 Am 9. Oktober desselben Jahres erhob sich auf dem Getreidemarkt ein Tumult. Aufgebrachte Bürger verwehrten fremden Händlern den Aufkauf von Getreide und nahmen sogar selbstherrlich Arretierungen angeblicher Wucherer vor. Selbst die Stadtgarde hatte daran teil; sie kontrollierte alle Wagen, die die Tore mit Getreide passieren wollten, und wies verschiedene zurück. 329 Hinzu kamen die ständigen Reibereien zwischen den Soldaten der Stadtgarnison und dem württembergischen Manutenenzkorps. Dem Betreiben des Bürgerausschusses war es zu danken, daß schließlich die württembergischen Truppen am 1. Mai 1796 wieder aus der Stadt abzogen. Er hatte das Bürgermilitär neu organisiert, so daß es Unruhen wirkungsvoller bekämpfen konnte, und sich zugleich damit steigende Bedeutung gesichert. 330 In den anderen Reichsstädten tobten ähnliche Klassenkämpfe, nur waren die Voraussetzungen und Bedingungen vielfach ungünstiger als in den bisher genannten. In 324 325 328 327 328 329 330

Ditt, ?., a. a. O., S. 86 ff. Ebenda, S. 90 ff. »Deutsche Zeitung", Jahrg. 1795, 4. Stück, Sp. 57/58. Ditt, P„ a. a. O., S. 94. Cullmann, Friedrich Kail, a. a. O., S. 521. Ebenda, S. 525. Ebenda, S. 469 ff.

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Regensburg, das als Sitz des Reichstags dürftig seine Existenz fristete, ging die Bewegung kaum über zünftlerische Unruhen hinaus. Sie radikalisierten sich unter dem Einfluß der französischen Ereignisse. Der Magistrat suchte durch verstärkte Wachsamkeit vorzubeugen, unter anderem auch dadurch, daß er in die Wirtshäuser Spitzel schickte. »Dem ungeachtet sind der Wachsamkeit der Wachen an den Toren solche Personen entgangen, die aufrührerische Schriften bei sich geführt, welche sie dem gemeinen Mann um ein weniges, auch unentgeltlich, zugestellt haben', hieß es in einem Bericht vom 30. Januar 1795. 331 Gefährlich wurde die Situation für den Magistrat im Mai 1796, als die 150 Stadtsoldaten wegen ausgesucht schlechter Behandlung durch ihren Kommandanten meuterten. Die vorübergehende Lähmung der Staatsgewalt hatte sofort Unruhen einzelner Zünfte zur Folge. »Schon gesellte sich ein jeder Unzufriedene zu seinesgleichen, schon wurden hie und da die Namen der Opfer laut genannt, über die der Pöbel herfallen wollte", sagte ein Bericht in Beckers »Nationalzeitung der Deutschen"; aber mit der Beilegung der Meuterei verebbten auch die Unruhen.332 In Frankfurt hatten das Patriziat und die reiche Kaufmannschaft das Heft fest in der Hand. Aus den ersten beiden Bänken des Rats, die Adel und Gelehrte besetzten, rekrutierten sich alle leitenden Beamten, und in den Bürgerkollegien, die ein Aufsichtsrecht über die Stadtverwaltung besaßen, dominierten die wohlhabenden Kaufleute. Alle diese Gremien ergänzten sich selbst und waren bemüht, die unteren Schichten einflußlos und ruhig zu halten. Manufakturarbeiter betrachtete der Rat als ein ausgesprochen unbeständiges und zur Unruhe neigendes Element und wachte darüber, daß ihre Zahl beschränkt blieb. Wer von den Besitzenden sein Geld in der industriellen Produktion anlegen wollte, mußte es meist im benachbarten Ausland, in Kurmainz, Isenburg oder Hessen-Kassel tun. Das große Frankfurt besaß darum kaum mehr als drei Dutzend Manufakturbetriebe, in der Mehrzahl Tabak-, Tuchund Seidenmanufakturen.333 Da bis in den Beginn des Interventionskrieges hinein die wirtschaftliche Lage der Stadt dank ihrer Stellung als Messe- und Börsenzentrum im Vergleich zu anderen Reichsstädten recht günstig war, hatte der Klassenkampf noch keine sehr scharfen Formen angenommen. Das änderte sich während des Krieges. Frankfurt a. M. beherbergte, seitdem die Kriegsfront bis an den Rhein gerückt war, ständig größere Truppenmengen in seinen Mauern. Wie das vom Kaufmann Finger seit dem 1. Januar 1795 geführte Tagebuch bezeugt, herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. 334 Die Lage der Masse der Bevölkerung verschlimmerte sich dadurch in doppelter Hinsicht: Auf der einen Seite nahm die Lebensmittelknapp331

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LHA Dresden, Loc. 30 164, Die Reichsstadt Regensburg, in specie die öffentliche Ruhe daselbst, Bl. 1. .Nationalzeitung", Jahrg. 1796, 22. Stück, Sp. 475/76. Vgl. auch Freytag, Rudoll, Vom Sterben des immerwährenden Reichstags. In: »Verhandlungen des Historischen Vereins von Oberpfalz und Regensburg", Bd. 84, S. 222 ff., 1934. Die Stadt Goethes. Frankfurt am Main im XVIII. Jahrhundert. Herausgegeben von der Stadt Frankfurt am Main durch Heinrich Voelcker. Frankfurt a. M. 1932, S. 51, 92, 124. Vaterstädtisches und Vaterländisches. Auszüge aus S. G. Fingers Tagebüchern von 1795 bis 1818. In: »Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst", NF Bd. 6, S. 161 ff., 1877.

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heit und -teuerung laufend zu, auf der anderen Seite unterbanden die Truppen, die diese zusätzliche Not verschuldet hatten, jeden ernsthaften Vorstoß gegen das herrschende Patriziat. Lebensmittelunruhen, die im April 1795 ausbrachen, konnten von den bewaffneten Kräften der Stadt zusammen mit preußischen und sächsischen Einheiten schnell unterdrückt werden. 335 Als im Mai ein neuer Aufruhr drohte, genügte die bloße Demonstration der militärischen Gewalt, um ihn bereits im Keime zu ersticken. 336 Ebenso sicherten im Februar 1796 kaiserliche Truppen sofort sämtliche wichtigen Plätze, als Zimmergesellen, Maurer, Schlosser, Schreiner und Weißbinder in einen Lohnstreik traten. 337 Sichtbare Einbrüche in die feudale Ordnung konnten unter diesen Bedingungen nicht erzielt werden. In der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber versuchte eine kleine Gruppe von 24 Bürgern unter Führung des Arztes Geßner Ende 1795, der allgemeinen Unzufriedenheit ein einheitliches Ziel zu geben und eine Reform der Verfassung durchzusetzen. 838 Geßner hatte zuvor in Nördlingen gelebt und dort schon zu den wenigen gehört, die nach den Worten des fortschrittlichen Publizisten Wekhrlin dazu beigetragen, daß „Nördlingens Horizont sich aufzuheitern begann". 339 Jetzt brachte er eine programmatische Schrift heraus, die davon sprach, daß »die ihrer Stumpfheit entfesselte und aus ihrem Todesschlaf zu richtigeren Begriffen und (besseren Überzeugungen erwachte Bürgerschaft" sich in jener Gruppe einen Wortführer geschaffen hätte. Sie wandte sich an den äußeren Rat und forderte ihn gemäß »der reinen Urverfassung" auf, »die Bürgerschaft als deren Repräsentant vorurteilsfrei, ohne gehässige Einflüsse und ganz rücksichtslos mit unerschütterlicher Festigkeit und nachdrücklich zu vertreten". 340 Das Mittel, die Diktatur des oligarchischen inneren Rats dadurch zu brechen, daß sich der äußere zum Sachwalter der ganzen Bürgerschaft machte, war verfehlt, denn dieser rekrutierte sich wie jener im wesentlichen aus demselben Kreis der Privilegierten. Während die Ulmer Opposition die Verfassung ihrer Stadt als von jeher fehlerhaft bezeichnete, glaubte die Rothenburger noch, in der »reinen Urverfassung" den Schlüssel zur Lösung der gegenwärtigen Widersprüche zu besitzen. In diesem Gegensatz dokumentierte sich der unterschiedliche Reifegrad. Der Magistrat begegnete der Opposition, indem er durch billige Abgabe von Lebensmitteln aus den Stadtmagazinen und ähnliche Maßnahmen die allgemeine Stimmung zu beruhigen trachtete. In einer Verlautbarung vom 14. März 1796 drückte er die Hoffnung aus, »daß sich die ganze Bürgerschaft durch ein ruhiges und pflichtmäßiges 335

Ebenda, S. 168. Ebenda, S. 171/72. 337 Ebenda. S. 186. 338 Bensen. Heinzich Wilhelm, Historische Untersuchungen über die ehemalige Reichsstadt Rothenburg oder die Geschichte einer deutschen Gemeinde aus urkundlichen Quellen bearbeitet. Nürnberg 1837, S. 387. 33a Zitiert bei Ebeling, Friedrich W., a. a. O., S. 38. Gegner starb nicht in Nördlingen, wie Wekhrlin irrtümlich annahm, sondern verzog nach Rothenburg. Vgl. (Zapt, Georg Wilhelm), Bemerkungen über Anseimus Rabiosus Reise durch Oberdeutschland, in Briefen an Herrn Hofrat M . . . Ohrdruf (Karlsruhe) 1778, S. 43. 340 - Bensen, Heinrich Wilhelm, a. a. O., S. 407 Anm. 2. 336

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Verhalten dankbar beweisen werde, und untersagt noch ausdrücklich das Absingen ärgerlicher und pasquillantischer Lieder in Wirts- und Bierhäusern". 841 Auf eine ähnliche Weise äußerte sich die Unzufriedenheit und rebellische Stimmung der Bewohner Nördlingens. Nach einem Bericht der .Nationalzeitung" war es »der übelverstandene französische Geist der Freiheit .und Gleichheit, welchen sie durch das Singen des Marseiller Liedes u. a. wie auch durch den Umgang der gefangenen Neufranken nährten und der sie verleitete, jeden gesetzlichen Zwang als Tyrannenwut (wie es in dem in den Arbeitsstuben, in den Wirtshäusern, Braunbiergelagen und auf den Gassen der Stadt immer laut tönenden Liede heißt) anzusehen".842 Anfang 1796 entzündete sich ein Aufruhr an dem Gegensatz, in dem insbesondere die Leineweberschaft zum Bürgermeister der Stadt, Georg Christian Tröltsch, stand. Tröltsch verband seine Stellung im Magistrat, den er vollkommen beherrschte, mit einer ausgedehnten kaufmännischen und Unternehmertätigkeit. Er war Besitzer einer Bleiche und hatte darüber hinaus den ganzen Garnhandel an sich gerissen. Er hielt sich nicht nur Aufkäufer, die den Bauern der Umgebung die Mühe abnahmen, den Nördlinger Markt mit ihrem Garn aufzusuchen; er sicherte sich auch die Garnproduktion dadurch, daß er den Bauern Geld vorstreckte und sich im voraus zum Besitzer ihres Arbeitsergebnisses machte. Die Weber der Stadt aber litten unter ständigem Garnmangel und waren nicht in der Lage, größere Aufträge zu übernehmen. Solche Bestellungen fielen alle Tröltsch zu, der die Arbeit dann mit seinem Garn von den billigeren Landwebern ausführen ließ.343 Am 8. Februar 1796 zogen sämtliche Meister mit ihren Gesellen auf das Rathaus, wenn nicht anders unter Gewaltanwendung den Verzicht des Bürgermeisters auf seine Monopolstellung zu erzwingen. Ein zeitgenössischer Bericht sagte darüber: »Der Magistrat wurde auch hierauf in seiner Ratsstube... in enger Gefangenschaft gehalten, bis die urgierte Entsagungsurkunde mit strafbarer Gewalt erpreßt und solcher, die der Weberschaft in ihrer ersten Fertigung nicht genügte, auf deren trotziges Verlangen anoch die gewöhnliche magistratische Unterschrift beigesetzt, auch das Stadtinsiegel aufgedruckt, ja zuletzt noch, weil die Weberschaft auch damit nicht zufrieden sein wollte, von dem Bleicheigentümer das ,auf immer und ewig' angefügt war." 344 Dieser Sieg war nicht von Dauer. Bereits am 7. März drohte das Kreisausschreibamt der Nördlinger Weberschaft mit Gewalt, wenn sie sich nicht unverzüglich dem Magistrat beugte. 345 Eine strenge Kriminaluntersuchung der Vorgänge vom Februar 1796 auf Grund eines kaiserlichen Dekrets zog sich bis ins Jahr 1799 hin. Sogar in den kleinsten Reichsstädten, deren ökonomisches Leben völlig stagnierte und die nahezu abgeschlossen von der Welt für sich vegetierten, war der Boden für die Aufnahme revolutionärer Ideen bereit, wenn auch selten die Kraft ausreichte, um im offenen Kampf an der Feudalordnung zu rütteln. In Schweinfurt war das 341 342 343

344 345

„Nationalzeitung", Jahrg. 1796, 26. Stück, Sp. 582. Ebenda, 12. Stück, Sp. 270. Dannenbauer. Heinz, Das Leineweberhandwerk in der Reichsstadt Nördlingen. In: »Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte", 3. Jahrg., S. 308, 1930. .Nationalzeitung*, Jahrg. 1796, 12. Stück, Sp. 268. Ebenda, 22. Stück, Sp. 479.

7 Süddeutsche Jakobiner

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mittlere Bürgertum eindeutig profranzösisch gesinnt. Ein Subdiakon konnte hier im Juli 1794 eine Predigt »Über die schuldige Achtung der höheren Stände gegen die niederen' halten; den Druck der Predigt, nach dem die Gemeinde verlangte, verhinderte der Magistrat. Eine von ihm bestellte Kommission erhielt den Auftrag, Maßnahmen vorzuschlagen, wie den einreibenden revolutionären Ideen Einhalt geboten werden könnte. 346 In Dinkelsbühl trotzte die Bürgerschaft 1794 dem reichsstädtischen Magistrat sogar die Einwilligung zur Bildung einer bürgerlichen Deputation ab, die «nicht etwa bloß zu Vorlegung bestimmter Beschwerden oder in Rücksicht auf einen anderen vorübergehenden Gegenstand, sondern zu einem unbeschränkten Einfluß in die gemeinen Stadtangelegenheiten bevollmächtigt wurde,..947 Von französischer Seite wurde den Bewegungen in den Reichsstädten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Schulden- und Mißwirtschaft des oligarchischen Patriziats erschien als eine Parallele zur Verschwendungssucht des bourbonischen Hofes, die den Ausbruch der Revolution in Frankreich beschleunigt hatte. Voller Optimismus schrieb Bacher am 3. Oktober 1794 aus Basel nach Paris: „Es hat in dieser Beziehung in Nürnberg und Ulm Bewegungen gegeben, die zur Bildung eines Überwachungs- und Revisionskomitees in jeder dieser Städte geführt haben, ein Beispiel, dem mehrere andere freie Reichsstädte gleich folgen werden. Dieser elektrische Schlag wird sich in Kürze den Gemeinden und Herrschaften, die zwischen diesen Städten liegen, mitteilen, und dann werden wir die Fürsten und Reichsstände zwingen, sich von der Koalition zurückzuziehen, dem Beispiel des Königs von Preußen zu folgen, der zu seinem Scheiden aus der Insurrektion im südlichen Preußen 3 4 8 und aus der dumpfen Gärung, die in Berlin und in einigen anderen Teilen seiner Staaten herrscht, gelernt hat, daß er in Pillnitz sein Testament unterschrieben hatte." 3 4 9 Vorsichtiger und realistischer als Rivais die Lage in Württemberg schätzte Bacher hier die Klassenkämpfe in den Reichsstädten ein. Er entwarf kein Bild, das der Situation am Vorabend einer Revolution entsprochen hätte, aber er betonte mit vollem Recht die reichsstädtischen Bewegungen und ihre Bedeutung, die sie über die Stadtmauern hinaus besaßen. Die Reichsstädte waren Unruhezentren. Hier fanden sich Drucker, die revolutionäre Flugschriften druckten; von hier gingen aufrührerische Lieder über die Märkte ins Land hinaus. Das Gewicht, das solche Erscheinungen für Frankreich und für seinen Sieg über die feudale Konterrevolution besaßen, ist von Bacher nicht überschätzt worden. 348

847 948 349

Etiderlein. Friedrich Leonhard, Die Reichsstadt Schweinfurt während des letzten Jahrzehnts ihrer Reichsunmittelbarkeit mit vergleichenden Blicken auf die Gegenwart. Schweinfurt 1863, T. 2, S. 17. »Deutsche Staatskanzlei", Jahrg. 1800, Bd. 3, S. 74. Gemeint ist Schlesien. .11 y a eu à ce sujet des mouvements à Nuremberg et à Ulm qui ont amené l'établissement d'un Comité de surveillance et de revision dans chacune de ces villes, exemple qui va être suivi par plusieurs autres villes libres et impériales. Cette commotion électrique se communiquera dans peu aux communes et seigneuries intermédiaires qui se trouvent entre ces villes, et dès lors nous forceront les princes et États de l'Empire à se retirer de la coalition, à suivre

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5. Die übrigen Territorien und Territorialsplitter Unter den übrigen staatlichen Gebilden Süddeutschlands, die das Chaos vervollständigten, hoben sich zwei weniger durch die eigene Bedeutung als vielmehr durch die Tatsache heraus, dag sie m unmittelbaren Beziehungen zu den beiden deutschen Großmächten, zu Preußen und Österreich, standen: Die Fürstentümer AnsbachBayreuth im Nordosten und Vorderösterreich mit dem Breisgau, Schwäbisch-Österreich und verschiedenen verstreuten Besitzungen im Südwesten. Die Kurpfalz als Anhängsel Bayerns, des drittgrößten deutschen Staates, war bedeutungslos, seitdem die Hauptmasse ihres Gebiets von den Franzosen besetzt und sie faktisch auf den rechtsrheinischen Zipfel um Mannheim und Heidelberg reduziert war. Eine relativ große Fläche nahmen die verschiedenen geistlichen Territorialstaaten ein, die zu den rückständigsten Gebieten zählten, aber als sichere Außenposten der österreichischen Diplomatie eine gewisse Rolle spielten. Was dann noch übrigblieb, waren Zwergstaaten ohne jede eigene Kraft und schließlich eine Unmenge Landsplitter, die reinsten Verkörperungen des Anachronismus, der die staatliche Entwicklung Deutschlands überhaupt kennzeichnete. Ansbach-Bayreuth hatte durch seinen Übergang an Preußen 1792 gewonnen, obwohl es weiterhin durch Zollmauern von ihm getrennt blieb. Die preußische Verwaltung unter Hardenberg schuf keinen grundsätzlichen Wandel, aber sie konnte doch, gestützt auf die Autorität des großen Militärstaates, im Interesse der öffentlichen Einkünfte einiges bessern. In der Vergangenheit hatte sich der Adel in den Fürstentümern Positionen erhalten und erwerben können, die sich einer absolutistischen Regierung als mächtige Hindernisse in den Weg legten. Alle wichtigen Ämter waren von ihm besetzt, so daß seine reichsritterschaftliche Unabhängigkeit nicht angetastet wurde. Übelster Nepotismus herrschte überall.350 Hardenberg ging gegen diese Vetternwirtschaft bei der Ämterbesetzung vor und bereinigte insbesondere die Mischungen der herrschaftlichen Rechte mehr oder minder gewalttätig zugunsten des ansbach-bayreuthischen Staates. Er brachte auf diese Weise die fränkische Reichsritterschaft um rund ein Drittel ihres Besitzes.351 Auf dieser Basis konnte Hardenberg dann auch mit größerem Erfolg als die Markgrafen vor ihm in bescheidenem Rahmen Wege zur Hebung von Industrie und Landwirtschaft ebnen. Ein guter Grundstock für die Textilindustrie war Ende des 17. Jahrhunderts mit der Ansiedlung der französischen Protestanten in Schwabach und Erlangen gelegt worden. An der Spitze stand die Strumpfwirkerei; aber auch die Baumwollweberei und -färberei breitete sich aus. Insgesamt waren 1797 in Ansbach-Bayreuth rund

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l'exemple du roi de Prusse, qui a appris à ses dépens, par l'insurrection de la Prusse méridionale et la fermentation sourde qui règne à Berlin et dans quelques autres parties de ses États, qu'il avait signé à Pillnitz son testament.* Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 334/35. Brandt, Otto, Staat und Kultur der fränkischen Markgrafschaften im Zeitalter Friedrichs des Großen. In: »Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte", 4. Jahrg., S. 429/30, 1931. Süssheim, Karl, a. a. O., S. 83. Süssheim, Karl, a. a. O., S. 215.

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22 000 Menschen in der Textilindustrie tätig und 4000 Stühle in Betrieb.352 Dabei war der Höhepunkt jedoch schon überschritten. Förderungsmaßnahmen wie staatliche Zuschüsse an erfolgreiche Unternehmer vermochten nicht die steigenden Schwierigkeiten zu überwinden, in die ein solcher Kleinstaat durch die Schutzzollpolitik der größeren Mächte notwendig geriet. Die zunehmende Produktivität in der Strumpfwirkerei durch technische Verbesserungen am Rößchenstuhl wurde auf diese Weise erdrosselt. 353 Hardenberg konnte den Niedergang der ansbach-bayreuthischen Textilindustrie nur hemmen, nicht aufhalten. Zu wirklich großen Unternehmungen, die sich gegenüber den überlebten Produktionsverhältnissen durchsetzten, fehlte das Kapital. «Große Kaufleute haben wir . . . im Lande eigentlich nicht", schrieb Hardenberg in seiner Denkschrift von 1797. »Unsere Kaufleute sind nur Krämer,... die mehrsten Fabrikanten arbeiten für Rechnung der Nürnberger." 354 Auch die Avantgarde des Bürgertums, die Intelligenz, ragte nicht aus der territorialen Beschränktheit heraus. Die Universität Erlangen war keineswegs ein Zentrum hoher Geistigkeit, sondern eine für die Bedürfnisse des Kleinstaates zugeschnittene Ausbildungsstätte einigermaßen gebildeter Beamten.355 Der Versuch Wilhelm Ludwig Wekhrlins 1792, in Ansbach eine politische Zeitung herauszugeben, scheiterte bereits nach einem Vierteljahr. 356 Günstiger als in der gewerblichen Produktion war die Entwicklung in der Landwirtschaft. Für die Bauern hatte jetzt die schlimmste Plage, die Wildplage, die alle Bemühungen um eine rationelle Landwirtschaft immer wieder zunichte gemacht hatte, ein Ende: Hardenberg verpachtete die Jagd an die Bauern, die das Wild ausrotteten. „Der Anbau des Klees und anderer Futterkräuter nimmt immer mehr zu, seitdem der Landmann seinen Fleiß gegen die Verheerungen des Wildes geschützt weiß", stellte Hardenbergs Denkschrift 1797 fest. 357 Für den Ausfall der Jagdeinkünfte hatten die Bauern eine regelmäßige Entschädigung, die Wildbretabtragsgelder oder Hirschensteuer, zu zahlen. Obwohl sie nur einen geringen Teil der Kosten ausmachte, die früher von den Gemeinden für die im Grunde doch nutzlosen Wildhüter ausgegeben wurden, war der Widerstand so stark, daß sie häufig genug nur mit militärischer Unterstützung eingetrieben werden konnte. Sie blieb in den Augen der Bauern eine zusätzliche Steuer und war noch nicht einmal die einzige: Für die Befreiung von der Einquartierungspflicht hatten sie Service352

Meyer, Christian, Preußens innere Politik in Ansbach und Bayreuth in den Jahren 1792 bis 1797. Enthaltend die Denkschrift des Staatsministers Karl August von Hardenberg. Berlin 1904, S. 33. 353 Schanz, Georg, Zur Geschichte der Kolonisation und Industrie in Franken. Erlangen 1884, S. 105 £f. 354 Meyer, Christian, Preußens innere Politik..., a. a. O., S. 149. 355 Thüraui, Ulrich, Geschichte der öffentlichen Meinung in Ansbach-Bayreuth 1789-1815. Phil. Diss. München 1918, S. 29. 35,1 Böhm, Gottfried. Ludwig Wekhrlin (1739-1792). Ein Publizisten-Leben des achtzehnten Jahrhunderts. München 1893, S. 277 ff. 357 Meyer, Christian, Preußens innere Politik..., a. a. O., S. 117. Nach einer Berechnung betrug der jährliche Wildschaden im Umkreis von 200 ansbachischen Dörfern fast die Hälfte des Bodenertrages. Biedermann, Karl, a. a. O., Bd. 1, S. 248.

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und Fouragegelder zu zahlen. 358 Außerdem änderte sich an der Fülle der hergebrachten Belastungen überhaupt nichts. Hardenberg selber führte in seiner Denkschrift als Beispiel für feudale Ausbeutung und Beschränkung jeder Bewegungsfreiheit die Tatsache an, daß häufig genug vom Bauern die Nachsteuer sogar dann gefordert wurde, wenn er in demselben Dorfe nur von einem Haus ins andere wechselte. Zusammenfassend bestätigte er, daß die Bauern „eine nicht geringe Bürde zu tragen haben." 359 In den vorderösterreichischen Gebieten, dem Breisgau, der Ortenau und den in Oberschwaben verstreuten Landesteilen, hatte Joseph II. im Sinne des aufgeklärten Absolutismus die Zustände zu modernisieren versucht. Nach seinem Tode jedoch setzte eine verstärkte Reaktion ein. Adel und Geistlichkeit besaßen in den Landständen eine wirkungsvolle Interessenvertretung. Im Breisgau übten sie die hohe und niedere Gerichtsbarkeit aus; sie zogen die Steuern ein, an denen sie zum Teil sogar gewinnbeteiligt waren; die Ortspolizei lag völlig, die Landespolizei weitgehend bei ihnen, und selbst auf das Militärwesen hatte die Ständevertretung maßgeblichen Einfluß.360 Die reichsten deutschen Klöster wie St. Blasien lagen im Breisgau ; mächtige geistliche Herren wie der Großprior des Johanniterordens in Deutschland gehörten dem breisgauischen Prälatenstand an. Der Landesherr war weit, und seine Befugnisse waren beschränkt. Die städtische Entwicklung und damit die des Bürgertums blieben unter diesen Bedingungen entsprechend kümmerlich. Freiburg und Villingen, die zu den größten Städten zählten, kannten über das zunftmäßig organisierte Gewerbe hinaus keine Industrie und waren mit ihrem weiten Landbesitz feudale Ausbeuter wie der Adel. 361 Von Konstanz mit seinen 4600 Einwohnern sagte Gercken, der die Stadt Anfang der 80er Jahre kennenlernte: „Aber einen Ort, der so tot und unbevölkert ist, wie diesen habe ich nicht leicht gesehen. Es ist hier weder Kaufmannschaft, Fabrik, noch sonst irgendein Verkehr, mithin im Grunde eine arme Stadt." 362 Die geringen Ansätze einer Industrie verdankte Konstanz vor allem ausländischer Initiative. Zuerst waren es Schweizer, in den 90er Jahren dann Lyoner Unternehmer, die mit geringem Erfolg an die Gründung einiger Manufakturen gingen. 363 Fühlbar wurde die industrielle Entwicklung im Vorderösterreichischen durch Schweizer Verleger vorangetrieben, die auf dem Lande für sich arbeiten ließen. Tausende erwarben sich auf diese Weise als Baumwollspinner oder als Sticker ihr Brot. Vereinzelt versuchten Einheimische, die im Dienste der Schweizer als Ferger zu Geld gekommen waren, eigene Verlagsgeschäfte zu gründen. 364 Eine solche Entwicklung wurde begünstigt durch die starke Differenzierung der Bauernschaft. Da ein gutes Besitzrecht, das Erbrecht am Hofe, vorherrschte, fand in der 358 358 360 361 3t2 383

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Meyer, Christian, Freugens innere Politik..., a. a. O., S. 17/18. Ebenda, S. 195/96. Gothein, Eberhard, Der Breisgau unter Maria Theresia und Joseph II. Heidelberg 1907, S. 4. Ebenda, S. 11. Gercken, Philipp Wilhelm, a. a. O., S. 153. Baier, Hermann, Zur Wirtschaftsgeschichte der Stadt Konstanz im 18. Jahrhundert. In: .Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins', NF Bd. 30, S. 510 ff., 535 ff., 1915. Gothein, Eberhard, Wirtschaftsgeschichte..., a. a. O., S. 738 ff., 751 ff.

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Ebene eine starke Güteraufsplitterung statt, die eine breite Schicht Landarmer schuf. Im Gebirge mit seinem kargen Boden hielten sich die großen geschlossenen Bauerngüter; hier entstanden um so mehr Landlose. Beide, Landarme und Landlose, boten sich den Verlegern als billige Arbeitskräfte an. Einzelne Reformen Josephs II. wie die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Umwandlung einzelner Feudalleistungen in Geldabgaben hatte, soweit sie durchgeführt waren, die folgende Reaktionsperiode nicht mehr rückgängig zu machen gewagt, so dag auch die verbesserte Dreifelderwirtschaft mehr und mehr Verbreitung fand.365 Da die Feudalherren keine oder nur geringe Eigenwirtschaft trieben, spielten die Frondienste als lästige Hemmnisse für den landwirtschaftlichen Fortschritt eine geringe Rolle.366 Um so ungünstiger wirkte aber die Tatsache, dag die verschiedenen feudalen Herrenrechte häufig in einer Hand lagen und der einzelne Feudalherr die daraus fliegenden Einkünfte unmittelbar einzog. So lastete nach wie vor ein schwerer Druck auf den Bauern. Die Kurpfalz hatte in der Vergangenheit fühlbare landesherrliche Bemühungen erlebt, die ökonomische Entwicklung zu fördern. Mannheim wurde nach holländischem Vorbild gegründet und genoß anfangs Handels- und Gewerbefreiheit. Hier und in Heidelberg waren alle Ämter ausschließlich mit Bürgerlichen besetzt.367 In der Landwirtschaft wurde insbesondere der Anbau von Handelspflanzen, vor allem des Tabaks, gefördert, der auch in einheimischen Manufakturen verarbeitet wurde.368 Aber alles das waren Ansätze, die unter den Bedingungen des Kleinstaates und der Vorherrschaft des Adels im gesamten Staatsapparat nicht weiterentwickelt werden konnten, sondern umgekehrt häufig rückläufige Tendenzen zeigten: Mannheim unterlag schließlich doch dem Machtanspruch der Zünfte 969 ; seine bürgerliche Stadtverwaltung degenerierte wie die Heidelbergs zur Oligarchie 370 ; die landwirtschaftliche Entwicklung wurde aufs äußerste durch eine blutsaugerische und korrupte Beamtenschaft erschwert. Ein Zeitgenosse meinte ironisch: „Nichts hat mir einen so hohen Begriff von der Ergiebigkeit des Landes gegeben als die Liste eines kurfürstlichen Einnehmers von den Abgaben der Untertanen im Vergleich mit ihrem Wohlstand. Für mich wenigstens wäre es ein unauflösliches Problem, eine Rubrik von Auflagen zu erfinden, die nicht auf dieser Liste stünden; es müßte denn ein Akzis von der Luft sein, die man auf pfälzischem Grund und Boden einatmet." 371 Immerhin zeugt es für das Selbstbewußtsein des Bürgertums von Mannheim und Heidelberg, daß es unter dem Einfluß der Revolution von 1789 in beiden Städten 8,5

Gothein, Eberhard. Der Breisgau..., a. a. O., S. 109. »•• Ebenda, S. 7. ®67 Schlick. Heinrich, Die rechtsrheinische Pfalz beim Anfall an Baden. Phil. Diss. Heidelberg 1930, S. 37. 3(8 Schlick. Heinrich, Die wirtschaftlichen und kulturellen Zustände der rechtsrheinischen Pfalz beim Anfall an Baden. In: .Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins', NF Bd. 45. S. 408 fi., 419, 1932. 369 Gothein, Eberhard, Bilder aus der Kulturgeschichte der Pfalz nach dem 30jährigen Kriege. In: Badische Neujahrsblätter, Bl. 5, Karlsruhe 1895, S. 56. 570 Schlick. Heinrich, Die rechtsrheinische Pfalz..., a. a. O., S. 40. 571 Ebenda, S. 62/63.

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die Einrichtung bürgerschaftlicher Deputationen durchsetzte, die vom Magistrat bei der Beratung wichtiger Angelegenheiten hinzugezogen werden mußten. 1793 mit dem Beginn des Reichskrieges gegen Frankreich konnte sich die städtische Oligarchie allerdings weitgehend von dieser Kontrolle wieder befreien.372 Der Verlust des größten Teils ihres Territoriums im Gefolge dieses Krieges und ihre Reduzierung auf den linksrheinischen Zipfel verwandelte die Kurpfalz schließlich in ein bloßes Anhängsel des reaktionären Bayern ohne eigene Entwicklungsmöglichkeiten. Zu den rückständigsten Gebieten gehörten die geistlichen Territorien. Die ganze Struktur dieser Staaten, wo die feudale Aristokratie durch Wahlkapitulationen ihre Stellung dem Fürsten gegenüber stets neu festigen konnte, erschwerte den Fortschritt. Unzählige Ämter dienten dem Adel als Sinekuren.*73 Bezeichnend lautete der erste Paragraph der Instruktion für die Geschäftsführung der selbstverständlich adligen Beamten in den kurmainzischen Oberämtern: »Der kurfürstliche Oberamtmann ist nie verbunden, auf dem kurfürstlichen Oberamt anwesend zu sein oder sich einiger amtlicher Geschäfte zu unterziehen."374 Rebmann, der Mitte der 90er Jahre durch das Bambergische reiste, stellte fest: .Der gemeine Mann im Bambergischen steht noch auf der untersten Stufe der Kultur. Jeden Funken gesunder Vernunft, der hier und da aufflimmern möchte, sind die Pfaffen sorgfältig zu ersticken bemüht. Auch die Amtleute sind gewöhnlich die ausgemachtesten Dummköpfe, da die Ämter größtenteils so gut als verkauft werden." 375 Ansätze zu einer industriellen Entwicklung über das beschränkte Zunfthandwerk hinaus waren in den geistlichen Territorien, wenn überhaupt vorhanden, äußerst kümmerlich. Bei der Beschreibung seiner Eindrücke vom Bistum Bamberg sagte Nicolai: »Ich hätte anstatt Reliquien lieber Spuren von der Industrie der Einwohner gesehen; die muß man aber in einem geistlichen Lande eigentlich nicht suchen." 376 Aus diesem Mangel erklärte sich Gercken auch die vielen Bettler, die er im Würzburgischen und besonders im Bambergischen antraf.377 Aber während sich in den fränkischen Bistümern wenigstens noch in der Landwirtschaft fortschrittliche Methoden in stärkerem Maße durchsetzten 378, würgten andere geistliche Territorien auch auf diesem Gebiet jede Entwicklungsmöglichkeit ab. Als klassisches Muster kann die Regierung des Speyrer Bischofs August Graf von Stirum gelten, der nach dem Verlust seiner Residenz und der linksrheinischen Besitzungen in Bruchsal saß und den Rest seines Bistums tyrannisierte. Mit eiserner Strenge wachte er darüber, daß ihm nicht die geringste feudale Abgabe entging. Während benachbarte Territorien wie Baden die Leibeigenschaft 371

Ebenda, S. 38 ff. Rebmann gab für Mainz die Zahl 3000 an. Ähnlich aufgebläht war das Offizierskorps: Die 4000 Mainzer Soldaten, von denen 1000 Mann invalide waren, wurden von 10 Generälen kommandiert. .Neues graues Ungeheuer", Upsala 1799, H. 14, S. 124/25. 3,4 Heise, Wilhelm, Kurmainz am Vorabend der Revolution. Phil. Diss. Berlin 1907, S. 19. 3,9 (Rebmann, Andreas Georg Friedlich), Wanderungen..., a. a. O., S. 173/74. "» Nicolai, Friedrich, a. a. O., Bd. 1, S. 147. s " Gercken. Philipp Wilhelm, a. a. O., T. 2, S. 354. 3,8 Ebenda. Nicolai, Friedrich, a. a. O.. Bd. 1, S. 147. 373

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aufhoben oder Leibeigenschaftsgefälle wie teilweise im Bistum Straßburg wenigstens nicht mehr gefordert wurden 379 , beharrte Stirum auf der Erfüllung des letzten Buchstabens seiner Gerechtsame. Hatte sein Vorgänger die Manumissionsgebühren, die bei der Freilassung aus der Leibeigenschaft zu zahlen waren, um die Hälfte gesenkt, so führte Stirum wieder die alten Sätze ein. 380 Kennzeichnend war die Klage der Bauern des Dorfes Neuthard bei Bruchsal nach Stirums Tode 1797 an das Domkapitel: «Wir könnten wohl hier sagen, wie jener böhmische Bauer dem allerhöchstselig verstorbenen Kaiser Joseph II. zugerufen, sich über seinen Edelmann beschwerend: Allergnädigster Kaiser! Es sind nur sieben Tage in der Woche, sechs Tage muß ich dem Edelmann fronen, der siebente Tag ist der Tag des Herrn, und wo soll ich Brot für Frau und Kinder hernehmen!" 3 8 1 Nirgends aber waren die Hemmnisse für den ökonomischen und sozialen Fortschritt größer als in den unzähligen Landsplittern, den kleinen Fürstentümern, Grafschaften und Herrschaften, von den ritterschaftlichen Besitzungen ganz zu schweigen. Allein die Zwerghaftigkeit war Hindernis genug. Hinzu kamen die fehlende Geschlossenheit und bei zunehmender Verschuldung der unverhältnismäßige Aufwand, der getrieben wurde, um die Ebenbürtigkeit zu beweisen.382 Bemerkenswerte industrielle Tätigkeit gab es nur dort, wo ausländische Unternehmer auftraten: So in Hohenzollern und in den fürstenbergischen Gebieten, wo Schweizer Verleger sticken ließen. 383 Wenn sich in der Landwirtschaft fortschrittliche Anbaumethoden durchsetzten und in der fürstenbergischen Baar die Kartoffel um 1800 bereits den sechsten Teil der Nahrungsmittel ausmachte, so handelte es sich um Ausnahmen.384 In der Regel kennzeichnete gerade das hartnäckige Verharren beim Althergebrachten die kleinen feudalen Herren. Ihre Rechtstitel, die ihnen die Abgaben von den alten Feldfrüchten garantierten, wurden fragwürdig, wenn die Bauern neue Früchte kultivierten. Nicht selten hatten die Bauern gutes Besitzrecht; ebenso waren die Fronlasten bei den nur kleinen Eigenwirtschaften der Feudalherren relativ gering; aber solche Vorteile konnten in der drückenden Enge dieser territorialen Splitter nicht in ökonomischen Fortschritt umgemünzt werden. 37a

390

981

382

383 384

Schell, Erwin, Das Hochstift Straßburg rechts des Rheins im Jahre 1802. In: .Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 48, S. 160, 1935. BüHer, Emil, Die Leibeigenschaft im rechtsrheinischen Teil des Fürstbistums Speyer (Fürstentum Bruchsal), vornehmlich im 18. Jahrhundert. In: .Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 39, S. 13, 1926. Bühler, Emil, Die Landes- und Gerichtsherrschaft im rechtsrheinischen Teil des Fürstbistums Speyer (Fürstentum Bruchsal), vornehmlich im 18. Jahrhundert. In: .Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 38, S. 165, 1923. Bader, Karl Siegiried, Zur Lage und Haltung des schwäbischen Adels am Ende des alten Reiches. In: .Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte", Bd. 5, S. 353/54, 1941. Cothein Eberhard, Wirtschaftsgeschichte..., a. a. O., S. 763/64. Barth, F. K., Der baaremer Bauer im letzten Jahrhundert vor der Mediatisierung des Fürstentums Fürstenberg 1700-1806. In: »Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile in Donaueschingen", H. 17, S. 57, 1928.

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Geradezu verrufen waren die Herrschaftsgebiete der Reichsritter, die insgesamt immerhin über mehr als 400 000 Untertanen geboten. 385 Die feudalen Quellen wurden hier bis auf den Grund ausgeschöpft. Zu welchen verzweifelten Mitteln der kleine Feudalherr griff, um seine Einkünfte zu steigern, zeigt das Beispiel des Ortes Burgberg bei Heidenheim. Hier wurden Landlose ausschließlich zu dem Zweck angesiedelt, um von jedem für den Platz, der ihm zum Bau einer Hütte überlassen worden war, jährlich gute 5 Gulden als Grundzinsen, Kammerzinsen, Küchengefälle und Dienstgelder einnehmen zu können. Auf welche Weise diese Armen ihren Lebensunterhalt und die Steuersumme erwarben, blieb ihnen überlassen. Ein Teil der Leute lebte nur von der Bettelei, die übrigens so gut organisiert war, dag ein Vater seinem Sohne als Heiratsgut einen Abschnitt seines Bettelbezirks abtreten konnte. 386 Der zeitgenössische Gelehrte von Hoff stellte fest, „daß in diesen kleinen zerstückten Oberherrlichkeiten, wo sich überall Grenzen verschiedener Hoheiten berühren und durchkreuzen, Justiz- und Polizeipflege, Anstalten zur öffentlichen Sicherheit, Armenanstalten, Sorge für Fabrikwesen, Handel und Wandel, Wegbau usw. äußerst erschwert werden; daß diese kleinen Oberherrlichkeiten nur zu oft Schlupfwinkel für Verbrecher, für Diebs- und Vagabundenbanden w e r d e n . . 3 8 7 Die sozialen Verhältnisse in diesen Klein- und Kleinststaaten am Rhein, in Oberschwaben und in Franken waren im ganzen so reaktionär und so ohne Perspektive, daß fortschrittliche Zeitgenossen nur mit Erbitterung von diesen Zuständen sprechen konnten. Wekhrlin, der 1776/77 Oberdeutschland bereist hatte und darüber eine Schrift, den »Anseimus Rabiosus", veröffentlichte, schrieb darin über die Bewohner Oberschwabens: »Sie wissen sehr wenig, ob der Staat ein gemeinschaftliches Oberhaupt hat oder ob er vom Ungefähr regiert wird. Sie würden den Namen des Landesherrn nicht kennen, wenn sie ihn nicht zuweilen an der Spitze der Steuerpatente nennen hörten. Zur Unterdrückung geboren, erhebt sich ihr Geist, welcher durch das Elend in Unwissenheit und durch Unwissenheit im Elende erhalten wird, nicht von der Erde." 388 Die Lasten und Fesseln drückten, sie erzeugten auch Unzufriedenheit; aber selbst diese Unzufriedenheit verdichtete sich in diesen Kleinund Kleinststaaten nur schwer zu sichtbarem Widerstand. Noch viel mehr als in den größeren Territorien fehlten entscheidende Voraussetzungen, um von innen her die anachronistischen Zustände zu überwinden. Die Französische Revolution bedeutete für die unterdrückten Massen in diesen zerstückten, zurückgebliebenen Gebieten insofern eine Erlösung, als ihre unklaren Sehnsüchte sich jetzt auf ein Beispiel orientieren konnten und dadurch festere Gestalt annahmen. Das galt in besonderem 984 SM

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388

Der schwäbische Ritterkreis zählte 160 000, der fränkische 200 000 und der rheinische 90 000 Untertanen. Biedermann. Karl, a. a. O., Bd. 1, S. 11. Ruoff, Friedrich, Die ländliche Verfassung des Nordostens des Königreichs Württemberg im 18. Jahrhundert. In: .Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde*, Jahrg. 1909, S. 201. (Hoff, Karl Ernst Adoli von), Antwort des Verfassers der Schrift ,Das deutsche Reich vor der Französischen Revolution und nach dem Frieden von Luneville' auf das an ihn gerichtete Schreiben eines freien deutschen Edelmannes. Gotha 1802, S. 16/17. (Wekhrlin, Wilhelm Ludwig), a. a. O., S. 48.

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Maße für die Gebiete am Rhein, die nächste Zeugen der gewaltigen Veränderungen am anderen Ufer waren. Hier, im Breisgau, im Bistum Straßburg, in der Ortenau, im Bistum Speyer, in der Kurpfalz dokumentierte sich diese ideologische Entwicklung 1789 sogar in Sturmpetitionen und bewaffneten Aufständen.389 Die Frankreich ferner liegenden Gebiete wie die fränkischen Territorien gaben keine so eindeutigen Beweise des Fortschritts im Klassenkampf. Zeitgenössische Beobachter aber mußten immerhin konstatieren, »daß Custine bei weiterem Vordringen am Maine so glücklich gewesen sein würde, als er es am Rhein gewesen war. Die Freiheit und Gleichheit . . . hatte einen großen Teil unserer Frankenbauern nach einer Revolution lüstern gemacht,..." 3 9 0 Der Klassenkampf der Volksmassen gewann auch in diesen am meisten zersplitterten Teilen des südlichen Deutschlands bestimmtere antifeudale Züge. Er intensivierte sich. Keinen geringen Anteil daran hatten die zusätzlichen Lasten, die der unpopuläre Krieg gegen Frankreich mit sich brachte. Die Gebiete am Rhein litten außerdem noch in besonderem Maße unter der Stationierung zahlreicher Truppenteile und den damit unvermeidlich verbundenen üblen Begleiterscheinungen. Als dann zu all diesen Bedrückungen auch noch ein Jahr des Mißwachses hinzukam, kündigte sich in Teilen des Breisgaus 1795 ein neuer Sturm an. Seine Kraft läßt sich daran ermessen, daß die Feudalherren ihm durch beachtliche Zugeständnisse zu begegnen versuchten. Sie senkten alle Gülten und Pachten um ein Viertel oder sogar um ein Drittel. Das genügte den Bauern nicht. Auf Zusammenkünften in Gottenheim forderten sie laut und stürmisch die Herabsetzung um die Hälfte. Die Feudalherren sahen darin den Anfang ihres Endes; sie sprachen sich Mut zu und versuchten, Widerstand zu leisten: .Sollten wir aber so unglücklich sein, daß dieses Land von den Feinden erobert und besetzt würde, so ist ohnedem alles verloren. Warum jedoch sollen die Grundherren schon vorher und ohne Not ihre Sache verlieren?" 3 9 1 Es war vergeblich, und nur weitere Zugeständnisse konnten eine Ausweitung und Verschärfung der Unruhen verhindern. Eine zusätzliche Sorge für die herrschende Klasse waren die ständigen Reibereien der Bevölkerung mit den Angehörigen des Condeschen Korps. Der breisgauische landständische Konseß erhob die dringendsten Vorstellungen bei der Regierung, das Korps so schnell wie möglich aus dem Lande zu schaffen, da sonst die Bauern zur Selbsthilfe greifen würden. Zuvor schon hatte sich die Regierung selbst am 13. Mai 1795 an den österreichischen Feldzeugmeister Freiherrn von Alvinczy mit der gleichen Bitte gewandt.392 Bei Zusammenstößen mit den Emigranten in Münsterthal gab es Tote und Verwundete. Eine heftige Erregung griff im Volke um sich: «Man werde sich zusammentun", hieß es, «auf alle Gefahr hin, um die Scheusale zum Teufel zu jagen." 3 9 3 Die nassauische Exklave Lahr galt bei den umliegenden Herrschaften als ein besonders gefähr389 390

3,1 3M 3,3

Badischer Militär-Almanach, a. a. O., S. 97 ff. Anekdoten und Charakterzüge aus dem Einfalle der Neufranken in Altfranken im Jahr 1796 von einem Augenzeugen, o. O. 1797, S. 10/11. Cothein, Eberhard, Der Breisgau..., a. a. O., S. 122/23. GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1314. Bader, Joseph, Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Freiburg 1883, S. 288/89.

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licher Unruheherd. Auf einer Konferenz badischer und ortenauischer Bevollmächtigter am 9. September 1794, die Fragen der Landesverteidigung besprachen, wurde die Bürgerschaft der Stadt Lahr geradezu als »mit Demokratismus und Sansculottismus angefüllt" bezeichnet. Eine der Konferenz zugekommene Denunziation behauptete sogar, »dag die Lahrer heimlicherweise 6000 Stück Gewehr in die Stadt zu praktizieren gewußt hätten, deren bestimmter Gebrauch leicht zu erraten ist". Die Konferenzteilnehmer wurden sich schnell einig, dag vom regulären Militär alle Vorkehrungen getroffen werden müßten, .damit dieser inländische und also um so mehr gefährliche Feind mit Nachdruck zu Paaren getrieben wird". 894 In der Kurpfalz untersagte ein Regierungsdekret vom 10. Januar 1794 alle Gespräche über die große Politik sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei privaten Zusammenkünften. Dieser Maßnahme lagen Mitteilungen zugrunde, wonach ,die verwegensten Reden von den in der Stadt ganz wohlbekannten Leuten geführt werden und unter solchen ungescheuten Grüblern, Spöttern, Tadlern und Raisonneurs . . . sogar Personen auf offenen Plätzen sich bezeigt haben sollen, deren Beruf und Pflicht vielmehr ist, dagegen zu eifern". 395 Die vermehrte Aktivität der bürgerlichen Kräfte äußerte sich unter anderem auch in einer wachsenden Zahl von anonymen Eingaben, die Reformen in den verschiedenartigsten Zweigen der Staatsverwaltung forderten. Die Regierung bemühte sich, diese Flut einzudämmen, indem sie 1795 bekanntgab, dag sie anonyme Eingaben «platterdings beruhen und ohne Entschließung" lassen würde.396 In dem umkämpften Mannheim fanden sich sogar oppositionelle Kräfte mit dem Ziel zusammen, die Festung den Franzosen in die Hände zu spielen. Von einem solchen Versuch berichtete am 26. Oktober 1794 der sächsische Gesandte aus München: »Nach Briefen aus Mannheim vom 22. d. Mts. soll dort der Buchhändler Bender eine Verschwörung von 500 Bürgern entdeckt haben, unter denen sich Unteroffiziere befinden, die geplant hatten, den Franzosen die Einnahme dieses Platzes zu erleichtern. Es war die Rede davon, ihn über das Neckarfort während eines Nebels anzugreifen. Einer der Unteroffiziere ist verhaftet und in Eisen gelegt worden. Man hat bei ihm einen Plan und eine Liste verschiedener Personen gefunden, über die man jetzt Nachforschungen anstellt." 3 9 7 Viel brachten diese Untersuchungen nicht zutage; es blieb bei der Bestrafung des Unteroffiziers und einer Anweisung an die Mannheimer Polizeidirektion vom 5. Oktober, schärfer auf die unruhigen Köpfe zu achten und im Betretungsfalle »die angemessene Bestrafung ohne überflüssige Umschweif- und Verzögerung ohnnachsichtlich* vorzunehmen.398 394 3,5 397

398

Politische Correspondes..., a. a. O., Bd. 2, S. 146/47. 398 Valjavec. Fritz, a. a. O., S. 155/56. GLA Karlsruhe, Abt. 77. Nr. 5054. »On apprend par des lettres de Mannheim en date du 22. d. c. que le libraire Bender y a découvert une conspiration de 500 bourgeois, au nombre desquels se trouvent des basofficiers qui avaient projeté de faciliter aux Français la prise de cette place. Il était question de l'attaquer par le Fort du Neckar dans un temps de brouillard. Un des basofficiers a été arrêté et mis aux fers. On a trouvé sur lui un plan et une liste de diverses personnes dont on est à la recherche.* LHA Dresden, Loc. 3468, Minutes des dépêches à S. E. Mr. le Comte de Loss, l'année 1794. GLA Karlsruhe, Abt. 77, Nr. 5054.

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Im oberein Schwaben war das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen ein besonders lebhaftes Unruhegebiet. Seit langem schon lagen hier die Untertanen im Streit mit der Herrschaft. 1792 hatten sie erneut Klage beim Reichskammergericht erhoben. Ihre Beschwerden betrafen die Wildplage, die-Leibeigenschaft deren Rechtmäßigkeit sie bestritten, extraordinäre Steuern, ihr Versammlungsrecht, angemaßte Monopole und Frondienste beim Chausseebau. 1794 sollte ein zwölfköpfiger Ausschuß vom Lande gewählt werden, um den Streit mit der Herrschaft gütlich beizulegen.399 Aber 1795 erbitterte das Jagdunwesen die Bauern erneut in einem Maße, daß sie zur Selbsthilfe griffen und das Wild abzuschießen begannen. Es blieb nicht dabei. In einer Proklamation vom 30. Juni beklagte sich der Fürst: „Verschiedene Gemeinden machen eigenmächtige Verordnungen, verweigern lagerbuch- und vertragsmäßige oder seit undenklichen Zeiten hergebrachte Leistungen, beraten über Befolgung landesherrlicher Befehle und tun die widerrechtlichsten Schritte zur Kränkung Unserer Rechte. Hausen und Starzein haben sich bewaffnet und fallen in die herrschaftliche Jagd ein. Die meisten übrigen Gemeinden, selbst Hechingen, haben beschlossen, sie wollen ein Gleiches tun." 4 0 0 Ein auf Bitte des Fürsten vom Kreisdirektorium abgeschicktes Militärkommando rückte ein, nahm den Gemeinden die Gewehre ab und stellte die äußere Ruhe wieder her. Doch nur die Stadt Hechingen ging am 11. September 1795 auf einen Vergleich mit dem Landesherrn ein; die Landgemeinden blieben unversöhnlich und lehnten jeden Kompromiß ab. 401 Ähnlich wie in Hohenzollern gab auch im fürstlichen Hochstift Augsburg das Jagdunwesen 1796 Anlaß zu einem offenen Ausbruch der Unzufriedenheit. Vergebens hatten sich die Bauern gemüht, ihre Felder vor der Wildplage durch hohe Zäune zu schützen, denn die herrschaftlichen Förster rissen nachts wieder ein, was am Tage errichtet war. Proteste der Geschädigten wurden mit Mißhandlungen beantwortet. Als nun 1796 der Erzbischof von Trier, der zugleich Bischof von Augsburg war und hier Asyl gefunden hatte, eines Tages mit großem Gefolge zur Jagd aufbrach, begegneten ihm die aufgebotenen Bauern mit solcher Widersetzlichkeit, daß er schleunigst die Jagd abblies. Sie verweigerten nicht nur die geforderten Treiberdienste, sondern scheuten auch nicht vor persönlichen Drohungengegen hochgestellte Personen wie den kurtrierischen Minister Duminique zurück. Jesuiten, die man in die aufsässigen Gegenden schickte, um die Bauern zur Reue über ihr unbotmäßiges Verhalten zu bewegen, richteten nichts aus. Der Erfolg gegenüber der fürstlichen Jagdgesellschaft hatte die Bauern in ihrer Kampfentschlossenheit bestärkt. 402 Im Stift Kempten war dem im Oktober 1793 neugewählten Fürstabt Kastolus von ReichlinMeldegg vor der Huldigung durch vom Lande abgeordnete Ausschüsse die Zusage abgerungen worden, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die die Beschwerden der Untertanen prüfen sollte. Ihre Klagen richteben sich gegen die Erhöhung der Küchengefälle und des Erschatzes, die Einführung der Akzise, die Erhebung des 8,9

400 401 402

Cramet, ]., Die Grafschaft Hohenzollern. Ein Bild süddeutscher Volkszustände, 1 4 0 0 - 1 8 5 0 . Stuttgart 1873, S. 397 ff. Ebenda, S. 402. Ebenda, S. 403/04. .Nationalzeitung", Jahrg. 1798, 34. Stück, Sp. 690/91.

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Illerzolles, die Heranziehung zum Strafjenbau und wie überall gegen die Wildplage, alles Lasten, die die ohnehin beängstigende Zunahme der Armen begünstigte. Als dann der Untersuchungsausschuß im Februar 1794 tatsächlich zusammentrat, scheiterten jedoch alle Ausgleichversuche an der Weigerung der Regierung, die für die Bevölkerung günstigen alten Grundbücher, Rezesse und andere Dokumente als Basis der Verhandlungen anzunehmen. Die Folge war ein äußert gespanntes Verhältnis zwischen dem Fürstabt und seinen Untertanen, die seit 1732 eine Art Vertretung in der Landschaft 'besagen. Die Landschaft, von den Untertanen der sieben alten Pflegeämter gewählt, besaß eine beratende Stimme bei allen Steuerbewilligungen und machte sich jetzt zum Sprecher der Opposition. Großen Einfluß übte der Sohn des Landschaftskassierers Hösle aus, der den Beginn der Französischen Revolution in Paris seihst miterlebt hatte und in seiner Heimat zum eifrigen Propagandisten ihrer Ideen geworden war. 403 In Schwäbisch-Österreich verfolgten die Behörden in dem ehemaligen Weltpriester Joseph Rendler einen Vertreter revolutionärer Grundsätze, dem offensichtlich von der Bevölkerung Sympathie und Unterstützung entgegengebracht wurden; andernfalls hätte er sich dem Zugriff nicht immer wieder entziehen können. Rendler war im St. Blasien gehörenden Amt Blumegg geboren und hatte sich schon frühzeitig die dortigen Behörden durch weitläufige Prozesse zum Feinde gemacht. 1792 war er auf französischem Boden unweit Kolmar als Verwalter tätig. 1794 hielt er sich in der Schweiz nahe Schaffhausen auf und wirkte als Propagandist. Er verfaßte eine »Erklärung und Erläuterung der Rechte und Pflichten des Menschen" und verfocht darin Grundsätze, die seiner Meinung nach „gar nicht weit von den Staatsmaximen Josephs II. abweichen . . . ; denn er hielt sich nur für den ersten der Staatsverwalter zum Glückstand des größeren Haufens". Er übersandte diese Schrift den St. Blasischen Behörden gleichsam als eine Kriegserklärung und fügte hinzu: »Daß ich das Vaterland zu retten suche, darüber seid Ihr mir bös; . . . Wenn Ihr nicht alle Eure Maßregeln gegen mich aufhebt und mir meine Ehre nicht öffentlich zurückerstattet, so zwingt Ihr mich, daß ich Euch den Krieg ankünde." 4 0 1 Anders lautete das Begleitschreiben an den Vogt Johann Gleichauf im Amt Blumegg, den er zu gewinnen hoffte: »Ich habe vernommen, daß St. Blasien mich bei Euch wie vogelfrei erklärt, und das bin ich auch; denn die Freiheit habe ich immer geliebt, und Gott hat mir selbe gegeben und mich dabei geschützt. St. Blasi kann mich so wenig als der Kaiser infam machen; nur ich kann es. Ob ich bei ihnen infam sei oder nicht, das liegt mir sehr wenig daran; vielmehr halte ich es für eine Ehre, sonst müßt ich ein Spitzbub sein wie einige andere, die sie ehren und ernähren . . . Was ich immer gepredigt habe, das predige ich noch; ich schicke Euch hier zur Probe, was ich selbst den Franzosen predigte, ohne daß ich unter die Guillotine kam. Weil ich in Frankreich war, so stieg der Groll meiner Feinde um so mehr, gerade als wäre es ein Verbrechen, mit den Franzosen zu tun zu haben. Der mich verfolgt, der verfolgt die Franken, mit denen 403

404

Rottenkolber, Joseph, Geschichte des hochfürstlichen Stiftes Kempten. München o. J., S. 190/91. GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 2640, Schreiben der fürstlichen Regierung zu St. Blasien vom 30. 10. 1794.

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Ihr lieber in Frieden leben solltet wie die Schweizer. Sie kriegen gegen die Landesfürsten, mit denen sie nie Fried machen, und auch nicht mit den Untertanen, die gegen sie die Waffen tragen." 405 Seit Mitte 1795 hielt er sich in Bregenz verborgen. Hier verfaßte er eine Schmähschrift gegen den Stadtmagistrat und das kaiserlichkönigliche Kreisamt. Der von der Obrigkeit eingeleiteten Untersuchung entzog er sich durch schleunige Flucht. Da man damit rechnete, dag er in Bayern Unterschlupf zu finden hoffte, wurde der österreichische Gesandte in München angewiesen, die dortige Regierung um Unterstützung bei der Verfolgung zu bitten. Die am 17. Juli 1795 überreichte Denkschrift nannte Rendler einen der gefährlichsten Menschen, „indem sich nicht allein bei ihm eigenhändig geschriebene und gedruckte Lieder nebst anderen Aufsätzen vorfanden, die ganz in dem Geiste der Volksaufwiegelung verfaßt waren, sondern es zeigte sich noch weiter, daß er selbst eine ganz zum Aufruhr führende sogenannte Erklärung und Erläuterung der Menschenrechte zum Druck gegeben habe und mit den mißvergnügten St. Gallischen Untertanen, deren unruhige Bewegungen kürzlich die Zeitungen meldeten, in genauer Verbindung gestanden sei, wobei aber seine unbegrenzte Bosheit noch nicht ihr Ziel fand, da er die Frechheit hatte, in einem am 9ten vorigen Monats von Arlsheim an das kaiserlichkönigliche Kreisamt zu Bregenz erlassenen Schreiben nicht allein gegen dieses, sondern selbst gegen Seine Kaiserliche Majestät Drohungen zu gebrauchen." 406 Vierundzwanzig Stunden später, am 18. Juli 1795, lag bereits ein Reskript des bayerischen Kurfürsten vor, das dem Wunsche der österreichischen Regierung entsprach. 407 Die Urteile zeitgenössischer Beobachter der fränkischen Verhältnisse stimmen darin überein, daß wohl die große Mehrheit der Bevölkerung Sympathie für die Franzosen hegte, aber nur eine Minderheit sich unter bestimmten Bedingungen für ihre Grundsätze aktiv einsetzen würde. Die entscheidende Bedingung war die Anwesenheit siegreicher französischer Armeen. Es gab wohl bürgerliche Kreise, die den revolutionären Prinzipien anhingen und sie propagierten, aber es gab kein Bürgertum, das fähig gewesen wäre, selbständig zu handeln und die Opposition zu organisieren. Die Nachrichten aus den einzelnen Territorien entsprachen diesem Bild. Am stärksten regte sich die oppositionelle Gesinnung in den Fürstentümern Ansbach-Bayreuth. Sie waren ökonomisch weiter als andere entwickelt; sie hatten 1792 einen Herrschaftswechsel erlebt, der fühlbare Veränderungen mit sich brachte; sie waren die unmittelbaren Nachbarn Nürnbergs, das voller Unruhe steckte und Ausgangsort so mancher aufrührerischer Nachrichten und Flugschriften war. Der reaktionäre Verfasser der »Vertrauten Briefe über das Fürstentum Bayreuth", die 1794 erschienen, behauptete zwar, daß im Bayreuthischen nur «einige Kandidaten, bankrotte Kaufleute und liederliche und schlechtdenkende Kerls" Anhänger der französischen Grundsätze waren. Damit stimmten allerdings andere Beobachtungen, die er anstellte, gar nicht überein; so schrieb er im 22. Brief: «Einen einzigen Pfarrer sprach ich, der ohnweit Bayreuth die beste Pfarre hat, und dieser Mensch sprach von Jakobinern 405 406 407

Ebenda, Schreiben Rendlers vom 29. 9. 1794. HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 930, Nr. 20, Bl. 1. Ebenda, Bl. 3.

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als dem Kern der Menschheit.* Im 23. Brief hieß es: „Man ist überhaupt unter der preußischen Regierung sehr tolerant, und ich habe mannigmal in öffentlichen Gesellschaften über die Französische Revolution philosophieren hören, das ich in N. in meiner Stube mir nicht zu sagen getraute." 408 Am 29. März 1794 fand man auf dem Marktplatz in Bayreuth einen .Aufruf an Bayreuthens Sklaven" angeheftet, der das gallische Licht pries und heftige Angriffe gegen die habsüchtigen Beamten und gegen die offiizielle Zeitung .mit ihren albernen, geschmack- und sinnlosen Unwahrheiten" richtete.409 In der Universitätsstadt Erlangen wehrten sich die in geheimen Orden organisierten Studenten gegen das provokatorische Auftreten der reaktionären westfälischen Landsmannschaft. Am 15. und 16. August 1794 gingen sie zu handgreiflichen Auseinandersetzungen über und veranstalteten Umzüge, wobei die Marseillaise und das Revolutionslied Qa ira gespielt wurden. Vor den Häusern der französischen Emigranten brachten sie ein .pereat" aus.410 Von der revolutionären Flugschrift .Wiederholter Aufruf an die Deutsche Nation" nahm Graf Soden mit guten Gründen an, .daß solche in hiesigen Landen ausgeheckt worden sei", weil sie auf Grausamkeiten des letzten ansbachischen Markgrafen Bezug nahm.411 Der Ansbacher Justizrat Büttner sahrieb in seiner Selbstbiographie: .Der Schwindelgeist mißverstandener Freiheit spukte mit seinen roten Kappen auch in meinem lieben Vaterlande gar gewaltig, und die Monarchenfeinde fanden beim Bürger und Landmann um so leichter Eingang, weil die neue preußische Regierung ihr Konskriptionssystem und Abgabensystem ziemlich rasch einführte, vorzüglich aber das erstere den Untertanen anfänglich überhaupt sehr drückend vorkommen mußte, die der starken Aushebungen nicht gewohnt waren."41^ Ein Brief vom 20. Juli 1795 an den Redakteur der »Eudämonia" berichtete von mehrtägigen Tumulten in Erlangen aus Anlaß der Lebensmittelteuerung. Die Empörung richtete sich vornehmlich gegen einen Aufkäufer und Armeelieferanten, dessen gefüllte Speicher schließlich von der Menge aufgebrochen wurden. Die verfügbare militärische Macht reichte nicht aus, um dieses gewaltsame Vorgehen .insbesondere der Handwerksburschen und geringerer Leute" zu verhindern. Wohlhabende Bürger schalteten sich ein und sorgten für Verteilung der Vorräte gegen Quittung. Als Rädelsführer bezeichnete der Brief einen Studenten Gebhard, der kurz vorher aus Erfurt eingetroffen und drei Tage später über Basel nach Frankreich gereist sein sollte.41* Eine Berichtigung im nächsten Stück der .Eudämonia" nannte einen Gothard aus Heidelberg als Anführer.414 Eine Korrespondenz aus Nürnberg, die Rebmann in seinem .Neuen grauen Ungeheuer" abdruckte, sprach von ähnlichen Unruhen auch im Dorfe Bruck. Sie schloß mit der 408

409 410

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Zwanziger, Karl Hermann, Bayreuth vor hundert Jahren. In: .Archiv f ü r Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken', Bd. 24, S. 8, 1910. Thüraut, Ulrich, a. a. O., S. 71/72. Deuerlein, Ernst, Geschichte der Universität Erlangen in zeitlicher Obersicht. Erlangen 1927, S. 25. DZA Merseburg, Rep. 44 C, Auswärtiges Departement, Nr. 613, Bl. 8 ff. Thüraul, Ulrich, a. a. O., S. 71. .Eudämonia oder deutsches Volksglück. Ein Journal für Freunde von Wahrheit und Recht", Bd. 1, 4. Stück, S. 349 ff., 1795. Ebenda, 5. Stück, S. 462.

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I. Sozialökonomische Verhältnisse und Verschärfung der Klassenkämpfe

Feststellung: «Sollte das Ende dieses unseligen Krieges nicht bald erfolgen, so möchten noch ernsthaftere Auftritte in unseren Gegenden zu besorgen sein." 4 1 5 In den ökonomisch schwach entwickelten geistlichen Territorien besaßen die oppositionellen Kräfte naturgemäß weniger Boden, zumal auch die Abwehr durch die geistliche Reaktion äußerst wirksam war. Lose Vereinigungen in Form von Lesegesellschaften, zu denen sich aufgeklärte, aber durchaus loyale Männer zusammentun wollten, waren im Würzburgischen nicht erlaubt. 416 Schließlich kam auf der Grenze im Dorfe Herbolzheim, das schon zur Hälfte zum Fürstentum Schwarzenberg gehörte, eine solche Gesellschaft zustande. Mehr als hundert Personen, liberale Adlige, Beamte, Geistliche, Lehrer, Schreiber, Ärzte und andere Vertreter der bürgerlichen Intelligenz, fanden sich alle vierzehn Tage im dortigen Wirtshaus ein, um «einzig und allein gesellschaftliches Vergnügen und freundschaftliche Mitteilung" zu pflegen. Die kritische Einstellung gegenüber dem Bestehenden äußerte sich nur sehr zaghaft in der Organisation der Gesellschaft selber, die .ohne alle Gesetze und ohne einen Vorsteher" auskommen wollte. »In den Zimmern . . . hört aller Unterschied des Ranges und Standes auf; keiner hat da mehr, keiner weniger Rechte als der andere." 417 Hier wurde also im günstigsten Falle theoretisiert und von einer Weltverbesserung geträumt. Von den Massen und von der Tat trennte sie eine breite Kluft. Die einzige Form der Beziehung zu den Massen bestand darin, »daß man, solange es die Witterung erlaubte, alle Türen offen stehen ließ", um so der Bevölkerung einen Einblick in das Treiben der Gesellschaft zu gestatten. Dabei war diese Maßnahme noch nicht einmal freiwillig, sondern erzwungen. Da man fortschrittliche Gedanken nicht über den erlesenen Kreis hinaustrug, blieben die einfachen Menschen weitgehend den Einflüssen der herrschenden reaktionären Ideologie ausgesetzt. »Die Landleute, durch einen bigotten Mann aufgehetzt, glaubten einen Jakobinerklub zu sehen, machten sich davon die gräßlichsten Vorstellungen und konnten nur dadurch einigermaßen besänftigt werden", daß man ihnen in der genannten Weise die Harmlosigkeit der Gesellschaft vor Augen führte. 118 Ein etwas offensiverer Geist zeigte sich unter der studentischen Jugend der Universität Würzburg. Im Gegensatz zu den bestehenden studentischen Vereinigungen, die wie der Amicistenbund bloße Kneipgesellschaften waren, bemühte sich Mitte 1794 der in der Oberpfalz gebürtige Medizinstudent Popp, einen Menschheitsbund zu gründen, der sich die wechselseitige Vervollkommnung, Förderung der Sittlichkeit und Aufklärung über philosophische Gegenstände zum Ziel setzte. Popp fand sein Vorbild in den Schriften der Freimaurer, Illuminaten und ähnlicher Vereinigungen. Der Geheimbundcharakter und die kurze Lebensdauer des Bundes - Popp wurde bereits im April 1795 verhaftet - gestatteten keine große Ausdehnung, so daß er nur spärlich über die Handvoll Mitglieder hinauswuchs, die den ersten Kern bildeten. 419 Die 415 418

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»Das neue graue Ungeheuer", Altona 1795, 3. Stück, S. 93. Göhl, S„ Die erste öffentliche Lesegesellschaft in Würzburg. Ein Beitrag zur Geschichte des Fürstbischofs Franz Ludwig von Erthal. In: .Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg", Bd. 36, S. 193 ff., 1893. 418 .Deutsche Zeitung", Jahrg. 1795, Sp. 721/22. Ebenda, Sp. 723. HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R., Fase. 928, Nr. 13, 1. Konvolut.

5. Die übrigen Territorien

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schriftlichen Arbeiten, die einzelne Mitglieder für den Bund leisteten, dienten ausschließlich der Selbstverständigung. So legte Wächter im Dezember 1794 einen Aufsatz mit dem Thema vor: »Welches wäre wohl die beste und sicherste Art, unserem Zwecke bei jeder Menschenklasse Eingang zu verschaffen?" Immerhin versanken sie nicht restlos in der Geheimbündelei, sondern hatten offene Augen für das Zeitgeschehen. Traupel schrieb in einem seiner Bundesaufsätze: »In Ulm ist Rebellion Anderswo steht es auf der Spitze Was gibt das? - Brüder! Wir nähern uns immer mehr und mehr großen Veränderungen." 4 2 0 Popp selber fand Anfang 1795 sogar Anschluß an eine Gruppe entschiedener Revolutionäre mit dem Zentrum Gießen, worüber später in anderem Zusammenhange berichtet wird. In den Kleinstaaten Frankens waren die Voraussetzungen für einen wirkungsvollen Klassenkampf gegen die herrschende Feudalklasse womöglich noch schlechter. Andererseits waren die Gründe zur Unzufriedenheit keineswegs geringer. So fand der Straßburger »Weltbote", wie der Vertreter Ellwangens der schwäbischen Kreisdeputation am 31. März 1794 besorgt mitteilte, selbst in Heidenheim seine Leser. 421 So fehlte es auch nicht an den verschiedenartigsten lokalen Unruhen. Am 3. Juni 1794 ersuchte der Gesandte des Fürstentums Hohenlohe-Waldenburg-Bartenstein den fränkischen Kreis „.um den sozietätsmäßigen Beistand, auch eventualiter um die etwa nötige Kreisexekution" gegen das Städtchen Sindringen, das sich weigerte, in Zukunft die Ordinari-Kontribution in der alten Höhe zu zahlen, und von sich aus den Beitrag gesenkt hatte. Die Kreisversammlung sagte ihre Unterstützung für den Fall zu, daß »durch jene Widersetzlichkeit die öffentliche Ruhe leiden... würde,.. ," 422 Als infolge der Kriegskosten im Fürstentum Hohenlohe-Öhringen 1795 und 1796 die Kontribution erhöht werden sollte, sandten die Bauern der Ämter Kirchensall, Michelbach, Langenbeutingen und Neuenstein ihre Deputierten mit Protestresolutionen zur Residenz.423 Aus einer Entscheidung des Reichshofrats vom 22. Mai 1795 geht hervor, daß die Bauern der zur Grafschaft Erbach-Fürstenau gehörenden Gemeinde Hetzibach 1794 eigenmächtig das Wild abschössen und sich auch der vom Landesherrn befohlenen Untersuchung widersetzten. Darüber hinaus hatten die Bauern entgegen den herrschaftlichen Forstgerechtsamen Holz geschlagen und schließlich auch die Abgabe des Weidgeldes für Ziegen und Schafe verweigert. Der Reichshofrat verlangte unbedingten Gehorsam, „besonders sich aber aller tumultuarischen Zusammenkünfte und strafbaren Rottierungen zu enthalten". Der Kreis war angewiesen, notfalls Exekutionstruppen zu schicken. 424 Solche Unruhen, jede für sich allein genommen, stellten für die herrschende Klasse noch keine ernsthafte Gefahr dar. In ihrer Gesamtheit aber, verbunden mit den verschiedenartigsten Formen des Aufbegehrens im übrigen Süddeutschland und vor allem mit der Französischen Revolution als Hintergrund, erhielten sie ein Gewicht, das die herrschende Feudalklasse mit gutem Grund zittern machte. 420 481 422 423

Ebenda, 2. Konvolut. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6289. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis, 16 A. Fischer, Woliram, Hohenlohe im Zeitalter der Aufklärung. Phil. Diss. Tübingen 1951, 4 2 4 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis, 19 A. S. 400.

8 Süddeutsche Jakobiner

Der niedergehende Feudalismus drückte der gesellschaftlichen Verfassung in Süddeutschland seinen Stempel auf. Stagnation und Fäulnis gingen von ihm aus. Die herrschende Klasse war korrupt und verkommen. Die Werktätigen in Stadt und Land lebten im Elend. Das Bürgertum, von der Geschichte zur Ablösung der alten Gesellschaftsordnung berufen, kroch zäh und mühsam empor. Die Keime des Neuen, die sich allen Hemmnissen zum Trotz im Schöße des Alten herausbildeten, und die Unzufriedenheit der Massen mit dem Bestehenden vermochten nicht die feudalen Fesseln zu sprengen. Das Aufbegehren wurde massiver, aber es blieb lokal, spontan, ziellos. »Die reine Sackgasse", sagte Engels.1 Die Französische Revolution schuf den dringend notwendigen Durchbruch; sie eröffnete den antifeudalen Kräften Süddeutschlands einen Ausblick, sie gab ihnen einen Kompaß, ein Ziel. Das Bürgertum gewann an Selbstbewußtsein, der Klassenkampf verschärfte sich. Der Grad der Intensivierung war in den einzelnen Territorien und Gebieten naturgemäß unterschiedlich, aber die Verschärfung selbst war allgemein. Die Erklärung des Reichskrieges forderte notwendig zur Stellungnahme heraus. Auch jetzt, mit dem französischen Beispiel vor Augen, konnten die antifeudalen Kräfte noch nicht zum Generalangriff auf die Festung des Feudalismus antreten. Im Klassenkampf eroberten sie da und dort einen Graben im Vorfeld. Das waren Erfolge, die angesichts der elenden Voraussetzungen nicht gering geschätzt werden dürfen. Aber auch dort, wo sie keine sichtbaren Ergebnisse erzielten, unterhöhlten und schwächten sie durch ihren Kampf die Position des Feudalismus, direkt und indirekt. Allein indem die Volksmassen die herrschende Klasse zwangen, einen guten Teil ihrer Energien auf die Unterdrückung der Gärung und Unruhe im eigenen Lande zu konzentrieren, leisteten sie einen Beitrag zum Sieg des Fortschritts. Der Fortschritt, welthistorisch gesehen, 'hing damals wahrlich nicht vom Sieg oder auch nur von größeren Erfolgen der antifeudalen Kräfte in Süddeutschland ab. Der Fortschritt im internationalen Maßstab und damit auch für Süddeutschland war gesichert, wenn es gelang, den Sieg der Revolution in Frankreich zu stabilisieren. Er war bedroht durch die feudale Konterrevolution im Innern und von außen. Die Jakobinerdiktatur zertrümmerte den inneren Feind, von dem die größte Gefahr ausging; damit zugleich schwächte sie die Position der äußeren Konterrevolution, die zur Durchsetzung ihrer Ziele auf die Unterstützung durch die reaktionären Kräfte in Frankreich selbst angewiesen war. Trotzdem blieb die äußere Konterrevolution für die bürgerliche Ordnung in Frankreich eine Gefahr. Wenn sie in der Hauptsache 1

Endels, Friedrich, [Notizen äber Deutschland], a. a. O., S. 566.

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in den Jahren 1794 bis 1796 beseitigt wenden konnte, so in erster Linie dank der gewaltigen Anstrengungen, die vom jakobinischen Wohlfahrtsausschuß unternommen wurden und deren Auswirkungen über den Sturz der Jakobiner hinaus andauerten. Zu einem weit geringeren, aber darum doch nicht unwesentlichen Teil war dieser Sieg von weltgeschichtlicher Tragweite auf das Verhalten der Volksmassen der Staaten zurückzuführen, die sich zur konterrevolutionären Koalition zusammengeschlossen hatten und Frankreich bekriegten. Gerade in dem Zeitabschnitt, da Preußen sich aus der Koalition zu lösen begann und schließlich ganz Norddeutschland mit sich zog, erhielt das Verhalten der Volksmassen Süddeutschlands ein besonderes Gewicht. Die konterrevolutionäre Koalition gegen Frankreich war eine Koalition fürstlicher Räuber, geeint durch Revolutionsfurcht und gemeinsame Beutegier, zerspalten durch unüberwindliches Mißtrauen untereinander. Solange man militärische Erfolge errang, konnte die Aussicht auf räuberischen Gewinn das gegenseitige Mißtrauen, übervorteilt zu werden, zeitweilig in den Hintergrund drängen; als Ende 1793 sich die Niederlagen häuften und 1794 die Franzosen sogar entscheidende Siege erringen konnten, die die Grenzen der bürgerlichen Republik im wesentlichen sicherten, vermochte selbst die gemeinsame Revolutionsfurcht nicht mehr die tiefen Gegensätze unter den Verbündeten zu überbrücken. Verschiedene weitblickende Politiker und Militärs erkannten schon früh, daß unter solchen Bedingungen, da die divergierenden räuberischen Interessen offen zutage traten und ein gemeinsames Handeln unmöglich machten, gerade die Fortsetzung des Krieges die feudale Ordnung viel stärker als ein Frieden gefährdete, der die Tatsache der Niederlage eingestand. In diesem Sinne schrieb Erzherzog Karl am 9. August 1794 aus dem Hauptquartier Fouron-le-Comte an den Kaiser: Nur bei engstem Einvernehmen der Verbündeten und äußerster Anstrengung könne den Franzosen entgegengetreten werden. Da das Einvernehmen fehle, sei ein schneller Friede, selbst ein Separatfriede, geboten. Denn nicht der Friede, sondern die Erschöpfung der Finanzen und die Zerrüttung der Armee begünstigten das Obergreifen der revolutionären Grundsätze auf Deutschland. Des Gegners „Mittel nehmen immer zu, unsere immer ab; je länger wir streiten, desto schwächer werden wir, desto schwerer wird uns ein Friede".2 Wie die Gegensätze unter den Verbündeten ein echtes Zusammenwirken im Kriege verhinderten, so machten sie auch einen gemeinsamen Friedensschluß unmöglich. Einer verdächtigte den anderen geheimer Unterhandlungen mit Frankreich. Als dann Preußen in der Tat auf einen Separatfrieden hinsteuerte und ihn 1795 in Basel unter Dach und Fach brachte, bemühte sich Österreich im Gegenteil, die Koalition durch gutes Einvernehmen mit England und Rußland zu festigen und den Krieg fortzusetzen. Von irgendwelcher Siegeszuversicht unter der kämpfenden Truppe konnte dabei keinerlei Rede mehr sein. Der kaiserliche Oberleutnant Jenik von Bratric, der den Krieg seit Anbeginn in vorderster Linie erlebt hatte, äußerte im Zusammenhang mit dem preußischen Separatfrieden im April 1795 in seinem Tagebuch die 2

Zeissbetg, Heinrich Ritter von, Quellen zur Geschichte der Politik Österreichs während der französischen Revolutionskriege (1793-1797). Wien 1885, Bd. 2, S. 383.

II. Widerstand gegen den Interventionskrieg

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Hoffnung: »So wäre es wohl auger allem Zweifel, daß man unsere Armee der weit überlegenen französischen Macht wird nicht aufopfern, besonders da jetzt diese republikanische Macht durch die Eroberung Niederlands, Hollands und des ganzen linken Rheinufers eine fast unbezwingliche Stärke erhielt." 3 Selbst die militärischen Erfolge Clerfayts im Herbst 1795 vermochten nicht, diese defaitistische Stimmung in der Armee zu überwinden. Die Aufkündigung des Waffenstillstandes im Mai 1796 von österreichischer Seite veranlagte den inzwischen zum Hauptmann beförderten Jenik von Bratric zu der Feststellung: »Man braucht eben nicht stark in der Politik, Diplomatik, und wie alle diese schönen Dinge heißen, bewandert sein und doch bloß mit natürlichem Verstände einsehen, dag in diesem, ganze Länder zugrund gerichteten (soll heißen: richtenden - H. S.) Kriege durchaus nichts zu gewinnen ist, aber wohl nur zu viel verloren gehen darf." 4 Nicht zuletzt wandte sich die österreichische Kriegspolitik gegen Preußen, das mit dem Friedensschluß die Absicht verband, aus der eigenen Schwäche Kapitell zu schlagen, die vom Krieg zermürbten süddeutschen Staaten dem österreichischen Einfluß zu entziehen und sie in die friedebringenden preußischen Arme zu treiben. Die Fortsetzung des Koalitionskrieges dagegen sicherte die Vorherrschaft Österreichs über Süddeutschland. Es ist das historische Verdienst der Bauern und Bürger der süddeutschen Territorien, den ungerechten und reaktionären Interventionskrieg der herrschenden Feudalklasse gegen das revolutionäre Frankreich nicht unterstützt und nach Möglichkeit erschwert zu haben. Diese Tatsache ist als der hervorragendste Beitrag der Volksmassen in diesen Jahren für den Sieg des Fortschritts zu werten. In mehrfacher Hinsicht ragt dieser Beitrag hervor: Erstens setzte hier die Aktivität der Volksmassen an einem Punkte an, der für Sieg oder Niederlage des Neuen entscheidend war. Zweitens erfolgte dieser Beitrag auf der breitesten Basis, die möglich war; in dem Chaos der vielen Teilstaaten und bei dem fehlenden ökonomischen Zusammenhalt war die Zersplitterung des Klassenkampfes charakteristisch; der Kampf gegen die allen gemeinsamen zusätzlichen Belastungen durch den verhaßten Krieg überwand bis zu einem gewissen Grade die schwächende Isolierung. Drittens kämpften hier die Massen mit einem relativ hohen Bewußtsein, das die Ebene einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit der herrschenden Feudalordnung erreichte; die lokalen Unruhen richteten sich in der Regel nur gegen einzelne Äußerungen der feudalen Unterdrückung, gegen die Wildplage hier, gegen die Ämterbesetzung dort; die Auseinandersetzungen unterschieden sich häufig kaum von früheren, die sich aus dem Streit um den Anteil am Mehrprodukt ergaben, ohne daß die feudale Ordnung selbst in Frage gestellt wurde; hinter der aktiven Ablehnung des Interventionskrieges jedoch trat in immer stärkerem Maße eine ausgeprägte antifeudale Gesinnung hervor, wie sie in einem Flugblatt vom August 1794 formuliert wurde: „Und im schlimmsten Fall, die Franzosen kämen, eroberten unser Land, und wir würden mit ihnen vereinigt: - Wir würden alsdann an die Stelle der fürstlichen Souveränität die unserige setzen, Sklaverei mit Freiheit vertauschen und künftig freier und glück3 4

Jenik z Bratric, Jan, Denik jeho vojenske slu2by z let 1778-1779. Bl. 305/06. Ebenda, Bl. 364.

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II. Widerstand gegen den Interventionskrieg

licher leben." 5 Der Widerstand der Massen gegen den Interventionskrieg war ein hervorragender Ausdruck des sich verschärfenden Klassenkampfes. Er zeichnete sich aus durch sein hohes ideologisches Niveau, durch seine Breite und vor allem durch seine Ergebnisse: Er war eine fühlbare Waffenhilfe für das revolutionäre Frankreich, das den gesellschaftlichen Fortschritt in Europa verkörperte. Der Kampf der Massen gegen den ungerechten Krieg äußerte sich in den verschiedenartigsten Formen. Er begann mit einfachen örtlichen Empörungen gegen einzelne drückende Begleiterscheinungen des Krieges und steigerte sich bis zur aktiven Unterstützung des revolutionären Verteidigungskrieges der Franzosen. Eine allgemeine Begleiterscheinung waren die erhöhten Steuerforderungen. Die sieben Gemeinden des zum Fürstentum Schwarzenberg gehörenden Amtes Seehaus protestierten in einer Eingabe vom 15. Januar 1796 dagegen, daß ihnen »neben den fünf schon bestimmten Steuern noch eine freiwillige Kriegssteuer nicht bloß abgefordert, sondern vielmehr, ohngeachtet sie eine freiwillige sein sollte, abgedrungen" worden war.6 Sie protestierten ebenso gegen übermäßige Einquartierungen, die häufig genug mit Exzessen der einquartierten Soldaten verbunden waren.7 Eine andere sehr fühlbare Begleiterscheinung war die Verknappung und Verteuerung der Lebensmittel. Dieser Prozeß hatte zunächst langsam eingesetzt, um dann plötzlich unerträgliche Ausmaße anzunehmen. Wucherische Aufkäufer, die die Armeen versorgten, trieben die Preise in die Höhe. Gegen sie richtete sich der Zorn der Bevölkerung Erlangens oder des ansbachischen Dorfes Bruck, wo unter Gewaltanwendung die Armeelieferanten gezwungen wurden, die schon aufgekauften Lebensmittel billig wieder zu verkaufen. Gegen sie empörten sich im Oktober 1795 die Bürger Augsburgs und wurden dabei sogar von Teilen der Stadtgarde unterstützt.8 Solche elementaren Ausbrüche trugen den Charakter der bloßen Notwehr, aber sie konnten sich auch zu Bewegungen steigern, die durch ihr Ausmaß und ihre Methoden höhere Formen des Widerstandes erreichten. Die Septemberunruhen in München 1795 entstanden aus ähnlichem Anlaß, legten den feudalen Staatsapparat zeitweise lahm, erzwangen die bedingungslose Kapitulation der Regierung, die den Export der wichtigsten Lebensmittel verbieten mußte, und erkämpften darüber hinaus den Bürgern eine Vertreterkörperschaft beim Magistrat der Stadt.9 Der Widerstand gegen den Krieg, der mit diesen Aktionen effektiv geleistet wurde, blieb indirekt und war nur insofern fraglos bewußt, als dahinter die tiefe Friedenssehnsucht der Massen stand. Der direkte Widerstand, der sich in Sabotagehandlungen bei der Bewaffnung, in passiver und aktiver Gegenwehr bei Rekrutierungen, in Meutereien und ähnlichen Formen äußerte, setzte keineswegs immer einen höheren Bewußtseinsgrad voraus Erklärung des vom Herrn Prinzen von Koburg den 30. Julius 1794 ergangenen Aufrufs, niedergeschrieben von einem rheinländischen Bürger, o. O. im Monate August 1794, S. 6. 4 Staatsarchiv Tfebon, Arbeitsstelle Cesky Krumlov, Zentralkanzlei Schwarzenberg, A 4 K y 3 i, Bl. 453. ' Ebenda, Bl. 437 ff., 452 ff. 8 Vgl. S. 76, 93. » Vgl. S. 30 ff. 5

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als der indirekte Widerstand. Als die Ulmer Bürgerschaft am 9. August 1794 den Abtransport der fünf Kanonen zum Rhein verhinderte, waren verschiedene und zum Teil sich widersprechende Motive wirksam. 10 Die einen empörte in erster Linie die Selbstherrlichkeit, mit der der Magistrat in dieser Angelegenheit zu verfahren gedachte; andere fürchteten vor allem, daß Ulm auf diese Weise in einen wehrlosen Zustand versetzt würde; »einige besorgten auch, daß die Franzosen, wenn sie von diesem ulmischen Darlehen Nachricht erhielten, es zu seiner Zeit die Stadt könnten hart entgelten lassen".11 Daß auch das Motiv der bewußten Unterstützung der französischen Sache eine beträchtliche Rolle spielte, ergibt sich schon aus dem großen Anteil, den der republikanisch gesinnte Säcklermeister Feßlen an dem Aufruhr hatte. In dem unruhigen Nürnberg war dieser Beweggrund zweifellos noch mehr ausgeprägt. Ein in der zweiten Septemberhälfte 1794 dort verbreiteter anonymer Aufruf an die Bürgerschaft, „nicht zu leiden, daß einiges schwere Geschütz aus dem nürnbergischen Zeughaus nach Mainz abgeführt werde", versetzte den Magistrat in helle Aufregung. 12 Er forderte in einem Mandat auf, »dergleichen Ruhestörer und Aufwiegler ausfindig" zu machen, und traf Gegenmaßnahmen, so daß der Abtransport des Geschützes ungehindert erfolgen konnte. 13 Als ein wichtiger, den revolutionären Defaitismus fördernder Faktor wirkte sich die allgemeine Abneigung gegen den brutalen und stumpfsinnigen militärischen Zwangsapparat des Feudalabsolutismus überhaupt aus. In Bayern kam dazu noch im besonderen die ebenso allgemein verbreitete feindselige Einstellung Österreich gegenüber. Österreich betrachtete Bayern als Annexionsgebiet und preßte gleichzeitig Gut und Blut für den Krieg gegen Frankreich aus dem Land. Bayern befand sich in der schimpflichen Lage, Bundesgenosse und auserkorenes Opfer in einem zu sein. Der Schritt von der Österreichfeindschaft zur Frankreichfreundschaft und damit zur Parteinahme gegen den Interventionskrieg war nicht groß. Sehr anschaulich zeigt sich das in dem schlecht und recht gereimten Flugblatt »Zuschrift der bayerischen Bauern an ihren lieben alten Herrn Kurfürsten Karl Theodor". Nach einer einleitenden Erklärung, die das innige Verhältnis zum Fürsten betont, heißt es in dem Flugblatt: »Nun hört, man schickt ein' Zettel raus zum Krieg gen die Franzosen. Die armen Teufel I Ist's noch nicht aus? Man sagt, sie hätten weder Hof noch Haus, nicht einmal eine Hosen. Ihr seid ja sonst ein kluger Herr, laßt euch nur nicht befangen! Gebt, was euch trifft, zum deutschen Heer und sonst um keinen Tambour mehr, als Reichsgesetz verlangen." 10 12 13

11 Vgl. S. 71 ff. .Berlinische Monatsschrift", Bd. 25, S. 16, 1795. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis 17 A, Bl. 3. Ebenda, Bl. 4.

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Eine solche Zurückhaltung wird angeraten, weil mehr als der Verdacht besteht, daß es entgegen der offiziellen Verlautbarung in diesem Kriege nicht um den Schutz Bayerns geht. Der Krieg wird im Interesse Österreichs geführt, und der bayerische Generalquartiermeister, Freiherr von Hohenhausen, der einst Offizier in österreichischen Diensten war und jetzt so lautstark vom Kampf fürs Vaterland spricht, ist nichts anderes als ein Parteigänger und Sendling Österreichs: »Fürwahr, Herr Kurfürst, das scheuen wir nicht, wenn's gilt für Land und Leute; doch sagen wir euch ins Gesicht: Wir trauen diesem Helden nicht, er tut zu dick und breite. Dann kam er auch von Österreich als Invalid herüber. Das hebt uns Bayern den Magen gleich, denn wie ließ wohl dies Österreich an uns was Gutes über." Daß dennoch der Erfüllung der Reichspflichten in diesem Reichskriege das Wort geredet wird, zeigt einerseits die Furcht vor Österreich, dem kein Grund geboten werden sollte, mit einem Schein des Rechts gegen Bayern vorzugehen. Zum andern war eine Beschränkung auf die Reichspflichten der Absicht gleichzusetzen, den kümmerlichsten militärischen Beitrag zu leisten, der auch auf französischer Seite kaum übel vermerkt wurde. Die abschätzige Darstellung der Franzosen in der ersten zitierten Strophe verfolgt ebenfalls den Zweck, große Kriegsanstrengungen zu verhindern. Sie will die Vorstellung erwecken, daß von dieser Seite gar keine bedeutende Gefahr drohen kann. Außerdem hilft sie, den loyalen Charakter der Kritik, an der bayerischen Kriegspolitik zu betonen. Auf keinen Fall darf diese Darstellung als eine Verurteilung des revolutionären Frankreichs angesehen werden. Die große Hochachtung vor ihm, die so gar nicht zu dem Bilde von den »armen Teufeln" paßt, verrät sich in einer anderen Strophe des Flugblattes: „Drum seht, Herr Kurfürst, soll's gut gehn, laßt Bayern uns anführen. Und sollten die's nicht recht verstehn, so laßt sie nur nach Frankreich gehn, dort lehrt man Kommandieren." Es ist nicht ausgesprochen, aber für jeden Zeitgenossen war es vollkommen klar, daß die darauffolgende und letzte Strophe auf Österreich als den wirklich gefährlichen Feind Bayerns zielte: „Indeß verseht nur brav das Land mit Flinten und Kanonen. Und gibt's dann Lärm fürs Vaterland, bei Gott! da sind wir bei der Hand, es soll sich keiner schonen." 14 14

HSA München, Abt. I, Altbayerische Landschaft, Nr. 255.

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Das Flugblatt nimmt Partei gegen Österreich und gegen den Interventionskrieg; die Konsequenz dieser Parteinahme, das Bündnis mit Frankreich gegen Österreich, wind noch nicht gezogen, aber sie ist bereits für den hellhörigen Zeitgenossen als Perspektive angedeutet. Größte Schwierigkeiten bereitete nicht nur der bayerischen Regierung, sondern in allen süddeutschen Territorien der passive und aktive Widerstand gegen die Rekrutierungen. Der sächsische Gesandte am Münchener Hof berichtete unter dem 31. Juli 1794, daß bei den Aushebungen in den pfalz-neuburgischen Ämtern Lauingen und Gundelfingen eine regelrechte Revolte ausbrach, die erst durch eine Abteilung Militär aus Neuburg erstickt werden konnte. 15 In einem Gespräch, über das er am 12. Oktober berichtete, gestand ihm Graf Vieregg die große Verlegenheit der Regierung, den Krieg fortsetzen zu müssen, während sich die Ressourcen erschöpften: „Graf von Vieregg hat über diese Angelegenheit mir gegenüber die bittersten Klagen geäußert, und was dem Kurfürsten, wie er mir sagte, den größten Kummer bereitet, ist die Tatsache, daß man trotz allem, was er für die gemeinsame Sache leistet, nicht zufrieden ist; man fordert von ihm täglich neue Leistungen und Lieferungen von Lebensmitteln und Rekruten, die er unmöglich beschaffen kann; namentlich ist der Widerwille der bayerischen Untertanen gegen den Militärdienst sehr groß trotz aller Maßnahmen, die man anwendet, um sie gutwillig zu stimmen." 16 In den anderen Territorien sah es ähnlich aus. Weil er vorzeitige Unruhe fürchtete, verbot in Württemberg der Zensor 1793 sogar die Anzeige eines Gedichtes von Schlotterbeck, eines Lehrers an der Karlsschule, das für die geplante Rekrutenaushebung gegen Frankreich Propaganda machen wollte. Auf den Einspruch des Verfassers bestätigte der Geheime Rat diese Maßnahme mit der Begründung, daß das Gedicht „unter dem Landvolk widrige associationes ideanum verursachen könnte". 17 Schlotterbecks ehemaliger Kollege an der Karlsschule, Jakob Friedrich Abel, faßte die Sache vorsichtiger an und schrieb eine Geschichte des Franzoseneinfalls unter Melac, um seine Landsleute auf Umwegen für den Kampf gegen Frankreich zu gewinnen.18 Als im Januar 1794 der Ludwigsburger Oberamtmann Kerner in seinem Amtsbereich befehlsgemäß eine Rekrutenauswahl durchführte, stieß er allerorts auf größte Schwierigkeiten. Er hielt es darum für rätlicher, „dergleichen Geschäfte durch herzogliches Militärkommando ausführen zu lassen als durch die Zivilobrigkeit..." In Ludwigsburg selbst, der Residenz des Württembergers, protestierte die gesamte Bürgerschaft energisch gegen die Aushebung und 15 10

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LHA Dresden, Loc. 3468, Minutes des dépêches à S. E. Mr. le Comte de Loss, l'année 1794. .Le C. de Vieregg m'a fait sur cet objet les plaintes les plus amères, et ce qui peine, m'a-t-il dit, le plus l'Électeur, c'est que malgré tout ce qu'il fait pour la cause commune, on n'est pas content, et on exige de lui tous les jours de nouvelles prestations et livraisons de subsistances et de recrues qu'il est impossible de se procurer, l'éloignement d*es sujets Bavarois surtout étant très grand pour le service militaire, malgré tous les moyens qu'on employe pour lui inspirer de la bonne volonté." Ebenda. Steiß, Kail/Mehring, Gebhard, Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs. Stuttgart 1912, S. 729 ff. Ebenda, S. 733.

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bestand darauf, wie die Stuttgarter von der Leistung persönlicher Kriegsdienste befreit zu sein.19 »Die jungen Leute erschienen auf dem Rathause", schreibt Justinus Kerner, der Sohn jenes Oberamtmannes, in seinen Erinnerungen, »aber mit ihnen auch die Väter und andere Bürger. Als nun mein Vater seine Obliegenheiten als Beamter der Regierung erfüllen wollte, kam es endlich zu einem persönlichen Losgehen auf ihn." 20 Der Bürger und Schlosserobermeister Johann Kaspar Boleg gab mit dem Ruf „Nichts gegen die Franzosen!" dem Widerstand eine Richtung, die weit über die bloße Abneigung gegen den Militärdienst hinauswies. 21 Es nimmt nicht Wunder, dag die gleichzeitigen Versuche des Oberamtmanns von Wildberg, Freiwillige für das herzogliche Militär zu werben, gänzlich erfolglos blieben. 22 Der preußische Gesandte in Stuttgart, Madeweiß, schilderte in einem Bericht vom 27. August 1794 die Situation im W.ürttembergischen in den schwärzesten Farben: „Würde man nun gar von einer neuen Auswahl hören, die das Land immer in große Bewegung setzt, so bin ich versichert, daß an vielen Orten ein Aufstand entstehen würde, den die zehn- bis zwölfhundert Mann, die der Herzog in Stuttgart und Ludwigsburg noch haben mag, gewiß nicht würden dämpfen können, zumal wenn man bedenkt, daß diese vor ungefähr sechs bis sieben Monaten selbst noch Bauern gewesen, die gegen ihre Verwandten wohl nicht einmal würden fechten wollen." 23 Kleinere Fürsten vermochten sich aus eigener Kraft schon gar nicht durchzusetzen. Als sich im Juli 1794 Untertanen des Bistums Passau zusammen mit Bewohnern der Grafschaft Hals gegen die Rekrutierung wehrten und der Bischof eine dreißig Mann starke Truppe ausschickte, um den Widerstand zu brechen, wurden die Soldaten förmlich in die Flucht geschlagen. Der Bischof mußte sich an den bayerischen Kurfürsten als ersten Kreisstand wenden und um militärische Unterstützung bitten. 24 Im Stift Kempten wehrte sich die Bevölkerung sowohl gegen die Übernahme der Kosten für die 200 Mann, die nach dem Basler Frieden zusätzlich zu stellen waren, als auch gegen die Aushebung seihst. Der Widerstand versteifte sich noch, als bekannt wurde, daß herrschaftliche Diener und Pächter von der Auslosung befreit bleiben sollten. Obwohl schließlich Fürstabt und Kapitel einen Teil der Kosten zu übernehmen und ebenso das Los gerechter zu handhaben versprachen, brachte dieses Entgegenkommen nicht den erhofften Erfolg. 25 Wie im Württembergischen scheiterten auch sonst alle Versuche, durch Werbung Freiwilliger die Kontingente zu füllen. Die im Schwäbischen gelegene bayerische Stadt Mindelheim, die ganze sechs Mann zu stellen hatte, konnte nicht einen einzigen Freiwilligen ausfindig machen. Der kurfürstliche Pfleger drohte am 31. Januar 1795 dem Magistrat, wenn er nicht 19 20

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HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 213, Nr. 484, Bericht Kerners vom 14. 1. 1794. Keiner, Justinus, Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Erinnerungen aus den Jahren 1786 bis 1804. Frankfurt/Oder 1894, S. 26. HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 213, Nr. 484, Bericht Kerners vom 17. 1. 1794. Ebenda, A 573, Bü. 5533, Bericht vom 18. 1. 1794. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 33. LHA Dresden, Loc. 3468, Minutes des dépêches à S. E. Mr. le Comte des Loss, l'année 1794, Bericht vom 31. 7. 1794. Rottenkolber, Joseph, a. a. O., S. 190/91.

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in Kürze die sechs Rekruten beibringen würde, sämtliche ledigen Bürger- und Insassensöhne zu konskribieren und unter ihnen das Los entscheiden zu lassen. 26 Der Kleinfürst Christian Friedrich Karl von Hohenlohe-Kirchberg, der sieben Mann stellen mußte, notierte in seinem Kalender unter dem 4. Januar 1795: »Von sieben angeworbenen Rekruten sind drei desertiert und vier zu ihren Kompanien an den Rhein abgegangen." 2 7 Einen detaillierten Einblick in die Schwierigkeiten, denen sich die kleineren Fürsten bei der Aushebung von Rekruten gegenübersahen, gewährt der Briefwechsel, den der Erzbischof von Salzburg, Hieronymus, mit seinem Bruder, dem Reichsvizekanzler Franz Gundaccar Fürst von Colloredo-Mannsfeld, führte. Hieronymus war kein Stimm von Speyer. Seine Wahl im Jahre 1772 brachte sogar einen frischen Luftzug in das Erzbistum, in dem 40 Jahre zuvor noch die barbarische Ausweisung der 17 000 Protestanten möglich gewesen war. Nach dem Vorbild Josephs II. versuchte er, ein aufgeklärtes absolutes Regiment zu errichten, und in der Tat lockerte er zunächst durch ein relativ mildes Zensurgesetz und vor allem durch seinen Hirtenbrief vom Jahre 1782 den geistigen Druck der Orthodoxie beträchtlich.28 Darüber hinaus allerdings kam nichts Nennenswertes an fortschrittlichen Maßnahmen zustande. Das Territorium war klein, steckte tief im feudalen Sumpf, hatte mit seinen 6 Städten und 22 Marktflecken kein Bürgertum von irgendwelcher Bedeutung hervorgebracht, und so scheiterte das Experiment des aufgeklärten Absolutismus an seiner inneren Unwahrhaftigkeit noch schneller und gründlicher als das Josephs II. Das neue Steuersystem, das Hieronymus 1778 einführte, füllte zwar seine Kassen, aber verwirklichte keineswegs das Ideal einer allgemeinen gleichen Steuer; es führte umgekehrt zu einer Entlastung der Privilegierten und zu einer noch stärkeren Belastung der bäuerlichen Bevölkerung.29 Nach wie vor drückten den Bauern daneben die unzähligen feudalen Lasten, die jede Initiative von seiner Seite erstickten, mußte er doch sogar für die Erlaubnis, Vieh zu verkaufen, am Hausbau etwas zu verändern und dergleichen mehr, sogenannte Willengelder zahlen.30 Unter diesen Bedingungen ist es verständlich, daß die Bauern im Pinzgau Maßnahmen des Fürsten gegen die zunehmende Versumpfung sabotierten und Flußregulierungsarbeiten wieder zerstörten, da sie von einer Verbesserung des Bodens nur neue zusätzliche Lasten erwarteten. Im übrigen war dies - wenn man von seinen Bemühungen im wenig ertragreichen Bergwesen absieht - der einzige und noch dazu mit völlig unzureichenden Mitteln unternommene Versuch zur Hebung der Produktivität im Lande. Hieronymus zog es vor, die der Bevölkerung abgepreßten Summen im Ausland, vor allem in Wien, in Staatspapieren anzulegen und Zinsen dafür einzustreichen.31 Mit dem Ausbruch der Französischen Revolution und der wachsenden Furcht 26

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Zoepfl, Friedrich, Geschichte der Stadt Mindelheim in Schwaben. Schnell und Steiner Verlag München 1948, 91/92 Bihl, Die fürstliche Herrschaft Hohenlohe-Kirchberg bis zu ihrer Mediatisierung 1 7 6 4 - 1 8 0 6 . In: „Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", 7. Jahrg., S. 293, 1884. Widmann, Hans, Geschichte Salzburgs. Gotha 1914, Bd. 3, S. 483 ff. Ebenda, S. 466 ff. Ebenda, S. 436. Ebenda, S. 471 ff.

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vor ihren Auswirkungen auf die eigenen Untertanen gingen schließlich auch noch die Vorzüge verloren, die Hieronymus einem Stirum voraus hatte; die Zensur wurde verschärft, und die lähmende Orthodoxie verdrängte die Aufklärung. 32 Als Feind der Französischen Revolution und auf vielfältige Weise mit Wien verbunden, war der Erzbischof von Salzburg im Kriege ein entschiedener Parteigänger Österreichs. Es besteht also kein Grund, an der Aufrichtigkeit seiner oft beteuerten Treue zum Kaiser zu zweifeln und hinter der ebenso häufigen Versicherung, die Kriegsanstrengungen unmöglich fortsetzen zu können, politische Gegensätze zu suchen. Diese Tatsache erhöht den Aussagewert seiner Mitteilungen; sie können als typisch gelten. Als Österreich nach den verheerenden militärischen Mißerfolgen 1794 neue Opfer für den Krieg verlangte, schrieb er am 23. August an seinen Bruder: »Durch freiwillige Werbung auch gegen 50 und 100 Gulden Handgeld bekomme ich nicht einen Mann, und Rekruten aufheben zu lassen getraute ich mir nicht, indem es ohne Tumult nicht vorübergehen würde und meine Untertanen gleich von den Nachbarn unterstützt würden, welches die Gesinnung Seiner Majestät auch nicht wäre." An diese Feststellung schlössen sich in französischer Sprache Betrachtungen, die über den eigenen Bereich hinausgingen und ein anschauliches Bild von den Kraftquellen der übrigen Reichsstände entwarfen: »Oberhaupt - erlauben Sie, daß ich offenen Herzens spreche - sehe ich nicht, was Sie durch dieses Kommissionsdekret gewinnen werden; Schwaben, der volkreichste Kreis, kann nur mit Mühe seinen ersten Verpflichtungen nachkommen; ebenso Franken, namentlich nach der Absonderung von Ansbach und Bayreuth. Sie wissen, was Sie sich von dem bayerischen Kreis versprechen können, vor allen Dingen nachdem die kleinen Stände noch gar nichts beigetragen haben... Ich rede nicht von den anderen Kreisen; Sie wissen besser als ich, was sie beisteuern können oder wollen. Und außerdem, wo ist die Harmonie und das notwendige Einvernehmen, um etwas zu gestalten, was dem Staate nützlich sein könnte; und wieviel Zeit würden wir brauchen, um dahin zu gelangen, denn es fehlt uns größtenteils an allem, an Waffen, Troß, Artillerie, Offizieren, Ingenieurein usw. usw." 33 Der Reichsvizekanzler scheint seinem erzbischöflichen Bruder auf diesen Brief hin heftige Vorhaltungen gemacht zu haben, etwa derart, daß bei einer solchen defaitistischen Haltung den deutschen Fürsten das Schicksal Ludwigs XVI. drohe. Ohne jeden Erfolg! Denn Hieronymus antwortete 32 83

Ebenda, S. 490/91, 516/17. .En général, permettez que je parle à cœur ouvert, je ne vois pas ce que vous gagnerez par ce Commissionsdekret; la Souabe qui est le cercle le plus peuplé ne peut qu'avec peine s'acquitter de ses premiers engagements; la Franconie de même, surtout après la séparation des pays d'Ansbach et Bayreuth. Vous savez ce que vous pouvez vous promettre du cercle de Bavière, surtout après les petits États n'ont encore rien fourni du tout... Je ne vous parle pas des autres cercles; vous savez mieux que moi ce qu'ils peuvent ou veulent contribuer. Et outre cela où est l'harmonie et l'intelligence nécessaire pour former quelque chose qui puisse être utile à l'état, et combien de temps ne nous faudrait-il pas pour y arriver, car nous nous trouvons la plupart dépourvu de tout, d'armes, habitement, équipage, artillerie, officiers, ingénieurs etc. etc." Staatsarchiv Kuks, Arbeitsstelle Opoino, Colloredo-Mannsfeldsches Archiv, Korrespondenz des Erzbischofs von Salzburg, Hieronymus, an seinen Bruder, den Fürsten Colloredo, 1789 ff.. Sign. F 61, 6 (1794), Nr. 40.

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ihm am 3. September 1794 mit erstaunlicher Gelassenheit und Klarsicht in die eigene Zukunft: „Sie kündigen mir die Guillotine an; ich sehe sie kommen, denn der Rest der Reichsstände, der nicht unterjocht ist, ist gewiß nicht imstande, sie aufzuhalten; nicht aus Mangel an gutem Willen, der mir wenigstens nicht fehlt, wie ich es bisher bewiesen habe, aber aus Mangel an Mitteln. Wollen Sie einen Aufruhr, so brauche ich nur Rekruten ausheben zu lassen, und er wird nicht ausbleiben; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich ebensowenig wie jeder andere kleine Reichsfürst die Mittel habe, ihn niederzuschlagen." 34 Seine Voraussage erfüllte sich prompt. Als man im November im Zillertal einzelne Rekrutierungen durchführen wollte, rotteten sich sofort an die 400 bewaffnete Bauernknechte zusammen, verjagten die erzbischöflichen Beauftragten, drangen in die Pfleg- und Beamtenhäuser ein und schlugen alles kurz und klein. 35 Der Einsatz von Militär verbot sich: »... da kann man keine militärische Exekution brauchen, denn alle meine wenigen Soldaten, die alle Inländer sind und wider Willen dienen, würden sich alle zu ihnen schlagen." 36 Weder mit Milde noch mit Drohungen konnte der Erzbischof, der im Dezember 1794 mit Abgesandten des Zillertals konferierte, die Deputierten bewegen, auch nur einen einzigen Rekruten zu stellen.37 Das nächste Jahr brachte keine Minderung der Spannungen, sondern eine Verschärfung, so daß der Erzbischof schon bewußte revolutionäre Umtriebe zu fürchten begann. 38 In seinem Brief vom 8. Februar 1795 stellte er fest, daß die Fortsetzung des Krieges den unvermeidlichen Untergang der Fürstenherrlichkeit und einzig seine Beendigung Rettung bedeuteten, »denn man kann mit den Leuten nicht mehr auskommen,- sie werden täglich kecker und mutwilliger; sie . . . kennen, daß man sie nicht zwingen kann und ihnen gute Worte geben muß; so geht es mir mit allen meinen Bürger-Bauern; der Mutwillen geht von einem Gericht in das andere; sie widersetzen sich allem, und kein Beamter darf nichts mehr sagen; so kann es nicht lang bleiben; wir bekommen keine Rekruten, können keine mit Gewalt nehmen, und ich bin versichert, daß, wann ich die 2 bis 300, die ich hier habe, zur Armee schicken werde, die Hälfte davonläuft. Wenn der gute Gott allen diesen Unordnungen nicht ein Ende setzt, indem er uns den Frieden gewährt, können wir darauf rechnen, einer nach dem anderen verjagt zu werden, nicht durch den Feind, sondern durch unsere eigenen Untertanen." 39 Im Herbst 1795 kamen bereits Un34

»Vous m'annoncez la guillotine, je la vois arriver, car certainement le reste des États de l'Empire qui n'est pas subjugué n'est pas en état de l'arrêter, pas faute de bonne volonté, qui du moins à moi ne manque pas, comme je l'ai prouvé jusqu'à présent, mais faute des moyens. Voulez vous une émeute, je n'ai qu'à faire lever des recrues, et elle ne manquera pas, mais je vous préviens que je n'ai pas les moyens pour l'apaiser aussi peu que tout autre petit prince de l'Empire." Ebenda, Nr. 42. 35 Ebenda, Nr. 60. 3 « Ebenda, Nr. 68. 37 Ebenda, Nr. 70. 38 Ebenda, Nr. 80. Ebenda, Sign. F 61, 7 (1795), Nr. 4. 39 „Si le bon Dieu ne met fin à tous ces désordres en nous accordant la paix, nous nous pouvons nous attendre à être chassé l'un après l'autre non par l'ennemi, mais par nos propres sujets." Ebenda, Nr. 8.

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ruhen unter den Bauern des Zillertals und des Pinzgaus auf, ohne daß Rekrutierungsversuche vorangingen: »Sie wollen Regierung und Behörde fast nicht mehr anerkennen und widersetzen sich mit Gewalt allem, sogar in Kriminal- und Polizeisachen, . . . " 4 0 Waren es bis dahin nur die besitzlosen Bauernknechte, «die sich die Regeln und Grundsätze der Gleichheit und Freiheit aneignen" 41 , so hatte 1796 der Widerstandsgeist schon die Bauern selbst, die Gesellen und Studenten ergriffen. Am 16. April schrieb Hieronymus an seinen Bruder: „Der Geist der Opposition und Revolte unter meinen Bauernknechten und wahrscheinlich unter den Bauern selbst steigt und schreitet zusehends voran . . . Kaum hatte ich die Bauern und Handwerksgesellen, die sich ihnen angeschlossen haben, in Saalfelden beruhigt, als dieselbe Geschichte in Lofer, zwei Meilen von Reichenhall, mit noch mehr Ausschweifung und Heftigkeiten begann,..." 42 Eine Menge von 200 mit Äxten und Knüppeln bewaffneten Bauern befreite zwei Rekruten, stürmte das Haus des Amtmannes und jagte ihn in die Flucht. Hieronymus erklärte sich außerstande, weitere Rekruten zu beschaffen, wenn er nicht riskieren wollte, in seiner eigenen Residenz totgeschlagen zu werden. 43 Die Unruhe in Lofer war noch nicht abgeklungen, als ihn die Nachricht erreichte, „daß im Landgericht Rauris eine neue ausgebrochen ist, und so geht es immer fort,..." 4 4 In den Junitagen 1796 schließlich wurde auch Salzburg selbst vom Aufruhr gepackt. Wie der Erzbischof am 29. Juni seinem Bruder schrieb, bestand seine ganze Regierungskunst nur noch darin, sich gegenüber allen Leuten - «so den Bauernknechten wie den Handwerksgesellen wie den Studenten, die sich bei der geringsten Gelegenheit zusammenrotten und gemeinsame Sache machen" - mit größter Vorsicht zu bewegen und ständig auf Mittel zu sinnen, um sich mit Ehre und ohne Kompromittierung seiner Person aus der Affäre zu ziehen.45 Als Moreau und Jourdan nach Bayern und Franken vorstießen, bereitete Hieronymus seine Flucht vor. Wie er seinem Bruder am 2. August schrieb, begann er, „ein wenig Geld einzupacken ..." 46 ; tatsächlich handelte es sich um 300 000 Gulden in Silber, für die er 23 Fäßchen anfertigen ließ. Der Faßbinder informierte die Bürger Salzburgs, die sich daraufhin zusammenrotteten und kategorisch verlangten und durch40

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„Mes paysans au Zillertal et au Pinzgau commencent de nouveau à faire des excès et cela sans moindre raison, ils ne veulent plus presque reconnaître de pouvoir et autorité, et s'opposent avec force à tout, sogar in Criminal- und Polizeisachen,..Ebenda, Nr. 43. „Cela ne sont jusqu'à présent que les Knecht oder Bauernpursch qui s'en mêlent et qui adoptent les règles et principes d'égalité et liberté." Ebenda. „L'esprit d'opposition et révolte parmi mes garçons de paysan et probablement les paysans mêmes augmente et avance à vue d'oeil,... À peine avais-je apaisé les paysans et garçons de métier qui se sont joints à eux à Saalfelden, que la même histoire a commencé à Lofer, à deux lieues de Reichenhall, et avec plus d'excès et impétuosités, . . . " Ebenda, Sign. F 61, 8 (1796), Nr. 18. Ebenda. Ebenda, Nr. 21. . . . . tant garçons des paysans que des métiers, qu'étudiants, qui à la moindre occasion s'attroupent et font cause c o m m u n e , . . E b e n d a , Nr. 35. »... on commençait à empaqueter un peu d ' a r g e n t . . E b e n d a , Nr. 45.

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setzten, daß die Gelder zur Bezahlung der zu erwartenden französischen Kontributionen im Lande blieben. 47 Das französische Emigrantenkorps unter dem Prinzen Condé, das sich vor Moreau auf habsburgisches Territorium zurückgezogen hatte, traf überall auf wütenden Haß: .Bauer und Bürger ist erschrecklich gegen die Leute aufgebracht", schrieb Hieronymus am 6. August. 48 Er war überzeugt und glaubte Beweise in der Hand zu haben, daß sich ein revolutionäres Zentrum im Lande gebildet hatte und auf die Bevölkerung einwirkte: »Die Unruhen in den Ämtern im Gebirge, die letzten der Studenten, der Handwerksgesellen und selbst der Bürger müssen alle einen Zusammenhang haben." 4 9 Es war eine schwächliche Demonstration obrigkeitlicher Macht, wenn der Erzbischof unter diesen Umständen am 30. August seinen Untertanen durch einen »Verruf" alle politischen Meinungsäußerungen zu verbieten unternahm: »Handlungen gekrönter und hoher Häupter sind zu heilig, und die Triebfedern der Kabinette sind zu geheim und undurchdringlich, als daß jemand derentwegen oder aus affektierter Kenntnis, aus angenommenem Parteigeist über derselben Anstalten Urteile sprechen, mit übel angewandten Schlüssen sich vermengen oder gar Partei nehmen sollte." 50 Der »Verruf" war das offene Eingeständnis, daß sich die Bevölkerung sehr wohl eine eigene Meinung zu bilden verstand. Der Krieg, von den Feudalmächten begonnen, um die revolutionäre „Feuersbrunst zu löschen, in Frankreich die alten Zustände wiederherzustellen und damit die erschreckten Könige gegen die revolutionäre Seuche in ihren eigenen Staaten zu sichern" 51, bewirkte das Gegenteil. Er verschärfte die Klassengegensätze im eignen Land und begünstigte den Funkenflug der Revolution. Frankreich war selbstverständlich von diesen Schwierigkeiten seiner Gegner durch Agenten unterrichtet und konnte sie in seine militärischen Kalkulationen einbeziehen. 52 Auch die Bewertung dieses Widerstandes gegen die Rekrutierungen als Ausdruck der Sympathie für die Sache der Franzosen traf im allgemeinen durchaus zu. 53 Noch höher in der Wirkung, wenn auch nicht unbedingt bewußtseinsmäßig, waren Meutereien in regulären Truppenteilen einzuschätzen. Wenn Soldaten, die unter Kriegsgesetzen standen und denen bei Verletzung dieser Gesetze barbarischste Strafen und Tod drohten, dennoch einem militärischen Befehl zu trotzen wagten, so war das zweifellos ein Alarmsignal. In den meisten Fällen setzte bezeichnenderweise die Meuterei der Truppenteile ein, wenn sie der Befehl zum Abmarsch an den Rhein, 47

Widmami. Hans, a. a. O., S. 523. Staatsarchiv Kuks, a. a. O., Nr. 46. 4 * .Les émeutes dans les baillages du montagne, les dernières des étudiants, garçons des métiers, et enfin des bourgeois mêmes doivent toutes avoir un rapport ensemble.* Ebenda, Nr. 47. 50 Mach, Joseph. Die Reform- und Aufklärungsbestrebungen im Erzstift Salzburg unter Erzbischof Hieronymus von Colloredo. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte der Aufklärungszeit. Phil. Diss. München 1912, S. 106. 51 Stalin, J. W., Über den Krieg. In: Werke. Dietz Verlag, Berlin 1951, Bd. 3, S. 5. 52 Aulard, François Alphonse, a. a. O., S. 377. Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 447. 53 Obset, Karl, Zwei Denkschriften..., a. a. O., S. 126. 48

9 Süddeutsche Jakobiner

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also in den Krieg gegen die Franzosen, erreichte. Am 20. Mai 1794 zeigte der Vertreter Rothenburgs dem fränkischen Kreiskonvent an, daß die 40 Mann starke, zum Kreiskontingent gehörige Ergänzungsmannschaft der Reichsstadt sich weigerte, nach Mainz abzumarschieren. Er forderte die militärische Hilfe des Kreises, um diesen Widerstand zu brechen.54 Am 7. Juni lag der Versammlung ein Bericht vor, daß zum Abtransport der 40 widerspenstigen Soldaten ein Hauptmann, ein Leutnant, ein Feldwebel, sechs Korporale, zwei Spielleute und 62 Mann nach Rothenburg in Marsch gesetzt wurden. 55 73 Soldaten also waren nötig, um 40 andere Soldaten zum aktiven Einsatz im Kriege zu zwingen. Nicht nur bei den kleineren Reichsständen häuften sich solche Erscheinungen, sondern ebenso bei relativ mächtigeren wie dem Kurfürsten von Bayern. Anfang September 1794 alarmierte den Münchener Hof die Nachricht, dag 320 Mann von der Garnison Straubing und 700 Mann von anderen Regimentern gegen ihre Abkommandierung in die Pfalz revoltierten. Als Grund gaben die Meuterer an, daß sie bei dem geringen Sold in der teuren Pfalz Hungers sterben müßten. Mit Mühe nur konnten sie nach Ingolstadt gebracht werden, wo sie entwaffnet, arretiert und einer kriegsgerichtlichen Untersuchung unterworfen wurden. 56 Die Rädelsführer wurden durch die Spießruten geschickt, während die Masse den Marsch nach Mannheim fortsetzte. 57 Am 18. und 21. September berichtete der sächsische Gesandte bereits von einer neuen Meuterei bayerischer Truppen, diesmal sogiar in einem Eliteregiment. Auf dem Wege an den Rhein war es zu Gewalttätigkeiten gegen Offiziere und örtliche Behörden gekommen, so daß die betreffende Abteilung in Donauwörth entwaffnet werden mußte. Die Rädelsführer wurden herausgesucht und sahen einer exemplarischen Bestrafung entgegen. Der sächsische Diplomat begriff diese Ausbrüche vollkommen richtig als Symptome der allgemeinen Unzufriedenheit unter den Truppen, die auch nicht dadurch behoben werden konnte, daß man ihren Sold um einen Kreuzer erhöhte und ihnen weitere kleine Vorteile zugestand. „Auch ist die Desertion unter diesen Truppen entsetzlich", konstatierte er. 58 Die Häufung von verschiedenen Arten von Widersetzlichkeit, die alle direkt oder indirekt die Führung des Interventionskrieges erschwerten, ist von zeitgenössischen Beobachtern objektiv als Ausdruck zunehmender revolutionärer Gesinnungen betrachtet worden. Allein die Tatsache der Häufung berechtigt zu solchem Schluß, gleichgültig, wie weit sich die Massen dessen bewußt waren. Es existieren aber auch eindeutige Zeugnisse dafür, daß der Kampf gegen den Interventionskrieg zumindest teilweise mit einem hohen gesellschaftlichen Bewußtsein geführt wurde. Das zeigte sich häufig in dem Verhältnis der Bevölkerung zu den kriegsgefangenen Franzosen. Bezeichnend ist der Bericht des kaiserlichen Hauptmannes von Sigowsky, der 328 Kriegsgefangene mit einer 41köpfigen Begleitmannschaft von Tirol nach Kehl zum Austausch zu bringen hatte. Als er sich am 8. Dezember 1795 der württembergischen 54 56

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55 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 94 a Fränkischer Kreis, 20 B. Ebenda. LHA Dresden, Loc. 3468, Minutes des dépêches à S. E. Mr. le Comte de Loss, l'année 1794, Anhang: Minutes des relations en Cour, l'année 1794, Bericht Nr. 1668. Ebenda, Bericht Nr. 1671. .Aussi la désertion parmi ces troupes est horrible,..Ebenda, Bericht Nr. 1672 und 1673.

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Stadt Ebingen näherte, stürzten dem Transport »einige hundert erwachsene Kinder mit größtem Juibel entgegen, näher an der Stadt aber sogar einige Bürger, welche in die Reihen der Franzosen drangen, diese als lange Bekannte umhalsten, solche paarweise unter die Arme nahmen und auf solche Art frohlockend der Stadt zu auf den Platz, allwo bereits mehrere hundert Bürger, Weiber und noch mehr aber Kinder versammelt waren, eilten. Ich sah diesen zu auffallenden Jubel mit nicht gleichgültigen Augen und eilte vor, um den Transport in Ordnung zu stellen; aber es war vergebens, denn die Bürger drängten sich mit einer so auffallenden Vorliebe und Begierde in die Glieder herbei, daß sie gar nicht die Austeilung der Billetts abwarteten, sondern einige davon riefen: Gebt mir nur Franzosen und keine KaiserlichenI solche sodann paarweise unter die Arme nahmen und sagten: Das sind meine Brüder; der andere wieder: Das sind meine Kinder. Ich wollte dieser so ganz unerwarteten Schwärmerei durch die Gewalt der Gewehre meiner Kommandierten Einhalt tun, aber da wurde der Lärm noch größer, und ich wurde durch den unglaublichen Zulauf des Volkes so zusammengedrängt und überschrien, daß ich es mir mußte gefallen lassen, wie der meiste Teil der Bürger die Billetts dem Quartiermeister aus der Hand riß oder gar nicht abwartete, seine Franzosen untern Arm nahm und davoneilte, . . . Meine Leute blieben allein auf dem Platz stehen und mußten ihre Quartiere selbst suchen." Wurden die Kaiserlichen denkbar schlecht verpflegt, so zechte man um so ausgiebiger mit den Franzosen, sang Freiheitslieder und brachte Hochs auf die Republik aus. Am nächsten Morgen mußte der Hauptmann aus mehr als 300 Quartieren seine Kriegsgefangenen mühsam wieder zusammenholen, die „wieder auf eine ziemliche Strecke Wegs von ihren guten Freunden begleitet und auf das zärtlichste beurlaubt wurden".59 Nicht selten leistete die Bevölkerung kriegsgefangenen Franzosen auch Beihilfe zur Flucht nach Frankreich. Barthélémy, der französische Gesandte in Basel, schrieb am 2. Juli 1794 nach Paris: »Es kommen hier laufend französische Gefangene an, die aus Deutschland zu entweichen vermögen dank der Erleichterungen, die ihnen die Bewohner des Landes verschaffen." 60 In der vorderösterreichischen Stadt Waldsee im ersten Halbjahr 1796 untergebrachte kriegsgefangene Offiziere machten es nicht nur möglich, die Gegend bis zu den umliegenden Städten Ravensburg, Biberach, Memmingen, Leutkirch, Kempten u.nd Kaufbeuren unter militärischen Gesichtspunkten aufzunehmen, sondern fanden in der Bevölkerung auch genügend Übermittler ihrer Berichte nach Frankreich.61 Flugschriften bringen die eindeutigsten Beweise dafür, daß zu einem guten Teil bewußt revolutionäre Gesinnung den Widerstand gegen den Interventionskrieg bestimmte. Sie sprachen es nicht nur direkt aus, sondern bestätigten zugleich durch den Absatz, den sie in den verschiedensten Schichten fanden, die weite Verbreitung 59 60

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HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 213, Bund 193, Nr. 8. .11 continue d'arriver ici des prisonniers français qui parviennent à s'échapper d'Allemagne grâce aux facilités que leur procurent les habitants du pays." Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 172. Die Franzosen in Waldsee und Umgebung im Jahre 1796. In: „Diözesanarchiv von Schwaben, Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete", 22. Jahrg., S. 58, 1904.

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solcher Gesinnungen. Der Nürnberger Polizeiamtmann berichtete am 4. Juni 1794 mit Bestürzung, daß ihm sogar in einer »honetten, öffentlichen Gesellschaft" eine solche, frisch aus der Presse gekommene „teuflische Geburt" in die Hand gedrückt wurde. 62 Es handelte sich um eine vierseitige Flugschrift in Oktavformat, die den Titel trug „Republikanisches Gebet" und die Sache der Franzosen verherrlichte: „O höchstes Wesen! Du, der Du auf Erden den Menschen und die Freiheit schufst; Du, dessen Werk man höhnte, als man den Menschen herabwürdigte; Du, dessen Religion und heilige Lehren entweiht wurden durch die Blindheit unsinniger Jahrhunderte; Du, der von Ewigkeit her sah, dag Aberglauben den Menschen durch trügerischen Pomp von der wahren Religion, von Dir, o Gott! ableiten würde. Höre nun, Vater aller Nationen! in unseren patriotischen Gesängen die Stimme der Freiheit, und schaue den Triumph, womit sie uns so allmächtig durchdringt!" Sie endete mit den Worten: „Ja, Allmächtiger! Kämpfe Du selbst mit dem Brudervolke, welches für seine Freiheit streitet und sich lobsingend zu Dir emporschwingt." 63 Nach der Meinung des Polizeiamtmanns stand hinter dieser wahrscheinlich in Nürnberg selbst gedruckten Schrift ein Jakobinerklub, der entweder in den Mauern der Reichsstadt oder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft seinen Sitz hatte. Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dag der nürmbergische Buchbinder Daucher von angeblich unbekannter Seite 32 Exemplare zu zwei Kreuzern das Stück erhalten und verteilt bzw. zur Verteilung weitergereicht hatte. Zwei Kolporteure wurden für einige Wochen ins Gefängnis gesteckt, ohne damit den Vertrieb solcher Flugschriften unterbinden zu können.64 Sie trotzten allen Verboten und Verfolgungen. Am 17. August 1794 berichtete Graf Soden aus Nürnberg: „Alle diese Vorkehrungen hindern indessen nicht, dag noch immer dergleichen seditiöse Flugschriften zum Umlauf gebracht werden; wir senden eine dergleichen gegen das neueste kaiserliche Kommisisionsdekret wegen Vermehrung der Reichsarmee erschienene und vom Pöbel gierig aufgenommene Scharteke, die aber auch nur im Finstern schleicht, hier ehrerbietigst ein und werden mit dergleichen Nachsendungen gebührend fortfahren." 65 Beigelegt war eine handschriftliche Kopie der Flugschrift „Wiederholter Aufruf an die deutsche Nation, 1794".66 Diese Schrift mufj weite Verbreitung gefunden haben. Das obskure revolutionsfeindliche Journal „Eudämonia" betonte, dag sie nicht als „Manuskript, sondern wirklich gedruckt" vorläge. „Man hat wissen wollen, dag sie zu Nürnberg gedruckt worden sei." 67 Die „Eudämonia" hielt den Aufruf für ein so »wichtiges 82 ,a 64 85 66

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Einstberger, Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 455. Republikanisches Gebet, o. O. o. J. Einstberget, Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 455/56. DZA Merseburg, Rep. 44 C, Auswärtiges Departement, Nr. 613, Bl. 8. Ebenda, Bl. 9 ff. Der Aufruf liegt hier in einer handschriftlichen Kopie vor. Außerdem ist er abgedruckt in: Voegt, Hedwig, Die deutsche jakobinische Literatur und Publizistik 1789-1800. Verlag Rütten & Loening, Berlin 1955, S. 200 ff. Voegt hat den Aufruf entnommen aus: „Eudämonia oder deutsches Volksglück. Ein Journal für Freunde von Wahrheit und Recht", Bd. 1, 1. Stück, S. 7 ff., 1795. „Eudämonia oder deutsches Volksglück. Ein Journal für Freunde von Wahrheit und Recht", Bd. 1, 1. Stück, S. 5, 1795.

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Dokument des deutschen Jakobinismus", dag sie sich flugs an eine ausführliche Widerlegung machte. Dabei tat sie von ihrem Standpunkt aus das Dümmste, was sie tun konnte: Sie druckte den ganzen Aufruf, mit polemischen konterrevolutionären Fugnoten versehen, nochmals ab und sorgte auf diese Weise für seine Verbreitung in zusätzlichen 30 000 Exemplaren. Goethe machte sich in seiner Xenie über den Bärendienst, den die »Eudämonia" der Konterrevolution damit leistete, herzlich lustig.68 Nach der begründeten Vermutung des Grafen Soden war der Entstehungsort des Aufrufs im Ansbachischen zu suchen: »Die in der . . . Flugschrift enthaltenen Anspielungen sind nach unserer Meinung die dem Herrn Markgrafen Karl Wilhelm v. A(nsbach) in mehreren öffentlichen Schriften gemachten Bezichtigungen, dag er einige eichstättische Wilderer lebendig auf Hirsche anschmieden und solche in diesem Zustande in die Wälder laufen gelassen, dann im Oberamte Günzenhausen einen Fallmeister (Abdecker - H. S.) wegen verabsäumter Beischaffung des Frages... mit der Pistole erschossen habe," 69 Da in der Flugschrift der Hinweis auf solche konkreten Grausamkeiten allein steht und sonst nur in allgemeinen Wendungen die Laster und Unteidrückungsmagnahmen der Herrschenden angeklagt werden, ist der ansbachische Ursprung sehr wahrscheinlich. Der Aufruf ist in der Kraft der Sprache und in seiner gesellschaftlichen Aussage ein hervorragendes Zeugnis deutscher Revolutionäre. Er atmet Leidenschaft und versteht, sie zu wecken. Frage auf Frage wird in den ersten Zeilen gehäuft: »Habt ihr vernommen, ihr deutschen Völker, das neue Aufgebot des Hauses Österreich? Wie? Ihr wollt wieder 120 000 Mann zur Schlachtbank führen lassen? Ihr wollt eure noch übrigen kraftvollen Jünglinge dem ungerechten Kriege, der gegen die Freiheit und gegen die Menschenrechte geführt wird, aufopfern? . . . Was tut ihr, ihr Völker? Was sagt euch euer Herz? Was sagt euch euer Gewissen?" 70 Mit revolutionärer Leidenschaft wird die französische Nation verherrlicht, die unüberwindlich ist, weil sie für Freiheit und Menschenrechte streitet. Ihr entgegen steht die Tyrannei der Fürsten, die das Volk unterdrücken, auspressen und migbrauchen. »Wie lange, o deutsche Nation, wirst du dich noch migbrauchen lassen? Wisse, dag du dir die Fesseln, welche du schon Jahrhunderte hindurch trägst, weil du sie tragen wolltest, selber noch mehr stählst und drückender machst, indem du den Königen beistehst, welche Frankreich deswegen bekriegen, weil siedle Bewohner Frankreichs nicht in Freiheit sehen können, weil sie wissen, dag die Menschen durch Freiheit glücklich werden, weil sie befürchten, ihre Völker möchten selbst nach Freiheit streben, wenn sie das Frankenvolk durch die Freiheit beglückt sehen würden!" 71 Charakter und Ziel des Interventionskrieges sind so klarsichtig bestimmt, dag kaum eine andere Alternative zu bleiben scheint als die Aufforderung an die Volksmassen, die fürstlichen Befehle zu verweigern und umgekehrt die Heere Frankreichs zu unterstützen. Die Flugschrift spricht in der Tat diesen Gedanken aus: »Sollten die deutschen Völker nicht die Franken-Nation segnen, weil sie für die heilige Freiheit aller Völker streitet - sollten sie ihr nicht zu ihren augerordentlichen Fortschritten Glück wünschen? 68 89 70

Voegt, Hedwig, a. a. O., S. 107. DZA Merseburg, Rep. 44 C, Auswärtiges Departement, Nr. 613, Bl. 19. 71 Ebenda, Bl. 10. Ebenda, Bl. 13/14.

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Sollten sie ihr nicht Beistand und Unterstützung schenken?" 72 Diese Worte stehen nicht am Ende der Flugschrift, wo die Resultate der vorangegangenen Überlegungen gezogen werden. Der darin ausgedrückte konsequent revolutionäre Gedanke ist auch nicht als eindeutige Aufforderung, sondern als Frage formuliert. Beides ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer souveränen Einschätzung des Kräfteverhältnisses: Die Flugschrift forderte nicht dazu auf, sich mit den Franzosen zu vereinen und gemeinsam mit ihnen die in Deutschland noch herrschende Feudalklasse zu stürzen. Es fehlten entscheidende Bedingungen, um den Sturz des Feudalismus auf die Tagesordnung setzen zu können. Daß er als Perspektive ins Auge gefaßt wurde, verrieten Geist und Buchstabe der Flugschrift. Als Forderung des Tages aber propagierte sie ein beschränktes Ziel, das den Volksmassen auf den Nägeln brannte und darum real war: Sofortiger Friede mit Frankreich. Dabei richtete sich die ganze Aggressivität uneingeschränkt gegen die eigene herrschende Klasse: „Erbebt, ihr Tyrannen der Erde! Erbebt, ihr Despoten der Völker! Das Volk steht auf! ! ! Furchtbar, schrecklich, grausenvoll ist sein Aufstand, wenn ihr es dazu zwingt, wenn ihr noch länger den Krieg gegen die Franken-Nation, gegen die Freiheit, gegen die Menschenrechte fortsetzen wollt, wenn ihr euch zu einem neuen Feldzug vorzubereiten wagt! Lange genug sind die Nationen ihrer ewigen und unveräußerlichen Menschenrechte beraubt gewesen - lange genug sind sie von Obertyrannen und Untertyrannen, von geistlichen und weltlichen Fürsten, vom Adel und von der Geistlichkeit gemißhandelt, gemißbraucht, herabgewürdigt worden - lange genug haben sie das Joch der Sklaverei getragen, das ihnen Herrschaften gewaltsam und widerrechtlich auflegten - lange genug haben ihre Ohren die Fesseln an den Füßen der Sklaven rasseln hören - lange genug hat der Rücken der Menschen die Geißelhiebe ihrer Treiber und die Fuchtel ihrer militärischen Zuchtmeister gefühlt!!... Endigt den Krieg, ihr Tyrannen! Macht Frieden, ihr Despoten! Das Volk will Frieden haben - wird Frieden machen, wenn ihr nicht Frieden macht." Mit einer Wiederholung dieser Forderung und Drohung endet die Schrift: »Noch einmal, ihr Tyrannen! macht Friede! - oder das Volk steht auf und macht Friede!!!" 7 3 Den nachhaltigsten Beweis für den Widerstand der Volksmassen gegen den ungerechten, konterrevolutionären Interventionskrieg brachte ihr Verhalten zu dem Projekt eines allgemeinen Volksaufgebots. Die Waffenerfolge der Revolutionsarmeen im Feldzug des Jahres 1793 hatten den Verbündeten endgültig die bornierte Überheblichkeit ausgetrieben, mit der sie in den Krieg eingetreten waren. Führende Militärs und Politiker begriffen, daß sie ein ganzes Volk zum Gegner hatten, im Feuer der Revolution seiner selbst bewußt geworden und unerschöpflich an Opfermut. So entstand der verzweifelte Plan, Mittel zu übernehmen, denen die Franzosen ihre Erfolge verdankten, und eine Volksbewaffnung zu organisieren. In einem vom Kurfürsten geforderten »unmaßgeblichen Entwurf für eine Landesdefension von den beiden Provinzen Bayern und die Oberpfalz" hieß es: »Die Verluste an regulären Truppen können unter einem Jahre nicht ersetzt werden. 7! n

Ebenda, Bl. 12. Ebenda, Bl. 16/17.

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aber die Verluste der Aufgebote in Masse täglich. Solange also nicht eine enthusiastische Masse gegen eine enthusiastische Masse zu fechten kommt, ist ohnehin an völliger Überwindung eines solchen Feindes, der unerschöpflich ist, zu zweifeln." 74 Man gedachte, an Miliz und Aufgebot anzuknüpfen, die im 17. Jahrhundert bei der Abwehr der Franzoseneinfälle noch eine Rolle gespielt hatten, aber im 18. Jahrhundert überall in Verfall und Vergessenheit geraten waren. Am frühesten wurde ein solcher Plan in den Gebieten Süddeutschlands erörtert, die dem Kriegsschauplatz am nächsten lagen und bei den französischen Erfolgen damit rechnen mußten, selber dazu zu werden. Zu den eifrigsten Förderern dieses Gedankens gehörten der Feldmarschall von Wurmser, der die kaiserlichen Truppen am Oberrhein kommandierte, und der österreichische Regierungspräsident im Breisgau, Freiherr von Sumerau. Schon früher hatte Wurmser einzelne Gemeinden aufgeboten, um schwache Stellen im Kordon am Oberlauf des Rheins zu verstärken. 75 Als dann die Franzosen im Herbst 1793 zum Angriff gegen die Verbündeten zwischen Straßburg und Landau ansetzten und Wurmser alle verfügbaren Truppen an sich ziehen mußte, um seine Stellung auf dem linken Rheinufer zu halten, klafften breite Lücken in dem Sicherungsgürtel am oberen Lauf. Wurmser forderte von Sumerau ein Aufgebot von 15 000 Bauern. Sumerau nahm sofort Verhandlungen mit den breisgauischen Landständen und dem kommandierenden General von Staader auf, um die nötigen Maßnahmen zu verabreden. Es wurde beschlossen, die Zahl auf die einzelnen Gemeinden verhältnismäßig aufzuteilen; die Rekrutierung sollte durch das Los ergänzt werden, wenn sich nicht genügend Freiwillige fanden. Am 9. November 1793 wurde ein entsprechendes Zirkularschreiben herausgegeben. 76 Um eine lückenlose Linie dieser Art zwischen Basel und Kehl herzustellen, mußten die badischen Oberlande einbezogen werden. Die erforderlichen Verhandlungen führte Sumerau um die gleiche Zeit. Sein Plan ging darauf hinaus, daß der Breisgau 10 000 Mann und die badischen Oberlande 5000 Mann stellten. 77 Der Markgraf gab am 12. November seine prinzipielle Zusage. 78 Zuvor und selbständig waren schon auf einer Konferenz zu Kippenheim am 1. Oktober das badische Oberamt Mahlberg, das straßburgische Ettenheim, das nassauische Lahr, das geroldseckische Seelbach, die ortenauische Ritterschaft und die Prälatur Schuttern übereingekommen, ihren 25 km langen Rheinahschnitt zwischen Rust und Altenheim durch ein Volksaufgebot gegen einen französischen Übergang zu schützen.79 Am 27. Dezember schließlich, nachdem sich 74

HSA München, Abt. II, Handschriftenkatalog, Kriegs- und Heerwesen, II, Nr. 23, S. 2. Wendland. Wilhelm, Versuche einer allgemeinen Volksbewaffnung in Süddeutschland während der Jahre 1791 bis 1794. In: Historische Studien. Veröffentlicht von E. Ebering. Berlin 1901, H. 1, S. 61/62. 7 « Ebenda, S. 83/84. 77 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 96/97. In weiteren Verhandlungen wurde die Gesamtzahl auf über 18 000 festgesetzt. Ebenda, S. 130. 78 Ebenda, S. 98. 79 Ebenda, S. 92.

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Wurmser immer weiter nach Norden zurückgezogen hatte und eine ständig zunehmende Strecke des linken Rheinufers von Strasburg abwärts durch die Franzosen besetzt worden war, rief ein markgräfliches Reskript auch die badischen Unterlande zur Volksbewaffnung auf.80 Der Gedanke machte Schule. Am 3. Dezember 1793 forderte der bayerische Kurfürst die kurpfälzische Regierung in Mannheim auf, besondere Vorkehrungen gegen mögliche Überfälle der Franzosen zu treffen.81 Selbst für Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz lieg Karl Theodor Entwürfe für eine Landesbewaffnung anfertigen.92 Am 9. Januar 1794 setzte der Hofkanzler und leitende Minister des Erzbistums Mainz, Freiherr von Albini, im kurrheinischen Kreiskonvent den Beschluß durch, alle Untertanen des rechten Rheinufers aufzubieten.83 Am 10. Januar folgte der oberrheinische Kreis diesem Beispiel.84 Acht Tage später verpflichtete ein Kreisschluß die fränkischen Stände, »in Erwägung der drohenden Feindesgefahr, die zwar jetzt noch von den fränkischen Kreislanden entfernt ist, sich aber doch möglicherweise und plötzlich an den Grenzen einfinden kann", alle verwendbare Mannschaft aufzubieten.85 Am 19. Januar befahl ein kurfürstliches Reskript aus München der kurpfälzischen Regierung die Bewaffnung der männlichen Untertanen zwischen 16 und 60 Jahren.86 Am 20. Januar schließlich erging sogar ein kaiserliches Kommissionsdekret, das dem Reichstag die Annahme des Gedankens der Volksbewaffnung empfahl.87 Der Herzog von Württemberg mußte erst seine Landstände dafür gewinnen, die dann aber durchaus bei der Sache waren. Eine herr- und landschaftliche Landesdefensionsdeputation arbeitete die entsprechenden Pläne aus, so daß am 10. Februar 1794 das Generalreskript über die Errichtung der Miliz hinausgehen konnte.88 Nachdem der größte Stand des schwäbischen Kreises das Beispiel gegeben hatte, folgte der ganze Kreis durch einen Beschluß des engeren Konvents vom 12. Februar.89 Auf dem Papier ergaben sich beeindruckende Zahlen. Vorderösterreich und Baden hatten inzwischen beschlossen, außer dem Rheinkordon eine rückwärtige Linie aufzustellen, die in Aktion zu treten hatte, wenn der Gegner durchgebrochen war; alles 80

Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 104/05. Bezzel, Oskar, Geschichte des kurpfalzbayerischen Heeres von 1778 bis 1803. In: Geschichte des bayerischen Heeres. Herausgegeben vom bayerischen Kriegsarchiv. München 1930, Bd. 5, S. 349. 82 HSA München, Abt. II, Handschriftenkatalog, Kriegs- und Heerwesen, II, Nr. 23. 83 Rothenbücher, Karl, Der kunnainzer Landsturm in den Jahren 1799 und 1800. Augsburg 1878, S. 4 ff. 81 Wendland. Wilhelm, a. a. O., S. 129. 65 LHA Dresden, Loc. 5127, Das wegen des Krieges mit Frankreich in Antrag gebrachte allgemeine Aufgebot der fränkischen Kreisuntertanen samt anderen dahingehörigen Maßregeln betr. 1794, Bd. 1, Bl. 14/15. 8,1 HSA München, Abt. Geheimes Staatsarchiv, K. schw. 407, Nr. 1. 87 DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 10 a, Bl. 163-169. 88 Pßster, Albert. Der Milizgedanke in Württemberg und die Versuche zu seiner Verwirklichung. Stuttgart 1883, S. 28/29. "» HSA München, Abt. II, Alte Abt. B, Nr. 275.

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in allem wollten sie über 60 000 Mann mobilisieren.90 In der Kurpfalz wurden etwa 25 000 Mann konskribiert. 91 Ein Entwurf für Bayern mit der Ober,pfalz sah allein für die Besetzung der ersten Defensionslinien über 45 000 Mann vor. 92 Kurmainz rechnete immerhin mit über 12 000 Mann. 93 Der Fürstbischof von Bamberg und Würzburg hatte die Bewaffnung aller waffenfähigen Männer von 16 bis 60 Jahren dekretiert. 94 Nach den Plänen der württembergischen Landesdefensionsdeputation sollten 67 000 Mann ausgehoben werden. 95 Der schwäbische Kreis hatte den Beschlug gefaßt, „nicht nur eine bewaffnete Landmiliz von wenigstens 40 000 Mann im Kreis zu errichten, sondern auch sämtlichen Kreilsuntertanen ein allgemeines Landaufgebot dahin zu verkünden, daß alle zum Waffendienst tüchtigen Männer von 18 bis 50 Jahren sich mit Waffen oder anderen zur Gegenwehr tauglichen Instrumenten versehen,..." 9 6 Die Zahlen konnten beeindrucken, aber es kam nicht auf die Zahlen, sondern auf die Menschen an. Der unbekannte Verfasser jenes für Bayern bestimmten Entwurfs hatte seinen detaillierten Berechnungen einleitende Bemerkungen vorausgeschickt, die das Kernproblem bei einer Volksbewaffnung trafen: „Dafür muß eine besondere Kraft angewendet werden, die Menschen müssen sich über das Mittelmäßige erheben, groß und tapfer und äußerst eingenommen für Religion, für den Landesherrn und für ihr Eigentum und eigenes Leben selbst ganz neu aus sich ausgehen. Kein patriotischer Beitrag muß einen der Untertanen reuen; - er muß stark von Seele werden, um Opfer für so wichtige Gegenstände zu machen - sonsten sind alle Entwürfe für eine Landesdefension eitel und ohnmächtig, man möchte auch darüber noch so schön denken, reden oder schreiben." 97 Begeisterung und Leidenschaft waren die unabdingbaren Voraussetzungen für eine Volksbewaffnung. Aber wofür sollten sich die Massen in Süddeutschland begeistern? Fürstliche Proklamationen riefen zu einem „Streit für Religion, Ordnung und Verfassung" auf. Mit dieser Zielsetzung waren keine Massen gegen die Franzosen zu mobilisieren, „denn", wie ein kritischer Zeitgenosse bemerkte, „diese Gegenstände kennt das Volk entweder nicht; oder es denkt sich darunter etwas ganz anderes als Ihr. So denken sich z. B. viele unter Religion die müßigen Geistlichen, die gleich Hummeln den Honig der fleißigen Bienen verzehren,... unter Ordnung und Verfassung die Bedrückungen und Mißbräuche etc." 98 Es fehlte darum auch nicht an nüchtern denkenden und klar sehenden Vertretern der herrschenden Klasse, die das Projekt entschieden verwarfen. So schrieb Graf Friedrich zu Solms-Laubach am 26. Januar 1794: „Ein Gegenstand, der mich jetzt vorzüglich interessiert, ist das famose Aufgebot, ein decret d'enthousiasme der vorderen Kreise, das, genau ad 90 91 92 93

94 95 98 97 98

Wendland, Wilhelm, a. a. O.. S. 189 ff. Bezzel, Oskar, Geschichte..., a. a. O., S. 350. HSA München, Abt. II, Handschriftenkatalog, Kriegs- und Heerwesen, II, Nr. 23, S. 3 ff. Harms, Richard, Landmiliz und stehendes Heer in Kurmainz, namentlich im 18. Jahrhundert. In: „Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde", NF Bd. 6, S. 369 ff., 1909. Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 127/28. Pñster, Albert, Der Milizgedanke..., a. a. O., S. 30. HSA München, Abt. II, Alte Abt. B, Nr. 275. Ebenda, Handschriftenkatalog, Kriegs- und Heerwesen, II, Nr. 23, S. 3. „Minerva", Bd. 4, S. 323/24, 1796.

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imitationem des französischen ausgeführt, nichts weniger als den Umsturz unserer Verfassung nach sich ziehen muß und in jedem Falle bedenkliche Folgen haben wird... Der Franzose ficht für sein Eigentum, für seine persönliche Freiheit und für die Hoffnung, durch Beute bereichert zu werden. Beim Deutschen läßt sich nur e i n Interesse denken, die Verteidigung des Eigentums. Da aber nur der Wohlhabende Eigentum besitzt, so läßt sich auch nur von diesem vermuten, daß er mit einigem Eifer für die gemeine Sache fechten werde. Es läßt sich aber behaupten, daß auch aus eben diesem Grund die Bewaffnung des Armen gefährlich sein werde. Für ihn ist in der französischen Verfassung alles, was er sich nur wünschen kann... Wie könnte er mit Eifer gegen Leute fechten, deren System ihm behaglich sein muß? Dies verkennen zu wollen, würde Dummheit, und dem Armen Patriotismus zumuten zu wollen, eine unverzeihliche Schwachheit sein." 9 9 Der Plan einer Volksbewaffnung, entworfen und ausgeführt von der herrschenden Feudalklasse, war zutiefst unwahrhaftig. Das ungerechte, konterrevolutionäre Ziel vertrug sich nicht mit diesem revolutionären Mittel; das revolutionäre Mittel mußte bei diesem konterrevolutionären Zweck notwendig verbogen werden. Die herrschende Feudalklasse konnte es nicht wagen, an einer der wichtigsten Stützen ihrer Macht, am stehenden Heer, zu rühren und es wie in Frankreich in der allgemeinen Volksbewaffnung aufgehen zu lassen. Der andere Weg aber, den man beschritt, die Volksbewaffnung dem regulären Militär einzufügen, war mit dem Wesen der Volksbewaffnung nicht zu vereinbaren. Dem Volk war keine andere Rolle als die eines Kugelfanges zugedacht. Der Widerstand der Volksmassen Süddeutschlands vereitelte das demagogische Projekt einer levée en masse gegen das revolutionäre Frankreich. Im Vorderösterreichischen, insbesondere im Breisgau und in der Ortenau, wurde von behördlicher Seite mit am intensivsten an der Realisierung des Projekts gearbeitet. Dabei besaß die herrschende Klasse in diesen Gebieten noch relativ günstige Voraussetzungen, um die Bewaffnungsanstalten vorantreiben zu können: Die Tradition der Landmiliz war hier noch nicht so stark wie anderswo verschüttet; in den Kameralherrschaften Hauenstein und Rheinfelden hatte die Milizeinrichtung noch 1777 eine Rolle gespielt und war erst mit der josefinischen Neuordnung des Heerwesens verschwunden.100 Außerdem besaß in diesen katholischen Gebieten die Kirche sehr große Einflußmöglichkeiten. Dann war hier bei den nur halbabsolutistischen, zurückgebliebenen Verhältnissen die Bindung des Bauern zum Feudalherrn unmittelbarer und enger als etwa im benachbarten Baden. Weiter stand hinter den Anstrengungen Sumeraus die gewaltige Militärmacht Österreichs. Und schließlich brachte eine Verlagerung des Kriegsschauplatzes in diese rechtsrheinischen Gebiete immer zusätzliche harte Belastungen mit sich, die die Bewohner gern vermeiden wollten. Dennoch scheiterte letzten Endes der groß angelegte Versuch einer levée en masse am Oberrhein. M

100

Isenburg, Wilhelm Karl Prinz von. Um 1800. Aus Zeit und Leben des Grafen Volrat zu Solms-Rödelheim 1 7 6 2 - 1 8 1 8 . Leipzig 1927, S. 188. Heini, Otto, Heereswesen und Volksbewaffnung in Vorderösterreich im Zeitalter Josephs II. und der Revolutionskriege. Phil. Diss. Freiburg 1941, S. 52.

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Schon bei der Einrichtung des zahlenmäßig nicht so bedeutenden Wachdienstes am Rhein gab es Schwierigkeiten, die sich gefährlich häuften, als mein an die Organisierung der zweiten Linie ging. Einzelne nicht-vorderösterreichische und nicht-badische Gebiete waren von vornherein von der Bewaffnung ausgenommen. Sumerau selbst riet an, »von dieser Grenzbewachung die Bürger von Lahr und die hanauischen Untertanen zu Willstädt ganz auszuschließen, da man von ihren bösen Gesinnungen nur zu sehr überzeugt ist, mithin ihre Bewaffnung allenfalls selbst gefährlich werden dürfte..." 1 0 1 Die bischöflich-straßburgischen Untertanen aus Oberkirch demonstrierten ihre Ablehnung durch Passivität und Disziplinlosigkeiten. 102 Aber auch verschiedene vorderösterreichische Ortschaften machten keine geringeren Schwierigkeiten. Die Simonswalder Bauern motivierten ihre Ablehnung mit der Forderung, dag Adel und Prälaten erst mit einem guten Beispiel vorangehen müßten. Das Oberrheinviertel faßte sogar auf einer Versammlung einen förmlichen Beschluß in diesem Sinne. Die Breisgauer Landstände gerieten darüber in größte Unruhe, da dieses Vorgehen an Ereignisse in Frankreich erinnerte, wo auch der dritte Stand im Ballhaus selbständig Beschlüsse gefaßt hatte und im Ergebnis von der feudalen Ordnung kein Stein mehr auf dem anderen geblieben war. 103 Andere Gemeinden begegneten den Bemühungen der Behörden mit einfacher Passivität: „Wenn wir nicht müssen, so gehen wir halt nicht, und kommen die Franzosen in unser Tal, so wollen wir schon für uns sorgen." Die Bauern des Waldkircher Tals lehnten die Zumutung ab, dem regulären Militär als Kugelfang zu dienen, und bezeichneten die Verpflichtung zum Kriegsdienst rundheraus als „eine neue Leibeigenschaft".104 Am entschiedensten wehrten sich die aus Krozingen, die nicht nur selbst die Beteiligung am Aufgebot trotzig verweigerten, sondern darüber hinaus auch die Nachbarn zum Widerstand veranlaßten.105 In aller Öffentlichkeit äußerten sich einzelne gegen die angeordnete Bewaffnung, weil sie offenbar des Beifalls ihrer Hörer sicher waren. So erklärte ein Michael Algeyer aus Elzach, „die Landsturmordnung sei im Rausch gemacht worden".106 Der Wirt in Ebnet, den man sogar zum Hauptmann beim Landsturm ernannt hatte, sagte zu seinen Gästen: „Werde ich mich auch nicht dazu zwingen lassen, denn ich bin Wirt und hab' keine Zeit zu solchen Possen." 1 0 7 Daß hinter dieser Widersetzlichkeit zum Teil geradezu revolutionäre Gesinnungen standen, verriet die Äußerung eines Einwohners von Kühlungsbergen, der vor versammelter Gemeinde erklärte: „Wir haben das Exerzieren nicht nötig; wenn die Franzosen herüberkommen, so nehmen wir, was uns in die Hand gerät, kehren aber den Stiel um und schlagen zuerst die Herren tot." 1 0 8 101 102 103

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Politische C o r r e s p o n d e n z . . a . a. O., Bd. 2, S. 103. Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 201. Bader, Joseph, Die ehemaligen breisgauischen Stände, dargestellt nach ihrem Ursprünge, ihrer Verfassung, ihren Leistungen und Schicksalen. Karlsruhe 1846, S. 262. Ebenda, S. 263. Ebenda. GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 2487. Bader, Joseph, Die ehemaligen breisgauischen Stände..., a. a. O., S. 263. Ebenda.

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Der württembergische Generalmajor von Nicolai, der im Mai 1794 eine Inspektionsreise an den Oberrhein unternahm, schrieb dem Herzog aus Freiburg, „daß man die nämlichen Zweifel wie an anderen Orten hege, ob man mit der Formierung zu rechter Zeit und überhaupt zustande komme und ob von dem bei jedem Lärm steigenden und bei jeder Stillpause fallenden Gemeingeiste sich ein zweckmäßiger Erfolg zu versprechen sei. Man hat 18 000 Mann Landmiliz ausgemacht; aber es geht noch großenteils die Bewaffnung, folglich auch die Übung ab, und der Breisgauer fällt neuerdings in eine Renitenz gegen die Bewachung der Rheinufer. Die hiesige Stadt hat ein Schützen- und ein Jägerkorps zu Fuß von einigen hundert Mann errichtet; sie scheinen aber mehr zur Parade als zum Ernste zu sein." 1 0 9 Selbstverständlich hat auch die französische Republik nicht gesäumt, durch Wort und Schrift eine wirksame Gegenpropaganda zu entfalten. Der französische Gesandtschaftssekretär Bacher meldete aus Basel am 10. November 1794 dem Wohlfahrtsausschuß: „Um das Massenaufgebot Vorderösterreiohs zu vereiteln und die revolutionäre Gärung zu schüren, die sich zu entwickeln beginnt, habe ich verbreiten lassen, daß man, sobald die Bauern des Breisgaus erfaßt seien, die kräftigsten Männer herausziehen würde, um sie in die Truppe einzureihen, und daß die anderen vorgeschickt würden, um bei den Angriffen geopfert zu werden und auf diese Weise die Linientruppen zu schonen." 1 1 0 Solche Gerüchte wirkten nicht nur, weil sie geschickt die entschiedene Abneigung der Bevölkerung gegen die feudalabsolutistischen Heere ausnutzten, sondern auch weil ihnen Wahrheit und Wahrscheinlichkeit zugrunde lagen. Der Wunsch des Wiener Hoifkriegsrats ging in der Tat dahin, das aufgebotene Volk unmittelbar in die Armee einzureihen 111 , und was war das Volksaufgebot in seiner pervertierten Gestalt anderes als ein Kugelfang zum Schutze der regulären Truppen? Gewiß, auf ndchtdeutschem Boden, in Basel, war die Flugschrift gedruckt worden, worin nach einer Mitteilung Sumeraus vom 22. August 1794 „die Deutschen von ihrer Erhebung in Masse abgewarnt und zur Betreibung des Friedens bei ihren Landesherren mit dem Beisatze aufgefordert wurden, sich im Notfall des tyrannischen Jochs derselben zu entledigen und den Frieden selber zu machen".112 Aber wenn diese Schrift im Breisgau ebenso wie jene Mundpropaganda eine solche Verbreitung fand, daß der landschaftliche Konseß sogar 1000 Dukaten Belohnung für die Entdeckung der Kolporteure aussetzte, so beweist das nur, daß die Franzosen unter den Breisgauern entschiedene Parteigänger besaßen und der Boden für ihre Grundsätze nicht ungünstig war. 113 » HSA Stuttgart, A 11, Bü. 1, Bericht vom 17. 5. 1794. «Pour déjouer la levée en masse de l'Autriche antérieure et y entretenir l'effervescence révolutionnaire qui commence à se développer, j'ai fait répandre que dès que les paysans du Brisgau seraient enrégimentés, on tirerait les plus beaux hommes pour les enrégimenter et que les autres seraient mis en avant pour être sacrifiés dans les attaques et ménager de cette manière les troupes de ligne." Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 422. 111 Heinl, Otto. a. a. O., S. 54. 112 Badet. Joseph, Die ehemaligen breisgauischen Stände..., a. a. O., S. 263/64. " 3 Ebenda, S. 263. 10

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Angesichts dieser Erfahrungen kühlte der Eifer der Verantwortlichen für die Volksbewaffnung im Breisgau merklich ab. Ebenso wie vor ihm der Markgraf von Baden 1 1 4 bat am 20. Juli 1794 auch Sumerau um eine Verstärkung des Rheinkordons durch weitere 6000 Mann regulärer Truppen und gab dazu die bezeichnende Begründung, daß ohne eine solche Verstärkung die Bewaffnung des Landvolks überflüssig, wenn nicht sogar bedenklich wäre. Obwohl der eigentliche Zweck des Landsturms doch darin bestand, die regulären Truppen zu entlasten und ihre Konzentration an den gefährdetsten Punkten zu ermöglichen, forderte Sumerau im Widerspruch dazu nicht unbedeutende Truppenmengen an, um überhaupt an eine Volksbewaffnung denken zu können. Das Eingeständnis der Gefährlichkeit des ganzen Plans für die bestehende Ordnung, das daraus sprach, versuchte er durch die Bemerkung zu milden, dafj angeblich nicht innere Unzufriedenheit, sondern nur die Furcht vor der Vergeltung bei einem französischen Sieg die Massen dem Landsturmgedanken abgeneigt mache. Ihr Mut sinke mit jedem Erfolg, den die Franzosen in Belgien an ihre Fahnen heften. 115 Von den hochfliegenden Plänen mußten im Vorderösterreichischen wie im Badischen solche Abstriche gemacht werden, dafj Ende 1794 nicht mehr viel davon übrigblieb. Der Gedanke des Landsturms oder Landaufgebots, der von der Aufbietung aller Waffenfähigen ausging, wurde faktisch aufgegeben, und man beschränkte sich im wesentlichen auf die Aushebung nur eines Teils, also auf die Bildung einer Miliz oder eines Landausschusses. Der in Vorderösterreich kommandierende Feldmarschall-Leutnant von Vecsay schrieb am 19. August dem badischen Präsidenten Gayling: „Fanfaronaden sind nicht zu benützen, ich bin für das Reelle, besonders in der Not. Ich habe demnach einen mäßigeren Plan gemacht, welcher, ohne den vorhergehend chimärigen zu alterieren, in Erfüllung gebracht und sehr gut henützt werden kann." 1 1 6 Sein Vorschlag lief darauf hinaus, die Zahl der vom Breisgau und von Baden zu stellenden Mannschaft für die erste Linie von 18 000 auf 10 000 zu verringern, damit „man Meister davon s e i , . . . " 1 1 7 Eine Konferenz maßgeblicher Beamter und Militärs im Hause Sumeraus in Freiburg am 9. November faßte die entsprechenden Beschlüsse; dennoch sollte »bei allen Gelegenheiten, so daß es überall, besonders auch im Elsaß zur Wissenschaft komme, das Aufgebot der Landleute auf 60000 Mann angegeben werden".118 Die Chimäre wurde also, wie Vecsay es nannte, nicht „alteriert"; um Frankreich zu schrecken, wurde die Fiktion eines gewaltigen Aufgebotes aufrechterhalten. In Wahrheit zählte nur die erste Linie; von der anderen Mannschaft wünschte man nur, daß sie „auch in etwas organisiert werden möchte, wobei jedoch eine wirkliche Bewaffnung wegfallen würde,..." 1 1 9 Zu einem solchen Beschluß zwangen nicht nur die Erfahrungen im Breisgau, sondern auch in Baden, wo der Widerstand eher stärker als schwächer war. Die Gemeinde Schwand im Oberamt Rötteln lehnte es rundweg ab, die geforderten acht Mann zu 114 115 114 117 118

Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 131. Heini, Otto, a. a. O.. S. 54. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 137. Ebenda. 118 Ebenda, S. 148. Ebenda, S. 146.

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stellen, und wurde darum zur Geldzahlung verurteilt. 120 Die Einwohner Emmendingens verweigerten im Anfang ohne Ausnahme die Beteiligung am Aufgebot. 121 Der seit Juli 1794 mit der Organisierung der Volksbewaffnung in den Oberlanden beauftragte Major von Harrant machte die Erfahrung, daß »viele Dorfvorsteher ihre Gemeinden zur Widerspenstigkeit stimmen".122 Über den Vogt Gräßlin von Efringen, der in Harrants Gegenwart der Bewaffnung heftig widersprach, forderte der Geheime Rat in Karlsruhe einen besonderen Bericht.123 In den badischen Unterlanden war die Ablehnung noch verbreiteter. Am 29. Dezember 1793 bereits, also nur zwei Tage nach dem Erscheinen des markgräflichen Volksbewaffnungsreskriptes, reichten die Oberämter und Oberforstämter Rastatt, Gernsbach, Baden und Yberg einen gemeinsamen Bericht ein, worin sie bezweifelten, daß »der Landmann sich bei gegenwärtig obwaltender Gefahr so leichter Dinge zu der ihm ansinnenden Landesdefension entschließen werde,..." Sie hielten den ganzen Plan für »schädlich und nicht wohl für ausführbar". 124 Eine am 3. Januar 1794 angefertigte Denkschrift sprach sich in demselben Sinne aus: Wenn in den Oberlanden die Bewaffnung durchgeführt würde, so hätte sie einen ganz anderen Charakter, denn »nicht wir haben zum Vorteil unserer Sicherheit diese Anstalt eingeleitet, sondern das Militärkommando hat sie zu seiner Sicherheit verlangt... Aber es gibt noch eine andere Seite. . . Der Franzose ist mehr gegen die Großen und Vornehmen als gegen den Landmann aufgebracht - unser Landmann ist von den Kriegslasten so hart gedrückt, daß der Druck des Feindes ihm wenig härter sein kann - . . . " 1 2 5 Die Regierung in Karlsruhe beschloß daher auch Anfang Januar, nur einen Teil der Bevölkerung in den Unterlanden zu bewaffnen. Als Ziel setzte man sich die Aufstellung eines 2000 Mann starken Korps. Aber bei der Auswahl selbst dieser begrenzten Zahl stießen die Behörden auf Schwierigkeiten. Die Oberämter und Oberforstämter Durlach und Karlsruhe, die 220 Mann zu stellen hatten, berichteten Mitte Januar: »Wir haben nicht denjenigen Gemeingeist gefunden, welchen wir wenigstens zum Teil zu finden gehofft hatten. Unsere Ermunterungen, die Vorstellung, daß niemand etwas anderes als sein Eigentum vor Gefahr bewahre,... vermochte uns nicht genug einzelne hervortretende Freiwillige zu verschaffen." 126 Die Pforzheimer Behörden fanden in Broetzingen »wenig guten Willen" vor und mußten sich „ungezogene Einwürfe" anhören; in Eisingen begegnete ihnen »die Bürgerschaft zum Teil unartig"; in Dürrn hätten sich die zur Ritterschaft gehörigen Bürger störrisch gezeigt und die markgräflichen Untertanen aufgehetzt; in Dill und Weisenstein kam es bei der Auslosung zu solchen Tumulten, daß die Beamten einen jungen Burschen zur Abschreckung anderer festsetzen mußten, worauf dessen Mutter laut erklärte, „daß, wofern das Los ihren Sohn treffe, . . . ihrethalben die 120 121 122 123 124 125 1M

Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 183 Anm. 2. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 137 Anm. 3. Ebenda, S. 137. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5582, Protokoll des Geheimen Rats vom 21. 8. 1794. Ebenda, Nr. 4575. Ebenda. Ebenda, Bericht vom 15./16. 1. 1794.

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Franzosen alle Tage kommen könnten, denn diese könnten es nicht ärger machen, und es werde dieses Unrecht noch gerochen werden". In Warin warteten die Einwohner gar keine Erläuterung ab, sondern überreichten sofort einen schriftlichen Protest; in der Stadt Pforzheim hatten die Beamten die Zunftvorsteher zusammengerufen, „aber, wir gestehen mit Bedauern, wir predigten tauben Ohren". Die Berichterstatter schlössen mit der Bitte, nicht bekannt werden zu lassen, daß sie zur Anwendung strenger Maßregeln angeraten hätten, da sie sonst um ihr Leben fürchten müßten. Das Amt Stein meldete, daß kein einziger Mann sich freiwillig gestellt hätte, sondern alle durch das Los bestimmt werden mußten. In Königsbach war selbst auf diese Weise nichts zu erreichen. 127 Was die örtlichen Behörden in dieser Sache nicht zuwege brachten, das konnte auch den höheren Stellen nicht gelingen. D?r in Vorderösterreich kommandierende Vecsay mußte zugeben, daß man nach mehr als einem halben Jahr in Baden immer noch nicht weiter vorangekommen war. In einem Briefe vom 19. August 1794 an den Befehlshaber der Reichsarmee, Herzog Albert von Sachsen-Teschen, schrieb er: »Inzwischen will sich der allergrößte Teil zur Armierung nicht herbeilassen, und auch jene, welche sich herbeilassen zu wollen erklären, wollen nur ihre Dörfer und Höfe bewachen, nicht aber anderswohin gebraucht werden." 128 Seine Forderung in einem Schreiben gleichen Datums an den badischen Präsidenten Gayling, den Oberbeamten Sondervollmachten zu geben, war bei der herrschenden Stimmung undurchführbar. Er wollte, daß sie das Recht hätten, widerspenstige Dorfvorsteher abzusetzen und zu arretieren, »ja sogar mit dem Tode zu bestrafen, müssen sie bevollmächtigt sein, sonst geht es nicht".129 Der Markgraf war klug genug, sich auf solche Methoden nicht einzulassen; er hatte schon im November 1793 Sumerau gegenüber den Standpunkt vertreten, daß die Volksbewaffnung „imperative durchzusetzen nicht rätlich sein würde,..." 1 3 0 Der Geheime Rat wies darum auch in seiner Sitzung vom 21. August 1794 das Oberamt Rötteln nur dazu an, die Überzeugungsarbeit »auf alle schickliche Art" fortzusetzen; die nach seiner Meinung Unbelehrbaren bedrohte er lediglich, sie »der Leibesfreiheit, welche sie durch die Gnade ihres Landesherrn erhalten hätten, als Undankbare für verlustig zu erklären". 131 Dem Vogte Gräßlin von Efringen gegenüber, der sich in heftiger Weise gegen die Volksbewaffnung geäußert hatte, sprach der Geheime Rat am 8. September das Mißtrauen und zugleich die Erwartung Serenissimi aus, daß er „das Andenken an sein bisheriges zweideutiges Betragen auszulöschen sich bemühen werde". 132 Geradezu hilflos stand der Geheime Rat der Tatsache gegenüber, daß sich ledige Burschen durch Heirat, durch die Wanderschaft als Handwerker oder durch das Verdingen als Knecht in nichtbadischem Gebiet den Bewaffnungsanstalten entzogen; in seiner Sitzung am 25. September kam er lediglich zu dem Schluß, daß 127 128 129 130 131 132

Ebenda, Bericht vom 15. 1. 1794. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 137. Ebenda. Ebenda, S. 98. Ebenda, S. 137 Anm. 2. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5582.

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die Heirat den jungen Mann erst nach einem Jahr von der Milizpflicht befreien sollte und dag man in bezug auf die anderen Ausweichmöglichkeiten dringend guter Vorschläge bedürfe.133 So unwirksam die Maßnahmen der badischen Behörden waren, so wirksam war die französische Gegenpropaganda. In Basel lag, wie Sumerau dem Markgrafen am 23. August mitteilte, ein gedruckter „Aufruf an die Deutschen wegen ihrer Versammlung in Massa" zur Verteilung bereit; nicht gegen die Franzosen sollten sie kämpfen, sondern vielmehr die eigenen Fürsten zum Frieden zwingen oder auch deren tyrannisches Joch abwerfen.134 Anfragen verschiedener badischer Gemeinden, ob bei einem Rheinüibergang der Franzosen Person und Eigentum der Einwohner gesichert seien, beantwortete der französische Propagandachef Bacher in Basel selbstverständlich positiv.135 Das wirkte. Harrant sprach in einem Bericht aus Lörrach vom 29. Juli davon, dag Parteigänger Frankreichs, die er sich in seiner Borniertheit nur als „bezahlte Leute" vorstellen konnte, den Einwohnern von jeder Gegenwehr abrieten, da sie sonst als Feinde behandelt würden, bei ruhigem Verhalten dagegen „nicht nur keinen Nachteil, sondern Vorteile" zu erwarten hätten. „Das ist nun auch fast die allgemein angenommene Meinung sowohl bei den badischen, noch mehr aber bei den breisgauischen Bauern, weswegen man sehr vorsichtig mit ihnen hierum mug umgehen." 136 „Gott weig, wie's gehen wird, wenn bei einem Überfall diese Mannschaft das Vaterland verteidigen soll", jammerte Philipp Jakob Herbst, der Pfarrer von Steinen iin Oberamt Rötteln. „Jedermann spricht mehr vom Fliehen und Flüchten als vom Stehenbleiben." 137 In den weiter nördlich gelegenen Territorien am Rhein war das Bild nicht viel anders. Der Fürstbischof von Speyer erklärte sich überhaupt außerstande, eine Landesbewaffnung durchzuführen.138 Hessen-Darmstadt unternahm auch nichts. In der Kurpfalz geschah einiges, nachdem der Kurfürst durch sein Reskript vom 19. Januar 1794 den Befehl gegeben hatte. Aber allein die Person des dirigierenden kurpfälzischen Ministers, des Grafen von Oberndorff, bot die Gewähr, dag nicht zuviel geschah. Er fürchtete das Volk in Waffen und hätte lieber gesehen, dag man das reguläre Militär verstärkte, indem man die vom linken auf das rechte Rheinufer Flüchtenden in den Soldatenrock steckte. 139 Fredherr von Gagern, nassauischer Beamter, Anhänger der Volksbewaffnung und Verwandter Oberndorffs, schrieb in seinen Erinnerungen: „Ich unterlieg nichts, selbst nicht Drohung und Verantwortlichkeit, um ihn zu meinen Ansichten zu bewegen, aber vergeblich. Indolenz, Reichtunisammeln für die kurfürstlichen Bastarde waren ihm nähere Dinge." 140 ObernEbenda. Ebenda, Nr. 6289. 135 Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 198. 186 GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5581. 137 Schmitthenner, Adoli, Das Tagebuch meines Urgroßvaters. Freiburg 1908, S. 91/92. 138 Politische Correspondes..., a. a. O., Bd. 2, S. 125. «» Bezzel. Oskar. Geschichte..., a. a. O., S. 349. 140 Gagera, Hans Christoph Ernst Freiherr von, Mein Anteil an der Politik. Stuttgart u. Tübingen 1823, Bd. 1, S. 57. 133

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dorff war nicht der einzige einflußreiche Beamte, der einer Volksbewaffnung feindselig gegenüberstand. 141 Außerdem setzte die reformierte Geistlichkeit Heidelbergs heftigen Widerstand der Anordnung entgegen, die allgemeine Bewaffnung von der Kanzel aus zu propagieren. Die Bürgerschaft Heidelbergs und Mannheims zeigte keinerlei Bereitschaft und berief sich auf Privilegien, die sie vom Militärdienst befreiten. 142 Wie aus dem Bericht des für die Landesbewaffnung verantwortlichen Oberst von Scherer vom 29. Juni 1794 hervorgeht, gab es auch auf dem Lande kein Oberamt, in dem die Aufstellung der Einheiten nicht Schwierigkeiten bereitete. Besonders starke Abneigung fand sich bei denen, die wie Boxberg relativ weit vom Rhein entfernt lagen. 143 Im Oberamte Heidelberg »zeigten sich die Ortschaften Schriesheim, Handschuchsheim, Groß-Sachsen und Hockenheim widerspenstig". 144 Im Oberamte Umstadt, das als Exklave in hessen-darmstädtischem Gebiete lag, begann man erst gar nicht mit der Erfassung, da Hessen-Darmstadt nichts unternahm und einige löwensteinische Ortschaften sich strikt weigerten. Auch die Otzberger Gegend machte Schwierigkeiten.145 »In dem Oberamte Mosbach liegen sich die zwei ersten Bataillons gutwillig zur Bewaffnung an, bei dem folgenden aber waren zwei Kompanien, welche bei der Revidierung zwar erschienen, dabei aber die größte Widersetzlichkeit bezeigten. Es waren die drei Ortschaften des Schefflenzer Tals und Leute von solcher Bosheit darunter, daß sie mir einen Amtsboten von Lohrbach aus den Armen rissen und zu Boden schlugen, auch eben danach den Oberamtsschreiber H. Maus mit Steinen warfen lind auf ihn schössen." 146 Alle Anstrengungen, dieser Einrichtung doch noch einiges Leben einzuhauchen, blieben erfolglos. Wie ein kurpfälzischer Regierungsbericht vom 2. Januar 1795 feststellte, waren alle Beamten, die mit der Landesbewaffnung zu tun hatten, einmütig der Meinung, sie am besten ruhen zu lassen: .Man sehe, daß die Untertanen im allgemeinen die Landesbewaffnung nicht wollten . . . " 1 4 7 Zwar wurde im Februar befohlen, wenigstens einen Landausschuß von 6 000 Mann auf die Beine zu stellen, aber selbst dieses bescheidene Ziel wurde nicht erreicht. 148 In Württemberg war die Frage der Volksbewaffnung besonders kompliziert. Das herzogliche Reskript vom 10. Februar 1794 sah erstens die Erfassung aller wehrfähigen Männer zwischen 17 und 50 Jahren vor; befreit sollten lediglich sein Büchsenmacher und Büchsenschäfter, für den Feldhau unentbehrliche Handwerker, Väter von sechs und mehr unmündigen Kindern, alle Handwerker und Tagelöhner, die ausschließlich vom täglichen Erwerb lebten; man rechnete auf dieser Basis mit einem Aufgebot von über 67 000 Mann. Zweitens sollte eine besondere Miliz von 14 000 Mann gebildet werden, die aus der Gesamtzahl der Aufgebotenen heraus141 142 143 144 145 146 147 148

Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 125. Ebenda, S. 162/63. HSA München, Abt. Geheimes Staatsarchiv, K. schw. 407, Nr. 1, S. 210. Ebenda, S. 195. Ebenda, S. 208/09. Ebenda, S. 202/03. Ebenda, S. 267. Bezzel, Oskar, Geschichte..., a. a. O., S. 350.

10 Süddeutsche Jakobiner

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zuziehen waren. 149 Herzog und Landschaft standen hinter dem Plan, aber beide verfolgten damit ganz verschiedene Ziele. Der Herzog betrachtete die Volksbewaffnung als ein Mittel, den Krieg gegen Frankreich mit größerem Nachdruck führen zu können. Die Landschaft jedoch sah darin ein Gegengewicht gegen das stehende Heer, über das der Herzog gebot, und somit ein geeignetes Instrument zur Beschränkung der herzoglichen Gewalt. Während die regulären Truppen bis auf geringe Reste außerhalb des Landes im Kriege standen, wollte sich die Landschaft in der Miliz eine eigene bewaffnete Macht im Innern schaffen. Die Landschaft konnte bis zu einem gewissen Grade einer Miliz sicher sein, denn in der Kardinalfrage jener Zeit vertrat sie im Gegensatz zum Herzog eine Politik, die den Wünschen der Volksmassen entsprach: Seit Anfang 1794 drängte sie mit zunehmender Stärke darauf, den Krieg gegen Frankreich zu beenden. Sie fürchtete bei einer Fortsetzung des Krieges ebenso die Revoliutionierung der Massen wie die Macht Österreichs, die des Herzogs Position verstärkte. Darum dachte die Landschaft keineswegs daran, die Spitze der Volksbewaffnung gegen Frankreich zu richten 150 , im Gegenteil, sie forderte vom Herzog die Bereitschaft zu Separatfriedensverhandlungen, die einzuleiten sie sich selbst erbot; sie drängte auf die Wiedereröffnung des freien Handels mit der Schweiz, um auf diesem Wege mit Frankreich wieder ins Geschäft zu kommen; sie versicherte der Miliz unter der Hand, daß sie ihren Einsatz außerhalb des Landes nie dulden würde.151 Solche sich ausschließenden Gegensätze zwischen dem Herzog, der den Krieg gegen Frankreich intensivieren wollte, und der Landschaft, die auf eine bewaffnete Neutralität hinarbeitete, machten das Projekt einer Volksbewaffnung in Württemberg von vornherein unmöglich. Bezeichnend ist die Tatsache, daß der Geheime Rat sogar Bedenken trug, in der herzoglich privilegierten Zeitung einen »Aufruf zur Landesverteidigung" zu drucken. Es handelte sich um keine offizielle Verlautbarung, sondern um eine private Meinungsäußerung, gerichtet »an meine Mitbürger, die Württemberger, im Julius 1794". Es unterblieb der Druck, da man Mißdeutungen durch Bevölkerung und Landschaft und nicht zuletzt auch die Rache der Franzosen fürchtete. 152 Überhaupt betrachtete der Geheime Rat das ganze Projekt mit größter Skepsis. In einem Gutachten vom 21. Juli 1794 bezweifelte er stark, ob die Vaterlandsliebe »bei diesem des Krieges längst entwöhnten und, man kann sagen, vielmehr dagegen eingenommenen Volke bis zu jenem Grade von Wärme und Drang hinreicht", ohne den jede Landesbewaffnung scheitern müßte. Der Geheime Rat begriff, daß nur soziale Zugeständnisse, wie die Berücksichtigung der Klagen über 149 150 151 152

POster, Albert, Der Milizgedanke..., a. a. O., S. 29/30. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a .O., S. 117 ff., 124 ff. Politische Correspondenz..a. a. O., Bd. 2, S. 237. HSA Stuttgart, A 202, Rubr. 24, Nr. 34. Möglicherweise war es der Verfasser des nichtgedruckten .Aufrufs', der sich daraufhin zu selbständigem Handeln entschloß und eine Propagandaschrift für das Aufgebot unter dem Titel herausbrachte: »Schreiben eines Württembergers an seine Mitbürger aus Veranlassung des Landaufgebots. Stuttgart 1794." Eine Entgegnung, die den Krieg gegen das revolutionäre Frankreich unklug und ein Verbrechen nannte, lief} jedoch nicht lange auf sich warten: »Antwort auf das Schreiben eines Württembergers an seine Mitbürger wegen des Landaufgebotes, o. O. 1795."

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Wildschaden, Justizpflege und verschiedene Abgaben, den Volksmassen das Land verteidigungswert machen konnten. 153 Unter diesen Umständen war von der Aushebung der 67 000 Mann schon bald keine Rede mehr, und die Aufstellung der 14 000 Mann Miliz zeitigte Erscheinungen, die den Herzog fürchten ließen, »die Landmiliz werde endlich in wahre Nationalgarden ausarten". 154 Der preußische Gesandte Madeweiß hatte bereits am 29. März 1794 aus der Kenntnis der allgemeinen Stimmung vor den möglichen Folgen gewarnt: „Denn womit will man einem in Masse bewaffneten Volke, das ganz verkehrte Begriffe von Freiheit hat, widerstehen, wenn es aufzubrausen anfängt, zumal wenn man, wie dieses bei den mehrsten Reichsfürsten der Fall ist, hierzu weder hinlängliches noch geübtes Militär hat?" 1 5 5 Zunächst ließ schon die Bereitschaft der Bevölkerung, an der Bewaffnung teilzunehmen, viel zu wünschen übrig. Der Oberamtmann von Möckmühl berichtete am 7. März, daß sich sowohl die Amtsstadt wie die Mehrzahl der Orte widerspenstig zeigten; im September weigerten sich die Bewohner immer noch, »ihre Namen zur Landmiliz aufzeichnen zu lassen, weil sie befürchteten, die Rheingrenzen decken zu müssen". 156 Der Amtmann von Rosenfeld teilte am 12. März mit, daß drei seiner Amtsorte die Konsignierung rundweg ablehnten, neun weitere und die Stadt selbst sich zwar aufzeichnen ließen, aber heftige Ablehnung gegen das Exerzieren äußerten. 157 Dem Maulbroiiner Oberamtmann erklärten die Vorsteher von sieben Orten, »daß ihre Einwohner aus Furcht, daß sie zu Soldaten weggenommen und an den Rhein geführt werden möchten, sich durchaus der Konsignierung nicht fügen wollten, daher sie, die Vorsteher, aus Furcht vor Mißhandlungen oder Gefahr vor feindseligen Beschädigungen ihres Eigentums sich nicht getrauten, diese Listen heimlich zu machen und einzuschicken, denn es würde doch nichts helfen, da ihre Untergebenen sich zu keinem Exerzieren bequemen würden." 158 In Vaihingen beschloß sogar die Stadt- und Amts Versammlung am 10. April, mit den benachbarten sieben Oberämtern eine Konferenz durchzuführen, die die Aufhebung der Milizanstalten beantragen sollte. 159 Knittlingen erzwang am 20. April die Einstellung des Exerzierens: „Das Geschrei wider die ganze Anstalt wurde allgemein; sie sagten, man wolle sie leibeigen machen, keiner solle zum Exerzieren gehen, bis man die ganze Bürgerschaft zusammenkommen lasse und einen Durchgang halte, ob sie darein willige." 1 6 0 Der in den Oberämtern Herrenberg und Nagold ebenfalls erzwungene Aufschub machte wiederum die Amtsuntertanen Wildbergs rebellisch, die dem Oberamtmann die Zusage abpreßten, mit den Milizübungen aufzuhören, wenn sich nicht innerhalb eines Vierteljahres Herrenberg und Nagold gleichfalls beteiligten. 161 Ähnliche Ebenda, Filiale Ludwigsburg, A 213, Bund 188, Nr. I, 6. Pßster, Albert. Aus den Tagen..., a. a. O., S. 168. 1 5 5 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 19. 156 HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 213, Bund 201, Nr. 9. 157 Ebenda, Nr. 12. 1 5 8 Ebenda, Nr. 8. 1 5 9 Ebenda, Nr. 16. " » Ebenda, Nr. 8. 161 Ebenda, A 573, Bü. 5532, Bericht vom 9. 6. 1794. 153 1M

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Schwierigkeiten gab es in Göppingen, Groningen, Bisingen, Münchingen, Möglingen und anderen Orten. 162 In Murrhard führte die Bestrafung eines Milizangehörigen Ende Juni zu schweren Tumulten; die Mannschaft weigerte sich, das Exerzieren fortzusetzen und demonstrierte durch die Stadt; der Maurer und Schweinehirt Johannes Kübler erklärte öffentlich, »er sei ein Rebeller, er wolle einer sein". Der Oberamtinann beschuldigte insbesondere einen aus Stuttgart zurückgekehrten Miurrharder, durch seine Berichte über dem dortigen Gesellenaufruhr die Unruhen geschürt zu haben. 163 Der Widerstand ging keineswegs nur von den durch den Milizdienst unmittelbar Betroffenen aus, sondern wurde moralisch und teilweise auch recht tatkräftig von der übrigen Bevölkerung unterstützt. So berichtete der Oberamtmann von Markgröningen am 7. August über die rebellische Gesinnung der Schwibertinger, die den Stadtsubstitut nachts verprügelt und am Huldigungstage Händel begonnen hatten: „Allein nicht genug, dag die Schwibertinger Landmiliz nebst ihren Vätern und Müttern und Anverwandten sich nur dieser Anstalt widersetzten, existiert auch unter den übrigen Bürgern in anderen politischen Dingen der nämliche Geist der Unruhe, der Aufhetzerei, des Ungehorsams und der Widersetzlichkeit." 164 Dag solche Erscheinungen nicht nur in den genannten Orten, sondern allgemein verbreitet waren, bestätigte rückblickend eine 1797 erschienene Flugschrift: „Die Offiziere mußten oft stundenlang die Leute durch die Trommel oder Glocke zu den Waffenübungen zusammenrufen lassen, bis sie nur einen kleinen Teil der Mannschaft zusammenbrachten. Verwiesen sie es nun den Leuten, so war die Antwort: Sie wären über ihrer Väter und nicht des Herzogs Brot und würden keinen Zug tun, bis alle beisammen wären." 165 Die Skala des Widerstandes reichte von der dumpfen Unlust bis zu einer kaum noch verschleierten Ablehnung des herrschenden Systems, die sich auch in dem Argument äußerte, „daß bei einem Massenaufgebot keiner ein Vorrecht vor einem anderen hätte, daß folglich ihr Herzog wie jeder andere zu marschieren hätte,..." 166 Diese oppositionelle Haltung gegenüber der Obrigkeit fand ihr Gegenstück in den freundschaftlichen Gefühlen für die Franzosen. Alle Zeitgenossen stimmten in dieser Beobachtung überein: „Der gemeine Mann zweifelte sehr daran", stellte Johann Gottfried Pähl fest, „daß er verbunden sei, sich für seinen Fürsten aufzuopfern, denn er glaubte noch immer, der Krieg der Republikaner sei nur gegen die Schlösser; und in jedem Falle war das Leben eben doch das Edelste. Diese Stimmung war so allgemein, daß man tausend gegen eines setzen konnte, daß die Mann188 163 164 la5

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Ebenda, A 213, Bund 200. Ebenda, Bund 201, Nr. 10, Bericht vom 26. 6. 1794. VgL auch S. 47. Ebenda, Bund 200. Unmaßgebliche Gedanken über die vielen Gebrechen einer Landmiliz und wie ein dauerhaftes, stehendes, den vaterländischen Einkünften angemessenes, aus Landeskindern bestehendes Militär in Württemberg zu erzielen sein möchte? Zur Beherzigung der württembergischen Prälaten und Landschaft, o. O. im Monat Januar 1797, S. 8. »... les paysans disaient hautement que, dans une levée en masse, personne n'était privilégié, que leur duc devait par conséquent marcher comme un autre." Papiers de Barthélémy. .., a. a. O., Bd. 3, S. 403, 405.

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schaft, wenn einst der Aufruf an sie erginge, nicht einmal in Bewegung gebracht werden dürfte." 167 Die anonyme Flugschrift aus dem Jahre 1797 „Muß Württemberg sich das Fell über die Ohren abziehen lassen?" lehnte energisch den Vorwurf der Kriegsuntüchtigkeit ab, der den Württembergern wegen ihrer Haltung zum Milizdienst verschiedentlich gemacht worden war: „Nein! Die Meinung, von den Franzosen haben wir nichts zu besorgen, wenn sie auch in das Land kommen (welche beinahe allgemein war); die Einbildung, daß sie Gleichheit und zügellose Freiheit, alles Recht und Gerechtigkeit, Silber und Gold ins Land und in Umlauf bringen würden, waren schuld, daß ihnen der größte Teil innerlich gewogen gewesen und die Verbesserung seiner Umstände von ihrer Ankunft erwartet hatte. Die Franzosen haben mir nichts Leides getan, was soll ich mich entgegenstellen? sprach dieser; auf meiner Wanderschaft bin ich lange in Frankreich herumgeloffen, es ist mir nichts als Liebes und Gutes widerfahren, versicherte jener." 1 6 8 Nach dem Zeugnis eines anderen Zeitgenossen waren alle Mühe und aller Aufwand, die in das Projekt der Volksbewaffnung gesteckt wurden, unnütz vertan, „in dem der gemeine Mann durch einen bloßen Befehl nie dahin gebracht werden würde, die Waffen gegen einen Feind zu ergreifen, dem er im Herzen recht gab, und kein Triebwerk gefunden werden könne, ihn gegen denselben in Flammen zu setzen".169 Bis zu welchem Grade sich die für die Organisation Verantwortlichen den Massen anpassen mußten, um von ihnen überhaupt gehört und nicht von vornherein verlacht zu werden, zeigt ein Vorgang, von dem der Geheimsekretär Johann Christoph Schwab in den Aufzeichnungen über die Regierung seines Herzogs Ludwig Eugen berichtete: Man hatte einen Stabsoffizier, mit natürlicher Beredsamkeit und populärem Ton begabt, in das Land ausgeschickt, um für die Miliz Stimmung zu machen. Die Art und Weise allerdings, wie er seine Mission zu einem Erfolg zu führen gedachte, konnte bei den herrschenden Kreisen nur Entsetzen erregen: „Unter der vorigen Regierung seid ihr fünfzig Jahre lang betrogen worden", rief er den jungen Burschen zu. „Herzog Ludwig Eugen hält Wort: er verspricht euch, daß ihr bloß euer Vaterland verteidigen und nicht an den Rhein gehen sollt. Man wird euch also nicht dazu zwingen: und wer will hunderttausend Mann zwingen, wenn sie nicht wollen?" 170 Ein solcher Ton entsprach zwar nicht der Subordination, zu der seine Auftraggeber (Fahl, Johann Gottiried), Geheimnisse eines mehr als fünfzigjährigen württembergischen Staatsmannes, o. O. 1799, S. 96. 168 Muß Württemberg sich das Fell über die Ohren abziehen lassen? Oder kann es sich seiner Haut wehren? Schwibertingen 1797, S. 10. 169 Pähl, Johann Gottiried, Materialien zur Geschichte des Kriegs in Schwaben im Jahre 1796. Nördlingen 1797/98, S. 103. 170 Pfister, Albert, Aus den Tagen..., a. a. O., S. 168/69. 171 „Die Ausschuß-Mannschaft machte, wie es allgemein bekannt ist, nicht selten große Unordnungen; wurden sie vor die bürgerliche Gerichtsbarkeit gefordert, so beriefen sie sich auf die Freiheiten, die ihnen in der Anstands-Rede versprochen worden, und glaubten sich schon durch Anziehung des Soldaten-Röckchens, wenn sie vor das Amt gefordert wurden, vor aller Strafe gesichert, denn militärische hatten sie nach der im Jahr 1794 gegebenen und schädlicherweise zur allgemeinen Wissenschaft gekommenen Instruktion ohnehin nicht zu befahren." Unmaßgebliche Gedanken..., a. a. O., S. 9. 187

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die Miliz erziehen wollten, aber er entsprach durchaus dem Grad des Bewußtseins und Selbstbewußtseins breiter Massen. Mit der Waffe in der Hand wunden sie noch kühner. Die Achtung der lokalen Staatsorgane sank 171 , ohne dag die Autorität der militärischen Vorgesetzten gewann.172 Die antifeudale Gesinnung, die aus den freundschaftlichen Gefühlen für die Franzosen sprach, äußerte sich konkret in Übergriffen gegen die bestehende Ordnung. »Hier im Württembergischen hat diese Lamdmiliz schon viel Unordnung gemacht", schrieb Madeweiß am 12. Juli 1794, „und man hat alle Klugheit nötig, sie in den gehörigen Schranken zu halten." 173 Wie der Geheimsekretär Schwab bestätigte, nahmen sich die Milizangehörigen überall mehr als andere Untertanen heraus: .Sie wollten an mehreren Orten in der Kirche nicht mehr bei der Katechisation vorstehen; sie verlangten den Rang von den Magistratspersonen und wollten sie aus ihren Kirchenstühlen verdrängen174; sie glaubten, ihrer Zivilobwgkeit nicht mehr soviel Gehorsam und .Respekt wie bisher schuldig zu sein. Besonders hielten sie sich für berechtigt, ihr Gewehr gegen das auf die Felder gehende Wild gebrauchen zu dürfen."175 Klagen häuften sich auf Klagen sowohl von dien Oberforstmeistern und anderen Beamten als auch von Offizieren.176 Der Oberforstmeister im Oberamt Böblingen berichtete am 22. März von Wildereien der Landmiliz aus vier Amtsorten, wobei sogar einem Förster angedroht wurde, ihn kurzerhand über den Haufen zu schießen. Wie wenig er mit diesen Übergriffen fertig wurde, beweist seine zwei Monate später geäußerte Bitte um Verhaltungsmaßregeln, „im Fall dieses Übel allem Anschein nach auch in andere Gegenden des gnädigst mir anvertrauten Oberforstes 172

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.Die Vorurteile gegen den Militärstand hatten überdies zur Folge, daß auch nicht einmal der vorgesetzte geringe Grad von Bildung bei den einzelnen Teilen dieses Korps erreicht wurde. Vermöge der irrigen Meinung, aus jedem Zaunstecken lasse sich ein Offizier schnitzen, - die Dressierung des gemeinen Manns hätte keine Kenntnisse, weder durch Routine noch Theorie erlangt, nötig, - ein elendes Exerzier-Reglement wäre der Inhalt, die Kunst, das Gewehr zu präsentieren, der höchste Zielpunkt alles Wissens des Subalternen, wurden Leute zu Offiziers gemacht, die heute, da sie ihr Patent erhielten, noch ebensoviel wußten als der Bauernbursch, den sie morgen dressieren sollten. Diese Herren, denen mehr oder weniger Respekt gebührt, wann sie, mit der Feder hinter dem Ohr, vor ihrem Corpore Juris oder dem Rechenfilz sitzen, erschienen dann, ihrer Unkunde in dem neu angetretenen Fach bewußt, mit saurem Gesicht in dem Felde des Mars: ihre Verlegenheit, ihr auffallend ungeschicktes Benehmen, ihr Mangel an Erklärungskenntnissen, ihr exmilitärisches Air benahm ihren Untergebenen allen Respekt, sie wurden bei den jungen mutwilligen Burschen zum Gelächter, dem sie auch durch den Stock als dem einzigen Mittel, wodurch sie ihren Beruf zur Befehlshaberwürde hätten erweislich machen können, keinen Einhalt tun konnten, weil ihnen der Gebrauch desselben mit Recht untersagt war: die übrigen Strafmittel aber, die sie in Händen hatten, konnten nicht wirksam sein, weil sie nicht schnell genug erfolgten, indem die Justiz zwischen den Landmiliz-Offizieren und der Zivil-Obrigkeit geteilt war.* Darstellung des gegenwärtigen Zustands der württembergischen Landmiliz. Nebst Vorschlägen zur Einrichtung eines Militär-Etats, welcher sowohl dem politischen Ansehen des Herzogtums als auch seinen Finanzen angemessen ist. o. O. 1796, S. 8/9. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 24. Vgl. HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 213, Bund 201, Nr. 7 und 15. Pfister, Albert, Aus den T a g e n . . a . a. O., S. 167. Vgl. auch: Unmaßgebliche Gedanken..., a. a. O., S. 6/7. Piister. Albert, Aus den Tagen..., a. a. O., S. 168.

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sich verbreiten würde,..." 1 7 7 Im August sollte ein Kommando von 30 Husaren Abhilfe schaffen, nachdem Landmiliz gemeinsam mit der anderen Bevölkerung den Wildzaun niedergerissen hatte 1 7 8 ; aber im Dezember war bereits erneut von Forstexzessen im Böblinger Oberamt die Rede. 179 Der Oberforstmeister am Stromberg meldete am 12. Juni, nachdem er eine Woche zuvor über die allgemein verbreitete Wilderei geklagt hatte, daß die Landmiliz nun bereits Treibjagden veranstaltete. 180 .Seitdem die Landmiliz aufgestellt ist, hört man nichts mehreres, als daß dieselbe fast täglich in Städten und Dörfern herumspaziert, schiebt, auch auf das Feld mit Gewehr läuft und Jagd auf Hasen macht', hieß es in dem Bericht des Tübinger Oberforstmeisters vom 24. Mai. Einer dieser Gesetzesverletzer aus dem Orte Hagelloch erklärte ihm kühn, daß er die Tauben von den Hanf- und Flachsfeldern weggeschossen habe, »weil dem vielen Taubenhalten doch niemand Einhalt tun wolle, so notwendig auch für den Bauersmann dergleichen Produkte seien, ja das erste, was man auf dem Leib haben müsse, . . " 1 8 1 Andere, die der Oberforstmeister zur Verantwortung ziehen wollte, reagierten auf seine Vorladung überhaupt nicht. Die Berichte, die der Oberforstmeister zu Engelberg am 9. Juni einsandte, bewiesen, »daß die Bürger nicht nur ungescheut haufenweise aufs Wildern ausgehen, die Hasen und anderes Wildbret totschießen und sich zueignen, sondern auch die Waldungen durch schädliches Holzen, Grasen, Viehweiden und Laubrechen total ruinieren und dabei so gewalttätig und unverschämt sind, daß sie nach den Förstern schießen und daß diese und ihre Subalternen, wenn sie die Leute ob den gröbsten Exzessen antreffen, selbigen ruhig und gelassen zusehen m ü s s e n , . . 1 8 2 Oberstleutnant von Wolf äußerte in einer Denkschrift, die er am 17. Juli aus Tübingen an den Herzog sandte, daß dahinter System steckte, daß nämlich »alle Bürger die Landmiliz zu Exzessen aufmuntern, statt sie davon abzuhalten, besonders in Ansehung der Wald- und Wildereiexzesse, die man so zu vervielfältigen sucht, daß die Regierung endlich gezwungen werde nachzugeben, um die Sachen nicht auf das Äußerste zu treiben.* 183 Er riet Unnachgiebigkeit an, da Nachgiebigkeit 1789 in Frankreich zur Revolution geführt habe. In diesem Sinne drohte dann auch ein Reskript, das am 3. August an alle Oberämter ausging, mit exemplarischen Strafen, ohne jedoch dem Wildern steuern zu können. 184 Oberamtmann Kerner, der von Ludwigsburg nach Maulbronn versetzt war und sich sehr um die Entwicklung der Miliz bemühte, urteilte im September aus der Kenntnis der Vorfälle in seinem neuen Oberamt, daß die Miliz »nicht zur Erhaltung der Ordnung, wenigstens nicht ohne Beihilfe des herzoglichen regulären Militärs gebraucht 177 178 179 180 181 182 188 184

HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 212, Nr. 712. Ebenda, A 214, Nr. 189. Ebenda, A 213, Bund 201, Nr. 15. Ebenda, A 212, Nr. 712. Ebenda. Ebenda. HSA Stuttgart, A 11, Bü. 1. Ebenda, A 10, Bü. 16.

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wenden" kann. 185 Hochgestellte Offiziere, wie der Generalmajor Nicolai, hatten schon viel früher diese Erkenntnis gewannen; sogar Georg Kerner gegenüber, der im Herbst 1794 als inoffizieller Unterhändler Frankreichs auftauchte, hielt Nicolai mit seinem Urteil nicht zurück: »Er erhob bittere Klagen über die Unzulänglichkeit der Nationalmiliz, über ihre Disziplinlosigkeit, über ihre geringe Bereitwilligkeit und «las geringe Vertrauen, das sie verdient." 186 Oberstleutnant Geppert vom Tiroler Scharfschützenkorps bereiste 1795 im Auftrage des Wiener Hofkriegsrats Schwaben und das Rheingebiet, um sieb vom Zustande der Volksbewaffnung zu überzeugen. Er mußte feststellen, daß der Herzog von Württemberg keineswegs Herr der Miliz war, und riet davon ab, die Einrichtung weiter zu forcieren. 187 In Württemberg bedurfte es dieses Ratschlages schon gar nicht mehr. Wie der französische Gesandte in Basel, Barthélémy, dem Wohlfahrtsausschuß am 22. November 1794 mitteilte, verfolgte der Herzog den Plan, die Miliz zu entwaffnen und dafür durch Zwangsaushebung die regulären Truppen um 6000 bis 8000 Mann zu vermehren, was allerdings auf den heftigsten Widerstand der Landschaft stieß. 188 Nur um das Gesicht zu wahren, wurde die Miliz nicht offiziell aufgelöst. Johann Gottfried Pähl sagte: »Man trieb die Übungen der Landmiliz nur noch ehrenhalber fort. 189 Mit dem Zusammenbruch der Volksbewaffnungspläne Württembergs, des ersten und bedeutendsten schwäbischen Kreisstandes, zerfielen naturgemäß auch die Pläne des Kreises insgesamt. Schon der Beschluß vom 12. Föbruar 1794 hatte keine bemerkenswerte Aktivität in dieser Richtung hervorgebracht, wenn Württemberg und Baden ausgenommen werden, die unabhängig davon eigene Projekte aufgestellt hatten. Hohenzollern-Hechingen meldete dem schwäbischen Kreisausschreibamt vielmehr, daß es bei seiner zu Unruhen und Empörungen geneigten Bevölkerung den Beschluß vorerst nicht auszuführen wagte. 190 Bayern hatte es bei bloßen Entwürfen für eine Volksbewaffnung bewenden lassen. In einem Gespräche mit dem preußischen Geschäftsträger Schulz im Febmar 1794 äußerte der bayerische Staatsminister von Vieregg, daß man aus denselben Gründen in Bayern nichts und nur in der Pfalz auf Druck der Nachbarn und des Kaisers einiges, wenn auch ungern und in Grenzen, unternommen habe. Bei günstiger Gelegenheit sollten auch die dort getroffenen Maßnahmen wieder rückgängig gemacht werden. 191 Dieser Haltung entsprachen die im Stile delphischer Orakel abgefaßten Anweisungen an die im schwäbischen Kreise gelegenen bayerischen Exklaven Mindelheim und Wiesensteig: Auf ihre Anfrage vom 14. April 1794, wie sie sich zum Beschluß des Kreises verhalten sollten, wurde ihnen zu reflektieren geboten, „daß Unsere Untertanen nicht 185 186

187 188 189 190 191

Pfister, Albert, Der Milizgedanke..., a. a. O., S. 39. »II fit des plaintes amères sur l'insuffisance de la milice nationale, sur son indiscipline, sur son peu de volonté, sur le peu de confiance qu'elle mérite." Wohlwill, Adoli, Georg Kerner. Ein Lebensbild aus dem Zeitalter der Französischen Revolution. Hamburg u. Leipzig 1886, S. 164/65. Heini, Otto, a. a. O., S. 59. Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 447. (Pähl, Johann Gottfried). G e h e i m n i s s e . . a . a. O., S. 99. Politische Correspondenz..a. a. O., Bd. 2, S. 125 Anm. 2. Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 161.

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über ihre Kräfte überspannt und das Land, statt die Gefahr des Verderbens von sich abzuwenden, durch solche außerordentlichen Aufgebote nicht in das Verderben gebracht werde".192 Die Auslegung dieses Bescheides konnte nur negativ sein. Wo ernsthafte Anstrengungen gemacht wurden, gab es auch die bekannten ernsthaften Schwierigkeiten. Madeweiß berichtete am 19. Juli 1794: „So hat z. B. die Reichsstadt Schwäbisch-Hall den Herzog (von Württemberg - H. S.) ersucht, ihr ein Kommando zu schicken, das auch wirklich abzugehen den Befehl bereits erhalten, um ihre Untertanen zu zwingen, sich .bei der Landifliliz einschreiben zu lassen." 193 Ein zum 4. September 1794 erneut einberufener Kreiskonvent setzte die Frage der Volksbewaffnung wieder auf die Tagesordnung. Sumerau machte sich allein schon wegen der damit verbundenen finanziellen Belastung keine Illussionen mehr über den Beitrag, den die kleineren schwäbischen Stände leisten würden: »Sie kommen kaum mit dem Ihrigen aus; durch üble Wirtschaft und übertriebene Pracht und Verschwendung sind die Stände selbst Geld und Kredit los, und ihre Untertanen sind durch überspannte Abgaben erschöpft, weil die Auslagen . . . nebst anderen Beutelschneidereien nur auf die Untertanen verlegt werden und nur selten ein gut denkendes Dominium zu finden ist, das durch Übernehmung eines Teils dieser Auslagen seine Untertanen erleichtert." 194 Zwar bestätigte dieser Kreistag nochmals die Aufstellung der Landmiliz, aber Madeweiß, der darüber am 8. November 1794 berichtete, bezweifelte mit vollem Recht die Realisierbarkeit des Beschlusses, „indem die mehrsten und hauptsächlich die geistlichen Stände zu erkennen gegeben haben, daß die. Exzesse der württembergischen Landmiliz sie abschreckten, ihren Untertanen Waffen in die Hände zu geben. Wahr ist es, daß die württembergische Landmiliz unendlich viel Exzesse gemacht hat und noch macht und daß alle Augenblick reguläres Militär marschieren muß, um sie wieder in Ordnung zu bringen und im Zaum zu halten." 195 Der als Inspekteur Anfang 1795 ausgeschickte Oberstleutnant von Geppert kam dann schließlich auch zu der Überzeugung, daß man von weiteren Bemühungen ablassen sollte, ziumal „in der Tat die Gemüter in mehreren Gegenden von Schiwaben gar nicht am besten gestimmt sind".196 Die Zusage des Kreiskonvents, daß jeder Stand trotz Überforderung der Kräfte sehen würde, was er in der Frage der Volksbewaffnung noch zu leisten vermochte, bewertete er richtig als eine glatte Absage. Madeweiß konstatierte in seinem Bericht vom 17. März 1795: „Aus dieser dem von Geppert gegebenen Antwort des Kreiskonvents erhellt ganz deutlich, daß es mit der schwäbischen Kreislandmiliz, wovon im vorigen Jahr so viel Aufhebens gemacht ward, gänzlich ein Ende hat und daß sie, wenn ich so sagen darf, in der Geburt erstickt ist." 197 1,2 1,s 1,4 185 198 197

HSA München, Abt. II, Alte Abt. B, Nr. 275. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 28. Heini, Otto, a. a. O., S. 56. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 43. Heini, Otto, a. a. O., S. 59. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 62.

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Bemerkenswerte Anstrengungen in der Volksbewaffnung wurden sonst in Süddeutschland nur noah im Fränkischen unternommen. Der fränkische Kreisschluß vom 18. Januar 1794 war durch Stimmenmehrheit zustande gekommen, nur wog diese Mehrheit an politischer Bedeutung weniger als die Minderheit Ansbach-Bayreuth und damit Preußen sprachen sich von vornherein energisch dagegen aus. Hardenberg lehnte eine solche Maßnahme prinzipiell ab. Am 10. Januar schrieb er nach Berlin: »Wenn man auch darauf rechnen kann, dag in Euer königlichen Majestät fränkischen Fürstentümern diese Bewaffnung von den Untertanen nicht gemißbraucht werden würde, so könnte dieses wohl bei anderen, zumal wo schon längst Unzufriedenheit, Streit mit dein Landesherrn und Widersetzlichkeit geherrscht hat, der Fall nicht sein. Den Feind würde man vielleicht vertreiben helfen, nachher aber im Gefühl der Kraft Forderungen durchsetzen wollen, die man bis itzt vergeblich machte. Dieses würde dann in solchen Staaten, wo kein Militär ist, äußerst gefährlich werden . . . Wer kann die Folgen berechnen?" 198 Bemerkenswert ist die Weitsicht dieser Stellungnahme; Hardenberg fürchtete weniger die unmittelbaren Gefahren, aber er trug um so größere Bedenken gegenüber den mittelbaren Folgen. Preußen hatte daneben noch andere Gründe, dem Plan der Volksbewaffnung zu widersprechen. Finanziell völlig erschöpft, hatte es Ende 1793 mitgeteilt, daß es außerstande wäre, die Kosten für den Feldzug 1794 zu tragen. Da Österreich weder helfen wollte noch konnte, machte Preußen den Vorschlag, die Verpflegung seiner Truppen dem Reiche aufzubürden. Das Projekt der Volksbewaffnung jedoch belastete die Stände mit neuen Ausgaben, so daß der preußische Antrag keine reelle Chance mehr besaß. Darum wurden auch die preußischen Geschäftsträger bei den vorderen Reichskreisen am 22. Januar 1794 angewiesen, allen Volksbewaffnungsabsichten entgegenzutreten und bereits gefaßte Beschlüsse in dieser Richtung zu hintertreiben. 199 Aus demselben Grunde bekämpfte der kurbrandenburgische Vertreter beim Reichstage, Graf von Goertz, auch das kaiserliche Kommissionsdekret vom 20. Januar 1794 mit größter Heftigkeit Er wurde am 31. Januar von Berlin eingewiesen, vor dem Reichstage die Erklärung abzugeben, »daß nämlich, wenn die Volksbewaffnung stattfinden oder die Reichsverpflegung unserer Truppen nicht bewilligt werden sollte. Wir unfehlbar Unsere Armee in Unsere Staaten zurückziehen und das Reich dem Kaiser und sich selber überlassen würden". 200 Darüber hinaus sabotierte Preußen auch direkt die Volksbewaffnung im fränkischen Kreis: Die fränkische Reichsritterschaft wollte dem Kreisbeschluß nachkommen und forderte von ihren Untertanen eine Charitativ- und Rekrutensteuer, um damit die Kosten des Aufgebots zu bestreiten. Darauf untersagten die ansbach-bayreuthischen Behörden den ritterschaftlichen Untertanen, soweit sie mittelbar auch dem preußischen König unterstanden, prompt die Zahlung der Steuer; wer sie bereits entrichtet hatte, sollte bis zur Rückerstattung die herrschaftlichen Gefälle verweigern. 201 1,8 1M

201

DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 10 a. Bd. 1, Bl. 64/65. Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 133. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 10 a, Bd. 1, Bl. 175. Süssheim, Karl, a. a. O., S. 142.

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Preußen stand mit seiner ablehnenden Haltung nicht allein. Berichte, die in Regenshurg über die negativen Erfahrungen Württembergs einliefen, verstärkten die Bedenken auch bei anderen fränkischen Reichsständen.202 Einzig im Fürstbistum Würzburg machte die Volksbewaffnung einige Fortschritte. In anderen Territorien fehlte es an Bemühungen der Behörden wie an Bereitschaft der Massen. Die zur Grafschaft Henneherg gehörige Oberaufsicht zu Schleusingen berichtete ain 27. Mai 1794, „daß es da noch am warmen Eifer und altdeutschem Mute mangele. Die Absicht des Reichen und Wohlhabenden sei mehr auf Flüchten als auf Verteidigen gerichtet, und der Mittelmann .und Ärmere glaube, nicht viel oder gar nichts verlieren zu können. Letztere Klasse, die die zahlreichste sei, verlange daher auch, daß bei allgemeinen Verteidigungsanstalten die von Adel und die Wohlhabenden, für welche die Gefahr größer sei, gleich den Bauern sich mitrüsten und fechten." 203 In Hohenlohe gab man alle Bemühungen auf, als die Untertanen trotz der Versicherung, daß sie keine Soldaten werden sollten, ihre Registrierung verweigerten und auch zu den angesetzten Übungen nicht erschienen.204 Das Urteil, das der bayerische Vertreter im Kreiskonvent, Gravenreuth, bereits am 10. April 1794 über die Volksbewaffnung in Franken fällte, hatte durchaus endgültigen Wert. Er teilte seinem Kurfürsten mit, daß sie „mit Ausnahme von Würzburg soviel als nichts bedeutet und auch wahrscheinlich in dieser Unbedeutenheit verharren wird, da einesteils die mehrsten Stände gar keine Anstalten zur Volksbewaffnung machen und Preußen andemteils . . . alle mögliche Hindernisse in den Weg legt".205 Dieser Widerstand bewirkte schließlich, daß der Reichstag in seinem Gutachten vom 5. Mai die Volksbewaffnung nicht für verbindlich erklärte, sondern sie dem „Ermessen patriotischer Landesherren" überließ. 206 Der Volksbewaffnungsgedanke gegen die Französische Revolution hatte elendiglich Schiffbruch erlitten. Der Aufruf des österreichischen Oberbefehlshabers, des Prinzen von Koburg, vom 30. Juli 1794 an die deutsche Nation, worin insbesondere die Bewohner des Rhein- und Mosellandes zur Bewaffnung aufgefordert wurden, blieb ohne jeden greifbaren Erfolg. Im Gegenteil: selbst Wendland, der entgegen der historischen Wahrheit das geplante allgemeine Aufgebot volkstümlich nennt, muß 202

203

201 205 208

Der sächsische Kurfürst z. B., durch seine Grafschaft Henneberg fränkischer Kreisstand, entschied am 10. März 1794, „dafj ein allgemeines Aufgebot des Landvolks zu Errichtung des abgezielten Endzwecks keineswegs hinlänglich und in manchen Rücksichten bedenklich sein würde, ob man gleich die Bewaffnung der Grenzbewohner, welche in einigen vorliegenden Landen mit behöriger Vorsicht veranstaltet worden, besonders gegen streifende feindliche Parteien nicht für zweckwidrig und unnützlich ansehen könne." LHA Dresden, Loc. 5127, Das wegen des Krieges mit Frankreich in Antrag gebrachte allgemeine Aufgebot der fränkischen Kreisuntertanen samt anderen dahingehörigen Maßregeln betr. 1794, Bd.l, Bl. 110. LHA Dresden, Loc. 5127, Das wegen des Krieges mit Frankreich in Antrag gebrachte allgemeine Aufgebot der fränkischen Kreisuntertanen samt andern dahingehörigen Magregeln betr. 1794, Bd. 1, Bl. 198. Fischer, Woltram, a. a. O., S. 353/54. HSA München, Abt. Geheimes Staatsarchiv, K. schw. 476, Nr. 13. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 118.

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zugeben: »Statt der erhofften erhebenden Wirkung erntete er nur Spott und offen gehässigen Widerspruch." 207 Als ein Beispiel kann die fünfzehnseitige, im August gedruckte »Erklärung des vom Herrn Prinzen von Koburg den 30. Julius 1794 ergangenen Aufrufs" gelten. Wahrscheinlich hat die Schrift ihren Ausgang vom Rheinland genommen, aber sie fand dann sehr schnell ihren Weg bis in weit vom Rhein entfernte Gebiete Süddeutschlands. Graf Soden, der ansbach-bayreuthische Vertreter beim fränkischen Kreiskonvent, hatte sie in Nürnberg in die Hand bekommen und bezeichnete sie in seinem Bericht vom 12. September als ein »vom hiesigen Pöbel gierigst aufgenommenes aufrührerisches Pamphlet,..." 208 Die Schrift geht mit den 207

Wendland, Wilhelm, a. a. O., S. 216. Wendlands Arbeit, um die Jahrhundertwende erschienen, ist ein eindeutiger Beitrag der bürgerlichen Historiographie zur ideologischen Verteidigung der militaristischen und imperialistischen Politik des damaligen Deutschlands, die auf eine Neuaufteilung der Welt hinauslief. Seine Zielsetzung verrät Wendland bereits im ersten Satz: »Zu allen Zeiten ist es die Pflicht des wehrhaften freien Deutschen gewesen, für die Sicherung seiner Heimat in eigener Person bewaffnet einzutreten." (S. 1.) Mit dieser Phrase haben Großbourgeoisie und Junker den ersten Weltkrieg vorbereitet, und Wendland bemüht die Geschichte, um die Phrase glaubwürdiger zu machen. Der unwissenschaftliche, den Klassenstandpunkt negierende Ausgangsort und die apologetische Absicht können nichts anderes als eine unwissenschaftliche, die historische Wahrheit verfälschende Darstellung zum Ergebnis haben: „Nicht künstlich erregt", behauptet Wendland, »sondern der Not und dem Wunsche aller entsprungen, ergreift der Volksbewaffnungsgedanke je länger, desto weitere Kreise. Es ist eine unwiderstehliche, tiefgehende zukunftsreiche Bewegung." (S. 142.) Um diese Behauptung aufrechterhalten zu können, beschränkt sich Wendland vornehmlich auf die Darlegung der von den Vertretern der herrschenden Klasse entworfenen Volksbewaffnungspläne, vermeidet jede wirkliche Untersuchung des Verhaltens der Volksmassen und macht sich der gröbsten Unterschlagungen schuldig. Wendland weiß z. B. genau, wie wenig die Bevölkerung Württembergs zum Kampf gegen die Franzosen gewillt war, aber diese historische Tatsache verkriecht sich bei Wendland in die euphemistische Formulierung: »Die schwäbische Landmiliz wollte trotz aller Bemühungen Louis Eugens nicht zustande kommen." (S. 212.) Wendland weiß ebenso genau, daß im bayerischen Reichskreis kein Finger gerührt wurde; Wendland hilft sich dadurch, daß er diesen Kreis unerwähnt läßt und dafür Karl Theodors Bemühungen um die Volksbewaffnung in der Kurpfalz in den Himmel hebt. (S. 122, 162/63.) Da es ihm an dieser Stelle darum geht, Ranke zu widerlegen, der mit Recht die vom bayerischen Minister Vieregg geäußerte Abneigung gegenüber der Volksbewaffnung ernst nimmt, erfährt man hier sogar ausnahmsweise einmal etwas über Widerstände im Volke; ihre Unterdrückung wird als Beweis der Treue der bayerischen Regierung zum Volksbewaffnungsgedanken gewertet. Völlig unverständlich bleibt in der Darstellung Wendlands, wie diese »unwiderstehliche" Bewegung so elend im Sande verlaufen konnte. Wendland sucht die entscheidende Ursache im preußischen Verpflegungsantrag. (S. 107.) Aber dann wiederum beweist er seitenlang, daß dieser Antrag weder in Wien noch im Reiche die geringsten Chancen besaß und daß auch die preußische Drohung, seine Truppen abzuziehen, nicht wirkte. »Man wußte in Wien, daß man das Reich hinter sich habe und daß man mit dessen Hilfe die Preußen so lange werde hinhalten können, daß unterdessen die Aufstellung der Reichsarmee und die Durchführung der Volksbewaffnung bewerkstelligt werden konnte." (S. 159.) So muß dann schließlich das Reichsgutachten vom 5. Mai 1794 herhalten, das die Volksbewaffnung als nicht verbindlich für alle Stände erklärte. (S. 177/78.) Wie ein solcher Beschluß die »der Not und dem Wunsche aller" entsprungene Bewegung daran hindern sollte, wenigstens in Süddeutschland eine „unwiderstehliche" zu werden, bleibt Wendlands Geheimnis. 208 DZA Merseburg, Rep. 44 C, Auswärtiges Departement, Nr. 670.

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verlogenen Deklamationen des Prinzen radikal zu Gericht: Der Krieg der Fürsten ist nicht der Krieg des Volkes. Schon die Anrede des fürstlichen Aufrufs, die die Bauern und Bürger als Brüder und Freunde bezeichnet, ist pure Heuchelei. »Wo ist je ein Beispiel, daß sich ein deutscher Fürst so herabgelassen, Bürger und Bauern Brüder und Freunde zu nennen?" 209 Ironisch wird vom Verfasser der Schluß gezogen, daß der Aufruf lediglich an Adel und Fürsten, nicht aber an das Volk gerichtet sein kann. Der Autor bedauert, daß diese Tatsache in der Erklärung des Koburg nicht deutlich genug wird, und schlägt darum eine Neufassung des Aufrufs vor: „Er könnte und sollte also lauten: Deutsche, fürstliche und adlige Freunde und Brüder!" Die nun folgende Travestie des ursprünglichen Aufrufs ist eine schonungslose Entlarvung der volksfeindlichen Ziele, die in diesem Kriege von der herrschenden Klasse verfolgt wurden. 210 Das Volk kann an diesem Kriege nicht interessiert sein: „Und im schlimmsten Fall, die Franzosen kämen, eroberten unser Land, und wir würden mit ihnen vereinigt: - Wir würden alsdann an die Stelle der fürstlichen Souveränität die unsrige setzen, Sklaverei mit Freiheit vertauschen und künftig freier und glücklicher leben." 211 Die aus dieser Erkenntnis sich logisch ergebende Konsequenz wurde allerdings noch nicht in vollem Umfange gezogen. Wie schon die genannte Flugschrift „Wiederholter Aufruf an die deutsche Nation" konzentrierte sich auch diese Schrift aiuf die Friedensforderung: Sofortiger Friede mit Frankreich bei gegenseitigem Verzicht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten und auf alle überspannten Ansprüche. Wenn auch den Franzosen Bedingungen in allgemeinster Form gestellt wurden, so richtete sich die Spitze doch eindeutig gegen die eigene herrschende Klasse. Um den Frieden zu erreichen, war Gewalt gegen die nötig, die ihm entgegenstanden, die deutschen Fürsten. Ein Massenaufgebot hatte nur dann Sinn, wenn es gegen diese Peiniger des Volkes zielte: „Wir müssen uns, noch ehe .uns unsere Kräfte ganz entzogen werden, alle bewaffnen und so bewaffnet zu unseren Fürsten sagen: Macht Friede!!! Es koste auch, was es wolle! Im Weigerungsfall tun wir es ohne euer Zutun und sagen zu den Franzosen: Brüder, wir wollen Freunde und gute Nachbarn von euch sein, wollen uns in eure Regierung, in eure Ökonomie . . . nicht mischen . . . Wir wissen zwar gar wohl, daß euch unsere Fürsten ungerechterweise anfielen. Ihr seid aber zu gerecht, als daß wir die Strafe unserer Fürsten tragen sollen. Wollt ihr aber eure Forderungen zu hoch spannen und das Blutvergießen dem Frieden vorziehen, so wißt, daß unser deutscher Mut und unsere Standhaftigkeit imstande sein werden, euren Siegen einen starken, ja unüberwindlichen Danwn vorzusetzen; . . . Sollten aber unsere Fürsten schief zu diesem Vertrage sehen, so wollen wir auch mit ihnen schon fertig werden; ihre Soldaten sind unsere Söhne. Unsere Freiheit, unser Glück ist das Glück ihrer Soldaten." 2*2 209 00 211

Erklärung des vom Herrn Prinzen von Koburg . . . ergangenen Aufrufs..., a. a. O., S. 3. Ebenda, S. 8 ff. Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 14/15.

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In vielem gleicht diesem Pamphlet ein Artikel, der im zweiten Stück des »Neuen grauen Ungeheuers" 1795 unter dem Titel erschien: »Stimme eines deutschen Bürgers bei Gelegenheit des Kurmainzl. Friedensantrags." 213 Auch hier wurde vom Aufruf des Koburgers gesagt, daß er an die falsche Adresse gerichtet sei: »Man kann sich des Lachens, aber auch des Abscheus vor politischen Verdrehungen und Sophistereien nicht enthalten, wenn man die Proklamation in ihre Bestandteile auflöst, die der Prinz von Koburg bei einem von den hundert meisterhaften Rückzügen dieses Krieges erließ. Wenn diese Proklamation nicht bloß an die Geistlichkeit, den Adel und die Fürsten gerichtet sein soll, so hat sie durchaus keinen Sinn. Nur diese können allenfalls aufgefordert werden, ihre güldenen und silbernen Gefäße und ihr Blut zur Verteidigung des Kaisers - nicht doch, des Adels, der müßigen Pfaffenstifter, der Fronen, der Leibeigenschaft, des Preßzwangs - herzugeben, denn sie sind die einzigen, die dabei gewinnen." 214 Auch hier wurde nicht die Losung ausgegeben, sich an die Seite der französischen Armeen zu stellen und mit ihrer starken Hilfe das feudale Joch abzuwerfen: »Aber Friede! Friede! Friede um jeden Preis sei die Losung aller Deutschen, die es mit ihrem Vaterlande gut meinen. Erklärt laut, deutsche Bürger! daß ihr weder eure Hände noch euer Geld weiter zu diesem abscheulichen Kriege geben wollt. Verlaßt im Notfall eure Fahnen! Hier ist es Ehre, ist es Menschlichkeit, sie zu verlassen, und Schande, ihnen zu folgen! Werft eure Feldzeichen, eure Verdienstmedaillen vor die Füße eurer Treiber und erklärt laut, daß der ein Verräter seines Vaterlandes sei, der diese schandbaren Zeichen einer .Mörderverschwörung länger tragen will! Tod über den, der sie je wieder aufnehmen will, diese Waffen der Unehre I" 215 Im übrigen analysierte der Verfasser des Artikels den Charakter des Krieges gründlicher als jenes Pamphlet und ging auch in seiner Zielsetzung darüber hinaus. Die im Zusammenhang mit dem kurmainzischen Friedensantrag aufgestellte Behauptung, daß man den Krieg nicht um Eroberungen und um der Einmischung in Frankreichs innere Angelegenheiten willen geführt habe, widerlegte er durch Hinweise auf offizielle Verlautbarungen aus früherer Zeit und verglich die Reichsstände mit Sündern, »welche die Sünde, d. h. die Macht zu sündigen, verlassen habe und welche also die Sünde nun auch notgedrungen verlassen müssen".216 Der Verfasser stellte mit Nachdruck fest, daß erstens »der Krieg ein ungerechter und wider alle Billigkeit und Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Erfolges angefangener Krieg ist" 2 1 7 ; daß zweitens „wir deutschen Bürger bei diesem Kriege nie etwas gewinnen - aber wohl gar viel verlieren können". 218 Die Reichsverfassung, die Religion und die deutschen Reichsländer, die zu erhalten von bezahlten Schreibern immer wieder aufgerufen wurde, bezeichnete er ironisch als kostbare Dinge, »die uns ungeweihten Sterblichen 213

214 215

117 218

»Neues graues Ungeheuer. Herausgegeben von einem Freunde der Menschheit", 2. Stück, S. 46 ff., 1795. Ebenda. S. 58/59. Ebenda, S. 64/65. Ebenda, S. 47. Ebenda, S. 51. Ebenda, S. 57.

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aber nicht viel mehr zu sein dünken als die diamantenen Schlösser in Feenmärchen, . . 2 1 9 Der Verfasser hielt es für möglich, daß Frankreich die linksrheinischen Eroberungen zurückgeben könnte, wenn man in diesen Gebieten eine der französischen ähnliche Verfassung einführte. Aber selbst wenn Frankreich auf der Rheingrenze bestehen sollte, hätte es Gründe und Recht für sich.220 Die in der .Erklärung des Herrn Prinzen von Koiburg den 30. Julius 1794 ergangenen Aufrufs" an die Franzosen gerichtete Warnung, ihre Forderungen nicht zu hoch zu spannen, fehlte also hier. Gemeinsam war wiederum beiden Autoren die Hoffnung, auch ohne gründliche Umwälzung und mit den Fürsten den Frieden und eine Besserung der Verhältnisse zu erlangen. In dem Artikel wird das sehr deutlich gesagt, aber gleichzeitig auch als eine bloße Zwischenlösung gekennzeichnet: «Eine .plötzliche Auflösung unserer Verfassung würde zu schrecklich für uns sein. Mag allmählich eine bessere gebaut werden, und dann werden die alten Ruinen von selbst in Staub zerfallen! Deutschlands Bewohner sind im ganzen noch nicht reif genug zu einer republikanischen Verfassung. Ein kleinliohtes Interesse trennt die einzelnen Länder des Reichs, trennt in diesen Ländern wieder die einzelnen Menschen voneinander." 221 Die prinzipiell republikanische Gesinnung fand hier stärkeren Ausdruck als in jenem Pamphlet; dem entsprach auch eine Ausweitung des Ziels der Volksbewegung über den sofortigen Friedensschluß hinaus: »Wenn ich oben die deutschen Bürger aufforderte, nach geschlossenem Frieden wieder ruhig zu ihren Hütten zurückzukehren, so konnte ich der Natur der Sache nach keineswegs unbedingte Unterwerfung unter die vorige Tyrannei darunter verstehen, die ohnedem nicht lange dauern würde, da die Deutschen sie schwerlich mehr ein Jahrhundert ruhig ertragen würden. Bei dem Frieden muß zugleich aller Rebellion, aber auch allem Druck und aller absichtlichen Hinderung der Bildung des Volks vorgebaut werden. Daher würde billig dabei Bedacht zu nehmen sein auf 1. unbeschränkte Preß- und Lehrfreiheit, 2. bessere Justizpflege, 3. Aufhebung der unnützen geistlichen Stifter und des überflüssigen Hofprunks, 4. Aufhebung der unbilligen Vorrechte des Adels, 5. Wiederherstellung der Landstände in ihre eigentliche Bestimmung, 6. Reduzierung der stehenden Armeen auf eine kleine Anzahl Soldaten durch allgemeine Konventionen, dag keine Macht pin gewisses bestimmtes Verhältnis zur Volksmenge überschreiten wolle." 222 Der Artikel schloß mit drohenden Warnungen an die deutschen Fürsten, die Zeichen der Zeit zu beachten und auch die Stimme eines deutschen Bürgers nicht gering anzuschlagen: »Spreche ich stark, kühn, frei, so kommt es daher, weil ich überzeugt bin, daß ich wahr rede, weil ich gewiß bin, daß die Majorität in Deutschland so denkt und auch so spricht, wo sie vor euren Schergen sicher ist." 223 Das Verhalten "» Ebenda, 220 Ebenda, 221 Ebenda, 222 Ebenda, 223 Ebenda,

S. 59. S. 65/66. S. 63/64. S. 72/73. S. 75/76.

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der Volksmassen zu den Versuchen der herrschenden Klasse, ein allgemeines Aufgebot zustande zu bringen, bestätigte diese stolze Gewißheit. Der französische Nachrichtendienst war über das Schicksal der Volksbewaffnungspläne genau informiert. Während der junge Metternich im August 1794 noch eine Denkschrift entwarf, die in der herrschenden Klasse alle Bedenken gegen die Anwendung solcher revolutionären Mittel zerstreuen .sollte 224, konnte Bacher bereits im selben Monat mit Bestimmtheit nach Paris melden: »Das Massenaufgebot, womit der Kaiser die französische Republik hat bedrohen wollen, ist eine Chimäre." 225 Es war eine Chimäre in jeder Hinsicht. Die großen Pläne zerrannen, und das wenige, was man da und dort mit Mühe realisierte, hatte keinerlei militärischen Kampfwert. Beides hing ursächlich miteinander zusammen. So wenig die feudale herrschende Klasse entgegen den Interessen der Massen ein Volksaufgbot zustande bringen konnte, so wenig war sie auch fähig, moderne Kampfmethoden zu entwickeln. Was zeitgenössische Kritiker darüber in bezug auf Württemberg feststellten, gilt für andere Territorien ebenso. Der anonyme Autor der »Darstellung des gegenwärtigen Zustands der württembergischen Landmiliz" sagte von den Organisatoren der Volksbewaffnung, „daß sie in diejenigen militärischen Kenntnisse - welche die Organisation eines Heeres zum Vorwurf haben, das nur um weniges mehr leisten soll als eine Irokesenhorde - keine größere Einsicht haben als der Maulwurf in das kopernikanische System".226 »Was sind im Grunde die Landmilizen heutzutage?" fragte ein württembergischer Offizier und gab die Antwort: „Schwerfällige Maschinenüberbleibsel der älteren Landesverteidigung. Sie stehen in Parallele mit unserem alten Geschütz und unserer alten Waffen- und Kriegsrüstung, deren Andenken noch in den alten Zeughäusern, so wie jenes der Landmiliz in den vermodernden Chroniken verehrt w i r d , . . 2 2 7 Als 1796 der Ernstfall eintrat, zerstoben die letzten Illusionen. Der warnende Artikel „Über das Selbstbewaffnen der deutschen Untertanen in Schwaben und am Rhein", der noch nach dem Rheinübergang Jourdans und Moreaus in der von Rebmann in Paris herausgegebenen »Schildwache" erschien, bekämpfte einen Plan, der faktisch um diese Zeit bereits aufgegeben war. Abscheu und Fluch der Welt und Nachwelt verdienten die Fürsten, die „einen guten Teil aller ihrer Untertanen aufopfern und ihr Blut fließen lassen wollen, um einen Feind, den der Wahnsinn und der Frevel der Angreifer herbeilockte, dadurch auf einige Tage aufzuhalten." 228 224

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Über die Notwendigkeit einer allgemeinen Bewaffnung des Volkes an den Grenzen Frankreichs. Von einem Freunde der allgemeinen Ruhe. August 1794. In: Aus Metternichs nachgelassenen Papieren. Herausgegeben von dem Sohne des Staatskanzlers Fürsten Richard Metternich-Winneburg. Wien 1880, Bd. 1, S. 340 £f. „La levée en masse dont l'Empereur avait voulu menacer la République française est une chimère." Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 234. Darstellung des gegenwärtigen Zustands..., a. a. O., S. 5. (Varnbühler, Ferdinand. Friedrich Gottlob von), Auszüge aus Briefen über deutsche Staatssachen, betreffend die Organisation eines vaterländischen Militärs. Württembergs Freunden gewidmet, o. O. 1797, S. 9/10. „Die Schildwache", Bd. 1, 2. Stück, S. 57, 1796.

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Aber nicht nur die militärische Sinnlosigkeit macht ein solches Unternehmen zum Verbrechen. Ein Verbrechen ist es, den armen Landmann in einen Krieg mit allen seinen Folgen miteinzubeziehen, dessen Ziele seinen Interessen entgegengesetzt sind. «Fluch dem grausamen Spötter, der das leere Wort deutsche Freiheit noch auszusprechen wagt! - " 229 Der Krieg gegen Frankreich selbst ist ein Verbrechen: »Die Franken sehnen sich nach dein Frieden. Sie freuen sich über ihre zahlreichen Siege nur insofern, als diese ein Mittel sind, endlich diesen Frieden herbeizuführen. Aber gibt es wohl für die Republik einen gründlichen Frieden, ehe die Despoten so weit gebeugt sind, daß sie von Frankreich Gesetze annehmen müssen? Neinl Ohne die Rheingrenze, ohne mächtige Hilfsquellen durch eroberte Länder kann Frankreich seine zerrütteten Finanzen nicht gründlich und schnell genug wiederherstellen. Die ungerechten Angreifer müssen den Schaden, den die Republik erlitten hat, wenigstens einigermaßen ersetzen." 230 Appelle an die Einsicht der Fürsten haben sich als sinnlos erwiesen, und so muß zur revolutionären Gewalt als einzigem Auskunftsmittel gegriffen werden: .Spott dem Narren, der auf den gekrönten und installierten Pöbel noch durch die Stimme der gesunden Vernunft zu wirken gedenkt und nicht einsieht, dag bloß Fäuste des gemeinen, noch weit edleren Pöbels dazu dienen können, solche Buben zu ihrer Pflicht zurückzubringen." 281 In diesem Sinne schloß der Artikel mit dem Aufruf: »Ja, ihr Bürger des rechten und linken Rheinufers, bewaffnet euch, aber kehrt eure Waffen gegen eure Treiber und zwingt sie zum Frieden! Haltet sie zurück, wenn sie feig entfliehen wollen, laßt sie des Krieges Greuel und Jammer mit Augen sehen, und, wenn sie dennoch von Bewaffnung sprechen, so stellt sie zuerst den feindlichen Schwertern entgegen 1 - " 232 Die süddeutschen Fürsten wagten und vermochten nicht, gegen die Heere Moreaus und Jourdans 1796 das bewaffnete Volk aufzubieten. Die Badenser machten diese Erfahrung früher als andere: Als am 20. September 1795 die Festung Mannheim vor den Franzosen kapituliert hatte, verfügte der Geheime Rat die Einstellung der Landesbewaffnung in allen badischen Oberämtern und Amtern. 233 Nachdem Clerfayt am 22. November Mannheim wieder genommen hatte, wagte auch ein Ratsbeschluß vom 26. November, erneut von der Volksbewaffnung zu sprechen. 234 Die Schwierigkeiten blieben notwendig dieselben. Das Oberamt Yberg beispielweise hielt mit der Austeilung der Waffen zurück, weil es fürchtete, daß die Bewohner sie gegen die Condeer richten würden; manche Orte wie Wetterspach verweigerten überhaupt die Wiederaufnahme der Übungen. 235 Oberforstmeister von Stetten berichtete am 28. Mai 1796 aus Kandern, wo er das sonntägliche Exerzieren leitete, von einem besonders krassen Fall von Insubordination und schloß mit den geharnischten »• Ebenda, S. 61. 230 Ebenda, S. 67/68. 231 Ebenda, S. 61. 232 Ebenda, S. 69/70. 283 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 335. 234 Ebenda, Anm. 2. 235 GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 4576, Berichte des Majors Medicus vom 14. 12. 1795, 11. 2. und 10. 5. 1796. 11 Süddeutsche Jakobiner

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Worten: »Noch muß ich hier anmerken, daß, solange nicht andere Mittel ergriffen und hinlängliche Instruktionen zur Verhütung ferneren so häufig vorfallenden respektwidrigen Fehlens gegeben werden, so wird in den Oberlanden nie nichts Rechtes errichtet werden können. Denn sowohl der Kommandant als die Offiziers dienen alsdann nur zum Spott und allgemeiner Verachtung und Gelächter, für welche Ehre ich mich ganz untertänigst bedanken muß." 2 3 6 Als dann am 24. Juni 1796 Moreau den Rhein überschritt, gab es nirgendwo einen badischen Widerstand. Das Oberamt Emmendingen wehrte sich entschieden gegen die Aufforderung Sumeraus, den Landsturm ausrücken zu lassen; 2 3 7 dieselbe einmütige und standhafte Weigerung äußerten die Oberämter Hochberg, Rötteln und Badenweiler. 238 Die badische Volksbewaffnung erwies sich als vollkommen wirkungslos. Einzig in den vorderösterreichischen Gebieten wurde die Miliz verschiedentlich in Kampfhandlungen verwickelt. 239 Sumerau hatte hier am 3. Juli die gesamte Bevölkerung zum Widerstande aufgerufen. Die Hoffnung des Generals Fröhlich jedoch, .daß ein solcher Aufstand der treuen Breisgauer den erwünschten Ausschlag geben könne", erwies sich als ein gründlicher Irrtum. 240 Er selbst mußte am 18. Juli der Auflösung des Landsturms zustimmen. 241 Wie es in Württemberg nach den Worten eines zeitgenössischen Beobachters nicht anders zu erwarten war, „so versagte sie (die Landmiliz - H. S.) überall den Dienst, und nicht eine einzige Gemeinde war dahin zu vermögen, daß sie ihre Leute in Bewegung gesetzt hätte." 2 4 2 Bemühungen von Seiten des zweiten kreisausschreibenden Standes Konstanz, den schwäbischen Kreis zu einem Volksaufgebot zu veranlassen, blieben ohne Echo. Die Herrschaft Mindelheim wurde am 14. Juli von München angewiesen, diesen Antrag mit der Begründung abzulehnen, daß Württemberg als erster kreisausschreibender Stand ihn nicht unterzeichnet hätte. 243 Das Flugblatt »Ein wahres Wort an alle Völker Europas, besonders an die Deutschen gesprochen", worin ein Gottlieb Gutgemeint zur tatkräftigen Unterstützung der österreichischen Armeen aufrief, wurde in Bayern von den Behörden sofort unterdrückt 244 An eine Volksbewaffnung dachte man in Bayern weniger als zuvor. Mit steigender Angst verfolgte Karl Klocker, Abt von Benediktbeuren, das Tiroler Aufgebot und schrieb am 14. Juni 1796 an Lippert: „Allein was ich sonderbar befürchte, ist, daß die Tiroler selbst kaum getreu bleiben werden, indem sehr viel arme unvermögende Leute allerorten angetroffen werden, die eben Sansculotten abgeben werden und zu allem Mutwillen am leichtesten zu verleiten sind, weil sie am wenigsten dabei ver836 837 838

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Ebenda, Nr. 5577. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 392/93. Ebenda, S. 395. Vgl. auch GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5583, Bericht Liebensteins vom. 13. 6. 1797. Bader, Joseph, Die ehemaligen breisgauischen Landstände..., a. a. O., S. 144 ff. Ebenda, S. 142. Ebenda, S. 148. Pähl, Johann Gottfried. Materialien..., a. a. O., S. 104. Hertling, Karl Freiherr von. Zum Feldzug des Jahres 1796 in Schwaben. In: „Historischpolitische Blätter für das katholische Deutschland', Bd. 144, S. 296, 1909. DZA Merseburg, Rep. 96, Nr. 167, Lit. M, Bl. 105 ff.

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lieren." 245 Auch in den fränkischen Territorien, die wie Würaburg einiges zur Organisierung der Volksbewaffnung getan hatten, trat keine einzige Milizeinheit den siegreich vordringenden Franzosen entgegen. Engels hat in seinem Aufsatz »Die auswärtige Politik des russischen Zarentums' äußerst ehrenvolle Worte für die Polen gefunden, deren Kampf um die nationale Unabhängigkeit die Kräfte der reaktionären Koalition ebenfalls in Anspruch nahm, so daß das revolutionäre Frankreich entlastet wurde und siegen konnte: »Polen fiel, aber sein Widerstand hatte die französische Revolution gerettet, und mit der französischen Revolution begann eine Bewegung, wogegen auch das Zarentum ohnmächtig ist. Und das werden wir im Westen den Polen nie vergessen." 2 4 6 Dieses Urteil besteht zu vollem Recht, aber es ist zu ergänzen. Den Polen vornehmlich ist es zu verdanken, dag die Koalition auseinanderbrach, dafj Preußen und mit Preußen ganz Norddeutschland aus dem Kriege ausschied. Daneben hat stets und nach dem Fall Polens in verstärktem Maße die Haltung der Volksmassen in Deutschland eine Rolle gespielt. Seit den Verhandlungen zu Basel war insbesondere den Volksmassen Süddeutschlands eine große Verantwortung gegeben. Sie haben keine so gewaltigen Schlachten wie die Polen geschlagen,- ihr Anteil am Sieg der Französischen Revolution und daimit des Fortschritts ist weit geringer. Aber er ist vorhanden. Auch die Volksmassen Süddeutschlands haben mit ihrem Widerstande gegen den ungerechten Interventionskrieg der feudalen Reaktion dem historischen Fortschritt Waffenhilfe geleistet. Und das sollten wir als Deutsche auch nicht vergessen. 245

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Stadtarchiv München, Archiv des Historischen Vereins von und für Oberbayern, Lipperts Nachlaß, Lit. M, 5/1, Brief Nr. 31. Engels, Friedrich, Die auswärtige Politik des russischen Zarentums. In: .Die neue Zeit. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens", 8. Jahrg., S. 151, 1890.

Der Klassenkampf der Massen in Stadt und Land, der in den verschiedenartigsten Formen und gegen die verschiedenartigsten Erscheinungen feudaler Unterdrückung geführt wurde, hatte sich in den Jahren 1794 bis 1796 in einem Grade verschärft, daß von einer antifeudalen Bewegung in Süddeutschland gesprochen werden kann. Um allerdings zu einem Generalangriff auf die herrschende Ordnung anzutreten, fehlten dieser Bewegung noch wesentliche Voraussetzungen. Es fehlten vor allem die notwendige Einheitlichkeit und die Führung durch ein kräftiges Bürgertum; beide Mängel bedingten einander und hatten weitere zur Folge. Das Kräfteverhältnis zwischen herrschender Klasse und antifeudaler Bewegung war ungünstig für einen revolutionären Umsturz. Wenn dennoch überall in Süddeutschland einzelne Gruppen entstanden, die mehr oder weniger entschieden darauf hinarbeiteten, so aus der Erkenntnis heraus, daß in internationalem Maßstab das Kräfteverhältnis viel günstiger aussah. Sie betrachteten die große französische Nation als den gegebenen Bundesgenossen, dessen Unterstützung den antifeudalen Elementen mit einem Schlag das Übergewicht über die herrschende Feudalklasse in Süddeutschland garantierte. Die Mainzer Republik 1792/93, die auch nicht ausschließlich aus eigener Kraft, sondern mit französischer Hilfe errichtet worden war, hatte den Beweis geliefert. Der Widerstand der Massen gegen den Interventionskrieg zielte, wenn auch vorwiegend unbewußt, auf ein solches Bündnis hin. Die entschiedenen Revolutionäre Süddeutschlands, ermutigt durch Haltung und konkrete Maßnahmen Frankreichs, trieben die Entwicklung bewußt in dieser Richtung voran. In dieser bewußten und zielgerichteten Zusammenarbeit mit Frankreich fand in den ersten Jahren nach dem Beginn des Reichskrieges die antifeudale Bewegung in Süddeutschland ihren höchsten Ausdruck. Frankreich wußte den Wert solcher Bundesgenossenschaft zu schätzen und tat das seinige, sie zu entwickeln und zu stärken. Es knüpfte Verbindungen mit oppositionellen Gruppen in Süddeutschland, schickte Emissäre aus, um solche Gruppen zu gründen, gab ihnen Aufträge, unterstützte sie ideell und, wenn nötig, auch materiell. Der 9. Thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) war zwar ein prinzipieller Wendepunkt in der französischen Entwicklung - wie später noch eingehend dargelegt wird - , führte aber dennoch zu keinem abrupten Bruch mit dieser Praxis. Der Sturz der Jakobinerherrschaft und die Errichtung der großbourgeoisen Diktatur zeigten an, daß in dem Kampf um Leben und Tod gegen die Konterrevolution das bürgerliche Frankreich einschneidende Siege errungen hatte. Der Terrorismus der Jakobiner, die schärfste Waffe der Revolution nach innen und außen, war überflüssig geworden nach der Zertrümmerung des inneren Feindes und »durch den Sieg von

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Fleurus, 24. Jiuni 1794, der nicht nur die Grenzen befreite, sondern Belgien und indirekt das linke Rheinufer an Frankreich überlieferte,..." 1 Aber der Krieg ging weiter, und Frankreich konnte kein Interesse daran haben, auf die Hilfe deutscher Gruppen zu verzichten, solange es keine anderen Bundesgenossen besag. Der wichtigste Ausgangsort der französischen Propaganda- und Organisationstätigkeit für Süddeutschland war die französische Gesandtschaft in dem zur neutralen Schweiz gehörigen Baisei. Ein Dekret des Wohlfahrtsausschusses vom 21. November 1794 bestätigte ausdrücklich diese schon zuvor geübte Praxis der Gesandtschaft und gab eindeutige Richtlinien für die Arbeit: »1. Artikel - Der Bürger Barthélémy, Gesandter der Republik in der Schweiz, wird ermächtigt, Geheimagenten ohne Vollmacht und ohne offiziellen Charakter in die Länder der Koalition zu schicken mit der Verpflichtung, unverzüglich dem Wohlfahrtsausschuß Nachricht über ihre Namen, Qualität und Fähigkeit zu geben. 2. Artikel - Er kann für diese Missionen Ausländer verwenden, deren Ergebenheit gegenüber der Republik klar festgestellt ist. 3. Artikel - Zweck der Mission dieser Agenten ist, die Gesinnungen der Völker und der Regierungen in bezug auf die Republik und auf die verbündeten Mächte zu erforschen; über die geeignetsten Mittel zur Spaltung und Auflösung der Koalition zu berichten, die Meinung der Völker durch Bekanntmachung der wahren Tatsachen und der reinen Grundsätze für die französische Republik günstig zu stimmen; in den Orten, wo sie sich befinden, alle erreichbaren Auskünfte sowohl über den Handel im allgemeinen wie über die Herkunft der unibedingt notwendigen Waren und der Schiffsvorräbe zu sammeln und mitzuteilen. 4. Artikel - Diese Agenten unterhalten eine regelmäßige Korrespondenz mit dem Bürger Barthélémy. 5. Artikel - Sie können stets unmittelbar an den Wohlfahrtsausschuß schreiben, wenn sie es für nötig e r a c h t e n . . 2 1

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Engels an V. Adler, London, 4. 12. 1889. In: Marx/Engels, Ausgewählte Briefe, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 493. .Article 1 e r - Le citoyen Barthélémy, ambassadeur de la République en Suisse, est autorisé à envoyer dans les pays coalisés des agents secrets sans mandat et sans caractère, à la charge de donner sur-le-champ avis au Comité de Salut public de leurs noms, qualité et capacité. Article 2 - Il pourra employer dans ces missions des étrangers, dont le dévouement à la République serait bien constaté. Article 3 - L'objet de la mission de ces agents sera d'observer les dispositions des peuples et des gouvernements relativement à la République et aux puissances coalisées. De rendre compte des moyens les plus propres à diviser et à dissoudre la coalition, de disposer en faveur de la République française l'opinion des peuples en faisant connaître la vérité des faits et la pureté des principes. De recueillir sur les lieux où ils se trouveront et de communiquer tous les renseignements qu'ils pourront se procurer tant sur le commerce en général que sur l'extraction des objets de première nécessité et des munitions navales. Article 4 - Ces agents entretiendront une correspondance habituelle avec le citoyen Barthélémy. Article 5 - Ils pourront écrire directement au Comité de Salut public toutes les fois qu'ils le jugeront nécessaire." Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 44/45.

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Der eigentliche Kopf der französischen Propaganda- und Nachrichtenzentrale in Basel war nicht Barthélémy selbst, sondern sein Gesandtschaftssekretär Théobald Bacher. Beide hatten schon in vorrevolutionärer Zeit im diplomatischen Dienst gestanden. Barthélémy war me über girondistische Gedankengänge hinausgelangt, während Bacher sich stets der herrschenden Strömung anzupassen verstand. Aus seiner konterrevolutionären Gesinnung heraus nannte Barthélémy in seinen Erinnnerungen Bacher bei aller Hochschätzung seiner beruflichen Tüchtigkeit »hinterhältig, gehässig, boshaft, verfolgungssüchtig" und rühmte sich sogar der Sabotage der Propagandaarbeit: .Der Wohlfahrtsausschuß ließ mir sehr häufig eine Menge ins Deutische übersetzte Schriften schicken, die auf die Propagierung der revolutionären Lehre abzielten und die ich in der Schweiz und in Deutschland zirkulieren lassen sollte. Ich habe sie immer ins Feuer geworfen. Einige Male hat man mir Mainzer beigeben wollen, deren Aufgabe es hätte sein sollen, solcher Art Broschüren zu schreiben. Ich habe mich geweigert, sie aufzunehmen." 3 Mag auch diese Darstellung, nach 1815 geschrieben und von dem Bestreben diktiert, jede revolutionäre Betätigung zu leugnen, nicht ganz korrekt sein, so ist doch soviel daran richtig, daß Barthélémy an Aktivität weit hinter Bacher stand. Seit Jahren in dieser Eigenschaft in Basel tätig, hatte Bacher zahlreiche Verbindungen knüpfen können, die es ihm ermöglichten, zum erfolgreichsten Experten des Nachrichtendienstes für das südliche Deutschland zu weiden. Er arbeitete unter der Herrschaft der Jakobiner wie unter'der der Großbourgeoisie nach dem 9. Thermidor auf diesem Sektor. So berichtete er am 19. Juni 1794 an Buchot von der zunehmenden Gärung in den der Schweiz benachbarten Gebieten Deutschlands und fuhr fort: «Ich habe Emissäre, die dort mit vollen Händen die revolutionären Erzeugnisse verbreiten, die nacheinander in Frankreich erscheinen. Es gibt eins, das großen Eindruck machen würde, wenn es in großer Zahl in deutscher Sprache gedruckt wäre, das ist der Bericht Robespierres über die Existenz des höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele. Ich bitte dich, Bürger Kommissär, mich zu bevollmächtigen, davon in Basel 2000 Exemplare in deutscher Schrift drucken zu lassen..." 4 Am 1. Juli 1794 teilte er Buchot mit: „Ich bin zur Zeit damit beschäftigt, die Markgrafschaft Baden, den Schwarzwald und Württemberg so zu bearbeiten, daß die Leute dieses Landes vorbereitet werden, uns im nächsten September gut zu empfangen oder auch früher, wenn wir zur Formierung einer Armee am Oberrhein kommen, um diesen Fluß zu überschreiten, 3

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»Le Comité de Salut public me faisait très fréquemment adresser une multitude d'écrits, traduits en allemand, qui tendaient à propager la doctrine révolutionnaire, et qu'on voulait que je fisse circuler en Suisse et en Allemagne. Je les ai toujours jetés au feu. On a voulu quelquefois attacher auprès de moi des Mayençais, dont la fonction eû été d'écrire de ces sortes de brochures: je me suis refusé de les recevoir." Mémoires de Barthélémy 1768 à 1819. Publiés par Jacques de Dampierre. Paris 1914, S. 73, 117. »J'ai des émissaires qui y répandent avec profusion les productions révolutionnaires qui paraissent successivement en France. Il en est une qui ferait grande sensation si elle était imprimée avec profusion en langue allemande, c'est le rapport de Robespierre sur l'existence de l'Être suprême et l'immortalité de l'âme. Je te prie, citoyen commissaire, de m'autoriser à en faire tirer 2000 exemplaires à Bâle en caractères allemands...' Papiers de Barthélémy.. a. a. O., Bd. 4, S. 150.

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den größten Schlag führen zu können und das einfachste Mittel zur Revolutionierung ganz Deutschlands zu erlangen. Ich habe geschickte Agenten, die mich mit allen ihren Kräften unterstützen." 5 Daß Bachers Verbindungen noch weiter ostwärts reichten, bestätigte er mit dem Hinweis auf den Nürnberger Kaufmann Tobias Riesling, der es übernehmen wollte, allein 1000 Exemplare jener Schrift von Robespierre zu verbreiten. 6 Eine Zusammenfassung der Nachrichten, die bei ihm eingingen, schickte Bacher regelmäßig jede Dekade nach Paris.7 Basel war der wichtigste Ausgangspunkt des französischen Propaganda- und Nachrichtendienstes für Süddeutschland, aber nicht der einzige. Auch Straßburg spielte eine Rolle, wo sich Christoph Friedrich Cotta, der württembergische Revolutionär und Bruder des berühmten Verlegers, niedergelassen hatte und sein deutschsprachiges »Straßburger politisches Journal für Aufklärung und Freiheit" herausgab, das die Ideen der Französischen Revolution unter seinen Landsleuten verbreiten sollte.8 Vor allem aber gingen direkt von Paris aus Fäden bis weit nach Deutschland hinein. Allein die vielen deutschen Emigranten in Paris sorgten auf die verschiedenartigste Weise dafür, daß ihr Anliegen, auf die Verhältnisse in Deutschland zu wirken, nicht vergessen wurde. Besonderer Förderung durch das Direktoriumsmitglied Reubell erfreuten sich die Mainzer Emigranten mit Hofmann und Dorsch an der Spitze. Der von Böhmer, Nimis und Blau herausgegebene »Pariser Zuschauer" wurde mit Reubells Unterstützung in Tausenden von Exemplaren im Rheinland verbreitet. 9 In der Gunst Reubells stand auch der frühere preußische Gesandtschaftssekretär Karl Wilhelm Théremin, der als unbesoldeter Beamter direkt im Büro für Auswärtige Angelegenheiten auf dem deutschen Sektor tätig war. 10 Verschiedene Verbindungslinien gingen unimittelbar von der französischen Regierung nach Süddeutschland, denn sie ließ nicht alles durch die schwer zu kontrollierende Gesandtschaft in Basel laufen und hatte nie darauf verzichtet, Aufträge an Emissäre direkt zu vergeben. Darum auch bestimmte das Dekret des Wohlfahrtsausschusses vom 21. November 1794 an Barthélémy, daß jeder Emissär in jedem Falle unmittelbar mit der Zentrale korrespondieren durfte. Der Agent Probst beispielsweise ging Anfang 1794 im unmittelbaren Auftrage des Wohlfahrtsausschusses nach Nürnberg, von wo aus er mit allen möglichen Städten zwischen Kopenhagen, Leipzig und Linz in brieflichen Verkehr trat; die Gesandtschaft in Basel wurde von Paris aus 5

.Je suis occupé dans ce moment à travailler le margraviat de Bade, la Forêt-Noire, et le pays de Wurtemberg, de manière à préparer des gens de ce pays à nous bien recevoir au mois de septembre prochain, ou plus tôt si nous parvenons à former une armée sur le HautRhin, pour passer ce fleuve, et gagner le plus grand coup à porter, et le moyen le plus simple de mettre toute l'Allemagne en révolution. J'ai des agents intelligents qui me secondent de toutes leurs forces." Ebenda, S. 171. « Ebenda, S. 150. ' Cuyot, Raymond, Le Directoire et la paix de l'Europe. Dès traités de Bâle à la deuxième coalition (1795-1799). Paris 1911, S. 85. 8 Leser. Christoph Friedrich Cotta. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Leipzig 1876, Bd. 4, S. 519. » Cuyot, Raymond, a. a. O., S. 117/18. 10 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fase. 347, Bd. 2, Bl. 1/2, 129.

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am 2. April 1794 lediglich von der Tatsache dieser Mission unterrichtet. 11 Neben den selbstverständlich befolgten Regeln der Konspiration macht es diese Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Beziehungen zwischen deutschen Oppositionellen und französischen Kreisen schwer, in jedem Falle den konkreten Inhalt der Verbindung zu ergründen. Häufig kann nicht mehr als die bloße Existenz einer solchen Beziehung festgestellt werden. Die rückständigen und ganz im Fahrwasser der österreichischen Politik schwimmenden geistlichen Territorien Frankens boten zuwenig Anknüpfungspunkte, um die Aufmerksamkeit des französischen Propaganda- und Nachrichtendienstes auf sich zu lenken. Der Kreis um den Medizinstudenten Popp in Würzburg besag darum zunächst keine direkte Verbindung mit der französischen Republik. Auf sich selbst gestellt, erhob er sich in dieser Umgebung ideologisch auch nur wenig über sein Vorbild, den Illuminatenorden. 12 Das änderte sich jedoch, als Popp engere Fühlung mit einer Gruppe von Revolutionären erhielt, die ihr Zentrum wahrscheinlich in Gießen hatten und direkte Beziehungen zu Frankreich pflegten. Es liegen rund 500 Seiten Untersucbungsberichte, Abschriften von Beweismaterialien und aufgefangene Briefe vor, die einen guten Einblick in die Bestrebungen der Revolutionäre gestatten. 13 Eine führende Rolle im Gießener Bunde spielte der in Wetzlar als Hofmeister tätige Daanm, dessen Vater in Würzburg ansässig war und der auch den Kontakt mit Popp herstellte und aufrechterhielt. Seine Gesinnungsgenossen suchte und fand er ausschließlich in der bürgerlichen Intelligenz. Obwohl das von ihm entworfene Statut ausdrücklich nur den Fürsten und ihrem Anhang den Beitritt zu seinem revolutionären Bunde verweigerte, schränkte ein Bildungszensus den Kreis der möglichen Mitglieder doch erheblich ein: „Mitglieder können aus allen Klassen und Beschäftigungen sein, nur keine Herrscher und ihre Familien, keine Höflinge. Doch wird eine gewisse Ähnlichkeit der Kultur und Beschäftigung gefordert, damit das volle Zutrauen, der Gemeingeist und die Harmonie der Gesellschaft nicht gestört werden." 14 Dem Popp teilte er mit, »daß er in einer Gesellschaft von Gelehrten stehe, worunter viele Schriftsteller wären". 15 Gute Verbindungen bestanden offenbar zu den Universitäten, denn in einem anderen Briefe Damms hieß es: „Unsere Reisenden sind zurück, und ihr letzter Aufenthalt war Jena. Sie brachten die tröstlichsten, die besten Nachrichten mit." 16 Als Hauptbeteiligte wurden den Behörden Anfang April 1795 neben Damm die ebenfalls als Hofmeister in Wetzlar tätigen Ebel, Wittenbach und Holzmeister denunziert. Der 11

Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 4. Vgl. S. 94/95. 13 HSA München, Abt. Kreisarchiv, G. R„ Fase. 928, Nr. 13, Konvolut I und II. Enthält u. a. die Abschriften der von Denunzianten aufgefangenen Briefe, einen umfangreichen Auszug aus dem Untersuchungsbericht und Abschriften der bei den Verhaftungen gefundenen belastenden Dokumente. 14 Ebenda, Konvolut II, Beilagen zu dem Extrakte aus der über die Mediciner Poppische Inquisitionssache abgelegten Relation, S. 275/76. 15 Ebenda, Kovolut I, Extractus aus der über die Mediciner Poppische Untersuchung abgelegten Relation, S. 66. " Ebenda, Konvolut II, Beilagen..., S. 255. 13

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Jurist Holzmeister hatte allerdings zu dieser Zeit bereits seine Stellung in Wetzlar aufgegeben und sich angeblich nach Mannheim oder Heidelberg gewandt. Der Denunziant war wiederum ein Hofmeister, und zwar der bei dem Kammergerichtsrat Freiherrn von Weinbach angestellte Valentin Schlezer. Olfensichtlich hielt Damm ihn für einen zuverlässigen Gesinnungsgenossen, denn er hatte dem Popp als seine neue Anschrift die des Freiherrn von Weinheim mit der Versicherung mitgeteilt: »Ich bekomme auf diese Weise alle Briefe sicher und frei." 17 Schlezer erbrach jedoch zwei Briefe des Popp und ein Antwortschreiben von Damm und händigte sie seinem Brotherrn aus, der sofort den Münchener, den Mainzer und den würzburgischen Hof unterrichtete. Popp wurde in der Nacht vom 9. zum 10. April 1795 in Würzburg verhaftet. Der Untersuchungsbericht gibt selbstverständlich kein vollkommen zutreffendes Bild von der Organisation und dien revolutionären Plänen der Beteiligten. Alle waren daran interessiert, unbekannt gebliebene Dinge zu verheimlichen, nur Vermutetes zu leugnen und Nachweisbares zu verharmlosen. Von Popp sagte der Untersuchungsbericht: »Inquisit hat auch dieses gegen sich, dag er in der Untersuchung verschiedener Lügen sich schuldig machte. Er leugnete vom Anfange die Existenz des Bunds, gab alle Entwürfe desselben für Projekte aus, die er nicht ausgeführt habe." 18 In den folgenden Verhören jedoch konnte er bei dieser Aussage nicht bleiben und nannte Namen einiger Beteiligter: Die Rechtsstudenten Widmann, Wächter, Volkmuth, Treupel, Rosalino, Sallwerk, Kuhn, Metz und den Mediziner Ekard. Aber nur Wächter wurde von ihm durch das Geständnis belastet, einen Bruchteil seiner Korrespondenz mit Damm eingesehen zu haben, da er .auf die Wetzlarer sehr begierig" gewesen sei 1 9 ; die übrigen bezeichnete Popp als nicht unterrichtet, als passiv oder als nur vorübergehend am Bunde interessiert. Dag verschiedene Mitglieder in der Tat bald wieder abfielen, bestätigt ein Brief Popps an Damm vom 25. März 1795.20 Nachdrücklich leugnete Popp auch jede Absicht der Ausbreitung seines Bundes über Würzburg hinaus, obwohl er in einem Briefe vom 31. März 1795 an Damm geschrieben hatte: „O wäre ich nur nicht auf Würzburg itzt hieher geheftet, ich würde eine Reise, die gewiß interessant wäre, nach Tübingen vornehmen und da ein paar Monat verweilen, denn da hätte ich Aussichten." 2 1 Daß mit dieser Bemerkung mehr als ein bloßer Traum ausgedrückt werden sollte, verraten die darauffolgenden zwei chiffrierten Zeilen, die aufgelöst lauten: »Wenn euer Plan große Geldunterstützung hat, vielleicht von Frankreich, so unterstützt mich zu Reisen." 22 Eine Woche zuvor hieß es in einem Briefe: „Ich habe auch Hoffnung, die besten jungen Köpfe Württembergs in etlichen Wochen zu meinem Zwecke zu gewinnen. Wenn ihr mir gehörige Hilfe leistet, werde ich es bald auch hoch bringen können." 23 " Ebenda, 18 Ebenda, " Ebenda, 50 Ebenda, 21 Ebenda. 22 Ebenda,

S. 235/36. Konvolut I, E x t r a c t u s . . S . 180. S. 79. Konvolut I. Konvolut I, Extractus..., S. 134.

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Ebenda, Konvolut I.

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Der Kreis, den Damm um sich versammelte, verfocht von Anbeginn revolutionäre Ziele. In den Grundsätzen, die Damm bei der Konstituierung aufgestellt hatte, heißt es: »Überzeugt, dag Revolution nur allein die gegenwärtigen Menschen umschaffen kann, muß der Verbundene sie wünschen, ob sie gleich sein Zweck nicht ist. Er muß stehen können, wenn sie hereinbricht. Er weiß es, daß die Generation, die sie erfährt, unglücklich ist - er hofft bei ihr keine Stunde der Freude, keinen Augenblick der behaglichen Ruhe. Er steht da, wo der Sturm am mächtigsten wirbelt: Fürchtet er, so trete er jetzt zurück!" 24 Und weiter: »Revolutionen sind ein Werk der Naturnotwendigkeit. Sie sind das Fieber, das die kränkelnde Maschine reinigt oder zerstört. - Revolutionen werden unausbleiblich. . . Revolution räumt uns den Schutt hinweg, sie endigt unsere Arbeit nicht, sie öffnet erst das Feld unserer großen Wirksamkeit als Gesellschaft." 2 5 Obwohl hier noch deutlich die Voreingenommenheit des bürgerlichen Aufklärers zu spüren ist, der die mit den revolutionären Ereignissen verbundene Unordnung als schrecklich empfindet, obwohl weiter die typische Überheblichkeit des aufklärerischen Intellektuellen sichtbar wird, der den Massen bloß die Arbeit des Schutträumens zuweist und zur positiv schöpferischen Leistung nur sich und seinesgleichen für fähig hält, so ist dennoch dieses Bekenntnis zur Notwendigkeit der Revolution ein hervorragendes Beispiel fortschrittlichen Denkens im Deutschland jener Zeit. Im Vergleich dazu hinkte der Kreis um Popp sehr nach. Popp hat in der Untersuchung diesen Unterschied stark hervorgehoben und dabei zweifellos übertrieben, um in den Augen seiner Richter ungefährlich zu erscheinen. Bis zu einem gewissen Grade und bis zu einer gewissen Zeit konnte er es mit gutem Recht tun, denn noch am 14. Februar 1795 hatte er an Damm geschrieben: »Ihr wollt die Despoten kühn vom Throne stürzen und wir mit Hilfe der Zeit die Despotie ausrotten aus der Wurzel." 26 Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich Popp immer mehr den Auffassungen der Gruppe von Damm näherte. Nach dem Empfang des Briefes, der die Grundsätze des Dammschen Bundes mitteilte, antwortete Popp am 25. März 1795: .Die Gesetze sind ganz nach meiner Seele und meiner Denkart harmonierend." 27 Ende Februar/Anfang März 1795 übersandte Damm an Popp einen Aufruf »An die deutschen Jünglinge!", der zu konkreten revolutionären Handlungen aufforderte. Ein Lied »Allons!", nach der Marseiller Melodie zu singen und dieselben Absichten verkündend, war dem beigelegt. 28 Popp bestätigte am 11. März den Empfang und schrieb: „Das Überschickte überall, wo es mit Sicherheit gelesen werden kann, zu verbreiten, hätte deiner Anempfehlung nicht bedurft,. . ." 2 9 Am 25. März hieß es sogar: »Den Aufruf und das schöne Lied Allons werde ich wohl zum Druck befördern helfen und können." 30 Der Aufruf verkündete nichts weniger als den bewaffneten Kampf gegen die fürstliche Tyrannei: »Brüder! - wer 24 25 26 27 28 29

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

Konvolut II, Beilagen..., S. 262. S. 270, 271/72. S. 342. Konvolut I. Konvolut I, Extractus..., S. 69. Konvolut II, Beilagen..., S. 350/51.

30

Ebenda, Konvolut I.

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ihr auch seid - auf Universitäten, in Städten oder Dörfern, hört die Stimme eines Bruders. So gewig der Tag, der Ostern heißt, kommen wird, so gewig wird Mainz bald in Republikanerhänden sein. Ha, deutsche Jünglinge, dann hat unsere Stunde geschlagen! Dann ruft uns das Vaterland zu seinem Dienste auf, dann ruft uns die Liebe zur Freiheit an den Rhein. Freiheit! Freiheit dem bedrängten deutschen Vaterlande, Freiheit, Freiheit - komme, wer sie gegen die 300 deutschen Sultane verfechten helfen will - . Schon stehen auf dem Kampfplatze für Freiheit Legionen von Brabändern, von Flamändern, Lüttichern und Batavern und fechten gegen ihre ehemaligen Tyrannen - und noch steht kein deutscher Mann vom rechten Rheinufer in Waffen für Freiheit - wehe! wehe! Schande und ewiges Verderben uns, wenn wir säumen, unsere Ehre zu retten, unserem still seufzenden Vaterlande zu Hilfe zu kommen — zu Mainz weht die Fahne für deutsohe Republikaner, auf Brüder laßt uns hineilen und schwören zu siegen - oder zu sterben. Oder wollen wir zagen und feigherzig genug sein, zurückzubleiben und zu warten, bis die Despoten kommen, tun uns auszuheben und für ihre Sache bluten zu lassen - wollen wir das? unser Blut gezwungen für unsere Despoten fliegen lassen?" 31 Warnend wird auf die Schande hingewiesen, mit der ein solches Verhalten den Namen Deutschlands bedeckt. »Auf denn nach Mainz! Da sei unser Sammelplatz, Brot und Waffen werden wir finden, tum unsere Tyrannen zu bekämpfen." 32 Sehr ausführlich setzt sich der Aufruf mit dem Begriff des Vaterlandes auseinander, wie ihn die Fürsten im Munde führen, mit der „Heuchelsprache der falschen Räte zu Regenstaurg, die auch von einem Vaterlande sprechen,..." 3 3 Was die Herrschenden unter dem Vaterland begreifen, ist etwas ganz anderes als was das Volk darunter versteht: „O, ich beschwöre euch, meine Brüder, seht mit offenen, ungeblendeten Augen die Verfassung unseres armen Vaterlands, die zwar herrlich gut, vortrefflich ist für alle Großen, Höflinge, Pfaffen und niedere Schmeichler, - aber wahrlich nicht für das Volk, für die Väter und Verwandten von uns, deren Geld und Gut, Schweig und Arbeit das Vaterland ist, das jene lieben und sich für die Zukunft erhalten wollen; zahlen wir gern, dag jene prächtig sein können, hungern wir gern, dag jene schwelgen können, fronen wir gern, dag jene faulenzen können - ja, dann haben wir ein Vaterland, und jene sind die Väter des Vaterlandes, und alles, was sie tun, ist vaterländisch, und wenn sie uns Stück für Stück auswärts um Geld verkaufen, so ist's Vaterlandsliebe, und wenn sie uns für ihre drückenden Vorrechte dem Tod entgegenschicken, so ist's Vaterlandsliebe, eine Liebe, wie der Eigentümer von Herden zu seinen Rindern und Schafen hat, mit deren Haut und Wolle er sich kleidet, mit deren Fleische er sich sättigt." 34 Jeder Appell an die Einsicht und Gerechtigkeitsliebe der Fürsten ist sinnlos. Es ist die Aufgabe vornehmlich der Jugend, die bestehenden Verhältnisse zu ändern. »Unsere Väter, meine Brüder, sind an ihr Hauswesen gebunden und können zu ihrem Besten nichts wagen - aber wir Jünglinge, S1

Ebenda, Ebenda, »» Ebenda, M Ebenda,

32

Konvolut II, Beilagen..., S. 276 ff. S. 281/82. S. 283. S. 284/85.

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wir sind frei - wir können ausziehen, um mit den Waffen in der Hand, in Verbrüderung mit republikanischen Heeren wiederzukommen und Freiheit mitzubringen für die schönen Gefilde unseres guten Vaterlandes - . . . eilt zum Sammelplatze, deutsche Jünglinge - Hermanns Söhne soll unser Losungswort sein." 35 Der Aufruf steckte Ziele, wie sie im damaligen Deutschland radikaler nicht gestellt werden konnten; er forderte die einheitliche bürgerliche deutsche Republik. Der Aufruf wurde von Popp begeistert aufgenommen, wie allein die Bereitschaft, für seine Verbreitung zu sorgen, beweist. »Wäre ich nur gleich von diesem Plane unterrichtet gewesen!" schrieb er am 25. März. „Und jetzt - besser unterrichtet." 36 Den Wunsch, stärker ins Vertrauen gezogen zu werden, äußerte er mehrfach. In dem Briefe vom 31. März motivierte er sein Anliegen mit der Notwendigkeit, Fragen seiner nicht weniger begeisterten Gesinnungsgenossen beantworten zu können: »Man fragt mich bald um dieses, bald um jenes, z. B. die Zahl, den Unterhalt, den Tag der Abreise, Kleidung und Bedenklichkeiten mancher Art; ob man beisammenbleibe oder (was keiner will und worüber ich jedem die Versicherung geben muß, daß es nicht geschehe) ob sie verteilt würden."37 Eine Stelle des Briefes vom 25. März läßt vielleicht die Vermutung zu, daß sie darangingen, sich mit Waffen zu versorgen: »Auf hiesiger Festung stehen zwei eroberte Fahnen. Ich und einer meiner Brüder besahen das Zeughaus, und während sich einer mit den Vorzügen unterhielt, raubte der andere." 38 Möglicherweise stellt diese Mitteilung aber auch nur die Antwort dar auf Damms Frage vom 17. März, wie Popp in den Besitz des Stück Fahnentuches aus dem Bauernkriege gelangte, das er als Freundschaftsgeschenk nach Wetzlar gesandt hatte: »Dein an uns geschicktes Läppchen ist in zehn Teile verschnitten worden, und jeder besitzt nun ein kleines Partikel davon. Wir danken dir dafür, wünschen aber zugleich zu wissen, wie du dazu gekommen seist." 39 Auch eine solche bloß symbolische Handlung ist von Bedeutung, denn sie unterstreicht, indem sie an die große revolutionäre Tradition des deutschen Volkes anknüpfte, die Konsequenz und den Radikalismus des Standpunktes, den Damm, Popp und ihre Freunde einnahmen. Eindeutig jakobinische Gesinnung zeigte sich in Popps Frage vom 11. März: „Glaubt ihr nicht, daß der gegenwärtige Moderantism in Frankreich, der so heftig vom Konvente sowohl als von den Journalisten verbreitet wird, Schlaffheit hervorbringen, die Republikanergründe verdrängen und so nach und nach Monarchie wieder herstellen könne? O - ein gräßlicher Gedanke!" 40 Was es Teilen der herrschenden Klasse erleichterte, mit dem republikanischen Frankreich Verhandlungen aufzunehmen, war für die deutschen Revolutionäre berechtigter Grund zur Beunruhigung. Damm nahm diesen Einwand ernst und ließ ihn von demjenigen aus seinem Kreise beantworten, der den Verbindungsmann der Gruppe 35 S6 37 38 31 40

Ebenda, Ebenda, Ebenda. Ebenda. Ebenda, Ebenda,

S. 288/89. Konvolut I.

Konvolut II, Beilagen..., S. 257. S. 351.

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mit Frankreich machte und darum die Verhältnisse dort am besten kannte. Damm hatte bereits von ihm in seinem Briefe vom 17. März gesprochen, wo es hieß: «Nur noch einen Brief warten wir ab, und erhalten wir diesen morgen, so reist einer aus unserer Mitte übermorgen ab über den Rhein, um seine Erbschaft in Ordnung zu bringen, und dann, denke ich, sollen wir uns zusammen bald auf der Hochzeit sehen." 41 Am 29. März teilte er mit: »Der eine, von dem ich dir neulich schrieb, ist nun wirklich fort aus unserem Freundschaftszirkel (Gott geleite ihn auf seiner Wanderschaft), und wir erwarten nun bald wichtige Nachrichten. Er hinterließ vor seiner Abreise noch die Beantwortung der von dir an uns geinachten Frage... Ich rücke sie dir hier wörtlich ein." 42 Die Antwort untersucht die verschiedenen Möglichkeiten, die der Royalismus nutzen könnte, um wieder zu Einfluß zu gelangen: Im Konvent kann der Royalismus nicht Fuß fassen, denn der Konvent ist in seinen Handlungen von der öffentlichen Meinung abhängig; das Volk führt .eine Art Oberaufsicht" über ihn, und der Konvent selbst ist «immer aus seiner Mitte" geboren. Der Verfasser vertritt die Meinung, daß auch der Sturz Robespierres durch den Konvent nicht ohne Hilfe des Volkes möglich gewesen war. »Wie hat Robespierre mit seiner Partei seinen so großen Kredit verloren? Als Republikaner wahrlich nicht, aber offenbar als Tyrann, ich möchte sagen, als Monarch des Konvents und Volks. Wenn Besorgnisse gegründet sein sollten, so müßte erwiesen werden, daß durch Robespierres tyrannisches System das gekränkte Volk der Liebe zur Monarchie genähert worden sei, ist aber nicht das Gegenteil vielmehr die notwendige richtige Schlußfolge? Das französische Volk hat freilich vom Anfange der Revolution bis hieher von der Freiheit und republikanischen Verfassung das gehoffte Gute nach Wunsch noch nicht ganz empfunden; soll es nun deswegen sich in die Arme eines Königs werfen oder nicht vielmehr noch lieber selber Meister seines Schicksals bleiben wollen?" Adel und Geistlichkeit als einst herrschende Klasse sind derartig dezimiert, daß sie viel zu schwach sind, um die öffentliche Meinung verführen zu können. Ernstere Gefahr geht von den Journalisten und Schriftstellern aus, da sie über die Presse starken Einfluß ausüben können. Als einen unüberwindlichen Wall gegen eine solche Propaganda aber betrachtet der Verfasser die Pressefreiheit, die es den viel zahlreicheren Verfechtern der Wahrheit ermöglicht, den Irrlehren mit aller Kraft entgegenzutreten und sie unwirksam zu machen. Das Mißtrauen gegen den Thermidorkonvent ist ungerechtfertigt; wenn es selbst einzelne Verräter in seinen Reihen geben mag, so sprechen seine Handlungen doch eindeutig für die Güte seiner Mehrheit. Diese Analyse der Situation in Frankreich gewinnt durch ihre Haltung zu den Jakobinern besonderes Interesse. Bereits in den oben zitierten Sätzen wurde nicht nur der große Kredit Robespierres beim Volke betont, sondern auch seine republikanische Tugend nicht bezweifelt. Sehr vorsichtig war die kritische Bemerkung formuliert, daß unter der Jakobinerdiktatur die Wohltaten der Revolution vom « Ebenda, S. 255. Ebenda, Konvolut I.

4t

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Volke «noch nicht ganz empfunden' werden konnten. An anderer Stelle wird sogar ausdrücklich von den »ehemals ebenso wichtigen als nötigen Diensten" der Jakobiner gesprochen. Die Analyse geht aber über die bloße historische Rechtfertigung noch hinaus. Als ein entscheidendes Kriterium für das berechtigte Vertrauen in den gegenwärtigen Konvent und die öffentliche Meinung wird gerade die faktische Fortexistenz der jakobinischen Partei genannt. »Es gab Schurken unter den Jakobinern, und die es waren, sind es noch, müssen verzweifeln oder des Verrätertodes sterben, und die braven Männer, die unter ihnen waren, waren und sind noch gute Republikaner, die fürs beste der Republik nun nicht weniger tätig sein können, obschon sie aufhören, Jakobiner zu heißen, wodurch sie nichts als einen Namen verloren haben." 43 Das war im Grunde ein Bekenntnis zu den Jakobinern als den treuesten Republikanern. Die deutschen Revolutionäre empfanden, daß der 9. Thermidor die Gefahr einer konterrevolutionären Entwicklung begünstigte. Unbekannt mit der Lehre vom Klassenkampf, getrennt durch die Voreingenommenheit der Gebildeten von den Massen, begriffen sie nicht, daß in der Tat die Französische Revolution ihren Höhepunkt unwiderruflich überschritten hatte. Sie suchten nach Gegengründen, um ihre Befürchtungen zu widerlegen, und nahmen dabei den Schein für das Sein. In der revolutionären Diktatur Robespierres sahen sie monarchistische Züge, in den konterrevolutionären Äußerungen der Presse nichts als die üble Gesinnung einzelner. Allerdings darf bei der Bewertung der Fehleinschätzung nicht vergessen werden, daß erstens darin eine Wunschvorstellung wirksam war, die den Revolutionären Ehre machte, und daß zweitens Frankreich auch nach dem 9. Thermidor die Förderung revolutionärer Bestrebungen in Deutschland zunächst fortsetzte. Die vorliegenden Materialien machen es in hohem Grade wahrscheinlich, daß die Gruppe um Damm und damit indirekt auch Popp insbesondere Verbindungen zu Mainzer Revolutionären besaßen, die in Paris als Emigranten lebten und auf den Fall der Festung warteten, um an den Ort ihrer früheren revolutionären Tätigkeit zurückzukehren. Dafür spricht die Wahl von Mainz als Sammelplatz für alle deutschen Freiheitskämpfer; dafür sprechen die Sympathien für die Jakobiner, denn die Mainzer Revolutionäre hatten 1792/93 nur in heftigem Kampf gegen die girondistische Politik der Armeeführung und mit Hilfe der Jakobiner die Gründung ihrer Republik durchgesetzt; dafür sprechen schließlich auch Pläne und Maßnahmen der linksrheinischen Revolutionäre nach der Eroberung von Mainz, revolutionierend auf das rechtsrheinische Deutschland zu wirken. Die Entdeckung der geheimen Verbindungen im Frühjahr 1795 setzte den Bestrebungen der Kreise um Damm und Popp ein frühzeitiges Ende. Zweifellos wäre insbesondere von dem Anhang Popps eine bedeutende umstürzlerische Wirkung auch dann nicht ausgegangen, wenn dieses Ereignis nicht eingetreten wäre. Die ausschließliche Konzentration auf die bürgerliche Intelligenz, noch dazu nur auf Studenten, ohne Rückhalt bei einem ökonomisch starken Bürgertum und ohne Beziehung zu den Volksmassen stellte das entscheidende Hemmnis dar. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß die 43

Ebenda.

12 Süddeutsche Jakobiner

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studentische Verschwörung wie im Negativen auch im Positiven in den deutschen Verhältnissen jener Zeit wurzelte und als ein Ausdruck der antifeudalen Bewegung zu gelten hat, der durch seinen Radikalismus hervorragt. Die Strafe, die von der Würzburger Justiz über Popp verhängt wurde, war verhältnismäßig milde. Offensichtlich unter Berücksichtigung seiner Jugend und der ungleich größeren Verantwortung des Kreises um Damm wurde er am 23. Juli 1795 nur zu einem Vierteljahr Festungsarrest, zur Ausweisung und zur Bezahlung der Untersuchungskosten verurteilt. Wenn man ihm unmittelbar nach der Urteilsverkündung sogar noch den Erlaß des Arrestes mitteilte, so war das Motiv nur scheinbar Großmut; man erhoffte eine größere Geständnisfreudigkeit Popps auf Kosten seiner Freunde: „Es wurde ihm hierauf vorgestellt, nachdem ihm der Festungsarrest in Gnaden erlassen sei, so hoffe man, daß er von der Dammischen Verbindung mehr als bisher angeben werde,... Er bestand aber darauf, daß er nicht mehr wisse,..." 4 4 Popp ging in seinen Heimatort Hirschau in der Öberpfalz zurück, wo er noch manche politische Schnüffeleien auszuhalten hatte, sich dann als Kaufmann eine Existenz gründete und wahrscheinlich in der allgemeinen Misere des kleinstädtischen Bürgertums versank. Vom 5. April 1796 liegt ein Gesuch Popps an den bayerischen Kurfürsten um die Erteilung einer Eheerlaubnis vor; darin schrieb er: »Als Jüngling wurde ich im Auslande irregeführt, jedoch wieder zurechtgeleitet und gebessert." 45 Das Zentrum, auf das sich die Aufmerksamkeit des französischen Propagandaund Nachrichtendienstes in Franken richtete, konnte selbstverständlich nicht die Residenzstadt eines geistlichen Territoriums sein, auch wenn sie zugleich eine Universität in ihren Mauern beherbergte. Das Zentrum war die Reichsstadt Nürnberg, weil Nürnberg trotz des Verfalls immer noch eine zentrale Bedeutung besaß. Nürnberg war der Sitz des fränkischen Kreiskonvents, der seit 1790 in Permanenz tagte. Nürnberg war ein wichtiger Handelsknotenpunkt, in den mit den Waren Mitteilungen und Neuigkeiten aus allen Richtungen zusammenflössen und von dem aus sie wiederum umgekehrt leicht in alle Richtungen verbreitet werden konnten. In Nürnberg gab es, wenn auch nicht sehr zahlreich, ein vermögendes Bürgertum, das in scharfem Gegensatz zum herrschenden Patriziat stand. Nürnberger Pressen waren bereit, revolutionäre Pamphlete zu drucken, denn Nürnberger Handwerker und Plebejer hatten in ihren Klassenkämpfen beachtliche revolutionäre Potenzen entwickelt. Bacher rechnete damit, daß sich die in immer neuen Unruhen äußernde allgemeine Gärung in Nürnberg den benachbarten Territorien und Herrschaften zwangsläufig mitteilen würde.4® So verwundert es nicht, daß der französische Propaganda- und Nachrichtendienst schon sehr früh in Nürnberg Fuß zu fassen suchte. Bereits Ende Dezember 1792, als das Reich noch keinen Krieg gegen Frankreich führte, hatte der damalige Außenminister Lebrun den Agenten Louis-Marc Rivals beauftragt, sich nach Nürnberg zu begeben. Allerdings vermochte Rivals damals ** Ebenda, Konvolut II. « Ebenda. 46 Vgl. S. 80.

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nicht Boden zu fassen, obwohl er dem Bürgermeister gegenüber andeutete, dag ein freundliches Verhältnis Nürnbergs zu Frankreich nur nützlich sein könne. Da die Stadt Entschädigungen für Lieferungen während des Siebenjährigen Krieges zu erwarten hätte, wurde ihm sicherer Aufenthalt nur für 24 Stunden gewährt. Der ebenfalls in Nürnberg weilende österreichische General Graf von Colloredo drängte so entschieden auf die Abreise von Rivais, dag die Stadt nichts für ihn zu tun wagte. Nach zwei Nächten schon verließ Rivais am 12. Januar 1793 Nürnberg, .um sich nach Basel zu begeben.47 Ein gutes Jahr später wurde mit mehr Nutzen der Agent Probst nach Nürnberg geschickt. Ein Schreiben aus Paris vom 2. April 1794 unterrichtete Barthélémy davon, dag Probst sich zu seinem Bestimmungsort begeben hätte. 48 Die Österreicher wurden auf ihn erst im August aufmerksam. Baron von Thugut, der leitende österreichische Minister, teilte dem Grafen Lehrbach in einem Briefe vom 20. Oktober 1794 über die Tätigkeit des Probst eine Zusammenfassung der Nachrichten mit, die ihn erreicht hatten. Danach hatte Probst sich vom August bis zum 16. September in Nürnberg aufgehalten und war dann nach Augsburg gegangen. In Nürnberg hatte er mit einer Gruppe vermögender Kaufleute Verbindung aufnehmen können, die ihn nach Kräften unterstützten. An der Spitze standen die Brüder Justus Christian Kiesling und Jean Tobias Kiesling. 49 Der letztere war, möglicherweise durch Probst, auch Bacher gut bekannt, der ihn in einem Bericht vom 19. Juni 1794 nach Paris einen »glühenden Revolutionär" nannte, der »stets mit einem durch den Enthusiasmus des Patriotismus bestimmten Eifer der Französischen Revolution gedient hat." Dieser Kiesling hatte sich bereit erklärt, 1000 Exemplare einer Rede Robespierres zu verbreiten, die Bacher als Flugschrift in deutscher Sprache drucken lassen wollte.50 Nach Thuguts Informationen hatte Jean Tobias Kiesling auch die Adresse seiner Firma für die Korrespondenz des Probst zur Verfügung gestellt. Sein Bruder Justus Christian Kiesling schoß dem französischen Agenten beträchtliche Summen vor und begleitete ihn auf verschiedenen kleinen Reisen nach Ansbach, Erlangen, Lichtenau, Regensburg und anderen Orten. Als weitere mit Probst in Verbindung stehende Nürnberger Kaiufleute nannte Thugut Johann Mohrhard, Karl Gottlieb Kiesling, Johann Jakob Reichel und Johann Jakob Herzogenrath. Probst entwickelte eine sehr vielseitige Tätigkeit Im Vordergrund stand dabei offensichtlich der Propaganda- und Nachrichtendienst. Er verschlang den größten Teil der Gelder, die Justus Christian Kiesling vorschoß und innerhalb von etwa sechs Wochen eine Summe von 3449 Dukaten ausmachten. „Die beträchtlichsten Auslagen waren für übersetzte, gedruckte und verbreitete französische Schriften zum Unterricht der Deutschen, das Postgeld für Briefe von und nach Basel, Baden Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Paris 1887, Bd. 2, S. 29 ff. Ebenda, Bd. 4, S. 4. " Zeissbeig, Heinrich Ritter von, a. a. O., Wien 1890, Bd. 3, S. 7. 5 0 „Tobie Kiesling, banquier à Nuremberg, ardent révolutionnaire, se charge seul de la distribution de mille exemplaires. Il n'a cessé de servir la Révolution française avec un zèle dirigé par l'enthousiasme du patriotisme..Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 150. Vgl. auch S. 152. 17

48

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(in die Schweiz), Schaffhausen, Hamburg, Altona, Gothenburg, Kopenhagen, Leipzig, Regensburg, Amberg, Passau, Salzburg, Linz, Augsburg, München, Stuttgart etc. ; . 5 1 Seine Korrespondenz und seine Reisen verfolgten zweifellos zu einem Teil den Zweck, den Handel mit Frankreich wieder zu beleben und insbesondere den Import kriegswichtiger Waren in die Republik zu betreiben. So verhandelte er mit dem Augsburger Kaufmann Max Christoph Graf, der Ulmer Gerste und Mehl als Haarpuder, kalzinierte Pottasche und Salpeter als Alaun über Basel nach Frankreich zu liefern bereit war. Vier französischen kriegsgefangenen Offizieren, die aus Lichtenau flüchten konnten, beschaffte er mit Hilfe seiner Nürnberger Freunde Pässe in die Schweiz.52 Wie weit seine Verbindungen zu den sozial niederen Bevölkerungsschichten reichten, ist ungewiß; jedenfalls aber fand sich am 16. August 1794 sehr schnell eine Volksmenge zusammen, die ein Wachkommando mit Gewalt daran hinderte, vier französische Emigranten festzunehmen, die man irrtümlicherweise für die vier geflohenen kriegsgefangenen Offiziere hielt. 53 Für den Aufruhr in Erlangen 1795, der sich gegen die Armeelieferungen richtete, machte Thugut in einem Briefe vom 19. Juni 1795 den Agenten Probst direkt verantwortlich. 54 Das Urteil, das Barthélémy am 5. Mai 1795 in einem Schreiben an den Wohlfahrtsausschuß über Probst fällte, spricht dafür, daß er als ein echter Jakobiner der Revolutionierung der Massen große Bedeutung beimaß. Es war die Frage aufgetaucht, ob man ihm einen offizielleren Charakter geben sollte; Barthélémy meinte dazu: „Der Bürger Probst hat Bildung, er ist sehr arbeitsam, aber er hat sich als so warmer Parteigänger der Guillotine und des Terrorismus erwiesen, daß ich es nicht für klug halte, ihn aus der Rolle eines geheimen und nicht anerkannten Agenten herauszunehmen." 55 Daß seine Verbindungen bis in die höchsten Spitzen Nürnbergs reichten, war angesichts der guten Dienste, die er der Stadt bereits geleistet hatte, sehr wahrscheinlich. Seiner Fürsprache war es wesentlich zu danken, daß Nürnberg in das Dekret der Nationalversammlung einbezogen wurde, das die Hansestädte von dem Depot über die an Franzosen geliehenen oder von diesen schuldigen Geldern befreite. Am 15. März 1795 unterrichtete er die Nürnberger von dem Beschluß und erbat einé Empfangsbestätigung seines Schreibens über „den Freund Kiesling, der immer meine Adresse kennen w i r d . . . " 56 Thugut rechnete damit, daß Probst bei seinen engen Beziehungen zu einflußreichen Kaufleuten in den reichsstädtischen Behörden einzelne Verbündete besaß. So riet er im Oktober 1794 Lehrbach drin51 52 53 54 55

56

Zeissberg, Heinrich Rittet von, a. a. O., Bd. 3, S. 7/8. Ebenda. Vgl. S. 65. Zeissberg, Heinrich Rittet von, a. a. O., Bd. 3, S. 253. „Le citoyen Probst a de l'instruction, il est très laborieux, mais il s'est montré si chaud partisan de la guillotine et du terrorisme, que je crois qu'il ne serait pas prudent de le sortir du rôle d'agent secret et non avoué." Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Paris 1894, Bd. 5, S. 226. „Veuillez bien, citoyens, me faire parvenir par la voie de l'ami Kiesling, qui connaîtra toujours mon adresse, un récépissé, qui constate cette remise que je suis chargé de faire passer au Gouvernement pour être conservée dans ses archives." DZA Merseburg, Rep. 44 C, Nr. 94, Bd. 1, S. 89. Vgl. auch Süssheim, Karl, a. a. O., S. 237.

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gend ab, beim Magistrat von Augsburg, wo sich Probst gerade aufhielt, einen offiziellen Auslieferungsantrag zu stellen. Auf diese Weise erführen zu viele von der Absicht, ihn festzusetzen, und Probst würde rechtzeitig gewarnt werden. Thugut empfahl vielmehr, sich nur einem einzelnen zuverlässigen Magistratsangehörigen anzuvertrauen und die nötigen Magnahmen zur Festnahme des französischen Agenten zu verabreden. 57 Es verging aber doch noch mehr als ein halbes Jahr, ehe Thuguts Plan gelang. Auf seiner Durchreise Anfang Juni 1795 nutzte Lehrbach die Furcht des Nürnberger Magistrats vor einer Wiederkehr der Unruhen aus, die im April die Stadt erschüttert und eine Art Ausnahmezustand zur Folge hatten. Lehrbach sprach die Vermutung aus, dag Probst, dieser «französische Emissär und Erzjakobiner", hinter den Unruhen steckte; er forderte dessen Verhaftung und Auslieferung an den kaiserlichen Hauptmann Frölich.58 Am 15./16. Juni konnte er Thugut mitteilen, daß er mit Hilfe eines Senators den Probst bei dem Kaufmin n Kiesling festgenommen hatte. 59 Thugut riet unbedingte Geheimhaltung an, um einem französischen Austauschantrag aus dem Wege zu gehen. Gegen die Häupter der französischen Partei in Nürnberg sollte man Untersuchungen einleiten; wenn sie auch in wesentlichen Punkten nicht überführt werden könnten, so dürfte zumindest ein heilsamer Schrecken bewirkt werden. 60 Bereits im nächsten Jahr aber befand sich wieder ein neuer Agent in den Mauern der 'Reichsstadt. Er nannte sich von 'Reibell und gab sich als ein aus dem Linksrheinischen geflüchteter Edelmann aus. 61 Wahrscheinlich war er identisch mit Reibell dem Älteren, der aus Speyer stammte und sich in direktem Auftrag des Direktoriums über Genf, Luzern, München, Augsburg, Regensburg nach Nürnberg begeben hatte. Zu seinen Geschäften gehörte es, wie Probst der französischen Regierung Nachrichten aus dem nördlichen Europa zu beschaffen. In Nürnberg selbst sollte es ihm gelungen sein, mit den wichtigsten Staatsmännern, Gelehrten und Kaufleuten Beziehungen anzuknüpfen. Dem Schicksal des Probst entging er durch rechtzeitige Abreise. 62 Das Urteil Guyots, der Reibells Tätigkeit als nahezu fruchtlos bezeichnet, muß entschieden angezweifelt werden. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, daß die Behauptung, er habe Kontakte mit wichtigen Staatsmännern angeknüpft, durchaus ernst genommen werden muß. Alles spricht nämlich dafür, daß Reibell die sehr wertvolle Verbindung zu der Gruppe um den fränkischen Kreisgesandten Zwanziger hergestellt hat. Über diese Gruppe berichtete ein anderer französischer Agent, ein gewisser Stephani. In einem Brief an das Direktorium vom 31, Juli 1796 bezeichnete er Zwanziger, Rhodius und Helmreich als aufrechte 57 58 53 ,0

61 62

Zeissberg, Heinrich Ritter von. a. a. O., Bd. 3, S. 8. Ernstberger, Anton. Nürnberg..., a. a. O., S. 463. Zeissberg. Heinrich. Ritter von. a. a. O., Bd. 3, S. 253. Ebenda, S. 345. Der Austausch des Probst erfolgte später gegen den ehemaligen kaiserlichen Residenten in der Schweiz, von Greiffenegg, der von den Franzosen zu diesem Zweck im Sommer 1796 in Freiburg gefangengenommen worden war. Guyot Raymond, a. a. O., S. 85. Bailleu, Paul, Preußen und Frankreich von 1795-1807. Diplomatische Correspondenzen. Leipzig 1881, T. 1, S. 100. Cuyot. Raymond, a. a. O., S. 86.

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Gesinnungsgenossen, die selbst »in den kritischsten Augenblicken" zu Frankreich hielten. Sie hatten sich bereit erklärt, den französischen Armeen militärische Naohrichten zu übermitteln und ihren ganzen Einfluß im Dienste der französischen Republik zu nutzen. Sie haben dieses Versprechen nach dem Zeugnis Stephanis gewissenhaft erfüllt.63 Guyot sieht keine Beziehung zwischen Reibell und Stephani; er hält den Namen Stephani für ein Pseudonym und meint, daß dieser Agent der Armee Jourdans voraufging, um sie mit Nachrichten über die Bewegungen des Feindes au versorgen.64 Es ist aber durchaus möglich, daß jener Stephani mit dem castellschen Konsistorialrat und verdienstvollen Pädagogen Heinrich Stephani identisch war, der zum Freundeskreis um Zwanziger gehörte. Demnach hätte Reibell nicht nur die Verbindung zu der Gruppe um Zwanziger hergestellt, sondern zugleich in der Gruppe einen Mittelsmann gewonnen, der an seiner Statt den direkten Verkehr mit den französischen Stellen besorgte. Dafür sprechen der Name, die jahrelange Verbindung mit dem castellschen Gesandten Zwanziger und vor allem ihre gemeinsame eindeutige Sympathie für die Französische Revolution. Davon zeugt der Brief, den Zwanziger am 8. April 1792 an Stephani geschrieben hatte: »Offenbar lenkt die göttliche Vorsehung alles nach und nach in den Weg einer deutschen Revolution, wobei nur diejenigen einbüßen können, die von dem gemeinen Besten immer nur nehmen und nichts dafür geben wollen. Auch in hiesigen Gegenden regt sich der Verfolgungsgeist gegen die der letzterwähnten, Gefahr laufenden Klasse so verhaßte Demokratie, und dadurch wird das Maß vollgemacht." 6 5 Nicht zufällig trafen Zwanziger und seine Freunde, als sie sich im August 1796 zum Hauptquartier Jourdans begaben, wieder auf Reibell, der anschließend Zwanziger und Rhodius auf ihrer Reise nach Paris begleitete. 66 Ebensowenig kann ein Zweifel daran bestehen, daß mit Reibell zusammen die Pläne für die Errichtung einer fränkischen Republik entworfen wurden, über die später noch ausführlich zu berichten sein wird. Franken war zersplittert, uneinheitlich; aber es besaß eine Stadt wie Nürnberg, Knotenpunkt wichtiger Handelsstraßen, trotz des Niederganges ein wichtiges industrielles Zentrum und wegen des Niederganges ein Herd sozialer Unruhen. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem revolutionären Frankreich reichte bis in die Kreise des besitzenden Bürgertums. Bayern dagegen war verhältnismäßig groß und geschlossen, aber ökonomisch so gleichförmig rückständig, daß der französische Nachrichten- und Propagandadienst seine Anknüpfungspunkte erstens spät und zweitens zunächst ausschließlich bei der Avantgarde des Bürgertums, der bürgerlichen Intelligenz, fand. Hier gab es Elemente, die sich, auch wenn sie ihr Brot als Beamte im bayerischen Staatsapparat erwarben, doch so weit aus der Misere des gesellschaftlichen Lebens herausgehoben hatten, daß sie sich an großen revolutionären 83 84 63

88

Ebenda, S. 309. Ebenda, S. 308. Zwanziger, Karl Hermann, Friedrich Adolph von Zwanziger, gräflich castellscher Geheimrat und Kreisgesandter 1 7 4 5 - 1 8 0 0 . In: Neujahrsblätter. Herausgegeben von der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, H. 11. München u. Leipzig 1916, S. 22/23. Ebenda, S. 26.

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Konzeptionen begeistern konnten. Fournier und Du Moulin Eckart haben in den Pariser Archiven eine stattliche Reihe von Berichten gefunden, die Zeugnis von der Zusammenarbeit republikanisch gesinnter Bayern mit dem revolutionären Frankreich ablegen. 67 Als Verfasser solcher Berichte werden die Brüder Gaume und ein gewisser Frey genannt. Frey verwies in einem seiner Berichte ausdrücklich auf den Anteil eines Freundes an dieser Arbeit, »eines der besten Köpfe und wärmsten Republikaner in Deutschland, der sich den verstellten Namen Frank wählte,.. .* 6 8 Daß auch der Name Frey als Pseudonym aufzufassen ist, geht allein schon aus der Zusammenstellung Frank und Frey, die ein Bekenntnis darstellt, hervor. Von den Brüdern Gaume legte einer sich den Decknamen La Terre zu. Sie berichteten in französischer Sprache und hatten neben Bayern auch noch Tirol in den Bereich ihrer Beobachtungen einbezogen. Auf der Stufenleiter der Bildung stand Frey unter ihnen; seine Berichte liegen in deutscher Sprache vor, die nicht frei von stilistischen Mängeln und orthographischen Fehlern ist. Sein Arbeitsbereich beschränkte sich auf Bayern. 69 Die Verpflichtungen, die diese Männer eingingen, erfüllten sie nicht als bezahlte Agenten, sondern aus ihrer revolutionären Gesinnung heraus. Wenn Frey den Wunsch äußerte, dag Frankreich im Falle ihrer Verhaftung ihre Auslieferung als französische Bürger fordern sollte, so sprach daraus gewiß Sorge um ihre persönliche Sicherheit, aber ebensosehr auch die innige Verbundenheit mit der Mutterrepublik. Sie betrachteten sich als französische Bürger in dem Sinne, dag sie diesen Begriff mit dem des freien Bürgers schlechthin gleichsetzten. Gaume rechnete durchaus mit der Möglichkeit, bei seiner revolutionären Arbeit Opfer eines Anschlags auf sein Leben zu werden. In diesem Falle wünschte er, dag Frankreich die betreffende Regierung für den Mord verantwortlich mache, um auf diese Weise nachträglich die öffentliche Anerkennung als gefallener Kämpfer für die Freiheit zu erwerben. 70 Eine Preisgabe der eigenen Nationalität war damit keineswegs verbunden, sondern es sprach daraus lediglich die Achtung Frankreichs als Mutterrepublik und Beschützerin «iiier freiheitlichen Regungen in den anderen Ländern. Die Geldsummen, die Frey von französischer Seite erhielt, betrachtete er ausschließlich als eine notwendige Hilfe zur Erfüllung seiner konspirativen Aufgaben, da er aus eigenen Mitteln den größeren Aufwand und die Auslagen für die Beschaffung wichtiger Papiere und dergleichen nicht bestreiten konnte. Er erklärte, daß .dieser Wirkungskreis schon von jeher mein einziger Wunsch war", und betonte für sich und seinen Freund Frank, daß »der wärmste Anteil, den wir beide an der Sache selbst nehmen, hinlänglicher Ersatz für alle Mühe i s t , . . . " 7 1 67

Fournier, August, Muminaten und Patrioten. In: Historische Studien und Skizzen. Prag u. Leipzig 1885, Reihe 1, S. 211 ff. Du Moulin Eckart, Richard Grat, Bayerische Zustände und die französische Propaganda im Jahre 1796. In: .Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns", Bd. 2, S. 168 ff., 1894. M Fournier, August, a. a. O., S. 218. •• Ebenda, S. 217, 219. 70 Du Moulin Eckart, Richard Crai. Bayerische Zustände..., a. a. O., S. 172/73. 71 Fournier, August, a. a. O., S. 219.

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Die Verbindung zwischen diesen bayerischen Republikanern und Frankreich ist aller Wahrscheinlichkeit nach durch denselben Reibeil hergestellt worden, der Anfang 1796 im Auftrage des Direktoriums über die Schweiz, München, Augsburg, Regensburg nach Nürnberg reiste. 72 Frey erwähnt mehrfach den »Bürger R.", der ihm den Vorschlag machte, »für die Sache der Menschheit zu arbeiten", ihm ausführliche Instruktionen erteilte und ihm »für einen großen, gedrängt überschriebenen Bogen fein Papier einen Louisdor" antrug. 73 Demnach ist anzunehmen, dag die Korrespondenz über Reibeil ging, und Guyots Ansicht von der Nutzlosigkeit dieser Mission wäre ein zweites Mal widerlegt. Die Instruktion, die Frey von Reibell erhielt und nach der er seine Berichte anzufertigen hatte, ist sehr umfangreich, wird aber von der Gaumes in dieser Hinsicht noch übertroffen. 74 Hinweise auf eine propagandistische Einflußnahme sind keinem der unsystematisch aneinandergereihten 16 Punkte zu entnehmen, aus denen Freys Instruktion bestand. In den ersten sechs Punkten wurde nach dem politischen Zustand überhaupt gefragt, nach politischen Neuigkeiten, nach der Bevölkerungsbewegung, den militärischen Hilfsquellen, dem Stand des Ackerbaus und der Viehzucht, nach Art und Preisbewegung der wichtigsten Lebensmittel. Ein anderer Teil der Punkte verlangte Nachrichten über Stimmungen, Strömungen, Vorkommnisse und Veränderungen bei Hofe, im Staatsapparat, auf diplomatischer Ebene, Hinweise auf Personen, die in den verschiedenartigsten Kreisen Einfluß ¡besaßen oder sich durch besondere Unternehmungen auszeichneten. Ferner sollte das Augenmerk auf das Kommen und Gehen fremder und insbesondere solcher Personen gerichtet werden, die nach Frankreich reisten bzw. von dort zurückkehrten. Punkt 11 wünschte konkrete Auskünfte über Truppenbewegungen und ihre Stärke. Nach der öffentlichen Meinung wurde im achten Punkt gefragt, aber auch das ganz allgemein und ohne damit die Aufforderung zur Einflußnahme zu verbinden. Ober ein allgemeines Bild von Bayern hinaus ging es also vor allem darum, Anknüpfungspunkte festzustellen und Unterlagen zu beschaffen, die ein erfolgreiches diplomatisches oder auch militärisches Vorgehen Frankreichs erleichtern konnten. Bezeichnend für die Hauptrichtung der Nachrichtentätigkeit ist jene Mitteilung Freys, daß er die ihm angebotenen Gelder anzunehmen genötigt sei, »weil ich zur Beförderung der Geschäfte meine einfache philosophische Lebensart mehr aristokratisieren muß, folglich auch gezwungen bin, in Gesellschaften, zu Konzerten, Tables d'höte, Schauspielen zu gehen, welches alles mehrere Auslagen für Kleider und anderen Aufwand erfordert, den ich außerdem niemals machen würde." 75 Die Begrenzung der Agententätigkeit Freys auf solche Bereiche war zweifellos zu einem wesentlichen Teil darin begründet, daß das großbourgeoise Frankreich, das 1795 in Basel einträgliche Seperatverträge mit feudalen Mächten zu schließen gelernt hatte, eine solche Politik fortzusetzen trachtete. Die französische Republik 72 73 71 75

Vgl. S. 163. Fouiniei. August, a. a. O., S. 218/19. Ebenda. Ebenda, S. 219.

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nutzte den Winter 1795/96 zu gewaltigen Rüstungen, um 1796 erneut zur Offensive übergehen zu können. Der Kriegsplan sah einen gemeinsamen Angriff der Maas-Sambre-Armee unter Jourdan, der Rhein-Armee unter Moreau und der Italien-Armee unter Bonaparte mit dem Ziel vor, bis in die österreichischen Erblande vorzustoßen und dort den Frieden zu diktieren. Während Bonaparte sich der Weg durch Oberitalien bahnte, sollten Jourdan vom Niederrhein durch Franken und Moreau vom Oberrhein durch Schwaben und Bayern vorrücken. Für diese gewaltigen Operationen galt es, alle zur Verfügung stehenden Reserven einzusetzen; das hieß unter anderem auch Ausnutzung der Gegensätze im feindlichen Lager und der Kriegsmüdigkeit der süddeutschen Fürsten im besonderen. Die Instruktion für Frey berücksichtigte diese Bedürfnisse. Ein zweiter Grund für die bloße Nachrichtentätigkeit Freys lag in der Beschränktheit der bürgerlichen Opposition in Bayern selbst. Der französische Nachrichtendienst durfte die oppositionellen Elemente, mit denen Verbindung aufzunehmen gelang, nicht überfordern, wenn brauchbare Ergebnisse erzielt werden sollten. In Paris war von oppositionellen Regungen in Bayern wenig bekannt Lediglich an die einstige Existenz des aufklärerischen Illuminatenordens erinnerte man sich. Das geht aus zwei inhaltlich gleichartigen Pariser Aktennotizen hervor, von denen die eine vom 8. April 1796 folgenden Wortlaut hat: .Der Orden der Illuminaten . . . ist ehemals in Bayern sehr verbreitet gewesen. Freunde von Grundsätzen und der Menschlichkeit hatten sich da vereinigt, um sich dem Fortschritt des zivilen und religiösen Despotismus entgegenzustellen; sehr aufgeklärte öffentliche Beamte gehörten zu dieser Zahl. Weishaupt, sehr berühmter Professor an der Universität zu Ingolstadt, war an ihrer Spitze. Dieser Geheimorden näherte sich viel den Freimaurern, aber war mehr instruiert und mehr dem Interesse der Volksunterdrücker entgegengestellt." Es zeugt für die geringe Zahl sicherer Anknüpfungspunkte, auf die Frankreich rechnete, wenn der Schreiber dieser Notiz auf die Möglichkeit aufmerksam machte, daß sich trotz Verbot und schärfster Verfolgung noch einzelne ehemalige Illuminaten finden und gewinnen ließen. »Es scheint mir wichtig, unseren Korrespondenten in München zu fragen, ob er frühere Mitglieder des Ordens der Illuminaten kennt und ob er nicht ein Mittel hätte, daß sie sich im Dienste der französischen Republik nützlich erweisen." 76 Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß die Verbindung mit Frey im Ergebnis solcher Bemühungen zustande kam, denn Freys Berichte setzten bereits am 14. Mai 1796 ein. Außerdem gingen Freys Gedankengänge weit über die der Illuminaten hinaus. Die Berichte, die Frey nach Paris sandte, haben für den Historiker den Vorzug, daß sie sich nicht auf nackte Mitteilungen beschränken. Vielmehr enthalten sie eine Fülle allgemeiner Betrachtungen, persönlicher Urteile und Wünsche, die einen relativ guten Einblick in die Vorstellungswelt dieses frühen bayerischen Demokraten gewähren: Frey war stolz auf die Leistungen der bayerischen Aufklärung: „Es gab in Bayern immer sehr aufgeklärte und helldenkende Köpfe,..." Allerdings waren " Engel, Leopold, Geschichte des Illuminaten-Ordens. Ein Beitrag zur Geschichte Bayerns. Berlin 1906, S. 418/19.

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die Bedingungen für ihr Wirken die denkbar ungünstigsten. »Wenn jemals ein Land über Berge von Hindernissen sich zur Wahrheit emporschwingen mußte, so hatte Bayern gewiß die höchsten hiervon zu übersteigen.* 77 Als hartnäckigstes Hindernis bezeichnete er die schwarze Brut der Jesuiten. .Diesem ungeachtet ist Bayern das Land, wo sich von Zeit zu Zeit einzelne, von dem Augenblicke an aber, als Ganganelli mit einem Schnitt die nur allzu fruchtbaren Väter kastrierte, eine Menge Talente zeigten, die sich durch Schriften, Kenntnisse und jede andere Art von Eifer für die Wahrheit und gute Sache rühmlichst auszeichneten,... die nun geradeweg das Übel beim Kopfe faßten und das mächtige Vorurteil, die Pfafferei, in ihrer wahren Gestalt darstellten." Mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 durch Papst Clemens XIV. datierte also Frey den eigentlichen Beginn der Aufklärung in Bayern. »Anno 1774 bis 1784 wurden eine Menge Schriften in Bayern herausgegeben und mit Eifer verbreitet, welche in mancher Hinsicht selbst der französischen Revolutionszeit würden Ehre gemacht h a b e n , . . E i n e n ganz hervorragenden Platz nahm dabei nach Freys Ansicht der Illuminatenorden ein, von dem er sagte, daß er »mit den nämlichen Artikeln im kleinen handelte, mit welchen gegenwärtig die französische Nation im großen handelt. Diese wichtige bayerische Kompagnie war schon sehr zahlreich und wünde mit ein wenig mehr Vorsicht, Klugheit und ehrlichem Sinne ganz gewiß das geleistet haben, was die Menschheit von ihr fordern durfte." 78 Bei aller Hochschätzung und sogar Überschätzung des Ordens war Frey dennoch kein kritikloser Bewunderer. Die Feststellung, daß es den Illuminaten in ausreichendem Maße an »ehrlichem Sinne" mangelte, war ein Vorwurf von prinzipieller Bedeutung. Frey urteilte als Demokrat und verurteilte damit die bornierte aristokratische Isolierung der Illuminaten, die mehr oder weniger auf die Massen des werktätigen Volkes herabsahen. Die innige Verbundenheit Freys mit den Volksmassen, insbesondere mit den Bauern, spricht aus allen seinen Berichten. Mit aller Entschiedenheit wehrte er sich gegen die generalisierenden, abschätzigen Urteile aufgeklärter Zeitgenossen, so auch Friedrichs II., der in seiner »Histoire de mon temps" Bayern ein irdisches, von Tieren bewohntes Paradies genannt hatte. Frey korrigierte dieses Bild treffend und scharf: »Wenn er nun von sogenannten Menschen spricht, die er als gekröntes Haupt hatte kennenlernen und mit ihnen als Vorständen des Landes hat bekannt werden können, so mag er wohl noch zuwenig gesagt haben, denn man wünscht auch in Bayern ziemlich laut, daß die Höfe einmal aufhören möchten, kostbare Menagerien zu sein, oder, was am leichtesten wäre, daß die Höhlen dieser allerschädlichsten Raubtiere für je und allzeit zerstört werden könnten. Dieser Philosoph würde aber gewiß sehr unlogisch schließen, wenn er den Einwohnern im ganzen genommen Verstand und Beurteilung absprechen wollte." 79 Frey schätzte die 77 78 79

Du Mouliit Eckart, Richard Gral, Bayerische Zustände..., a. a. O.. S. 178. Ebenda, S. 179. Ebenda, S. 178. Diese Überzeugung teilten auch andere bayerische Zeitgenossen, ohne wie Frey revolutionäre Demokraten zu sein. So schrieb Simon Rottmanner, Sohn eines Bauern, Jurist, führender Praktiker und Theoretiker einer fortschrittlichen Landwirtschaft: »Es hat schon vor vielen Jahren zu tagen angefangen; aber hernach ward der Himmel wieder

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Eigeninitiative des Volkes und ihre Ergebnisse sehr hoch ein: »Es hat gegenwärtig ganz allein aus sich selbst, mehr als man glauben würde, hiervon gelernt, und jeder eben nicht genaue Prüfer muß sich überzeugen, daß es für physisches und moralisches Gute mehr als hinlängliche Empfänglichkeit besitze." 80 Zusammenfassend stellte er fest: »...man kann nun mit Gewißheit behaupten, daß die Generation von 1760, nach der mittleren Klasse von Menschen betrachtet, fast ganz für die Wahrheit gestimmt sei. Das Reich der Dummheit hat in Bayern wirklich ein Ende.' 8 1 Als ein sichtbares Zeichen dieser Tatsache wertete Frey die Abnahme des geistlichen Einflusses auf die Massen. »Die Leibwache der Religion hat einen großen Teil von ihrem Ansehen verloren, doch schätzt man die Mönche noch ein wenig mehr als die Weltgeistlichen, weil jene auch mehr Gelegenheit haben, ihre Menschlichkeiten vor dem Volke geheimzuhalten, als der Pfarrer, der immer in ihrer Mitte lebt... Vor zwanzig Jahren war ein Geistlicher und vorzüglich ein Mönch der nächste an Gott. Ein Bauer hielt sich für zeitlich und ewig glücklich, einen Sohn ins Kloster zu bringen, und man durfte zählen, daß der zweite Sohn eines jeden reichen Bauern Mönch wurde. Jetzt aber denkt man ganz anders: Die Studenten haben an der Zahl mehr als um die Hälfte abgenommen, und die Klöster haben jährlich Mangel an Kandidaten und finden in der Not nur arme und elende Schwachköpfe, von welchen ihnen auch noch unter den Probejahren die Hälfte davonläuft, obgleich in Rücksicht dessen die Klosterdisziplin unendlich gemildert ist. Wenn ich überhaupt bestimmen soll, in welchem Grad von Ansehen der Geistliche beim Volke im Jahre 1796 stehe, so muß ich behaupten, daß man ihn, alles eingerechnet, für nichts mehr, aber auch für nichts weniger hält als für ein Ding, welches gut ist, wenn man es in der Not hat. Die Religion steht also viel höher als ihre Diener." 82 Selbstverständlich war das Volk noch »eifrig katholisch", aber der krasse Aberglaube, der es wie eine Fessel an den Klerus gekettet hatte, starb in zunehmendem Maße aus. Vor allem der Bauer bewies einen erfreulich praktischen Sinn; er verachtete die Andächtelei der Betbrüder und -Schwestern, die nicht oft genug ziur Beichte laufen konnten. »Man scheut sogar ihren Umgang, weil man sie für Pfaffenspione hält." 83 Geradezu liebevoll zeichnete Frey den Charakter der bayerischen Werktätigen in Stadt und Land: »Man sagt zwar, daß der Bayer grob sei; aber seine Grobheit besteht nur in seinem rauhen Ton, der selbst seinen Grund in Mangel an Falschheit, Schwatzhaftigkeit und Feigheit h a t , . . . " Offenherzigkeit, Treue, Gutmütigkeit und gesunde Sinnenfreude zeichneten den Bayern aus. »Er ist auch gegen niemand argwöhnisch, schüchtern und zurückhaltend als einzig und allein gegen seine Obrigkeit und gegen die, von denen er durch eigene Erfahrung versichert ist, daß sie falsche

80 81 82 sa

wölkigt. Bayern ist immer zur Aufklärung reif; man spreche nur: Fiat lux." (Rottmamter, Simon), Ofellus Rusticus oder der Verteidiger der Brache in Bayern über die Rezension in der neuen allgemeinen deutschen Bibliothek, XV. Band, S. 364. Frankfurt 1796, S. 43. Du Moulin Eckart, Richard Grat, Bayerische Zustände..., a. a. O., S. 178. Ebenda, S. 180. Ebenda, S. 185. Ebenda, S. 184.

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Leute und Betrüger sind." 84 Gewig gab es Ausnahmen von der Regel, aber auch nur als eine Folge der feudalen Ausbeutung, die verelendete Bauern zu Trinkern machte und sie demoralisierte, so dag sie sich am Ende sogar zu Spitzeldiensten für die Behörden hergaben. Viel schärfer prangerte darum Frey das aus einer beschränkten Wohlhabenheit resultierende, zwar ewig nörgelnde, aber zur Tat unfähige städtische Spießertum an: . . . . ein wahrer Spiegbürger teilt mit seiner dicken Ehehälfte, wenn er wohl zu leben hat, den Tag in zwei Teile: den einen widmet er der Kirche, den anderen einer Gesellschaft im Garten vor der Stadt, wo ein Spiel, mehrere Mag Bier mit einem Braten täglich ihrer wartet. In diesen Gesellschaften wird dann wenig politisiert, aber desto mehr Ehre abgeschnitten und über böse Zeiten geklagt." 85 Mit groger Hochachtung sprach Frey von den Handwerkern im allgemeinen, die im Gegensatz zu den Mitgliedern der herrschenden Feudalklasse ihre Reihe von Dieben und Betrügern peinlich sauber hielten. Sarkastisch folgerte er: . . und ich glaube, dag dieser Stand deswegen unter die niederen Stände gezählt wird, welchen man niemals ein Gefühl für Ehre zutrauen kann, von denen man nie etwas Groges erwarten darf. Die Fürsten und der Adel verstehen das Ding besser,..." 8 6 Freys ganzer Hag und seine ganze Verachtung gehörten der Feudalaristokratie und ihrer ideologischen Hauptstütze, dem Klerus. Am Beispiel des Grafen Bettschart, dessen durch Jahre fortgesetzte Verbrechen als Geheimer Rat und Staatsreferendar der Herzogtümer Sulzbach und Neuburg schließlich selbst die Münchener Regierung nicht mehr zu decken wagte, demonstrierte er den Grad der Verkommenheit. Er schilderte den Adel in seiner skrupellosen Geldgier, seinem hohlen Stolz, seiner grenzenlosen Dummheit und erbärmlichen Feigheit. Sich auf den sensu« communis berufend, nannte er den Grafen Vieregg, Staats- und Konferenziminister unter Karl Theodor, einen ausgemachten Erzdummkopf. „Ich habe eine Menge Leute von Kenntnissen über ihn gesprochen, und es war nicht eine einzige Person, die ihm auch nur allein von dem ,Etz' ein Lot streitig gemacht hätte... Seine zweite Tugend ist Geiz in sehr hohem Grade, seine dritte Adelsstolz und die vierte Tyrannenart, die aber von seiner ersten notwendig im Zaume gehalten... wird." 87 Als meist feig und dumm bezeichnete Frey auch die Offiziere. Um so brutaler verhielt sich die herrschende Klasse gegenüber oppositionellen Gedanken und Regungen: „Überhaupt ist gegenwärtig hier jedes mindeste gefährlich, und die Aristokraten scheinen nun an Denunziationen und Grausamkeiten einen Ersatz für ihre Furcht und ihren Zorn zu suchen." 88 Keine Dorfgemeinde konnte zur Beratung ihrer Angelegenheiten zusammentreten, so hatte Karl Theodor verfügt, ohne dag der Scherg den Vorsitz führte und auf diese Weise jede offene Aussprache verhinderte. Diese Furcht vor den Volksmassen wurde zur schlotternden Angst, die nur noch die feige Flucht 84

Ebenda, Ebenda, 86 Ebenda, 8 ' Ebenda, 88 Ebenda, 85

S. S. S. S. S.

186/87. 184. 192. 197. 192.

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kannte, als die Nachricht vom Rheinübergang Moreaus eintraf. Als typische Beispiele schilderte Frey den Fürsten Bretzenheim, den Minister Tattenbach und den Kriegsratspräsidenten Fürst Isenburg, die am 29. Juni Böllerschüsse, wie sie von den Bürgern bei Gewitter abgegeben wurden, mit Kanonenschüssen verwechselten und nun zitterten, nicht mehr rechtzeitig mit der wertvollsten Habe abreisen zu können. Man schiokte eiligst Kundschafter aus, und der „General der Chevau-legers, Fürst Bretzenheim, ritt nach Dachau und legte sich in höchsteigener Person auf den Boden, um zu hören, woher die Kanonade komme." 89 Den Klerus, die ideologische Hauptstütze des Feudalismus, teilte Frey entsprechend den Methoden der Erziehungsarbeit in drei Gruppen. Die erste arbeitete nach wie vor mit den abgegriffenen Mitteln der Orthodoxie, mit der Furcht vor der Hölle und dem Fegefeuer. Die zweite Gruppe war in ihren Methoden, die Französische Revolution zu paralysieren, beweglicher: „Sie steckt sich hinter Aufklärung, ärgert sich über die alten rohen Zeiten, lobt die neueren, läßt dem französischen Donnerwetter sehr viel Spielraum und gesteht sogar, daß selbes die Luft reiner und gesünder machen könnte, spricht dann wieder von der Liebe des Apostels Johannes, der Süßigkeit des Schoßes J e s u . . . , endet dann ganz sanft mit der Hauptsache der christlichen Duldung und beständigen Ergebung in den Willen Gottes." Der Einfluß dieser beiden Gruppen war gering, gemessen an dem der dritten, die „mit der bekannten Peitsche der Inquisition" einhertrat und es darauf anlegte, „in aller christlichen Milde ihre Opfer erst methodisch zu zerfleischen und dann langsam hinzuschlachten".90 Diese dritte Gruppe mit dem „Großinquisitor" Lippert an der Spitze gab den Ton ah. In der Stadt hatte sie ihr Auge vornehmlich auf die Buchhändler, auf dem Lande auf solche Pfarrer geworfen, die selbständige Gedanken zu entwickeln wagten. Denn wenn auch in der Regel die Vorstellungen der Landpfarrer „sich selten über die Grenzen ihres Stalles und ihres Bierkruges" erstreckten, so gab es doch auch ywahre praktische Gelehrte und einige Originalköpfe" unter der niederen Geistlichkeit.91 Frey trieb keine simple Schwarzweißmalerei; wo Leute mit Geist auf der Seite der herrschenden Klasse standen, da nannte er sie. Seine demokratische Parteilichkeit wußte trotzdem wischen Freund und Feind sauber zu scheiden. Wenn ein leitender Beamter in der Regierung den Einfluß Lipperts bekämpfte, so wog das noch keineswegs den unfruchtbaren Adelsstolz desselben Beamten auf. Aus ähnlichem Grunde erklärte sich Freys scharfes Urteil über Westenrieder: „Dessen Schriften sind alle so, daß man seine Bücher schon bei der zweiten Zeile wegen der auffallenden Unrichtigkeiten und Widersprüche hinter die Türe werfen und den Autor verwünschen möchte." 92 Westenriedens Verdienste um die Aufklärung in Bayern waren nicht zu bestreiten, aber er begriff die Aufklärung rein gedanklich und nicht als Ausdruck einer gesellschaftlichen Bewegung. Seine Furcht vor der praktischen 89 Ebenda, S. 205/06. »» Ebenda, S. 180/81. 91 Ebenda, S. 181/82. 92 Fournier, August, a. a. O., S. 221 Anm. 1.

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Anwendung gewonnener theoretischer Erkenntnisse durch die Volksmassen band ihn an die herrschende Klasse. Für den Demokraten Frey war eine solche Haltung die eines Feiglings. Frey verlangte die tägliche lebendige Auseinandersetzung mit der Reaktion. Ihr zunehmender Druck konnte nur vermehrten Gegendruck erzeugen: „Sie knüpft .das Band gleicher Denkungsart und Herzen nur um so viel enger und fester und entzündet das Feuer zur Teilnahme. Man glaubt, nach der Pest reine Luft zu atmen, wenn man im Zinkel biederer Freunde der Wahrheit ist, und da wird dann jeder Gedanke doppelt gefaßt. Oft würden gute Bücher, die uns aller Vorsorge ungeachtet nicht fehlen, ungelesen bleiben, wenn nicht das Verbot dazu aufforderte. Das beste aber, was die Inquisition stiftet, ist, daß sie dem Charakter der Menschen eine Stärke und Kraft verschafft, deren sich nie ein Schurke rühmen konnte." 93 Freys Ansichten von den bayerischen Zuständen ruhten eindeutig auf revolutionärdemokratischen Grundsätzen; dem entsprachen die Ziele. Frey war Republikaner. Sein Blick umfaßte dabei aber nicht nur die engere bayerische Heimat, sondern das ganze unglückliche, zersplitterte Deutschland. Ganz Deutschland zu einer nach dem Beispiel Hollands von Frankreich abhängigen Republik zu machen, das war das am weitesten gesteckte Ziel: »Ich weiß nun wohl, daß es ein groß Stück Arbeit sei, Deutschland zu einer Republik nach dem Beispiel von Holland zu machen, aber ich zweifle doch noch, ob nicht glückliche Umstände manchmal mehr entscheiden als unsere Pläne. Das scheint mir aber gewiß, daß Deutschland, unter hundert Despoten zerstückt, nie gleiche Interessen, nie gleiche Denkungsart, nie einen Gemeinsinn erlangen werde, folglich nie soviel Tätigkeit erlangen könne, als nur zur Selbsterhaltung nötig ist; es bleibt ewig eine passive Macht, die der Stärkere nach Belieben zu seinem Vorteil benützt, um seinen Nachbarn zu schaden." Die volle staatliche Unabhängigkeit für die deutsche Republik ins Auge zu fassen erschien Frey noch nicht möglich. Die Größe der Aufgaben forderte die Anlehnung an Frankreich, das auf diese Weise die Rolle eines Protektors übernahm. Andererseits bHauchte Frankreich nicht nur der Gebende zu sein: »Der Deutsche ist aber gemacht, seine Rechte und seine Freiheit standhaft und mit bestem Mute zu beschützen, wodurch die Grenzen der Mutter Gallia von dieser Seite ewig gesichert blieben." 94 Das war gewissermaßen Freys Maximalprograimm, formuliert in seinem Bericht vom 29. Mai 1796. In dem Bericht vom 15. Juni entwickelte er weniger weit gesteckte Ziele: »Auch heute ist noch mein Wunsch, und er wird immer derselbe bleiben, Deutschland nämlich als eine oder als mehrere Republiken zu sehen." Der Gedanke an die Bildung mehrerer deutscher Republiken bedeutete bereits eine erste Einschränkung. »Im Falle aber zu diesem großen Endzweck die Mittel fehlten oder die rechte Zeit noch nicht da sein sollte, so möchte ioh doch gar so gerne, daß der für alle Länder gleich schädliche Einfluß von Fürsten, Pfaffen und Adel auf die Völker so viel als möglich gehemmt und wenigstens in der möglichst kürzesten Zeit 83 81

Du Moulin Eckart. Richard Grat. Bayerische Zustände..., a. a. O., S. 181. Ebenda, S. 171.

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ganz vertilgt werden möchte, damit trotz der hundert verschiedenen Regierungsformen und darum sich immer kreuzenden Interessen bei der deutschen Nation eine Art von Gemeinsinn festgestellt werden könnte." 95 Frey kannte die deutschen Zustände gut genug, um zu wissen, dag ohne Hilfe von äugen, nur aus der eigenen revolutionären Kraft heraus, die große Aufgabe nicht in Angriff genommen werden konnte. Selbst wenn Bayern vorangehen und auf seinem engen Territorium die notwendigen Veränderungen beginnen sollte, brauchte es Hilfe von außen, die Frey von den französischen Waffen erwartete: „Es bleibt dem, der Kopf und Herz am rechten Flecke hat, nichts mehr zu wünschen übrig, als dag glückliche Umstände den mächtigen Arm herbeileiten möchten, welcher auch das Reich der Schurkerei, das gegenwärtig noch den verlassenen Thron der Dummheit besetzt hält, zerschmettern und dann in den ewigen Abgrund stürzen kann. Dies Geschäft würde kaum ein Jahr fordern." 9 6 Eine der ersten Magnahmen wäre die Aufhebung der Klöster und Staatsgüter, »deren Fett ein approbierter Balsam gegen die Geschwüre dieses Landes ist. Sobald einmal ein einziger aufhört, für Tausende zu fressen, so essen sich Tausende gleich satt." 97 Voraussetzung war in jedem Falle die französische Unterstützung. Unverkennbar ist seine Sorge, dag die Rückständigkeit Bayerns Frankreich abhalten könnte, Hand an eine gründliche Veränderung der Verhältnisse au legen. Darum registrierte er in seinen Berichten jeden Ansatz einer progressiven Entwicklung und entwarf ein Bild, das bei aller Treue des Details insgesamt doch einen etwas zu günstigen Eindruck hinterlieg. Es ist mehr als fraglich, ob Freys allgemeine Betrachtungen den zuständigen Stellen lesenswert erschienen. Seine maximalen und minimalen Wünsche haben die französische Politik gewig nicht beeinflußt. Die Naivität, mit der er sie äugerte, zeugt von der Abgeschlossenheit der wenigen bayerischen Demokraten. Während der Kreis um Popp und Damm zumindest über die Bedeutung des 9. Thermidor reflektierte, leuchtete für Frey die französische Republik in unveränderter Reinheit. War sein Blick nach dieser Seite begrenzt, so verdient andererseits jedoch sein nicht territorial beschränkter Patriotismus und die Lauterkeit seiner republikanischen Gesinnung höchste Anerkennung. Frey lieg es als revolutionärer Demokrat nicht bei dem bloßen Wunsche nach französischer Hilfe bewenden, sondern er trug seinen Teil dazu bei, solche glücklichen Umstände herbeizuführen. Letztlich der einigen deutschen Republik diente seine Tätigkeit für Frankreich. In Württemberg waren die Voraussetzungen für eine französische Einflußnahme nicht nur angesichts der fortgeschritteneren sozialökonomischen Entwicklung günstiger; inabesondere boten hier die politischen Gegensätze zwischen dem Landesherrn und den Landständen für Frankreich schon sehr früh die Möglichkeit, sich einzuschalten. Während die Landschaft in zunehmendem Maße auf die Beendigung des Krieges drängte, hielt der Herzog an der österreichischen Politik fest. Die Landschaft gewann in diesem Kampfe ständig an Einflug; so konnte sich der aus hessenhomburgischen Diensten wegen jakobinischer Grundsätze verjagte Assessor und »5 Ebenda, S. 171/72. »« Ebenda, S. 180.

• 7 Ebenda. S. 195.

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spätere Hofrat Kämpf 1794 in Württemberg niederlassen und sich als Vermittler eines Friedens mit der französischen Republik der Landschaft anbieten. 98 Kämpf besag Verbindungen, die über Frankfurt a.M. und Basel nach Paris gingen. Am 1. August 1794 sandte Bacher aus Basel an Buchot nach Paris einen Brief, der von einer Mittelsperson am 27. Juli in Frankfurt geschrieben war und eine Mitteilung Kämpfs weiterleitete. Sie besagte, dag die Stände entschlossen waren, selbständig in Friedensverhandlungen mit Frankreich zu treten, wenn der Herzog diesen Schritt nicht täte; sie hätten die Vermittlung, die Kämpf ihnen anbot, angenommen." Sogar der in ganz Württemberg als feuriger Revolutionär bekannte Georg Kerner durfte es im Oktober 1794 wagen, sein Geburtsland zu betreten und Beziehungen aufzunehmen, die mit dem angeblich privaten Charakter seiner Reise nicht mehr zu vereinbaren waren. Er hatte seinen Besuch, und zwar offensichtlich in Übereinstimmung mit Kämpf, gründlich vorbereitet. In seinem Bericht über die Ergebnisse der Reise sagte er: „...ich habe mich mit noch größerer Leidenschaftlichkeit der Idee gewidmet, die Handelsbeziehungen zwischen Schwaben und Frankreich wiederherzustellen. Ich hatte meine Korrespondenz mit Württemberg, dem mächtigsten Stande Schwabens, sozusagen verdoppelt und zur Unterstützung von meinen Freunden eine Menge dieser Idee zugetane Menschen zusammengebracht, während ein Bürger Hessen-Homburgs mit Namen Kämpf, ein begabter Mensch und seit einiger Zeit in Stuttgart ansässig, seinerseits für dasselbe Ziel mit einer Uneigennützigkeit arbeitete, die republikanischen Herzen eigen ist." 100 Kämpf war nicht der einzige Stützpunkt der französischen Propaganda in Württemberg. Das geht sowohl aus den Worten Kerners hervor wie aus den zahlreichen Hinweisen Bachers auf seine Gewährsmänner in Schwaben. Aber Kämpf war der wichtigste. Darum war es auch Kerners Bestreben nach seiner Ankunft in Stuttgart am 5. Oktober 1794, sich sogleich mit ihm in Verbindung zu setzen: »Am 14. Vendémiaire in Stuttgart angekommen, nutzte ich den Tag des 15., um meine alten Freunde wiederzusehen und mit dem Bürger Kämpf zu dem Zweck Bekanntschaft zu machen, uns über alle zu ergreifenden Magnahmen zu verständigen, iuim in Übereinstimmung und nach einem gemeinsamen Plan vorzugehen - was auch geschehen ist, so dag ich vor allem diesem einleitenden Verfahren den Erfolg meiner Reise verdanke." 101 98

Hölzle, Erwin, Altwürttemberg und die Französische Revolution. In: .Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", NF 35. Jahrg., S. 276. 1929. »• Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 220/21. 100 . . . . je me suis attaché avec un acharnement encore plus grand à l'idée de rétablir les rapports commerciaux entre la Souabe et la France. J'avais pour ainsi dire doublé ma correspondance avec le Wirtemberg, l'État le plus puissant de la Souabe, et rallié à l'aide de mes amis une foule d'hommes bien intentionnés à cette idée, pendant qu'un citoyen du pays de Hesse-Hombourg - nommé Kaempf, homme de talents et établi depuis quelque temps à Stouccard, travaillait de son ccté au même but avec un désintéressement propre aux âmes républicaines." Wohlwill, Adolt, a. a. O., S. 156/57. 101 »Arrivé le 14 vendémiaire à Stouccard, j'employais la journée du 15 pour revoir mes anciens amis, à lier connaissance avec le cit. Kaempf afin de nous concerter sur toutes les mesures à prendre pour agir de concert et d'après un plan commun - ce qui s'est aussi fait de manière que c'est surtout à cette opération préliminaire que je dois le succès de mon voyage." Ebenda. S. 158/59.

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Bacher, mit dessen Wissen und Einverständnis Kerner sein kühnes Unternehmen durchführte, war zunächst ernstlich um ihn besorgt. Am 12. Oktober schrieb er an Buchot: »Indem ich zugleich den Mut des jungen Kerner bewundere, bin ich sehr unruhig über diesen Schritt, zu dem ihn sein Eifer für die Revolution veranlagt hat, und ich werde mich über sein Schicksal erst beruhigen, wenn ich ihn nach Schaffhausen zurückgekehrt weif}, wo er Aufenthalt nehmen wird, um seine Korrespondenz mit Deutschland zu pflegen, die guten Gesinnungen unserer Anhänger zu nähren und sie über den wirklichen Gesichtspunkt aufzuklären, in dem man die verschiedenen Ereignisse sehen muß, die sich nacheinander im Frankreich ereignen." 102 Fünf Tage später verfügte Bacher bereits über beruhigende und sehr erfreuliche Nachrichten. Am 17. Oktober schrieb er an Buchot: «Doktor Kerner ist in Stuttgart von Staatsbeamten und Leuten von Ansehen sehr gut aufgenommen worden, so am Hofe wie im Lande. Die Energie und die Wärme, womit er die Vorteile der deutschen Neutralität zu entwickeln gewußt hat, indem er die Notwendigkeit darlegte, sich mit allen geeigneten Mitteln der französischen Republik zu nähern und die Freundschaft einer so gewaltigen benachbarten Macht zu gewinnen, hat alle Wirkungen hervorgebracht, die man wünschen konnte." 103 Am 12. November sandte er den von Kerner abgefaßten Bericht an den Wohlfahrtsausschuß.104 Während der Vater Kerners als herzoglicher Beamter den Besuch des Sohnes kalt aufnahm 1 0 5 , drängte sich eine große Anzahl Personen um ihn und überhäufte ihn mit Zeichen der Zuneigung und Freundschaft. 108 Neben vielen Privatleuten empfingen ihn auch Mitglieder des Geheimen Rats, der Regierung und der Landschaft. .Am 14. Tage hatte ich eine Audienz bei dem Herzoglichen Geheimen Sekretär Schwab, der von dem Herzog expresse Erlaubnis dazu verlangt und erhalten hatte." 107 Überall trat er als bloßer Privatmann auf, der rein zufällig mit der Lage der Dinge vertraut war und ebenso zufällig Verbindungen zu Personen in Frankreich besaß, die bei der Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen beiden Ländern nützlich sein konnten. Sein steigender Einfluß schien dem Hofe schließlich so gefährlich zu werden, daß er ihm die baldige Abreise anempfahl. Kerner verließ seinen Geburtsort mit der Bitte einflußreicher Landschaftsmitglieder, sich in Paris 102

.Tout en admirant le courage du jeune Kerner, je suis très inquiet sur la démarche que son ardeur pour la Révolution lui a fait faire et je ne serai tranquille sur son sort que quand je le saurai de retour à Schaffhouse, où il restera en station pour soigner sa correspondance avec l'Allemagne, entretenir les bonnes dispositions de nos partisans et les éclairer sur le véritable jour sous lequel il faut envisager les différents événements qui se passent successivement en France." Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 252. io» .Le docteur Kerner a été très bien accueilli à Stuttgard par les gens en place et en crédit, tant à la Cour que dans le pays. L'énergie et la chaleur avec lesquelles il a su développer les avantages de la neutralité germanique, en représentant la nécessité de chercher par tous les moyens practicables de se rapprocher de la République française et à gagner l'amitié d'une puissance voisine aussi formidable, a produit tout l'effet qu'on pouvait désirer." Ebenda, S. 365. 104 105 Ebenda, Bd. 5, S. 10. Kerner, Justinas, a. a. O., S. 79. 107 »»« Wohlwill, Adolt, a. a. O., S. 159. Ebenda, S. 151. 13 Süddeutsche Jakobiner

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für Württemberg zu verwenden. Er hat in der Folgezeit auch an der Verbindung der Landschaft mit Paris gearbeitet; aber einmal mag Paris nicht allzu großes Vertrauen in die Stände gesetzt haben, und zum anderen sohreckten die Stände wieder davor zurück, bindende Verhandlungen über den Kopf des Herzogs hinweg einzugehen, der den kurmainzischen Friederasantrag beim Reichstag zu unterstützen versprochen hatte. Schon in seinem Bericht beschuldigte Kerner die Landschaft einer ekelhaften Langsamkeit. Rückschauend wiederholte er in einem Briefe vom 2. Oktober 1795 diesen Vorwurf, sprach von Wankelmut, Feigheit und sogar von Betrügerei. 108 Als dann Anfang 1795 die Tatsache preußischJranzösischer Verhandlungen kein Geheimnis mehr blieb, wurden auch die württembergischen Stände wieder aktiver und schickten Kämpf zur Wiederaufnahme der Verbindungen nach Basel. Nach dem preußisch-französischen Friedensschluß bewirkten sie sogar beim Herzog, daß er den Landschaftskonsulenten Abel als offiziellen herzoglichen Gesandten gleichfalls dorthin delegierte. 109 Kämpf übernahm jetzt die Rolle eines Gehilfen Abels, ohne auf eigene Initiative zu verzichten. Das Urteil des gleichzeitig für verschiedene deutsche Höfe tätigen Korrespondenten Heinrich Wilhelm von Bülow in einem Bericht vom 4. November 1795 lautete über ihn: »... ein sehr guter Beobachter und gescheiter Kopf. Er ist dem württembergischen Legationsrat Abel als Gehilfe beigegeben." 110 Sehr enge Beziehungen knüpfte Kämpf in dieser Zeit zu den deutschen Revolutionären Christoph Friedrich Cotta, dem Straßburger Publizisten, und Georg List, der bei einem Baseler Handelshaus angestellt war und für die französische Propaganda arbeitete. Dieser Umgang war es zweifellos, der Kämpf bei dem immer noch in Basel weilenden preußischen Unterhändler Hardenberg in einen »üblen Verdacht" brachte. 111 Am 25. September 1795 schloß Kämpf für Württemberg mit den Volksrepräsentanten bei der Rheinarmee einen Vertrag, der eine einmonatige Waffenruhe vorsah und die Franzosen eindeutig begünstigte. 112 Allerdings wurde dieser Vertrag vom Direktorium als die militärischen Operationen hemmend verworfen. Aber auch der Herzog hätte ihn angesichts der militärischen Erfolge nicht ratifiziert, die Österreich Ende 1795 dank der verräterischen Armeeführung Piche108 109

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Ebenda, S. 154. Vreede, George Guillaume, La Souabe après la paix de Bâle. Recueil de documents diplomatiques et parlementaires, concernant les négociations avec la République française et la lutte des États de Wurtemberg contre Frédéric II, dernier Duc-Électeur (1795-1805). Utrecht 1879, S. 1. LHA Dresden, Loc. 4875, Relationen des Frhn. H. W. v. Bülow aus Basel und aus Paris, den französischen Krieg betr., 1795/96/97, Bl. 16. Bülow war auf Anraten seines Gönners, des englischen und kurhannoverschen Gesandten beim Reichstag zu Regensburg, v. Ompteda, als Korrespondent nach Basel gegangen und am 22. Oktober 1795 dort eingetroffen. Seine Briefe an Ompteda wurden z. T. von Heinrich Ulmann veröffentlicht, der in seiner Vorrede bedauert, dag Bülows bezahlte Berichte «bis jetzt nicht an den Tag gekommen" seien. Heinrich Ulmann, Briefe über und von dem Freiherrn, späteren Fürsten Karl August von Hardenberg, preußischen Staatsminister, nachherigen Staatskanzler aus den Jahren 1795 und 1814/15. Darmstadt 1924, S. 16. Die dem sächsischen Hof übersandten Berichte sind unter dem angegebenen Locat im LHA Dresden zu finden. 112 Ulmann, Heinrich, a. a. O., S. 47. Vreede, George Guillaume, a. a. O., S. 47.

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grus erzielen konnte. Kämpf wurde zurückberufen.113 Die Verbindung wurde in den folgenden Monaten durch Georg List aufrechterhalten, der häufige Reisen nach Franken, Schwaben und insbesondere nach Stuttgart unternahm.114 Charakteristisch für die Beziehungen, die Frankreich mit Württemberg suchte, war die Tatsache, daß die Mittelsmänner wohl aus den Reihen der revolutionären Demokraten kamen, die eigentlichen Partner aber im Lager der herrschenden Feudalklasse sagen. Frankreich nutzte bestehende Gegensätze innerhalb dieses Lagers wie die zwischen den Ständen und dem Herzog aus, unterstützte oppositionelle Strömungen, die den Krieg beenden wollten, und hoffte so, nach dem Baseler Frieden nun auch die Reste der Koalition sprengen zu können. Diese Tendenz steigerte sich mit den Vorbereitungen zur neuen militärischen Offensive Anfang 1796. Eine hervorragende Rolle spielte in diesem Zusammenhang der ehemalige Marquis Poterat. Pierre Claude de Poterat war ein übler Hasardeur und Hochstapler. Unter dem ancien régime hatte er seinen simplen Adelstitel in den anspruchsvolleren Grafentitel verwandelt und es verstanden, mit aller Welt Beziehungen anzuknüpfen. Seine zweideutigen Geschäfte liegen ihn, zu seinem Glück, für einige Zeit in der Bastille verschwinden. Durch die Revolution 1789 aus der Gefängnishaft befreit, nutzte er diese Tatsache, um sich wiederum in die Umgebung einflußreicher Männer zu drängen. Unter der Jakobinerherrschaft wegen Lebensmittelspekulationen erneut ins Gefängnis geworfen, stiegen mit dem Machtantritt der Grogbourgeoisie auch für ihn wieder die Chancen. Seine persönliche Bekanntschaft mit Thugut, die er während ¿Lessen Urlaubsreise vor 1789 in Frankreich gemacht hatte, liegen ihn dem Wohlfahrtsausschuß geeignet erscheinen, im August 1795 geheime Friedensunterhandlungen in Wien anzubahnen. Obwohl diese Mission erfolglos blieb, erreichte er, dag das Direktorium ihn am 27. November 1795 wiederum mit Vollmachten für Unterhandlungen mit Wien ausstattete. Bezeichnend für Poterat war das Mittel, von dem er sich diesmal Erfolge versprach. Er hatte in Erfahrung gebracht, dag Thugut als österreichischer Gesandter bei der Pforte für den fraifcösischen Nachrichtendienst gearbeitet und bis 1789 eine Pension von den Bourbonen erhalten hatte. 115 Die Drohung mit einem Skandal sollte Thugut gefügig machen. Aber die 113

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Vgl. Briefentwurf Friedrich Eugens an Hardenberg vom 28. 9. 1795. HSA Stuttgart, A 10, Bü. 17. Vgl. auch Brief Bülows an Ompteda vom 16. 11. 1795. Ulmann, Heinrich, a. a. O., S. 47. Cuyot, Raymond, a. a. O., S. 220. Der französische Außenminister Delacroix behauptete in einem Gespräch mit dem preußischen Gesandten Sandoz-Rollin, daß Thugut in Konstantinopel sogar die Chiffre des Wiener Hofes an Frankreich verraten habe. Sandoz-Rollin berichtete am 12. August 1796 über diese Äußerungen von Delacroix nach Berlin: .Es ist derselbe Herr von Thugut, fuhr er fort, dessen Käuflichkeit in einem Briefe Ludwigs XVI. an den Grafen von Vergennes bewiesen ist. Ordnen Sie doch an, sagte der König darin, daß man Thugut seine Pension zahle; er hat uns große Dienste in Konstantinopel geleistet und unter anderen den, die Chiffre seines Hofes auszuliefern." (»C'est ce même Sr. de Thugut, continua-t-il, dont la vénalité est prouvée dans une lettre de Louis XVI au Comte de Vergennes. Arrangez-vous donc, y disait le Roi, de payer à Thugut sa pension; il nous a rendu de grands services à Constantinople, et entre autres celui de livrer le chiffre de sa Cour.") DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fasc. 348, Bd. 3, Bl. 167.

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hochgeschraubten französischen Forderungen ebenso wie die österreichischen Waffenerfolge in dieser Zeit ließen auch diese Mission scheitern.116 Nach Basel zurückgekehrt, schrieb Poterat am 4. Januar 1796 an den Außenminister Delacroix: »Es bleibt Ihnen nur übrig, den Krieg bis aufs Messer und mit äußerster Kraft zu führen." 117 Dennoch hielt sich Poterat weiterhin in Baisei auf, um über den dortigen österreichischen Gesandten, Baron von Degelmann, die Verbindung mit Wien aufrechtzuerhalten. In den folgenden Monaten entwickelte sein geschäftiger Kopf ein neues Projekt, um dessen Annahme in Baris und Wien er sich ebenso eifrig wie vergeblich bemühte: Die Einberufung eines allgemeinen Friedenskongresses in Hamburg. 118 Am 1. April 1796 erhielt er dann vom Direktorium den Auftrag, die süddeutschen Fürsten von der Koalition abzusprengen. Er sollte sie für ein Offensiv- und Defensivbündnis auf der Basis der Anerkennung der Rheingrenze gewinnen. Die französische Gegenleistung sollte neben der Entschädigung für die linksrheinischen Verluste in der Garantie ihres jetzigen und zukünftigen Besitzstandes bestehen. 119 Poterat hatte außerdem den Auftrag, Militärspionage zu treiben und insbesondere Fühlung mit dem Emigrantenkorps des Prinzen Condé aufzunehmen, um Teile davon zum Oberlaufen zu bewegen. Alte finanzielle Verpflichtungen, die der Sekretär und politische Berater des Prinzen, Chevalier de Contye, Poterat gegenüber hatte, sollten diesem die Wege ebnen. 120 Inzwischen jedoch hatte er bereits wiederum ein anderes Projekt verfolgt: Er hatte Verbindungen zu süddeutschen Revolutionären angeknüpft mit dem Ziel, überall Aufstände zu erregen und in ihrem Verlauf ganz Süddeutschland zu republikanisieren. Seit Ende März hielt er das Terrain für hinlänglich vorbereitet. Eine französische Invasionsarmee sollte den Anstoß geben und entsprechende Hilfe leisten. Am 3. April bat er in einem Brief an Carnot um die Übertragung des Kommandos über die Invasionsarmee. Großsprecherisch behauptete er: .Mit einem guten Stabschef, zwei sehr tüchtigen Ingenieuren, drei fähigen und nicht diebischen commissaires ordonnateurs und einer Kompanie Artilleristen verpflichte ich mich, Schwaben in einem Monat zu erobern." 121 Am 13. April folgte bereits das nächste Schreiben, worin er Moreau für unfähig erklärte, ein solches Unternehmen auch nur zu begreifen, und die schon bekannte Forderung wiederholte: „Ich habe meine Kräfte geprüft; ich kenne den ganzen Umfang der Verpflichtung, die ich eingehe... Geben Sie mir die Mittel, tun die ich Sie gebeten 116

Guyot, Raymond., a. a. O., S. 134 ff. Nach Barthélémy habe Poterat sogar verlangt, zur Sicherung Frankreichs einen 10 Meilen (60 km) breiten Streifen deutschen Gebietes mit Feuer und Schwert in eine Wüste zu verwandeln. Mémoires de Barthélémy..., a. a. O., S. 151. 117 „II ne vous reste qu'à faire la guerre à outrance et avec la plus extrême vigueur." Cuyot, Raymond, a. a. O., S. 137. 118 Ebenda, S. 174. n * Hütter, Hermann/Luckwaldt, Friedlich, Quellen zur Geschichte des Zeitalters der Französischen Revolution. Innsbruck 1907, T. 2, Bd. 1, S. 36 ff. 180 Obser. Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 399. 121 .Avec un bon chef d'état-major, deux ingénieurs très habiles, trois commissaires ordonnateurs capables et point voleurs, et une compagnie d'ouvriers d'artillerie je m'engage à conquérir la Souabe en un mois." Guyot, Raymond, a. a. O., S. 208.

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habe." 122 Zehn Tage später drängte er erneut auf positive Antwort und versäumte nicht, die größten Hoffnungen zu erwecken : „Wir haben schon mit einigen Führern dieser Gegenden konferiert. Sie planen, das ganze Land zum Aufstand zu bringen, d. h. die Markgrafschaft und den Breisgau mit Ausnahme des Freiburger Distrikts, auf den sie nicht so zählen; sobald wir unsererseits imstande sein werden, sie zu unterstützen, können sie in der Markgrafschaft 20 000 Mann, alle bewaffnet, zusammenziehen und 10 000 Mann im Schwarzwald, denen sie werden Waffen geben müssen, denn dort sind die Männer entwaffnet worden; aber sie haben davon genug zur Verfügung, um sie damit auszurüsten. Sie werden die Armee mit Lebensmitteln, Futter, Pferden und allem, was sie brauchen wird, versorgen." 123 In einem Briefe an Delacroix vom 1. Mai 1796 plädierte er nachdrücklich dafür, seinem Aufstandsplan den Vorzug vor Separatverhandlungen mit den Reichsständen zu geben, die unter dem Druck der kaiserlichen Truppen ständen und darum auch keine ernsthaften Unterhandlungen zu führen wagten. 124 Am 3. Mai 1796 endlich entschloß sich das Direktorium, auf Poterats Pläne einzugehen und ihn mit ihrer Durchführung zu beauftragen. Die entsprechende Anordnung an den Außenminister lautete: »Das vollziehende Direktorium nimmt, Bürger Minister, den Vorschlag, der ihm gemacht wurde, bestens auf, die kühne Erhebung der Bewohner der Markgrafschaft und des Breisgaus zu unterstützen. Es fordert Sie daher auf, den Bürger Poterat zu bevollmächtigen, sein Einvernehmen mit den Führern dieses Unternehmens weiterhin aufrechtzuerhalten, ihnen zum Gelingen den mächtigen Beistand Frankreichs und im Falle eines Fehlschlags Entschädigungen zu versprechen, die den Verlusten gleichkommen, die seine Führer erleiden könnten. Gleichfalls werden Sie ihn anweisen, sich mit dem Oberkommandierenden Moreau und mit General Labonde, der am Oberrhein eingesetzt ist, zu verständigen. Das Direktorium wird sie von dieser Anordnung und von der Absicht benachrichtigen, wo durch Truppenbewegungen der Erfolg des Insurrektionsplans dieser deutschen Patrioten zu begünstigen ist, die, einmal selbständig geworden, von den französischen Waffen nichts für ihre Freiheit zu befürchten und bis dahin edles von ihnen zu hoffen haben, um sie zu erobern." 125 Delacroix ging weit darüber hinaus und bezeichnete in einem Schreiben an Poterat vom gleichen Tage es als 122

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„J'ai consulté mes forces; je connais toute l'étendue de l'engagement que je contracte... Donnez-moi les moyens que je vous,ai demandés." Politische Correspondenz..., a. a. O., Heidelberg 1915, Bd. 6, S. 105. .Nous avons déjà conféré avec quelques-uns des chefs de ces contrées. Ils proposent de soulever tout le pays, c'est à dire le Margraviat et le Brisgau, excepté le district de Fribourg sur lequel ils ne content pas autant; aussitôt que de notre côté nous serons en mesure de les soutenir, ils peuvent rassembler 20 000 hommes tous armés dans le Margraviat et 10 000 dans la Forêt-Noire auxquels ils seront forcés de donner des armes, car ceux-là ont été désarmés, mais ils en ont à leur disposition assez pour leur en donner. Ils fourniront l'armée de subsistances, fourages, chevaux et de tout ce dont elle aura besoin." Ebenda, S. 106. Ebenda, S. 106/07. .Le Directoire exécutif accueille avec empressement, citoyen ministre, la proposition qui lui est faite de secouer la généreuse insurrection des habitants du Margraviat et du Brisgau. Il vous invite en conséquence à autoriser le citoyen Poterat à suivres ses intelligences avec les

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seine Aufgabe, in Süddeutschland eine Republik zu errichten, Nationalgarden zu organisieren und Vertreterversammlungen einzuberufen. Er sollte sich außerdem mit dem .französischen Residenten in Chur, Comeyras, verständigen, der angewiesen wäre, die vorhandene revolutionäre Gärung in Tirol zu fördern, tun die geplante Insurrektion bis über die Alpen greifen zu lassen. Poterats größenwahnsinniger Wunsoh allerdings, das Oberkommando über die Rheinarmee übertragen zu bekommen, wurde zurückgewiesen. Und noch in einer anderen Hinsicht legte man ihm Zügel an: Die nötigen Gelder für das Unternehmen wurden nicht ihm, sondern Bacher anvertraut. 126 Diese Maßnahme war um so ärgerlicher für Poterat, als seine Beziehungen zur offiziellen französischen Gesandtschaft in Basel keineswegs die besten waren. Wie Barthélémy in seinen Memoiren schreibt, bildete Poterat mit 6einen Helfern ein regelrechtes Komitee, das unabhängig von der Gesandtschaft und ihr entgegenwirkte. Zu dieser Gruppe gehörten vor allem Bassal, ehemals Pfarrer, Konventsmitglied und Präsident des Jakobinerklubs, sein Adjutant Topinot le Brun, vormals Geschworener beim Pariser Revolutionstribunal, dann das ehemalige Konventsmitglied Sergent und schließlich der französische Resident in Graubünden Comeyras, der sich längere Zeit in Basel aufhielt. Die Gruppe erfreute sich des Vertrauens insbesondere von Delacroix, mit dem Poterat vor allem korrespondierte. 127 Heinrich Wilhelm von Bülow berichtete dem Dresdner Hofe am 6. Juli von Poterats Treiben: „Man wußte allgemein, daß er einen ausgebreiteten Briefwechsel unterhielt und kraft der in Händen habenden französischen und österreichischen Pässe, wann er wollte, hingehen konnte, wo es ihm beliebte. Man erfuhr ferner, daß er als eine Kreatur Carnots undReubells es mit derjenigen Partei halte, welche den Ambassadeur Barthélémy stürzen w o l l t e , . . 1 2 8 Nach Mitteilungen von Barthélémy war der Beschluß des Direktoriums vom 12. März 1796, Bacher wegen des Verdachts der Teilnahme an einer Verschwörung gegen die Sicherheit der Republik zu verhaften, Ba&sals Werk. Bacher aber konnte sich völlig rechtfertigen, so daß er schon einen Monat später wieder auf seinen alten Posten zurückkehren durfte. 129

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chefs de cette entreprise, à leur promettre les secours puissants de la France pour la faire réussir et, en cas de malheur, des indemnités égales aux pertes que ses chefs pourraient faire. Vous lui prescrirez également de se concerter avec le général en chef Moreau et avec le général Laborde, employé sur le haut Rhin. Le Directoire va les prévenir de cette disposition et de l'intention où il est de favoriser par des mouvements de troupes le succès du plan d'insurrection de ces patriotes allemands qui, devenus indépendants, n'auront jamais rien à redouter des armes françaises pour leur liberté et qui jusque-là doivent tout attendre d'elles pour la conquérir." Debidout, A., Recueil des actes du Directoire exécutif. Paris 1911, Bd. 2, S. 287/88. Guyot, Raymond, a. a. O., S. 209. Mémoires de Barthélémy..., a. a. O., S. 149 ff. LHA Dresden, Loc. 4875, Relationen des Frhn. H. W. v. Bülow aus Basel und aus Paris, den französischen Krieg betr. 1795/96/97, Bl. 101. Mémoires de Barthélémy..., a. a. O., S. 149/50. Débidoui. A., a. a. O., Paris 1910, Bd. 1, S. 787/88; Bd. 2, S. 51, 131.

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Am gleichen 3. Mai 1796, an dem das Direktorium den Außenminister anwies, Poterat zur Fortsetzung der Insurrektionsvorbereitungen zu bevollmächtigen, gingen die entsprechenden Erlasse an die Generäle Moreau und Laborde hinaus. Darin wurde von der großen und günstigen Gelegenheit gesprochen, »der Freiheit in Deutschland Eingang zu verschaffen und eine mächtige Diversion zugunsten der Waffen der Republik am Rhein durchzuführen". Insbesondere wies das Direktorium auf die Erleichterung des Rheinübergangs und der Erstürmung der feindlichen Batterien und Verschanzungen hin. Laborde sollte in direkten Kontakt mit Poterat treten, und Moreau wurde aufgefordert, sich den Gesamtplan sehr angelegen sein zu lassen und entsprechend zu betreiben. 130 Die offizielle Vollmacht für Poterat wurde am 4. Mai ausgefertigt und befand sich spätestens am 13. Mai in seiner Hand. Sie hielt sich im Wortlaut eng an den Beschluß des Direktoriums vom 3. Mai; in einem Punkt jedoch ging sie darüber hinaus: »Das vollziehende Direktorium bevollmächtigt den Bürger Poterat, den Einwohnern des Markgraftums Baden, des Breisgaus und jeder anderen Gegend Deutschlands, welche ihre Unabhängigkeit zu verschaffen sich wünsohen, in seinem Namen den mächtigsten Beistand der fränkischen République zu v e r s p r e c h e n , . . 1 3 1 Die Ausweitung der Vollmacht, die französische Unterstützung den Einwohnern auch .jeder anderen Gegend Deutschlands" zuzusagen, entsprach in einem gewissen Grade den Auffassungen, wie sie Delacroix in seinem Brief vom 3. Mai formuliert hatte. Eine solche Vollmacht gab Poterat eine größere Bewegungsfreiheit im Verkehr mit den deutschen Revolutionären, deren Verbindungen weiter als nur nach Baden und dem Breisgau reichten. Jede Möglichkeit der Revolutionierung sollte genutzt werden. Dennoch verfolgte das Direktorium dabei keine größeren Pläne und hatte konkret nur die Insurrektion in der Markgrafschaft und im Breisgau im Auge. Das geht eindeutig aus seinem Schreiben an den Regierungskommissar bei der Rhein-Mosel-Armee, Haussmann, vom 6. Mai hervor: Es unterrichtete ihn sehr präzise von dem Insurrektionsplan, »der die ganze Markgrafschaft und den Breisgau mit Ausnahme des Freiburger Bezirks umfaßt, der gleichwohl durch das zwingende Beispiel seiner Nachbarn mit fortgerissen werden wird." 132 Der bedeutendste Kopf und die treibende Kraft unter den süddeutschen Revolutionären, die mit Poterat zusammenarbeiteten, war der 1752 in Durlach gebürtige Georg Friedrich List.133 Er hatte nach seinen eigenen Angaben, die er am 24. März 1799 dem helvetischen Direktorium machte, in der Schweiz den Kaufmannsberuf 134

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.Cette circonstance présente tous les caractères d'une occasion grande et favorable d'introduire la liberté en Allemagne et de faire une diversion puissante en faveur des armes de la République sur le Rhin." Debidout, A., a. a. O., Bd. 2, S. 286/87. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 374. Die Abschrift, die Feldzeugmeister de Latour am 16. Juni 1796 an den Markgrafen von Baden sandte, ist irrtümlich vom 17. April datiert. . . . . un plan insurrecüonel qui embrasse tout le Margraviat et le Brisgau, à l'exception du canton de Fribourg, qui néanmoins sera entraîné par l'exemple pressant de ses voisins." Debidour, A., a. a. O., Bd. 2, S. 320. Obser. Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 390. Hansen, Joseph, Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution. Bonn 1931, Bd. 1, S. 58 Anm. 1

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erlernt, in dieser Branche gearbeitet, sich in seinen Mußestunden aber mit dem Recht und den Staatswissenschaften vertraut gemacht, so dag er 1781 als Finanzkammerrat in kurpfälzische Dienste treten konnte. Im Jahre 1787 mußte er jedoch als Angehöriger des Illuminatenordens vor den Verfolgungen Karl Theodors in die Schweiz flüchten.134 Dem entspricht die Mitteilung Kampfs, wonach List seinen Posten verlor, weil er sich sehr entschieden »Bedrückungen widersetzte". Er ging zunächst nach Lindau, später nach Basel, arbeitete als Handlungsgehilfe und wurde schließlich 1794 Kassierer beim Baseler Handlungshause Nikolaus Preiswerck.185 Was sein einstiger Mitstreiter Kämpf über den Charakter Lists sagt, ist beeinflußt von dem Bestreben, die eigene revolutionäre Vergangenheit zu leugnen; daher der überheblich moralisierende Ton. Trotzdem muß er die wirklich bedeutenden Qualitäten dieses Mannes anerkennen, und das, was er tadelt, seine vorwärtsdrängende revolutionäre Energie, erhöht ihn in unseren Augen erst recht. Kämpf hebt Lists »natürliche Gutmütigkeit", seinen .Feuereifer für das Oute und Gerechte" hervor und tadelt, daß ihm das »Maßhalten, jenes stille Abwägen fehlte". »Fest war List, weil er sanftere Gefühle nicht kannte; er war es aus Einseitigkeit und darum aus wildem Hange für das einmal Ergriffene. Ohne Schwächen, ohne Vorurteile zu haben, beherrschte ihn irgendeine Neigung mit tyrannischer Gewalt, weil es ihn wenig kostete, sie vor seinem Verstand, der bei ihm die Stelle der Vernunft vertrat, zu rechtfertigen, indem er sich niemals selbstsüchtiger Absichten, groben Eigennutzes, immer nur jener kosmopolitischen Weitherzigkeit bewußt war, welche dem Rechtsgefühl und zugleich dem plumpen Stolze roher und zumal gutartiger Menschen schmeichelt;... Sein Geist war ohne Tiefe, aber bell, fessellos, umsichtig. Darum erschaute er leicht das Schwache, Fehlerhafte, daß bloß scheinbar Ehrenwerte des Bestehenden; darum riß ihn das Neue, Außerordentliche, frei, kühn und glänzend Einherschreitende hin.. . Einen solchen Menschen mußte der Geist der Französischen Revolution mächtig ergreifen; ihr greuelvoller Gang konnte ihn nicht zur Besinnung bringen."186 Lists Begeisterung für die Französische Revolution war also, um ein Wort von Engels zu modifizieren, nicht von deutscher Art, nicht rein metaphysisch, sie galt nicht nur den Theorien der französischen Revolutionäre.137 Er war ein echter Jakobiner, und zwar über den 9. Thermidor hinaus. Einzelheiten üiber seine revolutionäre Tätigkeit in der Zeit zwischen dem Bastillesturm und dem Sturz Robespierre« sind nicht bekannt. Bacher nannte ihn in einem Brief an Buchot vom 5. Mai 1794 einen Geheimkorrespondenten des einen Monat vorher zusammen mit Danton hingerichteten Hérault des Séchelles.138 Daß er zumindest sehr engen Kontakt Das Schreiben Lists ist in seinem vollen Wortlaut abgedruckt bei Obser, Kail, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 246 ff. Das kurfürstliche Bestallungsdekret ist vom 21. November 1781 datiert; Obser, Kail, Der Marquis..., a. a. O., S. 391 Anm. 1. Vgl. außerdem Hansen, Joseph, a. a. O., Bonn 1935, Bd. 3, S. 586 Anm. 3. 135 Hurter, Friedrich, Denkwürdigkeiten aus dem letzten Decennium des 18. Jahrhunderts. Schaffhausen 1840, S. 35. 139 Ebenda, S. 36/37. 13' Engels, Friedrich, Deutsche Zustände, a. a. O., S. 567. 138 Papiers de Barthélémy..., a. a. O., Bd. 4, S. 78. 134

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mit den Mainzer Revolutionären besessen hatte, beweist sein amtlicher Lebenslauf, den er als französischer Kommissär in Speyer 1800 abfaßte, worin er sich auf das Zeugnis von Winkelmann, Metternich, Meyenfeld, Moßdorf, Wedekind, Fiesse und Hofmann berief. Er war auch jener ungenannte »Kaufmann vom linken Rheinufer", der Anfang August 1795 im Einverständnis mit dem Mainzer Emigranten Boehmer in Paris 6000 Livres für ein Preisausschreiben über die Frage der Rheingrenze ausgesetzt hatte; Boehmer verteidigte die untadelige Gesinnung des Veranstalters gegenüber Verdächtigungen, die aufkamen, und gab die eingegangenen und preisgekrönten Arbeiten in einer Sammlung heraus. 139 6000 Livres waren keine geringe Summe, und List war kein vermögender Mann; ihn kennzeichnete aber, wie Kämpf bestätigt, eine vollkommene Selbstlosigkeit, und solche Ausgaben »sowie das Unterstützen verarmter, für ihn und die gemeinschaftliche Sache tätiger Patrioten kosteten ihn, den Vater einer zahlreichen Familie, alles das, was er sich mühsam erwarb.' 1 4 0 Aus einem Brief Reubells vom 29. August 1795 geht hervor, daß List um dieselbe Zeit beauftragt war, im Fricktal eine gegen die Österreicher und Emigranten gerichtete Spionage zu organisieren. «Aber da mein Vertrauen in List nicht vollkommen ist und General Pichegru über diesen Punkt ebenso denkt, habe ich ihn gebeten, von seiner Seite aus eine Überwachung einzurichten." 141 Das Mißtrauen Pichegrus, der bereits seinen offenen Verrat vorbereitete, kann nur für die Zuverlässigkeit der Gesinnungen Lists sprechen. Ober die Rolle, die er von 1795 auf 1796 im Zusammenhang mit den Bemühungen Kampfs um die Trennung Württembergs von der Koalition spielte, wurde bereits gesprochen.142 Nach der Darstellung, die List in dem bereits genannten Schreiben vom 24. März 1799 an das helvetische Direktorium gab, hatten er und seine Freunde im Frühjahr 1796 zunächst mit dem Agenten Baissai zusammengearbeitet und Pläne für eine revolutionäre Erhebung in Süddeutschland entwickelt. Bassal sei dann jedoch durch Poterat ersetzt worden. 143 Diese Darstellung ist ungenau, denn Bacher sprach noch am 20. Juni von dem Gespann Poterat und Bassal.144 Trotzdem besitzt Lists Darstellung einen rationellen Kern: In dem Moment, da Poterat den Auftrag des Direktoriums erwirkte, wurde Bassal auf den zweiten Platz gedrängt, obwohl die Venbindungen dieses ehemaligen Präsidenten des Jakobinerklubs zu den deutschen Revolutionären zweifellos viel älter und inniger waren. Dem Hasardeur und Hochstapler Poterat konnten List und seine Freunde kein echtes Vertrauen entgegenbringen; sie haben schließlich auch wesentlich dazu beigetragen, daß seine un138

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Hansen. Joseph, a. a. O., Bd. 3, S. 586 Anm. 3. .Europäische Annalen", Jahrg. 1798, 6. Stück, S. 240. Hurter, Friedrich, a. a. O., S. 44. .Mais comme ma confiance dans List n'est pas entière, et que le général Pichegru pense de même sur ce point, je l'ai prié d'organiser de son côté une surveillance." Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 3, S. 586 Anm. 3. Vgl. S. 176/77. Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 247. Debidour, A., a. a. O., Bd. 2, S. 744 Anm. 4.

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sauberen Geschäfte aufgedeckt wurden und das Direktorium seine Verhaftung beschlog. List war kein willfähriges Werkzeug in den Händen eines solchen Agenten wie Poterat, sondern ein entschlossener Revolutionär, der zupackte, wenn Verrat iim Spiele war. Sehr bald hatte er ihm «ganz andere Absichten als die Befreiung Deutschlands angespürt... Zum Erzählen allzu weitläufige Umstände nötigten mich, Poterat bei dem General Laborde schriftlich zu denunzieren; dies veranlagte seine Verhaftung". 145 Es gibt mehr Vermutungen als sichere Gründe, die die Verhaftung Poterats erklären. Barthélémy behauptet in seinen Erinnerungen, dag die durch ihn und seine Leute in der ganzen Schweiz hervorgerufene Besorgnis wegen der ständigen Verdächtigung der Schweizer Neutralität das Direktorium zu dieser Maßnahme veranlagte. 146 Ein allgemein erhobener Vorwurf war der der Doppelspionage einerseits für Frankreich, andererseits für den Prinzen Condé. Bacher beschuldigte ihn in einem Briefe vom 20. Juni, mit österreichischen Emissären und mit Emigranten zu fraternisieren, denen gegenüber er sich mit Vollmachten, ihnen die Rückkehr nach Frankreich zu ermöglichen, brüstete. 147 Der österreichische Gesandte Degelmann schrieb am 24. Juni an Thugut : «Man betrachtet den bewugten Emissär hier allgemein als einen Doppelspion." 148 Dieselbe Auskunft gab der preugische Gesandte in Paris, SandozRollin, am 6. August nach Berlin. 149 Der Baseler Korrespondent von Bülow teilte am 6. Juli mit: «Soviel ist zuverlässig, dag, seitdem das Condéische Corps sich den schweizerischen Grenzen genähert hat, man laut äugerte, dag er mit besagten Emigrierten und dem Anführer derselben nicht ohne Verbindung sei." Bülow ergänzte diese Nachricht am 28. Juli: »Hauptsächlich drückt ihn jetzt seine Verbindung mit dem Prinzen von Condé, und ein bei gedachtem Prinzen zu Müllheim 6 Stunden von hier abgestatteter nächtlicher Besuch soll einen für Frankreich gefährlichen Anschlag zum Gegenstande gehabt haben." 150 Bacher beschuldigte ihn äugendem magloser Übertreibungen in bezug auf die zu erwartende revolutionäre Erhebung ûnd berief sich dabei auf das Zeugnis eines Kaufmannes aus dem Breisgau, der für Frankreich Militärspionage trieb und Poterat als einen unvorsichtigen Schwätzer ohne die geringste Fähigkeit bezeichnete, das Zutrauen der Deutschen zu gewinnen, deren Sprache er ebensowenig kenne wie ihre Empfindungen. 151 Charakteristisch ist auch eine Wendung, die Bülow gebrauchte: Er »spielte eine äugerst auffallend geheimnisvolle Rolle." Dieses Gebaren war geeignet, seiner Person den Schein einer 145

146 147 148 119 150 151

Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 247. Jägerschmidt hatte ebenfalls Anteil an der Entlarvung und Verhaftung Poterats. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht des Oberamtes Badenweiler vom 30. 8. 1796. Mémoires de Barthélémy..., a. a. O., S. 152. Debidour, A.. a. a. O., Bd. 2, S. 744 Anm. 4. .On regarde ici généralement l'émissaire en question comme un espion double." Obset, Kail. Der Marquis..., a. a. O., S. 400 Anm. 3. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fasc. 348, Bd. 3, Bl. 155. LH A Dresden, Loe. 4875, Relationen des Frhn. H. W. v. Bülow aus Basel und aus Paris, den französischen Krieg betr., 1795/96/97, Bl. 107, 141. Debidour, A., a. a. O., Bd. 2, S. 744 Anm. 4.

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Bedeutung zu geben, die ihr überhaupt nicht zukam. Was sich an Korrespondenten und mittelmäßigen Diplomaten in Basel aufhielt, ließ sich denn auch weitgehend täuschen. Bülow schrieb: »Dieser Vorfall (Poterats Verhaftung - H. S.) erregt hier um so mehr ein außerordentliches Aufsehen, als man den starken Anhang, den dieser Mann in Frankreich hatte, kennt und man nicht zweifelte, daß er bei dem dereinstigen Friedenswerke eine Rolle spielen werde." 152 Die süddeutschen Revolutionäre waren aus einem anderen Holze geschnitzt, um auf einen Mann wie Poterat hereinzufallen. Auf ihre Intervention hin ordnete das Direktorium am 29. Juni Poterats Verhaftung ein.153 Sie erfolgte auf Requisition Barthélemys am 4. Juli durch Schweizer Behörden.154 Am 10. Juli erging der Befehl an Barthélémy und den General Laborde, ihn unter sicherer Bewachung nach Paris bringen zu lassen. 155 Damit war allerdings das Direktorium dem Prinzen Condé lediglich zuvorgekommen, denn wie jenes so mißtraute auch dieser dem ehemaligen Marquis und hatte darum Vorbereitungen zu seiner Gefangennahme getroffen. 156 Die Zweideutigkeit und die Hochstapelei Poterats sind eine Sache, die zielbewußte und intensive Arbeit eines Kerns deutscher Revolutionäre eine andere, auch wenn die Umstände es so fügten, daß beide eine Zeitlang sich miteinander berührten. 157 Der Kopf der Gruppe war Georg List. Nach dem Zeugnis von Kämpf gehörten außerdem dazu «ein Württemberger, der längst in Frankreich lebte, und ein gewisser, bei Basel wohnhafter Badenser namens Jägerschmidt, welcher bereits in revolutionärem Verkehr mit den Bauern des badischen Oberlandes stand".158 Hinter dem Württemberger verbarg sich zweifellos Christoph Friedrich Cotta. Ernst Jägerschinidt stammte aus Kandern, war der Sohn eines Arztes und lebte als Faktor auf dem Zäßlinschen Eisenwerke im linksrheinischen Niederschönthal. Zu seinen Mitarbeitern in den badischen Oberlanden zählten sein Schwager, der Pfarrer Wix in Feuerbach, weiterhin Pfarrer Edsenlohr in Bettberg, Johann Georg Dörfflinger, Sohn des Britzinger Vogts, der Britzinger Vogt selbst, die Vögte von Mappach und Efringen, Landkommissar Ludwig, Jagdinspektor Muser, ein Dr. Leußer, Fritz Hoyer und vor allem Christoph Hoyer, der Sohn des ehemaligen Burgvogts von Müllheim 152 153 154 155 156

157

158

LHA Dresden, Loc. 4875, Relationen des Frhn. H. W. v. Bülow aus Basel und Paris, den französischen Krieg betr., 1795/96/97, Bl. 107,174. Debidout. A., a. a. O.. Bd. 2, S. 744/45. Vgl. oben Anm. 145. GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1331, Brief Degelmanns vom 6. 7. 1796. Debidout, A., a. a. O., Paris 1916, Bd. 3, S. 56. Obsei. Kail, Der Marquis..., a. a. O., S. 400/01. Offensichtlich aber konnten Poterat keine Verrätereien nachgewiesen werden, denn am 6. August bereits verfügte das Direktorium seine ^Freilassung. Er durfte nicht in Paris bleiben und m u ß t e sich zu seinem ständigen Wohnsitz begeben. 1798 gelang es ihm nochmals, einen Auftrag zu erhalten und in besonderer Mission in den Breisgau geschickt zu werden. Erst unter dem Konsulat verschwand er endgültig von der politischen Bildfläche. 1803 verbrachte er erneut einige Monate im Gefängnis. 1808 starb er. Debidout, A., a. a. O., Bd. 1. S. 137 Anm. 2; Bd. 3, S. 276. Die Behauptung Obsers, daß Poterat .vermöge seiner Vergangenheit zu dem Werke wie kein anderer geeignet war", kennzeichnet »wie keine andere" das absolute Unvermögen dieses bürgerlichen Historikers, das Wesen revolutionärer Bewegungen zu begreifen. Obsei, Kail, Der M a r q u i s . . a . a. O., S. 387. Hutter, Friedlich, a. a. O., S. 54.

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und Handlungsgehilfe, der schon früher mit den Franzosen zusammengearbeitet hatte. 159 Weiterhin gehörten zum Kern der Revolutionäre Linck, der am 14. Mai von Poterat beauftragt worden war, die Insurrektion in der rechtsrheinischen Pfalz zu organisieren 160 , dann Kämpf in Stuttgart und der Fabrikant Haller in Ludwigsburg, mit dem List nach der Aussage Kämpfs eine lebhafte Korrespondenz unterhielt.161 Beteiligt waren außerdem an den revolutionären Vorbereitungen der Prinzipal des Georg List, Nikolaus Preiswerck 162 , und Remigius Frey, der beim Zoll beschäftigt war, beides Baseler Bürger.163 Die genannten Namen umfassen selbstverständlich nur die bekannt gewordenen, nicht aber sämtliche Angehörige der leitenden Gruppe. Poterat schrieb am 27. Mai an Delacroix: «Ich habe mehr als 20 Emissäre, die jetzt die Markgrafschaft, den Schwarzwald und einen Teil Schwabens mit von uns verfaßten Instruktionen bereisen und von denen einige Träger regulärer Vollmachten sind, die ich ihnen anvertraut habe und die sie verlangt haben, um den Eigentümern, die sich erheben sollen, eine Garantie zu geben." 164 Oberaus wichtig ist die Feststellung, daß der Kern der südwestdeutschen Revolutionäre sich nicht mehr allein aus der bürgerlichen Intelligenz, sondern bereits auch aus dem Handels- und Industriebürgertum rekrutierte. Diesem hohen Entwicklungsstand der Bewegung entsprach eine bemerkenswert klare Vorstellung von den in erster Linie zu lösenden Probleimen: Zwei Hauptaufgaben standen vor dem deutschen Volk, die Lösung der sozialen und der nationalen Frage. Obwohl die letztere stets eine von der ersten, der Grundfrage, abgeleitete Frage darstellt, war sie doch als ungelöste Frage zugleich das größte Hindernis bei der Bewältigung jener Grundaufgabe. Die nationale Zersplitterung hemmte die Herausbildung eines starken Bürgertums, das im Bunde mit den Massen aus eigener Kraft den Feudalismus zu zerschlagen vermochte. Die südwestdeutschen Revolutionäre spürten die enge Wechselbeziehung beider Fragen; sie betrachteten die Lösung der sozialen Frage als die grundlegende Aufgabe, aber sie vernachlässigten darüber nicht die nationale Frage, ohne deren Lösung auch die Grundaufgabe nicht endgültig und vollkommen bewältigt werden konnte. Die Situation war äußert kompliziert: Die historisch bedingte Schwäche des Bürgertums konnte und mußte durch die aktive Unterstützung des bürgerlichen Frankreichs kompensiert werden; darum verbanden 159

1,0 141 1.2

1.3

1.4

Obser. Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 393 £f. .Nationalzeitung", Jahrg. 1798, Sp. 257/58. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht des Oberamtes Badenweiler vom 30. 8. 1796. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 6, S. 115. HSA Stuttgart, A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800, Höhle, Erwin, Das alte Recht..., a.a.O., S.151 Anm.2, S.153. Obser, Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 402. Hölze, Erwin, Zur revolutionären Bewegung in Schwaben 1796. In: »Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", NF 36. Jahrg., S. 100, 1930. .J'ai plus de 20 émissaires qui parcourent maintenant le Margraviat, la Forêt-Noire, une partie de la Souabe avec des instructions que nous avons rédigées et dont quelques-uns sont porteurs de pouvoirs réguliers que je leur ai confiés et qu'ils ont exigés pour assurer une garantie aux propriétaires qui doivent s'insurger." Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 6, S. 107/08.

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die Revolutionäre den geplanten Umsturz mit dem zu erwartenden Einmarsch der französischen Truppen. Das unmittelbare Ziel bestand in der Beseitigung der feudalen Gewalten. Ein Sieg von Dauer aber war wiederum nur möglich, wenn man gleichzeitig die Lösung der nationalen Frage in Angriff nahm. Auf diese Weise konnten die konterrevolutionären feudalen Kräfte ebenso bedeutend geschwächt wie die bürgerlichen gestärkt werden. Andernfalls war der Sieg nur durch französische Bajonette aufrechtzuerhalten, ein kleineres Übel, aber doch ein Übel, das die Gefahr der Fremdherrschaft in sich trug und zu einem neuen Hemmnis für die Entwicklung eines starken Bürgertums und damit für die Festigung der bürgerlichen Ordnung werden konnte. Die Revolutionäre mit List an der Spitze waren keine bezahlten französischen Agenten; sie waren deutsche Revolutionäre, die auf der Basis des gegenseitigen Interesses ein Abkommen mit dem bürgerlichen Frankreich getroffen hatten. Sie boten Begünstigung und aktive Unter Stützung der militärischen Pläne Frankreichs; sie verlangten ebenso aktive Hilfe bei der Durchführung ihrer revolutionären Pläne; und sie stellten eine bedeutsame Bedingung, die vom Direktorium, wie aus dem schon genannten Brief an Haussmann vom 6. Mai hervorgeht, ausdrücklich akzeptiert wurde : „Die beglaubigten Männer, die dieses große Unternehmen leiten, fordern, dag die Unabhängigkeit ihres Landes respektiert werde, und diese Zusicherung ist ihnen auch mit Zuvorkommenheit gegeben worden,..." 1 6 5 In allen wichtigen Äußerungen, die von diesem revolutionären Kern ausgingen, in Instruktionen, Briefen, Proklamationen, spielte der Gedanke der Unabhängigkeit eine hervorragende Rolle. Die für die revolutionären Propagandisten bestimmte Instruktion wies sie an, .einem jeden zu erklären, daß die Freiheit, die man ihnen anbietet, ein vollkommener Zustand von Unabhängigkeit sein soll, dergestalt daß die fränkische Republik nicht das mindeste wegen ihrer politischen Rechte sich vorbehält und das Verhältnis zwischen ihnen und ihr keinen anderen Zweck als Freundschaft, Eintracht und einen ewigen Bund zur Verteidigung der gemeinschaftlichen Unabhängigkeit haben soll. Man wird den vereinigten Deutschen das Recht lassen und gesteht ihnen zu, sich selbst zu regieren und Gesetze zu machen, die ihren Sitten, Gewohnheiten und Meinungen am angemessensten sind; überhaupt soll ihnen in allen Punkten die vollkommene Unabhängigkeit zugestanden sein, dergestalt daß sie alle Teile der Regierung des Landes mit und durch sich selbst zu besorgen haben". Mit aller Entschiedenheit wurde dem Gedanken widersprochen, daß die Absicht bestünde, den „freigesinnten Deutschen . . . nur unter einer veränderten Gestalt einen neuen Herrn zu geben,..." 1 6 8 Die künftige enge Verbindung mit Frankreich widersprach nicht der geforderten Selbständigkeit, sondern gehörte einfach zu ihrer notwendigen Sicherung. Die freie und unabhängige Ordnung der eigenen Angelegenheiten sollte durch eine Nationalversammlung erfolgen, die unmittelbar nach dem siegreichen Einmarsch zusammengerufen würde. In der Prokla1,5

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.Les hommes accrédités qui dirigent cette grande entreprise demandent que l'indépendance de leur pays soit respectée et l'assurance leur en a été donnée avec empressement,.. Debidout, A., a. a. O., Bd. 2, S. 320. Obsez, Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 412.

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mation Poterats, mit der die Revolutionäre dann vor die Öffentlichkeit traten, ist ebenfalls die Zusicherung der Unabhängigkeit enthalten. Der entsprechende Abschnitt der Proklamation, die aller Wahrscheinlichkeit nach List zum Verfasser hatte, hielt sich weitgehend an die Formulierung, wie sie in der Vollmacht des Direktoriums für Poterat gewählt worden war: »Das vollziehende Direktorium der fränkischen Republik hat mich bevollmächtigt, euch in seinem Namen die Versicherung zu geben, dag es eure Bemühungen zur Erhaltung eurer Unabhängigkeit großmütig und kräftig durch die Waffen der Republik unterstützen werde, und weit entfernt, jemals von Seiten der fränkischen Waffen etwas wegen eurer Freiheit und Unabhängigkeit zu befürchten, sollt ihr vielmehr für den sicheren Erwerb derselben alles von ihrem Mut zu gewarten haben." 167 Auf dieser Basis begannen die deutschen Revolutionäre im Südwesten ihre Arbeit. Sie besagen klare Vorstellungen von den Zielen und ebenso von den Mitteln, diese Ziele zu realisieren. Eine provisorische Regierung war zu bilden, deren wichtigste Mitglieder bereits designiert waren. Die geplante Zusammensetzung ist ebensowenig überliefert wie das Regierungsprogramm, das nach Poterats Aussage von Bassal ausgearbeitet worden war und in deutscher Sprache gedruckt werden sollte.188 Andere Zeugnisse gestatten jedoch, wesentliche Programmpunkte zu rekonstruieren. So erinnerte List in einem Briefe an Delacroix vom 11. Juli 1796 an die Abmachungen, die die deutschen Revolutionäre mit Poterat getroffen hatten : „... wir waren mit ihm übereingekommen, dag die französischen Armeen, die auf das rechte Ufer übersetzen werden, von uns vollkommen unterhalten und bezahlt werden, dag die Zivilverwaltung uns völlig überlassen wird, dag unsere Jugend zu Bataillonen formiert wird, um gemeinsam mit den französischen Truppen zu handeln." 189 Die Ordnung der eigenen Angelegenheiten, das heigt die Einführung »einer echten, freien Konstitution, die auf gesetzmägige Gleichheit der Rechte gegründet ist", sollte, wie aus der für die revolutionären Propagandisten bestimmten Instruktion hervorgeht, „sofort und ohne Verzug" durch eine Nationalversammlung erfolgen, „deren Mitglieder nach und nach von den Völkern ernannt werden sollen, sowie die Truppen der Republik in die dazu bestimmten Länder eindringen werden." 170 Dieselbe Perspektive, »in Urversammlungen zusammenzutreten und sich einen freien, mit Frankreich in ewigem Schutz- und Trutzbündnis stehenden Staat zu bilden", hatte List bereits Ende April in einem Briefe an Kämpf entwickelt.171 Und schlieglich hat Jägerschmidt dann im Juli auch den Schritt zur Praxis getan und sich bemüht, in den badischen Oberlanden Versammlungen der gewählten Gemeindevorsteher einzu167 168 189

170 171

Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 375. Ebenda, Bd. 6, S. 108. . . . . nous étions d'accord avec lui que les armées françaises qui passeraient sur la rive droite seraient entièrement entretenues et payées par nous, que l'administration civile nous serait entièrement abandonnée, que notre jeunesse serait formée en bataillons pour agir conjointement avec les troupes françaises." Ebenda, S. 115. Obser, Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 412. Hölzle, Erwin, Zur revolutionären Bewegung..., a. a. O., S. 99.

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berufen, um über die künftige Landesverfassung zu beraten.172 Das Programm war realistisch, indem es die eigenen Kräfte nicht überschätzte, den geplanten Umsturz mit dem zu erwartenden Einmarsch der französischen Truppen verband und ein enges Bündnis mit der Mutterrepublik anstrebte. Zugleich war es beseelt von einem tiefen Vertrauen in die Volksmaasen, die auf demokratische Weise die Ordnung ihrer Angelegenheiten in die eigene Hand nehmen sollten, und von einem Nationalgefühl, das sich nicht nur in der starken Betonung der Unabhängigkeit, sondern auch in dem Bestreben äußerte, dem Irasurraktionsgebiet die größtmögliche Ausdehnung zu geben, das heißt keine breisgauische, badische oder württembergische Revolution, sondern eine deutsche Revolution einzuleiten. Dem Außenminister Delacroix, der in dieser Zeit offensichtlich zu den eifrigsten Förderern der deutschen republikanischen Bestrebungen gehörte, schrieb Poterat am 27. Mai: »Die Verzweigungen dieses Komplotts erstrecken sich bis Heilbronn und Heidelberg einerseits und andererseits gegen Ulm und Augsburg, selbst bis Nürnberg, wo ich bereits geheime Verbindungen habe. Das wird ein allgemeiner Aufruhr sein, dessen Fortschritte schnell und dessen Wirkungen gewaltig sind, wenn sie von der Armee entschieden unterstützt werden."173 Linck war von Poterat am 14. Mai beauftragt worden, die Erhebung in der rechtsrheinischen Kurpfalz zu organisieren.174 Georg List bemühte sich seit Ende April/Anfang Mai, Kämpf in Stuttgart von der bisher befolgten Linie, die sich den Abschluß eines württembergisch-französischen Separatfriedens zum Ziel gesetzt hatte, abzubringen und ihn auf die Errichtung einer süddeutschen Republik zu orientieren. Er motivierte die Änderung des politischen Kurses damit, daß .die präponderantesten Reichsstände der von Frankreich gezeigten Beredtwilligkeit und der ergangenen Einladungen ohngeachtet sich auf keine Partikularunterhandlungen einlassen w o l l t e n , . . 1 7 5 Kämpf gab diese Mitteilung am 20. Meli an den Herzog Friedrich Eugen weiter, da er sie offensichtlich noch nicht in ihrer echten Bedeutung erkannte, sondern darin lediglich ein Druckmittel sah, den Württemberger doch endlich zu Friedensverhandlungen zu bewegen. Später wurde ihm jedoch die Ernsthaftigkeit dieses Planes klar, denn er brach die Verbindung zum Herzog ab und konzentrierte seine ganze Kraft auf die Förderung des republikanischen Projektes. Umgekehrt war ihm nun daran gelegen, alle Bemühungen des Herzogs und der Stände um einen Separatfrieden zu hintertreiben. Der württembergische Regierungsrat Parrot, der sich der .Grafschaft Mömpelgard wegen inBasel aufhielt176, konnte dem Chef der herzoglichen Kabinettskanzlei, Legationsrat Lange, am 7. Juli von zwei Briefen berichten, die am 1. Juli 172 i n

171 175 178

GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht des Oberamtes Badenweiler vom 30. 8. 1796. »Les ramifications de ce complot s'étendent jusqu'à Heilbronn et Heidelberg d'une part et d'une autre vers Ulm et Augsburg, même à Nuremberg où j'ai déjà des intelligences. Ce sera un incendie général dont les progrès sont rapides et les effets terribles, s'ils sont franchement secondés par l'armée." Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 6, S. 108. Ebenda, S. 115. Hölzle, Erwin, Zur revolutionären Bewegung..., a. a. O., S. 99. LHA Dresden, Loc. 4875, Relationen des Frhn. H. W. v. Bülow aus Basel und aus Paris, den französischen Krieg betr., 1795/96/97, Bl. 89.

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aus Cannstatt in Basel eingetroffen und für Georg List und den Baseler Bärger Frey bestimmt waren. Parrots Vertrauensmann, der die Briefe erbrochen hatte, versicherte, dag beide von Kämpf stammten. Parrot bestätigte, dag Kämpf seit seiner Abreise aus Basel die engsten Verbindungen zu List und Frey unterhielt. Im ersten Brief wurde von der Absicht des Herzogs und der Stände gesprochen, drei Vertreter zu Verhandlungen nach Basel zu schicken, und ausdrücklich erklärt, «dag die Franzosen auf keinen Fall Friedensvorschläge annehmen sollen, dag sie mit offenen Armen in Württemberg empfangen würden und dag sie ihren Plan nur mit Entschlossenheit durchführen müssen." Der Brief endete mit den Worten: »Es sind die württembergischen Patrioten, die diese Botschaft schicken und dazu die ersten Schritte tun." 177 Aus dem zweiten Brief erfuhr Parrot, dag List in diesem Sinne an Delacroix, Haussmann und Moreau geschrieben und die dem Poterat vom Direktorium ausgestellte Vollmacht an führende Revolutionäre in Freiburg, Mannheim und über Heilbronn an die in Stuttgart gesandt hatte. 178 Derselben Absicht, Frankreich von Separatfriedensverhandlungen mit den Fürsten abzuhalten und zu einem revolutionären Vorgehen zu ermutigen, diente ein Eingesandt, das wahrscheinlich von Kämpf stammte, von Cotta in seiner Stnagburger Zeitung veröffentlicht und von Parrot als ein weiterer Beleg für die Existenz und Wirksamkeit deutscher Republikaner seinem Bericht beigelegt wunde: »Stuttgart vom 27. Juni. Bravo Republikaner! Ihr kommt uns willkommen. Ihr wollt die Geigein und Ketten brechen, die uns zerfleischt und tiefe Narben in unsere Gliedmagen gedrückt haben. Wir sind eurer Teilnahme würdig und zu einer segenvollen Revolution reif; unser Duodez-Tyrann flog schnell wie ein Blitz aus Ludwigsburg, da ihm die Nachricht von eurem Übergange überbracht wurde. Alles jubelt laut und freut sich auf den grogen Schlag, der in Deutschland nicht mehr weit entfernt sein kann." 179 Das vorliegende Material bestätigt eindeutig, dag sich die republikanischen Bestrebungen nicht auf Baden oder den Breisgau beschränkten, sondern die Kurpfalz und Schwaben einschlössen. Aber offensichtlich wollten List und seine Freunde selbst dabei nicht stehenbleiben. Jägerschmidt bezeichnete es als das Ziel, .den schwäbischen und fränkischen mit einem Teil des oberrheinischen Kreises zusammenzuziehen und einen Freistaat daraus zu bilden". 180 Ganz Süddeutschland also, mit Ausnahme des rückständigen Bayerns, zu dem noch keine Verbindungslinien der Revolutionäre vom Oberrhein führten, sollte eine einheitliche Republik werden. Und selbst eine solche Republik blieb nicht das Endziel. Das Endziel umfagte ganz Deutschland. Mit gutem Recht und nationalem Selbstbewugtsein betrachtete List sich und seine Freunde als Sprecher und berufene Stellvertreter der vom Feudalismus untendrückten Massen des ganzen deutschen Volkes, als er am 11. Juli an 177

178 180

. . que les Français ne doivent point accepter de propositions de paix, qu'ils seraient reçus à bras ouverts dans le Wirtemberg, et qu'ils n'avaient qu'à pousser leur pointe... Ce sont les patriotes Wirt, qui envoyent cette estaffette et qui en font les frais." Hölzle, Erwin, Zur revolutionären Bewegung..., a. a. O., S. 100. Ebenda, S. 101. Ebenda, S. 101 Anm. 4. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht des Oberamtes Badenweiler vom 30. 8. 1796.

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Delacroix die Worte schrieb: »Die germanische Nation und ihre zukünftige Regierung werden wissen, wem sie für die Wohltaten der Freiheit verpflichtet sind, und sie werden gewiß auf alle Art und Weise dafür dankbar sein." 181 Die schon genannte und wahrscheinlich von Georg List verfaßte Proklamation Poterats wandte sich darum auch nicht gegen einzelne Fürsten und an einzelne Teile des deutschen Volkes, sondern gegen die Fürsten und an die Deutschen schlechthin: «Das fränkische Volk, das nicht nur seine Freiheit durch Tapferkeit erkämpfte, hat auch seine Feinde bezwungen, es wird sie unaufhaltsam verfolgen und bis auf den letzten zu vernichten wissen. Aber seine Feinde sind nicht die Völker, sondern die Fürsten, eure Tyrannen, die euch eurer alten unverjährbaren Rechte beraubt, die bestellten Qberämter, Forstämter und alle strafbaren Teilhaber der Despotie, die euch gemeinschaftlich plündern und aussaugen. Edle, großmütige deutsche Männer, ihr seid nicht geschaffen, in dem entehrenden Zustand der Sklaverei euer Leben dahinzudarben, zerbrecht eure Fesseln, zernichtet durch Standhaftigkeit, Entschlossenheit und Mut eure elenden Unterdrücker, ihre Macht ist Blendwerk, - gebietet, und sie wird verschwinden wie der giftige Nachtnebel vor der aufgehenden Sonne - der Geist eurer Voreltern beseele euch - genug, seid Männerl Eine fränkische Armee ist da, wir sind alle eure Brüder, die euch mit Rat und mit edlem Beispiel mit Waffen unterstützen, mit und für euch streiten wollen."182 Die Zusammenarbeit der revolutionären Demokraten Süddeutschlands mit Frankreich hatte im Sommer 1796 eine Etappe erreicht, die die Möglichkeit einer revolutionären Umwälzung zumindest eines Teils von Süddeutschland auf die Tagesordnung setzte. Es ging nicht mehr nur um die Unterstützung des Kampfes des revolutionären Frankreichs durch die deutschen Volksmassen gegen die Intervention der reaktionären Feudalmächte; es ging um die Befreiung von den feudalen Fesseln des deutschen Volkes selbst. 181

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»La Nation germanique et son gouvernement futur sauront à qui ils sont redevables des bienfaits de la liberté et en seront sûrement reconnaissants de toutes les manières." Politische Correspondenz..., Bd. 6, S. 115. Ebenda, Bd. 2. S. 375.

14 Süddeutsche J

obiner

1. Die Stimmung der Massen bei Beginn des Feldzuges Am 5. Jiuli 1796 schrieb der Pfarrer von Steinen im badischen Oberland in sein Tagebuch: »Die Armen, sonderlich die liederlichen Armen, zum Teil auch Reiche, freuen sich sehr auf die Franzosen und äußern jetzt ihre Gedanken öffentlich. Sie erwarten eine gänzliche Umänderung der Welt und meinen, die Armen bekämen jetzt große Bauernhöfe, die Reichen würden ihre Tagelöhner. Sonderlich viel wird den sogenannten Herren im Land das Los übel gelegt. Sie sollen abgeschafft und das Land durch badische Sansculotten oder vielmehr gar durch niemanden regiert werden." 1 Der Oberamtmann von Rötteln, Freiherr von Reitzenstein, nannte rückblickend die Gesinnungen eines Teils der Untertanen abscheulich: »Sie taten alles, was an ihnen war, um eine Revolution zu bewirken." 2 Diesem Urteil lagen Berichte des Oberamtes wie der vom 6. Juli zugrunde, worin es hieß: »Es schmerzt uns unsäglich, die schon öfters gegebene Nachricht von den unruhigen Gesinnungen unserer Untertanen des Oberamts auch gegenwärtig wiederholen zu müssen, allein wir können es unmöglich bergen, daß ein Feuer unter der Asche glimmt, welches unsere äußerste Wachsamkeit erfordert, um nicht bei der allenfallsigen Retraite der Kaiserlichen und dem Einrücken französischer Truppen zu einem höchst traurigen Ausbruch zu kommen." Unverkennbar sei die Freude vieler über die Erfolge der Franzosen, mit deren Hilfe sie die bestehende Ordnung umzustürzen hofften; »die Behandlung, die sie dem kaiserlichen Militär zum Teil jetzt widerfahren lassen,... gibt dieses nur zu deutlich zu erkennen, ja wir haben bereits einige Ausbrüche erklärten Ungehorsams gegen unsere Anordnungen mit empfindlichen... Strafen . . . zurückhalten müssen".3 Nach dem Zeugnis des Pfarrers von Steinen brachte man den einrückenden Franzosen die freundschaftlichsten Gefühle entgegen. Manche Oberländer dokumentierten diese Gesinnung dadurch, daß sie sich rot-weiß-blaue Kokarden ansteckten und ihre alemannische Kniehose mit der langen französischen Hose vertauschten. In der Hoffnung auf Unterstützung durch die republikanischen Truppen weigerten sich viele, die herkömmlichen feudalen Abgaben zu leisten. Großen Eindruck machte die Aufrichtung eines Freiheitsbaumes am 23. Juli in Lörrach. »Viele meinten, jetzt würde alles revolutioniert und das Unterste zuoberst gekehrt werden." 4 1 2 3 4

Schmitthenner, Adolt, a. a. O., S. 106.

Politische C o r r e s p o n d e n z . . a . a. O., Bd. 2, S. 444. GLA Karlsruhe, Abt. 48, Konvolut 918, Fase. 736. Schmitthenner, Adolt, a. a. O . S. 116/17.

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IV. Das Scheitern der republikanischen Bestrebungen

Diese Erscheinungen bestätigen, dafj die Revolutionäre um Georg List in den badischen Oberlanden eine wirksame Vorarbeit geleistet hatten. Das Hauptverdienst gebührt zweifellos Ernst Jägerschmidt, der hier über die besten Verbindungen verfügte und entsprechend der Instruktion Poterats ein ¡Netz von Vertrauensleuten aufbaute. 5 Die badensische Regierung erfuhr davon zum erstenmal am 26. Mai, als nämlich der Bruder des Christoph Hoyer, eines der engsten Mitarbeiter Jägerschmidts, das Unternehmen denunzierte und als Beleg eine Abschrift der vom Direktorium für Poterat ausgestellten Vollmacht vorlegte. Da dieses Loch im Netz für längere Zeit das einzige blieb, bezweifelte die Regierung die Echtheit des Dokuments und beschränkte sich darauf, den vier Oberämtern der Oberlande lediglich erhöhte Wachsamkeit aufzutragen. Erst am 15. Juni bekam auch der österreichische Gesandte in Basel Wind von den revolutionären Bestrebungen; er unterrichtete Wien, die vorderösterreichische Regierung und den Kommandanten der kaiserlichen Armee am Oberrhein, Graf de Latour, der seinerseits den Markgrafen benachrichtigte. Jetzt erfolgte ein Reskript vom 18. Juni, das die Oberämter Rötteln, Badenweiler, Mahlberg und Hochberg anwies, nach französischen Emissären zu fahnden. Fremde ohne Pässe auszuweisen und Verdächtige zu verhaften. 6 Irgendwelche Ergebnisse hatte diese Maßnahme nicht; das Netz hielt, und die Ortsvorsteher mehrerer Gemeinden liegen nach dem Zeugnis des englischen Gesandten in der Schweiz, Lord Wickham, dem revolutionären Zentrum Zustimmungserklärungen zukommen.7 Als die Franzosen dann bei Kehl den Rhein überschritten und die Kaiserlichen den Schwarzwald geräumt hatten, ging Jägerschmidt selbst über den Rhein und nahm die Organisierung des Umsturzes in den badischen Oberlanden unmittelbar in die Hand. Die Labilität des Staatsapparates wird schlagend durch die Sicherheit bewiesen, mit der Jägerschmidt auftreten konnte. Am 20. Juli erschien er in Begleitung von Christoph und Fritz Hoyer zu Müllheim im Oberamt Badenweiler und forderte mit dem Hinweis auf die Vollmacht und Instruktion Poterats, die trotz seiner Verhaftung gültig blieben, die beiden Bezirksbeamten auf, ihm bei der Einberufung einer Versammlung sämtlicher Ortsvorsteher am 22. Juli auf der Kalten Herberge behilflich zu sein. Obwohl Jägerschmidt kein Hehl aus seinen republikanischen Plänen machte und andererseits die Beamten überzeugt waren, daß er nicht in französischem Auftrag handelte, wagten sie nicht, ihn zu verhaften. 8 Unbehelligt reiste er im Lande umher; unbehelligt konnten seine Mitarbeiter in den Oberämtern Badenweiler und Rötteln das von Jägerschmidt am 21. Juli zu Müllheim ausgefertigte Rundschreiben verbreiten, das »alle diejenigen Vorgesetzten wie auch sonsten rechtschaffene Personen, welchen das Glück und die Wohlfahrt ihrer Mitbürger und ihrer selbst am Herzen liegt", auf den folgenden Tag zur Kalten Herberge berief. Als Zweck dieser Versammlung bezeichnete das Rund5

Obset. Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 410. • Ebenda, S. 396 ff. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 370, 374. 7 Leboti. Andtè, L'Angleterre et l'émigration française de 1794 à 1801. Paris 1882, S. 196. 8 GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht des Oberamtes Badenweiler vom 30. 8. 1796.

1. Die Stimmung der Massen

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schreiben, »gemeinschaftliche Maßregeln zu nehmen, das Wohl unseres lieben Vaterlandes zu befördern und dessen Untergang zu verhüten".9 Der revolutionäre Inhalt war damit vollkommen eindeutig ausgesprochen, denn nirgends gab es in dem absolutistisch regierten Baden die legale Möglichkeit, dag eine so zusammengesetzte Körperschaft über Landesangelegenheiten Beschlüsse fassen konnte. Darüber hinaus hatte Jägerschmidt den Bezirksbeamten in Müllheim die Beratung der künftigen Landesverfassung als Zweck der Zusammenkunft genannt. Trotzdem wurden diejenigen Gemeinden, die beim Obenamt Rat einholten, wie sie sich zu der Aufforderung des Rundschreibens verhalten sollten, angewiesen, die Versammlung, wenn auch nur als passive Zuhörer, zu besuchen.10 Nichts beweist deutlicher als diese Tatsache : Die Macht in den badischen Oberlanden lag auf der Straße. Vielleicht unabhängig von der propagandistischen Tätigkeit Jägerschmidts und seiner Freunde, deren Netz sich gewiß nicht lückenlos über die gesamten Oberlande erstreckte, möglicherweise aber auch in Verbindung damit gab es Bestrebungen in der Bevölkerung, die zwar in ihrer Zielsetzung nicht an jene heranreichten, aber dennoch als Beweise der weitverbreiteten revolutionären Bereitschaft gewertet werden müssen. Ein Ungenannter schrieb am 23. Juli aus dem linksrheinischen Kembs nach Paris, daß mehrere Gemeindevorsteher aus der Markgrafschaft sich bei ihm eingefunden und gebeten hätten, ihr Anliegen dem Direktoriumsmdtglied Reubell zu übermitteln: Sie hatten von Friedensverhandlungen zwischen dem Markgrafen und der Republik gehört, von denen sie nichts Gutes erwarteten, wenn ihnen nicht Gelegenheit gegeben würde, ihre Vorschläge durch zwei Deputierte dem Direktorium vorzutragen. Nach den Worten des unbekannten Schreibers wollten sie, .daß man diesen Fürsten verpflichte, die Regierung der Markgrafschaft wieder auf den vormaligen Fuß zu bringen, daß er wie früher Landstände einrichte; das heißt, Volksvertreter bei der Regierung mitwirken zu lassen. Das würde bedeuten, sie gewissermaßen der Konstitution von 1791 anzugleichen; auf diese Weise hätte das Volk, überzeugt, daß es nur unter den Fittichen Frankreichs die Freiheit besitzt, die Berechtigung, sich dem Plan des Fürsten, falls er sich mit dem Kaiser gegen uns verbünden wollte, zu widersetzen, was zu tun es niemals versäumen würde, um nicht unseren Beistand zu verlieren, ohne den es bald wieder unter das Joch geriete." 11 10 * Ebenda. Ebenda, Bericht des Oberamtes Badenweiler vom 1. 8. 1796. .Ils voudraient qu'on obligeât ce prince à rétablir le gouvernement du Margraviat sur l'ancien pied, qu'il instituât comme cidevant Communes (Landst...), c'est à dire de faire concourir au gouvernement les députés du peuple. Ce serait l'assimuler en quelque sorte à la Constitution de 1791; par ce moyen, le prince voudrait-il se réunir à l'Empereur contre nous, le peuple, sachant qu'il ne jouit de la liberté que sous les ailes de la France, aurait le privilège de s'opposer au dessein du prince, ce qu'il ne manquerait jamais de faire, pour ne pas perdre notre appui, à défaut duquel il rentrerait aussitôt sous le joug." Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 414. Erdmannsdörfers Angabe, dag das Schreiben von Bacher stammen könnte, ist angesichts dessen Haltung zu den revolutionären Bestrebungen in dieser Zeit durchaus abwegig; außerdem wird in dem Schreiben ausdrücklich betont, daß die Gemeindevertreter in Basel, wohin sie sich zunächst gewandt, enttäuscht wurden. Vgl. ebenda, Anm. 1 und S. 415. Ebenso unverständlich ist es, warum E. in der Ortsangabe Kembs das rechtsrheinische Kleinkems vermutet, wenn doch am jenseitigen Ufer der Ort Kembs existiert. Vgl. ebenda, S. 414 Anm. 2. Dag die Revolutionäre um Jägerschmidt zu-

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IV. Das Scheitein der republikanischen Bestrebungen

Wenn man auch an die vor mehr als 100 Jahren beseitigten Landstände anknüpfen zu können meinte, so besteht doch kein Zweifel, dag der erstrebte Zustand sich himmelweit von der alten ständischen Monarchie unterschied. Der Gewohnheit der Zeit entsprechend bemühten sich die in Kembs versammelten Abgesandten der Gemeinden, ihre Forderungen historisch-rechtlich zu begründen; ihr Irrtum war verständlich. Die feudal-reaktionäre Ständevertretung erschien den vom Feudalabsolutismus unterdrückten Massen als eine Art Volksvertretung, ihre Wiederherstellung als eine Rückgabe geraubter Freiheiten. Das heifjt aber nichts anderes, als dag sie den eilten Begriff mit neuem Inhalt füllten. Die in Kembs erhobene Forderung lief eindeutig auf die Errichtung einer konstitutionellen Monarchie hinaus. Der unbekannte Übermittler betonte, dag diese Forderung nicht nur in der oberen Markgrafschaft, sondern im ganzen Land von Emmendingen bis Durlach vertreten würde. 1 2 Ganz in derselben Richtung lief die vom Viertelsvogt Grether von Mappach ausgearbeitete u n d im Namen der Untertanen des Oberamts Rötteln am 16. August offiziell eingereichte Vorstellung. Darin wurde ebenfalls die Wiederherstellung der Landstände gefordert, die von den Vorgesetzten sämtlicher Gemeinden gewählt werden sollten; tun die Gewählten von korrumpierenden Einflüssen fernzuhalten, sollten sie edle anderen Ämter aufgeben. 1 3 Möglicherweise verfocht die anonyme Eingabe Pforzheimer Bürger vom 12. Juni ähnliche Absichten, denn nach dem Urteil des Geheimen Rates hatte sie «eine gänzliche Veränderung der gegenwärtigen Verfassung zum Gegenstand". 1 4 Jedenfalls war der Ruf nach den Landständen so kräftig, dag die badische Regierung im August sich sehr gründlich mit dem Gedanken ihrer Wiederherstellung beschäftigte, wenn sie ihn am Ende auch entschieden ablehnte. 1 5 Neben solchen die Grundlagen der bestehenden Ordnung angreifenden Bestrebungen meldete sich insbesondere in den mittleren und unteren badischen Landen eine bürgerliche Opposition zu Wort, deren Zielsetzung sich zunächst nur gegen einzelne Seiten des Feudalabsolutismus richtete. Die Opposition ging hier von den Städten aus, bemühte sich aber zugleich, das Dorf mit in die Bewegung einzubeziehen. Am 9. August fanden sich Vertreter einiger Städte und Landgemeinden in Rastatt zusammen, worüber der Geheime Rat Meier aus Karlsruhe in seinem Tagebuch folgende Bemerkungen niederschrieb: «Der Geist der Zeit wird im Innern des Landes immer reger. Die Städte Ettlingen, Rastatt, Baden (mit denen die Unterländischen in Verbindung stehen) haben in einer Zusammenkunft, wozu sie auch Dorfvorsteher invitierten, in Vorschlag gebracht, an Serinissimum zu gesinnen:

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mindest Kenntnis von diesen Bestrebungen hatten, ergibt sich schon daraus, dag der Strafjburger »Weltbote" darüber berichtete, den z. B. der Vogt Dörfflinger zu Britzingen regelmäßig las. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht des Oberamtes Badenweiler vom 30. 8. 1796. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 414. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001. Ebenda, Nr. 6289, Protokoll des Geheimen Rats vom 20. 6. 1796. Als wahrscheinlicher Verfasser der Eingabe wurde vom Oberamtmann Baumgärtner der Nagelschmied Legerle ermittelt. Ebenda, Schreiben Baumgärtners vom 27. 6. 1796. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 462.

1. Die Stimmung der Massen

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1. Die Verminderung des Militärs, 2. die Abschaffung der fremden Offiziers, 3. die Verringerung des Hofaufwands, Abschaffung der Marschalltafel und der Hofchargen, 4. Abschaffung der vielen Pferde und Marstallbedienten, 5. des Rindenhauses und der Fasanerie, 6. Verkauf der vielen Kannmergüter, 7. Entfernung des Adels von den wichtigsten Bedienstungem. Schon vorher hat der hiesige Magistrat aus Anlafj des Schlafkreuzers eine starke Vorstellung gegen das Militare übergeben." 16 Dag die Magistrate von Karlsruhe, Durlach, Rastatt und Steinbach sich von diesen Forderungen distanzierten 17 , bedeutete nicht viel. Der leitende Minister von Edelsheim vertrat darum auch in einem Schreiben vom 12. August an den Erbprinzen Karl Ludwig die Meinung, dag man einem gesetzwidrigen Ausbruch durch Nachgiebigkeit zuvorkommen müsse. Er schlug Einsparungen in der Hofhaltung, beim Militär und in den Marställen vor. Er wünschte dringend, «dag man nicht wartete, in dieser Hinsicht eine von den Umständen und der Klugheit selbst diktierte Stellung einzunehmen, die durch die öffentlichen Beschwerden begehrt oder gefordert wird". 18 Bezeichnend war die Zaghaftigkeit und Ängstlichkeit auch der höchsten Behörden gegenüber dieser oppositionellen Strömung. In einer im Karlsruher Wochenblatt am 13. August abgedruckten und in Form eines Erlasses gekleideten offiziellen Stellungnahme wurde zwar den Untertanen vorgeworfen, empfangene Wohltoten mit Undank zu lohnen; die Existenz von Mißständen aiber wagte man nicht vollends zu leugnen, wenn man auch die Verantwortung dafür mit dem Hinweis auf die Unvollkommenheit der Welt dem lieben Gott in die Schuhe zu schieben versuchte. Aus der Einsicht in die Schwäche der eigenen Position, die gegenüber den aufbegehrenden Untertanen noch nicht einmal eine scharfe Sprache gestattete, waren die angekündigten Gegenmaßnahmen ganz und gar in Moll gehalten: Man wollte sich darauf beschränken, »der vorsätzlichen Gesetzübertretung und Mifjleitung der Untertanen mit schonendem Ernst, den Schritten der Verirrung mit belehrender Gelindigkeit und der standhaften Beharrung im Guten und in der Ordnung mit auszeichnender Achtung zu begegnen". 19 Der Staatsapparat war ganz in die Defensive gedrängt. Die Regierung verfolgte nicht die Opposition, sondern ließ vielmehr durch den Geheimen Rat Brauer für den Markgrafen eine Denkschrift ausarbeiten, die bestimmte Reformvorschläge enthielt und damit, wie Edelsheim es bereits dem Erbprinzen angeraten hatte, den Forderungen der Opposition entgegenkam. 20 Der " Ebenda, S. 373. Obser. Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 409. 18 . . . . il serait sans doute bien à désirer qu'on n'attendît pas pour prendre à cet égard un parti dicté en soi-même par les circonstances et la sagesse, qu'il soit demandé ou exigé par des réclamations publiques..Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 6, S. 120. 19 Obsei. Karl, Der Marquis..., a. a. O., S. 410. 20 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 462. 17

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IV. Das Scheitern der republikanischen Bestrebungen

Markgraf allerdings lehnte diese Vorschläge ab, und er handelte von seinem Standpunkt aus mit gutem Grund: .In der Tat glaube ich, daß, was man durch das vorgeschlagene Reskript bekanntmachen würde, den Demagogen, die nicht weniger als den Umsturz unserer bisherigen Verfassung wollen, nicht genug sein würde,..." 2 1 Der Stein konnte eine Lawine ins Rollen bringen. Gewiß waren die auf der Zusammenkunft in Rastatt formulierten Forderungen noch weit entfernt von den in Kembs geäußerten Zielen, ganz zu schweigen von den Perspektiven Jägerschmidts, aber den Keim zu revolutionären Umgestaltungen trugen auch sie in sich. Hinter der Forderung beispielsweise, den Adel aus den wichtigsten Ämtern zu entfernen, verbarg sich bereits der Anspruch des Bürgertums auf Beteiligung an der politischen Macht. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß diese in ihren Zielen noch sehr gemäßigte Opposition mit den revolutionären Bestrebungen der Oberlande in Verbindung stand und ein Ergebnis ihrer Propaganda war; es kann aber kein Zweifel bestehen, daß ein revolutionärer Ausbruch in den Oberlanden die oppositionellen Kräfte in den Unterlanden radikalisiert und den Funken zur Flamme angefacht hätte. Eine solche Entwicklung war um so wahrscheinlicher, als auch in den Unterlanden die republikanische Partei bereits tätige Anhänger besaß. Die mit Entrüstung von dem am Hofe dienenden Läufer Heinrich Lanz konstatierte Tatsache, «daß es in Karlsruhe Leute gab, welche sich über die Ankunft der Franzosen freuten, ihnen entgegengingen, Arm in Arm mit ihnen durch die Straßen zogen und ihnen die besten Leckerbissen zutrugen"22, gibt ein anschauliches Bild von'den freundschaftlichen Gefühlen breiter bürgerlicher Kreise für die französische Republik. Dahinter steckte mehr als bloße platonische Sympathie. Das beweist der Bericht des Amtsmanns Gaum aus Durlach vom 30. Juli. Er teilte die Äußerung des Generals E. (Eickemeyer - H. S.) mit, wonach man Frankreich angeraten hätte und es »zum Wohl der diesseits Rheins liegenden Völker gereichen würde, längs dem Rhein hin kleine, mit Frankreich in Verbindung stehende Republiken zu etablieren,..." Gaum stellte fest, daß diese Anregung keineswegs von unbedeutenden Leuten ausginge; es stünden vielmehr »Personen an der Spitze, die durch ihr Gewicht sich und ihrem Anhang Eingang versprechen . . . Wie ich nun vernehme, sollen sogar Deputierte an Haussmann abgeschickt worden sein, um mittels starker Präsente den E.ischen oder einen ähnlichen Plan durchzusetzen".2* Außerdem berichtete Gaum von Klubtätigkeit in der Einnehmerei, wobei allerdings die eigentlichen Führer noch nicht in Erscheinung träten, sondern aindere vorschickten. Wie hochgespannt die Erwartungen waren, die viele Bewohner auch der kleinen nichtbadischen Herrschaften an das Erscheinen der Franzosen knüpften, bestätigte auch die Tageibuchaufzeichnung vom 26. Juni 1796 des Johann Georg Zuflucht, Gerichtsschultheißen im hanau-lichtenbergischen Kork in der Nähe von Kehl: »Übrigens ist es auch wahr, daß viele im Land sich den Begriff von Frankreich so machten, daß nämlich die Herren dort abgeschafft wären, man könne nun so ganz ungehindert leben - man zahle nichts mehr - gibt keinen 21 23

22 Weech, Friedrich von, a. a. O., S. 130. Ebenda, Anm. 2. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 441.

1. Die Stimmung der Massen

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Zehnten mehr - kann treiben, was man will - man ¡brauche keine Amtleute, Schaffner, Schulzen und dergleichen mehr - und wenn die Franzosen einmal kommen, so werden sie sagen: Jetzt, ihr lieben Nachbarn, wollen wir euch frei machen, ihr zahlt nun keinem Menschen mehr, die Beamten und Vorgesetzten sind abgeschafft - die Schulden bezahlt usw." 24 Die Atmosphäre am Oberrhein war mit Zündstoff geladen. Erste Ausbrüche ereigneten sich in Form blutiger Auseinandersetzungen der Bewohner mit den Condeern. »Die ersteren stehen en masse auf", schrieb Mitte Juni der Geheime Rat Meier in sein Tagebuoh. Mehrere Gemeinden im badischen Höchberg und dem Vernehmen nach im Vorderösterreichischen wären gegen die Condeer vorgegangen. 25 Gewiß richtete sich der Zorn der Bevölkerung in erster Linie gegen die Ausschreitungen dieser zügellosen Soldateska, aber diese Truppe war gleichzeitig der erbittertste Feind des republikanischen Frankreich. Selbst wenn die blutigen Auftritte ungewollte Demonstrationen für Frankreich gewesen wären, so wirkten sie doch als eindeutige Demonstrationen. Den Beweis lieferte der Geheime Rat Meier mit seiner Vermutung, dag .französische Aufwiegler" dahinterständen. 26 Ebenso reagierte Graf de Latour, der die kaiserlichen Truppen am Oberrhein kommandierte. Er sah einen engen Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen und den Bestrebungen der Revolutionäre um Georg List, von denen er gerade Kenntnis erhalten hatte, und bat den Markgrafen in einem Schreiben vom 16. Juni, diese Gewalttätigkeiten gegen die Condeer mit strengen Magregeln zu unterdrücken. Er befürchtete ein bewaffnetes Zusammenwirken der zur Selbsthilfe entschlossenen Gemeinden mit den jenseits des Rheins stehenden französischen Truppen. 27 Angesichts der massiven Drohungen Latours, mit Haubitzen gegen die aufsässigen Einwohner vorzugehen 28, scheinen größere Zusammenstöße in den nächsten Wochen nicht mehr erfolgt zu sein. Die erbitterte Feindschaft jedoch blieb und äußerte sich nur auf heimlichere Weise. Aus den ersten Julitagen, da sich Anzeichen eines beginnenden Rückzuges der Kaiserlichen bemerkbar machten, berichtete der Pfarrer von Steinen, daß allein schweifende oder plündernde Reiter von Bauern umringt und mit Dreschflegeln erschlagen wurden. 29 Diese Selbsthilfeaktionen gegen die Feinde der französischen Republik sind in ihrer politischen Bedeutung erst voll zu begreifen, wenn man sie auf dem Hintergrund der Bemühungen der herrschenden Klasse sieht, einen Volkswiderstand gegen die Franzosen zu organisieren. In Baden hatten diese Bemühungen nicht die geringsten, im Breisgau äußerst schwache Erfolge. 30 Während die Bevölkerung gegen die Franzosen nicht kämpfen wollte, griff sie gegen die Condeer spontan zu Dreschflegel und Sense. Das Scheitern der Volksbewaffnungspläne und der Widerstand gegen die Emigrantentruppen liegen auf einer Linie. 24

GLA Karlsruhe, Abt. 65, Nr. 1379, S. 50. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 2, S. 370. Ebenda. " Ebenda, S. 374. 28 Ebenda, S. 370. 28 Schmitthexmet, Adolf, a. a. O., S. 112. 25

30

Vgl. S. 120 ff.

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IV. Das Scheitern der republikanischen Bestrebungen

Zweierlei kann als Ergebnis der Betrachtungen der Lage am Oberrhein, insbesondere Badens bei Beginn des Feldzuges im Sommer 1796 festgestellt werden: Einerseits die Existenz einer Bewegung, die die bestehende Ordnung verändert wissen wollte, und andererseits das Unvermögen der staatlichen Behörden, jener Bewegung mit Kraft und Entschiedenheit zu begegnen. Der Markgraf Friedrich Karl äußerte in engem Kreise bereits den Gedanken, .sich eine Freistätte im südlichen Rußland zu gründen, wo er durch seine Familieiwerbindungen einen großen Länderstrich zu erhalten hoffte".31 Natürlich war die Oppositionsbewegung uneinheitlich. Sie umfaßte Bestrebungen, die zunächst nur auf die Beseitigung einzelner Mißstände abzielten, reichte aber bis zu den entschiedenen Revolutionären, die für die Errichtung einer bürgerlichen Republik kämpften. Sie hatten die Aufgabe und auch den Willen, sich an die Spitze der Gesamtbewegung zu stellen, sie zu radikalisieren und zum aktiven Einsatz für das republikanische Ziel zu führen. Die Auffassung des westdeutschen Historikers Arndt, daß die Bestrebungen „der ansässigen Bevölkerung" sich nur gegen „örtliche Mißstände" richteten und „keine höheren Ziele auf eine Beteiligung der Staatsbürger' am Staate" verfolgten, daß solche Forderungen vielmehr „meist von außen hereingetragen" wurden, ist absolut unfruchtbar.32 Selbstverständlich hat die Französische Revolution gewaltigen Einfluß auf Deutschland ausgeübt; ihre Ideen drangen über die Grenze und weiter als ihre Heere. Marx spricht im Hinblick auf die Revolutionen von 1648 und 1789 von „Revolutionen europäischen Stils"* und begründet diese Kennzeichnung: „Diese Revolutionen drückten mehr noch die Bedürfnisse der damaligen Welt als der Weltausschnitte aus, in denen sie vorfielen, Englands und Frankreichs." 3 3 Wenn also Ideen von außen hereingetragen wurden, so ist für den Historiker vor allem von Interesse, ob sie auf fruchtbaren Boden fielen, das heißt, ob sie den Bedürfnissen entsprachen. Das sicherste Kriterium für eine positive oder negative Beantwortung dieser Frage ist die Aufnahme der Ideen durch die Volksmassen, wobei selbstverständlich Modifikationen möglich sind. Nehmen die Massen diese Ideen auf, so liefern sie nicht nur den Beweis, daß sie ihren Bedürfnissen entsprechen, sondern sie machen sie sich auch im wahrsten Sinne des Wortes zu eigen. Es sind ihre ureigensten Ideen geworden, weil sie ihren ureigensten Bedürfnissen entsprechen. Arndts Auffassung wurzelt letztlich in jener reaktionären Ideologie, die in der Vergangenheit wie in der Gegenwart die Propagandisten revolutionärer Ideen als Träger „wesensfremden Gedankenguts" diskreditieren möchte. Das dargelegte Material bestätigt, daß die revolutionären Ideen, wenn auch in unterschiedlichem Umfang und mit unterschiedlicher Intensität, in der Bevölkerung am Gberrhein Eingang fanden. Sie in die Tat umzusetzen, war dennoch - selbst bei der offensichtlichen Schwäche des 31 32

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Denkwürdigkeiten des Markgrafen Wilhelm von Baden. Heidelberg 1906, Bd. 1, S. 9. Arndt, Erwin, Vom markgräflichen Patrimonialstaat zum großherzoglichen Verfassungsstaat Baden. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte Badens zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Berücksichtigung der Verhältnisse in Bayern und Württemberg. In: „Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 62, S. 513, 1953. Marx, Karl, Die Bourgeoisie und die Konterrevolution. In: Marx/Engels, Werke. Dietz Verlag, Berlin 1959, Bd. 6, S. 107/08.

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badischen Staates, von anderen zwergähnlichen Gebilden am Oberrhein ganz zu schweigen - unmöglich unter den Bedingungen der Anwesenheit massierter kaiserlicher Truppen. Ein inniges Zusammenwirken der Revolutionäre mit der französischen Armee war die unabdingbare Vorraussetzung. Die antifeudale Bewegung im übrigen Süddeutschland ging im allgemeinen noch nicht wesentlich über das Stadium hinaus, das sie bereits in den Jahren 1794/95 erreicht hatte. Am weitesten vorgeschritten war sie im Schwäbischen, vor allem in Württemberg, wo die oberrheinischen Revolutionäre feste Stützpunkte besaßen. Das unmittelbare Hauptanliegen der Massen war zweifellos der Friede, der sie von allen Kriegsdrangsalen befreite. Auch die Anwesenheit französischer Armeen bedeutete naturgemäß für sie zusätzliche Belastungen. Wenn trotzdem die Sympathien breiter Bevölkerungskreise auf seiten der Franzosen waren und ihre Ankunft vielfach herbeigesehnt wurde, so hatte das seinen Grund darin, daß erstens der Kaiser und die Fürsten für den Krieg verantwortlich gemacht wurden und daß man zweitens von den republikanischen Armeen, die nur den Palästen Krieg, den Hütten aber Frieden versprochen hatten, eine schonendere Behandlung als durch die kaiserliche Soldateska erhoffte. Von dieser Hoffnung bis zu der Erwartung, daß mit Hilfe der französischen Truppen soziale Umgestaltungen herbeigeführt werden konnten, war nur ein Schritt. Aber es war ein Schritt, den erst ein Teil der Bevölkerung gemacht hatte. Es hing in erster Linie von dem Verhalten der republikanischen Armeen ab, ob ihn die Masse der Bevölkerung tun würde. Die österreichischen Truppen und ihre Verbündeten trugen auf dem Rückzug vor den Franzosen das ihrige bei, um sich bei den Volksmassen womöglich noch verhaßter zu machen, als sie es schon waren. In einem Schreiben an den Kaiser vom 15. August beschwerte sich die schwäbische Kreisversammlung, daß seine Soldaten .wie in einem feindlichen Lande ganz auf Diskretion leben, Magazine teils wegführen, teils verwüsten und dagegen ihre Subsistenz meistens ohne Ersatz vom Lande beziehen; daß sie alle Landfuhren und Bespannung nach Gefallen nicht bloß auf Stationen, sondern auf weite Entfernung mit sich fortführen; sechs bis acht Tage ohne die geringste Bezahlung für Vorspann, Zehrung und Fütterung bei sich behalten; Lager ohne Schonung in die besten Fruchtfelder schlagen; daß sie ohne vorgängliche Requisition oder doch ohne Zahlung herrschaftliche Fruchtböden leeren, das Vieh der Untertanen mit sich fortführen und ähnliche Gewalttätigkeiten verüben, die kaum ein erbitterter Feind sich erlauben würde".34 Diese Schilderung ist keineswegs übertrieben; sie wird von Augenzeugenberichten bestätigt, wie sie etwa Johann Gottfried Pähl in seinen „Materialien zur Geschichte des Kriegs in Schwaben im Jahre 1796" gesammelt hat. Ein Brief aus Neubronn bei Ellwangen vom 1. September faßte die unzähligen Plackereien durch die Soldateska in die Worte zusammen: »Der Rückzug der kaiserlichen Armee gewährte einen schauerlichen Anblick." 35 Die Bewohner versuchten, sich nach Möglichkeit vor diesen Übergriffen zu schützen: Die von den Dörfern ausgestellten Wachen hielten kleinere 34 35

.Europäische Annalen". Jahrg. 1796, 12. Stück, S. 322. Pähl, Johann Gottfried, Materialien..., a. a. O., S. 62.

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IV. Das Scheitern der republikanischen Bestrebungen

Trupps marodierender Soldaten ab; manche Gemeinde konnte durch Bestechung die geforderten Requisitionen herunterdrücken; die zu wochenlangem Vorspanndienst gepreßten Bauern schlugen Schuhnägel in die Hufe ihrer Ochsen, um sie lahmen und damit untauglich zu machen.36 Das alles waren sehr bescheidene Mittel, kaum geeignet, den auf dem Lande lastenden Druck auch nur da und dort geringfügig zu mildern, zumal seit dem Waffenstillstandsabkommen zwischen dem schwäbischen Kreis und Moreau Ende Juli die abscheuliche Behandlung dieses Kreises durch die Österreicher zum Prinzip erhoben worden war. Der sächsische Gesandte am bayerischen Hof berichtete, daß man in Schwaben mit der Begründung, dem nachrückenden Feinde die Subsistenzmittel entziehen zu wollen, die Ackerkulturen gründlich verwüstete. 37 Erzherzog Karl hatte auf die Nachricht vom Waffenstillstand hin die über 7000 Mann starken schwäbischen Kreistruppen bei Biberach umzingeln und entwaffnen lassen. Hauptmann Jenik von Bratric, der selbst an der Aktion teilhatte, kommentierte treffend: »Und so war also binnen zwei Stunden jene Armee gänzlich vernichtet, an deren Errichtung die großen Reichsfürsten jahrelang deliberierten und es Zeit gebraucht hat, bis man sie organisiert und ihr dann das kriegerische Ansehen verschafft hatte." 38 Erzherzog Karl hatte sich zu diesem Vorgehen unter anderem auch darum veranlaßt gesehen, weil verschiedene Nachrichten die Vermutung nahelegten, daß die Franzosen über Parteigänger im schwäbischen Korps verfügten. 39 Ebenso hatte ihn das Gerücht beunruhigt, wonach Stuttgarter Bürger auf österreichische Dragoner, die sich vor den Franzosen zurückzogen, aus den Fenstern geschossen hätten. 40 Selbstverständlich hat die feindselige Behandlung durch die Kaiserlichen die Bevölkerung Schwabens nur noch darin bestärkt, in ihnen ihre eigentlichen Feinde zu sehen und die Ankunft der Franzosen geradezu herbeizusehnen. »Kein Wunder daher", so schrieb der Advokat Heuchelin aus Heidenheim, »daß man ihre Ankunft mit sehnendem Verlangen als eine Befreiung von allem bisherigen Übel wünschte".41 Dieselbe Feststellung trafen andere zeitgenössische Beobachter auch in anderen Gegenden Schwabens.42 38

Ebenda, S. 66, 516 ff. LHA Dresden, Loc. 2865, Des Grafen von Goertz Abschickung an den bayerischen Hof und dessen daselbst geführte Negoziation betr., 1796, Bd. 2, Bl. 266/67. 38 Jenik z Bratric. Jan, a. a. O., Bl. 421. Im übrigen hatte sich das schwäbische Kreiskorps zumindest am Oberrhein nicht besser als andere Einheiten betragen. Derselbe Hauptmann Jenik, der unter dem General Fröhlich den Rückzug vom Rhein antrat, berichtete: »Was diese vor uns nun in ihrem Rückzug begriffene schwäbische Truppe für grobe Exzesse ausübte, läßt sich schlechterdings nicht schildern; alle durchgezogenen Ortschaften wurden rein ausgeplündert und zu dem Ende ein immerwährendes Losbrennen ihrer Gewehre unterhalten, damit die Inwohner beängstigt ihre Häuser verlassen und somit ungehindert in größerer Bequemlichkeit geraubt und gestohlen werden konnte." Ebenda, Bl. 374/75. " Hölzle, Erwin. Das alte Recht..., a. a. O., S. 154 Anm. 5. 40 HSA Stuttgart, A 10, Bü. 17, Brief von Madeweift vom 14. 8. 1795. 41 Pähl, Johann Gottfried, Materialien..., a. a. O., S. 230. 42 Ebenda, S. 67, 325/26. Brunnemayr, Joseph Philipp, Geschichte der königlich-bayerischen Stadt und Herrschaft Mindelheim. Mindelheim 1821, S. 450. 37

1. Die Stimmung der Massen

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Während der Widerstand der Bevölkerung gegenüber der kaiserlichen TruppenÜbermacht im wesentlichen passiv blieb, traten die Massen dem Condeischen Korps entschieden aktiv entgegen. Es war eine relativ kleine Truppe, die nicht mehr als 7000 bis 8000 Mann zählte und, «nach dem naiven Ausdruck eines österreichischen Offiziers, kaum ein Kroatenhaufe war." 43 Zudem hatte sie es fertiggebracht, die gründlichste Verachtung bei all und jedem zu erwerben, auch bei den Kaiserlichen, so daß niemand geneigt war, sich schützend vor sie zu stellen. Hauptmann Jenik von Bratric nannte sie kurz und treffend »Gesindel-Armee". Er berichtete von den Methoden auf dem Rückzug, in einzelnen Trupps Dörfer zu überfallen, sich mit Hilfe ihrer französischen Sprache als Angehörige der republikanischen Armee auszugeben, Brandschatzungen zu erheben, zu rauben und zu plündern.44 Im oberen Schwaben zwischen dem Bodensee, Augsburg und Ulm, aber auch im nördlichen Schwaben rechts der Rems griffen viele Tausende Bauern und Städter auf das Gerücht vom Nahen der Condeer hin zu allem, was als Waffe dienen konnte. Am 7./8. Juli trat zwischen Bodensee und Donau, vielfach angeführt von örtlichen Obrigkeiten, der Landsturm in Aktion, weil sich angeblich 1500 Angehörige des Emigrantenkorps zu einem Streifzug aufgemacht hätten.45 »Wenigstens 5000 wehrhafte Männer setzten sich in dem besagten Bezirke in Bewegung. Aber man kämpfte mit dem Schatten."46 Die Nachricht erwies sich als unrichtig. Am 9. Juli erreichte sie Kempten. »Es wurde im ganzen kemptischen Land Sturm geschlagen; die hiesige kemptische Bürgerschaft nebst allen ledigen Leuten, Fremde und Einheimische, Kaufmannbediente und Handwerksburschen, kurz etiles, was zum Streiten fähig war, kam mit Gewehr .. . zusammen." Aus den umliegenden Dörfern trafen viele hundert Bauern zur Verstärkung ein. »Die Bauern und alles war in einer unglaublichen Wut; allein im kemptischen Land waren bei 10 000 Mann, alt und jung, bereit, das Gesindel zu vertilgen." 47 Die Einwohner Meinmingens schlössen die Tore ihrer Stadt und besetzten bei Egelsee und Ferthofen die Brücken, um den Emigranten den Übergang über die Hier zu versperren.48 Ebenso wie in Oberschwaben läuteten auch im Norden am 15. Juli die Bauern der Dörfer zwischen Welzheim und Hohenstadt Sturm, um in großen Haufen unter Führung von Beamten und Jägern dem württembergischen Städtchen Heubach zu Hilfe zu eilen, in das angeblich die Condeer eingefallen waren. Sehr aufschlußreich war die Reaktion der Bauern, als 43 44

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»Europäische Annalen", Jahrg. 1797, 12. Stück, S. 323. Jenik z Bratric. Jan, a. a. O., Bl. 411. Johann Georg Müller berichtete aus Schaffhausen seinem Bruder, dafj innerhalb von sieben Tagen 2500 Flüchtlinge aus dem oberen Schwaben in dieser Schweizer Stadt eintrafen, »die ihr Leben, ihre Weiber und Kinder und etwas von ihrem Eigentum vor den Franzosen, zuerst und hauptsächlich vor den Condeern flüchteten." Der Briefwechsel der Brüder J. G. Müller und Joh. v. Müller 1 7 8 9 - 1 8 0 9 . Herausgegeben von Eduard Haug. Frauenfeld 1893, S. 66. Kempten in den Kriegen der Französischen Revolution (1792-1802). Aus der Kemptner Chronik des Peter Gebhart. Herausgegeben von Alfred Weitnauer. In: »Allgäuer Geschichtsfreund", NF Nr. 40, S. 14, 1937. Pohl, Johann Gottfried. Materialien..., a. a. O., S. 212. Kempten..., a. a. O., S. 14. Baumann, Franz Ludwig, Geschichte des Allgäus. Kempten 1894, Bd. 3, S. 216.

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IV. Das Scheitern der republikanischen Bestrebungen

sie erfuhren, daß das Gerücht falsch und ihr Ausmarsch überflüssig gewesen war. Der zeitgenössische Berichterstatter stellte fest: »Der gemeine Mann, der auch hier sowie überall voll Mißtrauen gegen seine Obrigkeit ist, hielt, als er zu reflektieren begann, diesen Lärmen für eine Probe, die seine Vorgesetzten gemacht haben, um zu sehen, ob und wie er sich zu einem Landsturm gegen die Franzosen gebrauchen lassen würde. ,Wir marschieren wohl', hieß es überall, ,gegen die Condeer, aber durchaus nicht gegen die Nationaler. Der Kaiser mache mit diesen Frieden, und wir werden dann mit einem Male, ohne daß ein Tropfen Blut fließt, von ihnen befreit sein!'" 49 Das Hauptanliegen der Bevölkerung war also der Friede, denn die Anwesenheit jedes Kriegsvolkes, auch des französischen, bedeutete eine Belastung, die sie gern vermieden hätte. Ihre eindeutig profranzösische Haltung kam darin zum Ausdruck, daß sie den Kaiser für die Fortsetzung des Krieges verantwortlich machte und nicht bereit war, ihm ihre Kraft in diesem Kriege zu leihen. Als einige Wochen später nun nicht mehr nur das Gerücht von den Condeern, sondern die Condeer selbst in Oberschwaben erschienen, läuteten wieder die Sturmglocken 50 , aber gegen die ihnen auf dem Fuße folgenden republikanischen Truppen trat kein Landsturm in Aktion. Breite Kreise empfingen die Soldaten der Republik als willkommene Verteidiger der Freiheit, denen man nicht nur gastfreundlich begegnete, sondern deren Vormarsch man auch nach Möglichkeit unterstützte. Stuttgarter Franzosenfreunde gingen ihnen zum Teil entgegen. 51 Andere leisteten für sie freiwillige Kundschafterdienste.52 Wie aus den Repetenten-Anmalen des Tübinger Stifts hervorgeht, „fürchtete man . . . hier in Tübingen wegen des bekannten schwärmerischen Demokratismus des größten Teils der Stipendiaten die bedenklichsten Auftritte und hielt daher allgemein für notwendig, daß im Fall des weiteren Vorrückens der Franzosen die Stipendiaten jeder zu seiner Familie gelassen wurden'. 53 Am 5. August mußten die Kaiserlichen Bopfimgen schleunigst räumen, da Bopfinger Bürger den Franzosen die Tore geöffnet hatten. 54 In Ulm widersetzten sich Bürger dem Abtransport der städtischen Kanonen, die die Kaiserlichen nicht in französische Hände fallenlassen wollten. 55 Der Säcklermeister Feßlen, der schon in den voraufgegangenen Jahren als Wortführer der radikalen Partei aufgetreten war 5 6 , vertrieb nach dem Einzug der Franzosen blau-weiß-rote Kokarden und sprach dem bestehenden Magistrat 4

» Pähl. Johann Gottiried. Materialien..., a. a. O., S. 60. Hausmann, Wilhelm. Heimatkunde der Gemeinden Günz und Westerheim. M. Dietrich Verlag, Memmingen 1950, S. 48/49. M Dizingei, Carl Friedlich, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte Deutschlands, vornehmlich aber Württembergs und dessen Verfassung. Tübingen 1833, T. 1, S. 15. " Hölzle, Erwin. Das alte Recht..., a. a. O., S. 152 Anm. 3. 53 Leube, Martin, Das Tübinger Stift in der Weltbewegung zwischen 1790 und 1813. In: .Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte', NF 42. Jahrg., S. 173, 1936. 54 Richter, Friedrich, Zwei Schilderungen aus der Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Bopfingen. Nördlingen 1862, S. 42. 55 .Nationalzeitung", Jahrg. 1796, Sp. 1014. 56 Vgl. S. 71 ff. 50

1. Die Stimmung der Massen

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jede Autorität ab. Die Bürgerschaft drohte, zur Selbsthilfe zu greifen, und setzte jetzt durch, daß der Magistrat den bereits 1794 gewählten Ausschuß als ihre Repräsentation anerkannte und der Mitarbeit der Bürger an einer neuen Konstitution zustimmte.57 In der Reichsstadt Ravensburg ermutigte die Anwesenheit französischer Truppen verschiedene Bürger zu aufrührerischen Reden und heftiger Kritik an den Obrigkeiten.58 Der Füistabt des Stiftes Kempten fürchtete von den Gesinnungen seiner Untertanen das schlimmste, wenn die Franzosen ins Land kämen; er täuschte einen Jagdausflug vor und machte sich am 5. Juli Hals über Kopf aus dem Staube; die Konventsherren folgten dem Beispiel.59 Im württembergischen Freudenstadt war, wie Madeweiß am 9. Juli nach Berlin berichtete, sogar ein Freiheitsbaum aufgerichtet worden60; ebenso im fürstenbergischen Stühlingen, wobei der Oberamtmann Dr. Battie beteiligt gewesen sein sollte.61 Der Hofrat Herzog, der sich als badischer Landeskommissar beim französischen Hauptquartier befand, meldete am 31. Juli aus der Reichsstadt Eßlingen: »In hiesiger in Württembergs Schutze stehenden und in das württembergische armistice einbegriffenen Reichsstadt stehen dermalen herzogliche Truppen, was sonst nie geschah. Der Pöbel soll hier gegen seine Oberen sehr übel gesinnt sein, und auch Teile der besseren Bürger klagen, wie ich vernehme, über den Magistratsdruck.'62 Solche Erscheinungen aktiver Unterstützung der französischen Armeen und solche Ansätze zur Umgestaltung der bestehenden Ordnung in Schwaben sind bemerkenswert, weil sie der allgemein verbreiteten Frarazosenfreundschaft ein schärferes Proiii geben. Sie kennzeichnen die Potenzen, die hinter der zunächst nur passiven Sympathie breiter Schichten standen und sehr leicht in tätige revolutionäre Energien verwandelt werden konnten. Im Fränkischen fehlte es im allgemeinen an diesen Zeiohen eigener Initiative; dennoch »war und blieb der größte Teil unserer Frankenbauern, auch ein großer Teil der Städter, den Franzosen im Herzen ungemein zugetan." So urteilte der Verfasser der 1797 erschienenen Schrift »Anekdoten und Charakterzüge aus dem Einfall der Neufrankeii in Altfranken" über die Stimmung unmittelbar vor dem Einmarsch der Armee Jourdans 1796.63 Dabei unterschied er in der Bauernschaft drei Gruppen: Die eine Gruppe, „wenngleich nicht die zahlreichere, doch gerade die lärmendste, wünschte sich und erwartete von dem Glücke der französischen Waffen Freiheit, d. h. feierliche Lossprechumg von allen herkömmlichen Abgaben und Schuldigkeiten, als da ist von Fronen, Zehnten, Gilten, Steuern und dergleichen, auch wohl Exekution von Gesetzen, sobald sie einem nicht in den Kram taugen." Diese Gruppe rekrutierte sich vornehmlich aus den Vermögenderen, die dem feudalen Druck »gerade den handfestesten Gegendruck entgegenzustellen vermochten", während " Dürr, Lore, a. a. O., S. 75 ff. 88 Merk, Gustav, Ravensburg und die Franzosen im Jahre 1796. In: .Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte", NF 27. Jahrg. S. 117/18, 1918. 59 Rottenkolber, Joseph, a. a. O., S. 191. 60 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 2, Bl. 175. 61 Bader, Karl Siegiried, Zur Lage..., a. a. O., S. 382 Anm. 145. 92 GLA Karlsruhe, Abt. 48, Konvolut 999, Fase. 801. ** Anekdoten und Charakterzüge..a. a. O., S. 11. 16 Süddeutsche Jakobiner

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IV. Das Scheitern der republikanischen Bestrebungen

der Arme, .des Unterliegens und Scherens gewohnt, im stillen seufzte und duldete." Die zweite Gruppe bildeten die einst Wohlhabenden, die in Schulden geraten waren und von dieser Last befreit sein wollten. .In die letztere Klasse gehören beinahe die meisten gleichheitssüchtigen .Frankenbauern." Die dritte und größte Gruppe verfolgte mit ihrer Franzosenfreundschaft keine Ziele, die die bestehende Ordnung ernsthaft antasteten: „Indessen der größte Teil schmeichelte und begnügte sich immer mit der Hoffnung, daß seinen Vorgesetzten und Obern . . . eine heilsame Züchtigung bei der französischen Invasion bevorstünde. Im Geist genoß er schon das süße Vergnügen, den Hofkreaturen, die au nehmen, hatte die Landschaft in den vergangenen Jahren die Miliz als ein Gegengewicht zu fördern getrachtet. Sie hatte damit wohl den vom Herzog geforderten verstärkten Ausbau der regulären Truppen sabotieren können; eine vom militärischen Gesichtspunkt aus ernstzunehmende Streitmacht jedoch hatte sie mit der Miliz nicht auf die Beine gestellt. Es widersprach den ureigensten Interessen der Volksmassen, sich in jener oder auch in dieser Form, als reguläre Soldaten oder auch als Milizangehörige, gegen die Franzosen mißbrauchen zu lassen. Die Aufstellung der Miliz scheiterte in erster Linie am Widerstand der Massen. Hinzu kam das grundsätzliche Unvermögen der ständischen Oligarchie als einer Fraktion der herrschenden Klasse, eine echte Volksbewaffnung überhaupt zu wollen und zu organisieren. Wo Massen kämpften, da ging die Initiative auch von den Massen aus und erschreckte die herrschende Klasse. Wo die herrschende Klasse beziehungsweise Teile der herrschenden Klasse als Initiatoren einer Volksbewaffnung auftraten, da blieben es aus Furcht vor dem bewaffneten Volke halbe Maßnahmen, zu denen man sich entschloß. Obwohl der Milizgedanke der bürgerlichen Opposition immer noch ungleich sympathischer war als die Vorstellung von einem starken stehenden Söldnerheer, konnte sie angesichts des Scheiterns der Milizpläne auf eine kritische Auseinandersetzung damit nicht verzichten. 112

Gedanken über die Bedienstung der Ausländer in Württemberg. Den Landtagsdeputierten gewidmet. Wien u. Neapel o. J., S. 7/8.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

Eine solche kritische Auseinandersetzung erfolgte in der bereits 1796 erschienenen »Darstellung des gegenwärtigen Zustands der württembergischen Landmiliz".113 Der Verfasser urteilte vom militärwissenschaftlichen Gesichtspunkt; Hauptmann Gentner, der in einer späteren Flugschrift diesen Urteilen voll zustimmte, hielt darum auch den Autor für einen ehemaligen Offizier, der einst bei den herzoglichen Haustruppen, nun aber bei der Landmiliz diente. 114 Es war eine vernichtende Kritik, gerichtet an die Adresse der alten Landschaft, die hauptverantwortlich zeichnete und Männer mit der Organisation betraut hatte, die nach des Autors Meinung nicht mehr Einsicht in die Militärwissenschaft besagen »als der Maulwurf in das kopernikanische System".115 Die Bedeutung militärischer Kenntnisse wurde völlig mißachtet; besonders drastisch äußerte sich das in der Wahl der Offiziere und Unteroffiziere: »Vermöge der irrigen Meinung, aus jedem Zaunstecken lasse sioh ein Offizier schnitzen, . . . wurden Leute zu Offizieren gemacht, die heute, da sie ihr Patent erhielten, noch ebenso viel wußten als der Bauernburisch, den sie morgen dressieren sollten."11® Ihre Autorität war so gering wie die der Unteroffiziere, meist »alter, abgelebter Invaliden, denen kaum noch anderthalb Sinne übriggeblieben, die schon seit zehn und zwanzig Jahren das Gewehr gegen den Hirtenstab . . . umgetauscht hatten". 117 Zu allem Oberflug hatte man auch noch den Milizsoldaten selbst unmöglich ausstaffiert: »Man verhunzte seinen menschlichen Körper durch einen scheußlichen Kittel; in seinem Mittelding zwischen Bauernrock und Soldatenmontierung versagte ihm sogar sein Mädel den Zutritt; der dreieckige Hut zu dem runden Haar, die Art der Befestigung der Patronenteische um den Leib, der zwilchene Sack nach Art der Betteljuden, welcher die Stelle des Tornisters vertritt, vollenden die militärische Karikatur und die Satire auf den Soldaten." 118 Zusammenfassend stellte der Autor fest: »Aus dieser nur flüchtig hingeworfenen Schilderung der Landmiliz ersieht schon der Nichtsoldat hundert Mängel und Gebrechen; der mit militärischen Kenntnissen versehene Mann aber erblickt in der ganzen Einrichtung Fehler auf Fehler gehäuft." 119 Gewiß, es war das Urteil eines Offiziers des stehenden Heeres. Aber diese Tatsache konnte einmal die sachliche Richtigkeit dieser Kritik nicht entwerten; andere Flugschriftenverfasser, mochten sie aus Mangel an militärischen Kenntnissen weniger scharf urteilen, kamen prinzipiell zu keiner anderen Bewertung. Zum anderen war jener Autor kein Propagandist eines beträchtlichen stehenden Söldnerheeres, sondern er sprach der Notwendigkeit das Wort, »seine Zuflucht zu den Söhnen des Landes zu nehmen und diesen das ehrenvolle Geschäft zukommen zu lassen, ihr Vaterland 118 114

115 118 117 118

Vgl. S. 132 Anm. 172. Centner. Patriotische Wünsche, Gedanken und zweckmäßige Vorschläge, vorzüglich zu besserer Sicherstellung des Vaterlandes. Nebst einer kurzen Biographie und Charakteristik statt der Vorrede und Einleitung. Den Landtagsdeputierten Württembergs zur Beherzigung gewidmet, o. O. den 17. März 1797. Darstellung des gegenwärtigen Zustandes..., S. 5. Ebenda, S. 8. Ebenda, S. 9. Ebenda, S. 10. »• Ebenda, S. 11.

1. Die Zeit der Vorbereitung des Landtages

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gegen die Gewalttätigkeiten und Unterdrückungen der Fremden zu schützen".120 Er sprach der Volksbewaffnung das Wort, die auf den Stand der modernen Kriegswissenschaft zu bringen war, kurz, er sprach für ein Heer, wie es die Französische Revolution herausgebildet hatte. Prinzipiell in der gleichen Richtung argumentierten die anderen Flugschriftenverfasser. Mehr oder weniger unklar über die Gründe, warum die Organisation der Miliz in Württemberg scheitern mußte, waren auch die Vorschläge zur Realisierung einer allgemeinen Wehrpflicht mehr oder weniger realistisch. Ein Autor meinte, das Ziel erreichen zu können, wenn man den Gedanken der Miliz nicht wie bisher mit halben, sondern mit ganzen Mitteln anpackte. Um eine Ausbildung und Organisation auf der Grundlage der modernen Kriegswissenschaft zu gewährleisten, sollte das jetzige stehende Militär stark reduziert als Pflanzschule zur Herausbildung tüchtiger Offiziere und Unteroffiziere dienen.121 Gründlicher als diese beschäftigte sich eine andere Flugschrift mit den Gebrechen der Landmiliz, um daraus für eine zweckentsprechendere Organisation zu lernen.122 Das wesentliche Problem sah der Verfasser in der Abneigung der Bevölkerung gegen jede Form des militärischen Dienstes. So richtig er diesen Punkt in das Zentrum der Aufmerksam rückte, so oberflächlich und naiv analysierte er ihn. Seinen Umfragen und Überlegungen nach hatte die Abneigung angeblich vier Ursachen: Erstens wurde in der Vergangenheit die Dienstzeit über die in der Kapitulation versprochene Dauer ausgedehnt; zweitens würden die jungen Männer durch die Dienstzeit ihren Berufen entfremdet; drittens schreckte die Strenge der militärischen Gesetze und Strafen ab; viertens gäben die begüterten Kreise mit ihrer Verachtung des Soldatenstandes den ärmeren ein schlechtes Beispiel. Die Vorschläge zur Beseitigung dieser Ursachen waren zum Teil primitiv, zum Teil aber auch recht aufschlugreich: Die Verletzungen der Kapitulationen sollten dadurch unmöglich gemacht werden, dag »nicht nur von dem Landesherrn selbst, sondern auch von den Landständen, auf die der württembergische Untertan das größte und unumstößlichste Vertrauen hat, eine vier- oder sechsjährige Kapitulation, je nachdem solches für gut gehalten werden sollte, durch ein Generalreskript feierlichst zugesagt würde".123 Hinter diesem Vorschlag stand die klare Absicht, dein Herzog die alleinige Verfügungsgewalt über die bewaffnete Macht zu entziehen und die Landschaft mit einzuschalten. Um die Soldaten der zivilen Tätigkeit nicht zu entwöhnen, wußte der Verfasser nichts Besseres, als daß ihnen nach dem täglichen Dienst Gelegenheit geboten werden sollte, noch Arbeiten in ihrem Beruf zu übernehmen; Handwerkern sollte die Soldatenzeit als Wanderjahre angerechnet werden. Die Furcht vor der Brutalität militärischer Strafen tat er simpel als weibisch ab. Die wohlhabenden Kreise wollte er durch die Aussicht auf Unteroffiziers- und Offiziersstellen gewinnen; im übrigen durfte es keine Ausnahme von der Militärpflicht geben. Auf diese 120 Ebenda, S. 12. Einige Bemerkungen und Wünsche, die Kriegsverfassung Württembergs betreffend. Eine Landtagsschrift. Stuttgart 1796. 122 Unmaßgebliche Gedanken..., a. a. O. " » Ebenda, S. 14.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

Weise meinte er, die Abneigung der Bevölkerung überwinden zu können und die Aufstellung eines Heeres möglich zu machen, das ausschließlich »von dem ersten Stabsoffizier bis auf den gemeinen Mann hinaus" aus Landeskindern bestand. Schon der Herausgeber dieser Schrift war nicht überzeugt, daß auf so simple Art der Widerwillen des Volkes gegen den Militärdienst beseitigt werden würde. In einer Anmerkung bezweifelte er die vom Autor geäußerte Meinung, mehr oder weniger mit Überzeugungsgründen den Widerstand brechen zu können: »Wenigstens müssen wir auf einen ganz anderen Grund der Kultur und Vaterlandsliebe gebracht sein als gegenwärtig, wenn wir so etwas mit einiger Wahrscheinlichkeit hoffen wollen; aber leider scheinen diese Zeiten noch entfernt zu sein, das Bedürfnis einer Militäreinrichtung aber ist dringend." 124 So berechtigt sein Zweifel war, so wenig taugte sein Auskunftsmittel, der Zwang, den er zwischen den Zeilen anriet. Der Zweifel des Herausgebers war auch nur soweit berechtigt, wie er sich auf die von seinem Autor propagierten naiven Vorschläge bezog. Ganz andere Aspekte eröffneten sich, wenn man den Dingen wirklich auf den Grund ging wie der Verfasser der Flugschrift »Muß Württemberg sich das Fell über die Ohren abziehen lassen?".125 Offensichtlich auf die Anmerkung jenes Herausgebers Bezug nehmend, leugnete er die prinzipielle Berechtigung des Zweifels. Er versuchte, ihm einmal dadurch zu begegnen, daß er die jüngsten Erfahrungen mit der Miliz weniger negativ bewertete; hier war er im Unrecht. Aber er bewies dann eine wirkliche Einsicht in das Wesen der Volksbewaffnung, als er über die Mittel sprach, mit denen eine Kampfbereitschaft des Mannes aus dem Volke erzeugt werden konnte: „Alles kommt meines Erachtens darauf an, daß man ihn empfinden lasse, er lebe in seinem Vaterland so glücklich, als der Volkshaute irgendwo in der Welt leben kann... Empfinden und fühlen läßt sich aber nichts, als was wirklich vorhanden ist. Man erteile daher dem Land alle die mannigfaltigen und erhabenen Vollkommenheiten, deren es fähig ist und welche in demselben zur Wirklichkeit gebracht werden können. Man entferne alle der Staatswohlfahrt hinderlichen, den emporstrebenden Geist aber niederschlagenden Unvollkommenheiten, die zu heben sind." 126 Diese tiefe Einsicht in die Notwendigkeit, erst die sozialen Voraussetzungen schaffen zu müssen, um ernsthaft eine Volksbewaffnung betreiben zu können, befähigte den Verfasser auch, gegen die selbst in der Opposition teilweise vorhandene bornierte Vorstellung vorzugehen, in der württembergischen Verfassung die beste aller Verfassungen zu besitzen: „Was? werden viele mir einwenden, unsere Landesverfassung sollte noch einer Verbesserung bedürfen? Von Möckmühl bis Balingen ist jedem bekannt, daß selbst einsichtsvolle Engländer eingestanden haben: die engländische Verfassung werde für die beste Europas gehalten, unsere übertreffe aber die ihrige noch weit. Der muß aber noch nie über die Schneeschleif der Alb oder des Schwarzwaldes gekommen sein, der sich mit diesem Ausspruch schmeicheln und brüsten wollte. In einem Land, darinnen der dritte Teil noch gebracht wird, der Emsigkeitstrieb noch nicht genug erweckt, die Stallfütterung nicht eingeführt ist, der Viehstand 124

Ebenda, S. 14 Anm. Vgl. S. 131. 12» Muß Württemberg sich das Fell über die Ohren abziehen lassen?..., a. a. O., S. 14/15.

1. Die Zeit der Vorbereitung des Landtages

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noch eine Vergrößerung um die Hälfte verstattet, viele Gegenden noch ganz öde und ungebaut gelassen werden, die so nützliche Bienenzucht in so geringer Achtung und Pflege steht, noch einige Handlungsstrafjen zu schlagen sind, die leichtsinnigste Holzverschwendung in Schwang und Gang geht, viele Gattungen von Gewerbschaften noch unbekannt bleiben, der Hoch- und Prachtaufwand alle Schranken überschreitet, viele Dienstverrichtungen zwar völlig unnötig sind, aber doch teuer bezahlt werden, die Verwechslung der Dienstorte das Land jährlich ein Namhaftes kostet und das Studieren bei den vielen Wohltaten, die das Kirchengut aufwendet, ebenso hoch die Eltern zu stehen kommt als in den Landen, wo man aus eigenem Vermögen die niedere und hohe Schule beziehen muß: In einem Land, damit ich noch genug übergehe, wo der unbemittelte Handwerker und Arbeiter nicht jahraus jahrein das Mehl und Brot um den mittleren Preis haben kann; da sollten keine Verbesserungen mehr möglich sein oder nötig gefunden werden!" 127 Der Verfasser forderte Verhältnisse, die die ungehemmte Entwicklung der Produktivkräfte möglich machten, also bürgerliche Verhältnisse. Seine Detailforderungen waren so gehalten, daß sie keiner revolutionären Lösung das Wort sprachen. Er hoffte auf Reformen, die zu realisieren alle aufgerufen waren, und er glaubte daran um so mehr, als »unsere Luft und (unser - H. S.) Boden so fruchtbar an Schriftstellern worden ist, ebenso viele sich mit Entdeckung unserer Mängel beschäftigen als vorhin Kriegskommissarien mit Auffindung unserer Habschaften. Die Zeit wird lehren, ob die Stimme derer, welche dem Besten, dem Heil und der Erhaltung Württembergs das Wort reden, allen Söhnen des Vaterlandes durch Mark und Bein dringen und sie zu sorgfältigen Pflegern ihrer Mutter machen wird".128 Die Frage der Kontributionsrepartition, von der Öffentlichkeit aufgegriffen, hatte wie eine Lawine immer neue Fragen ins Rollen gebracht. Die bedeutendsten sind dargestellt worden, aber es gab darüber hinaus eine Fülle weiterer Probleme, die von der Flugschriftenliteratur angepackt wurden und hier wenigstens angedeutet werden müssen. Eine Reihe von Schriften beschäftigte sich mit dem Erziehungswesen. Ihre Tendenz lief darauf hinaus, die Erziehung nicht mehr im bisherigen Maße der Geistlichkeit zu überlassen, sondern staatlichen Organen unterzuordnen. Professor Jahn aus Ludwigsburg setzte sich für die Bildung eines Schulkollegiums als höchster Behörde ein 1 2 9 ; Christian Hehl propagierte die Verbesserung der pädagogischen Ausbildung durch Gründung einer Lehrerpflanzschule.130 Ebenso 127 ,S8 128

130

Ebenda, S. 15/16. Ebenda, S. 16/17. (Jahn, Johann Friedrich), Über öffentliche Erziehung und Anstalten. Jedem edlen Württemberger. o. O. im November 1796. (Hehl, Christian), Eine ehrerbietige Anfrage an die Abgeordneten zum künftigen Landtage Württembergs. Sollte auf dem Landtage nicht auf die längst aufgesuchten Quellen der Unsittlichkeit zurückgegangen, nicht auf die Beförderung der erkalten wollenden Gottesverehrung als eines Haupterfordernisses zur Glückseligkeit eines Staats Bedacht genommen und, um eine zweckmäöige Erziehung der Jugend desto sicherer auf die Zukunft erzielen zu können, nicht eine Schullehrer-Pflanzschule angelegt werden? o. O. im Anfange Februar 1797.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

wurde verschiedentlich eine Hebung von Sitten und Bildung bei der Geistlichkeit gefordert: Nach dem Vorschlag einer Schrift sollten die vier bestehenden Klosterschulen aufgelöst und an ihrer Stelle ein einziges Institut geschaffen werden, das bessere Ergebnisse garantierte. 131 »Um dem geistlichen Stande mehr Würde zu geben, nehme man den Pfarrern den Getreide- und Obstzehnten, oder was er sonst für einen Namen haben mag", erklärte ein Autor. 132 Eine Anzahl Flugschriften beschäftigte sich mit der kümmerlichen oder sogar elenden materiellen Lage einzelner Berufe und Bevölkerungsschichten, so der Schreiber, der Advokaten, der ausgedienten Soldaten und überhaupt der Armen. Wieder andere brachten örtliche Beschwerden zur Sprache, die aber manchmal durchaus allgemeine Bedeutung besagen; die von Heuchelin formulierten Forderungen der Bürger Heidenheims nach Beendigung der Wildplage, der Holzteuenung und nach Belebung des Handels kehrten auch in anderen Schriften wieder. 133 Die dem Stuttgarter Kanzleiadvokaten Ostertag zugeschriebene „Vorstellung und Bitte der Bürgerschaft in Stuttgart" verband ihre besonderen Beschwerden über das herzogliche Bierbraumonopol, die Holzteuerung, die Naturalbesoldung und die schlechte Polizeiverfassimg mit solchen allgemeinen Forderungen wie der nach einem guten, deutsch geschriebenen Staatsrecht und anderen schon behandelten grundlegenden Verfassungsänderungen. 134 Die ganze unermeßliche Fülle der Beschwerden und Forderungen ist mit den letzten Bemerkungen nicht erschöpft, aber doch ausreichend angedeutet. Diese Schriftenhochflut, die sich in einer relativ kurzen Zeitspanne über Württemberg ergoß, zeugt für die intensive Anteilnahme breitester Bevölkerungskreise am politischen Geschehen. Die Autoren, in der Mehrzahl kleine Staatsangestellte und Vertreter der bürgerlichen Intelligenz, waren nicht vermögend genug, um nur zum eigenen Vergnügen zu schreiben. Jede Flugschrift mußte abgesetzt werden und wurde abgesetzt, denn sonst hätte nicht in der Zeit vom September 1796 bis zum März 1797, im Durchschnitt genommen, annähernd jeden zweiten Tag eine neue auf dem Markt erscheinen können. Es kam den bürgerlich-liberalen Verfassern nicht bloß darauf an, ihre Meinungen und Forderungen an die Landtagsabgeordneten gelangen zu lassen - das wäre auch auf dem Wege der direkten Eingabe möglich gewesen; sie wählten gerade den indirekten Weg über die Flugschriften, um ihren Meinungen und Forderungen durch eine Massenbasis wirkliches Gewicht zu verschaffen. Die gesamte Flugschriftenliteratur war nichts anderes als eine besondere Form der Auftragserteilung durch die Öffentlichkeit an die Landtagsdeputierten, die man - soweit man sie als Vertreter des Volkes noch nicht anerkannte - doch zwingen wollte, es zu werden. 181

Einige Wünsche, die württembergische Geistlichkeit betreffend. Gewidmet dem PétitionsComité des württembergischen Landtages, o. O. im April 1797. 132 Auch noch ein Wort wegen der Geistlichkeit an den nahen Landtag von einem Laien, o. O. 1797, S. 10. 133 (Heuchelin. Philipp Christian). Die Bürger Heidenheims an den Magistrat und den Deputierten zum künftigen Landtag. Stuttgart im Dezember 1796. 134 (Ostertag, Johann Jakob). Vorstellung und Bitte der Bürgerschaft in Stuttgart an ihren Stadtmagistrat wegen des bevorstehenden Landtags, o. O. im November 1796.

1. Die Zeit der Vorbereitung des Landtages

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Die öffentliche Meinung erwartete, daß der Landtag den in den Flugschriften behandelten Gegenständen seine vorzüglichste Aufmerksamkeit widmete. Dementsprechend beschäftigten sich auch einzelne Autoren mit den Methoden, wie das gewaltige Material am zweckmäßigsten verwertet werden könnte. In einer Flugschrift Hehls wurde der Vorschlag gemacht, daß «von den Landschaftskonsulenten ein genaues Verzeichnis sämtlicher auf dem bevorstehenden Landtage vorkommen sollender Punkte ausgefertigt, bei jedem derselben die in den Flugschriften geäußerten Meinungen beigesetzt, so viele Landtagsdeputierte, so viele Exemplare auf dem landschaftlichen Schreibtisch gefertigt und dann jedem der Einberufenen vorlaufig ein Exemplar zugestellt und damit aufgegeben würde, jeden Funkt in reife Überlegung zu ziehen und sich gefaßt zu halten, darüber auf dem bevorstehenden Landtage seine Meinung schriftlich zu übergeben, welche hernach in den Landtagssitzungen öffentlich abgelesen, zu den Landtagsakten gelegt, auch vielleicht seiner Zeit wie die gesamten Landtagsverhandlungen dem Drucke übergeben werden dürften." 185 Um die direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die Verhandlungen noch mehr zu erweitern, sollte außerdem eine zwei- bis dreiköpfige Kommission beim Landtag eingerichtet werden, die mündliche Beschwerden entgegennahm, prüfte und vor die Versammlung brachte. Ein anderer Flugschriftautor, Speidel, realisierte bereits zum Teil diese Anregungen, indem er den Deputierten auf 400 Druckseiten eine registerartige Zusammenfassung der in den Schriften geäußerten Wünsche, Winke und Vorschläge anbot. 136 Es war Aufgabe des Landtages, die Vorschläge in Beschlüsse zu verwandeln und diese Beschlüsse gegen alle Widerstände durchzusetzen.

2. Der Retormlandtag 1797 Die Flugschriftenliteratur Württembergs um die Wende 1796/97 hatte ihre Grenzen; darauf ist bei der Analyse der einzelnen Schriften im Voraufgegangenen stets hingewiesen worden. Aber über ihren Grenzen darf ihr großer progressiver Gehalt nicht aus den Augen verloren werden. Diese Hochflut mehr oder minder klarer bürgerlicher Gedanken war ein positives Phänomen ersten Ranges. Hegel schrieb unter dem Eindruck der Landtagspublizistik: »Die ruhige Genügsamkeit an dem Wirklichen, die Hoffnungslosigkeit, die geduldige Ergebung in ein großes, allgewaltiges Schicksal ist in Hoffnung, in Erwartung, in Mut zu etwas anderem übergegangen. Das Bild besserer, gerechterer Zeiten ist lebhaft in die Seelen der 185

136

(Hehl, Christum), Vorschläge eines Württembergers aus der Wüste, wie sämtliche in den bisherigen Flugschriften an die Hand gegebenen Landesangelegenheiten auf dem bevorstehenden Landtag auf das kürzeste behandelt und zu der Zufriedenheit der Untertanen darüber eine vergnügliche Auskunft getroffen werden könne, nebst einigen in der Wüste gemachten Bemerkungen. Den Landtagsdeputierten gewidmet, o. O. in der Mitte des Februars 1797, S. 12/13. (Speidel, Christian Friedrich), Inbegriff von Wünschen, Winken und Vorschlägen in Beziehung auf den bevorstehenden Landtag Württembergs, o. O. 1797.

1. Die Zeit der Vorbereitung des Landtages

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Die öffentliche Meinung erwartete, daß der Landtag den in den Flugschriften behandelten Gegenständen seine vorzüglichste Aufmerksamkeit widmete. Dementsprechend beschäftigten sich auch einzelne Autoren mit den Methoden, wie das gewaltige Material am zweckmäßigsten verwertet werden könnte. In einer Flugschrift Hehls wurde der Vorschlag gemacht, daß «von den Landschaftskonsulenten ein genaues Verzeichnis sämtlicher auf dem bevorstehenden Landtage vorkommen sollender Punkte ausgefertigt, bei jedem derselben die in den Flugschriften geäußerten Meinungen beigesetzt, so viele Landtagsdeputierte, so viele Exemplare auf dem landschaftlichen Schreibtisch gefertigt und dann jedem der Einberufenen vorlaufig ein Exemplar zugestellt und damit aufgegeben würde, jeden Funkt in reife Überlegung zu ziehen und sich gefaßt zu halten, darüber auf dem bevorstehenden Landtage seine Meinung schriftlich zu übergeben, welche hernach in den Landtagssitzungen öffentlich abgelesen, zu den Landtagsakten gelegt, auch vielleicht seiner Zeit wie die gesamten Landtagsverhandlungen dem Drucke übergeben werden dürften." 185 Um die direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die Verhandlungen noch mehr zu erweitern, sollte außerdem eine zwei- bis dreiköpfige Kommission beim Landtag eingerichtet werden, die mündliche Beschwerden entgegennahm, prüfte und vor die Versammlung brachte. Ein anderer Flugschriftautor, Speidel, realisierte bereits zum Teil diese Anregungen, indem er den Deputierten auf 400 Druckseiten eine registerartige Zusammenfassung der in den Schriften geäußerten Wünsche, Winke und Vorschläge anbot. 136 Es war Aufgabe des Landtages, die Vorschläge in Beschlüsse zu verwandeln und diese Beschlüsse gegen alle Widerstände durchzusetzen.

2. Der Retormlandtag 1797 Die Flugschriftenliteratur Württembergs um die Wende 1796/97 hatte ihre Grenzen; darauf ist bei der Analyse der einzelnen Schriften im Voraufgegangenen stets hingewiesen worden. Aber über ihren Grenzen darf ihr großer progressiver Gehalt nicht aus den Augen verloren werden. Diese Hochflut mehr oder minder klarer bürgerlicher Gedanken war ein positives Phänomen ersten Ranges. Hegel schrieb unter dem Eindruck der Landtagspublizistik: »Die ruhige Genügsamkeit an dem Wirklichen, die Hoffnungslosigkeit, die geduldige Ergebung in ein großes, allgewaltiges Schicksal ist in Hoffnung, in Erwartung, in Mut zu etwas anderem übergegangen. Das Bild besserer, gerechterer Zeiten ist lebhaft in die Seelen der 185

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(Hehl, Christum), Vorschläge eines Württembergers aus der Wüste, wie sämtliche in den bisherigen Flugschriften an die Hand gegebenen Landesangelegenheiten auf dem bevorstehenden Landtag auf das kürzeste behandelt und zu der Zufriedenheit der Untertanen darüber eine vergnügliche Auskunft getroffen werden könne, nebst einigen in der Wüste gemachten Bemerkungen. Den Landtagsdeputierten gewidmet, o. O. in der Mitte des Februars 1797, S. 12/13. (Speidel, Christian Friedrich), Inbegriff von Wünschen, Winken und Vorschlägen in Beziehung auf den bevorstehenden Landtag Württembergs, o. O. 1797.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

Menschen gekommen, und eine Sehnsucht, ein Seufzen nach einem reinem, freiem Zustande hat alle Gemüter bewegt und mit der Wirklichkeit entzweit. Der Drang, die dürftigen Schranken zu durchbrechen, hat seine Hoffnungen an jedes Ereignis, an jeden Schimmer, selbst an Freveltaten geheftet... jene Sehnsucht... ist kein zufälliger Schwindel, der vorübergeht. Nennt sie einen Fieberparoxismus, aber er endigt nur mit dem Tode, oder wenn die kranke Materie ausgeschwitzt ist. Er ist eine Anstrengung der noch gesunden Kraft, das Übel auszutreiben."1®7 Noch nie hatten Landesherr und Ständevertretung unter einem derartigen Druck der öffentlichen Meinung gestanden, wie er sich hier in den Monaten vor dem Zusammentritt des Landtages entwickelte. Und diese öffentliche Meinung war nicht von einigen hundert Flugschriftautoren gemacht, sondern die Autoren waren umgekehrt Sprecher der Masse der Bevölkerung. Wenn Hölzle behauptet, daß »es unter diesen Schriften nicht an Meinungsmachen fehlt und manche Autoren sich besonders vordrängten" 1 S 8 , so könnte man ihm recht geben, wenn er die wenigen reaktionären Stimmen meinte, die sich der Flut entgegenzustellen versuchten; aber er zielt auf die radikalen Äußerungen und sieht nicht, dag auch hinter ihnen Massen standen, dafj selbstverständlich die verschiedenen Schichten verschieden weitgesteckte Forderungen erhoben, aber alle zusammen die öffentliche Meinung bildeten. Es war keine Bewegung, die ausschließlich vom gebildeten Bürgertum getragen wurde, auch wenn es allein die Sprecher stellte; die werktätigen Massen standen dahinter. Nur darum konnten die Schriftsteller so kühn auftreten, nur darum wagten sich so selten «Gegenschriften hervor, nur darum sahen die herzoglichen Behörden von Zensurmaßregeln und Verfolgungen der Autoren ab, deren Anonymität zu durchsichtig war, um Schutz zu bieten. Ein scharfes Vorgehen hätte die Erregung nur noch gesteigert. »Einige unserer Oberforstmeister, welche diesen Geist der feinen Politik nicht begriffen, haben verschiedene von den Schriftstellern, welche besonders auf die Abstellung des Wildschadens drangen, als Aufwiegler denunziert", berichtete ein Zeitgenosse. .Aber man legte ihre Denunziationen zurück und schwieg." 139 Es wäre ein Fehler, die Kampfliteratur einfach unter den Begriff der ständischen Bewegung subsumieren zu wollen, nur weil sie den ständischen Landtag als den großen Hebel zur Bewirkung prinzipieller Veränderungen benutzen zu können glaubte. Auch in Frankreich ging der Revolution die Einberufung der Generalstände vorauf. Die württembergische Landschaft stand unter keinem geringeren Druck als der Herzog. »Ehe noch auf das zur Zusammenberufung des ständischen Konvents erlassene fürstliche Reskript die Amtsversammlungen zur Wahl der Deputierten veranstaltet . . . wurden", hieß es in Posselts »Europäischen Annalen", »legitimierte sich jenes gefürchtete Phantom, bekannt unter dem Namen der Publizität, als Sprecher der Nation, deckte verjährte Mißbräuche und Staatsgebrechen, wo nicht immer mit Gründlichkeit, doch mit vieler Freimütigkeit auf, 137

138

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Über die neuesten innern Verhältnisse Württembergs.. a. a. O.. S. 150/51. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 171 Anm. 2. PaM, Johann Gottfried, Materialien..., a. a. O., S. 370/71.

2. Der Reformlandtag

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zeigte Fehler in der Staatsökonomie an und gab nicht undeutlich zu erkennen, was man diesmal von der ständischen Versammlung wünsche, hoffe und erwarte." 140 Diese Erwartungen waren immerhin so weit gespannt, daß bei ihrer Erfüllung von der alten Landschaft nicht viel mehr als vielleicht ihr Name übrigblieb. Der Druck von unten manifestierte sich nicht nur in der Fülle von Traktaten. Er war unmittelbar gegenwärtig in vielen Amtskörperschaften bei der Wahl der Deputierten; so, wie die Magistrate zusammengesetzt waren, bestand keine Aussicht, daß sie allein aus sich heraus Männer in den Landtag wählten, die die Reformforderungen ernst nahmen. Das Geleit, das die Meissen in Stuttgart den Abgeordneten am 17. März zur Eröffnung des Landtags gaben, war nichts anderes als eine gewaltige Demonstration. Die Bewegung, die ihren sichtbarsten Ausdruck in der Flugschriftenliteratur fand, zog ihre Stärke aus den Volksmassen, den wahrhaft demokratischen Kräften. Diese Tatsache spiegelte sich bereits in solchen Flugschriften wider, die auch nur in den leisesten Ansätzen demokratische Prinzipien vertraten. Nicht wenige Traktate gingen sehr viel weiter. Trotzdem trug die Flugschriftenliteratur in ihrer Gesamtheit keinen demokratischen Charakter. Wie Pähl in seinen Denkwürdigkeiten richtig feststellte, fehlte es »dem erwachten bürgerlichen Geiste noch viel an Mut und Kraft, um das, was er als rechtlich und zeitgemäß erkannt hatte, gegen die uneranüdeten Wächter der Stabilität geltend zu machen".141 Vor allem fehlte es ihm an Mut, das Zutrauen und die Sympathie der Volksmassen in eine alle Hemmnisse überwindende Aktivität zu verwandeln. Die Massen brauchten eine Führung, die ihnen den Blick freimachte über das Gestrüpp der nächsten Nöte und 'Beschwerden auf große Ziele hin. Der Bauer aus sich heraus war dazu nicht in der Lage; im Kopfe des Handwerkers spukten reaktionäre zünftlerische Vorstellungen, die seine Tatkraft häufig genug in falsche Richtungen lenkten.142 Das Bürgertum war berufen, die Massen in den Kampf gegen den Feudalismus zu führen. In Württemberg aber begnügte es sich damit, ihre Sympathie zu erringen; es fürchtete, die einmal in Bewegung geratenen Massen aus der Hand zu verlieren. Letzte Ursache seiner Beschränktheit war seine ökonomische Schwäche. Das württembergische Bürgertum hatte noch nicht einmal solche Höhen der Wirtschaft erklommen, die es zwangen, über die engen Grenzen seines Ländchens hinauszuschauen und nationale Gesichtspunkte zu entwickeln. Es steckte noch tief im bornierten kleinstaatlichen Partikularismus, der aus den Besonderheiten der staatlichen Struktur Württembergs zusätzliche Kraft zog. Die im Bürgertum verbreitete Vorstellung, eine zumindest verbesserungsfähige Verfassung zu besitzen, trübte seinen Blick und hemmte sein Handeln. Der junge Hegel gehörte zu den wenigen, die diese Halbheit iim Wollen damals mit scharfem Blick erkannten: .Allgemein und tief ist das Gefühl, daß das Staatsgebäude, so wie es itzt noch 144

141 142

.Europäische Annalen", Jahrg. 1797, 4. Stück, S. 27. Pähl, Johann Gottfried, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben..., a. a. O., S. 114. Gerechte Klagen und Bitten eines billig denkenden Bürgers im Namen sämtlicher Zünfte und Handwerker zu Stuttgart der Landesversammlung zur Beherzigung vorgelegt und geweiht, o. O. 1797.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

besteht unhaltbar ist - allgemein ist die Ängstlichkeit, dag es zusammenstürzen und in seinem Falle jeden verwunden werde." Er forderte Tatkraft und Mut, »die einzige Macht, die das Wankende mit Ehre und Ruhe vollends wegschaffen und einen gesicherten Zustand hervorbringen kann. Wie blind sind diejenigen, die glauben mögen, daß Einrichtungen, Verfassungen, Gesetze, die mit den Sitten, den Bedürfnissen, der Meinung der Menschen nicht mehr zusammenstimmen, aus denen der Geist entflohen ist, länger bestehen, daß Formen, an denen Verstand und Empfindung kein Interesse mehr nimmt, mächtig genug seien, länger das Band eines Volkes auszumachen! Alle Versuche, Verhältnissen, Teilen einer Verfassung, aus welchen der Glauben entwichen ist, durch großsprechende Pfuschereien wieder Zutrauen zu verschaffen, die Totengräber mit schönen Worten zu übertünchen, bedecken nicht nur die sinnreichen Erfinder mit Schande, sondern bereiten einen viel fürchterlichem Ausbruch, in welchem dem Bedürfnisse der Verbesserung sich die Rache beigesellt und die immer getäuschte, unterdrückte Menge an der Unredlichkeit auch Strafe nimmt... Wenn eine Veränderung geschehen soll, so muß etwas verändert werden". 148 So richtig Hegel das Gefährliche der Methode erkannte, moderne bürgerliche Vorstellungen in die ständische Verfassung hineinzuinterpretieren, weil sie ihr neuen Glanz gaben und Illusionen verbreiteten, die vom wirksamen Handeln abhielten, so teilte er doch mit den württembergischen Publizisten die Überzeugung, einer Revolution durch rechtzeitige Reformen vorbeugen zu müssen. Allerdings verlangte er tiefgreifende Reformen, die den Massen demokratische Rechte gewährten. Der ursprüngliche Titel seiner Flugschrift, die er erst 1798 beendete und nie veröffentlichte, lautete: »Daß die Magistrate vom Volk gewählt werden müssen".144 Er widmete die Schrift nicht wie viele andere Autoren dem Landtag, sondern wählte als Untertitel die Worte: »An das württembergische Volk".145 Offensichtlich begegnete er also auch dem undemokratisch gewählten Landtage mit berechtigtem Mißtrauen: »Nur zu oft liegt hinter den Wünschen und dem Eifer fürs allgemeine Beste der Vorbehalt verborgen: soweit es mit unserem Interesse übereinstimmt. Eine solche Bereitwilligkeit, zu allen Verbesserungen das Jawort zu geben, erschrickt, erblaßt, sobald auch einmal eine Anforderung an diese Bereitwilligen selbst gemacht wird." 146 Die Wahl der Magistrate durch das Volk betrachtete Hegel als einen Weg, 143

145 148

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Über die neuesten innern Verhältnisse Württembergs..., a. a. O., S. 151. Ebenda, S. 150 Anm. 1. Rosenzweig, Franz, Hegel und der Staat. München u. Berlin 1920, Bd. 1, S. 60. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Über die neuesten innern Verhältnisse Württembergs..., a. a. O., S. 152. Sehr deutlich kommt seine kritische Stellung zur Landschaft in dem Mitte der 90er Jahre entstandenen 3. Fragment seiner Arbeit über .Volksreligion und Christentum" zum Ausdruck: »Aber wann ein Stand - der regierende oder der Priesterstand - oder beide zugleich diesen Geist der Einfeilt verlieren, der ihre Gesetze und Ordnungen stiftete und bisher beseelte, so ist sie nicht nur unwiederbringlich dahin - sondern die Unterdrückung, die Entehrung, Herabwürdigung des Volks ist dann gewig (daher die Absonderung in Stände für die Freiheit schon gefährlich, weil es einen esprit de corps geben kann - der bald dem Geiste des Ganzen zuwider wird). Wann dem Volk auch nicht mehr

2. Der Reformlandtag

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um dem Volk wenigstens mittelbaren Einfluß auf die Zusammensetzung des Landtags zu sichern und dessen gefährlicher Absonderung zu begegnen. Hegel stand auf dem linken Flügel, aber auch dort noch war er Teil der bürgerlich-liberalen Bewegung, die sich in der Flugschriftenliteratur manifestierte, eine revolutionäre Aktivität der Massen vermeiden wollte und über den ständischen Landtag Reformen erstrebte, die dem Neuen mehr oder weniger breiten Baum geben sollten. Aller Augen schauten auf den Landtag. Die Ausschußfrage war das erste, womit er sich beschäftigen mußte. Es war der entschiedenen Richtung nicht gelungen, die Wahl solcher Deputierten durchzusetzen, die nicht dem Magistrat angehörten. Vor dem Veto der Regierung, die in dieser Frage auch publizistisch unterstützt wurde, war sie zurückgewichen. Trotzdem verfügte die entschiedene Opposition in der Versammlung über keine geringe Zahl von Anhängern. Auch unter den Magistratsmitgliedern gab es oppositionell Gesinnte, und der starke Druck von unten hatte die Entscheidungen der Wahlkörperschaften beträchtlich beeinflußt. Die Rolle, die Hofacker ,und Steeb als außenstehende Privatkonsulenten spielen konnten, liefert den eindeutigen Beweis. Am 18. März, an dem die eigentlichen Landtagsverhandlungen begannen, wurde als erstes der alte Stockmayer als Konsulent zum Rücktritt gezwungen. Dann trat sofort als Sprecher der Opposition der 25jährige Bürgermeister Viktor Wilhelm Hauff, Abgeordneter für Tübingen, mit einem scharfen Votum auf. Er forderte die Annahme der verfassungsmäßig angebotenen Resignation der alten Ausschußmitglieder; an ihre Stelle sollte ein vorläufiger, nur für die Dauer des Landtags bestimmter Ausschuß treten, der aber auch nur zur Hälfte aus den alten Mitgliedern gewählt werden durfte. Bevor bei Abschluß des Landtages der endgültige Ausschuß bestimmt würde, sollte eine Deputation von Landtagsabgeordneten beauftragt werden, »allen bisherigen Ausschußdeputierten und Offizialen Rechenschaft über ihre ganze Amtsführung abzunehmen, über die Habilitât der bisherigen Ausschußmitglieder zur Aufnahme in den zu Ende des Landtags wieder herzustellenden perennierenden Ausschuß dem Pleno zu referieren, die Offizialen nach Erfund der Umstände zu entlassen oder zu bestätigen, auch ein Projekt eines revidierten Ausschußstaats zu entwerfen und solches dem Pleno zur Délibération Opfer, nicht mehr Bübingen aufgelegt werden, als es vorher immer gewohnt war, so ist das Ganze zusammen doch nimmer eine Gemeine, die gemeinschaftlich, in dem nämlichen Sinn einmütig vor die Altäre ihrer Götter tritt - sondern ein Haufe, dem seine Führer heilige Empfindungen ablocken und dabei selbst nicht mitfühlen - wie der Taschenspieler dem gaffenden Publikum Bewunderung, wo er selbst zwar nichts bewundert, aber sich auch nicht stellt - als teile er ihr Staunen, dahingegen jene in Anstand, Gesicht und Worten die Mitempfindung heucheln. - Dieser Kontrast ist dann für den ruhigen Zuschauer desto empörender, je mehr ihn die Einteilt, die Unschuld der Menge rührt - der Anblick des andächtigen Volks, der gegen Himmel gerichteten Blicke - der gefalteten Hände, der gebogenen Knie, des tiefen Seufzens, des brennenden Gebets würde unwiderstehlich mit reiner Wärme sein Herz erheben - wenn nicht die Hauptpersonen des Spiels gerade Bitterkeit in seine Empfindung mischten.' Hegels theologische Jugendschriften nach den Handschriften der Königlichen Bibliothek in Berlin. Herausgegeben von Herman Nohl. Tübingen 1907, S. 38.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

und Beschließung vorzulegen." 147 Hauff konnte sicher sein, daß sein Votum die Mehrheit der Stimmen erhielt. Jedoch der die Versammlung leitende Konsulent Kerner erschreckte alle mit der geheimnisvollen Mitteilung, »das Vaterland sei in Gefahr und unter solchen Umständen das tübingische Votum höchst bedenklich".148 Nähere Angaben zu machen lehnte er ab. Er erreichte es in der Tat, daß der Landtag unter dem Eindruck dieser ominösen Warnung sich mit Mehrheit für die provisorische Wiedereinsetzung der alten Ausschüsse entschied. Ein solches Ergebnis und insbesondere die Methoden, mit denen es erzielt wurde, stießen außerhalb wie innerhalb der Versammlung auf energischen Widerstand. In einer „Dringenden Vorstellung" vom 20. März protestierten die Stuttgarter Zünfte. 149 Bürgermeister Hauff sammelte seine unbedingten Anhänger im Landtag, um das Abstimmungsergebnis anzufechten. Ganz zweifellos spielte das illegale Hauptquartier der Reformer mit Hofacker und Steeb im Gasthaus zum Hirschen eine bedeutsame Rolle. Ein Erfolg war um so eher möglich, als das Kernersche „periculum in mora", wie sich herausstellte, keinen wirklich ernsthaften Hintergrund besaß. 150 Hauff trat darum in der nächsten Sitzung am 20. März erneut auf, protestierte feierlich »gegen die vorgestern auf eine mit der Stimmfreiheit ganz unvereinbare und illegale Art vorgegangene Wiedereinsetzung der beiden Ausschüsse" und verlangte eine Wiederholung der Abstimmung über sein Votum ohne die Gegenwart der Ausschußmitglieder. Als die Ausschüsse keine Miene machten, darauf einzugehen, drohten Hauff und weitere 24 Deputierte - darunter selbstverständlich die Abgeordneten jener Ämter, die schon bei der Deputiertenwahl im September 1796 am radikalsten mit dem Herkommen brechen und demokratische Grundsätze angewendet wissen wollten - mit dem Boykott sämtlicher Verhandlungen. Außerdem übergaben sie eine gemeinsame Beschwerde an das herzogliche Geheime Ratskollegium.151 Darauf wandelte sich die Situation. Am 21. März beschloß der Landtag nahezu einmütig die Wiederholung der Abstimmung. Diesmal endete sie mit dem Siege des Hauffsehen Antrags: Von den sechzehn Mitgliedern blieben nur sieben im Amt, die anderen wurden aus den Reihen der Abgeordneten neugewählt, und der Ausschuß erhielt den geforderten provisorischen Charakter. 152 Das Echo, das dieser erste Erfolg der entschiedenen Opposition im Land auslöste, war enthusiastisch. Mit anderen pries der Anonymus Philo insbesondere .den unerschütterlichen Mut eines Jünglings in eurer Versammlung", nämlich den des 147 148 149 150 131

152

Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 1, S. 90. Ebenda, S. 90. (Kapi, Johann Wilhelm). Dringende Vorstellung der Zünfte zu Stuttgart an den Stadtmagistrat allda, die beiden landschaftlichen Ausschüsse betreffend, o. O. den 20. März 1797. Höhle. Erwin. Das alte Recht..., a. a. O., S. 186. Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 1, S. 98 ff. Es waren die Landtagsdeputierten der Stände Tübingen, Böblingen, Wildberg, Winnenden, Ochsenburg, Großbottwar, Güglingen, Sachsenheim, Domstetten, Bietigheim, Besigheim, Altenstaig, Zavelstein, Freudenstadt, Bönigheim, Marbach, Liebenzell, Bulach, Hornberg, Neuenbürg, Pfullingen, Wildbad, Sindelfingen, Nagold und Reichenbach. Ebenda, S. 106 ff.

2. Der Reformlandtag

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jungen Bürgermeisters Hauff, der die Hauptarbeit geleistet hatte. 153 Mit dem Beifall aber unmittelbar verbunden war die Aufforderung, bei dem Erreichten nicht stehenzubleiben, sondern neue Aufgaben in Angriff zu nehmen. Philo machte sich dabei zum Sprecher der Anmen: „Armut zu mindern, - dies, Stellvertreter der Völker, dies sei euer erster, vorzüglichster Zweck." 154 Er betrachtete den Landtag durchaus als eine Art Nationalversammlung, wie sie das Jahr 1789 in Frankreich geschaffen hatte; er forderte auf, sich dort Vorbilder zu suchen. Allerdings sollten sie nicht Robespierre oder Marat heißen, wohl aber Sieyes: .Wenn der rasende Robespierre gleich dem Donner des Himmels seine Stimme erschallen ließ, wenn ein wütender Marat mit dem Grimm eines Tigers seine Grundsätze unterstützte, so müssen wir über die sanfte und doch ernste, über die überzeugende und zugleich angenehm belehrende Sprache eines Sieyes in ein edles Staunen geraten." 155 Dieses Bekenntnis zu Sieyes, dem girondistischen Politiker, war besonders beachtlich angesichts der Tatsache, daß die feudale Reaktion in diesem abgefallenen Priester immer noch einen der Hauptschuldigen an der Entwicklung sah, die die Dinge in Frankreich nach 1789 genommen hatten. Eine andere Flugschrift, »Das württembergische Volk an seine Stellvertreter in der zweiten Woche des Landtages", pries ähnlich wie Philo die Standhaftigkeit Hauffs: »Du mutiger Jüngling, der du zuerst das Wort der Redlichen führtest, den Angriffen eines Verräters Trotz botest und der guten Sache den Sieg bereitetest, nimm den besonderen Dank des Vaterlandes." 156 Aber ungleich radikaler als bei Philo, der sich vorsichtig gegen den Jakobinismus abgrenzte, verlangte die Schrift ein konsequentes Fortschreiten auf dem eingeschlagenen Wege: „So bleibt denn nicht da stehen, wohin ihr so mächtig eiltet; durchlauft mutig die lange Bahn; schlagt auf dem Wege die Ungerechten nieder und erhöht die Gerechten. Zermalmt alles, was Torheit und Bosheit aufbauten und schmückten! Wer sollte auch euch noch aufhalten, wer gegen euch stehen können? Wagt es einer, so muß es ein Verräter des Vaterlandes sein; zeichnet ihn auf der Stirne, und er ist verloren. Denn wir sind eure Arme; euch sollen eure Feinde fürchten, weil sie uns fürchten müssen." 157 Das war jakobinisch nicht nur im Ton. Das Volk war der Souverän - »der Majestätsverbrecher, das ist der Beleidiger der bürgerlichen Gesellschaft" 158 - und dieses Volk war berechtigt und bereit, unmittelbar und mit eigener Hand einzugreifen, wo seine Repräsentanten auf unüberwindliche Hindernisse stießen. Jakobinisch auch in der Unversöhnlichkeit, forderte die Schrift keine Halbheiten in der Behandlung der gestürzten Mitglieder des oligarchischen Ausschusses, etwa die Weiterzahlung von Gehältern. .Nein, Stellvertreter des Volkes, das Laster sollt ihr in keinem Falle belohnen. Es soll nicht einmal seinen Raub in behaglicher Ruhe genießen. . . Andere mögen zu anderen Zeiten gütig, ihr müßt gerecht sein. Strafe, 13S

156 137

Philo an die versammelten Repräsentanten des württembergischen Volks, nebst einer Trostrede an die Märtyrer ihrer Grundsätze von Spartagus. Württemberg 1797, S. 5. 155 Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 10. Das württembergische Volk an seine Stellvertreter in der zweiten Woche des Landtages. o. O. 1797, S. 10. 158 Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 7.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

schwere Strafe den Lügnern, den Verleumdern, den Widerspenstigen, den Räubern, den Verräterin des Vaterlandes; aber den Verirrten, den Verführten - Verzeihung und Bruderliebe, wenn sie sich bekehren." 159 Die künftigen Aufgaben des Landtags wurden in der Flugschrift nicht im einzelnen präzisiert, aber die Tatsache selbst, daß solche unibedingt gelöst werden mußten, war so formuliert, dag an der uneingeschränkten Vollmacht des Landtags zu grundsätzlichen Eingriffen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens kein Zweifel übrigblieb: »Wieviel ist euch noch zu tun übrig, Stellvertreter des Volks! Ihr sollt für die Ruhe von innen und außen, für die Erziehung unserer Kinder, für unsere Freiheit und Glückseligkeit nicht nur einen Tag dauernde, sondern bleibende Anstalten treffen. Denn ihr denkt, wollt und handelt für uns alle; wir alle wollen glücklioh sein, und wir können es durch euch. Darum verbindet euch immer enger gegen die verderblichen Pläne, welche die Feinde des Volkes im Dunkeln schmieden. Seid einig, und ihr seid unüberwindlich wie wir." 160 Die radikale Tonart dieser Schriften .und auch die weitgehende Zielsetzung insbesondere der letzten dürf en dennoch nicht die ihnen eigene Inkonsequenz vergessen machen. Dag die Aufgabenstellung nur ganz allgemein formuliert und von jedem Detail abgesehen wurde, war kein Zufall, sondern deutliches und notwendiges Ergebnis dieser Inkonsequenz. Der am 17. März zusammengetretene Landtag war auf der Grundlage eines Privilegiertenwahlrechts, also undemokratisch, zustande gekommen. Ihn als Repräsentation des Volkes anzusprechen, hieß bereits auf prinzipielle Volksrechte verzichten. Außerdem aber bedeutete es auch ein Anerkennen bestimmter verfassungsrechtlicher Formen, wie sie nun eben einmal bestanden. Eine detaillierte Aufgabenstellung unter diesen Bedingungen hätte notwendig bescheidener klingen müssen. Der Sinn dieser Flugschriften bestand jedoch nicht darin, der Aktivität des Landtags Grenzen zu setzen, .sondern umgekehrt ihn durch die Steigerung des Drucks von unten vorwärtszutreiben. Darum die allgemeine Aufgabenstellung, die alles offen lieg und sich auch besser mit dem radikalen Ton vereinbarte. Die Flugschriften, die konkrete Vorschläge für die nächsten Schritte des Landtages machten, gingen vom Gegebenen aus, das reformiert und nicht auf revolutionäre Weise umgestürzt werden sollte. Danz' Schrift »Vorschläge zu zweckmäßiger Organisierung der landschaftlichen Ausschüsse in Württemberg" beispielsweise pries ebenfalls den Sturz der alten Ausschußmitglieder, warnte ebenfalls vor einem Verharren beim Erreichten, aber war in ihren Forderungen konkreter und darum bescheidener. Zum guten Teil griff Danz alte Wünsche auf, die bereits in der Zeit der Vorbereitung des Landtags eine Rolle gespielt hatten: Die Prälaten sollten keinen Platz ohne Instruktion und Vollmacht der Klosterämter erhalten; die Beschränkung der Wahlfähigkeit auf Magistratsangehörige war entweder aufzuheben, oder es mußte dafür gesorgt werden, daß bessere Männer in die Magistrate gelangten; der Landtag sollte regelmäßig wenigstens alle zehn Jahre zusammentreten. Was die Ausschüsse anbetraf, so mußte selbstverständlich mit der Selbstersetzung ein Ende im Ebenda, S. 9.

180

Ebenda, S. 10/11.

2. Der Reformlandtag

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gemacht werden; der größere Ausschuß, der in der Vergangenheit eine völlig untergeordnete Rolle gespielt hatte, sollte jetzt die Verwaltung der Landesgelder übertragen bekommen; um die Ausschußmitglieder in ihren Entscheidungen unabhängiger zu machen, sollten sie Diäten beziehen. 161 All diese Vorschläge waren Reformvorschläge, die vom Gegebenen ausgingen und es mehr oder weniger dem .Geist der Zeit", also den Ansprüchen des Bürgertums anpassen wollten. Um die klaffende Diskrepanz, die notwendig zwischen dem alten feudalen Recht und den modernen bürgerlichen Zielen bestand, zu überbrücken, müßte der ständischen Verfassung Gewalt angetan werden. Diese Gewaltanwendung und noch mehr die Tatsache, daß die bürgerliche Opposition die öffentliche Meinung mobilisierte und sich auf sie stützte, war in einem Grade progressiv, daß selbst revolutionär-demokratische Töne und Tendenzen dabei mitlaufen konnten. Niemals jedoch vermochten solche Züge das Gesicht der Gesamtbewegung zu bestimmen, die bürgerlich-liberal blieb und sich auf Reformen beschränkte, die als Pfropfreiser auf alte Stöcke gesetzt werden sollten. Als Muster für die Art und Weise, wie diese bürgerliche Reformbewegung sich mit der Feudalverfassung auseinandersetzte und dabei das Alte mit dem Neuen zu verbinden suchte, kann die Schrift »Über das Petitionsrecht" von Christian Friedrich Baz aus Ludwigsburg gelten. Er war schon 1796 in den Ausschuß gewählt worden, gehörte aber auch zu der wiedergewählten Minorität und sollte als ständischer Führer noch eine hervorragende Rolle spielen. Baz ging von der durch und durch antifeudalen, bürgerlichen Grundvorstellung aus, »daß ein beständiger Fortschritt in allem, was wahr, gut und vollkommen ist, die große Bestimmung unseres Geschlechts ausmache", daß also auch »sich die Anstalten der bürgerlichen Gesellschaft ins Unendliche abändern müssen, alles bloß für die gegenwärtigen Verhältnisse zweckmäßig, bloß Bildungs-, Leitungs- und Beglückungsmittel für die gegenwärtigen Zeitbedürfnisse sei, daß ein Stillstand in den öffentlichen Anstalten unter die unerhörten und undenkbaren Erscheinungen der Menschheit gehöre,..." 1 6 2 Dieser Tatsache entsprechend fänden sich darum auch in allen brauchbaren Verfassungen Mittel und Wege eingebaut, damit »auf eine gesetzmäßige, der öffentlichen Ruhe unschädliche Art die nötigen Verbesserungen von Zeit zu Zeit gemacht, drückende Mißbräuche umd Mängel entfernt und die Beschwerden des Volkes gehoben werden". Als «inen solchen Weg bezeichnete Baz das Petitionsrecht, wobei er es allerdings in einem Sinne deutete, der den alten und eigentlichen Begriff völlig veränderte: »Dieses Recht besteht darin, daß das Volk dem Regenten durch gewisse Behörden, Beamte, Stellvertreter etc. von Zeit zu Zeit seine Wünsche und Beschwerden nach der modernen Sprache seinen Willen - vortragen, um deren Anhörung und Gewährung bitten läßt und daß der Regent diesen Wünschen und Erwartungen entspricht. Das Recht der Petition ist also ein Volksrecht. . . Der Regent, der dieses 181 1,2

(Danz, Wilhelm August Friedlich), Vorschläge zu zweckmäßiger Organisierung der landschaftlichen Ausschüsse in Württemberg, o. O. 1797. (Baz, Christian Friedrich), Über das Petitionsrecht der württembergischen Landstände. Für alle und zu allen Zeiten lesbar, o. O. 1797, S. 7/8.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

Recht ehrt und hört, übt dadurch (auch wenn es nicht grundgesetzmäßig wäre) seine Pflicht aus.' 1 6 3 Aus dieser Definition ergab sich nicht nur das ausdrücklich eingeräumte Recht für die Masse des Volkes, ihren Wunsch beziehungsweise Willen an den Regenten gelangen zu lassen, sondern es ergab sich aus der Verpflichtung des Regenten, diesem Wunsch beziehungsweise Willen zu entsprechen, das weitere Recht, bei Verletzung dieser Pflicht den Gehorsam aufzukündigen. Baz zog diesen Schluß, um ihn jedoch im gleichen Augenblick in einer Weise einzuschränken, daß er die revolutionäre Konsequenz verlor: »Das Volk erhält durch die Petition ein Recht, den Fürsten an Verbesserungen zu erinnern und die Erhöhrung seiner Bitten nicht bloß als eine Gnade, sondern als eine Pßicht von ihm zu erwarten. In seinen Stellvertretern ist jemand da, den der Regent kraft der Gesetze hören muß I Die Abstellung der Beschwerden wird dadurch zu einer Bedingung des Gehorsams, dieser äußere sich nun in Abgaben, Diensten oder auf eine andere Art." 164 Mit der Zwischenschaltung der Landschaft erreichte Baz den doppelten Zweck, daß einmal den Volksmassen die Entscheidung weitgehend entzogen und zum anderen die Landschaft mit der ganzen Autorität des Volkswillens gegenüber dem Regenten ausgerüstet wurde. Baz scheute sich nicht, Argumente aus der Rüstkammer der bürgerlichen Ideologie zu gebrauchen, mit denen in Frankreich revolutionär-demokratische Entscheidungen und Maßnahmen begründet worden waren; aber er war und blieb dabei landschaftlicher Politiker, der im Grunde doch nur in der Landschaft die berufene Institution sah, tun vorsichtig und unter Vermeidung größerer Erschütterungen dem Bürgertum etwas mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Darum widmete Baz in seiner Schrift einen so breiten Raum dem angeblichen Nachweis, daß seine Auffassung den überlieferten Gesetzen entsprach. Selbstverständlich überhöhte er dabei eben mit Hilfe seiner Auslegung des Petitionsrechtes die Bedeutung der Landschaft und insbesondere des Landtags gegenüber dem Regenten. Er stellte fest, »daß die Ausübung der Petition nicht bloß dem engeren und größeren landschaftlichen Ausschüsse, den zu Stuttgart anwesenden einzelnen Gliedern des engeren, sondern insbesondere Landesversammlungen, und zwar nicht bloß zu gewissen Zeiten, sondern immer und so oft eine Veranlassung dazu vorhanden ist, besonders aber bei der jährlichen Bewilligung der außerordentlichen Abgaben, zukomme;... ja, daß Gegenstände des Petitionsrechfcs den Landständen für sich eine gegründete Ursache geben, auch wenn keine neuen Steuern zu regulieren, keine Brandschatzungen zu repartieren sind, auch wenn keine neuen herzoglichen Schulden übernommen werden sollen, den Regenten um die Zusammenberufung einer Landesversammlung zu bitten." 165 Auch wenn es nicht ganz mit dieser Schärfe formuliert wurde, lief schließlich in Baz' Interpretation das Nebeneinander von Fürst und Landschaft auf eine Gewaltenteilung in Exekutive und Legislative hinaus, wobei es außer diesen Gewalten nichts gab, was nicht dem Wandel der Zeiten unterworfen war: «Zwei Einrichtungen sind in Württemberg kraft der Konstitution über alle Veränderung erhaben: die der Ausübung der voll183 161

Ebenda, S. 11. Ebenda, S. 16.

185

Ebenda, S. 46/47.

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2. Der Reformlandtag

ziehenden Gewalt (der Regierung) durch ein hohes Fürstenhaus, eine einzige angeborene Regenteniamilie, und die der Repräsentation des Volks durch Landstände in allem, was tür die Wohlfahrt des Ganzen wichtig ist. Alles andere ist seiner Natur, dem Geist und Zwecke der Verfassung und Gesetze nach veränderlich." 166 In derselben Linie, die Abfassung konstitutioneller Gesetze zum ausschließlichen Recht der Landschaft zu machen, lag die Forderung nach Sicherheiten gegen willkürliche Veränderungen der Verfassung. Dabei kam Baz wieder nicht ohne echt demokratische Grundsätze aus: »Keine Landesversammlung, kein Regent darf also eigenmächtig, bloß nach seinem Gutdünken, das kleinste Rad herausheben oder einzelnen derselben eine neue Verrichtung anweisen. Die Freiheit und Sicherheit, die gewisse Erhaltung der bisherigen Rechte des Volks, dessen unverletzliches Recht, über die Abfassung konstitutioneller Gesetze selbst gehört zu werden, erfordern das. Wenn also einzelne Teile dieses ehrwürdigen Ganzen verändert oder aufgehoben werden sollen, so muß das Volk selbst seine Beistimmung dazu erteilt, seinen Stellvertretern darüber ausdrückliche Vollmacht gegeben haben. Diesem allein kommt es zu, sich über diesen wichtigen Gegenstand gültig, auf die gehörige Weise, zu äußern." 167 Auf die gehörige Weise, das hieß: über die Landtagsdeputierten. »Hat aber das Volk auf diese Art, wo nicht allgemein, doch der Mehrheit nach, einmal seinen Wunsch und Willen zu Verbesserungen deutlich zu erkennen gegeben, . . . dann ist auch der Zeitpunkt da, wo weder Landesversammlungen noch Regenten seinem Verlangen mit Grunde länger widerstehen können." 168 Die gleichmäßige Unterordnung von Landtag .und Regenten unter den Volkswillen war natürlich nur eine schöne Geste, denn in Wahrheit lief das ganze Verfahren darauf hinaus, den Regenten dem Landtage als dem Sprachrohr des Volkswillens unterzuordnen. Während von Regentenrechten nur in allgemeinen Wendungen die Rede war, wurde der Landschaft ausdrücklich das Recht zugebilligt, notfalls dem Regenten gegenüber das Zwangsmittel der Gelderverweigerung anwenden zu dürfen, um seinen Widerstand zu brechen und 'bestimmte Maßnahmen durchzusetzen. 169 Aber eben dieser Anspruch des Landtags, den Volkswillen zu repräsentieren, blieb ohne jede Kraft und darum wirkungslos, wenn er sich auf nichts als die bloße Phrase stützte. Obwohl Baz, wie schon gesagt, im Grunde der ständischen Vertretung die entscheidende Rolle vorbehalten wollte, mußte er um dieses Zieles willen in engen Grenzen der Demokratie nicht nur in der Phrase, sondern in der Tat fühlbaren Tribut zollen. Als konstitutionelle Fragen, zu denen sich das Volk auf dem Wege über die Bevollmächtigung der Landtagsdeputierten beistimmend äußern sollte, nannte er die »Art und Weise, wie die Magistrate, Beamten und Repräsentanten des Volks gewählt, wer hierzu für wahlfähig angenommen, wie die Rechte der Gemeinden und des Volks durch diese ausgeübt, die Gesetze von Zeit zu Zeit reformiert, die öffentlichen Gelder verwaltet, von deren Verwendung Rechenschaft abgelegt, in welcher Ordnung der Wille der Gemeinden und des Volks erforscht 1M

1,8

Ebenda, S. 52. Ebenda, S. 61. Ebenda, S. 69.

23 Süddeutsche Jakobiner

169

Ebenda, S. 85.

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und eingeholt über allgemeine Angelegenheiten beratschlagt und ihnen das Resultat der Verhandlungen, Arbeiten und Beschlüsse kundgemacht werden, wie lange jedes öffentliche Amt fortgesetzt werden soll etc.* 170 Die Tendenz der Lösung solcher Fragen mußte unter den gegebenen Umständen, wenn sich der Landtag auf die öffentliche Meinung stützen wollte - und er mußte sich zumindest in dieser Richtung bemühen, um wirkliches Gewicht zu erhalten notwendig auf eine zumindest teilweise Berücksichtigung der im Volke lebendigen Wünsche hinauslaufen. Die ersten Schritte des Landtags waren so, daß sie im allgemeinen die begeisterte Zustimmung der öffentlichen Meinung fanden. Skeptische Äußerungen, wie sie in Streims Flugschrift »Martin von Schlierbach an den Schulmeister Sebastian Käsbohrer in Ganzlosen* gemacht wurden, blieben sehr vereinzelt: »Ich war auch in Stuttgart als am 17. März der wichtige Tag am württembergischen Horizont heraufstieg . . . Die Menschen drängten sich in Haufen auf die Prozession der Landesdeputierten hin, und diesen sah man es an, dag sie für Wundertäter gehalten wurden. Ich bemerkte manches spöttische Gesicht, und soviel ich nun höre, haben sie sich schon ziemlich miteinander gezankt... Ich denke als immer so für mich hin in meinem Sinn: Geschoren werden wir - scheret nur so, daß es nicht zu plomp kommt. Die Stuttgarter Bürger machen freilich groß Geschrei ob ihrer Nationalversammlung ; in Bier- und Weinschenken spricht man von nichts als von den täglichen Verhandlungen, und glaub er mir nur, das Ende vom Lied wird sein: Es bleibt beim alten.* 171 Diese Worte waren am 23. März geschrieben worden und spiegelten deutlich das Mißtrauen in die auf undemokratische Weise gewählten Landtagsdeputierten wider, deren mangelhafte Verbundenheit mit den Interessen des Volks sich schlagartig gezeigt hatte, als sie auf die Intervention Kerners hin dem ersten Votum Hauffs die Gefolgschaft verweigerten. Trotzdem war die Resignation, die aus dieser Flugschrift sprach, nicht buchstäblich zu nehmen; indem der Autor sich bemühte, die in breiten Kreisen der Bevölkerung vorhandene Illusion von einer Nationalversammlung zu zerstören, half er indirekt und wahrscheinlich sogar bewußt, die Wachsamkeit der Massen gegenüber den Landtagsabgeordneben und damit den Druck von unten zu steigern. Mit dieser Absicht stand er keineswegs allein. Eine andere Flugschrift, »Der Konstitutionsfreund an die Landesversammlung", erklärte im Gegensatz zum »Martin von Schlierbach", im allgemeinen mit den Repräsentanten zufrieden zu sein; trotzdem forderte sie mit aller Entschiedenheit Publizität ihrer Beratungen und Beschlüsse, um eine Kontrollmöglichkeit zu besitzen: »Verzeiht es, würdige Stellvertreter! wenn wir müde sind, gleich unseren Vorfahren erst nach dreißig und mehr Jahren durch Nebenwege zu erfahren, was zur Beförderung des Gemeinwohls im Jahr 1797 für Vorschläge gemacht oder verworfen worden s i n d . . . Wir wollen die geraden, auf170 1,1

Ebenda, S. 59/60. (Streim, Friedrich), Martin von Schlierbach an den Schulmeister Sebastian Käsbohrer in Ganzlosen. Schlierbach u. Mukensturm 1797, S. 13/14.

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rechten Männer von den Feigen und Jaherrn, die Patrioten und Sprecher von den Schmeichlern und Schleichern zu unterscheiden wissen." 1 7 2 Der Landtag kam dieser Forderung in der Weise nach, daß er noch im April die regelmäßige Herausgabe von Berichten in dem als offiziell erklärten Organ „Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg" beschloß. Ihm folgte sehr schnell eine zweite Publikationsreihe, »Die Verhandlungen auf dem württembergischen Landtage", deren erster Band von Hesler, die anderen von Bunz herausgegeben wurden. Selbstverständlich war das noch keine vollkommene Publizität; die Verhandlungen selbst wurden weiterhin unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt, und die Wiedergabe der Beratungen in den genannten Zeitschriften war weder vollständig noch wortgetreu; dennoch handelte es sich um einen recht bemerkenswerten Schritt. Sehr viel mehr als bei jenem Beschluß, der den alten Ausschuß zerstörte, spielte hier die Berücksichtigung der öffentlichen Meinung eine Rolle. Der Sturz der im Ausschuß herrschenden Stockmayerschen Fraktion, die einen prinzipienlosen Kuhhandel mit dem Herzog im Interesse persönlicher Bereicherung trieb, war allein schon vom ständischen Gesichtspunkt aus notwendig; wenn diese Maßnahme gleichzeitig der Forderung der Öffentlichkeit entsprach, so war es nicht viel mehr als ein glückliches Zusammentreffen. Die Gewährung der Publizität dagegen bedeutete zu dem damaligen Zeitpunkt in erster Linie einen Erfolg des Druckes von unten, wobei allerdings auch der zweite Gesichtspunkt nicht aus dem Auge verloren werden darf: Die Ausnutzung dieser Kraft gegenüber dem Herzog für rein ständische Ziele. Daß im Landtag eine starke Partei ernsthaft von der Bevölkerung erhobene Forderungen behandeln wollte, beziehungsweise daß der Druck von unten den gesamten Landtag dazu zwang, bewiesen die Tagesordnung, die sich die Versammlung gab, und die sorgsamen Vorbereitungen zur Behandlung der einzelnen Tagesordnungspunkte. Einstimmig wurde am 5. April der Beschluß gefaßt, »daß die Beratschlagungen und Verhandlungen der Landesversammlung nach folgenden Gegenständen a) Kriegsprästationen, b) Organisation des landschaftlichen Korps und seiner Ausschüsse, c) Beschwerden, Bitten und Wünsche geordnet und eingerichtet werden sollen". 173 Obwohl den neuen Ausschüssen durch ihren provisorischen Charakter feste Zügel angelegt waren, wollte ihnen der Landtag dennoch nicht die notwendigen Vorberatungen dieser Gegenstände, wie es sonst üblich gewesen war, allein anvertrauen. Aus diesem Grunde wurden drei gemischte Deputationen gebildet, in denen sowohl Ausschußmitglieder als auch Landtagsabgeordnete vertreten waren. In die erste und dritte Deputation, die sich mit den Kriegsprästationen beziehungsweise mit den Landesbeschwerden zu befassen hatten, wurden am 6. April sogar noch zusätzlich je zwei Landtagsdeputierte aus dem Handwerker- und Bauernstande in der ausdrücklichen Absicht gewählt, »um diesen Ständen den Argwohn, daß sie absichtlich von den Deputationen ausgeschlossen worden wären, zu benehmen." 174 Das votum consultativum in der Kriegsprästationsdeputation wurde Kerner übertragen, dem faktisch 172 173 174

23*

Der Konstitutionsfreund an die Landesversammlung, o. O. 1797, S. 9/10. Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 1, S. 181. Ebenda, S. 185.

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einzigen Konsulenten des alten Ausschusses, der in dieser Funktion vom Landtag bestätigt .worden war. In der zur Organisation des landschaftlichen Korps und seiner Ausschüsse bestimmten Deputation übernahm diese Aufgabe Georgii, der alte Feind der Stockmayerschen Fraktion und darum einstimmig neugewählter Konsulent. Die Beschwerdendeputation arbeitete zunächst noch ohne einen Konsulenten, erhielt aber bald in Ludwig Hofacker ihren Vorsitzenden. Hofacker vertrat im Landtag Nagold. Sein Name bürgte für Entschlossenheit und Gründlichkeit. Er hatte beides als Initiator des Nagolder Vorlandtages und als Privatkonsulent bei der Durchsetzung des Hauffschen Votums bewiesen. Einige Jahre zuvor war er sogar revolutionärer Umtriebe beschuldigt worden .und hatte sich selbst einen Verehrer der französischen Verfassung in der vorjakobinischen Phase genannt.175 Hofacker hatte die Flugschriftenliteratur sorgfältig verfolgt und Anfang 1797 eine eigene Zusammenstellung der Forderungen angefertigt, die seiner Meinung nach der kommende Landteig zu bearbeiten haben würde.176 Die Wahl Hofackers zum Vorsitzenden der Beschwerdedeputation konnte also als ein Zeichen gelten, daß die an den Landtag gerichteten Beschwerden, Bitten und Wünsche durchaus ernst genommen werden sollten. Einen bedeutsamen Komplex bildeten solche Reformforderungen, die die gesamte Gemeindeverwaltung betrafen. Maßnahmen allgemein gegen den Despotismus und Nepotismus bei der Ämterbesetzung zu treffen, hatte bereits im September 1796 jene Flugschrift vom Landtage verlangt, die als erste über die Kontributionsrepartition hinaus die Aufmerksamkeit auf andere und wichtigere Gegenstände lenkte.177 Im Zusammenhang mit dem Streit über die Wahlfähigkeit der Landtagsdeputierten wurde dann dieses Thema notwendig erneut berührt, und »Kaphta* vor allem, aber auch Dizinger fanden scharfe Worte insbesondere gegen die Familien- und Günstlingswirtschaft der Magistratsangehörigen.178 Zum Hauptgegenstand aber machte die Frage zum ersten Mal eine Flugschrift, die Ende März 1797, also erst nach Eröffnung des Landtags, erschien. Der Verfasser gab vor, eine Reise durch das Land gemacht und dabei die wesentlichen Beschwerden der Untertanen erfahren zu haben. Er stellte fest: »Der erste und der wichtigste Gegenstand der allgemeinen Beschwerden der Untertanen sind unstrittig die vielen Familienverhältnisse auf den Rathäusern und in den Magistraten." 1 7 9 Mit Hilfe des Ernennungsrechts sorgten Beamte und Magistrate dafür, dag dieser Vetternwirtschaft Dauer verliehen wurde, oder sie vergaben auch die Ämter an solche Kandidaten, die die größten Bestechungssummen zu bieten hatten. Die Mittel, die der Verfasser zur Bekämpfung dieser Obel anriet, waren allerdings noch äußerst zahm. Sie trafen nicht die Wurzel, das 175 176

1,8 171

HSA Stuttgart, A 202, Rubr. 46, Nr. 148, Schreiben Hofackers vom 14. 1. 1793. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 187. Vgl. S. 300/01. Vgl. S. 304, 306. Auch ein paar nicht unbedeutende Worte über die schädlichen Familienverhältnisse auf den Rathäusern und in den Magistraten sowie über andere den Untertan bedrückende Mißbrauche. Der Landtagsversammlung besonders ans Herz gelegt, o. O. zu Ende des Monats März 1797, S. 6/7.

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Ernennungsrecht, sondern waren oberflächliche und darum absolut unwirksame Maßnahmen. Er meinte, der Vetternwirtschaft steuern zu können, .wenn bei Bestätigung der Erwählten auf die höheren Gemeindedienste immer zur ausdrücklichen Bedingung gemacht würde, daß der Bestätigte durch eine Heirat nicht in eine zu nahe Verwandtschaft mit Magistratspersonen treten sollte, wenn den Magistraten gleichfalls gemessenst aufgegeben würde, durchaus keine allzu nahe Verwandtschaft auf den Rathäusern einreißen zu lassen".180 Ähnlich sollte dem Bestechungswesen „durch ein geschärftes Verbot geholfen werden, in welchem die unausbleibliche Kassation des Beamten selbst, nicht-weniger die Absetzung der Bürgermeister und Magistratsglieder auf eine solche Bestechung, sie sei hernach groß oder klein, gesetzt, auch äußerst darauf gefahndet würde, daß sich hiebei (wie es leider so gern geschieht) keine neuen Unterschleife einschleichen".181 Die Untertanen sollten zur Anzeige ihnen bekannt gewordener Bestechungen nicht nur verpflichtet sein, sondern auch eine Belohnung dafür empfangen. Einer Reihe von anderen Übergriffen, die sich insbesondere Beamte häufig zuschulden kommen ließen, wollte der Verfasser auf ähnlich zahme Weise begegnen, indem er klare, ihre Vollmachten begrenzende Vorschriften verlangte. 182 Ganz anders ging die Flugschrift .Über die. Unwirksamkeit und Gebrechen der württembergischen Magistratsverfassung" an diese Frage heran, 183 Sie nahm ausdrücklich auf obige Schrift Bezug, deren Reformvorschläge sie als illusionär kennzeichnete, eben weil sie das Übel nicht an der Wurzel packten. Im Gegensatz dazu sprach aus der Schärfe und Gründlichkeit, mit der die Gebrechen der Magistratsverfassung in der zweiten Flugschrift analysiert wurden, eine geradezu demokratische Gesinnung des Verfassers. Er bezeichnete sich als Dolmetscher dessen, .was Tausende im Volke denken, tausend andere empfunden haben und was noch mehrere endlich verbessert zu sehen wünschen".184 Die Tatsache, „daß die Magistrate des Landes mehr und weniger mit unwissenden, kenntnislosen, schlechtgesinnten Menschen besetzt sind", war so offensichtlich, daß er sich mit dem Belegen dieser Feststellung gar nicht erst aufhielt. Er analysierte die Ursachen dieses Zustandes und gab damit zugleich die Richtung an, in der dem Übel begegnet werden mußte. Die erste Ursache sah er in der Art und Weise, wie die Magistratsmitglieder gewählt wurden: .Die ganze Wahlart dieser ist auf falsche Voraussetzungen, Betrug und Täuschung gegründet... Gleich einem Fremdling sieht die Gemeinde leidend zu, wie diejenigen, welche sie regieren sollen, von anderen ihre Gewalt erhalten. 180 181 182

183 184

Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 14. Im Juli brachte derselbe Verfasser eine zweite Schrift heraus, in der in Form eines Gesprächs mit einigen Bauern weitere Beispiele von Beamtenwillkür dargestellt wurden: Nachtrag zu der am Ende des Monats März d. J. herausgekommenen Landtagsschrift über die schädlichen Familienverhältnisse auf den Rathäusern und in den Magistraten sowie über andere den Untertan bedrückende Mißbrauche. Meinen wahrheitliebenden Mitbürgern gewidmet, o. O. in der Mitte des Julius 1797. Vgl. S. 49 Anm. 203. Über die Unwirksamkeit..., a. a. O., S. 5.

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welche sie seihst ebenso willkürlich von anderen empfangen haben." 185 Nun wurden zwar die Schultheißen noch von der ganzen Dorfgemeinde gewählt, aber - und das war die zweite Ursache der Gebrechen - die Stimmabgabe erfolgte öffentlich, so daß unverschämteste Wahlbeeinflussung durch Drohungen und Bestechungen nicht nur möglich, sondern gang und gäbe war. Ganz .unzweideutig äußerte sich die demokratische Gesinnung des Verfassers dabei in dem Hinweis: »Überall, wo der Stab des Herkommens zerbrochen worden ist und sich Vernunft und Freiheit mit den Gesetzen zu paaren angefangen haben, hat man es daher als einen allgemein herrschenden Gnundartikel der Konstitution dekretiert, daß nicht bloß bei Wahlert, sondern auch bei Abfassung anderer wichtiger Beschlüsse, z. B. bei Fällung peinlicher Urteile etc. durch zweierlei Kugeln oder verschlossene Zettel gestimmt werden solle. So in der Schweiz, Frankreich, Holland und in vielen größeren und kleineren Staaten und Regierungen." 186 In einer Anmerkung machte der Verfasser bei dieser Gelegenheit ausdrücklich auf die Bedeutung dieses Gesichtspunktes auch für die geforderte Reform der Ausschußverfassung und der Landtagswahlen aufmerksam. Als dritte Ursache wurde die völlig unzureichende Aufsicht und Kontrolle des Gerichts durch den Rat genannt, die beide zusammen den Magistrat bildeten. Alle wichtigen Kommuneangelegenheiten wurden ausschließlich vom Gericht besorgt, und der zu seiner Überwachung .berufene Rat war ähnlich wie der größere Ausschuß dem engeren gegenüber mit so kümmerlichen Rechten ausgestattet, daß er seine Aufgabe nie erfüllen konnte und »man in der Tat verlegen sein würde, ob man den Rat für eine Kopie des großen landschaftlichen Ausschusses oder diesen für eine Kopie des Rats halten soll,..." 1 8 7 Die vierte Ursache der Gebrechen bestand in der lebenslänglichen Amtsführung der Magistratsangehörigen. Schließlich nannte der Verfasser noch als fünfte Ursache die Vernachlässigung und Verzerrung der Funktion, die die Gemeindedeputierten ausüben sollten. Seiner Ansicht nach bestand ihre Aufgabe darin, „gleich dem Rat eine Art von Aufsicht über den Magistrat zu führen, bei wichtigen Beratschlagungen über Kommune-, Stadt- und Amts- und Landessachen den Sinn und Willen der Gemeinde auszudrücken, dem Magistrat, insofern er sich von dem Interesse dieser entfernen sollte, entgegenzuarbeiten, kurz, für den Magistrat das zu werden, was Landstände und Ständeausschüsse für den Regenten und die Landeskollegien sind oder sein sollen".188 Tatsächlich jedoch existierten in den meisten Orten überhaupt keine Gemeindedeputierten, und wo sie bestanden, da waren sie ohne Einfluß oder sogar zu Geriohtsboten, Polizeidienern und Denunzianten herabgewürdigt. Die einzige Ausnahme bildete Tuttlingen, wo sie durch ein herzogliches Reskript vom Jahre 1794 einige Bedeutung erlangt hatten. Allerdings hatten sich die Bürger Tuttlingens dieses Zugeständnis, wie schon in anderem Zusammenhang dargestellt worden ist, erst durch offenen Aufruhr erobern müssen.189 In der Tendenz lief die in dieser Flugschrift geübte Kritik auf die ForEbenda, S. 3, 5, 7. «6 Ebenda, S. 16. 187 Ebenda, S. 20/21. 198 Ebenda, S. 33 ff. 184 Vgl. S. 48/49.

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derung einer Munizipalverfassung hinaus, wie sie in Frankreich durch die Revolution geschaffen worden war. Zweifellos propagierte der Verfasser nicht den gewaltsamen Umsturz; auch er war noch befangen in der Vorstellung, an bestehende und im Grunde »schöne Gesetze" anknüpfen und auf dem Wege der Reform das Ziel erreichen zu können. Was er aber verlangte, waren radikale demokratische Reformen, die energisch mit dem feudalen Herkommen brachen, sich auf »Vernunft und Freiheit" gründeten und allein dafür sorgen konnten, daß »nicht ein steter Zunder von innerlicher Gährung und Zwiespalt, ein immer fortdauernder Keim von Mißvergnügen in den Herzen des Volkes unterhalten" wurden. 190 Aller Augen schauten auf den Landtag, auch die der Reaktion. Madeweiß, der preußische Resident in Stuttgart, sah dem Ereignis zunächst mit Furcht und Schrecken entgegen. In seinem Bericht vom 1. März vertrat er entschieden die Meinung, daß es »rätlicher gewesen sein dürfte, die Ausschreibung eines Landtags bis nach dem allgemeinen Frieden anstehen zu lassen, wo man den Ausgang der anitzt noch so sehr verwickelten öffentlichen Angelegenheiten gesehen und wo die Gemüter weniger als jetzt von einem gefährlichen Freiheitstaumel, der leicht zu großen Unordnungen Anlaß geben kann, angesteckt gewesen w ä r e n , . . 1 9 1 Seine Furcht wurde durch die ersten Ereignisse naah der Eröffnung des Landtags nur noch verstärkt. Angesichts »der durch die Französische Revolution so sehr gespannten Denkungsart eines großen Teils der hiesigen Untertanen, die von nichts als Neuerungen träumen", zweifelte er sehr an einem ruhigen Verlauf der Verhandlungen. 192 Er hatte um so mehr Grund dazu, als auch der Herzog vor dem Druck sichtbar zurückgewichen war und entgegen der ursprünglichen Absicht, die Tagesordnung des Landtags auf die Kriegslastenrepartition zu beschränken, in seiner Proposition erklärt hatte, daß außerdem jeder Antrag »über die Mittel, den Wohlstand des Landes zu befestigen und zu erhöhen,... immer doppelt willkommen sein" würde. 193 In einem Bericht vom 29. März über die Kämpfe, in denen die Partei Hauffs sich schließlich doch durchsetzte und die Resignation der alten Ausschüsse erzwungen wurde, verwies Madeweiß auf die seiner Meinung nach äußerst bedenkliche Tatsache, daß alles sehr tumultuarisch hergegangen und in vorher gehaltenen Klubs ausgemacht worden ist".194 Das waren zwar nur Fraktionsbesprechungen, aber in Frankreich hatte es auch so begonnen, bis die Beratungen der Repräsentanten im buchstäblichen Sinne zu öffentlichen Angelegenheiten geworden waren, auf die die Massen unmittelbaren Einfluß gewannen. Seine Hoffnung bestand darin, daß sich die Reformpartei nach diesem Erfolg in die hergebrachte Ordnung füge, die alle Verhandlungen und Beratungen auf die vier Wände der Versammlung beschränkte. Es war keine müßige Hoffnung. Als es galt, den alten Ausschuß zum Rücktritt zu zwingen, verfocht die Refonmpartei nur ein gesetzmäßig festgelegtes und anerkanntes Recht, wenn auch mit teilweise ungewöhnlichen Mitteln. Die Vorstellung, mit 1M 1,1 192

Über die Unwirksamkeit..., a. a. O., S. 4. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 3, Bl. 13. Ebenda, Bl. 17. 194 Ebenda, Bl. 19. Ebenda, Bl. 23.

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diesem Erfolg die notwendigen personellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen zu haben, um mit Gründlichkeit an die Beratung wünschenswerter Reformen zu gehen, war allgemein und nicht geeignet, die anfänglich gezeigte Energie zu konservieren. Die umständliche Sorgfalt allein schon, mit der die drei Deputationen das umfangreiche Material ihres besonderen Arbeitsgebiets siohteten und ordneten, wirkte als Hemmschuh. Hofackers Deputation brauchte Monate. Der ganze überkommene Stil der Verhandlungen und vor allem das Bewußtsein auch der reformfreudigsten Abgeordneten, Mitglieder einer durch bestehendes Gesetz sanktionierten Versammlung zu sein, stimmten den Ton, wie ihn noch die Flugschriften angeschlagen hatten, notwendig herab. Auf welche Bahn der Landtag geraten mußte, wenn die Reformpartei nicht Unterstützung bei der Öffentlichkeit suchte, zeigte anschaulich die Rede des Konsulenten Georgii, die er am 2. Mai als Vorsitzender der Deputation, die landschaftliche Verfassungsfragen bearbeitete, vor der Versammlung hielt. Er berichtete, daß die Deputation zur Zeit die Ausschußrechnungen ab 1770 prüfe, um daraus „brauchbare Materialien zur Entwerfung eines zukünftigen Ausschußstaats" zu gewinnen. Um die Zwischenzeit zu nutzen, wolle er seine eigenen Ideen zu dieser Frage vortragen. Diesen Ideen schickte er folgende bezeichnende Bemerkungen vorauf: „Votans hofft, dadurch keinem Tadel sich auszusetzen, daß er kein trockenes Projekt einer neuen Einrichtung vorlegt, sondern von historischen Untersuchungen ausgegangen ist und selbst die Verfassung, die er hier fiür die Zukunft vorschlägt, dem Geist der ursprünglichen Konstitution wieder näherzubringen, ihr ähnlicher zu machen sucht, als sie es durch die Länge der Zeit geworden ist. Wer immer nur fragt, was soll in Zukunft geschehen? und darauf antwortet, ohne zu untersuchen, was ist bisher geschehen? beweist, daß er von der besten Art, Verfassungen einzurichten, keine ganz richtigen Begriffe hat. Überhaupt braucht man, um eine gute Uhr zu haben, nicht immer eine neue sich anzuschaffen,- man darf nur die alte von dem Rost, der sich angesetzt hat, säubern, hin und wieder ein paar abgenutzte Räder wegwerfen, einige neue einsetzen; so ist man oft besser als bei einem ganz neuen Werk bedient.*1«« Das war eine andere Sprache als die Dizingers, der die Verfassung auf Vernunft gegründet wissen wollte, oder die von Baz, als er den beständigen Fortschritt die große Bestimmung des menschlichen Geschlechts genannt hatte. Georgii rückte die Argumentation, die notwendig gewordene Veränderungen begründen sollte, restlos auf die Ebene der Umdeutung des Bestehenden und zog damit den Reformwünschen einen so engen Rahmen, wie es kaum die zahmsten Flugschriften getan hatten. Doch damit nicht genug! Georgii erklärte: .Daß alles, was hier der höchsten Genehmigung gnädigster Herrschaft bedarf, selbst nach gefaßten Schlüssen der Landesversammlung nicht eher Gesetzeskraft erhält, als bis jene Genehmigung erfolgt ist, wird wohl ohne besondere Erinnerung einleuchtend sein." 198 So sprach nicht irgendein Abgeordneter, sondern der von der Versammlung einstimmig zum Konsulenten 195 1M

Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg Ebenda, S. 35.

a. a. O., H. 2, S. 34/35.

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gewählte Georgii. Statt die Versammelten nach vorn zu reißen, engte er ihre Tatkraft ein, wies er warnend auf die Grenzen ihrer Macht. Und er erntete keinen Widerspruch. Das bedeutete: Der Landtag war weder fähig noch willens, das in ihn gesetzte Vertrauen der Volksmassen in Macht umzuwandeln, der gegenüber ein herzogliches Veto zu einem Nichts zusammenschrumpfte, sondern er begnügte sich damit, im Kampf um die Reform die stumpfen und unzulänglichen Waffen zu führen, die seit je zum Arsenal der Stände gehörten. Es war nur folgerichtig, wenn Georgii bei der Darlegung seiner Ideen über 'die zukünftige Gestalt der Ausschüsse solche Einrichtungen wie die Geheime Truhe und das Recht zur Geheimpolitik erhalten wissen wollte, obwohl gerade sie die Ausschüsse in der Vergangenheit befähigt hatten, sich der Kontrolle der Stände au entziehen. Verzichtete man auf moderne Kampfmittel in der Auseinandersetzung mit der fürstlichen Gewalt, so mußte man wohl oder übel die alten in halbwegs brauchbarem Zustande halten. In dieser Selbstbeschränkung auf die ständische Plattform äußerte sich bei den Reformern unter den Abgeordneten die Furcht vor der Revolution, bei den vielen anderen außerdem die Sorge um ihre ständisch-feudalen Privilegien. Wenn beide Richtungen sich zusammenfanden, mußte die an Reformen ernsthaft interessierte Partei notwendig an innerer Kraft einbüßen. Hatte der Herzog die Hochflut der Flugschriften widerstandslos über sich ergehen lassen müssen, so fühlte er sich diesem Landtag gegenüber, der nichts Größeres aus sich zu miachen wagte, ungleich stärker. Dessen Kampfmittel waren ihm vertraut; darum fand er auch sehr bald den Mut, ihnen zu begegnen. Aim 22. Juni genehmigte er im Prinzip den Beschluß der Landschaft, die Öffentlichkeit über ihre Verhandlungen durch eine offizielle Landtagsschrift zu unterrichten, aber er versäumte nicht, gleichzeitig daran Bedingungen zu knüpfen und sich gegebenenfalls ein Zensurrecht vorzubehalten: »Wenn daher gleich Seine Herzogliche Durchlaucht die unter dem Titel ,Der Landtag' erscheinende offizielle Landtag&schiuft der ordentlichen Zensurbehörde nicht zu unterwerfen gedenken, solange Sie keinen Anlaß finden werden, hierin eine Änderung vorzunehmen, so erwarten Höchstdieselbe,... daß bei diesem offiziellen Blatt die nötige Diskretion hiernach werde beobachtet werden. Wobei es sich dann von selbst versteht, daß besonders bei solchen Aktenstücken, die auch in entfernterer Beziehung mit Auswärtigen stehen, ohne vorgängige Anfrage bei dem Herzoglichen Geheimen Ratscollegio gar keine Publikation durch den Druck statthabe." 197 Hieran anknüpfend taug sich der Herzog mit der weitergehenden Absicht, alle Druckereierzeugnisse wieder der Zensur zu unterwerfen. Einen solchen Plan konnte er in Erwägung ziehen, weil erstens mit der Eröffnung des Landtags die Zahl der Flugschriftenpublikationen sich merklich verringert hatte - eine Folge der verhängnisvollen Vorstellung, daß alles gesagt und es nun Sache des Landtags wäre, die erhobenen Forderungen zu realisieren - und weil sich zweitens offensichtlich der Landtag selbst nicht mit der möglichen und nötigen Entschiedenheit auf die Kraft der öffentlichen Meinung stützen wollte. 1,7

Ebenda, Heft 3, S. 210.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

In ihrer Antwort vom 19. Juni gingen die Abgeordneten nicht nur auf die Haltung des Herzogs zur offiziellen Landtagsschrift, sondern auch auf seine allgemeinen Zenzurabsichten ein, von denen sie gehört hatten. Obwohl beides au£s engste zusammenhing, unterschieden sie sorgfältig zwei Punkte, argumentierten sie auf zwei Ebenen und bestätigten damit erneut, dag die bürgerlich-liberale Bewegung in ihnen nur halbe Sprecher besaß. Was die allgemeine Zensur anging, so erklärten sie ledigliah: »Insofern diese Anstalt eine Erneuerung älterer schon längst bestehender Gesetze enthält, mithin hier nur von Exekution der letzteren die Frage ist, vermögen Subsignierte nicht dieselbe als Beschwerde anzusehen, können jedoch nicht umhin, hier devotest zu bezeugen, daß sie mit Vergnügen zu einer diesfallsigen Änderung der gesetzlichen Normen die Hände geboten haben würden." Sie wollten „mit Wiederholung einer schon so oft erörterten Materie und der für und wider die Zensur streitenden Gründe nicht beschwerlich fallen" und machten darum nur geltend, daß ihrer Meinung nach die faktisch bestehende Preßfreiheit einem Lande, „das eine so glücklich gemäßigte Regierungsform wie Württemberg hat", entspreche.198 Sie verwiesen auf das englische Beispiel und verschmähten selbst nicht das klägliche Argument, daß angesichts des geringen Umfangs und der mangelhaften Geschlossenheit Württembergs die Zensur unwirksam bleiben müßte, da dann die Schriftsteller außerhalb des Landes drucken lassen würden und die einheimischen Buchdrucker und -händler das Nachsehen hätten. Anstatt offensiv vorzugehen, überließen die Abgeordneten die Initiative ganz dem Herzog. Sie wünschten, daß er seine Absichten in einem Generalreskript präzisieren möge, um gegebenenfalls detaillierte Vorstellungen erheben zu können. Ungleich kräftiger, aber in der Hauptsache eben auch mit ganz anderen Argumenten trat der Landtag dagegen in eigener Sache auf. Er wehrte sich gegen die in der herzoglichen Genehmigung eingefügte Klausel, wonach auch die offizielle Landtagsschrift unter Umständen der Zensur verfallen konnte, und stellte mit aller Entschiedenheit fest, „daß der Druck landständischer Verhandlungen nicht von der landesherrlichen Erlaubnis (was in der Zensuranstalt notwendig liegt) abhängig gemacht werden könne". Als Begründung führte er die alte ständische Auffassung ins Feld, wonach „die Landstände, als Korps betrachtet, als eine mit Euer Herzoglichen Durchlaucht kontrahierende Partie anzusehen sind, daher auch die Rechte genießen müssen, die jedem Paciscenten der Natur der Sache nach zustehen. Nun hat jeder paciscierende Teil das Recht, zur Erreichung seines Zweckes alle rechtmäßigen Mittel zu gebrauchen, ohne erst die Bewilligung des anderen Teils nötig zu haben". 199 Daß die Publikation der landschaftlichen Verhandlungen zu diesen rechtmäßigen Mitteln gehörte, versuchten die Stände nun allerdings auch mit moderneren Gesichtspunkten, wenn auch nicht ohne Einschränkungen, zu stützen. „Sie werden dadurch in den Stand gesetzt, dem Publikum von der Art, wie sie ihrer Pflicht Genüge zu leisten suchen, Rechenschaft abzulegen, dem Volk echt patriotische Gesinnungen einzuflößen, hingegen auch von dem Publikum auf sich zurückwirken zu lassen und selbst das öffentliche Urteil, das bei allgemeiner Bekanntmachung 1,8

Ebenda, S. 212.

Ebenda, S. 215/16.

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2. Der Reformlandtag

der Verhandlungen eher offenbar wird, ohne sich aui sklavische Axt davon abhängig zu machen (kursiv von mir - H. S.), zum Vorteil der guten Sache zu benutzen." 200 Nahm die Beteuerung, das Urteil der öffentlichen Meinung nur in Grenzen zu respektieren, diesem Gesichtspunkt einen guten Teil seiner Kraft, so tat das Versprechen noch ein übriges, sich innerhalb der Schranken zu halten, die Konstitution und allgemeine Gesetze vorschrieben. So endete denn auch die landschaftliche Erklärung ganz im Stile früherer Vorstellungen mit dem Hinweis auf das Herkommen, nach dem ständische Publikationen ohne herzogliche Genehmigung durchaus möglich waren. Sehr bald meldeten sich kritische Stimmen, um festzustellen, daß die vom Landtag geleistete Arbeit keineswegs an die Ideen heranreichte, wie sie in der Publizistik geäußert worden waren. In einem Artikel der von Bunz herausgegebenen zweiten offiziellen Landtagsschrift wurde zwar die Gruppe der Unzufriedenen, »denen die allgemeine Landesversammlung zu wenig tut", gegenüber den vielen, »die man die echten Konstitutionsfreunde oder die Gemäßigten nennen könnte", als unbedeutend bezeichnet, ihre Existenz aber bestätigt.201 Eine solche kritische Stimme, die indessen Erreichtes anerkannte und darum immer noch Hoffnung auf den Landtag setzte, ließ Pähl in seinen »Materialien" zu Wort kommen,- der Artikel war vom 2. August datiert und stellte fest: »Daß unsere Repräsentanten nicht alle gerechten Erwartungen erfüllen, daß die Geschäftigkeit des Hofes rastlos und unermüdet ist, sein Interesse zu bewachen, daß das Herkommen und der Schlendrian nur allzu oft die Ansprüche der Vernunft aufheben, daß man gerade in den Hauptsachen am gewissenhaftesten bei dem Gewohnten verharrt - das sind lauter Dinge, die sich alle leicht voraussehen ließen. Indes sind doch bereits mehrere Schritte geschehen, die nicht nur politische Aufklärung, sondern auch Mut und Energie verraten und in unserem Lande nie erhört wurden. Wenn einst die Beschwerdedeputation mit ihren Resultaten hervortritt, dann wird sich erst der Charakter der Landesversammlung in einem unzweideutigen Lichte zeigen müssen." 202 Einen guten Monat später erschien eine Flugschrift, deren besonderes Anliegen die Beseitigung der Beamtenwillkür war, und gab der Unzufriedenheit in noch dringlicheren Worten Ausdruck: »Noch wartet der Untertan Württembergs sehnsuchtsvoll auf den ersprießlichen Erfolg, den der kostspielige Landtag auf die Landesverfassung haben soll; er weiß sich zwar wohl zu bescheiden, daß große, auf das Wohl eines ganzen Landes abzweckende Pläne auch lange und reife Überlegungen, mithin Zeit brauchen; je länger aber dieser Landtag schon dauert, desto gespannter, desto ausgedehnter sind auch die Erwartungen des Untertans von ihm,..." 203 Aber gerade dieses Warten 200 201

Ebenda, S. 216. Die Verhandlungen auf dem württembergischen Landtage. Im Jahre 1797, Bd. 2, S. 170.

202

Pohl, Johann Gottfried,

203

Lukas der Weingärtner, eine den württembergischen Volksvertretern gewidmete Zeitschrift über die anhaltenden, nicht nur den Untertan bedrückenden, sondern auch dem herrschaftlichen und Staatsinteresse höchst nachteiligen Eigenmächtigkeiten einiger Beamten. Ein Anhang zu den Familienverhältnissen und deren Rachetag. o. O. im Monat September 1797, S. 3.

Materialien

a. a. O., S. 683.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

auf erlösende Beschlüsse von oben entnervte die bürgerlich-liberale Bewegung; sie legte sich damit selbst Fesseln an. »Unsere politischen Schriftsteller fangen an zu verstummen", berichtete jener in Pähls »Materialien" abgedruckte Autor, »teils weil das Publikum ihrer satt ist, teils weil der Hof seine Aufmerksamkeit auf freimütige Urteile seit einiger Zeit verdoppelt".204 Auch ein außenstehender wie Goethe, der sich im September 1797 in Württemberg aufhielt, stellte Ermüdungserscheinungen fest: »Die Wogen des Landtags haben sich gelegt, und man erwartet nun, was aus der Infusion sich nach und nach präzipitieren wird", heißt es in einem Brief vom 11. September an den Weimarer Herzog. Goethe hat mit dem ihm eigenen Sinn für das Wesentliche das Krebsübel durchaus riohtig erkannt, wenn er in seinem Bericht fortfuhr und erklärte: »Der Hauptsinn einer Verfassung wie die württembergische bleibt nur immer: die Mittel zum Zwecke recht fest und gewiß zu halten, und eben deswegen kann der Zweck, der selbst beweglich ist, nicht wohl erreicht werden." 2 0 5 Dieses Goetfaewort kennzeichnet die ständische Verfassung in der Hauptsache als einen Bestandteil der Feudalordnung, der im wesentlichen reaktionären Zwecken dient und darum, für sich genommen, ganz und gar ungeeignet ist, den Keimen des Neuen zum Durchbruch zu verhelfen. Deswegen muß auch hier, wie es der Verfasser schon auf dem XI. Internationalen Historikerkongreß in Stockholm tat 2 0 6 , dem liberalen deutsch-englischen Historiker Carsten widersprochen werden, der den Ständen einen Ehrenplatz in der deutschen Geschichte mit der Begründung zusprechen will, daß »sie den Geist konstitutioneller Regierung und Freiheit im Zeitalter der absoluten Monarchie bewahrten".207 Die Kritik erfolgt nicht vom Standpunkte etwa des Westberliner Historikers Oestreich, der den Ständen zum Vorwurf macht, durch ihre Knauserigkeit die Territorialfürsten »zu einem gewissen Verzicht auf militärische Macht und aktive auswärtige Politik" erzogen zu haben 208 ; mit Recht spürt Carsten aus einer solchen Auffassung den reaktionären deutschen Historismus mit seinem Machtfetischismus heraus und prangert sie gebührend an.209 Die Kritik wendet sich vielmehr gegen den der Darstellung Carstens zugrunde liegenden Gedanken einer kontinuierlichen Entwicklung der parlamentarischen Vertretungen und damit einer »Freiheit" aus dem Mittelalter bis in die bürgerliche Gegenwart. Solohe Vorstellungen sind in der heutigen bürgerlichen Geschichtsschreibung sehr verbreitet, wie unter anderem die Arbeit von Walter Grube über 2M 205

2015

207

208

209

Pähl, Johann Gottfried, Materialien..., a. a. O., S. 683. Briefwechsel des Herzogs - Grogherzogs Carl August mit Goethe. Herausgegeben von Hans Wahl. Berlin 1915, Bd. 1, S. 248/49. Die Sektionssitzungen des XI. Internationalen Historikerkongresses in Stockholm, August 1960. In: »Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", 11. Jahrg., H. 1, S. 164, 1961. »They preserved the spirit of canstitutional government and liberty in the age of absolute monarchy". Carsten, Francis Ludwig. Princes and Parliaments in Germany. Clarendon Press, Oxford 1959, S. 444. Oestreich, Gerhard, Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reichs. In: Bruno Gebhard, Handbuch der deutschen Geschichte. Union Verlag, Stuttgart 1955, Bd. 2, S. 347. Carsten, Francis Ludwig, a. a. O., S. 430.

2. Der Reformlandtag

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den »Stuttgarter Landtag 1457-1957" und verschiedene Beiträge auf dein XI. Internationalen Historikerkongreß beweisen.210 Letzten Endes laufen alle diese Darstellungen bewußt oder unbewußt darauf hinaus, die historische Notwendigkeit revolutionärer Umgestaltungen zu leugnen und die reaktionäre bürgerliche Ordnung unserer Tage mit dem Glanz einer jahrhundertealten Tradition zu umgeben. So unwissenschaftlich wie der Zweck, so unwissenschaftlich ist die Methode. Sie klammert sich an juristische Formen, abstrahiert vom wirklichen Leben, von den Klassenkämpfen, unterscheidet weder die verschiedenen Gesellschaftsformen noch die Stadien jeder einzelnen und endet bei unhistorischen Konstruktionen. Den .Freiheitsgedanken", den nach Carsten die Stände lebendig erhielten, so daß die liberale Bewegung des 19. Jahrhunderts an dieses Erbe anknüpfen konnte 211 , hat der Zeitgenosse Hegel in seiner Heimat trotz des bürgerlichen Anstrichs als das erkannt, was er wirklich war, nämlich als eine feudale Freiheit, als patrizische Privilegien, die - um mit Mehring zu sprechen - »nicht den Absolutismus vernünftiger machten, sondern neben die Mißbräuche der monarchischen nur die Mißbräuche der aristokratischen Gewalt stellten".212 Wenn in Württemberg der Liberalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an das sogenannte »gute alte Recht" anknüpfte, so geschah es wahrlich nicht zu seinem Vorteil. Diese Tradition half, dem Liberalismus die Entschiedenheit zu nehmen, die Deutschland bitter nötig gehabt hätte, um sioh nicht noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein mit feudalen Resten plagen zu müssen. Eine ganz andere Frage ist es, ob die antifeudalen Kräfte nicht die ständischen Formen oder auch den ständischen Gedanken nutzen konnten, um die alte Ordnung zu unterminieren und der neuen bürgerlichen den Weg zu ebnen. Selbstverständlich konnten diese Möglichkeiten genutet werden und wurden sie genutzt. Schließlich ist sogar die französische Nationalversammlung aus den vom Könige einberufenen Generalständen hervorgegangen. Aber das Entscheidende ist der Wandel im Inhalt. Wenn beispielsweise in Baden, das mit den ständischen Institutionen restlos aufgeräumt hatte, bäuerliche Gemeinden die Wiederherstellung der Landstände verlangten, so verbanden sie damit revolutionäre Vorstellungen von einer wahrhaften Volksvertretung, die mit den historischen Ständen nur noch den Namen gemein hatte. Die ständische Reformbewegung in Württemberg entwickelte insbesondere dadurch, daß sie bis zu einem gewissen Grade die werktätigen Massen einbezog, ebenfalls durchaus Potenzen, um die alten Formen mit einem neuen Inhalt zu füllen, womit notwendig am Ende auch die alten Formen zersprengt würden. Die Stände hatten ebenso wie auch alle anderen Institutionen innerhalb des Feudalsystems, sofern die antifeudalen Kräfte und das Bürgertum im besonderen darin Einfluß gewinnen konnten, als Mittel zum Zweck, das heißt als ein Instrument zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, ihren Wert. Sie wurden dagegen zum 210

211 il!

Grübe, Walter, Der Stuttgarter Landtag..., a. a. O. Die Sektionssitzungen des XI. Internationalen Historikerkongresses..., a. a. O., S. 163. Carsten, Francis Ludwig, a. a. O., S. 434. Mehring, Franz, Die neuen Hegelingen. In: Zur Geschichte der Philosophie. Berlin 1931, S. 106.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

Hemmschuh der Entwicklung, wenn das Bürgertum sich aus Schwäche oder Furcht mit ihrer Hilfe an der notwendig revolutionären Umgestaltung vorbeizudrücken versuchte. Wenn Georgii die württembergische Verfassung nur von einigem Rost gesäubert im übrigen aber erhalten wissen wollte, so konservierte er mit der feudalen Form auch ihren feudalen Inhalt. Darum konnten auch die Göttinger Ideologen der feudalen Reaktion wie Rehberg und Brandes den ständischen Gedanken als Waffe zum Kampf gegen die Ideen der Französischen Revolution benutzen. Was die Stände auf diese Weise in die Zukunft hinüberretteten, war nicht, wie Carsten meint, der Gedanke der Freiheit schlechthin, sondern die »Freiheit" der reaktionären Feudalklasse, selbst innerhalb der sich durchsetzenden bürgerlichen Ordnung eine maßgebliche Rolle zu spielen. Der württembergische Reformlandtag hatte in den ersten Monaten seines Bestehens einige Beschlüsse zustande gebracht, die die Kriegslastenrepartition und die landschaftliche Verfassung betrafen. In der Kriegskostenfrage trat er, abweichend vom bisherigen Steuersystem, für eine Vermögenssteuer ein .und war bemüht, die herzogliche Rentkammer besonders zu belasten. Was die landschaftliche Verfassung anging, so hielt er sich durchaus an Georgiis Rat, an der guten alten Uhr nur unbrauchbarste Teile zu entfernen und zu ersetzen. Solche Kernstücke der bürgerlichen Reformbewegung wie die Periodizität des Landtags und die Wahl der Magistrate durch das Volk blieben in der zur Vorbereitung derartiger Beratungsgegenstände eingesetzten Kommission stecken und gelangten nie vor das Plenum. Beschlossen wurde, der Selbstersetzung der Ausschüsse ein Ende zu machen und beim Ausscheiden einzelner Mitglieder die Neuwahl distriktweise durch die Amtskörperschaften vornehmen zu lassen; außerdem sollte die Ausschußvemvaltung einer jährlichen Revision unterliegen. Mit Mehrheit wurde weiterhin der Antrag angenommen, den Amtskörperschaften die Hälfte der Diäten für ihre Landtagsdeputierten zu erlassen und sie aus der Landeskasse zu bezahlen. Ein gedrucktes Schreiben der Landschaft vom 8. August, worin die bisherigen Leistungen des Landtags hervorzuheben nicht versäumt wurde, hatte vorher in der Diätenfrage zustimmende Äußerungen der Ämter gefordert. 213 Mit diesem Beschluß sollte Vollzähligkeit und größere Geschlossenheit des Landtags erzielt werden. Lag die finanzielle Leist ganz auf den Schultern der Ämter, so bestand erstens die Gefahr, daß insbesondere die kleineren die Kosten durch Abberufung ihrer Deputierten und Gewaltübertragung an die Verbleibenden einzusparen suchten. Außerdem machten Diäten die Abgeordneten von Instruktionen und Sonderwünschen ihrer Ämter unabhängiger. Während der Landtag durch Übernahme eines Teils der Kosten die Unabhängigkeit der Abgeordneten erhöhte, war man andererseits bestrebt, die der Prälaten einzuschränken. Wie Madeweiß berichtete, machte Georgii den Vorschlag, den Wünschen der Klosterhintersassen, wie sie besonders hartnäckig von denen in Alpirsbach verfochten wurden, in der Form entgegenzukommen, „daß die Prälaten, ehe sie auf Landtagen erschienen oder ihre Gewalten zur Landschaft schickten, Amtsversammlungen hielten, in denen sie präsidieren könnten, sich aber in ihren Ab213

HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 573, Bü. 5371.

2. Der Reformlandtag

349

Stimmungen auf den Landtagen und den zu erteilenden Gewalten nach dem Schlüsse der Amtsversammlungen richten m ü ß t e n , . . 2 1 4 All diese Deliberationen gingen nicht in die Tiefe und waren nicht geeignet, irgend etwas von Grund aus zu ändern. Überlegungen in dieser Richtung blieben bloße Andeutungen. So war man in der Diätenfrage darauf gestoßen, dag die Abgeordneten das Land nur sehr unverhältnismäßig repräsentierten, da manches Amt nur 1000, ein anderes aber 24 000 Menschen umfaßte; eine gleichmäßigere Aufteilung wurde zwar für wünschenswert gehalten, aber im selben Atemzuge kapitulierte man vor den Schwierigkeiten der Aufgabe: „Man würde daher ohne große anderwärtige Lnkonvenienzien zu einem ganz neuen Repräsenbationssystem wenigstens für jetzt nicht wohl schreiten können." 215 »Wenn einst die Beschwerdedeputation mit ihren Resultaten hervortritt, dann wird sich erst der Charakter der Landesversammlung in einem unzweideutigen Lichte zeigen müssen", so hatte Anfang August jener Zeitgenosse geschrieben, den Pähl in seinen „Materialien" zu Wort kommen ließ. In der Tat hatte der Landtag hier die beste Gelegenheit, als Interessenvertretung der breiten Massen des Volkes zu wirken, denn es ging meist um Beschweiden, die darum besonders stark empfunden wurden, weil sie unmittelbar drückten. Einige Beschlüsse des Landtags schienen den Erwartungen, die die Massen in ihn setzten, zu entsprechen. Die von ihm geforderte Aufhebung der Weinmostakzise beispielsweise trug der Lage der in der Regel armen Weinbauern Rechnung. Ausdrücklich mit Rücksicht auf die werktätige Bevölkerung sprach sich die Versammlung für die Einführung einer Steuer auf Luxushunde und -pferde, Perücken, goldene und silberne Taschenuhren, Ringe, Tabatieren usw. aus: „Man erleichtert also dem Dürftigen die Last, die ihn ohnehin schwer genug drückt, indem man gewisse Luxusartikel mit einer höheren Abgabe als andere Vermögensteile belegt." 216 Verschiedentlich fand hierbei sogar in die an den Herzog gerichteten Vorstellungen ein Ton Eingang, wie er in den landschaftlichen Schriftstücken sonst nicht, wohl aber in der Flugschriftenliteratur zu finden war. In der Eingabe des Landtags gegen die Bevorzugung des Adels und der Ausländer hieß es: „Die Denkart des Zeitalters hat den Bürger wachsamer als je auf seine Rechte gemacht." Es wurde als ein Vorteil der höheren Kultur bezeichnet, „daß das öffentliche Urteil Geburt, Stand und Protektion heutzutag weit weniger als ehedem als Rechtstitel bei der Bewerbung .um öffentliche Ämter gelten läßt, vielmehr die Würdigkeit zu letzteren mehr nach den Fähigkeiten des Geistes und des Herzens und nach der Brauchbarkeit der Kandidaten für die Gesellschaft abzumessen pflegt".217 Der Landtag unterstützte sein Anliegen noch dadurch, daß er seinen Forderungen eine Reihe diesbezüglicher Beschwerden vorauf schickte, die er „teils aus der öffentlichen lauten Stimme, teils aus den sehr gehäuften Instruktionen der Deputierten" entnommen hatte. 218 Die Forderungen selbst allerdings waren so formuliert, daß nicht sogleich, sondern sehr allmählich die Beschäftigung des Adels auf ein entsprechendes Maß zurückgedrängt werden sollte. 211 215 218

DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 3, Bl. 74. Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..a. a. O., H. 4, S. 235/36. 217 218 Ebenda, S. 94/95. Ebenda, S. 248/49. Ebenda, S. 255.

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

Ähnlich im Ton und ebenso mit ausdrücklicher Berufung auf die öffentliche Meinung war die Eingabe des Landtags gefaßt, die Forstbesdhwerden betreffend: »Bei langwierigen Schäden und Krankheiten wird der vernünftige Arzt niemalen zu Palliativmitteln seine Zuflucht nehmen, er wird, um den Kranken zu retten, den Grundstoff der Krankheit untersuchen und nur durch Zerstörung desselben die Gesundheit wiederum herbeiführen können." Die Abgeordneten beriefen sich aiuf die »Würde, die sie als Stellvertreter des württembergischen Volks bekleiden und die sie berechtigt, die Wünsche ihrer Mitbürger in Eurer Herzoglichen Durchlaucht landesväterlichen Schoß niederzulegen,..." Sie bekannten sich zu Grundsätzen, »die dem bisherigen forsteilichen System gerade e n t g e g e n s t e h e n , . . S i e vertraten die Auffassung, »daß die Quelle sämtlicher, seit zwei Jahrhunderten fortexistierender Forstbeschwerden teils in der übermäßigen Ausdehnung der Regalitätsbegriffe, die manchen drückenden Gesetzen von Forst- und Jagdwesen ihr Dasein gegeben haben, teils aber auch in der Art, wie die Oberforstmeisterstellen besetzt worden, einzig und allein zu suchen sei".218 Die sehr detaillierte und darum auch sehr umfangreiche Vorstellung mündete in 25 Bitten und Wünsche aus, die alle wichtigen Beschwerden, von der Besetzung der Forstmeisterstellen bis zum Laubrechen, berücksichtigten. Mag der Ton dieser Beschlüsse, die in der von einem Hofacker und von keinem Georgii geleiteten Deputation vorbereitet waren, auch schärfer gewesen sein, mag ihr Inhalt, weil er unmittelbar gefühlte Beschwernisse der Volksmassen betraf, auch einen stärkeren Beifall der Öffentlichkeit gefunden haben, so blieben es doch landschaftliche Bitten und Wünsche, die der herzoglichen Bestätigung bedurften. Und diese Bestätigungen blieben aus. Auf verschiedene Vorstellungen reagierte der Herzog überhaupt nicht, auf andere ließ er lange mit der Anwort auf sich warten, um dann auch nur seiine abweichende Meinung kundzutun. Der Landtag hätte die Bestätigung seiner Bitten und Wünsche ohne weiteres erzwingen können, wenn er sich nicht nur bei ihrer Begründung auf die öffentliche Meinung berufen, sondern diese Macht wirklich zu seiner Unterstützung mobilisiert hätte. Es war das einzig taugliche Mittel. An Zündstoff fehlte es nicht, um die Massen in Bewegung zu bringen, und die kaiserliche Armee tat das ihrige hinzu, ihn zu vermehren. Madeweiß berichtete unter dem 7. Juni von so unerhörten Requisitionsund Vorspannforderungen, daß Württemberg und das übrige Schiwaben die daraus resultierenden Schulden »vielleicht in keinem Jahrhunderte werden abtragen können". 220 Dringend und voller Furcht wünschte er für Oberdeutschland das Ende des Krieges herbei, »weil darin", wie er am 4. Oktober schrieb, »eben der Geist des Aufruhrs und eine zügellose und übel verstandene Freiheit und Unabhängigkeit herrscht, der schlechtdenkende Leute zu allem, auch den ungerechtesten Unternehmungen fähig macht, besonders wenn sie nichts zu fürchten und sogar Unterstützung zu hoffen haben". 221 Aber weder der Landtag insgesamt, noch die Gruppe

221

Ebenda, S. 285 ff. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 3, Bl. 49. Ebenda, Bl. 90.

2. Der Reformlandtag

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der Reformer allein dachte daran, die Forderungen aus den vier Wänden des Sitzungssaals hinauszutragen und sich der Kraft der Massen zu bedienen. Der Reformlandtag fürchtete den Appell an das Volk, weil er die Revolution fürchtete. Er suchte die notwendige Unterstützung gegenüber dem Henzog in einer anderen Richtung, er suchte sie bei der französischen Bourgeoisie. Die Landschaft hatte in den letzten Jahren immer auf eine Beendigung des Krieges mit Frankreich hingedrängt; bei den Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen 1796 waren ihre Vertreter direkt beteiligt gewesen. Dem Direktorium war also die profranzösische Haltung der Stände bekannt. Auf der anderen Seite empfahl sich die französische Bourgeoisie den Ständen durch die Tatsache, dag sie 1796 von einer Revolutionierung des Landes abgesehen hatte. Die Voraussetzungen schienen günstig, um das Wagnis zu rechtfertigen, Kontakte mit leitenden französischen Politikern zu suchen und sie als Bundesgenossen bei den inneren Auseinandersetzungen mit dem Herzog zu gewinnen. Angeblich zur Abwehr neuer kaiserlicher Requisdtionsfonderungen gab der Landtag seine Zustimmung zur Einsetzung einer geheimen Deputation, der neben Georgii, Kerner, Märklin und Klüpfel auch solche entschiedenen Reformer wie Baz, Hauff und Hofacker angehörten. Die Deputation machte sich unverzüglich an die Arbeit. Am 24. Oktober richtete sie ein Schreiben an Abel, der sich in herzoglichem Auftrag in Paris befand, aber gleichzeitig Konsulent der Landschaft war, und bat um die Beantwortung mehrerer Fragen, ixm die Kontaktmöglichkeiten zu sondieren. Die entscheidende Frage lautete: „Ob das französische Gouvernement und namentlich ein oder mehrere derjenigen Männer, die seit der Revolution vom 18. Fructidor an der Regierung teilhaben, bereits eine richtige Idee von der württembergischen Verfassung und den Landstämden, von den Rechten, Pflichten und Verhältnissen der letzteren besitzen und ob sich daher nicht hoffen lasse, daß jenes entweder schon ein wirkliches Interesse an der Erhaltung der württembergischen Verfassung und namentlich der ständischen Rechte nehmen oder doch ein solches anzunehmen bewogen werden könnte." Dieser Frage vorauf ging eine andere sehr bezeichnende und sehr ängstliche, nämlich die, ob es ^wahrscheinlich sei, dag auf den Fall, dag Serenissimo und den Landständen kein Friedensbruch vorgeworfen werden könnte, das französische Gouvernement gleichwohl auch revolutionäre Projekte in dem Vaterland ausführen würde".222 Am gleichen 24. Oktober ging Baz von Stuttgart nach Paris ab. Ihm folgte noch unter dem gleichen Datum, aber nicht mehr von ihm mit unterschrieben, ein zweites Schreiben an Abel, das Bazens Eintreffen ankündigte und noch einmal die Linie der Augenpolitik abzeichnete, die man verfolgen wollte: Widerstand gegen alle Versuche Österreichs, Württemberg erneut in den Krieg gegen Frankreich zu zerren, und Gewinnimg der Sympathie und Unterstützung Frankreichs, das auf Revolutionierungsabsichten verzichten sollte, für die landschaftlichen Ziele: »Von seiten des kaiserlichen Hofs lägt sich für Württembergs Landstände..., zumal nach den neuesten Vorfällen, wenig Erspriegliches erwarten; sie müssen daher fürchten, dag, 222

Vreede. George Cuillaume, a. a. O., S. 57.

24 Süddeutsche Jakobiner

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V. Die bürgerlich-liberale Bewegung in Württemberg

wenn sie nicht dem französischen Gouvernement ein Interesse für sich einflögen können, sie bei einer bevorstehenden Umwälzung der Dinge leicht Gefahr laufen können." 2 2 3 Mufjte Baz auch noch einmal auf Grund des energischen herzoglichen Einspruchs zurückgerufen werden, so trotzte die Landschaft allem Widerstand, als der am 17. Oktober geschlossene Frieden von Campoformio bekannt und der Reichsfriedenskongrefj zu Rastatt vorbereitet wurde. Sie wollte selbst dort vertreten sein, wo die wichtigen Entscheidungen fielen, und schickte Mitte November Baz nach Paris und Ende des Monats Georgii nach Rastatt.224 Es konnte kein Zweifel bestehen, dag das Direktorium die bestehenden Gegensätze zwischen Landschaft und Herzog zum eigenen Vorteil ausnutzen würde. Wie Georgii am 30. November aus Rastatt berichtete, hatte Bonaparte ihn »mit ausgezeichneter Höflichkeit" empfangen; mehrfach sagte er ihm »alles Verbindliche von der Ehre, die man Volksrepräsentanten erweisen müsse".225 Wie weit sich das Interesse der französischen Grogbourgeoisie mit dem der Landschaft deckte, mußte die Zukunft lehren. Indem die Führer der bürgerlichliberalen Bewegung den Appell an das Volk vermieden und bei Frankreich Unterstützung suchten, hatten sie den absolut zuverlässigen Bundesgenossen gegen die blofje Aussicht auf einen immer unsicheren Bundesgenossen vertauscht. Ebenda, S. 62. *** Höhle. Ezwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 200/01. *** Sammlung von Lebensbeschreibungen, Briefen und sonstigen Urkunden betreffend die Georgii'sche Familie. Zugleich Beiträge zur Geschichte Württembergs und Deutschlands. Stuttgart 1876, S. 89, 92.

1. Die allgemeine politische und militärische Situation vom Ende des Jahres 1796 bis zum Rastatter Kongreß Die Erfolge des Erzherzoges Karl im Sommer 1796 hatten die französischen Armeen gezwungen, das gesamte rechtsrheinische Deutschland zu räumen. Den Krieg entschieden diese Erfolge jedoch nicht. Die Entscheidung fiel in Italien. War der Plan des Direktoriums, Österreich durch die Maas-Sambre-Armee und die Rhein-MoselArmee einerseits und die italienische Armee andererseits in die Zange zu nehmen, durch das Scheitern der Operationen in Deutschland auch mißglückt, so machte doch der gewaltige Siegeszug Bonapartes in Oberitalien alles wett. Im April 1796 war er Herr Piemonts, im Mai war die Loàihardei in seinen Händen. Nur Mantua leistete acht Monate lang erbitterten Widerstand. Nachdem Bonaparte vier zum Entsatz der Festung vorgeschickte Armeen geschlagen und Mantua selbst am 2. Februar 1797 kapituliert hatte, war der größte Teil der kaiserlichen Streitkräfte vernichtet, und kein Riegel versperrte mehr den Weg in die österreichischen Erblande. Am 7. April rückte die französische Vorhut in Leoben in der Steiermark ein. Allerdings barg dieser gewaltige Vorstoß auch gewaltige Gefahren, die keiner besser als Bonaparte kannte. Nicht nur daß auch seine Siege mit Verlusten erkauft worden waren und daß er mit tum so hartnäckigerem Widerstand rechnen mußte, je mehr er sich der Hauptstadt näherte, noch größere Gefahr drohte in seinem Rücken von der Bevölkerung insbesondere Venetiens, die unsägliah gelitten hatte und durch einen Aufstand Verbindungslinien und Rückweg blockieren konnte. Darum drängte er beim Direktorium darauf, die anderen beiden Armeen erneut den Rhein überschreiten zu lassen, darum forcierte er mit allem Nachdruck die Friedensverhandlungen mit den Vertretern Wiens in Leoben. Am 18. April wurde der Präliminarfrieden von Leoben unterzeichnet. Österreich verzichtete auf Niederlande und Lombardei und wurde durch venezianisches Gebiet, Istrien und Dalmatien entschädigt. Was das Reich anbetraf, so sollte laut Artikel 5 auf einem Kongreß Bevollmächtigter der endgültige Frieden „auf der Basis der Uiwerletzlichkeit des Deutschen Reiches" geschlossen werden. 1 Allerdings hob der folgende Artikel dieses Zugeständnis faktisch auf, denn darin anerkannte der Kaiser „die durch die Gesetze der französischen Republik bestimmten Grenzen Frankreichs". 2 Der selbständig von Bonaparte geschlossene Präliminarfrieden fand keineswegs den ungeteilten Beifall des Direktoriums in Paris. Der von ihm angestrebten An1

2

.11 sera tenu un congrès formé de plénipotentiaires respectifs, pour y traiter et conclure la paix définitive entre les deux puissances sur la base de l'intégrité de l'Empire Germanique." Clercq, M. de, a. a. O., S. 319. .S. M. l'Empereur et Roi . . . reconnaît les limites de la France décrétées par les loix de la République française." Ebenda, S. 320.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

erkennung der Rheingrenze widersprach der 5. Artikel, wenn auch der 6. Artikel allen möglichen Winkelzügen wieder Raum lieg. Die Nachgiebigkeit Bonapartes verdroß um so mehr, als inzwischen die beiden Armeen am Rhein verheißungsvolle Erfolge melden konnten. Am 18. April, dem Tage der Unterzeichnung des Präliminarfriedens, war General Hoche, der neue Befehlshaber der Maas-Sambre-Armee, bei Neuwied über den Rhein gegangen und hatte die Österreicher bis hinter die Nidda getrieben. Am 20. April überschritt auch Moreau unterhalb Strasburgs den Flug, nahm Kehl im Handstreich und schob sich bis zu den Schwarzwaldpässen vor. Diesen Operationen setzte Bonaparte am 23. April, wieder ohne die Bestätigung des Direktoriums einzuholen, durch Kuriere ein Ende, die den Oberkommandierenden der beiden Armeen die Nachricht vom Abschlug des Präliminarfriedens überbrachten. Um die Rheingrenze zu sichern, hatte das Direktorium auger diesen militärischen Operationen inzwischen auch politische Magnahmen im Linksrheinischen selbst eingeleitet. Frankreich hatte das Linksrheinische nach der Wiederbesetzung im wesentlichen als erobertes Gebiet behandelt, das enorme Kontributionen zu zahlen und die dort stationierten Truppen zu versorgen hatte. Von den bürgerlichen Errungenschaften hatte die Bevölkerung wenig zu spüren bekommen. Linksrheinische bürgerliche Revolutionäre hatten den Kampf gegen die fortbestehenden starken Reste des feudalen Staatsapparates nur unter grögten Schwierigkeiten, lediglich von vereinzelten französischen Militärs und Beamten unterstützt, führen können. Hoche, dem Anfang 1797 das Kommando über die Maas-Sambre-Armee und die Verwaltung des gesamten linksrheinischen eroberten Gebiets übertragen worden war, hielt es im Hinblick auf die aus dem Lande zu ziehenden Mittel für vorteilhaft, sich der alten feudalen Verwaltungen zu bedienen. »Die Erfahrung mug uns von dem Wahn geheilt haben, Europa munizipalisieren zu wollen", schrieb er am 2. Februar den Direktoren. »Bevor man also weig, ob unsere Anschauungen die der Deutschen werden können, von denen uns die Natur so unterschieden hat, lagt uns den Krieg auf ihre Kosten führen, da ja ihr gegenwärtiger Souverän uns dazu zwingt."3 Wenn Frankreich den Frieden und das Rheinufer habe, sei es immer noch Zeit und auch leichter, die Bevölkerung für die französische Ordnung zu gewinnen. In der Tat verfügte er am 12. März, dag vom 21. März an .die alten Regierungen, die Beamten, die Kriminal- und Zivilgerichtshöfe, die Handelsgerichte, welche vor dem Eintritt der französischen Truppen . . . angestellt waren, ihre Amtsverrichtungen wieder antreten".4 Der Frieden war jedoch näher, als Hoche Anfang Februar wohl glaubte. Und gerade im Hinblick auf die Friedensverhandlungen war es für die französische Seite von grogem Vorteil, wenn sie sich in ihrem Bestreben, das Linksrheinische vom Reiche .L'expérience doit nous avoir corrigés de notre manie de vouloir municipaliser l'Europe . . . Avant donc de savoir, si nos opinions peuvent devenir celles des Germains, de qui la nature nous a fait si différents, faisons la guerre à leurs dépens, puisque leur souverain actuel nous y contraint." Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 3, S. 879. * Ebenda, S. 901.

3

1. Politische und militärische Situation

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loszureißen, nicht nur auf die Bajonette, sondern auch auf Teile der linksrheinischen Bevölkerung stützen und berufen konnte. Hoche selbst revidierte sich und gab Anweisungen, die Propaganda für französische Grundsätze aufzunehmen. Am 6. April fragte er beim Direktorium an, ob er auf eine unabhängige Republik oder auf den Anschluß an Frankreich hinarbeiten solle: »Der erstere Vorschlag würde von den Einwohnern zweifellos bei weitem bevorzugt." 5 Das Direktorium stimmte in seiner Antwort vom 13. April der republikanischen Propaganda unter den Einwohnern zu: »Aber sie scheinen nicht empfänglich, in diesem Zeitpunkt durch die Vereinigung ihres Gebiets mit dem der Republik zu französischen Bürgern zu werden. Sie wären eher befähigt, eine besondere Republik zu bilden, und unter diesem Gesichtspunkt ist es nützlich, sie zu veranlassen, nach einer neuen Ordnung der Dinge zu streben. Wir glauben indessen nicht, daß sie vor einer gewissen Zeit einen unabhängigen Staat bilden können; aber wenn der Fortschritt der Aufklärung und die Annäherung der Interessen in den verschiedenen Bezirken Ihnen derartig scheinen, dag man ihnen das innere Regime der Republik geben kann, autorisieren wir Sie, es dort durch Verordnung einzuführen, die von Ihnen allein ausgehen muß. Indem wir ihnen gleichwohl unsere Verfassung geben, beabsichtigen wir nicht, uns unseres Eroberungsrechts zu berauben." 6 So entstand, getragen von deutschen Republikanern und unterstützt von den französischen Organen, die cisrhenanische Bewegung. Die Cisrhenanen sammelten sich um ihre grün-weiß-rote Fahne, gründeten Klubs und entfalteten in kurzer Zeit eine lebhafte Agitation unter der linksrheinischen Bevölkerung. Anfang Mai hatte das Direktorium den Präliminarfrieden, wenn auch widerstrebend, gebilligt. Dazu zwang allein die innenpolitische Situation. Die Neuwahl eines Drittels des Rats der Fünfhundert und des Rats der Alten am 10. April hatte der rechten Opposition einen großen Sieg gebracht. Um das Direktorium zu stürzen und die demokratischen Elemente, die Nachfahren der Jakobiner, endgültig mundtot zu machen, brauchte diese Partei den Frieden. Sie setzte als Präsidenten an die Spitze des Rats der Fünfhundert den General Pichegru, der schon 1795 in landesverräterische Unterhandlungen mit Condé getreten war. Unter diesen Bedingungen konnte das Direktorium nicht seinen erfolgreichsten General desavouieren, sondern es mußte umgekehrt ihn so eng wie möglich an sich binden. Außerdem ließ der Widerspruch zwischen dem 5. und 6. Artikel des Präliminarfriedens in bezug auf 5 6

„La première de ces propositions serait sans doute adoptée avec plus de plaisir par les habitants." Ebenda, S. 946. »Hais ils ne paraissent pas susceptible de devenir en ce moment citoyens français par la réunion de leur territoire à celui de la République. Ils seraient plutôt propres à former une République séparée, et c'est sous ce point de vue qu'il est utile de les faire aspirer à un nouvel ordre de choses. Nous ne pensons pas, au reste, qu'ils puissent former de quelque temps encore un État indépendant; mais si le progrès des lumières et le rapprochement des intérêts dans les divers bailliages vous paraissent tels qu'on pût leur appliquer le régime intérieur de la République, nous vous autorisons à l'y introduire sous le titre de règlement, qui doit émaner de vous seul. En leur donnant toutefois notre constitution, nous ne prétendons pas nous priver de nos droits de conquête." Ebenda.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

das linke Rheinufer noch alle Möglichkeiten offen. Man konnte einerseits auf das Reunionsdekret vom 30. März 1793 verweisen, das die Vereinigung des Gebiets zwischen Landau und Bingen mit Frankreich festlegte; man konnte andererseits behaupten, daß die versprochene Integrität des Reiches sich wohl auf die Verfassung, nicht aber auf das Territorium beziehen sollte. Dementisprechend wurde Bonaparte aufgetragen, bei seinen weiteren Verhandlungen, die den Präliminarfrieden in einen endgültigen verwandeln sollten, die Rheingrenze zu fondera. Es verging ein halbes Jahr, ehe dieser endgültige Frieden zustande kam. Österreich machte Schwierigkeiten. Sie hatten jedoch nicht etwa darin ihren Grund, dag der Kaiser als berufener Hüter der territorialen Integrität des Reichs der Abtretung des Linksrheinischen nicht zustimmen zu können meinte; daß solche Skrupel ihn nicht plagten, wurde sehr bald aktenkundig. Österreich hoffte einfach auf bessere Bedingungen im Zusammenhang mit den konterrevolutionären Umtrieben der royalistischen Partei in Frankreich, deren Absichten es kannte und nach Möglichkeit unterstützte. Inzwischen hatte diese Richtung mit dem Ausscheiden Letourneurs und dem Eintritt Barthélemys ins Direktorium ihren Einfluß beträchtlich verstärken können. Doch alle Hoffnungen auf einen Umsturz in Frankreich wurden zu Wasser durch den Staatsstreich vom 18. Fructidor. Im Auftrage der Mehrheit des Direktoriums hatte am 4. September General Augereau, von Bonaparte zu diesem Zwecke nach Paris geschickt, mit militärischer Gewalt eingegriffen und dem royalistischen Spuk ein Ende bereitet. Seine führenden Vertreter wurden, sofern sie nicht rechtzeitig flüchten konnten, verhaftet, verurteilt und verbannt. Auch Moreau, der Beweise für die landesverräterische Korrespondenz Pichegrus erbeutet, sie aber lange Zeit zu unterschlagen versucht hatte, verlor sein Kommando über die Rhein-MoselArmee. Die Gefahr von rechts war abgewehrt. Der winzige Feudalherr Graf Friedrich zu Solms-Laubach verriet einen tieferen Einblick in das allgemeine Geschehen als mancher seiner großen Klassengenossen, wenn er es als einen Vorteil des 18. Fructidors bezeichnete, «daß endlich die Kabinette der Koalition ihre Erbsünde aufheben müssen, an eine nahe contre révolution zu glauben,..." 7 Die Friedensverhandlungen in Bonapartes Hauptquartier nahmen nun einen schnelleren Verlauf. Am 17. Oktober 1797 konnte der Frieden zu Campoformio geschlossen werden. In Italien hatte man sich auf Kosten Venedigs geeinigt, in Deutschland wollte man es auf Kosten des Reiches tun. Bis auf die Bestimmung, daß der Herzog von Modena durch den österreichischen Breisgau entschädigt werden sollte, waren die letzteren Abmachungen alle in Geheimartikeln formuliert. 8 Sie zeigten, daß der Kaiser ebensowenig wie jeder andere Reichsfürst für den territorialen Bestand des Reiches einzutreten gewillt war, wenn ihm als Lockpreise die Vergrößerung seines unmittelbaren Besitzes angeboten wurde. Gegen das Recht zur Annexion des Erzbistums Salzburg und des bayerischen Innviertels gab der Kaiser das linke Rheinufer von Basel bis Andernach, die Festung Mainz und den Mannheimer Brückenkopf eingeschlossen, preis. Wenn er sich nicht mit der Abtretung des gesamten Links7 8

Isenburg, Wilhelm Karl Prinz von, a. a. O., S. 197. Clercq. M. de, a. a. O., S. 339 ff.

1. Politische und militärische Situation

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rheinischen über Andernach hinaus befreunden konnte, so geschah es wiederum nicht aus reichspatriotischen Gründen, sondern eindeutig aus Rivalität gegenüber Preußen, dein keine Handhabe gegeben werden sollte, für linksrheinische Verluste Entschädigungen im übrigen Reich zu verlangen. So wenig Österreich als Hüter der territorialen Integrität auftrat, so wenig kümmerte es die Integrität der Reichsverfassung. Indem es sich die Annexion des Erzbistums Salzburg ausbedang, anerkannte es faktisch die Säkularisation geistlicher Güter als Entschädigungsprinzip und ging damit in der Zerstörung der alten Rdchsverfassung voran. Frankreich und Österreich versprachen, auf dem in Kürze stattfindenden Kongreß in Rastatt, wo der Frieden mit dem Reich geschlossen werden sollte, ihren ganzen Einfluß auf die Reichsbevollmächtigten im Sinne dieser Geheimartikel geltend zu machen. Um der Reichsdeputation jede ernsthafte Möglichkeit eines Protestes zu nehmen, fand sich der Kaiser bereit, Mainz und die anderen Reichsfestungen zu räumen und seine Truppen zurückzuziehen. Wie der Präliminarfrieden zu Leoben erhielt auch der von Bonaparte geschlossene Frieden zu Campoformdo eist nach heftigem Widerstreben die Billigung des Direktoriums. Besonderen Anstoß nahm es daran, daß wieder nicht der Gesamtverlauf des Rheins, sondern nur ein Teil als Grenze Frankreichs von Seiten Österreichs zugestanden war. Um so größere Bedeutung erhielt für das Direktorium die cisrhenanische Bewegung, mit deren Hilfe vollendete Tatsachen geschaffen werden konnten. Ihre Agitation begann erste Früchte zu tragen. Um ihr noch größere Wirkungsmöglichkeiten zu verschaffen und Hemmnisse zu beseitigen, die ihr überall von den alten Behörden in den Weg gelegt wurden, verfügte die von Hoche als oberstes Verwaltungsorgan geschaffene Mittelkommission am 14. August die Einführung der Pressefreiheit in den besetzten Gebieten. Ausdrücklich wurde »den Magistraten und jeder anderen Obrigkeit bei Strafe der Absetzung und Verhaftnehmung verboten, weder mittel- noch unmittelbar die Preßfreiheit zu hindern".9 Hoche schilderte in einem Brief an das Direktoritim vom 13. September die Erfolge der Cisrhenanen in gewiß übertrieben leuchtenden Farben: „Die Bewohner des linken Rheinufers verkünden laut die Menschenrechte; schon hat .sich der ganze Bezirk von Rheinbach unabhängig erklärt und den Namen der cisrhenanischen Republik angenommen. Bald wird, wenn Sie wollen, von Landau ibis Düsseldorf, zwischen unseren durch die Konstitution bestimmten Grenzen und dem Rhein, eine den Franzosen befreundete Republik entstehen. Es ist an Ihnen, Bürger Direktoren, zu entscheiden, von welchem Nutzen uns ein freies Volk zwischen dem Reich und uns sein kann." 10 Um aus dem Stadium der bloßen Agitation herauszukommen und 9 10

Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 3, S. 1114. „Les habitants de la rive gauche du Rhin proclament hautement les droits de l'homme et déjà le canton entier de Rheinbach s'est déclaré indépendant et a pris le nom de République cisrhénane. Bientôt, si vous voulez, de Landau à Düsseldorf, paraîtra, entre nos frontières constituelles et le Rhin, une république amie des Français. C'est à vous, citoyens Directeurs, à juger de quelle utilité peut nous être un peuple libre entre l'Empire et nous." Chuquet, Arthur. Quatre généraux de la Révolution. Hoche, Desaix, Kléber, Marceau. Lettres et notes inédites, suivies d'annexes historiques et biographiques. Paris 1911, Bd. 2, S. 245/46.

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zugleich die werbende Kraft der Cisrhenanen zu stärken, verfügte die Mittelkommission am 15. September: »Die Gemeinden der fünf ersten Bezirke der eroberten Länder auf dem linken Rheinufer, welche den Freiheitsbaum errichtet und förmlich den Wunsch geäußert haben, die Regierungsform, worunter sie vor der Ankunft der französischen Armeen standen, zu verändern und dafür eine republikanische Verfassung unter dem Namen der Cisrhenanischen Republik einzuführen, sollen vom 1. Vendémiaire VI (21. September 1797) von allen Feudallasten und Zehnten gänzlich befreit sein." 11 Jetzt griff das Direktorium ein. Von Anbeginn hatte es die Bestrebungen nach einer selbständigen linksrheinischen Republik nur deswegen fördern lassen, weil eine Anschlufjpropaganda geringere Aussichten zu haben schien. Daß die Vereinigung mit Frankreich das Endziel war, daran hatte es unter den entscheidenden Männern nie einen Zweifel gegeben. Jetzt, nach dem 18. Fructidor und vor der Unterzeichnung des endgültigen Friedens, war es an der Zeit, der cisrhenanischen Bewegung eine neue Marschrichtung zu geben: Statt Errichtung einer selbständigen Republik Vereinigung des Linksrheinischen mit Frankreich. Bereits am 16. September schrieb das Direktorium in diesem Sinne an Hoche.12 Der Brief erreichte jedoch den Empfänger nicht mehr, da Hoche am 19. September in Wetzlar verstorben war. Ein entsprechendes Dekret des Direktoriums erging dann am 5. Oktober an General Augereau, der anstelle von Hoche das Kommando über die zur Deutschlandarmee vereinigte Maas-Sambre- und Rhein-Mosel-Armee erhalten hatte. Das Dekret verfügte erstens die Aufhebung jener Verfügung der Mittelkommission vom 15. September, zweitens die Aufhebung der Mittelkommission selbst und die Übertragung aller Vollmachten an General Augereau; der dritte Artikel lautete: „Die Einwohner des eroberten Landes auf dem linken Rheinufer, die durch ein äußeres Zeichen ihr Verlangen zum Ausdruck bringen wollen, ihre Regierungsform zu verändern und ihre Freiheit wiederzuerlangen, können dafür nichts anderes tun als die Nationalkokarde der französischen Republik annehmen, deren Farben blau-weißrot sind." 13 Um die Tatsache des massiven Eingriffs zu verschleiern, wurde der Druck dieses Dekrets verboten. In dem Begleitschreiben zu diesem Erlaß an Augereau verstieg sich das Direktorium sogar zu der unverfrorenen Behauptung, daß „die Idee zu einer tisrhenanischen Republik nur von Freunden Österreichs und der ehemaligen Landesherren eingegeben sein konnte, um Frankreich der Hilfsmittel zu berauben, die es aus diesem Lande ziehen kann".14 11 13

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12 Ebenda, S. 1212/213. Hemsen, Joseph, a. a. O., Bd. 3, S. 1211 Anm. 3. »Les habitants des pays conquis sur la rive gauche du Rhin, qui voudront manifester par un signe extérieur leur vœu de changer la forme de leur gouvernement et de recouvrer leur liberté, ne pourront prendre à cet effet que la cocarde nationale de la République française portant les couleurs bleue, blanche et rouge." Ebenda, Bd. 4, S. 122. Vgl. auch Mathiez. Albert, Le Directoire et la République cisrhénane. In: .Annales révolutionaires", NF Bd. 8, S. 707 ff., 1916. »... l'idée d'une République cisrhénane n'a pu être suggérée que par les amis de l'Autriche et des anciens souverains du pays, pour priver la France des ressources qu'elle peut tirer de ce pays." Ebenda, S. 122/23. Vgl. auch Mathiez. Albert, te Directoire et la République cisrhénane, a. a. O.

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Die cisrhenanischen Republikaner verwandelten sich in Propagandisten der Reunion. Entscheidend nicht nur £ür sie, sondern objektiv entscheidend war die soziale Frage. Eine oppositionelle Haltung aius nationalen Gründen hätte sie zu Werkzeugen der feudalen Reaktion gemacht, die sich den Teufel um nationale Belange scherte und mit den verrotteten feudalen Zuständen auch den antinationalen Partikularismus konservieren wollte. Eine Bejahung der Reunion dagegen eröffnete die Aussicht auf die Einfühlung bürgerlicher Verhältnisse und im besonderen der Konstitution des Jahres III, mithin auf das Ende der Behandlung des Landes als erobertes Gebiet durch Militärs und von Paris aus eingesetzte Beamte. Die in der französischen Konstitution vorgesehene Wahl örtlicher Staatsorgane sicherte eine relative Selbstverwaltung. Die Cisrhenanen betrachteten sich nicht als Handlanger französischer Annexionspolitik, sondern als Repräsentanten eines souveränen Volkes, das freiwillig den Anschluß an Frankreich suchte. In diesem Sinne war die Erklärung verfaßt, die im „Auftrag des hiezu von allen Zentralausschüssen der Föderation der Patrioten des linken Rheinufers bevollmächtigten Generalausschusses" am 13. November abgegeben wurde. 15 Sie proklamierte „im Angesicht des Höchsten Wesens die Volkssouveränität*', verbannte die Fürsten als Feinde der Nation für immer aus diesen Gebieten, hob sämtliche feudalen Rechte und Einrichtungen auf, verfügte die Trennung vom Reich und verkündete die Vereinigung des souveränen Volkes, ,/um seine politische Independenz zu sichern", mit der französischen Republik. Inzwischen hatte man von französischer wie von kaiserlicher Seite Vorbereitungen zur Beschickung des Rastatter Kongresses getroffen, auf dem der Frieden mit dem Deutschen Reiche ausgehandelt werden sollte. Am 13. November hatte Bonaparte aus der Hand des Außenministers Talleyrand die Vollmacht erhalten, als Vorsitzender der französischen Deputation in Rastatt zu fungieren. Die Instruktionen, die in Talleyrands Büro ausgearbeitet worden waren, gaben der Deputation auf, einmal den Gesamtverlauf des Rheins als französische Grenze durchzusetzen und zum anderen „unwiderruflich das heilsame Werk zu vollenden, das im Frieden von Münster begonnen wurde und das während anderthalb Jahrhunderte unvollendet geblieben ist".16 Das heißt: Mit Hilfe der Säkularisation geistlicher Gebiete die Mittelstaaten festigen, ihre Souveränität gegenüber den deutschen Großmächten stärken und sie zugleich an Frankreich binden. Talleyrand hatte in seinen Betrachtungen, die er als Basis für die Instruktionen der Rastatter Deputation ausarbeitete, am 2. November festgestellt: „Wenn ich es mir angelegen sein lasse zu beweisen, daß wir uns weder mit Preußen noch mit Österreich ausschließlich verbinden dürfen, so darum, weil ich überzeugt bin, daß es in unserer Macht liegt, auf dem bald zu eröffnenden Kongresse das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Häusern zu erhalten und, eben durch ihren Gegensatz, zu vorteilhaften Ergebnissen zu gelangen, zur Stabilität des Corps germanique, dessen neue Organisation fest begründet sein 15 16

Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 321 ff. . . . . pour couronner sans retour le salutaire ouvrage qui fut commencé à la paix de Munster, et qui, pendant un siècle et demi, est demeuré imparfait." Soiel, Albert, a. a. O., Paris 1903, Bd. 5, S. 262.

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und sich in der Meinung der Menschen durchgesetzt haben muß, bevor wir unser Föderativsystem endgültig einrichten können." 17 Was Napoleon später mit dem Rheinbund realisierte, war hier schon klar konzipiert. Im Widerspruch zu seinen Verpflichtungen, die er in Campolormio eingegangen war, aber im Vertrauen auf ihren geheimen Charakter, hatte der Kaiser durch ein Hofdekret vom 1. November die Reichsstände zur Beschickung des Kongresses eingeladen und scheinheilig aufgefordert, «daß sie . . . das geineinsame Wohl des deutschen Vaterlandes mit edlem Pflichtgefühl und deutscher Standhaftigkeit wirksamst unterstützen und also vereint mit ihrem Reichsoberhaupt den längst gewünschten, auf der Basis der Integrität des Reiches und seiner Verfassung zu gründenden billigen und anständigen Frieden bestens befördern und beschleunigen werden".18 Aber diese Lüge zerplatzte schnell. Bonaparte sorgte in Rastatt dafür, daß die Wahrheit über die Prinzipien der französisch-österreichischen Abmachungen in Campoformio früh zur Kenntnis der deutschen Fürsten gelangte. Wie die badische Deputation unter dem 28. November berichtete, erklärte er ihr in einer Unterredimg : .Die denmalige kaiserliche Aufforderung an die Reichsdeputation, fest an die Grundsätze der Integrität zu halten, sei eine wahre Komödie, denn man sei vorbesagtermaßen über die Abtretung des linken Rheinufers und die daraus notwendig fließenden Folgen wechselseitig übereingekommen."19 Ebensowenig ließ er die geistlichen Fürsten über die Notwendigkeit der Säkularisationen im unklaren. Nach den Mitteilungen des Grafen von Reden, der in Rastatt Bremen und Hannover vertrat, trieb Bonaparte mit dem Gesandten des Fürstbistums Würzburg, dem Grafen Stadion, geradezu sein Spiel. Nachdem seine Frage nach der Bevölkerungsstärke des Bistums beantwortet war, stellte er fest: „Das ist viel für einen Kirohenfürsten. Aber wie das vereinbaren mit dem Gelübde der Armut? Sie wissen, daß die Geistlichen demütig und arm sein müssen und daß die Reichen nicht ins Himmelreich gelangen, und ist es nicht doch so, daß ein Kurfürst von Mainz, ein Bischof von Würzburg Paläste, Gärten, Truppen hat? Wie das vereinbaren mit der Schrift, die sagt, daß es leichter ist, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in den Himmel komme?" 2 0 Mochte mancher solche Reden noch als starke »Si je m'attache à prouver que nous ne devons point nous lier exclusivement soit à la Prusse, soit à l'Autriche, c'est que je. suis convaincu qu'il est en notre pouvoir de tenir, dans le congrès qui va s'ouvrir, la balance entre ces deux maisons, et d'arriver, par leur opposition même, à des résultats avantageux, à la stabilité du Corps germanique, dont il est nécessaire que la nouvelle organisation soit établie et appréciée avant que nous puissions former définitivement notre système fédératif." Pallain, G., Correspondance diplomatique de Talleyrand. Le ministère de Talleyrand sous le Directoire. Paris 1891, S. 175. 18 „Europäische Annalen", Jahrg. 1797, 11. Stück, S. 201. " Politische Correspondes..., a. a. O., Bd. 3, S. 15. 2 0 »C'est beaucoupp pour un prince ecclésiastique. Mais comment arranger cela avec le vœu de pauvreté? Vous savez, que les ecclésiastiques doivent être humbles et pauvres, et que les riches ne peuvent pas entrer dans le ciel, et ne voilà t'il pas (sicl), qu'un Électeur de Mayence, un Évêque de Wurzbourg a des palais, des jardins, des troupes. Comment arranger cela avec l'Écriture, qui dit, qu'il est plus aisé, qu'un chameau passe aisément par le trou d'une aiguille qu'un riche n'entre dans le ciel?" DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, C 1, Bl. 4.

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Worte auffassen, die einschüchtern sollten, so wurde die Heuchelei des Kaisers für jeden offenbar, als die bereits in Campofonmio in Aussicht genommene und dann in Rastatt durch die geheime Militärkonvention vom 1. Dezember beschlossene Räumung der Festung Mainz durch die Österreicher erfolgte. 21 Am 30. Dezember hatten französische Truppen die Festung besetzt. Unter diesen Umständen war es lächerlich, auf der Fiktion von der Integrität des Reiches beharren zu wollen. Die französische Seite bezeichnete die Vollmacht der Reichsdeputation als unzureichend und lehnte alle Verhandlungen auf dieser Basis rundweg ab. Am 8. Januar 1798 beschloß der Reichstag zu Regensburg, der Deputation eine neue, diesmal unumschränkte Vollmacht zu erteilen. Darauf konnten Mitte Januar in Rastatt von beiden Seiten die Legitimationen ausgewechselt werden und die offiziellen Verhandlungen beginnen. Alle Fürsten, die seit 1795 Separatverträge abgeschlossen hatten, rechneten jetzt mit der in den geheimen Artikeln jener Abkommen versprochenen Beute. Die Mehrzahl der anderen beeilte sich. Versäumtes nachzuholen und durch ihre Gesandten in Rastatt und Paris ihre Willfährigkeit zu demonstrieren. Jeder war bereit, seinen Nachbarn aufzuopfern, wenn er nur selbst tüchtig zulangen durfte. Die geistlichen Herren, die in erster Linie von der allgemeinen Begehrlichkeit bedroht waren, unterschieden sich dabei nicht wesentlich von ihren weltlichen Kollegen; der Bischof hatte nichts dagegen, wenn man die Klöster schluckte, und der Erzbischof war gern bereit, die Bischöfe preiszugeben, wenn es ihm nur selbst nicht an den Kragen ging. So trug jeder dazu bei, die Uneinigkeit untereinander zu vergrößern und die Durchführung der Pläne Frankreichs zu fördern. Für Frankreich hatte dieser Länder- und Menschenschacher erstrangige Bedeutung. Er war das Mittel, dem Reich den letzten Rest eines Gemeingefühls zu rauben, die Rivalität zwischen Preußen und Österreich zu steigern, die mittleren Territorialstaaten durch die Aussicht auf fette Beute dem Einfluß dieser beiden Großmächte zu entziehen und dem eigenen zu unterwerfen. Bonaparte hatte bereits Ende November 1797 im Gespräch mit der badischen Deputation diese Perspektive offen entwickelt: „Frankreich habe gar kein Interesse, das deutsche Reich und selbst nicht einmal dessen Verfassung zu zertrümmern, vielmehr müsse der Republik daran gelegen sein, daß die mindermächtigen Fürsten nicht von den größeren verschlungen und aufgerieben werden. Österreich und Preußen wären desfalls gleich gefährlich für alle deutschen Reichsstände; Frankreich hingegen sei und müsse ihr natürlicher Schutzgeist und Advokat um seines eigenen Interesses willen sein. Dazu werde es auch künftig um so mehr sich in dem Stand befinden, da die festen Punkte am Rheinufer, nämlich Mainz und Kehl, bei jedem ungleichen Unternehmen jener Mächte eine hinlängliche französische Armee den bedrängten Reichsständen augenblicklich zur Hilfe eilen machen könnten und würden." 2 2 « Cletcq, M. de, a. a. O., S. 345 ff. 2 2 Politische C o r r e s p o n d e n z . . a . a. O., Bd. 3, S. 15.

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2. Die Bestrebungen linksrheinischer Republikaner zur Revolutiorüerung Südwestdeutschlands Das Verhalten der französischen Bourgeoisie gegenüber den revolutionär-demokratischen Bestrebungen und das entsprechende Auftreten der Armeen 1796 hatten zweifellos bei großen Teilen der süddeutschen Bevölkerung Enttäuschung und Erbitterung zur Folge gehabt. Wenn aber Verteidiger der Reaktion häufig daran die Hoffnung knüpften, dag damit das Volk den angeblichen Vorzug, unter väterlich gesinnten Feudalfürsten zu leben, wieder schätzen lernte, so irrten sie gründlich. Gegenüber der täglich neugewonnenen Erkenntnis, Opfer der feudalen Untierdrückung und Ausbeutung zu sein, wog die einmalige Enttäuschung leicht, die Erinnerung daran verblaßte. Die aktiven süddeutschen Revolutionäre, die der bourgeoise Wortbruch am tiefsten getroffen hatte, waren trotzdem am wenigsten bereit, vor den bestehenden Gewalten zu Kreuze zu kriechen. Der Klassenkampf gegen den Feudalismus war eine gesetzmäßige historische Tatsache, die nichts aus der Welt schaffen konnte, es sei denn der Sieg über den Feudalismus. Die französische Republik als das Ergebnis eines solchen Sieges konnte darum die ihr innewohnende beispielhafte Kraft für alle anderen, die immer noch das feudale Joch trugen, nie ganz verlieren. In diesem Sinne war auch das Schreiben jenes Revolutionärs vom Oiberrhein abgefaßt, aus dem schon mehrfach zitiert wurde und das am 7. November 1796 das Blatt der ehemaligen Mainzer Kluibisten, der .Pariser Zuschauer', abdruckte: »Indessen seid versichert, Republikaner, daß euch das Volk nicht haßt, viel weniger der Freiheit abgeneigt ist. Wir durchschauen wohl die Höllenpläne, die den Völkern Ekel wider die Revolution einflößen sollten... Die Pfälzer sind bei den Österreichern verhaßt, aber auch besonders iüx die Freiheit gestimmt. Die Schwaben, welche zuviel Anhänglichkeit für die Franken bezeugt haben, werden auf die schimpflichste Weise mißhandelt. Die Patrioten zu Ulm will der Kaiser seine Rache besonders fühlen lassen. Gern möchten die deutschen Fürsten die eisernen Jahrhunderte der Barbarei, der Dummheit und des Aberglaubens wieder hereinführen; alle in biederer Wahrheit verfaßten Schriften und Blätter sind verboten;... Es wird aber den Despoten nicht gelingen, den anbrechenden Tag aufzuhalten Hl* 23 Die Lage der werktätigen Massen war nach dem Rückzug der Franzosen 1796 nur noch unerträglicher geworden. Zu dem Üblichen kamen die mannigfachen Folgen der Kriegshandlungen und dann der täglich zunehmende Druck der österreichischen Requisitionen und Einquartierungen, alles zusätzliche Lasten, die die herrschende Klasse nach alter Gewohnheit auf die Schultern der Massen zu wälzen suchte. Es bestand für die Volksmassen kein Grund, sich aus Enttäuschung über die Franzosen vertrauensvoll unter die Fittiche ihrer alten Herren zu flüchten. Und sie taten es auch nicht. Im Gegenteil, die speyerisohen und hohenzollernschen Bauern benutzten die Waffen, mit denen sie die Franzosen bekämpft hatten, nun zur Durchsetzung ihrer Forderungen gegenüber der eigenen Herrschaft. In Württemberg 23

.Eudämonia oder deutsches Volksglück", Bd. 3, 6. Stück, S. 510 ff., 1796.

2. Bestrebungen linksrheinischer Republikaner

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ergriff die bürgerlich-liberale Bewegung alle Schichten des Volkes. In der Reichsstadt Ulm verstummte auch nach Abzug der Franzosen die Opposition nicht; der Führer des Bürgeraussohusses, Syndikus Holl, brachte im Frühjahr 1797 eine Schrift heraus .Über einige bei der Reich&stadt-Ulmisohen Staatsverfassung vorkommende Hauptmängel und Gebrechen als die erste Quelle und nächste Veranlassung zu den seit den letzten dreißig Jahren unter der dasigen Bürgerschaft bemerkten Bewegungen und angebrachten Beschwerden".24 Darin wurde die Einrichtung einer Vertreterkörperschaft der Bürger und unter ausdrücklicher Berufung auf Montesquieu die Teilung der Gewalten gefordert.25 Als der Magistrat im Juni die von der Bürgerschaft verlangte Verteilung der Einquartierung nach dem Vermögen ablehnte26, steigerte sich die Unruhe der Bevölkerung. Das von Nübling herausgegebene Volksblatt »Der ulmische Bürgerfreund", worin der Bürgerausschuß .andere Begriffe über bürgerliche und politische Verhältnisse in Umlauf zu bringen suchte", fand reißenden Absatz und brachte es trotz Verbot auf fünf Nummern.27 Die erst 1796 verkündete neue Jagdordnung wurde ohne Scheu verletzt; man bedrohte die Oberförster und schoß das Wild in den Revieren des regierenden Patriziats. Wieder zogen ganze Haufen vor das Rathaus und warfen die Scheiben ein. Einen ersten Erfolg konnte die Opposition am 25. Juli mit der kaiserlichen Anerkennung des Bürgerausschusses buchen.28 Einen weiteren Erfolg bedeutete im August die Verkündigung eines neuen Einquartierungsplans auf der Grundlage teils des Vermögens, teils des Einkommens.29 In der Reichsstadt Reutlingen bot die schwierige Lage, in die die Stadt durch die enormen Kriegsschulden geraten war, der Opposition unter der Führung des Dr. Fezer die Gelegenheit, dem Magistrat gegenüber eine Art Volksvertretung in Gestalt des von den zwölf Zünften beschickten Zwölferausschusses durchzusetzen, das heißt, nach Meinung der reaktionären Kreise »im Grunde ein comité de salut public mit ausgedehnter Gewalt zu bilden und das Heft der Regierungsgewalt so ziemlich an sich zu ziehen".30 Der Zwölferausschuß konstituierte sich am 23. April 1797, wählte den Dr. Fezer zu seinem Sprecher und verlangte, daß seine Verfügungen »ebenso angesehen werden, als ob die ganze Bürgerschaft darüber einen Beschluß gefaßt hätte,..." 8 1 Unter den vielen »Ökonomie-Verbesserungsvorschlägen", die vom Ausschusse ausgingen, fand sich die Forderung nach Einsicht 14

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(Holl, Johann Leonhaid), Ober einige bei der Reichsstadt-Ulmischen Staatsverfassung vorkommende Hauptmängel und Gebrechen Eds die erste Quelle und nächste Veranlassung zu den seit den letzten dreißig Jahren unter der dasigen Bürgerschaft bemerkten Bewegungen und angebrachten Beschwerden. Zur Belehrung ihrer Mitbürger und Zunftgenossen dargestellt, gewidmet und verfaßt von dem gegenwärtig im Jahr 1797 bestehenden börgerlichen Ausschuß und Syndikus, o. O. 1797. Ebenda, S. 11/12. .Nationalzeitung*, Jahrg. 1797, 31. Stück, Sp. 661/62. Ebenda, 42. Stück, Sp. 885. Gradmann, Johann Jakob, Das gelehrte Schwaben oder Lexikon der jetzt lebenden schwäbischen Schriftsteller, o. O. 1802, S. 418. Dürr. Lore, a. a. O., S. 85 ff. .Nationalzeitung", Jahrg. 1797, 34. Stück, Sp. 733/34. .Teutsche Staatskanzlei", Jahrg. 1799, Bd. 3, S. 256. Ebenda, S. 266.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

in das Rechnungswesen des Magistrats, nach einem neuen Steuergesetz, das die Bewohner ohne Ausnahme nach dem Vermögen besteuerte, nach der Abkaufbarkeit der Leibeigenschaft, »welche die Menschenwürde entehrt und deswegen in unserem helleren Zeitalter, wo man die ursprünglichen Menschenrechte stets mehr schätzen lernt, mehrfällig aufgehoben wurde", und anderes mehr.32 Im Sommer 1797 gelang es dem Zwölferausschuß sogar, verschiedene seiner Mitglieder in einflußreiche Magistratsstellen zu lancieren.33 Wie in Reutlingen, so zwang der Druck von unten auch in Augsburg und im Hochstift Kempten den Magistrat beziehungsweise den Fürstabt, die bisher Steuerfreien ebenfalls zu besteuern.34 In Hohenlohe-Kirchberg verweigerten die Bauern die von der fürstlichen Herrschaft geforderten Kontributionszahlungen für die durchziehenden kaiserlichen Truppen.35 Wie stark die revolutionären Potenzen am rechten Rheinufer waren, wurde zu Beginn des Jahres 1798 offenbar. Am Rhein wirkten auf die Entwicklung des Klassenkampfes drei Vorgänge fördernd ein, die sich in dieser Zeit am jenseitigen Ufer abspielten. Es handelte sich einmal um die cisrhenanische Agitation, zum zweiten um die verstärkte Aktivität der jakobinischen Partei, die durch den 18. Fructidor eine bedeutend größere Bewegungsfreiheit erhalten hatte, und schließlich um die Vorbereitungen und ersten Ansätze der helvetischen Revolution. Man kann nicht sagen, daß die Cisrhenanen in der Einwirkung auf das Rechtsrheinische damals eine Hauptaufgabe gesehen hätten. Ehr wichtigstes Anliegen bestand darin, die Rückkehr der feudalen Fürsten und Herren zu verhindern, die starken Reste feudaler Verfassung .und Verwaltung in ihren Gebieten zu beseitigen und auch aus dem Status eines eroberten Landes herauszukommen. Das war sowohl möglich durch die Konstituierung einer selbständigen cisrhenanischen Republik als auch durch den Anschluß an Frankreich. Gerade diese Beschränkung auf den engen eigenen Bereich war es, die die heftige Kritik eines so entschiedenen Revolutionärs wie Andreas Georg Friedrich Rebmanns herausforderte. Wie er selbst zugab, war er »einst ein warmer Apostel der Rheingrenze" 3 6 ; aber er hatte diese Anschauung aufgegeben, nachdem er, in Deutschland verfolgt, über Altona und Holland 1796 nach Paris geflohen war und hier die bourgeoise Realität kennengelernt hatte. In einer französisch abgefaßten anonymen Schrift »Blick auf den Rhein", die er 1797 nach dem 18. Fructidor an die Mitglieder der beiden Räte in Paris verteilen ließ, bezeichnete er es zwar als eine »offenbare Notwendigkeit seit dem gegenwärtigen Kriege, das Land diesseits des Rheins vom Reiche abzutrennen", denn Koblenz, Mainz und Worms dürften nie wieder zu Ausgangspunkten der Konterrevolution und Intervention werden 3 7 ; er scheute sich nicht, die Dringlichkeit auch damit zu 32 34

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33 Ebenda, S. 314 ff. Ebenda, S. 273. Pähl, Johann Gottfried, Denkwürdigkeiten zur Geschichte von Schwaben während der beiden Feldzüge von 1799 und 1800. Nördlingen 1802, S. 21/22. »Nationalzeitung", Jahrg. 1797, 25. Stück, Sp. 544 ff. Bihl, a. a. O., S. 294. »Laterne bei Tag für die mittlere Volksklasse", Paris 1797, Nr. 2, S. 10. » . . . nécessité évidente depuis la guerre actuelle de détacher le pays en deçà du Rhin de l'Empire." Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 170.

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begründen, daß insbesondere das räuberische Betragen der republikanischen Agenten und Generäle in diesen Gebieten eine solche Gefahr begünstige. Aber einer Lösung des Linksrheinischen vom Reiche konnte er nur dann das Wort reden, wenn es das Ziel war, das Gebiet nicht mit Frankreich zu vereinigen, sondern „eine rheinisch-deutsche Republik entsprechend den Grundlagen der französischen Verfassung zu errichten".38 .Die Vereinigung dieser Länder würde den Grund zu einer dem Fortgang der guten Sache gefährlichen Nationaleifersucht legen", stellte er in einer Ergänzungsschrift zu jener ersten fest. 39 Für Rebmann bedeutete die Vereinigung nackte Annexion, eine linksrheinische Republik dagegen den Beginn einer revolutionären Umgestaltung ganz Deutschlands. Aus diesem Grunde auch verurteilte er in den schärfsten Worten die Bereitschaft der Cisrhenanen, auf einen Wink von Paris hin über Nacht zu Propagandisten der Reunion zu werden. In seiner Zeitschrift »Die neue Schildwache" druckte er einen anonymen Brief vom Ende September über die cisrhenanische Konföderation ab, worin es hieß: „...für sie (die Annexion - H. S.) sprechen alle gegenwärtigen Beamten in diesen Ländern, die meisten ehemaligen Mainzer Klubisten, alle, welche den Deutschen auf dem rechten Rheinufer nicht Kraft und Willen zutrauen, sich endlich einmal vom Joch der Anarchie, die man mit dem Namen Deutsche Verfassung stempelt, loszureißen." 4 0 In der zweiten Nummer seiner »Laterne" urteilte er scharf und bitter : »Was man in diesen Ländern sogenannte Patrioten nannte und angestellt hat, ist meistens der - Auswurf der Nation. Die wahren Patrioten leiden und zeigen sich nicht eher, bis einst die Zeit kommt, wo sie Gelegenheit haben werden, für wahre Freiheit ihres Landes zu wirken." 41 Ebenso im November im zwölften Heft der .Geißel": »Die Minister Custinens, die elenden Schreier Böhmer, Stamm, Dorsch etc. kriechen um die neuen Herrscher, um Prokonsulate zu erschnappen." 4 2 Revolutionäre Leidenschaft und stolzes Nationalbewußtsein sprachen aus Rebmanns Kritik, aber beide ließen ihn in diesem Fall über das Ziel hinausschießen und machten ihn ungerecht. Der alte Mainzer Jakobiner Stamm .wird uns bald als mutiger Propagandist der Revolution im Rechtsrheinischen begegnen. Aber auch unabhängig vom Verhalten der einzelnen Cisrhenanen zum übrigen Deutschland war die Tatsache, daß im Linksrheinischen die bürgerliche Ordnung im Rahmen der französischen Republik durchgesetzt werden sollte, ein so gewaltiges progressives Ereignis, daß das andere Ufer davon nicht unberührt bleiben konnte. Dazu waren die vielfältigen Bindungen zwischen den Menschen diesseits und jenseits des Rheins viel zu eng; dazu drängten vor allem die gesellschaftlichen Verhältnisse im Rechtsrheinischen viel zu entschieden auf Veränderung. Es bedeutete mehr als eine schöne Geste, wenn in der schon genannten Souvieränitätserklärung des Generalausschusses der cisrhenanischen Föderation vom 13. November 1797 ein 6. Artikel eingefügt 38

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» . . . de former une République rheno-germanique d'après les bases de la constitution française." Ebenda. 40 Ebenda, S. 169. Ebenda, S. 173. »Laterne bei Tag für die mittlere Volksklasse", Paris 1797, Nr. 2, S. 10/11 Anm. Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 308.

25 Süddeutsche Jakobiner

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war, der lautete: „Das Volk dieser Länder wird nie gegen das deutsche Volk, wiewohl es sich von demselben trennt, die Gefühle der aufrichtigsten Bruderliebe verleugnen und mit Sorgfalt seine Verhältnisse, die zwischen Deutschland und der französischen Republik (bestehen, zu unterhalten suchen." 43 Auch die von dem Cisrhenanen Metternich in Bingen herausgegebenen „Politischen Unterhaltungen am linken Rheinufer", die sich in ihrem 53. Stück vom 25. November teilweise geradezu krampfhaft bemühten, die Vorzüge des Anschlusses gegenüber der Selbständigkeit zu beweisen, betpachteten es als Aufgabe des Linksrheinischen, nun als Teil der „wohltätigen Sonne" Frankreichs auf die Völker zu wirken, „um sie zur großen Völkerverjüngung zu reifen." 44 Der „Aachener Zuschauer" brachte am 28. Oktober sogar die Meldung von einer bereits gedruckten Proklamation, die die Bewohner rechts des Rheins bis zum Main aufforderte, eine transrhenanische Republik zu bilden.45 Die Furcht der feudalen Reaktion im Rechtsrheinischen, daß die republikanischen Bestrebungen der Cisrhenanen übergreifen könnten, war darum keineswegs unbegründet. Der Kommandant der Festung Ehrenbreitstein, Oberst von Sechter, erließ, „nachdem sich Aufwiegler und Störer der öffentlichen Ruhe von dem linken Rheinufer auf diese Seite begeben haben", am 6. September eine Verordnung, die jedem von ihnen die standrechtliche Erschießung androhte und jedem Denunzianten ein „ansehnliches Douceur" versprach.4® Der am kurmainzischen Hofe akkreditierte preußische Legationssekretär Formey verfolgte die Entwicklung mit größter Aufmerksamkeit. Am 12. September schrieb er aus Frankfurt: „Man versichert mir, daß diese Feinde der öffentlichen Ruhe auch ihre Abgesandten auf dem rechten Rheinufer haben, um die Gemüter vorzubereiten und Anhänger zu gewinnen." 4 7 Im Oktober unternahm er schließlich sogar eine mehrwöchige Reise ins Linksrheinische, um sich unmittelbar ein Bild von den Bestrebungen der Republikaner machen zu können. Seine Beobachtungen, die er in zwei langen Berichten zusammenfaßte, bestärkten ihn in seinen Befürchtungen.48 Die cisrheinanische Agitation war jedoch nur ein Faktor, der zur Verschärfung des Klassenkampfes und zur Entwicklung revolutionärer Bestrebungen beitrug. Ein weiterer Faktor war der Aufschwung, den die jakobinische Richtung nach dem 18. Fructidor in ganz Frankreich erlebte. Das Direktorium hatte den Staatsstreich mit Hilfe der Armee durchgeführt, um nicht an das Volk appellieren zu müssen. Aber die Ausschaltung der Royalisten kam dennoch notwendig den Linken zugute, die in den vielen vom Direktorium 'Wieder zugelassenen cercles constitutionelles 43 44

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Ebenda, S. 325. Ein Exemplar dieser Nummer befindet sich im Staatsarchiv Kuks, Arbeitsstelle Opoino. Colloredo-Mannsfeldsches Archiv, Korrespondenz des Franz Gundakar Colloredo-Mannsfeld, Sign. 31/11, Bl. 1/2. Hermanns, Will, Josef Görres - Cisrhenanenbriefe. In: .Rheinische Vierteljahrsblätter", Jahrg. 19, S. 480 Anm. 26, 1954. Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 3, S. 1172 Anm. 3. „On m'assure que ces perturbateurs du repos public ont aussi leurs missionnaires sur la rive droite du Rhin, pour préparer les esprits et faire des prosélytes." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 164, J. 34. Ebenda.

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des Landes den beherrschenden Einfluß gewannen. Die deutschen Revolutionäre knüpften große Hoffnungen daran. Rebmann, der den 18. Fructidor „als Augenzeuge, sogar hie und da als Mitwirker - soviel ein Privatmann mitwirken kann -von Anfang bis Ende verfolgt" hatte 49 , pries das Glück, „ihn erlebt und das Größte gesehen zu haben, was in unserem Jahrhundert vorgefallen ist". 50 Er griff sogleich zur Feder, um seine deutschen Leser in einer „Geschichte der Revolution vom 18. Fruktidor" von den Vorgängen zu unterrichten. Wenn er unter ihrem unmittelbaren Eindruck die progressive Bedeutung weit überschätzte, so drückt sich darin eine unerwartet intensive Wiederbelebung von Hoffnungen aus, die er bereits begraben hatte. Mit unbestechlichem Blick als Revolutionär und als Deutscher hatte er die Politik des Direktoriums vor dem 18. Fructidor geprüft. Das Ergebnis hatte er in der zweiten Nummer seiner „Laterne" 1797 veröffentlicht: „Wir betrachten die jetzigen fränkischen Gewalthaber bloß aus einem einzigen Gesichtspunkte. Wir fragen, was hat die Sache der Menschheit und der Freiheit von ihnen zu erwarten? Wir fragen als Deutsche und in Hinsicht auf Deutschland und beantworten diese Fragen mit Ehrlichkeit und . . . mit einiger Sachkenntnis. Die Gründer des größten Resultats der menschlichen Vernunft, das wir kennen, der fränkischen Republik, haben die Früchte ihrer Arbeiten nicht mehr gesehen, ja selbst kaum hoffen können. . . Die, welche jetzt glänzen, waren damals unbekannte, subalterne Menschen von Talent und Ehrgeiz - vielleicht auch fremd dem heiligen Enthusiasm, der das Werk gründete. Um sie zu erheben, mußten wir erst um vieles fallen. . . Um sich zu erhalten, sich zu erheben, mußten sie freilich die Grundsäulen des großen Gebäudes nicht vollends umreißen lassen. Diese stehen noch, haben sich befestigt, und diese Menschen genießen des Vorteils, welchen ihnen ihr Standpunkt gewährt, ohne sich um uns oder um die Vollendung des Gebäudes zu bekümmern. Wenn wir darin inzwischen bequem und sicher wohnen, so sind sie es wahrlich nicht, denen wir dafür Dank schuldig wären." Als typisch für die Entwicklung bezeichnete es Rebmann, „daß die Achtung der Kabinette gegen unsere Regierung gerade im umgekehrten Verhältnis zur Rechtschaffenhedt derselben steigt oder fällt und daß die Könige sich erst seit der Zeit mit uns verbinden und uns höfeln, wo wir wirklich schlechter geworden sind". Mit bemerkenswertem Mut und klarem Blick charakterisierte er die bourgeoise Deutschlandpolitik: „Wer... glaubt, daß unserem Kabinett daran liege, die Ausrottung der Tyrannei und die Herrschaft der Gesetze in Europa zu befördern, Deutschlands Völker glücklich zu sehen,... politische Reformationen zu befördern, der irrt sich sehr,... Bestechung einiger schwächerer Staaten, um von Zeit zu Zeit sie zu pressen, und (wenn es sich bequem tun läßt) Einverleibung einiger Provinzen mit der fränkischen Republik, um auf Kosten dieser armen Länder Prokonsuls zu versorgen, die man hier fürchtet, und Kreaturen zu befördern, denen man hier keine Stelle anzuweisen wagt. Wenn die Revolutionärs in Deutschland . . . also auf 49

50

25*

Rebmann, Andreas Georg Friedrich, Geschichte der Revolution vom 18. Fruktidor oder der Sturz Carnots, Barthelemys, Pichegrus und mehrerer. Paris 6. Jahr der Freiheit, S. 1. Ebenda, S. 17.

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Frankreich bei ihren Unternehmungen rechnen, so irren sie sich und werden vielleicht zum Opfer einer Politik werden, welche, wenn sie auch zu Zeiten Miene macht, Gärungen in angrenzenden Despotien unterstützen zu wollen, dabei nichts Ernstliches sucht, sondern bloß Freude daran bat, wenn ihre Feinde auch durch innere Schwäche verhindert werden, ihr zu schaden." 5 1 Was Rebmanns Analyse so wertvoll macht, ist die Tatsache, dag sie nicht in eine fruchtlose Resignation auslief. Die Notwendigkeit einer revolutionären Umgestaltung der deutschen Verhältnisse bestand; die Umwälzung mußte erfolgen, gleichgültig ob mit oder ohne Hilfe der französischen Bourgeoisie, ja sogar auch gegen deren Willen. Rebmanns Enttäuschung über die französische Deutschlandpolitik ließen ihn darum seine revolutionären Energien nur sinnvoller verwenden. Seinen Verallgemeinerungen lagen nicht zuletzt die bitteren Erfahrungen zugrunde, die die süddeutschen Revolutionäre 1796 machen mußten. Er forderte sie auf, daraus zu lernen. .Bei dieser Umwandlung rechne ich auf keine Propaganda, auf keine fränkischen Fredheitsprediger, überhaupt nicht im geringsten aui den Beistand der Franken", hatte er schon in der ersten Nummer seiner „Laterne" erklärt. «Alles, was ihr im höchsten Falle von der fränkischen Regierung zu erwarten das Recht habt, (und auch das wird noch Mühe kosten) ist, daß sie euch nicht hindert. Ihr seid blind genug gewesen, um euren feilen Schriftstellern bisher aufs Wort zu glauben, daß die Franken große Freude darüber haben würden, wenn an den Grenzen des Rheins eine Republik entstünde. Ihr habt euch getäuscht, und diejenigen unter euch, welche die Geschichte des Feldzuges vom Jahr 1796 näher kennen, werden euch mehr über diese Täuschung sagen können. Es gibt noch immer in Frankreich Leute von Einfluß, deren kleinliche Politik es lieber sieht, wenn sie kleine fürstliche Insekten und ausgemergelte Völker zu Nachbarn hat, als wenn sich nahe bei ihr eine mächtige Republik bildet." Er sprach zu den Süddeutschen, nicht zuletzt auch zu denen unter ihnen, die wie die speyerischen Bauern ungewollt am Ende doch nur die deutsche Reaktion durch ihren hewaffmeten Kampf gegen die Franzosen unterstützt hatten: „Aber wenn ihr nur ernstlich wollt, wenn ihr nur zur Hälfte für eure Verbesserung den Mut und die Beharrlichkeit anwendet, welche ihr zeigtet, indem ihr gegen die Franken und gegen euch selbst fochtet, so muß diese kleinliche Politik eurer Kraft weichen. Ihr sollt keinen fremden Beistand haben, ihr selbst müßt eure Freiheit erkämpfen, oder ihr verdient das Schicksal, das sonst eurer wartet . . . Es muß im südlichen Deutschland eine Revolution ausbrechen." 5 2 Der 18. Fructidor, der die royalistische Partei zu Boden schlug, das Direktorium säuberte und der jakobinischen Partei durch die Wiedereröffnung konstitutioneller Klubs neue Wirkungsmöglichkeiten bot, schien jedoch günstigere Bedingungen zu schaffen, als Rebmann bisher erkennen konnte. Von seinem vernichtenden Urteil über das Direktorium in seiner alten Zusammensetzung brauchte er kein Wort zurückzunehmen; er war vielmehr überzeugt davon, „daß das Direktorium durch sein so lange befolgtes Gleichgewichtssystem, durch seine Einbildung, der Patrioten nicht mehr zu 51 52

„Laterne bei Tag für die mittlere Volksklasse", Paris 1797, Nr. 2, S. 5 ff. Ebenda, Nr. 1, S. 23 ff.

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bedürfen, durch die Eitelkeit und Leichtgläubigkeit mit welcher es sich von den Schmeicheleien der Royalisten und der fremden Kabinette betören ließ, eigentlich schuld an dein Übermaße des Unglücks ist, das uns zu so verzweifelten Rettungsmitteln zwang*.53 Zu dem Staatsstreich selbst, der zugegebenermaßen nicht ohne Verletzung der Konstitution durchgeführt werden konnte, sagte er vorbehaltlos ja: „Es ist besser, wider die Regeln der Fakultät zu genesen, als methodisch zu Tode kuriert zu werden." 5 4 Nach Rebmanns Überzeugung bestand der Hauptgewinn, den der 18. Fructidor brachte, in einem veränderten Verhältnis der französischen Regierung zum feindlichen Auslande. Die Hoffnungen der verbündeten Mächte auf einen konterrevolutionären Umsturz im Innern Frankreichs, auch wenn sie enttäuscht wurden, mußten die Regierung in der Erkenntnis bestärken, „dag sie nicht sowohl die Despoten als den Despotismus im allgemeinen zu bekämpfen habe und daß der Krieg zwischen uns und den fremden Mächten nicht wie jeder andere mit Niederlegung der Waffen aufhört, eine Wahrheit, die sie freilich tun wohlfeileren Preis hätte kaufen können. Sie hat erfahren, daß sie durchaus kein Kabinett auf den Fuß wie die anderen Kabinette ausmachen kann und darf, wenn sie nicht bei dem Spiele verlieren will. Sie hat erfahren, daß sie nie von den Despoten, sondern nur von den Völkern Allianzein und freundschaftliche Verbindungen erwarten kann und daß sie verloren ist, sobald sie sich auf Kosten der Völker die Despoten - seien sie mit Krone und Zepter versehen, oder seien sie elende Oligarohen einer kleinen Aristokratie - zu Freunden machen will. Sie muß, sie wird auf das System der konstituierenden Versammlung: Krieg den Palästen, Friede den Hütten, zurückkommen und einsehen, daß Frankreichs Macht weniger auf seinen Kanonen als auf seinen Grundsätzen beruht".55 Zwei nächste konkrete Maßregeln ergaben sich nach Rebmann daraus: Erstens die Aufrichtung einer o^Art von revolutionärer Diktatur", um jede konterrevolutionäre Entwicklung im Innern zu unterbinden, und zweitens die .Umgebung der Frankenrepublik mit einem Gürtel von demokratischen Republiken, durch Interesse und Dankbarkeit mit dem unsrigen verbündet. Dazu gehört Zerstreuung der schweizerischen Oligarchie und der kleinen Fürsten-Insekten von der deutschen Seite." 56 Eine Fußnote zu dieser letzten Maßnahme unterstreicht ihre Wichtigkeit und bestätigt gleichzeitig Rebmanns aktiven Anteil an den Umsturzvorbereitungen, wie sie von deutschen Revolutionären 1796 getroffen worden waren: .Dieses System, von dessen Notwendigkeit und Möglichkeit ich seit zwei Jahren immer überzeugt gewesen bin, an dessen Ausführung in Hinsicht auf Deutschland ich mit unermüdeter Anstrengung gearbeitet habe und noch arbeite, wird und muß noch die Grundlage der fränkischen Kabinettspolitik werden. Der 18. Fructidor hat die Häupter der Fraktion gestürzt, welche ihm bisher im Wege standen. Carnot und Barthélémy sitzen nicht mehr im Direktorium. Diese Veränderung der Umstände erlaubt mir jetzt, die Geheimnisse der Negoziationen und des Rückzugs der fränkischen Armeen im Jahre 1796 in etwas aufzudecken . . . Moreau .und noch einer unserer treuen Beamten Rebmann, Andreas Georg Friedrich, Geschichte der Revolution..., a. a. O., S. 67. 55 Ebenda, S. 77/78. 56 Ebenda, S. 79/80. " Ebenda, S. 69. 53

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in der Schweiz wenden hoffentlich bald der Fraktion nachfolgen, zu welcher sie gehören, und dann - ça ira!* 57 Es kann kaum ein Zweifel bestehen, dag Rebmann hier auf Baoher zielte, der neben Barthélémy und Moreau 1796 besonders tätig gewesen war, die Pläne Lists und seiner Freunde zu durchkreuzen. Die Notwendigkeit eines Wandels der französischen Augenpolitik war für Rebmann so wenig fragwürdig, dag er sogleich auch seine persönliche Wirksamkeit darauf orientierte : ¿Arbeiten, die vielleicht zur Vorbereitung der Freiheit Deutschlands beitragen können, fordern jetzt auf einige Tage meine ganze Anstrengung." 58 Bei allem Optimismus verlor er sich doch nicht völlig in kritikloser Begeisterung. Er unterschied zwischen der Wirkung des 18. Fructidor nach äugen und nach innen. Die letztere hielt er für entschieden geringer; er erklärte, „dag wir auch im Innern dadurch viel, wenngleich nicht soviel gewonnen haben, als wir billigerweise hätten erwarten können. Ich gestehe Ihnen freiwillig, dag ich diesen grogen Schlag für weiter nichts als für eine ziemliche Palliativkur ansehe; tun ganz zu retten, hätte er weit vollständiger und weit allgemeiner sein müssen."59 An anderer Stelle formulierte er seine Ansicht über die innere und äugere Wirkung des 18. Fructidor scharf pointiert folgendermagen: »Frankreich ist freilich noch unter der Revolution, aber es ist demohngeachtet weit über der Gegenrevolution."60 Offensichtlich erblickte Rebmann nicht mehr in den «unglücklichen sogenannten Terroristen der Vorstädte, welche von der Metzelei von Grenelle und Vendôme noch übriggeblieben waren und herbeieilten, um die Regierung zu verteidigen" 61, die Kraft, die fähig und geeignet war, einen gründlichen Wandel im Innern zu bewirken. Er begrügte es jedenfalls, dag nicht ihnen, sondern dem Militär die Hauptrolle hei dem Staatsstreich übertragen worden war. Ihm schienen vielmehr die Armeen den Kern der Nation auszumachen, so dag die Regeneration im Innern auoh von hier ausgehen mugte. Kaum zwei Wochen nach dem 18. Fructidor sah er bereits Differenzen zwischen dem Direktorium und dem Militär voraus: »... die Zukunft bietet uns Aussichten zu möglichen Spaltungen zwischen der Regierung und unseren Heerführern dar, um so mehr, da unsere Armeen nicht bloge Maschinen sind und gar wohl in Versuchung kommen möchten, sich um das Innere zu bekümmern, mit unseren Ministern, ihren Kreaturen und ihren Beschützern Abrechnung zu halten und einst auf Vergeltung der Dienste zu dringen, welche sie der Republik geleistet halben. Bei unseren Armeen ist der Kern der Nation;... sie sind aufgeklärt genug, um durch alle Proklamationen hindurch zu sehen, wer schuld daran ist, dag man sie zu diesem Notfall rufen mugte." 62 Rebmann, der die Entwicklung vom Standpunkte eines zwar radikalen, aber in seinem Erkenntnisvermögen notwendig beschränkten Moralisten betrachtete, drang nicht bis zum Grund der Dinge vor. So blieben die Enttäuschungen nicht aus. Der 57

Ebenda, Ebenda, 5 » Ebenda, 60 Ebenda, 81 Ebenda, 62 Ebenda, 58

S. 80 Anm. S. 64. S. 85/86. S. 77. S. 74/75. S. 75/76.

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am 17. Oktober geschlossene Friede zu Gampoformio bewies, daß das erneuerte Direktorium ebensowenig wie das alte einen Propagandakrieg führen wollte. Schmerzlich getroffen schrieb Rebmann im November im zwölften Heft seiner „Geißel" : »Einen einzigen Monat noch Krieg, undAugereau, der brave, tapfere, treue Auger eau wäre Deutschlands Bonaparte geworden, der Breisgau, statt jetzt zur Abfindung eines italienischen Herzogs hingegeben zu werden, hätte die Fahne der Freiheit aufgesteckt, und die Transrhenanische Republik würde der Welt einen Beweis gegeben haben, was ein kraftvolles, unverdorbenes Volk durch eine vernünftige Form auazurichten vermag . . . So lebt denn wohl, süße Hoffnungen I So fahre denn hin, mühevolle Arbeit mehrerer Jahre! So verfalle denn, Germanien! Aber nicht auf ewig! Neue Kämpfe beginnen einst, und du wirst glorreicher aus deiner Vernichtung hervortreten, mein teures Vaterland! Dein Volk wird die schimpflichen Artikel vernichten, welche zu Udine unterzeichnet wurden. Alles, was jetzt die Freunde der Freiheit in Deutschland tun können, besteht darin, daß sie sich aneinanderschließen und im Notfall selbst zu dem in jedem anderen Falle gefährlichen Mittel der geheimen Gesellschaften ihre Zuflucht nehmen, damit der Funke nicht ganz verlösche."6a So antidemokratisch wie die Außenpolitik der französischen Regierung war ihre Innenpolitik. Das Direktorium, das die Demokraten nicht weniger als die Royalisten fürchtete, bereitete schon unmittelbar nach dem 18. Fructidor Maßnahmen vor, um deren für die Großbourgeoisie gefährlich starke Stellung zu zerbrechen. Der preußische Gesandte Sandoz-Rollin berichtete am 5. Oktober aus Paris: »Von Seiten der Royalisten brauchte die französische Regierung gegenwärtig keine Befürchtungen mehr zu hegen;... Vielmehr vor den Jakobinern und Terroristen wird sie sich sichern müssen. Die letzteren hatten sich geschmeichelt, da sie sahen, daß die Regierung sich ihnen näherte, an die ersten Plätze der Republik gerufen zu werden und genügend Einfluß zu gewinnen, um ihrerseits das Direktorium zu beherrschen. Nachdem sie in ihrer Erwartung betrogen wurden, versuchen sie nunmehr, sich fürchten zu lassen oder als unentbehrlich zu gelten. Die Regierung, die ihre Umtriebe überwacht, wird sie im Zaume zu halten und rechtzeitig zu unterdrücken wissen."64 Die Spannung zwischen der linken und dem Direktorium war also eher stärker als schwächer geworden, weil die Linke stärker geworden war. Große Hoffnungen hatte Rebmann in die Armee gesetzt, und hier gab es in der Tat Bestrebungen, die der Politik des Direktoriums entgegenstanden. In General Augereau gewannen die Jakobiner einen nicht unbedeutenden Bundesgenossen. Er hatte am 18. Fructidor den Staatsstreich durchgeführt, die royalisdsche Konter63 M

Hemsen, Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 308/09. .Ce n'est plus du côté des royalistes que le gouvernement français peut avoir présentement des craintes; . . . C'est plutôt du côté des Jacobins et des terroristes qu'il devra se garantir. Ces derniers s'étaient flatté, en voyant le gouvernement se rapprocher d'eux, d'être appellés aux premières places de la République, et de gagner assez d'influence pour gouverner à leur tour le Directoire. Trompés aujourd'hui dans leur attente et cherchant à se rendre redoutables ou nécessaires, le gouvernement qui surveille leurs menées, saura les contenir et les réprimer lorsqu'il en sera temps." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fasc. 356, Bl. 109.

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révolution im Keime erstickt, die Herrschaft des Direktoriums gesichert und sich unmittelbar darauf mit ihm überworfen. Wie Laréveillère-Lépeaux, einer der Direktoren, in seinen Memoiren berichtet, gingen Augereau die Maßnahmen gegen die Aristokraten nicht weit genug. Um gründlich aufräumen zu können, verlangte er einen Sitz mit beratender Stimme im Direktorium. 65 Sein besonderes Mißtrauen richtete sich gegen den Direktor Reubell und gegen Bonaiparte, die er beide beschuldigte, nach der Alleinherrschaft zu streben. »Augereau war ein erklärter Feind Bonapartes und Reubells, und er machte keinen Hehl daraus", berichtete SandozRollin am 31. Januar 1798 nach Berlin. »Er sagte laut und schrieb ebenso, daß er wohl jene aus dem Direktorium ausstoßen könnte, die er am 18. Fructidor dort gehalten hatte; zu lange hätte man geduldet, daß Advokaten die gesamte Gewalt besäßen, ohne die Generäle der Armeen daran zu beteiligen; vor allem müsse man den Anschlägen eines Generals und eines Direktoriumsmitgliedes zuvorkommen und sie aufhalten, die Frankreich allein regieren wollen." 66 Ein solcher Beschützer der Republik wurde dem Direktorium nicht nur unbequem, sondern gefährlich. Solange er in Paris blieb, konnte es nicht auf bewaffnete Hilfe zur Unterdrückung der Jakobiner rechnen. „Wir ergriffen unsere Maßnahmen, um diesen verderblichen Plänen Einhalt zu gebieten", schrieb Laréveillère-Lépeaux. »Um Augereau zu belohnen und gleichzeitig auszuschalten, ließen wir ihm das Kommando über die Deutschland-Armee übertragen." 67 Mochten die Direktoren aufatmen, den Mann, der sie am 18. Fructidor gerettet hatte, fern von Paris zu wissen,- für die revolutionär-demokratisch gesinnten Kräfte auf dem gesamten linken Rheinufer war Augereaus Übernahme des Oberbefehls über die Deutschland-Armee, womit gleichzeitig die Zivilgewalt in den besetzten Gebieten verbunden war, ein großer Gewinn. Er dachte nicht daran, wie es das gehaßte Direktorium tat, die Jakobiner zu zügeln. Er selbst sprach eine jakobinische Sprache, wenn er Ende Oktober in Koblenz, einem Bericht des früheren Bürgermeisters zufolge, erklärte, er habe »die Macht, unser Land nicht nur diesseits, sondern auch jenseits zu travaillieren. Er sei es gewesen, welcher Italien umgearbeitet, und es würde ihm ein leichtes sein, diese Länder zu revolutionieren. Sobald der Krieg anfängt, wird er die andere Rheinseite sowie die diesseitige bewaffnen, um mit diesen in dem Eingeweide aller Potentaten, welche keinen Frieden machen wollten, zu wüten".68 Tags darauf hielt er in der republikanischen Volksgesellschaft in Bonn eine Rede gegen die Fürsten, die in den Worten gipfelte: ,s

Mémoires de Laréveillère-Lépeaux, publiés par son fils. Paris o. J., Bd. 2, S. 171/72. »Augereau était l'ennemi déclaré de Buonaparte et de Reubell, et il ne s'en cachait pas; il disait hautement et écrit de même, qu'il savait bien faire descendre du Directoriat ceux qu'il y avait maintenu au 18 Fructidor; que c'était trop longtemps endurer que des avocats gardassent toute l'autorité, sans y faire concourir les généraux des armées; qu'il fallait surtout prévenir et arrêter les complots d'un général et d'un directeur, qui tendaient à vouloir gouverner seuls la France." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fasc. 358, Bl. 88. 67 »Nous prîmes nos mesures pour arrêter ces pernicieux desseins. Pour récompenser et pour écarter en même temps Augereau, nous lui fîmes donner le commandement d'armée d'Allemagne." Mémoires de Laréveillère-Lépeaux..., a. a. O., S. 172. «8 Hansen, Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 236.

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.Jagt sie, zerschmettert sie, die Despoten!" 69 Dem Kölner Magistrat gegenüber bezeichnete er es als seinen Wunsch, obwohl der Friedensschluß von Campoformio bereits bekanntgegeben war, »nicht nur hiesige Stadt, sondern ganz Deutschland, wenn es von ihm abhinge, glücklich zu machen".70 Es versteht sich, daß ein solches' Auftreten des Oberkommandierenden die Herzen gerade der entschiedenen Republikaner gewinnen mußte. Die Gunst der Umstände Ende 1797 ließ es möglich erscheinen, zwar gegen den Willen des Direktoriums, aber doch mit französischer Unterstützung, nämlich der Augereaus und seiner Deutschland-Armee, eine revolutionäre Umwälzung in Deutschland einzuleiten. Diese Aussicht begeisterte Rebmann; hier liegt auch eine Ursache dafür, daß er Ende November das Angebot, in Mainz eine Richterstelle beim obersten Tribunal zu übernehmen, nicht ablehnte und am 9. Januar 1798 dieses Amt antrat. 71 Auch als Oberbefehlshaber der Deutschland-Armee arbeitete Augereau gegen den leitenden Ko>pf des Direktoriums, Reubell, und gegen Bonaparte, die wichtigste militärische Stütze dieser Regierung. Seine Agenten sammelten belastendes Material gegen diesen General und beschuldigten Reubell des lAristokratismus.72 Die vielen abschätzigen Urteile, die Bonaparte in dieser Zeit über Augereau fällte, die Tatsache, dag er es auf dem Wege nach Rastatt vermied, Augereaus Hauptquartier zu berühren, zeugen von dem schroffen Gegensatz.7® Als Militär stützte sich Augereau bei seinen Plänen zunächst auf die Armee. Wie SandoznRollin berichtete, hatten seine Ansichten in der Tat Eindruck auf seine Offiziere gemacht; »alle waren untereinander Verpflichtungen eingegangen, Augereau verbunden zu bleiben und, wenn nötig, auf Paris zu marschieren".74 Auf Bajonette allein aber konnte er sich nicht stützen. Seine gegebenen Verbündeten waren die Jakobiner, die sich in den cercles constitutionelles und Volksgesellschaften politische Zentren geschaffen hatten. In dem Gebiet, das seiner unmittelbaren Kontrolle unterstand, waren es deutsche Republikaner. Augereau hat auf sie, wie unter anderem seine Rede vor der Bonner Volksgesellschaft beweist, radikalisierend, und zwar in Richtung auf eine Revolutionierung auch des Rechtsrheinischen eingewirkt. Drei Mitglieder des Straßbuiger „club des citoyens actifs" bezeichneten unabhängig voneinander Augereau als ihren Auftraggeber, als sie im Rechtsrheinischen als revolutionäre Propagandisten auftraten. Der beim Straßburger Kriminalgericht tätige Dr. Schwan erklärte dem Schultheißen seines Geburtsorts Willstädt, »es stünde etwas Großes bevor, und er sei in geheimen Aufträgen vom General Augereau in das Land geschickt worden". 75 69 70 71

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»Chassez-les, écrasez-les, les despotes!" Ebenda, S. 239 Anm. 3. Ebenda, S. 244. Wrasky. Nadeschda von, A. G. F. Rebmann. Leben und Werke eines Publizisten zur Zeit der großen Französischen Revolution. Phil. Diss. Heidelberg 1907, S. 103. Cuyot, Raymond, a. a. O., S. 572/73. Gouvion Saint-Cyr, Mémoires sur les campagnes des armées du Rhin et de Rhin-et-Moselle, de 1792 jusqu'à la paix de Campo-Formio. Paris 1829, Bd. 4, S. 208. »Tous avaient pris entr'eux des engagements de rester attachés à Augereau et de marcher au besoin sur Paris." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fasc. 358, Bl. 88/89. (Haller, Kail Ludwig von). Geheime Geschichte der Rastatter Friedensverhandlungen in Verbindung mit den Staatshändeln dieser Zeit. Germanien 1799, T. 2, S. 204.

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Der bei der Magazinverwaltung in Strasburg als Kommissar angestellte und in Bahlingen gebürtige Kreutner vertraute seinem Stiefbruder in ThenLngen an, „es gingen wichtige Sachen vor, von denen die ganze Welt reden werde, es gebe eine allgemeine "Veränderung, es komme alles unter französischen Schutz und werde nächstens zum Ausbruch kommen;... und sein General Augereau, von dem er geschickt sei, werde dabei recht emporkommen".76 Und Georg List schrieb in einem an das helvetische Direktorium gerichteten Gesuch vom 24. März 1799, das Angaben über seine Vergangenheit enthält: „Im Herbst 1797 erschien B(ürger) Augereau als General en chef zu Strasburg; das Projekt einer deutschen Republik war abermals an der Tagesordnung. Ich wurde zu ihm berufen und die Sache verabredet." 77 Ganz offensichtlich trieb Augereau Vorbereitungen, den von Bonaparte geschlossenen und vom Direktorium sanktionierten Frieden von Campoformio zu torpedieren. Der Krieg, den er dann mit seiner Deutschland-Armee führen würde, wäre ein revolutionärer Krieg, in dessen Gefolge wie in Italien Republiken entstünden. Bonaparte verdankte seinen italienischen Erfolgen eine Machtstellung, vor der das Direktorium schon mehr als einmal kapituliert hatte. Warum sollte Augereau sich nicht in Deutschland eine ähnliche Position erobern können? Aber die deutschen Revolutionäre setzten nicht allein auf Augereau. Ihr Optimismus gründete sich zugleich und wahrscheinlich in erster Linie auf die revolutionäre Umgestaltung, die sich in der Schweiz vorbereitete. Die Schweizer Revolution war im wesentlichen ein Werk der Schweizer selbst.78 Das Bürgertum hier war ökonomisch stark genug, um das feudal-patrizische Regiment unerträglich zu finden und auf seinen Sturz hinzuarbeiten. Die Vielzahl der Kantone mit ihren verschiedenen Gesetzgebungen, Münzen, Maßen, Gewichten, mit ihren zahlreichen Zolltaxen und konfessionellen Zänkereien, mit einer feudal gedrückten Bevölkerung in Stadt und Land waren lästige Hemmnisse geworden. Die Französische Revolution und die Gründung der cisalpinischen Republik in der unmittelbaren Nachbarschaft zeigten den Ausweg. Der herrschenden Oligarchie boten umgekehrt diese Ereignisse nur neuen Anlaß, noch entschiedener auf ihren Vorrechten zu beharren und allen angestrebten Lockerungen den hartnäckigsten Widerstand entgegenzusetzen. Dem entsprach auch ihre Außenpolitik. Wenn auch formal neutral, so war die alte Schweiz doch ein Bollwerk der Konterrevolution, das sich wie ein Riegel zwischen die französischen und die cisalpinische Republik schob. Frankreich brauchte dringend zur Sicherung seiner Positionen in Italien eine befreundete Schweiz, deren günstige Verbindungswege ihm offen standen. Zu der inneren Notwendigkeit, die feudalen Fesseln zu sprengen, trat insbesondere nach dem Frieden von Campoformio also noch ein anderer, von außen durch das französische Interesse herangetragener Zwang. Für die revolutionäre Partei in der Schweiz war der entscheidende Gesichtspunkt, der sie den Umsturz vorbereiten und durchführen hieß, die innere Situation; lediglich der Zeitpunkt des Umsturzes wurde zu einem wesentlichen Teil durch die " Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 91. Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 247. 78 Vgl. zum folgenden Rufer, Alired, Helvétique (République). In: Dictionnaire historique et biographique de la Suisse. Neuchâtel 1928, Bd. 4, S. 25 ff. 77

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äußere Lage bestimmt. Die jüngsten Erfahrungen in Italien hatten wieder handgreiflich bewiesen, daß eine Revolutionierung durch Frankreich mit dem Verlust der Unabhängigkeit und allen seinen üblen Folgeerscheinungen verbunden war. Ein solches Schicksal galt es durch rechtzeitiges selbständiges Handeln zu vermeiden. Die Konstellation der Kräfte war dafür außerordentlich günstig: Mit der Niederlage Österreichs hatte die Schweizer Oligarchie ihren mächtigen äußeren Rückhalt verloren und war ganz auf sich selbst gestellt; zum anderen war Frankreich wohl brennend an einem revolutionären Umsturz in der Schweiz interessiert, aber in der gegebenen Situation nicht sehr geneigt, ihn mit eigener Hand zu bewirken. Es hatte in Rastatt seine Netze ausgelegt, um die deutschen Fürsten zu fangen, die zweifellos schwieriger wurden, wenn die Revolutionierung des benachbarten Landes durch direkte französische Intervention erfolgte. Die Zusammenarbeit mit Frankreich, an der die Schweizer Revolutionäre selbstverständlich nicht vorbeigehen konnten und wollten, versprach unter diesen Bedingungen ungetrübte Ergebnisse. Die entscheidenden Besprechungen fanden in der ersten Dezemberhälfte 1797 in Paris zwischen Bonaparte und Reubell einerseits und Peter Ochs und César Laharpe andererseits statt. Man einigte sich, eine einheitliche helvetische Republik zu schaffen, wobei Mittel und Wege den Schweizern überlassen blieben und Frankreich lediglich massive moralische und politische Unterstützung zu leisten sich verpflichtete. So wurde auf Wunsch ihres exilierten Führers Laharpe die revolutionäre Bewegung des Waadtlandes unter den besonderen Schutz Frankreichs gestellt und eine Division unter General Ménard an die Grenze geschickt, um die Berner Oligarchen von einem militärischen Vorgehen gegen die Waadtländer abzuschrecken. Programmgemäß rollte dann, im Januar 1798 beginnend und ausschließlich von den Schweizern getragen, die revolutionäre Welle über das Land. Der Kanton Basel, wo Peter Ochs wirkte, machte den Anfang; von Liestal aus, wo am 17. Januar der Freiheitebaum errichtet wurde, griff die Bewegung, gestützt vor allem auf die Bauern, immer weiter um sich und gipfelte in der Konstituierung einer Nationalversammlung in Basel. Das Waadtland folgte. Ende Januar erhob sich Unter-Wallis. Im Thurgau proklamierte die Menge am 1. Februar die Unabhängigkeit. Um einem schrecklicheren Sturm zuvorzukommen, versprach die bisher so mächtige und unnachgiebige Berner Oligarchie eine vom Volk zu bestätigende Verfassung. Das Prinzip der Volkssouveränität eroberte Kanton um Kanton. Noch vor Mitte Februar hatte die Revolution in allen wesentlichen Teilen der Schweiz gesiegt. Gewiß dürfen dabei der diplomatische Druck und die militärische Drohung von französischer Seite nicht gering angeschlagen weiden, aber die eigentliche revolutionäre Arbeit hatte doch die Masse der Schweizer Bevölkerung allein geleistet. Die militärische Intervention Frankreichs setzte erst nach diesen Ereignissen ein, wenn auch der Einmarsch der Division Ménards ins Waadtland ¡bereits am 28. Januar erfolgte. Dieses Vorgehen war die Folge des unglücklichen Zwischenfalls bei Thierrens, wo zwei französische Husaren, Begleiter des von Ménard an den Befehlshaber der Berner Truppen abgeschickten Unterhändlers, von einer Schweizer Patrouille erschossen wurden. Ménard betrachtete dieses Ereignis als einen Angriff auf die

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Schutzmacht der waadtländischen Republikaner und überschritt die Grenze. Er handelte im Sinne seiner Instruktion, die ihm ein militärisches Eingreifen erlaubte, wenn Bern mit Waffengewalt gegen die revolutionäre Bewegung im Waadtlande vorgehen sollte. Hier war sogar mehr geschehen und auf Soldaten der französischen Republik geschossen worden. Daß Paris um diese Zeit noch an der alten Konzeption festhielt und eine direkte militärische Einmischung vermeiden wollte, beweist die Tatsache, dag dem General Brune, der Ménard ablösen sollte, am 27. Januar, also einen Tag vor dem französischen Einmarsch, dieselbe Instruktion mit auf den Weg gegeben wurde, die zuvor auch Ménard erhalten hatte. Im übrigen beschränkte sich Brune, am 4. Februar in Lausanne angelangt, auf die Besetzung des Waadtlandes, denn weiter vorzustoßen hatte er weder Auftrag noch die nötige militärische Stärke. Selbstverständlich haben die Anwesenheit Brünes auf Schweizer Boden und die aggressive Tonart, in der er mit den Berner Oligarchen verhandelte, den Widerstandswillen der Reaktion bedeutend geschwächt und umgekehrt der revolutionären Bewegung in der ganzen Schweiz zusätzlich einen starken Auftrieb gegeben; aber das vermag an der oben getroffenen Feststellung nichts zu ändern, dafj die helvetische Revolution in erster Linde ein Werk der Schweizer selbst war. Erst am 17. Februar, nachdem also die revolutionäre Bewegung in verschiedenen Kantonen bereits eindeutig gesiegt und in anderen solche Zugeständnisse erzwungen hatte, die der Schweiz schon ein wesentlich anderes Gesicht gaben, entschloß sich das Pariser Direktorium zur Änderung seiner Linie. Es verlangte ultimativ den Rücktritt der Berner Regierung und befahl am 22. Februar dem General Brune, der in der Zwischenzeit sich militärisch verstärkt hatte, gegen Bern zu marschieren. Die Notwendigkeit des Überganges zur direkten Intervention ergab sich für Frankreich einmal daraus, daß es ihm mit Rücksicht auf die internationale Lage darauf ankam, in der Schweiz so schnell wie möglich vollendete Tatsachen zu schaffen. Zum anderen war bei allen Zugeständnissen, die die Schweizer Oligarchie bereits hatte machen müssen, allein die bloße Fortdauer selbst ihrer eingeschränkten Existenz mit der Gefahr verbunden, daß die reaktionär-feudalen Mächte wieder die Übermacht gewannen. Schließlich erregten auch die demokratischen Züge der revolutionären Bewegung und ihr starkes Unabhängigkeitsstreben beim Direktorium Bedenken, ob seine Interessen genügend gewahrt würden. Ein siegreicher Brune in Bern gewährleistete, daß bei der inneren Umgestaltung der Schweiz wie bei der Regelung ihrer auswärtigen Beziehungen Frankreich das entscheidende Wort sprechen konnte. So geriet die Schweiz, die ihre Revolution als ein unabhängiges Land begann, am Ende doch unter eine französische Fremdherrschaft, die wohl die sozialökonomische Umwälzung vollendete, aber gleichzeitig unverkennbar antidemokratische und räuberische Züge trug. Mit dieser Darstellung ist jedoch dem historischen Verlauf schon vorgegriffen. Zunächst jedenfalls lag die revolutionäre Initiative ganz in der Hand der Schweizer Patrioten, und ihre verstärkten Anstrengungen nach dem Frieden von Campoforrnio erhöhten auch die Zuversicht der deutschen Revolutionäre. Rebmann, der einen engen Kontakt mit César Laharpe besaß, unterstützte die Bestrebungen der Schwei-

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2. Bestrebungen linksrheinischer Republikaner

zer nach besten Kräften. Er begrüßte den Sturz Barthelemys am 18. Fructidor, denn damit war nach seiner Ansicht der von der Berner Oligarchie bestochene, gefährlichste Gegner der Schweizer Patrioten in Paris aus dem Wege geräumt. Er träumte von einer deutschen Revolution im Gefolge der helvetischen mit dem Ziel eines brüderlichen Bundes, der sogar Italien einbezog. So veröffentlichte er im Januarheft 1798 seiner „Geißel" einen wahrscheinlich schön im November 1797 geschriebenen Artikel „Geißelhiebe für die Schweizer Oligarchen", worin er die »Nachkommen Wilhelm Teils" zur Tat aufrief, zugleich aber auch für Deutschland eine großartige Perspektive entwickelte. Er rechnete durchaus mit der Möglichkeit, daß die Schweizer Oligarchen, ähnlich wie die deutschen Fürsten, sich beim französischen Direktorium Schonung erkaufen könnten. »Aber sollte es diesen auch gelingen (und was gelingt nicht durch Geld in Paris?), neue Stützen zu finden; sollte das fränkische Kabinett sich auch nach dem 18. Fructidor nicht überzeugen wollen, daß seine Macht auf dem allgemeinen Fall des Despotismus in Europa beruhe - wozu brauchen wir denn gerade immer und ewig die Franken? - Nachkommen Wilhelm Teils! Reicht Germanien die linke und Italien die rechte Hand! Wir sind bereit, sie zu fassen und den großen Bund zu knüpfen. Ihr seid unterdrückt, aber ihr habt Kraft; auch wir sind untendrückt, und auch wir haben Kraft; die Scheidewand, welche Despotismus und Kabinettspolitik zwischen uns aufgestellt haben, fällt; ein neuer Koloß tritt auf; der Rhein, eure Gebirge, Mantua sind unsere Festen . . . Selbständig, groß und trotzig stehen wir d a , . . . " 7 9 Die Betonung der Selbständigkeit richtete ihre Spitze eindeutig gegen die großbourgeoise Politik Frankreichs, die Tochterrepubliken als halbkoloniale Anhängsel zu behandeln. Durch den befreundeten Laharpe erfuhr Rebmanm dann von dessen erfolgreicher Aussprache mit Bonaparte, der als Militär und Schöpfer der cisalpinischen Republik zu gut die Bedeutung einer eng mit Frankreich liierten Schweiz begriff, um dem Anliegen des Führers der waadtländischen Revolutionäre gegenüber gleichgültig zu bleiben. Offensichtlich unter dem Eindruck dieses für ihn ersten sichtbaren Erfolges schrieb Rebmann um diese Zeit in seiner »Fortsetzung der Ideen über Revolutionen in Deutschland", die im Februarheft 1798 der „Geißel" veröffentlicht wurde: „Wenn wir bei der fränkischen Regierung Männer zu Regenten hätten, die in ihrem Fache wären, was Bonaparte in dem seinigen ist; wenn nicht unsere fünf Männer sehr mittelmäßige und durch Weihrauch und kleinliche Politik leicht zu verirrende Menschen wären; wenn man fränkischerseits nur immer den Grundsatz bedacht und befolgt hätte, daß die Völker voneinander unabhängig sind und daß es Unsinn von Seiten einer republikanischen Regierung ist, andere Völker abhalten zu wollen, ihre Verfassung zu verändern, daß es Torheit ist, mit einem sogenannten Souverän lieber eine Allianz zu schließen als mit Völkern, so wären wir jetzt schon, wo wir sein sollten." 80 Was nun allerdings die revolutionäre Bewegung in der Schweiz anbetraf, so begriff nicht nur Bonaparte, sondern auch das Direktorium die Notwendigkeit ihrer Unterstützung. Darum fand Peter Ochs mit seinen Umsturzplänen in Paris ein offenes Ohr; darum erhielt der französische Geschäftsträger n

»Die Geißel", 2. Jahrg., H. 1, S. 8, 1798.

80

Ebenda, H. 2, S. 132.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

Mengaud den Auftrag, sie mit allen diplomatischen Mitteln zu fördern; darum wurde auch zur militärischen Drohung gegriffen und General Menaid an die waadtländische Grenze beordert. Die Schweizer Patrioten arbeiteten fieberhaft, um in kürzester Frist zu offenen militärischen Aktionen überzugehen. Rebmann war an diesen Vorbereitungen unmittelbar beteiligt. Das Aprilheft 1798 der „Geißel" veröffentlichte unter dem Titel „Zwei Aktenstücke zur Geschichte der jetzt beginnenden Schweizer Revolution" zwei Briefe von Ochs aus Paris an Basel, denen Rebmann die folgende bedeutsame Anmerkung, geschrieben am 27. Januar, beifügte: „Mit Wonne sage ich jetzt, daß der erste Schritt zur Schweizer Revolution - die Petition der geächteten Patrioten des Pays le Vaud (Waadtlandes - H. S.) ans Direktorium - auf meinem Zimmer in Paris geschah. Diese Bittschrift und der Vorschlag zu dem darauf erfolgten tröstenden Beschluß, welcher alle, die in der Schweiz um Wiederherstellung alter Rechte bitten und den Schutz des Direktoriums anflehen würdein, der besonderen Protektion der Frankenrepublik versichert, wurden in meinen vier Wänden verfaßt und die Übersetzung dieses Beschlusses, die den Schweizern Mut gab zu sprechen, von mir verfertigt, um überall in die Schweiz versandt zu werden." 81 Die genaue Datierung dieser Mitteilung und vor allem die Motive, die Rebmann veranlagten, das Unternehmen auf jede Weise zu fördern, ergeben sich aus einer zweiten Anmerkung: „Die Revolution der Schweiz ist keinem Zweifel mehr unterworfen. Ein neuer, gestern den siebenten Pluviose (26. Januar) abgeschickter Beschluß des Direktoriums besteht mit Männlichkeit auf der Befreiung einiger Patrioten, welche die Aristokraten von Bern gefangengenommen haben,... Württemberg! Merke auf die Stimme, welche dir ruft!" 8 2 Die Hilfe, die er den Schweizer Patrioten zuteil werden ließ, gehörte ganz zweifellos zu den in seiner Schrift über den 18. Fructidor angekündigten „Arbeiten, die vielleicht zur Vorbereitung der Freiheit Deutschlands beitragen können,..." 8 3 Die Förderung der revolutionären Entwicklung in der Schweiz durch das Direktorium bedeutete keineswegs, daß es auch die deutschen Revolutionäre begünstigen wollte. Der Rastatter Kongreß bewies das Gegenteil. Aber auch das Direktorium konnte nicht verhindern, daß eine Schweizer Revolution starken Eindruck auf den deutschen Süden machte und dem Klassenkampf dort einen großen Auftrieb gab. Diese Situation galt es zu nutzen .und das Direktorium vor vollendete Tatsachen zu stellen. Rebmann rief die süddeutschen Revolutionäre auf, alle Kräfte zu mobilisieren: .Württemberg! Merke auf die Stimme, welche dir ruft!" Die revolutionäre Bewegung in der Schweiz, die cisrhenanische Bewegimg und die Pläne Augereaus erhöhten die Gunst der Stunde. Diese Perspektive Rebmanns war auch die der anderen führenden deutschen Revolutionäre. List und Jägerschmidt, die Organisatoren der revolutionären Bewegung von 1796, damals Opfer des bourgeoisen Wortbruchs und eben deswegen zeitweilig um das Vertrauen ihrer Anhänger in Baden gebracht 84 , gingen wieder mit Energie ans Werk. Eine neue Offensive zur Revolutionierung Südwestdeutschlands wurde 81 84

82 83 Ebenda, H. 4, S. 39/40. Ebenda, S, 51. Vgl. S. 372. Korrespondenz des Peter Ochs (1752-1821). Herausgegeben und eingeleitet von GustavSteiner. Basel 1935, Bd. 2, S. 90.

2. Bestrebungen linksrheinischer Republikaner

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vorbereitet. Die organisierenden Zentren der Bewegung befanden sich auf dem linken Rheinufer, vor allem in Basel und in Strasburg. In Basel war es der Klub deutscher Freiheitsfreunde, der im Eglinschen Kaffeebaus und im „Drachen" beim alten Erlaoher zusammenkam. Eine führende Rolle spielten hier Ernst Jägerschmidt, damals als Faktor in der Merianischen Fabrik bei Liestal beschäftigt, und ein gewisser Maier, manchmal auch Müller genannt. Wahrscheinlich verbarg sich hinter diesem Naimen der aus Ettenheim stammende Fahrländer, der unter dem Pseudonym Karl Meyer später als Sekretär des helvetischen Finanzrats tätig war.85 Zu diesem Kreis gehörten außerdem der Revolutionär Schmidt, der früher mit List bei Preiswerck und nun als Kommis bei Sarasin im Lohnhof tätig war, und dessen Bruder. Beide Schmidts fielen durch ihre hochdeutsche Sprache auf, waren „seit etlichen Jahren als enragierte Anhänger des Jakobinismius bekannt" und sollten in Königsberg gebürtig sein.86 Außerdem wurde ein Edler von Müller genannt, ein aus dem Elsaß stammender Kaufmann, der in Wien ein eigenes Geschäft betrieben, dort auch seinen Titel erworben und schließlich bankrott gemacht hätte.87 Die deutschen und die Schweizer Revolutionäre in Basel sahen einander als eng verbundene Kampfgefährten an. Der „Drachen", einer der Treffpunkte des Klubs deutscher Freiheitsfreunde, war gleichzeitig Versammlungsort der Basler patriotischen Gesellschaft.88 Eglin, der Besitzer des Kaffeehauses, und Erlacher, der Drachenwirt, waren selbst eifrige Revolutionsanhänger. Die deutschen Republikaner versäumten nicht, dies enge Verhältnis durch aktive Unterstützung der Sache der Schweizer Patrioten zu vertiefen. Der als Mainzer Emissär bezeichnete Müller alias Maier sollte bereits wegen seiner revolutionären Tätigkeit unter dem Basler Landvolk ausgewiesen werden, wiurde jedoch vom französischen Geschäftsträger Mengaud gedeckt.89 Jägerschmidt rühmte sich offen seines Anteils ein der Basler revolutionären Bewegung. Auch die Straßburger List und Schwan bekannten, die Schweizer Revolution durch Beförderung von Flugschriften unterstützt zu haben.90 Vgl. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht von Roth vom 27. 1. 1798; vgl. weiterhin die Aussage Essichs in HSA Stuttgart, A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800; vgl. auch Ruier, Alired, Das Projekt für eine bis zum Main reichende helvetische Republik aus dem Jahr 1799. In: „Politische Rundschau", 25. Jahrg., S. 314, 1946. 8 6 GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291, Bericht vom 1. 2. 1798. 8 7 Ebenda, Bericht vom 2. 2. 1798. Möglicherweise spielt hier auch die Gestalt des Schweizer Historikers Johannes von Müller mit hinein; er war zwar als Hof rat und Abteilungsleiter im kaiserlichen Augenministerium in Wien tätig, aber auf einer privaten Urlaubsreise während der 2. Hälfte des Jahres 1797 in seine Heimat nahm er enge Verbindungen mit Schweizer Revolutionären und mit französischen Stellen in Basel auf. Nach dem Plan, wie er ihn in einem Brief an Bacher am 20. Dezember 1797 entwickelte, sollte der Umsturz in der Schweiz zugleich der schwäbischen Bevölkerung Gelegenheit geben, sich ihr anzuschließen. Henking, Kail. Johannes von Müller 1752-1809. Stuttgart u. Berlin 1928, Bd. 2, S. 423 ff., 438/39. 88 Obser, Karl. Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 217. 8» GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291, Bericht vom 1. 2. 1798. 80 Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 215/16, 218/19.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

Das Stragburger Zentrum hatte sich im »Club des citoyens actifs" organisiert. 91 Nach den Angaben eines seiner Mitglieder, des iim rechtsrheinischen Freistett gebürtigen Kaufmanns Schulmeister, zählte er 80 Köpfe und verfolgte den Zweck, »die Lande diesseits Rheins wie die jenseitigen zu revolutionieren,..." 9 2 Wie die preußische Gesandtschaft in Rastatt am 16. Februar 1798 berichtete, wollte sie von einem sicheren Gewährsinann, der die führenden Köpfe des Klubs persönlich kannte, erfahren haben, .dag diese öffentlichen Sitzungen nur bestimmt seien, um die geheimen Verschwörungen der Drahtzieher zu beschönigen und mit dem Schein der Öffentlichkeit zu bemänteln, und dag man in den sogenannten vorbereitenden und geheimen Sitzungen an der Bildung der schwäbischen Republik arbeite, einem Gegenstand, mit dem sich Personen beschäftigen, die direkt mit der Regierung zusammenhängen. Gleiche Gesellschaften sollen in allen grogen Städten der Republik, die Deutschland benachbart sind, aufgemacht sein, und es existiert bereits eine Verbindung in Mainz" 9S. Mit Ausnahme der Behauptung, dag dieser engere Kreis unmittelbaren Kontakt mit dem Direktorium besag, sind diese Angaben durchaus glaubwürdig. Der engere Kreis verfolgte Pläne, die der Politik des Direktoriums gerade entgegengesetzt waren, und schirmte seine Tätigkeit gegen mögliche Verfolgungen von dieser Seite ab. In einer Beschwerde Metternichs, des kaiserlichen Bevollmächtigten in Rastatt, an die dortige französische Deputation vom 1. Februar über die Tätigkeit dieser Revolutionäre wurde festgestellt, »dag darunter der ehemals in Willstädt, jetzt aber in Stragburg wohnende Bürger und Doctor medicinae Schwan, der als juré bei dem tribunal criminel angestellt sein soll, eine Hauptrolle spiele, dag er einen gewissen Obsthändler Stampf, der in Stragburg in der Gartengasse No. 12 als Bürger wohnt, einen gewissen Stamm, den ehemaligen Vertrauten des Generals Custine in Mainz, den Professor Hirt, den Apotheker List, welcher sich eines vertrauten Zutritts bei dem General Augereau rühmt, den Obstkrämer Roll, den Bürger und Glashändler Schwarz, alle aus Stragburg, und einen sicheren Schumacher, der bei 17 Jahre bei dem Kaufmann Rübsamen in Stragburg gedient hatte, zu Gehilfen habe".94 Der hier genannte List ist identisch mit Georg List, der nach dem Scheitern der revolutionären Pläne 1796 von den Basler Behörden verfolgt wurde und nach Stragburg floh, wo er als Mitinhaber einer Apotheke sich und die Seinen ernährte. 95 Neben Stamm gehörten als alte Mainzer Revolutionäre 91

92 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 89. Ebenda, S. 94. ** .Une personne sûre, qui vit sur les lieux et qui connaît personnellement les meneurs de cette société assure, que ces séances publiques ne sont destinées qu'à colorer et à couvrir de l'apparence de la publicité les trames secrètes des meneurs, et que dans les séances soidisantes préparatoires et secrètes, on travaille à la formation de la république Souabe, objet dont s'occupent les personnes qui tiennent directement au gouvernement. De pareilles sociétés doivent être établies dans toutes les grandes villes de la République avoisinnant l'Allemagne, et il existe déjà une affiliation à Mayence." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 2. 5,4 (Hallet, Karl Ludwig von), a. a. O., S. 202/03. 45 Hutter, Friedrich, a. a. O., S. 35. Obser, Kaxl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 247.

2. Bestrebungen linksrheinischer Republikaner

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auch Wedekind und Zimmerman zu diesem Klub.96 Als weitere Mitglieder wurden namentlich Kreutner, Baumgartner und Carl genannt.97 Die Verbindung beider Zentren, des Baslers und des Straßburgers, untereinander und die beider zu Augereau waren sehr eng. Bei der Besprechung im Hauptquartier Augereaus aim 11. Januar 1798 waren sowohl List als Vertreter des Straßburger Klubs als auch Maier aus Basel anwesend.98 Die aktive Mitarbeit so vieler ehemaliger Mainzer Klubisten sowohl im Basler als auch im Strafjburger Klub allein läßt schon mit größter Wahrscheinlichkeit vermuten, dag auch sehr enge Verbindungen zu der cisrhenanischen Bewegung bestanden. Müller alias Maier in Basel wurde ja geradezu als Emissär aus Mainz bezeichnet. Es gibt dafür noch mehr Anhaltspunkte: Der Arzt Georg Christian Wedekind, Mitglied des Straßburger Klubs, siedelte nach der Wiedereinnähme von Mainz durch die Franzosen dorthin über.99 Daß Georg List zu den ehemaligen Mainzer Klubisten in Paris und anderswo freundschaftliche Beziehungen unterhielt, ist bereits an anderer Stelle erwähnt worden.100 Es gibt weitere Belege dafür, die in diesem neuen Zusammenhang erhöhte Bedeutung gewinnen: Auf cisrhenanische Fürsprache erhielt er im Frühjahr 1798 vom französischen Regierungskommissär für die besetzten Gebiete, Rudier, ein Amt im Kanton Speyer. Als er 1799 wieder einmal wegen seiner revolutionären Tätigkeit von französischen Organen verfolgt wurde, setzte sich nach einer Meldung des »Beobachters am Donnersberg" vom 29. August 1799 die Zentralverwaltung des Departements Niederrhein für seine Freilassung ein. Lists Name steht auch unter einer Adresse, die die Mainzer am 7. November 1799 dem Direktorium einreichten.101 Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang schließlich die Tatsache, daß er 1800 in seinem amtlichen Lebenslauf unter anderen den einstigen Mainzer Mathematikprofessor Matthias Metternich als Bürgen nannte.102 Metternich aber war der wichtigste cisrhenanische Agitator am Mittelrhein und brachte in Bingen seit dein 22. Juli 1797 dreimal wöchentlich seine »Politischen Unterhaltungen am linken Rheinufer" heraus.10® Die von ihm verfaßte Proklamation »An die Bewohner des linken Rheinufers", die im gesamten besetzten Gebiet verbreitet wurde und bei der Reaktion auf dem rechten Ufer die größte Aufregung hervorrief, war in Straßburg gedruckt.104 Diese nur indirekten Belege für die enge Zusammenarbeit zwischen Cisrhenanen und den revolutionären Zentren am Oberrhein werden in ihrer Beweiskraft dadurch erhärtet, daß ein direkter Schriftverkehr zwischen Metternich und den Straßburgern in dieser Zeit nachgewiesen werden kann. Es liegen Briefe Metternichs vom 1. und 2. Dezember aus Alzey an Straßburger Freunde vor, die darin von seinen Fortschritten und Schwierigkeiten bei der cisrhenaniscben ProObser, Karl. Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 206. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 91/92. Vgl. auch (Hattet, Karl Ludwig von), a. a. O., S. 203. 98 Ebenda, S. 92. 99 Droz. Jacques, 1 , 0 Vgl. S. 182/83. L'AUemagne..., a. a. O., S. 201 Anm. 3. 101 Hanseti. Joseph, 102 Ebenda, Bd. 3, S. 586 Anm. 3. a. a. O., Bd. 4, S. 1218 Anm. 1. 103 Ebenda, S. 1070. 104 Ebenda, S. 1081 ff., Bd. 4, S. 307. 96

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26 Süddeutsche Jakobiner

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

paganda unterrichtet wunden. So schrieb er am 1. Dezember unter anderem: »Ich bin seit etwa acht Tagen in diesen Gegenden. Meine Propagation geht dermal nicht. Ein Divisionsgeneral Chäteaunauf-Randon, der zu Kirchheimbolanden residiert, hat sich gar gewaltig formalisiert mit indirektem Drohen, daß ich wohl als Terrorist könne arretiert werden. Also muß ich meine Arbeit ein wenig einstellen, bis Augereau auf die Berichte, die an ihn abgegangen sind, geantwortet hat." 105 Ist der Brief selbst ein unzweideutiger Beweis für die Zusammenarbeit, so weist die angezogene Stelle außerdem nach, welche große Bedeutung Augereau auch für die cisrhenanische Bewegung besaß. Die Voraussetzungen für eine erneute Offensive der deutschen Revolutionäre waren um die Jahreswende 1797/98 entschieden günstiger als 1796. Im besetzten Linksrheinischen wurden grundsätzliche politische und soziale Veränderungen eingeleitet, in der Schweiz bereiteten sich mächtige demokratische Ausbrüche vor, und dazwischen bildeten sich am Oberrhein, eng verbunden mit beiden Bewegungen, gefördert vom Oberkommandierenden der Deutschland-Armee, organisierende Zentren zur Revolutionierung des rechten Rheinufers. Die Verbindungen, die von hier ins Rechtsrheinische ausgingen, reichten bis ins Württembergische. Kämpf, der schon 1796 mit Georg List zusammengearbeitet hatte, war auch jetzt wieder dabei.10® Die Zahl seiner Gesinnungsgenossen hatte zugenommen, zumal die in den Landtag gesetzten großen Erwartungen immer mehr zusammenschmolzen. Die Hauptstützpunkte fanden sich naturgemäß in den dem Oberrhein näherliegenden Gebieten. Neben den schon aus den revolutionären Bestrebungen des Jahres 1796 bekannten Namen wie Christoph Hoyer, Vogt Gräßlin von Efringen, Pfarrer Wix und Pfarrer Eisenlohr tauchen neue auf wie der Waldhornwirt Pfunder zu Grenzach, die Bauern Muser von Auggen, Grether von Mappach, Tanner von Tannenkirch, die Vögte Hartmann, Steinauer von Brombach und Koch von Welmlingen, der Schaffner Eckenstein von Auggen, die Posthalter Steinau von der Kaltenherberge und Kreglinger von Emmendingen, dann vier Einwohner aus Theningen, nämlich Jakob Ehrler, Johann Hess, Georg Heidenreich und Friedrich Zimmermann 107 . Auf einer Liste, die bei Christoph Hoyer gefunden wurde, waren neben den Straßburger und Basler Klubmitgliedern als weitere maßgeblich Beteiligte unter anderen genannt der als Rentkammerrat tätige Bruder des Ernst Jägerschmidt, Hofrat Fischer und der Kreuzwirt Fischer, alle drei aus Karlsruhe, Dr. Posselt, der Amtsschultheiß Hänle zu Lahr und dessen Bruder, ein Apotheker, Hofrat Kämpf in Stuttgart, Posthalter Reimann von der Kaltenherberge, ein Denkmann aus Braunschweig und General Eickemeyer. 108 Wie weit diese Liste zuverlässig ist, bleibt ungewiß; möglicherweise enthielt sie auch Namen von Personen, die man im Laufe der Zeit und nach den ersten Erfolgen noch zu gewinnen hoffte. Daß verschiedene der Genannten ihre Zugehörigkeit zum Kreise der Revolutionäre später energisch bestritten, sagt wenig oder nichts. Kein Revolutionär wird sich der herrschenden Klasse freiwillig ans Messer liefern. Darum 105 107 108

104 Ebenda, Bd. 4, S. 307. Hurter. Friedrich, a. a. O., S. 60. Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 218, 230, 242/43. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001.

3. Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

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behält diese Liste, wenn auch mit einigen Vorbehalten, als Ergänzung zu den anderen Mitteilungen ihren Wert, die ausschließlich aus den Untersuchungsakten der feudalen Behörden entnommen sind und sich natürlich nur auf den Kreis beschränken, den aufzudecken diesen Behörden mehr oder weniger gelang. Aber selbst dieses notwendig unvollständige Material läßt doch deutlich erkennen, daß von Basel und Straßburg aus zahlreiche Verbindungen über den Rhein geknüpft werden konnten. 3. Der Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses Der Rastatter Kongreß war ein Menschen- und Länderschacher, in dem sich zwei Ausbeuterklassen begegneten: Die französische Bourgeoisie und die deutsche Feudalklasse. Während jene einheitlich und mit einer klaren Konzeption auftrat, war diese durch partikularistische Sonderinteressen unter sich verfeindet und verfolgte einander widersprechende Ziele. Das deutsche Volk war bloßer Gegenstand des Schachers und darum nur leidender Teil. Gerade die fortgeschrittenen Geister in Deutschland haben diese nationale Schande tief empfunden. Der Schwabe Hölderlin, der um diese Zeit und wahrscheinlich sogar in Rastatt selbst an der Vollendung seines Hyperion arbeitete 109 , gab seinem Gefühl in der Strafrede seines Helden gegen die Deutschen Ausdruck: . - ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?" 110 Rebmann geißelte sowohl den Verrat der Fürsten an den Interessen der Nation als auch das Komplott, das das bourgeoise Frankreich mit diesen Verrätern einzugehen im Begriff war. Er veröffentlichte im 15. Heft seines .Neuen grauen Ungeheuers" einen satirischen Beitrag, der zur Subskription für ein Monument einlud, das am Rhein aufzurichten war. Es sollte unter anderem Germaniens Schutzgöttin darstellen, der ein Neufranke Fesseln anlegte, und dem Kaiser, dem Preußenkönig, den übrigen »blödsinnigen Fürsten" samt ihren „verächtlichen Weibern" gewidmet sein, »die jetzt den Namen ihres ehrwürdigen Vaterlands vertilgten unter den Nationen und zum Spott der Nachwelt machen aber auch dafür zum schrecklichen Beispiele ihres verderblichen Einflusses allen Völkern Europens geworden sind!" 111 Campoformio und Rastatt schwemmten viele Illusionen vom Gottesgnadentum und von der landesväterlichen Sorge der deutschen Fürsten aller Größenordnungen hinweg. So schrieb der junge Rotteck, der wenige Jahre zuvor mit dem Freiburger 108

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Hölderlin, Friedrich, Sämtliche Werke. Herausgegeben von Christoph Theodor Schwab. 110 Ebenda, Bd. 1, S. 142/43. Stuttgart u. Tübingen 1846, Bd. 2, S. 296. »Neues graues Ungeheuer", Upsala 1799, H. 15, S. 56.

3. Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

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behält diese Liste, wenn auch mit einigen Vorbehalten, als Ergänzung zu den anderen Mitteilungen ihren Wert, die ausschließlich aus den Untersuchungsakten der feudalen Behörden entnommen sind und sich natürlich nur auf den Kreis beschränken, den aufzudecken diesen Behörden mehr oder weniger gelang. Aber selbst dieses notwendig unvollständige Material läßt doch deutlich erkennen, daß von Basel und Straßburg aus zahlreiche Verbindungen über den Rhein geknüpft werden konnten. 3. Der Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses Der Rastatter Kongreß war ein Menschen- und Länderschacher, in dem sich zwei Ausbeuterklassen begegneten: Die französische Bourgeoisie und die deutsche Feudalklasse. Während jene einheitlich und mit einer klaren Konzeption auftrat, war diese durch partikularistische Sonderinteressen unter sich verfeindet und verfolgte einander widersprechende Ziele. Das deutsche Volk war bloßer Gegenstand des Schachers und darum nur leidender Teil. Gerade die fortgeschrittenen Geister in Deutschland haben diese nationale Schande tief empfunden. Der Schwabe Hölderlin, der um diese Zeit und wahrscheinlich sogar in Rastatt selbst an der Vollendung seines Hyperion arbeitete 109 , gab seinem Gefühl in der Strafrede seines Helden gegen die Deutschen Ausdruck: . - ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?" 110 Rebmann geißelte sowohl den Verrat der Fürsten an den Interessen der Nation als auch das Komplott, das das bourgeoise Frankreich mit diesen Verrätern einzugehen im Begriff war. Er veröffentlichte im 15. Heft seines .Neuen grauen Ungeheuers" einen satirischen Beitrag, der zur Subskription für ein Monument einlud, das am Rhein aufzurichten war. Es sollte unter anderem Germaniens Schutzgöttin darstellen, der ein Neufranke Fesseln anlegte, und dem Kaiser, dem Preußenkönig, den übrigen »blödsinnigen Fürsten" samt ihren „verächtlichen Weibern" gewidmet sein, »die jetzt den Namen ihres ehrwürdigen Vaterlands vertilgten unter den Nationen und zum Spott der Nachwelt machen aber auch dafür zum schrecklichen Beispiele ihres verderblichen Einflusses allen Völkern Europens geworden sind!" 111 Campoformio und Rastatt schwemmten viele Illusionen vom Gottesgnadentum und von der landesväterlichen Sorge der deutschen Fürsten aller Größenordnungen hinweg. So schrieb der junge Rotteck, der wenige Jahre zuvor mit dem Freiburger 108

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Hölderlin, Friedrich, Sämtliche Werke. Herausgegeben von Christoph Theodor Schwab. 110 Ebenda, Bd. 1, S. 142/43. Stuttgart u. Tübingen 1846, Bd. 2, S. 296. »Neues graues Ungeheuer", Upsala 1799, H. 15, S. 56.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

Landsturm an den Rhein gezogen war, nun mit geradezu revolutionärer Empörung: „Wir sind jetzt also modenesischl So weit hat die Liebe der Breisgauer zu ihrem Landesherrn, ihre Treue und Tapferkeit dieselben gebracht, daß sie nun gleich einer Schafherde an einen bankrotten Italiener verhandelt werden. Landesväter, Volksglück, Nationalwillen, Menschenrechte - leere Worte! Wenn Länder verwüstet, Städte niedergebrannt, Völker verarmt werden, wer denkt da an Entschädigung? Wenn aber ein 70jähriger Roué in Gefahr steht, den kleinen Rest seiner Tage ohne Hof leben und sein Handwerk, die Schäflein zu scheren, aufgeben zu müssen, da wird sogleich die politische Waage hergeholt, um ihm Länder und Menschen nach dem Gewicht zuzuteilen." 112 Der Rastatter Schacher hatte eine positive Seite: In dem Maße, wie er die deutschen Fürsten als gierige und skrupellose Räuber entlarvte, förderte er ungewollt ein gesamtdeutsches Nationalbewußtsein im Volke. Als sich in Rastatt „die schön gekräuselten, schön gepuderten und allerliebst behaarbeutelten, bedegten und mit Lyoner elegant gesticken Hofkleidern gar wunderschön geputzten deutschen fürtrefflichen Herrn Abgesandten an der Seite der mit runden Hüten und in schlichten Fracks gekleideten Republikaner" einfanden 113 , dachte keiner von ihnen daran, daß auch das Volk zu dem auf seinem Rücken auszutragenden Handel etwas zu sagen hätte. Am 21. Januar 1798 jedoch bemächtigte sich dieser Herren bei all ihren Gegensätzen untereinander eine gemeinsame heftige Erregung. Der hochfürstlich hessen-darmstädtische Abgeordnete, Regierungsrat Strecker, trommelte die fürstlichen Gesandtschaften mit dem kaiserlichen Plenipotentiarius an der Spitze eilig zusammen, weil er alarmierende Nachrichten mitzuteilen hatte. Am folgenden Tage wurde seine Anzeige auf der 17. Sitzung der Reichsdeputation offiziell zu Protokoll gegeben.114 Sie besagte, „daß verschiedene Straßburger Volksaufwiegler, unter welchen einer namens Schwarz genannt wird, verwegen genug sind, gedruckte aufrührerische Zettel, deren Abschrift hier angefügt ist, sogar auf dem rechten Rheinufer, selbst in der Nähe dieses Friedenskongresses und namentlich in den hanau-lichtenbergischen Ämtern Lichtenau und Willstädt, in der Ortenau, auch in der Gegend um Lahr zu verbreiten. Sie wenden dem Vernehmen nach alles an, um die Untertanen zum Aufruhr zu reizen und Unterschriften zu sammeln, die schon von mehr als 500 Menschen bewirkt worden sein sollen." 1 1 5 Das genannte Flugblatt trug die Überschrift „Freiheit - Gleichheit". Der Text lautete: „Schon lange hat das deutsche Volk nach seiner Freiheit geseufzt, und die Ungleichheit der Stände war schon lange der Gegenstand seines Hasses und seiner Verachtung. Es fühlt seine Würde und die Wahrheit, daß in ihm die Allgewalt und das Recht liegt, sich Gesetze zu geben, die eines freien Volkes würdig sind. Mutig steht es also gegen jene Menschenverkäuier auf, welche, ohne es zu fragen, Staaten und Völker mit der nämlichen Willkür teilen, mit der sie sie bis jetzt beherrschten. Badet, Joseph, Geschichte der Stadt Freiburg..., a. a. O., S. 316. Winke über Deutschlands alte und neue Staatsverfassung. Von einem deutschen Staatsbürger. Germanien 1798, S. 1. 114 LHA Dresden, Loc. 8152, Den Friedenskongreß in Rastatt betr., Bd. 3, Bl. 137. »5 Ebenda, Bl. 170. 112

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3. Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

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Deutschlands Volk erklärt also hiermit, dag es das Joch jederart abwirft und einen unabhängigen Freistaat bildet. Jeder, der es wagt, sich unseren Rechten entgegenzusetzen, wird als Vaterlandsverräter bestraft, und wehe dem Fürsten, der unsere Rache reizt." 116 Das Volk klopfte an die Tür des Kongresses. Sonderkuriere trugen die Nachricht in alle Residenzen, zumal inzwischen auch die badische Gesandtschaft aus den Oberlanden und Graf Lehrbach von der Regierung in Freiburg Estafetten empfangen hatten, die die Anzeige Hessen-Darmstadts bestätigten und ergänzten. 117 So berichtete der bayerische Vertreter, von Zentner, am 22. Januar seinem Kurfürsten, »dag im Schwarzwalde, in der oberen Markgrafschaft Baden und in den in hiesiger Nachbarschaft liegenden darmstädtischen Ämtern sich französische Emissärs mit Aufrufen an das V o l k . . . zeigen, wodurch das Volk schon wirklich in solche Gärung gebracht worden sei, dag man die schlimmsten Folgen davon und vielleicht gar eine gewaltsame Sprengung des Kongresses zu fürchten h a b e . . . Diese Volksbewegung, welche wie in Italien auch hier aus Frankreich geleitet wird, in Verbindung mit den Unruhen in der Schweiz kann von den schreckbarsten Folgen für das ganze südliche Deutschland werden. Die Völker scheinen an den Veränderungen ihrer bisherigen Oberherrn Anteil nehmen und sich keine neue Oberherrschaft gegen ihren Willen mehr aufdringen lassen zu wollen. Die Polen und Venetianer sind warnende Beispiele für sie geworden. Die hiesigen Unterhandlungen können dadurch eine ganz andere Richtung erhalten." 118 Man mug sagen, dag die plötzliche Gefahr in den Hirnen verschiedener Vertreter der herrschenden Klasse geradezu erstaunliche prinzipielle Erkenntnisse reifen ließ. Das trifft auch auf den Freiherrn von Lamezan zu, der dem Rest der bayerischen Rheinpfalz auf dem rechten Ufer vorstand, durch Zentner ebenfalls von den Vorfällen schleunigst unterrichtet worden war und dessen Bericht am 23. Januar folgendermaßen kommentierte: „In unseren an Begebenheiten so furchtbaren Jahrzehnten hätte man freilich auch diesseits schon vor Jahren abmerken und fast berechnen können, dag die Fortsetzung des unseligen Krieges das Hauptmittel zum Fortschritt der französischen revolutionären Prinzipien gewesen, dag man dadurch die Dinge, die nach fünfzig und mehreren Jahren erst zu ihrer Entstehung gelangen können, zur allzu frühzeitigen Reife gebracht habe und dag freilich die, so derlei Dinge übersehen, nun sich kaum im Stande sehen werden, ihren eigenen Produkten zu widerstehen... Unter dieser Lage, die das ganze südliche Deutschland zittern macht, ist es wahrlich eine der unauflöslichsten Aufgaben, wenn man fragt, wie eine geringe, zerstreute, ohnehin ohne politische Konsistenz sich befindende kleine Provinz, gleich die Rheinpfalz i s t , . . . sich gegen diesen Einbruch schützen könne." 119 Die Agitation der deutschen Revolutionäre in Stragburg und Basel hatte auf dem rechten Rheinufer schlagartig eingesetzt, als im Basler Land die demokratische Erhebung ihren Anfang nahm. Das besonders Bemerkenswerte in dieser Agitation 118 117

118

Ebenda, Bl. 171. Die Abschrift des Flugblattes findet sich in zahlreichen Archiven. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 1, Bd. 1, Bl. 186. Politische Correspondenz..., a. a. O. Bd. 3, S. 83. HSA München, Abt. II, B Nr. 303, Anteil am 1. Reichskrieg gegen Frankreich. Ebenda.

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war die weitgespannte Zielsetzung der Revolutionäre, wie sie auch in dem bereits zitierten Flugblatt ihren Ausdruck fand. Erstens orientierte sie die Massen auf die Notwendigkeit einer radikalen Beseitigung des Feudalismus in ganz Deutschland, auch wenn ihr unmittelbares Wirkungsgebiet zunächst nur einen Teil des Vaterlandes erfassen konnte. Zweitens propagierte sie die Errichtung einer unabhängigen deutschen Republik. Drittens richtete sie sich mit aller Entschiedenheit gegen den Rastatter Kongreß. In allen, besonders deutlich aber in den beiden letzten Punkten widersprach diese Zielsetzung der Politik des Direktoriums. Die französische Bourgeoisie war im Begriffe, mit den Klein- und Mittelfürsten auf Kosten des deutschen Volkes ein Bündnis einzugehen; sie war nicht an einer selbständigen cisrhenanischen Republik interessiert und also erst recht nicht an einer deutschen, die schließlich auch das Linksrheinische einbezog und zu einem gewaltigen Konkurrenten aufwachsen würde. Die Stoßrichtung der revolutionären Propaganda zielte sowohl gegen den partikularistischen Feudalabsolutismus wie gegen die französische Bourgeoisie, die im Prinzip, wenn auch mit einigen Modifikationen, seine Erhaltung wünschte. Das Nahziel der Bewegung war darum auf die Sprengung des Rastatter Kongresses gerichtet, der sinnbildlich für das Zusammengehen französischer Bourgeois und deutscher Feudaler stand. Dieses Ziel war insonderheit auch deswegen gut gewählt, weil es breite Kreise anzusprechen geeignet war, die sich instinktiv dagegen wehrten, wie Vieh verhandelt zu werden, ohne dabei unbedingt tiefere Einblicke in die geschichtliche Notwendigkeit zu besitzen. Viele Gemeinden äußerten in dem auf Erfahrung begründeten Mißtrauen, daß alle Veränderungen von oben nur Verschlechterungen für sie bedeuteten, in verschiedenartigster Form ihre Abneigung, als Tauschobjekte zu fungieren. Bei dem hessisch-darmstädtischen Minister von Gatzert erschienen im Januar mehrere Deputationen aus dem Hanauer Land und erklärten, nicht badisch werden zu wollen. »Ihre Abneigung gegen eine etwaige Vertauschung äußere sich so lebhaft, daß nur dieser Gedanke allein sie zum Aufruhr bewegen könnte." 120 Der vorderösterreichische Regierungspräsident von Sumerau nannte das ganze Gebiet am Rhein zwischen Mainz und Basel „wegen den bevorstehen sollenden Austauschungen und Abtretungen ohnehin höchst mißvergnügte Provinzen".121 Graf Lehrbach, der sich auf Informationen des Prälaten von Schuttern stützte, schrieb am 25. Januar an Thugut: »Überhaupt fürchten sich alle fremden Untertanen, badisch zu werden, und äußern laut, daß sie eher zur französischen Republik übergingen." 122 Mitte Januar gingen die Revolutionäre aus Straßburg und Basel zur Offensive über. Ein gewisser Celsus, der den größten Teil des Rheinufers, Schwaben und Franken bereist hatte, sandte am 7. März 1798 aus Augsburg dem preußischen König einen Bericht, in dem es hieß: »Es ist dies, Sire, keine Chimäre, sondern jedem nur wenig aufmerksamen Beobachter muß es von selbst in die Augen fallen, daß die neuerlich in Frankreich errichtete Propaganda, die ihren Hauptsitz in Straßburg und auf der deutschen Seite des Rheins schon sehr ausgebreitete Verbindungen, selbst in den 120 121

Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 211. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 85.

122

Ebenda, S. 88.

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Staaten Ihrer Königlichen Majestät hat, ihr Werk mit der größten Tätigkeit betreibt, dag ihre zahllosen Emissäre sich neben den arglistigen .Überredungen auch, wo es ihnen nötig scheint, ansehnlicher Bestechungen und glänzender Versprechungen bedienen und dag es ihnen schon an sehr vielen Orten gelungen sei, sich zahlreiche Anhänger zu verschaffen,..." 1 2 8 Einzelheiten darüber können nur auf Grund des natürlich einseitigen und lückenhaften Materials rekonstruiert werden, das die feudalen Behörden bei ihren Untersuchungen zusammengetragen haben. Der hessendarmstädtische Amtsschaffner Ströhlin in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg gab am 22. Januar zu Protokoll, dag ihm bei seinem letzten Aufenthalt am 20. Januar in Stragburg mehrere Einwohner vertraulich mitgeteilt hätten, »dag 1) mehrere und zwar an zwölf Emissarien diesseits des Rheins gegangen wären, um die Revolution zu bewirken, und zwar vorzüglich in den württembergischen Landen, von woher Einwohner nach Stragburg gekommen wären und Kokarden von schwarz, grün und roter Farbe gezeigt und erklärt hätten, dag die Franzosen nicht allein Kokarden hätten, sondern sie auch; 2) am Freitag, dem 19. huius, 6000 Stück vierfarbiger Kokarden von Stragburg über den Rhein herübergeschickt worden seien; 3) einer der Emissaires selbst erklärt, dag in den hessen-darmstädtischen Ämtern die Revolution nicht auszuführen- und nichts zu tendieren wäre, weil die Untertanen zu sehr wohl mit ihren Landesherrn und deren Offizianten zufrieden wären; 4) der Friedenskongreg zu Rastatt kaum noch zwei Tage dauern würde, indem sie solchen auseinanderjagen und die Gesandten umbringen wollten. 5) Eines der Hauptanstiftungsmittel sei, dag man den diesseitigen Untertanen insinuiere, dag man nunmehr von Seiten der Herrschaften alle rückständigen Gelder einfordern lassen werde, wovon sie aber durch die Revolution befreit sein würden." 124 Auffallend ist die Tatsache, dag Ströhlin mit diesem Wissen nicht von sich aus zur Obrigkeit ging, sondern erst vorgeladen werden mugte; und diese Vorladung erfolgte aus der blogen Vermutung heraus, dag er von den revolutionären Umtrieben »unterrichtet worden sein mochte".125 Dag eingeweihte Stragburger ihm im Vertrauen diese Eröffnungen machten, lägt ebenfalls starke Zweifel an seiner Loyalität gegenüber der Herrschaft aufkommen. Unter diesen Umständen verliert seine unter Punkt 3 gemachte Aussage bedeutend an Glaubwürdigkeit; sie klingt vielmehr wie eine Entschuldigung seines auffälligen Betragens. Auch inhaltlich ist sie durchaus unsinnig, denn selbstverständlich würde eine revolutionäre Bewegung am Oberrhein nicht an den Grenzen der lächerlichen hessen-darmstädtischen Exklaven haltmachen. Von Bedeutung sind dagegen Ströhlins Mitteilungen über den Vertrieb eigener Kokarden, die sich von den französischen unterschieden. Bei der Angabe ihrer Farben ist ihm offensichtlich ein Irrtum unterlaufen, der dann auch in der Note des kaiserlichen Bevollmächtigten vom 1. Februar, die sich unter anderem auch auf Ströhlins Aussagen stützte, berichtigt wurde. 126 Die Kokarden trugen dasselbe cisrhenanische Grün-weig-rot, das das Direktorium in den besetzten linksrheinischen 128 124 125

DZA Merseburg, Rep. 11, 91 Frankreich, varia publica, Nr. 36, Bl. 51. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 86/87. 128 Ebenda, S. 86. (Haller, Karl Ludwig von), a. a. O., S. 202.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

Gebieten verboten hatte. Sie bestätigen erneut den engen Zusammenhang der Strafjburger Revolutionäre mit den Cisrhenanen und unterstreichen ihr Streben nach einer unabhängigen deutschen Republik. Daß es sich bei der im Punkt 5 des Protokolls charakterisierten Argumentation der Agitatoren keineswegs um eine bloße Insinuation handelte, bestätigte Graf Lehrbach, indem er die Unruhe unter der badischen Bevölkerung darauf zurückführte, daß die Regierung »jüngst noch die ausständigen Kontributionen mit Gewalt eingetrieben hätte".127 Ebenso stellte Hofrat Hugo in einem Bericht aus Lörrach vom 19. Januar an den Kammerpräsidenten von Gayling fest: »Die Exekutionen der hiesigen Burgvogtei und besonders der Einnehmerei Kandern machen sehr widrigen Eindruck." 128 Von den Straßburger Emissären, die sich ins Rechtsrheinische begaben, ging Kreutner in die badische Herrschaft Hochberg nach Theningen, wo sein Stiefbruder Jakob Ehrler wohnte, und hielt sich dort vom 17. bis zum 20. Januar auf. 129 In der »Krone* trat er vor den versammelten Bauernburschen mit dreifarbiger Schärpe auf und verkündete ihnen, daß ein revolutionärer Umsturz unmittelbar bevorstünde. Er appellierte an ihr Selbstbewußtsein, sich nicht wie das Vieh auf dem Rastatter Markt verhandeln zu lassen, und forderte sie auf, die Pläne der Revolutionäre aktiv zu unterstützen. Einzelheiten darüber würden von ihm diejenigen erfahren, die sich durch ihre Unterschrift zur Mitwirkung bereit erklärten. 130 So ergebnislos, wie Obser gern glauben machen möchte, war Kreutners Auftreten offensichtlich nicht, denn es fanden sich neben Ehrler die Theninger Hess, Heidenreich und Zimmermann zu separaten Besprechungen in der .Krone" bei Kreutner ein. Wegen ihrer Teilnahme daran und der Nichtanzeige der dort besprochenen Pläne wurden sie später zu Arreststrafen verurteilt. 131 Kreutner übernahm es auch, in der Herrschaft Badenweiler die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Da dort in Müllheim der mit den revolutionären Plänen vertraute und bereits 1796 erprobte Christoph Hoyer wohnte, konnte er sich darauf beschränken, ihm über Jakob Ehrler ein Paket mit Aufrufen und einem Begleitschreiben zuzuschicken, das ihn aufforderte, »auch diese Gegenden vorzubereiten, um sich der Bewegung anzuschließen, welche oberhalb und unterhalb im Begriff stehe loszubrechen".132 Unglücklicherweise irrte sich Ehrler im Adressaten und übergab das Paket am 20. Januar dem Kaufmann Gustav Hoyer in Müllheim, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als das Material der Oberamtsbehörde auszuhändigen. Christoph Hoyer und Ehrler wurden noch in derselben Nacht verhaftet und von nicht weniger als 50 Mann Infanterie und 11 Dragonern, die man in Freiburg ausgeliehen hatte, nach Karlsruhe transportiert. 133 127 128

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Politische C o r r e s p o n d e n z . . a . a. O., Bd. 3, S. 88. Ebenda, S. 82. Obser, der keine Gelegenheit vorübergehen läßt, die Revolutionäre zu diffamieren, übernimmt trotz Kenntnis der Ausführungen Lehrbachs und Hugos selbstverständlich unbesehen die von Ströhlin im Protokoll gegebene Darstellung und schreibt: .Um die Menge leichter zu gewinnen, behaupteten sie, die Landesherrschaft wolle alle rückständigen Gelder eintreiben." Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 209. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 91. Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., S. 221. 132 133 Ebenda, S. 243. Ebenda, S. 222. Ebenda, S. 222/23, 227.

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Die anderen Emissäre des Straßburger Klubs bearbeiteten die Strasburg näher liegenden Gebiete mit ihrem Gewirr von Grafschaften, Herrschaften und anderen Landsplittern. Schwarz sorgte für die Verbreitung der gedruckten Flugblätter in Neumühl, Willstädt, in der Ortenau und in Lahr. Professor Hirt agitierte öffentlich in Auenheim, einem Ort im hessen-darmstädtischen Hanau-Lichtenberg. Schumacher, der sich seit längerer Zeit in Altenheim, einer zur nassauischen Grafschaft Lahr gehörigen Exklave, aufhielt, besaß über den Obsthändler Stampf ständige Verbindung mit der Straßburger Zentrale und verbreitete eifrig eine gedruckte Freiheitsrede, die Dr. Schwan am 30. Dezember im Straßburger Münster gehalten hatte. Am 16. Januar stellte sich Dr. Schwan zusammen mit einigen anderen Emissären selbst dort ein. Auf einer Bauernversammlung am 18. Januar im »Hirschen", die wahrscheinlich Schumacher als eine Aussprache über die Kaufmöglichkeiten von Nationalgütern einzuberufen und zu tarnen verstanden hatte, sprach Schwan über Volksfreiheit, die Vorzüge der französischen Verfassung und forderte die Bauern zur Errichtung eines Freiheitsbaumes auf. Die Behörden wurden aufmerksam, und es gelang ihnen, Schumacher und Stampf zu verhaften, während Schwan mit zwei Begleitern in die badische Herrschaft Mahlberg nach Ichenheim entkam. Hier hielt er am 19. Januar im »Hecht" wiederum eine Versammlung ab, verurteilte aufs heftigste den Rastatter Handel und propagierte die republikanische Verfassung. Von Ichenheim begab sich Schwan ins Hochbergische nach Emmendingen. 134 Weitere Details über die Agitation der Straßburger sind dem Bericht des kaiserlichen Leutnants Allmann zu entnehmen, den dieser am 19. Januar aus Rust an seinen Regimentskommandeur richtete, der ihn sogleich an den General von Kempf in Freiburg weiterleitete. Allmann hatte von einem nicht näher bezeichneten Dorfschulzen ein Exemplar des bekannten Aufrufs erhalten und außerdem erfahren, „daß die nämlichen französischen Aufwiegler, wo sie hinkommen, Unterschriften darauf sammeln und das Volk versichern, daß, wenn sie nur aus jedem Orte 30 Unterschriften deshalb bekämen, sie ihnen zum Ausbruche Hilfe senden würden. Keinen solchen gedruckten Zettel konnte bemeldeter Schulze bekommen, weil die französischen Emissärs den Leuten sorgfältig verböten, keinen dieser gedruckten Zettel in dem ersten Augenblick aus den Händen zu geben, sondern nur ihren Freunden und Bekannten hievon Wissenschaft zu machen." 135 Die letzte Feststellung hat besonderen Wert. Sie gibt der Überzeugung des Dorfschulzen Ausdruck, daß in der Tat viele Einwohner mit den Plänen der Revolutionäre sympathisierten. 134

1S5

(Haller, Karl Ludwig von), a. a. O., S. 203/04. Wie Danican behauptet, sollten List und General Isar die gewaltsame Befreiung der beiden Verhafteten mit Hilfe eines Trupps Soldaten, die ihre Uniformen mit Zivilkleidern zu tauschen hatten, erwogen haben. (Danican, Auguste), Cassandra oder einige Betrachtungen über die französische Revolution und die gegenwärtige Lage von Europa. Cairo 1799, S. 81. Die französische Ausgabe der Schrift Danicans erschien bereits im Juli 1798. DZA Merseburg, Rep. 11, 91 Frankreich, varia publica, Nr. 36, Bl. 44. Der württembergische Kammerherr Boecklin von und zu Boecklinsau und Herr zu Rust berichtete am 21. 1. 1798 nach Stuttgart, daß entgegen der Mitteilung Allmanns nicht 30, sondern schon 20 Unterschriften in einem Ort genügen sollten, um auf Unterstützung rechnen zu können. HSA Stuttgart, A 202, Rubr. 46, Nr. 113.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

Das Vorgehen der deutschen Republikaner in Basel war mit dem der Straßburger zeitlich und inhaltlich abgestimmt. Den ersten Schritt tat hier Jägerschmidt, indem er am 12. Januar den republikanisch gesinnten Waldhornwirt Pfunder aus Grenzach nach Basel einlud und ihn in groben Zögen mit dem geplanten Unternehmen bekanntmachte: „Es müsse eine totale Veränderung im Lande geben und der Markgraf mit seiner ganzen Dienerschaft beiseite geschafft werden. Man würde sodann eine republikanische Verfassung anordnen und den Untertanen Erleichterungen in ihren Abgaben verschaffen. In Rastatt würde mittels Auseinanderjagung der Gesandten der Anfang mit der Revolution gemacht werden, und wenn sie davon durch einen Kurier Nachricht bekämen, so würde man auch hier oben mit der Freimachung der Leute verfahren und damit über St. Blasien bis nach Oberschwaben kontinuieren." 136 Jägerschmidt rechnete für den Anfang mit 8000 Bauern. Wenn er behauptete, daß die französische Regierung den Plan billigte, so sagte er wahrscheinlich bewußt eine Unwahrheit, um nicht erst Bedenken aufkommen zu lassen.137 Dagegen besteht kein Grund, an seiner Versicherung zu zweifeln, daß Augereau militärische Hilfe in Stärke von 600 Mann zugesagt habe. Die Mitteilung wiederum, daß in wenigen Tagen französische Husaren Lörrach besetzen würden, war offensichtlich in erster Linie an die Adresse des Bürgermeisters von Lörrach, Weidenbach, gerichtet, um ihn unter Druck zu setzen und ihn für das Unternehmen zu gewinnen. Pfunder erhielt den Auftrag, eine Begegnung Jägerschmidts mit Weidenbach in Grenzach zu vermitteln. Die Zusammenkunft fand am 18. Januar am verabredeten Orte statt, nur daß an Stelle Jägerschmidts sich Maier eingefunden hatte. Weidenbach, der sich mit Oberforstmeister von Stetten in Verbindung gesetzt hatte, übernahm die Rolle eines Lockspitzels und ging scheinbar auf die Pläne der Revolutionäre ein, um möglichst viel von ihnen zu erfahren. 138 Maier stellte ihm eine lange Reihe von Fragen, wie sie in ähnlicher Form auch von den Straßburgern den Gemeinden vorgelegt wurden: .1. Wie ist das Oberamt zu fangen? 2. Wieviel Gewehre sind in der Stadt? 3. Wie erfaßt man die Kassen? 4. Wie werden diese versorgt? 5. Wieviel Mannschaft macht das Oberamt aus? 6. Wieviel zu Pferde? 7. Wieviel müssen zur Bewachung der Polizei zu Hause bleiben? 8. Wer bewacht die Gefangenen und wo? 9. Wie benachrichtigt man die Freiheitsfreunde mit Sicherheit? 10. Wie schafft man die Uniformen an? 11. Wie werden die Nationalgüter am vorteilhaftesten verkauft? 12. Wer organisiert die Nationalgarden? 13. Wie bekommt man eine hinlängliche Kasse? 14. Wie erhält man die öffentliche Ordnung? 15. Wo stecken die Gewehre? 16. Wer führt m 137

138

GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Vernehmungsprotokoll Pfunders vom 29. 1. 1798. Dieser Behauptung steht auch die Aussage des Kommissars Ludwig gegenüber, dem der Vogt Gräijlin über sein Zusammentreffen mit Jägerschmidt in Basel berichtet hatte: „Jägerschmidt habe ihm gesagt, warum die Oberländer solange druckten; sie sollten doch machen, da§ es einmal vorangehe; sie sollten sich an die Württemberger anschließen; diese hätten einen Landschaftsgesandten in Paris, und an diesen sollten die Oberländer sich auch wenden; man müsse aber demselben wenigstens 100 oder 200 Louisdor schicken, damit er sich in Paris den Weg bahnen könne." Ebenda, Nr. 6291, Vernehmungsprotokoll Ludwigs vom 7. 2. 1798. Ebenda, Nr. 5001, Vernehmungsprotokoll Weidenbachs vom 28. 1. 1798.

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die Truppen an? 17. Welche Straßen nimmt man und welche Wegführer? 18. Welches sind die Sammelplätze? 19. Wer versieht die Kurierstellen? 20. Wie wird indes die Nation vorgestellt? 21. Wie erfaßt man die Reichstruppen? 22. Wie bekommt man Pferde?" 139 Die Fragen sind ungeordnet und nicht in jedem Fall präzise; für Obser ein hinreichender Grund, um von einem «konfusen Schriftstücke" zu sprechen. 140 Er vergißt dabei geflissentlich, daß die Fragen von Maier erst im Laufe der Unterhaltung zu Papier gebracht wurden - daher das Ungeordnete - und daß jede zweifellos von einer ausführlichen mündlichen Erläuterung begleitet war - daher die teilweise ungenügende Präzision. Manche der Fragen, die die künftige Organisation des Landes betreffen, greifen sehr weit aus, aber sie waren deswegen nicht unsinnig, zumindest hatten sie agitatorischen Wert. Die Masse der Fragen verlangte Auskünfte, die zu besitzen für die Organisatoren einer bewaffneten Erhebung von größter Bedeutung war. Weidenbach versprach schriftliche Auskünfte, die er an den Kommissar Schmidt im Lohnhof zu Basel schicken sollte. 141 Die agitatorische und organisatorische Tätigkeit der Basler Emissäre war damit selbstverständlich nicht erschöpft, wenn auch das vorliegende Matérial wenig hergibt. Wir wissen, daß Maier in Emmendingen war und dort mit Christoph Hoyer zusammentraf 142 ; wir wissen, daß Hoyer noch kurz vor seiner Arretierung acht Briefe nach Basel, Theningen, Straßburg, Lahr, Bischofsheim am hohen Steg, Karlsruhe und Durlach bei der Post aufgab 1 4 3 ; wir wissen, daß beim Waldhornwirt Pfunder mehrfach konspirative Treffen stattfanden. 144 Der konkrete Aufstandsplan war von den deutschen Revolutionären mit dem Hauptquartier Augereaus zu Offenburg abgesprochen worden. Die Franzosen hatten vertragsgemäß das von ihnen noch unter Moreau in der zweiten Aprilhälfte 1797 besetzte rechtsrheinische Gebiet zu räumen. Die Zurücknahme der Truppen hinter den Rhein entsprach nicht den geheimen Wünschen Augereaus und erfolgte darum nur zögernd. Nach den Mitteilungen des eingeweihten Kämpf war es der im wesentlichen von Georg List entwickelte Plan der Revolutionäre, »den Rastatter Kongreß durch die Oberländer Bauern, welche bewaffnet heranziehen sollten, in dem Augenblick auseinanderzusprengen und sich hierauf wie ein reißender, in seinem Laufe sich vergrößernder Waldstrom über Schwaben zu ergießen, wenn Augereau über den Rhein zurückgehe. Sein Regiment des Guides sollte zurückbleiben und sich an die Bauern anschließen." 145 Die Guides stellten eine Elitetruppe dar, die den übrigen Einheiten gegenüber eine privilegierte Stellung einnahm. Sie war von Augereau offensichtlich zu dem Zweck geschaffen worden, für die Durchführung seiner Pläne eine besonders zuverlässige Truppe zu besitzen.146 Nach den Mitteilungen des Friedrich Essich, eines ehemaligen Studenten und im Dienst der helvetischen 139 140 141 142 143 144 145

GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291. Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 220. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Vernehmungsprotokoll Weidenbachs vom 28. 1. 1798. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 93. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Protokoll des Geheimen Rats vom 29. 1. 1798. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 81. 148 Hurter, Friedrich, a. a. O., S. 58/59. »Neueste Weltkunde", vom 24. 4. 1798.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

Republik stehenden deutschen Revolutionärs, hat List selbst im Sommer 1799 in einer Gesellschaft von Schweizern berichtet, daß ihm einige hundert französische Guides zur Durchführung seines Planes versprochen worden waren. 147 Im Prinzip bestätigten das auch die Aussagen, die Christoph Hoyer im Verhör machte. Er selbst war am 11. Januar Zeuge einer Unterredung, die List und Maier mit Agut, dem Adjunkten des Generaladjutanten Augereaus, in Offenburg hatten. Es handelte sich, wie List betonte, um die letzte Rücksprache, bevor man zum entscheidenden Schlage, der auf den 16./17. Januar festgesetzt war, ausholen wollte: »Er, List,... nehme am verabredeten Tag einige Dorfschaften zusammen, marschiere damit nach Rastatt, besetze diese Stadt, gebe den Gesandten Sauves-Gardes und harangiere die französische Gesandtschaft mit einer dem Zweck, sich freizumachen, angemessenen Rede, unterdessen würden die Bruchsaler nach Karlsruhe rücken, und er, List, begebe sich sodann auch dahin. Der Generaladjutant habe zwar dem List hierbei den Vorwurf gemacht, daß er die Sache zu leicht nehme, ihm aber doch allen Beistand versprochen und zur Erinnerung für den General einen kleinen Denkzettel von dem List erhalten." 148 Der konterrevolutionäre Propagandist und Emigrant Danican, in dem Bestreben, die deutschen Fürsten von Verhandlungen mit der Republik überhaupt abzuschrecken, vergröberte gewaltig, wenn er in seiner im Juli 1798 abgefaßten Schrift „Cassandra" behauptete, daß Augereau alle zwischen Straßburg und Lauterburg kantonierenden Truppen bei Selz zusammenziehen, den Rhein überschreiten und den Kongreß sprengen lassen wollte. Einzelheiten jedoch wie die, daß der Kommandeur des Regiments des Guides, Fournier, in Straßburg logierte, um List nahe zu sein und vertrauliche Besprechungen mit ihm zu führen, verdienen Glaubwürdigkeit. 149 An der Zusage militärischer Unterstützung durch Augereau jedenfalls kann kein Zweifel bestehen. List durfte in gutem Glauben Hoyer gegenüber behaupten: „Nun sei es anders als vor zwei Jahren, und es werde auch besser gehen als damals, wo man nicht gewollt. Nun aber wolle man, indem der General Augereau ein sehr guter Freund von ihm sei und alles tue, was er wolle. Es sei alles schon eingeleitet und könne nicht fehlen." 150 Gelang die Aktion, so ergaben sich für Augereau, da alle Dinge wieder in Fluß gerieten, die vielfältigsten Möglichkeiten, mit seiner Rheinarmee eine bedeutende Rolle zu spielen. Daß Nachrichten von den Plänen, das rechte Rheinufer zu revolutionieren, bis zu den französischen Soldaten hinuntergedrungen waren, macht ihr allerdings auf hessen-darmstädtischen Protest hin verhinderter Versuch wahrscheinlich, in dem im Hanau-Lichtenbergischen gelegenen Auenheim einen Freiheitsbaum aufzurichten. 151 Nach den Informationen des preußischen Kabinetts sollen derartige Unternehmungen französischer Truppen in Höchst und Hochheim sogar mit Erfolg durchgeführt worden sein.152 Der in jener 147

HSA Stuttgart, A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 92. i « (Danican, Auguste), a. a. O., S. 78 ff. 150 HSA Stuttgart, A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800. 151 Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 210/11. 152 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fase. 358, Bd. 1, Bl. 67. 148

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Besprechung mit dem Adjunkten des Generaladjutanten auf den 16./17. Januar festgelegte Termin für die große Aktion mußte offensichtlich verschoben werden, denn um diese Zeit setzte ja gerade erst die intensive Agitation der Straßburger ein. Posselts „Neueste Weltkunde" bezeichnete den 18. Januar als Datum für den Beginn des Unternehmens. 153 Nach den Informationen der preußischen Gesandtschaft in Rastatt sollte am 21. Januar, dem Jahrestag der Hinrichtung Ludwigs XVI., der Kongreß gesprengt werden. 154 Eine Meldung aus Karlsruhe, die von der .NationalZeitung" aufgenommen wurde, bezeichnete den 24./25. Januar als den Tag, an dem das Zeichen zum Aufstand gegeben werden sollte.155 Die deutschen Revolutionäre waren erfüllt von Optimismus und Kampfesfreude. Diese Gesinnung äußerte sich deutlich in dem kurzen Briefwechsel, den Jägerschmidt mit dem Hofrat Hugo zwischen dem 22. und 25. Januar führte. Hugo hatte nach dem mißglückten Versuch 1796, Jägerschmidt zu fassen, an dessen Brotgeber Zäßlin geschrieben und ihn aufgefordert, seinem Angestellten die Teilnahme an revolutionären Umtrieben zu untersagen. In einem Brief vom 22. Januar erinnerte er ihn daran und wies darauf hin, daß Jägerschmidt erneut zusammen mit Maier Umsturzpläne verfolge. Statt Zäßlin antwortete am gleichen Tage noch Jägerschmidt selbst. Er nannte Hugo einen schlechten Mann und forderte ihn auf, ein Menschenfreund zu werden. Auf die Erwiderung Hugos vom 24. Januar folgte einen Tag später ein zweiter Brief Jägerschmidts: »Ich nehme den Ausdruck .schlechter Mann' mit Freuden zurück, wenn ich Ihnen wirklich Unrecht getan habe. Vorerst, glaube ich aber, müssen wir den Sinn des Wortes Menschenfreund unter uns berichtigen. Ein Menschenfreund ist nach meinem Begriff derjenige, dessen edles Gefühl das allgemeine Wohl dem Privatinteresse eines einzigen, einer Familie oder mehrerer Familien vorzieht und auf alle Weise unterstützt. Wenn diese Definition richtig ist, dann sehe ich nicht ein, warum ein Durlachisches Landeskind das Wohl seines Geburtslandes nicht wünschen sollte, vielmehr erkenne ich, daß es seine Pflicht sei, eben diese Wohlfahrt nach allen Kräften und Talenten suchen zu befördern. Daß Sie mit mir nicht ganz einig sind oder doch wenigstens Privatinteresse Sie leitet, muß ich aus Ihrem Betragen von 1796 schließen - Betragen, das ja selbst der Herr Landvogt mißbilligt hatte und das nichts weniger als politisch war. Sie dürsteten damals mit Ihren Gefährten nach meinem Blut, und warum? Kannten Sie meine Absichten, kennen Sie sie jetzt? War es löblich, in Gegenwart Herrn Meister Zäßlins, der mich besser kennt, ehrlos von mir zu reden, von mir, dessen Herz Sie mißkennen - der Sie nie beleidigt hat? Muß denn meine Meinung gerade der Ihrigen gleichen, um lobenswürdig zu sein? Ist keine Denkungsart richtig, bloß die Ihrige? Sie haben mich äußerst beleidigt, Herr Hofrat, Sie haben nach meinem Leben getrachtet; da ich aber ein echter Menschenfreund bin, ist schon lange alles vergessen, alles verziehen, und zur Strafe wünsche ich, daß es Ihnen wohl gehen möge; warum fürchten Sie sich denn? Das Gewissen eines rechtschaffenen Mannes sichert ihn, nur Despoten 183 151 155

.Neueste Weltkunde" vom 31. 1. 1798. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 1, Bl. 186. .Nationalzeitung", Jahrg. 1798, 6. Stück, Sp. 117.

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schnauppen nach Rache und Leben und beschleunigen dadurch die Epoche ihres Falls. Es wäre für Sie ein Unglück gewesen, wenn Sie mich bekommen hätten; die Schurken, die geholfen haben, sind teils gestürzt und sollen es gewiß alle werden; glauben Sie, daß ich wohl unterrichtet bin." Jägerschmidt schloß mit dem von Hugo selbstverständlich nicht annehmbaren Ansinnen, sich in Basel zu treffen und die Auseinandersetzung mündlich fortzuführen. 156 Für Anfangserfolge, die Sprengung des Rastatter Kongresses eingeschlossen, besaßen die Revolutionäre bei auch nur geringer militärischer Unterstützung durch Augereau durchaus reale Chancen. Mehr zu sagen und weitere Perspektiven zu entwickeln, ist bei den vielen unbekannten Größen, die dann und dabei eine Rolle gespielt hätten, nicht möglich. Aber selbst, wfcnn es nur Anfangserfolge geblieben wären, rechtfertigten sie das Wagnis der Revolutionäre. Der Rastatter Kongreß beunruhigte und empörte die Massen der Bevölkerung am gesamten Oberrhein und darüber hinaus. Die preußische Gesandtschaft berichtete am 13. Februar: »Allen Nachrichten zufolge, die hier eintreffen, herrscht in Schwaben wie in allen Ländern, die bedroht zu sein scheinen, säkularisiert zu werden oder den Herrn zu wechseln, eine Gärung und eine Unzufriedenheit, die die Einwohner dieser Gebiete aus reiner Rache wohl dazu bringen könnten, den Republikanismus jedem anderen sie betreffenden Wechsel vorzuziehen." 157 Der Resident Kursachsens in Frankfurt am Main, von Kotteritz, meldete unter dem 14. Februar seiner Regierung: »...ich habe Grund, Eurer Excellenz versichern zu können, daß sich auch in diesen Gegenden der revolutionäre Geist in einer sehr ausgeprägten Weise verbreitet, daß es nicht mehr die französischen Emissäre allein sind, die heimlich und wirksam daran arbeiten, das französische System zu realisieren, alle alten Regierungen umzustürzen und ihr demokratisches Regime zu verallgemeinern, sondern daß es auch viel nichtswürdige und verabscheuungswürdige deutsche Personen gibt, die sich überall einschleichen und unter denen vornehmlich das Apostolat des ehemaligen und verruchten Professor Hofmànn und Konsorten sehr zahlreich ist,..." 1 5 8 In der bayerischen Kurpfalz rieten die leitenden Behörden am 23. Januar dem Kurfürsten, militärische Umgruppierungen vorzunehmen, um in Mannheim »der täglich auch hier zweideutig werdenden Stimmung der Bürgerschaft" und in Heidelberg 154 157

158

GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001. .D'après toutes les nouvelles qui en arrivent ici, il règne dans la Souabe comme par tous les pays qui semblent être menacés d'être sécularisés ou de changer de maîtres une fermentation et un mécontentement qui pourraient bien porter les habitants de ces contrées par pure vengeance à préférer le républicanisme à tout changement à leur égard." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 1, Bl. 290. .Mais je suis fondé à pouvoir assurer à Votre Excellence, qu'aussi dans ces contrées l'esprit révolutionnaire se propage d'une manière très marquée, que ce ne sont plus les émissaires français seuls, qui travaillent sourdement et efficacement, pour réaliser le système français, de renverser tous les anciens gouvernements et de généraliser leur régime démocratique, mais qu'il y a beaucoup d'indignes et d'abominables têtes allemandes, qui se glissent partout et dont surtout l'apostolat de son ancien et exécrable Professeur Hofmann et consorts est très nombreux,..." LHA Dresden, Loc. 2724, Des von Kotteritz aus Frankfurt am Main erstattete Relationen, Bd. 1, Bl. 163/64.

3. Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

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»dem nicht ganz ruhigen Betragen dortiger Einwohner" notfalls mit Waffengewalt entgegenzutreten. 159 Die Mannheimer Polizei berichtete am 29. Januar davon, da5 ein Dutzend Bürger der Stadt, die namentlich genannt wurden und fast ausschließlich dem Handwerkerstand angehörten, im linksrheinischen Frankenthal bei der Pflanzung des Freiheitsbaumes teilgenommen hatten. 160 Im Bistum Speyer, dessen Bewohner schon 1796 den Behörden aktiven Widerstand geleistet hatten, erhoben die Bauern nach dem Tode des Bischofs Stirum 1797 die Forderung nach Minderung ihrer Lasten. Das Dorf Neuthard erklärte in seiner Eingabe an das Domkapitel: «Die Fronlast ist unter der letzten Regierung so unbarmherzig ausgeübt worden, daß es auszustehen kaum möglich war." 161 Die Bemerkung von List, daß die Bruchsaler während seines Marsches auf Rastatt gegen Karlsruhe rücken würden, bestätigt, daß im Speyerischen beachtliche revolutionäre Kräfte am Werke waren. Dasselbe ergibt sich für die badischen Unterlande aus seiner Absicht, die Sprengung des Rastatter Kongresses mit Hilfe der Bewohner einiger Dorfschaften durchzuführen. 162 Das Straßburg gegenüberliegende Ländergewirr war von den Emissären besonders intensiv bearbeitet worden. Im Amt Durbach herrschte nach Meinung des Amtmanns trotz äußerlicher Ruhe eine gefährliche Gesinnung unter den Einwohnern. 163 Der Landvogt von Hochberg glaubte zwar, seiner Landbevölkerung sicher zu sein, vermutete aber in der Stadt Emmendingen revolutionäre Herde. 164 Auch im Breisgau gärte es. Ein Privatbrief aus Basel vom 18. Januar berichtete über die dortigen Vorgänge und fuhr fort: »Wir sind heute weniger ruhig denn gestern, im Breisgau spukt's gleichfalls." 165 Das Basler Wochenblatt »Der freie Schweizer" brachte eine Nachricht vom 1. Februar aus Freiburg, die lautete: »Es tut nicht mehr lange gut bei uns. Der Freiheitskitzel steigt unseren Bauern so gewaltig, daß sie keinen Zaum mehr dulden wollen. Die Untertanen der Abtei St. Blasius stehen im Begriffe, ihre Ketten abzuwerfen und mit der Verbrennung des Klosters den Anfang zu machen. Im Badischen ist dem Freiheitsdrange kein Einhalt mehr zu tun, und selbst spukt es im Vorderösterreichischen, wo man sich ganz laut eine republikanische Verfassung wünscht." 166 Am entschiedensten machte sich der revolutionäre Geist in der unmittelbaren Nachbarschaft von Basel, in den badischen Oberlanden, bemerkbar. Nachrichten, die beim kaiserlichen Divisionskommando in Freiburg eingingen, sprachen davon, daß 159

HSA München, Abt. II, B Nr. 303, Anteil am 1. Reichskrieg gegen Frankreich. GLA Karlsruhe, Abt. 77, Nr. 3645, Protokoll des kurpfälzischen Regierungs-Rats vom 6. 2. 1798. 161 Bühler, Emil, Die Landes- und Gerichtsherrschaft..., a. a. O., S. 165. 1,2 In dem Rastatt nahegelegenen Rothenfels bezeichnete sich der Brauer Franz Michael Gerig, Stellvertreter des Schultheißen und Anwärter auf das Schultheifjenamt, selbst als Citoyen und wurde von der Gemeinde auch so genannt. Noch nach dem Abzug der Franzosen hatte er die Einstellung aller Zahlungen an die Herrschaft propagiert. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6289, Denunziation des Pfarrers Dietz aus Rothenfels vom 18. 4. 1798. 163 Ebenda, Bericht vom 31. 1. 1798. 164 Ebenda, Nr. 5001, Bericht vom 20. 1. 1798. 185 DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, c 1, Bl. 167. i»« Obset, Karl. Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 228 Anm. 2. 1,0

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ein aus dem Hochbergischen gebürtiger Provisor von Aarau in der Schweiz Briefe revolutionären Inhalts an den Waldhornwirt Pfunder richtete, daß dieser und der Vogt Hartmann in Basel um Unterstützung für einen Umsturz nachgesucht hätten, daß beim Basler Schwanenwirt .ein Muser von Auggen, Grether von Mappach und Tanner von Tannenkirch zusammengekommen und über die vorgebliche Revolution im Badischen sprechen, wobei es nach ihrer Sage sehr wild hergehen soll".167 Nach der Mitteilung eines Forstverwalters aus Kandern vom 20. Januar fanden in Basel ausgedehnte Zusammenkünfte badischer Revolutionäre statt: »Gestern war eine große Versammlung der Verschwörer in Basel. Ich habe selbst früh vor Tagesanbruch sehr viele durch Lörrach passieren gesehen. Sehr viele sollen von den unteren Gegenden heraufgekommen sein. Das Komplott besteht hauptsächlich aus der Klasse der reichen Bauern. Die M(user) von A(uggen) sollen hauptsächlich mit an der Spitze stehen." 168 In Basel wußte mein, daß die Bewohner des Oberamts Rötteln fordern wollten »1. Erleichterung in den Abgaben, 2. Abschaffung des Kelterweins, 3. willfährige Antwort auf die Vorstellung der Vorgesetzten vom August 1796 169 , 4. Auszahlung des Kriegsfrongeldes, 5. Herstellung der Landstände u. dergl." 170 Auf einer vom Hofrat Hugo am 22. Januar in Lörrach einberufenen Versammlung der Gemeindevorsteher des Oberamts wurde ihm erklärt, daß bei Nichterfüllung der Forderungen die Einwohner kaum ruhig bleiben würden. 171 Als am gleichen Tage in Basel der Freiheitsbaum errichtet wurde, fanden sich nach Hugos Ermittlungen zwar »aus allen anstoßenden Ländern mehr Leute als aus dem hiesigen Oberamte ein, aus dem nur 80-100 Köpfe, groß und klein, gegenwärtig gewesen, und doch sollen schon über 1000 Basler Kokarden von Einwohnern des Oberamtes Rötteln erkauft worden sein".172 Auch der Bericht des von Sumerau zur Erkundung der Lage ausgesandten vorderösterreichischen Polizeidirektors Schmidlin bestätigte, »wie übel es in der Gegend von Basel mit der Ruhe der diesseitig angrenzenden Ortschaften aussieht".17» Die meisten kleinen Länder und Ländchen am Oberrhein waren überhaupt nicht in der Lage, der Bewegung mit militärischer Geweilt energisch zu begegnen oder auch nur zu drohen. Selbst Baden, das doch wenigstens über einige Truppen verfügte, scheute davor zurück. In seinem Gutachten vom 20. Januar, das die Billigung auch des Markgrafen fand, schlug der Geheime Rat Brauer vielmehr vor, durch teilweises Entgegenkommen beruhigend auf die Stimmung im Oberland zu wirken. Die Soldaten würden umgekehrt das Mißtrauen steigern und im Ernstfall doch nicht ausreichen. 174 Das Oberamt Hochberg drängte am 22. Januar auf schnellen Abtransport der verhafteten Hoyer und Ehrler, da das sie bewachende Militär die Einwohner 187 188

1,0 171 178 173 174

GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Bericht des Generals Kempf vom 20. 7. 1798. Ebenda, Abt. 74, Nr. 5001, Schreiben aus Kandern vom 20. 1. 1798. Vgl. S. 198. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 82. Ebenda, S. 87. Obser, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 230. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht Hugos vom 24. 1. 1798. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 85. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001.

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3. Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

Emmendingens empöre. 175 Einzig, die vorderösterreichische Regierung traf sofort energische Gegenmaßnahmen. Sumerau erlieg am 20. Januar eine Verordnung an die Stabsämter im Breisgau und das Oberamt in der Ortenau, sich unter anderem der zuverlässigsten Ortsvorgesetzten zu bedienen, um «auf solche boshaften Aufwiegler genau zu wachen, sie im Betretungsfalle handfest zu machen und in obrigkeitliche Hände einzuliefern". 176 Außerdem veranlagte Sumerau die Verstärkung der an der Schweizer Grenze zu Rheinfelden stehenden österreichischen Truppen durch ein Kommando Kavallerie und Infanterie und ließ dem badischen Oberamt Rötteln Hilfe anbieten. Einmal der Stimmung der Einwohner wegen, aber auch weil diese Hilfe nur zu leicht ein Danaergeschenk werden und zu einer Abhängigkeit Badens von Österreich führen konnte, wollten jedoch die badischen Stellen nur im äußersten Notfalle davon Gebrauch machen.177 Sumerau forderte weiterhin am 20. Januar über Graf Lehrbach in Rastatt, daß der Kommandant der kaiserlichen und Reichsarmee, Feldmarschalleutnant von Staader, angewiesen werde, weitere Truppen nach demBreisgau zu beordern. 178 Eine entsprechende Bitte, die Metternich als kaiserlicher Plenipotentiär im Namen der Reichsdeputation formulierte, ging am 24. Januar von Rastatt durh Kurier an Staader ab. Metternich drängte auf geeignete militärische Maßnahmen, da die vorhandenen Truppen für Vorderösterreich vielleicht genügen mochten, aber »die angrenzenden Reichslande in keiner solchen Kriegsverfassung stehen, daß sie dem Sturm mit Erfolg entgegengehen könnten". 179 Staader antwortete am 26. Januar, daß er bereits durch den Generalmajor von Kempf aus Freiburg von den Ereignissen unterrichtet worden sei und entsprechende Instruktionen ausgegeben habe. 180 Sumerau hatte inzwischen von sich aus, ohne die Zustimmung aus Karlsruhe einzuholen, eine Infanteriekompagnie und eine Schwadron Dragoner nach Lörrach marschieren und in den umliegenden Ortschaften Quartier machen lassen. 181 Aber alle diese militärischen Sicherungen stellten, wie Sumerau am 22. Januar an Lehrbach schrieb, noch immer keinen ausreichenden Schutz für die bestehende Ordnung dar, wenn sie auch »einem gewaltsamen Ausbruch scheinbarlich noch einigen Einhalt tun" könnten. »Das beste Rettungsmittel dürfte aber wohl sein, wenn Eure Excellenz, sofern es möglich ist, bei der Französischen Friedensgesandtschaft zu bewirken geruhen wollten, daß den Franzosen ernstlich eingeboten werde, sich weder heimlich noch öffentlich einzumischen und diesen Volksaufstand zu begünstigen; vorzüglich aber zu verhindern, daß in Straßburg und anderswo in Frankreich keine aufrührerischen Schriften mehr gedruckt und auf diesseitiges Gestade zur Volksaufwiegelung herübergebracht werden." 182 Die leitenden Beamten in den badischen Oberlanden waren unabhängig von Sumerau schon am 18. Januar zu der Überzeugung gekommen, daß »vor allen Dingen in Basel sondiert werden solle, ob die Gesandtschaft von Frankreich Einfluß habe". 183 175

176 Ebenda. Ebenda, Abt. 79, Nr. 2652. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 84, 87. 17 » DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, c 2, Bl. 59/60. 181 Obser. Kail. Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 229. 182 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 85.

27 Süddeutsche Jakobiner

178 180

183

Ebenda, S. 82. Ebenda, Bl. 64. Ebenda, S. 81.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

Ebenso schlug Metternich der Reichsdeputation vor, der französischen Gesandtschaft in Rastatt eine offizielle Mitteilung von der revolutionären Agitation auf dem rechten Rheinufer zu machen und eine Gegenerklärung zu erbitten. 184 In der am 24. Januar abgefaßten Note gab man sich den Anschein, den Aussagen der Verhafteten keinerlei Glauben zu schenken, die »eine fremde Hand" verantwortlich machten, »unter deren Antrieb und Leitung dieses ruhestörerische Vorhaben zum Ausbruche befördert werden sollte. Zu allem diesen wird der französische Name gemißbraucht." 185 Lediglich, um den angeblich lügenhaften Behauptungen ihre Wirkung auf die Bevölkerung zu nehmen, wurde die französische Gesandtschaft ersucht, sich davon zu distanzieren. Am 1. Februar folgte eine zweite Note, die Details über die Agitation der Straßburger Klubmitglieder mitteilte und forderte, die genannten Personen zur Rechenschaft zu ziehen. 186 Die Auskünfte, die Hofrat Hugo in Basel, die Reichsdeputation in Rastatt oder Sandoz-Rollin in Paris erhielten, waren für sie äußerst beruhigend. »Zu drei wiederholten Malen" versicherte der erste Sekretär der Basler Gesandtschaft dem Hofrat Hugo, „daß die französische Regierung dergleichen Leute nicht kenne und sich in ihre Sachen nicht mische, sondern sie als Landstreicher anzusehen seien." 187 Auf die Noten Metternichs antwortete die französische Deputation jedesmal umgehend. Sie lehnte es zwar in ihrer Antwort vom 25. Januar als eine Zumutung ab, noch mit einer besonderen Erklärung hervorzutreten, und bezeichnete auch in ihrer Note vom 2. Februar es nicht als ein Vergehen, wenn die Straßburger Emissäre die französische Verfassung gepriesen hätten, aber ließ dabei keinen Zweifel, daß von einer Unterstützung der revolutionären Bestrebungen durch das Direktorium keine Rede sein könne. 188 Metternich nannte es einen Bescheid, mit dem »man vollkommen zufrieden sein kann".18» Dieselben Versicherungen gaben die Mitglieder der Gesandtschaft auch in persönlichen Gesprächen ab. Der Gesandtschaftssekretär Rosenstiel behauptete einem Mitglied der badischen Deputation gegenüber, umgekehrt Beweise zu besitzen, »daß die französischen Emigranten die Triebfeder davon seien, und wenn schon auch irregeführte und schlechtdenkende französische Bürger mit dabei wirkten, so seien doch jene die Urheber, und er müsse seinen Rat wiederholen, nur nicht blöde zu sein, sondern jeden, der sich über solchem Unwesen betreten lasse, gleich beim Kopf zu nehmen und nach aller Strenge zu .behandeln".190 Natürlich war die Bewegung alles andere als eine royalistische Verschwörung; Rosenstiel wollte mit einer solchen Version nur die Gelegenheit nutzen und Maßnahmen gegen die Emigranten anregen. 191 Der französische Gesandte Bonnier führte mit 184 196 188 189 1.0 1.1

185 Ebenda, S. 88. (Haller, Karl Ludwig von), a. a. O., S. 198/99. 137 Ebenda, S. 201 ff. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 82. (Haller, Karl Ludwig von), a. a. O., S. 200/01, 207/08. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, c 2, Bl. 70. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 91. Aber so völlig aus der Luft gegriffen, wie Obser glaubt, brauchen solche Behauptungen doch nicht gewesen zu sein. Auch die Emigranten, selbstverständlich aus ganz anderen Gründen, waren an einer Sprengung des Rastatter Kongresses interessiert und mögen immerhin versucht haben, einzelne agents provocateur in die Bewegung einzuschleusen.

3. Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

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gutem Recht Grundzüge der französischen Deutschlandpolitik ins Gefecht, wenn er dem preußischen Vertreter in Rastatt von Dohm, die negative Haltung zu den Revolutionierungsplänen lächelnd damit begründete, daß es kaum ausgerechnet Frankreichs Anliegen sein dürfte, die schlechte deutsche Verfassung zu reformieren. 192 Talleyrand sprach die Wahrheit, wenn er am 21. Februar an Bonaparte schrieb, daß das Direktorium, sobald es von den Absichten der Revolutionäre Nachrichten erhalten hatte, „nicht wartete, daß der kaiserliche Plenipotentiär ein Zetergeschrei anstimmte", sondern unverzüglich handelte. 193 Das Direktorium und Bonaparte hatten aufmerksam die Entwicklung verfolgt, die sich im Hauptquartier Augereaus anbahnte. Reubell behauptete dem preußischen Gesandten gegenüber, schon länger als einen Monat von den Anschlägen dieses Generals zu wissen; „es ist Zeit, diesen Umtrieben ein Ende zu setzen." 194 Nun folgte Schlag auf Schlag. Schon um die Jahreswende war die Deutschland-Armee wieder in zwei selbständige Armeen, nämlich in die Rhein- und die Mainz-Armee, geteilt worden; der letzteren wurde Hatry vorgesetzt und Augereau auf das Kommando am Oberrhein beschränkt. 195 Am 28. Januar veröffentlichte der dem Direktorium nahestehende „Rédacteur" eine Straßburger Meldung vom 21. Januar, worin von einem Komplott gegen Bonaparte und Reubell die Rede war: „An der Spitze des Komplotts stehen hier ein gewisser List, Apotheker, in der Meisengasse wohnhaft, und der schon allzu bekannte Wedekind. Diese beiden . . . sind die Hauptagenten Augereaus, in dessen Namen und für den alles das geschieht. Agut, Generaladjutantadjunkt, und die Generäle Isar und Gross arbeiten mit ihnen und sollen den Geist der Armee auf dieses Ereignis vorbereiten. Die Chefs haben ihren Anhang in zwei Versammlungen der Freunde und Brüder in Straßburg, und ein gewisser Schwan, Chirurgus, ist der Hauptunterhändler und Hin- und Herläufer, dessen sie sich bedienen." 196 Hatte diese anonyme Meldung noch Zweifeln Raum gelassen, so brachte die Bekanntgabe des Dekrets vom 27. Januar und die am 29. Januar angeordnete Versetzung Augereaus völlige Klarheit. Augereau wurde faktisch vom Armee-General zum Divisionsgeneral degradiert, indem ihm das Kommando über die 10. Division in Perpignan übertragen wurde, aus der er eine Armee gegen Portugal machen Es fällt auf, dafj Kämpf in seinen Denkwürdigkeiten von einem Nachklang der condéischen Verschwörung spricht (Hurter, Friedrich, a. a. O., S. 60) und der Emigrant Danican erstaunliche Detailkenntnisse über die revolutionären Bestrebungen verrät ([Danican, Auguste], a. a. O., S. 78 ff.). 192 DZA Merseburg, Rep. 81, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 204/05. Ahnlich beruhigende Versicherungen hatte Sandoz-Rollin in Paris von Talleyrand erhalten. Ebenda, Rep. 11, Nr. 89, Fase. 358, Bl. 127/28. 193 . . . . il n'attendit pas que le plénipotentiaire impérial jetât les hauts cris.. .* Pallain, G., a. a. O., S. 203. 191 „II est temps d'arrêter ces menées." Bailleu, Paul, a. a. O., Bd. 1, S. 170. 195 Memoiren von Paul Barras, Mitglied des Direktoriums. Mit einer allgemeinen Einleitung, Vorworten und Anhängen. Herausgegeben von George Duruy. Stuttgart-Leipzig-Berlin— Wien 1896, Bd. 3, S. 131/32. 196 Obersetzung und Abdruck in: „Neueste Weltkunde" vom 5. 2. 1798. 27*

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

sollte. Die Lobsprüche, die man ihm mit auf den Weg gab, änderten nichts an der Tatsache.197 Der eng mit ihm verbundene General Isar wurde von ihm getrennt und zur Englandarmee versetzt. 198 Der Erlag vom 27. Januar ordnete dann die schärfsten Maßregeln zur Unterdrückung der revolutionären Bewegung im Rechtsrheinischen an, hinter der angeblich England stehen sollte, das an einer Sprengung des Rastatter Kongresses interessiert war. Im 1. Artikel wurde die französische Gesandtschaft in Rastatt angewiesen, die Verhaftung und Auslieferung solcher französischer Bürger zu fordern, die direkten oder indirekten Anteil an der Bewegung hatten und sich nicht auf von Frankreich besetztem Boden befanden. Der 2. Artikel beauftragte die Kommissare des Direktoriums bei den Zentralverwaltungen und bei den Kriminalgerichten des Ober- und Niederrheins, alle Anstifter und Helfershelfer, die in diesen Gebieten wohnten oder sich dort vorübergehend aufhielten, vor Gericht zu stellen und zu bestrafen. Der 3. Artikel befahl den Oberbefehlshabern der Rhein- und der Mainz-Armee, festzustellen, wer vom Militärpersonal und auch von den Einwohnern der zurZeit von den französischen Truppen besetzten, aber nicht mit Frankreich vereinigten Gebiete sich solcher Vergehen schuldig gemacht hatte, um ihn den Kriegsgerichten zur Bestrafung zu überliefern. Im 4. Artikel waren die Minister der Justiz, des Krieges, der auswärtigen Angelegenheiten und der Allgemeinen Polizei beauftragt, für die Durchführung dieses Dekrets auf ihrem jeweiligen Sektor zu sorgen. 199 Am 1. Februar machte die französische Gesandtschaft die Reichsdeputation in Rastatt mit dem Inhalt dieses Erlasses bekannt. 200 Sehr viel hing in diesen Tagen von Augereau ab. Würde er die vom Direktorium angeordneten Magnahmen widerspruchslos hinnehmen oder würde er die großen Worte, die er gegen das Direktorium gesprochen hatte, in die Tat umzusetzen wagen? Die deutschen Revolutionäre waren bereit, ihn dabei zu unterstützen. Der von ihnen geplante Marsch auf Rastatt spielte die Rolle des Hauptkettengliedes, das ergriffen werden mußte, um alle übrigen Glieder ebenfalls in Bewegung zu bringen. Wurde das Unternehmen mit Entschiedenheit angepackt, und gelang dieser erste Schlag, dann wäre das Dekret vom 27. Januar nie erlassen oder im Handumdrehen in ein bloßes Stück Papier verwandelt worden. Augereau hätten sich hundert Möglichkeiten eröffnet, in das Geschehen einzugreifen und das Direktorium vor vollendete Tatsachen zu stellen, die es nicht gestattet hätten, ihn nach Perpignan abzuschieben. Ganz zweifellos hätten sich kriegerische Handlungen daraus entwickelt, deren Ergebnisse zwar nicht abzusehen waren, die aber auf jeden Fall wie in der Schweiz und im Gegensatz zu 1796 von revolutionären Volksbewegungen begleitet gewesen wären. Daß die auf Augereau hoffenden und mit ihm gemeinsam planenden deutschen Revolutionäre genau diese Perspektive verfolgten, hat Rebmann 1798 im Aprilheft seiner .Geißel" eindeutig bestätigt: »Als Deutscher hätte ich gewünscht, daß die auf dem linken Rheinufer gelegenen Länder den großen Weg zur Vollendung in Gemeinschaft mit den übrigen zurückgelegt hätten; sie 1M 1,9 1,9 200

Bailleu, Paul, a. a. O., Bd. 1, S. 170. Memoiren von Paul Barras .... a. a. O., Bd. 3, S. 151. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 89/90. (Hallet, Karl Ludwig von), a. a. O., S. 205 ff.

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allein waren zu schwach, um allein mit Glück wandern zu können. Die Fortsetzung des Krieges hätte, wenn Augereau im Besitz seines Einflusses geblieben wäre, unausbleiblich zu diesem erwünschten Resultat führen müssen." 2 0 1 Aber Augereau hatte nicht das Zeug zu einem solchen Wagnis. Schon bei den Verhandlungen mit List im Hauptquartier war das offensichtliche Bestreben spürbar, sich nicht zu exponieren. Die Warnung Aguts an List, die Sache nicht leicht zu nehmen, verriet die Distanz eines sympathisierenden Beobachters, der wohl an einem Gelingen interessiert ist, aber sich selbst nicht allzusehr engagieren will. Augereau setzte nicht alles auf eine Karte ; er wollte sich im Falle des Millingens einen Rückzugsweg offenhalten. Das aber war das sicherste Mittel, das Unternehmen mißlingen zu lassen. Nach den Verhaftungen einzelner in den Plan Eingeweihter wie Christoph Hoyers mußten die deutschen Revolutionäre damit rechnen, daß ein Handstreich gegen den Kongreß auf vorbereitete Abwehrmaßnahmen treffen würde. Unter diesen Bedingungen war eine französische militärische Unterstützung notwendiger denn je. Blieb sie aus, mußte das Unternehmen scheitern. So geschah es denn auch. Nach den Aufzeichnungen Kämpfs nahmen die Dinge folgenden Verlauf: »Der Chef des Augereauschen Generalstabes gab aus eigenem Antrieb dem Regiment des Guides kurz vor der geheimnisvollen Stunde den Gegenbefehl, über die Rheinbrücke nach Straßburg zu marschieren. Die bewaffneten Bauern kamen am Sammelort an, fanden keine helfenden Franzosen und, nachdem sie die gehabte Absicht zu erkennen gegeben und Unordnungen begangen hatten, liefen sie wieder in ihre Heimat. List, der sich bis in die Nähe von Rastatt gewagt hatte, entging mit Mut dem ihm nachsetzenden badischen Militär." 2 0 2 List selbst erwähnte in einem an das helvetische Direktorium gerichteten Gesuch vom 24. März 1799 dieses Ereignis in einem knappen Satz, der die Darstellung Kämpfs bestätigt: .Die Sache wurde unternommen und mißlang aus Verschulden eines Divisionsgenerals." 2 0 3 Wenn beide Augereau selbst nicht mit der Verantwortung für den Verrat belasteten, so kann dennoch kein Zweifel bestehen, daß die Dinge einen anderen Verlauf genommen hätten, wenn Augereau wirklich entschlossen gewesen wäre. Er scheute das Risiko und unterwarf sich dem Spruch des Direktoriums. Im ersten Zorn ließ er wohl drohende Worte fallen, aber dann meldete er in Paris noch nicht einmal einen Protest an. 204 Sang- und klanglos verschwand er am 4. Februar aus Straßburg, um seinen neuen Posten zu übernehmen. In Perpignan angekommen, beeilte er sich, seine Dienstfertigkeit zu beweisen, und lieferte dem Direktorium einen langen Bericht über die Stimmung in den Städten und Gebieten, die er auf seiner Reise passiert hatte. „Zählen Sie auf mich wie auf sich selbst", versicherte er den Direktoren, die er vor kurzem noch gern gestürzt hätte. 205 201 203 204

205

m »Die Geißel", 2. Jahrg., H. 4, S. 68/69, 1798. Hurter, Friedrich, a. a. O., S. 59. Obser. Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 248. Couvion Saint-Cyr, Mémoires..., a. a. O., Bd. 4, S. 215. Memoiren von Paul Barras..., a. a. O., Bd. 3, S. 150. Godechot, Jacques, Quelques notes d'Augereau sur l'esprit public en France au mois de ventôse an VI (février 1798). In: »Annales historiques de la Révolution française". Bd. 8. S. 441, 1931.

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Wieder waren die deutschen Revolutionäre getäuscht worden. Maier aus Basel sprach es dem Waldhornwirt Pfunder gegenüber offen aus. 206 Allerdings wurden die persönlichen Verfolgungen, die das Dekret vom 27. Januar vorsah, nicht mit großem Nachdruck durchgeführt. Die Basler Klubmitglieder blieben davon naturgemäß gänzlich unberührt; die sich dort vollziehenden Umwälzungen gaben ihnen umgekehrt sehr bald wieder neuen Mut. Für die Straßburger war die Lage ungünstiger. Anfang Februar wurden Georg List und Dr. Schwan gerichtlich vernommen. Sie verfolgten dabei die Taktik, nicht nur jede Beteiligung an den revolutionären Vorbereitungen im Rechtsrheinischen zu leugnen, sondern auch jedes Wissen darum. Ihr mehrfacher Aufenthalt jenseits des Rheins hätte ausschließlich geschäftlichen Zwecken gedient; ihr Verkehr mit Augereau hätte rein persönlichen Charakter getragen. Lediglich die Unterstützung der Schweizer Revolutionäre gaben sie zu, was ihnen aber unter den gegebenen Umständen als Verdienst angerechnet werden mußte.207 Wahrscheinlich waren solche Aussagen unter den Beteiligten und auch mit Augereau im Falle einer frühzeitigen Entdeckung von vornherein abgesprochen worden. Das Direktorium seinerseits war gewiß daran interessiert, den revolutionären Kern zu zerschlagen; aber ihm konnte nicht daran gelegen sein, durch allzu gründliche Untersuchungen eine Reihe hoher Offiziere bloßzustellen und Unruhe in die Armee zu tragen. Ihm genügte in bezug auf die Armee die Entfernung Augereaus und die Auflösung des Corps des Guides, das eskadronsweise anderen Husarenregimentern einverleibt wurde.208 Den deutschen revolutionären Kern zerstörte das Direktorium erstens durch die Auflösung des Straßburger Klubs am 16. März 2 0 9 und zweitens durch die Anordnung, die führenden Köpfe List und Schwan als lästige Ausländer auf das rechte Rheinufer abzuschieben. Dr. Schwan konnte sich auf seinen vierzehnjährigen Aufenthalt in Straßburg und mithin auf sein französisches Bürgerrecht berufen, so daß seine Ausweisung unterblieb. Georg List besaß nicht diese Chancen.210 Er hatte inzwischen eine Anstellung beim Kanton Speyer erhalten, mußte sie jedoch nach 14 Tagen wieder aufgeben.211 Er entzog sich der Gefahr der Auslieferung durch schleunige Flucht in die Schweiz, wo er unter dem angenommenen Namen Laiblin zunächst in einem Berner Handelshaus, später als Notariatsgehilfe arbeitete. 212 Die feudalen Behörden im Rechtsrheinischen waren sich trotz des Dekrets vom 27. Januar nicht sehr sicher. Sie wußten sehr genau, daß mit der Ausschaltung der organisierenden Zentren auf dem linken Rheinufer nicht die eigentlichen Ursachen möglicher Unruhen in ihren Ländern beseitigt waren. Metternich warnte darum in einem Schreiben vom 3. Februar, worin er Staader von den französischen Antworten und Maßnahmen unterrichtete, vor jeder Minderung der militärischen Wachsamkeit ObseT, Karl, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 229. Ebenda, S. 215/16. 21» „Neueste Weltkunde" vom 24. 4. 1798. 2 0 4 Ebenda, 21. 3. 1798. 2 1 0 Ebenda, 23. 3. 1798. 2 1 1 Ebenda, 19. 4. 1798. Hansen. Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 1218 Anm. 1. 212 Ohser, Kail, Die revolutionäre P r o p a g a n d a . . a . a. O., S. 248. 208 m

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und betonte, „daß es eine Sache der ersten Notwendigkeit bleibe, dieselbe in Kraft zu erhalten und sogar womöglich zu verstärken". 213 Die badische Regierung, in deren Oberlanden es am heftigsten gärte und die nicht über die Mittel verfügte, um mit brutaler Gewalt auftreten zu können, verlegte sich auf eine Politik der Versprechungen und kleinen Zugeständnisse. Damit vertrug sich keine harte Bestrafung derjenigen, die nachweislichen Anteil an den revolutionären Bestrebungen genommen hatten. So fielen denn auch die Urteile recht milde aus. Der schwer belastete und schon durch seine Vergangenheit als Revolutionär gekennzeichnete Christoph Hoyer erhielt nur eine halbjährige Arreststrafe, aus der er nach weniger als drei Monaten gegen Kaution entlassen wurde, weil er nach Venedig auswandern wollte. Jakob Ehrler wurde mit einem Verweise aus der Untersuchungshaft entlassen, und die drei Theninger, die mit ihm und Kreutner geheim konferiert hatten, kamen mit einigen Tagen Arrest davon. 214 Als Kreutner selbst noch kein halbes Jahr später wegen Erbschaftsangelegenheiten im Oberamt Hochberg auftauchte, wurde die zuständige Behörde lediglich angewiesen, ihn zu beobachten und nur dann zu verhaften, wenn man ihn bei gesetzwidrigen Handlungen ertappte; das in einem solchen Falle notwendige Verhör sollte nicht Vergangenes aufrühren, sondern sich ausschließlich auf das unmittelbar zur Verhaftung führende Faktum beschränken. 215 Ein Exempel allerdings glaubte man der Autorität wegen statuieren zu müssen. Dazu suchte man sich ausgerechnet den Skribenten Kummer aus Lörrach aus, der im betrunkenen Zustande Drohreden gegen die Regierung von sich gegeben hatte, und steckte ihn für ein Jahr ins Arbeitshaus. 216 Am 22. Januar beschloß der Geheime Rat in Karlsruhe die Absendung einer zweiköpfigen Untersuchungskommission in die Oberlande. Obwohl als ihre Hauptaufgabe bestimmt war, Anhängern und Verbreitern revolutionärer Gesinnungen nachzuspüren, um sie zu verwarnen, geringere Vergehen an Ort und Stelle zu bestrafen und bei schwereren Fällen die Betreffenden gefangen nach Karlsruhe zu schicken, ist ihre Tätigkeit von ihren zusätzlichen Aufträgen vollkommen überwuchert worden. Ihr einziges Opfer war jener besagte Skribent Kummer. Der Kommission war außerdem aufgegeben, Bittschriften, die herkömmliche Einrichtungen verändert wissen wollten, mit der Zusicherung gründlicher Behandlung entgegenzunehmen, Klagen über schlechte Verwaltung sofort zu prüfen und ihre Ursachen abzustellen. 217 Im Oberamt Rötteln stellte die Kommission fest, daß die Einwohner dem Staat und anderen feudalen Stellen die enorme Summe von 400 000 Gulden schuldig waren, so daß sie von sich aus den Vorschlag machte, die Kriegssteuer um die Hälfte zu 213

DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20. c 2, Bl. 70. *14 Obset, Kail, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 242/43. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Referatsprotokolle vom 8. 3., 2. 4., 2. 7. 1798. Schuhmacher und Stampf, die im Rechtsrheinischen verhaftet worden waren, sind als französische Bürger wahrscheinlich auf dringendes Verlangen der Munizipalität Strasburg freigelassen worden. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 2. 215 GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Protokoll des Geheimen Rats vom 28. 6. 1798. 216 Obsei, Karl. Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 243. 217 GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5 0 0 t

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

senken und die Schulden der Staatskasse an die Einwohner für geleistete Dienste und Lieferungen unverzüglich zu bezahlen. Das machte zusammen etwa 45 000 Gulden aus. Entsprechende Erleichterungen erhielt auch das Oberamt Badenweiler. Die Beschwerden der Bauern richteten sich einmal gegen Übergriffe einzelner Beamten, die von der Kommission auch sofort gerügt wurden, vor allem' aber gegen einzelne Formen der feudalen Ausbeutung, so gegen das Tauf- und Totengeld, die Kelterweinabgabe, das Taubenfluggeld, den Blut-, Bienen- und kleinen Brachzehnt.218 Die Kommission riet in allen diesen Fällen Nachgiebigkeit an, ohne dag allerdings mehr als die Abschaffung des Tauf-, Toten- und Taubenfluggeldes dabei herauskam. 219 Die erbetene Reduktion der Schätzung wurde bereits im Gutachten der Kommission abgelehnt. Von prinzipieller Bedeutung war die Forderung nach Wiedereinführung der Landstände, die man durchaus unhistorisch als Volksvertretung auffaßte und darum durch die von den Gemeinden gewählten Ortsvorsteher wählen lassen wollte, wobei ausdrücklich zur Bedingung gemacht wurde, dag kein Landtagsmitglied ein staatliches Amt bekleiden durfte. 220 Ebenso grundsätzlich war die von den in Lörrach zusammenberufenen Gemeindevorstehern getroffene Feststellung: »Die erwerbende und verzehrende Klasse stehe nicht im gehörigen Gleichgewicht, und Eure Hochfürstliche Durchlaucht hätten zuviel fremden Adel in Diensten." 221 Die Eingaben, die beim Grenzacher Vogt zur Weiterleitung eingereicht wurden, waren nach dem Urteil der Kommission .in einer Sprache abgefaßt, welche... sehr von derjenigen verschieden ist, welche sie führen, wenn sie mit fürstlichen Beamten oder mit uns insbesondere sprechen würden, in welchem Falle sie sich viel beruhigter stellen und nichts von dem Groll bemerken lassen würden, der in ihren Herzen zu stecken scheint und wahrscheinlich nicht in Grenzach allein, sondern großenteils auch an anderen Orten zu finden sein wird." Eine Eingabe verlangte rundheraus die Abschaffung beziehungsweise Ablösung sämtlicher Bodenzinse, »weil uns unbekannt ist, woher selbige abstammen, und bei geringen Jahrgängen das ganze Gut den Zins nicht trägt". Eine andere Eingabe stellte fest, dag die Bezahlung der Kriegsfronen zwar immer versprochen wurde, aber nie erfolgte, und begehrte darum, »dag unsere Herren das vom kaiserlichen Militär erhaltene Geld an Ihro Kaiserliche Majestät zurückgeben, damit wir wissen, dag wir umsonst gefront haben".222 Wie diese Sprache, so bestätigten auch die zuvor gemachten Erfahrungen der Kommission, dag breite Kreise der Bevölkerung nichts mehr von den vorgesetzten Behörden erhofften, sondern blog noch auf die nächste günstige Gelegenheit warteten, um sich mit Gewalt vom feudalen Joch zu befreien. Die Kommission arbeitete in einer ihr durchaus feindlichen Atmosphäre. Das ging so weit, dag sie sogar ihre Berichte für Karlsruhe nicht der einheimischen, sondern der Basler Post an218

220 221 222

Ebenda, Konimissionsberichte vom 22. 1., 3. 2., 5. 2., 8. 2. 1798. Ebenda, Referatsprotokoll vom 1. 3. 1798. Ebenda, Kommissionsbericht vom 22. 1. 1798. Ebenda. Ebenda, Kommissionsbericht vom 17. 2. 1798.

3. Plan zur Sprengung des Rastatter Kongresses

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vertraute. 223 Selbst der Pfarrer war man sich nicht mehr ganz sicher, geschweige denn der Ortsvorgesetzten. Aus diesem Grunde, da »weder irgendein Geistlicher noch ein Ortsvorgesetzter bisher dem Oberamt die mindeste Nachricht von den hie und da bemerklich gewesenen Volksaufwieglungen gemacht, auch bei ihren Untergebenen sich dieser wichtigen Sache nicht mit E i f e r . . . angenommen haben", entschloß sich die Kommission am 29. Januar zu einem Schreiben an beide, in dem eine bessere Aufsichtsführung von ihnen verlangt wurde.224 Wie wenig Erfolg diese Maßnahme und andere Erklärungen der Kommission hatten, bewies ihr Bericht vom 2. Februar: Einerseits stellte er fest, daß die Anwesenheit des kaiserlichen Militärs die Opposition gedämpft habe. »Auf der anderen Seite können wir aber auch nicht bergen, daß Nachrichten, die wir erst gestern durch einen von den Gesinnungen hiesiger Landleute wohlunterrichteten vernünftigen Mann sowohl als durch andere Wege erhalten haben, zufolge allem Ansehen nach ein großer Teil der Einwohner des hiesigen Oberamtes nur auf einen günstigen Augenblick und auf zugesicherte Hilfe ihrer Nachbarn wartet, um seine auf Veränderung ihrer Landesverfassung und Befreiung von ihren Abgaben zielenden Absichten mit Gewalt durchzusetzen, daß manche Landleute ihre Absichten durch den äußerlichen Schein der Zufriedenheit zu verbergen suchen und daß wir in unserer Aufmerksamkeit nicht nachzulassen Ursache haben. In dieser Besorgnis bestärkt uns nicht wenig der merkwürdige Umstand, daß ohnerachtet unsere Ankunft, welche nun schon bald vor 14 Tagen erfolgt ist, in dem ganzen Oberamt bekannt geworden sein muß, weil wir mehrere allgemeine Ausschreiben an die Geistlichen sowohl als auch Ortsvorgesetzten erlassen haben, und ohnerachtet Neugierde sowohl als gegründete und ungegründete Klagen sonst Leute in Menge herbeiführten, wenn jemand von Euer Hochfürstlichen Durchlaucht Beamten sich mit besonderen Aufträgen in hiesiger Gegend einfindet, dennoch bis auf den heutigen Tag außer denjenigen Vorgesetzten und Untertanen, welche wir zu uns beschieden hatten, beinahe niemand zu uns gekommen ist und selbst von den Geistlichen sich nur wenige bei uns eingefunden haben, welches uns entweder auf ein nicht ruhiges Gewissen oder auf eine große Furcht, sich bei den Obelgesinnten unangenehm zu machen, schließen läßt." 2 2 5 Angesichts dieser Situation beauftragte die badische Regierung ihre fähigsten Politiker, sich intensiv mit diesen Fragen zu befassen. So entstand die umfangreiche Denkschrift Reitzensteins, die er am 19. Februar vorlegte. 226 Reitzenstein hatte vier Jahre lang dem Oberamt Rötteln vorgestanden, bis er ab 1796 im diplomatischen Dienst Verwendung fand. Um die innere Ruhe zu festigen, sollte man sich seiner Meinung nach von dem Grundsatz leiten lasen, »daß man hauptsächlich diejenigen Abgaben abzustellen suche, mit welchen Begriffe von Leibeigenschaft oder Immoralität am leichtesten in Verbindung gesetzt werden können, mit denen daher die öffentliche Meinung, die vielleicht in der benachbarten Schweiz herrschend werden 228 224 225 228

Ebenda, Bericht vom 27. 1. 1798. Ebenda, Bericht vom 31. 1. 1798. Ebenda, Bericht vom 8. 2. 1798. In vollem Wortlaut abgedruckt bei Obser, Kail, Die revolutionäre Propaganda..., a. a. 0 „ S. 249 ff.

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VI. Die erneute Offensive der revolutionären Demokraten

dürfte, einen zu grellen Kontrast machen könnte". 227 Er trat daher unbedingt für die Abschaffung der Kelterweinabgabe, des Salzmonopols und einiger unbedeutender feudaler Lasten ein; außerdem gab er sehr nachdrücklich zu bedenken, ob nicht besser auf die Gemeinde- und herrschaftlichen Fronen überhaupt verzichtet und statt dessen die Schätzung entsprechend erhöht werden sollte, um alle notwendigen Dienstleistungen daraus bezahlen zu können. Der damit erreichte Zweck, „daß in diesem an die Schweiz grenzenden Land das gehässige, den Revolutionärs immer mit zum ersten Vorwand dienende Wort ,Fronen' auf einmal aus der Finanzsprache verbannt würde", lohne einen solchen Versuch.228 Wollte Reitzenstein einerseits durch begrenztes Entgegenkommen die Bevölkerung gewinnen, so war er andererseits auch darauf bedacht, im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten die staatliche Autorität zu festigen. Aus diesem Grunde empfahl er Strukturveränderungen in der Verwaltung des Oberamts, eine hinlängliche Besoldung der Ortsvorsteher, um sie an den Staat zu binden, die Verstärkung der Polizeiorgane und eine Verbesserung der Lage der Schulmeister, die als Erzieher folgsamer Untertanen eine bedeutsame Funktion zu erfüllen hatten. Die totale Ebbe in der Staatskasse machte aber selbst solche bescheidenen Veränderungen unmöglich. Die Ursachen der allgemeinen Unzufriedenheit blieben, also auch die Unzufriedenheit selbst. Als die Untersuchungskommission am 21. Februar ihre Tätigkeit in den Oberlanden einstellte, war sie vorsichtig genug, kein größeres Verdienst in Anspruch zu nehmen als das, .den Samen dieser Unruhen durch ernstliches Bemühen... wenigstens zum Teil vertilgt zu haben". 229 Bezeichnend ist das Schicksal des Blumenwirtes Klaiber aus Kandern, der die Zusammenkünfte bei seinem Schwager, dem Waldhornwirt Pfunder, angezeigt hatte: Ein Pasquill charakterisierte ihn als einen schäbigen Denunzianten, und er wurde derartig angefeindet, daß sich die Behörden mit einer öffentlichen Belobigung seiner Tat und mit der Aussetzung einer Prämie für die Entdeckung des Pasquillanten schützend von ihn stellen mußten. 230 Wenn die herrschende Feudalklasse am Oberrhein den Ausbruch einer revolutionären Bewegung Anfang 1798 abermals verhindern konnte, so verdankte sie diesen Erfolg in erster Linie dem bourgeoisen Direktorium, daß den deutschen Revolutionären nicht nur die geringste Hilfe versagte, sondern sogar ihre Vorbereitungen gründlich und tatkräftig zerschlagen half. Selbst nach überstandener unmittelbarer Gefahr erwiesen sich die feudalen Behörden als zaghaft und schwach. Die mühsam wiederhergestellte Ruhe war äußerlich, denn mit und nach der siegreichen Revolution in der Schweiz erlebten die antifeudalen Kräfte bereits einen neuen, ihren höchsten Aufschwung in dieser Periode. 227

228 Ebenda, S. 251. Ebenda, S. 253. » GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 5001, Bericht vom 21. 2. 1798. 230 Ebenda, Bericht vom 26. 5. 1798.

22

1. Die zunehmende Gärung in Oberschwaben und am Oberrhein Die herrschende Feudalklasse kam im deutschen Süden nicht mehr zur Ruhe. Eben noch hatte sie vor der akuten Gefahr eines revolutionären Ausbruchs gezittert, der ihrem Menschen- und Länderhandel in Rastatt ein Ende setzen wollte. Kaum war diese Drohung von ihrem Haupte genommen, ängstigten sie neue revolutionäre Regungen unter den Volksmassen. Mit gutem Grund fürchtete sie vor edlem die ansteckende Wirkung der Ereignisse in der Schweiz, die am 22. März 1798 zur Proklamierung der helvetischen Republik geführt hatten. Bereits Anfang März war das Gerücht bis nach Frankfurt am Main gedrungen, wonach «viele Sendboten des unveränderlichen Systems des Abbé Sieyès, die ganze Welt zu republikanisieren, sich von der Schweiz ausgehend in Oberschwaben ausbreiten und diesen Landesteil derart bearbeiten sollen, daß man dort jetzt in sehr groger Unruhe ist".1 Während Kotteritz, der dies berichtete, als Resident des kaisertreuen sächsischen Hofs in der sich abzeichnenden neuen Koalition ein wirksames Mittel zur Bekämpfung dieser Gefahr begrüßte 2 , sah Anfang April der preußische Resident in Stuttgart, von Madeweiß, in einem raschen Friedensschluß die beste Gegenmaßnahme: .Es wäre freilich für das Wohl und die Ruhe der hiesigen Gegenden sehr zu wünschen, daß der Gang der Sache in Rastatt etwas schneller wäre, indem die Revolution in der Schweiz unleugbar großen Eindruck in vielen Gegenden in Schwaben und auch in Württemberg gemacht hat. Ich habe sogar Schweizer Briefe gelesen, die es als gar nichts Unmögliches ansehen, daß es auch in Schwaben noch zu einer Revolution kommen könnte, und die sogar äußerten, daß der bekannte Oberzunftmeister Ochs in Basel, der an den unglücklichen Ereignissen seines Vaterlandes einen so wesentlichen Anteil hat, solche sehr betreibe. Mir scheint diese Äußerung aus der Ursache nicht ganz unwahrscheinlich zu sein, weil dieser Mann zu allem fähig und Schwaben die eigentliche Kornkammer der Schweiz ist." 3 Zu solchen Briefen Schweizer Aristokraten gehörte auch der des Berner Professors Karl Ludwig von Tscharner, der sich auf vorderösterreichisches Gebiet nach Waldshut geflüchtet hatte und von dort am 30. April an den Grafen Metternich nach Rastatt schrieb: .Man zählt mehr auf die Eroberungen der Drucker als auf die der Kanonen; mir bekannte Sendboten bearbeiten in diesem Augenblick die Reichsstädte Schwabens; im Herzogtum Württem1

2 3

.Beaucoup des apôtres du système constant de l'Abbé Sieyès de républicaniser le globe entier, expulsés de la Suisse, se répandent dans la Haute Souabe et doivent travailler cette province de sorte, qu'on y est maintenant dans de très grandes inquiétudes." LHA Dresden, Loc. 2724, Des von Kotteritz aus Frankfurt erstattete Relationen, Bd. 1, Bl. 193/94. Ebenda, Bl. 214. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 3, Bl. 174.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

berg muß man sich auf alles gefaßt machen; die Explosion wird erst erfolgen, wenn der Sieg sicher ist." 4 Alle diese feudalen Zeugen, die sich leicht vermehren liegen, waren in der für alle absteigenden Ausbeuterklassen typischen Wunschvorstellung befangen, daß die eigentliche Ursache der Unruhe in Umtrieben fremder Agenten, nicht aber in ihrem eigenen verrotteten Herrschaftssystem gesucht werden müsse; aber alle - und das ist das Wesentliche - bestätigten die Tatsache der zunehmenden Gärung. In den Basel benachbarten badischen Oberlanden klagten die Beamten im Juni 1798 über den «fatalen Eindruck", den die Nachricht von der Abschaffung aller Zehnten durch die Schweizer Nationalversammlung machte, so daß .viele Leute in dieser Gegend auch danach lüstern" wurden. Der Kammerkonsulent Roth warnte, die geringste Schwäche zu zeigen, da sonst der Geist der Widersetzlichkeit »sich wie ein Lauffeuer überall verbreiten" würde; er versprach, „nicht einen Halm von dem jetzt einzuheimsenden Heuzehnten nachzulassen", und wollte dafür notfalls Truppen requirieren. 5 Aber mag eine solche Gesinnung ihm auch geholfen haben, innerhalb eines guten halben Jahres vom Kammerkonsulenten zum Amtmann aufzusteigen, die zunehmende Gärung der Bevölkerung verstärkte er höchstens damit. In seinen Berichten vom Anfang März 1799 nach Karlsruhe waren Ratlosigkeit, Ohnmacht und Furcht an die Stelle einstiger Entschlossenheit getreten. In den fürstenbergischen Ländern, die an den Schaffhausener Bezirk der Schweiz grenzten, trug sich die Herrschaft mit dem Plan, den anwachsenden Druck von unten durch die Aufhebung der Leibeigenschaft aufzufangen. 6 Im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen forderten die Bauern nicht nur dasselbe, sondern sie setzten es auch durch und erzwangen darüber hinaus weitere Zugeständnisse. Sie huldigten am 26. Juni 1798 dem neuen Landesherrn erst, nachdem er einen Vergleich unterzeichnet hatte, der die Leibeigenschaft aufhob, den herrschaftlichen Wildbestand auf drei Tiergärten reduzierte, die Hag- und Jagdfronen fixierte, die übrigen Dienste milderte, die Erhebung des Hauptfalls beschränkte, die Schulden der Landessteuerkasse und die Steuerrückstände der einzelnen Gemeinden liquidierte und die Heranziehung der Steuerfreien zur Landesschuldentilgung versprach. Außerdem stimmte der Fürst der Bildung einer Steuerdeputation aus zwölf Vertretern der Stadt und des Landes zu, die das Aufsichtsrecht über die Landesschulden und das Recht der Steuer- und Anleihebewilligung besaß.7 Madeweiß wünschte dem Fürsten, „daß er durch eine kluge und weise Regierung seine in der Tat sehr unruhigen Untertanen von seinen väterlichen Gesinnungen gegen sie überzeugen und sie zu guten Bürgern machen möge".8 Der Landvogt von Rottenburg in der vorderöster4

,On compte plus sur les conquêtes des imprimeurs que sur celles des canons; des apôtres à moi connus travaillent dans ce moment les villes libres impériales de la Souabe; dans le Duché de Wurtemberg il faut s'attendre à tout, et l'explosion ne se fera qu'après la victoire assurée.' SZA Prag, Abt.V, Metternichsches Familienarchiv, Francisco-Georgicum, Varia, Fasc. 4. 5 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 111. 1 « Barth, F. K„ a. a. O., S. 40. Cramer, ]., a. a. O., S. 405 ff. 8 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fasc. 37, Bd. 3, Bl. 200.

1. Oberschwaben und Oberrhein

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reichischen Niederen Grafschaft Hohenberg klagte lebhaft über die Wirkung der vor allem aus dem angrenzenden Württemberg ausgehenden revolutionären Propaganda. Er riet in einem Schreiben an Sumerau vom 6. Mai# den »Freiheits- und Revolutionspredigern" im ganzen schwäbischen Kreis die österreichische Geheimpolizei auf den Hals zu hetzen, »denn die Aufruhrbewegungen in hiesigen Gegenden werden wirklich zu laut und zu frequent".9 Das überstieg jedoch, wie Sumerau feststellen mußte, die Kraft der Freiburger Polizeidirektion.10 Zweifellos stand das württembergische Beispiel dem anonymen Verfasser der 1798 in Straßburg erschienenen Flugschrift »Über die Notwendigkeit eines landständischen Kongresses in Ober Schwaben" vor Augen. Er ging jedoch bereits weit darüber hinaus: Nicht eine herkömmliche Ständevertretung, sondern eine aus Urwahlen hervorgehende Volksrepräsentation, die ganz Oberschwaben vertrat, war mit dem landständischen Kongreß gemeint.11 Im Kemptener Land forderten die Bauern über ihre landständische Vertretung »die Zurückgabe der ihnen von den Förstern durch List und Gewellt abgemarkten und entrissenen Hölzer und Viehweiden" und verlangten darüber hinaus, »daß zur Tragung der Kriegskosten alle bisher befreit gebliebenen Grundstücke, Güter und Besitzungen, auch selbst das herrschaftliche Eigentum, der allgemeinen Kollektation einverleibt werden sollen".12 Im Allgäuer Gebiet des Hochstifts Augsburg, wo es bereits in den vergangenen Jahren wegen der Wildplage zu offenen Widersetzlichkeiten gekommen war, versuchte die herrschende Klasse, die zunehmende Gärung in einem Blutbad zu ertränken. Unter der Losung »Entweder wir oder das Wild - eins muß hin sein I" vereinigten sich die Bauern zu einer förmlichen Verbindung, schössen das Wild nieder, »achteten auf kein hierauf sich beziehendes Regierungsdekret, nahmen den Jägern das Wildbret weg, raubten und zerrissen die Jagdzeuge, kurz: sie wollten das Jagdwesen ganz zerstören, ohne sonst in einem Stücke den Gehorsam aufzukündigen... Sie schrieben gewöhnlich unter die Regierungsbefehle, welche ihren Ungehorsam verboten, neben dem lateinischen L. S. (loco sigilli - H. S.) ,laßt's schwatzen'!" Die Regierung zu Dillingen erklärte die Bauern für Rebellen und schickte zu ihrer Unterdrückung außer 40 bischöflich-augsburgischen Soldaten die doppelte Zahl kaiserlicher Sklavonier, die kein Wort Deutsch verstanden. Nur nachts und durch Wälder näherten sie sich dem Unruhezentrum Oberdorf, wo zwei voraufgesandte Hofräte eine vielköpfige Menge unbewaffneter Bauern unter dem heuchlerischen Versprechen, eine gütliche Einigung mit ihnen treffen zu wollen, auf dem Schloßhof zusammenriefen. Das im Walde versteckte und durch einen Spion schnell herbeigeholte Militär umzingelte darauf das Schloß, besetzte alle Zugänge und begann ein blutiges Gemetzel unter den Wehrlosen. Von denen, die nicht tot oder verwundet auf dem Platze blieben, wurden zwanzig ins Zuchthaus geworfen und sechzehn ins kaiserliche » GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1388. Ebenda, Schreiben Sumeraus vom 15. 5. 1798. 11 Hölzle, Erwin, Württemberg im Zeitalter Napoleons und der deutschen Erhebung. Eine deutsche Geschichte der Wendezeit im einzelstaatlichen Raum. Stuttgart u. Berlin 1937, S. 53 Anm. 2. 1 2 .Nationalzeitung", Jahrg. 1798, 18. Stück, Sp. 380. 10

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Militär gesteckt „indes die Erbitterung im Lande teils in Klagen und Verwünschungen ausbricht, teils noch mehr Wut im Innern kocht als zuvor".13 In den schwäbischen Reichsstädten erhielten die demokratischen Kräfte durch die Schweizer Ereignisse ebenfalls Auftrieb. Dieselbe Oligarchie, die in Bern und in anderen Schweizer Städten gestürzt worden war, hatte hier immer noch die Herrschaft inne. In Augsburg erhoben im September 1798 die Schneidergesellen die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung. Die Entschlossenheit, mit der die Altgesellen dies Verlangen vor dem Handwerksgericht vertraten, versuchte man dadurch zu brechen, dag man sie in Arrest setzte. Daraufhin traten sämtliche Schneidergesellen und mit ihnen viele Schuster, Schlosser, Schäftler in einen Proteststreik, zogen durch die Strafen »und forderten die Freilassung der Altgesellen mit Ungestüm". Der Streik dauerte volle sechs Tage und endete mit der Ausweisung der Altgesellen am 16. September, denen sich die übrigen Gesellen aus Solidarität anschlössen. Diese plebejische Erhebung erlitt damit zwar keine Niederlage, aber erzielte auch keinen Erfolg; das Bürgertum ging ihr gegenüber mit dem patrizischen Stadtregiment Hand in Hand und sicherte als Bürgermilitär mit der Waffe die herrschende Ordnung. 14 In der Reichsstadt Eßlingen hatte der Magistrat in einer öffentlichen Verlautbarung vom 8. März 1798 vor den revolutionären Umtrieben der Syndikatsdeputation gewarnt. 15 Die Syndikatsdeputierten waren 1792 von der Bürgerschaft zur Führimg eines Prozesses gegen den Magistrat bevollmächtigt worden und betrachteten sich auch jetzt noch als ihre berufenen Sprecher. Sie hatten, wie aus der gedruckten Antwort vom 12. März auf die Warnung des Magistrates hervorgeht, ohne dessen Wissen die Entschädigungsverhandlungen in Rastatt zum Anlag genommen, um den Anschlug der Stadt an Württemberg zu betreiben, „dessen Grundgesetze jeden Einwohner gegen Gewalt und Unterdrückung sichern und dessen Landstände für das Wohl des Volkes wachen, wenn es auch vielleicht dem Fürsten einmal beifallen sollte, die Grenzlinie seiner Gewalt zu überschreiten, welches jedoch bei der gegenwärtigen Stimmung der Völker und dem Geiste der Zeit so leicht nicht zu besorgen ist,..." Ungescheut bekannten sich die Deputierten zu diesem Schritt, „denn, wir gestehen es vor Gott und der Welt, wir können es nicht länger unter dem eisernen Zepter aushalten, womit die Mehrheit unseres Magistrates uns im Staube darnieder hält; wir wollen nicht länger unseren sauren Schweig verschwenden lassen; wir wollen nicht im Elende schmachten, um ein Dutzend Familien zu bereichern; wir wollen unsere angestammten Menschenrechte nicht mit Fügen treten lassen,.. ,"16 Der Magistrat denunzierte diese Schrift beim Reichshofrat als „Revolutionsproklamation" und erwirkte im Mai 1798 die Suspendierung der Deputation. 17 In Reutlingen dagegen gelang es der vom Zwölferausschug geführten Opposition bei den Wahlen 1798 sogar, ihren entschiedensten Sprecher, Dr. Fezer, in das Amt des regierenden Bürgermeisters zu bringen. 18 13 15 17 18

11 Ebenda, Sp. 691/92. Ebenda, Sp. 855/56. GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382. '« Ebenda. „Neueste Weltkunde" vom 28. 5. 1798. „Teutsche Staatskanzlei", Jahrg. 1799, Bd. 3, S. 326.

1. Oberschwaben und Oberrhein

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Die Ulmer Opposition spielte innerhalb der antioligarchischen Bestrebungen in den schwäbischen Reichsstädten eine zentrale Rolle. Dazu befähigte sie in erster Linie ihre starke Stellung gegenüber dem eigenen Magistrat, die aus ihrer inneren Geschlossenheit resultierte; Bürger, Plebejer und Bauern bezogen hier eine gemeinsame Frontstellung. Das im Frühjahr 1798 in der Reichsstadt zirkulierende Gedicht »An Ulms Bürger" sprach im Namen der Stadt- und Landbevölkerung; die erste und die letzte Strophe lauteten: »Der Bürger ist der erste Mann im Staate, und keinen Vorzug hat der Mann im Rate, als Bürger sind wir alle gleich. Ja dem, der stolz und blähend sich will heben, dem muß man deutlich zu verstehen geben, er sei der erste Tor im Deutschen Reich. Kongreß zu Rastatt! Du wirst hintergangen. Man schickt Gesandte, die von dir verlangen mit kriechend schmeichelndem Besuch: Der Konstitutionen fernre Dauer; es wünsche sie der Bürger und der Bauer. Der Lüge! - Beide geben ihr den Fluch." 19 Sie fluchten nicht nur der alten Verfassung, sondern machten sich daran, sie in verschiedenen Bereichen außer Kraft zu setzen. In dem zu Ulm gehörigen Dorfe Altenheim lehnte sich die ganze Gemeinde gegen obrigkeitliche Verfügungen auf und verhinderte, daß wegen Wildfrevel verhängte Strafen vollstreckt wurden.20 Die entschiedensten oppositionellen Kräfte - und zwar wiederum in Stadt und Land waren bereits so kühn, die Gemeinsamkeit ihrer Gesinnung durch ein gemeinsames äußeres Abzeichen zu dokumentieren. Der im Auftrag des vorderösterreichischen Landespräsidiums die Entwicklung in den schwäbischen Reichsstädten sorgfältig beobachtende Oberamtsrat Dr. Herr aus Günzburg berichtete am 12. August: »Der Neuerungs- und Revolutionsgeist ist bereits in jener Stadt so weit gediehen, daß sich mehrere Bürger durch Tragen eines grünen Bandes am Knopfloch oder Hut vor anderen auszeichnen... Auch auf dem Lande des dortigen Gebietes, nämlich in dem Orte Merklingen, haben sich schon diese Unterscheidungszeichen einschleichen wollen,..." 2 1 Der entschieden demokratische Charakter der Opposition äußerte sich auch darin, daß ihr die Organisationsmöglichkeiten im Rahmen der in Sonderinteressen befangenen Zünfte nicht mehr genügten. Der Bürgerausschuß unter der Führung des Syndikus Holl erklärte dem Magistrat, daß er in Zukunft nicht mehr die einzelnen Zünfte in Gruppen, sondern stets die gesamte Bürgerschaft zusammenberufen würde, weil sich so der »allgemeine Wille" klarer feststellen ließe. 22 GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382. Vgl. auch Endriß, Julius, Die Ulmer Aufklärung 1750 bis 1810. Ulm 1942, S. 17. Hier ist die erste Strophe des Gedichts in leicht veränderter Fassung ebenfalls abgedruckt. *> GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Bericht des Dr. Herr vom 12. 8. 1798. M Ebenda. 22 Dütr. Lote. a. a. O., S. 94. 19

28 Süddeutsche Jakobiner

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Wie die Eßlinger fühlten auch die Ulmer insgeheim vor, ob mit einer Einverleibung ihrer Stadt durch Württemberg zu rechnen wäre, das mit seiner ständischen Verfassung jedem anderen Territorium vorzuziehen war. Der Ulmer Magistrat war durch eine Nachricht der Frankfurter Oberpostamtszeitung vom 1. März darauf aufmerksam geworden, die von derartigen Bestrebungen in Ulm, Memmingen und Reuttiingen zu berichten wußte. Außerdem war von einem ulmischen Abgesandten die Rede, der in Rastatt mit den französischen und württembergischen Gesandten Gespräche geführt und sich dann nach Paris begeben habe. 23 In Rastatt selbst hatte Aufenthalt und Weiterreise des ulmischen Deputierten ebenfalls Aufsehen erregt. 24 Syndikus Holl, vom Magistrat Ulms darüber befragt, antwortete freimütig, daß in der Tat der Bürgerausschuß «sich nicht ganz wie eine Herde behandeln lassen und bei der Austeilung des politischen Loses nicht ganz untätig bleiben" wollte, darum einen engeren Ausschuß gebildet und durch diesen schließlich einen Bevollmächtigten abgeschickt habe, der bei geeigneten Stellen zuverlässige Erkundigungen einziehen sollte. Daß dies alles ohne Wissen der Obrigkeit geschah, begründete er damit, daß »der Magistrat das Zutrauen seiner Bürgerschaft verloren" habe und von ihm keine Hilfe, sondern nur Widerstand zu erwarten gewesen wäre. 25 Der Abgesandte des engeren Ausschusses war, wie der Oberamtsrat Dr. Herr für die vorderösterreichische Regierung ermitteln konnte, ein gewisser J. G. Müller, der eigentlich Bärenstecher hieß, im Württembergischen geboren war, in Cleve eine Buchhandlung und in Kehl eine Tabakfabrik betrieben hatte, bis ihm beim Bombardement dieser Stadt sein ganzer Besitz zusammengeschossen worden war. In Ulm erhielt er als hervorragender Kenner der Tabakverarbeitung eine hochbezahlte Anstellung, die ihm 1000 Gulden eintrug, bei der neuerrichteten Tabakfabrik Hocheisen, Seeger und Compagnie, ohne daß sein unternehmender Geist davon ausgefüllt wurde. ,Er ist ein Mann von sehr vielen Kenntnissen und beinahe in der ganzen Welt bekannt", schrieb Dr. Herr. »Er ist ein großer Freund von Projekten und will alles im großen tun; er ging anfänglich damit um, das Ulmer Ried in eine Kolonie zu verwandeln, Fabriken anzulegen und weitaussehende Dinge zu unternehmen, wobei es aber immer und hauptsächlich an Geld und anderer Unterstützung fehlte." 26 Nun hatte er den ebenfalls ins Große gehenden politischen Auftrag des engeren Bürgerausschusses übernommen. Nach den Ermittlungen, die der ulmische Ratskonsulent Miller in Rastatt anstellte, hatte Müller alias Bärenstecher Eingang bei der französischen Gesandtschaft gefunden und im Namen des engeren Ausschusses 2S 24

25 26

GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Bericht des Dr. Herr vom 6. 6. 1798. So berichtete die preußische Gesandtschaft am 24. 2. 1798 aus Rastatt nach Berlin: .Die Unzufriedenheit dieses Bürgers mit seinem Magistrat und den üblen Geist der Einwohner dieser Stadt kennend, die sich mit ihrem großen Territorium sehr wohl in eine Republik zu verwandeln wünschen und in Paris als dafür geeignet gehalten werden könnte, betrachten wir diese Maßnahme als gefährlich." (»Connaissant le mécontentement de ce bourgeois contre son magistrat et le mauvais esprit des habitants de cette ville, qui avec son grand territoire pourrait bien vouloir se former en république et être jugée à Paris propre pour cela, nous voyons cette mesure dangereuse.") DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 25. GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Bericht des Dr. Herr vom 6. 6. 1798. Ebenda.

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um die Hilfe des Direktoriums dafür gebeten, „daß Ulm von dem aristokratischen Druck des Magistrates befreit die Menge der bisher eingeschlichenen Mißbräuche abgeschafft und der Bürgerschaft bei der Verwaltung des gemeinen Wesens Anteil gegeben werde. Wenn dieses nicht geschehe, so würde sich die Bürgerschaft lieber der Landeshoheit von Württemberg unterwerfen, wo sie doch wenigstens glaubte, besser zu fahren als unter der bisherigen Patriziatsregierung." 2 7 Wahrscheinlich ging die Zielsetzung der Ulmer Opposition noch über das hier Mitgeteilte hinaus, und Dr. Herr hatte sicher mit seiner Vermutung recht, daß „die Mißvergnügten in U l m . . . mit auswärtigen, besonders reichsstädtischen Klubs in einer geheimen Konföderation stehen und nach einem konzentrierten Plane handeln".28 Wie die preußische Gesandtschaft in Rastatt Anfang April 1798 von Reisenden, die eben aus Paris eingetroffen waren, erfuhr, hatte sich Müller dort mit einem anderen Deutschen zusammengetan und dem Direktorium vorgeschlagen, .zum Mittelpunkt der schwäbischen Republik die Stadt Ulm zu machen und sie durch andere Reichsstädte und die benachbarten Gebiete des reichsunmittelbaren Adels zu erweitern".29 Die Annahme, daß Müller nicht bloß für Ulm sprach, wird dadurch erhärtet, und sie ist schließlich von ihm selbst in einem späteren Briefe an das helvetische Direktorium bestätigt worden, worin er sich als «Repräsentant von Ulm und anderen Reichsstädten in Rastatt und Paris" bezeichnete.30 Die Ulmer Opposition war bemüht, die französische Regierung für ihre Bestrebungen zu interessieren; wenn überhaupt, so konnte sie nur dann auf Erfolg hoffen, wenn sie mehr als das kleine Ulm vertrat. Aus der ersten Zielsetzung ergab sich darum notwendig die zweite, nämlich die Unterstützung und Koordinierung der oppositionellen Regungen in den anderen schwäbischen Reichsstädten. Vornehmlich dem ersten Ziel, aber mittelbar auch dem zweiten dienten die Kampfschriften des Schweizer Buchhändlers und gebürtigen Ulmers Heinzmann. Hèinzmann hatte am 6. Mai 1798 seine Heimatstadt aufgesucht; aber schon am nächsten Tage war ihm durch den Bürgermeister bedeutet worden, daß er die Stadt unverzüglich wieder zu verlassen habe. Heinzmann nahm diese Maßregelung zum Anlaß, um in einem gedruckten Schreiben an Posselt, den Herausgeber der „Weltkunde" 3 1 , und in einem in Straßburg in französischer Sprache erschienenen Traktat 3 2 die Willkür des aristo27 29

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28 Ebenda. Ebenda. .Le bourgeois d'Ulm, nommé Müller,... est associé à un autre et doit avoir proposé au Directoire exécutif de faire de la ville d'Ulm le centre de la République Souabe et d'augmenter par d'autres villes impériales et les territoires de la noblesse immédiate qui l'avoisinent." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 168. Amtliche Sammlung der Acten aus der Zeit der Helvetischen Republik (1798-1803), im Anschlug an die Sammlung der älteren eidgenössischen Abschiede. Freiburg 1940, Bd. 12, S. 393. Das Schreiben wurde sowohl in der „Neuesten Weltkunde" wie in den „Beilagen zur Oberrheinischen Zeitung", in der „Nationalzeitung", den „Staatanzeigen" und im „Moniteur universel" abgedruckt. Gradmann, Johann Jakob, a. a. O., S. 228. Exposé d'un traitement arbitraire et violent éprouvé par un citoyen d'Ulm de son magistrat. Modèle du gouvernement aristocratique de la Souabe. 1 Prairial an VI de la République, Strasbourg.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

kratischen Regiments in Ulm und in Schwaben überhaupt anzuprangern: „Es ist für die Regierung Frankreichs und für alle Republikaner von Wichtigkeit, eine Begebenheit kennenzulernen, die jede Sicherheit verletzt und großen Widerwärtigkeiten die Bürger aussetzt, die sich der heiligen Sache der Freiheit und des Glücks der Völker gewidmet haben. Diese Begebenheit ist so grausam, so unerhört und so neu in ihrer Art, daß sie in der Zeit, in der wir leben, nahezu unglaublich ist, und der Bericht wird sicherlich auf alle freien und aufrichtigen Herzen Eindruck machen, die ehrlich auf die Fortschritte und die Befestigung der wahren Freiheit bedacht sind." 8 3 Die Schwäche dés Magistrats verriet sich darin, daß er kein anderes Gegenmittel wußte, als durch den Ratskonsulenten Dr. Härlin eine lahme Verteidigungsschrift verfassen und drucken zu lassen, in der der kaiserliche Festungskommandant als der eigentliche Initiator und der Magistrat als bloßes ausführendes Organ dargestellt wurde. 34 Diese Schrift gab Heinzmann die gewünschte Gelegenheit, mit Widerlegungen zu antworten, die rasch und umsichtig verbreitet wurden. 35 Zwar konnte der kaiserliche Bevollmächtigte die meisten der nach Rastatt geschickten Exemplare konfiszieren lassen, aber - so berichtete Dr. Herr - »dessen ohngeachtet wußten Heinzmann und seine Freunde so viele Stücke ins Publikum zu bringen, daß nun diese Broschüre aller Orten und vorzüglich von den mißvergnügten Bürgern der schwäbischen Reichsstädte mit vieler Teilnahme gelesen wird. Die lebhafte Sensation, womit diese Schrift von den mißvergnügten Bürgern in Ulm aufgenommen und verschlungen wurde, hat den dortigen Magistrat so außer Fassung gebracht, daß er sich gar nicht getraut, eine Verfügung zu treffen, diese Schrift zu unterdrücken oder auf die Verfasser und Verbreiter derselben, die man vielleicht entdecken könnte, zu inquirieren." 3 6 Ganz eindeutig dokumentierte sich die Tendenz, die reichsstädtische Opposition in Schwaben zu koordinieren und ihr in Ulm ein lenkendes Zentrum zu geben, in der im Sommer 1798 erschienenen, zwei Bogen starken Flugschrift „Aufforderung und .11 importe au gouvernement de France et à tous les républicains de connaître un fait, qui blesse toute sûreté et expose à de grands malheurs les citoyens qui se sont voués à la sainte cause de la liberté et du bonheur des peuples; ce fait est si cruel, si inouï et si neuf en son genre, qu'il est presque incroyable au temps où nous vivons, et l'exposé fera sûrement sensation sur tous les cœurs francs et sincères, qui de bonne foi s'attachent au progrès et à l'affermissement de la vraie liberté!" GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Beilage zum Bericht des Dr. Herr vom 19. 6. 1798. 31 (Härlin, Johann Gottfried Benjamin), Aktenmäijige Darstellung betreffend den von Ulm auf Verlangen des dasigen k. k. H. Festungskommandanten Obristen von Schaumburg sich zu entfernen angewiesenen Buchhändlers G. Heinzmann. Mit Beilagen von Nr. 1 - 4 . Ulm 1798. 3 5 Vorläufige Replik auf ein magistratliches Entschuldigungsblatt, datiert Ulm, den 6. Juni 1798. Freimütige und ernsthafte Prüfung und Widerlegung der sogenannten aktenmäfjigen Darstellung des Magistrats der Reichsstadt Ulm, betreffend die Landesverweisung des ulmischen Bürgers und Buchhändlers J. G. Heinzmann. Von einem reichsstädtischen Bürger. Mainz u. Köln bei Hammer, Juli 1798. Gradmann, Johann Jakob, a. a. O., S. 229. * GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Bericht des Dr. Herr vom 6. 9. 1798. 33

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Belehrung an alle reichsstädtischen Bürger in Schwaben".37 Dr. Herr, der am 12. August in einem Bericht darauf aufmerksam machte und ihr eine weite Verbreitung bestätigte, schätzte Absicht und Bedeutung der „Aufforderung und Belehrung" von seiner Warte durchaus richtig ein: »Wenngleich diese Schrift nicht so laut die Sprache des Revolutionsgeistes führt, so ist sie doch voll eines sehr entscheidenden Neuerungsgeistes und bezielt offenbar, diesen unter alle Städte zu verbreiten und so durch eine gefährliche Konspirationsaufforderung gleichsam zum Gemeingeiste zu machen. Zwar will sie ihre böse Absicht mit dem Schleier reichskonstitutionsmäßiger Maßregeln beschönigen, allein die darinnen aufgestellten, den reichsoberhauptlichen Gerechtsamen so nachteiligen Grundsätze beweisen deutlich das Gegenteil. Ich besorge daher, daß diese so ganz eigentlich für den gemeinen Bürger verfaßte Flugschrift die vorhabende Ausgleichung des Zwistes der Bürgerschaft mit dem Magistrat in U l m . . . erschweren und die Forderungen der Bürgerschaft an den Magistrat überspannen dürfte. Da diese unglückliche Reichsstadt abermals der vorzüglichste Verbreitungsort dieser unruhestiftenden Schrift ist, so ergibt sich hieraus eine neue Bestätigung, daß der eigentliche Sitz und Keim der Revolutionsseuche für Oberschwaben in Ulm sowie für Niederschwaben in Stuttgart sei." 38 Die in der Vorrede geäußerte Absicht, »das Ganze dem gemeinen Bürger, dem Handwerksmanne ebenso verständlich" zu machen, unterstreicht den demokratischen Charakter der Ulmer Opposition.39 Noch deutlicher wird die revolutionärdemokratische Gesinnung in den abschließenden konkreten Ratschlägen: »Vereinigt euch zuerst in der Stille untereinander, wendet euch zuerst in Privatbriefen an einzelne gute Freunde in benachbarten Reichsstädten, entwerft eine neue, jeder Reichsstadt im allgemeinen anpassende Konstitution; wenn ihr damit fertig seid, so zieht noch einige andere gütgesinnte, patriotische Mitbürger in eure Verbindungen; wenn ihr diese gewonnen habt, so legt diese neue Konstitution euern ganzen Bürgerschaften zur Prüfung vor; findet sie Beifall, so laßt dieselbe Mann für Mann unterzeichnen, ernennt Deputierte, redliche Männer von Verstand und Einsicht, schickt dieselben, mit gültigen Instruktionen und mit der neuentworfenen Konstitution versehen, an den Kaiser, an die Reichsgerichte und an den Kongreß zu Rastatt, laßt sie eure Lage mit den lebhaftesten Farben schildern, laßt im Namen einer Anzahl von mehreren Tausenden unzufriedener Bürger Hilfe und Unterstützung fordern; . . . seid beharrlich, und es wird gelingen;..." 40 Die Ulmer Opposition ließ es nicht bei diesen Ratschlägen bewenden, sondern ging mit gutem Beispiel voran: Der Bürgerausschuß arbeitete den Entwurf einer neuen Verfassung mit teilweise entschieden demokratischen Zügen aus. Der äußere Rat sollte als Repräsentation der gesamten Bürgerschaft ohne Rücksicht auf Stände und Zünfte von den einzelnen Stadtquartieren und auch vom Landgebiet, in dem die 37

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Aufforderung und Belehrung an alle reichsstädtischen Bürger in Schwaben, die Gefühl für bürgerliche Ruhe haben und denen das Wohl ihrer Zeitgenossen und Nachkommen am Herzen liegt. Von einem reichsstädtischen Bürger. Mainz o. J. GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Bericht des Dr. Herr vom 12. 8. 1798. Aufforderung und Belehrung..., a. a. O., S. 8. Ebenda, S. 28/29.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Leibeigenschaft aufzuheben war, gewählt werden, wobei allerdings ein Zensus den Kreis der Wahlberechtigten einschränkte. Der innere Rat, der aber ebenfalls direkt von der Bürgerschaft gewählt werden sollte und dessen Präsident die Funktion des Bürgermeisters ausübte, bildete die Exekutive. Die Legislative sollte vom äußeren Rat unter Mitwirkung des inneren ausgeübt werden. Alle Gesetze bedurften jedoch außerdem noch der Sanktionierung durch die Bürgerschaft.41 Wahrscheinlich griffen diese Bestrebungen zur Zusammenfassung der reichsstädtischen Opposition sogar noch über den schwäbischen Kreis hinaus, denn nachdem bereits ein von den oligarchischen Magistraten beschickter schwäbischer Städtetag am 12. März die Hilfe von Kaiser, Reichstag und Reichsdeputation gegen die »Übelgesinnten" und für die Erhaltung der bestehenden Verfassung angerufen hatte, folgten die fränkischen Städte am 23. Mai ebenfalls diesem Beispiel.42 Der Druck der Opposition hatte jedenfalls schon eine solche Kraft erhalten, daß die bedrohten Magistrate nicht nur klägliche Hilferufe an Kaiser und Reich aussandten, sondern daß bei einzelnen Vertretern des reichsstädtischen Patriziats bereits die Erkenntnis aufdämmerte, daß dieser Kraft nicht mehr allein mit Repressalien zu begegnen war. So forderte der Vertreter Heilbronns auf dem Kongreß der schwäbischen Reichsstädte zu Ulm am 6. März dazu auf, .die Magistrate von Seiten des Kollegiums aufmerksam auf die Fortschritte des menschlichen Geistes zu machen, . . . schädlichen Vorrechten aus Liebe zum gemeinen Wohl, selbst wenn sie privilegiert wären, zu entsagen und durch freiwillige Kommunikationen mit den Bürgern sowohl ihren Beirat zu prüfen als ihr Vertrauen uns eigen zu machen".43 Der Schweizer Johann Georg Müller, Schulmann in dem Schwaben benachbarten Schaffhausen, faßte seine Eindrücke über die dortige Entwicklung in einem Brief vom 8. September 1798 in die Worte zusammen: »Es ist überhaupt eine sonderbare Krisis. Während der langen Unterhandlungen zu Rastatt wird der benachbarte Boden immer mehr unterhöhlt, und der Zusammensturz einer Höhle könnte den Erdboden weit und breit nachreifen." 4 4 Am nördlichen Oberrhein war der mobilisierende Einfluß der Schweizer Ereignisse schwächer, um so stärker aber der der bürgerlichen Umwälzungen, die unter der Leitung des französischen Regierungskommissars Rudier im besetzten Linksrheinischen vorgenommen wurden. Zudem betrachteten cisrhenanische Kreise trotz Annexion die Einführung der bürgerlichen Ordnung auf dem linken Ufer nach wie vor als eine Vorstufe für die Umgestaltung ganz Deutschlands. Diese Bestrebungen hatten mit dem Scheitern der Pläne Augereaus zweifellos einen schweren Rückschlag erlitten, aber sie waren gerade von den entschiedensten linksrheinischen Revolutionären keineswegs aufgegeben worden. Sie mußten lediglich unter den veränderten Bedingungen andere Formen annehmen. Rebmann entwickelte, ausgehend von den nun einmal gegebenen Tatsachen, eine neue Perspektive. In dem Aufsatz »Einige 41 42 43 44

Dürr. Lore, a. a. O., S. 98. »Nationalzeitung", Jahrg. 1798, 25. Stück, Sp. 508. .Neueste Weltkunde" vom 11. 4. 1798. Der Briefwechsel der Brüder J. Georg Müller und Joh. v. Müller, a. a. O., S. 145.

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Worte über mich selbst und mein Schicksal und bei Gelegenheit desselben", der 1798 im Aprilheft der .Geißel" erschien, schrieb er: .Die Teilung Deutschlands... ist nunmehr nach,... Unter solchen Umständen mag kein freier Mann fürs erste das Bürgerrecht eines Volks von 30 Millionen beibehalten, das sich wie einen Kuchen unter drei oder vier Gewalthaber verteilen läßt. Ich mag weder Preuße noch Österreicher, noch Hesse sein, wenn ich einer dieser Mächte wie ein Sklave zufallen soll, über den das Los geworfen wird. Und so werde ich Franke, nicht weil ich Custinen gehöfelt habe oder weil ich auf Freiheit, die von anderen geschenkt wird, viel Wert lege, sondern weil das Volk am linken Rheinufer doch Wochen lang eine Art von Stellvertretern gehabt und sich selbst mit Frankreich vereinigt hat, weil doch in Köln, in Worms und Alzey Freiheitsbäume nicht auf Befehl, sondern aus eigener Regung und selbst zu einer Zeit gepflanzt wurden, wo es noch ein großes Problem war, ob die Republik Frankreich die verwegenen Sprecher schützen würde." 45 Rebmann scheute sich auch nicht, jetzt die Autorschaft seiner in der »Laterne" veröffentlichten, entlarvenden Kritik an der französischen Deutschlandpolitik zu leugnen, als das Direktorium Ende März 1798 seine Ernennung zum Richter in Mainz nicht bestätigte und seine Ausweisung aus den besetzten linksrheinischen Gebieten anordnete.46 Rebmann tat dies und setzte sich damit durch, weil er im Linksrheinischen am besten für die Revolutionierung des übrigen Deutschlands arbeiten zu können glaubte: »Freunde der Freiheit in Deutschland! Wenn, wie kaum mehr einem Zweifel unterworfen ist, einige mächtige Raubtiere euer Vaterland vollends unter sich teilen; . . . wenn der Troß der Obskuranten das Übergewicht erhält; so eilt in die Gegenden des linken Rheinufers. . . . laßt uns alle gemeinschaftlich unsere Kräfte vereinigen, um in unseren deutschen, nun frei gewordenen Departements der Welt zu zeigen, was ein moralisches, kräftiges Volk durch vernünftige Formen auszurichten vermag. Laßt euch nicht durch den Gedanken abschrecken, daß Frankreich uns eine Zeitlang stiefmütterlich behandeln möchte; diese Prüfungszeit ist kurz, und in längstens einem Jahre wählen wir selbst unsere Obrigkeiten. Wenn wir echten Freiheitsfreunde uns die Hand reichen, so sind wir allmächtig. Das Departement von Donnersberg, die schönen Rheinufer müssen zur Freistätte aller deutschen Freiheitsfreunde werden, die auf ihr altes Vaterland noch wirken wollen. Von diesem Sinai aus möge noch einst eine vernünftige Form, eine auf Menschenrecht beruhende Gesetzgebung von Deutschen für Deutschland ausgehen. So unmäßig vorteilhaft auch dieser Friedensschluß für die Überbleibsel der Koalition ist; so wenig er auch den billigen Erwartungen der Republikaner entspricht; so sehr auch dabei die Überwundenen statt der verdienten Strafe gewonnen haben; so ist er doch der Fortpflanzung der Freiheit weit günstiger als die Staatsmänner glauben, die ihn so schnell unterzeichneten. Was kümmert uns im Grunde, daß Hessen-Darmstadt etwa Frankfurt, Bayern Nürnberg und Windsheim verschlingt . . . Wir geflüchteten Freiheitsfreunde leiten indes von Mainz aus die öffentliche Meinung, wir lachen der Zensuren in Deutschland, da wir in Mainz drucken 45 46

.Die Geifjel", 2. Jahrg., H. 4, S. 72/73, 1798. »Neueste Weltkunde" vom 19. und 21. 4. 1798.

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lassen, was wir wollen, und ein Kahn führt es ja über den Rhein I Die Schweiz vollendet indes i h r e . . . Umwandlung; die cisalpinische Republik erhält Kraft und Bedeutung. Je ärger es über den Rhein inzwischen hergehen mag, desto besser für uns, denn desto eher müssen Seiner Kaiserlichen Majestät neu eingetauschte und eingefeilschte Untertanen Rache nehmen... Was sind drei, fünf, zehn Jahre! Die Grundsätze, nicht die Waffen müssen die Despoten stürzen. Ein Volk mu§ seine Freiheit selbst erobern, nicht zum Geschenk erhalten." 47 War die Möglichkeit der revolutionären Einwirkung mit Hilfe einer von Augereau geführten Armee zerschlagen, so blieb doch die Möglichkeit des ideologischen Einflusses, wenn sich der Erfolg auch erst in Jahren zeigen sollte. Ähnlich wie Rebmann entwickelte der alte Mainzer Klubist Becker im Frühjahr 1798 den Gedanken, das Linksrheinische zum Sammelplatz fortschrittlicher Geister zu machen, die aus dem rechtsrheinischen Deutschland an eine zu gründende Zentralschule nach Mainz zu berufen wären: »Es kann nicht fehlen, dafj durch eine Anstalt dieser Art der Same demokratischer Grundsätze auch noch auf anderen Boden als republikanischen werde verbreitet werden." 48 In der Tat traten die Munizipalitäten von Köln und Mainz im Juli mit dem Wunsche an Rudier heran, für die in ihren Städten zu errichtenden Zentralschulen namhafte Gelehrte aus Deutschland zu gewinnen. Köln nannte Schelling, den Mathematiker Pfaff aus Helmstedt und den Religionsgeschichtler und Orientalisten Paulus aus Jena; Mainz schlug den verfolgten Gründer des Illuminatenordens Weishaupt vor. 49 An Fichte hatte sich schon im März als ehemaliger Schüler der Franzose Perret mit einer entsprechenden Anfrage gewandt; er betrachtete die Annexion des linken Rheinufers vor allem als ein Mittel, «den in Deutschland verfolgten Freunden der Freiheit einen Zufluchtsort anbieten und die Befreiung Germaniens vorbereiten" zu können. 50 Es fehlte denn auch nicht an zahlreichen Alarmnachrichten, die bei den fürstlichen Gesandtschaften in Rastatt eintrafen und von propagandistischen Absichten linksrheinischer Revolutionäre berichteten. So erhielt die preußische Gesandtschaft von einem Gewährsmann aus Frankfurt einen Brief vom 14. März, der vor Mainzer oder Pfälzer Emissären warnte, die insbesondere die hessischen Gebiete zu bearbeiten sich vorbereiteten. 51 Diese Nachricht bestätigte wenig später ein anderer Spitzel, der in Mainz von Äußerungen des republikanischen Inspektors des Klosters St. Jakobi gehört haben wollte, wonach die transrhenanische Republik näher sei, als man auf " .Die Geißel", 2. Jahrg., H. 4, S. 78 ff., 1798. Becker, J. N„ Beschreibung meiner Reise in den Departementen vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im 6. Jahre der französischen Republik. In Briefen an einen Freund in Paris. Berlin 1799, S. 58. 49 Hansen. Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 882, 890. 50 . . . . offrir aux amis de la liberté persécutés en Allemagne un asyle et préparer l'affranchissement de la Germanie." J. G. Viehle, Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, gesammelt und herausgegeben von Heins Schulz. Leipzig 1925, Bd. 1, S. 587. Vgl. auch Kirchner, Werner, Der Hochverratsprozeß gegen Sinclair. Ein Beitrag zum Leben Hölderlins. Verlag Simon, Marburg/Lahn 1949, S. 87. Perret hatte Bonaparte als diplomatischer Sekretär nach Rastatt begleitet und unterhielt enge Beziehungen zu deutschen Republikanern wie Sinclair. " DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 87.

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dem rechten Ufer glaube; »mit Hessen-Kassel, wo die Propagandisten sehr glücklich vorgearbeitet hätten, werde der Anfang gemacht werden.* 52 Eine klerikale Flugschrift bezeichnete es als den Plan der Dorsch, Blau, Metternich, Hofmann und anderer, .das linke Rheinufer zur Pflanzschule des Hochverrats, der Empörung und Zerstörung zu machen, alle unruhigen Köpfe, Aufrührer und die verworfensten Bösewichter, die künftig verbannt oder dem Strang und Schwert entlaufen werden, darin aufzunehmen und von diesem Mittelpunkt aus nach und nach das ganze Deutschland sowie das übrige Europa zu revolutionieren".53 Wie sehr die herrschende Feudalklasse diese Propaganda fürchtete und wie wenig sie ihr entgegenzustellen vermochte, beweist der Vorschlag des Ministers von der Schulenburg an das preußische Kabinett vom 6. Mai 1798, durch Bestechungen ein Stillschweigen oder doch einen gemäßigteren Ton »bei den vorzüglicheren Hauptskribenten der heftigen revolutionären Partei, einem Rebmann, Riem pp.", zu erkaufen. Mit gutem Grund fürchtete das Kabinett, dabei an den Unrechten zu geraten, und lehnte den Vorschlag ab. 54 Es fehlte ebensowenig an den viel bedeutungsvolleren Nachrichten über spürbare Wirkungen der linksrheinischen Propaganda. Der kurtrierische Geheimrat Kalt schrieb am 14. März aus Hanau: „Es gibt auch diesseits Menschen genug und es fehlt an Emissarien nicht, die gemeiner Hand das Revolutionssystem ziemlich ungescheut predigen, und Verzweiflung vermag auch bei dem besten Menschen alles. Selbst in hiesigen Gegenden... ist ein böser Geist nicht untätig." 55 Dieselbe Feststellung, daß die revolutionäre Gesinnung auf dem rechten Rheinufer täglich mehr Boden gewinne, traf auch Kotteritz Ende Juni in Frankfurt am Main. Am 22. Juni waren in der Stadt die Schmiede-, Glaser-, Schreiner- und Schustergesellen in den Streik getreten und hatten Unruhen ausgelöst, die erst am 25. Juni erstickt werden konnten.56 Den Anlaß dazu hatte der Streit zwischen einem Schmiedemeister und einem Gesellen gegeben. Da das Gericht den Meister, der den Gesellen geschlagen und verletzt hatte, nicht mit der nötigen Strenge bestrafte, gingen die Schmiedegesellen auf die Straße; die Gesellen anderer Handwerke erklärten sich solidarisch und schlössen sich ihnen an. Es war kein regelloser Tumult. Die Ausständigen hatten sich eine Spitze gegeben, die die Demonstrationen leitete. Wie Kotteritz berichtete, wurde der Anführer Buonaparte genannt; seine sechs Adjutanten trugen Stöcke mit den Farben der Republik. »Der Magistrat, der den Geist und die Gefühle der niederen Klasse der Einwohner dieser Stadt kannte und fürchtete, wagte nicht, sofort die Anstifter dieser Unruhen zu ergreifen und die erforderliche " Ebenda, Bl. 151. 59 Deutschland am Rande des Abgrunds oder das Entschädigungsprinzip durch Säkularisationen: in seiner ganzen Widerrechtlichkeit, Nichtigkeit und Verderblichkeit dargestellt und allen deutschen Patrioten ans Herz gelegt. Von einem Vaterlandsfreunde. Hamburg u. Altona 1798, S. XV. M DZA Merseburg, Rep. 11. 91 Frankreich, varia publica, Nr. 36, Bl. 104, 107. 55 Hansen. Joseph, a. a. O., Bd. 4, S. 593. M Vaterstädtisches und Vaterländisches, Auszöge aus S. G. Fingers Tagebüchern..., a. a. O., S. 227/28.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Energie im allgemeinen zu zeigen, zumal drei Kompanien seines Militärs als Reichskontingent in Philippsburg abwesend waren, der Rest der Garnison nicht sehr beträchtlich und auch nicht zu geneigt war, gegen diese Menschenklasse vorzugehen." 57 Obwohl das Besitzbürgertum, wie Kotteritz betonte, in seiner Mehrzahl ebenfalls republikanisch gesinnt war, fühlte es sich doch durch den Plebejeraufstand in seinen Sonderinteressen so bedroht, dag es sich zu vierzehn Bürgerkompanien formierte, die Ansammlungen mit Waffengewalt zerstreute, die Gesellenherbergen stürmte und den Aufruhr erstickte. Drei oder vier Tote, etwa dreißig Schwerverletzte und noch mehr Leichtverletzte wurden gezählt. Über 300 Gesellen, vornehmlich aus dem Ansbachischen, aus Preußen und den Hansestädten, verließen Frankfurt. Die erbärmliche Sorge der Bürger um ihren unmittelbaren Besitz hatte den völlig kopflosen und allgemein gehaßten Magistrat wieder einmal gerettet. In dem gleichen Brief vom 29. Juni 1798, der von den Frankfurter Ereignissen handelte, berichtete Kotteritz, daß einige Dörfer im Isenburgischen der Regierung einmütig Bedingungen gestellt hätten, unter denen sie bei ihrem gegenwärtigen Souverän bleiben wollten; bei Ablehnung der Bedingungen drohten sie, die französische Regierung anzurufen und sich ihr zu unterstellen. 58 Ähnliche Nachrichten über Anschlußgesuche an Frankreich beunruhigten die Behörden der bayerischen Kurpfalz. Die Schaffhausener Zeitung hatte am 21. März 1798 eine Meldung vom 13. März aus Paris gebracht, wonach Deputierte aus Mannheim beim Direktorium die Republikanisierung der Pfalz und ihre Vereinigung mit Frankreich betrieben. Polizeiliche Nachforschungen nach den Beteiligten in Mannheim selbst blieben ergebnislos; sie bestätigten jedoch die Existenz des Gerüchts, daß eine Petition mit 400 Unterschriften nach Paris abgesandt worden sei, die zwar nicht den Anschluß der gesamten Pfalz, aber doch den der Stadt Mannheim fordern sollte. Darüber hinaus geriet der Polizei ein Exemplar der fünfzehnseitigen Flugschrift »Mannheim ist in Gefahr, oder ein Wort zur Zeit an Mannheims Bewohner von einem Staatsmanne" in die Hände. Als Druckort und Jahr war Germanien 1798 angegeben. Die Mannheimer Behörden waren der Meinung, daß die Schrift im linksrheinischen Frankenthal gedruckt und von dort in die Stadt eingeschmuggelt worden war. Der unbekannte Verfasser machte den Einwohnern klar, daß die Abtretung des linken Rheinufers und die Schleifung der Festungsanlagen, wodurch die Garnison überflüssig würde, den wirtschaftlichen Ruin der Stadt bedeutete, ein Schicksal, das einzig und allein durch den Anschluß an Frankreich vermieden werden könnte. Man hielt es in München für notwendig, am 5. August eine „speziale Sicherheitskommission" unter dem Vorsitz des Regierungsvizepräsidenten Freiherrn von Hövel für 57

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.Le magistrat connaissant et craignant l'esprit et les sentiments de la basse classe des habitants de cette ville, n'osa pas de saisir tout de suite les auteurs de ces troubles et de montrer en général une énergie convenable, d'autant que trois compagnies de leur militaire se trouvant absentes comme contingent d'Empire à Philippsbourg, le reste de la garnison n'est pas bien considérable ni trop disposé à agir contre cette classe de gens." LHA Dresden, Loc. 2724, Des von Kotteritz aus Frankfurt erstattete Relationen, Bd. 1, Bl. 308. Ebenda, Bl. 310.

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2. Württemberg und Franken

Mannheim einzusetzen, die »eine genauere Wachsamkeit auf die Polizei und besonders auf den Geist und die Gesinnungen hiesiger Einwohnerschaft im ganzen" üben sollte.59 In den der Pfalz benachbarten speyerischen Gebieten war der Druck von unten so stark geworden, daß sich der Bischof zu der Verordnung vom 22. Juni 1798 entschloß, die in dem ihm verbliebenen rechtsrheinischen Teil des Bistums die Leibeigenschaft aufhob und alle Untertanen von den »aus der Leibeigenschaft herrührenden, lediglich auf den Personen und nicht auf den Gütern haftenden Abgaben als a) von dem. Leibzins, b) von dem Hauptrecht, Besthaupt oder Todfall und c) von den Manumissionsgebühren" ohne Entschädigung befreite. 60 Verschiedene Ausnahmen reduzierten jedoch den Wert dieser Verordnung, die angesichts der übrigen schweren Feudallasten kaum mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein darstellte. Die Gärung unter der Bevölkerung war auch nach wie vor groß. Die Bruchsaler Bürger kämpften um das Recht der Ratswahl, das ihnen nach dem Dreißigjährigen Kriege genommen worden war, und sollten nun durch eine Untersuchungskommission und militärische Exekution eingeschüchtert werden. Am 25. Juni ließ der Fürstbischof an alle Untertanen eine Ermahnung ausgehen, »damit Ihr auf die unter Euch herumschleichenden Verräter des Vaterlandes desto genauer wacht, ihren ruchlosen, verführerischen Einlispelungen kein Gehör gebt und nur um desto fester an Uns Euch anschließt".61

2. Die Radikalisierung

in Württemberg und Franken

„In Württemberg sieht es am windigsten aus", schrieb Johann Georg Müller am 8. September 1798 seinem Bruder, dem Historiker Johann von Müller, nach Wien. 62 Dieses Urteil war zu einer Zeit gesprochen, da sich das Verhältnis zwischen Herzog und Landschaft außerordentlich verschärft hatte. Aber nicht in dieser Spannung lag der Urgrund der zunehmenden Gärung. Ähnliche Einschätzungen waren bereits ein halbes Jahr früher gegeben worden, als die Beziehungen zwischen Landesherrn und Ständen vorübergehend recht günstig waren. So schrieb die preußische Gesandtschaft in Rastatt in einem Bericht an den König vom 13. März: „Württemberg ist das Land, wo der erste Ausbruch am meisten zu befürchten ist." 6 3 Nachrichten, die beim kaiserlichen Divisionskommando in Freiburg eingingen, besagten: „Die allgemeine Sprache lautet in der Gegend von Stuttgart und Ulm: So kann es nicht bleiben, es muß eine Änderung geschehen. Die Truppen der Franken werden meistens über 59

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HSA München, Abt. II, B Nr. 303, Anteil am ersten Reichskrieg gegen Frankreich 1798. Ein Exemplar der genannten Flugschrift liegt bei. Remling, Franz Xaver. Urkundenbuch zur Geschichte der Bischöfe zu Speyer (Jüngere Urkunden). Mainz 1853, S. 763. „Neueste Weltkunde" vom 19. 7. 1798. Der Briefwechsel der Brüder J. Georg Müller und Joh. v. Müller..., a. a. O., S. 145. .Le pays où la première explosion est le plus à craindre est celui de Wurtemberg." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 66.

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2. Württemberg und Franken

Mannheim einzusetzen, die »eine genauere Wachsamkeit auf die Polizei und besonders auf den Geist und die Gesinnungen hiesiger Einwohnerschaft im ganzen" üben sollte.59 In den der Pfalz benachbarten speyerischen Gebieten war der Druck von unten so stark geworden, daß sich der Bischof zu der Verordnung vom 22. Juni 1798 entschloß, die in dem ihm verbliebenen rechtsrheinischen Teil des Bistums die Leibeigenschaft aufhob und alle Untertanen von den »aus der Leibeigenschaft herrührenden, lediglich auf den Personen und nicht auf den Gütern haftenden Abgaben als a) von dem. Leibzins, b) von dem Hauptrecht, Besthaupt oder Todfall und c) von den Manumissionsgebühren" ohne Entschädigung befreite. 60 Verschiedene Ausnahmen reduzierten jedoch den Wert dieser Verordnung, die angesichts der übrigen schweren Feudallasten kaum mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein darstellte. Die Gärung unter der Bevölkerung war auch nach wie vor groß. Die Bruchsaler Bürger kämpften um das Recht der Ratswahl, das ihnen nach dem Dreißigjährigen Kriege genommen worden war, und sollten nun durch eine Untersuchungskommission und militärische Exekution eingeschüchtert werden. Am 25. Juni ließ der Fürstbischof an alle Untertanen eine Ermahnung ausgehen, »damit Ihr auf die unter Euch herumschleichenden Verräter des Vaterlandes desto genauer wacht, ihren ruchlosen, verführerischen Einlispelungen kein Gehör gebt und nur um desto fester an Uns Euch anschließt".61

2. Die Radikalisierung

in Württemberg und Franken

„In Württemberg sieht es am windigsten aus", schrieb Johann Georg Müller am 8. September 1798 seinem Bruder, dem Historiker Johann von Müller, nach Wien. 62 Dieses Urteil war zu einer Zeit gesprochen, da sich das Verhältnis zwischen Herzog und Landschaft außerordentlich verschärft hatte. Aber nicht in dieser Spannung lag der Urgrund der zunehmenden Gärung. Ähnliche Einschätzungen waren bereits ein halbes Jahr früher gegeben worden, als die Beziehungen zwischen Landesherrn und Ständen vorübergehend recht günstig waren. So schrieb die preußische Gesandtschaft in Rastatt in einem Bericht an den König vom 13. März: „Württemberg ist das Land, wo der erste Ausbruch am meisten zu befürchten ist." 6 3 Nachrichten, die beim kaiserlichen Divisionskommando in Freiburg eingingen, besagten: „Die allgemeine Sprache lautet in der Gegend von Stuttgart und Ulm: So kann es nicht bleiben, es muß eine Änderung geschehen. Die Truppen der Franken werden meistens über 59

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HSA München, Abt. II, B Nr. 303, Anteil am ersten Reichskrieg gegen Frankreich 1798. Ein Exemplar der genannten Flugschrift liegt bei. Remling, Franz Xaver. Urkundenbuch zur Geschichte der Bischöfe zu Speyer (Jüngere Urkunden). Mainz 1853, S. 763. „Neueste Weltkunde" vom 19. 7. 1798. Der Briefwechsel der Brüder J. Georg Müller und Joh. v. Müller..., a. a. O., S. 145. .Le pays où la première explosion est le plus à craindre est celui de Wurtemberg." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 66.

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alles erhoben. Nicht ohne Grund soll man ein wachsames Auge auf die Grenadiers in Stuttgart haben, die meistens wurmig sein sollen." 64 Die Stimmung der Volksmassen hatte sich unter dem Einfluß der Schweizer Ereignisse sichtbar radikalisiert. 85 Entgegen allen Erwartungen zeigte Herzog Friedrich II., der im Dezember 1797 auf Friedrich Eugen gefolgt war und als Erbprinz eine entschieden antiständische und prokaiserliche Haltung eingenommen hatte, nach seinem Regierungsantritt der Landschaft ein überraschendes Entgegenkommen. Er billigte nicht nur die Sendung Georgiis nach Rastatt und die von Baz nach Paris, sondern gab sogar die Zusage, die zu erwartenden neuen Erwerbungen dem alten Lande Württemberg zu inkorporieren. Er zerstreute damit die Furcht der Landschaft, daß er die als Entschädigung gewonnenen Gebiete in unmittelbare herzogliche Verwaltung nehmen und dem Geltungsbereich der württembergischen Verfassung entziehen würde, um sich so eine Basis für die Errichtung einer absoluten Herrschaft zu gründen. In der Außenpolitik setzte er wie die Landschaft auf die französische Karte. Zwei Gründe im wesentlichen bestimmten Friedrich II. zu dieser Schwenkung: Erstens bot die französische Seite bei dem beginnenden Länderschacher in Rastatt größere Gewinnmöglichkeiten als der Kaiser, und zweitens war der österreichische Rückhalt bei einem Zusammengehen der Stände mit Frankreich für den Herzog zu schwach, um ihre Machtansprüche zurückzuweisen. Im Bunde mit Frankreich konnte er hoffen, sie zu überspielen. Die Annäherung des Herzogs an die Stände fand ihren sinnfälligen Ausdruck in der Einsetzung einer von beiden Seiten beschickten Vergleichsdeputation, die die Standpunkte beider Kontrahenten in allen Fragen auf den gleichen Nenner bringen sollte.66 Die Stimmung im Lande duldete jedoch nicht, auf handgreifliche Ereignisse so lange zu warten, bis die Vergleichsdeputation nach umständlichem Für und Wider vielleicht in dieser oder jener Frage zu einer Einigung gelangte. Der Jahrestag der Einberufung des Landtags näherte sich; die Früchte der Arbeit dieses Jahres aber waren so mager, daß die Deputierten Bedenken tragen mußten, damit vor ihre Auftraggeber in den Ämtern zu treten. Die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Landschaft war weit verbreitet und nahm schließlich Gestalt in einer geplanten Eingabe an den Landtag an, die von der Stadtund Amtsversammlung zu Winnenden am 17. März entworfen und mit einem Begleitbrief an verschiedene andere Städte und Ämter verschickt wurde. Im wesentlichen waren es zwei Vorwürfe, die man erhob: Erstens, daß durch wechselseitiges Mißtrauen keine Einmütigkeit in der Landschaft herrsche, was sich schon am Anfang in dem vom Deputierten Hauff mit Recht bekämpften Vorgehen des Konsulenten Kerner geäußert hatte und den Bestand der Verfassung gefährde; zweitens, daß die Abgeordneten sich zu Schritten wie der Einsetzung einer Vergleichsdeputation bewegen ließen, ohne zuvor die Auftraggeber unterrichtet und die nötigen Vollmachten 64

GLA Karlsruhe, Abt. 79, Nr. 1382, Bericht des Generals Kempf vom 20. 7. 1798. «5 DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 84. Hölzle, Erwin. Das alte Recht..., a. a. O., S. 206 ff.

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eingeholt zu haben. Diese Erfahrungen bestätigten nach Meinung derAmtsversammlung von Winnenden vollauf die Berechtigung des alten Wunsches, »daß nämlich vor allen Dingen die durch die angenommene Interpretation der Landesgrundverfassung den Landständen genommene Freiheit jeden zum Deputierten zu wählen, von dem sie die Meinung der Tüchtigkeit und zu dem sie vorzügliches Vertrauen haben, wiederhergestellt werden möchte,..." 6 7 Das war nicht nur ein Mißtrauensvotum an die Adresse der Landschaft, sondern zugleich eine Aufforderung an andere Amtsversammlungen, die Geschicke des Landes in die eigenen Hände zu nehmen. Es war also der Druck von unten, der den Landtag am 9. März zu der dringenden Bitte an den Landesherrn bewegte, wenigstens »mit einigen der gravaminum den Anfang zu machen und dadurch die Deputierten in den Stand zu setzen, bei ihrer Nachhausekunft ihre Mitbürger mit frohem Mut und mit neuen belebenden Hoffnungen zu erfüllen". 68 Und es war der Druck von unten, der den Herzog am 17. März zwang, dieser Bitte in fast allen ihren Punkten nachzukommen. Das Reskript vom 17. März versprach, der Bevorzugung des Adels ein Ende zu machen und insbesondere bei der Besetzung der Forstmeister-, Offiziers- und Beamtenstellen auf württembergische Bürger zurückzugreifen; es kam verschiedenen Jagd- und Forstbeschwerden der Einwohner entgegen, milderte einige Kanzleitaxen, die Vikariatsund Aufzugskosten, beseitigte das herrschaftliche Biermonopol in Stuttgart, verzichtete auf Einkünfte aus dem Salpetergraben und gestattete unter Verzicht auf jedes Vorkaufsrecht die freie Ausfuhr von Pferdefohlen. 89 Madeweiß kommentierte dieses Ereignis mit den Worten: .Es ist nicht zu leugnen, daß Seine Durchlaucht in manchen Punkten den jetzigen Zeitumständen haben nachgeben und von ihren Rechten etwas nachlassen müssen." 70 Die preußische Gesandtschaft nannte einige der bewilligten Forderungen sogar „sehr stark". 71 Die Landschaft beauftragte zwar ihre Vertreter in der Vergleichsdeputation, noch diverse Modifikationen des Reskripts vom 17. März zu beantragen 72, aber im allgemeinen war sie mit diesem Erfolg durchaus zufrieden. Sie beeilte sich, den herzoglichen Entscheid an alle Ämter zu versenden und in einem Begleitschreiben gleichen Datums die eigene Initiative kräftig herauszustreichen. 73 Darauf vertagte sich das Plenum, überließ einem vierundzwanzigköpfigen verstärkten Ausschuß für die Zwischenzeit die Geschäfte und trat erst im November wieder zusammen. Dieser Ausschuß hatte nichts Eiligeres zu tun, als am 3. April die von der Amtsversammlung zu Winnenden ausgehende Kritik dem Herzog als revolutionär zu denunzieren und die Bestrafung der Initiatoren zu verlangen. 74 67

HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 213, Bund 213, Nr. 6. Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 6, S. 153. «» Ebenda, S. 169 ff. 70 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 3, Bl. 164. 71 Ebenda, Rep. 81, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 41. 72 Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 7, 2. Beilage, S. 15 ff. 73 HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 573, Bü. 5371. 74 Ebenda, A 213, Bund 213, Nr. 6. 68

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Anders als die Landschaft urteilten breite Schichten des Volkes über die Resultate. Die Ergebnisse in der Schweiz führten ihnen die Kümmerlichkeit dieser Zugeständnisse so recht vor Augen und machten sie kühner. Die Unzufriedenheit äußerte sich in Unruhen, wie sie im April aus Göppingen gemeldet wurden. 75 Sie äußerte sich in Flugschriften. Eine solche Schrift, die im Juni 1798 erschien und bezeichnenderweise vorgab, in Basel gedruckt zu sein, stellte zum Reskript vom 17. März nüchtern fest, »daß der Herzog nichts bewilligt hat, was besondere Aufmerksamkeit verdiene; nichts, was außer den Grenzen der Verfassung, dem Inhalt älterer Gesetze und den gerechten Wünschen und Erwartungen des Volks läge. Alle diese Verfügungen sind von keiner Wichtigkeit, insofern das Volk bloß einen Teil dessen zurückerhält, was es früher oder später verloren hat und selbst jetzt zum Teil mit neuen Aufopferungen erkaufen muß." 76 Immerhin wertete der Verfasser das Reskript als einen Anfang, der aber fortgesetzt werden müßte. Um die Richtung anzuzeigen, in der fortgeschritten werden sollte, nannte er »die Abstellung einiger gesetzwidrig eingeführter Abgaben, die Verbesserung der bürgerlichen und peinlichen Justizpflege, des Kirchenund Schulwesens, die Verbesserung des Nahrungsstandes, die Aufhebung der Leibeigenschaft, eine zweckmäßigere Einrichtung des Militärwesens u s w . . . " 77 . Ungleich schärfer noch, ja geradezu mit jakobinischer Entschiedenheit, die den Herzog und seine Räte ebensowenig wie den Landtag und seine Konsulenten schonte, urteilte der Verfasser der Flugschrift »Das Neueste über Württemberg". Der vorgebliche Druckort Mainz war schon so etwas wie ein Programm. Der Autor verglich ,die merkwürdige gnädigste Resolution vom 17. März (die einiger halbbewilligter Bitten der Landesversammlung erwähnt) mit den Vollmachten der Landesdeputierten (worin von den Rechten des württembergischen Volkes gesprochen wird)" und stellte sarkastisch fest: »Der Pomp, womit diese gnädigste, allein sehr unvollständige Resolution in alle Welt ausgesendet wurde, gleicht mehr einer geschminkten Hofdame, die höchstens einige Landtagsdeputierte in ihr durchlöchertes Netz verstricken kann, als einem schuldlosen Mädchen, in dessen reinem Auge ein reines, wohlwollendes und argloses Herz glänzt. Aus der Aufschrift dieser Resolution läßt sich schon ihre ganze Nullität erweisen. Das Ganze kommt mir vor, als wenn ein Schuldner seinem Gläubiger einen Korb voll stinkender Eier statt der Schuldsumme brächte und in die Welt hineinschrie: .Schaut auf, ihr Herrn, ich habe bezahlt!' Was kann auch wirklich dem ehrlich denkenden Württemberger daran liegen - ob ihm einige Forstknechtsplätze, einige Kastenknechtsplätze mehr offen stehen oder nicht? Und wer wird's ihm verargen, wenn er zu denen, die, Stellvertreter des Volks, eine solche Resolution mit ihrem Lobgesange begleiten, die Worte zuruft: .Freunde! Wir anderen lassen uns nicht durch Stellen abfangen! - Wir wollen weder Waldvögte, noch Vizepräsidenten, weder herzogliche Lieutenants mit, noch herzogliche Lieutenants ohne Rekommendationsstiefel werden (hohe steife Glanzstiefel, wie sie nach preußischem Muster württembergische Offiziere trugen - H. S.); - wir wollen 75 76

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DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 196. (Gutscher, Friedrich). Unparteiische Beleuchtung der neuesten Staatseinrichtung in dem Herzogtum Württemberg. Basel im Junius 1798, S. 27. Ebenda, S. 30.

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Bürger eines Staates werden, in dem das Gesetz und nicht die Willkür thront; eines Staats, der von ihnen durch gleiche Verteilung der Gewalten gesichert und gegen äußere Gewalttätigkeit durch die Organisation einer Bürgerarmee geschützt ist.'" 78 Der Verfasser scheute sich nicht, das ganze Reskript ein Betrugsmanöver zu nennen, an dem die Landschaft bewußt oder unbewußt nicht unbeteiligt war: »Es sollte mich nicht wundern, wenn man dem Unterzeichner dieser Resolution es als einen bitteren Spott anrechnete, auf solche Forderungen eine Antwort gegeben zu haben, in der Adlige, Bürgerliche, Forstmeister, Waldvögte, Wildschäden, Vizepräsidenten, Taxen, Salpeter, Bier und Pferdsfohlen, edles unter- und durcheinander geworfen ist wie Staub und Sand - die man den Leuten in die Augen wirft, damit sie nicht sehen sollen. Was nicht sehen sollen? Daß der Hof es jetzo so wenig ehrlich meine als zuvor... Daß in dem geheimen Ratskollegium Männer sitzen, die das Vertrauen des Landes rächt verdienen,... Daß das Regierungskollegium seine Pflichten schlecht erfülle, wie aus der großen Zahl von bestechlichen, unwissenden oder trägen Beamten, aus der allgemeinen Anarchie, die in den meisten Ämtern herrscht, aus dem sinkenden Ansehen der Amtleute, dem Verfall der Erziehung und der sichtbaren Zunahme der Kriminalfälle erhellt. Daß die Landesversammlung kein besseres Bild darbiete. Daß die erste Schuld davon in ihrer Komposition, in der beschränkten Wahl der Deputierten unter einer dem Einflüsse der herzoglichen Beamten unterworfenen Bürgerklasse liegt. Daß ihre Konsulenten die widersprechendsten Bedienungen in einer und der nämlichen Person anhäufen und vereinigen." 7 9 Die hier gebotene Kritik an den bisherigen Bemühungen in Württemberg, der Forderung des Tages nachzukommen, traf; sie war scharf und vernichtend. Sie war erfüllt von berechtigtem Mißtrauen sowohl gegen den Herzog wie gegen die Stände. Sie war bürgerlich-demokratisch, denn sie forderte statt eines Privilegiertenlandtags eine echte Volksrepräsentation und statt lächerlicher »Beschlüsse und Reskripte, die weder das Gepräge der Selbsterfindung noch des freien Willens tragen und um so weniger befriedigen, je unvollkommener sie der Vernunft und dem Bedürfnis huldigen", eine »Radikalkur".80 Aber - und darin bestand ihre Schwäche - sie ließ die Zeitgenossen ohne Antwort auf die Frage, wie diese Radikalkur durchzuführen war» Statt einer Antwort gab der Verfasser lediglich seiner Zuversicht in den Sieg des Fortschritts Ausdruck, wie sie von jedem bürgerlich-liberalen Aufklärer vertreten wurde, wenn er sie auch mit der Drohung der Revolution verband: »Das Bild der Zukunft wird nicht das der Gegenwart sein, und wo die Vernunft nicht vermögend wird, eine rechtliche Ordnung aus dem Chaos hervorzurufen, da könnte leicht die Schneide des Schwerts den gordischen Knoten lösen. Dies denen zur Nachricht, denen es vielleicht noch bis jetzo unbekannt ist, daß Bajonette nicht mehr zureichen, seitdem der freie Mann nur die Hand an sein Schwert legen darf, um die Sklaven erbleichen zu machen." 81 Die Revolution war letztes Auskunftsmittel, das anzuwenden »der Starrsinn der einen, ihre Unverschämtheit, bald mit Kleinmut 78

Das Neueste über Württemberg, den Schwaben gewidmet. Mainz 1798, S. 4/5. 80 81 » Ebenda, S. 5/6. Ebenda, S. 3/4, 7. Ebenda, S. 8.

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gepaart, bald in wilde Gewalttätigkeit ausartend", im Prinzip rechtfertigte, aber das er wegen der damit verbundenen „Irrungen" gern vermieden hätte.82 Bei allem Haß gegen die fürstliche Gewalt, bei etiler Verachtung des Adels, bei aller Einsicht, »daß die morschen Bande der alten, durch Vorurteil und Gewalt geheiligten Ordnungslosigkeit durch keine neuen und besseren Bindungsmittel ersetzt sind und daß es bis itzt, aller Anstrengungen, aller Wünsche, aller Versprechungen, aller Bedürfnisse ungeachtet, noch ein sowohl politisch als moralisch leerer Raum existiert"83, vermochte er dieses Vakuum nur mit dem Wunschtraum einer konstitutionellen Monarchie auszufüllen: «Ein Thron, von freien Bürgern umringt, ist glänzender als eine Staatskutsche, die zwanzigtausend Gulden kostet, als eine Hoflivreesrechnung von sechzigtausend Gulden, als zwei Mohren, die, wahre Farben des Todes, bei der Huldigung dem herzoglichen Wagen zur Seite stunden."84 In der Kritik des Bestehenden radikal-demokratisch, war der Verfasser in seinem Bilde von der Zukunft und von dem Wege zu ihr noch stark in den Vorstellungen der liberalen Aufklärung befangen. Seine Schilderung der allgemeinen Stimmung in Württemberg charakterisierte zugleich treffend die eigene Haltung: »Der auffallendste Zug, den man in Württemberg sowie in den meisten deutschen Ländern findet, ist ein bestimmtes Vorgefühl naher politischer Veränderungen, ein Mißvergnügen, das mehr oder weniger laut ist, je nachdem es auf mehr oder weniger geläuterten Einsichten beruht und mit mehr oder weniger lachenden Privatverhältnissen verknüpft ist." 85 Die Schrift gab einem »Vorgefühl" Ausdruck, aber noch keinem zielklaren Wollen, das nicht in Verlegenheit geriet, wenn es nach dem Wege zu den politischen Veränderungen gefragt wurde. Trotzdem besag die Flugschrift einen bedeutenden positiven Wert, eben in jener treffenden Kritik des Bestehenden und ebenso in der Forderung nach einer Radikalkur, die, wenn nicht anders, auch durch eine Revolution verwirklicht werden durfte. Dieser positive Gehalt der Schrift wird besonders deutlich, wenn man ihn mit den Auffassungen vergleicht, die Hegel inzwischen entwickelt hatte. Hegel hatte seiner Schrift, als er sie Anfang 1797 begann, den Titel gegeben „Daß die Magistrate vom Volk gewählt werden müssen" und sie dem württembergischen Volk gewidmet. Im Laufe der Arbeit an dem Werk strich er zunächst die Widmung und ersetzte in der Überschrift das Wort „Volk" durch das Wort „Bürger": „Daß die Magistrate von den Bürgern gewählt werden müssen." Schließlich verwarf er den gesamten Titel und schrieb statt dessen: „Über die neuesten innern Verhältnisse Württembergs, besonders über die Gebrechen der Magistratsverfassung."86 Die Geschichte des Titels spiegelt den Wandel im Inhalt. Ausgehend von der Erkenntnis, daß eine Repräsentation die „mittelbare oder unmittelbare Wahl dessen voraussetzt, der repräsentiert werden soll" 87 , hatte er ursprünglich die Wahl der Magistrate durch das Volk 88 83 84 85 8,1 87

Ebenda, S. 1. Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 2. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, a. a. O., S. 150 Anm. 1. Rosenzweig, Franz, a. a. O., S. 61.

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gefordert, so daß der von den Magistraten gewählte Landtag wenigstens eine indirekte Volksrepräsentation darstellte. Nun aber trug er Bedenken, »einem unaufgeklärten, an blinden Gehorsam gewöhnten und von dem Eindruck des Augenblicks abhängigen Haufen plötzlich die Wahl seiner Vertreter zu überlassen". Jetzt zäumte Hegel das Pferd beim Schwänze auf und behauptete: »Solange alles übrige im alten Zustande bleibt, solange das Volk seine Rechte nicht kennt, solange kein Gemeingeist vorhanden ist, solange die Gewalt der Beamten nicht beschränkt ist, würden Volkswahlen nur dazu dienen, einen völligen Umsturz unserer Verfassung herbeizuführen." Wie sollte das Volk seine Rechte kennenlernen und Gemeingeist entwickeln, wenn nicht in der Anwendung dieser Rechte! Wie sollte der alte Zustand verändert und die Gewalt der Beamten beschränkt werden, wenn nicht durch das Volk! Indem Hegel die Dinge auf den Kopf stellte, verbaute er sich jeden gangbaren Ausweg und war dabei ehrlich genug, es zuzugeben: »Die Hauptsache wäre, das Wahlrecht in die Hände eines vom Hofe unabhängigen Korps von aufgeklärten und rechtschaffenen Männern niederzulegen. Aber ich sehe nicht ein, von welcher Wahlart man sich eine solche Versammlung versprechen könnte, sei es auch, daß man die aktive und passive Wahlfähigkeit noch so sorgfältig bestimmte." 88 Die Schrift hatte mit der Preisgabe des Gedankens der Volkswahl nicht nur ihren wesentlichen positiven Geheilt verloren, sondern sie büßte damit auch an Schärfe der Kritik des Bestehenden ein. Unverändert kritisierte Hegel die verfassungsrechtliche Stellung des Fürsten, »der ex Providentia majorum alle Gewalten in sich vereinigt und für seine Anerkennung und Achtung der Menschenrechte keine Garantie gibt". 89 Seine Kritik an den höheren Offizialen der Landschaft, den Konsulenten und Advokaten, war sogar eher noch schärfer geworden. Aber - und das ist von entscheidender Bedeutung - dieser Angriff diente zugleich als Schild für den Ausschuß, das Kernstück der überlebten landschaftlichen Verfassung: »Die Anmaßungen der höhern Offizialen waren es vorzüglich, was in ältern und neuern Zeiten alles Übel über die Landschaft gebracht hat... Der Ausschuß selbst war nie anmaßend. Seine Konsulenten und Advokaten waren es." 90 Anfang 1797 hatte er kühn geschrieben : „Wenn eine Veränderung geschehen soll, so muß etwas verändert werden. Eine so kahle Wahrheit ist darum nötig gesagt zu werden, weil die Angst, die muß, von dem Mute, der will, dadurch sich unterscheidet, daß die Menschen, die von jener getrieben werden, zwar die Notwendigkeit einer Veränderung wohl fühlen und zugeben, aber, wenn ein Anfang gemacht werden soll, doch die Schwachheit zeigen, alles behalten zu wollen, in dessen Besitze sie sich befinden,... Das Schauspiel einer solchen Schwäche darf ein Volk, dürfen Deutsche nicht geben." 91 Jetzt dagegen hieß es: »Solange man das Reformieren und das Zurücknehmen versuchter und schädlich befundener Reformen nicht in seiner Gewalt hat, so tut man wohl, wenn man bei solchen Veränderungen stehen bleibt, deren Folgen sich in ihrem ganzen 88

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Haym, Rudolt. Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwicklung, Wesen und Wert der Hegeischen Philosophie. Leipzig 1927, S. 66. Ebenda, S. 67. 91 Hegel, Ceoig Friedrich Wilhelm, a. a. O., S. 153. Ebenda, S. 152. Süddeutsche Jakobiner

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Umfang übersehen und berechnen lassen, und wenn man sich begnügt, die Quellen der Mißbrauche zu verstopfen." 9 2 Hegel selbst gab das Schauspiel der Schwäche, vor dem er gewarnt hatte. Es war die typische Schwäche des liberalen deutschen Bürgertums, das jedesmal Furcht vor der eigenen Courage bekam, wenn es seine Erkenntnisse mit Hilfe der Volksmassen in die Tat umsetzen sollte. Hegel verleugnete die von ihm erkannte Wahrheit; er strich die Segel und akzeptierte die ständische Vertretung, die nach einjähriger Tätigkeit nicht mehr als das Reskript vom 17. März zuwege gebracht hatte. Einige Freunde in Stuttgart, mit denen er seine Gedanken über diese Fragen austauschte, rieten ihm unter den gegebenen Umständen von einer Veröffentlichung ab. Einer von ihnen schrieb ihm am 7. August 1798 nach Frankfurt: „Solange übrigens nicht andere Einrichtungen in Absicht auf die Gesetzgebung gemacht sind, kommt bei vielen Landtagen gerade soviel heraus, als wenn in 27 Jahren einmal einer gehalten wird. Sie sind nicht viel mehr als eine neue Last für das getäuschte Volk... Unter diesen Umständen würde auch die Bekanntmachung Ihres Aufsatzes für uns mehr ein Übel als eine Wohltat sein." 93 Beides, die NichtVeröffentlichung der Arbeit Hegels, die ihren vorwärtsdrängenden Charakter verloren hatte, und die Veröffentlichung der Schrift »Das Neueste über Württemberg", die eine Radikalkur verlangte und die Möglichkeit einer Revolution zumindest ins Auge faßte, waren Folgen der zunehmenden Radikalisierung in Württemberg.94 Die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Erreichten setzte die landschaftliche Vertretung unter Druck und trieb sie zu weitergehenden Forderungen. Die Landschaft war dazu um so eher geneigt, als die Harmonie zwischen ihr und dem Herzog nur vorübergehend war und sehr bald von den gegensätzlichen Interessen wieder gesprengt wurde. Der im Februar vorgelegte herzogliche Plan einer Militärverstärkung fand ebensowenig die Zustimmung der Landschaft wie ihr Ende März entworfener Gegenplan die des Herzogs. Während jener vor allem die stehenden Truppen vermehren wollte, legte dieser das Hauptgewicht auf die Miliz, die die absolutistischen Tendenzen des Herzogs nicht förderte, sondern weitgehend von der Landschaft kontrolliert werden konnte. Der Schritt, mit dem die Landschaft sich wieder an die Spitze der öffentlichen Meinung zu stellen suchte, um sie zu nutzen und gleichzeitig zu zügeln, war der am 11. Mai 1798 von ihrem verstärkten Ausschuß beschlossene Antrag auf Aufhebung der Leibeigenschaft: »Eltern und Voreltern waren nicht befugt, die angeborenen Menschenrechte ihrer Nachkommen zu veräußern und diesen, ehe sie noch geboren waren, die Verbindlichkeit 92 93

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Ebenda, S. 153. Rosenkranz, Karl, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Supplement zu Hegels Werken. Berlin 1844, S. 91. Mehring hatte nicht die Möglichkeit, der Geschichte der Hegeischen Schrift nachzuspüren und so zu erkennen, dafj ihre einzelnen Teile verschiedenen Zeiten und Stadien der Auseinandersetzung angehören. Er deutet das Schicksal der Schrift darum auch nicht im Zusammenhang mit der Entwicklung der oppositionellen Bewegung, sondern vereinfacht die Dinge, wenn er vermutet, dafj die Rücksicht auf den .schwäbischen Sultan Friedrich, der die Tiberius und Nero offen als die Vorbilder seiner Herrschertätigkeit betrachtete", zum Verzicht auf den Druck der antiabsolutistischen Schrift veranlagte. Mehring, Franz, a. a. O., S. 104.

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aufzulegen, nicht dem Staate, sondern einem Dritten gewisse Dienste zu leisten oder einen jährlichen Leibzins und andere Abgaben zu bezahlen. Die persönliche und Lokalleibeigenschaft ruht mithin auf keinem zu rechtfertigenden Grunde, sondern verletzt vielmehr das Gesetz der Natur von der Gleichheit und beleidigt die Rechte der Menschheit." 95 Es waren starke Worte; mit der Berufung auf die Menschenrechte erhielten sie sogar einen radikalen Anstrich, den die Landschaft bisher stets vermieden hatte. Aber natürlich blieben es darum doch nur Worte eines Antrags an Seine Herzogliche Durchlaucht, von „Dero Zuneigung und Wohlwollen gegen Ihr Volk" man die Realisierung erhoffte. Weigerte sich der Herzog, so verwandelte sich die kraftvoll formulierte Forderung in einen bloßen frommen Wunsch. Obwohl die Landschaft bereit war, den größten Teil der Ablösungskosten zu übernehmen, lehnte der Herzog den „auf eine der Verfassung zuwiderlaufende Art und in auffallenden Ausdrücken" abgefaßten Antrag schroff ab. 96 Er brach offen mit den Ständen, indem er Anfang Juni einen unbedeutenden Anlaß aufgriff, um die Vergleichsdeputation zu sprengen und auch die Zusammenarbeit des herzoglichen mit dem landschaftlichen Deputierten in Rastatt zu verbieten. Er forderte die Stände sogar auf, keine ihrer Verhandlungen mehr ohne herzogliche Erlaubnis durch den Druck zu publizieren.97 Der landschaftlich verstärkte Ausschuß antwortete ihm am 7. Juli: Er lehnte jede herzogliche Zensur als eine Beschränkung der gesetzmäßigen Bestimmung der Landschaft ab, „die Befugnisse des Volks zu verfechten".98 Neben der rein rechtlichen Begründung dieser Auffassung wurde dabei auch die politische ins Feld geführt, daß der Landschaft äußerst daran gelegen sein müsse, „bei dem Volk die Überzeugung zu bewirken, daß seine Sache nicht in ungetreuen Händen ist, daß seine Repräsentanten von dem, was in ihren Kräften steht, nichts versäumen".99 Dieser Gesichtspunkt in Verbindung mit der Klage über die geringe Zahl der Abnehmer der Landtagsschrift und über „die gegen die Repräsentanten verbreiteten falschen Gerüchte" bestätigte die allgemeine Unzufriedenheit mit den bisherigen Ergebnissen.100 Um so nachdrücklicher mußte der Ausschuß auf seiner Forderung nach Aufhebung der Leibeigenschaft beharren und auch die Begründung des Antrages verteidigen: „Jede Leibeigenschaft ist ein trauriges Denkmal eines nicht rechtlichen Zustandes, worin in der Vorzeit ein Mensch durch den anderen versetzt ward, eines Zustandes, der mit der Natur eines mit Freiheit und Vernunft begabten Wesens nicht übereinstimmt oder mit anderen Worten dem Naturrecht zuwider ist... Was aber die Art, wie die untertänigste Bitte vorgetragen ward und die, wie es scheint, noch einen Hauptanstand rege machte, insbesondere die Berufung auf die Rechte der Menschheit betrifft, so geruhen Euer Herzogliche Durchlaucht 95

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Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 7, 4. Beilage, S. 56/57. Sich für die Aufhebung der Personalleibeigenschaft einzusetzen, war den Deputierten der reformfreudigen Schwarzwaldämter wie Wildberg schon in ihrer Instruktion vom März 1797 aufgetragen worden. HSA Stuttgart, Filiale Ludwigsburg, A 573, Bü. 5371. Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 8, S. 87. „Nationalzeitung", Jahrg. 1798, 26. Stück, Sp. 531. Der Landtag in dem Herzogtum Württemberg..., a. a. O., H. 8, S. 18. 190 Ebenda, S. 104. Ebenda, S. 102.

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gnädigst zu beherzigen, daß die Erlassung der Leibeigenschaft aus dem positiven Rechte nicht hergeleitet werden kann... Wollte man also diese Bitte begründen, wollte man die Gefühle des landesväterlichen Herzens rege machen, so konnte es nicht anders als durch Berufung auf das Naturrecht, auf die Rechte der Menschheit selbst geschehen." 101 Der Druck von unten einerseits und der Widerstand des Fürsten gegen jedes weitere Zugeständnis andererseits zwangen die führenden Köpfe der Landschaft, neue, radikalere Wege zu beschreiten. Die entschiedensten Reformer schlössen sich enger zusammen; sie bildeten einen »Zirkel edler freier Menschen", für den Hofacker mit Eifer warb. 102 Baz, eines seiner Mitglieder, erklärte im engeren Ausschuß: »Unsere Konstitution, so sehr sie von denen, die gute Besoldungen haben, gerühmt wird, ist armselig und hat vor anderen deutschen Staaten wenig oder nichts zum voraus. Sie bedarf einer Verbesserung, die aber nicht erfolgen kann, wenn man nichts weiter als Harmonie (mit der Herrschaft) verlangt." 103 Wenn die Politik der Vereinbarung in dieser Schärfe verworfen wurde und die Mittel der ständischen Verfassung eingestandenermaßen nicht ausreichten, so war der Ausweg doch nicht der, nun mit den Volksmassen den fürstlichen Widerstand zu brechen. Das hätte den totalen Umsturz der Verfassung, also auch die Preisgabe der ständischen Vorrechte bedeutet, die keine heftigeren Verteidiger als die Mitglieder und Offizialen der Landschaft besagen. »So lebhaft ich auch überzeugt bin", schrieb Georgii am 10. Oktober 1798 nach Paris an Abel, »daß unsere hochgerühmte württembergische Konstitution nichts weniger als vollkommen und daß sie ohne einen glücklichen Zusammenfluß äußerer Umstände nicht viel Bedeutendes leisten kann, so kann ich doch sagen, daß ich nie eine solche Revision für rätlich oder ausführbar gehalten h a b e , . . . Ich habe die Sache nie anders angesehen, als daß der Macherlohn einer neuen Konstitution uns viel teurer zu stehen kommen könnte, als die ganze Verbesserung wert wäre." 104 Der Ausweg, den die führenden Köpfe der Landschaft zu beschreiten sich entschlossen, war eine enge Anlehnung an die französische Regierung mit dem Ziel, mit ihrer Hilfe eine Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen Herzog und Ständen zugunsten der letzteren herbeizuführen. In diesem Sinne arbeitete Georgii in Rastatt; für dieses Ziel versuchte er Abel zu gewinnen, der aus Furcht vor möglichen revolutionären Konsequenzen immer noch zur Politik der Vereinbarung neigte: »Es sind nämlich zwei, wie mir deucht, sehr verschiedene Dinge, ob man durch jenes Gouvernement eine Totalrevision der Verfassung bewirken, oder ob man unter seinem Schutz und durch die Erwerbung seiner Protektion, unter Voraussetzung der bestehenden Verfassung, den Landständen als repräsentativem Korps des Landes im Gegensatz gegen die Herrschaft, mithin dem Land selbst Vorteile zu verschaffen bemüht ist... Ich gebe Ihnen zu, daß die Zeitumstände und die veränderte Beschaffenheit der Grundsätze (des französischen Gouvernements - H. S.) 101 Ebenda, S. 109 ff. 102 HSA Stuttgart, A 11, Bü. 28, Brief Hofackers an Gerst vom 7. 6. 1798; Beilage Nr. 10 zum Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 7. 1801. 109 Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 215. 104 Vreede, George Cuillaume, a. a. O., S. CXVIII.

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hiebei die größte Behutsamkeit gebieten, aber ich glaube nur, daß, weil man auf diesem auf Extreme geraten kann, man deswegen den Weg nicht ganz verlassen müsse,..." 1 0 5 In diesem Sinne der »Wiedergeburt ohne totale Umwälzung", aber doch radikaler und konsequenter als Georgii in Rastatt war in Paris Baz tätig. Ausgehend von der in seiner Schrift „Über das Petitionsrecht" aufgestellten Behauptung, daß der Fürst eigentlich zur Erfüllung aller Petitionen verpflichtet sei, weil sie den Volkswillen ausdrückten, propagierte Baz nun eine klare Gewaltenteilung, wobei dem Herzog die Exekutive, den Ständen aber die gesamte Legislative vorbehalten sein sollte. Hartnäckig kämpfte er um die französische Sympathie für eine solche Verfassung, die in kürzester Zeit bürgerliche Reformen in Württemberg möglich machte und, wie er in einer Eingabe an Talleyrand vom 9. Mai formulierte, „auf die Interessen des Volkes zugeschnitten und der Garantie einer republikanischen Regierung würdig" wäre. 108 Die französischen Politiker gaben nichtssagende oder hinhaltende Antworten, aber sie lehnten die Bestrebungen der Landschaft nicht rundheraus ab. Möglicherweise konnten sie eines Tages der französischen Bourgeoisie nützlich werden. Für den Herzog war diese Ungewißheit Quelle höchster Verlegenheit: Sollte er den Vorstellungen Wiens und Petersburgs Gehör schenken, die vor Frankreich warnten? In diesem Falle verscherzte er die großen Entschädigungen, die er nur mit französischer Hilfe erwerben konnte, und erleichterte er ganz gewiß das Werben der Landschaft um die französische Sympathie. Aber andererseits boten wiederum die beiden großen Feudalmächte seiner ungeschmälerten Machtstellung als Landesherr den sichersten Schutz. Wie Friedrich II. dem mecklenburgischen Gesandten anvertraute, rechnete er mit der Möglichkeit, daß die Landschaft französische Truppen zu Hilfe rief; dies voraussehend und von dem österreichischen und von dem russischen Gesandten heftig bearbeitet, verfüge er nun über Befehle ein den General Staader, der auf die erste Anforderung des Herzogs hin sofort ein genügend starkes Korps österreichischer Truppen marschieren ließe. Die preußische Gesandtschaft in Rastatt, die diese Mitteilung weitergab, sah bereits neue kriegerische Verwicklungen und versank in Furcht und Ratlosigkeit: „Allenthalben scheint es, daß die Lage dieses Fürsten, dessen Staaten das Zentrum Schwabens ausmachen, im höchsten Grade unsicher ist, so daß es nicht abzusehen ist, wie er sich wird behaupten können, und die Folgen davon könnten nur die unheilvollsten für ganz Deutschland sein." 107 Letzte Ursache dieser prekären Situation war die zunehmende revolutionäre Gärung in breiten Schichten der Bevölkerung. Die sich Anfang 1799 nähernde Gefahr eines 105 108

107

Ebenda, S. CXIX. » . . . calculée sur les intérêts du peuple et digne de la garantie d'un gouvernement républicain." Hölzle, Erwin, Altwürttemberg..., a. a. O., S. 279. Vgl. auch Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 216/17. „Partout il parait que la situation de ce Prince, dont les États font le centre de la Souabe, est si éminemment précaire, qu'il n'est pas à prévoir comment il pourra se contenir et les suites n'en pourraient que des plus funestes pour toute l'Allemagne." DZA Merseburg, Rep. 81. Nr. 5, Bd. 3, Bl. 107.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

erneuten Kriegsausbruches steigerte trotz aller damit verbundenen Schrecken und Nöte die Gärung. In dem zersplitterten Franken war eine ähnliche Radikalisierung zu beobachten; nur fehlte ihr die Gleichmäßigkeit und relative Einheitlichkeit, die in dem geschlossenen Württemberg möglich waren. Die Bewegung zersplitterte sich noch stark in Einzelaktionen und richtete sich hauptsächlich gegen nächste, unmittelbare Bedrückungen. Die zwar noch zum schwäbischen Kreis gehörige, aber nahezu völlig von fränkischen Territorien eingeschlossene Reichsstadt Schwäbisch-Hall stand in heftigem Rechtsstreit mit den Bewohnern ihres ausgedehnten Landgebiets. Der Prozeß lief seit längerem in Wien und Wetzlar. Um ihn durch Mobilisierung der Öffentlichkeit zugunsten des Landes zu beeinflussen, brachten die bevollmächtigten Deputierten am 12. August 1798 eine Flugschrift über den Inhalt des Streits heraus. Die Klagen richteten sich gegen Forderungen des Magistrats in bezug auf die Viehakzise, den Bodenschatz, den Straßenbau, die Erhöhung der Handlohnabgaben, das Umgeld, die Kriegssteuern und das Stammgeld.108 Hinter diesen vielen Einzelbeschwerden stand aber ganz offensichtlich ein größeres Ziel, das prinzipielle Veränderungen vorsah. Die am 26. November herausgebrachte Gegenschrift des Magistrats »zur Belehrung der Landleute" beschwor diese denn auch: »Laßt euch nicht durch das unverschämte Vorgeben, daß die Reichsstadt-Hallische Regimentsverwaltung aus der oligarchischen in eine wahlfähige und repräsentative werde umgeschaffen werden, täuschen." 109 In dem benachbarten Fürstentum Hohenlohe, insbesondere im Gebiet des Fürsten von Hohenlohe-Kirchberg, gärte es ebenfalls unter den Bauern. Anfang 1798 erschienen sie in Scharen in der Residenz Kirchberg und verlangten Einsicht in die Landschaftsrechnungen. Da die militärische Streitmacht des Fürsten sich auf ganze zehn Mann beschränkte, blieb ihm nichts anderes übrig, als der Forderung nachzugeben. In einer Regierungssitzung am 28. Februar, die der Fürst persönlich leitete, wurden den Deputierten der Gemeinden die Rechnungen vorgelegt. Es gelang zwar, die Deputierten zufriedenzustellen, zumal der Fürst aus privaten Mitteln 2000 Gulden in die Kontributionskasse gab, aber nicht so die Bauern. Im März rotteten sich wieder in Lendsiedel 200 Bauern zusammen und beschlossen, keine Kriegssteuern zu zahlen, bevor nicht alle ihre Beschwerden behoben waren. Solche Versammlungen wiederholten sich trotz Verbot. Der Bauer Melchior Michelbacher aus Steinkirchen tat sich als Organisator des Widerstandes besonders hervor; er veranlaßte auch die umliegenden Gemeinden, die Steuern zu verweigern. Am 17. und 18. April machte die Regierung den kläglichen Versuch, militärische Gewalt zu demonstrieren, und schickte nach den Orten Klein-Almerspan, Herbolzhausen und Steinkirchen je einen Soldaten.110 Das nach Steinkirchen gesandte einköpfige Exekutionskommando erschien bereits am nächsten Tage wieder in Kirchberg mit der Erklärung, daß einige Bauern »ihm angekündigt hätten, sich auf angeblichen Befehl des Landes sogleich nach Haus zu verfügen".111 In seiner Hilflosigkeit wandte sich der Fürst von Hohen108 110

108 Ebenda, S. 77. „Teutsche Staatskanzlei", Jahrg. 1799, Bd. 5, S. 55 ff. 111 Ebenda, S. 366 Anm. 1. Fischer. Wolttam, a. a. O., S. 403 ff.

2. Württemberg und Franken

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lohe-Kirchberg am 11. Juli 1798 an den preußischen König und erbat aus dem benachbarten Ansbach-Bayreuth militärische Unterstützung: »Der ruhmvolle preußische Name wird allein und bei einer noch geringen Anzahl an Mannschaft hinlänglich sein, den irregeführten Untertanen Respekt gegen die gesetzmäßigen und notwendigen Verfügungen ihrer rechtmäßigen Obrigkeit einzuflößen und sie zu ihrer Pflicht auf der Stelle zurückzuführen." 112 Die Behörden in Ansbach-Bayreuth aber hatten mit den eigenen Untertanen zu tun. Wie Kotteritz erfahren hatte und am 27. Februar 1798 berichtete, »sollen sie zum größten Teil mehr als jemals ihrer gegenwärtigen Regierung überdrüssig sein, indem sie sich namentlich nicht an das militärische Regime gewöhnen wollen, das man wie in den anderen preußischen Staaten dort einführt". 113 Als einen für die Gesinnungen der Einwohner typischen Fall führte er folgendes Ereignis an: »In Erlangen haben Studenten, nachdem sie den Stadtkommandanten um Erlaubnis gebeten, ein akademisches Fest zu feiern, und viele Bürger sich ihnen zugesellten, ein Freiheitsfest gegeben, auf dem eine Göttin der Freiheit auftrat, vor der sich die alte Zeit in der allegorischen Gestalt eines abgelebten und gebrechlichen Greises niederwarf; die Zukunft (trat auf - H. S.) als eine junge und schöne Person mit allen Attributen, wobei nur der Freiheitsbaum fehlte. Man ist so weit gegangen, einen Adler mit abgeschlagenem Kopfe vor die Füße der Tänzer zu werfen." 114 Das preußische Kabinettsministerium wies am 19. April den Senat der Universität auf die Gefährlichkeit der geheimen Studentenorden hin, die »echte Prinzipien eines Jakobinerklubs" verträten. 115 Hardenberg, der ebenfalls zur Wachsamkeit aufgefordert worden war, antwortete am 24. Mai aus Ansbach: »Indessen glaube ich, vorderhand meine Beobachtungen um so mehr bloß auf die Hauptstädte Ansbach, Bayreuth und. Erlangen einschränken zu müssen, da der Samen zu jeder Revolution immer zuerst in den größeren Städten und unter den kultivierteren Ständen ausgestreut wird und Wurzel f a ß t , . . . Was mir vorzüglich zu wünschen übrigbleibt, wozu ich aber in den gegenwärtigen Verhältnissen keine Mittel in Händen habe, besteht darin, daß der besonders in Nürnberg herrschende verdorbene Volksgeist und die Bewegungen und Machinationen der dort befindlichen mehreren, in das französische Revolutionssystem eingeweihten Subjekte genau beobachtet und kontrolliert werden könnten. Denn wenn irgendein Plan zu einer Revolution in Franken existiert, so i s t . . . gewiß Nürnberg das Zentrum, wo die hauptsächlichste Einleitung gemacht und von wo aus 112 113

114

Ebenda, S. 365 Anm. 1. » . . . lesquels pour la plus grande partie doivent être plus que jamais impatients de leur gouvernement actuel, ne voulant surtout pas se faire au régime militaire, qu'on y introduit, comme dans les autres États prussiens." LHA Dresden, Loc. 2724, Des von Kotteritz aus Frankfurt erstattete Relationen, Bd. 1, Bl. 186. „À Erlangen les étudiants ayant demandé au commandant de la ville la permission de célébrer une fête académique, beaucoup de bourgeois se sont associés à eux, et ont donné une fête à la liberté, où il y a eu une déesse de liberté, devant laquelle s'est prosterné le vieux temps, sous le personnage allégorique d'un vieillard décrépit et cassé; le temps à venir sous une jeune et belle personne avec tous les attributs modernes, et où il n'a manqué que l'arbre de la liberté. On est allé si loin de jeter aux pieds des danseurs un aigle à tête 115 coupée." Ebenda, Bl. 186/87. Deuetlein, Ernst, a. a. O., S. 27.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

auch die Ausführung vorbereitet wird; daher sich auch mehrere berüchtigte Geschäftsmänner alle ersinnliche Mühe geben zu verhindern, daß diese Reichsstadt nicht in preußische Hände kommt, weil sie dadurch ihre Revolutionspläne für Franken und ganz Deutschland völlig untergraben sehen würden." 116 Wenn Hardenberg auch mit dieser Attacke gegen Nürnberg zweifellos die Nebenabsicht verfolgte, in Berlin für die Annexion der Reichsstadt Stimmung zu machen, so war seine Furcht vor den revolutionären Potenzen in Nürnberg doch echt und auch begründet. Zweifellos hatten die Truppen Jourdans während ihres fünfzehntägigen Aufenthalts in der Reichsstadt im August 1796 der Begeisterung für die republikanischen Ideale schweren Abbruch getan. Dennoch waren die Zustände Nürnbergs ganz und gar nicht so, daß sich die oppositionellen Kräfte aus Enttäuschung über die Franzosen willig unter das herkömmliche oder auch unter das preußische Joch begeben konnten. Wenn sich die Mehrheit der Bürger Anfang September 1796 aus Furcht vor einer Wiederkehr Jourdans dafür aussprach, den Schutz des neutralen Preußens zu suchen, so war das eine Notlösung, die im übrigen schnell vorüberging, und keineswegs Ausdruck der Sympathie für diesen Militärstaat. Ein vielstrophiges Gedicht »Politischer Guckkasten 1796", das Ende des Jahres in Nürnberg zirkulierte, gab treffend die Stimmung breiter Schichten wieder. Es geißelte das Verhalten der Franzosen, aber den eigenen Magistrat und Preußen nicht minder: Die preußische Versklavung hätte die nürnbergische Plünderung der Bürger nur zeitweilig abgelöst. Schließlich endete der »Politische Guckkasten" mit der Aufforderung, die kommenden Ereignisse nicht stillschweigend zu erdulden, sondern sie aktiv mitzugestalten.117 Daß sich diese Aktivität gegen die nürnbergischen Zustände und nicht etwa gegen die Franzosen richten sollte, versteht sich von selbst. Der Krieg gegen Frankreich war der Nürnberger Bevölkerung nach wie vor verhaßt. Bezeichnend war der Bericht des preußischen Legationsrats Schuster aus Nürnberg vom 12. April 1797: .Das bei der Ausrückung der fränkischen Kreistruppen ins Feld in 244 Köpfen bestandene nürnbergische Kontingent ist nun bis auf vier Mann ausgerissen, und die Standläufer befinden sich beinahe alle in hiesiger Stadt." 118 Die Deserteure scheuten sich also nicht im geringsten, dorthin zurückzukehren, wo sie bekannt waren; im Gegenteil, die Stimmung der Masse der Bevölkerung schien ihnen der sicherste Schutz. Hardenberg hatte guten Grund, Nürnberg als das Zentrum einer möglichen revolutionären Bewegung in Franken zu fürchten. 3. Das Anwachsen der antiieudalen Opposition in Bayern Die Opposition in Bayern hatte sich bis 1796, soweit sie von den Volksmassen getragen wurde, vorwiegend in spontanen Ausbrüchen gegen einzelne Erscheinungsformen feudaler Unterdrückung Luft gemacht. Die Ideen der Französischen Revolution waren zwar schon bis in entlegenste ländliche Bezirke vorgedrungen, wirk118 117 118

DZA Merseburg, Rep. 11, 91 Frankreich, varia publica, Nr. 36, Bl. 138. Ernstberget, Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 466/67. DZA Merseburg, Rep. 44 C, Nr. 676, Bd. 1, Bl. 175.

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auch die Ausführung vorbereitet wird; daher sich auch mehrere berüchtigte Geschäftsmänner alle ersinnliche Mühe geben zu verhindern, daß diese Reichsstadt nicht in preußische Hände kommt, weil sie dadurch ihre Revolutionspläne für Franken und ganz Deutschland völlig untergraben sehen würden." 116 Wenn Hardenberg auch mit dieser Attacke gegen Nürnberg zweifellos die Nebenabsicht verfolgte, in Berlin für die Annexion der Reichsstadt Stimmung zu machen, so war seine Furcht vor den revolutionären Potenzen in Nürnberg doch echt und auch begründet. Zweifellos hatten die Truppen Jourdans während ihres fünfzehntägigen Aufenthalts in der Reichsstadt im August 1796 der Begeisterung für die republikanischen Ideale schweren Abbruch getan. Dennoch waren die Zustände Nürnbergs ganz und gar nicht so, daß sich die oppositionellen Kräfte aus Enttäuschung über die Franzosen willig unter das herkömmliche oder auch unter das preußische Joch begeben konnten. Wenn sich die Mehrheit der Bürger Anfang September 1796 aus Furcht vor einer Wiederkehr Jourdans dafür aussprach, den Schutz des neutralen Preußens zu suchen, so war das eine Notlösung, die im übrigen schnell vorüberging, und keineswegs Ausdruck der Sympathie für diesen Militärstaat. Ein vielstrophiges Gedicht »Politischer Guckkasten 1796", das Ende des Jahres in Nürnberg zirkulierte, gab treffend die Stimmung breiter Schichten wieder. Es geißelte das Verhalten der Franzosen, aber den eigenen Magistrat und Preußen nicht minder: Die preußische Versklavung hätte die nürnbergische Plünderung der Bürger nur zeitweilig abgelöst. Schließlich endete der »Politische Guckkasten" mit der Aufforderung, die kommenden Ereignisse nicht stillschweigend zu erdulden, sondern sie aktiv mitzugestalten.117 Daß sich diese Aktivität gegen die nürnbergischen Zustände und nicht etwa gegen die Franzosen richten sollte, versteht sich von selbst. Der Krieg gegen Frankreich war der Nürnberger Bevölkerung nach wie vor verhaßt. Bezeichnend war der Bericht des preußischen Legationsrats Schuster aus Nürnberg vom 12. April 1797: .Das bei der Ausrückung der fränkischen Kreistruppen ins Feld in 244 Köpfen bestandene nürnbergische Kontingent ist nun bis auf vier Mann ausgerissen, und die Standläufer befinden sich beinahe alle in hiesiger Stadt." 118 Die Deserteure scheuten sich also nicht im geringsten, dorthin zurückzukehren, wo sie bekannt waren; im Gegenteil, die Stimmung der Masse der Bevölkerung schien ihnen der sicherste Schutz. Hardenberg hatte guten Grund, Nürnberg als das Zentrum einer möglichen revolutionären Bewegung in Franken zu fürchten. 3. Das Anwachsen der antiieudalen Opposition in Bayern Die Opposition in Bayern hatte sich bis 1796, soweit sie von den Volksmassen getragen wurde, vorwiegend in spontanen Ausbrüchen gegen einzelne Erscheinungsformen feudaler Unterdrückung Luft gemacht. Die Ideen der Französischen Revolution waren zwar schon bis in entlegenste ländliche Bezirke vorgedrungen, wirk118 117 118

DZA Merseburg, Rep. 11, 91 Frankreich, varia publica, Nr. 36, Bl. 138. Ernstberget, Anton, Nürnberg..., a. a. O., S. 466/67. DZA Merseburg, Rep. 44 C, Nr. 676, Bd. 1, Bl. 175.

3. Bayern

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ten mobilisierend und gaben den Bestrebungen der Massen bewußtere antifeudale Züge, aber es fehlte in diesem von Pfaffen und Dunkelmännern beherrschten und ökonomisch erschreckend rückständigen Lande die Kraft, die dem Drängen und Wollen der Massen eine zielklare Führung geben konnte. Das Bürgertum war schwach und unentwickelt. Der Kreis entschiedener Revolutionäre, den diese Klasse stellte, war klein und noch so wenig mit den Massen verbunden, daß er selbst beim Vormarsch Moreaus nicht an die Öffentlichkeit trat. Seine Aktivität erschöpfte sich im wesentlichen darin, durch Nachrichtentätigkeit die Operationen der französischen Armeen zu erleichtern, die die Unzulänglichkeit der Revolutionäre wettmachen und den entscheidenden Anteil an der Veränderung der Dinge haben sollten. Auch der Kreis bürgerlicher Liberaler war vor 1796 über einen vereinzelten programmatischen Vorstoß nicht hinausgelangt. Die Schrift »Freimütige Gedanken über die allerwichtigste Angelegenheit", die prinzipiellen Reformen wie der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Einberufung eines alle Schichten repräsentierenden Landtags das Wort sprach, erlebte zwar von 1794 auf 1795 drei Auflagen, hatte aber keine Nachfolger. Dieser Vorstoß war zudem unter Ausnutzung der feudal-aristokratischen Kritik unternommen worden, die von der landständischen Verordnung und dem landständischen Adel an dem Absolutismus der kurfürstlichen Regierung geübt wurde. Die Münchener Septemberunruhen aber hatten den streitenden Fraktionen der herrschenden Klasse die gemeinsame Gefahr von unten so deutlich gemacht, daß sie die Fehde untereinander vorübergehend einstellten und der liberalen Opposition den Ansatzpunkt nahmen. Das Fehlen einer führenden Kraft war die Ursache, daß die in den Massen aufgestaute Unzufriedenheit sich beim Vormarsch Moreaus einseitig in einem Haß auf Österreich und die kaiserlichen Truppen entlud und darüber den unmittelbaren Feind, die eigene herrschende Klasse, vergaß. 119 Inzwischen war die Entwicklung vorangeschritten. Schon die Annäherung der französischen Rheinarmee hatte die Meinungsverschiedenheiten zwischen Landschaft und Krone erneut ausbrechen lassen. Während der Kurfürst Sicherheit in enger Anlehnung an Österreich suchte, fürchtete die landschaftliche Verordnung, daß gerade diese verhaßte Bindung die Massen zur Rebellion treiben könnte. Darum riet sie schleunige Verhandlungen mit den Franzosen an und forderte am 21. Juni 1796 in einer Eingabe vom Kurfürsten, einen Unterhändler »nach Basel oder selbst nach Paris mit zweckmäßigen Weisungen abzusenden,..." 1 2 0 Zugleich sprach sie die Erwartung aus, an den Verhandlungen beteiligt zu sein. Karl Theodor lehnte am 23. Juni schroff ab: »Die Unterhandlungen bei dem Friedensgeschäfte sind Unsere Sache." 121 Nicht weil er anderen Sinnes geworden wäre, sondern weil er gegenüber dem Kaiser das Odium des Treubruchs gegebenenfalls auf die Stände wälzen wollte, bevollmächtigte er vor seiner Flucht den ihn vertretenden dirigierenden Rat, bei notwendig werdenden Verhandlungen mit den Franzosen auch Landschaftsdeputierte hinzuzuziehen. 122 Unter dem übereilt abgeschlossenen WaffenVgl. S. 13 ff., 165 ff., 210 ff. >"> DZA Merseburg, Rep. 96, Nr. 167, Lit. M, Bd. 1, Bl. 88. 121 121 Ebenda, Bl. 91. Ebenda, Bl. 143.

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stillstand zu Pfaffenhofen vom 7. September standen darum auch die Namen der ständischen Vertreter. Dieser Erfolg der Landschaft wurde mit dem schnellen Rückzug Moreaus zu einem Mißerfolg. Der Kurfürst sparte nicht mit den heftigsten Vorwürfen an die Adresse der Unterzeichner und betrachtete sich als durch die getroffenen Abmachungen nicht gebunden. 123 Trotzdem hielt die landschaftliche Verordnung an ihrer Konzeption fest, die als nächstes Ziel die bewaffnete Neutralität Bayerns vorsah. Einmal bestärkten sie darin die Siege Bonapartes in Italien, die den Krieg doch noch zugunsten Frankreichs entschieden, zum anderen die unverändert heftige antiösterreichische Stimmung der Bevölkerung. Der Feldzug Moreaus hatte zwar die Erwartungen der Revolutionäre in Bayern nicht erfüllt, aber er hatte auch nicht so arge Enttäuschungen wie Jourdan in Franken hinterlassen. Dag sich die Unzufriedenheit der Massen gleichsam in der Österreichfeindschaft absorbierte, wirkte sich in diesem Falle günstig auf ihr Verhältnis zu Frankreich aus. Sie hatten nicht bewußt auf eine revolutionäre Umgestaltung hingearbeitet und konnten darum auch nicht enttäuscht sein, wenn sie ausblieb; ebensowenig belasteten die mit dem französischen Vormarsch verbundenen Kriegsdrangsale ihre Erinnerung, denn einmal kämpfte Moreau gegen das verhaßte Österreich, und zum anderen hatten sie von den kaiserlichen Truppen Schlimmeres erlebt und erlebten es erneut. Die Münchener beobachteten bei der Rückkehr des Kurfürsten Anfang Oktober 1796 ein feindseliges Schweigen. Zahlreiche Zuschauer hatten sich zwar eingefunden, um dem Aufzug beizuwohnen, aber - wie Harnier berichtete - .ohne daß ein einziger Beifallsruf die tiefe Stille dieser ganzen Menge unterbrach". 124 Unter dem 10. November meldete er: »Die Steuern kommen nicht herein. Die Ämter, in denen sich eine Zeitlang der Krieg abgespielt hat, berufen sich auf ihre Zahlungsunfähigkeit. Andere sehr beträchtliche Bezirke werden durch die österreichischen Durchzüge und Requisitionen ausgeschöpft... Aus diesem Stand der Dinge resultiert eine völlige Entblößung der Kassen, eine fortschreitende Preissteigerung aller Gegenstände des unbedingt notwendigen Bedarfs und eine wachsende allgemeine Unzufriedenheit besonders der weniger wohlhabenden Klassen in Stadt und Land." 125 Der Druck ließ nicht nach, sondern wurde nur unerträglicher. Wie aus Ingolstadt Mitte Juni 1797 berichtet wurde, bewegten sich die österreichischen Offiziere wie in einem eroberten Lande.126 Blutige Zusammenstöße häuften sich. Der sächsische Gesandte in Regensburg teilte seinem Kollegen in Rastatt am 1. Januar 1798 mit: »Von den österreichischen Truppen werden nach der Dislokationsliste 29 Bataillons und 45 Eskadrons in Bayern verlegt... Diese Truppen begehen auf dem Marsch «s Ebenda, Bl. 170. 124 .Le cortège passa sans qu'une seule acclamation interrompit le silence profond de tout ce monde." Ebenda, Bl. 167. 125 »Les contributions ne rentrent point. Les baillages où le théâtre de la guerre a été établi pendant quelque temps, se fondent sur leur insolvabilité. D'autres districts très considérables s'épuisent par les passages et les réquisitions autrichiennes... Il résulte de cet état des choses un dénuement absolu des caisses, une hausse progressive de tous les objets de première nécessité et un mécontentement général croissant particulièrement dans les classes moins aisées tant des campagnes que des villes." Ebenda, Bl. 187. 126 Ebenda, Ut. N, Bd. 2, Bl. 98.

3. Bayern

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große Exzesse. In Donauwörth ist es zu blutigen Auftritten gekommen. Der bayrische Kommandant hat bei diesem Vorfall Wunden bekommen, und ein bayrischer Offizier ist an den seinigen gestorben. Die Einquartierungen drücken die hiesige Bürgerschaft und Einwohner völlig nieder, und dieselben bezeigen ihren Unwillen und (ihr - H. S.) Unvermögen, diese Last länger zu tragen." 127 Die Landschaft schlug Alarm. In einer Eingabe an den Kurfürsten vom 30. März 1798 schilderte sie die durch Einquartierungen, Lieferungen, Vorspann und Erpressungen unerträglich gewordene Lage des bayerischen Bauern.128 Die nächste Eingabe vom 20. April war schon um einige Grade schärfer. Der offene Ausbruch der Unzufriedenheit Ende März im benachbarten Hochstift Passau mag dazu beigetragen haben, wo nach dem Bericht des preußischen Legationssekretärs Kaufmann aus Regensburg vom 9. April 1798 .das Landvolk über eine von dem Herrn Fürstbischof aus dringender Not auferlegte Landtaxe zu mehreren Tausenden in die Stadt kam und sowohl die Loslassung eines ihrer Anführer, welcher sich dieser Anstalt widersetzt hatte und daher eingezogen war, sondern die Aufhebung des neuen Ansinnens überhaupt mit Gewalt verlangte und allen ihm dagegen gemachten eindringenden Vorstellungen von der äußersten Notwendigkeit dieser Auflage kein Gehör geben wollte".129 In der Nähe einquartierte österreichische Truppen in Stärke von 800 Mann waren am 1. April herbeigerufen worden und hatten den Aufruhr zusammengeschossen. Ein solcher Einsatz der verhaßten Soldateska in Bayern würde wahrscheinlich das Gegenteil bewirkt haben. Die Sicherheit der herrschenden Klasse verlangte umgekehrt die unverzügliche Entfernung der österreichischen Truppen. Das war denn auch der Inhalt der landschaftlichen Eingabe vom 20. April: .Wenn zu Erreichung dieses Zweckes nicht mit allen Kräften und mit bisher noch nicht beobachteter Tätigkeit hingearbeitet wird, so ist das gänzliche Verderben des Landes unfehlbar. Der Druck des Landmannes wird nun schon zu schwer, als daß er ihn länger ertragen könnte; und was wird die nahe Folge davon sein? Nicht freiwilliger, sondern erzwungener unglücklicher Aufstand... Wer kann aber die Folgen so eines unglücklichen Aufruhrs berechnen? Wer der Revolution, wenn sie einmal ausbricht, sogleich wieder Einhalt tun? . . . Sehen wir mit Unbefangenheit auf die dermalige Lage hin, so finden wir das Land durch diese fremden Truppen bereits schon militärisch okkupiert und willkürlich behandelt, wobei unser gnädigster Landesfürst gleich einem Statthalter und Bayern gleich einer zinsbaren Provinz erscheinen." 130 Die Landschaft steigerte sich bis zu der Drohung, die österreichhörigen Regierungspolitiker vor der Öffentlichkeit anzuprangern, wenn nicht unverzüglich das Steuer herumgeworfen würde. Der preußische Geschäftsträger Harnier bestätigte am 26. April diese Einschätzung; er bezeichnete als Ursachen der allgemeinen tiefen Unzufriedenheit das Treiben der verabscheuten öster127

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LHA Dresden, Loc. 8153, Wechselschriften zwischen den kursächsischen Gesandtschaften zu Rastatt und Regensburg, Bd. 1. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33, Fase. 156, Bl. 148 ff. Ebenda, Rep. 67 B, Nr. 1, c 7, Bd. 8. Ebenda, Rep. 11, Nr. 33, Fase. 156, Bl. 155/56.

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reichischen Soldateska und die kurfürstliche Verwaltung, die alle Mißbräuche und Laster zu einem vollkommenen System vereinigt hätte. »Nichts ist gewisser, als daß der innere Zustand Bayerns in hohem Grade beunruhigend ist." 131 Kurfürst Karl Theodor begriff zwar die Gefährlichkeit seiner persönlichen Lage, wenn er daran dachte, für einige Zeit aus dem Lande zu gehen 1 3 2 ; aber gerade seine Furcht vor der Revolution und seine Abwehr der ständischen Machtansprüche hielten ihn wiederum im österreichischen Lager fest. Er traf umgekehrt Vorbereitungen, der sich bildenden zweiten Koalition beizutreten und sie durch ein für bayerische Verhältnisse starkes Truppenkontingent zu unterstützen. Da die Kassen leer und von den Ständen keinerlei Beiträge zu erwarten waren, beschaffte er sich am 7. September 1798 die päpstliche Vollmacht, der Geistlichkeit die enorme Abgabe von 15 Millionen Gulden aufzuerlegen. 133 Der Nuntius Ziucci in München hatte dieses Geschäft mit Eifer in der Hoffnung betrieben, daß seine persönlichen Schulden in Höhe von 300 000 Gulden vom Kurfürsten aus Dankbarkeit übernommen würden. 134 Mit dieser Aktion wollte sich Karl Theodor nicht nur von Bewilligungen der Landschaft unabhängig machen, sondern er führte gleichzeitig einen Angriff gegen den gewichtigen Stand der Prälaten. Ein Aderlaß von 15 Millionen Gulden bedeutete eine beträchtliche ökonomische Schwächung des hohen Klerus, die sich auch als politische Schwächung der ständischen Opposition auswirken mußte. Ein sächsischer Bericht aus Regensburg meldete daher auch unter dem 30. November 1798: »Die Aufhebung der in Bayern gelegenen Abteien und anderer geistlicher Stiftungen bis auf 15 Millionen Werts, und wozu die päpstliche Erlaubnis gegeben worden, findet bei der Landschaft und Geistlichkeit unerwarteten Widerspruch." 135 Dem Bericht waren Denkschriften der Landschaft und des Prälatenstandes sowie eine Flugschrift beigelegt, die die Rechtmäßigkeit dieser Auflage bestritten. Wenn der Schreiber den Widerspruch unerwartet nannte, so verriet er allerdings kein großes Verständnis für die Situation in Bayern. Unerwartet war höchstens, daß die Landschaft nicht noch heftiger protestierte. 136 Aber als eine Fraktion der herrschenden Klasse, die letztlich mit dem Kurfürsten im selben Boot saß, das auf einem bedenklich unruhigen Meer trieb, besaß sie nur eine sehr beschränkte Bewegungsfreiheit. Auf der Grundlage der ständig zunehmenden Gärung unter den Massen und begünstigt durch die Spannungen innerhalb der einzelnen Fraktionen der herrschenden Klasse meldete sich jetzt schon viel nachdrücklicher und vor allem konstanter als 1794/95 die bürgerliche Opposition zu Wort. Dabei zeigte die Richtung, in der sie ihren Angriff vortrug, ganz deutlich den starken Einfluß des Beispiels, das die württembergische liberale Bewegung gab. 1797 erschien von einem unbekannten Verfasser die Flugschrift »Über den Wert und die Folgen der ständischen Frei131 132 133 134

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.Rien de plus certain, que l'état assez alarmant de l'intérieur de la Bavière." Ebenda, Bl. 159. Steinwachs. Otto, a. a. O., Bd. 56, S. 49. „Teutsche Staatskanzlei", Jahrg. 1799, Bd. 1, S. 268 ff. Rail, Hans, Kurbayern in der letzten Epoche der alten Reichsverfassung 1745-1801. C. H. Beck'sehe Verlagsbuchhandlung, München 1952, S. 415. LHA Dresden, Loc. 30150, Kurbayern, 1798. Vgl. auch »Teutsche Staatskanzlei", Jahrg. 1799, Bd. 1, S. 278 ff.

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heiten in Bayern". Es war eine programmatische Schrift, die im selben Jahr einen Nachdruck, im nächsten bereits eine erweiterte Auflage erfuhr und allein schon durch die vielen Gegenschriften, die sie hervorrief, ihre Bedeutung dokumentierte. Sie leitete gleichsam die Flut von Pamphleten in Bayern ein, die bis über die Jahrhundertwende hinaus anhielt. Der Verfasser redete keiner Revolution von unten das Wort, im Gegenteil, wie er in seiner Vorerinnerung beteuerte, sah er den Zweck seiner Schrift gerade darin, die drohende Revolution vermeiden zu helfen: „Es gibt kein Ländchen im deutschen Reiche, so klein es auch sein mag, wo nicht der größere Haufe das aus Frankreich dahergeflatterte Losungswort »Freiheit und Gleichheit' einander sich zuruft, über Despotendruck lärmt und den Edlen und Priester beschimpft, bloß von nachahmender Modesucht hingerissen und unwissend, die Ursache seines Lärmens und Schimpfens oder die Quelle des vermeinten Druckes auch anzugeben. Selbst Bayern, dieses seinem angeborenen Fürsten von jeher so sehr ergebene, seiner alten Verfassung so unverbrüchlich getreue Volk, ist nicht frei von dieser neumodischen Seuche... Der bayerische Bürger und Landmann, durch das Beispiel der Neufranken gereizt und von deren Verfassung noch weniger als von seiner eigenen unterrichtet, wagt schiefe Vergleichungen zwischen Frankreich und Bayern und glaubt, die nämlichen Ursachen der Unzufriedenheit zu finden, welche die Neufranken zu haben vermeinten." 137 Diese Darstellung kontrastierte seltsam mit der noch seltsameren Behauptung, daß ausgerechnet die „herrliche Verfassung" des Reiches mit ihrem Religionsfrieden, der Kammergerichts- und Reichsexekutionsordnung Deutschland vor jeder revolutionären Gefahr „mit Macht und Kraft" zu schützen vermöge. 138 Offenbar glaubte der Verfasser diesen seinen eigenen Worten nicht; aber er brauchte sie ebenso wie den diffamierenden Ton in seiner Schilderung des französischen Einflusses, um nicht selbst revolutionärer Absichten verdächtigt zu werden. Immerhin flössen auch solche Formulierungen in seine Vorerinnerung ein: „Die Rechte des Fürsten und des Volkes betrachtete ich immer für heilige, unverletzliche Rechte, und der strengste Kritikaster wird mir auch nicht das mindeste Wörtchen heraustorquieren, wodurch mir irgendein gewagter Angriff auf diese Rechte nur dem Scheine nach zur Last gelegt werden könnte." 139 In der Tat vermied der Verfasser jedes direkte kritische Wort an die Adresse des Fürsten; aber seit wann besaß im feudalen Bayern das Volk „heilige, unverletzliche Rechte"? Hinter den Loyalitätsbeteuerungen verbarg sich der aufgeklärte und von den französischen Ideen nicht unbeeinflußte Liberale, der Reformen verlangte, die zum Teil prinzipieller Natur waren: „Man m u ß . . . seine (des Volkes - H. S.) gegründeten Beschwerden ungesäumt abstellen, vor allem aber die erste Quelle der Unzufriedenheit aufsuchen und verstopfen, ehe sie in einem unaufhaltsamen Strom hervorbricht." 140 Diese erste Quelle aber waren die „nach der Barbarei der Vorzeit riechenden, mit den heutigen Umständen und Bedürfnissen nicht mehr vereinbarlichen Vorrechte" der privilegierten Stände.141 157 138 140

Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten in Bayern, o. O. 1797, S. VI, VIII. 130 Ebenda, S. VI. Ebenda, S. XIV. 141 Ebenda, S. VIII. Ebenda, S. XV.

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Auf diese feudalen Vorrechte des Adels konzentrierte der Verfasser sein Feuer. Er ging auf ihren historischen Ursprung zurück und kennzeichnete die ottonische Handfeste, einen Vertrag vom Jahre 1311 zwischen dem Herzog Otto von Niederbayern und den Ständen, die sich damit die Niedergerichtsbarkeit über die Grunduntertanen und die Steuerfreiheit erkauften, als Ausgangspunkt einer Entwicklung, die die alte freie Verfassung Bayerns mehr und mehr zerstörte. In der Folge erweiterten die Stände nicht nur territorial, sondern auch inhaltlich ihre Vorrechte auf Kosten des Volkes; sie schafften sich in der Landschaft und in der landschaftlichen Verordnung Organe, die zwar für das Land zu sprechen vorgaben, in Wahrheit aber bloße Interessenvertretungen der Privilegierten waren. Der Verfasser argumentierte in seiner Widerlegung des historischen Anspruchs, den der Adel zur Verteidigung seiner Vorrechte ins Feld führte, zunächst nicht mit allgemeinen vernunftrechtlichen Prinzipien, sondern begegnete ihm mit dem historischen Nachweis noch älterer Ansprüche des Volkes, die der Adel nur durch „die widernatürlichste Usurpation" an sich gerissen hatte. In der weiteren Auseinandersetzung vermischten sich jedoch historische Argumentation und Begründungen des liberalen Aufklärers immer mehr. Der Anspruch der Landschaft beispielsweise, als Repräsentant des ganzen Volkes betrachtet zu werden, wurde einerseits damit widerlegt, daß keine Urkunde existiert, in der ihr ausdrücklich oder auch stillschweigend eine solche Vollmacht erteilt wurde. Andererseits war das Argument, daß sich gefreite Stände und ungefreite Landesunteranen wie Beklagter und Kläger gegenüberstünden und der Beklagte natürlich nicht als Vertreter des Klägers auftreten könnte, ganz aus dem Bereich des Vernunftrechts entnommen. 142 Der Verfasser bestritt nicht nur den repräsentativen Charakter des Landtags und der landschaftlichen Verordnung, sondern nannte sie geradezu schädlich: „So ungültig auch die Abschlüsse derselben in Absicht des gemeinen Mannes waren, so könnte man sie doch immer so gelten lassen, wenn nur nicht die Stände dabei ihr eigenes Interesse jenem der gemeinen Untertanen vorgezogen, das ihrige von Landtage zu Landtage immer mehr befestigt und erweitert, dagegen das der Untertanen vernachlässigt, man darf sagen, zu unterdrücken gesucht hätten." 143 Die Tätigkeit der landschaftlichen Verordnung war noch negativer als die des Landtags zu bewerten, da dieser nur in großen Abständen, jene dagegen jährlich zusammentrat. 114 Die Schädlichkeit wurde dann im einzelnen an Hand der verschiedenen Vorrechte untersucht, die sich die Stände auf diese Weise zu verschaffen gewußt hatten. Alle diese Privilegien, angefangen von der Steuerfreiheit über den Aufschlag, das jus collectandi et subcollectandi, die Hofanlagen, die niedere Gerichtsbarkeit, die Scharwerke bis zu den Laudemien, beraubten den Staat wertvoller Einnahmen und bedrückten gleichzeitig die Masse des Volkes. Bei der Schilderung der Bedrückung fand der Verfasser sehr scharfe Worte. So sagte er von dem Gesindezwangsdienst, den sogenannten Waiseljahren: „Sie (die Bauernburschen und -dirnen - H. S.) werden wie Sklaven an der Küste der Barbarei zusammengetrieben, mit den schwersten Arbeiten beladen, mit der schlech142

Ebenda, S. 30 ff.

143

Ebenda, S. 35.

*44 Ebenda, S. 42.

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testen Kost, manchmal statt dieser mit Schlägen gefüttert und nicht selten am Ende statt des Geldes mit Stock und Geige belohnt, indessen ihre armen, oft schon sehr alten Eltern die kraftvollen Hände ihrer Kinder entbehren und ihre eigene Hausund Feldarbeit mit größtem Schaden ihrer Güter versäumen müssen." 145 Aber die Kritik des Verfassers ging nicht so weit, daß er die feudalen Lasten schlechthin angriff. Er geißelte den angeblichen Mißbrauch, den die gefreiten Stände auf Grund ihrer Vorrechte damit trieben. Manche feudale Einrichtung, die objektiv die ökonomische Entwicklung hemmte, verteidigte er sogar gegen Verletzungen durch den Adel. So eiferte er gegen die Methode der Hofmarksherren, alle Gattungen von Handwerkern auf ihren Hofmarken anzusetzen und auf diese Weise den Kampf der städtischen Zünfte gegen die Pfuscher unwirksam zu machen: »Jedermann weiß, daß durch dieses anmaßliche Recht der Stände die Städte und Märkte in Bayern, deren Bürgerschaften größtenteils in Gewerbs- und Handwerksleuten bestehen und wohin auch die letzten außer nur jener, der der Bauersmann auf dem Lande bedarf, nach der älteren Landesverfassung allein gehörten, von ihrem ehemaligen Wohlstande sehr weit heruntergebracht worden sind." 1 4 6 Die Kritik des Verfassers an den städtischen Verhältnissen ging denn auch nicht über die allgemeine Feststellung hinaus, daß besonders in den Hauptstädten „allgemach eine unvermerkte Art von Patriziat sich einschleicht, Nepotismus, Parteilichkeit, Kabale usw. herrscht, der manchmal nur durch Schleichwege ohne Verdienst und Kenntnis auf seinen Posten hinaufgehobene Vorsteher seine Mitbürger despotisiert und der Magistrat sich für den Herrn der Stadt, der Kammerkassen, der milden Stiftungen und der bürgerlichen Gerechtigkeiten betrachtet, den Bürger aber wie seinen Untertan behandelt, welcher nur aus bloßer Herrengunst sein Dasein habe." 1 4 7 Seine ganze Aufmerksamkeit wurde von der in der Tat wichtigeren Agrarfrage absorbiert, deren Lösung eine Grundbedingung für den gesamten ökonomischen Fortschritt bedeutete. Aber wie er es hier an der nötigen Konsequenz vermissen ließ, so überspitzte er andererseits wieder, wenn er sich für Bayern »beinahe keine andere, wenigst keine vorteilhaftere Anlage zur Industrie als den Ackerbau" denken konnte. 148 Beides, die Beschränkung in den Reformforderungen und die Unterschätzung der gewerblichen Industrie, hatte dieselbe Wurzel, nämlich die ökonomische und bewußtseinsmäßige Rückständigkeit des bayerischen Bürgertums. Der Verfasser wußte darum auch keinen anderen Ausweg als den Appell an den Fürsten. Nicht umsonst hatte er jedes kritische Wort an solchen Feudalrechten vermieden, die der Kurfürst selbst beanspruchte. Er versuchte vielmehr, das Verhältnis zwischen dem Fürsten und den Ständen als ein prinzipiell gegensätzliches darzustellen und nachzuweisen, daß diese jenen um die wertvollsten Einnahmen betrogen. Empörende Mißstände in der kurfürstlichen Verwaltung, an denen kein kritischer Beobachter vorbeigehen konnte, wurden nicht dem Feudalsystem als Ganzem zur Last gelegt, dessen hervorragendster Repräsentant eben der Fürst war, sondern 145 144 147 148

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. S. S. S.

75/76. 77/78. 82. 80.

VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

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ausschließlich dem verhängnisvollen Einfluß der Stände. Die faktische Unmöglichkeit für den Untertanen, gegen unrechtmäßigen Druck den Schutz höherer Gerichte zu suchen, erklärte er richtig aus der Tatsache, daß die Justiz vom Adel beherrscht wurde; die Frage der Verantwortung des Fürsten für diesen Zustand aber warf er überhaupt nicht auf. 149 Der Verfasser hing der Illusion an, daß der Fürst, von einsichtsvollen Männern beraten, sich mit der Masse der werktätigen Bevölkerung gegen seine eigene Klasse verbünden könnte. In diesem Sinne waren die konkreten Vorschläge gehalten, mit denen die eigentliche Schrift schloß: »Der Bogen ist zu gespannt, er muß brechen. Nur ist es notwendig, daß man einem gewaltsamen Bruche vorbeuge. Die besten Mittel scheinen mir diese zu sein: 1.Ein Landtag, der erste, der diesen Namen verdiente; denn die bisherigen waren weiter nichts als Ständetage. 2. Eine wahre Repräsentation der Untertanen auf diesem Landtage und für alle folgenden Zeiten. 3. Die Untertanen müssen sich unter der Aufsicht der Landesherrschaft ihre Repräsentanten selbst wählen dürfen. 4. Weil die Untertanen bei weitem der größte Teil der Landesbewohner sind und alle übrigen nähren müssen, so sollen sie auch auf dem Landtage und bei den landschaftlichen Versammlungen wenigst ebenso viele Repräsentanten und Stimmen haben als die drei gefreiten Stände miteinander. 5. Die Gegenstände der Beratschlagungen des Landtags sind alle obberichteten Beschwernisse der Untertanen und deren bestmöglichste Abstellung. 6. Vor allem sollte die gnädigste Landesherrschaft geruhen, aus rechtschaffenen und einsichtsvollen Männern, die keinem der drei gefreiten Stände beigetan und geborene, von ihrem Vaterlande gute Kenntnis besitzende Bayern sind, eine Kommission zusammenzusetzen, welche den Plan zum künftigen Landtage, zur Wahl der Repräsentanten der Untertanen, zu den Beratschlagungen, den Gegenständen, Beschwerden, Abschlüssen usw. zu entwerfen und der höchsten Landesherrschaft vorzutragen hätte usw." 150 Von oben also, vom Fürsten, sollte der erste Anstoß ausgehen. Aber - und damit machte der Verfasser einen großen Schritt über den Standpunkt des liberalen Aufklärers hinaus - nach diesem ersten Anstoß besaß das werktätige Volk in seinen Repräsentanten Organe, um seine Interessen selbständig zu vertreten. Die Forderung nach einer Stimmenzahl, die der der drei gefreiten Stände entsprach, war gewiß noch gemäßigt; der Fürst, über dessen Verhältnis zur Repräsentation nichts ausgesagt war, konnte bei strittigen Fragen jedenfalls eine Art Schiedsrichterstellung einnehmen. Vielleicht aber rechnete der Verfasser wie bei der Einberufung der Generalstände in Frankreich mit der Unterstützung durch einzelne Vertreter der gefreiten Stände, so daß eine Mehrheit gesichert war, die auch der Fürst respektieren mußte. Über die Stellung des Fürsten zur Repräsentation zu sprechen, schien offensichtlich noch nicht opportun, solange der erste Schritt, die Wahl der Vertreter, nicht von ihm eingeleitet war. Daß mit der Einführung der Repräsentation im Grunde auch 149

Ebenda, S. 74.

150

Ebenda, S. 90 ff.

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eine konstitutionelle Beschränkung der fürstlichen Gewalt beabsichtigt war, leidet keinen Zweifel. Nicht in der eigentlichen Flugschrift, sondern in einem als Anhang ihr beigegebenen konstruierten Streitgespräch über die Berechtigung, eine solche Schrift vor die Öffentlichkeit zu bringen, wurden zwar vorsichtig, aber doch deutlich genug solche Perspektiven entwickelt. Auf die Behauptung des A., die Schrift wäre empörend, antwortete B. mit dem Hinweis auf ihre Mäßigung: »Die Schrift, über welche dieses harte Urteil gesprochen wird, bestreitet nicht im geringsten die fürstlichen Rechte, sondern nur die Mißbrauche des Adels und der Geistlichkeit. Die meisten anderen politischen Schriften, deren Verfasser ich zum Teil oben genannt habe, gehen viel weiter und wagen es sogar, die willkürliche Gewalt der Fürsten zu beschränken und ihnen den Vorschlag zu machen, dag sie sich selbst freiwillig die Hände binden sollen, damit ihre Nachfolger, Minister und Räte den Völkern nur Gutes, nicht Böses tun sollen." Aber schon bei dem nächsten Einwand, daß öffentliche Druckschriften kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Bedrückungen wären, ging B. aus seiner Reserve heraus und belud den Fürsten wie die Landstände mit der Verantwortung für die bestehenden Obel: .Man hat Jahrhunderte geschwiegen, aber das Obel ward immer ärger. Lange waren Fürsten, Minister, Räte und Landstände; aber die Bedrückungen des Volkes haben sich stets vermehrt und vergrößert, und niemand verteidigte die Rechte der Menschheit... Die Zeit der Finsternis ist vorbei, und jetzt noch das Stillschweigen gebieten wollen, wäre ein Beweis, daß man nicht wisse, was in der Welt vorgeht und geschieht... Die willkürliche Gewalt in der Hand des Fürsten oder der Aristokraten ist verderblich." 151 Die schließliche Absicht, nicht nur die willkürliche Gewalt der Aristokratie zu beseitigen, sondern auch die des Fürsten in eine konstitutionell beschränkte zu verwandeln, äußerte B. offen, als A. behauptete, daß die Landstände nur eine beratende Stimme besäßen: «Kann nicht auch der Fürst durch Leidenschaften, z. B. durch den Eroberungsgeist, hingerissen oder auch aus Schwachheit durch Minister und Räte irregeführt werden? Wer entscheidet hier über Recht oder Unrecht? Wenn die Repräsentanten nur raten dürfen, wann es der Fürst fordert, wenn ihr Widerspruch auch bei den wichtigsten Angelegenheiten, z. B. bei der Frage, ob Krieg geführt oder ein Teil des Landes veräußert werden solle oder nicht, bloß als ein Rat angesehen wird, den der Fürst befolgen oder verwerfen kann, so lohnt es der Kosten nicht, daß das Land Landstände habe und besolde." 1 5 2 Der Kunstgriff des Verfassers, seine weitergehenden Absichten nicht selbst zu äußern, sondern einem anderen in den Mund legen, war ein durchsichtiges Manöver. Auf diese Weise konnte er sich den Anschein großer Mäßigung geben, das Augenmerk der Leser auf die nächste Aufgabe konzentrieren und dennoch die Konsequenzen andeuten, die schon weniger gemäßigt waren. Offenbar aber war dieser Kunstgriff doch nicht so durchsichtig, daß er nicht verschiedene Zeitgenossen täuschte. Der preußische Gesandte in Regensburg berichtete ausführlich über Aufbau, Inhalt und Forderungen dieser Schrift; vom Anhang bemerkte er nur, daß mit 151 158

Ebenda, S. 95/96. Ebenda, S. 107.

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ihm die Pressefreiheit und insbesondere die Veröffentlichung dieser Schrift verteidigt wurde. 153 Selbst der ausgesprochen feindlich gesonnene Rezensent in der Oberdeutschen Allgemeinen Literaturzeitung vom 11. Oktober 1797, dem der Verfasser in der zweiten Auflage seiner Schrift ausführlich antwortete, ging mit keinem Wort auf den Anhang ein.154 Dabei fand sich in diesem Anhang, für den der Verfasser nicht verantwortlich zeichnete, auch eine solche Formulierung: »Die Schlüsse und Grundsätze der Philosophie sind mächtiger geworden als alle Kriegsheere der Könige!" 155 Der gewählte Vergleich erinnert zu stark an die Niederlage der Koalition der Könige im Interventionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich, um noch als naives Vertrauen des Aufklärers in die Macht der bloßen Idee ohne ihre Umsetzung in materielle Gewalt gewertet werden zu können. Die Französische Revolution hat Pate bei der Schrift gestanden, gewiß nicht in ihrer jakobinischen Phase, wohl aber in ihrem Beginn, da sie über die konstitutionelle Monarchie noch nicht hinausgegangen war. Taktische Rücksichten ließen es dem Verfasser ratsam erscheinen, diese Quelle seiner Ansichten zu verschleiern. Wie schon gesagt, hatte die Schrift eine in Bayern bis dahin ungekannte Wirkung. Die erste Auflage und mit ihr der von einem geschäftstüchtigen Verleger veranlaßte Nachdruck waren im Nu vergriffen, so daß sich der Verfasser 1798 zu einer zweiten Auflage mit einer Titelvignette, die den Bauernstand dem Landschaftskörper bereits zuteilte, und mit einem neuen Anhange entschloß, in dem er sich mit der genannten Rezension in der Literaturzeitung auseinandersetzte. 156 Dabei konnte er in seiner Vorrede bereits auf eine andere Flugschrift hinweisen, die, wenn sie auch seinen Auffassungen widersprach, doch durch ihn wesentlich veranlaßt war. Es handelte sich um den »Versuch über den Ursprung und Umfang der landständischen Rechte in Bayern".157 Diese Arbeit war von dem Landschaftsarchivar Panzer mit dem Ziel angefertigt, das Ansehen der Landschaft in den Augen der Öffentlichkeit wesentlich zu heben. Die Vorrede war zwar vom 16. November 1796 datiert, aber die Arbeit selbst erst 1798 gedruckt. Das Inhaltsverzeichnis avisierte als einen Nachtrag eine Auseinandersetzung mit der Schrift »Ober den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten". Panzer versuchte, aus der allgemeinen Opposition gegen die österreichische Politik des Kurfürsten für die Landschaft Kapital zu schlagen und ihr Recht auf Bewilligung, Erhebung und Verwaltung der Steuern, auf Teilnahme an Gesetzgebung, Kriegserklärungen und Friedensschlüssen zu behaupten und als geradezu segensreich hinzustellen. 158 Er war klug genug, die hergebrachte Repräsentation nicht für die vollkommenste zu halten, nannte jedoch ihre Umbildung in eine verhältnismäßige Repräsentation ein schwieriges Unternehmen und schlug 153 161

155 156 457

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DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33, Fase. 173, Bl. 76/77. Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten in Bayern. Zweite mit Anmerkungen versehene Auflage, samt einem ganz neuen Anhange, o. O. 1798, S. 19 ff. Über den W e r t . . . , a. a. O., 1797, S. 100/01. Über den Wert..., a. a. O., 1798, S. V/VI. (Panzer, Georg Woltgang), Versuch über den Ursprung und Umfang der landständischen Rechte in Bayern. Ein Beitrag zum bayerischen Staatsrechte, o. O. 1798, 1. Abt. Ebenda, S. 36 ff.

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darum vor, das Interesse der Landeseinwohner mit der Landschaft besser dadurch zu verbinden, daß die Feudalherren ebenfalls besteuert und die Vorrechte der Geburt teils aufgehoben, teils fixiert würden, um eine weitere Ausdehnung der Ungleichheit in den Rechten zu verhindern. Kleine Zugeständnisse also sollten die Landschaft in ihrer bisherigen Form retten und ihren Anspruch stärken, als Landesrepräsentation zu gelten. 159 Panzer als Archivar der Landschaft und gewissermaßen als ihr offiziöser Sprecher war nicht ihr einziger Verteidiger. Schon 1797 war ein .Gegenstück zu der neuen Flugschrift: Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten in Bayern" erschienen.160 1798 wurde ein weiterer proständischer »Beitrag zur Prüfung der Schrift" veröffentlicht.161 Sogar noch im Jahre 1800 hielt es ein Verteidiger der Landschaft für angebracht, eine »Beurteilung der anonymischen Schrift: Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten" herauszubringen.162 Umgekehrt aber knüpften auch die Anhänger von Reformen an das bahnbrechende Werk an, so Christoph von Aretin in einer 1799 anonym erschienenen Flugschrift 16S , so die im selben Jahr veröffentlichte Schrift »Über die Quellen des wachsenden Mißvergnügens in Bayern", die sich ausdrücklich als Nachtrag jenes ersten grundlegenden Werkes bezeichnete.164 Die Schrift »Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten" wirkte bahnbrechend; aber sie konnte natürlich nur so wirken, weil die bestehenden Verhältnisse in jeder Hinsicht zur Fessel geworden waren und das sich in ihrem Schöße entwickelnde Neue gebieterisch ihre Veränderung verlangte. Diese Forderung, eben weil sie einem allgemeinen Bedürfnis entsprang, hatte sich selbstverständlich schon vor dem Erscheinen der genannten Schrift auf diese oder jene Weise, in Unruhen, in Pamphleten und Abhandlungen, geäußert. Die Schrift wurde nicht wie Athene aus dem Haupte Zeus' plötzlich geboren, sondern ihre Bedeutung und das Geheimnis ihrer Wirkung bestanden darin, daß sie im rechten Zeitpunkt das allgemeine, aber noch recht uneinheitliche Begehren programmatisch zusammenfaßte. Gute Vorarbeit hatte vor allem schon die landwirtschaftliche Reformliteratur geleistet. Ein hervorragender Pionier auf diesem Gebiet war Simon Rottmanner, selbst bäuerlicher Herkunft. Als Sohn eines reichen Bauern aber konnte er das Gymnasium und die Universität zu Ingolstadt besuchen. Nach abgeschlossenem Jurastudium war er als Rechtskonsulent und Verwalter beim Grafen von Preysing tätig. Er verfolgte die erreichbare landwirtschaftliche Literatur, machte Studienreisen in die Main- und Rheingegend, heiratete eine reiche Bauerswitwe und kaufte schließlich 159 181

162 163

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30*

Ebenda, S. 49 ff. •«» DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33, Fase. 173, Bl. 77 Beitrag zur Prüfung der Schrift: Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten in Bayern, o. O. im Erntemonat 1798. Der Verfasser stützte sich auf Panzers Arbeit, auf die er ausdrücklich verwies (S. 14). DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 33, Fase. 173, Bl. 78. (Aretin, Christoph von). Ein neuer Landtag, die wichtigste Angelegenheit für Bayern, o. O. 1799. (Pelkhoven, Johann Nepomuk von). Über die Quellen des wachsenden Mißvergnügens in Bayern. Ein Nachtrag zu der Abhandlung über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten, o. O. 1799.

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den kleinen Edelsitz Ast, den er zu einer Musterwirtschaft entwickelte. 165 Mit Stolz sagte er von sich: „Ich habe nicht nur alle Gegenden meines Vaterlandes genau kennengelernt und die meisten Länder im Reiche, besonders am Rhein mit dem Auge eines ökonoms öfter durchreist, sondern selbst schon vieles für den Kleebau, für den Anbau der Brache und für die Stallfütterung geschrieben; und ich habe bei meiner Wirtschaft schon zwanzig Jahre eine vollständige Stallfütterung." Aus seinen Schriften könne man erkennen, „dag ich fast alle ökonomischen Bücher gelesen habe und dag ich mich bemühe, die Theorie mit der Erfahrung zu verbinden". 166 Rottmanner beschränkte sich nicht auf die Propagierung moderner agrarwissenschaftlicher Erkenntnisse; er begriff zu gut, dag die bestehende sozialökonomische Ordnung einfach keinen Raum für die Entwicklung fortgeschrittener Produktionsmethoden lieg. „Kann der Bauer", so fragte er in einer anonym erschienenen Schrift 1797, „in den dermaligen Umständen bei den vielen Fron- oder Scharwerksdiensten, bei den vielen Getreideabgaben an die Grundherren, bei seinem elendigen Leibrechte oder Freistift, vermög deren er und seine Kinder nach Willkür des Grundherrn vom Gut gejagt werden können, bei dem dermaligen Mangel an Dienstboten, bei seinen schlechten Hütten und Ställen, ohne Geld, ohne Futter und Stroh, bei entkräfteten Äckern, bei so verschiedenen Richtern, bei so kostbaren Vermessungen der Gründe und Taxen, bei so vielerlei Einsprüchen der Zehntherren, der Grundherren und Nachbarn, bei so vielerlei Dienstbarkeiten und Hindernissen, die er aus eigener Kraft nicht beseitigen kann, die Stallfütterung und die hochgepriesene Kultur unternehmen?" 167 Rottmanners Schriften waren darum zugleich politische Kampfschriften. Mit gutem Recht konnte er 1796 von sich sagen: „Ich war der erste, der meine Landleute auf Forstwirtschaft und Forstwissenschaft aufmerksam machte, der erste, der es zu behaupten wagte, dag, wenn die Kultur bestehen soll, die Menge des Wildes vermindert werden müsse und dag der Landmann, der in den dermaligen Zeiten so viele Abgaben zu bestreiten hat, dasselbe nicht mit seinem Getreide füttern könne. Ich verteidigte den Landmann wider die neuen Eingriffe einiger Zehntherren, wider die Exzesse der Gerichtspraxis und wider die Migbräuche der Jäger, Schörgen und Wasenmeister. Ich wagte es zuerst, die Schädlichkeit des Leibrechts und der Freistifte zu zeigen, und machte Vorschläge zu dem weit nützlicheren Erbrecht, wodurch das Schicksal des grogen Haufens arbeitender Menschen erleichtert würde."1®8 Rottmanner blieb dabei immer der Agrarfachmann; aber wie er mit seinen kritischen Arbeiten dazu beigetragen hatte, dag die Schrift „Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten" geschrieben werden konnte, so schärfte umgekehrt das darin zum Ausdruck kommende Anwachsen der Opposition auch seine Feder. Am weitesten ging er in seinen Angriffen auf die Geistlichkeit, besonders auf das 1.5

Hoffmann, Ludwig, ökonomische Geschichte Bayerns unter Montgelas 1799-1817. In: Bayerische Wirtschafts- und Verwaltungsstudien. Herausgegeben von Georg Schanz. Erlangen 1885, Bd. 2. H. 1, S. 60/61. 1.6 (Rottmanner, Simon), Ofellus rusticus..., a. a. O., S. 8 ff. 11)7 (Rottmanner, Simon), Sammlung von Beurteilungen einiger bayerischer politischer Druckschriften. Von einem Zuschauer auf dem Lande, o. O. 1797, S. 26 ff. 1,8 (Rottmanner, Simon), Ofellus rusticus..., a. a. O., S. 9.

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Mönchsunwesen. In der Auseinandersetzung mit einer Schrift, deren Verfasser die kulturellen Leistungen der Klöster hervorhob und die rhetorische Frage stellte: .Was war Bayern vor den gestifteten Klöstern gegen jetzt?", erklärte Rottmanner: »Die Handwerker sind zur Kultur weit notwendiger als die Klöster, und diese würden ohne jene wenig kultiviert haben. Man könnte also auch fragen: Was war Bayern vor den Schmieden, Seilern, Wagnern, was war es vor den Handwerken und Künsten? . . . Können die dermaligen Mönche bei ihrer ganz geänderten Lebensart noch einen Anspruch auf die Verdienste ihrer ältesten Vorfahren machen? Ich frage weiter: Was könnte Bayern sein, wenn wir von der ungeheuren Menge der Klöster und Mönche befreit und ihre unermeßlichen Güter für die Schulen und Erziehung der Jugend, für die Armen und zum wahren Nutzen des Staats verwendet würden?" 169 Rottmanner teilte diese Auffassung mit vielen. Der Fürstabt Coelestin Steiglehner von St. Emmeram zu Regensburg schrieb am 16. April 1798 dem Abt von Benediktbeuren: .Das Publikum deutet nun mit Fingern auf die Klöster und erwartet unsere Säkularisation,..." 170 Darum warnte er am 12. Dezember 1798 auch seinen Freund Roman Zirngibl, den Probst von Haindling, vor jeder übergroßen Strenge bei der Abgabeneintreibung: .Mit Exekution aber müssen wir Geistlichen schonend zu Werke gehen, damit wir nicht die ersten sind, welche den Untertan zur Verzweiflung bringen und zum Aufruhr reizen." 171 Sprach Rottmanner in bezug auf die Klöster einer Radikalkur das Wort, so trat er den Grundherrn doch weniger entschieden gegenüber. In seinem .Beitrag Zur Geschichte der Frone oder Scharwerk in Bayern", dessen erster Teil 1798 erschien, stellte er zwar die Rechtmäßigkeit ihrer Privilegien mit dem Hinweis in Frage, daß .ihre Vorfahren bei der Erlangung ihrer Freiheiten eben nicht den geradesten Weg gegangen sind", aber er behandelte die Privilegien schließlich doch als gegebene Tatsachen, an denen er zunächst nicht rüttelte. 172 Er appellierte vielmehr an die Feudalherren, von sich aus nach dem Beispiel einzelner Adliger, wobei er an Maximilian von Preysing denken mochte, in ihren Forderungen nachzulassen und so die unerträgliche Lage der Bauern zu mildern. In der speziellen Frage der Scharwerke trat er dafür ein, daß die besonders drückenden ungemessenen Dienste nicht bloß in gemessene, sondern zugleich in eine mäßige jährliche Geldabgabe verwandelt würden. Der Ton jedoch, in dem er die gegebenen Zustände schilderte, verriet, daß er solche Reformen als ein allernotwendigstes Minimum betrachtete: .Die Sklaven, deren Dasein doch vor so vielen Jahrhunderten aufgehört hat, waren also weit besser daran als unsere heutigen ständischen Untertanen, die die ungemessene Scharwerk verrichten müssen, ob sie schon ihren Personen nach freie Leute und Mitglieder der Nation sind. Es ist endlich einmal Zeit, das uns alle nährende Landvolk von einem Joche zu befreien, welches es in der Folge ganz niederdrücken iund zur fürchterlichsten Verzweiflung hinreißen würde. Exempla trahunt!" 173 169 170

171 172 173

(Rottmanner, Simon). Sammlung..., a. a. O., S. 10 ff., 18 ff. Grill.

Regis. a. a. O., S. 74.

Ebenda, S. 69. (Rottmanner, Simon), Beitrag zur Geschichte der Frone..., a. a. O., S. VI/VII. Ebenda, S. 156.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Wenn Rottmanner noch in der Weise der Aufklärer die Gewißheit schließlicher Befreiung von den feudalen Fesseln abstrakt auf die Philosophie und den »holden Genius der Zeit" gründete, so ist bei ihm doch gleichzeitig schon die innige Berührung mit den Massen spürbar, die der reinen Aufklärung fremd blieb. Rottmanners ganze Sympathie, ja Liebe, gehörte den Werktätigen, insbesondere den Bauern. Der Gedanke, daß auch der Bauernschaft eine Repräsentation gebührte, klang mit in der zunächst noch negativen Feststellung: „Die Bauern sind nur die leidenden Glieder des Staatskörpers, deren Stimme nie gehört wird. Sie getrauen sich kaum, über Bedrückungen zu weinen, denn selbst ihre Seufzer werden gestraft." 174 Es war nur ein kleiner Schritt von dieser Feststellung zu der einer anderen Flugschrift aus dem gleichen Jahre, wonach es für einen «gemeinen schlichten Bauernverstand . . . zu hoch und unbegreiflich ist, wie doch diese gnädigen Herren es dahin haben bringen können, sich zu alleinigen Sprechern des ganzen Volkes aufzuwerfen und dem Bauernstand, der doch bei weitem der allergrößte ist und allen übrigen Brot und Nahrung verschaffen muß, den Mund zu verschließen, sogar dann zu verschließen, wenn über sein Wohl und Wehe allein die Rede ist".175 Am Ende stand die Forderung nach einer bäuerlichen Vertretung, wie sie die Schrift »Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten" formuliert hatte.

4. Die revolutionär-demokratischen Bestrebungen zur Bildung einer süddeutschen Republik Auf der Basis der allgemeinen Verschärfung des Klassenkampfes erreichten die revolutionär-demokratischen Kräfte in Süddeutschland um die Wende von 1798/99 ihren höchsten Aufschwung. Ihr wichtigstes Zentrum war Württemberg. Die württembergischen Revolutionäre hatten sich bei der Offensive zu Beginn des Jahres 1798, die in dem Plane zur Sprengung des Rastatter Kongresses gipfelte, nicht so exponiert, daß sie die Gegenmaßnahmen des Direktoriums und der feudalen Reaktion so stark wie die Revolutionäre am Rhein trafen. Sie konnten darum jetzt zu einem revolutionären Zentrum werden, das die versprengten Kader am Oberrhein wieder sammelte, alte Verbindungen festigte und vor allem neue knüpfte. Den Kern bildete die schon in der Bewegung von 1796 tätige Gruppe um Haller und Kämpf. Ihr Kreis, der sich den unverfänglichen Namen „Gesellschaft" gab, hatte sich bedeutend erweitert. Zu einem Teil waren es Angehörige der bürgerlichen Intelligenz, so der Kanzleiadvokat Dr. Lang aus Weilheim, Sohn des dortigen Stadtpfarrers und „nach allen Umständen ein fähiger Mann", wie selbst die später vom Herzog eingesetzte Untersuchungskommission zugeben mußte 176 ; weiterhin der Posthalter Adam Karl August Eschenmeyer aus Plochingen, der es später bis zum Heidelberger Universitätsprofessor brachte, der Kanzleiadvokat Johann Ludwig 174 175 176

Ebenda, S. 118. Etwas über die Bevölkerung in Bayern, o. O. 1798, S. 20. HSA Stuttgart, A l l , Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 21. 2. 1800.

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Wenn Rottmanner noch in der Weise der Aufklärer die Gewißheit schließlicher Befreiung von den feudalen Fesseln abstrakt auf die Philosophie und den »holden Genius der Zeit" gründete, so ist bei ihm doch gleichzeitig schon die innige Berührung mit den Massen spürbar, die der reinen Aufklärung fremd blieb. Rottmanners ganze Sympathie, ja Liebe, gehörte den Werktätigen, insbesondere den Bauern. Der Gedanke, daß auch der Bauernschaft eine Repräsentation gebührte, klang mit in der zunächst noch negativen Feststellung: „Die Bauern sind nur die leidenden Glieder des Staatskörpers, deren Stimme nie gehört wird. Sie getrauen sich kaum, über Bedrückungen zu weinen, denn selbst ihre Seufzer werden gestraft." 174 Es war nur ein kleiner Schritt von dieser Feststellung zu der einer anderen Flugschrift aus dem gleichen Jahre, wonach es für einen «gemeinen schlichten Bauernverstand . . . zu hoch und unbegreiflich ist, wie doch diese gnädigen Herren es dahin haben bringen können, sich zu alleinigen Sprechern des ganzen Volkes aufzuwerfen und dem Bauernstand, der doch bei weitem der allergrößte ist und allen übrigen Brot und Nahrung verschaffen muß, den Mund zu verschließen, sogar dann zu verschließen, wenn über sein Wohl und Wehe allein die Rede ist".175 Am Ende stand die Forderung nach einer bäuerlichen Vertretung, wie sie die Schrift »Über den Wert und die Folgen der ständischen Freiheiten" formuliert hatte.

4. Die revolutionär-demokratischen Bestrebungen zur Bildung einer süddeutschen Republik Auf der Basis der allgemeinen Verschärfung des Klassenkampfes erreichten die revolutionär-demokratischen Kräfte in Süddeutschland um die Wende von 1798/99 ihren höchsten Aufschwung. Ihr wichtigstes Zentrum war Württemberg. Die württembergischen Revolutionäre hatten sich bei der Offensive zu Beginn des Jahres 1798, die in dem Plane zur Sprengung des Rastatter Kongresses gipfelte, nicht so exponiert, daß sie die Gegenmaßnahmen des Direktoriums und der feudalen Reaktion so stark wie die Revolutionäre am Rhein trafen. Sie konnten darum jetzt zu einem revolutionären Zentrum werden, das die versprengten Kader am Oberrhein wieder sammelte, alte Verbindungen festigte und vor allem neue knüpfte. Den Kern bildete die schon in der Bewegung von 1796 tätige Gruppe um Haller und Kämpf. Ihr Kreis, der sich den unverfänglichen Namen „Gesellschaft" gab, hatte sich bedeutend erweitert. Zu einem Teil waren es Angehörige der bürgerlichen Intelligenz, so der Kanzleiadvokat Dr. Lang aus Weilheim, Sohn des dortigen Stadtpfarrers und „nach allen Umständen ein fähiger Mann", wie selbst die später vom Herzog eingesetzte Untersuchungskommission zugeben mußte 176 ; weiterhin der Posthalter Adam Karl August Eschenmeyer aus Plochingen, der es später bis zum Heidelberger Universitätsprofessor brachte, der Kanzleiadvokat Johann Ludwig 174 175 176

Ebenda, S. 118. Etwas über die Bevölkerung in Bayern, o. O. 1798, S. 20. HSA Stuttgart, A l l , Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 21. 2. 1800.

4. Bestrebungen zur Bildung einer süddeutschen Republik

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Müller aus Sulz, der Pfarrer Denzer zu Ilsfeld im Oberamt Lauften, aus Stuttgart der Antiquar Steinkopf, der Kanzleiadvokat Johann Friedrich Zeller, der Regierungsregistrator und -Sekretär Hauff und der Kanzlist Magister Neuffer. Das gewerbetreibende Bürgertum war neben dem Fabrikanten Haller durch Männer wie die Kaufleute Ludwig Friedrich Ofterdinger, dessen Haus in Stuttgart ein wichtiger Versammlungsort der Revolutionäre wurde, Rehfus aus Ebingen, Lieb aus Stuttgart und den Konditor und Spezereihändler Johann Jakob Schneckenburger aus Tuttlingen vertreten. Von besonderer Bedeutung war die Tatsache, daß eine beträchtliche Anzahl junger Offiziere der herzoglichen und Kreistruppen mit der »Gesellschaft* in Verbindung traten und zum Teil darin eine führende Rolle spielten; in erster Linie sind hier der Oberleutnant Karl Friedrich von Penasse und die Leutnante Christian Friedrich Ludwig Bauer, Christian Leopold Pelletier und Karl Streim, dann aber auch Karl Friedrich Kerner, Walter, Georgi und Wibbeking zu nennen, die meist in Stuttgart, Ludwigsburg oder Eßlingen stationiert waren. 177 Enge Verbindungen bestanden zwischen den Württembergern und der Reichsstadt Ulm. In Ulm wirkte neben dem Bürger Johann Kindervater, der schon in der ersten Hälfte der 90er Jahre als Mitglied der Lesegesellschaft und Freimaurerloge hervorgetreten war 1 7 8 , der Kaufmann Christoph Heinrich Wechsler, wie Kindervater in der Lesegesellschaft tätig, Mitglied des Bürgerausschusses und seit 1796 mit Haller und Linck verbunden. Ein an Haller adressierter Brief Wechslers vom 6. August 1797 bewies, »daß derselbe schon im Jahre 1797 mit dem Fabrikanten Haller und anderen Revolutionsprojektanten an der Republikanisierung Schwabens gearbeitet, dabei vorzüglich auf die Unterstützung der für die Sache zu gewinnenden württembergischen Untertanen gerechnet und durch sein Schreiben den Fabrikanten Haller mit der größten Lebhaftigkeit zu fernerer Mitwirkung in der Ausführung dieses Planes aufgefordert hatte". 179 Die Vermutung des Ulmer Magistrates, daß Wechsler auch 1798 bei der geheimen Absendung Müllers alias Bärenstechers nach Paris beteiligt war und ihn bis nach Stuttgart begleitet hatte, war durchaus begründet. 180 Daß die Reichsstadt Reutlingen mit ihrem Bürgermeister Fezer an der Spitze und darüber hinaus eine ganze Reihe anderer schwäbischer Städte in die revolutionären Bestrebungen einbezogen waren, bewies ein Brief des Straßburgers Friedrich Cotta an Fezer, worin er ihm den Rheinübergang Jourdans 1799 anzeigte und fortfuhr: »Ich habe, mein Lieber, Deine und Freund R/s Briefe empfangen und danke dafür, bitte aber zugleich inständig um baldige Fortsetzung und Komplettierung der doppelten Liste braver Männer aus den schwäbischen Städten. Der Augenblick ist gekommen... Gott wird ferner mit der großen Sache sein. Klugheit und Mut." 1 8 1 Als Anhänger des revolutionären Projekts in anderen Städten wurden namentlich genannt Leth aus Bruchsal, Kaufmann Stoll aus Heilbronri, Kirchenrat Mieg und der 177 178

179 180 181

Ebenda, Bü. 27. Ebenda, Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 28. 2. 1800; vgl. auch Endriß. Julius, a. a. O., S. 55/56, 106 Anm. 18. HSA Stuttgart, Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 31. 1. 1800. Ebenda, Schreiben des Magistrats vom 5. 2. 1800. Ebenda, A 30, Nr. 149, zitiert im Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Schaffner Hedäus aus Heidelberg. 182 Weitere Beziehungen bestanden zwischen den Württembergern und dem Kreis um den hessen-homburgischen Gesandten in Rastatt und Freund Hölderlins, Isaak von Sinclair. Nach den Aussagen seines ehemaligen Schützlings Blankenstein, der später zum Verräter an ihm wurde, hat Sinclair in Rastatt mit Baz revolutionäre Pläne verfolgt und auch zu Hofacker auf solcher Basis Beziehungen unterhalten. 183 Die Bekanntschaft Sinclairs mit Kämpf datierte bereits aus dessen Homburger Zeit. Über seinen nahen Freund Jung, der 1798 seinen Dienst in Homburg quittierte und sich nach Mainz begab, war Sinclair auch mit den dortigen Klubisten verbunden. Sinclair gehörte zu den klarsichtigen Revolutionären, die auch die Jakobinerdiktatur als notwendige Phase der Französischen Revolution begriffen hatten. 184 Nicht im einzelnen nachweisbare, aber dennoch eindeutige Kontakte konnten die Württemberger mit Münchener Revolutionären herstellen. 135 Das württembergische Zentrum arbeitete aufs engste mit den deutschen Revolutionären im Linksrheinischen und in der Schweiz zusammen. Die von dem württembergischen Herzog eingesetzte Kommission zur Untersuchung der revolutionären Bestrebungen stellte in einem Zwischenbericht vom 25. Februar 1800 eine Liste von zwanzig besonders Belasteten auf, unter denen Revolutionäre vom jenseitigen Rheinufer die ersten fünf Plätze einnahmen. An erster Stelle war der unentwegte Jägerschmidt genannt, der damals nicht mehr Faktor, sondern Münzdirektor in Niederschönthal war. Auf ihn folgte der Architekt Krutthofer, einst in herzoglich-zweibrückenschen Diensten, in Mannheim und Heilbronn ansässig, jetzt aber im Linksrheinischen und in der Schweiz als führender Revolutionär tätig und mit Linck schon seit 1796 bekannt; er nannte sich auch Mauerbrecher, stand angeblich einer Firma Ballista und Comp, in Worms vor, hielt sich bald in Zürich im Hauptquartier des Generals Lecourbe, bald in Basel auf. An dritter Stelle war Georg List, an vierter Linck und an fünfter Maier alias Fahrländer genannt, alle drei erprobte Revolutionäre. 186 Ein anderes Verzeichnis, das die von den Verhafteten als beteiligt oder zumindest unterrichtet bezeichneten Personen aufführte, nannte unter den Überrheinern außerdem Rebmann, die Mainzer Dr. Wedekind und Petersen, den Handlungsgehilfen Schmidt aus Basel, einen Rehm und den aus Stuttgart stammenden Heller in Frankenthal, den gebürtigen Ulmer Johann Michael Äffsprung, der 1796 Schweizer Bürger geworden war, und den ehemaligen Benediktiner Franz Xaver Bronner aus Donauwörth, der sich ebenfalls in der Schweiz niedergelassen hatte. 187 Die Verbindung zwischen den Revolutionären auf französischem oder helvetischem Boden und denen in Schwaben wurde durch briefliche Korrespondenz und durch ,8! 184 185

186

183 Ebenda, A 11, Bü. 27. Ebenda, A202, Rubr. 77, Nr. 1. Hettgsberger. Käthe, Isaak von Sinclair, der Freund Hölderlins. Berlin 1920, S. 28 ff., 67, 97. Wie Neumann berichtet, eröffnete ihm Jahrzehnte danach ein Angehöriger dieser Gruppe, der spätere Sekretär im bayerischen Medizinalkollegium Kraus: .Wir wollten hier zu München am Ende des vorigen und im Beginn des laufenden Jahrhunderts im Verein mit dem benachbarten Schwaben eine süddeutsche Republik gründen. Unsere Versammlungen hielten wir in einem Keller in der Weinstrafje, wo sich auch schwäbische Abgeordnete einfanden.* Neumann, Karl Friedrich, Der Plan zu einer süddeutschen Republik am Ende des 18. Jahrhunderts. In: .Deutsche Jahrbücher für Politik und Literatur", Bd. 10, S. 287, 1864. 187 HSA Stuttgart, A11, Bü. 30. Ebenda, Bü. 29 A.

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Emissäre aufrechterhalten. Die schriftlichen Mitteilungen und Aufträge waren häufig als Geschäftsbriefe getarnt, ihre Absender durch angenommene Namen und ihre Empfänger möglichst durch Deckadressen gesichert. Oberleutnant Penasse schrieb als Philipp Braun und lieg für ihn bestimmte Briefe an die Adresse der Jungfer Wörnerin in Stuttgart schicken. Wo man der Post nicht trauen durfte und dennoch auf sie angewiesen war, versandte man auch Bücher, in denen zwischen Decke Buchbinderpapier der eigentliche Brief verborgen lag. Nach Möglichkeit erfolgte die Nachrichtenübermittlung zumindest teilweise durch direkte Boten: »Sie lassen die Briefe nicht auf dem ganzen Wege durch die Post gehen, sondern schicken sie von der Schweiz oder diesseitigen Orten durch Boten an einen bestimmten Ort, wo sie einen Spediteur haben, der sie sodann durch die Post weiterbefördert: So scheinen sie bisher von der Schweiz nach Lörrach und von da nach Tuttlingen durch Boten gebracht und erst von Tuttlingen entweder auf der Route nach Ulm oder nach Stuttgart durch die Post gelaufen zu sein." 188 In Tuttlingen war es Schneckenburger, der als Anlaufstelle für aus Basel durch Boten überbrachte Briefschaften diente und ihre Weiterspedierung auf dem Postwege veranlagte. Die Verbindung zu Schneckenburger hatte der in Lörrach gebürtige Bäckermeister Vollmer hergestellt, der ihn aus der Zeit ihrer gemeinsamen Arbeit in Neuchätel von 1793 bis 1795 als »guten Patrioten" kannte und für geeignet hielt, die Korrespondenz Jägerschmidts nach Ulm, Augsburg, Regensburg und München zu besorgen. Vollmer, der sich auch Remlow nannte, war ein wichtiger Verbindungsmann Jägerschmidts für alle Stützpunkte zwischen .Zürich und Mainz; darüber hinaus bereiste er als Emissär Oberschwaben, bediente sich aber auch anderer wie eines gewissen Mögner als Briefboten nach Tuttlingen. 189 Ein weiterer wichtiger Anlaufpunkt und Emissär zugleich war Hedäus von Heidelberg. Er empfing sowohl von Krutthofer Briefe, die ihn unter dem Decknamen Johann Jakob Fischer erreichten 190 und die er an Penasse weiterspedierte, als auch umgekehrt von Penasse, die er an Krutthofer weiterleitete. Zweimal begab er sich 1799 im Auftrage Krutthofers persönlich nach Stuttgart, um den führenden Köpfen der »Gesellschaft" schriftliche Botschaften und mündliche Weisungen zu übermitteln. 191 Der tätigste Emissär, der die meisten leitenden Revolutionäre jenseits des Rheins wie in Schwaben kannte, darum auch beachtliches Wissen über Ausmag und Zusammenhänge der revolutionären Bestrebungen besag, war der Sohn eines württembergischen Pfarrers und ehemaliger Tübinger Stipendiat Friedrich Essich. Er hatte sich schon vor einigen Jahren in die Schweiz begeben, war dort als Hofmeister, als Sekretär und nach der helvetischen Revolution auch im Dienste der jungen Republik tätig gewesen. Nachdem er mit den deutschen Revolutionären und deren Plänen bekannt geworden war, wurde er ihr eifriger Mitarbeiter und übernahm als landeskundiger 188 189 190 191

Ebenda, Bü. 30, Bericht der Untersuchungskommission vom 25. 2. 1800. Ebenda, Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 28. 1. und 13. 3. 1800. Ebenda, A 30, Nr. 149, Brief Ballistas vom 31. 10. 1799. Ebenda, A l l , Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 8. 4. 1800.

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Verbindungsmann zu Haller, Eschenmayer, Penasse, Ofterdinger und anderen wichtige organisatorische Aufgaben. Als Decknamen, den er verschiedentlich benutzte, wählte er die Umkehrung seines eigentlichen Namens Essich, nämlich Gisse.192 Korrespondenz und Reisen kosteten Geld, das aufzubringen dem einzelnen nicht immer leicht fiel. Zum Teil veranstaltete man Sammlungen unter den Gesinnungsgenossen; so hatten Hauff und Zeller für eine geplante Reise Eschenmayers und Hallers nach Mainz oder Mannheim zum französischen General Mangin Geldbeiträge versprochen. 193 Die Reisekosten der Emissäre nach Schwaben wurden umgekehrt von ihren Absendern bestritten; Hedäus erhielt alle notwendigen Gelder von Krutthofer, der sie angeblich zu einem Teil wieder vom General Mangin ersetzt bekam. Darüber hinaus gewährte Krutthofer auch den württembergischen Revolutionären finanzielle Unterstützung; so übermittelte in seinem Auftrage Hedäus dem Lang drei oder vier Louisdor; so händigte Krutthofer dem Penasse persönlich einen Betrag Silbergeld aus, um eine Informationsreise des Leutnants Pelletier nach Ulm zu ermöglichen. Nach der Aussage Essichs verfügten die Revolutionäre jenseits des Rheins über eine Kasse, deren Bestand im Sommer 1799 700 Louisdor betragen habe. 194 Diese Summe mag - wie man aus der Angabe des Hedäus schließen könnte - zum Teil aus französischer Quelle stammen. Andererseits stellte die herzogliche Untersuchungskommission fest, daß Gesinnungsgenossen aus den badischen Oberlanden Zuschüsse lieferten. 195 Was die Kommission an Tatsachen über das Ausmaß und die Organisiertheit der revolutionären Bestrebungen ermitteln konnte, war selbstverständlich bruchstückhaft. Ihr standen als Material nur eine Anzahl beschlagnahmter Briefe und die Aussagen von etwa Zwei Dutzend mehr oder weniger Beteiligter zur Verfügung, die in der Regel nur das zugaben, was nicht mehr zu bestreiten war; zudem befand sich unter den Verhörten kein einziger führender Kopf vom jenseitigen Rheinufer und auch nicht eine solche zentrale Gestalt wie der Kanzleiadvokat Lang, der rechtzeitig die Flucht ergreifen konnte. Der Bericht der Untersuchungskommission vom 25. Februar 1800 schloß darum auch mit der bezeichnenden Einschränkung: „Höchstwahrscheinlich ist es allerdings, daß die Gesellschaft, wenn sie (sich - H. S.) auch nicht, wie Essich behauptet, bereits auf mehrere Tausend erstreckt, viel zahlreicher ist und daß noch andere mehr bedeutende Personen dazugehören, als unterdessen in Erfahrung gebracht werden konnte." 196 Der Hinweis auf bedeutendere Personen, die möglicherweise in den Kreis einzubeziehen waren, zielte ganz klar auf die oppositionellen Kräfte in der württembergischen Landschaft. In der Tat profitierten die Revolutionäre von der Verschärfung des Gegensatzes zwischen Herzog und ständischer Vertretung. Die daraus resultierende Radikalisierung maßgeblicher ständischer Führer hatte einen Grad angenommen, daß es den Revolutionären möglich und nützlich erschien, Verbindung 1.2 1.3 194 1,5 146

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda.

Bü. 30, Bericht der Untersuchungskommission vom 25. 2. 1800. Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 30. 1., 18. 2. und 21. 2. 1800. A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800. A 11, Bü. 30, Bericht der Untersuchungskommission vom 25. 2. 1800.

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zu ihnen mit dem Ziel aufzunehmen, sie noch weiter voranzutreiben. Der „Zirkel freier Menschen", der die entschiedensten Reformer vereinte und allein schon durch seine Existenz und seinen Namen die zunehmende Radikalisierung anzeigte, zählte zu seinen Besuchern die Mitglieder der „Gesellschaft" Haller und Lang.197 Umgekehrt fanden sich in der „Gesellschaft" auch Reformer wie Hofacker, Danz und Trefz ein. 198 Den stärksten Einfluß übten die Revolutionäre auf Baz aus, der in Paris Linck und dessen revolutionäre Gesinnung kennengelernt hatte und im Verkehr mit Kämpf das vertrauliche Du gebrauchte.199 Kräftige Unterstützung erhielt die Tendenz der Zusammenführung der verschiedenen oppositionellen Richtungen durch den französischen Sonderbeauftragten Théremin. In ihrem Werben um die französische Sympathie hatten die ständischen Reformer über Baz in Paris und Georgii in Rastatt bis über den Sommer 1798 hinaus keinerlei Erfolge buchen können. Georgii resignierte geradezu und vertrat in einem Bericht an den Ausschuß vom 28. September die Meinung, daß die Franzosen nach dem Vorbild Richelieus, der die Protestanten in Frankreich verfolgte, in Deutschland aber unterstützte, in bezug auf die Fürsten verfahren, das heißt „von der Revolution abstrahieren und rein aus Politik handeln" würden.200 Im Herbst jedoch schienen die Aussichten günstiger werden zu wollen. Die französische Regierung hatte Grund, mit der Haltung des Herzogs von Württemberg auf dem Rastatter Kongreß unzufrieden zu sein. Im Gegensatz zumBadenser, der sich ganz auf Frankreich orientierte, versuchte Friedrich, eine mittlere Linie zu beziehen und gerade entgegen der profranzösischen ständischen Opposition die Beziehungen zu Österreich nicht zu zerreißen. Unter diesen Umständen erachtete es Talleyrand für angebracht, sich dem Werben der Stände aufgeschlossener zu zeigen und auf diese Weise den Druck auf den Herzog zu verstärken. So erklärt sich die Sendung Théremins, der im Auftrage des französischen Außenministers im Oktober 1798 nach Stuttgart reiste. Théremin war überzeugter Republikaner. Aus republikanischer Gesinnung hatte er seinen Posten bei der preußischen Gesandtschaft in London aufgegeben und Frankreich seine Dienste angeboten. Mit einer auf Sachkenntnis beruhenden Schrift gegen die englische Regierung hatte er sich eingeführt. Da er als ehemaliger Deutscher über die deutschen Verhältnisse womöglich noch besser unterrichtet war, arbeitete er in der entsprechenden Abteilung des Außenministeriums. Die preußische Gesandtschaft in Rastatt war schockiert und alarmiert, als sie von einer möglichen Entsendung Théremins nach Stuttgart erfuhr: „Sein revolutionärer Kopf soll dort zweifellos dafür sorgen, daß die Keime des Jakobinismus, die da so allgemein verbreitet sind, Früchte tragen." 201 In der Tat vertrat Théremin den Gedanken einer Republikanisierung Süddeutschlands, und diese Gesinnung war Talleyrand keineswegs unbekannt. Ihm lagen verschiedene Denkschriften Théremins, darunter die 1,7 198 1W 204 201

Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 235. HSA Stuttgart, A 11, Bü. 27, Schreiben Hubers vom 20. 3. 1800. Ebenda, Bü. 25, Ziffer 48, Bl. 205/06. Vgl. auch S. 507. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 225. »Sa tête révolutionnaire doit sans doute s'exercer pour y faire fructifier les germes de Jacobinisme, qui y sont si généralement répandus." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 4, Bl. 166.

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vom September 1798 vor, in der er im Falle der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten die Errichtung einer schwäbischen Republik warm empfahl: »Das Direktorium würde bei dieser Maßnahme zwei Hauptvorteile finden: Es würde den Kaiser aus der Nachbarschaft der Republik entfernen, indem es dafür sorgte, dag er den Breisgau und seine übrigen Besitzungen, bekannt unter dem Namen Schwäbisch-Österreich, verlöre; es würde einen Stützpunkt in Deutschland haben und könnte sich nach Belieben in die Angelegenheiten dieses Landes mischen. Unter diesem doppelten Gesichtspunkt würde die Grenze am Oberrhein ebenso fest verbürgt sein wie die der Alpen. Es hinge vom Direktorium ab, diesen neuen Staat nach Wunsch zu vergrößern, und vielleicht läge es in seinem Interesse, bei dieser Gelegenheit das Projekt auszuführen und an Stelle der gegenwärtig bestehenden zwei Großmächte drei in Deutschland zu schaffen." 202 Offensichtlich hatte man um diese Zeit im Außenministerium bereits den Gedanken ins Auge gefaßt, Théremin zur Sondierung des Terrains nach Süddeutschland zu schicken, denn er entwickelte in der gleichen Denkschrift schon die nächsten Schritte, die er, mit einer solchen Mission betraut, unternehmen würde: »Ich müßte Baden, Stuttgart, Ulm, Augsburg, Kempten und vielleicht Konstanz durchreisen, denn die hervorzurufende Bewegung muß von einer großen Stadt ausgehen. Ich würde einige Briefe für Gelehrte dieser verschiedenen Städte brauchen. Die Universität Tübingen ist voller Schüler Kants, spekulativer Philosophen, denen es aber nicht leid täte, sich ein wenig mit Realitäten zu beschäftigen, und die nützlich sein können, da die Basis ihrer Spekulationen die Freiheit ist. Es wäre sehr zu wünschen, daß ich einige Mittel besäße, um Zutritt zu den Höfen Badens und Stuttgarts und selbst der Prinzen zu erhalten und so Gelegenheit zu haben, ihre Intrigen mit Österreich und die Hindernisse zu beurteilen, die sie der Emanzipation der Völker in den Weg legen könnten. Der Bürger Frey aus Basel, vor einigen Monaten Gesandter beim Direktorium, hat mir während der Zeit vieles über eine nahe Insurrektion in Schwaben und von einem Kern erzählt, der dort bestand, um eine Republik zu errichten, wovon er mit großer Freude sprach. Diese Insurrektion ist inzwischen im Keim erstickt worden, aber wenn in Ihrem Geschäftsbereich über diesen Gegenstand einige Auskünfte existierten, würde ich um deren Mitteilung bitten, oder ich würde über Basel reisen, um darüber noch einmal mit dem Bürger Frey zu sprechen." 203 202

»Le Directoire trouverait à cette mesure deux avantages principaux: il écarterait l'Empereur cfu voisinage de la République en lui faisant perdre le Brisgau et le reste de ses possessions connues sous le nom de Souabe autrichienne, il aurait un point d'appui en Allemagne et pourrait à son gré intervenir dans les affaires de ce pays. Sous ce double rapport la frontière du Haut-Rhin serait aussi solidement garantie que celle des Alpes. Il dépendrait du Directoire d'agrandir à volonté ce nouvel État, et peut-être serait-il de son intérêt d'exécuter dans cette occasion le projet de former trois grandes puissances en Allemagne au lieu de deux qui s'y trouvent actuellement.' Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 6, 138/39. 203 ,11 faudrait que je parcourusse Bade, Stuttgart, Ulm, Augsburg, Kempten et peut-être Constance. C'est d'une grande ville que doit partir le mouvement à produire. J'aurais besoin de quelques lettres pour des savants de ces différentes villes. L'université de Tubingue est remplie de disciples de Kant, philosophes spéculatifs, mais qui ne seraient pas fâchés de

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Théremins Weg führte über Basel, wo er möglicherweise Näheres über die schwäbischen Revolutionäre von Frey erfuhr. Aus Paris brachte Théremin ein Empfehlungsschreiben von Paganel, dem Generalsekretär des Augenministeriums, an Baz mit; in Rastatt erwirkte er ein solches vom Gesandtschaftssekretär Rosenstiel an Georgii. In Stuttgart, wo er in den ersten Oktobertagen eintraf 204 , hatte er bald sowohl mit den radikalen Führern der Reformpartei wie mit den Männern der .Gesellschaft" innigen Kontakt. Eine große Hilfe war ihm dabei der batavische Gesandte in Stuttgart, Strick van Linschoten, der sein Haus für Zusammenkünfte zur Verfügung stellte und von dem schon Madeweiß am 24. Februar 1798 berichtet hatte, »daß alles, was hier demokratisch gesinnt ist, sich an ihn wendet und von ihm gut aufgenommen wird". 205 Ganz zweifellos hat Théremins Anwesenheit in Stuttgart radikalisierend auf die entschiedensten Reformer gewirkt und sie den Revolutionären nähergebracht, zumal der Herzog weder in der Frage der Kriegskostenumlage und der Militärorganisation der Landschaft entgegengekommen war, noch ihre Vorschläge zur Ausschußreform bestätigt hatte. Sie wußten, daß sie sich nur mit französischer Unterstützung durchsetzen konnten. Die entschiedensten Reformer wie Baz waren sogar bereit, den Weg der Revolution zu gehen. Ausdruck der zunehmenden Radikalisierung dieser Kreise war die Ersetzung des gemäßigten Georgii als landschaftlichen Vertreter in Rastatt im Dezember 1798 durch Baz, der dort nach dem Zeugnis der preußischen Gesandtschaft bei den französischen Deputierten »vielen Zutritt" erhielt. 206 Baz nahm weiterhin Verbindung zu dem Kreis der Revolutionäre um den hessen-homburgischen Gesandten Sinclair in Rastatt auf; er stand in vertraulichem Briefwechsel mit Kämpf; in seinen Berichten an den Ausschuß schlug er einen republikanischen Ton an und nannte die Fürsten »Usurpatoren der Rechte der Nation".207 Allerdings war Baz der Repräsentant des radikalsten Flügels der Reformpartei; seine Haltung war nicht die der Reformpartei schlechthin. Für die Mehrzahl der Reformer blieb Ausgangspunkt ihres politischen Kampfes die landständische Verse mêler un peu de réalités et qui peuvent être utiles en ce que la base le leurs spéculations est la liberté. Il serait fort à désirer que j'eusse quelques moyens d'approcher les Cours de Bade et de Stuttgart et même des princes afin d'être à portée de juger de leurs intrigues avec l'Autriche et des obstacles qu'ils pourraient mettre à l'émancipation des peuples. Le citoyen Frey de Bâle, envoyé il y a quelques mois auprès du Directoire, m'a dit dans le temps beaucoup de choses sur une insurrection prochaine en Souabe et d'un noyau qui y existait pour la formation d'une république, dont il parlait avec beaucoup de plaisir. Cette insurrection a depuis été étouffée, mais s'il existait sur cet objet quelques renseignements dans votre département j'en demanderais communication, ou je passerais à Bâle pour en reparler avec le citoyen Frey." Ebenda, S. 139/40. 8 0 4 Der Herzog irrte, wenn er am 28. 1. 1799 an Abel schrieb, dafj Théremin erst im November und unter anderem Namen nach Stuttgart gekommen sei. HSA Stuttgart, A 11, Bü. 28, Beilage 18, Bl. 90. Die Stuttgarter Polizei führte Théremin mit seinem richtigen Namen bereits am 5./6. 10. 1798 als Fremden, der im Gasthaus »Zum Hirschen" übernachtete, in ihren Pernoctantenlisten. Ebenda, Filiale Ludwigsburg, A 239 a, Nr. 6. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 3, Bl. 157. 2 M Ebenda, Rep. 67 B, Nr. 20, c 5, Bl. 16. ' 207

Hölzle. Erwin, Altwürttemberg..., a. a. O., S. 281 ff.

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fassung, die sie reformieren, aber nicht umstürzen wollten. Bei aller zunehmenden Radikalisierung der ständischen Führer waren sich darum die württembergischen Revolutionäre doch immer des prinzipiellen Gegensatzes bewußt, der sie von den Reformern schied. Die Revolutionäre wollten mit den ständischen Privilegien gründlich Schluß machen. Mit Baz hielt Lang zwar nach der Aussage Penasses innigen Kontakt 2 0 8 ; das mag seinen Grund nicht nur in dem Radikalismus Baz', sondern auch in Längs Bestreben gehabt haben, diese Verbindung als Informationsquelle auszunutzen. Zum Erstaunen des Ausschußmitgliedes Gerst wußte Lang über die Vorgänge im Landtag stets ausgezeichnet Bescheid 209 ; darüber hinaus lieferte er Krutthofer eine Zeitlang sogar Nachrichten über Interna der Regierung. 210 Die Beziehungen, die von diesem Kreis mit dem Landschaftsassessor Gerst gepflegt wurden, dienten jedenfalls in erster Linie der Information. »Dieser als ein beschränkter Kopf", so urteilte die Untersuchungskommission, „der aber gleichwohl als landschaftliches Mitglied auch für eine bedeutende Person angesehen sein wollte, war mehreren neugierigen und jungen Männern, zu denen Hauff und Zeller gleichfalls gehörten, der rechte Mann, durch welchen sie sich von den Verhandlungen des Landtags unterrichten und auf welchen sie wohl auch bei seinen beschränkten Kenntnissen und Einsichten wirken könnten". 211 Lang, Haller und Ofterdinger trieben geradezu ihr Spiel mit diesem Manne, wenn er in des letzteren Haus einkehrte: »Da habe er dann beinahe täglich hören müssen, daß man, wenn die Landschaft auseinandergejagt werde, was am Ende noch geschehen werde, ihn zuerst beim Kopf nehmen würde; wodurch sie nämlich verstanden, daß die Landschaft bloß der Diäten halber da sei, am Ende alles darüber aufstehen werde... Alles, was getan worden, habe jedesmal Anlaß zum Mißvergnügen und Raisonnieren gegeben." 212 Penasse betonte in seiner Vernehmung mit großem Nachdruck, »daß die Verbindung, in der er stehe, ihren Ursprung eigentlich daher genommen, daß sie bei den bemerkten Verbindungen der Landschaft mit dem französischen Direktorium nicht durch die erstere habe wollen revolutioniert werden, vielmehr es dahin einzuleiten im Sinn gehabt habe, unabhängig von den landschaftlichen Einflüssen zu hemdein".213 Haller ging in der Ablehnung der Stände so weit, daß er Penasse gegenüber sogar einmal äußerte: »Man fährt besser, den Herzog zu haben, als wenn wir den Herren von der Landschaft untertänig sein müssen." 214 Diese entschiedene Ablehnung der landschaftlichen Ziele war die eine wesentliche Ursache, weshalb die württembergischen Revolutionäre die Nachricht von dem Eintreffen Theremins zunächst mit einigem Mißtrauen aufnahmen. Eine zweite Ursache beruhte auf der bitteren Erfahrung, daß sich die französische Großbourgeoisie in den vergangenen Jahren nicht nur von revolutionär-demokratischen Bewegungen ener108

HSA Stuttgart, A 11, Bü. 25, Ziffer 49, Aussage Penasses vom 6. 2. 1800. »» Ebenda, Bü. 27, Aussage Gersts vom 25. 1. 1800. 210 Ebenda, Bö. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 30. 1. 1800. 211 Ebenda, Bericht vom 21. 2. 1800. 212 Ebenda, Bü. 27, Aussage Gersts vom 25. 1. 1800. 213 Ebenda, Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 2. 1800. 214 Ebenda, Bü. 25, Ziffer 51, Aussage Penasses vom 28. 1. 1800.

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gisch distanziert, sondern sogar geholfen hatte, sie zu unterdrücken. Selbstverständlich stellte dennoch Frankreich für die deutschen Revolutionäre eine entscheidende Größe dar, ohne die ihre Rechnung nicht aufging; die Realisierung ihrer Pläne war abhängig von gründlichen militärischen Niederlagen der herrschenden Klasse, die ihr nur französische Armeen beibringen konnten. Deshalb hatte das Eintreffen Theremins für sie trotz alledem große Bedeutung. Kämpf hatte als erster davon erfahren und die Neuigkeit an Eschenmayer weitergegeben, der seinerseits Penasse unterrichtete und ihm auftrug, »er solle zu Theremin gehen, ihm eine Empfehlung von Kämpf ausrichten und zu erforschen suchen, was die Absicht seines Hierseins sei".215 Penasse suchte in der Tat Theremin im »Hirschen" auf. Sehr bald hatte auch Lang mit ihm Kontakt aufgenommen, der wiederum Ofterdinger und Haller informierte. Haller gehörte zu den Mitgliedern der .Gesellschaft", die früher als andere die revolutionären Bestrebungen aktiv unterstützt und darum auch schon genügend bittere Enttäuschungen erlebt hatten. Nach den Mißerfolgen der Jahre 1796 und 1797/98 hatte er sich, wie Penasse in der Vernehmung aussagte, »gewissermaßen schon zurückgezogen; wie es aber die Änderung mit der Schweiz gegeben und das Gerücht allgemein worden, daß die Landstände mit dem Directorio in Verbindung seien, geäußert: ,Wenn dies geschehen sollte, so werde er alles tun, daß nicht Fremde oder die Landstände unter dem Einfluß der Franken nur geradehin dem Volk eine Konstitution vorschreiben, und deswegen seine Verhältnisse und Bekanntschaften wieder erneuern." 216 Ebenso bezeichnete Haller vor der Untersuchungskommission es als sein Ziel, »womöglich durch eigene Kräfte eine Revolution zu bewirken und lieber bei der alten Verfassung zu bleiben, als durch die Franzosen eine Revolution bewirken zu lassen. Er habe daher auch mit der Landschaft und den anderen Anhängern der Franzosen nichts zu tun haben mögen..." 217 Zweifellos wollte er mit einer solchen betonten Distanzierung seine Lage als Untersuchungsgefangener verbessern; aber die Aussage war darum nicht etwa aus der Luft gegriffen. Die Ablehnung des ständischen Weges wie der einseitigen Orientierung auf Frankreich war mehr oder weniger allen Revolutionären gemeinsam. Diese Linie bestimmte die Unterhandlungen, die sie mit Theremin im Hause Ofterdingers führten. Haller erklärte vor der Untersuchungskommission, daß sie »ihn für ihre Absichten zu gewinnen gesucht, übrigens aber ihn sehr verschlossen gefunden und nur so viel von ihm erfahren haben, daß er keine besonderen Aufträge und nur mit Hofacker und Baz zu reden habe, auch daß es ihn freue, in Stuttgart so viele 215 216

217

Ebenda, Bü. 29 A, Aussage Penasses vom 28. 1. 1800. Ebenda, Bü. 25, Ziffer 49, Aussage Penasses vom 6. 2. 1800. Tatsächlich waren im Herbst 1798 Hallers Beziehungen zu Linck wieder lebhafter geworden. In einem Billet vom 8. 10., das der Stuttgarter Bürger Schauffler aus Mainz mitbrachte, grüfjte »Bürger Linck, Tribunalrat und Kriminalrichter in Mainz,... seinen Freund Haller recht herzlich und sieht Briefen von ihm mit Vergnügen entgegen. An Bürger Conrad von Ludwigsburg ebenfalls einen freundschaftlichen Gruft und ein brüderliches Andenken an alle echten Freunde." Ebenda, Ziffer 54. Der genannte Conrad war Barchentweber und Teilhaber der Firma Hallers. Ebenda, Ziffer 55, Aussage Hallers vom 15. 1. 1800. Ebenda, Bü. 29 A, Bericht der Untersuchungskommission vom 28. 2. 1800.

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Männer zu wissen, welche für das französische System so gut gestimmt seien*.218 Zunächst bemühten sie sich - offenbar auch mit einigem Erfolg - bei Theremin Zweifel an der Entschlossenheit und Zuverlässigkeit der landschaftlichen Reformer zu wecken. »Sie hätten", so berichtete Penasse, »deswegen die Mitglieder namentlich charakterisiert, und erinnere er sich, daß man z. E. gesagt: Georgii sei ein Mann von Kenntnissen und Talenten, aber für eine einmal gefaxte Idee zu sehr eingenommen ; Baz hingegen ein Mann von mehrerer Konsequenz in seinen Grundsätzen und Haltung in seinem Charakter, auf den man sich in Hinsicht seiner demokratischen Stimmung eher verlassen dürfte, welches denn auch Theremin zugegeben. Von Hofacker sei gesagt worden, dag er sich mehr nach den Umständen richte und überdies etwas zu laut sei, worauf Theremin geäußert, daß er sich mit diesem auch mehr mit Nebengesprächen als Hauptgegenständen unterhalte; von Assessor Hauff habe man geäußert, daß er ein guter Mann, aber noch nicht hinlänglich determiniert sei." 219 Für den Erfolg der Bemühungen, Theremin von der ausschließlichen Orientierung auf die Reformer abzuziehen, spricht auch die Mitteilung Gersts, wonach jener »den Assessor Baz nur den Bruder genannt und daß dieser ein rechtschaffener Patriot sei; wegen der übrigen landschaftlichen Glieder habe er sich nicht so besonders geäußert und dem Advokaten Lang ausdrücklich die Anweisung gegeben, daß er nur mit Baz Umgang suchen soll".220 Ihre Vorbehalte gegenüber dem großbourgeoisen Frankreich brachten die Revolutionäre mit mehr Zurückhaltung vor. Sie hüteten sich, Theremin sogleich in die Pläne einzuweihen, die sie zusammen mit Krutthofer und den anderen linksrheinischen Gesinnungsgenossen verfolgten. 221 Andererseits aber gaben sie sich offensichtlich nicht mit der Versicherung Theremins zufrieden, »daß Jourdan früh über den Rhein gehen und es alsdann, sobald er den Lech zurückgelegt, keinem Anstand unterworfen sein werde, daß es wirklich zu einer Revolution komme".222 In weiteren Gesprächen jedenfalls war er gezwungen, seine Versicherung dahingehend einzuschränken, »daß Reubell für die Staatsveränderung eigentlich nicht gestimmt, hingegen auch dergleichen Leute durch Umstände geleitet werden, weil teils andere Personen Influenz auf sie hätten, teils die übrigen Direktoren zum Teil doch für die Revolution wären". 223 Ein andermal betonte er, »daß der Erfolg der gegenwärtigen Wahlen in Frankreich erst den Ausschlag geben werde,.. . 224 Es konnte Theremin nicht verborgen bleiben, daß die Sympathien der Revolutionäre viel mehr zur Schweiz als zu Frankreich neigten, wobei Haller als der entschiedenste Verfechter eines Umsturzes aus eigener Kraft und Gegner jeder Bevormundung von außen auch der Schweiz gegenüber im internen Kreise noch Vorbehalte hatte. Theremin stellte 818

220 221

223 224

Ebenda, Bericht vom 29. 1. 1800. Ebenda, Bü. 25, Ziffer 51, Aussage Penasses vom 28. 1. 1800. Ebenda. Ziffer 48, Bl. 197. »Von Krutthofers Revolutionsplänen habe Theremin nichts gewußt', sagte Penasse am 28. 1. 1800. Ebenda, Ziffer 51. Ebenda, Bü. 29 A, Aussage Penasses vom 28. 1. 1800. Ebenda, Bü. 25, Ziffer 51, Aussage Penasses vom 28. 1. 1800. Ebenda, Ziffer 49, Aussage Hallers vom 6. 2. 1800.

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nämlich die Frage, „ob sie es gern sähen, wenn man mit der Schweiz verbunden würde, worauf sie geäußert, daß sie sich dieses ganz gut gefallen ließen, weil der Charakter der Schwaben und Schweizer sich immer mehr nähere und die Schweizer bei ihnen in guter Achtung stünden. Der geheime Grund dieser Äußerung, den sie jedoch Theremin nicht entdeckt, sei eigentlich der gewesen, damit eine größere Masse den Unterdrückungen Frankreichs eher widerstehen könnte, mit dem jedoch Haller, der sich gar nicht geäußert, nicht einverstanden gewesen, welcher die Meinung gehabt, daß Stuttgart der Sitz der provisorischen Regierung sein sollte, indem sich die Nahrung sonsten zu sehr von Stuttgart abziehen würde." 2 2 5 Ein Zusammengehen mit der Schweiz empfahl sich den Revolutionären aus verschiedenen Gründen: Erstens hielt die sprachliche und kulturelle Verwandtschaft neben den engen wirtschaftlichen Beziehungen noch die Erinnerung an die ehemalige Zusammengehörigkeit wach, so daß die Schweizer nicht in dem Maße wie die Franzosen als Fremde galten; zweitens hatte die Schweiz ihre bürgerliche Revolution unter aktiver Teilnahme der Volksmassen erst in jüngster Zeit vollzogen, so daß die demokratischen Kräfte noch eine ungleich stärkere Position einnahmen als in Frankreich, wo die Großbourgeoisie nunmehr seit etwa einem halben Jahrzehnt die Macht ausübte; drittens war eine schwäbische Republik in Verbindung mit der Helvetik eine ernst zu nehmende Kraft, die ihre Existenz gegen konterrevolutionäre Angriffe von innen und außen leichter verteidigen und auch ihre Interessen gegenüber der französischen Großbourgeoisie besser vertreten konnte; viertens bestanden größere Aussichten, einer Wiederholung des bourgeoisen Wortbruchs zu begegnen und in Paris die Zustimmung zu einer Republikanisierung im deutschen Süden zu bewirken, wenn es gelang, die Schweiz als Fürsprecher zu gewinnen. Daß in der Schweiz Tendenzen bestanden, sich in nördlicher Richtung zu vergrößern, und daß Frankreich ihnen entgegenkam, bestätigte der Allianzvertrag vom 19. August 1798, worin das Direktorium in den Geheimartikeln der Schweiz das Fricktal und Vorarlberg versprach.226 Die der Schweiz benachbarten Feudalherren hatten für diese Tendenzen eine besonders empfindliche Nase. So schrieb der fürstenbergische Regierungspräsident Kleiser am 8. Februar 1799 an den badensischen Minister von Edelsheim: »Das helvetische Geheimnis ist Ihnen wohl schon lange bekannt. Diese fruchtarme Republik, welche nun auch bald geldarm werden muß, wünschte sehr, einige fruchtreiche Departements von Schwaben einverleibt zu haben, allenfalls bis an die Donau und Kinzig, um die neuen größeren Administrationskosten eher bestreiten zu können." 2 2 7 Die württembergischen Revolutionäre durften also bei ihrer Orientierung auf die Schweiz mit einigem Entgegenkommen rechnen. Ebenso brauchten sie keine starke Abneigung gegen eine solche Verbindung bei der schwäbischen Bevölkerung zu befürchten. Wie aus Dizingers Denkwürdigkeiten hervorgeht, hatten sich breite 225 426

227

Ebenda, Ziffer 51, Aussage Penasses vom 28. 1. 1800. Kaisei, Simon/Sttickler, Johann, Geschichte und Texte der Bundesverfassungen der schweizerischen Eidgenossenschaft von der helvetischen Staatsumwälzung bis zur Gegenwart. Bern 1901, S. 39. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 177/78.

31 Süddeutsche Jakobiner

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Kreise schon mit diesem Gedanken vertraut gemacht: »Es wurde . . . beinahe in allen Gesellschaften davon gesprochen, daß, wenn es den Franzosen gelingen sollte, noch einmal vorzudringen und sich in Württemberg und in dem übrigen Schwaben zu halten, eine schwäbische Republik errichtet und diese mit der helvetischen in Verbindung gesetzt werden würde." 228 Und schließlich fanden die württembergischen Revolutionäre mit dieser Zielsetzung auch die Unterstützung Théremins. Théremin hatte zwar im Dezember Stuttgart wieder verlassen; wie Madeweiß berichtete, hatte er «durch seine Äußerungen und seinen Umgang mit Leuten, die hier eben nicht im Gerüche der Heiligkeit stehen", die Polizei auf sich aufmerksam gemacht und war mit seiner Abreise einer Aufhebung durch den Herzog nur zuvorgekommen.229 Aber auch in Paris trat er als Anwalt der Stuttgarter und ihrer Konzeption auf, die, wie er ausdrücklich betonte, von allen anderen Revolutionären in Schwaben und am Oberrhein geteilt wurde. So schrieb er in einer Denkschrift für Talleyrand vom 19. März 1799: »Ich habe in Karlsruhe, Stuttgart, Bruchsal, Heilbronn die Bekanntschaft mit den Häuptern der künftigen Insurrektion gemacht; ich habe in ihnen Männer gefunden, die mit mehr oder weniger Ungeduld den Einmarsch einer französischen Armee und die Erlaubnis zum Losbrechen erwarten,... Sie alle neigen zu einer Vereinigung mit der helvetischen Republik. Es ist dasselbe Volk wie das in Schwaben, spricht dieselbe Sprache, hat dieselben Gewohnheiten, dieselbe Religion, ist vermischt und verbunden durch zahllose Handelsbeziehungen, durch Nachbarschaft und Verwandtschaft... Die von Württemberg und Baden verlangen nur die Vereinigung des schwäbischen Kreises mit der Schweiz; die von Franken und der Pfalz wünschen, um darin einbegriffen zu sein, daß diese Vereinigung sich bis zum Main erstreckt,..." 2 3 0 Die Verschiedenheit in der Zielsetzung der schwäbischen und nichtschwäbischen Revolutionäre, auf die Théremin hinwies, zeugte davon, daß die Verbindungen des württembergischen Zentrums nach Franken und Bayern, wenn überhaupt schon vorhanden, so doch keineswegs eng und intensiv waren. In einem zusammenfassenden Bericht vom 25. Februar 1800 stellte die vom Herzog Friedrich II. eingesetzte Untersuchungskommission fest: »Die Korrespondenz in Franken und im Odenwald... scheint nicht mit dieser (des württembergischen Zentrums - H. S.) zusammenzuhängen, sondern von anderen Häuptern derselben oder einer anderen ähnlichen 228 229

230

Dizinger, Carl Friedrich, Denkwürdigkeiten..., a. a. O., S. 29. DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fase. 37, Bd. 3, Bl. 246. Vgl. auch das Schreiben des Herzogs an Abel vom 28. 1. 1799. HSA Stuttgart, A11, Bü. 28, Beilage 13, Bl. 90/91. «J'ai recherché á Carlsruhe, à Stuttgart, ¿ Bruchsal, & Heilbronn les chefs de l'insurrection future; j'ai trouvé en eux des hommes qui attendent avec plus ou moins d'impatience l'entrée d'une armée française et la permission pour éclater,... Us penchent tous pour une réunion avec la République Helvétique. C'est le même peuple que celui de la Souabe, parlant le même langage, ayant les mêmes habitudes, la même réligion, mêlé et lié par d'infinis rapports de commerce, de voisinage et de parenté... Ceux de Wurtemberg et du pays de Bade ne demandent que la réunion du cercle de la Souabe à la Suisse; ceux de la Franconie, du Bas-Palatinat veulent que cette réunion s'étende jusqu'au Main afin d'y être compris,..Politische Correspondes..., a. a. O., Bd. 6, S. 142.

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revolutionären Gesellschaft geleitet zu werden." 2 3 1 Republikanische Pläne im Fränkischen verfolgte wie 1796 die Gruppe um Zwanziger, die ihrer ganzen Zusammensetzung nach als Partner der schwäbischen Revolutionäre kaum in Frage kam. Aufmerksamster Beobachter der von Zwanziger und seinen Freunden entwickelten Aktivität war sein alter Gegner Hardenberg. Zwanziger war Beauftragter einer Gruppe von Ständen des fränkischen Kreises in Rastatt; gleichzeitig unterhielt er Beziehungen zu dem französischen Sondergesandten beim Reichstage, Bacher. Beides verfolgte Hardenberg mit größtem Mißtrauen. Am 9. April 1798 verfaßte er ein längeres Memorandum für den König, das sich mit den angeblichen Plänen der Partei Zwanzigers beschäftigte. Danach sollte Nürnberg den Ausgangspunkt für ihre umstürzlerischen Pläne bilden. »Ich weiß ganz sicher, daß in diéser Stadt Klubs und Gesellschaften bestehen, die auf die Bildung einer Republik abzielen, deren Zentrum Nürnberg sein würde. Man rechnet auf die extreme Unordnung seiner Finanzen, auf die Mehrheit des gemeinen Volkes, das unzufrieden mit seinen Obrigkeiten und für revolutionäre Einwirkungen empfänglicher als jedes andere ist, auf die leichte Möglichkeit, die Masse durch die Bewohner der Umgegend, durch die Arbeiter von Fürth, Schwabach und Erlangen vermehrt zu sehen. Man hat mir soeben versichert, daß er (Zwanziger - H. S.) eine Reise nach Regensburg gemacht hat, den Plan einer Republik in der Tasche, womit er sich bei dem Herrn Bacher einfand, was zu ergründen ich mein Möglichstes tun werde. Der Herr von Zwanziger, der jetzt nach Rastatt zurückkehren wird, erklärte an mehreren Orten laut, daß es in diesem Lande nur eine Alternative gäbe, was sich in Kürze entscheiden würde: Entweder würde Nürnberg eine preußische Stadt, oder die Provinzen Eurer Majestät in Franken würden einen Teil der nürnbergischen oder fränkischen Republik bilden. Der Herr von Zwanziger ist durchaus imstande, hier die Rolle des Herrn Ochs zu spielen; mehrere befähigte Leute arbeiten im selben Sinne." 2 3 2 Hardenberg akzeptierte die Alternative, nur wollte er sie natürlich im entgegengesetzten Sinne entschieden wissen und Nürnberg zu einer preußischen Stadt machen. Um dem Könige die Notwendigkeit der Annexion so eindringlich wie möglich zu schildern, stempelte er Zwanziger, den schärfsten Gegner der Annexion, zum Jakobiner. Wie wenig diese Behauptung den Tatsachen entsprach, verriet HardenMt m

31»

HSA Stuttgart, A 11, Bü. 30. . J e fais de science certaine, qu'il existe dans cette ville des clubs et des associations, tendants à former une république, dont Nuremberg serait le centre. On compte sur le désordre extrême de ses finances, sur la majorité de la populace, mécontente de ses magistrats et plus susceptible que toute autre d'impressions révolutionnaires, sur la facilité de voir la masse augmenté par les habitants des environs, par les fabricants de Fürth, Schwabach et Erlang. On vient de m'assurer qu'il a fait une course à Ratisbonne, un plan de république en poche, avec lequel il a été trouvé le Sr. Bacher (sic!), ce que je ferai tout mon possible d'approfondir. Le Sr. de Zwanziger, qui va retourner à Rastatt, dit hautement dans plusieurs endroits, qu'il n'y avait qu'une alternative dans ce pays-là, qui se déciderait dans peu, qu'ou bien Nuremberg deviendrait une ville prussienne, ou bien les provinces de Votre Majesté en Franconie feraient partie de la République Nurembergeoise ou Franconienne. Le Sr. de Zwanziger est très capable de jouer ici le rôle de Sr. Ochs; plusieurs gens de talents travaillent dans le même sens." DZA Merseburg, Rep. 11, 94 a, 25 B, Bl. 27.

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berg selbst mit der Feststellung, daß der Wiener Hof diesem Treiben nicht wehrte.233 Ebenso widerspruchsvoll war die Charakteristik, die er am 10. März 1798 in einem Brief an den König von Zwanziger gab: »Im Grunde seines Herzens dem revolutionären System ergeben und sehr antipreußisch, schließt er sich gleichwohl wie mehrere seiner Anhänger für den Moment dem des österreichischen Hauses an. Seine Besuche, die er 1796 und 1797 in Paris und Wien gemacht hat, haben seine Pläne und Intrigen weitergespannt. Die Stellung der geistlichen Fürsten und des reichsunmittelbaren Adels läßt diese alle Ideen aufgreifen, die ihnen Hoffnung und vielleicht Vergeltungsmittel zu bieten scheinen." 2 3 4 Ein seltsamer Jakobiner, dem sich geistlicher und weltlicher Adel Frankens selbstmörderisch anvertraute und der in Wien Sympathien besaß! Wenn Zwanziger republikanische Ziele verfolgte, so liefen sie wie 1796 auf nichts anderes als auf eine feudale Adelsrepublik hinaus, die vielleicht einige aufklärerische Züge vertrug, aber niemals durch demokratische Kräfte errichtet werden konnte. Hardenberg hatte guten Grund, die Plebejer Nürnbergs, Fürths, Schwabachs und Erlangens zu fürchten, jedoch nicht als Sturmkolonnen Zwanzigers. Hardenberg vermengte bewußt oder unbewußt, was nichts miteinander zu tun hatte: Die ausschließlich mit diplomatischen Mitteln operierende Partei Zwanzigers und die wahrhaft demokratischen Kräfte des Volkes. In welchem Verhältnis die Republikaner von der Art Zwanzigers zum Volke standen, spiegelt eine Regierungsberatung der Grafschaft Schwarzenbergs wider, der Rhodius, der enge Freund und Gesinnungsgenosse Zwanzigers, als Regierungsdirektor vorstand. Die Beratung fand in jenen kritischen Tagen des März 1799 statt, als mit dem unmittelbaren Neubeginn des Krieges gerechnet werden mußte und entsprechende Vorbereitungen zu treffen waren. 235 Rhodius hielt bei einem Vordringen der Franzosen die Republikanisierung Süddeutschlands für sehr wahrscheinlich. Solange der Krieg sich dem fränkischen Gebiet noch nicht näherte, sollte nach Rhodius' Rat der Kreis oder wenigstens die Gruppe der fränkischen Stände, die auch zu Beginn des Rastatter Kongresses sich zusammengefunden und in Zwanziger einen geeigneten Bevollmächtigten gewonnen hatten, gemeinsame Maßregeln verabreden. In diesem Sinne hatte Rhodius bereits vorsorglich an den Kreistag in Nürnberg und an Zwanziger persönlich geschrieben. Bei Annäherung der Franzosen jedoch genügte das nicht mehr. Seiner Meinung nach würde in diesem Falle »eine vertrauliche Rücksprache mit den Untertanen nicht nur rätlich, sondern zur Erhaltung ihres Vertrauens und einer treuen Anhänglichkeit an die rechtmäßige Landesherrschaft sogar notwendig sein". Er verstand darunter im Gegensatz zu zwei anderen Regierungsmitgliedern nicht bloße Ermahnungen beziehungsweise Abmahnungen, womöglich 233 234

235

Ebenda, Bl. 28. .Adonné dans le fond de son âme au système révolutionnaire et très anti-prussien, il s'attache néanmoins pour ce moment comme plusieurs de ses partisans à celui de la maison d'Autriche. Ses séjours qu'il a fait en 1796 et 1797 à Paris et à Vienne ont donné plus d'étendue à ses plans et à ses intrigues. La position des princes ecclésiastiques et de la noblesse immédiate fait entrer ceux-ci dans toutes les idées qui semblent leur offrir de l'espoir et peut-être des moyens de vengeance." Ebenda, Bl. 20. Staatsarchiv Tïebon, Arbeitsstelle Cesky Krumlov, Zentralkanzlei Schwarzenberg, A 4 k y 3 i, Bl. 293 S.

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in der Form eines Zirkulardekrets: »Bloße Ermahnungen und respective Abmahnungen würden bei weitem den Effekt nicht machen, welchen man von vertraulicher Mitteilung seiner konzertierten Maßregeln und von geneigter Aufnahme solcher Vorschläge, die von Seiten der vernünftigeren Köpfe aus dem Volke kämen, erwarten könne, und die Verantwortlichkeit der Regierung gegen das Land werde dadurch vermindert, wenn dessen gutachtliche Vorschläge mit in Überlegung genommen und bei möglicher Ausführbarkeit mit Beifall erwidert würden." 236 Rhodius war sich nicht nur darüber klar, daß andere Reichsstände eine solche freiwillige Zuziehung des Volkes beziehungsweise eines Volksausschusses mit Mißtrauen betrachten könnten, sondern er hielt es ebenso für möglich, daß das Land eine solche Miteinsicht in die staatlichen Finanzen dann als eine dauernde Einrichtung forderte. Das schreckte ihn keineswegs; er bezeichnete es im Gegenteil als wünschenswert, »daß es die Verfassung mit sich bringen möchte, dem Volke die Rechnungen über die Staatswirtschaft vorzulegen und es dadurch zur Ehre Serenissimi und Höchstdero nachgeordneten Regierung von der beiderseitigen, wahrhaft väterlichen Obsorge... zu überzeugen,... Genau genommen könnten alle reichsständischen Untertanen über die von ihnen gefordert werdenden Reichs- und Kreissteuern Rechenschaft verlangen,... Es sei daher weder gegen die deutsche Reichsverfassung noch gegen das Interesse Serenissimi und der Regierung, wenn das nämliche Principium d a h i e r . . . eine praktische Anwendung erhielte,.. ." 237 Um seine vor solchen Gedankengängen möglicherweise zurückschreckenden Kollegen zu beruhigen, betonte er wiederholt, daß die Regierung von sich aus nichts zu ihrer Realisierung unternehmen wolle, warnte aber gleichzeitig vor übergroßer Ängstlichkeit, denn bei Anwesenheit der Franzosen wäre, »wenn das Volk Mißtrauen hege, noch ungleich mehr zu befürchten, nämlich die Umänderung der ganzen Verfassung, . . 2 3 8 Für den gegebenen Zweck, der Regierung bei herannahender Kriegsgefahr einen Volksausschuß zur Seite zu geben, genügte nach Rhodius' Meinung, wenn neben den beiden Städten Scheinfeld und Marktbreit die fünf Amtsbezirke das Recht der Wahl je eines Deputierten erhielten. Aus einzelnen Andeutungen ist zu schließen, daß er in der Perspektive an eine nach der Volkszahl berechnete und von den Gemeinden ausgehende Delegierung dachte. Der fortschrittliche Charakter dieser Gedankengänge ist unbestreitbar; der genius saeculi, auf den sich Rhodius berief, die bürgerliche Aufklärung, stand dabei Pate. Aber gemessen an revolutionärdemokratischen Anschauungen schrumpft ihr fortschrittlicher Geheilt auf ein Minimum zusammen. Im Grunde handelte es sich um äußerst vorsichtige, von oben gesteuerte liberale Maßnahmen, die eine radikale Lösung von unten verhindern sollten. Daß Zwanziger, wie Hardenberg mitteilte, Bacher in Regensburg für sein Projekt zu interessieren versuchte, ist sehr wahrscheinlich, zumal Bacher selbst dem Gedanken einer Vereinigung kleinerer Staaten zu Mittelstaaten anhing. Der sächsische Komitialgesandte gab am 30. Januar 1798 folgende Zusammenfassung der von Bacher verschiedentlich in Regensburg geäußerten Ansichten: »Die ehemalige 236 238

Ebenda, Bl. 321. Ebenda, Bl. 324.

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Ebenda, Bl. 322/23.

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deutsche Reichskonstitution, die auf gegenwärtige Zeitumstände und politische Verhältnisse sich nicht weiter anwenden ließe, müsse so eingerichtet werden, daß Deutschland ein selbständiger Körper werde, sonst es der Gefahr, völlig verschlungen zu werden, ausgesetzt bleibe. Mehrere Lande müßten unter einen Landesherrn gebracht und zu Mittelmächten erhoben werden, die vereint sich gegen andere angreifende Mächte schützen könnten." 2 3 9 Es war die Linie, die Bonaparte schon bei der Eröffnung des Rastatter Kongresses verkündet hatte: Zusammenschluß der Kleinen unter französischem Protektorat und Zurückdrängung des Einflusses der deutschen Großmächte Österreich und Preußen. Bacher hatte nichts dagegen, zur Erreichung dieses Ziels auch die bürgerliche Opposition in den Reichsstädten nutzbar zu machen. Am 25. März 1798 hatte er an Talleyrand berichtet: »Der Sturz der Berner Oligarchie hat unter der Bürgerschaft der Reichsstädte die Hoffnung erweckt, ebenfalls unter dem Schutz der französischen Republik in ihre ursprünglichen Rechte eintreten zu k ö n n e n , . . 2 4 0 Daran anknüpfend entwickelte er in einem nächsten Bericht vom 1. April den Gedanken, daß Frankreich sich durch den Sturz des oligarchischen Regiments in den Reichsstädten und nach der Säkularisation der geistlichen Fürsten beim Reichstag einen Einfluß verschaffen könnte, der den österreichischen womöglich überträfe.241 Es kann also kaum ein Zweifel bestehen, daß Bacher vor allem die von Ulm ausgehenden Pläne einer Zusammenfassung der oppositionellen Kräfte in den schwäbischen und möglicherweise auch in den fränkischen Reichsstädten förderte. 242 Schon Ende Januar hatte er jedenfalls diese Tendenz als weitverbreitet bezeichnet und sich sehr günstig darüber geäußert.243 Bachers Gedankengänge waren also elastisch genug, um auch von dem republikanischen Projekte Zwanzigers angesprochen zu werden, das ja wesentlichen Forderungen Bachers entgegenkam: Es sah eine engere Verbindung der fränkischen Territorien vor und richtete sich eindeutig gegen die eine der beiden deutschen Großmächte. Mit revolutionär-demokratischen Bestrebungen hatte es genausowenig zu tun wie die Konzeption Bachers, die ausschließlich von machtpolitischen Zielen gegenüber Österreich und Preußen bestimmt war. Die inneren Gründe, welche Beziehungen des revolutionären Zentrums in Württemberg mit den republikanischen Bestrebungen der Partei Zwanzigers in Franken unmöglich machten, bestanden dem Kreis der bayerischen Revolutionäre gegenüber nicht. Tatsächlich existierte nach den Ermittlungen der württembergischen Untersuchungskommission ein lockere Verbindung, die zu festigen Krutthofer und seine Freunde sich alle Mühe gaben: «Die Korrespondenz erstreckt s i c h . . . bis nach Regensburg und München, und diese in Verbindung mit der übrigen Korrespondenz 2S>

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14î 243

LHA Dresden, Loc. 8153, Wechselschriften zwischen den kursächsischen Gesandtschaften zu Rastatt und Regensburg betr., Bd. 1. .La chute de l'oligarchie bernoise a reveillé parmi la bourgeoisie des villes impériales de l'Empire Germanique l'espoir de pouvoir aussi entrer dans leurs droits primitifs sous l'égide de la République f r a n ç a i s e , . . O t t o . Friedrich, a. a. O., S 55. Ebenda. S. 56. Vgl. S. 417 ff. Otto. Friedrich, a. a. O., S. 56/57.

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zu setzen, ist zugleich ein eigener Emissär über Bregenz in jene Gegenden abgegangen." 244 Der Zusammenhalt war jedoch noch so locker, daß die bayerische Bewegung eine selbständige Konzeption verfolgte. 1796 hatte diese Bewegung sich, soweit sie über eine allgemeine Zustimmung zu den französischen Prinzipien und über spontane Ausbrüche hinausging, auf einen engen Kreis beschränkt, der die gute Sache vornehmlich durch Nachrichtentätigkeit im Dienste Frankreichs zu fördern suchte. Inzwischen hatte die allgemeine Unzufriedenheit zugenommen, die Gegensätze innerhalb der einzelnen Fraktionen der herrschenden Klasse hatten sich verschärft und deren Position insgesamt geschwächt, die liberale Opposition war in Bewegung geraten. Jetzt traten die bayerischen Revolutionäre zum erstenmal mit einer programmatischen Flugschrift an die Öffentlichkeit. Sie trug den Titel „Über Süddeutschland, von einem süddeutschen Bürger im Monat Oktober 1798 dem französischen Gouvernement zur Beherzigung vorgelegt." Demnach handelte es sich um ein Memorandum, das von einem bayerischen Revolutionär Ende 1798 dem Direktorium unterbreitet worden war und nun, Anfang 1799, auch der bayerischen Bevölkerung bekanntgemacht werden sollte. Die Schrift war ganz im Ton eines Memorandums verfaßt, und die Möglichkeit, ein solches in Paris 1798 zu überreichen, war ebenfalls gegeben. Das schließt jedoch nicht aus, dag hier eine Fiktion vorliegt, die gewählt wurde, um dem Programm ein größeres Gewicht zu verleihen. Die bayerische Herkunft der Schrift ergibt sich zweifelsfrei aus der Tatsache, daß nur Bayern mehrfach erwähnt und München als der »Hauptplatz" bezeichnet wurde, „wo alles am meisten reif und bereit steht".248 Die Schrift forderte die Gründung einer süddeutschen Republik innerhalb der Grenzen, die der Main, der Rhein bis zum Bodensee, die Alpen, der Inn und der Böhmerwald bilden sollten. Die Verluste, die Preußen in Ansbach und Bayreuth hätte, könnten durch die rechtsmainischen Teile Würzburgs und Bambergs aufgewogen werden. Ganz anders sollte man Österreich gegenüber verfahren: »Das politische Interesse muß vielmehr dahin zielen, diesen kolossalischen Körper zu schwächen, und dies werden obige Grenzen und die künftige süddeutsche Republik tun, weil diese allein ihre Erweiterung gegen Österreich suchen würde, und es möchte nicht lange dauern, so dürften die süddeutschen Republikaner auch die einzigen deutschen Nachbarn von den Cisalpinern werden und sich an den Grenzen umarmen." 24 * In der Perspektive rechnete also der Verfasser mit der Einverleibung Tirols. Der heftige Widerstand, den die Tiroler 1797 den französischen Truppen geleistet hatte, mochte ihn abgehalten haben, eine solche Forderung schon jetzt zu erheben. Denn als nächstes behandelte er die Frage, »ob die in diesen Grenzen wohnenden Süddeutschen auch wirklich für das republikanische System empfänglich und reif sind".247 Natürlich wurde diese Frage unbedingt bejaht: »Dieses Süddeutschland, unter Landesherrschaften, den Hunderten nach, geteilt, zu einem allgemeinen Werbplatz umgeschaffen, von allen größeren Staaten wie eine Melkkuh behandelt und nebenbei 844 215 246

HSA Stuttgart, A 11, Bü. 30, Bericht vom 25. 2. 1800. Ober Süddeutschland, von einem süddeutschen Bürger im Monat Oktober 1798 dem französischen Gouvernement zur Beherzigung vorgelegt, o. O. 1799, S. 28. 247 Ebenda, S. 8. Ebenda, S. 16/17.

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im Innern unter einer ungeheuren Aristokratie von Adel- und Pfaffen-, auch Patrizierjoch gebeugt, die sich auf seine Kosten in aller Art von Schwelgerei herumtummeln und dadurch das Land noch mehr aussaugen; dieses Süddeutschland lebt immer im Ingrimme, brütet allerlei Pläne, wollte schon längst seine Fesseln sprengen; daher immer die vielen Gärungen. Allein in seiner Zerstückelung fand es sich immer zu schwach, rettete den Verzweiflungsstand durch große Auswanderungen und schmachtet daher bei gegenwärtigem Kriegsunglück nur unter noch härterem Schicksal." 2 4 8 Als Beleg im einzelnen war angeführt, daß »Württemberg doch zur Erlösung durch die letzten Landtagsakten große Schritte getan", dag Bayern durch vielfältigen inneren Druck »und jetzt erst durch das härteste Joch der Österreicher, seiner Nationalfeinde, beinahe ganz zur Verzweiflung gebracht und ganz mit Gärungsstoff geschwängert" sei, daß schließlich ganz Süddeutschland schon 1796 in Frankreich den Befreier gesehen habe. 249 Daß es an Köpfen zur Leitung der Republik nicht fehle, dafür bürge der zahlreiche gelehrte Stand; »auch hat in Bayern die große Illuminatengeschichte die auffallendsten Beweise hiervon abgelegt." 250 Als nächstes untersuchte der Verfasser die Frage der Nützlichkeit einer süddeutschen Republik. Einmal sprachen ökonomische Gründe dafür: Die bereits bestehenden Handelsverbindungen mit der französischen, helvetischen und batavischen Republik könnten erweitert werden; die Realisierung des schon von Karl dem Großen entworfenen Projektes eines Donau-Rhein-Kanals wäre möglich und würde alle Staaten des Ostens für den Handel erschließen. Zum anderen verlangten insbesondere machtpolitische Gründe die Bildung einer süddeutschen Republik: »Die Hauptstärke der preußischen und vorzüglich der österreichischen Monarchie liegt aber eben in dem unglücklichen Süddeutschland. Hier ist der allgemeine Werbplatz von Leuten, Geld und Kriegshilfsmitteln. Deswegen wird auch Süddeutschland das Reich genannt und stellt, wie schon gesagt, die allgemeine Melkkuh vor. Wenn auch Österreich sonst keinen Berührungspunkt mit Frankreich ins künftige erhält, so bleibt doch immer Süddeutschland... das immer ausgezogene Schwert gegen die Republiken." 251 Aus einer Reserve der feudalen Großmächte sollte darum Süddeutschland zu einem Vorposten der bürgerlichen Republiken werden und »wie eine Feuerkugel im Herzen von Deutschland alles in Furcht erhalten und den wahren Damm gegen die Barbaren von Norden und Osten vorstellen,..." 2 5 2 In bezug auf die Mittel zur Errichtung einer süddeutschen Republik sah der Verfasser keinerlei Schwierigkeiten. Selbst wenn Frankreich jetzt einen voreiligen Frieden schlösse und Süddeutschland seinem Schicksal überließe, würde das Volk bei nächster Gelegenheit, wahrscheinlich im Zusammenhang mit den vorgesehenen Säkularisationen, seine Fesseln sprengen. In diesem Falle müßte Frankreich notgedrungen die Existenz der süddeutschen Republik in den genannten Grenzen sichern helfen. Ungleich günstiger jedoch wäre es, wenn Frankreich den Hauptschlag selbst führte: »Es bedarf nur der französischen Bajonette, und in Zeit von vier Wochen sind sie ins Herz von Bayern vorgedrungen und in München als dem Hauptplatz, und wo «« Ebenda, S. 18. *» Ebenda, S. 24/25.

210 252

Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 28.

25® Ebenda, S. 21.

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alles am meisten reif und bereit steht. - Dann entwickelt sich alles von selbst." 233 Der Inhalt der Flugschrift bestätigt, daß die bayerischen Revolutionäre von den bitteren Erfahrungen, die die Revolutionäre im Südwesten seit 1796 machen mußten, nahezu unberührt waren. In ihrer Isolierung hingen sie immer noch der Illusion an, dafj das republikanische Frankreich naturgemäß jede revolutionär-demokratische Bewegung unterstützen würde. Die berechtigte Skepsis, die das württembergische Zentrum veranlagte, bei der jungen Schweizer Republik einen Rückhalt zu suchen, war dem Münchener Zentrum fremd. Die Verbindung zwischen beiden Zentren also, die ein bayerischer Teilnehmer ausdrücklich bezeugte 254 , bestand zu dieser Zeit entweder noch nicht oder war noch sehr lose. Andernfalls hätten die ausgereifteren Anschauungen der Württemberger irgendwelche Spuren hinterlassen müssen, aber davon kann keine Rede sein. Während diese den Landtag auseinanderzujagen wünschten, verwies die bayerische Flugschrift lobend auf den großen Fortschritt, den er angeblich in letzter Zeit zuwege gebracht hätte. Während sich der württembergische Revolutionär Haller dagegen verwahrte, daß dem Volk unter französischem Einfluß einfach eine Verfassung oktroyiert würde, dedizierten die bayerischen Revolutionäre ihre programmatische Schrift dem Pariser Direktorium und stellten ihr die Verse voran: »Reicht als Brüder uns die Hände, Rächt mit uns der Menschheit Ehr; Sprecht: Es komme der Tyrannen Ende, Und das schönste Bild der Gottheit schände Keine Sklavenkette mehr." 255 Offensichtlich umfaßte der Kreis führender bayerischer Revolutionäre noch nicht wie in Württemberg auch Vertreter des Handels- und Industriebürgertums, sondern rekrutierte sich aus Angehörigen der bürgerlichen Intelligenz, die stets mehr geneigt war, aus der Übereinstimmung in den Grundprinzipien automatisch auf eine Harmonie auch in der ökonomischen und politischen Praxis zu schließen. Davon zeugt die Vorstellung, daß die Leitung der künftigen Republik vorzüglich Männern aus dem Gelehrtenstande anvertraut werden müßte, die Hochachtung vor den Fähigkeiten der Illuminaten und schließlich auch der naive Glaube, daß der Umsturz keine besonderen Schwierigkeiten machen werde. Gerade in dieser letzten Bemerkung verriet sich eine noch weitgehende Isolierung von den Volksmassen, die ebenso in der ganzen Anlage der Flugschrift zum Ausdruck kam. Statt sich direkt an die Massen zu wenden, publizierte man ein Memorandum, das an das Pariser Direktorium adressiert war. Auch wenn es sich bei dieser Form um eine Fiktion handelte, die gewählt wurde, um die Zusammenarbeit mit Frankreich zu betonen und so stärkeren Eindruck zu machen, bleibt das Urteil bestehen. Der Unterschied bestünde dann lediglich darin, daß sich der Kreis der bayerischen Revolutionäre der mangelnden Verbundenheit mit den Massen um einige Grade stärker bewußt MS 255

254 Ebenda. Vgl. oben Anm. 185. Über Süddeutschland..., a. a. O., S. 2.

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war und eine besonders wirkungsvolle Form der Propaganda anzuwenden glaubte. Der Unterschied ist unbedeutend, denn die Tendenz, die Isolierung zu überwinden, zeigte sich ja schon eindeutig in der Existenz der Flugschrift selbst. Die republikanischen Projekte gingen nicht mehr allein als geheime Schreiben nach Paris, sondern wurden unter die Bevölkerung gebracht. Die Schrift »Über Süddeutschland" war die erste selbständige Publikation der bayerischen Revolutionäre. Zuvor hatten sie sich nur in der Form an die Öffentlichkeit gewendet, da§ sie der in Straßburg erscheinenden deutschsprachigen »Rheinischen Chronik" Artikel zum Abdruck einsandten. Dieses Blatt hatte seine Leser auch im Rechtsrheinischen, aber gewig nicht sehr viele im entfernten Bayern. Den Zweck dieser Veröffentlichungen lägt eindeutig der Artikel erkennen, der in der »Rheinischen Chronik" am 5. Mai 1798 abgedruckt wurde. 256 Er handelte von Karl Theodor, »der noch immer fortfährt, die Zähne der Inquisition gegen seine Untertanen zu schärfen". Ein langes Sündenregister wurde geboten, aber nur die wenigsten Beispiele waren aus der Reihe seiner innerbayerischen Untaten entnommen. Die Masse der Vorwürfe betraf sein Verhältnis zur französischen Republik seit ihrem Bestehen: »Emigrantenpriester und alles französische Geschmeiß, das mit seinen Blutrüsseln tief in das Herz seines Vaterlandes hineinstach, waren seine Lieblinge. Er brütete in der Mitte seiner Hofschranzen immer Böses gegen die Republikaner aus, daher verbot er die Ausfuhr des Getreides, dann den Vieh- und Pferdehandel nach Frankreich, um ihnen ja alle Hilfe abzuschneiden. Seine gnädigst privilegierten Zeitungen erhielten mehr als jemals geheime Hofbefehle, sich der schändlichsten Ausdrücke und niederträchtigsten Beschimpfungen gegen die fränkische Nation und ihre tapferen Verteidiger zu bedienen und die Fürstentyrannei auf den höchsten Punkt zu erheben." Es wurde auch nicht versäumt, auf den Bruch des Vertrages von Pfaffenhofen hinzuweisen, der Bayern zu hohen Kontributionsleistungen verpflichtet hatte. Die Absicht des Artikels war eindeutig: Frankreich sollte von Verhandlungen mit der bayerischen Gesandtschaft in Rastatt abgehalten und für die Republikanisierung Bayerns gewonnen werden. Wenn die bayerischen Revolutionäre Ende 1798 darangingen, in einer Flugschrift ihre Ziele den Massen darzulegen, so zeugte das von einer Verschärfung des Klassenkampfes im Innern, den der drohende Wiederausbruch des Krieges noch verstärkte, und parallel damit von einem ideologischen Wachstum der Revolutionäre, die ihre bisherige geheimbündlerische Enge sprengten. Darin bestand der größte Fortschritt gegenüber der Tätigkeit Freys im Jahre 1796. Als Zeichen des Wachstums in organisatorischer Hinsicht ist vor allem die Kontaktaufnahme mit den schwäbischen Revolutionären zu werten. Das revolutionäre Zentrum in Württemberg benutzte seine vielfältigen Verbindungen, um in erster Linie helvetische Kreise für ihre republikanischen Pläne zu gewinnen. Natürlich versäumte man auch nicht, die französische Haltung in Rastatt und Paris direkt zu sondieren und auf sie einzuwirken; aber bittere Erfahrungen liegen nicht allzuviel erhoffen, wenn sich nicht gewichtige Fürsprecher fanden. Die 256

Bayerische Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Rheinwaldiana Nr. 8, 12. Stück, S. 35/36.

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Möglichkeit, mit der Schweiz viele und enge Kontakte zu knüpfen, war gegeben. Der Kreis um Jägerschmidt und Maier in Basel arbeitete schon seit längerem mit Schweizer Revolutionären zusammen. Er hatte aktiven Anteil an dem Umsturz im Basler Land gehabt, und umgekehrt unterstützte der Basler Klub, die literarische Gesellschaft, die revolutionäre Propaganda im Rechtsrheinischen.257 Der Straßburger „Weltbote" brachte schon Anfang Februar 1798 eine Meldung wahrscheinlich Basler Ursprungs, wonach das schweizerische Schaffhausen den Eckpfeiler einer künftigen schwäbischen Republik bilden sollte. 258 Für das angestrebte Ziel jedoch genügten Verbindungen auf dieser Ebene nicht; man brauchte solche zu einflußreicheren Kreisen. Sehr intensive Bemühungen in dieser Richtung hatte als erster der Ulmer Kaufmann Müller alias Bärenstecher unternommen, der im Februar 1798 als Bevollmächtigter der Opposition in den schwäbischen Reichsstädten nach Paris gegangen war. 259 Feldmarschall Staader war auf dem richtigen Wege, wenn er ihn als Vertrauensmann deutscher Republikaner bezeichnete.260 Als solcher verhandelte er mit der Schweizer Deputation, die sich damals in Paris aufhielt und aus dem Basler Bürger Frey, dem Berner Gesandten Lüthard und dessen Sekretär Stapfer bestand. Später nahm er auch mit dem helvetischen Gesandten Zeltner und dem Gesandtschaftssekretär Fellenberg Verbindung auf. In einem Brief vom 5. Dezember an das helvetische Direktorium schrieb er: „Ich habe die Ehre, dem B(ürger) Direktor Laharpe bekannt zu sein. Ich habe mehrere Schweizer Deputierte, als die B(ürger) Frey von Basel, Stapfer und Lüthard von Bern etc., hier persönlich kennenlernen (können - H. S.), mit allen über politische Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in Ansehung meiner Sendung vertrauensvoll gesprochen. Der ehemalige Legationssekretär Fellenberg hat mich oft besucht." 2 6 1 Remigius Frey reagierte auf Müllers Darlegungen sehr positiv. Er hatte schon 1796 an den republikanischen Bestrebungen aktiven Anteil genommen und mit Kämpf korrespondiert. Mit Begeisterung hörte er darum auch jetzt wieder von den neuen Anstrengungen, der schwäbischen Revolutionäre. Offensichtlich um die zuständigen französischen Stellen dafür zu interessieren, unterrichtete er ausführlich Theremin, der in der Deutschlandabteilung des Außenministeriums tätig war und ebenfalls stark beeindruckt wurde.282 Stapfer war nicht weniger davon angesprochen. Am 20. April verfaßte Müller eine Denkschrift für das helvetische Direktorium, die er an Peter Ochs zur Weiterleitung schickte. Es hieß darin: „Auch wir Schwaben sind der Freiheit, des Genusses aller bürgerlichen Rechte würdig! Auch wir sind fähig, für das Glück unserer Kinder und Nachkommen Aufopferungen zu machen; auch wir fühlen tief den Druck der sogenannten Großen der Erde und ihrer Trabanten und seufzen nach Befreiung, nach einem erträglichen Los!" 2 6 3 Eine schwäbische Republik, die sich mit der helvetischen zu einem schwesterlichen Bunde vereinigte, Politische C o r r e s p o n d e n z . . a . a. O., Bd. 3, S. 181. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 1, Bl. 290. Ruier, Alited, Das Projekt..., a. a. O., S. 311. 2S» Vgl. S. 416/17. 2 8 0 Ruier, Alfred. Das Projekt..., a. a. O., S. 311. 2 , 1 Amtliche Sammlung..., a. a. O., Bd. 12, S. 393. 2 6 2 Vgl. S. 458. 263 Ruier, Alited. Das P r o j e k t . . a . a. O., S. 311. 257

258

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würde sie nach Norden zu schützen und den Schweizer Konterrevolutionären ein wichtiges Refugium und Rekrutierungsfeld nehmen. Es müsse das Interesse Helvetiens sein, die Revolution in Schwaben zu unterstützen. Eine erste Hilfe, die revolutionierend wirkte, wäre die Säkularisierung der in der Schweiz gelegenen Besitzungen geistlicher Fürsten wie des Konstanzer Bischofs. Auch Laharpe gegenüber äußerte Müller diese Gedanken. 264 Stapfer machte sich in einem Briefe vom 25. April an Fellenberg ganz zum Fürsprecher dieses Projekts. Vor allem lockte ihn die Aussicht, durch den Anschluß einer schwäbischen Republik, die auch einen Teil Bayerns einbeziehen sollte, die Schweiz von Korn- und Salzimporten unabhängig machen zu können. Er behauptete, daß Sieyès das Unternehmen billigte. Der Ausbruch der Revolution hinge allein noch von der Zustimmung und Bereitschaft der Schweiz ab, die Schwaben als künftige Brüder zu betrachten. 265 Ganz anders als diese eifrigen Befürworter reagierte Peter Ochs. Er zeigte keinerlei Eile, das Schreiben Müllers weiterzuleiten. Als er es dann endlich nach mehr als einem Monat tat, riet er gleichzeitig dringend von einer Unterstützung des Planes ab. 266 Das Direktorium schloß sich am 4. Juni diesem Urteil an mit der Begründung, »daß es seine Pflicht ist, die Revolution in Helvetien zu konsolidieren, bevor daran zu denken ist, sie nach außen hin zu propagieren". 267 Damit war der erste Vorstoß der deutschen Republikaner zum Scheitern gebracht. In verstärktem Maße wiederholten die schwäbischen Revolutionäre ihre Bemühungen, als mit dem Ende des Jahres 1798 sich die kommende bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Frankreich und der zweiten Koalition immer sichtbarer abzuzeichnen begann. Linck stand mit Suter in Verbindung, der schon in der Mainzer Republik eine Rolle gespielt hatte und nun im helvetischen Gesetzgebenden Rat saß.268 Georg List hielt sich damals unter dem Namen Laiblin in Bern auf und bezeichnete sich selbst als .Bekannter des Regierungsstatthalters B(ürger) Tscharner". 269 Von den freundschaftlichen Beziehungen, die Ernst Jägerschmidt zu helvetischen Politikern unterhielt, zeugt das Schreiben des Basler Regierungsstatthalters vom 12. Januar 1799 an das Direktorium in Luzern, worin Jägerschmidts Gesuch vom 7. Januar um Verleihung des helvetischen Bürgerrechtes lebhaft unterstützt wurde. Der Statthalter schilderte ihn als einen Mann, „der mit Feuer und Wärme für die Ausbreitung der Revolution sprach und handelte", in seiner badischen Heimat auf die Proskriptionsliste geriet und auch »in unserem Kanton vieles für die Revolution getan h a t , . . . " Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß Jägerschmidt mit zwei Direktoriumsmitgliedern bekannt sei und als industrieller Unternehmer dem Lande Nutzen brächte. 270 Die Sendung Théremins nach Stuttgart, der sich sehr gut seiner Gespräche 204 266 m

269 2,9 270

265 Amtliche Sammlung..., a. a. O., Bd. 12, S. 393. Ebenda, Amtliche Sammlung..., a. a. O., Bern 1886, Bd. 1, S. 998/99. »Le Directoire . . . passe à l'ordre du jour sur le projet même motivé sur devoir de consolider la révolution en Helvétie, avant que de songer dehors." Ebenda, Bern 1887, Bd. 2, S. 368. Henhing. Karl. a. a. O., S. 359/60. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. Obser, Karl. Die revolutionäre Propaganda..., a. a. O., S. 248. Amtliche Sammlung..., a. a. O., Bern 1911, Bd. 11, S. 181.

S. 311/12. ce qu'il est de son à la propager au O., S. 235 Anm. 2.

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im Frühjahr mit Remigius Frey erinnerte und bald zum eifrigen Fürsprecher einer schwäbisch-schweizerischen Verbindung wurde, hat zweifellos die süddeutschen Revolutionäre ermutigt und ihnen geholfen. Sie nutzten alle möglichen Beziehungen aus. Sogar den helvetischen Geschäftsträger in Mailand, Albert Haller, versuchten sie Ende 1798 mehrfach und mit Erfolg, für den Plan einer schwäbisch-helvetischen Republik zu interessieren. Am 2. Dezember berichtete er dem Außenminister Bégoz darüber und riet, das Unternehmen mit aller Kraft zu unterstützen. 271 Gleichzeitig sprach man in diesem Sinne auch in Paris vor. Die preußische Gesandtschaft in Rastatt meldete am 30. Januar 1799: „Zuverlässige Berichte aus Paris versichern, daß es dort mehr als dreißig Württemberger gibt, die das Direktorium für ihren Plan zu gewinnen versuchen, die bestehende Regierung umzustürzen." 272 Eine andere Nachricht, die den württembergischen Herzog am 26. Januar selbst erreichte, besagte, „daß eine von dreißig angesehenen Personen aus allen Ständen, alle aber geborene Württemberger, mehrenteils Stuttgarter, unterschriebene Petition dem französischen Gouvernement eingegeben worden sei, um solches aufzufordern, sich für eine vorzunehmende Revolution in Württemberg zu erklären und solche auf eine gleiche Weise, wie in der Schweiz geschehen, militärisch zu unterstützen". Der Herzog gab diese Mitteilung am 28. Januar vertraulich an Abel in Paris weiter und betonte : „Was dieser Nachricht einen noch größeren Grad von Glaubwürdigkeit gibt, ist, daß sie mir am gestrigen Tag durch einen Auszug eines Schreibens aus Paris von sicherer Hand gleichlautend, nur noch umständlicher mitgeteilt worden, nämlich, daß die Kondition von Seiten Württembergs dahin gehen solle, dem französischen Gouvernement nochmals vier Millionen Gulden für die erteilte Freiheit zu zahlen, auch ein Korps Truppen zu stellen, unter welches auch Franzosen vermischt werden können, jedoch die Generals- und Offiziersstellen bloß Württembergern verbleiben." 273 In dieser letzten Bedingung offenbarte sich der Anteil der württembergischen Offiziere um Penasse an dem revolutionären Projekt, die aus berechtigtem Mißtrauen Sicherheit verlangten und nicht als bloße Werkzeuge Frankreichs dienen wollten. Der Bericht des sächsischen Gesandten in Rastatt, des Grafen von Loeben, vom 6. Februar über dieselben Verhandlungen württembergischer Revolutionäre in Paris bestätigte, daß auch sie auf einen Zusammenschluß mit der Schweiz abzielten: „Es will übrigens aus mehreren Umständen... geschlossen werden, daß die Absicht dahin gehe, einen Teil von Schwaben mit der Schweiz zu verbinden." 274 Ebenso äußerte sich die badische Gesandtschaft am 3. Februar: „Mehrere unruhige Württemberger, die sich in Paris befinden und mit ihrem Revolutionsschwindel das Vollziehungsdirektorium unaufhörlich behelligen sollen, unterhalten eifrig dieses größtenteils von ihnen allein veranlaßte Projekt." 275 Außer271 272

273 274 275

Ruler, Alired, Das Projekt..., a. a. O., S. 312. „De bonnes lettres de Paris assurent, qu'il s'y trouve plus de 30 Wurtembergeois qui sollicitent le Directoire pour l'exécution de leur plan de subversion du gouvernement existant." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 5, Bl. 90. HSA Stuttgart, A 11, Bü. 28, Beilage 13. LHA Dresden, Loc. 3147, Den Friedenskongreß zu Rastatt betr., Bd. 3, Bl. 136. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 193.

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dem liegt sogar das Zeugnis eines mit dem Plan sehr vertrauten Revolutionärs, nämlich Jägerschmidts, vor, der in einem Briefe an Essich vom Februar mitteilte, »daß kurz vorher von Stuttgart Personen in Paris gewesen, um die Vereinigung von Schwaben mit der Schweiz bei dem Direktorium zustande zu bringen, welchen auch einige Hechinger nachgefolgt,... sowie auch gleiche Anträge von Seiten Schwabens selbst bei dem helvetischen Direktorium gemacht worden sein sollen,..." 2 7 6 Das letzte wurde schließlich auch noch durch die Nachrichten bestätigt, die den Erzherzog Karl Mitte Februar erreichten.277 Das Echo, das die süddeutschen Revolutionäre bei den Schweizern fanden, war wie in der ersten Hälfte des Jahres 1798 unterschiedlich. Das bezeugte eindeutig ein Artikel der »Berner Zeitung" vom 30. Januar 1799, der aus der Feder ihres Redakteurs Heinzmann stammte, jenes gebürtigen Ulmers, der im Mai 1798 aus seiner Heimatstadt ausgewiesen worden war.278 In die Schweiz zurückgekehrt, trat er hier als entschiedenster Propagandist der Sache der schwäbischen Revolutionäre auf: „O Schweizer, auch ihr seid aufgerufen, der leidenden Menschheit eure Arme und Hilfe zu reichen. - Ihr sollt als ursprünglich freie Nation den Kampf der Freiheit gegen die Tyrannie nicht wie bisher mit einer schändlichen Neutralität beobachten, die sogar anderen verbietet, ihre Gesinnungen darüber zu äußern. Ihr sollt mit Mund und Herz, mit Tat und Krait der guten Sache das Wort reden und beistehen jenen, die ihre Fesseln zerbrechen... Schande und Fluch den Volksverführern, die den nach Freiheit ringenden Leidenden nicht nur ihre Teilnahme versagen, sondern ihnen sogar auf Schlangenwegen entgegenarbeiten. - Auf solche Heuchler und Sklavendiener fällt billig zehnfältig die Schmach und der Unsegen, die Entwürdigung zum Knecht." 2 7 9 Offensichtlich gab es also Kräfte, die einer aktiven Unterstützung der schwäbischen Revolutionäre widersprachen; die freien Worte Heinzmanns lassen andererseits daruf schließen, daß auch die Befürworter des Projektes nicht unbedeutend waren. Solche hervorragenden Schweizer wie Escher und Usteri unterhielten, wie Essich bezeugte, eine lebhafte Korrespondenz mit Schwaben und insbesondere mit Stuttgart.280 In der .Berner Zeitung" vom 6. Februar erhob Heinzmann erneut seine Stimme: »Schweizer! Die Schwaben sind eure nächsten Nachbarn; alles, was protestantisch ist, wünscht, frei zu werden; die bravsten Leute, die tätigsten und einsichtsvollsten, wünschen, mit den Schweizern näher verbunden zu werden; sie strecken ihre Arme nach ihnen aus. Frankreich, das schon so viele Fesseln zerbrochen hat, wird auch da, so Gott will, den Riesen schlagen..." 2 8 1 Ein Parteigänger der gestürzten Aristokratie warnte in einem Berner Briefe vom 23. Januar, der in die Hände von Madeweiß geriet: »Ihr seid auf einem Vulkan, dessen Ausbruch ebenso plötzlich wie allgemein sein wird. Die Lava wird zwei verschiedene 276 277

278

280 281

HSA Stuttgart, A 11, Bü. 25, Ziffer 49, Aussage Essichs vom 27. 1. 1800. Hüfter, Hermann. Der Rastatter Gesandtenmord mit bisher ungedruckten Archivalien und einem Nachwort. Bonn 1896, S. 90. Vgl. S. 417/18. Vgl. auch Heilert. Joset Alexander Freiherr von. Der Rastatter Gesandten2 7 9 Ruter. Alfred, Das Projekt..., a. a. O., S. 313. mord. Wien 1874, S. 45. HSA Stuttgart, A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800. Ruter. Altred, Das Projekt..., a. a. O., S. 313 Anm. 11.

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Richtungen nehmen, die eine nach Norden, die andere nach Süden; und die Feuersbrunst wird bei euch alles erfassen." 282 Laharpe, der schon im April 1798 den Vorschlägen Müllers ein offenes Ohr geliehen hatte, schrieb jetzt am 15. Februar an den helvetischen Gesandten in Paris: »Die Schwaben lassen uns fragen, ob wir sie wollen. Sie warten nur auf den Augenblick sich zu erheben." 283 Der mit Linck befreundete Suter sprach am 19. Februar mit Begeisterung im gesetzgebenden Rat von den nahen Veränderungen in Deutschland, als deren Wegbereiter er die Vertreter der kantischen Philosophie besonders hochschätzte: »Glänzt nicht schon in diesem Augenblick nahe an unseren Grenzen die Morgenröte der Freiheit in Schwaben, die bald ins hellste Licht aufflammen wird? Und wem anders als den deutschen Weisen hat man es zu verdanken, daß die Strahlen der Freiheit, an welcher Frankreich und die von ihm geschaffenen Republiken sich so beglückend wärmen, nun bald auch in Deutschland wohltätig wirken können, und wahrscheinlich benutzen die Schwaben zuerst diesen seligen Augenblick I O unseren Schweizern braucht's wahrlich nicht bang zu sein vor Deutschland! Schon sehe ich dort Republiken an Republiken sich schließen, Vernunft und Freiheit ihre ewigen Rechte behaupten, die bisher getrennten Deutschen sich als Brüder umarmen,..." 284 Zweifellos wurde von Schweizer Seite aus in Paris zumindest sondiert, ob die französische Zustimmung zur Republikanisierung Schwabens erreicht werden könnte. Der württembergische Beauftragte Abel meldete am 31. Oktober 1798 dem Herzog: »Übrigens hat man von seiten Schwabens Ursache, auf das Schweizer Gouvernement aufmerksam zu sein. Ich habe schon einigemal in meinen Berichten die Bemerkung gemacht, daß die Schweiz nach der erfolgten Erschöpfung ihrer Ressourcen am Ende zu ihrer Selbsterhaltung trachten werde, sich zu vergrößern, und ich vernehme, daß die hier befindlichen Schweizer die Vereinigung Schwabens mit der Schweiz in einer Republik als notwendig ansehen, damit die Schweiz fürder bestehen könne, das heißt, daß man von den Ressourcen Schwabens das Gouvernement der Schweiz erhalten müßte, und sie glauben, daß dies von seiten Schwabens wenig Schwierigkeit haben werde." 285 Der französische Beauftragte Roberjot in Rastatt erklärte dem Vertreter Zweibrückens, Baron von Rechberg, am 30. Januar 1799 provokatorisch, daß die Schweiz in Paris Himmel und Erde in Bewegung setze, um die Reunion eines Teils von Schwaben zu erreichen, und dabei möglicherweise Erfolg haben könnte. 286 Der fürstenbergische Regierungspräsident Kleiser berichtete seinem badischen Kollegen am 8. Februar: »Die helvetischen Négociateurs in Paris sollen den Wunsch einiger Mißvergnügter in Schwaben als einen nationalen Wunsch 282

283

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»Vous êtes sur un volcan, dont l'éruption sera aussi prompte que générale. La lave prendra deux directions différentes, l'une au nord, et l'autre au sud; et l'embrasement sera universel chez vous." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 298, Fasc. 37, Bd. 4, Bl. 5. »Les Souabes nous font demander si nous les voulons. Ils n'attendent que le moment de s'insurger." Rider, Alired, Das Projekt..., a. a. O., S. 313. Amtliche Sammlung..., a. a. O., Bd. 3, S. 1084/85. HSA Stuttgart, A 11, Bû. 28, Beilage 13. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 5, Bl. 104.

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von Schwaben geltend zu machen suchen." 287 Er hoffte, daß die mit Frankreich in guten Beziehungen stehenden schwäbischen Fürsten wirksame Gegenvorstellungen erheben würden. Daran fehlte es nicht. Dem badischen Vertreter in Paris, von Reitzenstein, wurde zwar auf dessen Intervention versichert, daß man als Nachbarn einen Fürsten einer unruhigen Republik vorzöge, aber überzeugt war er davon keineswegs. So schrieb er am 13. Februar an Edelsheim: ».. .Was mich beunruhigt, daß sind die Regungen der sogenannten deutschen Patrioten, ihre zufriedenen Gesichter, ihr auffallender und immer verdächtiger vertraulicher Verkehr mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten." 288 Er hielt es für gewiß, daß die helvetische Republik diese Pläne begünstigte. Auf mehrfache Vorstellungen hin hatte auch Abel beruhigende Versicherungen, so am 7. Februar, von Talleyrand erhalten. 289 Der helvetische Gesandte Zeltner war davon informiert. 290 Er meldete sogar seinem Vorgesetzten, dem Außenminister, am 18. März, daß das Direktorium mit der Haltung Badens und Württembergs zufrieden zu sein schiene: trotzdem stellte er fest: „Das wird gleichwohl nicht verhindern, wie ich meine, daß Schwaben bald für die Revolution reif ist." 291 Diese Bemerkung verriet das geheime Einverständnis und den Wunsch, daß die Ereignisse eine solche Wendung erhalten mögen. Wahrscheinlich steckte aber noch mehr dahinter; wenn Zeltner die beruhigenden Erklärungen Frankreichs in ihrer Bedeutung und Wirksamkeit so leicht nehmen zu können glaubte, dann mußte er zugleich über andere Informationen verfügen, die jene entwerteten. Offensichtlich waren die Bemühungen helvetischer Kreise in Paris zugunsten einer Republikanisierung Schwabens nicht überall und von vornherein auf Ablehnung gestoßen. Friedrich Cotta jedenfalls versicherte Kämpf in einem Briefe vom Februar, daß Trouvé, der französische Gesandte in Stuttgart, »die Instruktion zur Revolutionierung Schwabens erhalten" würde, »sobald Jourdan weit in Schwaben vorgedrungen sei,.. " 292 Nach der Aussage Essichs hatten Jägerschmidt und Maier Jourdan nach seinem Rheinübergang im Hauptquartier aufgesucht und von ihm die Anweisung erhalten, »nur solange ruhig zu bleiben, bis er hinter dem Lech stehe. Er werde jedem die weiteren Befehle geben und sie nötigenfalls mit Waffen unterstützen." 293 Auch in der Schweiz stationierte französische Militärs rechneten damit wie mit einer Tatsache. Ein Schreiben aus Kempten vom 6. März 1799, das in die Hände der preußischen Gesandtschaft in Rastatt gelangte, berichtete: »Bekannte Schweizer Kaufleute erzählten hier, daß bei ihnen stehende französische Truppen 297

Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 178. . . . . ce qui m'inquiète ce sont les mouvements des soi-disants patriotes allemands, leurs physionomies satisfaites, leurs confidences singulières et toujours équivoques avec le ministre des relations extérieures." Ebenda, S. 159. m» Vreede, George Guillaume, a. a. O., S. 103/04. 2.0 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 183. 2.1 .Cela n'empêchera également pas, à ce que je pense, que la Souabe soit bientôt révolutionnée." Ebenda, S. 188. 2.2 HSA Stuttgart, A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800. 283 Ebenda. 288

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sich geäußert hätten, sie wüßten ganz wohl, daß hier und in der Gegend große Magazine angelegt würden; sie wollten aber bald kommen, solche abzuholen und dann zugleich auch einen Teil Schwabens mit der Schweiz zu vereinen." 2 9 4 Unter welchen Gesichtspunkten das großbourgeoise Frankreich eventuell an eine Unterstützung der republikanischen Bestrebungen in Süddeutschland und an eine Vereinigung Schwabens mit der Schweiz denken konnte, hat Théremin in klassischer Weise in seiner Denkschrift vom 19. März 1799 an Talleyrand entwickelt. 296 Zunächst ist die Feststellung wesentlich, daß ein Mitarbeiter des Außenministeriums noch zu diesem Zeitpunkt das Projekt unbedingt bejahte; diese Tatsache ist um so weniger verwunderlich, als auch ein Mann wie Sieyès, damals Gesandter in Berlin, um diese Zeit die Ausbreitung des französischen Einflusses durch die des Repräsentativsystems sichern wollte.29* Zum andern ist die Begründung äußerst aufschlußreich. Anscheinend hatten in den maßgeblichen politischen Kreisen zwei Bedenken eine besondere Rolle gespielt: 1. Würde nicht die um Schwaben vergrößerte Schweiz zu mächtig werden? 2. Bestünde nicht die Gefahr, daß sich das Repräsentativsystem, hatte es den Rhein erst einmal überschritten, über ganz Deutschland ausbreitete? Mit beiden Bedenken setzte sich Théremin auseinander, wobei es in diesem Zusammenhang unwichtig ist, ob er hier seine ureigenste Überzeugung äußerte oder ob er sich lediglich den Gedankengängen der französischen Großbourgeoisie anpaßte, um das Ptojekt überhaupt zu retten. Das erste Bedenken tat er mit dem kurzen Hinweis ab, daß die erweiterte helvetische Republik 5 Millionen, Frankreich dagegen angeblich 33 Millionen Einwohner hätte. Dem zweiten Bedenken sprach er eine gewisse Berechtigung wenigstens für die Zukunft nicht ab, wobei er es aber in der Richtung modifizierte, daß Frankreich nicht so sehr die Ausbreitung des Repräsentativsystems über ganz Deutschland als vielmehr die Einigung Deutschlands mit Hilfe dieses Systems zu fürchten hätte. »Es ist gewiß, daß Frankreich ein großes Obergewicht über Deutschland erworben hat, indem es, seit langem ein unteilbarer Staat, auf eine despotische Regierung ein freies Regime folgen ließ, während Deutschland ein veruneinigter und monarchisch regierter Staat blieb." 297 Diese Überlegenheit sollte auf jeden Fall gewahrt bleiben und würde, so behauptete Théremin, sogar vergrößert werden, wenn man das Projekt verwirklichte: »Das deutsche Reich besteht heute aus allen möglichen Regierungen... Jetzt trennen Sie von diesem Chaos einen Teil der Materie ab, aus der es sich zusammensetzt, organisieren ihn als repräsentative Republik und vereinigen ihn mit einem fremdartigen Körper, wie es die Schweiz ist. Ist es nicht klar, daß Sie anstelle einer Einigung eine Trennung oder eine Subtraktion bewirken und daß Sie, indem Sie der neuen Republik den Namen helvetisch geben, sie Deutschland entfremden und das deutsche Reich 594 2.6 2M 2.7

DZA Merseburg, Rep. 67 B. Nr. 20, d 5, Bl. 196. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 6, S. 142 ff. Bailleu, Paul. a. a. O., S. 497. »II est certain que la France a acquis une grande supériorité sur l'Allemagne en ce qu'étant depuis longtemps un État indivisible elle a fait succéder un régime libre à un gouvernement oppresseur, tandis que l'Allemagne restait un État divisé et monarchiquement gouverné.* Ebenda, S. 143.

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in eben dem Maße schwächen? Das ist eine Eroberung auf Kosten Deutschlands und vor allem des Kaisers." 298 Théremin hielt es geradezu für gefährlich, diesen Weg nicht zu beschreiten, weil sich möglicherweise sonst die Republikanisierung in einem ungleich größeren Ausmaße und ohne französische Kontrolle vollzöge. Sachsen, Hessen, Westfalen, Brandenburg wären ebenso wie Schwaben und Franken vom Neuerungsgeist beseelt, und unter Denkern und Schriftstellern bestünde das allgemeine Verlangen, den Deutschen ein gemeinsames Vaterland zu geben. Irgendein Volksführer oder auch irgendein ehrgeiziger und mächtiger Fürst könnte sich diese Neigungen zum Schaden Frankreichs zunutze machen. Einzig und allein unter dem Gesichtspunkt also, das erreichte Übergewicht zu erhalten und zu vergrößern, die Macht Österreichs zu schwächen und die Einigung Deutschlands, das zu einem gefährlichen Konkurrenten heranwachsen könnte, zu verhindern, war die französische Großbourgeoisie unter Umständen für eine Republikanisierung des deutschen Südens zu gewinnen. Die Beweggründe der Schweizer Bourgeoisie, soweit sie sich zum Fürsprecher dieses Projektes machte, sind ausführlich in einer anonymen Denkschrift berücksichtigt, die sich im Nachlaß Stapfers fand. 299 Der wahrscheinliche Verfasser ist kein anderer als der aus Ettenheim stammende Fahrländer, der sich als Sekretär des helvetischen Finanzrates Karl Meyer nannte und als Kampfgenosse Jägerschmidts unter dem Namen Maier mit den revolutionären Bestrebungen im deutschen Süden aufs innigste verbunden war. Abgefaßt wurde die Denkschrift zwar erst im Sommer 1799, als die Truppen der zweiten Koalition die halbe Schweiz besetzt hatten, aber ihr Wert als Quelle zur Erforschung der genannten Motive wird dadurch nicht gemindert. Der Verfasser ging in seinen Darlegungen von der Feststellung aus, daß die Schweiz als ein kleines Land in der Gefahr stand, ihren Platz im Konzert der Mächte zu verlieren: »Ein kleiner und schwacher, auf seine Vorteile wachsamer Staat, der zwischen stärkeren, welche irgendeinen Teil ihres Wohlstandes und ihrer Kräfte vernachlässigen, immer noch gut fortkommt, ist unglücklich, sobald diese über alle ihre Vorteile, Bedürfnisse und inneren sowohl als äußeren Hilfsquellen aufgeklärt werden. Die Schwäche der ersteren wird durch die Kräfte der letzteren verschlungen, ihr blühender Handel wird durch die Gegenanstalten der anderen zugrunde gerichtet, welche zur Unterstützung derselben große und reichliche Mittel haben, zu denen ein sehr eingeschränkter Staat sich nicht emporzuschwingen vermag." 300 Ein solches Schicksal erlebte Helvetien, nachdem es unter französische Botmäßigkeit geriet. Durch Frankreich sind »sein Kommerz und seine Fabriken 298

299 300

.L'Empire Germanique est aujourd'hui composé de tous les gouvernements p o s s i b l e s ; . . . Maintenant vous détachez de ce chaos une partie de la matière qui le compose, que vous organisez en république représentative et que vous réunissez à un corps hétérogène qui est la Suisse. N'est-il pas clair qu'au lieu d'une réunion vous opérez une division ou une soustraction et qu'en donnant à la nouvelle république le nom d'Helvétique vous la rendez étrangère à l'Allemagne et affaiblissez d'autant l'Empire Germanique? C'est une conquête faite sur l'Allemagne et surtout sur l'Empereur." Ebenda. In extenso veröffentlicht bei Rufer, Alired. Das P r o j e k t . . a . a. O., S. 314 £f. Ebenda, S. 315.

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zernichtet, seine Lebensmittel aufgezehrt, seine Schätze geraubt, sein Privatvermögen zerschleudert, seine Bürger sklavisch mißhandelt, seine Tapferkeit erdrückt und die in zerschiedenen Gegenden vertilgte reine Demokratie nicht durch Staatskraft und allgemeine wirkliche Freiheit und Unabhängigkeit ersetzt worden".301 Dieses eine Unglück aber zog sofort das zweite nach sich: Die Schweiz wurde zum Kriegsschauplatz. »Die Abhängigkeit Helvetiens und einiger anderer Länder und die Furcht der Folgen derselben für Europens Ruhe und Kommerz sind, nebst dem besonderen Interesse, das England hat, das Monopolium dieses Kommerzes, dessen es sich bereits bemächtigt hat, sich recht nützlich zu machen, die Grundursachen dieses so verderblichen Krieges." 3 0 2 Die Schlußfolgerungen, die der Verfasser aus dieser für die Schweiz betrüblichen Entwicklung zog, lauteten: „Helvetien muß unabhängig erklärt werden. Helvetien muß durch Vereinigung mit anderen Staaten zu einem selbständigen wichtigen Staate erhoben werden. Nach und vermittels dieser Vereinigung muß Helvetien zur Handhabung der Republiken und zur Herstellung des Gleichgewichtes des politischen und merkantilischen Zustandes von Europa beitragen." 3 0 3 Die Forderung nach einem unabhängigen und achtunggebietenden Staat richtete sich in erster Linie gegen die französische Großbourgeoisie, die in der Schweiz kolonialähnliche Zustände geschaffen hatte. Die Plünderung der öffentlichen Kassen und der Arsenale, die Lasten der Okkupation, die Unterhaltung der Truppen, die vielen Übergriffe, die Frankreich einseitig begünstigenden Handelsabkommen, die ständige französische Intervention in schweizerische Verfassungs- und Verwaltungsangelegenheiten belasteten das helvetisch-französische Verhältnis sehr. Dennoch hoffte der Verfasser bei der Vergrößerung Helvetiens sogar auf aktive Unterstützung Franko reichs, das dabei angeblich nur gewinnen würde: Eine unabhängige Schweiz nehme Österreich einen wesentlichen Kriegsgrund, und eine beträchtlich vergrößerte Schweiz besitze Mittel, der österreichischen Begehrlichkeit entgegenzutreten; das Kriegsziel der Koalition, die französische Republik zu vernichten, zwinge Frankreich, sich auf die republikanischen Bestrebungen in den Gebieten zu stützen, die zur Zeit noch als Hilfsquellen der Reaktion dienten; nur die Aussicht auf ein freies, unabhängiges und starkes Helvetien könne die Schweiz den Groll auf Frankreich vergessen machen. Das Helvetien, von dem der Verfasser träumte, sollte ein Dutzend Millionen Menschen umfassen und darum ganz Süddeutschland zwischen Rhein, Main, Fichtelgebirge, Böhmerwald, Donau und Isar oder Lech umschließen. Die in einer solchen Republik vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten für Handel und Industrie würden und sollten nur der englischen Vormachtstellung Abbruch tun, während Italien und besonders Frankreich dabei profitierten. Als gleichberechtigte Partner würden Helvetien und Frankreich beispielsweise Österreich zwingen, ihnen den Donauhandel zum Schwarzen Meer freizugeben. Die Ausführung des Gesamtprojekts war nach Meinung des Autors zum Teil auf diplomatischem Wege, vor allem aber durch militärische Mittel zu sichern. Preußen sollte von Frankreich 301 303

32*

Ebenda, S. 320. Ebenda, S. 319.

302

Ebenda, S. 318.

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durch Entschädigungsangebote nördlich des Mains oder auch auf Kosten des österreichischen Schlesiens, Mährens oder Böhmens gewonnen werden. Im übrigen vertraute er auf die französischen, helvetischen und auch schwäbischen Waffen. .Die reichsten Bewohner Schwabens und seine Kaufleute sind für die Revolution, wenn sie nur auf eine vernünftige Weise gemacht wird; die württembergischen Landstände, die schon eine Art von Repräsentation bilden, in deren Händen die Finanzen und die Aufstellung der Truppen von rechtswegen liegen, die Landstände, sage ich, die itzt schon im heftigen Zanke mit dem Herzoge sind, dem sie großenteils den Gehorsam verweigern, und die das Volk und das Militär auf jeden Wink zu ihren Befehlen haben, tragen nicht wenig zu unseren Absichten bei. Dazu kommt, daß die angesehensten Männer, zu allen Opfern bereit, auf unserer Seite sind und daß das Volk, ungeneigt seine Waffen für Österreich und gegen Frankreich zu tragen, sich erklärt hat, daß es geneigt sei, sie jeden Augenblick für seine Freiheit zu ergreifen. . . Es wird auf die gute Auswahl der französischen Generäle und ihre Aufführung und die Kriegszucht ankommen; so darf man bis tief in Böhmen hinein auf die größte Neigung zur Revolution zählen. Endlich wird uns hoffentlich Frankreich zwar nicht nötigen, aber erlauben, ein von unserem Willen abhängendes Truppenkorps von ihm in Sold zu nehmen, welches unter den von uns zu wählenden französischen Generälen stehen, von uns unterhalten und zu seiner von uns abhängenden Zeit wieder verabschiedet wird." 304 Während französische Kreise mit der Republikanisierung des deutschen Südens sich nur dann zu befreunden bereit waren, wenn Frankreichs Übermacht dadurch vergrößert würde, konnten umgekehrt Schweizer Bourgeois nur gewonnen werden, wenn sie darin ein Mittel fanden, um die drückende Abhängigkeit von der französischen Großbourgeoisie zu überwinden. So gegensätzlich die Beweggründe waren, so hatten sie doch das gemeinsame Ziel, die republikanischen Grundsätze über den Rhein zu tragen. Beide Tendenzen stellten darum für die deutschen Revolutionäre zunächst einmal wertvollste Aktivposten dar. Die französische Unterstützung war zweifellos die wichtigere, denn ohne sie war auch von Helvetien nichts zu erwarten. Ebenso zweifellos war die Schweizer Hilfe die sympathischere; unter anderem darum hatten sie sich so intensiv um sie bemüht. Die Orientierung der süddeutschen Revolutionäre auf Frankreich und die Schweiz bedeutete jedoch keineswegs das Fehlen oder gar die Preisgabe eines eigenen Endzweckes, der sich gründlich von den französischen, aber auch von den helvetischen Absichten unterschied. Die späteren Vernehmungen der Beteiligten hatten laut Bericht der herzoglich-württembergischen Untersuchungskommission vom 25. Februar 1800 unter anderen folgende Hauptresultate, die gleichzeitig die Konzeption der Revolutionäre enthüllten: »Es besteht eine dem Anschein nach sehr ausgebreitete Gesellschaft vieler Deutscher auf dem rechten Rheinufer mit mehreren in der Schweiz und auf dem linken Rheinufer befindlichen Deutschen, deren Absicht die Revolutionierung wo nicht von ganz Deutschland, doch eines großen Teils desselben 3M

Ebenda, S. 323.

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und insbesondere des schwäbischen Kreises ist... Der Plan der Häupter der Gesellschaft geht auf die Vereinigung eines beträchtlichen Teils der Länder auf dem rechten Rheinufer mit der helvetischen Republik; der Plan vieler diesseitiger Mitglieder aber auf eine eigene, von Helvetien unabhängige Republik... Gleichwohl scheint die Absicht dieser Revolutionäre fast einstimmig diese zu sein, die Revolution Deutschlands oder Schwabens womöglich ohne französischen Einfluß und nur unter Benutzung der durch ein allenfallsiges neues Waffenglück der Franzosen hergeführten Umstände zu bewirken." 805 Gerade darum wurde es nun für die Revolutionäre von erster Wichtigkeit, auch die Massen auf deutschem Boden zu mobilisieren und ihnen Richtung und Ziel zu weisen. Bisher hatten die Revolutionäre sich bei ihrer Agitation im wesentlichen darauf beschränkt, die allgemeine Unzufriedenheit der Massen mit den bestehenden Zuständen zu schüren. Da ihre finanziellen Mittel und Druckmöglichkeiten begrenzt waren, hatten sie sich sogar nicht gescheut, die württembergischen Landtagsschriften als Agitationsmaterial zu nutzen. Zweifellos haftete dieser Literatur ein großer Mangel an: Die Orientierung auf den Landtag und nicht auf die Kraft der Massen tat einer revolutionär-demokratischen Entwicklung in Württemberg Abbruch. Dennoch blieb die in diesen Flugschriften geübte Kritik am Bestehenden wertvoll; darüber hinaus aber verlor auch das hemmende Festhalten an der ständischen Verfassung dort an Gewicht, wo keine solche Verfassung bestand. Nach Essichs Aussage versuchten darum die Revolutionäre, »die Schriften vom württembergischen Landtag, wie er von Jägerschmidt gehört, auch außer Württemberg unter dem Volk zu verbreiten; wie dann in der Markgrafschaft Baden und anderen Gegenden Schwabens die Agenten viele dergleichen Schriften verbreitet haben. Z. B. wolle er seine eigene Erfahrung hievon anführen, daß er auf seinem Rückweg in die Schweiz auf dem Schwarzwald in einem Wirtshaus die Schrift über die Landschaftsrechnung angetroffen, welches bei den Bauern die Wirkung gehabt, daß sie in der Wirtsstube geäußert, wie sie nun einsehen, daß sie um ihr Geld betrogen worden und der Schreiber ganz recht gehabt, der ihnen gesagt, daß die Franzosen es nicht so arg machen würden." 306 Die allgemeine Stimmung unter den Volksmassen in weiten Teilen Süddeutschlands war revolutionären Umgestaltungen günstig, nur mußte sie noch in eine gezielte Kraft verwandelt werden. Der Vertreter Württembergs und Badens beim Reichstage zu Regensburg, Seckendorff, faßte am 3. Februar 1799 seine Beobachtungen dahingehend zusammen, daß die Kriegsvorbereitungen der Koalition die freundschaftlichen Gefühle des Volkes gegenüber den Franzosen steigerten, bei denen »es den Schutz gegen ein größeres Übel zu finden hofft. Ebendarum wird man sich nun noch weniger über die in Schwaben, Bayern, Franken, ja sogar in Sachsen hin und wieder 305 3,0

HSA Stuttgart, A 11, Bü. 30. Ebenda, A 30, Nr. 149, Bericht der Untersuchungskommission vom 5. 5. 1800. Es handelt sich um die über hundert Seiten starke Flugschrift .Die Verwaltung der württembergischen Landeskasse durch die vormaligen, nun kassierten Ausschüsse der württembergischen Landstandschaft. Aus landschaftlichen Rechnungen, Akten und Urkunden gezogen, o. O. 1799".

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immer bedrohlicher werdenden inneren Bewegungen wundern dürfen. Sie sind die Folge eines so sehr verzögerten Friedens und werden durch die Besorgnisse eines in seinen Folgen noch greulicheren Kriegsausbruches gemehrt und endlich zur Reife gebracht." 307 In Nürnberg, dem fränkischen Unruhezentrum, machte sich die steigende Erregung in gewaltsamen Ausbrüchen gegen die preußischen Drangsalierungen Luft. Als im März 1799 ein preußischer Beamter vor dem Wörther Tor einem Rotschmiedjungen Zoll für eine Schubkarre mit Sand abverlangte, demolierte eine erregte Menge das Zollhaus. „Es werden andere preußische Soldaten kommandiert; sogleich stürmen geteilte Haufen in die Kirchen, läuten mit allen Glocken - es war nachts zehn Uhr eilen zu allen Toren hinaus, jagen überall die Soldaten fort, und beständig hört man durch alle Straßen ein Rufen: Bürger heraus! Rebellion!" 308 Blut floß auf beiden Seiten. Hardenberg beeilte sich, den betreffenden Beamten zu suspendieren, den alten Tarif wiederherzustellen und die Wachmannschaft zu reduzieren, um jeden Anlaß zu weiteren Unruhen aus dem Wege zu räumen. 309 Dieser Sieg des Volkes bestärkte insbesondere diejenigen in ihrem Widerstand, die einst zu Nürnberg gehört hatten und durch die Hardenbergschen Revindikationen zu preußischen Untertanen geworden waren. Erbittert wehrten sie sich gegen die Aushebungen und Steuerzahlungen. Ein Bericht des Amtes Frauenaurach vom 26. März sprach davon, daß alles die Fahne der Freiheit ergriffen hätte und viel Blut geflossen wäre, wenn die Bauern ein französisches Korps in der Nähe gewußt hätten. Sie gingen daran, den Widerstand in größerem Maßstabe mit dem Ziel zu organisieren, die preußischen Revindikationen wieder rückgängig zu machen. Zirkulare beriefen die Einwohner der betreffenden Orte zum 30. März nach Nürnberg, wo sich dann auch 200 bis 300 Deputierte im Gasthaus »Zum Goldenen Schwan" einfanden. Dieser Bauernkonvent, wie ihn ein preußischer Beamter nannte, beschloß eine Bittschrift an den König, in der die Befreiung von der Kantonpflicht gefordert wurde. Im Falle der Ablehnung wollte man sich gemeinsam jeder Aushebung widersetzen. 310 In Bayern hatten die Kaiserlichen seit langem übel gehaust und den wütenden Haß der Bevölkerung auf sich geladen. Die Wiederaufnahme des Krieges bedeutete Fortsetzung und Steigerung des Druckes bis zur Unerträglichkeit. Baron von Rechberg erklärte am 12. März: »Der Untertan, erschöpft durch so viel Unglück, ist über alles erdenkliche Maß in Verzweiflung gesetzt. Sie ist derartig, daß man von diesem Gefühl alles fürchten muß, wenn die österreichischen Armeen eine Niederlage erleiden und die Franzosen als Feinde in Bayern eindringen würden." 311 In Württemberg waren die Sympathien der Massen wiel796 und trotzl796 auf seiten der Franzosen. Der Jugendfreund Schillers und Ludwigsburger Arzt Friedrich Wilhelm von Hoven berichtete 807

Politische C o r r e s p o n d e s . . . , a. a. O., Bd. 3, S. 168. .Nationalzeitung". Jahrg. 1799, 15. Stück, Sp. 336/37. 80 310 Ebenda, S. 365. » Süssheim. Karl, a. a. O., S. 364. 311 .Le sujet fatigué de tant de malheurs est réduit au dernier excès du désespoir. Il est tel, qu'on doit tout craindre de ce sentiment, si les armées autrichiennes essuyaient un échec et que les Français pénétrassent en ennemis en Bavière." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 5, Bl. 187. 308

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darüber in seiner Selbstbiographie: »Wir sprachen daher unsere Bewunderung bei allen Gelegenheiten unverhohlen aus, und auch mitten im Krieg selbst wo wir alles Ungemach desselben erfuhren, verteidigten wir die Sache der Franzosen, so gut wir konnten,... So war es nicht nur in Ludwigsburg, so war es auch in Stuttgart, so war es überhaupt mehr oder weniger im ganzen Lande." 312 In Wirtshäusern äußerten sich herzogliche Soldaten, jeden Kriegsdienst gegen die Franzosen verweigern zu wollen.®18 Am Oberrhein ging die revolutionäre Stimmung der Massen bereits in das Stadium der Aufstandsvorbereitungen über. Wie der württembergische Herzog Anfang Februar 1799 erfuhr, hatte am Rhein eine Versammlung stattgefunden, die angeblich von Revolutionären aus Württemberg, Baden, dem Bistum Speyer, dem Elsaß und der Schweiz beschickt war. Der badische Markgraf, den er um Nachforschungen bat, bestätigte die Tatsache einer solchen Versammlung in Rheinhausen gegenüber Speyer am 19. Januar; allerdings hätten, einen gewissen Hofmann aus Mainz ausgenommen, nur die Namen zweier Badenser festgestellt werden können, die aber ihre Teilnahme bestritten. 314 Nach den Mitteilungen des in der Reichsfestung Philippsburg stationierten pfalzbayerischen Oberst von Triva veranstalteten Soldaten vom Zweibrücker Regiment offen revolutionäre Kundgebungen und sabotierten die Verteidigung der Festung. Sie errichteten im Hattenheimer Wald einen Freiheitsbaum, umtanzten ihn und brachten Hochs auf die französische Republik aus. In Schenken gaben sie ihrer Sympathie für Frankreich lauten Ausdruck und gingen gegen andere Soldaten, die widersprachen, mit dem Seitengewehr vor. Man entdeckte mit Holz, Erde und Lumpen verstopfte Zündlöcher und Rohre der Geschütze, ins Wasser getauchte Luntenstöcke; man fand Nachschlüssel, die den unerlaubten Zugang zu den Pulvermagazinen möglich machten. 315 Der preußische Gesandtschaftsbericht aus Rastatt vom 30. März 1799 sprach von einer Offiziersverschwörung zur Auslieferung der Festung an Bernadotte: »Unter den Verrätern befindet sich ein Bürger aus Mainz und ein anderer aus Germersheim, die der General Bernadotte soeben reklamiert hat, deren Auslieferung ihm aber vom Kommandanten der Festung, wo man schon die offenbaren Beweise ihres Verrats in Händen hatte, verweigert worden ist." 318 Wie der badische Hofrat Hugo in der ersten Märzhälfte 312

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Biographie des Doctor Friedrich Wilhelm von Hoven, von ihm selbst geschrieben und wenige Tage vor seinem Tode noch beendigt. Herausgegeben von einem seiner Freunde und Verehrer. Nürnberg 1840, S. 145. Hölzle, Erwin, Das alte Recht..., a. a. O., S. 233. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 178/79, 180. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6289, Schreiben des Kreuzwirts Fischer vom 5. 2. 1799, der schon auf der bei Christoph Hoyer 1798 beschlagnahmten Liste gestanden hatte. Vgl. S. 384. Bezzel, Oskar, Die letzten Belagerungen der Reichsfestung Philippsburg im Jahr 1799. Nach dem Tagebuch des kurzpfalz-bayerischen Oberst Johann von Triva. In: »Zeitschrift f ü r Geschichte des Oberrheins", NF Bd. 49, S. 598/99,1936. .Parmi les traîtres il se trouve un bourgeois de Mayence et un autre de Germersheim, que le général Bernadotte vient de réclamer mais dont l'extradition lui a été refusée par le commandant de la forteresse, où qu'on avait déjà les preuves évidentes de leur trahison entre les mains." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 6, Bl. 37.

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von dem französischen Kommandanten der Festung Höningen, Baille, erfuhr, waren in letzter Zeit mehrfach Badenser aus dem Oberland bei diesem erschienen, um ihn von ihren Revolutionsabsichten zu unterrichten und dafür zu gewinnen. „Auf die Bemerkung, daß die Revolution in Frankreich und der Schweiz die Leute nicht glücklicher gemacht habe, hätten sie ihm erwidert, daß es dem Bauernstand in hiesiger Gegend auf keinen Fall schlimmer gehen könne." 317 Der leitende badische Minister, von Edelsheim, faßte die Situation in einem Briefe an Reitzenstein vom 8. März folgendermaßen zusammen: „Was die Insurrektionsabsichten in unserer Nachbarschaft und zum Teil auch bei uns anbetrifft, so scheint es allerdings, wie Sie schon beobachtet haben..., daß ihre Elemente überall vorbereitet sind; sie werden nur in dem Verhältnis zur Reife gelangen, wie sich die Umstände mehr oder weniger günstig gestalten." 318 Allenthalben wurden die revolutionären Potenzen der Volksmassen sichtbar; die Entwicklung war nicht überall gleichmäßig fortgeschritten, aber sie schritt überall fort und wurde beschleunigt durch die Aussicht auf einen erneuten Ausbruch des Krieges. Wollten die süddeutschen Revolutionäre in den kommenden Auseinandersetzungen ein gewichtiges Wort mitsprechen, so mußten sie das revolutionäre Vermögen der Massen in handelnde Kraft verwandeln. Erste Voraussetzung dafür war ihre Orientierung auf ein klares gemeinsames Ziel. Ein solches Ziel gaben sie mit einer über hundert Seiten starken Flugschrift, die Anfang März 1799 in Basel vom Buchhändler Flick gedruckt wurde und den Titel trug: „Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde, wie sie für Deutschland taugen möchte. Im siebenten Jahr der Mutterrepublik." 819 Der Verfasser ist unbekannt. Im Bericht der sächsischen Gesandtschaft in Rastatt vom 13. März, die ein Exemplar der Schrift nach Dresden sandte, hieß es: „Man gibt einen ehemaligen kurmainzischen Kanzlisten Maier für den Verfasser derselben aus." 820 Der badische Kammerkonsulent Roth bezeichnete ein Jahr später Jägerschmidt als Autor.®21 Nach der bestimmten Aussage Flicks jedoch, der als ihr Drucker die größte Glaubwürdigkeit verdient, befand sich der Verfasser in Stuttgart. 322 Die räumliche Entfernung ist kein Gegenargument, denn der Revolutionär Friedrich Essich bestätigte aus guter Kenntnis, daß „mehrere dieser selbst sich auf Württemberg beziehenden Schriften bei Flick in Basel gedruckt" wurden. 323 Die der Druckfehlerberichtigung vorangestellte Bemerkung, daß „die Entfernung des Verfassers von dem Druckorte" die Ursache der zahlreichen Fehler sei, unterstützt vielmehr Flicks Aussage. Vor allem aber spricht die zentrale Rolle dafür, die die württembergischen Revolutionäre in der Bewegung 1798/99 einnahmen. 317 318

9:0 321 323

Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 187. „Quant aux dispositions insurrectionnelles dans notre voisinage et en partie aussi chez nous, il paraît bien, comme vous en avez déjà fait la remarque..., que les éléments en sont préparés partout; ils n'écloront qu'en raison des circonstances plus ou moins favorables." 81 Ebenda, S. 297. » Ebenda, S. 180. LHA Dresden, Loc. 8154, Relationen der kursächsischen Gesandtschaft beim Rastatter Friedenskongreg betr., Bd. 6, Bl. 60. 322 Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 387. Ebenda, S. 188. HSA Stuttgart, A 11, Bü. 28, Beilage 11, Aussage Essichs vom 29. 1. 1800.

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Bereits der Titel des Verfassungsentwurfs war bedeutsam. In aller Offenheit wurde hier verkündet, daß das Endziel eine Republik war, die alle Deutschen umfaßte. Damit wurde den bourgeoisen Konzeptionen Frankreichs und der Schweiz, die beide, soweit sie die revolutionäre Bewegung überhaupt zu fördern gewillt waren, kein einheitliches bürgerliches Deutschland zuließen, eine eigene nationale Konzeption entgegengestellt; damit wurde den revolutionären Kräften in Deutschland selbst, die sich nur allzu leicht in die überkommenen partikularistischen Vorstellungen zersplittern konnten, ein einigendes großes Ziel gesteckt. Die ersten drei Grundartikel des Verfassungsentwurfs lauteten: »1. Die deutsche Völkerschaft ist ihr einziger Oberherr. Sie verfaßt und vollzieht ihre Gesetze und straft die Übertreter derselben. 2. Sie bildet einen einzigen unzerteilbaren Körper unter einem und demselben Gesetze; keine Abteilung derselben hat eine abgesonderte Gewalt. Sie ist der eine und unzerteilbare deutsche Freistaat. 3. Keine Macht und kein Ausspruch kann je einen Teil von ihr trennen. Sie handhabt ihre Oberherrschaft und die Unzerteilbarkeit ihrer Besitzungen durch Aufbietung aller ihrer Kräfte und macht mit niemandem Friede, der sich einen Teil ihrer Oberherrschaft oder ihrer Besitzungen anmaßt, bis dieser genötigt ist, von seinen Anmaßungen abzustehen." 324 Dem letzten der genannten Artikel gebührt besondere Beachtung. Er findet sich weder in der französischen Direktorialverfassung vom 22. August 1795, noch selbstverständlich in der helvetischen Verfassung vom 12. April 1798, die der Schweiz von Frankreich mehr oder weniger aufoktroyiert wurde. Diese Betonung der eigenen Souveränität, die jede Art von Bevormundung ausschloß und notfalls mit Waffengewalt zu sichern war, hieß nichts anderes als eine entschiedene Absage an die Praxis der französischen Großbourgeoisie, die Tochterrepubliken in halbkoloniale Anhängsel Frankreichs zu verwandeln. Mehr oder weniger empfanden alle diese Republiken, so sehr sie auch die Befreiung von den feudalen Fesseln als gewaltigen objektiven Fortschritt begrüßten, den Würgegriff der übermächtigen französischen Ausbeuterklasse, die die Reichtümer dieser Länder nach Frankreich abzog, sich ihre Märkte sicherte und ihnen als Konkurrenten den eigenen inneren und äußeren Markt versperrte.* 25 Nicht nur der Konterrevolution, auch solchen Anmaßungen sollte die künftige deutsche Republik nach der Ansicht der deutschen Revolutionäre »durch Aufbietung aller ihrer Kräfte" begegnen. Wie sämtlichen zehn Konstitutionen, die bis zu diesem Zeitpunkt in den verschiedenen Tochterrepubliken entstanden, lag auch dem deutschen Entwurf die französische Direktorialverfassung des Jahres III zugrunde. 326 Der Verfasser des Ent>u 385 3äs

Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde, wie sie für Deutschland taugen möchte, o. O. im 7. Jahr der Mutterrepublik, S. 5. Codechot, Jacques, La grande nation..., a. a. O., Bd. 2, S. 536 ff. Ebenda, S. 421. Es handelte sich um die Verfassung Bolognas vom 4. 12. 1796, die cispadanische Verfassung vom 27. 3. 1797, die erste dsalpinische Verfassung vom 9. 7. 1797, die ligurische Verfassung vom 2. 12. 1797, die Verfassung von Wallis vom 16. 3. 1798, die

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wurfs hatte darüber hinaus verschiedene Konstitutionen der Tochterrepubliken zum Vergleich herangezogen, wie aus den einleitenden Bemerkungen eindeutig hervorgeht. 327 Es ist anzunehmen, daß er dabei die helvetische Verfassung besonders gründlich studierte. Die Konstitution des Jahres III bestätigte einerseits die endgültige Beseitigung der Feudalordnung, andrerseits war sie ein Instrument zur Errichtung und Sicherung der Diktatur der Großbourgeoisie; sie beschnitt die demokratischen Rechte der Volksmassen und sah eine strenge Gewaltentrennung vor, die eine Wiederholung der revolutionär-demokratischen Jakobinerdiktatur unmöglich machen sollte. Tatsächlich aber hat die Bourgeoisie ihre Herrschaft nur unter ständiger Verletzung dieser Verfassung aufrechterhalten können, bis sie mit dem Staatsstreich vom 18. Brumaire und der Konsularverfassung des Jahres VII den Weg zur Militärdiktatur beschritt. Die Konstitutionen der Tochterrepubliken in dieser Epoche zeigen darum, insbesondere wenn sie wie die helvetische von Frankreich direkt oktroyiert wurden, schon deutliche Tendenzen des Übergangs zur Konsularverfassung mit ihrer starken Exekutivgewalt. Der deutsche Verfassungsentwurf wies manchmal ähnliche Züge auf, wenn auch die Motive andere waren. Die Einschränkung demokratischer Freiheiten erfolgte nicht aus antidemokratischer großbourgeoiser Gesinnung, sondern in erster Linie aus der berechtigten Furcht vor der Reaktion, deren Einfluß mit ihrem Sturz noch nicht gebrochen war. «Ein Volk muß demnach Mißtrauen in sich selbsten setzen', hieß es im Vorbericht; »es hat den Feind in seinem Schöße; es wäre zu schwankend, wenn es die Auswahl seiner Verteidigungsmittel sich selbst unbedingt überließe. Die feindseligeren Atome müssen von der Auswahl ausgeschlossen werden; die nützlicheren Charaktere allein, die Menschen allein, deren Leidenschaften nur auf den Endzweck der freien Gesellschaft hinarbeiten, müssen ausgesucht werden; sie allein werden die Mittel, welche der Staat hat, gehörig anwenden." 828 Zwischen die Verfassung des Jahres III und die helvetische gestellt, rückt der Entwurf der deutschen Revolutionäre entschieden von der letzten ab und an die erste heran. Während diese noch die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte und -pflichten voranstellte, verzichtete jene wie die Konsularverfassung darauf. Zu dieser Frage erklärte der Autor des Entwurfs: »Es ist offenbar ein Fehler in den neuen Verfassungsurkunden, daß die heiligen, unwandelbaren, unveräußerlichen Menschen- und Gesellschaftsrechte nicht von den Formen selbst getrennt worden, nach welchen sie in Ausübung sollen gesetzt werden. Der Verfasser der Urkunde für Deutschland hat keine innere Abänderung jener Rechte und Grundartikel zugelassen, weil sie auf die ewige Natur des Menschen und seine Freiheit gegründet sind. Dafür hat er gefühlt, daß Zeit und Umstände leicht eine Änderung der Form gestatten oder fordern können; und diese hat er zugegeben. Nach diesem Plane ist er versichert, daß das Volk, dem diese Urkunde wird, immer ein freies Volk bleiben werde, wenn andere Nationen mit ihrer Form

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römische Verfassung vom 20. 3. 1798, die helvetische Verfassung vom 12. 4. 1798, die batavische Verfassung vom 23. 4. 1798, die zweite cisalpinische Verfassung vom 10. 9. 1798 und die neapolitanische Verfassung vom 23. 1. 1799. Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde..., a. a. O., S. IX ff. Ebenda, S. VI/VH.

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4. Bestrebungen zur Bildung einer süddeutschen Republik

auch die nicht besonders herausgehobenen Menschenrechte werden umgeschmolzen und - verhunzt haben." 329 Dementsprechend ließ der Entwurf dem dritten Teil, der die Verfassungsform darlegte und Abänderungen erfahren durfte, zwei andere Teile voraufgehen, die zu allen Zeiten ihre Gültigkeit behalten sollten: Den ersten Teil, der in acht Artikeln die »Rechte der menschlichen Gesellschaft" formulierte, und den zweiten Teil mit seinen 99 »Grundartikeln der Verfassung des deutschen Freistaates." Auf diese Weise wurden nicht nur die menschlichen Grundrechte auf Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Sicherheit und Ruhe, sondern auch die Grundbestimmungen über den staatlichen Aufbau, über die Befugnisse und Pflichten der staatlichen Organe, über den Inhalt der Gesetze, über das Strafrecht, das Erbrecht usw. für unabänderlich erklärt. Die Bürger wählten in Urversammlungen die Wahlmänner, die wiederum die Richter und die Gesetzräte wählten. Diese bestanden aus einem 100- bis 500köpfigen Erstrat, der die Gesetze entwarf, und einem 60- bis 250köpfigen Zweitrat, der die Gesetze prüfte, einnahm oder ablehnte. Beide zusammen wählten die aus fünf Männern gebildete ausübende Gewalt, den Staatsrat. Alle übrigen staatlichen Ämter waren diesen drei Gewalten untergeordnet und wie diese als mittel- oder unmittelbar vom Volke erteilt zu betrachten. Verschiedene Grundartikel verhinderten die Ausnutzung der verfassungsmäßigen Möglichkeiten durch die Konterrevolution. So bestimmte der 16. Artikel: »Die Mehrheit der Stimmen drückt die Annahme und den Willen des deutschen Volkes aus. Dieses will allemal, was der Erhaltung der menschlichen Gesellschaftsrechte und der Grundartikel seiner Verfassung gedeihlich ist. Die Personen, welche diese nicht wollen, gehören nicht zum deutschen Volke." 330 Oder der 25. Artikel: »Keiner kann ein Amt bekleiden, als insoweit er die erforderlichen Kenntnisse und Anhänglichkeit an die menschlichen Gesellschaftsrechte und an die Grundartikel der deutschen Verfassung besitzt." 331 Oder der 48. Artikel: »Die Gesetze, Urteile und Verfügungen, die nicht zur Erhaltung der menschlichen Gesellschaftsrechte und der Grundartikel der deutschen Verfassung beitragen oder derselben entgegenstehen, sind ungültig." 332 Zum Staatverbrecher wurde jeder Beamte erklärt, der sich der aktiven oder passiven Bestechung schuldig machte, mit seinem Amt Nebenabsichten verfolgte und nicht eine völlige Gleichheit gegenüber seinen Mitbürgern beobachtete, wie umgekehrt auch jede wissentliche Täuschung des Beamten oder jeder Angriff auf ihn als Staatsverbrechen galt. Staatsverbrecher waren weiterhin „tätige Feinde des Vaterlandes und ihre Mithelfer", wobei eine Anmerkung den Begriff der Tathandlung selbst auf Reden und Schriften ausdehnte. Dementsprechend gewährte auch der 81. Artikel die Meinungsfreiheit nicht ohne Einschränkung: »Die Freiheit der Meinungen ist unantastbar, soweit sie sich mit der Ruhe, Ordnung, dem Wohl des Staats, den Menschen- und Gesellschaftsrechten und Grundartikeln der Verfassung vertragen." 333 Gegen die Gefahr eines Übergewichts der Exekutive legten die Grundartikel fest, daß der Staatsrat in seiner Finanzverwaltung einer 329 332

Ebenda, S. IX/X. Ebenda, S. 12.

330 333

Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 16/17.

331

Ebenda, S. 8.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

strengen Kontrolle durch die Legislative unterworfen war, keinen Krieg ohne ihre Zustimmung führen und ebenso keine Truppenbewegungen veranlassen durfte, wenn eine Verordnung der Gesetzräte es verbot. Der 97. Grundartikel setzte fest: »Die Nationalfarben sind rot im Umfange, gelb in der Mitte, und die Einlage blau. Jeder Bürger ist schuldig, sie im Vaterlande zu tragen unter der Strafe, als Widerspenstiger angesehen zu werden." 3 3 4 Den starken Umfang der Gesamtverfassung - sie zählte 547 Artikel, während die französische aus 408 Artikeln und die helvetische aus nur 116 Artikeln bestand begründete der Autor damit, „daß er die ersten Grundlinien der Hauptgesetze mit einfließen ließ. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, wie langsam eine Revolution vorwärts zu ihrem Ruhepunkte schreite, wo die Gesetzgeber sich lange besinnen, ehe sie die natürlichsten und gerechtesten Grundgesetze anerkennen." 3 3 5 Die Verfassungsform, die sich in 26 Abschnitte mit insgesamt 440 Artikeln gliederte, durfte zwar abgeändert werden, doch machte die Bedingung, daß 9/io der Räte, 4 /s des Staatsrats und 19/io der Wahlmänner ihre Zustimmung geben mußten, eine solche Änderung nahezu unmöglich. Der erste Abschnitt der Verfassungsform sah die territoriale Einteilung des deutschen Freistaates in Kreise, Bezirke und Gemeinden analog dem französischen Muster vor. Der zweite Abschnitt behandelte den bürgerlichen Zustand der Staatsglieder: Im Gegensatz zur französischen Verfassung war das Gesinde vom Bürgerrecht nicht ausdrücklich ausgenommen, wohl aber wurde die republikanische Gesinnung zur Grundbedingung gemacht; dementsprechend war ein Bürgereid verlangt, der jedoch nicht wie der französische und der helvetische die antijakobinische Verpflichtung enthielt, .einem gerechten Haß gegen Anarchie und Zügellosigkeit anzuhangen".336 Die Stimmfähigkeit war allerdings mit dem Bürgerrecht nicht identisch, sondern setzte voraus, daß der Bürger »schreiben und lesen kann, seine Bürgerrechte und die Ausübung derselben hat, geheiratet ist oder einundzwanzig Jahr und eigenes Vermögen hat und nie ein größeres und entehrendes Verbrechen begangen hat". 337 Wahlfähig war jeder Stimmfähige, der rechnen konnte. Von den Wahlen, den Ur- und Wahlversammlungen handelten der dritte und vierte Abschnitt: Man folgte im allgemeinen dem französischen Vorbild. Während aber dort die Wahlfähigkeit von einer genau festgesetzten Vermögenshöhe abhing, bestimmte der Entwurf ein anderes Verfahren, um die Begüterten zu begünstigen, ohne dabei die Minderbemittelten völlig auszuschließen: .Ein Drittel der Wahlmänner wird aus den mindestbegüterten, ein Drittel aus den mittelmäßig begüterten und ein Drittel aus den begütertsten Bürgern genommen. Die Steuerliste dient hier zur Richtschnur." 3 3 8 Die Rechte der Wahlmänner gingen insofern über die der französischen hinaus, als sie die Rechnungen der Gemeinden kontrollierten. Das letzte Wort, das sie bei Verfassungsänderungen besaßen, fehlte dafür den Urversammlungen, denen es die französische Verfassung zusprach. 334 336 337 338

335 Ebenda, S. XI/XII. Ebenda, S. 19. Kaiser, Simon/Strichlet, Johann, a. a. O., T. B„ S. 15. Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde..., a. a. O., S. 25/26. Ebenda, S. 31.

4. Bestrebungen zur Bildung einer süddeutschen Republik

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Im fünften bis neunten Abschnitt wurden die Vollmachten der Legislative festgelegt, im zehnten die der Exekutive. „Der Verfasser kann nicht bergen", hieg es im Vorbericht, »dag er oft in Verlegenheit war, wenn er das Gleichgewicht zwischen den Gesetzräten und dem Staatsrate handhaben sollte. Die vielen Intrigen, die bis itzt in den Gesetzräten gegen die Vollziehungsräte gespielt wurden und die die gute Sache nur gar nicht beförderten; die Kraft, welche ein Vollziehungsrat vonnöten hat, um die Maschine in behendem Gange zu erhalten, waren es, die ihn oft nötigten, seinem Staatsrate viele Gewalt einzuräumen;... dies geschah besonders in den Vorschriften zur Einführung der republikanischen Verfassung... Allein bei den wichtigsten Punkten hat der Verfasser dafür gesorgt, daß der Staatsrat keinen Mißbrauch von seiner Gewalt machen könne, die übrigens gewig niemandem als dem Bösgesinnten so fürcherlich vorkommen wird. Und da dafür gesorgt worden, dag die Gesetzgebung nur aus unterrichteten Republikanern bestehe, welche ganz gewig den Staatsrat immer nach Bedürfnis der Zeiten besetzen werden, so hat man, wenn diese Urkunde angenommen wird, nichts minder zu fürchten als einen 18. Fructidor." 3 3 9 In der Tat beschränkte sich die Machtsteigerung der Exekutive im wesentlichen auf die Übergangszeit, in der die Verfassung eingeführt werden sollte; sonst hielt sich der Entwurf eng an das französische Muster. So gab es keinen solchen Artikel wie in der helvetischen Konstitution, der der Legislative eine mindestens dreimonatige Unterbrechung ihrer Sitzungen im Jahr vorschrieb. Sie hatte wie in Frankreich das Recht, sich zu vertagen; aber in diesem Falle trat ein Zwischenausschug in Funktion, der aus je neun Mitgliedern beider Gesetzräte zu bilden war und die Tätigkeit des Staatsrats zu überwachen hatte. Offensichtlich verfolgte der Verfasser mit dieser Magnahme keinerlei Schwächung der Legislative, sondern es waren Sparsamkeitsgründe, die ihn dazu bewegten. Ausdrücklich verwies er nämlich im Vorbericht auf jenen Zwischenausschug, um dem ungerechtfertigten Einwand der Kostspieligkeit der republikanischen Verwaltung zu begegnen, »den man aber wenigstens in Deutschland nicht machen sollte, wo das zahllose Heer von Fürsten, Herzögen, Grafen, Baronen, Prälaten, Pröpsten, Prioren, Bischöfen, Kurfürsten, Konsistorien samt allen ihren Ober- und Unterbeamten, Kanzlisten und Einnehmern eine ungeheure Masse Millionen auffragen". 340 Eine Einflugnahme der Exekutive auf die Gesetzgebung war insofern gegeben, als der Erstrat seine Beschlüsse dem Staatsrat vorlegen mugte, der seine Stellungnahme beifügte, bevor sie an den Zweitrat zur Prüfung gelangten. Jedoch war der Erstrat nicht verpflichtet, eine etwa abweichende Meinung des Staatsrats zu berücksichtigen, sondern hatte lediglich diese Stellungnahme zusammen mit dem eigenen Beschlug dem Zweitrat zuzuleiten. Umgekehrt konnte der Staatsrat dem Erstrat auch die Aufhebung bestehender Gesetze vorschlagen. Andererseits wich der Entwurf aber auch darin vom französischen Vorbild ab, dag die Gesetzräte vom Staatsrat ernannte Beamte wegen erwiesener Gesetz- und Verfassungswidrigkeit absetzen konnten; ebenso behielten sie sich das Recht der Absetzung Gewählter vor. Der Entwurf bestimmte auch nicht ss

» Ebenda, S. XIII/XIV. * m Ebenda, S. XIV.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

wie die helvetische und später die Konsularverfassung, daß die ausscheidenden Mitglieder der Exekutive in den Senat beziehungsweise Zweitrat aufgenommen werden mußten. Der 11. und 12. Abschnitt der Verfassungsreform beschäftigte sich mit den Kreisund Gemeindeverwaltungen. Zunächst fällt auf, daß von einer Bezirksverwaltung keine Rede war, obwohl der Kreis in Bezirke untergliedert sein sollte. Möglicherweise aus den bereits erwähnten Sparsamkeitsgründen war darauf verzichtet und lediglich neben den von den Wahlmännern gewählten Bezirksrichtern ein von der Exekutive ernannter Bezirksaufseher vorgesehen. Die Gemeinden wählten ihre Verwaltungen selbst, während die Kreisverwaltungen von den Wahlmännern bestimmt wurden. Dabei war den Gesetzräten ein hohes Maß von Kontrollrechten über die Kreisverwaltung zugebilligt und dieser wiederum sogar über den vom Staatsrat bestellten Kreisaufseher, ganz im Gegensatz zur französischen und erst recht zur helvetischen Konstitution, wo der Statthalter des Direktoriums sogar die Präsidenten der Verwaltungen und Tribunale nominierte. Der 9. Artikel des 11. Abschnitts lautete: »Die Kreisverwaltung besorgt unter der Aufsicht der Gesetzräte, des Staatsrates, seiner Minister und Kreisaufseher alles, was die Verwaltung, Ruhe und Sicherheit des Kreises betrifft, und ist für die Vollziehung der ihrer Obsorge übergebenen Gesetze, Verordnungen, Befehle und Erklärungen verantwortlich. Sie zernichtet die Kundmachungen der Kreisaufseher, wenn sie den Vorschriften einer höheren Behörde entgegen sind und zeigt dies dem Staatsrate und den Gesetzräten an. Sie ermahnt die nachlässigen Beamteten und begehrt die Absetzung der Pflichtvergessenen." 841 Monatlich hatten die Kreisverwaltungen dem Staatsrat wie den Gesetzräten über ihre Angelegenheiten zu berichten. Außerdem hatten die Gesetzgeber in der Zeit, da der Zwischenausschuß amtierte, »die Pflicht, über den Gang der Geschäfte bei den zerschiedenen Behörden in den Kreisen zu wachen, und das Recht, ihn einzusehen, ohne jedoch denselben Vorschriften machen zu können".342 Diese Bestimmungen bestätigen erneut, daß die deutschen Republikaner die Exekutive keineswegs übermächtig werden lassen wollten. Der 13. bis 20. Abschnitt handelte von der jurisdiktionellen Gewalt. Der öffentliche Ankläger und der Gerichtsschreiber wurden zwar nicht wie nach der französischen Konstitution von den Wahlmännern gewählt, sondern vom Staatsrat ernannt, aber die Gesetzräte mußten ihre Zustimmung geben, wenn er sie wieder absetzen wollte. Von einem Recht, wie es das helvetische Direktorium besaß, die Gerichtshöfe abzusetzen und sie bis zu den künftigen Wahlen zu ersetzen, konnte keine Rede sein. Die folgenden drei Abschnitte handelten von der Staatskasse, von der bewaffneten Macht und von den auswärtigen Verhältnissen. Ein bemerkenswerter Unterschied bestand in der Behandlung der geheimen Artikel in Verträgen mit anderen Mächten: Während sie in Frankreich wie in der Schweiz der Legislative vom Direktorium nicht vorgelegt zu werden brauchten, forderte es der deutsche Verfassungsentwurf, „sobald es ohne Nachteil des Freistaates geschehen kann und sie in Erfüllung gegangen sind".343 Sehr detailliert und bedeutend umfangreicher als in der französischen Ver311

Ebenda, S. 74.

342

Ebenda, S. 49.

343

Ebenda, S. 97.

4. Bestrebungen zur Bildung einer süddeutschen Republik

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fassung waren die Bestimmungen über das Schulwesen, von dem der 24. Abschnitt handelte. Es gab Gemeindeschulen, Kreisschulen und Hauptschulen, die den Universitäten entsprachen. Auffallend ist die Förderung insbesondere der minderbemittelten Schüler und Lehrer, die bei gleicher Leistung den Vorzug vor vermögenderen haben sollten. Der 9. Artikel lautete: .Die Kinder der armen Bürgerklasse erhalten die Schulbücher einmal unentgeltlich; die beiden anderen Klassen schaffen sie ihren Kindern selber an. Kein Kind darf die Schulen versäumen; die Gemeinden sind dafür verantwortlich." 344 Der 25. Abschnitt setzte die Nationalfeiertage fest. Im 26. und letzten Abschnitt waren 27 »vorläufige Artikel zur Einführung dieser Verfassung" festgelegt, die bewiesen, daß der gesamte Entwurf nicht das Produkt eines rein spekulativen Verfassungsrechtlers war, sondern ein Programm und eine Anleitung zum Handeln. Zweifellos hat hier die helvetische Verfassung Pate gestanden, die sich als ein vorzügliches Instrument zur Revolutionierung der Schweiz erwiesen hatte und ebenfalls mit der Angabe der Mittel schloß, «die Konstitution ins Werk zu setzen".345 Der erste vorläufige Artikel ging davon aus, daß die Umwälzung zunächst nur in einzelnen Gebieten erfolgen würde, und bestimmte: »Wenn eine beträchtliche Gegend sich zur neuen Ordnung der Dinge bekennt, so ernennen jede drei Gemeinden und nach Verhältnis der Umstände jede Gemeinde einen Gesetzgeber. Diese Gesetzgeber vereinigen sich in dem Hauptorte der Gegend und wählen aus ihrer Mitte einen Ausschuß, welcher unter der Billigung der Gesetzgeber die ausübende Gewalt versieht. Diese Verfassungsart dauert, bis einigermaßen eine allgemeine Gesetzgebung zustande kommt." 346 Die Forderung, daß jeder Stimmfähige lesen und schreiben und jeder Wahlfähige rechnen könne, wurde für die erste Zeit nicht erhoben. Auf die Gefahr der inneren Konterrevolution hatte der Verfasser schon in seinem Vorbericht hingewiesen: »Die Bosheit ist in einem Staate, der aus dem Laster erwachte, oft so künstlich verhüllt, daß nur ein erfahrenes, reines Auge die Schwärze durch das weiße Gewand erblickt. Mancher heimliche Freund des knechtischen Systems heuchelt dem Freiheitshelden die schönste Huldigung, während er den Augenblick erlauert, die Waffe der Gewalt, die ihm auf seine verstellte Redlichkeit hin anvertraut wird, gegen seine Mitbürger mit Vorteil zu kehren." 347 Dementsprechend entzog der 5. Artikel allen Geistlichen und Adligen, die nicht auf ihre Privilegien verzichtet hatten und nicht zweifelsfrei als Anhänger der Republik bekannt waren, die Stimm- und Wahlfähigkeit. Es genügte ein starker Verdacht gegen ihren Bürgersinn, um sie aus allen Stellen zu entfernen, in die sie nach ihrer Verzichts- und Loyalitätserklärung gelangt waren. Ebenso sollten laut Artikel 6 »die ehemaligen Beamten, welche sich willkürliche Bedrückungen oder schlechte Verwaltung haben zuschulden kommen lassen, . . . sowie jeder andere, der der Einführung der neuen Verfassung durch Rat oder Tat entgegengearbeitet oder 344 346 346 347

Ebenda, S. 99. Kaiser, Simon/Strickler, Johann, a. a. O., T. B., S. 31 ff. Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde..., a. a. O., S. 105. Ebenda, S. VII.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

sich als Feind der republikanischen Verfassungsform geäußert hat, solange von allen öffentlichen Stellen ausgeschlossen (sein - H. S.), bis sie in Rücksicht ihrer aufrichtigen Sinnesänderung einzeln begnadigt worden".348 Außerordentlich bedeutsam war im Vorbericht die vom Verfasser getroffene Feststellung: »Nichts ist bei dem Übergange von der Sklaverei zur Freiheit gefährlicher als die Langsamkeit. Das Entzücken über das neue Dasein geht durch die Ermüdung des Ungeduldigen verloren, der mitten in seinem fröhlichsten Zuge aufgehalten wird; und die Wirkungen, welche der in schnellen Umlauf gesetzte Geist zum Besten der Aufklärung, der Sitten und der Industrie verspricht, ersticken alle unter der träge sich dahinschleppenden Last der Revolution." 349 Aus dieser Erkenntnis resultierte das Bestreben, schnell und radikal die alte Ordnung zu beseitigen, um an ihre Stelle ohne Aufschub die neue zu setzen. In der helvetischen Verfassung war die Aufhebung der Feudallasten sehr vage gehalten und hatte eigentlichen Wert nur für die Zukunft: «Der Grund und Boden kann mit keiner Last, Zins oder Dienstbarkeit beschwert werden, wovon man sich nicht loskaufen könnte." 350 Der deutsche Verfassungsentwurf dagegen dekretierte in seinem 19. vorläufigen Artikel klar und eindeutig: «Die Lehenlasten sind an sich selbst und in allen ihren gegenwärtigen, künftigen oder rückständigen Wirkungen durch die Annahme der Verfassung abgeschafft." 361 Lediglich im ersten Jahr der republikanischen Ordnung sollten die feudalen Abgaben noch zugunsten des Staates erhoben werden. Ebenso rigoros waren die von der feudalen Justiz gesprochenen ungerechten und despotischen Urteile mit allen ihren Folgen zu vernichten. Nach Aufteilung der Gemeindeländereien und einer klaren Übersicht über den Umfang des Staatsgiutes, dem die Kloster- und anderen geistlichen Güter zugeschlagen wurden, sollte möglichst jeder Bauer, der weniger als sechs Morgen Acker besag, den ihm an sechs Morgen fehlenden Boden aus Staatsbesitz erhalten; entsprechend war jeder Handwerker zu bedenken, dessen Vermögen nicht den Wert von sechs Morgen Acker ausmachte. Die Vorteile der neuen Verfassung, darunter das Recht eines jeden, jedes Gewerbe zu treiben, galten von dem Augenblicke ihrer Annahme. Um alle diese Magnahmen und andere schnell und gründlich durchzusetzen, wurden dem Staatsrate augerordentliche Vollmachten augebilligt. Der 13. vorläufige Artikel lautete darum: .Der Staatsrat ist befugt, zur Rettung des Vaterlandes und zur schleunigen Gründung der republikanischen Verfassung und Ordnung alle Mittel zu ergreifen, die nicht geradezu den Gesellschafts- und Menschenrechten widersprechen. Er mug sogleich alle Befehle ergehen lassen, welche der Verfassung und ihrem Geiste angemessen sind. Er mug alle Verfügungen der untergeordneten Stellen zernichten, insofern sie nicht nach dem Geiste der Verfassung sind oder nicht den Gang der neuen Ordnung der Dinge befördern. Er mug alle jene obrigkeitlichen Personen absetzen, welche nicht im Geiste der neuen Ordnung der Dinge arbeiten oder zu arbeiten wissen, und ernennt andere an ihre Stellen. So oft die 348 350 391

319 Ebenda, S. 106. Ebenda, S. VIII. Kaiser, Simon/Strickler. Johann, a. a. O., T. B., S. 11. Entwurf einer republikanischen Verfassungsurkunde..., a. a. O., S. 109.

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Hälfte jener obrigkeitlichen Personen, welche das Volk wählt, abgesetzt ist, so müssen die Wahlmänner, von welchen sie gewählt worden, auf ihre Kosten zur Nachwahl derselben zusammenberufen werden. Alle diese Maßregeln haben solange statt, bis die Gesetzräte, auf den wirklichen ruhigen Gang der neuen Ordnung begründet, erklären, dag dieser außerordentliche Zustand aufzuhören habe. Der Staatsrat ist schuldig, den Gesetzräten von jeder solchen genommenen Maßregel aufs schleunigste Rechenschaft zu geben." 352 Obwohl der deutsche Verfassungsentwurf von dem französischen Muster verschiedentlich abwich und Erfahrungen berücksichtigte, die inzwischen gewonnen werden konnten, lagen die Abweichungen keineswegs alle in der Richtung auf die Verfassung des Jahres VIII. Wurde an einer Stelle der Exekutive mehr Macht zugebilligt, so an anderer der Legislative. Insgesamt blieb die Exekutive wie in dsr französischen Verfassung und entgegen der helvetischen in der Rangfolge die zweite Gewalt im Staate. In verschiedener Hinsicht war der Entwurf sogar noch demokratischer als sein Vorbild. Wie der Verfasser in seinem Vorbericht bemerkte, ging es ihm bei verschiedenen Artikeln einzig darum, „die Unabhängigkeit der Räte gegenseitig zu handhaben, den Staatsrat in den Finanzen zu leiten, die Kriege zu erschweren, ohne die Führung derselben zu lähmen, wenn sie gehörig angefangen worden, dem Volke mehr Hand in den Finanzen zu lassen, die Schulen zu organisieren etc." 353 Starke diktatorische Vollmachten wurden der Exekutive nur für die Übergangszeit der Einführung der Verfassung zugebilligt. Eine solche Diktatur hatte keinen großbourgeoisen antidemokratischen, sondern einen revolutionären Charakter, weil sie ihre Spitze gegen die Reaktion richtete. Ein wesentlicher Vorzug des Verfassungsentwurfs bestand gerade darin, daß der Autor sich nicht auf die Bestimmung des künftigen Idealzustandes beschränkte, sondern zugleich die gegebenen gegenwärtigen Möglichkeiten zur Durchsetzung dieses Ziels berücksichtigte und »vorläufige Artikel zur Einführung dieser Verfassung" formulierte. Der Autor war kein Phantast; er erklärte in seinem Vorbericht, »daß wir noch ein halbes Jahrhundert durchleben müssen, ehe eine vollkommene Staatsverfassung als ausüblich kann vorgelegt werden, worin von dem alten Wüste Adel und dergleichen nichts mehr gemeldet werden darf, selbst um die letzte Idee davon zu vertilgen". 354 Damit wurde jedoch keineswegs der Gesamtentwurf entwertet; er behielt seine Bedeutung als Kompaß, der die Richtung für die Umwandlung der vorläufigen Artikel zur Einführung der Verfassung in endgültige angab und vor allem auf ein einheitliches und unabhängiges Deutschland orientierte. Der Vorbericht des Entwurfs schloß mit der Kampflosung: »Freiheit und Heil dem deutschen Vaterland!" 355 Der Verfassungsentwurf war das gemeinsame Programm der süddeutschen Revolutionäre, soweit sie mit dem württembergischen Zentrum in Verbindung standen. Es galt, dieses Programm und mit ihm die gleichfalls in Basel hergestellten rot-gelbblauen Kokarden, die Farben der künftigen Republik 356 , so schnell und so weit wie möglich zu verbreiten. Als der Entwurf noch unter der Presse lag, wußte man in 352 355

Ebenda, S. 107/08. Ebenda, S. XVI.

33 Süddeutsche Jakobiner

353 356

354 Ebenda, S. XII. Ebenda, S. I. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 190.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

Kempten bereits von seiner Existenz.357 Am 9. März meldete Amtmann Roth aus Lörrach: »Die sogenannte deutsche Konstitution ist nunmehr in Basel gedruckt und geht vor die hiesige Gegend reigend hinweg... Ebenso verteilt man auch sogenannte deutsche Nationalkokarden in Basel häufig unter unsere Leute." 3 5 8 Zwei Tage später gab er die Meldung eines Spitzels und Augenzeugen weiter, wonach von dieser Konstitution »ganze Ballen auf Güterwagen von Basel ins Württembergische geschickt" wurden und an die zweihundert Markgräfler in Basel selbst diesem Verfassungsentwurf durch Unterschrift ihre Zustimmung gegeben hatten. 359 Der württembergische Herzog verfügte am 16. März das Verbot der Schrift, das am gleichen Tage durch Eilboten den örtlichen Behörden mitgeteilt wurde, in deren Bereich Buchhandlungen existierten.360 Groge Wirkung hat dieses Verbot gewig nicht gehabt, denn Johann Gottfried Pähl bestätigte in seinen Denkwürdigkeiten, dag die Schrift »im südlichen Deutschlande von Hand zu Hand gegeben wurde".3®1 »Es war sehr ernstlich von einer Donaurepublik die Rede", stellte der damalige Tübinger Stipendiat und spätere Schriftsteller Rehfues in seinen autobiographischen Notizen fest. 362 Über die revolutionierende Wirkung vor allem im badischen Oberlande ging aus Lörrach eine Alarmnachricht nach der anderen ab. Besonders anfällig waren »unsere aufgeklärten Leute", schrieb Roth am 7. März. »Und dabei verschlägt's lediglich nichts, wenn die französischen Truppen sich noch so ungebührlich aufführen. Ich habe durch die Erfahrung das als sehr wahr und richtig erfunden, was mir schon vor zwei Jahren ein französischer Offizier gesagt hat: Man haßt unsere Soldaten wegen ihrer schlechten Aufführung, aber man liebt gleichwohl unsere Grundsätze." 363 Am 9. März teilte er mit: »Von Geistlichen erhalten wir, was noch nie geschehen ist, vertrauliche Anzeigen und Berichte von bedenklichen Bewegungen ihrer Untergebenen." 3 8 4 Ein Vertrauensmann in Basel eröffnete dem Amtsassessor Meier, dag die Revolution mit den ersten Waffenerfolgen der Franzosen durchgeführt würde, »dag solche mithin auch im Badischen um so unvermeidlicher sei, als viele reiche desfallsige Bauern solches durchaus verlangten".365 Als sich Meier am 13. März wegen der Verbreitung der Kokarden beschwerdeführend an den Regiörungsstatthalter in Basel wandte, erhielt er zwar die Versicherung, dag die Schweizer Behörden sich davon ebenso wie von dem Verfassungsentwurf distanzierten, aber er erfuhr auch, »dag schon einige Individuen aus dem Badischen sich bei ihm (dem Statthalter - H. S.) gemeldet, um ihn um Rat zu fragen, wie eine Revolution zu bewirken und auszuführen sei". Weiterhin bestätigte ihm der Statthalter, »dag einige Markgräfler mit neuen, für die präsumtive schwäbische Republik 337 358

361 362 363

394

DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 5, Bl. 196. 359 Ebenda, S. 182. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 181. HSA Stuttgart, A 202, Ruhr. 46, Nr. 90. Pohl, Johann Gottfried, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben..., a. a. O., S. 125. Kaufmann, Alexander, a. a. O., S. 112. ,On hait nos soldats ä cause de leur mauvaise conduite, mais on aime pourtant nos principes." Politische Correspondenz^.., a. a. O., Bd. 3, S. 181. 365 Ebenda, S. 183. Ebenda.

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erdichteten Kokarden in Basel herumgelaufen" wären. 388 Ein Kommentar aus der Feder Roths zu Meiers Bericht nannte als einen der Badenser, die sich beim Basler Statthalter Rat holten, den .Altvogt Sutter von Auggen, der sich mit seinem wütenden Anhang am ungebärdigsten beträgt". Roth betrachtete die Aussagen des Statthalters als einen Beweis, .dag ihm die Pläne unserer Revolutionsmänner nicht unbekannt sind. Er hat sie und andere mit ihren Wünschen gerade nach Luzern an den Direktor Ochs verwiesen." 387 Am 15. März meldete Amtmann Baumgärtner aus Pforzheim, daß die Verfassungsurkunde, nachdem ihre Existenz schon zuvor bekannt geworden war, auch dort aufgetaucht sei: .Sie weckt bei dem Übelgesinnten alle seine bisherigen geheimen Hoffnungen, die man ihm auf dem Gesichte lesen, kann. Bei dem Gutdenkenden aber erregt sie die höchste Bestürzung, weil man besorgt, es möchte damit gehen wie ehemals mit dem Entwurf der schweizerischen Konstitution, welche der Ausführung ebenfalls vorangeschickt wurde. Ich werde in meinem Geschäftskreis alles mögliche anwenden, die Ausbreitung dieser Schrift zu verhindern; hierinnen werde ich aber schwerlich glücklich sein, weil sie wahrscheinlich an viele Orte gesandt werden wird und sie immer ein Freund dem anderen insgeheim zum Lesen gibt." 388 Ebenso bestätigte der Pfarrer von Steinen, dag der Verfassungsentwurf gierig aufgenommen und ein groger Teil des Volkes von diesen Ideen ergriffen wurde. 389 Die badischen Behörden und ihre Handlanger waren so ziemlich ratlos. Einer ihrer Spitzel, die im übrigen nicht billig waren 370 , stellte auch nur fest: .Jenen verderblichen Schriften den Weg ganz zu verschließen, ist nach Lage und Umständen oft unmöglich... Die suevische Konstitution wird daher dem Buchhändler Flick auch ein einträglicher Artikel werden." Er versprach sich nichts von obrigkeitlichen Ermahnungen, denn .die Regierung ist mit diesen Leuten in Disharmonie und jede öffentliche Belehrung verdächtig oder nach der Lage der Dinge untunlich". Die notwendige Gegenpropaganda sollte vielmehr in der Art der .Cassandra" Danicans erfolgen, deren Verbreitung er warm empfahl. 371 Wie sehr die Behörden bereits aus der Defensive heraus operieren mugten, verraten verschiedene Denkschriften badischer Beamter aus diesen Tagen. Liebenstein riet in einer solchen vom 14. März, der Gärung in der Bevölkerung durch .liebreiches und freundliches Betragen" zu begegnen und „Schonung und Nachsicht, soviel es die Umstände erlauben, in Erhebung der Abgaben bei gegenwärtigem grogen Geldmangel" zu üben. 372 Eine * andere Denkschrift vom 15. März sprach sich für eine raffinierte publizistische Gegenpropaganda aus: „Für Leser, die schon mit etwas mehr Übersicht nachdenken können, wünschte ich jetzogleich einen längeren Aufsatz, worin dem Verfasser der in Basel gedruckten Urkunde für den deutschen Freistaat für seine gute Meinung 36S 368 370

371 372

33»

397 GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291. Ebenda. s Ebenda. «» Schmitthenner, Adoli. a. a. O., S. 146. Aus einer Rechnung des Amtmanns Roth vom 10. 8. 1798 geht hervor, dafj dem Leonhard Wagner, Sergeant beim Schweizer Militär, in drei Raten eine Summe von insgesamt 132 Gulden gezahlt wurde. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291. Ebenda, Brief vom 13. 3. 1798. Ebenda.

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VII. Der Aufschwung der antifeudalen Bewegung

gedankt, doch ehe man ihm beipflichten könne, über abzudruckende solche Paragraphen seiner Schrift, die teils vage, teils schrecklich wegen der den Gewalthabern bleibenden Willkür sind, bestimmtere Fragen oder Fälle (ohne ängstliche Kasuistik) vorgelegt würden, dag er uns darüber belehren möge!! Nur wähle man zu solchen Arbeiten keine hitzigen Eiferer, keine Dickköpfe und keine ängstlichen Menschen." 373 Die starke Wirkung des revolutionären Programms im Badischen verwundert nicht angesichts des Anteils, den die Bevölkerung bereits an früheren revolutionären Projekten genommen hatte. Auggen, Efringen, die Kalteherberge, Müllheim galten wie ein Jahr zuvor als Stützpunkte der umstürzlerischen Propaganda. 374 Im übrigen aber entsprach es auch der durchaus vernünftigen Konzeption der Revolutionäre, etappenweise vorzugehen, der neuen Verfassung ein Gebiet nach dem anderen zu erobern und darum zunächst das Badische besonders intensiv zu bearbeiten. Sie berührte sich im Prinzip mit den Vorstellungen, die Theremin in seiner Denkschrift für Talleyrand vom 19. März 1799 entwickelt hatte, wonach ebenfalls zuerst die unmittelbar an die Schweiz grenzenden Gebiete - er nannte den Breisgau, die vier Waldstädte und die Landgrafschaft Nellenburg - und schließlich ganz Schwaben repuoiikanisiert und zum Anschluß an Helvetien veranlaßt werden sollten. 375 In einem entscheidenden Punkte jedoch wich die Konzeption der deutschen Revolutionäre gründlich davon ab: Bei allem Wert, den sie auf engste Zusammenarbeit und brüderliche Verbundenheit mit der Schweiz legen mußten, wollten sie nicht deutsches Gebiet in ein Anhängsel der Schweiz verwandeln; ihr Ziel war ein souveränes republikanisches Deutschland, das schrittweise zu verwirklichen war. Die erste Etappe auf diesem Wege sollte die Errichtung einer badischen Republik sein. Während Flick die deutsche Konstitution druckte, hatte darum gleichzeitig der Graveur Huber zu Basel »in aller Eile den Auftrag zur Fertigung eines Stempels erhalten, welcher von ihm auch wirklich gefertigt und an seine Besteller abgegeben worden und wovon er noch einen Abdruck besitzt, worauf die römischen Fasces mit dem Beil, oben mit der Freiheitsmütze, von einem doppelten Eichenzweig umschlungen, abgebildet und in der Umschrift die Worte zu lesen sind: Das souveräne badische Volk,.. ." 376 Ob nach diesem Muster Siegel oder Münzen hergestellt werden sollten, vermochten die markgräflichen Behörden nicht mit Sicherheit zu ergründen. Ein Vertrauensmann in Basel hatte erfahren, daß der Revolutionär Maier den Auftrag dazu erteilt und das fertige Stück am 4. März in Empfang genommen habe. 377 Wie die sächsische Gesandtschaft in Rastatt am 13. März auf Grund von Mitteilungen 373 375 377

374 Ebenda. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 182 Anm. 1. 378 Ebenda, Bd. 6, S. 144. Ebenda, Bd. 3, S. 189. Ebenda, S. 180. Abweichend von der obigen Beschreibung sagte er, daß »in der Mitte eine Säule und Basis, oben mit der Freiheitskappe' dargestellt sei. Der Basler Kupferstecher Christian von Mechel berichtete wiederum: »Es stellt ein Bund Pfeile vor mit der Inschrift umgeben." Ebenda, S. 188. Dafj die im Text angeführte Beschreibung die einzig zutreffende ist, ergibt sich aus einer Zeichnung, die ein Spitzel bei Huber nach einem Abdruck anfertigte und an Roth übersandte. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291, Bericht vom 20. 3. 1799.

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des kaiserlichen Vertreters berichtete, handelte es sich keineswegs nur um das eine Muster, sondern um mehrere mit verschiedenen Umschriften wie „Souverainite du peuple de Bade, de Wurtemberg pp." 3 7 8 Auf den ersten Schritt, die Republikanisierung Badens, sollten demnach unmittelbar die nächsten folgen. Die deutschen Revolutionäre versäumten nicht, sich auch der Unterstützung durch verschiedene, in der Nähe stationierte französische Generäle zu versichern. Jägerschmidt bemühte sich, General Desenfants zu gewinnen.379 Amtmann Roth berichtete am 23. März aus Lörrach, „daß alle französischen Generäle und Stabsoffiziere, welche hierdurch passieren, hautement versichern, wir könnten einer Revolution nicht entgehen, da solche eine Folge des großen Plans ihres Gouvernements sei. Unter anderen gab uns auch der sonst so brave Divisionsgeneral Desenfants, der gestern von uns zur Hauptarmee abgereist ist und seine Frau mit vier Kindern hier zurückgelassen hat, diesen leidigen Trost." 3 8 0 Nach dem, was ein markgräflicher Spitzel in Basel erkundete, sollte auch General Ferino von dem Druck des Verfassungsentwurfs unterrichtet worden sein und geantwortet haben, „dafj er keine Ordre dazu habe. Wenn das Volk aber eine andere Konstitution annähme, so würde er es dabei beschützen." 3 8 1 Eine solche Zusage war außerordentlich ermutigend, aber entscheidend blieb doch die Haltung, die das französische Direktorium zu den republikanischen Bestrebungen der deutschen Revolutionäre einnahm.

5. Die französische Politik gegenüber den Fürsten und den Revolutionären Rastatt war für die französische Großbourgeoisie, indem sie die Gegensätze zwischen den einzelnen deutschen Feudalstaaten nutzte und verschärfte, die große Gelegenheit, die Rheingrenze zu erobern und in Deutschland selbst Fuß zu fassen. Das deutsche Volk sollte Objekt des Handels sein, und wenn es wie im Januar 1798 in seinen besten Vertretern, den deutschen Revolutionären, als selbständig handelndes Subjekt auftreten und dem Menschen- und Länder Schacher ein Ende zu bereiten sich anschickte, dann fanden sich französische Bourgeois und deutsche Feudale zusammen, um einen solchen Anspruch energisch zu unterdrücken. Die großbourgeoise Politik war zutiefst amoralisch; nicht zufällig wurde ein Mann wie Talleyrand, die Inkarnation der Amoralität, der erfolgreichste Außenminister der Bourgeoisie. Diesem Charakter der französischen Politik entsprach es, sich die von ihr verratenen revolutionären Kräfte trotzdem auch wiederum nutzbar zu machen. Ohne sie ernsthaft fördern zu wollen, konnte Frankreich doch mit einer solchen Förderung drohen. Sehr richtig hatte der Komitialgesandte von Seckendorff in seinem Schreiben vom 11. März 1798 an den badischen Markgrafen erkannt, daß Frankreich den um sich greifenden Revolutionsgeist wie einen »Alliierten" nutzte, um sich den Rücken 378

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LHA Dresden, Loc. 8154, Relationen der kursächsischen Gesandtschaft bei dem Rastatter Friedenskongreß betr., Bd. 6, Bl. 59. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 188. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 180.

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des kaiserlichen Vertreters berichtete, handelte es sich keineswegs nur um das eine Muster, sondern um mehrere mit verschiedenen Umschriften wie „Souverainite du peuple de Bade, de Wurtemberg pp." 3 7 8 Auf den ersten Schritt, die Republikanisierung Badens, sollten demnach unmittelbar die nächsten folgen. Die deutschen Revolutionäre versäumten nicht, sich auch der Unterstützung durch verschiedene, in der Nähe stationierte französische Generäle zu versichern. Jägerschmidt bemühte sich, General Desenfants zu gewinnen.379 Amtmann Roth berichtete am 23. März aus Lörrach, „daß alle französischen Generäle und Stabsoffiziere, welche hierdurch passieren, hautement versichern, wir könnten einer Revolution nicht entgehen, da solche eine Folge des großen Plans ihres Gouvernements sei. Unter anderen gab uns auch der sonst so brave Divisionsgeneral Desenfants, der gestern von uns zur Hauptarmee abgereist ist und seine Frau mit vier Kindern hier zurückgelassen hat, diesen leidigen Trost." 3 8 0 Nach dem, was ein markgräflicher Spitzel in Basel erkundete, sollte auch General Ferino von dem Druck des Verfassungsentwurfs unterrichtet worden sein und geantwortet haben, „dafj er keine Ordre dazu habe. Wenn das Volk aber eine andere Konstitution annähme, so würde er es dabei beschützen." 3 8 1 Eine solche Zusage war außerordentlich ermutigend, aber entscheidend blieb doch die Haltung, die das französische Direktorium zu den republikanischen Bestrebungen der deutschen Revolutionäre einnahm.

5. Die französische Politik gegenüber den Fürsten und den Revolutionären Rastatt war für die französische Großbourgeoisie, indem sie die Gegensätze zwischen den einzelnen deutschen Feudalstaaten nutzte und verschärfte, die große Gelegenheit, die Rheingrenze zu erobern und in Deutschland selbst Fuß zu fassen. Das deutsche Volk sollte Objekt des Handels sein, und wenn es wie im Januar 1798 in seinen besten Vertretern, den deutschen Revolutionären, als selbständig handelndes Subjekt auftreten und dem Menschen- und Länder Schacher ein Ende zu bereiten sich anschickte, dann fanden sich französische Bourgeois und deutsche Feudale zusammen, um einen solchen Anspruch energisch zu unterdrücken. Die großbourgeoise Politik war zutiefst amoralisch; nicht zufällig wurde ein Mann wie Talleyrand, die Inkarnation der Amoralität, der erfolgreichste Außenminister der Bourgeoisie. Diesem Charakter der französischen Politik entsprach es, sich die von ihr verratenen revolutionären Kräfte trotzdem auch wiederum nutzbar zu machen. Ohne sie ernsthaft fördern zu wollen, konnte Frankreich doch mit einer solchen Förderung drohen. Sehr richtig hatte der Komitialgesandte von Seckendorff in seinem Schreiben vom 11. März 1798 an den badischen Markgrafen erkannt, daß Frankreich den um sich greifenden Revolutionsgeist wie einen »Alliierten" nutzte, um sich den Rücken 378

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LHA Dresden, Loc. 8154, Relationen der kursächsischen Gesandtschaft bei dem Rastatter Friedenskongreß betr., Bd. 6, Bl. 59. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 188. GLA Karlsruhe, Abt. 74, Nr. 6291. Politische Correspondenz..., a. a. O., Bd. 3, S. 180.

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freizuhalten. 382 Es erwies sich verschiedentlich als ein recht wirksames Druckmittel, die Masse der Fürsten noch gefügiger zu machen, wenn die französischen Bevollmächtigten in Privatgesprächen einige revolutionäre Töne anschlugen. Die preußische Gesandtschaft berichtete am 13. März von einem solchen Vorfall: »Sie fragten dieser Tage jemand, ob er nicht glaube, daß das bayerische Volk endlich der schlechten Verwaltung des Kurfürsten überdrüssig würde, wobei sie hinzufügten, daß man, wenn die Völker es wollen, allen diesen Fürsten den Gnadenstoß geben muß. Diese Ausdrücke... sind die allgemeinen und gebräuchlichen, deren sich diese Friedensunterhändler bedienen." 8 8 5 Die an sich schön außerordentlich schroffen und ultimativen Worte, mit denen die französischen Bevollmächtigten am 3. März von der sich windenden Reichsdeputation die Anerkennung der Rheingrenze verlangten, erhalten auf diesem Hintergrund erst ihr volles Gewicht: »Die fränkische Republik hat gleich anfangs mit einer Offenheit, von der sie sich nie entfernen wird, die Basis angegeben, ohne welche kein Friede gemacht werden kann... Die Republik konnte erwarten, daß man, alle Umgehungen und Ausflüchte vermeidend, ihr mit derselben Offenheit antworten würde. Es ist Zeit, diesen Diskussionen ein Ende zu machen. Die Minister der fränkischen Republik verlangen daher von der Reichsdeputation eine positive Erklärung, ob sie der vorgeschlagenen Basis beitreten wolle oder nicht." 884 Eine solche Sprache, hinter der die Drohung mit einer Revolution stand, begriff die Reichsdeputation gut; am 11. März schon hatte sie der Abtretung des Rheinufers zugestimmt. Die nächste französische Forderung vom 15. März, das Prinzip der Säkularisation für die Entschädigungen zu akzeptieren, wurde von ähnlichen, kaum verhüllten Drohungen begleitet. Ein preußischer Bericht vom 26. März zitierte einen der französischen Bevollmächtigten: »Sie wissen nicht, was Sie mit Ihrer Schwerfälligkeit anrichten; nehmen Sie sich in acht; wenn Sie länger säumen, wird sich binnen kurzem, ohne daß wir es hindern werden, eine deutsche Republik auf Ihrem rechten Rheinufer bilden." Der Sekretär dieses Bevollmächtigten sollte sogar gesagt haben: »Alles ist vorbereitet und bereit, um in Württemberg und Schwaben eine Republik zu schaffen, und wir haben direkte Verbindungen in Bayern und München; Bayern wird sich daran anschließen, wenn der Friede zustande zu kommen zögert." 385 388 383

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Ebenda, S. 95. »Iis demandèrent à quelqu'un ces jours-ci, s'il ne croyait pas que le peuple bavarois ne se lasserait pas enfin de la mauvaise administration de l'Électeur, ajoutant, si les peuples le veulent, il faut donner le coup de grâce à tous ces princes. Ces expressions... sont les termes communs et usuels dont se servent ces négociateurs de la paix.* DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 66. Im Konzept des Berichts findet sich statt des Wortes .Gnadenstoß' = coup de grâce der Ausdruck .Fußtritt' = coup de pied. Ebenda, Rep. 81, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 7. »Europäische Annalen", Jahrg. 1798, 6. Stück, S. 325. .Vous ne savez pas ce que vous faites avec vos lenteurs; prenez y garde, si vous traînez plus longtemps, sous peu il se formera, sans que nous l'empêcherons, une République Allemande sur votre Rhin droite." .Tout est préparé et prêt pour faire une république dans le pays de Wurtemberg et en Souabe, et nous avons des connexions directes en Bavière et à Munich; la Bavière s'y joindra, si la paix tarde à se faire." DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 116.

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Treilhard, das spätere Direktoriumsmitglied, erklärte der preußischen Gesandtschaft in Rastatt: »Sie wissen selbst, wie sehr der Geist der Revolution sich überall ausbreitet. Wenn man keinen schnellen Frieden macht und nicht der Entschädigungsart durch die Säkularisationen zustimmt, wird dieser Geist überall um sich greifen, und Sie sind davon nicht verschont." 386 Am 4. April antwortete die Reichsdeputation, sie sähe «sich gedrungen, auch noch in die verlangte, durch Säkularisationen zu erzielende Entschädigungen für den auf dem linken Rheinufer entstehenden Verlust sich einzulassen,..." 3 8 7 Selbstverständlich durfte die französische Diplomatie das Druckmittel der Revolutionsdrohung nicht unbegrenzt anwenden und dadurch ungewollt dazu beitragen, daß die deutschen Feudalfürsten sich über ihre Gegensätze hinweg zur Abwehr der gemeinsamen Gefahr zusammenfanden. Es fehlte nicht an solchen Forderungen im feudalen Lager. Vornehmlich rührten sie von denjenigen her, die bei dem eingeleiteten Handel leer ausgehen oder sogar Opfer sein würden. Der regierende Graf von Solms-Laubach, Vertreter der wetterauischen und westfälischen Grafenbank, legte den Rastatter Gesandtschaften Anfang April eine solche Denkschrift vor. 388 »Die Stimmung ist nicht überall gleich, und das Geheimnis ist gefunden, das Volk wider seine Neigung zum Aufstand zu bringen", hieß es darin. .Eine Fraktion ersetzt leicht die Stelle der Meinung, und leider! zählt jedes Dorf Einwohner, die fähig wären, eine zu bilden. Die meisten, deren Betragen die Obrigkeit bestimmte, ihr Ansehen gegen sie eintreten zu lassen, setzen den Augenblick einer sich darbietenden Veränderung für den ihrer Rache an." Selbst zu einer gemäßigten Revolution von oben sei es zu spät: »Gehörte es noch zu den denkbaren Begebenheiten, eine Verbesserung der Verfassung ohne Gewalttätigkeit und Schreckensmaßregeln zur Behauptung äußerer Unabhängigkeit und Begründung einer bürgerlichen Freiheit vorzunehmen, so würde man noch gerne in diesem Sinn revolutionär sein und die in unmerkbare Parzellen geteilte deutsche Staatsgewalt in den Händen eines einzigen vereint sehen. Solche philosophischen Träume sind aber itzt nicht mehr zu ihrer Zeit. Politische Intoleranz und die Macht der Bekenner der neuen Lehre erlauben nicht, unter anderen Formen zu suchen, was sie ausschließlich in den ihrigen gefunden zu haben glauben. Wer jetzt ausbessern will, wird gewöhnlich zum Umreißen gezwungen." 389 Letztes und einziges Auskunftsmittel, »das Feuer so fern als möglich 388

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.Vous savez vous-même, dit-il, combien l'esprit de révolution s'étend partout. Si l'on ne fait une prompte paix et qu'on ne consent pas au mode d'indemniser par les sécularisations, cet esprit gagnera partout, et vous n'en êtes pas exempts." Ebenda, Bl. 125. .Europäische Annalen", Jahrg. 1798, 7. Stück, S. 7. Freimütige Gedanken. Als handschriftliche Beilage zum Bericht der preußischen Gesandtschaft in Rastatt vom 11. April 1798. DZA Merseburg, Rep. 67 B, Nr. 20, d 2, Bl. 182-184 und Rep. 81, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 118-124. Auch als Flugschrift erschienen unter dem Titel .Freimütige Betrachtungen über den bisherigen Geschäftsgang beim hohen Friedenskongreg, o. O. 1798". Heigel, Karl Theodor, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Auflösung des alten Reiches. Stuttgart u. Berlin 1911, Bd. 2, S. 311. DZA Merseburg, Rep. 81, Nr. 5, Bd. 2, Bl. 120/21.

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von der glühenden Asche zu halten", und Frankreich die Einmischung in die deutschen Verhältnisse zu verwehren, bliebe darum das gemeinsame Vorgehen der beiden deutschen Großmächte im Interesse sämtlicher feudaler Grundeigentümer. In der Tat beunruhigten den Berliner Hof alle möglichen Nachrichten über angebliche Umtriebe französischer Emissäre aufs höchste. Als dem Minister von der Schulenburg am 21. April eine Schweizer Mitteilung in die Hände geriet, die behauptete, daß französische Emissäre mit falschen Pässen als Handwerker, Musiker, Kaufleute nach Preußen eingeschleust würden, ließ das Kabinett sofort am gleichen Tage eine aufgeregte Warnung an die verschiedensten Behörden, vor allem in den polnischen Gebietsteilen, aber auch an Hardenberg in Ansbach-Bayreuth, und Anfragen nach Rastatt und an den Gesandten in Paris ausgehen. 390 Die Rastatter Gesandtschaft war ganz in der Revolutionsfurcht befangen und bestärkte durch ihre Antwort das Kabinett in seinen Ängsten. 391 Ihr Mitglied Graf Goertz versorgte Mitte Mai nicht nur den eigenen Hof, sondern auch verschiedene andere mit Materialien »aus einer guten Quelle" über französische Umsturzpläne, obwohl allein die Diktion und der faustdick aufgetragene Zynismus der Aussagen dieses angeblichen Agenten das Ganze als ein antifranzösisches Machwerk verrieten. 392 Anders reagierte Sandoz-Rollin. Aus guter Kenntnis der französischen Verhältnisse bildete er sich ein klares Urteil und war dementsprechend bemüht, seinen Auftraggebern die Furcht vor dem Gespenst der Revolution zu nehmen. Er konnte sich dabei auf verschiedene beruhigende Äußerungen leitender französischer Politiker stützen. Merlin de Douai hatte ihm erklärt: »Ist der Friede in Deutschland einmal gemacht, werden wir von diesem Moment an darauf verzichten, das zu revolutionieren, was nicht in unsere Grenzen aufgenommen wird, und die Welt vollkommen in Ruhe lassen." 393 Talleyrand hatte ihm versichert, mehr als hundert Briefe an französische Agenten geschrieben und ihnen untersagt zu haben, Bestrebungen zur Republikanisierung Deutschlands zu fördern. 394 Auf eine Anfrage des preußischen Kabinetts über die in Paris lebenden deutschen Revolutionäre und ihren Einfluß auf das Direktorium antwortete Sandoz-Rollin daher sehr klar und entschieden: »Die Ansammlung einiger Deutscher in Paris ist in diesem Zeitpunkt um so weniger gefährlich, als sie, größtenteils mit den Jakobinern verbunden und verknüpft, allen Zugang zur Regierung verloren haben." 395 Das Direktorium, das sich anschickte, den Wahlerfolg der Jakobiner im April durch den Staatsstreich vom 11. Mai wieder zunichte 5,1 Ebenda. Rep. 11, 91 Frankreich, varia publica, Nr. 36, Bl. 61 ff. Ebenda, Bl. 119/20. LHA Dresden, Loc. 3147, Den Friedenskongreß zu Rastatt betr., Bd. 2, Bl. 23 ff. Der französische Gesandtschaftssekretär Rosenstiel sagte von Goertz, er wäre »fortwährend von seiner Phantasie irregeführt, die ihn nur von Revolutionen träumen ließ" (»continuellement égaré par son imagination qui ne lui faisait rêver que révolutions..."). Politische Corresponde«^. .., a. a. O., Bd. 3, S. 109. 395 .La paix faite une fois en Allemagne, nous renoncerons dès ce moment à révolutionner ce qui n'entrera pas dans nos limites, et nous laisserons le monde parfaitement en repos." 381 DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fasc. 358, Bl. 203. Ebenda, Bl. 234. ®M »Le rassemblement de quelques Allemands à Paris est d'autant moins dangereux dans ce moment, que faufilés et liés pour la plupart avec les Jacobins, ils ont perdu tout accès auprès du gouvernement." Ebenda, Bl. 220.

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zu machen, konnte keine jakobinische Außenpolitik treiben. Im Gegensatz zur Rastatter Gesandtschaft beantwortete Sandoz-Rollin darum auch das Schreiben des Kabinettsministeriums vom 21. April eindeutig negativ: »Gewiß, ganz gewiß sind die Eurer Majestät gegebenen Nachrichten über das Projekt, Preußen zu revolutionieren, ein Lügengewebe; jawohl, ganz gewiß." 396 Preußens Furcht war damit nicht zu zerstreuen. Sie stand Pate bei den Verhandlungen, die im April zwischen Wien und Berlin aufgenommen wurden. Zum Glück für Frankreich war das Mißtrauen Preußens gegenüber seinen feudalen Standesgenossen nicht geringer als seine Furcht vor der Revolution. Die Separatverhandlungen, die Frankreich mit Österreich von Ende Mai bis Anfang Juli in Selz führte, beobachtete Preußen mit größter Besorgnis. Mit ängstlicher Zurückhaltung begegnete es dem Werben Rußlands und Österreichs im Sommer 1798 für den Eintritt in eine neue Koalition. Rußland, das bis dahin stets andere ermuntert hatte, die Kastanien aus dem französischen Feuer zu holen, traf jetzt ernsthafte Anstalten, Frankreich entgegenzutreten. Der Griff Bonapartes nach den jonischen Inseln, nach Malta, nach Ägypten und die möglichen Folgen dieser Eroberungen vertrugen sich nicht mit den russischen Expansionsabsichten. Österreich hatte in Selz erfahren müssen, daß Frankreich nicht einmal mehr daran dachte, die in Campoformio gemachten Entschädigungsversprechen zu halten. Im Juli schloß der Kaiser mit dem Zaren eine Militärkonvention. Um Preußens Beitritt zu verhindern, hielt es die französische Diplomatie für angebracht, gelegentlich mit Nachdruck auf die Gefahr der Revolution hinzuweisen, die mit der Erneuerung des Krieges notwendig wieder akut würde. Jean Debry, einer der französischen Bevollmächtigten in Rastatt, bezeichnete zwar Ende Juni einem preußischen Vertreter gegenüber den Frankreich zugeschriebenen Umsturzplan als von England erdichtet. .Man wolle keine Regierung, mit der man in friedlichen Verhältnissen stehe, in ihrer Verfassung stören; nach der Meinung Friedrich des Großen halte mein sich aber berechtigt, gegen einen Feind sich aller Mittel zu bedienen, wodurch ihm Schaden zugefügt werden könne." 397 Nach der Mitteilung Sandoz-Rollins vom 14. Juli erklärte ihm der neue Direktor Treilhard, »daß die Erfolge des Krieges zweifelhaft sein könnten, aber daß die Erfolge des revolutionären Geistes es nicht sein würden; ein Umstand, der in ernsthafte Betrachtung gezogen werden sollte".398 Noch massiver drohte am 22. Juli Talleyrand: »Vergeblich würde man hoffen, die Republik mit einem neuen Kriege zu verwirren und zu verderben; man würde dabei kein Glück haben. Revolutionäre Lauffeuer mit stark ausgebreiteten Verzweigungen sind vollkommen fertig und warten nur auf »Certainement et très certainement les avis donnés à V. M. sur le projet de révolutionner la Prusse sont un tissu de mensonges; oui très certainement." Ebenda, Rep. 11, 91 Frankreich, varia publica, Nr. 36, Bl. 129. »" LHA Dresden, Loc. 3147, Den Friedenskongreß zu Rastatt betr., Bd. 2, Bl. 62. 888 » . . . que les succès de la guerre pourraient être douteux, mais que les succès de l'esprit révolutionnaire ne le seraient pas; circonstance qui devait être prise en sérieuse considération." DZA Merseburg, Rep. 11, Nr. 89, Fasc. 359, Bl. 232. Ebenso bei Bcdlleu, Paul, a. a. O., Bd. 1, S. 218.

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das Zeichen, angezündet zu werden; ihre Explosion würde die Welt umstürzen." 399 Ende August gaben Österreich und Rußland ihre Bemühungen auf, Preußen für die neue Koalition zu gewinnen. Ebenso erfolglos allerdings endeten auch die französischen Versuche, Preußen zu einem Bündnis mit Frankreich zu bewegen. Gerade um die sich bildende neue Koalition von vornherein zu paralysieren, mußte für Frankreich ein solches Bündnis sehr willkommen sein. Es schickte, nachdem der bisherige Gesandte Caillard nichts zu erreichen vermochte, Ende Juni sogar einen so bedeutsamen Repräsentanten der Republik wie Sieyès nach Berlin. Es sparte nun auch umgekehrt nicht mit den bündigsten Versicherungen, allen Revolutionierungsabsichten abgeschworen zu haben. Sieyès erhielt am 24. Juli von Talleyrand die Weisung, .diese heimliche Angst zu zerstören, die in Berlin wie anderswo ein Mißtrauen uns gegenüber wachhält, das unseren Eröffnungen unaufhörlich schadet, weil man uns nur mit dem Projekt beschäftigt glaubt, Deutschland zu revolutionieren". 400 Dem Mitglied der von der Revolutionsfurcht ständig gepeinigten preußischen Deputation in Rastatt, Jacobi, erklärte Roberjot am 26. Juli: »Diese Beschuldigung ist derart verjährt, sie entspringt einer derartigen Unredlichkeit, sie ist derartig Lügen gestraft durch die weise Haltung des Direktoriums, durch die nachgewiesene Protektion, die es den Königen gewährt, die mit der Republik Verträge abgeschlossen haben, durch die Bemühungen, im Innern die Personen, die noch irregeführt sind, im Zaume zu halten, daß man sie nicht ohne Entrüstung hören kann." 401 Vergebens! Preußen war nach dem schändlichen Raube an Polen ein Opfer dieses Raubes geworden und nicht mehr in der Lage, eine aktive Politik zu treiben. Von den widerstreitenden Gefühlen des Mißtrauens, der Revolutionsfurcht und der Begehrlichkeit geschüttelt, wußte es keinen anderen Ausweg als die Flucht in die Neutralität. Das verächtliche Wort, das Sieyès über den leitenden preußischen Minister, den Grafen von Haugwitz, sprach, charakterisierte nicht nur ihn, sondern die preußische Außenpolitik überhaupt: »Haugwitz ist viel weniger Minister für auswärtige Angelegenheiten als vielmehr ein Türhüter mit dem Auftrag, den Angelegenheiten den Eintritt zu verwehren." 402 399

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.Vainement voudrait-on espérer d'embarrasser et de perdre la République avec une nouvelle guerre, on ne réussirait pas. Des trainées de poudre révolutionnaire ayant des réunifications fort étendues sont toutes prêtes et n'attendent que le signal d'être allumées; leur explosion bouleverserait le monde." Ebenda, Bl. 246. .Vous vous attacherez à détruire cette terreur secrète qui entrëtient à Berlin comme ailleurs une méfiance de nous qui nuit sans cesse à nos ouvertures, parce qu'on ne nous croit occupés que du projet de révolutionner l'Allemagne." Bailleu, Paul, a. a. O., Bd. 1, S. 483. .Cette inculpation est tellement surannée, elle est faite de si mauvaise foi, elle est tellement démentie par la conduite sage du Directoire, par la protection signalée qu'il accorde aux rois qui ont traité avec la République, par les efforts à contenir dans l'intérieur les personnes qui restent encore égarées, qu'on ne peut l'entendre sans indignation." Montarlot, P./ Pingaud, L., Le congrès de Rastatt. Correspondance et documents. Paris 1912, Bd. 1, S. 240. .Haugwitz est beaucoup moins le ministre des affaires étrangères qu'une sentinelle placée à la porte avec le consigne d'empêcher les affaires d'entrer." Bailleu, Paul, a. a. O., Bd. 1, S. 483 Anm. 1.

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Unter diesen Bedingungen, da einerseits sich der österreichische Widerstand in Rastatt versteifte und sich die kommende bewaffnete Auseinandersetzung immer deutlicher ankündigte und da andererseits Preußen als Verbündeter Frankreichs nicht zu gewinnen war, mußte sich die französische Augenpolitik noch entschiedener auf die deutschen Mittelstaaten orientieren. Die dringendsten Hinweise in dieser Richtung kamen gerade von Sieyès aus Berlin, der schon sehr früh die Ergebnislosigkeit seiner Mission erkannte. Am 14. Juli schrieb er an Talleyrand: »Die Politik Frankreichs kann es nicht sein, diese dritte Partei Deutschlands verschwinden und auch nicht zu sehr sich schwächen zu lassen, diese unabhängigen Staaten, die seine interessantesten zukünftigen Verbündeten, seine notwendigen Schützlinge sein müssen." 403 Talleyrand arbeitete ein Memorandum zur Vorlage beim Direktorium aus, worin er denselben Gedanken entwickelte, einen Bund der Mittelstaaten als Puffer zwischen Frankreich einerseits und Preußen und Österreich andererseits zu errichten, und zur Erhärtung jene Worte von Sieyès zitierte. 401 An Sieyès schrieb er am 13. August: »Euer Prinzip ist das meine. Ich habe es immer vertreten." 405 Die französische Diplomatie ging ungesäumt dazu über, diese Konzeption zu realisieren. Roberjot entwickelte dem Vertreter der württembergischen Landschaft, Georgii, am 2. August folgende Gedankengänge: „Bis jetzt sei Deutschland nichts als eine österreichische oder auch unter gewissen Umständen preußische Provinz; . . . e s liege Frankreich daran, diesem Unwesen ein Ende zu machen und Deutschland in den Stand zu setzen, daß es nicht bloß durch die eigennützigen Absichten des einen oder anderen beherrscht werde. Die Mittel, die man französischerseits dazu anwenden wolle, bestehen darin: Nachdem Deutschland an Ausdehnung und Flächengehalt durch gegenwärtigen Reichsfrieden verloren, den Fürsten mehr Kraft zu geben und sie in den Stand zu setzen, sich nicht mehr wir bisher durch Österreich beherrschen zu lassen." Die größere Kraft sollten sie aus der allgemeinen Säkularisation und der Einschmelzung der Reichsritterschaft, der kleinen Grafen und Fürsten gewinnen. Da Roberjot zu einem Landschaftsdeputierten sprach, nannte er als weiteres Ziel, daß „die Fürsten durch gute ständische Verfassungen außer Stand gesetzt würden, den Völkern wie bisher zu schaden".406 In den Verhandlungen mit fürstlichen Vertretern war davon natürlich keine Rede. Ende September hatte Rivais, der französische Gesandte in Kassel, den Auftrag erhalten, den Landgrafen als „Angelpunkt und Haupt einer Zwischenliga, die sich aus den inneren Fürsten Deutschlands bilden würde", zu gewinnen. 407 Der leitende hessische Minister, Baron von Waitz, griff das Projekt mit Eifer auf, ebenso der Vertreter Hessen-Kassels in Rastatt, von Steube.408 In dieselbe Richtung lief die Anregung des französischen Gesandt403

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„La politique de la France ne peut pas être de laisser disparaître ni même de laisser trop s'affaiblir ce tiers parti de l'Allemagne, ces États indépendants qui doivent être ses futurs alliés les plus intéressants, ses protégés nécessaires." Ebenda, S. 481. Pallain. G., a. a. O., S. 267. „Votre principe est le mien. Je l'ai toujours professé." Bailleu, Paul, a. a. O., Bd. 1, S. 485. Sammlung von Lebensbeschreibungen..., a. a. O., S. 174. . . . . le pivot et le chef d'une ligue intermédiaire qui se formerait des princes intérieurs de l'Allemagne,..." Bailleu, Paul, a. a. O., Bd. 1, S. 485 Anm. 1. Politische C o r r e s p o n d e s . . . , a. a. O., Bd. 3, S. 136.

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VII. Der Aufschwung der anti feudalen Bewegung

schaftssekretärs Rosenstiel im Dezember, daß sich Pfalz-Zweibrücken, Baden, Württemberg, Hessen und Mainz zusammensetzen und sich über ihre Entschädigungsforderungen vergleichen mögen. 409 Solche Unterhandlungen blieben natürlich nicht verborgen. So berichtete der sächsische Resident in Frankfurt unter dem 23. Dezember, daß Rastatter Nachrichten zufolge «davon die Rede sein soll, unter der Leitung und dem Schutz Frankreichs einen Bund zwischen den Häusern Württemberg, Baden, Hessen-Kassel und Darmstadt und vielleicht dem Kurfürsten von Mainz zu bilden mit dem Ziel, für ihre Sicherheit zu sorgen und im Notfall gemeinsame Sache mit Frankreich zu machen." 410 Die Sendung Théremins im Oktober nach Stuttgart fügt sich unter diesem Gesichtspunkt der Bemühungen um die Mittelsstaaten erst in den richtigen Zusammenhang. 411 Da Frankreich des württembergischen Herzogs nicht sicher sein konnte, schien es angebracht, mit den ständischen Führern Verbindung aufzunehmen und auf diese Weise einen Druck auf ihn auszuüben. Da Théremins Neigung zum Republikanisieren dem Aufjenministerium bekannt war, bedeutete seine Wahl offensichtlich, dafj der Druck bis zur massiven Drohung mit der Revolution gesteigert werden sollte. Die intensiven französischen Bemühungen, die Mittelfürsten an sich zu ziehen, verbieten anzunehmen, dafj mit Théremins Sendung weitergehende Absichten verfolgt wurden. Abel, der sich im Oktober beim Augenministerium Gewißheit verschaffen wollte, erhielt von dem Generalsekretär die Auskunft, dag .keine Rede von nachteiligen und revolutionären Absichten" sein könne; »vielmehr sei das System des Gouvernements, die deutschen Fürsten vom zweiten und dritten Range möglichst zu soutenieren". Wie Abel von anderer Seite erfuhr, hatte dieser Beamte selbst einen Aufsatz angefertigt, „um dieses System zu empfehlen und den Nachteil zu zeigen, welcher aus einer Revolution in Deutschland für Frankreich entstehen würde". Allerdings, so meinte Abel, könnte im Kriegsfalle auf das Mittel der Revolution unter Umständen zurückgegriffen werden. 412 Dieselbe Sprache führten in Rastatt die französischen Deputierten, wie die preußische Gesandtschaft am 10. Dezember feststellte: .Sie sagen laut, dag die Republik keinen revolutionären Plan habe, ausgenommen im Kriegsfalle, wo dies immer eine sehr mächtige Waffe darstelle, deren sie sich gegen ihre Feinde bedienen würde." 413 Mit dem Beginn des Jahres 1799 schickte das Direktorium sogar einen offiziellen Gesandten, Trouvé, an den württembergischen Hof und dokumentierte damit sehr deutlich seine Absicht, mit dem Fürsten zu einem Einvernehmen zu gelangen. Trouvé unternahm auch keinen Schritt, um wie Théremin mit der ständischen Opposition oder gar mit den